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English Pages 224 [225] Year 2010
Erlebnis Arithmetik
Mathematik Primarstufe und Sekundarstufe I + II Herausgegeben von Prof. Dr. Friedhelm Padberg Universität Bielefeld Bisher erschienene Bände (Auswahl):
Didaktik der Mathematik P. Bardy: Mathematisch begabte Grundschulkinder - Diagnostik und Förderung (P) M. Franke: Didaktik der Geometrie (P) M. Franke/S. Ruwisch: Didaktik des Sachrechnens in der Grundschule (P) K. Hasemann: Anfangsunterricht Mathematik (P) K. Heckmann/F. Padberg: Unterrichtsentwürfe Mathematik Primarstufe (P) G. Krauthausen/P. Scherer: Einführung in die Mathematikdidaktik (P) G. Krummheuer/M. Fetzer: Der Alltag im Mathematikunterricht (P) F. Padberg: Didaktik der Arithmetik (P) P. Scherer/E. Moser Opitz: Fördern im Mathematikunterricht der Primarstufe (P) G. Hinrichs: Modellierung im Mathematikunterricht (P/S) R. Danckwerts/D. Vogel: Analysis verständlich unterrichten (S) G. Greefrath: Didaktik des Sachrechnens in der Sekundarstufe (S) F. Padberg: Didaktik der Bruchrechnung (S) H.-J. Vollrath/H.-G. Weigand: Algebra in der Sekundarstufe (S) H.-J. Vollrath: Grundlagen des Mathematikunterrichts in der Sekundarstufe (S) H.-G. Weigand/T. Weth: Computer im Mathematikunterricht (S) H.-G. Weigand et al.: Didaktik der Geometrie für die Sekundarstufe I (S)
Mathematik F. Padberg: Einführung in die Mathematik I – Arithmetik (P) F. Padberg: Zahlentheorie und Arithmetik (P) K. Appell/J. Appell: Mengen – Zahlen – Zahlbereiche (P/S) S. Krauter: Erlebnis Elementargeometrie (P/S) H. Kütting/M. Sauer: Elementare Stochastik (P/S) T. Leuders: Erlebnis Arithmetik (P/S) F. Padberg: Elementare Zahlentheorie (P/S) F. Padberg/R. Danckwerts/M. Stein: Zahlbereiche (P/S) A. Büchter/H.-W. Henn: Elementare Analysis (S) G. Wittmann: Elementare Funktionen und ihre Anwendungen (S) P: Schwerpunkt Primarstufe S: Schwerpunkt Sekundarstufe
Weitere Bände in Vorbereitung
Timo Leuders
Erlebnis Arithmetik zum aktiven Entdecken und selbstständigen Erarbeiten
Autor Prof. Dr. Timo Leuders Institut für Mathematik und ihre Didaktik Pädagogische Hochschule Freiburg Kunzenweg 21 79117 Freiburg [email protected]
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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Planung und Lektorat: Dr. Andreas Rüdinger, Dr. Meike Barth Redaktion: Gerald Schick Copy Editing: Heike Pressler Herstellung und Satz: Crest Premedia Solutions (P) Ltd, Pune, Maharashtra, India Satz: Autorensatz ISBN 978-3-8274-2414-3
Vorwort
Was erwartet Sie, liebe Leserin und lieber Leser, wenn Sie ein Buch zur Hand nehmen, das sich „Erlebnis Arithmetik“ nennt? Sie haben sicherlich gute Gründe, sich mit dem Thema „Arithmetik“ zu befassen. Vielleicht wollen Sie Lehrerin oder Lehrer werden, oder Sie lesen einfach gerne Bücher, die mathematische Sachverhalte anregend aufbereiten. Möglicherweise sind Sie noch skeptisch, dass ausgerechnet die Arithmetik ein Thema sein soll, das Ihnen durch Lektüre zu einem Erlebnis werden kann. Dieses Buch soll Ihnen ein Erlebnis auf drei Ebenen bieten: Zunächst einmal geht es natürlich darum, Sie mit den Inhalten des klassischen Themengebietes „Arithmetik“ vertraut zu machen. Mindestens ebenso zentrales Anliegen ist es, dass Sie Ihr möglicherweise durch die Schule geprägtes Bild von Mathematik revidieren, indem Sie sich auf faszinierende Entdeckungsreisen begeben und die Mathematik dabei von einer ganz anderen Seite erleben können. Bei dieser Tätigkeit sollen Sie – und das ist die dritte Ebene – auch sich selbst neu erleben, wenn Sie auf eigenen Wegen unbekannte Muster und Strukturen erkunden, Zusammenhänge aufdecken und mathematische Probleme lösen. Solche Erlebnisse entstehen natürlich am besten in der individuellen Auseinandersetzung, in Vorlesungen, Übungen, Seminaren und persönlichen Gesprächen. Dieses Buch ist ein Versuch, die positiven Erfahrungen, die ich mit einem entsprechenden Vorlesungskonzept gemacht habe, und die vielfältigen spannenden Themen, die ich dabei zusammentragen konnte, in gedruckter Form auch denjenigen verfügbar zu machen, die solche Erfahrungen bei der selbstständigen oder vorlesungsbegleitenden heimischen Lektüre machen möchten. Was Sie also erwartet, ist eine Reise durch den Kosmos der so genannten „natürlichen“ Zahlen im Speziellen und durch die Vielfalt des mathematischen Denkens im Allgemeinen. Sie werden sich wundern, wie viele Entdeckungen diese uns so einfach anmutenden Zahlen für Sie bereithalten. Im Kapitel 1 werden Sie erstmals Zahlen erforschen und herangeführt an die Struktur und Denkweise dieses Buches. Sie erfahren auch, was der Begriff Arithmetik eigentlich bedeutet und welche historischen Wurzeln die Arithmetik hat. Im Kapitel 2 erleben Sie dann, dass das Zählen durchaus kein simpler Vorgang ist, und wie man mit viel Erfindungsreichtum Systematisch zählen kann. Kapitel 3 zeigt dann, wie Zahlenforschen und Beweisen miteinander zu-
VI ⏐ Vorwort
sammenhängen. Sie erfahren hier, dass mathematisches Beweisen sehr anschaulich und auf unterschiedlichste Weise vonstattengehen kann. Im Kapitel 4 können Sie diese Kenntnisse anwenden, wenn Sie erforschen, wie sich Zahlen Teilen und Zusammensetzen lassen und welche faszinierenden Zusammenhänge und unerwarteten Strukturen dabei zu Tage treten. In Kapitel 5 verstecken sich hinter dem Titel Weiterzählen viele Muster, die man finden kann, wenn man besondere Zahlenfolgen untersucht. Danach werden Sie in Kapitel 6 einmal Zahlen in anderen Welten kennenlernen. Der wohlvertraute rechnerische Umgang mit Zahlen wird neue, exotische Formen annehmen, durch die Sie die Ihnen bislang vertrauten Zahlen besser verstehen lernen. Nach all diesen mathematischen Entdeckungsreisen lässt Sie im Kapitel 7 eine Exkursion erkunden, wie andere Menschen in lebenden und ausgestorbenen Kulturen Zahlen schreiben. Das letzte Kapitel 8 möchte Sie dann abschließend noch einmal Zahlen verstehen lassen, indem es Sie anregt, darüber nachzudenken, was Zahlen denn nun wirklich sind – aus kultureller, psychologischer und mathematischer Sicht. Weitere Angebote in den Anhängen und im Internet, zu finden unter www.erlebnis-arithmetik.de, sollen Ihnen helfen, mit dem Buch zu arbeiten: Lösungshinweise und Materialien zu den über 100 Erkundungen und Übungen können Sie im Internet herunterladen. Alle Kapitel werden ergänzt durch insgesamt über 100 weitere Übungen. Lösungen und Lösungshinweise dazu finden Sie ebenfalls im Internet. Alle zentralen Definitionen und Sätze finden Sie im Anhang noch einmal in einer Übersicht zusammengestellt. Dort sind auch über 50 weitere Prüfungsaufgaben, beispielsweise für die Klausurvorbereitung gesammelt. Auch hier gibt es Lösungen im Internet. Ein Literaturverzeichnis und ein Stichwortverzeichnis im Anhang sollen das Zurechtfinden erleichtern. Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre und bei der aktiven Erkundung der vielen in diesem Buch angebotenen Aufgaben mindestens so viel Freude, wie ich Sie seit Jahren in der Arbeit mit Studierenden bei der Erforschung der Zahlen habe. Timo Leuders
Freiburg, im Juni 2010
Inhaltsverzeichnis
1
Zahlen 1.1 1.2 1.3
erforschen ............................................................................. 1 Die Philosophie des Buches .................................................... 1 Was ist Arithmetik? ................................................................. 7 Übungen ............................................................................. 10
2
Systematisch zählen ....................................................................... 2.1 Einfache Zählstrategien ....................................................... 2.2 Problemlösestrategien beim Zählen ..................................... 2.3 Kombinationen zählen ........................................................ 2.4 Zählsituationen unterscheiden ............................................ 2.5 Übungen .............................................................................
11 11 13 18 25 36
3
Zahlenforschen und Beweisen ......................................................... 3.1 Wie entsteht mathematisches Wissen? ................................. 3.2 Was ist ein Beweis? .............................................................. 3.3 Formales Beweisen .............................................................. 3.4 Um-die-Ecke-Beweisen....................................................... 3.5 Die Logik mathematischer Aussagen ................................... 3.6 Übungen .............................................................................
41 41 45 54 59 62 68
4
Teilen 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6
5
Weiterzählen .................................................................................. 115 5.1 Muster in Zahlenfolgen finden............................................. 115 5.2 Muster in Zahlenfolgen beweisen ........................................ 119 5.3 Muster in Zahlenfolgen erklären .......................................... 122 5.4 Primzahlmuster ................................................................... 127 5.5 Übungen ............................................................................. 138
und Zusammensetzen ..... ..................................................... 71 Zahlen zerlegen .................................................................. 71 Primzahlen – Bausteine der Zahlen ...................................... 77 Teiler aufräumen ................................................................. 84 Gemeinsame Teiler.............................................................. 95 Vielfache ............................................................................. 101 Übungen ............................................................................. 103
VIII ⏐ Inhaltsverzeichnis
6
Zahlen 6.1 6.2 6.3
in anderen Welten ............................................................... 141 Rechnen in endlichen Welten ............................................... 141 Rechnen mit Resten............................................................. 146 Übungen ............................................................................. 150
7
Zahlen 7.1 7.2 7.3 7.4
schreiben ............................................................................ 153 Historische Zahlenschreibweisen ......................................... 153 Stellenwertsysteme ............................................................. 160 Stellenwertsysteme im Computerzeitalter ........................... 162 Übungen ............................................................................. 166
8
Zahlen 8.1 8.2 8.3 8.4
verstehen ..... ....................................................................... 171 Zahlen kulturhistorisch verstehen ....................................... 172 Zahlen psychologisch verstehen .......................................... 176 Zahlen mathematisch verstehen .......................................... 182 Übungen ............................................................................. 196
Definitionen, Sätze, Strategien ............................................................... 197 Prüfungsaufgaben.................................................................................. 204 Literatur ................................................................................................ 210 Index ..................................................................................................... 213
1
Zahlen erforschen
1.1
Die Philosophie des Buches
Wie wird man zum Zahlenforscher? Es versteht sich von selbst, dass es dazu nicht ausreicht, einen Text wie diesen von Anfang bis Ende durchzulesen. Daher regt dieses Buch immer wieder zur individuellen Beschäftigung mit eigens erstellten Erkundungen an. Hier kann und sollte sich jeder und jede mit Lust und Muße auf individuelle mathematische Entdeckungsreisen begeben. Dabei geht es nicht darum, sich die Inhalte ganz alleine anzueignen, sondern vielfältige eigene Erfahrungen zu machen. Im jeweils nachfolgenden Text werden dann – soweit das in einem fertig gedruckten Buch möglich ist – die Erfahrungen aufgegriffen und zu systematischen mathematischen Erkenntnissen verdichtet. Wenn Sie schon jetzt einen Eindruck von der Qualität der mathematischen Erkundungen, die auf Sie warten, gewinnen wollen, dann kann Ihnen das folgende Beispiel einen Anlass für die lustvolle Auseinandersetzung mit arithmetischen Fragen bieten. Erkundung 1.1: Die Zahl 9 lässt sich als Summe aufeinanderfolgender natürlicher Zahlen schreiben, sogar auf zwei verschiedene Weisen: 9 = 2+3+4
9 = 4+5
Man kann die 9 daher eine „Treppenzahl“ nennen. Untersuchen Sie, welche natürlichen Zahlen eine solche Darstellung als Treppenzahlen besitzen und welche nicht. Die rote Linie , die den Text zu einer Erkundung wie dieser beschließt, soll auch ein deutliches Signal an Sie sein und bedeuten: „Lesen Sie bitte hier nicht weiter, ehe Sie sich nicht eine gewisse Zeit selbstständig mit den Fragen auseinandergesetzt haben!“ Am besten haben Sie immer Zettel und Papier zur Hand und investieren – je nach Muße und Interesse – mindestens zehn bis zwanzig Minuten, um sich mit der Erkundung zu beschäftigen. Sie werden sehen: Es lohnt sich! Was könnten Sie in der Erkundung nun herausgefunden haben? Sicherlich haben Sie zunächst einige Beispiele untersucht und dann vielleicht eine der folgenden Vermutungen formuliert. Indem Sie dies taten, haben Sie bereits eine ganz grundlegende Strategie angewendet: Strategie: Formuliere zunächst eine Reihe von Beispielen.
2 ⏐ 1 Zahlen
erforschen
Solche Problemlösestrategien finden Sie im Laufe des Buches immer wieder. Sie sollen Ihnen helfen, nicht nur Inhalte der Arithmetik kennenzulernen, sondern auch Ihr eigenes Problemlöseverhalten in Augenschein zu nehmen und möglicherweise weiter zu entwickeln. Strategien werden in diesem Buch übrigens immer in der Du-Form formuliert. Das ist keine Anbiederung, sondern soll signalisieren, dass sich derjenige, der eine Strategie bewusst auswählt und anwendet, sich gleichsam selbst anspricht. Hier nun mögliche Vermutungen, noch ganz ohne Begründung: Für ungerade Zahlen gibt es immer eine Darstellung, z.B.: 17 = 8+9 Durch 3 teilbare Zahlen lassen sich immer als Dreierstufen schreiben, z.B.: 99 = 32+33+34 Wenn eine Zahl gerade ist, geht es manchmal, aber nicht immer: 10 = 1+2+3+4, aber 8 scheint nicht zu funktionieren. Vielleicht haben Sie sich an dieser Stelle – oder schon früher – gewünscht, eine bessere Übersicht zu bekommen und eine der beiden folgenden allgemeinen Strategien angewendet: Strategie: Stelle die Beispiele systematisch zusammen, z.B. in einer Tabelle. Das Ergebnis könnte z.B. wie nebenstehend aussehen. Diese tabellarische Übersicht zeigt noch nicht die Lösung, aber sie macht es vielleicht möglich, in den vielen Beispielen eine Struktur zu erkennen. Die zweite hilfreiche Strategie lautet: Strategie: Stelle die Beispiele auf eine andere Weise dar, z.B. symbolisch oder zeichnerisch. Vielleicht haben Sie eine symbolische Darstellung gewählt: ܽ ൌ ݊ ሺ݊ ͳሻ ൌ ʹ݊ ͳ ܽ ൌ ݊ ሺ݊ ͳሻ ሺ݊ ʹሻ ൌ ͵݊ ͵ ܽ ൌ ݊ ሺ݊ ͳሻ ሺ݊ ʹሻ ሺ݊ ͵ሻ ൌ Ͷ݊
Diese Darstellung macht es leicht, Beispiele zu erzeugen. Leider kann man umgekehrt nicht sagen, ob eine gegebene Zahl, z.B. 1000, eine solche Darstellung besitzt, geschweige denn, wie sie konkret aussieht. Vielleicht war Ihnen eine zeichnerische (man sagt auch „ikonische“) Darstellung eine größere Hilfe:
1.1
Die Philosophie des Buches ⏐ 3
Hier kann man z.B. erkennen, wie man bei 15 und ganz allgemein bei einer Zahl, die durch 5 teilbar ist, zu einer Lösung kommen kann: 15 = 3+3+3+3+3 = 1+2+3+4+5. Solchermaßen mit einer neuen Übersicht ausgestattet, konnten Sie vielleicht das nun Folgende herausfinden. (Sie können hier auch die Lektüre unterbrechen und erst einmal selbst am Problem weiterarbeiten.)
Wenn die Zahl durch 5 teilbar ist, kann man sie als Fünfertreppe (wie in der Abbildung) zeichnen. Man teilt sie erst in 5 gleich hohe Stufen auf und erhöht und erniedrigt dann von der Mitte aus. Dasselbe funktioniert ganz analog immer dann, wenn die Zahl einen ungeraden Teiler besitzt, also z.B. 7 oder 9 etc. Wenn die Zahl keinen ungeraden Teiler besitzt, dann funktioniert dieses Verfahren nicht. Die Zahlen, bei denen es nicht funktioniert, sind also die ohne ungerade Teiler: 2, 4, 8, 16, …
Das Problem scheint geknackt zu sein. Allerdings darf man sich nicht zu schnell zurücklehnen, sondern sollte seine Aussagen kritisch überprüfen: Wie sicher ist die jeweilige Aussage? Ist es schon offensichtlich oder ist es erst eine Vermutung, die noch eine Begründung benötigt? Ist die Schlussrichtung richtig herum? Nun geht es also nicht mehr darum, durch Beispiele und Gegenbeispiele Vermutungen zu erzeugen und diese durch weitere Beispiele auf ihre Plausibilität zu überprüfen. Nun müssen Sie Ihre Vermutungen wasserdicht machen und dazu unter anderem die Logik und Schlüssigkeit Ihrer Argumente unter die Lupe nehmen. Exkurs: Alltägliche und mathematische Aussagen Die Behauptung zu den Treppenzahlen lautet in ihrem aktuellen Stand:
Alle Zahlen mit einem ungeraden Teiler lassen sich als Treppenzahlen schreiben. Diese Behauptung setzt zwei Aussagen in einen logischen Zusammenhang: Aussage A: Eine Zahl besitzt einen ungeraden Teiler.
Aussage B: Man kann eine Zahl als Treppenzahl schreiben. Der logische Zusammenhang lässt sich dann so schreiben: AB: Wenn die Zahl einen ungeraden Teiler besitzt, kann man sie als Treppenzahl schreiben. Aber vielleicht haben Sie dabei auch noch etwas anderes mitgedacht: Man kann nur die Zahlen
mit ungeradem Teiler als Treppenzahl schreiben. Als logischen Zusammenhang kann man das so schreiben:
BA: Wenn man sie als Treppenzahl schreiben kann, besitzt sie einen ungeraden Teiler. Die beiden Aussagen AB und BA sind nicht gleichbedeutend. Die Schlussrichtung AB
schien aufgrund der Beispiele schon plausibel, aber die Schlussrichtung BA ist etwas völlig
4 ⏐ 1 Zahlen
erforschen
anderes. Wenn eine Zahl als Treppenzahl zu schreiben ist, kann das ja z.B. eine Treppe mit der Breite 20 sein. Wieso sollte eine solche Zahl einen ungeraden Teiler haben?
In der Mathematik gibt es für den Schluss AB zwei oft verwendete Bezeichnungen. Man sagt: A ist ein hinreichendes Kriterium für B, d.h. wenn A zutrifft, ist das ein hinreichender Grund dafür, dass auch B zutrifft. Man kann diesen Sachverhalt auch so ausdrücken: Aussage B ist ein
notwendiges Kriterium für Aussage A, d.h. damit A zutrifft, muss B notwendigerweise auch zutreffen. Was also zurzeit noch fehlt, ist der Nachweis dafür, dass nicht nur A hinreichend für B, sondern
auch B hinreichend für A ist, also eine gute Begründung für BA. Wenn B sich auch als hinreichend für A erweist, also wenn AB und BA, dann kann man auch schreiben: A⇔B, die bei-
den Aussagen A und B nennt man dann äquivalent.
Die hier vorgestellte mathematische Sprechweise ist knapp und klar und hilft durchaus auch,
manche Alltagsprobleme besser zu verstehen. Man muss sich aber auch erst durch regelmäßige Verwendung an sie gewöhnen. Das liegt vor allem daran, dass wir im Alltag weniger sorgfältig mit der Logik unserer Aussagen umgehen.
Noch ein Exkurs: Von der Sicherheit mathematischen Wissens Die genauere Betrachtung der logischen Schlussrichtung zeigt, dass die Aussage A⇔B über die Treppenzahlen noch nicht ganz lückenlos begründet ist. Das Verfahren „ungerade Teiler als Breite der Treppe wählen“ scheitert bei geraden Teilern, aber wer sagt, dass es dort nicht ein
anderes Verfahren gibt? Vielleicht haben Sie auch noch eine andere schwerwiegendere Lücke in der Argumentation entdeckt: Das Verfahren „ungerade Teiler als Breite der Treppe wählen“ geht
sogar gelegentlich bei ungeraden Teilern schief! Wenn Sie versuchen 14 = 7⋅2 als Summe von sieben Teilern zu schreiben, kommen Sie auf diesen Ausdruck: 14 = 2+2+2+2+2+2+2 = -1+0+1+2+3+4+5. Der ungerade Teiler war hier einfach so groß, dass der Bau der Treppe zu negativen Zahlen führt! Ist damit die Vermutung endgültig gestorben? Oder sind wir nur auf ein paar Ausnahmen
gestoßen, die man auf andere Weise in den Griff bekommt? Kann man den lückenhaften Beweis irgendwie reparieren?
Situationen wie diese sind in der Mathematik keineswegs unüblich. Im Gegenteil: Auf der Suche nach mathematischen Zusammenhängen in unbekanntem Terrain stoßen Mathematiker immer
wieder auf Lücken und Probleme. Schön ist das, wenn es noch am eigenen Schreibtisch geschieht, oder wenn ein Kollege auf einen Fehler hinweist. Aber die Geschichte der Mathematik ist voller Beispiele dafür, dass solche Beweislücken unentdeckt blieben oder Gegenstand langjähriger Dispute waren. Der wohl be-
rühmteste Fall ist derjenige der Fermat‘schen Vermutung – interessanterweise ist dies eine mathematische Aussage aus der Arithmetik! Im Jahre 1637 schrieb der französische Mathematiker Pierre Fermat (1607-1665) an den
Rand eines Buches folgende Vermutung: Die Summe zweier Quadrate könne wieder ein Quadrat sein, wie z.B. ͵ଶ Ͷଶ ൌ ͷଶ , bei Kuben oder größeren Exponenten sei dies aber unmöglich, d.h. ݔ ݕ ൌ ݖ habe für ganzzahlige
݊ ʹ keine natürliche Zahlen als Lösungen. Den Beweis blieb er jedoch leider
schuldig und nachdem über 300 Jahre Mathematiker immer nur Teilergebnisse erzielen konnten, wagte sich der englische Mathematiker Andrew Wiles an
das Unternehmen eines endgültigen Beweises. Von 1986 bis 1993 zog er sich weitgehend zurück und erarbeitete einen Beweis, den er in einer spektakulä-
ren Vorlesung in Cambridge vortrug. Die Begeisterung der Fachwelt war groß – leider fanden die Experten, die sich sofort an die Überprüfung des Beweises machten, nach einiger Zeit einen
1.1
Die Philosophie des Buches ⏐ 5
Denkfehler. War der Beweis damit gestorben, waren die langen Jahre der Arbeit umsonst? Erst
nach weiteren sechs Monaten Arbeit konnten Wiles und Andrew Taylor den Fehler beheben und sie veröffentlichten einen fast hundertseitigen Beweis. Was kann dieser kleine Exkurs in die Geschichte der mathematischen Forschung für Sie bedeuten? Zum Ersten: Die Arithmetik hält ganz einfach zu formulierende Probleme bereit, wie die
Fermat‘sche Vermutung, deren Lösung aber zu dem Schwierigsten gehören kann, was Menschen geistig bewältigen können. Zum Glück gibt es viele Probleme in der Arithmetik, die man
auch mit Schulwissen erfolgreich bearbeiten kann. Zum Zweiten: Beim Erforschen mathematischer Zusammenhänge und Lösen mathematischer Probleme sind Irrtümer, Sackgassen und Umwege keine Schande, sondern Teil des Erkenntnisprozesses.
Lesetipp: „Fermats letzter Satz“ von Simon Singh (2000). In diesem Buch wird
die Geschichte der Fermat‘schen Vermutung durch die Jahrhunderte erzählt. Der Autor gibt dem Leser einen leicht zugänglichen Einblick, wie mathemati-
sche Forschung funktioniert und wie Mathematiker denken und fühlen. Als Appetizer können Sie sich auch das Video aus der BBC-Dokumentation ansehen: http://video.google.com/videoplay?docid=8269328330690408516
Exkurse,
wie den vorangehenden, finden Sie im Buch immer wieder. Hierin werden oft zusätzliche Aspekte zum Thema ausgeführt. Oft geht es dabei um formale und exakte mathematische Schreib- und Sprechweisen, die Sie sich im Laufe der Lektüre auch aneignen sollten. Gelegentlich sind es auch etwas allgemeinere Reflexionen zum Wesen der Mathematik, die durch das aktuelle Thema angestoßen werden. Bei einem ersten Lesedurchgang können solche Abschnitte allerdings zugunsten einer flüssigeren Darstellung übersprungen werden. Das Aufgabenbeispiel aus Erkundung 1.1 findet man in der Literatur immer wieder. Der mathematische Satz, der am Ende einer immer rigoroseren Durchdringung der Situation steht, ist der Satz von Sylvester (s.u.). Hier ging es aber weniger um den mathematischen Inhalt als um den Prozess. Das Aufgabenbeispiel zeigt sehr gut, dass mathematische Probleme unmittelbar zugänglich sein können, aber auch dass man sich einige Zeit auf ein Problem einlassen muss, bevor man hoffen kann, Lösungen zu finden. Wenn Sie bei diesem Problem kein „Ergebnis“ haben, so müssen Sie sich nicht grämen. Anders als manche Aufgaben aus der Schule, ist diese gar nicht für eine schnelle Lösung mit Hilfe eines auf Vorrat gelernten Verfahrens geeignet, sondern inspiriert zum Suchen und Ausprobieren, zum Entwickeln und Überprüfen von Vermutungen und zum Nachdenken. Mit diesem Problem haben schon Schüler der vierten Klasse (Schwätzer/Selter 1998), der neunten Klasse (Schelldorfer 2007), aber auch Studierende (Berger 2005) gelernt, Probleme zu lösen. Viel wichtiger als die mathematischen Ergebnisse sind dabei die Erkenntnisse über das Wesen mathematischen Problemlösens und über die eigenen Fähigkeiten, selbstständig Mathematik zu betreiben.
6 ⏐ 1 Zahlen
erforschen
In diesem Buch finden Sie aber nicht nur Erkundungsaufgaben wie die eben vorgestellte. Es ist ebenfalls das Ziel, einen guten Überblick über die wichtigsten Begriffe und Zusammenhänge der Arithmetik zu vermitteln. Dazu führen die Erkundungen und nachfolgenden Analysen meist auf zentrale mathematische Zusammenhänge, die dann auch knapp, z.B. in Form von Definition und Sätzen festgehalten werden. Die rigorose Formulierung, der vorangehend verwendeten Begriffe und beschriebenen (und keineswegs gründlich bewiesenen) Zusammenhänge, so wie man sie auch in der mathematischen Fachliteratur findet, könnten zum Beispiel so aussehen: Definition: Eine gleichmäßige Partition ist eine additive Aufteilung einer natürlichen Zahl in aufeinanderfolgende natürliche Zahlen, wie z.B. 20 = 2+3+4+5+6. Satz von Sylvester: Jede natürliche Zahl hat genauso viele Partitionen wie sie ungerade Teiler besitzt. Es sind folglich genau die Potenzen von 2, die keine gleichmäßige Partition besitzen.
Dieser Satz ist natürlich eigentlich keine zentrale Aussage in der Arithmetik. Er dient als Beispiel für die verschiedenen Aspekte und Elemente dieses Buches. Daneben zeigt er aber auch inhaltlich, wie viele interessante und gar nicht auf der Hand liegende Strukturen in den so unscheinbar erscheinenden natürlichen Zahlen stecken. Wissensbausteine wie dieser hätten aber nur wenig Bedeutung, wenn es lediglich darum ginge, sie zu sammeln und als „träges Wissen“ zu memorieren. Wenn sie nachhaltig erworben und sinnvoll vernetzt werden sollen, braucht es vielfältige Anwendungen und eine vertiefte Auseinandersetzung mit neu erarbeiteten mathematischen Begriffen und Zusammenhängen, kurz: Es braucht Übungen. Diese werden in diesem Buch in unterschiedlicher Form angeboten, sowohl integriert in den Text als auch am Schluss eines jeden Kapitels. In diesen Übungen geht es nicht um das sture, wiederholende Anwenden von Verfahren, sondern um einen flexiblen Umgang damit. Die Übungen sind daher alle als produktive Übungen gestaltet (vgl. Leuders 2009, Wittmann 1990), d.h. als Aufgaben, bei denen man weiterhin mathematisch forschen, Strukturen entdecken und Begriffe bilden kann und dabei ganz natürlich das Erworbene übt und festigt. Wundern Sie sich daher nicht, wenn die Aufgaben recht offen formuliert sind, wenn es verschiedene Interpretationen gibt, oder wenn Sie nicht immer sicher sind, wann Sie mit der Bearbeitung der Aufgabe fertig sind. Auch die Übungen sollen Ihr flexibles und selbstständiges mathematisches Denken und Ihre Problemlösefähigkeiten wachhalten.
1.2
Was ist Arithmetik? ⏐ 7
Übung 1.2: Sie haben untersucht, welche Zahlen als Treppenzahlen darstellbar sind. Welche anderen Zahlen mit geometrischer Deutung sind denkbar? Erfinden Sie andere Typen von Zahlen und fragen Sie: Welche Zahlen gehören zu diesem Typ, welche nicht? Ein Beispiel für einen sehr einfachen Typ: Quadratzahlen
Ein Beispiel für einen komplexeren Typ: Raketenzahlen
Wenn Sie sich aktiv mit den hier angebotenen Problemen und Texten beschäftigen, dann lernen Sie weit mehr als die wichtigsten „Fakten“ der Arithmetik. Das Buch behandelt am Beispiel der Arithmetik immer wieder Fragen wie diese: Wie funktioniert Mathematik als Wissenschaft? Wie funktioniere ich (also: Sie!) als Mathematiker? Welche Strategien für das Problemlösen gibt es? Wie findet und führt man mathematische Beweise? Welche formalen Schreibweisen gibt es und was nützen sie? Was bedeutet das für das Mathematiklernen in der Schule? Hier geht es also nicht um Stoffvermittlung, sondern um Gelegenheiten, sich mathematisch auszutoben, die Fesseln des Schulunterrichts abzulegen und Dinge und sich selbst auszuprobieren. Seien Sie also kreativ, lernen Sie sich selbst und die Arithmetik näher kennen.
1.2
Was ist Arithmetik?
Zahlen sind eines der Fundamente der Mathematik – etwa neben den Formen oder den logischen Strukturen. Will man die Mathematik als Wissenschaftsdisziplin kennzeichnen, so könnte man sie als die „Wissenschaft von den Mustern und Strukturen“ bezeichnen (Devlin 1998, Stewart 2001). Die Mathematik bemüht sich, das Abstrakte und Universelle hinter den Mustern unseres Strukturerlebens zu sehen und versucht für die Beschreibung dieser Muster eine geeignete Sprache zu finden. Je nachdem, welchem Gegenstand man sich zuwendet, eröffnet sich ein anderes Teilgebiet der Mathematik: Die Geometrie beschäftigt sich mit den Strukturen der Form und des Maßes. Die Logik thematisiert die Strukturen des Schließens. Und als Arithmetik bezeichnen wir das Teilgebiet der Mathematik, das die Strukturen in den natürlichen Zahlen erforscht. Daneben wird die Bezeichnung „Arithmetik“ oft in Verbindung gebracht mit einem Teil des schulmathematischen Kanons. Die basic arithmetics bedeuten im anglo-amerikanischen nichts anderes als die „Grundrechenarten“, und so
8 ⏐ 1 Zahlen
erforschen
werden arithmetische Fähigkeiten oft identifiziert mit den Kulturtechniken des schriftlichen Rechnens und des Kopfrechnens. Andere Aspekte der praktischen Bedeutung der Arithmetik liegen versteckter, wie etwa unsere Verfahren, Zahlen systematisch aufzuschreiben (vgl. Kap. 7), oder Strategien des systematischen Zählens (vgl. Kap. 2) Über diese eingeschränkte Sicht von Mathematik ist die Grundschule allerdings schon lange hinaus. Kinder in der Grundschule können und sollen sich als mathematisch Forschende betätigen, die Arithmetik in der Grundschule hat sich zu einem Entdecken der vielfältigen Eigenschaften der natürlichen Zahlen gewandelt. Aus Sicht mathematischer Allgemeinbildung muss auch der kulturelle Aspekt der Arithmetik berücksichtigt werden: Die Arithmetik enthält Errungenschaften aus 3000 Jahren Mathematik als Teil unserer kulturellen Entwicklung. Die Griechen haben nicht nur die Urformen des Epos und des Dramas überliefert, sondern auch die Denkwerkzeuge, mit denen man beweisen kann, dass es unendlich viele Primzahlen gibt! Wenn man in die Geschichte zurückblickt, findet man, dass die Beschäftigung mit Zahlen – sei es um praktischer Bedürfnisse willen oder als Wissenschaft um ihrer selbst willen – in jeder Hochkultur ein wesentlicher Teil der gedanklichen Bemühungen der Menschen war. Das Wort „Arithmetik“ leitet sich von der griechischen Bezeichnung ơƱƩƨƬƧƴƩƪƞ ƴƝƷƭƧ (arithmitikí téchni), also wörtlich „Kunst der Zahlen“, ab (ơƱƩƨƬƼƲ, arithmos = Zahl). Man könnte die Arithmetik also auch als „Theorie der Zahlen“ bezeichnen. Und in der Tat gibt es in der Mathematik die Zahlentheorie – auch heute noch ein großes, aktives Gebiet der Mathematik, dessen Grundlage die Arithmetik bildet. Im Mittelalter war die Arithmetik systematisch eingeordnet in den auf die Antike zurückgehenden und in mittelalterlichen Klöstern gelehrten Kanon der „Sieben Freien Künste“. Man unterschied das Grundstudium, das drei Fächer umfasste (trivium), und das weiterführende Studium mit vier Fächern (quadrivium). Wenn wir heute etwas als „trivial“ bezeichnen, dann hieß das ursprünglich „zum Trivium gehörend“. Zum Trivium gehörten die Grammatik (darin auch das Studium der Literatur), die Dialektik oder Logik und die Rhetorik (einschließlich Recht und Ethik). Zum Quadrivium gehörten die mathematischen Fächer: die Arithmetik, die Geometrie (die die Geographie und Naturgeschichte beinhaltete), die Astronomie (in der auch Astrologie behandelt wurde) sowie die Musik. Nach Abschluss des Quadriviums erhielt ein Schüler den akademischen Grad eines Magisters der Künste (magister artium, daher das heutige master of arts, M.A.)
1.2
Was ist Arithmetik? ⏐ 9
Die Figur der Arithmetik hält in diesem Bild eine Zählschnur (oder einen Maßstab?) in der Hand. Ist Arithmetik also doch nur Zählen und Messen? Im Gegenteil, die Inschrift im Bild erklärt, was die Arithmetik tut: Ex numeris consto quorum discrimina monstro „Ich bestehe aus Zahlen, deren Unterschiede ich aufzeige.“ In heutiger Sprache würde sie vielleicht sagen: „Ich untersuche die Muster und Strukturen aller Dinge, die aus natürlichen Zahlen bestehen.“ Und damit drückt die Figur genau das aus, was den modernen Grundschulunterricht von einem reinen Rechenunterricht unterscheidet. Die wohl fundamentalste Rechtfertigung für die Beschäftigung mit der Arithmetik ist der Ausspruch des Pythagoras (570−475 v. Chr.): „Alles ist Zahl.“ Damit äußerte er die Überzeugung, dass die Strukturen und Gesetze der Natur sich mit natürlichen Zahlen erfassen lassen. Berühmt geworden ist beispielsweise seine Entdeckung, dass alle wohlklingenden Tonintervalle zu ganzzahligen Längenverhältnissen der schwingenden Saite gehören. Aber es war wieder ein Grieche, nämlich Euklid, der zeigte, dass es Verhältnisse gibt, die sich nicht mit ganzen Zahlen darstellen lassen – wie z.B. das Verhältnis der Länge der Diagonalen eines Quadrates zu seiner Seitenlänge. Und dieses Verhältnis lässt sich nicht als Verhältnis ǣ ݍzweier natürlicher Zahlen und ݍausdrücken. Heutzutage schreiben wir für dieses Verhältnis das Symbol ξʹ und bezeichnen eine solche Zahl als irrationale Zahl. Wenn man sie als Dezimalzahl aufschreibt, erhält man eine nicht endende, sich niemals wiederholende Folge von Dezimalstellen: 1,4142… Aber was ist das für eine Zahl? Haben wir mit ξʹ nicht nur ein Symbol für etwas nicht Fassbares erfunden und hantieren nun damit? Reelle Zahlen mit unendlich vielen, sich nicht wiederholenden Nachkommastellen, Grenzwerte – so etwas scheinen angesichts der unmittelbaren Klarheit natürlicher Zahlen doch eher Kunstprodukte des menschlichen Verstandes zu sein als natürliche Phä-
10 ⏐ 1
Zahlen
erfo orschen
nomenee. Diese Wah hrnehmung veranlasste v Leopold L Kro onecker (1823−11891) zu seineem berühmteen Ausspruch h: Die ganzen Zahlen scchuf der liebe Gott, G alles Übrigge ist Menschennwerk Und gan nz in diesem m Sinne sollen Sie sich nuun den „götttlichen Zahlen““ und ihrer Errforschung durch d den Meenschen zuweenden.
1.3
Übungen
Mit diessen Übungen n können Sie sich fit mach hen für einen n aktiv-entdeeckenden Umgangg mit Mathematik. Es haandelt sich um u Aufgaben n, die man aauch mit Schüleriinnen und Schülern fast alller Klassensttufen durchfüühren kann. Übung 1.3: Schüleriinnen und Scchüonen ler habeen eigene Rechenoperatio erfunden n (Ludwig 1998): 1 Sabin n (5. Klasse) hat sich diee „Abblitzatiion“ ausgedacht. d Operatio on auf Gesetzzmäßigkeiten n: a) Unterrsuchen Sie diese Wellche Ergebnissse können herauskomme h en, welche niccht? Ist jedess Ergebnis möglich, m wen nn man nur die d richtigen Zahlen Z mitein nander verrecchnet? Die Subtraktion ist die Umkeehroperation zur Addition n. Gibt es hierr auch einee Umkehropeeration? Ist die d Operation n kommutativv oder assoziiativ? Warum m (nicht)? Adddition und Muultiplikation „vertragen“ „ sich, s sie verbiinden sich im m Distributiivgesetz. Wiee verträgt sich h diese Operaation mit anderen? Welchee Rechen ngesetze in Verbindung V m anderen Operationen mit O k kann man fin nden? Dass fortgesetzte Addieren füührt auf die Multiplikation, M , das fortgeseetzte Aussführen der Multiplikation M n führt zum Potenzieren. P Z welcher O Zu Operation führt f das forttgesetzte Aussführen dieserr Operation? Gibt es dafüür so etwas wie „Potenzzgesetze“? b) Erfin nden Sie eine eigene Operaation und unttersuchen Siee diese. Übung 1.4: Sie brauuchen für diesse Aufgabe eiinen Spielwürrfel. n Sie zweimal, und erzeugen n Sie so eine zweistellige Zahl. Z Würfeln Würfeln n Sie nun nocch dreimal, undd erzeugen Siie so drei einzelnee Zahlen. Diee Aufgabe lauutet nun: Verssuchen Sie diie zweistelllige Zahl durrch Verrechneen der drei eiinstelligen Zaahlen zu erzeuugen. Schön wäre es natürlich, wen nn das mit ein nfachen Operrationen gelän nge. nn es nicht mit m Grundrech henarten geh ht – können Sie S das auch b begrün Wen den? nn nicht, so müssen m Sie siich halt einigee neue, aber möglichst m plaausible Wen Opeerationen aussdenken.
2
Systematisch zählen
Schon wenn man Kinder unterschiedlicher Altersstufen beim Zählen beobachtet, erkennt man, dass Zählen keineswegs eine einfache, automatisierte Tätigkeit ist. In diesem Kapitel erleben Sie, wie aus der ganz alltäglichen Frage „Wie viele?“ eine große Vielfalt an Zählstrategien, ja sogar eine kleine „mathematische Theorie des Zählens“ entstehen kann. Wundern Sie sich aber bitte nicht, wenn die Zählsituationen, denen Sie im Folgenden begegnen, allesamt etwas unrealistisch sind, und die Frage nach dem „Wie viel?“ eher verspielt als nützlich ist: Die folgenden Probleme sind meist so genannte Einkleidungen, die dazu dienen, den Zugang zu den mathematischen Konzepten besonders anschaulich zu gestalten. So richtig nützlich wird die „Theorie des Zählens“ dann, wenn sie in größeren Kontexten, etwa in der Statistik, eingesetzt wird. Sie werden aber sehen, dass dieses Kapitel Ihren Blick auf die Umwelt verändern wird und dass sie künftig wohl auch öfters die Frage „Wie viele?“ stellen werden.
2.1
Einfache Zählstrategien
Erkunden Sie zunächst einmal Ihr eigenes Zählverhalten. Sie werden sehen, dass Sie intuitiv schon mehr Zählstrategien verwenden als sie geahnt haben. Erkundung 2.1: Zählen Sie bitte zunächst die Dinge in jedem Bild. Überlegen Sie danach, wie Sie vorgegangen sind. Welche Abstraktionsleistungen haben Sie vollbracht?
12 ⏐ 2
Systematisch zählen
An diesen Beispielen haben Sie vielleicht einige Strategien, die uns das Zählen erleichtern, (wieder)entdeckt: Wir können Objekte in Gruppen bündeln. Vorzugsweise wählen wir Bündel, mit denen wir oft umgehen, etwa Dreier- oder Fünferbündel. Besonders beliebt sind Fünferbündel und Doppel-FünferBündel, denn als solche nehmen wir sie leichter wahr. Diese speziellen Bündel entsprechen auch der Struktur unseres Zahlsystems (vgl. Kap. 7). Schon bevor Menschen anfingen, Zahlen zu schreiben, gab es natürliche Bündelungen, wie etwa die Hand bzw. beide Hände, die fünf bzw. zehn Finger bündeln. Im Dänischen, Französischen und alten Englisch gibt es sogar Überreste von Zwanzigerbündeln: quatre-vingt, also 80, bedeutet wörtlich 4·20. Kinder können sich beim Zählen und Rechnen diese „Kraft der Fünf“ zu Nutze machen. Wenn die Objekte in günstigen Mustern, z.B. in Reihen oder Spalten, angeordnet sind, kann man ihre Anzahl schnell durch Multiplikation ermitteln – eine noch höhere Abstraktionsleistung, die natürlich voraussetzt, dass man mit solchen Mustern schon vertraut ist. Haben Sie etwa beim vierten Beispiel 3ă5 − 1 gerechnet? Dann haben Sie das Muster bereits in eine komplexere mathematische Struktur übersetzt. Dies alles sind Zählstrategien, die Kinder in der Grundschule – und im Alltag! – lernen. Es gibt aber noch komplexere mathematische Konzepte, die wir anwenden, um geschickt und zeitsparend Anzahlen zu bestimmen. Erkundung 2.2: Zählen Sie bitte wieder. Überlegen Sie danach, wie Sie vorgegangen sind. Was mussten Sie wissen und können, um so zu zählen? Welche mathematischen Konzepte haben Sie angewendet?
2.2
Problemlösestrategien beim Zählen ⏐ 13
Sie haben an den Beispielen bemerkt, wie bei komplexeren Situationen das Zählen unmittelbar mit der Nutzung oder Entwicklung mathematischer Denkweisen einhergeht: Bei der Orangenkiste haben Sie die multiplikative Struktur einer räumlichen Anordnung genutzt, zugleich wohl auch die Zahl der Schichten aus den Maßen im Bild geschätzt. Bei der Schafherde mussten Sie sich dazu durchringen, nicht die genaue, sondern nur die ungefähre Zahl als relevant anzusehen. Dann konnten Sie Verfahren zum Überschlagszählen anwenden, z.B. indem Sie Schafe gebündelt haben oder etwa die Schafe pro Quadratzentimeter bestimmt und hochgerechnet haben. Bei den Mozartkugeln haben Sie eine Annahme zur Symmetrie der Anordnung gemacht, ebenso bei den Kanonenkugeln. Diese kann man übrigens verschieden strukturieren: wahrscheinlich haben Sie diese als gestapelte Quadrate gezählt. Übung 2.3: Welche Strukturierung der Pyramide steckt wohl hinter diesen anderen Rechnungen? a) 1+4+9+16+25+36+49+64 = 204 b) 1+3+6+10+15+21+28+36+28+21+15+10+6+3+1 = 204 c) 36+(36-1)+(36-3)+(36-6)+(36-10)+(36-15)+(36-21)+(36-28) = 204 d) 8+(8+7)+(8+7+6)+(8+7+6+5)+…+(8+7+6+5+4+3+2+1) = 204 Diese Übung deutet noch einmal darauf hin, dass eine Struktur nicht einfach in einer Situation steckt, sondern dass man sie aktiv in eine Situation hineininterpretiert. Und das kann individuell sehr unterschiedlich aussehen. Haben Sie in dem einen oder anderen Fall noch anders gezählt? Das wäre nicht verwunderlich, denn Zählen ist eine ganz individuelle Sache. Jedenfalls erwarten wir, dass bereits Kinder in der Grundschule solche mathematischen Strategien entwickeln, wenn sie mit derartigen Zählproblemen konfrontiert werden. Das Zählen führt also in ganz natürlicher Weise zur Entwicklung mathematischer Begriffe und Strategien. In den folgenden Abschnitten sollen Sie sich einiger solcher universell weiterverwendbarer Strategien bewusst werden.
2.2
Problemlösestrategien beim Zählen
Der vorige Abschnitt hat gezeigt: Zählen ist mehr als Abzählen. Intelligentes Zählen nutzt vielmehr eine Strategie, die allgemein so lauten könnte: Strategie: Suche zunächst Strukturen und nutze diese geschickt aus. Verwenden Sie diese Strategie zum Einstieg bei einem übersichtlichen Zählproblem. Aber wundern Sie sich nicht, wenn Sie zu verschiedenen Lösungen kommen. Dieses Problem ist – wie viele Probleme in diesem Buch – ganz bewusst nicht völlig unmissverständlich gestellt. Es lässt verschiedene Interpretationen und Ansätze zu. Also trauen Sie sich, wenn Sie, hier wie auch bei späte-
14 ⏐ 2
Systematisch zählen
ren Übungen, unsicher sind, wie die Aufgabe zu deuten ist, eine Entscheidung zu treffen. Erkundung 2.4: Ein ordentliches italienisches Menü ist immer eine Kombination mehrerer Gänge. Wie viele verschiedene Menüs sind bei dieser Speisekarte möglich? RISTORANTE TOSCANA ANTIPASTI Prosciutto di Parma con Mozzarella Bruschette Carpaccio di Manzo Caprese Insalata di Gamberi Antipasto Vegetale PRIMI PIATTI Trenette al Pesto Spaghetti Pomodoro Spaghetti Aglio, Olio e Peperoncino Tortelli alla Parmigiana Tortelli Burro e Salvia Tagliatelle ai Funghi Porcini Gnocchi al Gorgonzola Gnocchi al Buongustaio Penne all’Arrabbiata Penne alla Norma Orecchiette Broccoli e Salmone Orecchiette Aglio, Olio e Broccoli Orecchiette alla Boscaiola Risotto ai Funghi Porcini Risotto Pescatore
SECONDI PIATTI Beilagen nach Wahl: Risotto - Tagliatelle Pommes Frites - Reis - Polenta Scaloppine di Vitello al Limone Scaloppine di Vitello al Marsala Scaloppine di Vitello ai Porcini Saltimbocca alla romana Filetto di Manzo Medaglione Filetto di Manzo alla Gorgonzola Agnello alle Erbe Paillard di Vitello HAUSGEMACHTE DESSERTS Tiramisù Caramelköpfli Panna Cotta Profiteroles Pera al Barolo www.ristorantetoscana.ch
Aus der Schule sind wir es leider gewohnt, zu einer Mathematikaufgabe eine passende, womöglich kurz zuvor erarbeitete Formel zu suchen und anzuwenden. Eine solche Formel ist bei Zählproblemen aber leider meist nicht zur Hand. Jedes Problem scheint zunächst ganz neu zu sein, eine ganz eigene Methode wird benötigt. Erst mit der Zeit gewinnt man eine Übersicht und erkennt schneller, wie man ein Zählproblem vielleicht angehen kann. Doch bis dahin: Wie geht man vor, wenn man keine unmittelbar passende Lösungsmethode oder Formel zur Hand hat? Das ist eine typische Situation in der Mathematik, hier geht es nicht um Anwenden fertiger Verfahren, sondern um das, was man „Problemlösen“ nennt. Eine ganz universelle Strategie (in zwei Schritten) lautet hier: Strategie: Schreibe zuerst einzelne Beispiele auf, um das Problem zu verstehen. Strategie: Versuche alle einzelnen Möglichkeiten systematisch aufzuschreiben.
2.2
Problemlösestrategien beim Zählen ⏐ 15
Ein Menü wäre beispielsweise: Prosciutto di Parma con Mozzarella – Trenette al Pesto – Scaloppine di Vitello al Limone mit Risotto – Tiramisù. Schon beim Versuch, ein einziges Beispiel zu erzeugen, kann man viel über die Struktur des Problems lernen. Sie haben vielleicht bemerkt, dass die Beilagen unter den ‚secondi piatti‘ unabhängig wählbar sind, also so etwas wie ein eigener Gang sind. Statt also gleich eine vollständige Lösung anzustreben, kann es sich lohnen, etwas Zeit zu investieren und anhand eines Beispiels erst einmal sicherzustellen, dass man das Problem verstanden hat. Allerdings kann es wirklich lange dauern, alle Möglichkeiten aufzuschreiben. Einfacher ist es, jedes Gericht mit einer Zahl zu versehen, für die Anzahl der Kombinationen von Gängen sind deren Namen nämlich irrelevant: Antipasti 16, Primi Piatti 1-15, Beilagen 1-5, Secondi Piatti 1-8, Desserts 1-5. Eine systematische Liste aller Möglichkeiten sähe dann z.B. so aus:
Dieser Schritt ist bereits eine weitere, im Allgemeinen sehr nützliche Strategie: Strategie: Finde eine vereinfachende Schreibweise. Mit diesem Umschreiben auf eine andere Notationsform hat man zwar noch keine Lösung, aber zumindest eine Arbeitsersparnis und vielleicht einen Lösungsansatz: Egal, wie man die nachfolgenden Gänge wählt, man hat jedes Mal die Wahl zwischen 6 ersten Gerichten. Man schreibt folglich so viele Sechserblöcke, wie man Kombinationen von Gängen nach der Vorspeise wählen kann. Das Problem hat sich also jetzt reduziert auf die Frage: Wie viele Kombinationen von Gängen gibt es, wenn man die Vorspeise außer Acht lässt? Diese Zahl muss man dann mit 6 multiplizieren. Auch hier war wieder (kaum merklich) eine Strategie am Werke, die man so in Worte fassen könnte: Strategie: Zerlege das Problem in (möglicherweise) einfachere Teilprobleme. Neben der obigen Strategie, eine vereinfachte Darstellung zu finden, gibt es auch ganz allgemein die Strategie des Darstellungswechsels: Strategie: Schreibe das Problem in einer anderen Darstellung. (a) als Liste oder Tabelle: Schreibt man eine Liste wie oben, dann ist das bereits ein Teilschritt zur Lösung. Man kann auch versuchen, das Problem als zweidimensionale Tabelle zu schreiben, was dann so aussehen könnte:
16 ⏐ 2
Systematisch zählen
An so einer Tabelle sieht man unmittelbar: Jeder Kombination aus Vorspeise und erstem Gang ist ein Feld zugeordnet. In drei Dimensionen kann man das allerdings nicht mehr so leicht zeichnen, sich wohl aber als Würfel vorstellen. Ab vier Dimensionen wird das schon schwieriger. Es müssen übrigens nicht immer rechtwinklige Strukturen sein – je nach Zählproblem können auch andere geometrische Muster weiterhelfen. (b) als Diagramm oder geometrische Figur: Ein Diagramm könnte hier z.B. die Form eines Baumes haben. Man sieht hier auch, dass man eine Strategie nicht immer bewusst auswählt oder anwendet – manchmal merkt man auch erst im Nachhinein, dass man eine Strategie angewendet hat. Dann heißt es: sich die Strategie genau ansehen, merken und vielleicht später noch einmal ausprobieren. Nun wurde das Problem mit einer ganzen Zahl unterschiedlicher Strategien und Darstellungen durchleuchtet und alle führen zu dieser Lösung: Die Anzahl der Kombinationen aus 6, 15, 5, 8 und 5 Möglichkeiten, bei denen man der Reihe nach aus den Möglichkeiten jeweils genau eine auswählt, beträgt 6ă15ă5ă8ă5. Das so gefundene Verfahren funktioniert natürlich nicht nur bei Speisekarten. Mit Hilfe der symbolischen Darstellungen, die die Mathematik zur Verfügung hat, kann man die Erkenntnis von der konkreten Einzelsituation abstrahieren und das Zählverfahren so beschreiben: Satz: Die Anzahl der Kombinationen aus Elementen, bei denen das erste Element aus einer Menge mit k1 Elementen stammt, das zweite aus einer Menge mit k2 Elementen usw., beträgt k1 ⋅ k2 ⋅ … ⋅ kn.
Wie man diesen Satz mit Hilfe symbolischer Schreibweisen noch knapper fassen kann, erläutert der folgende kurze Exkurs. Im Buch werden solche Einschübe gelegentlich dann kommen, wenn sich die Darstellung von der inhaltlichen Argumentation etwas abwendet und mathematische Formalisierungen und Symbolsprache eingeführt werden sollen. Dabei wird auch immer deutlich werden, wozu eine solche symbolische Schreibweise nützlich ist.
2.2
Problemlösestrategien beim Zählen ⏐ 17
Exkurs: Vom Sinn und Zweck formaler Schreibweisen Mathematiker schreiben ihre Aussagen gerne kompakt und verwenden dazu die Mengen-
schreibweise. Eine Menge ist eine Ansammlung von verschiedenen Objekten, wie beispielsweise von Zahlen, und schreibt sich z.B. so: A = ȓʹǡ͵ǡͷǡȔ oder so: B = ȓʹnΪͳȁ
nαͲǡͳǡʹǡ͵ǡǥȔ. Letzteres liest man üblicherweise so: B ist die Menge aller Zahlen 2n+1, bei denen n die Werte 0,1,2,… durchläuft. Diese Menge enthält damit die Zahlen 1,3,5,…. Dass ein Element in einer Menge liegt, schreibt man verkürzend mit dem „∈“-Zeichen: 3 ∈ A be-
deutet: „Die Zahl 3 ist Element der Menge A“, „3 ist in A enthalten“ oder „A enthält die 3“.
Eine Auswahl von Elementen ȋa, b, cȌǡ bei denen a aus der Menge A stammt, b aus der Men-
ge B und c aus der Menge C, nennt man auch ein Tripel. Die Menge aller dieser Tripel heißt
auch das Kreuzprodukt der Mengen A, B und C und schreibt sich so: A×B×C={ (a,b,c) | a∈A, b∈B, c∈C }. Wenn beispielsweise A={1,2,3}, B={1,2} und C={X,Y} ist, dann enthält A×B×C unter anderem die Elemente (1,1,X) oder (3,2 Y). Senkrechte Striche um eine Menge, z.B. |M|, bedeuten, dass man hier nicht die ganze Men-
ge, sondern nur die Anzahl der Elemente in der Menge meint, also z.B. |{1,3,4}|=3. Mit die-
sen Schreibweisen kann man die obige Feststellung über die Anzahl von Kombinationen besonders knapp so schreiben: ȁMͳ×Mʹ×ǥ×MnȁαȁMͳȁȉȁMʹȁȉǥȉȁMnȁǤ
Wer mit der symbolischen Schreibweise nicht gerade auf Kriegsfuß steht, kann bei dieser
Zeile auch ein gewisses ästhetisches Empfinden verspüren: Das Malkreuz „ד multipliziert gewissermaßen Mengen miteinander, so dass die Anzahlen der Elemente sich so multiplizieren lassen, wie es natürliche Zahlen tun. Wenn man das „ד schreibt, so wird man daran
erinnert, dass man eine Verknüpfung von Mengen vor sich hat, die bestimmte Eigenschaften des Multiplizierens besitzt. Gute Notationsformen haben also eine Art assoziative Erinnerungsfunktion. Dass das nicht immer so glatt läuft, können Sie sehen, wenn Sie einmal
versuchen, eine Regel für die Anzahl der Elemente in der Vereinigung von zwei Mengen zu finden. Die Vereinigung von Mengen schreibt man mit einem „∪“, also {1,2,4} ∪ [3,4,5} = {1,2,3,4,5}. Übung 2.5: Überprüfen Sie einmal, ob diese Regeln für alle Mengen M1 und M2 stimmen können:
ȁMͳ∪MʹȁαȁMͳȁΪȁMʹȁ
ȁMͳ∪MʹȁαȁMͳȁ⋅ȁMʹȁ
Wenn es nicht funktioniert: Unter welchen Bedingungen stimmt die Gleichung doch? Oder: Was müsste man an ihr ändern, damit sie immer stimmt?
Symbolische Schreibweisen sind also nützlich, wenn es darum geht, mathematische Er-
kenntnisse knapp zusammenzufassen. Damit ist jedoch noch nicht gewährleistet, dass sie auch helfen, ein anstehendes Problem zu lösen. Das gilt auch bei dem obigen Problem der Menüanzahl, denn die Hürde besteht nicht in der Anwendung einer Formel, sondern darin,
zu erkennen, was man zu berechnen hat, d.h. insbesondere ob eine solche Formel hier
überhaupt auf die Situation passt. Erst wenn man das Problem, wenn man es denn gelöst
hat, im Nachhinein auf knappe Weise darstellen möchte, hilft die symbolische Schreibweise: M1 = Menge der Vorspeisen, M2 = Menge der Primi Piatti,
M3 = Menge der Beilagen, M5 = Menge der Desserts
M4 = Menge der Secondi Piatti, M = Anzahl der möglichen Gangfolgen
Mit diesen Bezeichnungen gilt: M αMͳ×Mʹ×M͵×MͶ×Mͷ und die Aussage über die Anzahl der Elemente in der Produktmenge sieht so einfach aus: |M|=|M1|ă|M2|ă|M3|ă|M4|ă|M5|
Übung 2.6: Beantworten Sie die folgende Frage und nutzen Sie dazu möglichst intensiv die Kurzschreibweise: Wie viele Punkte mit ganzzahligen Koordinaten liegen in einem Rechteck der Breite 10 und Höhe 21?
18 ⏐ 2
Systematisch zählen
Aufschreiben kann man die Lösung auf eine so formale Weise, wie eben dargestellt, erst, wenn man das Problem – sei es auf dem Papier oder im Kopf – erfasst, verstanden und eigentlich auch schon gelöst hat. Die formale Schreibweise ist demnach für den Anfänger keine gute Strategie. Wenn mit den Schreibweisen einmal sicherer umgegangen werden kann, wenn man also den so genannten formalen Kalkül beherrscht, dann kann es schon nützlich sein, eine Idee knapp und formal aufzuschreiben und vielleicht auch formal weiterzuentwickeln. Übung 2.7: Ein deutscher Gast im italienischen Restaurant erkundigt sich (höflich, aber verunsichert): „Könnte ich auch einige Gänge überspringen?“ Was heißt das für das Zählproblem? Suchen Sie eine Lösung und wenden Sie dabei, wenn möglich, eine der genannten Strategien an.
2.3
Kombinationen zählen
Gerüstet mit den Erfahrungen des vorigen Abschnittes, können Sie sich nun daranmachen, ganz verschiedene Zählprobleme anzugehen. Sie werden dabei feststellen, dass es trotz der immer wechselnden Situationen viele Ähnlichkeiten in der Struktur gibt – und genau solche wiederkehrenden Strukturen zu erfassen, ist besonders die Stärke der Mathematik. Der Zweig der Mathematik, der sich mit der „Zählkunst“ befasst, wird auch Kombinatorik genannt. Erkundung 2.8: Sandy, Lucy, Vanessa, Nadja und Jessica haben ihre Band aufgelöst. Fortan probieren sie sich in verschiedenen Formationen aus, als Duos, Trios, in Einzelauftritten usw. Wie viele Möglichkeiten gibt es theoretisch? Lösen Sie nicht nur das Problem, sondern stellen Sie anschließend möglichst viele mathematische Fragen. Sicher haben Sie sich dem Problem aus der Popindustrie systematisch genähert, indem Sie – ganz entsprechend der weiter oben erarbeiteten Strategien – erst einmal eine einfache Schreibweise gewählt haben. Die Namen der jungen Damen könnten beispielsweise einfach durch Ziffern ersetzt werden. Dann sieht eine systematische Übersicht etwa so aus: Anzahl der
Kombination
Anzahl der
Mitglieder
Kombinationen
1 (Solo)
1,2,3,4,5
2 (Duo)
12,13,14,15,23,24,25,34,35,45
10
5
3 (Terzett)
123,124,125,134,135,145,234,235,245,345
10
4 (Quartett)
1234,1235,1245,1345,2345
5
5 (ganze Band)
12345
1 Insgesamt:
31
2.3
Kombinationen zählen ⏐ 19
Wenn es nur darum ginge, die Anzahl herauszufinden, wären Sie jetzt fertig. Aber je mehr Sie Ihre Lust am mathematischen Denken entwickelt haben, desto mehr drängt sich Ihnen in so einer Situation eine Fülle neuer Fragen auf, wie etwa diese: 1. Wieso sind die Anzahlen so unsymmetrisch? Warum fehlt die 1 auf der anderen Seite? 2. Woher kommt ansonsten die Symmetrie? Eigentlich sollte man doch immer mehr Möglichkeiten haben. Stattdessen ist die Zahl der Viererkombinationen wieder genauso groß, wie die der Einerkombinationen. Woran liegt das? 3. Kann man die Anzahlen auch berechnen, ohne alle Beispiele aufzuschreiben? 4. Ist es Zufall, dass 31 herauskommt? Die Frage 1 nach der mangelnden Symmetrie wegen der fehlenden 1 ist aus praktischer Sicht eigentlich uninteressant, einen Mathematiker stört so etwas jedoch. Zum Glück kann man es beheben: Alles wäre wieder im Lot, wenn noch eine Zeile hinzukäme: Zahl der
Kombination
Mitglieder 0 (keine)
Anzahl der Kombinationen
∅ (bedeutet: „leere Menge“)
1
Das passt allerdings gut in die Struktur, denn es gibt tatsächlich genau eine Möglichkeit für die Auswahl von keinem Bandmitglied. Das bringt einen auch schon auf die Frage 2 nach der Symmetrie: Alle zu wählen oder keine zu wählen, bedeutet gewissermaßen dasselbe und jeweils auch nur auf eine Weise. Genau vier zu wählen wiederum ist ganz dasselbe wie eine auszuwählen, die nicht dabei ist. Nun ist aber auch klar, warum 2 aus 5 auszuwählen gleich viele Möglichkeiten produziert, wie 3 aus 5 auszuwählen: Zu jeder Kombination von dreien gehört genau eine Kombination von zweien, die jeweils nicht ausgewählt wurden. Für diejenigen, die Castings in der Musikoder Modelbranche kennen: Mitunter lässt die Jury einen Teil der Bewerber hervortreten und gibt, um die Spannung zu erhöhen, erst nach einer Kunstpause bekannt, ob die Vorgetretenen oder die Stehengebliebenen weiterkommen. Frage 3 ist die nach einer allgemeinen Berechnungsvorschrift. Wenn man aus den konkreten Zahlen noch nichts erkennen kann, hilft oft die folgende Strategie: Strategie: Formuliere ein allgemeineres Problem und versuche, dieses zu lösen. Diese Strategie ist gleichermaßen das Gegenteil des Beispielsuchens. Das Motto lautet „Verallgemeinern statt Spezialisieren“. Manchmal verstellt ein allzu eng gewähltes Beispiel den Blick für das Wesentliche. In diesem Fall würde man also nicht fragen: „Kann man ausrechnen, wie viele Kombinationen es für die
20 ⏐ 2
Systematisch zählen
Auswahl von 3 aus 5 gibt?“, sondern vielmehr: „Kann man die Anzahl der Kombinationen von m aus n ausrechnen?“. Die systematische Übersicht könnte so aussehen: aus 1 aus 2 aus 3 aus 4 aus 5
0 1 1 1 1 1
1 1 2 3 4 5
2
3
4
5
1 3 6 10
1 4 10
1 5
1
Will man wieder die Symmetrie dieses Zahlenmusters besser zur Geltung kommen lassen, stellt man es grafisch in einer etwas anderen Form dar und fügt auch noch eine erste Zeile hinzu, die auch in ihrer Interpretation gut passt: Es gibt 1 Möglichkeit, 0 aus 0 auszuwählen. aus 0 aus 1 aus 2 aus 3 aus 4 usw.
Ö Ö Ö Ö Ö
1
1
1 5
1 4
1 3 10
1 2 6
1 3 10
Ý
1 4
1 auswählen 2 auswählen Ý 3 auswählen Ý 4 auswählen 1 Ý usw.
5
1
1
Dieses berühmte Dreieck wird nach dem französischen Mathematiker Blaise Pascal (1623−1662) auch „Pascal‘sches Dreieck“ genannt. Es versammelt offensichtlich die Anzahl aller Kombinationen für eine Auswahl von m Elementen aus einer Menge mit n Elementen. Es stecken aber noch viel mehr Zusammenhänge in diesem Zahlenmuster. Bevor Sie weiterlesen, probieren Sie es einmal selbst: Übung 2.9: Suchen Sie im Pascal‘schen Dreieck nach möglichst vielen Mustern, Strukturen, Regelmäßigkeiten und Zusammenhängen zwischen den Zahlen. Versuchen Sie anschließend, einige dieser Zusammenhänge zu begründen. Vielleicht haben Sie auch diese hier gefunden, vielleicht noch weitere: Vermutung 1: Jede Zahl ist die Summe der beiden Zahlen schräg über ihr, also z.B. 10 = 6+4 Vermutung 2: In den Zeilen findet man die Vorfaktoren für die Potenzen des Ausdrucks (x+y), also z.B. die 1, 3, 3, 1 aus (x+y)3 =1x3 +3x2 y+3xy2 +1y3
Vermutung 3: Die Summe in jeder Zeile ist immer eine Zweierpotenz: 1+1 = 2, 1+2+1 = 4, 1+3+3+1 = 8, 1+4+6+4+1 = 16, 1+5+10+10+5+1 = 32
2.3
Kombinationen zählen ⏐ 21
Wie kann man das Phänomen aus Vermutung 1 erklären? Am besten wohl, wenn man es zurückübersetzt in die Handlung des Auswählens. 10 = 6+4 bedeutet dann: 1 2 auswählen Anzahl der Kombinationen von 3 aus 5 = 1 1 Ý 3 auswählen Anzahl der Kombinationen von 2 aus 4 1 2 1 Ý + Anzahl der Kombinationen von 3 aus 4 1 3 3 1 aus 4 Ö 1 4 6 4 1 aus 5 Ö 1 5 10 10 5 1 Wenn man das verstehen will, muss man versuchen, sich vorzustellen, wie die Auswahl „3 aus 5“ sich zusammensetzt aus einer Auswahl „2 aus 4“ und aus einer Auswahl „3 aus 4“. Das geht tatsächlich! Wenn man aus 5 Elementen 3 auswählen soll, dann kann man zwei verschiedene Fälle unterscheiden: Fall 1: Fall 2:
Möglichkeiten, bei denen die 5 auf jeden Fall dabei ist: Hier muss man nur noch 2 aus den ersten 4 auswählen. Möglichkeiten, bei denen die 5 nicht dabei ist: Hier muss man noch alle 3 aus den ersten 4 auswählen.
Manchen Menschen fällt es leichter, einen solchen Sachverhalt zu verstehen, wenn er grafisch dargestellt ist. 5 auf jeden Fall dabei
Noch zwei wählen
5 nicht dabei
Noch drei wählen
Ist damit die Vermutung 1 bewiesen? Man könnte einwenden, dass in den hier vorgebrachten Begründungen ja keine einzige Formel steht, sondern vielmehr nur ein Beispiel begründet wurde. Andererseits ist die Begründung durch die Beschreibung der Situation besonders plausibel und außerdem ist auch ersichtlich, dass sie für alle anderen Zahlen ebenso funktioniert. Ein solches Beispiel, in dem eigentlich schon ganz offensichtlich die allgemeine Situation erkennbar ist, nennt man ein generisches Beispiel. Diese Form des Beweisens wird in Kapitel 3 unter dem Thema „Beweisen“ noch einmal vertieft behandelt. Nun zur Vermutung 2: Warum stehen in den Zeilen des Pascal‘schen Dreiecks die Vorfaktoren („Koeffizienten“) für die Potenzen eines Binoms? Das erkennt man, wenn man ein Binom ausrechnet, ohne sich zunächst um die genauen Vorfaktoren zu kümmern („Bi-nom“ bedeutet, dass hier „zwei Namen“, also zwei Variablen, in der Klammer stehen). Das Ergebnis hat dann diese Form: ሺx+yሻ5 =ሺx+yሻ·ሺx+yሻ·ሺx+yሻ·ሺx+yሻ·ሺx+yሻ =·x5 + ·x4 ·y+·x3 ·y2 +·x2 ·y3 +·x·y4 +·y5
22 ⏐ 2
Systematisch zählen
Beim Ausmultiplizieren gibt es nur eine Möglichkeit, auf x5 zu kommen, indem man nämlich aus jedem Faktor das x auswählt. Wenn man beim Ausmultiplizieren einmal das y wählt und viermal das x, dann erhält man x4 ·y – insgesamt geht das 5 Mal, da man y aus jedem Faktor wählen kann. Für x3 āy2 muss man zwei Mal y auswählen – und das ist dieselbe Handlung, als würde man aus 5 Popstars 2 auswählen. Nun erkennt man, warum die Vorfaktoren des Binoms übereinstimmen mit der Anzahl der Auswahlmöglichkeiten. Man nennt die Zahlen, die die Anzahl der Möglichkeiten beschreiben, m aus n auszuwählen, auch Binomialkoeffizienten. (x+y)5 =1·x5 +5·x4 ·y+10·x3 ·y2 +10·x2 ·y3 +5·x·y4 +1·y5
Bleibt nun nur noch die Vermutung 3: Mit Hilfe der eben hergeleiteten Formel für die Potenzen des Binoms kann man das sofort erkennen. Setzen Sie einfach einmal für x ൌ ͳ und für y ൌ ͳ ein, dann steht dort: 25 =1+5+10+10+5+1
So schön es ist, die Zweierpotenzen auf diese Weise gleichsam nebenbei begründet zu bekommen, so unbefriedigend ist die Situation. Zwar ist die 32 als Ergebnis nachgerechnet, aber leider nicht erklärt. Die Rechnung gibt leider keinen allzu klaren Hinweis darauf, warum es ausgerechnet eine Zweierpotenz ist. Auch hier kann es helfen, wenn man statt der Rechnung ein Bild oder eine Situation heranzieht, konkret hier also z.B. noch einmal die Auswahl der Popstars: Bisher wurde die Gesamtzahl aller Möglichkeiten bestimmt, indem man erst getrennt bestimmt hat, wie viele Möglichkeiten es für die Auswahl von ein, zwei usw. gibt. Man kann sich das Abzählen aller Möglichkeiten noch anders vorstellen, nämlich indem man an der Reihe der fünf jungen Damen vorbei geht und bei jeder einzeln entscheidet: „Du bist drin“ bzw. „Du bist draußen“. Das ist wie ein Menü mit 5 Gängen, bei denen man nur die Wahl hat zwischen „Gang ja“ und „Gang nein“. Als Baum würde diese Auswahlsituation so aussehen wie abgebildet. An der Situation und am Bild erkennt man gut, dass es insgesamt 2⋅2⋅2⋅2⋅2 = 32 verschiedene Möglichkeiten gibt, diese 5 Ja-Nein-Entscheidungen zu treffen. Was Sie hier erlebt haben, ist ein häufiges Zählphänomen. Man kann innerhalb derselben Situation auf ganz verschiedene Weisen abzählen. Wie beim strukturierenden Zählen von geometrischen Konstellationen in Abschnitt 2.1 kann man in eine Situation unterschiedliche Strukturen hineinsehen. Je nach Fragestellung kann sich dann eine Sicht als praktischer herausstellen als eine andere Sicht. Und betrachtet man eine Situation zugleich auf verschiedene Weisen, dann ergeben sich meist interessante mathematische Zusammenhänge. Eben
2.3
Kombinationen zählen ⏐ 23
dies ist hier passiert: Die Auswahlmöglichkeiten wurden einmal der Anzahl nach aufgezählt: 1 aus 5, 2 aus 5, 3 aus 5 usw. und einmal als Kette von Einzelwahlen: Nr.1 ja oder nein? Nr.2 ja oder nein, usw. Das Ergebnis war ein schöner Zusammenhang zwischen Binomialkoeffizienten und Zweierpotenzen: ͳ ͷ ͳͲ ͳͲ ͷ ͳ ൌ ʹହ
Ausgerüstet mit den bisherigen Strategien und Schreibweisen, können Sie die folgenden Übungen angehen. Wichtiger als die Ergebnisse sind der Vergleich der Situationen und der Lösungsansätze sowie die Verallgemeinerungen:
Welche der Situationen sind miteinander verwandt, welche verschieden? Wie könnte man das Ergebnis allgemein und formal aufschreiben?
Übung 2.10: Auf einer CD liegen Informationen bekanntermaßen digital vor. Musik besteht eigentlich aus einer kontinuierlichen akustischen Schwingung, d.h., zu jeder Zeit hat die Schwingung einen gewissen Ausschlag: Für die digitale Speicherung wird der Ausschlag in festen Abständen (z.B. mit der digitalen Abtastrate 64 kHz, also 64.000 Mal pro Sekunde) festgehalten. 111 110 101 100 011 010 001 000
Diese Ausschlagshöhe wird digitalisiert, d.h. in eine Reihe von Nullen und Einsen übersetzt. Würde man etwa nur 8 verschiedene Lautstärkewerte unterscheiden, wäre das sicherlich eine sehr grobe Auflösung und folglich ein miserabler Klang. Allerdings bräuchte man auch nur jeweils 3 Ziffern, also 3 Bit pro Abtastzeitpunkt. Bei einer CD werden allerdings 16 Bit, also eine Folge von 16 Nullen und Einsen, verwendet. Wie viele verschiedene Lautstärkewerte kann man so codieren? Konkret heißt das: Wie viele verschiedene solcher sechzehnstelliger Binärcodes gibt es? Wie viele Abstufungen hat eine Codierung, bei der man zwanzigstellige Codes verwendet? Hat sie ¼ mehr?
24 ⏐ 2
Systematis sch zählen
Übung 2.11: Im Jah hre 1873 erfaand der britische Naturfo orscher Frrancis Galton n ein Brett, das d er als An nschauungsm modell für Zufallsphän nomene bei der d Vererbun ng verwendete. Auch heute wird ess noch im Mathematikun M nterricht einggesetzt, weeil es so ansch haulich ist. Die obeen in der Miitte eingeworrfenen Kugeeln können bei b jeder Ebene wieder einen Schriitt nach rech hts oder einen nach lin nks gehen. Je J mehr verschiedene Wege W zu eineem Zielfeld führen, desto o häufiger lan ndet eine Kuggel dort. Die entsscheidende Frage F lautet also: a Wie vielle verschiedene Wege füühren in jedess Zielfeld? Findden Sie eine vereinfachend v de Darstellun ng für das Gaaltonbrett. Wäh hlen Sie eine bestimme Anzahl A von Ebenen, E veralllgemeinern SSie später auch h für andere Ebenen. Setzzen Sie Ihre Zählstrategieen in Beziehuung zu den bisherigen B Beispielen diesses Kapitels. Übung 2.12: Der Künstler K Aligghiero Boettii hat sich auus Afghanistaan Briefe nach Haause geschickkt und dabei jede möglich he Reihenfolgge von 6 Brieefmarken aufgekleebt. Wie vielee Briefe hat der d Künstler aus Afghanisstan geschrieb ben? Hat er wirkliich alle Mögliichkeiten, ein ne Reihenfolgge zu bilden, berücksichtig b gt?
Museuum für moderne K Kunst, Wien
Wenn Sie S die Problleme bearbeiitet haben, so haben Sie vielleicht alllerlei erkannt: g kein Stan ndardverfahren, keine Forrmel, in die man m einfach eeinsetzen Es gibt kann n. Dafür helffen konkrete Strategien. Häuufig gibt es verschiedene v hiedliche Lösungswegge, die sich duurch untersch Betrrachtung undd Darstellungg der Situation n ergeben. Man nchmal kann n man die Auufgaben sogaar verschiedeen interpretieeren und erhäält dadurch verschiedene v E Ergebnisse. Haben Sie S eine erstee Ordnung in n die vielen Beispiele geb bracht? Der folgende Abschniitt bringt ein ne Problemauufgabe, die dabei helfen n soll, eine Ü Übersicht über das bisher Gelernte zu bekkommen. Sie ist gleichsam m die „Oberaaufgabe“ ne Arten zu interpretieren i n und sie der voriigen, denn siee ist auf vielee verschieden enthält alle oben auuftretenden Berechnungsf B fälle. Dafür ist sie allerdin ngs auch nicht beesonders realiistisch.
2.4
2.4
Zählsituationen unterscheiden ⏐ 25
Zählsituationen unterscheiden
Nachdem Sie nun Strategien und Verfahren kennengelernt haben, mit denen Sie sich einer ganzen Reihe von Zählproblemen nähern können, hat dieser Abschnitt einerseits das Ziel, das Wissen über Zählsituationen zu systematisieren und andererseits auch vereinfachende Schreibweisen und Rechenverfahren zu erarbeiten. All dies funktioniert an einer einzigen, zwar wenig realistischen, aber dafür sehr übersichtlichen Situation (s.a. Selter & Spiegel 2004): Erkundung 2.13: Jana ist Eisfan und manischer Zählfreak! Allerdings mag sie prinzipiell nur 5 Eissorten: Vanille, Schokolade, Zitrone, Stracciatella und Schlumpf. Sie nennt sie: 1, 2, 3, 4, 5. Ihr Taschengeld (bzw. ihre Mutter) erlaubt ihr im Sommer jeden Tag allerdings nur ein Eis mit drei Kugeln. Jana stellt fest: „Dann aber wenigstens jeden Tag ein anderes Eis!“ Wie viele Tage hält sie das durch? • Arbeiten Sie zunächst mit dem Ziel einer konkreten Lösung vor Augen. • Wenn Sie verschiedene Interpretationen finden, bearbeiten Sie alle und vergleichen Sie sie im Anschluss. • Verallgemeinern Sie, wenn möglich, Ihr Ergebnis auf andere Anzahlen. Die folgenden Ausführungen bieten nicht gleich die „endgültigen“ Lösungen (Ungeduldige können bis auf S. 27 weiter blättern), sondern wollen Sie mitnehmen auf einen längeren Weg zu einem systematischen Verständnis. Sie werden dabei viele Aspekte aus Ihren Lösungsaufzeichnungen, sofern Sie welche gemacht haben, wiederentdecken. Haben Sie einen der folgenden Zahlenwerte herausbekommen – oder vielleicht noch einen anderen: 10, 35, 55, 56, 60, 92, 125, 155 Wundern Sie sich nicht – diese Aufgabe hat eine ganze Reihe verschiedener Interpretationen und entsprechend sind auch viele verschiedene Lösungen richtig. Gerade der Vergleich der Interpretationen bringt hier den Gewinn. Erste Interpretation: Jana stehen genau diese drei Eiskombinationen zur Verfügung: 123, 124, 125, 134, 135, 145, 234, 235, 245, 345. Das war es schon! Nach zehn Tagen ist der Spaß vorbei! Die Situation ist dieselbe wie die der Wahl von 3 Popstars aus 5 wie im letzten Abschnitt. Zweite Interpretation: Einige (vielleicht auch Jana) werden einwenden: Man kann aber doch auch eine Sorte zwei oder sogar drei Mal nehmen. Dann sieht die Sache schon ganz anders aus. Zu den bisherigen kommen dann noch diese hinzu: 111, 112, 113, 114, 115, 221, 222, usw. mit 3,4 und 5. Das sind also noch einmal 25 zusätzliche. Die erste Interpretation zusammen mit der zweiten
26 ⏐ 2
Systematisch zählen
ergibt also insgesamt 35 Möglichkeiten. Nun sind es doch 35 Tage – das sind ja schon fast die ganzen Ferien. Dritte Interpretation: Was macht Jana aber in der letzten Ferienwoche? Manche hätten dafür eine Lösung. Es gibt nämlich Eisesser, die würden zwar nie eine Kugel doppelt nehmen, dafür ist es ihnen aber höchst wichtig, woran sie zuerst lecken! Die Reihenfolge 123 schmeckt ganz anders als 132. (Vielleicht kennen Sie noch den legendären Spot in der Sesamstraße, in dem Ernie ein Eis zurückbringt, weil alle Kugeln in der verkehrten Reihenfolge sind.) Das führt zu weiteren Genussvarianten: 123 kann auch als 132, 231, 213, 312 und 321 verzehrt werden. Jede der 10 möglichen Kombinationen (ohne Wiederholung) kommt also in 6 Reihenfolgen vor. Insgesamt sind das 60 Möglichkeiten. Vierte Interpretation: Nun liegt es nahe, auch noch für den Fall, dass auch Sorten mehrfach zugelassen sind, solche Kugel-„Durchwechslungen“ (der Mathematiker sagt Permutationen) aufzuzählen. 112 kann auch als 121 oder 211 genossen werden, ebenso 113, 114 usw. 111 besitzt aber keine anderen Reihenfolgen mehr, ebenso wenig 222, usw. Insgesamt gibt es also nicht zu allen 25 Kombinationen mit Wiederholung, sondern nur zu 20 davon weitere 2ă20 = 40 Möglichkeiten. Damit kann man schon mindestens vier verschiedene Interpretationen unterscheiden. (In der Regel tauchen bei dieser Aufgabe noch weitere drei bis vier interessante andere Deutungen auf.) Diese vier hier ausgesuchten Interpretationen unterscheiden sich hinsichtlich der folgenden beiden Entscheidungen: Man muss entscheiden, ob Wiederholungen erlaubt sind, d.h. ob die zusätzlichen Varianten, die Wiederholungen enthalten, mitzählen oder nicht. Man muss (unabhängig davon) entscheiden, ob die Reihenfolge als bedeutsam gelten soll oder nicht. Wenn die Reihenfolge nicht beachtet wird, heißt das, dass z.B. 122 und 221 nicht als verschiedene Sorten gelten. Anzahl der Möglichkeiten Reihenfolge nicht bedeutsam zusätzliche, wenn Reihenfolge bedeutsam
Wiederholungen nicht zugelassen
zusätzliche, wenn Wiederholungen zugelassen
10
25
50
40
Wenn man nun beim Zulassen von Wiederholungen oder beim Zählen von verschiedenen Reihenfolgen nicht nur die zusätzlichen Möglichkeiten zählt, sondern nach der Anzahl insgesamt fragt, müssen in der zweiten Zeile bzw. Spalte die davor stehenden mitgezählt werden. Dann sieht die Tabelle so aus:
2.4 Anzahl der d Möglichkkeiten Reihenffolge nicht beedeutsam insgesam mt, wenn Reihenffolge bedeutsaam
Zählsituatione Z en unterscheidden ⏐ 27
W Wiederholung gen nicht zugelassen n
insggesamt, wenn Wiederho olungen zugeelassen
10
10+25 = 335
50+10 = 600
100+25+50+400 = 125
Diese viier Situationeen tauchen bei Zählproblemen immerr wieder auf uund man nennt sie daher aucch die vier kombinatori k ischen Grun ndsituationeen (auch a komb binatorische Situationen S g gibt, auf die ddiese vier wenn ess noch viele andere nicht paassen!). Bei dem m Versuch, diie Eisaufgabee zu lösen, stellte sich heeraus, dass ess sich eigentlich um vier versschiedene Eissaufgaben haandelt. Die Eiisaufgabe bieetet sozusagen viier Modelle, nach n denen man m zählen kann, k also vieer verschieden ne Arten des Zäh hlens, die imm mer wieder an nwendbar sin nd. Eine möglliche Strategiie für das Zählen könnte k also lauten: S Strategie: Suuche ein bekannntes analoges Prroblem, das schon gelöst ist. Bei Zäh hlproblemen würde w diese Strategie zu der Frage füühren: „Welch he Interpretation n hätte mein Problem, weenn ich es alss Eisaufgabe formulieren würde?“ Damit dies d nützlich h wird, müsssen die Grun ndsituationen n natürlich erst noch besser verstanden v w werden. Bish her wurden die d Anzahlen n in jeder K Kategorie durch syystematischess Auflisten geewonnen. Daas geht bei geeringen Anzah hlen, wie 3 Kugelln aus 5 Sorteen, noch gan nz gut, bei grö ößeren Zahleen wäre es ab ber günstig, schn nellere Berech hnungsverfah hren zur Verffügung zu hab ben. Es lohn nt sich also, jeede dieser Grrundsituation nen einmal th heoretisch (auuch ohne Eiscrem me) zu durchdenken und die Ergebniisse dieses Beispiels B auf beliebige Anzahleen von Sorteen und Kugeln zu verallggemeinern. Wir W nehmen ddaher im Folgendden immer an n, es gebe vo on nun an n Sorten Eis, aus denen k Kugeln ausgewäählt werden. Grundssituation: Wiiederholung g zugelassen n, Reihenfolg ge bedeutsam Bei jedeer Kugel hab be ich immerr aufs Neue die d Wahl zw wischen 5 Sorrten. Die Anzahl der Kombin nationsmöglicchkeiten betrrägt 5ă5ă5 = 125. Aberm mals habe ich bei jedem Schrittt die Wahl zw wischen n Mö öglichkeiten. Man könnte die Auswahl gutt an einem Baaum darstelleen, bei dem für fü jede Kugeel n Äste verzw weigen. Wenn man m also aus n Sorten nacch und nach k auswählt un nd dabei aucch Sorten wiederholen darf, erh hält man als Anzahl A der Möglichkeiten M n n · n · … · n = nk k Faktoreen
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Systematis sch zählen
Dieser Fall F ist ähnlicch wie die Wahl W aus derr Speisekarte,, nur gibt es hier bei jedem Gang G immer wieder w diesellbe Wahl aus denselben 5 Eissorten. B Beim Menü hält jeder j Gang eine e neue Zah hl von Möglicchkeiten bereeit. Das Beso ondere an dieser Situation: In jedem j Schrittt kann ich mich m wieder ganz g neu enttscheiden s einmaal gewählt haabe. Das und muuss nicht beaachten, was ich vorher schon macht diese d Situation n (Wiederhollen erlaubt, Reihenfolge R beedeutsam) so o einfach. Wenn icch Wiederho olungen ausscchließe, hänggt meine Wah hl davon ab,, was ich vorher schon gewäh hlt habe – das d kann sehr unterschieddlich sein. W Wenn ich verschieedene Reihen nfolgen nicht unterscheidee, kann es seiin, dass ich ggerade an einer Kombination K i in einer anderen Reih henfolge aucch schon bastele, die ich hatte. Daher D sind allee nun folgendden Situation nen kniffliger.. Grundssituation: Wiiederholung g nicht zugellassen, Reih henfolge bed deutsam Im ersteen Schritt gib bt es die Waahl zwischen 5 Sorten, beei jeder weiteeren eine weniger, da keine Wiiederholungeen zugelassen sind. Die An nzahl der Mö öglichkeiten beträgt also 5·4·33 = 60. Im errsten Schritt gibt es folglicch ganz allgeemein die wischen n So orten, bei jedder weiteren eine e weniger,, da keine W WiederhoWahl zw lungen zugelassen z sin nd. Damit erh hält man für die Anzahl der d Möglichkeeiten: n · (n−1) · (n− −2) · … · (n−kk+1) k Faktoren
Etwas ggewöhnungsb bedürftig istt die Schreiibweise für den letzten Faktor: (n−k+1).. Aber es stim mmt schon: Wenn W dort sttattdessen (n− −k) stünde, h hätte man die Fakttoren: n−0, n− −1, …bis n−kk. Dann wäreen es aber k + 1 Faktoren! Sie können es sich s auch so merken: m Von n 10 − 4 bis 10 sind es 5 Zahlen, Z nicht 4. Wenn Sie 4 Zaahlen haben wollen, w müsseen sie von 100 − 3 bis 10 geehen. Rein recchentechnisch h kann man dieses Produukt auch kom mpakter als Q Quotient schreibeen, wenn man n die Operattion „Fakultäät“ benutzt. Genauso G wie man für das fortggesetzte Multtiplizieren verkürzend die Schreibweisee ͷଷ für 5ă5ă55 gewählt hat, kan nn man statt 5ă4ă3ă2ă1 auuch 5! (sprich h: „5 Fakultäät“) schreiben. Allgemein: n! = n · (n−1)) ·…· 2 · 1
s nur 3 Kugeln Da aberr nicht 5 Kuggeln aus 5 Sorrten ausgewählt werden, sondern aus 5 wääre so etwas wie w eine Fakuultät in k Sch hritten durchaaus hilfreich: 5!3 = 5⋅4⋅3 analog a zu 53 = 5⋅5⋅5
So schö ön diese Schrreibweise ist, sie hat sich in i der Matheematik nicht etabliert. Das lieggt aber wohl auch a daran, weil w man solcche Fakultäteen, die nicht bis zur 1 herab geehen, mit eineem Trick relaativ leicht and ders schreiben n kann: 5·4··3=
und allggemein:
5·4·3·2·1 5! = 2·1 2!
2.4
Zählsituatione Z en unterscheidden ⏐ 29
݊ ή ሺ݊ͳ ͳሻ ή ሺ݊ ʹሻ ή ǥ ή ሺ݊ ݇ ͳሻ ൌ
Ǩ ሺn ሻǨ
(À)
Diese reein rechneriscche Umform mung kann maan übrigens auch a anschauulich verstehen: 5! = 5ă4ă3ă2ăă1 kann man interpretiereen als eine Wahl von 5 Kuugeln aus n, bei denen die d Reihenfollge bedeutsam m ist. Als Ersstes hat man 5 Sorten 5 Sorten zur Auswahl, egal wiie man sich entscheidet, e danach d bleibeen 4 Sorten uund zum n eine übrrig. n! steht also für die Auswahl von n allen n Schluss bleibt nur noch O ohn ne Wiederhollung, bei der die ReiObjekteen aus n versschiedenen Objekten henfolgee bedeutsam ist. Zusammengefasst: Satz: Die Anzahl aller möglic chen Reihenfolgen, in die man n O Objekte bringe en kann (P Perm mutationen), beträgt n! = n ⋅ (n – 1) ⋅… …⋅ 2 ⋅ 1
Wie kan nn man nun den d Ausdruckkఱήరήయήమήభ ୀఱǨ deuten? Zun nächst betrach htet man మǨ మήభ alle 5! Reihenfolgen R v 5 verschiiedenen Eiskkugeln. von 12345, 12354, 12435, 124453, 13245, 13254, usw… Wenn man m nun nurr die ersten 3 aus 5 Kugeeln auswählt,, dann kann man das auch so machen, dasss man 5 Kuggeln auswähltt und dann die d letzten beiden ein( verscheenkt). Dann hat h man aberr jeden Fall, 3 Kugeln fach niccht beachtet (oder zu wähllen, doppelt gezählt: Diee zwei übrig bleibenden Kugeln K könn nen ja in zwei (alsso 2!) verschiiedenen Reih henfolgen steh hen. Zum Beeispiel hat maan neben 123(45) auch den Faall 123(54). Das D korrektee Ergebnis errhält man alsso, wenn olgen aller Kugeln K durch h die 2! Reih henfolgen derr weggeman diee 5! Reihenfo nommen nen Kugeln teilt. t nǨ ൫n-k൯Ǩ
ne Kugeln auus n Sorten wählen, w in jedde möglibeddeutet also: n verschieden
che Reih henfolge brin ngen und dan nn davon abssehen, in wellcher Reihen nfolge die übrigen (n− k) Kugeeln liegen. Daas ist dasselb be, wie wenn n man fragt, w wie viele Möglich hkeiten es gibt, k verschieddene Kugeln aus n zu wäh hlen. Was Siee hier erlebt haben, h ist ein n häufiges Ph hänomen in der d Mathemaatik: Eine rein rech hnerische, alggebraische Umformung U führt fü auf eineen anderen A Ausdruck, nämlich die obige Formel F (À), zu z dem man n fragt: „Wass kann er bedeuten?“ nchmal für den d neuen Auusdruck wiedder eine neuee inhaltliDann kaann man man che Deuutung der Urssprungssituattion finden. Grundssituation: Wiederholung W g nicht zugelassen, Reihenfolge n nicht bedeutsam m Wie in der d vorigen Grundsituatio G on ist die Wiederholung W erneut nicht zugelassen. Dieesmal aber soll zusätzlich h die Reihen nfolge der geewählten Kuggeln nicht beachtett werden. Man M kann dah her versucheen, diese Situuation auf diie vorige zurückzuführen. Im vorigen Fall betrug die Anzahl A der Möglichkeiten M n mit BeD hat man n aber versch hiedene Reih henfolgen achtungg der Reihenffolge 5·4·3. Dabei
30 ⏐ 2
Systematisch zählen
derselben Sorten als verschiedene Eis gewählt, z.B. 123 und 231. Wie viele verschiedene Reihenfolgen gab es jeweils? Zuunterst kann jede der drei gewählten Sorten liegen, darüber noch eine der zwei übrigen, für die dritte bleibt dann keine Wahl mehr. Für jede Wahl von drei verschiedenen Sorten sind also 3! = 3·2·1 Reihenfolgen möglich, die alle als gleichwertig angesehen werden, wenn die Reihenfolge nicht bedeutsam ist. Durch diese Mehrfachzählungen muss man also die Gesamtzahl aller Möglichkeiten mit Beachtung der Reihenfolge dividieren: Anzahl der Möglichkeiten = (5·4·3) : (3·2·1) = 10 Allgemeiner kann man sagen: Wenn man aus n Sorten k Kugeln auswählt und dabei der Reihenfolge keine Beachtung schenkt, erhält man als Anzahl der Möglichkeiten k Faktoren n·ሺn1ሻ·ሺn2ሻ·…·(nk+1) k!
Hilfreich kann auch ein anderes Bild sein als das Zusammenstellen eines Eisbechers. Das Auswählen ohne Beachtung der Reihenfolge kann man sich auch vorstellen als das gleichzeitige Ziehen von k verschiedenen Objekten aus n verschiedenen Objekten. Beim gleichzeitigen Ziehen macht man sich nämlich keine Gedanken zur Reihenfolge und kann auch keine Objekte zweimal ziehen, weil in diesem Bild jedes der n Objekte nur einmal da ist. Für die Anzahl der Möglichkeiten, k verschiedene Objekte gleichzeitig aus n verschiedenen Objekten zu ziehen (also ohne Wiederholung und ohne Beachtung der Reihenfolge), schreibt man den symbolischen Ausdruck n ቀ ቁsprich: „n über k“, oder auch „k aus n“. k
(Achtung: Hier wird kein Bruchstrich zwischen n und k geschrieben, auch wenn die Hand beim Schreiben fast automatisch einen ziehen möchte!). Diese so beschriebene Anzahl ist übrigens identisch mit den Einträgen im Pascal‘schen Dreieck (S.20) und den Vorfaktoren der Summanden bei Ausmultiplizieren von (x+y)5 und daher nennt man ൫൯ auch Binomialkoeffizienten (S.22). Die Berechnungsformel kann man mit Hilfe der Fakultät auch umschreiben, indem man Zähler und Nenner erweitert: n n·ሺn െ 1ሻ·ሺn െ 2ሻ·…·ሺn െ k+1ሻ ቀ ቁ= k k! ൌ
n·ሺn െ 1ሻ·ሺn െ 2ሻ·…·ሺn െ k+1ሻ ሺn െ kሻ·…·3·2·1 n! · ൌ ሺn k! െ kሻ·…·3·2·1 k!·ሺn െ kሻ!
ఱǨ Es gilt also beispielsweise ൫ఱయ൯ୀయǨήሺఱఱǨെయሻǨୀయǨήమǨ Möglichkeiten, 3 verschiedene Kugeln gleichzeitig aus 5 Sorten zu ziehen. Auch hier gibt es wieder eine anschau-
2.4
Zählsituatione Z en unterscheidden ⏐ 31 ͷǨ
liche Intterpretation für f den umgeeformten Aussdruck . Diesen D kann m man auch ͵ǨήʹǨ so versteehen: Man biildet zunächsst alle Reihenffolgen von 5 Objekten, daas sind 5! Stück. Nun N nimmt man m jeweils nur n die ersten n 3. Dabei können die 3 gewählten in 3! verrschiedenen Reihenfolgen R n stehen, die 2 nicht gewäh hlten in 2! Reeihenfolgen. Daa man diese nicht beachtten will, hat man jede Möglichkeit M m mehrfach, nämlich 3!·2!-fach erzzeugt und muuss durch dieesen Wert divvidieren. g zugelassen n, Reihenfolg ge nicht bed deutsam Grundssituation: Wiiederholung Diese Siituation ist die d schwierigste. Zunächsst könnte maan auf die Iddee kommen, äh hnlich wie ob ben einfach die d entsprecheende Grundssituation bedeeutsamer Reihenffolge zu nehm men und durch die Anzah hl der möglicchen Reihenffolgen zu dividiereen. Das geht aber schief, weil diese An nzahl davon abhängt, wiee oft wiederholt wurde. w Am Beispiel B mit 3 aus 5 sieht das d z.B. so auus: Wen nn alle drei Kugeln K verscchieden sind,, gibt es 60 Möglichkeite M n. Wenn die Reihenfolge nicht bedeuttsam sein solll, muss man diese durch 3!=6 teilen, hat also noch h 10 Möglich hkeiten. Wen nn zwei Kuggeln gleich sin nd, aber die dritte d anders, gibt es 5 Mö öglichkeiten, die doppeltee Kugel auszuwählen, und d nur noch 4 für die einzelne Kuber an 3 versschiedenen Positionen P steehen. Die 5·44·3 Möggel. Die kann ab m also durrch 3 teilen, weil w die drei Positionen P deer einzellichkkeiten muss man nen n Kugeln nich ht zu verschieedenen Lösun ngen führen. Allee drei Kugeln n sind gleich, es gibt 5 Mö öglichkeiten. Hier muss m man nicht diviidieren, weil es e nur eine Reeihenfolge vo on drei gleich hen gibt. Insgesam mt sind es allso 60:6 + 60:3 6 + 5 = 35 3 Möglichkeeiten. Damit hat man zwar ein ne Lösung füür 3 aus 5 mitt Wiederholuung, aber es ist kaum vorzzustellen, dass maan dieses Verfahren auch h noch bei 10 aus 100 praktisch p durcchführen könnte. (Probieren Sie S es einmaal! Man lernt viel dabei!) Man wäre aalso froh, m für diesen n kniffligen Fall F eine Situuation oder Darstellung D h hätte, anwenn man hand deerer man eine allgemeine Rechenvorsch R hrift entwickeeln kann. tricks“ gesto Mathem matiker sind dabei d auf veerschiedene „Verständnis „ oßen, die beileibe nicht auf der Straße lagen n. Einer ist das d so genann nte „Gummibärchenorakel“, das Sie bei Büchter undd Henn (20055) nachlesen können. Ein n anderer ndnistrick“ fuunktioniert so o: Die Situatiion 3 aus 5 mit m Wiederhollung und „Verstän ohne Beeachtung derr Reihenfolgee auszuwähleen, wird auf eine andere Situation übertraggen und dort etwas anderss dargestellt. Das ist wiedder eine sehr m mächtige mathem matische Strateegie. S Strategie: Scchreibe das Probblem in einer annderen Darstelllung oder anderren Situation auuf. Die „an ndere Situation“ ist in diessem Fall nich ht so nahe lieggend, daher rreicht es, wenn Siie sie anhand der folgen nden Darstelllung nachvollziehen – und nicht etwa sellbst finden. Stellen S Sie sicch die konkreete Situation vor: Sie möcchten aus 5 Sorten n 3 Kugeln Eis E auswählen n, die Reihen nfolge ist Ihneen egal, es kaann auch mal einee Kugel mehrrfach dabei sein. Das Ausswählen von 3 aus 5 mit dder Mög-
32 ⏐ 2
Systematisch zählen
lichkeit der Wiederholung läuft nun so: Der Eisverkäufer geht von links nach rechts seine 5 Sorten entlang und fragt jeweils: „Wie viel darf’s hiervon sein?“ Dann muss ich mich entscheiden, wie viele Kugeln der Sorte es sein sollen, es gibt kein Zurück mehr! Ich entscheide also nicht Kugel für Kugel, welche Sorte es sein soll, sondern Sorte für Sorte, wie viele Kugeln es sein sollen. Das kann z. B. so aussehen: von Sorte 1 2 3 4 5 Kugeln 0 2 0 0 1 Dabei habe ich zwar die feste Reihenfolge in der Auswahl der Sorten, die der Verkäufer mir vorgibt, aber ich beachte nur das Endergebnis: Wie viele Kugeln von welcher Sorte landen in meinem Schälchen? Am Schluss müssen insgesamt genau 3 Kugeln ausgewählt sein. Diesen Entscheidungsvorgang kann man auch als Weg durch eine Art Straßennetz („Gitter“) von links nach rechts und von oben nach unten darstellen. Jeder horizontale Strich zeigt an, wie viele Kugeln ich schon zusammen habe, jeder vertikale Strich steht für eine Eissorte. Sorte 5
Sorte 4
Sorte 3
Sorte 2
Sorte 1
0 Kugeln 1 Kugel 2 Kugeln 3 Kugeln
Hier entscheiden Sie sich, von Sorte 2 zwei Kugeln zu nehmen.
Hier entscheiden Sie sich dafür, von Sorte 4 eine Kugel zu nehmen. Damit haben Sie drei Kugeln beisammen.
Nun kommt das Entscheidende: Jeder mögliche Weg durch das Gitter steht für genau ein anderes Eis. Es gibt für jeden Weg genau eine Lösung des Eisproblems mit Wiederholung und ohne Beachtung der Reihenfolge. Die neue Frage lautet nun also: Wie viele Wege gibt es? Dafür, dass die Behauptung „Es gibt genauso viele Wege wie Eislösungen“ so zentral ist, ist sie ziemlich wenig abgesichert. Waren Sie sich beim Lesen ganz sicher, dass die Behauptung stimmt? Oder haben Sie auf die Expertise des Autors vertraut? Mathematisch zu denken, heißt auch, jede Aussage kritisch in Zweifel zu ziehen, bis man sich selbst davon überzeugt hat. Hier wird behauptet, dass zwei Situationen gewissermaßen identisch sind, dass jeder Lösung der einen Situation genau eine der anderen entspricht. In solchen Fällen hat die Mathematik Begriffe und Methoden, mit denen man eine solche Behauptung absichern kann. Das ist Gegenstand des folgenden Exkurses.
2.4
Zählsituationen unterscheiden ⏐ 33
Exkurs: Wie findet man heraus, ob zwei Mengen „gleich“ sind? Bildlich gesehen, hat man es mit folgender Situation zu tun:
Menge W
Menge E
Mögliche Wege im Gitter (die immer
Eisbecher (mit Wiederholung,
nur nach unten und rechts gehen)
ohne Beachtung der Reihenfolge)
Wie zeigt man nun, dass beide Mengen gleich viele Elemente enthalten? Man kann sich hier mit dem Begriff der Abbildung weiterhelfen. Gesucht ist eine Abbildung, die jedem Element in W eindeutig ein Element in E zuordnet: f: W Æ E Mit „eindeutig“ ist gemeint, dass nicht etwa das hier passieren darf: (A)
Zwei verschiedene Elemente aus W werden hier auf dasselbe Element in E abgebildet. Aber selbst, wenn so etwas nicht geschieht, kann es immer noch so aussehen: (B) Ein Element in E wird gar nicht erreicht − auch hier ist die Zuordnung zwischen Elementen aus E und W nicht eindeutig. In der Mathematik gibt es für diese Situation Begriffe: Wenn Situation (A) nicht eintritt, so heißt die Funktion injektiv.
Wenn Situation (B) nicht eintritt, so heißt die Funktion surjektiv.
Eine Funktion, die surjektiv und injektiv ist, heißt auch bijektiv.
(Eine Merkhilfe für Lateinkenner: „in-jectus = hinein-geworfen“, „sur-jectus = daraufgeworfen“.) Erst wenn eine Funktion injektiv und surjektiv ist, gibt es zwischen allen Ele-
menten aus W und E genau einen Pfeil, beide Mengen haben dann gleich viele Elemente.
Ist die Weg-Eis-Funktion nun auch wirklich bijektiv? Dazu zeigt man in zwei Schritten, dass
sie sowohl injektiv als auch surjektiv ist: Die Funktion f ist injektiv, denn zwei verschiedene Wege können nicht auf dasselbe Eis abgebildet werden. Formal kann man das auch so schreiben: Für alle x, y ∈ W gilt: x ≠ y f ȋxȌ ≠ f ȋyȌ („Wenn die Urbilder verschieden sind, dann auch die Bilder.“) Gleichwertig ist dazu auch diese Aussage: Für alle x, y ∈ W gilt: f ȋxȌα f ȋyȌ x α y („Wenn die Bilder gleich sind, waren es schon die Urbilder.“) Wenn zwei Wege verschieden sind, dann gibt es eine Stelle, an der sie sich zum ersten Mal unterscheiden. Das geht aber nur so, dass der eine nach rechts geht und der andere nach unten. Da sie bis zu der Stelle gleich waren, folgt daraus, dass der eine mehr Eiskugeln von
der Sorte der Spalte als der andere enthält. Die Funktion f ist surjektiv, denn für jedes Eis kann man einen Weg finden, der auf dieses Eis abgebildet wird. So waren die Wege ja konstruiert: Zu dem gewünschten Eis geht der Verkäufer die Sorten entlang und wir sagen jeweils, wie viele wir von der Sorte haben wollen.
34 ⏐ 2
Systematisch zählen
Damit ist die Eis-Weg-Funktion bijektiv und die Zahl der Eis-Kombinationen und der Wege gleich groß. Man kann also eine Berechnungsvorschrift für die Zahl der Wege nutzen, um die Zahl der Eis-Kombination mit Wiederholung und unter Beachtung der Reihenfolge zu finden.
Nun bleibt nur noch die Frage: Wie viele Wege durchs Gitter gibt es, die immer nur nach unten und nach rechts gehen? Jeder Weg ist 7 Schritte lang: 4 (=5−1) nach rechts und 3 nach unten. Ich muss auf meinem Weg insgesamt genau 3 Mal nach unten gehen und darf das tun, wann ich will. Es geht also darum, 3 aus 7 ohne Wiederholung und ohne Beachtung der Reihenfolge auszuwählen. Das ist ein Fall, der weiter oben schon behandelt wurde und für den es eine kompakte Formel gibt. Anzahl der Möglichkeiten: ൫ଷ൯ ൌ
ήήହ ଷήଶήଵ
ൌ ͵ͷ
Allgemein kann man den Sachverhalt so schreiben: Wählt man k Objekte aus n Sorten mit Wiederholung und ohne Beachtung der Reihenfolge aus, so entspricht das einem Gitter mit n Entscheidungsstellen (senkrechte Linien) und k Auswahlanzahlen (zwischen k+1 horizontalen Linien).
n+k–1 ൰ k
Sorte n
൬
Sorte 1
Es gibt also n−1 horizontale Schritte und k vertikale, also insgesamt n−1+k Schritte. Die Zahl der Möglichkeiten entspricht demzufolge einer Auswahl von k aus n+k−1 (ohne Beachtung der Reihenfolge und ohne Wiederholung) und beträgt
0 Elemente
k Elemente
Wie hat der Trick funktioniert? Wieso wurde aus einer schwierigen Situation plötzlich eine einfache? Ein Blick zurück lohnt sich, so kann man sich dann vielleicht auch die Formel merken. Da die Reihenfolge nicht beachtet werden sollte, machten Wiederholungen Schwierigkeiten, denn die Anzahl der Reihenfolgen hing von der Anzahl der Wiederholungen ab (bei 112, 121, 211 gab es drei, bei 123, 132, 312, 321, 213, 231 gab es sechs Fälle, die aber jeweils alle nur als einer zählen sollten). Da das Wiederholen Probleme machte, wurde das Auswahlverfahren einfach geändert, so dass man nun die Wiederholungen für jede Sorte immer alle gleich hintereinander machen musste. Statt alle Reihenfolgen zuzulassen und dann gleiche Ergebnisse herauszudividieren, wurde eine bestimmte Reihenfolge einfach erzwungen: Der Eisverkäufer ging nun die Eissorten der Reihe nach durch, und die Entscheidung lautete immer: „jetzt (noch) eine Kugel“ oder „jetzt zur nächsten Sorte“. Für k Kugeln musste man sich also genau k Mal sagen „jetzt noch eine Kugel“. Außerdem musste man noch n−1 Mal sagen „jetzt zur nächsten Sorte“. Von diesen insgesamt k+n−1 Anweisungen an den Eisverkäufer mussten also genau k lauten „davon (noch) eine Ku-
2.4
Zählsituationen unterscheiden ⏐ 35
gel“. Und so kann man sich auch die Formel (einigermaßen) merken. Sollten Sie sie dennoch vergessen, so sind Sie in guter Gesellschaft. ♦♦♦ Abschließend soll dieser Abschnitt noch mit einer Mahnung zur Vorsicht schließen. Der allzu optimistische Umgang mit den Grundsituationen und ihren Formeln ist gefährlich! Nach so viel Gedankenarbeit ist es ganz schön, alle möglichen Situationen in eine übersichtliche Form gebracht und für jede auch eine Formel zur Hand zu haben. Die kombinatorischen Grundsituationen haben außerdem noch „klassische“ Bezeichnungen, die Ihnen nicht vorenthalten bleiben sollen. Satz: Die Anzahl der Möglichkeiten, k Objekte aus n verschiedenen zu kombinieren, hängt davon ab, ob man Wiederholungen zulassen will und ob man die Möglichkeiten nach ihrer Reihenfolge unterscheidet. Anzahl der Möglichkeiten
Reihenfolge nicht bedeutsam Reihenfolge bedeutsam
Wiederholungen nicht zugelassen
Wiederholungen zugelassen
n! n ቀ ቁൌ k k!·(n െ k)!
ሺn + k െ 1ሻ! k
n! ሺn െ kሻ!
nk
Leider hat dieses schöne Bild zwei gehörige Tücken: Bei weitem nicht alle Situationen lassen sich durch diese vier Grundsituationen erfassen, und: Die Übersicht hilft nicht, herauszufinden, welche Formel man anwenden sollte. Die zweite Behauptung wollen Sie vielleicht nicht glauben, man muss doch einfach nur zwei Entscheidungen treffen: „Mit/Ohne Wiederholung“ oder „Mit/Ohne Reihenfolge“? Der folgende gescheiterte Lösungsversuch mag Sie vielleicht überzeugen: Erkundung 2.14: Ein Supermarkt hat 5 Kassen. Wie viele Möglichkeiten gibt es, 3 Kassen zu besetzen? Michaela argumentiert: Die Kassen wiederholen sich nicht, also sind Wiederholungen nicht zugelassen. Die Kassen können in unterschiedlicher Reihenfolge besetzt werden. Also ist die Reihenfolge bedeutsam. Ǩ Die richtige Formel hierfür in der Tabelle lautet: ሺషೖሻǨ . Das Ergebnis ist damit 5! : 2! = 5 ⋅ 4 ⋅ 3 = 60. Erklären Sie Michaela, warum ihr Vorgehen falsch ist. Michaela hat sich hier nicht überlegt, was „Reihenfolge bedeutsam“ heißt. Natürlich ist die Reihenfolge der Kassen bedeutsam, aber hier geht es um die Rei-
36 ⏐ 2
Systematisch zählen
henfolge der Besetzung der Kassen. Und die ist für das Endergebnis, welche Kassen besetzt sind, egal. Die Gefahr der Verwendung der Tabelle ist somit, dass man rechnet, noch bevor man die Situation wirklich verstanden hat. Damit kann man nur umgehen, wenn man statt der „Formelrechnung“ bei jeder Aufgabe versucht, sie ganz konkret entlang der Situation zu lösen. Erst danach kann man noch einmal prüfen, ob man dabei die richtige Formel „wiedergefunden“ hat. Das könnte z.B. so aussehen: Klaus argumentiert: Ich stelle mir vor, wie da drei Verkäuferinnen stehen, die nun nacheinander die Kassen besetzen. Die erste hat 5 Kassen zur Auswahl, die zweite nur noch 4, die dritte 3. Damit gibt es 5⋅4⋅3 verschiedene Situationen. Dem Kunden ist es aber egal, welche Verkäuferin wo sitzt. Jede Besetzung mit den drei Verkäuferinnen kommt aber 3⋅2⋅1 = 6 Mal vor, weil die Verkäuferinnen ja in jeder Reihenfolge an den drei besetzten Kassen sitzen können. Ich rechne also: (5⋅4⋅3) : (3⋅2⋅1) = 10. Wenn ich das noch einmal anschaue, sehe ich: Im Prinzip habe ich einfach 3 Kassen aus 5 ausgewählt. Das würde ich mit ൫ହଷ൯ ausrechnen und das stimmt auch mit der von mir gewählten Formel überein. Klaus hat sich bei der Lösung nicht vertan, denn er ist bei der Rechnung immer „nahe an der Situation“ geblieben. Nun aber kommt Besserwisser Herbert: Erkundung 2.15: Herbert argumentiert: Der Supermarktbesitzer findet es schon interessant, wie schnell die drei Kassiererinnen an ihren Kassen sind. Und als Kunde habe ich ja auch meine Lieblingskasse und meine Lieblingskassiererin. Wenn Sie über Herberts Einwände genauer nachdenken, merken Sie: Die Aufgabe ist gar nicht eindeutig formuliert. Finden Sie möglichst viele verschiedene Interpretationen und lösen Sie sie. Können Sie für jede der vier kombinatorischen Grundsituationen eine Interpretation als Kassensituation finden?
2.5
Übungen
Übungsaufgaben zur Kombinatorik gibt es wie Sand am Meer. Nicht selten sind sie von der Form: „Peter hat seine 6 Paar rote Socken und 4 Paar schwarze Socken in der Schublade durcheinander geworfen. Mit welcher Wahrscheinlichkeit zieht er im Dunkeln ein zusammen passendes Paar heraus?“ Solche „kombinatorischen Fingerübungen“ wurden im Folgenden ausgespart. Die Aufgaben wurden vielmehr danach ausgewählt, dass man an ihnen nicht nur Grundfähigkeiten im systematischen Zählen übt, sondern zugleich Problemlösen und Argumentieren. Insbesondere gibt es oft mehrere Deutungsmöglich-
2.5
Übungen ⏐ 37
keiten, so dass man sich immer fragen muss, welche Interpretation der Aufgabe der realen Situation gerecht wird. Wenn Sie anfangs bei der Bearbeitung solcher eher offener Probleme unsicher sind, so können Sie sich bei jeder Aufgabe an einem solchen Problemlöseplan für Zählaufgaben entlang hangeln:
1 2 3 4 5
6
Habe ich die Situation überhaupt richtig verstanden? Am besten, ich schreibe erst einmal ein oder zwei Beispiele auf. Nun will ich wissen, wie viele Möglichkeiten es gibt. Am besten, ich schreibe erst einmal viele Beispiele auf. Wenn ich sicher sein will, dass ich alle Beispiele habe, muss ich beim Aufschreiben der Beispiele ein System finden. Wenn ich ein System erkannt habe, brauche ich gar nicht mehr alle Beispiele aufzuschreiben, ich kann sie dem System folgend ausrechnen. Erst danach kann ich versuchen, die Rechnung als Formel aufzuschreiben, und mir überlegen: Was bedeutet diese Formel? Ist sie plausibel? Ich kann schließlich mein Ergebnis überprüfen, indem ich es mit analogen Problemen vergleiche oder indem ich es in einem einfachen Fall berechne.
Gelegentlich wird übrigens bei den folgenden Aufgaben nach „Chancen“ oder „Wahrscheinlichkeiten“ gefragt. Wer mit den Grundzügen der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht vertraut ist, kann hier stattdessen nach der „Anzahl der Möglichkeiten“ suchen und diese in Beziehung setzen zu der Gesamtzahl aller Möglichkeiten. Übung 2.16: Bei dem Spiel namens „Lügen“ (in manchen Regionen auch bekannt als „Mäxchen“) würfeln Sie verdeckt mit 5 Würfeln. Wie viele verschiedene Ergebnisse kann es geben? Wie wahrscheinlich ist ein „Fünferpasch“? Übung 2.17: Es gibt ein Kinderspiel, bei dem die Kinder der Reihe nach laut durchzählen und dabei alle Zahlen auslassen müssen, die entweder durch 7 teilbar sind oder eine Ziffer 7 enthalten. Welcher Anteil aller Zahlen bleibt übrig? Vorsicht, das ist nicht ganz einfach! Lösen Sie zumindest die einfachere Variante dieser Aufgabe: Wie viele Zahlen von 10.000 bis 99.999 gibt es, die keine Ziffer 7 enthalten? Übung 2.18: Manche modernen Reißbrettstädte haben ein Gitterraster als Straßennetz. Wie viele verschiedene (kürzeste) Wege könnte der Taxifahrer in diesem rechtwinkligen Straßennetz im Prinzip von A nach B wählen?
38 ⏐ 2
Systematisch zählen
Übung 2.19: Die wohl häufigste Form einer Nationalflagge ist die mit drei Streifen. Nehmen Sie einmal an, Sie hätten 7 Farben zur Verfügung. Wie viele verschiedene Flaggen sind nun möglich? Übung 2.20: Bei einem Fußballturnier muss jede Mannschaft einmal gegen jede andere spielen. In einer Spielrunde können natürlich immer mehrere Spiele abgehalten werden. Wie viele Spielrunden braucht man mindestens bei 3, 4, 5, 10 oder 18 Mannschaften? (Tipp: Hier hilft vielleicht eine Zeichnung.) Nicht ganz leichte Zusatzaufgabe: Finden Sie ein System, wie man die Spiele auf die Runden verteilt. Übung 2.21: Eine Multiple-Choice-Klausur besteht aus 10 Fragen. Jede Frage hat 4 mögliche Antworten, aber nur eine Antwort pro Frage ist richtig. a) Welche Chance hätte jemand, der keine Ahnung hat, schon rein zufällig alles richtig zu machen? b) Welche Chance hätte jemand, der keine Ahnung hat, rein zufällig alle Fragen falsch zu beantworten? c) Welche Chance hätte jemand, der keine Ahnung hat, mindestens eine Frage richtig zu beantworten? Übung 2.22: Das Braille-Alphabet besteht aus Buchstaben und Zahlen, die Kombinationen von bis zu 6 „erhabenen“ Punkten auf dem Papier sind. Wie viele mögliche Zeichen gibt es? Würden Sie bestimmte Zeichen aus pragmatischen Gründen nicht verwenden? Übung 2.23: So genannte Anagramme entstehen, wenn man die Buchstaben eines Wortes durcheinander wirft. Im Internet gibt es Anagrammfinder, die zu einem vom Benutzer eingegebenen Wort alle Anagramme finden (www.sibiller.de/anagramme). Der angefragte Server sucht in Echtzeit Anagramme, d.h. zu einem eingegebenen Wort bildet er MUEDES TIROL alle Anagramme und prüft jedes, ob es ein sinnvolles REDET SILO UM ist. Wie lange braucht dann eine Anfrage zu einem LEIDET SO RUM Wort mit 10 Buchstaben? Nehmen Sie an, der CompuDR EULE SOMIT ter kann 1000 Anagramme pro Sekunde überprüfen. Übung 2.24: Die Stadt Freiburg vergibt Kennzeichen mit ein oder zwei Buchstaben und bis zu dreistelligen Zahlen. Der Landkreis Freiburg verwendet auch alle Buchstaben, vergibt aber ausschließlich vierstellige Zahlen. Ab wie vielen zugelassenen Autos reicht diese Vergabeart nicht mehr aus?
2.5
Übungen ⏐ 39
Übung 2.25: (vgl. Selter & Spiegel 2004): Ein (nur scheinbar) paradoxes Problem in drei Schritten. a) Sebastian, Clara, Miriam, Anne und Peter wollen ein Erinnerungsfoto knipsen. Es gibt 120 Möglichkeiten, nebeneinander zu stehen. Zeigen Sie das. b) Sebastian will unbedingt links stehen, für die anderen gibt es noch 24 Möglichkeiten. Zeigen Sie das. c) Wenn Sebastian rechts steht, gibt es für die anderen auch 24 Möglichkeiten. Mit Sebastian am Rand gibt es also insgesamt 2ă24 = 48 Möglichkeiten. Jedes andere Kind könnte auch am Rand stehen. Also gibt es doch insgesamt 5ă 48 = 240 Möglichkeiten, oder? Klären Sie den Widerspruch zum ersten Ergebnis von 120 in Teil a). Übung 2.26: Erfinden Sie zu den Termen 34 , 4⋅3ă2ă1 und 8ă7ă6ă5 jeweils zwei passende, aber möglichst unterschiedliche Situationen. Übung 2.27: Wenn Buchstaben mehrfach in einem Wort vorkommen, muss man beim Abzählen von Anagrammen (vgl. Übung 2.23) Acht geben. a) Wie viele verschiedene Buchstabenumstellungen haben folgende Worte? (1) SUSI (2) PUPPE (3) ANNA (4) MISSISSIPPI b) Formulieren Sie eine allgemeine Regel, wie man die Anzahl berechnet. 7! c) Finden Sie ein Wort, das zu dieser Berechnungsformel gehört: 2!2! Übung 2.28: Am 17.11.2006 konnte man bei www.stern.de lesen: Kommende Woche sollen die Zuschauer die Gewinner der aktuellen ProSieben-Popstars küren. Aber schon am Freitag tauchte ein Cover mit den drei Mitgliedern der Band beim Internethändler amazon.de auf. Die Fans sind stocksauer. Unter den Hunderttausenden von CDs, die der Internethändler amazon.de vertreibt, erregte eine am Freitagvormittag besondere Aufmerksamkeit: Die Single „Shame“ der neuen Girlgroup „Monrose“. Drei hübsche junge Frauen sind auf dem Cover zu sehen, Kenner identifizierten sie sofort als Kati, Mandy und Bahar. Die drei Frauen nehmen an der Casting-Show „Popstars“ auf ProSieben teil, sie gehören zu den insgesamt sechs Finalisten. Das Cover weist sie als Sieger aus, obwohl diese offiziell noch gar nicht feststehen. Die Gewinner sollen erst am kommenden Donnerstag im Finale ermittelt werden - mit Hilfe des üblichen, gebührenpflichtigen Zuschauer-Votings. Doch das Cover schien zu belegen, dass ProSieben das Voting nur betreibt, um Geld einzukassieren. In den ProSieben-Internetforen kochte sofort die Wut hoch. „Das wäre eine Riesenabzockerei. Bin gespannt, ob es so kommen wird“, schreibt sekzijh auf planetpopstars.prosieben.de. Auch ypery ist sauer: „Das ist ja mal krass. Wenn sich dieses Foto nächste Woche bestätigt, dann weiß man, dass wirklich die Band schon fest steht.“ Im Medienforum ioff.de erregte sich Chaka: „So 'ne Verarsche kann doch nicht ungestraft bleiben.“, eine Nutzerin mit dem Pseudonym „Revolverheldin“ urteilte: „Zuschauerverarsche vom Feinsten“. ProSieben Foren plötzlich dicht. Das Cover mit den neuen Pop-Sirenen blieb nur kurze Zeit auf amazon.de stehen - der erste Hinweis eines Users im ProSieben-Forum kam um 10.36 Uhr, gegen 12 Uhr
40 ⏐ 2
Systematis sch zählen
wurde dass Bild gelöscht, später durch eiin neutrales Covver ersetzt. Auch h in den ProSieeben-Foren kam etwas in Bewegung - sie waren plöttzlich nur noch schwer zu erreiichen. Der Sendder ließ am n, die „communiity“ sei aufgrund „erhöhter Zugriffszahlen derrzeit ausgeFreitagnacchmittag wissen lastet.“ Dann D begannen offenbar o die Krrisenstäbe bei ProSieben, P Warn ner Music und amazon.de zu tagen, um der Öffentllichkeit zu erkläären, was überh haupt vorgefallen n war. Sowohl W Warner als auch ProSSieben bestätigtten schließlich, dass die Gewiinnerband tatsäächlich „Monrosse“ heißen wird und die Single „Shaame“. Es seien jedoch Videocliips, Studioaufnaahmen und Covver für alle möglichen n Kombination nen unter den sechs s Finalisten n vorbereitet worden. w Die Co over hätten bereits beeim Presswerk gelegen g - und da d hätte einer „gepennt“, „ so Warner-Spreche W r Benedikt Lökes zu stern.de. Der Beetreffende hätte das Cover verssehentlich auf die d brancheninteerne Komonsplattform ph hononet übersp pielt, von der sich s auch amazzon.de bedient. Über den munikatio Ärger undd die Verdächtiggungen der Fan ns sagt Lökes: „D Das kann ich nachvollziehen. n A Aber es ist so, wie es ist.“
Stellen Sie S sich eine mathematisch m he Aufgabe und u lösen Sie sie! Übung 2.29: Das Häschenspiel H l („question du d lapin“) Stellen Sie S sich zum Häschenspiel H l eine mathem matische Auffgabe und lössen Sie sie. Vorssicht: Ein recchnerischer Schnellschuss könnte hier falsch sein! Österlich he Mutation. Ziel Z dieses erstm mals um 1900 in Frankreichh aufgelegten Geduldspiels G isst es, fünf Achtecke − mitt den eingestannzten Umrissen eines Pferdeko opfes, einer Vase, einer Glockenblume, G e eines Katzenko opfes und einer e Schildkrööte − so übereiinander zu legeen, dass sich die Silhouette eines Hasen ergibt. e Beim Veersuch der Lösung L offenbaart das ursprüngglich „question du lapin“ gehheißene Legepuuzzle recht schnnell, dass es üb ber jene Eigenschaften verfüügt, die Kennerr der Materie mit m der Zungee schnalzen lasssen, den Unbeddarften aber zur Weißglut treiben: sieht (erstenns) einfach aus, ist ess (zweitens) aber nicht. Über den Umstand, dass der resulttierende Hase eeher an ein Kaninchenn gemahnt, habben wir übrigeens mit Blick auf a die feiertaggsübliche Verkklärung der Realitätenn gelassen hinw weggesehen. Quelle:
Glockeenblume
Katzenkopf
Pferdekopf
Schild dkröte
Vase
3
Zahlenforschen und Beweisen
Wie entsteht mathematisches Wissen? Wie sicher ist es? Welche Rolle spielt dabei das Beweisen? Das sind die Fragen, um die es sich – neben neuen Einblicken in die Arithmetik – in diesem Kapitel dreht. Um sie zu beantworten, muss man nicht einmal in komplexe mathematische Gebiete vorstoßen. Die natürlichen Zahlen und ihre Muster liefern hier schon einen so reichhaltigen Kosmos von Phänomenen und Fragen, dass man vieles über das Wesen der Mathematik lernen kann.
3.1
Wie entsteht mathematisches Wissen?
Damit Sie einen konkreten und aktiven Zugang zur Frage nach dem Wesen mathematischer Erkenntnis bekommen, sollten Sie einen typischen mathematischen Erkenntnisprozess selbst durchlaufen. Die folgende erste Erkundung des Kapitels gibt dazu den Startschuss: Erkundung 3.1: Wie gut kennen Sie eigentlich Quadratzahlen? Sicher, die Folge der Quadratzahlen ist Ihnen hinlänglich vertraut: 1, 4, 9, 16, 25, 36, 49, 64, … Aber steckt in dieser Zahlenliste noch mehr als die Tatsache, dass es Quadrate sind? Gibt es noch mehr Strukturen, Muster und Zusammenhänge? Untersuchen Sie die Folge der Quadratzahlen daraufhin und schreiben Sie möglichst viele verschiedene Vermutungen auf. Falls Sie nicht wissen, wo Sie anfangen sollen – hier einige Aspekte, die Sie betrachten könnten: Summen, Differenzen, bestimmte Ziffern, Teilbarkeiten durch 2, 3, 4, usw. In diesem ersten Schritt sind Sie mathematisch kreativ geworden und haben mögliche Erkenntnisse erzeugt. Dabei spielte für Sie (hoffentlich) zunächst einmal keine Rolle, wie tiefsinnig Ihre Vermutungen sind oder ob sie wirklich stimmten. Ganz im Sinne der Technik des brainstorming sollte man bei der Suche nach Vermutungen die allzu kritische Bewertung zunächst zugunsten unbehinderter Kreativität aufschieben. Vermutungen, die sich als unhaltbar erweisen, können später vielleicht konstruktiv variiert werden. Vermutungen, die auf den zweiten Blick banal sind, lassen sich vielleicht zu interessanteren Zusammen-
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3
Zahlenforschen und Beweisen
hängen verallgemeinern. Der erste Schritt zur Erkenntnis ist die kreative und mutige Formulierung von Behauptungen. Wahrscheinlich haben Sie bei der Suche nach Strukturen und Zusammenhängen einen „neuen Blick“ für Quadratzahlen entwickelt und z.B. eine der folgenden Entdeckungen gemacht: (1) Jede zweite Quadratzahl ist gerade. (2) Manche Quadratzahlen passen zusammen: 9+16=25, 36+64=100. Gibt es noch mehr davon? (3) Die Endziffern sind symmetrisch angeordnet: 01496569410 (4) Die Abstände wachsen regelmäßig: 1+3=4; 4+5=9; 9+7=16; 16+9=25 (5) Das Produkt zweier Quadratzahlen ist wieder eine Quadratzahl (6) Die Summe aufeinanderfolgender Quadratzahlen ist immer ungerade (7) Die Quersumme von dreistelligen Quadratzahlen ist wieder eine Quadratzahl: 121→1+2+1=4; 144→1+4+4=9; 169→1+6+9+=16 usw. (8) Gerade Quadratzahlen sind immer durch 4 teilbar. (9) Die Differenz der Quadrate ist die Summe der ursprünglichen Zahlen: 4−1=3 und 2+1 =3; 36−25=11 und 6+5=11. (10) Das Vierfache einer Quadratzahl ist wieder eine Quadratzahl. Bei näherer Betrachtung erscheinen einige Vermutungen doch recht naheliegend, wie z.B. (6). Einige hängen irgendwie miteinander zusammen, wie z.B. (1) und (6). Beispielsweise ist (10) ein Spezialfall von (5). Andere Vermutungen überraschen zunächst, wie etwa (7) oder (9) − können diese allgemeingültig sein? Wieder andere Aussagen wie etwa (2) sind noch gar keine Vermutung, sondern regen erst an, sich einen weiteren Überblick zu verschaffen. Bei manchen Zusammenhängen war Ihnen sofort klar: So muss es sein. Andere würden Sie gerne noch einmal überprüfen, indem Sie weitere Beispiele suchen und anschauen. Aber welche Ihrer Behauptung hätten Sie auch begründen können? Waren Sie sich ganz sicher, dass es stimmt? Wussten Sie auch, warum es stimmt? Erkundung 3.2: Welches war Ihre interessanteste Beobachtung? Interessant sind z.B. Aussagen, die nicht offensichtlich sind, die unerwartete Zusammenhänge darstellen. Nehmen Sie einmal an, Sie hätten diese Beobachtung gemacht: Die ungeraden Quadratzahlen sind immer um 1 größer als ein Vielfaches von 4, ja sogar als ein Vielfaches von 8. Oder falls Sie es grafisch lieben:
Das ist zunächst überhaupt nicht offensichtlich. Überprüfen Sie, ob die Aussage hinreichend plausibel ist, um sie weiterzuverfolgen. Wenn Sie sich sicherer sind, dass der Zusammenhang stimmt, dann versuchen Sie ihn zu verstehen!
3.1
Wie entstteht mathemaatisches Wisssen? ⏐ 43
Ab wan nn können Sie sicher sein, dass Ihre Veermutung stim mmt? Ab waann kann man saggen, Sie haben n sie verstandeen? Man könn nte beispielsw weise sagen: SSie haben einen Zuusammenhan ng verstanden n, wenn Sie jeemand anderrem schlüssigg erklären können,, dass es so seein muss. Wiee würde eine solche Erkläärung ausseheen? Um gan nz sicher zu sein, s dass eine Vermutungg stimmt, brääuchte man eeigentlich einen Beweis. Aber wie w muss so ein Beweis aussehen, a dam mit er ein füür allemal b eine Aussagge wahr ist oder o nicht? Diese D Fragen n werden Geggenstand klärt, ob des näch hsten Abschn nitts sein. An dieseer Stelle aberr kann man schon s einmall darüber nacchdenken, wie mathematischees Wissen eigentlich entssteht und wiee sicher es isst. Dies sindd zentrale Fragen der d so genann nten Epistemoologie, also derr Theorie menschlicher un nd insbesondere wissenschaft ftlicher Erken nntnis. Auf Nieederländisch heißt die Mathematik M „Wiskunde“, „ d.h. die Lehrre vom Gew wissen, vom Sicheren. S Diese Bezeichn nung geht auf Simon Steevin (1548−1620) zurück.. Das bringtt die mmt die Math hematik eigen ntlich dazu, sich Frage auuf: Wie kom über an ndere Wissenschaften zu erheben und d sich ihres WisW sens so sicher zu sein n? Stellen Sie S sich vor, Sie sitzen in n einer Vorlessung und derr Dozent beggrüßt Sie mit den Worten: „Ich muss Ihnen mitteilen, dass d eine Reih he von Aussagen, die Sie letzttes Semester bei mir geleernt haben, leider l nicht mehr m gültig ssind.“ In einer jurristischen Vo orlesung würdde Sie das wo ohl nicht allzuu sehr wundeern, denn Gesetzee sind von Menschen M gem machte Setzuungen und können k jederzzeit revidiert weerden – natürllich unter Ein nhaltung gew wisser Verfahren, die von der herrschendeen Staatsform m abhängen. In einer medizinischeen Veranstalttung wären Sie S auch nichtt überrascht, denn die Medizin n ist ein kom mplexes, unsiccheres Gebieet und machtt andererseitss ständig Erkennttnisfortschrittte. Sie würdeen sich allenfaalls ärgern, daass der Dozeent Ihnen die Wah hrheiten im leetzten Semestter als sicher verkauft hat. In einer Physikvorlessung wäre ein ne solche Ankkündigung scchon eher ersstaunlich, p Gesetze und d Theorien nicht n alle Tagge widerschließliich werden physikalische legt. Imm merhin hat die d Physik im m letzten Jahrh hundert doch h viele Dingee revidieren müsssen, denken Sie nur einm mal darüber nach, welches Bild von derr Materie noch 19900 vorherrscchte. Allerdin ngs wurden in i der Physikk alte Theoriien meist nicht üb ber Bord gew worfen, sonddern als Spezzial- oder Grenzfälle in ddie neuen eingebauut, wie etwa die d Newton‘ssche Mechaniik in die Relaativitätstheorie. Wenn Sie S die obensttehende Ankkündigung alleerdings in ein ner Mathemaatikvorlesung hö ören würden,, würden Sie sich doch sehr wundern n. Mathematiische Erkenntnissse sind doch h, wenn sie erst e einmal bewiesen b sindd, eigentlich uunwiderlegbar. Das D meiste, was w Mathem matikstudieren nde in ihren ersten e Semesstern hö-
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3
Zahlenforschen und Beweisen
ren, ist schon seit hunderten, zum Teil schon seit tausenden Jahren unwiderlegbar gesichertes Wissen. Im Vergleich der Disziplinen scheint es also – etwas vereinfachend gesagt – so auszusehen: In vielen Geisteswissenschaften können Theorien und Wahrheiten einander durchaus widersprechen. Manche behaupten sogar, sie wechselten wie Moden. Das Verfahren, das dazu dient, einen Konsens herzustellen, ist das des rationalen Diskurses. In den Naturwissenschaften sind Sätze und Theorien überprüfbar, das Verfahren dazu ist das Experiment. Allerdings kann das einzelne Experiment Aussagen über die Natur nie endgültig absichern, sondern eigentlich nur widerlegen, daher beschreiben sie die Natur immer nur vorläufig. Mathematische Sätze scheinen auf alle Zeiten wahr. Das besondere Verfahren, das der Mathematik dafür zur Verfügung steht, ist der Beweis. Manche Menschen schätzen dies an der Mathematik, andere verabscheuen sie darum. Woher kommen diese „Stufen der Sicherheit“ in den verschiedenen Disziplinen? Ein Grund könnte dieser sein: Die Mathematik beschäftigt sich nur mit solchen Dingen, die sich beweisend absichern lassen, alles Unsichere und Widersprüchliche sieht sie nicht als ihr Metier und grenzt es aus. Mit Hilfe des Beweisens lassen sich Vermutungen absichern, allerdings kommt durch das Beweisen auch keine neue Erkenntnis in die Welt. Betrachten Sie den bisher beschrittenen Erkenntnisweg zu den Quadratzahlen. Dort haben Sie keine der formulierten Aussagen durch Beweisen erzeugt, sondern durch Betrachtung des Phänomens. Sie haben in Erkundung 2.1 zu dem „Phänomen“ der Quadratzahlreihe Aussagen gesucht, zu denen diese Beispiele passen könnten. Diesen Vorgang nennt man nach dem Erkenntnistheoretiker Charles S. Peirce (1839−1914) auch Abduktion. Danach haben Sie die Aussagen auch nicht bewiesen, sondern erst einmal auf ihre Plausibilität untersucht. Sie haben das z.B. dadurch getan, dass Sie die Aussagen anhand einiger, mehr oder weniger gezielt ausgesuchter Beispiele überprüft haben. Damit haben Sie so etwas durchgeführt wie ein Experiment: Sie haben die Natur (hier die Mathematik) befragt, ob ihr Verhalten zu Ihrer Theorie (hier der Vermutung) passt. Diesen Vorgang nennt Peirce auch Induktion. Aber noch so viele Experimente reichen nicht aus, um Mathematikerinnen und Mathematiker zufriedenzustellen. Sie wünschen sich, dass die Vermutung unumstößlich bewiesen wird, sie verlangen nach der Deduktion, also nach einer Ableitung aus bereits abgesicherten Tatsachen, kurz: Sie verlangen nach einem Beweis. Aber was genau ist ein Beweis? Wann kann man sicher sein, dass man einen geeigneten Beweis hat? Das können Sie im Folgenden näher erkunden.
3.2
3.2
Was ist ein Beweis? ⏐ 45
Was ist ein Beweis?
Wie haben Sie sich gefühlt, als die Rede auf das Beweisen kam? Hatten Sie ein ungutes Gefühl, vielleicht geprägt von alten Erinnerungen an den Unterricht? Wenn es da ans Beweisen ging, wurde es vielleicht besonders abstrakt. Haben Sie in der Schule schon einmal selbstständig nach einem Beweis gesucht – nicht etwa im fragend-entwickelnden Klassengespräch unter Anleitung einer Lehrerin oder eines Lehrers? In diesem Abschnitt sollen Sie dem mathematischen Beweisen noch einmal ganz unvoreingenommen begegnen, dabei ihre möglichen Vorbehalte revidieren und besser verstehen, worin der Sinn und Zweck und die Eigenart mathematischen Beweisens liegt. Zunächst dürfen Sie sich noch einmal zurücklehnen und einige ausformulierte Begründungen und fertige Beweise für die in Erkundung 3.2 gefundene Vermutung in Augenschein nehmen. Erkundung 3.3: Im Folgenden finden Sie eine ganze Reihe von Beweisversuchen für die Aussage: Die ungeraden Quadratzahlen sind immer um 1 größer als ein Vielfaches von 4. Versuchen Sie, jeden Beweis möglichst gut zu verstehen und bewerten Sie ihn. Am besten, Sie notieren Ihre Bewertung in einer Tabelle, damit Sie am Ende des Abschnittes noch einmal nachschauen können. Vielleicht hat sich dann Ihre Einschätzung schon geändert. trifft zu
Beweis Nr. _______ Ich finde den Beweis überzeugend Ich finde den Beweis verständlich Ich finde den Beweis korrekt
ɷ ɷ ɷ
trifft eher zu
ɷ ɷ ɷ
trifft eher nicht zu
ɷ ɷ ɷ
trifft nicht zu
ɷ ɷ ɷ
Beweis Nr.1 Sei a2 eine ungerade Quadratzahl. Dann ist a2 =ሺ2n+1ሻ2 . Durch Umformen erhält man: a2 =ሺ2n+1ሻ2 =ሺ2nሻ2 +2·2n·1+1=22 n2 +4n+1 =4n2 +4n+1=4·ሺn2 +nሻ+1
Nennt man m=n2 +n, dann ist a2 =4m+1, was zu beweisen war. Beweis Nr. 2 Ich teile das Quadrat einer ungeraden Zahl durch 4: (2m+1)2 :4=൫4m2 +4m+12 ൯:4=m2 +m Rest 1 Also stimmt die Behauptung.
Bemerkungen:
46 ⏐
3
Zahlenforschen und Beweisen
Beweis Nr. 3 Um von einer Quadratzahl zur übernächsten zu kommen, muss man immer zwei aufeinanderfolgende ungerade Zahlen addieren. Beispiel: +7 +9 9 ⎯⎯→ 16 ⎯⎯→ 25
Hier hat man also +7+9=+16 addiert. Das ist ein Vielfaches von 4. Und so funktioniert das immer: Wenn ich zwei aufeinanderfolgende ungerade Zahlen addiere, kommt immer ein Vielfaches von 4 heraus. Die 9 ist 1 größer als ein Vielfaches von 4, also muss auch die 25 um 1 größer als ein Vielfaches von 4 sein, usw. Beweis Nr.4 So sieht das Quadrat einer ungeraden Zahl aus
Durch Umlegen und Bündeln erhält man
… lauter Vierergruppen und ein Einzelnes
Beweis Nr. 5 Angenommena2 ist schon 1 größer als ein Vielfaches von 4, also a2 =4m+ͳ. Dann ist das nächste ungerade Quadrat ሺa+2ሻ2 . Dafür gilt: ሺa+2ሻ2 =a2 +2·a·2+22 =a2 +4a+22 =4m+1+4a+4 =4m+4a+4+1 =4ሺm+a+1ሻ+1
Also ist auch ሺa+2ሻ2 um 1 größer als ein Vielfaches von 4. Damit gilt die Aussage für alle ungeradena2 Ǥ Beweis Nr. 6 Auch für beliebig große ungerade Quadratzahlen ist die Behauptung richtig, ich nehme z.B. 1012 =(100+1)2 =10000+2·100+1=10201=4·2550+1
Deswegen bin ich mir sicher, dass die Behauptung immer stimmt.
3.2
Was ist ein Beweis? ⏐ 47
Beweis Nr. 7 Eine ungerade Quadratzahl folgt immer auf eine gerade Quadratzahl. Z.B. kommt die Quadratzahl 169=132 nach der Quadratzahl 144=122 . Dann kann man schreiben: 132 =(12+1)2 =144+2·12+1 144 ist ein Vielfaches von 4, weil in 12 eine 2 steckt und in 144=122 also zweimal eine 2. 2⋅12 ist Vielfaches von 4, weil eine 2 schon als Faktor in der binomischen Formel steht und eine weitere 2 in der 12 steckt. Also ist 132 um 1 größer als ein Vielfaches von 4. Beweis Nr. 8 Sei u = ungerade Zahl Sei g = gerade Zahl, also g = 2x (1) u2 =(g+1)2 =g2 +1. (2) g=2x Einsetzen von (2) in (1) liefert: u2 =(2x)2 +1=4x2 +1
Also ist u2 wirklich um 1 größer als ein Vielfaches von 4. Beweis Nr.9 Angenommen man weiß, dass das Quadrat einer bestimmten ungeraden Zahl ein Vielfaches von 4 plus 1 ist, z.B. für 52 =25=24+1. Dafür steht das große grüne Quadrat. 1 + 24 + 6⋅4 Wenn man nun die nächstgrößere ungerade Zahl anschaut, kommen zwei Reihen und zwei Spalten hinzu: Dafür steht der gelbe Bereich. Die hinzugekommenen Punkte lassen sich aber wieder zu Vierern zusammenfassen. Also ist die Aussage auch für die nachfolgende ungerade Zahl gültig. Und das kann man schrittweise immer so weiter machen und sehen: Es geht für alle ungeraden Zahlen. Sie haben eine ganze Zahl von Beweisen gesehen und bewertet. Manche Beweise waren verständlich, manche waren schwer zugänglich. Einige waren rein bildlich, andere haben viel Algebra bemüht. Einige Beweise waren sogar falsch. Sie werden sehen, dass man anhand der Beispiele einiges über Beweise lernen kann.
48 ⏐
3
Zahlenforschen und Beweisen
Beweis Nr. 1:
Sei a2 eine ungerade Quadratzahl. Dann ist a2 =ሺ2n+1ሻ2.
Durch Umformen erhält man: Dieser Beweis übersetzt die a2 =ሺ2n+1ሻ2 =ሺ2nሻ2 +2·2n·1+1=22 n2 +4n+1 Eigenschaft „a ungerade“ in die =4n2 +4n+1=4·ሺn2 +nሻ+1 2 m = n +n, dann ist a2 = 4m+1, was zu beweiNennt man mathematische Symbolsprache: sen war. a = 2n+1. Nun wird die Behauptung der symbolischen Bearbeitung („Umformung“) zugänglich. Der Beweisende kann den Umformungskalkül anwenden und kommt an eine Stelle, an der er schließlich die Behauptung in symbolischer Form notiert: a2 =4m+1Ǥ Der Vorteil solcher symbolischer Beweise: Jeder der Schritte ist leicht überprüfbar. Jeder, der allen einzelnen Schritten zustimmt, muss der ganzen Begründungskette und ihrem Ende zustimmen. Der Nachteil: Man weiß bei den Einzelschritten mitunter nicht mehr, was die Umformung bedeutet.
Beweis Nr. 2:
Ich teile das Quadrat einer ungeraden Zahl durch 4: (2m+1)2 :4 = ൫4m2 +4m+12 ൯:4 = m2 +m Rest 1 Also stimmt die Behauptung.
Dieser Beweis ist dem vorigen sehr ähnlich. Der Beweisende kommt nur direkter zur Sache, indem er prüft, was mit dem Quadrat einer ungeraden Zahl bei Division durch 4 passiert. Die Schreibweise ist ungewohnt (Teilen mit Rest in Kombination mit Variablen, das zweite Gleichheitszeichen bedeutet irgendwie nicht die Gleichheit der beiden Seiten), aber inhaltlich völlig in Ordnung. Können Sie erklären, warum man hier entgegen der „gelernten Regel“ scheinbar doch „aus der Summe“ kürzen darf? Beweis Nr. 3:
Die 9 ist um 1 größer als ein Vielfaches von 4. Um zur übernächsten Quadratzahl zu kommen, muss man immer zwei aufeinanderfolgende ungerade Zahlen addieren. Beispiel:
Dieser Beweis kommt ohne Variablen aus. Er ist rein numerisch +7 +9 9 ⎯⎯ →16 ⎯⎯ →25 und nutzt das Phänomen, dass die Hier hat man also +7+9=+16 addiert. Das ist wieder Abstände der Quadratzahlen aufein Vielfaches von 4. Also muss auch die 25 um 1 einanderfolgende ungerade Zahlen größer als ein Vielfaches von 4 sein. Und so funktioniert das immer weiter: zun nächsten sind. Er argumentiert, dass wenn 9 Quadratzahl geht es mit +11+13=+24, usw. die Eigenschaft hat, auch die folgende ungerade Quadratzahl die Eigenschaft haben muss. Diese Argumentation soll nicht nur für 9, sondern immer gelten. Es handelt sich um eine Art „Und-so-weiter-Argument“, um die Behauptung, dass sich die Argumentation so beliebig fortsetzen lässt. Ein solches Argument nennt man eine induktive Begründung, also eine, die von einem Fall auf alle nachfolgenden schließt. Allerdings werden wichtige Teilaussagen nicht recht begründet, z.B.: „Wenn ich zwei aufeinanderfolgende ungerade Zahlen addiere, kommt immer ein Vielfaches von 4 heraus“, behauptet der Beweisende und lässt damit eine mögliche Lücke in der Argumentation. Was eine Lücke ist und was nicht, ist allerdings relativ: Wenn zuvor genau diese Behauptung bewiesen wurde, stützt sich der Beweisende darauf und muss es nicht noch einmal beweisen. Wenn sich Schreiber und Leser einig sind, dass
3.2
Was ist ein Beweis? ⏐ 49
diese Teilaussage wahr ist, braucht es auch keinen Beweis. Beweisen ist also immer das Zurückführen auf Aussagen, bei der alle Partner der Kommunikation sich einig sind, dass diese nicht mehr bewiesen werden müssen. Wann ein Beweis vollständig ist, ist also eine Sache des Konsenses, und die Entscheidung darüber ist nicht absolut richtig oder falsch. Beweis Nr. 4: Dies ist ein reiner „Bildbeweis“. Man nennt ihn auch einen ikonischen oder grafischen Beweis. Er ist nicht rein ikonisch, denn er enthält ja auch noch einige verbale Erklärungen. Manche Teile der Argumentation muss man sich aber aus dem Bild erst erschließen:
So sieht das Quadrat einer ungeraden Zahl aus
Durch Umlegen und Bündeln erhält man
… lauter Vierergruppen und ein Einzelnes
Ein ungerades Quadrat hat zwei ungerade Seiten. Jede Seite besteht also aus Paaren und einem einzelnen Punkt. Betrachtet man nur die geraden Anteile, also die Paare von Punkten entlang der Seiten, so erhält man lauter 2έ2-Quadrate („Viererquadrate“). Dieser Teil ist also immer durch 4 teilbar. Es verbleiben noch die Punkte an den Randstreifen. Die geraden Anteile kann man zusammenlegen und erhält wieder Viererquadrate. Es bleibt nur ein einzelner Punkt übrig, alles andere lässt sich in Viererquadrate verpacken. Man könnte einwenden, dass dieser Beweis ja nur ein Beispiel (nämlich52 ) beweist. Selbstverständlich ist eine Zeichnung immer nur ein konkretes Einzelbeispiel. Allerdings ist das Beispiel ausbaufähig. Man kann an ihm erkennen, dass die Argumentation im Prinzip immer genauso verläuft, egal welche ungerade Zahl man anschaut. Man nennt solche Beispiele auch „generisch“, also gewissermaßen „typisch“ oder „verallgemeinerbar“. Die Argumentation ist also ein Beweis anhand eines generischen Beispiels. Vielleicht haben Sie erkannt, dass der ikonische Beweis hier auch viele Elemente des symbolischen Beweises enthält: ሺ2n+1ሻ2 =ሺ2nሻ2 +2·2n·1+1=22 n2 +4n+1=4n2 +4n+1=4·ሺn2 +nሻ+1
Im Prinzip können Sie jeden Teil der Terme in diesen Umformungen an einer bestimmten Stelle im Bild wiederfinden. (Tun Sie das einmal!)
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3
Zahlenforschen und Beweisen
Beweis Nr. 5:
Angenommen, a2 ist schon um 1 größer als ein Vielfaches von 4, also a2 = 4m+ͳ. Dann ist das nächste ungerade Quadrat ሺa+2ሻ2 . Dafür gilt:
Auch hier liegt wieder ein symbolischer Beweis vor. Diesmal wird die ሺa+2ሻ2 =a2 +2·a·2+22 Aussage nicht für jedesሺ2n+1ሻ2 =a2 +4a+22 bewiesen, sondern es wird so argu=4m+1+4a+4 =4m+4a+4+1 mentiert: Wenn sie für irgendein a =4ሺm+a+1ሻ+1 gilt, dann gilt sie auch für das nächsAlso ist auch ሺa+2ሻ2 um 1 größer als ein Vielfaches te, hier: a+2. Wenn es also für irvon 4. Damit gilt die Aussage für alle ungeradena2 Ǥ gendein a tatsächlich gilt, dann für alle Nachfolger. Somit ist dies wieder ein induktiver Beweis.
Hier wurde allerdings vergessen, zu zeigen, dass es überhaupt für irgendein a gilt. Der hier präsentierte Schluss auf a+2 gilt ja nur, wenn es schon für a gilt. Es könnte aber sein, dass es für kein einziges a gilt. Der Beweis ist also in dieser Hinsicht noch unvollständig. Beweis Nr. 6:
Auch für beliebige große ungerade Quadrate ist die Behauptung richtig, ich nehme z.B.
Dieser Beweis beruft sich auf ein Beispiel. Allerdings ist nicht ersichtlich, warum es auch 1012 =(100+1)2 =10000+2·100+1 für andere Beispiele gelten sollte. Hier hat =10201=4·2550+1 man die Zerlegung 4ή2550+1 gefunden. Wie Deswegen bin ich mir sicher, dass die aber soll man sicher sein, dass man auch etwa Behauptung immer stimmt. für 137 an der Stelle eine Zerlegung findet. Dieser Beweis ist also nicht generisch, sondern wirklich nur ein Beispiel. (Probieren Sie mal, den Beweis zu einem generischen auszubessern.) Beweis Nr. 7:
Eine ungerade Quadratzahl folgt immer auf eine gerade Quadratzahl. Z.B kommt die Quadratzahl 169=132 nach der Quadrat 144=122 . Dann kann man schreiben:
Dieser Beweis ist rein numerisch und nutzt keine Symbole. Er präsentiert ein konkretes Beispiel. Dieses 132 =(12+1)2 =144+2·12+1 ist aber generisch. Man erkennt, dass 144 ist ein Vielfaches von 4, weil in 12 eine 2 steckt und in 144=122 also zweimal eine 2. man die Argumente auf jede unge2⋅12 ist Vielfaches von 4, weil eine 2 schon als rade Zahl übertragen kann. Man Faktor in der binomischen Formel steht und eine 2 könnte für 13 z.B. auch eine beliebiin der 12 steckt. ge „abstruse“ Zahl schreiben. Bei der Argumentation sollte man diese abstruse Zahl nicht weiter verrechnen, sondern, soweit möglich, stehen lassen: Eine ungerade Quadratzahl folgt immer auf eine gerade Quadratzahl. Z.B. kommt die Quadratzahl ͳʹ͵͵ଶ nach der Quadratzahl ͳʹ͵ʹଶ . Dann kann man schreiben: ͳʹ͵͵ଶ = ሺͳʹ͵ʹ ͳሻଶ = ͳʹ͵ʹଶ + 2⋅ͳʹ͵͵+ 1 ͳʹ͵ʹଶ ist ein Vielfaches von 4, weil in ͳʹ͵͵eine 2 steckt und in ͳʹ͵͵ଶ also zweimal eine 2. 2⋅ͳʹ͵ʹist Vielfaches von 4, weil eine 2 schon dasteht und eine 2 in der ͳʹ͵ʹ steckt. Also ist ͳʹ͵͵ଶ um 1 größer als ein Vielfaches von 4.
3.2
Was ist ein Beweis? ⏐ 51
Bei dieser Argumentation hat 127373 die Rolle einer „beliebigen Zahl“ und man könnte auch gleich eine Variable „a“ wählen. Man erkennt, dass ein Beispiel dann als generisches Beispiel aufgefasst werden kann, wenn man im Verlauf der Argumentation keine Eigenschaft des Beispiels nutzt, die möglicherweise für dieses Beispiel, aber nicht allgemein gilt. Beweis Nr. 8: Hier liegt ein schöner knapper symbolischer Beweis vor. Leider ist er falsch. Finden Sie den Fehler? Kann man den Fehler reparieren?
Sei u = ungerade Zahl Sei g = gerade Zahl, also g = 2x (1) u2 =(g+1)2 =g2 +1. (2) g=2x Einsetzen von (2) in (1) liefert: u2 =(2x)2 +1=4x2 +1
Also ist u2 wirklich um 1 größer als ein Vielfaches von 4.
Beweis Nr. 9: Dieser Beweis ist von der Darstellung her ikonisch und zugleich von der Argumentationsweise her induktiv. Das zeigt, dass man die verschiedenen Beweistypen durchaus mischen kann. Was zählt ist, ob man einen schlüssigen und verständlichen Beweis produziert hat.
Angenommen, man weiß, dass das Quadrat einer bestimmten ungeraden Zahl ein Vielfaches von 4 plus 1 ist, z.B. für 52 ൌ ʹͷ ൌ ʹͶ ͳ. Dafür steht das grüne Quadrat. Wenn man nun die nächstgrößere ungerade Zahl anschaut, kommen zwei Reihen und zwei Spalten hinzu: Dafür steht der gelbe Bereich. 1 + 24 + 6⋅4
Die hinzugekommenen Punkte lassen sich aber wieder zu Vierern zusammenfassen. Also ist die Aussage auch für die nachfolgende ungerade Zahl gültig. Und das kann man schrittweise immer so weiter machen und sehen: Es geht für alle ungeraden Zahlen.
Sie haben bemerkt, dass die Qualität von Beweisen ganz verschiedene Aspekte hat. Ein idealer Beweis sollte verständlich, überzeugend und natürlich auch korrekt sein. Übung 3.4: Gute Beweise lassen sich weiterentwickeln, wenn sich die Situation ändert. Weiter oben lautete die Vermutung noch, dass jede ungerade Quadratzahl um 1 größer ist als ein Vielfaches von 8. Die Beweise zeigen jedoch nur, dass sie größer ist als ein Vielfaches von 4. Können Sie die Beweise so ausbauen, dass sie auch die weitergehende Behauptung beweisen? Bei welchen funktioniert das gut, bei welchen schlechter? Die Korrektheit eines Beweises, das wurde deutlich, wurde keineswegs schon dadurch hergestellt, dass der Beweis symbolisch daherkommt. Die falsche Einschätzung, dass als Beweis nur eine symbolisch oder formal geführte Argumentation gelten kann, ist schon in der Schule verbreitet.
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3
Zahlenforschen und Beweisen
Zu der Aussage „Die Summe zweier gerader Zahlen ist wieder gerade“ wurden Schülerinnen und Schülern eines zehnten Schuljahres verschiedene Beweise vorgelegt (Healy & Hoyles 1998). Die Frage nach dem Beweis, den sie vorziehen würden, und nach dem, für den sie die beste Note erwarteten, ergab ein frappierendes Bild: 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Numerisch induktiver Beweis
Ikonischer Beweis
Verbaler Beweis
Algebraischer Algebraischer Beweis Pseudobeweis (fehlerhaft)
Diesen Beweis ziehe ich vor Für diesen Beweis erwarte ich die beste Note
Hier hat sich durch den Schulunterricht ein ausgesprochen „schiefes“ Bild vom Beweisen ausgebildet: Vermutlich durch Überbetonung formaler Korrektheit und eine geringe Beachtung von Verständlichkeit im Unterricht haben diese Schülerinnen und Schüler „gelernt“, dass ein akzeptabler Beweis algebraisch und unverständlich sein muss. Das ist umso betrüblicher, als dieses Beweisbild in der Mathematik keineswegs so gesehen wird: Auch ein bildlicher oder verbaler Beweis kann schlüssig sein, ohne streng symbolisch ausformuliert zu werden. Oft enthalten informelle Beweise schon alle Ideen für einen strengeren Beweis. Man spricht dann eher von einem „präformalen“ als einem informellen Beweis. Auch eine nicht formale Begründung kann in diesem Sinne schlüssig sein und darf sich Beweis nennen. Auch in der Mathematik sind das Verstehen und die Akzeptanz durch Andere die wesentlichen Kriterien für die Richtigkeit einer Begründung. Keine mathematische Schlussweise ist allerdings das so genannte induktive Schließen, das im Alltag häufig ist: „Ich habe 10 Beispiele, also gilt die Aussage immer.“ „Er ist noch nie zu spät gekommen, also wird er auch heute pünktlich sein.“ Allerdings kann es auch in der Mathematik sinnvoll sein, sich von der Schlüssigkeit einer Aussage durch ein weiteres, gut gewähltes Beispiel zu vergewissern. Insgesamt kann man einige Typen von Beweisen unterscheiden, die immer wiederkehren (vgl. z.B. Wittmann & Müller 1988):
3.2
Was ist ein Beweis? ⏐ 53
Vermutung: Die Summe von drei aufeinanderfolgenden Zahlen ist immer durch 3 teilbar. Symbolischer Beweis: Hier werden mathematische Symbole verwendet, oft sind dies Variablen. Verbaler Beweis: Oft kann man Zusammenhänge auch in Worten ausdrücken.
n+(n+1)+(n+2) = 3ān+3 = 3ā(n+1)
Wenn man die erste Zahl auf drei aufteilt, bleibt z. B. ein Rest 1. Für die nächsten Zahlen ist der Rest dann 2 und 0. Also kommt insgesamt immer der Rest 0, 1 und 2 zusammen. Zusammen ist das 3 und beim Teilen durch 3 bleibt nichts übrig.
Ikonischer Beweis / grafischer Beweis Der Zusammenhang wird durch eine Zeichnung plausibel. Induktiver Beweis: Hier wird von einem Fall auf den nächsten geschlossen. Meist wird dabei implizit angenommen, dass dies für alle Fälle funktioniert. Operativer Beweis: Hier wird eine (mentale) Handlung beschrieben. Kontextbeweis/ Situationsbeweis: Hier wird eine anschauliche Situation herangezogen, in der der Zusammenhang plausibel wird.
Wenn ich zu allen drei Zahlen 1 dazu zähle, wird das Ergebnis um 3 größer und 0 + 1 + 2 = 3 ist durch 3 teilbar. Wenn man von der größten Zahl 1 wegnimmt und der kleinsten gibt, haben alle drei gleichviel. Dann ist die Gesamtzahl schon durch 3 geteilt. Drei Brüder sind jeweils ein Jahr auseinander geboren und feiern zusammen Geburtstag. Steckt man eine Kerze vom Kuchen des ältesten auf den Kuchen des jüngsten, sind die Kerzen auf die drei Kuchen gleich verteilt.
Diese Beweistypen sind keinesfalls trennscharf voneinander abgrenzbar. Ein ikonischer Beweis kann beispielsweise auch verbale Elemente enthalten. Ein induktiver Beweis kann gleichzeitig auch operativ sein usw. Außerdem hat der Beweistyp nichts damit zu tun, wie korrekt oder wie plausibel ein Beweis ist. Ein symbolischer Beweis kann mitunter weniger schlüssig sein als eine verbaler. In einem ikonischen Beweis kann die gesamte Idee eines detaillierten und formalen Beweises einfach wiedergegeben sein.
54 ⏐
3
Zahlenforschen und Beweisen
Erkundung 3.5: Versuchen Sie einmal, möglichst viele verschiedene Beweise für die folgende Aussage anzugeben. Eine ungerade Zahl ist immer als Summe zweier aufeinander folgender Zahlen zu schreiben. Vielleicht gelingen ihnen ja sechs verschiedene Beweisformen, vielleicht mehr, indem sie die Typen mischen. Im Folgenden wollen wir uns der symbolischen Beweisformen etwas näher zuwenden. Dabei wird sich auch herausstellen, dass man dabei einige prinzipielle Dinge über die Logik von Aussagen verstehen kann.
3.3
Formales Beweisen
Die Beweistypen des vorigen Abschnittes waren oft prägnant und plausibel. Sie waren anschaulich und einfach. Manchmal blieb aber ein Rest von Zweifel: Ist die verbale Beschreibung einer Handlung wirklich allgemeingültig? Deckt das Bild wirklich alle Fälle ab? Was kann man tun, wenn man jeden Zweifel ausschalten will? Wann ist ein Beweis eigentlich ganz sicher? Welches sind die strengen Formen der Mathematik, die ihr Wissen so sicher machen? Es sind nicht die formalen und symbolischen Schreibweisen, sondern die strenge Art des Argumentierens, des „wasserdichten Begründens“. Unter Argumentation verstehen wir „eine Rede für oder gegen die Wahrheit einer Aussage … mit dem Ziel, die Zustimmung wirklicher oder fiktiver Gesprächspartner … zu erlangen. Dabei wird schrittweise und möglichst lückenlos auf bereits gemeinsam anerkannte Aussagen … zurückgegriffen. Eine Argumentation heißt schlüssig, wenn niemand, der ihren Ausgangssätzen … zugestimmt hat, irgendeinem dieser Schritte die Zustimmung verweigern kann, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln.“ (HefendehlHebeker 2003, S.95). Das ist erst einmal ein Verständnis von Argumentation, das in allen Bereichen, nicht nur in der Mathematik, angewendet werden kann. Es geht um Stimmigkeit (als Konsens in einer Gruppe bzw. als Kohärenz beim Individuum) und die Orientierung an Kriterien der Rationalität. Es geht vor allem um die Absicherung im Kleinen, die Möglichkeit, jeden einzelnen Schritt abzusichern, damit im Großen nichts schiefgeht. Wie das aussehen kann, soll an einem inhaltlich sehr einfachen Beispiel durchdacht werden. Betrachtet werden im Folgenden die beiden Aussagen A: a ist ungerade
B: a2 ist ungerade
Kann man Aussage B aus Aussage A folgern? (Gemeint ist immer: für alle natürlichen Zahlen a). Verbal bedeutet dies: Ist das Quadrat einer ungeraden Zahl
3.3
Formales Beweisen ⏐ 55
immer ungerade? Symbolisch kann man diese Vermutung so aufschreiben: A B. Aus einer Aussage A soll die Aussage B folgen. Man nennt eine solche Folgerung auch Implikation und liest die Kurzschreibweise „Aus A folgt B“ oder „A impliziert B“. Erkundung 3.6: Finden Sie zu der Vermutung „Für alle a∈Գ: a ist ungerade a2 ist ungerade“ einen ikonischen und einen symbolischen Beweis. Entscheidet man sich für einen ikonischen Beweis, so braucht man eine ikonische Form der Aussage „n ist ungerade“:
Will man hingegen symbolisch arbeiten, so hilft eine symbolische Form: a = 2n+1 mit n ∈ Գ Damit kann ein symbolischer Beweis z.B. so aussehen: a ist ungerade ҧ a=2n+1 mit einem n ∈ Գ ҧ a2 = (2n+1)2 ҧ a2 = 4n2 +4n+1 ҧ a2 = 2·ሺ2n2 +2nሻ+1 ҧ a2 = 2m+1 mit m ∈ Գ ҧ a2 ist ungerade
Der Beweis besteht also aus einer Kette von Implikationen, die möglichst lückenlos und schrittweise nachvollziehbar von A nach B führt. Jeder Schritt ist so klein, dass er nachprüfbar wird und unstrittig scheint. Wer jedem einzelnen Schritt zustimmt, muss der Gesamtimplikation zustimmen. Die Sicherheit in jedem Einzelschritt liegt darin begründet, dass man jeweils auf Aussagen zurückgreift, derer man sich bereits sicher ist, wie hier z.B. auf Termumformungen. Eigentlich könnte und müsste man diese Termumformungen auch noch beweisen! Wieso gelten sie eigentlich? Wieso ist (2·n+1)2 =4n2 +4n+1? Tatsächlich kann man es beweisen und dabei zurückgehen auf das Distributivgesetz: (a+b)·c = a·c+b·c. Und sogar dies könnte man weiter zurückführen auf einige grundlegende Eigenschaften der natürlichen Zahlen. Kann man so immer weiter fragen? Welches sind dann schließlich die Fundamente, die man nicht mehr beweisen kann oder muss? Dies sind Fragen der „Grundlagen der Mathematik“, die sich Mathematiker tatsächlich seit Jahrhunderten stellen und die zu sehr spannenden mathematischen und philosophischen Überlegungen führen. An dieser Stelle wollen wir mit dem Fragen bei den Grundgesetzen der Arithmetik, bei den Rechengesetzen, die wir in der Schule kennengelernt haben, stehenbleiben und diese als gesichert annehmen. In Kapitel 8 werden diese grundsätzlichen Fragen noch einmal aufgenommen. Sie sehen: Wann ein Beweisschritt schlüssig ist, ist zunächst nicht absolut festgelegt, der eine will es genauer wissen, der andere nicht. Wenn man immer
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3
Zahlenforschen und Beweisen
weiter fragt, stößt man schließlich an eine Grenze: Die Eigenschaften der natürlichen Zahlen beweist man nicht aus anderen Eigenschaften, sondern setzt sie als unhinterfragte Tatsache, als so genannte „Axiome“ voraus. Alle Aussagen der Arithmetik sollten dann auf diese Axiome zurückführbar sein, oder anders gesagt: Die Arithmetik kann man also auffassen als die Gesamtheit der Sätze, die man aus den Axiomen der natürlichen Zahlen herleiten kann. Wie diese Axiome aussehen, wird in Kapitel 8 näher ausgeführt. Vorläufig kann festgehalten werden: Ein formaler Beweis ist ein solcher, der höchste Sicherheit anstrebt, indem er alle Schritte detailliert und unmissverständlich festhält. Und dabei ist eine symbolische Notation oft hilfreich, wenn auch nicht absolut notwendig. Formuliert man anhand des letzten Beispiels eine Strategie, wie man einen Beweis findet, so könnte sie ungefähr so lauten: Strategie: Arbeite „vorwärts“: Leite aus den Voraussetzungen so viel ab wie möglich. Überprüfe dabei, ob du dich der Behauptung näherst. Übung 3.7: Versuchen Sie sich einmal, um geläufig im formalen Beweisen zu werden, an den folgenden als richtig behaupteten Implikationen: a ist gerade ҧ (a−1)(a+1) ist ungerade a und b sind ungerade ҧ a·b ist ungerade Einen Beweis zu führen und einen Beweis zu finden, können ganz unterschiedliche Tätigkeiten sein. Das zeigt das folgende Beispiel, in dem ein Beweis gesucht wird für die Behauptung: „Für alle a∈N gilt: a3 +a ist gerade.“ a3 +a ist gerade
2 aή(a +1) ist gerade a2 +1ist gerade oder a ist gerade
a ist ungerade oder a ist gerade 2
Zu beweisen ist also, dass a3 +a ist gerade ist, egal, von welchem a man ausgeht. Man kann den Term umformen. Wenn man für aή(a2 +1) die Eigenschaft bewiesen hat, hat man es auch für a3 +a. Wenn zumindest einer der beiden Faktoren, also a oder ሺa2 +1ሻgerade ist, ist es auch das Produkt. Wenn a2 ungerade ist, ist a2 +1 gerade.
a ist ungerade oder a ist gerade
Wenn a ungerade ist, ist auch a2 ungerade.
a∈Գ
Diese Eigenschaft gilt für alle natürlichen Zahlen a.
3.3
Forrmales Beweiisen ⏐ 57
Dieser Beweis B wurdee gefunden, in ndem man siich rückwärtss von der Beh hauptung fortgehaangelt hat. Man M hat immeer neue Bedingungen gesucht, aus den nen man die Behaauptung folgeern kann. Ein n solches Verrfahren muss nicht unbedingt zum Ziel füh hren, man kan nn dabei auch in die Irre gehen, weil die jeweils neeuen Bedingunggen zu weitgeehend und viielleicht gar nicht n erfüllbaar sind. Wenn n es aber klappt, so s wie hier, kann k man ansschließend deen Beweis vorrwärts aufsch hreiben: a∈Գ ҧ a ist ungerade oder a ist gerade ҧ a2 ist ungerad de oder a ist ggerade 2 2 ҧ a +1 ist gerade oder o a ist gerrade ҧ aή(a +1) + ist geradee ҧ a3 +a ist ggerade
In diesem Beweis ist jeder Teilsch hritt klar als richtig r zu erkennen. Derjeenige, der nicht miiterlebt hat, wie w der Beweeis entstandeen ist, wundert sich allerddings, wie man auff diese Beweeiskette komm men kann. Dieses D Phäno omen tritt in der Mathematikk nicht selten n auf: Einem m aufgeschrieb benen Beweiis sieht man oft nicht mehr an n, wie man auuf ihn gekomm men ist. Strategie: Arbeite A „rückw wärts“: Suche Bedingungen, aus denenn die zu beweiseende Aussage folgt. fo ht haben Sie angesichts des d obigen Beweises B auch h das Gefüh hl gehabt, Vielleich dass es hier viel zu umständlich h zuging. Dah her hier noch h einmal ein n anderer s die fo olgende, man nchmal erfolggverspreBeweis. Hinter dieseem Beweis steckt w chende weitere Strategie: Zerlege Z die Situuation in mehreere Fälle und beehandle sie einzzeln. Fall 1: a ist gerade. Dann D ist aucch a3 gerade. a3+a ist dam mit die Summ me zweier gerader Zahlen und daher d gerade.. Fall 2: a ist ungeradde. Dann ist auch a3 ungeerade. a3+a ist i die Summ me zweier ungeradder Zahlen un nd damit auch h gerade. Jedes a ist entweder ungerade odder gerade, Fall F 1 und 2 decken d also aalle Möglichkeiteen ab. In jedeem Fall ist a3+a gerade. Sie wun ndern sich vieelleicht, wie einfach der Beweis B sein kann. k Die erstten beiden Anläufe A waren n angesichts dieses dritteen sicher vieel zu umständdlich. So geh ht es einem aber a oft beim m Beweisen: Wenn man noch n keine Eiinsicht in die Zusammenh hänge nn ein Beweiss sehr mühsam m ausfallen. Erst E durch im mmer hat, kan neuerlich hes Ansetzen n findet man vielleicht ein nen einfachen n und klaren Beweis. B Die Geschichte der Mathem matik ist volll mit Beispieleen dafür, wiee über die Jaahre und Jahrzehnte zu einem e lange beewiesenen Saatz immer neeuere Beweisse entwickeltt und immer „schönere“ „ B Beweise gefun nden wurden n. Der Mathematiker Paull Erdŋs (1913−1996) spraach davon, Gott G habe diee perfekten Beweise B für mathematisch m he Sätze in einem e BUCH H aufbewahrtt. Martin Aiggner und Gün nter Ziegler (2002) haben n die-
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Zahlenforschen und Beweisen
ses „Buch der Beweise“ – oder vielmehr ihre Vorstellung davon – mit einer ISBN-Nummer versehen und für jeden Leser zugänglich gemacht. Erkundung 3.8: Im vorausgehenden Abschnitt wurde (sehr ausführlich) bewiesen: „a ist ungerade ҧ a2 ist ungerade“. Was aber ist mit der umgekehrten Behauptung (1) a2 ist ungerade ҧ a ist ungerade? Ist sie auch wahr, oder nicht? Versuchen Sie einen Beweis. Untersuchen Sie auch die folgenden Behauptungen über natürliche Zahlen a, und prüfen Sie, ob sie stimmen. Formulieren und untersuchen Sie auch ihre Umkehrungen. Dabei kommt es noch nicht darauf an, dass Sie einen formalen Beweis finden. (2) a ist teilbar durch 6 ҧ a ist teilbar durch 3 (3) a2 ist teilbar durch 4 ҧ a2 ist teilbar durch 2 (4) a2 ist teilbar durch 3 ҧ a ist teilbar durch 3 Betrachten Sie die folgenden Bilder. Der blaue Kasten enthält z.B. alle a, für die die blaue Bedingung gilt.
Hier liegen z.B. solche a, für die die gelbe, aber nicht die blaue Bedingung gilt.
Welches der Bilder passt am besten zu welcher der Situationen (2)-(4)? Für ein Bild müssen Sie eine neue Situation entwickeln! Sie sehen an diesen Beispielen: Man kann die Aussage einer wahren Implikation umkehren. Dann entsteht eine neue Implikation. Die kann ebenfalls wahr sein, aber sie kann sich ebenso als falsch herausstellen. a ist teilbar durch 24 ҧ a ist teilbar durch 4 und durch 6
aber: a ist teilbar durch 24 ҥ a ist teilbar durch 4 und durch 6
Wenn eine Aussage und ihre Umkehrung richtig sind, dann kann man den Schlussfolgerungspfeil in beide Richtungen setzen: a durch 2 teilbar ҧ a2 ist durch 2 teilbar a2 durch 2 teilbar ҧ a ist durch 2 teilbar Die zweite Aussage kann man natürlich auch so herum schreiben: a durch 2 teilbar ҥ a2 ist durch 2 teilbar
3.4
Um-die-Ecke-Beweisen ⏐ 59
Zusammen ergeben beide Aussagen: a durch 2 teilbar ҥҧ a2 ist durch 2 teilbar Man schreibt kürzer: a durch 2 teilbar Ҫ a2 ist durch 2 teilbar Wenn zwei Aussagen sich gegenseitig implizieren, nennt man das Äquivalenz. A⇔B ist gleichbedeutend mit AҧB und BҧA. Logische Einige oft zu hörende sprachliche Beziehung Formulierungen für die Beziehung
AҧB
AҪB
Grafische Darstellung
aus A folgt B A impliziert B wenn A, dann B A ist hinreichend für B A ist (eine) hinreichend(e Bedingung) für B B ist (eine) notwendig(e Bedingung) für A A und B implizieren sich gegenseitig B gilt genau dann wenn A gilt A ist notwendig und hinreichend für B A ist äquivalent zu B A und B sind äquivalent
Gerüstet mit dieser allgemeinen Sichtweise auf den Zusammenhang zwischen Aussagen kann man fragen, wie es um die Aussage vom Anfang dieses Kapitels steht. Formal bewiesen wurde a ist ungerade ҧ a2 ist ungerade Was ist aber nun mit der Umkehrung a2 ist ungerade ҧ a ist ungerade?
3.4
Um-die-Ecke-Beweisen
Inzwischen sind Sie sich sicher, dass die Umkehrung der Aussage auch stimmt, aber wie kann man das formal beweisen? Ein einfacher formaler Vorwärtsbeweis nach dem Muster von S.55 nun aber für die Richtung BҧA, könnte zum Beispiel so anfangen: a2 ist ungerade ҧ a2 = 2n+1 mit einem n ∈Գ ҧ a = ξ2n+1 ҧ ???
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3
Zahlenforschen und Beweisen
Hier beginnt die Argumentationslinie schon zu stocken: Wieso sollte ein solches a, das man als Wurzel schreibt, ungerade sein? Schon die Tatsache, dass man einen Wurzelterm bewältigen muss, macht die Sache sehr unhandlich. Eine Lösung bietet ein anderer, sehr mächtiger Argumentationstyp − der übrigens nicht nur in der Mathematik angewandt wird. Diesen Weg können Sie sich selbst an dem folgenden Beispiel (nach Cohors-Fresenborg 2009) erarbeiten: Erkundung 3.9: Auch in der Rechtsprechung gibt es Beweise. Hier ein Beispiel: Ein Mann wird beschuldigt, am 05.03.08 um 16:00 Uhr in A-Dorf einen Banküberfall begangen zu haben. Der Bankräuber war maskiert, so dass ihn niemand erkennen konnte. Der Angeklagte bestreitet, der Täter gewesen zu sein. Ein Zeuge hat den Angeklagten am 05.03.08 um 17:00 Uhr in B-Dorf gesehen. Ermittlungen der Polizei ergeben, dass die Strecke zwischen A-Dorf und B-Dorf nicht schneller als in 90 Minuten zurückgelegt werden kann. Verteidiger: Der Angeklagte ist nicht der Täter. Staatsanwalt: Das stimmt nicht! Der Angeklagte ist der Täter. Verteidiger: Herr Staatsanwalt, ich könnte verlangen, dass Sie Ihre Behauptung beweisen. Stattdessen werde ich mich auf Ihre Behauptung einlassen und daraus folgern, welcher Unsinn sich ergibt. Dann sehen Sie, dass Ihre Behauptung falsch ist. 1. Angenommen, der Angeklagte wäre der Täter. 2. Daraus folgt, dass er um 16 Uhr in A-Dorf gewesen ist. 3. Dann kann er frühestens um 17:30 Uhr in B-Dorf gewesen sein. 4. Ein Zeuge hat ihn um 17 Uhr in B-Dorf gesehen. 5. Die Aussagen in Zeilen 3 und 4 widersprechen sich. 6. Die Annahme in Zeile 1 muss verworfen werden. 7. Es gilt das Gegenteil der Annahme in Zeile 1. Im Gerichtsbeispiel wird versucht, eine Schlussfolgerung A B auf eine bestimmte Weise abzusichern. Übertragen Sie diese Argumentation auf die Situation, in der Sie beweisen wollen: a2 ist ungerade a ist ungerade. Der Beweistyp, den Sie hier kennengelernt haben, nennt sich auch „Beweis durch Widerspruch“. Wer humanistische Bildung zeigen möchte, spricht von einer reductio ad absurdum, einer Zurückführung auf das Widersinnige. Die Übertragung auf das einfache mathematische Beispiel macht die Struktur eines solchen Beweises sichtbar.
3.4
Um-die-Ecke-Beweisen ⏐ 61
Schritt Behauptung Annahme Folgerungen
Beispiel
Allgemein
a ist ungerade ҧ a ist ungerade a2 ist ungerade und a ist nicht ungerade ҧ a ist gerade ҧ … ҧ a2 ist gerade. Also a2 ist ungerade laut Annahme und a2 ist gerade laut Folgerung.
Schluss
a2 ist ungerade und a ist nicht ungerade ist nicht haltbar. Folglich: a2 ist ungerade ҧ a ist ungerade
AҧB A und nicht B ҧ … ҧ … ҧ eine offensichtlich falsche Aussage, z.B. ein Widerspruch zur Annahme A und nicht B ist falsch. Folglich: AҧB
2
Oft wird die aufgeschriebene Struktur noch weiter vereinfacht, indem die Voraussetzung A, die ja in allen Schritten steckt, nicht mehr explizit genannt wird. Dann sieht es so aus: Schritt Behauptung Annahme Folgerungen
Allgemein
Schluss
(nicht B) ist falsch, also ist B wahr. Also AҧB
AҧB nicht B ҧ … ҧ … ҧ X „im Widerspruch zu A“ oder „im Widerspruch zu B“ oder „unmöglich“ oder „ “
Man liest dann oft die lapidare Bemerkung „im Widerspruch zur Annahme“ oder im „Widerspruch zur Voraussetzung“ oder manchmal sogar nur ein Blitzsymbol . Der oder die Beweisführende will damit andeuten, dass er auf eine falsche Aussage gestoßen ist, z.B. „die Voraussetzung gilt und ich habe gefolgert, dass sie nicht gilt. Das kann nicht sein. Also kann die Annahme nicht stimmen.“ Sie werden merken, dass Sie mit der Zeit an so einer Stelle auch dazu neigen, vereinfachend den Widerspruchsblitz zu schreiben – und hoffen, dass der Leser versteht, was genau Ihre Argumentation ist. Falls Ihnen die bildliche Darstellung gefallen hat, so können Sie im Folgenden auch noch einmal einen grafischen Anker für die Struktur eines Widerspruchsbeweises finden:
62 ⏐
3
Zahlenforschen und Beweisen
Man beginnt mit zwei Aussagen A und B, von denen man zeigen möchte AB. Solange man nichts darüber weiß, welche logische Beziehung zwischen ihnen besteht, sieht das Bild so aus:
Es kann a geben, für die A gilt, aber nicht B oder umgekehrt. Für manche a kann aber auch A und B gelten. Nun schaut man sich an, ob es wirklich solche a gibt, für die B nicht gilt. Man betrachtet also die Menge „A und nicht B“ Hier liegen solche a, für die die blaue, aber nicht die gelbe Bedingung gilt.
Wenn man nun (durch geschicktes Argumentieren) folgern kann, dass es ein solches a nicht gibt, heißt das, dass der schraffierte Bereich eigentlich leer ist. Die Situation sieht also eigentlich so aus: Jedes a, das A erfüllt, erfüllt automatisch auch B. Und das ist ja die Behauptung, die man gerne beweisen wollte. Die Bilder in diesem Abschnitt haben Ihnen vielleicht geholfen, die Struktur der verschiedenen Schlussweisen zu erläutern. Sie sind allerdings bei genauer Betrachtung nur für bestimmte Aussagetypen zu deuten. Die Aussage „A: a ist gerade“ ist im strengen Sinne eine so genannte Aussageform. Ob sie wahr ist oder nicht, hängt davon ab, welchen Wert man für a annimmt, daher könnte man schreiben A(a). Eine Aussage wird erst draus, wenn man z.B. a=2 betrachtet: A(2) ist eine wahre und A(3) eine falsche Aussage. Wenn in den letzten Seiten AҧB stand, so war eigentlich gemeint: „Für alle a gilt: A(a)ҧB(a)“. Die Frage „für welche a gilt A oder B?“ kann man sehr schön mit Bildern darstellen, und daher wurden bislang vor allem solche Beweise behandelt, bei denen es um die Gültigkeit von Aussageformen geht. Es gibt aber durchaus auch ganz andere Implikationen, die auf ihren Beweis warten.
3.5
Die Logik mathematischer Aussagen
In diesem Abschnitt werden immer wieder Aussagen wie „nicht A“ und „A oder B“ verwendet. Um diese knapper zu schreiben, sollen die in der Mathematik üblichen Abkürzungen verwendet werden: ¬ für „nicht“
∧ für „und“
∨ für „oder“
Das ∧-Zeichen und das ∨-Zeichen können Sie sich merken, wenn Sie an die Zeichen für Vereinigungs- und Schnittmenge denken: {1,2,4} ∪ [3,4,5} = {1,2,3,4,5},
∪
3.5
Die Logik mathematischer Aussagen ⏐ 63
{1,2,4} ∩ {3,4,5} = {4}. Vereinigen bedeutet, Elemente auszuwählen, die in der einen oder der
anderen Menge liegen. Die Schnittmenge enthält Elemente, die in der einen und der anderen
Menge liegen. Wenn Sie es noch plastischer lieben: Das Vereinigungssymbol ∪ und das OderSymbol ∨ können Sie sich als Töpfe und Tassen vorstellen, in denen alle Elemente versammelt werden. Am Schluss dieses Abschnittes werden Sie sehen, dass man mit solchen Operationen gleichsam „rechnen“ kann.
Erkundung 3.10: Eine ermäßigte BahnCard 50 erhalten (i) Senioren, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, (ii) Personen, die wegen voller Erwerbsminderung eine Rente beziehen, (iii) schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 70, (iv) Kinder im Alter von 6 bis einschließlich 17 Jahren und (v) Kinder im Alter von 18 bis einschließlich 26 Jahren, sofern sie sich in einem Ausbildungsverhältnis befinden. Zur Vereinfachung wollen wir uns nur Erwachsene ansehen und Senioren, Personen mit Erwerbsminderung und Schwerbehinderte zur Gruppe der „Rentner“ zusammenfassen. R(x): x ist Rentner A(x): x ist in Ausbildung E(x): x ist 27 oder älter (also „Erwachsener“ im Sinne der Bahn) eBC(x): x erhält eine ermäßigte BahnCard Untersuchen Sie, welche Implikationen zwischen jeweils zwei Aussagen wahr sind. Um eine grafische Übersicht zu bekommen, können Sie so vorgehen:
Schreiben Sie die acht Aussagen A(x), ¬A(x), usw. auf ein leeres Blatt und zeichnen Sie für jede wahre Implikation einen Pfeil „→“. Was kann man an der Struktur erkennen?
Zeichnen Sie für die vier Personengruppen jeweils Rechtecke oder Kreise. Die x, für die A(x) gilt, liegen darin, die, für die A(x) nicht gilt, außerhalb. Versuchen Sie so zu zeichnen, dass sich Figuren geeignet überschneiden.
Im Laufe der Durchmusterung der verschiedenen Implikationen und bei der grafischen Darstellung ist Ihnen vielleicht Folgendes aufgefallen: Eine Implikation kann in eine Richtung gelten, damit ist die Umkehrung noch lange nicht wahr: Zwar gilt R(x) ҧ eBC(x), aber nicht eBC(x) ҧ R(x). Diese Feststellung war bereits im letzten Abschnitt angeklungen. Es gilt R(x) ҧ eBC(x) und ebenso ¬eBC(x) ҧ ¬R(x). Dies scheint grundsätzlich zu funktionieren: Die Umkehrung einer wahren Aussage ist nicht unbedingt wahr, wohl aber die Aussage, die entsteht, wenn man die Richtung umkehrt und die Teilaussagen verneint. Diese Form nennt man die Kontrapositi-
64 ⏐
3
Zahlenforschen und Beweisen
on, die „Gegenstellung“. Anhand des Beispiels lässt sich auch ganz anschaulich erklären, was es mit der Kontraposition auf sich hat. Gilt beispielsweise: „x erhält keine Ermäßigung“, so kann man folgern „x kann kein Rentner sein“. Denn wäre x ein Rentner, so würde ja folgen, dass er Ermäßigung erhält. Dieses Argumentationsmuster ist nichts anderes als der bereits betrachtete Widerspruchsbeweis, der formal geschrieben so aussieht: Voraussetzung: Die Implikation A(x) ҧ B(x) ist wahr, es gilt ¬B(x) Behauptung: ¬A(x) Annahme: A(x) Folgerung: A(x) ҧ B(x) Also: B(x) und ¬B(x), das ist ein Widerspruch. Schluss: Die Annahme A(x) ist falsch, also ¬A(x). Vielleicht hat Ihnen auch die grafische Darstellung geholfen. Eine Implikation A(x) ҧ B(x) sieht so aus: Wenn für ein x die Aussage A gilt, so kann man sicher sein, dass B gilt. Umgekehrt kann man aus B(x) nicht auf A(x) schließen, denn es gibt solche x, für die nur B, aber nicht A gilt, also: B(x) ҧ A(x). Die negierte Aussage ¬B(x) bedeutet aber, dass das x außerhalb des Rechtecks B liegt. Daraus kann man unmittelbar folgern, dass es auch außerhalb von A liegen muss. Ob Ihnen nun das Beispiel, der formale Beweis oder die bildliche Darstellung besser gefällt, inzwischen sollte deutlich geworden sein, dass die Kontraposition einer Aussage nicht anderes ist als die „umgekehrte Sichtweise“. Im Überblick sieht das so aus: Aussage: Kontraposition der Aussage: Umkehrung der Aussage: Kontraposition der Umkehrung:
A ҧ B ¬B ҧ ¬A B ҧ A ¬A ҧ ¬B
gleichwertig gleichwertig
Eine Aussage und ihre Kontraposition sind gleichwertig. Wie man aus A ҧ B auf ¬B ҧ ¬A schließen kann, wurde eben dargestellt. Ganz analog kann man aus der Gültigkeit von ¬B ҧ ¬A wieder auf A ҧ B schließen. Wer knappe Schreibweisen liebt, kann das so notieren: (A ҧ B) Ҫ (¬B ҧ ¬A). Nützlich sind die Kontraposition als „umgekehrte Sicht“ und die Tatsache, dass die Kontraposition zur Ausgangsaussage gleichwertig ist, vor allem für das Beweisen. So hätte man den Beweis der Aussage a2 ist ungerade ҧ a ist ungerade
auch führen können, indem man sich entschließt, die Kontraposition zu beweisen:
3.5
Die Logik mathematischer Aussagen ⏐ 65
a ist nicht ungerade ҧ a2 ist nicht ungerade, anders gesagt: a ist gerade ҧ a2 ist gerade
Abschließend sollen noch ein paar „handwerkliche“ Aspekte des Umgehens mit formalen Aussagen angesprochen werden. Erkundung 3.11: Nimmt man noch einmal die Bahncard-Regelung zur Hand, so kann man sie so schreiben: (A(x) ∧ ¬E(x)) ∨ R(x) ҧ eBC(x) Nun begegnen Sie einem Menschen x, der sagt: Mir wurde die Ermäßigung nicht gewährt. Was können Sie über diesen Menschen aussagen? Vielleicht haben Sie einzelne Fälle durchprobiert, vielleicht haben Sie aber auch die Kontraposition untersucht. Wenn Sie beides getan haben, könnten Sie die folgenden allgemeinen Kenntnisse daraus gezogen haben. Die Frage nach dem Menschen ohne Ermäßigung ist gleichsam die Kontraposition: nicht eBC(x) ҧ nicht (A(x) ∧ ¬E(x)) ∨ R(x) Was aber genau bedeutet es, „nicht (Auszubildender und nicht Erwachsener) oder Rentner“ zu sein? Wie verneint man eine so komplexe Aussage angemessen? Wenn man hier noch unsicher ist, nähert man sich am besten schrittweise anhand einfacher Beispiele. Dann wird man sehen, dass man bei Aussagen und deren Verneinung manchmal höllisch aufpassen muss und dass ein „intuitives Gefühl“ und vor allem die Umgangssprache uns hier viele Fallen stellt. Betrachten Sie die folgende (wahre) Aussage a ungerade und b ungerade ҧ a·b ungerade,
deren Kontraposition lautet a·b nicht ungerade ҧ nicht (a ungerade und b ungerade)
Wie aber „übersetzt“ man den etwas holprigen Ausdruck hinter dem Implikationspfeil. Etwa so? a nicht ungerade und b nicht ungerade
Prüfen Sie einmal nach: 18 = 2·9 nicht ungerade ҧ 2 nicht ungerade und 9 nicht ungerade. Was hier schiefgegangen ist, ist die angemessene Verneinung einer Aussage der Form „nicht (A und B)“. Vielleicht ist es zunächst naheliegender, mit einem Alltagsbeispiel zu argumentieren: „X ist ein Mann und Y ist ein Mann“ Wenn Sie zu dieser Aussage so die Gegenaussage bilden: „X ist nicht ein Mann und Y ist nicht ein Mann“.
66 ⏐
3
Zahlenforschen und Beweisen
dann ist das nicht gleichwertig mit dem Gegenteil. Schauen wir einmal, was alles passieren kann: X und Y sind
Aussage 1
Aussage 2
„X ist ein Mann und Y ist ein Mann“
„X ist nicht ein Mann und Y ist nicht ein Mann“
Peter und Hans
Wahr
Falsch
Karin und Hans
Falsch
Falsch
Peter und Marlene
Falsch
Falsch
Karin und Marlene
Falsch
Wahr
Offensichtlich ist die Aussage 2 nicht das Gegenteil von Aussage 1. Wie müsste die gegenteilige Aussage lauten? Etwas umständlich z.B. so: Aussage 1
Aussage 2
„X ist ein Mann und Y ist ein Mann“
„Es ist falsch, dass (X ist ein Mann und Y ist ein Mann)“
Peter und Hans
Wahr
Falsch
Karin und Hans
Falsch
Wahr
X und Y sind
Peter und Marlene
Falsch
Wahr
Karin und Marlene
Falsch
Wahr
Das hört sich etwas umständlich an, und in der Tat wird es viel verständlicher und zugleich richtig, wenn man schreibt: „X ist nicht ein Mann oder Y ist nicht ein Mann“. Das ist vielleicht eine neue Entdeckung für Sie: Das Gegenteil von „A und B“ ist nicht etwa „nicht A und nicht B“, sondern „nicht A oder nicht B“. Mit verkürzenden Formeln: ¬(A∧B) Ҫ ¬A ∨ ¬B Wie lautet entsprechend das logische Gegenteil von A oder B? X und Y sind
Aussage 1 „X ist ein Mann oder Y ist ein Mann“
Aussage 2 „…“
Peter und Hans
Wahr
Falsch
Karin und Hans
Wahr
Falsch
Peter und Marlene
Wahr
Falsch
Karin und Marlene
Falsch
Wahr
An die Stelle „…“ kann man offensichtlich nicht schreiben: „X ist nicht ein Mann oder Y ist nicht ein Mann“. Das logische Gegenteil ist: „X ist nicht ein Mann und Y ist nicht ein Mann“.
3.5
Die Logik mathematischer Aussagen ⏐ 67
Das Gegenteil von „A oder B“ ist nicht etwa „nicht A oder nicht B“, sondern „nicht A und nicht B“. Mit verkürzenden Formeln schreibt sich das wieder: ¬(A∨B) Ҫ ¬A ∧ ¬B Sie erkennen vielleicht die schöne Symmetrie zwischen den beiden Ausdrücken. Und Sie sehen auch, dass man, wenn man solche Formeln wie Rechenregeln anwendet, mit logischen Aussagen gleichsam „kalkulieren“ kann. Die ursprünglich betrachtete Verneinung der BahnCard-Bedingung kann man dann so – ganz formal – umformen und dabei sicher sein, dass etwas Sinnvolles dabei herauskommt: ¬ ((A(x) ∧ ¬E(x)) ∨ R(x)) ¬ (A(x) ∧ ¬E(x)) ∧ ¬R(x) Ҫ (¬A(x) ∨ ¬ ¬E(x)) ∧ ¬R(x) Ҫ (¬A(x) ∨ E(x)) ∧ ¬R(x) Ein Mensch, der keine Ermäßigung bekommt, ist somit „(kein Auszubildender oder ein Erwachsener) und kein Rentner“. Ҫ
Übung 3.12: Im Jahre 1582 erließ Papst Gregor eine neue Kalenderregelung, die berücksichtigte, dass ein Jahr nicht genau 365 Tage lang ist: In allen Jahren, deren Jahreszahl durch 4 teilbar ist, wurde der 29. Februar als Schalttag eingefügt. Eine Ausnahme bilden allerdings die vollen Jahrhundertjahre (1700, 1800, 1900 usw.). Hiervon erhalten nur diejenigen einen Schalttag, deren Jahreszahl durch 400 teilbar ist (was zuletzt beim Jahr 2000 der Fall war). a) Notieren Sie die Schaltjahresregelung in knapper Form. Die Aussage „Jahr x ist durch 4 teilbar“ können Sie so schreiben: „V4(x)“, also „ x ist Vielfaches von 4“. b) Können Sie ein anschauliches Bild zeichnen? c) Vergleichen Sie die Schaltjahresregelung mit der Bahncardregelung. d) Wann ist ein Jahr kein Schaltjahr? Finden Sie eine formale und eine alltagssprachliche Beschreibung. e) Wie lang ist ein gregorianisches Jahr im Mittel?
68 ⏐
3.6
3
Zahlenforschen und Beweisen
Übungen
Übung 3.13: Die folgenden fünf Behauptungen aus der Erkundung 3.1 können richtig oder falsch sein. • Verstehen Sie die Aussage anhand von einem oder zwei Beispielen. • Wenn sie falsch sind: Widerlegen Sie sie durch ein Gegenbeispiel und verbessern Sie die Behauptung, so dass sie stimmen können. • Wenn sie wahr sind, beweisen Sie sie (wenn möglich) auf zwei verschiedene Arten. a) Das Produkt von zwei Quadratzahlen ist wieder eine Quadratzahl. b) Die Differenz zwischen zwei aufeinanderfolgenden Quadratzahlen ist immer eine ungerade Zahl. c) Die Quersumme (d.h. die Summe der Ziffern) einer dreistelligen Quadratzahl ist wieder eine Quadratzahl. d) Die Endziffern von Quadratzahlen sind immer nur 0, 1, 4, 6, 5 und 9. e) Die Summe zweier aufeinanderfolgender Zahlen ist genau so groß wie die Differenz ihrer Quadrate. Übung 3.14: In diesem Kapitel haben Sie entdeckt und bewiesen: Die ungeraden Quadratzahlen sind immer um 1 größer als ein Vielfaches von 4. Bei näherer Betrachtung gilt sogar: Die ungeraden Quadratzahlen sind immer um 1 größer als ein Vielfaches von 8. Versuchen Sie einen der symbolischen und einen der ikonischen Beweise so zu ergänzen, dass er auch die zweite Aussage begründet. Übung 3.15: Begründen Sie die folgenden Behauptungen mit einem Situationsbeweis. ͳͲ ͳͲ a) ቀ ቁ ൌ ቀ ቁ ͵ Ͷ Ͷ Ͷ Ͷ Ͷ b) ቀ ቁ ቀ ቁ ቀ ቁ ቀ ቁ ቀ ቁ ൌ ʹସ Ͳ ͵ ͳ ʹ Ͷ ͳͲͲ ͳͲͳ c) ቀ ቁ ͳͲͲ ൌ ቀ ቁ ʹ ʹ
Vergewissern Sie sich, ob der Beweis auf andere Zahlen übertragbar ist, und schreiben Sie die Behauptungen mit allgemeinen Variablen n und k.
3.6
Übungen ⏐ 69
Übung 3.16: Rechnen Sie die Formel aus und finden Sie heraus, welche Quader für welche Terme stehen.
ȋaΪbȌ͵α
Übung 3.17: Betrachten Sie einfache Beispiele aus der Mathematik und dem Alltag. A: Milena ist Slowenin B: Milena ist Europäerin
A: a ist durch 3 teilbar B: a hat eine Quersumme, die durch 3 teilbar ist
A: Knut hat eine Schwester B: Knut ist Einzelkind
A: a ist durch 2 und durch 5 teilbar B: a hat die Endziffer 0
a) Formulieren Sie für jedes Beispiel zwei mögliche Implikationen (AB, Aҧ ¬B, usw.) als vollständigen deutschen Satz. Welche sind wahr, welche falsch? b) Finden Sie Beispiele (aus den obigen und eigene), bei denen eine Aussage wahr ist, ihre Umkehrung jedoch nicht. c) Finden Sie Beispiele (aus den obigen und eigene), bei denen eine Aussage und ihre Umkehrung wahr sind. Übung 3.18: In der Sendung „Wer wird Millionär“ vom 31. Januar 2003 lautete die 8000Euro-Frage: Jedes Rechteck ist A B C D
ein Rhombus ein Quadrat ein Trapez ein Parallelogramm.
Dies war das bislang einzige Mal, dass eine Frage wegen Zuschauerprotesten zurückgezogen und der Kandidat noch einmal eingeladen werden musste. Versuchen Sie das Problem zu verstehen, indem Sie die Aussagen schreiben als „R(x)“ für „x ist ein Rhombus (Raute)“ usw. und dann alle möglichen Implikationen untersuchen.
70 ⏐
3
Zahlenforschen und Beweisen
Übung 3.19: Versuchen Sie, einige Aussagen mit der Kontraposition zu beweisen. Welche der folgenden Aussagen oder ihrer Umkehrungen könnten sich eignen? a ist eine Quadratzahl ҧ 4a ist eine Quadratzahl a durch 2 teilbar ҧ a2 ist durch 2 teilbar a ist teilbar durch 6 ҧ a ist teilbar durch 3 a ungerade ҧ 2 a gerade a teilbar durch 3 ҧ 4 a teilbar durch 3 a teilbar durch 3 ҧ 4 a teilbar durch 6 Stellen Sie eine eigene Aussage auf, und untersuchen Sie sie entsprechend. Übung 3.20: Wie lautet das Gegenteil der folgenden Aussagen über a∈Գ? (a) a ist gerade und Vielfaches von 5 (b) 2 ist Teiler von a und a ist Teiler von 10 (c) a ist eine Quadratzahl und gerade (d) a ist gerade oder durch 3 teilbar Überprüfen Sie Ihre Formulierung an Beispielen: Ist die Aussage genau dann wahr, wenn ihr formuliertes Gegenteil falsch ist? Übung 3.21: Versuchen Sie, die folgenden Aussagen durch die Kontraposition zu beweisen. Bilden Sie dazu erst die nötigen Gegenteile der Teilaussagen A und B. a) a·b gerade ҧ a ist gerade oder b ist gerade b) a+b ist nicht durch 2 teilbar ҧ a ist gerade oder b ist gerade c) Wenn b·c keine Quadratzahl ist, sind auch b und c keine Quadratzahlen. Übung 3.22: Denken Sie sich aus kleinen Würfeln einen großen Würfel zusammengesetzt. Entnehmen Sie dem Würfel alle kleinen Würfel entlang einer Kante. Prüfen und beweisen Sie gegebenenfalls, dass die verbleibende Zahl an kleinen Würfeln immer durch 6 teilbar ist. Übung 3.23: Sie haben bereits verschiedene „Rechenregeln“ für logische Zeichen kennengelernt, wie z.B. ¬(A∧B) Ҫ ¬A ∨ ¬B. a) Tragen Sie alle Regeln zusammen und finden und überprüfen Sie weitere Regeln, z.B. für A∧(B∨C). b) Eine Aussage A∨B ist wahr, wenn A wahr ist oder B wahr ist und insbesondere, wenn A und B zugleich wahr sind. In der gesprochenen Sprache meint man oft etwas anderes mit „oder“: „Gehst du noch aus oder bleibst du daheim?“ meint sicher nicht „…oder beides“? Für ein solches sogenanntes „exklusives Oder“ gibt es in der Mathematik auch ein Symbol, nämlich ࿙. Schreiben Sie den Ausdruck A࿙B nur durch Verwendung von ¬, ∧ und ∨, wenn möglich auf verschiedene Weise.
4
Teilen und Zusammensetzen
„Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“, ist die Devise Johann Heinrich Faustens – und die der Naturwissenschaftler aller Jahrhunderte. Woraus besteht eigentlich ein Stein? Aus Molekülen. Und die Moleküle? Aus Atomen. Und die? Aus Atomkernen und Elektronen! Und die? Der Atomkern aus Neutronen und Protonen und das Elektron… Sollte das Elektron tatsächlich aus nichts mehr bestehen als aus sich selbst? Haben wir endlich einen Elementarbaustein der Welt gefunden, der nicht mehr teilbar ist? Hat das ewige Teilen ein Ende? Zurzeit sieht es jedenfalls so aus, als hätten Physiker die wesentlichen Elementarteilchen alle beisammen: Quarks, Elektronen, Photonen und noch ein paar exotischere Verwandte, die sich noch dagegen sträuben, in physikalischen Apparaten dingfest gemacht zu werden. Insgesamt ergeben die Elementarteilchen ein ästhetisch wohlgeordnet erscheinendes System, das so genannte „Standardmodell der Materie“. Wie ist es aber den Mathematikern ergangen auf der Suche nach ihren Elementarteilchen? Wie sieht das „Standardmodell der Mathematik“ aus? Auch in der Mathematik kann man nach den grundlegenden Bausteinen, den kleinsten Teilen fragen. Was dabei herauskommt, ist abhängig davon, wie man die Frage stellt und was man als Antwort gelten lassen will.
4.1
Zahlen zerlegen
Erkundung 4.1a: Aus welchen Teilen besteht die Zahl 12? Auf wie viele verschiedene Weisen kann man sie aufteilen? Geben Sie möglichst viele verschiedene Antworten.
72 ⏐
4
Teilen und Zusammensetzen
Die wohl einfachste Antwort lautet 12=1+1+1+1+1+1+1+1+1+1+1+1. Auf diese Weise kann man jede natürliche Zahl als Summe des Elementarbausteins 1 auffassen. Und ganz genauso könnte man natürliche Zahlen auch definieren: Die 2 ist nichts anderes als die Abkürzung für das Ergebnis 1+1, die 3 kürzt ab, was herauskommt, wenn man 2+1 berechnet, usw. Natürlich kann man die 12 auch noch anders aufteilen: 12=6+6, 12=3+4+5 usw. Damit eröffnen sich wieder neue Fragen, die man wieder der Kombinatorik zurechnen kann, die man also mit den Strategien von Kap. 2 bearbeiten kann. Allerdings werden Sie entdecken, dass die vier Grundformeln hier nicht weiter helfen. Wenn Sie ein wenig Zeit übrig haben, dann lösen Sie doch das nachfolgende Problem. Aber Vorsicht! Dieses Problem ist sehr grundsätzlich und kann, wenn man es bearbeitet, sehr weit führen. Erkundung 4.1b: Wie viele solcher Aufteilungen der 12 gibt es eigentlich? Kann man auch sofort sagen, auf wie viele Weisen man die 100 zerlegen kann? Natürlich kann man die 1 als Baustein auch weiter unterteilen: 1 = భమ భమ = భ భర భర భర. Dieser Prozess endet nun nicht mehr bei einer kleinsten positiven ర Zahl – eine Eigenschaft, die der Menge der natürlichen Zahlen vorbehalten ist. Aber warum zerschneiden wir die Zahlen eigentlich wie ein Ei in Scheiben, um ihrer inneren Struktur auf die Spur zu kommen? Es geht auch anders. Die folgende Aufgabe stammt aus einem Schulbuch und soll 10-Jährige dazu anregen, sich über die Struktur der Zahlen Gedanken zu machen. Erkundung 4.2: Beim Kauf einer Tafel Schokolade sollte man darauf achten, ob man sie aufteilen kann. Ein Hersteller könnte familienfreundliche Tafeln produzieren, die man unter möglichst vielen Personen aufteilen kann. Welche Anzahlen sind besonders gut, welche besonders schlecht? Lösen Sie das konkrete Problem. Formulieren Sie mathematische Aussagen, die sie auf dem Wege finden. Ganz konkret haben Sie vielleicht herausgefunden: Teiler von 12 Teiler von 17 Teiler von 20 Teiler von 60
1,2,3,4,6,12 1,17 1,2,4,5,10,20 1,2,3,4,5,6,10,12,15,20,30,60
6 Teiler 2 Teiler 6 Teiler 12 Teiler
4.1
Zahlen zerlegen ⏐ 73
Und danach haben Sie vielleicht allgemein formuliert: (1) Jede natürliche Zahl hat mindestens 2 Teiler: die 1 und sich selbst. (2) Jede natürliche Zahl hat immer eine gerade Anzahl von Teilern. Erkundung 4.3: Beide Aussagen stimmen so nicht ganz. Überprüfen Sie sie und versuchen Sie, sie zu reparieren. (Tipp: Probleme machen z.B. die 0, die 1 oder die 16.) Offensichtlich war der Satz (2) zu schnell aufgeschrieben, denn die 16 hat mit 1, 2, 4, 8 und 16 eine ungerade Anzahl von Teilern. Woran liegt das? Normalerweise gibt es zu jedem Teiler einen Partner, den so genannten Komplementärteiler. Jede Aufteilung in zwei Faktoren (z.B. 60 = 2·30) liefert immer zwei Teiler zugleich. Ausnahmen sind nur die Quadratzahlen, denn die Aufteilung in die Wurzel (z.B. 36=6·6) liefert einen Teiler doppelt. Der reparierte Satz (2) könnte also lauten: (2) Jede natürliche Zahl, die keine Quadratzahl ist, hat eine gerade Anzahl von Teilern. Quadratzahlen haben eine ungerade Anzahl von Teilern. Aber auch in dem unscheinbaren Satz (1) lauern Schwierigkeiten, wenn man nur genauer hinsieht. Die 1 hat beispielsweise nur sich selbst als Teiler. Das könnte man wieder reparieren, indem man die 1 als Ausnahme benennt. Aber wie viele Teiler hat eigentlich die 0? Die 0 kann man eigentlich auch als natürliche Zahl auffassen. Vielleicht haben Sie aber bei Ihren Erkundungen die 1 oder die Zahl selbst auch gar nicht als Teiler aufgefasst und immer zwei weniger gefunden? Auch diese Sichtweise ist akzeptabel. In mathematischen Texten findet man als Symbol für die natürlichen Zahlen das ത, zuweilen mit einem Doppelstrich als ത geschrieben. Gemeint ist nicht immer dasselbe, einige Autoren meinen ത={0,1,2,3, …}, andere ത={1,2,3, …}. Um deutlich zu machen, dass die Null eingeschlossen ist, kann man auch ത0={0,1,2,3, …} schreiben. Wie immer Sie sich entscheiden, erklären Sie, wenn es für das richtige Verständnis einer Aussage notwendig ist, was Sie meinen. In diesem Buch wird ത für die natürlichen Zahlen einschließlich der 0 verwendet.
Bevor man einen Satz über einen mathematischen Begriff wie „Teiler“ formuliert, muss man offensichtlich präziser formulieren, was dieser Begriff eigentlich bedeutet, d.h. was genau ein „Teiler“ ist. Das intuitive Verständnis ist zwar sicherlich nicht falsch („7 ist ein Teiler von 21“), aber es ist in bestimmten Fällen nicht präzise genug, um eindeutige mathematische Aussagen zu treffen. Vielleicht passt doch alles unter einen Hut, wenn man nur genauer sagt, was man mit „Teiler“ eigentlich meint. Versuchen wir also Satz (2) durch eine Begriffspräzisierung, durch eine klare Definition von „Teiler“ zu retten. Hier ein erster Versuch: Definitionsversuch: Wenn man eine Zahl a durch eine Zahl b teilen kann, so ist b ein Teiler von a.
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4
Teilen und Zusammensetzen
Kann man 7 durch 4 teilen? Aber klar! 7:4 = 1,75. Oder 7:4 =1 Rest 3. Die Definition war also unpräzise, sie traf nicht, was wir meinten. Sie war auch unpraktisch, denn mit ihr ist jede Zahl Teiler einer anderen Zahl. Teiler zu sein, ist nichts Besonderes mehr und man bräuchte diese Definition gar nicht mehr. Daher ein zweiter Versuch: Definitionsversuch: Wenn man eine natürliche Zahl a durch eine natürliche Zahl b ohne Rest teilen kann, so ist b ein Teiler von a.
Ist denn dann 0 ein Teiler von 1? Ist 0 ein Teiler von 0? Ist 1 ein Teiler von 0? Was es heißt, „ohne Rest teilen“ zu können, ist offensichtlich noch zu ungenau. Das kann man vielleicht sagen, wenn man das Teilen konkret darstellt, wie es diese beiden Kinder getan haben: Hier wird die 10 auf 5 gleiche Teile verteilt. Man kann sich auch vorstellen, dass die 10 in 5er-Blöcke aufgeteilt wird: Es gibt offensichtlich zwei Vorstellungen von „Teilen“. Beide würden auch funktionieren, wenn man danach fragt, ob 1 ein Teiler von 10 ist: Man kann jede Zahl in Einer aufteilen bzw. auf ein Stück verteilen (also eigentlich gar nicht verteilen). Was aber genau bedeutet Aufteilen und Verteilen, wenn man mit der Null arbeitet? Das bringt Schwierigkeiten. Kann man 0 verteilen oder aufteilen? Kann man ein Ganzes in 0 Teile auf- oder verteilen? Erkundung 4.4: Befassen Sie sich mit den folgenden Fragen. Begründen Sie verbal oder durch das Zeichnen von passenden Bildern: Ist 0 ein Teiler von 5? Ist 5 ein Teiler von 0? Ist 0 ein Teiler von 0? Vielleicht sind Sie zu einer befriedigenden Lösung gekommen, wahrscheinlicher ist aber, dass Sie nicht ganz zufrieden sind mit „anschaulichen“ Erklärungen für die Frage, wie man mit der 0 umgehen soll. Hier gibt es nun (zumindest) zwei Möglichkeiten: Wir sind frustriert, schließen ab sofort die Null einfach aus und formulieren die Definition nur für natürliche Zahlen größer als Null ത\{0}={1,2,3,…}. Eigentlich ist das aber feige! Der ungarische Mathematiker und Philosoph Imre Lakatos (1922−1974) nennt so ein Verhalten „Monsterabwehr“: Was wir nicht beherrschen, schließen wir als Sonderfall aus. So etwas passiert in jeder guten Familie, will sagen: auch in der hehren Wissenschaft.
4.1
Zahlen zerlegen ⏐ 75
Wenn wir die Null aber etwas mutiger mit einschließen wollen, müssen wir die Definition für Teiler anders schreiben – möglichst ohne die Begriffe Aufteilen und Verteilen, da die Anschauung hier nicht zu helfen scheint. Man kann es probieren, indem man für die Definition anstelle von Divisionssituationen nur die Multiplikation verwendet, denn dort können wir problemlos mit der Null umgehen. Definition: Man sagt „a ist Teiler von b“ oder „a teilt b“ und schreibt a | b, wenn es zu den natürlichen Zahlen a und b eine natürliche Zahl c gibt, so dass b = a⋅ c.
Erkundung 4.5: Begründen oder widerlegen Sie nun mit dieser Definition einige anschauliche Beispiele und auch die Sonderfälle, z.B.: Ist 3 ein Teiler von 120? (nach dieser Definition!) Ist 1 ein Teiler von 3? Ist 3 ein Teiler von 1? Ist 0 ein Teiler von 3? Ist 3 ein Teiler von 0? Ist 0 ein Teiler von 0? Exkurs: Teilen in fremden Welten Vielleicht gibt es noch andere mögliche Definitionen von „Teilern“. Manche sind besser geeignet, manche schlechter. Manche sind gleichwertig, d.h. nach ihnen sind genau dieselben Zahlen Teiler voneinander, wie bei unserer letzten. Bei anderen Definitionen ist das nicht der Fall. Mit welcher man arbeitet, ist eine willkürliche Entscheidung, die man vereinbaren muss. Unsere letzte Definition hat den Vorteil, dass man mit ihr wortgleich auch Teiler in ganz anderen Zusammenhängen definieren kann, nicht nur für die natürlichen Zahlen. Dazu machen wir einen ersten Ausflug in eine „fremde“ Welt. Der Begriff Teiler, so wie er eben definiert wurde, ist ein durch die Erfahrung in alltäglichen Situationen bereits sehr anschaulicher und vertrauter Begriff. In der Schule suchen Drittklässler nach Teilern und interpretieren diese. Will man aber die Tragweite des Teilerbegriffs weiter ausloten, so lohnt es sich, ihn einmal in eine fremde Umgebung zu verpflanzen und zu untersuchen, wie er dort gedeiht. Erst dann kann man sich nämlich ein Bild machen, was ein Teiler so alles ist und tut, welche Eigenschaften typisch, ja sogar notwendig sind, und welche vielleicht nur „zufällig“ sind, weil sie eben nur für Teiler im Bereich der natürlichen Zahlen gelten. Wir verlassen also einmal die vertraute Welt der natürlichen Zahlen, indem wir ihr einen „unbekannten Fremdkörper“ hinzufügen. Wir schreiben „x“ für diesen neuen Einwohner unserer Welt, wir könnten ihn ebenso M oder ۤ nennen. Da wir in der neuen Welt wieder addieren und multi-
aber auch 2⋅x oder x+2. Auch diese Elemente muss man wieder verrechnen können, also muss die Welt auch (x+2)⋅x2 enthalten. Und wenn die Rechengesetze, wie z.B. das Distributivgesetz, auch in dieser Welt gelten sollen, dann müsste (x+2)⋅x2 = x⋅x2 + 2⋅x2 = x3+2x2 sein. Stellt man sich alle plizieren wollen, muss es auch diese Elemente geben:
x⋅x=x2, x⋅x⋅x=x3,
Elemente, die man so erzeugen kann, insgesamt vor, so sieht die „neue Welt“ so aus: Sie ent-
hält alle Polynome (auch als „ganzrationale Funktionen“ bezeichnet) mit positiven ganzzahligen
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Teilen und Zusammensetzen
Vorfaktoren. Ein solches „ganzzahliges Polynom“ kann z.B. so aussehen: so:
25x
5
9x3+3x2+4
oder auch
oder auch nur so: 4.
Allgemein hat die Menge der ganzzahligen Polynome folgende Struktur:
ത[x] = { anxn + … + a1x + a0 | a0, …, an ∈ ത } Die Kurzbezeichnung ത[x] – gesprochen „ത adjungiert x“ – meint also: Die Menge, die entsteht, wenn man zu ത das neue Objekt x „beifügt“ und dann noch so viele weitere Elemente, wie nötig, dass man beim Addieren und Multiplizieren in der Menge bleibt. Man spricht auch von dem „Zahlenraum“ ത[x] mit einer Addition und einer Multiplikation und schreibt dafür kurz (ത[x],+,_⋅_). Damit keine Missverständnisse entstehen: Für die Variable x wird hier kein Wert eingesetzt.
x ist ein Element dieses Raumes, genauso wie die Zahl 16 oder das Polynom x2+2x.
In diesem Raum kann man sich nun bewegen und untersuchen, welche Dinge aus der Welt der natürlichen Zahlen noch zu übertragen sind, und wo in der Welt т[x] andere Gesetzmäßigkeiten herrschen. Erkundung 4.6: Suchen Sie in ത[x] nach Teilern
Welche(n) Teiler haben z.B. x5 , 2x+2,
x2+2x+1,
x4+4x3+6x2+4x+ 1
Welche Polynome haben x als Teiler, welche nicht?
Welche Polynome haben keinen Teiler außer 1 und sich selbst?
Sie haben die Antwort auf diese Fragen nicht sofort gewusst? Sie konnten es auch nicht „wissen“, denn Sie haben wahrscheinlich nicht so häufig mit Polynomen gerechnet wie mit ganzen Zahlen. In dieser Situation kann man einfach konsequent die Definition von Teilern nutzen, jetzt angewendet auf ത[x] statt auf ത: Ein Polynom b∈ ത[x] hat den Teiler a∈ ത[x], wenn es ein Polynom c∈ ത[x] gibt mit b = a⋅c Man sucht also z.B. für b = 2x+2 Polynome a und c aus ത[x], so dass 2x+2 = a⋅b. Die einzigen Möglichkeiten lauten: 2x+2 = 2⋅(x+1) und
2x+2 = 1⋅(2x+2)
Also sind 1, 2x+2, 2 und x+1 die einzigen Teiler. Andere Zahlen oder Polynome lassen sich nicht ausklammern. Sucht man, ganz analog, Teiler von x2+2x+1, so findet man wieder die tri-
vialen Teiler 1 und x2+2x+1 selbst, und dann weiß man noch: x2+2x+1 = (x+1)⋅(x+1). Auf diese Weise kann man systematisch weitersuchen und Erfahrungen mit Polynomteilern machen. Übung 4.7: Eine nicht ganz so exotische andere Welt ist z.B. die Menge ള der ganzen Zahlen: ള = {…, -2, -1, 0, 1, 2,…}. Untersuchen Sie, welche Zahlen in ള Teiler von anderen Zahlen in ള sind. Stellen Sie Ihre Erkenntnisse systematisch dar, z.B. indem Sie Aussagen über die Beträge |a| und die Vorzeichen von a (negativ oder positiv) formulieren.
Noch ein Exkurs: Vom Sinn und Zweck mathematischer Kurzschreibweise Abschließend noch einmal eine symbolische, d.h. insbesondere knappe Schreibweise für die Definition „Teiler“: Formale Definition
Kurzschreibweise
Für alle a, b aus ത soll gelten:
∀a, b∈ത:
a teilt b
a |b
genau dann, wenn
⇔
es ein x∈ത gibt, für das gilt:
∃x∈ത:
b = a⋅x
b = a⋅ x
4.2
Primzahlen – Bausteine der Zahlen ⏐ 77
Sie sehen hier vielleicht erstmals die etwas skurrilen, aber sehr praktischen Abkürzungen, die man Quantoren nennt:
∀ liest sich „für alle“ und leitet die Behauptung ein, dass die nachfolgende Aussage für alle genannten Variablenwerte gilt, also z.B. „für alle natürlichen Zahlen n“: ∀a ∈т.
∃ liest sich „es gibt ein“ und leitet die Behauptung ein, dass es (mindestens) einen mögli-
chen Wert gibt, für den die nachfolgende Aussage gilt, also z.B. „es gibt eine natürliche Zahl n “: ∃x∈ത. Extrem formal und knapp formuliert lautet die Teilerdefinition also: ∀a,b∈ത: a|b ⇔ ∃x∈ത: b = a⋅ x
Mit dieser präzisen Festlegung lassen sich die Teilbarkeitsfragen die 0 betreffend knapp aufschreiben. Mit der Kurzschreibweise kann man nun auch Aussagen und Beweise kurz fassen: Formale Begründung 1 ist Teiler von jedem b, denn b lässt sich als 1⋅b schreiben. Jedes b ist Teiler von sich selbst, denn b lässt sich als b⋅1 schreiben. 0 hat jedes a als Teiler, denn 0 lässt sich als a⋅0 schreiben. 0 teilt sich selbst, denn man kann 0 z.B. als 0⋅1 schreiben. 0 teilt keine andere natürliche Zahl, denn keine Zahl ungleich 0 kann als 0⋅x geschrieben werden.
4.2
Kurzschreibweise ∀b∈ത: b=1⋅b ∀b∈ത: 1|b ∀b∈ത: b=b ⋅1 ∀b∈ത: b |b ∀a∈ത: 0=a ⋅0 ∀a∈ത: a |0 0=0⋅1 0|0 ∀b∈ത\{0}, x∈ത: b ≠ 0⋅x 0 b
Primzahlen – Bausteine der Zahlen
Nun noch einmal zurück zum Ausgangsproblem, der Schokoladenteilung. Dort ist ein wichtiges loses Ende, das es lohnt, noch einmal aufgenommen zu werden, liegen geblieben. Sie hatten die für die Teilung besonders ungünstigen Zahlen entdeckt und sich dabei sicherlich an die Bezeichnung für solche Zahlen erinnert. Erkundung 4.8: Schreiben Sie möglichst verschiedene Möglichkeiten auf, um den Begriff „Primzahl“ zu definieren. Sind die Definitionen gleichwertig? Ist nach Ihrer Definition 0 eine Primzahl? Ist 1 eine Primzahl? Vielleicht sind Sie auf eine oder mehrere der folgenden Möglichkeiten gestoßen? Eine Primzahl ist eine natürliche Zahl, … Definition A: …die keine natürlichen Teiler außer 1 und sich selbst hat. Definition B: …die höchstens 2 Teiler hat. Definition C: …die genau zwei natürliche Teiler hat.
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Man kann alle diese Definitionen verwenden, muss aber vorher über zwei Fragen gründlich nachdenken:
Sind die Definitionen alle gleichwertig? Oder führen sie zu unterschiedlichen Auffassungen darüber, ob eine bestimmte Zahl Primzahl ist? Welche der Definitionen ist am nützlichsten (welche sind nützlicher) für die weitere Arbeit?
Ob sie möglicherweise nicht gleichwertig sind, können Sie herausfinden, indem Sie Beispiele durchprobieren. Sie können aber auch versuchen, formal zu argumentieren und dabei insbesondere auf die formale Definition des Teilerbegriffes zurückgehen. Sie haben wahrscheinlich festgestellt, dass die Definitionen weitgehend gleichwertig sind. Nur über die Tatsache, ob 1 eine Primzahl ist oder nicht, kann man unterschiedlicher Meinung sein, je nachdem, welche Definition man bevorzugt. Und ist die 1 nun eine Primzahl oder nicht? Man möchte meinen, dass es in der Mathematik eine klare Festlegung gibt. Aber hier würde sich jeder Mathematiker wehren. Wenn es keinen guten Grund dafür gibt, die eine oder die andere Definition zu bevorzugen, so muss es möglich sein, eben die eine oder die andere zu verwenden (aber natürlich nicht zwei widersprüchliche gleichzeitig). Man muss seinem Gegenüber nur immer klar mitteilen, welche der Definitionen man wählt, damit man in der Kommunikation nicht Missverständnisse hervorruft. Ansonsten kann man von jedem Mathematiker erwarten, dass er auch vom Standpunkt des anderen, also von einer anderen Definition von Primzahl ausgehend, mitdenken kann. Übung 4.9: Suchen Sie Primzahlen in der Menge ത[x]. Gibt es, je nach Definition, Unterschiede darin, ob gewisse Zahlen Primzahlen sind oder nicht? Einen Schritt weiter bei der Entscheidung, was eine Primzahl sein soll und was nicht, kommen Sie, wenn Sie nicht fragen, was eine Primzahl ist, sondern was man alles mit Primzahlen tun kann. Ein Begriff – auch ein mathematischer – ist mehr als nur eine Definition, er umfasst eben auch alles, was man mit ihm tun kann. Dazu dürfen Sie sich wieder auf eine Schulbuchaufgabe aus der 5. Klasse stürzen. Erkundung 4.10: Wussten Sie schon: Aus Zahlenzwiebeln wachsen Zahlenbäumchen! Wenn Sie eine 12 pflanzen, so sprießt sie und verzweigt sich vielleicht irgendwann in eine 3 und eine 4. (Manchmal verzweigt sie auch anders!) Natürlich wächst so ein Büschel auch noch weiter. Welche Bäumchen können aus den verschiedenen Zahlenzwiebeln wachsen? Wie sieht ein ausgewachsenes Bäumchen aus? Welche Blätter hat es?
4.2
Primzahlen – Bausteine der Zahlen ⏐ 79
Was können Sie bei der mathematischen Gartenarbeit alles entdeckt haben?
Das Wachsen der Bäume kann man natürlich auch durch eine rein symbolische Schreibweise darstellen, bei der man schrittweise in Faktoren zerlegt: 120 = 30⋅4 = 6⋅5⋅2⋅2 = 3⋅2⋅5⋅2⋅2 Die Bäumchen wachsen nicht bis in den Himmel – jedenfalls wenn man eine Verzweigung der Form 5=5⋅1 nicht zulässt. Wenn man sie doch zulässt, wuchert es ohne Ende. In diesem Urwald gibt es allerdings nicht viel Spannendes zu entdecken. Zerlegt man immer nur in echte Teiler (5 und 1 fasst man nicht als „echte“ Teiler von 5 auf, sondern nennt sie „triviale“ Teiler), so stehen in den Blättern, also den letzten Enden der Bäume, nur noch Primzahlen. Bei manchen Zwiebeln kann es ganz unterschiedliche Bäume geben, je nach Zerlegung z.B. 12 = 4⋅3 = 2⋅6. Am Ende sehen die Bäume eventuell ganz verschieden aus, aber die Anzahl der Blätter ist gleich. Man kann sogar sagen: Egal, wie ein Baum wuchert, am Ende haben alle Bäume mit derselben Zahl an der Wurzel gleich viele 2er-Blätter, gleich viele 3er-Blätter usw.
Kurz zusammenfassen kann man diese Entdeckung in Form eines mathematischen Satzes: Satz: Jede Zahl ist vollständig in Primfaktoren zerlegbar. Die Primfaktoren sind für jede natürliche Zahl jeweils immer dieselben.
Der Baum macht klar, dass das immer so gehen muss, denn wenn ein Ast noch keine Primzahl ist, kann man ja neue Blätter bilden. Und weil die Zahlen in den Blättern immer kleiner werden, muss das Ganze irgendwann enden. Das ist eigentlich auch schon der Beweis für die Existenz einer Primfaktorzerlegung. Natürlich kann man diesen Beweis auch formaler aufschreiben, richtiger wird er dadurch jedoch nicht! Die zweite Aussage des Satzes muss man genauer in Augenschein nehmen: Hier wird behauptet, die Zerlegung in Primfaktoren sei eindeutig. Dagegen könnte man einwenden, dass man beispielsweise die 45 auf verschiedene Weisen in Primfaktoren zerlegen kann: 45 = 3⋅3⋅5
45 = 3⋅5⋅3
45 = 1⋅3⋅3⋅5
Die Zerlegung kann offensichtlich in verschiedenen Reihenfolgen geschehen, wir können also nur fordern: „Eindeutig bis auf die Reihenfolge“. Außerdem kann man einmal oder sogar beliebig oft eine 1 als Faktor schreiben. Also müsste man sagen: „Die Zerlegung in Primfaktoren ist bis auf die Reihenfolge eindeutig, wenn man die 1 nicht zulässt.“ Das ist allerdings eine etwas krumme und unschöne Formulierung. Sie erinnern sich bei der Gelegenheit vielleicht an die Unsicherheit weiter oben: Soll man die 1 als Primzahl überhaupt zulassen oder nicht? Es gab eigentlich keinen Grund dafür oder dagegen, nur zwei ver-
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schiedene, aber gleichermaßen plausible Definitionen für Primzahl. Jetzt ist aber der Zeitpunkt gekommen, noch einmal über die Bedeutung der 1 als Primzahl nachzudenken. Wenn man die 1 als Primfaktor ausschließen würde, hätte man das Problem beseitigt, dass man beim Zerlegen einer Zahl in Primfaktoren immer noch beliebig viele Einsen dazuschreiben könnte. Die 1 wäre dann ja ein Atom, das beliebig oft in einem Molekül vorhanden wäre, sozusagen ein Geisterteilchen. Nun hat man also einen guten Grund, eine Entscheidung zu treffen − die übrigens auch weltweit unter Mathematikern als Vereinbarung gilt: Die 1 soll nicht als Primzahl gelten, die Definition, auf die wir uns festlegen, lautet: Definition C: Eine Primzahl ist eine natürliche Zahl, die genau zwei natürliche Teiler hat.
Aber wieso sollten denn die Primfaktoren für eine Zahl immer dieselben sein, egal in welcher Reihenfolge man sie zerlegt? Haben wirklich alle Bäume zur Zahl 1726352 dieselben Endblätter? Vielleicht können Sie noch weiter zum Zweifeln anregt werden: Insbesondere bei großen Zahlen könnte beim Zerlegen doch ganz Unterschiedliches passieren. Mit etwas Arbeit (oder der richtigen Internetadresse1) findet man beispielsweise: 123456789 = 3⋅3⋅3607⋅3803 Aber wer sagt denn, dass es nicht auch eine andere Zerlegung gibt, z.B. 123456789 = 17⋅29⋅ … Schließlich gibt es genügend weitere Primzahlen unterhalb von 123456789. Finden Sie nicht auch, dass das gar nicht so selbstverständlich ist? Hier braucht man also eine gute Begründung, einen Beweis, der die Eindeutigkeit absichert. Den vielen konkreten Beispielen und dem Zerlegungsverfahren kann man − anders als bei der Begründung der Existenz der Primfaktorzerlegung – leider nicht ansehen, wie man die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung beweisen könnte. Die Eindeutigkeit der Zerlegung ist sogar so zentral, dass sie als „Fundamentalsatz der Arithmetik“ bezeichnet wird: Satz (F Fundamentalsatz der Arithmetik): Die Primfaktorzerlegung (PFZ) jeder Zahl n∈ത mit n>1 ist eindeutig bis auf die Reihenfolge der Faktoren.
Und dieser Satz soll nun auch bewiesen werden. Wenn er tatsächlich so evident wäre, dann müsste der Beweis ja ganz leicht von der Hand gehen. Aber weit gefehlt: Wenn Sie in der Literatur nach einfachen Beweisen für den Fundamen1
z.B. http://www.arndt-bruenner.de/mathe/scripts/primzahlen.htm
4.2
Primzahlen – Bausteine der Zahlen ⏐ 81
talsatz suchen, also solchen, die nach nur wenigen Zeilen erledigt sind, werden Sie finden, dass diese Beweise nur deswegen so kurz sind, weil sie wieder andere Sätze benötigen. Insgesamt kommt man nicht ohne eine gewisse Arbeit aus. Und das kann man auch so deuten: Die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung ist keine Selbstverständlichkeit. Es handelt sich hier um eine ganz besondere Eigenschaft der natürlichen Zahlen. Wenn Sie später noch „fremde Welten“ besuchen und dort nach der Bedeutung der Primfaktorzerlegung fragen, werden Sie das bemerken! Der nun folgende Beweis ist auch nur einer von vielen möglichen Beweisen. Er wurde so ausgewählt, dass er sich möglichst wenig auf andere Theorien und Hilfssätze stützt, man sagt, er sei „in sich geschlossen“. Wie man auf einen solchen Beweis kommt? Hier fließt die Arbeit vieler Mathematiker zusammen, die über die Jahrhunderte an Varianten und Vereinfachungen gearbeitet haben. Es ist also nicht zu erwarten, dass Sie diesen Beweis selbst mit mehr oder weniger Anleitung finden werden. Im Folgenden sollen Sie vielmehr Ihre Energie hineinstecken, den fertigen Beweis zu analysieren und in seinen einzelnen Schritten zu verstehen. Das kostet Zeit und Sie müssen vielleicht manchen Schritt mehrfach lesen, sich selbst oder Freunden erklären, bevor Sie ihn wirklich verstanden haben.
Die folgenden Kommentare, die wie diese Passage eingerückt sind, können das Verständnis des Beweises vertiefen, aber sie verlängern das Lesen auch. Vielleicht versuchen Sie zunächst einmal, nur den eigentlichen Text zu verstehen, und nehmen die Kommentare erst bei einem zweiten oder dritten Lesedurchgang hinzu.
Beweis: Wir nehmen an, die PFZ sei nicht eindeutig. Das ist der typische Anfang eines Widerspruchsbeweises (vgl. S. 60). Wenn diese Annahme zu einem Widerspruch führt, ist sie nicht haltbar, und wir müssen annehmen, dass die PFZ eindeutig ist.
Dann gibt es mindestens ein n∈Գ, für das es mindestens zwei verschiedene vollständige Zerlegungen in Primfaktoren gibt. Das Gegenteil der Aussage: „Für alle n∈Գ ist die PFZ eindeutig“, lautet „Es ist falsch, dass für alle n∈Գ die PFZ eindeutig ist“, und das ist gleichwertig mit: „Es gibt (mindestens) ein n∈Գ, für das die PFZ nicht eindeutig ist.“ Symbolisch aufgeschrieben sieht das so aus: ¬(∀n∈Գ: PFZ eindeutig) Ҫ ∃n∈Գ: ¬ (PFZ eindeutig).
Nehmen wir von diesen n∈Գ das kleinste. Es ist ein häufig bei einem Widerspruchsbeweis angewandter Trick, nicht irgendein Beispiel für die Annahme zu nehmen, sondern das kleinste Beispiel. Wenn man dann noch ein kleineres finden kann, ist die Annahme, dass es überhaupt ein Beispiel gibt, nicht haltbar.
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und schreiben zwei verschiedene vollständige PFZ von n auf: (1)
n=p1 ·p2 ·…·pk =q1 ·q2 …·qm
Wenn nun eines der p mit einem der q identisch wäre, z.B. pi = qj, dann könnte man diese Gleichung durch diese Zahl teilen und hätte zwei verschiedene PFZ für die Zahl n:pi = n:qj. Das steht im Widerspruch zur Annahme, dass n die kleinste Zahl mit zwei verschiedenen PFZ ist. Das bedeutet, keines der qi ist mit einem der pj identisch. Wir haben jetzt gezeigt, dass für die PFZ des gewählten n insbesondere gilt: p1 |n, d.h. p1 | q1⋅ q2⋅… ⋅qm , aber p1 qi für i = 1,..., m
(2)
Zur Erinnerung: Wir glauben immer noch, dass das nicht geht! Eine Primzahl, die in einer Zahl steckt, aber in keinem ihrer Primfaktoren – das sieht so aus als sei es unmöglich. Und tatsächlich findet man auch kein einfaches Beispiel. Aber wie kann man zeigen, dass es wirklich unmöglich ist? Wie kann man die jetzige Situation zum Widerspruch führen? Wir haben immer noch unser kleinstes n mit mehrdeutiger Zerlegung. Wir können versuchen, ein noch kleineres n‘ zu erstellen und damit den Widerspruch zu erzeugen.
Zu dem gefundenen kleinsten n bilden wir eine neue Zahl n’. n’ = n – p1⋅ (q2⋅ …⋅ qm)
(3)
Hier wurde offensichtlich mit den Primfaktoren pi und qj gespielt und eine neue Zahl gebildet. Die neue Zahl n’ ist kleiner als n und hat hoffentlich wieder zwei verschiedene PFZ. Wie man darauf kommt? Sicherlich nicht einfach so! An dieser Idee haben Mathematiker lange gebastelt, bis irgendwann einmal Ernst Friedrich Ferdinand Zermelo (1871–1953) auf diese Beweisidee gekommen ist.
Dabei gilt o.B.d.A., dass p1