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German Pages XXXI, 446 [468] Year 2020
Esther Henschen
In Bauspielen Mathematik entdecken Aktivitäten von Kindern mathematikdidaktisch analysieren und verstehen
In Bauspielen Mathematik entdecken
Esther Henschen
In Bauspielen Mathematik entdecken Aktivitäten von Kindern mathematikdidaktisch analysieren und verstehen
Esther Henschen Pädagogische Hochschule Ludwigsburg Ludwigsburg, Deutschland Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Pädagogik (Dr. Paed.) der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg u. d. T. Bauspielaktivitäten von Kindern aus mathematikdidaktischer Perspektive analysieren, deuten und verstehen. Erstgutachterin: Prof. Dr. Silvia Wessolowski, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg Zweitgutachterin: Prof. Dr. Elke Reichmann, Evangelische Hochschule Ludwigsburg Datum des Abschlusses der mündlichen Prüfung: 13.12.2019.
ISBN 978-3-658-31740-9 ISBN 978-3-658-31741-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31741-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Eggert Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Geleitwort
Spielsituationen mit Bauklötzen sind in fast jedem Kindergarten zu beobachten und schon Friedrich Fröbel sprach dem Spielen mit Bauklötzen ein hohes mathematisches Potenzial zu. In der mathematikdidaktischen Diskussion um frühe mathematische Bildung fand das Bauspiel jedoch bislang wenig Beachtung. Hinzu kommt, dass in zahlreichen Studien insbesondere auf die Förderung mathematischer Kompetenzen im Spiel, angeregt und begleitet durch eine Fachkraft, fokussiert wurde. Insofern fehlen Befunde zu mathematischen Erfahrungen, die Kinder beim selbst initiierten, gemeinsamen Spielen im Kindergartenalltag sammeln können. Esther Henschen setzt an dieser Forschungslücke an und richtet ihr Interesse darauf, mathematische Lernchancen im Bauspiel von Kindern aufzudecken. Dabei geht es um die folgenden Fragen: Lassen sich Bauspielaktivitäten als mathematische Aktivitäten deuten und wie lassen sich diese beschreiben? Welche mathematischen Inhalte werden in Bauspielen sichtbar? Ihr erster Zugang sind eine sorgfältige Analyse und kritische Diskussion theoretischer Darlegungen und empirischer Befunde zur Bedeutung des Bauspiels für die kindliche Entwicklung. Sie bezieht in großem Umfang sowohl deutsch- als auch englischsprachige Literatur ein und geht bis zu historischen Quellen zu Bauspielen aus dem neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zurück. Um den Zusammenhang zwischen Problemlösen und Bauspiel zu klären, nutzt sie darüber hinaus Literatur, die sich auf das Bearbeiten technischer Aufgabenstellungen bezieht. So gelingt es ihr in dieser theoretischen Auseinandersetzung, mathematische Aktivitäten bezogen auf das Bauspiel herauszuarbeiten. In überzeugender Weise wird deutlich gemacht, dass eine mathematikdidaktische Perspektive auf Bauspielaktivitäten ohne den Einbezug von Sichtweisen anderer Disziplinen nicht möglich ist.
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Den zweiten Zugang bildet die empirische Studie, deren Ziel es ist, prozessund inhaltsbezogene Kategorien zu entwickeln und mit Hilfe dieser zu zeigen, dass sich Bauspielaktivitäten in den analysierten Spielsituationen als mathematische Lernchancen deuten lassen. Die Datengrundlage sind videografierte Alltagssituationen in verschiedenen Kindertageseinrichtungen, in denen Kinder ihre gemeinsamen Bauspiele selbst initiiert haben. Bei der Analyse des umfangreichen Datenmaterials bedient sie sich der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse und nutzt dabei das Programm MAXQDA. Die Herausforderung, die überkomplexen Videodaten von Aktivitäten mehrerer Kinder im freien Spiel der Erforschung zugänglich zu machen, meistert Esther Henschen durch die kreative Weiterentwicklung des Methodenrepertoires in beeindruckender Weise. Das für diese Studie entwickelte methodische Vorgehen kann bei vergleichbaren Forschungsvorhaben sicherlich gewinnbringend angewendet werden. Wie viel Mathematik im Spiel der Kinder steckt, wird erst durch die beiden, von ihr entwickelten Kategoriensysteme zur Beschreibung von Bauspielaktivitäten deutlich. Entscheidend dafür war, die Handlungen der Kinder im Zusammenhang mit dem Gesprochenen in den Mittelpunkt der Analyse zu stellen und nicht nach Sequenzen zu suchen, in denen Kinder mit Hilfe mathematischer Begriffe und Gesetze kommunizieren, argumentieren und Probleme lösen. Esther Henschen deckt so vier für das Bauen bedeutsame Arbeitsweisen auf und stellt diese in den Zusammenhang mit mathematischen Inhalten, untergliedert in sechs verschiedene inhaltliche Aspekte. Eine besondere Stärke der Arbeit ist darin zu sehen, sich auf die Alltagssprache der Kinder eingelassen sowie ihre darin enthaltene informelle Mathematik beschrieben zu haben. Die Einsichten in das Bauspiel von Kindern aus mathematikdidaktischer Perspektive, wie sie mit der Arbeit gewonnen wurden, sind neu und aufschlussreich. Sie eröffnen die Möglichkeit, besser als bisher zu verstehen, welche mathematischen Erfahrungen Kinder in ihren Spielen machen können. Die Arbeit bereichert die mathematikdidaktische Diskussion über frühe mathematische Bildung entscheidend und gibt durch die eingenommene Perspektive wichtige Impulse, nämlich die Fähigkeiten, die spielende Kinder in ihren Handlungen und Gesprächen zeigen, als Ausgangspunkt mathematischen Lernens anzusehen. Aus den vertieften Einblicken in die Bauspielaktivitäten von Kindern können Unterstützungsmöglichkeiten sowohl für die Anregung gelingender früher mathematischer Lernprozesse als auch für das Weiterlernen in der Schule abgeleitet werden. Wir wünschen dieser Arbeit, dass sie weitere Forschungsarbeiten in der Mathematikdidaktik anregt und auch ihren Niederschlag in der Aus- und Weiterbildung
Geleitwort
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von Fachkräften im Bereich der frühen Bildung sowie von Grundschullehrkräften findet. Ludwigsburg im Juli 2020
Silvia Wessolowski Elke Reichmann
Danke
Den Kindern, Kitas und Studierenden, die mir Einblicke in Bauspielaktivitäten gewährt und so diese Arbeit erst ermöglicht haben. Meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem IMI, die mich von der einen oder anderen Aufgabe entlastet haben, damit mehr Zeit zum Schreiben blieb. Allen Kolleginnen und Kollegen, die sich Zeit genommen haben, mein Promotionsprojekt durch Diskussionen zu begleiten und zu fundieren, im Rahmen kleiner Forschungswerkstätten an der PH Ludwigsburg (Martina Teschner, Jasmin Sprenger, Birgit Gysin u. a.), aber auch beim hochschulübergreifenden Doktorandenkolloquium (Ludwigsburg, Freiburg, Landau, Weingarten, Kassel). Den Kolleginnen und Kollegen aus dem Studiengang Frühkindliche Bildung und Erziehung, die durch ihr Interesse und ihre Neugier meine Arbeit bereichert und vorangebracht haben. Birgit Brandt, die mich während der ICME in Hamburg unterstützt und sich Zeit für einen Austausch über meine Datenauswertung genommen hat. Gerald Wittmann für die Rückmeldungen und Unterstützung bei diversen Vorträgen. Birgit Gysin, die ich immer mit meinen Fragen zum Doktoranden-Dasein behelligen konnte. Martina Teschner für alles. Das kann ich hier unmöglich im Detail aufzählen. Elke Reichmann für die interessierte und umsichtige Betreuung meiner Arbeit. Silvia Wessolowski für die vielen gemeinsamen Stunden geduldigen und gründlichen Arbeitens an meinen Ideen, meinen Daten und meinen Texten. Ich habe mich hervorragend betreut gefühlt. Meiner Familie, die mir die Kraft und die Zeit gegeben hat, diese Aufgabe zu meistern.
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Einleitung
Dem Spiel mit Bauklötzen wird schon durch Friedrich Fröbel (1851/1967, 1838/1982b) ein hohes mathematisches Potenzial zugesprochen und es dürfte wohl kaum einen Kindergarten geben, in dem keine Bauspielmaterialien für die Kinder zur Verfügung stehen oder sich keine Bauspiele beobachten lassen. Obwohl verschiedene Befunde zeigen, dass Kinder eine Menge mathematischer Fähigkeiten bereits vor Schuleintritt erworben haben (vgl. Ertle et al. 2008; Sarama und Clements 2009), und angenommen wird, dass Spiele und Spielen eine besondere Bedeutung für die frühe mathematische Bildung haben (vgl. z. B. Benz et al. 2015; Benz et al. 2017; Kaufmann 2011; Lorenz 2016; Schuler 2013), gibt es bislang kaum Forschungen, die sich der Frage widmen, wie für die mathematische Entwicklung relevante Erfahrungen1 im alltäglichen und gemeinsamen Spiel von Kindern sichtbar werden. Die genannten Veröffentlichungen beziehen sich überwiegend darauf, wie Fachkräfte Materialien, Settings und Spiele, die für Vorschulkinder passend erscheinen, für eine mathematische Förderung der Kinder nutzen können. Benz et al. (2015, 60) erkennen hier ein Spannungsfeld zwischen dem Anspruch einer Förderung mathematischer Kompetenzen, die zielgerichtet auf das Mathematiklernen in der Schule vorbereiten soll, und mathematisch reichhaltigen Spiel- und Alltagssituationen, die das Lern- und Erfahrungsfeld junger Kinder prägen. Wenn in der Dissertation der Blick auf Bauspielinteraktionen zwischen Kindern gerichtet wird, bedeutet das nicht, dass davon ausgegangen wird, die Förderung durch Fachkräfte spiele keine Rolle für die frühe mathematische Bildung. Vielmehr geht es mir darum die mathematischen Erfahrungen, die im Spiel 1 Im
weiteren Verlauf der Arbeit wird, um die Lesbarkeit zu erhöhen, dafür der Ausdruck mathematische Erfahrungen verwendet.
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der Kinder erkennbar sind, in den Fokus mathematikdidaktischer Forschung zu rücken und so einen Beitrag zur Auflösung des oben genannten Spannungsfeldes zu leisten. In diesem Zusammenhang könnte man auch die Aussage von Ertle et al. (2008) als Auftrag zur Klärung verstehen, die konstatieren, dass es sowohl eine Überforderung für Fachkräfte darstellt, zu erkennen, was das hinter dem Spiel liegende mathematische Thema ist, als auch zu wissen, was zur Unterstützung der Kinder zu tun wäre. Spiele(n) von Kindern zum Gegenstand mathematikdidaktischer Forschung zu machen und damit zunächst aus einer wissenschaftlichen Perspektive zu klären, welche mathematischen Erfahrungen erkennbar sind und wie diese gefunden sowie beschrieben werden können, sehe ich als eine Voraussetzung dafür an, dass geeignete Orientierungshilfen für Fachkräfte entwickelt werden können. Auch für das Mathematiklernen in der Schule dürfte es interessant sein, zu wissen, an welche Erfahrungen aus dem Spiel von Kindern Mathematikunterricht im Sinne eines Weiterlernens anknüpfen kann. In meinem Promotionsprojekt habe ich mich dem Thema Bauspielaktivitäten von Kindern aus ganz verschiedenen Richtungen angenähert. Dabei kann man sich die Kapitel meiner Arbeit als Orte auf einer Landkarte vorstellen, zwischen denen im Laufe des Promotionsprojektes viele verschiedene Wege zurückgelegt wurden. Die für die Dissertationsschrift gewählte „Reiseroute“ soll es ermöglichen, die Besonderheiten der einzelnen „Orte“ zu sehen und die Zusammenhänge zwischen den „Orten“ zu verstehen. Die grafische Darstellung dieser Landkarte in Abbildung 1 gibt einen Gesamtüberblick über die Kapitel der Arbeit, ohne dabei jedes Teilkapitel aufzuführen. In Kapitel 1 wird ausgeführt, welche Schwerpunktsetzungen und Gemeinsamkeiten sich in mathematikdidaktischen Veröffentlichungen zur frühen mathematischen Bildung zeigen. Während in Abschnitt 1.1 in den Blick genommen wird, welche Bedeutung dem Spiel(en) für die frühe mathematische Bildung beigemessen wird, folgen in den Abschnitten 1.2 und 1.3 zwei verschiedene Sichtweisen auf Mathematik, die mit einer Darstellung von übergeordneten mathematischen Denkweisen beziehungsweise Prozessen und des mathematischen Inhaltsbereichs2
2 Wenn in der Dissertationsschrift der Ausdruck Inhaltsbereich oder mathematischer Inhaltsbereich verwendet wird, geht das zurück auf die fünf mathematischen Inhaltsbereiche, die sowohl in den Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Primarbereich (KMK 2004) wie auch in verschiedenen Veröffentlichungen zur frühen mathematischen Bildung zu finden sind, allerdings mit unterschiedlichen Benennungen. Für die vorliegende Arbeit werden folgende Bezeichnungen und Schreibweisen für die fünf Inhaltsbereiche verwendet: Zahlen & Operationen, Muster & Strukturen, Raum & Form, Größen & Messen sowie Datenanalyse & Wahrscheinlichkeit.
Einleitung
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Abbildung 1 Landkarte – Gliederung
Muster & Strukturen einhergehen. Der Überlegung, ob es übergeordnete mathematische Prozesse und Inhalte gibt, die bereits in der frühen mathematischen Bildung angebahnt werden, und wie diese beschrieben werden können, kommt für meine Arbeit eine besondere Bedeutung zu. Abschnitt 1.4 befasst sich schließlich mit dem mathematischen Inhaltsbereich Raum & Form, der das Bauen als einen Inhaltsaspekt ausweist und bei dem deshalb eine besondere Relevanz für die Auseinandersetzung mit Bauspielaktivitäten von Kindern angenommen wird. Nachdem in Kapitel 1 deutlich gemacht wird, dass ein umfassendes Verstehen des Spielens von Kindern eine wichtige Voraussetzung für das mathematikdidaktische Verständnis desselben ist, widme ich mich in Kapitel 2 ausführlich dem Bauspiel. Dafür werden in Abschnitt 2.1 das Bauspiel unddie kindliche Entwicklung, angefangen von Fröbel, über entwicklungspsychologische Perspektiven der 1930er Jahre und Handreichungen zum Bauspiel aus den 1950er bis 1970er Jahren bis hin zu aktuelleren Ausführungen aus dem Feld der Pädagogik und der Psychologie in den Blick genommen. Welche Verbindungen zwischen Bauspielen und Mathematik(didaktik) sich darin und darüber hinaus
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erkennen lassen, ist Gegenstand von Abschnitt 2.2. Dabei wird auch der Forschungsstand zu Bauspielen und Mathematik dargestellt. Als Ergebnis dieser Ausführungen haben sich die Begriffe Locating3 , Counting/Zahlbetrachtungen und Measuring/Größenbetrachtungen herauskristallisiert, anhand derer sich die mathematischen Aktivitäten, die Bauspielen zugeschrieben werden, zusammenfassen lassen. Auf welche Weise und unter welchen Forschungsfragen in meiner Studie die Bauspielaktivitäten von Kindern analysiert wurden, wird in Kapitel 3 offengelegt. Zunächst stelle ich in Abschnitt 3.1 mein methodisches Vorgehen in den Zusammenhang mit anderen Studien aus dem Feld der Mathematikdidaktik und der frühen mathematischen Bildung, in denen Aktivitäten von Kindern untersucht wurden. In Abschnitt 3.2 erfolgt eine Auseinandersetzung mit Videographie als Methode für die Datenerhebung und es wird aufgezeigt, was die Datenerhebung in der vorliegenden Studie kennzeichnete. Die inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse4 bildete den Rahmen für die Datenauswertung und die Entwicklung von Kategorien, wie in Abschnitt 3.3 dargelegt wird. Den konkreten Ablauf meiner Datenaufbereitung und Datenauswertung habe ich dabei in einem Ablaufmodell veranschaulicht und entlang dieses Ablaufmodells beschrieben. In Kapitel 4 werden die Ergebnisse, die anhand des in Abschnitt 3.3 erläuterten Auswertungsprozesses gewonnen wurden, dargestellt und gedeutet. Genau wie bei der Kategorienentwicklung Inhalte und Prozesse als zwei Ebenen behandelt wurden, werden auch in Kapitel 4 in jeweils eigenen Teilkapiteln die Ergebnisse dazu beschrieben. In Abschnitt 4.1 wird anhand der Analyse von Sequenzen, die den Kategorien auf Inhaltsebene zugeordnet sind, verdeutlicht, welche Bandbreite an sprachlichen Ausdrücken, Handlungen und Gesten der Kinder sich hinsichtlich dieser Kategorien beobachten lassen und es wird beschrieben, zu welchen mathematischen Inhalten Verbindungen gesehen werden. In Abschnitt 4.2. wird dargestellt wie die Kinderäußerungen, die den prozessbezogenen Kategorien zugeordnet sind, charakterisiert werden können und welche Zusammenhänge mit bestimmten inhaltsbezogenen Kategorien zu erkennen sind. Die zentralen Ergebnisse meiner Arbeit sind in Kapitel 5 zusammengefasst und mögliche Konsequenzen daraus dargestellt. Während in Abschnitt 5.1 die Forschungsfragen beantwortet und in Beziehung zu den theoretischen Grundlagen der Arbeit gesetzt werden, widme ich mich in Abschnitt 5.2 möglichen Konsequenzen 3 Locating,Counting
und Measuring sind Ausdrücke, die Brandt (2017) in Anlehnung an Bishop (1988) verwendet (vgl. Abschnitt 2.2.3.4). 4 Bei der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse handelt es sich um eine der drei von Kuckartz (2014) beschriebenen Basismethoden qualitativer Inhaltsanalysen.
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für die Praxis. Anhand ausgewählter Falldarstellungen verdeutliche ich dort, welche mathematischen Lernchancen ich in Bauspielen sehe. In Abschnitt 5.3 werden Schlussfolgerungen für das Mathematiklernen im Kindergarten und am Übergang zur Schule genannt und weitere Forschungsperspektiven aufgezeigt. Schließlich ziehe ich in Abschnitt 5.4 ein Fazit. So wie im Fazit die während ihrer Bauspielaktivitäten beobachteten Kinder das letzte Wort haben, möchte ich auch hier die Äußerung eines Kindes, zu seinem Bauspiel an den Anfang der „Reise“ zur Erforschung der Bauspielaktivitäten stellen (Abbildung 2):
Abbildung 2 Szene aus dem Bauspiel – spielen oder bauen?
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Teil I
Theoretische Grundlegung
1 Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen im Vorschulalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Bedeutung von Spiel(en) für die frühe mathematische Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Bildungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Mathematikdidaktischer Diskurs zu Lernen und Spielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Forschungsbefunde zum Zusammenhang von Spielen und Mathematiklernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Schlussfolgerungen zu Mathematiklernen im Spiel . . . . . . 1.2 Mathematik als Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Prozessorientierte Sichtweise in der frühen mathematischen Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Beschreibung prozessbezogener mathematischer Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Mathematik als Wissenschaft von den Mustern . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Der Musterbegriff in der Mathematikdidaktik . . . . . . . . . . 1.3.2 Muster und Mathematiklernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2.1 Bedeutung von Mustern für die mathematische Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2.2 Muster- und Strukturfähigkeiten – Erkenntnisse zu deren Entwicklung . . . . . . . . . . . 1.3.3 Muster als mathematisches Lernfeld für Vorschulkinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 8 8 11 15 17 20 20 23 30 30 33 33 35 39
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1.3.3.1 Muster & Strukturen – ein Bereich für die frühe mathematische Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3.2 Musterbezogene Aktivitäten – Strukturieren, Seriieren, Klassifizieren . . . . . . . . 1.4 Der Inhaltsbereich Raum & Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Systematiken zum Inhaltsbereich Raum & Form . . . . . . . . 1.4.2 Geometrische Fähigkeiten von Kindern – Erkenntnisse zur Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2.1 Entwicklung räumlicher Fähigkeiten . . . . . . . . . . 1.4.2.2 Entwicklung geometrischer Begriffe . . . . . . . . . . 1.4.3 Geometrische Aktivitäten im Kindergarten . . . . . . . . . . . . . 1.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Bauspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Bauspiel und kindliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 1840er Jahre: Fröbel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.1 Die Spielgaben und das Bauen . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.2 Einsichten Fröbels zur kindlichen Entwicklung von Spiel und Bauen . . . . . . . . . . . . 2.1.2 1930er Jahre: Entwicklungspsychologische Perspektive auf das Bauen des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.1 Bauen als Konstruktions- oder Herstellspiel . . . . 2.1.2.2 Erkenntnisse zur Entwicklung des kindlichen Bauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.3 Folgerungen zur Unterstützung des kindlichen Bauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 1950er bis 1970er Jahre: Handreichungen zum Bauen mit Holzbauklötzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.1 Das Bauen als Gelegenheit zum Erlernen von Bauweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.2 Das Bauen als kindliches Gestalten und Ausdruck des Erlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3.3 Bauen als Lernfeld in der Vorschulerziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Aktuelle Positionen: Bauspiel als vielfältiges Spielgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4.1 Zum Verständnis und zur Einordnung von Bauspiel als Kinderspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 42 46 46 60 60 70 80 85 89 89 90 90 104 105 106 107 116 117 118 123 125 131 132
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2.1.4.2 Die Bauspiele: Formen, Entwicklung und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4.3 „Exploring Learning – Young Children and Blockplay“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Schlussfolgerungen zum Begriff und zur Entwicklung von Bauspielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Bauspiele und Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Förderung und Entwicklung mathematischer Fähigkeiten durch Bauspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Mathematische Aktivitäten in Bauspielen . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.1 Zum Begriff mathematische Aktivität . . . . . . . . . . 2.2.2.2 Problemlösen und Bauspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.3 Muster & Strukturen und Bauspiele . . . . . . . . . . . 2.2.2.4 Sprache und Kommunikation und Bauspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.5 Bauspielaktivitäten als mathematikbezogene Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Mathematische Inhalte im Bauspiel von Kindern . . . . . . . 2.2.3.1 Fröbels Spielgaben 3–5 (Fröbel; Uhl und Stoevesandt 1961/1991) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.2 Young Children Doing Mathematics (Ginsburg et al. 2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.3 Geometrisches Handeln von Kindern (Vogel 2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.4 Spiel-Räume der Partizipation (Brandt 2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.5 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil II
XIX
144 151 172 178 179 186 186 189 198 200 204 205 206 211 216 219 223 225
Empirische Studie
3 Bauspielaktivitäten analysieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Forschungsdesign – Anknüpfungspunkte und Einordnung . . . . . . 3.2 Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Videografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Rahmenbedingungen für die Datenerhebung im Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Übersicht über das Datenmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
229 230 236 236 238 239 241
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3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Einheiten, Ablaufmodell und MAXQDA . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.1 Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.2 Ablaufmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1.3 Verwendung von MAXQDA . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Datenaufbereitung und Auswahl von Daten . . . . . . . . . . . . 3.3.2.1 Überblicksblätter (A) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.2 Entwicklung von Sequenzierungskategorien (B) . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.3 Anwenden der Sequenzierungskategorien (C) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.4 Erkennen und Festlegen inhaltsreicher Sequenzen (D) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.5 Transkriptionen (E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Kategorienbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.1 Kategorienentwicklung – Prozessebene (F/G/H) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.2 Kategorienentwicklung – Inhaltsebene (F/G/H) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Anwendung des Kategoriensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4.1 Kategoriensystem ordnen und fixieren (G/H) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4.2 Codieren der Videos (I/J) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Überlegungen zur Darstellung und Interpretation der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive deuten und verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die Kategorie falschrum-richtigrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.1 Lokalisierung eines Objektes . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.2 Orientierung eines Objektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.3 Richtung einer Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.4 Ansicht eines Objektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Die Kategorie offen-geschlossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.1 Durchgänge und Begrenzungen . . . . . . . . . . . . . .
243 248 248 250 251 253 254 255 259 262 264 269 269 273 278 279 282 285 288 291 291 292 294 298 302 307 309 311 313
Inhaltsverzeichnis
XXI
4.1.2.2 Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Die Kategorie schräg-gerade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.1 Objektbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.2 Eigenschaftsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.3 Relationsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Die Kategorie befestigt-unbefestigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4.1 Stabilität und Bautechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4.2 Drehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Die Kategorie groß-klein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5.1 Zusammenfassen/Unterscheiden nach der Größe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5.2 Größenvergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.6 Die Kategorie gleich-ungleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Konstruieren/Aufbauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Evaluieren/Betiteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Entwerfen/Adaptieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Herstellen/Checken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
315 319 320 322 328 330 337 338 340 349 353 355
5 Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Mathematische Inhalte und Arbeitsweisen in Bauspielen . . . . . . . 5.2 Konsequenzen für die Praxis – mathematische Lernchancen in Bauspielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Mathematisch reichhaltige Bauspiele erkennen . . . . . . . . . 5.2.2 Mathematisch reichhaltige Bauspiele unterstützen . . . . . . . 5.3 Konsequenzen für die Mathematikdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Mathematisches Lernen im Kindergarten und am Übergang zur Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Weiterführende Forschungsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
401 402
356 360 366 368 373 376 381 389 395
415 415 421 425 425 427 429
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
433
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
435
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1.1 Abbildung 1.2 Abbildung 2.1 Abbildung 2.2 Abbildung 2.3 Abbildung 2.4 Abbildung 2.5 Abbildung 2.6 Abbildung 2.7
Abbildung 2.8 Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
2.9 2.10 2.11 2.12 2.13 2.14
Vergleich von Systematiken zum Inhaltsbereich Raum & Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Räumliche Fähigkeiten (Franke und Reinhold 2016, 85) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht zu Fröbels Spielgaben (eigene Fotos) . . . . . . Auszug aus „EINHUNDERT LEBENSFORMEN“ (Fröbel 1851/1967, 101) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebensformen (Blochmann et al. 1967, 114) . . . . . . . . . Auszug aus der „Übersichtstafel zu den Schönheitsformen“ (Blochmann et al. 1967) . . . . . . . . . Abbildung zu Erkenntnisformen (Blochmann et al. 1967, 113) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebensformen zur vierten Spielgabe (Fröbel 1838/1982) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fünfte Spielgabe – links Erkenntnisformen, rechts ein Dorf als Beispiel für Lebensform (Fröbel 1838/1982) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schönheitsformen zur fünften Spielgabe (Fröbel 1838/1982) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Backsteinbaukasten (Uhl 1961/1991, 16) . . . . . . . . . . . . Rundbau (eigenes Foto) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modell von Heckhausen (Oerter 1993, 6) . . . . . . . . . . . Set of unit blocks (Gura 1992, 51) . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundformen des Bauens (Gura 1992, 54) . . . . . . . . . . Bauwerke aus besonderen Bauklötzen (Bruce et al. 1992c, 76 u. 82) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47 62 91 93 93 95 96 99
102 103 120 127 133 160 162 166
XXIII
XXIV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2.15 Abbildung 2.16 Abbildung 2.17 Abbildung 2.18 Abbildung 2.19 Abbildung 2.20 Abbildung 3.1 Abbildung 3.2 Abbildung 3.3 Abbildung 3.4 Abbildung 3.5 Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12 3.13 3.14 3.15 3.16 3.17 3.18 3.19 3.20 4.1 4.2 4.3 4.4
Abbildung 4.5 Abbildung 4.6
Lösungen für Überbrückungsproblem (Bruce et al. 1992d, 121 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemlöseprozess (Bruce et al. 1992d, 124) . . . . . . . . Heuristisches Modell (Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell, 1999, S. 68) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauklotzarrangements (Bruce et al. 1992c, 81) . . . . . . . Franciscos Bauen (Ginsburg et al. 2004, 94 f.) . . . . . . . Abbildungen zur Maps-Situation (Beck und Vogel 2017, 18 ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablaufmodell der Inhaltsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auszug aus einem Überblicksblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . Codierung eines Videoabschnittes mit den Sequenzierungskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Codeline mit den Sequenzierungskategorien zu dem selben Video . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentenportrait – Kategorie „Kommunikation über das Bauspiel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auszug aus der Transkription . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel für die Kategorie Herstellen/Checken . . . . . . . Beispiel für die Kategorie Entwerfen/Adaptieren . . . . . Beispiele für die Kategorie Evaluieren/Betiteln . . . . . . . Beispiele für die Kategorie Konstruieren/Aufbauen . . . Beispiele für die Kategorie groß-klein . . . . . . . . . . . . . . Beispiel für die Kategorie falschrum-richtigrum . . . . . . Beispiele für die Kategorie schräg-gerade . . . . . . . . . . . Beispiel für die Kategorie gleich-ungleich . . . . . . . . . . . Beispiele für die Kategorie befestigt-unbefestigt . . . . . . Beispiel für die Kategorie offen-geschlossen . . . . . . . . . Indikatoren für die Kategorien (Prozessebene) . . . . . . . Zwei Varianten des Kategoriensystems . . . . . . . . . . . . . Flussdiagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auszug aus dem Flussdiagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umfang der inhaltsbezogenen Kategorien . . . . . . . . . . . Struktur der Kategorie falschrum-richtigrum . . . . . . . . . Bauwerk Gitterstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geometrische Begriffe (Franke und Reinhold 2016, 126) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modell zu Prozessen im Bauspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . Häufigkeiten der Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
193 195 197 198 215 220 251 255 261 261 263 267 270 271 272 273 274 275 276 276 277 278 280 282 284 286 291 294 297 321 374 375
Abbildungsverzeichnis
XXV
Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
376 383 390 397 403
4.7 4.8 4.9 4.10 5.1 5.2
Abbildung 5.3 Abbildung 5.4 Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
5.5 5.6 5.7 5.8 5.9 5.10
Die Kategorie Konstruieren/Aufbauen . . . . . . . . . . . . . . Die Kategorie Evaluieren/Betiteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kategorie Entwerfen/Adaptieren . . . . . . . . . . . . . . . Die Kategorie Herstellen/Checken . . . . . . . . . . . . . . . . . Übergeordnete Arbeitsweisen bei Bauspielen . . . . . . . . Mathematische Inhalte von falschrum-richtigrum und schräg-gerade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mathematische Inhalte von groß - klein und gleich - ungleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mathematische Inhalte von offen-geschlossen und befestigt - unbefestigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauspielphase „Maislabyrinth“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauspielphase „Wasserwelt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauspielphase „Leiter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauspielphase „Dach“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Landkarte mit Wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussszene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
407 409 411 416 417 419 420 429 431
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1.1
Tabelle 1.2 Tabelle 1.3 Tabelle 1.4 Tabelle 1.5 Tabelle 1.6 Tabelle 2.1 Tabelle 2.2 Tabelle 2.3 Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
2.4 3.1 3.2 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6
Verben aus Beschreibungen zu mathematischer Bildung in den Bildungsempfehlungen (selbsterstellte Liste) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenhang zwischen Strukturdeutungen und Musterdeutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilbereiche von Raum & Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekte von Raum und von Form (vgl. Clements und Sarama 2009, 107–187) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Räumliche Fähigkeiten (vgl. Benz et al. 2015, 172– 175) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Level 1 und 2 (Battista 2007, 851) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundkomponenten von Handlung im kindlichen Spielverhalten nach Oerter (1993, 185) . . . . . . . . . . . . . . . . Für die Beobachtung genutzte Kategoriensysteme (vgl. Kontos et al. 2002) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definitions and examples of peer communication (Ramani et al. 2014, 330) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mathematische Inhalte im Bauspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die Videodaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht Sequenzierungskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematik zur Kategorie falschrum – richtigrum . . . . . . . . Systematik zur Kategorie offen – geschlossen . . . . . . . . . . Systematik zur Kategorie schräg – gerade . . . . . . . . . . . . . . Systematik zur Kategorie befestigt – unbefestigt . . . . . . . . Systematik zur Kategorie groß – klein . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematik zur Kategorie gleich-ungleich . . . . . . . . . . . . . .
22 38 52 56 61 75 134 141 202 224 241 258 310 319 339 353 367 369
XXVII
XXVIII
Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
Tabellenverzeichnis
4.7 4.8 4.9 4.10 5.1
Tabelle 5.2 Tabelle 5.3
Systematik zum Prozess Konstruieren/aufbauen . . . . . . . . . Systematik zum Prozess Evaluieren/Betiteln . . . . . . . . . . . . Systematik zum Prozess Entwerfen/Adaptieren . . . . . . . . . Systematik zum Prozess Herstellen/Checken . . . . . . . . . . . . Übergeordnete Arbeitsweisen bei Bauspielen im Vergleich mit Teilprozessen des Problemlösens . . . . . . . . . Übergeordnete Arbeitsweisen bei Bauspielen – Vergleich mit Bauverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessbezogene Kompetenzen und Arbeitsweisen im Bauspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
382 388 395 400 404 405 414
Verzeichnis der Transkriptauszüge
Transkriptauszüge Transkriptauszüge Transkriptauszüge Transkriptauszüge Transkriptauszüge
3.3.4 4.1.1 4.1.1 4.1.1 4.1.1
Transkriptauszüge 4.1.1 Transkriptauszüge 4.1.1 Transkriptauszüge 4.1.1 Transkriptauszüge 4.1.1 Transkriptauszüge 4.1.1 Transkriptauszüge 4.1.1 Transkriptauszüge 4.1.2 Transkriptauszüge 4.1.2 Transkriptauszüge 4.1.2 Transkriptauszüge 4.1.2 Transkriptauszüge 4.1.2 Transkriptauszüge 4.1.3 Transkriptauszüge 4.1.3
A: Beispiel für Kategorienanwendung . . . . . . . A: Lokalisieren eines Objektes . . . . . . . . . . . . . B: Lokalisieren eines Objektes – rein . . . . . . . . C: Orientierung eines Objektes . . . . . . . . . . . . . D: Orientierung eines Objektes – Richtung einer Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . E: Richtung einer Bewegung – Wegverlauf . . . F: Richtung einer Bewegung – hoch und runter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G: Richtung einer Bewegung – zweidimensionale Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . H: Richtung einer Bewegung – nach Innen/von Innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I: Ansicht eines Objektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . J: Ansicht eines Objektes – Rückseite . . . . . . . A: Szene zu Durchgänge und Begrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B: Durchgänge und Begrenzungen – raus/rein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C: Durchgänge und Begrenzungen – unspezifische Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D: Verbindungen „(r)einbauen“ . . . . . . . . . . . . . E: Verbindungen – Funktion und Bauweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A: Formen von Dingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B: Formen in Dingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
284 294 296 299 301 302 304 305 306 308 309 313 314 315 316 317 322 324
XXIX
XXX
Verzeichnis der Transkriptauszüge
Transkriptauszüge 4.1.3 Transkriptauszüge 4.1.3 Transkriptauszüge 4.1.3 Transkriptauszüge Transkriptauszüge Transkriptauszüge Transkriptauszüge
4.1.3 4.1.3 4.1.3 4.1.3
Transkriptauszüge 4.1.4 Transkriptauszüge 4.1.4 Transkriptauszüge 4.1.4 Transkriptauszüge 4.1.4 Transkriptauszüge Transkriptauszüge Transkriptauszüge Transkriptauszüge Transkriptauszüge
4.1.4 4.1.4 4.1.4 4.1.4 4.1.5
Transkriptauszüge 4.1.5 Transkriptauszüge 4.1.5 Transkriptauszüge 4.1.5 Transkriptauszüge 4.1.5 Transkriptauszüge 4.1.5 Transkriptauszüge 4.1.5 Transkriptauszüge 4.1.5 Transkriptauszüge 4.1.5 Transkriptauszüge 4.1.6 Transkriptauszüge 4.1.6
C: Vierecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D: Kurve und Bogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E: Eigenschaftsbegriffe – auseinandergebogen und rund . . . . . . . . . . . . . . F: Eigenschaftsbegriffe – Dachform . . . . . . . . . G: Relationsbegriff – senkrecht zu . . . . . . . . . . H: Relationsbegriff – parallel zu . . . . . . . . . . . . I: Relationsbegriffe – diagonal zu/ im spitzen Winkel zu/ schräg zu . . . . . . . . . . . . . . . A: Stabilität beim Bauen mit Holzbauklötzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B: Bautechnik beim Bauen mit Holzbauklötzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C: Stabilität beim Bauen mit SEVA-Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D: Die Bautechnik beim Bauen mit SEVA-Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E: Bautechnik – Verlängern . . . . . . . . . . . . . . . . F: Räder an Fahrzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G: Befestigung und Drehbarkeit . . . . . . . . . . . . H: Drehbarkeit und Drehsymmetrie . . . . . . . . . A: Sortieren und Klassifizieren nach Länge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B: Zusammenfassen und Unterscheiden von Objekten nach ihrer Größe . . . . . . . . . . . . . C: Größenbezeichnungen als Hinweis auf die Form von Objekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D: Größenbezeichnungen als Merkmale von Bauwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E: Die Leiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F: Direkter Größenvergleich durch Aneinanderhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G: Vergleich mit eigener Körpergröße . . . . . . . H: Vergleich durch Abzählen bestimmter Bauelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I: Vergleich mit eigenen Größenvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A: Vergleichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B: Seriieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
325 327 328 329 332 333 335 341 343 344 346 348 349 350 352 356 357 359 359 361 362 363 364 365 370 372
Verzeichnis der Transkriptauszüge
XXXI
Transkriptauszüge 4.2.1 Transkriptauszüge 4.2.1 Transkriptauszüge 4.2.1
377 378
Transkriptauszüge 4.2.1 Transkriptauszüge 4.2.1 Transkriptauszüge 4.2.2 Transkriptauszüge 4.2.2 Transkriptauszüge 4.2.2 Transkriptauszüge 4.2.2 Transkriptauszüge Transkriptauszüge Transkriptauszüge Transkriptauszüge Transkriptauszüge
4.2.2 4.2.3 4.2.3 4.2.3 4.2.3
Transkriptauszüge 4.2.3 Transkriptauszüge 4.2.4 Transkriptauszüge 4.2.4 Transkriptauszüge 4.2.4
A: Welche Teile? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B: Wo und wie anbauen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . C: Wie anbauen? (Kategorie schräg-gerade) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D: Kommentierung der Bautätigkeit (mehrere Inhalte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E: Begründung für Bauaktivität (mehrere Inhalte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A: Eigenschaften oder Aussehen eines Bauwerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B: Funktion eines Bauwerks . . . . . . . . . . . . . . . C: Aussehen oder Eigenschaften und Funktion eines Objektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D: Kategorie Evaluieren/Betiteln oder Konstruieren/Aufbauen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E: Fantasie- und Rollenspiel . . . . . . . . . . . . . . . A: Was und wo wird etwas gebaut? . . . . . . . . . B: Beispiel zu falschrum-richtigrum . . . . . . . . . C: Wie wird gebaut und warum so (nicht)? . . . D: Verbindung mit Fantasie- und Rollenspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E: Was, wie, wo und zu welchem Zweck? . . . . A: Herstellen/Checken oder Konstruieren/Aufbauen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B: Herstellen eines Bauobjektes . . . . . . . . . . . . C: Herstellen und Checken eines Bauobjektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
379 380 380 384 385 385 386 387 390 391 392 393 393 396 398 399
Teil I Theoretische Grundlegung
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen im Vorschulalter
Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Entwicklung mathematischer Fähigkeiten schon lange vor dem Schuleintritt beginnt und dass es auch Aufgabe von Kindertageseinrichtungen ist, deren Weiterentwicklung zu ermöglichen. Wie mathematische Bildung im Vorschulalter am besten unterstützt werden sollte und was zu lernen sei, sind dabei zwei zentrale Diskussionspunkte. Für die vorliegende Arbeit sind dabei Erkenntnisse zum Verhältnis von Spielen und Lernen von besonderem Interesse. Dazu berichtet beispielsweise Hauser (2015a) über eine seit etwa 15 Jahren weltweit sichtbare Tendenz, das Lernen im Kindergarten schulnaher zu gestalten. Als Beispiel führt er einerseits bezugnehmend auf eine Veröffentlichung von Fisher, Hirsh-Pasek, Golinkoff, Singer und Berk aus dem Jahr 2011 an, dass Kinder von Ganztageseinrichtungen in Los Angeles und New York etwa drei bis vier Stunden täglich mit instruktionalem Unterricht und Testvorbereitung in Sprache und Mathematik verbringen, hingegen nur eine halbe Stunde mit Freispiel. An Beispielen wie dem „Würzburger Trainingsprogramm“ von Küspert & Schneider für die frühe Schriftsprachförderung, „Faustlos“ von Cierpka für Gewaltprävention und beispielsweise „Komm mit ins Zahlenland“ von Friedrich et al. sowie „Mengen, Zählen, Zahlen“ von Krajewski et al. für mathematische Förderung wird andererseits verdeutlicht, dass auch in deutschsprachigen Kindergärten stark instruktionale Methoden Einzug gehalten haben (vgl. Hauser 2015a, 30). Hauser (2015a) erkennt an, dass eine gezielte Förderung von schulrelevanten Kompetenzen im Kindergarten notwendig ist, sieht aber die „didaktische Verschulung“ und die damit einhergehende Reduktion des Spiels kritisch. Schuler (2013) hat eine Reihe von Materialien zur mathematischen Förderung aus dem deutschsprachigen Raum analysiert. Dabei fasst sie unter anderem die oben genannten zu einem Ansatz zusammen, den sie als Lehrgänge und Förderprogramme bezeichnet. Andere Materialien ordnet sie als punktuell einsetzbare Materialien oder als integrative Ansätze ein, Letztere fügen sich Schuler © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Henschen, In Bauspielen Mathematik entdecken, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31741-6_1
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(2013, 83) zufolge in kindergartenspezifische Organisationsformen wie das Freispiel und offene Angebote ein. Aus dem Vorhandensein von Programmen und Materialien für mathematische Frühförderung lässt sich noch nicht auf deren Verbreitung und Anwendung in Kindertageseinrichtungen schließen. Tatsächlich sind mir für den deutschsprachigen Raum bislang keine Studien bekannt, die das untersucht haben. Es liegen aber durchaus Studien vor, die hinsichtlich einzelner für die Praxis entwickelter Programme bzw. Lehrgänge deren Wirksamkeit – im Sinne einer Verbesserung der mathematischen Fähigkeiten von Kindern – belegen sollen (z. B. Pauen et al. 2009, Krajewski 2008). Obwohl es also verschiedene Programme für mathematische Frühförderung gibt, die einen instruktionalen Charakter haben, sowie einige Belege für deren Nutzen, scheint diese Ausrichtung frühkindlichen Lernens zumindest politisch nicht gewollt zu sein, wie eine Analyse der Rahmen-, Orientierungs- und Bildungspläne bzw. Bildungsempfehlungen der Bundesländer1 für den Vorschulbereich zeigt. In Abschnitt 1.1.1 ist deshalb ausgehend von mathematikdidaktischen Ausführungen zu den Bildungsempfehlungen dargestellt, welche Verbindung von Spielen und Lernen gesehen wird und welche Bedeutung demnach das Spiel(en) für mathematisches Lernen hat. Dabei zeigt sich die Auffassung, dass das Lernen kindspezifisch und eigenaktiv im Spiel erfolgen soll, wobei es auf eine bestimmte Weise durch die Fachkraft gesteuert werden muss oder kann. Auch die für die Praxis vorliegenden und in den einschlägigen mathematikdidaktischen Beiträgen der letzten Jahre beschriebenen Konzepte früher mathematischer Förderung teilen auf den ersten Blick diese Sichtweise. In Abschnitt 1.1.2 ist deshalb dargelegt, inwieweit sich dies bei einer weitergehenden Betrachtung von Veröffentlichungen zur frühen mathematischen Bildung bestätigt und welche weiteren Perspektiven sich zeigen. Inwiefern Forschungsbefunde z. B. zur Wirkung von Regelspielen (Hauser et al. 2015b) oder zu Bedingungen mathematischer Lerngelegenheiten hinsichtlich des Einsatzes von Spielen (Schuler 2013) als Belege für die zuvor theoretisch herausgearbeitete(n) Sichtweise(n) dienen können, ist Inhalt von Abschnitt 1.1.3. Dabei ist auch ein Blick auf solche Studien interessant, die beispielsweise Antwort auf die Frage geben, wie viel Zeit Kinder im Spiel mit Mathematik verbringen (Gifford 2005; Ginsburg et al. 2004). Welche Schlussfolgerungen zu Mathematiklernen im Spiel aus diesen Forschungsbefunden und aus den in Abschnitt 1.1.2 diskutierten Standpunkten gezogen werden (können), wird in Abschnitt 1.1.4 1 Aufgrund
der für jedes Bundesland unterschiedlichen Bezeichnung und dem in den meisten Bundesländern eher unverbindlichen Charakter wird zur besseren Lesbarkeit im Folgenden von Bildungsempfehlungen gesprochen.
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ausgeführt. Nicht nur in dem hier skizzierten Abschnitt 1.1 wird deutlich, welche Bedeutung dem Spiel oder Spielen in der Mathematikdidaktik für frühes Mathematiklernen beigemessen wird, sondern auch in der Diskussion darüber, was Kinder im Vorschulalter Mathematisches lernen können und sollen, ist das Verhältnis von Spielen und Lernen ein präsentes Thema. Das zeigt sich schon an den unterschiedlichen Zugangsweisen verschiedener Autoren, die im Folgenden kurz zusammengefasst sind und die verdeutlichen, warum welche Kompetenzen, Inhalte und Prozesse im Hinblick auf frühes mathematisches Lernen von diesen jeweils für wichtig erachtet werden. Ginsburg et al. (2004) versuchen aus dem Kindergartenalltag heraus (vgl. auch Abschnitt 1.1.4), mathematische Themen zu ermitteln. „The mathematics dimension included five categories: 1. Classification, […] 2. Relations, […] 3. Enumeration, […] 4. Dynamics, […] 5. Patterns and shapes, […]“ (Ginsburg et al. 2004, 91). Die von den Autoren beschriebenen Kategorien umfassen mitunter verschiedene mathematische Inhalte, z. B. bezieht sich die Kategorie „Relations“ auf Mengenvergleiche und auf Größenvergleiche. Die Kategorie „Dynamics“ bezieht sich sowohl auf das Operieren mit Zahlen als auch auf das Operieren mit ebenen Figuren und räumlichen Objekten. Steinweg (2008b) nutzt ebenfalls Feldbeobachtungen, wobei sie im Unterschied zu Ginsburg et al. einen deduktiven Zugang wählt. Es geht ihr darum zu verdeutlichen, dass die auch in der „Lerndokumentation Mathematik“ (Steinweg 2008a) beschriebenen mathematischen Inhaltsbereiche „Zahl und Struktur“, „Raum und Form“, „Zeit und Maße“ sowie „Daten und Zufall“ in Alltagssituationen vorkommen (Steinweg 2008b, 3). „Im Holzhaus auf dem Sandkasten spielen ein paar Kinder Familie. Junge 1: ‚Jetzt habe ich 4 Kerzen auf den Kuchen getan.‘ (4 Stöcke stecken im Sandkuchen). Er steckt noch einen Stock dazu. Junge 2: ‚Jetzt werde ich 5.‘“ (Steinweg 2008b, 11). Diese Situation ordnet Steinweg (2008b, 25) den Inhaltsbereichen „Zahl und Struktur“ sowie „Raum und Form“ zu. Übereinstimmend kann festgehalten werden, dass Spielsituationen von Kindern mathematischen Lernfeldern zugeordnet werden können und dass mathematische Inhaltsbereiche dabei nicht als trennscharfe Kategorien zu verstehen sind (vgl. Sarama und Clements 2008, 70). Während Ginsburg et al. (2004) die Kategorien sowohl aus der Theorie2 als auch anhand der vorliegenden Videos entwickeln, geht Steinweg (2008a, 2008b)
2 Ginsburg
et al. (2004, 91) schreiben dazu: „We reviewed the literature, examining how mathematicians conceptualize ‘mathematics’ and how psychologists define and classify ‘mathematical thinking’.“
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stärker von der Schulmathematik aus und nutzt die dort etablierten Inhaltsbereiche auch zur Beschreibung früher mathematischer Bildung. Die letztgenannte Herangehensweise findet sich in fast allen mathematikdidaktischen Veröffentlichungen zur frühen Bildung. Lorenz (2016, 109) ist der Auffassung, dass „die mathematischen Kernideen, die zwar auch in den Standards der Grundschule formuliert sind“, fundamental für die mathematische Entwicklung sind, wenngleich er feststellt, dass diese „für das Lernen in Kindertagesstätten sicher abgehoben und künstlich“ klingen. Rathgeb-Schnierer (2015) verweist darauf, dass eine Orientierung an den inhaltlichen Leitideen, die im mathematischen Lernen auf unterschiedlichen Niveaus immer wieder auftreten, Anschlussfähigkeit ermöglicht. Ganz ähnlich argumentieren Benz et al. (2015, 115), dass der Elementarbereich zwar ein eigener Bildungsbereich sei, aber „aus Gründen der Kontinuität und Kohärenz […] die Kategorisierung der Bildungsstandards übernommen [wurde]“. Auch aus internationaler Perspektive ist eine Orientierung an den Bildungsstandards3 (KMK 2004) naheliegend, weisen sie doch große Ähnlichkeiten zu den in den USA schon lange etablierten und für das Mathematiklernen vom Kindergarten bis zur zwölften Klassenstufe beschriebenen Standards (NCTM 2000) auf (vgl. Hellmich 2007, 4 f.). Obwohl es für die frühe mathematische Bildung also offensichtlich eine breite Übereinstimmung hinsichtlich einer Orientierung an den für die Schule beschriebenen Inhaltsbereichen gibt, bleibt nach Lorenz (2016, 112) „bei diesen Konzepten immer der fade Beigeschmack, schulische Lerninhalte in den Kindergarten transportieren zu wollen“. Eine ähnliche Problematik erkennen auch andere Autoren: „Denn Ziel der frühen mathematischen Bildung kann es nicht sein, lediglich mehr oder weniger geeignete schulische Inhalte in den Elementarbereich zu verschieben“ (Benz et al. 2015, 322). Hierin zeigt sich eines von mehreren Spannungsfeldern, die frühe mathematische Bildung charakterisieren. Die gezielte Förderung mathematischer Kompetenzen, die auf das Mathematiklernen in der Schule vorbereitet auf der einen Seite, und die mathematisch reichhaltigen Spielund Alltagssituationen, die das Lern- und Erfahrungsfeld junger Kinder prägen auf der anderen Seite (vgl. Benz et al. 2015, 60). Während die gezielte Förderung mathematischer Kompetenzen sich darin ausdrückt, dass mehr oder weniger isolierte Inhaltsaspekte anhand bestimmter Aktivitäten thematisiert werden sollen – wie beispielhaft dargestellt in Abschnitt 1.4.3 „Geometrische Aktivitäten im Kindergarten“ – ist bei Spiel- und Alltagssituationen offen und kaum vorhersagbar, welche mathematischen Aspekte darin vorkommen. Für die vorliegende 3 Wenn
der Begriff Bildungsstandards verwendet wird, sind in dieser Arbeit die „Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Primarbereich“ (KMK 2004) gemeint.
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Arbeit steht mit dem Bauspiel genau ein solches mathematisch reichhaltiges Lernund Erfahrungsfeld im Mittelpunkt, das sich nach meiner Auffassung kaum in das Korsett schulmathematischer Inhalte pressen lässt, wie auch die Abschnitte 2.2.2 und 2.2.3 verdeutlichen. Aber an welchen weiteren Sichtweisen auf Mathematik kann man sich orientieren, wenn der Fokus auf die etablierten eher schulbezogenen Inhaltsbereiche unpassend erscheint? Eindeutig und allgemeingültig lässt sich dies nicht beantworten. Für die vorliegende Arbeit und im Hinblick auf das Verstehen, Analysieren und Deuten von Bauspielaktivitäten können die folgenden drei Sichtweisen und Lernfelder einen Rahmen bilden. „Mathematik ist keine Menge von Wissen, Mathematik ist eine Tätigkeit, eine Verhaltensweise, eine Geistesverfassung“ (Freudenthal, 1982 zitiert nach Lorenz 2016, 109). Diese sehr oft – auch in Veröffentlichungen zur frühen mathematischen Bildung – zitierte Beschreibung von Mathematik, scheint auf den ersten Blick mit dem Spielen verwandt zu sein. Ist doch auch das Spielen charakterisierbar als Tätigkeit und Verhaltensweise. In Abschnitt 1.2.1 wird dazu dargestellt, wie sich eine prozessorientierte Sichtweise von Mathematik im Hinblick auf frühe mathematische Bildung in der Literatur zeigt. In Abschnitt 1.2.2 wird dargelegt, was unter den in der frühen mathematischen Bildung vor allem beschriebenen Prozessen verstanden wird. „Mathematik ist die Wissenschaft von Mustern“ (Devlin 2002, 5). Häufig wird die Überzeugung, dass Mathematik die Wissenschaft von Mustern ist, auch im Zusammenhang mit früher mathematischer Bildung genannt. Dabei ist eine Frage, inwiefern diese Idee mit dem Mathematiklernen und Spielen von Kindern zusammenhängt. Dafür wird in Abschnitt 1.3.1 zunächst dargestellt, welches Verständnis des Musterbegriffs in der Mathematikdidaktik zu erkennen ist. Abschnitt 1.3.2 befasst sich mit der Bedeutung des Themas für das Mathematiklernen und mit der Entwicklung von Fähigkeiten im Bereich Muster. Welche Schlussfolgerungen aus einem Verständnis von Mathematik als Wissenschaft von Mustern für das Mathematiktreiben von und mit Vorschulkindern gezogen werden (können), wird in Abschnitt 1.3.3 thematisiert. Dem Inhaltsbereich Raum & Form wird für das spätere Mathematiklernen ein besonderer Stellenwert beigemessen. Lorenz (2016, 110) geht davon aus, dass der räumlichen Vorstellung eine entscheidende Bedeutung zukommt und deshalb geometrische Aktivitäten im Kindergartenalter von besonderer Wichtigkeit sind. Es ist außerdem naheliegend, dass beim Bauspiel geometrische Aktivitäten eine bedeutende Rolle spielen. Bevor im Rahmen der theoretischen Fundierung des Bauspiels (vgl. Abschnitt 2.2.3) und bei der Darstellung der empirischen Ergebnisse der hier vorgelegten Studie diese Bezüge herausgearbeitet werden, ist ein Verständnis des Inhaltsbereichs Raum & Form notwendig. Deshalb wird
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
in Abschnitt 1.4.1 den Fragen nachgegangen, was dieser Inhaltsbereich umfasst und welche Systematik sich dabei zeigt. Bei der Auffächerung von Mathematik in Inhaltsbereiche, die teilweise auch als Kompetenzbereiche bezeichnet werden, geht es, wie die zweite Bezeichnung nahelegt, auch um die Darstellung von Kompetenzen, die Kinder in dem jeweiligen Bereich zu erwerben haben (vgl. KMK 2004). Welche Fähigkeiten es sind, die im Elementarbereich hinsichtlich des Bereichs Raum & Form eine Rolle spielen und was über die Entwicklung dieser Fähigkeiten bekannt ist, wird in Abschnitt 1.4.2 dargelegt. Obwohl weder in theoretischer noch in empirischer Hinsicht eindeutige Antworten auf die obigen Fragen gegeben werden können, gibt es eine Reihe von Praxistipps dazu, wie der Inhaltsbereich Raum & Form im Kindergarten zu implementieren sei. Das Abschnitt 1.4.3 widmet sich deshalb den konkreten Praxisvorschlägen, indem diese beschrieben werden und dabei verdeutlicht wird, welche Tätigkeiten für geometrisches Lernen im Elementarbereich charakteristisch sind.
1.1
Die Bedeutung von Spiel(en) für die frühe mathematische Bildung
1.1.1
Bildungsempfehlungen
Mathematikdidaktik und mathematikdidaktische Forschung hat sich in Deutschland in den letzten 10–15 Jahren ausführlich der vorschulischen Bildung und damit auch der frühen mathematischen Bildung gewidmet. Dabei dürfte es eine Rolle gespielt haben, dass mit Beschluss der Kultusministerkonferenz 2004 ein „Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ veröffentlicht wurde. Darin wird hinsichtlich mathematischer Bildung gefordert: „Deshalb sollten die kindliche Neugier und der natürliche Entdeckungsdrang der Kinder dazu genutzt werden, den entwicklungsgemäßen Umgang mit Zahlen, Mengen und geometrischen Formen, mathematische Vorläuferkenntnisse und -fähigkeiten zu erwerben“ (Jugendministerkonferenz 2004, 4). Entgegen dieser eher allgemeinen, wenig konkreten Forderung mathematische Bildung in Deutschland im Kindergarten zu implementieren, beobachtet Lorenz (2016) in den USA eine Tendenz spezifische Curricula für die Mathematik im Vorschulbereich zu entwickeln und einzuführen. Eine Erklärung für diese Tendenz in ihrem zeitlichen Zusammenhang geben Ertle et al. (2008). Sie stellen fest, dass Ende der 1980er Jahre der Trend zur wachsenden formalen Instruktion für junge Kinder kritisiert wurde und eine entwicklungsgemäße Praxis empfohlen wurde. Dabei ging es darum, dass die Kinder bei den Tätigkeiten unterstützt werden, die
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für sie Bedeutung haben. Um die Jahrtausendwende konnte gezeigt werden, dass das informelle mathematische Wissen, über das Kinder bereits mit Schuleintritt verfügen, ziemlich beeindruckend ist, weshalb die Qualität früher mathematischer Bildung zunächst nicht als so bedeutungsvoll angesehen wurde. Allerdings stellten sich mathematische Fähigkeiten als besonders aussagekräftiger Vorhersagefaktor bezüglich der späteren Schulleistungen heraus. Daraus resultierte dann etwa seit dem Jahr 2000 die Entwicklung von Kompetenzbeschreibungen und Curricula für das Vorschulalter (vgl. Ertle et al. 2008, 60 f.). Auch wenn man laut Lorenz (2016, 94) kulturpessimistisch davon ausgehen könne, dass die Entwicklung in den USA mit Verzögerung auch in der BRD stattfinden wird, weisen die seit 2004 für jedes der Bundesländer entwickelten Bildungsempfehlungen für den Vorschulbereich kaum curriculare Züge auf. In den meisten der Bildungsempfehlungen wurde zwar mathematische Bildung als eigener Bildungsbereich berücksichtigt, wobei die Bedeutung und der Inhalt mathematischer Bildung im Vorschulbereich sehr unterschiedlich dargestellt wird (Royar 2007). Seit Veröffentlichung der Empfehlungen sind diverse mathematikdidaktische Beiträge entstanden, die eine Analyse der Bildungsempfehlungen enthalten. Ertle et al. (2008) bewerten für den angloamerikanischen Raum die Vorschulprogramme als beste, in denen Kinder in einem Mix aus Lehrkraft geführten und selbst-initiierten Situationen häufig in Aktivitäten eingebunden werden und die so die Entwicklung von Wissen und Fähigkeiten steigern könnten. Vergleichbare Schlüsse werden in Deutschland nicht aus den Bildungsempfehlungen gezogen. Es ist aber interessant, welche Perspektive auf Lernen und Spielen im Vorschulalter wahrgenommen und beschrieben wird. Royar (2007) stellt seiner Analyse der Bildungsempfehlungen diesbezüglich eine historische Herleitung voran und beschreibt, dass es in den 1970er Jahren eine mathematische Früherziehung gab, die streng systematisch zu erfolgen hatte und gleichzeitig möglichst pränumerisch sein sollte. Mathematik wurde dabei als Lehrgang verstanden. Gegen Ende der 1970er Jahre rückte die Spielorientierung mehr in den Fokus, die als Gegenpol dazu gesehen wurde. Royar (2007) selbst hält diese Polarisierung für wenig sinnvoll, da er davon ausgeht, dass Kinder in diesem Alter immer spielend lernen und lernend spielen. Aus der von Royar (2007) beschriebenen historischen Entwicklung lässt sich die Perspektive von Gasteiger (2010) auf die konkreten Bildungsempfehlungen der Bundesländer verstehen. Sie stellt fest, dass es eine Veränderung hin zu einem Verständnis von Lernen als eigenaktive Tätigkeit gibt. Auch Lorenz (2016) attestiert allen Programmen einen konstruktivistischen Ansatz, was ihm zufolge bedeutet, dass „die Kinder sich handelnd und ganzheitlich im Rahmen einer
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sinnlichen Erkenntnistätigkeit ein Bild von der Welt machen, diese erkunden, entdecken und in ihr experimentieren sowie Zusammenhänge und (altersgemäße) Begriffe entwickeln“ (Lorenz 2016, 97). Er erkennt darin ein Verständnis von Lernen als einen Prozess, der im Kopf des einzelnen Kindes stattfindet und von Kind zu Kind unterschiedlich ist (vgl. Lorenz 2016, 97). Trotz dieser Gemeinsamkeit sieht Lorenz (2016) zwei unterschiedliche Strömungen in den Bildungsempfehlungen, die auch unterschiedliche Herausforderungen für die Fachkraft mit sich bringen. Dabei bewertet er die Sichtweise des bayerischen Bildungsplanes, „dass Kinder ‚Mathematik nicht frei erfinden (können), sondern erst im kommunikativen Austausch mit Erwachsenen‘ (Bayerischer Bildungs- und Erziehungsplan, S. 252)“ kritisch und schreibt dazu: „Dies kann man deuten als Vorstellung, die Rolle der Fachkraft werde definiert als Vermittlerinstanz einer eindeutigen mathematischen Kultur, die entsprechend einzuüben sei“ (Lorenz 2016, 97). Lorenz hält das weder für leistbar noch dem Wesen der Mathematik entsprechend. Der Mathematik eher entsprechend sei die in einigen Bildungsplänen beschriebene „Vorstellung, Mathematik ‚finden‘ oder gar ‚erfinden‘ zu können“ (Lorenz 2016, 98). Aus seiner Sicht bedeutet das einen Paradigmenwechsel für die pädagogische Praxis, da es das tradierte Verständnis von Mathematik, wie es aus der Schule bekannt ist, infrage stellt. Um den Zusammenhang von Spielen und Lernen im Kontext von Bildung und Erziehung darzustellen, vergleicht Royar (2007) nicht die verschiedenen Bildungsempfehlungen der Länder, sondern bezieht sich auf den anfangs erwähnten gemeinsamen Rahmen der Länder. Darin werden Bildung und Erziehung als ein einheitliches, zeitlich sich erstreckendes Geschehen im sozialen Kontext betrachtet, das die Aktivitäten des Kindes zur Weltaneignung ebenso umfasse, wie den Umstand, dass diese grundsätzlich in konkreten sozialen Situationen erfolgen (vgl. Jugendministerkonferenz 2004, 3). Wie das konkret zu verstehen ist, wird darin unter dem Punkt „Pädagogische Grundprinzipien“ genauer ausgeführt: „Bei Kindern in diesem Alter herrschen informelle, erkundende und spielerische Lernformen vor, die von den Erwachsenen begleitet und auch gesteuert werden“ (Jugendministerkonferenz 2004, 6). Angesichts solcher Überlegungen, die in den Bildungsempfehlungen der einzelnen Bundesländer wieder aufgegriffen werden, stellt Lorenz (2016, 98) fest, dass die Herausforderung für die pädagogischen Fachkräfte darin besteht, Mathematik im Handeln der Kinder, in gängigen Situationen und im eigenen pädagogischen Alltag zu entdecken, um sich damit auseinanderzusetzen und selbst dabei zu lernen. Einen etwas anderen Fokus legt der gemeinsame Rahmen der Länder. Darin wird gefordert, dass die Erzieherinnen die Kinder an Themen heranführen sollen, die sich nicht unmittelbar aus der Anschauung und dem Erleben
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erschließen; dafür müssten die Fachkräfte ihr eigenes Verhalten und ihre eigenen Zugänge, Vorlieben und Abneigungen im Hinblick auf den jeweiligen Bildungsbereich beobachten und reflektieren (vgl. Jugendministerkonferenz 2004, 6). Erst die Ergänzung beider Sichtweisen, der von Lorenz (2016) und der des gemeinsamen Rahmens, kann die Herausforderung für die Fachkräfte umfassend darstellen. Der bis hierhin deutlich sichtbare Fokus auf die Fachkräfte lässt etwas überspitzt den Schluss zu, die Kinder sollen sich altersgemäß verhalten (dürfen), z. B. spielen, die Fachkräfte sollen dafür sorgen, dass die Kinder dabei auch Mathematik lernen (können). Ein weiterer Blick auf die Verwendung des Wortes (Frei)Spiel in den Bildungsempfehlungen und die damit verbundene Bedeutung für das Mathematiklernen stützt diesen Gedanken. Gasteiger (2010) stellt fest, dass es im bayerischen Plan neben Beschreibungen von Alltagssituationen, die mathematische Erfahrungen ermöglichen, Ausführungen zu Mathematikspielen und zu ganzheitlichen spielerischen Lernangeboten gibt. Auch im Berliner Plan findet sie eine Auflistung von Alltagssituationen und Spielanregungen. Lorenz (2016, 98) erkennt in dem Verständnis des Thüringer Plans von Mathematik als Sprache für Muster und Problemlösungen folgende Anforderung an die pädagogischen Fachkräfte, „nämlich das freie Spiel auch mit einem mathematischen Blick zu betrachten und in der Interaktion mit dem Kind entsprechend weiter zu entwickeln“. Das tritt auch in einer Zusammenfassung der niedersächsischen Empfehlungen zu Tage, denen Royar (2007) eine Betonung kindspezifischen Lernens zuschreibt, wobei die Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten im Spiel angeregt werden solle. In dem bis hierhin Dargestellten zeigt sich die Überzeugung, dass das Lernen zwar kindspezifisch und eigenaktiv im Spiel erfolgt, aber auf eine bestimmte Weise durch die Fachkraft begünstigt werden muss oder kann. Nun ist es nicht gerade überraschend, dass Bildungsempfehlungen vor allem darauf fokussieren, was Fachkräfte dafür tun sollen, damit Kinder bestimmte (mathematische) Kompetenzen erwerben (können). Inwiefern die hier manifestierte These auch den mathematikdidaktischen Diskurs bestimmt und welche weiteren Standpunkte sich dort finden lassen, ist im Folgenden dargelegt.
1.1.2
Mathematikdidaktischer Diskurs zu Lernen und Spielen
Schuler (2013) stellt fest, dass es hinsichtlich des Zusammenhangs von Spielen und Lernen zwei Perspektiven gibt.
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
Während die eine Position also den zukünftigen Nutzen und damit die Funktionalität des Spielens aus einer Erwachsenenperspektive betont, geht es bei der anderen [gemeint ist hier die Spielpädagogik] um den Eigenwert des Spielens für das Kind. (Schuler 2013, 61)
In Anlehnung an Einsiedler verdeutlicht Schuler (2013, 61), dass im Spiel gelernt werden kann, das Lernen aber abhängig von den personalen Voraussetzungen des Spielenden und den situativen Bedingungen ist; daraus resultiert das „Problem der Zufälligkeit des Lernens“ im Spiel (Einsiedler 1982, 297 zitiert nach Schuler 2013, 62). Schuler (2013) geht davon aus, dass die Zufälligkeit des Lernens im Spiel nicht unbedingt als spezifisches Problem gesehen werden muss, da auch intentionales Lernen nicht gänzlich durch Lehren steuerbar ist. Unabhängig davon, ob und wie das absichtsvolle Nutzen des Spiels für Lernen zulässig ist, wird dem Spiel(en) eine hohe Bedeutung für das Leben und das Lernen beigemessen. Schon Fröbel bezeichnete 1838 das Spiel als Spiegel des Lebens. Er geht davon aus, dass Spiel Freude erregt, Beruhigung und Frieden gibt und Neigung und Liebe weckt. Für ihn durchdringen sich im Spiel deshalb die drei Hauptlinien des Lebens: Nützlichkeit, Wahrheit und Schönheit (vgl. Fröbel 1838/1965, 16 ff.). Fast zwei Jahrhunderte später beschreibt Hauser (2015a, 31) weitaus weniger pathetisch das Spielen als Modus des Lernens. Schuler (2013, 55), bei der das Lernen junger Kinder als spielendes Lernen bezeichnet wird, führt dazu aus, dass Lernen dann vorwiegend beiläufig, implizit, non-formal und informell sei, wobei es auch im Spiel intentionales Lernen geben könne, z. B. wenn es sich um das bewusste Bemühen um Leistungsverbesserung bei Spielen mit strategischen Elementen handele. Anhand einer Beschreibung von Charakteristika des Spiels zeigt Hauser (2015a), wie diese auch Lernen charakterisieren können. So ist für ihn unvollständige Funktionalität gleichermaßen eine Eigenschaft von Spiel und von Lernen, verdeutlicht wird das am Beispiel der Mengenerfassung beim Halli-Galli- Spiel, die zunächst noch unbeholfen ausgeübt wird. Das Spiel wird als Lernfeld für den Erwerb dieser Fähigkeit oder Funktionalität gesehen, wobei die Merkmale Wiederholung und Variation das Erlernen und Verbessern von Kompetenzen erleichtern (vgl. Hauser 2015a, 31). Dem Spiel wird vor allem eine Konsolidierungsfunktion zugeschrieben und daraus der Schluss gezogen, dass Spiel „für das Erkennen, Verstehen von neuen Zusammenhängen, das Neuausrichten des Denkens und die Kreativität weniger geeignet [ist]“ (Hauser 2015a, 31). Diese Einschätzung ist für Regelspiele nachvollziehbar, aber nicht für Spiel im Allgemeinen. So ist beispielsweise Bauspiel schon laut seiner Definition durch Kreativität gekennzeichnet (vgl. Abschnitt 2.1.5).
1.1 Die Bedeutung von Spiel(en) für die frühe mathematische Bildung
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Schuler (2013, 75) bringt den Zusammenhang von Lernen und Spielen wie folgt auf den Punkt: „Lernen und Spiel weisen vielfältige Berührungspunkte, Beziehungen und Überschneidungen auf. Insbesondere im Kindergartenalter sind sie eng miteinander verknüpft, gehen aber nicht ineinander auf“. Demnach wird eine Beeinflussung des Spiels durch andere das Spielen der Kinder und auch deren Lernen betreffen. Dies geschieht zum Beispiel durch das verfügbar Machen von Spielen, Spielsachen, Spielräumen, Spielzeiten und möglichen Spielpartnern. Der gezielte Einfluss darauf, was genau und wie genau das einzelne Kind spielt und dabei lernt, dürfte, folgt man dieser Sichtweise, eher begrenzt sein. Hinsichtlich der in Abschnitt 2.1.1 dargestellten Überzeugung, dass das Lernen im Spiel erfolgt, aber durch die Fachkraft gesteuert werden könne, zeigt sich ein Widerspruch. Offensichtlich spielt dieser, wenn es im mathematikdidaktischen Diskurs um den Zusammenhang von Spielen und Mathematiklernen geht, keine große Rolle, was daran liegen dürfte, dass dort andere als die oben aufgezeigten spielund lerntheoretischen Annahmen zu Grunde gelegt werden. Wittmann (2009) geht in seinen Materialien des „mathe 2000 Frühförderprogramms“ davon aus, dass mathematisches Wissen in Anlehnung an Piaget durch Tun erworben werden muss. Dabei sollten keine „Verpackungen“ von der Mathematik ablenken. Da Mathematik von sich aus lebendig und zugänglich sei, können die im Fach selbst liegenden Möglichkeiten zur Motivation genutzt werden, um den Aufbau einer echten Beziehung zur Mathematik zu fördern. Bei der Darstellung seines Konzeptes verwendet Wittmann (2009) den Begriff Spiel nicht, vielmehr betont er: „Alle Aufgaben im mathe 2000 Frühförderprogramm sind als Lernangebote zur fortwährenden Steigerung der Kräfte zu verstehen“ (Wittmann 2009, 59). Dabei nimmt Wittmann (2009) an, dass den Kindern Wiederholung und Übung möglichst früh als grundlegendes Lerngesetz für mathematisches Lernen bewusst werden sollte. Auch Hauser (2015a) betont die Bedeutung von Wiederholung und Übung. Allerdings geht er davon aus, dass diese gleichermaßen beim Spielen und Lernen vorkommen, wobei hier gemeint sein dürfte, dass Wiederholung und Übung natürlicherweise Aspekte des kindlichen Lernens und Spielens sind. Es scheint so, dass Wittmann (2009) Mathematiklernen als einen Spezialfall kindlichen Lernens sieht, was sich auch in seiner Äußerung, dass der Aufbau einer spielerisch-optimistischen Grundeinstellung bei den Kindern von zentraler Bedeutung sei, ausdrückt (vgl. Wittmann 2009, 60). Die Annahme, dass Lernen und damit auch Mathematiklernen beim Spielen stattfindet, lässt sich damit jedenfalls nicht in Einklang bringen, denn sie ginge davon aus, dass eine spielerisch-optimistische Grundeinstellung per se vorhanden wäre. Obwohl die Überzeugungen von Wittmann (2009) nicht der Idee, dass Mathematiklernen beim Spiel(en) stattfinden könnte, entsprechen, liegt hier nach seinen
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
eigenen Aussagen und mit dem Bezug auf Piaget eine konstruktivistische Grundannahme vor. Mathematisches Wissen kann laut dieser Annahme nur durch Tun erworben werden. Auch Lorenz (2016) fordert ein in diesem Sinne konstruktivistisches Lernen, im Gegensatz dazu sieht er rezipierendes Lernen. Lorenz (2016) bezieht einen weiteren Lernbegriff ein, indem er feststellt, dass in der Denkpsychologie Lernen unter Denken subsumiert wird. Wenn Denken Begriffsbildung ist und Lernen eine Veränderung der Begriffe bedeutet, dann, so seine Schlussfolgerung, müssen Kinder produktiv mit Situationen und Phänomenen konfrontiert werden, die ihnen eine Weiterentwicklung der Begriffe ermöglichen (vgl. Lorenz 2016, 106). Es bedarf also weniger Überlegungen darüber, welche Aktivitäten entfaltet werden müssen, welche Handlungen Kinder durchführen sollten, als vielmehr: Wie veranlasse ich das Kind, wie ermögliche ich dem Kind, mit Hilfe seines bisherigen Wissens und mit seinen bisher entwickelten Begriffen über Zusammenhänge zu reflektieren und damit seine Denkstrukturen zu verändern? (Lorenz 2016, 106)
Auch wenn Wittmann (2009) und Lorenz (2016) unterschiedlicher Auffassung sind, wie mathematische Förderung erfolgen sollte – ein Kompendium an Aufgaben versus ein Veranlassen zum Nachdenken, verbindet beide eine Sichtweise auf das Lernen, die zwar vom eigenen aktiven Tun der Kinder geprägt ist, aber nicht davon ausgeht, dass Lernen von den Kindern selbst initiiert wird. Das Kind soll selbst tätig sein bzw. nachdenken, aber die Fachkraft weiß, was es tun soll bzw. worüber es nachdenken soll. Weder Wittmann (2009) noch Lorenz (2016) stellen in ihren Ausführungen zum Lernkonzept bzw. zur Förderung einen expliziten Bezug zum eigenständigen, freien Spiel oder Spielen der Kinder her. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt van Oers (2004; 2014), er begegnet der Angst, dass die Einführung eines mathematischen Curriculums im Vorschulbereich dazu führen würde, dass Kinder weniger Zeit zum Spielen hätten, mit der Idee eines „playbased-curriculum“. Dabei fordert er, dass Kinder nicht nur gelegentlich spielen dürfen, sondern dass das Spielformat zur Grundlage aller Aktivitäten der Kinder wird (vgl. van Oers 2014, 115). Für van Oers (2014, 114) ist diese Möglichkeit naheliegend, weil er in „productive mathemasing“ einen Spezialfall von Spiel sieht. Dabei versteht er „productive mathemasing“ als menschliche Aktivität, die sich dadurch auszeichnet, dass mathematische Regeln und soziomathematische Normen berücksichtigt werden und eine intensive Beteiligung des Handelnden sowie ein gewisser Spielraum bei der Auswahl der Regeln, der Werkzeuge und der Ziele gegeben ist (vgl. van Oers 2014, 114). Für van Oers (2014) bedeutet diese Sichtweise in letzter
1.1 Die Bedeutung von Spiel(en) für die frühe mathematische Bildung
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Konsequenz, dass mathematisches Denken mit Mathematik im Spiel beginnt und zu Mathematik als Spiel weiterentwickelt wird. „[…] productive mathemasing is to be conceived as an essentially playful activity that has its roots in young children’s playful participation in cultural practices“ (van Oers 2014, 112). Der Spielbegriff, der hier zugrunde liegt, ist nicht der gleiche, der in den Ausführungen oben diskutiert wird. Vielmehr orientiert sich van Oers (2004), wie er selbst sagt, an dem kulturhistorischen Ansatz über Lernen und Entwicklung nach Vygotsky, der das Spiel für den Hauptantrieb der Entwicklung des Kindes hält. Ausdrücklich wird betont, dass nicht von einem vollständig freien oder unabhängigen Spiel ausgegangen wird, sondern die Einflussnahme der Erwachsenenkultur auf das Spiel ein wesentlicher Einflussfaktor sei. Dabei bleibt unklar, unter welchen Umständen ein Spiel unabhängig von der Erwachsenenkultur wäre und es zieht unmittelbar die Frage nach sich, inwiefern mathematisches Lernen im kindlichen Spiel vorkommt.
1.1.3
Forschungsbefunde zum Zusammenhang von Spielen und Mathematiklernen
Einige Forschungsbefunde legen den Schluss nahe, dass Kinder sehr viel Alltagsmathematik von alleine lernen. Es wurde in diversen Untersuchungen festgestellt, dass junge Kinder bereits ein informelles mathematisches Wissen besitzen, das überraschend breit, komplex und differenziert ist (vgl. Sarama und Clements 2009, 6). Auch Ertle et al. (2008) stellen fest: „Play provides valuable opportunities to explore and to undertake activities than can be surprisingly sophisticated from a mathematical point of view (Ginsburg, 2006), especially in block play (Hirsch, 1996)“ (Ertle et al. 2008, 64). Lorenz (2016) nimmt allerdings an, dass es den Kindern im Spiel, z. B. beim Kaufmannsladenspiel, nicht um den Umgang mit Geld geht, sondern um die ernsthaften Themen des Lebens, z. B. Liebe, Beziehung und Macht. Er ist der Auffassung, dass Zahlen im kindlichen Spiel keineswegs die Bedeutung erlangen, die Erwachsene ihnen unterstellen (vgl. Lorenz 2016, 100). Lorenz (2016) verweist hierzu auf Gifford (2005) und die EMI-4 sStudie, bei denen jeweils untersucht wurde, ob Kinder spontan Zahlen benutzen bzw. mathematische Fähigkeiten verwendeten. Beide von ihm zitierten Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Kinder gar nicht oder kaum die gesuchten Aktivitäten zeigten. Verschiedene andere Befunde stehen dem entgegen, wie im Folgenden ausgeführt wird. Hausch (2015) konnte während des Kaufladenspiels von Kindern diverse Aushandlungsprozesse beobachten, bei denen mathematische Inhalte, z. B. Anzahlen
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
und die Größenangabe 1 kg, fokussiert und diskutiert wurden. Seo und Ginsburg (2004) konnten zeigen, dass vier- bis fünfjährige Kinder mehr als die Hälfte ihrer Freispielzeit mit mathematik- oder naturwissenschaftlich-technisch orientierten Aktivitäten verbringen. Darunter verstehen sie z. B. die Beschäftigung mit Mustern und Formen und die Nummerierung. Diese gegensätzlichen Befunde verweisen auf eine für meine Arbeit zentrale Frage. Woran ist zu erkennen, ob oder welche mathematischen Aspekte im Spiel der Kinder vorkommen und wie können diese beschrieben und gedeutet werden? Es gibt außerdem eine Reihe von Studien, die die Wirkung von Spiel(en) untersucht haben. Treinies und Einsiedler (1989) gehen aufgrund systematischer Beobachtungsstudien davon aus, dass wichtige Prozesse des Lernens in der Grundschule, wie Selbständigkeit, Aufmerksamkeit und Arbeitshaltung durch Freispiel positiv beeinflusst werden können. „Das Spielen nimmt folglich nicht direkt, sondern indirekt Einfluss auf die Lernleistung in der Grundschule“ (Schuler 2013, 63). Einige Untersuchungen weisen auch einen direkten Einfluss von Spielen auf das Mathematiklernen nach. Wolfgang und Stakenas (1985) konnten zeigen, dass die Kinder später umso besser in Mathematik sind, je komplexer sie in der Vorschule mit Klötzen gespielt haben. Kamii und Yaduhiko (2005) haben herausgefunden, dass Regelspiele mit Karten die Konstruktion neuer logisch-mathematischer Beziehungen erleichtern und zu einem hohen relationalen Zahlverständnis führen können. Bezugnehmend auf Befunde von Kamii und Yaduhiko (2005) schlussfolgert Hauser (2015a, 35), dass es besser ist „den Kindern ‚natürliche‘ Spielaktivitäten zu ermöglichen, welche sie zum logischmathematischen Denken ermutigen, als spezifische Mathematik-Standards für Drei- bis Sechsjährige zu konzeptualisieren“. Stehen bei diesen Studien die Bedeutung von Spielen sowie deren Wirkung im Vordergrund, fokussieren andere Forschungen stärker auf den Nutzen bzw. die Bedingungen einer Förderung mit Spielen. Rechsteiner et al. (2015) fanden heraus, dass eine spielintegrierte Förderung der frühen mathematischen Kompetenzen Kindergartenkinder ebenso gut für das spätere mathematische Lernen vorbereiten könne wie ein Trainingsprogramm. Die spielintegrierte Förderung erfolgte anhand von ausgewählten, teilweise selbst entwickelten Regelspielen und wurde durch Fachkräfte begleitet. Schuler (2013) geht ebenfalls davon aus, dass der Einsatz von Spielen im Vorschulalter für das mathematische Lernen vorteilhaft ist, aber ein didaktisches Setting notwendig sei. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf Stöckli und Stebler (2011), die herausgefunden haben, dass im Kindergartenalltag mathematische Situationen selten spontan auftreten und wenn sie auftreten, werden sie von den Erzieherinnen meistens nicht mathematisch gedeutet und aufgegriffen (vgl. Schuler
1.1 Die Bedeutung von Spiel(en) für die frühe mathematische Bildung
17
2013, 17). Demnach ist die „Entstehung mathematischer Lerngelegenheiten mit ausgewählten Spielen […] nicht voraussetzungslos, sondern beruht auf einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Bedingungen“ (Schuler 2017, 154). Eine wichtige Bedingung, die Schuler (2017) benennt, ist die Lernbegleitung. Wobei diese im Hinblick auf mathematische Lerngelegenheiten besonders ergiebig sei, wenn sie spielbegleitend stattfindet und indirekte wie auch direkte Formen der Unterstützung umfasst.
1.1.4
Schlussfolgerungen zu Mathematiklernen im Spiel
Sowohl die Forschungsbefunde als auch die Diskussion in Abschnitt 1.1.2 verdeutlichen, dass aus mathematikdidaktischer Perspektive vor allem thematisiert wird, wie Spiel zur Förderung mathematischer Fähigkeiten genutzt werden kann und weniger, wie im Spiel der Kinder schon Mathematik gelernt wird. Angesichts des Themas der vorliegenden Arbeit ist aber genau dieser zweite Aspekt von besonderem Interesse. Inwiefern wird also Mathematiklernen im Spiel in der Literatur – angefangen bei Fröbel – thematisiert? Darum nun laßt es uns beachten das fröhliche Kinderspiel als ein Ganzes und nun pflegen als Ganzes von dem ersten Fingerspiele des Kindes bis zur allseitigen Glieder-, Sinnen- und Körper-Entwicklung, bis zur allseitigen Entwicklung des Geistes und Gemüts desselben, damit so das Leben des Kindes, das Leben für Eltern und Kind, so wie das Leben überhaupt wieder ein sich gegenseitig stetig fortbildendes, ein mit Bewußtsein fortgebildetes Ganzes werden. (Fröbel 1838/1965, 18; Hervorh. im Orig.)
Bereits Fröbel ging davon aus, dass das Kinderspiel gepflegt werden muss und dass dabei den Erwachsenen bestimmte Aufgaben zukommen. Zum einen die Auswahl und das Zurverfügungstellen entwicklungsgemäßer Spielwerke zum anderen ein Curriculum darüber, was mit der Spielgabe getan werden kann und was das für das Kind bedeutet. „Möglichst bewußt soll aber alles geschehen, was von dem Menschen auf das Kind einwirkt, denn das Kind soll ja wieder zum Bewußtsein erzogen werden“ (Fröbel 1838/1965, 26; Hervorh. im Orig.). Aus mathematischer Perspektive sind Fröbels Äußerungen vor allem deshalb interessant, weil darin die Beschreibung räumlicher und körperlicher Erscheinungen und Eigenschaften beispielsweise von Ball oder Kugel mit mathematischen Fachbegriffen erfolgt und mit ihrer sinnbildlichen Bedeutung z. B. um seine Achse drehenden Erdball, Umlauf der Erde um die Sonne in Beziehung gesetzt werden.
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
Fast zweihundert Jahre nach Fröbel beschreiben Sarama und Clements (2009) ihre Idee der „Building Blocks“ und „Learning Trajectories“. Auch sie gehen davon aus, dass Kinder auf ihrem Weg unterstützt werden können, indem bestimmte, dem Entwicklungsverlauf entsprechende Spielmaterialien bzw. Spiele und Instruktionen genutzt werden. Sie fokussieren anders als Fröbel ausschließlich auf mathematisches Lernen und legen zugrunde, dass es „big ideas of mathematics“ gibt, die für junge Kinder bedeutsam sind. Ertle et al. (2008) verweisen ebenfalls auf die Bedeutung der Spielbegleitung durch Erwachsene, wobei sie das, was Kinder im Spiel Mathematisches lernen können, für nicht ausreichend halten. „Play is essential for children’s intellectual development generally and for mathematics learning in particular. But play is not enough. Children need experiences beyond the play to help them learn even more […] Consequently, some degree of adult guidance is necessary“ (Ertle et al. 2008, 64 f.). Interessant ist hier die sprachliche Trennung zwischen Spiel – das was die Kinder tun – und dem, was Erwachsene einbringen. Wenn Erwachsene ausgehend von einer Beobachtung des kindlichen Spiels, die Situation identifizieren, die für das Lernen genutzt werden kann, wird das als „teachable moment“ bezeichnet (vgl. Ertle et al. 2008, 65). In vergleichbarer Weise äußert Lorenz (2016, 112), „dass zwar einerseits mathematische Ideen in der Umwelt und den kindlichen Spielen vorhanden sind, dass es aber andererseits immer einer gewissen Anleitung durch die Erwachsenen bedarf, diese Ideen […] im kindlichen Kopf zum Leben zu erwecken“. Lorenz (2016) bezeichnet das in Anlehnung an Fthenakis (2009) als ko-konstruktive Situation. Diese Überlegungen lassen eine große Nähe zu diversen Ansätzen des Rechnenlernens erkennen, denen das Verständnis zugrunde liegt, dass „Konstruktion als die eigenaktive Tätigkeit des Kindes und Instruktion als die Intervention der Lehrkraft notwendig aufeinander bezogen [sind]“ (Schuler 2013, 53; Hervorh. im Orig.). Hauser (2015a) betont stärker die Bedeutung bestimmter Spiele. Er hebt insbesondere den hohen Wert von „numerischen Spielen“ und „Zahlenbrettspielen“ für den Erwerb arithmetischer Kompetenzen hervor (Hauser 2015a, 36). Da er Eltern-Spielnachmittage und das Ausleihen von Spielen an Familien bedeutungsvoll findet, kann man vorsichtig schlussfolgern, dass er dem gemeinsamen Spielen von bestimmten Regelspielen einen besonderen Stellenwert für mathematisches Lernen zuschreibt. Auch Schuler (2017) geht davon aus, dass das Mitspielen eine Form der Spielbegleitung darstellt. Diese Sichtweise tritt noch klarer bei van Oers (2004, 2014) hervor. „Durch die Teilnahme am Spiel haben Erwachsene die Möglichkeit, die Bedeutung von Dingen auf neue Handlungen oder Fragestellungen zu lenken oder neue Herangehensweisen an eine Fragestellung zu initiieren“ (van Oers 2004, 314).
1.1 Die Bedeutung von Spiel(en) für die frühe mathematische Bildung
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Anders als Hauser (2015a) bezieht sich van Oers (2014, 2014) in seinen Überlegungen auf Rollenspiel. „Embedding mathemasing as a playful part of children’s role play turns out to be a rich context for meaningful learning“ (van Oers 2014, 120). Er stellt die mathematische Entwicklung ausdrücklich in den Kontext der Entwicklung von jungen Kindern im Allgemeinen, die laut ihm insbesondere durch Interaktionen mit wichtigen Bezugspersonen in alltäglichen (Spiel-)Aktivitäten gefördert wird (vgl. van Oers 2004, 318). Dabei bestätigt van Oers (2014) die Bedeutung der oben dargestellten Verbindung von Konstruktion und Instruktion für die Entwicklung mathematischen Denkens. „However, from our observations in classrooms involved in play, it is also clear, that both creative construction and sensitive instruction are necessary elements for a developmentally productive organization of play and the development of mathematical thinking“ (van Oers 2014, 121). Obwohl zumindest Hauser (2015a) und van Oers (2004, 2014) davon ausgehen, dass im alltäglichen Spiel mathematisches Lernen stattfindet, wird auch dort überwiegend auf die Bedeutung der Interaktion mit einem Erwachsenen fokussiert. Die Frage, inwiefern sich den Kindern in ihren selbständigen Freispielaktivitäten mathematische Lerngelegenheiten bieten oder welche für das Mathematiklernen bedeutsamen Erfahrungen sie dort sammeln können, ist damit noch nicht beantwortet. Eine Studie, die diese Fragen teilweise aufgreift, ist bei Ginsburg et al. (2004) und Seo und Ginsburg (2004) dargestellt und oben schon erwähnt. Für die besagte Studie wurden Kinder während des Kindergartenalltags gefilmt und daraufhin unter anderem analysiert, in welchem zeitlichen Umfang sich die Kinder in ihren Spielaktivitäten mit welchen mathematischen Themen befasst haben. Eine Schlussfolgerung ist, dass sich Kinder in ihren alltäglichen Aktivitäten mit einer Vielzahl verschiedener mathematischer Erkundungen und Anwendungen beschäftigen. Laut den Autoren scheinen diese mathematischen Aktivitäten höher entwickelt, interessanter und vielseitiger zu sein als die, die im traditionellen Vorschulcurriculum vorgesehen sind. Konkret zeigen die dargestellten Ergebnisse, dass in mehr als 40 % der Zeit mathematische Aktivitäten bei den Kindern zu beobachten waren und es konnte beispielsweise festgestellt werden, dass von den fünf gebildeten Kategorien, die vorne in Kapitel 1 bereits genannt sind, am häufigsten die Kategorie „Pattern and shapes“ und am wenigsten die Kategorie „Enumeration“ zu erkennen war (vgl. Ginsburg et al. 2004, 95 ff.). Betrachtet man mathematisches Lernen als Wechselspiel individueller Konstruktion und darauf bezogener Instruktion (Schuler 2013, 53), stützt das die Perspektive, dass nicht durch das Spiel selbst, sondern erst durch die Begleitung des Spiels Mathematiklernen ermöglicht wird. Allerdings sagen Ertle et al. (2008),
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
dass es eine Überforderung für Fachkräfte darstellt zu wissen, was zur Unterstützung der Kinder zu tun wäre. Sie schlagen deshalb vor, dass auch Projekte und ein Curriculum für mathematisches Lernen zum Einsatz kommen. Auch Lorenz (2016) hält eine strukturierte Vorgehensweise, d. h. eine „Mathe-Zeit“, sowohl für die Kinder und ihren Lernprozess als auch für die KiTa-Mitarbeiter für vorteilhaft (vgl. Lorenz 2016, 113). „Es sollten immer ein fester Raum und eine festgelegte Zeit für mathematische Spiele zur Verfügung stehen. Auch entdeckende Spiele benötigen eine Struktur“ (Lorenz 2016, 113). Hinter diesen Überlegungen steht eine bestimmte Idee von vorschulischem Mathematiklernen, die bei Wittmann (2009) besonders deutlich wird. Er findet, dass es bestimmter Lernspiele bedarf, damit Kinder an die numerische Bewusstheit und die Formbewusstheit herangeführt werden. Anders als beim Sprechenlernen oder beim Erwerb motorischer Fähigkeiten, z. B. Laufen, Klettern oder Springen, von Vorschulkindern scheint davon ausgegangen zu werden, dass für Mathematiklernen besondere Förderbedingungen nötig sind. Dabei bleibt ungeklärt, ob das aufgrund der Kinder (mit besonderem Förderbedarf) oder wegen der mathematischen Schwierigkeiten der Erwachsenen oder aufgrund des Wesens der Mathematik und der hier zu erwerbenden Kompetenzen notwendig ist.
1.2
Mathematik als Tätigkeit
1.2.1
Prozessorientierte Sichtweise in der frühen mathematischen Bildung
Benz et al. (2015, 321) bemerken, dass der Prozesscharakter der Mathematik ein besonders wichtiger Aspekt ist, der sich auch in vielen aktuellen wissenschaftstheoretischen Beschreibungen der Mathematik wiederfindet. Bezugnehmend auf Davis und Hersh (1996, 320) lässt sich Mathematik als menschliche Tätigkeit charakterisieren, wie sie auch Spiegel und Selter (2007, 47) beschreiben: […], so steht auch Mathematik für eine Tätigkeit bei der Intuition, Phantasie und schöpferisches Denken beteiligt sind, man durch eigenes und gemeinschaftliches Nachdenken Einsichten erwerben und Verständnis gewinnen kann, selbständig Entdeckungen machen und dabei Vertrauen in die eigene Denkfähigkeit und Freude am Denken aufbauen kann. (Spiegel und Selter 2007, 47)
Nach Selter (2011) ist jeder Mensch ein Mathematiker und damit auch jedes Kind, wie er anhand eines Zitats von Mellin und Wheeler (1970) verdeutlicht:
1.2 Mathematik als Tätigkeit
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Die Mathematik existiert nur im Intellekt. Jeder der sie erlernt, muss sie daher nachempfinden, bzw. neu gestalten. In diesem Sinn kann Mathematik nur erlernt werden, indem sie geschöpft (geschaffen) wird. Wir glauben nicht, dass ein klarer Trennstrich gezogen werden kann zwischen der Tätigkeit des forschenden Mathematikers oder eines Kindes, das Mathematik lernt. Das Kind hat andere Hilfsmittel und andere Erfahrungen, aber beide sind in den gleichen schöpferischen Akt einbezogen. Wir möchten betonen, dass die Mathematik, die ein Kind beherrscht, tatsächlich sein Besitz ist, weil das Kind diese Mathematik durch persönliche Handlung entdeckt hat. (zitiert nach Selter 2011, 42)
In diesem Zusammenhang stellen Benz et al. (2015, 321) fest, dass eine prozessorientierte Sichtweise von Mathematik die aktuelle mathematikdidaktische Diskussion hinsichtlich der mathematischen Bildung aller Altersstufen bestimmt. Tatsächlich zeigt sich auch in früheren mathematikdidaktischen Veröffentlichungen zur frühen mathematischen Bildung eine ähnliche Sichtweise. „In aktuellen Ansätzen zur Mathematikerziehung wird […] die Bedeutung der Sprache, des Problemlösens und des Schlussfolgerns als Basis mathematischen Denkens betont. Aus diesem Blickwinkel wird mathematisches Denken als Prozess verstanden“ (van Oers 2004, 314). Auf den ersten Blick ist diese Sichtweise naheliegend, sind es doch vor allem alltägliche und spielerische Gelegenheiten, bei denen Kinder mathematische Erfahrungen sammeln können. Damit begegnet Kindern Mathematik in Aktivität und als Aktivität. Eine von mir erstellte Liste mit Verben (Tabelle 1.1), die in den verschiedenen Bildungsempfehlungen im Zusammenhang mit mathematischer Bildung verwendet werden, verdeutlicht das. Die Beschreibungen zu mathematischer Bildung im Kindergarten aber auch die Auflistungen von anzustrebenden Kompetenzen in den Bildungsempfehlungen enthalten viele der Aktivitäten, die Winter (1975) schon vor über 40 Jahren als affektive und kognitive Funktionen ansah, ohne die eine Begegnung mit Mathematik nicht denkbar und wirkliche Mathematik nicht lernbar sei. Beobachten, Suchen nach Mustern, Konstruieren, Schematisieren, Klassifizieren, Analogisieren, Verallgemeinern, Spezialisieren, Umstrukturieren, Entwerfen und Verwerfen, Vermuten und Prüfen, Formulieren und Umformulieren, Variieren, Bedenken von Alternativen, Zerlegen und Zusammensetzen, Kombinieren und Trennen sind Begriffe, die Winter (1975) in seinen Überlegungen verwendet, wobei er diese auf den Mathematikunterricht in der Sekundarstufe bezieht. Verknüpft man beide Quellen, könnte man sagen, dass Mathematiklernen von Anfang an mit bestimmten Denk- und Handlungsweisen in Verbindung gebracht werden muss. In der Diskussion um allgemeinbildende Aufgaben des Mathematikunterrichts verdeutlicht Winter (1995, 37) außerdem, dass diese über das Mathematiklernen hinaus einen Nutzen haben.
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
Tabelle 1.1 Verben aus Beschreibungen zu mathematischer Bildung in den Bildungsempfehlungen (selbsterstellte Liste) abwechseln addieren Antworten suchen anwenden auauen aueilen aufzeichnen ausprobieren bauen Begriffe bilden Begriffe einführen Begriffe erweitern Begriffe fesgen Begriffe verwenden begründen benennen beobachten beschreiben besmmen betrachten bezeichnen Beziehungen herstellen darstellen dividieren dokumeneren entdecken entnehmen entschlüsseln
entstehen lassen entwickeln erfahren erfassen erfinden erheben erkennen erklären erkunden ermieln erschaffen erstellen erzählen experimeneren forschen fortsetzen fotografieren fragen gedanklich verändern gestalten herausfinden wollen herstellen hinzufügen Ideen entwickeln idenfizieren in Beziehung setzen interpreeren kennen
kennenlernen klassifizieren knobeln konstruieren kooperieren legen/auslegen lösen malen messen mieilen mulplizieren ordnen posionieren rechnen reflekeren reihen reproduzieren sammeln schätzen schlussfolgern sich orieneren simultan erfassen soreren strukturieren subtrahieren systemasch Probieren systemasieren teilen
themasieren überprüfen übertragen unterscheiden untersuchen Ursachen ermieln verfolgen vergleichen vermuten Verständnis entwickeln verstehen verteilen Vorhersagen treffen vorspielen vorstellen Vorstellungen entwickeln wahrnehmen wegnehmen wiedererkennen zählen zeichnen zerlegen zusammenführen zusammensetzen
Der Mathematikunterricht sollte anstreben, die folgenden drei Grunderfahrungen, die vielfältig miteinander verknüpft sind, zu ermöglichen: (1) Erscheinungen der Welt um uns, die uns alle angehen oder angehen sollten, aus Natur, Gesellschaft und Kultur, in einer spezifischen Art wahrzunehmen und zu verstehen, (2) mathematische Gegenstände und Sachverhalte, repräsentiert in Sprache, Symbolen, Bildern und Formeln, als geistige Schöpfungen, als eine deduktiv geordnete Welt eigener Art kennen zu lernen und zu begreifen, (3) in der Auseinandersetzung mit Aufgaben Problemlösefähigkeiten, die über die Mathematik hinausgehen (heuristische Fähigkeiten), zu erwerben. (Winter 1995, 37)
Eine ähnliche Sichtweise zeigt sich bei Lorenz (2016, 111) für die frühe mathematische Bildung, der erwartet, dass Aktivitäten zur mathematischen Förderung über die mathematischen Inhalte hinaus eine harmonische Förderung der Kinder
1.2 Mathematik als Tätigkeit
23
unterstützen können. Die Aktivitäten sollen, „die Kreativität und Fantasie fördern, indem sie eigene Produktionen ermöglichen und erfordern, die Kinder zu selbstbestimmten Regeln herausfordern und so die Fähigkeit entwickeln helfen zu vergleichen, zu klassifizieren, zu konkretisieren und schließlich zu abstrahieren“ (Lorenz 2016, 111). Eine Problematik scheint zu sein, wie auch Winter (1975) anmerkt, dass diese Aktivitäten kaum präzisierbar sind. Auch 40 Jahre später finden sich für die meisten der von Winter (1975) genannten Denk- und Handlungsweisen keine Präzisierungen hinsichtlich ihrer Bedeutung für Mathematiklernen und Mathematiktreiben. Wohl aber finden sich viele Formulierungen prozessbezogener mathematischer Kompetenzen, die einerseits auf die von Winter (1975) formulierten allgemeinen mathematischen Lernziele zurückgehen, die da wären: Mathematikunterricht soll den Kindern ermöglichen, schöpferisch tätig zu sein, rationale Argumente zu üben, die praktische Nutzbarkeit der Mathematik zu erfahren und formale Fertigkeiten zu erwerben. Andererseits weisen sie Zusammenhänge zu den von Winter (1975) aufgelisteten Denk- und Handlungsweisen und zu seinen in der Diskussion um allgemeinbildende Aufgaben des Mathematikunterrichts vorgetragenen „Grunderfahrungen“ (Winter 1995) auf. Besonders deutlich wird das in einer Forderung von Selter (2002) für den Mathematikunterricht, die Benz et al. (2015) für die frühe Bildung aufgreifen, wonach Kinder hinsichtlich folgender prozessbezogener Kompetenzen gefördert werden sollten: „Kreativsein durch Entdecken und Erfinden, Argumentieren durch Vermuten und Begründen, Darstellen durch Strukturieren und Beschreiben, Mathematisieren durch Abstrahieren und Reflektieren, Kooperieren durch Verstehen und Zusammenarbeiten“ (Benz et al. 2015, 9).
1.2.2
Beschreibung prozessbezogener mathematischer Kompetenzen
In derselben mathematikdidaktischen Tradition wie diese Aufzählung prozessbezogener Kompetenzen stehen auch die allgemeinen mathematischen Kompetenzen der Bildungsstandards (KMK 2004): Problemlösen, Kommunizieren, Argumentieren, Modellieren und Darstellen. Diese fünf Bereiche sind für das Mathematiklernen in der Grundschule im Sinne eines Verständnisses von Mathematik als Tätigkeit vielfach beschrieben worden und mit dem Ziel verbunden, dass das Entdecken und Erforschen von mathematischen Zusammenhängen und Beziehungen ein auf Verständnis basierendes Lernen ermöglichen sollte (vgl. Selter und Wollring 2017, 64). Nun kann man durchaus kritisch fragen, wie ein nicht auf Verständnis basierendes Lernen bei jungen Kindern aussähe. Zumeist ist
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
deren Lernen ja gerade darauf ausgerichtet, (neue) Zusammenhänge zu erkennen und verstehen zu wollen. Deshalb ist aus meiner Sicht auch für die frühe mathematische Bildung ein prozessorientiertes Verständnis grundlegend. Das Mathematiklernen von Anfang an wäre dann zwangsläufig mit der Entwicklung und Weiterentwicklung bestimmter prozessbezogener Fähigkeiten verbunden (vgl. Mellin und Wheeler 1970, 8). Laut Benz et al. (2015) erfordert eine genaue Betrachtung dieser Fähigkeiten die Berücksichtigung der Erfahrungswelt, des Entwicklungsstandes und der alterstypischen Hilfsmittel der Kinder. Damit geht einher, dass anstelle einer Orientierung an den prozessbezogenen Kompetenzen für den Primarbereich eine Formulierung von speziell auf den Elementarbereich zugeschnittenen Fähigkeiten naheliegend ist (vgl. Benz et al. 2015, 322). Trotz dieser Vorüberlegungen stellen Benz et al. (2015, 323) schlussendlich fest, dass „sich [auch] für den Elementarbereich die Bereiche Problemlösen, Kommunizieren, Argumentieren, Darstellen und z. T. auch Modellieren identifizieren“ lassen. Darüber hinaus verstehen sie Ordnen und Klassifizieren, die als anzustrebende intellektuelle Grundfertigkeiten bezeichnet werden, ebenfalls als prozessbezogene Kompetenzen. Bevor bestimmte prozessbezogene Kompetenzen unten genauer dargestellt werden, gilt es festzustellen, welche prozessbezogenen Kompetenzen für die frühe mathematische Bildung beschrieben werden. Steinweg (2007, 144) nennt vier Bereiche prozessbezogener Kompetenzen, die sich nur unwesentlich von den im letzten Absatz des Abschnittes 1.2.1 aufgezählten unterscheiden: Kreativ sein und Probleme lösen, ordnen und Muster nutzen, kommunizieren und argumentieren sowie begründen und prüfen. RathgebSchnierer (2015, 11) zählt Probleme lösen, Kommunizieren, Ideen darstellen und Argumentieren als relevante allgemeine mathematische Kompetenzen für den Elementarbereich auf. Sie beschreibt außerdem Klassifizieren, Seriieren und Strukturieren als Denk- und Handlungsweisen. Wenig anderes ergibt sich bei einem Blick in die USA. Die amerikanischen Standards (NCTM 2000) enthalten die Kategorien „problem solving“, „reasoning“, „communicating“, „making connections“ und „representing“. An diesen Standards, die ausdrücklich ab dem Kindergarten gelten, orientiert sich z. B. Copley (2006). Clements und Sarama (2009; auch Sarama und Clements 2009) hingegen beschränken sich auf die Aspekte „problem solving“ und „reasoning“. Sie beschreiben darüber hinaus noch „classification“ und „seriation“ als übergreifende Kompetenzen für den Elementarbereich. Es überrascht demnach nicht, dass sich ausführlichere Beschreibungen prozessbezogener Kompetenzen für den Elementarbereich dann doch auf die der Bildungsstandards für die Primarstufe (KMK 2004) – Problemlösen, Kommunizieren, Argumentieren, Darstellen und Modellieren – beziehen. Benz et al.
1.2 Mathematik als Tätigkeit
25
(2015, 324) merken dazu an, dass sie sich an diesen fünf Kategorien im Sinne von Kohärenz und Anschlussfähigkeit orientiert hätten. Genauer führen Selter und Wollring (2017, 65 ff.) aus, dass sie ausdrücklich keine Kompetenzerwartungen für den vorschulischen Bereich formulieren, sondern Perspektiven. Die für das Ende des Primarbereichs in den Bildungsstandards angegebenen Kompetenzerwartungen werden von ihnen als Orientierungspunkte angesehen, die bereits im Elementarbereich anzubahnen sind. Dabei stellen sie fest, dass die prozessbezogenen Kompetenzen nicht trennscharf sind. „So ist etwa Problemlösen kaum vorstellbar, ohne Darstellen und Argumentieren einzubeziehen“ (Selter und Wollring 2017, 69). Trotzdem unterscheiden sich aus ihrer Sicht die prozessbezogenen Kompetenzen hinsichtlich ihrer Bedeutung für Kinder in der Kita. Im Folgenden sind die fünf prozessbezogenen Kompetenzen entsprechend der Gewichtungen, die Selter und Wollring (2017) für den Elementarbereich identifizieren, dargestellt. Die oben ebenfalls häufiger genannten Aspekte Klassifizieren, Seriieren und Strukturieren bzw. Ordnen und Muster Nutzen werden in Abschnitt 1.3 thematisiert. Problemlösen Eine besondere Bedeutung wird der Kompetenz des Problemlösens für den Elementarbereich zugeschrieben. Auch van Oers (2004) geht davon aus, dass Problemlösen im Zentrum vorschulischen Mathematiklernens steht. „Die grundlegende Idee dieses Vorschulcurriculums besteht darin, Kinder auf ihre eigene Art und Weise an für sie sinnstiftenden Aktivitäten teilnehmen zu lassen und sie bei der Lösung von im Zusammenhang mit diesen Aktivitäten stehenden Problemen zu unterstützen“ (van Oers 2004, 315). Diese Sichtweise wirft die Frage auf, wie mathematisches Problemlösen dann zu charakterisieren wäre. Rathgeb-Schnierer (2015) ist der Auffassung, dass Problemlösen vorkommt, wenn Kinder zu eigenen Lösungswegen herausgefordert werden, wenn sie dabei ihre mathematischen Fertigkeiten und Fähigkeiten anwenden und diese weiterentwickeln. Auch das Entdecken und Nutzen von Zusammenhängen spielt demnach eine Rolle. Ganz ähnlich schreiben Selter und Wollring (2017) dem Problemlösen zu, dass es dabei darum ginge, zunehmend planvoll vorzugehen und dabei frühere Erfahrungen und Erkenntnisse zu nutzen. Problemlösen äußert sich beispielsweise darin, dass Kinder Aufgaben und Fragestellungen erfinden, etwa durch Variation oder Fortsetzung von gegebenen Aufgaben. Diese Kompetenz ist zu beobachten, wenn Kinder etwa regelmäßige Figuren aus Bauklötzen bauen (Treppen, Spiralen oder symmetrische Figuren), […]. (Selter und Wollring 2017, 66)
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1
Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
Nicht nur bezüglich des Elementarbereichs wird dem Problemlösen eine besondere Bedeutung zugeschrieben, so gehöre Problemlösen zum Wesen mathematischen Tätigseins (vgl. Benz et al. 2015, 326). Ähnlich äußern sich Selter und Wollring (2017): Das Problemlösen ist sicher die basale prozessbezogene Kompetenz, welche die Mathematik als solche charakterisiert. Hierbei ist ein großer Umfang möglicher Ansprüche in den gestellten Problemen zu sehen, etwa von dem Problem, Klötze durch passende Öffnungen des Deckels in einen Kasten zu stecken, bis hin zu dem Problem, eine Rechnung mit eigenen Strategien anzugehen. All dies gehört zum Problemlösen. (Selter und Wollring 2017, 69)
Was diese Beschreibung kaum zu klären vermag, ist allerdings die Frage, woran für Aktivitäten von jungen Kindern festgemacht werden sollte, ob es sich um ein Problemlösen im mathematischen Sinne handelt: An der Art, wie das Problem gelöst wird, an dem Thema, dem sich das Problem zuordnen lässt, oder an den Inhalten, über die ein Kind bei der Lösung des Problems Wissen zeigt? Zumindest teilweise Aufschluss diesbezüglich gibt die Annahme von van Oers (2004, 315), dass die Lösung von Problemen in Beziehung zu quantitativen oder räumlichen Aspekten stehen sollte. Unabhängig vom mathematischen Inhalt des Problemlösens halten es Benz et al. (2015) für sinnvoll, den Prozess des Problemlösens weiter zu fassen und den Aspekt des Kreativseins sowie das Entdecken neuer Lösungswege mit einzuschließen. Ein Problem zu lösen bedeutet damit, für eine Situation oder Aufgabe, die man noch nicht routinemäßig erledigen kann, eine Lösung zu finden (vgl. Benz et al. 2015, 327). Es ist naheliegend, dass sich Kinder z. B. auch beim Bauspiel häufig in solchen Situationen befinden. Kommunizieren und Darstellen Van Oers (2004, 314) nimmt an, dass sich mathematisches Problemlösen mehr und mehr durch den Diskurs mit anderen entwickelt und verfeinert. Auch Benz et al. (2015, 329) gehen davon aus, dass sowohl verbale als auch nonverbale Kommunikation eine tragende Rolle spielen, wenn es um das gemeinsame Bewältigen einer Herausforderung und den Austausch über verschiedene Ideen gehe. In beiden Sichtweisen wird die Bedeutung von Kommunizieren sichtbar, wobei hier nicht unbedingt mathematisches Kommunizieren gemeint ist. Das wäre nur dann der Fall, wenn tatsächlich ein Austausch der Kinder über Mathematik stattfindet, z. B. bei der Darstellung, beim Erklären und beim Überprüfen von Lösungsideen (vgl. Benz et al. 2015; Rathgeb-Schnierer 2015). Beim Kommunizieren über
1.2 Mathematik als Tätigkeit
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ihr mathematisches Tätigsein müssen Kinder ihr Denken artikulieren, verdeutlichen und organisieren (vgl. Benz et al. 2015, 329). Eine Voraussetzung dafür dürfte es sein, dass Kinder zum Sprechen über ihr Tun angeregt werden und dass beim Handeln in konkreten Spielsituationen ein mathematisches Vokabular aufgebaut wird (vgl. Rathgeb-Schnierer 2015). Die Annahme, dass mathematisches Darstellen und Kommunizieren Kompetenzen seien, die erst allmählich vom Kind entwickelt werden (vgl. Selter und Wollring 2017, 69), ist dementsprechend nachvollziehbar. Der Standpunkt von Selter und Wollring (2017, 69), dass ein Kind mathematische Darstellungen vor allem in vorgegebenen Bildern oder einem arrangierten Material findet und mathematisches Kommunizieren und Darstellen demnach vorwiegend mit gegebenen Strukturen erfolgt, gilt aus meiner Sicht, wenn man formale Mathematik im Blick hat. Für Gespräche und Darstellungen, die stark durch informelle Mathematik geprägt sind, wie sie oft im Kindergartenalltag vorkommen, könnte die folgende Perspektive zielführend sein. Für den Elementarbereich ist es sinnvoll, wenn informelle kindliche Darstellungen – sprachliche wie bildliche – im Mittelpunkt stehen (vgl. Bönig 2010). Zweifellos ist Mathematik eine Wissenschaft, die sich mit abstrakten Beziehungen befasst, aber diese Beziehungen können und sollten in konkreten Objekten und Handlungen sichtbar werden (vgl. Bönig 2010, 91; Steinweg 2007, 168). In diesem Sinne fordern auch Benz et al. (2015, 333 f.), dass Übersetzungen in andere Darstellungen auf eine situationsangemessene und sinnstiftende Weise thematisiert werden sollen. Sie schlagen vor, dass festgehalten wird, was gebaut, gelegt oder erfunden wurde und dass so eigene Ideen verdeutlicht werden. Weil bei der Übersetzung von einer Darstellungsweise in eine andere, z. B. beim Anfertigen einer Zeichnung zu einem Bauwerk, immer nur ausgewählte Aspekte der Realität abgebildet werden können, findet ein Abstraktionsprozess statt, damit kommt laut Benz et al. (2015) dem Verständnis von der Beziehung zwischen Zeichnung, Realität und Zeichner in diesem Prozess besondere Bedeutung zu. Van Oers (2004, 326) geht ebenfalls davon aus, dass die Reflexion der Beziehung zu dem, was in einer schematischen Repräsentation dargestellt ist, die wesentliche Aktivität darstellt. Deshalb hält er es bei jungen Kindern nicht für notwendig, dass die Repräsentationen immer einen ausdrücklich mathematischen Inhalt aufweisen, wie es beispielsweise Mengen- oder Größenangaben wären. Argumentieren […] Argumentieren äußert sich […] zunächst gebunden an gegebene Darstellungen, erst später in der Sprache. Aber bereits eine Problemlösung als solche kann ein Beleg für ein ‚inneres Argumentieren‘ sich selbst gegenüber sein, welches das
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
Kind entwickelt hat. Darüber hinaus ist das Argumentieren an die, z. B. entwicklungstypischen, Möglichkeiten gebunden, die ein Kind allgemein zum Darstellen und Kommunizieren besitzt. (Selter und Wollring 2017, 69)
Selter und Wollring (2017) folgern daraus, dass mathematisches Argumentieren erst mit zunehmender Entwicklung zu einem interaktiven Prozess des argumentativen Austauschs mit anderen wird. Auch hier mag wieder gelten, dass das hinsichtlich einer formalen mathematischen Argumentation der Fall ist. Aber das Argumentieren auf einer informellen Ebene, das sich z. B. im Hinterfragen von Aussagen und Ergebnissen sowie im Prüfen und Begründen ausdrücken kann, dürfte der natürlichen Neugierde der Kinder entgegenkommen, wie sich in deren Fragen nach dem „Warum der Dinge“ zeigt (Steinweg 2007, 188). Insofern könnte das Praktizieren und Kultivieren von Nachfragen und das Einfordern von Begründungen als „spezifische Gewohnheit“ im Kita-Alltag für die Kinder naheliegender als für die Erwachsenen sein (vgl. Benz et al. 2015, 331). Wenn Benz et al. (2015, 331) anmerken, dass Argumentieren hohe Anforderungen an die sprachliche Ausdrucksfähigkeit stellt, ließe sich ergänzen, dass darin eben auch ein hohes Potenzial für sprachliches Lernen liegt. Beides – mathematisches und sprachliches Lernen von Argumentieren – setzt voraus, dass Erwachsene in diesem Zusammenhang eine Vorbildfunktion einnehmen, wie Copley (2006, 38) fordert. Ich stimme ihm zu, dass eine Förderung in diesem Bereich bedingt, dass Vermutungen und Begründungen der Kinder auch gehört und berücksichtigt werden. Modellieren Neben den vier oben beschriebenen prozessbezogenen Kompetenzen wird das Modellieren genannt. Dabei herrscht auf den ersten Blick Einigkeit darüber, dass Modellieren kein Bestandteil einer mathematischen Bildung im Elementarbereich sein kann, wie auch Grüßing und Peter-Koop (2007, 172) feststellen: „Mathematisches Modellieren […] ist eindeutig eine Kompetenz, die in der Regel erst in der Grundschule angebahnt und im Mathematikunterricht der weiterführenden Schulen weiter ausgebaut wird“. Klassischerweise wird darunter das Übersetzen von Sachproblemen auf die Ebene formaler Mathematik und deren innermathematische Lösung verstanden (Benz et al. 2015, 335; Rathgeb-Schnierer 2015, 11). Allerdings wird dem Modellieren durchaus zugeschrieben, eine ebenso basale Kompetenz wie das Problemlösen zu sein. Damit ist der Vorschlag verbunden, es bei Kita- und Grundschulkindern allgemeiner zu sehen und darunter auch das Herstellen von Verbindungen zwischen zunächst nicht verbundenen „subjektiven Erfahrungsbereichen“ und das Erkennen gemeinsamer Strukturen zu verstehen (vgl. Selter und Wollring 2017, 70). „Dieses zunehmende Vernetzen
1.2 Mathematik als Tätigkeit
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von Erfahrungsbereichen und das sich Beziehen darauf beim Lösen kleinerer, aber authentischer Probleme aus ihrem Lebenskreis ist der Kern dessen, was Modellieren ausmacht“ (Selter und Wollring 2017, 70). Dazu passt auch der Gedanke von Grüßing und Peter-Koop (2007), dass die Grundlage für Modellieren schon früher gelegt wird, wenn eine Sachsituation zur Herbeiführung einer neuen Sachsituation manipuliert wird. Im Elementarbereich könnte es also um eine „umgekehrte“ Art des Modellierens gehen, indem mathematische Sachverhalte mithilfe lebensweltlicher Erfahrungen oder mithilfe aus der Lebenswelt bekannter Materialien modelliert werden (vgl. Benz et al. 2015; Grüßing und Peter-Koop 2007). Die Idee des Mathematisierens im Sinne eines Herstellens von Beziehungen zwischen der konkreten Anschauung und der abstrakten Mathematik hätte dann durchaus Bedeutung für Kinder im Elementarbereich, die in ihrer mathematischen Entwicklung auf dem Weg zur formalen Sprache sind (vgl. Benz et al. 2015, 335). In einem solchen Verständnis wären Modellieren und Mathematisieren eng mit mathematischer Begriffsentwicklung verknüpft (vgl. Schwarzkopf 2006). In den Ausführungen zu den fünf prozessbezogenen Kompetenzen Problemlösen, Kommunizieren, Argumentieren, Darstellen und Modellieren zeigt sich, dass sie von ihrer ursprünglichen Bedeutung her sehr eng mit schulischem Mathematiklernen und dem Erwerb der formalen mathematischen Sprache zusammenhängen. Insofern verbindet die Beschreibungen der Versuch, den Begriffen auch jenseits der Schulmathematik Bedeutung zu geben. Der Erwerb prozessbezogener Kompetenzen gestaltet sich im Schulbereich sicherlich anders, weil dort üblicherweise anhand vorgegebener Aufgaben gelernt wird. Diese können danach beurteilt oder ausgewählt werden, inwiefern sie Gelegenheiten zum Problemlösen, Kommunizieren, Argumentieren, Darstellen und Modellieren enthalten. Die Aufgabenbearbeitungen und -lösungen der Kinder weisen schließlich mehr oder weniger deutliche Bezüge zu den angestrebten Kompetenzen auf. Nun ist, wie in Abschnitt 1.1 deutlich wurde, der Einsatz von Aufgaben im Vorschulbereich nicht das Mittel der Wahl. Eine interessante Frage bleibt also, wie sich im gemeinsamen Lernen und Spielen im Kindergarten prozessbezogene Kompetenzen zeigen und wie sie zu unterstützen oder anzubahnen wären. Wenn Selter und Wollring (2017, 70) feststellen, dass die Messung prozessbezogener Kompetenzen empirisch schwierig ist, weil einzelne Kompetenzfacetten bisweilen empirisch nicht isoliert von anderen zu erheben sind, muss man eingestehen, dass wir weit davon entfernt sind, Entwicklungsverläufe hinsichtlich prozessbezogener mathematischer Kompetenzen zu kennen. Es ist also zumindest fraglich, ob das Nutzen kohärenter Begriffe hier tatsächlich einen Beitrag zu anschlussfähiger mathematischer Bildung leisten kann.
30
1
Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
1.3
Mathematik als Wissenschaft von den Mustern
1.3.1
Der Musterbegriff in der Mathematikdidaktik
Im vorhergehenden Kapitel wurde dargelegt, dass eine Sichtweise von Mathematik als Tätigkeit bereits für den Vorschulbereich tragfähig ist. Allerdings zeigt sich auch, dass es bislang keine konsensuellen Definitionen oder Operationalisierungen gibt, die ein Identifizieren bestimmter mathematischer Prozesse in Spielund Alltagssituationen unterstützen. Die Prozesse Seriieren, Klassifizieren und Strukturieren bzw. Ordnen und Muster nutzen sind oben nicht näher betrachtet worden, weil sie einen starken Bezug zum Thema Muster & Strukturen aufweisen. In den Bildungsstandards steht der Inhaltsbereich Muster & Strukturen auf einer Ebene mit den anderen Inhaltsbereichen4 . Dieser Sachverhalt wurde so auch von verschiedenen Autoren mathematikdidaktischer Fachbücher für den Elementarbereich (vgl. Benz et al. 2015; Lorenz 2016) übernommen, wobei dem Inhaltsbereich durchaus ein besonderer Stellenwert zugeschrieben wird. So beschreiben beispielsweise Benz et al. (2015) diesen als letzten der fünf Inhaltsbereiche und verweisen darauf, dass sich das Erforschen von Mustern und Strukturen durch alle anderen Inhaltsbereiche zieht und er somit als ein umfassender Bereich verstanden werden kann. Dabei wird auch betont, dass Muster sich immer auf weitere mathematische Inhalte beziehen. Rathgeb-Schnierer (2012, 2015) verzichtet in ihren Darstellungen sogar auf die Nennung eines eigenen Inhaltsbereichs Muster & Strukturen, vielmehr sieht sie die vier anderen Inhaltsbereiche als eingebunden in den Kontext der mathematischen Denk- und Handlungsweisen Seriieren, Klassifizieren und Strukturieren. Die besondere Bedeutung von Mustern für die frühe mathematische Bildung beschreibt der Physiknobelpreisträger Richard Feynmann in einer Rede vor Physiklehrern bereits 1966. When I was very young – the earliest story I know – when I still ate in high chair, my father would play a game with me after dinner. He had brought a whole lot of old rectangular bathroom floor tiles from some place in Long Island City. We set them up on end, one next to the other, and I was allowed to push the end one and watch the whole thing go down, So far, so good. Next the game improved. The tiles were different colors. I must put one white, two blues, one white, two blues, and another white and the two blues – I may want 4 Es
finden sich durchaus Lesarten dafür, dass der Bereich Muster und Strukturen in den Bildungsstandards dennoch einen besonderen Stellenwert einnimmt, wobei vor allem eine im Vergleich mit den anderen Leitideen unterschiedliche Darstellung betont wird (vgl. Wittmann und Müller 2008).
1.3 Mathematik als Wissenschaft von den Mustern
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another blue, but it must be a white. You recognize already the usual insidious cleverness: first delight him in play and then slowly inject material of educational value! Well, my mother, who is a much more feeling woman, began to realize the insidiousness of his efforts and said, ‚Mel, please let the poor child put a blue tile if he wants to.‘ My father said, ‚No, I want him to pay attention to patterns. It is the only thing I can do that is mathematics at this earliest level.‘ If I were giving a talk in ‚what is mathematics’, I would already have answered you. Mathematics is looking for patterns. (Feynman 1969, 314)
In dieser „anekdotischen Rückbesinnung“ (Steinweg 2013, 29) von Feynman steckt der Hinweis, dass Muster – in diesem Fall waren es regelmäßige Anordnungen von farbigen Fliesen – als grundlegend für mathematische Bildung angesehen werden. „Mathematik heißt: auf Muster achten“ (zitiert nach Wittmann 2009, 55), so Feynmans Schlussfolgerung. Da Feynman Physiker ist, könnte man meinen, das sei vielleicht eine naturwissenschaftliche Sichtweise auf Mathematik. Auch die Feststellung von Deutscher (2012, 86), dass Muster als ein mächtiges, aus den Naturwissenschaften resultierendes und gleichzeitig auf diese anwendbares Werkzeug der Mathematik sind, passt dazu. Das aktuelle Verständnis von Mathematik, geht aber über die Definition von Deutscher (2012) hinaus und stützt Feynmans Sichtweise auf Mathematik, die damit durchaus als visionär zu bezeichnen ist. In den letzten zwanzig Jahren ist eine Definition [von Mathematik] aufgekommen, der wohl die meisten heutigen Mathematiker zustimmen würden: Mathematik ist die Wissenschaft von den Mustern. Der Mathematiker untersucht abstrakte ‚Muster‘ – Zahlenmuster, Formenmuster, Bewegungsmuster, Verhaltensmuster und so weiter. Solche Muster sind entweder wirkliche oder vorgestellte, sichtbare oder gedachte, statische oder dynamische, qualitative oder quantitative, auf Nutzen ausgerichtete oder bloß spielerischem Interesse entspringende. Sie können aus unserer Umgebung an uns herantreten oder aus den Tiefen des Raumes und der Zeit oder aus unserem eigenen Innern. (Devlin 2002, 3 f.)
Devlin (2002) geht davon aus, dass es in der Mathematik um das Erkennen von Mustern und Strukturen geht, durch die Beschreibung der Regelmäßigkeiten sollen diese auch in anderen Zusammenhängen wieder genutzt werden können. Stewart und Post (1998, 24) beschreiben Mathematik ebenfalls als „eine mehr oder weniger systematische Art und Weise, die Regeln und Strukturen, die hinter einigen beobachteten Mustern oder Regelmäßigkeiten verborgen sind, ans Licht zu bringen“ und mit ihrer Hilfe „zu erklären, was eigentlich vor sich geht“. Auch davor finden wir entsprechende Definitionen von Mathematik. Sawyer bezeichnete bereits 1955 die Aufgabe der Mathematik als „Klassifikation und Studium aller
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
möglichen Muster“, wobei eine sehr umfassende Definition von Muster zugrunde gelegt wird, nämlich „jegliche Art von Regelmäßigkeit, die der menschliche Geist erkennen kann“ (zitiert nach Wittmann und Müller 2008, 47). Auch wenn Sawyer vor über 60 Jahren die Bedeutung von Mustern für die Mathematik hervorgehoben hat, scheint sich das Verständnis von Mathematik in den letzten Jahrzehnten verändert zu haben: weg von einem Verständnis als einer „Wissenschaft von den Strukturen“ hin zu einer Auffassung als „Wissenschaft von den Mustern“ (Lüken 2011, 21). Ohne dass diese Veränderung hier jetzt genauer verfolgt werden soll, weist sie auf eine interessante Frage hin. Was unterscheidet eigentlich Muster von Strukturen? Es fällt auf, dass in der Mathematikdidaktik beide Begriffe häufig in einem Atemzug genannt werden, vielleicht auch bedingt durch deren Verwendung in den Bildungsstandards. Lüken (2011) ist der Auffassung, dass eine Unschärfe zwischen den beiden Begriffen grundsätzlich gegeben ist, was sie unter Rückgriff auf Devlin folgendermaßen ausführt. Die Bezeichnung ‚Muster‘ als Oberbegriff für alle möglichen Arten von Regelmäßigkeiten hat sich in den letzten Jahren eingebürgert und sie wird inzwischen häufig als Synonym für Gesetzmäßigkeiten, Ordnungen, logische Beziehungen oder eben Strukturen verwendet, womit eine scharfe Trennung der Begrifflichkeiten kaum möglich ist (vgl. Devlin 2003, 97). (Lüken 2011, 21)
Auch Wittmann und Müller (2008, 43) weisen darauf hin, dass die Begriffe Muster und Struktur nicht trennscharf sind und oft synonym verwendet werden. Welches Begriffsverständnis von Muster und Struktur wird in der Mathematikdidaktik aber nun zugrunde gelegt? Lüken (2011, 206) versteht unter Muster jegliche numerische oder räumliche Regelmäßigkeit, wohingegen sie die Art und Weise, in der das Muster gegliedert ist, als Struktur bezeichnet. „Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Bestandteilen eines Musters stellen also seine Struktur dar“ (Lüken 2011, 206). Ganz ähnlich beschreiben Benz et al. (2015, 295) in Anlehnung an eine Definition von Papic et al. (2005) Muster als zahlenmäßige oder räumliche Regelmäßigkeit und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Komponenten eines Musters als Struktur. Gleichzeitig verweisen Benz et al. (2015, 294) auf die Doppelbedeutung von Muster. Danach kann ein Muster „sowohl die Wiederholung einer Grundeinheit bezeichnen als auch eine Grundeinheit selbst (z. B. die Vorlage)“. Hingegen lasse sich beim Begriff „Struktur“ diese Doppeldeutigkeit nicht feststellen (Benz et al. 2015, 294). Auch Lüken (2011, 206) thematisiert diese doppelte Bedeutung von Muster allerdings hinsichtlich der Tätigkeit des Mustererkennens, die in der Mathematikdidaktik zwei
1.3 Mathematik als Wissenschaft von den Mustern
33
unterschiedliche Aktivitäten bezeichne, einerseits das Entdecken einer Regelmäßigkeit, andererseits das Wiedererkennen eines bekannten Bildes. Genau wie Benz et al. (2015) sieht Lüken (2011, 206) darin einen Unterscheid zum Strukturbegriff: „Beim Strukturerfassen und Strukturieren müssen immer Beziehungen erkannt bzw. hergestellt werden“. Mit dem Begriff „Strukturieren“ bezeichnet RathgebSchnierer (2015, 13) eine für die frühe mathematische Bildung bedeutsame Denkund Handlungsweise, sie versteht darunter „Muster finden, erfinden und nutzen“. Anders als Lüken (2011) verzichtet Rathgeb-Schnierer (2015) auf eine theoretische Unterscheidung zwischen Mustererkennen und Strukturieren, wobei ihre Beispiele alle im Sinne des Entdeckens einer Regelmäßigkeit zu verstehen sind.
1.3.2
Muster und Mathematiklernen
1.3.2.1 Bedeutung von Mustern für die mathematische Bildung Obwohl der Musterbegriff auch im mathematischen Bereich nicht eindeutig definiert ist (vgl. Benz et al. 2015, 294), ist davon auszugehen, dass das Bild der Mathematik als Wissenschaft von Mustern eine wichtige Facette von Mathematik ist und dass Mathematiker in ihrer Arbeit davon angetrieben werden, neue Muster und Strukturen zu entdecken (vgl. Steinweg 2012). Was aber bedeutet das für das Lernen und Lehren von Mathematik im Kindesalter? Es lassen sich vielfältige Antworten auf diese Frage finden. Steinweg (2012, 58) geht davon aus, dass Lernende aller Alters- und Wissensstufen, die von Mathematikern im Zusammenhang mit dem Entdecken von Mustern beschriebene Kraft der emotionalen „Aha-Erlebnisse“ selbst erfahren können, wenn sie die aktive Auseinandersetzung mit mathematischen Mustern erproben. Dabei werde mehr gewonnen als rein abstraktes, vermeintlich unnützes Wissen. Hierzu passt die Aussage Devlins (2002), dass es kaum ein Lebensgebiet gibt, „das nicht mehr oder weniger von der Mathematik als Wissenschaft von den abstrakten Mustern beeinflusst wird. Denn abstrakte Muster bilden die eigentliche Essenz der Gedanken, der Kommunikation, aller Berechnungen, der Gesellschaft und des Lebens schlechthin“ (Devlin 2002, 9). Folgt man dieser Überzeugung, ist das Erlernen von Mathematik als Wissenschaft von den Mustern kurz gesagt „lebenswichtig“ und wäre demnach von Anfang an bedeutungsvoll. Auch Wittmann und Müller (2008, 48) betonen die besondere Bedeutung von Mustern über die Mathematik hinaus. „Unser ganzes kognitives System ist auf Muster ausgerichtet, denn das Gehirn wäre gar nicht in der Lage jeden Einzelfall gesondert zu behandeln. Erkennen basiert immer auf Musterbildung“. Davon heben sie die Mathematik ab, in der die Abstraktion bewusst zum Programm erhoben und so weit wie möglich getrieben werde (vgl.
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Wittmann und Müller 2008, 48). Sie werfen dann auch die Frage auf, ob es realistisch ist, Mathematik schon in der Grundschule als „Wissenschaft von Mustern“ zu entwickeln und kommen zu dem Schluss, dass das Verständnis, welches Kinder für Muster mitbringen, intensiv, systematisch und schlüssig weiterentwickelt werden sollte (vgl. Wittmann und Müller 2008, 64). Die Bedeutung von Mustern (und Strukturen) für das Mathematiklernen ab der Grundschule wird vielfach betont (vgl. Deutscher 2012; Steinweg 2001, 2012; Wessolowski und Vogel 2005; Wittmann und Müller 2008). Obwohl attestiert wird, dass Muster und Strukturen den gemeinsamen Kern der Mathematik und ihrer verschiedenen Teilbereiche darstellen (vgl. Deutscher 2012, 87), erstrecken sich die meisten Beschreibungen und Ausführungen auf Musteraktivitäten im Bereich der Arithmetik. Das ist insofern nicht überraschend, als im Mathematikunterricht der Grundschule das Rechnenlernen einen großen Stellenwert einnimmt. Im Hinblick auf mein Forschungsvorhaben interessieren mich im Folgenden vor allem solche mathematikdidaktischen Einsichten zu Mustern und Strukturen, die über die konkrete Anwendung in der Arithmetik hinausgehen. So stellen Wittmann und Müller (2008, 50) fest: „Mathematische Muster und Strukturen kommen streng genommen in der Realität gar nicht vor, sondern sind theoretische Konstrukte, die in die Realität ‚hineingelesen‘ werden.“ Sie konstatieren weiterhin, dass die Entwicklung von Mathematik als Wissenschaft von Mustern Kreativität und Freiräume braucht (vgl. Wittmann und Müller 2008, 65). Die besondere Bedeutung der Kreativität hebt auch Deutscher (2012) hervor, die außerdem thematisiert, dass typische Fragestellungen, die im Zusammenhang mit Mustern behandelt werden, insbesondere auch prozessbezogene Kompetenzen erfordern. Sie erkennt einen besonderen Stellenwert von „Kreativsein“ und von „Beschreiben und Begründung“ (Deutscher 2012, 89). Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Auseinandersetzung mit Mustern wird in ihrer Vielschichtigkeit gesehen. So sind laut Wittmann (2005, 14) „Muster nicht als statisch anzusehen, die als Fertigprodukte zu lernen seien. […] Man muss die Muster vielmehr als dynamische Muster verstehen, die im Lernprozess von den Lernenden interaktiv erforscht, fortgesetzt und umgestaltet werden können“. Entsprechend äußert Steinweg (2012), dass es in der Mathematik bezogen auf Muster nicht immer eine richtige Lösung gibt, da Muster stets von den Lernenden zu deuten und zu lesen sind. In der Mathematik seien demnach unterschiedliche Deutungen möglich und mathematisch richtig. Diese Sichtweise auf Mathematik nehme einerseits die Kinder ernst und vermittele andererseits ein stimmiges und modernes Mathematikbild (vgl. Steinweg 2012, 63). „In der Diskussion der verschiedenen Lösungen können alle zunehmend bewusster die Mathematik als lebendige Tätigkeit akzeptieren“ (Steinweg 2012, 64).
1.3 Mathematik als Wissenschaft von den Mustern
35
Steinweg (2001) eröffnet neben der mathematikdidaktischen Bedeutung von Mustern auch eine pädagogische. „Eine tiefere Analyse zeigte, dass die Auffassung von der Mathematik als Wissenschaft von Mustern in höchstem Maße pädagogisch bedeutsam ist“ (Steinweg 2001, 260). Als Ausgangspunkt für diese Einsicht dient die Interpretation eines Schülerdokuments, wodurch sie die mathematische Aktivität mit Zahlenmustern als Spiel im „besten pädagogischen Sinn“ nachweist. Sie beschreibt darin das Wechselspiel des Kindes mit Mustern als exploratives Spiel, da der aktiv Handelnde die Muster wahrnimmt, auf sie einwirkt und sie ausbaut. „Umgekehrt wirken die Muster auf den Handelnden zurück und beeinflussen die nächsten Handlungsschritte“ (Steinweg 2001, 260). Steinweg (2001) schlussfolgert daraus, dass der spielerische Umgang mit Mustern den notwendigen Ausgleich zwischen der formalen Gesetzmäßigkeit der Mathematik und der ungebundenen Spontaneität des Menschen schafft. Eine echte – im Sinne von wahrhaftig – Auseinandersetzung mit echter, authentischer Mathematik findet auf der Basis des Spiels statt. Die mathematischen Fragestellungen tragen umso weiter, je mehr versucht wird, ein wirkliches Spiel zu ermöglichen. Das ist so zu verstehen, dass nur die Mathematik in ihrer eigenen Strukturhaftigkeit wirklich ein Anlass zu echter – im Sinne von authentisch [sic] – Exploration sein kann. Diese Auseinandersetzung erlaubt es erst der Struktur auf die Spur zu kommen, den dahinter liegenden Mustern Geheimnisse zu entlocken und nicht zuletzt das Kind als aktiven Lernenden ernst zu nehmen. (Steinweg 2001, 263)
Zwei der dargestellten Einsichten lassen im Hinblick auf den Gegenstand dieser Arbeit aufhorchen. Zum einen, dass Muster und Strukturen Konstrukte sind, die in die Realität hineingelesen werden, zum anderen, dass eine Auseinandersetzung mit echter Mathematik, kurz gefasst mit Mustern, auf Basis des Spiels stattfindet. Beide Überzeugungen könnten für ein Verständnis und eine Analyse des Bauspiels aus mathematischer Perspektive von besonderer Bedeutung sein und werden in Abschnitt 2.2.2.3 weiterverfolgt.
1.3.2.2 Muster- und Strukturfähigkeiten5 – Erkenntnisse zu deren Entwicklung Es gibt keinen Zweifel daran, dass das Bild von Mathematik als Wissenschaft von Mustern eine wichtige Facette von Mathematik ist (vgl. Steinweg 2012, 56), möglicherweise ist es sogar die wichtigste Facette. Auch im Hinblick auf die
5 In
Anlehnung an Lüken (2011, 118) werden die Begriffe Muster- und Strukturfähigkeiten synonym zu Mustererkennungs- und Strukturierungsfähigkeiten verstanden.
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mathematische Bildung wird Mustern eine ganz besondere Bedeutung beigemessen. Anders als hinsichtlich der Entwicklung des Zahlverständnisses und des Rechnenlernens gibt es eher wenige Forschungsbefunde und daraus resultierende Theorien, was die Entwicklung und das Lernen von Kindern im Bereich Muster betrifft. Benz et al. (2015, 301) nennen einige empirische Studien, die einen Zusammenhang zwischen Kompetenzen im Bereich Muster & Strukturen und mathematischer Leistung aufzeigen. Z.B. verweisen Sie auf Studien von Lüken (2011) und Mulligan und Mitchelmore (2009), die untersucht und bestätigt haben, dass sich im Umgang mit Mustern und Strukturen erworbene Kompetenzen positiv auf die allgemeine mathematische Entwicklung auswirken. Umgekehrt ist auch von einem Zusammenhang zwischen Schwierigkeiten beim Erwerb mathematischer Kompetenzen und Problemen beim Erkennen bzw. Nutzen mathematischer Strukturen auszugehen (vgl. Benz et al. 2015, 301 f.). Im Folgenden soll die Studie von Lüken (2011) diesbezüglich genauer dargestellt werden. Lüken (2011) hat in ihrer Studie mit 72 Kindern den Schwerpunkt insbesondere auf räumliche Muster gelegt, weil sich ihr zufolge deutsche Schulanfänger hauptsächlich mit räumlichen Mustern auseinandersetzen müssen und weil davon ausgegangen werden kann, dass insbesondere die Fähigkeit zur räumlichen Strukturierung bedeutsam für die mathematische Entwicklung sein könnte (vgl. Lüken 2011, 209). Dafür hat sie den Kindern drei Monate vor Schulbeginn Aufgaben zum Erkennen, Nachlegen und Zeichnen von strukturierten Mengendarstellungen vorgelegt. Sie konnte zeigen, dass Kinder, die zu diesem Zeitpunkt ausgeprägte Strukturierungsfähigkeiten zeigten, am Ende der 2. Klasse hohe Kompetenzen beim Rechnen aufwiesen. Andererseits galt für Kinder, die am Schulanfang zum Viertel der Kinder mit den schwächsten Muster- und Strukturkompetenzen gehörten, dass sie sich auch nach zwei Jahren im schwächsten Viertel hinsichtlich ihrer mathematischen Leistungen befanden (vgl. Lüken 2011, 213). Insgesamt stellt Lüken (2011) fest, dass Kinder insgesamt umfangreiche Musterund Strukturkenntnisse am Schulanfang haben. Wenn es um die Frage geht, wie sich die Strukturierungsfähigkeit bei Kindern entwickelt, finden sich insbesondere drei Modelle (vgl. Benz et al. 2015; vgl. Lüken 2011). Allen Modellen ist gemeinsam, dass sie vier Phasen identifizieren, die von den Kindern durchlaufen werden. Zunächst können von den Kindern keine Strukturen erkannt werden, dann können einzelne Aspekte beachtet und wiedergegeben werden, schließlich können Strukturen vollständig erkannt und genutzt werden. Zuletzt können mehrere Aspekte gleichzeitig beachtet und wiedergegeben werden und die Kinder können selbst strukturieren (vgl. Lüken 2011, 115).
1.3 Mathematik als Wissenschaft von den Mustern
37
Obwohl die drei Theorien aus drei verschiedenen Studien6 mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Aufgabenformaten7 hervorgegangen sind, stellt Lüken sowohl übereinstimmende Stufungen als auch übereinstimmende inhaltliche Beschreibungen der drei Theorien fest. „Dies deutet darauf hin, dass die drei Modelle zusammengenommen eine gültige Theorie für die Strukturierungsfähigkeit von Kindern mehrerer Altersstufen darstellen“ (Lüken 2011, 116). Aus der Studie von Mulligan schlussfolgert Lüken, dass die Theorie der Strukturierungsfähigkeit über alle mathematischen Inhaltsbereiche gültig ist. „Unklar bleibt allerdings, ob sich die Entwicklung von Strukturierungsfähigkeit auf eine bestimmte Aufgabenschwierigkeit bezieht oder einer allgemeinen Fähigkeit eines Kindes entspricht“ (Lüken 2011, 116). Mit der Studie „Arithmetische und geometrische Fähigkeiten von Schulanfängern. Eine empirische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Bereichs Muster und Strukturen“ von Deutscher (2012) liegt eine weitere Arbeit vor, die einerseits versucht, den Zusammenhang zwischen Musterfähigkeiten und arithmetischen sowie geometrischen Fähigkeiten zu belegen und die andererseits eine Theorie von Musterfähigkeiten entwickelt. Deutscher (2012, 439) findet statistisch eine eher geringe Korrelation zwischen den arithmetischen und geometrischen Lernständen der Kinder und den Lernständen im Inhaltsbereich „arithmetische und geometrische Gesetzmäßigkeiten und Muster“. Auf qualitativer Ebene zeichnet sich aus ihrer Sicht aber ein ganz anderes Bild ab. In den Aufgabenbearbeitungen zeige sich, dass ein Rückgriff auf Muster und Strukturen für die meisten Anforderungen grundlegend sei. Deutscher (2012) arbeitet dann in ihrer Untersuchung auch zentrale Komponenten des Umgangs von Schulanfängerinnen und Schulanfängern mit Mustern heraus. Als Grundlage diente die Bearbeitung von drei Aufgaben zu Mustern, das Fortsetzen eines Plättchenmusters, bei dem ein Bezug zur Arithmetik angenommen wird, das Nachzeichnen eines vorgegebenen geometrischen Musters sowie das Erkennen von Anzahlen in Punktefeldern, hier wird von der Verbindung arithmetischer und geometrischer Inhalte ausgegangen. In der Tabelle 1.2 sind die von Deutscher (2012, 246 ff.) beschriebenen zentralen Komponenten für den Umgang mit 6 Stages
of structural development (Mulligan et al. 2004); Ebenen der visuellen Strukturierungsfähigkeit (Söbbeke 2005); Phases in spatial structuring ability (van Nes 2009). 7 „Mulligan u. a. setzen Aufgaben zu allen mathematischen Inhaltsbereichen ein und legen den Schwerpunkt der Analyse auf die zeichnerischen Aufgabenlösungen; bei Söbbeke liegt der Schwerpunkt auf dem strukturellen Umgehen mit Anschauungsmitteln, wofür sie Aufgaben mit bildlichen Darstellungen nutzt; van Nes untersucht die Rolle der Strukturierungsfähigkeit in der Zahlbegriffsentwicklung, ihre Aufgaben sind materialbasiert und eingebunden in einen Geschichtenkontext“ (Lüken 2011, 116; Hervorh. im Orig.).
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arithmetischen und geometrischen Mustern und Strukturen dargestellt sowie zu den oben genannten Stufungen der Strukturierungsfähigkeit in Beziehung gesetzt. Deutscher (2012, 250) selbst stellt in ihrer Arbeit einen Zusammenhang zu den von Söbbeke (2005) beschriebenen Ebenen der visuellen Strukturierungsfähigkeit her. Tabelle 1.2 Zusammenhang zwischen Strukturdeutungen und Musterdeutungen Phasen der Strukturierungsfähigkeit (vgl. Lüken 2011)
Musterfähigkeiten von Schulanfängern (vgl. Deutscher 2012) Teilmusterwahrnehmung
einzelne Aspekte der Struktur beachten und wiedergeben Struktur erkennen und anwenden
musterunberücksichgende Deutung
merkmalorienerte Deutung
musterwiederholende Deutung
mustererweiternde Deutung
mehrere Aspekte der Struktur gleichzeig beachten, selbst strukturieren
Teilmusterstrukturierung
keine Strukturen
Musteranwendung
Neben der Strukturierungsfähigkeit lassen sich laut Deutscher (2012, 246 ff.) in den Aufgabenlösungen der Kinder bestimmte Arten von Musterdeutungen erkennen, die sie als Bestandteil der Teilmusterstrukturierung auffasst. Dabei unterscheidet sie zwischen verschiedenen Deutungen. Bei „musterunberücksichtigenden Deutungen“ ist gar kein Zusammenhang zum Muster erkennbar, während bei „merkmalorientierten Deutungen“ Teilmuster berücksichtigt wurden, aber noch kein Zusammenhang der Teilmuster im Hinblick auf das Gesamtmuster berücksichtigt wird. „Musterwiederholende Deutungen“ beschreiben, dass zentrale Mustermerkmale konsequent wiederholend aufgegriffen werden, und „mustererweiternde Deutungen“, dass zentrale Mustermerkmale konsequent ihrer Entwicklung entsprechend aufgegriffen werden, das ist z. B. notwendig, wenn wachsende Muster fortgesetzt werden sollen. Weitere Komponenten neben der Teilmusterstrukturierung sind die Teilmusterwahrnehmung und die Musteranwendung. Alle drei stehen dabei in einer starken Wechselbeziehung zueinander. Während die Teilmusterwahrnehmung eine Orientierung im Muster ermöglicht und den Schulanfängern und Schulanfängerinnen weitgehend gelingt, basiert die
1.3 Mathematik als Wissenschaft von den Mustern
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Musteranwendung auf den Erkenntnissen der Musterwahrnehmung und Musterstrukturierung. In der von ihr durchgeführten Studie haben die Aufgaben Musteranwendungen im Rahmen des Wiedergebens, Fortsetzens und Nutzens von Mustern erfordert (vgl. Deutscher 2012, 246 ff.). Hinsichtlich der Musterfähigkeiten der von ihr untersuchten Kinder stellt Deutscher (2012, 255 f.) fest: „Zusammenfassend lässt sich daher ein häufiger und meistens mathematisch sinnvoller Umgang der Schulanfängerinnen und Schulanfänger mit arithmetischen und geometrischen Mustern und Strukturen beobachten“. Deutscher (2012) verwendet sowohl die Strukturierungsfähigkeit als auch die Musterfähigkeit als konkret aufgabenbezogene Konstrukte und nicht als allgemeine Fähigkeiten eines Kindes. Da sich bislang auch darüber hinaus nur wenige Anhaltspunkte dafür ergeben, Strukturierungsfähigkeiten oder Musterfähigkeiten als allgemeine Fähigkeiten eines Kindes zu verstehen und zu beschreiben, sondern stets ein Zusammenhang mit bestimmten Aufgaben dargestellt wird, ist der Nutzen für den Vorschulbereich fraglich. Es gibt noch keine Ansätze, ob oder wie diese Fähigkeiten von Kindern in einer freien Beobachtung von Spielund Alltagssituationen herausgefunden werden könnten. Das bedeutet, dass eine Beschreibung und Unterstützung dieser Fähigkeiten im Spiel kaum auf einer theoretisch fundierten Basis erfolgen kann. Wenn im Folgenden also Sichtweisen dazu dargelegt werden, warum und wie Muster und Strukturen auch Themen für die frühe mathematische Bildung sind, so sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es zumindest ein Ungleichgewicht zwischen der Vielzahl an Vorschlägen, entsprechende Inhalte im Elementarbereich zu etablieren, und den empirischen Befunden dazu gibt.
1.3.3
Muster als mathematisches Lernfeld für Vorschulkinder
1.3.3.1 Muster & Strukturen – ein Bereich für die frühe mathematische Bildung Zwei typische Sichtweisen auf die Frage, warum Muster und Strukturen Themen für die frühe mathematische Bildung sind, lassen sich erkennen. Die Erste vertritt besonders deutlich Wittmann (2009). Er hält es für zentral, dass die Mathematik von den Kindern von klein auf als Wissenschaft von den schönen und nützlichen Mustern und Strukturen erfahren wird. Wittmann geht davon aus, dass das mathematische Denken jedes einzelnen Menschen auf einfachen Grundmustern aufbaut, ganz ähnlich wie die Mathematik aus einfachen Zahlen- und Formenmustern entstanden ist, aus denen im Lauf der Jahrtausende immer komplexere Muster
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wurden. Mathematische Bildung bedürfe deshalb einer Verankerung in elementaren Mustern, die bereits vor der Schule ausgebildet werden können (vgl. Wittmann 2009, 56). Auch Rathgeb-Schnierer (2015, 12) misst den Themen Muster und Strukturen hohe Bedeutung bei, indem sie die Denk- und Handlungsweisen Klassifizieren (Sortieren), Seriieren (Ordnen) sowie Strukturieren beschreibt. Diese Denk- und Handlungsweisen seien unabhängig von bestimmten mathematischen Inhalten und können in jedem mathematischen Inhaltsbereich genutzt werden. Je nach verknüpftem Inhaltsbereich ermöglichen sie unterschiedliche Erfahrungen. Laut Rathgeb-Schnierer entsprechen sie damit den von Heintz (2000) beschriebenen Kernelementen einer mathematischen Tätigkeit, denn „junge Kinder können beim Klassifizieren, Rangordnung schaffen und Strukturieren tief in die Welt der Mathematik eintauchen“ (Rathgeb-Schnierer 2015, 12 f.). Die zweite Sichtweise findet ihren Ausgangspunkt in Beobachtungen von Kindern. So stellen Ginsburg et al. (2004) in ihrer Studie (vgl. auch Abschnitt 1.1.4 und 2.2.3.2) fest, dass Kinder in 30 Prozent der beobachteten Zeit mit Aktivitäten befasst waren, die der Kategorie „pattern and shapes“ zuzuordnen waren. Auch im Hinblick auf das Thema Bauspiel (vgl. Kapitel 2) ist das von Interesse. So verweist Einsiedler (1999, 108) auf eine Beobachtungsstudie von Shotwell, Wolf und Gardner aus dem Jahr 1979. Diese beschreiben als einen Spielertyp die „Patterners“. Das seien die eigentlichen Bauspieler, die auch komplizierte dreidimensionale Gebilde bauen. (vgl. Einsiedler 1999, 108). Es scheint so, dass sich Kinder häufig mit „pattern-related activities“ und dem Wiedererkennen von Mustern in ihrem Alltag und ihrer Umwelt beschäftigen (vgl. Sarama und Clements 2009, 319). Das Entdecken von Strukturen und das Erkennen von Regelmäßigkeiten halten Benz et al. (2015, 300) für einen wichtigen kognitiven Akt in der kindlichen Entwicklung. Unter Bezug auf Lorenz (2006, 4) gehen sie davon aus, dass Strukturen Bestandteil jeglicher Begriffsbildung sind. Jeder Begriff, den Kinder entwickeln, sei ein Versuch Strukturen in der Welt zu entdecken. Zusammenfassend bedeutet das: Es gibt zum einen in der Mathematikdidaktik die Forderung, Mathematik als Wissenschaft von den Mustern zu verstehen und auch in der frühen mathematischen Bildung so zu entwickeln und zum anderen Beobachtungen und Überzeugungen, dass Muster per se ein zentrales Thema im Spiel der jungen Kinder sind. Was folgt daraus für das Mathematiklernen im Elementarbereich? Wie findet der Bereich Muster & Strukturen Eingang in Konzepte zur frühen mathematischen Bildung? Als Konsequenz zur oben dargelegten Sichtweise fordert Wittmann (2009) dann auch für den Elementarbereich eine Auseinandersetzung mit „reiner“ Mathematik. Er sieht das Studium von Mustern und Strukturen um ihrer
1.3 Mathematik als Wissenschaft von den Mustern
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selbst willen als Vorbereitung für angewandte Mathematik und schlussfolgert daraus, dass eine Beschäftigung der Kinder mit rein mathematischen Spielen und Bauanleitungen geeignet ist, um Kinder für die Wahrnehmung von Zahlen und Formen in der Umwelt zu sensibilisieren. Andere Autoren beschäftigen sich eher damit, wie alltägliche Materialien (z. B. Perlen) und Spielaktivitäten (z. B. aus Bauklötzen ein Muster legen oder stecken, ein Lied oder einen Tanz lernen) für Lerngelegenheiten zu Mustern und Strukturen genutzt werden können (vgl. Benz et al. 2015; Lorenz 2016; Rathgeb-Schnierer 2008). Obwohl hier die Überzeugung, dass Muster und Strukturen per se Themen im Spiel der jungen Kinder sind, eine Rolle spielen dürfte, findet bislang die Überlegung, wie es im Spiel der Kinder vorkommt oder inwiefern Struktur- und Musterfähigkeiten von den Kindern genutzt werden, keinen Eingang. Das heißt, auch die oben genannten, alltagsbezogenen Vorschläge orientieren sich vor allem an theoretischen Überlegungen zu Muster und Strukturen. Deutlich wird das bei Benz et al. (2015, 295), die feststellen, dass unterschiedliche Definitionen von Mustern unterschiedliche Facetten hervorheben, die auch für den Elementarbereich bedeutsam sind. Sie unterscheiden deshalb zwischen Musterfolgen und räumlichen Mustern, wie sie in strukturierten Mengendarstellungen vorliegen. Eine etwas andere Unterteilung findet sich bei Lorenz (2016), der die Aspekte „geometrische Muster und Regelhaftigkeiten“, „Rhythmus als Muster und Struktur“, „Rhythmus der Sprache und der Musik“, „die Geometrie des Tanzes“, „Der Kanon: Bandornament in der Zeit“ beschreibt. Während Benz et al. (2015) stärker von der mathematischen Definition von Mustern und Strukturen ausgehen, orientiert sich Lorenz (2016) an interdisziplinären Themen, die er im Hinblick auf darin enthaltene mathematische Muster analysiert. Die Facetten, die Lorenz (2016) hervorhebt, lassen sich auch auf internationaler Ebene wiederfinden. So schreiben die australischen Leitlinien (Queensland Studies Authority 2006) unter dem Aspekt „patterns and algebra“ dem Erkennen und Beschreiben von Reihenfolgen in geometrischen Mustern, Bewegungen, Liedern, Spielen und Zahlen eine besondere Bedeutung zu. Räumliche Strukturen und der Umgang mit strukturierten Zahldarstellungen sind hingegen kein Thema. In internationalen Veröffentlichungen liegt der Fokus laut Lüken (2011) vor allem auf Muster- und Zahlenfolgen als Vorläufer für algebraisches Denken, was auch erklärt, weshalb der Bereich Muster häufiger unter dem Thema Algebra eingeordnet ist oder in Verbindung mit diesem dargestellt wird (vgl. Lüken 2011, 87). Interessant ist im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit, inwiefern der von Lorenz (2016, 129) benannte Aspekt „geometrische Muster und Regelhaftigkeiten“ eine Verbindung zum Bauspiel von Kindern herstellt. Lorenz (2016) ordnet
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„geometrische Muster und Regelhaftigkeiten“ als fundamentale Idee der Elementargeometrie (vgl. Abschnitt 1.3.2) ein und versteht darunter alles, „was eine innere Struktur besitzt“ (Lorenz 2016, 130). Konkret zählt er lineare Muster auf, die geometrisch als Bandornamente bezeichnet werden und alle Musterfolgen umfassen, die sich in nur zwei Richtungen fortsetzen lassen, und flächige Muster, die geometrisch als Parkette bezeichnet werden und solche Muster umfassen, die sich in alle Richtungen in einer Ebene fortsetzen lassen. Als Beispiel für lineare Muster führt Lorenz (2016, 131) das Auffädeln eines Musterarmbändchens und auch das Gestalten einer Girlande an. Ein Beispiel für ein flächiges Muster findet sich im Vorschlag, Duplo-/Legosteine nach einer Regel in eine Fläche zu legen oder zu bauen (vgl. Lorenz 2016, 136). Hinsichtlich des Bauspiels von Kindern ist ein Zusammenhang mit geometrischen Mustern und Regelhaftigkeiten zwar naheliegend, eine Einordnung in lineare oder flächige Muster aber nicht unbedingt gegeben, wenn es um dreidimensionale Gebilde geht (vgl. Abschnitt 2.2.2.3). Anhand eines Beispiels zum Bauen mit Steckwürfeln taucht bei Lorenz (2016, 132; 134) der Ausdruck „räumliche Muster“ auf, der allerdings keine weitere Erläuterung erfährt. Was Lorenz (2016) unter der Überschrift „geometrische Muster und Regelhaftigkeiten“ ausführt, beschreibt Benz et al. (2015, 295) als „Musterfolgen“. In Ergänzung zu Lorenz (2016) wird hier neben der Unterscheidung zwischen linearen und flächigen Mustern und deren geometrischen Bildungsregeln auch zwischen statischen und dynamischen Mustern unterschieden. Mit dem Aspekt der Anzahl, z. B. in einer wachsenden Musterfolge, wird auch eine arithmetische Bildungsregel thematisiert. Es findet sich bei Benz et al. (2015) kein Bezug zu einem dreidimensionalen Muster, wie dies Bauwerke von Kindern aufweisen. Der Begriff räumliche Muster wird bei Benz et al. (2015) zwar ebenfalls verwendet, darunter wird allerdings die Anordnung bzw. Struktur in Mengendarstellungen verstanden. Wegen der unterschiedlichen Begriffsbedeutungen verzichte ich bei der Beschreibung geometrischer Muster und Regelmäßigkeiten in Bauwerken auf den Begriff räumliche Muster. Welche Muster und Regelmäßigkeiten in Bauaktivitäten von Kindern entdeckt und wie diese beschrieben werden können, wird in Abschnitt 2.2.2.3 ausgeführt.
1.3.3.2 Musterbezogene Aktivitäten – Strukturieren, Seriieren, Klassifizieren Im Bauspiel der Kinder sind musterbezogene Aktivitäten zu erwarten, die über die im einzelnen Bauwerk enthaltenen geometrischen Regelmäßigkeiten hinausgehen. Dafür scheint in Ergänzung zu den bisher ausgeführten Aspekten ein allgemeineres Verständnis von Mustern und Strukturen hilfreich, wie wir es bei Rathgeb-Schnierer (2012) finden. Sie verzichtet auf eine ausführliche
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Beschreibung unterschiedlicher inhaltlicher Facetten und ihrer mathematischen Hintergründe und definiert die Denk- und Handlungsweise „Strukturieren“ als Muster finden, Muster erfinden und Muster nutzen. Dabei hebt sie hervor, dass diese sich durch alle Bereiche der Mathematik zieht. Eine Feststellung, die wie oben dargestellt, auch die Ausführungen anderer Autoren zum Inhaltsbereich Muster & Strukturen bestimmt. Der Beschäftigung mit Mustern und Strukturen schreibt sie in Anlehnung an Heintz (2000) zu, die „charakterisierende Eigenschaft des Mathematiktreibens“ zu sein (Rathgeb-Schnierer 2012, 56). Ausdrücklich wird betont, dass es unabhängig vom einzelnen Inhaltsbereich allgemein darum gehe, „den Blick für Muster und Strukturen zu schulen und zu entdecken, dass diese in ganz verschiedenen Kontexten auftauchen können“ (Rathgeb-Schnierer 2015, 14). Daneben geht es darum, „Muster und Strukturen zu untersuchen und deren Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten zu entdecken“ sowie „Muster herzustellen, fortzusetzen und zu beschreiben“ (Rathgeb-Schnierer 2015, 14). Auch die beiden weiteren von Rathgeb-Schnierer (2015) beschriebenen Denkund Handlungsweisen Seriieren bzw. Ordnen und Klassifizieren bzw. Sortieren weisen einen Bezug zum Thema Muster auf und können für das Bauspiel relevant sein, wird doch damit „das gemeinsame Ziel verfolgt, Ordnung herzustellen, um somit eine ungeordnete, komplexe Situation überschaubar zu machen“ (RathgebSchnierer 2015, 12). Während Seriieren dabei meint, dass konkrete oder mentale Objekte in eine bestimmte Reihenfolge gebracht werden, wobei die jeweiligen Ordnungsmerkmale erkannt und von allen anderen Merkmalen abstrahiert werden müssen, bedeutet Klassifizieren das Zusammenfassen einer Menge konkreter oder vorgestellter Dinge nach einem oder zwei Merkmalen. Auch dafür müssen die entscheidenden Merkmale erkannt, darauf fokussiert und von allen anderen Merkmalen abstrahiert werden. Kaufmann (2011) widmet in ihrer Veröffentlichung dem Sortieren und Klassifizieren ein eigenes Unterkapitel im Bereich Muster & Strukturen. Ausgangspunkt dafür ist die Annahme, dass Muster und Sprache im Hinblick auf die Begriffsbildung folgendermaßen zusammenhängen. Muster erkennen bedeutet, Ähnlichkeiten zwischen Phänomenen zu erkennen, die vielleicht auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Diese Fähigkeit hängt eng mit der Begriffsentwicklung und auch mit der Wahrnehmung zusammen. Um Gegenstände ordnen und klassifizieren zu können, müssen Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkannt werden. Was ist das gemeinsame einer Klasse, welches Muster, welche Regel verbindet sie? (Kaufmann 2011, 65)
Kaufmanns Definition von Sortieren deckt sich mit der von Rathgeb-Schnierer. Auch Kaufmann betont die Bedeutung der Abstraktionsleistung, die darin besteht,
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dass „beim Sortieren die einzelnen Eigenschaften losgelöst vom Gesamtobjekt betrachtet und danach Kategorien gebildet [werden]; die unterscheidenden Merkmale der Objekte hingegen werden ausgeblendet“ (Kaufmann 2011, 68). Außer bei Rathgeb-Schnierer (2012, 2015) konnte ich in deutschsprachigen mathematikdidaktischen Veröffentlichungen für den Elementarbereich keine weitere Definition für Seriieren finden. Benz et al. (2015, 324) verweisen zwar darauf, dass Seriieren und Klassifizieren als inhaltsübergreifende prozessbezogene Kompetenzen verstanden werden können, beschreiben sie aber ausschließlich exemplarisch bei den einzelnen mathematischen Inhaltsbereichen. Im Kapitel „Muster und Strukturen“, wird jedoch keiner der beiden Prozesse ausgeführt. Eine Beschreibung von Ordnen oder Seriieren könnte man darüber hinaus im Kapitel „Messen und Größen“ erwarten, allerdings werden diese Begriffe dort nicht verwendet und erläutert. Anders sieht das mit den Begriffen Klassifizieren und Sortieren aus. Sie werden im Kapitel „Raum und Form“ im Zusammenhang mit dem Sortieren von Körpern und im Kapitel „Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit“ beschrieben(vgl. Benz et al. 2015). Besonders die zweite Stelle ist interessant, da dort als Voraussetzung für das Sortieren und Klassifizieren das Wahrnehmen bestimmter Eigenschaften, z. B. Größe, Farbe, Anzahlen, definiert wird. Sortieren und Klassifizieren werden darin als wichtige mathematische Fertigkeiten und Fähigkeiten für den Erwerb des Zahlbegriffs, das Erwerben von mathematischen Begriffen und das spätere algebraische Verständnis bezeichnet (vgl. Benz et al. 2015, 278). In internationalen Veröffentlichungen zur frühen mathematischen Bildung findet sich eine Bezugnahme auf alle drei genannten Prozesse: Klassifizieren, Seriieren und Strukturieren. Sarama und Clements (2009) ordnen „Classification and Seriation“ dabei als allgemeine mathematische Prozesse ein. Patterning wird ebenfalls als wichtiger Begriff gekennzeichnet: „we note that patterning, writ [sic] large, is also one of the most important processes and habits of mind for mathematical thinking“ (Clements und Sarama 2009, 205; Hervorh. im Orig.). Anders als bei Rathgeb-Schnierer (2015) ordnen sie „Patterning“ dem Inhaltsbereich „Patterns and Structure (including algebraic thinking)“ zu. Ihre Definition für „Patterning“ betont aber durchaus dessen übergreifende Bedeutung: „Our own, however, is the broader view, that patterning is the search for mathematical regularities and structures, to bring order, cohesion, and predictability to seemingly unorganized situations and facilitate generalizations beyond the information directly available“ (Sarama und Clements 2009, 319). Die Darstellung von Klassifikation und Seriation orientiert sich bei Sarama und Clements (2009, 338 ff.) an der Tradition Piagets. So werden ausgehend von Piagets Erkenntnissen weitere Untersuchungen aus dem Feld der kognitiven Entwicklung dargestellt, die
1.3 Mathematik als Wissenschaft von den Mustern
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einen Bezug zwischen dem Alter der Kinder und ihrer Fähigkeiten zur Seriation und Klassifikation aufzeigen. Clements und Sarama (2009) gehen davon aus, dass Kinder von Anfang an intuitiv Klassifikationen vornehmen, aber erst ab drei Jahren verbale Regeln zum Sortieren einhalten können. Erst mit fünf oder sechs Jahren seien Kinder in der Lage, einheitlich nach einem Merkmal zu sortieren und nach verschiedenen Merkmalen neu zu klassifizieren (vgl. Clements und Sarama 2009, 204). Seriieren oder Ordnen lernen die Kinder laut Clements und Sarama (2009, 204) ebenfalls früh. Mit 18 Monaten kennen sie Wörter wie klein, groß oder mehr. Mit drei Jahren können die Kinder Paar-Vergleiche durchführen und Vierjährige seien in der Lage, kleine Serien herzustellen. Ab fünf Jahren können Kinder sechs Objekte der Länge nach ordnen und auch Elemente in eine Reihe einordnen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Sichtweise von RathgebSchnierer, Strukturieren als allgemeine mathematische Denk- und Handlungsweise zu verstehen, in didaktischer Literatur für den Elementarbereich ein Alleinstellungsmerkmal darstellt. Immerhin verdeutlicht die Verwendung des Begriffs „Patterning“ in englischsprachiger Literatur, dass die Auseinandersetzung mit Mustern durchaus als Prozess verstanden wird, wenngleich hier von einem spezifischen mathematischen Prozess die Rede ist (vgl. Clements 2004, 57). Die Tatsache, dass, wie in Abschnitt 1.3.2.2 dargelegt, einige Studien vorliegen, die sich mit Mustererkennungs- und Strukturierungsfähigkeiten befassen und deren Bedeutung für das Mathematiklernen diskutieren, verdeutlicht aber, dass es durchaus einige Anhaltspunkte für die Verwendung des Begriffs Strukturieren in Rathgeb-Schnierers Sinne gibt. Wie die drei von Rathgeb-Schnierer (2015) als Denk- und Handlungsweisen bezeichneten Tätigkeiten Klassifizieren, Seriieren und Strukturieren mit Mathematikleistungen zusammenhängen und ob diese sich auch empirisch als ein gemeinsames Konstrukt erkennen lassen, ist meines Wissens noch nicht untersucht. Insgesamt bleibt eine große Diskrepanz zwischen der Bedeutung, die Mustern und Strukturen bzw. Strukturieren sowie Seriieren und Klassifizieren für die frühe mathematische Bildung beigemessen wird, und der empirischen Fundierung des Themas. Insbesondere hinsichtlich der Emergenz und Weiterentwicklung entsprechender Fertigkeiten oder Fähigkeiten von Kindern beim Spielen gibt es keine nennenswerten Erkenntnisse, auf die für diese Arbeit zurückgegriffen werden konnte.
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
1.4
Der Inhaltsbereich Raum & Form
1.4.1
Systematiken zum Inhaltsbereich Raum & Form
Die meisten aus der Mathematikdidaktik stammenden Vorschläge zum Mathematiklernen im Elementarbereich orientieren sich mehr oder weniger stark an Vorschlägen für den Mathematikunterricht in der Grundschule. Es ist anzunehmen, dass dies auch für den Inhaltsbereich Raum & Form gilt. Um das aber beurteilen zu können und weil für den Geometrieunterricht in der Grundschule umfangreiche Ausführungen und Begründungen zu diesbezüglichen Systematiken vorliegen, dienen selbige hier als Ausgangspunkt. Es gibt diverse Vorschläge, welche Facetten geometrischen Lernens für Grundschulkinder bedeutsam sind. Eine ausführliche Darstellung der unterschiedlichen Vorschläge und ihrer Genese findet sich bei Franke und Reinhold (2016). Dort werden als Systematik fünf Kernbereiche vorgeschlagen, die jeweils mit bestimmten Aspekten des Inhaltsbereichs verknüpft sind, wie im Folgenden aufgezeigt und durch Beispiele veranschaulicht wird. • „Ebene Figuren“ beinhaltet das Herstellen, Erkennen, Beschreiben, Sortieren und Benennen ebener Formen sowie das Erkennen von Figuren in der Umwelt. Auch das Messen von Längen sowie von Flächeninhalten wird hierunter gefasst. Beispielsweise die Aufgabe, viele verschiedene Vierecke zu zeichnen oder auszuschneiden und diese dann nach verschiedenen Kategorien zu sortieren oder zu ordnen, passt zu diesem Kernbereich. • „Operieren mit ebenen Figuren“ umfasst das Erkennen, Benennen, Vorstellen und Darstellen von Abbildungen in der Ebene sowie das Verändern ebener Figuren. Wenn die oben gefundenen Vierecke danach untersucht werden, ob sie symmetrisch sind, gehört das zu diesem Kernbereich. Typisch für den Bereich ist aber auch das Herstellen von Bandornamenten mit Formenplättchen. • Der Kernbereich „Räumliche Objekte“ bezieht sich auf das Herstellen räumlicher Objekte und das Erkennen, Beschreiben, Sortieren und Benennen geometrischer Körper. Analog zu ebenen Figuren wird auch hier das Erkennen von Körpern in der Umwelt aufgezählt sowie das Messen in diesem Fall von Rauminhalten. Wenn Verpackungen, wie z. B. Schachteln von Süßigkeiten, gesammelt und hinsichtlich ihrer Form sortiert, benannt und beschrieben werden, sind das Aktivitäten, die diesem Kernbereich zugeordnet werden können. • Zum„Operieren mit räumlichen Objekten“ zählt das Bauen mit Würfeln und anderen Körpern, das Projizieren vom Raum in die Ebene und das räumliche
1.4 Der Inhaltsbereich Raum & Form
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Interpretieren zweidimensionaler Darstellungen. Weiterhin wird das Verändern räumlicher Objekte sowie das Erkennen, Herstellen und Vorstellen von Abbildungen im Raum hier zugeordnet. Ein Beispiel ist hier das Bauen mit Bauklötzen. Wenn einer Bauanleitung oder einer Abbildung entsprechend ein Bauwerk hergestellt wird, muss diese zweidimensionale Darstellung räumlich interpretiert werden. • Unter „Räumliche Beziehungen“ wird das Erfassen, Herstellen oder Vorstellen von Lagebeziehungen zwischen Objekten im Raum bzw. Figuren in der Ebene verstanden sowie das Vornehmen von Lagebeschreibungen, das Orientieren im Raum und in der Ebene, das Hineinversetzen in andere Perspektiven oder das Beschreiben von Wegen. Auch das Erkennen und Nutzen von räumlichen Beziehungen in Mustern, Bandornamenten und Parketten wird genannt (vgl. Franke und Reinhold 2016, 38). Da Franke und Reinhold (2016, 37) diese Kernbereiche nach eigener Aussage auf Basis der von Wittmann (1999) formulierten Grundideen der Geometrie und der nationalen Bildungsstandards (KMK 2004) zusammengefasst haben, werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen diesen drei Systematiken in der Abbildung 1.1 veranschaulicht und im Folgenden beschrieben.
Abbildung 1.1 Vergleich von Systematiken zum Inhaltsbereich Raum & Form
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Einige Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu den von Wittmann (1999) beschriebenen Grundideen fallen auf. Alle Kernbereiche von Franke und Reinhold (2016, 38) lassen einen Bezug zu diesen Grundideen erkennen. Unterschiede gibt es insofern, als es in der Grundidee „Geometrische Formen und ihre Konstruktion“ um ebene Figuren und räumliche Objekte geht. Ebenso enthält seine Grundidee „Operieren mit Formen“ sowohl das Operieren mit räumlichen Objekten als auch das mit ebenen Figuren. Als Grundideen, die bei den Kernbereichen nicht vorkommen, nennt Wittmann (1999) „Koordinaten“ und „Geometrisieren“. Seine Beschreibung dieser beiden Aspekte legt nahe, dass es sich hier um solche Ideen handelt, die erst nach der Grundschulzeit an Bedeutung gewinnen. Weiterhin werden als Grundideen „Maße“, „Muster“ und „Formen in der Umwelt“ aufgezählt. Alle drei werden bei Franke und Reinhold (2016) als Teil anderer Kernbereiche aufgefasst. Eine Grundidee, die räumliche Beziehungen als alleinigen Gegenstand hat, gibt es hingegen bei Wittmann (1999) nicht, er fasst diesen Aspekt als Teil der Grundideen „Operieren mit Formen“, „Muster“ und „Formen in der Umwelt“ auf. Da Wittmann (2004, 2009) auch Vorschläge für die frühe mathematische Bildung vorgelegt hat, schließt sich die Frage an, inwiefern sich diese Grundideen auch in seinen Vorschlägen für den Elementarbereich wiederfinden. Neben der numerischen Bewusstheit hält Wittmann (2009) die Formbewusstheit für einen zentralen Inhalt der frühen mathematischen Bildung, womit er die Verbindung zur Geometrie betont. „Zur Formbewusstheit gehört vor allem, dass die Kinder lernen, bestimmte Grundformen zu unterscheiden: gerade Linie, Kreislinie, Spiralen, Dreiecke, Vierecke, Kugel, Würfel“ (Wittmann 2009, 59). Außerdem wird die Bedeutung des Zeichnens von Formen mit der Hand hervorgehoben. In dieser Beschreibung lässt sich zunächst nur eine Verknüpfung zur Grundidee „Geometrische Formen und ihre Konstruktion“ (Wittmann 1999) erkennen. In den Praxisbeispielen zur Förderung der Formbewusstheit (vgl. Müller und Wittmann 2009) ist aber durchaus eine Verbindung zu den weiteren Grundideen „Muster“, „Formen in der Umwelt“ und „Operieren mit Formen“ erkennbar. Explizit wird allerdings auf die Grundideen der Geometrie kein Bezug genommen. Anders als für den Mathematikunterricht legt Wittmann für den vorschulischen Bereich demnach keine Systematik für den Bereich der Geometrie offen. Wenn man die von Franke und Reinhold (2016, 38) vorgeschlagenen Kernbereiche mit den Bildungsstandards für die Primarstufe (KMK 2004) vergleicht, fällt Folgendes auf: Die Kernbereiche Operieren mit räumlichen Objekten und räumliche Beziehungen finden sich in den Bildungsstandards als Teile des Aspekts „sich im Raum orientieren“ wieder (KMK 2004, 11). Der Aspekt „geometrische Figuren erkennen, benennen und darstellen“ (KMK 2004, 12) umfasst die Inhalte der
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Kernbereiche räumliche Objekte und ebene Figuren. Der Kernbereich Operieren mit ebenen Figuren geht im Aspekt „einfache geometrische Abbildungen erkennen, benennen und darstellen“ (KMK 2004, 12) auf. Die Bildungsstandards führen außerdem noch den Aspekt „Flächen- und Rauminhalte vergleichen und messen“ (KMK 2004, 12) auf. Dieser findet sich bei Franke und Reinhold (2016, 38) nicht als eigener Kernbereich. Messen wird jeweils als ein Inhalt der Kernbereiche ebene Figuren und räumliche Objekte genannt, wobei dort auch auf das Messen von Längen eingegangen wird. Interessant ist nun, welche Facetten des Inhaltsbereichs Raum & Form in Veröffentlichungen zur frühen mathematischen Bildung genannt werden und inwiefern sich eine der vorgestellten Systematiken darin erkennen lässt. Grüßing und Benz (2017): Inhaltsbezogene mathematische Kompetenzen Bei der Darstellung von inhaltsbezogenen Kompetenzen im Rahmen einer Abhandlung zu Zieldimensionen mathematischer Bildung im Elementar- und Primarbereich orientieren sich Grüßing und Benz (2017) nach eigener Aussage an den Bildungsstandards (KMK 2004). Für den Bereich Raum & Form werden folgende Zieldimensionen benannt. Im Einzelnen sollen Kinder bis zum Übergang vom Elementar- in den Primarbereich Kompetenzen in folgenden Teilbereichen erwerben: • Entwicklung von räumlichen Fähigkeiten – Räumliche Orientierung Orientierung im Raum Perspektivübernahme Sprache, Begriffe der Raumlage – Räumliche Visualisierung Mentales visuelles Operieren […] • Geometrische Figuren erkennen, benennen und darstellen – zweidimensionale Formen erkennen – dreidimensionale Formen erkennen – Formen zerlegen und zusammensetzen8
8 Im
Original sind die beiden Punkte „dreidimensionale Formen erkennen“ und „Formen zerlegen und zusammensetzen“ weiter eingerückt, es scheint aber schlüssig, wenn diese auf der selben Aufzählungsebene sind wie der Punkt „zweidimensionale Formen erkennen“, weshalb ich das hier gegenüber dem Original verändert habe.
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[…] • Einfache geometrische Abbildungen erkennen und darstellen • Kinder sollen symmetrische Figuren erkennen und achsensymmetrische Figuren […] und einfache translationssymmetrische Muster […] herstellen können. (Grüßing und Benz 2017, 78 f.)
Grüßing und Benz (2017) beziehen sich hier vor allem auf den Übergang vom Elementar- in den Primarbereich. Die genannten Aspekte und konkreten Ziele weisen große Schnittmengen mit den in den Bildungsstandards beschriebenen Kompetenzen auf. Das Vergleichen und Messen von Flächen- und Rauminhalten wird allerdings nicht thematisiert, dafür wird als zusätzlicher Punkt die räumliche Visualisierung benannt. Darunter verstehen sie das Vorstellen von Bewegungen und Objekten nach einer Veränderung. Grüßing und Benz (2017, 78) gehen weiterhin davon aus, dass die Voraussetzung für die Kompetenzentwicklung im Bereich Raum & Form in der Entwicklung der visuellen Wahrnehmung „mit den Bereichen ‚Auge-Hand-Koordination‘, ‚Figur-Grund-Wahrnehmung‘, Formkonstanz’, ‚Lage im Raum‘ und ‚Räumliche Beziehungen‘“ zu sehen ist. Am Beispiel der Formkonstanz erläutern die Autorinnen den Zusammenhang zwischen der visuellen Wahrnehmung und der Entwicklung geometrischer Kompetenzen folgendermaßen: „Die Fähigkeit, gleich aussehende Formen unabhängig von ihrer Lage im Raum zu erkennen und sie nach ihren Eigenschaften zu ordnen, [ist] eine wesentliche Grundlage für den Erwerb von Wissen über geometrische Formen“ (Grüßing und Benz 2017, 78). Benz et al. (2015): Frühe mathematische Bildung In dem mathematikdidaktischen Kompendium „Frühe mathematische Bildung“ von Benz et al. (2015) fällt zunächst auf, dass das Kapitel zum Inhaltsbereich Raum & Form in zwei umfangreiche Teilkapitel gegliedert wird. Dabei befasst sich das eine mit dem Teilbereich Raum, das andere mit dem Teilbereich Form. Hinsichtlich der Darstellung von Vorschlägen für die Praxis im Elementarbereich erfolgt eine weitere Untergliederung des Teilbereichs Raum entlang der Fähigkeiten räumliche Orientierung, mentale Rotation und räumliche Visualisierung. An verschiedenen Aspekten wird jeweils verdeutlicht, inwiefern eine Bedeutung für den Elementarbereich gesehen wird. So wird der Bereich der räumlichen Orientierung mit der Entwicklung von Fähigkeiten zur Perspektivübernahme und der
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Sprache, z. B. der Beschreibung von Raumlage-Beziehungen9 , verknüpft. Die Fähigkeit zur mentalen Rotation wird am Beispiel ihrer Bedeutung fürs Puzzlespiel veranschaulicht und unter der räumlichen Visualisierung wird verstanden, dass die Kinder in der Lage sind, sich Bewegungen und Veränderungen von Objekten vorzustellen, wie es z. B. beim Bauen nach Bauplan oder beim Falten der Fall ist (vgl. Benz et al. 2015, 183 f.). Im Teilkapitel „Raum“ wird auch das Konstrukt der visuellen Wahrnehmung thematisiert. Die visuelle Wahrnehmung, von der angenommen wird, dass sie sich im Vor- und frühen Grundschulalter abschließend entwickelt, wird dabei als wichtige Grundlage für die Entwicklung räumlicher Fähigkeiten gesehen: „Die räumliche Vorstellung setzt eine intakte visuelle Wahrnehmung voraus“ (Benz et al. 2015, 177). Im Unterkapitel „Kinder entdecken Formen“ erfolgt eine Untergliederung anhand der Bereiche „Dreidimensionale Formen erkennen“, „Zweidimensionale Formen erkennen“, „Kongruenz und Symmetrie“ sowie „Zerlegen und Zusammensetzen von zwei- und dreidimensionalen Figuren“. Die Ausführungen zum Formenerkennen umfassen die Inhalte Bauen bzw. Legen sowie das Beschreiben von Formen, das Formenunterscheiden und das Erkennen von Formen in der Umwelt. Der Bereich Kongruenz und Symmetrie wird ausschließlich auf Kongruenzabbildungen der Ebene bezogen (Achsenspiegelung, Drehung, Verschiebung usw.) und es werden diverse Aktivitäten, wie z. B. Herstellen von Klecksbildern und Falten, benannt, bei denen die Kinder erste Erfahrungen dazu sammeln können. Benz et al. (2015) gehen davon aus, dass Erfahrungen mit dem Zerlegen und Zusammensetzen von Figuren, z. B. beim Tangramspiel, einen Beitrag zur Entwicklung der mathematischen Konzepte von Kongruenz und Ähnlichkeit leisten können. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die hier berücksichtigten Aspekte weitgehend die gleichen sind, die sich auch bei Franke und Reinhold (2016) finden, wenn auch eine andere Systematik gewählt wird. Inhaltliche Unterschiede gibt es bezüglich der Idee des Vergleichens und Messens von Längen, Flächeninhalten und Volumina, diese findet bei Benz et al. (2015) keinen Eingang in deren Ausführungen zu Raum & Form. Genau wie Grüßing und Benz (2017) und anders als Franke und Reinhold (2016), führen Benz et al. (2015) die räumliche Visualisierung und die mentale Rotation als weitere Bereiche an.
9 Die
Schreibweise dieses Begriffs variiert in verschiedenen Veröffentlichungen, während Benz et al. (2015) „Raum-Lage-Beziehungen“ schreiben, findet sich sonst häufiger die auch für diese Arbeit gewählte Schreibweise Raumlage-Beziehungen.
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Lorenz (2016): Kinder begreifen Mathematik Lorenz (2016) befasst sich in einem Kapitel seines Buches mit dem Bereich Raum & Form, welches er in zehn Teilkapitel untergliedert. Der erste Aspekt „Wahrnehmung: Sich im Raum orientieren“ bezieht sich auf die frühe Entwicklung von Säuglingen und den Zusammenhang zwischen motorischer Entwicklung und Raumwahrnehmung (Lorenz 2016, 113). Die folgenden vier Teilkapitel entsprechen den Teilbereichen der visuellen Wahrnehmung nach Frostig und Maslow (1978), das stellt einen Unterschied zu anderen Autoren dar. So wird bei Benz et al. (2015) und Grüßing und Benz (2017) die visuelle Wahrnehmung zwar durchaus als Grundlage für die Entwicklung von Fähigkeiten im Bereich Raum & Form gesehen, aber es erfolgt hinsichtlich der Praxisvorschläge und der Kompetenzbeschreibungen keine Darstellung der Teilbereiche der visuellen Wahrnehmung im Sinne von Teilfähigkeiten. Die restlichen Kapitel von Lorenz (2016) entsprechen den Teilbereichen, die Benz et al. (2015) verwenden, wenn auch unterschiedliche Überschriften benutzt werden. In folgender Gegenüberstellung (Tabelle 1.3) werden die Übereinstimmungen und Unterschiede deutlich, wobei der von den Autoren jeweils zu einem Aspekt dargestellte Inhalt bei der Erstellung der Übersicht berücksichtigt wurde.
Tabelle 1.3 Teilbereiche von Raum & Form Lorenz (2016)
Benz et al. (2015)
Wahrnehmung: Visumotorische Koordination Figur-Grund-Unterscheidung Formkonstanz Wahrnehmung: Sich im Raum orientieren
Räumliche Orientierung
Raumlage/Räumliche Beziehungen Räumliche Begriffe Vorstellung
Mentale Rotation und Räumliche Visualisierung
Einfache geometrische Formen erkennen
Zweidimensionale Formen erkennen
Erkennen von Körpern
Dreidimensionale Formen erkennen
Symmetrien erkennen und herstellen
Kongruenz und Symmetrie Zerlegen und Zusammensetzen von zwei- und dreidimensionalen Figuren
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Lorenz (2016) fasst anders als Benz et al. (2015) den Aspekt Zerlegen und Zusammensetzen von Figuren nicht als eigenständigen Bereich auf, sondern nennt ihn als einen Bestandteil des Erkennens von Körpern und des Erkennens von einfachen geometrischen Formen. Überraschend erscheint mir bei Lorenz (2016), dass trotz der Verwendung der Teilbereiche der visuellen Wahrnehmung als eigenständige Teilkapitel ein weiteres Kapitel „Räumliche Begriffe“ aufgeführt wird. Inhaltlich kommt es hier zu einer Wiederholung von Aspekten, die unter der Überschrift „Raumlage/Räumliche Beziehungen“ schon genannt sind. Kaufmann (2011): Handbuch für die frühe mathematische Bildung Kaufmann (2011) stellt ebenfalls in einem Kapitel den Inhaltsbereich Raum & Form dar. Dabei findet sich eine ähnliche Grobunterteilung wie bei Benz et al. (2015), so werden auch hier zunächst zwei Bereiche unterschieden und folgendermaßen überschrieben: • „Raumorientierung – Vorstellung, Wahrnehmung; Räumliche Begriffe“ (Kaufmann 2011, 76) • „Formen: Flächen und Körper, Bauen und Legen“ (Kaufmann 2011, 92) Der Teil zur Raumorientierung umfasst die zwei Aspekte Vorstellung und Wahrnehmung, wobei ersterer entsprechend bei Lorenz (2016) zu finden ist. Der Aspekt der Wahrnehmung ist wiederum orientiert an den Teilbereichen der visuellen Wahrnehmung und genauso untergliedert wie bei Lorenz (2016). Der in der Überschrift genannte Punkt räumliche Begriffe wird im Teilkapitel „Die Wahrnehmung räumlicher Beziehungen und der Raumlage“ dargestellt (Kaufmann 2011, 81), was den engen Beziehungen der beiden Aspekte entspricht. Der zweite Bereich weist die gleiche Systematik wie bei Lorenz (2016) auf. Im Unterschied zu anderen Autoren thematisiert Kaufmann (2011) bei Symmetrien neben den verschiedenen Kongruenzabbildungen auch das Finden von Symmetrien in der Umwelt und stellt fest, dass es sich dabei meist um räumliche Objekte handelt, wobei von den Kindern lediglich eine Ansicht fokussiert wird, was eine achsensymmetrische Deutung ermöglicht (Kaufmann 2011, 108). Gerade für das Bauspiel von Kindern ist es aber fraglich, ob das Nutzen von Symmetrien sich auf die Kongruenzabbildungen der Ebene reduzieren lässt. Auch die häufig vorgeschlagene Verwendung eines Spiegels in Verbindung mit dreidimensionalen Objekten (vgl. Lorenz 2016, 126; Kaufmann 2011, 106 f.) entspricht eher der Vorstellung einer Spiegelebene und nicht der einer Spiegelachse. Hier ist festzuhalten, dass die Erfahrungen, die Kinder zum Thema Raumsymmetrien machen
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(können), nicht vertieft werden und auch im Geometrieunterricht der Grundschule kein Thema sind. Steinweg (2007): Mathematisches Lernen Steinweg (2007) unterscheidet in ihren Ausführungen zum mathematischen Lernen, die im Zusammenhang mit dem Modellversuch „Kindergarten der Zukunft in Bayern“ im KIDZ-Handbuch (Stiftung Bildungspakt Bayern 2007) veröffentlicht wurden, ebenfalls die beiden Bereiche Raum und Form. Im Bereich Form ergänzt sie Formen und Körper um die Idee der Linien (eindimensional) und schlägt vor, dass auch diese nach geometrischen Merkmalen beschrieben, sortiert gestaltet und sinnvoll verwendet werden sollen (Steinweg 2007, 165). Der Bereich Raum besteht bei Steinweg (2007) aus den Teilbereichen der visuellen Wahrnehmung, wobei hier zusätzlich die Links-rechts-Orientierung als anzustrebende Fähigkeit hervorgehoben wird. Daneben wird dem Lesen und Herstellen von Plänen, z. B. Schatzkarten, Raumplänen, Bauanleitungen eine besondere Bedeutung für die Raumorientierung beigemessen. Rathgeb-Schnierer (2012): Mathematische Bildung Rathgeb-Schnierer (2012, 62) beschreibt folgende relevante Erfahrungen für Vorschulkinder hinsichtlich des Inhaltsbereiches Raum & Form • • • •
Erfahren des eigenen Körpers im Raum Erkennen, Nutzen und Verbalisieren von Lagebeziehungen […] Erkennen, Untersuchen, Beschreiben und Darstellen von ebenen Figuren Entdecken, Untersuchen, Beschreiben und Darstellen von geometrischen Körpern • Entdecken und Erfinden von Symmetrie • Operieren […] mit geometrischen Figuren und Körpern • Entdecken geometrischer Formen […] in der Umwelt (Rathgeb-Schnierer 2012, 62) Hier lassen sich einige Gemeinsamkeiten mit den von Wittmann (1999) genannten Grundideen finden. Die letzten beiden Punkte entsprechen jeweils den Grundideen Operieren mit Formen und Formen in der Umwelt. Die Unterscheidung zwischen ebenen Figuren, geometrischen Körpern und Symmetrie findet eine Entsprechung bei Lorenz (2016) und Kaufmann (2011). Beide thematisieren auch die Bedeutung der Körpererfahrung im Raum und den Aspekt der Raumlage im Zusammenhang mit räumlichen Begriffen. Rathgeb-Schnierer (2012, 63) listet abgesehen davon eine Reihe kognitiver Fähigkeiten auf, die beim Umgang mit
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geometrischen Formen und beim Erleben des eigenen Körpers im Raum gefördert werden. Interessant ist, dass darunter die bereits genannten Teilbereiche der visuellen Wahrnehmung verstanden werden sowie folgende weitere Aspekte: visuelle Differenzierung, räumliche Orientierung, räumliches Operieren und visuelles Gedächtnis (vgl. Rathgeb-Schnierer 2012, 63). Es fällt zunächst auf, dass hier weitere Begriffe für bekannte Aspekte ins Spiel kommen, so ist bei Rathgeb-Schnierer (2012) mit räumlichem Operieren das gleiche gemeint, was Lorenz (2016) und Kaufmann (2011) unter der Überschrift Vorstellung beschreiben und Benz et al. (2015) unter den Aspekten mentale Rotation und räumliche Visualisierung fassen. Insgesamt ist in den Ausführungen bis hierhin deutlich geworden, dass es weder eine Einheitlichkeit bezüglich der genannten Aspekte und der dafür verwendeten Begriffe noch hinsichtlich ihrer Zuordnung gibt. So werden einige Aspekte von manchen Autoren als Teilfähigkeiten des Inhaltsbereichs Raum & Form aufgefasst, von anderen Autoren hingegen als allgemeine kognitive Fähigkeiten oder Teilbereiche der visuellen Wahrnehmung, die in einer meist ungeklärten Verbindung dazu stehen. Diesbezüglich sei auf Abschnitt 1.4.2.1 verwiesen, dort wird unter anderem der Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Vorstellung thematisiert und das Konstrukt der räumlichen Fähigkeiten betrachtet. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die in Deutschland veröffentlichten Ausführungen in den meisten Fällen zwischen dem Teilbereich Raum und dem Teilbereich Form unterscheiden, aber im Detail recht unterschiedliche Strukturen aufweisen. Darüber hinaus finden sich einige internationale englischsprachige Veröffentlichungen, die auch Ausführungen zum mathematischen Inhaltsbereich Raum & Form (z. B. Sarama und Clements (2009, 159 ff.) „Geometry and Spatial Thinking“) enthalten. Bei der folgenden Betrachtung der vorliegenden internationalen Veröffentlichungen ist interessant, inwiefern zwischen Raum und Form unterschieden wird und ob im Hinblick auf den Teilbereich Raum ebenfalls die beiden Aspekte Raumvorstellung und Wahrnehmung thematisiert werden. Sarama und Clements (2009): Early Childhood Mathematics Education Research/ Clements und Sarama (2009): Learning and Teaching Early Math Sarama und Clements (2009, 159) unterscheiden zunächst zwischen den Bereichen Raum und Form. Interessant ist, dass hier eine neurowissenschaftliche Begründung für diese Unterscheidung angeführt wird. „The separation of these two basic geometric domains is based on distinct systems in the primate brain for object perception, or recognizing what an object is […] and for spatial perception, or where an object is“. Inwiefern sich die Tatsache, dass die Raumlage eines Objektes und die Form eines Objektes in unterschiedlichen Arealen des Gehirns
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verarbeitet werden, auf die Aktivitäten von Kindern ganz praktisch auswirkt, dazu sind mir keine Untersuchungen bekannt. Es ist wohl aber interessant, welche Schlüsse die beiden Autoren aus diesen und weiteren empirischen Erkenntnissen im Hinblick auf die Praxis ziehen. Clements und Sarama (2009) behandeln in ihrem Buch „Learning and Teaching Early Math“, das eine Art Curriculum für die frühe mathematische Bildung darstellt, in fünf Kapiteln das Themenfeld der Geometrie. Diese fünf Kapitel sind wiederum weiter unterteilt, wie in Tabelle 1.4 dargestellt ist.
Tabelle 1.4 Aspekte von Raum und von Form (vgl. Clements und Sarama 2009, 107–187)
Spatial Thinking
– Spatial Orientation, Navigation and Maps – Imagery and Spatial Visualization
Shape
– 2D Shapes – 3D Shapes – Congruence, Symmetry and Transformations
Composition and Decomposition of Shapes
– Composition of 3D Shapes – Composition of 2D Shapes – Disembedding 2D Shapes
Geometric Measurement: Length
– Length Measurement
Geometric Measurement: Area, Volume and Angle
– Area Measurement – Volume – Relationships Among Length, Area, and Volume – Angle and Turn Measure
In dieser Übersicht fällt zunächst der Umfang und die Ausführlichkeit auf. Hinsichtlich der einzelnen Punkte sind die Unterschiede zu den weiter vorne aus deutschsprachiger Literatur zusammengefassten Aspekten dann doch eher klein. Bislang nicht genannte Inhalte sind „Angle and Turn Measure“ und „Disembedding 2D Shapes“. Während die Messung von Winkeln und Drehungen in deutschsprachigen Veröffentlichungen für den Elementarbereich kein Thema darstellt, finden wir für den zweiten Punkt durchaus eine Entsprechung in dem Aspekt der Figur-Grund-Unterscheidung. Das ist insofern interessant, als andere
1.4 Der Inhaltsbereich Raum & Form
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Aspekte der visuellen Wahrnehmung bei Clements und Sarama (2009) nicht thematisiert werden. Insgesamt stellt das Konstrukt der „Visual Perception“, das auf die US-amerikanische Psychologin Frostig zurückgeht (Franke und Reinhold 2016, 54), keinen Anknüpfungspunkt für Clements und Sarama (2009) dar. Auch die in den deutschsprachigen Veröffentlichungen gängige Unterscheidung in Wahrnehmung und Vorstellung spiegelt sich hier nicht wider. Sarama und Clements (2008): Mathematics in Early Childhood Eine etwas andere Unterscheidung nehmen Sarama und Clements (2008) in ihrem Artikel „Mathematics in Early Childhood“ vor. Hier wird zwischen „Geometry“ und „Transformations and Symmetry“ unterschieden. Ersteres ist unterteilt in die Teilbereiche „Shape“ und „Putting Together Shapes“, beides sind Aspekte, für die wir bei Grüßing und Benz (2017) in den Punkten Erkennen und Herstellen von Formen sowie Zerlegen und Zusammensetzen von Formen Entsprechungen finden. Auch Benz et al. (2015) führen diese beiden Aspekte an. Als weiterer Bereich wird „Transformations and Symmetry“ genannt (Sarama und Clements 2008, 84 ff.). Hier ist interessant, dass Symmetrie und Veränderung zu einem Sachverhalt zusammengefasst sind. Darunter wird in etwa das Gleiche verstanden, was Grüßing und Benz (2017) als mentales visuelles Operieren bezeichnen, wobei Sarama und Clements (2008) neben dem mentalen Operieren durchaus auch das handelnde Operieren im Blick haben. Die Verbindung mit dem Aspekt der Symmetrie ist insofern naheliegend, als die von ihnen genannten Tätigkeiten „slide, turn und flip“ den geometrischen Abbildungen Verschiebung, Drehung und Achsenspiegelung entsprechen. Unter der Überschrift „Locations and Directions“ zählen Sarama und Clements (2008, 85 f.) solche Inhalte auf, die in der deutschsprachigen Literatur häufiger der Idee der räumlichen Orientierung zugeordnet werden, darüber hinaus nennen sie aber auch ähnlich wie Steinweg (2007) den Umgang mit Plänen und das Erstellen von Plänen. Van den Heuvel-Panhuizen und Buys (2005): Young Children Learn Measurement and Geometry In dem Buch „Young Children Learn Measurement and Geometry“ unterscheidet de Mor (2005) in seinem Kapitel „Domain Description Geometry“ zwischen drei geometrischen Teilbereichen: „Orienting“, „Constructing“ und „Operating with shapes and figures“ (de Mor 2005, 121). Auf den ersten Blick findet hier keine Trennung in die beiden Teilbereiche Raum und Form statt. Betrachtet man, was sich im Einzelnen hinter den Begriffen verbirgt, lassen sich eine Reihe von Gemeinsamkeiten zu den bisher dargestellten Ausführungen erkennen. Hinter „Orienting“ verbergen sich die räumliche Orientierung und die räumlichen
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Beziehungen sowie die damit verbundenen Begrifflichkeiten. Es werden außerdem die Bewegungsbegriffe zugeordnet, die für die eigene Bewegung im Raum genutzt werden, wobei eine Abgrenzung von solchen Begriffen stattfindet, die vor allem für das Operieren mit Formen verwendet werden. Dem Aspekt zugeordnet sind außerdem das Lesen und Herstellen von Plänen, in diesem Zusammenhang werden auch die Begriffe „localizing“ und „direction“ verwendet (vgl. de Mor 2005, 121 ff.). Besonders viele Gemeinsamkeiten weist diese Beschreibung zum einen mit dem von Lorenz (2016) beschriebenen Punkt räumliche Begriffe und zum anderen mit der von Sarama und Clements (2008) genutzten Bezeichnung Locations and Directions auf. Der von de Mor (2005) beschriebene Teilbereich „Constructing“ fällt hier etwas aus dem Rahmen. Er umfasst alle Aktivitäten, bei denen Kinder etwas selbst herstellen. Als Beispiele werden angeführt: – constructing with free construction materials: clay, boxes, ropes … – constructing with geometric construction materials: blocks, Lokon, Meccano, Kneks … – constructing with paper: folding, cutouts … – constructing on paper: drawing of shapes, patterns … (de Mor 2005, 127) Allen genannten Aktivitäten schreibt de Mor (2005, 128) zu, dass sie Fähigkeiten der räumlichen Visualisierung unterstützen können. Anders als z. B. Benz et al. (2015) verzichtet er darauf, räumliche Visualisierung als einen Inhalt von Raum & Form für die frühe mathematische Bildung auszuweisen und beschreibt stattdessen mit Constructing solche Tätigkeiten, die aus seiner Sicht vor dem Erwerb dieser Fähigkeiten stattfinden (müssen). Problematisch ist ein Vergleich hinsichtlich des Teilbereiches „Operating with shapes and figures“, weil der Aspekt Operieren mit Formen und Körpern bei anderen Autoren unter anderem solche Tätigkeiten enthält, die de Mor bei dem Punkt Construction nennt. „Operating with shapes and figures“ unterteilt de Mor (2005) in mehrere Unterpunkte. Das sind „Restructuring“, das sich in etwa mit dem Zerlegen von Figuren deckt, wie es andere Autoren beschreiben, „Line reflection and half turn (point reflection)“, womit die geometrischen Abbildungen Punktspiegelung und Achsenspiegelung gemeint sind und „Mosaics“, worunter zum einen die Idee des Zusammensetzens von Figuren und zum anderen das Herstellen und Erkennen geometrischer Muster verstanden werden. „Projections and shadows“ legt das Augenmerk auf Projektionen räumlicher Objekte in die Ebene, wobei hier ausschließlich die Idee des Schattenwurfs thematisiert wird. Das Thema Projektionen spielt in den meisten der zuvor dargestellten Veröffentlichungen keine große Rolle und kommt, wenn doch, vor allem im Zusammenhang mit Bauwerken und Bauplänen vor.
1.4 Der Inhaltsbereich Raum & Form
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Hinsichtlich der Bedeutung dieses Themas für Kinder im Vorschulalter und des mathematischen Zusammenhanges zwischen Projektion und Schattenwurf bietet de Mor (2005) allerdings keine weitere Erklärung an. Es werden insgesamt nur wenige Anknüpfungspunkte zum freien Spiel und zu alltäglichen Erfahrungen von Kindern dargestellt, eine Problematik, die sich auch durch die Veröffentlichungen der anderen hier betrachteten Autoren zieht. Wie weiter unten in Abschnitt 1.4.3 deutlich wird, werden zwar eine Reihe von Aktivitäten oder Spielvorschlägen, die geometrisches Lernen unterstützen, genannt, es bleibt aber, abgesehen von dem häufig dargestellten Bezug zu geometrischen Inhalten in der Grundschule, weitgehend unklar, warum – nur – die jeweils genannten Aspekte für Vorschulkinder bedeutsam sind und welche geometrischen Erfahrungen das Spiel und der Alltag der Kinder darüber hinaus zu bieten haben. In diesem Zusammenhang lässt eine Äußerung von Besuden aufhorchen, der in den 1970er Jahren eine planmäßige Ausbildung und Förderung räumlicher Fähigkeiten im Mathematikunterricht forderte und dabei den Elementarbereich im Blick hatte. Gerade in den ersten Schuljahren müssen die vielfältigen Erfahrungen der Kinder aus der Vorschulzeit aufgegriffen und planmäßig weiterentwickelt werden, weil sonst eine für die Ausbildung des räumlichen Denkens gefährliche Stagnation eintritt, die am Beginn eines lehrplanbestimmten Geometrieunterrichts in den weiterführenden Schulen nicht wieder gutzumachen ist. (Besuden 1984, 64)
Tatsächlich zeigt sich bislang in der mathematikdidaktischen Literatur kaum ein Anhaltspunkt dafür, dass die vielfältigen Erfahrungen, die Kinder in der Vorschulzeit sammeln, genauer erfasst und systematisiert werden. Vielmehr muss hinsichtlich des Inhaltsbereichs Raum & Form für den Elementarbereich festgehalten werden, dass die Vielfalt und Unterschiedlichkeit in den Veröffentlichungen es schwierig machen, zu entscheiden, welche Aspekte, Kernbereiche oder Kompetenzbereiche zentral sind und welche Bedeutung sie haben. Weder bezüglich der verwendeten Begriffe noch hinsichtlich der gewählten Systematiken lässt sich eine klare Linie erkennen. Eine Unterscheidung entsprechend Sarama und Clements (2008) in die Aspekte Formen, Zerlegen und Zusammensetzen von Formen, Symmetrie und mentales oder tatsächliches Verändern (z. B. Drehen, Verschieben, Klappen) sowie Raumlage und Richtung scheint für den Vorschulbereich interessant, weil es in meinen Augen dichter an den Tätigkeiten von Kindern und Erwachsenen in Spiel und Alltagssituationen bleibt als andere Systematiken und Begriffe, die ausschließlich einer fachlichen Systematik folgen. Ob diese
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Unterteilung der beiden Autoren sich auch im Zusammenhang mit der Beschreibung von geometrischen Inhalten in Bauspielaktivitäten wiederfindet, wird in Abschnitt 2.2.3 und dem empirischen Teil dieser Arbeit deutlich.
1.4.2
Geometrische Fähigkeiten von Kindern – Erkenntnisse zur Entwicklung
Eine Auseinandersetzung mit Forschungsbefunden hinsichtlich der Fähigkeiten junger Kinder im Bereich Raum & Form zeigt entsprechend der theoretischen Annahmen aus Abschnitt 1.4.1, dass Raum und Form weitgehend als unabhängige Konstrukte wahrgenommen und beforscht werden. Während Fähigkeiten zum Bereich Raum meist als räumliche Fähigkeiten10 bezeichnet werden, stehen beim Aspekt Form eher das Verständnis und der Erwerb geometrischer Begriffe im Fokus. Im Folgenden sind die beiden Bereiche deshalb unabhängig voneinander dargestellt.
1.4.2.1 Entwicklung räumlicher Fähigkeiten Widmet man sich dem Bereich Raum, findet man überwiegend Erkenntnisse, die in einer Verbindung zum Konstrukt des räumlichen Vorstellungsvermögens stehen. Das ist insofern nicht verwunderlich, gilt es laut Berlinger (2015, 87) doch als eines der wesentlichen Intelligenzmerkmale und wurde in verschiedenen psychologischen Teilgebieten sowie unter verschiedenen Perspektiven schon seit Anfang des letzten Jahrhunderts sehr umfassend erforscht. Wie im vorigen Kapitel aufgedeckt, wird Raumvorstellung auch aus mathematikdidaktischer Perspektive als bedeutsam angesehen und war dementsprechend auch in dieser Disziplin bereits Gegenstand verschiedener empirischer Studien11 . Das veranlasst Berlinger (2015, 88) zu folgender Feststellung: „Auch wenn das räumliche Vorstellungsvermögen in verschiedenen Wissenschaftsrichtungen relativ umfassend erforscht
10 Bei der Beschreibung von Systematiken zum Inhaltsbereich Raum und Form wurde bereits deutlich, dass das Adjektiv räumlich mit unterschiedlichen Substantiven zusammen von manchen Autoren zur Bildung (scheinbar) feststehender Begriffe genutzt wird. In manchen Veröffentlichungen findet sich daher auch, dass „räumlich“ (groß)geschrieben wird. Für die vorliegende Arbeit habe ich entschieden, außerhalb von direkten Zitaten ausschließlich die Kleinschreibung für das Adjektiv zu verwenden. 11 Eine Reihe mathematikdidaktischer Studien z. B. Dornheim (2008), Deutscher (2012), Berlinger (2015) fokussieren beispielsweise auf den Zusammenhang von räumlichen Fähigkeiten und der Mathematikleistung von Schulkindern.
1.4 Der Inhaltsbereich Raum & Form
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wurde […], existiert keine einheitliche, disziplinübergreifende anerkannte Definition“ (Berlinger 2015, 88). Vielleicht könnte man hier auch schlussfolgern, dass es keine einheitliche Definition geben kann, sondern zahlreiche zum Teil divergierende Ansätze, weil das räumliche Vorstellungsvermögen in verschiedenen Wissenschaftsrichtungen erforscht wurde. Benz et al. (2015, 172) stellen ebenfalls fest, dass es trotz der großen Anzahl von Untersuchungen zur Entwicklung von Raumvorstellung bisher weder eine einheitliche Begriffsdefinition noch ein allgemein akzeptiertes Gesamtmodell räumlicher Fähigkeiten gibt. Für die hier vorliegende Arbeit scheint eine Orientierung an den Ausführungen von Benz et al. (2015) sowie von Franke und Reinhold (2016) sinnvoll, bieten beide doch einen sowohl aktuellen als auch umfassenden Überblick über Modelle und Theorien räumlicher Fähigkeiten und stellen ausgewählte empirische Erkenntnisse hinsichtlich der Entwicklung räumlicher Fähigkeiten dar. Die folgende Tabelle fasst die zentralen Bereiche oder Subfaktoren räumlicher Fähigkeiten zusammen, wobei die auf Maier (1999) zurückgehenden Faktoren psychometrische und mathematikdidaktische Modelle integrieren. Tabelle 1.5 Räumliche Fähigkeiten (vgl. Benz et al. 2015, 172–175) Bereiche/Subfaktoren räumlicher Fähigkeiten Psychometrische Modelle
• • •
Mathemakdidaksch orienerte Modelle
• • •
Visualizaon Mental Rotaon Spaal Orientaon
(Lohmann, 1979, 1988 und Lohmann et al., 1987)
räumliche Orienerung räumliches Vorstellungsvermögen räumliches Denken
(Besuden, 1999)
Faktoren des räumlichen Vorstellungsvermögens
• • • • •
Räumliche Wahrnehmung Veranschaulichung Vorstellungsfähigkeit von Rotaonen Räumliche Beziehungen Räumliche Orienerung
(Maier, 1999)
Franke und Reinhold (2016, 85) greifen unter anderem die in Tabelle 1.5 dargestellten Begriffe und Teilkomponenten in ihrem Modell (vgl. Abbildung 1.2) auf und erläutern dazu, dass Wahrnehmung und Raumvorstellung einen besonders engen Bezug aufweisen und die Grenze zwischen den an visuellen Wahrnehmungsprozessen beteiligten gedanklichen Leistungen und der Vorstellung
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räumlicher Begebenheiten oft fließend ist. Sie halten das für etwas unbefriedigend, da dem Wunsch nach einer eindeutigen Trennung von Wahrnehmung und Vorstellung dementsprechend nur theoretisch nachgegangen werden kann (vgl. Franke und Reinhold 2016, 84). Abbildung 1.2 verdeutlicht nun zum einen, dass die einzelnen Fähigkeitskomplexe des räumlichen Vorstellungsvermögens zusammenhängen, zum anderen, dass es sich bei Wahrnehmung und Vorstellung um ineinandergreifende visuell-kognitive Prozesse handelt (vgl. Franke und Reinhold 2016, 84).
Abbildung 1.2 Räumliche Fähigkeiten (Franke und Reinhold 2016, 85)
Für das Thema dieser Arbeit sind einige der genannten Bereiche und die Entwicklung von Teilfähigkeiten in diesen Bereichen von besonderem Interesse, das sind: räumliche Orientierung, Wahrnehmung von Raumlage(-Beziehungen), räumliche Beziehungen und räumliche Veranschaulichung. Räumliche Orientierung und Wahrnehmung von Raumlage-Beziehungen Räumliche Orientierung wird bei Benz et al. (2015, 171) als eine Facette räumlicher Fähigkeiten dargestellt und wie in Tabelle 1.5 ersichtlich ist, in Anlehnung an
1.4 Der Inhaltsbereich Raum & Form
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drei verschiedene Autoren thematisiert. Bezugnehmend auf Lohman wird angenommen, dass der Bereich „Spatial Orientation“ eine Rolle spielt, wenn es darum geht, sich im Raum zu orientieren und sich eine Situation aus einer veränderten Perspektive vorzustellen. Dabei werden besonders Prozesse der Perspektivübernahme für zentral gehalten (vgl. Benz et al. 2015, 173). In Anlehnung an Besuden (1999) ist räumliche Orientierung als Fähigkeit, sich real oder mental in einer Umgebung zu orientieren, definiert (vgl. Benz et al. 2015, 174). Benz et al. (2015, 175) verwenden außerdem das sehr komplexe Modell von Maier (1999) zu Faktoren des räumlichen Vorstellungsvermögens. Die Fähigkeit zur räumlichen Orientierung zeigt sich demnach z. B. bei Aufgaben, deren Lösung vorsieht, dass man in seiner Vorstellung einen Weg, den man in einem Plan sieht, abgehen muss. Ein weiteres Mal thematisieren Benz et al. (2015, 181) den Begriff räumliche Orientierung im Zusammenhang mit zwei Aspekten der visuellen Wahrnehmung. „Die beiden […] Aspekte, Wahrnehmung der Raumlage und Wahrnehmung räumlicher Beziehungen, betreffen Fähigkeiten zur räumlichen Orientierung“ (Benz et al. 2015, 181; Hervorh. im Orig.). In diesem Zusammenhang wird räumliche Orientierung als Fähigkeit, den Standort und die räumlichen Beziehungen zwischen verschieden Objekten zu erkennen und zu verstehen, definiert. Franke und Reinhold (2016) bieten eine etwas ausführlichere Definition für räumliche Orientierung an, die das bisher Dargestellte gut zusammenfasst: Räumliches Orientieren schließt sowohl die Orientierung im wahrgenommenen Raum als auch das gedankliche Hineinversetzen in andere Perspektiven ein. Hier geht es folglich auch darum, räumliche Beziehungen in Bezug auf den eigenen Körper und dessen räumliche Ausrichtung zu erfassen, sich andere Raumlagen vorzustellen oder eine Rechts-Links-Unterscheidung vorzunehmen. Auch Aufgaben dieses Fähigkeitsbereichs lassen sich prinzipiell über eine Strategie der Räumlichen Beziehungen lösen oder sind geprägt durch das Vorstellen von Veränderungen innerhalb einer Situation. (Franke und Reinhold 2016, 86; Hervorh. im Orig.)
Hinsichtlich der Entwicklung der räumlichen Orientierung berichten Franke und Reinhold (2016) über Studien zur Entwicklung der beiden Teilfähigkeiten Perspektivübernahme und räumliche Orientierung in Realräumen. Als wohl bekannteste Studie zur Perspektivübernahme gilt Piagets „Drei-Berge-Versuch“. Dabei wird die Fähigkeit, sich gedanklich in eine andere Lage zu versetzen bzw. verschiedene Perspektiven zueinander in Beziehung zu setzen, untersucht. Ein Ergebnis dieses Versuches war, dass Kinder in Stadium I die Aufgabenstellung nicht verstanden, in Stadium II verstanden sie die Aufgabenstellung und kamen dem Auftrag nach, eine Darstellung des Bergmassivs zum Standort der Puppe herzustellen, allerdings stellten sie dabei immer die eigene Perspektive her. Ab
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Stadium III, das die Kinder laut Piaget zwischen sieben und elf Jahren erreichen, konnten die verschiedenen Perspektiven koordiniert werden, worin sich der Schritt des Übergangs vom wahrgenommenen zum vorgestellten Raum zeigt (vgl. Franke und Reinhold 2016, 98 ff.). Franke und Reinhold (2016, 99) stellen fest, dass der „‘Drei-Berge-Versuch’ wohl eines der am häufigsten zitierten, referierten und kritisch hinterfragten Experimente der Entwicklungspsychologie“ ist. Sie weisen in diesem Zusammenhang auf eine weitere, ähnlich angelegte Untersuchung Piagets hin. Diese Untersuchung zum „Plan des Dorfes“, bei dem die Kinder einer Puppe in zwei identischen Modellen einer Dorflandschaft, die jeweils um 180° gedreht waren, den jeweils korrespondierenden Standort zuweisen sollten, sei den Kindern leichter gefallen (vgl. Franke und Reinhold 2016, 100). Franke und Reinhold (2016) fassen die Ergebnisse Piagets zur räumlichen Orientierung folgendermaßen zusammen. Bis zu einem Alter von 8 oder 9 Jahren sind Kinder Piaget zufolge nicht in der Lage, eine Gesamtkoordination der verschiedenen Ansichten einer räumlichen Konfiguration vorzunehmen, da sie noch zu stark auf einzelne Aspekte der gegebenen Situation zentrieren. Erst gegen Ende der konkret-operationalen Phase beherrschen Kinder den projektiven Raum, sind also in der Lage, ihren eigenen Standort im Raum als einen von vielen zu betrachten und sich selbst in andere Perspektiven hineinzudenken. (Franke und Reinhold 2016, 103)
Jüngere Studien zur räumlichen Orientierung widmen sich ebenfalls der Entwicklung der Perspektivübernahme und bestätigen Piagets Erkenntnisse in Nachfolgeuntersuchungen zum Drei-Berge-Versuch generell. „Umstritten ist aber, wann und unter welchen Bedingungen sich diese Fähigkeit voll entfaltet“ (Franke und Reinhold 2016, 103). Bezugnehmend auf zahlreiche Studien betonen Franke und Reinhold (2016, 103 f.) außerdem, „dass Kinder schon sehr viel früher als von Piaget angenommen, verstehen, dass ein Objekt aus verschiedenen Wahrnehmungspositionen unterschiedlich aussehen kann“. Freeman kritisiert demnach bereits 1980 an dem Drei-Berge-Versuch, dass eine Fülle verschiedener Anforderungen miteinander verbunden ist und z. B. wechselseitige Übersetzungsleistungen zwischen dem räumlichen Arrangement und Zeichnungen notwendig sind. Donaldson konnte zeigen, dass auch vierjährige Kinder in der Lage sind, eine Puppe so zu positionieren, dass sie vor dem Blick eines Polizisten versteckt ist (vgl. Franke und Reinhold 2016, 104). Aufgaben zur Perspektivübernahme, die durch die Auswahl korrespondierender Abbildungen gelöst werden sollten, wie es laut Franke
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und Reinhold in den Untersuchungen von Grassmann aus dem Jahr 200212 oder von Waldow & Wittmann aus dem Jahr 200113 der Fall war, konnten hingegen nur von wenigen Kindern am Schulanfang erfolgreich bewältigt werden. „Auch Lehnung & Leplow (2001) zeigen, dass es Kindern erst mit etwa neun Jahren gelingt, alle projektiven Beziehungen einer Situation, in der multiple projektive Beziehungen zu berücksichtigen sind, vollständig zu koordinieren“ (Franke und Reinhold 2016, 104). Benz et al. (2015, 181 f.) thematisieren den Drei-Berge-Versuch und Piagets Befunde bezüglich der Fähigkeit zur Perspektivübernahme ebenfalls. Auch hier wird auf neuere Studien verwiesen, die belegen, dass bereits jüngere Kinder über Fähigkeiten zur Perspektivübernahme verfügen. Beispielhaft nennen sie in diesem Zusammenhang Niedermeyer (2013), deren Studie gleichermaßen von Franke und Reinhold (2016) beschrieben wird und deshalb an dieser Stelle etwas genauer betrachtet werden soll. Niedermeyer (2013) stellt fest, dass sich die Nachfolgeuntersuchungen zum Drei-Berge-Versuch und deren Befunde zwei Kategorien zuordnen lassen. Zum einen gibt es solche Untersuchungen, in denen Piagets Überzeugung zum Egozentrismus der Kinder widerlegt werden konnte, in dem gezeigt wurde, dass Kinder sehr wohl wissen, dass ein anderer Betrachter etwas Anderes sieht als sie selbst. Zum anderen gibt es Studien, die untersuchen, welche Prozesse bei der Perspektivübernahme stattfinden und welche Aufgabenmerkmale die Fähigkeit zur Perspektivübernahme beeinflussen (Niedermeyer 2013, 195). Die Studie von Niedermeyer (2013; 2015) selbst ist der zweiten Kategorie zuzuordnen. Sie versucht nachzuweisen, dass symmetrische Objekte für Kinder bei Aufgaben zur Perspektivübernahme eine besondere Schwierigkeit enthalten, wenn es um die Zuordnung der Seitenansichten geht. Den Kindern wurden in dieser Untersuchung Plastiktiere mit Zirkusaccessoires und Anordnungen von zwei Quadern gezeigt, wobei die Hälfte der Objekte jeweils links-rechts symmetrisch war. Die Kinder sahen diese Dinge aus einer von vier Perspektiven (für jede Perspektive stand ein farbiges Männchen) und sollten dann aus vier Fotos (für jede Perspektive eines) zu zwei bestimmten Perspektiven die Fotos zuordnen. Tatsächlich ergab sich zwischen den symmetrischen und unsymmetrischen Objekten ein Unterschied bei der Zuordnung der Seitenansichten bezüglich der Fehlertypen 12 Die Kinder sahen Abbildungen eines Schulbusses mit vier Kindern. „Anschließend wurde ihnen ein weiteres Bild mit einer weiteren Ansicht dieser Situation gezeigt und die Kinder sollten entscheiden, welches der vier Kinder den Bus auf diese Weise sieht.“ (Franke und Reinhold 2016, 104). 13 In dieser Untersuchung ging es um die Koordination von Perspektiven zwischen der bildlich präsentierten Sitzordnung einer Lerngruppe und einem darauf abgestimmten Sitzplan (vgl. Franke und Reinhold 2016, 104).
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und der Begründungen. So wurden bei den symmetrischen Objekten signifikant häufiger die Seitenansichten vertauscht. Eine Erklärung dafür, warum bei den unsymmetrischen Objekten trotzdem gleich viele Fehler auftraten, nur, dass in diesem Fall nicht die beiden Seitenansichten verwechselt wurden, sondern statt der geforderten Seitenansicht besonders oft die eigene Perspektive (egozentrische Ansicht) gewählt wurde, kann die Studie nicht geben. Ein weiterer Aspekt, der bisher in Studien zur Raumorientierung thematisiert wurde, ist der der Bewegung. So erwähnen Franke und Reinhold (2016, 104) zum einen, dass es hinsichtlich der Perspektivübernahme Befunde gibt, die zeigen, dass die aktive Bewegung Siebenjähriger förderlich auf die Entwicklung komplexer Raumorientierungsaufgaben wirkt. Zum anderen berichten sie über Studien, die sich auf die räumliche Orientierung in Realräumen beziehen und auf den Umgang mit Darstellungen der realen Umgebung, was sie auch als Teil der räumlichen Orientierung ansehen. Dabei verweisen Franke und Reinhold auf eine Untersuchung von Neidhardt & Schmitz aus dem Jahr 2001, die zeigen konnte, dass Kinder, die sich häufiger und selbstständiger im Gelände bewegen, bessere Wegfindungsleistungen zeigen. Weitere Befunde belegen, dass körperliche Aktivität und das Bewusstmachen aktuell gegangener Wege auch junge Kinder befähigen, erhebliche Orientierungsleistungen hervorzubringen (vgl. Franke und Reinhold 2016, 104 f.). Laut Franke und Reinhold (2016, 106) finden sich zahlreiche Hinweise darauf, „dass insbesondere Fähigkeiten zur Räumlichen Orientierung von aktiven Raumerkundungen profitieren“ (Hervorh. im Orig.). Benz et al. (2015, 183) gehen bezugnehmend auf Kaufmann (2011) ebenfalls davon aus, dass vielseitige Bewegungserfahrungen für Kinder bedeutsam sind. Dabei wird vor allem die Entwicklung des Körperschemas thematisiert, die eng mit der Fähigkeit, räumliche Beziehungen zu erfassen, zusammenhänge. Da Benz et al. (2015) die Wahrnehmung räumlicher Beziehungen als eine Fähigkeit sehen, die die räumliche Orientierung betrifft, lässt sich auch hier eine Verbindung zwischen der Bewegungserfahrung und der räumlichen Orientierung ziehen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, inwiefern Franke und Reinhold (2016) auf die Entwicklung der Wahrnehmung der Raumlage und der räumlichen Beziehungen eingehen. Sie sprechen vom Erkennen von Raumlage-Beziehungen. Das findet in ihren Augen auch Ausdruck in der Verwendung von Präpositionen zur Bezeichnung von Raumlage-Beziehungen. Zu diesem Aspekt führen Franke und Reinhold (2016, 90) eine Studie von Clarke et al (2008) an, die herausgefunden hat, dass von den meisten Schulanfängern die Begriffe „neben“, „vor“ und „hinter“ verstanden werden. Die Stichprobe für diese Studie waren deutsche und australische Schulanfänger. Weiterhin wird auf Grassmann verwiesen, die zeigen konnte, dass die Begriffe „links“ und „rechts“ etwa der Hälfte aller Kinder zu
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Schulbeginn noch Schwierigkeiten bereiten (vgl. Franke und Reinhold 2016, 90). Benz et al. (2015, 182) erklären die Tatsache, dass Kinder erst spät die sichere Unterscheidung von rechts und links entwickeln, damit, dass diese Begriffe „nicht unabhängig vom Betrachter sind und ggf. einen Perspektivwechsel erforderlich machen“. Es findet sich bei Benz et al. (2015) aber kein Verweis auf einen empirischen Beleg für diese Annahme. Benz et al. (2015) ordnen die Studien zur Perspektivübernahme den Aspekten Wahrnehmung der Raumlage und Wahrnehmung räumlicher Beziehungen zu. Darüber hinaus stellen sie in Anlehnung an Frostig und Maslow fest, dass zum Erlernen von Begriffen räumlicher Beziehungen Wahrnehmung und Sprache assoziiert werden müssen (vgl. Benz et al. 2015, 181). Was empirische Untersuchungen zum Bereich der Wahrnehmung im Allgemeinen angeht, fällt laut Franke und Reinhold (2016, 89) auf, dass zwar sehr intensiv Studien zur Wahrnehmung von Säuglingen betrieben wurden, über die Entwicklung der Wahrnehmung von Vor- und Grundschulkindern allerdings vergleichsweise wenig geforscht worden ist. Räumliche Beziehungen und räumliche Veranschaulichung Nachdem bis hierhin vor allem die räumliche Orientierung in Verbindung mit der Fähigkeit zur Wahrnehmung von Raumlage-Beziehungen dargestellt wurde, stellt sich die Frage, wie sich die von Franke und Reinhold (2016) genannten Felder „Räumliche Beziehungen“ und „Räumliche Veranschaulichungen“ verstehen lassen und welche Teilfähigkeiten in Studien dazu bislang untersucht wurden. „Räumliche Beziehungen“ beinhaltet laut Franke und Reinhold (2016, 84) „das Erfassen und Vorstellen intern statischer Beziehungen in ebenen Figuren, räumlichen Objekten, in ebenen Konfigurationen oder Gruppierungen von Objekten“. Das kommt zum Beispiel dann vor, wenn es um gedankliche Spiegelungen oder Drehungen des Ganzen geht. Im Unterschied dazu bedeutet räumliche Veranschaulichung das gedankliche Vorstellen von räumlichen Veränderungen (z. B. Verschieben, Zerlegen, Falten), die innerhalb eines ebenen oder räumlichen Arrangements stattfinden (vgl. Franke und Reinhold 2016, 85). Diese von Franke und Reinhold (2016) vorgenommene Unterscheidung von räumlichen Beziehungen und räumlichen Veranschaulichungen findet sich nicht in gleicher Form bei Benz et al. (2015). Hier wird zum einen in Anlehnung an psychometrische Modelle zwischen den Aspekten „Visualization“ und „Mental Rotation“ unterschieden, wobei Ersteres weitgehend dem Verständnis von räumlicher Veranschaulichung bei Franke und Reinhold entspricht, das Zweite sich aber ausschließlich auf gedankliche Rotationen ganzer Figuren bezieht. Zum anderen wird in Anlehnung an Besuden (1999) die Fähigkeit zum räumlichen Denken beschrieben, die sich dadurch auszeichnet, dass Gegenstände in der Vorstellung präsent sind und
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an diesen Vorstellungsbildern Handlungen durchgeführt werden können. Dabei wird kein Unterschied zwischen gedanklichen Veränderungen, die sich auf das Ganze beziehen, und solchen, die sich auf Teile eines räumlichen oder ebenen Arrangements beziehen, gemacht. In dem sowohl von Benz et al. (2015, 175) als auch von Franke und Reinhold (2016, 78) thematisierten Modell von Maier (1999) sind Veranschaulichung, räumliche Beziehungen und Vorstellungsfähigkeit von Rotationen als je eigene Raumvorstellungskomponenten aufgefasst, die sich teilweise überlagern. Bei Benz et al. (2015) wird außerdem eine Teilfähigkeit „Wahrnehmung räumlicher Beziehungen“ thematisiert. Diese erfordere die Fähigkeit, Beziehungen zwischen verschiedenen Objekten im Raum zu erkennen und zu beschreiben (vgl. Benz et al. 2015, 182). Das dürfte in etwa dem von Franke und Reinhold (2016, 84) genannten Erfassen räumlicher Beziehungen entsprechen. Was die Entwicklung der Fähigkeit, räumliche Beziehungen herzustellen, angeht, erläutern Benz et al. (2015, 177), bezugnehmend auf Aebli, dass dies in einem längeren Prozess erlernt wird und dass das Kind räumliche Beziehungen Schritt für Schritt entdeckt und konstruiert. In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass der Begriff hier keine weitere Einordnung oder Definition erfährt und offenbleibt, worin sich das Herstellen räumlicher Beziehungen genau ausdrückt. Franke und Reinhold (2016) führen hinsichtlich der Entwicklung des Teilbereichs „Räumliche Beziehungen“ Studien zu zwei Teilaspekten an. Als erster Teilaspekt wird das Erfassen und Vorstellen räumlicher Beziehungen in räumlichen Objekten betrachtet. Diese Fähigkeit ist laut Autorinnen bei Aufgaben angesprochen, in denen die Anzahl der in einem Würfelbauwerk verbauten Einzelwürfel angegeben werden muss. Diverse Studien belegen hier, dass dies Kindern bereits teilweise zu Schulbeginn gelingt (vgl. Franke und Reinhold 2016, 106). Verwiesen wird außerdem auf Studien von Merschmeyer-Brüwer, in denen sich zeigt, dass zur Bearbeitung solcher Aufgaben individuelle mentale Strukturierungsprozesse notwendig sind, bei denen die Kinder die Raumlage einzelner Würfel oder Segmente zueinander im Blick behalten oder sich vorstellen müssen. Der zweite Teilaspekt, zu dem Befunde dargestellt werden, ist das Erfassen räumlicher Beziehungen in (mental) bewegten räumlichen Objekten. Hier wird zunächst auf Untersuchungen hinsichtlich der Fähigkeit zur mentalen Rotation eingegangen. Die Ergebnisse hingen stark von der Instruktion sowie der Auswahl der Stimuli (z. B. Vertrautheit mit Objekten) ab. In Studien einer Arbeitsgruppe um Quaiser-Pohl konnte auch gezeigt werden, dass die eingesetzten Strategien Einfluss auf die Bewältigung der mentalen Rotationsaufgaben hatten (vgl. Franke und Reinhold 2016, 107). Bezüglich der Entwicklung der Fähigkeit zur räumlichen Veranschaulichung gehen Franke und Reinhold (2016, 108) auf eine Untersuchung von Bloom aus
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dem Jahr 1971 ein. Demnach entwickelt sich die Fähigkeit zur räumlichen Veranschaulichung besonders im Alter zwischen sieben und elf Jahren, wobei Kinder mit neun Jahren ungefähr 50 % der Leistungsfähigkeit eines Erwachsenen erreichen. Franke und Reinhold (2016) geben allerdings zu bedenken, „dass der Teilbereich Räumliche Veranschaulichung so komplex ist, dass pauschale Aussagen über die Entwicklung dieses Bereiches mit Vorsicht zu behandeln sind“ (Franke und Reinhold 2016, 108). Sie halten auch solche Untersuchungen in diesem Kontext für passend, die sich mit dem Symmetrieverständnis befassen und das gedankliche und konkrete Vervollständigen einer Figur ansprechen. Hierbei zeigt sich in zwei verschiedenen Studien bei Schulanfängern eine relativ hohe Kompetenz beim Ergänzen symmetrischer Figuren durch Zeichnen. Franke und Reinhold (2016, 267) nehmen an, dass die Ergebnisse dort am besten sind, wo die Kinder anhand der Teilfigur die Gesamtfigur (er)kennen. Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass Untersuchungen und Modelle zur Entwicklung von räumlichen Fähigkeiten sich kaum systematisieren lassen. Das ist insofern nicht verwunderlich, als es auch, wie bereits dargestellt, keine einheitliche Darstellung bzw. Definition von Teilfähigkeiten gibt. Benz et al. (2015, 176) stellen diesbezüglich fest, „dass es sich bei räumlichen Fähigkeiten offenbar um ein komplexes Konstrukt handelt und dass in Bezug auf die Entwicklung räumlicher Fähigkeiten hinsichtlich der zugrundeliegenden Prozesse und Strategien noch erheblicher Forschungsbedarf besteht“. Obwohl laut Benz et al. (2015, 177) die Darstellung der Forschungen einen Einblick gibt, welche räumlichen Anforderungen sich in Alltags- und Spielsituationen im Elementarbereich ergeben können, bleiben doch viele Fragen ungeklärt. So zum Beispiel auch die Frage „mit welchen Aspekten des Raums sich Kinder im Elementarbereich und darüber hinaus beschäftigen“ (Benz et al. 2015, 177). Die dargestellten Forschungen nutzen (Test-)Aufgaben und sind entweder stark an den Traditionen psychometrischer Tests orientiert – räumliche Fähigkeiten werden dabei als Intelligenzmerkmal betrachtet – oder sie stehen in der Tradition Piagets, der mithilfe von klinischen Interviews die Entwicklung der Intelligenz untersuchte und in diesem Zusammenhang auch eine Theorie zur Entwicklung der Raumvorstellung aufstellte. Es werden kaum Untersuchungen dargestellt, deren Aufgaben einen direkten Bezug zum Alltag oder zum Spiel von Kindern aufweisen, am ehesten ist das noch der Fall bei den von Franke und Reinhold (2016, 104 f.) dargestellten Studien zur räumlichen Orientierung im Realraum. Eine Analyse der Aktivitäten von Kindern im Alltag oder im Spiel unter der Fragestellung, welche räumlichen Fähigkeiten oder Teilfähigkeiten sich darin wie zeigen, war nicht Teil der
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von Franke und Reinhold (2016) bzw. Benz et al. (2015) dargestellten Untersuchungen14 . Bislang fehlen solche Beschreibungen für räumliche Fähigkeiten, die weniger spezifische Aufgaben im Blick haben und mehr die Aktivitäten von Kindern im Alltag oder Spiel berücksichtigen. Dabei ist es naheliegend, dass zum Beispiel im Bauspiel von Kindern auch räumliche Fähigkeiten eine Rolle spielen und zum Einsatz kommen (vgl. Abschnitt 2.2.3). An dieser Stelle sei erwähnt, dass zumindest fraglich ist, inwiefern in der Praxis eine Unterscheidung verschiedener Teilkomponenten sinnvoll ist, oder ob es angebracht ist, von Raumvorstellung allgemein zu sprechen (vgl. Franke und Reinhold 2016, 84). Besuden behauptet sogar: „Für die Praxis könnte man recht gut ohne eine Definition dessen auskommen, was man als Raumvorstellung bezeichnet“ (Besuden 1984, 65).
1.4.2.2 Entwicklung geometrischer Begriffe Ging es im vorigen Kapitel um räumliche Fähigkeiten, so steht in diesem Kapitel die Begriffsentwicklung hinsichtlich geometrischer Formen im Vordergrund. Franke und Reinhold (2016, 118 ff.) widmen sich zunächst ganz allgemein der Begriffsbildung im Kleinkind- und Vorschulalter. Eine Erkenntnis, die sie dabei darstellen, ist, dass Begriffe im Kleinkind- und Vorschulalter vorwiegend durch den aktiven Umgang mit Objekten in Verbindung mit Sprache erworben werden. Dabei spielen beispielsweise ganzheitliche Eindrücke aber auch die Funktionalität eines Gegenstandes eine Rolle. Auch wenn Kinder bereits Kategorien kennen oder Repräsentanten einer Kategorie zuordnen können, so können sie diese Zuweisung noch nicht mit Eigenschaften der jeweiligen Kategorie begründen (vgl. Franke und Reinhold 2016, 118). In Bezug auf geometrische Begriffe wird das Beispiel angeführt, dass schon Kleinkinder in der Lage sind, zwischen Abbildungen geometrischer Figuren oder Modellen geometrischer Körper zu unterscheiden, auch ohne die Begriffswörter dafür zu kennen oder Eigenschaften benennen zu können. Mithilfe von Sprache können Kinder im weiteren Verlauf der Entwicklung die erworbenen Begriffe ausschärfen und in Beziehung zueinander setzen. Laut Franke und Reinhold (2016, 119) spielt dafür einerseits die anschauliche Ähnlichkeit von Objekten bei der Begriffsbildung eine Rolle, so werden z. B. alle Dinge, die rund sind, Ball genannt. Andererseits wird erwähnt, dass die Begriffsbildung bei Kindern von typischen Repräsentanten ausginge. Hier ist beispielsweise hinsichtlich des Begriffs Viereck bekannt, dass Kinder das Quadrat als Prototyp für 14 Der Vollständigkeit wegen sei hier erwähnt, dass sowohl Franke und Reinhold (2016) als auch Benz et al. (2015) auf Studien zu Kinderzeichnungen eingehen. Diese entspringen ja durchaus dem alltäglichen Tun der Kinder. Allerdings wurden bei diesen Studien keine Bezüge zu den hier erläuterten Teilbereichen hergestellt, weshalb auf eine Darstellung verzichtet wurde.
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Viereck kennenlernen und dann erst im Zuge einer Generalisierung des Begriffs diesem weitere Repräsentanten zuordnen können. In Abschnitt 1.3.3.2 wurde bereits der Zusammenhang von Klassifizieren und Begriffsbildung angesprochen. Hinsichtlich der Entwicklung der Fähigkeit zu klassifizieren, greifen Franke und Reinhold (2016, 119) die Erkenntnisse von Piaget auf, wonach Kinder mit sechs bis sieben Jahren zunächst einfache Klassifikationsprobleme bewältigen können und dann die Fähigkeit entwickeln, mehrere Merkmale zu berücksichtigen. Auch hier gibt es diverse Studien, die an Piagets Erkenntnisse anknüpfen und beispielsweise zeigen konnten, dass Kinder bereits am Ende des ersten Lebensjahres in der Lage sind, Kategorien zu bilden und zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern einer Kategorie zu unterscheiden (vgl. Franke und Reinhold 2016, 120). Lorenz (2016, 122 f.) beschreibt anhand von Praxissituationen, dass Vier- oder Fünfjährige beispielsweise Bausteine nach Formen klassifizieren oder beim freien Legen und in der Gestaltung von Flächen passende Formen erkennen können oder entdecken, welche Formen sich zu neuen Formen zusammensetzen lassen. Das deckt sich mit Erkenntnissen von zur Oeveste (1987, 32), der feststellt, dass Kinder mit vier Jahren bereits in der Lage sind, Objekte nach einfachen Merkmalen zu klassifizieren. Mindestens zwei Merkmale zugleich bei einer Klasseneinteilung zu berücksichtigen, gelänge Kindern etwa ab dem 6. Lebensjahr und ein Verständnis für die Klasseninklusion sei mit zehn Jahren vorhanden (vgl. zur Oeveste 1987, 32). Eine Kritik an den Ergebnissen Piagets ist, dass ihnen nur bereichsspezifische Gültigkeit zukommt (vgl. Franke und Reinhold 2016, 119 f.). Diesbezüglich beschreibt auch zur Oeveste (1987, 33), dass Piaget die Klassifizierungsfähigkeit hauptsächlich an geometrischen Figuren prüft, die nach Gestalt- und Farbmerkmalen zu ordnen sind. In der alltäglichen Umwelt der Kinder spielen funktionale Ähnlichkeiten von Objekten aber wohl eine größere Rolle. Die Klassenbildung nach funktionalen Merkmalen bezeichnet zur Oeveste (1987) als pragmatisches Klassifizierungssystem im Unterschied zu Piagets logischem Klassifizierungssystem. Ob sich der von zur Oeveste (1987) dargestellte Entwicklungsverlauf nun auf logisches oder pragmatisches Klassifizieren bezieht, ist allerdings unklar. Aufgrund der Beobachtungen von Vorschulkindern in der durchgeführten Studie würde ich aber vermuten, dass die Fähigkeit, zwei Merkmale zugleich bei einer Klasseneinteilung zu berücksichtigen, hinsichtlich funktionaler Merkmale schon früher ausgeprägt sein dürfte und stark erfahrungsbasiert ist. Bezüglich des Bauspiels von Kindern ist anzunehmen, dass eine Unterscheidung zwischen funktionalen Merkmalen und Gestaltmerkmalen bei der Klassenbildung kaum zu treffen ist, hängen doch bei Bauklötzen die Gestaltmerkmale und die funktionalen Merkmale besonders eng zusammen. Beispielsweise könnte ein zylinderförmiger Bauklotz aus einer Kiste herausgesucht
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werden, weil diese Form im Bauwerk passend ist oder weil etwas benötigt wird, das rollt. Van-Hiele-Modell und Ausdifferenzierungen des Modells Inwiefern die Fähigkeit des Klassifizierens und das Verständnis der Klasseninklusion für den Erwerb geometrischer Begriffe eine Rolle spielen und welche Einsichten bislang zum Verständnis geometrischer Begriffe bei Kindern gewonnen wurden, wird im Folgenden ausgehend von van Hieles Modell zum Begriffsverständnis dargestellt. Das von Pierre van Hiele und Dina van Hiele-Geldorf erarbeitete Modell hat in den letzten 50 Jahren internationale Beachtung gefunden (vgl. Franke und Reinhold 2016, 136). Viele Studien zum geometrischen Begriffserwerb auch junger Kinder stützen sich darauf, gehen teilweise aber auch darüber hinaus und schlagen Ergänzungen bzw. Ausdifferenzierungen des Modells vor (u. a. Battista 2007; Hannibal 1999; Maier und Benz 2012, 2014). Fünf Denkebenen werden in van Hieles Modell unterschieden: 1. 2. 3. 4. 5.
Niveaustufe: Niveaustufe: Niveaustufe: Niveaustufe: Niveaustufe: 2016, 136)
räumlich-anschauungsgebundenes Denken analysierend-beschreibendes Denken abstrahierend-relationales Denken schlussfolgerndes Denken strenges abstrakt-mathematisches Denken (Franke und Reinhold
Es ist allgemein unstrittig, dass für Kinder bis zum Ende der Grundschulzeit insbesondere die Niveaustufen 1–3 relevant sind, weshalb hier auch nur diese drei Stufen dargestellt werden, wofür auf van Hieles (1999) Aufsatz „Developing Geometric Thinking through Activities That Begin with Play“ zurückgegriffen wird. 1. Visual Level: Laut van Hiele ist das die niedrigste Stufe, die bereits mit nonverbalem Denken beginnt. Die Figuren werden nach ihrem Aussehen beurteilt. Ein Quadrat ist ein Quadrat, weil es wie ein Quadrat aussieht. Kinder könnten demnach z. B. auch feststellen, dass etwas ein Rechteck ist, weil es wie eine Tür aussieht. 2. Descriptive Level: Figuren werden als Träger bestimmter Eigenschaften verstanden. Sie werden danach beurteilt, dass sie bestimmte Eigenschaften haben. Ein gleichseitiges Dreieck hat beispielsweise drei gleichlange Seiten, drei gleich große Winkel, es ist achsensymmetrisch und drehsymmetrisch. Sprache
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ist auf dieser Ebene wichtig, um damit Formen zu beschreiben. Allerdings werden die Eigenschaften noch nicht zueinander in Beziehung gesetzt. Auch wenn das Kind auf dieser Stufe weiß, dass ein gleichseitiges Dreieck drei gleichlange Seiten hat, muss es nicht wissen, dass auch die drei Winkel gleichgroß sind. 3. Informal Deduction Level: Auf dieser Stufe werden die Zusammenhänge zwischen den Eigenschaften einer Form verstanden. Aus einer Eigenschaft kann auf eine andere geschlossen werden. Die Eigenschaften können nun genutzt werden, um Definitionen für beispielsweise Quadrat, Rechteck oder gleichseitiges Dreieck zu formulieren und um Beziehungen zu begründen, z. B. dass alle Quadrate auch Rechtecke sind (vgl. van Hiele 1999, 133). Im Zusammenhang mit dem Thema Bauspiel ist es interessant, einen zweiten Blick auf den oben genannten Text van Hieles (1999) zu werfen. Immerhin macht er darin Vorschläge, wie sich geometrisches Denken ausgehend von Spielaktivitäten entwickeln kann. Er beschreibt Aktivitäten mit einem aus sieben Teilen bestehenden Mosaikpuzzle eines Rechtecks, durch die sich Denken auf der visuellen Ebene entwickeln kann und die den Übergang zur beschreibenden Ebene unterstützen können. Entsprechend der beiden Stufen lässt sich in den genannten Aktivitäten ausgehend von einer freien Erkundung der Puzzleteile und dem Herstellen und Benennen bestimmter Formen eine Weiterführung zu einem Erkunden, Nutzen und Beschreiben von Formeigenschaften erkennen. Allerdings verzichtet der Artikel darauf, die konkret beschriebenen Aktivitäten eindeutig mit den Denkebenen in Beziehung zu setzen. Demnach lassen sich die vorgeschlagenen Aktivitäten nicht direkt als Konkretisierung der Denkebenen und ihrer Entwicklung lesen und eine Darstellung der Niveaustufen im Zusammenhang mit Spielaktivitäten, wie es für die vorliegende Arbeit von Interesse wäre, lässt sich nicht ableiten. Wie oben schon angedeutet, wurde van Hieles Modell im Allgemeinen (z. B. Battista 2007) aber auch im Speziellen, nämlich hinsichtlich der geometrischen Entwicklung von Vorschulkindern (vgl. z. B. Maier und Benz 2012; 2014, Clements et al. 1999, Hannibal 1999), in empirischen Untersuchungen aufgegriffen und teilweise weiter ausdifferenziert. Dabei gilt als ein übereinstimmender Befund, dass sich die Van-Hiele-Ebenen nicht nacheinander, sondern gleichzeitig – aber jeweils unterschiedlich stark – entwickeln, ähnlich wie sich überschneidende Wellen. Daraus ergibt sich, dass die Ebenen nicht als Stufen zu verstehen sind und es je nach Aufgabe unterschiedlich sein kann, welches Niveau die Aufgabenbearbeitung eines Schülers aufweist (vgl. Battista 2007; Sarama und Clements 2009). Ausgehend von van Hieles Niveaustufen 1–3 beschreibt Battista (2007, 851 ff.) neun Unter-Typen
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geometrischen Begründens. Trotz dieser Ausdifferenzierung beziehen sich aktuelle Veröffentlichungen bislang vor allem auf die übergeordneten Level und die ursprünglichen Stufen van Hieles. So stellen Benz et al. (2015, 191) zusammenfassend fest: „Diesbezüglich werden folgende drei ‚Wellen‘ der Entwicklung geometrischer Wahrnehmung und Überlegungen und Begründungen identifiziert […], die typisch für einzelne Van-Hiele-Stufen sind: visuelle, deskriptiv-analytische und abstrakt-relationale Überlegungen und Begründungen (reasoning).“ Franke und Reinhold (2016, 136 ff.) beziehen sich sogar ausschließlich auf die Darstellungen van Hieles, ohne neuere Überlegungen und Deutungen einzubeziehen. Hinsichtlich der empirischen Erkenntnisse zum geometrischen Begriffsverständnis von Vorschulkindern fällt vor allem eine Verbindung zu den ersten beiden Leveln bzw. Wellen auf. Es zeigt sich auf den ersten Blick, dass dort zwar Bezüge zu van Hieles Stufen oder Battistas (2007) Ausführungen hergestellt werden, allerdings wird das nicht immer expliziert. Bevor einige empirische Ergebnisse detaillierter dargestellt werden, ist es interessant, die von Battista (2007, 851 f.) vorgenommene Ausdifferenzierung für die ersten beiden Levels zu betrachten (vgl. Tabelle 1.6). Bemerkenswert erscheint hier vor allem hinsichtlich des zweiten Levels die Einfügung der beiden Sublevel 2.1 und 2.2, die dem Gedanken Rechnung tragen, dass geometrisches Begriffsverständnis sich auch zeigt und entwickelt, solange noch keine formale Sprache zur Verfügung steht. Battista (2007) scheint demnach davon auszugehen, dass die Auseinandersetzung mit Formeigenschaften bereits auf einer informellen sprachlichen Ebene beginnt. An dieser Übersicht, in der die Ausführungen von Battista (2007, 851) zu den Leveln 1 und 2 von mir übersetzt und zusammengefasst wurden, wird deutlich, wie die Niveastufen von van Hiele (1999) weiter ausdifferenziert werden können. Ergebnisse empirischer Studien zum Verständnis geometrischer Begriffe Die Verwendung von informeller Sprache und von Gesten zeigt sich in einer Studie von Maier und Benz (2014), in der sie anhand von klinischen Interviews das geometrische Begriffsverständnis von Kindergartenkindern in Deutschland und Großbritannien untersucht haben. Die Kinder sollten Formen (Quadrate, Rechtecke, Dreiecke und Kreise) benennen, erklären und in Beziehung setzen, (verschiedene) Dreiecke zeichnen und Formen (Kreis, Quadrat, Rechteck, Dreieck) in Abbildungen erkennen und unterscheiden. Dabei haben Maier und Benz (2014) festgestellt, dass britische Kinder häufiger Erklärungen oder Charakterisierungen für Formen vornahmen als deutsche Kinder. Bei deutschen Kindern waren die Erklärungen eher informell und es wurden eher Gesten benutzt oder Dinge beschrieben, die ähnlich aussahen. Die britischen Kinder nutzten am häufigsten
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Tabelle 1.6 Level 1 und 2 (Battista 2007, 851) Level 1: Visual Holistic Reasoning Die Schüler identifizieren, beschreiben und begründen Formen und geometrische Figuren aufgrund ihres Aussehens und Gesamteindruckes. Die Orientierung einer Figur wirkt sich auf Level 1 stark auf das Formenerkennen aus, so erkennen Schüler auf Level 1 ein Quadrat vor allem dann, wenn die Seiten horizontal und vertikal sind. 1.1 Pre-recognition: Die Schüler sind noch nicht in der Lage, viele gebräuchliche Formen zu erkennen.
1.2. Recognition: Die Schüler sind in der Lage, viele gebräuchliche Formen korrekt zu erkennen.
Level 2: Analytic-Componential Reasoning Die Schüler befassen sich mit Formen, konzeptualisieren und spezifizieren Formen, indem sie ihre Bestandteile und die räumlichen Beziehungen zwischen den Bestandteilen beschreiben. Die Beschreibungen und das begriffliche Denken weisen große Unterschiede hinsichtlich ihrer Perfektion auf, was die Sublevel verdeutlichen. 2.1 Visual-informal componential reasoning: Die Schüler beschreiben Bestandteile und Eigenschaften von Formen mithilfe informeller Sprache noch unpräzise. Das formale Begriffsinventar, das präzise Eigenschaftsbeschreibungen ermöglicht, steht noch nicht zur Verfügung. Beschreibungen und Konzeptualisierungen erfolgen aufgrund des visuellen Eindrucks, der sich zunächst auf die Bestandteile einer Form und dann auf ihre Beziehung zueinander bezieht. Beispiele wären, dass auf die Anzahl der Ecken Bezug genommen wird, die noch als Punkte bezeichnet werden. Oder es wird davon gesprochen, dass alle Seiten gleich sein müssen. Einen Bezug zu einem formalen geometrischen Konzept könne man erkennen, wenn bei einem geneigten Quadrat auf die rechten Winkel Bezug genommen wird, indem gesagt wird, dass es rechtwinkelige Ecken (square corners) oder gerade Seiten (straight sides) hat (Battista 2007, 851). 2.2 Informal and insufficient formal componential reasoning: Wenn Schüler beginnen formale Konzeptualisierungen zu erwerben, verwenden sie Mischformen formaler und informeller Beschreibungen von Formen. In formalen Beschreibungen werden korrekte geometrische Konzepte verwendet und Begriffe, die im Mathematikunterricht gelehrt werden, aber die formalen Anteile in den Formenbeschreibungen reichen noch nicht, um Formen vollständig zu spezifizieren. Die Begründungen basieren noch auf dem visuellen Eindruck und die meisten der Beschreibungen und Konzeptualisierungen scheinen in dem Augenblick zu entstehen, in dem eine Form betrachtet wird. Zum Beispiel sagt ein Schüler über ein Rechteck, dass die gegenüberliegenden Seiten gleich lang sind (formale Sprache) und dass es rechtwinklige Ecken hat (informelle Sprache). 2.3 Sufficient formal property-based reasoning: Entspricht laut Battista (2007, 851) dem Van-Hiele-Level 2 und wird hier deshalb nicht näher beschrieben.
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formale Definitionen als Erklärungen. Beim Zeichnen von Dreiecken zeichneten sie besonders oft gleichseitige Dreiecke, bei denen die Spitze nach oben zeigte und die sich nur in der Größe unterschieden. Deutsche Kinder variierten die Dreiecke stärker hinsichtlich der Winkel und es gab mehr Kinder, die Dreiecke zeichneten, die sich sowohl hinsichtlich der Größe als auch der Position und der Winkel unterschieden. Dreiecke als Teil geometrischer Körper in unserer Umwelt (z. B. Straßenschilder) wurden nur von deutschen Kindern gezeichnet. Was das Erkennen und Unterscheiden von Kreisen, Quadraten und Dreiecken in Abbildungen angeht, wurden von deutschen Kindern auch ovale Formen als Kreise markiert, dafür erkannten englische Kinder häufiger Quadrate, die auf der Spitze standen, nicht als solche an, sondern bezeichneten sie als Rauten. Dreiecke, die auf der Spitze standen, wurden insgesamt häufig nicht als Dreiecke erkannt. Zusammenfassend stellen Maier und Benz (2014, 183) fest, dass die Fähigkeiten, die die Kinder in dieser Untersuchung zeigen, keine Einordnung von Kindern in ein hierarchisches Stufenmodell zulassen, da Fähigkeiten unterschiedlicher Stufen von Kindern im gleichen Alter in Abhängigkeit von der Aufgabe genutzt wurden. Im Hinblick auf die Förderung der geometrischen Begriffsbildung von Kindern nehmen Maier und Benz (2014, 185) an, dass sich eine Beschränkung auf bestimmte Prototypen, z. B. durch die verwendeten Materialien, nachteilig auswirken kann und dass anstelle eines bloßen Auswendiglernens von Definitionen der Schwerpunkt besser auf die Vermittlung eines Konzeptes mit vielen Repräsentanten als Beispielen gelegt werden sollte. Auch in Untersuchungen von Unterhauser und Gasteiger (2015, 2016) und Hannibal (1999) zeigen sich Zusammenhänge zu Theorien der Entwicklung des geometrischen Begriffsverständnisses von Kindern. Hannibal (1999) untersuchte bei drei- bis sechsjährigen Kindern, welches Verständnis der geometrischen Konzepte Dreieck und Rechteck vorhanden ist und welche Muster sich in der Entwicklung dieses Verständnisses zeigen. In ihrer Studie wurden Kinder beim Umgang mit Formen beobachtet und gefragt, ob eine bestimmte Form zu einer Formkategorie gehört oder nicht. Die Formen, die den Kindern präsentiert wurden, bestanden aus Dreiecken und Rechtecken, die jeweils Variationen der prototypischen Form hinsichtlich Größe, Seitenverhältnis oder Asymmetrie darstellten, darüber hinaus waren auch Formen enthalten, die keine Rechtecke oder Dreiecke waren. Es zeigte sich, dass die Kategorienentscheidungen durch die Stimuli beeinflusst wurden. Die Kinder haben ein ungleichschenkliges Dreieck häufiger als Dreieck akzeptiert, wenn es zusammen mit einem gleichschenkligen Dreieck, einem Kreis und einem Quadrat angeboten wurde, als wenn Kreis und Quadrat entfernt wurden und sie es von verschiedenen „spitzen Formen“ unterscheiden mussten. Als Erklärung nimmt Hannibal (1999, 355) an, dass im zweiten
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Fall eine Definition für Dreiecke notwendig war, die mehr umfassen musste als nur die Eigenschaft spitz, um zu entscheiden, welche Formen Dreiecke sind. Dabei schreibt sie jüngeren Kindern zu, folgende Kriterien für Dreiecke zu nutzen: „having a point in the middle of the top, two sides the same, and three ‚sharp‘ points and being flat on the bottom“ (Hannibal 1999, 335). In der Studie konnte außerdem beobachtet werden, dass die Konstanz beim Kategorisieren zwischen vier und sechs Jahren zunahm. Während Vier- und Fünfjährige bei der gleichen Sortieraufgabe eine Woche später andere Entscheidungen trafen, waren die Entscheidungen bei Sechsjährigen konsistent, was damit zusammenhängen könnte, dass die Ideen der Kinder darüber, was eine Figur definiert, gefestigter sind. Die Kinder zeigten in der Untersuchung außerdem mehr korrekte Kategorisierungen, wenn sie gebeten wurden, ihre Entscheidung zu einer Form zu begründen und dann beispielsweise Ecken zählten. Das spricht aus meiner Sicht möglicherweise dafür, dass Kinder mehr Wissen über Formeigenschaften haben, als sie selbstverständlich nutzen. Insgesamt zeigt sich in dieser Untersuchung, dass drei- bis sechsjährige Kinder in der Lage sind, Festlegungen hinsichtlich der Zugehörigkeit zur Kategorie Rechteck oder Dreieck zu treffen, wobei sowohl wesentliche als auch nicht wesentliche Eigenschaften wahrgenommen wurden. Bei sechsjährigen Kindern zeigte sich zwar ein stabiles, aber noch kein ganz akkurates Konzept von Dreieck und Rechteck, da auch diese noch nicht in der Lage waren, alle Formen korrekt zu kategorisieren. Hannibal (1999, 357) schlussfolgert aus ihrer Studie, dass Pädagogen den Kindern die zentralen Eigenschaften von Formen erläutern und dabei die Irrelevanz von Eigenschaften wie Orientierung, Seitenverhältnis und Symmetrie aufzeigen sollen. Unterhauser und Gasteiger (2015, 2016) befassen sich ebenfalls mit dem Begriffsverständnis von Kindern. Anders als Maier und Benz (2014) und Hannibal (1999) beziehen diese sich, was den Theoriehintergrund angeht, auf Vollrath und beschreiben die Stufen des Begriffsverständnisses folgendermaßen: „Erst zeigt sich ein intuitives Begriffsverständnis, bei dem der ‚Begriff als Phänomen‘ ganzheitlich gesehen wird, ehe der ‚Begriff als Träger von Eigenschaften‘ verstanden und anhand dieser analysiert wird“ (Unterhauser und Gasteiger 2016, 1). Auf den ersten Blick weisen diese beiden Stufen große Überschneidungen zu den Leveln 1 und 2 von van Hiele (1999) bzw. Battista (2007) auf. Die Frage ist nun, ob sich das auch in den Untersuchungsergebnissen widerspiegelt. In ihren Untersuchungen interessieren sich Unterhauser und Gasteiger (2015, 2016) zum einen für das Begriffsverständnis von Viereck und Dreieck bei Kindergartenkindern, zum anderen für das Begriffsverständnis von Parallelität ebenfalls bei Kindern im Kindergartenalter. Im Rahmen der Untersuchungen wurden jeweils halbstandardisierte Einzelinterviews mit Kindern durchgeführt. Bei ersterer ging
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es neben dem Identifizieren von Vier- und Dreiecken auch um das Wahrnehmen und Beschreiben von Eigenschaftsbegriffen, bezogen auf Linien, Strecken, Streckenlängen, -relationen und Winkel sowie um das Wahrnehmen und Beschreiben von Eigenschaften bei Vier- und Dreiecken bezogen auf Seiten, Ecken, Parallelität und Winkel (vgl. Unterhauser und Gasteiger 2016, 3). In der anderen Untersuchung, die sich mit dem Begriffsverständnis von Parallelität befasst, kamen Aufgaben zum Benennen, Zeichnen und Identifizieren verschiedener Strecken zum Einsatz sowie zum Beschreiben und Unterscheiden verschiedener Streckenpaare. Außerdem ging es um das Legen von Parallelen und das Erkennen von Parallelen in Formen. Als erste Ergebnisse werden beschrieben, dass Kinder sich auch beim Vergleichen von Strecken oder Streckenpaaren sowohl auf das Aussehen des Ganzen als auch auf bestimmte Eigenschaften beziehen und früh Ansätze eines elementaren Begriffsverständnisses von Parallelität zeigen. Dabei beschreiben sie das Verhältnis zweier Strecken zueinander auf drei verschiedene Arten: über den Abstand zwischen den Strecken (Weil die immer so gleich nebeneinander sind), über den Schnittwinkel bzw. die Neigung (Weil das keine Überkreuzung ist) oder über die Richtung (Weil die beide in die gleiche Richtung gehen). (Unterhauser und Gasteiger 2015, 930; Hervorh. im Orig.)
In der Studie zum Begriffsverständnis von Viereck und Dreieck konnten anhand der Pilotierungsstudie drei Gruppen von Kindern identifiziert werden, die Unterhauser und Gasteiger (2016, 3 f.) aufgrund des explorativen Charakters der Studie als Tendenzen verstehen. • Gruppe 1: Die Kinder neigen bei Identifikationsaufgaben zur Untergeneralisierung, d. h. es wird z. B. nur das Quadrat als Viereck identifiziert. Die Figuren werden nicht anhand ihrer Eigenschaften analysiert, was bedeutet, dass eine holistische Wahrnehmung dominiert. • Gruppe 2: Die Kinder nehmen zwar erste Eigenschaften wahr und können auf diese auch eingehen, z. B. die Anzahl der Ecken bei einer Figur richtig bestimmen, aber für die Identifikation einer Figur ist das Aussehen entscheidend, womit eine Figur mit vier Ecken unter Umständen nicht als Viereck anerkannt wird, weil sie nicht so aussieht. • Gruppe 3: Die Kinder achten auf Eigenschaften und nutzen diese für Identifikationsentscheidungen und zur Begründung ihrer Entscheidung. Meistens beziehen sich die Kinder auf die Anzahl der Ecken.
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Allen dargestellten Studien ist gemeinsam, dass sie die theoretische Annahme bestätigen, dass das Begriffsverständnis von Kindern sich sowohl auf das ganzheitliche Aussehen einer Figur als auch auf die Eigenschaften einer Figur stützt. Eine These von Sarama und Clements (2009, 211) ist in diesem Zusammenhang von weiterem Interesse. So gehen sie davon aus, dass sich Kinder bereits auf Level 1 gleichzeitig sowohl auf die Übereinstimmung mit einem gleichaussehenden Prototyp beziehen (indem sie implizit Eigenschaften analysieren) als auch Begründungen über Teile der Figur und über ihre Eigenschaften nutzen. Deshalb plädieren sie dafür, bei Level 1 nicht von „visual level“, sondern von „syncretic level“ zu sprechen, um so zu verdeutlichen, dass es sich dabei um eine Synthese von verbal beschreibendem Wissen und dem Wissen über das Aussehen von Objekten handelt (vgl. Sarama und Clements 2009, 211). Angesichts der dargestellten Untersuchungsergebnisse scheint dieser Vorschlag einerseits nachvollziehbar, andererseits ist eine Zuordnung zu einem bestimmten Level nicht das zentrale Ergebnis der Studien. Ob eher holistische Begründungen gegeben werden oder explizit auf die Eigenschaften eingegangen wird, scheint häufig auch aufgabenspezifisch und nicht in erster Linie altersabhängig oder auf die Gesamtentwicklung eines Kindes zurückführbar zu sein. Nicht zuletzt deshalb hat eine Zuordnung der Kinder zu einer Gruppe, wie es Unterhauser und Gasteiger (2016) vorschlagen, möglicherweise begrenzte Aussagekraft. In allen Untersuchungen lässt sich anhand der dargestellten Beispielaussagen von Kindern gut erkennen, dass die Versprachlichungen der Kinder überwiegend einen informellen Charakter aufweisen und diesem offensichtlich ein entscheidender Stellenwert für die geometrische Begriffsentwicklung beigemessen wird, eine Tatsache, die für die Deutung des Bauspiels von besonderem Interesse ist. Allerdings werden beim Bauspiel vor allem Handlungen an und mit räumlichen Objekten ausgeführt und dabei Erfahrungen zu geometrischen Körpern gemacht. Insofern stellt sich die Frage, ob die dargestellten Befunde zu ebenen Figuren auch im Hinblick auf geometrische Körper Gültigkeit haben. Eine Studie, die das Begriffsverständnis von Kindern hinsichtlich geometrischer Körper untersucht, beschreibt Wöller (2017). Obwohl sie sich auf das konzeptuelle Begriffsverständnis von Kindern zwischen acht und zwölf Jahren bezieht, bietet die Untersuchung einige Anknüpfungspunkte für die vorliegende Studie. Es wird auch in dieser Arbeit ein Bezug zu den Van-Hiele-Leveln hergestellt und zwar insbesondere zu den ersten beiden Leveln, „visual level“ und „descriptive level“. Die Untersuchung legt dann auch ein besonderes Augenmerk auf den Übergang vom visuellen zum deskriptiv-analytischen Level. In der Untersuchung wurden halbstandardisierte Interviews mit den Kindern
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1
Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
geführt, die videografiert wurden. Dabei sollten die Kinder ihre Vorstellungen von einem Würfel oder Quader sprachlich wiedergeben, einen Würfel und einen Quader aus Holzbausteinen bauen und begründen, warum das gebaute Objekt ein Würfel oder Quader ist. Es zeigt sich, dass zwischen Kindern danach unterschieden werden kann, ob ihren Bauhandlungen und Verbalisierungen zwei- oder dreidimensionale Konzepte zugrunde liegen. Bei dreidimensionalen Konzepten wird der Quader als Raummodell konstruiert, wobei sich drei verschiedene Prototypen finden lassen, z. B. ist ein Prototyp für Quader der doppelte Würfel. Zweidimensionale Konzepte zeigen sich, wenn der Quader nur aus einer Ebene von Würfeln besteht und dann auch nur auf die rechteckige Deckfläche Bezug genommen wird. Ein 2 × 2 × 1-Quader wird von diesen Kindern dann auch dem Konzept entsprechend nicht als Quader, sondern als Würfel oder Quadrat identifiziert. Insgesamt wird vor allem für Drittklässler angenommen, dass sie einen starken Fokus auf geometrische Flächen und unzureichende Erfahrungen mit Elementen der dreidimensionalen Geometrie haben. Bei Viert- und Fünftklässlern zeigen sich zunehmend dreidimensionale Konzepte von Körpern, wobei die Begriffe in den Verbalisierungen noch alltagssprachlich gefärbt sind (vgl. Wöller 2017, 87 f.). Interessant sind die Befunde für mich in verschiedener Hinsicht. Zum einen zeigt sich auch hier die Bedeutung der informellen Sprache in der Entwicklung des geometrischen Begriffsverständnisses. Zum anderen scheint es so zu sein, dass die Kinder das für Flächenformen erworbene Begriffs- und Eigenschaftswissen übergeneralisieren. In Anbetracht der Tatsache, dass Kindergartenkinder zum Beispiel beim Bauspiel, aber auch im Umgang mit Dingen des täglichen Lebens ständig Erfahrungen mit räumlichen Objekten sammeln, könnte eine Erklärung dafür sein, dass es eine Diskrepanz zwischen den Objekten, mit denen gehandelt wird, und den Begriffen, mit denen die Handlungen begleitet werden, gibt. Das von Wöller (2017) geäußerte Erfahrungsdefizit bezieht sich also vor allem auf „sprachliche Erfahrungen“. Das wiederum spricht dafür, dass, wie von Sarama und Clements (2009, 213) dargelegt und oben angedeutet, sprachlichbeschreibendes Wissen auch für das Identifizieren geometrischer Formen eine Rolle spielt.
1.4.3
Geometrische Aktivitäten im Kindergarten
Die in Abschnitt 1.4.1 dargestellten theoretischen Überlegungen zu einer Systematik des Inhaltsbereichs Raum & Form sowie die in Abschnitt 1.4.2 beschriebenen empirischen Befunde zur Entwicklung räumlicher Fähigkeiten bieten nur
1.4 Der Inhaltsbereich Raum & Form
81
wenige Anhaltspunkte, das geometrische Lernen von Vorschulkindern während ihrer Aktivitäten in Alltag und Spiel betreffend. Nichtsdestotrotz herrscht große Einigkeit darüber, dass dem Bereich besondere Bedeutung zukommt, wie z. B. Sarama und Clements (2009, 201) verdeutlichen. „No mathematical subject is more relevant than geometry. It lies at the heart of physics, chemistry, biology, and geography, art and architecture. It also lies at the heart of mathematics“. In Anbetracht solcher Äußerungen zum Thema Geometrie verwundert es nicht, dass sich unabhängig von den bislang fehlenden empirischen Belegen und dem zum Teil uneinheitlichen Verständnis davon, was der Inhaltsbereich Raum & Form umfassen sollte, eine Menge ganz konkreter Vorschläge, wie in der Praxis im Elementarbereich geometrisches Lernen implementiert werden kann, finden. Es fällt in den einschlägigen mathematikdidaktischen Veröffentlichungen z. B. von Benz et al. (2015), Kaufmann (2011) und Lorenz (2016) auf, dass es sehr große Überschneidungen hinsichtlich der jeweils beschriebenen Aktivitäten und Spiele bzw. Lernanlässe gibt und häufig auch zwischen den jeweils darin verwendeten oder vorgeschlagenen Spiel-, Alltags- und didaktischen Materialien. Es zeigt sich, dass sich die genannten Aktivitäten und Spiele sehr gut zu den übergeordneten Themen Bewegung, Bastelaktivitäten bzw. Aktivitäten mit Papier, Sand und Knete, Bilderbuch- oder Bildbetrachtung, Fühl- und Suchspiele, Sortierspiele, Legespiele sowie Bauspiele zusammenfassen lassen. Im Folgenden wird entlang einiger dieser Kategorien detailliert dargestellt, welche konkreten geometrischen Aktivitäten die Autoren für den Elementarbereich beschreiben und welchen Aspekten geometrischen Lernens sie jeweils zugeordnet werden. Dabei werden die Themen betrachtet, die eine besondere Nähe zum Thema der Arbeit aufweisen. Das sind – neben Bauspielen – Legespiele, da Materialien zum Bauen durchaus auch zum Legen genutzt werden können, Sandeln und Kneten, da sie genau wie Bauen und Legen den Konstruktionsspielen zuzuordnen sind und Gemeinsamkeiten damit aufweisen (vgl. Abschnitt 2.1), sowie Sortierspiele, da Sortieraktivitäten auch Teil von Bauspiel sein können. Unter der Rubrik Sandeln und Kneten lassen sich einige Vorschläge zusammenfassen, die hinsichtlich des Nutzens von Sand und anderer formbarer Stoffe gemacht werden. Kaufmann (2011, 98) und Benz et al. (2015, 199) gehen davon aus, dass beim Betrachten von Abdrücken, die geometrische Körper im Sand oder auch in Knetmasse hinterlassen, Beziehungen zwischen Körpern und Flächen erkannt werden können. Da mit dem Finger ebenfalls Spuren im Sand hinterlassen werden können, ist es möglich, in den Sand geometrische Formen zu zeichnen (vgl. Kaufmann 2011, 101). Daneben lassen sich Erfahrungen dazu sammeln, welche Körper sich aus Sand modellieren lassen und welche nicht. Das Herstellen von Vollmodellen aus Knet- oder Modelliermasse lässt sich entsprechend erarbeiten,
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
dabei können Überlegungen dazu angestellt werden, wie eine Walze herzustellen ist, oder wie aus einer Kugel eine Walze oder ein Würfel werden kann (vgl. Kaufmann 2011, 96). Wenn „Ausstecher“, die geometrische Formen erzeugen, verwendet werden, könnte beim Backen von Plätzchen überlegt werden, wie die Formen angesetzt werden müssen, damit möglichst wenig Teigabfall entsteht und wie sie auf dem Backblech anzuordnen sind, damit es möglichst wenig Platzverlust gibt. Auch die Frage, wie eine fehlende Plätzchenform durch Zerschneiden eines ausgestochenen Teils selbst hergestellt werden kann, ließe sich thematisieren (vgl. Kaufmann 2011, 101). Das Sortieren von Objekten nach ihrer Form wird als eine zentrale Aktivität angenommen, um geometrische Eigenschaften zu entdecken, zu vergleichen und darüber zu sprechen (vgl. Benz et al. 2015, 198; Kaufmann 2011, 96; Lorenz 2016, 123). Kaufmann (2011, 95) gibt diesbezüglich zu bedenken, dass das Entdecken geometrischer Eigenschaften anhand von Modellen besser als mit Alltagsgegenständen gelingt, da diese keine reinen Körperformen repräsentieren. Nichtsdestotrotz finden sich eine Reihe von Alltagsgegenständen, die jeweils als Repräsentanten für bestimmte Formen genannt werden, zum Beispiel die Murmel als Kugel, der Bauklotz als Würfel, die Kiste als Quader, die Papierrolle als Zylinder oder der Faschingshut als Kegel (vgl. Kaufmann 2011, 95). Laut Benz et al. (2015, 198) bietet sich beim Sortieren auch ein kategoriengeleitetes Vorgehen an, bei dem ein Modell als Prototyp vorgegeben wird. Lernchancen ergeben sich vor allem dann, wenn Kinder dazu aufgefordert werden, Begründungen und Merkmale für den Sortiervorgang zu nennen. Hinsichtlich der Unterscheidung und dem Sortieren ebener Figuren werden Aktivitäten mit Legeplättchen vorgeschlagen (vgl. Benz et al. 2015, 201; Kaufmann 2011, 100; Lorenz 2016, 123). Eine Beschränkung darauf halten Benz et al. (2015, 201) allerdings für nicht ausreichend, da dabei zumeist Prototypen der Formen zum Einsatz kommen. Legeplättchen, z. B. in Form von Patternblocks15 , oder Tangramspielen wird insgesamt eine große Bedeutung beigemessen, wie sich in den Ausführungen zu Legespielen zeigt. Es fällt auf, dass es eine Vielzahl an sehr konkreten und speziellen Vorschlägen für Legespiele in den drei betrachteten Büchern gibt, wobei ganz bestimmte geometrische Aspekte im Mittelpunkt stehen. Ein Aspekt ist das Verständnis von einfachen geometrischen Formen in Verbindung mit dem Zusammensetzen von Formen. Das spielt eine Rolle, wenn aus verschiedenen Formenplättchen neue 15 Patternblocks werden üblicherweise in großer Anzahl angeboten, wobei sechs verschiedene Formen mit jeweils identischen Seitenlängen enthalten sind (Quadrat, Dreieck, Sechseck, Trapez, und zwei verschiedene Rauten).
1.4 Der Inhaltsbereich Raum & Form
83
Formen und Figuren gelegt werden oder wenn beispielsweise ausprobiert wird, „ob ich einen Patternblock durch andere ersetzen kann“ (Lorenz 2016, 123). Neben Erfahrungen mit verschiedenen geometrischen Formen sammeln Kinder bei Legespielen, wie zum Beispiel beim Tangram, Erfahrungen mit den mathematischen Konzepten Kongruenz und Ähnlichkeit (vgl. Benz et al. 2015, 204). Das freie Legen mit Legeplättchen, genannt seien hier Patternblocks, ermöglicht vielfältige Erfahrungen mit Symmetrien. Das hängt auch damit zusammen, dass Regelmäßigkeiten und Symmetrien in der Regel als schön empfunden und beim Legen genutzt werden (vgl. Benz et al. 2015, 201). Kinder sammeln auch Erfahrungen mit Bandornamenten, wenn sie Muster legen, die nach links und rechts gleichmäßig fortgesetzt werden können. Erste Erkenntnisse über Parkettierungen können gewonnen werden, wenn Kinder ausprobieren, mit welchen Grundformen und Mustern eine Fläche lückenlos ausgelegt werden kann (vgl. Benz et al. 2015, 201; Lorenz 2016, 123). Vorgeschlagen wird auch, dass Kinder Muster aus dem Gedächtnis nachlegen, wobei sie laut Lorenz (2016, 119) die Fähigkeit zur räumlichen Vorstellung schulen. Außerdem wird das Legen nach Vorgaben thematisiert – entweder anhand konkreter Bildvorlagen oder nach verbaler Beschreibung –, dabei könne das Erkennen geometrischer Formen und die Wahrnehmung und Vorstellung räumlicher Beziehungen geübt werden (vgl. Kaufmann 2011, 100). Benz et al. (2015, 184) nehmen an, dass die Fähigkeit zur mentalen Rotation bei Legespielen oder Puzzeln gefördert werden kann, wenn erfahrene Puzzler verdeutlichen, worauf zu achten ist. Lorenz (2016, 122) erwartet, dass beim Legen mit Patternblocks die Verschiedenheit der viereckigen Formen bemerkt und beim Auslegen genutzt wird, wobei es nicht zwingend notwendig sei, dass die pädagogischen Fachkräfte die korrekten Begriffe für die verschiedenen Vierecke einführen (vgl. Lorenz 2016, 122). Dem Bauen oder Bauspiel widmen insbesondere Kaufmann (2011) und Benz et al. (2015) einige Ausführungen. Unterschieden wird zwischen freiem Bauen mit homogenem Material (genannt werden hier Kapla-Steine, Uhl-Bausteine16 und Holzwürfel) und Bauen mit heterogenem Material (Bauklötze in verschiedenen Formen). Benz et al. (2015, 196) gehen davon aus, dass das Zweite im Kindergarten die Regel ist, wobei sich dadurch Gelegenheiten bieten, etwas über die Eigenschaften einzelner Körperformen zu entdecken. Kaufmann (2011, 93) nimmt an, dass sich beim Beobachten und Mitbauen häufig bereits Gespräche über Formen und deren Eigenschaften ergeben. Beim Bauen mit homogenem Material und dort speziell mit Holzwürfeln entstehen laut Benz et al. (2015, 197) 16 Uhl-Bausteine wurden von Christiane Uhl ausgehend von den Fröbel-Baukästen entwickelt und bestehen aus gleichgroßen Quadern (vgl. Benz et al 2015, 197)
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1
Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
häufig symmetrische Bauwerke. In diesem Zusammenhang weist Benz auch auf das Konzept „gleiches Material in großer Menge“ hin. Neben dem freien Bauen wird das Bauen nach Vorlagen beschrieben. Dabei geht es beim Bauen nach Bildvorlagen oder skizzierten Bauanleitungen darum, dass zweidimensionale Darstellungen räumlich interpretiert werden. Beim Bauen nach verbaler Vorgabe, z. B. bei dem Spiel Baudiktat, könne die Wahrnehmung und Vorstellung räumlicher Beziehungen gefördert werden (vgl. Kaufmann 2011, 94). Zusammenfassend lässt sich in den Praxisvorschlägen feststellen, dass die Bedeutung der Sprache in sehr vielen Vorschlägen hervorgehoben wird, wobei von den Kindern nicht erwartet wird, dass sie alle Formen benennen können. Die Erwachsenen sollten hingegen als Sprachvorbild fungieren und möglichst korrekte Bezeichnungen verwenden (vgl. Benz et al. 2015, 196). Lorenz (2016, 129) teilt diese Auffassung: „Auch bei Körpern sollten die Erwachsenen bemüht sein, die richtigen Bezeichnungen zu verwenden, ohne dass sie den Kindern abverlangt werden. Sie lernen aber die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Körpern durch die Vorbildfunktion, die Erwachsene in ihrem Sprachgebrauch besitzen.“ Anders als in den in Abschnitt 1.4.2.2 dargestellten Studien wird in den Praxisvorschlägen nicht explizit auf den Unterschied zwischen informeller und formaler Sprache fokussiert. Es wird außerdem deutlich, dass sich die in den theoretischen Positionen und empirischen Erkenntnissen gefundene Unterscheidung in die beiden Bereiche Raum und Form in den konkreten Aktivitäten im Kindergarten nicht widerspiegelt. So kommen auch Benz et al. (2015) zu folgendem Schluss. Bei räumlichen Aktivitäten geht es immer um dreidimensionale Objekte im Raum oder ihre zweidimensionalen Ansichten. Damit werden immer auch zwei- oder dreidimensionale Formen thematisiert. Über die Form der zugrunde liegenden Objekte lassen sich viele Aktivitäten, die ultimativ auch der Entwicklung von räumlichen Fähigkeiten dienen, mathematisch konkretisieren und begrifflich präzise fassen. (Benz et al. 2015, 184)
Verlässt man die inhaltliche Ebene, so fällt auf, dass sich weitgehend drei Arten von Praxistipps erkennen lassen. Da wären zum einen solche Beschreibungen, die darlegen, welche Anknüpfungspunkte für den Erwerb geometrischer Begriffe oder die Förderung räumlicher Fähigkeiten das freie Spiel von Kindern, beispielsweise mit Bauklötzen oder mit einem Puzzle, theoretisch bietet und wie diese bei einer Spielbegleitung genutzt werden können. Zum anderen gibt es Vorschläge für gemeinsame Aktivitäten von Kindern und pädagogischer Fachkraft, die Kinder dazu veranlassen sollen, bestimmte Fähigkeiten spielerisch einzuüben. Als Drittes sind diagnostische Fragen oder Aufgaben erkennbar, die ermöglichen sollen, Fähigkeiten der Kinder zu beurteilen. Letztere finden sich insbesondere bei
1.5 Zusammenfassung
85
Lorenz (2016), der seine Vorschläge bereits mit „Aktivitäten und Beobachtungen im Alltag: Der kleine diagnostische Blick“ überschreibt. Besonders viele Spielvorschläge unterbreitet Kaufmann (2011), wobei hier nicht immer deutlich wird, welcher Fähigkeit ein bestimmtes Spiel zuträglich wäre. Dazu ist festzustellen, dass es bislang keine konkreten empirischen Belege dafür gibt, wie sich solche Spiele auswirken oder ob die Förderung einer bestimmten Fähigkeit auf diese Weise möglich ist. Insbesondere zum freien Bauen und Legen finden sich Beschreibungen, die auf das Potenzial der selbstgesteuerten kindlichen Aktivitäten eingehen. Auch in der Äußerung „wenngleich beim freien Bauen sicherlich keine direkte Steuerung durch die Erzieherin stattfinden soll“ (Kaufmann 2011, 93), offenbart sich eine besondere Stellung des Bauspiels. Daraus resultiert, dass eine systematische Beschreibung und Deutung von kindlichen Bauspielaktivitäten durchaus von mathematikdidaktischem Interesse ist.
1.5
Zusammenfassung
Wurde bereits in Abschnitt 1.1 deutlich, dass die Perspektive der Mathematikdidaktik vor allem darauf ausgerichtet ist, wie Mathematiklernen durch Spiele oder Spielen angeregt werden kann, so zeigt sich das in der Perspektive auf die Lernfelder früher mathematischer Bildung gleichermaßen, indem vor allem dargestellt wird, was gelernt werden soll und wie mathematische Kompetenzen erreicht werden können. Nun ist das zunächst nicht besonders überraschend, ist die Mathematikdidaktik doch von ihrem Ursprung her eine Disziplin, die schulisches Lernen und Lehren in den Blick nimmt. Dabei kommt der Diskussion darüber, welche Lernziele zu erreichen wären und wie die Vermittlung des Stoffs geschieht, traditionell eine große Bedeutung zu. Allerdings zeigt sich in der Mathematikdidaktik durchaus auch ein Bewusstsein für die Besonderheiten und die Andersartigkeit vorschulischen Lernens. So nehmen Lorenz und Wollring (2017) an, dass Kinder im Vorschulalter aufgrund ihres ganzheitlichen Erlebens noch kein spezifisches Interesse oder Desinteresse an Mathematik haben oder entwickeln können, vielmehr halten sie die Motivation, eine bestimmte Handlung auszuführen, für den Hauptantrieb junger Kinder. „Motivation […] ergibt sich im Vorschulalter aus dem Spielgeschehen, aus dem Anreiz des Spieles selbst […] sowie aus der emotionalen Nähe zu den Spielkameraden“ (Lorenz und Wollring 2017, 43). Laut Lorenz und Wollring (2017, 46) ist der spielerische Zugang im Vorschulbereich demnach genuin. Da Kinder in den Spielen, die sie durchführen, mathematische Ideen vorfinden und
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Mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen …
entdecken können und weil das Spiel zum Alltag der Kita gehöre, mache die spielerische Integration von Aktivitäten zur Förderung mathematischer Kompetenzen keine Schwierigkeiten (vgl. Lorenz und Wollring 2017, 49). Mit dieser Sichtweise werden bestimmte Anforderungen an pädagogische Fachkräfte verbunden: Zum einen das vorgelebte Interesse für den mathematischen Inhalt und zum anderen das Aufnehmen des kindlichen Interesses und das Anregen von Spielaktivitäten, die mathematisch produktive Inhalte und Ideen beinhalten. Lorenz und Wollring (2017, 49) betonen dabei, dass die für Kinder interessanten und anregenden Spiele nur aus Sicht der begleitenden Erwachsenen ein Setting mit mathematischen Ideen herstellen. Kinder haben im Vorschulalter noch kein kohärentes Bild zu Inhalt und Wesen von Mathematik. Sie erleben Mathematik unbewusst, wenn sie Muster und Strukturen erkennen und als kognitive Stütze erleben oder im Sinne einer Heuristik wieder erfolgreich anwenden können (vgl. Lorenz und Wollring 2017, 57). Nicht nur hinsichtlich der Art des Lernens, sondern auch bezüglich des Stellenwertes von Mathematik und mathematischer Inhalte wird der frühen mathematischen Bildung Eigenständigkeit zugeschrieben. Wie vorne dargelegt, stellen beispielsweise Benz et al. (2015) fest, dass ein Vorverlegen schulischer Inhalte in den Kindergarten nicht sinnvoll ist und dass Beschreibungen von mathematischen Fähigkeiten im Vorschulalter die besondere Lebens- und Erfahrungswelt der Kinder berücksichtigen sollten. Dennoch lässt sich an den Ausführungen zu mathematischen Lernfeldern eine starke Orientierung an den Inhalten des Mathematikunterrichts in der Grundschule erkennen. Häufig zeigt sich an den Vorschlägen zu Inhalten und zur Gestaltung früher mathematischer Bildung dann auch eine Diskrepanz zwischen dem, was aus mathematikdidaktischer Perspektive als wichtig für die Entwicklung mathematischer Fähigkeiten erachtet wird, und dem, was die Lebenswelt und das Spiel der Kinder prägt. Es lässt sich in diesem Zusammenhang sogar ein doppeltes Spannungsfeld erkennen. Zum einen das zwischen mathematikbezogenen Bildungsansprüchen im Hinblick auf den Mathematikunterricht in der Schule und der Lebenswelt junger Kinder, zum anderen das zwischen der Unterstützung eines umfassenden Mathematikverständnisses aller Kinder und dem Interesse, bei Kindern mit Entwicklungsrisiken durch gezielte Intervention Rechenstörungen vorzubeugen (vgl. Grüßing und Peter-Koop 2007; Lorenz 2016, 110). Obwohl das zweite Spannungsfeld bisher nicht ausdrücklich thematisiert wurde, ist es beispielsweise in einigen der in Abschnitt 1.4.3 genannten Vorschlägen durchaus immanent und sollte auch deshalb nicht vernachlässigt werden, weil frühe mathematische Förderung schwachen Kindern nachweislich am meisten nutzt (vgl. Lorenz 2016, 112). Das wirft die Frage auf, wie die Kluft zwischen den
1.5 Zusammenfassung
87
beschriebenen Überzeugungen, Erkenntnissen sowie Konzepten zu früher mathematischer Bildung auf der einen Seite und der Vorstellung, dass junge Kinder in erster Linie selbstgesteuert und eigenaktiv spielen und lernen, auf der anderen Seite überbrückt werden kann. In den Ausführungen in Abschnitt 1.2 bis 1.4 wurde immer wieder deutlich, dass bislang noch ein umfassendes Verständnis davon fehlt, wie die Aspekte, die sich als bedeutsame Lernfelder herausgestellt haben und die teilweise auch als zentrale Voraussetzungen für das Rechnenlernen in der Schule angesehen werden, im freien Spiel der Kinder eine Rolle spielen. Wenn z. B. Lorenz (2016) annimmt, dass im Spiel der Kinder (noch) keine (echte) Mathematik enthalten ist, sollte daraus nicht als einzige Schlussfolgerung gezogen werden, nach Wegen zu suchen und zu untersuchen, wie mathematische Ideen durch Fachkräfte angeregt werden können. Vielmehr sollte uns die Tatsache, dass Kinder vielfältige mathematischer Fähigkeiten bereits vor Schuleintritt erworben haben, auch dazu veranlassen, ein besseres Verständnis für die aus mathematikdidaktischer Perspektive bedeutsamen Erfahrungen, die Kinder im Spiel machen, zu entwickeln. Dieses Verständnis setzt voraus, dass wir uns auf das Spiel der Kinder einlassen und dieses verstehen können. Dafür ist auch ein umfassendes theoretisches Verständnis des zu analysierenden Spielgeschehens notwendig, weshalb im folgenden Kapitel das Bauspiel aus verschiedenen Perspektiven betrachtet wird.
2
Bauspiel
2.1
Bauspiel und kindliche Entwicklung
Uhl und Stoevesandt stellen Mitte des vorigen Jahrhunderts fest, dass die meisten Kindergärten über eine große Auswahl an Bauklotzarten verfügen und dass auch in Zeiten, in denen es wenig Spielmaterial gibt, fast alle Kindergärten eine Baukiste besitzen. Sie begründen das damit, dass jede Kindergärtnerin die kindliche Vorliebe für das Bauen kennt und die Kinder damit gut beschäftigt glaubt (vgl. Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 9)1 . Diese Feststellung dürfte wohl auch heute noch Gültigkeit haben und wirft die Fragen auf, welche Bedeutung dem Bauen als Spiel und hinsichtlich der kindlichen Entwicklung zugeschrieben wurde und bis heute wird sowie welche Definition von Bauspiel für die vorliegende Arbeit tragfähig ist. Im vorliegenden Kapitel werden diese Fragen aufgegriffen, indem die Bedeutung von Bauen als Kinderspiel sowie Erkenntnisse zur kindlichen Entwicklung des Bauspiels dargestellt werden und schließlich eine Definition für Bauspiel herausgearbeitet wird. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Bauen bzw. Bauspiel zeigt, dass sich neben eher wenigen aktuellen Veröffentlichungen eine Reihe von älteren Quellen, die sich dem Bauen von Kindern widmen, finden lässt, dabei fällt auf, dass auch in aktuellen Veröffentlichungen häufig auf diese älteren Quellen verwiesen wird. Das bezieht sich bei weitem nicht nur auf die Schriften von
1 Der
Text von Christine Uhl, auf den für diese Arbeit zurückgegriffen wird, ist eine Neubearbeitung einer kleinen Schrift, die Uhl 1947 ihrem Bauwagen beigelegt hatte (vgl. Stoevesandt 1991). © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Henschen, In Bauspielen Mathematik entdecken, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31741-6_2
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90
2
Bauspiel
Fröbel2 , sondern auf weitere beispielsweise entwicklungspsychologische Ausführungen aus den 1930er Jahren. Deshalb erfolgt die Darstellung der Positionen zum Bauspiel und zur kindlichen Entwicklung des Bauens in chronologischer Abfolge, angefangen von Fröbel bis heute.
2.1.1
1840er Jahre: Fröbel
2.1.1.1 Die Spielgaben und das Bauen Das Spiel mit Bauklötzen wird häufig mit Fröbel in Verbindung gebracht. Um zu verstehen, welche Bedeutung dieses Spiel bei Fröbel hatte, ist es notwendig, sich mit seinen Spielgaben, seinen Ausführungen dazu und seinem Spielbegriff auseinanderzusetzen. In Abschnitt 1.1.4 wurde bereits kurz auf Fröbels Spielverständnis eingegangen, wobei insbesondere die Bedeutung des Erwachsenen für das Kinderspiel hervorgehoben wurde. Fröbel (1826/1965) beschreibt aber auch die Bedeutung und die Art von Spiel bzw. Spielen in Abhängigkeit von der Entwicklung des Kindes. Auf der Stufe des Säuglings übe das Kind den Gebrauch seines Körpers und seiner Sinne. Fröbel (1826/1965, 75) spricht in diesem Zusammenhang vom beginnenden Spiel des Kindes mit seinen Gliedern und seinen Augen. Auf der Stufe des Kleinkindes wird dem Spiel eine überaus große Bedeutung beigemessen. „Spielen, Spiel ist die höchste Stufe der Kindesentwicklung, der Menschenentwicklung dieser Zeit“ (Fröbel 1826/1965, 76). Dabei wird das Spielen des Kleinkindes mit Attributen wie selbsttätig und ausdauernd versehen und es ist auch die Rede von freitätig gewählten Spielen. Auf der Stufe des Knaben geschieht laut Fröbel (1826/1965, 77) eine Veränderung des Spiels, während jüngere Kinder nur um der Tätigkeit willen spielen, geht es bei den älteren Kindern um das Werk. Fröbel spricht in diesem Zusammenhang davon, dass sich der Tätigkeitstrieb des Kleinkindes zu einem Bildungs- und Gestaltungstrieb entwickelt hat. Außer dieser Unterscheidung des Spiels nach Entwicklungsstufen finden sich in Fröbels Schriften nur wenige Anhaltspunkte dafür, dass er Spielformen unterschieden hat. Es gibt aber Hinweise darauf, dass Fröbel zwischen Bewegungsspielen und Spielen mit Spielzeug unterscheidet. So findet sich im Zusammenhang mit Fröbels (1826/1965) Erläuterungen zum Schlittenfahren und Eisgleiten eine Aufzählung von Spielen der Körperbewegung, beispielsweise Laufspiele, Ballspiele, Jagdspiele, etc. Weitaus bekannter sind seine Spielgaben, 2 Fröbel
lebte von 1782 bis 1852 und widmete sich in seinen Schriften unter anderem dem Spiel von Kindern. Seine Ausführungen zu den Spielgaben entstanden in den letzten 10–15 Jahren seines Lebens.
2.1 Bauspiel und kindliche Entwicklung
91
in Verbindung damit beschreibt er ausführlich das Spiel mit dem Spielzeug, so widmet er beispielsweise zwei Texte dem Gebrauch der dritten Spielgabe, dem einmal allseitig geteilten Würfel, (vgl. Fröbel 1851/1967, 1844/1967). Betrachtet man untenstehende Übersicht (Abbildung 2.1) von der ersten bis zur sechsten Spielgabe3 , so wird deutlich, dass im Hinblick auf das Bauspiel oder Bauen, die Spielgaben ab der dritten Gabe von besonderem Interesse sind, da diese jeweils aus mehreren Würfeln oder Quadern, bei der fünften Spielgabe zusätzlich aus Prismen bestehen und ein Bauen damit naheliegt. Da sich Fröbel sehr ausführlich der dritten Spielgabe gewidmet hat und diese außerdem die erste Spielgabe ist, bei der das Bauen eine Rolle spielt, werden im Folgenden zunächst Fröbels Erläuterungen dazu nachvollzogen.
Abbildung 2.1 Übersicht zu Fröbels Spielgaben (eigene Fotos)
Die dritte Spielgabe Bei der dritten Spielgabe handelt es sich um einen Hauptwürfel, der in acht gleichgroße Würfel zerteilt ist. „Die Teilwürfel haben ganz dieselbe Form wie der Hauptwürfel“, unterscheiden sich aber in der Größe von diesem (Fröbel 1851/1967, 75). Laut Fröbel (1851/1967, 57) soll die Spielgabe, die er selbst mit „Die Freude der Kinder“ betitelt, dann zum Einsatz kommen, wenn das Kind Interesse daran zeigt, das Einfache und Ungeteilte zu zerteilen oder das Geteilte wieder zu verbinden. Dabei wird als ein wichtiger Grundsatz für die Darbietung des Materials genannt, dass das Kästchen so vor dem Kind entleert wird, dass „ein in sich geschlossener, dennoch leicht teilbarer und wieder herzustellender 3 Obwohl
nur zu den ersten fünf Spielgaben Ausführungen von Fröbel existieren, wurden anhand der im Nachlass Fröbels enthaltenen Spielzeuge weitere Spielgaben beschrieben. Beispielsweise sind auf der Internetseite https://www.froebel.ne.jp/gaben/gaben.html 10 Spielgaben dargestellt. Da das weiter unten erläuterte Material der Uhl-Baukästen sich auch auf die sechste Spielgabe bezieht, werden in Abbildung 1.2 die ersten sechs Spielgaben gezeigt.
92
2
Bauspiel
Würfel vor dem beachtenden Kinde“ erscheint (Fröbel 1851/1967, 79). Wenn das Material vor dem Kind liegt, soll es jedes Kind auf seine Art „auseinander- und zusammenordnen“, wobei Fröbel (1851/1967, 81) verschiedene Arten des Zusammenordnens beschreibt: Aufeinanderstellen, Hintereinanderstellen und Nebeneinanderstellen. „Die meisten Kinder lieben jedoch das Zusammenordnen nach der Höhe, das Aufstrebende“ (Fröbel 1851/1967, 81). Die Aufgabe für die Spielbegleiterin besteht darin, das, was das Kind tut, mit Worten zu begleiten, dabei wird angenommen, dass neben den Worten auch der Tonwechsel eine ordnende Funktion hat. Fröbel (1851/1967, 98) erläutert auch, was mit dem leeren Kästchen geschehen könnte, in dem die acht Würfel verpackt waren, wenn man es dem Kind zur freien Verfügung überlässt. Dann zeige sich, dass viele Kinder sich sehr lange damit beschäftigen die Würfel herauszuschütten und wieder einzupacken. Er nimmt an, dass das den Kindern dazu dient, „das Verhältnis des Vollen zum Hohlen kennen zu lernen“ (Fröbel 1851/1967, 98). Fröbel (1844/1967, 24) versucht in seinen Ausführungen, zumindest teilweise eine Systematik herzustellen, die im Folgenden dargestellt werden soll. Laut Fröbel lassen sich die Darstellungen, die aus den Tätigkeiten mit der dritten Spielgabe entstehen, in drei Formen unterscheiden. Durch Auf- und Aneinanderbauen der Würfel werden vor allem Gegenstände des umgebenden Lebens nachgebildet, was als Lebensformen oder aus Sicht des Kindes auch als Bauformen, Sach- oder Dingformen bezeichnet wird. Schönheitsformen werden solche Darstellungen genannt, die schön sind, „indem die innere Einheit in ihren verschiedenen Seiten als äußere Mannigfaltigkeit gleichsam hervorscheint“ (Fröbel 1844/1967, 24). Fröbel (1844/1967) führt hierfür auch die Bezeichnung Bildformen an, weil sie dem Kind als Bildchen ohne Gegenstandsbezug erscheinen. Darstellungen, „deren Auffassung sich mehr auf die Erkenntnis von Raum-, Zahl-, Zeit- und Bewegungsverhältnissen bezieht“, werden als Erkenntnisformen bezeichnet. Fröbel (1844/1967, 25) geht davon aus, dass das Kind dabei im Sinne eines eigentlichen Lernens mehr denkend beschäftigt ist und nennt diese Darstellungen deshalb auch Lernformen, Lehrformen oder Wahrheitsformen, wobei er es für das Spiel des Kindes weder wichtig findet, wie die Formen im Einzelnen genannt werden, noch geht er davon aus, dass die drei Kategorien trennscharf sind. Er betont sogar, „daß eine und dieselbe Form verschiedene Auffassungen, Anschauungen und Beziehungen zuläßt, also zugleich zu verschiedenen Hauptganzen […] gehört“ (Fröbel 1844/1967, 25). Für die einzelnen Darstellungsarten wird jeweils in einer eigenen Erläuterung deren Gebrauch beschrieben.
2.1 Bauspiel und kindliche Entwicklung
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Abbildung 2.2 Auszug aus „EINHUNDERT LEBENSFORMEN“ (Fröbel 1851/1967, 101)
Abbildung 2.3 Lebensformen (Blochmann et al. 1967, 114)
So verweist Fröbel (1844/1967, 26) hinsichtlich des Gebrauchs der Lebensformen auf seine Übersicht von 100 Lebensformen (vgl. Abbildung 2.2), die
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vom Einfachen zum immer mehr Zusammengesetzten und in sich Gegliederten geordnet sind. Weitere Unterordnungen darin ergeben sich beispielsweise, weil alle Anordnungen mit geradestehenden Würfeln und mit schiefgestellten Würfeln jeweils zusammengefasst sind. Interessant ist hierbei, dass Fröbel (1851/1967, 100) betont, dass diese 100 Lebensformen von den Kindern in den verschiedenen Kindergärten erfunden und dargestellt wurden und gemeinsam mit den Kindergärtnerinnen zusammengeordnet worden sind. Aus der in der Veröffentlichung vorliegenden Aufzählung von 100 verschiedenen Gegenständen ist nur schwer vorstellbar, wie diese aus acht Würfeln aufzubauen sind, dem Originalmaterial lagen damals aber Bildkarten zu allen Lebensformen bei (Abbildung 2.3). Für die Auseinandersetzung der Kinder mit den Lebensformen schlägt Fröbel (1844/1967, 32) vor, dass zunächst abgewartet wird, ob die Kinder von sich aus etwas mit dem Material erschaffen. Dabei sei es wichtig, dass man wahrnimmt und wertschätzt, was die Kinder bauen. „Ein Blick wird Dir genügen, die eben von Deinen Kindern ausgeführten Sachen selbst in ihren Einzelheiten aufzufassen und sie so durch eingehendes teilnehmendes Wort dem Leben und Seelenbedürfnis der Kinder noch näher zu bringen“ (Fröbel 1844/1967, 32). Darüber hinaus wird vorgeschlagen, das Kind zu fragen, was für eine Sache oder was für ein Ding es gemacht hat bzw. es aufzufordern, ein Ding oder eine Sache zu machen (vgl. Fröbel 1851/1967, 85). Wenn ein Kind nicht wisse, was es herstellen könnte, könne man ihm auch ein Beispiel zeigen und es zum Nachbauen auffordern. Fröbel (1844/1967, 32) bezeichnet diese Aufforderungen als Tätigkeitspflege und macht dazu weitere Vorschläge, z. B. versuchen, etwas auf eine andere Weise darzustellen oder etwas aus der Erinnerung nachzubauen und dann mit dem Original zu vergleichen. Auch Vorlegeblätter zum Nachbauen können laut Fröbel (1851/1967, 105) nützlich sein, um der Tätigkeit eine etwas andere Richtung zu geben und neue Lerngelegenheiten zu eröffnen. Als solche werden genannt: die Kenntnis einer Zeichnung, die richtige Auffassung derselben und das Vergleichen des Bildes mit der Wirklichkeit. Ein weiterer zentraler Aspekt war für Fröbel (1844/1967, 27), das Kind statt zum Einreißen und Zerstören des Gebauten „zur entwickelnden Bildung und Entstehung des Einen aus dem Andern ohne völlige Zerstörung des ersteren, hinzuführen“. Er verspricht sich davon zum einen, dass der Zerstörungstrieb beim Kind nicht geweckt und genährt wird, und zum anderen, dass die Kinder das Gesetz der stetigen Entwicklung kennenlernen. Deshalb sollen die Kinder, wenn sie mehrere der Gegenstände einzeln und getrennt ausgeführt haben, dazu aufgefordert werden, eines aus dem anderen zu entwickeln (vgl. Fröbel 1844/1967, 33).
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Abbildung 2.4 Auszug aus der „Übersichtstafel zu den Schönheitsformen“ (Blochmann et al. 1967)
Zum Gebrauch der Schönheitsformen gibt es eine Übersicht von 71 Darstellungen, die so angeordnet sind, dass deutlich wird, wie die Formen miteinander zusammenhängen und wie eine aus der anderen entwickelt wird (vgl. Abbildung 2.4). Auch dabei gilt die Annahme, dass das Kind bei der freien Verwendung des Materials auch Schönheitsformen bildet. Beschrieben wird dabei, dass diese Bildformen, die nicht für eine bestimmte Sache erscheinen, von den Kindern auch als Blumen- oder Sternformen bezeichnet werden (vgl. Fröbel 1851/1967, 86 f.). Die Aufgabe der Spielbegleitung besteht darin, dass eine solche durch Zufall entstandene Form als hübsch und schön bezeichnet wird. Für Fröbel (1844/1967, 44) deutet „hübsch“ an, „daß sich diese Form vor anderen hervorhebt“, und durch „schön“ wird verdeutlicht, „daß alle die Linien und Richtungen, welche in und mit einer Mitte unsichtbar gegeben sind, in der Form äußerlich auch sichtbar erscheinen“. Fröbel (1844/1967, 44) geht davon aus, dass das Kind weitere ähnliche Formen erfindet, nachdem es eine Vorstellung von einer solchen Form gewonnen hat, indem es sie sich eingeprägt hat und dann erneut gestaltet. Die weitere Ausführung der Schönheitsformen ergebe sich von selbst aus dem Material und dem Geiste des Spiels, wie aus dem Spieltrieb des Kindes (vgl. Fröbel 1851/1967, 90). Hier spielt nun wieder eine Rolle, dass dem Kind verdeutlicht wird, wie solche Formen, die unmittelbar aufeinanderfolgen, aus der vorhergehenden gebildet werden können. Bei den Schönheitsformen schlägt Fröbel ganze Kreisläufe vor, in deren Folge man von einer Form startet und über mehrere Schritte wieder bei
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der Ausgangsform endet (vgl. Fröbel 1844/1967, 45). In diesem Zusammenhang erläutert er auch ein Spiel mit mehreren Kindern, bei dem immer fünf Kinder eine Gruppe bilden. Diese Kinder stellen nun alle zunächst dieselbe Ausgangsform her, das erste Kind lässt seine Form unverändert, alle anderen verändern ihre nun so, dass die zweite Form entsteht, dann lässt das zweite Kind seine Form unverändert und die anderen drei verändern ihre wiederum zur nächsten. So können die Kinder am Ende den ganzen Kreislauf sehen, hieran fasziniert Fröbel (1851/1967, 110) vor allem auch die Verbindung zur Natur, in der alles vorbestimmten Kreisläufen folgt. Wenn das Kind die Form des Würfels durch die Bildung von Lebensformen und Schönheitsformen in allen möglichen Verhältnissen kennengelernt hat, interessiert es sich laut Fröbel (1844/1967, 47) auch dafür, die Beziehung der einzelnen Teile zum Ganzen kennen zu lernen. Durch den Gebrauch der Erkenntnisformen könne man diesem Bedürfnis entgegenkommen. Anders als bei den Lebensformen und den Schönheitsformen zeigt sich in den Beschreibungen Fröbels (1844/1967) zu den Erkenntnisformen kein aktiver Part der Kinder. Vielmehr wird erklärt, wie der Erwachsene diese Teilungen vorführt (vgl. Abbildung 2.5) und durch welche Worte das begleitet werden kann. Beispielsweise zeigt das zweite Bildchen in der oberen Reihe und das erste Bildchen in der unteren Reihe der Abbildung einmal die Teilung in senkrecht stehende und einmal die Teilung in waagerecht liegende Halbe, dazu wird dieser Vers vorgeschlagen: „Halbes steht und Halbes liegt, Halbes doch gleich Halbem bleibt; Lage stört die Größe nicht, Keins das andere vertreibt“ (Fröbel 1844/1967, 49). Allerdings geht Fröbel (1851/1967, 91) schon davon aus, dass die Erkenntnisformen sich auch aus der schaffenden Tätigkeit der Kinder ergeben, indem Formen entstehen, die man weder zu den Lebensformen noch zu den Schönheitsformen zählen kann.
Abbildung 2.5 Abbildung zu Erkenntnisformen (Blochmann et al. 1967, 113)
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Neben diesen „Gebrauchsanweisungen“ zu Lebensformen, Schönheitsformen und Erkenntnisformen stellt Fröbel einige allgemeine Forderungen an das Material und dessen Verwendung. Ein Grundsatz ist dabei, dass alle Würfel verbaut werden sollen, damit niemals etwas beziehungslos dasteht oder ohne Beziehung erscheint (vgl. Fröbel 1851/1967, 86). Die Tatsache, dass Fröbel diesen Aspekt hervorhebt und auch im Hinblick auf das echte Leben betont, dass nie etwas beziehungslos bleiben kann, versteht sich vielleicht am besten aus Fröbels eigener Geschichte4 und seiner Weltsicht, die hier nicht näher erläutert werden soll. Es ist ihm außerdem ein Anliegen, dass jedes Kind sein eigenes immer gleiches Spielkästchen hat. Dabei beschreibt er ganz genau, wie der Inhalt aus dem Kästchen genommen werden soll, nämlich, wie schon oben beschrieben, so, dass die Teilwürfel immer als großer Würfel vor dem Kind stehen. An anderer Stelle wird erläutert, dass auch das Kind selbst die Würfel nicht unordentlich vor sich hinschütten darf, sondern sie jedes Mal gleich aus dem Kästchen als einen Würfel vor sich hinstellen soll (vgl. Fröbel 1851/1967, 98). Er schlägt ein Reimliedchen vor, das die Spielzeugübergabe begleiten kann. Kästchen, Kästchen, Kästchen, komm, Komm zum Kindchen, komm, Laß aus deinem kleinen Haus Klötzchen doch zu ihm heraus. Kindchen führe sie heraus, War’n schon lang in ihrem Haus; Laß sie nicht so müßig bei einander liegen, Kannst gar schön sie ja zusammen fügen (Fröbel 1844/1967, 31). Wichtiger als das konkrete Lied ist ihm der Gedanke dahinter, dass man „dem Kinde das Kästchen mit freundlich auffordernden, in das Leben des Kindes eingehenden, ihm das Spielzeug achtend und liebend machenden Worten“ gibt (Fröbel 1844/1967, 31). Fröbel (1844/1967, 49) erläutert darüber hinaus, dass die Beschäftigung mit dem Material nur dadurch Spiel wird, dass sowohl „handgreifliche Sachdarstellung“ als „auch freie und selbsttätige Ausführung der Kinder sein muss“. Wenngleich in der Äußerung Fröbels nicht eindeutig ist, was er unter handgreiflicher Sachdarstellung versteht, liegt es nahe, dass damit die Aktivität und das Vormachen der Spielbegleiterin gemeint sind. 4 Fröbels
Mutter starb 1783 bevor dieser ein Jahr alt wurde. Sein Vater heiratete 1785 zwar wieder, „aber das Kind Friedrich fand bei der neuen Mutter keine Heimat“ (Hoffmann 1984, 147).
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Fröbel (1844/1967, 23) beschreibt als eine Voraussetzung für eine gute Spielbegleitung die Selbsterfahrung des Erwachsenen mit dem Material. In seinen Äußerungen kann man erkennen, dass er der Selbstbeobachtung und Reflexion Bedeutung beimisst. „Sind mehrere solcher kleiner Darstellungen Dir so gelungen, dann weilt dein stets vergleichender Geist keinen Augenblick das Verschiedenartige zu scheiden, das Gleichartige zusammen zu ordnen“ (Fröbel 1844/1967, 23). Fröbel (1844/1967) geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass man für eine Spielbegleitung alle Formen einmal selbst hergestellt haben muss. Sowohl hinsichtlich der Lebensformen als auch bezüglich der Schönheitsformen fordert er die Mutter auf, jede einzelne der Darstellungen in der vorgegebenen Reihenfolge entsprechend der Bildvorlage auszuführen. Auch der Beobachtung von Kindern bei der Selbstbeschäftigung scheint Fröbel (1851/1967, 73) einige Bedeutung beizumessen, zumindest beschreibt er, was man beobachten könnte. Fröbel nimmt an, dass der Erwachsene darüber hinaus gar nicht zu viele Vorgaben für die Spielbegleitung braucht oder bekommen sollte: „Dein reicher nun frei sich bewegender Geist wird dieselben gar nicht bedürfen, ja nicht einmal mögen“ (Fröbel 1844/1967, 33). An anderer Stelle wird das belohnende Gefühl der Selbst- und Neuerfindung hervorgehoben und gesagt, die Mutter solle dieses so viel wie möglich pflegen. Das Selbstschaffen solle vor dem prüfenden Nachbilden stehen (vgl. Fröbel 1844/1967, 54). Deutlich grenzt Fröbel (1851/1967, 77) deshalb auch seine Spielgaben von anderen Spielzeugen ab. Er ist der Auffassung, wenn die Dinge zu „gestaltet“ oder zu „ausgebildet“5 sind, dann kann das Kind von sich aus nichts mehr damit anfangen, seine Kraft, etwas aus sich zu gestalten, werde dadurch getötet. In den Ausführungen bis hierhin wurde die Vorstellung von Fröbel deutlich, dass die Spielbegleiterin (zumeist die Mutter) sich den Kindern einzeln widmet. Er unterbreitet darüber hinaus aber auch spezielle Vorschläge für den Einsatz im Kindergarten. So beschreibt Fröbel (1844/1967, 51) ein Sammelspiel, bei dem alle von den Kindern ausgeführten Gegenstände zur gemeinsamen An- und Übersicht hingestellt werden und geordnet werden, so dass betrachtet werden kann, wie die Gegenstände auseinander hätten entstehen können. Außerdem schlägt Fröbel (1851/1967, 104) vor, dass „es auch 2 bis 3 oder mehr Kindern erlaubt werden [kann], zu einer größeren und mannigfaltigeren Darstellung z. B. eines ganzen Ortes zusammenzuwirken, wo dann das eine dies, das andere etwas anderes baut“. Bemerkenswert ist, dass Fröbel weitere Beschäftigungen beschreibt, die sich vielseitig anknüpfen lassen, wie beispielsweise das Zeichnen und Malen. Allerdings bleibt offen, wie eine solche Verknüpfung aussehen würde. Es zeigt sich 5 In
die heutige Sprache übertragen, könnte das „zu vorgeformt“ oder „zu zweckgebunden“ heißen.
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außerdem ein Bewusstsein dafür, dass Kinder unterschiedliche Bedürfnisse haben, weshalb eine Abwandlung des Materials vorgeschlagen wird. „Sind nun aber Kinder […], bei welchem von diesem Spiel Gebrauch gemacht werden soll, schon körperlich so gekräftigt und gewandt, daß sie gern Größeres und Schwereres bewegen, so gebe ich ihnen auch größere und somit schwerere Würfel zum Spiel“ (Fröbel 1844/1967, 58 f.). Hiermit verbunden ist auch die Annahme, dass das Spielzeug, wenn es in einer neuen Größe zur Verfügung gestellt wird, auch wieder neues Interesse bei den Kindern weckt. Die vierte und fünfte Spielgabe Die Ausführungen zur vierten und fünften Spielgabe unterscheiden sich von den oben angesprochenen Aspekten her nicht wesentlich von denen der dritten Spielgabe. Auch hier werden Lebensformen, Schönheitsformen und Erkenntnisformen unterschieden, auch hier soll das Material immer so aus dem Kästchen herausgestülpt werden, dass zunächst der ganze Würfel vor dem Kind steht und auch hier gilt der Grundgedanke, dass immer alle Teile für die Darstellungen verwendet werden sollen. Die Unterschiede, die im Folgenden dargestellt werden, liegen zuallererst im Material selbst und zeigen sich in bestimmten Details, die in den Beschreibungen jeweils neu erwähnt werden oder besonders hervorgehoben werden. Fröbel (1838/1982b, 95) bezeichnet seine vierte Gabe der Spiel- und Beschäftigungskästchen als den „in acht Bauklötzchen geteilten Würfel“, dieser entsteht
Abbildung 2.6 Lebensformen zur vierten Spielgabe (Fröbel 1838/1982)
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durch „die Teilung des Hauptwürfels in acht unter sich gleiche Längentafeln“6 (Fröbel 1838/1982b, 94). Durch die Größenverschiedenheit der einzelnen Kanten des Bauklotzes bekomme das Spielzeug und das Spielen eine ganz neue Bedeutung. Während die Gebilde aus Würfeln laut Fröbel (1838/1982b, 95) vor allem Massen- und Körpergebilde und raumerfüllend waren, so entstehen aus den Quadern Gebilde der Flächen- und Längenerstreckung, die mehr raumbegrenzend, raumeinschließend und hohl sind (Abbildung 2.6). Als zwei neue Erscheinungen, die beim Spiel mit den Quadern hervortreten, werden das Gleichgewicht und die sich fortpflanzende Bewegung genannt. Während mit der Ersten Erfahrungen zur Statik gemeint sein dürften, wie die folgende Erläuterung Fröbels nahelegt: „allein auch das Aufbauen, so daß es sich in sich selbst durch das Gleichgewicht und den Schwerpunkt hält, schon allein macht Freude“ (Fröbel 1838/1982b, 95), lässt der zweite Aspekt mehr Raum für Interpretation. Hoffmann (1982, 296) schreibt in ihren Anmerkungen zur vierten Gabe, dass mit der „sich fortpflanzenden Bewegung“ sicher eine Spielform gemeint ist, die man in der Praxis als „Krähenschießen“7 bezeichnet: „Möglichst viele dieser Bausteine auf die kleinste Fläche gestellt, einzeln und doch so dicht, daß ein fallender Stein den nächsten berührt, werden in geraden, geschwungenen, sich verzweigenden Linien zusammen geordnet; ein Stoß genügt, um die ‚fortlaufende Bewegung‘ einzuleiten“. Allerdings ist das bei acht Steinen noch kein allzu spannendes Unterfangen. Fröbel könnte auch einfach das Umfallen oder Einstürzen der Gebilde gemeint haben, wie er es in folgender Feststellung beschreibt: „und es ist dann der hohe Turm – auch wohl bloß die Treppe, welche Freude macht – so wie auch, daß das Aufgebaute leicht wieder in seine Teile zerfällt“ (Fröbel 1838/1982b, 95). Die beiden Aspekte Gleichgewicht und Bewegung greift Fröbel (1838/1982b, 99) wieder auf, wenn er fordert, dass die Gestaltung und das Spiel mit den Lebensformen in Geschichten und Erzählungen eingekleidet werden soll: „Ganz besonders muß dies der Fall bei den Formen sein, wo eine bewegende Kraft auch äußerlich hervortritt, wie als Gleichgewicht so auch als wirklich fortlaufende Kraft und hier wieder teils einfach, teils verzweigt, teils gleichmäßig oder teils beschleunigt und verstärkt fortlaufend“. Der letzte Teil dieser Beschreibung, ließe sich als Beleg für die Deutung Hoffmanns (1982) lesen. Fröbel selbst fügt kein Beispiel für eine
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selbst beschreibt die Größenverhältnisse der entstandenen Teile nicht weiter. Hoffmann (1982, 295) ergänzt deshalb in ihren Anmerkungen: „So entstehen acht ziegelsteinförmige Bausteine im Verhältnis 1:2:4, von Fröbel ‚Längentäfelchen‘ oder ‚Bauklötze‘ genannt.“ 7 Im heutigen Sprachgebrauch ist dieser Ausdruck nicht gebräuchlich. Es geht dabei um das spielerische Erkunden des Dominoeffektes.
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Handlung oder für Lebensformen an, aus denen man das mit Sicherheit schließen kann. Anders als bei der dritten Spielgabe, folgt bei der vierten Spielgabe auf die Beschreibung der Lebensformen zunächst die der Erkenntnisformen und erst als Drittes werden die Schönheitsformen ausgeführt. Eine Begründung dafür ist, dass sich beim Spielen mit den Bauklötzen Erkenntnisformen zeigen. „So läßt sich die eine Bank (Taf. III, Fig. 12) in zwei ganz gleiche Bänke (Taf. IV, Fig 14) teilen“ (Fröbel 1838/1982b, 99) (Abbildung 2.6). Darüber hinaus thematisiert Fröbel (1838/1982b, 108), dass die dritte und vierte Spielgabe – Würfel und Quader – dem Kind gleichzeitig zum Spielen zur Verfügung gestellt werden können. Das Spiel, das dadurch entstehe, sei ein erweitertes, welches mehr geistige Kraft und Umsicht erfordere, deshalb solle davor jeweils das Spiel mit den einzelnen Kästchen in hohem Maße erschöpft sein. Die dann möglicherweise auf dieses gleichzeitige Spiel mit beiden Kästchen folgende fünfte Spielgabe lässt sich als Weiterentwicklung der dritten Spielgabe verstehen. Das letzte Spielmittel in der Reihe der würfligen Spiele war der nach allen Seiten hin einmal geteilte Würfel. Die natürliche Fortschreitung ist aber von 1 zu 2; folglich muß auch das nächste Spielmittel ein nach jeder Seite hin gleichmäßig zweimal, so allseitig in 3 gleiche Teile, darum im Ganzen in 27 gleiche Würfel geteilter Würfel sein. (Fröbel 1838/1982a, 114)
Da aber für Fröbel (1838/1982a, 114) die Vermehrung der Teile noch keine ausreichende Weiterentwicklung darstellt, muss das Schiefe als etwas Neues hinzukommen. Er sieht darin das Vermittelnde zwischen den Gegensätzen senkrecht und waagerecht und verweist darauf, dass auch bei den Lebens- und Schönheitsformen der dritten und vierten Spielgabe das „Schiefe“ schon vorübergehend vorgekommen ist. Nun solle das „Schiefe“ bleibend erscheinen, in dem der Würfel „durch zwei seiner unter sich gleichlaufenden Eckschräglinien oder in einer seiner Kantenebenen in zwei gleiche Teile geteilt werde“ (Fröbel 1838/1982a, 115). Tatsächlich gestaltet Fröbel die fünfte Spielgabe so aus, dass der Würfel in 27 gleiche Teilwürfel geteilt wird, von denen 21 ganz bleiben. Die restlichen sechs Teilwürfel werden dann weiter unterteilt: drei davon werden diagonal halbiert, so dass insgesamt sechs Dreiecksprismen entstehen, die anderen drei werden jeweils zweimal (entlang beider Diagonalen) geteilt, so dass daraus zwölf Dreiecksprismen entstehen. In seiner Beschreibung zum Gebrauch der fünften Spielgabe geht Fröbel als Erstes sehr ausführlich auf die Erkenntnisformen ein und zeigt daran sehr viele mathematische Zusammenhänge auf. Fröbel (1838/1982a, 124 f.) erklärt dazu,
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dass die Erkenntnisformen zuerst durchgeführt wurden, um die Eltern und „Kinderführer“ mit der Spielgabe bekannt zu machen und nicht, weil er annimmt, dass das Spiel der Kinder diesen Weg nimmt. Schon bei der dritten Spielgabe zeigte sich, dass Fröbel davon ausgeht, dass der Erwachsene möglichst viel selbst mit dem Material gespielt und über dessen Eigenschaften erfahren haben muss. Auch bei der fünften Spielgabe wird dieser Aspekt betont. So nimmt Fröbel an, dass das Spiel umso angenehmer ist, je vertrauter der Spielführer mit dem Material ist, das zeigt sich auch weiter unten in den Ausführungen zu den Bildtafeln. Bei der fünften Spielgabe ist besonders bemerkenswert, dass dem Leser auf neun Seiten teilweise recht komplexe mathematische Zusammenhänge, die mit dem Material nachvollzogen werden können, vorgestellt, vielleicht könnte man auch sagen, zugemutet werden. Das Kind aber, so Fröbels (1838/1982a, 124) Annahme, wird mit den Sach- und Lebensformen beginnen. Hier wird den Gebäuden, Häusern und Häuschen ein besonderer Stellenwert eingeräumt und erläutert, dass die Kinder dieses ganz besonders gern machen, weil es ihrer Lebenswelt entspricht (Abbildung 2.7). Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass Fröbel (1838/1982a, 126) davon ausgeht, dass die Darstellungen des Kindes immer von seinen eigenen Anschauungen ausgehen und Verbesserungen dieser Darstellungen vom Kind nur dann angenommen werden, wenn „sie […] im Kreise seiner Vorstellungen und Anschauungen liegen“).
Abbildung 2.7 Fünfte Spielgabe – links Erkenntnisformen, rechts ein Dorf als Beispiel für Lebensform (Fröbel 1838/1982)
Bei der fünften Spielgabe wird auch eine weitere Übung für mehrere Kinder, „die im 5. Jahre stehen“, vorgeschlagen, die als Bauspiel bezeichnet wird (Fröbel 1838/1982a, 127). Dabei bauen die Kinder gleichzeitig aus ihrem Material nach, was der Spielführer vormacht und beschreibt, danach soll jedes Kind das Bauwerk noch einmal aus der Erinnerung herstellen. Interessant sind darüber hinaus Fröbels (1838/1982a, 128) Ausführungen zu „Kunstbauen“. So nennt er eine eigene
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Art von Bauwerken, die die Kinder gern bauen und bei denen die Verteilung und Zusammenordnung der Teile durch das Gleichgewicht und die Gleichmäßigkeit bestimmt ist. Sie erhalten laut Fröbel dadurch den Ausdruck des Denkmalartigen. Die Kunstbaue sieht Fröbel dann auch als einen möglichen Übergang zu den Bildund Schönheitsformen, die für die fünfte Spielgabe eine Besonderheit aufweisen. Durch die Teilung in 27 Würfel können zwei unterschiedliche Arten von Schönheitsformen entstehen, solche, die von der Form eines gleichseitigen Dreieckes und solche, die von der Form eines Quadrates ausgehen (vgl. Abbildung 2.8). Bezüglich der Schönheitsformen in Quadratform wird auch auf sogenannte Vermittlungsformen zwischen Bauformen und Schönheitsformen hingewiesen, die als festungsartige Formen bezeichnet werden, vermutlich würde man diese auch den Kunstbauen zuordnen können. Die Bildtafel, auf die Fröbel (1838/1982a, 131) in diesem Zusammenhang verweist, wurde allerdings nicht seiner Veröffentlichung beigefügt.
Abbildung 2.8 Schönheitsformen zur fünften Spielgabe (Fröbel 1838/1982)
Die Bildtafeln, die auch als lithographische Blätter bezeichnet werden, werden von Fröbel (1838/1982a, 135) hinsichtlich ihres Gebrauchs am Ende seiner Ausführungen zur fünften Spielgabe noch genauer beschrieben. Sie seien zuerst und vorzugsweise für die „Kinderführer“ und Eltern bestimmt, damit diese zu einer gewissen Beherrschung des Gegenstandes gelangen und sich eine etwas umfassendere Übersicht über das Ganze verschaffen können. Das wird als Voraussetzung dafür angesehen, dass diese den Darstellungen der Kinder folgen und sie deuten können. Wenn die Kinder vieles von dem, was auf den Tafeln abgebildet ist, hergestellt haben oder Ähnliches erfunden haben, könne man auch den Kindern die
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lithographischen Blätter zum Nachbilden geben. Fröbel (1838/1982a, 136) verspricht sich davon, dass die Kinder das Bild mit dem aus Bauklötzen hergestellten Objekt in Beziehung setzen können oder es nach dem Bild wieder herstellen können und dass sich so ihre „Einbildungskraft“8 entwickelt und ihre Vorstellungen erweitern.
2.1.1.2 Einsichten Fröbels zur kindlichen Entwicklung von Spiel und Bauen In Fröbels Ideen zeigt sich eine Vorstellung davon, dass sich das (Bau-)Spiel auf eine bestimmte Art entwickelt. Zunächst sei auf die Abfolge der Spielgaben verwiesen, die nahelegen, dass er eine bestimmte Entwicklungsfolge im Blick hat. Fröbel (1844/1967, 56) verdeutlicht das, wenn er beschreibt, „daß der Entwicklungsgang des Kindes ein in sich geschlossenes stetiges Ganze[s] ist, wo Jedes zur richtigen Zeit und an seiner rechten Stelle gefordert wird“. Aus der im Zusammenhang mit der dritten Spielgabe beschriebenen Entwicklungsfolge, die zu Beginn des Kapitels dargestellt wurde, lässt sich allerdings nicht schlussfolgern, wie die Entwicklung des Bauspiels verstanden wird. Man könnte nun aus den auf die dritte Spielgabe folgenden Spielgaben schließen, dass immer komplexere Lebens-, Schönheits- und Erkenntnisformen von den Kindern erfunden und verstanden werden können, da ihnen immer mehr und teilweise auch verschiedene Klötze zur Verfügung stehen, die jeweils alle verwendet werden sollen, was zwangsläufig zu einer höheren Komplexität führt. Interessant sind aber durchaus auch die Einlassungen, die verdeutlichen, dass die Spiel- und Beschäftigungsmittel dem Entwicklungsgang jedes einzelnen Kindes entsprechen sollten und nicht in strenger linearer Abfolge angewandt werden sollten, sondern durchaus auch gleichzeitig. Auch heute noch zeitgemäß erscheint in diesem Zusammenhang die Annahme Fröbels (1844/1967, 58), dass sich die einzelnen Bildungsstufen nicht als in sich abgeschlossene, strikt aufeinanderfolgende Stufen verstehen, sondern sich auch nebeneinander entwickeln. Es findet sich in Fröbels Äußerungen zwar keine systematische Darstellung zur Entwicklung des Bauens, aber in folgender Beschreibung kindlicher Handlungen wird sichtbar, wie er sich eine entwicklungsgemäße Auseinandersetzung mit dem Material vorstellte: Versetzen wir uns darum zuerst gemeinsam recht lebhaft in das Kinderspieleckchen […] beachtend, wie das Kind zwischen ein und drei Jahren, nachdem es den in sich abgeschlossenen, von ihm behandelbaren Körper auf seine Gestalt und Farbe betrachtet, in der Hand hin und her bewegt, und auf seine Festigkeit geprüft hat, wie 8 Heute
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würde man das vielleicht als „mentale Bilder“ oder als Vorstellungskraft bezeich-
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es dann versucht, den Körper zu zerteilen, mindestens seine Form zu verändern, um neue Eigenschaften an demselben zu entdecken, um neue Gebrauchsanwendungen aufzufinden. Ist das Erste nun gelungen, so sehen wir, wie das Kind dann versucht, die Teile entweder wieder zu dem ersten Ganzen zusammen zu fügen, oder zu einem neuen Ganzen zusammen zu ordnen. (Fröbel 1851/1967, 73; Hervorh. im Orig.)
2.1.2
1930er Jahre: Entwicklungspsychologische Perspektive auf das Bauen des Kindes
Während Fröbels Ausführungen zur Entwicklung des Bauens von Kindern nicht auf empirischen Studien und auch eher nicht auf systematischen Beobachtungen basieren, finden sich in den 1930er Jahren Veröffentlichungen, die empirische Erkenntnisse zur Entwicklung des Bauens bzw. des Bauspiels von Kindern beschreiben und ein erstes Ringen um eine Systematik zeigen. Das heißt etwa neunzig Jahre nachdem Fröbel seine pädagogischen Ansichten zum Kinderspiel und Bauspiel veröffentlicht hatte, entstand auch in der Entwicklungspsychologie ein Interesse am Spiel und am Bauen des Kindes. Anhand der Veröffentlichungen von Hetzer (1931), Bühler (1931) und Hanfmann (1930), die alle dem Feld der Entwicklungspsychologie zuzuordnen sind und die die kindliche Entwicklung hinsichtlich des Bauens bzw. des Bauspiels thematisieren und systematisch darstellen, wird das deutlich. Hanfmann (1930) und Hetzer (1931) haben jeweils Untersuchungen zum Bauen von Kindern durchgeführt, über die sie in ihren Veröffentlichungen berichten. Bühler (1931) stellt in ihrem Buch „Kindheit und Jugend. Genese des Bewußtseins“ das Bauen in einen entwicklungspsychologischen Gesamtzusammenhang; bezüglich der Entwicklung des Bauens greift sie dabei überwiegend auf die Erkenntnisse ihrer Mitarbeiterin Hildegard Hetzer zurück. Den Untersuchungen liegt ein Verständnis von Bauen als Konstruktionsspiel zugrunde, das im ersten Teilkapitel zunächst dargestellt wird. Dann folgt im zweiten Teil eine Darstellung von Erkenntnissen zum Bauen aus den Untersuchungen von Hetzer (1931) und Hanfmann (1930). Anhand der Positionen von Bühler (1931) wird außerdem die Entwicklung des Bauens von Kindern hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Entwicklung von Kindern im Allgemeinen betrachtet. Einige pädagogische Schlussfolgerungen zu Baumaterial und Spielbegleitung, die Hetzer (1931) aus ihren Untersuchungen zieht, werden im dritten Teil dieses Kapitels ausgeführt.
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2.1.2.1 Bauen als Konstruktions- oder Herstellspiel In den hier betrachteten Texten, die vom Anfang der 1930er Jahre stammen, wird das Spiel des Kindes weitaus systematischer und weniger romantisch betrachtet, als das bei Fröbel der Fall war. So wird beispielsweise das Spiel eines Kindes daraufhin beobachtet und analysiert, welche Spieltypen in welchem Alter überwiegen. In den Tagebüchern über „Bubi Scupin“ wird dabei zwischen Funktionsspielen, Fiktionsspielen, Rezeptionsspielen und Konstruktionsspielen unterschieden, wobei Bauen als eine Form des Konstruktionsspiels genannt wird (vgl. Bühler 1931, 134 f.). Hetzer (1931, 7) bezeichnet das Bauen sogar als eines der ersten und eines der beliebtesten Konstruktionsspiele im Kleinkindalter. Als Konstruktions- und Herstellspiele werden dabei alle schöpferischen Betätigungen des Kindes mit konkretem Material aufgefasst, im Einzelnen aufgezählt werden: Bau- und Knetversuche, Sandspiel, Auffädeln von Perlen, Legen mit Stäbchen, Handhabung von technischen Baukästen (vgl. Hetzer 1931, 1). Konstruktionsspiele werden von Experimentierspielen unterschieden, bei diesen gehe es nur um ein Bewegen von Spieldingen, ohne dass die Gestalt der Dinge sich verändere. Die Veränderung sei es, die das konstruktive Verfahren ausmache, das man auch als gestaltende Tätigkeit bezeichnen könne. Hetzer (1931, 8) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwei Wege, die zu einer Veränderung der Gestalt führen können: das synthetische Vorgehen, das das Zusammenfügen einzelner Elemente zu größeren Einheiten bezeichnet und beispielsweise beim Bauen genutzt wird sowie das „analytische Verfahren, bei dem die Gestalt durch Drücken, Spannen, Zusammenballen, Abtrennen einzelner Teile, [oder] wo das die Herausarbeitung der neuen Gestalt nötig macht, durch Auflösen in Einzelstücke verändert wird“ (Hetzer 1931, 8 f.). Interessanterweise wird angenommen, dass das synthetische und analytische Verfahren dem Erfinden und Entdecken entspricht. Bühler (1931) widmet sich noch weitaus ausführlicher den genannten Verfahrensweisen, dabei geht es ihr auch darum, dass sich im Konstruktionsspiel der Kinder das ausdrückt, was auch ihrem Denken entspricht. Genau wie Hetzer (1931) nennt auch Bühler (1931, 131 ff.) Bauen als ein Beispiel für Konstruktionsspiel. Sie sagt über Konstruktionsspiel, dass es die Werkproduktion zum Ziel hat, was sich in der Überzeugung „ich hab es gemacht“ zeigt. Unterschieden wird das vom Funktionsspiel, bei dem die Funktionsbetätigung im Vordergrund steht, was sich im Gedanken „ich kann es“ ausdrückt. Interessant erscheint die Überzeugung, dass Funktionsspiel und Konstruktionsspiel keinen sich ausschließenden Gegensatz darstellen, sondern durchaus gleichzeitig vorhanden seien, wobei der Akzent mal mehr auf dem einen und mal mehr auf dem anderen liege (vgl. Bühler 1931, 133). Laut Bühler (1931, 136 f.) überwiegt das Konstruktionsspiel ab einem Alter von viereinhalb bis fünf Jahren.
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Auch Hetzer (1931, 84) stellt fest, dass das Konstruktionsspiel einen sehr breiten Raum einnimmt und zu einem viel gepflegten Spiel im Kleinkindalter gehört, wobei die Bedeutung des Konstruktionsspiels im Laufe der frühen Kindheit ständig zunimmt. Die Tatsache, dass das Konstruktionsspiel einem regen Bedürfnis des Kindes entspricht, zeigt sich für Hetzer beispielsweise daran, dass Kinder auch dann Material zur konstruktiven Betätigung finden und nutzen, wenn ihnen beispielsweise durch Erzieher oder Eltern keines bereitgestellt wird. Konstruktionsspiele finden wir überall dort, wo Kinder spielen, auch dort, wo die Erwachsenen sehr wenig tun, um den Kindern diese Art Spiel zu ermöglichen und den Kindern nicht Bauklötze und Plastilin und was es sonst noch gibt bereitstellen. Die Kinder […], um deren Konstruktionsspiel sich niemand kümmert, fangen ebenso […] an, eines Tages mit Holzstücken oder Steinen zu bauen, den Sand oder Flußschlamm zu bearbeiten. (Hetzer 1931, 80)
2.1.2.2 Erkenntnisse zur Entwicklung des kindlichen Bauens Hanfmann (1930): Über das Bauen der Kinder Eugenie Hanfmann berichtet in der Zeitschrift für Kinderforschung über eine umfangreiche Studie zum Bauen von Kindern. In der Untersuchung ging es in fünf unterschiedlich arrangierten Bausituationen um • • • •
freies Bauen beliebiger Objekte Bauen nach verbalem Auftrag Nachbauen eines fertigen vorgezeigten Baues Nachbauen aus der Erinnerung nach Vorführen des Bauens und Zerstörung des Objektes • Bauen nach gezeichneter Vorlage (vgl. Hanfmann 1930, 256). Alle Versuche mit insgesamt 46 Kindern im Alter von drei, vier und fünf Jahren wurden 1928 als Einzelversuche von einem Versuchsleiter durchgeführt, wobei alle Kinder alle Aufgabenarten absolvierten. Anhand von schriftlichen Protokollen der sprachlichen Äußerungen und der Handlungen sowie anhand von Zeichnungen des vom Kind Gebauten erfolgte eine Auswertung (vgl. Hanfmann 1930, 256).
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Als Baumaterial wurden farbige Holzbauklötzchen9 genutzt, wobei hauptsächlich Würfel, Quader (Doppelwürfel) sowie diagonal halbierte Würfel, sogenannte Dachsteine, verwendet wurden (vgl. Hanfmann 1930, 257). Hinsichtlich ihrer Forschung beschreibt Hanfmann (1930) auch einige forschungsmethodische Probleme, die wissenswert erscheinen. In der Versuchsanordnung wird ein Problem darin gesehen, dass jedes Kind eine längere Zeit hindurch frei gebaut und dabei mehrere Bauprodukte geliefert hat. „Wegen des beständigen Weiterbauens war schon die Gesamtzahl der ausgeführten Bauten in vielen Fällen schwer festzustellen und auch das Aussehen des Bauwerkes veränderte sich oft während des Bauen selbst“ (Hanfmann 1930, 257). Weil die Kinder im Hauptversuch nur 12 Bausteine zur Verfügung hatten und fremdgestellte Aufgaben eingeschoben wurden, die eventuell auch das freie Bauen beeinflusst haben, wurde ein Ergänzungsversuch durchgeführt. Dafür standen den Kindern 40 Bauklötze zur Verfügung. Allerdings war das Protokollieren durch die Steinanzahl erschwert; es war für den Versuchsleiter nicht mehr möglich, jedes Bauwerk genau mitzuzeichnen, stattdessen war gelegentlich eine Beschränkung auf die allgemeine Gestalt in ihren Umrissen nötig (vgl. Hanfmann 1930, 257 f.). Beim freien Bauen fand eine Auswertung auf mehreren Ebenen statt. Die Bauwerke der Kinder wurden nach Bauarten klassifiziert, außerdem erfolgte anhand des Bauprozesses eine Einteilung in Stufen. Auch die Gegenstände des Bauens, sofern Kinder ihr Gebautes benannt haben, der Verlauf des freien Bauens sowie die ästhetische und technische Seite des Bauens waren Gegenstand der Auswertung. Eine Analyse der entstandenen Bauwerke nach Bauarten wurde anhand der folgenden Kategorien nach Scheibner vorgenommen (vgl. Hanfmann 1930, 259): • Häufungen. Steine sind wahllos und regellos neben- und aufeinandergelegt. • Ungerichtetes An- und Aufsetzen. Einzelne Steine sind mit Sorgfalt aufeinandergepaßt, aber nicht zu größeren Gebilden vereinigt. • Gerichtetes Ansetzen. Bei der Aneinanderreihung der Steine wird eine bestimmte Richtung (eine Gerade) eingehalten. • Reihungen. Hier werden die Steine nicht wahllos, sondern nach einer bestimmten Regel gereiht – z. B. nur gleiche Steine oder Steine zweier Sorten abwechselnd gesetzt. In anderen Fällen werden aus Bausteinen gleiche Gebilde hergestellt und diese dann gereiht; das sind Reihungen zweiter Ordnung. • Symmetrische Anordnungen aus Bausteinen. 9 Hergestellt
wurden diese Bauklötze von den Dusyma-Werkstätten in Stuttgart, die bis heute Materialien für den Kindergarten, unter anderem Uhl-Baukästen, herstellen. (vgl. https://www.dusyma.com/de/Ueber-Dusyma-cms-page.aboutus#cmp_aboutus_geschic hte-anchor.)
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• Grundrisse. Darstellung horizontal umschlossener Räume. • Einzelbauten, die meist Häuser darstellen. • Baugruppen, die etwa ein Dorf, eine Straße darstellen sollen. (Hanfmann 1930, 259) Hanfmann (1930, 260) stellt hierzu fest, dass eine durchgängige Anwendung der Einteilung schwierig war, weil sie sich hauptsächlich nach äußerem Aussehen richtet, bei Baugruppen und Einzelbauten aber die Darstellungsabsicht eine Rolle spielt. Vom Aussehen her könnten Baugruppen auch zu Häufungen, Reihungen oder symmetrischen Anordnungen gezählt werden, nicht immer sei die Darstellungsabsicht klar zu erkennen. Einige Ergebnisse nennt Hanfmann (1930) hier dennoch. Einzelbauten und ungerichtetes Ansetzen kommen insgesamt am häufigsten vor und zeigen sich bei einer Vielzahl der Kinder. Häufig ist außerdem das einfach gerichtete Ansetzen. Als zusätzliche Kategorie, die bei Scheibner nicht vorkam, beschreibt Hanfmann (1930, 260) das mehrfach gerichtete Ansetzen, das solche Gebilde umfasst, „die nach mehreren Richtungen ausgebaut sind, ohne jedoch die geschlossene Gestalt der Einzelbauten zu erreichen“. In Abhängigkeit vom Alter zeige sich, dass mit dem Alter die Anzahl der insgesamt angefertigten Bauwerke abnehme, möglicherweise, weil aufgrund der zunehmenden Komplexität der Bauweise eine einzelne Baueinheit mehr Zeit brauche. Außerdem nehme mit zunehmendem Alter die Bauart des ungerichteten Ansetzens ab und bei den Fünf- bis Sechsjährigen werde zudem das einfach gerichtete Ansetzen seltener. Mit zunehmendem Alter zeigen sich häufiger Einzelbauten, bei den Vierbis Fünfjährigen sei diese Zunahme am stärksten ausgeprägt (vgl. Hanfmann 1930, 261). Alle anderen Bauarten kommen laut Hanfmann (1930, 262) in allen drei Altersstufen gleich selten vor. Insgesamt wird eine Altersentwicklung von den primitiven zu den komplizierteren Bauarten festgestellt, die kontinuierlich vor sich geht (vgl. Hanfmann 1930, 262). „Die Einteilung der Bauergebnisse nach ihrem äußeren Aussehen sagt noch nichts über die psychischen Bedingungen ihres Entstehens. Um darüber etwas zu erfahren, muß man auch den Bauvorgang und die ihn begleitenden Äußerungen des Kindes berücksichtigen“ (Hanfmann 1930, 262). In diesem Sinne wird eine Unterscheidung in drei Stufen vorgenommen, wofür das Bauen unter dem Gesichtspunkt der ihm zugrundeliegenden Bauabsicht betrachtet wird (vgl. Hanfmann 1930, 263). Als erste Stufe wird das schrittweise Bauen beschrieben, bei dem „der Wille des Kindes immer nur auf den nächsten Bauschritt, auf das Setzen des nächsten Steines gerichtet [ist]“ (Hanfmann 1930, 333). Hierunter fällt die ganze Bandbreite von der primitivsten Form des Bauens, die in einem wahllosen Neben- oder Aufeinandersetzen ohne Beachtung der Eigenart der Steine
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besteht, bis hin zu gut durchdachten Einzelbauten, bei deren Entstehung bereits Gebautes und noch vorhandenes Baumaterial in ihren Formverhältnissen beachtet wird und ein bestimmter Stein an einer bestimmten Stelle angebracht wird, um eine Lücke auszufüllen oder das Gebaute noch länger oder höher zu machen (vgl. Hanfmann 1930, 264). Daran schließt sich der Übergang zur Stufe des ganzgestaltenden Bauens an. Das Kind hat dabei von vornherein eine ganz bestimmte Gestalt im Auge, aber nicht im Hinblick auf die Darstellung eines realen oder funktionierenden Objektes. Als typisches Beispiel für diese Stufe beschreibt Hanfmann (1930, 267) das Anfertigen von Überbrückungsbauten, bei denen sich eine unzweckmäßige Reihenfolge der Steinsetzung zeigt. Zuerst stellt das Kind einen Stein auf den Tisch und drückt dann den Baustein, „der das ganze überbrücken soll, an den ersten gesetzten Stein oben an, hält ihn mit der Hand fest und schiebt mit der anderen den dritten Baustein (das zweite Fundament) darunter“ (Hanfmann 1930, 267). Als dritte Stufe wird die des darstellenden Bauens genannt, dabei will das Kind einen ganz bestimmten Gegenstand darstellen und diese Absicht bestimmt sein Bauen. Laut Hanfmann (1930, 333) nimmt das schrittweise Bauen mit dem Alter ab und das darstellende Bauen nimmt zu, wenngleich auch Sechsjährige bei weitem nicht ausschließlich darstellend bauen. Interessant ist hier, dass die Einteilung in Stufen nicht gleichbedeutend mit einer Einteilung in Entwicklungsstufen ist, vielmehr werden die Stufen als Gestaltungsstufen bezeichnet (vgl. Hanfmann 1930, 269). Hervorzuheben sind die Erklärungsversuche für folgende Auffälligkeiten: Die Stufe des schrittweisen Bauens besteht besonders lange fort und nimmt viel Raum ein; das darstellende Bauen ist im Vergleich zum darstellenden Zeichnen verhältnismäßig gering ausgeprägt. Das Erste wird so erklärt, dass das Bauen nicht kontinuierlich, sondern durch das sich wiederholende Setzen von Steinen schrittweise verläuft, dabei ergibt sich immer wieder ein neues Bauergebnis, das beachtet werden muss und den nächsten Bauschritt in der ein oder anderen Richtung anregen kann (vgl. Hanfmann 1930, 272). Die Tatsache, dass das darstellende Bauen auch bei den fünf- bis sechsjährigen Kindern noch gering ausgeprägt ist, wird darauf zurückgeführt, dass mehr oder weniger von alleine aus dem, dem wirklichen Leben nachgebildeten, Baumaterial ein bestimmbares Bauwerk entsteht und das Kind sich deshalb eine Vorannahme, die das Bauen im Einzelnen bestimmen würde, ersparen kann. Ein weiterer Erklärungsansatz ist, dass ein Interesse an den vorliegenden Formen und ihren Kombinationen besteht, was zu einem experimentierenden konstruktiven Bauen – frei von jeder Darstellungsabsicht – führt (vgl. Hanfmann 1930, 272 f.). Was den Verlauf des Bauens angeht, beschreibt Hanfmann (1930, 333) zwei Typen von Kindern. Zum einen solche Kinder, die immer neue jeweils abgeschlossene Einzelgestaltungen herstellen, zum anderen solche, die fortlaufend um- und
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weiterbauen, ohne Abschlusspausen zu machen. „Das Interesse der ersten Gruppe scheint mehr dem Bauergebnis, das Interesse der zweiten mehr dem Prozeß des Bauens, insbesondere der Größenveränderung, dem Kombinieren verschiedener Formen und der Lösung statischer Probleme zugewendet zu sein“ (Hanfmann 1930, 333). Hier klingt auch ein Zusammenhang zu ästhetischen und technischen Aspekten des Bauens an. Die ästhetische Seite des Bauens äußert sich nach Hanfmann (1930, 333) in der Wahl der Steine nach Form und gelegentlich nach Farbe, im sorgfältigen Ansetzen der Steine, in der Tendenz zur Symmetrie, in dem Bestreben, alle Steine zu verwenden sowie eine geschlossene Gestalt zu erreichen. Wenngleich Hanfmann (1930, 285) selbst nicht explizit einen Bezug zur Mathematik herstellt, ist durchaus nicht nur in dem Aspekt der Symmetrie eine mathematische Perspektive erkennbar. Auch wenn über die Beachtung von Formen, die Formunterscheidung sowie die zielgerichtete Kombination oder Zusammensetzung von Steinen, vor allem von Dachsteinen, zu anderen Formen berichtet wird, zeigt sich eine Perspektive auf geometrische Formen. Außerdem werden die Größenauffassung und das Einhalten von Größenverhältnissen thematisiert und dazu beispielsweise festgestellt, dass vielen Kinder die Verhältnisse der Größen verschiedener Steine völlig bewusst waren. Die technische Seite des Bauens erläutert Hanfmann (1930, 286 ff.) ausführlich an dem Thema Statik. Dabei widmet sie sich neben dem Umfallen von Bauten ausführlich der Beobachtung, dass Kinder Steine in statisch unmöglicher Weise aufzusetzen versuchen, z. B. indem versucht wird, auf die Spitze eines Dachsteins einen weiteren zu setzen. Diesbezüglich wird festgestellt, dass Dreijährige doppelt so oft wie die Vier- und Fünfjährigen versuchen, Bausteine statisch unmöglich aufzusetzen (vgl. Hanfmann 1930, 334). Wie einleitend bereits beschrieben, macht das freie Bauen nur einen Teil von Hanfmanns (1930) Untersuchung aus. Eine Reihe von weiteren Bauaufgaben wurde den Kindern gestellt, diese fasst sie selbst als aufgabengebundenes Bauen zusammen. Insbesondere die Aufgabenart Bauen nach gezeichneter Vorlage ist im Hinblick auf meine eigene Analyse von Bauspielaktivitäten interessant, da in einer der analysierten Situationen auch Bildvorlagen vorkommen. Hanfmann (1930, 334) beschreibt dabei als besonders auffällig, dass die Vorlagen flächenhaft nachgelegt wurden, das Konturen durch einzelne Bausteine nachgelegt wurden oder dass richtig erkannte Teile lose nebeneinander standen. „Die Notwendigkeit der Übertragung der flächenhaften Vorlagen in das Dreidimensionale dürfte für einen Teil der beobachteten Fehler verantwortlich gemacht werden“ (Hanfmann 1930, 334). Diese Schlussfolgerung ist bezeichnend, kommt darin doch der Aspekt des räumlichen Interpretierens einer zweidimensionalen Darstellung vor, der auch in Abschnitt 1.4.1 aus mathematikdidaktischer Perspektive
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beschrieben wurde. Hier zeigt sich ein Anhaltspunkt dafür, dass sich aus Bauspielaktivitäten von Kindern eine Beschreibung geometrischer Aspekte ergeben kann. Hanfmann (1930, 323) hat darüber hinaus untersucht, ob die Darstellungsweise in der zeichnerischen Vorlage einen Einfluss auf das Bauen hat. Dabei zeigte sich weder zwischen der perspektivischen noch der schematischen Zeichnung ein Unterschied, auch spielte die Größe keine Rolle. Es ließ sich ebenso kein bedeutsamer Unterschied zwischen Vorlagen, bei denen die Flächen ausgefüllt waren, und welchen ohne Flächenausfüllung erkennen (vgl. Hanfmann 1930, 334). Hetzer (1931): Kind und Schaffen Die Untersuchung von Hetzer (1931, 5) „soll die schöpferischen Betätigungen des Kindes am konkreten Material von den ersten Ansätzen her in ihrer Entwicklung verfolgen“. Dabei geht es darum, die für alle Konstruktionsspiele geltenden Gesetzmäßigkeiten herauszuarbeiten. Folgende Fragen sollten mit Hilfe der Untersuchung beantwortet werden: „Wie setzt sich das Kleinkind mit verschiedenem konkreten Material auseinander, das man ihm zur freien Betätigung überläßt? Welche Rolle spielt diese Art der Betätigung für die Entwicklung? Was haben wir zu tun, um die Entwicklung des Kleinkindes in dieser Hinsicht zu fördern?“ (Hetzer 1931, 6). Für diese Arbeit sind insbesondere Hetzers Untersuchungen zum Bauen und zum technischen Konstruktionsspiel aufschlussreich. In ihrer Untersuchung zum Bauen hebt Hetzer (1931, 7) hervor, dass es ihr vor allem darum geht, herauszufinden, wie das Kind dazu kommt zu bauen. Sie befasst sich damit, wann und wie sich die ersten Ansätze des Bauens zeigen. Da der erste Ansatz konstruktiven Tuns am Ende des ersten Lebensjahres vermutet wurde, sollten die Experimente mit Kindern ab acht Monaten durchgeführt werden, als Material wurde auf sechs verschieden große Hohlwürfel zurückgegriffen, die auf einer Seite offen waren, d. h. man kann sie zum Turm aufeinandersetzen oder ineinanderstecken (vgl. Hetzer 1931, 10). Die Versuche wurden 1926 mit Kindern im Alter von 8 Monaten bis zu einem Jahr und 11 Monaten durchgeführt. Folgende Erkenntnisse konnten aus der Versuchsreihe gewonnen werden. Die erste spezifische Behandlung der Hohlwürfel zeigt sich bei Kleinkindern ab etwa 9 Monaten daran, dass ein mögliches Zueinander der Würfel beachtet wird, indem beispielsweise zwei Würfel aneinandergehalten und dabei betrachtet werden. Daneben wird auch im achtsamen Umgehen mit dem Baumaterial eine spezifische Behandlung gesehen. „Dieses behutsame Behandeln der einzelnen Bauelemente ist eine unbedingte Voraussetzung für das spätere Bauen“ (Hetzer 1931, 16). Als erstes wirkliches Aneinanderfügen von Bauelementen wird das Ineinanderstecken der Hohlwürfel aufgefasst, das auch etwa ab 9 Monaten auftritt. Hetzer (1931, 18 ff.) hält das Ineinanderstecken für die erste konstruktive
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Betätigung überhaupt und sie nimmt an, dass sich darin auch die Fähigkeit des Kindes, Relationen zu erfassen, ausdrückt. Am Ende des zweiten Lebensjahres beginnt laut Hetzer (1931, 36 f.) eine neue Phase, da das Kind nun beginnt, auch das Produkt seines Tuns, d. h. sein Werk, zu beachten. Dem geht voraus, dass das Kind außer dem Ineinanderstecken weitere funktionale Betätigungen am Baumaterial zeigt, wie das Aufeinanderstellen, Nebeneinanderstellen, Übereinanderstülpen und Auseinandernehmen (vgl. Hetzer 1931, 21 ff.). Der Übergang vom spielenden Hantieren zum Bauen oder, wie Hetzer (1931, 33) sagt, Schaffen, erfolgt, wenn das Kind sein eigenes Werk respektiert. „Und in dieser Periode geschieht es auch, daß das Kind eines Tages sein Hantieren plötzlich für einen Augenblick unterbricht und aufmerksam das betrachtet, was seine Hände eben zustande gebracht haben“ (Hetzer 1931, 31). Als Zeichen für das Werkverständnis wird auch die Beobachtung gewertet, dass ein zufällig beschädigtes Werk wiederhergestellt wird, eine Reaktion, die viele Kinder in der Untersuchung zeigten (vgl. Hetzer 1931, 35 f.). Da die Entwicklung des kindlichen Bauens über dieses zuletzt beschriebene Stadium, das auch als Kritzelstadium10 bezeichnet wird, hinaus weiterverfolgt werden sollte, wurden mit Kindern zwischen 2;0 und 5;11 Jahren weitere Versuche durchgeführt, dabei kam dasselbe Material zum Einsatz. Folgendermaßen fasst Hetzer (1931, 45) ihre Erkenntnisse zusammen: „Wir konnten verfolgen, wie an Stelle des unbeabsichtigten Werkes, das als Zufallserfolg aufgegriffen wird, das absichtlich hergestellte Werk tritt, wie dieses Werk auf einer nächsten Stufe auch einen Namen erhält, sinnvoll wird“. Hinsichtlich der entstandenen Bauarten wird beschrieben, dass bei Zweijährigen das Hauptgewicht vorwiegend auf dem Aufbauen und Aneinanderreihen liegt, sich aber auch schon ein zweidimensionales Bauen in die Höhe erkennen lässt, vergleichbar mit dem oben beschriebenen mehrfach gerichteten Ansetzen. Beim Dreijährigen konnte dann auch ein Bauen nach zwei Dimensionen in der Baufläche beobachtet werden, sogenannte Grundrissbauten. Ganz ähnlich wie Hanfmann (1930) beobachtet auch Hetzer (1931, 41) beim Bauen zwei Typen hinsichtlich des Innehaltens. Entweder wird der Bauabschluss deutlich zum Ausdruck gebracht, indem das Gebaute eingehend gemustert und dann zerstört wird, oder es zeigt sich ein fließendes Umbauen. Hetzer (1931, 42 f.) stellt fest, dass Kinder im vierten Lebensjahr beginnen, ihre Bauabsicht gelegentlich sprachlich zu äußern, und findet in diesem Zusammenhang heraus, dass es drei Stufen des darstellenden Bauens gibt: das nachträgliche 10 Der Begriff erklärt sich daraus, dass Hetzer dieselben Stufen, die für Bauspiele gelten, auch im Zusammenhang mit anderen Konstruktionsspielen wie beispielsweise dem Malen nutzt.
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Bestimmen eines Bauwerks, das Bestimmen während des Bauens und das beabsichtigte Bauen eines sinnvollen Baues. Hierzu ist die Erkenntnis interessant, dass die geplante Werkherstellung und die Sinnverleihung nicht unbedingt zusammenhängen, da Kinder durchaus auch ihrem Zufallsprodukt Sinn verleihen. Das absichtsvolle Bauen beginnt mit etwa drei Jahren und drückt sich in dem Gedanken „jetzt mache ich etwas“ aus, wobei Hetzer (1931, 45) annimmt, dass die Verbindung von Absicht und Sinngebung das darstellende Bauen ausmacht. Bei ihrer Untersuchung zum technischen Konstruktionsspiel mit dem „Matadorbaukasten“11 , mit dem möglich ist, funktionierende (bewegliche) Modelle beispielsweise von Fahrzeugen zusammenzustecken, stellt Hetzer (1931, 72 ff.) fest, dass sich die gleichen Stufen wie beim Konstruktionsspiel im Allgemeinen – von der unspezifischen Materialbehandlung, über die spezifische Materialbehandlung und das Kritzelstadium bis zum darstellenden Bauen – zeigen. Zusätzlich zeige sich eine Stufe, in der zwar mit dem Material gebaut werde, aber ohne die spezifische Eigenart des Materials zu nutzen. Die Bauteile werden dabei wie normale Bausteine verwendet, wobei es auch Mischformen gebe (vgl. Hetzer 1931, 73). Hetzer (1931, 72) beobachtet, dass die Stufe der unspezifischen Behandlung besonders lange anhält, und nimmt an, dass die durchlochten Bauteile die Aufmerksamkeit des Kindes länger als die bekannten Bauklötze fesseln. Außerdem wird festgestellt, dass das Kritzelstadium, d. h. die Herstellung eines unbeabsichtigten Werkes, auch noch im sechsten Lebensjahr gegenüber dem Gestalten überwiegt, wofür folgende Begründung gegeben wird: „So lange das Kind an einem Material noch neue technische Verwendungsmöglichkeiten zu entdecken hat, […] wird das Hantieren mit dem Material, das Kennenlernen und Ausprobieren seiner Eigenart die bevorzugteste Betätigungsweise bleiben, das Kritzeln wird im Vergleich zum Gestalten überwiegen“ (Hetzer 1931, 75). Hier zeigt sich ein ähnlicher Sachverhalt wie bei Hanfmann (1930), die im Zusammenhang mit dem schrittweisen Bauen von einem experimentierenden konstruktiven Bauen ohne Darstellungsabsicht spricht. Betrachtet man die Darstellungsabsicht bei den Matadorbauten, findet man verschiedene Darstellungsarten. Bei den jüngsten Kindern zeigt sich laut Hetzer (1931, 77) ausschließlich die Darstellung durch das Symbol, d. h. durch eine willkürliche Zuordnung. In der frühen Kindheit trete die Darstellung aufgrund eines charakteristischen Merkmals in den Vordergrund. Die erscheinungstreue und die funktionsreife Bauweise werden als weitere Arten der Materialbehandlung beschrieben, die sich aber in Hetzers Untersuchung nicht 11 Matador wurde 1899 erfunden. Die erste Matador-Serie wurde 1903 in Wien hergestellt. Unter der Marke Matador werden auch heute noch, entsprechend der damaligen Erfindung, Bauklötze mit Löchern (rechteckige Platten und Klötze sowie Räder und Rollen), die mit Stäbchen zu verbinden sind, verkauft. (vgl. https://www.matador.at/Geschichte:_:16.html)
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zeigten. Sie vermutet, dass diese erst bei älteren Kindern vorkommen (vgl. Hetzer 1931, 77). Bühler (1931): Kindheit und Jugend Während Hetzer (1931) und Hanfmann (1930) sich in ihren Untersuchungen auch ganz konkret dem Bauen von Kindern gewidmet haben, lassen sich Bühlers (1931) Darstellungen zur Entwicklung des Konstruktionsspiels eher im Sinne einer Metastudie verstehen. Es werden in Bezug auf die Entwicklung von Konstruktionsspiel, ausgehend von Erkenntnissen verschiedener Studien, mehrere Stufen beschrieben. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen. 1. Unspezifische, beliebige altersentsprechende Funktionen werden am Material erprobt, zumeist nicht der Funktion des Materials entsprechend, sondern solche Funktionen, die das Kind gerade übt. 2. Übergang zwischen funktionaler Auffassung und konstruktiver Gestaltung: Es entstehen schon Werke, diese haben aber noch keinen Darstellungscharakter. 3. Die figürlichen Gebilde werden zu Sinnträgern, sie sollen etwas bedeuten. 4. Etwas wird mit einer Darstellungsabsicht geschaffen, ein bestimmter Gegenstand soll hergestellt werden. Der Übergang zwischen der funktionalen Auffassung und der konstruktiven Gestaltung zeigt sich z. B. daran, dass Material in Formen gefüllt oder dass ein erstes Werk in seiner gestaltlichen Ganzheit erfasst wird. Bühler (1931, 139) spricht davon, dass das Werk in dieser Phase figural erfasst und in der Herstellung auch nur figural geplant wird. Was die Idee der Planung angeht, zeigt sich hier eine Verbindung zu der von Hanfmann (1930) beschriebenen Stufe des ganzgestaltenden Bauens, wenngleich anzumerken ist, dass in den Ergebnissen ihrer Forschung diese Stufe keine große Rolle spielte. Als entscheidendes Merkmal hebt Bühler (1931, 139) hervor, dass das Werk in dieser Phase noch in keiner Weise Sinnträger, Sinngebilde oder Zweckgebilde ist, weil das Kind ihm noch keinen Namen gibt. Damit geht einher, dass der entscheidende Schritt zur nächsten Stufe genau diese nachträgliche Benennung eines Gebildes ist, wobei häufig keine Ähnlichkeit des Produktes mit dem Gegenstand erkennbar sei. Bühler (1931, 140) erläutert dazu: „daß […] die Sinnbeziehung durch Ähnlichkeit verwirklicht wird, ist ihm durchaus nicht selbstverständlich, sondern das ‚Bedeuten‘ ist zunächst einfach […] eine symbolische Verknüpfung, eine […] erfundene, nicht eine aufgefundene, entdeckte Relation“. Das Prinzip der Ähnlichkeit entwickle sich nur allmählich und unvollständig, noch lange gebe sich das Kind damit zufrieden, von dem Gegenstand nur irgendein Merkmal, das bedeutsam erscheint, auszuführen.
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„Das Prinzip des Symbols herrscht also im Vorschulalter noch absolut vor, gegenüber dem Prinzip der Ähnlichkeit“ (Bühler 1931, 225). Der Schritt dahin, dass einem Werk eine Bedeutung zugeschrieben wird, erfolge je nach Material zu sehr verschiedenen Zeitpunkten: zunächst beim Bauen, dann beim Zeichnen und bei plastischer Betätigung, zuletzt bei technischen Herstellungen mit Matadormaterial (vgl. Bühler 1931, 140). In einen noch größeren Zusammenhang stellt Bühler (1931, 218) ihre Erkenntnisse, wenn sie auf die Aspekte Synthese und Strukturierung eingeht. Synthese meint, dass Einzelteile zu etwas Neuem zusammengefügt werden. Strukturierung heißt, dass an der Materialeinheit – beispielsweise einem Kl umpen Knete – um- und ausbildend gearbeitet wird. Für Bauen gilt, dass man es dabei stets mit einer synthetischen Behandlung zu tun hat. Unter anderem deshalb, weil beim Bauen am frühesten der Schritt zur Bedeutungszuschreibung erfolgt, schließt Bühler (1931, 220), „daß Synthese gegenüber Strukturierung das frühere, leichtere und demgemäß in der frühen Kindheit überwiegende Prinzip des schöpferischen Verhaltens darstellt“. Sie nimmt sogar an, dass das synthetische Prinzip bei Vorschulkindern ganz allgemein überwiegt, d. h. auch in Bezug auf das Denken. Daran zeigt sich besonders deutlich die zu dieser Zeit und lange darüber hinaus vorherrschende Idee, die auch Piagets Theorien zugrunde liegt, Entwicklung als bereichsübergreifend zu betrachten und zu beschreiben.
2.1.2.3 Folgerungen zur Unterstützung des kindlichen Bauens Stehen auf der einen Seite also Verallgemeinerungen in Bezug auf die kindliche Entwicklung, so finden sich auf der anderen Seite bei Hetzer (1931) ganz konkrete Schlussfolgerungen zur Förderung des Konstruktionsspiels, deren Ausgangspunkt allerdings unklar bleibt. Beispielsweise nimmt sie an, dass die Bereitstellung von mannigfaltigem Material, das man dem Kind zur freien Wahl und zur freien Verfügung überlässt, diesem am besten so gerecht wird: „Freie Verfügung über das Material. Nicht nur Freiheit in der Wahl des Materials fordern wir für das Kind, sondern völlig freie Verfügung über die Verwendung dieses Materials. Das Kind soll mit dem Material nach eigenem Gutdünken schalten und walten dürfen“ (Hetzer 1931, 98). Hinsichtlich des Bauens lassen sich auch einige spezielle Äußerungen finden. So wird in Bezug auf das Baumaterial gesagt, dass viele verschieden geformte Steine und eine größere Mannigfaltigkeit, als sie die Fröbelbaukästen enthalten, besser sind. Als Beispiel wird hierzu der Bausack des Walddorfschulspielzeuges angeführt, der mit ungleichen (hinsichtlich Form und Farbe) sowie unregelmäßig geformten Steinen mannigfaltigste Möglichkeiten biete. Interessant ist die zugrundeliegende Prämisse, dass der Spielraum, der für Erwachsene in Frage komme, verschiedene Muster zu kreieren, für das Kind, das
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das Hauptgewicht auf das Tun und nicht auf den Erfolg lege, nicht existiere (vgl. Hetzer 1931, 96 f.). Diese Annahme ist bezeichnend, weil aus einer mathematikdidaktischen Perspektive davon ausgegangen wird, dass es bei der Herstellung von Mustern stärker um den Prozess als um den Erfolg geht. In der Untersuchung von Hanfmann (1930, 264) zeigte sich zudem, dass die Kinder durchaus auf die Zusammenhänge oder Passung zwischen Steinen achten, was bei einer beliebigen Bausteinsammlung kaum möglich ist. Neben dem Baumaterial geht Hetzer (1931, 99) darauf ein, dass Bauen spontan und unangeleitet stattfinden soll, weil Kinder dann viel mehr tun, als nur in der Vertikalen und Horizontalen zu bauen und zu füllen. Damit grenzt Sie sich von der Verwendung von Montessorimaterial ab, bei dem genau diese Dinge eingeübt werden. Sie hält es außerdem für wichtig, dass das Kind die Möglichkeit hat, in seinem Interesse ausschließlich dem Material zu folgen und es bis in seine letzten Möglichkeiten hinein kennen und anwenden zu lernen. In diesem Zusammenhang wendet sie sich gegen jegliche Art von Aufgabenstellung oder Leistungsaufforderung, beispielsweise auch gegen die Forderung Fröbels, dass das Kind sich angewöhnen soll, alle Steine zum Bau zu verwenden (vgl. Hetzer 1931, 99 f.). Darüber hinaus fordert Hetzer (1931, 103), dass das Kind einen geschützten Spielraum bzw. Spielplatz und eine ungestörte, ausreichend lange Spielzeit braucht.
2.1.3
1950er bis 1970er Jahre: Handreichungen zum Bauen mit Holzbauklötzen
Gegenüber der zuletzt beschriebenen Abgrenzung zu Fröbels Ideen, zeigt sich in den nun betrachteten Veröffentlichungen eher wieder eine Zurückbesinnung auf Fröbel und auf Baukästen mit Holzbauklötzen in Quader- und Würfelform. Hoffmann (1967, 6) stellt dazu fest, dass die Fröbelsche Spielweise unter anderem durch die Kunsterziehungsbewegung zunächst aus den Kindergärten zurückgedrängt worden ist, aber dass „der übersteigerte Glaube an den Genius im Kinde, dem nur Raum gegeben werden müsse, damit er schaffe und wirke“ sich in angemessene Grenzen zurückgebildet hat und der pädagogische Formungswille wieder erwacht ist. Darin sieht sie einen Grund dafür, dass das Interesse an Fröbels Ideen wieder erweckt werden konnte. Eine praktische Fortführung seiner Spielweise
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sieht Hoffmann (1967, 6) im Spielmaterial von Christine Uhl12 , das unten dargestellt wird. Stoevesandt (1979) greift später Uhls und Fröbels Ideen noch einmal auf und stellt diese in einem eigenen Handbuch zum Bauen und Legen dar. Anders als Uhl und Stoevesandt (1961/1991) und Stoevesand (1979) bezieht sich Kietz (1950/1967) in ihrem Buch „Das Bauen des Kindes – Eine Hilfe für Eltern und Erzieher“ nur hinsichtlich des Materials auf Fröbel. Abgesehen davon zeigen sich bei ihr stärkere Zusammenhänge zu den entwicklungspsychologischen Erkenntnissen der 1930er Jahre13 . Allen Veröffentlichungen dieser Zeit ist gemeinsam, dass sie kaum wissenschaftliche bzw. auf empirischen Studien basierende Belege für die jeweils dargestellten Positionen und pädagogischen Forderungen angeben.
2.1.3.1 Das Bauen als Gelegenheit zum Erlernen von Bauweisen Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 5) bezeichnen das Bauen als typisches Beispiel für das Spielen. Sie stellen fest, dass keine Spieltätigkeit so allgemein verbreitet ist wie das Bauen und dass es keine Altersstufe gibt, in der das Kind nicht für das Bauen interessiert werden kann. Sie heben als eine Besonderheit des Bauens hervor, dass Kinder diese Tätigkeit ausdauernder als andere Tätigkeiten betreiben. Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 6 ff.) schreiben in diesem Zusammenhang Fröbel zu, dass er der erste Pädagoge war, der die besondere Wesensart des Kleinkindes erkannt und deshalb das kindliche Spiel in seiner erzieherischen Bedeutung gewürdigt hat. Mit Würfel und Quader habe er den Bauklotz als das erste bewusst pädagogische Spielzeug erfunden. Es ist deshalb nicht überraschend, dass das der Ausgangspunkt für Uhls Entwicklung eines Baumaterials war. Bei aller Anerkennung von Fröbels Ideen grenzen sich Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 14 f.) auch davon ab bzw. bringen seine Ideen – nach ihrer eigenen Überzeugung – zu einem Abschluss. Sie finden nämlich, dass Fröbel in der Ausführung seiner einzelnen Spiel- und Beschäftigungsmittel vieles nur angedeutet und bei der Fülle seiner Ideen nicht zu Ende gebracht hat sowie eine unpassende Richtung eingeschlagen hat. „Man hat z. B. den Eindruck, als entferne er sich mit der immer komplizierteren Aufteilung des Würfels bis zur sechsten 12 Christine Uhl entwickelte ihren Bauwagen in jahrelangem Umgang mit Kindergartenkindern und jüngeren Schulkindern. 1947 gab sie diesem eine Beschreibung mit auf den Weg. Die für diese Arbeit genutzte Veröffentlichung stellt eine Neubearbeitung dieser Schrift dar (vgl. Uhl und Stoevesandt 1961/1991). 13 Ein Grund dafür könnte sein, dass Gertraud Kietz, die von 1913–2001 gelebt hat, zunächst eine Ausbildung zur Kindergärtnerin/Hortnerin machte, dann studierte und in Psychologie promovierte. Kietz hat den Dr.-Kietz-Baukasten entwickelt, dem eine mehr als 20-jährige Beobachtungs- und Forschungstätigkeit an 3000 Kindern vorausgegangen sei (vgl. Berger o. J.).
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Gabe – aus lauter Freude und Entdeckerlust, die er selbst dabei hatte – von der Einfachheit der kindlichen Bautätigkeit, die ihm pädagogisch wichtig ist“. Uhl (1961/1991, 15) schlussfolgert aus diesen und weiteren Überlegungen, dass Fröbels Spiel- und Beschäftigungsmittel nicht kritiklos übernommen werden können, sondern in ihrem Prinzip begriffen werden sollen, „damit sie, entsprechend ihrem pädagogischen Wert in der heutigen Zeit, richtig angewandt werden können“. Uhl und Stoevesandt verstehen Bauen als eine besondere, intensive Form der Raumerforschung. Weil Raum dabei gleichzeitig begriffen, erfasst und geschaffen wird, ist für sie Bauen auch „spielende Raumgestaltung“ (Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 9). Dabei seien Körper, Geist und Seele in gleicher Intensität beteiligt und das In-sich-aufnehmen und das Ausdrücken geschehen gleichzeitig. Es wird davon ausgegangen, dass Bauen als Symbol für das Gesetz der Entwicklung – „nämlich der Weg aus der ungegliederten Einheit über die Vielfalt zur gegliederten Einheit“ – zu verstehen ist (Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 9). Das zeige sich umso deutlicher, je einfacher und klarer der einzelne Bauklotz in seiner Form sei, hingegen bleibe das Bauen mit einer ungeordneten Menge von vielerlei Formen oder mit einer Fülle von verschiedensten Formen ein Ordnen des Vielerleis nach Formen oder ein willkürliches Häufen von Einzelteilen, das dem Bauen nicht ursprünglich eigen sei (vgl. Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 10). Es wird eine Unterscheidung vorgenommen zwischen dem oberflächlichen Nachahmen der Erscheinungsbilder aus der kindlichen Umwelt und solchem Bauen, das es ermöglicht, die Gesetze von Körper und Raum zu erfahren. Hierbei werden insbesondere die statischen Gesetze hervorgehoben, die das Wesen des Bauens ausmachen, aber aufgrund der technischen Hilfsmittel14 , die viele Baumaterialien aufweisen, von den Kindern nicht erfahren werden können. Die Bedeutung, die Uhl und Stoevesandt der Statik beimessen, lässt sich aus Fröbels Äußerungen so deutlich nicht herauslesen, vielleicht auch deshalb nicht, weil sie bei der Gestaltung von Lebensformen aus acht Bauklötzen kaum einen so entscheidenden Stellenwert einnehmen kann. In den Ausführungen zur fünften Spielgabe, die immerhin aus 39 Teilen besteht, thematisiert Fröbel (1838/1982a) den Aspekt selbst gar nicht. Die Tatsache, dass Uhl und Stoevesandt (1961/1991) der Statik besondere Relevanz zuschreiben, zeigt sich immer wieder in ihren Ausführungen zum Umgang mit dem von Uhl entwickelten Baumaterial. Uhls Baumaterial versteht sich als Fortsetzung von Fröbels dritter und vierter Spielgabe, weil die von Fröbel gewählte Unterteilung für die fünfte und 14 Gemeint sind damit Klebstoff, Zapfen, Zinken, Schrauben, Verbindungsstäbe oder ähnliche Elemente, die aus der Technik übernommen sind (vgl. Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 19).
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sechste Spielgabe für zu kompliziert gehalten wird (vgl. Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 23). Da aber auch Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 23) davon ausgehen, dass die acht Würfel der dritten Spielgabe auf Dauer für die Tätigkeiten, mit denen das eigentliche Bauen des Kindes beginnt, nämlich das Reihen, Türmen und sich Abgrenzen, nicht ausreichen, schlägt sie eine Erweiterung vor. Acht Kästchen der dritten Gabe sollen zu einem großen Würfel zusammengeordnet und dem Kind zum Spielen gegeben werden. Das Kind hat so 64 Würfel zur Verfügung. Da durch die Einfachheit der Würfelform das Bauen mit Würfeln die organische Vorstufe für das komplizierte Bauen mit Quadern sei, wird dieses Material für drei- bis fünfjährige Kinder empfohlen (vgl. Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 22). Für Kinder ab sechs Jahren wird als Erweiterung der vierten Spielgabe ein Baukasten, der aus zwölf Fröbelschen vierten Gaben besteht und demnach sechsundneunzig Quader enthält, vorgeschlagen. Dem Quader schreiben Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 16) zu, dass er die besten Voraussetzungen zum Bauen hat, die ein Baustein überhaupt haben kann. Sie bezeichnen ihn auch als Urform des Bausteins und stellen fest, dass die Proportionen 1:2:4 die gleichen sind, die ein gewöhnlicher Backstein oder Ziegelstein hat, „und es ist wohl nicht unwesentlich, daß sich die Form des Ziegelsteins von frühesten Zeiten an bis heute erhalten hat und noch immer verwendet wird“ (Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 16). Darüber hinaus gibt es einen Zusatzbaukasten, der weitere quaderförmige Klötze enthält, die sich zum Ausfüllen von Lücken, wie die halbierten Quader, und zum Abdecken von Bauwerken, wie die 16 Stangen in der Länge von zwei Quadern, und die jeweils 8 Stangen in den Längen von drei, vier, fünf und sechs Quadern, eignen (vgl. Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 17).
Abbildung 2.9 Backsteinbaukasten (Uhl 1961/1991, 16)
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In Uhls und Stoevesandts (1961/1991) Ausführungen zu dem von ihnen als Backsteinbaukasten bezeichneten Material aus 96 gleichgroßen Quadern wird einerseits der Bezug auf Fröbel, andererseits die für sie wichtige Thematisierung statischer Gesetze verdeutlicht. Ersteres kommt darin zum Ausdruck, dass die Quader so in den Kasten eingepackt sind und wieder eingepackt werden sollen, dass die Bezogenheit auf die Würfeleinheit zum Ausdruck kommt. Dafür sollen die 96 Quader als je acht zu einem Würfel gepackt und versetzt im Kasten liegen, wie es auch in Abbildung 2.9 veranschaulicht wird (vgl. Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 17). Das Zweite zeigt sich darin, dass die Haltbarkeit und die Stabilität eines Baus als dessen Hauptsache hervorgehoben wird, „daß er haltbar ist und fest steht, das ist sein Sinn und Zweck, sonst ist es eben kein Bau“ (Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 18). Dafür müssen die Bausteine laut Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 19) ganz bestimmte Qualitäten aufweisen: sie müssen rechtwinklig sein, sie müssen ebene Flächen haben, die Ecken dürfen nicht abgerundet sein und die Flächen der einzelnen Steine müssen aneinanderpassen. Diese Eigenschaften seien nach den statischen Gesetzen des Bauens wichtiger als alle aus der Technik übernommenen Hilfsmittel. Das Aneinanderpassen der Quader wird besonders hervorgehoben. „Ja, gerade die Verschiedenheit der Flächen steht beim Quader in solch einer proportionalen Bezogenheit, daß ein Baustein das Ansetzen des nächsten geradezu herausfordert“ (Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 19). Wenn Uhl und Stoevesandt (1961/1991) dem Quader deshalb zuschreiben, dass er ein erziehendes Gegenüber ist und dass er das Kind von einer Baustufe zur nächsten führt, wird dem Material damit eine Bedeutung gegeben, die weit über Fröbels Ideen hinausgeht. Dieser Unterschied zeigt sich außerdem in der Aussage, dass sich das Erlernen der Technik aus den Erfahrungen mit den statischen Gesetzen, die das Kind beim freien Gestalten macht, ergibt. Anhand der im Folgenden beschriebenen Ausführungen zur „Pflege des kindlichen Bauens“ (Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 43), wird das oben Genannte noch klarer. Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 43) gehen wie Fröbel davon aus, dass der Erwachsene sich selbst bauend mit den Bauklötzen auseinandergesetzt haben muss, um die statischen Gesetze, die im Quader stecken, in ihrer Systematik erlebt zu haben. Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 45) lehnen das Vorbauen durch Erwachsene ab, da das eigene Finden der Lösung die Freude an der eigenen Tätigkeit erhöht. Sie fordern, dass der Erwachsene zusehen können muss, ohne vorschnell kritisierend oder helfend einzugreifen. „Er muß Fehler lange, sehr lange ansehen können und nicht verbessern wollen trotz besseren Wissens“ (Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 45). Interessanterweise zeigt sich hier die Vorstellung, dass das Kind beim Bauen Fehler macht, etwas das sich kaum aus Fröbels Ausführungen herauslesen lässt und sich hier dadurch erklärt, dass die
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Autorinnen eine Vorstellung von der perfekten oder richtigen Bauweise haben. Während Fröbel also davon ausgeht, dass das Material genutzt wird, um ganz bestimmte Lebens- oder Schönheitsformen herzustellen und dabei auch Erkenntnisse zu den Beziehungen zwischen Teil und Ganzem zu gewinnen, nehmen Uhl und Stoevesandt (1961/1991) an, dass es verschiedene Bauweisen gibt, die das Kind jeweils im Sinne aufeinanderfolgender Stufen erlernt. Zunächst werden Steine gereiht, was in einer solchen Art der Reihung den Höhepunkt findet, bei der mit den Steinen ein Dominoeffekt erzeugt wird (Krähenschießen). Dann werden Flächen hergestellt, deren Perfektion erreicht ist, wenn das Kind beispielsweise beim Bauen von Mauern auf eine versetzte Fuge achtet. Auf der nächsten Stufe ist das Kind in der Lage, Körper zu bauen, deren Ecken so gebildet werden, dass dadurch Mauern ineinander verzahnt werden können. Uhls und Stoevesandts (1961/1991) umfangreiche Ausführungen zum Herstellen von Linien, Flächen und Körpern werden in Abschnitt 2.2.3 „Mathematische Inhalte im Bauspiel von Kindern“ genauer dargestellt, weil sich darin bestimmte Überzeugungen zum Zusammenhang von technischer und mathematischer Bildung im Bauspiel zeigen. Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 48) befassen sich in diesem Zusammenhang auch mit der Bedeutung des Zusatzbaukastens. Dabei wird angenommen, dass der Zusatzbaukasten der Bauentwicklung hinderlich sein kann, wenn er zu früh gegeben wird. Beispielsweise könnte er verhindern, dass das Kind die Ecke entdeckt, wenn es die Mauerlücken immer mit Halbsteinen füllt, oder es kommt nicht dazu, Überbrückungen, die den Druck von oben für ihre Haltbarkeit nutzen, kennenzulernen, wenn es immer Stangen zur Überbrückung nutzt. Allerdings wird schon anerkannt, dass die Stangen für die Kinder zum Abdecken der Gebäude wichtig sind und dass auch jüngere Kinder sie nutzen könnten, um Straßennetze und Überführungen zu bauen und damit Bauwerke untereinander zu verbinden. Dadurch könne das gemeinsame Spiel der Kinder gefördert werden. Darüber hinaus betonen Uhl und Stoevesandt (1961/1991) auch die Bedeutung des gemeinsamen Spiels der Kinder und den Stellenwert, den die Kinder untereinander für das Erlernen der Bauweisen haben. „Im Kindergarten wird es oft so sein, daß die Kinder sich durch ihr eigenes Bauen gegenseitig kindgemäßere und darum bessere Anreize zu neuen Versuchen geben als Erwachsene“ (Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 46). Als Begründung wird hierfür angeführt, dass Kinder sich besonders gut untereinander fördern können, weil sie sich von der Entwicklung her einander näher sind als der Erwachsene und das Kind. Eine weitere Aufgabe, die Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 48) für die Erwachsenen sehen, „besteht darin, dem Kind das Spielen mit dem Bauwerk zu ermöglichen und es zu fördern“. Sie gehen davon aus, dass das Werk dadurch einen Sinn bekommt
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und dass die Verwandlungen, Erweiterungen oder Ergänzungen, die dabei notwendig werden, das Kind weiterbringen. Auch in diesem Zusammenhang wird dem gemeinsamen Spielen mehrerer Kinder besondere Bedeutung beigemessen (vgl. Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 49). Wie oben jeweils angedeutet zeigen sich eine Reihe von Unterschieden in den Ideen von Uhl und Stoevesandt (1961/1991) zu denen von Fröbel, angefangen von dem Material über den Verwendungszweck des Materials bis hin zur Spielbegleitung. Während Fröbel für seine fünfte und sechste Spielgabe den Würfel in mehr Teile sowie neue Formen unterteilt, verfolgt Uhl die Idee, den Kindern die Spielgaben drei und vier mehrfach zur Verfügung zu stellen. Uhl strebt damit eine Weiterentwicklung des Bauens der Kinder im Hinblick auf das Erlernen statischer Gesetze an. Bei Fröbel (1838/1982a) geht es darum, dass eine neue Unterteilung des Ganzen erfahren werden kann und die Herstellung weiterer Lebensformen und Schönheitsformen möglich wird. Das Bauen und eine ausgefeilte Bauweise sind nicht die Themen, die in Fröbels Ausführungen besonders hervortreten. Bei der Spielbegleitung steht für Fröbel besonders die Anregung zu einer guten, sinnvollen Beschäftigung im Vordergrund, man könnte hier auch herauslesen, dass es dem Kind niemals langweilig sein soll (vgl. Fröbel 1844/1967, 18). Für Uhl und Stoevesandt(1961/1991) steht viel stärker die Entwicklung des Bauens im Vordergrund, die Vorschläge hinsichtlich der Spielbegleitung sind also darauf ausgerichtet, diese Entwicklung voranzubringen. Trotz der großen Unterschiede, die sich objektiv zeigen lassen, verstehen Uhl und Stoevesandt ihre Ideen im Sinne einer Fortführung von Fröbels Vorstellungen. Interessant ist, dass nach meiner Beobachtung die Uhl-Baukästen in den Kindergärten weit verbreitet sind, aber Fröbelbausteine genannt werden.
2.1.3.2 Das Bauen als kindliches Gestalten und Ausdruck des Erlebens Eine andere Vorstellung vom Bauen von Kindern zeigt sich bei Kietz (1950/1967). Das Bauen wird von ihr zunächst sehr allgemein als jegliches Zusammenfügen von einzelnen Bausteinen verstanden (vgl. Kietz 1950/1967, 9). Die Beschreibung verschiedener Vorstufen zur Entwicklung des Bauens, die hier als Reihenbildung, Haufenbildung, Aufeinanderhalten der Klötze und Luftbauen bezeichnet werden, weisen vielfältige Bezüge zu Abschnitt 2.1.2 auf; dasselbe gilt für die Beschreibung der Arten von Bauwerken. Kietz (1950/1967, 19 f.) benennt die verschiedenen Arten von Bauwerken als Turmbauten, Blockbauten, Brückenbauten und Raumbauten. Eine Bezeichnung für Bauten, die sich nur in der Fläche ausdehnen und z. B. Grundrissbauten genannt werden könnten, gibt es nicht. Hinsichtlich der Bedeutung der Bauwerke wird zwischen Bauwerken ohne Sachbedeutung
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und mit Sachbedeutung unterschieden, eine Unterscheidung, die ebenfalls in Abschnitt 2.1.2 schon betrachtet wurde. Kietz beschreibt darüber hinaus, ähnlich wie Uhl (1961/1991), dass das Kind mit seinem Bauwerk spielt und es dabei auch verändert. Im Unterschied zu den bisher beschriebenen Kennzeichen des Bauens sieht Kietz (1950/1967, 26) das Bauen außerdem als Ausdruck des kindlichen Erlebens: „Das Kind gestaltet das, was in seinem Erleben vorherrscht“. In den Ausführungen dazu werden besonders die Unterschiede im Erleben des Kindes und des Erwachsenen hervorgehoben. Beispielsweise brauche die Eisenbahn für den Mann typischerweise Räder, während sie sich für das Kind dadurch auszeichnet, dass sie sich zischend fortbewegt. Diese Überzeugungen von Kietz werden hier nicht weiter vertieft, auch weil der Text keine Belege dafür anführt. Einige der pädagogischen Folgerungen von Kietz zum Baumaterial und zum Verhalten des Erziehers sollen aber im Folgenden zusammengefasst werden. Kietz (1950/1967, 42) hat ganz genaue Vorstellungen davon, welches Baumaterial die Entwicklung der schöpferischen Kräfte im Kind fördert. Die Bauklötze dürften weder zu groß noch zu klein sein. Als richtige Größe schlägt sie bei Würfeln die Kantenlänge 4 cm vor. Auch hinsichtlich Farbe, Qualität und Material wird eine sehr konkrete Angabe gemacht. „Das beste Baumaterial für das Kleinkind […] sind farblose Klötze aus Holz, am besten Buchenholz, sehr sorgfältig und genau gearbeitet, mit tadellosen, scharfen Ecken und Kanten und völlig ebenen, gut geglätteten, aber nicht spiegelglatten Flächen“ (Kietz 1950/1967, 43). Die Form der Klötze wird im Hinblick auf die Gestaltungskraft der Kinder für sehr wichtig erachtet, dabei werden solche Formen für am besten befunden, die flach hingelegt, hoch aufgestellt, niedrig hingesetzt, schräg angelehnt und schmal hochgekantet werden können. Das sei bei den möglichst einfachen Formen – Würfel, Quader, Platten und deren Halbierungen – am besten erfüllt (vgl. Kietz 1950/1967, 44). Da das Wesentliche beim Bauen laut Kietz (1950/1967, 45) die Gestaltung der Form und das Ringen um die Form ist, fordert sie, dass auf farbige Gestaltung der Bauklötze verzichtet wird, um die Kinder nicht abzulenken. Die Bauklötze, die in einem Baukasten zusammengestellt werden, müssten in ihren Formen und Größenverhältnissen zusammenpassen und ausreichend gleiche Klötze einer Sorte enthalten. In diesem Zusammenhang nimmt Kietz (1950/1967, 46 f.) auch Bezug auf Fröbel, dessen Spielgaben diesem Gedanken entsprächen, allerdings hält sie dessen Klötze für zu klein. Es wird für notwendig erachtet, dass das Material in einem passenden Baukasten angeboten werden soll und nicht in Sammelbehältern, da diese meist zu viel Material enthielten. Dabei geht Kietz (1950/1967, 47) davon aus, dass zu viel Material die Kinder dazu verleiten würde „bequeme und primitive Aneinanderreihungen und Schichtungen [zu] bevorzugen, nur auf deren möglichst große Ausdehnung
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bedacht“. Feinere und reichere Formgestaltungen würden durch die ungeordnete und unübersichtliche Menge des Materials verhindert, die Quantität der Bauten ginge zu Lasten der Qualität. Die Rolle des Erziehers, dessen Aufgabe sich keineswegs nur in der Auswahl eines geeigneten Baukastens erschöpfe, beschreibt Kietz (1950/1967, 48 f.) in ihren Ausführungen zum Verhalten des Erziehers. Sie werden begleitet von dem Hinweis, dass es keine pädagogischen Rezepte geben kann, sondern dass der Erzieher seine Aufgabe nur erfüllen kann, „indem er aus gewonnenen Erkenntnissen und liebevoller Einfühlung in die Seele seines Kindes selbst seinen Weg findet“ (Kietz 1950/1967, 48 f.). Einige konkrete Verhaltensweisen für den Erwachsenen werden dann aber doch erläutert, dabei finden wir einige Punkte wieder, die auch Hetzer 35 Jahre vorher schon gefordert hat. Als Erstes wird das freie Wachsenlassen des kindlichen Bauens genannt. Es werden sowohl Anleitungen als auch Vorbilder und Fragen nach der Sachbedeutung der Bauwerke abgelehnt. Kietz (1950/1967, 49) bringt das in der Forderung auf den Punkt, dass man dem Kind das Glück einer vollen Entfaltung seines ureigensten Wesens sichern solle. Die Erwachsenen sollten, so eine weitere Forderung, das kindliche Bauen ernstnehmen, indem sie genügend Raum und Zeit dafür gewähren sowie Interesse daran und Verständnis dafür zeigen. Der Erwachsene soll laut Kietz (1950/1967, 51) am kindlichen Bauen teilnehmen, indem er eine Atmosphäre schafft, in der das Bauen in tausend kleinsten Augenblicken des Alltags Wertschätzung erfährt, beispielsweise durch einen freundlichen Blick, ein fröhliches Wort oder das bereitwillige Platz machen für das Bauen. Damit verbunden ist auch die Aufforderung zur Mitfreude am kindlichen Bauen, die als wirksamste Förderung angesehen wird. „Die echte, herzenswarme Mitfreude des Erziehers an jedem Fortschritt und jeder geglückten Leistung des bauenden Kindes zeigt ihm den Weg, auf dem es weiterschaffen muß, und bringt es mehr vorwärts als alles Belehren und Vorbauen“ (Kietz 1950/1967, 51 f.). Im Unterschied zu Uhl (1961/1991) geht Kietz (1950/1967, 54) davon aus, dass das gemeinschaftliche Bauen bei Kleinkindern und auch jungen Schulkindern keine Rolle spielt und diese, ohne sich aufeinander zu beziehen, nebeneinander bauen, weil sie noch nicht fähig sind, sich einander unterzuordnen. Daraus schlussfolgert sie, dass „alle Versuche eifriger Kindergärtnerinnen, hier eine Wandlung herbeizuführen, […] fruchtlos und sinnlos [sind], weil sie wider die Natur laufen“ (Kietz 1950/1967, 54).
2.1.3.3 Bauen als Lernfeld in der Vorschulerziehung Während für Kietz (1950/1967) ein zentrales Ziel von Bauen ist, die schöpferischen Kräfte zu stärken, die einer freien Entfaltung bedürfen, rückt bei der
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Veröffentlichung von Stoevesandt (1979) mehr die Bedeutung der Bildung und der Förderung in den Fokus. Obwohl Stoevesandt (1979) in dem im Folgenden betrachteten Buch „Bauen und Legen“ etliche Abschnitte aus der bereits oben dargestellten Veröffentlichung von Uhl und Stoevesandt (1961/1991) fast wortgetreu wiedergibt, finden sich doch neue Impulse und Deutungen, die darüber hinausgehen. Bauen und Legen werden hier als konstruktives Tun mit dem gemeinsamen Kern des Ordnens, folgerichtigen Entwickelns, Zusammensetzens und Aufbauens aufgefasst. „Das Legen – die Gestaltung der Fläche mit einfachen Formen […] – ist eine sich zugleich mit dem Bauen anbietende Möglichkeit der differenzierenden Weiterführung“ (Stoevesandt 1979, 8). Gemeint sein dürfte hier vor allem das Legen von Mustern. Es wird von Stoevesandt (1979) auch Schmücken genannt, weil sich darin Wesensmerkmale des Schmuckes zeigen, als solche werden beispielsweise der Sinn für Formen, für Symmetrie, für Rhythmus, für den Wechsel von Spannung und Ruhe, für Geschlossenheit und für Gliederung aufgeführt. Stoevesandts (1979, 8) Behauptung, dass diese Tätigkeit bei Mädchen beliebter als bei Jungen ist, aber für ältere Jungen interessant wird, „sobald sie entdecken, daß hier mathematische Gesetzmäßigkeiten veranschaulicht werden und man mit ihnen experimentieren kann“, bedient Geschlechterstereotype, die zwar empirisch widerlegt, aber durchaus noch verbreitet sind. Der damit verbundenen Idee, dass sich beim Legen von Mustern mathematische Gesetzmäßigkeiten entdecken lassen und dass man mit diesen experimentieren kann, kann man allerdings vollumfänglich zustimmen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Bauen und Legen, die laut Stoevesandt (1979) eine zentrale Stellung innerhalb des Kinderspiels einnehmen, in diesem Verständnis viele Bezüge zum Thema Muster aufweisen (vgl. Abschnitt 2.2.2.3 Muster & Strukturen und Bauspiel). Ein besonderes Augenmerk haben auch Stoevesandts (1979) Ausführungen über Rundbauten verdient, weil sie für die, im Rahmen dieser Studie beobachteten, Bauspielsituationen eine Rolle spielen (vgl. Abbildung 2.10). Während sich bei Uhl und Stoevesandt (1961/1991) nur sehr kurze Ausführungen zu Rundbauten finden, die sich auf ältere Kinder beziehen, erläutert Stoevesandt (1979), dass Rundbauten den Anfang des dreidimensionalen Bauens markieren. Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 42) beschreiben beispielsweise, dass bei Rundbauten die Trag- und Druckflächen sehr viel kleiner sind als beim geschlossenen Bau mit rechten Winkeln und deshalb das Herauslösen einzelner Steine erst großen Hortkindern gelingt. Stoevesandt (1979) schreibt, das Kind kommt ausgehend vom Reihen um das eigene Ich zum hochgeführten Rundbau. „Diese Form ist jedem Erzieher bekannt, sie ist wohl in allen Kindergärten beliebt und wird unendlich oft ausgeführt“ (Stoevesandt 1979, 45). Zweierlei Begründungen führt Stoevesandt
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(1979, 45) dafür an: Einmal die, dass sich auch menschheitsgeschichtlich Rundbauten als eine der ersten Bauarten entwickelt haben und sich hierin der Grundsatz zeige, dass die Entwicklung des Einzelmenschen und der Kultur miteinander verbunden seien. Zweitens wird die Begründung angeführt, dass Rundbauten den noch begrenzten feinmotorischen Fähigkeiten des Kleinkindes entgegenkommen, da sie auch dann relativ stabil seien, wenn sie nicht besonders genau gebaut werden. „Statisch erklärt sich das leicht: jeder Stein wird einigermaßen gleichmäßig von unten und von oben gehalten und zwar zunächst an beiden Enden“ (Stoevesandt 1979, 45). Es wird weiter ausgeführt, dass die Kinder großes Vergnügen haben, Steine aus dem fertigen Rundbau herauszuschieben, und dass es erstaunlich sei, wie viele Steine man aus dem Rundbau entbehren kann. Der Gegensatz, der sich damit zu den früheren Äußerungen von Uhl und Stoevesandt (1961/1991) zeigt, lässt sich hier nicht erklären. Abbildung 2.10 Rundbau (eigenes Foto)
Neben einem weitergehenden Verständnis von Bauen zeigt sich auch in den methodischen Einlassungen zur Förderung des Bauens im Kleinkindalter und zum Bildungswert des Spiels eine ausgewogenere und umfassendere Sichtweise, als es bei den vorhergehenden Autoren bisher sichtbar wurde. Ausgewogen insofern, als dort vermittelt und gegenübergestellt wird, was verschiedene Strömungen, beispielsweise in der Nachfolge Fröbels, gefordert haben. Umfassend deshalb, weil der bildende Wert des Spiels für Stoevesandt (1979, 7) darin liegt, dass das Kind beim Spiel Ziele verfolgt, die es ihm ermöglichen, Vielfalt und Gesetzmäßigkeiten der Dinge zu erleben und Verständnis für die Realität zu erwerben. Als Begleiterscheinungen des Spiels werden die Übung der Konzentrationsfähigkeit und der Ausdauer, das Erlernen von Funktionen, das Durchschauen von Sachzusammenhängen und die Fähigkeit zum Planen genannt. Stoevesandt (1979, 7) geht
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davon aus, dass diese allgemeinen Bemerkungen über das Spielen in besonders hohem Maß auf das Bauen zutreffen und „daß das Bauen nicht nur eine einseitige, sondern eine vielseitige Förderung der kindlichen Entwicklung bringt“. Wohl deshalb wird das Bauen von Stoevesandt (1979, 9) auch als geeignetes Lernfeld im Zusammenhang mit der Vorschulerziehung gesehen. Bauklötze werden von ihr als didaktisches Material aufgefasst, weil sie sowohl systematisches als auch unsystematisches Lernen ermöglichen und damit dem natürlichen Lernbedürfnis des Kindes in den Jahren vor der Einschulung entgegenkommen. Inwiefern das Bauen eine vielseitige Förderung der Entwicklung des Kindes darstellt, wird in den weiteren Erläuterungen Stoevesandts (1979, 9 f.) deutlich. Durch das Bauen erweitere das Kind seine manuelle Geschicklichkeit und könne sich räumliche und mathematische Begriffe zu eigen machen, beispielsweise groß-klein, kurz-lang, dick-dünn, hoch-tief, schräg-gerade-gebogen, gleich-ähnlich-ungleich. In diesem Begriffslernen bahnt sich laut Stoevesandt (1979, 10) der Weg vom anschauungsgebundenen über das logisch-konkrete zum abstrakten Denken an. Wenn das Kind sich für das fertige Bauwerk interessiere, lerne es auch auf ein Ergebnis hinzuwirken. Dadurch werden Ausdauer, Geduld, Sorgfalt und Exaktheit vertieft; „es [das Kind] lernt vergleichen, zwischen dem, was es selbst baut und dem, was es an Bauwerken anderer sieht“ (Stoevesandt 1979, 10). Kreativität könne durch das Bauen gefördert werden, wie sich beispielsweise bei der Suche nach neuen Möglichkeiten, höher oder stabiler zu bauen, zeige. Das gemeinsame Bauen ermöglicht laut Stoevesandt (1979, 11) soziales Lernen durch „gegenseitiges Beobachten, Abgucken, Vorschlagen, Nachahmen, Lernen voneinander, Zusammenarbeit, Einfügen in die Spielgemeinschaft, Einstellen aufeinander […]“ (Stoevesandt 1979, 11). Weil sich beim Gestalten von Bauwerken auch der Wunsch nach Veränderung und Verbesserung ergebe, lerne das Kind allmählich sein Bauen zu planen. Die Auseinandersetzung mit den statischen Gegebenheiten werde notwendig, wenn noch unerprobte Bauwerke verwirklicht werden sollen, dabei komme dem Experimentieren mit dem Baumaterial besondere Bedeutung zu. Das Experimentieren mit dem Baumaterial ist eine besonders spannende Seite des Bauens und hat hohen bildenden Wert. Es entspringt aus der Frage: Worauf beruht die Haltbarkeit, wo sind ihre Grenzen? Hier muß die Wunschvorstellung auf jeden Fall der Sachlichkeit weichen. Der Gestaltungswille beugt sich den Gesetzen der Statik; die Phantasie hat nur noch so viel Raum, wie die physikalischen Möglichkeiten ihr lassen. (Stoevesandt 1979, 13)
Nach dem Herstellen von Bauwerken stellt sich die Frage, was im Weiteren mit diesen geschieht. Stoevesandt (1979, 56 f.) geht davon aus, dass Kinder gerne mit
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ihren Bauwerken spielen und überlegt darüber hinaus, wie es sich mit dem Stehenlassen, Einreißen oder gar Einstürzen des Bauwerks verhält. Das Einstürzen eines Bauwerks kam auch in den von mir für diese Arbeit analysierten Bauspielsituationen vor. Es muss laut Stoevesandt (1979, 57) nicht zur Folge haben, dass das Kind enttäuscht ist, vielmehr kann dies ganz bewusst am Ende eines Bauspiels stehen. „Das Errichten etwa eines sehr hohen Turmes oder auch Bauwerkes, bei dem die Frage der Haltbarkeit besonders heikel ist, versetzt die Kinder in äußerste Spannung“ (Stoevesandt 1979, 57). Hierin lässt sich aus meiner Sicht die Idee des Experimentierens mit dem Material wiedererkennen. Stoevesandt (1979, 57) sieht in der Situation, in der das Bauwerk geräuschvoll zusammenbricht und sich die Spannung der Kinder löst, aber auch eine Parallele zum lauten Klatschen als Reaktion auf eine anspruchsvolle künstlerische Darbietung. Ist das Bauwerk eingestürzt, kann etwas Neues entstehen oder es folgt das Aufräumen, das bekanntermaßen auch dazu gehört. Deshalb überrascht es nicht, dass im Aufräumen ebenfalls eine Spiel- und Lerngelegenheit gesehen wird. „Vor allem kann das Aufräumen – je nach der Art des Materials – ein Sortieren oder Ordnen sein, was bei vielen Kindern ausgesprochen beliebt ist“ (Stoevesandt 1979, 57). Die zuvor dargestellten Annahmen gehen mit bestimmten Überlegungen zum Baumaterial einher. Stoevesandt (1979, 14) nimmt an, dass das Kind statische Gesetze genau dann erfahren kann, wenn Bauklötze ohne Mörtel und Mörtelersatz zum Einsatz kommen. Anders als in der Veröffentlichung von Uhl und Stoevesandt (1961/1991) (vgl. Abschnitt 2.1.3.1) nimmt Stoevesandt (1979) an, dass man über den Wert von Hilfsmitteln, die die Stabilität der Baumaterialien garantieren sollen, unterschiedlicher Meinung sein kann. Beispielsweise nimmt sie an, dass es Kinder gibt, die entmutigt werden, wenn ihr Bauwerk nicht gelingt, weil es ständig umstürzt, oder die Interesse haben, ein Bauwerk nachzubauen, dessen statische Gesetze sie noch nicht nachvollziehen können. „In solchen Fällen brauchen Kinder ein gewisses Maß an Entgegenkommen durch das Material“ (Stoevesandt 1979, 14). Auch wenn Kinder kompliziertere Fahrzeuge herstellen möchten, komme nur Material mit Verbindungsmitteln in Frage. Stoevesandt wählt einen sehr vermittelnden Schluss hinsichtlich dieser Überlegungen: „Hat das Kind aber auch andere Formen und andere Arten von Baumaterial, z. B. neben dem Uhl-Baukasten auch Legosteine, dann lernt es gerade durch die Verschiedenheit unterschiedliche Gesetzmäßigkeiten kennen“ (Stoevesandt 1979, 50). Bezogen auf die Formenvielfalt des Materials wird angenommen, dass es einen Vorzug für die Lernprozesse darstellt, wenn die Formen einfach sind und nur wenige verschiedene Formen zur Verfügung stehen. Dadurch bieten sich mehr Variationen zum Ausprobieren an und die vielfache Verwendbarkeit fördere die Flexibilität der Denkfähigkeit. Viele Kinder verwenden laut einer Beobachtung
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von Stoevesandt beim Bauen beispielsweise auch leere Kisten mit. Daraus folgert sie, dass es günstig ist, dem Kind nicht nur eine Größe von Bauklötzen und nicht nur eine Sorte zur Verfügung zu stellen (vgl. Stoevesandt 1979, 49). Sie traut den Kindern außerdem zu, dass ihre gestaltenden Kräfte groß genug sind, auch Bauelemente, die dem Erwachsenen vielleicht zu festgelegt erscheinen, flexibel zu verwenden (vgl. Stoevesandt 1979, 16). Als ein nicht zu vernachlässigendes Merkmal erscheint Stoevesandt die Passung der Steine. Auch wenn man beispielsweise mit Holzabfall aus einer Tischlerwerkstatt viel anfangen könne, sei das kein ausreichender Ersatz für Baumaterial mit genormten, d. h. aufeinander bezogenen, Formen. Neben Material und Form der Bauklötze thematisiert Stoevesandt (1979, 30) die Anzahl der Bauklötze und stellt dabei bezüglich der Uhl-Baukästen fest, dass die große Anzahl der Bauklötze das gemeinschaftliche Bauen in kleinen Kindergruppen fördert und somit der sozialen Erziehung dient. Ein gemeinsames Spiel wird laut Stoevesandt (1979, 49) auch dadurch unterstützt, dass das Bauen auf einem ausreichend großen, aber räumlich begrenzten Bauteppich oder Baupodest stattfindet. Nicht nur hinsichtlich des Baumaterials zeigt sich bei Stoevesandt (1979) eine weitergehende Perspektive, sondern, wie oben bereits angedeutet, auch in den Positionen zur Förderung des Bauens im Kleinkindalter. Sie beschreibt, dass der Erwachsene in der Lage sein müsse „zu erkennen, welche möglichen Schritte in der Entwicklung als nächste in Frage kommen, damit er weiß, in welcher Richtung er Hilfen geben sollte“ (Stoevesandt 1979, 47). Stoevesandt nimmt an, dass es dafür auch notwendig ist, das Material selbst zu erproben, es zu begreifen und Herausforderungen, die sich im Umgang mit dem Material stellen, wahrzunehmen. Beispielsweise solle sich der Erwachsene klar machen, warum der Bau an einer bestimmten Stelle ins Rutschen oder Kippen kommt und warum das eine leichter und das andere schwieriger zu bauen ist. Erst anhand seiner eigenen Materialerfahrungen könne der Erwachsene erkennen, „was das Kind braucht, um von seinen Bauspielen Gewinn für seine Entwicklung zu haben“ (Stoevesandt 1979, 48). Stoevesandt (1979, 49) befasst sich dann auch damit, inwieweit sich der Erwachsene in das Bauen des Kindes einbringen soll oder muss. An ihrer Aussage, dass sich Schäden an Bauwerken in der Geschichte als förderlich für die Wissenschaft des Ingenieurwesens erwiesen haben, zeigt sich eine neue Einsicht hinsichtlich der Frage, ob man das Kind verbessern soll oder nicht. Hier liegt wohl die Idee zu Grunde, dass das Kind durch Unzulänglichkeiten in seinen Bauten herausgefordert werden kann, besser zu werden. Allerdings wird auch bemerkt, dass es ein Irrtum Rousseaus gewesen sei, anzunehmen, dass das Kind die Wissenschaften nicht lernen, sondern erfinden solle. Laut Stoevesandt (1979, 52) beruht
2.1 Bauspiel und kindliche Entwicklung
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menschliches Schaffen darauf, „daß Vorhandenes in der Natur und der Kultur wahrgenommen und weitergeführt oder umgestaltet wird“. Auch das Kind sei überall von Vorbildern umgeben. Stoevesandt (1979) stellt sich mit ihren Vorschlägen zu einer Gestaltung des Bauspiels durch den Erwachsenen zwischen die beiden extremen Sichtweisen, dass das Kind entweder nur im Vor- und Nachbauen etwas lernen kann oder dass die Entwicklung des Bauens nur völlig frei und unbeeinflusst erfolgen darf. Der Erwachsene soll sich demnach in das Spiel des Kindes einbringen, beispielsweise indem er zeitweilig mitspielt. Durch seinen längeren Atem könne er die kindliche Begeisterung wachhalten und das schöpferische Potenzial zu neuen Einfällen anspornen. Außerdem könne beim Sprechen über ein Bauwerk die Freude am Deuten und Vergleichen geweckt werden, wodurch das Kind zum Planen und sich Ziele setzen ermuntert werde (vgl. Stoevesandt 1979, 51).
2.1.4
Aktuelle Positionen: Bauspiel als vielfältiges Spielgeschehen
Während im vorigen Kapitel stärker praxisbezogene Aspekte und Forderungen zum Bauen von und mit Kindern thematisiert wurden und die theoretische Einordnung des Bauspiels sowie seine Abgrenzung von anderen Spielformen keine Rolle spielte, haben genau das die im Folgenden betrachteten Veröffentlichungen von Oerter (1993) und Einsiedler (1999), die Kinderspiel aus einer stärker theoretischen Perspektive beleuchten, zum Gegenstand. Oerters (1993) Theorie basiert auf verschiedenen Aspekten von Kinderspiel, die aus psychologischer Perspektive zentral erscheinen, mit diesen können auch Bauspiele von Kindern erklärt werden. Einsiedler (1999) beschreibt zunächst Kinderspiel im Allgemeinen, widmet dann aber auch ein ganzes Kapitel der Spielform der Bauspiele, worin er auch vielfältige Bezüge zu älteren Veröffentlichungen, beispielsweise hinsichtlich der Entwicklung von Bauspiel (vgl. Abschnitt 2.1.2), herstellt. In diesem Kapitel soll deshalb zunächst das Verständnis von Kinderspiel, wie es sich bei Oerter (1993) und bei Einsiedler (1999) zeigt, erläutert werden, wobei besonders solche Erkenntnisse zu Kinderspiel in den Blick genommen werden, die im Hinblick auf die Analyse von Bauspiel bedeutsam erscheinen. Aus internationaler Perspektive bietet sich in Abschnitt 2.1.4.1 außerdem ein Blick auf das von Kontos et al. (2002) in ihrer Untersuchung zugrunde gelegte Kategoriensystem zu Aktivitäten und Spielformen der Kinder an. Anhand der umfassenden Ausführungen von Einsiedler (1999) zu Bauspielen erfolgt in Abschnitt 2.1.4.2 eine Definition und
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Beschreibung dieser Spielform, die auch das Verständnis von Bauspiel in der vorliegenden Arbeit prägt. Die umfangreichste, mir bekannte empirische Arbeit zu Bauspiel basiert auf einer Praxisforschung aus England und wurde von Gura und Bruce (1992) veröffentlicht. In Abschnitt 2.1.4.3 werden deren zentralen Aussagen hinsichtlich des zugrunde gelegten Verständnisses und der Bedeutung von Bauspiel sowie deren Annahmen und Erkenntnisse zur Entwicklung des Bauspiels beschrieben. Vergleichbar den in Abschnitt 2.1.3 dargestellten Veröffentlichungen findet sich bei Gura und Bruce (1992) ein starker Praxisbezug, weshalb auch die darin analysierten Rahmenbedingungen wie Material, Setting, Peerinteraktionen und Rolle der Fachkraft skizziert werden.
2.1.4.1 Zum Verständnis und zur Einordnung von Bauspiel als Kinderspiel Oerter (1993): Spiel aus handlungstheoretischer Perspektive Oerter (1993, 5) nimmt eine handlungstheoretische Erklärung des Spiels vor, deren Ausgangspunkt ist, Spiel als eine besondere Art von Handlung zu charakterisieren. Mit Handlungen sind alle zielgerichteten Verhaltensweisen gemeint, die einen Gegenstandsbezug haben. Absichtsvolles Handeln erkennt man laut Oerter daran, dass die mehr oder minder lange Beibehaltung eines Handlungsziels sowie die Kontrolle der Handlung selbst durch Vergleich des Ist-Zustandes mit dem Soll-Zustand möglich ist. Bezüglich des Gegenstandsbezuges stellt er fest, „Handeln kann also Umgehen mit einem Gegenstand bedeuten, es beinhaltet aber auch die Herstellung des Gegenstandes selbst“ (Oerter 1993, 3 f.). Oerter (1993, 5) geht davon aus, dass ein besonderes Merkmal von Spiel die Zweckfreiheit ist. In diesem Zusammenhang verweist er auf das Modell von Heckhausen (siehe Abbildung 2.11), wonach sich Ernsthandlungen und Spielhandlungen dadurch unterscheiden, dass in der Handlungskette des Spiels die Handlung normalerweise keine Folgen hat. Außerdem geht er davon aus, dass die Verbindung zwischen Handlung und Ergebnis beim Spiel lose ist. „Dem Kind kommt es im Spiel nicht so sehr darauf an, den ursprünglich mit der Spielhandlung verbundenen Zweck auch wirklich zu erreichen, sondern die Tätigkeit selbst rückt in den Vordergrund, wird variiert und immer wieder erneut aufgegriffen“ (Oerter 1993, 5).
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Abbildung 2.11 Modell von Heckhausen (Oerter 1993, 6)
Als zweites Merkmal von Spiel nennt Oerter den Wechsel des Realitätsbezugs. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer eingebildeten Situation. Als drittes Merkmal benennt er Wiederholung und Ritual. Insbesondere in Funktionsspielen von Kleinkindern lassen sich Wiederholungen direkt beobachten. Er nennt es die Freude am Effekt, die auch in allen anderen Altersstufen anzutreffen ist und im Hinblick auf eine erfolgreiche Meisterung zum wiederholten Durchführen der Handlung anregt. Sportspiele, z. B. Fußball, sind in hohem Maße ritualisiert. Auch für kindliches Spiel lässt sich beobachten, dass Rituale und Regeln eine besondere Bedeutung haben. „Erst die festgelegte Ordnung ermöglicht die Nutzung des Spielraums für die Erprobung neuer Verhaltensweisen“ (Oerter 1993, 18). Oerter betont außerdem, dass im Spiel Handlungsplanung eine große Bedeutung hat und sich schon früh entwickelt. „Im Spiel gelangen Kinder früher und intensiver zu planendem Handeln“ (Oerter 1993, 74). Dieser Gesichtspunkt könnte im Hinblick auf Bauspiel von besonderer Bedeutung sein. Oerter (1993) bringt die oben skizzierten Erklärungsmöglichkeiten und Rahmenbedingungen von Spiel in einem theoretischen Rahmen zusammen. Darin wird deutlich, dass es nicht die Spielformen sein müssen, die das Spiel charakterisieren, sondern die Grundkomponenten von Handlung, die jeweils als gegensätzliche Paare zu sehen sind. Das eine Begriffspaar, das Oerter nennt, ist Vergegenständlichung und Aneignung. Erstere „bildet die nach außen gerichtete Komponente der Handlung und führt zu Ergebnissen, die längere oder kürzere Zeit fortbestehen. Vor allem aber erzeugt sie die Gegenstände selbst. Vergegenständlichungen im kindlichen Spiel sind Produkte des Bauens und Malens“ (Oerter 1993, 183). Aneignung meint, dass der Gegenstand auf das Subjekt wirkt und Spuren oder Eindrücke beim Individuum hinterlässt. „Am deutlichsten kann er [der Aneignungsvorgang] beim Explorieren von Spielgegenständen beobachtet werden“ (Oerter 1993, 184). Das zweite Begriffspaar lautet Subjektivierung und Objektivierung und ist in Anlehnung an Piagets Begriffe der Assimilation und
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Akkommodation zu verstehen. So orientiert sich bei Objektivierung das Ergebnis der Handlung an der Realität. Subjektivierung bedeutet ein Angleichen des Handlungsergebnisses an die subjektiven Bedürfnisse und Wissensstruktur (vgl. Oerter 1993, 184). Die Kombination dieser vier Grundkomponenten von Handlung mündet in eine Tabelle mit Beispielen aus dem kindlichen Spielverhalten (Tabelle 2.1). Tabelle 2.1 Grundkomponenten von Handlung im kindlichen Spielverhalten nach Oerter (1993, 185) Aneignung Subjektivierung
Vergegenständlichung
Geschichten anhören Symbolspiel Sendungen anschauen Rollenspiel
Objektivierung
Buch anschauen und Bilder benennen
Puzzle legen
Exploration von Gegenständen
Eisenbahn bauen
Hier wird deutlich, dass Bauspiel schwerpunktmäßig rechts unten einzuordnen wäre, aber wohl nicht ausschließlich, wie auch Oerter (1993, 185) selbst verdeutlicht: „Schließlich sind Konstruktionsspiele, sofern sie realitätsorientiert ausgerichtet sind, z. B. das Erzeugen von funktionierenden Gegenständen, im letzten Quadranten, dem der objektivierenden Vergegenständlichung, beheimatet.“ Daraus lässt sich schlussfolgern, dass vom Thema und vom Ablauf des jeweiligen Bauspiels abhängig ist, wie es einzuordnen ist. Möglicherweise kann in ein und demselben Bauspiel auch abhängig vom Spiel der einzelnen Kinder oder in verschiedenen Phasen des Spiels den Handlungen mit dem Baumaterial oder den Bauwerken ein anderes Interesse als das Erzeugen von funktionierenden Gegenständen zugrunde liegen. Oerters (1993) Sichtweise auf Spiel und damit seine Interpretationen von Spiel gehen weit über die konkreten Handlungen des Kindes und den darin erkennbaren Interessen des Kindes hinaus. Er spricht selbst auch von einem übergeordneten Gegenstandsbezug. So beschreibt er beispielsweise ausführlich das Aufbauen und Zerstören als einen übergeordneten Gegenstandsbezug des Bauens und Konstruierens, der anhand unterschiedlicher Beispiele verschieden, aber immer psychoanalytisch gedeutet wird. Diese Art der Deutung ist auch erkennbar
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in dem übergeordneten Gegenstandsbezug, der dem Bauen von Hütten zugeschrieben wird: „Behausung als Zuflucht, Besitzkontrolle und Selbsterweiterung“ (Oerter 1993, 200). Neben der beschriebenen handlungstheoretischen Erklärung von Spiel und der Darstellung des übergeordneten Gegenstandsbezuges befasst sich Oerter (1993) mit weiteren Aspekten von Spiel. Hinsichtlich einer Analyse von Bauspielsituationen sind insbesondere seine Ausführungen über die Handlungsplanung, die Kommunikation im Spiel und auch über das Spielzeug von Bedeutung. Oerter (1993, 72) stellt fest, dass es Handlungsplanung auch im Konstruktionsspiel gibt, er bezieht sich bezüglich der Schritte von Handlungsplanung auf die Erkenntnisse von Hetzer. Darüber hinaus schreibt er: „Die Errichtung von Bauwerken erfordert oft eine größere Zahl von Planungsschritten bzw. die Änderung des Planes während des Bauens, wenn sich ein Vorhaben als nicht durchführbar erweist“ (Oerter 1993, 72). Oerter nimmt an, dass der Werkgestaltung vielfach ein vorhandenes Wissensschema zugrunde liegt, beispielsweise entsteht ein Auto häufig von den Rädern zur Karosserie. Die Handlungsplanung zeigt sich auch in der Kommunikation über das Spiel, die hier als Metakommunikation bezeichnet wird. Oerters (1993, 117) Erläuterungen zur Metakommunikation liegt das Verständnis zugrunde, dass ein Merkmal von Spiel der Wechsel der Realitätsebene ist. „Sobald mehrere Partner beteiligt sind, erfordert dieses Hinüberwechseln Vereinbarungen oder zumindest Signale, die außerhalb des Rahmens ‚Spiel‘ getroffen werden“ (Oerter 1993, 117). In Anlehnung an Griffin (1984) benennt Oerter (1993, 119 f.) verschiedene Termini, die Metakommunikation als Kontinuum von Mitteilungen, die ganz innerhalb des Spiels bis komplett außerhalb des Spiels bleiben, charakterisieren können: • Ausagieren: Während der Spielhandlung selbst wird mitgeteilt, was man gerade spielt. • Versteckte Kommunikation: Das Spiel wird weiterentwickelt ohne explizit eine weitere Vereinbarung oder Anordnung zu treffen. • Unterstreichen: Eine Handlung wird verbal kommentiert oder unterstrichen. • Geschichten erzählen: Ein Handlungsvorgang wird mehr erzählt als ausagiert. • Vorsagen: Manchmal bricht ein Spieler aus dem Spielrahmen aus und teilt mit veränderter Stimme etwas mit. • Implizite Spielgestaltung: Durch Äußerungen wird der Spielrahmen näher bestimmt und Figuren und Handlungen näher festgelegt. Dies geschieht aber ohne die explizite Anweisung „Wir spielen jetzt…“ • Explizite Spielgestaltung: Auf dieser Ebene der Metakommunikation werden explizite Spielvorschläge gemacht.
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Die Kommunikation im Bauspiel dürfte sich im weiteren Sinne diesen Charakteristika zuordnen lassen. Auf der Ebene des Inhaltes wird die von Oerter (1993, 119) in Anlehnung an Garvey und Berndt (1977) beschriebene Unterscheidung metakommunikativer Botschaften „Erwähnung von Rollen“, „Nennung eines Plans“, „Nennung von Gegenständen“ und „Nennung eines Settings“ auf den ersten Blick aber nicht der Komplexität der Spielsituationen in der Bauecke gerecht. Da sich die Beispiele zur Metakommunikation immer auf typische Rollen- und Phantasiespiele beziehen, wird in Abschnitt 2.2.2.4 „Sprache und Kommunikation und Bauspiele“ eine weitere Sichtweise dargestellt. Diese legt auch ein besonderes Augenmerk auf die Bedeutung von Sprache hinsichtlich einer mathematikdidaktischen Analyse von Bauspielsituationen. In den Ausführungen in den Abschnitten 2.1.1, 2.1.2 und 2.1.3 wurde immer wieder die Bedeutung des Spielzeuges hervorgehoben, insofern sind Oerters (1993, 81) Einlassungen zum Spielzeug interessant. Er stellt fest, dass Spielforscher und Spielpädagogen solche Gegenstände am höchsten schätzen, die vom Kind in vielfacher Weise genutzt werden. Am häufigsten sei die vielfältige Nutzung natürlicher Dinge, so entstehen beispielsweise im Urlaub am Strand aus Sand, Steinen und Holz Bauwerke samt menschlichem und tierischem Inventar. Hinsichtlich der Mehrfachnutzung von Vorgefertigtem wird davon ausgegangen, dass eine gewisse Gesetzmäßigkeit gilt. Dem Symbolspiel mit solchen Gegenständen geht demnach das Explorieren der Gegenstände voraus. Oerter (1993) ordnet vorgefertigte Spielsachen bestimmten Klassen zu. Bausteine, Lego- und TechnikBaukästen werden gemeinsam mit Knete, Farbstiften, Papier und Sportgeräten der „Klasse der Werkzeuge“ zugeordnet. Baukästen werden dabei als Werkzeug zur Herstellung eines Werkes verstanden. Obwohl es Oerter (1993, 83) für wichtig hält, dass die Funktion eines Spielzeuges auch bei relativ klarer Festlegung variieren kann, lehnt er den durch Spielpädagogen seit Fröbel vertretenen Absolutheitsanspruch, dass gutes Spielzeug möglichst vielfältig verwendbar sein soll, ab. Vielmehr ist er der Auffassung, dass das im Kontext der umgebenden Kultur und im Zusammenhang mit der Thematik, die das Kind beschäftigt, gesehen werden muss. Einsiedler (1999): Verschiedene Funktionen und Formen des Kinderspiels Einsiedler (1999, 15) definiert Kinderspiel ganz allgemein als Handlung, Geschehniskette oder Empfindung, die dadurch charakterisiert ist, dass sie durch freie Wahl zustande kommt, stärker auf den Spielprozess als auf ein Spielergebnis gerichtet sowie von positiven Emotionen begleitet ist und sich im Sinne eines So-tun-als-ob von realen Lebensvollzügen unterscheidet. Es wird davon ausgegangen, dass diese Merkmale zur Identifizierung des Kinderspiels geeignet sind und
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dass nicht von der Bezeichnung Spiel abgesehen werden muss, wenn ein Merkmal fehlt. Die Funktion von Spiel differenziert sich laut Einsiedler (1999, 18) je nach Spielform zwischen den beiden Polen biologische Funktion und kulturelle Funktion aus. So dienen beispielsweise Objekt- und Sozialspiele bei menschlichen Babys größtenteils der Entwicklung, sie haben daher vor allem eine biologische Funktion. Spiele, die überwiegend individuellen Genuss oder Freude an Geselligkeit versprechen, seien stärker kulturell bestimmt und deshalb vor allem dem zweiten Pol zuzuordnen. Einsiedler (1999, 36) hebt diesbezüglich seine doppelperspektivische Theorie des Kinderspiels hervor, nach der bestimmte Spielformen mit ihrer Lernfunktion erklärt und andere als kultureller Ausdruck beschrieben werden können. Einsiedlers (1999, 16) Unterscheidung zwischen verschiedenen Spielformen zeigt sich auch an seiner Position, dass er es für sinnvoll hält, außer dieser idealtypischen Klärung des Kinderspiels „spezielle Spielformen im Kindesalter mit eingeschränkteren Oberbegriffen und mit detaillierteren Kennzeichen begrifflich zu präzisieren“. Dabei sei es eine wichtige Aufgabe, genauer zu bestimmen, wie spezifische Spielformen mit dem Lebenskontext und der Entwicklung von Kindern zusammenhängen. Was damit gemeint ist, wird auch in Einsiedlers (1999) umfassenden Ausführungen zur Spielform der Bauspiele deutlich, die in Abschnitt 2.1.4.2 dargestellt werden. Hinsichtlich der Entwicklung des Kinderspiels beschreibt Einsiedler (1999, 22), dass die Spielforschung schon relativ früh begonnen hat, „die Entwicklung des Kinderspiels als Sequenz bestimmter Formen des kindlichen Spiels zu beschreiben“. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die entwicklungspsychologisch orientierte Spielforschung und auf Charlotte Bühler (vgl. dazu auch Abschnitt 2.1.2). Als bekannteste Grobeinteilung wird folgende Abfolge dargestellt: Im ersten und zweiten Lebensjahr wird das Spiel des Kleinkindes Funktionsspiel genannt, dabei hantiert das Kind mit Gegenständen, spielt mit dem eigenen Körper und der Stimme, verwendet Spielgegenstände zunächst einzeln und unspezifisch und kombiniert diese schließlich auch. „Man nimmt an, dass die Kinder in diesem frühen Spiel Materialmerkmale und erste physikalische Gesetzmäßigkeiten kennenlernen“ (Einsiedler 1999, 22). Gegen Mitte und Ende des zweiten Lebensjahres beginnen die Kinder Phantasie- und Rollenspiele zu spielen, dabei führen sie die fiktiven Handlungen zunächst mit dem eigenen Körper aus und verwenden dann auch Puppen, Spielfiguren und Gegenstände. „Als Kern des Phantasiespiels wird die Transformation von Objekten […] und das Hineinversetzen in andere angesehen“ (Einsiedler 1999, 22). Das Funktionsspiel der ersten beiden Jahre findet seine Fortsetzung im Konstruktionsspiel, welches von Einsiedler (1999, 22) mit dem Bauen gleichgesetzt wird. Im Kindergartenalter kommen dann gemäß dieser Abfolge die ersten Regelspiele hinzu, wobei
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die Regeln zunächst selbst aufgestellt werden. Außer dem Spiel mit Spielfiguren gehören dazu auch Kreis- und Tanzspiele, die schließlich in Fang-, Ball und Sportspiele münden. Laut Einsiedler (1999, 23) bietet diese Grobeinteilung mögliche Analyse- und Erklärungsansätze, wenn es darum geht, schicht- und kulturspezifische Einflüsse auf die Spielentwicklung festzustellen. Neben der Grobeinteilung des Kinderspiels beschreibt Einsiedler (1999, 23 f.), dass es auch Forschungen gab, aus denen feinere Einteilungen der Entwicklung bestimmter Spielformen hervorgegangen sind, die er als Mikrosequenz bezeichnet. Mit der Erarbeitung und Absicherung von Mikrosequenzen des Spielens ist in der Spielforschung ein erheblicher Erkenntnisfortschritt gelungen […]. Gegenüber älteren Darstellungen, in denen global die Entwicklung des Spielens mit der sozialkognitiven Entwicklung in Zusammenhang gebracht wurde, scheint es jetzt möglich zu sein, Beziehungen zwischen Mikroschritten der Spielentwicklung und denen anderer Entwicklungsbereiche aufzudecken. (Einsiedler 1999, 24)
Obwohl es, wie weiter unten deutlich wird, bislang keine Beschreibung von Mikrosequenzen für das Bauspiel gibt, verdeutlicht das Zitat, wie sich die Sichtweise auf Spiel im Allgemeinen dadurch verändert. Das Interesse verändert sich demnach dahingehend, dass statt globaler Aussagen zum Zusammenhang von Spiel und kognitiver Entwicklung ganz spezifische und konkrete Aspekte in Spiel, Sprache, kognitiver Entwicklung und Kreativität in den Blick genommen werden, die miteinander verbunden sind. Im vorigen Absatz wurden Sichtweisen zum Zusammenhang von Spiel und Entwicklung dargestellt. Dazu passt die Aussage Einsiedlers (1999, 43), dass die Annahme, in vielen kindlichen Spielhandlungen werde gelernt, empirisch gut gesichert ist. Allerdings merkt er dazu auch an, dass damit noch nichts über den Einfluss des Spielens auf die Entwicklung oder das Lernen gesagt ist. In Anlehnung an Bruner (1976) und Oerter (1983) beschreibt Einsiedler (1999, 44) eine mögliche Theorie zum Einfluss des Spiels auf die Entwicklung. Demnach sei die Dekontextualisierung der Kern der sozial-kognitiven Entwicklung. In der Vorschulzeit trage das Spiel entscheidend dazu bei, die Fähigkeit, von konkreten Denkhilfen unabhängig zu werden, zu entwickeln. Aber Einsiedler (1999, 45) merkt wohl auch im Hinblick auf Schule an, „dass es neben Lernen im Spiel im Kindesalter andere gewichtige Lernerfahrungen gibt, die durch Spiel nicht zu ersetzen sind“, wobei erwähnt wird, dass sich in der Vorschulzeit das Spielen vor allem als Phantasie-, Bau- und Regelspiel auch günstig auf die allgemeine Lernfähigkeit auszuwirken scheint.
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In Einsiedlers (1999) Ausführungen zum Einfluss von Rahmenbedingungen, wie sie der Kindergarten mit dem zur Verfügung stehenden Spielmaterial darstellt, zeigt sich eine weitere Perspektive auf Kinderspiel. Im Hinblick auf das Bauspiel habe sich demnach in einer Studie von Johnson, Ershler und Bell (1980) herausgestellt, dass in einem Kindergarten mit formaler Konzeption, was dort das direkte Lehren von Begriffen beinhaltete, mehr Konstruktionsspiel gespielt wurde als in einem Kindergarten mit einer informellen Konzeption, bei der der Schwerpunkt auf spontanen Aktivitäten und entdeckendem Lernen lag. Einsiedler (1999, 51) erwähnt dazu aber, dass die Studie nicht die Mikrobedingungen der Spielsituationen, wie beispielsweise das tatsächliche Verhalten der Erzieherinnen, in den Blick genommen hat. „Es ist anzunehmen, dass ein auf Sprachentwicklung abzielendes Kindergartenprogramm […] sich auch günstig auf die Spielfähigkeit auswirkt und zusätzlich erzieherische Aktivitäten im Mikrobereich spielunterstützend oder spielhemmend wirken“ (Einsiedler 1999, 51). Bezugnehmend auf eine Untersuchung von Quay, Weaver und Neel (1986) berichtet Einsiedler (1999, 52) von Ergebnissen zum Verhalten von Kindern im Zusammenhang mit bestimmten Spielecken des Kindergartens. Für die Bauecke zeigte sich, dass sich dort Jungen häufiger aufhalten, dort eher gemeinschaftlich gespielt wird und häufiger negatives Sozialverhalten auftritt. Laut Einsiedler (1999) gibt die Studie aber keinen erklärenden Hinweis für diese Befunde. Eine Studie von Hendrickson u. a. (1981), die den Einfluss des Spielzeugs auf die Sozialform untersuchte, fand Einsiedler (1999, 54) zufolge heraus, dass beim Spiel mit Bausteinen meistens kooperatives Spielen entstand. Interessant sind hier auch die Ergebnisse einer Längsschnittstudie von Rubin u. a. (1983), auf die bei Einsiedler verwiesen wird, demnach ließ sich beim Spiel mit großen Bauklötzen ein Wechsel zwischen zwei Sozialformen beobachten. „Manchmal wurde damit im Alleinspiel gespielt und es wurde gebaut; manchmal trat auch Spiel in Gruppen auf, die Kinder verwendeten dann die Bausteine für Phantasiespiele“ (Einsiedler 1999, 54). In einer Untersuchung von Wolfgang und Stakenas (1985), die in Abschnitt 2.2.1 noch ausführlicher dargestellt wird, ging es darum, den Wert einzelner Spielsachen für die kognitive Entwicklung herauszufinden. Dabei habe sich gezeigt, dass Konstruktionsspielsachen, als solche wurden beispielsweise Bausteine, Baukästen und Puzzle aufgefasst, die höchste Vorhersagekraft in den Bereichen Sprachentwicklung, Wahrnehmung, Zahlverständnis und Gedächtnis haben. „Die Autoren nehmen an, dass das Spielen mit Baukästen, Puzzles usw. mehr intellektuelle Anstrengungen erfordert als andere Spielformen und deshalb stärker mit der kognitiven Entwicklung korrespondiert“ (Einsiedler 1999, 56 f.). Bauspiel wird häufig als Weiterführung von Objektspiel verstanden, so auch von Einsiedler, deshalb soll im Folgenden der Blick kurz auf Objektspiel gelenkt
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werden. Einsiedler (1999, 58) schlägt vor, die ersten Spiele des Kindes, anders als oben unter Bezugnahme auf Charlotte Bühler geschehen, nicht als Funktionsspiele sondern als psychomotorische Spiele zu bezeichnen. Die psychomotorischen Spiele unterscheidet Einsiedler (1999) wiederum in Sozialspiele und Objektspiele. Dabei dienen Letztere dem spielerischen Erkunden von Gegenständen und sind häufig in die spielerischen Interaktionen zwischen Kind und Bezugsperson integriert. Interessant ist hierbei, dass von einer Studie von Ungerer und Sigman aus dem Jahr 1984 berichtet wird, in der sich zeigte, dass Objektspiel und auf Puppen sowie Personen gerichtetes Spiel getrennte Entwicklungsbereiche sind und dass man zwei Typen von Kindern unterscheiden kann. Es gebe Kinder, deren Spiel stärker auf Objekte und die Untersuchung von Sacheigenschaften und solche, deren Interesse stärker auf den Austausch mit anderen Personen gerichtet sei. Einsiedler (1999, 58) merkt dazu an: „Die Unterscheidung zwischen ‚Objektspielern‘ und ‚Interaktionsspielern‘ lässt zumindest nicht ausschließen, dass bereits in den frühen psychomotorischen Spielen eine Interessenbildung erfolgt“. Kontos et al (2002): Kategorien für Spiel und Aktivitäten von Kindern Kontos et al. (2002) thematisieren das Spiel von Kindern im Zusammenhang mit ihrer Studie zu Einflüssen auf institutionelle frühkindliche Bildung, wobei sie ihr Verständnis von Kinderspiel nicht in spieltheoretischer Hinsicht explizieren. Dennoch lässt sich ein bestimmtes Verständnis von Spiel erkennen. So fällt auf, dass die Begriffe Spiel und Aktivität nicht voneinander abgegrenzt werden und die Aktivitäten von Kindern vorwiegend anhand der Spiele, an denen sie beteiligt sind, beschrieben werden. Insofern ist anzunehmen, dass hier ein Verständnis von Spiel als Aktivität oder Handlung zugrunde liegt. Es ist aber unklar, ob alle Aktivitäten von Kindern als Spiel begriffen werden. Interessant ist die Annahme, dass die Aktivität ein Indikator für die Art der kognitiven Anforderung, auf die sich das Kind einlässt, ist; demnach gebe es bestimmte Aktivitäten, die besonders ertragreich sind, weil sie kompetenteres und komplexeres Verhalten der Kinder auslösen. Laut Kontos et al. (2002, 242) stützt sich diese Annahme auf verschiedene Studien, beispielsweise konnte die kognitive Kompetenz der Kinder aufgrund ihrer Beteiligung an kreativen Aktivitäten vorhergesagt werden. Als solche werden genannt: Aktivitäten mit Klötzen, Theaterspiel und offene künstlerische Aktivitäten. Obwohl an dieser Stelle ungeklärt bleibt, worin kompetenteres und komplexeres Verhalten der Kinder besteht und was eine kreative Aktivität von einer anderen unterscheidet, spielt diese Position auch in den weiteren Ausführungen von Kontos et al. (2002) eine Rolle. Am deutlichsten zeigt sich das in den verwendeten Kategoriensystemen, anhand derer das Spiel von Kindern mithilfe von Skalen beurteilt wird, die
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jeweils vom niedrigsten zum höchsten oder elaboriertesten Niveau reichen (vgl. Tabelle 2.2). Als Optimum wird stets das Spiel auf der höchsten Ebene verstanden, wie auch an der folgenden Äußerung zu erkennen ist. „The Howes Scale involves coding children’s interactions with peers into one of six categories that represent levels of complexity. The highest level of interaction that was observed was coded“ (Kontos et al. 2002, 246). Es wird nicht erläutert, inwiefern diese Skalen die Spielentwicklung von Kindern widerspiegeln. Auch in der Diskussion der Ergebnisse wird diese Entwicklungsperspektive nicht thematisiert, vermutlich auch deshalb, weil in die Studie nur gleichaltrige, jeweils genau fünfjährige, Kinder einbezogen waren. Allerdings wird erwähnt, dass „Howes Peer Play Scale“ als Indikator für soziale Kompetenz gesehen wird und „Howes Object Play Scale“ als Indikator für kognitive Kompetenz (Kontos et al. 2002, 246). Die Aktivitäten der Kinder wurden außer anhand der beiden Skalen zum Sozialspiel und zum Objektspiel auch danach unterschieden, welcher Art sie waren. Diese Kategorien werden, auch wenn sie sich auf den ersten Blick zu überschneiden scheinen, in der Studie als trennscharfe Kategorien verwendet: „These categories were designed to be mutually exclusive so that only one was coded during each observational interval“ (Kontos et al. 2002, 245). Tabelle 2.2 Für die Beobachtung genutzte Kategoriensysteme (vgl. Kontos et al. 2002) Peer Play Scale categories
Object Play scale categories
Activity
Solitary
Carry/mouth
routines
Parallel
Manipulate
creative
Parallel-aware
Functional
Language arts
Simple-social
Creative
Didactic
Complementary-reciprocal
Gross motor
Co-operative-pretend
manipulatives
Complex-pretend
Wie oben bereits erläutert, legen die Autoren der Studie keine Definition für Spiel vor. Interessant ist nun zu betrachten, inwiefern bestimmte Spielformen unterschieden und in diesem dreifachen Kategoriensystem berücksichtigt werden. Hier soll das Augenmerk insbesondere auf Bauspiele gelegt werden, weshalb anhand der Beispiele und Erläuterungen zu den einzelnen Kategorien jeweils Hinweise auf Bauspiele verfolgt werden. So ist in der Skala zum Objektspiel das Aufeinanderstapeln von Klötzen in der Kategorie „Functional“ als Beispiel
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angeführt. Das Ausbalancieren eines Klotzes auf einem Turm, bei dem verschiedene Methoden ausprobiert werden, wird als Beispiel für die Kategorie „Creative“ angeführt, die folgendermaßen definiert wird: „Child was engaged in goal directed problem solving or systematic experimentation with the object“ (Kontos et al. 2002, 257). Die Kategorie „creative“ im Kategoriensystem „Activity“ enthält als Beispiel „playing with blocks“ (Kontos et al. 2002, 245). In demselben Kategoriensystem steht die Kategorie „manipulatives“ für feinmotorische Aktivitäten, die keine künstlerischen Aktivitäten sind. Mit Puzzlespielen und Legos werden auch hier zwei Beispiele genannt, die dem Feld der Bauspiele zugerechnet werden können. Bei „Howes Peer Play Scale categories“ fällt auf, dass Beispiele zum Bauspiel in den Kategorien „Parallel“: „two children playing blocks in the same area but unaware of each other“ und „Parallel-aware“: „two children playing blocks in the same area and paying attention to each other“ genannt werden (Kontos et al. 2002, 256). Auch in der Kategorie „Simple-social“ kann in dem Beispiel, dass Kinder abwechselnd Sand in einen Eimer schütten, ein Bezug zu Bauspiel erkannt werden. Die Beispiele für die höheren Skalen-Niveaus beziehen sich dann ausschließlich auf solche Rollen- und Phantasiespiele, die keinen Bezug zu Bauspielzeugen haben. Insgesamt wird deutlich, dass Bauspiele bei Kontos et al. (2002) als sehr vielschichtiges Spielgeschehen begriffen werden, auch wenn keine explizite Definition oder Einordnung vorgenommen wird. Nicht nur die in der Studie eingesetzten Kategoriensysteme und die erwähnten Vorannahmen bieten Anhaltspunkte hinsichtlich des Verständnisses von Spiel, sondern auch die aufgrund der analysierten Beobachtungen gewonnenen Erkenntnisse. Nicht alle Interpretationen von Ergebnissen sind dabei ganz nachvollziehbar. Insbesondere die Erkenntnis – zu der es auch eine bereits oben beschriebene Vorannahme gab –, dass komplexe Interaktionen mit Objekten besonders bei solchen Aktivitäten vorkämen, die kognitiv anspruchsvoller seien, wie beispielsweise bei kreativen Aktivitäten, scheint problematisch. Anhand eines Bauspiels, wie es die zielgerichtete Herstellung eines hohen Turms wäre, lässt sich das gut verdeutlichen. Der Turmbau müsste hinsichtlich des Objektspiels zur Kategorie „Creative“ gehören und würde damit als kognitiv anspruchsvolle Tätigkeit gelten, auch im Kategoriensystem zu Aktivitäten fällt das Spielen mit Bauklötzen unter die Kategorie „creative“, wenn es nicht als ausschließlich feinmotorische Übung verstanden wird. Damit dürfte sich allein aufgrund der Tatsache, dass im Kategoriensystem bei der Skala zum Objektspiel das komplexeste Level mit „Creative“ benannt war und auch eine Aktivitäts-Kategorie genauso hieß, die sich wohlgemerkt beide auf die Spielform Bauspiel oder im weiteren Sinne
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auf Konstruktionsspiel beziehen, eine Reihe an Überschneidungen erklären lassen. Deshalb muss man zumindest kritisch hinterfragen, ob nicht schon im Kategoriensystem selbst diese Problematik angelegt war. Abgesehen von dieser problematischen Überschneidung von Kategorien werden im Rahmen der Diskussion von Ergebnissen der Studie eine Reihe von bemerkenswerten Aussagen hinsichtlich der Rolle der Fachkraft getätigt. So zeigte sich, dass komplexere Peer- und Objektinteraktionen dann vorkamen, wenn keine Intervention durch die Fachkraft erfolgte. Laut Kontos et al. (2002, 253) ergibt sich daraus die Frage, auf welche Weise Fachkräfte versuchen, das Spiel der Kinder zu unterstützen, da frühere Studien und Annahmen davon ausgehen, dass durch eine einfühlsame Beteiligung von Fachkräften am Spiel der Kinder ein höheres Spiel-Level zu erreichen ist. Für das Ergebnis in dieser Studie wird auch eine methodologische Erklärung in Erwägung gezogen. Demnach wurde analysiert, welches Level der Fachkraft-Intervention und welches Level der Interaktion von Kindern untereinander sowie mit Objekten in einem Zeitintervall gemeinsam vorkommen, obwohl es wichtiger sein könnte zu beobachten, wie die Fachkraft sich vor oder nach besagter Interaktion der Kinder einbringt. Dennoch nehmen Kontos et al. (2002, 253) an, dass ihr Ergebnis – komplexere Peer- und Objektinteraktionen kommen vor, wenn keine Intervention durch die Fachkraft erfolgt – nicht nur methodologische, sondern auch substanzielle Gründe hat, wie das auch von anderen Forschern festgestellt wurde. „There are researchers who believe there is evidence that children interactions with peers are enhanced when teachers stand back from children’s play“ (Kontos et al. 2002, 253). Eine weitere interessante Erklärung geht davon aus, dass Fachkräfte entsprechend Wygotskis Theorie eher auf schwächere Kinder eingehen, unter diesen Umständen sei die Verbindung zwischen keiner Beteiligung von Fachkräften und komplexen Objektinteraktionen naheliegend. Dieser Erklärungsansatz ist auch hinsichtlich der oben angesprochenen Frage, inwiefern mit den Skalen-Leveln die Spielentwicklung abgebildet wird, von Bedeutung. Zeigt sich daran doch sehr deutlich, dass davon ausgegangen wird, das stärkere, also kognitiv weiter entwickelte, Kinder auch komplexeres Objektspiel spielen. Dass Howes Skala zum Objektspiel auf der Idee basiert, dass es Entwicklungsstufen des Spiels gibt, wird noch klarer, wenn man betrachtet, auf welchen Ursprung sie zurückgeht. Die Skala wurde ursprünglich von Rubenstein und Howes (1979) im Rahmen einer Studie zum Zusammenhang zwischen der Betreuungsform von 18 Monate alten Kindern und deren Verhalten beschrieben und verwendet. Mithilfe einer fünfstufigen Skala wurde damit festgehalten, welche Entwicklungsstufe des Spiels mit Spielzeug oder anderen unbelebten Objekten
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sich jeweils zeigte. Die dabei genannten Stufen des Objektspiels sind insofern bemerkenswert, als sich die ersten vier kaum von den bereits mehrfach beschriebenen Stufen im Zusammenhang mit Konstruktionsspiel, z. B. nach Hetzer (1931), unterscheiden. Die fünfte Stufe „Creative or unusual uses – fantasy or imaginative play, goal directed problem solving, systemic experimentation“ (Rubenstein und Howes 1979, 6) weicht allerdings deutlich davon ab, stellt das Herstellen eines bestimmten Werkes doch nur eine von verschiedenen Möglichkeiten des Spiels auf dieser Stufe dar. Offensichtlich wird für Phantasie- oder Rollenspiel und das Konstruktionsspiel die Objekterkundung als gemeinsame Basis angenommen. In Abschnitt 2.1.4.2 wird deshalb weiterverfolgt, ob und wie zwischen Phantasiespiel mit Bauspielzeug und dem zielgerichteten Herstellen von Bauwerken unterschieden werden kann. Inwiefern Peer-Interaktionen einen Einfluss auf die Komplexität von Objektspiel und damit im weitesten Sinn auf Bauspiele hätten, ist eine weitere interessante Frage, die sich im Zusammenhang mit den hier beschriebenen Analysen kindlicher Aktivitäten stellt. In der Studie von Rubenstein und Howes (1979, 13) findet sich eine Antwort auf diese Frage, die allerdings das Spiel von 18 Monate alten Kindern betrifft. „One implication of these findings is that the opportunity to interact regularly with peers may be partly responsible for the higher levels of competence at play“ (Rubenstein und Howes 1979, 13). Die Studie von Kontos et al. (2002) bietet für die dort untersuchten fünfjährigen Kinder diesbezüglich keine weiteren Erkenntnisse. In den oben referierten Beispielen zu den Kategoriensystemen zeigten sich zwar an mehreren Stellen Bezüge zu Bauspielen, sowohl hinsichtlich des Objektspiels als auch hinsichtlich des Sozialspiels. Allerdings werden keine Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Kategoriensystemen dargestellt, beispielsweise indem über das gleichzeitige Vorkommen von bestimmten Kategorien der unterschiedlichen Skalen berichtet wird, weshalb auch der Zusammenhang zwischen der Komplexität der Peer-Interaktionen und der Komplexität des Objektspiels letztlich offen bleibt.
2.1.4.2 Die Bauspiele: Formen, Entwicklung und Funktionen Einsiedler (1999) widmet ein eigenes Kapitel den Bauspielen und befasst sich zunächst mit der Frage, ob Bauspiel überhaupt ein Spiel ist. Diese Frage habe Piaget (1945; dt. 1969) aufgeworfen, der der Auffassung war, dass Bauspiel keine Kategorie sei, die auf der gleichen Ebene wie die anderen Spiele der Kinder liege. Beim Bauen handele es sich um eine Zwischenform zwischen Objektspiel und Symbolspiel, weil Sensomotorik und Phantasie beteiligt seien, aber auch um eine Zwischenform zwischen Spiel und intelligenter Arbeit, weil mit dem Herstellen eines Werkes eine Ähnlichkeit mit Arbeitsprozessen bestehe (vgl. Einsiedler
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1999, 101). Während nach Piaget Bauspiel also keine geeignete Spielkategorie darstellt, wurde das Bauspiel in einer für viele Beobachtungsstudien verwendeten Spielformeneinteilung von Smilansky (1968) „als eigene Entwicklungsstufe zwischen Objektspiel und Phantasiespiel konzipiert“ (Einsiedler 1999, 101). Die Unterscheidung zwischen Phantasiespiel und Bauspiel ist aber in der Praxis nicht unbedingt eindeutig. So stellt Einsiedler aufgrund von informellen Beobachtungen fest, „dass Kinder häufig Landschaften mit Baumaterialien aufbauen, in denen sie dann Phantasiespiele inszenieren“. Das gleiche lässt sich auch in den Beobachtungen meiner Studie feststellen. Einsiedler (1999, 101) verweist in diesem Zusammenhang auch auf Christie und Johnsen (1987), die berichten, dass es schwierig ist, die Tätigkeit von Kindern eindeutig als Bauspiel oder Phantasiespiel einzustufen, besonders dann, wenn es häufige Wechsel zwischen beidem gibt. Im Hinblick auf meine Studie ist die ebenfalls zu diesem Thema angeführte Erkenntnis von Smith und anderen (1985) bedeutsam, dass es passieren kann, „dass Beobachter Video-Spielszenen ohne Ton als Bauspiel registrieren, während andere Beobachter, die verbale Äußerungen beim Spielen hören, die gleichen Szenen als Phantasiespiel klassifizieren“ (Einsiedler 1999, 101). Christie und Johnsen (1987) nehmen Einsiedler (1999, 101) zufolge wegen der engen Verflechtung des Bauspiels mit Objektspiel und Phantasiespiel an, dass Bauspiel eher keine eigene Spielform darstellt, sondern bezeichnen es als „siamesischen Zwilling“. Andererseits zeigt sich in einer Arbeit von Sydow (1990), auf die Einsiedler hinweist, die Konzeption eines eigenen Spieltypes Konstruktionsspiel mit einer eigenen Entwicklungshierarchie. Demnach schließe sich das Konstruktionsspiel „an das Objektspiel und an das Symbolspiel an, setze diese Spielformen voraus und schließe sie in sich ein“ (Einsiedler 1999, 102). Einsiedler (1999, 104) bemerkt dann auch, „dass das Bauspiel nur schwer im wörtlichen Sinne zu definieren (abzugrenzen) ist“ (Hervorh. im Orig.). Besonders beim Spiel kleiner Kinder sei es untrennbar mit Objektspiel und Phantasiespiel verbunden. In Anlehnung an die Systematisierung der Kinderspiele nach Oerter (1993), die oben bereits dargestellt wurde, stellt Einsiedler (1999, 103) fest, dass das Konstruktionsspiel schwerpunktmäßig auf Vergegenständlichung und objektive Maßstäbe ausgerichtet ist, aber dennoch einen Rückbezug auf motivationale und emotionale Prozesse des Spielers enthält. „Das Herstellen eines Bauprodukts ermöglicht besonders intensiv die Erfahrung, Verursacher zu sein“ (Einsiedler 1999, 103). Bauspiel wird von Einsiedler (1999, 104) schließlich folgendermaßen näher bestimmt: Bauspiele sind die Spiele, bei denen die Kinder nicht mehr nur um des Spielprozesses willen spielen (wie beim Objektspiel), sondern mehr oder weniger zielstrebig
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ein dreidimensionales Spielprodukt herstellen wollen; es handelt sich um ein Spiel, da bauspielerische Tätigkeiten überwiegend intrinsisch motiviert sind, mit Freude ausgeführt werden und das Ergebnis meist ein Spielprodukt im Sinne einer ‚Scheinwelt‘ ist.
Demnach ist ein besonderes Charakteristikum von Bauspiel, dass das Spielmerkmal der Zweckfreiheit etwas zurücktritt. Dazu passt auch der Hinweis von Einsiedler (1999, 33) auf eine Studie von Bullock und Lütkenhaus, die herausfanden, dass sich bereits bei Zwei- bis Dreijährigen in einfachen Bauspielen an den emotionalen Reaktionen, überwiegend bei Erfolgserlebnissen, eine stärkere Konzentration auf das Spielergebnis als auf den Spielprozess zeigte. Obwohl das Spielergebnis und damit der Zweck beim Bauen also stärker in den Vordergrund rücken, handele es sich nicht um Arbeit, da dabei das Muster „Handlungs-FolgeErwartung“ gelte, wie es beispielsweise der Fall sei, wenn wegen des Zweckes des Geldverdienens gearbeitet werde. Hingegen spricht Einsiedler bei Bauspielen vom Muster „Handlungs-Ergebnis-Erwartung“, weil Bauen, Bauprodukt und spielerischer Umgang damit in engem Zusammenhang gesehen werden (vgl. Einsiedler 1999, 106). Interessant ist hier die Annahme, dass bei einigen Bautätigkeiten eher die Spielerfahrung, als Beispiel dafür wird Sandspiel genannt, oder eher der spielerische Umgang mit dem Produkt, beispielswiese beim Bauen eines Automodelles, im Vordergrund stehen können. Eine Unterscheidung zwischen Bauspiel als Zusammenfügen von Elementen ohne Verbindungsstücke und Konstruktionsspiel als Montieren mit Verbindungsstücken hält Einsiedler (1999, 104) aufgrund der heutigen Spielmaterialien und des Sprachgebrauchs im Bauwesen für nicht angebracht. Einsiedler (1999, 105) geht dennoch davon aus, dass es unterschiedliche Formen von Bauspielen gibt, die von den Materialgegebenheiten und der sich entwickelnden Geschicklichkeit der Kinder abhängen. Zu den Bauspielen, die als Erstes von Kindern gespielt werden, zählt er solche mit Hohlwürfeln oder -dosen sowie mit Massivwürfeln aus Schaumstoff, Holz und Kunststoff. Auch der Umgang mit Knete und Sand gehöre zum Bauspiel (vgl. Einsiedler 1999, 105). Als eine weitere Bauspielform wird der Umgang mit Puzzles genannt. Darüber hinaus beschreibt Einsiedler (1999, 106) das Bauen mit Ausschneidebogen, wobei er annimmt, dass das spielerische dabei stark zurücktritt, da es besonders auf Sorgfalt und Genauigkeit ankommt. „Für Kinder ab ca. dem 6. Lebensjahr gewinnt das Bauen mit Metallbaukästen und Kunststoff-Steckbaukästen große Bedeutung“ (Einsiedler 1999, 106). Dabei wird angenommen, dass die Kinder aufgrund der relativ komplexen Modellbauten, die mit Kunststoffbaukästen, wie beispielsweise
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Legotechnik oder Fischertechnik, möglich seien, wichtige Gesetze der Mechanik kennenlernen können. Zuletzt nennt Einsiedler als ganz andere Bauform das Bauen von zeltähnlichen Gebilden, Hütten und Baumhäusern. In Einsiedlers (1999, 104) Ausführungen zu Bauspielen zeigt sich auch, dass er diese Spielform über ihre biologische Funktion oder Lernfunktion definiert. So wird Bauspiel als Fortsetzung des Objektspiels mit besonderem evolutiven Vorteil angesehen. Was damit gemeint sein könnte, verdeutlicht er unter Bezugnahme auf Bruner (1976), der vorschlägt, Bauspiel mit komplexem Werkzeuggebrauch und der Entstehung intelligenten Handelns beim Menschen in Verbindung zu bringen. In diesem Zusammenhang dürften auch Einsiedlers (1999, 111 ff.) Erläuterungen zum Konstruktionsspiel und zum Problemlösen stehen. Darin geht er auf verschiedene experimentelle Studien ein, die versuchen, den Zusammenhang zwischen Konstruktionsspiel und dem Problemlösen zu belegen. Die dabei beschriebenen Studien stammen überwiegend aus der Zeit von 1976 bis 1985 und ähneln sich insofern, als dass das Zusammenbauen von Elementen letztlich notwendig war, um ein konkretes Problem zu lösen. Interessant sind hier besonders die Schlussfolgerungen von Einsiedler (1999, 116), der feststellt, dass in den Spielgruppen nicht weniger gelernt wurde als in den angeleiteten Vergleichsgruppen. „Damit ist nach wie vor die These aufrechtzuerhalten, wonach das Spiel eine kindgemäße Form des Wissens- und Fähigkeitserwerbs zur Problembewältigung ist“ (Einsiedler 1999, 116). Es wird hier auch festgestellt, dass die Spielforschung weitgehend bestätigt, dass das Lernen in der Altersstufe von ein bis fünf Jahren in den freien, nicht formalisierten entspannten Spielsituationen besonders zweckmäßig ist. Damit verbunden ist auch die Kritik Einsiedlers an den besagten Untersuchungen zum Zusammenhang von Bauspiel und Problemlösen, bei denen seiner Meinung nach das experimentelle Spiel zu wenig dem Freispiel geähnelt hat, da die Spielzeit auf zehn Minuten begrenzt war und der Erwachsene zu einem bestimmten Spiel aufgefordert hat. Auch die Tatsache, dass das Problemlösen nur gelingen konnte, wenn das im Spiel Gelernte sofort angewendet wurde, wird kritisch gesehen, weil die sofortige Anwendung des gelernten Prinzips auf ein Problem mit nur einer Lösung vermutlich gar nicht der biologische Sinn des Lernens im Spiel sei. „Entscheidend ist wohl die zunächst intuitive Erfahrung physikalischer Prinzipien im Spiel, die in Wiederholungen allmählich konsolidiert und bewusst werden und die dann u. U. stark zeitlich verzögert in Problemlösesituationen genutzt werden können“ (Einsiedler 1999, 116). Klingt im vorigen Absatz als Lernfunktion insbesondere das Problemlösen, aber am Ende auch die Erfahrung physikalischer Prinzipien durch Bauspiel an, so ist doch bemerkenswert, welche Lernfunktionen im Einzelnen in Bezug auf Bauspiele von Einsiedler (1999, 105) aufgeführt werden. Bauspiel diene der Festigung
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der bereits im Objektspiel erworbenen Kenntnisse über Gegenstände, beispielsweise über Beschaffenheit, Form und Farbe. „Darüber hinaus können die Kinder bei einfachen Reihungsbauspielen selbständig relationales Wissen erwerben, z. B. Klassenbegriffe (Klötze, Stangen) oder Größer-Kleiner-Relationen, sowie topologische Erfahrungen machen, z. B. innen – außen, neben – zwischen“ (Einsiedler 1999, 105). Außerdem wird angenommen, dass der eigentliche Vorteil des Bauspiels darin liege, dass die Kinder basale Gesetze der Statik kennenlernen. Das dreidimensionale Bauen diene wahrscheinlich auch dazu, die Raumvorstellung zu verbessern. „Schließlich kommen Kinder beim Bauspiel mit Gesetzmäßigkeiten der Mechanik in Berührung; Beispiele sind Erlebnisse mit der Reibung beim Schieben von Gegenständen mit Rädern und ohne Räder, mit der schiefen Ebene bei schräg gelegten Platten oder mit der Übersetzung bei unterschiedlich großen Zahnrädern“ (Einsiedler 1999, 105). Diese Aufzählung teilweise auch mathematischer und technischer Lernfunktionen versucht zu erklären, warum Kinder Bauspiele spielen bzw. wofür sie nützlich sein könnten. Es wird in den Abschnitt 2.2.1 „Förderung und Entwicklung mathematischer Fähigkeiten durch Bauspiele“ und 2.2.2 „Mathematische Aktivitäten in Bauspielen“ zu klären sein, inwiefern sich diese mathematischen und technischen Lernfunktionen in Forschungsbefunden tatsächlich bestätigen lassen. Einsiedler verweist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf eine Untersuchung von Pfitzner (1994), in der das Konstruktionsspiel drei- bis zehnjähriger Kinder untersucht wurde, oder von Rost (1977), in der der Zusammenhang eines Spieltrainings, unter anderem mit einem Bauspiel, und der Förderung der Raumvorstellung untersucht wurde, auf die in den besagten Kapiteln noch Bezug genommen wird. Einsiedler (1999) widmet sich neben den konkreten Lernfunktionen auch der Entwicklung von Bauspielen. Dabei ist seine Feststellung, dass der Informationsstand zur Entwicklung kindlicher Bauspiele ungünstig ist, ebenso bezeichnend wie die Anmerkung, dass die differenziertesten Aussagen zur Entwicklung der Bauspiele nach wie vor von Hetzer (1931) und Bühler (1928/1967) stammen. Da selbige bereits in Abschnitt 2.1.2 beschrieben wurden, werden im Folgenden vor allem die von Einsiedler dargestellten Befunde aufgegriffen, die darüber hinausgehen. Interessant scheint hier die Einschätzung zu sein, dass sich der Entwicklung des Bauspiels nur wenige Entwicklungspsychologen gewidmet haben, „weil Piaget (1945) das Konstruktionsspiel nicht in die Denkentwicklung eingeordnet hat und weniger Annahmen über Beziehungen zwischen diesem Spiel und Fähigkeitsentwicklung (Sprache, abstraktes Denken usw.) vorliegen“ (Einsiedler 1999, 106; Hervorh. im Orig.). Laut Einsiedler haben zwar die Beobachtungskriterien von Hetzer und Bühler in späteren Studien ihren Niederschlag gefunden,
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aber ohne, dass daraus neue Entwicklungsuntersuchungen des Bauspiels entstanden sind. Von zwei neueren Untersuchungen zur Entwicklung des Bauspiels wird dann aber doch berichtet. Vandenberg (1981) hat Kinder vom vierten bis zum zehnten Lebensjahr beim Bauen mit Holzstäben, die man mit Pfeifenreinigern verbinden konnte, beobachtet. Dabei hat er Einsiedler (1999, 108) zufolge die Bautätigkeit und die Bauergebnisse anhand der Kriterien Anzahl der Tätigkeiten und der Produkte, Größe sowie Komplexität beurteilt. Da die Sechs- bis Siebenjährigen mehr und größer bauten als die Vier- bis Fünfjährigen, die Zehnjährigen hingegen weniger, aber dafür komplexere Produkte bauten, wird angenommen, dass es zunächst zu einer quantitativen und dann zu einer qualitativen Veränderung des Bauens kommt. Eine Studie zu Spielpräferenzen von Kindern, die Shotwell, Wolf und Gardner (1979) durchführten, kam laut Einsiedler zu dem Ergebnis, dass man in der frühen Kindheit zwischen verschiedenen Spielertypen unterscheiden muss. Shotwell, Wolf und Gardner beobachteten demnach bereits bei Kindern im 12. bis 14. Lebensmonat verschieden ausgeprägte Spielpräferenzen. Die Dramatists bevorzugen soziale Interaktionen und stellen mit Bauklötzen fiktiv Situationen und Personen dar. Die Patterners sind die eigentlichen Bauspieler; sie untersuchen Objektmerkmale und gestalten Konfigurationen, z. B. Objektgruppen und Reihungen. Im weiteren Entwicklungsverlauf zeigte sich, dass die Dramatists im Alter von 24 Monaten ihre Phantasiespiele mit Bauklötzen weiter ausbauten und dass die Patterners dreidimensional bauten. Gegen Ende des 3. Lebensjahres wird eine Veränderung beschrieben, während die Dramatists nun ausbalancierte Gebilde bauten, verwendeten die Patterners die Bausteine für Phantasiehandlungen (vgl. Einsiedler 1999, 108). In diesem Zusammenhang verweist Einsiedler (1999, 108) auch auf Jennings (1975), der davon ausgeht, dass man bei vier- bis fünfjährigen Kindern ebenfalls zwischen Person- und objektorientierten Spielertypen unterscheiden kann und dass Erstere signifikant häufiger beim Bauspiel zu beobachten waren. Wie oben in Abschnitt 2.1.4.1 schon erwähnt, nennt Einsiedler (1999, 58) eine weitere Untersuchung von Ungerer und Sigman (1984), in der die Möglichkeit einer Unterscheidung in Objektspieler und Interaktionsspieler bei ganz jungen Kindern erkannt wurde. Einsiedler (1999, 109) nimmt an, dass eine Bestätigung dieser frühen Spielpräferenzen und Typenbildungen durch weitere Beobachtungen weitreichende Konsequenzen unter anderem für die Forschung zur Entwicklung räumlichen und technischen Denkens hätte. Abgesehen davon berichtet Einsiedler (1999, 107) von unterschiedlichen Befunden, was die Häufigkeit der Bauspiele im Entwicklungsverlauf angeht. Während laut Einsiedler Hetzer (1931) und Bühler (1931) von einem kontinuierlichen Anstieg des Bauspiels bis hin zu 50–60 % bei den Fünfjährigen sprechen, ist
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bezugnehmend auf Studien von Rubin u. a. (1983) und auf van der Kooij (1983) die Rede davon, dass dort nur 40–51 % Bauspielanteile beziehungsweise im zweitgenannten Fall nur 20 % Bauspiel beobachtet wurde. Einsiedler geht davon aus, dass der Grund dafür in den jeweiligen Spielzeugangeboten liegt. Man kann als Erklärung hier aber auch in Erwägung ziehen, dass ein unterschiedliches Verständnis von Bauspielen vorliegt. Hetzer und Bühler sprechen selbst gar nicht explizit von Bauspiel, sondern insgesamt von Konstruktionsspiel, das immer dann vorliegt, wenn etwas hergestellt wird, das beträfe beispielsweise auch Situationen, in denen gemalt würde. Einsiedler beschreibt hier nicht, welches Verständnis von Bauspiel jeweils zugrunde gelegt wurde und auf welche Art die Bauspielanteile jeweils ermittelt wurden. Dennoch ist Einsiedlers (1999, 107) Position, dass Spielhäufigkeit und Spielerfolg beim Bauspiel stärker als bei anderen Spielen von Materialien und sozialen Umweltgegebenheiten abhängig sind, beachtenswert. Insbesondere, da in diesem Zusammenhang einige Studien genannt werden, die interessante Erkenntnisse dazu aufdecken. Studien von Rubin u. a. (1983) sowie von Christie und Johnsen (1987) stellen demnach fest, dass Bauspielanteile zunehmen, wenn große Bauklötze angeboten werden. Eine laut Einsiedler (1999, 107 f.) eindrucksvolle Untersuchung von Azmitia (1988) fand heraus, dass Kinder mit wenig ausgeprägten Baufähigkeiten von dem gemeinsamen Bauen mit Kindern mit guten Baufähigkeiten in mehrfacher Hinsicht profitieren. Sowohl ihre Baufähigkeiten verbesserten sich dadurch deutlich als auch die Fähigkeiten, die anhand eines Raumauffassungstests gemessen wurden. Inwiefern die Schlussfolgerung, dass Bauspiel räumliches Verständnis hervorbringt, zulässig ist, wird anhand einer ausführlicheren Darstellung besagter Studie in Abschnitt 2.2.1 betrachtet. Es wurden in den bisherigen Ausführungen einige Beziehungen zwischen Bauspiel und anderen Entwicklungsbereichen aufgezeigt, insgesamt stellt Einsiedler (1999, 110) allerdings fest, dass dazu nur wenige Forschungsberichte vorliegen. Neben den oben beschriebenen Studien nennt Einsiedler hier noch eine Studie zum Zusammenhang zwischen Bauspiel und Perspektivübernahme von Burns und Brainerd (1979). Da die Perspektivübernahme auch als räumliche Fähigkeit zu verstehen ist, wird in Abschnitt 2.2.1 darauf Bezug genommen. Außerdem verweist Einsiedler (1999, 111) auf eine Untersuchung von Raßmann (1991), die einen Zusammenhang von Konstruktionsspiel und Kooperation belegt. Bei Schülern der dritten und vierten Jahrgangsstufe konnte beobachtet werden, dass beim Konstruktionsspiel die Kooperation eine gewisse Selbstverständlichkeit war und das Spielen mit Konstruktionsbaukästen die Schüler zu gegenseitiger Hilfe und Unterstützung animiert. Einsiedler (1999, 111) nimmt dennoch an, dass man gegenüber einer „naturgegebenen“ Kooperation bei Bauspielen vorsichtig sein sollte und dass eine „gewisse Steuerung“ durch Erwachsene oder ältere Kinder das
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gemeinsame Spiel fördert. Er stellt hier auch fest, dass kaum theoretische Aussagen zum Zusammenhang von Bauspiel und Sozialentwicklung vorliegen und dass der Zusammenhang vermutlich hauptsächlich von der Zusammensetzung der Spielgruppe abhängt. Darüber hinaus wird ein Zusammenhang von Bauspiel und Aufmerksamkeit beschrieben. Dazu bezieht sich Einsiedler auf eine eigene Studie, in der die Annahme, dass Bauspiel die Aufmerksamkeit fördert, belegt werden konnte. Konstruktionsspiel im Kindergarten habe sich als bedeutender Erklärungsfaktor für Aufmerksamkeit, Arbeitshaltung und Selbständigkeit beim Lernen im 1. Schuljahr erwiesen. Eine These von Schenk-Danzinger (1985), auf die sich Einsiedler (1999) bezieht, beinhaltet als Erklärung, dass Kinder beim Bauspiel über einen längeren Spannungsbogen hin ein selbstgestelltes Ziel, das Bauprodukt, erreichen wollen. Allerdings ist hier unklar, inwiefern berücksichtigt wurde oder bereits untersucht wurde, ob Aufmerksamkeit bereits eine Voraussetzung für Bauspiel sein könnte.
2.1.4.3 „Exploring Learning – Young Children and Blockplay“ Die wohl umfangreichste, aktuellere Veröffentlichung zu Bauspiel, deren Titel hier als Kapitelüberschrift gewählt wurde, gaben Pat Gura und die „Froebel Blockplay Research Group“ (1992) heraus, die von Tina Bruce geleitet wurde15 . In dem Buch, das die Praxisforschung zur Herstellung und Beobachtung von Bauspielsettings in fünf englischen „Nursery Schools“ bzw. „Primary Schools“16 zum Gegenstand hatte, werden viele verschiedene Aspekte des Bauspiels thematisiert. Welch umfangreiches Forschungsvorhaben sich die Gruppe um Tina Bruce vorgenommen hat, wird in folgender Aussage gut sichtbar: „It addressed the question whether children really do learn math, science, technology, language, arts, music, movement, geography and history while playing with blocks“ (Bruce 1992a, 190). Im Folgenden werden ähnlich dem bisherigen Vorgehen zunächst das Verständnis von Bauspiel, das sich bei Gura und Bruce (1992) zeigt, beschrieben sowie deren Ausführungen zur Entwicklung des Bauspiels nachvollzogen. In diesem Zusammenhang werden auch einige historische Anknüpfungspunkte erwähnt. Dann wird ebenfalls entsprechend dem bisherigen Vorgehen auf die beschriebenen Rahmenbedingungen des Bauspiels, wie Material, Rolle der Fachkraft, Rolle von Peers usw. eingegangen. Der Aspekt der mathematischen Bildung im Bauspiel, 15 Bei einigen Kapiteln des Buches ist „Fröbel Blockplay Research Group“ als Autor angegeben. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden diese Kapitel im Text mit „Bruce et al.“ zitiert. 16 Nursery Schools entsprechen Kindergärten und Primary Schools im Wesentlichen Grundschulen, wobei Kinder diese bereits mit fünf Jahren besuchen.
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dem zwei Kapitel des Buches gewidmet sind, und die Ausführungen des Kapitels „Children Being Scientific and Solving Problems“ werden im Abschnitt 2.2 „Bauspiele und Mathematik“ aufgegriffen. Zur besseren Einordnung der im Folgenden dargestellten Aspekte dieser Veröffentlichung seien einige Besonderheiten vorweggeschickt. Alle am Projekt Beteiligten haben eine Verbindung zum Froebel Institute College17 . Tina Bruce war dort früher Direktorin für Early Childhood Studies und hat sich in den letzten 40 Jahren als bedeutende Fröbel-Pädagogin Englands hervorgetan, indem sie beispielsweise eine Verankerung von Grundsätzen Fröbels im verbindlichen Rahmenplan für alle Einrichtungen, die Kinder im Alter von null bis fünf Jahren aufnehmen, erreicht hat (vgl. University of Roehampton London). Pat Gura, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Froebel Blockplay Project mitgearbeitet hat, verfügt über Abschlüsse in Early Childhood Education und in Educational Research. Anders als man möglicherweise erwarten würde, spielt Fröbel in dem Buch von Gura und Bruce (1992) keine überragende Rolle oder zumindest werden seine Ideen und Grundsätze hier kaum explizit in Beziehung zu der Art Bauspiel, die für das beschriebene Projekt prägend war, gesetzt. Ausdrückliche Hinweise auf Fröbel finden sich vor allem im ersten Kapitel des Buches, in dem die Geschichte des kindlichen Bauspiels dargestellt wird (vgl. Read 1992), und in der Einleitung. During the eighteenth century, Froebel developed one of the first sets of blocks for use in the early childhood curriculum, known as the Gifts. As his work developed with children and parents, he moved steadily towards structuring his work with children on the basis of strong framework, of general principles […]. The participants in this collaborative project have continued in this tradition (using educational principles and current research literature and theory) in the practical setting of blockplay in the classroom. (Bruce 1992b, xi)
Ein weiterer interessanter Anknüpfungspunkt findet sich in der Aussage von Bruce (1992b, 26), dass sie sich dem Denken von Fröbel und Vygotsky sehr
17 1892 wurde das Froebel Institute College in London als Froebel Educational Institute gegründet, dort wurden Lehrer und Vorschulpädagogen entsprechend der Ideen Fröbels ausgebildet. Heute ist das Froebel College eines von vier Colleges der University of Roehampton und beherbergt das Institut für Bildung. „Froebel College is one of four colleges that make up the University of Roehampton. Founded in 1892, it has for many years been a college in which high academic achievement, profoundly influenced by its tradition, has produced outstanding success in academic life, especially in teacher education“ (https:// www.roehampton.ac.uk/colleges/froebel-college/welcome/).
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nahe gefühlt haben, als für sie deutlich wurde, dass das Spiel das höchste Level der Tätigkeit ist, zu der Kinder in der Lage sind. Abgesehen von diesen eher allgemeinen Bezugspunkten finden wir hier keine vergleichbare Auseinandersetzung mit den Theorien von Fröbel, wie das bei Uhl und Stoevesandt (1961/1991) beispielsweise hinsichtlich des verwendeten Baumaterials der Fall ist. Allerdings lässt sich anhand der Ausführungen von Read (1992) durchaus ein historischer Einfluss bezüglich des Baumaterials erkennen. So gehen die in der Studie verwendeten großen „hollow blocks“ auf die bereits Ende des neunzehnten Jahrhunderts von Patty Smith Hill entwickelten „Patty Hill blocks“ zurück. Patty Hill war demnach inspiriert von Fröbels Idee, das Spiel als Methode für das Lernen zu sehen, aber auch von weiteren Forschern, die sich mit der kindlichen Entwicklung und der Psychologie des Spiels befasst haben. Die von ihr entwickelten Bauklötze, die bis zu 90 cm hoch waren, ermöglichten den Kindern Häuser, Geschäfte und andere Gebäude zu bauen, die groß und stabil genug waren, um hineinzugehen und sie für Rollenspiele zu nutzen (vgl. Read 1992, 7). Die ebenfalls verwendeten „unit blocks“ gehen auf Carolin Pratt zurück, die eine Möglichkeit für eine sinnvollere Form der Bildung anstatt des damals üblichen Kindergarten-Übungsprogrammes suchte. Sie lernte auf ihrer Suche danach um 1900 in New York auch die „Hill blocks“ kennen und entwickelte daraufhin, ausgehend von ihren eigenen Ideen zur Benutzung von Bauklötzen, die „unit system blocks“, die von den Proportionen her den Quadern der Uhl-Baukästen entsprechen. Die hier aufgegriffenen geschichtlichen Einlassungen weisen schon auf bestimmte Ideen hinsichtlich der Bedeutung und des Verständnisses von Bauspiel hin und es stellt sich die Frage, welches Verständnis von Bauspiel Gura und Bruce (1992) ihrem Forschungsvorhaben zugrunde legen. Auch wenn keine explizite Definition von Bauspiel in dem Buch zu finden ist, lässt sich an einer Reihe von Aussagen ein bestimmtes Verständnis von Bauspiel und seiner Rahmenbedingungen ablesen. Verständnis von Bauspiel und Erkenntnisse zur Entwicklung Bauspiel wird von Bruce et al. (1992e, 27) als Ausdrucksweise oder Repräsentationsform beschrieben. Genau wie bei gesprochener und geschriebener Sprache, wie beim Zeichnen und Malen, wie bei der Mathematik, wie beim Tanzen und bei der Pantomime handele es sich dabei um ein eigenes Symbolsystem, das dafür genutzt werden könne, Dinge auszudrücken. So wie Kinder in ihrem frühen Sprechen mit ihrer Stimme Laute erkunden und damit spielen, wird angenommen, dass die Kinder beim frühen Bauspiel räumliche Zusammenhänge erkunden und damit spielen. Neben den räumlichen Zusammenhängen werden unter anderem auch projektive Beziehungen, Bewegung, Gestalt und Form als konzeptuelle
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Aspekte angesehen, da sie über unterschiedliche Materialien und Kontexte hinweg vorkommen. Bruce et al. (1992e, 42) schreiben dem Bauspiel zu, eine syntaktische Struktur zu haben, die ähnlich den Zeichensprachen unter Ausnutzung von Raum, Bewegung und Abfolge Bedeutung erzeugen kann und sowohl die Form von prosaischen als auch von poetischen Äußerungen haben kann. Wird Bauspiel als Repräsentationsform verstanden, ist es naheliegend, dass die Bauklötze als Mittel zur Repräsentation zu verstehen sind. Gut deutlich wird das auch in den Ausführungen von Bruce et al. (1992e, 31), in denen Bauklötze als Objekte beschrieben werden, die einerseits selbst als solche erkundet werden können und zum anderen genutzt werden können, um Ideen außerhalb davon zu erkunden und darzustellen. Bauklötze werden deshalb als „objects to think with“ bezeichnet. Interessant ist, welche Themen genannt werden, für die die Bauklötze beim Bauspiel als objects to think with dienen: „(1) three-dimensional topological space; (2) physical balance; (3) structural integrity in three dimensions; (4) equivalence; (5) visual harmony; and (6) stage design“ (Bruce et al. 1992e, 31). Während die ersten fünf Stichpunkte, die in Abschnitt 2.2.1 genauer thematisiert werden, eine Verbindung zu mathematischen oder technischen Aspekten aufweisen, fällt der sechste Punkt etwas aus dem Rahmen. Interessant ist deshalb die Erläuterung von Bruce et al. (1992e, 34), die unter Bezugnahme auf Cuffaro (1984) annehmen, dass Kinder aus Bauklötzen Settings für ihr Rollenspiel herstellen und dabei gefordert sind, sich selbst einen Kontext für ihr Spiel zu erschaffen sowie sich mit der Wirklichkeit und der Baugröße zu beschäftigen, wenn die eigenen Ideen mit den Bauklötzen umgesetzt werden sollen. Das verdeutlicht, dass auch hier ein Zusammenhang mit einem weiteren mathematischen Aspekt, dem der Größe, hergestellt wird. Als eine Voraussetzung dafür, dass das Kind durch Bauklötze aktuelle und mögliche Welten von Objekten erkunden und darstellen kann, ist laut der Autoren ein gutes Arbeitswissen über Bauklötze nötig, erst das stellt den Kindern ein Symbolsystem zur Verfügung (vgl. Gura 1992, 66). Das Arbeitswissen, das von Bruce (1992b, 21) auch Materialbeherrschung genannt wird, nimmt folglich einen zentralen Platz im Bauspiel ein. Materialbeherrschung beinhalte Aspekte von Wissen sowie von Verstehen und bilde den Grundpfeiler, auf dem die weiterführende Planung, das Handeln nach einem Plan oder das Reflektieren darüber ruhe. Wenn die Materialbeherrschung oder das Arbeitswissen einen so wichtigen Stellenwert hat, überrascht es nicht, dass seiner Entwicklung besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. „A working knowledge of blocks is acquired through the interacting process of differentiation and integration“ (Gura 1992, 72; Hervorh. im Orig.). Es sind also zwei Prozesse, die das Arbeitswissen bestimmen. Differenzierung meint den Prozess des Erwerbs eines immer detaillierteren und
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spezifischeren Verständnisses. Laut Gura (1992, 52) setzt dieser Prozess viel aktives Erkunden der physikalischen Eigenschaften der Bauklötze und der mathematischen Zusammenhänge zwischen ihnen voraus. Integration bedeutet, dass zunehmend die Erkenntnis davon gewonnen wird, welche Verbindung und gegenseitige Abhängigkeit zwischen Teilen und dem Ganzen bestehen. Das Verständnis von Bauklötzen entwickelt sich nach dieser Annahme ausgehend von der Erkundung eines einzelnen Bauklotzes durch Anfassen, Lutschen, Fallenlassen usw. Das ist derselbe Ausgangspunkt der auch in Abschnitt 2.1.2.2 in Anlehnung an Hetzer (1931) beschrieben wurde. Die Materialbeherrschung bzw. das Arbeitswissen hängen aber nicht allein von der Kenntnis des Materials ab. Vielmehr deuten die Erkenntnisse von Gura (1992, 62) darauf hin, dass die Erfahrungen mit dem Bauspielmaterial und die Erfahrungen mit den Objekten, die durch das Gebaute dargestellt werden sollen, gleichermaßen Einfluss auf die Fähigkeit haben, die ein Kind beim Bauen zeigt. Ein Kind, das zwar alles über das Material weiß und alle möglichen Formen, Bauklötze aneinanderzufügen, kennt, dem aber nicht bewusst ist, dass ein Haus ein System voneinander abhängiger Teile, wie beispielsweise Wände, Böden, Decken, Öffnungen und Stufen, ist, wird keine Häuser bauen. Umgekehrt wird ein Kind, das sämtliche Merkmale von Häusern kennt, aber noch keine Materialerfahrungen mit Bauklötzen gemacht hat, ebenfalls keine Häuser bauen. Gura (1992, 67) geht demnach davon aus, dass das Level der Materialbeherrschung der Kinder die Form, die eine Repräsentation annimmt, genauso beeinflusst wie das, was sie über das darzustellende Objekt wissen, Einfluss auf die Art hat, in der sie versuchen, das Material zu verwenden. Davon ausgehend beschreibt die Autorin einen generellen Entwicklungstrend, demzufolge die Dominanz der experimentellen Handhabung der Bauklötze mit dem Alter oder der Erfahrung abnimmt, wobei das Level der Fähigkeiten beim Verwenden von Bauklötzen eher bestimmt, wie etwas dargestellt wird, als was dargestellt wird. Wenn mit dem Alter und der Erfahrung sowohl die Fähigkeit im Verwenden von Bauklötzen bzw. das Repertoire an Bautechniken als auch die Bilder von der Umwelt bzw. das Vorstellungsvermögen differenzierter und integrierter werden, wobei eine Wechselwirkung zwischen der Inhalts- und Formentwicklung angenommen wird, entstehen immer detailliertere und stabilere Bauwerke (vgl. Gura 1992, 72). Gura (1992, 67) berichtet in diesem Zusammenhang von der Frage nach der „representational phase“ im Bauspiel und ihrer Beobachtung, dass sich ähnlich wie in der gesprochenen und geschriebenen Sprache auch im Bauspiel zeigt, dass Kinder nicht warten bis sie zu einer vollständigen, detaillierten oder richtigen Repräsentation dessen, was sie im Kopf haben, in der Lage sind, sondern sie nutzen das, was ihnen zur Verfügung steht, um sich auszudrücken. Das zeigt sich
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beispielsweise daran, dass Kinder das gleiche Bauwerk mit sehr geringen Änderungen an einen neuen Inhalt anpassen oder dass die Namensgebung eigenwillig erscheint, weil es für den Beobachter keine offensichtliche Übereinstimmung zwischen der Benennung und dem Bauklotzarrangement gibt. Erst wenn das Kind mehr über das Material und ein Objekt lerne, werde die Übereinstimmung passender (vgl. Gura 1992, 70). Auch das ist eine Erkenntnis, die bereits in den 1930er Jahren so ähnlich gewonnen wurde, wie in Abschnitt 2.1.2.2 dargestellt ist. Gura (1992, 70) nimmt ebenfalls an, dass jüngere und weniger geübte Kinder oder Kinder, die die Bauklötze in einer rein erkundenden Art und Weise aneinanderfügen, vielleicht irgendeine Struktur benennen, die aufgrund einer zufälligen Ähnlichkeit erscheint. Besonders deutlich wird das, wenn Kinder ihre Gebilde während des Bauens immer wieder umbenennen, in demselben Rhythmus, in dem sie auch neue Bauklötze anfügen. „Sometimes it seems as if, carried along by the rhythm of placing blocks into pleasing arrangements, the child names and renames the emerging structure as if reminds the builder of this, then that“ (Gura 1992, 71). Als mögliche Erklärung dafür wird angegeben, dass Kinder, die es gewohnt sind, gefragt zu werden, was sie herstellen oder hergestellt haben, die Konvention des Benennens als Teil der eigenen Aktivität übernehmen, obwohl die einzelne Benennung für sie vielleicht irrelevant ist. Gura (1992, 71) stellt fest, dass es für manche Kinder durchaus ein Hilfsmittel zu Baubeginn ist, wenn sie vorher sagen, was sie bauen wollen. Insbesondere dann, wenn mehrere Kinder gemeinsam bauen, könne ein Name helfen, die gleiche Idee durchgehend aufrechtzuerhalten sowie das Denken und Handeln zu organisieren. Laut der Autorin gibt es Kinder, bei denen deutlich ist, dass sie einen Plan verfolgen, obwohl sie weder vor noch nach dem Bauen ihr Bauwerk benennen. Das Zusammensuchen bestimmter Bauklötze in einer bestimmten Anzahl sei beispielsweise ein Indiz für eine vorherige Planung. Es gibt also Kinder, die ihr Bauen vorher planen, und solche, die eher in einer erkundenden Art und Weise Bauklötze aneinanderfügen. Wenn Kinder ihre Bauwerke benennen, tun sie das manchmal aus Planungsgründen und manchmal auch nur aus Gründen der Gewohnheit. Darum überrascht die Feststellung von Gura (1992, 71), dass es unangebracht zu sein scheint, die Notwendigkeit der vorherigen Planung zu stark zu betonen, nicht. Von den Kindern zu verlangen, dass sie ihre Ideen sprachlich ausdrücken, wird ebenfalls für problematisch gehalten. Manche Kinder seien stärker an der Entstehung abstrakter Bauklotzstrukturen und an der Herstellung von Mustern interessiert als daran, die bekannte Welt zu repräsentieren. Auch wenn Kinder einen vielleicht gar nicht erkennbaren, weil so originellen Plan, verfolgen, haben sie vermutlich Schwierigkeiten, ihre Ideen sprachlich auszudrücken (vgl. Gura 1992, 71). Wenn es sich bei einem Bauwerk
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um ein Nebenerzeugnis einer kinästhetischen Erfahrung handele, gebe es kein sprachliches Äquivalent, dann könne auch nicht erwartet werden, dass Kinder in der Lage sind, ihr Objekt zu beschreiben oder zu erklären (vgl. Gura und Bruce 1992, 37). In diesem Zusammenhang ist der Verweis auf Johnson (1933) interessant, die demnach betonte, dass Erwachsene den nonverbalen Ausdruck im Bauspiel akzeptieren sollten und dass dieser eher mit Poesie als mit Prosa vergleichbar ist (vgl. Bruce et al. 1992e, 37). Dazu passt auch die Aussage von Bruce et al., dass Kinder längst nicht immer das Ziel verfolgen, ein hausartiges Gebäude mit Wänden und einem Dach zu errichten. Deshalb sollten Erwachsene, wenn sie gebeten werden, das Bauwerk zu betrachten, als mögliche Definition für Bauwerk die des Lexikons im Hinterkopf haben, die lautet: „The art, business, or act of assembling materials into a structure“ (Longman 1988, 188 zitiert nach Bruce et al. 1992e, 42). Bruce (1992b) geht davon aus, dass sich im Bauspiel Gelegenheiten zum Symbol- bzw. Rollenspiel ergeben. Sie nimmt darüber hinaus an, dass Kinder, die im Umgang mit Bauklötzen geübt sind, diese in immer komplexerem Symbolspiel verwenden; dabei wird Symbolspiel im Sinne von Wolf und Gardner (1978, 118), als Fähigkeit, tatsächliche oder vorgestellte Erfahrungen mithilfe kleiner Objekte, Bewegungen und Sprache darzustellen, verstanden (vgl. Bruce 1992b, 19). Veranschaulicht wird das am Beispiel einer Situation, in der die Kinder ein Treppenhaus an ihrem Bauwerk errichten wollten. Weil das zu schwierig war, verständigten sie sich darauf, stattdessen eine Rutschbahn, die leichter herzustellen war, als Notausgang anzubauen. Daran zeigt sich laut der Autorin außerdem, dass die Kinder erfolgreiche Strategien entwickeln, um zusammen und nebeneinander zu arbeiten. Bruce (1992b, 21) erläutert weiterhin, dass Rollenspiele die genaue Planung symbolischer Handlungsweisen voraussetzen, die von der konkreten Handlung losgelöst sind und sich deshalb erst entwickeln können, wenn die Handhabung und die Erkundung von Bauklötzen ausreichend fundiert sind. Damit grenzen sie sich explizit von anderen Autoren ab, die gerade im Symbol- oder Rollenspiel keinen Beleg dafür sehen, dass Kinder beim Spielen beispielsweise mit Bauklötzen lernen. Als Grund für verschiedene Ausprägungen von Bauspiel sehen Bruce et al. (1992e) unterschiedliche individuelle Zugänge zum Material und persönliche Ausdrucksweisen. „In the present study, we came across examples of both visualizers (and patterners) and dramatists, and also a third group who appeared to be able to mix styles“ (Bruce et al. 1992e, 36). Wir finden hier also die bereits in den Abschnitten 1.3.3 und 2.1.4.2 erwähnte Unterscheidung in Patterners und Dramatists wieder, wobei interessant erscheint, dass der Typ des Patterners auch als visueller Typ beschrieben wird und der des Dramatists auch als verbaler Typ. Was
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die Autoren unter dem gemischten Typ verstehen, wird anhand eines Beispiels deutlich. So beobachteten sie in ihrer Studie bei einem Jungen, dass er sich beim Bauen an Mustern orientierte und entsprechend schöne Bauwerke anfertigte, die er stets hinterher benannte und diese Namen durch Erzählungen ausschmückte. Bruce et al. (1992e, 37) gehen davon aus, dass erwachsene Spielbegleiter sich im Austausch mit Dramatists leichter tun. Als einen Grund dafür sehen sie zum einen die Schwerpunktsetzung der Sprachförderung, die es in der frühkindlichen Bildung gibt, zum anderen aber auch die Betonung verbaler Formen der Repräsentation in unserer Kultur. Die Autorinnen nehmen an, dass Erwachsene oft Schwierigkeiten haben, nonverbale Formen ohne verbale Erklärungen oder Ausführungen des Kindes anzuerkennen oder zu beurteilen. Wenn das zur Folge hat, dass manche Praktiken Kinder dazu bringen, nur das zeichnerisch, durch Bauklötze oder mit Knetmasse darzustellen, worüber sie auch sprechen können, ist das in ihren Augen Besorgnis erregend. Nonverbale Ausdrucksweisen nicht zu berücksichtigen, gefährde die individuelle Herangehensweise an das Material (vgl. Gura 1992, 72). Die Überlegungen von Bruce (1992b, 22 f.) zum Rollenspiel bringen noch einen weiteren Blickwinkel auf die Unterscheidung von Kindern in Patterners und Dramatists hervor als der, der bisher beschrieben wurde. Sie stellen diesbezüglich dar, dass im Kind beides untrennbar verbunden ist, und sind der Auffassung, dass Kinder, um den Patterner in sich zu entwickeln, Gelegenheiten zum reinen Bauspiel brauchen, was dann dazu führt, dass komplexere Konstruktionen gebaut werden. Diese Artefakte können in der Folge vom Dramatist im Kind in Verbindung mit weiteren Accessoires genutzt werden, um sich Geschichten auszudenken. Interessant ist dabei der Verweis auf die beiden Schriftsteller H.G. Wells und E. Nesbit sowie auf den berühmten Architekten Frank Lloyd Wright, die alle drei reichhaltige Kindheitserfahrungen zum Bauspiel gemacht hätten. Darin wird ein Beleg dafür gesehen, dass sowohl die Entwicklung des Dramatists als auch die des Patterners in einem Menschen durch Bauspiel angeregt werden und dass beide voneinander zehren, weshalb der Schriftsteller eben nicht nur Dramatist sondern auch Patterner ist und der Architekt nicht nur Patterner sondern auch Dramatist (vgl. Bruce 1992b, 23). Setting und Material Bemerkenswert und meines Wissens bislang von anderen Autoren nicht beschrieben sind die verschiedenen Settings, wie Bauspiel im Kindergarten implementiert sein kann. Auch wenn aufgrund der unterschiedlichen Struktur der Einrichtungen in Großbritannien und Deutschland manches nicht vergleichbar ist, beispielsweise berichtet Bruce (1992b), dass keine der Einrichtungen zu Beginn der Studie
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einen Spielbereich speziell für Bauklötze hatte, sind die Überlegungen bezüglich der verschiedenen Ansätze durchaus interessant. So unterscheidet Bruce (1992b) zwischen den drei Ansätzen „Laissez-Faire“, „Didactic“ und „Interactionist“. Laissez-Faire entsprach dem, was die Autorinnen als gängige Praxis und Organisation von Bauspiel in den Einrichtungen in ihren ersten Beobachtungen vorgefunden haben. Wobei sie betonen, dass es ein unbeabsichtigtes Laissez-Faire gewesen ist, da es nicht den Grundsätzen der Einrichtungen entsprochen hat. In der Praxis stellte sich das so dar, dass es den Kindern oft selbst überlassen war, wo und wie sie die Klötze nutzen, wobei es keine Begleitung durch Erwachsene gab. Als problematische Beobachtung wird beschrieben, dass es besonders oft zur Zerstörung von Bauwerken durch andere Kinder kam. Nur Kinder, die das Bauspiel dominierten, hatten demnach das Glück, dass ihre Konstruktionen für eine gewisse Zeit stehen blieben (vgl. Bruce 1992b, 14 f.). Als weiteren möglichen Ansatz beschreibt Bruce (1992b, 16) einen Ansatz, den sie Didactic nennt, auf Deutsch könnte man es am ehesten als Lehr-Ansatz übersetzen. Der Lehr-Ansatz betone Aufgaben, die Erwachsene festlegen und fördere deshalb Abhängigkeit, Begrenztheit, den Wunsch Autoritäten zu befriedigen, Angepasstheit und könne zu einem Mangel an Kreativität, Vorstellungsgabe oder der Fähigkeit, Probleme zu entwickeln und zu lösen, führen (vgl. Bruce 1992b, 16). Nach eigener Aussage haben die Mitarbeiterinnen in ihrem Projekt den Ansatz weder untersucht noch wurde er im Einführungskurs für Lehrer oder Kinderpfleger thematisiert. „It did not fit with the current research and theory the group was exploring, […] in the blockplay project“ (Bruce 1992b, 16). Ausgehend von dem Laissez-Faire-Ansatz, der in der Praxis meist unbeabsichtigt gelebt wurde, und in Anbetracht der Tatsache, dass der Lehr-Ansatz als ungeeignet abgelehnt wurde, entwickelten die Teilnehmer der Studie einen Ansatz, der dabei helfen sollte, das Bauspiel der Kinder qualitätsvoll zu unterstützen. Bruce (1992b, 16) bezeichnet diesen Ansatz als Interactionist, er dürfte in etwa dem entsprechen, was in der aktuellen Diskussion in Deutschland meist als ko-konstruktiv bezeichnet wird. Zusammenfassend stellt die Autorin fest, dass der Interactionist-Ansatz das Bauspiel bereichert, indem er eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern und den Kindern untereinander sowie die Beherrschung und Kontrolle des Materials fördert. Es werden dadurch gleichermaßen die Bedeutung von durch Sprache begleiteten Handlungen als auch des Nonverbalen betont (vgl. Bruce 1992b, 26). Interessant ist die berichtete Erfahrung, dass die Kinder gerne Erwachsene bei sich haben wollten, weil sie gemerkt haben, dass die Erwachsenen sie auf passende und einfühlsame Weise zu unterstützen versuchten, was dazu geführt habe, dass es eine deutliche Entwicklung in der Reichhaltigkeit des Bauspiels gab (vgl. Bruce 1992b, 17).
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Neben dem in der Praxisforschung angestrebten Setting beeinflusst vermutlich das in der Studie verwendete Material, welche Spielaktivitäten der Kinder sich beobachten lassen. In der Veröffentlichung wird nur kurz beschrieben, welche Materialien zum Einsatz kamen und was sich die Initiatoren davon versprachen. Eine Grundannahme scheint zu sein, dass die einfachen freistehenden stapelbaren Holzbauklötze, die es in verschiedenen Formen und Größen, in farbigem Holz und ungefärbt gibt, es einem Kind im Gegensatz zu anderen Spielsachen erlauben, für sich selbst Entdeckungen zu machen (vgl. Read 1992, 12). Drei Baumaterialien werden von Bruce et al. (1992h, 157) genauer beschrieben: Das sind die „Hollow Blocks“, die „Poleidoblocs“ und die „Unit-Blocks“. Die im Buch beschriebenen Beobachtungen und abgebildeten Darstellungen zeigen ausschließlich Bauwerke aus Sets von Unit Blocks. Diese Sets umfassen, wie in der Abbildung 2.12 ersichtlich ist, verschiedene Formen und Größen und werden als geeignetes Stapelbaumaterial für Kinder ab drei Jahren angesehen. Der Quader („1/4 unit“) wird als nützlichster Grundbaustein angesehen, er entspricht von den Proportionen dem Uhl-Baustein, ist mit 3,5 × 7 × 14 cm aber deutlich größer als dieser.
Abbildung 2.12 Set of unit blocks (Gura 1992, 51)
Die Hollow Blocks werden als riesige Unit Blocks beschrieben, aus denen, wie vorne schon gesagt wurde, Bauwerke hergestellt werden können, in die man hineingehen und auf die man hinaufsteigen kann. Poleidoblocs sind besonders kleine Klötzchen, mit denen gut auf einem Tisch gespielt werden kann. Sie sind auf eine besonders ausgeklügelte Weise aufeinander abgestimmt, so dass sie nicht nur hinsichtlich Form, Größe und Volumen, sondern auch hinsichtlich ihrer Farben eine bestimmte Struktur und Abhängigkeit erkennen lassen. Laut den Autorinnen können sie deshalb als mathematisches Material genutzt werden. Da es in
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der Veröffentlichung aber keine weiteren Beschreibungen und Abbildungen zu diesem Material gibt und auch in der von mir durchgeführten Studie ausschließlich den Unit Blocks ähnliches Material verwendet wurde, sollen im Folgenden insbesondere diese genauer beschrieben werden. Gura (1992, 52) beschreibt in zehn Punkten, welche Arten von Wissen das Kind über die äußerlichen Eigenschaften der Unit Blocks und der Beziehungen zwischen diesen entdecken kann. Dabei können neben den sinnlichen Erfahrungen, die durch die Bauklötze möglich sind, auch räumliche, auf die Form und auf die Größe bezogene Erkenntnisse gewonnen werden, wie an den Punkten vier bis acht deutlich wird. 4. Jeder Bauklotz hat Ecken, Kanten und Flächen, eine Gestalt, eine Form, eine Länge, eine Breite und ein Volumen und kann kombiniert werden mit jedem anderen, um weitere Ecken, Kanten, Flächen, Formen, Längen, Breiten und Volumina zu erzeugen. 5. Bauklötze nehmen so viel Raum ein, wie es ihrer Form, ihrer Länge, ihrer Breite und ihrem Volumen entspricht. 6. Bauklötze können entsprechend ihrer Form, ihrer Länge, ihrer Breite, ihrem Volumen benannt werden. 7. Ein Bauklotz kann in unterschiedlichen Ausrichtungen verwendet werden, was die Anzahl verschiedener Formen, die aus einem Set hergestellt werden können, erheblich steigert. 8. Es gibt Längen- und Volumen-Gleichheiten zwischen Bauklötzen, beispielsweise haben vier Viertel-Einheiten, die aneinandergereiht werden, die gleiche Länge und das gleiche Volumen wie eine ganze Einheit. (Gura 1992, 52; Übersetzung E. Henschen) Im Hinblick auf den Zusammenhang von Materialhandlungen mit Sprache oder auf die verbale Repräsentation ist der sechste Punkt von weiterem Interesse. Neben den Benennungen nach – hier – mathematischen Eigenschaften beschreibt Gura (1992, 67) auch, dass einem einzelnen Bauklotz ein Name gegeben wird, um seine Funktion anzugeben: „a baby, a house, a chair, a table“ oder dass ein andermal eine äußerliche Übereinstimmung eines einzelnen Bauklotzes mit der Form eines Objektes der echten Welt wiedererkannt wird. Das zeigt sich beispielsweise, wenn die Kinder die Viertelkurve als Regenbogen bezeichnen. Entwicklung und Lernen im Bauspiel – Zusammenhang mit Rahmenbedingungen Ausgehend vom Bauspiel mit Unit Blocks zeigt Gura (1992) auf, welche Arten von Bauwerken sich bei den Kindern beobachten lassen und welche Entwicklung
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darin deutlich wird. Abbildung 2.13 zeigt die auf mehr oder weniger beliebige Haufen oder Stapel folgenden Strukturen. Das sind zunächst einfache „eindimensionale“, lineare Strukturen. Es ergeben sich dann Kombinationen vertikaler und horizontaler linearer Formen, bevor „zweidimensionale“ räumliche Anordnungen entstehen. Die schon bekannten Bauformen werden zunehmend mit denen kombiniert, die neu entstehen. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn „dreidimensionale“ Umhüllungen des Raums hergestellt werden. Es fällt auf, dass diese Abfolge der entspricht, die auch Hanfmann (1930) beschreibt und die in Abschnitt 2.1.2.2 dargestellt ist. Gura (1992, 71) stellt ebenfalls fest, dass ihre Beobachtungsdaten hinsichtlich der Entwicklung des Bauspiels von drei- bis siebenjährigen Kindern weitgehend konsistent sind mit dem, was in früheren Forschungsarbeiten beschrieben wird. Auch die Feststellung, dass das Bauen von vertikalen linearen Anordnungen, d. h. Türmen, häufiger auftritt als die Anordnung von Bauklötzen in horizontalen Linien, deckt sich mit früheren Befunden.
Abbildung 2.13 Grundformen des Bauens (Gura 1992, 54)
Neben diesen Grundformen des Bauens berichtet Gura (1992) von weiteren Formen, die sich in ihrer Studie beim Bauspiel zeigten. Sie nennen das Stunt-Building, womit sie in Anlehnung an Johnson (1933) solche Bauwerke
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bezeichnen, bei deren Herstellung der Reiz des Einstürzens eine Rolle spielt. Es wird angenommen, dass sich das Stunt-Building aus dem Erkunden entwickelt und es darum geht, mit all dem zu experimentieren, was man schon weiß, und die eigenen Ideen auf die Spitze zu treiben. Gura (1992, 59) sieht im Stunt-Building einen Höhepunkt der Materialbeherrschung, weil es voraussetzt, dass die Kinder ein gutes Gespür für die grundlegenden Handlungsabläufe und die Möglichkeiten des Materials haben und sie es dann genießen, ein Risiko einzugehen, wobei es meist um die Balance eines Gebäudes geht. Als Nebenprodukt der Suche nach baulicher Balance könnte sich als besonders auffälliges Merkmal des Bauspiels „visual harmony“18 ergeben (Gura 1992, 59). Hiermit sind solche Bauklotzanordnungen gemeint, die eine besondere Harmonie vor allem durch Symmetrien innehaben und die, wie oben dargestellt, schon Fröbel besonders reizten und dessen Gipfel er in der Herstellung von Schönheitsformen sah. Visual Harmony entstehe beim Bauen allerdings nicht erst, wenn Kinder sich der Balance von Bauwerken beispielsweise beim Stunt-Building widmen, sondern zeige sich schon in einer frühen Phase des Bauens. Da scheint es eher ein rhythmisches Verbinden und Gestalten von Bewegung, Form und Raum zu sein, ohne dass der visuelle Effekt, der erzeugt wird, Beachtung findet (vgl. Gura 1992, 59). Erst allmählich werde die Dominanz von Rhythmus und der gleichen Handlung mit beiden Händen weniger und es komme ein stärker reflektiertes Vorgehen beim Aufbauen zum Tragen (vgl. Gura 1992, 60). Das ist eine Voraussetzung dafür, dass absichtlich Gebilde, die Visual Harmony aufweisen, hergestellt werden können, was die Kinder laut Gura (1992, 72) dann auch anstreben. Dabei fallen manche Kinder mit einer besonderen Bauspielbegabung auf: „Some children seem to have a special ability to use the givens in the blocks, to compose them into visually harmonious block sculptures, unimaginable to the rest of us“ (Gura 1992, 65; Hervorh. im Orig.). Als weitere Form des Bauspiels beschreibt Gura (1992, 64) das Legen von Bildern aus den Bauklötzen. Sie erläutert dazu, dass einige der Kinder eine Technik des Zeichnens in ihren Darstellungen verwenden, indem sie die Gegebenheiten der Bauklötze – gerade Linien, Kurven und Ecken – verwenden, um zweidimensionale Umrisse herzustellen. Eine mögliche Erklärung ist für die Autorin, dass die Kinder das nutzen, wenn sie nicht dreidimensional denken können. Man könnte hier aber ebenso vermuten, dass die Tatsache, dass das Material neben klassischen
18 Da es keine passende Übersetzung für diesen Begriff gibt, behandele ich ihn im Folgenden wie einen feststehenden Ausdruck und nutze dafür die Großschreibung: Visual Harmony.
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Bauklötzen auch besonders schmale Klötze in verschiedenen Längen und Kurven umfasst, das Legen von Bildern herausfordert. Gura (1992, 71) nimmt aufgrund ihrer Erfahrungen an, dass es einen großen Spielraum für die Entwicklung von Bauspiel in der Altersspanne von drei bis elf Jahren gibt. Wenn man in Betracht zieht, dass sich Bauspiel in dieser Zeit weiterentwickelt und möglicherweise je nach Entwicklungsstand verschiedener Impulse bedarf, stellt sich die Frage, welche Befunde hinsichtlich des Einflusses von Rahmenbedingungen auf das Bauspiel beschrieben werden. Ganz allgemein stellt Bruce (1992b, 20) dazu fest, dass Kinder viele Gelegenheiten für Bauspielaktivitäten brauchen, bis sie es beherrschen, und dass diese Gelegenheiten stark von strukturellen Gegebenheiten der Einrichtung abhängen. So beobachteten sie in Einrichtungen, in denen zu Beginn des Tages nur Spiel im Innenraum angeboten wurde, mit der Möglichkeit für die Kinder, ab 10 Uhr rauszugehen, dass die Kinder häufig ihre Spielaktivität im Raum aufgeben, um hinauszugehen. Insbesondere das Spiel mit Bauklötzen habe unter einer solchen Regelung gelitten, weil erwartet wurde, dass die Kinder vor dem Hinausgehen aufräumen, was beim Spiel mit Bauklötzen eher aufwendig ist. Beobachtungen aus der Studie zeigen, dass den Kindern das bewusst war, so forderte beispielsweise ein Kind ein anderes auf, nicht zu viele Bauklötze zu verwenden, da sie hinterher wieder aufgeräumt werden müssen (vgl. Bruce 1992b, 15). Auch beim Spiel mit den Hollow Blocks zeigte sich, dass die Kinder ausreichend Zeit und Raum brauchen. So verwendeten die Kinder zunächst viel Zeit darauf, ihr Haus zu bauen. Um anschließend darin Rollenspiele zu spielen, benötigen sie weitere Zeit. Sollte den Kindern dann auch noch ermöglicht werden, dass sie später aufgrund der Erfahrungen im Spiel ihr Bauwerk anpassen, umbauen und verändern können, wurde weitere Zeit dafür gebraucht. Die Autorinnen stellen fest, dass bei solchen optimalen Rahmenbedingungen ein besonders ergiebiges Spiel mit den Hollow Blocks in seiner Verbindung von sozialen, phantasievollen und technischen Prozessen möglich wird. Man kann sich unschwer vorstellen, dass insbesondere das Spiel mit Hollow Blocks viel Platz braucht. Den Kindern ausreichend Platz für ihr Spiel zu ermöglichen, wird als eine wichtige Aufgabe für Fachkräfte gesehen. Beispielsweise schlagen Bruce et al. (1992h, 154) vor, die Kinder dabei zu unterstützen, wenn sie den Baubereich zeitweise in andere Bereiche ausdehnen möchten und zu gewährleisten, dass diese vorübergehende Nutzung für das Bauspiel respektiert wird. Interessant ist die Erkenntnis von Gura (1992, 65 f.), dass Platzmangel eine direkte Auswirkung auf das Bauspiel und die dort entstehenden Formen hat. Dazu wird auf frühere Untersuchungen von Guanella (1934) und Elkins (1980) und auch auf eigene Beobachtungen verwiesen, die ein zunehmendes Interesse der
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Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren bei der Verwendung von Bauklötzen in Gitter-Arrangements, beispielsweise als Schienen- oder Straßensysteme, aufdecken. Diese seien oft charakterisiert davon, dass mehrere Kinder Seite an Seite arbeiten und sich an demselben Bau beteiligen. Allerdings wurde in der Studie beobachtet, dass die Kinder dort, wo der Platz nur zwei Kindern ermöglichte, zur gleichen Zeit komfortabel zu arbeiten, keine derartigen Bauwerke herstellten, sondern sich eher auf das Bauen in drei Dimensionen konzentrierten. Gura (1992, 66) vermutet, dass das geschehen ist, weil das Bauen in drei Dimensionen weniger Platz brauchte. Wenn die Kinder nämlich in bestimmten Situationen mehr Platz hatten, weil sie die Bauklötze mit nach draußen nehmen konnten, arbeiteten sie in größeren Gruppen zusammen und es entstanden besagte Gitter-Arrangements. Die Autorinnen schlussfolgern daraus, dass die Kinder ihr Wissen über Bauklötze an die räumlichen Gegebenheiten und die räumlichen Gegebenheiten an die Bauklötze anpassen können. Auch das Angebot an die Kinder, zeitweise einen extra Raum zum Bauen zu nutzen, zeigte laut der Bruce et al. (1992h, 154) Auswirkungen. Die Kinder konnten in diesem Raum die Bauklötze ausführlicher und ohne Störung erkunden und aufwändigere Experimente ausführen. An den Beobachtungen zeigte sich demnach, dass das einen steigernden Effekt auf das Bauspiel hatte und sich auch auswirkte, wenn die Kinder danach die Bauklötze in den beengteren Verhältnissen des Klassenzimmers nutzten. An diesen Ausführungen lässt sich gut nachvollziehen, warum Bruce et al. (1992d) davon ausgehen, dass das Problemlösen im Bauspiel nicht beschränkt darauf ist, wie Straßen und dergleichen gebaut werden (können), sondern vielmehr darin besteht, ein bestimmtes Bauwerk unter den Bedingungen, die der Raum, das Material und die Gruppe mit sich bringen, herzustellen. Bruce et al. (1992h, 163) nehmen deshalb an, dass die Beschränkung der Situation hinsichtlich Platz und/oder Material positiv als Problemlöseaufgabe gewendet werden kann, besonders wo aktive Hilfe und Unterstützung durch Erwachsene besteht. Mitunter können aber Erwachsene auch dafür sorgen, dass ein Interesse oder Thema, das sie bei den Kindern beobachtet haben, durch ein erweitertes Materialangebot zu neuen Problemlöseaufgaben und Problemlösungen führt. Ein Beispiel dafür war in der Studie eine Kindergartengruppe, bei der sich im Bauspiel mit zwei Sets der Unit Blocks ein besonderes Interesse an der Herstellung von Mustern aus „Kreuzen“, „Ts“, „Ls“, „Bögen“, „elliptischen und kreisförmigen Kurven“ sowie „Viertelkreisen“ zeigte. Mit der Idee, das Herstellen von Mustern zu steigern, wurden in dieser Gruppe weitere Bauklötze in den genannten Formen angeschafft, was den gewünschten Effekt hatte, dass die Erkundung und Entwicklung von Mustern und Formen deutlich zunahm (vgl. Abbildung 2.14). Für Bruce et al. (1992h, 159) zeigt sich daran, dass Kinder offensichtlich weit mehr erreichen
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können, als sie immer gedacht haben. Interessant ist dabei auch, dass die Autorinnen davon berichten, wie sie im Laufe des Projekts die Erkenntnis gewonnen haben, dass Muster ein beherrschender Aspekt von Bauspiel sind und dass das Bewusstsein für Muster gesteigert werden kann, indem man sich über in der Umgebung und der Natur gefundene Beispiele für Muster austauscht (vgl. Bruce et al. 1992h, 162).
Abbildung 2.14 Bauwerke aus besonderen Bauklötzen (Bruce et al. 1992c, 76 u. 82)
Als weitere wichtige Bedingung für Bauspiel wird die Möglichkeit zur Wiederholung gesehen, wobei sie insbesondere als wichtiges Element im Hinblick auf die Materialbeherrschung wahrgenommen wird. Wenn die Kinder alle Bauklotzformen erkundet haben, üben, verfeinern und variieren sie ihre Bauhandlungen (vgl. Gura 1992, 56). Es wird auch darüber berichtet, dass Kinder zunächst immer wieder das ihnen geläufige Repertoire an Grundformen durchprobieren, bevor sie mit einer komplexeren Konstruktion, beispielsweise im Sinne einer Umarbeitung, beginnen. Gura (1992, 62) beschreibt diesbezüglich auch, dass Kinder, die eine Zeit lang keine Bauklötze zur Verfügung hatten, Gelegenheiten brauchen, um Früheres wieder aufzuarbeiten, bevor sie sich weiter entwickeln können. Sie halten es deshalb für notwendig, dass Kinder regelmäßig Zugang zu Bauklötzen haben, „to enable children to move forward as well as backwards in developing their ideas about block and through blocks“ (Gura 1992, 62). Die geschilderten Rahmenbedingungen legen die besondere Bedeutung von Raum, Zeit und Materialverfügbarkeit für das Bauspiel nahe, was zwangsläufig Überlegungen zum Baubereich nach sich zieht, umso mehr als Bruce et al.
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(1992h, 153 f.) davon berichten, dass zu Beginn der Studie keine der Gruppen einen speziellen Bereich für Bauklötze und Bauspiel hatte. Es ist keine Überraschung, dass sich das als nicht zuträglich für die Entwicklung von komplexem und nachhaltigem Bauspiel herausstellte. Als ein Resultat der Praxisforschung stellen die Autorinnen fest, dass für das Bauspiel ein Standort ausgewählt werden sollte, der möglichst fernab von Laufwegen ist. Beispielsweise wird eine entfernte Ecke vorgeschlagen, allerdings wird einschränkend hinzugefügt, dass es unter diesen Umständen für Erwachsene schwierig ist, das Bauspiel zu beobachten, wenn sie nicht tatsächlich beteiligt sind. Bruce et al. (1992h, 163) nehmen außerdem an, dass sich die Art der Aufbewahrung und die Präsentation des Materials direkt auf die Situation auswirken. Die Kinder sollten demnach wissen, welche Arten von Bauklötzen in welcher Menge zur Verfügung stehen und sie sollten einfachen Zugang dazu haben. Bemerkenswert und einleuchtend ist die Feststellung, dass die Sorgfalt und die Bedeutungshaftigkeit, die man als Erwachsener beim Einrichten der Bauecke und bei der Auswahl und Präsentation der Materialien zeigt, zum Ausdruck bringen, dass man die Aktivität, die dort stattfindet, wertschätzt. Auch Bücher, Geschichten und Ausflüge zum Thema Architektur sowie Interessenstische und Schaukästen werden als Möglichkeiten aufgezählt, das Bauspiel zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Die Frage nach einem guten Baubereich wird auch verbunden mit der Frage nach dem richtigen Untergrund zum Bauen. Bruce et al. (1992h, 156) (1992, 156) beschreiben diesbezüglich, dass sich neue und ruhigere Kinder besonders wohlfühlen, wenn sie zum Bauen um einen Tisch herumsitzen mit dem Vorrat an Bauklötzen in der Mitte. Dabei könne jedes Kind bei sich bleiben und habe die Möglichkeit, die anderen zu beobachten. Sie stellen aber gleichzeitig fest, dass das komplizierte Bauen und Problemlösen, das sich beim Spiel auf dem Boden beobachten lässt, in diesem Kontext nur vorkommt, wenn die Kinder schon älter sind und beispielsweise Poleidoblocs verwenden. Neben dem Tisch und dem Boden nennen Bruce et al. (1992h) auch Baubretter als möglichen Untergrund für das Bauen. Es ist nicht ganz klar, was sie darunter verstehen. Es scheint aber, darum zu gehen, einen ebenen Untergrund zu haben, evtl. auch einen begrenzten Baubereich, und wenn auf sehr hartem Untergrund gebaut wird, beispielsweise im Freien, die Bauklötze vor Beschädigungen zu schützen. Das achtsame Verwenden des Materials, das darin anklingt, halten Bruce et al. (1992h, 160) auch ansonsten für wichtig. Sie fordern, dass ein Set von Unit Blocks wie ein Puzzle behandelt wird, bei dem jeder Bauklotz ein Teil des Ganzen ist. Diese Forderung erinnert an Fröbels Forderung, immer von dem vollständigen Würfel auszugehen, wobei bei dem in der Studie von Bruce et al. genutzten Set von Unit Blocks für die Kinder eher nicht offensichtlich sein dürfte, ob es
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vollständig ist, da das Ganze nicht zu einer einzigen geschlossenen Form zusammengesetzt werden kann. Der Grund für ihre Forderung muss aber nicht unbedingt mit Fröbels Idee zu tun haben, sondern könnte sich auch aus den Erfahrungen ihres Projektes erklären. So berichtet Bruce (1992b, 15), dass zu Beginn des Projektes in den meisten Einrichtungen keine kompletten Sets der Unit Blocks vorhanden waren und das Material mit anderem Material, beispielsweise Spielfiguren, Autos, Zug Sets, gemischt angeboten wurde. Das wirft dann außerdem die Frage nach dem Potenzial der Accessoires auf, die die Gruppe um Tina Bruce ebenfalls verfolgt. Im Bauspielprojekt wurde demnach herausgefunden, dass die Verwendung von Accessoires nur dann hilfreich ist, wenn das Spiel mit den Materialien für sich auch genügend eigenständige Aufmerksamkeit bekommt. „Otherwise, if blocks were used with accessories, the block constructions were less sophisticated“ (Bruce 1992b, 22). Es wird allerdings auch berichtet, dass das Hinzufügen eines „Fremdkörpers“ zum Bauspiel die Kinder manchmal dazu bringt, innezuhalten und etwas mehr als sonst nachzudenken (vgl. Bruce et al. 1992h, 158). Bedeutsam scheint die Überlegung von Bruce et al. (1992h, 161), dass im Bauspiel die verschiedenen Vorlieben der Kinder zum Ausdruck kommen und auch berücksichtigt werden sollten. Sie stellen fest, dass es Kinder gibt, die mit Vorliebe Materialien in ihrem Spiel vermischen und sich wenig fokussieren, und andere, die eher ordnungsliebend sind und in ihren engen Grenzen verharren. Nach ihrer Meinung solle man die Kinder bestärken, auch das andere auszuprobieren. Ein weiterer Aspekt, der in den vorigen Kapiteln schon vorkam und auch in den von mir beobachteten Situationen des Bauspiels eine Rolle spielt, ist die Bedeutung von Bauplänen oder Abbildungen. Bruce et al. (1992h) beschreiben diesbezüglich, dass es Kinder gibt, die eine Inspiration für ihr Bauen auch beim Durchsehen von Büchern gewonnen haben. Sie beobachteten ein großes Interesse an Büchern zur Architektur verschiedener Kulturen, wobei dem Suchen nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten besondere Bedeutung zukam. Oft wollten die Kinder gemeinsam ein Buch durchsehen und diskutierten dann unterschiedliche Merkmale von Gebäuden. Manchmal konnte dann laut den Autorinnen in den darauffolgenden Konstruktionen eine Übertragung von Bildern und Ideen in den Bauwerken entdeckt werden. Umgekehrt entdeckten die Kinder häufig Ähnlichkeiten zwischen ihrer eigenen Arbeit und den Abbildungen (vgl. Bruce et al. 1992h, 161). Hierzu passen auch die Überlegungen zur Dokumentation der Bauwerke mittels Fotografie, die einerseits Wertschätzung ausdrücken und, wenn sie in Wanddokumentationen oder Schaukästen ausgestellt werden, auch andere Kinder, Kollegen, Eltern und Besucher informieren können. Nicht nur Abbildungen von Bauwerken auch Abbildungen von den einzelnen Bauklötzen
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der Unit Blocks in Originalgröße oder auch verkleinert, versehen mit einem Bauklotznamen, kamen in dem Projekt zum Einsatz und konnten laut Bruce et al. (1992h, 162) dann als gemeinsame Referenz dienen. Die Feststellung, dass das, was in der Bauecke passiert, andere Aktivitäten beeinflusst und dass das, was woanders passiert, die Bauecke beeinflusst, ist in Anbetracht der bisherigen Ausführungen naheliegend. Interessant ist allerdings, dass Bruce et al. (1992f, 185) finden, dass in der Bauecke im Unterschied zum Rest der Umgebung viele praktische Probleme zu berücksichtigen sind, die mit Sicherheit, Aufbewahrung und Transport zu tun haben. Der Aspekt der Sicherheit ist nachvollziehbar, wenn man an das Einstürzen von Bauwerken denkt. Dass Bauwerke auch ohne eine beabsichtigte Handlung von irgendjemand einstürzen, geschieht laut Bruce et al. (1992f, 180) oft und bietet eine Möglichkeit, um über die Bauklötze, die Balance von Bauwerken, die Flugbahn und die Verteilung von Klötzen zu reflektieren. Dazu passen auch die Überlegungen von Bruce et al. (1992f, 179) hinsichtlich des absichtlichen zum Einsturzbringen eines Bauwerks, das offensichtlich dem Interesse an diesen Themen folgt. Es sollte ihrer Meinung nach als sinnvolle Handlung für Theoriebildung und Experimentieren angesehen werden. Für problematisch im Hinblick auf Kooperation und Konzentration halten es die Autorinnen allerdings, wenn das Zerstören von Bauwerken überhandnimmt und es manchen Kindern ausschließlich darum geht, den dramatischen Effekt und die Aufregung, die mit dem Einstürzen verbunden ist, zu wiederholen. Die Bedeutung von Peer-Interaktionen und Fachkraft-Kind-Interaktionen Die Bedeutung von Kooperationen in der Bauecke klang bereits an. Inwiefern sich Kooperationen zwischen Kindern sowie zwischen Kindern und Erwachsenen entwickeln und wie sie das Bauspiel prägen, ist ebenfalls ein Thema in der Veröffentlichung von Gura und Bruce (1992). Einige der Beobachtungen und Erkenntnisse dazu werden im Folgenden dargestellt. „Our own observations and those of other researchers indicate that different but complementary roles are played by adults and peers in the development of aspects of the situation“ (Bruce et al. 1992f, 176). Ein Verweis auf einen Befund von Pelligrini (1984) verdeutlicht diese unterschiedliche Bedeutung recht gut. So fand er laut Bruce et al. (1992f, 176) heraus, dass die Anwesenheit von Erwachsenen bei Dreijährigen mit weniger Peer-Interaktion und einer stärkeren Konzentration auf das Material einhergeht. Bei älteren Kindern ließ sich dieser Einfluss nicht erkennen. Andersherum führten die Abwesenheit von Erwachsenen und die Anwesenheit von Peers bei beiden Altersgruppen zu höheren Interaktions- und KooperationsLeveln. Bruce et al. (1992f) nehmen an, dass der Einfluss von Erwachsenen komplex ist und dass die Kinder in Peer-Interaktionen ohne Erwachsene auch
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Bauspiel
das Erwachsenen-Modell von Interaktion übernehmen. Demnach sollten Erwachsene organisieren, abwesend zu sein, oder auch für ihre Präsenz in der Bauecke sorgen, beides sollte nicht dem Zufall überlassen werden. In Anlehnung an Sylva et al. (1980) stellt Bruce (1992b, 17) fest, dass Kinder Gelegenheiten brauchen, um alleine und in Gruppen zu spielen, wobei sich eine der besten Möglichkeiten, in reichhaltiges Spiel einbezogen zu sein, durch Partnerschaften ergibt, die Kinder mit anderen Kindern eingehen. Hierzu ist die Erkenntnis von Bruce et al. (1992f, 175) interessant, dass ein beschränkter Platz zu besonders wenig zufälligen oder neuen Partnerschaften zwischen Kindern geführt hat. Manchmal arrangierten die Fachkräfte absichtlich Partnerschaften zwischen Kindern, die diese vielleicht nicht selbst gewählt hätten. Dabei zeigten sich teilweise komplexeres Spiel und reiferes Verhalten bei beiden Partnern als das bis dahin beim Spiel alleine oder mit dem üblichen Partner der Fall war. Das Arrangieren von Partnerschaften kann laut den Autorinnen damit ein geeignetes Mittel sein, um Kinder zu veranlassen, eine größere Bandbreite an Partnerschaften auszuprobieren, als es aufgrund der Rahmenbedingungen vielleicht sonst der Fall wäre. Allerdings weisen die Autorinnen darauf hin, dass durch solche Entscheidungen von Erwachsenen nicht die Selbstbestimmung der Kinder aus dem Blick geraten soll. Das gemeinsame Bauspiel von Kindern setze voraus, dass die Kinder ausreichend Zeit haben, um die sozialen Aspekte des Bauspiels mit dem Bauen zu mischen, das ergebe sich immer dann am besten, wenn die Kinder jederzeit zum Bauspiel dazu kommen und wieder weggehen können. Die Ressourcen und die Verantwortung zu teilen, sei genauso Teil des Bauspiels wie das Erkunden, Musterherstellen und Bauen, die alle eng und dynamisch miteinander verbunden sind. Bruce et al. (1992f, 185) sehen dabei das Bauspiel nicht als voraussetzungsfreies Lernfeld; auch wenn jedes Kind Zugang zum Baumaterial hat, können andere Bereiche des Lernens vom Bauspiel erst profitieren, wenn ein Gefühl von Selbstvertrauen und Selbständigkeit bei den Kindern aufgebaut ist. Einen besonderen Stellenwert beim Bauspiel nimmt auch die gegenseitige Beobachtung der Kinder ein. So zeigte sich laut Gura (1992, 60) sehr viel aktive Beobachtung in der Bauecke und es finden sich Belege dafür, dass Kinder ihre Beobachtungen nutzen. Das Kind wählt sich demnach selbst die fraglichen Aspekte, die um es herum passieren und mit denen es sich befassen könnte, aus. Später verbindet es das, was es dabei gelernt hat, mit dem Wissen und der Fähigkeit im Umgang mit Bauklötzen, die es schon besaß, und stellt dann seine eigene Version daraus her. Aber die Aktivität der beobachtenden Kinder bezieht sich nicht immer nur auf das spätere Nachbauen, sondern mitunter auch darauf, dass für alle, die sich interessiert zeigen, erklärende Kommentare abgeben werden (vgl. Bruce et al. 1992f, 176). Kinder, die die Zeit in der Bauecke so
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verbringen, haben möglicherweise am Ende kein wahrnehmbares Produkt vorzuweisen, weil sie die ganze Zeit in einer Beobachter- oder Beraterfunktion waren, allerdings halten Gura und Bruce solche Interaktion für genauso wichtig wie die eigentliche Konstruktion. Die Würdigung der Bauklotzkonstruktionen anderer Kinder führt Bruce (1992b, 25) auch darauf zurück, dass die Kinder durch gemeinsame Betrachtung von Gebäuden auf Ausflügen, durch Bücher über Architektur und Skulpturen sowie durch Gespräche über Bauklotzverwendungen an „Interessen-Tischen“ Bauwerke und ihre Herstellung zu schätzen gelernt haben. In vielen der bisher zusammengefassten Ausführungen von Gura und Bruce (1992) klangen bereits bestimmte Überzeugungen zur Rolle der Fachkraft an. Bruce (1992b, 26) ist sich sicher, dass reichhaltiges Bauspiel nicht einfach so vorkommt, sondern sich entwickelt, wenn Erwachsene die entsprechenden Rahmenbedingungen liefern und die notwendige Unterstützung anbieten. Für zentral hält sie dabei die Berücksichtigung der unterschiedlichen Stile, die die Kinder beim Bauspiel bevorzugen, wobei durchaus davon ausgegangen wird, dass es für die Kinder wichtig ist, unabhängig von ihrem persönlichen Stil sowohl in verbalen als auch in räumlichen Bereichen Kompetenzen zu entwickeln (vgl. Bruce et al. 1992e, 45). Die Autorinnen unterbreiten hier wenig konkrete Vorschläge, wie das unterstützt werden solle, allerdings gehen sie davon aus, dass es hilfreich ist, die kindlichen Repräsentationen beurteilen zu können (vgl. Bruce et al. 1992e, 42). Bevor Schlüsse über die Qualität des Spiels eines Kindes gezogen werden, sollten die Aktivitäten der Kinder mit dem Material aber über einige Zeit beobachtet werden (vgl. Gura 1992, 72). Die Bedeutung des Beobachtens wird auch an anderer Stelle hervorgehoben: „Through observing blockplay, and looking at the layout of buildings inside and out, our sensitivity and insights about form relationships, part-whole relationships, physical structures, proportion, scale, pattern, decoration and composition have increased our critical awareness“ (Bruce et al. 1992e, 41). Die in diesem Zitat erkennbare Bedeutung des Wissens über und des Erkennens von Inhalten durch Fachkräfte wird bereits von Fröbel (1844/1967) und später von Uhl und Stoevesandt (1961/1991) sowie von Stoevesandt (1979) hervorgehoben, wie in den Abschnitten 2.1.1 und 2.1.3 gezeigt wird.
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2.1.5
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Bauspiel
Schlussfolgerungen zum Begriff und zur Entwicklung von Bauspielen
Begriffsklärung zu Bauspiel Befasst man sich mit dem Bauspiel von Vorschulkindern, begegnet man sowohl in der Praxis als auch in der Theorie immer wieder Friedrich Fröbel. Interessanterweise nennt er das Spiel von Kindern mit seinen Spielgaben nicht Bauspiel. Selbst der Begriff des Bauens spielt für ihn keine zentrale Rolle. Betrachtet man das von Fröbel beschriebene und erhoffte Spiel der Kinder mit den Spielgaben drei bis fünf – dabei handelt es sich jeweils um den in mehrere Klötze unterteilten Würfel – und bezeichnet genau diese Tätigkeiten als Bauspiel, so wäre eine Definition dafür die folgende: Bauspiel umfasst die Aktivitäten von Kindern und Erwachsenen, bei denen aus einer bestimmten Menge von Klötzen Formen des täglichen Lebens und symmetrische Muster gestaltet werden, wobei sich die Gelegenheit bietet, Erkenntnisse über Mengen-, Größen- und Formbeziehungen zu gewinnen. Interessant ist, dass sich eine ganz ähnliche Idee aus der Veröffentlichung von Gura und Bruce (1992) zu Bauspiel herauslesen lässt. Das wird daran deutlich, dass zwischen Bauwerken, die etwas Bestimmtes darstellen, das auch verbal ausgedrückt werden kann, und solchen, für die es kein sprachliches Äquivalent gibt, unterschieden wird. Manche Kinder sind laut Autorinnen stärker an der Entstehung abstrakter Bauklotzstrukturen und am Herstellen von Mustern interessiert als daran, die bekannte Welt zu repräsentieren. Eine Verbindung zu den Erkenntnisformen findet sich zumindest in Ansätzen wieder, wenn man beispielsweise die Aussage, dass die Kinder beim frühen Bauspiel räumliche Zusammenhänge, projektive Beziehungen, Bewegung, Gestalt und Form erkunden, betrachtet. Die Idee einer Unterscheidung zwischen Schönheitsformen und Lebensformen lässt sich bei verschiedenen Autoren erkennen. So wird immer wieder festgestellt oder darauf verwiesen, dass die Kinder Patterners und/oder Dramatists seien. In dieser Unterscheidung spiegelt sich letztlich auch die Idee des Achtens auf oder Verfolgens von Mustern einerseits und andererseits des Nachvollziehens oder Nachspielens des wirklichen Lebens wider. Es ist doch bemerkenswert, dass bereits Fröbel eine solche Unterscheidung in das Spiel mit seinen Spielgaben hineingedacht oder vielleicht auch bei Kindern beobachtet hat. Der Gedanke, dass Bauspiel eine Repräsentationsform und damit eine Ausdrucksform für Kinder ist, findet sich auch bei Kietz (1950/1967) wieder, die das Bauen als kindliches Gestalten und als Ausdruck des Erlebens beschreibt. Weitere Definitionen von Bauspiel ergeben sich, wenn man die entwicklungspsychologische Sichtweise heranzieht. So bezeichnet Hetzer (1931) das Bauen als eines der ersten und beliebtesten Konstruktionsspiele im Kleinkindalter,
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wobei als Konstruktions- und Herstellspiele alle schöpferischen Betätigungen des Kindes mit Material aufgefasst werden. Eine ganz ähnliche Sichtweise auf Konstruktionsspiel findet sich bei Oerter (1993), der solche Konstruktionsspiele, die der Herstellung von funktionierenden Gegenständen dienen, als objektivierende Vergegenständlichung einordnet. Insgesamt wird zweierlei deutlich. Zum einen etwas, das sich bereits in den Veröffentlichungen der 1930er Jahre gezeigt hat, nämlich die Unterscheidung zwischen Arbeit und Spiel. Während beispielsweise für Hetzer (1931), wie auch der Titel ihrer Arbeit „Kind und Schaffen“ deutlich macht, das Konstruktionsspiel den Übergang vom Spiel zum Schaffen charakterisiert, womit aber kein Widerspruch zwischen Spiel und Schaffen gesehen wird, zeigen die Ausführungen von Einsiedler (1999), dass es einzelne Autoren gab, für die Bau- bzw. Konstruktionsspiel nicht als Spiel, sondern eher als Arbeit aufgefasst wurde. Zum anderen zeigt sich bei Oerter, dass Konstruktionsspiel durchaus unterschiedliche Motive haben kann. Dies kann auf ähnliche Weise durch die oben genannte Unterscheidung Patterner/Dramatist zum Ausdruck kommen. Während es dem Ersten wohl eher um die Herstellung des Bauwerks gehen dürfte, hat der Zweite im Blick, das Bauwerk auch zum Leben zu erwecken, darin und damit ein Spiel zu inszenieren. Damit sind wir an der von Einsiedler (1999) thematisierten Unterscheidung zwischen Bauspiel und Phantasiespiel. Diverse Befunde zeigen, dass eine Unterscheidung zwischen beiden Spielformen nicht selbstverständlich ist. Auch Gura und Bruce (1992) thematisieren, dass es im Bauspiel Gelegenheiten zum Rollenspiel bzw. Phantasiespiel gibt und gehen davon aus, dass Rollenspiele die genaue Planung symbolischer Handlungsweisen voraussetzen, die von der konkreten Handlung losgelöst sind und sich deshalb erst entwickeln können, wenn die Handhabung und die Erkundung von Bauklötzen ausreichend fundiert sind. Ganz ähnlich ist es zu verstehen, wenn Einsiedler (1999, 102) findet, das Konstruktionsspiel schließe an das Objektspiel und an das Symbolspiel an, setze diese Spielformen voraus und schließe sie in sich ein. Auch wenn er davon ausgeht, dass das Bauspiel nur schwer im wörtlichen Sinne zu definieren ist, versucht er doch eine Definition, die für diese Arbeit als Grundlage dienen soll. Bauspiele sind die Spiele, bei denen die Kinder nicht mehr nur um des Spielprozesses willen spielen (wie beim Objektspiel), sondern mehr oder weniger zielstrebig ein dreidimensionales Spielprodukt herstellen wollen; es handelt sich um ein Spiel, da bauspielerische Tätigkeiten überwiegend intrinsisch motiviert sind, mit Freude ausgeführt werden und das Ergebnis meist ein Spielprodukt im Sinne einer ‚Scheinwelt‘ ist. (Einsiedler 1999, 104)
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Zumindest teilweise finden sich hier Überschneidungen zur Kategorie Creative, die von Kontos et al. (2002, 257) genutzt wird. Dort heißt es: „Child was engaged in goal-directed problem solving or systematic experimentation with the object, not including pretend play (e.g., tries to balance block on a tower, tries different methods); dramatic-child engages in make believe or pretend play“. Auch wenn diese Kategorie im Ganzen auch das Rollenspiel umfasst, so wird doch hinsichtlich des Bauspiels deutlich, dass das zielgerichtete, systematische Vorgehen hier eine zentrale Rolle einnimmt, wobei in den Ausführungen oben deutlich wurde, dass das nicht bedeutet, dass immer ein von außen nachvollziehbarer und unveränderlicher Plan verfolgt würde. Weitere für meine Arbeit sinnvolle Merkmale von Bauspiel werden von Stoevesandt (1979) genannt, die Bauen und Legen als konstruktives Tun mit dem gemeinsamen Kern des Ordnens, folgerichtig Entwickelns, Zusammensetzens und Aufbauens beschreibt. Damit wird die Idee des Musters als eine für das Bauspiel sehr zentrale angesehen. Das ist ein Merkmal, das auch von Bruce et al. (1992h, 162) erkannt und beschrieben wird. Interessant ist außerdem deren Position, dass es sich bei Bauklötzen um objects to think with handelt. Hier finden wir ebenfalls eine Verbindung zu Stoevesandt (1979), die Bauklötze als didaktisches Material auffasst. Während es in beiden Veröffentlichungen explizit um eine bestimmte Form der stapelbaren, freistehenden Bauklötze geht, die wir so auch bei Fröbel finden, sind die Überlegungen der 1930er Jahre zum Konstruktionsspiel stärker davon geprägt, dass es eine Vielfalt an Materialien gibt, die alle eine bestimmte Art von Spiel ermöglichen, in deren Zentrum das Herstellen steht. Einsiedler (1999) verdeutlicht durch die Verwendung des Plurals Bauspiele auf besonders klare Weise, dass er hier ebenfalls verschiedene Spiele zusammenfasst. Allerdings bleibt offen, was das beispielsweise hierunter auch verstandene Spiel mit Sand mit dem Spiel mit Bauklötzen oder Steckbaukästen verbindet oder wie das Puzzeln und das Bauen von Hütten zusammenhängen. Das Problem der Unterscheidung und Verwendung von Begrifflichkeiten tritt besonders gut zutage, wenn man Folgendes betrachtet: Einsiedler (1999, 104) findet, dass eine Unterscheidung zwischen Bauspiel als Zusammenfügen von Elementen ohne Verbindungsstücke und Konstruktionsspiel als Montieren mit Verbindungsstücken aufgrund der heutigen Spielmaterialien und des Sprachgebrauchs im Bauwesen nicht angebracht ist. Andererseits hebt er hervor, dass die Kinder aufgrund der relativ komplexen Modellbauten, die mit Kunststoffbaukästen, wie beispielsweise Legotechnik oder Fischertechnik, möglich seien, wichtige Gesetze der Mechanik kennenlernen können. Dabei bleibt jedoch offen, ob es nun sinnvoll ist, die Besonderheit hervorzuheben oder das Gemeinsame zu betonen. Für die hier vorliegende Arbeit wird festgestellt, dass man sowohl das Spiel der Kinder mit den verwendeten
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Steva-Steckbaukästen als auch das mit den Holzbausteinen als Bauspiel bezeichnen kann. Erstes ließe sich nach Hetzer auch als technisches Konstruktionsspiel bezeichnen, wobei interessant sein dürfte, inwiefern die Analyse der beobachteten Situationen diese spezielle Thematik herausstreicht. Nicht nur wegen der beiden unterschiedlichen Materialien, die in den beobachteten Spielsituationen meiner Studie verwendet wurden, sondern auch um zu verdeutlichen, dass jedes Bauspiel seine eigene Prägung hat, macht es Sinn von Bauspielen zu sprechen. Entwicklung und Analyse von Bauspielen In den Ausführungen zur Entwicklung des Bauspiels aus den 1930er Jahren zeigt sich, wie oben bereits erwähnt, die Annahme, dass Entwicklung bereichsübergreifend stattfindet. Für deren Betrachtung macht es einen großen Unterschied, ob davon ausgegangen wird, dass in der Entwicklung des Bauspiels gleichzeitig die des Konstruktionsspiels und sogar darüber hinaus die komplette Denkentwicklung sichtbar wird, oder ob man annimmt, dass das Bauen einen eigenen von anderen Aspekten eher unabhängigen Verlauf nimmt. Hier sei auch die Testentwicklung erwähnt, die laut Hetzer (1931) auf ihre Untersuchungen zum Bauspiel folgen sollte, wodurch sich erklärt, dass diese relativ stark von der Idee der gemeinsamen Entwicklungsstufen für Bau- und Konstruktionsspiel geprägt waren. Hanfmann (1930) betrachtet das Bauen als tendenziell eigenständiges Geschehen, hier wird weitgehend auf Verallgemeinerungen hinsichtlich der Gesamtentwicklung eines Kindes verzichtet, dennoch dürfte auch sie davon ausgegangen sein, dass diese bereichsübergreifend ist. Die Tatsache, dass wir heute stärker von einer bereichsspezifischen Entwicklung der Kinder ausgehen, kann ein Grund dafür sein, dass sich wenige aktuelle Veröffentlichungen finden, die die Entwicklung des Bauspiels thematisieren. Auch Einsiedler (1999, 24) beschreibt, dass in älteren Darstellungen die Entwicklung des Spielens global mit der sozial-kognitiven Entwicklung in Zusammenhang gebracht wurde, er zieht aber eine weitere Erklärung für die wenigen Forschungen zu Bauspielen in Erwägung: Im Vergleich zu den detaillierten Angaben, die die Forschung zur Entwicklung des Phantasiespiels im 2.–5. Lebensjahr erbrachte, ist der Informationsstand zur Entwicklung der kindlichen Bauspiele ungünstiger. Vermutlich haben sich weniger Entwicklungspsychologen diesem Problem gewidmet, weil Piaget (1945) das Konstruktionsspiel nicht in die Denkentwicklung eingeordnet hat […] Die differenziertesten Aussagen zur Entwicklung der Bauspiele stammen nach wie vor von Hetzer (1931) und Bühler (1928/1967). (Einsiedler 1999, 106)
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Die Feststellung Einsiedlers, dass mit der Erarbeitung und Absicherung von Mikrosequenzen des Spielens in der Spielforschung ein erheblicher Erkenntnisfortschritt gelungen ist und dass das Aufdecken von Beziehungen zwischen Mikroschritten der Spielentwicklung und denen anderer Entwicklungsbereiche nun möglich ist, mag grundsätzlich richtig sein. Allerdings sagt er auch, dass bislang nur wenige Forschungsberichte über Beziehungen zwischen Bauspiel und anderen Entwicklungsbereichen vorliegen (vgl. Einsiedler 1999, 110). Die Darstellung von Mikrosequenzen des Bauspiels wäre auch im Hinblick darauf interessant, wie sich Bauspiele im gemeinsamen Tun der Kinder ausgestalten – eine Frage, die ebenso für die hier vorliegende Arbeit zentral ist – hierzu gibt es allerdings bislang keine Untersuchungen. Bei Gura und Bruce (1992) findet sich zwar durch die gewählte Art der Praxisforschung keine theoretische Darstellung von Mikrosequenzen des Bauspiels, allerdings bietet deren exploratives Vorgehen und die Darstellung von sehr vielen Beispielen einige Anhaltspunkte hinsichtlich der genannten Frage. Auch in den älteren Untersuchungen zur Entwicklung des Bauspiels lassen sich einige Anhaltspunkte im Hinblick auf die Analyse von Bauspielen finden und man kann in den Ausführungen auch Bezüge zu mathematischen Aspekten erkennen. Die sehr aspektreiche Studie von Hanfmann (1930) bietet eine Reihe interessanter Erkenntnisse, vor allem weil die Auswertung auf verschiedenen Ebenen erfolgt: Bauergebnisse, Stufen der Gestaltung, Gegenstände des Bauens, Verlauf des Bauens und mathematische, technische sowie ästhetische Aspekte. Auffällig ist allerdings, dass es bei der Deutung nicht zu einer Verknüpfung der verschiedenen Ebenen kommt. So scheint es durchaus naheliegend, dass insbesondere in solchen Situationen, in denen das Interesse dem Bauen als Prozess dient, ästhetische und technische aber auch mathematische Aspekte des Bauens hervortreten. Darüber hinaus könnte angenommen werden, dass eher beim schrittweisen Bauen und noch mehr beim ganzgestaltenden Bauen die mathematische und die ästhetische Seite eine besondere Rolle spielen. Die Bauarten Reihung und symmetrische Anordnungen aus Bausteinen weisen schon per se auf mathematische Aspekte hin. Wie diese mit den Gestaltungsstufen oder einem bestimmten Bauverlauf zusammenhängen, wären interessante Fragen. Obwohl Hetzers (1931) Erkenntnisse anders als die von Hanfmann (1930) nicht so deutlich Bezüge zu mathematischen Aspekten erkennen lassen, finden sich doch einige Hinweise darauf. So äußert sie, dass es spezielle Fragen gibt, denen in gesonderten Untersuchungen noch nachgegangen werden sollte. Ganz konkret nennt sie hier die Frage nach dem symmetrischen Aufbau der kindlichen Bauwerke (vgl. Hetzer 1931, 6). Obwohl Hetzer (1931) offenlässt, warum sie genau diese Frage vorschlägt, ist es doch spannend, dass man in der Frage auch
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einen Zusammenhang zur Mathematik erkennen kann. Sie beschreibt außerdem, dass sich an dem Umgang eines Kindes mit den Hohlwürfeln zeigt, dass es mit zunehmendem Alter lernt, „die Größen bei seinen Versuchen in Rechnung [zu] setzen“ und „schließlich auch die Gesetze der Statik und andere physikalische Tatsachen, die beim Bauen von Bedeutung sind, [zu] berücksichtigen“ (Hetzer 1931, 21). Bemerkenswert ist auch die Unterscheidung der Darstellungsarten, die Hetzer (1931, 77) für das technische Konstruktionsspiel mit Matadormaterial beschreibt. Eine Differenzierung von Bauwerken danach, ob sie (nur) an einem charakteristischen Merkmal oder ob sie an der Gestalt eines Gegenstandes orientiert, also erscheinungstreu, sind oder ob sie die Funktion des dargestellten Objektes im Blick haben, also funktionsreif sind, erkennt an, dass beim Bauen sowohl die Form als auch die Funktion und letztlich auch das Zusammenspiel von beidem eine Rolle spielt. In den Untersuchungsergebnissen von Hetzer (1931), aber auch in den Ausführungen von Bühler (1931) manifestiert sich ein sehr deutlicher Unterschied zwischen technischem Konstruktionsspiel und Bauen. Das ist insofern interessant, als aktuelle Definitionen, wie wir oben gesehen haben, keinen Unterschied zwischen beidem machen. Allerdings ist festzuhalten, dass der Unterschied vor allem hinsichtlich des Alters, in dem das darstellende Bauen mit dem jeweiligen Material entwickelt ist, gemacht wird und nicht hinsichtlich der Arten der Materialbehandlung. Wirft man ergänzend noch einen Blick auf technisches Konstruktionsmaterial, so fällt aber durchaus auf, dass dem Spiel damit eine besondere Rolle zugewiesen wird. Einsiedler (1999) verweist auf einige Studien, bei denen das Spiel mit technischem Konstruktionsmaterial insbesondere in Verbindung mit der Fähigkeit des Problemlösens und der Förderung des technischen Verständnisses gesehen wird. Beide Aspekte werden aber durchaus auch dem Spiel mit Bauklötzen zugetraut, wie sich sehr deutlich bei Gura und Bruce (1992) zeigt. Trotz der sehr unterschiedlichen Anlage der Studien aus den 1930er Jahren im Vergleich zu der von Gura und Bruce (1992) fallen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf. So stellt Gura (1992, 71) selbst fest, dass die Ergebnisse ihrer Analyse von Beobachtungsdaten hinsichtlich des sich verändernden Charakters des Bauspiels im Alter von drei bis sieben Jahren weitgehend konsistent sind mit den Erkenntnissen, die Forscher schon früher beschrieben haben. Gerade weil sich ihre Aussagen nicht auf die Studien von Hanfmann (1930) und Hetzer (1931) aus dem deutschsprachigen Raum beziehen, sondern beispielsweise immer wieder auf Johnson (1933) verwiesen wird, fällt diese Gemeinsamkeit umso mehr ins Auge. Insbesondere die Darstellung der Bauergebnisse zeigt, dass es wohl als gesichertes Wissen gelten kann, dass es diese in Abbildung 2.13 (Abschnitt 2.1.4.3) dargestellten Formen von Bauwerken sind, die zumindest beim Bauen
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mit Holzbauklötzen von den Kindern in der angegebenen Reihenfolge durchlaufen werden. Auch die Erkenntnis von Hanfmann (1930, 273), dass das Bauen nicht unbedingt einer Darstellungsabsicht folgt, sondern dass es auch das Interesse an den vorliegenden Formen und ihren Kombinationen als solches gibt, was zu einem experimentierenden konstruktiven Bauen führt, weist eine bezeichnende Übereinstimmung zu der Beschreibung von Gura (1992, 71) auf. So sind manche Kinder stärker an der Entstehung abstrakter Bauklotzskulpturen und am Erzeugen von Mustern interessiert als daran, die bekannte Welt zu repräsentieren. Über alle Veröffentlichungen, die die Praxis des Bauspiels in den Blick nehmen, hinweg stellt die Thematisierung von Peerinteraktionen einen zentralen Aspekt dar. Abgesehen von Kietz (1950/1967) stimmen alle Autorinnen und Autoren darin überein, dass das gemeinsame Bauspiel von Kindern eine wichtige Rolle für deren Entwicklung spielt und dass das kooperative Spiel dabei auch besonders naheliegt. So verweist Einsiedler (1999, 111) auf eine Studie, die dem Bauspiel attestiert, eine gewisse Selbstverständlichkeit für Kooperation zu bewirken. Besonders ausführlich befassen sich auch Gura und Bruce (1992) mit Peerinteraktionen und stellen beispielsweise fest, dass das Zusammenspielen in ungewohnten Partnerschaften ein besonderes Potenzial entfalten kann. Bedenkt man den Einwand Einsiedlers (1999, 111), dass man gegenüber einer naturgegebenen Kooperation bei Bauspielen zurückhaltend sein muss, weil es eine gewisse Steuerung durch Erwachsene oder ältere Kinder ist, die das Bauspiel fördert, wird deutlich, dass der Einfluss von Peerinteraktionen und der von ErwachsenenKind-Interaktionen nicht völlig losgelöst voneinander gedacht werden können. Deutlich wird das auch bei Bruce et al. (1992f, 176). Obwohl diese feststellen, dass Erwachsene und Gleichaltrige in der Entwicklung von Aspekten der Situation unterschiedliche Rollen spielen, nehmen sie an, dass der Einfluss der Erwachsenen kompliziert ist und auch in der Abwesenheit des Erwachsenen wirkt.
2.2
Bauspiele und Mathematik
In Abschnitt 2.1 wurde dargestellt, wie sich das Bauspiel von Kindern entwickelt und welche Zusammenhänge zwischen Bauspielen und kindlicher Entwicklung gesehen werden, wobei immer wieder deutlich wurde, dass den Bauspielen ein vielfältiges Bildungspotenzial zugeschrieben wird. In diesem Kapitel wird dieses Potenzial im Hinblick auf mathematische Bildung weiter ausdifferenziert. Zunächst wird in Abschnitt 2.2.1 thematisiert, welcher Zusammenhang zwischen der Entwicklung oder Ausprägung mathematischer Fähigkeiten und Bauspielen bzw. Bauen angenommen wird. In Abschnitt 2.2.2 wird dargelegt, inwiefern in
2.2 Bauspiele und Mathematik
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Bauspielen mathematische Aktivitäten gesehen werden. In diesem Zusammenhang wird auch die besondere Bedeutung der Aspekte Muster & Strukturen, Sprache und Kommunikation sowie Problemlösen für Bauspiele in den Blick genommen. In Abschnitt 2.2.3 wird schließlich anhand entsprechender Literatur aufgezeigt, inwiefern sich eine systematische Darstellung mathematischer Inhalte bei der Deutung von Bauspielsituationen zeigt.
2.2.1
Förderung und Entwicklung mathematischer Fähigkeiten durch Bauspiele
Bereits Fröbels Texte zu den Spielgaben liefern verschiedene Hinweise darauf, dass er annahm, man könnte durch das Spielen und die Beschäftigung mit Bauklötzen mathematische Einsichten beim Kind fördern (vgl. Abschnitt 2.2.3.1). Einige Wissenschaftler haben in den letzten 40 Jahren untersucht, inwiefern sich Bauspiele auf kognitive und mathematische Fähigkeiten auswirken können. Bei den im Folgenden skizzierten Untersuchungen muss bedacht werden, dass die Autoren dabei nicht die Intention hatten, etwas über die Entwicklung der mathematischen Kompetenzen von Kindern auszusagen, sondern über die kognitive Entwicklung im Allgemeinen. Allgemeine kognitive und mathematische Fähigkeiten lassen sich bei den vorliegenden Studien nur schwer trennen. Das liegt daran, dass dazu vor allem Untersuchungen aus dem Feld der Entwicklungspsychologie und Intelligenzforschung vorliegen. Daraus folgt beispielsweise, dass die im Zusammenhang mit Bauspiel häufiger untersuchten Aspekte Perspektivübernahme, Raumorientierung und Raumvorstellung, die zwar aus Sicht der Mathematikdidaktik auch als mathematische Fähigkeiten gelten, in diesen Studien eher als allgemeine kognitive Fähigkeiten oder Intelligenzfaktoren verstanden werden (vgl. Abschnitt 1.4.2). Dennoch ist es naheliegend, die Befunde auch als Hinweise für die Entwicklung mathematischer Fähigkeiten zu deuten, auch deshalb, weil es kaum Studien gibt, die explizit und systematisch den Einfluss von Bauspiel auf mathematische Fähigkeiten erforscht haben. Rost (1977, 117) hat im Rahmen einer Pilotstudie untersucht, ob eine Förderung des Intelligenzfaktors Raumvorstellung durch ausgewählte Spiele möglich ist. Die Forschung wurde mit Schulklassen im dritten Schuljahr unter folgender Fragestellung durchgeführt: „Läßt sich durch ein gezieltes sechswöchiges Spieltraining bei Schülern und Schülerinnen des 3. Schuljahres die Fähigkeit, sich in zwei- und dreidimensionalen Strukturen (gedanklich) zu bewegen, fördern?“ (Rost 1977, 121). Anders als der Begriff Spieltraining vermuten lässt, sah der Forschungsablauf vor, dass nach einer Einführung von vier Spielen diese für
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die Kinder zur freien Verfügung und zumindest teilweise freien Auswahl standen. Ein Blick auf die einbezogenen Spiele verdeutlicht, warum diese Studie im Zusammenhang mit Bauspielen bei Einsiedler (1999) Erwähnung findet. Neben zwei Spielen, die keine Bauaktivitäten beinhalten, konnten sich die Kinder mit dem „Soma-Würfel“ und dem Spiel „Cube-X3 “ beschäftigen. Diese beiden Spiele fokussierten stärker auf Bauen und deren Material wurde von den Kindern auch zum freien Bauen verwendet, wie in folgendem Zitat zum Spielmaterial von Cube-X deutlich wird. „Darüber hinaus boten sich die Duocuben geradezu als ‚Bauklötzchen‘ an; durch die Durchsichtigkeit der Würfel und die eingegossenen farbigen Markierungen wurde die ‚Architektur‘ des 3-D-Raumes besonders verdeutlicht, wobei sich oftmals Kombinationen von hohem ästhetischem Reiz ergaben“ (Rost 1977, 148). Das Feldexperiment bestand aus einem Vortest, der Spielphase und einem Nachtest. Im Vor- und Nachtest wurden jeweils dieselben vier Untertests zur Raumvorstellung eingesetzt. Dabei ergab sich für zwei der Untertests ein signifikanter Unterschied gegenüber den beiden Kontrollgruppen19 , sowohl hinsichtlich der Ergebnisse des Nachtests als auch hinsichtlich der Veränderung zwischen Vor- und Nachtest (vgl. Rost 1977, 182 ff.). Es kann laut Rost (1977) also festgestellt werden, dass häufiges Spielen von Spielen mit einem Bezug zur Raumvorstellung einen positiven Effekt auf die Entwicklung von Fähigkeiten der Raumvorstellung hat. Eine Interpretation dieser Ergebnisse im Hinblick auf Bauspiele, wie sie bei Einsiedler (1999, 111) erfolgt, lässt sich aus den Ausführungen von Rost (1977) eher nicht ableiten. Ich halte sie auch deshalb für problematisch, weil alle Kinder alle vier Spiele gespielt haben und das Herstellen eines Zusammenhangs zwischen den Ergebnissen und einem bestimmten Teil dieser Spiele damit nicht der Anlage der Studie entspricht. Während bezogen auf Raumvorstellung die begrifflichen Vorstellungen in der Psychologie und in der Mathematikdidaktik recht ähnlich sind, zeigt sich bei Burns und Brainerd (1979), dass das für den Aspekt der Perspektivübernahme nicht gilt. Perspektivübernahme wird von ihnen als eine Fähigkeit gesehen, die aus drei Elementen besteht. Zum einen aus der (visuellen) Wahrnehmung, das 19 Die eine Kontrollgruppe spielte ebenfalls Spiele, allerdings solche, die keinen Bezug zur Raumvorstellung aufwiesen. Die andere Gruppe hatte Unterricht. Rost (1977, 133) schreibt dazu: „Sie erhielten weiterhin – wie üblich – Schulunterricht durch den jeweiligen Klassenlehrer. Zur Verringerung (unerwünschter) Frustrationen dieser Kinder (‚die anderen dürfen spielen, und wir haben Unterricht‘) wurde mit den Lehrern vereinbart, diese Schulstunden jeweils nach dem Wunsch der Kinder mit schulüblichen aber allgemein von den Schülern als angenehm empfundenen Tätigkeiten (z. B. Fußballspiel, Sport, Vorlesestunde, Unterrichtsgang, Malen) zu gestalten und auf weniger attraktive schulübliche Tätigkeiten während dieser Stunden zu verzichten“.
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ist auch der Aspekt, der in der mathematikdidaktischen Auseinandersetzung eine Rolle spielt (vgl. Abschnitt 1.4.1). Zum anderen wird von einer kognitiven Perspektivübernahme gesprochen, damit ist die Fähigkeit gemeint, die Interessen und Vorlieben eines anderen Menschen einzuschätzen. Ein drittes Element, das hier genannt wird, ist die affektive Perspektivübernahme, worunter verstanden wird, dass man sich in einen anderen Menschen einfühlen kann und seine Emotionen wahrnimmt und versteht (vgl. Burns und Brainerd 1979, 515). Im Vor- und Nachtest wurden die drei Faktoren der Perspektivübernahme durch jeweils eigene Untertests untersucht. Es überrascht angesichts der Breite dieses Begriffsverständnisses von Perspektivübernahme nicht, dass sich die beiden Autoren in ihrer Studie sowohl für den Einfluss von kooperativen Bauspielen als auch für den von Phantasiespielen interessieren. Dabei haben sie erwartet, dass die Gruppe, die in der Untersuchung ein besonderes Setting zum Phantasiespiel durchlaufen hat, im Nachtest besser abschneidet als die Gruppe, die ein Bauspielsetting absolviert hat. Im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit und die Überlegungen in Abschnitt 1.4.2 ist es interessant zu wissen, ob sich kooperative Bauspiele besonders auf die Ergebnisse des Untertests, der die Perspektivübernahme als visuelle Wahrnehmungsfähigkeit messen sollte, ausgewirkt haben. Tatsächlich konnte die Studie bezogen auf alle Untertests einen Effekt der beiden Spielgruppen gegenüber der Kontrollgruppe, die kein besonderes Spielprogramm absolviert hat, nachweisen, nicht aber einen Unterschied zwischen den beiden Spielgruppen. Es ließen sich auch keine Unterschiede hinsichtlich der Ergebnisse der beiden Gruppen in den einzelnen Untertests erkennen. Diese Tatsache hatte wohl Einfluss auf folgende Erklärung von Burns und Brainerd (1979): „Although both play treatments produced learning effects, it is difficult, given the amorphous nature of play experiences, to be precise about the exact factors that were responsible for the observed improvements“ (Burns und Brainerd 1979, 519). Azmitia (1988) befasst sich in einer Studie damit, inwiefern sich gemeinsames Problemlösen von Kindern auf deren kognitive Entwicklung auswirkt. Im Hinblick auf das Thema Bauspiele ist das interessant, weil die in der Studie zu bewältigende Problemlöseaufgabe eine Bauspielsituation darstellte. Die fünf Jahre alten Kinder sollten jeweils komplexe Legomodelle nachbauen. Für die Studie wurden 80 Kinder – 40 Novizen und 40 Experten – durch Lehrereinschätzungen und Unterrichtsaufzeichnungen ausgewählt. Es wurden dann jeweils 10 Experten und 10 Novizen als alleine arbeitende Kinder bestimmt. Darüber hinaus wurden 10 gleichgeschlechtliche Paare in den Kombinationen Novize/Novize, Experte/Experte und Novize/Experte gebildet. Die Studie bestand aus einem mit jedem Kind einzeln durchgeführten Vor- und Nachtest, dazwischen gab es zwei Termine, an denen die Kinder je nach Zuordnung entweder alleine oder interaktiv
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an einer Bauaufgabe arbeiteten. Sowohl Vor- und Nachtest als auch die beiden Sitzungen dazwischen hatten das Nachbauen eines Legomodelles zum Gegenstand, wobei zwei verschiedene Legohäuser als Modelle fungierten. Ein Modell wurde für den Vor- und Nachtest genutzt, das andere für die Intervention. Im Nachtest gab es außerdem eine weitere Aufgabe: „The second generalization task was the block design subtest of the Wechsler Preschool and Primary Mental Intelligence Scale (WPPSI) (1967)“ (Azmitia 1988, 89). In dieser Aufgabe mussten ebenfalls Modelle nachgebaut werden. Die Bausituationen mit den Legosteinen waren jeweils auf 15 Minuten begrenzt, wurden videografiert und anschließend codiert. Eine zentrale Erkenntnis der Studie war, dass die Novizen, die mit einem Experten zusammenarbeiteten, sich am deutlichsten steigerten, wobei die verbale Interaktion, die grundsätzlich aufgabenbezogen war, sowie die Beobachtung des Experten und die Anleitung durch den Experten einen Einfluss hatten. Das was Azmitia (1988, 94) hier als Lernzuwachs bezeichnet, wurde in der Studie dadurch gemessen, dass die Exaktheit des Bauens bestimmt wurde. Dafür wurden für jede Platzierung oder Wegnahme eines Bauklotzes zwischen null und drei Punkten vergeben, je nachdem, welche der Dimensionen Farbe, Größe und Ort eines Bauklotzes korrekt waren. Wie Problemlösen und mathematisches Lernen hierbei zusammenhängen (könnten) und ob eine Verbesserung im Problemlösen gleichbedeutend mit einem Zuwachs mathematischer Fähigkeiten ist, dazu werden in dieser Studie keine Schlüsse gezogen. Allerdings liegt aufgrund der in der Studie zur Bewertung herangezogenen Aspekte Farbe, Größe und Ort der Bauklötze nahe, dass es Zusammenhänge mit mathematischen Fähigkeiten, wie dem Klassifizieren von dreidimensionalen Objekten nach ihrer Größe und dem Wahrnehmen von räumlichen Beziehungen, geben könnte. Hinsichtlich der Verwendung des Begriffs Problemlösen ist festzustellen, dass dieser auch über diese Studie hinaus häufig im Zusammenhang mit Untersuchungen zu Bauspielen genannt wird. In Abschnitt 2.2.2.2 wird deshalb detailliert betrachtet, inwiefern sich der Begriff des Problemlösens im Kontext von Bauspielen von der in Abschnitt 1.2.2 beschriebenen prozessbezogenen mathematischen Kompetenz Problemlösen unterscheidet und welches Verständnis von Problemlösen im Hinblick auf die Analyse von Bauspielaktivitäten in dieser Arbeit tragfähig ist. Ein weiterer Hinweis auf eine Verbindung zwischen Bauspielen und der Entwicklung mathematischer Fähigkeiten findet sich in der in Abschnitt 2.1.4.1 erwähnten und im Folgenden näher ausgeführten Studie von Wolfgang und Stakenas (1985). Die Autoren untersuchten, ob sich Spielsachen und Spielmaterialien, die Vorschulkinder zuhause haben, auf deren kognitive Entwicklung auswirken. Diese Annahme sahen sie durch diverse Erkenntnisse anderer Autoren
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gestützt. Wolfgang und Stakenas (1985) führten ihre Untersuchung mit 30 Vorschulkindern durch. Die kognitive Entwicklung der Kinder wurde mit einem standardisierten Testverfahren dem „McCarthy Scales of Children Abilities (1972)“ in Einzelsituationen gemessen (Wolfgang und Stakenas 1985, 294). Außerdem besuchten zwei Professoren aus dem Fach „child development“ das Zuhause der Kinder und protokollierten Art und Anzahl aller Spielsachen und Spielmaterialien, die dem Kind gehören (Wolfgang und Stakenas 1985, 295). Diese wurden dann zu Klassen zusammengefasst und nach Häufigkeit codiert: viele, einige oder keine vorhanden. Dabei gehen Wolfgang und Stakenas (1985, 296) für die Unterscheidung der Spielsachen zunächst von folgenden Spielformen aus: „constructional, symbolic and physical“20 . Bezogen auf den Aspekt Constructional stellen die Autoren fest, dass Konstruktion oder Herstellen im Spiel sowohl mit veränderlichen Materialien, wie Farbe oder Ton, als auch mit festen Materialien, wie Bauklötzen oder Puzzleteilen, stattfinden kann, und unterscheiden deshalb die beiden Kategorien „Fluid Construction“ und „Structured Construction“ (Wolfgang und Stakenas 1985, 296 f.). Wolfgang und Stakenas (1985) nehmen an, dass die jeweils damit einhergehenden mentalen Prozesse unterschiedlich sind und deshalb eine unterschiedliche Art der kognitiven Entwicklung mit diesen verbunden ist. In dieser Annahme zeigt sich ein Unterschied zu den in Abschnitt 2.1.2.2 dargestellten Überzeugungen von Hetzer (1931) und Bühler (1931), die für alle Formen von Konstruktions- und Herstellspielen denselben Entwicklungsverlauf darstellen und darin gleichzeitig einen Ausdruck für die kognitive Entwicklung eines Kindes sehen. Welcher Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein von Spielzeugen, die der Kategorie „Structured-Construction“ angehören, und mathematischen Fähigkeiten zeigt sich aber nun in der Studie von Wolfgang und Stakenas (1985)? Die Autoren finden einen signifikanten Zusammenhang mit den Subskalen „Verbal Development“, „Perceptual Performance“, „Quantitative Ability“ und „Memory“. Die Subskala Quantitative Ability steht dabei in einem besonders eindeutigen Bezug zur Mathematik. Sie wird gemessen durch Fragen zu Mengen und Zahlen, Zifferngedächtnis, Zählen und Sortieren. Wolfgang und Stakenas (1985, 302) erläutern, dass die Kategorie Structured Construction, wie erwartet, am besten die Fähigkeiten im Bereich Quantitative Ability vorhersagen kann. Sie begründen das folgendermaßen: „A clear theoretical connection can be made between structured toys such as blocks, logos, and puzzles which require the child to order, seriate 20 Die Autoren verweisen hinsichtlich der Auswahl von Spielformen als Kategorien für ihre Studie auf Piaget (1962). Die drei hier aufgezählten Spielformen werden als „Piagetian forms of play“ bezeichnet (Wolfgang und Stakenas 1985, 296).
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and classify, mental processes related to quantitative abilities“ (Wolfgang und Stakenas 1985, 302). Es fällt auf, dass sich das Vorhandensein von Spielzeugen zum Bauen und Konstruieren offensichtlich auf nahezu alle im Test erfassten kognitiven Fähigkeitsbereiche auswirkt. Die Autoren sehen darin eine Bestätigung für Piagets These, dass Konstruktions- und Herstellspiele eine besondere Kategorie darstellen und keine Spiele im engeren Sinne sind, sondern dass sie in Richtung Arbeit oder zumindest spontaner intelligenter Tätigkeit gehen. „Thus we see structured, work-like play as being the more consistent predictor across nearly all cognitive variables“ (Wolfgang und Stakenas 1985, 304). Wolfgang und Stakenas (1985, 305) nehmen trotz ihres Untersuchungsdesigns, welches nur die Art und Anzahl des vorhandenen Materials erfasst, an, dass die Interaktion von Kindern mit ihrer Umwelt sowie der konkrete Umgang mit den Spielsachen einen wichtigen Stellenwert hinsichtlich der kognitiven Entwicklung einnehmen und dass dies bei weiteren Studien berücksichtigt werden müsse. Wolfgang et al. (2001) untersuchen im Rahmen einer Längsschnittstudie, ob die Bauspielleistung von Vorschulkindern ein Vorhersagefaktor für spätere Mathematikleistungen in der Schule sein kann. Dafür testeten sie im Jahr 1982 genau 37 Vorschulkinder im Alter von vier Jahren mit der „Lunzer Five Point Play Scale (1955)“ (Wolfgang et al. 2001, 173). 1998 wurde nach Beendigung der High-School bei den selben Personen erfasst, welche Ergebnisse sie in der dritten, fünften und siebten Klasse erzielt haben und wie erfolgreich sie in Mathematik in der High-School waren21 . Die Studie konnte keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Bauspielleistung von Vorschulkindern und der Mathematikleistung in der dritten und fünften Klasse finden. Im Hinblick auf die Mittelstufe und die High-School-Stufe stellen Wolfgang et al. (2001, 178) fest: „That there is a statistical relationship between early block performance during preschool and achievement in mathematics.“ Als mögliche Erklärung für diese Ergebnisse verweisen die Autoren auf Piaget (1977), der davon ausging, dass erst mit etwa elf Jahren und damit zu Beginn der Mittelschule die Entwicklung der Stufe des 21 Die Lunzer Five Point Play Scale basiert auf den theoretischen Arbeiten von Piaget und bewertet das Spiel der Vorschulkinder auf einer fünfstufigen Skala. Beispielhaft werden für den niedrigsten und den höchsten Wert die beiden Beschreibungen angeführt: „One would be defined as ‘the materials [blocks] are used without regard to their physical or representational properties.’ The highest score of five would define play as using ‘the materials [blocks] … in a highly insightful manner, adapted to a concept that clearly transcends it.’“ (Wolfgang et al. 2001, 175). Zur Bestimmung der Leistungen in der fünften und siebten Klasse wurden die Ergebnisse standardisierter Mathematiktests sowie die Schulnoten in Mathematik eingeholt und der Erfolg in der High-School wurde anhand der belegten Kurse in Mathematik und der Mathematiknote festgestellt.
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formal-operationalen Denkens beginnt. Sie formulieren deshalb die Hypothese, dass die Studienteilnehmer, die im Vorschulalter hohe Bauspielleistungen gezeigt haben, dadurch die grundlegenden kognitiven Strukturen entwickelt haben, die sie befähigen, in der höheren abstrakten Mathematik, wie Geometrie, Trigonometrie und Analysis, gute Leistungen zu erbringen. Hanline et al. (2010, 1013) verweisen im Zusammenhang mit den Ergebnissen ihrer Studie, die ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen der Bauspielfähigkeit und den mathematischen Fähigkeiten im Elementarbereich finden konnte, auf den Begründungsrahmen von Wolfgang et al. (2001). Sie geben für ihre Studie darüber hinaus zu bedenken, dass vorschulisches Bauspiel möglicherweise nicht die Fähigkeiten im Bereich Zahlen & Operationen beeinflusst, die im Rahmen ihrer Studie als Mathematikleistungen erhoben wurden22 . Damit ist ein Problem sehr deutlich benannt, dass für alle hier aufgeführten Forschungsarbeiten gilt. Es gibt offensichtlich noch keine Anhaltspunkte dazu, welche mathematischen Fähigkeiten von Vorschulkindern durch Bauspiele gefördert und wie diese dann auch gemessen werden können. Darüber hinaus ist unklar, auf welche Weise die Leistung oder die Befähigung von Kindern bei Bauspielen am besten erfasst werden kann. Insgesamt ist festzustellen, dass die wenigen existierenden und hier dargestellten Studien keinen Zusammenhang zwischen der Entwicklung mathematischer Fähigkeiten und den Bauspielaktivitäten von Kindern aufzeigen. Hanline et al. (2010, 1014 f.) merken dazu an, dass weitere längsschnittliche Studien zwischen frühen Spielerfahrungen und späterem Lernen notwendig sind. Eine zentrale Einschränkung könnte dabei allerdings sein, dass die Mechanismen, mit denen sich Spiel auf die Entwicklung bestimmter Fähigkeiten auswirkt, bislang unklar sind und, wie oben beschrieben (vgl. Abschnitt 2.1.4.2), für sehr komplex gehalten werden. In den meisten Veröffentlichungen, in denen die Bedeutung von Bauklötzen oder Konstruktionsmaterialien für mathematisches Lernen oder kognitive Entwicklung hervorgehoben wird, lässt sich nicht erkennen, dass den alltäglichen Spielaktivitäten und Interaktionen der Kinder Bedeutung beigemessen wird. Insofern bleibt die Frage unbeantwortet, wie sich die alltäglichen Bauspielaktivitäten und Bauspielinteraktionen der Kinder auf deren mathematische Fähigkeiten auswirken. Obwohl also bislang auf diese Frage keine befriedigende Antwort gegeben werden kann, scheint ein Zusammenhang zwischen mathematischen Fähigkeiten und Bauspielen allgemein anerkannt zu sein. Das wird auch 22 Das Bauspiel wurde hier mithilfe der Bauwerke eingeschätzt, diese wurden hinsichtlich ihres darstellerischen Levels eingeordnet. Die Erhebung der Mathematikleistungen erfolgte mit dem „Test of Early Mathematical Ability (TEMA-2)“ von Ginsburg und Baroody (1990) (Hanline et al. 2010, 1010).
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deutlich, wenn man sich mit der Frage beschäftigt, ob und inwiefern in Bauspielsituationen mathematische Aktivitäten enthalten sind. Dazu finden sich in verschiedenen Veröffentlichungen durchaus recht unterschiedliche Antworten, wie im Folgenden gezeigt wird.
2.2.2
Mathematische Aktivitäten in Bauspielen
2.2.2.1 Zum Begriff mathematische Aktivität In Abschnitt 1.2 wurde thematisiert, dass eine Sichtweise auf Mathematik als Tätigkeit für den Vorschulbereich tragfähig sein kann. Diese Sichtweise scheint sich auch in dem Begriff mathematische Aktivitäten widerzuspiegeln, für den sich allerdings keine eindeutige Definition finden lässt. Schuler (2013, 143) verwendet in ihrer Arbeit den Begriff mathematische Aktivitäten und differenziert diesen weiter aus in „zahlbezogene mathematische Aktivitäten“ und „allgemeine mathematische Aktivitäten“. Unter zahlbezogenen mathematischen Aktivitäten werden solche Aktivitäten verstanden, bei denen sich Teilfähigkeiten eines Zahlverständisses erkennen lassen. Als allgemeine mathematische Aktivitäten nennt Schuler (2013, 156) vermuten, prüfen und begründen, wobei sie verdeutlicht, dass diese im Rahmen der zahlbezogenen Aktivitäten auftreten (müssen). Eine Sichtweise auf mathematische Aktivitäten, die über diese Idee von Schuler (2013) hinausgeht, findet sich bei Brandt (2017). Dort wird in Anlehnung an Bishop (1988) festgestellt, dass es sechs universelle mathematische Aktivitäten gibt, die in jeweils spezifischen Ausprägungen und mit unterschiedlichen Wechselbeziehungen auftreten: „counting“, „locating“, „measuring“, „designing“, „playing“, „explaining“ (Brandt 2017, 112 f.). Auch ohne diese Aktivitäten hier zu beschreiben, ist deutlich, dass sich die ersten drei erkennbar von den anderen abheben. Während counting, locating und measuring sehr deutlich auf die klassischen mathematischen Inhaltsbereiche Zahlen & Operationen, Raum & Form sowie Messen & Größen fokussieren, sind die anderen drei designing, playing und explaining so allgemein, dass zunächst unklar ist, warum diese als mathematische Aktivitäten gelten können. Die von Brandt (2017) vorgestellte Anwendung der sechs mathematischen Aktivitäten als nicht trennscharfe und sich überschneidende Kategorien zur Interpretation einer Bausituation bietet interessante Anhaltspunkte, wenn es um die Frage nach mathematischen Inhalten in Bauspielen von Kindern geht (vgl. Abschnitt 2.2.3). Den Versuch einer umfassenden Definition des Begriffs mathematische Aktivitäten unternimmt van Oers (2004). Ein Ausgangspunkt seines Begriffsverständnisses ist folgender Gedankengang. Der Mensch ist aufgrund seiner neurologischen
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Denkstrukturen in der Lage, „alle Denkvorgänge durchzuführen, die üblicherweise als ‚mathematisch‘ bezeichnet werden“ (van Oers 2004, 317). Demnach werden Handlungen, die sich aus bestimmten Situationen ergeben, von Pädagoginnen oder Eltern als mathematisch bezeichnet. „Diese Handlungen erlangen dann wiederum im Verständnis des Individuums eine bestimmte Bedeutung“ (van Oers 2004, 317). Laut van Oers (2004, 317) handelt es sich bei diesem Prozess der Auslese, Bezeichnung und Einschätzung bestimmter Handlungen als mathematisch um einen soziokulturellen Prozess, der bereits in der frühesten Kindheit anfängt, indem die Aufmerksamkeit des Kindes auf bestimmte Rhythmen, Muster, Regelmäßigkeiten, Ziffern, Mengen oder bestimmte Aktivitäten gelenkt wird. Die Ausführungen von van Oers (2004) münden schließlich in einer Definition für mathematische Aktivitäten, die verdeutlichen soll, dass eine bestimmte Handlung oder Aktivität niemals an sich „mathematischer Natur“ ist. „Es sind die Intention, aus der das Kind handelt, der Weg wie es handelt und das Ausmaß an Kongruenz der Handlungen mit den Regeln der Mathematik, die der Handlung erst das Attribut ‚mathematisch‘ verleihen“ (van Oers 2004, 325; Hervorh. im Orig.). Was van Oers (2004) mit den kursiv gedruckten Merkmalen einer Handlung meint, wird von ihm nicht ausdrücklich erklärt. Im Kontext des gesamten Textes wäre folgende Deutung denkbar. Van Oers (2004) nimmt das Problemlösen als übergeordneten Rahmen für mathematische Aktivitäten an, was nahelegt, dass mit Intention genau dieses Problemlösen gemeint sein dürfte. Er geht außerdem davon aus, dass mathematische Gesetzmäßigkeiten – explizit werden quantitative und räumliche Beziehungen genannt – zur Problemlösung genutzt werden, was eine mögliche Beschreibung für den Weg, wie das Kind handelt, darstellt (vgl. van Oers 2004, 314). Die Kongruenz mit den Regeln der Mathematik ergibt sich seiner Meinung nach in der Auseinandersetzung mit Erwachsenen, die auf die Einhaltung „soziomathematischer Normen [achten] […], sofern die Kinder nicht selbst die Verantwortung dafür übernommen haben“ (van Oers 2004, 325). Was van Oers (2004) unter soziomathematischen Normen versteht, wird in Abschnitt 2.2.2.4 weiter ausgeführt und dort in den Kontext der Bedeutung von Sprache und Kommunikation für mathematische Bildung im Bauspiel gestellt. Zwei Beispiele zeigen besonders gut, was für van Oers (2004, 323 f.) den Charakter mathematischer Aktivitäten ausmacht. Beide Beispiele sind deshalb interessant, weil sie sich auf Bauspiele beziehen. In einem Fall haben die Kinder eine Eisenbahnstrecke gebaut, die mathematische Aktivität entsteht nun, weil die Pädagogin die Kinder dazu motiviert, eine Zeichnung ihrer Strecke anzufertigen, die sie dann einer anderen Einrichtung schicken können, die das gleiche Eisenbahnsystem hat. Im zweiten Beispiel haben Kinder ein Schloss gebaut und greifen den Vorschlag der
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Pädagogin auf, die benötigte Anzahl der unterschiedlichen Bauklötze herauszufinden und in einem histogrammähnlichen Schema festzuhalten. Van Oers (2004) erläutert hier ausgehend von einer lerntheoretischen Perspektive, durch welche Anregungen beispielsweise von Fachkräften es im Spiel von Kindern zu mathematischen Aktivitäten kommt, wobei Bauspiele hierfür neben Rollenspielen nur als ein Ausgangspunkt gesehen werden. Im Unterschied dazu beschreiben Bruce et al. (1992c, 76), dass sie ein natürliches Potenzial von Kindern sehen, sich mit mathematischen Handlungen erfahrungsbezogen zu befassen: „In this chapter examples are offered of children’s natural capacity for engaging in mathematical action at the experiential level, driven sometimes by need, often by curiosity only, to check out possibilities.“ Dabei fällt auf, dass Bruce et al. die von ihnen beobachteten und beschriebenen mathematischen Aktivitäten explizit als erfahrungsbezogen bezeichnen. Was darunter zu verstehen ist, wird deutlich, wenn man den Kontext oder die Intention, die genannt wird, betrachtet. Das ist nach dem Verständnis von Bruce et al. (1992c, 76) nur manchmal die Notwendigkeit, beispielsweise ein bestimmtes Problem zu lösen, und oft die Neugier, Möglichkeiten und Grenzen herauszufinden. Geht van Oers (2004) davon aus, dass mathematische Aktivitäten die Begleitung eines Erwachsenen voraussetzen, der die Einhaltung bestimmter soziomathematischer Normen und die Verwendung bestimmter mathematischer Werkzeuge unterstützt, so nehmen Bruce et al. (1992c, 76) an, dass die Kinder durch selbständige erfahrungsbezogene mathematische Aktivitäten beginnen, verallgemeinerbare Regeln herzustellen, die auf der Entwicklung ihres mathematischen Verständnisses basieren. Sie unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen informeller Mathematik und formaler Mathematik und nehmen an, dass beim Mathematiklernen der Kinder dann Erwachsenen eine besondere Bedeutung zukommt, wenn es um die Verwendung geeigneter sprachlicher Mittel und um den Übergang von informeller zu formaler Mathematik geht. Ein Aspekt der in Abschnitt 2.2.2.4 noch betrachtet wird. Woran erkennen nun aber Bruce et al. (1992c), ob Kinder mit erfahrungsbezogenen mathematischen Aktivitäten befasst sind? Es sind ihrer Meinung nach bestimmte faszinierende oder verblüffende Situationen, die bereits Piaget und Garcia (1971) in anderen Kontexten beschrieben haben, die auch während der Interaktionen mit Bauklötzen entstehen: „In this context they often become spontaneously engrossed in seriating for its own sake as well as classifying, exploring topological relationships, lines, angles and surfaces, part-whole relationships, sequence, aspects of number, area and volume“ (Bruce et al. 1992c, 75). Sehr deutlich tritt in diesem Zitat zutage, dass es eine bestimmte Art der Auseinandersetzung ist, die mathematische Aktivitäten als solche auszeichnet. Es ist demnach
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weniger entscheidend, ob mathematische Zusammenhänge als Werkzeug oder Hilfsmittel zum Problemlösen genutzt werden, wie es van Oers (2004) beschreibt, sondern ob die mathematischen Beziehungen zum eigentlichen Gegenstand und unter Umständen auch zum Selbstzweck einer Situation werden. Diese Situationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Kindern ermöglichen, mathematische Beziehungen zu entdecken, zu erkunden und beispielsweise durch ihre Bauklotzarrangements auch mit anderen zu teilen. Trotz dieser Sichtweise spielt bei Bruce et al. der Aspekt des Problemlösens eine zentrale Rolle, was bei diesen aber weit über den Gedanken des Lösens mathematischer Probleme oder des Lösens von Problemen mit mathematischen Werkzeugen hinausgeht, wie im folgenden Abschnitt 2.2.2.2 dargestellt wird.
2.2.2.2 Problemlösen und Bauspiele Begriff und Definition von Problemlösen Das Thema Problemlösen nimmt in verschiedenen Veröffentlichungen zum Bauspiel einen besonderen Stellenwert ein. Bevor der Zusammenhang von Problemlösen und Bauspiel betrachtet wird, ist es sinnvoll, die mathematikdidaktischen Sichtweisen auf Problemlösen, die in Abschnitt 1.2.2 schon dargestellt wurden, noch einmal zusammenzufassen. Problemlösen gehört demnach zum Wesen mathematischen Tätigseins und bedeutet, dass man für eine Situation oder eine Aufgabe, die man noch nicht routinemäßig bewältigen kann, durch Variation oder Fortsetzung von Bekanntem oder Gegebenem eine Lösung findet. Für Benz et al. (2015) schließt das auch den Aspekt des Kreativseins und das Entdecken neuer Lösungswege mit ein. Selter und Wollring (2017, 66) beschreiben im Kontext der frühen mathematischen Bildung ganz ausdrücklich ein Beispiel, in dem es um Bauaktivitäten von Kindern geht. Problemlösen findet demnach statt, „wenn Kinder etwa regelmäßige Figuren aus Bauklötzen bauen (Treppen, Spiralen oder symmetrische Figuren)“. Wie bereits angesprochen, bleibt in diesen Beschreibungen der mathematische Kern des Problemlösens diffus. Van Oers (2004) bringt zum Ausdruck, dass die Lösung von Problemen durch das Nutzen quantitativer oder räumlicher Beziehungen erfolgen sollte und stellt damit einen erkennbaren Bezug zur Mathematik her. Darüber hinaus schreibt er, dass es um die Lösung von quantitativen und räumlichen Problemen geht. Demnach kann man von mathematischem Problemlösen sprechen, wenn mathematische Beziehungen genutzt werden, um quantitative und räumliche Probleme zu lösen. Die beiden im vorigen Kapitel vorgestellten Beispiele verdeutlichen, was van Oers (2004) damit meint. Die Kinder haben eine Eisenbahnstrecke gebaut und
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sollen einen Plan dazu zeichnen, das ist fraglos ein räumliches Problem. Um dieses zu lösen, muss das dreidimensionale und dazu noch ziemlich große Gebilde der realen Eisenbahnstrecke in eine zweidimensionale Darstellung übertragen werden. Es ist gut nachvollziehbar, dass dabei sowohl räumliche Beziehungen als auch Größenbeziehungen eine Rolle spielen. Es ist anzunehmen, dass auch das Zählen der Schienen in einer solchen Situation zu beobachten ist. Im anderen Beispiel haben die Kinder ein Schloss gebaut und sollten anschließend notieren, welche Bauklötze in welcher Anzahl dafür verbaut wurden. Wenn man von dem Problem der Unterscheidung der Klötze absieht, ist darin ein quantitatives Problem zu sehen. Für dessen Lösung wurde eine Tabelle erstellt, dabei dürften die Kinder neben dem Klassifizieren und Zählen jeweils gleicher Klötze für die histogrammartige Darstellung auch Größenvergleiche genutzt haben. Obwohl in den Beispielen ganz klar hervortritt, was in van Oers’ (2004) Sinne mathematisches Problemlösen ist, bieten seine Überlegungen noch keine gute Erklärung dafür an, ob beim Bauen der Eisenbahnstrecke oder des Schlosses ebenfalls mathematisches Problemlösen auftritt. Nun ist es nicht so, dass der Begriff des Problemlösens nur im Kontext mathematikdidaktischer Veröffentlichungen genutzt würde. Im Zusammenhang mit Bauspielen findet sich bei Einsiedler (1999, 111) ebenfalls der Begriff des Problemlösens. Das Verständnis, das hier zugrunde liegt, ist aber ein anderes, wie an seinem Kapitel „Konstruktionsspiel und Problemlösen“ zu erkennen ist, welches sich vor allem auf Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung bezieht. Problemlösen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Gegenstände verbunden, aufeinander oder zusammengestellt werden, um nach etwas zu fassen oder etwas ansonsten Unerreichbares zu erreichen. Das Problemlösen ist in diesem Kontext als Verstehen und Anwenden eines technischen Prinzips zu deuten (vgl. Einsiedler 1999, 115). Einsiedler (1999) verweist auf verschiedene Studien, die sich damit befasst haben, wie sich Bauspiele, gemeint sind hier vor allem Spiele mit bestimmten technischen Konstruktionsmaterialien, auf die anschließende Bewältigung entsprechender Problemlöseaufgaben auswirken. Abgesehen davon, dass die Ergebnisse der Studien keineswegs ein eindeutiges Bild ergeben, fällt auf, dass Problemlösen dabei als etwas verstanden wird, das nicht im Spiel, sondern außerhalb des Spiels stattfindet. „Entscheidend ist wohl die zunächst intuitive Erfahrung physikalischer Prinzipien im Spiel, die in Wiederholungen allmählich konsolidiert und bewusst werden und die dann u. U. zeitlich stark verzögert in Problemlösesituationen genutzt werden können“ (Einsiedler 1999, 116). Nach Einsiedlers (1999) Ausführungen lassen sich zwei Aspekte hervorheben. Problemlösesituationen erfordern Verständnis technischer oder physikalischer Prinzipien und sie
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sind nicht selbst Teil des Spiels, aber Bauspiele können den Kindern ermöglichen, entsprechende Erfahrungen zu sammeln. Eine weitere Perspektive auf Bauspiel und Problemlösen eröffnet sich bei Bruce et al. (1992d, 107 ff.). In einem Kapitel mit der Überschrift „CHILDREN BEING SCIENTIFIC AND SOLVING PROBLEMS“ (Hervorh. im Orig.) stellen die Autorinnen ihr Verständnis von Problemlösen dar und zeigen auf, inwiefern Problemlösen im Bauspiel der Kinder eine Rolle spielt. Interessant ist dabei deren Überlegung, wie die unterschiedlichen Komponenten Materialbeherrschung, physikalisches Wissen, logisch-mathematisches Wissen und Problemlösen zusammenhängen. Problemlösen ist für Bruce et al. (1992d, 117) mit den Prozessen des Erkundens und Experimentierens verbunden. Allerdings wird Problemlösen als zielgerichtet beschrieben, wohingegen Erkunden und Experimentieren ohne konkretes Ziel aus Interesse an der Erkundung selbst entstehen. In der Beobachtung des Bauspiels zeigt sich aber, dass bei den Erkundungstätigkeiten Probleme auftauchen, deren Lösung dann in den Fokus der Kinder rückt, oder dass andersherum das Problemlösen oft Nachforschungen mit sich bringt. Kreativität und Innovation werden in diesem Zusammenhang als für das Problemlösen wichtige Aspekte angenommen, die besonders durch das Bauspiel gefördert werden. Ähnlich wie Einsiedler (1999) beschreiben auch Bruce et al. (1992d, 117), dass durch Studien bislang nicht eindeutig belegt werden konnte, dass Bauspiele die Fähigkeit zum Problemlösen verbessern können. Die Autorinnen stellen aber fest, dass ihre eigene Studie eine direkte Verbindung zwischen den erkundenden Tätigkeiten mit den Bauklötzen und der Fähigkeit, die Bauklötze mit zunehmender Gewandtheit zur Herstellung einer großen Bandbreite an Dingen zu nutzen, zeigt. Darin sei insofern viel Problemlösen enthalten, als die Kinder für ihre Darstellungen aus Bauklötzen herausfinden müssen, welche Merkmale eines Objekts oder eines Vorstellungsbildes sich wie mit Bauklötzen verwirklichen lassen. Bruce et al. nehmen an, dass zwischen Erkunden, Spielen und Problemlösen allgemeine Verbindungen bestehen, die aber komplexer und indirekter sind, als es die experimentellen Studien erfassen konnten, mit denen der Nachweis einer direkten kausalen Beziehung angestrebt wurde (vgl. Bruce et al. 1992d, 118). Auch ohne dass Bruce et al. mit ihrer Studie die Verbindung genauer klären können, bleibt zumindest deren Aussage, dass sie im Bauspiel Problemlösen beobachtet haben. Was Situationen oder Aktivitäten charakterisiert, in denen sich Problemlösen zeigt, verdeutlichen sie an einigen Beispielen, die sie als klassische Konstruktionsprobleme bezeichnen. Instant Walls beschreibt das Problem, eine Wand, die aus einem Stück besteht, auf geeignete Weise abzustützen (vgl. Bruce et al. 1992d, 119). Die Verwendung von zylinderförmigen Bauklötzen führte
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dazu, dass verschiedene Lösungen dafür gefunden wurden, die Zylinder so einzubauen, dass sie auch in liegender Form an Ort und Stelle bleiben (vgl. Bruce et al. 1992d, 120). Aufgrund der Schwierigkeiten vieler Kinder, einen optimalen Handlungsablauf zur Überbrückung eines Zwischenraums zu finden, ist außerdem das sogenannte Überbrückungsproblem ein Beispiel (vgl. Bruce et al. 1992d, 120). Die beiden Bildfolgen in Abbildung 2.15 veranschaulichen zwei verschiedene Lösungswege für das Überbrückungsproblem und werden unten noch erläutert. Als letztes beschreiben die Autorinnen das Problem des Treppenbauens. Bruce et al. (1992d, 122) fällt dabei auf, dass die Kinder beharrlich eine Technik wählten, bei der die Bauklötze so gestapelt wurden, dass der folgende Bauklotz jeweils ein Stück über den vorherigen herausragte. In den Beispielen, über die die Autorinnen berichten, zeigt sich, dass diese häufig gewählte Technik besonders schwierig umzusetzen ist und die Treppen nach wenigen Klötzen einstürzen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die verschiedenen Ausführungen zu Problemlösen und Bauen unterschiedliche Probleme und Problemlösungen fokussieren. Während van Oers (2004) an mathematische Probleme und mathematisches Problemlösen gedacht hat, ist bei Bruce et al. (1992d) von Konstruktionsproblemen die Rede. Wie sich die Probleme bezeichnen lassen, die von Einsiedler (1999) beschrieben werden, ist indes offen. Das Problemlösen in dem von ihm dargestellten Kontext bedeutet, Werkzeuge herstellen und verwenden zu können, was eine eher unspezifische kognitive Fähigkeit darstellt. Nur Bruce et al. (1992d) beschreiben das Problemlösen von Kindern als einen Prozess, der direkt im Bauspiel vorkommt und dort beobachtet werden kann. Die von ihnen dargestellten Beobachtungen lassen die Schlussfolgerung zu, dass sich beim Bauspiel Konstruktionsprobleme ergeben können oder dass die Kinder sich diese selbst stellen. Die Lösung eines Konstruktionsproblems kann dann unter Umständen zum einzigen Inhalt des Bauspiels werden. Ob die von Bruce et al. beschriebenen Konstruktionsprobleme auch als mathematische Probleme verstanden werden können und inwiefern deren Lösung mathematisches Verständnis benötigt, lässt sich nur teilweise klären, wie im Folgenden deutlich wird. Die oben genannte, von Bruce et al. (1992d) gewählte Kapitelüberschrift lässt vermuten, dass Problemlösen hier eher in Verbindung mit naturwissenschaftlichen Tätigkeiten gesehen wird. Betrachtet man die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen im Kapitel, zeigt sich, dass bestimmte naturwissenschaftliche Inhalte genannt und auch als solche deklariert werden: „From long term observation it is possible to forecast some of the scientific […] content […]. We have seen children studying the properties of the material, balance, levers, the effects of movement, inclined planes, static and dynamic forces, cause and effect relations, structures and
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systems“ (Bruce et al. 1992d, 116). Andererseits werden auch bestimmte mathematische Inhalte beschrieben: „Each block has several faces, edges and corners that remain in the same spatial relationship to each other despite successive spatial transformations of the whole block, such as we see […] as children experimented in reorienting particular blocks“ (Bruce et al. 1992d, 113). Für die Klärung der Frage, ob die beschriebenen klassischen Konstruktionsprobleme mathematische Probleme sind oder nicht, stellen die Beobachtungen von Bruce et al. zum Überbrückungsproblem einen möglichen Anhaltspunkt dar.
Abbildung 2.15 Lösungen für Überbrückungsproblem (Bruce et al. 1992d, 121 f.)
In Abbildung 2.15 sind zwei Lösungsvarianten für das Problem gezeigt, für die beiden Varianten erscheint eine jeweils unterschiedliche Deutung plausibel: • Links in der Abbildung ist das mathematische Problem dargestellt, dass die Überbrückung nicht gelingt, weil die beiden Klötze zunächst genauso weit auseinanderstehen, wie der Überbrückungsstein lang ist. Die Lösung besteht darin, den Stein, der hier als Abstandshalter eingesetzt wurde und zunächst zwischen den aufrechtstehenden Klötzen liegt, nun unter diese Klötze zu platzieren und damit den Abstand zu verringern. • An dem Handlungsablauf, der rechts in der Abbildung dargestellt ist, kann gezeigt werden, dass das Überbrückungsproblem auch als technisches Problem gedeutet werden kann. Hier beginnt das Kind sein Bauwerk nur mit den Klötzen A und B, die es, wie im Bild zu sehen ist, zunächst so aufeinanderlegt, dass sie die Ecke x bilden. Aus statischen Gründen ist es nun aber nicht möglich, dieses Gebilde loszulassen, um einen dritten Stein herbeizuholen. Im zweiten Anlauf werden deshalb zunächst die zwei Steine A und C platziert und dann wird der Stein B wiederum so auf Stein A gelegt, dass beide die Ecke
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x bilden. Um mit Stein B nun die (zu große) Entfernung bis zu Stein C zu überbrücken, wird Stein A schräg gestellt, was wiederum ein nicht standfestes Gebilde ergibt. Im dritten Versuch wird ein weiterer Stein (D) zwischen A und C gestellt, dieser fungiert hier quasi als Stützpfeiler. Wenn nun die gewünschte Ecke mit den Steinen A und B gebildet wird, liegt Stein B stabil, weil er auch auf Stein D aufliegt. Jetzt kann die Entfernung zwischen A und C angepasst werden, indem Stein C an die gewünschte Stelle geschoben wird. Diese Überlegungen legen nahe, dass sich eine Unterscheidung in mathematische Probleme und beispielsweise technische Probleme gar nicht aus dem Problem selbst ergibt, sondern erst anhand des Lösungsweges deutlich wird. Das erinnert an die These von van Oers (2004), dass der Weg, wie ein Problem gelöst wird, darüber entscheidet, ob es sich um eine mathematische Aktivität handelt. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass Kinder in ihren Bauspielen Problemen begegnen, bei deren Lösung sie unter anderem mathematische Beziehungen erkennen und nutzen können. Ich halte es aufgrund der Ausführungen oben aber nicht für angebracht, das Problemlösen beim Bauspiel mit mathematischem Problemlösen gleichzusetzen. Für die Analyse von Bauspielsituationen in meiner eigenen Studie lässt sich folgern, dass es für eine mathematikdidaktische Deutung von Bauspielsituationen interessant ist, auf Lösungswege von Kindern zu achten, wenn ihnen Konstruktionsprobleme begegnen. Damit steht allerdings die Frage im Raum, welchen Anteil Konstruktionsprobleme beziehungsweise Problemlösen an Bauspielen von Kindern haben. Im folgenden Kapitel werden Ausführungen zum Prozess und zum Ablauf von Problemlösen gemacht, die dabei helfen können, das Verhältnis von Bauspiel und Problemlösen zu verstehen. Prozess und Ablauf von Problemlösen Neben der Überlegung, ob oder wie Problemlösen beim Bauspiel als mathematisch identifiziert werden kann, ist für die vorliegende Arbeit interessant, dass Bruce et al. (1992d, 123) Problemlösen als einen Prozess verstehen, der verschiedene Teilprozesse umfasst. Diese Teilprozesse, die als „planning“, „making and monitoring“ und „evaluation“ bezeichnet werden, zeigen sich, wenn ein Kind ein bestimmtes Ziel verfolgt. Die Autorinnen nehmen an, dass die drei Aspekte, wie in Abbildung 2.16 gezeigt, zusammenhängen. Die folgenden Erläuterungen zu den drei Elementen des Problemlöseprozesses sind im Hinblick auf die Analyse meiner Beobachtungen besonders aufschlussreich, wie auch in den Abschnitt 3.3.3.1 und 4.2 deutlich wird.
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Planung: Bei jungen Kindern kommen Planung und Handlung gleichzeitig vor, aber allmählich entsteht auch Planung vor der Handlung. (Bruce et al. 1992d, 123; Übers. E. Henschen). Überwachung: Die Umsetzung eines Plans benötigt ständige Kontrolle oder Selbstkontrolle. Es muss quasi überprüft werden, ob alles nach Plan läuft. Bei der Selbstüberwachung verwenden Kinder häufig Selbstgespräche und übernehmen dabei solche Bemerkungen, Warnungen, Hinweise, Strategien und Kommentare, die sie schon früher bei anderen gehört haben (vgl. Bruce et al. 1992d, 124). Evaluation: Eine typische Art der Bewertung fordern Kinder ein, wenn sie Erwachsene bitten, zu kommen und das Gebaute anzuschauen. Kinder evaluieren ihre eigenen Gebilde aber auch selbst, indem sie diese im Fantasiespiel nutzen, beispielsweise in Verbindung mit Bauernhoftieren, Autos, Spielfiguren usw. In diesem Zusammenhang bemerken sie Unzulänglichkeiten im Design oder der Bauweise ihres Objektes, was dazu führt, dass Überarbeitungen vorgenommen werden (vgl. Bruce et al. 1992d, 125).
Abbildung 2.16 Problemlöseprozess (Bruce et al. 1992d, 124)
Diese Unterteilung des Problemlöseprozesses verdeutlicht auf schlüssige Weise, dass die konkreten Bauspielaktivitäten von Kindern, auch wenn sie gleichermaßen dem Problemlösen dienen, entsprechend der verschiedenen Teilprozesse ganz unterschiedlich aussehen können. Allerdings erklären Bruce et al. (1992d, 123 ff.) in ihren Ausführungen die verwendeten Begriffe und die gewählte Darstellung des Prozesses nur unvollständig. Was beispielsweise unter dem Begriff „Making“ verstanden wird, bleibt offen. Man kann nur vermuten, dass
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damit die konkrete Handlung mit dem Baumaterial, also das Bauen gemeint ist. Der Problemlöseprozess wird von Bruce et al. (1992d, 124) als Kreis mit Pfeilen zwischen den drei Teilprozessen in jeweils beide Richtungen abgebildet, erläutert wird er aber im Sinne eines Kreislaufs, der die Elemente Planung, Überwachung und Evaluation der Reihe nach durchläuft. Möglicherweise sollen mit den Doppelpfeilen auch Wechselwirkungen zwischen den Teilprozessen ausgedrückt werden. Der von Bruce et al. dargestellte Problemlöseprozess und die von ihnen gewählten Teilprozesse finden sich in ähnlicher Weise bei Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell (1999, 68) wieder. In ihrem Buch „Supporting Science, Design and Technology in the Early Years“ beschreiben sie das unten dargestellte heuristische Modell (vgl. Abbildung 2.17) als das erste von vielen „Rezepten“, um sich im Bereich Design, Konstruktion und Technologie zu betätigen, wobei der Bezug zum Problemlösen in folgender Aussage deutlich wird: „Children should come to understand that there are countless other ways to solve problems, and that as they become more experienced they will develop their own strategies“ (Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell 1999, 67). Die Autoren betonen, dass ihr Modell mit den englischen Lehrplanvorgaben für Design und Technologie übereinstimmt und dass die drei durch das Modell gekennzeichneten Felder „designing“, „making“ und „evaluating“ die zu erwerbenden Fähigkeiten von Kindern im Bereich Design und Technologie benennen. Die Darstellung des Prozesses als geschlossener Kreislauf wird damit erklärt, dass ein bestimmtes Vorhaben mehrere Durchläufe umfassen kann, bis die Lösung zufriedenstellend ist (vgl. Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell 1999, 68). Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell (1999, 67 f.) gehen davon aus, dass es notwendig ist, für die Kinder Gelegenheiten zum Üben dieser, aus den drei Teilprozessen bestehenden, Heuristik zu schaffen, damit sie sich beim Konstruieren und Problemlösen als erfolgreich erleben können und ihre eigenen Schemata entwickeln können. Evaluate umfasst dabei das Bewerten sowie Vergleichen und ist notwendig, damit die Kinder eigene Entscheidungen treffen können. Making kann als Herstellen nach einer Vorgabe oder einem Plan verstanden werden. Designing wird als komplexer Prozess beschrieben, der darin besteht, etwas zu planen und dabei bestimmte Rahmenbedingungen zu berücksichtigen (vgl. Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell 1999, 68 ff.). Problematisch scheint in der Darstellung von Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell (1999), dass der Begriff Designing doppelt genutzt wird. Zum einen bezeichnet er ein Element des Kreislaufes, zum anderen steht er auch für den Prozess, der durch den ganzen Kreislauf abgebildet wird. Die von Bruce et al. (1992d) für diesen Teilprozess verwendete Bezeichnung
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Abbildung 2.17 Heuristisches Modell (Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell 1999, 68)
Planning scheint hier eine gute Alternative zu sein. Vergleicht man die Ausführungen von Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell (1999) mit denen von Bruce et al. (1992d), ist über diesen Begriffsunterschied hinaus ein großer Unterschied in den vertretenen Positionen erkennbar. Bruce et al. (1992d, 123) geht es darum, darzustellen, dass die Schritte, die ein Kind beim Problemlösen von sich aus durchläuft, wenn es ein bestimmtes Ziel erreichen möchte, systematisch sind. Daraus folgt, dass den Kindern eben kein Ablaufrezept für Problemlösen oder Produktentwicklung vorgegeben werden muss. Allerdings bleibt offen, woraus die beiden Autorinnen die drei in ihrem Schaubild dargestellten Elemente eines Problemlöseprozesses ableiten. Nachdem in Abschnitt 2.1.5 als Grundlage für die vorliegende Arbeit definiert wurde, dass Bauspiele die Spiele sind, bei denen die Kinder mehr oder weniger zielstrebig ein dreidimensionales Spielprodukt herstellen wollen, legen die Ausführungen oben zum Problemlöseprozess und zu den Teilprozessen des Problemlösens nahe, dass Bauspielaktivitäten auch Problemlöseprozesse sind. Hinsichtlich des Verhältnisses von Bauspielen und Problemlösen ist also festzuhalten: Wann immer Kinder damit beschäftigt sind, aus Bauklötzen ein bestimmtes Bauwerk herzustellen, handelt es sich dabei gleichzeitig um ein Problemlösen.
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2.2.2.3 Muster & Strukturen und Bauspiele In der in Abschnitt 2.2.2.1 zitierten Auflistung erfahrungsbezogener mathematischer Aktivitäten nach Bruce et al. (1992c, 75) sind neben quantitativen und räumlichen weitere mathematische Aspekte erkennbar. Mit der Betonung des Seriierens und Klassifizierens lässt sich eine besondere Verbindung zu Mustern und Strukturen erkennen, wie auch in folgender Aussage deutlich wird: „The children’s positive and confident approach to mathematics is perhaps captured at its best in their creative geometry and pattern-making“ (Bruce et al. 1992c, 91). In diesem Kapitel wird deshalb darauf eingegangen, welche Bedeutung Muster und Strukturen für die Analyse von mathematischen Aktivitäten in Bauspielsituationen haben. Viele der bei Bruce et al. (1992c) dargestellten Abbildungen von Bauwerken (Abbildung 2.14 in Abschnitt 2.1.4.3 und Abbildung 2.18 auf dieser Seite) legen nahe, dass beim Bauen mit den verwendeten Unit Blocks häufig Muster hergestellt werden. Interessant ist nun, wie die Autoren das im Hinblick auf dessen mathematische Bedeutung einschätzen. Bruce et al. (1992c, 80) beschreiben unter der Überschrift „Patterning“, dass das Vorgehen junger Kinder laut Bruner (1973) als „modularization“ bezeichnet werden kann und dass dieses besonders offensichtlich wird, wenn Muster erzeugt werden, in denen eine Verschiebung vorkommt. „The child uses one or more blocks, then repeats this along a straight line“ (Bruce et al. 1992c, 80). Dabei können ihrer Meinung nach auch Spiegelung und Drehung eine Rolle spielen. Sie gehen davon aus, dass dieses Herstellen gleichmäßiger Muster zunächst von dem visuellen und kinästhetischen Eindruck abhängig ist, aber dass es, wenn die Kinder beim Bauen ihrer Bauwerke allmählich reflektierter werden, zunehmend von Regeln geprägt ist, die auf mathematischen Beziehungen beruhen.
Abbildung 2.18 Bauklotzarrangements (Bruce et al. 1992c, 81)
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Es ist an dieser Stelle hilfreich, den Begriff mathematische Beziehungen in dem von Bruce et al. (1992c) verwendeten Sinne zu betrachten. Die Autorinnen unterscheiden in Anlehnung an Piaget zwei Arten von Wissen. Die eine ist das Wissen über physikalische Eigenschaften, wie Festigkeit, Gewicht sowie Materialverhalten unter verschiedenen Voraussetzungen. Die andere wird als logisch-mathematisches Wissen bezeichnet, das abstrakte Ideen umfasst, wie Gleichheit und Verschiedenheit oder zwei und der Zweite. Diese abstrakten Ideen gehen über das hinaus, was beobachtbar ist, und sind verallgemeinerbar. Die mathematischen Beziehungen spielen dabei insofern eine Rolle, als das logischmathematische Wissen genau diese zum Gegenstand hat. Es dient dazu zwei oder mehr Objekte hinsichtlich ihrer physikalischen Merkmale, wie beispielsweise Größe, Gewicht, Farbe oder Form, zueinander in Beziehung zu setzen (vgl. Bruce et al. 1992c, 84). Eine Verbindung zwischen diesem Gedanken und dem Thema Muster wird in folgender Aussage von Bruce et al. (1992c, 85) deutlich: „Mathematics is often described as the search for relationships and pattern.“ Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Bruce et al. (1992c, 78 f.) die beobachteten und möglichen mathematischen Aktivitäten so beschreiben, als ob sie direkt aus dem verwendeten Material entspringen. Sie äußern beispielsweise hinsichtlich der Herstellung eines bestimmten Bauklotzarrangements, dass das Kind dabei die mathematischen Beziehungen zwischen den Klötzen genutzt habe. Außerdem wird folgendes festgestellt: „A set of unit blocks [Abbildung 2.12] has an internal logic that challenges the young child to explore, experiment and problem solve. First, there are units of length that can be added, multiplied or divided. Second there are dissected shapes and volumes that can be fitted together“ (Bruce et al. 1992c, 78 f.). Das Zitat legt nahe, dass die Möglichkeit, mathematische Beziehungen zu erkennen und deshalb bei der Herstellung und Deutung von Bauklotzarrangements Muster zu berücksichtigen, durch das verwendete Material beeinflusst wird. So ist es unmöglich, dass beim Bauen mit den Klötzen des von Hetzer (1931) propagierten Bausacks, der ausschließlich ungleiche und unregelmäßige Formen enthält (vgl. Abschnitt 2.1.2.3), Muster entstehen, in denen mathematische Beziehungen erkennbar werden. Bruce et al. (1992c, 79) selbst heben den Unterschied zwischen dem Material der Unit Blocks und MontessoriMaterialien sowie Cuisenaire-Stäben hervor, indem sie erläutern, dass nur die Unit Blocks den Kindern ermöglichen, durch die Beschäftigung mit eigenen kreativen Ideen mathematische Beziehungen zu entdecken. Die Autorinnen bescheinigen dem Material außerdem „open-endedness“, was man so verstehen kann, dass das Material unbegrenzte oder unzählige Möglichkeiten für Musteraktivitäten bietet, weshalb sie auch vorschlagen das Material als „Rohmaterial“ einzuordnen (Bruce et al. 1992c, 79).
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2.2.2.4 Sprache und Kommunikation und Bauspiele In Abschnitt 2.2.2.1 wurde bereits angedeutet, dass die Diskussion, ob eine Situation oder Aktivität als mathematisch bezeichnet wird, auch die Bedeutung von Sprache und Kommunikation thematisieren muss. Wenn van Oers (2004) annimmt, dass es bestimmte soziomathematische Normen gibt, dann weckt bereits der Begriff den Gedanken daran, dass dem Austausch mit anderen besondere Bedeutung zukommt. Die soziomathematischen Normen, die van Oers (2004, 325) auch als Meta-Regeln bezeichnet, dienen der Organisation der mathematischen Aktivitäten. Die darin unter anderem enthaltenen Forderungen nach Klarheit und Eindeutigkeit stellen demnach einen Grundsatz der Kommunikation dar, auf den die Fachkraft in ihrer eigenen Sprache und bei der Kommunikation der Kinder untereinander achten soll (vgl. van Oers 2004, 326). Die Bedeutung, die van Oers auf diese Weise den Regeln der Mathematik beimisst, legt nahe, dass er hier besonders an formale Mathematik denkt. Anders als van Oers (2004) fokussieren Bruce et al. (1992g) stärker auf die informelle Mathematik und stellen dar, inwiefern die Sprache der Kinder eine Hilfe zur Reflexion und Abstraktion sowie ein Mittel ist, um mathematische Ideen zu kommunizieren. „The inter-relationship between the development of mathematical ideas and language has been discussed by various writers“ (Bruce et al. 1992g, 93). In den Ausführungen von Bruce et al. zu dieser Aussage sind zwei Überlegungen besonders interessant. Die eine ist, dass Wörter oder Sprache eine wichtige Rolle spielen, wenn neue Ideen, die aus Handlungen resultieren, mit dem vorhandenen Wissen verbunden werden sollen. Die andere Überlegung ist, dass Kinder nicht warten bis sie Sprache oder Wörter zur Verfügung haben, die den sich entwickelnden Konzepten entsprechen, sondern, dass sie die schon erworbenen sprachlichen Mittel für den aktuellen Zweck nutzen. An verschiedenen Beispielen verdeutlichen Bruce et al. (1992g), wie Kinder ihre sprachlichen Fähigkeiten einsetzen, um das Mathematische in einer Situation zu fassen. Als ein Beispiel dafür nennen Bruce et al. (1992g, 93), dass ein Kind seine aus Bauklötzen hergestellte Umrandung als eine Wand, in die man hinein kann, bezeichnet, wobei sie nicht erläutern, worin sie das Mathematische in dieser Äußerung sehen. Besonders ausführlich werden in diesem Zusammenhang auch die Namen für die unterschiedlichen Bauklötze thematisiert, deren Bezeichnung, wenn sie sich auf die Form und/oder Größe bezieht, ja durchaus eine Abstraktion darstellt, die auf den mathematischen Beziehungen der Bauklötze beruht. Allerdings merken Bruce et al. (1992g, 97) dazu an, dass die Verwendung bestimmter Wörter für die Benennung von Bauklötzen noch nicht als Zeichen dafür gewertet werden kann, dass die dahinterliegende Abstraktion verstanden wird.
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Es ist aufschlussreich, die Überlegungen von Bruce et al. (1992g) zu den Bauklotzbezeichnungen noch genauer zu betrachten. So berichten die Autorinnen, dass von den Kindern vorwiegend solche Bezeichnungen gewählt wurden, die das Aussehen im Vergleich zu bekannten Dingen beschreiben. Beispiele sind der Bauklotz in T-Form, der als Unterhose bezeichnet wurde, oder der schmale zylinderförmige Bauklotz, der Wurst oder Nudelholz genannt wurde. Die Aufgabe für Kinder und Fachkräfte, die sich laut Bruce et al. (1992g, 95) nun stellt, ist die Suche nach verallgemeinerbaren Bezeichnungen, um Ideen von einem Kontext in einen anderen übertragen zu können. Die Verwendung von allgemeinen Begriffen, wie beispielsweise zylinderförmig, ermöglicht erst, die gemeinsamen Eigenschaften aller Objekte, die so bezeichnet werden können, in den Blick zu nehmen. Bruce et al. (1992g, 105) schreiben Bauklötzen deshalb das Potenzial zu, die Lücke zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten bzw. den im lebensweltlichen Kontext eingebetteten, konkreten Begriffen und den abstrakten, kontext-freien, verallgemeinernden Begrifflichkeiten überbrücken zu können. Damit hängt schließlich auch der Übergang von informeller Mathematik, die die Bewältigung einer konkreten Situation auf ganz praktischer Ebene umfasst, hin zu formaler Mathematik, die von diesen konkreten Erfahrungen abstrahiert und eine formale mathematische Sprache und Symbole verwendet, zusammen (vgl. Bruce et al. 1992g, 97). Inwiefern sich Mathematisches im Bauspiel von Kindern in der Sprache und Kommunikation von Kindern untereinander zeigen kann, wird in einer Untersuchung von Ramani et al. (2014) deutlich. Die Autoren nehmen diesbezüglich an, dass die Kommunikation zwischen Peers während des Bauens mit Klötzen auch die wichtige Diskussion mathematischer und räumlicher Konzepte ans Licht bringen kann, über die aber bislang wenig bekannt ist (vgl. Ramani et al. 2014, 327). Die Studie von Ramani et al. (2014) basiert, anders als die Beobachtungen von Bruce et al. (1992g), auf geführten Bauspielaktivitäten. Geführtes Spiel wird dabei als eine Möglichkeit angesehen, Kinder in Spielaktivitäten zu bringen, die zum Curriculum passen und lernförderlich sind. An der konkreten Untersuchung nahmen 40 vierjährige und 36 fünfjährige Kinder teil. Immer Paare von gleichaltrigen Kindern hatten die Aufgabe, aus quaderförmigen Pappbauklötzen unterschiedlicher Größe ein Haus zu bauen, das die Dinge enthalten soll, die typisch für ein Haus sind. Im Detail wurden vier Wände, eine Möglichkeit hineinzukommen und mindestens zwei Räume gefordert. Die Kinder hatten dafür acht Minuten Zeit und wurden nicht explizit aufgefordert zusammenzuarbeiten. Alle Interaktionen der Kinder wurden videografiert und kodiert, wobei jeweils die Gespräche, Bauaktivitäten und entstandenen Strukturen in den Blick genommen wurden. Dabei
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war es auch ein Ziel, Zusammenhänge zwischen diesen Aspekten zu ermitteln (vgl. Ramani et al. 2014, 328). Im Hinblick auf die Kommunikation der Kinder haben sich die Autoren besonders für zwei Gesichtspunkte interessiert. Zum einen interessierten sie sich dafür, welcher Anteil der gesamten Kommunikation auf aufgabenbezogene Gespräche zwischen den Kindern entfallen ist. Zum anderen analysierten sie, worum es in den aufgabenbezogenen Gesprächen ging (vgl. Ramani et al. 2014, 329). Dafür wurde die Rubrik „aufgabenbezogene Gespräche“ in die, in Tabelle 2.3 dargestellten, Kategorien unterteilt. Diese Kategorien stellen Ramani et al. (2014, 329) zufolge eine Bearbeitung von Kategorien von Reifel und Greenfield (1982) und Seo und Ginsburg (2004) dar. Betrachtet man die Bezeichnungen und Definitionen in der Tabelle, so findet man auch mathematische Aspekte. Ramani et al. (2014, 331) verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff „math-related concepts“, wozu Zahlbeziehungen und räumliche Beziehungen gehören. Die Kategorie Menge, welche neben Äußerungen zur Anzahl interessanterweise auch zeitliche Beschreibungen umfasst, und der räumliche Aspekt, welcher sowohl Äußerungen zur räumlichen Anordnung als auch solche in Bezug auf Größe und Dimension zusammenfasst, sollen die mathematikbezogenen Konzepte, über die Kinder sprechen, erfassen. Die anderen beiden Kategorien „Symbol“ und „Structure design composite“ gelten hier nicht als auf Mathematik bezogen.
Tabelle 2.3 Definitions and examples of peer communication (Ramani et al. 2014, 330) Variables
Definions Refers to the symbolic representaon of a block
Examples „This is a door.“ „I’m making a door.“
Design reference
Describes design of the structure, future acons, or building behavior
„I’m going to put more blocks.“
Restructuring reference
Refers to restructuring the house due to a problem
„We need to make it so it doesn’t fall down.“
Numbers
Refers to amount or number of blocks or features in the structure
„We need more blocks on this side.“ „Here’s two windows.“
Time-related
Refers to the amount of me le in the interacon
„We only have a few minutes le.“
Spaal arrangement
Refers to placement of relave spaal arrangement of blocks
„This should be on top.“ „Move this closer to here.“
Size or dimensions
Refers to the dimensions or size of the blocks or the structure
„This one is too small.“ „We need to make it bigger.“
Symbol Structure design composite
Quanty composite
Spaal
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Im Ergebnis zeigt die Untersuchung von Ramani et al. (2014, 331), dass die aufgabenbezogenen Gespräche zu einem größeren Teil das, was dargestellt wurde, sowie die Bauart betreffen und nur zu einem kleineren Teil die mathematikbezogenen Konzepte Zahlbeziehungen und räumliche Beziehungen. Im Hinblick auf die Analyse der Bauspielaktivitäten in meiner Studie könnte ein wichtiger Gesichtspunkt sein, dass es möglich ist, mit Kategorien zu arbeiten, die sich nicht gegenseitig ausschließen, und Gesprächsbeiträge dann mehreren Kategorien zuzuordnen, wie das auch in dieser Studie realisiert wurde (vgl. Ramani et al. 2014, 329). Aufgrund der von Ramani et al. (2014) gewählten Definitionen und Beispiele für die Kategorien und meiner eigenen Beobachtungen von Bauspielsituationen fällt zweierlei besonders auf. Zum einen scheint die Kategorie „Time-related“ gegenüber den anderen aus dem Rahmen zu fallen, da sie sich als einzige nicht auf die konkreten Objekte des Bauens bezieht. Zum anderen legen sowohl die Definitionen als auch die Beispiele der Kategorien „Numbers“, „Spatial arrangement“ sowie „Size or dimensions“ nahe, dass es dabei immer auch um Aspekte der Kategorien „Design reference“ oder „Restructure reference“ geht. Es sieht so aus, als ob die Verwendung mathematikbezogener Konzepte immer mit einer Bezugnahme auf Strukturen in den Bauobjekten einhergeht. Ein besonderes Anliegen von Ramani et al. (2014, 333) war es, mit der Studie Zusammenhänge zwischen dem, was gesprochen und dem, was gebaut wurde, zu finden. Die Autoren stellen fest, dass es sehr unterschiedlich war, wie viel die Kinder miteinander gesprochen haben und dass, wenn gesprochen wurde, vorwiegend aufgabenbezogene Gespräche geführt wurden. Es ließ sich kein Bezug zwischen der Anzahl an Gesprächen und der Komplexität oder den Eigenschaften des Gebauten finden. Für Ramani et al. (2014, 333) deutet das darauf hin, dass nicht die Quantität der Gespräche von Kindern, sondern die Qualität der Gespräche mit den gebauten Strukturen in Verbindung steht. Es zeigte sich in den Ergebnissen im Einzelnen, dass Paare von Kindern, bei denen der Anteil der auf räumliche Gegebenheiten bezogenen Gespräche höher war, solche Strukturen bauten, die mehr Eigenschaften eines Hauses enthielten (vgl. Ramani et al. 2014, 332). „Our results […] suggest that in order to build symbolic features of a house, children communicated specifically about the spatial relations between the blocks“ (Ramani et al. 2014, 333). Interessant ist hierbei die Erkenntnis der Autoren, dass sich die Gespräche über räumliche Aspekte umso stärker auf die Struktur des Gebauten auswirken, desto mehr die Handlungen der beiden Kinder beim Bauen aufeinander abgestimmt waren (vgl. Ramani et al. 2014, 333). Damit ist beispielsweise gemeint, dass ein Kind einen Bauklotz aus der Kiste nimmt und ihn dem anderen Kind gibt.
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2.2.2.5 Bauspielaktivitäten als mathematikbezogene Aktivitäten Um die Frage zu beantworten, inwiefern Bauspiele mathematische Aktivitäten enthalten oder ob Bauspielaktivitäten auch als mathematische Aktivitäten angesehen werden können, ist es hilfreich, einige der zentralen Aussagen noch einmal aufzugreifen. Bauspiele wurden in Abschnitt 2.1.5 als Spiele beschrieben, bei denen es um ein tendenziell zielstrebiges Herstellen eines dreidimensionalen Spielproduktes geht, was auch systematische Erkundungen des Objektes oder des Materials umfassen kann. Mathematische Aktivitäten sind laut van Oers (2004) solche Aktivitäten, in denen ein (mathematisches) Problem durch das Nutzen mathematischer Beziehungen und unter Berücksichtigung soziomathematischer Normen gelöst wird. Damit könnte das Vorhaben, einen Turm nach einem bestimmten Plan zu bauen, durchaus eine mathematische Aktivität sein, wobei sich die Berücksichtigung soziomathematischer Normen weniger im Bauen selbst, als vielmehr in der Art des Plans äußern dürfte. Gehen wir allerdings davon aus, dass die Kinder bei ihren selbstorganisierten und nicht durch einen Erwachsenen angeleiteten Bauspielen meist nicht auf formal-mathematisch korrekte Planzeichnungen oder Beschreibungen zurückgreifen, können diese Bauspielaktivitäten nicht als mathematische Aktivtäten im Sinne von van Oers (2004) bezeichnet werden. Auf der anderen Seite finden wir bei Bruce et al. (1992c) die Idee, dass die Bauspielsituationen erfahrungsbezogene mathematische Aktivitäten enthalten. Diese zeigen sich besonders deutlich, wenn die Kinder mathematische Beziehungen erkunden, entdecken oder mit anderen teilen. Beide Sichtweisen bieten keine eindeutigen Antworten auf die eingangs gestellte Frage. Daraus lässt sich aber durchaus schlussfolgern, dass sowohl Bauspielaktivitäten, die auf ein zielgerichtetes Herstellen eines Objektes ausgerichtet sind, als auch solche, die eher mit einem systematischen Erkunden von Material oder Objekten einhergehen, mathematische Aktivitäten beinhalten können. Insbesondere der Überlegung, dass Mathematiktreiben oft als Suche nach Mustern und Beziehungen beschrieben wird, kommt in diesem Zusammenhang eine wichtige Bedeutung zu. Daraus folgern Bruce et al. (1992c, 78 f.), dass Bauspielmaterialien, die eine „interne Logik“ haben, Kinder zum Erkunden, Experimentieren und Problemlösen herausfordern. Auch in den von mir beobachteten Bauspielsituationen wurden Materialien verwendet, die hinsichtlich der Größe und Form in „logischen“ Beziehungen zueinander stehen, weshalb mathematische Aktivitäten im Spiel der Kinder eine Rolle spielen dürften. Keine der Veröffentlichungen, die sich mit mathematischen Aktivitäten von Vorschulkindern befassen, beantwortet bislang zufriedenstellend, wie die entsprechenden Aktivitäten in der Beobachtung von Spielsituationen erkannt und von anderen Aktivitäten unterschieden werden
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können und wie das Mathematische der Situationen systematisch analysiert und beschrieben werden kann. Für meine eigene Analyse ziehe ich aus diesen Überlegungen folgende Schlüsse. Eine Alternative zu der Bezeichnung mathematische Aktivitäten, die in verschiedenen Kontexten sehr unterschiedlich verstanden wird und die deshalb nicht als Oberbegriff für bestimmte klar definierte Aktivitäten von Vorschulkindern gelten kann, ist die Verwendung des Begriffs mathematikbezogene Aktivitäten. Dieser Begriff verdeutlicht, dass die so gekennzeichneten Aktivitäten der Kinder einen Bezug zur Mathematik aufweisen, aber nicht per se mathematisch sind. Mit der Verwendung dieses Ausdrucks ist ganz klar die Frage verbunden, welcher Bezug zur Mathematik in einer so charakterisierten Aktivität gesehen wird. Es geht mir nicht darum festzustellen, dass oder ob Bauspielaktivitäten auch mathematische Aktivitäten sind, sondern es wird davon ausgegangen, dass sich Bauspielaktivitäten von Kindern als mathematikbezogene Aktivitäten deuten lassen, wobei der Bezug zur Mathematik jeweils herausgearbeitet werden soll. Es ist zu erwarten, dass dieser am deutlichsten in der Kommunikation der Kinder über Bauspiel sichtbar wird, wobei eine Herausforderung ist, in der Alltagssprache der Kinder Mathematisches zu erkennen.
2.2.3
Mathematische Inhalte im Bauspiel von Kindern
Im bisher Beschriebenen wurden immer wieder bestimmte mathematische Inhalte oder Bereiche angesprochen. Es war die Rede davon, dass Muster & Strukturen mit Bauspiel zusammenhängt, wenn das Seriieren, das Klassifizieren sowie das Erzeugen von Mustern als Aktivitäten beim Herstellen von Bauwerken eine Rolle spielen, und dass Kinder im Bauspiel sowohl auf räumliche Beziehungen als auch auf Zahlbeziehungen achten und darüber sprechen. Bruce et al. (1992c, 75) zählen beispielsweise auf, dass Kinder sich bei ihren Interaktionen mit Bauklötzen mit folgenden Aspekten befassen: „exploring topological relationships, lines, angles and surfaces, part-whole relationships, sequence, aspects of number, area and volume“. Interessant scheint nun, wie diese mathematischen Aspekte im Hinblick auf das Bauspiel weiter ausdifferenziert oder systematisiert werden (können), wobei Bruce et al. (1992c, 90 f.) dazu eine ganz eigene Auffassung haben. In writing this chapter [BEING MATHEMATICAL] we could have chosen to present a list of the mathematical ideas that can be explored in blockplay and systematically described and discussed these. Instead, we have presented our account
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in a form we hope communicates something of the feel of children being mathematical as part of the blockplay process. (Bruce et al. 1992c, 90 f.; Hervorh. im Orig.)
Diese Überlegung von Bruce et al. (1992c) ist problematisch, denn so lange nicht klar ist, wie sich mathematische Aktivitäten von Kindern im Vorschulalter fassen lassen, bleibt auch unklar, was darunter zu verstehen ist, dass Kinder mathematisch (tätig) sind. Eine Auseinandersetzung mit mathematischen Ideen, die sich im Bauspiel zeigen, und eine Beschreibung derselben ist deshalb eine wichtige Aufgabe. Ein erster Anhaltspunkt hinsichtlich der Beschreibung und einer systematischen Darstellung mathematischer Inhalte im Bauspiel findet sich bei Ramani et al. (2014). Dort werden, wie in Abschnitt 2.2.2.4 beschrieben, die Aspekte Räumlich und Mengen unterschieden. Unter der Kategorie Räumlich sind die beiden Teilbereiche räumliche Anordnung sowie Größe und Dimension zusammengefasst, wobei keine Begründung für die gewählte Unterteilung angeführt wird. In den verschiedenen Veröffentlichungen zeigen sich insgesamt nur wenige Anhaltspunkte für eine Systematisierung der mathematischen Inhalte von Bauspielen. Allerdings lassen sich in vielen Texten konzeptuelle Überlegungen, Situationsbeschreibungen oder Fallbeispiele mit Interpretationen finden, die jeweils bestimmte mathematische Themen hervorheben und darstellen.
2.2.3.1 Fröbels Spielgaben 3–5 (Fröbel; Uhl und Stoevesandt 1961/1991) Betrachtet man Fröbels Ausführungen zur dritten, vierten und fünften Spielgabe, so finden sich viele Bezüge zu mathematischen Inhalten. Ganz allgemein ist Fröbel (1851/1967, 75) der Auffassung, dass sich der Zusammenhang von Naturkenntnis und Mathematik im Würfel ausdrückt. Peter-Koop (2012) schreibt über Fröbel, dass dieser sehr detailliert auf mathematische Aspekte im Elementarbereich eingeht und sich dabei vor allem auf den Bereich Raum & Form und nicht auf Zahlen bezieht. Im Einzelnen erkennt sie in den Lebensformen das Anliegen Fröbels, „dass die Kinder die Realität aus geometrischen Formen nachbilden“ (Peter-Koop 2012, o. S.). Bei den Schönheitsformen gehe es um das Legen von frei erfundenen ästhetischen Mustern und die Erkenntnisformen dienen demnach dem Gewinn von Einsichten in Zahl- und Maßverhältnisse (vgl. Peter-Koop 2012). Teilweise lassen sich Peter-Koops (2012) Aussagen anhand von Fröbels Ausführungen weiter ausdifferenzieren. So schreibt er beispielsweise darüber, was Kinder mithilfe der Erkenntnisformen entdecken können: „Mit einem Male wie durch einen Schlag oder Schnitt erscheint an der Stelle Eines eine Zwei; an der
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Stelle des Ganzen erscheinen Teile, zwei Teile; ich fühle, die Teile sind einander ganz gleich, es sind zwei Halbe, es sind zwei Hälften des Ganzen“ (Fröbel 1851/1967, 91). Interessant ist die Annahme Fröbels (1851/1967, 95), dass das Kind die so thematisierten Größen- oder Zahlenverhältnisse noch nicht bestimmt „auffasst“. Dies erläutert er nicht weiter, es könnte aber bedeuten, dass ein Kind etwas noch nicht bewusst wahrnimmt. Insbesondere in der Beschreibung der Erkenntnisformen der vierten und fünften Spielgabe nehmen die Ausführungen Fröbels (1838/1982a, 1838/1982b) zu mathematischen Zusammenhängen sehr viel Raum ein. Dabei wird eine große Bandbreite an Themen beschrieben, wie im Folgenden deutlich wird. Fröbel verwendet in seinen Erläuterungen für den Erwachsenen, aber auch in den Sprüchen, die sich an die Kinder richten, viele verschiedene geometrische Begriffe und beschreibt teilweise Eigenschaften von geometrischen Formen. Mit den Begriffen Geviert23 , Rechteck, rechter Winkel, stumpfer Winkel, spitzer Winkel, Viereck, Fünfeck, Sechseck, Würfel, senkrecht, waagerecht sind zunächst die genannt, die man als Fachbegriffe bezeichnen kann. Daneben finden sich auch informelle Formulierungen, so wird der Begriff Tafel verwendet, um zu beschreiben, dass die Klötze nicht zu einem Würfel zusammengebaut werden, sondern in einer Fläche ausgelegt werden. Auch die Verwendung der Begriffe Längenrechteck, Balken und Schiefeck sowie schiefe Winkel können nicht als reguläre mathematische Fachbegriffe bezeichnet werden. Fröbel (1838/1982a, 117 f.) nutzt sie vermutlich, um Zusammenhänge und Gegensätze besonders hervorzuheben. Bei allen Bauund Legetätigkeiten, die in den Sprüchen und Erläuterungen zu den Erkenntnisformen impliziert sind, scheint das Umordnen der Klötze oder die Verwandlung von einer Form in eine andere unter Verwendung aller/der gleichen Klötze ein besonderes Anliegen zu sein, was als Invarianz des Rauminhaltes gedeutet werden könnte. Ein weiteres großes Thema ist dementsprechend die Darstellung von „gleich viel“. Gleich ist ein Begriff, der von Fröbel besonders oft genutzt wird, beispielsweise thematisiert er, dass ein Ganzes gleich viel wie zwei Halbe oder wie drei Drittel ist. Teilst du mich von oben ab, Senkrecht sich die Halben zeigen; Teilst du mich der Quere ab, Waagrecht sich die Halben neigen. Zwar ist nicht die Lage gleich; Stets ist doch die Größe gleich: 23 Quadrat
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Halbes ist gleich Halbem. (Fröbel 1838/1982b, 100) In Fröbels Erläuterungen zur Veranschaulichung der Verhältnisse zwischen Teilen und dem Ganzen finden sich sowohl Operationsbegriffe, wie teilen, abteilen oder schneiden (Schnitt), als auch Lagebegriffe, wie von oben, der Quere oder durch die Mitte. Die Auseinandersetzung mit Größenverhältnissen ist vor allem auf das Verhältnis halb und doppelt bezogen, dabei werden außerdem die Begriffe lang, hoch, Längenstreckung und Höhenstreckung verwendet. Neben diesen Inhalten finden sich bei Fröbel noch einige weiterführende mathematische Ideen (vgl. Fröbel 1838/1982a, 120 ff.). Beispielsweise beschreibt er die kombinatorische Aufgabe, dass alle möglichen Kombinationen von quadratischen Tafeln, die sich gleichzeitig aus den Klötzen der fünften Spielgabe herstellen lassen, gefunden werden sollen24 . Es werden ausgehend davon noch weitere Übungen, die mit diesen Quadraten durchgeführt werden können, aufgezeigt bis hin zur Darstellung des Satzes von Pythagoras für gleichschenklige rechtwinklige Dreiecke25 . Diese Ausführungen und die von Fröbel an verschiedenen Stellen geäußerte Annahme, dass Kinder das auf diese Weise Gezeigte noch nicht wirklich verstehen können, sondern es sich um ein Spiel und eine sinnliche Wahrnehmung handelt, könnte erklären, warum Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 14) finden, dass es den Anschein hat, „als sei Fröbel bei der Ausführung der Spielgaben manchmal in mathematische Spitzfindigkeiten abgeirrt, die er im Grund nicht meinte, die er sogar selber – als isolierte Intellektbildung – angriff“ (Hervorh. im Orig.). Während sich Fröbel in seiner Darstellung der Erkenntnisformen und des Materials explizit auf mathematische Zusammenhänge und Themen bezieht, so ist das in seinen Überlegungen zu Lebensformen und Schönheitsformen weit weniger offensichtlich. Bei den Lebensformen zeigen sich Bezüge zur Mathematik nur dort, wo die Vorlageblätter und die sprachlichen Anleitungen zum Nachbauen ausgeführt werden. Dazu schreibt er, dass es um „die Kenntnis einer Zeichnung, die richtige Auffassung derselben, die Vergleichung des Bildes mit der Wirklichkeit“ geht (Fröbel 1851/1967, 105). Außerdem nimmt er an, dass sich daran Zahl-, Größen- und Formenbetrachtungen anschließen lassen. Weitere Ausführungen legen nahe, dass es weniger das geometrische Lernen oder die geometrische 24 Fröbel listet 22 verschiedene Möglichkeiten auf, sortiert danach, ob alle Quadrate gleich, ungleich oder teilweise gleich und teilweise ungleich groß sind und danach, wie viele verschiedene Quadrate jeweils hergestellt werden können. 25 „Wenn man zwei gleiche Geviert(e) […] unter einem rechten Winkel miteinander in einer Kante verbindet, […] ist das dritte Geviert, welches die beiden Vierecke in ihren freien Kanten verbindet – oder das Vereinsgeviert – immer so groß als jene beiden zusammengenommen“ Fröbel (1838/1982a, 122).
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Begriffsentwicklung war, die für Fröbel (1838/1982a, 126) bei den Lebensformen im Fokus stand, sondern das Darstellen von Objekten aus dem „Kinderleben“ und der „Kinderwelt“. Bei den Schönheitsformen beschreibt Fröbel nicht explizit die mathematische Erkenntnis, die damit verbunden ist, sondern er stellt Bezüge zum ästhetischen Empfinden und sinnlichen Erfahren her. So findet sich in seinen Texten immer wieder die Annahme, dass die Kinder durch die Beschäftigung mit Schönheitsformen die Idee der Vollkommenheit und den Kreislauf der Natur erfahren können. Trotzdem lassen sich in seinen Sprüchen zu den Schönheitsformen aus geometrischer Perspektive interessante Begriffe finden, wie beispielsweise die Unterscheidung von Flächen und Kanten und von außen und innen. „Die Äußern wurden jetzt bewegt, […] Das Äußere nun stehen bleibt, […] Zwei Kanten hier an, zwei Flächen sich halten […]“ Die Tatsache, dass Symmetrien im Zusammenhang mit den Schönheitsformen einen wichtigen Stellenwert einnehmen, zeigt sich ebenfalls in Fröbels Beschreibungen, wobei keine heute noch in der Geometrie gebräuchlichen Begriffe Verwendung finden, sondern Ausdrücke wie „allseitig“, „zweiseitig“, „drehend“. Betrachtet man die Bilder zu den Schönheitsformen (vgl. Abbildung 2.4 und Abbildung 2.8 in Abschnitt 2.1.1.1), ist anzunehmen, dass auf diese Weise ausgedrückt wird, dass die Formen mehrfache Symmetrien aufweisen. Es ist an dieser Stelle interessant, noch einmal auf die Einschätzung PeterKoops (2012) zu Fröbel zurückzukommen. Sie bezeichnet Fröbel als den ersten Mathematikdidaktiker, auch weil er sich als ausgebildeter Kristallograph aus fachlicher Sicht mit früher mathematischer Bildung befasst hat. Allerdings schrieb dieser selbst nirgendwo auf, dass für ihn die mathematische Bildung der Kinder das vorrangige Thema seiner Arbeiten war. Eher ist seine Sichtweise auf die Bildung der Kinder und bezüglich der Beschäftigung mit den Kindern als ganzheitlich zu bezeichnen. Die aktuelle Mathematikdidaktik betrachtet meist, was Kinder wann im Hinblick auf eine möglichst bruchlose mathematische Bildung lernen können oder sollen, ein solcher Gedanke dürfte Fröbel eher fremd gewesen sein. Sehr deutlich zeigt sich das für mich am Beispiel der Schönheitsformen. Peter-Koop (2012) erkennt darin die Auseinandersetzung von Kindern mit Mustern. Das ist aus heutiger mathematikdidaktischer Perspektive zweifelsohne ein oder sogar das zentrale Thema früher mathematischer Bildung (vgl. Abschnitt 1.3). Fröbel beschreibt im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit Schönheitsformen aber ganz andere Ideen. Die Ordnung oder das Muster, das den Schönheitsformen zugrunde liegt, bezieht Fröbel nicht explizit auf Mathematik, stattdessen deuten einige seiner Erläuterungen daraufhin, dass er darin die Grundlage für religiöse Bildung sieht: „[…] denn es kommt […] dadurch nach
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und nach […] die Ahnung eines einigen ordnenden Lebensquelles, aus welchem Alles hervorgegangen ist, in welchem Alles ruht“ (Fröbel 1844/1967, 34). Uhl und Stoevesandt (1961/1991) befassen sich in ihrer Veröffentlichung mit dem Spiel von Kindern mit Bauklötzen und heben explizit hervor, dass diese Fortsetzungen oder Weiterführungen von Fröbels Ideen enthält. Die Frage ist nun, ob und wie darin mathematische Aspekte aufgegriffen werden. Der von Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 16) beschriebene Backsteinbaukasten baut ganz bewusst auf der vierten Fröbelgabe auf. Den darin verwendeten Quadern im Verhältnis 1:2:4 wird zugesprochen, die Urform des Bausteins zu repräsentieren. Die Autorinnen grenzen sich, wie oben und in Abschnitt 2.1.3.1 bereits erwähnt, an einigen Stellen von Fröbels mathematischen Ideen ab und verwenden auch an keiner Stelle den Ausdruck mathematisch oder Mathematik. Dennoch beschreiben sie Inhalte, die man als mathematisch bezeichnen kann. Das Kind erwerbe in freier Gestaltung mit den Klötzen die „Gesetzmäßigkeit des Raumes“. „Beim Bauen von geschlossenen Räumen erlebt das Kind Höhe, Breite und Tiefe, die in ihrer Bezogenheit zueinander die Gesetzmäßigkeit alles begrenzten Raumes darstellen“ (Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 33). Uhl und Stoevesandt nutzen diese Begriffe nicht, um auf den Größenbereich Länge als mathematisches Thema zu fokussieren, es soll eher ausgedrückt werden, dass das Bauen von Körpern ein Bauen in drei Richtungen des Raumes ist. Es wird in die Tiefe in die Breite und in die Höhe gebaut; man könnte auch sagen, dass nach hinten (und nach vorne), nach rechts und links und nach oben gebaut wird. Die Autorinnen nehmen außerdem an, dass die Entwicklung des Kindes hinsichtlich der Gesetzmäßigkeiten des Raumes entlang der drei Dimensionen Linie, Fläche und Körper erfolgt. Das Kind erlebt demzufolge beim Bauen den Punkt als Einzelnes und gleichzeitig als Bestandteil der Linie, es erlebt die Linie als Einzelnes und gleichzeitig als Bestandteil der Fläche, es erlebt die Fläche als Einzelnes und gleichzeitig als Bestandteil des Körpers (vgl. Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 20). Ob das eine Bedeutung für die mathematische oder geometrische Bildung von Kindern hat und wenn ja welche, bleibt hier aber eine offene Frage. Neben diesen Überlegungen finden sich in den weiteren Ausführungen zum Bauen von Linien, Flächen und Körpern26 weitere mathematische Begriffe. 26 In der Mathematikdidaktik sind die Begriffe Punkt, Linie, Fläche und Körper, die Uhl und Stoevesandt in den Texten verwenden durchaus gängig, werden aber anders verstanden. Besonders deutlich wird das, wenn es um das Bauen von Punkten und Linien geht. Beides sind in der Mathematik abstrakte Begriffe, weshalb man keine Linie und keinen Punkt bauen kann. Ausgedrückt werden soll von den Autorinnen auf diese Weise, dass ein einzelner Stein gesetzt wird (Punkt) oder dass mehrere Steine in einer linearen Anordnung aufgestellt werden (Linie).
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Für Uhl und Stoevesandt (1961/1991, 25) drückt sich in einer Linie als Verbindung von Punkten deren Zusammengehörigkeit nach einer bestimmten Ordnung aus. Man könnte sagen, es geht hier um Muster. Besonders deutlich wird das an deren Beispielen von Linien, bei denen Bauklötze abwechselnd stehend und liegend oder längs und quer in einer Linie aneinandergereiht werden. Ebenso wird am Beispiel des Herstellens von Flächen deutlich, dass hier die Idee des regelhaften Anordnens der Klötze bzw. Linien zu einer Fläche als zentral angesehen wird. Beide Bauaktivitäten könnten als Erzeugen von mathematischen Mustern in Form von Bandornamenten und Parketten gedeutet werden, was jedoch nicht die Intention der Autorinnen ist. Sie legen den Fokus vielmehr auf die technische Idee der Verzahnung oder des versetzten Bauens zum Erzeugen von Stabilität (vgl. Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 28). In demselben Kontext sind deren Ausführungen zur „Bildung der Ecke“, die diese als entscheidenden Schritt in der kindlichen Bauentwicklung ansehen, zu verstehen. Die Erläuterungen der Autorinnen legen nahe, dass hier nicht das Verständnis des mathematischen Begriffs Ecke im Vordergrund steht, sondern wiederum eine technische Fertigkeit, die darin besteht zwei Wände so über Eck miteinander zu verzahnen, dass eine stabile Verbindung entsteht. Technische Raffinessen stehen auch in den weiteren Ausführungen von Uhl und Stoevesandt (1961/1991) zum Bauen von Türmen, Brücken, Treppen, Rundbauten und Kuppeln im Vordergrund. Eine Verbindung zu den Ideen Fröbels hinsichtlich der mathematischen Erfahrungen, die Kinder im Umgang mit den Bauklötzen erwerben können, lässt sich dabei nicht mehr erkennen. Vielmehr geht es um die technischen Erfahrungen der Kinder, wie beispielsweise folgendes Zitat deutlich macht: „Das Kind findet selbst heraus, daß ein Stein nicht nur dann Halt hat, wenn er mit möglichst großer Fläche aufliegt, sondern auch dann, wenn der Druck von oben stark genug ist“ (Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 38).
2.2.3.2 Young Children Doing Mathematics (Ginsburg et al. 2004) In der zu Beginn meiner Arbeit (Kapitel 1.1.4) schon angesprochenen Studie von Ginsburg et al. (2004) und Seo und Ginsburg (2004) finden sich eine Reihe von Bezügen zu Bauspielsituationen von Kindern. Das Aufräumen von Bauklötzen, bei dem ein Klotz in eine Kiste geräumt wird, die Klötze derselben Farbe und Größe enthält, ist als Beispiel für die Kategorie Classification angeführt (vgl. Seo und Ginsburg 2004, 93). Eine Situation, in der zwei Kinder ihre Legobauwerke hinsichtlich der Größe vergleichen, dient als eine Veranschaulichung für die Kategorie Magnitude. Als Ankerbeispiel für die Kategorie Pattern and Shape wird folgende Situation beschrieben: „Jose plays with wooden blocks. He puts a double-unit block on the rug, two unit blocks on the double-unit block, and a triangle unit on the middle of two unit blocks. He builds a symmetrical structure with
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rectangular and triangular prisms“ (Seo und Ginsburg 2004, 94). Das Beschreiben eines Ortes oder einer Richtung, wie es durch die Kategorie Spatial Relations erfasst wird, ist für Bauspiele ebenfalls ein Thema, auch wenn die Beispiele, die dazu angeführt werden, sich auf andere Situationen beziehen (vgl. Seo und Ginsburg 2004, 94). Die Kategorie Dynamics beschreiben Seo und Ginsburg anhand einer Situation, in der aus Knete eine Pizza hergestellt wird. Aktivitäten, die zu dieser Kategorie gehören, sind demnach solche, bei denen Dinge zusammengesetzt, zerlegt, geteilt oder weggenommen werden. Diese Aktivitäten könnten durchaus auch im Rahmen von Bauspielen vorkommen. Als weiterer Aspekt der Kategorie wird das Erkunden von Bewegungen, wie Drehung oder Klappung, genannt. Auch dafür kann man sich entsprechende Aktivitäten in Bauspielen vorstellen. Mathematische Inhalte, die sich in den Beschreibungen der Autoren zu dieser Kategorie wiederfinden, sind sowohl das Operieren mit Formen als auch Rechenoperationen. Die am häufigsten gefundenen Kategorien sind im Rahmen der Studie weiter unterteilt worden. Hinsichtlich der zuvor beschriebenen Kategorien betrifft das Pattern and Shape sowie Magnitude. Für deren Unterteilung führen Seo und Ginsburg (2004, 98 ff.) jeweils vier Level ein, die die zunehmende Komplexität widerspiegeln sollen. Bei Pattern and Shape sind diese vier Level folgende: • Level I – Figure Identification: Beth names the shapes as she plays with pattern blocks. • Level II – Patterning: Horace makes a line of alternating red and blue blocks. • Level III – Symmetry: Anna builds a simple block tower like the letter U. • Level IV – Shape Matching: Jose combines two triangles and makes a rhombus. He then changes the position of one of the triangle, adds another triangle, and makes a trapezoid. (Seo und Ginsburg 2004, 98) Auch wenn sich die hier genannten Ankerbeispiele, außer bei Level III, nicht auf Bauspiele im engeren Sinne beziehen, sondern auf Aktivitäten mit Legeplättchen, ist anzunehmen, dass alle vier Level auch beim Spiel mit Bauklötzen sichtbar werden können. Offen bleibt in dieser Studie, warum die Autoren davon ausgehen, dass das Herstellen von symmetrischen Objekten komplexer ist, als das Herstellen eines Musters. Es wird ebenfalls nicht weiter darauf eingegangen, warum eine besondere Komplexität darin gesehen wird, aus geometrischen Formen andere geometrische Formen zusammenzusetzen. Als niedrigstes Level und damit am wenigsten komplex wird das Benennen von Formen angesehen. Da sich dieses Level bei allen Situationen, die Pattern and Shape zugeordnet wurden, am häufigsten zeigte, wäre es im Hinblick auf die Analyse von Bauspielen interessant zu
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wissen, ob sich in der Studie Unterschiede bei der Benennung zwei- oder dreidimensionaler geometrischer Formen zeigten. Da diese Unterscheidung aber im Rahmen der Datenauswertung von Seo und Ginsburg (2004) nicht vorgenommen wurde, finden sich in der Darstellung der Studienergebnisse keine Anhaltspunkte dazu. Complexity of Magnitude
• Level I – Saying Quantity or Magnitude Words: Emily says, ‘Oh, this is really big’. • Level II – Empirical Matching: John places his Lego structure next to Aaron’s Lego structure and says, ‘Mine is bigger’. • Level III – Estimation without Quantification: John looks at Aaron’s Lego structure, adds more Lego pieces to his own structure, and makes it equal in height to Aaron’s. • Level IV – Estimation with Quantification: Victor and Paul lay down blocks to create the base of a house. Victor says to Paul, ‘We need three more’ blocks to complete the base. (Seo und Ginsburg 2004, 100) Die Unterteilung der Kategorie Magnitude weist in besonderem Maße Bezüge zu Bauspielen auf, so stehen die Ankerbeispiele von Level zwei bis vier allesamt im Kontext von Bauspielen. Da die Auswertung der Daten aber nicht nach Spielformen unterschieden wurde, sondern es sich hier lediglich um die Auswahl von Ankerbeispielen handelt, bietet die Studie keine Erkenntnisse dazu, ob es tatsächlich im Rahmen von Bauspielen besonders häufig um das Thema Größe ging. Bei der Betrachtung der Ankerbeispiele fällt auf, dass das Beispiel von Level III das einzige ohne eine sprachliche Äußerung des Kindes ist. Das ist insofern problematisch, als unklar ist, woraus bei der Analyse von Beobachtungsdaten geschlussfolgert werden kann, ob das Hinzufügen weiterer Steine mit dem Abschätzen einer bestimmten Höhe zu tun hat oder nicht. Die beiden im Beispiel genannten Punkte, dass John auf Aarons Bauwerk schaut und dass er seines gleichhoch macht, stellen hier eher vage Anhaltspunkte dar. Aus den Kategorienbeschreibungen und Ankerbeispielen, die Seo und Ginsburg (2004) im Rahmen ihrer Oberflächenanalyse von Spielsituationen darstellen, lassen sich hinsichtlich des Themas Bauspiele mögliche Bezüge zu folgenden mathematischen Inhalten erkennen:
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• Bereich Größen: Verwenden von Mengen- und Größenbegriffen (groß, klein), direktes Vergleichen von Größen (größer, kleiner), Abschätzen von Größenunterschieden qualitativ und quantitativ (etwas muss höher werden, mehr/weniger Klötze werden gebraucht) • Bereich Muster und Form: Benennen und Verwenden von Formen, Herstellen von linearen Mustern, Bauen von symmetrischen Objekten, Zusammensetzen geometrischer Formen • Klassifikation: Zuordnen von Klötzen nach Form und Größe • Räumliche Orientierung: Angeben bzw. Zeigen von Ort oder Richtung • Veränderungsprozesse: geometrische Abbildungen (Spiegelung, Drehung), Zerlegen und Zusammensetzen Neben der Zuordnung von Bauspielsituationen zu Kategorien, die Ginsburg et al. (2004, 91) als Oberflächenanalyse bezeichnen, findet im Rahmen der Studie auch eine „tiefe“ Analyse statt. Die Autoren hielten fundierte Fallstudien für einen geeigneten Ansatz, um die Komplexität und Reichhaltigkeit der Alltagsmathematik der Kinder zu erfassen. Eine der beiden in der Veröffentlichung von Ginsburg et al. (2004) skizzierten Auszüge aus Fallstudien ist für meine Arbeit besonders interessant, da es sich dabei um eine Situation handelt, in der ein Kind etwas aus Bauklötzen aufbaut. Ginsburg et al. (2004, 93 ff.) überschreiben ihre Darstellungen dazu mit „Francisco’s Block Play“. Sie berichten, dass sie Francisco besonders oft im Raum der Fünfjährigen beim Bauspiel beobachtet haben und dass sie ihn als „Architekt“ oder „Baumeister“ bezeichnet haben, da er sie immer wieder mit seinen hoch anspruchsvollen Konstruktionen überrascht hat. In der näher beschriebenen und analysierten Situation aus Franciscos Bauspiel ist dieser mit dem Bau eines „gleichmäßigen“ Bauwerkes befasst. Zur Verdeutlichung dienen die in Abbildung 2.19 dargestellten Schritte. In der Situationsbeschreibung von Ginsburg et al. (2004) fallen einige Formulierungen besonders auf. Die Parallelität zwischen AB und CD wird bereits zu Beginn hervorgehoben und dann wieder hinsichtlich der Bildfolge 2 (c) und (d). Dazu heißt es: „Here Francisco has started to make a square, as if he knows the properties of a square as having four equal sides and a pair of parallel opposing sides perpendicular to the other pair“ (Ginsburg et al. 2004, 94). In Bezug auf die Aktivität Franciscos, die gleichlangen Klötze einen neben den anderen auf die Konstruktion aufzulegen, mit dem in Bild 3 dargestellten Ergebnis, heißt es: „It is interesting that as Francisco adds the second, third and fourth blocks, he does not carefully check to see if the length of the blocks matches the distance between the outer edges of the two original nearly parallel blocks, as if he already knows that they match exactly“ (Ginsburg et al. 2004, 94). Ginsburg et al. gehen
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Abbildung 2.19 Franciscos Bauen (Ginsburg et al. 2004, 94 f.)
aufgrund ihrer Beobachtungen davon aus, dass Franciscos geometrisches Wissen in hohem Maße strukturiert und organisiert ist, obwohl alles in der Situation nonverbal stattfindet. Es wird angenommen, dass er seine Anpassungen auf der Grundlage seines Wissens über geometrische Beziehungen vornimmt. So sind die Autoren der Auffassung, dass Francisco, sobald er die Parallelität zwischen AB und CD hergestellt hat, um den konstanten Abstand zwischen den beiden Klötzen wusste, wobei sie es für unwahrscheinlich halten, dass Francisco sein Wissen erklären kann. Vermutlich deshalb sprechen Ginsburg et al. (2004) auch von intuitiver oder spontaner Mathematik. Die folgenden Aspekte spontaner Mathematik tauchen demnach im Spiel von Francisco auf: • Parallelität: Zwei Objekte werden parallel ausgerichtet, indem darauf geachtet wird, dass der Abstand vorne und hinten gleich ist. • geometrische Formen: Herstellen eines Quadrates – Kennen der geometrischen Beziehungen im Quadrat – Nachdenken über zweidimensionale Beziehungen zwischen verschiedenen Komponenten des Gebauten unter Berücksichtigung von Länge, Breite und Winkel • Längen: Anpassen des Abstandes von zwei Objekten entsprechend der Länge eines weiteren Objektes.
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Diese Erkenntnisse von Ginsburg et al. (2004) sind deshalb besonders, weil sie deutlicher als oben dargestellt (vgl. Abschnitt 2.2.2) Aktivitäten auch dann mathematisch deuten, wenn keine Sprache genutzt wird und darauf hinweist. Es ist allerdings fraglich, ob das, was hier als intuitive Mathematik bezeichnet wird, auf dem impliziten Wissen über mathematische Zusammenhänge basiert, oder ob das Mathematische hier nicht eher in den Bauklötzen, die von ihrer Form her regelmäßigen geometrischen Formen entsprechen, angelegt ist. Sicherlich dürfte die Intention von Kindern, aus diesen Bauklötzen stabile, funktionierende und gleichmäßig aussehende Objekte herzustellen, aber dazu führen, dass beispielsweise quadratische oder regelmäßig geformte Grundrisse sowie parallele oder symmetrische Anordnungen entstehen, was wiederum eine Erfahrung im Sinne intuitiver Mathematik darstellen könnte.
2.2.3.3 Geometrisches Handeln von Kindern (Vogel 2014) Vogel (2014) berichtet in einem Beitrag für die Zeitschrift „Frühe Bildung“ über „Geometrisches Handeln von Kindern in mathematischen Spiel- und Erkundungssituationen“. Dabei stellt sie folgende Annahme an den Anfang ihrer Ausführungen: Im Kontext von Spielsituationen und Aktivitäten des Kindergartenalltags zeigen Kinder sehr häufig Handlungen z. B. das Bauen mit Bauklötzen, das Legen von geometrischen Figuren mit unterschiedlichen Materialien sowie das Zeichnen auf Papier. Diese Aktivitäten können in vielen Fällen als geometrische Handlungen gedeutet werden. (Vogel 2014, 130)
Wie diese Deutung aussehen kann, wird anhand der Auswertung von Beobachtungsdaten aus der Längsschnittstudie „erStMaL (early steps in Mathematics Learning: ein Projekt im IDeA-Zentrum, Frankfurt am Main)“ ausgeführt. In der Studie wurden Kinder in Tandem- oder Gruppensituationen in mathematischen Spiel- und Erkundungssituationen beobachtet. Diese entstanden nicht spontan aus dem Alltag heraus, sondern es handelt sich dabei um vorher geplante Settings, in denen die Kinder auch durch eine erwachsene Person begleitet wurden. Die von Vogel (2014) vorgestellten Ergebnisse basieren auf Videos von zwei verschiedenen mathematischen Spiel- und Erkundungssituationen, die auf das geometrische Handeln von Kindern im Bereich der ebenen und räumlichen geometrischen Figuren fokussieren. Die eine der beiden Situationen trägt den Titel „Körper“ und zielt von ihrer Konzeption her explizit auf geometrische Handlungen ab (vgl. Vogel 2014, 132). Die Kinder erhielten in dieser Situation den Arbeitsauftrag, „die geometrischen Körper zu sortieren, zu benennen und zu beschreiben und damit
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auf charakteristische Eigenschaften der ausgewählten Körper einzugehen“ (Vogel 2014, 133). Die Situation weist insofern Bezüge zu Bauspielen auf, als es sich genau wie bei Bauklötzen um Massivmodelle der Körper handelt und mit Würfel, Zylinder, Quader mit quadratischer Grundfläche sowie Dreiecksprisma durchaus Formen enthalten sind, die häufig auch zu Sets von Bauklötzen gehören. Das Entwerfen zusammengesetzter Gebilde, das ebenfalls Teil der Spiel- und Erkundungssituation ist, spielt auch in Bauspielen von Kindern eine Rolle. Die zweite Situation mit dem Titel „Stäbchen“ ist laut Vogel (2014, 132) dem mathematischen Bereich Muster & Strukturen zuzuordnen und weist höhere Freiheitsgrade als die erste Situation auf. Die Kinder legen und bauen hier mit flachen Holzstäbchen, die Form der Stäbchen erinnert an Eisstiele. Das Material stand in einer großen Anzahl zur Verfügung und unterschied sich nur von der Farbe her. Ein Arbeitsauftrag war in der Situation das Legen von Bandornamenten aus den Stäbchen, aber das Material konnte auch dazu genutzt werden, Objekte aus dem Alltag der Kinder darzustellen (vgl. Vogel 2014, 133 f.). Auch wenn Holzstäbchen kein Material sind, das Kindern typischerweise für Bauspiele zur Verfügung steht, weisen die freien Handlungen der Kinder mit dem Material Gemeinsamkeiten mit Bauspielaktivitäten auf. Der Auswertung der Videodaten liegt ein Kategoriensystem zugrunde, das aus elf Hauptkategorien besteht, die in Unterkategorien ausdifferenziert wurden. Die elf Hauptkategorien werden von Vogel (2014, 133) aufgezählt, wobei nicht verdeutlicht wird, wie die Kategorien im Einzelnen definiert wurden. Hinsichtlich der Zuordnungen der Kategorien zu den Videosequenzen erläutert die Autorin, dass diese auf der Grundlage von beobachtbaren Sprachhandlungen, gestischen Handlungen und Handlungen am Material erfolgte. Die Kategorien, die von den fünf mathematischen Inhaltsbereichen ausgehen, lauten: „Anzahlbestimmung – Operationen (AO), Mathematische Strukturen (MS), Muster (Mustereinheiten, Bandornamente, Parkette) (MU), Topologische Grundbegriffe und Aktivitäten (geometrische Topologie) (TP), Raumvorstellungskomponenten (RV), Geometrische Formen – Transformationen zwischen Ebene und Raum (GE), Messen (ME), Daten (DA), Zufall (Wahrscheinlichkeit) (ZU), Kombinatorik (KO) und Sonstiges (SO)“ (Vogel 2014, 133). Hinsichtlich der beiden beschriebenen Spiel- und Erkundungssituationen spielen die Kategorien Sonstiges, Geometrische Formen und Muster eine besonders große Rolle, darüber hinaus zeigen sich Bezüge zu den Kategorien Daten, Topologische Grundbegriffe und Aktivitäten, Anzahlbestimmung – Operationen sowie Messen. Der weiteren Ausdifferenzierung der Kategorie „Geometrische Formen – Transformationen zwischen Ebene und Raum“ kommt in der Veröffentlichung
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von Vogel (2014, 136) eine besondere Bedeutung zu. Dabei werden für die Erkundungssituationen folgende Ausdifferenzierungen beschrieben. • Verwendung der geometrischen Begriffe zeigt sich, wenn die Kinder die Figuren benennen und die Eigenschaften der Körper beschreiben. Diese Unterkategorie kam nur in der Erkundungssituation Körper vor, nicht in der Situation Stäbchen. • Die zwei- bzw. dreidimensionale Darstellung von Objekten aus dem Alltag zeigte sich in beiden Situationen. Beim Nachlegen von Objekten des Alltags mit Stäbchen kann die dritte Dimension nicht berücksichtigt werden, weshalb die Kinder passende Darstellungsformen finden müssen. Besonders häufig wurden Objekte im Aufriss oder im Grundriss dargestellt. • Vergleich geometrischer Figuren (zwei- und dreidimensional) mit Alltagsgegenständen: Die Objekte des Alltags und ihre zentralen Eigenschaften müssen mit den in der mathematischen Erkundungssituation zur Verfügung stehenden prototypischen Körpermodellen verglichen werden. • Die Analyse von Eigenschaften geometrischer Körper zeigt sich darin, dass geometrische Körper miteinander verglichen werden, dass geometrische Begriffe verwendet werden oder dass Symmetrien erkannt und benannt wurden. • Mit den Stäbchen konnten die Kinder auch ebene geometrische Figuren legen (vgl. Vogel 2014, 136). Hinsichtlich der Auswertung der Stäbchen-Situationen werden einige Handlungen der Kinder auch als topologische Handlungen bezeichnet. Dabei unterscheidet Vogel (2014, 137) zwischen dem Erkennen topologischer Grundfiguren und dem Legen topologischer Grundfiguren27 . Obwohl im Text keine Situationsbeschreibungen und Beispiele dafür, welche konkreten Handlungen der Kinder unter welche Kategorien fallen, aufgezeigt werden, lassen die im Rahmen der Ergebnisdarstellung von Vogel (2014) verwendeten Kategorien und Unterkategorien den Schluss zu, dass eine Unterscheidung und Ausdifferenzierung geometrischer Handlungen von Kindern auch für die Analyse von Bauspielaktivitäten einen sinnvollen Ansatz bieten und dass in den Aktivitäten der Kinder verschiedene geometrische bzw. mathematische Inhalte sichtbar werden.
27 „Topologische Eigenschaften von Figuren und Formen bleiben unter stetiger Verformung erhalten. So werden hier Eigenschaften wie innen/außen, verbunden/unverbunden und Ähnliches betrachtet, Winkel und Längen sind jedoch irrelevant. Topologisch sind z. B. alle Vielecke sowie Kreise identisch.“ (Brandt und Vogel 2017, 219).
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2.2.3.4 Spiel-Räume der Partizipation (Brandt 2017) Im Rahmen des Projektes „Mathematische Kreativität bei Kindern“ (MakreKi) wird die mathematische Kreativität bei Kindern vom Kindergarten- bis zum Grundschulalter längsschnittlich anhand bestimmter Spiel- und Erkundungssituationen untersucht (Beck und Vogel 2017, 9). Brandt (2017, 107) befasst sich in ihrem Text mit einer Sequenz aus einer dieser Situationen und analysiert sie im Hinblick auf deren situationale, inhaltsspezifische Ausgestaltung. Für meine Arbeit ist der Text auch deshalb interessant, weil es sich bei der analysierten Spielund Erkundungssituation um eine zumindest mit dem Bauspiel verwandte Situation handelt. Zwei Kinder bauen und legen aus Klötzen und weiterem Material eine Anordnung, die sie auf einem Plan sehen (Abbildung 2.20). Die beobachteten Kinder Olivia und Naomi sind zwischen 6 und 8 Jahre alt. Brandt (2017, 113) nimmt zunächst eine theoretische Einordnung der Spiel- und Erkundungssituation vor. Demnach hat die Situation ihren Ursprung im Inhaltsbereich Raum & Form, es werden aber auch Bezüge zu anderen Inhaltsbereichen beschrieben. „Um das vorgelegte Raum-Lage-Arrangement korrekt wiedergeben zu können, müssen die Materialien in der jeweils korrekten Anzahl (Zahlen & Operation) im richtigen Abstand (Messen & Größen) platziert werden“ (Brandt 2017, 113; Hervorh. im Orig.). Auch Muster und Strukturen spielen eine Rolle da sich gewisse Regelmäßigkeiten im vorgegebenen Aufbau erkennen lassen. Um die „individuellen inhaltsbezogenen Interaktionsstränge nachzuzeichnen und so die situative Adaptivität der Spiel- und Erkundungssituationen zu erfassen“, führt Brandt (2017, 110 f.) in Anlehnung an Bishop „sechs universelle mathematische Aktivitäten als kulturübergreifende Mathematiken“ ein. In Abschnitt 2.2.2.1, wurden diese bereits benannt. Brandt verwendet sie als Kategorien für die Analyse einer Spielsituation, wie an den folgenden Beispielen verdeutlicht wird. Locating umfasst Aktivitäten, „die auf die Erkundung und Erfassung der räumlichen Situation/Umgebung ausgerichtet sind“ (Brandt 2017, 110 f.). Das wiederum wird als der Schwerpunkt von Raum & Form gesehen, der auch in den Aktivitäten der analysierten Abschnitte durchgehend erkennbar sei. In den Handlungen der Kinder zeigt sich Locating laut Brandt (2017, 121) beispielsweise daran, dass Olivia Veränderungen vornimmt, „die der Ansicht von oben – und damit der Vorlage – entsprechen – allerdings erläutert sie diesbezüglich Handlungen nur sparsam“. Naomis Aktivitäten werden als Positionswechsel und Höhenvergleich beschrieben, die mit der realen Bausituation verbunden sind. Über die Begründungen von Naomi sagt die Autorin, dass sie ebenfalls am konkreten Bauwerk orientiert sind. Weil Brandt (2017, 121 f.) Verflechtungen mit den übrigen mathematischen Aktivitäten nach Bishop in ihrer Analyse herausarbeitet, sollen diese im Folgenden dargestellt werden.
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Bauspiel
Abbildung 2.20 Abbildungen zur Maps-Situation (Beck und Vogel 2017, 18 ff.)
„Counting umfasst Aktivitäten, die auf die Wahrnehmung, Unterscheidung oder Bezeichnung (diskreter) Quantitäten ausgerichtet sind, also sowohl den Gebrauch konkreter Zahlwörter als auch andere Formen quantifizierender Ausdrucksmöglichkeiten“ (Brandt 2017, 111; Hervorh. im Orig.). Das spielt in der analysierten Szene eine Rolle, wenn es um die Anzahl noch zu verbauender Bausteine geht. Die zugeordnete Aktivität von Olivia besteht darin, dass sie die drei verbliebenen Bauklötze der Reihe nach aufhebt und fragt, wo das und das und das hinkommt. Brandt (2017, 121) fasst diese Handlung als das implizite Kennzeichnen von Bausteinen als Teilmenge zusammen. „Measuring umfasst Aktivitäten, die darauf ausgerichtet sind, (empirische) Phänomene (qualitativ) zu ordnen und zu vergleichen, sowohl durch Messungen mit Hilfe individueller, konventionell festgelegter oder standardisierter Einheiten“ (Brandt 2017, 112; Hervorh. im Orig.). Bezogen auf die analysierten Sequenzen wird Measuring im Zusammenhang mit den beiden Aspekten „Anpassen der D-Prismen im Brückenbau“ und „Höhenausgleich“ gesehen (Brandt 2017, 121). Mit D-Prisma sind Dreiecksprismen gemeint. Brandt (2017, 115) schreibt über die entsprechende Sequenz, dass für den Brückenbau ein komplexes Gebilde aus einem Brückenstein und zwei Dreiecksprismen hergestellt werden muss, wofür die Dreiecksprismen passend an den Brückenstein angelegt werden müssen. In der Beobachtung von Olivia zeigt sich laut der Autorin, dass das Ansetzen des kleinen Dreieckprismas mit probierenden Handlungen verbunden ist. Darin wird ein impliziter Größenvergleich hinsichtlich Fläche und Winkel vermutet. Das Thema
2.2 Bauspiele und Mathematik
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Höhenausgleich ist verbunden mit einer Situation in der Naomi das Bauwerk von oben betrachtet. Dabei zeigt sie bestimmte Stellen im räumlichen Arrangement (den mittleren Zylinder und den oben auf einem Stapel liegenden Holzquader) und benennt diese mit unten und oben. Das sind relationale Ortsangaben, mit denen Naomi laut Brandt (2017, 119) sprachlich eine relationale Lagebeziehung beschreibt. Wegen des fehlenden konkreten Bezugspunktes geht Brandt davon aus, dass den beiden Positionen der Bausteine damit eine Höhendifferenz im Sinne höher und tiefer zugeschrieben wird. Da sich diese in der Vorlage aber nicht ausmachen lässt, wird die verbale Äußerung (unten, oben) von Naomi deshalb zusammenfassend als implizite relationale Höhenangabe bezeichnet (vgl. Brandt 2017, 121). Auch zwei Handlungen von Olivia werden dem Höhenausgleich zugeordnet, dabei wird beispielsweise eine konkrete Handlung zum Ausgleich der Höhe durch Umbau genannt. Nachdem Naomi auf die Höhendifferenz hingewiesen hat, entfernt Olivia den obersten Quader vom Stapel. Die darauffolgende Geste, bei der sie die flache Hand auf den verbliebenen Stapel legt, wird als Messgeste gedeutet. „Designing umfasst Aktivitäten mit realen oder mentalen Figuren oder Objekten in konkreter oder abstrakter Weise, unter ästhetischen oder funktionalen Aspekten“ (Brandt 2017, 112; Hervorh. im Orig.). Als zentrale Aktivitäten werden das Verändern, Verschieben und Vergleichen von Formen beschrieben. Bezogen auf die analysierten Sequenzen kommt Designing demnach vor, wenn eine an einer Vorlage orientierte Handlung, wie das Ausrichten der Schnüre, durchgeführt wird. Zugeordnet wird hier auch die funktionale Zuweisung der Bausteine unter Beachtung der Formaspekte beim Brückenbau, wie es der Fall ist, wenn Olivia vormacht und sagt, wo die Menschen laufen. Ähnliches zeigt sich, wenn das Dreiecksprisma als Rutsche umgedeutet wird oder einem Holzquader in der Landschaftsgestaltung die Funktion eines Baumstammes zugewiesen wird (vgl. Brandt 2017, 122). Aufgrund der Aktivitäten, die in der Definition von Designing genannt werden, läge der Schluss nahe, dass es sich auch dabei um einen Aspekt des Inhaltsbereiches Raum & Form handelt. Allerdings lassen die ansonsten sehr allgemeine Definition und die in der Sequenz zugeordneten Aktivitäten diesen Schluss so nicht zu. „Playing umfasst einerseits Aktivitäten, die in ihrem Ablauf durch mehr oder weniger strikte Regeln gesteuert werden. […] Andererseits lassen sich hier Aktivitäten einordnen, die mit ‚als ob‘-Modalitäten ‚spielen‘, somit einen hypothetischen Charakter aufweisen und einen Kern mathematischen Denkens ausmachen“ (Brandt 2017, 112; Hervorh. im Orig.). Im Rahmen der Analyse werden dem Aspekt folgende Aktivitäten zugeordnet: „Umsetzung einer imaginierten
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Bauspiel
Situation durch Bausteine“, „lustvolle (spielerische) Ausführung der Umdeutung“ der Brücke und des Dreiecksprismas zur Rutsche (Brandt 2017, 122). In den Playing zugordneten Aktivitäten lassen sich Überschneidungen zu Designing erkennen. Möglicherweise ist das eine Besonderheit, die insbesondere bei Bauspielen auftritt, da hier das Erkennen einer Funktion in einem Bauwerk oder einem Bauklotz besonders häufig mit dem Durchspielen dieser Funktion einhergeht. „Explaining umfasst Aktivitäten, die darauf abzielen, (empirische) Phänomene oder mentale Konstrukte zu erklären, zu begründen und zu klassifizieren. Dabei können sowohl logische Verknüpfungen und Argumente als auch Erzählungen (Narrationen) zur Erklärung herangezogen werden“ (Brandt 2017, 112; Hervorh. im Orig.). In den analysierten Sequenzen ordnet Brandt (2017, 122) dem Explaining eine Situation zu, in der Naomi verbal und gestisch erläutert, dass der Holzquader und der Brückenstein von oben identisch aussehen. Das begründet sie einerseits damit, dass man das Loch des Brückensteines nur von der Seite sehen kann, andererseits führt sie die Hand Olivias bei einem Austausch der beiden Steine, wodurch sie implizit verdeutlicht, dass die beiden Steine ausgetauscht werden können (vgl. Brandt 2017, 122). In diesen Ausführungen wird für mich deutlich, dass die von Brandt (2017) für die Analyse der Spiel- und Erkundungssituation verwendeten übergeordneten mathematischen Aktivitäten, zwei verschiedene Perspektiven ermöglichen. Zum einen werden mit Counting, Measuring und Locating vorrangig mathematische Inhalte fokussiert und es kann damit analysiert werden, in welchen Aktivitäten der betrachteten Situation sich diese zeigen. Zum andern lenken Designing, Playing und Explaining den Blick darauf, auf welche Weise die beteiligten Personen miteinander und mit dem Material interagieren. Während bei den ersten drei genannten Aktivitäten also offensichtlich ist, warum man diese als mathematische Aktivitäten bezeichnen kann, ist bei den letzten drei offensichtlich, weshalb man Sie als übergeordnete Aktivitäten bezeichnen kann. Allerdings bleibt letztlich offen, warum diese sechs insgesamt als übergeordnete mathematische Aktivitäten gelten können und was Designing, Playing und Explaining zu mathematischen Aktivitäten macht. In der von Brandt (2017) dargestellten Analyse lässt sich hinsichtlich der zuletzt genannten Aktivitäten trotzdem ein Bezug zu mathematischen Inhalten erkennen. Das liegt wohl vor allem daran, dass alle dargestellten Sequenzen, egal welcher weiteren Aktivität sie zugeordnet wurden, auch mit Locating zu tun haben (vgl. Brandt 2017, 121). Brandts (2017) Auswertung von Sequenzen einer Spiel- und Erkundungssituation anhand eines Transkripts deutet im Hinblick auf eine Analyse von Bauspiel aus mathematikdidaktischer Perspektive auf zwei wichtige Aspekte hin. Sowohl verbale Äußerungen als auch Gesten und konkrete Materialhandlungen können für die Deutung von Situationen bzw. Interaktionen
2.2 Bauspiele und Mathematik
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von Interesse sein. Dadurch wurden in den beobachteten Situationen bzw. Interaktionen viele Verflechtungen zwischen verschiedenen mathematischen Inhalten und Aktivitäten erkannt.
2.2.3.5 Schlussfolgerungen Die in den vorigen Kapiteln betrachteten Analysen und Theorien verdeutlichen, dass Bauspielsituationen Bezüge zu verschiedenen mathematischen Inhalten aufweisen können. Inhalte aus den Inhaltsbereichen Raum & Form, Größen & Messen sowie Zahlen & Operationen sind immer wieder zu erkennen. Dabei werden durchaus auch ganz bestimmte inhaltliche Aspekte aus den einzelnen Bereichen hervorgehoben. Insbesondere hinsichtlich des Bereichs Raum & Form lassen sich verschiedene Ansätze einer Ausdifferenzierung erkennen, wie auch in Tabelle 2.4 verdeutlicht wird, in der die Befunde aus den verschiedenen Veröffentlichungen zusammengefasst sind. Es zeigt sich hier erwartungsgemäß eine besondere Häufung von Inhalten, die man gut dem Begriff Locating zuordnen kann, das heißt, es geht um die Erkundung und Erfassung der räumlichen Situation oder Umgebung (vgl. Brandt 2017, 111). Die Verwendung dieser Bezeichnung und eben nicht des Begriffes Geometrie oder Raum & Form trägt in meinen Augen besonders gut der Tatsache Rechnung, dass es um die Aktivitäten und Handlungen (der Kinder) geht. Es ist bemerkenswert, dass sich die Ausführungen der unterschiedlichen Autoren, die sich auf die Fragestellung nach den mathematischen Inhalten im Bauspiel beziehen, gut mit den von Brandt (2017) in Anlehnung an Bishop genannten Aktivitäten Locating, Measuring und Counting überschreiben lassen. Interessanterweise eröffnen die von Fröbel verwendeten Begriffe Formbetrachtungen, Zahlbetrachtungen und Größenbetrachtungen durchaus ähnliche Assoziationen. Die oben gewählte Unterteilung von Locating in mehrere Bereiche, greift die von Vogel (2014) und von Seo und Ginsburg (2004) vorgenommene Unterscheidung der Inhalte geometrische Formen bzw. Pattern and Shape und Raumvorstellungskomponenten bzw. Spatial Relations auf. Während Muster bei Vogel (2014) als eigenständige Kategorie beschrieben wird, umfasst Pattern and Shape sowohl Muster als auch Form. Die von Seo und Ginsburg (2004) beschriebenen Level für die Kategorie Pattern and Shape sowie die von diesen außerdem verwendete Kategorie Dynamics weisen schließlich auch darauf hin, dass eine Unterscheidung der Aspekte Muster und Form den beschriebenen Inhalten gerecht wird. Um dieser Unterscheidung Rechnung zu tragen, wurde von mir der Begriff Symmetriebetrachtung analog zu dem Begriff Formbetrachtung gebildet. Ich habe ihn gewählt, weil er beschreibt, was die zugeordneten Inhalte aus einer mathematischen Perspektive verbindet. Diese hier scheinbar eindeutige Zuordnung hat
mathematische Inhalte
Größenverhältnisse Größenbegriffe Vergleichen von Größen Abschätzen von Größen (jeweils in Bezug auf Längen, Flächen oder Volumina) • Klötze nach Größe sortieren • Mengenverhältnisse • Wahrnehmung, Unterscheidung oder Bezeichnung von Mengen
Counting/Zahlbetrachtungen
• Raumlage-Begriffe • Ort oder Richtung angeben bzw. zeigen
Räumliche Orientierung • • • •
• Beschreibungen von Symmetrien (im Zusammenhang mit Schönheitsformen) • Herstellen von linearen Mustern (Bandornamente) • Bauen von symmetrischen Objekten • Verändern und Einpassen von Objekten (geometrische Abbildungen – Spiegelung, Drehung)
Symmetriebetrachtungen
Formbetrachtungen/ geometrische Formen • Bezeichnungen und Eigenschaften geometrischer Formen • Umordnen/Zusammensetzen von geometrischen Formen • Klötze nach Formen sortieren • zwei- bzw. dreidimensionale Darstellung von Objekten aus dem Alltag • Vergleich geometrischer Figuren mit Alltagsgegenständen • Legen geometrischer Figuren
geometrische Aktivitäten
Measuring/Größenbetrachtungen
Locating
mathematische Aktivitäten
Tabelle 2.4 Mathematische Inhalte im Bauspiel
224 2 Bauspiel
2.3 Zusammenfassung
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aber auch Grenzen, wie sich am Punkt „Verändern und Einpassen von Objekten“ zeigen lässt. Jede Klappung und Drehung von Objekten im Raum hat gleichzeitig mit der räumlichen Orientierung zu tun, da damit die Veränderung eines Objektes hinsichtlich seiner Lage im Raum einhergeht.
2.3
Zusammenfassung
In den Ausführungen zum Bauspiel wurde deutlich, dass sich verschiedene Disziplinen mit Bauspielen befassen und angenommen wird, dass Bauspiele ein jeweils spezifisches Bildungspotenzial oder jeweils typische Erfahrungs- und Lernfelder für Kinder eröffnen können. Dabei und dadurch wird auch die Ganzheitlichkeit der Erfahrungen, die Kinder in Bauspielen sammeln, betont. Trotz dieser Ganzheitlichkeit, die sich nicht nur in Bauspielen, sondern im Spielen und Lernen von Vorschulkindern im Allgemeinen zeigt, benötigt die Analyse von Bauspielsituationen eine bestimmte Perspektive und die Konzentration auf bestimmte Aspekte. Die in dieser Arbeit gewählte mathematikdidaktische Perspektive berücksichtigt dabei auch Sichtweisen anderer Disziplinen. An den Themen Perspektivübernahme, Problemlösen und Symmetrie zeigt sich, dass eine eindeutige Zuordnung zu einer Disziplin gar nicht immer möglich ist. Insbesondere die in Abschnitt 2.2.2.2 dargestellten Elemente des Problemlösens Making and Monitoring, Evaluation und Planning oder die den Bereichen Design und Technik zugordneten Strategien Make or Modify, Evaluate und Design or Adapt, haben sich, wie Abschnitt 3.3.3.1 zeigt, für die in dieser Arbeit durchgeführte Analyse von Bauspielsituationen als bedeutsame Referenzen herausgestellt, obwohl sie in mathematikdidaktischen Veröffentlichungen bisher nicht als Arbeitsweisen für das Lösen mathematischer Probleme beschrieben wurden. Diesbezüglich ist zu bedenken, dass sowohl die Ausführungen zur Mathematik als Tätigkeit (vgl. Abschnitt 1.2) als auch die von Brandt (2017) in Anlehnung an Bishop beschriebenen mathematischen Aktivitäten Designing, Playing und Explaining zeigen, dass es bislang keine allgemeingültigen Kriterien dafür gibt, ob ein bestimmter Prozess, eine Aktivität oder eine Handlungsweise das Attribut mathematisch tragen kann. Die in Abschnitt 2.2.3 beschriebenen mathematischen Inhalte im Bauspiel verdeutlichen, dass eine Orientierung an der in Bildungsplänen gewählten Unterteilung in vier oder fünf verschiedene mathematische Inhaltsbereiche das konkrete Tun von Kindern im Bauspiel nur unzureichend erfassen kann. Die im Zusammenhang mit Bauspiel aufgeführten mathematischen Aspekte weisen, wie oben dargestellt wurde, besonders häufig Bezüge zu Raum & Form auf, wobei die
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Bauspiel
in Abschnitt 1.4 beschriebenen Teilbereiche hier kaum Entsprechungen bieten. Damit kommt dem Finden von Beschreibungsdimensionen und der Ausdifferenzierung dieser eine besondere Bedeutung zu, denn nur so können mathematische Inhalte in Bauspielaktivitäten erkannt und eingeordnet werden. Insbesondere der informelle mathematische Charakter in den Interaktionen der Kinder wird bislang wenig thematisiert, hat sich für das Finden einer Systematik in dieser Arbeit aber als zentral erwiesen, wie in Abschnitt 4.1 deutlich wird.
Teil II Empirische Studie
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Bauspielaktivitäten analysieren
Das in der Einleitung dieser Arbeit dargestellte Forschungsanliegen, Bauspielaktivitäten von Kindern aus mathematikdidaktischer Perspektive zu analysieren, zu deuten und zu verstehen, bringt die Frage mit sich, wie eine Analyse von Bauspielaktivitäten durchgeführt werden kann. Die im vorigen Kapitel mehrmals angeführte Veröffentlichung von Gura und Bruce (1992) verdeutlicht gut, dass eine Analyse von Bauspielen sicherlich eine hohe Praxisrelevanz hat. An Einzelfalldarstellungen lässt sich zeigen, welche Bedingungen Bauspiele benötigen, welche Unterstützungsformen durch Fachkräfte geeignet wären und wo beispielsweise Bezüge zum Lernen von Mathematik gesehen werden. Was diese Praxisforschung und andere Studien, die sich mit Bauspielen im weiteren Sinne befassen, nicht leisten, ist eine systematische Analyse von Bauspielen aus dem Blickwinkel der Mathematikdidaktik. Die im Folgenden dargestellten Forschungsfragen meiner Studie fokussieren deshalb einerseits darauf, wie Bauspielaktivitäten von Kindern aus mathematikdidaktischer Perspektive systematisch und differenziert beschrieben werden können: • Zu welchen übergeordneten Arbeitsweisen lassen sich Handlung und Sprache der Kinder im Bauspiel zusammenfassen? • Welche auf das Bauen sowie die Eigenschaften des Baumaterials oder Bauwerks bezogenen Themen kommen in den Interaktionen von Kindern während ihrer Bauspiele vor und welche inhaltsbezogenen mathematischen Aspekte lassen sich darin erkennen? • Welche Zusammenhänge zwischen inhaltsbezogenen mathematischen Aspekten und den übergeordneten Arbeitsweisen zeigen sich in den Interaktionen und inwiefern sind darin mathematische Prozesse erkennbar?
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Henschen, In Bauspielen Mathematik entdecken, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31741-6_3
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Bauspielaktivitäten analysieren
Andererseits gilt es, ausgehend davon darzustellen, ob und inwiefern sich Bauspielaktivitäten als mathematische Lernchancen deuten lassen. • In welchen Bauspielsituationen sind besonders vielfältige Bezüge zu mathematischen Inhalten und Prozessen zu erkennen? • Welche Voraussetzungen dafür, dass Kinder miteinander informelles mathematisches Wissen teilen, lassen sich anhand dieser Bauspielsituationen aufdecken und beschreiben? Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen ist ein Forschungsdesign notwendig, das den Blick auf die Bauspiele von Kindergartenkindern und deren Interaktionen lenkt. Welche Anknüpfungspunkte sich hinsichtlich Erhebungs- und Auswertungsmethoden in der Literatur finden lassen und wie das gewählte Forschungsdesign schließlich eingeordnet werden kann, wird in Abschnitt 3.1 dargestellt. In den Abschnitten 3.2 und 3.3 folgt eine weitere Auseinandersetzung mit der gewählten Erhebungsmethode Videografie und ihrer konkreten Umsetzung in meiner Studie sowie mit der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse, die als Grundlage für die Datenaufbereitung und Datenanalyse gedient hat. Dabei werden auch die einzelnen Schritte in diesem Prozess hinsichtlich ihrer Anwendung in meiner Studie erläutert.
3.1
Forschungsdesign – Anknüpfungspunkte und Einordnung
Die mathematikdidaktische Forschung ist ein sehr uneinheitliches Feld. Geprägt von ihren Bezugsdisziplinen Psychologie und Erziehungswissenschaft finden sehr unterschiedliche Forschungsansätze empirischer Bildungs- und Unterrichtsforschung Eingang. Für die Erforschung von Lern- und Spielsettings im Bereich der frühen mathematischen Bildung spielt die videobasierte Forschung eine wichtige Rolle. In der Mathematikdidaktik lassen sich allgemein zwei größere Strömungen videobasierter Forschung ausmachen. Es gibt Forschungsvorhaben mit dem Ziel der Untersuchung/Messung von Unterrichtsqualität anhand von videografierten Lehr-Lern-Settings, die zum Teil im Rahmen aufwändiger und großer Videostudien analysiert wurden. Besonders bekannt sind hier die internationalen Videostudien „TIMMS 1995 Video“ und „TIMMS 1999 Video“ (vgl. Petko et al. 2003). Hinsichtlich der Erforschung der Qualität pädagogischen Handelns von Fachkräften liegt für den vorschulischen Bereich mit PRIMEL (Professionelles Handeln im Elementarbereich) ebenfalls
3.1 Forschungsdesign – Anknüpfungspunkte und Einordnung
231
eine größere deutsch-schweizerische Videostudie vor, wobei die mathematische Bildung hier nur einen Aspekt in der Studie darstellt (vgl. Kucharz et al. 2014). Diese Videostudien haben die Herausforderung gemeinsam, dass große Mengen von Videodaten so aufbereitet werden müssen, dass quantitativ darstellbare Daten zur jeweiligen Fragestellung generiert werden können. Ausgehend von Kategoriensystemen, die auf dem theoretischen Hintergrund der jeweiligen Fragestellung basieren, wurden Kodierleitfäden entwickelt, die mithilfe geeigneter Videoanalysesoftware eine Umsetzung dieses Vorhabens ermöglichten. Qualität von Unterricht anhand von Lehrerhandeln bzw. die Qualität frühkindlicher Bildungsprozesse anhand des Handelns pädagogischer Fachkräfte im Kontext verschiedener Rahmenbedingungen vergleichen zu können, ist dabei das zentrale Ziel. Obwohl PRIMEL auch Freispielsituationen berücksichtigt hat, ist das Ziel der Studie, die Qualität pädagogischen Handelns von Fachkräften zu vergleichen und das dafür gewählte Forschungsdesign nicht tragfähig, wenn es um die Analyse mathematikbezogener Aktivitäten von Kindergartenkindern in Bauspielsituationen geht. Eine Reihe videobasierter Studien lassen sich dem Ansatz der interpretativen Forschung1 zuordnen. Für den Bereich der frühen mathematischen Bildung ist hier die in Abschnitt 2.2.3.3 erwähnte Studie erStMaL interessant. Diese ist allerdings aufgrund des großen Datenkorpus ein eher untypisches Beispiel. Zumeist handelt es sich um weniger umfangreiche Studien, die anhand einiger Videos einer sehr fokussierten Fragestellung nachgehen, dabei versteht sich die Methode als rekonstruktives Verfahren. Auch das Ziel der Studie erStMaL, mithilfe von Beobachtungen herauszufinden, „wie Kinder die Welt in geeigneten Situationen mathematisch deuten und strukturieren“ (Bayraktar et al. 2011, 13), verdeutlicht, dass es sich hier um ein qualitativ-rekonstruktiv orientiertes Forschungsprojekt handelt. Als Schwerpunkt der Datenauswertung wird dann auch die Analyse der Videodaten mittels qualitativ-rekonstruktiver Methoden genannt, wobei die interpretative Unterrichtsforschung hier einen von mehreren Zugängen darstellt. Der Begriff interpretative Unterrichtsforschung wird von den Autoren selbst 1 Aus
einer Kritik an den herrschenden Forschungsprogrammen der Unterrichtsforschung heraus hat Terhart 1978 den Begriff der Interpretativen Unterrichtsforschung geprägt und diesen mit einer symbolisch-interaktionistischen Konzeptualisierung begründet. Der im selben Jahr erschienene Aufsatz „Kommunikationsmuster im Mathematikunterricht – Eine Analyse am Beispiel der Handlungsverengung durch Antworterwartung“ (Bauersfeld 1978), in dem Heinrich Bauersfeld das Trichtermuster als eine von Lehrperson und Lernenden gemeinsam hervorgebrachte Stereotype der Unterrichtswirklichkeit beschreibt, kann als der Anfang der interpretativen Unterrichtsforschung in der deutschsprachigen Mathematikdidaktik gesehen werden. (Quelle https://madipedia.de/wiki/Arbeitskreis_Interp retative_Forschung)
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Bauspielaktivitäten analysieren
nicht genannt, stattdessen wird die Bezeichnung Argumentations-PartizipationsRezipientenanalyse verwendet (vgl. Bayraktar et al. 2011, 22 f.). Das könnte als Ausdifferenzierung oder Konkretisierung eines von Krummheuer beschriebenen Analyseverfahrens der interpretativen Unterrichtsforschung verstanden werden (vgl. Krummheuer und Brandt 2001; Krummheuer und Naujok 1999). Als weitere Auswertungsmethoden für die erStMaL-Studie werden Segmentierungsanalyse, Interaktionsanalyse und qualitative Inhaltsanalyse genannt, wobei als Analysegrundlage aus dem Videomaterial erstellte Transkripte dienten, „die neben den verbalen Äußerungen auch Hinweise zum Umgang mit den Materialien sowie Mimik und Gestik enthalten“ (Bayraktar et al. 2011, 22). Allerdings wurde die qualitative Inhaltsanalyse im Rahmen der Studie auch direkt an den Videodaten eingesetzt, wie in einem Aufsatz von Vogel (2014) zum geometrischen Handeln von Kindern deutlich wird. Vogel (2014, 134) beschreibt darin, dass die Videos mittels eines im Projekt erarbeiteten Kodierleitfadens kodiert wurden. „Hierzu werden die Videos in Sequenzen von 30 Sekunden Länge untergliedert. Jeder Sequenz werden dann maximal zwei (Unter-)Kategorien zugeordnet“ (Vogel 2014, 134). Hinsichtlich der Entwicklung des Kategoriensystems verweist Vogel (2014, 133) auf Mayring (2007, 74 f.). In Anlehnung daran sei für die Entwicklung des Kategoriensystems eine Verschränkung der induktiven und der deduktiven Kategorienbildung verwendet worden. Anhand von elf Hauptkategorien, die in Unterkategorien ausdifferenziert sind und die an den mathematischen Konzepten der fünf Bereiche – „Zahlen und Operationen“, „Geometrie und räumliches Denken“, „Messen und Größen“, „Muster und Strukturen“, „Daten und Zufall“ (vgl. Bayraktar et al. 2011, 12) – orientiert sind, sollten so folgende Forschungsfragen beantwortet werden. • Welche geometrischen Handlungen der Kinder lassen sich in den ausgewählten mathematischen Spiel- und Erkundungssituationen „Körper“ und „Stäbchen“ beobachten? • Wie verändern sich die beobachtbaren geometrischen Handlungen in den ausgewählten mathematischen Erkundungssituationen über die Zeit von drei Erhebungszeitpunkten? (Vogel 2014, 133) Das hier beschriebene Vorgehen zur Analyse der Videodaten und die gewählten Forschungsfragen weisen Ähnlichkeiten zu dem von Seo und Ginsburg (2004) und Ginsburg et al. (2004) beschriebenen Vorhaben auf. Dabei standen neben der Frage danach, ob sich die alltägliche Mathematik von sozioökonomisch benachteiligten Amerikanern afrikanischen und lateinamerikanischen Ursprungs von der
3.1 Forschungsdesign – Anknüpfungspunkte und Einordnung
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von gleichaltrigen Kindern der Mittelschicht unterscheidet, folgende Fragen im Fokus: • How often do young children engage in mathematical activities during their free play? • In what kinds of mathematical activities do young children spontaneously engage during their free play? (Seo und Ginsburg 2004, 92) Zur Beantwortung dieser Fragen wurden die im Rahmen der Studie gesammelten Videodaten codiert. Diese wurden zu diesem Zweck in einminütige Segmente unterteilt, denen jeweils eine Kategorie zugeordnet wurde. Wenn zwei Kategorien passend waren, wurde entschieden, welche der beiden Kategorien die für dieses Segment hervorstechendere war (vgl. Ginsburg et al. 2004, 92). Die dafür verwendeten Kategorien wurden induktiv entwickelt: „To analyze children’s everyday mathematical activities, mathematical content codes were developed. The codes were developed inductively“ (Ginsburg et al. 2004, 92). Die Autoren führen dazu weiter aus, dass sie, statt sich aus der Literatur gewonnene konzeptuelle Kategorien aufzubürden, versuchten, analytische Konstrukte aus den Pilotdaten zu ziehen. Dabei formulierten sie viele mögliche Kategorien und suchten nach der besten von verschiedenen alternativen Darstellungen. So haben sich durch den wiederholten Prozess von Kodieren, Revision und erneutem Kodieren nach und nach neue analytische Schemata entwickelt. Das Kodieren von Videodaten und ausgehend davon das Darstellen von Häufigkeiten sind Verfahren, die auch im Rahmen der oben genannten großen Videostudien zum Einsatz kamen. Es lässt sich darin eine Nähe zu der von Kuckartz (2014) beschriebenen evaluativen qualitativen Inhaltsanalyse bzw. dem von Mayring (2015b) dargestellten Verfahren der Strukturierung und den damit verbundenen Interpretationsformen Häufigkeitsanalysen sowie Valenz- und Intensitätsanalysen erkennen. Auch wenn diese inhaltsanalytischen Techniken üblicherweise zunächst von Textdaten ausgehen, so bezieht sich doch eine Veröffentlichung von Mayring et al. (2005) explizit auf die Analyse von Videodaten. Dort werden folgende Grundprinzipien der qualitativen Inhaltsanalyse im Hinblick auf videobasierte Unterrichtsbeobachtung beschrieben: • Kategoriengeleitetheit der Analyse; • Deduktive Kategorienanwendung (Methode der strukturierenden Inhaltsanalyse); • Erstellung eines Kodierleitfadens, der genaue, theoriegeleitet entwickelte Kategoriendefinitionen und Kodierregeln enthält;
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Bauspielaktivitäten analysieren
• Pilottestung des Kodierleitfadens, gegebenenfalls Überarbeitung; • Systematisches Durcharbeiten des gesamten Materials mithilfe der Kategorien und des Kodierleitfadens; • Überprüfung der Beobachterübereinstimmung (Interkoder-Reliabilität) zumindest an Teilen des Materials (Mayring et al. 2005, 6) Diese Prinzipien sind auch bei den umfangreichen Videostudien TIMMS oder PRIMEL zu erkennen. Für die Untersuchungen von Vogel (2014) und Seo und Ginsburg (2004) treffen aber nicht alle zu. So basiert der jeweils nicht näher beschriebene Kodierleitfaden nicht ausschließlich auf aus der Theorie entwickelten Kategorien und inwiefern die Kategoriendefinitionen theoriegeleitet entwickelt wurden, wird in beiden Fällen nicht dargestellt. Es wird lediglich hervorgehoben, dass die induktive Kategorienbildung eine Rolle spielte. Hinsichtlich der induktiven Kategorienbildung in der qualitativen Inhaltsanalyse sind mir bislang noch keine Veröffentlichungen bekannt, die den Ablauf des Verfahrens oder Grundprinzipien dieses Verfahrens für audiovisuelle Beobachtungsdaten beschreiben. Einen weiteren Anhaltspunkt in dieser Hinsicht bietet aber die Studie von Schuler (2013), bei der ebenfalls die Auswertung von Videodaten von Spielsituationen im Kindergarten im Fokus steht. Die Frage, die durch die Analyse beantwortet werden sollte, lautete: „Unter welchen Bedingungen können potentiell geeignete Spiele ihr mathematisches Potenzial entfalten bzw. unter welchen Bedingungen können in Spielsituationen mit ausgewählten Spielen mathematische Lerngelegenheiten entstehen?“ (Schuler 2013, 23). Schuler (2013) verwendete in ihrer Studie zwar nicht die qualitative Inhaltsanalyse aber mit der Grounded Theory ein Verfahren, bei dem es sich laut Mayring (2015b, 86) auch um ein induktives Vorgehen handelt, das nach einer möglichst naturalistischen, gegenstandsnahen Abbildung des Materials ohne Verzerrungen durch Vorannahmen des Forschers strebt. Es geht demnach um eine Erfassung des Gegenstands in der Sprache des Materials, was insbesondere durch das Vorgehen des offenen Kodierens erreicht wird. Mayring (2016, 107) schreibt der Grounded Theory zu, dass sie sich besonders gut bei einer mit teilnehmender Beobachtung arbeitenden Feldforschung durchführen lässt und dass sie sich bei eher explorativen Untersuchungen eignet. Schuler (2013, 110) selbst betont, dass die Methode der Grounded Theory die zentrale methodologische Grundlage ihrer Studie und ihrer ganzen Arbeit ist, weil sie das Verhältnis von Theorie und Empirie entsprechend ihrem Vorhaben als zirkulär fasst. Im Unterschied zur Grounded Theory lässt sich innerhalb der qualitativen Inhaltsanalyse der Kategorienbildungsprozess systematischer beschreiben, wobei in der Logik der Inhaltsanalyse vorab das Thema der Kategorienbildung
3.1 Forschungsdesign – Anknüpfungspunkte und Einordnung
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theoriegeleitet bestimmt werden muss (vgl. Mayring 2015b, 86). Während im Zentrum der Grounded Theory die gegenstandsbezogene Theoriebildung steht, will die qualitative Inhaltsanalyse Texte systematisch analysieren, „indem sie das Material schrittweise mit theoriegeleitet [oder] am Material entwickelten Kategoriensystemen bearbeitet“ (Mayring 2016, 114). Was lässt sich daraus für das Forschungsdesign der vorliegenden Studie schlussfolgern? Eine Beobachtung von kindlichen Bauspielen dort, wo sie üblicherweise stattfinden, also im Feld, scheint das Mittel der Wahl zu sein, wobei die Verwendung von Videografie dafür ein übliches Vorgehen darstellt. Allerdings besteht, anders als bei der Studie von Schuler (2013) zum Spielen von Regelspielen, die Spezifik der von mir untersuchten Bauspielaktivitäten darin, dass sie von den Kindern selbst initiiert sind und keinem regelgeleiteten Ablauf unterliegen. Es sind auch, anders als bei Schuler (2013) oder Vogel (2014), keine mathematikbezogenen Aktivitäten, die durch pädagogische Fachkräfte angeregt werden, Gegenstand der Datenanalyse. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Kinder nicht an einem eng begrenzten, gemeinsamen Spiel- und Lernsetting beteiligt sind, sondern dass hier mehrere Kinder zwar gleichzeitig, aber durchaus mit unterschiedlichen Bauspielen und an wechselnden Plätzen beschäftigt sind. Das erfordert, mehrere Akteure im Blick zu behalten, was besondere Herausforderungen an die Datenerhebung, aber auch an die Analyse der Daten stellt. In einem zirkulären Vorgehen von Datenauswertung und Datenerhebung, wie es für die Grounded Theory typisch wäre, sehe ich für die Beantwortung meiner Forschungsfragen keinen Vorteil und auch die Bildung neuer gegenstandsbezogener Theorien ist nicht das primäre Ziel der Studie. Es geht vielmehr darum, beschreiben und systematisch darstellen zu können, welche Prozesse und Themen die Interaktionen im Bauspiel sowie auch seinen Verlauf prägen und inwiefern darin mathematische Inhalte und Arbeitsweisen zu erkennen sind. Ein Verfahren, das auf ein aus der Theorie entwickeltes Kategoriensystem zurückgreift, scheidet dafür aus. In Kapitel 1 und Abschnitt 2.2 hat sich sehr deutlich gezeigt, dass es bislang keine ausreichend theoretisch und empirisch gesicherten Vorstellungen zu Prozessen und Themen von Kindern in Bauspielinteraktionen gibt. Eine systematische Analyse von Bauspielsituationen mit dem Ziel, ein Kategoriensystem zu entwickeln, entspricht deshalb in besonderem Maße dem Gegenstand der Studie. Es wird erwartet, dass auf diese Weise typische Prozesse und Handlungsweisen sowie mathematikbezogene Aspekte, die sich im Verlauf von Bauspielinteraktionen zeigen, aufgedeckt werden können. Eine schrittweise Bearbeitung des Materials ermöglicht es, die Handlungsweisen und die mathematikbezogenen
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Bauspielaktivitäten analysieren
Aspekte, auf die die Kinder in ihren Bauspielinteraktionen fokussieren, systematisch zu erfassen und damit Bauspiele hinsichtlich ihres mathematischen Gehaltes interpretieren zu können. Im Folgenden werden deshalb die Videografie als Methode der Datenerhebung und die qualitative Inhaltsanalyse als Methode zur Datenaufbereitung und Datenauswertung in den Blick genommen und die konkrete Umsetzung dieser Methoden für die vorliegende Studie erläutert.
3.2
Datenerhebung
3.2.1
Videografie
Wie oben deutlich wurde, steht die Aufbereitung und Auswertung von Videodaten in einem Spannungsfeld sehr unterschiedlicher Forschungstraditionen bzw. -methoden, wobei die Datenerhebung selbst kaum Beachtung findet. So kritisieren Huhn et al. (2012), dass es zwar sehr verbreitet ist, mit Video zu arbeiten, wenn das Verhalten von Kindern beobachtet werden soll, dass der Einsatz von Video als Beobachtungsverfahren aber kaum methodisch und theoretisch reflektiert wird. Anknüpfend daran soll im Folgenden aufgezeigt werden, welchen Vorteil die Datenerhebung mittels Videografie gegenüber anderen Methoden hat und worin besondere Herausforderungen gesehen werden. Corsten (2010) vertritt die Auffassung, dass videobasierte Daten dann forschungslogisch unverzichtbar sind, wenn so Informationen erzeugt und wieder verwertbar gemacht werden, die sonst nur unvollständig oder unzuverlässig erhoben werden könnten. Aus seiner Sicht gehören dazu alle Formen von Beobachtungs- und Verhaltensdaten, wobei er einschränkend hinzufügt, dass das vor allem gilt, wenn durch trennscharfe Codes vorgegebene Muster erkannt und ausgezählt werden sollen. „Schwieriger in methodologischer Hinsicht wird es dann, wenn die visuellen Daten nicht dem Nachweis des Vorliegens singulärer Sachverhalte dienen sollen“ (Corsten 2010, 9). Liegen also singuläre Sachverhalte in Form von Kategorien oder Codes vor, sind videobasierte Daten das Mittel der Wahl. Ein passendes Beispiel dafür sind die Studien TIMMS und PRIMEL, die dieser Forschungslogik weitgehend entsprechen. Sowohl bei der interpretativen Forschung als auch bei der Grounded Theory und mit Einschränkung bei der qualitativen Inhaltsanalyse werden üblicherweise Textdaten als Grundlage der Auswertung gewählt. Das wirft die Frage auf, ob es sinnvoll ist, Videodaten zu generieren oder ob Beobachtungsprotokolle bzw. ausgehend von Audioaufnahmen erstellte Verbaltranskripte möglicherweise geeignetere Daten sind. Schuler (2013) begründet den Einsatz von Videotechnik in ihrer
3.2 Datenerhebung
237
Studie damit, dass Spielsituationen im Kindergarten ein komplexes Geschehen sind, welches sowohl verbale Äußerungen als auch Mimik, Gestik und Handlungen mit Spielmaterialien umfasst und in dieser Komplexität einer wiederholten Analyse zugänglich gemacht werden sollte. Durch die Erfassung des Zusammenspiels von Ereignissen, die sowohl sichtbar als auch hörbar sind, können laut Dinkelaker und Herrle (2009) tiefe Einblicke in das Interaktionsgeschehen gewonnen werden, wohingegen Tonbandmitschnitte es zwar ermöglichen, Interaktionen als Gespräche zu untersuchen aber keine Dokumentation dessen stattfindet, was nur sichtbar aber nicht hörbar ist. Bei der Erstellung von Beobachtungsprotokollen im Rahmen einer teilnehmenden Beobachtung können außer der visuellen und auditiven Wahrnehmung auch alle anderen Sinne einbezogen werden. Die Erstellung eines Protokolls bedeutet aber immer, dass bereits eine Interpretation der Situation stattfindet. Ein Rohmaterial im Sinne von Ton- und Bilddaten wird in diesem Fall nicht festgehalten, weshalb nicht die Möglichkeit einer wiederholten, verlangsamten oder beschleunigten Beobachtung besteht (vgl. Dinkelaker und Herrle 2009, 15). Krummheuer (2012) schlägt vor, neben den Videoaufzeichnungen auch Feldnotizen zu machen, die Anmerkungen über den Verlauf der Aufnahmesituation, atmosphärische Beschreibungen und Hinweise auf Szenen, die besonders interessant erscheinen, enthalten. Auf diese Weise kann der Vorteil von teilnehmender Beobachtung – der Einbezug aller Sinne – genutzt werden, gleichzeitig ermöglichen die Videoaufzeichnungen das wiederholte Ansehen und Anhören des komplexen Spielgeschehens. Bei allen Vorteilen, die Videodaten für ein Forschungsvorhaben bieten, in dem das Spiel- und Interaktionsgeschehen fokussiert werden soll, gibt es auch besondere Herausforderungen und Grenzen der Erhebungsmethode Videografie. So sehen Huhn et al. (2012) die Problematik, dass vorurteilsbehaftete sich selbst legitimierende Videodaten im Untersuchungsdesign vorkommen, da Videobilder subjektive Momentaufnahmen sind. „In dem Moment, in dem ich durch den Sucher blicke und mich entscheide, den Einschaltknopf zu drücken, wird Video zum Protokoll […] einer subjektiven Wahrnehmung“ (Huhn et al. 2012, 137). Das erzeugte Videomaterial sei demnach kein neutrales Dokument von Realität, sondern ein Dokument für die Sichtweisen der Aufnehmenden, die auch hinterfragt werden können. Nicht nur aus qualitativen Gründen, sondern auch um unbrauchbares bzw. für den gedachten Zweck uninteressante Videofilme zu vermeiden, wird eine konzeptionelle Verabredung – eine umfangreiche Reflexion der Videoaufnahmen noch vor deren Entstehung – für unabdingbar gehalten (vgl. Huhn et al. 2012, 138). Der Beherrschung der Technik und der Planung der Aufnahmen – wie soll der Forschungsgegenstand erfasst und dargestellt werden – kommt
238
3
Bauspielaktivitäten analysieren
besondere Bedeutung zu. Neben technischen Entscheidungen über Kameraposition und -perspektive, die Anzahl von Kameras und die Art der Kameraführung spielen Aufnahmebeginn und Aufnahmedauer ebenso eine Rolle wie Überlegungen zu Wechselbeziehungen mit dem Untersuchungsfeld (vgl. Dinkelaker und Herrle 2009; Huhn et al. 2012). Das Spannungsfeld zwischen einer möglichst optimalen Qualität der Videoaufzeichnungen einerseits und einem möglichst minimalen Einfluss auf die Interaktionen der Kinder andererseits stellt im Hinblick auf die Analyse von kindlichen Interaktionen eine besondere Herausforderung dar (vgl. Huhn et al. 2012; Krummheuer 2012).
3.2.2
Rahmenbedingungen für die Datenerhebung im Projekt
Die Fragen, die sich angesichts der Überlegungen oben für das vorliegende Projekt stellen, sind: Wie und wo können Bauspiele von Kindern beobachtet und mittels Videoaufnahme einer Analyse bezogen auf die Forschungsfragen zugänglich gemacht werden? Zunächst ist festzuhalten, dass Bauklötze und Kindergarten dank Fröbel untrennbar miteinander verbunden sein dürften. Es ist also anzunehmen, dass sich in vielen Kindertageseinrichtungen tagtäglich Kinder Bauspielen widmen. Dabei finden sich neben Fröbelbausteinen häufig weitere Baumaterialien in Kitas, z. B. in Bauecken oder Bauräumen. Genau diese alltäglichen Bauspielsituationen in Kitas sollten Gegenstand der Analyse sein und beobachtet sowie als Video aufgenommen werden. Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel und Ressourcen bot sich die Möglichkeit, Studierende bei der Datenerhebung einzubeziehen. Durch Praktika, die die Studierenden im Laufe des Studiums absolvierten, kannten sie verschiedene Einrichtungen, in denen sie solche Beobachtungen durchführen konnten und videografieren durften. Dabei ergaben sich zwei unterschiedliche Szenarien für die Erhebung der Videodaten. Diese beiden Szenarien lassen sich am besten mit Freispiel und Freispiel mit Vorgaben umschreiben. Im ersten Fall wurde während Freispielphasen das Geschehen in der Bauecke mit einer Kamera gefilmt. In dieser Situation konnten Kinder mehr oder weniger beliebig kommen oder gehen und alle in der Bauecke zur Verfügung stehenden Materialien nutzen. Im zweiten Fall wurde eine feste Gruppe von (3– 4) Kindern gebeten, sich mindestens während einer festgelegten Zeit mit einem bestimmten Material in der Bauecke zu beschäftigen. Auch hierbei wurde mit einer Kamera gefilmt. Im zweiten Fall war überdies eine Vorgabe, dass es sich um Spielsituationen ohne Spielbegleitung durch Fachkräfte handelt. Bei den Freispielsituationen wurde diese Vorgabe nicht gemacht, aber angenommen, dass es überwiegend Situationen ohne Spielbegleitung sein würden.
3.2 Datenerhebung
239
Die Studierenden, die für das Videografieren gewonnen werden konnten, hatten im Rahmen ihres bisherigen Studiums bereits mindestens einmal mit Videografie gearbeitet und konnten auf ihnen bereits bekannte Kameras/bekanntes Equipment zurückgreifen. So wurde davon ausgegangen, dass die Erfahrung, was die technische Umsetzung angeht, ausreichend ist. Die Studierenden kannten außerdem die Gegebenheiten der Einrichtung sowie die Kinder aus wenigstens einem Praktikum. Als Rahmenbedingungen waren neben dem Einsatz einer Kamera, die in der Hand und/oder mit Stativ zum Einsatz kommen sollte, vorgegeben, dass die videografierten Situationen in einem möglichst teilweise vom restlichen Raum abgegrenzten Baubereich stattfinden. Die Aufnahme sollte begonnen werden, wenn Kinder in die Bauecke kommen und mit einem Bauspiel beginnen. Wenn kein Kind mehr in der Bauecke ist, sollte die Aufnahme beendet werden. Die Studierenden wurden darüber hinaus gebeten, einige Notizen zur Situation zu machen und Name, Alter der beteiligten Kinder sowie Anfangs- und Endzeit der Aufnahme festzuhalten. Vergleicht man die genannten Rahmenbedingungen mit den oben beschriebenen allgemeinen Überlegungen zur Videografie, wird deutlich, dass hier ein eher niederschwelliger Zugang gewählt wurde. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass die Datenerhebung von den Studierenden jeweils alleine bewältigt werden kann. Die Vorteile, die sich daraus ergaben, waren, dass mehrere Einrichtungen einbezogen werden konnten, weil von jedem beteiligten Studierenden in einer eigenen Einrichtung Videoaufnahmen gemacht wurden. Durch die bereits aufgebaute Beziehung zwischen den Studierenden und den Kindern in den Einrichtungen sollte außerdem erreicht werden, dass die Kinder durch das Beobachten möglichst wenig in ihrem Tun gestört werden. Auch die Tatsache, dass die Kinder, die Einrichtungen und die Studierenden schon mit der videogestützen Beobachtung vertraut sind, sollte dazu beitragen, den Einfluss auf das Untersuchungsfeld möglichst gering zu halten.
3.2.3
Übersicht über das Datenmaterial
Insgesamt entstanden so in vier verschiedenen Einrichtungen jeweils mehrere Videos von Bauspielphasen, die erwartungsgemäß sehr unterschiedlich sind. • Die Anzahl der beteiligten/anwesenden Kinder variiert zwischen einem Kind und 11 Kindern.
240
3
Bauspielaktivitäten analysieren
• Als Baumaterialien wurden Materialien, die sich durch ein Stecksystem fest verbinden lassen, z. B. Legos, SEVA-Material2 , und solches ohne feste Verbindung, z. B. Fröbelbausteine, genutzt. • Die Dauer der videografierten Spielphasen variiert zwischen vier Minuten und fast eineinhalb Stunden. Allen Videos ist gemeinsam, dass sie mit nur einer Kamera aufgenommen wurden, die überwiegend mit der Hand geführt wurde. Da das Spiel der Kinder in der Bauecke anders als ein Spiel am Tisch nicht räumlich begrenzt ist, war es sinnvoll, dieses durch die bewegte Kamera zu verfolgen. Gleichzeitig bedeutet das, dass die Aufnehmenden immer wieder Entscheidungen getroffen haben/treffen mussten, welche Kinder/Handlungen/Bauwerke sie mit der Kamera verfolgen/fokussieren oder auch heranzoomen. Daraus ergibt sich, dass nicht immer alle beteiligten Kinder im Bild sind. So sind manche Handlungen von Kindern für die Kamera nicht sichtbar oder die Zuordnung einer Äußerung zum Sprecher ist erschwert. In manchen Videos zeigt sich auch, dass das Vorhandensein der Kamera für die Kinder nicht so alltäglich war, wie erwartet, dies führte zu gelegentlichen Phasen von Ablenkungen. Die beobachtenden Studierenden werden ab und zu durch die Kinder in das Spiel einbezogen, der Einfluss, den sie damit auf das Spiel der Kinder haben, ist allerdings als gering einzuschätzen und nicht als Spielanregung zu sehen. Trotz der genannten Besonderheiten zeigt sich in den Videodaten schon auf den ersten Blick ein großes Potenzial. So ist zu erkennen, dass die Kinder in den Spielphasen, in denen sie sich einem gemeinsamen Spiel widmen, ganz auf dieses fokussiert sind. Dieses gemeinsame Spiel kann anhand der Videos gut nachvollzogen werden. Worüber die Kinder miteinander sprechen, kann ebenso gut wie das Handeln in die Analyse einbezogen werden. Entsprechend diesen Überlegungen konnte eine Auswahl aus dem vorhandenen Videomaterial getroffen werden (Tabelle 3.1). Einige der aufgenommenen Videos waren aufgrund der mangelnden Qualität (Ton und/oder Bild) für eine Analyse ungeeignet und wurden deshalb ausgeschlossen. Auch die Anzahl der beteiligten Kinder machte einen Ausschluss einiger Videos notwendig. So zeigte sich schnell, dass eine zu große Anzahl gleichzeitig beteiligter oder anwesender Kinder ein erhebliches Hindernis für eine Analyse der komplexen Spielsituationen darstellt. Situationen mit nur einem Kind wurden ebenfalls ausgeschlossen, da die Interaktionen von Kindern untereinander für wichtig erachtet wurden. Aus 2 Die
Kinder bezeichnen das Material selbst als „Sonos“. Der Name, unter dem dieses Material aktuell erworben werden kann, lautet „SEVA“, in der Arbeit wird es deshalb SEVA-Material genannt.
3.2 Datenerhebung
241
allen zur Verfügung stehenden Videos konnten am Ende die vier unten in der Tabelle fettgedruckten ausgewählt werden. Die Videos, die unter KITA 1 aufgeführt sind, entstanden im Setting „Freispiel mit Vorgaben“. Das Video aus KITA 2 entstand in einer normalen Freispielsituation. Allen vier Videos war neben einer ausreichenden Bild- und Tonqualität gemeinsam, dass die Kinder in den aufgezeichneten Situationen über längere Phasen mit gemeinsamen Bauspielen befasst waren, weshalb sie dem Fokus des Forschungsvorhabens entsprechen. Interessanterweise ist dabei keine Situation, in der die Kinder mit Lego- oder Duplosteinen spielen. Das liegt daran, dass die Kinder in den videografierten Situationen, in denen Lego- oder Duplosteine verwendet wurden, überwiegend für sich alleine bauten und dass die Gespräche sich nur äußerst selten auf das Tun mit dem Baumaterial bezogen haben. Es ist eine spannende Frage, der hier nicht weiter nachgegangen wird, ob sich ein ähnlicher Befund häufiger beim Spiel mit Legooder Duplosteinen zeigt und wie das zu erklären ist.
Tabelle 3.1 Übersicht über die Videodaten
A: Fröbelbausteine
KITA 1
KITA 2
1:18:27 (KITA1A)
29:49 auch C1 (KITA2A1)
KITA 3
KITA 4
22:37 1
04:18 1
21:34 1 auch A
10:15 1
57:10 B: 1Lego/ 2Duplo
52:40 2
1:22:28 2 (KITA1Cs1) (nicht steckbar 1/ steckbar2)
3.2.4
35:51 1
17:54 1
25:19 (KITA1Cs2) 2
Zusammenfassung
Zusammenfassend sollen Chancen und Herausforderungen dargestellt werden, die sich durch Verwendung von Videografie unter den Bedingungen dieser Studie gezeigt haben. Das (Bau)Spiel der Kinder ist von diesen selbst inszeniert und ein typischer Ablauf für ein solches Spiel lässt sich nicht beschreiben, weshalb das Benutzen eines Ablaufschemas/Rasters für eine Beobachtung unmöglich ist und auch das Erstellen von Beobachtungsprotokollen sehr schwierig ist. Da mehrere Kinder an der Situation beteiligt sind, weiß man vorher nicht, wo und wann
242
3
Bauspielaktivitäten analysieren
interessante Aktivitäten stattfinden oder entstehen. Eine teilnehmende Beobachtung verlangt unter diesen Umständen bereits während des Beobachtens, dass eine Auswahl getroffen wird. Aber auch für die Aufnahme mittels einer Videokamera ist das eine erschwerte Bedingung. Das zeigt sich z. B. daran, dass die Kameraperspektive nicht immer optimal ist und beispielsweise nicht immer alle handelnden Kinder im Bild sind oder Handlungen verdeckt stattfinden. Durch die gleichzeitige Tonaufnahme kann das teilweise kompensiert werden. Da für das Forschungsvorhaben Handlungen und Sprache zusammen von Interesse sind, wäre es natürlich ausgezeichnet, wenn möglichst jede Äußerung verstanden und dem beteiligten Kind zugeordnet und jede Handlung sichtbar wäre. Insofern hätte sowohl der Einsatz einer zweiten Kamera als auch der eines Mikrofons je beteiligtem Kind die technische Qualität der Videodaten erhöhen können bei einer gleichzeitig starken Beeinflussung der Untersuchungssituation. Ob dadurch mehr Videos entstanden wären, die sich für eine Analyse geeignet hätten, ist allerdings fraglich. So weist Krummheuer (2012) auf das Dilemma hin, dass die Qualität von Videoaufzeichnungen zwar ein wichtiges Kriterium für deren Verwertbarkeit sei, andererseits aber deren Optimierung hinsichtlich Licht- und Tonverhältnissen einen starken Eingriff in das Interaktionsgeschehen bedeutet. Im Hinblick auf Interaktionsanalysen empfiehlt er deshalb, möglichst zurückhaltend im Feld zu agieren, wie es auch hier gemacht wurde. Der Einsatz von Studierenden, die den Kindern aus Praktika vertraut sind, bot die Chance das Spielgeschehen der Kinder möglichst wenig zu beeinflussen, was sich deutlich in den Daten zeigt. Nur in einem Video ergab sich ein Nachteil daraus, dass die videografierende Studentin als Fachkraft bekannt war, wobei hier außerdem die Situation, gefilmt zu werden, vielen Kindern offensichtlich noch nicht vertraut war. In diesem Video wurden trotzdem viele Sequenzen aufgezeichnet, in denen das Bauspiel der Kinder gut beobachtbar ist, weshalb das Video dennoch in die Auswertung einbezogen wurde. Die Entscheidung, Studierende für die Aufnahme der Videos einzubeziehen, wurde auch hinsichtlich Ressourcen und Nachhaltigkeit getroffen. Dabei hat sich gezeigt, dass den Studierenden, obwohl sie auf Vorerfahrungen mit Videografie zurückgreifen konnten, nicht immer gute Videos gelungen sind. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die von den Studierenden angefertigten Feldnotizen kaum Informationen enthalten haben, die über die Benennung von Rahmenbedingungen, wie z. B. Raumaufteilung und Material, hinausgehen. Ausführlichere Feldnotizen hätten hier noch weiteres Potenzial für die Datenanalyse bieten können. Eine Möglichkeit, sowohl die Qualität der Daten als auch den Aspekt der Nachhaltigkeit zu fördern, hätte sich aus heutiger Sichtweise durch ein gemeinsames Besprechen eines jeweils ersten aufgenommenen Videos mit jedem der beteiligten Studierenden realisieren lassen. Dennoch kann
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
243
abschließend festgestellt werden, dass mit den von den Studierenden in ihrer Praxis aufgenommenen Videos ein Beitrag zur Verzahnung von Forschung und Lehre geleistet werden konnte und trotz knapper Ressourcen interessantes Datenmaterial generiert wurde, das fundierte Analysen zum Bauspiel von Kindern ermöglicht.
3.3
Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
Kuckartz (2014, 38) stellt fest, dass „im deutschsprachigen Raum […] der Begriff ‚Qualitative Inhaltsanalyse‘ häufig mit den in Mayrings Buch gleichen Titels dargestellten Analyseformen gleichgesetzt [wird]“. Allerdings finde man in der Forschungspraxis zahlreiche Formen qualitativer Datenauswertung, die ihre Vorgehensweise selbst als inhaltsanalytisch bezeichnen. Die folgenden sechs Kernpunkte sind laut Kuckartz typisch für eine qualitative Inhaltsanalyse: 1. Zentralität der Kategorien für die Analyse 2. Systematische Vorgehensweise mit klar festgelegtem Regelsystem für die einzelnen Schritte 3. Klassifizierung und Kategorisierung des gesamten Materials 4. Einsatz von Techniken der Kategorienbildung am Material 5. Von der Hermeneutik inspirierte Reflexion über das Material und die interaktive Form seiner Entstehung 6. Anerkennung von Gütekriterien, Anstreben der Übereinstimmung von Codierenden (Kuckartz 2014, 39) Kuckartz (2014, 39) hebt besonders hervor, dass bei der qualitativen Inhaltsanalyse dem Textverstehen und der Textinterpretation eine besondere Bedeutung zukommt. Die qualitative Inhaltsanalyse stelle eine interpretative Form der Auswertung dar und die Textauswertung und -codierung sei an eine menschliche Verstehens- und Interpretationsleistung geknüpft. Drei Grundbegriffe der Inhaltsanalyse werden von Kuckartz (2014, 40 ff.) ausführlich beschrieben. Das sind die Begriffe Kategorie, Einheit und Codierer. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die Begriffe gegeben, die weiter unten hinsichtlich ihrer Bedeutung für mein eigenes Vorgehen genauer beschrieben werden. Bezugnehmend auf Früh (2004) stellt Kuckartz fest, dass Kategorien in der Inhaltsanalyse insbesondere einen klassifizierenden Charakter haben. Der Sinn der Inhaltsanalyse wird darin gesehen, unter einer bestimmten forschungsleitenden Perspektive Komplexität zu reduzieren (vgl. Kuckartz 2014, 41). Kuckartz
244
3
Bauspielaktivitäten analysieren
(2014, 42) bemerkt, dass der Frage danach, was genau eine Kategorie in der empirischen Forschung ist, bislang in der Methodenliteratur wenig Aufmerksamkeit beigemessen wird. Eine Unterscheidung zwischen Kategorien in einer wissenschaftlichen Inhaltsanalyse und alltagsweltlichen Kategorien wird bezugnehmend auf Früh darin gesehen, dass eine Kategorie im ersten Sinne etwas ist, das genau definiert werden muss. Da es laut Kuckartz (2014, 43) ein sehr vielfältiges Spektrum an Dingen gibt, die in Sozialwissenschaften als Kategorien bezeichnet werden, unterscheidet er verschiedene Arten von Kategorien: • „Fakten-Kategorien“ beziehen sich auf eine objektive Gegebenheit, beispielsweise eine Berufs- oder Ortsbezeichnung. • „Inhaltliche Kategorien“ bezeichnen „einen bestimmten Inhalt, z. B. ein Thema, ein bestimmtes Argument, einen Akteur, etc.“. • „Analytische Kategorien“ sind ein Ergebnis der intensiven Auseinandersetzung des Forschenden mit dem Datenmaterial. Sie ergeben sich beispielsweise aus der Analyse einer thematischen Kategorie3 . • „Natürliche Kategorien“ sind Kategorien, die Begriffe nutzen, die die Handelnden im Feld selbst verwenden. Der Übergang zu analytischen Kategorien wird als fließend bezeichnet. • „Evaluative Kategorien“ besitzen eine definierte Zahl von Ausprägungen aufgrund derer das Material eingeschätzt wird. • „Formale Kategorien“ bezeichnen Daten und Informationen über die zu analysierende Einheit, beispielsweise die Länge eines Interviews in Minuten (vgl. Kuckartz 2014, 43 f.). Alternativ zum Begriff Kategorie finde man häufig die Begriffe Konzept, Code oder Variable (vgl. Kuckartz 2014, 44). Insbesondere für den Begriff Code sind einige weiterführende Überlegungen interessant. Eine besondere Bedeutung hat der Begriff Kuckartz zufolge in der Grounded Theory. Dort taucht er in mehrfacher Gestalt auf. Wir finden dort beispielsweise die Bezeichnungen offener, axialer und selektiver Code. Ursprünglich stamme der Begriff Code aus dem Zusammenhang quantitativer Forschungsansätze. „Dort bedeutet Code die Zuordnung einer Zahl […] zu einem bestimmten Merkmal bzw. einer Merkmalsausprägung“ (Kuckartz 2014, 45). Während in der quantitativen Forschung
3 Darunter
versteht Kuckartz (2014, 79) die Hauptthemen, die direkt aus der Forschungsfrage abgeleitet werden können oder bei der Erhebung von Daten leitend waren. Er verwendet auch den Begriff „thematische Hauptkategorien“ dafür.
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
245
Codieren für den Transformationsvorgang vom empirischen zu einem zahlenmäßigen Wert steht, bedeutet Codieren in der Grounded Theory das Analysieren, Benennen, Kategorisieren und das theoretische Einordnen des Datenmaterials (Kuckartz 2014, 45). Wenngleich in der qualitativen Inhaltsanalyse der Begriff Code üblicherweise nicht verwendet wird, so sind doch Codierer und Codierung Begriffe, die Kuckartz auch selbst als zentrale Begriffe der qualitativen Inhaltsanalyse versteht. „Als Codierer bzw. Codiererinnen bezeichnet man diejenigen Personen, die die Zuordnung von Kategorien […] zu Teilen des Untersuchungsmaterials vornehmen. Eine einzelne Zuordnung dieser Art bezeichnet man als Codierung“ (Kuckartz 2014, 48). Während Codieren in der Grounded Theory also den ganzen Prozess der Analyse beschreibt, steht es in der qualitativen Inhaltsanalyse für einen Arbeitsschritt im Analyseprozess. Das Ergebnis des Codierens sind dabei die Codierungen, d. h. die Stellen des Materials, die jeweils den Kategorien zugeordnet sind. Ein weiterer zentraler Begriff der qualitativen Inhaltsanalyse, mit dem sich Kuckartz befasst, ist der der Einheit. Dabei unterscheidet Kuckartz (2014, 46) die Begriffe Auswahleinheit, Analyseeinheit, Auswertungseinheit, Codiereinheit und Kontexteinheit und stellt fest: „In der Literatur über Methoden und Techniken der Inhaltsanalyse ist die inhaltliche Bedeutung dieser Begriffe keineswegs einheitlich“. In Abschnitt 3.3.1.1 wird das von Kuckartz zugrunde gelegte Verständnis der Begriffe kurz skizziert und in Beziehung zu meiner Studie gesetzt. Zuvor war die Rede von Methoden und Techniken der Inhaltsanalyse, daran wird bereits deutlich, dass es nicht das eine inhaltsanalytische Verfahren gibt. Kuckartz (2014, 72) beschreibt in seinem Buch drei Basismethoden qualitativer Inhaltsanalyse: die „inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse“, „die evaluative qualitative Inhaltsanalyse“ und „die typenbildende qualitative Inhaltsanalyse“. Als gemeinsame Grundidee der drei Methoden wird die Profilmatrix angesehen. Darin spiegelt sich besonders gut wider, dass die Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse sowohl themenorientierte als auch fallorientierte Verfahren sind. Entsprechend ist die Profilmatrix als Tabelle zu verstehen, die spaltenweise alle Textstellen zu jeweils einem Thema der Analyse umfasst und zeilenweise alle relevanten Textstellen eines Falles. Im Hinblick auf die Analyse der Videos in meiner Studie muss man statt Textstellen von Videostellen sprechen und ein Fall entspricht jeweils einem Video. Neben der Grundidee der Profilmatrix und den oben genannten Kernpunkten der qualitativen Inhaltsanalyse beschreibt Kuckartz (2014) einige weitere Gemeinsamkeiten der drei Basismethoden, von denen die folgenden beiden besonders interessant sind:
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3
Bauspielaktivitäten analysieren
• Es sind Methoden, die komprimierend und resümierend arbeiten, die also nicht das Datenmaterial […] vermehren […], sondern mit der Intention der Zusammenfassung – und auch Reduktion von Komplexität – angewandt werden (Kuckartz 2014, 76). • Die drei Methoden arbeiten sprachbezogen und sind zunächst als Methoden zur systematischen Inhaltsanalyse von verbalen Daten konzipiert. Gleichwohl lassen sie sich im Prinzip auch auf Bilder, Filme und anderer Produkte menschlicher Kultur und Kommunikation übertragen (Kuckartz 2014, 76). Die Unterschiede zwischen den Methoden bestehen in der unterschiedlichen Zielsetzung und daraus resultierend zumindest in einem teilweise unterschiedlichen Ablauf des Vorgehens. Bei der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse stehen „meistens die Identifizierung von Themen und Subthemen, deren Systematisierung und Analyse der wechselseitigen Relationen im Mittelpunkt“ (Kuckartz 2014, 98). Die inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse wird als mehrstufiges Verfahren der Kategorienbildung und Codierung charakterisiert. Dabei kommt der Entwicklung, Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung von Kategorien am Material sowie schlussendlich der Codierung des Materials mit dem ausdifferenzierten Kategoriensystem besondere Bedeutung zu. Laut Kuckartz (2014, 77) gewinnt die kategorienbasierte Auswertung und Darstellung durch Vergleichen und Kontrastieren von interessierenden Subgruppen an Differenziertheit, Komplexität und Erklärungskraft. Die evaluative qualitative Inhaltsanalyse, die von Kuckartz (2014, 98) in Anlehnung an die von Mayring dargestellte Technik der skalierenden Strukturierung beschrieben wird, dient der Einschätzung, Klassifizierung und Bewertung von Inhalten. „Das Material wird – in der Regel fallbezogen – eingeschätzt und es werden Kategorien gebildet, deren Ausprägungen meist ordinaler Art sind“ (Kuckartz 2014, 98). Kuckartz (2014, 99) sieht Ähnlichkeiten zwischen der evaluativen qualitativen Inhaltsanalyse und der klassischen quantitativen Inhaltsanalyse und stellt fest, dass das von Mayring vorgeschlagene Verfahren der skalierend strukturierenden Inhaltsanalyse in seiner Zielsetzung eher quantitativ ausgerichtet ist, da es vor allem auf die Transformation von Text in Zahlen hinausläuft. Der größte Unterschied, was den Ablauf angeht, besteht in der Art der Kategorien. Es werden keine thematischen Kategorien benötigt, sondern bewertende Kategorien. Dafür ist es notwendig, im Zuge der Kategorienbildung Ausprägungen der Bewertungskategorien zu formulieren und festzulegen, wie differenziert die Unterscheidung sein soll. Als dritte Basismethode beschreibt Kuckartz (2014, 115) die typenbildende qualitative Inhaltsanalyse. Dazu merkt er an, dass die Bildung von Typen und die Entwicklung einer Typologie im Feld der qualitativen Forschung häufig als
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
247
das zentrale Ziel der qualitativen Datenanalyse angesehen wird. Der eigentliche Kern der Typenbildung sei die Suche nach mehrdimensionalen Mustern, die das Verständnis eines komplexen Gegenstandsbereichs oder eines Handlungsfelds ermöglichen (vgl. Kuckartz 2014, 115). Für die Typenbildung unterscheidet Kuckartz zwischen drei Formen, das sind die Bildung merkmalshomogener Typen, die Typenbildung durch Reduktion und die Bildung merkmalsheterogener Typen. Egal welche Form der Typenbildung gewählt wird, es geht immer darum, einen Fall – der, wenn es um Interviewdaten geht, praktisch immer einer Person entspricht – hinsichtlich bestimmter Merkmalskombinationen mit anderen Fällen zu vergleichen und auf dieser Basis Typen zu bilden bzw. Fälle zu Typen zuordnen zu können. Während die Bildung von merkmalshomogenen Typen und die damit in Verbindung stehende Typenbildung durch Reduktion darauf ausgerichtet sind, die Fälle zu Typen zusammenzufassen, die hinsichtlich bestimmter Merkmalskombinationen genau gleich sind, so gilt das bei der Bildung merkmalsheterogener Typen nicht. Dabei werden komplette Fallzusammenfassungen verglichen und „so zu Typen gruppiert, dass die einzelnen Typen intern möglichst homogen und extern möglichst heterogen sind“ (Kuckartz 2014, 122). Auf diese Weise entstehen „natürliche Typologien“, die zugeordneten Fälle sind bezüglich der Merkmale nicht alle völlig gleich, aber einander besonders ähnlich. Die typenbildende Analyse baut häufig auf die Vorarbeit einer vorausgehenden inhaltlich strukturierenden oder bewertenden Codierung auf (vgl. Kuckartz 2014, 115). Diesbezüglich ist Kuckartz’ (2014, 75) Hinweis interessant, dass die drei Methoden in mancherlei Hinsicht aufeinander aufbauen und dennoch nicht im Sinne einer hierarchischen Rangfolge zu verstehen sind. Für mein Forschungsvorhaben lässt sich hinsichtlich der drei Basismethoden feststellen, dass eine Bewertung und Einschätzung beispielsweise der Intensität einer mathematischen Aktivität, wie es die evaluative qualitative Inhaltsanalyse anstrebt, nicht der Beantwortung der Forschungsfrage dient und auch dem Forschungsgegenstand nicht angemessen ist. So lassen sich bislang keine objektiven Kriterien erkennen, nach denen die Bewertung der mathematischen Intensität einer Aktivität erfolgen könnte. Die Systematisierung der Aktivitäten und Themen, die die Bauspielinteraktionen der Kinder prägen sowie deren Zusammenhänge untereinander und mit mathematischen Aspekten soll im Zentrum meiner Analyse stehen. Das entspricht in besonderem Maße dem Ziel der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse. Die Frage, inwiefern eine typenbildende Analyse in Ergänzung zur inhaltlich strukturierenden Analyse für dieses Vorhaben sinnvoll ist, muss insbesondere aufgrund der vorliegenden Daten betrachtet werden. Die Tatsache, dass es sich um eine Analyse von Videodaten handelt, in denen es um die Interaktionen zwischen mehreren Kindern geht, verdeutlicht
248
3
Bauspielaktivitäten analysieren
schon eine Schwierigkeit im Hinblick auf die Typenbildung. Insbesondere, dass ein Fall hier nicht einem Individuum entspricht, steht der Idee der Typenbildung eher entgegen. Darüber hinaus ist die Definition für den Begriff Fall, wie in Abschnitt 3.3.5 gezeigt wird, bei Beobachtungsdaten anders als bei Interviewdaten nicht eindeutig. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse für die Analyse von Bauspielinteraktionen einen guten Rahmen bieten kann, weil sie an den auf den Videos festgehaltenen Bauspielinteraktionen selbst interessiert ist und dafür eine geeignete Systematik sucht. Wenn Kuckartz (2014, 73) annimmt, dass auch nach der Zuordnung zu Kategorien der Text selbst, d. h. der Wortlaut der inhaltlichen Aussagen, relevant bleibt und auch in der Aufbereitung und Präsentation der Ergebnisse eine wichtige Rolle spielt, so wird deutlich, welche Chance sich hier auch hinsichtlich der Analyse von Videodaten bietet. Es ist auf diese Weise möglich, die umfangreichen Videodaten vollständig einer Analyse zu unterziehen. Dennoch sind es ausgewählte Videostellen von bestimmten Bauspielinteraktionen, an denen gezeigt werden kann, aber auch plausibel gemacht werden muss, wie die gefundene Systematik hinsichtlich der Fragestellung zu verstehen und zu deuten ist. Wie die Analyse und Aufbereitung der Videodaten in meiner Studie ablief und wie die inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse dafür angepasst wurde, wird in den Abschnitten 3.3.1 bis 3.3.4 erläutert.
3.3.1
Einheiten, Ablaufmodell und MAXQDA
3.3.1.1 Einheiten Wie oben bereits angedeutet zählt Kuckartz (2014) den Begriff Einheit zu den Grundbegriffen der Inhaltsanalyse. Das für die Analyse der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegte Verständnis der Begriffe Auswahleinheit, Analyseeinheit, Codiereinheit und Kontexteinheit wird im Folgenden dargestellt. „Auswahleinheiten stellen die Grundeinheit einer Inhaltsanalyse dar und werden nach einem bestimmten Auswahlverfahren […] aus der Grundgesamtheit (d. h. der Menge aller potenziellen Untersuchungsobjekte) für die Inhaltsanalyse ausgewählt“ (Kuckartz 2014, 46). Es geht dabei also um den prinzipiellen Einoder Ausschluss von möglichen Daten in die Studie. Bei der vorliegenden Studie ist bei der Festlegung der Auswahleinheit zu berücksichtigen, dass man von zwei unterschiedlichen Grundgesamtheiten ausgehen kann. Man kann davon ausgehen, dass alle in Kindergärten beobachtbaren Bauspielsituationen die Grundgesamtheit
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
249
darstellen. Das Auswahlverfahren besteht dann darin, bestimmte Einrichtungen auszuwählen und festzulegen, wann und wie in der jeweiligen Einrichtung Videodaten erhoben werden. Alle so erhobenen Videos stellen in diesem Fall Auswahleinheiten dar. Da in meiner Studie auf diesen Prozess, wie in Abschnitt 3.2.2 beschrieben wurde, allerdings wenig Einfluss genommen werden konnte, sind die Videos aus Bauecken, die ich von den Studierenden erhalten habe, als Grundgesamtheit anzusehen. Damit stellen die nach dem, in Abschnitt 3.2.3 beschriebenen, Auswahlprozess ausgewählten Videos die Auswahleinheiten dar. „Die Analyseeinheiten sind immer Teil einer Auswahleinheit, sie gehen nie über sie hinaus, häufig fallen sie mit ihr in eins, das ist beispielsweise beim Transkript eines qualitativen Interviews der Fall“ (Kuckartz 2014, 47). Anders als bei Interviews gibt es in den Videos, die in dieser Studie analysiert werden, mehrere Akteure, die oft mit einem jeweils eigenen Spiel befasst sind. Insofern können die an den videografierten Situationen beteiligten Kinder als jeweils eigene Analyseeinheiten angesehen werden. Dadurch ist es möglich, der Komplexität der Videodaten bei der Analyse gerecht zu werden. Allerdings bringt das mit sich, dass das Gesamtgeschehen und die Interaktionen zwischen den Kindern nur indirekt in den Kategorien abgebildet werden. Da für den Prozess der Zuordnung von Kategorien der Fokus auf jeweils ein einzelnes Kind eine hilfreiche Vereinfachung darstellt, macht es dennoch Sinn, die Kinder als jeweils eigene Analyseeinheiten anzusehen. Dabei erfordert schon die Zuordnung von Kategorien, auch wenn sie für jedes Kind einzeln vorgenommen wird, und noch mehr die Bildung von Kategorien sowie die Interpretation der Ergebnisse, dass die Interaktionen zwischen den Kindern berücksichtigt werden. Das hat einerseits Bedeutung für das Verständnis des Begriffes Kontexteinheit in dieser Studie, wie unten verdeutlicht wird, andererseits hat das Folgen hinsichtlich der Umsetzung der Analyse mit der Software MAXQDA, wie in Abschnitt 3.3.1.3 gezeigt wird. „In der qualitativen Inhaltsanalyse meint der Begriff Codiereinheit […] eine Textstelle, die mit einer bestimmten Kategorie, einem bestimmten Inhalt, z. B. einem Thema oder Unterthema in Verbindung steht“ (Kuckartz 2014, 47). Eine besondere Bedeutung kommt dabei der doppelten Blickrichtung zu, das bedeutet, man kann einerseits von der Kategorie auf die Stelle im Text blicken und man kann anderseits ausgehend von einer Textstelle am Material Konzepte und Kategorien entwickeln. Kuckartz (2014, 48) schlägt deshalb vor, statt Codiereinheit besser von einem Textsegment oder einer Fundstelle zu sprechen. Hinsichtlich der Videodaten in der vorliegenden Studie scheint es naheliegend von Videostellen oder Sequenzen zu sprechen. Der Begriff Sequenz verdeutlicht im Unterschied zu Textsegment besser, dass hier nicht nur die Aussage, sondern auch die Handlung oder Interaktion eines Akteurs im Fokus stehen.
250
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Bauspielaktivitäten analysieren
„Die Kontexteinheit ist die größte Einheit, die hinzugezogen werden darf, um eine Analyseeinheit bzw. eine Codiereinheit zu erfassen und zu kategorisieren. Normalerweise ist die Kontexteinheit nicht größer als die Analyseeinheit definiert“ (Kuckartz 2014, 48). Als Ausnahme werden hier Studien angeführt, in denen auf mehrere Interviews mit denselben Personen zurückgegriffen wurde. Da in meiner Studie in verschiedenen Videos mitunter die gleichen Kinder vorkamen, stellen auch die von mir analysierten Videos eine Ausnahme dar. Die Kontexteinheit ginge dann im Falle einer Analyse aller Aktivitäten eines Kindes über die Analyseeinheit, die die Aktivitäten eines Kindes in einem Video umfasst, hinaus. Allerdings erfolgt keine Analyse und Interpretation der Daten auf dieser Ebene, sondern als Kontexteinheit dient immer das einzelne Video. Damit gilt in meiner Studie trotzdem ein Sonderfall, wenn man davon ausgeht, dass eine Analyseeinheit alle Aktivitäten eines Kindes in einem Video beinhaltet, die Kontexteinheit aber das ganze Video mit dem Spielgeschehen und den Aktivitäten aller Kinder ist. Diese Entscheidung ist für das Vorgehen bei der Analyse deshalb wichtig, weil damit Folgendes geklärt wird: Auch wenn das einzelne Kind als Analyseeinheit betrachtet wird, ist es für die Zuordnung und Bildung der Kategorien notwendig und zulässig, das Tun der anderen Kinder immer dann zu berücksichtigen, wenn ein Zusammenhang zwischen deren Aktivitäten und dem Tun des im Fokus stehenden Kindes erkennbar ist.
3.3.1.2 Ablaufmodell Für die in der vorliegenden Studie durchgeführte Inhaltsanalyse wird das folgende Ablaufmodell (Abbildung 3.1) festgelegt, dass sich am Ablaufschema der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse von Kuckartz (2014, 78) orientiert. Anders als bei Kuckartz (2014, 78) kommt in diesem Ablaufmodell der Auswahl und Aufbereitung der Videodaten, angefangen von den initiierenden Arbeiten (A), wie dem Sichten von Videos und dem Erstellen von Überblicksblättern, über das Entwickeln von Seuqenzierungskategorien (B), dem Codieren eines Videos mit den Seuqenzierungskategorien (C) und davon ausgehend dem Erkennen und Festlegen der inhaltsreichen Sequenzen (D) bis hin zum Transkribieren dieser Sequenzen (E) eine besondere Bedeutung zu, wie auch in Abschnitt 3.3.2 gezeigt wird. Kuckartz (2014) schlägt für die inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse von Interviewdaten vor, zu den Themen des Interviews thematische Hauptkategorien zu bilden. Mithilfe dieser Hauptkategorien sollen die Textstellen des Interviews gefunden werden, die eine inhaltliche Ausdifferenzierung der Themen ermöglichen und die dann durch Unterkategorien beschrieben werden können. Im Unterschied dazu stellt sich bei der Arbeit mit den Videos von Bauspielsituationen die große Herausforderung, im Video jene Stellen zu finden,
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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Abbildung 3.1 Ablaufmodell der Inhaltsanalyse
die aus einer mathematikdidaktischen Perspektive besonders vielversprechende Aktivitäten enthalten und sich deshalb für das induktive Bestimmen von Kategorien eignen. In dieser Studie wurden zu diesem Zweck Kategorien entwickelt, die man als Sequenzierungskategorien bezeichnen kann. Der darauffolgende Prozess des induktiven Bestimmens von Kategorien und deren Anwendung ist im Ablaufschema durch die Punkte G bis J dargestellt und wird in den Abschnitten 3.3.3 und 3.3.4 diskutiert. Die Voraussetzungen und Überlegungen für eine kategorienbasierte Auswertung und Ergebnisdarstellung (K) werden schließlich in Abschnitt 3.3.5 beschrieben.
3.3.1.3 Verwendung von MAXQDA „Im Grunde offerieren QDA-Programme, einem Werkzeugkasten ähnlich, ein ganzes Arsenal nützlicher Utensilien, die jeweils kreativ eingesetzt und sinnvoll miteinander verbunden werden können“ (Kuckartz 2014, 156). Auf diese Weise fasst Kuckartz den Nutzen von Software zur qualitativen Datenanalyse zusammen. Allerdings verdeutlicht das Bild des Werkzeugkastens auch ganz gut, dass sich darin weniger Spezialwerkzeuge als eher Standardwerkzeuge befinden, das heißt, nicht alle eigenen Vorstellungen lassen sich gleich gut mit einer Software
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Bauspielaktivitäten analysieren
umsetzen. Für mein Vorhaben versprach ich mir vor allem hinsichtlich folgender Aspekte der Analyse eine gute Unterstützung durch die Verwendung einer geeigneten Software: • Initiierende Arbeiten: Dazu gehören das Schreiben von Memos zu den Videos und bestimmten Videostellen, das Wiederfinden bestimmter Stellen in den Videos und das Untergliedern der Videos in feste Zeiteinheiten. • Entwicklung von Sequenzierungskategorien: Videostellen können markiert und ein Code zugeordnet werden. „Die Codes können gruppiert und zu abstrakteren Kategorien zusammengefasst werden. Beschreibungen und Definitionen von Kategorien werden als Code-Memos festgehalten“ (Kuckartz 2014, 148). • Codierprozess mit den Sequenzierungskategorien: Ein Video kann Sequenz für Sequenz angesehen werden und dann für jeden in der Sequenz beteiligten Akteur einer Kategorie zugeordnet werden. • Überblick über das Video: Es kann anhand der Sequenzierungskategorien sichtbar gemacht werden, wie sich das Bauspiel über den Verlauf des Videos gestaltet. Die Stellen im Video, die für die weitere Kategorienbildung interessant sind, können identifiziert werden. • Anfertigen von Transkriptionen: Die so gefundenen Videostellen können mithilfe des Programms transkribiert werden. Es besteht die Möglichkeit einer Verbindung zwischen Videostelle und Transkript. • Induktive Bestimmung von Kategorien am Material: An den Transkripten werden Kategorien hinsichtlich der beiden Forschungsfragen entwickelt. Kategoriendefinitionen können als Code-Memos festgehalten werden. Ankerbeispiele können aus dem Material direkt in die Kategorienbeschreibungen kopiert werden. • Codierprozess mit diesem Kategoriensystem: Die Videos können in feste Zeitabschnitte unterteilt werden. Jede Videostelle kann, sofern sie laut Codierleitfaden relevant ist, pro Kind der entsprechenden Kategorie zugeordnet werden. • Ergebnisaufbereitung: Es kann sichtbar gemacht werden, wo wie oft und in welchem Umfang in den einzelnen Videos die Kategorien vorkommen. Überschneidungen und das gemeinsame Auftreten von Kategorien kann analysiert werden. Eine Übersicht über alle Videostellen, die den jeweils gleichen Kategorien zugeordnet sind, kann erstellt werden. Eine kurze Beschreibung der Videostellen und eine Transkription einiger Videostellen können einen Vergleich und eine weitergehende Analyse hinsichtlich der Forschungsfragen ermöglichen. Durch Grafiken und Diagramme können Zusammenhänge
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
253
und das Vorhandensein, unter Umständen auch Häufigkeiten, der Kategorien veranschaulicht werden. Im Vorfeld der Videoanalyse wurden unterschiedliche Computerprogramme, die eine Analyse qualitativer Daten unterstützen, betrachtet. Die Wahl fiel auf das Programm MAXQDA. Dafür war ausschlaggebend, dass die induktive Entwicklung eines Kategoriensystems durch dieses Programm in besonderem Maße unterstützt wird. Es ist möglich, das Kategoriensystem im Verlauf des Arbeitens immer wieder zu ergänzen, zu verändern und hinsichtlich seiner Struktur anzupassen. Außerdem unterstützt MAXQDA das Anfertigen von Transkripten und das Codieren direkt am Video. Hilfreich ist auch die Möglichkeit, viele unterschiedliche Dokumentformen in MAXQDA zu importieren, zu organisieren und weiterzuverwenden. Einige für mein Vorhaben notwendige Schritte im Analyseprozess waren mit dem Programm aber nicht so einfach umsetzbar. Im Einzelnen betraf das: • die Codierung der Videos unter Berücksichtigung der Analyseeinheit „Kind“, • die Darstellung des Vorkommens einzelner Kategorien über die Zeit des Videos hinweg und • das Erstellen und die Verwendung von Transkripten zu ausgewählten Stellen im Video. Zumindest teilweise konnten diese Schritte auf einigen Umwegen, wie durch die Möglichkeit Daten zu exportieren und Dokumente zu importieren, durch die Software immerhin unterstützt werden. Die so gemeisterten Herausforderungen aber auch Grenzen der Software werden an den in den folgenden Teilkapiteln skizzierten Schritten im Analyseprozess verdeutlicht.
3.3.2
Datenaufbereitung und Auswahl von Daten
Eine systematische Analyse von Videodaten erfordert eine geeignete Form der Datenaufbereitung und ein Werkzeug zur Reduktion beziehungsweise zur Auswahl der Daten. Das stellte eine besondere Herausforderung dar, umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass in der vorliegenden Untersuchung mit der Beobachtung von Spielsituationen im Kindergarten ganz besondere Bedingungen gegeben waren. Insofern ist die folgende Feststellung von Dinkelaker (2010, 92) hier besonders einleuchtend:
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Bauspielaktivitäten analysieren
Denn die Dokumentation all dessen, was im gewählten Kameraausschnitt visuell und auditiv wahrnehmbar ist, erzeugt eine überkomplexe Fülle an Daten über Ereignisse und Zustände im beobachteten Geschehen. Um anhand dieser Daten etwas beobachten zu können, muss aus ihnen zwingend eine Auswahl getroffen werden.
Wie gelangt man nun aber zu einer Auswahl aus dem Material? Dabei spielten in meiner Studie gleich mehrere Überlegungen eine wichtige Rolle. Zum einen galt es, eine Auswahl aus den vorliegenden Videos zu treffen, die zur Beantwortung der Forschungsfrage geeignet waren. Die in Abschnitt 3.3.2.1 beschriebene Verwendung von Überblicksblättern war dabei ein wichtiges Hilfsmittel. Auch die Frage, welche Sequenzen eines Videos für die Analyse relevant sind, galt es zu klären. Um eine begründete Auswahl von Sequenzen treffen zu können, bedarf es zunächst eines Überblicks über das ganze Datenmaterial oder zumindest über ein ganzes Video. In Abschnitt 3.3.2.2 wird gezeigt, wie durch die Entwicklung und Anwendung von Sequenzierungskategorien ein Überblick über ein Video gewonnen werden konnte und wie sich daraus eine Reduktion der Daten ergab. Schließlich musste entschieden werden, welche Art der Transkription für die Analyse geeignet ist. Dabei ist zu bedenken, dass auf diese Weise das Vorgehen und die Erkenntnisse der Analyse auch ohne die Möglichkeit, die Videos zu betrachten, nachvollziehbar gemacht werden können. In Abschnitt 3.3.2.5 werden die zentralen Überlegungen hinsichtlich der Transkription der Videodaten zusammengefasst.
3.3.2.1 Überblicksblätter (A) Irion (2009) schlägt bezugnehmend auf Miles und Huberman vor, Überblicksblätter (contact summary sheets) zu verwenden, um so die wichtigsten Informationen und Daten zu allen Videos auf jeweils einer Seite im Blick zu haben. Die von mir verwendeten Überblickblätter haben mehrere Zwecke erfüllt. Zum einen dienten sie als Dokumente, um die Feldnotizen und ergänzenden Informationen der videografierenden Studierenden in eine einheitliche Form zu bringen. Allerdings legten nicht alle Studierenden zufriedenstellende Feldnotizen vor, insofern wurden diese zum einen auf den Überblicksblättern unter Umständen auch ersetzt oder durch Notizen hinsichtlich des ersten Eindrucks nach dem Ansehen der Videos ergänzt. Zum anderen wurden darin Themen und ein grober Verlauf der Spielsituation sowie Zuordnungen von Kindern zu anonymisierten Namen vorgenommen. Konkret wurden durch die Überblicksblätter die in Abbildung 3.2 dargestellten Aspekte erfasst.
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
255
Abbildung 3.2 Auszug aus einem Überblicksblatt
Überblicksblätter wurden für alle Videos, die im Rahmen der Studie aufgenommen wurden, erstellt. Deren Nutzen bestand darin, dass so aus der Grundgesamtheit möglicher Daten eine Auswahl der Videos vorgenommen werden konnte, die für eine Analyse geeignet waren. Einige der Bedingungen, die ich dabei berücksichtigt habe, sind in Abschnitt 3.2.3 beschrieben. Daneben waren die Überblicksblätter eine wichtige Ergänzung zu den angefertigten Transkriptionen, da darin den beteiligten Akteuren anonymisierte Namen zugeordnet wurden, die ich sowohl im Transkript als auch in der weiteren Analyse nutze. Die kurze Darstellung des groben Ablaufs des Bauspiels bot erste Anhaltspunkte für die weitere Analyse der Daten und konnte bei der Interpretation und Darstellung von Ergebnissen herangezogen werden. Beispielsweise waren eine Veränderung in der Zusammensetzung der Spielgruppe und ein Wechsel des Spielthemas mit dieser Übersicht besonders schnell zu erfassen.
3.3.2.2 Entwicklung von Sequenzierungskategorien (B) Gleich aus zwei Gründen kam in meiner Studie der Auswahl von Videosequenzen und in diesem Zusammenhang der Bestimmung von Kriterien zur Auswahl dieser Sequenzen eine besondere Bedeutung zu. Zum einen verdeutlicht das Zitat von
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Dinkelaker (2010) oben, dass bei der Arbeit mit Videodaten zwingend eine Auswahl getroffen werden muss, um überhaupt etwas beobachten zu können. Zum anderen gilt laut Mayring (2015a, 84): „In der Logik der Inhaltsanalyse muss vorab das Thema der Kategorienbildung theoriegeleitet bestimmt werden, also ein Selektionskriterium eingeführt werden, das bestimmt, welches Material Ausgangspunkt der Kategoriendefinition sein soll“. Ganz ähnlich beschreibt Schreier (2012, 51), dass es notwendig ist, zentrale Aspekte auszuwählen und auf diese zu fokussieren, um sich nicht in den Daten zu verlieren. Dabei seien das die Aspekte, um die herum man sein Kategoriensystem bildet. Schreier bezeichnet sie deshalb auch als Dimensionen oder Hauptkategorien. Kuckartz (2014) sieht thematische Hauptkategorien als Ausgangspunkt für die induktive Kategorienbildung. „Die Kategorien fungieren als eine Art Suchraster, d. h. das Material wird auf das Vorkommen des entsprechenden Inhalts durchsucht und grob kategorisiert“ (Kuckartz 2014, 69). Diese Hauptkategorien können aus der Forschungsfrage oder einer Bezugstheorie abgeleitet werden. Mayring (2015a), Kuckartz (2014) und Schreier (2012) befassen sich damit, wie eine Orientierung und Auswahl aus einem in Textform vorliegenden Datenmaterial, das üblicherweise im Rahmen von Interviews erhoben wurde, möglich ist. In der vorliegenden Studie ist der Ausgangspunkt ein anderer, es handelt sich bei dem zu analysierenden Material um Videodaten von Spielsituationen. Dabei ist es ebenfalls notwendig, sich in den Daten zu orientieren und – folgt man Dinkelaker (2010) – geradezu unerlässlich, eine Auswahl aus den Daten zu treffen. Eine Orientierung an einem Interviewleitfaden und den Themen der Interviewfragen entfällt, was die Fragen mit sich bringt, woran man sich dann orientieren und wie man eine Auswahl treffen kann. Zur Beantwortung dieser Fragen ist es notwendig, sich in einem ersten Schritt einen möglichst guten Überblick über das Spielgeschehen zu verschaffen. Wie man einen Überblick über den Ablauf des Interaktionsgeschehens in Lehr-Lern-Situationen im Rahmen einer Videoanalyse erhält, dazu findet man methodische Vorschläge bei Dinkelaker und Herrle (2009). Insofern stellte sich die Frage, ob die von den Autoren beschriebene Segmentierungsanalyse auch einen Überblick über den Ablauf des Spielgeschehens ermöglichen könnte. Die in meiner Studie betrachteten Spielsituationen haben anders als die von Dinkelaker und Herrle (2009) analysierten Lehr-Lern-Situationen, bei denen es sich um Unterricht oder Kurse handelte, keinen festen Rahmen und keine „Lehrperson“, die diesen Rahmen durchsetzt. Oft findet ein paralleles Spiel von mehreren Kindern statt, das einen ganz eigenen, nicht leicht nachvollziehbaren Verlauf aufweist. Deshalb ist eine klare und eindeutige Unterteilung in Segmente, wie sie
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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von Dinkelaker und Herrle (2009, 54 ff.) beschrieben wird, und die für das komplette Spielgeschehen oder alle im Kamerafokus spielenden Kinder gemeinsam tragfähig ist, nicht möglich. Hieraus ergab sich zunächst die Überlegung, mehrere Segmentierungsanalysen für dieselbe videografierte Spielsituation durchzuführen, die jeweils auf der Betrachtung einzelner oder – längere Zeit – zusammenspielender Kinder basieren. Diese Idee wurde verworfen, weil damit ein immenser Aufwand verbunden gewesen wäre. Außerdem zielt dieses Vorgehen ausschließlich auf die Analyse des Interaktionsgeschehens ab und ermöglicht keine Antwort auf die im Rahmen dieser Forschung zentrale Fragestellung, wie Bauspielaktivitäten von Kindern aus mathematikdidaktischer Perspektive systematisch und differenziert beschrieben werden können. Es wird also deutlich, dass die Orientierung und Auswahl hinsichtlich der vorliegenden Videodaten zwar darauf basieren sollte, dass ein Überblick über das Spielgeschehen erreicht wird, dabei aber der Forschungsgegenstand – Analyse von Bauspielaktivitäten – nicht aus dem Blick geraten darf. Wenn Kuckartz (2014) davon ausgeht, dass den thematischen Hauptkategorien eine zentrale Bedeutung für die Auswahl und Analyse der in einem Interview getätigten Aussagen zukommt, so kann man schlussfolgern, dass für die Durchführung der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse an Videodaten ebenfalls in einem ersten Schritt Kategorien benötigt werden, die als eine Art Such- und Orientierungsraster fungieren können. Da es sich hier weniger um thematische Kategorien handelt als eher um solche, die helfen, das Spielgeschehen zu untergliedern, um auf dieser Basis, die für die Forschungsfrage relevanten Sequenzen auswählen zu können, wurde die Bezeichnung Sequenzierungskategorien gewählt. Genau wie Kuckartz (2014) für die thematischen Hauptkategorien annimmt, dass diese aus der Forschungsfrage und den Bezugstheorien abgeleitet werden können, lassen auch die in Kapitel 2 dargestellten Bezugstheorien zu Bauspielen Schlüsse darauf zu, welche Aktivitäten und Interaktionen von Kindern in den Spielsituationen zu erwarten und welche von besonderem Interesse sind. Eine Herausforderung bestand nun darin, davon ausgehend geeignete Sequenzierungskategorien zu entwickeln. Mit der Verwendung thematischer Hauptkategorien wird das Ziel verfolgt, beim Lesen einer Aussage, die beispielsweise im Rahmen eines Interviews getätigt wurde, recht eindeutig zu bestimmen, ob sie einem bestimmten Thema zuzuordnen ist. Daraus folgt, dass auch die Sequenzierungskategorien und deren Anwendung so gestaltet sein sollten, dass man beim Betrachten eines Videoabschnittes diesen unkompliziert und möglichst eindeutig einer Kategorie zuordnen kann. Das ist dann der Fall, wenn diese Kategorien eher grob gehalten sind und an möglichst objektiven Kriterien erkennbar sind. Die folgende Tabelle 3.2 zeigt die von mir in diesem Sinne gebildeten Sequenzierungskategorien.
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Tabelle 3.2 Übersicht Sequenzierungskategorien
Das zentrale Forschungsthema meiner Arbeit ist die Analyse von Bauspielaktivitäten. Auch wenn die vorliegenden Videodaten so entstanden sind, dass Spielsituationen in der Bauecke, dem Bauzimmer bzw. dem Baubereich der Kindergärten gefilmt wurden, so sind nicht alle Kinder die ganze Zeit mit Bauspielen oder Bauspielmaterial beschäftigt. Interessant für die vorliegende Studie sind deshalb zunächst alle Sequenzen, bei denen die Kinder mit den Bauspielmaterialien beschäftigt sind. Die Ausführungen in Abschnitt 2.1.4 verdeutlichen, dass Spiele mit Bauspielmaterial sowohl Bauspiele als auch Rollen- oder Fantasiespiele umfassen. Hieraus ergab sich eine erste Unterscheidung in (Rollen-)Spiel und Bauspiel. Beim Erproben der Kategorien zeigte sich, dass die Kategorie (Rollen-)Spiel alle Aktivitäten umfassen kann, bei denen die Funktionalität des Gebauten erprobt wird und/oder bei denen mit dem Gebauten gespielt bzw. das Gebaute im Spiel oder als Spielzeug verwendet wird. Ein Beispiel dafür ist eine Situation, in der ein Bauwerk auf seine Räder gestellt und losgeschoben wird oder umhergefahren beziehungsweise mit ihm durch die Luft geflogen wird usw. Die Kategorie Bauspiel umfasst die konkreten Bauaktivitäten von Kindern, damit sind alle Situationen gemeint, in denen das Kind etwas baut, anbaut oder weiterbaut. Auch Tätigkeiten, die für das Bauen notwendig sind, z. B. Baumaterial heraussuchen oder holen, können dem zugeordnet werden. Sprache und Kommunikation spielen für die Sequenzierungskategorien ebenfalls eine entscheidende Rolle, wie aus den Bezugstheorien deutlich wird. So wurde in Abschnitt 2.2.2 im Zusammenhang mit der Frage, wie sich in Bauspielen mathematische Aktivitäten zeigen können, die Bedeutung von Sprache und Kommunikation thematisiert. Dem Blick auf Sprache und Kommunikation kommt aber auch für die Unterscheidung von Rollenspiel und Bauspiel besondere Bedeutung zu. Der Kategorie „Kommunikation während oder im Spiel“ werden deshalb Äußerungen zugeordnet, die während einer Spielaktivität mit dem Gebauten im Rahmen eines Rollenspiels stattfinden, z. B. „Alle Achtung, das Flugzeug fliegt jetzt los!“. Auch beiläufige Gespräche über andere Themen, z. B. Alter, Feste, Tagesablauf …, die nichts mit dem Bauen zu tun haben, werden
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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dieser Kategorie zugeordnet. Die Kategorie „Kommunikation über das Bauspiel“ erfasst Äußerungen zu einer Bauaktivität, zu deren Ergebnis oder der Funktion des Gebauten. Entsprechende Äußerungen beziehen sich demnach auf die spezifischen Eigenschaften des Baumaterials, des Gebauten oder des zu Bauenden und auf damit verbundene Handlungen. Beispielsweise das Weitergeben von Teilen mit den Kommentaren „brauch ich nicht“ oder „kannst du auch haben“ fällt darunter. Dass neben diesen vier Kategorien eine weitere interessant sein könnte, legt unter anderem folgende Überlegung zum Bauen von van den Heuvel-Panhuizen et al. (2005, 183) nahe: „Of greatest importance is that the children start testing things and, in that process, shift between doing, watching and expressing in words. In this way the children develop their spatial visualization ability and they gain valuable geometric reasoning experiences“. Aus einer mathematikdidaktischen Perspektive sind also auch solche Situationen, in denen Kinder andere beim Bauspiel beobachten von Bedeutung. Die Kategorie „Beobachten/Verfolgen des Bauspiels von anderen“ trägt dem Rechnung und kann folgendermaßen definiert werden: Ein Kind beobachtet andere beim Bauspiel ohne selbst zu bauen. Der Blick des Kindes ist deutlich auf andere Kinder und deren Bauspiel gerichtet. Anhand der Sequenzierungskategorien können somit alle Abschnitte des Videos gefunden werden, bei denen Bauspielmaterialien Gegenstand des Spieles sind, diese können anhand der Kategorien wiederum danach eingeordnet werden, ob darin ein (Rollen-)Spiel vorkommt, eine Bauaktivität, eine Kommunikation im oder während des Spiels, eine Kommunikation über das Bauspiel oder ob ein Beobachten anderer Kinder beim Bauen stattfindet. Die Unterteilung eines Videos in Sequenzen mithilfe dieser Kategorien setzt allerdings voraus, dass die Kategorien in einer geeigneten Weise auf das Video angewandt werden können, wofür fraglos ein anderes Vorgehen erforderlich ist, als für in Textform vorliegende Interviewdaten.
3.3.2.3 Anwenden der Sequenzierungskategorien (C) Kuckartz (2014, 80) beschreibt hinsichtlich der Anwendung der thematischen Hauptkategorien auf das Material, „dass man den Text dabei ‚sequenziell‘, d. h. Zeile für Zeile vom Beginn bis zum Ende durchgeht und Textabschnitte den Kategorien zuweist“. Es müsse also jeweils entschieden werden, welche der Kategorien in dem Textabschnitt angesprochen wird, wobei nichtsinntragende Textstellen uncodiert bleiben. Überträgt man das auf die Codierung von Videodaten, so stellt sich die Frage, wie bei diesen Daten ein sequenzielles zeilenweises Vorgehen aussehen müsste. Als machbar hat sich hier ein Prozedere erwiesen, dass die Idee des sequenziellen Vorgehens in zweifacher Hinsicht aufgreift. Zum einen erfolgt eine Unterteilung des Videos insofern, als man die einzelnen
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Akteure des Videos jeweils getrennt voneinander betrachtet und die Sequenzierungskategorien zunächst jeweils den Aktivitäten eines Kindes zuordnet. Zum anderen wurde die Entscheidung getroffen, die Kategorien halbminütigen Einheiten zuzuordnen. Diese Vereinfachung stellte sich als sinnvoll heraus, da es nicht praktikabel war, Anfang und Ende einer Aktivität im Video eindeutig zu bestimmen. Weil die Sequenzierungskategorien anders als die thematischen Hauptkategorien vor allem dazu dienen, einen Überblick über das Spielgeschehen zu erhalten, war es der Übersichtlichkeit halber hilfreich, für jede 30-SekundenEinheit pro beteiligtem Akteur maximal eine Kategorie zu vergeben. Da in einer Sequenz ein Kind aber durchaus mit Aktivitäten befasst sein kann, die mehreren Kategorien entsprechen können, wurden die Kategorien in eine Hierarchie – 1 Beobachten, 2 Rollenspiel, 3 Bauaktivität, 4 Kommunikation im Spiel, 5 Kommunikation über das Bauspiel – gebracht, die im Folgenden, beginnend mit der höchsten Hierarchiestufe 5, kurz begründet wird. Aus mathematikdidaktischer Perspektive sind die Situationen, in denen eine Kommunikation über das Bauspiel stattfindet, von größtem Interesse, wie in den in Abschnitt 2.2.2.5 gezogenen Schlussfolgerungen deutlich wird, weshalb sie hier die höchste Kategorie (5) darstellen. Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass mathematikbezogene Aktivitäten in einer engen Verbindung mit Sprache stehen, nimmt die Kommunikation im Spiel (4) den zweiten Platz ein. Die Unterscheidung und Gewichtung von Rollenspiel (2) und Bauaktivität (3) wurde vor allem wegen der Definition von Bauspielen vorgenommen. Bauspiele sind dabei gleichbedeutend mit Bauaktivität, da darunter solche Spiele verstanden werden, bei denen es um ein zielstrebiges Herstellen eines dreidimensionalen Spielproduktes geht, was auch das systematische Erkunden des Objektes oder des Materials umfassen kann. Diese Definition weist Merkmale auf, die teilweise auch als typisch für mathematische Aktivitäten beschrieben werden (vgl. Abschnitt 2.2.2). Allerdings ist anzumerken, dass Brandt (2017) in Anlehnung an Bishop durchaus auch Rollenspiel als mathematische Aktivität versteht, wie in der Darstellung des Aktivitätsbereiches Playing deutlich wird (vgl. Abschnitt 2.2.3.4). Als niedrigste Kategorie wird Beobachten/Verfolgen des Bauspiels anderer (1) geführt. Auch wenn, wie oben dargestellt, dem Beobachten eine wichtige Bedeutung für die mathematische Entwicklung zukommt, so ist für die Analyse von Bauspielsituationen aus mathematikdidaktischer Perspektive besonders interessant, welche Aktivitäten der anderen Kinder beobachtet werden und ob das beobachtende Kind in der Folge eine bestimmte Aktivität oder Äußerung macht, die sich auf dieses Beobachten zurückführen lässt. Abbildung 3.3 zeigt einen Auszug aus dem Multimedia-Browser in MAXQDA, in dem die Codierung mit den Sequenzierungskategorien an einem
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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Abbildung 3.3 Codierung eines Videoabschnittes mit den Sequenzierungskategorien
Video durchgeführt wurde, und zwar so, dass für jeden beteiligten Akteur pro 30-Sekunden-Einheit eine Kategorie zugeordnet wurde. In dem dargestellten Videoausschnitt sind pro halbe Minute drei Farbbalken untereinander zu sehen, das heißt, es waren drei Kinder mit dem Bauspielmaterial befasst, wobei sowohl Bauaktivitäten als auch Rollenspiel als auch Beobachtung und Kommunikation vorkamen. Die Darstellung im Multimediabrowser bietet keine zeilenweise Darstellung der Codings für die einzelnen Kinder an, was den Codierprozesses etwas erschwert. Es ist aber möglich, anhand der Visualisierungsfunktion Codeline darzustellen, wie die Sequenzierungskategorien für die einzelnen Kinder über die Zeit hinweg vorkamen, was die folgende Abbildung zeigt. Die in Abbildung 3.4 dargestellte Codeline zeigt die Aktivitäten von allen beteiligten Kindern über das komplette Bauspielvideo KITA1Cs1 hinweg. Die
Abbildung 3.4 Codeline mit den Sequenzierungskategorien zu dem selben Video
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grau eingerahmte Spalte entspricht dem Ausschnitt, der in Abbildung 3.3 dargestellt ist. Man kann über den weiteren Verlauf der Codeline gut erkennen, dass Kind 1 das, was es baut, sehr intensiv kommentiert. Ungefähr bei Minute 17 bringt sich Kind 2 erstmalig in das Spiel mit den Baumaterialien ein. Beide kommunizieren in der Folge ausführlich über ihr Bauspiel. Ab Minute 45 zeigt sich eine Veränderung, indem die Kommunikation über das Bauspiel nun vermehrt im Wechsel mit einer Kommunikation im (Rollen-)Spiel zu erkennen ist. Besonders am Ende des Videos – etwa ab Minute 69 – zeigen sich vermehrt Spiel- oder Rollenspielaktivitäten mit dem Gebauten.
3.3.2.4 Erkennen und Festlegen inhaltsreicher Sequenzen (D) Anders als bei Kuckartz (2014) beschrieben, stellen die in dieser Studie entwickelten und genutzten Sequenzierungskategorien keine thematischen Hauptkategorien dar, insofern geht es nicht darum, im weiteren Verlauf der Analyse zu jeder dieser Kategorien Unterkategorien zu entwickeln. Sie wurden viel mehr mit dem Ziel eingeführt, die Situationen, in denen der Fokus der Kinder auf den Bauspielmaterialien liegt, unterscheiden zu können und daraufhin eine begründete Auswahl von Sequenzen, die für die induktive Kategorienbildung geeignet sind, zu treffen. Die oben schon dargestellte Annahme, dass insbesondere die Kommunikation über das Bauspiel aus mathematikdidaktischer Perspektive zentral ist und deshalb besonders gute Anhaltspunkte für die Kategorienbildung bieten kann, konnte versuchsweise an einzelnen Sequenzen bestätigt werden. Allerdings ist anzumerken, dass die Unterscheidung zwischen Situationen, die mit den Kategorien Kommunikation im Spiel oder Kommunikation über das Bauspiel codiert waren, nicht immer gleichbedeutend damit war, dass eine Situation mathematikbezogen oder nicht mathematikbezogen war. Darüber hinaus hat sich bereits während des Codierens gezeigt, was auch Abbildung 3.4 verdeutlicht, dass es vor allem bei zwei der beteiligten Kinder sehr viele Sequenzen gibt, in denen eine Kommunikation über das Bauspiel beziehungsweise über die Bauaktivitäten stattfand. Das in dem linken der beiden Dokumentenportraits in Abbildung 3.5 dargestellte Zwischenergebnis der Codierung verdeutlicht, dass die Kategorie Kommunikation über das Bauspiel vielen Sequenzen im Video zugeordnet wurde. Das ganze Video geht über eine Zeitspanne von 83 Minuten, in 48 Minuten davon sind Sequenzen der besagten Kategorie zu finden. Im Hinblick auf die Durchführbarkeit der induktiven Kategorienbildung war damit noch keine ausreichende Reduktion der Daten erreicht. Deshalb war es notwendig, über eine weitere Kategorie nachzudenken, mit der solche Sequenzen gefunden werden können, an denen sich mathematikbezogene Aktivitäten möglichst deutlich zeigen und damit leicht zugänglich sind. Bohnsack (2011, 174) geht davon aus, dass Fokussierung ein geeignetes Auswahlkriterium für Videosequenzen ist. Diese kann sich daran zeigen, dass
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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die Erforschten im Sinne einer Selbstläufigkeit aufeinander reagieren und sich untereinander wechselseitig steigern, sodass es zu dramaturgischen Höhepunkten kommt. Diese dramaturgischen Höhepunkte zeichnen sich unter anderem durch eine interaktive Dichte aus. In diesem Zusammenhang wurde für die vorliegende Studie angenommen, dass Sequenzen dann besonders dicht oder ergiebig sind, wenn sich in den Interaktionen eine besonders intensive Auseinandersetzung der Kinder untereinander zeigt. Das wurde im Codierprozess so umgesetzt, dass alle Sequenzen, die Äußerungen enthalten, in denen auf Fehler verwiesen wird, notwendige Korrekturen oder Veränderungen angemahnt werden bzw. Widerspruch gegen eine Bautätigkeit oder ein Vorhaben eingelegt wird, einer eigenen Kategorie Äußerung zu Veränderung oder Korrektur zugeordnet wurden. Im rechten Dokumentenportrait in Abbildung 3.5 sind diese Stellen lila dargestellt. Es zeigt sich, dass auf diese Weise eine Reduktion der Daten erreicht beziehungsweise eine überschaubare Anzahl an Sequenzen ausgewählt werden kann, die für die induktive Kategorienbildung vielversprechend sind. Die Entscheidung, diese Sequenzen für die induktive Kategorienbildung zu verwenden, bedeutet nicht, dass im weiteren Verlauf in allen Videos nur diese
Abbildung 3.5 Dokumentenportrait – Kategorie „Kommunikation über das Bauspiel“ (Bei den dargestellten Dokumentenporträts wird das gesamte Dokument auf die 900 Kacheln der Darstellung projiziert, wobei links oben der Anfang des Videos dargestellt ist und rechts unten das Ende. Nicht mit den hier untersuchten Kategorien codierte Dokumentteile sind weiß. Die codierten Sequenzen werden in der Farbe ihrer Codierung angezeigt, wobei im vorliegenden Fall eine Sequenz (à 30 Sekunden) 4 oder 5 Kacheln entspricht. Kommen in einer Sequenz zwei Codierungen vor, erscheint ein Teil der Kacheln in der einen und ein Teil in der anderen Farbe.)
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Stellen mit dem dann induktiv entwickelten Kategoriensystem codiert werden. Vielmehr kann das neu entwickelte Kategoriensystem die Sequenzierungskategorien ersetzen, weil es hinsichtlich der Forschungsfragen erst einen Zugang zu den Videodaten ermöglicht. Damit stellt die Verwendung der Sequenzierungskategorien hier zwar einen wichtigen Schritt im Forschungsprozess dar, ist aber gleichzeitig nur eine Hilfskonstruktion, die nach der Entwicklung der induktiven Kategorien für die Codierung der ganzen Videos nicht mehr benötigt wird, wie auch in Abschnitt 3.3.3 deutlich wird.
3.3.2.5 Transkriptionen (E) Irion (2002, 8) bringt auf den Punkt, was auch in den Veröffentlichungen zu Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse deutlich wurde, dass verbale Daten meist die Basis qualitativer Forschung darstellen. In der vorliegenden Studie zeigt sich aber, dass eine Transkription aller Videodaten, die sowohl die verbalen Äußerungen als auch die nonverbalen Anteile – in meinem Fall waren das vor allem Handlungen mit dem Material und Gesten – berücksichtigt, schwierig ist. Ein Problem ist das Finden einer geeigneten Transkriptionsform. Schuler (2013, 133) wählt für die Transkription ihrer Spielsituationen eine Tabelle, die jeweils eine Spalte für die Zeit, für den Sprecher, für das Worttranskript und die Paraphrase4 sowie für Materialien, Skizzen und Bilder enthält. Zeilenweise orientiert sich das Transkript an dem Sprecherwechsel. Da es sich bei den von Schuler (2013) analysierten Spielsituationen um das gemeinsame Spielen eines Gesellschaftsspieles handelt, lässt sich mit dieser Transkriptionsform der Verlauf des Spiels gut nachvollziehen. Allerdings unterscheiden sich Spielsituationen, in denen Gesellschaftsspiele gespielt werden, erheblich von Bauspielsituationen. Die Frage, die sich stellt, ist also, wie kann ein Transkript aussehen, das ein so komplexes Spielgeschehen, wie es sich bei Bauspielen von Kindern ergibt, in denen mehrere Kinder zur gleichen Zeit mit jeweils unterschiedlichen Aktivitäten befasst sind und dabei Gespräche führen, abbildet. Die Darstellung in einer Partitur (vgl. Moritz, 2010) bietet eine Möglichkeit, der Spezifik des freien Spiels bei der Datenaufbereitung gerecht zu werden, dabei können entlang einer Zeitskala in beliebig vielen Zeilen unterschiedliche Aspekte des Beobachtbaren dargestellt werden. Allerdings wurde die Methode vor allem dafür entwickelt, kurze Videosequenzen sehr intensiv zu analysieren, entsprechend zeitaufwändig ist auch das Erstellen solcher Partituren.
4 Damit
gemeint.
ist hier eine kurze Beschreibung der gleichzeitig stattfindenden Handlungen
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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An diesen Überlegungen zeigt sich, dass eine komplette Transkription aller Daten aufgrund des Aufwandes schier unmöglich ist. Dass die Transkription aller Daten darüber hinaus auch aus methodischen Gründen problematisch ist, verdeutlicht das folgende Zitat: Primär induktiv ausgerichtete Forschungsarbeiten stehen bei der Überführung nonund paraverbaler Daten in Transkripte vor dem Problem, schon im Transkriptionsprozess Entscheidungen über die zu erfassenden Phänomene treffen zu müssen. Die Entscheidung für oder gegen die Transkription von Datenmaterial schon vor den ersten Analysen birgt jedoch Gefahren: Erst später im Forschungsprozess als relevant eingestufte Phänomene werden möglicherweise frühzeitig ausgeblendet, wodurch die Offenheit des qualitativen Forschungsprozesses gefährdet werden kann. (Irion 2002, 8)
Als Lösung für dieses Problem werden zwei Varianten empfohlen. Die eine ist die direkte Arbeit mit den Filmdaten, wobei die Analysen direkt am Filmmaterial erfolgen. Als zweite Möglichkeit wird vorgeschlagen, dass sich die Analysen auf gemischtes Datenmaterial, beispielsweise auf Transkripte gesprochener Sprache und auf das Videomaterial beziehen (vgl. Irion 2002, 8). In der vorliegenden Studie spielten beide Varianten eine Rolle. Einerseits gab es Phasen im Forschungsprozess, in denen Analysen direkt an den Videodaten erfolgten, beispielsweise bei den oben beschriebenen Sequenzierungskategorien. Andererseits kamen auch Transkripte zum Einsatz. So wurden zunächst für einige der Videos Verbaltranskripte erstellt. Auch wenn angenommen wird, dass die Erstellung von Verbaltranskripten eher unproblematisch ist, da die verbalen Mitteilungen einen Wortlaut haben, der in Transkriptionen festgehalten werden kann (vgl. Dinkelaker und Herrle 2009, 35), zeigten sich einige Probleme. Die Erstellung der Verbaltranskripte war sehr zeitaufwändig, da es eine besondere Herausforderung war, das von den Kindern Gesagte zu verstehen und jeweils einem bestimmten Kind zuzuordnen. Für die Analyse in dieser Studie boten die Verbaltranskripte nicht den erhofften zusätzlichen Nutzen. Das lag sicher zum einen daran, dass die Transkripte ohne eine Analysesoftware erstellt werden mussten und insofern keine Zeitmarken hatten, die das gleichzeitige Betrachten und Einbeziehen der Video- und Textdaten erleichtert hätten. Zum anderen zeigte sich bei der weiteren Analyse ausgewählter Videosequenzen, dass die jeweils den Sequenzen entsprechenden Verbaltranskripte oft ungenau und unvollständig waren. Zwei Erklärungen sind dafür möglich, die eine ist, dass die Transkripte von Studierenden angefertigt wurden, die möglicherweise nicht geübt genug darin waren, solche Verbaltranskripte anzufertigen, zumal die Tonqualität der Videos bei weitem nicht perfekt war. Die
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Bauspielaktivitäten analysieren
andere Erklärung ist, dass bei der Transkription eines solch komplexen Spielgeschehens auch das, was gesprochen wird, erst klar und verständlich wird, wenn man mit einem bestimmten Fokus auf die Situation und das Geschehen schaut. Trotzdem wäre es nicht sinnvoll gewesen, auf die Verbaltranskripte zu verzichten. Sie ermöglichten, schnell einen Überblick darüber zu bekommen, worüber die Akteure zumindest im Groben gesprochen haben und konnten in Ergänzung zu den Überblicksblättern Anhaltspunkte dafür liefern, ob ein Video in die Auswertung einbezogen werden sollte oder nicht. Die hier genannten Erfahrungen können verdeutlichen, wie stark selbst ein Verbaltranskript von einem bestimmten Fokus beim Betrachten eines Videos abhängig ist. Auch über die beschriebenen Verbaltranskripte hinaus spielten Transkriptionen im Forschungsprozess eine Rolle. Die Zuordnung von bestehenden Kategorien zu Filmsequenzen kann zwar direkt am Video erfolgen und erfordert keine Transkription, obwohl es dennoch eine Übersetzung dessen, was auf dem Video zu sehen ist, in Sprache darstellt. Wenn es darum geht, ausgehend von Videosequenzen Kategorien zu entwickeln, ist das aber eine weitaus komplexere Übersetzungsleistung. Es ist in aller Regel nicht so, dass man eine Videosequenz sieht und sofort eine, hinsichtlich der eigenen Forschungsfrage passende, Bezeichnung für das gesehene und gehörte Geschehen angeben kann. Vielmehr erfordert dies einen Prozess des Nachdenkens über die Situation, der diverse sprachliche Übersetzungsleistungen enthält. Schon aus Gründen der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit ist es sinnvoll, seine Übersetzungen in einer einheitlichen Form schriftlich festzuhalten. Die einfachste Möglichkeit dafür ist es, zu jeder Sequenz eine Beschreibung und Zusammenfassung dessen, was geschieht, anzufertigen, um auf möglichst direktem Weg zu Kategorien zu gelangen. Solche Beschreibungen sind aber, wie Dinkelaker und Herrle (2009, 36) feststellen, besonders abhängig vom Aufmerksamkeitsfokus des Beobachters. Aus diesem Grund ist die Verwendung einer Transkriptionsform, die detaillierter darstellt, was von wem gesagt und getan wurde, aussagekräftiger. Die oben skizzierte Form der Partitur erfüllt das, lässt sich aber nur mit der speziellen Software Feldpartitur© gut umsetzen. Diese ist einerseits sehr teuer und es entstehen damit andererseits umfangreiche neue Daten, wie beispielsweise Standbilder je (halbe) Sekunde, die für meinen Analysefokus eher störend als hilfreich sind. Es wurde deshalb eine Transkriptionsform gesucht, die den Prozess der induktiven Kategorienbildung unterstützt und dabei detailliert genug ist, damit auch ohne Betrachten des Videos die durch das Transkript dargestellte Sequenz für andere nachvollziehbar ist. Daraus ergeben sich die folgenden Anforderungen an die Erstellung des Transkriptes:
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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• Das Transkript sollte möglichst mit der Software MAXQDA erstellt oder zumindest in dieser weiterverwendet werden können. • Ein Erfassen der Handlungen mit dem Material und der Äußerungen der einzelnen Akteure ist gut möglich. • Es kann schnell überblickt werden, welche Akteure in welcher Art und Weise beteiligt sind. • Die zugehörigen Videosequenzen können schnell wieder aufgefunden werden. • Bei Bedarf lassen sich weitere Sequenzen hinzufügen. Es zeigte sich, dass die Erstellung und Verwendung eines Transkriptes, das diesen Ansprüchen gerecht werden kann, in MAXQDA in keiner guten Weise umsetzbar war. Dabei stellte sich als Hauptproblem dar, dass weder die Erstellung eines Transkriptes in Form einer Tabelle noch die Verwendung eines solchen Transkriptes zur Kategorienbildung von MAXQDA unterstützt wurde. Letztlich wurde das Transkript deshalb in der Tabellenform, die im Folgenden abgebildet ist, in Excel erstellt und auch die Kategorienbildung anhand dieser Tabelle außerhalb von MAXQDA abgeschlossen, wie in den Abschnitten 3.3.3.1 und 3.3.3.2 deutlich wird.
Abbildung 3.6 Auszug aus der Transkription
Die Tabelle wird den oben genannten Anforderungen insofern gerecht, als sie einen guten Überblick über die Sequenzen bietet. Der Zeithinweis in der ersten Spalte ermöglicht ein schnelles Auffinden der Sequenz in MAXQDA. In der Tabelle wird für jedes Kind erfasst, was es in der bestimmten Situation sagt und was es tut. Wenn sich mehrere Kinder in ihren Äußerungen oder Handlungen aufeinander beziehen und das zeitlich nacheinander stattfindet, wird das jeweils durch einen Zeilenwechsel in der Tabelle abgebildet. Gleichzeitig stattfindende Äußerungen und Handlungen eines oder mehrerer Kinder stehen in derselben Zeile und
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sind durch eine fettgedruckte und wo nötig auch farbige Schrift hervorgehoben. Zur besseren Übersicht sind die Handlungen nicht nur für jedes Kind in einer eigenen Spalte dargestellt, sondern sind im Unterschied zur verbalen Äußerung jeweils kursiv gedruckt. Für den in Abbildung 3.6 dargestellten Auszug aus der Transkription ist die Tabelle wie folgt zu lesen: Max sagt, während er das Rad wieder abbaut und es andersherum anbaut: „Und vorher deins so war.“ Direkt anschließend versucht er, das Objekt über den Boden zu fahren, und kommentiert das gleichzeitig mit der Äußerung: „Weil wenn die so sitzen und deine Füße da draufkommen und die dann so fahren.“, ebenfalls gleichzeitig stellt Emma fest: „Das Rad rollt sich nicht.“ Die Transkriptionslegende 1 im Anhang dieser Arbeit stellt die Transkriptionsregeln in der Übersicht dar. Nach der Erstellung des Transkriptes und der daran ausgeführten Kategorienentwicklung, die in Abschnitt 3.3.3.1 und 3.3.3.2 dargestellt ist, erfolgte die Anwendung des Kategoriensystems dann wieder in MAXQDA direkt an den Videodaten, wie in Abschnitt 3.3.4 gezeigt wird. Die Anfertigung von Transkriptionen bekommt nach diesem Schritt noch einmal Bedeutung, insbesondere dann, wenn auf die Veröffentlichung des Videomaterials verzichtet werden soll. Irion (2002, 4) stellt dazu fest, dass zur Darstellung der Untersuchungsschritte „in einem letzten Schritt bei Bedarf die nun am Ende des Analyseprozesses als ertragreich eingestuften (!) Modifikation der Transkription vorgenommen werden [kann]“. In meiner Untersuchung hat sich gezeigt, dass in diesem Zusammenhang vor allem der letzte Schritt der Analyse kategorienbasierte Auswertung und Ergebnisdarstellung (K) eine Anfertigung von weiteren Transkriptionen erforderlich machte. Bei diesen Transkriptionen von ausgewählten Videostellen aus allen analysierten Bauspielvideos ging es darum, die Bedeutung und Ausdifferenzierung der Kategorien zu belegen. Wie in Kapitel 4 zu sehen ist, habe ich dafür nicht die oben dargestellte Tabellenform gewählt, sondern eine einfachere Form des Transkripts, bei der die Handlung jeweils in Klammern und kursiv gedruckt zusammen mit der verbalen Äußerung des Kindes in einem Absatz steht. Sind mehrere Kinder beteiligt, habe ich deren Äußerungen, wie es sich aus dem Sprecherwechsel ergab, absatzweise untereinandergeschrieben. Meist wurde daneben noch ein Bild der Situation eingefügt. Das Ziel dieser Darstellungsform soll es sein, eine möglichst gute Veranschaulichung und einfache Nachvollziehbarkeit der dargestellten Situationen für den Leser zu erreichen. Die Transkriptionsregeln dafür weichen deshalb etwas von den oben dargestellten ab und sind in der Transkriptionslegende 2 im Anhang zusammengefasst.
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
3.3.3
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Kategorienbildung
Kategorien zu bilden ist ein für jede geistige Tätigkeit elementarer Prozess. Als grundlegender kognitiver Vorgang ist die Kategorienbildung sowohl Gegenstand entwicklungspsychologischer als auch erkenntnistheoretischer Überlegungen. Die Umwelt wahrnehmen, das Wahrgenommene einordnen, abstrahieren, Begriffe bilden, Vergleichsoperationen durchführen und Entscheidungen fällen, welcher Klasse eine Beobachtung angehört – ohne solche fundamentalen kognitiven Prozesse wäre für uns weder der Alltag lebbar noch Wissenschaft praktizierbar. Jeder Prozess der Kategorisierung ist somit auf Wahrnehmung und aktive geistige Tätigkeit angewiesen; eine Emergenz von Kategorien in dem Sinne, dass Dingen der äußeren Welt eingeschrieben wäre, um welche Kategorie, welche Klasse von Dingen, es sich handelt, existiert nicht. (Kuckartz 2014, 41)
Das Zitat von Kuckartz verdeutlicht gut, dass die Bildung von Kategorien ein individueller und kreativer Akt ist. Die besondere Herausforderung für die Forschung besteht deshalb auch darin, diesen Prozess so darzustellen, dass er für andere nachvollziehbar ist. In meiner Studie sind es zwei Forschungsfragen, die den Rahmen für die Kategorienbildung vorgeben. Das ist zum einen die Frage nach übergeordneten Arbeitsweisen, die das Bauspiel von Kindern prägen, und zum anderen die Frage nach inhaltsbezogenen mathematischen Aspekten, die sich in den Bauspielinteraktionen von Kindern erkennen lassen. Im folgenden Abschnitt 3.3.3.1 wird zunächst die Kategorienbildung auf Prozessebene dargestellt, bevor in Abschnitt 3.3.3.2 die Kategorienbildung auf Inhaltsebene beschrieben wird. In Abschnitt 3.3.4 wird schließlich die Anwendung des Kategoriensystems in den Blick genommen.
3.3.3.1 Kategorienentwicklung – Prozessebene (F/G/H) Die Bestimmung von Kategorien, mit denen sich übergeordnete Arbeitsweisen der Kinder beschreiben lassen, setzt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial voraus. Es handelt sich dabei, folgt man dem Verständnis von Kuckartz (2014, 43 f.), am ehesten um analytische Kategorien. Nach seiner Beschreibung werden analytische Kategorien gebildet, indem thematische Kategorien analysiert werden. Kuckartz (2014, 44) erläutert das Vorgehen hinsichtlich der Auswertung von Interviews folgendermaßen: Die Analyse der thematischen Kategorie ‚Umweltverhalten‘ und ihrer zwei Dimensionen ‚Mobilitätsverhalten‘ und ‚Energieverhalten‘ etc. führt die Forschenden zu der Erkenntnis, dass die Forschungsteilnehmenden häufig über die finanziellen Kosten und den Nutzen bestimmter Verhaltensweisen sprechen, sie definieren daraufhin die analytische Kategorie ‚Kosten-Nutzen-Kalkül‘.
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Anders als in Kuckartz Beispielstudie wurden in meiner Studie nicht vorab thematische Kategorien gebildet, die als Ausgangspunkt für analytische Kategorien dienen konnten. Insofern stellte sich hier die Frage, welche Gemeinsamkeiten sich in den vorliegenden transkribierten Sequenzen zeigen, die ähnlich wie die thematischen Kategorien analysiert werden können, um übergeordnete Prozesse des Bauspiels beschreiben zu können. Tatsächlich ließen sich die Daten danach unterscheiden und sortieren, ob es in der Äußerung und Handlung eines Akteurs eher um den Aufbau beziehungsweise die Bauweise eines Objektes ging oder eher um die Funktion des Bauwerkes oder ob beides thematisiert wurde. Es lag nahe, aus dieser Unterscheidung Prozesse abzuleiten. Dabei zeigte sich, dass die Aktivitäten der Kinder unterschiedlich wirkten, je nachdem, ob sie nur auf sich selbst oder nach außen gerichtet waren, beispielsweise als Teil einer Interaktion zwischen mehreren Kindern, die auf dasselbe Objekt fokussiert waren. Für Aktivitäten und Äußerungen, die ein Kind nur für sich selbst und zu sich selbst tätigte, wurde eine besondere Übereinstimmung mit dem von Bruce et al. (1992d, 124) erläuterten Begriff des Monitoring erkannt. Die Autorinnen beschreiben, dass Kinder, wenn sie einen Plan verfolgen, beispielsweise ein Bauwerk herstellen, oft vor sich hinmurmeln und dabei verschiedene Arten von Anmerkungen machen. Da der Begriff des Monitoring das Herstellen eines Bauwerks, das aber Teil dieser Aktivität ist, nicht beschreibt und bei Bruce et al. Monitoring vermutlich genau deshalb mit dem Begriff Making zu dem Prozess Making and Monitoring zusammengefasst wird, lag es nahe, zur Beschreibung dieses Prozesses in der vorliegenden Studie ebenfalls zwei Begriffe zu nutzen. Die Kategorienbezeichnung Herstellen/Checken wurde gewählt, weil damit genau dieses Zusammenspiel aus dem Herstellen eines Bauwerks und dem Kommentieren dieser Herstellung im Sinne eines Überprüfens des eigenen Tuns erfasst wird. Das folgende Beispiel (Abbildung 3.7) veranschaulicht diese Art von Aktivitäten gut.
Abbildung 3.7 Beispiel für die Kategorie Herstellen/Checken
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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Betrachtet man das Beispiel im Hinblick auf eine Unterscheidung zwischen Funktion des Bauwerkes und Aufbau des Bauwerkes, so bietet die Äußerung von Anna alleine noch keinen Hinweis. Erst zusammen mit der Handlung des Ausprobierens, bei der das eigene Objekt über den Boden geschoben wird, wird klar, dass sich das „besser sein“ vermutlich auf die Funktion des Gebauten bezieht. Die dann sofort folgende Handlung, bei der weitere Teile angebaut werden, verdeutlicht, dass der Aufbau des Objektes und seine Funktion für Anna zusammenhängen. Während die Aktivität von Anna keine anderen Akteure einbezieht, also ausschließlich selbstbezogen ist, gibt es andere Situationen, in denen sich ebenfalls zeigt, dass die Kinder einen Zusammenhang zwischen dem Aufbau des Objektes und seiner Funktion sehen und das auch mit anderen teilen (Abbildung 3.8).
Abbildung 3.8 Beispiel für die Kategorie Entwerfen/Adaptieren
Die Benennung dieser Kategorie mit Entwerfen/Adaptieren soll ausdrücken, dass es hier nicht um das eigene Herstellen und Ausprobieren geht, sondern darum, dass für jemand anderen erläutert wird, was zu verändern oder zu bauen ist und warum. Die Auswahl des Kategoriennamens schließt an die Bezeichnung der vorhergehenden Kategorie an, indem ebenfalls zwei Ausdrücke miteinander verbunden werden, wobei es auch bei dieser Kategorie eine Verbindung zur Theorie gibt. In Abschnitt 2.2.2.2 wird neben dem Problemlöseprozess von Bruce et al. (1992d) auch ein heuristisches Modell zum Ablauf und Prozess des Problemlösens nach Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell (1999) dargestellt. Diese nutzen für einen Teilprozess die Bezeichnung Design or Adapt. Dieser Teilprozess wird von den Autoren als komplexer Teilprozess beschrieben, der darin besteht, etwas zu planen und dabei bestimmte Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Insofern ist es passend, solche Aktivitäten, in denen die Kinder die Funktion ihres Bauwerkes damit in Beziehung setzen, wie dieses Bauwerk (weiter) gebaut werden soll, und das für andere beschreiben, durch eine Kategorie mit dem Namen Entwerfen/Adaptieren zu erfassen.
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Bauspielaktivitäten analysieren
Nicht immer spielen in den Aktivitäten der Kinder sowohl die Bauweise als auch die Funktion eine Rolle. Häufig beziehen sich die Kinder entweder auf das eine oder das andere. Die Kategorie Evaluieren/Betiteln wurde dementsprechend an solchen Situationen entwickelt, in denen die Kinder im Austausch mit anderen die Funktion eines Objektes beschreiben oder bewerten.
Abbildung 3.9 Beispiele für die Kategorie Evaluieren/Betiteln
Außer beim Bewerten oder Evaluieren, das übrigens sowohl Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell (1999, 68) als auch Bruce et al. (1992d, 124) als Teilprozess von Problemlösen darstellen, zeigt sich manchmal die Auseinandersetzung mit der Funktion auch darin, dass das Objekt einen bestimmten Namen bekommt, der ihm eine bestimmte Funktion zuschreibt (vgl. das untere der beiden Beispiele in Abbildung 3.9). Das erklärt, warum ich entschieden habe, die Kategorie nicht nur als Evaluieren, sondern als Evaluieren/Betiteln zu bezeichnen. Für Äußerungen und Handlungen, die die Bauweise oder den Aufbau eines Objektes thematisieren, indem sie beschreiben, wo ein bestimmtes Teil angebaut werden soll oder welche Teile benötigt werden, lag die Kategorienbezeichnung Konstruieren/Aufbauen nahe. Der Begriff Konstruieren wurde hier gewählt, um hervorzuheben, dass es nicht immer um eine einfache Thematisierung des Aufbaus geht, sondern dass sich in einigen Situationen (vgl. unteres Beispiel in Abbildung 3.10) auch komplexere Aktivitäten zeigen, in denen das Vorausplanen und das Beurteilen, warum eine bestimmte Bauweise (nicht) geeignet ist, besonderes Gewicht haben. Während die Kategorien Herstellen/Checken, Entwerfen/Adaptieren und Evaluieren/Betiteln,
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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Abbildung 3.10 Beispiele für die Kategorie Konstruieren/Aufbauen
wie oben gezeigt Anschlüsse an theoretische Überlegungen zum Problemlöseprozess haben, stellt die Kategorie Konstruieren/Aufbauen eine Erweiterung dieser Teilprozesse dar. Der besondere Nutzen davon, einen eigenen Prozess namens Konstruieren/Aufbauen zu beschreiben, besteht darin, dass damit die Interaktionen in Bauspielen, in denen sich Kinder ganz und gar der Bauweise ihres Objektes oder der Bautechnik, die mit einem bestimmten Material einhergeht, widmen, erfasst werden können. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Teilprozess nicht nur für Bauspiele, sondern auch für andere Herstellspiele tragfähig ist. Eine ausführliche Deutung und Beschreibung der vier Kategorien auch aus einer mathematikdidaktischen Perspektive erfolgt in Abschnitt 4.2.
3.3.3.2 Kategorienentwicklung – Inhaltsebene (F/G/H) Die Frage, welche auf das Bauen sowie die Eigenschaften des Baumaterials oder Bauwerks bezogenen Themen in den Interaktionen von Kindern während ihrer Bauspiele vorkommen und welche inhaltsbezogenen mathematischen Aspekte sich darin erkennen lassen, bietet den Rahmen für die Kategorienentwicklung auf Inhaltsebene. Dabei lassen sich in den Handlungen mit dem Material und den Äußerungen der Kinder vor allem dann Bezüge zur Mathematik erkennen, wenn man den informellen Charakter, der die mathematischen Auseinandersetzungen junger Kinder prägt, berücksichtigt. Diesbezüglich zeigte sich bei der Kategorienbildung schnell, dass es hilfreich ist, wenn auch die Kategorienbezeichnungen die Ausdrücke der Kinder aufgreifen. Insofern lässt sich bei der Kategorienbildung methodisch an die Verwendung natürlicher Kategorien anknüpfen. Laut Kuckartz (2014, 44) werden bei natürlichen Kategorien die Terminologien, die von den
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Handelnden im Feld selbst verwendet werden, genutzt. Der Übergang zu analytischen Kategorien sei fließend, weil die Akteure diese Begriffe benutzen, um sich selbst und anderen Phänomene zu erklären, dabei seien natürliche Kategorien häufig sehr plastisch und bildhaft. In der vorliegenden Studie dienten von den Kindern genutzte Begriffe als Ausgangspunkt für die Kategorienbezeichnungen. Diese wurden um ähnliche Begriffe ergänzt, die einer informellen Ausdrucksweise, wie sie Kinder verwenden, möglichst gut entsprechen und gleichzeitig in Richtung eines naheliegenden mathematischen Themenfeldes oder Inhaltes weisen. Beispielsweise finden sich diverse Äußerungen von Kindern, in denen Wörter wie klein, lang oder groß verwendet werden: „Warte wir brauchen noch ein kleines.“, „Ist zu lang … da braucht man schon ein kleineres.“ oder „Jetzt haben se ein größeres Stockwerk, gell.“ Eine Kategorienbezeichnung, die solche Äußerungen zusammenfasst und dabei nahe an der Sprache der Kinder bleibt, ist groß-klein. Es sind aber nicht nur die Äußerungen der Kinder, sondern auch ihre Handlungen, in denen sich ein Zusammenhang zur Kategorie groß-klein zeigen kann, wie Abbildung 3.11 verdeutlicht.
Abbildung 3.11 Beispiele für die Kategorie groß-klein
Ein weiteres Thema, das die Kinder beim Bauen häufig besprochen haben, war, wo ein bestimmtes Teil angebaut werden soll und wie herum etwas sein muss. Das zeigt sich typischerweise in Äußerungen, wie „Des musst du wenn dann auf die andere Seite machen, sonst rollt es net.“ oder „Oh leider ist des falschrum, des Rad hier. […] So muss des. Guck so.“ Als Kategorienbezeichnung wurde falschrum-richtigrum gewählt. Damit konnten Begriffe, die auch von den Kindern selbst genutzt wurden, aufgegriffen werden und das mit der Bezeichnung groß-klein begonnene Muster, jeweils zwei Adjektive zu verwenden, wurde weitergeführt. Als Grenze der Kategorienbezeichnung falschrum-richtigrum muss allerdings festgehalten werden, dass damit vor allem eine Assoziation zum Aspekt
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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der Richtung hergestellt wird. Die Kategorie umfasst darüber hinaus auch alle Situationen, in denen die Lokalisation eines Objektes oder Bauteils thematisiert wird. Auch hier gilt, dass es neben der Sprache auch Handlungen am und mit dem Material gibt, die typisch für diese Kategorie sind (vgl. Abbildung 3.12).
Abbildung 3.12 Beispiel für die Kategorie falschrum-richtigrum
In den Spielsituationen achteten die Kinder nicht nur darauf, ob etwas falschrum oder richtigrum war oder an einer bestimmten Stelle anzubauen wäre, sondern auch darauf, ob etwas schräg, senkrecht oder parallel zur Baufläche ausgerichtet wird. Dieser Aspekt findet nur sehr indirekt Eingang in die Sprache der Kinder, z. B. mit Ausdrucksweisen wie „richtig einbauen“ oder „wir stapeln das so“. Richtig klar wird die Bedeutung erst durch die begleitenden Gesten und Handlungen der Kinder, wie die Beispiele in der folgenden Abbildung 3.13 zeigen. Eine naheliegende Kategorienbezeichnung war hier das Begriffspaar schräg-gerade. Ein anderer inhaltlicher Aspekt, der sprachlich nicht direkt offensichtlich ist, aber durchaus Eingang in die Aktivitäten und den Austausch der Kinder findet, zeigt sich, wenn die Kinder darauf achten, dass etwas gleich ist. Beispielsweise wenn sie berücksichtigen, dass die zwei Seiten der Leiter gleich sind, worauf die Äußerung „Komm ich bau weiter mit der Leiter erst mal zwei weiße.“ hinweist. Auch in der Äußerung „Und jetzt brauchen wir nochmal eins.“ drückt sich aus, dass etwas benötigt wird, das gleich ist wie etwas, das schon vorhanden ist. Bei der Suche nach einer Kategorienbezeichnung für diesen Aspekt boten die Äußerungen der Kinder wenig Anhaltspunkte. Passend zu den bisherigen Bezeichnungen wurde gleich-ungleich als Kategorienname gewählt. Der Transkriptionsauszug in Abbildung 3.14 verdeutlicht, dass teilweise erst in Verbindung von Sprache und Handlung klar wird, dass es darum geht, ob etwas gleich oder ungleich ist. Sprachlich kommt in diesem Beispiel, genau wie in der oben zitierten Äußerung, das Wort „noch“ vor: „Da muss noch ein ein ein einziges Rad hin.“
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Abbildung 3.13 Beispiele für die Kategorie schräg-gerade
In der Handlung ist zu sehen, dass nicht alle Räder, die sich finden lassen, gleichermaßen passen. Erst nach einigem Suchen wird ein passendes, genau gleiches Rad gefunden.
Abbildung 3.14 Beispiel für die Kategorie gleich-ungleich
In einer Reihe von Äußerungen in den transkribierten Sequenzen ging es darum, wie und ob Bauteile befestigt werden sollen. Beispielsweise äußerte ein Kind: „Komm ich bau’s uns kurz, warte kurz, ich bau’s da fest.“ Ein anderes sagte: „Ich muss es befestigen, aber sonst kann die doch gar nicht heben [halten].“
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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Dieser Aspekt, bei dem die Befestigung von Bauteilen im Fokus steht, war für die Kinder so häufig ein Thema, dass eine eigene Kategorie dafür durchaus sinnvoll erschien (vgl. auch Abbildung 3.15). Dabei ist allerdings zu bedenken, dass neben dem Bauspielvideo mit dem SEVA-Material, an der die Kategorien gebildet wurden, das Kategoriensystem auch auf die videografierten Bauspielsituationen mit Holzbauklötzen anwendbar sein sollte. Auch wenn die gewählte Kategorienbezeichnung befestigt-unbefestigt stark auf das Befestigen abhebt, ist dennoch sinnvoll, dass auch das beim Spiel mit Holzbauklötzen wichtige Thema der Stabilität durch diese Kategorie erfasst werden kann. Eine besonders spannende Frage ist, wie diese Kategorie aus mathematikdidaktischer Perspektive einzuordnen oder zu deuten ist, das wird auch bezüglich der anderen Kategorien in Abschnitt 4.1 in den Blick genommen.
Abbildung 3.15 Beispiele für die Kategorie befestigt-unbefestigt
Eine weitere Kategorie hat sich erst im Laufe der Anwendung des Kategoriensystems gezeigt. Wurden die Äußerungen der Kinder darüber, dass irgendwo etwas „herausfallen“ oder „durchfallen“ kann, zunächst nur der Kategorie falschrum-richtigrum zugeordnet und die Äußerung „Aber was ist das, der Blaumeister hat ja nicht mal eine Platte rein gebaut, da bau ich eben selbst eine Platte rein.“ als Beispiel für die Kategorie befestigt-unbefestigt gesehen, hat sich später gezeigt, dass man diese Äußerungen schon als Hinweis auf ein eigenes, weiteres Thema hätte deuten können. Es lässt sich daran erkennen, dass die Kinder sich mit Öffnungen oder „Löchern“, die es im Bauwerk gibt, befassen. Erst im Laufe des Codierungsprozesses (vgl. Abbildung 3.1 (J)) trat dieses Thema sehr viel deutlicher hervor und es kam zur Bildung einer weiteren Kategorie. In Abbildung 3.16
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ist ein Beispiel dargestellt, aus dem das Thema der Kategorie gut hervorgeht und es liegt auch schon durch die Äußerung von Max „Nein, das muss offen sein.“, das Wortpaar offen-geschlossen als Name für die Kategorie nahe.
Abbildung 3.16 Beispiel für die Kategorie offen-geschlossen
Insgesamt wurden also die folgenden sechs inhaltsbezogenen Kategorien entwickelt: • • • • • •
groß-klein falschrum-richtigrum schräg-gerade gleich-ungleich befestigt-unbefestigt offen-geschlossen
Durch diese Kategorien ist ein wichtiges Ziel meiner Arbeit erreicht. Es besteht nun die Möglichkeit, die Aktivitäten der Kinder auf darin vorkommende und aus einer mathematikdidaktischen Perspektive relevante Inhalte und Themen hin zu analysieren. In Abschnitt 4.1 erfolgt für jede der sechs inhaltsbezogenen Kategorien eine weitere Ausdifferenzierung und Interpretation im Hinblick auf die beobachteten Bauspiele und es wird deren mathematikdidaktische Bedeutung offenlegt.
3.3.4
Anwendung des Kategoriensystems
Nachdem im vorhergehenden Abschnitt 3.3.3 dargestellt wurde, welche Kategorien zur Beschreibung der Prozessebene und welche zur Beschreibung der Inhaltsebene gebildet wurden, geht es in diesem Kapitel darum, zu beschreiben,
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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wie das Kategoriensystem geordnet und fixiert wurde, so dass die am verschriftlichten Material gebildeten Kategorien direkt an den Videos zum Codieren genutzt werden konnten (vgl. Abschnitt 3.3.4.1). Im Codieren direkt an den Videos werden im Wesentlichen zwei Vorteile gesehen, zum einen ist es auf diese Weise möglich, weniger zeitaufwändig auch eine größere Menge an Videodaten in den Blick zu nehmen. Zum anderen kann all das, was auf dem Video zu sehen ist, berücksichtigt werden, auch das, was bei einer Übersetzung in Text, die immer auch eine Interpretationsleistung darstellt, verlorengegangen wäre. Die Vorgehensweise aber auch die besonderen Herausforderungen dieses Codierprozesses direkt an den Videodaten werden in Abschnitt 3.3.4.2 beschrieben.
3.3.4.1 Kategoriensystem ordnen und fixieren (G/H) Damit die Anwendung des Kategoriensystems auf die vorliegenden Videodaten für andere nachvollziehbar oder für weitere Codierer möglich ist, braucht es eine bestimmte Form der Operationalisierung, die über die oben dargestellten Umschreibungen des Inhaltes der Kategorien und die Ankerbeispiele hinausgeht. Die Angabe und übersichtliche Darstellung von Indikatoren bietet dafür eine hilfreiche Grundlage und ließ sich besonders gut für die Kategorien auf der Prozessebene umsetzen, wie in Abbildung 3.17 gezeigt wird. Kuckartz (2014, 46) weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass eine Liste von Indikatoren prinzipiell nie vollständig sein kann. Bei der Anwendung der prozessbezogenen Kategorien hat sich aber gezeigt, dass die dargestellten Indikatoren ausreichend sind, um die Prozesse gut voneinander unterscheiden zu können. In der Abbildung ist jedem der Prozesse eine eigene Farbe zugeordnet (Evaluieren/Betiteln: hellgelb, Konstruieren/Aufbauen: helllila, Entwerfen/Adaptieren; hellblau und Herstellen/Checken: hellrot). Für die in der linken Spalte beschriebenen Indikatoren, die eine weitere Ausdifferenzierung, der in Abschnitt 3.3.3.1 im Zusammenhang mit der Kategorienbildung genannten Aspekte – Funktion, Bauweise, sprachliche Äußerung, Handlung sowie Ausrichtung der Aktivität – darstellen, wurden diese Farben wieder aufgegriffen. So gibt es einige Indikatoren bezogen auf die sprachlichen Äußerungen, die für die Bauweise (helllila) oder für die Funktion (hellgelb) stehen. Bezogen auf die Handlung gibt es solche, die sowohl eine Auseinandersetzung mit der Bauweise, als auch die Auseinandersetzung mit der Funktion eines Objektes anzeigen können (Farbverlauf helllila-hellgelb). Daneben gibt es auch handlungsbezogene Indikatoren, die charakteristisch für die Funktion sind, wie die Aktivität „Zeigen/Ausprobieren der Funktion“, die sich beispielsweise im Rahmen einer Spielhandlung mit dem Material erkennen lässt (hellgelb). Im Unterschied dazu lässt sich der Indikator
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Abbildung 3.17 Indikatoren für die Kategorien (Prozessebene)
„Zeigen/Ausprobieren der Bauweise“, der sich zum Beispiel durch eine Überprüfung der Passung von Teilen zeigt, als Indikator für die Auseinandersetzung mit der Bauweise verstehen (helllila). Für jede der Kategorien auf Prozessebene wird in der Abbildung deutlich, welche der Indikatoren in den Aktivitäten gelten müssen (ja) und welche auf keinen Fall gelten dürfen (nein), damit eine Zuordnung zu der entsprechenden Kategorie erfolgen kann. Außerdem gibt es immer einige Indikatoren, bei denen es unwichtig ist, ob sie zutreffen oder nicht (graue Felder). Die Darstellung zu den vier übergeordneten Prozessen in Abbildung 3.17 und die Erläuterungen oben verdeutlichen, dass diese untereinander trennscharf und gleichzeitig in Bezug auf die genannten Indikatoren vollständig sind. Wann immer die Kinder eine sprachliche Äußerung zu ihrem Bauwerk machen, ist eine eindeutige Zuordnung zu einer der Kategorien möglich. Die Aspekte trennscharf, lückenlos und vollständig werden auch genannt, wenn es darum geht, Anforderungen an Kategoriensysteme zu beschreiben, wie das folgende Zitat von Schreier (2012, 65) verdeutlicht: „Coding frames should be unidimensional, subcategories should mutually exclude each other, and coding frames should be exhaustive.“ In den Beschreibungen und den Beispielen zu den sechs inhaltsbezogenen Kategorien (vgl. Abschnitt 3.3.3.2) zeigt sich in dieser Hinsicht ein entscheidender Unterschied. Die inhaltsbezogenen Kategorien schließen sich nicht gegenseitig
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aus. Beispielsweise zeigt sich in der Äußerung „Aber die Leiter muss befestigt werden, sonst kann, fällt se doch runter.“ sowohl ein Bezug zum Aspekt falschrum-richtigrum als auch zu dem Aspekt befestigt-unbefestigt. Obwohl oben in Anlehnung an Schreier dargestellt wurde, dass sich die Kategorien in einem Kategoriensystem gegenseitig ausschließen sollen, lassen sich sowohl aus methodischer als auch aus inhaltlicher Perspektive Gründe angeben, warum das für die inhaltsbezogenen Kategorien nicht gelten muss. So sagt Kuckartz (2014, 81), dass die Forderung nach disjunkten präzise definierten Kategorien nur für jene Teile eines Kategoriensystems stimmt, „die bewusst so konstruiert sind, dass sich Subkategorien wechselseitig ausschließen […]. Bei thematischer Codierung ist aber davon auszugehen, dass in einem Textabschnitt durchaus mehrere Themen angesprochen sein können, sodass dann auch die entsprechenden Kategorien zuzuordnen sind“. Eine Äußerung, die auf die oben beschriebenen inhaltsbezogenen Kategorien zutrifft. Die zu Beginn von Kapitel 1 skizzierten Aussagen zu den mathematischen Inhaltsbereichen zeigen, dass diese nicht trennscharf sind, sondern sich überschneiden und miteinander verbunden sind. Daran wird deutlich, dass es auch aus mathematikdidaktischem Blickwinkel sinnvoll ist, einer Äußerung oder Aktivität mehrere der Kategorien zuordnen zu können. Für die Analyse hat eine Mehrfachcodierung außerdem den Vorteil, dass die Stellen, in denen es Bezüge zu mehreren Inhalten gibt, auf diese Weise besonders hervorgehoben werden. Zumindest theoretisch ist anzunehmen, dass diese auch besonders interessant sind. In Abschnitt 4.1 wird erkennbar, welche Bedeutung das gemeinsame Vorkommen mehrerer inhaltsbezogener Kategorien haben kann. Die Struktur der Kategorien auf Prozessebene ermöglicht, dass ihre Anwendung gleichzeitig zu einer Auswahl der Videostellen führt, in denen das Spiel mit den Baumaterialien im Mittelpunkt steht und die Kinder auch in ihren sprachlichen Äußerungen Bezug drauf nehmen. Das entspricht dem in Abschnitt 3.3.2.2 dargestellten Selektionskriterium und der damit verbundenen Annahme, dass sich mathematikbezogene Aktivitäten insbesondere in der Kommunikation der Kinder über Bauspiele zeigen. Der konkrete mathematische Bezug wird allerdings erst erkennbar, wenn auch der Inhalt der Äußerung und der Handlung eines Kindes analysiert werden. Das geschieht durch die Anwendung der inhaltsbezogenen Kategorien. Daraus ergibt sich, dass eine Analyse und Codierung all jener Stellen in den Videos interessant ist, in denen die Aktivität eines Kindes einem der beschriebenen Prozesse entspricht und gleichzeitig eine Zuordnung zu zumindest einer der Kategorien auf Inhaltsebene möglich ist. Für das Codieren direkt am Video und die Umsetzung des Kategoriensystems in der Analysesoftware MAXQDA ergaben sich dadurch einige Herausforderungen.
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Bauspielaktivitäten analysieren
Abbildung 3.18 Zwei Varianten des Kategoriensystems
3.3.4.2 Codieren der Videos (I/J) Die Feststellung, dass Prozess- und Inhaltsebene miteinander verschränkt sind, legte es nahe, dies auch im Kategoriensystem in MAXQDA durch eine Struktur mit Ober- und Unterkategorien umzusetzen. Problematisch war in diesem Zusammenhang, dass das Zuordnen von Kategorien zum Video je Kind in MAXQDA nicht vorgesehen ist. Das lässt sich nur dadurch lösen, dass dieselben Kategorien mehrfach, d. h. je einmal pro Kind, im Kategoriensystem implementiert werden. Dafür waren zwei Strukturen denkbar, entweder die verschiedenen Kinder werden als übergeordnete Kategorien angelegt und darunter wird jeweils dasselbe Kategoriensystem aus Prozessen und Inhalten eingefügt oder die Berücksichtigung des Kindes erfolgt auf der untersten Kategorienebene, indem die Kinder als Unterkategorien zu den Inhalten eingefügt werden. Die beiden beschriebenen und in Abbildung 3.18 dargestellten Varianten bringen jeweils unterschiedliche Vor- und Nachteile bezüglich der Visualisierung von Ergebnissen mit sich. Beispielsweise bedeutet die für die Kategorienanwendung besonders übersichtliche und praktikable Variante, das Kategoriensystem je Kind anzulegen (linke Seite Abbildung 3.18), dass dieselben Kategorien mehrfach
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
283
vorkommen. Das führt dazu, dass sie bei einer Visualisierung von Ergebnissen in MAXQDA als unterschiedliche Kategorien dargestellt werden. Umgekehrt ermöglicht die Strukturierung, bei der die Kinder die unterste Kategorienebene bilden, zwar eine gute Visualisierung hinsichtlich des Kategorienvorkommens auf Prozess- und Inhaltsebene, aber ein Überblick über den Ablauf des Spielgeschehens hinsichtlich der Beteiligung einzelner Kinder lässt sich nur schwer gewinnen. Auch wenn es in MAXQDA noch während und nach dem Codieren möglich ist, das Kategoriensystem umzustrukturieren und die Codings entsprechend der neuen Struktur zu verschieben, ist es sinnvoll zu entscheiden, welche Strukturierung des Kategoriensystems besser geeignet ist, um die Forschungsfragen zu beantworten. Diesen ist zu entnehmen, dass es für die Auswertung der Daten nicht zentral ist, welches Kind wann und wie an den Bauspielen beteiligt ist. Vielmehr geht es darum, die mathematische Bedeutung, die die Aktivitäten der Kinder in den einzelnen Sequenzen haben, durch die Zuordnung zu prozess- und inhaltsbezogenen Kategorien darstellen zu können. Deshalb wurde die rechte Strukturierung gewählt, bei der die Kinder als Unterkategorien zu den Kategorien auf Inhaltsebene implementiert wurden. Die Kategorienbezeichnung auf „Kinderbene“ besteht dabei aus zwei Buchstaben, beispielsweise aus B.n. Der erste Buchstabe, groß geschrieben, gibt die dem jeweiligen Prozess zugeordnete Farbe an, hier blau für Entwerfen/Adaptieren. Der zweite Buchstabe, klein geschrieben, ergibt sich aus der entsprechenden Farbe für den Inhalt, in diesem Fall neongrün für falschrum-richtigrum. Dadurch wird sichergestellt, dass auch bei einem Umstrukturieren des Kategoriensystems, die Kategorienzuordnung eindeutig bleibt. Eine Schwierigkeit im Hinblick auf die Anwendung der Kategorien direkt an den Videodaten ergab sich daraus, dass die in Abschnitt 3.3.4.1 genannten Indikatoren und Kategoriendefinitionen zu wenige Anhaltspunkte bieten, um festzulegen, in welchem Augenblick die, einem der übergeordneten Prozesse entsprechende, Aktivität beginnt und wann sie endet. Das hatte zur Folge, dass die Aufgabe, den Codierprozess entlang der verschiedenen Aktivitäten durchzuführen, mit großen Unsicherheiten verbunden und extrem zeitaufwändig war. Eine mögliche Variante ergab sich daraus, auf die schon bei den Sequenzierungskategorien genutzten 30-Sekunden-Einheiten zurückzugreifen. Diese war aber ebenfalls unbefriedigend, weil sich in dem relativ langen Zeitfenster von einer halben Minute häufig die Aktivität eines Kindes veränderte, was zu einer Doppelcodierung mit den an sich trennscharfen prozessbezogenen Kategorien führte. Eine Darstellung der verschiedenen Aktivitäten über die Zeit des Videos hinweg ließ sich dadurch schlecht erreichen. Als pragmatische Lösung und Kompromiss hat sich ein zeitbasiertes Vorgehen in 15-Sekunden-Schritten herausgestellt. Dabei
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Bauspielaktivitäten analysieren
kam es nur selten vor, dass ein Kind innerhalb dieser Zeitsequenz mit zwei verschiedenen Aktivitäten befasst war, weshalb es kaum notwendig war, sich beim Codieren für eine Aktivität entscheiden oder zwei Aktivitäten für ein Kind codieren zu müssen.
Abbildung 3.19 Flussdiagramm
Das Flussdiagramm (Abbildung 3.19) stellt das Vorgehen bei der Kategorienanwendung systematisch dar und veranschaulicht diesen Prozess gleichzeitig. Zum besseren Verständnis des Flussdiagramms habe ich einen Pfad grau hervorgehoben und auf der nächsten Seite als vergrößerten Auszug dargestellt (Abbildung 3.20). An der folgenden Situation (Transkriptauszüge 3.3.4-A) wird beispielhaft gezeigt, wie die Codierung entlang des Pfades erfolgt ist.
Transkriptauszüge 3.3.4-A: Beispiel für Kategorienanwendung
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
285
Ron sagt in der betrachteten Videosequenz etwas zu seiner Handlung mit dem Baumaterial, darin äußert er weder, was er baut, noch geht er anderweitig auf die Funktion seines Bauwerks ein. Ron beschreibt, was beim Weiterbauen zu tun ist, also thematisiert er die Bauweise. Da er nicht mit sich selbst spricht, passt seine Äußerung zum Prozess Konstruieren/Aufbauen. Die inhaltliche Deutung seiner Äußerung führt zu einem Erkennen von mehreren inhaltsbezogenen Themen. Er sagt, wohin bestimmte Teile gebaut werden sollen: „da oben/da“ (Kategorie falschrum-richtigrum), er beschreibt, dass etwas glatt hingebaut werden soll (Kategorien gleich-ungleich und offen-geschlossen) und er geht auf die Form dessen ein, was gebaut werden soll: „einen Turm hinbauen“ (Kategorie schräg-gerade).
3.3.5
Überlegungen zur Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
Im Anschluss an den Codierprozess müssen Entscheidungen zur Darstellung und Interpretation der Ergebnisse getroffen werden. „Bei der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse sind es selbstverständlich die Themen und Subthemen, die im Mittelpunkt des Auswertungsprozesses stehen“ (Kuckartz 2014, 93). Kuckartz beschreibt dafür sieben verschiedene Formen der Auswertung. • • • • • • •
Kategorienbasierte Auswertung entlang der Hauptkategorien Analyse der Zusammenhänge innerhalb einer Hauptkategorie Analyse der Zusammenhänge zwischen Kategorien Kreuztabellen – qualitativ und quantifizierend Graphische Darstellungen Fallübersichten Vertiefende Einzelfallinterpretationen (Kuckartz 2014, 94 ff.)
Die für die Darstellung der Ergebnisse in Kapitel 4 relevanten Formen sowie deren Umsetzung bezogen auf die erhobenen Daten sollen im Folgenden erläutert werden. Die kategorienbasierte Auswertung entlang der Hauptkategorien bedeutet in der vorliegenden Studie, dass sowohl die prozessbezogenen Kategorien als auch die inhaltsbezogenen Kategorien betrachtet werden. Kuckartz (2014, 94) formuliert zu dieser Auswertungsform die Frage: „Was kommt nicht oder nur am Rande zur Sprache?“ Eine Anpassung dieser Frage für mein Forschungsvorhaben lautet: Welche mathematikbezogenen Inhalte lassen sich in den Aktivitäten, die derselben inhaltsbezogenen Kategorie zugeordnet sind, erkennen?
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Abbildung 3.20 Auszug aus dem Flussdiagramm
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Bauspielaktivitäten analysieren
3.3 Qualitative Inhaltsanalyse: Datenaufbereitung und Datenauswertung
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Welche Strukturmerkmale weisen die Äußerungen, die jeweils einer prozessbezogenen Kategorie zugeordnet sind, auf? Aus mathematikdidaktischer Perspektive ist auch die Analyse der Zusammenhänge zwischen Subkategorien innerhalb einer Hauptkategorie besonders interessant. Hier ist die Frage, welche verschiedenen Subkategorien wann gemeinsam vorkommen und wie in diesem Fall die Interaktionen der Kinder gestaltet sind. Die Analyse von Zusammenhängen zwischen den prozessbezogenen Kategorien kann besonders im Zusammenhang mit Fallübersichten und vertiefenden Einzelfallinterpretationen von Interesse sein. Dabei kann herausgearbeitet werden, was es für die Interaktionen der Kinder bedeutet, wenn sich im gleichzeitigen Tun von mehreren Kindern jeweils unterschiedliche Prozesse zeigen. Für die Fallübersichten gilt in meiner Studie, dass diese sowohl auf der Ebene der prozessbezogenen Kategorien betrachtet werden können, wobei dann vor allem die Beteiligung und die Aktivitäten der einzelnen Kinder in den Fokus rücken, als auch auf der Ebene der inhaltsbezogenen Kategorien. In diesem Fall ist es interessant zu betrachten, ob sich bestimmte Sequenzen in den Videos finden lassen, an denen viele verschiedene inhaltsbezogene Kategorien vorkommen. Es ist zu erwarten, dass die mathematische Auseinandersetzung an solchen Stellen besonders intensiv ist, weshalb diese ein besonderes Potenzial für vertiefende Einzelfallinterpretationen bieten können. Im Hinblick auf die Fallübersichten ist es außerdem wichtig zu entscheiden, was jeweils ein Fall umfasst. Dafür bieten sich orientiert am Forschungsinteresse zwei Möglichkeiten an. Zum einen kann ein ganzes Video als ein Fall verstanden werden, zum anderen ist es bei dem vorliegenden Material möglich, dass jeweils ein Teil eines Videos, bei dem jeweils eine bestimmte Art von Bauwerk(en) im Mittelpunkt steht, als Fall aufgefasst wird. In Abschnitt 5.2.1 „Mathematisch reichhaltige Bauspiele erkennen“ wird gezeigt, dass die zweite Möglichkeit interessant ist, weil sich daraus eine weitere Analyseebene ergibt. Angesichts der kleinen Fallzahlen stellt sich die Frage inwiefern bei der Darstellung von Ergebnissen grafische Darstellungen zum Einsatz kommen sollen. Auch wenn eine zahlenmäßige Erfassung von Häufigkeiten hier wenig Informationen bietet, hat sich dennoch im Auswertungsprozess gezeigt, dass grafische Darstellungen ein gutes Mittel zur Veranschaulichung bestimmter Ergebnisse und Zusammenhänge sein können. Beispielsweise eignen sich für die Fallübersichten Darstellungen in der Form einer Codeline oder in Form von Dokumentenportraits. Mithilfe von Dokumentenvergleichsdiagrammen können Verläufe hinsichtlich ausgewählter Kategorien in verschiedenen Videos auf einen Blick erfasst werden. Für die kategorienbasierte Auswertung entlang der Hauptkategorien ermöglichen die Statistiken für Subcodes und der Code-Matrix-Browser interessante Einblicke, indem jeweils dargestellt wird, wie häufig welche Unterkategorie vorkommt. Die
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Bauspielaktivitäten analysieren
Analyse der Zusammenhänge innerhalb einer Kategorie lässt sich durch Visualisierungen mit dem Code-Relations-Browser unterstützen, indem sichtbar gemacht wird, welche Kategorien wie oft gleichzeitig in demselben Segment vorkommen. Diese Vielfalt an grafischen Darstellungen mit jeweils ganz spezifischem Potenzial legt nahe, in Ergänzung zu den schriftlichen Ergebnisdarstellungen und Interpretationen auch auf diese Auswertungsformen zurückzugreifen.
3.4
Zusammenfassung
Im vorliegenden Kapitel konnte gezeigt werden, dass die Erhebung von Videodaten zu Spielsituationen in der Bauecke eine geeignete Datengrundlage ergibt, um Bauspiele von Kindern analysieren zu können. Die Analyse dieser Spielsituationen unter dem Fokus meiner Forschungsfragen erforderte ein Vorgehen, bei dem Kategorien gebildet werden, die eine Beschreibung und systematische Darstellung des Spielgeschehens im Hinblick auf übergeordnete Prozesse und mathematikdidaktisch relevante Inhalte ermöglichen und gleichzeitig der Besonderheit der vorliegenden Daten Rechnung tragen. Mit der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse wurde ein von Kuckartz (2014) für die Analyse von Interviewdaten ausführlich beschriebenes Verfahren gewählt. Dieses konnte wegen seines systematischen Vorgehens entlang bestimmter, aufeinander folgender Schritte besonders gut an das vorliegende Material und die Besonderheiten des Forschungsvorhabens angepasst werden. Der Einsatz der Analysesoftware MAXQDA ermöglichte es, Analyseschritte direkt an den Videodaten ausführen zu können. Das war besonders wichtig, weil dadurch auf eine Übersetzung aller Videodaten in Text verzichtet werden konnte. Bedenkt man, dass die Transkription auch bereits eine Interpretation darstellt und überdies sehr zeitaufwändig ist, spricht viel dafür, von den Videodaten nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich zu transkribieren und das bestenfalls als einen Schritt im Analyseprozess zu verankern. Bei all dem bleibt die abschließende Frage, inwiefern die so ermittelten Ergebnisse und der Forschungsprozess Qualitätsstandards erfüllen können. Objektivität, Reliabilität und Validität gelten als klassische Gütekriterien quantitativer Forschung, allerdings lassen sich diese nicht einfach auf qualitative Forschung übertragen. Kuckartz (2014, 167) schlägt in diesem Zusammenhang vor, bei qualitativen Studien zwischen interner und externer Studiengüte zu unterscheiden, wobei für die Inhaltsanalyse als einem Verfahren zur Analyse qualitativer Daten mit Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit vor allem Kriterien interner Studiengüte zu überprüfen sind. Übertragbarkeit und Verallgemeinerungsfähigkeit gelten als Bedingungen für externe Studiengüte. Diese
3.4 Zusammenfassung
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hängen laut Kuckartz (2014, 167) stärker von der gesamten Anlage der qualitativen Studie, ihrem Design und dem gewählten Auswahlverfahren ab. Für die vorliegende Studie gilt, dass aufgrund der in Abschnitt 3.2 beschriebenen Datenerhebung und Datenauswahl die Verallgemeinerungsfähigkeit eher eingeschränkt ist. Allerdings wird angenommen, dass aufgrund des gewählten Forschungsdesigns, das Beobachtungen von Bauspielaktivitäten in den Mittelpunkt stellt, die zur Beschreibung eben dieser Situationen gebildeten Kategorien auch für die Beschreibung von anderen Spielsituationen angewandt werden können. Diese Übertragbarkeit des gefundenen Kategoriensystems hängt aber auch davon ab, ob die interne Studiengüte gegeben ist, die als notwendige Vorbedingung für die externe Studiengüte zu sehen ist (vgl. Kuckartz 2014, 167). Im Folgenden werden die Schritte des Forschungsprozesses zusammengefasst, die die Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit des eigenen Vorgehens verdeutlichen und als Anhaltspunkte für die Beurteilung der internen Studiengüte dienen können. Die erhobenen Beobachtungsdaten liegen als Videodateien vor und konnten so immer wieder, auch im Team mit anderen, betrachtet und diskutiert werden. In Abschnitt 3.2 wurden die besonderen Voraussetzungen der Datenerhebung beschrieben und die Auswahl der Videos, die in die Analyse einbezogen wurden, erläutert. Das Vorgehen bei der Auswahl von Daten, die transkribiert werden sollten, sowie die Transkription dieser Daten wurden in Abschnitt 3.3.2 offengelegt. Die Entwicklung des beschriebenen Vorgehens wurde in verschiedenen Kontexten vor Kolleginnen präsentiert und im anschließenden Austausch kommunikativ validiert. Der Zusammenhang zwischen Videodaten und Transkripten sowie der gemeinsame Blick darauf haben dabei einen besonderen Stellenwert eingenommen. Auch der Prozess der Kategorienbildung wurde durch regelmäßige Diskussionen in einer Forschungswerkstatt reflektiert. Da die Anwendung des Kategoriensystems aus Ressourcengründen nur durch mich als einzigen Codierer erfolgte, habe ich besonderen Wert daraufgelegt, alle Fragen und Auffälligkeiten, die sich im Codierprozess ergaben, in Memos aufzuschreiben und sie dann im Gespräch mit eben diesen Kolleginnen aus der Forschungswerkstatt zu klären. Die computergestützte Durchführung der Inhaltsanalyse mit MAXQDA hat dabei einen besonderen Stellenwert eingenommen, da damit der Prozess der Datenauswertung, das Kategoriensystem und die Ergebnisse zu jedem Zeitpunkt dokumentiert und verfügbar waren. Die Funktion des Logbuches in MAXQDA wurde verwendet, um insbesondere das Kategoriensystem und jede daran vorgenommene Veränderung beziehungsweise Weiterentwicklung zu beschreiben und zu reflektieren.
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Bauspielaktivitäten analysieren
Insgesamt muss festgehalten werden, dass es sich bei Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit um weiche Faktoren handelt. Mit den Ausführungen in diesem Kapitel kann nur versucht werden, das eigene Vorgehen zu verdeutlichen und für andere nachvollziehbar zu machen. Inwiefern das gelingt und der Forschung von anderen eine ausreichende interne Studiengüte attestiert wird, hängt auch von den Ergebnissen und deren Darstellung ab. Im folgenden Kapitel 4 werden deshalb die gezeigten Ergebnisse immer durch Originalzitate ergänzt. Kuckartz (2014, 168) weist daraufhin, dass dabei im Hinblick auf die Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit nicht nur Techniken selektiver Plausibilisierung angewendet werden, sondern auch auf Gegenbeispiele und Widersprüche hingewiesen werden soll.
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive deuten und verstehen
4.1
Mathematische Inhalte in Bauspielen
In Abschnitt 3.3.3.2 ist dargelegt, wie die Kategorien auf Inhaltsebene aus einem Teil der Daten entwickelt und schließlich auf alle Daten angewandt wurden. Im vorliegenden Kapitel werden die Ergebnisse dieses Prozesses betrachtet und aus mathematikdidaktischer Perspektive gedeutet.
Abbildung 4.1 Umfang der inhaltsbezogenen Kategorien
Abbildung 4.1 zeigt, welche Kategorien den Bauspielsituationen in welchem Umfang zugeordnet sind. Die Darstellung bezieht sich auf die Gesamtzeit aller mit einer bestimmten Kategorie codierten Videosequenzen. Dabei wird deutlich, dass die Kategorie falschrum-richtigrum von allen inhaltsbezogenen Kategorien den größten Umfang hat, wohingegen schräg-gerade den kleinsten Umfang einnimmt. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Henschen, In Bauspielen Mathematik entdecken, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31741-6_4
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Daraus alleine lassen sich aber kaum Rückschlüsse auf die mathematikdidaktische Bedeutung der inhaltsbezogenen Kategorien ziehen. Das ermöglicht erst eine weitergehende Analyse der den Kategorien zugeordneten Sequenzen. In den folgenden Kapiteln wird deshalb aufgezeigt, welche Bandbreite an sprachlichen Ausdrücken, Handlungen und Gesten der Kinder sich hinsichtlich der sechs inhaltsbezogenen Kategorien beobachten lassen und es wird beschrieben, zu welchen mathematischen Inhalten Verbindungen hergestellt werden können. Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt auf die im Theorieteil beschriebenen Inhalte des Bereichs Raum & Form gelegt. Eine wichtige Erkenntnis bei der Zuordnung von Aktivitäten zu den inhaltsbezogenen Kategorien ist in diesem Zusammenhang, dass die Äußerungen der Kinder häufig nicht nur einer Kategorie zugeordnet werden können, sondern besser durch eine Kombination von zwei und mehr Inhalten zu erfassen sind. Die in Abschnitt 4.1.1 bis 4.1.6 gewählte Darstellung entlang der sechs Kategorien falschrum-richtigrum, offen-geschlossen, schräg-gerade, befestigt-unbefestigt, groß-klein und gleich-ungleich berücksichtigt das insofern, als dass die gleichen Situationen im Kontext unterschiedlicher inhaltsbezogener Kategorien gedeutet werden. Die Reihenfolge der Unterkapitel ist so gewählt, dass zunächst die drei Kategorien falschrum-richtigrum, offengeschlossen und schräg-gerade dargestellt werden, weil darin in besonderem Maße Bezüge zu geometrischen Inhalten zu erkennen sind. Auch bei der Kategorie befestigt-unbefestigt zeigen sich entsprechende Zusammenhänge, wobei diese weniger eindeutig sind. Die Kategorie groß-klein, die darauffolgend beschrieben wird, lässt neben einem Bezug zu Raum & Form auch einen Zusammenhang mit dem in Abschnitt 1.3.3.2 beschriebenen Aspekt Klassifizieren erkennen. Die vielfältigen Bezüge zum Inhaltsbereich Größen & Messen, die sich in den der Kategorie groß-klein zugeordneten Bauspielsituationen finden lassen, können im Rahmen dieser Arbeit nur angedeutet werden. Zuletzt wird die Kategorie gleichungleich betrachtet, die eine Sonderstellung einnimmt, weil sie fast immer in einer Beziehung mit einer der fünf anderen Inhaltskategorien steht. Mitunter lassen sich dabei auch Verknüpfungen zu mehreren mathematischen Inhalten entdecken.
4.1.1
Die Kategorie falschrum-richtigrum
Wie aus der Darstellung in Abbildung 4.1 ersichtlich wird, zeigen sich in den beobachteten Bauspielsituationen besonders viele Äußerungen von Kindern, die zur Kategorie falschrum-richtigrum passen. Die Kategorienbeschreibung in Abschnitt 3.3.3.2 zeigt, dass mit dieser Kategorie solche Aussagen und Gesten erfasst werden sollen, in denen Kinder auf die Stelle, an die etwas angebaut
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
293
werden soll, oder auf die Ausrichtung eines Objektes fokussieren. Aus mathematikdidaktischer Perspektive lassen sich verschiedene Anknüpfungspunkte für die Deutung dieser Äußerungen finden, wie die Darstellung unterschiedlicher Systematiken zum Inhaltsbereich Raum & Form in Abschnitt 1.4.1 nahelegt und wie die folgende Aufzählung deutlich macht. • Räumliche Orientierung: Sprache, Begriffe der Raumlage bzw. Beschreibung von Raumlage-Beziehungen (Benz et al. 2015; Grüßing und Benz 2017) • (Wahrnehmung der) Raumlage/räumliche(n) Beziehungen und räumliche Begriffe (Kaufmann 2011; Lorenz 2016) • „Erkennen, Nutzen und Verbalisieren von Lagebeziehungen“ (RathgebSchnierer 2008, 62) Eine weitere Ausdifferenzierung und Beschreibung der räumlichen Begriffe oder der Verbalisierung von Raumlage-Beziehungen beschränkt sich in der Literatur weitgehend auf die Feststellung, dass der Verwendung von Präpositionen wie an, bei, unter, über, zwischen, vor, hinter, rechts, links besondere Bedeutung zukommt und dass man zwischen absoluten Beziehungsbegriffen wie „ObenUnten“ und relativen Beziehungsbegriffen wie „Rechts-Links“ unterscheiden kann (vgl. Lorenz 2016, 121 f.). Letztere werden von den Kindern laut Lorenz erst relativ spät erworben, weil sie die Fähigkeit zum Perspektivwechsel voraussetzen. Analysiert man die Äußerungen der Kinder beim Bauspiel, die der Kategorie falschrum-richtigrum entsprechen, so erkennt man, dass die Kinder bestimmte Raumlage-Beziehungen thematisieren und dabei auch räumliche Begriffe verwenden. Eine mögliche Unterscheidung oder Ausdifferenzierung der von den Kindern verwendeten Ausdrücke lässt sich aber nicht an der Wortart oder daran, ob es sich um absolute oder relative Beziehungsbegriffe handelt, festmachen, sondern daran, worauf sich die verwendeten räumlichen Begriffe beziehen. Ein theoretischer Anknüpfungspunkt für eine solche Ausdifferenzierung findet sich bei Sarama und Clements (2008), die „Transformations and Symmetry“ als einen mathematischen Teilbereich beschreiben und als einen Aspekt davon „Locations and Directions“ nennen. Darin werden der Aspekt der Lokalisierung und der Orientierung oder Ausrichtung von Objekten mit jeweils eigenen Begriffen benannt. Vergleicht und ordnet man alle in den Bauspielsituationen gefundenen Äußerungen der Kinder, die der Kategorie falschrum-richtigrum zugeordnet sind, danach, welche räumlichen Beziehungen von den Kindern jeweils fokussiert werden und welche Ausdrucksweisen dafür genutzt wurden, kristallisiert sich eine Struktur (vgl. Abbildung 4.2) heraus, in der die Unterscheidung nach Lokalisierung und Richtung eine zentrale Rolle spielt.
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Abbildung 4.2 Struktur der Kategorie falschrum-richtigrum
Es zeigt sich in der Darstellung, dass neben der Beschreibung des Ortes, an den beispielsweise etwas angebaut werden soll, und der Ausrichtung oder Orientierung eines Objektes auch die Richtung von Bewegungen sowie die Richtung, aus der auf ein Objekt geschaut wird, thematisiert werden. Für alle Gesichtspunkte gilt, dass die zugeordneten Äußerungen sich darin unterscheiden, wie spezifisch die von den Kindern verwendeten Wörter und Gesten sind. Anhand der Deutung ausgewählter Transkriptauszüge1 wird die in Abbildung 4.2 dargestellte Struktur im Folgenden konkretisiert.
4.1.1.1 Lokalisierung eines Objektes Anna: (nimmt einen Klotz, legt ihn in der oberen Reihe des Gebauten ab, spricht zu Emma) nein eigentlich hat er dahin gehört (nimmt einen weiteren Klotz, legt auch diesen ab) und dann machen wir hier so (nimmt erneut einen Stein, legt ihn auf die Posion neben dem zuvor gelegten Stein) und dann machen wir da weiter (zeigt auf die nächsten ‚Lücken‘) und dann da und hier da und hier. Max: (fasst an das Teil, das er von Simon hingestreckt bekommt, und schiebt es zusammen mit Simons Hand in Richtung Dach des Bauwerkes) oben einbauen Ron: (zeigt auf ein Rad am Bauwerk) und warum ist dann an der Seite des? (ppt gegen das Rad)
Transkriptauszüge 4.1.1-A: Lokalisieren eines Objektes 1 Die
Transkriptionsregeln finden sich im Anhang in der Transkriptionslegende 2.
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
295
In Annas Äußerung (Transkriptauszüge 4.1.1-A oben) wird deutlich, dass sie einen genauen Plan hat, an welche Stellen auf dem Turm die Klötze der Reihe nach gelegt werden sollen. In der Sprache wird das durch die unspezifischen Ortsangaben „dahin“, „da“ und „hier“2 ausgedrückt. Erst zusammen mit den Gesten, die einerseits aus dem Ablegen der Steine, andererseits aus dem Zeigen bestimmter Plätze bestehen, wird ihre Vorstellung von einer bestimmten Anordnung und Ablege-Reihenfolge für das mitspielende Kind und einen Beobachter verständlich. Die Äußerung von Max (Transkriptauszüge 4.1.1-A Mitte) enthält mit dem Wort „oben“ eine spezifische Ortsangabe. Auch Max unterstützt seine Äußerung durch eine eindeutige Geste, indem er dem mitspielenden Kind quasi die Hand führt. Während „oben“ ein Begriff ist, der von den Kindern häufiger genutzt wird, gilt das so nicht für den Begriff „unten“. Es gibt eine Stelle in den analysierten Videos, an der ein Kind davon spricht, dass Steine unten reingefallen sind, wobei der Kontext hier nicht zwingend eine Deutung von „unten“ als Ortsangabe nahelegt. Denkbar wäre eher eine Deutung im Sinne von nach unten oder runter, als Richtung einer Bewegung. Die letzte der in Transkriptauszüge 4.1.1-A dargestellten Äußerungen enthält mit dem Ausdruck „an der Seite“ eine weitere Ortsangabe. Durch darauf Zeigen und Antippen wird klar, welche Seite Ron meint. Interessant ist, dass in diesem Fall nicht die Ortsangabe Gegenstand der Auseinandersetzung zu sein scheint, sondern dass die Ortsangabe dazu dient, die Aufmerksamkeit auf ein Rad, das eben da angebaut ist, zu lenken. Vielleicht spielt dabei eine Rolle, dass Ron ein Rad eher unten am Bauwerk erwartet hätte – wie das bei Fahrzeugen üblicherweise der Fall ist – und nicht an der Seite. Es fällt auf, dass die Präpositionen auf, über, unter, neben, vor, hinter, zwischen oder in eher selten in den Äußerungen der Kinder zu finden sind. Sie nutzen stattdessen Wörter wie drauf, drin und dran, die anders als die Präpositionen ohne ein Substantiv verwendet werden und vor allem umgangssprachlich üblich sind. So äußert Max beispielsweise: „Nein, die Leiter da drin lassen“, oder Ron sagt: „Ich tu die da drauf.“ Die Wörter „drauf“ und „drin“ werden von den Kindern anstelle der Präpositionen in und auf verwendet, die vorausgesetzt hätten, dass noch dazugesagt wird, worin oder wo die Leiter bleiben soll oder worauf „die“ getan werden sollen. Wenn Anna sagt: „Ich war gerade mittendrin im Labyrinth“, kann festgestellt werden, dass hier ebenfalls das Wort „drin“ zu hören ist, welches dabei aber Teil des Wortes „mittendrin“ ist. Mit der Wendung „mittendrin im 2 In
den Deutungen der Transkriptauszüge gehe ich häufig auf Ausdrücke, die die Kinder verwenden, ein. Sie sind im Text immer in „…“ geschrieben. Sie werden auch dann so gekennzeichnet, wenn der Auszug an einer anderen Stelle der Arbeit zu finden ist.
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Labyrinth“ wird die räumliche Beziehung in der Mitte von etwas sein zum Ausdruck gebracht. Das Wort „dran“ lässt sich in den Äußerungen der Kinder kaum als Beschreibung einer räumlichen Beziehung deuten, sondern wird von diesen vor allem genutzt, um auszudrücken, dass ein Objekt an einem anderen befestigt werden soll, weshalb sich Beispiele dazu in Abschnitt 4.1.4 finden, in dem die Kategorie befestigt-unbefestigt beschrieben wird. In den Äußerungen der Kinder kommen auch Ausdrücke vor, deren Bedeutung sich je nach Kontext unterscheidet. Ein entsprechender Ausdruck, den die Kinder oft verwenden, ist „rein“. Im Allgemeinen versteht man rein und raus als Gegensatzpaar und würde erwarten, dass die Begriffe im Sinne einer Richtungsangabe zu deuten sind. Weiter unten wird dargestellt, dass die Kinder „rein“ durchaus auch in diesem Sinne verwenden. Doch die Transkriptauszüge 4.1.1-B zeigen, dass „rein“ ebenso in anderen Sinnzusammenhängen gebraucht wird, und zwar so, dass es als Ortsangabe gedeutet werden kann. Im oberen der vier Beispiele kann man „hier … rein“ ähnlich wie das weiter oben beschriebene „drin“ als Ersatz für die Präposition in verstehen. Luca möchte damit vielleicht ausdrücken, dass in den gezeigten Bereich nur bestimmte Bausteine kommen. In den beiden folgenden Transkriptauszügen legt der Kontext und die Handlung nahe, dass „rein“ im Sinne des Wortes dazwischen verstanden wird. Im unteren Transkriptauszug findet sich ein Beleg dafür, dass Max auch das Adverb „dazwischen“ kennt, und damit die räumliche Beziehung zwischen etwas sein ausdrücken kann. Allen vier dargestellten Äußerungen, die eine Verbindung zu dieser räumlichen Beziehung erkennen lassen, ist gemeinsam, dass es darum geht, mit einem Stab oder einer Platte eine Lücke zu schließen. Ein Aspekt, der auch im Zusammenhang mit der Kategorie offen-geschlossen von Interesse ist, weshalb weitere Ausschnitte dazu in Abschnitt 4.1.2 beschrieben werden. Luca: (schaut auf Jan, der auf einen besmmten Bereich des Bauwerks zeigt) hier kommen nur die Bausteine rein. Ron: au, au (schaut auf eine Stelle am Bauwerk, die kapugegangen ist) auauauau. (nimmt einen herausgebrochenen Stab) kann ich, den muss man da wieder rein. Max: (wendet sich zu den Teilen und zu Ron, holt einen Stab und hält ihn zwischen Dach und oberster Ebene des Bauwerkes an) Vorsicht (löst die Befesgung des Daches und steckt den Stab dazwischen) da reinbauen. (befesgt den Stab) erst das auseinanderbauen damit ich das da reinbauen kann. (drückt das Dach wieder an allen Verbindungsstellen fest) Max: (zeigt auf die Lücke, zwischen zwei Plaen, die auf der linken und rechten Seite eingebaut wurden) da muss jetzt auch eine Plae dazwischen damit die da drüberlaufen können.
Transkriptauszüge 4.1.1-B: Lokalisieren eines Objektes – rein
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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In den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass die Kinder vor allem solche Ortsangaben verwenden, mit denen die räumlichen Beziehungen oben (– unten), an der Seite, in der Mitte, auf, in und dazwischen ausgedrückt werden sollen. Es finden sich darüber hinaus Äußerungen, die darauf hindeuten, dass die Kinder sich auch mit den räumlichen Beziehungen darüber und darunter befassen. So fragt Ron beispielsweise: „Haben die nicht ein Stockwerk höher noch?“, oder er beschließt: „Wir machen einfach noch ein Stockwerk nieder.“ Auch wenn hier sprachlich mit „höher“ und „nieder“ keine Ausdrücke gewählt werden, die man üblicherweise für eine Ortsangabe verwenden würde, scheint es angesichts des Kontextes – es werden jeweils Platten als weitere Ebenen in die Gitterstruktur des Bauwerkes eingefügt (vgl. Abbildung 4.3) – naheliegend, dass es hier um ein Stockwerk darüber oder weiter oben geht, beziehungsweise ein Stockwerk darunter oder weiter unten gemeint ist. Inwiefern dabei auch die Höhe im Sinne eines Größenvergleichs eine Rolle spielen könnte, wird in Abschnitt 4.1.6 im Zusammenhang mit der Kategorie gleich-ungleich diskutiert. Interessant ist in diesem Kontext außerdem folgende Äußerung von Max, der, während er ein „Männchen“ durch das Bauwerk bewegt, feststellt: „Ich bin fast im ganz obersten Stockwerk.“ Eine mögliche Deutung dafür ist, dass auf die räumliche Beziehung oben fokussiert wird. Seine Formulierung zeigt aber auch, dass es mehrere Stockwerke darunter und möglicherweise noch ein Stockwerk darüber gibt. Die Abfolge von Stockwerken wird demnach als Ordnungsrelation verstanden, bei der es ein unterstes und ein oberstes Stockwerk gibt und dazwischen weitere Stockwerke liegen. Eine sprachlich treffende Formulierung für das, was Max sagt, wäre dann „im zweiten Stockwerk von oben“. Abbildung 4.3 Bauwerk Gitterstruktur
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Nicht alle räumlichen Begriffe, die von den Kindern als Ortsangaben verwendet werden, sind im Text aufgegriffen worden. „Vorne“, „innen“ und „Rückseite“ sind ebenfalls Wörter, die die Kinder verwenden. Sie werden in den folgenden Abschnitten im Kontext der Aspekte Orientierung eines Objektes, Richtung einer Bewegung und Ansicht eines Objektes erläutert, weil sie sich zusammen mit räumlichen Begriffen, die diesen Aspekten zuzuordnen sind, gezeigt haben.
4.1.1.2 Orientierung eines Objektes Räumliche Begriffe werden von den Kindern nicht nur verwendet, um eine Ortsangabe zu machen, sondern auch, wenn die Orientierung eines Objektes beschrieben wird. Dabei geht es in der Regel darum festzustellen, in welche Richtung welche Seite eines Objektes zeigt. Eine Veränderung dieser Ausrichtung lässt sich bei dreidimensionalen Objekten durch eine Drehung, um eine bestimmte Achse erreichen. Spezifische Formulierungen, die die Orientierung eines Objektes beschreiben, wären: mit der Spitze nach oben oder mit den Rädern nach unten. Eine passende Geste könnte beispielsweise das Umdrehen einer Hand oder das Vorführen der Drehung an dem Objekt sein. Anhand einiger Beispiele wird gezeigt, dass die sprachlichen Ausdrucksweisen und Gesten der Kinder bei Weitem nicht so spezifisch sind. Dennoch lässt sich daran eine Auseinandersetzung mit der Orientierung eines Objektes erkennen.
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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Max: (nimmt das Objekt, das vor Emma liegt auf) nur leider ist das falschrum des Rad hier. des falsch, (baut das Rad ab) musst das so, (baut es andersrum wieder an) so muss des kuck so […] (rollt das Objekt auf dem Rad über den Boden) (Einrad?) und vorher deins so war. (baut das Rad wieder ab und umgedreht an, betrachtet das Objekt, das er in den Händen hält) kuck das geht net, (setzt das Einrad auf dem Boden ab, zeigt auf die Plae oben drauf) weil wenn die so sitzen und seine Füße da drauf kommen (zeigt auf die beiden seitlich angebauten Stäbe) müssen die dann so fahren. Max: (wendet sich Anna zu, fasst in Richtung des Objektes) kuck mal (Anna nimmt das Objekt und hält es außer Reichweite von Max) das kann man auch so machen. (Max versucht, Emmas Objekt zu nehmen, die es noch weiter weghält, darauin macht Max die Hand zur Faust und zieht sie über den Boden) düüüüüüüüüüüüü (Emma setzt ihr Objekt mit dem Stangenende auf dem Boden ab und zieht es darüber) auf der Seite. (Emma legt ihr Objekt wieder auf den Rädern ab und zieht es so) nein so. (Max fasst an das Objekt und richtet es so auf, dass es auf den Rädern steht)
Anna: alle mal aufstehen (stellt einige Klötze vor sich wieder auf).
Transkriptauszüge 4.1.1-C: Orientierung eines Objektes
Im oberen Transkriptauszug in Transkriptauszüge 4.1.1-C ist eine Äußerung von Max wiedergegeben, darin stellt er fest, dass an einem Bauwerk von Emma ein Rad „falschrum“ angebaut ist. In der Folge führt er dann auch vor, wie das Rad seiner Meinung nach sein müsste. Der Kontext zeigt, dass die Orientierung des Rades von Max so korrigiert wird, wie es seiner Deutung von Emmas Bauwerk entspricht. Er sieht in dem Bauwerk ein Einrad und deutet die zwei herausstehenden Stangen als Pedale und die Platte oben als Sattel. Für dieses Objekt kommt nur eine Ausrichtung des Rades in Frage, wenn die richtige Funktion des Objektes gewährleistet sein soll. Beeindruckend ist diese Auseinandersetzung mit der Orientierung des Rades an Emmas Bauwerk auch deshalb, weil eine sprachliche Beschreibung der Ausrichtung eines Rades in diesem Kontext auch für Erwachsene, die über eine formale mathematische Sprache verfügen, kaum möglich scheint. Die Tatsache, dass Max trotz der Komplexität eine Lösung findet, wie er demonstrieren kann, was er mit „falschrum“ meint und warum das Rad seiner Meinung nach falsch herum ist, zeigt über welche Fähigkeiten, räumliche Zusammenhänge darzustellen, Kinder im Vorschulalter schon verfügen können.
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Die Feststellung, dass etwas falsch herum ist, findet sich in den beobachteten Bauspielsituationen noch an anderen Stellen, so eindeutige Erklärungen wie oben, was „falschrum“ jeweils bedeutet, finden sich dabei aber nicht mehr. Der gewählte sprachliche Ausdruck und auch die Gesten, die die Kinder verwenden, reichen nicht immer aus, damit für ein anderes Kind oder einen Beobachter deutlich wird, welche Änderung der Orientierung gemeint ist. Während Max die Möglichkeit hatte, an Emmas Objekt direkt vorzuführen, was er meint, versucht Ron (vgl. Transkriptauszüge 4.1.1-C Mitte), Anna deutlich zu machen, was er meint, ohne dass er ihr Objekt benutzen kann. Aber weder das über den Boden ziehen seiner Faust noch die Wendung „auf der Seite“ werden von Anna verstanden. Ihr ist allerdings klar, dass es um die Ausrichtung ihres Objektes geht. Als Ron dann ihr Objekt anfassen kann, dreht er das Objekt so um, dass es auf den Rädern gerollt werden kann. Auch für Ron ergibt sich hier also die Orientierung des Objektes aus der Orientierung der Räder. Hier scheint sich zu bestätigen, was oben schon beschrieben wurde. Es ist sprachlich äußerst anspruchsvoll, die Orientierung eines dreidimensionalen Objektes zu beschreiben. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die Ausrichtung eines Objektes ja immer auf eine Referenz bezogen ist, das kann entweder die Person selbst, der umgebende Raum oder ein anderes Objekt sein. Die Beschreibung der Orientierung eines Objektes kann also nur erfolgen, indem der Zusammenhang zwischen dem Objekt und der Referenz verdeutlicht wird. Die Äußerung von Ron wäre demnach zu verstehen gewesen, wenn er gesagt hätte, dass das Objekt so gedreht werden soll, dass die Räder über den Boden rollen können. Wenn es um die Ausrichtung des eigenen Körpers im Raum geht, können wir unter anderem durch die Verben stehen und liegen unsere eigene Lage beschreiben. Auch für Dinge gilt, dass sie entweder hingestellt oder hingelegt werden können, wobei die Wörter jeweils etwas über deren Ausrichtung im Raum mitteilen. Insbesondere bei dreidimensionalen Objekten, die eine größere Ausdehnung in die eine Raumrichtung als in die beiden anderen haben, ist eindeutig, dass beim Hinstellen die längste Ausdehnung zur Höhe des Objektes wird. Interessant ist, dass die Kinder aber nicht nur davon sprechen, etwas hinzulegen oder hinzustellen, sondern auch in Rollenspielsituationen Objekten zuschreiben, dass Sie beispielsweise Personen sind. Das spiegelt sich dann auch in der Sprache wieder, wie die Äußerung von Anna in Transkriptauszüge 4.1.1-C unten zeigt. Das Aufstellen von Klötzen wird hier als „aufstehen“ kommentiert. Aus meiner Sicht verdeutlicht das gut, wie stark die Sprache auch im Hinblick auf das Verbalisieren räumlicher Beziehungen durch das menschliche Erleben geprägt ist. Sichtbar wird das ebenfalls in dem oberen Beispiel in Transkriptauszüge 4.1.1-D. Auf den ersten Blick könnte man den Ausdruck „den Po nach hinten rausstrecken“ auch als
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Bewegung in eine Richtung deuten. Man kann sich aber ebenfalls vorstellen, dass damit eine Ausrichtung beschrieben wird beispielsweise, wenn man sagt: „Der Po ist nach hinten rausgestreckt.“ Besonders spannend ist in der Äußerung von Max, dass er diesen Ausdruck auf ein Bauteil in seinem Bauwerk bezieht, das gar nicht eindeutig nach hinten zeigt. Eine mögliche Deutung ist, dass bei Max das Aussehen des Objektes die Vorstellung eines nach hinten herausgestreckten Pos weckt. Max: (fasst an das weiße Verbindungsstück und zeigt darauf.) aber kuck mal dann streckt das ja den Po nach hinten raus das ist dann auch blöd. oder? Anna: (setzt einen Stein im rechten Winkel an den vorhergehenden an) rüber biegen (Emma baut einen weiteren Stein gerade an) rüber (Anna baut einen Stein gerade an dann einen im rechten Winkel nach außen) dann muss das so abbiegen. Max: keine ...(?) (setzt einen Stein gerade an) so. Anna: nein (setzt einen Stein im rechten Winkel an) das muss aber so rüber (setzt einen weiteren Stein gerade an den von Emma an, die setzt wieder einen als Ecke an) warte da ...(?) so geradeaus. Anna: (drückt Max Hand mit dem Klotz zurück) das ist so ganz an der Kante (setzt einen Klotz, der an Stelle von Max Klotz gesetzt wird, und ins Innere der Klotzumrandung führt, also in die gegensätzliche Richtung) und dann geht das so rein Max: nein (dreht den Klotz wieder um, so dass er nach außen zeigt) der (geht ?) auch nach außen.
Transkriptauszüge 4.1.1-D: Orientierung eines Objektes – Richtung einer Bewegung
Auch das mittlere und untere Beispiel in der Tabelle verdeutlichen, dass das, was die Kinder sagen, mitunter auf einen anderen räumlichen Aspekt hindeuten kann, als die Handlung und der Kontext der Situation nahelegen. So verwendet Anna im mittleren Beispiel Ausdrücke, mit denen üblicherweise die Richtung einer Bewegung beschrieben wird. Dabei scheint es ihr eher darum zu gehen, die Orientierung der Bauklötze zu beschreiben. „Geradeaus“ kann hier als Hinweis dafür gedeutet werden, dass der nächste Stein in gerader Linie an den vorhergehenden angebaut wird. „Abbiegen“ oder „rüber biegen“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der folgende Stein quer oder über Eck zum vorhergehenden angesetzt wird. Die im unteren Transkriptauszug zu findenden Ausdrücke „geht rein“ und „geht nach außen“ beschreiben auch keine Bewegung nach außen oder
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nach innen, sondern lassen sich als Auseinandersetzung darüber deuten, in welche Richtung der Stein zeigen soll. Im Bild erkennt man, dass der angebaute Stein eine Ecke mit dem danebenstehenden Stein bildet, folgt man dem Verlauf der entstandenen Ecke, führt dieser entweder aus der gebauten Umrandung heraus oder ins Innere davon. Die Kinder beschreiben das Anbauen der Steine hier so, als ob es sich dabei um den Verlauf eines Weges oder eine Wegbeschreibung handelt. Tatsächlich entsteht dadurch ja nach und nach ein bestimmter Verlauf für die Umrandung des Maislabyrinths. Es wäre deshalb denkbar, dass die Kinder versuchen, damit auch den Verlauf des Weges im Maislabyrinth zu bestimmen. Die Erläuterungen und die von mir dabei verwendeten Ausdrücke Linie oder Ecke zeigen, dass diese Äußerungen der Kinder noch in einem weiteren Sinne mehrdeutig sind, eben weil hier auch ein Bezug zum Thema geometrische Formen erkennbar ist, wie in Abschnitt 4.1.3 bei der Kategorie schräg-gerade dargestellt wird.
4.1.1.3 Richtung einer Bewegung Insbesondere wenn die Kinder mit ihren gebauten Objekten spielen, stellen sie dar, dass sich Wasser (Transkriptauszüge 4.1.1-E oben) oder Personen (Transkriptauszüge 4.1.1-E Mitte) auf einem bestimmten Weg oder in bestimmten Richtungen durch das gebaute Objekt bewegen könnten. Sonja: (zeigt mit dem Finger auf die Öffnung) aber hier kommt Wasser raus (geht mit ihrem Finger die Fließrichtung nach) Wasser schhhh (richtet sich auf) Luca Achtung da kommt Wasser zu dir ... Bsch, nein Jan (zeigt mit dem Finger den Start des Wassers) hier kommt Wasser rein und dann (zeigt den Weg des Wassers)
Max: kuck dann können die, (zeigt auf die Leiter) dann können sie da durch (zeigt auf die milere Plae) dann können sie da rein (bewegt die Hand auf die rechte Plae) und dann zu dem Stockwerk hier. Emma: (kommt mit einem Stuhl in die Bauecke) ähm, ich komme hier mit meinem Stuhl nicht vorbei, ähm Anna: (zeigt auf die Lücke zwischen Turm und Holzzug) da entlang Ron Ron: (bewegt den Zug ein Stück nach vorne, wodurch eine Lücke entsteht, durch die Emma mit ihrem Stuhl passt)
Transkriptauszüge 4.1.1-E: Richtung einer Bewegung – Wegverlauf
Die Adverbien „raus“ und „rein“, die von den Kindern vielfach verwendet werden, deuten im Zusammenhang mit dem Aspekt Richtung einer Bewegung auf die räumliche Beziehung zwischen Außen und Innen hin. Daraus folgt, dass viele der
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Äußerungen auch im Zusammenhang mit der Kategorie offen-geschlossen von weiterer Bedeutung sind, wie in Abschnitt 4.1.2 gezeigt wird. Am Beispiel mit dem Wasser ist gut zu sehen, dass die Wörter „raus“ und „rein“ sich im Alltagsgebrauch gerade nicht ausschließen. Das Wasser, das zum Beispiel aus einer Quelle oder einem Wasserhahn herauskommt, fließt danach in einen Bachlauf oder in ein Becken hinein. In allen dargestellten Situationen in Transkriptauszüge 4.1.1-E beschreiben die Kinder den Weg nicht nur verbal, sondern zeigen ihn vor allem durch Gesten, weshalb es nicht besonders überrascht, dass der sprachliche Ausdruck in diesen Situationen eher unspezifisch ist. Neben den Ausdrücken „hier raus“ und „da rein“ finden sich noch „da durch“ und „da entlang“. Allen ist gemeinsam, dass sie nur in Verbindung mit dem Zeigen oder im gewählten Kontext verständlich sind, da anstelle eines konkreten Objektes oder einer genaueren Ortsbeschreibung stets „da“ oder „hier“ verwendet wird. Neben „raus“, „rein“ und „durch“ findet sich im Sprachgebrauch der Kinder auch der Ausdruck „rüber“. Beispielsweise benutzt ein Kind das Wort „rüberlaufen“, um zu beschreiben, dass man von einer Seite zur anderen laufen kann. Auch das Wort „rüberspringen“ wird verwendet, damit soll beschrieben werden, dass ein Abstand oder eine Lücke auf diese Weise überwunden werden kann. Die Richtung einer Bewegung ist dabei nur dann zu erkennen, wenn gezeigt wird, von wo nach wo „rüber“ ist. Von den Kindern häufig gebraucht und hinsichtlich der damit beschriebenen Richtung eindeutiger als der Ausdruck „rüber“ sind die Wörter „hoch“ und „runter“.
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Max: nein wir stapeln das, (hebt die Leiter wieder auf) nein wir stapeln des in dem (legt die Leiter wieder im Bauwerk ab) Stockwerk. (Hält die flache Hand über die Leiter) kuck da stapeln wir bis (?) (fasst an die beiden Verbindungsstücke links und rechts oberhalb des ‚Leiterablageplatzes‘) Ron: nein, (nimmt die von Max abgelegte Leiter heraus, hält sie schräg innerhalb des Bauwerkes) wir stapeln des so hoch, (setzt sie auf einer Strebe des Bauwerks vorne ab, lehnt sie an einer Strebe hinten schräg an, so dass sie auch nach dem Loslassen stehen bleibt) weil sonst kommen die doch gar nicht da hoch, gell. Ron: (schaut zu Emma) das ist eine Leiter, damit die da, (dreht sich zum Bauwerk um, zeigt in die Richtung) ganz hochkommen (schaut zu Ron)das ist doch nicht schlimm gell. Max: weißt du was? (dreht sich zum Bauwerk um, zeigt darauf) das da, (zeigt auf das oben auf dem Bauwerk befesgte Objekt mit zwei Rädern) das können sie doch die Treppe gar nicht runter. deshalb ist da ein Aufzug (fasst an eine herausstehende Stange) Ron: (hält die Leiter mit beiden Händen fest) das hebt nicht muss ich noch halten, bau - (zeigt auf das untere Ende der Leiter) Max: (schaut auf Max) da müssenRon: mal da ganz runter (zeigt die Lücke bis zum Boden) dann hebts gell. Max: dann müssen wir ganz runter bauen.
Transkriptauszüge 4.1.1-F: Richtung einer Bewegung – hoch und runter
In der oberen Äußerung in Transkriptauszüge 4.1.1-F kann der Ausdruck „hoch kommen“ im Sinne von nach oben Kommen verstanden werden. Allerdings beschreibt das Verb kommen nicht unbedingt eine Bewegung und hoch nicht immer eine Richtung. An anderen Stellen finden sich beispielsweise die Äußerungen „alle kommen da hoch“ oder „alle müssen da hoch“, was man ebenso gut als Lokalisierung eines Objektes deuten könnte: Alle müssen da oben hin oder da oben drauf. Bei der Aussage „wir stapeln des so hoch“ verdeutlicht der Kontext, dass Ron hier auf die Orientierung im Raum fokussiert. Betrachtet man nämlich die davor getätigte Äußerung von Max, so fällt auf, dass Max das Wort „stapeln“ verwendet, während er eine Leiter ablegt und mit der Hand andeutet, dass mehrere Leitern aufeinandergelegt werden sollen. Wenn Ron „stapeln“ nun zu „hochstapeln“ erweitert, will er damit vermutlich nicht ausdrücken, dass der Stapel hoch wird, sondern dass die Ausrichtung der Leiter nicht flachliegend, sondern in die Höhe bzw. aufrecht sein muss. Genau, wie in der zuvor analysierten Äußerung wird auch im mittleren Beispiel mit dem Ausdruck „hoch kommen“ beschrieben, dass etwas oder jemand von unten nach oben gelangen kann. Eine Besonderheit, die sich sonst in den Bauspielsituationen an keiner weiteren Stelle beobachten ließ, ist, dass „hoch“ und „runter“ einander gegenübergestellt werden. Während Ron damit befasst ist, dass es eine Leiter braucht, um nach oben zu kommen, beschreibt Max, dass das
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Objekt, welches oben ist, gar nicht auf einer Leiter beziehungsweise Treppe nach unten gebracht werden kann. „Hoch“ und „runter“ werden von den Kindern hier vor allem als Überwindung des Abstandes zwischen einem Ort oben und dem Boden unten verstanden. Eine Bedeutung, die aufgrund der alltäglichen Verwendung der Begriffe, wenn man an die eigene Fortbewegung denkt, naheliegt. Dieses Verständnis von „hoch“ und „runter“ im Sinne der Überwindung eines Abstandes scheint auch von Bedeutung zu sein, wenn Max davon spricht, dass sie „runter bauen“ müssen (vgl. Transkriptauszüge 4.1.1-F unten). In einem ganz ähnlichen Kontext kommt auch der Ausdruck „hoch bauen“ vor. Die Begriffe „runter bauen“ für nach unten bauen und „hoch bauen“ für nach oben bauen entsprechen nicht direkt der Richtung einer Bewegung. Es wird auf diese Weise ausgedrückt, dass so lange weitere Teile auf gleiche Weise darunter angebaut beziehungsweise darüber angebaut werden, bis eine bestimmte Stelle oben oder der Boden unten erreicht wird. Es lässt sich darin also einerseits ein Lokalisieren von Objekten erkennen, andererseits spielt auch die Ausrichtung der jeweils anzubauenden Teile eine Rolle. Emma: (legt ihr Objekt auf dem Boden ab) aber weißt du das ist halt das Problem, du musst das nicht bauen weil ich bau gerade (?) (fährt mit der Hand die Seite an der noch Teile gebaut werden sollen von oben nach unten nach) ich bau des so runter und dann hier (fährt die fehlende Seite nach) und dann muss man innen nur noch die Plaen reinmachen.
Transkriptauszüge 4.1.1-G: Richtung einer Bewegung – zweidimensionale Abbildung
In dieser Äußerung von Emma, die sich auf den Zusammenhang des eigenen Gebauten mit der Abbildung bezieht, findet sich in der Formulierung „ich bau des so runter“ ebenfalls der Begriff „runter bauen“. Hier weist die Ausdrucksweise aber auf eine andere Richtung hin als die Handbewegung. Im Unterschied zu den zuvor betrachteten Beispielen bezieht sich „runter“ in Emmas Äußerung auf ein liegendes Objekt. Betrachtet man das zu bauende Objekt, liegt nahe, dass Emma versucht zu beschreiben, in welcher Reihenfolge und mit welcher Ausrichtung sie die weiteren Teile anbauen will, insofern hat der Ausdruck „runter bauen“ hier durchaus eine vergleichbare Bedeutung wie in dem Beispiel oben. Die von Emma genutzte Wendung „und dann muss man innen nur noch die Platten reinmachen“ verdeutlicht ebenfalls, dass hier der weitere Bauverlauf beschrieben wird. Den Gebrauch des Wortes „innen“ möchte ich noch weiter betrachten, weil dieser angesichts des verwendeten Materials und im Kontext des Bauens nach einer Abbildung besonders interessant erscheint. Die Abbildung und das Material zeigen, dass es außen einen Rand aus Stäben gibt, der innen mit Platten ausgefüllt werden soll. Der Begriff „innen“ wird also auf etwas Zweidimensionales,
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die Fläche, angewendet und kommt nicht nur in der Bedeutung innendrin oder des Innenraums vor. Die Aussage, dass innen Platten reingemacht werden, ist außerdem im Hinblick auf die in Abschnitt 4.1.2 dargestellte Kategorie offengeschlossen von Interesse. Das gilt gleichermaßen für Äußerungen, in denen die Wörter „hoch“, „runter“ und „rüber“ verwendet werden, da sich darin häufig zeigt, dass eine Verbindung zwischen Ebenen, Kanten oder Ecken dabei mitgedacht wird (vgl. die Erläuterungen zu Transkriptauszüge 4.1.1-F). Meistens wird „innen“ genau wie in der Äußerung in Transkriptauszüge 4.1.1-G im Sinne einer Ortsangabe gebraucht. Es gibt aber auch eine Situation, in der mit dem Ausdruck „nach innen“ die Richtung einer Bewegung angegeben wird (vgl. Transkriptauszüge 4.1.1-H oben). Max beschreibt darin, dass die Leiter von außen in das Innere des Bauwerks geschoben wird; im Inneren des Bauwerks – hier wird „innen“ wieder als Ortsangabe genutzt – wird sie dann nach oben geschoben, womit eine weitere Bewegungsrichtung angegeben wird. Durch die Beschreibung, welche Bewegung mit einem Bauteil in welche Richtung ausgeführt werden soll, möglicherweise mit dem Ziel ein Bauteil an einen bestimmten Ort zu bringen, wird die Bauhandlung verbalisiert. Eine ähnliche Situation zeigt sich im unteren der beiden Transkriptauszüge. Max versucht, eine Platte an eine bestimmte Stelle zu bringen, um sie schließlich einzubauen. Seine Handlung weist darauf hin, dass die Platte in einen bestimmten Bereich des Bauwerks geschoben werden soll. Der Ausdruck „von innen“, den Max hier verwendet, kann auf eine Richtung hindeuten, wenn man annimmt, dass damit von innen nach außen gemeint ist, allerdings sagt Max: „Ich machs von innen.“ Schlüssiger scheint deshalb eine Deutung als Ortsangabe: Von einer bestimmten Stelle aus, die in der Mitte des Bauwerks – von Max „innen“ genannt – liegt, kann die Platte an ihren Zielort geschoben werden.
Max: so (stellt die Leiter schräg an das Bauwerk, lehnt sie daran) kuck kuck nach innen fahren (schiebt die Leiter nach innen in das Bauwerk) innen hochfahren kuck so.
Max: warte, (nimmt die Plae an sich, nimmt sie durch ein größeres Loch ins Innere des Bauwerks und versucht sie von dort durch die Öffnung in den rechten Bereich zu schieben) ich machs von innen (stellt sie schräg, so dass sie in der Diagonale durch die quadrasche Öffnung geschoben werden kann.
Transkriptauszüge 4.1.1-H: Richtung einer Bewegung – nach Innen/von Innen
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Wörter „raus“, „rein“, „hoch“ und „runter“ häufig von den Kindern genutzt werden. Als Richtung einer Bewegung lassen sie sich dann deuten, wenn der Kontext nahelegt, dass damit eine Bewegung von innen nach außen bzw. außen nach innen oder von unten nach oben bzw. von oben nach unten ausgedrückt werden soll. Als Sonderfall können die Ausdrücke „hoch bauen“ und „runter bauen“ gelten, diese lassen sich besser als Beschreibung der Reihenfolge und der Ausrichtung, in der weitere Teile angebaut werden sollen, deuten. Die Angabe der Richtung einer Bewegung wird von den Kindern außerdem durch die Wörter „durch“, „da entlang“ und „rüber“ unterstützt, wobei es sich dabei um unspezifische Ausdrücke handelt. Durch die Verwendung der Präposition nach zusammen mit einer Ortsangabe wird in einigen Äußerungen ebenfalls auf eine Richtung hingewiesen, wobei in diesem Fall die Richtung durch eine Geste oder eine Handlung sichtbar werden muss, ansonsten kann damit auch lediglich ein Zielpunkt beschrieben werden, was eher dem Lokalisieren eines Objektes entspricht. Ähnliches gilt, wie wir am Beispiel der Wendung „von innen“ sehen, auch für Ausdrücke, in denen die Präposition von verwendet wird, die besagt, dass ein räumlicher Ausgangspunkt angegeben wird. Abgesehen von der Wendung „von innen“ wird die Präposition von noch in Verbindung mit dem räumlichen Begriff vorne genutzt. Der Kontext zeigt jeweils, dass die Kinder mit „von vorne“ einen räumlichen Zusammenhang ausdrücken und es nicht als Synonym für von Neuem verwenden. Allerdings legen die Äußerungen der Kinder auch keine Deutung als Richtung einer Bewegung, wie es etwa bei der Wendung von vorne nach hinten der Fall wäre, nahe.
4.1.1.4 Ansicht eines Objektes Besonders gängig ist die Wendung „von vorne“, um auszudrücken, welche Ansicht von einem Objekt man meint. Ausgehend von diesem Verständnis lassen sich auch die Äußerungen der Kinder, in denen sie „von vorne“ benutzen, deuten.
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Anna: (hält ihr gebautes Objekt in die Kamera mit dem Propeller nach vorne) so sieht es von vorne aus so. (?) aber kann nicht schrauben, ah (legt ihr Objekt wieder auf dem Boden ab) und es geht leicht kapu. Nele: ich bau gerade von vorne das Dach (stellt ihr Objekt auf, so dass eine Ecke nach oben zeigt) Emma: es geht doch kein (?) Anna: (nimmt das He in die Hand) doch kuck mal da vorne (fährt mit dem Finger die Giebelkante entlang) Nele: (wendet sich Anna zu) aber kuck mal von vorne mach ich des Dach. (zeigt mit ihrem Objekt in Richtung Bild) Emma: (legt ihr Objekt auf dem Bild ab) aber ich mach so die Reihe und nachher mach ich diese Reihe (während Emma das sagt fährt sie mit ihrem Finger jeweils die entsprechende Stelle auf dem Bild nach)
Transkriptauszüge 4.1.1-I: Ansicht eines Objektes
Im oberen Beispiel präsentiert Anna ihr Objekt, indem sie es in die Kamera hält. Dazu sagt sie: „So sieht es von vorne aus.“ Das macht die besondere Herausforderung bei der Beschreibung einer Ansicht deutlich. Die eigene Ansicht und die Ansicht, die andere vom Objekt haben, kann sich je nach eingenommener Perspektive unterscheiden. Im Beispiel von Anna sieht sie ihr Objekt, während sie es in die Kamera hält, mehr von der Seite, möglicherweise beschreibt sie die Ansicht des Betrachters jenseits der Kamera. In diesem Kontext könnte „von vorne“ bedeuten, dass der Betrachter genau auf die Seite schaut, die auch beschrieben wird. Vorne wäre dann immer da, wo man geradeaus darauf schauen kann. In den anderen beiden Beispielen resultiert die Annahme, dass Neles Objekt der Ansicht von vorne entspricht, entweder aus der Abbildung, in der das Objekt so in Parallelprojektion dargestellt ist, dass die Giebelseite des Hauses für den Betrachter im Vordergrund steht oder Nele verweist auf ihre eigene Erfahrung im Zusammenhang mit der Darstellung von Dächern, bei der oft nur ein Aufriss der Giebelseite abgebildet wird. In den beiden Beispielen, in denen Nele die Ausdrucksweise „von vorne“ verwendet, verbindet sie diese mit den Verben machen und bauen. Dadurch ist nicht sofort offensichtlich, dass es hier um die Ansicht geht, allerdings liegt durch den Kontext – das eigene gebaute Objekt wird in eine bestimmte Ausrichtung gedreht und es wird ein Bezug zu einer Abbildung hergestellt – nahe, dass Nele sich damit auf die Ansicht bezieht. Interessant ist in beiden Situationen die Auseinandersetzung, die jeweils auf Neles Äußerung folgt, dabei wirkt es so, als ob der eigene Blickwinkel Einfluss darauf hat, was in der Abbildung wahrgenommen wird. Es ist nachvollziehbar, dass die Kinder ganz unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen, wie das Dach gebaut werden soll,
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wenn sie jeweils nur ganz bestimmte Merkmale davon in der Abbildung erkennen (können). Deshalb kann Emmas Beschreibung im unteren der drei Beispiele so gedeutet werden, dass auch sie hier ihre Ansicht des Daches beschreibt, wobei sie keine räumlichen Begriffe für ihre Beschreibung nutzt. Anna: kuck mal (zeigt auf das Bild) da gibt es doch zwei Enden, kuck zwei Enden auf der Rückseite ist auch noch ein Ende, nochmal das gleiche, müsst ihr da nochmal bauen. (Tippt auf die Ecken in der Abbildung des Daches) eins zwei drei vier müsst ihr noch viermal bauen (Zeigt mit zwei Fingern auf die vordere Seite des Daches) ihr habt schon zwei (zeigt wieder mit zwei Fingern auf die hintere Seite des Daches) aber ihr müsst nochmal (zwei?) bauen.
Transkriptauszüge 4.1.1-J: Ansicht eines Objektes – Rückseite
Die in Transkriptauszüge 4.1.1-J dargestellte Beschreibung von Anna, steht ebenfalls im Kontext dieses oben abgebildeten „Dachproblems“. Auch hier wird eine ganz bestimmte Ansicht des Daches beschrieben. Annas Wortwahl der „zwei Enden“ und die Verwendung des räumlichen Begriffes „Rückseite“ deuten darauf hin, dass der Abbildung des Daches vorne und hinten zugeordnet werden. Möglicherweise versucht Anna auszudrücken, dass das Dach von vorne und von hinten gleich ist. Ihre konkrete Formulierung „auf der Rückseite ist auch noch ein Ende“ entspricht allerdings einer Ortsangabe.
4.1.1.5 Zusammenfassung Die unterschiedlichen Aspekte, die bei der Analyse der Kategorie falschrumrichtigrum aufgedeckt werden konnten, sind in Tabelle 4.1 zusammengefasst. Dabei werden die in den Äußerungen der Kinder erkannten räumlichen Begriffe und räumlichen Beziehungen den entsprechenden sprachlichen Ausdrücken und Gesten zugeordnet. Betrachtet man die darin gesammelten Begriffe der Kinder, so fällt auf, dass die Kinder vor allem alltagssprachliche Raumlage-Begriffe in den Gesprächen miteinander verwenden. Die von ihnen aus der Umgangssprache und ihrer Alltags- und Erfahrungswelt entlehnten Ausdrücke sowie die genutzten Gesten zeigen aber, dass die Kinder ein Verständnis für mehr räumliche Beziehungen und räumliche Begriffe haben, als sie sprachlich korrekt ausdrücken können. Dabei fällt besonders auf, dass manche Begriffe immer wieder in ganz unterschiedlichen Kontexten von den Kindern verwendet werden. Daraus folgt, dass die Zuordnung bestimmter Äußerungen und Ausdrücke zu den dargestellten Aspekten Grenzen hat. Die ausführlichen Deutungen der Transkriptauszüge in den Abschnitten 4.1.1.1 bis 4.1.1.4 zeigen diese Grenzen auf. Ein interessanter Befund im Zusammenhang mit der Kategorie falschrum-richtigrum ist, dass
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Tabelle 4.1 Systematik zur Kategorie falschrum – richtigrum Gesten/Handlungen räumliche Begriffe der Begriffe/Beziehungen Kinder Lokalisierung eines auf eine Stelle unspezifisch Objektes zeigen Bauteile ab-/anbauen oben/auf an Bauteile fassen Bauteile anhalten innen/in
Orientierung eines Objektes
Objekte umdrehen Objekte auf eine (andere) Seite legen Objekte aufstellen Drehbewegung mit der Hand zeigen
Bauklötze anordnen
Richtung einer Bewegung
Bewegung in eine bestimmte Richtung mit der Hand oder einem Objekt vormachen oder andeuten
da; hier; hier und da da oben; da hoch; da drauf innen; in; da drin; da rein
(in der) Mitte
mittendrin
(an der) Seite
an der Seite; andere Seite
darüber – darunter
höher – nieder
Zwischen
dazwischen; rein(bauen)
vorne – hinten
vorne – auf der Rückseite
Unspezifisch
falschrum; egal wie rum; so rum; so hinlegen
lange Seite nach oben
alle mal aufstehen
kurze Seite nach oben
Legen
Räder nach unten
auf der Seite
nach außen – nach innen
nach außen – geht so rein
in anderer Richtung
so rüber biegen; Abbiegung
in gleicher Richtung
geradeaus; (hoch bauen; runter bauen; so runter)
Unspezifisch
so; (da)durch; da entlang; zu dir
von innen nach außen und von außen nach innen
raus; rein
(Fortsetzung)
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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Tabelle 4.1 (Fortsetzung) Gesten/Handlungen räumliche Begriffe der Begriffe/Beziehungen Kinder von unten nach oben und von oben nach unten
hoch; runter
von einer zur anderen rüber; drüber Seite (auf einer Ebene) Ansicht eines Objektes
von vorne
von vorne
von hinten
(auf der Rückseite ist noch ein Ende)
die Kinder die Anordnung von Bauteilen manchmal wie die Beschreibung eines Weges darstellen. In der Tabelle ist das verdeutlicht, indem dieser besondere Aspekt zwischen den beiden Zeilen Richtung einer Bewegung und Orientierung eines Objektes eingeordnet wurde.
4.1.2
Die Kategorie offen-geschlossen
Ein Teil der Äußerungen, die die Kinder während des Bauspiels tätigen, lassen sich der Kategorie offen-geschlossen zuordnen. In den Ausführungen zur Kategorie falschrum-richtigrum im vorhergehenden Kapitel fanden sich bereits einige Hinweise auf die Kategorie offen-geschlossen. Die Beschreibung der Kategorie in Abschnitt 3.3.3.2 besagt, dass Äußerungen von Kindern dann dieser Kategorie zugeordnet werden, wenn an den Bauwerken Öffnungen, Sperren und (fehlende) Wege oder Verbindungen thematisiert werden. Aus einer mathematikdidaktischen Perspektive drängt sich bei der Kategorie offen-geschlossen ein Zusammenhang mit dem Bereich der Topologie auf. In Abschnitt 1.4 ist gezeigt, dass im aktuellen mathematikdidaktischen Diskurs zum Inhaltsbereich Raum & Form topologische Inhalte für den Vor- und Grundschulbereich nicht vorkommen. In Literatur aus den 1980er und 1990er Jahren findet sich dieser Aspekt noch. Radatz und Schipper (1983, 142 f.) diskutieren ausführlich die Bedeutung der Topologie für den Mathematikunterricht in der Grundschule. Topologische Begriffe gelten aus mathematischer Sicht als grundlegend für die gesamte Geometrie und die Studien von Piaget deuten darauf hin, dass die topologischen Begriffe offen – geschlossen, innen – außen und zwischen sich beim Kind vor anderen geometrischen
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Begriffen ausbilden (vgl. Radatz et al. 1991, 12; Radatz und Schipper 1983, 142). Allerdings erläutern Radatz und Schipper (1983, 143) dazu, dass die Schlussfolgerung daraus, Topologie als wichtigen Bereich für den Geometrieunterricht in der Grundschule anzusehen, problematisch ist. So stellen sie fest, dass beispielsweise das fachlich-mathematische Verständnis des topologischen Begriffes offen mit dem umgangssprachlichen Gebrauch und Verständnis des Begriffes nichts zu tun hat. Außerdem verweisen Sie darauf, dass es durchaus umstritten ist, „ob die Untersuchungen von Piaget und Inhelder (1971) tatsächlich zeigen, daß sich im kindlichen Denken zuerst topologische Begriffe herausbilden“ (Radatz und Schipper 1983, 143). Im Hinblick auf die Deutung der in meiner Studie vorliegenden Ergebnisse sind zwei der von den Autoren dargestellten Aussagen von weiterem Interesse. Das ist zum einen die Erkenntnis, dass die Entwicklung topologischer Begriffe im Schulkindalter abgeschlossen ist und selbst Kindergartenkinder 80 % der topologischen Aufgaben richtig lösen konnten, die man um 1975 in Schulbüchern für das erste Schuljahr gefunden hat (vgl. Radatz und Schipper 1983, 144). Zum anderen wird angemerkt, dass die Begriffe offen, geschlossen, innen und außen für eine intuitive Vorbereitung zur Präzisierung von Dimensionsvorstellungen nützlich sein können: „Körper werden durch Flächen begrenzt, Flächen durch Linien und Linien durch Punkte“ (Radatz und Schipper 1983, 143). Die obigen Ausführungen zeigen, dass sich im Hinblick auf eine Beschreibung und systematische Darstellung der Äußerungen, die der Kategorie offengeschlossen zugeordnet sind, kaum mathematikdidaktische Anschlüsse finden lassen. Eine Unterscheidung zwischen den Äußerungen danach, ob darin die Bedeutung von Flächen, Linien oder Punkten thematisiert wird, ist zwar, wie in den Abschnitten 4.1.2.1 und 4.1.2.2 gezeigt wird, für einige Situationen tragfähig, aber nicht für alle. Eine Unterscheidung nach den im Zusammenhang mit Piagets Untersuchungen bekannt gewordenen topologischen Beziehungen offen – geschlossen, innen – außen und zwischen ist ebenfalls nicht unproblematisch. Die Begriffe innen, außen und zwischen wurden bereits im Abschnitt 4.1.1 als räumliche Beziehungen beschrieben, weshalb zu klären ist, welches Begriffsverständnis hier gemeint ist. Vergleicht und ordnet man die Äußerungen, die mit der Kategorie offen-geschlossen codiert wurden, so fällt durchaus auf, dass es solche gibt, die sich ganz gut mit offen – geschlossen und innen – außen charakterisieren lassen, wohingegen zu anderen durchaus der Begriff zwischen passt. Im Unterschied zum Begriffsverständnis im Sinne der räumlichen Beziehungen steht hier aber die Funktion im Vordergrund. Es geht im ersten Fall darum, dass etwas von innen nach außen beziehungsweise von außen nach innen gelangen sollte oder auch nicht. Die Bezeichnung Durchgänge und Begrenzungen beschreibt das gut und wird hier deshalb als Unterpunkt gewählt. Im Hinblick auf den Aspekt zwischen
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steht der Gedanke der Verbindung oder des Lückenschlusses im Vordergrund. Ein Bauteil oder ein Objekt stellt eine Verbindung zwischen zwei Orten oder Bauteilen her, beziehungsweise schließt eine Lücke zwischen diesen. Als Bezeichnung dafür wird der Begriff Verbindung gewählt. Im Folgenden werden die beiden Teilaspekte anhand von Transkriptauszügen veranschaulicht und erläutert.
4.1.2.1 Durchgänge und Begrenzungen Die sprachlichen Äußerungen der Kinder lassen in vielen Fällen erkennen, dass die Kinder sich mit Durchgängen und Begrenzungen befassen. Besonders deutlich und intensiv zeigt sich das in der folgenden Szene: Max: (baut Klötze an) so jetzt ist hier zu, dann müssen sie wieder zurücklaufen (setzt Klötze zu einer ‚Wand‘) weil es zu ist (richtet die Klötze so aus, dass keine Lücke mehr bleibt) Ron: (schaut auf Max) die müssen zum Max: (richtet weiter Klötze aus) kuck hier ist zu. (schiebt die Klötze so, dass sich zwei etwas überlappen, fasst an eine andere Stelle im Labyrinth) kuck hier ist abgeschlossen. Ron: (zeigt in die Mie des Bauwerks) ja dann muss man in diesem rumlaufen und einen Ausgang finden gell. Emma: (zeigt auf das andere Ende des Bauwerks) da ist der Ausgang. Max: (verfolgt den Weg zurück, zeigt mit dem Finger) kuck da muss man wieder zurück (zeigt auf das Ende an der anderen Seite) und dann, da ist dann derRon: da ist das Klo und da gehts zum Ausgang, (zeigt mit der Hand die Stellen) (?) runter (setzt einen Stein auf die ‚Rückseite des Klos‘) Max: kuck, (löst die Brücke auf, die er mit seinem Körper über das Bauwerk gebildet hae) kuck und hier (fährt mit seinem Finger einen Weg nach) kann man dann noch zum- (Finger stoppt an Begrenzung) Ron: (stapelt Klötze neben dem Klo) Anna ich mach einen Ausgang beim Klo falls die beimMax: (zeigt in Richtung der vorher gebauten ‚Sackgasse‘) kuck mal dahinten ist das zu Ende. Anna: wo dahinten? (hüp über das Bauwerk und setzt sich neben Max) Ron: und wo ist der Ausgang? vielleicht bei mir oder wo. Anna: (fährt mit ihrem Finger ein Stück Weg) kuck mal (zeigt eine Stelle) da müsste, kuck mal dann würden hier (?) (zeigt eine Stelle für eine mögliche Verbindung zum Innenraum des Labyrinths) hier so durch und hier lang. aber da ist wieder eine Grenze.
Transkriptauszüge 4.1.2-A: Szene zu Durchgänge und Begrenzungen
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Diese Szene enthält eine Reihe unterschiedlicher Ausdrücke und Wendungen, die jeweils Verbindungen zu dem Aspekt Durchgänge und Begrenzungen erkennen lassen. Durch die Hervorhebungen in Transkriptauszüge 4.1.2-A wird das auf einen Blick erkennbar. Neben den Wörtern „zu“, „abgeschlossen“, „Ausgang“, „Ende“ und „Grenze“ finden sich in anderen Äußerungen noch einige weitere spezifische Ausdrücke. Das sind „Eingang“, „offen“, „zubauen“, „zumachen“ und „Sperre“. Auch die Verwendung der Adverbien „raus“ und „rein“ steht in Verbindung mit der Kategorie offen-geschlossen, wie bereits in Abschnitt 4.1.1 angedeutet wurde und an folgenden Transkriptauszügen verdeutlicht wird.
Anna: (baut am Turm) Ron willst du etwa nicht dass das Dach wird, willst du etwa dass das da reinregnet. Ron: (zeigt in das Innere des Turms) da rein. Max: (betrachtet das Bauwerk) jetzt muss hier noch eins, (zeigt auf die Lücke zwischen den beiden Verbindungsstücken am oberen Ende der Holme) nein das muss offen sein damit die da rauskommen, sonst kommen die gar nicht raus kuck mal, sonst müssen dieRon: (schiebt den Rollschuh ein Stück nach vorne) aber da kann es doch rausfallen. (Max fasst an den Rollschuh in Rons Hand) warte kurz. Simon: (zeigt auf die Öffnung an Rons und Max Gebäudeseite) dann muss halt hier noch ’ne Plae hin.
Transkriptauszüge 4.1.2-B: Durchgänge und Begrenzungen – raus/rein
In allen drei Situationen legt der Kontext, in dem die Wörter „raus“ bzw. „rein“ genutzt werden, nahe, dass Durchgänge und Begrenzungen ein Thema sind. In der Äußerung in Transkriptauszüge 4.1.2-B oben beschreibt Anna das Dach als Begrenzung nach oben, durch die verhindert werden kann, dass es in den Turm hineinregnet. In der zweiten Situation befasst sich Max damit, dass der Verzicht auf die oberste Leitersprosse hilfreich ist, damit die vorgestellten Benutzer des Bauwerkes auch herauskommen können. In der Interaktion, die in Transkriptauszüge 4.1.2-B unten dargestellt ist, geht es darum, dass ein Objekt nicht durch eine große Öffnung aus dem Bauwerk herausfallen soll. Eine Platte wird hier als Begrenzung vorgeschlagen. Betrachtet man bei den letzten beiden Beispielen jeweils nur einen Teil der Äußerung, so ist auch der Aspekt Verbindungen zu erkennen. So sagt Max zunächst: „Jetzt muss hier noch eins“, und zeigt auf die Lücke, die mit einem Stab verbunden werden könnte. Simon zeigt auf die Öffnung in der Gebäuderückseite, indem er mit der Hand eine Bewegung von rechts
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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nach links andeutet. Zusammen mit der Aussage „dann muss hier halt noch’ne Platte hin“ lässt sich darin auch die Idee erkennen, dass durch eine Platte eine Verbindung hergestellt wird. Es zeigt sich an diesen Äußerungen und Interaktionen, dass zwar die Verwendung bestimmter Begriffe, wie beispielsweise raus oder rein, für die Deutung einer Äußerung eine Rolle spielen können, dass aber der Kontext entscheidend ist. Ganz spezifische Aussagen, wie „das muss offen sein“, aber auch Wörter wie „Dach“ oder „Platte“ können mitunter weitere Hinweise liefern. Ähnlich wie in Abschnitt 4.1.1 im Hinblick auf die Kategorie falschrum-richtigrum dargestellt, gibt es auch bei der Kategorie offen-geschlossen Äußerungen, die sehr unspezifisch sind und nur aufgrund des weiteren Verlaufes einer Situation oder der Gesten zugeordnet werden können. Die Aussage von Jan „das darf da nicht sein“ (vgl. Transkriptauszüge 4.1.2-C) bietet für sich genommen noch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Kategorie offen-geschlossen passend ist. Erst die Handlung mit dem Material – das Wegnehmen von zwei Klötzen – und die Tatsache, dass dadurch eine Öffnung entsteht, lässt vermuten, dass hier das Herstellen eines Durchgangs eine Rolle spielt. Jan: da muss das, (nimmt zwei Teile weg, so dass eine Öffnung entsteht) das darf nicht da sein (baut Klötze zusammen mit Sonja an, so dass der zuvor geöffnete Bereich und der ‚Wasserweg‘ miteinander verbunden werden)
Transkriptauszüge 4.1.2-C: Durchgänge und Begrenzungen – unspezifische Sprache
4.1.2.2 Verbindungen Die im vorigen Kapitel zuletzt beschriebene Situation bietet in ihrem weiteren Verlauf auch Anhaltspunkte für eine Zuordnung zum Aspekt Verbindungen. Es werden Klötze so an zwei schon bestehende Klotzreihen angebaut, dass jeweils durchgängige Klotzreihen bis zu den beiden Stellen, zwischen denen zuvor die beiden Klötze abgebaut wurden, entstehen. Die Fläche zwischen den Klotzreihen wird von den Kindern an anderer Stelle als Wasserweg bezeichnet. Sowohl im Hinblick auf den Wasserweg als auch auf die Klotzreihen ist eine Deutung der Handlung im Sinne eines Herstellens von Verbindungen naheliegend. Während in dieser Situation keine sprachliche Äußerung erfolgt, die diese Deutung unterstützt, gibt es andere Szenen, in denen das Thema Verbindungen von den Kindern auch sprachlich ausgedrückt wird. Beispiele dafür stellen Aussagen wie „da reinbauen“ und „da muss jetzt auch eine Platte dazwischen, damit die da
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
rüberlaufen können“ dar, die bereits weiter vorne im Text in Transkriptauszüge 4.1.1-B auf Seite 211 zu finden sind. Die beiden in diesen Aussagen erkennbaren Kontexte finden sich auch in weiteren Situationen wieder. Zum einen werden Verbindungen im Sinne eines Vervollständigens von Bauwerken oder Schließens von Lücken in Bauwerken thematisiert (vgl. Transkriptauszüge 4.1.2-D), zum anderen lässt sich das Thema Verbindungen dann erkennen, wenn im Hinblick auf die Funktion oder Verwendung eines Bauwerkes besprochen wird, ob oder wie man von einem Ort zum anderen gelangen kann (vgl. Transkriptauszüge 4.1.2-E und Transkriptauszüge 4.1.1-E). Max: (hat einen Stab in der Hand) weißt du was der muss kurz eingebaut werden. (hält den Stab an eine Lücke des Bauwerks)
Max: doch das brauchen wir zum da zubauen (setzt den Klotz in eine zwischen zwei Steinen verbliebene Lücke) Max: und jetzt brauchen wir nochmal eins (Max zeigt auf die Leiterecke an der keine Verbindung zum Bauwerk besteht.) zum das da, heb mal. (er wendet sich den Bauteilen zu und nimmt ein Teil auf) so eins (?) Ron: (zeigt, auf die Stelle an der die Leiter noch zu verbinden ist und deutet an, wie nun Teile dazwischen zu bauen sind und so ein rechteckiger Kantenverlauf entsteht.) brauchen wir aber so des ranmachen damit das hier ran geht
Transkriptauszüge 4.1.2-D: Verbindungen „(r)einbauen“
Im oberen Beispiel in Transkriptauszüge 4.1.2-D verwendet Max das Verb „einbauen“. „Einbauen“ beziehungsweise „reinbauen“ oder „reinmachen“ wird auch in weiteren Situationen beim Bauen mit SEVA-Material von Kindern genutzt, um auszudrücken, dass ein Stab oder eine Platte in eine Lücke zwischen bereits bestehende Elemente eingefügt wird. Auch beim Bauen mit Bauklötzen finden sich ähnliche Situationen, wie im mittleren Beispiel erkennbar ist. Allerdings wird hier nicht von „einbauen“, sondern von „zubauen“ gesprochen. Durch die Verwendung des Ausdruckes „zubauen“ und aufgrund des Bauens einer Umrandung aus Bauklötzen ist die Zuordnung dieser Situation zu Verbindungen nicht eindeutig. Es wäre genauso denkbar, diese Äußerung mit dem Aspekt Begrenzungen und Durchgänge zu beschreiben. In den beiden oberen Beispielen entspricht die Größe beziehungsweise die Form der Lücke, die geschlossen werden soll, genau einem vorhandenen Bauteil, was nicht immer der Fall ist. Der dritte Transkriptauszug zeigt, dass die Kinder Schwierigkeiten haben, sprachlich auszudrücken, wie eine Verbindung aus mehreren Teilen hergestellt werden
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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kann, insbesondere, wenn, wie in diesem Fall, die Teile über Eck angebaut werden sollen. Für den Fall, dass die Teile in gleicher Richtung angebaut werden, verwenden die Kinder die Ausdrücke „hoch bauen“ und „runter bauen“, wie in Abschnitt 4.1.1.3 dargestellt wurde. Dabei zeigt sich insofern ein Bezug zum Aspekt Verbindungen, als von den Kindern beschrieben wird, auf welche Weise etwas Angefangenes vervollständigt oder die Verbindung zwischen dem Boden und einem schon angebauten Leiterstück hergestellt werden kann. Das untere Beispiel der Transkriptauszüge 4.1.2-D ist wegen der rechten Winkel, die im Zuge der Verbindung notwendigerweise entstehen beziehungsweise einzuhalten sind, auch für die Kategorie schräg-gerade von weiterem Interesse, weshalb es in Abschnitt 4.1.3.3 erneut verwendet wird. Teilweise finden sich in den Situationen, in denen es um das Schließen einer Lücke mit einem Bauteil oder das Vervollständigen einer Leiter mit weiteren Leiterstücken geht, außerdem Äußerungen, die der Kategorie groß-klein zuzuordnen sind. Eine Darstellung entsprechender Beispiele erfolgt in Abschnitt 4.1.5. Nachdem oben erläutert wurde, wie von den Kindern das Bauen von Verbindungen beschrieben wird, soll im Folgenden auf zwei Situationen geschaut werden, in denen sich die Beschreibung der Bauweise von Verbindungen auf interessante Weise mit der Funktion beziehungsweise der Verwendung, die die Kinder dieser Verbindung zuschreiben, überlagert. Ron: (schaut auf Max) und warum ganz oben? so können sie den doch gar nicht runterholen? Max: (baut etwas oben auf dem Bauwerk fest) doch die haben eine Leiter die ist da unten fest (zeigt auf eine besmmte Stelle des Bauwerks) Ron komm wir bauen eine Leiter. sollen wir eine bauen? (Ron und Max wenden sich der Kiste mit den Bauteilen zu. Ron nimmt besmmte Teile aus der Kiste) da hoch aus diesen Teilen bau ich eine Leiter (steckt Teile zusammen) Max: (nimmt Teile aus der Kiste) ich baue die Außenteile hoch. Ron: (baut Teile zu einem Objekt, das wie eine Leiter aussieht, zusammen) Max (schaut zu Ron) baust du noch eine zweite Leiter? Ron: nein Max: was dann? Ron: ich bau ein Stück was Berg hoch, (höher?) für die (?) (stellt sein Objekt auf das ‚milere Stockwerk‘) ob das reicht? geht das? Max: (schaut zu Ron) du brauchst daRon: bis da (hebt sein Objekt ein Stück an, das es an der Kante des ‚oberen Stockwerks‘ anliegt) müssen wir hochkommen. gell (wendet sich ab und zu den Teilen)
Transkriptauszüge 4.1.2-E: Verbindungen – Funktion und Bauweise
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In der oberen der beiden Situationen einigen Max und Ron sich darauf, eine Leiter zu bauen, die halten sie für notwendig, damit das oben auf dem Bauwerk angebrachte Objekt erreichbar wird. Interessant ist nun, dass dieser Gedanke der Erreichbarkeit – jemand soll oben hinkommen oder hochkommen – auch in den Äußerungen über das Bauen der Leiter erkennbar ist. Ron sagt: „Da hoch aus diesen Teilen bau ich eine Leiter“, und Max sagt: „Ich baue die Außenteile hoch.“ Beide haben sich zu diesem Zeitpunkt von dem Bauwerk abgewandt und sind mit den einzelnen Teilen beschäftigt, aus denen sie die Leiter zusammenstecken. Dass sie dennoch das Wort „hoch“ verwenden, deutet daraufhin, dass der Gedanke, auf diese Weise eine Verbindung herzustellen, weiterhin präsent ist. Ganz ähnlich zeigt sich das in dem zweiten Beispiel. Auch darin wird zunächst abseits des großen Bauwerkes ein Objekt gebaut. Rons Äußerung „ich bau ein Stück was Berg hoch“ und das Anhalten dieses Objektes im Bauwerk lässt die Deutung zu, dass damit eine schräge Verbindung hergestellt werden soll, durch die ausgehend von einem Stockwerk ein anderes erreicht werden kann. Die Wendungen „Berg hoch“, „für die“ und „bis da müssen wir hochkommen“ verdeutlichen die enge Verknüpfung zwischen der Bauweise der Verbindung und der Funktion dieser Verbindung. Besonders die zweite in Transkriptauszüge 4.1.2-E dargestellte Situation ist auch für die Kategorie schräg-gerade von Bedeutung und wird in Abschnitt 4.1.3 wieder aufgegriffen. Betrachtet man verschiedene Situationen im Bauspiel der Kinder, in denen das Thema Verbindung daran zu erkennen ist, dass besprochen wird, wie jemand oder etwas von einem Ort zum anderen gelangen kann, so finden sich immer wieder dieselben, sehr kontextbezogenen Wörter. Das sind „Treppe“ und „Leiter“, aber auch der „Aufzug“ wird hier genannt, dazu passend werden die Verben „hochkommen“ und „runterkommen“ genutzt. Wenn die Kinder beim Bauen mit SEVA-Material das Einbauen von Platten in den Blick nehmen, sprechen sie davon, dass sie „Stockwerke reinmachen“. Dabei geht es darum, in dem Gerüst aus SEVA-Stäben Verbindungsflächen entstehen zu lassen, auf denen „man“ auf unterschiedlichen Ebenen in dem Bauwerk von einer zur anderen Seite gelangen kann. Typischerweise wird in diesem Zusammenhang das Verb „rüberlaufen“ genutzt. Auch eine Situation, in der von „rüberspringen“ die Rede ist, passt dazu. In dem Fall gibt es eben keine geschlossene Verbindung oder Überbrückung, sondern eine Lücke.
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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4.1.2.3 Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Kategorie offen-geschlossen zwar in die beiden Aspekte Durchgänge/Begrenzungen und Verbindungen unterteilen lässt, eine Zuordnung aber nicht immer eindeutig ist. In beiden Unterkapiteln gibt es Beispiele dafür, dass die Aspekte sich nicht gegenseitig ausschließen. In der folgenden Übersicht (Tabelle 4.2), in der die unterschiedlichen, oben erläuterten Ausdrücke der Kinder eingeordnet sind, ist das berücksichtigt, indem es auch einen Bereich gibt, der in der Tabelle als Zeile zwischen beiden Aspekten steht. Tabelle 4.2 Systematik zur Kategorie offen – geschlossen
Durchgänge Begrenzungen
Gesten/Handlungen
Begriffe der Kinder
Steine wegnehmen Hindurchgehen mit der Hand andeuten
offen sein Ausgang (nicht mehr) rauskommen
mit der Hand eine Grenze oder einen Abschluss markieren Klötze aufstellen
Dach [reinregnen; damit keiner rein (kommt)] Sperre Grenze zumachen/zu sein abgeschlossen
mit Klötzen eine Lücke schließen mit der Hand Verbindung andeuten
zubauen Plae reinbauen (damit ein Objekt nicht rausfallen kann)
Verbindungen
Das Bauen von Verbindungen
Bauteil anhalten mit der Hand zeigen, wo und wie etwas eingebaut wird
Das Nutzen von Verbindungen
die Verbindung von oben nach unten, von unten nach oben oder von einer Seite zur anderen mit der Hand andeuten
Stange einbauen wieder reinbauen Plae dazwischen hoch bauen – runter bauen Stockwerk (reinmachen) Leiter/Treppe rüberlaufen/rüberspringen hochkommen
Erwähnenswert scheint am Ende dieses Kapitels noch, dass das Bauen eines Daches auch der Idee einer Überbrückung entsprechen kann und damit theoretisch ebenfalls dem Aspekt der Verbindungen zugeordnet sein könnte. Zumindest in den sprachlichen Äußerungen der Kinder spielte das aber keine Rolle. Sicherlich ist das Testen von unterschiedlich langen Klötzen für ein Dach dieser Überbrückungsidee sehr nahe, aber sprachlich wurde hier jeweils das Dach als Abschluss nach oben und dessen schützende Funktion hervorgehoben. Der Gedanke, dass die Klötze, die den Rand des Bauwerkes bilden durch Klötze, die
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darübergelegt werden, miteinander verbunden werden, zeigt sich in den Äußerungen nicht direkt. Allenfalls die Suche nach der richtigen Länge deutet daraufhin, dass für die Kinder klar ist, dass der Abstand zwischen den Klötzen überbrückt werden muss. Die Überbrückung von Lücken zwischen Bauklötzen durch einen darübergelegten Bauklotz lässt sich ansonsten als Teil der Bauweise beim Bauen von Türmen beobachten, was aber von den Kindern nicht sprachlich thematisiert wird. Daraus kann man schlussfolgern, dass die Bauweise des versetzt überdeckenden Bauens für die Kinder eine ähnliche Funktion wie das Zusammenstecken von Teilen beim Bauen mit SEVA-Material hat, weshalb es im Zusammenhang mit der Kategorie befestigt-unbefestigt in Abschnitt 4.1.4 noch einmal in den Blick genommen wird.
4.1.3
Die Kategorie schräg-gerade
Die Bauspielsituationen, die der Kategorie schräg-gerade zugeordnet wurden, verbindet aus mathematikdidaktischen Sichtweise, dass darin jeweils die geometrische Form von Objekten oder Formbeziehungen zwischen Bauteilen thematisiert werden. In den in Abschnitt 1.4.1 dargestellten Systematiken zum Inhaltsbereich Raum & Form ließe sich das dem Bereich, den beispielsweise Grüßing und Benz (2017, 78) mit „geometrische Figuren erkennen, benennen und darstellen“ charakterisieren oder den Kaufmann (2011, 92) noch etwas allgemeiner mit „Formen. Flächen und Körper, Bauen und Legen“ überschreibt, zuordnen. Wie bereits in der von Kaufmann gewählten Überschrift deutlich wird, werden darunter mehrere Teilaspekte erfasst, wie die Auseinandersetzung mit zwei- und dreidimensionalen Formen, das Zerlegen und Zusammensetzen von zwei- und dreidimensionalen Figuren sowie Kongruenz und Symmetrie (vgl. Benz et al. 2015; Grüßing und Benz 2017; Kaufmann 2011). Um die Äußerungen der Kinder zu Formen und Formbeziehungen, die sie während des Bauens machen, systematisch zu beschreiben, ist diese Untergliederung nicht tragfähig, da es bislang keine Theorien gibt, die diese Teilaspekte begrifflich klärt und voneinander abgrenzt. Betrachtet man theoretische Ansätze zum Bereich Formen oder geometrische Figuren, stehen diese immer im Kontext verschiedener Modelle zur Entwicklung geometrischer Begriffe, wie sie in Abschnitt 1.4.2.2 dargestellt sind. Im Hinblick auf die weitere Analyse der Kinderäußerungen ist es für die vorliegende Arbeit aber auch nicht zielführend, in Anlehnung an diese Modelle zu beschreiben, welches Entwicklungslevel jeweils zu erkennen ist. Vielmehr scheint es interessant, zu einer systematischen Darstellung und Beschreibung der von den Kindern genutzten
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geometrischen Begriffe zu kommen. In der Geometriedidaktik ist es üblich, zwischen verschiedenen Arten geometrischer Begriffe zu unterscheiden wie Franke und Reinhold (2016) darstellen.
Abbildung 4.4 Geometrische Begriffe (Franke und Reinhold, 2016, 126)
Franke und Reinhold (2016, 127) merken an, dass diese Einteilung nicht immer trennscharf ist, weil beispielsweise „ebene“ Objektbegriffe als Eigenschaftsbegriffe bei räumlichen Figuren verwendet werden können oder weil sich manche Begriffe nicht eindeutig als „eben“ oder „räumlich“ einordnen lassen beziehungsweise in unterschiedlichem Sinne verwendet werden. Trotz dieser Einschränkung bietet die Unterteilung in die drei verschiedenen Arten Objektbegriffe, Eigenschaftsbegriffe und Relationsbegriffe eine interessante Perspektive für die Analyse der Situationen, die der Kategorie schräg-gerade zugeordnet sind. Anders als in Abbildung 4.4 dargestellt, wird auf eine Unterscheidung zwischen räumlichen und ebenen Begriffen verzichtet, da sich in den Äußerungen der Kinder bestätigt, was auch die in Abschnitt 1.4.2.2 erläuterten Befunde zur Entwicklung geometrischer Begriffe zeigen: Kinder verwenden in ihrer Sprache vorwiegend ebene Begriffe, auch wenn sie räumliche Objekte beschreiben. Außerdem sind die Ausdrücke der Kinder zumeist alltagssprachlich, weshalb viele der oben
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
aufgeführten formalen geometrischen Begriffe von den Kindern nicht ausgesprochen, aber doch angesprochen werden. Ich habe mich entschieden in diesem Fall von lebensweltbezogenen Objekt-, Eigenschafts- oder Relationsbegriffen zu sprechen. Anhand ausgewählter Situationen wird in den folgenden drei Teilkapiteln betrachtet, inwiefern (lebensweltbezogene) Objektbegriffe, Eigenschaftsbegriffe und Relationsbegriffe von den Kindern in ihren Äußerungen genutzt werden.
4.1.3.1 Objektbegriffe Lebensweltbezogene Objektbegriffe Im Unterschied zu den formalen Objektbegriffen, wie Rechteck oder Zylinder, wird hier von lebensweltbezogenen Objektbegriffen gesprochen, wenn die Kinder durch die Verwendung bestimmter, aus ihrer Lebenswelt stammender Bezeichnungen die Form eines gebauten Objektes oder bestimmte Formmerkmale davon benennen. Luca: (steht auf) ich mach da einen Pfeil Jan: (steht) nein wir brauchen keine Pfeile. weißt du (wendet sich ab) da gibt’s keine Pfeile (geht weg) Luca: (baut an eine wie eine Pfeilspitze aussehende Form aus Klötzen, Kötze als Pfeillinie an) Jan (?) so ein Pfeil (steht auf und geht) Ron: (nimmt Klötze auf) ich muss die aufgabeln (hält die Klötze aneinander legt sie dann mit Abstand parallel auf dem Boden ab und legt einen weiteren Klotz quer darüber) Max: (macht Klötze in den Waggon) du musst mithelfen, unsere Gabel (schaut zu Ron) ...Gabellaen Ron: (legt weiteren Klotz auf die ‚Gabeln‘) ich tu da, die da drauf damit ich es nachher verfahren kann. Emma: (betrachtet ihr Objekt) sieht aus wie ein Kran, was ich da gebaut hab Anna: dann musst du da den Kran bauen. Emma: (dreht ihr Objekt etwas hin und her) ich mach ja auch kein Kran. ich machs ja auch noch weiter (wendet sich ab) Anna: du machst hier des da Emma: ich mach des Hausdach. Nele: (Nele beugt sich über das He und legt ihr Teil auf dem Dach ab. Hält einmal an der linken und einmal an der rechten Giebelseite ihr Objekt – zwei miteinander verbundene Stäbe – hin) ich auch-
Transkriptauszüge 4.1.3-A: Formen von Dingen
Den drei Beispielen ist gemeinsam, dass die Kinder jeweils in ihren Objekten die Form bestimmter Gegenstände erkennen oder dass sie ihr Wissen über typische
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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Strukturen oder Formmerkmale von Dingen nutzen, um das Gebaute zu beschreiben. So liegt im oberen Beispiel die Deutung nahe, dass Luca in seinem Objekt eine Pfeilspitze erkennt und diese dann durch Anbauen der Pfeillinie zu einem Pfeil vervollständigen will. Interessant ist das auch deshalb, weil in der Situation offensichtlich Pfeile keine Bedeutung haben, wie an der Äußerung von Jan zu erkennen ist. Auch Emma erkennt in ihrem Objekt eine bestimmte Form (vgl. unteres Beispiel Transkriptauszüge 4.1.3-A), die Merkmale eines Krans aufweist. Anders als bei Luca resultiert daraus aber nicht, dass nun ein Kran gebaut wird, sondern das eigentliche Ziel, ein Hausdach zu bauen, bleibt im Blick. Es sieht so aus, als ob es für Emma selbstverständlich ist, dass aus etwas, das im Moment die Form eines Krans hat, später ein Hausdach wird. Während für Luca und für Emma die Form ihrer Objekte im Vordergrund steht, zeigt sich im mittleren Beispiel, dass beim Bauen Form und Funktion untrennbar verbunden sind. So steht bei Rons Idee, etwas zu bauen, dass der Gabel eines Gabelstaplers entspricht, vermutlich nicht die Form, sondern die Funktion im Vordergrund, immerhin wird die Gabel direkt mit den zu transportierenden Latten bestückt. Trotzdem entspricht die Anordnung der Bauklötze zu zwei Gabelzinken mit Latten als Ladung der geometrischen Struktur, die man von einem Gabelstapler kennt. Es ist erkennbar, dass sowohl das Herstellen als auch das Sehen von bestimmten Objekten in dem Selbstgebauten auf dem Bewusstsein über deren Formeigenschaften basiert. Ron legt für seinen Nachbau der Gabel des Gabelstaplers zwei zueinander parallele, gleichlange Klötze als Gabelzinken hin, die Ladung richtet er senkrecht dazu aus, so dass die einzelnen Klötze auf beiden Seiten etwa gleich weit darüber hinausragen. Luca erkennt in der aus aneinandergereihten Bauklötzen gebildeten Ecke mit zwei gleichlangen Schenkeln eine Pfeilspitze. Für seinen Pfeil reiht er ausgehend von dieser Ecke mittig zwischen den beiden Schenkeln Bauklötze in einer Linie auf. Sprachlich thematisieren die Kinder in den oben dargestellten Situationen diese Eigenschaften der Objekte nicht, etwas anders sieht das bei den beiden folgenden Situationen aus. Da verwenden die Kinder bestimmte Objektbegriffe, um die Form von dem, was gebaut werden soll, zu beschreiben, wie unten noch erläutert wird.
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive … Ron: und. (schaut zu Anna) des kann man trotzdem hinmachen gell Anna, oder eine Treppe wo es hoch aufs Klo geht Anna: ja dann kann man da ganz schnell hinterherrennen und aus (?) wenn man ganz dringend muss. Ron: ja ich mach jetzt einen Turm (stapelt kleine Klötze auf beiden Seiten der ‚Wand‘ auf) und dann kann man da hochgehen, kuckMax: (stapelt Klötze auf der Wand) das wird (?) ganz hochRon: nein- (verbindet beide Klotzstapel über die Wand) Max: zum KloRon: neiein (nimmt weiteren Klotz, den er anbaut) bei mir ist die Treppe zum Klo. Ron: komm wir bauen eine Leiter? sollen wir eine bauen? (Ron und Max wenden sich der Kiste mit den Bauteilen zu. Ron nimmt besmmte Teile aus der Kiste) da hoch aus diesen Teilen bau ich eine Leiter. (steckt Teile zusammen) Max: (nimmt Teile aus der Kiste) ich baue die Außenteile hoch, die Außen, damits daRon: also ich bau immer kleine Vierecke (baut)
Transkriptauszüge 4.1.3-B: Formen in Dingen
Im oberen der beiden Transkriptauszüge sagt Ron, dass er eine Treppe zum Klo baut, daraufhin stapelt er drei Klötze so übereinander, dass es der Form einer Treppe entspricht, die er auf der bereits vorhanden Mauer abstützen kann. Interessant ist, dass er dann weiter erläutert: „Ich mach jetzt einen Turm“, und in diesem Zusammenhang auf der anderen Seite der Mauer drei Klötze bündig übereinanderstapelt. Man könnte hier annehmen, dass ein Quader aus aufeinandergestapelten Klötzen mit dem Begriff „Turm“ bezeichnet wird. Auch im weiteren Verlauf der Situation, in der Klötze auf ähnliche Weise gestapelt werden, verwendet Ron die Bezeichnung „Turm“. Dass dieser Begriff missverständlich ist, könnte aus der Reaktion von Max geschlossen werden, der ebenfalls Klötze stapelt und dazu sagt, dass das ganz hoch wird. Möglicherweise ist seine Assoziation von Turm, dass es sich dabei um etwas Hohes handelt. Man kann daran sehen, dass die Verwendung des Begriffs Turm als Objektbegriff hier schwierig sein könnte, weil es keine eindeutigen Formeigenschaften gibt, die ein Objekt als Turm kennzeichnen. In der unteren Situation, die in Transkriptauszüge 4.1.3-B abgebildet ist, einigen sich Ron und Max darauf, eine Leiter zu bauen. Für beide verbirgt sich hinter der Bezeichnung Leiter ein Objekt mit ganz bestimmten Formeigenschaften. Das lässt sich gut daran erkennen, dass Max sagt: „Ich baue die Außenteile hoch“, während Ron davon spricht, kleine Vierecke zu bauen. Demnach könnte für Max
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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eine Leiter aus den beiden Außenteilen, also Leiterholmen, die durch Leitersprossen verbunden sind, bestehen, während Ron in der Leiter eine Aneinanderreihung von Quadraten oder Rechtecken erkennt. An diesem Beispiel wird besonders gut deutlich, dass Objektbegriffe und Eigenschaftsbegriffe auch im Hinblick auf die Beschreibungen der Kinder beim Bauen nur schwer auseinanderzuhalten sind. Betrachtet man nur die Äußerungen, „ich bau die Außenteile“ und „ich bau kleine Vierecke“ kann man durchaus sagen, dass es sich dabei jeweils um Objektbegriffe handelt, wobei „Außenteile“ ein sehr unspezifischer Objektbegriff wäre. Bei dem von Ron verwendeten Begriff „Viereck“ handelt es sich hingegen sogar um einen formalen geometrischen Objektbegriff. Bezieht man allerdings den Kontext „Leiter“ ein und versteht „Leiter“ als lebensweltbezogenen Objektbegriff, könnte man „Außenteil“ und gegebenenfalls „Viereck“ auch als Eigenschaftsbegriffe verstehen, wie man an dem folgenden Versuch, den Objektbegriff „Leiter“ zu definieren, erkennen kann: Eine Leiter besteht aus zwei (zueinander parallelen) Außenteilen (Leiterholmen), die durch Leitersprossen miteinander verbunden sind. Zwischen Holmen und Sprossen sind viereckige (genauer: rechteckige oder quadratische) Öffnungen. Formale Objektbegriffe An der im vorigen Beispiel gezeigten Äußerung von Ron „also ich bau immer kleine Vierecke“ wird deutlich, dass die Kinder auch formale Objektbegriffe verwenden. Der Begriff „Viereck“ findet sich noch in weiteren Äußerungen von Kindern. Anna: (beugt sich zu ihrem Objekt, eine Plae die mit Stäben umschlossen ist) HauptsachEmma: (zeigt auf einen Stab an Annas Objekt) aber du hast ja schon die Linie, weißt (zeigt auf die Abbildung) du machst ja lauter Vierecke und ich mach die Stäbe (hält ihre Stange hoch). Max: (schiebt zwei Klötze ein Stück auseinander und legt einen fünen Klotz dazwischen) so. Anna: nicht so dick. Max: doch so. Ron: so sieht es doch wie ein Viereck aus (kniet sich dazu, richtet die 5 Klötze gleichmäßiger aus) Max: (richtet ebenfalls die Klötze gleichmäßiger aus) so.
Transkriptauszüge 4.1.3-C: Vierecke
Im oberen der beiden Transkriptauszüge wird mit „Viereck“ ein Objekt aus SEVA-Material mit einer quadratischen Grundform bezeichnet. Auf dem Bild
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
sieht man, dass ein Kind (Anna) eine auf drei Seiten von Stäben begrenzte Platte in der Hand hält. Interessant ist dabei die Verwendung des Begriffes „Linie“ durch das andere Kind. Im weiteren Verlauf der Situation wird deutlich, dass die Kinder damit beschäftigt sind, ein Objekt von einem Bild nachzubauen. Die Begriffe Linie und Viereck sind bezogen auf die Beschreibung einer Abbildung sehr passend. Im Hinblick auf das tatsächlich aus SEVA-Material gebaute Objekt ist die Verwendung des Begriffes Linie eher überraschend. Emmas Äußerung deutet daraufhin, dass sie mit „Linie“ die Bauteile meint, mit denen die Platte umrandet ist. Insofern kann Linie hier als Eigenschaftsbegriff gedeutet werden. Ähnlich wie in dem oben dargestellten Beispiel, bei dem Ron und Max beginnen eine Leiter zu bauen (vgl. Transkriptauszüge 4.1.3-B, unten), scheint es auch bei Anna und Emma darum zu gehen, dass sie ein gemeinsames Objekt herstellen wollen. Emmas Äußerung lässt sich deshalb auch so verstehen, dass sie sich damit beschäftigt, wie oder ob aus den Teilen von ihr und Anna das Objekt zusammengebaut werden kann. Die zweite dargestellte Situation steht im Zusammenhang mit dem Vorhaben der Kinder, einen besonders hohen Turm zu bauen, und lässt sich als Auseinandersetzung darüber deuten, was eine geeignete Basis oder Grundform für den Turm wäre. Betrachtet man die linke der beiden Abbildungen, ist nicht klar, warum Ron hier von einem „Viereck“ spricht. Es scheint um den Unterschied zwischen der Anordnung von fünf Klötzen in einer unregelmäßigen Struktur mit Lücken und einer Anordnung, bei der die fünf Klötze ein eher regelmäßiges Fünfeck bilden, zu gehen. Die von den Kindern in der Folge gewählte Bauweise bezeichnen Uhl und Stoevesandt (1961/1991) auch als Rundbauweise. Der Turm, der auf diese Weise entsteht, hat keine fünfeckige Grundfläche, sondern durch die Bauweise lässt sich in der Draufsicht innen ein Zehneck erkennen, das wiederum könnte die Assoziation eines runden Turmes erklären. Es ist also durchaus möglich, dass es Ron nicht um die unterschiedliche Eckenanzahl bei Viereck und Fünfeck geht, sondern um eine regelmäßige Anordnung der Klötze, die den Turm rund erscheinen lässt, im Gegensatz zu einer unregelmäßigen Anordnung der fünf Bauklötze, wodurch der Turm eckig wird. Die Handlung von Ron und Max, durch die sie die Klötze in die Anordnung (vgl. rechte Abbildung Transkriptauszüge 4.1.3-C) bringen, kann man durchaus als Herstellung eines regelmäßigen Fünfeckes deuten. Die Tatsache, dass ihnen das gelingt, spricht dafür, dass sie entweder auf die Gleichheit der Winkel an den fünf Ecken oder auf Symmetrien geachtet haben. Beides bedeutet, dass die Kinder Eigenschaften eines regelmäßigen Polygons anwenden und (wieder)erkennen können.
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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Neben der Verwendung der Begriffe Viereck und Linie, nutzen die Kinder noch die Ausdrücke Kurve und Bogen. Beide könnte man als formale geometrische Objektbegriffe verstehen. Allerdings sind beide auch in der Alltagssprache übliche Begriffe, mit denen kein bestimmtes geometrisches Objekt bezeichnet wird, sondern die vor allem genutzt werden, um den Verlauf einer Straße zu beschreiben. Die beiden Situationen, in denen diese Begriffe von den Kindern verwendet werden, zeigen, dass darin ebenfalls dieses lebensweltliche Verständnis im Mittelpunkt steht. Emma: nein hier bie nichts hinbauen (unter dem Regal durch wird aus dem benachbarten Bereich eine Eisenbahnstrecke mit ‚Duploschienen‘ gebaut.) Nele: doch die darf hier bauen (deutet mit der Hand einen Streckenverlauf durch den Randbereich ihres Bauplatzes an) doch die kann ja so eine Kurve bauen und so einen (rund?) (schaut zu dem Mädchen unter dem Regal) gell Sophie Max: (kommt dazu) ach Quatsch nicht so Bogen bauen (schiebt die Klotzreihe weg) sondern so richg gerade, also ... also
Transkriptauszüge 4.1.3-D: Kurve und Bogen
Im oberen der beiden Beispiele verwendet Nele den Ausdruck Kurve im Kontext des Bauens einer Eisenbahnstrecke. Ganz offensichtlich steht hier also das informelle Verständnis von „Kurve“ als Teil eines Streckenverlaufs im Vordergrund. Im Hinblick auf die Bezeichnung Kurve für ein Bauteil bei Duplooder Holzschienen gilt das Gleiche. „Kurve“ kann in diesem Zusammenhang als lebensweltbezogener Objektbegriff gedeutet werden. Aus einer geometrischen Perspektive lässt sich in einer Schienenkurve oder einer Anordnung mehrerer Schienenkurven ein Kreisbogen erkennen. Im Zusammenhang mit Schienen können Kinder beim Bauspiel demnach weniger Erfahrungen im Hinblick auf den geometrischen Begriff der Kurve, sondern eher auf den des Kreisbogens sammeln, allerdings ohne den Begriff schon zu kennen. Letzteres zeigt sich auch im zweiten der beiden Beispiele, in dem Max findet, es soll kein Bogen gebaut werden, sondern gerade. Ohne das Bild und den weiteren Kontext könnte man annehmen, die Klötze wären so aufgestellt, dass sie die Form einer gekrümmten Linie haben. Tatsächlich ist das aber nicht der Fall, vielmehr sind die Klötze so aufgestellt, dass die Klotzreihe nach ein paar Klötzen abknickt und eine Ecke mit einem in etwa rechten Winkel bildet. Die Ausführungen in Abschnitt 4.1.1.2 zeigen, dass Kinder in vergleichbaren Situationen auch davon sprechen, dass sie „abbiegen“ oder eine „Abbiegung“ bauen. Insofern lässt sich die Verwendung des
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Wortes Bogen hier synonym zum Ausdruck Abbiegung verstehen, was bedeutet, es geht um die Ecke. Es fällt hier auf, dass die Kinder häufig Ecken bauen und Ecken, die zwischen Klötzen entstanden sind, beschreiben, ohne das Wort Ecke zu verwenden.
4.1.3.2 Eigenschaftsbegriffe Im vorigen Teilkapitel und in der Einleitung von Abschnitt 4.1.3 habe ich dargestellt, dass Objektbegriffe und Eigenschaftsbegriffe nicht immer voneinander zu unterscheiden sind. Es ist dennoch interessant zu betrachten, inwiefern Kinder die geometrischen Eigenschaften ihrer (geometrischen) Objekte thematisieren. Ron: warte nein das ist auseinandergebogen hier (drückt die Teile aneinander)du musst immer so (?)-
Anna (richtet die 4 Bauklötze aus) n’rund
Transkriptauszüge 4.1.3-E: Eigenschaftsbegriffe – auseinandergebogen und rund
Die Äußerung von Ron steht in dem weiter oben in einem Beispiel schon beschriebenen Kontext des Bauens einer Leiter. Wenn Ron feststellt, dass die Teile in seinem Objekt auseinandergebogen sind, setzt das voraus, dass er weiß, wie die Form, die hier entstehen soll, idealerweise aussieht, das wiederum bedeutet, er ist in der Lage auf bestimmte Eigenschaften der Form zu achten. Vielleicht stört er sich am fehlenden rechten Winkel der Ecke oder daran, dass die beiden gegenüberliegenden Stäbe nicht parallel sind. Es ist gut möglich, dass Ron hier zuallererst eine Unregelmäßigkeit wahrnimmt und den Unterschied zu den darüber liegenden Vierecken der Leiter erkennt. Dieses Wahrnehmen und Beschreiben von Unregelmäßigkeiten oder Unterschieden kann aus meiner Sicht als Auseinandersetzung mit den geometrischen Eigenschaften eines (geometrischen) Objektes gedeutet werden. Die Verwendung des Ausdrucks auseinandergebogen und die Überlegung, dass es hier um parallele Seiten und rechte Winkel gehen könnte, verdeutlicht, dass sich nicht nur Objekt- und Eigenschaftsbegriffe, sondern auch Eigenschafts- und Relationsbegriffe überschneiden. In Abschnitt 4.1.3.3 wird gezeigt, dass Parallelität und rechte Winkel Relationen sind, die im Bauspiel von den Kindern immer wieder genutzt und thematisiert werden, freilich ohne dass die Relationsbegriffe parallel zu und senkrecht zu tatsächlich jemals fallen.
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Anna verwendet in ihrer Äußerung den Ausdruck „rund“ (vgl. Transkriptauszüge 4.1.3-E, unten). Anders als bei dem Wort „auseinandergebogen“ handelt es sich bei „rund“ auch formal um einen Eigenschaftsbegriff . Allerdings ist die Form, die Anna, dem Bild nach zu beurteilen, beschreibt, nicht etwa eine im geometrischen Sinne runde Form. Wie kann man erklären, dass diese Form, die eher einem Viereck gleicht, von Anna als „rund“ bezeichnet wird. Die dargestellte Situation geht der in Transkriptauszüge 4.1.3-C (unten) abgebildeten voraus; Anna hat hier bereits das Bauen eines Turms in besagter Rundbauweise im Blick. Es scheint naheliegend, dass sie ihre Form deshalb als „rund“ bezeichnet. Eine andere mögliche Erklärung ist, dass Kindergartenkinder vielfältige Erfahrungen mit dem Bilden von Stuhl- oder Sitzkreisen haben. Die Anordnung der Klötze erinnert deshalb auch an das Aufstellen von Stühlen oder an das Hinlegen von Sitzkissen, mit dem Ziel, eine einigermaßen regelmäßige Form zu bilden, die dann auch als Kreis oder rund bezeichnet wird. Auch wenn also objektiv aus vier Bauklötzen nichts Rundes entstehen kann, kann es doch der Lebenswelt von Kindern entsprechen, dem gebauten Objekt die Eigenschaft rund zuzuschreiben. Es finden sich in den von mir beobachteten Bauspielsituationen keine Äußerungen, in denen die Form des Kreises und die Eigenschaft rund auch in ihrem formal korrekten geometrischen Verständnis von einem Kind genutzt wird. Die Tatsache, dass Kinder sich mit den geometrischen Eigenschaften bestimmter lebensweltbezogener Objekte auseinandersetzen, wurde weiter oben bereits im Zusammenhang mit der Aktivität des Bauens einer Leiter beschrieben. Eine zweite Situation verdeutlicht in meinen Augen auf eindrucksvolle Weise, wie Kinder im Gespräch miteinander darum ringen, die Form von Objekten zu klären und dabei bestimmte Eigenschaften des Objektes in den Vordergrund stellen. Nele: ich bau gerade von vorne das Dach Emma: es geht doch kein (?) Anna: (nimmt das He in die Hand) doch kuck mal da vorne (Fährt mit dem Finger die Giebelkante entlang) Nele: kuck Anna, gell so geht ein Dach (hält ihr Gebautes [L-Förmig] mit der Ecke nach oben in die Lu) Emma: ich mach aber so was (hält ihr Gebautes [U-Förmig) mit der schmalen Seite nach oben) weil des Dach geht ja so (fährt mit ihrer Hand in der Abbildung über die beiden Dachflächen)
Transkriptauszüge 4.1.3-F: Eigenschaftsbegriffe – Dachform
In der dargestellten Situation sind Emma und Nele der Auffassung, dass ihr jeweils Gebautes zu einem Dach passt, das in einem Heft mit Beispielbauwerken aus SEVA-Material abgebildet ist. Beide Kinder nutzen keine Wörter, um die
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von ihnen umgesetzten Eigenschaften der Dachform zum Ausdruck zu bringen. Trotzdem wird deutlich, dass die Kinder bestimmte, von ihnen wahrgenommene Eigenschaften zum Ausdruck bringen wollen. Als Ausdrucksmittel nutzen sie dabei, dass sie ihr Objekt auf eine bestimmte Art und Weise bzw. in einer bestimmten Ausrichtung festhalten und präsentieren. Nele beispielsweise hält die Spitze nach oben, so dass die Form eines Dachgiebels erkennbar wird. Emma hält ihr Objekt schräg nach unten, als ob sie damit die Ausrichtung einer Dachfläche andeuten will. Beide Kinder zeigen außerdem in der Abbildung, welchen Teil des Daches sie jeweils gebaut haben, woran deutlich wird, welche Eigenschaften der Dachform sie in den Blick genommen haben. Neben der Frage, welche Eigenschaften der Form eines Daches die Kinder kennen oder wahrnehmen können, spielt hier sicherlich die Übersetzung einer zweidimensionalen Abbildung in eine dreidimensionale Form eine Rolle. Die Eigenschaften, die die Kinder beim Bauen des Daches berücksichtigen können, hängen deshalb auch davon ab, welche Eigenschaften der Dachform in der Abbildung überhaupt zu erkennen sind und ob die Kinder schon Gelegenheit hatten, ein dreidimensionales Modell eines Daches beispielsweise aus SEVA-Material zu untersuchen.
4.1.3.3 Relationsbegriffe Als Relationsbegriffe werden hier solche Begriffe bezeichnet, durch die geometrische Beziehungen zwischen Objekten oder innerhalb von Objekten ausgedrückt werden sollen. Wie weiter oben schon erwähnt wurde, sind beispielsweise parallel zu und senkrecht zu Relationen, die von den Kindern beim Bauen genutzt werden oder sich wie von selbst ergeben. Bevor an einigen Situationen dargestellt wird, inwiefern sich in den Äußerungen der Kinder Bezüge zu Relationsbegriffen erkennen lassen, ist es interessant, auf die beiden in den Bauspielsituationen überwiegend genutzten Baumaterialien zu schauen. Die Holzbauklötze, die die Kinder verwenden, haben jeweils die Form von Quadern. Rechte Winkel und Parallelität sind demnach Relationen, die bereits in dem Material angelegt sind. Weil ein großer Teil der Bauklötze – beispielsweise die, aus denen der Turm aufgebaut wird – zueinander kongruent sind, liegt es nahe, dass beim Bauen, wenn Klötze in gleichmäßigen Abständen oder bündig angesetzt werden, Bauwerke entstehen, in denen ebenfalls Parallelität und Orthogonalität zu erkennen sind. Am Beispiel der Rundbauweise ist allerdings zu erkennen, dass die Kinder die Steine nicht zwangsläufig senkrecht zueinander anbauen.
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Beim SEVA-Material ist durch die üblichen Steckverbindungen3 vorgegeben, dass zwei Stäbe entweder so aneinandergebaut werden können, dass sie zueinander senkrecht sind oder eine gerade Fortsetzung zum vorhergehenden Stab bilden. Die Stäbe sind zwar in verschiedenen Längen verfügbar, aber auch hier geben die Steckverbindungen vor, dass nur jeweils zwei gleichlange, parallel zueinander angebaute Stäbe durch einen weiteren Stab miteinander verbunden werden können. Beim Bauen mit SEVA-Material ergibt sich deshalb die Gitterstruktur, die schon in den Abbildungen zu den Transkriptauszügen in den vorigen Kapiteln zu sehen ist. Rechte Winkel und parallele Seiten beziehungsweise Kanten sind darin vorherrschend. Oben wurde erläutert, dass rechte Winkel sowohl beim Baumaterial der Holzbauklötze als auch beim SEVA-Material omnipräsent sind. Diese Tatsache wird beim Bauen von den Kindern auch aufgegriffen, wie man an verschiedenen Situationen sehen kann, in denen Ecken entstehen.
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Ausnahme ist in einem Bauwerk, das in Transkriptauszüge 4.1.4 H abgebildet ist, zu erkennen. Es gibt ein Verbindungselement, das es ermöglicht 12 Stäbe strahlenförmig um eine Mitte herum zu befestigen. In den beobachteten Bauspielsituationen kam dies aber nur in diesem einen fertigen Objekt vor und spielte darüber hinaus keine Rolle.
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive … Max: nein falsch (beugt sich über eine Aneinanderreihung mehrerer Klötze und schiebt sie zusammen) das ist vollkommen falsch. Kuck mal da muss man (nimmt einen Klotz und platziert ihn) so und dann so (setzt einen weiteren Stein im rechten Winkel zum vorher gesetzten) und dann so (setzt einen weiteren Stein, wieder im rechten Winkel zum Vorhergehenden, ein Zickzack entsteht) Max: (beugt sich mit Anna zusammen über sein Gebautes) nein so, so Anna: und dann mal wieder geradeaus machen Max: (nimmt weiteren Klotz) und dann (?) geradeaus. jetzt geradeaus Ron: (zeigt auf die Stelle an der, die Leiter die noch zu verbinden ist, und deutet an, wie nun Teile dazwischen zu bauen sind und so ein rechteckiger Kantenverlauf entsteht) brauchen wir aber so des ranmachen damit das hier ran geht. Max: (drückt Rons Hand weg) nein(er hält das Teil, das er vom Boden geholt hat als schräge Verbindung in die Lücke) Ron: (hält einen kurzen grünen Stab an das Gebäude.) Max: (drückt Rons Hand zur Seite.) warte warte ein langes (er beginnt ein weißes Verbindungsstück anzubauen.) Ron: (fasst an das Verbindungsstück, das Max gerade anbaut) ja dann müssen wir das so na bauen (schaut in Richtung Kamera) sonst geht das nicht. gell […] Max: warte (baut den Stab mit dem Verbindungsstück so an die Leiter an, dass er senkrecht zur Seite zeigt, Ron hält währenddessen die Leiter fest) Ron: (zeigt auf das Ende des angebauten Stabes) und wie kann man das dann da ranmachen? wenn da kein Klotz dran ist. Nele (nimmt ihre Stange und schiebt sie in Richtung der auf dem Boden liegenden Stange von Emma, sie legt beide zur Ecke zusammen) sollen wir das so machen? Emma (schiebt ihre Stange weg) nein das ist zu lang. (baut weiter)
Transkriptauszüge 4.1.3-G: Relationsbegriff – senkrecht zu
Das obere Beispiel zeigt, dass Max Klötze so aneinanderstellen will, dass sie eine Ecke bilden, an der sie zueinander senkrecht sind. Es fällt auf, dass ihm in dieser Situation keine sprachlichen Mittel zur Verfügung stehen, um das auszudrücken. Während das Anbauen von Klötzen in einer geraden Reihe – geometrisch könnte man auch sagen im Winkel von 180° – durch den Ausdruck „geradeaus“ beschrieben wird, wird das Anbauen über Eck oder senkrecht zum vorherigen Klotz von Max durch Vormachen und Zeigen dargestellt. In den Abschnitten 4.1.1.2 und 4.1.1.3 sind aber einige Situationen beschrieben, die zeigen, dass manche Kinder in vergleichbaren Situationen dafür analog zu „geradeaus“ Wörter wie „Abbiegung“ oder „abbiegen“ verwenden. Im Hinblick auf die Relation senkrecht zu sind beim Bauen mit SEVA-Material solche Situationen interessant, in denen das Herstellen einer Querverbindung oder einer Verbindung über Eck zum Gegenstand der Auseinandersetzung wird. In den
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beiden in Transkriptauszüge 4.1.3-G dazu abgebildeten Beispielen zeigt sich ähnlich wie bei der Situation mit Holzbauklötzen, dass die Kinder keine Wörter zur Verfügung zu haben scheinen, um diese Relation zu beschreiben. Die Kinder zeigen sehr präzise oder machen genau vor, was sie meinen, sprachlich begleiten sie das durch sehr unspezifische Aussagen, wie „so machen“, „so ranmachen“ oder „so na bauen“. In der Interaktion von Ron und Max ist erkennbar, dass Ron die Struktur, die beim Bauen mit SEVA-Material notwendigerweise eingehalten werden muss, bewusst ist. Während Max eine direkte, schräge Verbindung zwischen dem Leiterholm und dem Bauwerk vorschlägt, berücksichtigt Ron, dass zwei Stäbe an dem Verbindungsteil nur zu Ecken verbunden werden können, wenn sie senkrecht zueinander sind. Ähnlich wie für die Relation senkrecht zu gilt auch für die Relation parallel zu, dass sie sich in den Bauwerken der Kinder schon alleine durch das verwendete Material ergibt. Das bedeutet aber nicht, dass den Kindern die Parallelität dann tatsächlich bewusst ist oder als Thema ihrer Interaktionen zu erkennen wäre. Es sind eher nicht die Situationen, in denen die Parallelität in einem Bauwerk auf den ersten Blick auffällt, bei denen die Äußerungen der Kinder und ihre Handlung einen Bezug zum Relationsbegriff parallel zu aufweisen, sondern Situationen, wie die im Folgenden dargestellten. Ron: (setzt oben mig einen weiteren Klotz) und dann müssen wir da oben noch gla hin bauen (setzt Stein neben den bereits bestehenden Klotzstapel) dann müssen wir da noch einen Turm hin bauen (setzt weiteren Klotz daneben, dann Klotz darauf) Max: (schaut auf Ron) nein die musst du, du musst die gla (macht mit der Hand eine Bewegung, als ob er etwas schiebt) wieder dahin legen. gell. gabelst du die gerade nur auf Ron: (hebt das Gebilde ‚beladene Gabeln‘ vom Boden auf und bewegt es in Richtung Max) mmmmmm
Ron: warte des müssen wir- (Ron und Max ziehen die Leiter aus dem Bauwerk heraus.) Max ausbauen (Max versucht die Leiter zu verbinden) Ron (fasst gemeinsam mit Max an die Leiter) des müssen wir da richg rein die Leiter- (Ron und Max verbinden die Leiter dann mit der rechten oberen Ecke des Bauwerkes) Max richg einbauen Ron (die Leiter hängt nun parallel vor dem Bauwerk) ja.
Transkriptauszüge 4.1.3-H: Relationsbegriff – parallel zu
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In den oberen beiden dargestellten Sequenzen wird mit Holzbauklötzen gebaut. Beiden Situationen ist gemeinsam, dass der Ausdruck „glatt“ genutzt wird. Im ersten der beiden Beispiele soll durch die Aussage „dann müssen wir da oben noch glatt hin bauen“ vermutlich ausgedrückt werden, dass eine zusammenhängende ebene Fläche entstehen soll, zumindest legt das der Kontext nahe, in dessen Verlauf eine solche Fläche entsteht. Parallelität spielt hier insofern eine Rolle, als eine solche „glatte“ Fläche – zum Boden parallele Fläche – nur dann entsteht, wenn ein zweiter Bauklotzstapel mit derselben Höhe wie der schon bestehende direkt daneben gebaut wird. Sowohl Rons Äußerung als auch seine Handlung zeigen, dass das seine Intention ist. Im zweiten Beispiel sagt Max: „Du musst die glatt wieder dahinlegen.“ Auch hier deutet das Wort „glatt“ auf die ebene Fläche hin, die die Bauklötze bilden. Max’ Äußerung enthält außerdem die Aufforderung, die Klötze, so wie sie jetzt auf der Gabel liegen, wieder auf dem Boden abzulegen. Seine Geste, die so verstanden werden kann, dass etwas vorsichtig oder gleichmäßig geschoben werden soll, lässt sich als Andeutung einer Parallelverschiebung interpretieren. Auf dem rechten Bild ist zu erkennen, dass die nebeneinanderliegenden Bauklötze nicht gleichlang sind und auch nicht auf einer Seite bündig liegen, vielmehr ergab sich ihre Anordnung daraus, dass jeder Bauklotz quer über die zwei darunterliegenden Bauklötze, die parallel zueinander angeordnet waren, gelegt wurde, und zwar so, dass er jeweils rechts und links in etwa gleichweit über die Unterkonstruktion hinausragte. Durch das gleichmäßige Ablegen der Bauklötze entstand die Struktur von parallel zueinander liegenden Bauklötzen. Diese Parallelität in der Bauklotzanordnung scheint Max aufzugreifen, wenn er Ron auffordert, die Klötze wieder glatt hinzulegen. Die dritte in Transkriptauszüge 4.1.3-H wiedergegebene Situation aus einem Bauspiel mit SEVA-Material bezieht sich weniger auf das aktive Herstellen von Parallelität, sondern eher auf das Entdecken dieser Relation beziehungsweise deren Notwendigkeit. Max und Ron versuchen, die zunächst schräg durch das Bauwerk gesteckte Leiter oben am Bauwerk zu befestigen. Im Laufe dieses Befestigungsversuches ziehen sie die Leiter aus dem Bauwerk heraus, weil der Stab nur in dem vom Befestigungsteil vorgegebenen Winkel „richtig“ angebracht werden kann. Der senkrecht zur Leiter angebaute Stab verbindet die Leiter am Ende so mit dem Bauwerk, dass die Leiter und das Bauwerk parallel zueinander sind. Im Spielverlauf zeigt sich später, dass diese Parallelität beziehungsweise der damit einhergehende gleiche Abstand von den Kindern wahrgenommen und gewahrt wird. Beispielsweise verbindet Ron die Leiter noch einmal weiter unten mit dem Bauwerk – dort haben die Kinder Platten als Stockwerk eingebaut – und begründet das folgendermaßen: „Aber sonst bleibt sie ja nicht so dicht an zuhause dran.“
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Eine mögliche Interpretation von Rons Äußerung ist, dass er durch eine Befestigung einen unveränderbaren Abstand zwischen Bauwerk und Leiter sicherstellen will. Ein zweiter Befestigungspunkt der Leiter bedeutet gleichzeitig, dass Bauwerk und Leiter über die ganze Länge einen konstanten Abstand aufweisen und damit parallel zueinander sind. Sowohl parallel als auch senkrecht zueinander stehende Objekte würden wir vermutlich umgangssprachlich mit gerade zueinander beschreiben. Der Kategorienname schräg-gerade weist bereits daraufhin, dass beim Bauen der Kinder aber auch schräg eine Bedeutung hat. Es ist schwierig, mit einem eindeutigen geometrischen Relationsbegriff das von den Kindern dabei betrachtete Verhältnis von Objekten zueinander zu beschreiben. In der Beschriftung der folgenden Darstellung (Transkriptauszüge 4.1.3-I) wurden deshalb drei verschiedene Ausdrücke – diagonal zu, im spitzen Winkel zu und schräg zu – genutzt. Max: nein wir stapeln das, (hebt die Leiter wieder auf) nein wir stapeln des in dem (legt die Leiter wieder im Bauwerk ab) Stockwerk. (hält die flache Hand über die Leiter) kuck, da stapeln wir bis (?) (fasst an die beiden Verbindungsstücke links und rechts oberhalb des Leiterablageplatzes) Ron: nein (nimmt die Leiter heraus, hält sie schräg innerhalb des Bauwerkes) wir stapeln des so hoch (setzt sie auf einer Strebe des Bauwerks vorne ab, lehnt sie an einer Strebe hinten schräg an, so dass sie auch nach dem Loslassen stehen bleibt) weil sonst kommen die doch gar nicht da hoch. gell.
Ron: okay. ich leg die mal so hin gell dann können die da hoch. (Ron hat die Leiter auf dem Boden abgestellt und an das Bauwerk angelehnt. Ron: nein wir müss, (fasst an die Leiter) ich weiß, (Nimmt die Leiter und baut die obere Leitersprosse mitsamt den Verbindungsstücken ab.) da muss man das wegtun weil sonst kann man’s ja nicht abbiegen, da muss man (?) (baut ein weißes Verbindungsstück wieder an) ein weißer Knopf muss dran seinMax: (fasst an die Leiter) nein (fährt mit der Hand an einem Stab der oberen Kante des Bauwerkes entlang) kuck mal Ron: sonst kann man das doch nicht hier festmachen. (versucht die Leiter dann schräg oben an dem Bauwerk zu befesgen)
Transkriptauszüge 4.1.3-I: Relationsbegriffe – diagonal zu/ im spitzen Winkel zu/ schräg zu
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Max’ und Rons Interaktion (vgl. Transkriptauszüge 4.1.3-I, oben) wurde bereits unter dem Aspekt Richtung einer Bewegung in Abschnitt 4.1.1.3 betrachtet. Aber auch für das Thema Relationsbegriffe bietet die Interaktion interessante Anhaltspunkte. Max schlägt zunächst vor, etwas zu „stapeln“. Seine Geste und seine Handlung mit dem Objekt deuten darauf hin, dass er mehrere Leitern aufeinanderlegen will. Gleiche Objekte zu stapeln, indem sie passend aufeinandergelegt werden, kann als Auseinandersetzung mit der Relation parallel zu interpretiert werden. Ron greift in seiner Äußerung auch den Begriff „stapeln“ auf. Seine Handlung zeigt aber, dass es ihm um ein schräges Aufstellen der Leiter geht. Das schräge Aufstellen der Leiter wird von den Kindern immer wieder ausprobiert oder angewandt, wie auch die Äußerung von Ron im mittleren Transkriptauszug zeigt. In diesem Fall nutzt er die Wendung „so hinlegen“, womit vielleicht das Anlehnen der Leiter ausgedrückt werden soll. Der Winkel, in dem die Leiter angestellt wird, und damit die Frage nach der geometrischen Relation von Leiter und Bauwerk ergeben sich in beiden Situationen aus der Länge der Leiter und der Höhe der Stäbe im Bauwerk. In der oberen Situation steht die Leiter so in dem Bauwerk, dass die Relation diagonal zu, darin zu erkennen ist (vgl. rechtes Bild). Vermutlich eher zufällig passt sie genau so in einen Quader hinein, der zwei Stäbe hoch, einen breit und einen tief ist, dass sie unten auf der vorderen Kante steht und oben an der hinteren Kante angelehnt ist. Die Länge der Leiter entspricht also in etwa der Länge der Diagonale einer Seitenfläche des Quaders. Wäre die Leiter ein Stück länger oder kürzer gewesen, wäre sie nicht so im Bauwerk stehen geblieben. Etwas anders ist das in der mittleren Situation. Ron lehnt die beiden oberen Ecken der Leiter in der dritten Stabreihe an. Wie groß der Anstellwinkel ist, ergibt sich somit aus der Länge der Leiter, die mit dem unteren Ende auf dem Boden steht. Interessant ist hier vor allem, dass Ron scheinbar ein Gefühl dafür oder Erfahrung damit hat, wo er ungefähr die Leiter anlehnen muss, damit sie stehen bleibt. Durch die Stelle am Bauwerk, an der die Leiter angelehnt wird, ergibt sich ein Anstellwinkel, bei dem die Leiter stabil steht. Vielleicht haben viele Kinder schon gesehen, dass Leitern auf Spielplätzen schräg zur Rutsche hochführen oder dass Leitern schräg an Bäume oder Häuser angestellt werden. Welcher Anstellwinkel geeignet ist und welcher nicht, könnte, wie das Beispiel zeigt, beim Spielen erfahren werden. Es könnte aber auch sein, dass die Kinder vorwiegend auf Längen beziehungsweise Abstände achten, wenn sie Teile ausrichten und anbauen, und dass die Kinder gar nicht berücksichtigen, wie schräg oder in welchem Winkel die Leiter angestellt ist. Ähnliches könnte auch gelten, wenn Objekte parallel zueinander angeordnet werden. In diesem Zusammenhang kommt Abschnitt 4.1.5 besondere Bedeutung zu, darin wird beschrieben, welche
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Rolle Längen und Längenvergleiche in der Sprache und den Bauhandlungen der Kinder spielen. In der dritten Situation ergibt sich der Winkel, in dem die Leiter angebaut werden soll, interessanterweise nicht durch die Länge der Leiter. Die Leiter wird von Ron schräg an das Bauwerk gehalten, ohne dass ersichtlich ist, warum genau in diesem Winkel. Bevor die Kinder im weiteren Verlauf der Situation erkennen, dass das Material ein schräges Anbauen gar nicht ermöglicht, versuchen sie genau das. Das Bilden einer Ecke zwischen Leiterholm und Strebe in dem durch das Anhalten der Leiter vorgegebenen Winkel wird von Ron mit dem Wort „abbiegen“ beschrieben. Ein Ausdruck, der, wie weiter oben dargestellt wurde, auch in anderen Situationen von den Kindern genutzt wird. Hatte man in diesen Situationen den Eindruck, damit würde insbesondere die Relation senkrecht zu ausgedrückt, wird durch das schräge Anhalten der Leiter erkennbar, dass damit auch allgemein das Herstellen einer Ecke mit einem beliebigen Winkel gemeint sein könnte. Nicht immer wird die Relation schräg zu beziehungsweise in einem bestimmten Winkel zu erst dann besprochen, wenn ein Objekt dementsprechend angehalten oder aufgestellt wird, wie das in den drei oben beschriebenen Situationen der Fall ist. Es findet sich mit der Situation, die in Abschnitt 4.1.2.2 und in Transkriptauszüge 4.1.2-E unten dargestellt wurde, auch ein Beispiel dafür, das vermuten lässt, dass diese Relation bereits beim Bauen eines Objektes vorausgedacht wird. Ron beschreibt in dieser Situation, dass er „ein Stück was Berg hoch“ baut. Seine Bautätigkeit entspricht dabei der des Zusammensteckens einer Leiter. Die Formulierung „Berg hochbauen“ lässt sich als Assoziation für ein Objekt, aus dem eine schräge Verbindung im Bauwerk werden soll, verstehen. Man kann deshalb annehmen, dass sich Ron schon vor oder während des Zusammensteckens des Objektes vorstellt, in welcher geometrischen Relation zu der im Bauwerk vorhandenen Gitterstruktur aus parallel und senkrecht zueinanderstehenden Stäben sein Objekt später stehen wird.
4.1.3.4 Zusammenfassung Die in den Abschnitten 4.1.3.1 bis 4.1.3.3 erläuterten geometrischen Begriffe und die Ausdrücke der Kinder sollen im Folgenden in eine Systematik gebracht und zusammengefasst werden. Die Transkriptauszüge und deren Deutungen haben gezeigt, dass Objektbegriffe, Eigenschaftsbegriffe und Relationsbegriffe in den Äußerungen der Kinder nur selten trennscharf sind. In Tabelle 4.3 wird das berücksichtigt, indem die Ausdrücke und Handlungen der Kinder in der Mitte stehen und ausgehend davon dargestellt wird, zu welchen geometrischen Begriffen Verbindungen gesehen werden. Dabei werden in der linken Spalte der Tabelle
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Objekt- und Eigenschaftsbegriffe aufgelistet und in der rechten Spalte der Tabelle Relationsbegriffe. So ist es möglich zu veranschaulichen, dass Handlungen und Ausdrücke der Kinder sowohl einen Bezug zu Objekt- oder Eigenschaftsbegriffen als auch zu Relationsbegriffen haben können. Einige der Begriffe in Tabelle 4.3 sind fettgedruckt. Das sind solche Begriffe, die in den Äußerungen der Kinder und in der formalen Sprache der Geometrie vorkommen. Die Verwendung dieser Begriffe erfolgt nicht immer im geometrisch korrekten Verständnis, sondern sie werden teilweise auch als lebensweltbezogene Begriffe genutzt. Aus den in diesem Kapitel ausgeführten und in der Tabelle zusammengefassten Alltagsbegriffen, die die Kinder verwenden, entspringen sehr spannende Fragen nach deren Bedeutung für die geometrische Begriffsentwicklung. Wie hängt beispielsweise die in Verbindung mit dem Bau des Turms angesprochene lebensweltbezogene Bedeutung von „Kreis“ und „rund“ mit der Entwicklung des formalen geometrischen Objektbegriffes Kreis zusammen? Auch die Frage, wie die im Spiel mit Baumaterialien erkennbare und sich teilweise aus dem Material ergebende Präferenz für regelmäßige Formen – häufig sind das Quadrat, Rechteck und Quader, beim Turmbau können es aber auch andere regelmäßige Polygone sein – die Entwicklung geometrischer Begriffe prägt, halte ich für sehr interessant. Die beiden Fragen können hier nicht beantwortet werden. Allerdings zeigt sich beispielsweise daran, dass die Kinder bei der Herstellung der ersten Turmreihe auf die regelmäßige Anordnung der fünf Klötze achten, welche Erfahrungen Kinder im Bauspiel im Hinblick auf die Eigenschaften bestimmter (geometrischer) Formen sammeln und im Sinne eines Vorwissens nutzen. Gleichzeitig scheint es so zu sein, dass diese Erfahrungen noch wenig oder kaum mit formalen Begriffen verknüpft sind. Möglicherweise besteht eine zentrale Entwicklungsaufgabe darin, die formalen geometrischen Begriffe mit den lebensweltbezogen Begriffen und mit den Erfahrungen aus Spielsituationen in Einklang zu bringen.
4.1.4
Die Kategorie befestigt-unbefestigt
Während des Bauens beschäftigen sich die Kinder immer wieder damit, dass Bauteile zusammenhalten oder aneinander befestigt sein sollen. Das Aneinanderbefestigen von Bauteilen ist ein ganz eigenes Thema beim Bauen mit SEVA-Material, da dort Stäbe, Platten und Verbindungselemente aneinandergesteckt werden müssen. Die Äußerungen von Kindern, die mit der Kategorie befestigt-unbefestigt codiert wurden, lassen drei Themen erkennen. Zum einen spielt die Stabilität von Bauwerken oder von Verbindungen zwischen Bauteilen
rund Viereck Stäbe Leiter Außenteile Gabel(latten) Turm glatt (hinbauen/hinlegen)
(Dach)Fläche viereckig fünfeckig
Vierecke Linie
Vierecke Linien/Kanten Linien
Quader
Fläche
Kreisbogen
Ecke, Kante, Linie
Linie
Ecke, Kante Ecke
(Haus)Dach
Spitze, Ecke, Dreieck
Kran Kurve
hoch stapeln, hinlegen Berg hoch bauen abbiegen abbiegen rüber biegen Abbiegung Bogen geradeaus
stapeln
lebensweltbezogene Ausdrücke Pfeil
Objekt-/Eigenschaftsbegriffe Spitze, Ecke, Dreieck
Tabelle 4.3 Systematik zur Kategorie schräg – gerade
Klötze in einer geraden Linie aneinanderstellen zeigen wie mit Stäben in einem Objekt eine Verbindung entsteht Kran-Objekt zeigen Eisenbahn bauen, bzw. Streckenverlauf zeigen
etwas schräg anhalten etwas zu einer Ecke zusammenlegen/ etwas um die Ecke bauen
Handlungen der Kinder aus Klötzen wird die Form eines Pfeils hergestellt in einer Abbildung die Giebelkanten nachfahren Objekt zeigen Bauklötze werden (gleichmäßig) für die untere Reihe eines Turms angeordnet aus SEVA-Material soll ein Objekt entsprechend der Abbildung entstehen aus SEVA-Material wird eine Leiter zusammengesteckt zwei Bauklötze werden parallel zueinander auf den Boden gelegt Klötze werden übereinander gestapelt durch das Nebeneinanderlegen/ -bauen von Bauklötzen entsteht eine ebene Fläche zeigen, dass etwas übereinandergestapelt wird etwas schräg anlehnen
senkrecht zu gekrümmt
senkrecht zu, im …Winkel zu
gerade, im 180° Winkel zu
senkrecht zu, im rechten Winkel zu
schräg zu, im …Winkel zu
parallel zu
parallel zu
parallel zu
parallel zu parallel zu
schräg, im …Winkel zu
Relationsbegriffe
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen 339
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
eine Rolle, zum anderen befassen sich die Kinder mit der Technik des Aneinanderbauens, auch ohne dass direkt die Stabilität der Bauwerke oder der Verbindungen angesprochen wird. Das dritte Thema lässt sich mit dem Begriff Drehbarkeit beschreiben. Dabei spielt eine Rolle, dass das SEVA-Material Räder und spezielle Verbindungsstücke enthält, mit denen sich die Räder so befestigen lassen, dass sie sich drehen können. Insofern kann die Drehbarkeit als ein Unterpunkt der Kategorie befestigt-unbefestigt angesehen werden, obwohl nicht immer, wenn sich die Kinder damit befassen, ob sich etwas dreht oder rollt, die Befestigung des drehbaren Objektes als Thema erkennbar ist, wie auch in Abschnitt 4.1.4.2 deutlich wird. Aus einer im engeren Sinne mathematikdidaktischen Perspektive lassen sich die Aspekte Stabilität und Bautechnik nicht direkt mathematischen Inhalten oder Lernfeldern zuordnen. Während beim Bauen mit Bauklötzen noch eine Deutung in Anlehnung an Uhl und Stoevesandt in Frage kommt, wie in Abschnitt 4.1.4.1 gezeigt wird, findet sich für das Bauen mit SEVA-Material kein entsprechender Hintergrund. Allerdings sind viele der Situationen, die der Kategorie befestigt-unbefestigt zuzurechnen sind, gleichzeitig einer der Kategorien falschrum-richtigrum, offen-geschlossen oder schräg-gerade zugeordnet, die, wie in Abschnitt 4.1.1, 4.1.2 und 4.1.3 dargestellt wurde, jeweils Verbindungen zu mathematischen Inhalten und zur Mathematikdidaktik aufweisen. Deshalb wird es im Hinblick auf die Punkte Stabilität und Bautechnik auch darum gehen, anhand einiger Transkriptauszüge nachvollziehbar zu machen, wo sich Zusammenhänge zu den Aspekten von falschrum-richtigrum, offen-geschlossen sowie schräg-gerade erkennen lassen. Hinsichtlich der Drehbarkeit ist es darüber hinaus interessant, in den Blick zu nehmen, inwiefern sich Verbindungen zur geometrischen Abbildung Drehung oder zum Aspekt der (Dreh-)Symmetrie aufdecken lassen.
4.1.4.1 Stabilität und Bautechnik In Abschnitt 3.3.3 habe ich beschrieben, dass die Entwicklung der Kategorien ausgehend von einem Video, welches die Kinder beim Bauen mit SEVA-Material zeigt, erfolgte. Im Hinblick auf den Namen dieser Kategorie und die kurze Beschreibung oben könnte man annehmen, dass befestigt-unbefestigt ausschließlich beim Bauen mit SEVA-Material eine Rolle spielt. Die in Abschnitt 2.1.3.1 und 2.1.3.3 dargestellten Überlegungen von Uhl und Stoevesandt (1961/1991) und Stoevesandt (1979) bieten aber durchaus Anhaltspunkte dafür, dass man die Stabilität sowie die Technik des (Aneinander-)Bauens auch als bedeutende Gesichtspunkte beim Bauen mit Bauklötzen ansehen kann. Als Beispiele werden dort unter anderem das Bauen einer stabilen Mauer, das Bauen von Ecken – im
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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Sinne einer Verbindung von zwei Wänden – sowie das Bauen von Rundbauten beschrieben. Dabei wird jeweils eine bestimmte Technik, wie Bauklötze durch versetztes Bauen miteinander verbunden werden sollen, als von den Kindern zu lernende Art des Bauens in den Blick gerückt. Diesen Bautechniken schreiben die Autorinnen zu, dass sie zu stabilen Bauwerken führen. Auch im Hinblick auf die Analyse der Bauspielsituationen in der vorliegenden Studie ist diese Darstellung interessant, weil sie die spannende Frage aufwirft, inwiefern und ob sich in den Äußerungen der Kinder beim Bauen mit Bauklötzen erkennen lässt, dass sie einerseits die genannten Bautechniken und andererseits die damit einhergehende Stabilität von Bauwerken aufgreifen. Luca: (baut einen Turm in Rundbauweise schaut auf Deborah) mein Turm fällt nie um nur deiner, dein Turm ist (dünner?) als meiner. (wendet sich ab, schaut zu anderen Kindern) Emma: (schaut auf den einstürzenden Turm) äh Mist. Anna: Mist, wer ist (?) drangestoßen? (schaut zu Emma) Max: das war die Anna ich habe es gesehen. Anna: (steht auf dem Stuhl und sieht von dort zu Max) nein […] Ron: (schaut in den stehen gebliebenen Rest des Turmes von oben hinein) nein, die Klötze sind da reingefallen Max: (folgt Max Blick in den Turm) ja […] Ron: nämlich so von der Wand (drückt Klötze von der Wand ins Turminnere) immer so rein und dann ist er eingekracht. (Weitere Klötze werden von der Wand in den Turm gedrückt, bis schließlich auch der restliche Turm einstürzt.) Max: kuck mal ich bau nen Turm Ron: (schaut und spricht in Richtung Kamera) wir brauchen halt jetzt nen Legoturm Max: (?) weil der kann net innen rein plumpsen. Anna: ’nen Legoturm bauen? Max: dauert zu lange Ron: weil aus diesen hebt der Turm nicht (nimmt einen Holzbauklotz vom Boden auf, zeigt ihn)
Transkriptauszüge 4.1.4-A: Stabilität beim Bauen mit Holzbauklötzen
In Transkriptauszüge 4.1.4-A sind drei Situationen dargestellt, in denen die Stabilität von Türmen aus Holzbauklötzen von den Kindern angesprochen wird, wobei die Auseinandersetzung der Kinder jeweils im Kontext von eingestürzten Türmen steht. In der obersten der drei dargestellten Situationen stellt Luca, als
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Deborahs Turm umfällt, fest, dass sein Turm nie umfällt. Luca selbst baut seinen Turm in Rundbauweise, Deborah hingegen stapelt Bauklötze aufeinander, wobei der folgende Bauklotz immer um 90° gedreht zum vorhergehenden aufgelegt wird. Während Lucas Turm nur sehr langsam höher wird und zum Zeitpunkt seiner Aussage auch erst einige Bauklotzreihen hoch ist, wächst Deborahs Turm schneller in die Höhe. Interessant ist, dass Luca hier sagt: „Dein Turm ist dünner.“ Man kann also annehmen, dass für ihn die Dicke eines Turms ein Faktor für seine Stabilität ist. Die unterschiedlichen Bautechniken spricht Luca nicht direkt an und befasst sich auch nicht damit, dass sein Turm ja noch gar nicht dieselbe Höhe erreicht hat wie Deborahs Turm, als dieser umfällt. Vielleicht ist er sich sicher, dass die von ihm gewählte Bautechnik dazu führt, dass sein Turm auch, wenn er höher wird, stabil bleibt. Die Erfahrung, dass ein Turm, der in Rundbauweise gebaut wurde, durchaus einstürzen kann, machen Emma, Anna, Ron und Max, wie der mittlere der drei Transkriptauszüge zeigt. Es wird deutlich, dass Anna und auch Max zunächst von der naheliegenden und vermutlich aus vielen Bauspielsituationen schon bekannten Begründung ausgehen, dass der Turm eingestürzt ist, weil jemand daran gestoßen ist. Ron zieht in Erwägung, dass ein anderer Grund in Frage kommt, nämlich das Hereinfallen von Klötzen in den Turm. Wie er das meint, demonstriert er dann, indem er Klötze des stehengebliebenen Turmrestes in das Turminnere drückt. Andere Kinder beteiligen sich an diesem Experiment, bis nach einiger Zeit der restliche Turm einstürzt. Die Situation ist besonders deshalb spannend, weil darin eine Verbindung zu Überlegungen von Uhl und Stoevesandt (1961/1991) zu erkennen ist. Diese beschreiben, dass das Herauslösen einzelner Steine bei einem Rundbau nur bei sehr großer Sorgfalt gelingt und nur wenige Steine überhaupt entbehrlich sind (vgl. Uhl und Stoevesandt 1961/1991, 42). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ein Rundbau bald einstürzt, wenn Steine entfernt oder wie in der beschriebenen Situation nach innen gedrückt werden. Ron hat diesen Zusammenhang möglicherweise schon früher erlebt und weiß nun darüber Bescheid. Es ist in der Situation allerdings unklar, ob die Steine, die Ron im Inneren des Turms sieht, tatsächlich auf die von ihm unterstellte Weise dort hingelangt sind oder ob sie erst beim Umfallen des Turms hineingefallen sind oder ob es sich dabei eventuell sogar um Steine handelt, die zu einem früheren Zeitpunkt des Bauspiels von den Kindern von oben in den Turm geworfen wurden. Trotz dieser Unklarheiten scheint für die anderen Kinder die Erklärung und das Experiment plausibel zu sein. Jedenfalls bezieht sich Max in einer späteren Situation darauf, wie die untere der drei Situationen in Transkriptauszüge 4.1.4-A zeigt. Max beginnt hier mit dem Bau eines Turmes, wobei er immer zwei Klötze nebeneinanderlegt und zwei weitere quer darüber stapelt. Dazu stellt er fest, dass
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bei dieser Bautechnik kein Stein innen reinfallen kann. In derselben Situation ist auch interessant, was Ron äußert. Er bezieht sich nicht auf Max’ neuen Turmbau, sondern versucht die anderen – hier vermutlich auch die Fachkraft hinter der Kamera – davon zu überzeugen, dass er Lego als Baumaterial benötigt. „Weil aus diesen [Holzbauklötzen] hebt der Turm nicht“, ist dazu seine Begründung. Beide Kinder haben also unterschiedliche Ideen davon, wie man zu einem besseren oder höheren Turm kommt. Max würde die Bautechnik ändern und Ron das Baumaterial. Mit dem Wechsel des Baumaterials ginge in diesem Fall logischerweise auch eine dem Material entsprechende Bautechnik einher, ein Rundbau käme nicht in Frage. Dies wird allerdings von Ron nicht weiter thematisiert. In der beschriebenen Situation entscheiden sich die Kinder gegen einen weiteren Turmbauversuch. Bei dem Maislabyrinth, das sie dann bauen, spielt die Stabilität des Bauwerks keine entscheidende Rolle mehr, dafür lässt sich ein Bezug zu einer weiteren von Uhl und Stoevesandt (1961/1991) beschriebenen Bautechnik zeigen. Anna: (fasst an den hintersten Klotz der ‚Schlange‘) jetzt stolpert der weil der was in der Hose hat. okay? (schaut zu Max und gibt dann dem Klotz einen Stoß, schaut, wie die Klötze nach dem Dominoeffekt umfallen) ahahahah Max (beobachtet Anna und das Umfallen) und jetzt wär einer umgeplumpst, weil er so dringend Pipi muss, (kippt zwei Klötze aus der Reihe zur Seite um) die zwei wären nochAnna (stößt einen weiteren Teil der ‚Schlange‘ um) nein alle Max (kippt einen Teil der ‚Schlange‘ um) ja
Transkriptauszüge 4.1.4-B: Bautechnik beim Bauen mit Holzbauklötzen
Max und Anna befassen sich mit dem Dominoeffekt. Uhl und Stoevesandt (1961/1991) sehen darin eine eigene Technik beim Bauen, die sie als „Krähenschießen“ bezeichnen (vgl. Abschnitt 2.1.3.1). Allerdings war dies in der oben veranschaulichten Situation wohl noch kein Thema für die Kinder, als sie ihr Bauwerk erstellt haben, vielmehr ergab es sich, wie die Unterhaltung der Kinder zeigt, erst im Spiel mit dem Bauwerk und soll damit möglicherweise auch gerechtfertigt werden. Dabei könnte durchaus eine Rolle spielen, dass die Anordnung der Klötze die Kinder an Situationen erinnert hat, in denen sie früher dieses Krähenschießen oder Dominospiel durchgeführt haben. Im Bild sieht man gut, dass die Klötze nicht durchgehend so aufgebaut sind, dass sie alle der Reihe nach umfallen können, teilweise sind die Abstände zu eng, teilweise ist der Kurvenradius nicht geeignet. Aus der Interaktion der Kinder geht hier aber nicht hervor, dass das für sie ein Thema ist. Insgesamt lassen sich beim Bauen mit Holzbauklötzen nur wenige Situationen finden, in denen die Bautechnik direkt zur Sprache gebracht wird. So sprechen die
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Kinder, wenn sie Türme bauen, eher über die Höhe und die Dicke eines Turms, die durchaus im Zusammenhang mit der Stabilität des Turmes stehen können, als über die von ihnen für die Herstellung des Turms gewählte Rundbauweise, wie oben (vgl. Transkriptauszüge 4.1.4-A) gezeigt wurde. Die Äußerungen der Kinder zur Höhe und Dicke werden auch noch in Abschnitt 4.1.5 im Zusammenhang mit der Kategorie groß-klein dargestellt. Während die Bautechnik beim Bauen mit Holzbauklötzen von den Kindern also eher selten angesprochen wird, finden sich beim Bauen mit SEVA-Material häufiger Situationen in denen die Lösung von technischen Problemen, wie das Zusammenfügen oder Befestigen von Bauteilen beziehungsweise die Haltbarkeit von Bauwerken, thematisiert werden. Ron: (hält ein weißes Verbindungsstück in der Hand und schaut auf Max, kniet sich neben Max) ich muss es befesgen, aber sonst kann die doch gar nicht heben, Bie ... und außerdem hae ich die Idee Max: (ist weiter damit beschäigt das blaue Teil anzubauen) die hebt ganz ... die hebt ganz gut (nimmt die Hände zusammen mit dem Bauteil von der Leiter weg und gibt so den Blick darauf frei) kuck mal, hebt doch. Ron: (hält die Leiter mit beiden Händen fest) das hebt nicht muss ich noch halten. bau- (zeigt auf das untere Ende der Leiter) Max: (schaut auf Max) da müssenRon: mal da ganz runter (zeigt die Lücke bis zum Boden) dann hebts. gell? Max: dann müssen wir ganz runter bauen.
Transkriptauszüge 4.1.4-C: Stabilität beim Bauen mit SEVA-Material
Beiden Situationen ist gemeinsam, dass es darum geht, wie ein stabiler Halt der Leiter am oder im Bauwerk erreicht werden kann. In der oberen der beiden dargestellten Situationen ist eine Auseinandersetzung zwischen Ron und Max zu erkennen, die sich darum dreht, ob die Leiter befestigt werden soll oder auch ohne Befestigung hält. Die Verwendung der Ausdrücke „befestigen“ und „heben“ weist klar auf die Kategorie befestigt-unbefestigt und den Aspekt der Stabilität hin. Weniger offensichtlich ist in der Situation, inwiefern sie aus einer mathematikdidaktischen Perspektive interessant ist, auch weil sich in den sprachlichen Äußerungen der Kinder kein Bezug zu einer der anderen bisher beschriebenen Kategorien finden lässt. Allerdings ist zu erkennen, dass die schräge Ausrichtung der Leiter von Max, so wie sie auf dem Bild zu sehen ist, absichtsvoll hergestellt wurde. Eine Verbindung zwischen dem Aspekt Stabilität und der Kategorie schräg-gerade ist hier deshalb naheliegend. Der Zusammenhang zwischen Form und Stabilität ist in der unteren Situation noch offensichtlicher und wird dort auch von den Kindern sprachlich ausgedrückt.
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Das Gespräch von Ron und Max darüber, dass die Leiter ganz runter gebaut werden soll, damit sie hebt, weist Bezüge zu gleich mehreren weiteren Kategorien auf. Die Kinder verwenden den Ausdruck „runter bauen“, der auf die Kategorie falschrum-richtigrum hinweist. In Abschnitt 4.1.1.3 wurde auf die Besonderheiten des Ausdrucks „runter bauen“ bereits ausführlich eingegangen. Auch das Thema Schließen einer Lücke oder Herstellen einer Verbindung, in diesem Fall zwischen Leiterende und Boden, ist in der Situation erkennbar. Weitere Ausführungen zu diesem Aspekt finden sich in Abschnitt 4.1.2.2 im Zusammenhang mit den Erläuterungen zur Kategorie offen-geschlossen. Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass Max und Ron damit auch auf den Abstand zwischen Boden und Leiter hinweisen, was sich im weiteren Verlauf bestätigt. Die beiden testen später nämlich immer wieder, ob die Leiter nun lang genug ist und beschreiben jeweils, um wie viel die Leiter verlängert werden soll. Ein Aspekt, der im Zusammenhang mit der Kategorie groß-klein von besonderem Interesse ist, und deshalb in Abschnitt 4.1.5 dargestellt wird. Das Thema Stabilität beschränkt sich in den Interaktionen der Kinder also nicht nur auf Feststellungen darüber, dass etwas (nicht) stabil ist – die gibt es durchaus auch –, sondern umfasst ebenso Auseinandersetzungen darüber, wie Stabilität hergestellt werden kann. Dabei zeigen sich, wie am vorigen Beispiel erläutert wurde, vielfältige Bezüge zu weiteren Inhalts-Kategorien, was nahelegt, dass beim Thema Stabilität verschiedene mathematische Zusammenhänge genutzt und erfahren werden können. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn es um die Bautechnik beim Zusammenbauen von Bauwerken aus SEVA-Material geht. Auch dort finden sich, wie erwartet, einige Situationen, in denen die Kinder vor allem besprechen, dass man die Bauteile „fest zusammendrücken“ muss oder dass Bauteile „reingeknipst“ oder „eingehakt“ werden. Darüber hinaus werden aber unterschiedlich komplexe Zusammenhänge, die beim Bauen berücksichtigt werden müssen, von den Kindern erkannt und erläutert. Dabei zeigen sich wiederum Verbindungen mit anderen schon beschriebenen mathematischen Inhalten. Beispielsweise wird mit der Formulierung „in die Mitte einhaken“ die Beschreibung der Befestigungstechnik durch eine Ortsangabe ergänzt. Der damit in Beziehung stehende Aspekt Lokalisieren von Objekten wurde in Abschnitt 4.1.1.1 ausgeführt. Als weiteres Beispiel sei auf die in Transkriptauszüge 4.1.3-G in der Mitte dargestellte Situation verwiesen. Durch das Anbauen von zwei Stäben wird eine Ecke zwischen diesen gebildet, im Gespräch der Kinder geht es auch darum, dass diese Stäbe dann durch einen weißen Klotz verbunden werden müssen. Die Technik, dass zwei Stäbe immer durch einen Klotz miteinander verbunden werden (müssen), scheint den beiden beteiligten Kindern demnach bewusst zu sein. Dabei zeigt sich in besagter Situation, dass Ron verstanden hat, dass eine Verbindung von
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zwei Stäben zu einer Ecke nur möglich ist, wenn diese rechtwinklig angeordnet werden. Die im Folgenden dargestellten Situationen (Transkriptauszüge 4.1.4-D) zeigen, dass die Struktur Stab – Klotz – Stab – Klotz –… die Kinder immer wieder beschäftigt. Außerdem zeigt sich darin, dass die Kinder auch bestimmte Voraussetzungen für das Einbauen von Platten (er)kennen. Anna: (hält eine durch Stäbe umrundete Plae Kante an Kante mit einer anderen durch Stäbe umrundetet Plae, dreht sich damit zu Emma um) wie könnt ich das jetzt anbauen? Emma: (sehr leise) weiß ich auch nicht (?) Anna: wie könnt ich das nur anbauen? Emma: (nimmt ihr Objekt hoch, fast an eine zwischen zwei Verbindungsstücken eingebauten Stab) oh wieso hab ich das nur angebaut, diese Stange. uijuijui (baut die Stange wieder aus) jetzt haben beide was falsch gemacht. gell. (legt das Objekt auf dem Boden ab) Anna: ja wie soll ich das jetzt ansetzen? (schiebt die beiden Plaen-Objekte nebeneinander) Ron: (zeigt auf den Bereich neben der Plae) und jetzt da noch eine hin Max: (setzt den Stab nun im mileren Bereich des ‚Stockwerks‘ ein) (hebe hin?) des muss da nochRon: (beugt sich mit einer Plae in der Hand seitlich um das Bauwerk herum) da muss dann auch eine Plae hin. […] Max: (befesgt den gerade eingesetzten Stab) und deshalb muss das dahin. damit wir die Plae einbauen, ein, können und dann können sie von dem Stockwerk Max: (versucht, eine kleine Plae zwischen Leiter und Bauwerk zu befesgen) Ron: (schaut auf Max) des bringt nix. Max: Werkzeug (?) Ron: (schaut genau auf den Plaenbefesgungsversuch von Max) die geht nicht. (zeigt auf das Befesgungshindernis schwarzes Verbindungsstück) kuck weil da so ein schwarzes, (Max nimmt die Plae weg.) aber dann brauchen wir solche kleinen (wendet sich ab, holt eine andere kleinere Plae) die gehen. (baut die Plae ein)
Transkriptauszüge 4.1.4-D: Die Bautechnik beim Bauen mit SEVA-Material
Im ersten Beispiel sucht Anna nach einer Lösung, um die zwei von ihr gebauten Teile zu verbinden. Es gelingt ihr aber nicht, weil sie möglicherweise bisher noch keine Erfahrungen dazu gesammelt hat, dass Stäbe nicht an ihren langen Seiten aneinandergesteckt werden können. Die Lösung für ihr Problem bestünde darin, an einem der beiden Objekte den oberen Stab und die beiden Klötze an den Ecken abzubauen, dann ließen sich die beiden Teile verbinden. Faszinierend
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an der Situation ist, dass Emma sagt, sie wisse nicht, was Anna machen kann, um ihr Problem zu lösen, und dann in der Folge an ihrem Objekt selbst den Stab oben wieder abbaut. Es wirkt fast so, als hätte sie durch Annas Problem erkannt, dass sie gerade dabei ist, einen Fehler zu machen, vielleicht sogar einen ähnlichen Fehler wie Anna. In den beiden weiteren Beispielen ist es nicht mehr nur die Verbindung von Stäben und Klötzen, sondern der Zusammenhang von Stäben, Klötzen und Platten, mit dem sich Max und Ron auseinandersetzen. Max erläutert, wo er einen Stab einbaut und dass dieser die Voraussetzung dafür ist, dass eine Platte eingefügt werden kann. Er scheint davon auszugehen, dass eine Platte auf eine bestimmte Art und Weise – vielleicht mindestens auf drei Seiten – von Stäben gehalten oder auf diesen aufliegen muss. Ob das grundsätzlich gilt, lässt sich hier nicht nachvollziehen. Eine etwas andere Regel verdeutlicht Ron (vgl. unteres Beispiel). Max versucht hier eine rechteckige Platte über die ganze Breite der Lücke einzubauen, die gleiche Platte wurde bereits in der hinteren Hälfte der Lücke eingebaut. Ron erklärt daraufhin, dass die Platte nicht an diese Stelle passt, weil sie in der Mitte nicht über ein Verbindungsteil (oben auch als Klotz bezeichnet) hinweg passt. Die Vorgabe, die sich darin zeigt und zu berücksichtigen ist, ist demnach, dass nur an den Plattenecken Klötze sein können und die Plattenseiten auf Stäben aufliegen sollen. Rons Äußerung zeigt außerdem, dass er hier erkennt, wie das Problem zu lösen ist. Zwei kleine Platten können anstelle einer großen Platte verwendet werden. Zusätzlich zum Kennen der beschriebenen Technik setzt das voraus, dass Ron die unterschiedlichen Größen der Platten erkennt. Die Situation passt deshalb auch zur Kategorie groß-klein und wird in Abschnitt 4.1.5.2 noch aus dieser Perspektive betrachtet. Das gemeinsame Bauen mit SEVA-Material bringt, wie auch oben zu erkennen ist, immer wieder Situationen hervor, in der aus mehreren Teilbauten ein Objekt entstehen soll.
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive … Max: (kommt mit seinem Leiterstück zu Ron, der hält ihm die Leiter hin, Max hält sein Teil mit den Leiterholmen an die Leiterholme von Rons Leiter) Ron: (fasst an Max Teil) nicht so. Max: (hält sein Teil fest, dreht sich weg, schaut sein Teil an, dreht sich wieder um und hält das nun herumgedrehte Teil an) da braucht man ein weißes Stück. (Ron und Max stecken das Teil gemeinsam an.)
Ron: (hält die Leiter zwischen sich und Max, deutet auf das zu Max zeigende Leiterende) das muss da dran. gell. Max: neiein. (widmet sich wieder den Teilen in seiner Hand und baut sie aneinander) Ron: (dreht sich zum Bauwerk um) aber sonst können die doch gar nicht da hoch Max: (schaut zu Ron) doch die bauen die Leiter zusammen du Fatz. Ron: alle Leitern? Max: ja. (lehnt neben der Kiste am Regal, schaut in Richtung Ron und Bauwerk, baut Teile aneinander) Emma: ja und die großen Stangen? Max: was? Emma: (zeigt auf Annas Bauwerk) diese großen Stangen ... aber die kann ich aus den kleinen machen.
Transkriptauszüge 4.1.4-E: Bautechnik – Verlängern
In der oberen Situation dreht sich das Gespräch von Max und Ron um die zuvor schon beschriebene Struktur, in der Stäbe und Klötze aufeinander folgen (müssen). Das bedeutet hier: Max muss sein Leiterstück umdrehen, damit es mit dem Leiterstück von Ron verbunden werden kann. Nicht explizit angesprochen wird von den Kindern, warum sie ihre Leiterstücke aneinanderfügen wollen, man kann aber annehmen, dass die Idee des Verlängerns dabei eine Rolle spielt. Im Kontext des Themas Verlängern einer Leiter steht auch die mittlere Situation, dort wird die Möglichkeit, aus mehreren kurzen Leitern eine große Leiter zusammenzusetzen von Max erwähnt. Die konkrete Bautechnik spielt dabei keine Rolle, da das Zusammenbauen mehrerer Leitern nicht in dieser Situation ausgeführt wird. Die Aussage „die bauen die Leiter zusammen“ deutet daraufhin, dass Max dies eher als Möglichkeit für das weitere Fantasiespiel mit dem Material sieht. Auch die untere Situation entspricht der Idee, dass aus mehreren kleinen Teilen ein größeres Teil wird. In diesem Fall geht es allerdings nicht um das Zusammenbauen von mehreren Teilbauten, sondern der Fokus liegt stärker auf den einzelnen Bauteilen des Materials. Die Aussage von Emma „diese großen Stangen, die kann ich aus den kleinen machen“ weist auch darauf hin, dass die Größenverhältnisse der Bauteile in den Blick genommen werden. Das ist etwas, was im Kontext der Kategorie groß-klein noch von weiterem Interesse ist.
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4.1.4.2 Drehbarkeit Zum SEVA-Material, das den Kindern zur Verfügung steht, gehören auch Räder sowie Verbindungsteile, die ein Anbauen dieser Räder möglich machen, so dass sie sich schließlich auch drehen können. Es überrascht deshalb nicht, dass die Verwendung der Räder sowie deren Funktion immer wieder ein Thema für die Kinder ist. Max: (rollt das Objekt auf dem Rad über den Boden) (Einrad?) und vorher deins so war (baut das Rad wieder ab und umgedreht an) Emma: (beobachtet Max) das Rad rollt sich nicht Max: (betrachtet das Objekt, das er in den Händen hält) kuck das geht net (setzt das Einrad auf dem Boden ab, zeigt auf die Plae oben drauf) weil wenn die so sitzen und seine Füße da drauf kommen (zeigt auf die beiden seitlich angebauten Stäbe) müssen die dann so fahren. (schiebt das Einrad quer zum Rad über den Boden). Ron: was soll denn des für ein Rad sein? des muss, (fasst an das von Emma angebaute Rad) des musst du wenn dann auf die andere Seite machen sonst rollt des net. (beobachtet Emma, die das Rad entsprechend umbaut, Emma wendet sich darauin zu Ron) jetzt rollts.
Transkriptauszüge 4.1.4-F: Räder an Fahrzeugen
Beiden hier dargestellten Situationen ist gemeinsam, dass es um die Ausrichtung von Rädern geht. Max führt Emma vor, dass das von ihr gebaute Einrad nur über den Boden rollen kann, wenn das Rad entsprechend montiert ist. Interessant ist, dass man Emmas Objekt durchaus über den Boden rollen könnte, auch wenn das Rad so angebaut bleibt. Für Max scheint diese Möglichkeit aber nicht in Betracht zu kommen. Er rollt das Einrad dann auch nicht über den Boden, sondern er geht von der gewünschten Blick- und Sitzrichtung des Fahrers aus und schiebt das Rad in dieser Richtung über den Boden. Da das quer zur Rollrichtung des Rades ist, demonstriert er damit, dass das Rad nicht rollt. In der zweiten Szene beschäftigt sich auch Ron damit, dass ein Rad – möglicherweise meint er auch das ganze Objekt – nicht rollen kann. Es geht dabei aber nicht in erster Linie um die Ausrichtung des Objektes und die dazu passende Richtung eines Rades, sondern um das Zusammenspiel von zwei Rädern. Ron erkennt und beschreibt, dass die beiden Räder die gleiche Ausrichtung haben müssen, damit das Objekt beziehungsweise beide Räder rollen können. Aus einer mathematikdidaktischen Perspektive lässt sich hier ein Zusammenhang mit den Aspekten Orientierung eines Objektes und Richtung einer Bewegung erkennen. Das ist aber keinesfalls als Thema in allen Situationen, die dem Aspekt der Drehbarkeit zuzuordnen waren,
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zu erkennen, es finden sich andere Situationen, in denen die Kinder sich mit der Drehbarkeit von Rädern im Zusammenhang mit der Befestigungstechnik befasst haben. Max: ich mag nochmal so eins. (fasst an ein Rad an seinem Bauwerk und dreht es hin und her) aber ich find die passenden Räder nicht mehr (schaut auf das zusammengebaute Objekt, dass er in der anderen Hand hält) Emma: (nimmt ein Rad aus der Kiste, betrachtet es und streckt es Max hin) Bieschön da hab ich eins. Max: (nimmt das Rad entgegen und versucht es anzubauen) […] Max: ach so (baut ein Verbindungsstück von dem Objekt, an dem er das Rad befesgen wollte, wieder ab) ich hab die passenden nicht, da brauch ich die weißen (sucht in der Kiste nach etwas) Max: (zu Emma, die kramt lautstark in der Kiste) hey spritz nicht so. da geht (?) alles (?) (nimmt ein weißes Verbindungsstück und baut es an und baut dann an das zuvor angebaute Verbindungsstück ein Rad an; dreht es hin und her) kuck geht doch. Ron: das geht halt schwer mit den Rädern. gell? (schaut erst auf Max, fasst dann auch mit an) Max: (dreht das Rad, dass er wieder angebaut hat und lehnt sich dann ein Stück zurück) da braucht man schon fast ein Klebeband Ron: (fasst jetzt wieder an den Anhänger und drückt ihn fest) Max: weil die immer abfallen Ron: ja aber dann rollen sie doch nicht mehr Max: rollen, rollen müssen se nicht. Ron: (fasst an ein Rad) doch die müssen rollen der Antrieb ist ein Rollantrieb. gell? Ron: aber unsere rollen besser Max: mhm unsere rollen besser. das sind halt verschiedene Sorten von diesen Rädern, die sind anders als die da kuck, kuck die ham zum Beispiel efe und die … (zeigt auf ein Rad und hält ein anderes daneben, Ron schaut zu ihm) höher (legt das Rad wieder ab)
Transkriptauszüge 4.1.4-G: Befestigung und Drehbarkeit
Im oberen Beispiel in Transkriptauszüge 4.1.4-G setzt sich Max damit auseinander, ein passendes Rad zu finden, damit er es anbauen kann. Interessanterweise stellt Max im Laufe der Situation fest, dass er das Rad nicht an seinem Gebauten befestigen kann, weil er nicht das passende Verbindungsstück hat. Auch Ron steht in einer Situation vor der Schwierigkeit, kein Rad „dranzukriegen“, er nimmt dann an, dass alle Räder „kaputt“ sind. Interessant ist, dass beide Kinder also zunächst davon ausgehen, ihre Schwierigkeit beim Anbauen eines Rades liege
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am Rad selbst. Erst nach einiger Zeit erkennen sie, dass es am Verbindungsteil liegt. Es scheint für die Kinder eine besondere Herausforderung zu bedeuten, dass sie beim Anbauen des Rades ein bestimmtes Verbindungsteil brauchen, das aber kaum anders aussieht als die Teile, mit denen man Stäbe miteinander verbindet. Möglicherweise haben sie auch beim Bauen mit anderem Baumaterial die Erfahrung gesammelt, dass es meistens am Rad liegt, wenn etwas nicht passt. Auch im zweiten Beispiel findet eine Beschäftigung mit der Befestigung des Rades statt. Hier stehen die Kinder vor der Schwierigkeit, dass das Rad immer wieder abfällt. Max’ Überlegung, dass man durch die Verwendung von Klebeband dieses Problem beheben könnte, lehnt Ron ab. Er macht deutlich, dass die Funktion der Drehbarkeit dann nicht mehr gegeben wäre. Im dritten Beispiel ist es nicht die Ausrichtung des Rades, sondern die konkrete Form der Lauffläche, „tiefe“ und „hohe“ Profile, der zugeschrieben wird, dass sie Einfluss darauf hat, wie die Räder rollen. Tatsächlich wäre das Profil der Reifen bei der Benutzung für ein Fahrzeug ein wichtiges Kriterium. Je nachdem, auf welchem Untergrund das Fahrzeug fahren soll, rollt es mit den einen oder den anderen Reifen besser. In der gezeigten Situation handelt es sich interessanterweise aber nicht um Räder, auf denen das Objekt fahren soll, insofern wäre diese Überlegung eher hypothetisch. Wie gut oder schlecht sich ein Rad in der Luft dreht, hängt nicht mit dessen Profil zusammen, sondern eher mit seiner Lagerung. Tatsächlich ist in der Situation nicht ganz klar, ob sich die Äußerung von Max auf das Profil oder die Bauart in der Mitte des Rades bezieht. Gäbe es hierfür unterschiedliche Varianten, könnte das tatsächlich Einfluss auf die Drehbarkeit haben. Spannend ist in allen drei Situationen die Verwendung des Wortes „rollen“, immer wieder nutzen die Kinder dieses Wort. Zunächst lässt sich dazu anmerken, dass zylinderförmige Gegenstände, wie es auch Räder sind, aufgrund ihrer Form rollen können. Sprachlich versteht man unter rollen im Normalfall, dass sich ein Objekt, auf einer Unterlage liegend um seine Mittelachse dreht und sich dabei fortbewegt. In den oben beschriebenen Situationen bezeichnen die Kinder mit „rollen“ durchaus auch das Drehen eines Rades um seine Mittelachse, allerdings ohne dass sich dabei etwas fortbewegt. Eine Frage ist hier, warum die Kinder dafür das Verb rollen und nicht drehen verwenden. Wahrscheinlich wählen sie diese Bezeichnung, weil die Drehbewegung eines Rades in der Alltagssprache üblicherweise als rollen bezeichnet wird, weil diese in der Regel mit dem Bewegen eines Fahrzeuges o. Ä. verbunden ist. Aus einer mathematikdidaktischen Perspektive könnte man festhalten, dass durch die Verwendung des Verbs rollen ganz bestimmte Formeigenschaften hervorgehoben werden.
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„Drehen“ verwenden die Kinder gelegentlich auch, wie die im Folgenden dargestellte Situation zeigt, bei der es gerade nicht um das Rollen eines Rades geht. Anna: das kann man gar nicht drehen (dreht ‚einen Propeller‘ auf ihrem Objekt hin und her, versucht ihn zu befesgen) […] Anna: (hält ihr gebautes Objekt in die Kamera mit dem Propeller nach vorne) so sieht es von vorne aus. so (?) aber kann nicht schrauben. ah (legt ihr Objekt wieder auf dem Boden ab) und es geht leicht kapu. Georg: wo macht man das da hin? dies, so dass des fliegen kann das Haus? (zeigt auf etwas außerhalb des Bildausschnies vermutl. seinen ‚Propeller‘) Max: (baut den ‚Gabelstapler‘ ab und etwas weiter seitlich auf dem Dach wieder fest) ja an den zwei Plaen kann man des, kuck so (zeigt auf den freien Platz) ran (?) kann man das damits abfliegen kann. Georg: (nimmt den ‚Propeller‘ hoch, setzt ihn auf dem Dach des Bauwerks ab) so? Ron: (zeigt auf unterschiedliche Teile am Bauwerk) das treibt auch an und das auch. gell? alles, wo Räder hat, treibt an, allesMax: (hanert an dem mileren Dachanbau) kuck des treibt an (dreht die Räder des Objektes) Ron: aber das (fasst an das ‚Rollschuh-Objekt‘) Aber das sind Rollschuh. gell?. Max: (fasst an die Räder des ‚Rollschuhs‘) ja aber das treibt auch an weil die Rollschuhe sich drehen.
Transkriptauszüge 4.1.4-H: Drehbarkeit und Drehsymmetrie
In der oberen der drei abgebildeten Situationen baut Anna ein Objekt an, das sie davor als Propeller bezeichnet hat. Ihre Aussage macht deutlich, dass der Propeller von der Funktion her keinem Propeller entspricht, weil er sich nicht drehen kann. Sie sagt außerdem: „Aber kann nicht schrauben.“ Möglicherweise denkt sie bei ihrem Propeller an einen Hubschrauber und kommt so auf den Ausdruck „schrauben“. Propeller finden sich noch in weiteren Situationen. In der Situation, die in der Mitte von Transkriptauszüge 4.1.4-H dargestellt ist, baut Georg ein Objekt an, das nach seiner Aussage dafür sorgen soll, dass das Haus fliegen kann. Diese Äußerung sowie die Tatsache, dass das Objekt oben auf dem Bauwerk angebaut wird, lassen zusammen mit der Form des Objektes eine Deutung als Propeller zu. Später bezeichnen auch andere Kinder das Objekt als „Propeller“. Aus mathematikdidaktischer Perspektive ist das Objekt interessant, weil es Symmetrien aufweist, wobei insbesondere die Drehsymmetrie ins Auge fällt. Die Herstellung des Objektes war in den untersuchten Videos nicht zu beobachten,
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dabei wäre spannend gewesen, ob die Drehsymmetrie beziehungsweise die geometrische Abbildung der Drehung während des Bauens als Thema zu erkennen gewesen wäre. Man kann annehmen, dass beim Thema Drehung und Drehsymmetrie die Aspekte Form und Funktion für Kinder besonders eng verbunden sind. Auch die dritte in Transkriptauszüge 4.1.4-H veranschaulichte Situation zeigt das. So werden alle Räder, die im Bauwerk angebaut sind und sich drehen können, nicht auf ihre Form hin betrachtet, sondern auf ihre Funktion. „Alles, wo Räder hat, treibt an“, fasst Ron dazu pauschal zusammen. Es findet hier ein interessanter Perspektivwechsel statt, Ron beschreibt nicht (mehr), dass die Räder rollen, was ja eher das Resultat davon wäre, dass sie angetrieben werden, sondern die sich drehenden Räder, werden von ihm als Teil eines Antriebs begriffen. Sicherlich sind beim Thema Drehbarkeit, da hier Form und Funktion auf besondere Weise zusammenspielen, technische und mathematische Zusammenhänge erfahrbar.
4.1.4.3 Zusammenfassung Tabelle 4.4 Systematik zur Kategorie befestigt – unbefestigt
Stabilität und Bautechnik
Drehbarkeit
Ausdrücke von Kindern im Zusammenhang mit Bauklötzen SEVA-Material du bist drangestoßen abbrechen/abfallen umplumpsen (gut) heben/hält nicht so leicht umkippen (leicht) kapugehen umfallen runterrutschen/abrutschen einkrachen fest/festbauen/festmachen/befesgen reinfallen/reinplumpsen anstecken/anhängen/anbauen/ansetzen nicht heben reinknipsen/ reinstecken/ einhaken kapu machen (richg) zusammenbauen richg arg randrücken nix rankriegen Klebeband Steckerle/Klotz/(weißer) Knopf Propeller rollen drehen schrauben Rollantrieb antreiben Rollschuhe geht doch/wahr und falsch (in Verbindung mit dem Ausprobieren, ob sich etwas dreht)
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Die in der Tabelle eingeordneten Ausdrücke, die die Kinder beim Bauspiel verwenden, zeigen ebenso wie die in den beiden vorigen Teilkapiteln dargestellten und analysierten Bauspielsituationen, dass die Kategorie befestigt-unbefestigt insbesondere beim Bauen mit SEVA-Material zu finden ist. Während der Aspekt der Drehbarkeit, wie auch in Abschnitt 4.1.4.2 deutlich wird, nur für das Bauen mit SEVA-Material passend ist, geht aus Abschnitt 4.1.4.1 hervor, dass Stabilität und Bautechnik Aspekte sind, die auch beim Bauen mit Holzbauklötzen eine Rolle spielen können. Beim Bauen mit Bauklötzen scheint vor allem das Einstürzen von Bauwerken als Erlebnis der Instabilität eine Beschäftigung mit der Bautechnik oder mit Besonderheiten der Bautechnik nach sich zu ziehen. Einzelne Arbeitsschritte beim Herstellen eines Bauwerks, die sich auf den Aspekt der Bautechnik oder der Stabilität beziehen, werden von den Kindern nicht geäußert, wie auch an der Begriffsliste in Tabelle 4.4 in der mittleren Spalte deutlich wird. Anders ist das beim Bauen mit SEVA-Material, dort finden sich häufig Äußerungen über die Technik des Zusammenbauens von Bauteilen. Aus einer mathematikdidaktischen Perspektive sind diese insbesondere dann interessant, wenn sich in den Beschreibungen oder Erklärungen zu den Aspekten Stabilität und Bautechnik mathematische Zusammenhänge, wie beispielsweise Form- oder Größenverhältnisse, erkennen lassen. Die in der Tabelle dargestellten Begriffe, die für die Zuordnung zu den jeweiligen Aspekten der Kategorie befestigtunbefestigt ausschlaggebend waren, zeigen diese Zusammenhänge nicht auf, weil diese nur durch die weiteren Handlungen und Äußerungen in der Situation erkennbar werden. Allerdings sind darunter Wörter, die Bezüge zur Kategorie falschrum-richtigrum aufweisen. Meistens beschreiben sie die Richtung einer Bewegung, besonders deutlich wird das an Ausdrücken wie „runterrutschen“ oder „reinknipsen“. Wenn die Kinder sich mit der Drehbarkeit von Objekten befassen, haben sie in aller Regel deren Funktion im Auge. Allerdings zeigen die Objekte, die im Zusammenhang mit Drehbarkeit von Bedeutung sind – es handelt sich dabei überwiegend um Räder, aber auch Propeller spielen eine Rolle – einen Zusammenhang mit bestimmten Formmerkmalen. Es geht entweder um Objekte, die rund sind, oder um solche, die Drehsymmetrien aufweisen. Insgesamt kann festgestellt werden, dass in der Kategorie befestigt-unbefestigt der Zusammenhang zwischen Form und Funktion besonders deutlich zum Ausdruck kommt.
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
4.1.5
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Die Kategorie groß-klein
In Abschnitt 3.3.3.2 ist dargestellt, dass die Kategorie groß-klein solchen Bauspielsituationen zugeordnet wurde, in denen die Kinder Größenbegriffe verwenden oder eine Beschäftigung mit der Größe von Objekten oder Bauwerken zu erkennen ist. Die Datenauswertung zeigt nun, dass sich die entsprechenden Situationen danach unterscheiden lassen, ob es vorrangig um das Klassifizieren nach der Größe (vgl. Abschnitt 4.1.5.1) oder um das Vergleichen von Objekten in Bezug auf ihre Größe (vgl. Abschnitt 4.1.5.2) geht. Aus einer mathematikdidaktischen Perspektive lassen sich mehrere Anknüpfungspunkte für diese beiden Aspekte finden. Da ist zum einen der Aspekt des Klassifizierens, über den Rathgeb-Schnierer (2015) sagt, dass es sich dabei um eine mathematische Denk- und Handlungsweise handelt (vgl. Abschnitt 1.3.3.2). Zum anderen deutet schon der Kategorienname darauf hin, dass es Verbindungen zum in Kapitel 1 erwähnten Inhaltsbereich Größen & Messen gibt. Die Größen(-bereiche) Länge, Flächeninhalt und Rauminhalt, die in den Bauspielsituationen eine Rolle spielen, werden in der mathematikdidaktischen Literatur von manchen Autoren auch dem Inhaltsbereich Raum & Form zugeordnet (vgl. Abschnitt 1.4.1). Diese Zuordnung scheint im Hinblick auf Bauspiele durchaus naheliegend, wie die analysierten Bauhandlungen und Äußerungen der Kinder zeigen. Ähnlich, wie das für die in Abschnitt 4.1.3 dargestellte Kategorie schräggerade im Hinblick auf geometrische Relationen gezeigt wurde, gilt für die Kategorie groß-klein, dass bestimmte Größenverhältnisse und der Fokus auf bestimmte Größen, wie beispielsweise die Länge, schon aufgrund der Baumaterialien naheliegen. In einem Teil der analysierten Bauspielsituationen verwenden die Kinder Holzbauklötze, die denen des Uhlbaukastens (vgl. Abschnitt 2.1.3.1) entsprechen. Zum größten Teil handelt es sich dabei um Quader (ca. 600 Stück), die das Größenverhältnis 1:2:4 aufweisen, außerdem gibt es „Stangen“ in den Längen von 2, 3, 4, 5 und 6 Quadern und „halbierte Quader“. Diese Bauklötze unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Größe demnach nur in einer Raumrichtung. Teilweise wird neben den bereits beschriebenen Quadern noch eine größere Vielfalt an weiteren Klötzen – beispielsweise zylinderförmige Klötze und treppenförmige Klötze – benutzt, auch davon gibt es jeweils Varianten, die hinsichtlich ihrer Höhe (Zylinder) oder Breite (treppenförmige Klötze) das Verhältnis halb beziehungsweise doppelt so groß aufweisen. Für das SEVA-Material, das die Kinder in den beobachteten Situationen ansonsten zum Bauen verwenden, lassen sich die Größenverhältnisse wie folgt charakterisieren. Es gibt Stangen in zwei verschiedenen Längen, wobei zwei kurze Stangen mit einem Verbindungsstück dazwischen einer langen Stange entsprechen. Außerdem gibt es quadratische Platten in zwei Größen
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
jeweils so, dass die Seitenlänge zur Stangenlänge der Stangen passt, und rechteckige Platten in einer Größe, wobei die eine Seitenlänge der kürzeren Stange und die andere der längeren Stange entspricht.
4.1.5.1 Zusammenfassen/Unterscheiden nach der Größe Das Zusammenfassen von einer Menge konkreter oder vorgestellter Dinge nach einem oder zwei Merkmalen wird als Klassifizieren bezeichnet (vgl. Abschnitt 1.3.3.2). In den analysierten Bauspielsituationen zeigte sich ein Klassifizieren nach der Größe häufig daran, dass die Kinder Objekte aufgrund des Merkmals Länge zusammengefasst haben. Ron: (schiebt die langen Klötze und die auf dem Boden verteilten kleinen Klötze auf einen Haufen) (?) wir alles einfach mal zu dir dein (altes?)Max: (steht neben dem Kistenstapel und den auf dem Boden liegenden Klötzen) nein, wir brauchen die Langen ja (hebt lange Klötze vom Boden auf) die ganzen Langen, die wir haben, die müssen zusammen sein (legt lange Klötze auf einen Haufen). sonst haben wir die nicht geordnet für nachher. die Langen kommen alle hier- (sammelt weiter die langen Klötze aus den anderen heraus und legt sie zusammen) […] Max: (holt lange Klötze aus der Kiste in der Ecke) hier sind die Langen (legt sie auf dem Haufen mit langen Klötzen ab und geht zurück zur Kiste) jetzt haben wir einen ganzen Berg mit Langen. Emma: (legt ihr Objekt ab, so dass es wieder im Kameraausschni zu sehen ist) wir haben keine langen Stangen mehr Nele: Emma pass mal kurz aufEmma: ich brauch eine lange Stange, aber es hat keine mehr. das ist ja gerade das Problem Nele: das ist ja komisch wirAnna: (steht auf und geht zu auf dem Boden liegenden Teilen, stupst mit ihrem Fuß etwas an) doch da ist noch ne lange Stange, (stamp auf) da sind noch lange Stangen.
Transkriptauszüge 4.1.5-A: Sortieren und Klassifizieren nach Länge
Im oberen Transkriptauszug ist zu erkennen, dass Max bestimmte Objekte als „die Langen“ bezeichnet. Der Kontext und seine Handlung verdeutlichen, dass es dabei um Bauklötze geht und dass, wie der Ausdruck „die Langen“ andeutet, das Merkmal Länge hier ein relevantes Merkmal für das Klassifizieren ist. Die langen Bauklötze werden von Max aber nicht nur sprachlich zur Gruppe der Langen zusammengefasst, sondern auch ganz praktisch auf einen Haufen gelegt. Es findet demnach ein Klassifizieren und Sortieren nach Länge statt, wobei interessant ist, dass die auf einen Haufen gelegten Klötze nicht gleichlang sind. Die Klötze, von
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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denen die Langen getrennt werden, haben hingegen alle die gleiche Größe. Klassifizieren bedeutet nicht nur Zusammenfassen von Objekten nach einem Merkmal und das Bilden von zwei oder mehr Teilmengen, sondern stellt sich in der Praxis beim Heraussuchen eines bestimmten Teiles auch oft als Unterscheiden von Objekten aufgrund eines Merkmals dar. Das wird noch deutlicher an der Situation, die im unteren Transkriptauszug dargestellt ist, deshalb scheint mir, die in der mathematikdidaktischen Literatur übliche synonyme Verwendung der beiden Begriffe Klassifizieren und Sortieren (vgl. Abschnitt 1.3.3.2) ungünstig zu sein. Häufig lässt sich in den analysierten Bauspielsituationen gar kein Sortieren in dem Sinne, dass zusammengehörige Teile zusammengelegt werden, beobachten, sondern es findet ein gezieltes Heraussuchen eines oder mehrerer Teile aus einer ungeordneten Menge statt. Wenn Emma äußert, dass es keinen „langen Stab“ mehr gibt und Anna bei den am Boden liegenden Teilen genau einen solchen Stab findet und darauf zeigt, würde man das durchaus als Klassifizieren deuten, als Sortieren kann man das aber nicht bezeichnen. Die Analyse der beobachteten Bauspielsituationen legt nahe, dass die Verwendung der beiden Begriffe Zusammenfassen und Unterscheiden geeignet sein könnte, um die Äußerungen und Handlungen der Kinder im Kontext des Klassifizierens zu beschreiben. Das zeigen auch die im Folgenden beschriebenen Bauspielsituationen. Anna: (nimmt einen Klotz vom Boden auf, streckt ihn zu Max) das ist ganz dünn, kuck mal da ist nochmal so eins. (nimmt einen weiteren Klotz vom Waggon) nochmal ein Kleines, für was brauchen wir (?) denn die kleinen? (hält zwei ‚kleine Klötze‘ in der Hand) Max: die müssen alle da rein (legt die Klötze auf den Waggon) die Lok (?) Anna: (setzt sich auf die Bank) und die ganz ganz Kleinen kommen hier rein (nimmt einen Klotz aus der Kiste und hält ihn über das Turmloch) die ganz ganz Kleinen (lässt Klotz in den Turm fallen) Ron: (hält in der einen Hand einen längeren Klotz, nimmt mit der anderen einen weiteren etwas kürzeren Klotz vom Boden auf) als Dach häe ich lieber diese kleinen Schmalen (nimmt einen weiteren Klotz, hält ihn mit dem zuvor aufgenommenen Klotz aneinander) … diese kleinen Schmalen
Emma: (nimmt eine Plae aus der Kiste) das hier ist eine Große
Transkriptauszüge 4.1.5-B: Zusammenfassen und Unterscheiden von Objekten nach ihrer Größe
Im Unterschied zu den Beispielen in Transkriptauszüge 4.1.5-A verwenden die Kinder in ihren Äußerungen, die in Transkriptauszüge 4.1.5-B dargestellt sind,
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
nicht nur einen Begriff, der auf die Länge der Klötze hinweist, sondern verwenden dafür auch die Begriffe „schmal“ beziehungsweise „dünn“. Allerdings lässt sich nicht erkennen, welche Ausdehnung des Objektes jeweils mit „dünn“ oder „schmal“ gemeint ist. Anna bezeichnet die Klötze als „klein“ und „dünn“, tatsächlich sind die Klötze aber größer als die, die sie die ganze Zeit beim Turmbauen verwendet. Es könnte also sein, dass sie die Dicke und Breite der Klötze als kleiner oder schmaler empfindet, wenn deren Länge größer ist. Das Seitenverhältnis des längeren Klotzes ist ja tatsächlich anders als das des kürzeren Klotzes. Die im weiteren Verlauf als „ganz ganz kleine“ Klötze bezeichneten Bauklötze sind schließlich die, die einem halben Quader entsprechen. Dabei handelt es sich also wirklich auch um die volumenmäßig kleinsten Klötze. Die Situation, dass ein eigentlich größerer Klotz als „klein“ bezeichnet wird, findet sich auch im zweiten Beispiel. Dort hält Max einen ziemlich großen Klotz in der Hand und sagt dazu: „Diese kleinen Schmalen.“ Allerdings nimmt er im weiteren Verlauf einen kürzeren Klotz auf, weshalb es möglich ist, dass durch den Ausdruck „diese kleinen Schmalen“ beschrieben werden soll, dass von den herausgesuchten langen Klötzen, die, die am kürzesten sind, verwendet werden sollen. Es ist aber auch hier wieder zu erkennen, dass Klötze mit derselben Höhe und Breite, wenn sie länger sind, von einem Kind als „schmal“ bezeichnet werden. Man könnte hieraus schlussfolgern, dass sich die Bezeichnung „schmal“ und „dünn“ eben nicht auf die absolute Breite und Höhe eines Bauklotzes bezieht, sondern auf das wahrgenommene Verhältnis der Länge eines Bauklotzes zu dessen Breite und Höhe. Beim dritten Beispiel in Transkriptauszüge 4.1.5-B wird eine Platte des SEVAMaterials als „eine Große“ bezeichnet. Aufgrund des Materials dürfte sich groß auf den Flächeninhalt der Platte beziehen. In einer weiteren Situation (vgl. Transkriptauszüge 4.1.4-D), in der eine „kleine Platte“ gesucht wird, könnte man sich ausgehend von dem Kontext, der zeigt, dass gerade eine rechteckige Platte mit einer langen und einer kurzen Seite verbaut wurde, auch vorstellen, dass die Kinder nicht unbedingt auf den Flächeninhalt achten (müssen). Sie könnten in dem Fall auch nach einer Platte mit zwei gleich kurzen Seiten suchen. Grundsätzlich ermöglichen die Größenverhältnisse der Platten eine sehr einfache Unterscheidung nach Flächeninhalt, da die kleine quadratische Platte zweimal in die rechteckige Platte passt und diese wiederum zweimal in die große quadratische Platte. Nicht immer, wenn ein Objekt eine so unspezifische Größenbezeichnung wie „die Kleinen“ als Namen trägt, lässt sich sagen, auf welchen Größenbereich sich das bezieht. Mitunter verbirgt sich darin auch ein Hinweis auf die Form eines Objektes.
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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Max: (kramt in der Kiste) (gibt?) es hier noch ein Kleines (baut etwas zusammen) wo Reifen dran können?
Nele (hält ihr Objekt über die Abbildung) hey das muss man hier so mit den kleinen Teilen anstecken.
Transkriptauszüge 4.1.5-C: Größenbezeichnungen als Hinweis auf die Form von Objekten
Beiden hier gezeigten Situationen ist gemeinsam, dass die Kinder die Verbindungselemente des SEVA-Materials als „ein Kleines“ oder „kleine Teile“ bezeichnen. Aufgrund der Form der einzelnen Bauteile kann man nicht annehmen, dass die Kinder die Teile hier hinsichtlich ihres Volumens unterscheiden. Beispielsweise sind die Platten so dünn, dass man nicht sicher abschätzen könnte, ob deren Rauminhalt größer oder kleiner ist als der von den Verbindungselementen, was die Kinder aber offensichtlich auch nicht vorhatten. Betrachtet man die Verbindungselemente hinsichtlich ihrer Form, so fällt auf, dass diese an Würfel erinnern. Man könnte also schlussfolgern, dass sie deshalb als „klein“ bezeichnet werden, weil sie in alle Raumrichtungen gleich klein sind. In Situationen, in denen kurze Stangen als „die Kleinen“ bezeichnet werden, nehmen die Kinder hingegen auf die unterschiedlichen Längen der Stangen Bezug. In den beiden oben dargestellten Beispielen zeigt sich auch explizit in den sprachlichen Äußerungen, dass hier nicht ausschließlich auf das Merkmal Größe hin klassifiziert wird. In beiden Fällen findet sich auch ein Hinweis auf die Funktion der Teile, wie durch die Aussagen „wo Reifen dran können“ oder „mit den kleinen Teilen anstecken“ deutlich wird. Kinder verwenden Größenbezeichnungen darüber hinaus, um ihre Bauwerke zu charakterisieren und genauer zu beschreiben. Die Frage, ob man das ebenfalls als Klassifizieren bezeichnen kann, lässt sich am besten anhand konkreter Situationen beantworten. Jan: (baut am Bauwerk) das hier ist die Schleuse die große Dicke, okay das ist die große dicke Schleuse? Luca: ich bau da noch was hin Sonja: hey Luca (?) Schalter (legt einen ‚Hocker‘ auf den Boden) Jan: das hier ist die große dicke Schleuse. weißt du? Ron: (schaut in Richtung Ausgang der Bauecke) ein ganz schöner Stau ist da weil alle müssen aufs Klo (hält sich einen Finger vor die Lippen, lacht) Anna: alle mal aufstehen. (stellt einige Klötze vor sich wieder auf) oder ein Riesenstau
Transkriptauszüge 4.1.5-D: Größenbezeichnungen als Merkmale von Bauwerken
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In der im oberen Transkriptauszug dargestellten Situation beschreibt Jan das Gebaute als „große dicke Schleuse“. Im Prinzip kann man darin ein Klassifizieren sehen. Das Bauwerk gehört seiner Aussage nach zu den großen dicken Schleusen und wird damit einer bestimmten Klasse von Objekten zugeordnet. Allerdings ist unklar inwiefern die Verwendung des Ausdrucks „große dicke Schleuse“ auch als Klassifizieren nach einer Größe gedeutet werden kann, da wir nicht wissen, wonach klassifiziert wird, nach verschieden großen Schleusen oder nach verschieden großen Bauwerken. Die Situation, in der die Kinder sich damit befassen, dass sie einen „Riesenstau“ gebaut haben, lässt ähnliche Überlegungen zu. Sie ist aber insofern besonders, als beim Thema Stau die Aspekte Anzahl der Fahrzeuge, Länge des Staus und Zeitdauer im Sinne der Wartezeit oder der zusätzlichen Fahrzeit auf besondere Weise zusammenwirken. Wenn die Kinder also ganz viele Klötze hintereinanderstellen und spielen, dass das Menschen sind, die nun alle aufs Klo müssen, wobei es nur ein Klo gibt, kann die Verwendung des Ausdruckes „Riesenstau“ zwar ein Hinweis dafür sein, dass der Begriff aufgrund der Länge der „Kloschlange“ gewählt wird. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Anzahl der Klötze berücksichtigt wird oder dass die Kinder sich vorstellen, wie lange es dauern wird, bis man aufs Klo gehen kann.
4.1.5.2 Größenvergleiche Wie bedeutungsvoll Größenvergleiche in einem Bauspiel sein können, zeigt sich an einer Situation, in der zwei Kinder gemeinsam eine Leiter für ihr Bauwerk bauen. Dabei ist ein zentrales Thema der Kinder, dass die Länge der Leiter zur Höhe des Bauwerkes passt. Die Handlungen und Äußerungen der Kinder drehen sich deshalb immer wieder darum diese Passung herzustellen.
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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Ron: (hält die Leiter an das Bauwerk) reicht das? Max: (beobachtet Ron) nö. Ron: (hat die Leiter wieder auf dem Boden abgelegt und baut weitere Teile an) noch zwei Stockwerke noch zwei Leiterwerke. Max: dann heißt das Mähwerk Stockwerk immer wieder Werk. Ron: (beobachtet Max der Teile an die Leiter anbaut) wir brauchen noch ein Stockwerk Max: nein. (hält die Leiter gemeinsam mit Ron an das Bauwerk an) wir brauchen noch mehrere kuck. Ron: (hält die Leiter jetzt alleine fest, zeigt auf das untere Ende der Leiter) zwei brauchen wir jetzt noch kuck. Ron: (baut Teile an die Leiter an) hol noch ähm drei Mal. gell. Max: (lag neben Ron und hat ihm beim Bauen zugesehen, richtet sich nun auf) warte wir müssen erst mal schauen ob das reicht Ron: jetzt müssen wir es mal wieder hinmachen ob es jetzt reicht (beobachtet Max, der die Leiter an das Bauwerk stellt) nein (nimmt die Leiter auf und hält sie bündig zur oberen Kante an das Bauwerk) eins müssen wir noch hin. gell? Max: mhm (dreht sich zur Kiste um) Max: einer, ein einzigerRon: (legt die Leiter wieder ab) uaah da sind wir aber schon weit
Transkriptauszüge 4.1.5-E: Die Leiter
Die drei Transkriptauszüge, die aus einer längeren Sequenz stammen, zeigen an Aktivitäten, wie dem Anhalten der Leiter an das Bauwerk und den Äußerungen „reicht das“ oder „wir müssen erst mal schauen, ob das reicht“, dass die Kinder auf diese Weise die Länge der Leiter mit der Höhe des Bauwerks direkt vergleichen. Die Tatsache, dass die Kinder in der Folge jeweils äußern, wie viel noch fehlt, indem sie entweder sagen, wie viele „Stockwerke“ oder „Leiterwerke“ noch fehlen bzw. sich damit befassen, wie viele Teile sie noch brauchen, zeigt, dass der Bau der Leiter mit ihrer Länge in Verbindung gebracht wird. Nicht eindeutig zu erkennen, aber ebenfalls möglich wäre, dass die Kinder auch den Aufbau des Bauwerks und den der Leiter miteinander vergleichen. In diesem Fall könnten sie herausfinden, dass immer zwei Stufen der Leiter der Höhe eines Stockwerks im Gebäude entsprechen. Aus einer mathematikdidaktischen Perspektive lassen sich die in der oben dargestellten Bauspielsituation beobachteten Größenvergleiche den von Benz et al. (2015, 240 f.) in Anlehnung an Battista dargestellten Denkstrukturen des „nonmeasurement reasoning“ zuordnen. Darunter wird in Bezug auf Längenvergleiche verstanden, dass sie auf visuellen Beurteilungen, wie dem direkten Vergleichen und dem Nutzen von Eigenschaften von Teilen von Objekten, die zueinander
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
in Beziehung gesetzt werden, basieren. Dabei werden verschiedene Entwicklungsstufen und Strategien unterschieden (vgl. Benz et al. 2015, 240 f.), von denen einige zu den beobachteten Bauspielsituationen passen. Das ist zum einen die Stufe des „holistischen visuellen Vergleichs“, der das direkte Vergleichen von zwei Objekten und das indirekte Vergleichen mithilfe eines dritten Objektes umfasst. Zum anderen gibt es die Stufe „Vergleich durch Zerlegen oder Zusammensetzen einzelner Teile“ mit dem Teilaspekt „Eins-zu-Eins-Zuordnung einzelner Teile“. Das direkte Vergleichen von zwei Objekten findet sich außer in der oben dargestellten Leiter-Situation noch häufiger in den Bauspielen der Kinder. Es zeigt sich jeweils daran, dass die Kinder die Länge von Objekten vergleichen, indem sie sie über oder neben andere Objekte legen oder halten. Ron: (hält einen Klotz über den Turm) Anna: (schiebt den Klotz weg) jetzt doch noch nichtMax: (laut zu Anna) wir versuchen nur mal wie lang sie sein müssen. (legt zusammen mit Ron den Klotz auf dem Turm ab) […] Ron: (nimmt in die andere Hand einen anderen Klotz, dreht ihn etwas hin und her) passen die auch? Max: nein die sind zu lang (nimmt Ron den längeren Klotz weg) […] Ron: (hält zwei ungleich lange Klötze übereinander, so dass sie am unteren Ende bündig sind) wir brauchen gleich lange. (hält weitere Klötze aufeinander, legt ein Paar von zwei gleichlangen Klötzen gemeinsam neben sich ab) Max: die gleichlangen (fasst an das Paar mit gleichlangen Klötzen, Ron hält die Klötze fest) nein lassRon: nein die sind gleich lang (lässt die Klötze los) Max: (nimmt die Klötze, legt sie bei sich ab) wir müssen jetzt mal schauen wie lang alle sind. (nimmt einen Klotz und hält ihn an ein Klotzpaar, das er bereits in der anderen Hand hält) […] Max: (nimmt Ron den Klotz wieder aus der Hand) weißt du was wir müssen ja nur mal Messen Max: doch warte geht schon (geht zu den Teilen und kommt mit einem weiteren Stab zurück) eins zwei drei ich hab nochmal eins dabei. (hält den Stab an die Leiter.) nein < Ist zu lang > Ron: Max: da braucht man schon ein kleineres. (hebt ein weiteres Teil vom Boden auf). Max: mhm, weil da ist auch ihr zweites zuhause (wendet sich zu den Teilen und zu Ron, holt einen Stab und hält ihn zwischen Dach und oberstem Stockwerk an) Vorsicht (löst die Befesgung des Daches und steckt den Stab dazwischen) da reinbauen, (befesgt den Stab) erst das auseinanderbauen, damit ich das da reinbauen kann (drückt das Dach wieder an allen Verbindungsstellen fest)
Transkriptauszüge 4.1.5-F: Direkter Größenvergleich durch Aneinanderhalten
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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Sehr ausgeprägt zeigt sich das direkte Vergleichen durch Aneinanderhalten von Objekten, in dem als erstes dargestellten Transkriptauszug. Besonders interessant sind darin die Aussagen „wir versuchen nur mal, wie lang sie sein müssen“, „wir müssen jetzt mal schauen, wie lang alle sind“ und „wir müssen ja nur mal messen“. Diese belegen auf eindrückliche Weise, dass die Kinder das Vergleichen von Längen hier als zentrales Thema verfolgen. Die Länge oder Ausdehnung eines Objektes wird manchmal auch zum Thema für die Kinder, wenn sie ein Bauteil in ein schon vorhandenes Bauwerk einbauen wollen und es sich als „zu lang“ herausstellt (vgl. mittleres Beispiel) oder wenn aufgrund der Bautechnik, nur dann ein Stab der richtigen Länge eingebaut werden kann, wenn man vorübergehend den Zwischenraum vergrößert (vgl. unteres Beispiel in Transkriptauszüge 4.1.5-F). Anna: (nimmt Klötze aus der Kiste, legt sie auf den Turm, hält dann inne und ihren ausgestreckten Arm nach oben in der Hand einen Klotz) kuck mal wie hoch, kuck mal wie hoch ich bauen kann. (legt den Klotz dann auf dem Turm ab) Emma: (hält ihren ausgestreckten Arm neben den Turm in die Höhe) Anna: (hält ihren ausgestreckten Arm neben Emmas nach oben) so hoch okay. weiter bauen (baut weitere Klötze auf den Turm, stellt sich auf Zehenspitzen und streckt erneut ihren Arm nach oben) auf Zehenspitzen kann ich so hoch. Emma: (schaut zu Anna, stellt sich dann auch auf Zehenspitzen und streckt den Arm aus) auf Zehenspitzen kann ich soAnna (baut weiter am Turm) ich kann höher wie du, weil ich bin auch sechs du bist fünf. Anna: daaaaa (streckt ihr Objekt in die Lu Richtung Kamera) kann das Rad aushalten (klop gegen das Rad) so lang (lässt die am Rad angebaute Stange durch ihre Hand gleiten) Erzieherin: mhm Anna: (stellt ihr Objekt mit dem Rad auf dem Boden ab und hält es an der Stange fest) (Boden?) ist so klein (hält ihre Hand flach auf das obere Ende der Stange)
Transkriptauszüge 4.1.5-G: Vergleich mit eigener Körpergröße
Die Transkriptauszüge 4.1.5-G verdeutlichen, dass Kinder beim Vergleichen von Längen auch ihren eigenen Körper als Referenz benutzen. Anna zeigt in der ersten der beiden dargestellten Situationen, wie hoch sie bauen kann, indem sie sich auf die Zehenspitzen stellt und ausprobiert, bis wohin ihr ausgestreckter Arm reicht. Als Emma ebenfalls diese Haltung einnimmt, vergleichen die Kinder, wer von ihnen höher bauen könnte. Interessant ist, dass Anna den Höhenunterschied durch einen Vergleich des Alters der beiden Kinder begründet. Dabei könnte die Erfahrung eine Rolle spielen, dass älter werden mit größer werden oder wachsen
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
einhergeht. Die Erfahrung, dass Kinder im selben Alter unterschiedlich groß sein können und Kinder unterschiedlichen Alters durchaus gleich groß sein können, wird dabei (noch) nicht berücksichtigt. Kinder vergleichen anhand ihres Körpers aber nicht nur, wie hoch sie bauen können, sondern beschreiben damit auch, wie groß ein Objekt ist. Dabei sind je nachdem, wie man das Objekt zum eigenen Körper in Beziehung setzt, unterschiedliche Wahrnehmungen möglich. Als Anna ihr Objekt durch ihre Hand gleiten lässt, sagt sie dazu: „So lang.“ Als sie es vor sich auf dem Boden abstellt und ihr das ganze etwa bis zum Oberschenkel geht, sagt sie: „So klein.“ Das Vergleichen von Längen könnte auch eine Rolle spielen, wenn die Kinder ihr Gebautes mit der Abbildung vergleichen, wie es sich in den beiden folgenden Situationen zeigt. Emma: (hält ihre Stange auf die Abbildung) geht das vielleicht? […] Emma: (ppt mit ihrem Finger auf die im Bild dargestellten Stäbe des Dachfirstes, während sie zählt) eins zwei drei[…] Emma: (während sie weiter auf das Bild ppt) vier fünf. (nimmt den Finger vom Bild und betrachtet ihre gebaute Stange, ppt auf die Stäbe darin) eins zwei drei. Anna: (schaut nun dahin im He, wo Emma zuvor hingeschaut hae, ppt ebenfalls die Stäbe an, aber auf der anderen Giebelseite und zählt) eins drei vier fünf sechs. (ru laut) kuck mal (ppt wieder auf die Stäbe auf dem Bild und zählt jetzt lauter und langsamer) eins zwei drei vier fünf. (wendet sich vom Bild ab) Emma: (kommt mit ihrer Stange zum He, legt sie neben die Abbildung) das würde reichen. (tippt mit ihrem Finger zunächst auf die einzelnen Stäbe der Abbildung) eins zwei drei vier fünf. (danach ppt sie auf die Stäbe in ihrer Stange) eins zwei drei vier fünf.
Transkriptauszüge 4.1.5-H: Vergleich durch Abzählen bestimmter Bauelemente
Die von Emma aus mehreren einzelnen Stäben zusammengesetzte Stange soll mit der Abbildung verglichen werden. Ein direkter Vergleich mit der Abbildung ist hier nicht möglich, weil die Abbildung das Gebaute verkleinert darstellt. Um herauszufinden, ob das eigene Objekt die notwendige Länge hat, wird deshalb die Anzahl der Stäbe in der Abbildung mit der Anzahl der Stäbe im Bauwerk verglichen. Interessant ist hier auch Annas Aktivität, die das Abzählen von Stäben aufgreift. Vielleicht will sie überprüfen, ob beide Giebelseiten in der Abbildung gleich sind. Als sie beim Abzählen zunächst die Zwei auslässt und deshalb sechs
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herausbekommt, will sie diese Erkenntnis mit den anderen teilen. Sie ruft: „Kuck mal!“, und beginnt erneut zu zählen. Darüber hinaus lassen sich Situationen entdecken, in denen die Kinder die Größe oder die Größenverhältnisse von Objekten zu eigenen schon vorhandenen Größenvorstellungen in Beziehung setzen. Max: (schaut auf Anna, fasst an einen Bauklotz) nein so klein doch auch schon wieder nicht. (schiebt Klötze auseinander, will einen weiteren Klotz dazwischen legen) Ron: (fragt die Erzieherin etwas) Erzieherin: ihr seid noch nicht so weit für eine Leiter. Anna: (schiebt die Klötze, die Max auseinander geschoben hat, wieder zusammen) nicht so dick. Max: (schiebt zwei Klötze ein Stück auseinander und legt einen fünen Klotz dazwischen) so. Anna: nicht so dick. […] Anna: (schaut auf die Handlung von Max und Ron) muss klein sein sonst können wir nicht die Leiter nehmen. Nele: (hält ihr Gebautes mit der Ecke nach oben) so sieht doch des Dach gut aus. (setzt es auf dem Boden ab, so dass die Ecke nach oben steht) Emma: aber So ein langes Dach (streckt ihren Arm zur Seite aus) hat doch kein Mensch. Emma: (baut am Turm, legt zwei Klötze darauf ab) der Turm ist schon ganz schön hoch. (wendet sich zur Kiste mit den Klötzen)
Transkriptauszüge 4.1.5-I: Vergleich mit eigenen Größenvorstellungen
Was die Kinder in den hier dargestellten Situationen tun und sagen, lässt sich vielleicht am besten als Schätzen bezeichnen. Allen Beispielen ist gemeinsam, dass die Kinder auf ihre eigene Vorstellung hinsichtlich der Größe von bestimmten Dingen zurückgreifen. Anna kann sich offensichtlich vorstellen oder hat bereits erfahren, wie die Dicke – mit der hier die Anzahl Klötze, aus der eine Turmreihe besteht, gemeint sein könnte – Auswirkungen auf die Höhe des Turmes hat. Während in einer in Abschnitt 4.1.4.1 dargestellten Situation von einem Kind thematisiert wurde, dass ein „dünner“ Turm schneller umfällt, spielt die Stabilität in Annas Überlegung keine Rolle. Es scheint stattdessen darum zu gehen, dass sie annimmt, eine bestimmte Höhe kann schneller oder überhaupt nur erreicht werden, wenn der Turm nicht zu „dick“ wird. Ihre Aussage „muss klein sein, sonst können wir nicht die Leiter nehmen“ ließe sich so deuten. Vielleicht ist ihr klar,
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dass, wenn der Turm unten „klein“ ist, also aus wenigen Klötzen besteht, pro folgender Reihe entsprechend wenige Klötze benötigt werden. In der Aussage von Emma „so ein langes Dach hat doch kein Mensch“ ist nicht klar, auf welches der Dachmaße sich das bezieht und auf welcher Vorstellung es basiert. Vielleicht hat Anna eine bestimmte Vorstellung von der Größe des Objektes, für das hier ein Dach gebaut werden soll, die sich aus der Abbildung ergibt. Es ist auch denkbar, dass sich ihr Einwand darauf bezieht, dass die eine Seite von Neles „Dach“ länger ist als die andere. Auch in anderen Bauspielsituationen finden sich Anhaltspunkte dafür, dass Kinder wissen, dass das Gebaute, bestimmt durch das Baumaterial, kleiner sein muss als das reale Objekt und sich vorstellen können, wann seine Größe der des Objektes entspricht. Max äußert beispielsweise in einer Situation: „Das ist doch schon genug für ein Maislabyrinth.“ Außer der Deutung, dass das Gebaute doch schon groß genug ist, damit es einem Maislabyrinth entspricht, kommen hier aber noch weitere Deutungsmöglichkeiten in Frage. Es könnte auch sein, Max findet, sie haben groß genug gebaut, um damit jetzt im Sinne eines Maislabyrinths spielen zu können oder sie haben sich nun genug mit dem Bauen des Maislabyrinths beschäftigt und könnten jetzt etwas Anderes tun. Als Drittes ist eine Situation veranschaulicht, in der Emma feststellt, dass der Turm schon „ganz schön hoch“ ist. Sie gibt hier keine Referenz für ihre Aussage an. Denkbar wäre, dass sie die Höhe des Turms mit früher gebauten Türmen vergleicht, dann handelt es sich um einen Vergleich mit einem Objekt aus ihrer Vorstellung. Denkbar ist auch, dass sie die Aussage aufgrund eines Vergleiches mit ihrer Körpergröße trifft. In diesem Fall könnte ihr Körper auch im Sinne eines indirekten Vergleichs genutzt worden sein, wenn sie sich erinnert, bis zu welchem Körperteil ihr Türme sonst gereicht haben.
4.1.5.3 Zusammenfassung Anhand der in Abschnitt 4.1.5.1 und 4.1.5.2 beschriebenen Bauspielsituationen wurde gezeigt, welche theoretischen Anknüpfungspunkte und Deutungen hinsichtlich der Kategorie groß-klein gefunden werden konnten. In der folgenden Tabelle 4.5 sind diese noch einmal systematisch zusammengefasst. Im oberen Teil der Tabelle sind die zentralen Gesichtspunkte zum Zusammenfassen/Unterscheiden nach Größe zusammengefasst. Als weitere Untergliederung für diesen Bereich hat sich neben den Punkten Benennen/Beschreiben, Heraussuchen und Sortieren eine weitere Ausdifferenzierung als interessant erwiesen. So ist jeweils dargestellt, ob die gewählte Bezeichnung nur die Ausdehnung des Objektes in eine Raumrichtung berücksichtigt, wie es beispielsweise bei „lang“ der Fall ist, oder ob die verwendete Bezeichnung nahelegt, dass mehr als eine Raumrichtung in den Blick genommen wurde, wie das beispielsweise bei „die
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
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Tabelle 4.5 Systematik zur Kategorie groß – klein
Beschreiben/ Benennen
Heraussuchen
Soreren
Beispiele von Bauteilen/Bauwerken hinsichtlich ihrer Ausdehnung in … Raumrichtug(en)
Zusammenfassen/Unterscheiden nach Größe
Worum geht es? eine
die Langen
bis zu drei
ein Kleines die ganz ganz Kleinen die dünnen Kleinen die große dicke Schleuse
eine
da sind doch noch lange Stäbe
bis zu drei
solche schmalen Kleinen
eine
die Langen müssen zusammen sein
bis zu drei
alle Kleinen kommen da rein
Vergleichen von Bauteilen bezüglich ihrer Größe/Länge
die sind gleich groß so lang wie meins solche schmalen Kleinen Messen Schauen, wie lang alle sind
Vergleichen von Bauteilen mit Abständen in Bauwerken
zu lang wir brauchen ein längeres Schauen, ob das reicht wir versuchen, wie lang sie sein müssen
Größenvergleich
direkt
Bauwerke im Verhältnis zu eigener Körpergröße indirekt
in der Vorstellung
Vergleichen von Anzahlen
so klein ich kann so hoch bauen
Größenvorstellung ausgehend von früheren Bauwerken
der Turm ist schon ganz schön hoch
Größenverhältnisse in Bauwerken
nicht so dick, sonst können wir nicht die Leiter nehmen
Größenvorstellung von realen Objekten
so ein langes Dach hat doch kein Mensch (groß) genug für ein Maislabyrinth
Vergleichen von einem zusammengebauten Objekt mit einer Abbildung
das würde reichen (zählen in Abbildung) 1-2-3-4-5 (zählen an Objekt) 1-2-3-4-5
Vergleichen der Leiter mit dem wir brauchen noch zwei Stockwerke, zwei Leiterwerke Bauwerk
kleinen Dünnen“ der Fall ist. Bei dieser Zuordnung spielt es natürlich eine Rolle, dass die Kinder häufig den Ausdruck „lang“ verwenden, aber nicht den Ausdruck „kurz“. Das führt dazu, dass Dinge sowohl dann als „Kleine“ bezeichnet werden, wenn sie kurz sind, als auch dann, wenn sie eine geringe Ausdehnung in mehrere Raumrichtungen aufweisen, wobei dies bei vielen Bauteilen durchaus beides gleichzeitig der Fall ist.
368
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Im unteren Teil der Tabelle sind die Ergebnisse zum Größenvergleich zusammengefasst. Eine besondere Stellung nimmt darin der Punkt indirekter Vergleich ein, da das Messen mithilfe eines anderen Gegenstandes nicht beobachtet werden konnte. Er ließ sich nur im Zusammenhang mit einem Größenvergleich, der vermutlich auf einer bereits vorhandenen Größenvorstellung basierte, erkennen. Damit hat er sich im Hinblick auf die analysierten Bauspielvideos als ein Bereich dargestellt, der an der Schnittstelle zwischen dem direkten Größenvergleich und Größenvergleich in der Vorstellung liegt. Die Bereiche in der Tabelle, die damit in Beziehung stehen, habe ich der Übersichtlichkeit halber grau hervorgehoben. Die beiden Punkte Größenvorstellung ausgehend von früheren Bauwerken und Größenverhältnisse in Bauwerken sind hier zwar einzeln aufgeführt, die Aussage „nicht so dick, sonst können wir nicht die Leiter nehmen“ macht aber deutlich, dass beide untrennbar verbunden sind. In der Tabelle sind die beiden Aspekte Zusammenfassen/Unterscheiden nach Größe und Größenvergleich getrennt voneinander dargestellt. In den Bauspielsituationen kamen die beiden Aspekte aber durchaus auch gemeinsam vor. Die in Transkriptauszüge 4.1.5-F als oberste dargestellte Situation zeigt, wie aus dem Vergleichen von Klötzen ein Sortieren entsteht, indem jeweils zwei gleichlange Klötze paarweise zusammengelegt werden. Die von den Kindern verwendeten sprachlichen Ausdrücke lassen sich in den meisten Fällen trotzdem entweder dem Aspekt des Zusammenfassens/Unterscheidens oder dem des Größenvergleichs zuordnen. Eine Ausnahme stellt der in der Tabelle grau geschriebene Ausdruck „solche schmalen Kleinen“ dar, da darin einerseits eine bestimmte Sorte Bauklötze als schmal und klein zusammengefasst wird, andererseits durch die Verwendung des Wortes „solche“ ein Vergleich nahegelegt wird. Zumindest ist das der Fall, wenn man annimmt, dass der Ausdruck „solche“ hier für die Wendung die Gleichen wie diese steht.
4.1.6
Die Kategorie gleich-ungleich
Es liegt auf der Hand, dass sich der in Abschnitt 4.1.5.2 im Zusammenhang mit der Kategorie groß-klein beschriebene Aspekt Größenvergleich mit der Kategorie gleich-ungleich überschneidet. Die Kategorie ist dennoch interessant, weil Vergleiche auch im Hinblick auf weitere Inhalte in den Äußerungen von Kindern zu erkennen sind. Die Systematik in Tabelle 4.6 zeigt anhand beispielhafter Äußerungen von Kindern, was dabei jeweils miteinander verglichen wird und welcher mathematische bzw. technische Inhalt darin zu erkennen ist. Wie auch in der Tabelle zu sehen ist, lassen sich die analysierten Äußerungen danach
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
369
Tabelle 4.6 Systematik zur Kategorie gleich-ungleich Funkon
(x)
Anzahl
Form
x
Größe
Anordnung
Vergleich von
x
(x)
das müssen wir dreimal
(x)
ich mach lauter kleine Vierecke; genau so ein Rad
x
wahr und falsch (dreht sich – dreht sich nicht) du baust das eine Ende und sie das andere; das ist falschrum so
x Bauteilen/Bauwerken miteinander
x
zu lang; ein Längeres
x
x x
x
Abbildung mit Bauobjekt x
x
x
(x)
x
passt das? 1-2-3-4-5 (Zählen der Teile des Objektes und im Bild) so sieht’s von vorne aus
x x
so ein langes Dach hat kein Mensch
(x)
x
x
so sieht’s doch wie ein Viereck aus nee blau … und jetzt ein weißes … ein blaues wieder weißt du, was das höchste Stockwerk [wäre]?
(x)
(x)
(x)
ein anderes Maislabyrinth
x Bauwerk mit Vorstellungsbild
x
(x)
x (x)
(x)
Beispiele
x
unterscheiden, ob konkrete Objekte, d. h. Bauwerke bzw. Bauteile, miteinander verglichen wurden, ob eine Abbildung zu einem konkreten Objekt in Beziehung gesetzt wurde oder ob es sich um einen Vergleich zwischen konkreten Objekten und Vorstellungsbildern handelt. Ein Teil der dargestellten Beispiele passt gut zu einem oder zwei der Inhalte Größe, Anordnung, Form, Anzahl oder Funktion. Die ersten drei entsprechen dabei weitgehend den Kategorien groß-klein, falschrum-richtigrum und schräg-gerade. Der Aspekt der Anzahl wurde nicht im Rahmen einer eigenen Kategorie betrachtet, im Zusammenhang mit der Kategorie groß-klein spielte er aber schon eine Rolle. Der Aspekt Funktion weist Überschneidungen mit den beiden Kategorien befestigt-unbefestigt und offengeschlossen auf, zumindest insoweit, wie sich die beiden Kategorien auf konkrete Funktions- und Nutzungsmöglichkeiten von Bauwerken oder Bauteilen beziehen. Weil die fünf Aspekte Größe, Anordnung, Form, Anzahl und Funktion einen Zusammenhang mit den bisher erläuterten inhaltsbezogenen Kategorien aufweisen, überrascht es nicht, dass die aufgeführten Beispiele auch Äußerungen umfassen, die bereits beschrieben wurden oder zumindest schon beschriebenen
370
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
ähnlich sind. Einige Äußerungen sind gelb markiert, weil sich darin das Vergleichen besonders gut zeigt und sie über schon diskutierte Situationen hinausgehen (vgl. Transkriptauszüge 4.1.6-A). Eine besondere Stellung hinsichtlich des Vergleichens kommt außerdem Situationen zu, in denen ein Seriieren zu beobachten ist (vgl. blaue Markierung in Tabelle 4.6), wie anhand der beiden Beispiele in Transkriptauszüge 4.1.6-B erläutert wird. Ron: (drückt Max Hand mit einem Bauteil weg) nee blau. Max: (fasst in die Kiste mit den Teilen) und jetzt brauchen wir noch ein weißes (schaut, was Ron macht) man muss da einbauen (beobachtet Ron beim Bauen und wendet sich dann wieder der Kiste zu) jetzt brauchen wir ein blaues wieder. gib mir mal (nimmt Ron das Leiter-Objekt aus der Hand) in die Mie einhaken (setzt einen blauen Stab an einem Verbindungsstück an) Ron: (baut das von Max hingelegte Teil ein) jetzt musst du nur noch, ähm vier rausholen nee drei drei drei. hast du drei? (nimmt von den Teilen, die Max ihm zeigt, die Stäbe und bewegt sie auf und ab) die müssen wir dreimal gell? Max: warte (baut an einen der beiden Holme einen Stab an) wir bauen jetzt erst mal so. Ron: dann müssen wir (baut am anderen Holmen einen Stab an) dann müssen wir nur noch eins dran gell. Max: (dreht sich zur Kiste und holt ein Teil) eins (?) (dreht sich wieder zurück) Juchu. Nele: (legt ein Teil auf die Abbildung) passt des man? ja des, (zeigt auf das Bild, neben dem abgelegten Bauteil) und dann so eins (ppt wieder auf das Bild) und dann muss man noch (unverständliches Gemurmel, während sie weiter mit dem Finger auf dem Bild entlangfährt) Ron: jetzt müsst ihrs aber wieder auauen Max: ja (wühlt in den Steinen) Anna: das ist aber ein anderes Maislabyrinth. Max: da wären die Klos, da wären zwei Klos
Transkriptauszüge 4.1.6-A: Vergleichen
In der Spielphase, in der Ron und Max gemeinsam eine Leiter aus SEVAMaterial herstellen, spielt Vergleichen eine zentrale Rolle. In Abschnitt 4.1.5.2 wurde bereits gezeigt, inwiefern Größenvergleiche dabei zu erkennen waren. Die beiden oberen in Transkriptauszüge 4.1.6-A veranschaulichten Situationen zeigen, dass ein Vergleichen auch in weiteren Zusammenhängen erkennbar ist. Ron und Max beschreiben beispielsweise, welche Bauteile sie als Nächstes benötigen, aufgrund solcher Formulierungen wie „ein Blaues wieder“ und der regelmäßigen Struktur der Leiter ist anzunehmen, dass sie diese Gleichmäßigkeit der Leiter hier
4.1 Mathematische Inhalte in Bauspielen
371
berücksichtigen. Neben dem auch sprachlich ausgedrückten Merkmal Reihenfolge oder Anordnung der Teile bezogen auf deren Farbe, könnten weitere Aspekte eine Rolle spielen. Beispielsweise sind die hier als „Weiße“ benannten und verwendeten Teile immer Eckteile, bei den als „Blaue“ bezeichneten Teilen handelt es sich jeweils um Stäbe, die allerdings in zwei verschiedenen Längen verwendet werden. Es liegt nahe, dass die Kinder, ohne dass sie das explizit sagen, auch darauf achten, dass es sich jeweils um die gleiche Sorte Teile handelt. Dabei könnten dann Form, Größe und Funktion der Teile berücksichtigt werden. Aufgrund der Ausdrücke „ein Weißes“ und „ein Blaues“ ist auch ein Zusammenhang mit der Anzahl anzunehmen, in diesem Fall mit der Anzahl eins. Der Aspekt Anzahl- bzw. Mengenvergleich tritt noch offensichtlicher in der zweiten dargestellten Situation hervor. Die Aussage von Ron „die müssen wir dreimal“ lässt sich jedenfalls so deuten, dass von einer bestimmten Sorte Teile drei Stück gebraucht werden. Neben der Anzahl ist beim Heraussuchen der Teile auch deren Form bzw. Funktion und Größe zu berücksichtigen. Die Situation lässt aber noch eine weitere Deutung zu. Die Feststellung, dass eine bestimmte Anzahl Teile benötigt wird, kann von Ron vermutlich nur deshalb getroffen werden, weil er das gleichmäßige Muster in der Leiter erkennt und sich vorstellt, wie es weitergeht. Erst das ermöglicht die Schlussfolgerung, dass noch eine bestimmte Anzahl ausgewählter Teile benötigt wird. Das Vergleichen von einem gebauten Objekt mit einer Abbildung zeigt sich nicht nur beim Vergleichen von Längen, wie anhand der Transkriptauszüge 4.1.5-H gezeigt wurde, sondern auch durch das Vergleichen einer Abfolge von Teilen. Neles Äußerung „passt des … und dann so eins“ lässt sich zusammen mit dem Antippen des Bildes so deuten. Darüber hinaus spielt Vergleichen im Bauspiel manchmal auch im Hinblick auf ein ganzes Bauwerk eine Rolle. So weisen einige Äußerungen daraufhin, dass die Kinder ihr Bauwerk mit dem eigenen Vorstellungsbild eines Objektes vergleichen. Es ist dabei nicht unbedingt offensichtlich, ob sie das Aussehen des Objektes, dessen Funktion(sweise), dessen Größe oder noch andere Aspekte bei ihrem Vergleich berücksichtigen. Wenn Anna beispielsweise sagt: „Das ist aber ein anderes Maislabyrinth“ (Transkriptauszüge 4.1.6-A, unten), stellt sich die Frage, inwiefern es anders ist. Max konkretisiert dazu, dass dieses nun „zwei Klos“ hat. Insofern lässt sich hier ein Vergleichen hinsichtlich der Anzahl der Toiletten erkennen. Das alte Maislabyrinth hatte nur ein Klo, das neue bekommt demnach zwei Klos. Der Vergleich hat aber auch mit der Verwendung des Objektes zu tun. Im ersten Maislabyrinth hat ein Klo nicht gereicht, damit alle Besucher rechtzeitig aufs Klo gehen konnten, dieses Problem könnte im neuen Maislabyrinth behoben werden. Ein Vergleich mit einem Vorstellungsbild zeigt sich im Zusammenhang mit dem Thema Maislabyrinth noch in einer
372
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
weiteren Situation, in der die Kinder das Maislabyrinth aufbauen. Anna äußert da: „Normalerweise ist es ganz anders, ich war mal in einem echten Maislabyrinth.“ Auch in dieser Äußerung bleibt offen, welchen Unterschied Anna meint. Es lässt sich im Bauspiel der Kinder also in ganz unterschiedlichen Kontexten ein Vergleichen erkennen, wobei aus einer mathematikdidaktischen Perspektive interessant erscheint, dass es dabei neben der Größe auch um Anzahlen, Anordnungen und Formen geht. Eine besondere Bedeutung kommt dem Vergleichen zu, wenn Objekte in eine Rangfolge gebracht werden. Ein typisches Beispiel ist, dass Objekte der Größe nach in eine Abfolge gebracht werden (sollen). Das Seriieren taucht in mathematikdidaktischen Überlegungen deshalb besonders oft im Zusammenhang mit dem Inhaltsbereich Messen & Größen oder Zahlen & Operationen auf. Tatsächlich zeigt sich Seriieren in den beobachteten Bauspielsituationen nicht daran, dass Kinder mehrere Objekte (der Größe nach) aufreihen, sondern daran, dass sie innerhalb eines Bauwerkes Reihenfolgen erkennen und dafür bestimmte Ausdrücke verwenden. Ron: haben die nicht ein Stockwerk höher noch? die haben doch fast jedes Stockwerk. (wendet sich ab, zur Kiste hin) Max: weißt du was der höchste der- (beugt sich zu den Teilen, nimmt eine Plae auf) Ron: komm ich bau, wir, ich bau den noch. Max: (bewegt eine Plae oben am Bauwerk entlang) der höchste Stockwerk, (steckt die Plae von hinten im obersten Bereich in das Bauwerk) kuck (baut die Plae ein) der höchste, das höchste Stockwerk, ist das höchste Stockwerk hier Ron: (bewegt ein ‚Männchen‘ am/im Bauwerk) ich bin fast im ganz obersten Stockwerk.
Transkriptauszüge 4.1.6-B: Seriieren
In beiden dargestellten Situationen nutzen die Kinder in den Wendungen „der höchste Stockwerk [sic]“ und „im ganz obersten Stockwerk“ die Superlative zu den Adjektiven hoch und oben. Das lässt sich so deuten, dass Max bzw. Ron die in ihrem Bauwerk befindlichen Stockwerke als Rangfolge wahrnehmen. Dass hier mehr als zwei Stockwerke miteinander verglichen werden, ist in beiden dargestellten Situation wahrscheinlich. So sagt Ron zunächst: „Haben die nicht ein Stockwerk höher noch?“ Die folgende Äußerung von Max verdeutlicht dann, dass er sich hier mehrere Stockwerke übereinander vorstellt, von denen eines das höchste ist. Die Aussage „ich bin fast im ganz obersten Stockwerk“ legt ebenfalls nahe, dass mehrere Stockwerke als aufeinanderfolgend wahrgenommen
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
373
werden. Gleichzeitig lässt sich in den Situationen nur schwer sagen, welcher Vergleich dem Seriieren zugrunde liegt. Während die Verwendung des Adjektivs hoch (– höher – am höchsten) auf einen Größenvergleich hindeutet, lässt die Verwendung von „im obersten Stockwerk“ diese Deutung nicht zu. Das aus dem Alltag bekannte Thema Stockwerke ist mathematisch keinesfalls eindeutig. Während die Abfolge erstes, zweites, drittes Stockwerk als Beispiel für die Verwendung von Ordnungszahlen gelten kann, lässt eine Nummerierung der Stockwerke als −1, 0, 1, 2, 3, …, wie man sie in Aufzügen findet, eine solche Deutung nicht zu. Es lässt sich hier nicht abschließend klären, ob tatsächlich die Rang- oder Abfolge der Stockwerke in den Äußerungen der Kinder abgebildet wird. Es scheint aber auf jeden Fall ein besonderes Interesse an dem Stockwerk, das in ihrem Bauwerk möglichst weit oben ist, zu geben. Man kann nur mutmaßen, dass die Höhe, in die man sich begibt, wenn man das höchste Stockwerk betritt, besondere Bedeutung für die Kinder hat.
4.2
Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
In Abschnitt 3.3.3.1 ist beschrieben, wie die Kategorien auf Prozessebene gebildet wurden. Mit den Kategorienbezeichnungen Herstellen/Checken, Konstruieren/Aufbauen, Evaluieren/Betiteln und Entwerfen/Adaptieren wurden Begriffe gefunden, die Verbindungen zu den in Abschnitt 2.2.2.2 dargestellten Teilprozessen des Problemlösens aufweisen. In der vorliegenden Studie ließen sich die gefundenen Prozesse in eine eigene Struktur bringen, die sich durch das folgende Modell (Abbildung 4.5) gut veranschaulichen lässt. Darin wird sichtbar, worin die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Prozessen bestehen. Während der Prozess Konstruieren/Aufbauen auf das Aushandeln der Bauweise für das geplante Bauwerk ausgerichtet ist, steht bei Evaluieren/Betiteln die Auseinandersetzung über die Bedeutung/Funktion und die Benutzung des Bauvorhabens im Mittelpunkt. Entwerfen/Adaptieren ist dadurch gekennzeichnet, dass die Kinder die Bauweise und die Funktion bzw. Bedeutung ihres Bauwerkes zueinander in Beziehung setzen und auf dieser Basis das weitere Vorgehen oder Veränderungen im Hinblick auf ihre Idealvorstellung des Bauwerkes besprechen. Der Prozess Herstellen/Checken steht in der Mitte des Modells, weil er sich auf Situationen bezieht, in denen Kinder nicht im Austausch mit anderen Kindern stehen, sondern mit sich selbst befasst sind. In solchen Situationen lassen sich manchmal Bezüge zur Bauweise, manchmal zur Funktion/Bedeutung des
374
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Abbildung 4.5 Modell zu Prozessen im Bauspiel
Gebauten oder sogar zu beidem erkennen, allerdings tritt das meist weniger deutlich hervor, als es der Fall ist, wenn die Kinder in einem Austausch miteinander stehen. Das beschriebene Begriffsverständnis und die Zusammenhänge zwischen den Begriffen geben noch keinen Aufschluss darüber, inwiefern die gefundenen Prozesse aus einer mathematikdidaktischen Perspektive verstanden werden und in einem weiteren Sinne sogar als mathematische Arbeitsweisen gelten können.
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
375
Dafür ist es notwendig, auch zu betrachten, welche Bedeutung die jeweiligen Prozesse in den beobachteten Bauspielsituationen haben. Abbildung 4.6 gibt zunächst einen ersten Überblick über das anteilmäßige Vorkommen der vier Kategorien. Dafür wurden für jedes Video und jedes beteiligte Kind alle Sequenzen gezählt, die dem jeweiligen Prozess entsprachen, was bedeutet, dass sie auch mindestens einer der Kategorien auf Inhaltsebene zugeordnet sind (vgl. Abschnitt 3.3.4.2).
Abbildung 4.6 Häufigkeiten der Prozesse
Man kann hier zunächst festhalten, dass die Kinder in mehr als der Hälfte der Situationen mit dem Konstruieren und Aufbauen befasst sind und sich dabei auf mindestens einen der Inhalte, die durch die Kategorien großklein, falschrum-richtigrum, gleich-ungleich, schräg-gerade, offen-geschlossen, befestigt-unbefestigt erfasst werden, beziehen. Es gibt demgegenüber jeweils weniger als ein Viertel der Situationen, in denen die Kinder ihre Bauwerke evaluieren beziehungsweise betiteln oder mit dem Entwerfen beziehungsweise Adaptieren von Bauwerken beschäftigt sind und sich dabei auf einen der genannten Inhalte beziehen. Nur sehr selten kamen Situationen vor, in denen die Kinder entsprechend dem Prozess Herstellen/Checken agierten und dabei klare Anhaltspunkte für eine Beschäftigung mit den Inhalten zeigten. Das wirft die Frage auf, ob aus mathematikdidaktischer Perspektive insbesondere dem Prozess des Konstruierens oder Aufbauens von Bauwerken Bedeutung zukommt und ob die unter Herstellen/Checken erfassten Aktivitäten weniger relevant sind. Diese und die oben genannten Fragen werden in den Abschnitt 4.2.1 bis 4.2.4 verfolgt, indem die Prozesse im Einzelnen analysiert und mögliche Deutungen diskutiert werden.
376
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Dafür ist es wichtig, auch zu betrachten, wie jeder einzelne Prozess mit den Inhalten in Verbindung steht und inwiefern mehrere Inhalte gleichzeitig zu erkennen sind.
4.2.1
Konstruieren/Aufbauen
Wie oben schon dargestellt, kamen Sequenzen, bei der die Bauspielaktivitäten der Kinder als Konstruieren oder Aufbauen gedeutet werden konnten, mit Abstand am häufigsten vor. Allein schon aufgrund der großen Anzahl zugeordneter Sequenzen liegt es nahe, dass eine sehr große Bandbreite an Aktivitäten und Inhalten dabei zu erkennen sein wird. Die folgende Visualisierung (Abbildung 4.7) zeigt, welche Kombinationen von inhaltsbezogenen Kategorien bei den mit Konstruieren/Aufbauen codierten Sequenzen gefunden wurden.
Abbildung 4.7 Die Kategorie Konstruieren/Aufbauen
Bei einem Teil der Sequenzen deuten die Aktivitäten der Kinder auf genau einen der Inhalte hin, häufig ließ sich in den beobachteten Sequenzen aber auch ein Bezug zu zwei, drei oder mehr inhaltsbezogenen Kategorien gleichzeitig herstellen. Kombinationen der Kategorien groß-klein und gleich-ungleich sowie der Kategorien falschrum-richtigrum und schräg-gerade wurden besonders oft gefunden und sind deshalb in der Grafik rot hervorgehoben. Das gemeinsame Vorkommen der beiden Kategorien groß-klein und gleich-ungleich liegt insofern nahe, als dass mit der Kategorie groß-klein häufig das Vergleichen von Größen beschrieben wird. Das wiederum ist auch Teil der Kategorie gleich-ungleich (vgl. Abschnitt 4.1.6). Die Tatsache, dass sich die Kategorien falschrum-richtigrum und schräg-gerade in vielen Situationen gemeinsam finden lassen, ist zumindest in einem Teil der Fälle darauf zurückzuführen, dass beim Aufbauen eines Bauwerks die Beschreibung bestimmter geometrischer Relationen (z. B. senkrecht zu) ähnlich einer Wegbeschreibung erfolgt. Das bedeutet, dass räumliche Begriffe oder
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
377
räumliche Beziehungen dabei eine Rolle spielen, weshalb auch eine Einordnung in die Kategorie falschrum-richtigrum erfolgte (vgl. auch Abschnitt 4.1.1 und 4.1.3). Eine Besonderheit, die sich bei Kombinationen von drei und mehr Inhalten erkennen lässt, ist die Häufigkeit der Kategorien falschrum-richtigrum, gleichungleich sowie offen-geschlossen. In den meisten Kombinationen sind zumindest zwei dieser Kategorien enthalten. Wenn im Folgenden dargestellt wird, wie die Kinderäußerungen, die dem Prozess Konstruieren/Aufbauen zugeordnet sind, charakterisiert werden können, werden gleichzeitig die Zusammenhänge von und mit bestimmten Inhalten oder inhaltsbezogenen Kategorien deutlich. Das geschieht ähnlich wie in Abschnitt 4.1 anhand ausgewählter Transkriptauszüge, wobei diese als Belege angeführt werden, aber nicht mehr im Detail interpretiert werden, da das ausführlich in den Kapiteln zu den inhaltsbezogenen Kategorien erfolgt ist. Eine Analyse der Bauspielsituationen, die dem Prozess Konstruieren/Aufbauen zugeordnet und gleichzeitig nur mit einer inhaltsbezogenen Kategorie codiert sind, zeigt, dass die Kinder oft die einzelnen Bauteile im Blick haben. Wenn der Fokus ausschließlich auf der Auswahl oder dem Finden von bestimmten Bauteilen liegt, lässt sich vor allem ein Zusammenhang mit den beiden Kategorien groß-klein und gleich-ungleich feststellen. Emma: (legt ihr Objekt ab, so dass es wieder im Kameraausschni zu sehen ist) wir haben keine langen Stangen mehr. Nele: Emma pass mal kurz aufEmma: ich brauch eine lange Stange aber es hat keine mehr das ist ja gerade das Problem. Nele: aber irgendwo ist doch die Schüssel (kommt in den Kameraausschni zurück) Anna ich hab die Schüssel gefunden hol sie mal die gelbe Schüssel wo die anderen Sonos drin sind. Anna: die brauchen wir doch nicht Nele: dohoch weil da sind so welche gelbe Teile hier drin. (Nele zeigt auf dem Bild ein bestimmtes Teil)
Transkriptauszüge 4.2.1-A: Welche Teile?
Genau wie das Emma in der oberen der beiden dargestellten Situationen tut, nutzen die Kinder, wenn sie darüber sprechen, welche Bauteile sie benötigen, besonders häufig Größenbezeichnungen. In Abschnitt 4.1.5.1 ist dargestellt, dass dieser Aspekt als Klassifizieren nach Größe gedeutet werden kann. Neben dem Benennen nach der Größe werden Bauteile auch aufgrund ihrer Farbe bezeichnet, wie das im zweiten der beiden Transkriptauszüge erkennbar ist. Auch das Zeigen eines bestimmten Bauteiles, beispielsweise in einer Abbildung, wird von
378
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Kindern immer wieder genutzt, um zu klären, welches Bauteil gebraucht wird. Wenn die Kinder feststellen, dass so ein Bauteil wie dieses hier gebraucht wird, findet ein Vergleichen statt. Außer durch die Größe, die Farbe oder das Zeigen werden Bauteile mitunter auch aufgrund ihrer Funktion noch genauer beschrieben. Zum Beispiel finden sich folgende Äußerungen von Kindern: „ein Kleines, wo Reifen drankönnen“, „ein Steckerle“4 oder „ein weißer Knopf“. Darin zeigt sich ein Bezug zur Kategorie befestigt-unbefestigt. Nicht immer, wenn die Kinder sich in ihren Äußerungen auf einzelne Bauteile beziehen, geht es darum zu beschreiben, welche Bauteile benötigt werden. Es kann auch ein Thema sein, wo Teile hingehören und wie sie angebaut werden können. In diesem Kontext kommen vor allem die Kategorien falschrum-richtigrum und befestigt-unbefestigt vor. Anna: (nimmt einen Klotz, legt ihn an einer bestimmten Stelle auf dem Turm ab, spricht zu Anna) nein eigentlich hat er dahin gehört (nimmt einen weiteren Klotz, legt ihn wieder an eine bestimmte Stelle) und dann machen wir hier so (nimmt erneut einen Stein, legt ihn auf die Posion neben dem zuvor gelegten Stein) und dann machen wir da weiter (zeigt auf die nächsten ‚Lücken‘) und dann da und hier Anna: (hält eine durch Stäbe umrundete Plae Kante an Kante mit einer anderen durch Stäbe umrundetete Plae, dreht sich damit zu Emma um) wie könnt ich das jetzt anbauen? Emma: (sehr leise) weiß ich auch nicht (?) Anna: wie könnt ich das nur anbauen?
Transkriptauszüge 4.2.1-B: Wo und wie anbauen?
In nur wenigen Bauspielsituationen, die dem Prozess Konstruieren/Aufbauen zugerechnet wurden, ist das ganze Bauwerk Gegenstand der Betrachtung der Kinder. Wenn das der Fall war, befassten sich die Kinder vor allem damit, dass ein Bauwerk eine bestimmte Höhe beziehungsweise Länge hat. Eine besondere Stellung nehmen hier aber die Äußerungen ein, die der inhaltsbezogenen Kategorie schräg-gerade zugeordnet sind, für diese gilt stets, dass sie sich auf das Aussehen einer Anordnung aus mehreren Bauteilen beziehen.
4 Als
Steckerle (oder Knopf) werden von den Kindern die Teile des SEVA-Materials bezeichnet, mit denen Stäbe gerade oder über Eck miteinander verbunden werden können.
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
379
Max: (kommt dazu) ach Quatsch nicht so Bogen bauen (schiebt die Klotzreihe weg) sondern so richg gerade, also... also
Ron: (kniet sich dazu, richtet die 5 Klötze gleichmäßiger aus) so sieht es doch wie ein Viereck aus Max: (richtet ebenfalls die Klötze gleichmäßiger aus) so
Transkriptauszüge 4.2.1-C: Wie anbauen? (Kategorie schräg-gerade)
In den Aktivitäten der Kinder, die als Konstruieren oder Aufbauen gedeutet wurden, gilt für viele Sequenzen, wie oben bereits gezeigt wurde, dass sich in einer Aktivität Bezüge zu zwei und mehr Inhalten finden lassen. Im Folgenden soll deshalb betrachtet werden, inwiefern sich besondere Merkmale für den Prozess Konstruieren/Aufbauen erkennen lassen, wenn er mit zwei oder mehr Inhalten verbunden ist. Man findet hier zum einen solche Situationen, die den oben dargestellten sehr ähneln, nur dass dabei Aussagen gemacht werden, die nicht eindeutig einem Inhalt zuzuordnen sind. Neben der schon dargestellten Überschneidung der beiden Kategorien gleich-ungleich und groß-klein gibt es einige Begriffe, an denen sich Überschneidungen auch zwischen anderen Inhaltsbereichen erkennen lassen. So können die Ausdrücke „geradeaus“ oder „abbiegen“ sowohl der Kategorie falschrum-richtigrum als auch der Kategorie schräg-gerade zugeordnet werden. Auch für die Begriffe „reinstecken“ und „runterrutschen“ gilt, dass sie auf zwei Kategorien hinweisen. Man kann sie sowohl der Kategorie befestigt-unbefestigt als auch der Kategorie falschrum-richtigrum zuordnen. Die von den Kindern genutzten Begriffe und ihre Deutung als mathematische Inhalte wurden in Abschnitt 4.1 bereits ausführlich betrachtet, weshalb hier nicht weiter darauf eingegangen werden soll. Allerdings gilt nur für einen Teil der Situationen, in denen zwei oder mehr Inhalte zugeordnet wurden, dass das auf Überschneidungen durch die Verwendung bestimmter Ausdrücke oder auf die Systematik der inhaltsbezogenen Kategorien zurückzuführen ist. So zeigen sich in Sequenzen, in denen die Kinder detaillierte Beschreibungen zum Bauen geben oder komplexe Arbeitsschritte am Bauwerk kommentieren, häufig Bezüge zu mehreren Inhalten, wie folgende Beispiele verdeutlichen.
380
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive … Ron: (setzt oben mig einen weiteren Klotz) und dann müssen wir da oben noch gla hinbauen (setzt Stein neben den bereits bestehenden Klotzstapel) dann müssen wir da noch einen Turm hinbauen (setzt weiteren Klotz daneben, dann Klotz darauf) Max: (fasst in die Kiste mit den Teilen) und jetzt brauchen wir noch ein weißes (schaut, was Ron macht) man muss da einbauen (beobachtet Ron beim Bauen und wendet sich dann wieder der Kiste zu) jetzt brauchen wir ein blaues wieder. gib mir mal (nimmt Ron das Leiter-Objekt aus der Hand) in die Mie einhaken (setzt einen blauen Stab an einem Verbindungsstück an) Emma: (legt ihr Objekt auf dem Boden ab) aber weißt du das ist halt das Problem. du musst das nicht bauen weil ich bau gerade (?) (fährt mit der Hand die Seite, an der noch Teile gebaut werden sollen, nach) ich bau des so runter und dann hier (fährt die fehlende Seite nach) und dann muss man innen nur noch die Plaen reinmachen.
Transkriptauszüge 4.2.1-D: Kommentierung der Bautätigkeit (mehrere Inhalte)
Darüber hinaus finden sich Sequenzen, in denen die Kinder in ihren Äußerungen mehrere Inhalte verknüpfen, um eine bestimmte Bauweise zu begründen. Dann geht es zum Beispiel darum, an welche Stelle ein Bauteil wie und weshalb gehört oder welches Bauteil wohin gehört und warum. Ron: nein wir müss, (fasst an die Leiter) ich weiß. (nimmt die Leiter und baut die obere Leitersprosse mitsamt den Verbindungsstücken ab) da muss man das wegtun weil sonst kann man’s ja nicht abbiegen da muss man (?) (baut ein weißes Verbindungsstück wieder an) ein weißer Knopf muss dran seinMax: (fasst an die Leiter) nein (fährt mit der Hand an einem Stab der oberen Kante des Bauwerkes entlang) kuck mal. Ron: sonst kann man das doch nicht hier festmachen. (versucht, die Leiter schräg oben an dem Bauwerk zu befestigen.) Max: (steht neben dem Kistenstapel und den auf dem Boden liegenden Klötzen) nein wir brauchen die langen ja (hebt lange Klötze vom Boden auf) die ganzen langen die wir haben die müssen zusammen sein (legt lange Klötze auf einen Haufen) sonst haben wir die nicht geordnet für nachher. die Langen kommen alle hier, (sammelt weiter die langen Klötze aus den anderen heraus und legt sie zusammen) Max: (versucht eine kleine Plae zwischen Leiter und Bauwerk zu befestigen) Ron: (schaut auf Max) des bringt nix. Max: Werkzeug (?) Ron: (schaut auf den Plaenbefesgungsversuch von Max) die geht nicht (zeigt auf das Befestigungshindernis schwarzes Verbindungsstück) kuck weil da so ein Schwarzes (Max nimmt die Plae weg) aber dann brauchen wir solche Kleinen (wendet sich ab, holt eine andere kleinere Plae) die gehen. (baut die Plae ein)
Transkriptauszüge 4.2.1-E: Begründung für Bauaktivität (mehrere Inhalte)
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
381
Es lassen sich vereinzelt auch Begründungen erkennen, bei denen die Kinder sich nur auf einen Inhalt beziehen, dafür werden dann mehrere seiner Facetten zueinander in Beziehung gesetzt. Ein interessantes Beispiel dafür ist folgende Äußerung von Anna, die sie tätigt, während aus Bauklötzen die unterste Reihe für einen Turm gelegt wird: „Muss klein sein, sonst können wir nicht die Leiter nehmen.“ Bei dieser Aussage geht es anders als in den Beispielen oben, nicht um die Begründung für den Umgang mit bestimmten Bauteilen, sondern um Überlegungen zur Bauweise eines ganzen Bauwerkes. Fasst man die Befunde dieser Analyse zusammen, kristallisiert sich eine mögliche Untergliederung des Prozesses Konstruieren/Aufbauen heraus. Eine erste Unterscheidung kann danach erfolgen, ob das Kind durch seine Äußerungen eine Bauaktivität nur beschreibt beziehungsweise kommentiert oder ob eine Bauaktivität auch begründet wird. Unterhalb dieser groben Unterteilung lassen sich weitere Facetten unterscheiden. Zunächst kann danach unterteilt werden, ob der Blick auf die Bauteile oder das (An-, Ab-, Weiter-, Um-) Bauen gerichtet ist oder ob sowohl das Bauen als auch die dafür verwendeten Bauteile thematisiert werden. Eine weitere Einteilung lässt sich anhand der jeweils gefundenen Inhalte vornehmen, wobei manche Inhalte und Kombinationen von Inhalten zwangsläufig mit der ein oder anderen Facette verknüpft sind. In Tabelle 4.7 ist diese Untergliederung systematisch dargestellt. Die Ausführungen in diesem Kapitel und die obenstehende Systematik zeigen, dass der Prozess Konstruieren/Aufbauen aus einer mathematikdidaktischen Perspektive als ein Beschreiben, Kommentieren oder Begründen der Bauweise charakterisiert werden kann. Seine Bedeutung für das Mathematiklernen ergibt sich vor allem durch vielfältige Bezüge zu den unterschiedlichen inhaltsbezogenen Kategorien, die sich auch in der Sprache der Kinder zeigen. Eine differenzierte Analyse der durch Sprache begleiteten Handlungen der Kinder und der Deutung als mathematische Inhalte ist in Abschnitt 4.1 dargestellt.
4.2.2
Evaluieren/Betiteln
Betrachtet man Abbildung 4.6 ist es doch etwas überraschend, wie wenige Sequenzen im Vergleich zur Kategorie Konstruieren/Aufbauen dem Evaluieren/Betiteln zugeordnet wurden. Angesichts der Überlegungen in Abschnitt 2.1 zum Bauspiel von Kindern wäre zu erwarten, dass Aktivitäten wie das Benennen eines Bauwerks oder das Erproben der Funktion des Gebauten im Spiel der Kinder ein größeres Gewicht haben, als das die Grafik zeigt. Es ist allerdings zu
382
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Tabelle 4.7 Systematik zum Prozess Konstruieren/aufbauen Faceen von Konstruieren/Auauen schräg-gerade
offen-geschlossen
groß-klein
befesgt-unbefesgt
gleich-ungleich
falschrum-richgrum
Äußerungen
Beschreiben oder Kommeneren der Bauweise
Welche Bauteile?
ein Langes; ein Kurzes; so welche gelben Teile solche schmalen Langen; die sind gleich groß das Steckerle haben wir nicht
dahin… dann so (zeigen wohin Teile kommen)
Wo und/oder wie wird (an-/ ab-/ weiter-/ um-) gebaut?
Welches Bauteil, wird wo und/oder wie verwendet?
Begründen der Bauweise
Warum wird so (an/ ab-/ weiter-/ um-) gebaut?
reinstecken; da einbauen; runterrutschen geradeaus; abbiegen so hoch (zeigen der Höhe mit der Hand) hochbauen; ganz runter bauen; da oben gla… da einen Turm hinbauen ich bau des so runter … und innen die Plaen rein die Langen da hin
muss klein sein, sonst können wir nicht die Leiter…
nicht so Bogen bauen; richg gerade bauen;
diese großen Stangen, die kann ich aus den Kleinen machen
Welche Teile, (wo/wie) und weshalb?
festmachen; wegbauen; anbauen
wir versuchen nur mal, wie lang sie sein müssen aber man kann es doch so befesgen, dann hebt sie besser aber kuck mal, dann streckt das ja den Po nach hinten… ich mach aber sowas, weil das Dach geht ja so und wie kann man das dann da ran machen, wenn da kein Klotz dran ist die Langen müssen zusammen sein, sonst haben wir die nicht geordnet für nachher da muss man das wegtun, weil sonst kann man es nicht abbiegen die geht nicht, weil da so ein schwarzes [Teil ist]
berücksichtigen, dass in der vorliegenden Studie nur jene Sequenzen codiert wurden, bei denen der Prozess Evaluieren/Betiteln auch im Zusammenhang mit einer der Kategorien auf Inhaltsebene vorkam. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Kind an einem Bauwerk aus Holzbauklötzen mitbaut und dabei sagt: „Das hier ist die Schleuse, die große Dicke. Okay das ist die große dicke Schleuse.“
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
383
Hier bekommt ein Bauwerk einen Namen und wird dabei gleichzeitig als „groß“ und „dick“ charakterisiert. Damit entspricht das Gesagte der Kategorie großklein auf Inhaltsebene. Anders sieht das bei der Situation aus, in der ein Kind ein Bauobjekt aus SEVA-Material aufnimmt, das aus einem Stäbchen und einem Verbindungsstück zusammengesetzt ist, und dazu sagt: „Das ist ein Männchen.“ In dieser Situation wird ein Bauobjekt als Männchen betitelt, da die Äußerung aber keine Verbindung zu einer Kategorie auf Inhaltsebene erkennen lässt, wurde sie nicht der Kategorie Evaluieren/Betiteln auf Prozessebene zugeordnet (vgl. dazu auch das Flussdiagramm in Abschnitt 3.3.4.2). Die mathematikdidaktische Bedeutung von Evaluieren/Betiteln lässt sich nun weniger aus der Anzahl der Fundstellen ableiten, sondern bedarf einer weiteren Analyse, welche Inhalte sich in Verbindung mit dem Prozess in den Bauspielaktivitäten der Kinder aufdecken lassen.
Abbildung 4.8 Die Kategorie Evaluieren/Betiteln
In der Abbildung 4.8 ist zu erkennen, dass es hier weitaus weniger Kombinationen von Inhalten gibt. Einen besonderen Stellenwert nehmen die Kategorien gleich-ungleich, groß-klein und falschrum-richtigrum ein. Das Vorkommen der Kategorie schräg-gerade ist hier etwas überraschend, weil die Kategorie insgesamt nur selten gefunden wurde und meistens ganz eng mit Aussagen zur Bauweise verknüpft war (vgl. dazu auch Abschnitt 4.1.3). Die weitere Analyse der Aktivitäten, die als Evaluieren/Betiteln gezählt wurden, deutet darauf hin, dass dieser Prozess dann aus mathematikdidaktischer Perspektive interessant ist, wenn die Kinder auf die Bedeutung und bestimmte Eigenschaften des Aussehens ihrer Bauobjekte fokussieren, wie es in den folgenden Beispielen sichtbar wird:
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Jan: (baut am Bauwerk) das hier ist die Schleuse, die große Dicke. okay das ist die große dicke Schleuse. Luca: ich bau da noch was hin Sonja: hey Luca (?) Schalter (legt einen ‚Hocker‘ auf den Boden) Jan: das hier ist die große dicke Schleuse weißt du. Emma: sieht aus wie ein Kran was ich da gebaut hab. Anna: dann musst du da den Kran bauen. Emma: (dreht ihr Objekt etwas hin und her) ich mach ja auch kein Kran ich machs ja auch noch weiter (wendet sich ab) Anna: du machst hier des da Emma: ich mach des Hausdach Nele: (hält ihr Gebautes mit der Ecke nach oben) so sieht doch des Dach gut aus (setzt es auf dem Boden ab, so dass die Ecke nach oben steht) Emma: aber so ein langes Dach (streckt ihren Arm zur Seite aus) hat doch kein Mensch Transkriptauszüge 4.2.2-A: Eigenschaften oder Aussehen eines Bauwerks
Transkriptauszüge 4.2.2-A: Eigenschaften oder Aussehen eines Bauwerks
Alle drei Beispiele weisen Verbindungen mit den Inhaltskategorien groß-klein und/oder gleich-ungleich sowie schräg-gerade auf. Es finden sich keine Sequenzen, bei denen ein Evaluieren der äußeren Merkmale eines Bauobjektes stattfand, die einen Bezug zu anderen Inhalten erkennen lassen. Es gibt aber durchaus Sequenzen, die dem Evaluieren zugeordnet wurden und die Verbindungen zu weiteren Inhalten aufweisen. Das ist dann der Fall, wenn die Funktion eines Bauwerks besprochen wird.
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
385
Max: (wendet sich Anna zu, fasst in Richtung des Objektes) kuck mal (Anna nimmt das Objekt und hält es außer Reichweite von Max) das kann man auch so machen. (Max versucht, Emmas Objekt zu nehmen, die es noch weiter weghält, darauin macht Max die Hand zur Faust und zieht sie über den Boden) düüüüüüüüüüüüü (Emma setzt ihr Objekt mit dem Stangenende auf dem Boden ab und zieht es darüber) auf der Seite. (Emma legt ihr Objekt wieder auf den Rädern ab und zieht es so) nein so. (Max fasst an das Objekt und richtet es so auf, dass es auf den Rädern steht) Max (schiebt sein Fahrzeug über den Boden, macht Fahrgeräusch dazu) Ron: das eine rollt net (fasst an beide Räder, dreht sie hin und her) es rollt. Max: (schiebt das Fahrzeug weiter über den Boden) aber eins muss, muss, die beiden müssen gar nicht (rollen?) Ron: (zeigt auf unterschiedliche Teile am Bauwerk) das treibt auch an und das auch. gell alles wo Räder hat treibt an? allesMax: (hantiert an dem mileren Dachanbau) kuck des treibt an (dreht die Räder des Objektes) Ron: aber das (fasst an das ‚Rollschuh‘-Objekt) aber das sind Rollschuh. gell? Max: (fasst an die Räder des ‚Rollschuhs‘) ja aber das treibt auch an weil die Rollschuhe sich drehen.
Transkriptauszüge 4.2.2-B: Funktion eines Bauwerks
Allen drei Beispielen ist gemeinsam, dass die Objekte Räder als bewegliche Teile haben. Deren Funktion ist jeweils Gegenstand der Auseinandersetzung, es geht also darum, ob die Räder sich drehen können oder wie herum ein Objekt sein muss, damit es auf den Rädern fahren kann. Die Frage, ob sich etwas besser oder überhaupt dreht, ist auch bei den folgenden zwei Beispielen im Fokus, bei denen sowohl die Funktion eines Objektes als auch das Aussehen beziehungsweise dessen Eigenschaften thematisiert werden. Anna: (hält ihr gebautes Objekt in die Kamera mit dem Propeller nach vorne) so sieht es von vorne aus, so. (?) aber kann nicht schrauben, ah. (legt ihr Objekt wieder auf dem Boden ab) und es geht leicht kapu. Max: mhm unsere rollen besser das sind halt verschiedene Sorten von diesen Rädern. die sind anders als die da kuck, kuck die ham zum Beispiel efe und die (zeigt auf ein Rad und hält ein anderes daneben, Ron schaut zu ihm) höher. (legt das Rad wieder ab)
Transkriptauszüge 4.2.2-C: Aussehen oder Eigenschaften und Funktion eines Objektes
Die Thematisierung des Zusammenhangs zwischen den äußeren Eigenschaften eines Objektes und dessen Funktion findet sich in einigen weiteren Sequenzen, die dem Evaluieren/Betiteln zuzurechnen waren, wie unten verdeutlicht wird.
386
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Viel häufiger konnten solche Zusammenhänge aber bei der Kategorie Entwerfen/Adaptieren entdeckt werden (vgl. Abschnitt 4.2.3), wobei die Unterscheidung zwischen den beiden Kategorien nicht immer ganz einfach ist. Ron: (schaut auf Max) und warum ganz oben? so können sie den doch gar nicht runterholen?
Transkriptauszüge 4.2.2-D: Kategorie Evaluieren/Betiteln oder Konstruieren/Aufbauen?
Auf den ersten Blick ließe sich diese Äußerung gut der Kategorie Evaluieren/Betiteln zuordnen. Allerdings legt der Kontext der Situation nahe, dass die Frage „Und warum ganz oben?“ als eine Kritik von Ron an der von Max gewählten Bauweise zu deuten ist. Ron meint hier wahrscheinlich: „Und warum baust du den ganz oben drauf, da können sie den doch gar nicht runterholen.“ Bei dieser Formulierung wird deutlich, dass eine Zuordnung zu Entwerfen/Adaptieren passender ist. Auch wenn die Äußerung nicht dem Evaluieren/Betiteln zugeordnet wird, ist sie hier aus einem anderen Grund interessant. Im Unterschied zu den vorigen Beispielen wird das Bauwerk nicht als Gegenstand beziehungsweise Ergebnis einer Bautätigkeit angesehen oder bewertet, sondern hinsichtlich seiner Bedeutung in einem Rollen- und Fantasiespiel betrachtet. Mit „sie“ dürften in dem Beispiel oben die Personen (Figuren) gemeint sein, die in Rons Vorstellung in dem Bauwerk unterwegs sind. Diese Art von Interaktion lässt sich auch in Sequenzen zum Evaluieren/Betiteln finden. Es zeigt sich darin ein fließender Übergang vom Sprechen über das Ergebnis einer Bautätigkeit hin zum Sprechen über die Verwendung des gebauten Objektes in einem Fantasiespiel. So wechseln die Kinder innerhalb eines Dialoges oder einer Aussage durchaus selbst die Perspektive, wie in Transkriptauszüge 4.2.2-E zu erkennen ist.
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
387
Sonja: (zeigt mit dem Finger auf die Öffnung) aber hier kommt Wasser raus (geht mit ihrem Finger die Fließrichtung nach) Wasser schhhh (richtet sich auf) Luca Achtung da kommt Wasser zu dir ... bsch, nein Jan (zeigt mit dem Finger den Start des Wassers) hier kommt Wasser rein und dann (zeigt den Weg des Wassers) Ron: (setzt die Plae ein) […] jetzt haben sie ein größeres Stockwerk. gell? Max: (ist noch mit der Befestigung der Plae befestigt) von da darüber. Ron: ja weil sonst ist das ja komisch weil sonst können die jaMax: kuck dann können die, (zeigt auf die Leiter) dann können sie dadurch (zeigt auf die milere Plae) dann können sie da rein (bewegt die Hand auf die rechte Plae) und dann zu dem Stockwerk hier. Max: (baut Klötze an) so jetzt ist hier zu dann müssen sie wieder zurücklaufen (setzt Klötze zu einer ‚Wand‘) weil es zu ist (richtet die Klötze so aus, dass keine Lücke mehr bleibt) Ron: (schaut auf Max) die müssen zumMax: (richtet weiter Klötze aus) kuck hier ist zu (schiebt die Klötze so, dass sich zwei etwas überlappen, fasst an eine andere Stelle im Labyrinth) kuck hier ist abgeschlossen. Ron: (zeigt in die Mie des Bauwerks) ja dann muss man in diesem rumlaufen und einen Ausgang finden. gell. Emma: (zeigt auf das andere Ende des Bauwerks) da ist der Ausgang. Max (verfolgt den Weg zurück, zeigt mit dem Finger) kuck da muss man wieder zurück (zeigt auf das Ende an der anderen Seite)
Transkriptauszüge 4.2.2-E: Fantasie- und Rollenspiel
Die Aussage von Sonja befasst sich damit, wie Wasser durch das gebaute Objekt fließen könnte, wenn es ein Wasserweg wäre. Dann wird in die Rollenspielperspektive gewechselt, indem das Geräusch des Wassers nachgeahmt wird und Luca davor gewarnt wird, dass Wasser zu ihm kommt. Ähnliches gilt für das untere Beispiel in den Transkriptauszügen, dort wird zunächst so gesprochen, als ob tatsächlich Personen durch das Bauwerk (ein Maislabyrinth) laufen, indem das Personalpronomen „sie“ verwendet wird, dann verändern die Kinder die Sprache etwas und verwenden das Wort „man“. Dadurch steht weniger das Fantasiespiel mit dem Bauobjekt im Mittelpunkt, sondern es wird stärker der modellhafte Charakter des Bauwerks betont. Wenn in Tabelle 4.8 eine Unterscheidung zwischen Fantasiespiel und Bauspiel zur Untergliederung der Kategorie Evaluieren/Betiteln gewählt wird, handelt es sich nicht um ein entweder… oder. Vielmehr soll damit ausgedrückt werden, dass es bestimmte Sequenzen gibt, in denen auch ein Bezug zu einem Fantasie- und Rollenspiel zu erkennen ist.
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4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Tabelle 4.8 Systematik zum Prozess Evaluieren/Betiteln Facee n von Evaluieren/Betiteln schräg-gerade
offen-geschlossen
groß-klein
befesgt-unbefesgt
gleich-ungleich
falschrum-richgrum
Vorstellen/Bewerteneines Bauwerkes
Das Bauwerk im Fantasieund Rollenspiel
das ist die große dicke Schleuse
Bedeutung/ äußere Eigenschaften
normalerweise ist es ganz anders, ich war mal in einem echten Maislabyrinth ist so klein (hält ihre Hand flach oben auf das Gebaute) sieht aus wie ein Kran so ein langes Dach hat kein Mensch das kann man auch so machen … auf der Seite (auf die Räder stellen)
Funkon
aber die beiden müssen gar nicht rollen so jetzt ist hier zu, dann müssen sie wieder zurücklaufen ich war gerade mie ndrin im Labyrinth
Bedeutung/ äußere Eigenschaften und Funkon
ein ganz schöner Stau ist da, weil alle müssen aufs Klo das ist eine Leiter, damit die da ganz hoch kommen unsere rollen besser… die ham efe und die höher jetzt haben sie ein größeres Stockwerk von da darüber
Insgesamt sind die Situationen, die der Kategorie Evaluieren/Betiteln zuzurechnen sind, von der Auseinandersetzung mit der Bedeutung, den Eigenschaften und der Funktion eines Objektes geprägt. Das findet sich sowohl, wenn Kinder ein Bauwerk vorstellen oder bewerten als auch dann, wenn das Bauwerk als Spielgegenstand für ein Fantasie- oder Rollenspiel gesehen wird. Aus mathematikdidaktischer Perspektive ist festzuhalten, dass sich bei Äußerungen zur
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
389
Funktion in besonderem Maße ein Bezug zur Kategorie befestigt-unbefestigt zeigt (vgl. Transkriptauszüge 4.2.2-B und Transkriptauszüge 4.2.2-C), was insofern nahe liegt, als alle Äußerungen, die sich darauf beziehen, ob sich etwas drehen kann oder rollt, in diese Kategorie einzuordnen sind (vgl. Abschnitt 4.1.4). Die Kategorie falschrum-richtigrum wurde ebenfalls insbesondere im Zusammenhang mit Äußerungen zur Funktion eines Objektes gefunden, wobei hier die Auseinandersetzung mit der Richtung einen besonderen Stellenwert einnimmt. Äußerungen zur Bedeutung und zu Eigenschaften der Bauwerke oder Bauobjekte beziehen sich hingegen fast immer darauf, wie groß oder klein etwas ist und ob es einem (Vorstellungs-)Bild oder einem anderen Objekt entspricht. Man kann hier sehen, dass es auch dann Bezüge zu mathematischen Inhalten gibt, wenn Kinder Bauwerke als Spielgegenstand begreifen und sich über Bedeutung, Eigenschaften und Funktionen von Bauobjekten austauschen, ohne dass deren konkreter Aufbau und Arbeitsschritte des Bauprozesses besprochen werden.
4.2.3
Entwerfen/Adaptieren
Betrachtet man Abbildung 4.6 auf Seite 266, fällt auf, dass die Kategorie Entwerfen/Adaptieren in einem ähnlichen Umfang codiert wurde wie Evaluieren/Betiteln. Da beim Entwerfen oder Adaptieren eines Bauwerkes, wie die Kategoriendefinition in Abschnitt 3.3.3.1 und Abbildung 4.5 (in Abschnitt 4.2) zeigen, sowohl die Bedeutung/Funktion eines Bauwerks als auch die Bauweise des geplanten Bauwerks berücksichtigt und miteinander verknüpft werden, ist das vermutlich der anspruchsvollste der Prozesse. Insbesondere vorausschauendes Denken könnte hier eine zentrale Rolle spielen, das ist beispielsweise zu erkennen, wenn ein Kind sagt: „Nein jetzt muss es abbiegen, sonst hat man da ja kein Platz mehr zum Rausgehen.“ Nicht immer tritt das Entwerfen/Adaptieren oder das klare Begründen so deutlich in der Sprache der Kinder zu Tage wie in dieser Äußerung. Die zwei folgenden Beispiele zeigen, dass das Entwerfen oder Adaptieren manchmal eher im Vagen bleibt.
390
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
Luca: (steht auf) ich mach da einen Pfeil Jan: (steht) nein wir brauchen keine Pfeile. weißt du (wendet sich ab) da gibts keine Pfeile. (geht weg) Luca: (baut an eine, wie eine Pfeilspitze aussehende Form aus Klötzen Kötze als Pfeillinie an) Jan (?) so ein Pfeil (steht auf und geht) Jan: wir bauen hier die so, (zeigt auf das Teil, das Leon in der Hand hat) die Säulen so. Mist wir haben das zu klein gebaut die Wege. (geht auf eine andere Seite des Bauwerks) tu es hier hinstellen weil da hab ich das richge hin gebaut. (stellt Klötze an)
Transkriptauszüge 4.2.3-A: Was und wo wird etwas gebaut?
Dem Bauwerk oder Teilen davon wird in diesen Äußerungen zwar ebenfalls eine Bedeutung zugesprochen, indem sie als Pfeile, Wege oder Säulen bezeichnet werden, und es wird auch ein Ort angedeutet, an den etwas gebaut oder nicht gebaut werden soll. Das Muster der Äußerung oben, bei der eine bestimmte Bauweise gefordert oder genannt wird, die dann mit der Funktion oder Verwendung des Gebauten begründet wird, findet sich hier aber nicht. Für eine weitere Analyse der Struktur von Interaktionen, die der Kategorie Entwerfen/Adaptieren zugeordnet wurden, ist es auch hier interessant auf die Verbindung zwischen Inhalten und Prozess zu achten (Abbildung 4.9).
Abbildung 4.9 Die Kategorie Entwerfen/Adaptieren
Im Unterschied zum Prozess Evaluieren/Betiteln überwiegen sehr deutlich solche Situationen, in denen mehrere Inhalte zur Sprache kommen. Das ist einerseits erwartbar, weil in den Äußerungen der Kinder Funktionen, Eigenschaften oder Aussehen eines Bauobjektes mit Überlegungen zur Bauweise verknüpft werden, andererseits überrascht es doch, dass häufig sogar drei und mehr Inhalte zu erkennen sind. Allerdings fällt auch auf, dass in nahezu allen Sequenzen die Kategorie
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
391
falschrum-richtigrum zu finden ist. Gegenstand der Äußerungen ist dabei sehr oft, wo etwas (nicht) angebaut werden soll, wie auch in den beiden Beispielen oben zu erkennen ist. Allerdings ist das nicht immer so, wie das folgende Beispiel zeigt. Max: (nimmt das Objekt, das vor Emma liegt auf) nur leider ist das falschrum des Rad hier. des falsch, (baut das Rad ab) musst das so, (baut es andersrum wieder an) so muss des kuck so […] (rollt das Objekt auf dem Rad über den Boden) (Einrad?) und vorher deins so war. (baut das Rad wieder ab und umgedreht an) Emma (beobachtet Ron) das Rad rollt sich nicht. Max (betrachtet das Objekt, das er in den Händen hält) kuck das geht net, (setzt das Einrad auf dem Boden ab, zeigt auf die Plae oben drauf) weil wenn die so sitzen und seine Füße da drauf kommen (zeigt auf die beiden seitlich angebauten Stäbe) müssen die dann so fahren. (schiebt das Einrad quer zum Rad über den Boden).
Transkriptauszüge 4.2.3-B: Beispiel zu falschrum-richtigrum
Für eine weiterführende inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kategorie falschrum-richtigrum sei auf Abschnitt 4.1 verwiesen, in Abschnitt 4.1.1.2 wurde auch das hier angegebene Beispiel erläutert. An dieser Stelle soll der Blick auf die Struktur der Interaktion gelenkt werden. Dabei fällt auf, dass die Feststellung von Max, ein Rad an Emmas Objekt sei falschrum, darauf basiert, dass er einen bestimmten Gegenstand, in diesem Fall ein Einrad, darin erkannt hat. Max baut in der Folge Emmas Bauwerk um und führt die korrigierte Version vor. Interessant ist nun, dass Max danach die alte Bauweise von Emma wiederherstellt. Vielleicht angespornt durch Emmas Aussage: „Das Rad rollt sich nicht“, erklärt Max daraufhin, warum ihre Bauweise für ein Einrad nicht funktioniert. In der hier beschriebenen Interaktion wird der Zusammenhang von Bauweise und Funktion auf eine sehr anschauliche Weise vorgeführt und erklärt, wobei eine deutliche Fokussierung auf den Inhalt falschrum – richtigrum zu erkennen ist. Wie schon angedeutet, wurden in besonders vielen Sequenzen Inhalte der Kategorie falschrum-richtigrum gefunden, spannend ist es deshalb, auch auf solche Sequenzen zu schauen, die dieser Kategorie nicht zugeordnet wurden.
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Max: (baut Klötze an) kuck das ist doch schon genug für ein Maislabyrinth. Emma: (schaut über das Maislabyrinth) nein. Max: nein wir bauen es noch weiter. (setzt weiteren Klotz an) Ron: das geht halt schwer mit den Rädern. gell? (schaut erst auf Max, fasst dann auch mit an) Max: (dreht das Rad, das er wieder angebaut hat und lehnt sich dann ein Stück zurück) da braucht man schon fast ein Klebeband weil die immer abfallen Ron: ja aber dann rollen sie doch nicht mehr Max: rollen, rollen müssen se nicht. Ron: (fasst an ein Rad) doch die müssen rollen der Antrieb ist ein Rollantrieb. gell?)
Transkriptauszüge 4.2.3-C: Wie wird gebaut und warum so (nicht)?
Im ersten Fall befassen sich Max und Emma damit, wie groß ein Bauwerk werden soll, das ihrer Vorstellung von einem Maislabyrinth entspricht. Im zweiten Fall sprechen Ron und Max darüber, dass die Räder so an dem Bauobjekt zu befestigen sind, dass sie nicht abfallen, aber doch beweglich sind und rollen können. Während in dem oberen Gespräch mit der Größe des Maislabyrinthes auf eine Eigenschaft fokussiert wird und diese das weitere Bauen beeinflusst, wird in der unteren Interaktion die Funktion des zu bauenden Objektes mit der Bauweise in Verbindung gebracht. Es geht hier also darum, wie gebaut wird und warum. In den Sequenzen, die Entwerfen/Adaptieren zugeordnet wurden, zeigt sich immer wieder eine Verbindung von Fantasie- und Rollenspiel mit der Bauaktivität. Bereits in Abschnitt 4.2.2 wurde das angesprochen und es ist auch schon oben in Transkriptauszüge 4.2.3-B in der letzten Äußerung von Max zu erkennen. Weitere Sequenzen zeigen, dass ausgehend vom Durchspielen einer Situation mit vorgestellten Figuren jeweils Veränderungen am Bauwerk besprochen oder vorgenommen werden.
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
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Anna: (fährt mit ihrer Hand einen Weg durch das Labyrinth nach) und hier ist der Ausgang (schaut eine Weile) und wenn man jetzt dringend raus muss dann kann man da so das kapu machen (kippt mit der Hand einen Stein weg) und dann wieder zu machen (stellt den Stein wieder hin) dürfen die gern machen. gell? (nimmt den Stein wieder weg) aber erst, wenn sie es wieder hinbauen wollen. (fügt den Stein wieder ein) Max: kuck dann können die (zeigt auf die Leiter) dann können sie dadurch (zeigt auf die milere Plae) dann können sie da rein (bewegt die Hand auf die rechte Plae) und dann zu dem Stockwerk hier. (baut eine Plae die außen am Bauwerk ist ab) und hier (hält die Plae oberhalb des fertiggestellten Stockwerks ans Bauwerk) brauchen wir auch noch ein Stockwerk (hält die Platte nun unterhalb ans Bauwerk) kuck hier brauchen wir auch noch ein Stockwerk. hier (beginnt mit dem Einbau der Plae unterhalb des bestehenden Stockwerks) auch noch eine Plae einbauen. Ron: nein ich hab schon weiter oben (zeigt beim obersten Stockwerk auf die rechte Plae) versucht (?) ein Stockwerk hier (streicht über die Plae)
Transkriptauszüge 4.2.3-D: Verbindung mit Fantasie- und Rollenspiel
Im ersten Beispiel vermischt sich Bauspiel und Fantasiespiel auf ganz besondere Weise, sind es doch sogar die vorgestellten Besucher des Maislabyrinths, denen es zukommt, am Bauwerk etwas ab- und wieder hinzubauen. Das Durchspielen oder Vorspielen bestimmter Szenarien mit dem Bauobjekt oder im Bauwerk scheint für die Kinder ein wichtiges Mittel zu sein, um die Bauweise zu begreifen und in der Folge auch anpassen zu können. Aber auch unabhängig von einem konkreten Durchspielen einer Situation im Bauwerk finden sich einige Sequenzen, in denen die Bedürfnisse der imaginierten Bewohner oder Benutzer des Bauwerks in der Begründung für bestimmte Bauvorhaben erkennbar sind. Ron: aber wir müssen doch (hat einen Stab in der Hand, den er zwischen Leiter und Bauwerk anbringt) die Leiter da befestigen. Max: nein muss man gar nicht. Ron: aber sonst, des kann da rüberspringen, aber sonst bleibt sie ja nicht so dicht an zuhause dran. gell? (befesgt nun gemeinsam mit Max die Leiter) Ron: und (schaut zu Anna) des kann man trotzdem hinmachen. gell Anna? oder eine Treppe wo es hoch aufs Klo geht. Anna: ja dann kann man da ganz schnell hinterherrennen und aus (?) wenn man ganz dringend muss. Ron: ja ich mach jetzt einen Turm (stapelt kleine Klötze auf beiden Seiten der ‚Wand‘ auf) und dann kann man da hochgehen kuckMax: (stapelt Klötze auf der Wand) das wird (?) ganz hoch Ron: nein (verbindet beide Klotzstapel über die Wand) Max: zum KloRon: neiein (nimmt weiteren Klotz, den er anbaut) bei mir ist die Treppe zum Klo.
Transkriptauszüge 4.2.3-E: Was, wie, wo und zu welchem Zweck?
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Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
In beiden Fällen geht es im weiteren Sinne darum, dass für die vorgestellten Bewohner oder Nutzer etwas erreichbar ist. Im ersten Fall soll die Leiter oder das Zuhause zuverlässig erreicht werden können, die Befestigung der Leiter soll dann wohl sicherstellen, dass es einen gleichbleibenden Abstand gibt, der durch einen Sprung überwunden werden könnte. Im zweiten Fall geht es darum, dass die Toilette von einer bestimmten Stelle im Maislabyrinth aus (schnell genug) zugänglich ist, was durch den Bau einer Treppe ermöglicht werden soll. Aufgrund der Vielzahl gefundener Kombinationen von Inhalten für die Kategorie Entwerfen/Adaptieren wird darauf verzichtet, hier Beispiele für alle gefundenen Inhalte anzuführen (vgl. dazu Abschnitt 4.1). Es ist aber lohnend aufzuschlüsseln, welche Inhalte in welchen Begründungszusammenhängen zu finden sind. Die tabellarische Darstellung zeigt eine mögliche Systematik für die Kategorie Entwerfen/Adaptieren auf. Die gewählte Untergliederung verdeutlich, dass die Kategorie gleich-ungleich vor allem dann zu finden ist, wenn die Kinder in ihren Äußerungen einen Bezug zu den ihnen bekannten Eigenschaften oder dem typischen Aussehen des Objektes, das sie bauen wollen, herstellen. Kombinationen von drei und mehr Inhalten können oft in solchen Sequenzen erkannt werden, in denen die Kinder in ihren Erklärungen oder Begründungen erkennen lassen, dass sie sich vorstellen oder durchspielen, wie dieses Objekt tatsächlich verwendet wird. In Tabelle 4.9 ist das mit „Verwendung des Objektes im (Fantasie-) Spiel“ bzw. „mit Bezug zu Fantasiespiel“ beschrieben. Entwerfen/Adaptieren scheint aus mathematikdidaktische Perspektive ein besonders spannender Prozess zu sein, zeigen sich darin doch besonders vielfältige und vielschichtige Bezüge zu Inhalten. Im Unterschied zum Prozess Konstruieren/Aufbauen lassen sich in den hier zugeordneten Sequenzen immer Ansätze für ein Erklären oder Begründen für das, was da gebaut wird beziehungsweise gebaut werden soll, erkennen. Das lässt sich auch damit erklären, dass sich die in der Kategoriendefinition (vgl. auch Abbildung 4.5) beschriebene Verbindung von Bauweise und Bedeutung/Funktion in den Äußerungen der Kinder anhand entsprechender Satzstrukturen, beispielsweise durch die Verwendung von Konjunktionen, zeigt. Die Gesprächsbeiträge der Kinder (vgl. Transkriptauszüge 4.2.3-A bis Transkriptauszüge 4.2.3-E) enthalten demzufolge viele Ausdrücke wie „weil“, „und dann“, „wenn“, „sonst“ usw., die eine Deutung der Äußerung als Begründung oder Erklärung nahelegen.
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
395
Tabelle 4.9 Systematik zum Prozess Entwerfen/Adaptieren Facee n von Entwerfen/Adaperen
x x x x x x x x x x x x x x x
2
Bedeutung/Eigenschaen des Objektes in der (Ideal-) Vorstellung
3
4 5 1
Funkon(sweise) des Objektes
2
ohne Bezug zu Fantasiespiel
mit Bezug zu Fantasiespiel
4 1
schräg-gerade
3
offen-geschlossen befesgt-unbefesgt
Verwendung des Objektes im (Fantasie-) Spiel
groß-klein
2
gleich-ungleich
Inhalte
falschrum-richgrum
Begründung/Erklärung der Bauweise bezieht sich auf…
x x x x x x x x
x x x x x
3
Bedeutung/Eigenschaen des Objektes in der (Ideal -) Vorstellung und Funkon(sweise) des Objektes
4.2.4
1 2
x x x x x x
Herstellen/Checken
Im Vergleich zu den anderen Prozessen wurde in den analysierten Bauspielsituationen Herstellen/Checken nur sehr selten gefunden. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass insbesondere solche Spielsituationen beobachtet wurden, in denen
396
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
mehrere Kinder gemeinsam gespielt haben. Deren Äußerungen ließen sich meistens als Interaktionen mit anderen Mitspielern deuten. Darüber hinaus galt für manche Situationen, in denen die Kinder leise vor sich hin murmelten, dass das Gesprochene nicht zu verstehen war, weshalb eine Einordnung in eine der Kategorien auf Inhaltsebene nicht möglich war. Es gab, wie im Folgenden ausgehend von Transkriptauszügen beispielhaft dargestellt wird, einige Sequenzen, an denen eine gewisse Unsicherheit bestand, ob das Gesagte jeweils als Selbstgespräch zu verstehen war oder ob es sich an eine andere Person richtete. Max: ach so (baut ein Verbindungsstück ab) ich hab die Passenden nicht, da brauch ich die Weißen. (sucht in der Kiste nach etwas) hey spritz nicht so. da geht (?) alles (?) (zu Emma, die lautstark in der Kiste kramt, nimmt ein weißes Verbindungsstück und baut es an; baut danach an das zuvor angebaute Verbindungsstück ein Rad an und dreht es hin und her) kuck geht doch. (wendet sich wieder der Kiste zu und grei hinein) ich brauch nochmal so eins (kramt etwas) so ein Rad (kramt weiter) so ein (?) (nimmt ein Rad aus der Kiste heraus) ach da ist es ja. (schaut zu seinem Objekt, hält das Rad daran, betrachtet sein Objekt, fasst an ein Verbindungsstück, murmelt etwas und grei dann wieder in die Kiste, nimmt ein weißes Verbindungsstück heraus) so eins brauch ich (baut das Verbindungsstück und das Rad zusammen und dann an sein Objekt an) Ron: (in Richtung Kamera/ Erzieherin) alle Räder sind kapu […] ich krieg nix da ran […] überhaupt kein Rad
Transkriptauszüge 4.2.4-A: Herstellen/Checken oder Konstruieren/Aufbauen?
Für die obere der beiden dargestellten Sequenzen wurde eine Zuordnung zu der Kategorie herstellen/checken vorgenommen, weil Max überwiegend zu sich selbst spricht und bei den Aussagen „kuck geht doch“ und „ich brauch nochmal so eins“, die zunächst an andere gerichtet scheinen, sich selbst Antwort gibt. Anders sieht das bei der in der Tabelle unten wiedergegebenen Sequenz aus. Ron spricht darin zwar kein anderes Kind an und erhält in der Folge auch keine Antwort, weshalb man seine Äußerung als Herstellen/Checken codieren könnte, da er aber offensichtlich die Aussage nicht an sich selbst richtet, sondern an die Kamerafrau adressiert, wurde diese Sequenz Konstruieren/Aufbauen zugeordnet. Interessant ist allerdings, dass sich beide Sequenzen insofern inhaltlich ähneln, als es jeweils um Räder und deren Befestigung geht. Deshalb ist es interessant, auch bei dieser Kategorie die gefundenen Inhalte in den Blick zu nehmen (Abbildung 4.10).
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
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Abbildung 4.10 Die Kategorie Herstellen/Checken
Die Verteilung der inhaltsbezogenen Kategorien zeigt, dass hier oft nur eine Kategorie zugeordnet wurde, wenn zwei inhaltsbezogene Kategorien gefunden wurden, war eine davon jeweils die Kategorie gleich-ungleich. Es fällt auf, dass die Kategorie schräg-gerade in keiner der Sequenzen gefunden wurde. Anhand einer detaillierteren Auswertung der zugeordneten Sequenzen lassen sich weitere Merkmale des Prozesses Herstellen/Checken aufdecken. Bemerkenswert ist, dass fast alle Sequenzen, die dem Prozess zugeordnet wurden, zu Beginn bzw. im ersten Drittel der beiden Situationen, in denen mit SEVA-Material gebaut wurde, beobachtet werden konnten (vgl. dazu auch Abschnitt 3.2.3). Eine spannende Sequenz, die in der zweiten Minute der Situation, in der einige Mädchen mit SEVA-Material und einer Bildvorlage beschäftigt sind, beobachtet werden konnte, ist in Transkriptauszüge 4.2.4-B oben abgebildet. Obwohl in der Sequenz mehrere Kinder beim Bauen zu sehen sind, ist doch jedes mit seinem eigenen Vorhaben beschäftigt und spricht zu sich selbst. Allerdings deutet die Aktivität von Anna darauf hin, dass die Kinder sich trotzdem gegenseitig in ihrem Tun beeinflussen.
398
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive … Emma: (hält ihre Stange auf die Abbildung) geht das vielleicht? Nele: (legt ein Teil auf die Abbildung) passt des man? ja des, (zeigt auf das Bild, neben das abgelegte Bauteil) und dann so eins (tippt wieder daneben) und dann muss man noch (?) (unverständliches Gemurmel, während sie weiter mit dem Finger auf dem Bild entlangfährt) Emma: (tippt mit ihrem Finger auf die im Bild dargestellten Stäbe des Dachfirstes, während sie zählt) eins zwei dreiAnna: (kommt zurück und zeigt mit ihrem Finger auf eine der Abbildungen) ein Langes. Emma: (während sie weiter auf das Bild ppt) vier fünf (nimmt den Finger vom Bild und betrachtet ihre gebaute Stange, ppt auf die Stäbe darin) eins zwei drei Anna: (schaut nun dahin im He, wo Emma zuvor hingeschaut hae, ppt ebenfalls die Stäbe an, aber auf der anderen Giebelseite und zählt) eins drei vier fünf sechs (ruft laut) kuck mal (tippt wieder auf die Stäbe auf dem Bild und zählt jetzt lauter und langsamer) eins zwei drei vier fünf (wendet sich vom Bild ab) Max: das muss mit. das kommt da oben falsch...das hab ich nämlich falschrum hingestellt (hanert oben auf seinem Bauwerk mit dem zuvor gefundenen Objekt) (?) wie ich die Räder umbauen kann weil ich wollte was ganz (?) bestimmtes bauen (murmelt weiter vor sich hin, während er das Objekt mit den beiden Rädern oben befestigt) Max: (holt einen Stab und hält ihn zwischen Dach und oberstem Stockwerk an) Vorsicht (löst die Befestigung des Daches und steckt den Stab dazwischen) da reinbauen. (befesgt den Stab) erst das auseinanderbauen damit ich das da reinbauen kann. (drückt das Dach wieder an allen Verbindungsstellen fest)
Transkriptauszüge 4.2.4-B: Herstellen eines Bauobjektes
Eine weitere Analyse der drei dargestellten Sequenzen zeigt, dass die Kinder sich in ihren Aussagen jeweils auf die Bauweise beziehungsweise das Herstellen ihres Bauwerks beziehen. Die Fragestellung, welches Bauteil wird wo und/oder wie verwendet, die als ein Gliederungspunkt in der Systematik von Konstruieren/Aufbauen genutzt wird, würde auch zu den Beispielen oben passen. Ein Vergleich mit weiteren Sequenzen, die Herstellen/Checken zugeordnet wurden, legt aber nahe, dass auch eine andere feinere Unterscheidung denkbar ist. So gibt es mehrere Sequenzen, bei denen es, wie in Transkriptauszüge 4.2.4-B oben beispielhaft dargestellt ist, für die Kinder ein wichtiges Anliegen war, eine Entsprechung zwischen der Bildvorlage und dem, was gebaut wird, herzustellen. Dabei spielte immer wieder eine Rolle, welche Größe die Teile haben und wie viele aneinandergesteckt werden sollen. Im unteren Beispiel geht es Max darum, sein Bauwerk so zu verbessern oder zu verändern, dass es der eigenen, nicht näher beschriebenen Vorstellung genügt. Auch diesem Muster entsprechen weitere Sequenzen. Außerdem finden sich ein paar Sequenzen, in denen, ähnlich wie in Transkriptauszüge 4.2.4-A oben zu sehen ist, dass das Suchen und Finden bestimmter Teile im Mittelpunkt steht.
4.2 Übergeordnete Prozesse in Bauspielen
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Die Aktivitäten, die Herstellen/Checken zugeordnet wurden, haben aber nicht immer ausschließlich mit der Bauweise oder dem Herstellen eines Bauwerks zu tun, sondern in einigen Fällen auch mit der Funktionsweise des Gebauten. So konnte das Ausprobieren und Kommentieren der Funktionsweise eines Objektes, das dem Gliederungspunkt Funktion in der Systematik des Prozesses Evaluieren/Betiteln entspricht, hier ebenfalls wiedergefunden werden (vgl. Transkriptauszüge 4.2.4-C oben). Einen besonderen Stellenwert scheinen außerdem solche Handlungen einzunehmen, bei denen das Ausprobieren der Funktionsweise mit einem Um-, An- oder Weiterbauen einhergeht (vgl. Transkriptauszüge 4.2.4-C Mitte und unten). Anders als das bei der Kategorie Entwerfen/Adaptieren herausgefunden wurde, wird hier aber keine konkrete Bauweise gezeigt oder begründet. Auch eine Benennung der Funktion oder der Bedeutung des Gebauten erfolgt nicht. Anna: das kann man gar nicht drehen. (dreht den ‚Propeller‘ auf ihrem Objekt hin und her, versucht ihn zu befestigen) Anna: (bewegt ihr Gebautes durch die Lu und macht dazu Geräusche, dann setzt sie es mit dem Rad wieder auf dem Boden ab und fasst es an der Stange an) sollte eigentlich so gehen (schiebt ihr Objekt über den Boden, während sie läuft) aber noch besser sein. (geht zur Kiste mit den Bauteilen und nimmt sich weitere heraus, die sie oben an die Stange ihres Objektes anbaut) Max: (fasst an eine Stange mit zwei Rädern, die am Bauwerk befestigt ist). ja wenn es unbedingt sein muss (dreht an einem der Räder) wahr und (fasst an das zweite Rad und baut es schließlich ab) falsch so kann ich das Rad net befestigen.
Transkriptauszüge 4.2.4-C: Herstellen und Checken eines Bauobjektes
Eine Strukturierung des Prozesses Herstellen/Checken anhand der Aspekte Herstellen, Checken sowie Herstellen und Checken liegt angesichts der verschiedenen oben dargestellten Aktivitäten nahe. Für die weitere Gliederung können genau wie in den Systematiken zu den Prozessen Konstruieren/Aufbauen, Evaluieren/Betiteln und Entwerfen/Adaptieren die jeweils gefundenen Inhalte berücksichtigt werden. Für den Prozess Herstellen/Checken muss ergänzt werden, dass sich die sprachlichen Äußerungen häufig erst in Verbindung mit der konkreten Materialhandlung inhaltlich deuten lassen. Als eine weitere Ebene für die Strukturierung von Herstellen/Checken bietet es sich an, danach zu unterscheiden,
400
4
Bauspielaktivitäten aus mathematikdidaktischer Perspektive …
worauf die Kinder sich beim Kommentieren ihrer Handlungen jeweils beziehen. Wie oben bereits aufgezeigt, lassen sich dabei bestimmte Muster erkennen (Tabelle 4.10). Tabelle 4.10 Systematik zum Prozess Herstellen/Checken Facee n von Herstellen/Checken schräg-gerade
offen-geschlossen
befesgt-unbefesgt
groß-klein
gleich-ungleich
falschrum-richgrum
Die Akvitäten der Kinder beziehen sich auf das…
Die Kinder kommentieren … das Suchen oder Finden bestimmter Bauteile/das Vergleichen von Objekten mit einer Bildvorlage
Herstellen
Checken Herstellen und Checken
das Verbessern ihres Gebauten, wenn etwas „falsch“ ist/das Reparieren, wenn etwas kapu ist
das Ausprobieren der Funkonsweise das Ausprobieren und Verbessern ihres Objektes, wenn etwas nicht (gut genug) funkoniert das Suchen und Finden „funktionierender“ Bauteile.
Abschließend kann festgehalten werden, dass sich die Facetten, die sich in den Selbstgesprächen der Kinder zeigen, nicht grundlegend von denen, die beim Evaluieren/Betiteln oder Konstruieren/Aufbauen gefunden wurden, unterscheiden. Ein großer Unterschied besteht allerdings darin, dass beim Kommunizieren mit anderen Kindern auch ein (genaues) Beschreiben, Erklären und Begründen der Bauaktivitäten zu beobachten war, wohingegen die Selbstgespräche überwiegend ungenau und vage blieben. Aus mathematikdidaktischer Perspektive kommt dem Prozess Herstellen/Checken vor allem deshalb Bedeutung zu, weil sich zeigt, dass die begleitenden Selbstgespräche, in denen sich mathematische Inhalte finden lassen, die Kinder bei ihren Bauaktivitäten unterstützen und unter Umständen auch bei anderen Kindern mathematische Auseinandersetzungen anregen können.
5
Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
In Kapitel 4 habe ich die Ergebnisse meiner empirischen Studie bezogen auf die beiden Bereiche mathematische Inhalte im Bauspiel und Arbeitsweisen im Bauspiel dargestellt und gezeigt, wie Bauspielsituationen aus einer mathematikdidaktischen Perspektive gedeutet werden können. In diesem Kapitel sollen nun die zentralen Erkenntnisse meiner Analyse entlang der in Kapitel 3 gestellten Forschungsfragen zusammengefasst und mit den in den Kapitel 1 und 2 diskutierten theoretischen Grundlagen in Beziehung gesetzt werden. • Zu welchen übergeordneten Arbeitsweisen lassen sich Handlung und Sprache der Kinder im Bauspiel zusammenfassen? • Welche auf das Bauen sowie die Eigenschaften des Baumaterials oder Bauwerks bezogenen Themen kommen in den Interaktionen von Kindern während ihrer Bauspiele vor und welche inhaltsbezogenen mathematischen Aspekte lassen sich darin erkennen? • Welche Zusammenhänge zwischen inhaltsbezogenen mathematischen Aspekten und den übergeordneten Arbeitsweisen zeigen sich in den Interaktionen und inwiefern sind darin mathematische Prozesse erkennbar? • In welchen Bauspielsituationen sind besonders vielfältige Bezüge zu mathematischen Inhalten und Prozessen zu erkennen? • Welche Voraussetzungen dafür, dass Kinder miteinander informelles mathematisches Wissen teilen, lassen sich anhand dieser Bauspielsituationen aufdecken und beschreiben? In Abschnitt 5.1 wird ausgehend von den ersten drei Forschungsfragen resümiert, welche mathematischen Inhalte und Arbeitsweisen sich in Bauspielen von Kindern zeigen und dargelegt, ob sie auch ein notwendiger Bestandteil © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Henschen, In Bauspielen Mathematik entdecken, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31741-6_5
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Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
von Bauspielen sind. Entlang der vierten und fünften Forschungsfrage wird dargestellt, wann Bauspiele mathematische Lernchancen sind. Dazu wird in Abschnitt 5.2 noch einmal ein konkreter Bezug zu den Videodaten in Form von vier Fallübersichten hergestellt. Auf dieser Grundlage werden dann auch Ideen für die Praxis diskutiert. In Abschnitt 5.3 werden zum einen die in Kapitel 1 dargestellten mathematikdidaktischen Überzeugungen zum mathematischen Lernen im Kindergarten und am Übergang zur Schule noch einmal aufgenommen und den Befunden der vorliegenden Studie gegenübergestellt und zum anderen weiterführende Forschungsperspektiven benannt.
5.1
Mathematische Inhalte und Arbeitsweisen in Bauspielen
Zu welchen übergeordneten Arbeitsweisen lassen sich Handlung und Sprache der Kinder im Bauspiel zusammenfassen? Abbildung 5.1 zeigt noch einmal die bereits in Abschnitt 4.2 dargestellte und erläuterte Grafik. Damit ist eine erste durch die empirische Forschung gewonnene Antwort auf die obenstehende Frage gegeben worden. Aus den in Kapitel 2 beschriebenen theoretischen Hintergründen zu Bauspielen von Kindern lassen sich darüber hinaus Aktivitäten und Formen des Bauens extrahieren, die als übergeordnete Arbeitsweisen verstanden werden können. Um zu verstehen, ob und wie diese mit den in meiner Untersuchung gebildeten Arbeitsweisen übereinstimmen und worin sie sich unterscheiden, ist es interessant, sie zueinander in Beziehung zu setzen. In Tabelle 5.1 sind in der oberen Hälfte die von Bruce et al. (1992d) beschriebenen Teilprozesse des Problemlösens dargestellt. In der unteren Tabellenhälfte finden sich die von Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell (1999) genannten heuristischen Strategien zum Problemlösen. Was beide verbindet, wurde in Abschnitt 2.2.2.2 erläutert und besteht – kurz zusammengefasst – darin, dass für das Lösen von Problemen unterschiedliche Teilprozesse notwendig sind. Diese gleichen sich in soweit, als jeweils Making bzw. Make und Evaluation bzw. Evaluate als Bezeichnungen für zwei der drei Teilprozesse verwendet werden. Der dritte Teilprozess wird von Bruce et al. (1992d) Planing, aber von Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell (1999) Design or Adapt genannt. Der Zusammenhang mit den von mir dargestellten übergeordneten Arbeitsweisen Herstellen/Checken, Evaluieren/Betiteln, Entwerfen/Adaptieren liegt auf der Hand, weil diese Bezeichnungen, wie in Abschnitt 3.3.3.1 dargelegt wurde, die Begriffe und Überlegungen der genannten Autoren aufgreifen. Besonders deutlich wird das bei Evaluieren/Betiteln, das mit Evaluation und Evaluate übereinstimmt,
5.1 Mathematische Inhalte und Arbeitsweisen in Bauspielen
403
Abbildung 5.1 Übergeordnete Arbeitsweisen bei Bauspielen
wie durch das fettgedruckte Kreuz in der Tabelle verdeutlicht ist. Bei Herstellen/Checken und Entwerfen/Adaptieren findet sich mit jeweils einem der Teilprozesse eine klare Übereinstimmung. So entspricht Making and Monitoring dem Herstellen/Checken. Genau wir für die Kategorie Herstellen/Checken ist auch für Bruce et al. (1992d) das mit sich selbst Sprechen ein Merkmal von Making and Monitoring. Entwerfen/Adaptieren deckt sich mit Design or Adapt. Allerdings nehmen Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell (1999) an, dass das vor allem mit Papier und Stift stattfindet, was einen deutlichen Unterschied zur vorliegenden Studie darstellt. Eine besondere Stellung nimmt der Prozess des Konstruierens/Aufbauens ein, für den sich im Unterschied zu den anderen
404
5
Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell (1999): Heurissche Strategien beim Problemlösen
Design or adapt
Evaluieren/ Beteln
x
x
Planing
Evaluate
x
x
Evaluaon
Make or modify
Entwerfen/ Adaperen
Making and Monitoring
Konstruieren/ Auauen
Gura und Bruce (1992): Teilprozesse des Problemlösens
Herstellen/ Checken
Tabelle 5.1 Übergeordnete Arbeitsweisen bei Bauspielen im Vergleich mit Teilprozessen des Problemlösens
x
x x x
Prozessen keine eindeutige Entsprechung findet, sondern lediglich schwache Verbindungen zu Planing und Make or Modify erkannt werden können, wie durch die grauen Kreuze dargestellt ist. Interessanterweise bieten auch die von Hanfmann (1930) beobachteten Verläufe des freien Bauens von Kindern Anknüpfungspunkte für die übergeordneten Arbeitsweisen, wie in Tabelle 5.2 sichtbar wird. Die Beobachtung eines fortlaufenden Um- und Weiterbauens ohne Abschlusspausen, die Hanfmann als Interesse am Prozess des Bauens deutet, weist in Richtung der Arbeitsweise Konstruieren/Aufbauen, weil dabei der Prozess des Bauens und damit vor allem die Bauweise im Fokus steht. Das Interesse am Einzelergebnis, das sich laut Hanfmann im Herstellen jeweils abgeschlossener Einzelgestaltungen zeigt, dürfte seinen Ausdruck besonders im Evaluieren und Betiteln eines Bauwerkes finden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich auch alle anderen Prozesse in jedem der beiden Bauverläufe zeigen können. Besonders klar wird das, wenn man annimmt, dass mit dem Evaluieren oder Betiteln nicht zwingend der Abschluss eines Bauvorhabens markiert wird. Umgekehrt kann der Fokus auch dann auf der Bauweise liegen, wenn ein bestimmtes „kurzfristiges“ Bauergebnis angestrebt wird.
5.1 Mathematische Inhalte und Arbeitsweisen in Bauspielen
405
Hanfmann (1930): Verlauf des Bauens
Entwerfen/ Adaperen
Konstruieren/ Auauen
Evaluieren/ Beteln
Herstellen/ Checken
Tabelle 5.2 Übergeordnete Arbeitsweisen bei Bauspielen – Vergleich mit Bauverlauf
Herstellen jeweils abgeschlossener Einzelgestaltungen: Interesse am Bauergebnis
x
x
x
x
fortlaufendes Um- und Weiterbauen ohne Abschlusspausen: Interesse am Prozess des Bauens
x
x
x
x
In Abschnitt 4.2 wurde gezeigt, dass sich die vier übergeordneten Arbeitsweisen insofern voneinander abgrenzen lassen, als die Kinder sich entweder nur auf die Funktion beziehungsweise Bedeutung oder nur auf die Bauweise oder sowohl auf Funktion als auch Bauweise des aktuellen Bauwerks bzw. der (Ideal)Vorstellung des angestrebten Bauwerks beziehen. Die Unterscheidung von einer Orientierung auf die Funktion oder einer Orientierung auf die Bauweise ist auch in Fröbels (1844/1967, 24) Einteilung in Lebensformen und Schönheitsformen zu erkennen. Lebensformen entstehen laut Fröbel durch das Nachbilden von Gegenständen des umgebenden Lebens. Es ist naheliegend, dass dabei Bedeutung und Funktion des Objektes eine zentrale Rolle spielen. Die von Fröbel beschriebenen Schönheitsformen zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass sie schön aussehen, was sich aus ihrer besonderen, gleichmäßigen Bauweise ergibt (vgl. Fröbel 1844/1967, 24). In den von mir beobachteten Bauspielsituationen fand sich keine Situation, in der ein Bauwerk entstand, das man als Schönheitsform im Sinne Fröbels hätte bezeichnen können. Eine Konzentration auf die Bauweise zeigte sich dennoch in vielen Situationen. Eine weitere Perspektive eröffnen die in Abschnitt 2.1.2.2 dargestellten Erkenntnisse zur Entwicklung des kindlichen Bauens, worin das sogenannte Kritzelstadium (vgl. Hetzer 1931) und ein experimentierend konstruktives Bauen (vgl. Hanfmann 1930) beschrieben werden. Ein vergleichbarer Aspekt zeigt sich auch in Abschnitt 2.1.4.3 mit der Beschreibung des Stunt-Buildings (vgl. Gura 1992). Man könnte vermuten, dass es Gemeinsamkeiten zwischen dieser Entwicklungsphase bzw. Art des Bauspiels und dem übergeordneten Prozess Herstellen/Checken gibt. Während bei diesem Prozess ein Bezug zur Funktion oder
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5
Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
Bedeutung des Gebauten bestehen kann, betonen die Autorinnen für die oben genannte Art des Bauspiels jeweils die Abwesenheit der Darstellungsabsicht. Wenn man annimmt, dass sich aus dieser Abwesenheit der Darstellungsabsicht eine besondere Konzentration auf die Bauweise ergibt, stellt sich die Frage, ob sich diese Art des Bauens dann in den Situationen, die der prozessbezogenen Kategorie Konstruieren/Aufbauen zugeordnet sind, finden lässt. Tatsächlich ist es so, dass in den dort eingeordneten Situationen die Darstellungsabsicht in den Hintergrund rückt und nicht explizit genannt wird, dennoch ist meist erkennbar, dass hier längerfristig ein Plan verfolgt wird, der auch auf eine bestimmte Darstellungsabsicht ausgerichtet ist. Für die von mir analysierten Bauspielsituationen lässt sich feststellen, dass das Experimentieren mit dem Material, welches von Hanfmann (1930) als experimentierend konstruktives Bauen beschrieben wird und welches beispielsweise dazu dienen kann, neue technische Verwendungsmöglichkeiten zu entdecken, nicht isoliert stattfindet. Es war stets eingebettet in das gemeinsame Spiel von mehreren Kindern mit einem gemeinsamen Thema, durch das auch eine oder mehrere Darstellungsabsicht(en) (vor)gegeben sind. Wodurch zeichnen sich also gemeinsame Bauspiele von Kindern, die ein Thema haben, das mit einer bestimmten Darstellungsabsicht oder Ideal(vorstellung) dessen, was da gebaut werden soll, einhergeht, aus? Innerhalb dieses gemeinsamen Themas befassen sich die Kinder mal mit der Funktion oder Bedeutung (Evaluieren/Betiteln) eines Bauobjektes, mal mit der Bauweise (Konstruieren/Aufbauen) des Bauwerks oder sie haben sowohl die Bauweise als auch die Funktion oder Bedeutung dessen, was sie bauen (wollen), im Blick (Entwerfen/Adaptieren). Ähnlich zeigt sich das für die Kategorie Herstellen/Checken, die eher selten zugeordnet wurde. Hier scheinen die Äußerungen der Kinder zwar an sich selbst gerichtet und die Handlungen nur auf einen Teil des Bauwerks bezogen zu sein, aber eine Verbindung zur übergeordneten Bauspielsituation ist oft noch erkennbar. Wie bereits gesagt wurde, lässt sich bei Herstellen/Checken sowohl ein Bezug zur Bedeutung oder Funktion des Gebauten als auch zur Bauweise finden. Welche auf das Bauen sowie die Eigenschaften des Baumaterials oder Bauwerks bezogenen Themen kommen in den Interaktionen von Kindern während ihrer Bauspiele vor und welche inhaltsbezogenen mathematischen Aspekte lassen sich darin erkennen? In Abschnitt 4.1 wurde entlang der sechs inhaltsbezogenen Kategorien falschrumrichtigrum, offen-geschlossen, schräg-gerade, befestigt-unbefestigt, groß-klein und gleich-ungleich ausführlich dargestellt, welche mathematischen Inhalte sich darin in welcher Form zeigen. Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse
5.1 Mathematische Inhalte und Arbeitsweisen in Bauspielen
407
dazu zusammengefasst und mit den Befunden aus der Literatur verglichen.
Abbildung 5.2 Mathematische Inhalte von falschrum-richtigrum und schräg-gerade
Aus einer mathematikdidaktischen Perspektive sind zunächst die inhaltsbezogenen Kategorien falschrum-richtigrum und schräg-gerade hervorzuheben (Abbildung 5.2), da darin Aspekte erkennbar sind, die auch in Abschnitt 1.4 betrachtet wurden. So zeigen sich in der Kategorie falschrum-richtigrum Verbindungen zum Teilbereich Raum, insbesondere im Hinblick auf räumliche Beziehungen und zugehörige Begriffe. Während die theoretischen Einlassungen dort stark darauf fokussieren, dass und wie Kinder diese erlernen sollen, verdeutlichen die Analysen aus Abschnitt 4.1.1, wie vielschichtig und komplex dieser Aspekt im Bauspiel von Kindern hervortritt. In der Literatur werden vor allem die Präpositionen auf, unter, neben, über usw. betont, mit denen die Lage eines Objekts in Bezug zu einem anderen Objekt bzw. zu sich selbst – Lokalisierung eines Objektes – benannt werden kann. In den analysierten Bauspielsituationen zeigt sich ergänzend dazu, dass die Kinder auch die Orientierung eines Objektes, die Richtung einer Bewegung und die Ansicht eines Objektes auszudrücken versuchen. In folgender Aussage von Max zum notwendigen Umbau eines Objektes, das er als Einrad bezeichnet, wird das sichtbar: Max: (nimmt das Objekt, das vor Emma liegt auf) Nur leider ist das falschrum, des Rad hier. Des falsch (baut das Rad ab) Musst das so (baut es andersrum wieder an) So muss des, kuck so. […] (Rollt das Objekt auf dem Rad über den Boden) Einrad (?) und vorher deins so war (baut das Rad wieder ab und umgedreht an betrachtet das Objekt, das er in den Händen hält) Kuck das geht net (setzt das Einrad auf dem Boden ab, zeigt auf die Platte oben drauf) Weil wenn die so sitzen und seine Füße da drauf kommen (zeigt auf die beiden seitlich angebauten Stäbe) müssen die dann so fahren (schiebt das Einrad quer zum Rad über den Boden)
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5
Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
Insbesondere die beiden Teilaspekte Orientierung eines Objektes und Richtung einer Bewegung, die im gezeigten Beispiel zu erkennen sind, lassen auch Bezüge zum Teilbereich Form erkennen. Beim Bauen von Bauwerken achten die Kinder auf bestimmte geometrische Relationen, beispielsweise beim Herstellen von rechten Winkeln oder beim Bauen entlang gerader Linien. Die Kinder drücken das sprachlich aus, indem Sie die Ausrichtung der einzelnen Bauklötze als Bewegung im Raum beschreiben: „jetzt abbiegen“, „nein geradeaus“. In diesem Punkt besteht auch eine Verbindung zur Kategorie schräg-gerade. Eine Analyse der dieser Kategorie zugeordneten Situationen zeigte, dass in Bauspielen eine Auseinandersetzung mit Objekt- und Eigenschaftsbegriffen sowie mit Relationsbegriffen stattfindet. Die Entwicklung bzw. der Erwerb geometrischer Begriffe ist ein wesentliches Thema des Inhaltsbereiches Raum & Form und wird darin dem Teilbereich Form zugeordnet. Während in der mathematikdidaktischen Literatur insbesondere das Benennen, Erkennen und Herstellen von geometrischen Formen hervorgehoben wird, tritt in den Bauspielsituationen sehr deutlich die Bedeutung von lebensweltbezogenen Ausdrücken zu Tage. Wenn beispielsweise in bestimmten Bauwerken ein Pfeil oder ein Kran erkannt wird, kann man vermuten, dass die Form, die bei diesen Objekten sehr prägnante geometrische Eigenschaften und geometrische Relationen aufweist, genau deshalb wiedererkannt wird. Aus meiner Sicht legen die Analyseergebnisse nahe, dass Kinder geometrische Eigenschaften und geometrische Relationen in den Objekten, die sie umgeben, wahrnehmen und bei der Nachbildung von Objekten nutzen. Die übliche Tradition, Eigenschafts- und Relationsbegriffe nur im Zusammenhang mit regulären geometrischen Formen und Objektbegriffen zu thematisieren, kann man deshalb zumindest hinterfragen. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch die folgende Beobachtung zu sein. Wenn die Kinder formale geometrische Begriffe wie rund oder Viereck verwenden, sind unter Umständen gar nicht die genannte geometrische Form oder die geometrische Eigenschaft gemeint, sondern mit diesen Begriffen in Verbindung stehende Assoziationen. Zum Beispiel wird über eine Bauklotzanordnung „so sieht’s doch wie ein Viereck aus“ gesagt, obwohl sie eine fünfeckige Fläche einschließt. Dabei scheint weniger die Anzahl von Ecken im Fokus zu stehen, als vielmehr die Tatsache, dass die Klötze zu unregelmäßig angeordnet sind und deshalb die Ecken zu deutlich hervortreten. Für den geplanten runden Turm wird das als unpassend empfunden. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich in den beobachteten Bauspielsituationen zeigt, dass Kinder über Vorwissen und Erfahrungen zu geometrischen Begriffen verfügen oder Chancen entstehen, diese im Bauspiel zu erwerben. Gleichzeitig finden sich in den sprachlichen Äußerungen der Kinder aber nur wenige geometrische Begriffe.
5.1 Mathematische Inhalte und Arbeitsweisen in Bauspielen
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Eine weitere Perspektive in der Diskussion zu den beiden Kategorien falschrum-richtigrum und schräg-gerade ergibt sich aus der Analyse von Veröffentlichungen zum Bauspiel unter dem Blickwinkel der in diesen aufgeführten mathematischen Inhalte, systematisch dargestellt in Abschnitt 2.2.3.5 (vgl. Tabelle 2.4 in Abschnitt 2.2.3.5). Die mathematische Aktivität Locating ist dort in die geometrischen Aktivitäten Formbetrachtung, Symmetriebetrachtung und räumliche Orientierung unterteilt und jeder der drei geometrischen Aktivitäten sind bestimmte mathematische Inhalte zugeordnet. So sind der räumlichen Orientierung die beiden Inhalte Raumlage-Begriffe und Angeben von Ort oder Richtung zugeordnet. Zwischen diesen und der Kategorie falschrum-richtigrum besteht eine deutliche Verbindung. Das „Einpassen“ oder Verändern von Objekten beispielsweise durch Drehung ist ein Inhalt, welcher zur Symmetriebetrachtung gezählt wird. Dafür findet sich in den Äußerungen der Kinder eine Entsprechung, wenn festgestellt wird, dass etwas falschrum ist, was dann gedreht wird. Hinsichtlich der geometrischen Aktivität Formbetrachtung lassen sich inhaltliche Gemeinsamkeiten mit der Kategorie schräg-gerade erkennen. Zu nennen sind hier das Zusammensetzen von geometrischen Formen, die zwei- oder dreidimensionale Darstellung von Objekten aus dem Alltag und das Vergleichen von geometrischen Figuren mit Alltagsgegenständen. Der außerdem genannte Inhalt, das Kennen von Bezeichnungen und Eigenschaften geometrischer Formen, drückt sich, wie oben erläutert, nicht in der Verwendung formaler mathematischer Begriffe aus, sondern eher darin, dass Kinder geometrische Eigenschaften und Relationen in den Formen von Alltagsgegenständen erkennen. Das Sortieren von Klötzen nach Formen hat sich in den analysierten Bauspielsituationen nicht explizit gezeigt, auch wenn die Kinder Klötze bzw. Bauteile im Spiel sortiert oder herausgesucht haben. Die Äußerungen der Kinder dazu legen aber vor allem einen Bezug zur Größe oder Funktion der Bauteile nahe und kaum zu deren Form, wie auch an der folgenden Zusammenfassung zu den Kategorien groß-klein und gleich-ungleich deutlich wird (Abbildung 5.3).
Abbildung 5.3 Mathematische Inhalte von groß – klein und gleich – ungleich
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Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
Der Zusammenhang zwischen Bauspielsituationen, die der Kategorie großklein zugeordnet wurden, und dem mathematischen Inhaltsbereich Größen & Messen liegt nahe und ist in Abschnitt 4.1.5 dargelegt. Angesichts des oben genannten Inhalts Klötze nach Formen sortieren und des in der Abbildung angegebenen Aspektes Zusammenfassen/Unterscheiden nach Größe erscheint beachtenswert, inwiefern die Auffassung von Größe und Form eines Objektes zusammenhängen. Die in Abschnitt 1.4.1 dargestellten Systematiken zum Inhaltsbereich Raum & Form bieten Anhaltspunkte dafür, dass das Messen von Längen, Flächen und Volumen auch diesem Inhaltsbereich zugerechnet werden kann. So findet sich in einer Systematik von Clements und Sarama (2009) ein Teilbereich, der als „Geometric Measurement“ bezeichnet ist und das Messen von Längen, Flächen, Volumen, Winkeln und Drehungen beinhaltet. Allerdings folgt aus der Tatsache, dass es Größenbereiche gibt, die als geometrische Größen bezeichnet werden (können), nicht, dass auch ein Zusammenhang zwischen dem Wahrnehmen oder Erkennen von Formen und dem von Größen beschrieben wird. Meine Beobachtungen deuten aber durchaus daraufhin, dass mit der Verwendung eines Größenbegriffes für die Bezeichnung oder Beschreibung eines Objektes auch etwas über die Größenverhältnisse (beispielsweise Verhältnisse von Kantenlängen) in diesem Objekt und damit letztlich über seine Form ausgesagt wird. Auch in Bezug auf die beiden Kategorien groß-klein und gleich-ungleich ist es interessant, die zusammenfassende Darstellung aus Abschnitt 2.2.3.5 heranzuziehen. Gemeinsamkeiten hinsichtlich der mathematischen Inhalte zeigen sich bei den Aktivitäten Measuring/Größenbetrachtungen und Counting/Zahlbetrachtungen. Die Erste umfasst die Inhalte Größenverhältnisse, Größenbegriffe, Vergleichen von Größen, Abschätzen von Größen und Klötze nach Größe sortieren. Der Zweiten sind die Inhalte Mengenverhältnisse sowie Wahrnehmung, Unterscheidung oder Bezeichnung von Mengen zugeordnet. Während bei Measuring die inhaltlichen Übereinstimmungen mit der Kategorie großklein offensichtlich sind, bedarf es bei Counting einer kurzen Erläuterung. Der Zusammenhang ist bei einem Vergleichen von Bauteilen miteinander oder zwischen einer Abbildung und einem Bauwerk dann gegeben, wenn die Anzahl oder Menge von Teilen beachtet wird. Neben den beschriebenen Verknüpfungen mit den mathematischen Inhalten liegt hier ein Vergleich mit den von Rathgeb-Schnierer (2015) beschriebenen mathematischen Denk- und Handlungsweisen Klassifizieren, Seriieren und Strukturieren (vgl. Abschnitt 1.3.3.2) nahe. Das Zusammenfassen/Unterscheiden nach Größe entspricht dem Klassifizieren. Im Zusammenhang mit der Kategorie gleich-ungleich konnte außerdem Seriieren gefunden werden, nämlich dann, wenn sich die Kinder beim Bauen auf die
5.1 Mathematische Inhalte und Arbeitsweisen in Bauspielen
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(Rang)folge der Stockwerke in ihrem Bauwerk bezogen haben. Angesichts der Tatsache, dass die Kategorie gleich-ungleich zu vielen Stellen in den analysierten Bauspielsituationen passt und die Aktivität des Vergleichens dabei in Verbindung mit unterschiedlichen mathematischen Inhalten gefunden werden kann, erscheint es mir naheliegend, Vergleichen ebenfalls als mathematische Denk- und Handlungsweise zu verstehen. Das von Rathgeb-Schnierer außerdem beschriebene Strukturieren war nur selten Gegenstand der Kinderäußerungen und zwar nur in solchen Situationen, in denen die Bautechnik das Einhalten eines bestimmten Musters verlangte, wie das beispielsweise beim Bauen einer Leiter aus SEVAMaterial der Fall ist. Es handelt sich dabei um Situationen, die der Kategorie befestigt-unbefestigt zugeordnet sind.
Abbildung 5.4 Mathematische Inhalte von offen-geschlossen und befestigt – unbefestigt
Anhand der Kategorien befestigt-unbefestigt und offen-geschlossen wird sichtbar, wie eng bei Bauspielen Form und Funktion zusammenhängen (Abbildung 5.4). Die Inhalte Stabilität und Bautechnik finden sich zum Beispiel auch in Verbindung mit der Kategorie schräg-gerade, wenn die Kinder herausfinden, dass eine schräg angelehnte Leiter stabil im Bauwerk steht. Auch beim Thema Drehbarkeit ist diese Beziehung von Form und Funktion insofern erkennbar, als hier das Augenmerk auf runden oder drehsymmetrischen Bauteilen liegt. Sehr oft verbinden die Kinder ihre Äußerungen dazu, wie etwas angebaut oder befestigt werden soll, mit einer Beschreibung des Ortes, an dem diese Befestigung erfolgen soll. Es scheint also eine enge Beziehung zwischen den Kategorien befestigtunbefestigt und falschrum-richtigrum zu bestehen. Gleiches gilt für die Kategorie offen-geschlossen. Wenn Kinder über Durchgänge und Begrenzungen sprechen, ist häufig auch das Lokalisieren eines Objektes zu erkennen. Einen besonderen Stellenwert nimmt die Auseinandersetzung von Kindern mit Verbindungen ein. Gemeint sind hier Verbindungen zwischen zwei „Orten“ im Bauwerk. Wenn diese von den Kindern im Sinne des Einbauens oder des dazwischen Bauens von Bauteilen angesprochen werden, ist das gleichzeitig der Kategorie befestigtunbefestigt zuzurechnen. Beschreiben die Kinder, welche Verbindungen in ihrem
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Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
Bauwerk bestehen, die ermöglichen das etwas oder jemand von einem Ort zum anderen kommt, verwenden sie Gesten und sprachliche Wendungen, mit denen gleichzeitig die Richtung einer Bewegung ausgedrückt wird. Welche Zusammenhänge zwischen inhaltsbezogenen mathematischen Aspekten und den übergeordneten Arbeitsweisen zeigen sich in den Interaktionen und inwiefern sind darin mathematische Prozesse erkennbar? Nachdem der Zusammenhang zwischen inhaltsbezogenen mathematischen Aspekten und den übergeordneten Arbeitsweisen anhand vielfältiger Einblicke in Bauspielsituationen detailliert und ausführlich in Abschnitt 4.2 beschrieben wurde, soll im Folgenden insbesondere der zweite Teil der Frage beantwortet werden. Wenn Kinder Bauspiele spielen, beschreiben sie, was sie bauen, wie sie bauen und manchmal auch warum sie so bauen. Diese Äußerungen lassen sich als ein Kommunizieren oder mitunter auch als ein Argumentieren verstehen, was sich auf die eigene oder gemeinsame Bautätigkeit bzw. auf das entstehende oder fertiggestellte Bauwerk bezieht. Da dabei, wie in Abschnitt 4.2 deutlich wurde, auch vielfältige mathematische Zusammenhänge sichtbar werden, kann davon ausgegangen werden, dass hier ein wichtiges Erfahrungsfeld im Hinblick auf die prozessbezogenen mathematischen Kompetenzen Kommunizieren und Argumentieren (vgl. Abschnitt 1.2.2) liegt. Betrachtet man die Prozesse im Einzelnen, so kann in Konstruieren/Aufbauen ein Kommunizieren über die Bauweise gesehen werden, wobei die Kinder darauf eingehen, welche Bauteile sie verwenden, wohin bzw. wie herum sie etwas (an)bauen und/oder auf welche Art sie etwas anbauen. Wenn in diesem Zusammenhang auch Begründungen gegeben werden, beziehen sich diese entweder darauf, dass bestimmte Bauteile nur auf eine ganz bestimmte Art und Weise verwendet werden können – „die geht nicht, weil da so ein schwarzes [Teil ist]“ – oder darauf, dass das Aussehen (Form), die gewünschte Größe bzw. die Stabilität des Bauwerks von bestimmten Aktivitäten abhängt: „Aber man kann es doch so befestigen, dann hält sie besser“. Etwas anders sehen die Begründungen bei Entwerfen/Adaptieren aus. Dabei werden die Bauweise und die Bedeutung/Funktion des Bauwerks (in seiner Idealvorstellung) argumentativ verknüpft: „Aber wir müssen die Leiter da befestigen […] sonst bleibt sie ja nicht so dicht an zuhause dran.“ Hier sind sowohl im Kontext der Bauweise als auch hinsichtlich der Bedeutung/Funktion mathematische Inhalte zu erkennen (vgl. Abschnitt 4.2.3). Man kann deshalb annehmen, dass Kinder dann in Bauspielen Erfahrungen im Hinblick auf die allgemeine mathematische Kompetenz Argumentieren sammeln, wenn sie den Zusammenhang von Bauweise und Funktion/Bedeutung – dies könnte
5.1 Mathematische Inhalte und Arbeitsweisen in Bauspielen
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man vielleicht als Design bezeichnen – in ihren Bauwerken bzw. während ihrer Bauaktivitäten begründen. Der Prozess Evaluieren/Betiteln ist stets verbunden mit Äußerungen zur Bedeutung oder Funktion des Gebauten. Damit ist einerseits ein Kommunizieren darüber zu erkennen, andererseits könnte man in dem hier zu beobachtenden Vorstellen oder Bewerten eines Bauwerks und im Rollenspiel mit dem Bauwerk auch ein Darstellen erkennen. Aus einer mathematikdidaktischen Perspektive ist zu fragen ob es sich dabei auch um mathematisches Darstellen handelt. Da man darunter solche Tätigkeiten versteht, bei denen konkrete Darstellungen, beispielsweise aus Baumaterialien hergestellte Bauwerke, in abstraktere Darstellungen, beispielsweise Zeichnungen, übertragen werden, entspricht das, was sich in den Bauspielsituationen gezeigt hat, nicht der allgemeinen mathematischen Kompetenz Darstellen. In Abschnitt 2.2.2.2 wurde der Zusammenhang zwischen Problemlösen und Bauspiel aus einer theoretischen Perspektive beleuchtet. Dabei wurde auch deutlich, dass Problemlösen nicht eindeutig im Sinne der prozessbezogenen mathematischen Kompetenz verstanden wird. Gemäß Abschnitt 1.2.2 versteht man unter mathematischem Problemlösen, dass für eine Situation oder Aufgabe, die man noch nicht routinemäßig erledigen kann, eine Lösung gefunden wird (vgl. Benz et al. 2017, 327). Entsprechend Abschnitt 2.2.2.2 lässt sich ergänzen, dass die Lösung des Problems in Beziehung zu quantitativen oder räumlichen Aspekten stehen sollte (vgl. van Oers 2004, 315). Aus beidem lässt sich schlussfolgern, dass sich in den Situationen, die den vier übergeordneten Prozessen zugeordnet sind, mehr oder weniger deutlich mathematisches Problemlösen erkennen lässt. Im Detail lassen sich die in Tabelle 5.3 dargestellten möglichen Erfahrungen im Hinblick auf die prozessbezogenen mathematischen Kompetenzen in den Arbeitsweisen des Bauspiels erkennen. Hinsichtlich dieser Übersicht ist allerdings zu bedenken, dass die prozessbezogenen mathematischen Kompetenzen und die übergeordneten Arbeitsweisen in den Bauspielen nur zueinander in Beziehung gesetzt werden können, wenn deren Unterschiedlichkeit mitberücksichtigt wird. Bei den Kompetenzen geht es immer auch um formale Mathematik und eine zunehmend sachgerechte Verwendung von mathematischen Fachbegriffen, wohingegen bei den in den Bauspielen beobachteten Arbeitsweisen die Alltagssprache der Kinder und informelle Mathematik im Mittelpunkt stehen. Ich schlage deshalb vor, das Mathematische in Bauspielen nicht dadurch aufdecken und beschreiben zu wollen, dass man nach Szenen sucht, in denen Kinder mit Hilfe mathematischer Begriffe und Gesetze kommunizieren, argumentieren und Probleme lösen, sondern die Arbeitsweisen Konstruieren/Aufbauen, Evaluieren/Betiteln, Entwerfen/Adaptieren
verwenden/finden einer passenden Bauweise
sprechen über die Bauweise
begründen der Bauweise
Problemlösen
Kommunizieren
Argumentieren
Konstruieren/Aufbauen
sprechen über die Funktion/Bedeutung eines Bauwerks
testen/überprüfen eines Bauwerks
Evaluieren/Betiteln
ausprobieren und sich dabei selbst beobachten
Herstellen/Checken
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begründen des Designs
(sprechen über das Design)
verwenden/finden eines passenden Designs
Entwerfen/Adaptieren
Tabelle 5.3 Prozessbezogene Kompetenzen und Arbeitsweisen im Bauspiel
414 Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
5.2 Konsequenzen für die Praxis – mathematische Lernchancen…
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und Herstellen/Checken als übergeordnete Prozesse zu verstehen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie informelle mathematische Auseinandersetzungen in Bauspielen – vielleicht auch darüber hinaus – prägen können, wobei das nur gilt, wenn dabei auch die mathematischen Inhalte angesprochen werden.
5.2
Konsequenzen für die Praxis – mathematische Lernchancen in Bauspielen
Aus der Erkenntnis, dass Kinder sich im Zusammenhang mit Bauspielen mit Inhalten auseinandersetzen und Arbeitsweisen zeigen, die man als mathematisch deuten kann, darf nicht der Schluss folgen, dass Bauspiele immer mathematische Lernchancen darstellen oder auf jeden Fall mathematische Erfahrungen ermöglichen. Eine Voraussetzung dürfte sein, dass die Bauspielsituationen mathematisch reichhaltig sind. Damit Bauspiele in der Praxis ihr Potenzial als mathematische Lernchancen entfalten können, ist es notwendig, dass Fachkräfte Bauspiele oder Bauspielsituationen erkennen können, die mathematische Erfahrungen für die Kinder bieten. Sie sollten wissen, unter welchen Umständen mathematisch reichhaltige Situationen entstehen und wie sie diese unterstützen können. Deshalb wird in Abschnitt 5.2.1 anhand der Analyse konkreter Bauspielphasen gezeigt, wie sich die Komplexität dieser Situationen mithilfe der gefunden Kategorien reduzieren und strukturieren lässt. Dadurch wird erst deutlich, welche mathematischen Erfahrungen Kinder machen können. In Abschnitt 5.2.2 wird ausgehend davon und mit Bezug auf die im Theorieteil dargestellten Befunde diskutiert, unter welchen Voraussetzungen Bauspiele zu mathematischen Lernchancen werden können.
5.2.1
Mathematisch reichhaltige Bauspiele erkennen
Nachdem die bisherigen Ausführungen in Kapitel 4 und in Abschnitt 5.1 dadurch geprägt waren, dass die gebildeten Kategorien, gestützt auf kurze Videosequenzen, hinsichtlich ihrer mathematikdidaktischen Bedeutung interpretiert wurden, sollen im Folgenden längere Bauspielphasen betrachtet werden. Auf diese Weise möchte ich darstellen, ob und gegebenenfalls wie die Kategorien ermöglichen, mathematisch reichhaltige Situationen zu identifizieren. Zunächst werden zwei Bauspielphasen gegenübergestellt, in denen Kinder mit Holzbauklötzen spielen. Beide Situationen ähneln sich insofern, als zu Beginn ein großer Haufen Bauklötze vorhanden ist, mit dem nach und nach von mehreren Kindern gemeinsam eine größere Fläche bebaut wird. In dem ersten Fall handelt es
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Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
sich bei dem Bauwerk nach dem Bekunden der Kinder um ein Maislabyrinth (vgl. Abbildung 5.5) im zweiten Fall bezeichnen die Kinder ihr Bauwerk als Wasserwelt (vgl. Abbildung 5.6). Im Folgenden werde ich die beiden Bauspielphasen kurz skizzieren und ihre jeweiligen Besonderheiten hervorheben, bevor eine vergleichende Betrachtung erfolgt und ein Fazit gezogen wird.
Abbildung 5.5 Bauspielphase „Maislabyrinth“
Diese Phase entsteht, nachdem ein ziemlich hoher Turm eingestürzt ist. Vielleicht entscheiden sich die Kinder nun deshalb für ein Bauwerk, das nicht „zufällig“ einstürzen kann. Betrachtet man die codierten Prozesse und Inhalte während dieser Bauspielphase, fällt auf, dass zunächst das Aufbauen des Maislabyrinths im Fokus steht (Minute 26 bis 35, lila Codierungen), inhaltlich sind diese Situationen davon geprägt, dass die Form des Bauwerks (hellgrüne Codierungen) besprochen wird. Im weiteren Verlauf tritt der Prozess Evaluieren/Betiteln (gelbe Codierungen) besonders hervor. Daraus resultiert einerseits, dass bestimmte Erweiterungen und Verbesserungen am Bauwerk vorgenommen werden. Die Inhaltskategorien falschrum-richtigrum (neongrüne Codierungen) und offen-geschlossen (dunkeltürkise Codierungen) spielen dabei eine wichtige Rolle (Minute 37 bis 41). Man kann also sagen, das Bauwerk wird – und das ist tatsächlich naheliegend für das Thema Maislabyrinth – daraufhin evaluiert, wo man entlang laufen kann und wo man hinein oder auch hinauskommt. Das Bauen vermischt sich dann im weiteren Verlauf zunehmend mit einem Fantasiespiel (Minute 42 bis 48). Die aufgestellten Klötze stellen Personen dar, die das Maislabyrinth besuchen und auf die Toilette müssen. Nach und nach entsteht
5.2 Konsequenzen für die Praxis – mathematische Lernchancen…
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so eine lange Schlange aufgestellter Bauklötze, die die Kinder als „Kloschlange“ bezeichnen. Die Äußerungen der Kinder weisen in dieser Phase nur noch wenige Bezüge zu inhaltsbezogenen Kategorien auf. Wenn sich inhaltsbezogene Kategorien finden ließen, ging es darum wo Klötze hingestellt werden sollen (falschrum-richtigrum) oder es wurde die Länge der „Kloschlange“ (groß-klein, türkise Codierung) angesprochen. Die Bauspielphase findet ihren Abschluss in Minute 48, als an der Bauklotzreihe der Dominoeffekt ausprobiert wird.
Abbildung 5.6 Bauspielphase „Wasserwelt“
Die Bauspielphase „Wasserwelt“ entsteht, nachdem die Kinder einen zunächst begonnenen Turm zum Einsturz gebracht haben. Aus den nun auf dem Haufen liegenden Bauklötzen wird zuerst ein Objekt gebaut, dass als „große dicke Schleuse“ betitelt wird (Minute 8), wobei Überbrückungen und Überbrückungsbauten eine besondere Rolle spielen. Im Laufe der weiteren Ausgestaltung wird das Bauwerk als „Wasserwelt“ bezeichnet und gezeigt, wo das Wasser entlangfließen kann (Minute 14). Danach wird die Bedeutung und Funktion des Gesamtbauwerks von den Kindern nicht mehr so deutlich hervorgehoben. Es werden lediglich einzelne Stellen als Wege bezeichnet und ein bestimmter Bereich als Lagerraum. Die Kinder tauschen sich insgesamt nur sehr wenig über die Bauweise aus, daran zu erkennen, dass es kaum lila codierte Stellen gibt. In wenigen Sequenzen werden die Größe von Bauteilen (türkise Codierungen) und der Ort, an den sie gebaut werden (neongrüne Codierungen), angesprochen. Durch das ganze Bauspiel hindurch zieht sich, dass weitere Materialien einbezogen werden. In Minute 8 ist zum ersten Mal ein größerer Einrichtungsgegenstand (ein Hocker?) zu sehen, der auf den Boden gelegt und in das Spiel einbezogen wird. In Minute 13 werden bunte
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Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
Kunststoffpyramiden in einen Bereich des Bauwerks gestellt, allerdings ohne dass das ausführende Kind dies weiter erklärt. Später versuchen die Kinder, Ritterburgteile in ihr Bauwerk zu integrieren (Minute 21) und es wird ein Gebilde aus Treppenbausteinen angebaut (Minute 24) sowie ein Tier hineingestellt (Minute 28). Die Situation endet, als die beiden zuletzt bauenden Kinder sich von ihrem Bauwerk entfernen. Vergleicht man die beiden Situationen, fällt zunächst als Gemeinsamkeit auf, dass eine Art „Spielwelt“ entsteht. Während der Bau des Maislabyrinths durch das Wissen über ein echtes Maislabyrinth beeinflusst zu sein scheint, ist die Wasserwelt vermutlich ein Fantasieobjekt. Vergleicht man die entstehenden Bauwerke, fällt auf, dass das Maislabyrinth überwiegend aus dem Bau eines Grundrisses (vgl. Abschnitt 2.1.2.2) besteht, wohingegen bei der Wasserwelt nicht nur in der Fläche umschlossene Bereiche entstehen, sondern auch umschlossene Räume. Die verschiedenen Überbrückungen und in die Höhe gebauten Objekte fallen hier besonders auf. Beim Maislabyrinth verwenden die Kinder ausschließlich eine Sorte Bauklötze, bei der Wasserwelt werden die Bauklötze um weitere Materialien ergänzt, dem Ausschmücken scheint besondere Bedeutung zuzukommen, vielleicht weil es ein Fantasiegebilde ist. Aus mathematikdidaktischer Perspektive ist interessant, dass der Bau des Maislabyrinths durch einen regen Austausch der Kinder darüber geprägt ist, was sie bauen, wie sie das bauen und zumindest teilweise auch warum sie das tun, worin vielfältige Bezüge zu mathematischen Inhalten erkennbar sind. Die Kinder, die die Wasserwelt bauen, nutzen zum Teil komplexe Konstruktionen beim Bauen oder probieren diese aus. Eine Auseinandersetzung darüber, was, wie und warum so gebaut wird, ist kaum zu erkennen. Die Kinder beschreiben sich gegenseitig nur sehr selten, was oder wie sie gerade bauen. Hier ist allerdings anzumerken, dass es im Hintergrund sehr laut ist, vielleicht ist deshalb nicht jeder Austausch zu verstehen oder ausführlichere Gespräche sind für die Kinder deshalb nicht attraktiv. Zwei weitere Bauspielphasen, die hier betrachtet werden sollen, zeigen Kinder beim Bauen mit SEVA-Material. Abbildung 5.7 veranschaulicht eine Phase, in der zwei Kinder gemeinsam eine Leiter für ihr Bauwerk anfertigen und einbauen. In Abbildung 5.8 ist eine Bauspielphase dargestellt, in der Kinder versuchen nach einer Bildvorlage ein Objekt herzustellen, dabei geht es vor allem um das Bauen eines Daches. Die Bauspielphase „Leiter“ ist davon geprägt, dass die Kinder sich von Minute 26 bis 32 vorwiegend damit beschäftigen, wie man eine Leiter bauen (Konstruieren/Aufbauen – lila Codierung in der vierten Zeile von oben) und im Bauwerk nutzen kann (Entwerfen/Adaptieren – blaue Codierung in der zweiten Zeile von
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Abbildung 5.7 Bauspielphase „Leiter“
oben). Dabei befassen sie sich auch damit, wie die Leiter später „funktionieren“ soll (Evaluieren/Betiteln – gelbe Codierung in der dritten Zeile von oben). In der restlichen Bauspielphase liegt der Fokus der Kinder auf dem Bauen der Leiter und auf deren Einbau in ihr Bauwerk, was sich an der fast durchgängig lilafarbenen Codierung von Minute 33 bis 44 zeigt. In diesem Zusammenhang erfolgt eine umfangreiche Auseinandersetzung darüber, wie es gelingen kann, die Leiter möglichst stabil in das Bauwerk zu integrieren, wobei der Kategorie befestigt-unbefestigt besondere Bedeutung zukommt (Minute 34 bis 39, dunkelgrüne Codierung in der untersten Zeile). Als eine Bautechnik für den Einbau der Leiter gefunden ist, passen die Kinder die Länge der Leiter an das Bauwerk an, dabei spielt der Bezug zur Kategorie groß-klein eine besondere Rolle (türkisfarbene Codierung in der dritten Zeile von unten). Das Ende der Bauspielphase wird darin gesehen, dass die Kinder sich über die „Vollendung“ ihrer Leiter freuen. Etliche der Transkriptauszüge, die in Abschnitt 4.1 und 4.2.1 dargestellt sind, entstammen dieser Bauspielphase, weil die Kinder darin zahlreiche mathematische Inhalte thematisieren. Das ist auch an den vielen Codierungen in verschiedenen Grüntönen zu erkennen. Die in der Abbildung oben gezeigte Bauspielphase „Dach“ ist davon geprägt, dass die Kinder eine Bildvorlage haben und das darauf abgebildete Objekt herzustellen versuchen. Dabei steht das Bauen des Daches vielleicht deshalb für die Kinder im Mittelpunkt, weil es in der Abbildung in einer so zentralen Position ist oder weil die Kinder darin einen guten Ausgangspunkt für ihr Bauen sehen. Auf vorwiegend zwei Themen beziehen sich die Äußerungen der Kinder im Spielverlauf. Einerseits darauf, ob das eigene gebaute Objekt zur Abbildung passt und andererseits darauf, welche der beiden Varianten einem Dach besser
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Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
Abbildung 5.8 Bauspielphase „Dach“
entsprechen. Beim zweiten Thema spielt sowohl das Dach auf der Abbildung als auch die eigene Vorstellung von einem Dach eine wichtige Rolle in den Äußerungen der Kinder. In der Bauspielphase Dach nimmt die Kategorie gleich-ungleich (grasgrüne Codierung, vierte Zeile von unten) einen besonderen Stellenwert ein. Das liegt nahe, wenn man bedenkt, dass das Vergleichen mit der Abbildung und zwischen den beiden entstandenen Varianten die zentralen Themen im Spiel der Kinder sind. Den beiden Bauspielphasen mit SEVA-Material ist gemeinsam, dass die Kinder ein ganz bestimmtes Objekt herstellen wollen. Im ersten Fall ist das eine Leiter, im zweiten Fall ein Dach. Während der Bau der Leiter auf der Vorstellung der Kinder basiert, dass diese benötigt wird, um eine bestimmte Funktion im Bauwerk zu übernehmen, wird im zweiten Fall ein Dach gebaut, weil es Teil des abgebildeten Objektes ist, welches die Kinder gerne herstellen möchten. Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Situationen ergibt sich daraus, dass der Bau der Leiter von den Kindern als Teamarbeit ausgeführt wird, wohingegen beim Bauen des Daches jedes Kind sein eigenes Dach baut. Die zu jeder Bauspielphase abgebildete Codeline veranschaulicht, dass es unterschiedlich lange Bauspielsituationen gibt, in denen Bezüge zu inhaltsbezogenen Kategorien erkennbar sind. Es wird an den langen Abschnitten, die inhaltsbezogen codiert werden konnten, und zwar mit drei und mehr Kategorien, deutlich, dass die in Abbildung 5.7 dargestellte Bauspielphase „Leiter“ großes Potenzial für mathematische Erfahrungen bieten kann. Aber auch in den beiden Bauspielphasen „Maislabyrinth“ und „Dach“ gibt es längere Abschnitte, die ohne größere Unterbrechungen mit mehreren inhaltsbezogenen Kategorien codiert werden konnten. An den Besonderheiten und Gemeinsamkeiten aller vier dargestellten Bauspielphasen wird deutlich, dass dann Situationen entstehen, die aus
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einer mathematikdidaktischen Perspektive bedeutsam sind, wenn Kindergartenkinder sich damit auseinandersetzen, wo und wie etwas (an)gebaut wird oder auch damit, warum etwas auf diese Weise (an)gebaut wird, Eine weitere Frage ist, ob die Komplexität des Bauvorhabens auch einen Einfluss darauf hat, ob eine Situation mathematisch reichhaltig ist. Mit dem Kategoriensystem kann dieser Aspekt nicht direkt erfasst werden. Allerdings zeigt sich an der Bauspielphase „Leiter“, dass ein anspruchsvolles Bauvorhaben, für das die Kinder nicht auf bekannte Lösungen zurückgreifen können, die Auseinandersetzung der Kinder beeinflussen kann. Dagegen fällt in der Bauspielphase „Wasserwelt“, in der schwierigere Bautechniken als in der Bauspielphase „Maislabyrinth“ von den Kindern angewendet werden, auf, dass das nicht unbedingt so ist. Sucht man nach einer Erklärung für diese Beobachtung, kann man zum einen feststellen, dass die von den Kindern gewählten Bautechniken, auch wenn sie schwieriger erscheinen, schon beherrscht werden. Zum anderen könnte es sein, dass das von den Kindern vereinbarte Rahmenthema Wasserwelt so viel Freiraum bietet, dass sich Auseinandersetzungen über die Bauweise erübrigen. Eine weitere Erklärung könnte auch in der sozialen Interaktion der hier zusammenspielenden Kindergruppe oder den Rahmenbedingungen liegen, was aber im Rahmen dieser Studie nicht untersucht wurde. Abschließend kann man sagen: Als wichtiges Kennzeichen von mathematisch reichhaltigen Situationen hat sich in den beobachteten Bauspielen erwiesen, dass sich die Kinder auf ein gemeinsames Bauvorhaben verständigen, von welchem jeder ein (Vorstellungs-)Bild hat, woraus dann ein Austausch über die Bauweise, Funktion und Idealvorstellung des Bauwerkes hervorgehen kann. Diese These weist Ähnlichkeiten mit der von Gura (1992, 71) vertretenen Annahme auf, die besagt, wenn mehrere Kinder gemeinsam bauen, kann ihnen ein Name helfen, um die gleiche Idee durchgehend aufrecht zu erhalten sowie ihr Denken und Handeln zu organisieren (vgl. Abschnitt 2.1.4.3).
5.2.2
Mathematisch reichhaltige Bauspiele unterstützen
Die Anlage meiner Studie und die gewonnenen Erkenntnisse erlauben es zwar nicht, Schlussfolgerungen dazu zu ziehen, wie Bauspiele in der Praxis unterstützt werden können, damit Situationen entstehen, die mathematische Erfahrungen ermöglichen. Interessant erscheint es mir jedoch, bestehende Forderungen zum Umgang mit kindlichen Bauspielen, die teilweise bereits in Abschnitt 2.1 angesprochen wurden, daraufhin zu diskutieren, ob und welche Möglichkeiten zur Unterstützung mathematisch reichhaltiger Bauspiele unter Berücksichtigung der Ergebnisse meiner Studie geeignet erscheinen.
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Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
Die meisten Autoren, deren Texte in Abschnitt 2.1 dargestellt wurden, stimmen darin überein, dass sie freistehenden unverbundenen Holzbausteinen einen besonderen Stellenwert einräumen oder sie gar zu dem einzig geeigneten Material erklären. Wie diese dann im Einzelnen ausgestaltet sind, unterscheidet sich etwas, besondere Bedeutung nimmt aber der Bauklotz mit den Proportionen 3:2:1 ein. Das ist durchaus interessant und Stoevesandt (1979) versucht dafür sogar eine kulturgeschichtliche Erklärung zu geben. Allerdings verdeutlicht die Definition von Bauspielen beispielsweise bei Einsiedler (1999), dass es weder ein theoretisches Modell noch empirische Befunde gibt, die diese Sonderstellung der Holzbausteine rechtfertigen. Für die hier vorliegende Arbeit wurden sowohl Situationen analysiert, in denen klassische Holzbausteine zum Einsatz kamen als auch solche, in denen ein im weiteren Sinne technisches Konstruktionsmaterial mit Steckverbindungen verwendet wurde. Man kann in den von mir analysierten Situationen keine Hinweise darauf finden, dass aus einer mathematikdidaktischen Perspektive heraus das eine Material Vorteile gegenüber dem anderen hat. Die von Stoevesandt (1979) angenommene Möglichkeit, durch die Verschiedenheit des Materials unterschiedliche Gesetzmäßigkeiten kennenlernen zu können, lässt sich zumindest teilweise in den analysierten Situationen erkennen. Während beispielsweise beim Bau von Türmen die Rundbauweise gewählt wird oder beim Bau des Maislabyrinths der Dominoeffekt ausprobiert wird, finden sich beim Bauen mit dem SEVA-Material Äußerungen zur Bautechnik, d. h. das Zusammenstecken von Bauteilen zu einer Ecke oder die Verlängerung eines Stabes durch Aneinanderstecken werden thematisiert. Es spricht also viel dafür, den Kindern verschiedene Baumaterialien anzubieten, wobei in den von mir analysierten Bauspielen meist nur ein Material bei einem Bauvorhaben genutzt wurde. Eine Frage, die deshalb im Raum steht, ist die nach dem gleichzeitigen Einsatz unterschiedlicher Materialien bzw. nach dem Anbieten zusätzlicher Materialien. Bruce (1992b, 22) beschreibt, dass die Verwendung von weiteren Accessoires dazu führen kann, dass weniger ausgefeilte Bauwerke entstehen, zumindest dann, wenn die Kinder nicht genug Gelegenheiten haben, die jeweiligen Materialien einzeln zu erkunden. Mit Blick auf meine eigene Studie lässt sich für die oben dargestellte Bauspielphase „Wasserwelt“ feststellen, dass die entstandenen Bauwerke durch das Einbeziehen weiterer Materialien nicht weniger ausgefeilt waren. Die Tatsache, dass sich in dieser Bauspielphase nur wenige Situationen finden ließen, in denen mathematische Inhalte zu erkennen waren, kann man aus meiner Sicht ebenfalls nicht dem Einfluss des vorhandenen zusätzlichen Materials zuschreiben. Interessant ist, dass das Bauen nach Bildvorlage, wie es in der Bauspielphase „Dach“ der Fall war, zu anderen Schwerpunkten in den Gesprächen der Kinder geführt hat, was dafür spricht, in Bauspielen auch Bildvorlagen
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zu nutzen. Hinsichtlich der allgemeinen mathematischen Kompetenz Darstellen liegt es außerdem nahe, Stifte und Papier beim Bauspiel anzubieten, um den Kindern eine Möglichkeit zu geben, ihr konkretes Bauwerk in eine zweidimensionale, abstraktere Darstellung zu übertragen, auch wenn meine Studie dafür keine Anknüpfungspunkte bietet. Verschiedene Autoren fordern, dass den Kindern ausreichend Zeit und ausreichend Platz zum Bauspiel zur Verfügung stehen soll (vgl. Gura und Bruce 1992; Kietz 1950/1967). Die von mir analysierten Bauspielsituationen zeigen, dass Bauspiele von Kindern über einen langen Zeitraum bis zu 80 Minuten andauern können. Allerdings kann man nicht feststellen, dass die Situationen, die aus einer mathematikdidaktischen Perspektive besonders ergiebig scheinen, mit der von den Kindern zum Bauen genutzten Zeit zusammenhängen. Die Bedeutung des Platzes, den die Kinder zum Bauen nutzen können, scheint hier schon eher einen Einfluss zu haben. Gura (1992, 66) beschreibt als einen weiteren Gesichtspunkt, dass Kinder im Alter von 46 Jahren ein zunehmendes Interesse an der Verwendung von Bauklötzen in Gitter-Arrangements, beispielsweise als Schienen- oder Straßensystemen, zeigen. Diese seien oft dadurch charakterisiert, dass mehrere Kinder Seite an Seite arbeiten und sich an demselben Bau beteiligen, wenn dafür genug Platz zur Verfügung steht (vgl. Abschnitt 2.1.4.3). Genau diese Bauform hat sich auch beim Bauen des Maislabyrinths und der Wasserwelt gezeigt, für das die Kinder ausreichend Platz hatten. Da das gemeinschaftliche Bauen als eine Voraussetzung für einen Austausch der Kinder angesehen wird, der wiederum ein wichtiger Ausgangspunkt für das Entstehen einer Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten sein kann, ist davon auszugehen, dass ausreichend Platz zum Bauen auch aus mathematikdidaktischer Perspektive als wichtiger Faktor gesehen werden kann. Ein Aspekt, der in der Literatur nicht weiter ausgeführt wird, ist die Frage nach der Ruhe, die die Kinder beim Bauen haben. Die Bauspielphase „Wasserwelt“ deutet zumindest daraufhin, dass der Austausch der Kinder beim Bauen dadurch erschwert sein kann, wenn es sehr laut ist. Auf jeden Fall ist es dadurch für Fachkräfte schwierig, die Kinder beim Bauspiel zu verstehen. Neben der Frage nach Material, Raum und Zeit für das Bauspiel ist das Verhalten der Fachkraft in Bauspielen von Kindern ein viel diskutiertes Thema und es kommt sicher nicht von ungefähr, dass Bruce et al. (1992f, 176) feststellen, dass der Einfluss der Erwachsenen kompliziert ist. Das zeigt sich auch an ihrer Forderung, der Erwachsene soll gleichermaßen für seine Abwesenheit wie für seine Präsenz in der Bauecke sorgen. Insgesamt zeigt sich in den Veröffentlichungen weitgehend die Idee, dass die Fachkraft sich ko-konstruktiv in den Bauspielsituationen verhalten soll. Gura und Bruce (1992) bezeichnen das als Interactionist-Ansatz. Das Beobachten der Kinder wird als Ausgangspunkt für
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Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
eine geeignete Unterstützung gesehen, wie in den Veröffentlichungen von Fröbel über Stoevesandt (1979) bis hin zu Gura und Bruce (1992) zu erkennen ist. Diesen ist auch gemeinsam, dass sie fordern, die Fachkräfte sollten das Material selbst erproben. Hetzer (1931) und Kietz (1950/1967) betonen dagegen besonders stark den Freiraum und das freie Gestalten als Grundbedingung von Bauspielen. Der Erwachsene wird hier vor allem als derjenige gesehen, der den Rahmen zur Verfügung stellt und dem Spiel der Kinder die entsprechende Wertschätzung entgegenbringt. Dieser Gedanke der Wertschätzung zeigt sich besonders schön auch bei Bruce (1992b, 22), wenn sie erläutert, dass die Sorgfalt und die Bedeutungshaftigkeit, die man als Erwachsener beim Einrichten der Bauecke und bei der Auswahl und Präsentation der Materialien zeigt, zum Ausdruck bringen, dass man das Bauspiel wertschätzt. Aus einer mathematikdidaktischen Perspektive ist folgende Aussage von Kaufmann (2011, 93) zu beachten: „Wenngleich beim freien Bauen sicherlich keine direkte Steuerung durch die Erzieherin stattfinden soll, ergeben sich beim Beobachten oder Mitbauen häufig bereits Gespräche über Formen und deren Eigenschaften – zwischen den Kindern oder mit der Erzieherin“. Auch Bruce et al. (1992c, 91) nehmen an, dass „the process of lifting mathematical ideas out of particular contexts and making them more general“ das Sprechen mit Kindern über ihre Bauaktivitäten voraussetzt. Interessant sind in diesem Zusammenhang ältere Überlegungen zum Sprechen über Bauwerke, die Stoevesandt (1979, 51) anführt. Dabei wirft sie die Frage auf, ob der Erwachsene überhaupt mit dem Kind über seine Bauwerke sprechen darf, und bemerkt dazu einerseits, dass das Kind seine Bauwerke nicht von sich aus benennen und deshalb möglicherweise nur irgendeine Antwort geben würde, worin man eine Einschränkung der kindlichen Schöpferkraft sehen könnte. Andererseits kann durch die Frage nach der Bedeutung eines Bauwerks auch die Freude am Deuten und Vergleichen geweckt werden, wodurch das Kind zum Planen und sich Ziele setzen ermuntert werden kann. Da die Kinder in meiner Studie ohne Begleitung durch einen Erwachsenen gebaut haben, lassen sich dafür keine Hinweise finden. Tatsächlich ist unklar, was beispielsweise in der Bauspielphase „Leiter“ passiert wäre und wie es ganz konkret verlaufen wäre, hätte sich eine Fachkraft ins Spiel der Kinder eingebracht und die als mathematisch erkannten Auseinandersetzungen der Kinder vertieft. Eher kann man sich vorstellen, dass in der Bauspielphase „Dach“ die Unterstützung durch eine Fachkraft die Kinder in ihrem Vorhaben, das Dach herzustellen, voran gebracht hätte und dabei Gelegenheiten entstanden wären, mathematische Erfahrungen zu sammeln. Abschließend möchte ich mich Stoevesandts (1979, 53) Forderung anschließen, dass für das Bauspiel Freiraum und nicht Ungebundenheit nötig ist. So
5.3 Konsequenzen für die Mathematikdidaktik
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könne die Motivation zum Gestalten nicht vom Kind und vom Material allein kommen, sondern müsse auch vom Erzieher ausgehen. „Er sollte sehr wach und aufmerksam sein und aus den Situationen der Kinder Spielvorschläge finden“ (Stoevesandt 1979, 53). In diesem Zusammenhang kritisiert Stoevesandt gleichzeitig die Praxis, ständig bereits Erprobtes aus der Erinnerung hervorzuholen und erneut anzubieten, weil man damit dem Kind in seiner Besonderheit nicht gerecht wird. Interessant ist dabei auch ihre Position, dass Themen, die der Erzieher stellt, als Vorschläge und nicht als Aufgaben zu verstehen sind, woraus sich ergibt, dass es beim Spielen eben nicht auf Ergebnisse ankommt, sondern darauf, dass das Tun seinen Sinn in sich selbst hat. „Aufgabe des Erziehers bleibt es, die Kinder möglichst innerhalb des Spiels in ihrer Entwicklung zu fördern“ (Stoevesandt 1979, 54). Ein sehr schönes Zitat von Johnson (1933), das Gura (1992, 72) wiedergibt, bringt auf den Punkt, wie schwierig es ist, die Bedeutung des Erwachsenen für das Bauspiel der Kinder zu erfassen: „No adult could have planned a didactic method which could have stimulated children to this sort of activity, but also no such building is found unless favorable conditions are made for it“.
5.3
Konsequenzen für die Mathematikdidaktik
5.3.1
Mathematisches Lernen im Kindergarten und am Übergang zur Schule
Die Ausführungen in Abschnitt 5.1 legen nahe, dass in der Mathematikdidaktik überwiegend von folgender Überzeugung ausgegangen wird: Es gibt bestimmte Kompetenzen, die sollten Kinder aus mathematikdidaktischer Sicht bzw. im Hinblick auf den Mathematikunterricht in der Schule bereits im Kindergarten erwerben. Da Kinder im Kindergartenalter im Spiel bzw. beiläufig im Alltag lernen, ist es eine zentrale Aufgabe der Fachkraft, Spiel- und Alltagssituationen zu nutzen oder zu schaffen, in denen die Kinder in diesen Kompetenzen gefördert werden können. Meine Arbeit nimmt hier einen anderen Blickwinkel ein, weil sie mit Bauspielen eine Beschäftigung in den Mittelpunkt rückt, mit der sich Kinder während ihres Spiels im Kindergartenalltag von sich aus befassen, und daran zeigt, dass sich auch ohne direkte Anregung durch eine Fachkraft mathematische Inhalte und Arbeitsweisen in den Interaktionen von Kindern erkennen lassen und wie sich diese beschreiben lassen. Weiterführende mathematikdidaktische Themen, die in meiner Arbeit nur kurz gestreift wurden (vgl. Abschnitt 5.2), sind die mathematischen Lernchancen, die sich daraus ergeben, und die mathematischen
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5
Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
Kompetenzen von Kindern, die sich dadurch weiterentwickeln können. Besonders zentral erscheint aber, wie Fachkräfte solche Lernchancen erkennen und auf geeignete Weise Anregungen geben können, diese zu nutzen. Die Befunde meiner Arbeit weisen zumindest für Bauspiele von Kindern darauf hin, dass die dabei stattfindenden Interaktionen zwischen ihnen vielfältige mathematische Erfahrungen ermöglichen. Geht man außerdem davon aus, dass das Interesse der Kinder ein wichtiger Motor für ihr Lernen ist und dass Kinder nur lernen können, was ihrer aktuellen Entwicklung entspricht, erscheint ein Paradigmenwechsel für die frühe mathematische Bildung notwendig. Nicht die mathematischen Kompetenzen, die Kinder erwerben sollen, sondern das konkrete Spiel von Kindern mit Gesprächen und Handlungen sowie den Fähigkeiten, die sich darin zeigen, sollten den Ausgangspunkt für mathematisches Lernen im Vorschulalter darstellen. Diese Sichtweise bedarf einerseits einer entsprechenden Wahrnehmung der Spielsituationen von Kindern und andererseits Möglichkeiten für Fachkräfte sowie das Vertrauen in Fachkräfte, das erlernen zu können. Anders als Ertle et al. (2008) gehe ich nicht davon aus, dass es zwangsläufig eine Überforderung für Fachkräfte darstellt, sowohl das hinter dem Spiel liegende mathematische Thema zu erkennen als auch zu wissen, was zur Unterstützung der Kinder zu tun wäre. Deren Annahme kann meiner Meinung nach nur so lange Bestand haben, wie sich auch in der Mathematikdidaktik nur wenige Bestrebungen zeigen, in den Spielen von Kindern liegende mathematische Themen zu ergründen und daraus Ideen zur Unterstützung der Kinder zu entwickeln. In diesem Sinne sehe ich in den von mir entwickelten Kategorien eine Zugangsweise, die auch Fachkräften ermöglichen kann, so analysierte Situationen als mathematische Erfahrungen zu deuten und Kinder entsprechend adaptiv zu unterstützen. Das in dieser Studie entwickelte (vgl. Abschnitt 3.3.3) und differenziert dargestellte (vgl. Abschnitt 5.4) Kategoriensystem verdeutlicht, dass sich die für die Grundschule beschriebenen mathematischen Kompetenzbereiche nicht ohne Weiteres auf die Aktivitäten im Spiel von Vorschulkindern anwenden lassen. Im Hinblick auf die Forderung, dass Fachkräfte Mathematisches im Spiel der Kinder wahrnehmen, erkennen und unterstützen sollen, werden aus meiner Sicht andere Beschreibungsdimensionen benötigt. Die Verwendung derselben Begrifflichkeiten zur Beschreibung mathematischer Kompetenzen für Kindergarten und Schule kann aus mathematikdidaktischer Perspektive zwar Anschlussfähigkeit ausdrücken, unterstützt aber die Fachkräfte möglicherweise nicht ausreichend dabei, anschlussfähige Bildungsprozesse zu implementieren. Dafür scheint es mir eher notwendig, dass die Fachkräfte eine Sprache zur Verfügung haben, die nahe am Tun und den sprachlichen Äußerungen der Kinder ist und ihnen deshalb helfen kann, mögliche mathematische Erfahrungen von Kindern zu erkennen und zu
5.3 Konsequenzen für die Mathematikdidaktik
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unterstützen. Zu klären, ob und inwieweit solche Begrifflichkeiten Anschlüsse an die mathematischen Kompetenzen für die Schule bieten – so wie auch in dieser Arbeit diskutiert – ist sicherlich für die Mathematikdidaktik zentral, muss aber für die Fachkräfte in Kindergärten nicht im Mittelpunkt stehen. Sowohl die weit verbreitete Meinung, dass Kinder im Spiel oder beiläufig im Alltag lernen, als auch die Befunde meiner Studie, dass Bauspiele von Kindern reichhaltige mathematische Erfahrungen ermöglichen, berühren die Frage, ob und wie diese Erfahrungen der Kinder im Mathematikunterricht in der Schule berücksichtigt werden sollen. Meine Studie verdeutlicht, dass die Kinder in ihren Äußerungen und Interaktionen in den Bauspielen ihre Alltagssprache nutzen und informelles mathematisches Wissen zeigen. Dieses kann, wie Sarama und Clements (2009, 6) schreiben, überraschend breit, komplex und ausdifferenziert sein. Gegenstand des Mathematikunterrichtes in der Schule ist nun nicht (mehr) die informelle Mathematik, sondern die formale Mathematik. Dazu steht im Bildungsplan der Grundschule für Baden-Württemberg, dass die Versprachlichung von mathematischen Sachverhalten von grundlegender Bedeutung ist. „Sie beginnt bei der Beschreibung von Handlungen, Vorgehensweisen oder Lösungswegen mithilfe der Alltagssprache der Kinder und führt allmählich zur formalen Sprache der Mathematik“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, 7). Ausgehend davon erscheint es durchaus interessant, dies zu erweitern, d. h. nicht nur die Alltagssprache zu nutzen, um eine Verbindung zum informell erworbenen mathematischen Wissen herzustellen, sondern auch entsprechende Spiele und Materialien im Unterricht zu verwenden. Es ist vorstellbar, dass die inhaltsbezogenen Kompetenzen von Raum & Form auch durch das Wiederaufgreifen von, den Kindern bereits bekannten, Bauspielen und Baumaterialien gefördert werden können. Das gilt insbesondere, wenn man annimmt, dass eine erfolgreiche Entwicklung von Kindern in diesem Bereich möglicherweise davon abhängt, ob es gelingt, die formalen geometrischen Begriffe mit den lebensweltbezogenen Begriffen und mit den Erfahrungen aus Spielsituationen in Einklang zu bringen.
5.3.2
Weiterführende Forschungsperspektiven
In meiner Arbeit wurde mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse untersucht, mit welchen inhaltsbezogenen Kategorien und welchen Arbeitsweisen die Interaktionen in den beobachteten Bauspielsituationen beschrieben werden können und welche Bezüge zu inhaltsbezogenen und allgemeinen mathematischen Kompetenzen darin zu erkennen sind. Die Überlegungen im vorhergehenden Abschnitt 5.3.1 enthalten bereits eine Reihe von Fragen, die weiterführende Forschungsperspektiven andeuten. Darüber hinaus ist eine Frage, ob die Kategorien, die in meiner
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5
Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
Studie entwickelt wurden, auch für die Analyse einer größeren Menge von Videodaten geeignet sind. Dadurch könnten dann beispielsweise im Rahmen einer evaluativen Inhaltsanalyse unterschiedliche Bauspielmaterialien und Bauspielsettings miteinander verglichen werden. Eine weitere Perspektive stellt in diesem Zusammenhang auch die Analyse anderer Spielformen und ein Vergleich mit diesen dar. Dabei sind mögliche Fragen, ob das Kategoriensystem auch für weitere Spielformen tragfähig ist oder ob mit der für meine Studie adaptierten Methode der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse auch andere Bereiche des Kindergartenalltags erforscht werden können. Eine weitere Forschungsperspektive kann sich auch aus einer Fokussierung auf einen Aspekt in den schon vorhandenen Daten ergeben. Mithilfe eines rekonstruktiven Verfahrens, wie beispielsweise der Dokumentarischen Methode oder der Mikroethnographie, könnte an ausgewählten Sequenzen der Frage nachgegangen werden, wie die Kinder in ihren Interaktionen informelles mathematisches Wissen konstruieren und teilen. Auf diese Weise würde es möglich, Einblicke in potenziell lernförderliche Interaktionen von Kindern zu erhalten. Hinsichtlich meiner Forderung nach einem Paradigmenwechsel in der frühen mathematischen Bildung wäre es notwendig, zu untersuchen, unter welchen Bedingungen es Fachkräften gelingt, mathematische Themen im Spiel der Kinder wahrzunehmen und aufzugreifen. Eine Frage ist deshalb, ob oder wie das entwickelte Kategoriensystem von Fachkräften verstanden werden kann und wie es adaptiert werden könnte, damit es im Kindergartenalltag für das Wahrnehmen und Erkennen von mathematikbezogenen Aspekten genutzt werden kann. Damit geht gleichzeitig die Frage einher, wie das Erkennen möglicher mathematischer Erfahrungen in Spielsituationen durch Fachkräfte mit der Unterstützung der entsprechenden Situationen in Verbindung steht. Der oben genannte Vorschlag, dass Bauspiele eine Rolle für den Mathematikunterricht insbesondere beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule spielen könnten, lässt ebenfalls weitere Forschungsperspektiven zu. Zum einen scheint es eine interessante Frage zu sein, welche Bedeutung Lehrkräfte Bauspielen für das mathematische Lernen von Kindern zuschreiben und welche Bedeutung für sie dabei das informelle mathematische Wissen der Kinder hat. Außerdem könnte man untersuchen, wie Bauspiele erfolgreich/am besten in den Mathematikunterricht integriert werden können und welche positiven Effekte auf Mathematiklernen sich daran zeigen lassen. Gemeinsam können diese Forschungen einen Beitrag dazu leisten, die weit verbreitete Annahme, dass Bauspiele einen besonderen Stellenwert (für das Mathematiklernen von Kindern) einnehmen, wissenschaftlich zu belegen. Denn
5.4 Schlusswort
429
die Frage, welche Bedeutung Bauspiele von Kindern für deren (späteres) Mathematiklernen haben, kann weder durch kontrollierte Vergleichsgruppen – da Kinder nicht am Bauen gehindert werden können – noch durch Lernzuwachsvergleiche geklärt werden, da für Letztere bisher keine Testinstrumente vorhanden sind.
5.4
Schlusswort
Abbildung 5.9 Landkarte mit Wegen
Die bereits in der Einleitung der Arbeit dargestellte Landkarte habe ich bewusst auch hier am Ende der Arbeit – um ein Netz aus Wegen ergänzt (in Abbildung 5.9 exemplarisch durch graue Linien angedeutet) – wieder eingefügt. Sie veranschaulicht, wie bereits vorne beschrieben, auf eindrückliche Weise, dass die in der Arbeit der Reihe nach dargestellten inhaltlichen Schwerpunkte als „Orte auf einer Landkarte“ gedacht werden können, die man auch in einer ganz anderen Reihenfolge „besuchen“ kann und die durch vielfältige „Wege“ verbunden sind. Es geht nicht darum und wäre wohl auch gar nicht möglich, jeden einzelnen Weg nachvollziehen zu können. Vielmehr soll auf diese Weise, bevor ich im Folgenden die wesentlichen Punkte und Teile meiner „Reiserouten“ zusammenfasse, deutlich werden, dass sich im Arbeitsprozess Theorie und empirische Studie
430
5
Zusammenfassung, Diskussion, Ausblick
vielfältig und wechselseitig beeinflusst haben, aber auch weitere zunächst unerwartete Bezüge hergestellt werden konnten. Beispielsweise passen die auf sehr unterschiedlichen Voraussetzungen basierenden Aussagen zum Problemlösen im Bauspiel von Bruce et al. (1992d) sowie in technischen Aufgabenstellungen von Siraj-Blatchford und MacLeod-Brudenell (1999) überraschend gut zusammen. Diese konnten wiederum auf die theoretische Diskussion zu Mathematik als Tätigkeit, in der Problemlösen als allgemeine mathematische Kompetenz dargestellt ist, bezogen werden. Auch für die beiden in der theoretischen Diskussion eher unabhängig erscheinenden Teilbereiche Raum und Form ließ sich in den Ergebnissen meiner Studie eine unvorhergesehene Verbindung finden, nämlich dann, wenn die Kinder mit einer Art Wegbeschreibung die Herstellung ihres Bauwerks begleitet haben. Die Analyse von Bauspielsituationen im Kindergarten hat sich aus einer mathematikdidaktischen Perspektive als ein sehr ergiebiges und vielschichtiges Vorhaben erwiesen. Die in Kapitel 1 eingenommene mathematikdidaktische Perspektive auf Spielen und Lernen im Vorschulalter hat gezeigt, dass Bauspiele von Kindern, wenn es um die Diskussion von Spielen für die frühe mathematische Bildung geht (vgl. Abschnitt 1.1), bislang kein besonderes Gewicht haben. In Abschnitt 2.2 ist dargelegt, dass bisher lediglich einzelne Studien aus dem Feld der Mathematikdidaktik versucht haben, mathematische Aktivitäten in Bauspielen zu beschreiben. Interessant ist, dass aber bereits historische Quellen, beispielsweise Fröbel (1851/1967) oder Hanfmann (1930), Anhaltspunkte für eine Deutung des Bauspiels aus einer mathematikdidaktischen Perspektive bieten. Aus dem Blickwinkel des Theorieteils meiner Arbeit haben sich als mögliche mathematische Aktivitäten in Bauspielen Locating – bestehend aus den geometrischen Aktivitäten Formbetrachtung, Symmetriebetrachtung und Raumorientierung –, Measuring/Größenbetrachtungen und Counting/Zahlbetrachtungen als zentral herauskristallisiert. Die empirische Studie, in der mithilfe einer inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse ausgehend von Videos mit Bauspielsituationen induktiv Kategorien gebildet wurden (vgl. Abschnitt 3.3), deckt teilweise ähnliche Aspekte wie die zuvor genannten auf. An den Kategorien groß-klein, falschrum-richtigrum oder schräg-gerade konnte das gezeigt werden (vgl. Abschnitt 4.1 und 5.1). Die weiteren Inhaltskategorien, die aus den Daten entwickelt wurden (offen-geschlossen, befestigt-unbefestigt und gleich-ungleich) verdeutlichen, dass darüberhinausgehende Inhalte in Bauspielen von Kindern zu entdecken sind, die sowohl aus einer mathematikdidaktischen Perspektive Verknüpfungen zu mathematischen Inhalten von Raum & Form und Messen & Größen aufweisen, als auch technische
5.4 Schlusswort
431
Auseinandersetzungen, die Stabilität oder Drehbarkeit von Objekten betreffend, umfassen. Den Ausführungen in Abschnitt 1.2, in denen unter anderem die Bedeutung allgemeiner mathematischer Kompetenzen für die frühe mathematische Bildung in den Blick genommen wurde, steht mit den in Abschnitt 2.2 beschrieben Überlegungen zum Problemlösen in Bauspielen und den in Abschnitt 4.2 dargestellten Ergebnissen zu übergeordneten Prozessen in Bauspielen eine neue Idee gegenüber. In Abschnitt 5.1 konnte diesbezüglich dargelegt werden, dass die für die Beschreibung von Bauspielen tragfähigen Prozesse Entwerfen/Adaptieren, Evaluieren/Betiteln, Konstruieren/Aufbauen und Herstellen/Checken auch als mathematische Arbeitsweisen gedeutet werden können. In der Dissertation wurde deutlich, dass Bauspiele von Kindern ein Feld für vielfältige mathematische Erfahrungen sein können. Erst das Bemühen mathematikdidaktischer Forschung um ein Verständnis für das, was die Kinder in ihren Spielen beschäftigt, und für das, was sie dabei Mathematisches lernen können, erlaubt es, schlussendlich ein für Fachkräfte nachvollziehbares Repertoire an Beobachtungs- und adaptiven Unterstützungsmethoden zu entwickeln und so mathematische Förderung zu einem selbstverständlichen Teil des Kindergartenalltags zu machen. Die Problemstellungen, die die Kinder sich selbst in Bauspielen vornehmen, können Potenzial für Mathematiklernen bieten. Dieses Potenzial auszuschöpfen, indem man die Kinder beispielsweise bei der Lösungsfindung begleitet, aber auch erkennt, wenn sie keine Hilfe brauchen, dürfte demnach eine zentrale Herausforderung für Fachkräfte sein. Mit einer Situation, in der sich zeigt, wie sehr sich Kinder freuen, wenn sie eine sich selbst gestellte Aufgabe beim Bauen bewältigt haben, möchte ich den beobachteten Kindern das letzte Wort in meiner Arbeit überlassen (Abbildung 5.10).
Max (klatscht). Juchu Ron (singt) Juchu sie steht dort unten und es ist so glücklich fröhlich
Abbildung 5.10 Schlussszene
Anhang
Transkriptionslegende 1 Spalte 1
Anfangszeit der jeweils dargestellten Sequenz
Spalte 2
Kind 1 verbale Äußerung
Spalte 3
Kind 1 Gesten/Handlungen
Spalte 4
Kind 2 verbale Äußerung
Spalte 5
Kind 2 Gesten/Handlungen
Spalte 6 ff.
Weitere beteiligte Kinder jeweils 2 Spalten pro Kind: verbale Äußerung und Handlung
(Wort?)
Nicht zweifelsfrei verstehbares Wort
(?)
Unverständliche Äußerung
.
Senken der Stimme (am Ende eines Wortes)
?
Heben der Stimme (am Ende eines Wortes)
,
Kurzes Absetzen innerhalb einer Äußerung
…
Längere Sprechpause
-
Der Sprecher wird unterbrochen
‚Wort‘
In der Handlungsbeschreibung wird eine (mehrdeutige) von den Kindern genutzte Bezeichnung für ein Bauwerk verwendet
gleiche Tabellenzeile
Alles was im Laufe der Äußerung/Handlung eines (Haupt)Akteurs stattfindet
fett/fett
Verbale Äußerung und Handlung, die genau gleichzeitig erfolgen
farbig/farbig
Genau gleichzeitige Handlung und/oder verbale Äußerung von zwei Kindern
neue Tabellenzeile
Sprecherwechsel und/oder Wechsel des Akteurs
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Henschen, In Bauspielen Mathematik entdecken, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31741-6
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Anhang
Transkriptionslegende 2 Name:
Wer sagt/tut hier etwas?
(kursiv)
Gesten bzw. Handlungen
(Wort?)
Nicht zweifelsfrei verstehbares Wort
(?)
Unverständliche Äußerung
.
Senken der Stimme (am Ende eines Wortes)
?
Heben der Stimme (am Ende eines Wortes)
,
Kurzes Absetzen innerhalb einer Äußerung
…
Längere Sprechpause
-
Der Sprecher wird unterbrochen
Gleichzeitig gesprochene Äußerung von zwei Kindern
‚Wort‘
In der Handlungsbeschreibung wird eine (mehrdeutige) von den Kindern genutzte Bezeichnung für ein Bauwerk verwendet
[…]
Im Transkriptauszug ist ein Teil der Äußerung/Äußerungen ausgelassen
Neuer Absatz
Sprecherwechsel
weiße Linie/neue Zeile Eine neue Situation wird dargestellt
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