Erfundene Biographien: Vladimir Nabokovs englische Romane [Reprint 2016 ed.] 9783111690407, 9783111302973


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German Pages 141 [144] Year 1975

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Table of contents :
Inhalt
Anstelle einer Einleitung
I. Fiktion und Wirklichkeit in der literarischen Biographie: The Real Life of Sebastian Knight
II. Fiktive Biographie als Paradigma für die Kunst als die bessere Welt: Bend Sinister
III. Autobiographie als Demonstration von »precise fate«: Lolita
IV. Biographie als Balance zwischen Komik und Tragik: Pnin
V. Die Kombination von Autobiographien als »correlated pattern in the game«: Pale Fire
VI. Autobiographie als Triumph der Subjektivität: Ada or Ardor: A Family Chronicle
VII. Biographie als Verführung durch die Vergangenheit: Transparent Things
VIII. Die parodistische Autobiographie als Satire auf die Einheit von Leben und Werk: Look at the Harlequins!
Auswahlbibliographie
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Erfundene Biographien: Vladimir Nabokovs englische Romane [Reprint 2016 ed.]
 9783111690407, 9783111302973

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Herbert Grabes

Erfundene Biographien

Herbert Grabes

Erfundene Biographien Vladimir Nabokovs englische Romane

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1975

ISBN

3-484-40040-4

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1975 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany

Meiner Frau

Inhalt

Anstelle einer Einleitung I.

II.

III.

IV.

V.

Fiktion und Wirklichkeit in der literarischen Biographie: The Real Life of Sebastian Knight

1

Fiktive Biographie als Paradigma für die Kunst als die bessere W e l t :

Bend Sinister

17

Autobiographie als Demonstration von »precise fate«: Lolita

29

Biographie als Balance zwischen Komik und Tragik: Pnin

43

Die Kombination von Autobiographien als »correlated pattern in the game«: Pale Fire

VI.

IX

50

Autobiographie als Triumph der Subjektivität:

Ada or Ardor: A Family Chronicle

66

VII. Biographie als Verführung durch die Vergangenheit:

Transparent Things

89

VIII. Parodistische Autobiographie als Satire auf die Einheit von L e b e n und W e r k :

Look at the Harlequins! Auswahlbibliographie

99 122 VII

Anstelle einer Einleitung

Es gibt nicht viele Autoren, die den Literaturkritiker so sehr seine Ohnmacht spüren lassen, wie gerade Nabokov. Daß er in seinen Romanen schon die Möglichkeiten der Kritik parodistisch einschließt, ist noch das Geringste. Auch die Gefahr, daß des Meisters satirische Feder einen rächend treffen könnte, ist nicht allzu groß (soviel Ehre tut er gemeinhin seinen Kritikern kaum an). Doch das eigene Bewußtsein, in der Darstellung ständig so unendlich hinter dem Beschriebenen zurückzubleiben, reicht völlig aus für eine dauerhafte Beeinträchtigung des kritischen Selbstgefühls. Ein heilsamer Vorgang insofern, als er zum Nachdenken darüber anregt, was Literaturkritik in bezug auf eine Reihe von Werken eines Autors bestenfalls überhaupt leisten kann. W a s will sie in dieser Hinsicht leisten? Vielleicht den Zusammenhang aufzudecken versuchen zwischen den verschiedenen Werken des Autors und seinem Leben, wie es Andrew Field für Nabokov in kaum zu übertreffender Weise geleistet hat.1 Vielleicht hoffen, durch eine genauere Betrachtung der Werke das Gemeinsame, die hinter den einzelnen geschaffenen Werken stehenden, durchgängigen Absichten des Autors zu erkennen. Page Stegner hat bekanntlich diesen Versuch zuerst für die englischen Romane Nabokovs unternommen. Der Titel seines Buches, Escape into Aesthetics: The Art of Vladimir Nabokov, 2 verrät deutlich die Absicht, die Vielfalt der untersuchten Romane auf eine Formel zu bringen. Auch Julia Baders neuere Studie Crystal Land: Artifice in Nabokov's English Novels 3 verfolgt dieses Ziel: T h e »idea« o f this book is that the various levels of »reality« in Nabokov's novels are best seen in the perspective of the game of artifice ( r e a l i s t i c , sexual, American, academic, etc., being but different modes of presenting illusion). M y »modish message« is that in varied forms and strange ways all of Nabo-

1 2 3

Nabokov: His Life in Art N e w York, 1966. Berkeley, 1972.

(London, 1967).

IX

kov's novels are about art (a narrow theme if one understands art to be separate from reality, sex, America, and academe).' Bei einer Kritik dieser Art dienen die einzelnen W e r k e letztlich als Belege für die umfassende These, die im Hinblick auf die Darstellung dieser Werke apriorisch ist, obwohl sie in beträchtlichem Maße auf einer genauen Lektüre und Analyse der Einzelwerke beruht. Beweis dafür ist die Tatsache, d a ß bei weitgehender Übereinstimmung in der Detailbeschreibung Bader eine These vertritt, die der Stegners völlig entgegengesetzt ist: . . . Nabokov's subject is not the conflict between art and »reality«, but b e tween different conceptions of art. For Nabokov and his characters, aesthetic patterns are not a way of escaping from the empirical world but rather a way of creating a self-contained and complete world. 5

Anläßlich einer solchen Kritikerkontroverse stellt sich leicht der Eindruck eines Mangels an Objektivität ein und man sieht die verbreitete Ansicht bestätigt, Literaturkritik sei zwangsläufig etwas sehr Subjektives. Man sollte sich hier jedoch nicht täuschen lassen. Zunächst gilt es festzuhalten, daß die beiden von Stegner und Bader vertretenen Thesen nicht beliebig sind, sondern in beträchtlichem Maße aus einer genauen Lektüre der Romane Nabokovs erwachsen, und zwar beide! Wollte man daraus den Schluß ziehen, folglich seien die Romane selbst konfus, so machte man es sich wieder zu leicht. Sie sind nicht konfus, sondern konkret, und das ganze vermeintliche Problem der Subjektivität und Objektivität d e r Literaturkritik ist zumindest hier - das läßt sich zeigen - ein Problem des Verhältnisses vom Abstrakten zum Konkreten. Nabokovs Romane schaffen nicht nur eine eigene Welt der »aesthetic patterns« (Bader), sondern sie stellen zugleich auch den Konflikt von »art and reality« dar (Stegner). Daß dies so ist, ergibt sich nicht als Resultat einer Kombination von Stegners und Baders Thesen oder durch einen dialektischen Trick, sondern dies zeigt sich dann, wenn man die Abstraktionsebene so flexibel hält, d a ß man möglichst genau zu beschreiben vermag, was in den fraglichen Romanen vorliegt. Man wird dann darauf aufmerksam, d a ß diese Romane alle fiktive Biographien oder fiktive Autobiographien sind. Sie demonstrieren dabei als fiktive Biographien den Setzungscharakter der Kunst und die Allmacht des schaffenden Autors (und belegen damit Baders These). Als fiktive Biographien behandeln sie zugleich das Problem der künstlerischen Lebensbeschreibung und damit das Verhältnis von Kunst und Leben (so daß auch Stegners These belegt ist). 4 5

X

Ebd, p. 2. Ebd, p. 3, Fußnote.

Ist es aber nicht allzu banal zu sagen, bei Nabokovs Romanen handele es sich um fiktive Biographien oder Autobiographien, weil das für die meisten Romane anderer Autoren auch gilt? Vielleicht. Ganz so banal aber vielleicht doch nicht, denn die Romane Nabokovs sind nicht nur de facto Biographien oder Autobiographien fiktiver Helden, sondern sie stellen sich gleichsam selbst ausdrücklich als fiktive Biographien vor und thematisieren auf diese Weise sowohl den Prozeß der künstlichen Schaffung eines »Lebens« in der Kunst wie auch das Problem der Beschreibung dieses Lebens und damit der Biographie überhaupt. Dies jedenfalls zeigt sich, wenn man die einzelnen Romane aufmerksam liest. Bei diesem Lesen behilflich sein möchten die nachfolgend angebotenen Beschreibungsversuche. Das bedeutet, daß mehrmaliges konzentriertes Lesen der Romane selbst sie zumindest für den literarisch Geübten weitgehend überflüssig macht. Doch für weniger Geübte und Leute mit weniger Zeit und Neigung für die dritte und vierte Lektüre desselben Romans, mögen die vorgelegten Beschreibungen doch von Wert sein. Sie beruhen auf rationalen Textanalysen der einzelnen Romane, und obwohl der jeweilig vorherrschende Aspekt der Biographie-Problematik begrifflich herausgearbeitet wird - wie schon die Kapitelüberschriften zeigen -, wird ansonsten der Bereich des Spekulativen zu meiden gesucht. Daß dies keine Theoriefeindlichkeit bedeutet, sondern aufgrund der eigenen Zielsetzung und des Charakters der Nabokovschen Romane eine bewußte Beschränkung ist, sollten diese Vorbemerkungen zeigen. Wir halten es im folgenden mit dem Chronisten Van aus Nabokovs Ada : I try not to >explain< anything, I merely describe. 6

6

Ada or Ardor:

A Family Chronicle

( N e w Y o r k : M c G r a w - H i l l , 1969), p. 519.

XI

I. Fiktion und Wirklichkeit in der literarischen Biographie:

The Real Life of Sebastian

Knight 1

In einer Epoche, in d e r die o n t o l o g i s c h e A u t o n o m i e des A r t e f a k t s geg e n ü b e r d e r L e b e n s w e l t , die e i g e n e Seinsweise des literarischen K u n s t w e r k s g e g e n ü b e r d e r Wirklichkeit - trotz aller Bindungen an diese Wirklichkeit - eine der e r k l ä r t e n o d e r u n a u s g e s p r o c h e n e n , jedenfalls weithin gültigen G r u n d ü b e r z e u g u n g e n v o n Literaturkritik und - t h e o r i e darstellte, 2 geriet die Biographie n o t w e n d i g e r w e i s e in eine mißliche Lage. Indem sie L e b e n s b e s c h r e i b u n g eines b e s t i m m t e n , in R a u m und Zeit existierenden M e n s c h e n sein will, g e h ö r t sie in d e n U m k r e i s der G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g , ist sie » t h e history of p a r t i c u l a r men's lives«, wie s c h o n D r y d e n formuliert, 3 und damit u n a b d i n g b a r e n g s t e n s an j e n e Lebenswirklichkeit gebunden, der gegenüber das literarische K u n s t w e r k seine A u t o n o m i e b e h a u p t e t . Gleichzeitig unterliegt sie jed o c h , w e n n sie m e h r sein will als tabellarische R e g i s t r i e r u n g von Fakten o d e r Reihung von A n e k d o t e n , d e m Kompositionswillen d e s A u t o r s und d e r Eigengesetzlichkeit d e s Kunstwerks, d. h. d e m Fiktiven im w e i t e s t e n Sinne. Im P h ä n o m e n d e r l i t e r a r i s c h e n Biographie stellt sich demn a c h d a s Problem, in w e l c h e m Verhältnis j e n e b e i d e n K o m p o n e n t e n z u e i n a n d e r stehen, die G o e t h e im Titel seiner A u t o b i o g r a p h i e Dichtung und Wahrheit s o unverfänglich zueinanderstellte.

1

2

3

D i e s e r Abschnitt ü b e r » T h e Real Life of Sebastian K n i g h t « ist in k a u m veränd e r t e r F o r m e r s c h i e n e n in: P O E T I C A , Bd. 5, H . 3 - 4 (Juli-Oktober 1972), S. 3 7 4 - 3 8 7 . Es sei h i e r n u r auf j e n e Literaturkritik v e r w i e s e n , die m a n g e m e i n h i n zum New Criticism r e c h n e t , und auf eine t h e o r e t i s c h e Position, w i e sie e t w a in R. W e l l e k s u n d A . W a r r e n s T Ä e o r y o / X / f e r a < u r e ( N e w Y o r k , 1 9 4 8 ) g r e i f b a r wird. John Dryden, Of Dramatic Poesy and Other Critica! Essays, ed. G e o r g e W a t s o n , 2 vols., L o n d o n , 1962, II, p. 7.

1

1. Schon der Titel zu Vladimir Nabokovs erstem in englischer Sprache verfaßtem Roman, The Real Life of Sebastian Knight, der 1941 erschien, gibt gleichsam programmatisch zu erkennen, daß der als Ich-Erzähler begegnende Biograph entschlossen ist, der einen jener beiden Komponenten, dem Wirklichkeitsbezug, entschieden den Vorrang zu geben: »The Real Life«, das wirkliche Leben der zu beschreibenden Person, des kurz vor Abfassung des Buches verstorbenen Romanschriftstellers Sebastian Knight, soll zur Darstellung kommen, ohne d a ß primär irgendwelchen ästhetischen Erwartungen Rechnung getragen würde. Dies wird ζ. B. auch dadurch demonstriert, daß der Biograph ausdrücklich erklärt, die einzige Rechtfertigung seiner Biographie sei sein ungewöhnliches Wissen um jenes »real life«, er sei kein Berufsliterat, ja er habe sich erst durch einen »be-an-author«-Kursus eigens auf seine schriftstellerische Aufgabe vorbereiten wollen, was zudem erfolglos gewesen sei: When at last I did take pen in hand, I had composed myself to face the inevitable, which is but another way of saying I-was ready to try to do my best. 4

Weil er das >wirkliche Leben< des Sebastian Knight darstellen will, fühlt er sich auch verpflichtet, die Begrenztheit seines Wissens um dieses Leben deutlich werden zu lassen, selbst wenn dabei Lesererwartungen enttäuscht werden sollten, und er betont die Einengung seiner Möglichkeiten gegenüber dem breiten Erfindungsspielraum eines Romanautors. In der Jugendgeschichte Sebastians heißt es ζ. B. For reasons already mentioned I shall not attempt to describe Sebastian's boyhood with anything like the methodical continuity which I would have normally achieved had Sebastian been a character of fiction. Had it been thus I could have hoped to keep the reader instructed and entertained by picturing my hero's smooth development from infancy to youth. But if I should try this with Sebastian the result would be one of those biographies romancées< which are by far the worst kind of literature yet invented [p. 17J

und auf die Frage »Who is speaking of Sebastian Knight?«, die er nach einer nicht allzu ergiebigen Unterhaltung mit einem ehemaligen Studienfreund Sebastians über dessen Universitätszeit von irgendwoher hört, folgt der Seufzer: Oh, how I sometimes yearn for the easy swing of a well-oiled novel! How comfortable it would have been had the voice belonged to some cheery old 4

2

p. 30 (hier und im Folgenden zitiert nach der Penguin-Ausgabe, Harmondsworth, 1964).

don with long downy ear-lobes and that puckering about the eyes which stands for wisdom and h u m o u r . . . A handy character, a welcome passer-by w h o had also known my hero, but from a different angle. >And now,< he would say, >1 am going to tell you the real story of Sebastian Knight's college years.< And then and there he would have launched on that story. But alas, nothing o f the kind really happened. That Voice in the Mist rang out in the dimmest passage of my mind. [p. 4 4 }

In dieser Absicht, sich strikt auf die Darstellung des Wirklichen zu beschränken und eine Biographie zu schreiben, die ohne Rücksicht auf literarische Qualität möglichst genau das Leben des Sebastian Knight wiedergeben soll, unterscheidet sich der Erzähler radikal von Sebastians früherem Sekretär Mr. Goodman, der bereits eine Konkurrenzbiographie verfaßt hat. Goodmans Ausführungen in seiner Unterhaltung mit dem Erzähler zielen zwar auch darauf ab, das Entstehen einer weiteren Biographie zu verhindern, sie lassen j e d o c h zugleich eine völlig entgegengesetzte, am literarischen Erfolg orientierte Auffassung erkennen, die schon am Titel seiner Biographie, The Tragedy of Sebastian Knight, abzulesen ist: I don't wish to say that a book could not be written about him. It could. But then it ought to be written from a special point of view which would make the subject fascinating Leave it to s o m e professional fellow, to one who knows the book-market - and he will tell you that anybody trying to complete an exhaustive study of Knight's life and work, as you put it, would be wasting his and the reader's time. [p. 49f.]

Der Erzähler läßt sich indes weder durch diese Ratschläge noch durch irgendwelche Schwierigkeiten von der Verwirklichung seiner Intention abbringen, und er richtet sein ganzes Augenmerk zunächst darauf, möglichst viel über Sebastian Knight in Erfahrung zu bringen. Dabei gibt er sich Mühe, keine der für eine Biographie üblicherweise in Frage kommenden Quellen auszulassen. Zunächst sind da Sebastians mehr oder weniger private Äußerungen, wie sie in Briefen aus verschiedenen Abschnitten seines Lebens überkommen sind, und dann vor allem seine literarische Produktion, einige frühe Gedichte, die vier Romane The Prismatic Bezel, Success, Lost Property und The Doubtful Asphodel, sowie die Kurzgeschichtensammlung The Funny Mountain. Von den Briefen, die eine mehr oder weniger gründliche Auswertung erfahren, wird einer, in dem Sebastian den satirischen G e h a l t seines ersten Romans verteidigt, zum größten Teil abgedruckt, und das Erzählwerk wird bis auf einige Kurzgeschichten in der Reihenfolge der Entstehung inhaltlich wiedergegeben und zumindest ansatzweise gedeutet. Sebastians Romane, vor allem Lost Property, nach Ansicht des Erzählers »his most autobiographical work« [p. 6 1 dienen immer wieder als direkte

3

b i o g r a p h i s c h e Quelle, ohne d a ß dieses V e r f a h r e n als p r o b l e m a t i s c h ang e s e h e n w ü r d e . W i e zentral die b i o g r a p h i s c h e A u s d e u t u n g d e r R o m a n e für d a s Bild des Erzählers v o n S e b a s t i a n ist, wird ζ. B. deutlich, w e n n m a n verfolgt, wie v e r s u c h t wird, die P e r s p e k t i v e , u n t e r d e r M r . G o o d m a n Sebastians L e b e n dargestellt hat, als völlig u n a n g e m e s s e n zu widerlegen. F o r Mr. Goodman, young Sebastian Knight >freshly emerged from the carved chrysalid of Cambridge< is a youth of acute sensibility in a cruel cold world. In this world, >outside realities intrude so roughly upon one's most intimate dreams< that a young man's soul is forced into a state of siege before it is finally shattered [p. 5 3 J heißt es ü b e r die Auffassung G o o d m a n s , und die W i d e r l e g u n g beginnt mit einem V e r w e i s auf Lost Property

:

It is enough to turn to the first thirty pages o r so of Lost Property to see how blandly Mr. Goodman . . . misunderstands Sebastian's inner attitude in regard to the outer world. Time for Sebastian was never 1914 or 1920 or 1936 - it was always year 1. [p. 55] S i e wird g e s t ü t z t d u r c h zwei lange Z i t a t e aus d e m s e l b e n R o m a n und e n d e t mit d e r bissigen B e m e r k u n g : It is a pity Mr. Goodman had not the leisure to peruse this passage, though it is doubtful whether he would have grasped its inner meaning, [p. 58] Selbst die F r a g e , w e l c h e A s p e k t e v o n S e b a s t i a n s L e b e n e i n e r bes o n d e r e n B e t r a c h t u n g wert seien, wird aus d e r K e n n t n i s s e i n e s Erz ä h l w e r k e s h e r a u s entschieden. W e n n d e r E r z ä h l e r es ζ. B. ablehnt, die intime Seite v o n Sebastians Verhältnis zu C l a r e zu diskutieren, dann k r ö n t e r die R e c h t f e r t i g u n g dafür mit g e e i g n e t e n Z i t a t e n aus d e r Kurzg e s c h i c h t e The Back

of the Moon

und a u s Lost Property

:

Naturally, I cannot touch upon the intimate side of their relationship, firstly, because it would be ridiculous to discuss what no one can definitely assert, and secondly because the very sound of the word >sex< with its hissing vulgarity and the >ks, ks< cat-call at the end, seems so inane to me that I cannot help doubting whether there is any real idea behind the word. Indeed, I believe that granting >sex< a special situation when tackling a human problem, or worse still, letting the >sexual ideaexplain< all the rest is a grave error of reasoning. >The breaking of a wave cannot explain the whole sea, from its moon to its serpent; but a pool in the cup of a rock and the diamond-rippled road to Cathay are both water.< (The Back of the Moon.) >Physical love is but another way of saying the same thing and not a special sexophone note, which once heard is echoed in every other region of the soul.< (Lost Property, page 82) >AI1 things belong to the same order of things, for such is the oneness of human perception, the oneness of individuality, the oneness of matter, whatever matter may be. The only real number is one, the rest are mere repetitions (ibid., page 83) [p. 87f.] 4

Neben den schriftlichen Äußerungen Sebastians wird uns auch seine sonstige Hinterlassenschaft in Form einer Beschreibung seiner Wohnung vorgeführt. Dieser Bereich erweist sich jedoch als wesentlich unergiebiger für die Ermittlung des »wirklichen Lebens< als der bereits besprochene. Besser fließen zwei weitere Wissensquellen, nämlich die Erinnerung des Biographen und anderer von ihm als Zeugen befragter Personen, die Sebastian persönlich kannten. Der Biograph ist - und das hätte vielleicht schon eher gesagt werden sollen - Sebastians Halbbruder und deshalb in besonders günstiger Beobachtungsposition in bezug auf sein Objekt. Sechs Jahre jünger als Sebastian, sind seine eigenen Erinnerungen an dessen Jugend jedoch leider nicht ganz so ergiebig, wie sie eventuell hätten sein können, wenn er der Ältere und wenn das Verhältnis der Geschwister inniger gewesen wäre. Berichte der Mutter gleichen das jedoch weitgehend wieder aus, und seiner Verwandtschaft mit Sebastian verdankt der Biograph außerdem nicht nur persönliche Begegnungen mit Sebastian auch in dessen späteren Lebensjahren, eine Kenntnis der näheren Umstände seines Todes und eine Reihe von Briefen, die Sebastian an ihn richtete, sondern auch den bevorzugten Zugang zum Nachlaß. Die Biographie läßt erkennen, daß der Erzähler sich besondere Mühe gab, Personen ausfindig zu machen und zu befragen, die mit Sebastian bekannt waren. Über die Jugendzeit vermag - wie bereits gesagt - seine Mutter vieles beizutragen, obwohl sie nicht Sebastians eigene Mutter ist und erst Sebastians und des Erzählers gemeinsamen Vater heiratete, als Sebastian fünf Jahre alt war. Von ihr erfährt der Erzähler auch vieles über Sebastians Mutter und den Vater, das er für wichtig genug hält, es im Rahmen der Biographie mitzuteilen, weil er damit Sebastians Veranlagung verdeutlichen zu können glaubt. Über die Universitätszeit weiß ein Gelehrter aus Cambridge zu berichten, der Sebastians bester Studienfreund war, und über die folgenden Jahre, in denen die Romane und Erzählungen entstanden, vermag der Erzähler eine ganze Reihe von Zeugen beizubringen, deren Erinnerungen an Sebastian er wiedergibt. Da ist vor allem Helen Pratt, Sekretärin Mr. Goodmans und frühere Freundin von Sebastians ehemaliger Geliebter Clare Bishop. Zwar werden ihre Berichte ergänzt von dem mit Sebastian gut bekannten Dichter P. G. Sheldon und von Roy Carswell, der Sebastian 1933 malte, aber von ihr stammt das meiste, was der Erzähler über den erwachsenen Sebastian weiß, wenn man von dessen letztem Lebensjahr absieht. Er vertraut ihren Berichten auch so sehr, daß er sich in der Darstellung damit identifiziert und nur gelegentlich andeutet, daß seine Kenntnisse von ihr stammen. Dies ist insofern erstaunlich, als er 5

sich der möglichen Verfälschung durch die indirekte Vermittlung über Zeugen nach der Unterredung mit Sebastians Studienfreund in aller Deutlichkeit b e w u ß t wird: . . . don't be t o o certain of learning the past from the lips of the present. Bew a r e of the most honest broker. R e m e m b e r that w h a t you are told is really threefold: shaped by the teller, reshaped by t h e listener, concealed from both by the dead man of the tale. [p. 44]

Die hier g e ä u ß e r t e Skepsis ist indes auch nicht g a n z zu vereinbaren mit d e r ans Besessene grenzenden Entschiedenheit, mit der e r danach strebt, zunächst Sebastians f r ü h e r e Geliebte Clare Bishop und dann dessen letzte g r o ß e Liebe, Nina Rechnoy, zu treffen und nach Sebastian zu befragen. Lediglich bei der W i e d e r g a b e von Nina Rechnoys Äußerungen, die ein sehr unvorteilhaftes Bild von Sebastian zeichnen, erinnert e r sich offenbar an die Möglichkeit der subjektiven Verzerrung durch die Vermittlerperspektive und läßt alles Negative an ihrer Darstellung auf sie selbst zurückfallen. Als letzte Zeugin wäre noch Natasha Rosanov anzufügen, die e r s t e Liebe des sechzehnjährigen Sebastian, mit der der Erzähler zufällig bei seiner Suche nach d e r l e t z t e n Geliebten Sebastians in Berlin zusammentrifft und die über ihr Jugenderlebnis berichtet, w ä h r e n d er Clare Bishop erst gar nicht nach Sebastian zu fragen wagt, als er ihr auf der S t r a ß e begegnet und sie den Schlüssel zu Sebastians W o h n u n g nicht erkennt o d e r nicht zu erkennen vorgibt, als er ihn ihr unter dem Vorwand zeigt, sie könne ihn vielleicht verloren haben. Wenn man sich fragt, weshalb der Erzähler angesichts d e r vielen Schwierigkeiten, d e n e n er auf der Suche nach Sebastians »real life« begegnet, nie verzagt, dann stößt man auf jene Quelle seines Wissens um Sebastian, die für ihn die wichtigste ist. Lassen wir ihn selber berichten: But what actually did I know about Sebastian? I might d e v o t e a couple of c h a p t e r s to the little I remembered of his childhood and youth - but what next? As I planned my book it b e c a m e evident that 1 would have to undertake an immense a m o u n t of research, bringing up his life bit by bit and soldering the fragments with my inner knowledge of his c h a r a c t e r . Inner k n o w l e d g e ? Yes. this was a thing I possessed, I felt it in every nerve. And t h e m o r e I pondered on it, the m o r e I perceived that I had yet a n o t h e r tool in my hand: when I imagined actions of his which I heard of only a f t e r his death, I knew f o r certain that in such or such a case I should have a c t e d just as he had. O n c e I h a p p e n e d to see t w o brothers, tennis champions, m a t c h e d against o n e another; their strokes w e r e totally different, and o n e of the t w o w a s far, far better than the o t h e r ; but the general rhythm of their motions as they swept all o v e r the court was exactly the same, so that had it been possible to d r a f t both systems t w o identical designs would have appeared, [p. 2 8 f J

6

Die »inner knowledge of his character«, die auf der in der Blutsverwandtschaft gründenden inneren Ähnlichkeit mit Sebastian basiert, ist es demnach, die in dem Biographen das Vertrauen erweckt und lebendig hält, das wirkliche Leben< Sebastians darstellen zu können. Wie sehr er sich von diesem Vertrauen leiten läßt, zeigen sowohl seine Angaben über die Vorbereitung der Biographie wie auch die Anlage der Biographie selbst. Wir erfahren, daß er - was abstrus erscheinen muß, wenn man es nicht in diesem Zusammenhang der inneren Ähnlichkeit mit Sebastian sieht - Sebastians Leben so konsequent geistig nachzuvollziehen versucht, daß sogar bei der Sammlung des Materials streng chronologisch vorgegangen wird. So heißt es bezeichnenderweise vor der Wiedergabe seiner Unterhaltung mit Mr. Goodman: N o w what I w a n t e d f r o m Mr. G o o d m a n w a s not so much an account of Sebastian's last years - that I did not yet need - (for I intended to follow his life stage by stage without overtaking him), but merely to obtain a few suggestions as t o what people 1 ought to see w h o might know something of Sebastian's post-Cambridge period, [p. 45]

Für die Biographie selbst bedeutet dieses Verfahren, daß sie nicht nur eine chronologische Wiedergabe des Lebens Sebastians darstellt (sie beginnt mit seiner Geburt und endet mit seinem Tod), sondern zugleich auch einen ausführlichen Bericht von jener quest, auf die sich der Biograph beim Verfolgen von Sebastians Lebenslauf begibt. So werden zwei Ordnungsprinzipien vereinigt, die gemeinhin zumindest völlig disparat erscheinen, wenn nicht sogar einander ausschließen: die objektive, vom zu beschreibenden Objekt, dem Leben des Biographierten, geforderte chronologische Ordnung einerseits und die subjektive, dem beschreibenden Subjekt, dem Biographen, von der Reihenfolge der Wissensermittlung über das zu beschreibende Leben her sich anbietende Ordnung andererseits. Daß das Bewußtsein der inneren Ähnlichkeit mit Sebastian für den Biographen ein absolutes Kriterium für die angemessene Darstellung von dessen wirklichem Leben< ist, wird augenfällig an der Stelle, an der die genannten Ordnungsprinzipien einander widerstreiten. Dies ist in jenem bereits genannten Moment der Fall, als der Biograph bei der Suche nach der letzten zufällig Sebastians erste Liebe kennenlernt und erst in diesem seinem chronologischen Vorgehen nach viel zu späten Zeitpunkt von einem Jugenderlebnis Sebastians erfährt. Bei seiner entschiedenen Ausrichtung auf die Wirklichkeit, seinem emphatischen Bemühen um Objektivität hätte man erwarten können, daß der Biograph hier der objektiven Einordnung dieses Wissens in die 7

Chronologie von Sebastians Leben den Vorrang gegeben hätte. Doch das Gegenteil ist der Fall: A more systematic m i n d than mine w o u l d have placed them in the beginning of this book, but my quest had developed its o w n magic and logic and though I sometimes cannot help believing that it had gradually g r o w n into a dream, that quest, using the pattern of reality for the weaving of its o w n fancies, I am f o r c e d to recognize that 1 was being led right, and that in striving to render Sebastian's life 1 must now follow the same rhythmical interlacements, [p. 113]

Dies bedeutet nichts weniger als den Anspruch, daß die angemessenste Darstellung des Objekts, des wirklichen Lebens Sebastians, gerade dann gewährleistet ist, wenn sie ganz den subjektiven Eingebungen des Biographen folgt, weil die innere Ähnlichkeit von Darstellendem und Dargestelltem die Authentizität am sichersten verbürgt. Am Ende der quest ist diese innere Ähnlichkeit für den Biographen zu einer völligen Identität geworden: I have learnt one secret too, and namely: that the soul is but a manner of being - not a constant state - that any soul may be yours, if you find and follow its undulations. The hereafter may be the full ability of consciously living in any chosen soul, in any number of souls, all of them unconscious of their interchangeable burden. Thus - I am Sebastian Knight, [p. 172]

Er sieht sich selbst als Schauspieler, der im Schauspiel von Sebastians Leben die Rolle Sebastians spielt, aber der Nachvollzug dieses Lebens hat eine Wirkung über die quest und die Biographie hinaus: während die übrigen Figuren in diesem Schauspiel zurück in ihr eigenes Leben entlassen werden, hat für ihn die Identität mit Sebastian Bestand: The end, the end. They all go back to their everyday life (and Clare goes back to her grave) - but the hero remains, for, try as I may, I cannot get out of my p a r t : Sebastian's mask clings t o my face, the likeness w i l l not be washed off. I am Sebastian, or Sebastian is I, or perhaps we both are someone w h o m neither of us knows, [p. 173]

2.

Mit dieser Deskription der Absichten des Erzählers und deren Verwirklichung ist jedoch erst ein Aspekt des Romans erfaßt. Ein für die Gesamtwirkung mindestens ebenso bedeutsamer weiterer Aspekt besteht darin, daß die beschriebenen Intentionen des Erzählers von Nabokov im Verlauf der Biographie auf vielfältige Weise ironisch verkehrt werden und der Erzähler so zu einem unreliable narrator< wird.5 Dieser 5

8

In dem Sinne, in dem W. Booth den Begriff in The Rhetoric cago, 1961) eingeführt hat.

of Fiction

(Chi-

Eindruck entsteht einmal dadurch, daß die Handhabung der verschiedenen >Quellen< ungenügend und fragwürdig erscheinen muß. Ein eklatantes Beispiel ist die Tatsache, daß der Erzähler zwei Bündel Briefe aus Sebastians Nachlaß, die mit dem Vermerk »to be destroyed« versehen waren, wirklich verbrennt [p. 32],Wenn er sich dabei auf seine Loyalität gegenüber seinem verstorbenen Halbbruder beruft, dann wird die für das Gelingen der Biographie besonders günstig erscheinende Verwandtschaft mit Sebastian in ein Hindernis verkehrt. Die lange Suche nach der letzten Geliebten Sebastians, deren Darstellung in der Biographie einen breiten Raum einnimmt, wird durch dieses Verbrennen der Briefe allererst notwendig und muß so als eine vom Erzähler künstlich geschaffene Schwierigkeit erscheinen. Auch die Auswertung der Romane und Erzählungen Sebastians für die Zwecke der Biographie ist bisweilen zu spekulativ und eigenwillig, um beim Leser keinen Anstoß zu erregen. Als der Erzähler ζ. B. die Seelenlage des kleinen Sebastian nachzuzeichnen versucht, nachdem dieser von seiner Mutter verlassen wurde, gibt er zwar selbst zu, daß die Stelle aus Albinos in Black, die er dazu zitiert, zumindest direkt nichts damit zu tun hat, aber er hält sein Verfahren dennoch für gerechtfertigt: This is a quotation from Albinos in Black, textually in no way connected with that special disaster but retaining the distant memory o f a child's fretfulness on a bleak hotel carpet, with nothing todo and a queer expansion of time, time g o n e astray, a s p r a w l . . . [p. 8]

Auch wo er Mr. Goodmans Zitatverwendung angreift, ζ. Β. bei dessen Ableitung von Sebastians Verhältnis zu Rußland aus einer Stelle in The Doubtful Asphodel, weiß er nichts besseres zu tun, als eine Stelle aus Lost Property zu zitieren und nun seinerseits eine Deutung jenes Verhältnisses von dieser anderen Stelle her anzubieten [p. 22f.]. Weil der Erzähler überhaupt häufig genug zu denselben biographischen Methoden greift, die er an Goodmans Buch kritisiert, sind seine massiven Angriffe gegen dieses Buch, die zuweilen in direkte Beschimpfungen seines Verfassers ausarten, ohnehin dazu angetan, das Vertrauen in seine eigene Integrität zu erschüttern. Die Tatsache, daß er bei seiner ersten Erwähnung der Konkurrenzbiographie gleich darauf hinweist, daß Mr. G o o d m a n des Erzählers Existenz als Halbbruder Sebastians nicht berücksichtigt hat, läßt zudem beim Leser den Verdacht aufkommen, daß diese Angriffe ebensosehr seiner gekränkten Eigenliebe entspringen wie der erklärten Verpflichtung auf die Objektivität. Der Haupteinwand gegen Goodmans Buch, es sei ungenau und biete dort Spekulationen des Autors, wo Wissenslücken vorlägen, läßt sich in gleicher Weise auf

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des Erzählers eigene Biographie richten. Die Auslassungen über die innere Lage von Sebastians Vater, nachdem dieser von seiner ersten Frau Virginia verlassen wurde, über diejenige Virginias vor ihrem Tod, über Sebastians Gedanken bei seiner Ankunft in Cambridge und während seines dortigen Aufenthalts sowie die Bemerkungen über Clare Bishops Lebensauffassung und inneres Verhältnis zu Sebastian müssen, um nur einige Beispiele zu nennen, jedenfalls nach der vorgeführten Quellenlage als reine Phantasieprodukte erscheinen. Doch nicht nur in der fiktiven Auffüllung des Unbekannten, sondern auch in der Selektion und Bewertung der Zeugenaussagen (hier sei nur auf die bereits genannte Umdeutung der Ausführungen Nina Rechnoys über Sebastian verwiesen) wird ein Ausmaß von Subjektivität deutlich, das dazu angetan ist, den Eindruck verfälschender Autorenwillkür hervorzurufen. Freilich beruft sich der Erzähler dabei auf seine »inner knowledge« von Sebastian als entscheidendes Kriterium. Gerade dieser für ihn stärkste Punkt seiner Rechtfertigung als Biograph ist jedoch für den Leser der schwächste, weil er sich jeder objektiven Nachprüfung entzieht. Die weitschweifigen Berichte über die quest des Erzählers, die so sehr ins Detail gehen, daß z. B. bei der Schilderung seiner Fahrt nach St. Damier seine eigenen Gedanken und sogar das Wetter ausführlich beschrieben werden, lassen vielmehr den Eindruck entstehen, daß wir es mit einem äußerst selbstgefälligen Erzähler zu tun haben, dem die Lebensbeschreibung seines berühmten Halbbruders als Anlaß dient, ständig von sich selbst zu erzählen. Nur wenn es sich irgendwie verifizieren ließe, daß die innere Ähnlichkeit des Erzählers mit Sebastian wirklich besteht und diese Berichte deshalb gerade wegen ihrer engen Bezogenheit auf den ersteren für den letzteren aussagekräftig sind, würde dieser Verdacht ausgeräumt. So aber kann weder das konsequente Verbergen seines Namens 6 noch die Beteuerung »I have tried to put into this book as little of my own self as possible« [p. 117] darüber hinwegtäuschen, daß der Erzähler offenbar zu jener Spezies sich literarisch betätigender Hyänen gehört, wie sie Nabokov im Erzähler seines späten Romans Pale Fire so eindringlich dargestellt hat. 3.

Hätte es mit diesem Eindruck sein Bewenden, so wäre der Versuch des Erzählers, das wirkliche Leben Sebastians darzustellen, als gescheitert anzusehen und Nabokovs Roman stellte dann eine parodistische Behandlung des Strebens nach Objektivität in der Biographie bzw. eine Satire auf den selbstgefälligen Biographen dar., So einfach macht es b Vgl. pp.48f„ 105, 112 und 118. 10

Nabokov jedoch dem Leser und Kritiker nicht. Bei genauerem Zusehen wird man entdecken, daß das Buch in der Tat die innere Ähnlichkeit des Biographen mit Sebastian zumindest in einer Hinsicht objektiv demonstriert, womit der Erzähler letztlich doch gerechtfertigt und die Biographie gelungen erscheint. Fassen wir diesen Aspekt näher ins Auge. Er erschließt sich, wenn man berücksichtigt, daß der Erzähler die behauptete innere Ähnlichkeit mit Sebastian auch auf seine eigene literarische Tätigkeit, die Abfassung der Biographie, ausgedehnt wissen will. An der bereits zitierten einschlägigen Stelle im vierten Kapitel fährt er fort: 1 daresay Sebastian and I also had some kind of common rhythm; this might explain the curious >it-has-happened-before-feeling< which seizes me when following the bends of his life. And if, as often was the case with him, the >whys< of his behaviour were as many Xs, I often find their meaning disclosed now in a subconscious turn of this or that sentence put down by me. [p. 29]

Es fragt sich also, ob die Biographie in Anlage und Stil Ähnlichkeiten mit Sebastians eigenen Werken aufzuweisen hat. Genau das aber ist in reichem Maße der Fall. Charles Nicol hat dieser gegenseitigen >Spiegelung< einzelner Züge und ganzer p/oi-Konstruktionen in den vom Erzähler besprochenen Werken Sebastians und seiner Biographie einen eigenen Aufsatz gewidmet,7 so daß hier einige Andeutungen genügen mögen. Wenn Success, der zweite Roman Sebastians, als »but a glorious gamble on causalities« [p. 80] charakterisiert wird, dann wird genau dieser Effekt in der Biographie bei der Darstellung von Sebastians erstem Treffen mit Nina Rechnoy oder dem des Erzählers mit Helen Pratt, dem Amateurdetektiv im Zug von Blauberg nach Straßburg und Natasha Rosanov ebenso deutlich erzielt wie bei der Schilderung von Madame Lecerfs Identifizierung als Nina Rechnoy. Und wenn es über The Doubtful Asphodel heißt: The theme of the book is simple: a man is dying: you feel him sinking throughout the book; Jiis thought and his memoriès pervade the w h o l e . . . [p. 146],

dann fragt man sich, ob die Beschreibung besser auf dieses Buch Sebastians paßt, für das sie gedacht ist, oder auf die Biographie selbst. Die Entsprechungen zwischen The Doubtful Asphodel und der Biographie sind ohnehin besonders zahlreich, so kehrt etwa Schwarz in Paul Rechnoys Cousin »Uncle Black«, die »fat Bohemian woman« in Lydia Bohemsky, der Detektiv in Herrn Silbermànn und die »lovely tall Primadonna« in Helene von Graun wieder, ja schließlich läßt sich >The 7

»The Mirrors of Sebastian Knight«, in L S. Dembo, ed., Nabokov: The Man and His Work (Madison, Wisconsin, 1967), p. 85-94.

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Doubtful Asphodel< durchaus als » D e r fragwürdige Narziß« übersetzen, und als einen solchen haben wir den Autor der Biographie bereits kennengelernt. Eine solche Ähnlichkeit zwischen dem literarischen Werk Sebastians und der Biographie demonstriert j e d o c h nicht nur das Bestehen der vom Biographen behaupteten Ähnlichkeit zwischen ihm und Sebastian. Sie stellt zugleich eine eigenwillige Antwort auf die ganz zu Anfang gestellte Frage nach dem Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit in der literarischen Biographie dar. Nabokov demonstriert, daß sich für die Schriftstellerbiographie eine Identität der beiden Bereiche erzielen läßt, wenn die Biographie selbst in der Weise geschrieben wird, wie der in ihr dargestellte Autor sie selbst geschrieben haben würde. Wird also der beschriebene Autor auch im fiktiven Bereich der Biographie formal imitiert, dann sind Erfindung und Faktizität gleich eng auf das Objekt bezogen und sie zeichnen gemeinsam das >wirkliche Lebena clown developing wings, an angel mimicking a tumbler pigeom, and the metaphor seems to me very apt. . . . With something akin to fanatical hate Sebastian Knight was ever hunting out the things which had once been fresh and bright but which were now worn to a thread, dead things,amonglivingones;dead things shamming life, painted and repainted, continuing to be accepted by lazy minds serenely unaware of the fraud [p. 76], und wenn es weiter heißt: I should like to point out that The Prismatic Bezel can be thoroughly enjoyed once it is understood that the heroes of the book are what can be loosely called >methods of compositions It is as if a painter said: look, here I'm going to show you not the painting of a landscape, but the painting of different ways of painting a certain landscape, and I trust that their harmonious fusion will disclose the landscape as I intend you to see it [p. 79], wenn das also über einen Roman S e b a s t i a n s gesagt wird, dann wird man lange suchen müssen, um treffendere Kennzeichnungen von Ν ab o k o v s eigener Erzählkunst zu finden, und dann bleibt kein Zweifel daran, daß Nabokov die Besprechung fiktiver Werke eines fiktiven Autors dazu benutzt, sein eigenes literarisches Verfahren zu kommentieren. Wie genau er dabei auch die zu erwartenden Einwände g e g e n seine Erzählweise vorausgesehen hat, mag ein Vergleich demonstrieren. Liest man das folgende, mindestens teilweise berechtigte Verdikt Philip Toynbees in seiner Besprechung von N a b o k o v s Roman Ada im Observer v o m 5. Oktober 1969: The infinite conundrums seem, in the end, to be nothing but a device by which the writer can look down with scorn on the pitiful reader toiling so clumsily behind him . . . But I cannot conceive any kind of crib which would persuade me that the enterprise had been, after all, a valuable one. For the function of a novelist... is not the same as the function of a conjurer, or of à confectioner. Alas, it has much to do with critical appraisal (of one's own work), with social observation; even ugh! - with morals, 13

dann ist die Ähnlichkeit mit der achtzehn Jahre vorausgehenden Beurteilung der Romane Sebastians durch einen belesenen englischen Businessman, den Nabokov eigens zu diesem Zweck erfindet, nicht zu verkennen. Der Erzähler berichtet: H e s a i d . . . t h e a u t h o r s e e m e d t o him a terrible s n o b , intellectually, at least. A s k e d t o explain, h e a d d e d that K n i g h t s e e m e d t o h i m t o b e c o n s t a n t l y p l a y i n g s o m e g a m e o f his o w n i n v e n t i o n , w i t h o u t telling his p a r t n e r s its rules. H e said h e p r e f e r r e d b o o k s that m a d e o n e think, a n d K n i g h t ' s b o o k s didn't t h e y left you p u z z l e d and c r o s s , [p. 152]

Was hier zweimal als Vorwurf formuliert ist, g a b N a b o k o v 1962 in einem Fernsehinterview des BBC als seine Intention zu e r k e n n e n : W h y did I w r i t e any of my b o o k s , a f t e r all? For t h e s a k e o f the p l e a s u r e , f o r t h e s a k e of t h e difficulty. I h a v e n o social p u r p o s e , n o m o r a l m e s s a g e ; I've n o g e n e r a l ideas t o exploit but I like c o m p o s i n g riddles and I like f i n d i n g e l e g a n t s o l u t i o n s to t h o s e riddles that I h a v e c o m p o s e d myself. 8

Und wenn es noch eines weiteren Nachweises für die Beziehung zwischen Sebastian Knight und N a b o k o v bedürfen sollte, so sei daran erinnert, d a ß der Biograph unter Sebastians Nachlaß einen Umschlag mit Photos eines Mannes aus verschiedenen Perioden seines Lebens fand mit einer angehefteten Zeitungsanzeige: >Author writing fictitious b i o g r a p h y r e q u i r e s p h o t o s o f g e n t l e m a n , e f f i c i e n t a p p e a r a n c e , plain, steady, t e e t o t a l l e r , b a c h e l o r s p r e f e r r e d . Will p a y f o r p h o t o s c h i l d h o o d , youth, m a n h o o d t o a p p e a r in said work.< [p. 3 4 ]

Nun, um mit dem Biographen zu reden, T h a t w a s a b o o k Sebastian n e v e r w r o t e , but p o s s i b l y h e w a s still c o n t e m p l a t ing d o i n g s o in the last y e a r of his life [p. 34];

es bleibt Nabokov vorbehalten, die von Sebastian geplante fiktive Biographie zu schreiben. Indem diese fiktive Biographie sich in d e r angedeuteten Weise als stark autobiographisch erweist, wiederholt sich in ihr nämlich j e n e Paradoxie, d a ß der Wirklichkeitsbezug primär im Fiktiven erreicht wird. Mehr als ein absurder Einfall oder eine unverbindliche Spielerei kann eine solche zumindest scheinbare Paradoxie allerdings nur d a n n sein,

" » V l a d i m i r N a b o k o v o n his life a n d w o r k : A B B C t e l e v i s i o n i n t e r v i e w with 6 8 ( N o v e m b e r 22, 1962), p. 8 5 7 . P e t e r Duval S m i t h « , The Listener,

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wenn ein bestimmter Wirklichkeitsbegriff vorausgesetzt wird. In dem schon einmal zitierten Interview antwortete Nabokov auf die Frage nach der Realität: Reality is a very subjective affair. I can only define it as a kind of gradual accumulation of information; and as specialization. If w e take a lily, for instance, or any other kind of natural object, a lily is m o r e real to a naturalist than it is to an ordinary person. But it is still m o r e real to a botanist. And any further stage of reality is reached with that botanist who is a specialist in lilies. You can get nearer and nearer, so to speak, to reality; but you n e v e r get near enough because reality is an infinite succession of levels of perception, of false bottoms, and hence unquenchable, unattainable.®

Weil also seiner Auffassung nach die Wirklichkeit selbst unerreichbar bleibt und nur mehr oder weniger große Annäherungen an sich zuläßt, bietet sie sich je nach dem Ausmaß der Annäherung, das vom erkennenden Subjekt abhängt, sehr verschieden dar und wird zu einer »very subjective affair«. Ist aber der subjektive Zugriff in dieser Weise konstitutiv für das, was dem Einzelnen als >wirklich< erscheint, dann bedeutet das zunächst, daß sich das »real life« des Sebastian Knight oder jedweder anderen Person für jeden Biographen anders darstellt, und daß allein die A u t o b i o g r a p h i e eine allgemeine Verbindlichkeit besitzen kann. Der Biograph in The Real Life of Sebastian Knight handelt demnach ganz konsequent, wenn er seine Ähnlichkeit mit Sebastian bis zur Identität zu steigern versucht und so seine Biographie zur A u t o b i o g r a p h i e werden läßt. Aber auch die Tatsache, daß sich das Wirkliche, sei es das Leben des Sebastian Knight oder die kunsttheoretischen Auffassungen Nabokovs, am ehesten im fiktiven Bereich, im ästhetischen >Spiegel< darstellen läßt, gewinnt in Anbetracht des subjektiven Grundcharakters all dessen, was uns als >wirklich< erscheint, einen tieferen Sinn. Ist nämlich der subjektive Zugriff konstitutiv für das, was >wirklich< ist, dann läßt sich dieser Zugriff - und damit die >Wirklichkeit< - am besten verdeutlichen, indem er am fiktiven Modell, im ästhetischen Spiel, demonstriert wird, weil dort eine Vielzahl erfundener Situationen so ausgewählt und kombiniert werden kann, daß die spezifische Eigenart eines bestimmten Zugriffs prägnant heraustritt. Die Kunst erhält damit im Nabokovschen Sinne eine Relevanz für die Erfassung des Wirklichen, die jenen Bereich äußerlicher Wirklichkeitsbezogenheit weit hinter sich läßt, wie ihn etwa Toynbee in seiner Forderung nach »social observation« und moralischer Ausrichtung fordern zu müssen glaubt.

» Siehe Anm. 8, ebd., S. 856. 15

The moralizing force of Art lies not in its capacity to present a timid imitation of our experiences, but in its power to go beyond our experience .. ..10 so könnte man H a v e l o c k Ellis zitieren, um die A n t w o r t N a b o k o v s auf T o y n b e e s V o r w u r f zu fingieren.

10

¡6

Affirmations (London, 1898), p. 115.

II. Fiktive Biographie als Paradigma für die Kunst als die bessere Welt: Bend Sinister

ι. The story in Bend Sinister is not really about life and death in a grotesque police state 1

schreibt Nabokov in der Einleitung zur englischen Ausgabe des Romans. Er bemüht sich, den fiktiven Charakter der geschilderten Ereignisse zu betonen, über den ohnehin niemand im Zweifel sein kann, der den Roman zu Ende gelesen hat: die Figuren des dargestellten totalitären Staates seien nur absurd mirages, illusions oppressive to Krug during his brief spell of being, but harmlessly fading away when I dismiss the cast [p. XJ

und Krug sei schließlich bei dem Erzähler gut aufgehoben, der ihn sicher vor dem Tod bewahren könne [p. XIV], Damit identifiziert d e r Autor sich mit dem am Ende des Romans auftretenden Erzähler, dessen Ausführungen er zum Teil wörtlich aufnimmt, zum Teil an Deutlichkeit übertrifft. 2 Deshalb darf man auch an ihn die Frage stellen, was das Ganze denn soll, weshalb der Erzähler eine Romanwelt und ein Geschehen so erfindet, daß er seinen Helden daraus durch einen literarischen Trick >erretten< muß, und weshalb Nabokov sich hier als ein solcher Erzähler versteht. Nabokov bietet auch eine Antwort auf diese Frage an (und seine >Introduction< ist ohnehin darauf aus, andere Interpreten überflüssig oder zumindest lächerlich zu machen [vgl. p. XIII]):

1 2

Bend Sinister (London: Weidenfeld & Nicolson, 1972), p. IX. Alle weiteren Zitate und Seitenangaben nach dieser Ausgabe. >1 knew that the immortality I had conferred on the poor fellow was a slippery sophism, a play upon words. But the very last lap of his life had been happy and it had been proven to him that death was but a question of style.< [Bend Sinister, p. 217]

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The main theme of Bend Sinister, then, is the beating of Krug's loving heart, the torture an intense tenderness is subjected to - and it is for the sake of the pages about David and his father that the book was written and should be read [p. X J

W a s nach einer s o direkt a u s g e s p r o c h e n e n Lesevorschrift n o c h bleibt, ist die P r o b e aufs Exempel, d. h. der Versuch, den g e s a m t e n R o m a n einschließlich d e r Ausführungen des Erzählers - im Wissen um dieses »main t h e m e « g e n a u e r zu b e t r a c h t e n und zu prüfen, inwieweit e r den erklärten Intentionen seines Autors entspricht. Z w a r würde Nabokov einen solchen Versuch erst gar nicht akzeptieren, weil er glaubt: In the long run, however, it is only the author's private satisfaction that counts [p. XIII],

a b e r wenn es um die Wirkung eines R o m a n s geht, den e r mit der Veröffentlichung aus den Händen g e g e b e n hat, muß man - bei allem Respekt vor dem Autor - » a u t h o r ' s . . . satisfaction« wohl o d e r übel durch »reader's . . . satisfaction« ersetzen.

2. Wenn das Buch wegen des Verhältnisses zwischen David und seinem V a t e r geschrieben wurde und gelesen werden sollte, ist die literarische Ö k o n o m i e interessant, ist es aufschlußreich zu sehen, was sonst alles erfunden wurde und gelesen werden muß, damit dieses Verhältnis zur Darstellung gelangt. Läßt man das Auftreten des Erzählers zunächst einmal beiseite, dann wird diese F r a g e konkreter zu derjenigen nach U m f a n g und Art der v o m Erzähler präsentierten imaginären Welt. W i e also sieht die W e l t aus, in die der Leser geführt wird? Auffällig ist zunächst, d a ß es sich bei dem dargestellten Land, der dort g e s p r o c h e n e n Sprache und den dort herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen um künstliche G e b i l d e handelt, deren E l e m e n t e dem Leser j e d o c h vertraut sind. (Es ist so, als habe N a b o k o v die Auffassung vieler Literaturtheoretiker verifizieren wollen, der D i c h t e r schaffe N e u e s durch die ungewöhnliche Kombination des Bekannten.) G e o g r a phisch könnte man das G e s c h e h e n irgendwo zwischen Deutschland und Rußland ansiedeln, die S p r a c h e ist nach N a b o k o v s eigenem Zeugnis »a mongrel blend of Slavic and G e r m a n i c with a s t r o n g strain o f ancient Kuranian« einschließlich zahlreicher russischer und deutscher umgangssprachlicher Wendungen [p. XI], und der totalitäre S t a a t trägt 18

auffällige Züge des stalinistischen Rußland und nazistischen Deutschland. Eine solche V e r w e n d u n g >realistischer< Elemente ruft fast zwangsläufig den Eindruck hervor, der A u t o r wolle im Bild seiner künstlichen Welt sein Urteil über die reale abgeben, und so w e n d e t Nabokov, für den engagierte Literatur zum »topical trash« gehört, 3 beträchtliche Mühe auf, diesem Eindruck entgegenzuwirken: I a m neither a didacticist nor an a l l e g o r i z e r . Politics a n d e c o n o m i c s , a t o m i c b o m b s , primitive a n d a b s t r a c t a r t f o r m s , t h e e n t i r e O r i e n t , s y m p t o m s of » t h a w « in S o v i e t Russia, t h e Future of M a n k i n d , a n d so on, l e a v e m e s u p r e m e l y ind i f f e r e n t [p. VIII]

Doch wenngleich er noch weiter ausführt: T h e s t o r y in Bend Sinister is n o t really a b o u t life and d e a t h in a g r o t e s q u e p o l i c e state. My c h a r a c t e r s a r e not »types«, n o t c a r r i e r s of this o r that »idea«

[p. 1X1 d a n n sind solche Beteuerungen angesichts der in diesem Roman bes c h w o r e n e n massiven G e f ä h r d u n g elementarster Lebensinteressen durch ein totalitäres System mit leider nur allzu bekannten Eigenschaften ebenso nutzlos, als wenn d e r A u t o r einer Komödie uns versichert, alles sei durchaus ernst gemeint und man solle trotz aller Komik bitte nicht lachen. Eine andere Frage ist freilich die, ob sich die Wirkung des Romans auf diese Ebene der Bedrohung durch den totalitären Staat beschränkt. Das nämlich darf man angesichts d e r Komplexität des G a n z e n schon im vorhinein füglich bezweifeln.

3.

Einen wesentlichen Bereich der dargestellten Welt bildet die akademische Sphäre, die zunächst in einigen ihrer Mitglieder wie Ember und vor allem d e m Romanhelden Adam K r u g bzw. in den >akademischen< Diskussionen dieser beiden von innen dargestellt wird. Der schon fast sprichwörtliche Mangel an Sinn für d a s Politische - und damit auch das jeweils >angemessene< Verhalten - wird besonders augenfällig in d e r langen Erörterung verschiedener Hamlet-Interpretationen, die drastisch durch Embers Verhaftung u n t e r b r o c h e n wird. D o c h bei n ä h e r e m Zusehen zeigt sich, d a ß die antiintellektuelle Deutung Prof. Hamms, die durch absonderlichste Spekulationen d e n politischen Aktionisten 3

» O n a B o o k Entitled Lolita«, in: Lolita ( L o n d o n : C o r g i Books, 1969), p. 332.

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Fortinbras als den wahren Helden des Dramas zu erweisen sucht, von den neuen Machthabern nicht ohne Grund favorisiert wird und auch der kulturelle Bereich von einer >Gleichschaltung< bedroht ist. Was sich zunächst als Digression darstellt, hängt also unmittelbar mit dem übrigen Geschehen zusammen. Wie sehr das zutrifft, eröffnet sich bei einer Betrachtung des von Ember teilweise in einer Übersetzung zitierten berühmten Hamlet-Monologs im Hinblick auf Krugs Reflexionen über das Jenseits und den Tod.4 Hinzu kommt, daß der mit der Shakespearekritik im besonderen und der Literaturkritik bzw. Theater- und Filmwelt im allgemeinen Vertraute an >echte< Parallelen erinnert wird, wenn er die (u. a. auch rassistische) Interpretation Hamms, die von Krug kolportierte, auf das Spektakuläre versessene Version eines amerikanischen Regisseurs sowie Krugs eigene, gewollt absurde mythologische Deutung vernimmt. Selbst die Bacon-Theorie kommt zum Zuge.5 Auch in diesem Bereich ist der von Nabokov als irrelevant bezeichnete pragmatische Bezug vorhanden, sind die satirisch-parodistischen Effekte nicht zu bestreiten. Die Zuordnung der übrigen Figuren und Geschehnisse wird nur über die Figur Professor Krugs einsichtig. Neben der öffentlichen Welt der Politik und der Universität ist es nämlich nur noch die private Welt des Romanhelden Adam Krug - und bis zu einem gewissen Grad die seines Gegenspielers Paduk -, was der Leser kennenlernt. Der weitere Umkreis dieser engeren Welt wird gebildet von Krugs Freunden,den Hausangestellten und den Staatsfunktionären, mit denen er unmittelbar zu tun hat; der engere Umkreis besteht aus seiner Familie, d. h. aus seinem Sohn David sowie aus seiner eben verstorbenen Frau Olga. Im Mittelpunkt dieser konzentrischen Kreise steht schließlich Adam Krug, der >Held< des Romans im konventionellen Sinne. Geht man von der Ausführlichkeit der äußerlichen Beschreibung der Figuren oder von ihrer Bedeutung für den plot aus, dann hat Krug in Paduk einen Konkurrenten und Gegenspieler; Krugs beherrschende Stellung wird jedoch deutlich, wenn man auf die Perspektive achtet, aus der die dargestellte Welt geboten wird. In Bend Sinister ist diese Perspektive variabel: größtenteils berichtet der Erzähler aus einer allwissenden Position heraus, doch wenn er den Blickpunkt in eine der Figuren des Romans verlegt, dann mit wenigen Ausnahmen fast immer in Krug. Weil dem Leser so ein größerer Teil des Geschehens durch die 4

5

20

Vgl. hierzu die Ausführungen von H. Bader in ihrer vortrefflichen Analyse des Romans. Crystal Land (Berkeley, Calif., 1972), pp. 95-122. Vgl. L L. Lee, »Bend Sinister : Nabokov's Political D r e a m « , in: Nabokov, ed. L. S. D e m b o (Madison, 1967), p. 95-105.

Augen bzw. über das Bewußtsein Krugs vermittelt wird und zudem der Erzähler in anderen Fällen über Krugs Reaktion auf das G e s c h e h e n bzw. über seine Reflexionen und Gefühle Auskunft gibt, gewinnt die Darstellung von Krugs Innenleben eine zentrale Bedeutung. W i e sieht nun dieses Innenleben aus? Festzuhalten ist zunächst, daß der Philosophieprofessor Krug wiederholt als ein großer, schwerer Mann [vgl. p.5,10,41] mit einem sicheren Selbstbewußtsein [p.44ff.] geschildert wird. Dieses Selbstgefühl (»I am invulnerable . . . Nothing can happen to Krug the Rock.« [p. 79]) gründet sich - zwangsläufig - auf die Vergangenheit: seine natürliche Überlegenheit über den Diktator Paduk, der sein Schulkamerad war, und seinen beruflichen Erfolg. Damit ist das große Selbstvertrauen Krugs verantwortlich für die wiederholte Fehleinschätzung der politischen Gegenwart und indirekt auch für die Ermordung Davids und seinen eigenen Tod. Eine absolute Verwechslung von Vergangenheit und G e g e n w a r t vollzieht Krug zwar erst am Ende des Romans, wo er den Gefängnishof für den Schulhof hält, aber wenn der Erzähler ihn aus Mitleid verrückt werden läßt, dann geht er dabei im Hinblick auf die Zeichnung von Krugs Charakter durchaus konsequent vor, weil Krug in ungewöhnlichem M a ß e mit seinen Erinnerungen lebt und ihm das Erinnerte >wirklicher< erscheint als die gegenwärtige Situation. Diese Erinnerungen betreffen ζ. B. einzelne Sinneswahrnehmungen: Yes, it reflects a portion of pale blue sky - mild infantile shade of blue - taste of milk in my mouth because I had a mug of that colour thirty-five years a g o [p-11

einzelne Erlebnisse wie ein Unglück auf einer Reise mit Olga, Ember und einem amerikanischen Professor [p. 202f.], oder auch ganze Teile seines Lebens - wie etwa die mit Paduk gemeinsam verbrachte Schulzeit [p. 57-72]. Krugs Leben mit seinen Erinnerungen ist so habituell, daß er sich beim Erleben der Gegenwart vorzustellen sucht, wie er sich zu irgendeinem zukünftigen Zeitpunkt an diese gegenwärtige Situation erinnern mag[p. 106], und er erfindet nicht nur einen angeblichen Bekannten aus seiner Vergangenheit, um sich aus der prekären Situation an der Brücke zu retten (»Anyone can create the future but only a wise man can create the past« [p. 9]), sondern er erfindet sogar Jugenderlebnisse seiner verstorbenen Frau, um sie mit seinen eigenen synchronisieren zu können [p. 119-121], Diese Erinnerung - und in den Reflexionen wird erkennbar, weshalb der Erzähler einen Philosophen als Romanhelden gewählt hat - ist für Krug eine von zwei Möglichkeiten, die alles zerstörende Zeit zu zähmen 21

(die andere besteht in dem Sich-Versenken in eine Sinneswahrnehmung, die in ihrer Intensität den Zeitfluß überwindet, solange sie anhält [p. 11]). Als eindrucksvoller Beweis für jene durch das Gedächtnis garantierte Kontinuität des Bewußtseins, die die Zeit überdauert, gilt ihm ζ. B. das Aufwachen am Morgen (»the finding oneself in the saddle of one's personality« [p. 73]), und weil er um solche erstaunlichen Möglichkeiten weiß, vermag er zunächst auch den physischen Tod nicht zu akzeptieren: M y intelligence does not accept the transformation of physical discontinuity into the permanent continuity of a nonphysical element escaping the obvious law nor can it accept the inanity of accumulating incalulable treasures of thought and sensation, and thought-behind-thought and sensation-behind-sensation, to lose them all at once and forever in a fit of black nausea followed by infinite nothingness, [p. 87f.]

Später gelingt es ihm, diese Bedrohung der Kontinuität des Bewußtseins klar zu durchdenken (»death is either the instantaneous gaining of perfect knowledge..., W absolute nothingness, nichto. [p. 155f.]) und dann die Befürchtungen in bezug auf das Jenseits als ebenso grundlos zu erkennen, wie es Befürchtungen über das Leben vor der Geburt wären. In diesem Zusammenhang wird deutlich, daß Krugs Antipathie gegen die von den Ekwilisten aufgegriffene Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen auf der trivialen Ebene von Mr und Mrs Etermon nicht auf einem elitären Denken beruht, sondern darauf, daß die Aufgabe der Individualität auch den Glauben an ein individuelles Fortleben nach dem Tode unmöglich macht: Etermon erscheint als a living refutation of Individual immortality, since his whole habitus was a dead-end with nothing in it capable or worthy of transcending the mortal condition, [p. 68] |

Typisch für Krug ist jedoch weniger sein Hang zur Reflexion, den man bei einem Philosophen erwarten darf, sondern daß er bei seinen Überlegungen abhängig ist von Bildern, Vergleichen, Metaphern (»And then, thought Krug, on top of everything, I am a slave of images.« [p. 155]). So stellt sich für ihn - um im zuletzt erörterten Themenkreis zu bleiben - die bereits abgekürzt zitierte Alternative für das, was auf den Tod folgt, vollständig so dar: ... either the instantaneous gaining of perfect knowledge (similar say to the instantaneous disintegration of stone and ivy composing the circular dungeon where formerly the prisoner had to content himself with only two small apertures optically fusing into one; whilst now, with the disappearance of all walls, he can survey the entire circular landscape), or absolute nothingness, nichto [p. 155f.J

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und für die auch bereits erwähnte Analogievorstellung zur unendlichen Zeit vor der Geburt bei unseren Spekulationen über die Unendlichkeit nach dem T o d prägt er das Bild: Thus we live in a stocking which is in the process of being turned inside out, without our ever knowing for sure to what phase of the process our moment of consciousness corresponds, [p. 172]

Krugs Talent, seine Auffassungen in treffende und einprägsame Bilder zu kleiden - hier sei nur an den Vergleich der Übersetzung von Dichtung mit dem Bau einer Maschine erinnert, die einen künstlichen Baumschatten wirft [p. 107], oder an die Deutung des Weltbildes als Kaleidoskop [p. 153] - ist auch im Kreise seiner akademischen Kollegen anerkannt. Das zeigt sich darin, daß sie sich noch nach Jahren an Bilder Krugs erinnern und sie nachahmen. Ein einschlägiges Beispiel ist die Beschreibung der jüngsten politischen Entwicklung durch den Professor für Neuere Geschichte: . . . no doubt we can single out occasions in the past that parallel our own period, when the snowball of an idea had been rolled and rolled by the red hands of schoolboys and got bigger and bigger until it b e c a m e a snowman in a crumpled top hat set askew and with a broom perfunctorily affixed to his armpit - and then suddenly the bogey eyes blinked, the snow turned to flesh, the broom became a weapon and a full-fledged tyrant beheaded the boys. [p. 4 0 ]

Nicht nur die Gedanken des Historikers sind »Pure Krugism«, wie der Wirtschaftswissenschaftler anmerkt [p. 40], sondern auch dieses Bild,6 und selbst der Universitätspräsident Azureus gebraucht es in seiner Rede [p. 441 Die Tendenz, in Bildern zu denken, ist jedoch auch bei anderen Figuren des Romans zu beobachten. Präsident Azureus ζ. B. verrät eine Vorliebe für eine metaphorische Ausdrucksweise (»So let us not by our own fault place ourselves in the position of the bereaved lover, of the admiral whose fleet is lost in the raging waves, of the bankrupt administrator . . . « [p. 43]),der revolutionäre Theoretiker Skotoma entwickelt seine Utopie von der endlich erreichten gleichmäßigen Verteilung menschlichen Bewußtseins auf alle Menschen als Garantie allgemeinen Glücks am Vergleich des Einzelbewußtseins mit einer Flasche: * >Did he not use,î asked the Professor of Divinity with a mild suggestion of slyness, >did he not use somewhere that simile of the snowball and the snowman's broom?< >Who?< asked the Historian. >Who used it? T h a t man?< >No,< said the Professor of Divinity. T h e other. T h e one whom it was so hard to get. It is curious the way ideas he expressed ten years ago -