Drei englische Dichterinnen: Essays [Reprint 2020 ed.] 9783112357361, 9783112357354


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Drei englische Dichterinnen: Essays [Reprint 2020 ed.]
 9783112357361, 9783112357354

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Drei englische Dichterinnen. Essais DOll

L>. Oruskowitz Dr. phil. V) e r f u j i c v uo'n ,,P e r c y B y \ j h c Shells y."

ßcrliii, Verlag von Robert Oppenheim 1885.

4869.

^ebersetzunsgrecht Vorbehalten.

I.

Joanna Baillie. Die Werke der schottischen Dramatikerin Joanna Bch nur von wenigen Kennern und Freunden der englisschen Literatur berücksichtigt worden. Und doch ist diese Diichterin zu ihrer Zeit, und sie reicht in unsere Tlüge hinein, — das Jahr 1851 ist ihr Todesjahr — besonders aber in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhmnderts in ihrem weiteren britischen Vaterlande, später amch in den Vereinigten Staaten von Nordamerika hochgefeiert und von den ersten und größten ihrer Zeitgenwssen, Sir Walter Scott uild Lord Byron an der Spitze, verrehrt und bewundert worden. Auch wurden einige ihrer Srtücke damals auf britischen Bühnen zur Aufführung

zerbracht, doch hat nur eins auf einer Bühne, — die „sFaniilienlegende" am New Theatre Royal zu Edinburg — ebnen bedeutenden Erfolg errungen. Freilich ist zu befürchten, daß Joanna Baillie nun amch im eigenen Vaterlande vergessen werde. Daß die eniglischen Theater vollständig aufgehört haben, Dramen vwn ihr aufzuführen, darüber wird man sich bei der offfenbaren Ungeeignetheit der meisten derselben für die Biühne nicht verwundern dürfen, obwohl wir andrerseits zmgestehen müssen, daß einige unter ihnen immerhin einer Druskowitz, Ways. 1



2



scenischen Wirksamkeit fähig zu sein scheinen; auffallend ist jedoch der Umstand, daß ihre Werke seit vielen Jahren in-England auch nicht mehr durch den Buchhandel zu beziehen sind. Miß Baillie veranstaltete kurz vor ihrem Tode eine Gesammtausgabe ihrer Dichtungen in einem Bande?) Das umfangreiche Buch wurde 1853 neu auf­ gelegt, ist aber nun vergriffen.

Wird sich die Verlags­

firma nicht zu einer ferneren Auflage, wenn auch nicht sämmtlicher, so doch der ausgewählten und besten Werke

der Dichterin entschließen? Wäre es doch Ehrensache, das Andenken Joanna Baillie's im Bewußtsein der Nachwelt frisch zu erhalten. Wer ihre Stücke gelesen hat, weiß, daß er trotz aller Mängel, welche die meisten unter diesen aufweisen, einer ächten, starken und reichen

Dichternatur gegenübersteht, einer anderen Unsterblichkeit werth, als jener, welche die Literaturgeschichten zu sichern vermögen. Das Gedächtniß der schottischen Dichterin zu er­ neuern und sie außerhalb ihres Vaterlandes bekannt zu machen, ist der Zweck, welchen diese Zeilen verfolgen.

Mag es als eine liebenswürdige Ueberschätzung be­ trachtet werden, wenn der ritterliche Walter Scott Joanna Baillie einmal mit edler Selbstverleugnung den „größten Genius Schottlands seiner (Scott's) Zeit" nennt, so wird

man der Dichterin doch trotz mancher Schwächen, die selbst ihren besten Schöpfungen anhaften, folgende Vor­ züge nicht abstreiten können: reiches und starkes Phantasie­ spiel, das mitunter die feinsten dichterischen Gebilde hervorx) Erschienen bei Longman & Co.

3 bringt, mächtiges, oft ergreifendes Pathos, starke dramatische

Kraft verbunden mit einem seltenen lyrischen Talente, feine Seelenkenntniß, sowie die Oiabe, lebensfähige Menschen zu schaffen, und endlich eine seltene Herrschaft über die Sprache.

Lord Byron bezeichnete Miß Baillie als die

einzige Frau, welche Dramen zu schreiben vermochte, uitb auch wir Nachgeborenen werden einräumen müssen, daß keine Dichterin Miß Baillie an dramatischer Begabung bis

jetzt gleichgekommen sei.

Und eine um so merkwürdigere

Erscheinung ist die schottische Dramatikerin, da sie in

einer Zeit auftrat, wo die dramatische Dichtung in England,

— das letztere Wort im weiteren Sinne genommen — vollständig daniederlag.

Ja, man darf behaupten, daß

England in diesem Jahrhundert keinen zweiten Dichter

besessen habe, der den Namen eines Dramatikers in der

Weise verdient, wie Miß Baillie.

Müssen wir in Shelley's

„Cenci“ und Eoleridge's „Remorse“ vielleicht auch das Walten

einer stärkeren dramatischen Kraft anerkennen,

als solche in Miß Baillie's Stücken zu finden, so stehen

diese Leistungen unter den Werken jener beiden Dichter doch vereinzelt da, während unsere Dichterin nicht we­

niger als 28 Stücke geschrieben hat und in der dramatischen

Dichtung ihren Beruf fand.

Sie bildet in ihrem engeren

Vaterlande, wo sie auf ihrem Felde keinen Nebenbuhler

hat, die Ergänzung zu Burns und Scott. sie das Drama auch

vertrat,

nicht

mit so

Und wenn

großer Begabung

wie Burns das Lied, Scott die Erzählung,

so trennt sie doch keine allzu weite -Kluft von diesen Dichtern, auch darf man nicht vergessen, daß Aiiß Baillie's

Gebiet das höhere und schwierigere war.

4 Das Leben Joanna Baillie's war ein ziemlich ein­

töniges.

Es verlief ohne besondere äußere Ereigniffe und

ungewöhnliche Schicksale, ohne große Stürme, ohne starke Leidenschaften, ohne jene aufreibenden Kämpfe, welche die

begabte Frau gewöhnlich gegen Familie und Gesellschaft

zu bestehen hat.

Unsere Dichterin war im Gegentheil

wohlgebettet im Schooße der Ihrigen, die ihr keine Hinder­

nisse in den Weg legten, als sie in die Oeffentlichkeit trat und an ihren Erfolgen innigen Antheil nahmen, ihre

ersten

bedeutenden Veröffentlichungen wurden begeistert

begrüßt, so daß die herbe Kritik, die später von der „Edin­ burgh Review" an ihren Dramen geübt wurde, ihr keinen

großen Schaden mehr beifügen konnte, sie wurde von Allen, die sie oder ihre Werke kannten, geehrt und ge­ liebt und von den besten ihrer Zeitgenossen, wie wir

bereits hervorhoben, ausgezeichnet.

Joanna Baillie wurde am 11. September 1762 zu Bothwell, nahe Glasgow geboren/) bald nachdem ihre

Eltern dort angekommen, denn ihr Vater wurde in seiner Stellung als Pfarrer von Shotts dahin versetzt. Dr. Baillie,

Joanna's Vater, entsprang einer alten schottischen Familie, die William Wallace, den berühmten Patrioten Schott­

lands, unter ihre Vorfahren zählte.

Eine Tochter William

Wallace's vermählte sich mit einem William Baillie und

’) Die Hauptquellcn des biographischen Theils dieses Auf­ satzes sind: der biographische Abriß, welcher der zweiten Auflage der Gesammtausgabc der Werke Joanna Baillies vorangcdruckt ist; Lockhart, Memoirs of the Life of Sir Walter Scott; Howitt, Homes of the Poets; Austin Allibone, A critical Dictionary of the English Literature.

5 ein Abkömmling dieser Linie war der Vater der Dichterin.

Auch die Mutter Joanna's entstammte einer alten Familie, nänrlich den Hunters von Hunterstone in Ayrshire. Die Brüder Airs. Baillie's waren die beiden berühmten Aerzte William und John Hunter.

Joanna war die jüngste von vier Geschwistern. Der erstgeborene William starb sehr früh; Schwester Agnes war die Lebensgefährtin der Dichterin; Matthew, der jüngere der Brüder, wurde, wie seine Oheime von mütter­ licher Seite, ein berühmter Arzt.

Joanna verbrachte die ersten sechs Lebensjahre bei Bothwell, in einem Landstrich, der fruchtbar und reich an Naturschönheiten, reich auch an geschichtlichen Erinnerungen,

an Sagen und Legenden. Für die Familie Baillie hatte der Aufenthalt noch eine ganz besondere Bedeutung. Hier lebte einst ihr berühmter Ahnherr William Wallace in der Verbannung und erlitt hier den Tod. War Joanna auch zu jung, um die Bedeutung des Ortes zu erfassen, so entwickelte sie sich zu schnell, um nicht doch von mancher Legende und Heldengeschichte, die hier an ihr Ohr drang, stark beeinflußt zu werden, besonders da sie ein aus­ gezeichnetes Gedächtniß für mündliche Ueberlieferung be­ saß. Früh wurde auch ihr Sinn für das Wunderbare, das Uebernatürliche geweckt, der, wie bei den meisten Schotten, in hohem Grade bei ihr vorhanden war. Für eine möglichst rasche Entwicklung ihrer Beobachtungsgabe bot die Stellung ihres Vaters alle möglichen Vortheile. Es war bei dem schottischen Gentry Sitte, wegmüde Reisende gastlich aufzunehmen, und so war Joanna schon in frühester Jugend reiche Gelegenheit geboten, die ver-

6 schiedensten Menschen. zu sehen und kennen zu lernen. Das war noch mehr der Fall in Hamilton, wohin ihr Vater, als sie sechs Jahre zählte, versetzt wurde.

Mit

der Entwicklung ihres Beobachtungsvermögens hielt die

ihrer Einbildungskraft Schritt.

überraschte und entzückte

kleinen/Stegreiferzählungen. falls

Schon in frühen Jahren

sie ihre Spielgenossinnen mit

Es war jedoch ihre gleich­

hoch begabte Schwester Agnes, welche den Sinn

für Geschichten und Märchen

in ihr weckte, um bald

durch Joanna's eigene Erfindungen in Erstaunen gesetzt

zu werden.

So sagt Joanna in den „Lines to Agnes

Baillie on her Birthday“, dem schönsten ihrer lyrisch­ betrachtenden Gedichte: „Dein Sinn für Sagen, Märchen war der Stoß, Der meinen Geist weckt' aus des Schlummers Schooß.

Ein dunkles Bild mein Hirn da bald gebar Von Geistern, Heren, eine bunte Schaar.

Stolz war ich, als ich solches sann mit Glück Und suchte Lob zu späh'n aus deinem Blick,

Zu hör'n, als deine Neugier wuchs gar sehr,

„Wie? hast du ganz erfunden diese Mär?"

Weniger Lob verdiente Joanna im Lernen.

So

leicht sie aus dem Leben schöpfte, so schwer aus Büchern.

Mit dem Lesen ging es so langsam,

daß sie erst mit

zehn Jahren alle Schwierigkeiten desselben überwunden

hatte.

Wenn sie später doch Geschmack an Büchern fand,

hatte sie auch dies ihrer Schwester zu verdanken, die sich

im Gegensatze zu ihr mit großer Leichtigkeit Kenntnisse aneignete.

So sagt Joanna in dem Gedicht, aus dem

wir soeben citirt :

7 „Du warst's, die mich zuerst trieb zum Versuch, Ernsthaft zu schaun auf ein gedrucktes Buch, Dies Ding, das mir verhaßt, mit guter Art Hast du vor fernerm Nichtsthun mich bewahrt, Als ich zu alt war, um mit lust'gen Possen, Die Zeit mir zrl vertreiben, unverdrossen/'

Dem Scharfsinn der Vaters aber entging es. nicht, welche von beiden Töchtern den ausgezeichneteren Geist besaß. „Agnes ist tüchtig," sagte er einmal, „aber Joanna

ist die Blume unsrer Familie." Und als sich ein ander­

mal Matthew in großer Verlegenheit befand, ein Gedicht

als Aufgabe gestellt

zu machen, welches in der Schule

wordeir war, wies ihn der Vater an Joanna, die auf der Stelle

eine Strophe

fertig

brachte.

Doch hören

wir nichts von anderen dichterischen Versuchen aus ihrem frühern Lebensalter.

Joanna wird als ein überaus heiteres und über­

müthiges Kind geschildert. sich

bei ihr.

einander

Die lustigen Einfälle jagten

Berühmt war sie unter ihren

Altersgenossen wegen ihrer seltenen, mädchenhaften Waghalsigkeit.

eher knaben-, als

Sie liebte es, auf Brücken­

geländern und Mauergesimsen zu laufen und war eine

vortreffliche

Reiterin.

Das Bild

ihrer Kindheit und

frühesten Jugend ist ein durchaus frisches und erquickendes.

Zehn Jahre alt wurde Joanna mit Agnes in eine Erziehungsanstalt nach Glasgow geschickt. Trotz mangelnden

Lerneifers machte sie daselbst doch in verschiedenen Gegen­ ständen Fortschritte.

Sie

zeigte

musikalisches Talent,

spielte Guitarre und sosl mit angenehmer Stimme ge­

sungen haben.

Zum Zeichnen verrieth sie so bedeutende

8 Anlagen,

daß sie,

wären dieselben

entwickelt worden.

Ausgezeichnetes auf diesem Gebiete hätte leisten können. Seltsam mag es erscheinen,

daß sie Neigung und Be­

gabung für die Mathematik besaß, pflegen sich dichterisches

und mathematisches Talent doch auszuschließen; doch ist Joanna Baillie allerdings nicht der einzige Fall, wo sie

gleichwohl neben einander bestanden haben.

Zu ihren

vielen Anlagen kam noch ein großes mimisches Talent. Joanna wußte als Kind bei dramatischen Aufführungen

ihre Zuhörer zu Thränen zu rühren oder zu herzlichem Lachen zu bringen, und später wurde sie eine vortreffliche Erzählerin, indem sie eine Geschichte nicht nur durch ge­ schickten Vortrag, sondern auch durch Modulation der

Stimme und begleitende Geberden wirksam wiederzugeben

verstand.

Dies Talent war übrigens ein Erbe aus der

Familie ihrer Mutter, welch' letztere, sowie auch deren

Die Stücke,

Brüder dasselbe in hohem Grade besaßen.

die Joanna

mit ihren Altersgenossen zur Aufführung

brachte, waren immer von ihrer eigenen Erfindung, über­ dies sorgte sie auch für Dekorationen und Kostüme. kündigte sich ihr großes Talent zunächst

So

in spielerischer

Form an.

1776 wurde Dr. Baillie zum Professor der Theologie

an der Universität Glasgow ernannt.

Im Winter dieses

Jahres übersiedelte die Familie nach der Amtswohnung.

Es wurde in ihrem Hause viel aus- und eingegangen. Joanna entwickelte sich zu ihrem Vortheile.

Sie wurde

allmälig ruhiger und gesetzter und imponirte ihren Alters­

genossinnen durch geistige Ueberlegenheit und Kenntnisse, welch' letztere jedoch zu keiner Zeit besonders umfaffend

9 gewesen sein mögen.

Dann und wann kam die alte,

unbändige Natur wieder zum Vorschein; eine große Neigung zu Disputationen kennzeichnete sie damals und verließ sie

nie vollständig.

Ihr Geist scheint zu jener Zeit noch

inerkwürdig spröde gewesen zu sein, denn wir erfahren,

daß sie Milton's verlorenes Paradies vergebens zu ver­ stehen sich bemüht habe. Er war ein

1778 starb Dr. Baillie.

gelehrter

Mann; hohe Grundsätze leiteten ihn durch's Leben, seine Familie liebte, alle Welt schätzte und ehrte ihn.

Wittwe

und Töchter begaben sich nach dem schmerzlichen Ereigniß nach Long Calderwood in Lanarkshire, wo Mrs. Baillie's ältester Bruder begütert war und wo sie einige Jahre

in größter Zurückgezogenheit lebten, während Matthew

in Oxford seinen Studien oblag.

Die herrliche Gegend

bezauberte Joanna's empfängliches Gemüth. wanderte

dieselbe

mit

ihrer

Schwester

Sie durch­ nach

allen

Richtungen, liebte es besonders längs der Felsenufer des Calder zu streifen, die Stromschnellen und Fährten zu beobachten und in dem Flusse zu baden. Da diese Ver­

gnügungen nicht ihre ganze Zeit ausfüllten und sie wenig Umgang hatte, begann sie (wie wir sahen, aus Antrieb ihrer Schwester) sich mit Büchern zu beschäftigen.

Sie

las die größten englischen Dichter und studierte besonders

Shakespeare, der sie wie kein zweiter Dichter beeinflußte. Zu eigenem Schaffen fand sie, bevor sie Schottland ver­

ließ, jedoch keine Anregung. Der Winter

1783/1784 wurde von der Familie

Baillie in Glasgow verbracht.

Im nächsten Jahre über­

siedelte die Familie nach London, um sich mit Matthew zu

10

vereinigen, der sich dort als Arzt niederließ.

In einer

engen Londoner Straße war es, wo in Joanna das Dichtertalent erwachte.

Es scheinen manche Naturen absolut der Unzufrieden­

heit, einer inneren Bedrängniß zu bedtirfen,- damit ihre Kräfte in Fluß kommen.

Mancher wäre wohl nie ein

Dichter geworden, wäre seine tiefste Sehnsucht nicht.un­ befriedigt geblieben.

Wie sagt doch Goethe? „Zart Gedicht, wie Regenbogen

Wird auf dunklem Grund gezogen, Drum behagt dem Dichtergenie

Das Element der Melancholie."

Bei Joanna Baillie war die Sehnsucht nach den

Naturwunderit ihrer Heimath der Zauberstab, der den Quell der Dichtung in ihr erschloß, indem sie sie dazu trieb,

im eigenen Reichthum Zuflucht zu finden. 1790 trat sie zunächst mit einem Bäitdchen ver­ mischter Gedichte, den „Fugitive Verses“, hervor.

Die­

selben wurden anfangs wenig berücksichtigt, bis sich ein Kritiker

günstig darilber aussprach.

später wurden sie neu aufgelegt,

Werth

besaßen.

Wer

Viele Jahrzehnte

ein Beweis,

aber konnte

aus

daß sie

den schönen,

harmonisch gestalteten Versen auf die dramatische Kraft der Verfasserin schließen?

1798 gab sie den ersten Band der „Plays on the Passions“ heraus, unter dem Titel „A Series of Plays in which it is attempted to delineate the strenger

passions of the mind, each passion being a subject

of a tragedy and a comedy.“

Der Band enthielt die

11 beiden Trauerspiele „Count Basil-1 und „De Monfort■*

und das Lustspiel „The Trial“, und machte den Autor mit einem Schlage berühmt.

Miß Baillie hatte ihren

Namen verschwiegen. Aus einigen Spracheigenheiten, welche

die Stücke enthielten, konnte man auf das schottische Her­ kommen des Verfassers schließen und unter den schottischen

Autorenjener Zeit hielt man nur Walter Scott für fähig, solche Dramen geschrieben zu haben.

Groß war

das

Staunen, als man erfuhr, eine Dame sei die Verfasserin.

Die feste Chargkterzeichnung, die Kraft des Ausdrucks — Alles schien auf einen männlichen Autor zu deuten und für das merkwürdige Vorwort des Buches behauptete man selbst

dann noch männliche Urheberschaft, als das Ge­

schlecht des Verfassers bereits vollkommen festgestellt war. Vor Allen spendete die „Monthlp Review" vom September 1798 den Stücken hohes Lob und der Ruf der Dichterin

war bereits fest begründet, als die „Edinburgh Review"

eine scharfe, doch nicht ungerechte Kritik an den ihren

„Plays on the Passions“ zu Grunde liegenden Theoremen zu üben begann.

Miß Baillie hat ihre Ansichten über das Wesen des Dramas in dem Vorworte entwickelt, welches sie dein

ersten Bande ihrer dramatischen Schriften vorausgeschickt hat.

Dasselbe war ganz geeignet Aufsehen zu erregen

und außer Wordsworth und Victor Hugo kennen wir

keinen Dichter, der sich so viel Mühe gegeben hätte, dem

Leser seine Anschauungen klar zu machen, wie Joanna Baillie.

Flößen uns ihre Theoreme auch als aufrichtiger

Ausdruck ihrer Ueberzeugungen Respect ein, so müssen wir die meisten derselben, sachlich betrachtet, doch für falsch

12 erklären und ihre Stücke für insofern verfehlt, als sie auf diese falschen Theoreme gegründet sind.

Miß Baillie war mit der Methode der modernen,

der nach-elisabethinischen Dramatiker unzufrieden.

Sie

vermißt bei ihnen die Kenntniß des menschlichen Herzens und eine feste und wahre Characterdarstellung.

„Sie

sind mehr damit beschäftigt gewesen, sagt sie, die Werke

der großen Dramatiker, die ihnen vorausgegangen und

die Wirklingen,

die

ihre Schriften

heroorgebracht,

zu

studieren, als die Verschiedenheiten des menschlichen Cha-

racters,

die zuerst den Stoff für jene Werke geliefert

haben, oder jener seelischer Beweggründe, mittelst welcher solche Wirkungen erzielt wurden.

Indem sie die schranken­

lose Mannigfaltigkeit der Natur vernachlässigten, wurden

gewisse starke Außenlinien des Characters, gewisse offen daliegende Züge der Leidenschaft, gewisse große Wendungen

und dramatische Situationen von einem Geschlechte zum anderen wiederholt, während ein gewisser hochtrabender

und feierlicher Erirst, den sie für die Würde eines Trauer­ spiels angeinessen halten, aus ihren Werken fast ganz

jene kleineren Züge der Natur verdrängt hat, die das

Gemüth

so

gut

veranschaulichen,

und

indem

sie die

Menschen nur in den Augeilblicken der Größe und Kraft­

anstrengung zeigen, vollkommen."

zeigen

sie

dieselben

natürlich

un­

Indem Miß Baillie diese Akethode mit

Recht als falsch bezeichnet, verfällt sie selbst in den Irr­

thum, zu behaupten, daß das Erste und Wichtigste, ja das Wesen des Drama's die Characterdarstellung sei, gegen­

über welcher die Handlung nur secundäre Bedeutung habe. Zwar bemerkt sie, indem sie über den Werth spricht,

13 welchen die Menschenkenntniß für den Dramatiker hat. ganz richtig, daß in seinen Werken „kein Reichthum der Erfindung, keine Harmonie der Sprache, keine Größe

des Gefühls den Platz der getreuen Characterzeichnung

auszusullen vermöge", falsch aber ist es, wenn sie an einer anderen Stelle meint,

daß jeder andere Mangel

durch diesen einen Vorzug ersetzt werden könne.

Die leb­

hafte, bewegte, reichgegliederte und in allen ihren Theilen wohlmotivirte Handlung kann durch keine Feinheit der

Characteristik ersetzt werden, ein Stuck, dem es an solcher

Handlung gebricht, wird, wie scharf, wie wahrheitsgetreu

seine Personen auch gezeichnet seien, nicht den Anspruch

erheben dürfen, ein Drama im vollen Sinne des Wortes genannt zu

gute

werden.

Characteristik,

Ein solches^ erfordert ebensowohl

als

auch

bewegte

und

festgefügte

Keinem dieser beiden Bestandtheile gebührt der

Action.

Vorrang, aber es darf.auch keiner von beiden vernach­ lässigt

werden.

Weder das Situationsschauspiel,

noch

eine bloße Charactermalerei verdient den Namen eines Dramas. Innerhalb der wahrheitsgetreuen Characterdarstellung

betrachtet Miß Baillie, einem großen Beispiele folgend, als das Wichtigste, „den menschlichen Geist unter der Herrschaft jener starken und zähen Leidenschaften zu zeigen, die schein­ bar ohne äußere Veranlassung, von geringen Anfängen,

in der Brust ausgebildet werden, bis all die besseren Anlagen, all die schönen Gaben der Natur von ihnen

vernichtet sind."

Jndenr sie sich gegen jene Dramatiker

wendet, welche die Leidenschaften nur deshalb einführen,

um die Charactere zu kennzeichnen und einige Scenen

14 zu beleben, stellt sie sich selbst die Aufgabe, „eine Reihe von Dramen von einfacher Construction zu schreiben, *) weniger durch dichterischen Prunk verschönert, weniger eingeengt durch den erhabenen Ernst, der so allgemein als nothwendig für die Erhaltung der tragischen Würde betrachtet wird, und deren Hauptgegenstand die Zeichnung des Fortschrittes der höheren Leidenschaften in der mensch­ lichen Brust sein soll, indem jedes Stück eine besondere Leidenschaft vorführt." Ein Drama nach dem Sinne der Dichterin muß demnach folgende vier Grundbedingungen erfüllen: 1) Concentrirung des Interesses auf die leitende Leidenschaft der Hauptperson des Stückes und infolge dessen 2) starkes Zurücktreten der zweiten Personen und undramatische Haltung derselben. Ausdrücklich bemerkt Miß Baillie: „Die zweiten Personen jedes Dramas sollen, da sie von den durch große Leidenschaften bewegten vollkommen ver­ schieden fein müssen, gewöhnlich in einem ruhig un­ bewegten Zustand dargestellt werden." Doch sieht die Dichterin ein, daß diese Personen, um nicht alles Interesses zu entbehren, gut characterisirt werden müssen. 3) Dar­ stellung der leitenden Leidenschaft der Hauptperson von ihren ersten Regungen bis zur völligen Korruption und schließ­ liche Zerstörung des Individuums, oder vollkommene Entwicklungsgeschichte der Leidenschaft. 4) „Einfache Con­ struction" oder „Einfachheit der Intrigue (simplicity of plot), worunter die Dichterin, wie aus ihren ersten Stücken hervorgeht, jedoch nichts anderes als Armuth an *) An einer andern Stelle fordert sie „simplicity of plot“.

15 Handlung und Vernachlässigung derselben versteht.

Nach

ihrer Anschauung schließen sich nämlich feine Characte-

risirung der Leidenschaft und lebhafte Handlung aus.

Gegen jede dieser Forderungen lassen sich Einwen­ dungen machen. . Die Dichterin betrachtete Shakespeare

als ihr Vorbild,

aber sie hat ihn nicht immer genug

in sich ausgenommen, sonst hätte sie vor Allem von ihm

lernen müssen, daß kein Drama auf der Grundlage einer einzigen Leidenschaft

kann

aufgebaut werden, daß die

Hauptperson nicht alles Interesse auszehren darf, daß die zweiten Personen ihr gegenüber nicht wie bedeutungslose

Schatten erscheinen sollen (Punkt 1 und 2), vielmehr muß dem Hauptspieler ein interessantes Gegenspiel gegenüber­

gestellt werden.

Erst durch das Aneinanderprallen ver­

schiedener Leidenschaften, durch starke Action und starke Reaction kommt ein Drama zu Stande.

Was hingegen

ihr Bestreben betrifft, Wachsthum und Entwicklung ein­

zelner Leidenschaften bis zur vollständigen Korruption und

endlichen Vernichtung des Individuums zu veranschaulichen (3), so zeigt sie hierin allerdings, daß sie mit großem Nutzen in Shakespeare's Schule gegangen ist, auf den sie sich je­ doch in dem langen Vorwort merkwürdiger Weise garnicht

des Näheren bezieht, nur in zwei Anmerkungen kommt sie flüchtig auf ihn zu sprechen.

In der That ist ja

die energische Behandlung der einzelnen Leidenschaften,

ihres Anschwellens bis zu dem Punkte, wo der Umschlag erfolgt, die Hauptaufgabe des Dramatikers innerhalb der Characterdarstellung, und wäre hierin so manchem Dichter

Joanna Baillie's Einsicht zu wünschen.

Nur sehen wir

den künstlerischen Werth ihres Vorsatzes nicht ein, die

16 Leidenschaften von ihren ersten Anfängen an darzustellen.

und ist dieser Punkt auch von keinem andern Dichter in dieser Weise betont worden. Zuweilen wird der Dramatiker

gut thun, uns schon die ersten Regungen der Leiden­

schaften vorzuführen, in anderen Fällen wird er es vor­ ziehen, bei einem späteren Entmickelungspunkt der Leiden­

schaft anzusetzen.

Hier läßt sich keine Regel aufstellen und

wird der Beginn immer durch das Bedürfniß des gegebenen Falles bestimmt werden.

Doch sind es ja auch nicht

künstlerische Gründe, welche die Dichterin auf den Ge­

danken gebracht haben, schon das erste Aufflammen der Leidenschaften zu zeigen, sondern sittliche.

Sie will uns

eine Waffe gegen den Ueberfall des Feindes in die Hand

geben, indem sie uns seine ersten Vorboten als solche erkennen läßt.

Gelingt es der Dichterin nun z. B. die

Leidenschaft der Liebe in ihren ersten Regungen zu veran­

schaulichen, so ist dies nicht der Fall bei der gefährlicheren

Leidenschaft des Hasses, jenes Haffes nämlich, der sich eines Menschen oft schon in jungen Jahren gegen einen anderen

bemächtigt und auf tiefer innerer Verschiedenheit begründet ist, weil sie ihre Helden nicht als Kinder vorführen kann und doch wäre es gerade wichtig, vor den Gefahren dieses

Dämons zu schützen, sieht man den Zweck des Drama's nun einmal

in der Warnung vor dem Ausbruche der

Leidenschaften. Wäre die Dichterin also streng consequent gewesen, so hätte sie füglich von einem Trauerspiele des

Hasses absehen muffen, da sie auf die Möglichkeit einer sitt­ lichen Wirkung hier von Vornherein verzichten mußte. Was endlich den letzten Punkt, die „einfache Construction", die

„Einfachheit der Intrigue" (worunter die Dichterin, wie

wir bereits bemerkten, Dürftigkeit der Handlung ver­ steht) zu Gunsten eines klareren Hervortretens gewisset feiner Züge der Leidenschaft (durch das Medium von Gefühlsergüffen) anbelangt, so haben wir auf das iiqcütov chkvüot,- bereits hingewiesen, welches in diesem Gedanken enthalten liegt: daß nämlich die Charakteristik das Wesent­ liche, die Handlung etwas Nebsnsächliches sei; — dann aber ist auch die Anschauung grundfalsch, daß scharfe und eindringliche Charakterisirung der Leidenschaft und starkbewegte Handlung, — wenn man darunter nur nicht unkünstlerische Häufung von Vorfällen versteht — ein­ ander ausschließen, kann doch die Leidenschaft im Gegen­ theil nur durch lebhafte Handlung wirkungsvoll darge­ stellt werden. Nicht die Leidenschaft an sich, sondern die Handlung, durch die sie zum Ausdruck gelangt, ist ja dramatisch, und diese, und nicht Gefühlsergüsse, bilden das wesentliche Ausdrucksmittel der Leidenschaft im Drama. Die Dichterin sah nicht, daß der Erreichung ihres obersten Zieles, — intensive Darstellung der ein­ zelnen Leidenschaften — nichts hinderlicher sei, als die grundsätzliche Vernachlässigung der Handlung. Miß Baillie hat ihre Theorien auch auf das Lust­ spiel angewandt, wo sich die meisten derselben als ebenso falsch erwiesen. Dazu kommt, daß die Dichterin wenig Talent für dieses Fach besaß. „The Election“ und vielleicht auch „The Second Marriage“ ausgenommen, sind ihre Leistungen auf diesem Gebiete mehr oder weniger dürftig und matt. Ihre Anlagen wiesen sie hauptsächlich auf das ernste Drama. Es ist zu bedauern, daß Miß Baillie's starkes D r u s k o iv i lz, Essays.

2

18 dramatisches Talent,

in der ersten Zeit ihres Schaffens

wenigstens, durch manche falsche theoretische Anschauungen

irre geleitet und in seiner Entfaltung gehemmt wurde. Statt ihre Erfindungskraft anzustrengen, machte sie die

Darstellung

einer

möglichst

dürftigen

zum

Handlung

Grundsätze ihres Schaffens; statt aus starke Spannungen und Conflicte hinzuarbeiten, läßt sie die Leidenschaft des

Helden in mehr oder weniger undramatischen Scenen zum

Ausdruck gelangen.

Dies gilt jedoch hauptsächlich von

ihren ersten Dramen; in ihren späteren „Plays on the

Passions“

scheint sie glücklicherweise. immer mehr auch

den unfruchtbaren Theil

ihrer Theorien

vergessen

zu

haben, und je mehr sie dieselben außer Acht ließ, um so bessere Stücke hat sie geschaffen.

Am meisten gerecht wird sie ihren Theoremen eben in ihren ersten Trauerspielen,

„Count Basil“,

dessen

Thema Liebe, und „De Monfort“, dessen Gegenstand Haß.

Wir sahen, daß Miß Baillie etwas Großes von Shake­ speare gelernt hatte, indem sie sich bestrebte, in ihren

Stücken ein Entwicklungsbild einzelner Leidenschaften zu geben, doch legte sie auf dies Moment einen solchen Nach­

druck, daß zu befürchten stand, die Gestalten, an denen

sie das Wachsen der Leidenschaften veranschaulichen würde, müßten sich als Allgemeinheiten oder akademische Figuren darstellen.

Miß Baillie's Talent war jedoch zu stark, um

es dazu kommen zu taffen.

Sowohl in Basil als in

Monfort pulst wirkliches Leben, obwohl die Dichterin beide

Gestalten noch weit lebendiger hätte charakterisiren können,

wenn sie mehr Handlung aus ihren Leidenschaften ge­ sponnen hätte.

Außerdem finden sich in „Graf Basil"

19 und „De Monfort" bei allen Mängeln doch häufig Züge und Feinheiten, die den wahren Dramatiker verrathen.

Besonders rühmenswerth ist hier schon der Dialog, der bei Joanna Baillie stets ein ächt dramatischer ist.

Sehen wir uns zunächst „Graf Basil" etwas näher an.

Die Dichterin wußte, daß- sich die überwältigende

Macht, der entsittlichende Einfiuß der Leidenschaft der Liebe am Nachdrücklichsten an einem ursprünglich starken

und willenskräftigen Charakter zeigen ließe.

deshalb

einen

tapferen,

Sie wählt

ruhmvollen Kriegshelden

zur

Hauptperson ihres Stückes, das sich wie viele andere ihrer Dramen

auf

einem

quasihistorischen

Graf Basil ist ein General Karls V.

Niveau

bewegt.

Als der Graf

mit seinen Soldaten durch das scheinbar kaiserlich ge­

sinnte Mantua zieht, um sich mit der Armee zu vereinigen, erblickt er die schöne Tochter des Herzogs an der Spitze eines Zuges von Damen, und wird von ihrem Anblick

bezaubert.

Lebhaft sind seine Gefühle in der zweiten

Scene des ersten Aktes, wo er das erste Dial nach jener

Begegnung mit seinem Freunde und Verwandten, Graf

Rosenberg,

einer sympathisch gezeichneten Gestalt, zu­

sammentrifft, zum Ausdruck gebrächt. Basil.

O, es ist wundervoll! Was soll das, Freund?

Rosenberg.

sprich,

was

ist

wundervoll? Basil. Form, Antlitz und Bewegung, Alles, Alles! Rosenberg. Ah, die Prinzessin! Priesen wir sie nicht? Basil.

Ich weiß, ihr prieset sie, sowie ihre Großmuth.

Sie könnt' verschenkt des Ostens Schätze haben, Bevor ich es geahnt.

20 Ach, sahst du es, wie in der Ferne sie

Erschien mit ihrem Zuge langsam schreitend, Im Winde flatternd Haare und Gewand,

Wie eine Lichtgestalt in Morgenwolken? Und als sie sich dem Auge klarer zeigte,

Wie sie an Liebreiz immer mehr noch zunahm! Die schöne Haltung und der schlanke Wuchs, Die rundgewölbte Brust, der stolze Hals,

Das Antlitz, süß vom Jugendflor erhellt — Doch als sie näher kam, zu uns sich wandte,

O Himmel! welch' ein Anblick war doch dies! Sahst du, als sie für unsre Grüße dankte,

Das Lächeln sich auf ihren Lippen bilden? Sanft glüht' die Wange, auch ihr Auge lachte,

O, wie es lachte! sowie Himmelsstrahlen! Ich fühlt' in mir die Seele heftig staunen

Wie Jemand, der vom Schlummer ist erwacht.

Flrr's Erste hat es jedoch den Anschein, als würde Graf Basil sein Entzücken nicht verwickeln

können,

bald

in

schwere

verwandelt

aber

eine überwältigende Leidenschaft.

es

Conflicte sich

in

Die Begegnung des

Grafen mit Victoria ist aber nur ein Werk des insge­

heim französisch gesinnten Herzogs, der den Grafen an Mantua zu fesseln und zu verhindern wünscht, daß sich derselbe zur bevorstehenden Schlacht mit den kaiserlichen Truppen

griffen.

vereinige.-

Er

hat

das

richtige

Mittel er­

Der Graf, der seinen Empfindungen anfangs

selbst geringe Bedeutung

beigelegt,

fühlt sich bald in

Mantua festgehalten und vergißt das erste Mal seine

Pflicht.

Der Grundfehler des Stückes ist der, daß der

Held, statt durch seine Leidenschaft zum Handeln geführt

21 zu werden, durch dieselbe vielmehr davon abgelenkt wird. Basil schmachtet in den Fesseln der Prinzessin, ohne daß

er in eine wirklich dramatische Beziehung zu ihr träte, denn sie erwidert seine Leidenschaft nur durch Wohlwollen und schwesterliche Zuneigung, wodurch eine dramatische

Reciprocität zwischen beiden ausgeschloffen ist.

Auch ist

die Prinzessin eine ganz schattenhafte Gestalt, während sie,

als der Gegenstand von Basil's Leidenschaft, doch ein

stärkeres Interesse in uns erregen sollte.

Wir dürfen

uns in Anbetracht der Theoreme, die wir kennen gelernt, nun nicht mehr darüber verwundern, daß die Dichterin förmlich danach strebte, sich die Erzielung einer starken dramatischen Wirkung unmöglich zu machen.

Indem die

Dichterin also aus der Hauptleidenschaft keine Handlung zu ziehen vermag, ist sie genöthigt, um in die mittleren Akte etwas Bewegung zu bringen, zu allerlei Nothbehelfen zu greifen und Situationen herbeizuführen, die von der Hauptsache mehr oder weniger unabhängig sind, und die­

selbe keineswegs fördern.

So intriguirt der herzogliche

Btinister Gauriecio, der ehrgeizige Pläne hegt, gegen Graf

Basil.

Er bewirkt, um den Zorn des Herzogs gegen den

Genannten zu erregen, daß dieser den alten, tapferen

Invaliden Geoffry, — eine trefflich gezeichnete Gestalt — der von dem Herzog vernachlässigt worden, öffentlich aus­

zeichnet, Meuterei.

und später verleitet er Basil's Truppen zur

Allein der Gras beruhigt die letzteren, und

der Herzog zeigt ihm keine feindliche Miene.

Die Scene

zwischen Basil und seinen aufrührerischen Truppen ver­ dient alles Lob.

Joanna Baillie war, wie wir noch

öfters zu beobachten Gelegenheit haben werden, in der

22 Ausführung großer Ensemblescenen besonders ausgezeichnet.

Während Basil nun seiner Liebe lebt, erwacht und wächst in Rosenbergs Brust, nachdem ihm auf einem Masken­ balle die Hofdame Albini einen Wink gegeben, er möge Basil vor längerem Verweilen warnen, die Furcht, man

halte seinen Freund in Mantua zurück, um böses Spiel

mit ihm zu treiben.

In der dritten Scene des vierten

Aktes versucht Rosenberg Basil zum Abzüge zu bewegen.

Wir geben die Scene, die eine der wirkungsvollsten des Stückes ist und die Leidenschaft Basil's am Besten veran­

schaulicht, bis zu dem Momente wieder, wo sich Rosen­

berg gestehen muß, daß sein Freund ein Verlorener sei. Rosenberg beginnt seine Vorstellungen damit, daß er Basil

an die Hoffnungslosigkeit seiner Liebe mahnt und auf einen etwaigen höher gestellten und glücklicheren Nebenbuhler

hinweist, worüber Basil nicht anders als heftig entrüstet sein kann. Basil.

Du bist erfinderisch, um mich zu quälen,

Und freust am Schmerze dich, den du bereitest.

Aus dem, was du mir sagst, spricht Schadeyfreude. Rosenberg. Nicht Schadenfreude, mein Basil, nur Freund­

schaft.

Enttäuschung könnte dich vom Abgrund retten, Zu dem dich blinde Leidenschaft hinabzieht. Basil.

Geh, rette dich doch selber lieber von

Der schwachen Leidenschaft,-die dich erfaßt, Ein Ansehn dir zu leih'n durch weise Mienen,

Mein Thun zu deuten wie es dir gefällt. Ich kann mich selber lenken. Rosenberg.

Thu' es doch,

Und laß kein listig Weib für dich es thun.

23 Basil. Verachtung diesem Wort! doch nein, auch das iricht, Denn es ist gar zu niedrig, — listig' Weib'!

O, sie hat all des Himmels Lieblichkeit,

Und seine ganze Güte noch dazu!. Rosenberg.

Ich will sie ja nicht böser Schliche'zeih'n,

Ich zeih' sie nicht —

Fürwahr, Du kannst es nicht!

Basil.

Rosenberg. Was kann ich nicht? Wie sie sind alle Weiber. Nichts mehr davon! es regt dich heftig auf.

Doch noch einmal, als dein getreuster Freund, Beschwör' ich dich, wenn du die Ehre schätzest,

Des Kriegers guten Ruf, des Helden Ruhm, Die edle Geister lieben, und ich weiß,

Daß sie dir theuer sind: verlaß den Ort

Gieb den Soldaten Marschbefehl! . Basil.

Nein! da du mich an solches mahnen mußt,

Sei du der General und Truppenführer! Rosenberg.

Hat in so kurzer Zeit die Leidenschaft

— Fluch ihr! — so sehr verändert dich, Basil, Daß du in Hitze gleich geräthft, sagt dir

Dein alter Freund ein freies Wort aus Liebe?

Ich glaub', die Schönheit von zehntausend Mädchen Hätt' mich nicht so erregt, um meinem Freund,

Dem besten, frühsten Freund so zu begegnen. Basil.

Sag dem Verwandten: so sind wir verknüpft;

Verwandt ist unser Blut, getrennt die Herzen.

Nie einte unsre Seelen freie Wahl. Wir sind ganz ungleich, ungleich.unser Denken, Es leugnet meine Brust, daß du mein Freund. Rosenberg. Hab' ich so lange dich und treu geliebt,

So oft dich mit des ältern Bruders Vorsicht

Bewacht bei deinen Spielen, als du klein warst, Des trägen Schülers Arbeit oft vollendet,

24 Die ersten Waffenthaten dich gelehrt,

Mit hohem Stolz verfolgt dein frühes Steigen Am Ruhmespfad, zufrieden wenn ich einnahm

Den zweiten Platz, durft' ich mit dir nur dienen,

Daß du nun sagst, ich wäre nicht dein Freund? So sei es denn, ich bin nur dein Verwandter,

Und will als solcher deinen Namen schützen Vor der Gefahr der Schmach.

Fröhn' deinem Willen,

Ich aber leg' mich hin und stell' mich krank. Nein, nein, ich brauche mich nicht krank zu stellen,

Denn deine Härte macht mich ja dazu; Man wird sich sagen, Basil zögerte,

Um seinen Freund, — wie man mich nennt — zu pflegen, Und Schande kann nicht deinen Namen treffen

Ob solcher Liebesthat. (Basil geht in großer Bewegung auf

und ab, dann

mit den Händen und scheint besiegt.

steht er still, biberft bas Gesicht

Rosenberg sieht ernsthaft nach ihm.)

Er weint! dem Himmel Dank! (Eilt zu ihm und umarmt ihn.)

Basil! ich bin zu hart mit dir gewesen. Hab' ich so sehr dein Herz bewegt, ist's möglich?

Basil.

Ich will verzichten — will verlassen —

Rosenberg. Wie? Basil. Mantua verlassen, diesen Wonneort — Das holde Weib — entzwei das Herz mir spalten —

Entsagen diesem kurzen Freudenrausch —

Unglücklich sein und elend, was du willst — Vergiebst du mir? Rosenberg.

Mein Freund! mein theurer Freund!

Ich lieb' dich mehr, als ich dich je geliebt! Es zwang zur Grausamkeit mich meine Liebe.

Der Schmerz, den du erfährst, zuckt durch mein Herz; Drum schon' uns beide! Zeige deine Größe,

Laß uns enteilen und keine Stunde zögern!

25 (Basil bebt zurück und sieht ihn mit erzürntem und zugleich besorgtem Ausdruck an )

Basil.

Nein, laß mich nicht sogleich dem Tod verfallen;

Ich will sie nochmals sehen, und dann gehn. Rosenberg.

Sieh sie noch einmal und du bist verloren!

Cs muß nicht sein — bin ich dir etwas werth —

Basil.

Wohlan, so sei's: du kennst kein Mitgefühl!

Rosenberg.

Du wirst in Zukunft mich noch dafür segnen,

Was dir jetzt als so mitleidslos erscheint.

Basil

(setzt sich Iiicdergcschlügeu).

In Zukunft!

was soll meine

Zukunft sein? Mein Tag erlosch! Die düstre Nacht ist da!

Ein ew'ges Dunkel liegt auf meinem Schicksal. Ich sah den letzten Blick der Hellen Ailgen; Ich hört' den letzten Ton der holden Stimme; Ich sah die Huldgestalt dem Aug' entschwinden:

Mein Schicksal ist gewiß! Rosenberg

(sich mitleidig und liebevoll über ihn neigend).

Mein Freund!

Basil.

Sie schwand von mir mit all dem holden Liebreiz,

Wie wenig ahnte ich mein hartes Loos!

Rosenberg. Weshalb so zaghaft? denk an Sieg und Ehren ! Des Ruhms Gefilde liegen noch vor dir!

Wer wünschte solche Lorbeern nicht zu ernten?

Basil. Was sind jetzt Waffen oder Ruhm für mich? Bewerbe sich um sie wer will — und doch, Willkommen Krieg und deine blut'gen Scenen,

Dein Donnerrollen und dein Waffenklirren

Willkommen noch einmal! was sollt' ich andres, Als nochmals tapfer sein und hierauf sterben? (Eine Dame der Prinzessin erscheint.)

Dame

(zu Basil).

Es grüßt euch die Prinzessin, edler Graf —

Basil

(erschrocken).

Was sagt ihr da?

Rosenberg.

Verdammt sei diese Botschaft!

— Isabella.

26



Es grüßt euch die Prinzessin, edler Graf!

Im kühlen Hain, nah bei dem Thor im Süden Weilt sie mit dem Gefolge. Wie? sie selbst?

Basil. Isabella.

Sie selbst, mein Herr, und sie wünscht euch

zu sehen.

Basil.

Dem Himmel Dank! Ich bin sogleich bei ihr.

Rosenberg

(ihn zurückhaltend).

Halt!

halt!

laß

ab

von

deiner Raserei!

Basil.

Halt mich nicht auf! muß ich ein Thier denn sein,

Damit ich dir gefalle? Nein, beim Himmel! (reißt sich los und geht ab.)

Rosenberg.

Berloren ist nun Alles! u. s. w.

Die Scene oder das Gespräch zwischen Victoria und Basil, welches nun folgt, ist ziemlich matt und un­ bedeutend. Kaum hat die Prinzessin Basil, der sich auf dem Gipfel seines Glückes befindet, verlassen, als ein Bote auftritt und ihm die niederschmetternde Nachricht bringt, daß die Schlacht bei Pavia stattgefunden. Basil

(ZUM Boten).

Von der Armee?

Bote.

Ja, Herr.

Mit welcher Kunde?

Basil.

Bote.

Das kaiserliche Heer unter Pescara

Schlug die Franzosen bei Pavia's Mauern.

Basil.

Bote.

Sie fochten? wie? die Schlacht, sie ist vorbei? Gewonnen, Herr, gefangen König Franz,

Der, wie ein tapfrer, braver Edelmann,

Focht bis zuletzt, sein Schwert nicht übergab,

Bis er umringt von Feinden, und sein Arm

Nichts mehr vermochte. Basil.

Was sagst du?

Wer focht so trefflich?

wer ist ein Gefangener?

27 Frankreichs König, Herr!

Bote. Basil.

So war's — die Worte klingen mir im Ohr,

Doch ich versteh' sie nicht — Die Schlacht vorbei? Bote.

So ist's.

Es nicht mehr ging.

Pescara harrte Euer, bis

Kühn waren seine Truppen,

Ihn drängt' Gelegenheit, sie fochten tapfer —

Sie fochten gut!

Basil.

Ich hör', ich hör' dich!

Verflucht bin ich, daß es das Herz mir wendet,

Weil gut sie fochten! Sie fochten gut, indeß wir trag hier lagen! Welch' Schicksalsschlag, der auf mich niedersaust!

Verderben! Schande! Schmach! fluchwürd'ges Schicksal! Bote.

Zehntausend Feinde sind gefallen, doch

Auch wir verloren manche tapf're Seele.

Ich-sah von fern der Heere feste Bildung,

Die enggeschloss'nen Reih'n in strenger Ordnung, Wie schienen sie, ach, als vorbei die Schlacht,

Den Schäften gleich des stolzen Schilfs im Moor,

Das brach der letzte Sturm! doch wehe, wehe! Als ich zum Schlachtfeld kam, welch' Schauderanblick! Wie viel verwüstet Lebeil, blut'ge Haufen!

Basil.

Wär' ich ein rother und entstellter Klumpen

An jenem Ort! Sie fochten ohne uns! (Geht verstört umher, dann steht er plötzlich still.)

Wer sandte dich hierher? Bote.

Pescara schickt' mich, Euch zu melden, daß

Er Eurer nicht bedürfe, Euch erlaube Zu führ'n die Truppen in ein fernes Lager. Basil.

So sprach er? that er's? gut, es soll gescheh'n!

-Wohlan, ich gehe in ein enges Lager, Aus dem kein Kriegsruf mich hervor mehr lockt. (Er geht ab.)

28 Der fünfte Akt zeigt uns Basil's Verzweiflung in verschiedenen gut erfundenen Scenen und schließlich feinen

Tod, den er sich selbst giebt.

von

Rosenberg

und

seinen

Er wird als Sterbender Soldaten

gefunden.

Abschiedsscene ist von warmem Pathos erfüllt.

Die

Nachdem

Basil ausgeathmet hat, erscheint noch die Prinzessin mit

Dame,

einer

dem Todten

nachzutrauern.

Rosenberg

spricht schöne Schlußworte. Indem wir

komische

das

Gegenstück zu

„Count

Basil“, das Lustspiel „The Trial“ übergehen, denn es gehört zu den unbedeutendsten Leistungen der Dichterin,

wenden wir uns zu „De Monfort“,

der Tragödie des

Hasses.

„De Monfort“

wenn möglich noch ärmer an

ist

Handlung als „Basil“,

so daß es in der That schwer

fällt, einen Begriff von dem Inhalt dieses Stückes zu geben.

De Monfort, ein deutscher (?) Ritter, hat schon

in früher Jugend

gegen

den Marquis Rezenvelt eine

Abneigung gefaßt, die allmälig den Charakter blutigen

Haffes annimmt.

Er hält Rezenvelt für einen Ausbund

von Tücke und Schlechtigkeit, während dieser doch nur leichtlebig ist, ein gewandter Weltmann und feiner Spötter,

und einen scharfen Gegensatz zu seinem düsteren und leiden­

schaftlichen Gegner bildet.

Als Monfort zu Beginn des

Stückes nach längerer Abwesenheit nach Hause

zurück­

kehrt, erschrecken seine hohlen Augen, sein bleiches Gesicht, fein altes Aussehen feine Umgebung, die sich den Grund

dieser Zeichen nicht zu erklären weiß.

Monfort ist im

Zweikampf von Rezenvelt entwaffnet worden, doch hatte

der letztere die Großmuth gehabt, ihm die Waffe zurück-

29 zugeben, eine Handlung, die von dem mißtrauischen Monfort jedoch für nichts anderes, als für ein Zeichen des ärgsten

Hohnes gehalten werden kann.

Und als ob er nie vor

dem Verhaßten Ruhe finden sollte, meldet ihm bald mach seiner Ankunft sein Freund, Graf Freiberg, — eine ganz vage Figur — daß auch Rezenvelt sich in der Gegend befinde, dessen Lob Freiberg singt, und es währt nicht

lange, so stellt sich Rezenvelt selbst als Besucher Mon-

fort's

ein.

Dieser

vertraut endlich seiner

Schwester,

der edlen, sanften Jane, die einen wohlthuenden Gegen­

satz zu ihm bildet, auf deren dringendes Bitten, in der zweiten Scene des zweiten Aktes, in rückhaltlosen Worten,

den Grund seiner Verdüsterung. Monfort,

s' ist Haß! schwarz, ewig, tödtlich,

Der mir den Frieden raubte und mich stieß

Von meinen Freunden, aus dem Vaterhaus,

Um einsam durch dies Erdenthal zu streifen, Die Menschen fliehend, fluchend und verflucht.

Jane.

De Monfort! Dies ist teuflisch, surchtbar, gräßlich!

Ein Dämon hat von dir Besitz genommen,

Dich zu zerstör'».

Bekämpfe ihn, mein Bruder!

Sei tapfer, stoße ihn aus deiner Brust!

Er ist es, der ein edles Herz entheiligt! Verfluche ihn und heiß' ihn gehen!

Monfort.

Er will nicht fort.

(Die Hand auf die Brust legend)

Er lebte hier zu lang. Es mischt' in meine ersten Sorgen sich Die Qual.

Jane.

Ich haßte ihn als Knabe schon.

Wen meinst du?

Monfort.

Den verhaßten R.ezenvelt.

30 Als Knaben waren wir, wie junge Thiere Verschiedener Art uns unwillkürlich hassend,

Bereit stets gegen einander loszufahren, Und boten Trotz uns.

Dann, als von der Jugend

Zum Mannesalter wir hinüberschritten,

Ward seine Arglist und sein böser Hohn, Verhüllt kaum durch den Schein sorglosen Frohsinns,

Verachtungswerther und verhaßter stets. Es giebt kein lebend Wesen aus der Welt, Das seine Bosheit ganz erfassen könnte, Mit all' der fluchenswerthen Lustigkeit Vor denen, die durch Reichthum und Verdienst

Steh'n über seinem schlechten Selbst.

Als er

Noch arm, emporblickt' zu den Glücklichen, Sowie Nachtvögel, die aus dunklen Löchern

Gescheucht, scheel seh'n und krächzen auf das Licht, Konnt' ich's ertragen; doch als Ehren nährten Und Macht und neue Titel seinen Stolz;

Als niedre Schmeichlerbrut sein'Lob da sang,

Gemeine Tröpfe Beifall spendeten, O dann, dann könnt' ich's länger nicht erdulden.' Es macht mich rasend! ach, was gäbe ich, Was gäb' ich die geblähte Kröte zu

Zermalmen.' O, so furchtbar haß' ich ihn! Jane. Und wolltest du denselben Mann zermalmen, Der dir das Leben schenkt', statt dir's zu nehmen, Da sorglos du es preisgabst der Gefahr,

Nach seinem trachtend? C, wie schrecklich ist dies! Monfort.

Als er aus dieser schwachen, schlechten Hand,

Die schlechte Waffe schlug, so schont' er mich

Aus schwarzem Hochmuth, dem's nun eine Lust ist Sieht er mich so gebunden und beschämt,

31 Durch seine schnöde Gunst und arme Nachsicht;

Indeß er dasiht nun mit spött'schem Blick,

Und mich verachtet wie 'nen armen Köter,

Der sich nicht wehren kann. Bis zil dem Tage, den: verdammten Tag

Kannt' ich nur halb der Hölle Pein, die in

Der Swift mir brennt! Daß doch der Blitz ihn träfe! Jane.

O, dies ist schrecklich! trag's, o trag's!

Es zuckt

Des Himmels Rache auf dein Haupt, hegst du

Solch' gottvergess'ne Wünsche!

Monfort.

Mög' es fein!

Mehr Pein, als die, die ich gefühlt, kann er

Nicht senden.

Ganz vernichtet sein (wovor

Die Welt sich scheut), ein Staub zu sein, wär' Lust,

Wenn ich's mit dem vergleiche, was ich bin.

Jane.

Willst mich mit deinen SchreckenSworten tobten?

Monfort.

(Die Hände zuin Hiininel ersjebenb.)

Laß mich nur einmal schau'n auf sein Verderben, Und dann für immer sich mein Auge schließen! (I^ne bebt in gvoyer Aufregung zurück und schleppt sich nach der Bühnenwand.

De ■IJlonfoit eilt bestürzt zu ihr, mit sanfterer Siimine):

Was ist dies? du bist krank; du siehst so bleich! Was hab' ich dir gethan? O wehe! wehe!

Ich wollte dich nicht kränken, meine Schwester! Jane

(den Kopf schüttelnd).

Ich kann nicht sprechen!

O, ich traf dich tief!

Monfort.

O wende dich nicht ab! blick' wiederher! Sei nicht so traurig! Leben! Stolz! o Schwester!

Blick' wiederum auf mich! Jane.

Auch dich, De Monfort,

Rannt' ich in bessern Tagen meinen Stolz!

Monfort.

Ich Elender! elend im eignen Herzen,

Roch elender durch Leiden, die ich schaffe!

32 Verdamm' den Uebelthäter, den Verruchten! Er brachte Unheil in mein Lebensschicksal,

Er strebt uns Alle zu vernichten. Jane.

Ich hatte mich durch's Weltgewirr gekämpft,

Die mir bescheerten Leiden stark getragen, Als du Genosse meiner Mühen warst!

Doch nun zeigt' sich der Rest des Lebens schwarz,

Und wilde Leidenschaft, die dich zerstört, Reißt mich von deiner Brust.

(liebreich).

Monfort

Hier bin ich machtlos.

Was soll ich thun?

Jane.

Zeig deinen edlen Geist,

Zeig all die edelmüth'ge Kraft der Tugend!

Und mit der Stärke gottergeb'nen Sinns Entsag' dem bösen Feind! sei groß, sei tapfer!

O wenn du wolltest! bist du auch umgeben

Von all den argen Schwächen der Natur, Welch" edler Mann vermöchtest du zu sein!

Monfort.

Ja, wenn

ich

aber ach,

könnte,

ich

kann's

nicht!

Erst bei einer zweiten Unterredung gelingt es Jane,

ihren Bruder zu

besser

zu

bestimmen,

beherrschen.

sich Rezenvelt

der

Rezenvelt,

veränderte Benehmen Monforts

zu

sich

gegenüber durch

dem Glauben

das

an

eine Umkehr in diesem Hinreißen läßt, eilt (2. Scene,

3. Akt) mit offenen Armen auf ihn zu; bei Monfort jedoch

wieder der

sofort kommt

alte Haß

gegen

ihn

zum Ausbruch und er weicht wie von einer Natter ge­ stochen vor ihm zurück. Diese Scene ist von .etwas komischer Wirkung.

Rezenvelt's Schicksal

jedoch

ist

entschieden,

als Monfort das falsche Gerücht hinterbracht wird, daß

seine Schwester und Rezenvelt sich insgeheim lieben und

33 sich zu vermählen beabsichtigen.

Als Rezenvelt, kaum

ist diese Kunde an Monfort's Ohr gedrungen, bei ihm eintritt (4. Akt, 2. Scene),

gegen ihn.

so zieht er das Schwert

Allein er muß, als ob itoch nicht genug Haß

in seiner Seele angesammelt wäre, nochmals die Schmach

erleben, von Rezenvelt entwaffnet und abermals begnadigt zu werden. Er bringt nun in Erfahrung, daß Rezenvelt

in der nächsten Nacht durch einen Wald kommen und in einem daselbst' befindlichen Kloster Halt machen werde, um einem Requiem beizuwohnen.

Er lauert dem ver­

haßten Feinde im Walde auf und erinordet ihn rneuchlings.

Die Mönche des Klosters finden den Leichnam, aber sie entdecken auch den Mörder und bringen ihn in's Kloster.

Dort treffen ihn Graf Freiberg und Jane de Monfort,

die,

nachdem sie von einem Diener Rezenvelt's dunkle

Kunde von dem Geschehenen erhalten, in Verzweiflung.

als

er

herbeigeeilt sind,

Er stirbt an Reue und Seelenschmerz,

aus der Haltung

seiner Schwester dem todten

Rezenvelt gegenüber entnimmt, daß sein Verdacht ein

unglücklicher Irrthum war?)

Er hat das Leben aus­

gehaucht, als die Diener des Gesetzes im Kloster erscheinen.

T) Jane. What, lies he there? Unhappy Kezenvelt! De Monfort. A sudden thought has come across my mind; How came it not beforc ? Unhappy Rezenvelt! Say st thou but this? Jane. What should I say? he was an honest man; I still have thought him such, as such lament him. (De Monfort utters a deep groan).

What means this heavy groan ? De Monfort. It bath a meaning. Druskowih, Essays.

3

34 Die Schwächen und Mängel klar genug hervor.

des

treten

Stückes

Es ist in Bezug auf Handlung in den

mittleren Akten unter allen Trauerspielen Miß Baillie's das dürftigste.

Die Personen werden immer auf dieselbe

schwunglose Weise

zusammengeführt,

indem

entweder

Freiberg

und Rezenvelt ohne zwingende Gründe den

finsteren

Monfort

ausnahmsweise

besuchen,

wofern nicht

letztere

der

einmal auf Freibergs Schlosse erscheint.

Gleichwohl bleibt uns das Stück, besonders wegen der

kräftigen Zeichnung

der Hauptperson, im

Gedächtniß.

Man sieht, der Dichterin war es hoher Ernst mit ihrer Aufgabe,

sie versenkt sich mit Liebe in ihre Gestalten

und erfaßt die Seelenbewegungen in ihrer Tiefe. fort ist

eine Figur,

die nur

Mon­

eine feste Hand schaffen

konnte, obwohl nicht zu bezweifeln ist, daß seine Leiden­

schaft bei mehr Handlung noch viel wirksamer hätte dar­ gestellt werden können.

Auch die Zeichnung Rezenvelt's,

sowie Jane de Monfort's verdient Lob, sehr

geringe dramatische Bedeutung

eine Vorläuferin jener

obwohl beide

haben.

gefühlsinnigen,

Jane ist

sensitiven

und

vergeistigten Frauengestalten, .welche der Dichterin so vor­ züglich gelungen sind, so daß wir, um Aehnliches zu finden,

zu Shakespeare gehen müssen. gut erfunden müssen endlich

im Kloster

im fünften

Als wohlgelungen und auch die düsteren Scenen

Akte

bezeichnet

werden.

Die

Dichterin fühlte sich in dem Stimmungselemente und der

dunklen Färbung derartiger Scenen besonders heimisch.

Miß Baillie schrieb die beiden Hauptrollen dieses Stückes für John Kemble und dessen Schwester Mrs.

Siddons.

Kemble

brachte

das

Trauerspiel

auf

das

35 Drurylane-Theater, wo es im April 1800 aufgeführt

wurde.

Es wurde zwar beifällig ausgenommen, erhielt

sich jedoch begreiflicherweise nicht auf der Bühne.

Immer­

hin muß der Eindruck, den es machte, ein nachhaltiger gewesen sein.

So erzählte Miß Mitford im vorgerückten

Alter, daß sie sich noch einer Aufführung „De Monfort“§

erinnerte, der sie als Kind beigewohnt.

Miß Baillie ver­

wendete die Hälfte ihrer Tantieme zu wohlthätigen Zwecken. Sie lernte damals Mrs. Siddons persönlich kennen und

trat mit der Zeit in freundschaftliche Beziehungen zu ihr. Das komische Gegenstück zu „De Monfort“, „The Election“, ist, wie wir schon bemerkt haben, das Beste,

was Miß Baillie auf dem Lustspielgebiete geleistet hat. Das Stück erschien zuerst 1802 in einem Bande mit der

Tragödie

„Ethwald“. ' Der

Vergleich,

den man

zwischen „Der Wahl" und den besten Kotzebue'schen Lust­ spielen

gemacht

hat,

ist

gleichwohl nicht unberechtigt.

Das Stück ist gut erfunden, besonders die Hauptperson desselben lebendig gezeichnet, und es enthält viele wirksaine Situationen; weniger befriedigend dagegen ist die

Charakteristik der Person, die hier die Stelle Rezenvelt's einnimmt, obgleich sie um Vieles dramatischer ist, als letzterer, auch lassen der Aufbau der Handlung und die

Detailarbeit sehr Vieles zu wünschen übrig. Baltimore,

ein Landedelmann,

das

Haupt

einer

alten, aber herabgekommenen Familie, hat gegen den

Tuchfabrikanten Freeman, der sich in seiner Nähe nieder­

gelassen, rasch Vermögen sowie Ländereien erworben, die

einst Baltimore's Vorfahren besaßen, und schließlich auch noch als sein Nebenbuhler für die Parkamentswahl auf3»

36 getreten ist, einen heftigen Widerwillen gefaßt, der mit

jenem De Monfort's gegen Rezenvelt große Aehnlichkeit hat und den Baltimore, trotzdem seine Gemahlin, sowie sein

Freund Truebridge ihn zu anständigem Benehmen gegen Freeman zu bewegen suchen, dem letzteren durchaus nicht verbirgt.

Er ist empört über Glück und Kühnheit des

Emporkömmlings, obgleich er der Ansicht ist, daß Free-

man's schlechte Manieren

gegenkommen

der

und allzu freundliches Ent­

Hauptgrund

seines

Abscheus

seien.

„Es ist feine zudringliche Höflichkeit," sagt Baltimore zu

seiner Gemahlin, „die mich krank macht.

Er glotzt und

lächelt, er zieht seine feuchte Lippe wie eine Kröte zurück, dann streckt er seine Finger mit den abgebissenen Nägeln

aus, und wenn er spricht — ah!"

und edelmüthige

Freeman

Der etwas allzu gut-

empfindet Baltimore's Haß

auf das Schmerzlichste, wünscht sich den Gegner gewogen

zu machen und bereut, kaum ist er als Wahlkandidat aufgetreten, diesen Schritt.

Natürlich weist er, als ein

Dutzend unvorhergesehener Wähler zu Gunsten Balti­

mores auftritt, den Gedanken, den sein Advocat ihm nahelegt, den schwerverschuldeten Nebenbuhler durch Auf­ kauf feiner Schuldscheine zu vernichten, mit Entrüstung

zurück,

und

um Baltimore's

Abneigung

zu

besiegen,

macht er diesem in Bezug auf deffen müßiggängerischen Neffen sogar einen freundschaftlichen Antrag, der jedoch

nicht angenommen wird.

Das Verhältniß der beiden

Nebenbuhler tritt in ein neues Stadium, als Baltimore

durch

den Hohn

des Schicksals

gezwungen wird,

der

Schutzengel Freeman's zu sein, indem er in die Lage

kommt,

denselben vom Tode des Ertrinkens retten zu

37 Unbegränzt ist Ireeman's Dankbarkeit, die er

müssen.

zunächst dadurch beweisen will, daß er Baltimore den

Vorschlag macht, von der Wahl zurückzutreten, worauf dieser

jedoch nicht eingeht.

Allein Freeman soll bald

bessere Gelegenheit geboten werden, sich seinem Lebens­ retter als nützlich zu

Weniger edel als er

erweisen.

blaustrümpfige Frau,

die

selbst

denkt seine

Mrs.

Baltimore wegen Mangels an dem, was Mrs.

affectirte,

Freeman unter Bildung versteht, und strenge kritisirt.

Gereizt

gründlich

mißachtet

durch Baltimore's ver­

letzendes Benehmen und von Furcht erfüllt, ihr Gatte könnte schließlich doch bei der Wahl durchfallen, läßt sie

durch den Advocaten des letzteren Baltimore's Schuld­ scheine aufkaufen, so daß dieser in's Gefängniß kommt. Wirkung und Folgen dieses Ereignisses konnte Frau Free­

mann jedoch nicht voraussehen.

meisten Wähler Freemann

Nicht nur treten die

auf Baltimore's Seite

befreit

über,

sondern

seinen Feind und Retter insgeheim

von seinen Schulden, während dem letzteren weißgemacht wird, der Oheim seiner Gemahlin sei der Großmüthige

gewesen.

Und um jeden Verdacht von sich abzulenken,

fordert Freeman,

nachdem Baltimore auf freien Fuß

gesetzt worden, von diesem Genugthuung einer Belei­

digung wegen, die er ihm bei einem Besuche im Kerker

beigefügt.

Schon stehen sie sich kampfbereit gegenüber,

als Truebridge einschreitet, Baltimore den Sachverhalt

erklärt und schließlich Beiden als Ergebniß seiner Nach­

forschungen den Beweis liefert, daß sie die Söhne Eines Vaters seien, daß Freeman der natürliche Sohn des alten Baltimore, womit denn alle Feindseligkeit ein Ende hat.

38 In den beiden Tragödien „Ethwald“, deren Thema

Ehrgeiz,

auf

einer

sich

zeigt

viel

das

höheren

Talent

der

Dichterin

schon

aber

auch

Entwicklungsstufe,

weniger unter der Herrschaft ihrer Theorien stehend, als in „Basil“ und „Monfort“.

Der Stoff der beiden Stücke „Ethwald“ ist ein histo­ rischer, der Schauplatz der Handlung das alte Königreich

Mercia, die Zeit, das Ende der Heptarchie. Einer Prophe­

zeiung zufolge soll das Haus des Than Mollo durch

deffen jüngsten Sohn, Ethwald, untergehen.

Sorgsam

wird Ethwald gehütet, und um ihn an's Haus zu fesseln, hat man ihm, als er noch ein Knabe war, ein liebliches

Mädchen, Bertha, zur Gespielin beigesellt, die er heran­ gewachsen liebt, sowie

hängt.

auch sie schwärmerisch an ihm

Allein die Abgeschlossenheit, in der er lebt, ver­

schärft nur des Jünglings Freiheitsliebe und Thatenlust,

die sofort zum Ausbruche gelangt, als der König von

Westengland in das Königreich Mercia einfällt.

Ver­

gebens sucht Mollo den Sohn zu bewegen, sich von dem Kriegszuge

fern

ersten Aktes).

zu

halten

(s.

die vierte

Scene des

Beim ersten Trompetenstoß, der an sein

Ohr dringt, fährt Ethwald wild empor, beim zweiten stürzt er bewaffnet in's Freie, den Schmerz des Vaters,

die Verzweiflung der Geliebten vergessend. ist von großer dramatischer Wirksamkeit.

Diese Scene Schon der erste

Kriegszug erhebt Ethwald unter die Helden und Großen

des Reiches:

als

die Mercier von Furcht übermannt

zu fliehen drohen, da feuert

Ethwald sie zu frischem

Wagen an, erringt den Sieg und bewirkt die Gefangennehmung des englischen Prinzen.

Der König von Mercia

39 erhebt Ethwald zum Lord von Mairnieth, während Edward, des Königs edler Neffe und Thronfolger, die schönste

Gestalt dieser Dichtung, ihm eine bewundernde Freund­

schaft darbringt.

Der junge Kriegsheld kehrt zwar zu

Bertha zurück, allein es ist seines Bleibens nicht mehr

an ihrer Seite, für ihn giebt es kein stilles Glück mehr.

Ungeduldig über den Frieden, der nach seinem Siege

eintritt, versucht er es, die Flamme des Krieges wieder anzufachen, indem er die Fesseln des gefangenen Prinzen

heimlich sprengt und den gefürchteten Abenteurer Woggar­

wolfe gegen den englischen König aufreizt. mals ist es Ethwald,

dessen Kühnheit

giebt,

die

indem

er,

als

Mercier

Und aber­

den Ausschlag

schon

zu weichen

beginnen, seinen Helm unter die Feinde wirft, baar-

häuptig weiterkämpst und die Zaghaften zu neuer Kraft­

anstrengung mit fortreißt, die schließlich den Sieg her­ beiführt.

Die auf die trefflich ausgeführten Schlachtscenen

folgende Bekränzungsscene, eine der besten dieser Dichtung, wollen wir ganz wiedergeben,

ist sie auch weniger be­

zeichnend für das Hauptthema des Stückes.

Versammelt

sind vor dem königlichen Zelte der König selbst, dessen

Tochter Elburga, Damen und Krieger.

Prinz Edward,

mit Ethwald und Gefolge tritt auf. König

(»ix Edward).

So komm mein Sohn: so will ich jetzt

dich nennen.

Ein Lächeln hier soll deinen Ruhm vergolden,

Bist du empfänglich für der Schönheit Zauber.

Edward

(Elburga's Hand ehrfurchtsvoll küssend).

Fürwahr ich bin geehrt, ja, hoch geehrt! Ich fühl' es hier

(die Hand am Herzen)

und sollte glücklich sein,

40 Könnt' etwas meinen Trübsinn übergolden. (Seufzt tief, dann sich plötzlich sammelnd.)

Elburga, Du warst stets dem Ruhm geneigt,

Und stets bereit die Tapferkeit zu ehren; Ethwald, mein Freund — hast Ethwald du vergessen? (Er führt ihn vor Elburga.)

Vergäße ich den tapfern Than von Mairnieth,

Elburga.

So wär' mein Ohr für jeden Ton verschlossen,

Da jede Stimm' in seinem Lobe stark ist, Und alle Mercier seinen Namen preisen. (Lächelt Ethwald gnädig zu.)

König

(ungeduldig).

Wohin soll das? wir schweifen ab vom

Ziel. Dein Jugendmuth, gereift durch Kriegskunst, hat

Mit neuem Ruhmesglanz bekränzt mein Alter.

Deshalb empfange, Tapfrer du, so will ich's, Den Ehrenkranz, den schöne Hand dir beut. (Elburga den Kranz gebend.)

Edward (ernst). Ich bitte dringend euch, mein Oheim, nehmt Mein Dankeswort'! die düstere Eypresse Ziemt eher meiner Stirn; fern sei die Ehre!

König. Ermanne dich! Unziemlich ist dies Mißtraun, Es muß so sein.

Edward

(ausdrucksvoll).

Mein Herz ist schwer bedrückt:

Füg nicht hinzu Die Bürde einer unverdienten Ehre,

Die mich zu Boden beuget. König.

Es erklären

Sie für verdient die tapfern Generäle,

Und wohl verdient.

Sie stimmen alle bei,

Daß ich dir diesen Ehrenkranz hier reiche:

Und ich befehl' dir, Prinz, ihn anzunehmen. (Die Hand emporhaltend.)

Wohlan, laßt die Trompeten schallen! (Die Trompeten blasen.)

41

(Sbroar b

(die Hände bestürzt emporhallend).

Still! still! erspart mir biese Seeleapein! (Trompeten schweigen.)

Bin ich beim bis zu biefem Punkt gelangt? Wohlan! hinweg bn Trug! bn hast zu lang, Wie eines Traumes Mißgestalt sich wirft Auf eines Schläfers Brust, mein Herz bebrückt. Hinweg, bu Schmachgesell! Mein hoher Herr, Unb ihr, ihr tapfern Krieger, hört bte Wahrheit! Ihr wähntet, baß mit einer scheinbar'n Flucht Den ersten Vortheil ich errungen hätte, Des Feinbes Streitkraft brechenb! wär' es so! Die Flucht ist wahr! sie war ein rascher Antrieb Des schwachen, ungeübten Geistes, ben Die furchtbar'n Dinge, bte er nicht gekannt, Unb auch geträumt nicht, mächtig ängstigten. Auch war's bie Ehre nicht, bie mich zurückrief, Die Stimme bei* Natur war's! Ebler Seagurth! Wär' ich ba eines Anbern Sohn gewesen, In bunkle, ew'ge Schmach wär' ich gesunken, Unb hätte nie vor biesen eblen Männern Gestanben in bes Königs Gegenwart Er war ein ebler Mann Er stoh nie vor Gefahren, boch sein Sohn — Viele Stimmen zugleich. Ist seiner werth. Bon mehreren Stirnmen wieberholt. Sein Sohn ist seiner werth. Ethelbert (begeinert). Sein Sohn ist werth Des besten Häuptlings, bei* ein Schwert je führte. Stimmen. Ehr' ihn, Prinzessin, ehr' ben eblen Ebwarb. (Elburga bietet ihm ben Kranz, den er heftig zurück meist.)

Ebwarb. Verzeih! es würbe ein Seorpionenbanb Mich nicht so quäl'n, wie bieser Lorbeerkranz. (Elburga wendet sich verochtltch von ihm ab, und giebt den Kranz dem .Röntg.)

42 Edward

Mein edler Herr, ist keine Mercierstirn

(zum

Zugegen, die den Kranz verdienen würde? Soll er, der mit entblößtem Haupt den Sieg

Erstritt, mit unbekränzter Stirne steh'n? König

(verdriehlicb).

Nimm ihn hinweg!

Du denkst nicht an die königliche Würde!

(den Kranz einem Offizier gebend.)

(Wirres Gemurmel unter den Soldaten.) (Bei Seite zum Seneschall, beunruhigt.)

Seneschall

(zun, König).

Was fÜT ein Lärm?

Die Krieger, Herr, sind äußerst mißvergnügt,

Weil ihr geliebter Führer unwerth ist Befunden diesen Kranz zu tragen. König

(bei Seite).

Wie? ist es so? Ruf mir den Offizier!

(Nimmt den Kranz und übergiebt ihn Elburga auf's Neue.)

Bestimmt war dieser Kranz für einen Prinzen. Doch jeder edler Mercier, stark in Waffen,

Ist einem Prinzen gleich. Bekränz' den tapfern Ethwald!

Elburga

(Ethwald mit groher Würde bekränzend).

Lang schmücke dieser Lorbeer deine Stirn,

Vieledler Than! Ethwald.

Die unter ihres Königs Banner fochten,

Gewinnen unter ihres Königs Glücksstern Auch ihre Lorbeerm.

Wie bin ich beglückt,

Daß mir der edle Prinz so hold gesinnt,

Und daß ich demuthsvoll zu Euren Füßen,

Dies krieg'rische Gewinde legen darf! (Er legt niederkniend den Kranz zu des Königs Füßen; der König hebt ihn auf und

umarmt ihn, die Soldaten schlagen ihre Waffen zusammen und rufen)

Soldaten. Lang leb' der König und der edle Ethwald.

Die Begeisterung der Soldaten für Ethwald steigert

sich immer mehr, als derselbe alle Kriegsbeute unter sie vertheilt.

Zum Dank berauschen sie sein Ohr mit stür-

43 mischen Zurufen.

Zu Beginn des vierten Aktes zeigt

sich Ethwald in einem Selbstgespräche schon unter der

Herrschaft böser, ehrgeiziger Gedanken.

Das Nächste, was

folgt, ist, daß er nach seinem Schicksal forscht, indem er sich in den unterirdischen Raum der „mystischen Brüder

und Schwestern" begiebt.

Diese Scene ist zwar durch die

Hexenscene in Macbeth angeregt worden, — wie sich in

diesem Stücke ja allenthalben Anklänge an Shakespeare und

namentlich an dessen Macbeth finden — aber sie ist originell

ausgeführt.

Die Dichterin

beherrscht dies

halbdunkle

Element vollkommen, und da ist nichts, was die Stimmung zerreißen oder auch nur stören würde.

Ethwald sieht

zuerst die Zeichen seiner künftigen Macht: Krone und Scepter; dann vernimmt er Geschrei und Klagen derer, die unter dem Joche seiner Herrschaft leiden werden, und

sieht sich schließlich als gekröntes Schattenbild von Wund­

malen bedeckt.

Als er schwören will, nie Ursache zu

Gestöhn und Klagen geben zu wollen, wie sie an sein

Ohr gellen, wird er durch ein dreimaliges „swear not“, von geheimnißvollen Stimmen gesprochen, daran gehindert.

Er schreitet nun zum Königsmorde und zwar auf geeb­

netem Wege, da viele Thaus, sowie der Clerus mit dem

alten Herrscher unzufrieden sind.

Dieser wird bei einer

Berathung mit seinem Seneschall und anderen Würden­

trägern von den Verschwörern überfallen und erschlagen, Prinz Edward in Gefangenschaft gesetzt. Noch hat Ethwald eine Schwierigkeit zu überwinden, um auf den Thron zu gelangen, er muß Elburga's Hand gewinnen.

Seine

Werbung ist keine sonderlich gelungene Nachbildung der be­

rühmten Shakespeare'schen Scene, doch hat die Dichterin

44 mit richtigem Gefühle die schließliche Unterwerfung Elburga's dadurch vorbereitet, daß sie dieselbe schon vor der Er­ mordung ihres Vaters von einer Zuneigung für Ethwald

erfaßt sein läßt.

Mit der Werbescene schließt der vierte

Akt. — Im fünften Akte erscheint Ethwald als König

und Gemahl Elburga's.

seine Bahn zu fallen.

Tiefe Schatten beginnen auf

Die unglückliche Bertha, die seine

Untreue zum Wahnsinn getrieben hat, denn

noch

lebt

kommt auf das

Ihr Anblick bewegt ihn auf's Tiefste,

königliche Schloß.

etwas

von der alten Liebe in ihm,

während er sich von seiner königlichen Gemahlin abge­ stoßen fühlt.

Sodann wird er von unbekannter Hand

im

schwer

Gedränge

verwundet.

Er fühlt

sich

dem

Tode geweiht, und der Akt schließt damit, daß Ethwald

in Erwartung seines Endes von. seinen Getreuen Abschied

nimmt.

Der Leser ist von seinem Hinscheiden derart

überzeugt, daß er über die Fortsetzung der Dichtung im zweiten Theile zunächst erstaunt ist, bis er erfährt, daß

der neue König doch wieder gesundet -ist.

Die Dichterin

rechtfertigt

im

Vorworte

zu

dem

Bande Dramen, den sie 1802 erscheinen ließ, die Vertheilung des Stoffes von „Ethwald“ auf zwei Partieen, durch die Behandlungsweise, welche das Thema erforderte. „Um ein volles Bild dieser Leidenschaft zu geben, sagt

sie, war es nothwendig, ihren Gegenstand in verschiedenen Situationen zu zeigen, durch eine bedeutende Reihe von

Ereignissen hindurchgehend. Hätte ich unternommen, dies innerhalb der gewöhnlichen Grenzen eines Stückes zu thun, so hätte dasselbe ganz allein diesem einzigen Gegen­

stände gewidmet werden müssen,

so

daß jedes andere

45 Interesse, oder jeder andere Reiz ausgeschlossen geblieben

wäre."

Mit diesen letzteren Worten widerspricht Miß

Baillie in auffallender Weise ihren in jenem ersten Vor­

geäußerten

worte

Anschauungen,

welchen

zufolge

sich

im Drama alles Interesse auf die Hauptperson und die dieselbe beherrschende Leidenschaft concentriren soll.

Wir

wollen mit der Dichterin nicht darüber rechten, daß sie, um ein Entwicklungsbild des Ehrgeizes und seiner ver­

derblichen Folgen für den Menschen zu geben, den Raum von

zwei Trauerspielen

in Anspruch

genommen

hat,

sind jedoch der Meinung, daß sie bei energischerer Zu­ sammenfassung des Stoffes, bei Hinweglassung manches

Nebensächlichen und Episodischen mit einem Stücke reicht haben würde.

beiden

Theile

ge­

Doch können wir dein Ausbau der"

unser

Lob

keineswegs

versagen.

Die

Handlung ist lebhaft und bewegt, — wenn ihr Gefüge auch keineswegs jene strenge Motivirung aufweist, welches

das Drama erfordert — die fortschreitende Korruption

des Helden trefflich veranschaulicht. Daß der Dämon in Ethwald mit der Erlangung der königlichen Würde keineswegs befriedigt ist, sehen

wir gleich zu Beginn des zweiten Theiles.

Als Selred,

sein Bruder, und Ethelbert, ein Than, dem Ethwald schon

als Jüngling befreundet war, und die er beide zu hohen Würden erhoben,

die Segnungen des Friedens preisen,

erwidert er: „Ein Bild fürwahr sehr schön und wünschenswerth, Allein wie eng begrenzt! Wär's nicht ein gottGefäll'ges Werk, mit wohlgebrauchter Streitmacht Auf einmal seine Grenzen zu erweitern, Weithin den Segen zu verbreiten?"

46 Und in der That facht er einen neuen Krieg mit

und erkauft einen zweifelhaften

dem Nachbarstaate an, Sieg mit

Menschenopfern «und

ungeheuren

des Landes.

heerung

Aber schon

hat sich

der

Ver­

unter den

Thans eine starke Partei gegen den König gebildet, deren

Führer

der junge Hereulf,

bedrohlicher wird.

und deren Haltung immer

Auch Selred und Ethelbert gehören durch ihre Gesinnung, an.

derselben, wenigstens

Von

Mißtrauen und Furcht gequält, von seinen Creaturen, dem Abenteurer Alwy und dem Bischof Hexulf, welche

beide wieder die Königin beeinflussen, aufgestachelt, wendet

sich Ethwald nun gegen alle jene, von denen Gefahr zu drohen scheint.

Zuerst wird der edle Edward im Gefängnisse hinge­

schlachtet.

Die Scene zwischen diesem und seinen Mördern,

sowie die nächstfolgende, als König

sein

Leichnam vor den

sind gräßlich;

gebracht wird,

von

ergreifender

Wirkung dagegen die dritte Scene des dritten Aktes, wo Ethelbert

Selred,

und

Hereulf,

die

noch

nichts

von

Edward's Ermordung wissen, vor den König treten, um

des Prinzen Freilassung zu erflehen, und Ethelbert vor

dem König, den das Entsetzen übermannt, niederkniet. Im vierten Akt werden Selred und Ethelbert mit Hereulf

und

den

anderen aufrührerischen Thaus gefangen ge­

nommen. Während Selred und Ethelbert ermordet werden,

entkommen Hereulf und die anderen Thans aus dem

Kerker trauen,

und

werden

die Richter Ethwald's, den Miß­

Furcht und Krankheit nach und nach zu einem

Ebenbilde jener Schattengestalt gemacht haben, die er

in

der Höhle der

mystischen Brüder

und Schwestern

47 geschaut.

Gut veranschaulicht ist sein Seelenzustand, in

dem er die Mörder erwartet, gut erfunden sind die be­

gleitenden Umstände, — sein Rufen nach Elburga, seine

Angst, aus einem Pokale zu trinken, das Gesicht seines todten Bruders, das Erscheinen des Kammerdieners mit dem großen Hunde und der Schreckenskunde, daß eine rothe blutige Wolke den Himmel bedecke; gut ausgeführt

endlich ist die Mord- und Schlußscene selbst.

Stehen wir in „Ethwald-1 auch keinem Meisterwerke

gegenüber

sehr

und

lehnt sich die Dichterin darin oft allzu

an Shakespeare'sche Vorbilder an,

eine Dichtung voll Leben und Bewegung,

geistige

seltene

Voraussetzung.

heit,

Muskelkraft

ist es doch und hat eine

Erfindungsgabe

zur

Es enthält Scenen von großer Schön­

besonderes Lob

Hauptperson

und

so

und

aber

der

sie

verdient

die Zeichnung der

beherrschenden Leidenschaft.

Freilich: um wie viel höher „Etiiwald" auch steht als

„De Monfort“ und „Basil“, so zeigt sich die Dichterin

darin noch immer in dem Irrthum befangen, daß es im

Drama hauptsächlich auf die Charakteristik der Haupt­ person,

erst in zweiter Hinsicht auf die Handlung an­

komme.

Denn ist die Handlung der beiden Stücke auch

bewegt und reich gegliedert, so fehlt ihr doch, wie wir schon einmal bemerkten, die strenge Motivirung und Ein­

heitlichkeit.

Hervorheben wollen wir auch das Lustspiel „The Second Marriage“, welches das komische Seitenstück zu „Ethwald“

bildet.

Der Held ist ein ehrgeiziger Guts­

besitzer, Namens Seabright, der, um hohe Verbindungen

zu gewinnen, die ihm als Sprungbrett dienen sollen, in den

48 Adelsstand erhoben zu werden und in das Parlament

zu gelangen, die . alte, häßliche und geizige Lady Sarah,

die Schwester des Lord Stierest,

zur Frau nimmt,

zur

Verzweiflung seiner Kinder aus erster Ehe und zu seinem eigenen Unbehagen.

Als Adelsbries und Sitz im Parla­

ment glücklich errungen sind, fehlt noch ein standesgemäßes

Seabright läßt sich auf gefährliche Unter­

Vermögen.

nehmungen ein,

die schließlich seinen vollständigen pe-

cuniären Ruin herbeiführen.

Aber er lernt sein Unglück

als Glück betrachten: Lady Sarah befreit ihn und seine Kinder von ihrer Gegenwart, indem sie zu ihrem Bruder

zurückkehrt, während ein großmüthiger Verwandter die

Stütze der wieder aufathmenden Familie wird. Der nächste Band

der „Plays on the Passions“

Inzwischen gab die Dichterin 1806

erschien erst 1811.

einen Band „Miscellaneous Plays“ heraus.

Wir wollen

ihre Dramen jedoch nicht nach ihrer zeitlichen Aufeinander­ folge, sondern nach ihrer inneren Zusammengehörigkeit

besprechen, vor Allem aber, um weitere Unterbrechungen der Analyse zu vermeiden, sogleich Alles berichten,

was

wir noch aus dem Leben der Dichterin mitzutheilen haben. Bald nach dem Erscheinen der beiden ersten Bände

der „Plays on the Passions“ übersiedelte Joanna Baillie mit ihrer Mutter und Schwester nach Hampstead,

wo

sie bald mit aller Welt bekannt waren und wo die Nähe Londons

den Besuch vieler

möglichte.

Persönliche

Talente scheinen

geeignet

zu

allsgezeichneter Gäste er­

Anziehungskraft

jedem Mitgliede

haben,

besonders

und

gesellige

der Familie Baillie

aber war es Joanna's

freundliches, mildes und warmes Wesen, ihr glänzender

49 Geist und ihre vortreffliche Unterhaltuugsgabe,

welche

die Besucher fesselte. Unter den Beziehungen, die Joanna zu bedeutenden

Persönlichkeiten hatte, ist die interessanteste diejenige zu

Walter Scott wurde 1806 bei einem

Sir Walter Scott.

Aufenthalte in London von Southeby, dem Uebersetzer des „Oberon", Lady Joanna vorgestellt.

Er fand zwar

die Erwartung, die er sich von ihrem Aeußern gemacht,

— große Eleganz und Schönheit der Gesichtsbildung — nicht erfüllt, sah aber bald, daß da andere, höhere Vor­

züge vorhanden waren, als diejenigen, welche er an ihr vermißte.') Doch besaß Joanna Baillie, nach dem Bilde

zu urtheilen,

welches der Gesammtausgabe ihrer Werke

von 1853 beigegeben ist, regelmäßige und sympathische, wenn auch etwas starke Züge, und daß Scott selbst ihr

Antlitz bei näherer Bekanntschaft durchgeistigt und cha­ rakteristisch fand,

wo er sagt:

geht aus einer Tagebuchnotiz hervor,

„ich wollte für ein gelungenes Bild von

ihr ebenso viel geben, wie für irgend eins in der Welt."')

Dramatikerin und Erzähler wurden bald die besten Freunde. Sie standen besonders in den ersten Jahren ihrer Be­

kanntschaft in eifrigem Briefwechsel.

London,

so

Kam Scott nach

zählten Miß Joanna und ihr Bruder zu

seinen liebsten Bekannten und zweimal war seine Tochter

der Gast der Baillie's; ebenso besuchte Joanna Baillie die Familie Scott jedesmal, wenn sie in die Heimath reiste.

Zu den

Miß Baillie

persönlichen Sympathien,

und Walter Scott herrschten,

die zwischen

kamen die

3) Lockhart, Memoirs II. p. 101. 2) Lockhart, VII, p. 125. Druskowih, Essays.

4

50 stärksten literarischen. Walter Scott zollte Miß Baillie'K Dichtungen eine Bewunderung, welche mitunter vielleicht den Charakter der Ueberschätzung annahm. Bekannt sind die schönen Verse, die er ihr in „Marmion-1 ge­ widmet. ') Sie sind wohl die größte Auszeichnung, die eine hochbegabte Frau von Seiten eines genialen Atannes

erfahren hat. In einem Briefe sagt Scott, daß Vliß Baillie's Stücke eine Revolntion in seinen Anschauungen über das Wesen des Dramas bewirkt hätten. Er nahm

sich seiner Freundin auch thatkräftig an, und durch seine Vermittlung gelangte 1810 die „Familienlegende" am „New Theatre Royal" zu Edinburg mit außerordent­ lichem Erfolg zur. Aufführung. Die Jnscenirung des

Stückes erfolgte bis in's Kleinste unter seiner Anleitung, auch schrieb er einen Prolog dazu. Wahrhaft rührend ist der Bericht, welchen er der Dichteriit über die erste Aufführung schickte, und der mit den Worten beginnt: „Sie brauchen sich nur Alles vorzustellen, was Sie

*) „Restore the ancient tragic line And emulate the notes that rung From the wild harp, that silent hung By silver Avons holy shore Till twice an hundred years rolled over, When she the hold enchantress came With fearless hand and heart in flame! From the pale willow snatched the treasure And swept it with a kindred measure, Till Avon’s swans, while rung the grove With Monfort’s hate and Basil’s love, Awakening at the inspired strain, Deemed their own Shakespeare lived again.“

51 für dm Erfolg eines Stückes wünschen können, und Ihre

Meinung wird immer noch hinter dem vollständigen und entschiedenen

Triumph

der

„Familienlegende"

zurück­

Und an seinen Freund Morritt schrieb er:

bleiben!"

„Miß Baillie's Stück wurde gestern glänzend aufgesührt.

Wir weinten, bis unsere Herzen wehe thaten und klatschten, bis

unsere Hände Blasen bekamen.

mehr?"

Was konnten wir

Das Stück wurde vierzehn Mal hintereinander

gegeben und später noch oftmals wiederholt.

Schließlich

empfahl Walter Scott das Drama auch an einen Verleger.

Es ist ihm gewidmet.

1806 starb Mrs. Baillie, die sich, wie ihr Gatte, so lange sie lebte, durch Charakterstärke und hohe Grlmdsätze ausgezeichnet.

Sie war kurze Zeit vor ihrem Tode

vom Schlage gerührt worden und bedurfte von da an ununterbrochener

Pflege,

hauptsächlich

die

kräftigere Joanna besorgt wurde. besuchten

durch

die

Im nächsten Jahre

die Schwestern die alte geliebte Heimath, der

sie im Herzen treu geblieben, deren Mundart sie nie ganz abstreiften.

Sie sahen die Plätze ihrer Kindheit wieder

und hielten sich längere Zeit in Edinburg auf.

Völlig

unbekannt und ohne ein hervorragendes Talent zu ver­

rathen,

hatte Joanna Baillie Schottland verlaffen,

gefeierte Dichterin

die

alte

kehrte sie dahin zurück.

unbefangene Heiterkeit

vorhanden.

Man kann

sich

war

als

Aber auch

nicht mehr ganz

vorstellen,

daß

sich

in

Edinburg Alles, was Geist und Talent besaß, um die gefeierte Schriftstellerin drängte.

t) Lockhart II, p. 270 ff.

Lebhaft wünschte Lord

52 Jeffrey ihre Bekanntschaft zu machen, sie wich ihm aber

aus, da sie in der von ihm herausgegebenen „Edinburgh Review" hart angegriffen worden war.

später gelungen,

Lord Jeffrey

nähern.

Nur noch einmal,

Doch

es

Dichterin zu

der

sich

1820 —

im Jahre



ist

sahen die Schwestern die theuere Heimath wieder, und

es

war diesmal,

ford besuchten.

sie

daß

Walter

Scott

Abbots­

in

An Familientraditionen erinnert, schrieb

Joanna damals die Balladen „William Wallace" und

„Lady Griseld Baillie."

Noch, traf sie ein schwerer Schlag,

Bruders, der 1837

und

Dasein ruhig

stead

nicht mehr.

ereignißlos. Mit dem

literarische Produktion

so

der Tod ihres

Von nun an verfloß ihr

erfolgte.

Sie

Jahre

ziemlich

Hamp-

verließ

1836

war ihre

abgeschlossen.

Die

jüngere Generation erwies sich ihren Werken schon we­

niger zugänglich, als diejenige, Auftretens in

Amerika

gewesen.

bekannt,

Doch

und

die Zeugin ihres ersten

wurde die

die

Dichterin

„Michigan

Society" ernannte sie zu ihrem Ehrenmitglieds.

nun

Historical Es war

Joanna Baillie beschieden, ein sehr hohes Alter zu er­

reichen und fast Alle, die

mit ihr jung gewesen,

zu

überleben. Wenden wir uns, nachdem wir bei diesem Punkte angelangt sind, zurück zu dem dritten B.and der „Plays on the Passions“,

den die Dichterin 1811 erscheinen liefe.

Derselbe enthält zwei Trauerspiele, deren treibender Affect Furcht ist.

Es sind dies „Orra" und „Der Traum".

In der That hat weder vorher noch nachher ein Dichter

jenen Affect für fähig befunden, als Grundthema eines

53 Miß Baillie, die sich wohl bewußt

Dramas zu dienen.

war, welches Wagestück sie unternahm, Vorworte zu diesem Bande:

wenigstens durch

bemerkt in dem

„Man hat geglaubt, daß

in einer Tragödie der Hauptcharakter nicht

gelenkt

diesen Affekt

werden könne,

ohne

sich

so sehr zu erniedrigen, daß er unfähig ist, Interesse und Sympathie des Zuschauers zu erregen.

Ich bin dennoch

geneigt, zu denken, daß selbst Furcht, die unter gewissen Verhältnissen

und

in

gemeine Leidenschaft

einem gewissen Grade

ist,

ein

Gegenstand

sei,

eine all­

der im

tragischen Drama, wie auch oftmals im wirklichen Leben

sehr interessant und folglich nicht verwerflich ist."

Man

erinnert sich sogleich an ein ähnliches Wagniß Heinrich

von Kleist's, dem Banne

der seinen Prinzen von Homburg unter der Todesfurcht zeigt.

Doch ist hier die

Furcht als ein vorübergehender Seelenzustand hingestellt,

von dem sich der Held befreit und zu einem höheren sich erhebt, während Miß Baillie in den genannten Dramen

das Endschicksal ihrer Helden durch diesen Affect bestimmen läßt.

Wir denken, daß jeder, der sich über das Wesen

des Tragischen klar geworden ist, mit uns in der Ver­ werfung dieses Experimentes übereinstimmen wird. Eine Person, die dauernd von Furcht beherrscht wird und ihr

schließlich zum Opfer fällt, vermag, wie natürlich ihr Seelenzustand auch dargestellt sei, nimmermehr jene Ge­

fühle in uns zu erregen, uns hervorbringen soll.

die der dramatische Held in

So sind sowohl „Orra" als.

„Der Traum" vom dramatischen Standpunkte aus als

verfehlt zu bezeichnen, was nicht ausschließt, daß beide Stücke ächte Poesie enthalten.

Dies gilt besonders von

54 den ersten Akten der „Orra".

Unbegreiflicherweise stellte

Walter Scott diese Stücke auch als Dramen sehr hoch.

daß es der

Für uns sind sie nur ein neuer Beweis,

Dichterin oft in auffallender Weise an richtiger Einsicht in das Wesen des Dramas gefehlt habe. In „Orra" ist nun gar Gespensterfurcht das leitende

Motiv.

Tod,

so

Diese treibt die Heldin, wenn auch nicht in den doch

zum Wahnsinn.

Wir müssen über die

Naivetät lächeln, welche vermeint, auf dieser Grundlage

allen Ernstes eine Tragödie aufbauen zu können.

wunderung

verdient

jedoch

gleichwohl

die

Be­

Zeichnung

Orra's, der Heldin, einer merkwürdigen und bezaubernden Mischung von äußerster Erregbarkeit, schalkhafter, über­

müthiger Laune und tiefster Dlelancholie.

Orra ist das

Mündel des Basler Grafen Hugobert von Aldenberg, der sie vergebens zu überreden sucht, Glottenbal, seinen un­

ritterlichen und ungeschlachten

Sohir,

zum

Gatten

zu

nehmen, während sie den tapferen Ritter Theobald von Falkenstein

liebt.

Als

Graf Hugobert wieder einmal

erfolglos in sie gedrungen ist, schickt er sie auf den Rath

und

in

Begleitung

des

schändlichen

Rüdiger,

eines

Bastards der Familie Aldenberg, der eine. Leidenschaft für Orra gefaßt,

nach

einem

einsamen

Schlosse im

Schwarzwalde, das in dem Rufe steht, der Schauplatz gespenstischen Spukes zu sein, um sie, die der Gespenster­

furcht in höchstem Maße unterworfen, fügsam zu machen.

Orra verbringt, theils von der Zudringlichkeit Rüdigers, theils von Gespensterfurcht gequält, eine schreckliche Nacht

auf dem Schlöffe.

Der immer näher kommende Schall

von Jagdhörnern und Hundegebell wird von ihr für die

55 wilde Jagd

delirien.

gehalten und

sie in

versetzt

Schreckens­

Es ist jedoch Theobald von Falkenstein, welcher

dem Schlosse naht, um die Geliebte ihren Peinigern zu

Als

entfilhren.

er

aber

in

Orra's

dunkles Zimmer

tritt, wird er von ihr für eine Erscheinung gehalten und

er

eine Wahnsinnige mit sich.

nimmt

Groß ist Graf

Hugoberts Entsetzen, als er die Folgen seiner Barbarei

inne

wird,

und er büßt in noch schmerzlicherer Weise

dafür, indem Gloltenbal von dem eifersüchtigen Rüdiger getödtet wird.

Das Einzige, was uns mit diesem verfehlten Stücke zu versöhnen vermag, ist wie bemerkt die feine Zeichnung

der Hauptgestalt, besonders wie sich dieselbe in den ersten Akten darstellt.

Wir wollen zur Probe nur einen Dialog

zwischen Orra und Gloltenbal wiedergeben (1. Akt, 3. Scene),

welch' letzterer kurz vorher von Theobald von Franken­

stein im Zweikampf besiegt worden ist.

Auf der Bühne

befinden sich zuerst Hugobert, Eleonore, dessen Gemahlin und Glottenbal.

Dann erscheint Orra, fröhlich einher­

trippelnd und mit den Falten ihres Ueberwlirfes spielend, Glottenbal.

Euer Schritt erscheint mir munter, schöne Dame!

Orra.

Und kränkt euch dies, mein edler Ritter? Geht!

Glottenbal.

Ich kenne euch, doch warum lächelt ihr?

Orra.

Weil meine Seiten müde und inich schmerzen,

Als daß ich länger Kraft zum Lachen hätte. Glottenbal.

Ich weiß sehr gut, was euch so lustig macht.

Ihr denkt an ihn, dem ihr gabt jenes Reis

Von hoffnungsvollem Grün, den Helm zu schmücken, Da er zu euren Füßen legt, sein Schwert.

56 Orra.

Sagt doch an ihn, der, was noch ritterlicher,

Von seines stolzen Renners Rücken legt

Sein edles Selbst zu Füßen mir und dann Sich unbedankt hinwegstahl, nichts zurückließ Kein Fetzchen seines Kleids, im Staube flatternd,

Daß ich's zum theueren Gedächtniß trüge In meinem Aermel.

Es beleidigt mich,

Denkt ihr, mein Lachen könnte sich beziehen Auf einen anderen, als ihn. (Lachend.)

Eleonore.

Nein, Orra, diese wilden Lachanfälle

Erscheinen seltsam und nicht angemessen, Dem dunklen Grundton eures Geists, wie er

Seit Kurzem sich uns zeigt. Orra.

Es ist nicht seltsam, holde Eleonore!

Saht ihr denn nie der Schwalbe Schaukelbrust Die Luft durchschneidend, unter dunklen Wolken

Im Sonnenstrahle eines stürmischen Tags

Im Silberglanze hell erschimmern? oder Des Bootsmann's Ruder, leuchtend wie ein Blitz

Im Dämmerlicht, das wie 'nen Geisterpfad Die Fläche eines düstern See's durchfurcht?

Ein einsam Schloß, das zwischen braunen Wäldern

Beim Scheidegruß der Wintersonne zeigt Ein schnelles Leuchten, das die Nacht verhöhnt, Die es in Dunkel hüllt? Vieledle Freundin!

Zürnt nicht dem Lächeln jener, welche gestern

Betrübt war und es morgen sein wird. Glottenbal.

Weshalb betrübt? ist es nicht eure Laune,

Die euch betrübt macht? Andre Damen wären Beglückt und froh bei solchen Huldigungen.

Orra.

Wohl muß es Laune sein, bin ich betrübt,

Wo solch' ein Ritter um mich wirbt.

Doch sagt:

Wo lerntet ihr mit solcher seltenen Anmuth

Beschiente Füße in die Luft zu werfen Den Sand erfassend mit gespreizten Fingern? .Ich staunte um so mehr ob eurer Kunst, Da ihr von allen euren tapfern Thaten, Die ihr vorher versprochen, höchst bescheiden Nur diese nie erwähntet. Glottenbat. Spottet nur! Ich achte nicht darauf! Im offnen Kampf Und wenn nicht schwarze Künste mich .... H u g o b e r t (ans bim Hintergründe der Bühne hervortretend,

heftig zu

Glottenbal).

Gieb Frieden! iju 0rr°). Ihr, Dame, aber seid gemäßigter In eurer wilden Laune. Orra. Perzeihung: Herr, ich wußt' nicht, daß ihr nah. Wild ist mein Geist, mit euerer Erlaubniß Will ich hincingeh'n, bis er sich besänftigt. Das Thema des „Traumes" ist Todesfurcht.

Der

esprit de corps erlaubte Miß Baillie nicht, wie sie selbst

sagt, nur eine Person ihres Geschlechtes unter dem Banne der Furcht stehend zu zeigen, womit sie, im Widerspruch mit

früheren Aeußerungen,

etwas

die Furcht doch selbst als

ziemlich Unwürdiges bezeichnet.

sie im „Traum"

einen

tapferen

Deshalb wählt

General

zur Haupt­

person, der auf dem Schlachtfelde ein Held ist, den aber

der Gedanke, auf dem Richtplatze den Tod erleiden zu

müssen,

mit äußerstem Grauen erfüllt,

sein Henker wird.

so daß derselbe

Das ist ohne Zweifel psychologisch

möglich und es gelingt der Dichterin auch vollkommen,

uns Erwachen und Steigerung der Todesfurcht — die

als Sühne

für

ein Verbrechen

in „Orra" von einem Vergehen,

gefaßt wird,

während

also auch von einer

58 Sühne nicht die Rede ist — bei ihrem Helden begreiflich zu machen. Doch eine Tragödie aus diesem Motive zu schaffen,

das ist ihr nicht gelungen, das konnte ihr nicht gelingen.

Die Fabel des „Traumes" ist folgende.

Die Gegend

des Schweizer Klosters St. Moritz ist von einer Seuche

heimgesucht, — als Zeit des Stückes ist das 14. Jahrhundert gedacht — nur das Kloster selbst noch davon verschont. Da hat der Senior des Klosters dreimal eine Vision, die

ihm verkündet, daß die Gegend nur dann von vollstän­ diger Verheerung bewahrt bleibe, wenn von der nächsteil Heeresabtheilung, die durch die Thäler ziehe, ein Soldat ausgelost werde, der eine Nacht im Kloster verbleiben und dort für seine Sünden büßen solle.

An dem Tage,

welcher der Nacht folgt, in der der Senior das Traumbild zum dritten Male gehabt, erscheint der kaiserliche General Graf Osterloo

mit

seinen Truppen

dem Kloster.

vor

Der Prior theilt dem General das Gebot des Traumes

.mit

und

das Loos

trifft Osterloo selbst.

Dieser hat

einst einen Nebenbuhler meuchlings ermordet und die rechte Hand ihm abgehauen, von dem er weiß, daß seine Ge­

beine in dem Grabgewölbe des Klosters ruhen.

Als er

nun im Kloster von dem Senior hört, die Vision sei die eines

glänzenden

Ritters

gewesen,

derselbe habe dem

Senior gewinkt, ihm ins Grabgewölbe zu folgen, wo­

selbst er verschwunden sei,

erinnert sich Osterloo seiner

That und heftiges Grauen überfällt ihn.

Immer stärker

und auffallender wird seine Verwirrung jedoch, als man in seiner Gegeinvart die Stelle untersucht,

Traumerscheinung verschwunden

dem die rechte Hand fehlt.

an

der die

und ein Skelett findet,

59 Bon Entsetzen überwältigt, bekennt Osterloo schließlich

seine Schuld. Der Prior versammelt die Mönche, um über des Verbrechers

die Bestrafung

Schiedsspruch

lautet:

Osterloo

Als

Tod.

und

berathen

zu

seine

ihr

Ver-

urtheilung vernimmt, verwandelt sich sein früheres Grauen in das Gefühl bebender Todesangst.

den Prior

so weit,

niederzuknieeu.

Dieser aber ist unerbittlich.

Rettung

scheint

Er erniedrigt sich

um Gnade zu flehen und vor ihm

möglich.

In

der

Doch noch

Nähe des Klosters

wohnt nämlich Osterloogs Jugendgeliebte, die Marquise

Leonore.

Als sie von dein Schicksale hört, das jenem' be­

vorsteht, verkleidet sie sich als Alönch, — Verkleidungen

sind ein in Miß Baillie's Dramen häufig angewandtes Aus­ kunftsmittel — und versucht dem Geliebten die Flucht zu ennöglichen, die durch die Wache des Klosters jedoch vereitelt

Die Stlmde der Hinrichtung-ist gekommen, schon

wird.

kniet Osterloo vor dem Blocke, als der kaiserliche Gesandte,

den Eleoiiore rasch verständigt, mit dem Befehle herbei­ stürzt, Osterloo zu schonen.

Allein es ist zu spät, die

Furcht hat Osterloo getödtet. Einen

geringen Dienst

würden

wir

sowohl

der

Dichterin als auch dem Leser erweisen, wenn wir das komische Gegenstück von „Orra" „die Belagerung", sowie

die

und

vom „Traum",

übrigen Leistungen Miß

Baillie's auf komischem Gebiete aualysiren wollten. selben

sind

trotz

einzelner

Die­

guter ©eenen und witziger

Gedanken, im Allgemeinen, sowohl in Bezug auf Erfindung

als auf Ausführung, nicht

entfernt mit

verglichen werden.

schwach zu nennen und

können

den ernsten Dramen der Dichterin

60 aus der

zwei Tragödien

Es erübrigen nun noch

Reihe der „Plays on the Passions“ : erstens „Romiero",

desien

Hauptmotiv

Eifersucht,

zweitens

„Henriquez",

Diese Tragödien erschienen jedoch

dessen Thema Reue.

zuerst nicht unter dem Titel „Plays on the Passions“,

sondern standen an der Spitze der drei Bände „Dramas", welche

die

Dichterin

1836

herausgab.

anderen

Die

„Dramas“, welche verschiedene Themen behandeln, ver­ einigte

die

Dichterin

in

der

Gesammtausgabe

ihrer

Werke in Einem Bande mit der „Family Legend“ und den

1806

erschienenen

letzterem Titel.

„Miscellaneous

Plays“

Wir übergehen „Romiero",

schwächsten Leistungen

der Dichterin und

unter

eine

den

roenbeti uns

sogleich zu „Henriquez", dem bedeutendsten, abgeschlossensten und künstlerisch vollendetsten all ihrer Dramen.

Richt

daß dasselbe ohne Gebrechen wäre, wir werden vielmehr

zu Anfang

gleich Fehler

in

der

unserer Analyse einem sehr großen

Motivirung

begegnen,

aber

es

ist

abgesehen davon doch das reifste und in jeder Hinsicht

befriedigendste ihrer Dramen.

Die Zeit des Stückes ist

der Beginn des 13. Jahrhunderts. Diego, ein alter Diener des Don Henriquez, des ruhmreichen Feldherrn König Alonzo's von Castilien, hat

irrthümlicherweise Donna Leonore, die Gemahlin seines Herrn, in Verdacht, während der letztere sich im Kriege befand, mit dessen Freunde, DonJuan, ein Liebesverhältniß

unterhalten zu haben.

Wohl war Don Juan in dieser

Zeit oft auf dem Schlosse des Don Henriquez erschienen,

aber die.Liebe zu Mencia, der Schwester Leonore's, hatte

ihn dahingeführt.

Und obwohl Mencia selbst den jungen

61 Ritter Antonio bevorzugt, ward Don Juans Werbung doch

von Leonoren unterstützt, der es auch gelang, die Schwester nachgiebig zu nrachen.

Das Verlöbniß sollte eine Ueber-

raschung für Henriquez sein.

bedeckt von

dem Feldzuge

Als dieser nun mit Ehren zurückkehrt, ruht Diego in

seiner Verblendung nicht eher, als

bis er einen Brief

in seine Hände gespielt, worin er ihn vor Don Juan warnt.

Henriquez achtet jedoch nicht darauf, und nun

stehen wir schon vor dem Hauptfehler des Stückes: an­ statt daß Henriquez' Eifersucht durch die Vorkehrungen des alten Dieners erregt wird, ist es hauptsächlich ein

Liebesbrief Antonio's an Mencia,

welchen er zufällig

findet und in falschen Zusammenhang bringt, der den

verderblichen Brand in seine Seele wirft.

verineintlichen Nebenbuhler suchen

Er geht den

und findet und er­

mordet ihn in einem Hain in der Nähe seines, Henriquez',

Schlysses, und zwar in derselben Nacht, in der ein Fest auf demselben gefeiert wird, wo Don Juan und Niencia

als Verlobte vor Henriquez raschen

sollten.

Das

erscheinen und ihn über­

Auftreteir

und

Gebühren

des

Henriquez beim Feste, — bei dem unerwartet auch der König erschienen ist —

nachdem

die That

geschehen,

die Wirkung, welche die Schreckenskunde, die ein Page überbringt,

auf die Versammlung macht, bekundet die

feste Hand

der Dichterin.

Als Henriquez

seinen un­

seligen Irrthum gewahr wird, was nicht am Feste selbst,

sondern erst später und zwar durch gewisse Schriftstücke,

welche sich im Nachlaffe Don Juan's finden, geschieht, überfällt ihn gränzenlose Reue. Am Grabe des ermordeten Freundes klagt er (3. Akt, 3. Scene):

62 Und hier ruhst du mit allen deinen Zierden! Hier schläft die hohe (Sees, —die Glanzgestalt, Das Herz erfüllt von ächter, wahrer Liebe! Dies ist dein Schlaf, dies ist der Dank, der Löhn, Den deinem edlen Sinn dein Freund gespendet.

Dein Freund! o wildes Herz, o böse Hand! Boll Grimm, voll Haß, gemein, treulos und feig,

Von allem Schlechten, das der Himmel ausstieß, Das Elendste, Fluchwürdigste!

O hätte mich vorher der Staub bedeckt, Wie eine Schlang', zermalmt, eh' sie geschadet, O hätt' in blut'gen Sumpf ein Maurensäbel

Dies Herz geschleudert, — den versteckten Sitz Des Blutdursts! oder hätte schon ein Pfeil,

Ein fehlgeschoss'ner, als wir Knaben waren, Die Brust durchbohrt! Dann hätt' auf meinem Grabe,

Dem frühen, Brudersthränen er geweint,

Hätt' dort gesessen und um mich getrauert, Wär' auch aus allen andern Menschenherzen

Erinnerung an mich entschwunden. O Juan! Juan, mein theurer Freund! Juan de Torva!

Dein Name ist wie einst auf meinen Lippen; Deitt Bild im Geist als ob's sich regend lebte;

In meinem Herzen die Gestalt wie damals, Als sie mein Sein verschönt! O, wie er aussah, Wenn er nach längerm Fernsein wiederkehrt' Mit offnen Armen! O, wie martert's mich!

Mög' mein Gehirn ein anderes Bild durchkreuzen!

Nein, nein, nicht dieses! — Schwarzes Grabesdüster Verkörp're meinem Aug' ein schrecklich Ding, Ich will ihm trotzen! (Abbrechend und umherblickend.) Es wird! es wird! darin ist Form, Bewegung! Heran, ehrwürdiges Bild, was du auch seist!

63 bist nicht xx\imn, dies sagt die I^rohgeberde.' (?in Scheinbild war cs nur.' Die Seele stieg Ihw, der ja der Seelen Seele ist, Staube kehrt der Staub. Hier ist ja nichts, Als stille A'uh', die nicht geweckt kann werden. Hier unten liegt er, wen'ge Spannen tief, So nah' wir, doch verhüllt.' — Obgleich verflltcht, Die ^iebesbatide wirket: dtlrch die Erde Wie Zauberkraft und ziehen mich zu ihn:. (2tdj auf das tirab roe. fcnb.)

Brich, schuldvoll Herz! Es reg' 'kein Nerv nch mehr! Wie dieser sei empsindüngsloier Staub, Den bessern Staub für immer 511 umschließeni" Bei der Nachforschttiig nach Ton Juan's Bkörder wird

zuerst der junge Antonio für diesen gehalten und in'6 Gefängniß geworfen.

Henriquez wird vom Grabe Dotl

Iuair's zum Verhör geholt.

Nicht sogleich ist er mit

sich einig, den Jrrthuni, in dem der Gerichtshof befangen,

zu enthüllen; als er aber den edlen Antonio im Ge­

fängniß besucht, ihn voll Gelassenheit und hohen Muthes findet und sein, Henriquez', Vorschlag,

verhelfen ztl

ihm zur Flucht

wollen, von ihm zurückgewiesen wird, da

ist Henriquez der Weg

fest

vorgezeichnet,

den er zu

nehnten hat. Er stellt sich dein Könige in der Versammlung

der Großen des Reiches zu Zamora.

Wir geben die

schöne Scene ganz wieder. (Heuriauer, gefolgt von seinem freunde Carlos und Antonio zu dem Könige tretend, bei' nch erhebt, ihn zu empfangen.)

König. Auch du, mein tapfrer Freund, ein Bittender? Henriquez. Ein armer Supplikant. König. Der nichts bedarf. Nenn' deine Wünsche tmd sie und gewährt.

64 Henriquez.

Doch, was ich bitte — eine ernste Gabe, —

Muß feierlichst mir zugesagt sein, Bevor ich's nenne.

K ö n i g.

Seltsames Verlangen

Doch sind mir über allen Lohn erhaben

Ja deine Dienste, und ich weiß, es ist Des Landes Wohl und deines Herrschers Ehre

Dir theuer, wie du's sattsam ja bewiesen,

Um noch zu zögern, dir mein Wort zu geben.

So sei es denn! Dein Wunsch ist dir gewährt.

Henriquez, König.

Nein, schwört es aus mein Schwert!

Was soll das sein? mißtraust du deinem König?

Henriquez.

Als letzthin Euer fürstlicher Besuch

Mich ehrte, gabt ihr diesen Ring mir, sprechend

Die gnäd'gen Worte, wenn durch Schicksalszwang

Ich ihn zurückerstatten müßte, sei mir Gewähret jede Gnade, die ich wünsche.

Hier Eure hohe Gabe, doch mein Wunsch ist, Daß ihr auf dieses Schwert schwört, mir zu geben,

Was mein Verlangen ist! (Hält sein Schwert dem Könige bin, der seine Hand darauf legt.)

König.

Ich kenne dieses Schwerts geweihte Klinge,

Die du im Kampfe von dem Maurenfürsten

Durch Heldenmuth gewannst! wie sollt ich bangen Vor einem Eid' auf dieses Schwert geschwor'n?

Ich schwöre bei der Ehre eines Kriegers

Die Bitte zu erfüll'n, was es auch sei. Erklär' dich, Henriquez.

(Paus,.)

Du bist so blaß Und schweigsam auch; ich harre deiner Worte.

Henriquez.

Mir fehlt der Athem — Doch es ist vorüber.

Nun kann ich sprechen.

Hier ist ein Verbrecher,

Deß' Schuld vor Eurer Hoheit nach Gebühr

65 In Kürze sei bezeugt; und meine Bitte,

Daß Eure Hoheit ninuner ihn begnad'ge, Wie sehr Ihr auch zur Milde seid geneigt, Wie sehr man iminer zu Euch flehen mag, Sie zu beweisen.

König.

Das setzt mich in Erstaunen, denn bis jetzt'

Beseelte Milde und nicht Blutdurst dich. Henriquez.

Doch jener hat mit selbst'scher Grausamkeit,

Mit schwarzem Uudailk, niedriger Mißachtung

Bon Allem, was da heilig ist an Banden, Die Herz mit Herz verketten, — doch was sag' ich?

Mir fehlt zu athmen Raum. (Oesfnet sein WammS mit Heftigkeit.)

Ihm war ein Freund,

Treu, offenherzig, großen, edlen Sinnes, Sein Anblick schon gab sicheres Gewähr

Der Welt, 'ob Mensch, ob Engel ihn verklage, Daß schuldlos er, — und doch erschlug er ihn.

Ein Freund, deß kräftigende Liebe Halt Und Schutz und Trost war seiner wilden Jugend —

So stark war sie! — und doch erschlug er ihn. Ein Freund, der seinen innigsten Gedanken

Von Erdenglück und Himmelsseligkeit

Einfügt' sein Bild und dem ein Sonderglück Nicht möglich schien — und doch erschlug er ihn; Wie'n Räuber überfiel er ihn im Dunkel, Und stieß ihn weg von Leben, Licht und Welt, Unvorbereitet für den großen Wechsel Des Todes. Diese fluchenswerthe That Hat er verübt.

Deshalb laßt auf sein Haupt

Die ganze Schwere des Gesetzes fallen. König. Wie kannst du glauben, daß ich diesen Menschen

Begnad'gen wollte? Wär' er auch mein Bruder, Druskowitz, Essays.

5

66 Ich würd' ihm nicht verzeihen.

Zeig' den Frevler.

(Die, welche Antonio bewachen, führen ihn vor.)

Henriquez

(der mit der Hand ein Zeichen giebt, daß sie stehen bleiben).

Nehmt seine Fesseln ab, denn er ist schuldlos. König.

Was soll das heißen? Zeige den Verbrecher!

Henriquez

(mederkmend).

Mein Fürst, mein Herr, er liegt zu Euren Füßen.

(Ein Schrei der Bestürzung schallt durch den Saal; der König, der zurückwankl, wird

von einem Bediensteten gestützt,

während Carlos und

zu Henriquez stürzen,

seinen Fesseln befreit ist,

welch'

letzterer von

tnien sortfährt,

und sich mit

Antonio,

der zu

tiefer Trauer über.ihn beugen.)

König

(gefaßter).

Steh' aus, Don Henriquez d'Altavera! (Indern er sich abwendet.)

Hebt ihn empor, laßt mich ihn nicht so sehen! (Er bedeutet der Menge sich zurückzuziehen und bleiben der König, Henriquez, Carlos und Antonio allein auf der Bühne.)

König

(zu Carlos).

Carlos,

dir gilt mein Zorn,

der du

dabeistand.'st Und littst, daß solche Täuschung ich erfahre.

Carlos. Verurtheilt mich nicht, Herr, ich täuscht' mich selbst,

Als ich den Jüngling für den Thäter hielt. Dies schwör' ich bei der Ehre eines Kriegers.

König

(zu Henriquez).

Weh, Henriquez, du hast mit arger List

An mir gehandelt! Gern verlöre ich Die schönste Stadt, die je dein Schwert erobert,

Hätt' ich die Freiheit, dir das zu verzeihn,

Was du verübt hast, eine That, die sicher Zu streng beurtheilt deine hohe Seele. Du hast im Rausche eines jähen Zorns

Gehandelt wie ein Rasender, der dort Am Schwersten fehlt, wo er am Meisten liebt.

Henriquez. Nein, nein, ich that's mit höll'scher Ueberlegung.

Wohl zog an mir vorbei die früh're Liebe Mit ihren schönen Zügen, edlen Kräften,

67

Sie zog an mir vorbei und kehrte wieder, Sie sprach mit Macht für ihn, und ward verworfen. König. O geh! du hast ein wildes Phantasiespiel, Das dir das Urtheil trübt. Latz mich gewähren! Das Wohl des Staats erheischt dich, Eide, die Dem Anspruch feindlich, binden nicht, wie billig. Henriquez. Es sind in Eurem Königreich viel Edle, Die diesem Staate besser dienen können, Wenn ailch mit bess'rem Willen nicht, als ich. ' (Sein Schiveil zu des Königs Fügen legend.)

Hier scheide ich von Ehren, Kampf und Waffen; Es soll kein Kriegerschwert, kein Feldherrnstab Von dieser Mörderhand erfaßt mehr werden. (Sure Hoheit habt bei eines Fürsten Ehre Euch mir verpflichtet und Ihr bleibt verpflichtet. König. Ach, wenn es sein mutz, du entschlossener Geist! Doch überleg dir's, es sei das Verhör Um einen Monat — um ein Jahr verzögert. Henriquez. Um keinen Tag. König. Du bist zu eigenwillig. Mit welchem Rechte widerstrebst du mir, Ist es mein Wunsch, das Arge zu verzögern? Henriquez. Das Ansehn des Gesetzes macht mich kühn. Als Erbe Don Juan's verlange ich Mit Recht des Mörders schleuniges Verhör. Auch würde die Verzögerung nichts nützen. Wie viel verborg'ne Wege giebt es nicht Für einen Schurken, der das Leben haßt .... Es wünscht mein Herz dies Opfer, lechzt danach, Da dies allein ihm nur kann wiedergeben Des Himmels Gnade und der Menschen Achtung. Carlos. Henriquez, zu spröd' ist dein Gewissen. Henriquez. Still, Carlos, still! sei nicht mein Feind! 5*

68 Es wär' mein größter Feind, der meinen Tod Verhindern wollte.

Ist dies erst vorüber,

Dann laß die Liebe meines hohen Herrn,

Der Kampfgenossen, aller braven Männer, Zu mir sich wieder kehr'n.

Ein edler Schatz,

Der mein Gedächtniß wird vor Schmach bewahren!

König

(ihn umarmend).

Ob lebend oder todt, du wirft ge­

ehrt sein! Ich will nicht länger deine Wünsche tadeln. Du wirst für diesen feierlichen Akt

Dich vorbereiten wollen.

.Carlos führ' dich,

Wo du magst ruh'n und nöth'ge Hilfe finden. (Geht.)

Henriquez. Nun, Freunde, kommt, bis das Verhör mich ruft. (Geht und bleibt wieder stehen.

Zu Carlos.)

Ich lehne deine Hilfe jetzt nicht ab;

Ich bin befreit von einer schweren Bürde, Darf eines braven Mamies Hand erfassen,

Und fühl'n, daß wir verwandt. Carlos

Mit Allem, was da heißt das Größte, Beste,

Bist du verwandt.

Ich kann nicht sagen, was

Ich für dich fühle, edler, großer Mann! Henriquez

(zu Antonio).

Auch du, gieb mir die Hand, mein theurer Jüngling!

Es wies dein herrliches Vertrauen mir Den Pfad der Ehr' und Wahrheit, deine Flucht

Hätt' feige mich gemacht, ich wär' auf Erden Ein scheu Geschöpf geheimen Frevels worden, Das Licht des Himmels fluchend. Theurer Jüngling, —

Ich fühl' den starken Druck der Hand, ich fühl' Die Liebe und die Großmuth, doch vergieb mir,

Daß ich so lange dich in Zweifel ließ! Antonio.

Ich hegte keinen Zweifel, daß du mich

69 Für schuldlos hieltest und mir helfen wolltest,

Doch ahnt' ich diese edle Handlung nicht.

Wär' ich, wie du verlangtest, doch geflohen,

Hätt' ich die Welt als Vagabund durchstrichen, Eh' dies geschah! Was'bin ich? was mein Name?

Doch du — Henriquez.

Still! still! bereu' nichts, süßer Jüngling,

Kein Freund auf Erden hätte solchen Dienst,

Solch' einen großen Dienst mir je geleistet.

Schön ist auch die Schlußscene des fünften Aktes: das Erwachen des Henriquez am Morgen der Hinrichtung, das Erscheinen des Königs und dessen abermaliger Versuch, Henriquez zur Annahme der Begnadigung zu bewegen; der Abschied, den Henriquez von König, Gemahlin und Freunden nimmt. „Henriquez" ist in der That eine Tra­ gödie, wie nicht viele geschrieben worden sind. Wer die­ selbe mit den ersten Trauerspielen Miß Baillie's vergleicht, wird finden, daß sich die Dichterin darin beträchtlich von ihrem ursprünglichen Plane entfernt und einen ungeheuren Fortschritt gemacht hat. Wohl hatte sie schon in „Ethwald" viele ihrer unfruchtbareil Theorien vergessen, deren Musterstücke „Basil" und „Monfort". Doch läßt sich „Ethwald" an künstlerischem Werth durchaus nicht mit „Henriquez" vergleichen und ebenso wenig irgend ein anderes Stück der Dichterin. Zugleich geht durch „Henriquez" ein warmer poetischer Hauch, und man kann das Stück nicht lesen, ohne sich gehoben zu fühlen. Nachdem Joanna Baillie die ersten „Plays on the

Passions“ herausgegeben, sah sie ein, daß Dramen, in denen fast alles von der künstlerischen Wiedergabe der

70 Hauptperson abhängt, nur selten eine würdige Darstellung auf der Bühne finden könnten, also schon aus diesem

Grunde schlechterdings keine Bühnenstücke wären.

Sie

wollte jedoch Einseitigkeit vermeiden, wollte auch Bühnen­

stücke schreiben,

und verfaßte deshalb eine Reihe von

Dramen, deren wesentliche Eigenthümlichkeit im Gegensatz

zu den „Plays on the Passions“ in der Erfindung einer bewegten und spannenden Handlung besteht, wobei

jedoch die Charakterdarstellung keineswegs vernachlässigt ist; nur an einer treibenden, alle Theile der Dichtung

beherrschenden Leidenschaft fehlt es

bestimmenden und

diesen Stücken und soll es, dem Vorsatz der Dichterin

gemäß, auch fehlen.

Wie wir sahen, hielt es Joanna

Baillie theoretisch für unausführbar, daß Dramen, welche

die

Entwicklungsgeschichte

einer Leidenschaft

darstellen,

zugleich bewegte unb reichgegliederte Handlung enthalten, und umgekehrt, daß Dramen, welche die letztere Eigen­ schaft besitzen, zugleich das Entwicklungsbild einer Leiden­

schaft zu geben vermögen.

Praktisch hat sie jedoch, und

zwar in „Ethwald" wie in „Henriquez", den Beweis ge­ liefert,

daß Beides

wohl

vereinbar

sei;

auch

dürfte

„Henriquez" wenigstens, auf der Bühne wirksamer sein,

als so manches Stück der „Miscellaneons Plays“, von

denen

übrigens nur die „Familienlegende" zur

Auf­

führung gelangt ist.

Das

erste Stück

der „Miscellaneous Plays“

ist

„Rayner" und spielt wie „De Monfort" in Deutschland.

Rayner

ist

ein

liebenswürdiger,

edelgesinnter junger

Mann, der bei völlig zerrütteten Vermögensverhältnissen

das Unglück hat, mit herabgekommenen Cumpanen in

71 Berührung zu kommen, deren Haupt der zügellose Gra

Interessant ist der Gegensatz zwischen Rayner

Zaterloo.

und Zaterloo.

Der

letztere

verübt

mit seiner Bande

einen Ueberfall an einem reichen Mann; Rayner^ der

an der That schuldlos, wird derselben verdächtigt und in Haft

gesetzt.

Sein Unglück

findet ihn als Mann,

der die Schande scheut und sein Schicksal ohne hoch­ trabenden Heroismus zwar, Es

aber mit Würde erträgt.

liegt in der Zeichnung dieses Charakters etwas un­

gemein Ansprechendes und menschlich Wahres.

Schön

ist die Scene zwischen Rayner und Elisabeth, seiner Ge­

liebten, im Kerker. (4. Akt, 1. Scene.) Rayne r.

Ja, bu hast Recht, süße Elisabeth.

Ich fehlte hierin gegen deine Liebe.

Allein in schön'rer Tage Glanz, in all

Der reinen Lust der ungetrübten Jugend, Da liebte ich dein mädchenhaftes Lächeln;

Doch ahnt' ich nicht die Kraft in dir, zu kämpfen

Mit all der Stärke ungebroch'nen Muthes, In dunklen Lebensstürmen.

Ja, du blühst

Im Sonnenschein und Schatten.' Wehe, wehe!

Ich dachte dies, als ich dich sah — doch still! Der Würfel fiel, nun laß mich davon schweigen. Der Strahl, der mir dein edles Wesen zeigt, Beleuchtet auch den schuiarzen, finstern Pfad,

Der spaltet unsern Weg!

Elisabeth.

O nein, o nein!

Wie unsre Herzen, so ist unser Weg,

Und nichts wird je ihn spalten! Starke Liebe Trotzt allen Dingen und besiegt sie alle. Ich will so heftig dich umklammern, daß

Mich Menschenhände nimmer von dir lösen! Rayner. Weh dir, Geliebte, das sind Schmerzensworte, Die nichts vermögen, als dein Weh zu künden. Das Schicksal über uns zwingt uns zu scheiden. Die starke Lieb', die alles überwindet, Soll für uns kämpfend Alles überwinden: Allein den Preis, den sie für uns gewinnt, Birgt eine andre Welt; auf dieser Erde Geh'n wir verschied'ne Wege mühsam aufwärts, Sowie in Sturmesnacht zwei Wanderer Auf einer Haide von einander kommen, Um wieder sich zu finden. Elisabeth. Allein deül Weg, mein theurer Rayner, Er ist so furchtbar. O, Fleisch und Blut erbebt vor diesem Pfad. Es naht der Tod dir nicht, wie er besucht Des Kranken Bett, an welchem Freunde weinen; O nein! auch nicht, wie er am Schlachtfeld naht Dem Krieger, dessen Blut tobt unterm Panzer, Mit stolzem Gruß! Du mußt den Nacken beugen, Deß süße Wärme jugendlichen Lebens Meir) Arm fühlt, den ich um ihn fest jetzt schlinge, Dich trifft das Beil — o schrecklich, es ist schrecklich! Rayner. Elisabeth! Geliebteste von Allen! Du bist geängstigt durch ein Schreckensbild, Das sich dein Geist schafft; achte nicht darauf! Es ist nicht Alles schrecklich bei der Probe, Was furchtbar scheint im Nahn; ermanne dich Sei nicht die schwerste Last mir bei dem Anprall Des Schicksals, die du meine Stütze sein sollst. (Sie seufzt schwer.)

Was will dein schweres Seufzen? laß mich's deuten Und sagen, dich besiegte die Natur,

73

Doch willst du dich dafür empor nun raffen, Mit edler Stärke alles zu ertragen, Was dir bestimmt, und einem armen Mann, Der nichts auf dieser Welt besitzt als dich, Ein muth'ger und entschlossener Genosse In dunkler Stunde fein. Sprech' ich nicht recht? Elisabeth. Du thust's, du thust's, wenn nur des Herzeus Wille Die Schwäche überwindet. Der Schluß des Stückes ist ein versöhnender.

ist eine Freisprechuitg in letzter Stunde.

Es

Ein Sterbender

sendet Graf Zaterloo einen Boten mit Dokuinenten an

den Gouverneur, welche

Rayner's

Unschuld

darthun.

Rayner nähert sich dem Schaffst, als die Begnadigung

eintrifft, die ihn dem Leben und der Liebe zurückgiebt. Den größten und zugleich den sprödesten Vorivlirf

hat die Dichterin in der Tragödie „Constantin Paläologtts, der letzte der Cäsaren" behandelt, itiib wir müssen ge­ stehen, daß es ihr vollkommen gelungen ist, denselben

Fu bemeistern.

Das Stück offenbart so recht die Vor­

liebe der Dichterin für prächtige Situationen mit weiten Perspectiven, und ihr Talent für bewegte Ensemblescenen feiert hier seinen höchsten Triumph. geht

unleugbar durch diese Dichtung,

Schauspiel als Drama.

Ein großer Zug die jedoch mehr

Jic einem großartigen Bilde,

reich an schönen Gestalten, an packenden Gegensätzen und wirkungsvollen Scenen, bringt die Dichterin einen Um­

schwung

und

Umsturz

von

ungeheurer

geschichtlicher

Bedeutung zur Anschauung; ein alter, morscher Staat, welchen die Hand seines letzten, edlen Lenkers nicht mehr

74 aufrecht zu erhalten vermag, bricht bei dem Anprall eines jungen, rohen, aber kraftvollen Volkes zusammen, das

oströmifche Reich wird durch osmanische Uebermacht in

Trümmer geschlagen und mit ihm fällt sein letzter, treff­ licher Herrscher und verbluten viele Edle, die auf defen

Seite standen. Joanna Baillie wurde beim Lesen von Gibbon's Schilderung der Belagerung Constantinopels durch Die Türken zu dieser Dichtung angeregt.

Doch sind außer

Mohammed und Justiniani

Constantin,

alle Personen

Constantin ist ein tugendhafter,

darin Phantasiegestalten.

edler Mann, der, als die Türken seinem Reiche furchtbar

werden, zur Heldengröße sich erhebt.

christlichen

Fürsten

Europas

Von den anderen

vollkommen

isolirt,

auf

ein kleines Häuflein großmüthiger Freunde, die meist Fremde sind, angewiesen, steht er der feindlichen Macht mit heroischem Muthe gegenüber und erleidet mit dem

Sturze einem

seiner Hauptstadt

Constantin kein tragischer Held, schuldig das härteste

Es

den Heldentod.

Beurtheiler

oberflächlichen

erscheinen,

könnte

als

wäre

da er persönlich un­

Loos erleidet.

Wir

müssen ihn

jedoch, wollen wir die Intention der Dichterin verstehen, als Repräsentanten

eines Volkes

von einstiger, maß­

loser Machtüberhebung und unersättlicher Herrschbegierde betrachten,

das

dem

Andrang

einer

jüngeren

und

lebensfähigeren Nation endlich nicht mehr länger wider­

stehen

kann

Größe geht.

und

schließlich

den

Weg

Um uns ihren Helden

aller irdischen in verschiedenen

Beziehungen zu zeigen und unsre Theilnahme für ihir zu erhöhen, hat die Dichterin ihm eine Gemahlin, die edle



75

Valeria, zur Seite gestellt.



Beide Charaktere sind von

hoher, idealer Schönheit und es fehlt dieser Dichtung

nicht

an

hinreißenden Momenten.

Freilich

sind

die

Hauptgestalten, wie überhaupt das Ganze, viel zu modern gehalten.

Die Eröffnungsscene des Stückes orientirt uns voll­

kommen über die Situation über die Parteien,

der belagerten Stadt und

die sich darin gebildet.

lichter Strahl erscheint da

Wie ein

die Gestalt der Ella,

der

Tochter des Sempronius, der an der Spitze der türken­

freundlichen Partei steht, während die Tochter den tapferen Schiffscommandanten Rodrigo, einen getreuen Anhänger Constantin's, liebt. Die zweite schöne Scene des ersten Aktes zeigt uns

den Cäsaren mit der kleinen Schar seiner Getreuen — Othus, Rodrigo, Justiniani und einigen andern — in einem Saale des Schlosses nach schwerer Arbeit sich zum

Mahle

begeben,

versammelnd. als

Kaum aber

haben sie sich dazci

ein Bote nach dem andern auftritt und

meldet, daß sich das mit türkischem Gelde bestochene Volk

in Hellem Aufruhr befinde und stürmisch nach denr Herrscher begehre.

Gleichzeitig eilt auch Valeria herbei, Constantin

zu beschwören, sich nicht der Menge preiszugeben.

Nur

schwer gelingt es diesem, die Flehende von der Nothwen­ digkeit seines Erscheinens vor dem Volke zu überzeugen und der Akt schließt damit,

daß Constantin den stürmischen

Rufen von Außen folgt, während sich Valeria mit ihren Damen auf einen Thurm begiebt. Die erste Scene des zweiten Aktes ist eine Ensemble-

scene int großen Stile:

Constantin gegenüber den auf-

76 geregten

Volksmassen.

Der

anfänglich wilde Tumult

des Volkes, hierauf die Rede Constantins, dem ein Aben­

teurer Namens Othoric,

dem

wir nochmals begegnen

werden. Gehör verschafft, sodann die allmälige Beruhigung der Menge und schließlich die Kühnheit Nodrigo's,

der

dem Volkshaufen, welcher sich dem Kaiser am schwersten fügen will, die Rechte entgegenstreckt, bis einer nach dem anderen dieselbe erfaßt — all das ist von einer festen Hand zur Anschauung gebracht. An sich

unbefriedigend,

doch

der abergläubischen

Richtung jener Zeit vollständig entsprechend, ist der Besuch Valeria's bei einem Wahrsager, in

des zweiten Aktes,

daß

der dritten Scene

der ihr selbstverständlich prophezeit,

ihr Gemahl Herr der Stadt bleiben werde.

Die

vierte Scene dieses Aktes zeigt, wie Constantin und seine Getreuen sich von gemeinsanier Berathung erheben, deren Ergebniß ist, daß Rodrigo und Justiniani zu Mohamined gehen, um Friedensunterhandlungen anzuknüpfen.

Alle,

bis auf Constantin und Othus treten ab, und nun er­ schließt ersterer dem letzteren in ergreifender Weise das

Herz.

Wir citiren diese Scene, sowie die sich daran

anschließende schöne, wo Valeria auftritt. Constantin.

Willst du auch gehen, Othus?

Othus. Nicht, wenn mein Herr befiehlt, daß ich noch bleibe. Constantin.

Ach, theurer Freund, ich kann nichts mehr befehlen!

Doch dies betrübt dich! Gut denn, edler Mann, Dies mein Befehl.

('Auf einen ©ip weisend.

Beide (assen sich nieder.)

An deiner Freundesseite

Will ich mein Herz ein wenig athmen lassen!

77 Denn ach, die Liebe dieser braven Männer, Die treu nur beistehn, wo mein Glück im Sinken,

Sie drückt es schwer. Vor dir, noch vor mir selbst kann ich verbergen,

Wie hoffnilngstos die Lage, die mich einengt. Kein frenider Fürst reicht nur die Vrilderhand

In dieser Zeit der Noth; kein Christenstaat Schickt' seine Heere, um das Kreuz zu schütze^:,

Das hartbedrängte Kreuz; in unsren Mauern

Find' ich, selbst wenn die jüngern Freunde ich

Hinzuzähl', nicht genug Soldaten, um Ein Städtchen gegen solche Macht zu schützen.

Wohl muß ich lächeln, Hoffnungsmiene zeigen, Dir gegenüber aber laß ich fallen Schein und Verstellung uub bin, wie ich bin,

Ein schwacher, ein zerriss'ner Mann. Vergieb mir,

Denn ich muß wirklich weinen.

Othus^

Ja, weine ohne Rückhalt, starke Seele,

Vom Wogenschwall mnbraust! du kämpftest stark

Wo spröd're Herzen unterlegen wären;

Und über deineir Fall, ist's so beschlossen, Da werden gute Menschen Thränen weinen, Verwandt den Thränen, die du nun vergießest.

Dein Name wird in Zukmlft noch genannt,

Wenn die von mächt'gen Fürsten sind vergessen. Constantin.

O täusch' mich nicht! es täuscht dich deine Liebe.

Der Menschen Thaten, sie sind für die Zukunft

Nicht mehr, als die Ereignisse bedeuten, Mit welchen sie verknüpft.

Ein Staat, gesunken

In Altersschwäche, er hat keinen Helden; Denn keiner bleibt zurück, zu dessen Stolz

78 Zählt die Erinnerung dessen, was er that.

Nein, Lthus, nein, ich acht' nicht aus den Ruhm. Doch um vor Gott, deß Auge alles sieht,

In fremder und in meiner eignen Meinung

Durch Tapferkeit und rechten Stolz, die Ehr' Und Würde eines Mannes zu behaupten,

Will ich, wie ich gestellt bin, Alles thun, Was menschenmöglich, — werde alles leiden —

Es schreit das Herz drin, was der V^enich kann leiden (Sich erhebend und die beiden Hande fest verschlungen emporhallend.)

Wenn schlichte Bürger kühn zum Richtplatz gehen, Daß die Genossen ihrer sich nicht schämen,

Da sollt' ich zittern? Nein, beim Hauche Gottes! Ich zittre nicht, vergieß ich jetzt auch Thränen. Dthus.

Sind Mühen und Gefahren, ja, selbst Leiden,

Wenn ihm der Menschen Lieb' und Beifall folgt,

Dem edlen Geiste doch ein Segenszustand, Der ihm weit höher steht, als alles Glück

Des stillen Friedens, dem kein Ruhm bescheert.

Eonstantin. Nein, guter Dthus, nein, du mißverstehst mich.

Ich wollt', ich hätt' in eines Waidmanns Hütte, In Ruhe meine Zeit verbracht, mein Brod Getheilt mit jener, der ich mich erfreut,

Mehr fern vom Thron, als auf dem Thron; doch so Will ich auch ganz sein, was ich bin.

Othus.

Ja, du wirst's ganz sein, Geist, so stolz und edel

Wie einer, welcher Eäsar's ^tarnen trug! Eonstantin (besorgt lächelnd). Ich habe

Grund,

ich

guten Grund.

Doch für die Tapfern, welche zu mir stehen, Ihr friedlich Heim in andern Ländern haben, Und Bande werth, auf welche keine Pflicht Legt ihre starke Hand — was ist ihr Grund?

habe

79 Was ist ihr Lohn? Ich ernte keinen Ruhm; Ihib überdies -

C, dies bedrückt mein Herz!

Ein Herz voll schwerer Sorgen und bedrückt

Von diesem auch, dem Schrecklichsten, von dem, Was ich bekämpft womit ich oft gerungen,

Von dem, was zwilchen mich tritt und mein Selbst — Das Selbst, das als ein Ehrist ich und als Mann Mir zu erhalten strebe —

Ctfjuö.

Du hast vorher geheimen Grund des Kunnners

In abgeriss'nen Worten — will mein Herr

Dem wohlerprobten Freund - Eonstanti^l. (Lich non ihm abwendend.) Rein, nein,meinDthus!

Ich träume oft wie ein zerstreuter Mann

Und nähre dunkles Denken

- Macht und Willkür,

Schutzlose Schönheit -- Mohammed -- Valeria —

Atach' ans den wilden Worten, was du willst, Ich sage nichts mehr. Dthus. Constantin.

Ach, nun weiß ich Alles. Und doch, weshalb sollt' dies mich so be--

trüben?

Vielleicht sand der Gedanke nirgendwo Sonst Anhalt; wohl liegt es in meiner Schwäche.

Ich bin beschämt. — Ich kann aus meine Frist schau'n, Die kurze und aus ihre dunkle Grenze;

Ich kann, wenn Gott mich stärkt, mein Erdenwerk

So wie ein Fürst beenden; wenn beendet,

Bin ich für das, was nachher sich ereignet, Zm Lärme dieser Lebensbühn' ein Nichts.

Othus.

Wohlan, mein edler Herr, ergieb dich nicht

Solch' marternden Gedanken! Giebt's kein Mittel, Das lindernd wirkte, wenn es zu gebrauchen Du dich nicht scheust? Entfern' die Kaiserin

80 Aus diesen Mauern.

S' ist ein grausam Mittel,

Doch wird es dich beruhigen. Constantin. Ich dachte dran, allein sie hat so eng Mit meinem Sein verflochten sich — ach, Freund!

Es muß vergeh'n! Im Grabe, das nichts weiß,

Da werd' ich ruhig sein. Othus. Allein weiß sie, was du befürchtest, Herr? Constantin.

O nein, sie weiß nichts, denn ich hielt sie

Von dem verhaßten Gegenstand.

ferne, Was thun?

Könnt' ich doch grad' so leicht in's Herz ihr stoßen Den Wurfspieß, als ihr zeigen meine Furcht. Othus.

Vielleicht würd'

sie zur

Flucht

bewegt durch

Schild'rung

Der Schrecken, die gefall'ner Städte Loos. Hier kommt sie selbst: — so sei es doch versucht. Valeria, Lucia und andere Hofdamen.

Valeria (zu

Constantin).

Ich mahn' dich an dein Wort! Ein kurzes Stündchen,

— Ein flücht'ger Strahl durch schwarzen Wolkensaum — Versprachst du mir, und ich behaupt' mein Recht. Ich lade deine Freunde, eh' sie gehen.

Doch was erschreckt dich? wie ist dir, Geliebter?

Verstört ist dein Gesicht, — welch' neuer Grund? Constantin. Valeria.

Grund,

doch einer, der mich

martert. Ist er mir unbekannt? •

Constantin.

Othus.

Kein neuer

Sprich zu ihr, Othus!

Bedrückt von vielen Uebeln, vielen Sorgen,

Ist unser hoher Herr zumeist geängstigt Um dich und um dein theures Wohl. Wer weiß Wie viele Schreckensdinge, Grausamkeiten In einer Stadt, die wird mit Sturm genommen,

81 Wenn dies ihr Loos, das Schicksal bergen mag? O laß ihn doch auf seinem Posten steh'n, Großmüth'ge Herrin, frei von einer Sorge

Der schwersten, wenn er denkt, daß er dich läßt Dlls mitbetrossne Zeugin solcher Dinge!

Baleria.

Was soll das? denkst du, daß der Untergang,

Der ihn mit sich reißt, würde für mich haben Forin oder Umstand? dtein, es wäre ja Das Sturzgetöse aller Tinge, das

Nicht deutlich ist, nur einmal wird vernonunen.

Du sprichst wie ein unkundiger Gelehrter, So hieß dein Meister dich wohl niemals reden. (so ii ft ant in.

Baleria, uns zwingt die harte 9coth.

Ich hab' schon einen sichern Drt gefunden

Für dieses Stammes letzten, zarten Sprossen,

Daß etwas sei von diesem Fall gerettet. Und werd' ich nicht für dich —

Baleria.

Nein, ich bin nichts,

Als was für dich ich bin.' Ist dies vorüber — (sonst ant in. Baleria, das wird ja nie vergeh'n, Du kannst für mich noch leben, kannst verbreiten

Gin ehrenvoll Gedächtniß unter Menschen Bon dem, was ich gewesen.

Lucia hilf mir,

Auch, liebe Servia, du und alle ihr

(Zu den Damen).

Hängt an die Herrin euch mit sanfter Liebe, Und sagt, daß in der Fremde ihr wollt sein

Die Freunde und die Sänft'ger ihres Weh's, Wo jedes edle Herz ihr zeigen wird

Verwandte Bande wärmsten Mitgefühls. Sagt, daß ihr eifrigst euch ihr widmen wollt:

Ihr wollt sie nicht verlassen?

Lucia und andere Damen.

Niemals, Herr.

Geliebte Herrscherin, Zeit unsres Lebens Druskowin, Enai-s.

6

82 In welchem Land, in welcher Lage wir, Wir werden niemals von dir weichen.

Ich weiß es wohl, nnd Dank sei eurer Liebe!

Valeria.

Doch nun entfernt euch, drängt euch nicht um mich! O Paläologus! hast du denn für mich

Im Geist ersonnen eine Welt, ein Sein Wo du nicht bist?

(zu ihm eilend und ihm um den Hals fallend).

Hier meine Welt, mein Leben, meine Zuflucht,

Zu keiner andern will ich je mich wenden." Hier ist noch Licht und Hoffnung, fern von hier Ist alles Andre rings ein gähnend Grab. . Constantin. Geliebteste! Großmüthige! Gepries'uc! Süße Valeria! du machst mich schwanken!

Doch handle frei, denn ich kann dich nicht zwingen. Laß kommen das Geschick, ich harr' des Schlimmsten!

Der dritte Akt versetzt uns in's türkische Lager.

Zum ersten Mal

tritt uns hier Mohammed entgegen,

der nicht ohne Wucht und Größe ist, doch nicht zu den gelungeilsten Gestalten

Constantin's

des Dranlas

treuer Anhänger,

großen Ensemblescene

gehört.

Othoric,

wir schon in der

dein

im zweiten Akte

begegnet sind,

macht ein Attentat auf den Sultan, welches mißglückt. Schön ist der Tod Othoric's, der jedoch keine selbständige Erfindung der Dichterin, sondern eine Reminiscenz an

Gelesenes ist.

Die Gesandten Constantin's werden von

dem Großherrn entlassen, ohne daß er ihr Anliegen be­ Der vierte

rücksichtigt.

Vorabend

Akt

der Erstürmung

zeigt

die Situation

der Stadt.

am

In der ersten

Scene erscheint Mohammed wieder, der sich mit seinem

Vezier bei einem Vorposten des türkischen Lagers Mondenlichte

ergeht,

auf die

ferne

Stadt

im

blickend.

83 deren Geräusch an sein Ohr bringt. Geräusch.

„Ich lieb' den Ton,"

Und er liebt dies

er

sagt

zu

seinem

Vezier: „So wie die letzten Seufzer eines Feindes,

Ter stirbt, ergötzet er mein Ohr.

Tu bist erschöpft, der Städte stolze Fürstin,

lind deinen letzten Laut entführt der Wind. Du hast nur eine Stimme mehr, die Stimme

Des Schreckens und des Wahnsinns, dann wirst du Glicht mehr vernommen unter Völkern. Horch'

Wie schön! sowie der Löwe hört von fern, Die Beute nahn und schüttelt seine Mähne

Und schlägt mit seinem Schweif die gelben Seiten, So höre ich das Nachtgcräusch der Stadt!"

In der zweiten Scene richtet Coitstantin in einem

Chorgang der Hagia Sophia, während die große Glocke ertönt, rührende Worte an seine Anhänger und alle ver­

bünden sich im Angesicht der drohendsten Gefahr inniger

als je.

In der nächsten Scene erfolgt die Verhaftung der

Türkenfreunde Marthon und Petronius, welch letzterer dem

Sultan seine Tochter zuzuführen im Begriffe stand.

Er­

greifende Momente enthält die letzte Scene zwischen Con­ stantin und Valeria.

Die letztere ist,

als die Gefahr

schon auf's Höchste gestiegen, noch voll Zuversicht, denn sie vertraut auf die Worte des Wahrsagers, daß ihr

Gemahl Herr der Stadt bleiben werde. Constantin.

Valeria.

Und nannte er ihn Constantin?

Welch' andren Namen denn als Constantin

Konnt' er mit meiner Frage wohl verbinden? Du wendest ab dich mit verstörten Mienen,

84 O wende dich nicht ab! o sprich! o sprich!

Welchs ein Gedanke regt dich auf? (Sich heftig an ihn klammernd, als er wegsieht.)

Constantin.

Frag' nicht, o frage nicht, es ist vorbei!

Sowie ein leuchtend Meteor schießt durch die Nacht, Schrecklich, doch jählings.

Valeria.

Du mußt dich erklären.

Constantin.

Verwirr' mich nicht.

Nein, nein, du mußt mir's sagen

Valeria.

Welch' andrer Name wohl als Constantin

Läßt sich an meinen Herrn und Gatten knüpfen? Constantin.

(Sinkt.ganz überwältigt auf einen Stuhl und bedeckt sein

Antlitz mit den Händen, während er mit bebender Stimme spricht:)

Mohammed! Mohammed! (Valeria prallt zurück, ihre Hände bestürzt emporhaltend; dann spricht er, nach einer

Pause mit selbstverachtender Miene zu ihr emporblickend:)

Ich habe dich gekränkt in dieser Stunde, Wo mein gepreßtes Herz seufzt riach dem Frieden,

Den sich am Lebensschlusse wünscht das Herz. -Ich habe dich gekränkt. Valeria.

Du hast's gethan.

Was du mir immer Kränkendes gesagt,

Das ist in diesem herben Schlag enthalten; Und jeder andre Schlag mit dem verglichen, Hat mich nur leicht berührt.

S' war ein Gedanke, der sich

Constantin.

rasch hin­

wegstahl

Und ungebeten kam.

Valeria.

(Sich

(Reuevoll zu ihr tretend.) ärgerlich wegweudend.)

Nie kreuzte ein Gedanke je den Geist Dem kein verschwistertes Gefühl voranging,

Das ihm den Weg bahnt! Constantin.

Ja, du sprichst wahr, theure Valeria,

Doch wende dich nicht ab im Zorn! Ich habe

85 Vordem erwogen Mohammed's Gesinnung, Und Macht und Glauben. Runzle nicht die Stirn! Valeria, du bist schön — nein, zürne nicht!

Valeria.

Was sagst du? hast du bis zuletzt für mich

Bewahrt denn dies Erniedrigende — nein! Zerstört sei jeglicher verhaßte Schmuck Der Schönheit! denn sie ist uns Fluch und Schmach! (Sich das Haar ausraufend.)

Constantin.

O sei nicht so! Verzeih'die flücht'ge Regung!

Denk' an des Gatten maßlose Bestürzung,

Der rohen Siegers Macht zu gut nur kennt. Valeria.

Was seine Macht ist,

Constantin.

das berührt mich nicht.

Wohlan! der Zorn der Widerstrebenden

Erschreckt ihn nicht.

Valeria.

(Verächtlich lächelnd.)

Constantin.

Wird er den Tod wohl freien?

Was sagst du?

welch'

O,

ein Gedackke

ist dies? Ja, ja! ich kenne Alles! doch wie schrecklich!

Mir fährt ein kalter Schauer- durch die Glieder! Das ist nicht recht, das ist nicht gottergeben! O nein, du Edle, du Gepriesene!

Gieb dem Gefall'nen Alles, was die Seele Verwaister Lieb' kann geben — doch nicht mehr!

Der Himmel schütz' dich in der bösen Stunde! Das Andere verbann' aus deinem Geist,

Und laß es da nicht leben.

Valeria.

Es lebt da nicht.

Der Himmel wird mich schützen:

Wer mich für hilflos hält, hält mich für niedrig. Constantin.

Ich halte dich für Alles, was umschloß

Von höchstem Werthe je das schönste Weib: Groß durch Natur, nur darin fehlerhaft,

Daß das Geschick knüpft' deiner Seele Zierden

86 An eines armen Mannes trüben Geist,

Der in der Schmerzensstunde sie nicht schätzte, Wie ihrem Werthe es geziemt.

Valeria.

(In ieine Arme eikend.)

Nein, du hast sie geschäht,

In blinder Lieb' weit über ihren Werth. Zu oft nur mehrte meine Leidenschaft Die Drangsal deines schwerbedrängten Herzens,

Das ich erleichtern sollte! Auf mein Haupt Fällt alle Schuld, die zwischen uns besteht,

Und ich allein nur hab' Vergebung nöthig.

Der fünfte Akt führt in einer Reihe vortrefflicher und

ergreifender Scenen die große allgemeine Katastrophe der

Stadt vor.

Schön ist der Tod Constantin's, der von

Türkenschwertern durchbohrt hürsinkt und allein stirbt, schön auch die Begegnung Mohammeds mit der kaiser­

lichen Wittwe, welch' letztere sich, ihrem Entschlusse treu, selbst den Tod giebt.

Mit. richtigem dichterischen Takt

hat Miß Baillie inmitten all der Zerstörung und Ver­ nichtung einen wohlthuenden Ausblick bestehen

lassen:

das ist das- Liebespaar Rodrigo und Ella, die beide den

Fall der Stadt überleben und Gnade vor dem Sultan finden.

Das Gebiet

der

einheimischen

Sage

betrat

die

Dichterin mit der „Familienlegende", dem einzigen ihrer

Dramen, welches einen bedeutenden Bühnenerfolg errang. Es ist das letzte Stück, auf welches wir hier näher ein­ gehen wollen.

Es war,

wie wir bereits sahen,

ein

Liebling Walter Scott's, und als dieser den Schauplatz

des Dramas, die Insel Mull und die gegenüberliegende

Küste bereiste, schrieb er an die Dichterin, daß sie diese

87 Gegenden „ebenso klassisch wie unsterblich gemacht habe." Das Stück hat vor Allem den großen Vorzug, die 2uft des Ortes zu athmen, an welchem es spielt. Die Ge­ stalten haben durchaus schottisches Gepräge und das Ganze

offenbart den Geist, der uns aus Scott's Romanen entgegenweht. Der Inhalt des Stückes ist kurz folgender. Maclean, der Häuptling des Stammes gleichen Namens,

welcher die Insel Mull bewohnt, hat sich während eines Waffenstillstandes zwischen seinem Volke und den Camp­ bells mit der Tochter des Häuptlings des letzteren Stammes, des Earl von Argyll, vermählt, um einen dauernden Frieden zwischen beiden Clans herbeiz^rführen. Mit scheelen Blicken betrachten jedoch die Verwandten und ersten Vasallen Maclean's die Anwesenheit der Fremden, die dem Könige einen Sohn gebiert und die Aufregung unter ihnen wird um so größer, als verschiedene Zeichen wahrgenommen werden, die auf klinftiges Unglück des Reiches deuten und welche die Vasallen auf die verhaßte Fremde beziehen. Sie versammeln sich daher, um zu berathen, wie man dieselbe entfernen könne und werden vom Könige überrascht (2. Akt, 2. Scene). Maclean.

Hier find' ich eine treffliche Versammlung. (Finstere Pause.)

Benlora, Thona, Allen von Glenore, Und all' ihr unsere tapfersten Verwandten! Welch' ein Geheimniß liegt in diesem Schweigen? Hängt über unserm Clan ein drohend Unheil?

Benlora.

Ja,

Herr,

ein Unheil,

welches

Blut Bejahrter Krieger sieden, so daß sie

Den Boden, der sie trägt, mit Füßen stampfen.

macht

das

88 Ein Unheil, das die Stadt in Flammen setzen, Mit Blut die Gassen füllen und Raubvögel

Mit hingeschlacht'ten Körpern mästen wird.

Ein Unheil, das die grauen Locken, ach^

Glenfadden.

Der Seher rings um die gebleichten Schädel

Wie Flammenspitzenzucken aufwärts treibt; Die Zähne schmerzen macht, Augäpfel rollen Im wilden Wahnsinn bei den Schreckensdingen,

Die grauenvoll vor ihnen sich erheben.

Es ward die Meerjungfrau gehört vom

Erster Vasall.

Felsen, Der Wellen Schicksalssang.

Das nordische Meer

Glenfadden.

Hört man an unsrer Küste ferne stöhnen

In Schreckenstönen, welche Tod bedeuten. Zweiter Vasall.

Man sah auf unserer Haide Todtenlichter

Zahllos die Gräber Tausender beleuchten.

Benlora.

Und Töne gleich der Stimme deines Vaters

Vernahmen an dem Orte, wo er ruht,. Die Wächter dreimal gegen Morgen deutlich.

(Zu Glenfadden-

War es nicht dreimal?

Glenfadden. Maclean.

Lochtarish.

Dreimal ward's gehört.

Ihr überrascht mich sehr.

Dies ist geschehen?

Ja, Herr: und glaubst du, daß gering wir

achten, Gewarnt durch solche Zeichen, künftiges Unheil? Maclean.

Lochtarish.

Wenn es so ist, dann hab' der Himmel Gnade l (Mit lauter, feierlicher Stimme.)

Hab' du selbst mit uns Gnade, Herr. Maclean. Ihr regt mich heftig auf.

Dies Unheil zu verhüten?

Wie das? Hab' ich die Macht,

89 Ja, du hast sie.

Alle. Maclean.

Dann helfe Gott in meinen Nöthen mir,

Da ich für Euch und für mein Volk, was immer

In meinen schwachen Kräften, wirken will! Alle.

Amen und schwör' es!

Maclean.

Was für Worte dies?

(Zuvückbebend.)

Mit welchem Ungestüm geäußert? Sagt, Was ihr begehrt!

Benlora.

(Aus dec Reihe der Anderen hervortretend.)

Gut denn, du sollst es wissen. Es nähret deine Brust in Helen von Campbell 'Ne Schlange, die geheimen Stachel, birgt

Für dich und all die Deinen, die ein Späher Des schwarzen Argyll; eine böse Seuche, Auf die sich jene Warnungen beziehen, Von der Bestehen oder Untergang

Uno Sein und Namen unseres Stammes abhängt. Schick' die verführerische Here fort!

Verwerflich ist's, wenn sich Geblüte einen, Die von Natur einander feindlich sind.

Es lehnt sich jeder Krieger deines Stammes Dagegen auf; des Grabes Stimme tönt

Und sagt, es soll nicht sein.

Erschrick nicht, Herr,

Wenn ich es wiederhole: schick' sie fort! Maclean.

Bist du ein Mann, daß solches du begehrst?

Wo ich gebunden bin durch heil'ge Bande?

Lochtarish.

Der du gebunden bist durch etwas, das

Dil heilig nennst, welch' Band ist heiliger

Als das, was an den Stamm und die Vasallen Den edlen Häuptling knüpfet? Gäb' es Bande,

Die diesem feindlich, ob ein Heil'ger auch Sie stellte über die geweihten Dinge,

90 Sie sind vernichtet und gelöst. Lochtarish,

Benlora.

Du sprichst gesunde Worte! Dies der Glaube Der alten Krieger und dies auch der Glaube,

Den wir, die Söhne, mit dem Schwert verfechten. (Das Schwert ziehend, während die Anderen seinem Beispiele folgen.)

Maclean.

Gar sehr verwirrt mich eure Heftigkeit.

Ich kann am Schlachtfeld kämpfen, wie ihr wißt, Doch wie mit euch ich kämpfe, wilde Männer,

Das weiß ich nicht.

Entscheide dich, Maclean, du hast die Wahl,

Lochtarish.

Der Häuptling uns zu sein und uns zu führen,

Wie ehmals es dein tapfrer Vater that, Gegen unsre Feinde — oder der Gemahl, (Verachtet und verflucht) von jener, die du

Mehr schätzest, als dein Reich und uns! Glenfadden.

So wähle!

Benlora-, der uns gegen alte Feinde

In bessern Zeiten führte wie ein Häuptling, Wird bei dem ersten Schmettern seines Kriegshorns,

Wenn er so will, um seine Fahnen sammeln Im Aufruhr deine tapferen Vasallen.

Maclean.

(Heftig erschrocken.)

Dahin ziel'n eure Wünsche? mich verlassen —

Meine Vasallen wollen mich verlassen?

Lochtarish.

Und unsre Frauen auch, ich schwör' es dir!

Kein Kind, kein altes Weib bleibt in der Halle,

Um dich als Herrn zu ehr'n.

Maclean.

(Nach großer Erregung:)

„Entscheide dich und schick^

sie fort," wie weit Die Wünsche gehen, welchen diese Worte

Ihr anpaßt . . .

(heftig:)

Reichen sie bis an ihr Leben?

(Er hält ein und betrachtet sie ängsrlich, doch sie schweigen.)

91 O dieses arge böse Schweigen!

^ochtarish.

Wir wollen nicht ihr Blut.

Ihr wollt sie schonen?

Maclean.

Lochtarish.

Gieb sie uns preis und frage weiter nicht,

Wie wir mit ihr verfahren. Es liegt in euren Worten ein Geheimniß,

Maclean.

Das Arges nur verhüllt.

Weh, weh dem Tage,

Der mich auf diesen Schwindelgrat gestellt! Auf jeder Seite gähnet das Verderben. (Eine Stimme wird von Außen gehört, die unzusammenhängende Worte ansstößt,

mit Ausrusen des Schreckens gemischt.

Welch eine Schreckensstimme? (Ein vierter Vasall kommt, scheinbar heftig erscbreckt.)

Lochtarish.

(Zum vierten Vasallen.)

Vierter Vasall.

Was führt dich her?

Er heftet grausig auf die finstre Leere

Den starren Blick, aus Schreckliches gerichtet, So daß die Sehnen seiner alten Glieder Vor Schauer beben.

Lochtarish. Wen hast bit genannt? Vierter Vasall. John von der Insel! den ehrwürdigen Seher!

Geht, seht ihn selber in der äußern Höhle.

Er steht verzückt auf seinem Weg gehemmt Durch schreckliche Gesichte, als er forschend Nach unserm Häuptling hierher eilte. (Stimme von Außen wird wie früher gehört.)

Lochtarish. Hört! Hört! ihn lenken schreckensvolle Mächte!

Komm, Häuptling, koinni und sieh' den würd'gen Mann, Kann Hinmiel oder Hölle dich bewegen,

Wirst du uns jetzt nicht widerstehn. Hörst du's? und regungslos?

Maclean.

Ich bin bestürzt, betäubt,

Und jeder Sinn verwirrt! ihr heft'gen Männer!

92 Wenn bis zu diesem Punkt gedrängt ihr wäret, — Wo solch ein Nothdruck auf mir lastet,

Was nützt hier Widerstand? Weh, weh dem Tag!

Führt mich, wohin ihr wollt!

Maclean übergiebt die Gemahlin den Vasallen und

diese setzen sie auf einem aus.

einsamen Felsen im Meere

Doch ein Fischer bemerkt und rettet sie und führt

sie in seine Hütte, wo sie ihren Bruder John de Lorne und dessen Freund, Hubert de Grey findet, die kllrz vor ihrer Verbannung sie insgeheim besucht, um itach ihrer

Lage zu forschen und auf der Rückfahrt auch nach diesem

Sie führen Helene zu ihrem Vater

Orte gelangt sind.

zurück, der sie verborgen hält.

Zunächst giebt Maclean

dem Earl von dem Tode Helene's Kunde, bald darauf aber erscheint er mit seinen Vasallen in tiefer Trauer und wird ebenso von Argyll empfangen, der nichts merken

läßt.

Ein Bankett wird veranstaltet.

Gäste versammelt,

ein

Sitz frei.

Schon sind alle

nur zur Rechten Argylls

Gespannt

harren

ist

noch

die Maclean's, für

welchen Gast derselbe wohl bestimmt sei, als zu ihrem Schrecken und höchsten Erstaunen Helene von Campbell in den Festsaal tritt.

Argyll gewährt den Uebelthätern

freien Abzug aus beut Palaste, außerhalb desselben aber

fordert John de Lorne den Maclean zum Zweikampfe heraus, in welchem Maclean fällt. gefangen

genommen.

Die Vasallen werden

Einer derselben, Lochtarish, hofft

seine Befreiung dadurch zu bewirken,

Gefahren sei.

mahnt,

welchen Macleans

daß er an die Sohn

ausgesetzt

Allein schon hat Hubert de Grey sich desselben be­

mächtigt und zeigt ihn im Triumph.

Das Stück schließt

mit einer langen, erbaulichen Rede Argylls. Der Haupt­ fehler des gleichwohl interessanten und gut componirten Dramas ist der, daß die Hauptgestalt zu wenig hervor­ tritt und ihre C eelenkämpfe - zu oberflächlich behandelt werden. Mit diesen Analysen glauben wir dem Unkundigen einen genügenden Begriff von der dramatischen Kunst Joanna Baillie's gegeben zu haben. Die Dichterin hat zwar noch einige andere lesens- und bemerkenswerthe Stücke geschrieben, wie „The Whitchcraft“, welches wie die „Familienlegende" in Schottland spielt, ferner das eigenthümliche „The StripUng“, dann „The Separation“, eine von warmem Pathos erfüllte Dichtung, ferner „The Bride“, ein christliches Tendenzstück voll lyrischer Schön­ heiten , welches sie auf Aufforderung Sir Alexander Johnston's, des Justizchefs von Ceylon, verfaßte, der es in's Singhalesische übertragen ließ, allein wir erachten es nicht als unsere Aufgabe, eine erschöpfende Darstellung der Baillie'schen Dramen zu geben, und begnügen uns damit erstens die besten und berühmtesten, zweitens die für ihre ursprünglichen Theorien besonders charaeteristischen be­ handelt zu haben. Joanna Baillie that sich auch als Balladen-Dichterin und lyrische Dichterin hervor, (wenn sie in diesen Eigen­ schaften auch bei weitem nicht so hoch steht, denn als Dramen­ dichterin) wie ihr „Metrical Legends“ einerseits, ihre „Fugitive Verses“ andrerseits beweisen. Doch möchten wir den letzteren den Vorzug geben. Auch dürfen wir nicht ver­ gessen, auf die zahlreichen lyrischen Einlagen hinzuweisen, die ihre Dramen enthalten. Sie zeigt in ihren lyrischen

94 der Empfindung

Gedichten Unmittelbarkeit

und feines

Gefühl für Melos und Rhythmus, und in ihren lyrisch­

betrachtenden Gedichten eine so poetische Auffassung der Dinge, eine solche Fähigkeit, das Gewöhnliche zu ideali-

siren, daß wir uns an William Cowper gemahnt fühlen.

Die „Fugitive Verses“ schließen mit geistlichen Hymnen

ab.

Das Ende der gesammelten Werke bildet die schöne

indische Erzählung „Ahalya Baee“.

Joanna Baillie

erreichte

ein ungewöhnlich hohes

Alter, sie starb, eine Neunundachtzigjährige, am 23. Fe­ bruar 1851, nachdem sie am Tage vor ihrem Tode den

Wunsch geäußert, daß es endlich vorbei sein möge. Joanna Baillie nimmt jedenfalls eine hohe Stelle

auf dem Parriaffe ein.

Sie besaß einen seltenen Reich­

thum an dichterischen Kräften, und unter diesen war wieder die hervorragendste ihre ungewöhnliche Phantasie,

denn

fast alle ihre dramatischen Stoffe sind ihre eigenen Er­

Hätte sie nun ihre großen und schönen Gaben

findungen.

gut zu gebrauchen verstanden, es wäre wohl wenig ge­

wesen,

was sie auf dem Gebiete des ernsten Dramas

nicht erreicht haben würde.

Leider hat sie es jedoch nicht

Bei aller Verehrung für ihr großes Talent

vermocht.

werden wir ihr kaum den Namen einer Künstlerin bei­

legen diirfen, oder doch zugestehen müssen, daß sie es oft

an ächter Künstlerschaft, an wahrer Kraftanstrengung und Vertiefung fehlen ließ.

Ihre besten Stücke selbst ver­

rathen einen gereiften Mangel an Harmoniegefühl und an

jener

künstlerischen Gewissenhaftigkeit, mit welcher

ein Dichter sein Werk ausarbeitet.

bis ins kleinste Detail liebevoll

Dieser Mangel ist in ihren ersten Stücken

95 nun freilich zum guten Theil auf Rechnung ihrer falschen theoretischen Anschauungen zu setzen, aber nicht weniger trug auch das Fehlen einer wahren künstlerischen Durch­ bildung und eines wahren künstlerischen Ehrgeizes daran

Schuld. Dieier Mangel zeigt sich in substantieller Hinsicht bei ihr auch in der allzu häufigen Wiederholring derselben Motive, — wesentlicher wie secundärer — in formeller. in den zahlreichen Verstößen, welche sie sich gegen Sprache und Versball zli schulden kommeil ließ.

Wenn wir die Fehler in den Dramen Joanna Baillie's mit ihren Vorzügen vergleichen, wird es uns klar, daß es der Dichterin an einem einsichtsvolleil Rath­ geber gemailgelt habe, dessen manche schöpferische Geister absolut bedürfen und für welchen das Studium großer literarischer Vorbilder ihnen niemals ein vollständiger Ersatz werden kann. Nild wie wünschen wir da, Walter Scott hätte „Schwester Joanira", wie er sie zu benennen liebte, anstatt ihr ausschließlich Lob zu spenden, auf die Gebrechen ihrer Schöpfungen aufmerksam zu machen und sie vor den Jrrwegeir, die sie einzuschlageir geneigt war zu warnen vermocht. Da wir aber keinen Grund haben, an der Aufrichtigkeit von Scott's unbedingter Bewun­ derung zu zweifeln, so geht daraus hervor, daß in dramatischen Dingeir eben nicht viel Raths bei ihm zri holen war. Trotz aller Mängel und trotzdem manche ihrer Stücke veraltet sind, verfehlt Joanna Baillie nicht, auch heute noch einen nachhaltigen, einen imposanten Eindruck auf uns zu mache«, und zwar nicht nur vermöge ihrer seltenen dichterischen Eigeirschaften, sondern auch durch ihre mo-

96 ralischen Vorzüge. Ein großes, starkes Herz, weite Sympathien, Gesinnungstiichtigkeit prägen sich überall in

ihren Werken aus. Zugleich lebte etwas von dem kühnen ritterlidjen Geiste ihrer Vorfahren in ihr, obwohl niemand weniger aristokratisch gesinnt sein konnte, als Joanna Baillie. Joanna Baillie schwebte nur ein großes Vorbild vor Augen: Shakespeare. Sie liebte das Höchste und strebte dem Größten nach. Mitunter schließt sie sich allerdings zu eng an ihr erhabenes Muster an und dann sind ihre Nachbildungen werthlos; gewöhnlich aber sind diese Anklänge bei ihr originelle Rückstrahlungen empfangener Anregungen, die zu den schönsten und beste» gehören. Joanna Baillie ist recht eigentlich Shakespeare's Tochter zu nennen, und sie schließt sich in mancher Hinsicht an die Gruppe der großen Elisabethinischen Dramatiker. Unter den neueren englischen Dramatikern läßt sich ihr nach unserer Ansicht keiner an die Seite stellen, auch Henry Taylor nicht. Andere hervorragende englische Dichter der Gegenwart, welche sich selbst für ächte Dra-

rnatiker halten, verdienen den Namen wohl kaum, wenn man ihn recht versteht. Man ist darüber einig, daß sich Joanna Baillie's Stücke nicht für die Bühne eignen. Aber die „Familien­ legende" hat auf dem Edinburger Theater doch eine starke Wirkung hervorgebracht und ihre airderen Dramen, abge­ sehen von „De Monfort“, sind nicht zur Aufführung ge­ bracht worden. Aber über wie wenige Dinge läßt sich schwerer ein aprioristisches Urtheil fällen, als über die Bühnenfähigkeit eines Stückes? Sollte es niemals ein

97 Theater mit „Henriquez" wagen? Vor Allem aber wäre zu wünschen, daß diejenigen, welche sich für die Dichterin interessiren, ihre Werke leicht durch den Buchhandel er­

reichen konnten,

daß

eine neue Auflage derselben ver­

anstaltet würde. Wir hatten diese Zeilen abgeschlossen, als wir von

wohlllnterrichteter Seite erfuhren,

daß kein geringerer

als Franz Grillparzer die fchottische Dramatikerin eifrig studiert

und sehr hoch gestellt habe und wir glauben,

dies zu ihrer Ehre dem Leser noch mittheilen zu müssen.

Druskowitz,

7

II.

Elisabeth Barrett Browning. Es ist nichts Ungewöhnliches von Engländern und

Amerikanern, Elisabeth Barrett Browning

die größte

lyrische Dichterin aller Zeiten nennen zu hören. Dies Urtheil bedarf jedoch einer Einschränkung. Steht Elisabeth Barrett Browning auch unter den lyrischen Dichterinnen

ihres Vaterlandes unerreicht da, so hat sie unter Denjenigen Deutschlands in Annette v. Droste-Hülshoff jedenfalls eine Ebenbürtige, allerdings die einzige Ebenbürtige. Beide großen Dichterinnen sind in ihrer Eigenart übrigens so verschieden wie möglich. Elisabeth Barrett ist eine der merkwürdigsten und hervorragendsten Erscheinungen der Victoria-Literatur. Im eigenen Vaterlande geliebt und bewundert, ja bei­

nahe populär, ist sie bei uns eine Fremde. Es scheint deshalb kein überflüssiges Unternehmen zu sein, den deutschen Lesern von ihrem Leben und ihren Werken ein Bild zu geben. Selten wohnten so edle und große

Empfindungen, brannte ein so reines, himmlisches Feuer in einer menschlichen Brust, selten strömten über Dichter­ lippen Verse von so zündender Gewalt und von so süßem Schmelz, selten schuf eine Phantasie so bestrickende und so ergreifende Gebilde, wie wir sie bei dieser inspirirten

und begnadigten Dichterin finden.

99 Elisabeth Barrett Browning wurde 1809 als Tochter eines reichen Kaufherrn in

der Grafschaft Durham/)

und nicht in London, wie man gewöhnlich liest, geboren. Leider

war

es

möglich,

mir nicht

eine

Be-

genaue

stinnnung ihres Geburtsortes zu ermitteln, sowie auch mancher andere Umstand aus ihrem Leben bis jetzt noch

in

Dunkel

Mutter.

gehüllt

ist.

Ihr Vater,

Früh

der

verlor

Elisabeth

ihre

Geburt

sich zur Zeit ihrer

schon von den Geschäften zurückgezogen zu haben scheint, war ein Mann von ungewöhnlicher Bildung und Ein­

Er besaß, was Eltern doch so selten zu eignen

sicht. scheint:

Kinder,

Verständniß für Wesen und Begabung und

erkannte

die

außerordentlichen

seiner

Anlagen

Elisabeth's, die stets sein Liebling war, nicht nur, sondern

gönnte ihr auch alle Freiheit, dieselben zu entwickeln. Wie grausam

sucht man aber in

der Regel

begabte

Mädchen auf das gewöhnliche Niveau herabzuschrauben. Elisabeth Barreth verbrachte ihre Kindheit und den

größteir Theil ihrer Jugend zu Hope End in Worcester­

shire, in der

Nähe der

schönen Malvern Hills,

an

.denen ihre Blicke oft schwärmerisch hingen und denen sie stets ein liebevolles Andenken bewahrte/)

Sie zeigte

schon als Kind einen unersättlichen Lerntrieb und Lese­

hunger.

Was

sie in dieser Hinsicht

von der

jungen

Aurora Leigh, in der gleichnamigen epischen Dichtung

sagt, ist vollkommene Selbstdarstellung.

Die Ruhe, die

T) Vgl. Leiters of E. Barrett Browning addressed to Rich. Hengist Horne (London 1877), I. p. 161. 2) Vgl. Leiters I, p. 161 und das Gedicht „The Lost Bower1 Str. 9.

100 Abgeschiedenheit

ihres Aufenthaltes begünstigten

Hang natürlich sehr.

diesen

Zuerst scheint sie ohne Wahl und

Methode Wissen gesammelt zu haben, bis durch die Auf­

nahme der klassischen Sprachen, ein Gebiet, auf welchem

sie unter den jungen Mädchen jener Zeit wenig Rivalinnen

gehabt haben dürfte, mehr Ordnung in ihr Lernen kam.

Griechisch trieb sie unter der Leitung des blinden Philo­ logen Hugh Stuart Boyd und den Erinnerungen an

dieses

sie beglückende Studium ist das schöne Gedicht

,,Wine of Cyprus“ gewidmet.

Wie rührend, wenn sie

darin sagt, wo sie von der Tragödie, in der sie von Oedipus' Schicksalen las, spricht: „Doch die Stimme des Lesers klang leiser,

Wenn der Dichter ihn nannte blind".

• Sie scheint schon damals die meisten Gebiete der

griechischen Literatur durchstreift zu haben.

Es werden

in jenem Gedichte „Aeschylus der Donnerer", „Sophokles

der Königliche", „Euripides der Menschliche", aber auch Pindar,

Theokrit,

Bion,

unter

Philosophen

„Plato

der Göttliche" und endlich die griechisch-christlichen Dichter genannt.

Interesse. der Zeit

Für

das Latein

hatte

sie

offenbar weniger

Wir wollen gleich hier bemerken, daß sie mit

auch

des

Hebräischen

und

vieler

moderner

Sprachen mächtig wurde.

Sehr frühe verrieth sie dichterisches Talent.

berichtet in einem

Sie

für die Kenntniß ihrer Jugendge­

schichte und geistigen Entwicklung sehr wichtigen Briefe

an R. H. Horne über ihre ersten poetischen Versuche: „Ich schrieb Verse — was, wie ich sagen darf, viele

gethan haben, ohne Gedichte zu schreiben — sehr frühe.

101 mit acht Jahren und früher. Aber was weniger ge­ wöhnlich ist, das Spiel der jungen Phantasie wurde zuni

bewußten Streben (turned into a will) und blieb mit mir, und von jenem Tage bis zu diesem ist mir Poesie

ein bewußter Zweck gewesen, ein Zweck, für den ich lese, denke und lebe. Ich könnte Sie zum Lachen bringen, obwohl Sie nicht das Publikum zum Lachen bringen könnten, durch die Mittheilung von Oden, von epischen und didaktischen Gedichten, die von Kinderlippen laut zu veralteten Musen schrien. Die Griechen waren meine Halbgötter und kamen von Pope's Homer zu mir.

Und deshalb ist mein großes Epos, in vier Biichern, das ich elf oder zwölf Jahr alt schrieb, genannt „Die Schlacht bei Marathon", von dem fünfzig Exemplare gedruckt wurden, weil Papa es darauf abgesehen hatte mich zu verwöhnen, nichts als eine Bearbeitung oder besser eine Zevarbeitung von Pope's Homer. Denn obgleich es eine merkwürdige Leistung für ein Kind war, giebt es

doch nur von der Fähigkeit nachzuahmen und zu hören Zeugniß, sowie von einer beträchtlichen Belesenheit in

einer eigenthümlichen Richtung. Die Vorliebe für Pope's Homer führte inich zu Pope auf der einen, zu den

Griechen auf der andern Seite und endlich zum Latein, als einer Hilfe des Griechischen, und die Wirkung von all diesen Einflüssen ist lange nachher in meinem „Essay on Mincl“ sichtbar geworden, einem didaktischen Gedichte, das ich mit siebzehn ober achtzehn Jahren geschrieben und längst bereut habe, als etwas, das aller Reue werth. Das Gedicht ist in Bezug auf die Form Nachahmung, doch nicht ohne Spuren individuellen Denkens und Fühlens.

102 Dabei ist es

Der Vogel pickt darin durch die Schale.

voll Vorwitz

und Pedanterie, Züge, die

nicht einmal

damals zum Wesen der Verfasserin gehörten und die ich mehr bereue, als seine literarischen Mängel." zu strengen

keineswegs

dieser

Selbstkritik

Wir haben nichts

bei­

Der „Essay on Mind“ erschien mit einigen

zufügen.

kürzeren Gedichten im Jahre 1826. Das Bändchen wurde

besonders

wegen

von der Kritik

der

großen Jugend der Verfasserin

wohlwollend

ausgenommen.

Elisabeth

Barrett war kein poetisches Wunderkind und ein Glück für sie, daß sie es nicht war.

Von Hope End übersiedelte die Familie, nachdem

Elisabeth bereits das zwanzigste Jahr überschritten, nach

Sidmouth, wo man zwei Jahre verblieb.

Dann wandten

sich die Barrett's zu dauerndem Aufenthalte nach London. In Sidmouth übersetzte Miß Barrett Aeschplos' gefesselten

Prometheus in zwölf Tagen, — die Wahl des Thema's war bezeichnend für sie — und veröffentlichte diesen Versuch auch daselbst (1835).

Diese Uebertragung war nicht ge­

lungen, es fehlte ihr an Schwung sowie an Genauigkeit.

Die Kritik behandelte Miß Barrett auch als Uebersetzerin sehr milde.

Sie selbst war mit ihrer Leistung nach­

träglich unzufrieden und meinte, man hätte dieselbe in's Feuer werfen sollen, als das einzige Mittel, ihr etwas Wärme zu geben.

Sie nahm jedoch später eine Ueber-

arbeitung vor, und diese ist vortrefflich. E. C. Stedman, der Verfasser der „Victorian Poets“ bemerkt über dieselbe mit

Recht:

„Diese letztere Uebersetzung

habenen Tragödie ist

poetischer

als

einer überaus

er­

eine andere von

gleicher Genauigkeit und besitzt Feuer und Kraft einer

— Meisterhand.

Niemand

103

hat

— mit besserem Erfolge die

absichtlich wilden Melodien des tragischen Chors in ge­

reimten Versmaßen wiedergegeben." In: Jahre 1836 machte Miß Mary Mitford

die

Bekanntschaft der Verfasserin des „Essay-., on Mind" und

der Uebersetzerin des gefesselten Prometheus.

Wir wollen

Miß Mitford gerne glauben, wenn sie sagt/) daß Miß Barrett eine der interessantesten Personen gewesen sei,

die ihr begegnet.

Sie schildert die äußere Erscheinung

der jungen Dichterin folgendermaßen: „Ihre Gestalt war zart und fein, eine Fülle schwarzer Locken fielen zri beiden

Seiten in ein außerordentlich ausdrucksfähiges Gesicht,

ihre Augen waren groß und sanft und reich mit schwarzen Wimpern befranst. strahl."

liche

Ihr Lachen glich einem Sonnen­

Auch hebt Miß Mitford das ungemein jugend­

Aussehen Elisabeth Barretts hervor.

Im frühen

Lebensalter wurde die letztere einmal als schwebender

Engel gemalt.

Sie war mehr als eine Schönheit im

gewöhnlichen Sinne.

Das Feuer ihrer Seele leuchtete

durch ihren zarten Körper, der später infolge mannig­

facher Leiden immer mehr einem „durchsichtigen Schleier für einen himmlischen und unsterblichen Geist" glich.

Jni Jahre 1837 begannen starke Schatten auf ihr bis dahin, so weit wir urtheilen können, glückliches Leben zu fallen.

Sie sollte tief und schwer leiden, sie sollte

einem frühen Tode geweiht erscheinen, bis die Liebe ihr ein Retter wurde.

Der Beginn ihrer Leiden war, daß

ein Blutgefäß in der Lunge sprang.

Ihre Gesundheit

’) 8. Recollections of a Literary Life p. 69 ff.

104 war schon früher eine schwächliche gewesen und mit fünfzehn

Jahren war sie einmal dem Tode nahe.

Glücklicher­

weise fehlte jede Neigung zur Lungenkrankheit in ihrer Familie, so daß die Verletzung keine bösen Folgen nach

sich zog.

ihres

Nachdem sie aber ein Jahr lang im Hause

Vaters

zu London

mit

aller Sorgfalt

gepflegt

worden war, ohne daß eine Besserung eintreten wollte. schickte sie der behandelnde Arzt für den Winter nach Torquay, an der Küste von Devonshire.

Sie ging in

Begleitung einer Gesellschaftsdame und ihres Lieblings­

bruders dahin.

Aber ein fürchterlicher Schlag traf sie

dort und zerrüttete ihre Gesundheit vollends.

Der ge­

liebte Bruder wurde ihr in grausamer Weise entrissen. Vor ihren Augen schlug er mit einigen Freunden aus einem

Segelboote um, und trotz aller Nachforschungen wurde

nie wieder eine Spur von den Verunglückten gesunden. Der Schmerz, den Elisabeth Barreth um den theuren

Verlorenen empfand, war um so qualvoller,

als sie sich

den Vorwurf machte, iudirect Schuld an seinem Unter­

gänge gewesen zu sein.

Ihr zerbrechlicher und kranker

Körper konnte solchen Gemüthsbewegungen nur wenig Widerstand

entgegensetzen und die Folge war, daß

sie

in einen Zustand verfiel, der ein frühes Lebensende be­ fürchten ließ.

Sie mußte noch längere Zeit in Torquay

verharren, bis sie nur so weit gekräftigt war, um in kurzen Tagereisen im Wagen nach London zurückgebracht zu werden.

So lange sie in Torquay am Meere lebte,

glaubte sie im Rauschen der Wogen immer wieder das Stöhnen eines Sterbenden zu hören. Nach London zurückgekehrt lebte sie eine Reihe von

105 Jahren, von der Welt ganz abgeschlossen, an ihr Zimmer gebannt, welches, da ihr oft schon ein Lichtstrahl Nervenasfectronen

verursachte,

verdunkelt

sein

mußte.

Ihre

Stimmung war gewöhnlich eine tief schwermüthige, sie fühlte sich vor der Zeit alt und sah einem baldigen Tode entgegen.

Ihr

größter

Trost

war

das Lesen.

Vor

Allem nahm sie wieder die griechischen Dichter vor, deren

Seetüre ihr nun mehr als je ein Herzensbedürfniß war.

Ihr Arzt aber mahnte in einer falschen Voraussetzung von diesem ernsten Lesen ab, so daß sie sich zu der List gezwungen sah, eine kleine Ausgabe des Plato so binden zu lassen,

daß das Büchlein

wie ein Roman aussah.

Nur wenige Freunde sanden in jener Zeit zu ihr Zutritt. Ihr ständiger Gesellschafter war das Bologneserhündchen

Flush, an dem sie mit Zärtlichkeit hing.

Sie richtete

später ein Gedicht an ihn, in dein sie ihrer Dankbarkeit für seine Verdieiiste einen rührenden Ausdruck giebt. Während ihre Gesundheit schwer erschüttert war,

gewann ihr Talent immer mehr an Kraft und entfaltete sich immer herrlicher uitb reicher.

Wir gehen nun zu

der Besprechung jener Werke über, welche sie seit dem

Erscheinen des Prometheus bis 1846 — diesem für sie

so bedeutungsvollen Jahre in welchem nicht nur in ihrem Leben, sondern auch in ihrem Dichten ein wesentlicher Umschwung eintrat — schrieb und herausgab.

Da begegnen wir zunächst dem Mysterium „Seraphim", welches sie 1838 mit anderen Gedichten erscheinen ließ. In „Seraphim" hat sich ihr christlicher Enthnsiasmus,

der stets eins der

wichtigsten Elemente

ihres Wesens

und ihrer Poesie bildete, zum ersten Btal eine Ausdrucks-

106 form geschaffen.

Zugleich verräth das Gedicht schon eine

bedeutende Originalität,

ist

aber dennoch im höchsten

Es besteht aus einem

Grade unreif und verworren.

Gespräche, welches zwei Engel, Ador und Zerah, während

Elisabeth Barrett übte

der Kreuzigung Christi führen.

später selbst strenge Kritik an diesem Versuche.

Zeigen

sich darin doch nur die Fehler ihrer Vorzüge, wie 33erschwommenheit,

Bombast,

Unverständlichkeit,

sprachliche

Bizarrerien

Mangel und

an

Logik,

Jncorrectheiten,

sowie Verstöße gegen den Versbau — Fehler, die wenigstens vielen ihrer Gedichte,

die vor 1846 entstanden sind,

anhaften, wenn dieselben auch nirgendwo in dem Grade hervortreten, wie in „Seraphim".

Es ist kaum möglich

dies Gedicht zu Ende zu lesen.

1844 ließ Elisabeth Barreth die erste Sammlung

ihrer Gedichte erscheinen, an deren Spitze sie das Mysterium

„Drama of Exile“ stellte.

Diese Dichtung verzeichnet

im Vergleich mit „Seraphim" einen großen Fortschritt und

beweist

es

auch

geringe

Kenntniß

der

späteren

Leistungen der Dichterin, wenn ein sehr bekannter deutscher Literarhistoriker dasselbe als ihr Hauptwerk bezeichnet, so ist es doch ihr erster größerer Wurf geweseil.

Das Thema des

„Drama of Exile“

bilden die

ersten Mühsale und Kämpfe, welche das erste Menschen­ paar nach dem Verluste des Paradieses zu erleiden und zu bestehen hat.

Milton

läßt

dasselbe

im Paradiese

zurück, die Dichterin zeigt es im Lichtschein des flammen­ den Schwertes in die Wildniß fliehend.

Lucifer tritt

immer wieder als Versucher an die Verstoßenen heran, die Naturkräfte erheben heftige Vorwürfe gegen sie, bis

107 eine Vision Christi sie von ihrer Bedrängniß erlöst und

sie tröstet, so daß sie bei dem Gesänge milder Geister

und

Engel,

der

ihre Hoffnung

frisch

belebt,

tiefer

in die Wildniß eindringen und die Dichtung mit den Worten der Engelchöre „Verstoßen, doch nicht verloren"

schließt.

Miß Barrett stand

Standpunkte

und ihr

durchaus auf christlichem

„Drama of Exile“

Widerspiel zu Byrons „Kain".

bildet das

Ihr Lucifer ist nicht in

der höheren Bedeutling des Lichtbringers gefaßt, sondern ist lediglich ein Geist der Zerstörung und Vernichtung.

Sie denkt sich denselben als schönen Engel mit traurigem Allssehen.

Auf die Frage, die Lucifer an Adam richtet,

wer ihm gesagt, daß er, Lucifer, ein gefallener Engel, antwortet Adanr mit den prächtigen Worten: „Du selbst! denn seltsam sind an dir Die dichten Brau'n, die schwermuthsvollen Augen.

Sie deuten auf die Höh', voll der du fielst. Ich denke, daß du eine Krone einst Gewonnen hast vor Gottes Auge!"

Kühlle und kraftvolle Worte legt die Dichterin ihrem gefallenen Engel in den Mund.

Schwungvoll ist gleich

sein Triumphgesang, mit dem die Dichtung \) „Jauchzt in bcii Höllenspalten Genossen aus voller Brust! Aist der Grdc Strafen walten, Die groß tvic des Himmels Verlust, Durch die Fltgen des wankenden Grundes Rücket jubelnd heran, Mit Frohlocken eures Mundes Das Zerstörnilgslverk sei gethan! Mögt zum Rachezug ihr euch einen Und verfinstern das Angesicht,

anhebt/)

108 aber freilich

um so

kläglicher erscheint die schließliche

Ohnmacht dieses Lucifer, je stolzer und selbstbewußter die

Auch an einem

Worte, die wir anfangs von ihm hören.

mephistophelischen Elemente

fehlt

es

schönste Gestalt dieser Dichtung ist Eva.

ihm

nicht.

Sie hat nichts

sie ist ganz

von dem Hausbackenen der Eva Milton's, Zärtlichkeit, Innigkeit und Poesie,

Die

und veranschaulicht

so recht die edlen Gefühle, von denen das eigene Herz

der Dichterin überströmte.

gestalt der Dichtung.

Eva ist aber auch die Haupt­

Miß Barrett wollte darin den

Gedanken ausdrücken, der zugleich der bedeutendste und

wichtigste des Ganzen ist, daß das Weib, welches die Sünde in die Welt gebracht, die Welt auch von der

Sünde befreien werde.

In

der Scene,

wo Christus

auftritt, kommt über Adam plötzlich die Erleuchtung und er sagt zu Eva gewendet, nachdem diese sich vorher als

Urheberin der Sünde bezeichnet: „Doch bist du auch die Trägerin des Samens Durch den die Sünde stirbt. Zieh' würdevoll Der Himmel, auf das sie scheinen Nicht länger herrlich und lichl. Wir ziehen im Sturz, wenn geschlagen Hinab die Himmel all: Laßt nach dem Rest ihrer Engel sic fragen, Wer ist sicher vor dem Fall? . Er schützt nicht. Wo ist Adam, ob Worte Beleben die Erdscholl' so todt? Verstoßen vom himmlischen Orte Ist das glorreiche Abbild von Gott. Wir siegten durch böse Zivcifcl, Das Gute herrscht nicht allein. Jetzt herrsch' ich und Engel oder Teufel, Soll eines Thrones Erbe sein."

109 Die dunkle Bran empor, du Vielgeliebte,

Und miß mit offnem Auge das, was fommt, Und all das Weh der Welt!

Erheb' dich, Weib,

Zu deinem höchsten, eigensten Beruf! Zu thun das Gute, Böses zu erdulden, In Leiden beizustehn, zu lehr'n das Gute,

Das Gute und das Böse zu versöhnen

Durch die Geduld einer beständ'gen Hoffnung! Sei groß mit deinen Töchtern! Kam die Sünde Dilrch dich und mit der Sünde Tod, wird die

Erlösung, wird das sel'ge Leben und Verdiente Ruh durch dich auch kommen."

Wir

finden

diesen

schöne!: Gedanken

bei

keinem

andern Dichter so bestimmt ausgedrückt und lernen hier

sogleich

eine Seite

der umfassenden und

hochherzigen

Sympathien Elisabeth Barrett Brownings kennen.

Sie

liebte ihr Geschlecht. Tas

„Drama of Exile-

Schönheiten.

ist

reich

an

lyrischen

Welch' weichen Schmelz haben die Gesänge

der Geister des Paradieses, welche hinter dem fliehenden

Menschenpaare ertönen?)

Zugleich zeigt sich in dieser

y Besoilders eigeuthüinlich imb schon ist das Lied des Bird

spirit: Ich bin die nächste Nachtigall, Die süß euch nach aus Eden singt Tas Lied, -das stark und voll erklingt, Und komme nie zu Fall. Ich sitz auf dem Eypressenzweig Nah bei dem Thor und jauchz' mein Lied Ueber das Thor und durch deu Stahl, Der die Brust der Engelwache umzieht, Ueber das Thor imb laut euch nach! Die wehrhaften Engel ihm Eingang gewähr'n,

110 Dichtung ein starker Sinn für das Erhabene imb Ge­ waltige.

Man

lese

das

Bild

vom

Löwen,

welches

Lucifer in den Mund gelegt wird. „Erinnerst du dich, Adam, wie der Fluch uns In Eden traf? Auf einer Bergeshöhe, Bedeckt halb durch die Wälder und erglänzend

Im Zitterstrahl der hehren Sonne, lag Ein Löwe, halb gestützt auf seine Tatzen, Sein festes Antlitz ganz dir zugewandt, Mit glatter Mähne; als der Fluch vorüber Und still die Welt ward, sprang er plötzlich auf

Mit einem Satz und stand gerad und steif,

Als hätt' die neue Wirklichkeit des Todes Jn's Aug' getroffen ihn, und brüllt' so laut (Es brach die blutdürstig'ste Leidenschaft In seinem Schlund sich Bahn durch Grimm und Furcht)

Und brüllt' so laut und weckte auf den Hügeln

So wilde Echos, die die Thäler glitten Da sie den armen Vogel hör'n Im Garten, so an Wohllaut reich. Aus hohen Tönen, mein Lied sich gestaltet Ton über Ton, Höh' über Höh', Bis ich fühle des Himmels Näh' Und überbrücke abgrundtiefe Schmerzen Mit Harmonien, die sänst'gen die Herzen, Und etwas ruht und etwas waltet In dem Lied, das ich euch singe nach! Lebet wohl! lebet wohl! Der lebend'ge Ton, nicht langer vernehmbar, Verhaucht an Eden's Thor! Jeder Schritt, den ihr macht, Zertritt einen Klang, den ihr hörtet zuvor. Lebt wohl! ihr werdet ihn nimmer hör'n Des Eden Vögelchor!

111 Jählings hinab — so daß des Waldes Thiere Eins nach dem andern heulend Antwort gaben

Boll wilden und voll sorgenvollen Mitleids Das durch die Kehlen brauste.

Dann auf einmal

Fiel er zurück und rollte polternd von

Der Höh' in Waldesdunkelheit."

Wir dürfen jedoch auch nicht die großen und zahl­ reichen Biängel dieser Dichtung verschweigen. Sie ist vor Allem mangelhaft und undramatisch componirt. Groß

und glorreich in unmittelbaren Ausdrücken allgenieiner oder persönlicher Gefühle, — obwohl auch da ihre Empfindling oft stärker zu sein scheint, als die Kraft sie zu bezeichnen — besaß die Dichterin in geringeren! Grade die Gabe, Ideen in Bilder, in Personell und Handlungen umzusetzen und selbst in der Zeit ihrer größten geistigen und künstlerischen Reife fehlte es ihr an höherer Gestaltungskraft. Mitunter scheint im „Drama of Exile“ die Phantasie der Dichterin wie erloschen, an der Stelle ihrer Thätigkeit ein abstractes Combiniren zu treten. Zeigt Elisabeth Barrett Browning in ihreil reiferen Werken nicht immer einen guten Geschmack, so ist dies um so weniger hier der Fall. Manches ist geradezu absurd, wie z. B. der Gesang des Morgensterns mit dem Lachrefrain „Ha! ha!“ Eine Sonderbarkeit der Dichterin, die sich nie ganz verlor, ist ferner die, daß sie oft zu wenig bemerkbare und ver­ schwindende Dinge für wirkungsvoll hält. So ist es fast komisch, wenn sie zu den letzten Worteil des „Drama of Exile“ folgende Schlußbemerkung macht: „Die Sterne scheinen hell, während Adam und Eva ihren Weg in

112 die Wildniß fortsetzen.

Man vernimmt durch die Stille

einen Laut, wie von niederträufelnden T.hränen

eines Engels." Durch das christlich-religiöse Gefühl, das sie durch­

dringt, reihen sich an die Mysterien „Seraphim“ und ,,A Drama of Exile“', Gedichte wie „The Cry of the Human•*,

„Human’s Life Mystery“,

„The

Sleep“,

„Cowper’s Grave“ u. a. an. Elisabeth Barrett Browning

ist von gewissen modernen Gedankenströmungen nie er­

griffen worden.

Unentwegt hielt sie an der christlichen

Offenbarung und zwar an der katholischsten Form des­ selben fest. Weder das Studium der griechischen Literatur, noch eigenes Nachdenken regten jemals Zweifel in ihr

auf.

Von jener freien Religion, welche alle Glieder der

inneren und äußeren Welt zu einem einheitlichen Ganzen

verkettet, ohne demselben einen Nameir zu geben, ohne

eine mythologische Vorstellung daran zu knüpfen, eine Religion, von der wir selbst aufgeklärte Dichter selten ■frei finden und von der wir sie auch nicht frei finden

wollen, ist dieselbe doch eine Schwester jener Weltliebe,

jener andachtsvollen Weltbetrachtung, ohne die wir uns

keinen wahren Dichter

denken

können, — von dieser

freien Religion scheint unsere Dichterin kaum eine Ahnung

gehabt zu haben.

So schreibt sie einmal an R. H. Horne:

„Sie wissen, daß Shelley inmitten der großen Offen­ barungen Gottes, im Chamouni, ä&eog schrieb!

Armer

Shelley! er betrog sich selbst, sowie er den Schöpfer be­ trog,

denn jeder

wahre

Dichter,

sagt

ein

wahrer

Dichter, birgt eine leidenschaftliche Religion in seiner Seele."

Miß Barrett, welche Shelley doch genau kannte.

113 hätte

sehen

müssen,

daß

er

trotz

jenes .Ansspruchs,

„leidenschaftliche Religiosität" besaß,

nur

daß

dieselbe

keine christliche Färbuug hatte, sondern eine freie war.

für.welche Bliß Barrett jedoch die Empftndung fehlte. — Obwohl mir die Behauptung, ein Dichter sei nur

als solcher zu betrachten, es komme auf seine Meinungen, auf seine Weltanschauung nicht an, scheint,

als unrichtig er­

obwohl wir von einem modernen Dichter mit

Recht fortgeschrittene Ansichten erwarten und ein kritik­ loses Festhalten am Ueberlieferten nicht so ruhig hin­

nehmen

können,

wie

etwa

mittelalterlichen

bei einem

Barden, so muß doch zugestanden werden, daß nicht die

Ideen bei einem Dichter das Erste sind, sondern daß

die Tiefe der Empftndung und die Schönheit der Form es ist, mit der er dieselben zum Ausdruck bringt.

ein Gedicht

von

christlicher

Färbung

Ist

tief empfunden,

phantasievoll und schön ansgeführt, so werden wir ihm unsere Bewunderung nicht versagen können, auch wenn

wir den Standpunkt nicht theilen, den es vertritt.

So

entzücken uns einige von den genannten Gedichten, namentlich „The Sleep“ und „Cowper’s Grave“, gleich­ wohl durch Feuer rmd Adel der Empfindung, durch dichte­ rische Andacht, durch die Schönheit der Gedanken und

der Formgebung.

Als einen Mißgriff müssen wir hin­

gegen ein anderes Gedicht bezeichnen, welches gleichfalls

zu

dieser

Gruppe gehört

„The dead Pan“.

Es ist

das Gegenstück zu Schiller's „Die Götter Griechenlands".

Die Dichterin sah nicht ein, daß ein solches Gegenstück nothwendig

unpoetisch

aussallen

mußte.

sie das Gedicht in sehr jungen Jahren. ? r ii 51 o iv t , l9ssni)s.

Doch

schrieb

Es ist für ihre 8

114 Stellung zum klassischen Alterthum charakteristisch.

Nie

hat ein moderner Dichter, der sich pietätsvoll in die griechische Literatur versenkt, weniger von antikem Geiste

in sich ausgenommen, weniger sich in antiken Formen bewegt.

Wir hoben schon einen Herzenszug

der Dichterin

hervor: die Liebe für ihr Geschlecht und das Nertrauen zu demselben.

Ihre Sympathie aber umfaßte die ganze

Sie besaß ein tiefes Mitgefühl mit allen jenen,

Welt.

die auf der Schattenseite des Lebens stehen, eine feine Empfindung für Herzensregungen, welche dem gewöhn­ lichen Menschen entgehen und einen heftigen Widerwillen

gegen aber

alle Formen der haben

und dasielbe

spezifische Gepräge

jammte Dichtung. anders wäre.

Tyrannei.

Ihre

Neigungen

einen unverkennbar weiblichen Charakter, offenbart ja ihre ge­

Und wir wünschen nicht, daß dies

Wir suchen bei einer Frau nicht männliches

Fühlen und Schaffen,

aus

der

Tiefe

des

weiblichen

Wesens soll sie schöpfen, um eine Poesie hervorzubringen,

welche die natürliche Ergänzung zu den Offenbarungen des männlichen Genies bildet.

Denn falsch ist der Ausspruch,

daß das Genie kein Geschlecht habe.

Dem unerschöpf­

lichen Mitgefühl und der gerechtesteir Entrüstung eines Frauenherzens nur konnte der Schmerzensgesang ,.The

Gry of the Children“ entquellen.

Es find jene un­

glücklichen Kinder Englands gemeint,' welche zum Frohn-

dienst in Minen und Fabriken verurtheilt, seelisch und körperlich einem frühen Ende entgegengehen.

denken,

daß

jener

Aufschrei

genügt

habe,

Man sollte

um

dem

schrecklichen Unrecht für inimer zu steuern, statt dessen

115 hat er im

gegeben.

besten Falle einigen Publicisten Anregung

Sehr wahr ist es, daß der „Schrei der Kinder"

über Thomas Hood's ,.The Song of the Shirt“ stehe,

wenn wir auch zugeben müssen, daß nicht alle Strophen von gleichem poetischen Werth sind.

Der Leser findet

eine Uebersetzung des „Schrei's der Kinder", die seine

Nachsicht beansprucht,

im Anhänge

ähnliches Thema

Ein

behandelt

der

zu

diesen Zeilen.

,.Song

for the

Ragged Schools“, den die Dichterin viele Jahre später

in Italien schrieb, der jedoch weit geringere poetische

Bedeutung hat, als der „Ory of the Children“. einem Frauenherzen konnte

ferner das

Nur

schöne Gedicht

„Loved once“ entströmen, das mit den Wortenschließt:

„those never loved Wlio dream that they loved once.“ Bei Dichtern, welche nach

dem Erhabenen streben

nnd von starken Empfindungen bewegt werden,

trifft

man selten auch die Gabe, das Große im Kleinen zu sehen, in einfache Dinge und Vorgänge einen tieferen

Sinn

hineinzulegen,

die Quellen der Poesie zu ent­

Elisabeth

decken, die unter dem täglichen Leben fließen. Barrett Browning

hat dies vermöge ihrer umfassenden

weiblichen Syinpathien jedoch verstanden, wie ihre schönen Balladen „Romance of the Swans Nest“

und „The

Lost Bower“, dann die sinnigen Gedichte „A Lay ol

the Early Rose“,

Doves“ beweisen.

„Wisdom unapplied“

und

„My

Das letztgenannte Gedicht setzt das

Goethe'sche Wort „Q Weisheit, du bist wie eine Taube"

in ein überaus poetisches Bild um.

Das Gedicht ist

zugleich eins der melodischsten, welches wir von Elisabeth

8*

116 Barrett Browning besitzen.

Wer könnte dem Reiz der

folgenden Strophen widerstehen:

My littles doves have lest a nest Upon an Indian tree, Whose leave fantastic take their rest Or motion from the sea; For, ever there the sea-winds go With sunlit paces to and fro.

The tropic Howers looked up to it, The tropic stars looked down, And there my littles doves did sit With feathers softly brown, And glittering eyes that showed their right To general Nature’s deep delight.

And God them taught, at every close Of murrnuring waves beyond And green leaves round to interpose Their choral voices fon'd, Interpreting that love must he . The meaning of the earth and sea.“1)

9 Mein Täubchenpaar ein Nest sich baut’ Auf iud'schcn Baumes Ast, Deß Blättern giebt, die See, die blaut Bewegung oder Rast; Denn irnmefc wandelt hier am Meer Ein rascher Windhauch hin und her.

Es blickt empor die Blumenschaar, Hinab die Sterne schau'n, Hier sitzt mein kleines Taubenpaar In seinem lichten Braun.

117 Dies liebliche Gedicht erinnert an zwei andere, in denen Miß Barrett Sympathie für Thiere kundgiebt, an „The Sea Mew“ und „To Flush my dog“. — Weniger will es der Dichterin gelingen, einen großen philosophischen oder sittlichen Gedanken durch die Elsindung von Personen oder Vorgängen zu illuuriren, wie sie es z. B. in A Vision of Poets“ versucht hat, oder auch nur durch eine Reihe von Bildern auszu­ drücken, wie sie es in „A Rhapsody of Life’s Progress“ gethan, ein Gedicht, das ich nicht so hoch zu stellen vermag, wie manche Kritiker es thun. Das Thema ist dasselbe wie in Schiller's „Glocke", die Ausführung jedoch eine ganz andere. Dieser große Gegenstand war Bliß Barrett entschieden nicht angemessen, aus Gründen, auf die -wir bereits hiugewiesen. Obwohl manche Gedichte Miß Barrett's reich sind an gesanglichen Elementen, wie melodischer Tonfall, leichte Rhythmen, wohlklingende Refrains, (vgl. in Bezug auf die letzteren „A Lay of the Early Rose“, „Bianca among the Nigthingales“, „The Sleep“, „Catarina to

Camoens“ u. a.) finden wir doch kein eigentliches Lied unter ihnen. Liedmäßig zwar läßt sich der schöne „A

In seinen Aeuglein liegt enthüllt, Was Alles rings mit Lnn erfüllt. Sie sind bestimmt ivemi Wogenschwall Und Blätter stille sind, Dann einzurallen jedesmal. Mit Stimmen süß und lind. Verkündend, daß die Grundidee Die l'iebe sei von Erd' und See.

118

Lay of the Early Rose“ an. within“ beginnt es.

„A Rose once grew

A garden April-green, In her loneness, in her loneness All the fairer for that oneness“, allein sowohl seine Länge als auch der Gedankengang

schließen das Gedicht doch aus der Reihe der eigent­ lichen Lieder aus.

Um solche zu schreiben, dazu war

Elisabeth Barrett Browning zu sehr von Reflexion durch­ Dieses Vorwalten der Reflexion

drungen und gesättigt.

ist der Grund, weshalb ihr auch für das der Lyrik

entgegengesetzte Gebiet, für das Plastische, für den ruhen­ den Gegenstand und dessen Wiedergabe der Sinn fehlte. Sie kennt die ästhetische Freude nicht, ein Bild mit aller Klarheit und Deutlichkeit für die Anschauung zu malen.

Die

äußere Welt

hat

inneren Bedeutung. berühmtesten Gedichte

sie

für

nur

als

Spiegel

der

sind die Umrisse viele ihrer

Auch

aus

der Periode ihres Lebens,

von der wir hier sprechen, etwas verschwommen, doch

wurden dieselben knit fortschreitender Entwicklung immer bestimmter und schärfer.

Das sieht mau am klarsten,

wenn man die Balladen aus ihrer italienischen Periode mit den in' früheren Jahren entstandenen vergleicht.

Gleichwohl möchten wir diesen letzteren den Vorzug geben.

Sind sie auch weniger künstlerisch vollendet, so besitzen die meisten derselben einen Zauber ganz eigener Art.

Sie

kommen den Balladen Tennyson's, dessen große Verehrerin

Elisabeth Barrett

Browning

war,

formell

allerdings

nicht gleich, überragen dieselben jedoch durch die größere Ursprünglichkeit

und

packendere Verve.

Die Ballade

119 „Lady Geraldine’s Courfship“,

welche Miß Barrett

schon in jungen Jahren gedichtet,

und die ihre popu­

lärste ist, hat einen ähnlichen Inhalt wie Tennpson's „Locksley Hall“. Die Dichterin soll diese Ballade in zwölf Stunden niedergeschrieben haben. Dieselbe hat ihren Namen zuerst berühmt gemacht. Die lebhafteste

Handlung, die anschaulichste Darstellung der Scenerie enthält „RJiyme of the Duchess May.“ Einen eigen­ thümlichen Reiz gewährt diesem Gedichte das Hinein­

spielen des .Todtenglöckleins, „Toll slowly“ markirt wird.

das durch den Refrain: Es scheint ein seltsames

Wagniß, diese Worte hundert und sechzig mal zu wieder­ holen. Aber mau lese das Gedicht mit offenem Sinn und man wird seinem Zauber nicht widerstehen können. Es ist eine der glücklichsten Bereinigungen von Lyrik und erzählender Poesie, die uns bekannt sind. Eine andere Romanze mit mittelalterlichem Stoff ist „The Romaunt of the Page“, worin Liebe und Treue ver­ herrlicht wird. Mu besonders tiefempfundenes und er­

greifendes Gedicht ist „Bertha in the Lane“. Einen freien Flug läßt die Dichterin ihre Einbil­ dungskraft, zu deren eigenem unschuldigen Ergötzen, in „The Home of Clouds“ und „Tiie Islandnehmen, Gedichte, die stark an Shelleys freie Phantasiespiele mahnen. Daß ihre Seele auch Heiterkeit besaß,

und zu Scherz und

witziger Betrachtung der Tinge geneigt war, zeigt unter diesen Gedichten hauptsächlich das bereits erwähnte „Wine of Cyprus-‘ mit seinen graziösen Bewegungen?)

T) Welche cmmuthche Heiterkeit strahlt uns besonders aus deu ersteu Stropheu dieses Gedichtes eutqegen:

120

Bevor wir uns zu jenem für Leben und Dichtung Miß Barrett's so wichtigeil Ereignisse wenden,

wollen

wir noch einige literarhistorische und kritische Verdienste,

die sie sich erworben, hervorheben.

So betheiligte sie sich

an dem von Wordsworth 1841 angeregten Unternehmen,

den Vater der englischen Dichtung,

Chaucer,

in neues

Englisch zu übersetzen, indem sie die Geschichteil „Queen

„False

Annabelle“

und

Tales“

großem

mit

Arcite“

der

„Canterbury

Geschick modernisirte.

„Wär' all Bacchus jetzt der Sprecher, Klagten seufzend seine Lippen, Daß vom Wein in diesem Becher Wie 'ne Fliege ich that nippen. Wie 'ne Fliege vom' Berg Ida, Weggejagt zur Tafelstunde Von der Kvn'gin Juno, die da Arme schwenket, weiße, runde'.

Wenn so köstlich ist ein Becher, Muß man tiefre Züge wagen, 'Nem tveitschlünd'gen griech'scheir Zecher Würde besser er behagen. (Lyclop's Mund sollt' drin verschwinden, Nur sein Auge drüber schielen, Titan's Mund sich drein auch finden, Ströme Weins hinabzuspülen

Pan's Kopf sollt' mit guter Laune Drin bis zu den Ohren stecken, Um ihn drangen sich die Faune, Fingerdeutend ihn 511 necken. Die Najaden schrein wie Bacchen (Nieder ihre Urnen sinken) „Erde, laß uns doch bewachen Quellen, die so süß zu trinken.^

Außerdem

121 lieferte sie zu dem kritischen Werke ,,A New Spirit of

the Age“ Beiträge, die sie gemeinsam mit ihrem Freunde

R. H. Horne ausarbeitete, in der Weise, daß dieselben ent­ weder in gleichen Theilen von beiden geschrieben wurden,

oder daß einer von ihnen den Hauptantheil hatte. An diese

Arbeiten schließen sich zwei Aufsätze, die Miß Barrett 1842 im „Athenaeunr- erscheinen ließ, von denen der eine über die griechisch-christlichen Dichter handelt, der andere einen Ueberblick giebt über die gesummte englische Literatur

aus Anlaß eines Sammelwerkes, das unter

dem Titel „The Book of the Poets“ erschien.

Beide

Aufsätze zeigen eine Höhe der Bildung und eine Weite

des Gesichtskreises,

wie ihn nächst George Eliot unter

Schriftstellerinnen eben nur Elisabeth Barrett Browning

erreicht hat.

Als Kennerin der alten Sprachen, besonders

des Griechischen, gebührt der letzteren sogar der Vorrang, war sie auch keine Hellenistin im philologischen Sinne. In dein Aufsatz über „The Book of the Poets--' sind

die

die

Bemerkungen,

macht, das Beste.

ihr für Byron

sie

über

die

älteren Dichter

Unter den modernen Dichtern scheint

die Sympathie

vollkommen gefehlt zu

haben. Zu denken giebt der Ausspruch, den sie in dieser Abhandlung

daß

macht,

die Theorie von Accent und

Quantität in Bezug auf moderne und alte Dichtung auf

einem Irrthum beruhe, da aller Rhythmus Quantität

und Zeit voraussetze.

Aufsätze

Den Stil dieser beiden kritischen

können wir nicht

loben.

Er

ist

übertrieben

lebhaft und mit rednerischen Figuren überladen.

Wodurch

sich

Elisabeth

Barrett Browning

vor-

nehmlik) von allen anderen lyrischen Dichterinnen ihres

122 Vaterlandes unterscheidet, das ist die Kraft der Empfindung, die sich bis zur hinreißenden Leidenschaft bei ihr steigern

kann, und vergleicht sich in dieser Hinsicht überhaupt nur noch eine Dichterin mit ihr:

nämlich die österreichische

Lyrikerin Betty Paoli. Wir sprachen von ihrem religiösen, von ihrem humanitären Enthusiasmus, von ihrem Hasse gegen das Unrecht und von den Dichtungen, in welchen

sie

diese Empfindungen

sie

nun

lernen.

ausgeströmt

hat.

Wir

unter dem Einfluß der Liebe stehend

sollen kennen

Wir befinden uns vor dem wichtigsten Wende­

punkte ihres Lebens und ihrer künstlerischen Entwicklung. Obwohl sie, die Schwerleidende, für Fremde gewöhnlich nicht zugänglich war, gelang es doch Robert Browning,

den Eingang zu ihr zu finden und beider hochgestimmte Seelen

erfaßten einander zu einem dauernden Bunde.

Elisabeth Barrett zögerte zuerst, die glühende Bewerbung Robert Brownings zu erhören. den Tod

Schien sie doch eher für

als für die Liebe bestimmt.

Sollte sie auch

des Geliebten Dasein vergiften, indem sie ihr Schicksal

mit dein teinige« verband? Sie leistete ihm und sich selbst

Widerstand, sie kämpfte einen schrecklichen Kampf, schließ­ lich aber siegte die Allgewalt der Leidenschaft nnd Elisabeth

Barrett sah, daß für's Erste noch nicht der Tod, sondern Liebe ihr Theil sei..

Die wechselnden Stimmungen der

zögernden Angst und der vollen Hingabe an das neue,

ungeahnte Glück haben in den Gedichten „Life and Love“,

„A Denial“

und

in den sogenannten „Portugiesischen

Sonetten", die unter einem täuschenden Titel nur ihre

eigenen

wundervollen

Gefühlsergüsse

unvergleichlichen Ausdruck

gefunden.

enthalten,

einen

Der Leser findet

123 im Anhänge Proben dieser schönen Liebespoesie,

deren

traurige, obwohl weniger bezeichnende Töne, die freudigen

an ergreifendem Pathos fast übertreffen. Die portugiesischen Sonette gehören nicht nur zu

den

schönsten Gedichten

Elisabeth Barrett Brownings,

sondern bezeugen auch im Vergleich mit ihren früheren

Schöpfungen einen großen künstlerischen Fortschritt und bilden den Beginn ihrer zweiten Dichterperiode.

Zugleich

zählen die portugiesischen Sonette zu den besten Beispielen dieser Kunstgattung in der Weltliteratur.

Sie sind wie

feingeschliffene Gläser, voll des köstlichsten und feurigsten

Weines.

Ihr Urheber ist „ein volles, yanz von Einer

Empfindung erfülltes Herz."

Es ist,

als

ob sich die

heißen Gefühle der Dichterin von selbst in diese schwierige

Form ergossen hätten und man darf behaupten, daß die Leidenschaft

der Liebe

nie

natürlicher und kunstvoller

zugleich ausgedrückt worden ist, als es in diesen Gedichten

geschieht.

Von ihr selbst gelten ganz besonders die Worte,

welche Airs. Browning

in „Aurora Leigh“ von

dem

Dichter faßt: „Er kann Wie Atlas dastehn im Sonett und tragen Den eignen Himmel voller mächt'gcr Sterne."

Nie ist ein Mann von einer Frau, me ein Dichter von einem Dichter schwungvoller • unb herrlicher besungen worden, als es in dieser meisterhaften Serie geschieht.

Es galt für Robert Browning nicht nur den Wider­ stand der Geliebten, sondern

auch die Abneigung ihres

alten Vaters, die Tochter, welche sein Liebling war, einem

Andern

zu überlassen,

zu besiegen.

Im Jahre 1846

124 aber führte der Sänger die Sängerin als seine Gemahlin

nach Italien, wo sie bis zum Tode der letzteren, volle

fünfzehn Jahre,

für beide die schönste Lebenszeit, ver­

blieben, das seltene Beispiel einer glücklichen Dichterehe, in der beide manches schöne und unsterbliche Werk schufen.

Ihr Glück gipfelte in der Geburt eines Sohnes. Der große Umschwung, der in Elisabeth Barrett

Browning's Dichten Hand in Hand mit dem

großen

Wechsel ihres Lebens — der sich in den Worten Liebe, häusliches Glilck, steter Verkehr mit einem anderen macht­

vollen Dichtergeiste, physische Kräftigung, Reise imb Ver­ tauschung des rauhen, nebeligen Nordens mit dem milden

und sonnenklaren Süden zusammenfassen läßt — eintrat,

offenbarte sich in substantieller Hinsicht in der Erweiterung ihres Gedanken- und Gefühlskreises, im Ergreifen neuer

und größerer Themen, in formeller Hinsicht in den schärferen Umrissen, im geläuterteren Geschmack, in der reineren Sprache, im virtuoseren Versbau. Wir wollen hier sogleich

hervorheben, in welcher Weise Elisabeth Browning's Genie von dem ihres Gatten beeinflußt wurde.

dieser Einfluß rein kritischer Art von großem Nutzen.

und

Zunächst war

insofern für sie

Wir dürfen annehmen, daß er sie

auf die Mängel ihrer ursprünglichen Stilweise aufmerk­

sam machte, von denen seine eigenen ja völlig verschieden

waren und dadurch ihre künstlerische Läuterung förderte. In späteren Jahren aber kanl es mitunter vor, daß sie

ihre Eigenart aufgab und unwillkürlich im Stile ihres Gatten schrieb, damit aber auch dessen Härten übernahm, die den allerunangenehmsten Gegensatz zu den ihr eigen­

thümlichen und

bei

aller

.schmelzenden Tönen bilden.

Kraft

immer

weichen

und

In ihre italienische Periode fallen ausser den von

bereits

uns

gewürdigten

portugiesischen Sonetten ihre

politischen Gedichte, ferner der Roman „Aurora Leigh-,

ihr umfangreichstes Werk, und. zahlreichere kleinere Dich­ tungen, theils lyrischer, theils erzählender Art. Zunächst folgte auf die portugiesischen Sonette das

schöne

Gedicht

„Casa Guidi Windows“,

dessen erster

Theil 1848, dessen zweiter Theil 1851 entstand.

Gedicht,

die Sonette

Dieses

und „Aurora Leigh“' bezeichnen

den dichterischen Höhepunkt Airs. Brownings, während

die „Poems before Congress“ und die „Last Poems“ vielfad) eine Abnahme ihrer Kräfte und den ungünstigen Einfluß ihres Gatten verrathen.

den Inhalt

Airs. .Browning legt

von „Casa Guidi Windows“

Borworte folgendermaßen dar:

in

einem

„Dies Gedicht enthält

die Eindrücke der Berfasserin von den Vorfällen in ToScaim, von denen sie Zeugin war.

Es wird keine forttaufeiibe

Erzählung oder eine Darstellung politischer Philosophie versucht.

Es ist eine einfache Geschichte von persönlichen

Eindrücken, deren einziger Werth in der Stärke beruht,

mit der sie aufgenommen wurden, der Verfasserin Liebe für ein schönes nnd unglückliches Land bezeugend und in

der Gewissenhaftigkeit, mit der sie mitgetheilt sind, als Zeichen, daß sie selbst daran glaubt und von Parteilich­

keit frei ist." gewebe

Das phantasievolle, hochpoetische Gedanken­

zeigt uns die Dichterin auf einem Gebiete, auf

dem wir sie bisher noch nicht beobachtet: auf dem der politischen Poesie. So zogen ihre umfassenden Sympathien

einen Gegenstand nach dem anderen in ihren Bereich.

Mit kindlicher Pietät, mit hochherzigem Mitgefühl um-

126

faßte sie das Land, das ihr zur zweiten Heünath wurde und dessen schwere Geschicke und feierte und beklagte es in zahlreichen Liedern. Und es ist etwas Heiliges, die Begeisterung eines Dichters für die Schicksale eines fremden Volkes. Besonders schön ist der Anfang von „Casa Guidi Windows“: „I heard last night a little child go singing, ’Neath Casa Guidi Windows, by the cliurch, 0 holla lib ertä, 0 Bella' — stringing The same words still on notes he went in search, So high for, you concluded the upspringing Of such a nimble bird to sky from perch Must leave the whole bush in a tremblc green, And that the heart of Italy must beat, While such a voice bad leave to rise serene ’Twixt church and palace of a Florence Street: A little child, too, who not long bad been By mother’s finger steadied on Ins feet, And still 0 b eil a liberta he sang/* v)

In reimloser Uebcrfe^uiig: „Ich horte zwischen Casa Guidi und Der Kirche letzte Nacht ein Kindlein singen: 0 bella liberta, o bella! stets Dieselben Worte, doch ans Tönen, die Von solcher Höhe, daß ihr meintet, wenn Solch' Vöglein sich vorn Nest znrn Himmel schwänge, Der ganze grüne Busch erzittern wurde, Italiens Herze heftig pochen mußte, Weil solche Stimme fröhlich sich erhob, Erschallend zwischen Kirche und Palast: Eilt kleines Kind, das vor nicht langer Zeit Die Mutterhände stellten auf die Fuße, Und dennoch sang's: o bella liberta!“

127 Großes

erregte

Aufsehen

der

poetische

..Aurora Leigh“, der 1856 erschien. beendete

denselben

in London und Es

Werk."

während eines

diese Dichtung gefällt. Landor

in

kurzen Aufenthaltes

bezeichnete ihn selbst

rourben

Roman

Mrs. Browning

als ihr „reifstes

überschwängliche

Urtheile

über

Treffend bemerkte sogleich Savage an Forster:

einem Briefe

„Ich lese ein

Gedicht mit einer Fülle von Gedanken und von bestechendem Phaiitasiereichthum.

Auf vielen Seiten

kühne Einbildungskraft Shakespeare's.

Ahnung

daß Jemand

davon,

Poesie fähig sei." nicht,

sich die

Ich hatte keine

in unserer Zeit solcher

Er fügte noch hinzu: „Ich weiß uoch

auf was die Geschichte hinausläuft.

sitzen Constructionsgabe."

dieses

findet

Wenige be­

In der That ist die Bedeutung

merkwürdigen Buches hauptsächlich in der Fülle

geistreicher und origineller Gedanken und Betrachtungen

zu suchen,

denen wir auf Schritt und Tritt begegnen

uub fühlen wir uns auch oft

zum Widerspruch gereizt,

so werden wir doch stets durch die Eigenthümlichkeit der An­

schauungsweise und den Zauber des Ausdrucks gefesselt.

Es ist selten so natürlich, so einfach, so bequem und poetisch zugleich gesprochen worden,

wie es in diesem Gedichte

geschieht, auch ersehen wir aus demselben, welche satirische

Kraft,

welcher

stand.

-Das Buch ist im höchsten Grade subjektiv.

reiche Witz Mrs. Browning zu Gebote

Die

Dichterin spricht darin Alles aus, was ihr in der Zeit ihrer größten geistigen Reise am Herzen lag, wozu stets nur

die eigenthümlichsten und interessantesten Geister berechtigt sind, jede Zeile des merkwürdigen Buches aber sagt uns.

128 daß

die

Dichterin

dieser Kategorie angehörte.

Welch'

eigener Zauber liegt gleich in den Eingangsversen: „Das Bücherschreiben will kein Ende nehmen! Und ich, die viel in Vers und Prosa schrieb Zu Andrer Nutzen, schreibe nun zu meinem, — Will für mein bess'res Selbst mir was erzählen, •

Wie wenn ihr euer Bild malt für den Freund,

Der es im Schrank verschließt und es betrachtet, Nachdem er lang geendet euch zu lieben,

Als wollte er das Einst und Jetzt vergleichen."

„Wenige besitzen

in jenem Briefe.

Constructionsgabe," sagt Landor

Auch in diesem Gedichte bewies Mrs.

Browning, daß die Akuse ihr höhere Darstellungskraft

versagt

habe.

Die Komposition des Romanes ist sehr

unbefriedigend. belangt,

wenig

so

Was ferner die Charakterdarstellung an-

läßt sich über die des männlichen Helden

Gutes

sagen,

besser

sind

der

Dichterin

die

Frauengestalten gelungen, aber es ist dies mehr auf dem

Wege der Analyse,

als der Synthese geschehen.

Aber

auf was läuft die merkwürdige Dichtung eigentlich hinaus?

Es ist die Geschichte zweier Enttäuschter, die nach hohen Zielen ringen, aber schließlich zur Erkenntniß gelangen,

daß sie sich auf falschem Wege

befanden und falsche

Mittel ergriffen.

Aurora Leigh ist die Tochter eines vornehmen Eng­

länders und einer Italienerin.

Sie wird im Vaterlande

ihrer Mutter geboren, welch' letztere sie sehr früh ver­ liert und auch der Tod des Vaters fällt in ihre frühe Jugend. Nach diesem zweiten Verluste wird sie nach England zu einer Schwester ihres Vaters, einer Lady

129 vom gewöhnlichen Schlage gebracht, in- deren Hanse sie

heranwächst.

Ihre Leidenschaft ist das Lesen, besonders

das Lesen

von

poetisches

Talent

Dichtern,

an

entwickelt.

sich

denen Die

eigenes

ihr

Schilderung

ihrer

Jngend ist Mrs. Browning's eigene idealisirte Jugend­ geschichte und voll von den feinsten Zügen.

Mit Aurora

wächst ihr Vetter Romney Leigh, der künftige Erbe von Leigh Hall,

dem Stammsitze

der Familie,

heran.

Er

saßt srüh eine geheime Neigung zu Aurora und auch sie

ist ihm unbewußt zugethan.

Roniney hat jedoch etwas

beschränkte Ansichten von der Bestimmung eines weib­

lichen Wesens, und

als er eines Tags Gedichte seiner

Cousine findet, da tritt sein Herz auf seine Lippen, und er beschwört sie in einem Athemzuge die Kunst zu lassen und

sein Weib

zu werden.

Aurora's Stolz,

der in

diesem Augenblicke größer ist, als ihre Zuneigung, empört sich gegen seine erste Forderung, so daß sie auch seine zweite zurückweist und sie trennen'sich, nachdem sie beide

ihre besten Gründe in's Feld geführt. die alte Tante

stirbt,

begiebt

Als bald darauf

sich Aurora,

die nun

mittellos dasteht und den Beistand, den ihr Romney in zarter Weise sichern möchte, ablehnt,

nach London, um

sich als Schriftstellerin eine Existenz zu gründen.

erringt große Erfolge, die Kritik, —

Sie

über die es an

scherzhaften Ausfällen nicht fehlt — behandelt sie gnädig. Aber sie muß Tag und Nacht arbeiten,

Wangen bald eingesunken und blaß sind.

daß

so

ihre

Romney aber

hat sich seit ihrer Trennung ganz philantropischen Zwecken

gewidmet und, — wir übergehen die Geschichte von der un­ glücklichen Marian Erle und der dämonischen Jirtriguantin T) r ii s f o ro i r , Essays.

9

130 Lady Waldemar — schließlich Leigh Hall zum Zufluchts­ ort für Obdachlose und Arme gemacht und sich bemüht,

seine Schützlinge an ein geregeltes Leben zu gewöhnen, obwohl er mehr für ihr materielles Wohl, als für ihre

sittliche Besserung Sorge trägt.

Sie aber fluchen ihm

ob seiner Barmherzigkeit, verbrennen sein Schloß schließlich zu

Asche

Brandes

und

ein

Mensch

er erblindet.

ihn während

des

In diesem Zustande findet er die Jugend­

geliebte in Italien wieder.

langen

trifft

mit einem Balken derart auf den Kopf, daß

Schlußscene

Aurora entdeckt,

daß

des er

Rührend schön ist in der

Buches

der

Augenblick,

wo

blind ist und das Erbarmen

die alte Liebe in ihren: Herzen wieder erweckt.

Beide

bereuen ihr Leben oder gestehen doch zu, daß sie nicht

die wahren Mittel ergriffen, um das hohe Ziel zu er­ reichen, welches ihnen vorgeschwebt. In Romney's Schicksal wollte die Dichterin nichts anders zeigen,

als daß alle

Versuche, die „Armen und Elenden" zu heben, so lange

scheitern müssen, als Reformer und Menschenfreunde nur

Die Verbesserung der äußeren Lage derselben und nicht auch ihre innere Stärkung und Versittlichung im Auge haben.

Nun kann man allerdings einwenden,

daß die

Hebung jener Menschenklaffen doch nicht anders als durch

materielle Unterstützung und Regelung ihres Lebens be­ ginnen kann, ist die Beseitigung von

wahrlosung doch gleichbedeutend eines

entsittlichenden

Umstandes.

Noth und Ver­

mit der Wegräumung Immerhin

ist

die'

Dichterin mit ihrem Betonen des idealen Momentes voll­

kommen im Rechte und sehr wahr sind die Worte, welche Aurora, als Dichterin urtheilend, zu Romney

spricht:

131 Der Seele braucht's Den Körper zu regieren; des hohen Sinns

Um nur zu einem reinern Stall die Massen Zu führ'n; des Ideals, um nur den Rauch Der Wirklichkeit ein wenig zu vermindern."

Die Wahrheit dieses Gedankens zugegeben, müssen rvir jedoch beklagen, daß die Dichterin nicht einfach das

Mittel genannt oder

im Bilde dargestellt habe, durch

welches jene Menschenklasse allein gehoben und gerettet werden

könne,

statt des Scheitern

unzulängliche Ver­

besserungsversuche vorzuführen und das alte Lied voll

dem Pöbel, der sich gegen seinen Wohlthäter empört, zu

wiederholen.

Und nun das zweite Thema der Dichtung,

welches Mrs. Browning in Aurora's Lebensschicksal und

schließlicher Reue zum Ausdruck gebracht hat.

Das Er­

gebniß ist auch hier, wenn auch in einem andern Sinne,

ein unbefriedigendes.

Aurora glaubt in einer anderen

Richtung als Romney gefehlt zu haben.

In der Schluß-

fcene sagt sie, zu diesem gewendet: Du fehltest schwer? Dll sagst es ja.

Arn Schwersten fehlte ich,

Arn Schwersten, ja. Du wolltest Menschen retten Durch halbe Mittel, halb nur ihre Roth

Erkennend, da du an dich selbst nicht dachtest. Doch ich, die die Natur des Menschen sah

Von beiden Seiten, wußte was die Seele

Und was die Kunst bedarf, verbarg Die Dinge, die ich sah, verdarb mein Leben,

Für das ich sprach.

Begierig zu erhöhen

Den künstlerischen Trieb in mir aus Kosten

Der weiblichen Natur, vergaß ich, daß

132 Sein ganzer Künstler jemals werden kann Ein nnvollkomm'nes Weib.

Vorn Stamme kommt

Die Blnme, vorn Natürlichen der Geist ....

Die Knnst ist viel, doch Liebe mehr! O dn bist viel, o Kunst, doch Liebe mehr!

Knnst zeigt den Himmel, aber Lieb' ist Gott

Und schafft den Himmel.

Ich entsagt dem meinen!

Wir könnten mit dieser Reue und Selbstanklage, —

abgesehen von der etwas geschmacklosen Einkleidung der­

selben in den letzten Sätzen — nun vollkommen einver­ standen sein, wenn sich dieselbe nur darauf bezöge, daß Aurora der Liebe entsagt habe.

Denn in der That giebt

diese dein Künstler, — sei er Manir oder Weib — erst die wahre Weihe.

Aber Aurora bereut, daß sie Romney's

damalige Werbting nicht erhört, und macht die wahre

Künstlerschaft beim Weibe abhängig von der Ehe.

Nur

das „vollkommene Weib", also das Weib, welches seine

natürliche Bestimmung in der Ehe erreicht, vermöge ein

ganzer Künstler zu werden.

Wir sind jedoch der Ansicht,

daß die Dichterin, die ja hinter Aurora steht, den glück­

lichen Fall, in dem sie sich selbst befand, in einer der Erfahrung widersprechenden Weise zu einem allgemeineir Gesetze erhoben habe.

Die Wahrheit liegt im Allge­

meinen weit eher in Goethe's Ansicht, daß die Ehe der Feind des weiblichen Talentes sei, und auch hierin be­ stätigt die Ausnahme die Regel.

Fast alle hervorragenden

Künstlerinnen, Dichterinnen und Schriftstellerinnen waren entweder

unverehelicht

oder schufen

erst

Bedeutendes,

wenn die ehelichen Bande sich gelöst hatten. Trotz ungenügender Charakteristik und mangelhaften

133 Gefüges, trotz vielen unbefriedigenden Gedanken, welche die Dichtlmg enthält, möchten wir doch jedem dringend ihre Lectüre empfehlen.

Ein Landor staunte, daß Jemand

in unserer Zeit noch solche Poesie schaffen könne und

mit ihn: wird jeder Leser staunen, der sich nicht etwa das nil mirari zum Grundsatz gemacht hat.

all'

seiner Mängel

Gedicht.

ein

einziges und

Es ist trotz

unvergleichliches

Noch müssen wir, bevor wir dasselbe verlassen,

auf die Verherrlichilng Hinweisen, welche wiederholt der

Dichtkunst und ihren Jüngern darin zu Theil wird.

Kein

Dichter konnte von seiner Kunst und seinen Genossen einen höheren Begriff haben, als Mrs. Browning.

So nennt

sie die Dichter einmal:

Die Iw. Und Am

einigen Künder wesentlicher Wahrheit Gegensatz zu der verhältnißmäß'gen zeitlichen; die einzigen, die sie halten sonn’gen Saum durch’s Grau in Grau der Sitte.

An einer andern Stelle ruft sie aus:

O sorgenvolle Himmelsgabe Bescheert dem Dichter eines Doppellebens Wenn schon ein ^eben birgt genug der Qual. Beugt uns die Last des bloßen Menschen schon, Wessen wir aufrecht steh’n als halbe Götter, Ertrage:: das untragbare Gewicht Des Allgemeinen, müssen aufwärts senden, Mit Stimmen, welche menschlich Stöhnen trübte, Gedichte, Reime dort für sie zu finden. Ueber das Wesen der dichterischen Thätigkeit sagt

sie die treffenden Worte:

Da Kunst Die Handlung setzt an Stelle der Empfindung,

134 So muß der Künstler sowohl sein als thun. Durchdringend mit besondrer Geisteskraft

Das, was der -Alltagsmensch nur seicht empfindet, Und auswärts wenden mit gewalt'gem Ruck Halb Krampf, halb Seligkeit, das Ding, das er Am Tiefsten fühlt ....

Auch an kritischen Bemerkungen und ästhetischen Be­

trachtungen über Dichter und Dichtungsformen fehlt es in

„Aurora Leigh"

nicht.

Treffend

verspottet

Mrs.

Browning jene Barden, die sich nur in früheren Epochen heimisch fühlen, mit den Worten: „Ich kann dem Dichter nicht vertrauen, der Nicht Ruhm, noch Helden sieht in seiner Zeit,

Fünfhundert Jahr zurück die Seele wälzt In ein Kastell mit Zugbrück' und mit Gräben,

Wo er besingt — nicht etwa Kröt' imd Eidechs

Die dort im Pfuhle, dies wär zu entschuld'gen, — Doch einen Häuptling, Ritter halb, halb Schafdieb,

'Ne Dame, die halb Königin, halb Dirne, So todt, wie wohl zum größten Theil muß das

Gedicht sein über ihre edle Asche.

Und dies kein Wunder.

Tod vererbt den Tod."

Bom Drama hofft die Dichterin: „Vielleicht entwächst es noch Der Gleißnerei der farbigen Coulisse

Den Brettern, Spielern, Gas, Souffleurs, Costümen

Und wählt' als würd'gern Schauplatz sich die Seele."

Was würde endlich mancher schulsteife Aesthetiker zu folgendem Ausspruch sagen: „Die beste Form der Dichtung'^ laßt mich denken Nicht an die Form und Aeußeres.

^aßt den Geist

Wie die Natur es thut, die Form sich bilden,

135 Da wir gewiß den Geist sonst fesseln statt

Ihn zrl verkörpern.

Inn'res immerdar

3ii Aeuß'rem — so im Leben und in Kunst, Die auch nur Sein .... Fünf Akte für ein Stück ?

Weshalb nicht fünfzehn? zehn? weshalb nicht sieben? Wer frägt wohl nach der Zahl der Blätter, wenn

Der Banm lebt und gedeiht?

Sich steifen auf

Die Zeit- und Raumeinheit in der Poetik ?

Da doch die Leidenschaft nie pflegt zu achten Auf Raum und Zeit? Absurd. Erhalt' das Feuer

Und laß die edlen Flammen selbst sich formen."

Ausschließlich politischen Inhaltes,

wie schon der

Titel besagt, waren die 1860 erschienenen „Poems before Congress“.

Mit Ausnahme des „Curse for a Nation“

sind sie alle von der Sympathie für die freiheitlichen

Bestrebungen Italiens, und zum Theil für dessen fran­ zösischen

Bundesgenossen

Die

eingegeben.

Sammlung

wird mit einer Napoleon III. überschwänglich verherr­

lichenden Rhapsodie eröffnet, die den merkwürdigsten und auffallendsten Gegensatz

Pamphlete

zu

Victor

Hugo's

„Napoleon le petit“ bildet.

grimmigen

In „Napo­

leon III/' hauptsächlich zeigt sich der üble Einfluß, welchen

Robert Brownings Stil in den letzten Jahren ihrer Ehe auf den seiner Frau ausübte.

Von den erzählenden

Gedichten jener Gruppe, sind hier hauptsächlich

„The

„A Court Lady“

Das

Dance“

und

hervorgehoben.

letztere ist vielleicht die schönste Ballade, welche die Dichterin in ihrer italienischen Periode geschrieben hat.

Sie ist

dramatisch, anschaulich, formvollendet und hauptsächlich poetisch.

„A Curse for a Nation “

sklaverei Nordanierika's.

galt der Neger­

Auch dies Gedicht zeigt formell

136

den Einfluß Robert Brownings, doch verdient es als ein

machtvoller

Ausdruck

der

Gerechtigkeitsliebe

der

Dichterin unsere Bewunderung.

In den „Last Poems“

(1861) finden wir Lyrik,

erzählende und Gedankendichtung.

Die Romanze „Lord

Walter’s Life“ erinnert an ältere Balladen, wie „The Romaunt of the Page“, „Romaunt of Margaret“ u. s. w.

„Bianca among the Nightingales“ ist voll melodischen

Reizes, besonders schön die erste Strophe: „Die Cypresse stand da einer Kirche gleich In der Nacht, da wir weihten den Liebesbund,

Und heiliges Mondlicht erfüllt' den Bereich Und klärte wie Gold das weite Rund.

Die Oliven erhellten die Thaleshallen

Bis dort, wo Hügel zu Hügel sich zieht, Die Feuerfliegen und Nachtigallen Vereinten sich beide, Flamme und Lied — Die Nachtigallen, die Nachtigallen!"

Von

ächt

weiblicher

Empfindung

ist

Gedicht „Nature’s Remorses“ eingegeben.

das

schöne

Viele dieser

Poesien sind düsteren Inhaltes. Die Sammlung bezeichnet im Allgemeinen eine Abnahme der dichterischen Kräfte

ihrer Schöpferin. Wir vermissen darin oft ihren „eigensten Gesang", und wie hoch diese Gedichte künstlerisch und dramatisch über denjenigen ihrer englischen Periode stehen

mögen, so gehört unser Herz doch den letzteren und ihrem

originellen Zauber. Die Besserung der Gesundheit unserer Dichterin in

den ersten Jahren ihres florentinischen Aufenthaltes war

trügerisch gewesen.

Nur zu bald kehrten die alten Leiden

137

zurück.

Ihre zarte Gestalt schwand immer mehr zu einem

Schatten zusammen. Mit warmem und schönem Pathos

„Am Ende des ersten Sommerinonats

sagt Stedman:

von 1861, ein denkwürdiges Jahr für Italien, war das

Land des Gesanges frei und geeinigt, mehr als je eine Königin unter den Völkern;

aber

die Stimme seines

süßesten Sängers war verstummt, die goldene Harfe ge­

brochen, die sibyllinische Sängerin lag sterbend in der

Es war am 29. Juni 1861, daß

Stadt der Blumen."

ihr Seher-Auge brach, vor dem bis zuletzt noch schöne Visionen schwebten.

Die Florentiner errichteten an dem

Hause, wo die edle Dichterin so viele Jahre mit hoch­ klopfendem

Herzschlag

die Geschicke

ihres

Vaterlandes

verfolgt und besungen, eine Gedenktafel.

Elisabeth Barrett Browning entspricht auf's voll­ kommenste jenem Bilde, welches man mit dem Worte „Dichter" hauptsächlich zu verbinden pflegt, denn inan

denkt dabei fast immer an den begeisterten, schwungvollen Lyriker.

Wie Wenigen war es dieser herrlichen Frau

gegeben, die Welt zu entzücken, zu erheben und hinzu­ reißen.

Zugleich

gehört sie zu den.seltenen Beispielen

der Vereinigung von Unmittelbarkeit

fassender Cultur.

der

starkem dichterischen Drang und

Empflirdung

mit

hoher

und

um­

Und war ihr auch die höchste Bildner­

kraft versagt, so wäre es doch unschön und ungerecht, diesen Mangel gegenüber ihren anderen großen dichte­ rischen und menschlichen Eigenschaften und der idealen

Kraft, welche ihre Schöpfnngen ausströmen, zu stark zu

betonen.

Diese Zeilen sollten eine der größten Frauen aller



138



Zeiten dem deutschen Leser näher bringen, aber noch mehr der deutschen Leserin.

Die Dichterin, welche von

ihrem Geschlechte so hoch gedacht, ihm so manches schöne

Denkmal geweiht, welche die edelsten Gefühle und Leiden­ schaften des Frauenherzens ausgeströmt und eine Poesie geschaffen, wie sie nur eine geniale und begeisterte Frau hervorzubringen vermochte, sie verdient alle Liebe und

Bewunderung ihres Geschlechts.

In vollem Maße bringen

die englischen Frauen ihr diese dar, mögen die deutschen ihnen darin folgen!

Anhang. Der Schrei der Linder. Hört ihr weinen die Kinder bittere Thränen

Eh' heran mit den Jahren die Sorge kriecht? Die Häupter an ihre Mütter sie lehnen, Doch solches stillt ihr Schluchzen nicht.

Es blöken die Läimnlein auf den Matten, Die jungen Bögel zwitschern im )test, Die jungen Rehe spielen im Schatten,

Die jungen Blumen erblüh'n gegen West! Doch die Kindlein, die Kindlein, meine Brüder,

Die Kindlein, sie weinen bitterlich,

In der Andern Spielzeit sind roth ihre Lider In dem Land, das mit Freiheit brüstet sich. Fragt ihr die Kinder ob ihrer Sorgen

Ob ihrer Thränen um Bescheid? Ein Alter niag weinen um sein Morgen,

Das ihm verloren in Ewigkeit;

Der alte Baum im Walde trauert, Es endet im Winterfroste das Jahr, Vor Berührung der alten Wunde euch schauert,

Weh der Hoffmmg Verlust, wenn alt sie war! Doch die Kindlein, die Kindlein, meine Brüder,

Fragt ihr sie, was ihnen die Thränen entwand, In den Schooß ihrer Mütter strömend hernieder,

In unserm glücklichen Vaterland?

140 Sie schau'n auf mit hagern Gesichtern, mit fahlen Und wehe dem, der in ihr Antlitz blickt! Es haben der Menschheit dunkle Qualen Die Wangen der Kindheit eingedrückt.

„Sehr traurig, sagen sie, ist die Erde, Und unsre Füße sind schon müd',

Schon wenige Schritte sind uns Beschwerde, Und noch lange tönt uns kein Grabeslied. Fragt die Bejahrten, weshalb sie bangen Und nicht die Kinder! die Welt ist so kalt!

Wir Jungen stehn außen mit unserm Verlangen,

Und das Grab ist für die nur, welche alt." „Wohl, sagen die Kinder, kann es kommen Daß eher beendet ist unser Weh! So ward letztes Jahr hinweggenommen

Klein Alice, ihr Grab wie ein Ball ist von Schnee.

Wir sah'n in die Grub', die man macht, sie zu decken, Die war zu Allein zu eng und zu klein, Aus ihrem Schlaf wird der Ruf sie nicht wecken:

„Steh' auf, klein Alice, der Tag scheint herein!" Horcht ihr am Grabe bei Sonn' oder Regen,

Abwärts das Ohr, ihr hört Alice nicht schrei'n. Es würde ihr Antlitz uns seltsam bewegen,

Der Glanz im Aug' muß gewachsen sein. Vom Glockenspiel eingelullt ohne Klagen Verbringt sie im Schrein ihre Mußezeit,

Es ist gut, wenn sich's trifft, die Kleinen sagen, Wenn der Tod uns im frühen Alter befreit."

Weh! weh! den Kindern! sie suchen im Leben

Den Tod als ihren rettenden Strand, Auf daß der Verzweiflung sie's nicht ergeben,

So hüllen das Herz sie in's Leichengewand.

141 Vertagt die Mine, das Stadtgewühle, Singt wie Drosseln, ihr Kinder, ohne Acht! Pflückt die Hände voll Blumen mit frohem Gefühle Und wenn sic den Händen entschlüpfen, so lacht! Doch ihre Antwort: sind Blumen und Ntatten Dem Schachte so nah wie das schlechte Kraut? Laßt uns ruhig im Dunkel der Kohlenschatten Mit euren Freuden hold und traut.

Denn ach, cs sind müde unsre Beine Und laufen und springen ist uns so fern, Wenn in's Freie wir wollten, geschäh cs alleine, Weil wir ruhen und schlafen würden gern. Uns zittern die Kniee, wenn wir sie beugen Und wenn wir gehen, erleiden wir Noth, Unter Lidern, die sich abwärts neigen Schien die rötheste Blume wie Schnee so todt. Denn alltäglich ziehen wir unsre Lasten In den Kohlenschachten finster und stumm, Oder drehen die Räder ohne zu rasten, In den Werkhäusern um unb um. Alltäglich die Räder sich wenden und smnmen, Es streicht über unser Antlitz ihr Wind, Bis die Herzen sich drehen, die Köpfe brummen, Die Mauern am alten Ort nicht mehr sind. Es dreht sich im Fenster die Himmelsstrecke Und an den Mauern das Llcht für und für, Es dreht sich die Fliege, die kriecht an der Decke, Wie Alles sich dreht, so mit Allem auch wir. Alltäglich die Eisenräder dröhnen, Doch zuweilen sprechen wir im Gebet: „O ihr Räder (ausbrechend, in thörichtes Stöhnen), O daß ihr nur heilte stille steht!"

142 Ja, seid still! laßt sie gegenseitig belauschen

Ein wenig ihr Athmen Mund an Mund! Laßt sie mit einander Handschlag tauschen,

Zu einem neuen Jugendbund. Laßt sie wissen, daß die metallische Bewegung Nicht alles Leben in Gottes Bereich,

Laßt die lebenden Seelen erfahren die Regung, Daß in euch sie nicht leben, nicht unter euch.

Doch täglich drehen die Räder sich weiter

Zerstörend des Lebens inneren Kern, Und die Seelen, welche der himmlische Leiter

Ruft sonnenwärts, regen vom Lichte sich fern. Run mahnt die armen Kinder, o Brüder, Daß nach Ihm sie sehn vom Gebete geführt,

Daß Er, der ja segnet Hoch und Nieder, Auch sie eines Tages segnen wird.

Doch sie: „Wer ist Gott, der uns hört von der Höhe Während das Sausen der Räder tönt fort und fort?

Denn es hör'n unsre Seufzer nicht, die in der Nähe

Vorbeigehen, oder sie sagen kein Wort. Und wir hören nicht, (weil die Räder schnarren), Die Fremden sprechen an der Thür,

Kann Er unter singenden Engelschaaren

Je gehört uns haben, weinen wir? Zwei Gebetesworte vergessen wir nimmer, Naht heran die schaurige Mitternacht, So sagen wir aufwärts blickend im Zimmer,

„Unser Vater," auf daß er vor Leid uns bewacht. Nur diese zwei Worte sind uns eigen Und wenn die Engelsstimmen einst ruh'n,

Wird Gott sie pflücken im günstigen Schweigen, Um sie in die starke Rechte zu thun.



143



„Unser Vater.'" Hört' er ilns also klagen (Sie nennen ihn niild und gut gesinnt), Würd' er herniederlächelnd sagen: „Konun und bleibe bei nur, mein Kind."

„Nein," sagen die Kinder, und murren dreister, „So sprachlos wie ein Stein er bleibt. Sie sagen sein Abbild sei der Meister, Der uns zur heilen Arbeit treibt.

Wir sehen am Himmel, sagen die Kleinen, Nur Wolken, die wie Räder sind,

Lacht nicht! Schmerz nahm uns den Glauben, den reinen Und Thränen machten für Gott uns blind.

Hört ihr die Kinder so unumwunden

Mit Tadel an euren Lehr'n sich ergehn?

Denn Gott wird nur in der Liebe gefunden,

Und die Kinder zweifeln an Beider Besteh'n.

Wohl mögen die Kinder laut vor euch weinen, Denn sie sind ermüdet in kürzester Frist. Sie sehen die Sonne, den Ruhm nicht scheinen, Der Heller selbst als die Sonne ist.

Sie kennen den Schmerz, doch nicht seine Lehre,

Den Kunimer, doch seine Ruhe nicht; Sie sind Sklaven ohne christliche Wehre,

Dulder, für die Niemand Kränze flicht. Sie sind müd' wie im Alter, doch nie wird gedeihen

Der Erinnerung Saat bei dem jungen Blut,

Weder Erde noch Hnmnel mag Lieb' ihnen weihen, Wollt ihr hemmen ailch noch ihre Thränenfluth? Sie schau'n auf mit blassen und Hagern Gesichtern Und wehe dem, der in ihr Antlitz blickt!

Sie mahnen an die, die über den Lichterir

144 Des Himmels schauen nach Gott entzückt. „Wie lang stehst du auf dem Kinderherzen,

Die Welt zu beherrschen,

du böse Nation?

Erstickend sein Pochen mit eisernen Fersen,

Am Markte schreitend zu deinem Thron? Unser Blut schreit aufwärts, ihr Goldesmehrer,

Euer Purpur zeigt eure Schreckens bahn! Doch der Fluch in dem Kindesseufzer ist schwerer,

Als der des Mannes in seinem Wahn!"

Äbschied. Wir haben spät uns, ach, zu spät gefunden, O Freund, nicht mehr als Freund! Ein Bote ist

Des Tods, die. Hülle um mein Knie gewunden,

Und jeder Schritt sagte: du am Ende bist! In dieser letzten der Gefahren, wie Soll ich dir nahen, die sich nicht kann regen?

Wie komm' ich deinem Flehen wohl entgegen?

Jn's Antlitz blicke mir und sieh! Ich darf dich ja nicht lieben! Geh in Schweigen

Und lasse sinken diese welke Hand!

Such' Rosen an dem Orte, dem sie eigen,

In Gartenplätzen, nicht im Wüstensand. Kann Leben sich dem Tode einen? wie? Du stimmst herab dein Lied mich zu beweinen?

Ich lieb' dich nicht, wenn matt die Worte scheinen:

Jn's Antlitz blicke mir und sieh! Ich hätte dich geliebt in frühern Tagen! O damals hätte deine Liebe mich

So hoch gestimmt, wie groß jetzt ist inein Zagen! Bevor von den verweinten Wangen wich

Der Schmelz, hältst du mich da um Sympathie,



145



Um ganze, volle Liebe angegangen,

Hätt' lächelnd ich gesagt und unbefangen: „Jn's Antlitz blicke mir und sieh!"

Doch jetzt, Gott sieht mich, Gott, der meine Seele Getaucht hat in des Lebens Wogenschwall! Auf dieser Welt ist nichts, was ich mir wähle,

Wie Klage tönt mir heller Liederschall. Wie sollte nicht der Liebe Harmonie,

Nach der entfesselt Heil'ge sich bewegen, Newält'gen mich? doch wär' ich dir ein Segen?

Jn's Antlitz blicke mir und sieh! Indeß ich schaue wie in Traumeshelle Ein edles Weib des höchsten Werthes voll,

Der Stimme Schall, wie der der Silberwelle,

Zeugt für den Seelenborn, dem sie entquoll. Die jünger, heit'rer, freiern Geistes, die Schöner als ich bin (die du mußt vergessen),

Mit lichten Augen... die nicht Thränen nässen,

Jn's Antlitz blicke mir und sieh! Leb' wohl du, den zu spät ich lernte kennen,

Als daß du mir noch liebend dürftest nah'n, Sei glücklich du, den groß die Menschen nennen, Und der Geliebten Treue sei kein Wahn. Doch ich kann sie nicht sein! Undenkbar! nie! Ich bin verloren, ich muß weiter gehen, Wo ich nur mehr zu Einem werde flehen:

Jn's Antlitz blicke mir und steh!j)

In: Original lauten die letzten Zeilen dieser Strophe: I am lost, I am changed, — I must go farther where The change shall take me worse, and no one dare Look in my face and see. Die Anwendung des „see“ im Infinitiv in der Schluß10 Druskowitz, Essays.

146 O sei gesegnet! alle Güter, welche Ich für dich wünsche, werden dir gesandt!

Hab' in der Lampe Oel, und Wein im Kelche, Dein Herd sei freudvoll, drücke deine Hand

In gleicher Treue eine andre! Nie Werd' ich dich lieben! Geh und ohne Klagen!

Ich fühle nicht mehr Muth, um dir zu sagen: Jn's Antlitz blicke mir und sieh!"

Sonette aus dem portugiesischen?) 1. (L) Ich dacht' einst dran, was Theokrit gesungen

Von süßen Jahren, hochwillkomm'nen Tagen,

Da Jeder schien in güt'ger Hand zu tragen Ein Götterpfand den Alten wie den Jungen. Und da ich sann von seinem Geist durchdrungen,

Zog's nebelgleich durch Thränen und es lagen

Vor mir der e^g'nen Jahre bittre Klagen, Die düster über meinem Haupt geschlungen

Des Grames Schleier.

Plötzlich sah' ich's kommen

Durch meine Thränen wie ein mächt'ger Schatten, Ich fühlt' mein Haar in Geisterhand genommen

Und eine ernste Stimme hieß mich rathen:

Wer hält dich? Tod! — Doch habe ich vernommen: Nein: Liebe rafft dich auf aus dem Ermatten.

zeile, im Unterschied von dem früheren imperativischen Gebrauch, machte eine getreue Wiedergabe des in den beiden letzten Zeilen enthaltenen Gedankens in der Uebersetzung unmöglich. x) Die Uebersetzung des ersten und vierten Sonetts rührt von I. Dohmke (vgl. „Magazin für die Literatur des In- und Auslandes" 1880, p. 323 st.), die des zweiten und dritten sowie alle übrigen metrischen Uebertragungen dieses Buches von mir her.

147 2. (III.) Sieh, großes Herz, wie wir in allen Dingen So ungleich, im Berufe und im Sinnen.'

Wie unsre Engel mit erstaunten Mienen Sich messen, wenn sich kreuzen ihre Schwingen

Im Fluge.

Dich, bedenk es, macht dein Singen

Zum Gast, beim Festesspiel von Königinnen, Wo hundert Blicke lohnend dich umspinnen,

Von iüß'rem Reiz, als meine je erringen

Im Thränenglanz.

Wie wär' es dir beschieden

Rach mir zu schau'n, aus Hellem Lichterscheine,

Rach mir, der Wandersängerin, der müden,

Durch's Dunkel singend im Eypressenhaine? Dein Haupt netzt Chrysam, meins der Thau.' der Frieden Des Tod's bestimm die Höh', die beide eine.

3. (V.) Elektra wies die Urne — feierlich

Heb' ich mein Herz empor, das übervolle,

Und auf dich blickend seine Asche rolle Zu deinen Füßen ich.

Besinne dich,

Welch eine Last in mir gesammelt sich,

Und wie die Funkenschaar, die rothe, tolle Dunkel durch Asche glühet! Will im Grolle

Dein Fuß sie löschen, bis sie ganz verblich,

So mag es gut sein, aber willst du harren Mit mir auf einen Windhauch, der den Staub Hinwegbläst, dann, dann dürfte kaum bewahren,

Dein Haupt, Geliebtester, das Lorbeerlaub, Daß nicht das Feuer sengend sollte fahren

Zn deine Locken! Geh'! entflieh dem Raub!

148

4. (XXIII.) Und ist es wahr? wenn todt ich lüg' und kalt,

Würd'st du in mir dein Lebensglück beweinen? Die Sonne würde dunkel dir erscheinen

Wenn Grabesduft dies bleiche Haupt umwallt? Ich staun' ob solcher Liebe Allgewalt.

Wohl bin ich dein — doch zögernd möcht' ich meinen, Bin ich so viel dir denn? den Wein den reinen, Darf ich ihn bieten dir? Erdwärts so bald

Aus Todesträumen soll die Seele kehren?

So liebe mich! stärk' mich durch Hauch und Blick!

Wie stolze Frauen lassen Rang und Ehren, Mit Freuden folgend sel'gem Liebesglück.

So will den nahen Himmel ich entbehren, Das Grab um dich! und bleib' bei dir zurück! —

III.

George Eliot. Es

erscheint oft wie eine Engherzigkeit, wie eine

Grausamkeit, das Vergleichen von literarischen Größen, das Abwägen ihrer Werthe gegeneinander und die schließ­

liche Bestimmung ihrer Rangstellung.

Und doch drängt

sich uns dieses Verfahren immer wieder auf, und unser Gefühl verlangt,

daß

Geistern festgestellt werde.

eine

Rangordnung

unter

den

Es befriedigt uns nicht, die

Dichter, nur im Verhältniß zum Ideal der Kunst zu betrachten, wir wollen erkennen, wie sie sich unterein­

ander im Verhältniß zu diesem Ideal abstufen, bilden sie doch zusanunen

eine Gemeinschaft.

Besonders aber

drängt es uns zu bestimmen, wen wir uns an der Spitze einer Kategorie stehend denken sollen.

Wer nun über George Eliot spricht, der wird es nicht unterlassen können, George Sand ihr gegenüber

zu stellen, die fast ein halbes Jahrhundert hindurch als

das größte weibliche Genie gefeiert worden ist.

Das

Ergebniß dieses Vergleiches wird jedoch die Behauptung

sein,

daß nicht mehr George Sand, sondern George

Eliot es ist, welcher der erste Platz unter den Frauen

gebührt, auf welche die Literatur stolz sein kann. Be­ gründen werden wir diesen Satz erst, nachdem wir über die große englische Dichterin gesprochen haben.

150

Es ist in Deutschland verhältnißmäßig wenig über

George Eliot gesagt worden

und

doch

kann man zil

einer -Zeit, wo der nur die niedrige und gemeine Seite

des Lebens veranschaulichende naturalistische Roman, der oberflächliche,

seichte

Gesellschaftsroman

und

der, von

einigen großen Beispielen abgesehen, auf falschen Vor­ aussetzungen beruhende historische Roman das Feld be­ herrschen, nicht oft genug aus eine Dichterin Hinweisen,

die mit ihrem

umfassenden

Geiste

allen

Seiten

des

Lebens gerecht wird, die nie von der Oberfläche der

Dinge schöpft, sondern stets in ihr Innerstes eindringt, die endlich unserer Zeit angehörend auch durchaus modern

fühlt und, zwei Werke ausgenommen, die Gegenwart

im Bilde darzustellen sucht,

wie

es die Aufgabe des

epischen Dichters unserer Tage ist. Mary Ann Evans — dies der Vorname und der

Familienname der Dichterin — wurde am 22. November 1819 zu South Farm in der Pfarrei Colton, Warwick­

shire,

geboren?)

Wenige Monate

nach

ihrer Geburt

übersiedelten ihre Eltern nach Griff House, nahe Nuneaton in derselben Grafschaft.

von wallisischer Abkunft.

Robert Evans, -ihr Vater, war Er war zuerst Zimmermann,

Als Quellen zu dem biographischen Theil dieser Studie haben mir gedient: der Essay von Call: George Eliot. Her Life and Writings erschienen in der Westminster Review LX. p. 154 ff. und das vortreffliche Buch, welches Mathilde Blind über die Dich­ terin veröffentlicht hat (London 1883). Es bildet den Anfang der: Eminent Women Series edited by John H. Ingram und ist vom biographischen Gesichtspunkt aus die tverthvollste und eingehendste Arbeit, welche wir über die Dichterin besitzen und bietet eine Fülle

neuere Details.

151 brachte es aber später zum Förster und endlich zum Guts­ verwalter. Nur in letzterer Eigenschaft war er in Warwickshire bekannt und zwar bestens bekannt. Er verwaltete dort zu einer Zeit zugleich fünf Güter. Er wurde nicht nur wegen seiner Fähigkeit und Gewandt­ heit, sondern auch wegen seines vortrefflichen Charakters hochgeschätzt. Seine Vertrauenswürdigkeit war in der Gegend sprichwörtlich. Seine große Tochter bewahrte ihm zeitlebens eine tiefe Verehrung, und sie hat vielen ihrer Gestalten, vor Allem einer ihrer ansprechendsten und vortrefflichsten, dem prächtigen Adam Bede, Aehnlichkeit mit ihm gegeben. Sie selbst hatte des Vaters sittliche Tüchtigkeit geerbt. Dagegen scheint sie in Bezug auf Temperament, Hllmor und manche geistige Eigen­ schaft mit ihrer Mutter Aehnlichkeit gehabt zu haben. Robert Evans war zweimal verheirathet. Er hatte aus erster Ehe einen Sohn und eine Tochter; Mary Ann war der jüngste Sprößling seiner zweiten Ehe, aus der noch eine Tochter, Namens Christiana und ein Sohn, Namens Isaak hervorgingen. Von Mary Ann's Mutter

wissen wir jedoch nichts Direktes und können nur aus einer Gestalt der Dichterin eine Vorstellung von ihr ge­ winnen. Es ist nämlich bekannt, daß Frau Hackit in Eliot's erster meisterhaften Erzählung: „Die traurigen Schicksale des ehrwürdigen Herrn Amos Barton" ein getreues Abbild der Mutter der Dichterin sei. Demnach war Frau Evans vor Allem eine unermüdliche Hausfrau, gutherzig und zugleich mit einer vortrefflichen Beob­ achtungsgabe und einer scharfen Zunge ausgerüstet. Mit Recht weist Miß Blind darauf hin, daß von Frau Hackit

152 kein weiter Schritt mehr sei zur trefflichen Frau Poyser, einer der heitersten aller Eliot'schen Gestalten, und es ist wohl möglich, daß Frau Evans gewissermaßen auch das Modell dieser Gestalt gewesen sei. Demnach würde George Eliot in Bezug auf die Herleitung gewisser Vorzüge des Charakters, des Geistes und des Gemüths von ihren Eltern ein bekanntes Dichterwort auch auf sich haben anwenden können, nur daß mit der Vererbung

von Seiten der Eltern zugleich eine Veredlung des Ererbten in ihr vor sich gegangen war. Bis zu ihrem zwanzigsten Jahr lebte die Dichterin in der genannten schönen und fruchtbaren Landschaft, die damals viel dichter bewaldet war, als sie es jetzt ist, und „man wird von den Fenstern von Griff House die Eichen und Ulmen gesehen haben, die von Shakespeare's Ar­ dennerwald noch übrig geblieben waren." Die Stellung ihres Vaters, die sich immer mehr verbesserte und ihr ermöglichte mit Personen aus den verschiedensten Ständen bekannt zu werden, war für die Entwicklung und Schärfung ihrer Beobachtungsgabe und Bereicherung ihrer Lebens­ kenntniß von unschätzbarem Werthe, ja sie hätte füglich in keiner günstigeren Lebenslage aufwachsen können. Kaum sind für einen anderen Dichter die Erinnerungen an Kindheit und Jugend aber auch so fruchtbar ge­ worden, wie für George Eliot. Ihr wunderbares Ge­ dächtniß hielt alle einmal empfangenen Eindrücke fest, ein großer Reichthum von Bildern sammelte sich daher in ihr an, und sie liebte in ihren schöpferischen Jahren die Rückblicke in eine glückliche Vergangenheit. Unver­ gänglich werden aber jene Werke sein, die in deir Schau-

153 platzen ihrer Jugend fußen und wo sie Menschen schildert. die sie damals anr häufigsten beobachtet. Wollen wir uns Mary Ann als Kind vorstellen, so müssen wir an die wundervolle Maggie in der Kind­ heitsidylle der „Mühle am Floß" denken, denn es steht außer Zweifel, daß der Dichterin bei der Darstellung

dieser berückenden Gestalt Züge ihrer eigenen Kindheit vorgeschwebt haben. Auch ihr Verhältniß zu ihrem Bruder Isaak war ein ähnliches wie dasjenige, welches

Btaggie zu Tom in der Dichtung einnimmt, wie ja die Gedichte „ Brother and Sister“ beweisen, in denen sie uns von ihren und ihres Bruders gemeinsamen Lieb­ habereien, Streifereien und Spielen in jenem frühen Lebensalter erzählt. Leider wird, nebenbei bemerkt, unsere Freude an dem naiven Inhalt dieser kleinen Serie anmuthiger Bilder durch die oft gar zu mangelhafte Formgebung beträchtlich geschmälert. Aber, ach, wie bald trübte sich das Verhältniß der beiden Geschwister, und sie, die am thaufrischen Morgen mit Angelruthe und Angelschnur durch Flur und Wiese fröhlich nach

dem fernen Strom zogen, Freud und Leid mit einander theilend, wie bald trennten sich ihre Wege. In welchem Grade die herrliche Kindergeschichte der „Mühle am Floß" autobiographische Bedeutung hat, beweist unter Anderem auch der Umstand, daß die hübsche Zigeuner­ episode auf einem thatsächlichen Erlebniß der jungen Mary Ann beruht. Mary Ann entwickelte sich geistig und körperlich sehr

rasch. Ihre ungewöhnlichen Talente scheinen zuerst von ihrer Mutter erkannt worden zu sein, die einsichtsvoll

154 und ehrgeizig genug war, um ihrem Kinde eine möglichst gute Erziehung geben zu lasten. Schon früh wurde Mary Ann mit ihrem Bruder in eine Gemeindeschule geschickt, älter geworden, kam sie nach einer Schule in Nuneaton und besuchte gleichzeitig eine Sonntagsschule. Zwölf Jahre alt wurde sie in eine Pension in Coventry gethan, die von zwei Schwestern, Namens Franklin, ge­ leitet wurde und in der Nachbarschaft in sehr gutem Rufe stand. Der jüngeren Miß Franklin, die sich durch gewählte Sprechweise und feine Manieren auszeichnete,

hatte es Mary Ann zu verdanken, daß sie den Dialekt abstreifte, den man in ihrem Elternhause sprach, und sich an eine correcte und gewählte Ausdrucksweise ge­ wöhnte. Ja, sie soll noch weiter gegangen sein und sich förmlich eine neue Stimme gebildet haben, was wohl so zu verstehen ist, daß sie sich daran gewöhnte, in einer gewissen besonders klangvollen Tonlage zu sprechen. Bian kann sich vorstellen, daß ihre Sprache in dieser Uebergangszeit etwas Affektirtes gehabt habe.; später übte ihr schönes Organ und ihre vollendete Ausdrucksweise einen starken Zauber auf alle aus, die sie kennen lernten. Müssen wir uns Mary Ann in ihrer Kindheit sowie Maggie von einer Lebhaftigkeit denken, die oft an Wild­ heit gränzte, so erfuhr ihr Wesen in dieser Hinsicht doch sehr frühe eine Umwandlung. In Coventry hatte sie durchaus nicht die Art eines Schulmädchens, sie war für

ihr Alter ungemein ruhig und gesetzt. Ein merkwürdiger Ernst lag in ihrem Wesen und im Ausdruck ihres Ge­ sichtes, mit seinen eher männlichen, als weiblichen Formen. Sie war ihrer gesammten körperlichen und geistigen

155 Entwicklung nach mehr Weib, als Kind und so darf man sich nicht darüber verwundern, wenn sie im Alter von vierzehn Jahren von einem Fremden einmal für eine der Vorsteherinnen gehalten wurde. Von ihren Schulge­ nossinnen wurde sie angestaunt, während sie sich ihrer­ seits ziemlich fern von ihnen hielt, ihnen in Kenntnissen überlegen war und mit Vorliebe las. Unter ihrem ernsten, ruhigen Aeußern verbarg sich jedoch ein leidenschaftliches Herz und eine Seele, in der es heftig stürmte. Sehnsucht

nach Sympathie — eine ihrer Mitschülerinnen fand da­ mals Verse von ihr, die solche Sehnsucht ausdrttckten — der Widerstreit eines starken Lebenstriebes und einer Neigung zur Weltentsagung, wie sie ihn später in Maggie so schön dargestellt hat, und endlich wohl auch jenes dunkle Gefühl überlegener Kraft, welches das junge Genie empfindet, ohne noch seine Schwingen regen zu können — dies war es, was ihr Herz bewegte. Und welcher zu großen Dingen berufene Geist wäre über die unklare Jugend ohne heiße Kämpfe hinweggekommen? Doch reichten diese inneren

Aufregungen bei Miß Evans weit über die Jugend hinaus. Selbst in reiferem Alter war sie oft den heftigsten Schwermuthsanfällen ausgesetzt, zum Theil wohl eine Folge ihrer großen nervösen Erregbarkeit, und es währte lange, bevor ihre Gefühle in's Gleichgewicht kamen und sie die ersehnte innere Ruhe fand. Mit fünfzehn Jahren verließ Mary Ann die Schule. Bald nach ihrer Rückkehr in's Elternhaus sollte sie den Abschied für immer kennen lernen: ihre Mutter starb

unb sie empfand den Verlust auf's Schmerzlichste. Als sich nach nicht langer Zeit ihr Bruder und ihre Schwester

156 verheiratheten, führte Mary Ann für ihren Vater den Haushalt, beschäftigte sich mit allen Angelegenheiten der

Farm, vernachlässigte aber darüber ihre geistige Fort­

bildung nicht. 1841 übersiedelte Robert Evans mit seiner Tochter nach Foleshill bei Coventry.

An diesem Orte war es,

wo Mary Ann sich jene hohe Bildung aneignete, die sich in ihren Werken nirgends verleugnet.

Sie lebte nun

hauptsächlich ihren Studien, vertiefte sich in Philosophie, unter der Anleitung

trieb

bedeutender Lehrkräfte die

klassischen und verschiedene moderne Sprachen, sowie ohne

Beihilfe Hebräisch. in der Musik.

Gleichzeitig vervollkommnete sie sich

Ihr Clavierspiel soll ihre Freunde an­

gesprochen haben, wenn ihre Technik auch nicht die Kritik der Kenner bestand.

Daß sie musikalisch gebildet war,

beweisen zahlreiche Aussprüche in ihren Werken.

Von

ihrer Liebe für die Musik legt auch ihre ansprechende

„Juballegende", jedenfalls die bedeutendste ihrer größeren metrischen Dichtungen, Zeugniß ab. Als eine Gilnst des Schicksals müssen wir es be­

zeichnen, daß Mary Ann in Foleshill Gelegenheit hatte, mit geistesverwandten Menschen in freundschaftliche Beziehungen

zu treten. Es waren dies Mr. Bray, dessen Frau und Miß Hennell, dessen Schwägerin, die auf einer Villa in Rosehill

lebten.

Mr. Bray, seiner äußeren Stellung nach ein

wohlhabender Industrieller,

war

dem

inneren Berufe

nach philosophischer Schriftsteller und Philanthrop.

Eine

Reihe hervorragender Schriften sind aus seiner Feder hervorgegangen, in denen er überall für Comte's Lehre

eintritt.

Auch seine Frau, eine edle und im besten Sinne

157 des Wortes religiöse Natur, die seine freien Ansichten

theilte, sowie deren Schwester, die geistvolle, doch stark

zum Mysticismus neigende Miß Hennell zeichneten sich jede in ihrer Weise in der Literatur aus.

Der intime,

fast tägliche Verkehr mit diesen hochgebildeten und frei­ sinnigen Menschen, in deren Hause George Combe und

Anthony Froude

häufig Gäste

waren,

wo

zuweilen

auch Ralph Waldo Emerson erschien, war für Miß Evans besonders zu jener Zeit ihres Lebens von großer Be­ deutung.

Nicht nur erfuhr ihr Ideen- und Jnteressen-

kreis dadurch im Allgemeinen eine Erweiterung, sondern war es auch, zum guten Theil wenigstens, dem Einfluß

ihrer Freunde zuzuschreiben, daß sie das Christenthum

mit Comte's

Religion

der

schönen

Menschlichkeit ver­

tauschte, nachdem allerdings schon in der Zeit, die ihrer Bekanntschaft mit den Bray's unmittelbar vorherging, sich starke Zweifel in ihr zu regen begonnen hatten.

Lange konnte der große Umschwung,

der sich in

dieser Zeit in ihren Anschauungen vollzog, ihren streng­

gläubigen Bekannten und ihrer nächsten Unigebung nicht verborgen bleiben. Es fehlte natürlich nicht an Bekehrungs­ versuchen; ernste Folgen aber drohte ihre Abtrünnigkeit

für ihr Verhältniß

zu ihrem Vater zu

haben.

Wie

hätte der einfache schlichte Mann den Kämpfen und Er­ rungenschaften seiner Tochter Verständniß entgegenbringen

sollen, wie hätte es ihn im Gegentheil nicht schmerzen sollen, daß es dahin mit ihr gekommen war?

Er forderte

von ihr die fernere Beobachtung äußerer religiöser Formen, und schon dachte Mary Ann daran, sich von ihm loszu­

sagen, und allein zu leben, als durch Vermittlung von

158 Freunden, die sie überredeten, sich seinen Wünschen in jener Hinsicht zu fügen, das alte gute Einvernehmen zwischen Vater und Tochter so viel als möglich wieder hergestellt

Wir hoben bis jetzt nur hervor, welche Vortheile

wurde.

für Mary Ann aus dem Umgang mit den Bray's ent­

sprangen, nicht weniger groß war aber umgekehrt die Be­

deutung, welche ihr Umgang für die Freunde hatte. Denn lange bevor sie berühmt war, bildete ihr Gespräch, das

ebenso viel Geist wie Milde und Güte verrieth, den Gegen­ stand der Bewunderung und des Entzückens Aller, die

desselben theilhaftig werden konnten und wer mit ihr

verkehrt hatte, fand die Unterhaltung mit Anderen schaal

und bedeutungslos.

Zudem konnte Miß Evans, so zu­

rückhaltend sie Fremden gegenüber zu sein pflegte, unter Freunden, trotz des allgemeinen ernsten Charakters ihres Geistes sich zuweilen einer übermüthigen Fröhlichkeit hin­ geben, und wie wäre es denkbar, daß die Schöpferin

von Gestalten und Scenen voll des köstlichen Humors, nicht auch int Leben diese Gabe geltend gemacht und die­ jenigen, die das Glück hatten ihre Freundschaft zu be­

sitzen, nicht durch ihre humoristischen Einfälle bezaubert

hätte?

Die sorglose Heiterkeit der Jugend scheint unserer

Dichterin allerdings immer gefehlt zu haben, und wir

hören nichts davon, daß sie an jugendlicheit Vergnügungen jemals Freude gehabt habe.

Sie war dazu vor Allem

zu sehr von geistigen Interessen erfüllt; dann aber fehlte

ihrer äußeren Erscheinung auch jener Grad von Anmuth

und Wohlgefälligkeit, ohne welche junge Mädchen sich

nicht frei

und unbefangen unter ihren Altersgenossen

bewegen.

Sie war in jungen Jahren, abgesehen von

159

dem

Schmucke

Haars

und

einer Fülle

lichten und

schöngelockten

einer wohlproportionirten Gestalt,

durch­

aus nicht hübsch zu nennen, ihre Gesichtsformen waren vielmehr ungewöhnlich massiv, der Gesichtsfarbe fehlte

die Frische, doch besserte sich ihr Aussehen mit den Jahren,

je mehr der Geist demselben sein Gepräge verlieh.

Eine

ungemeine Beweglichkeit ließ die unschöne Bildung des

großen Mundes vergessen, und ihre die Farbe stets wech­

selnden Augen hatten einen außerordentlich mütterlichen

und seelenvollen Ausdruck.

Bezaubernd konnte sie sein,

wenn sie lebhaft sprach; wer sie jedoch zuerst so gesehen

und dann still vor sich hinblickend wiedersah, vermochte sie wohl

kaum mehr wiederzuerkennen.

Die Bildung

ihres Kopfes verrieth die geniale Begabung.

Mr. Bray

machte die Beobachtung, daß der Kopf George Eliot's, nächst dem Napoleon's, die größte Breite von Stirn zu

Ohr zeigte.

Auffallend ist die Aehnlichkeit zwischen ihrer

Gesichts bildung und derjenigen Savonarola's.

Sie schien

größer als sie in Wirklichkeit war, und war schlank und

gut gebaut.

Einer festen Gesundheit konnte sie sich nie

erfreuen und sie war häufig qualvollen Nervenaufregungen unterworfen. 1842 machte das Erscheinen des „Leben Jesu" von Strauß auch in England großes Aufsehen und seltsamer­

weise fanden sich gerade in dem kleinen Städtchen von Warwickshire viele dafür besonders empfängliche Geister,

an deren Spitze Charles Hennell stand, der Berfaffer einer auch

in Deutschland

bestens

bekannten „Untersuchung

über den Ursprung des Christenthums." Lebhaft wünschte

man eine Uebersetzung des Werkes zu besitzen und beschloß

160 kein

Geldopfer

Bewerkstelligung

behufs

solchen

einer

Mr. Hennell aber ersah eine Miß Brabant,

zu scheuen.

die gebildete Tochter eines gelehrten Theologen, als die geeignetste Persönlichkeit, die Uebersetzung des Werkes

zu lmternehmen.

Kaum jedoch hatte er Miß Brabant

zur Uebersetzerin bestimmt, als er sie für etwas Anderes noch

geeigneter

werden.

betrachtete:

nämlich Mrs. Hennell zu

Als junge Frau konnte sie die begonnene Arbeit

jedoch nicht fortsetzen und so wurde diese Miß Evans' Händen anvertraut, die dem Paare nahe stand, und das

Freilich ging dies nicht so leicht

Werk auch vollendete. und glatt von Statten.

Die Uebersetzung bereitete ihr

mehr Mühe, als irgend eine ihrer eigenen Schöpfungen, und sie bedurfte mehr als einmal der Ermunterung von

Seiten ihrer Freunde, um die Arbeit nicht fallen zu

lassen.

Sie gelang jedoch vorzüglich und erschien 1846

bei Chapman.

Die Einführung der Dichterin in die

Literatur

demnach

war

eine

rein

zufällige

und

in

Anbetracht dessen, was sie zu leisten berufen war, kaum

eine würdige zu nennen-

So wenig regte sich jedoch in

dieser Zeit der Schaffenstrieb in ihr, daß sie fortfuhr

am Uebersetzen Freude zu finden.

Denn kaum hatte sie

das „Leben Jesu" beendet, so griff sie zu Feuerbach's

„Wesen des Christenthums".

Die Uebertragung dieses

Werkes erschien gleichfalls bei Chapman, der jedoch wenig

Für's erste machten diese Ueber-

Glück damit hatte.

tragungen den Namen Miß Evans' in gelehrten Kreisen vortheilhaft

bekannt.

Wir

haben

jedoch

noch

nicht

alle Werke genannt, die Miß Evans in ihre Mutter­ sprache übertrug.

Es

kommen

dazu

noch

Spinoza's

161 Abhandlung

„De Deo“

und seine Ethik.

Die Ueber-

setzung der letzteren unternahm sie im Jahre 1854, doch

erschien sie erst nach ihrem Tode.

Mr. Evans hatte beiläufig sechs Jahre mit seiner

Lieblingstochter in Foleshill verbracht, als er zu kränkeln begann.

Mary Ann pflegte ihren Vater mit Hingebung

Einige Zeit verbrachte sie mit ihm

und Aufopferung.

auf der Insel Wight, und in seinem letzten Lebensjahre

pflegte sie ihm täglich stundenlang aus Scott vorzulesen. 1849 wurde er ihr durch den Tod entrissen. den

Verlust

mit

nicht

größerem

Schmerze empfinden können. Jahren manche

und

Sie hätte

nachhaltigerem

Obwohl ja in den letzten

Verschiedenheit

der

Anschauungen ihr

Verhältniß zu dem Vater wiederholt getrübt hatte, wurde doch ihre Kindesliebe nicht dadurch beeinträchtigt.

hatten

acht Jahre

in

Sie

engster Gemeinschaft zusammen

verlebt, und die Sorge um den Vater war stets ihre erste gewesen.

Sein Tod riß eine starke Lücke in ihr

Leben und die nunmehr Alleinstehende überließ sich der

tiefsten Trauer.

Die

vortrefflichen Brap's

versuchten

ihren Gedanken und Empfindungen eine andere Richtung

zu geben, indem sie eine Reise nach dem Continent mit ihr unternahmen.

Als Reiseziel war Anfangs Italien

bestimmt, der Weg sollte durch die Schweiz genommen

werden, doch erreichte man nur die letztere.

Die ge­

wünschte Wirkung wollte sich bei Miß Evans lange nicht

zeigen, und überdies wurde ihr die Reise in den Alpen durch nervöse Furchtsamkeit verleidet, der sie nur selten

Herr werden konnte.

Am Genfer See ließen die Bray's sie allein zurück, 11

? r u s k o >v i tz , Essays.

162 da sie genöthigt waren, früher nach England zurückzu­ kehren. Miß Evans lebte nun acht Monate in der Pension „Le Plongeau“ bei Genf. Wie für viele große Menschen,

wurde

auch

für

die

künftige Verfasserin

des

„Adam

Bede" und der „Mühle am Floß" dieser See mit seinen entzückenden Gestaden ein Tröster und Wohlthäter.

beruhigte sie sich allmälig. am Lesen.

Hier

Auch fand sie wieder Freude

Sie vertiefte sich in Rousseau und Proudhon

und machte, durch diese Denker angeregt, selbst Welt­

verbesserungspläne.

Einen anregenden Verkehr fand sie

in der Person des Malers d'Albert, eines bedeutenden Künstlers und liebenswürdigen und hochgebildeten Blenschen.

Er war der Urheber des einzigen Bildnisses in Oel, welches

von ihr vorhanden ist.

Als Miß Evans die Rückreise

nach England antrat, war d'Albert ihr Begleiter.

Mary Ann's Stimmung hatte sich am Genfer See wohl gebessert.

Die Rückkehr nach der Heimath,

die

kaum mehr ihre Heimath war, riß die alte Wunde wieder

auf und das Gefühl der Verlassenheit und Verwaistheit

bemächtigte sich ihrer mehr als je.

Ihr Bruder forderte

sie auf in seinem Hause zu wohnen; allein die beiden

Menschen, die als Kinder unzertrennlich gewesen, hatten

sich längst zu sehr von einander entfernt, als daß eine Verständigung und ein Zusammenleben noch möglich ge­

wesen wäre.

Wie aus dem letzten Abschnitt der Serie

„Brother and Sister“ hervorgeht, scheint diese Ent­ fernung schon in der Schulzeit'begonnen zu haben und

nie ein Ausgleich erfolgt zu sein.

„School parted us; we never found again That childish world where our two spirits mingled

163

Like scents from varying roses that remairi One sweetnes, nor can evermore be singled.“ Welche Wehmuth spricht aus diesen Worten, be­

sonders aber zeigt wieder die „Mühle am Floß", wie nachhaltig sich die Dichterin mit dieser frühzeitigen Trennung

von dem einst geliebten Bruder beschäftigte.

Wohler fühlte sich Mary Ann bei ihren Freunden in Foleshill, in derem Hause sie ein ganzes Jahr (1850 bis 1851) verbrachte, obwohl auch hier, bei aller geistigen

Anregung, die sie fand, bei aller Herzlichkeit, mit der man ihr begegnete, eine'tiefe Melancholie nicht von ihr Für diese gab es nur ein Heilmittel, geistige Arbeit.

mich.

Doch regte sich der Schaffensdrang

noch immer nicht.

Es mußte also eine Anregung von Außen kommen.

rechten Zeit erreichte sie daher

Zur

die Aufforderung

des

Dr. Chapman, in. die Redaktion der Westminster Neview einzutreten,

welch'

letztere

John Stuart

aus

Händen in die seinen übergegangen war.

zögerte

Mill's

Miß Evans Wohl fiel ihr

keinen Augenblick und sagte zu.

der Abschied von den Freunden schwer, aber eine Stimme

daß

inahnte sie,

sie es sich selbstschuldig sei, in einen

Lebenskreis einzutreten, wo ihrer Arbeit und Thätigkeit harrten. • Sie verließ Foleshill im Juni 1851 und ging

nach London.

Dort

wohnte Miß Evans

zuerst

in

der Familie

Dr. Chapman's, der damals Pensionäre in sein Haus aufnahm und zwar besonders Personen aus literarischen

Kreisen.

Miß Evans war somit die beste Gelegenheit

geboten, mit den damaligen literarischen Berühmtheiten

Londons in Verbindung zu treten.

Sehr bald war sie ii*

164 mit Herbert Spencer befreundet, den man irrthümlicher

Weise als den Erwecker ihres Geistes und ihren Führer durch die Studien bezeichnet hat, während sie ihn doch

zu einer Zeit kennen lernte, als ihre geistige Physiognomie schon feste Formen angenoinmen und sie sich jene hohe

Bildung angeeignet hatte, von welcher gestützt und durch­ drungen ihr Genius so überaus herrliche Früchte hervor­

zubringen berufen war. Sie stand also zu Herbert Spencer in keinem geistigen Abhängigkeitsverhältniffe, sondern war ihm, als sie ihn kennen lernte,

ebenbürtig.

band eine starke geistige Zuneigung.

Beide ver­

Auch waren sie

gewissermaßen Collegen, da auch Herbert Spencer für

die Westminster Review arbeitete, deren Blüthezeit da­

mals war.

Miß Evans schrieb für die Zeitschrift eine

ansehnliche Reihe größerer Aufsätze und Abhandlungen

und besorgte überdies die Bücherschau jeder Nummer. Ihre Arbeiten

gehörten zu den besten der Zeitschrift.^)

Gediegenheit und Reife der Gedanken, reiches Wissen, Witz und Phantasie — dies alles ist in ihren Aufsätzen vereinigt.

Rücksicht für den Raum verbietet uns leider

näher auf dieselben einzugehen.

Für

Miß Evans

sollte jedoch

keine ihrer neuen

’) Es ist sestgestcllt, daß folgende größere Artikel aus ihrer Feder stammen (vgl. Westminster Review Vol. LX. p. 162 und Mathilde Blind p. 71): „Life of Sterling by Carlyle“, Januar 1852; „Woman in France: Madame de Sabie“, Oktober 1854; „Evangelical Teaching: Dr. Cumming“, Oktober 1855; „German Wit: Heinrich Heine", Januar 1856; „Silly Novels by Lady Novelists“, Oktober 1856; „The National History of German Life“, Juli 1856; „Worldliness and other Worldliness: The Poet Young“, Juni 1857.

165 Londoner Bekanntschaften größere Bedeutung und nach­

haltigere Folgen haben, als die mit dem vortrefflichen und

glänzenden

G. H. Lewes,

kennen lernte und Review schrieb.

den

sie bei Chapman

der gleichfalls für die Westminster

Ein philosophischer Denker, ein viel­

seitiger Forscher und Gelehrter, ein bedeutender Schrift­

besaß Lewes zugleich eine ungewöhnliche Bered­

steller,

samkeit,

eine

berückende

Unterhaltungsgabe,

verwüstliche Heiterkeit und ein

auch

eine

sehr originelles,

etwas absonderliches Wesen.

un­ wenn

Trotz mancher tief­

liegender Verschiedenheit bezauberten sich Miß Evans und

Lewes

die

gegenseitig,

stärkste

bewunderten

Hinneigung

einander

zu einander.

und fühlten

Eine

gesetzliche

Verbindung war jedoch zwischen diesen beiden Menschen,

von beiien der eine in dem anderen instiuctiv die Er­ gänzung seines eigenen Wesens suchte, nicht möglich. Lewes war an eilte Frau gebunden, die er in jungen Jahren ohne Ueberlegung geheirathet, von der er aber

vollständig getrennt lebte.

Mary Ann Evans' ab.

Alles hing von dem Muthe Gewiß trennte sie immer eine

weite Kluft von denen, welche eine sittliche Schranke im Bewußtsein der eigenen Genialität ohne Gewissenskämpfe überschreiten, noch auch verkannte sie jemals die Noth­

wendigkeit der gesetzlichen Ehe.

Da es ihr aber versagt

war, das rechtmäßige Weib des Mannes zu werden, den

sie liebte, hielt sie es nicht für Unrecht, ein freies Ehe-

bündniß mit ihm einzugehen. an und

Sie nahm seinen Namen

beide betrachteten sich in jedem Sinne außer

dem gesetzlichen als einander angehörig. Man kann sich vorstellen, in welchen Aufruhr dies

166 Vorgehen, — das offenbar niemand bei ihr, der Streng­ gesinnten, für möglich gehalten hätte — die Verwandt­

schaft in Warwickshire versetzte, die sich nun für immer

von Mary.Ann zurückzog; aber nicht nur diese biedern Leute, sondern

auch freier

denkende,

wie

die

Brays,

waren heftig bestürzt und konnten der Freundin gegen­

über den alten Ton lange nicht mehr finden.

Wie mag

Mrs. Lewes bei ihrer großen Erregbarkeit unter dieser Verurtheilung gelitten haben!

die

Wir, Frau

ermessen,

überblicken,

die volle Bedeutung der genialen

wir

die

die. Beweggründe

wir

vollständig

sie zu jenem Schritte geführt, die wir

die

wissen, daß ihre Verbindung mit Lewes, wenn auch keine

gesetzmäßige, so doch

eine wahrhafte Ehe war, die auf

den stärksten und edelsten Banden beruhte und nur durch den Tod gelöst werden konnte, wir werden milder über sie Nicht daß wir die Dichterin vollständig recht­

urtheilen.

fertigen zu können glauben.

Daß sie einen Verstoß gegen

eine für das Wohl der Menschheit und namentlich der Frauen sehr wichtige Schranke begangen hat, ist ja nicht

wegzuleugnen.

Ein solcher

Falle entschuldigt

wird

am

ehesten in dem

werden können, wenn er aus einer

grundsätzlichen und wahrhaften Mißachtung dessen, gegen

was verstoßen wird, hervorgeht, wie es z. B. bei Mary Godwin

Shelley

der

Fall war.

Davon

konnte

bei

Mrs. Lewes jedoch nicht die Rede sein, und mit Recht weist Miß

Blind

auf

die Kluft

hin,

die in diesem

Punkte zwischen dem Geiste ihrer Werke und dem prak­

tischen Handeln der Dichterin lag.

Allein es hängt bei

einem Falle, wie der in Frage stehende, unsre Beurtheilung

167 auch davon ach welche Persönlichkeit wir vor uns haben

und

da

werden wir die geniale Persönlichkeit, welche

das üble Beispiel, das sie gegeben, den Schaden, den sie

der Gesellschaft möglicherweise zugesügt, durch die ideale Wirkung

ihrer Schöpfungen

hundert-

und

tausendfach

ausgewogen hat, jedenfalls milder beurtheilen müssen; ’)

ferner kommen die Lage,

in der gehandelt wurde und

die Motive des Handelns in Anbetracht und endlich auch der Umstand, in welchem Grade das eingegangene freie

Bündniß dem Ideal der Ehe entspricht.

Die Verbindung

zwischen unserer Hxldin mit Lewes entsprach aber dem

höchsten Ideal der Ehe.

Und ■ wer würde

andrerseits

nicht das edle Vertrauen der Dichterin, — in der wir nicht den geringsten Leichtsinn zu entdecken vermögen — in

den Mann, welchen sie liebte und den Mlith, mit dem sie das Verdammungsurtheil der Welt auf sich nahm,

be­

wundern müssen? Und endlich ist es ja als ein großes Glück für die Literatur zu preisen, daß Mrs. Lewes dieses

Vertrauens und Muthes fähig gewesen. Lewes' eigene rast­

lose geistige Thätigkeit, die Bewunderung, welche er ihren

Talenten entgegenbrachte und das begeisterte Vertrauen, welches er in sie setzte, sammenzunehmen,

daß

bestimmten sie, sich derart zu­

ungeahnte Kräfte bei

ihr an's

T) Allerdings haben wir ein Recht darauf, von dem Genie zu wünschen, daß es auch als Mensch vollkommen sei, aber es ist andrerseits unschön, wenn wir die Irrthümer, die wir in seinem Leben entdecken, zu stark betonen, und es ist unsre Pflicht, mit dem Schaden, den es etwa gestiftet, die Vortheile zu vergleichen, welche der Welt aus seinem Wirken erwachsen sind.

168 Licht traten. ’)

Es wird erzählt, daß ihr Dichtergenie

geradezu durch einen ermunternden Ausspruch von Lewes'

Seite geweckt worden sei.

Als das Paar, nachdem es

das Jahr 1854 in Deutschland verbracht, nach London zu­

rückgekehrt, sich bei der nicht besonders einträglichen Art seiner schriftstellerischen Thätigkeit, in etwas engen Ver­

hältnissen befand, soll Lewes eines Tages zu Mary Ann gesagt

haben:

„Liebe,

ich glaube, du

prächtige Geschichte schreiben"

könntest

eine

und bald darauf soll die

Dichterin das erste der „Bilder aus dem geistlichen Leben" beendet haben.

Sollte die Anecdote erfunden sein, so ist

sie jedenfalls eine gelungene Bezeichnung der Art und

Weise, in welcher wir uns den Einfluß, den Lewes auf die Dichterin ausübte, zu denken haben.

Er regte sie zum

Schaffen an, — mehr als dies vermochte er jedoch nicht^ *) Eine eigenthümliche Bedeutung bekommen in Anbetracht ihrer persönlichen Lage Worte in ihrem Aussatze über Madame de Sabie, wo sie über die Laxheit französischer Anschauungen in Betreff der Ehe spricht. Indem sie dieselben tadelt, bemerkt sie jedoch: „Aber es ist unleugbar, daß Verbindungen, welche in der Reife der Gedanken und Gefühle vollzogetr sind unb nur auf natürlicher Zusammengehörigkeit und gegenseitiger Anziehung be­ ruhen, geeignet sind, Frauen in größere geistige Sympathie mit Männern zu bringen und ihren Antheil am politischen Drama zu erhöhen und zu vervielfältigen. Die Ruhe und Sicherheit der ehelichen Beziehungen sind unzweifelhaft der Offenbarung der höchsten Eigenschaften bei solchen Personen günstig, die schon eine hohe Culturstufe erreicht haben, selten aber fördern sie eine Leidenschaft, lvclche hinreicht, um alle Fähigkeiten zu wecken, die dazu beitragen, den geliebten Gegenstand zu gewinnen oder zu erhalten, — um Trägheit in Thätigkeit, Gleichgiltigkeit in glühende Parteinahme, Stumpfheit in Scharfsinn zu verwandeln."

169 Die

„Bilder aus dem geistlichen Leben" erschienen

zuerst in Blackwood's Magazin,

hierauf gesammelt in

Buchform (1858) unter dem Pseudonym, welches welt­ berühmt werden sollte.

Sowohl der Herausgeber jenes

Magazin's als auch Lewes selbst, welcher die Bilder an

den ersteren

als Produkte

eines Freundes empfohlen,

erkannten mit klarem Auge die Vorzüge derselben. Dickens sandte dem Verfasser durch den Verleger einen Brief,

in welchem er ihm seine Bewunderung ausdrückte, und

während weniger scharfsinnige Beurtheiler

auf Bulwer

oder Owen als mögliche Verfasser riethen, sah Dickens,

daß der Urheber eine Frau sein müsse.

Die Dichterin, die das Christenthum mit der Religion der Blenschlichkeit vertauscht hatte, verweilte mit Vorliebe

bei der Darstellung ehrwürdiger Geistlicher, ihres Wirkens und ihrer Schicksale. Jemand, der mit den in ihren Prosa­

aufsätzen und metrischen Dichtungen niedergelegten An­ schauungen nicht bekannt ist und nur ihre epischen Werke

gelesen hat, dürfte kaum bemerken, daß die Dichterin nur

die Religion des Humanismus anerkailnte und pflegte, daß sie Gott nicht über den Sternen suchte, sondern in

der Menschenbrust, daß sie kein göttliches, sondern ein menschliches Ideal besaß.

Was also bewog die Dichterin

immer wieder,

einer Weltanschauung vorzu­

Vertreter

führen, die sie selbst überwunden hatte? Wohl hatte sie dieselbe überwunden, aber dennoch eine tiefe Pietät für sie bewahrt, theils aus ethischen Gründen, da das Christen­

thum, wie sie einmal sagt, „Gott alle jene Eigenschaften

beilegt, die wir im menschlichen Bereiche als sittlich an­ erkennen, weil das Gefühl seiner Gegenwart alle edlen

170 Empfindungen verstärkt und zu allen edlen Anstrengungen

ermuntert, nach demselben Principe, dem zu Folge menschliche

Zuneigung eine Quelle der Kraft istdann aber konnte

niemand eine stärkere Anhänglichkeit an die Erinnerungen und Eindrücke seiner Jugend besitzen, als George Eliot, und sie hatte ihre Jugend unter strenggläubigen Anhängern

der Hochkirche verbracht, hatte glaubenseifrige Methodisten kennen gelernt und sich viel in geistlichen Kreisen bewegt. Zugleich haben wir in ihrer objektiven Zeichnung geist­ licher

Gestalten

ein Zeichen jener Unparteilichkeit und

Gerechtigkeit zu sehen,

die sie nie im Stiche ließ und

die allen ihren Werken das eigenthümliche Gepräge verleiht. Wir müssen der Besprechung ihrer einzelnen Werke

hier ein paar einleitende Beckerkungen vorausschicken. Durch jene Vorzüge, die wir soeben genannt —

Unparteilichkeit und Gerechtigkeit, — reicht George Eliot größten Dichter

geradezu an die

aller Zeiten

hinan

Das Erscheinen ihrer ersten Werke muß auf die damaligen

Engländer, die unter dem Banne eines Dickens, eines Thackeray standen,

von denen der eine seine Gestalten

mit unverhohlener Sympathie oder Antipathie behandelt,

während dem anderen sich alles in Vanity fair auflöst,

eigenthümlich gewirkt haben.

George Eliot ist das Leben

tiefer Ernst und nichts Menschliches liegt ihr fern.

Jede

Menschenklasse, jede sittliche Qualität ist ihr der Er­ gründung und Durchforschung werth und sie ruht nicht

eher,

bis sie die letzte Falte des Herzens aufgeschlagen

und die geheimsten Beweggründe menschlichen Handelns

aufgedeckt hat.

Sie findet den Quell des Guten,

sie

glaubt an die Reinheit, an die Stärke und sittliche Kraft



171



des Menschen und hat schöne Gestalten in aufsteigender Entwickelung und Entfaltung ihrer angestammten edlen

Kräfte und Eigenschaften geschaffen; aber sie findet auch Sitz und Wurzel der

Aufzeigung

Ein Geist

der Sünde

wachsender

der Milde und

und

ist

unerbittlich

menschlicher zugleich

in

Verderbtheit.

der Strenge weht

durch alle ihre Werke und flößt dem Leser , das höchste

Und wahrlich, sie ist eine treff­

Vertrauen zu ihr ein.

liche Führerin dürch das Weltwirrwesen, die keine Launen, keine

Parteileidenschaft,

kein Beschönigen,

aber auch

Die Guten Und die

keinen falschen Pessimismus kennt.

Bösen, die Gerechten und die Sündhaften zeichnet sie mit derselben seelenkundigen Feinheit,

behandelt sie mit der­

selben künstlerischen Gewissenhaftigkeit und das moralische

Interesse wird überall dem dramatischen untergeordnet.

Mit der feinsten Empfindung für Recht und Unrecht aus­ gestattet,

erfüllt

von sittlicher Begeisterung,

oder predigt sie doch niemals. noch

der Unwille vermögen

nioralisirt

Weder die sittliche Freude

schaffende

ihre

Hand

Uebertreibungen oder Entstellungen zu verleiten.

zu

Allein

bei aller künstlerischer Unparteilichkeit, und wie sehr sie als ächte Dichterin das sittliche Interesse dem dramatischen

unterordnet, verleugnet sie doch

niemals ihren hohen

Standpunkt und ihre ethische Gediegenheit. Kurzem

von

worden,

daß

einem

in dem

der Fähigkeit der

Es ist vor

berühmten Schriftsteller behauptet

sittlichen

Jndifferentismus,

in

älteren Romandichter die Menschen

und Dinge zu nehmen wie sie sind,

ohne sie an einem

höheren Maße zu messen und ihre unsittlichen Handlungen mit voller Heiterkeit, ihre Schwächen mit aller Schonungs-

172 losigkeit hinzustellen, der Vorzug vor den modernen bestehe,

welche mehr oder weniger den sittlichen Standpunkt einer­

seits, den sympathetischen andererseits aufrecht erhalten. Wir möchten

das

behaupten und in

Gegentheil

der

Tendenz der modernen Schriftsteller nur ein Zeichen der

Läuterung, der Verfeinerung und Veredlung der gesammten

Gefühlswelt erblicken, durch welche die Kunstgattung des Romanes nicht nur keinen Schaden erlitten, sondern viel­

mehr selbst

eine Veredlung erfahren hat.

Aber freilich

hat sich der Dichter, wie stark sein sittlicher Sinn auch

sei, des Moralisirens zu enthalten. gerechtigkeit wäre

zu zeihen.

es,

George

Und die größte Un­

Eliot des Moralisirens

Ihr großer Vorzug besteht vielmehr darin,

daß sie die größte künstlerische Unparteilichkeit mit dem

feinsten sittlichen Gefühle vereinigt. Wie diese Ver­ schmelzung möglich, muß man eben aus ihren Dichtungen lernen.

Dieselben sind objektiv, dem künstlerischen Gehalte

nach, zugleich

aber von

einer hohen Weltbetrachtung

durchdrungen und getragen.

Die Klage über

die Un­

erbittlichkeit der Verhältnisse, welche es dem höher orga-

nisirten Menschen verwehren, sein Wesen voll zu entfalten, hallt

durch viele,

der Gedanke,

daß jede Schuld

aus

Erden sich räche, durch alle ihre Dichtungen. Doch liegen denselben auch positive Tendenzen zu Grunde. Indem sie sich liebevoll in das einzelne Individuum

versenkt, geht sie zugleich über dasselbe hinaus und betrachtet es in ihrer ernsten, großen Art im Zusamnwnhange mit

der Menschheit, ja, mit dem Weltganzen.

Zugleich fordert

sie aber, daß der Mensch sich stets als Theil des Ganzen und in lebendiger Gemeinschaft mit den Anderen fühle.

173 daß er seine persönlichen Wünsche dem Interesse derselben

unterordne

zur Selbstaufopferung seine

und ihm bis

Dienste widme.

Wie aber vermag er das? Indem er

seinem nächsten Kreise, der Familie, der Gemeinde, dem

Vaterlande mit allen Kräften des Gemüthes dient und

seine nächsten Mitmenschen fördert. George Eliot machte zuerst einfache Menschen und

Lebensverhältnisse, wie sie solche in ihrer Jugend vor

Augen gehabt, zum Gegenstände dichterischer Darstellung. Unter den Personen, welche sie in jener Zeit, nach

der sie so gern zurückblickt, am häufigsten beobachtet, — Geistliche, Pächter, Handwerker, Bauern, — giebt sie den

der Geistlichen den Vortritt.

Die drei Bilder aus dem geistlichen Leben sind in Bezilg aus Composition vielfach fehlerhaft und liegt die Stärke

der Eliotfi'chen Dichtungen überhaupt nirgends im kunst­

gerechten, leicht überschaulichen Aufbau, in welchem die Franzosen Meister sind, sondern in dem lebendigen Ge­ fühle, mit dem sie die Dinge erfaßt und zur Anschauung bringt.

Jede dieser drei Erzählungen versetzt uns in

eine ernste (Stimmung. die

kleine

Erfindung

Geschichte fast

gar

Die einfachste Construction zeigt des

Amos Barton,

keinen Antheil

an

der die

hat, denn sie be­

steht fast gairz aus Erinnerungen, aber nur der Dichter kann den Rohstoff des Ueberlieferten zu einem lebendigen

Bilde umschmelzen. Der ehrwürdige Herr Amos Barton und

seine sanfte, nachgiebige, unermüdliche Frau, die mit sieben Kindern von dem schmälsten Einkommen leben sollen; ihre Freundin, die zweifelhafte Gräfin, die aus dem Hause ihres Bruders weggejagt,

sich

in

der kleinen Familie

174 einnistet, welch' letztere trotz der Mahnungen wohlmeinender Nachbaren die Anwesenheit des beschwerlichen Gastes ruhig

bis über den armen Amos häßliche Gerüchte

erträgt,

in Umlauf kommen, während seine Frau aus Rücksicht für den anspruchsvollen Gast sich Blühen und Plagen unterwerfen muß, die ihre Kräfte erschöpfen, sodaß sie

die Geburt eines Kindes nicht überlebt, — all diese Ge­ stalten und Vorgänge waren der Dichterin vorgezeichnet,

allein es ist ihr Verdienst, daraus eine Geschichte voll rührender Momente gebildet zu haben.

Wer würde sich

von dem Abschiede, welchen die Sterbende von Gatten

und Kindern nimmt, von der Wirkung, hie das Unglück des verehrten Pfarrers auf die Gemeinde ausübt,

Die

fühlen?

zusannnenschmilzt",

Gefühle

in Einem

Geschichte

kleine

beschränkt

„die

ergriffen

nicht

sich

jedoch

nicht auf die von' uns bezeichneten Gestalten,- sie bietet

vielmehr eine Rundschau über den gesammten Wirkungs­ kreis und die ganze Gemeinde des braven Amos. ersten

humoristischen

„College" - Scene

Wurf hat die Dichterin

gethan.

Humorvoll

ist

Den

in der

auch

die

Zeichnung des Mr. Bridman, des Bruders der Gräfin

Czerlaski. — Diese Erzählung ist in der That so ein­ fach wie möglich und Amos Barton ein sehr schlichter

Held.

Das

Dichterin

sichtspunkt,

hat

selbst; aus

niemand

aber

sie

besser zeigt

eingesehen uns

welchem wir derartige

auch

als

die

den

Ge­

Gestalten be­

trachten lernen müssen, sodaß schließlich, gerade wie für

die Dichterin. selbst, die Beschäftigung mit solchen Per­ sonen einen besonderen Reiz für uns gewinnt.

„Liegt

nicht eine Art Tragödie in ihrer Unbedeutenheit, frägt

175 sie,

wenn wir ihr dunkles und enges Dasein mit den

glorreichen Möglichkeiten jener menschlichen Natur ver­ gleichen, an der sie Theil haben?" Und hier haben wir schon einen Beleg für eine oben geinachte Bemerkung.

Die lebhafteste Handlung imter den drei Bildern hat „Maynard Kilsil's Liebesgeschichte/"

Wir finden

hier schon einige (^rundtypen der Dichterüi.

Die in­

teressanteste Gestalt dieser Erzählung ist Caterina Sarti. Sie ist die Tochter "eines armen italienischen Musikers

und wird nach dein Tode ihres Naters, als kleines Kürd,

von Sir

Christopher

Cheverel

mib

Gemahlin,

seiner

welche den Musiker auf einer italienischen Reise zufällig

gelernt

kennen nommen

und

haben auf

und

ihren

kinderlos

englischeil

Manor geführt, wo sie bald Aller,

sind,

511 sich ge­

Landsitz

Cheverel

und besonders Sir

Christopherus Liebling wird und sich sehr zu ihrem Vor­

theile

entwickelt.

Zur selben Zeit, als die kleine Tina

ilach Cheverel Maiior gebracht wird, beginnt Maynard, dainals ein halber Knabe, als Sir Christophers Mündel,

seine Ferien auf dessen Laildsitz zu verbringen und hegt

für Tina brüderliche Gefühle.

Kaum ist er jedoch von der

Schule zur Universität übergegangen, als sich seine Neigung

für das anmuthsvoll Heranwachsende Mädcheir mit den großen tiefschwarzen Augen, welches das Talent ihres Vaters geerbt hat und ihre Umgebung bald durch Gesang

und Harfenspiel bezaubern lernt, in eine tiefe Liebe ver­ wandelt.

Tina erwidert dieselbe nicht, wenn sie sie auch

Nicht entbehren möchte.

Maynard hegt jedoch gute Hoff­

nung von der Zukunft.

Als er seine Studien vollendet,

macht Sir Christopher ihn zu seinem Kaplan

und auch

176 dieser beschäftigt sich mit dem Gedanken einer Verbindung zwischen Maynard und seinem Liebling.

Die Situation

wird aber eine wesentlich andere, als der elegante schöne Capitän Anthony Wybrow, Sir Christopher's Neffe und

künftiger Erbe zu längerem Besuche nach Cheverel Manor kommt.

Die Dichterin

zeigt uns hier das erste Mal,

daß es nicht eines schlechten Characters bedürfe, um Un­ heil zu stiften, sondern nur eines schwachen und unwahren. Es finden sich unter den Gestalten,

an denen sie die

Sünde und Schuld veranschaulicht, keine von allem An­ fang mit bösen

Neigungen

und

gefährlichen Trieben

ausgestattete Menschen, es sind vielmehr von Haus aus

gutmüthige, zugleich aber auch schwache Naturen, die dem

Unangenehnien aus dem Wege gehen und nicht die Kraft

besitzen, dem Ernst des Lebens in's Auge zu blicken. begehen

sie

So

einmal einen Fehltritt, machen sich einer

Lüge schuldig, die entweder mit der forttreibenden Gewalt,

welche dem ersten Irrthum eigen, die Ursache ist, daß sie immer bedenklichere Dinge begehen, immer tiefer sinken,

oder die in sonstiger Weise sie selbst und Andere in's Verderben stürzt.

Es

konnte der Dichterin

natürlich

nicht entgehen, daß Schwäche und Unwahrheit nicht die einzige Wurzel der Sünde seien.

weit mehr

schwache

und

haltlose,

Wohl aber giebt es als

eigentlich

böse

Menschen und die kleinen Fehltritte und deren Folgen

und nicht die großen Leidenschaften sind es, welche die menschlichen Geschicke hauptsächlich bestimmen.

Das All­

gemein-Menschliche ist es aber, was George Eliot vor­ nehmlich darzustellen liebt.

So ist auch Anthony Wybrow

durchaus kein schlechter Mensch, er ist vielmehr eine leiden-

177 schaftslose Natur, aber auch ohne Grundsätze, ohne feineren

sittlichen Jnstict und nur darauf bedacht, seinen Neigungen

zu leben, wie er es sich selbst schuldig zu sein glaubt.

Er

macht der hübschen Caterina den Hof, versichert ihr seine

Neigung, ohne an die Folgen seines Vorgehens zu denken. Nach einigen Monaten ist die Situation jedoch weit be­

denklicher geworden als er je geglaubt und Caterina hat

eine heftige Liebe zu ihm gefaßt.

Es ist um diese Zeit,

daß Sir Christopher seinem Neffen den Wunsch mittheilt,

er möge sich um die Hand einer reichen Erbin bewerben. Die junge Daine ist Anthony nicht unbekannt, ja er be'wundert sie und ist von ihrer Mutter freundlich aus­

genommen worden.

Er fügt sich dem Wunsche seines

Oheims pflichtschuldigst und weiß seine Absicht vor Ca­ terina mit dem Scheine eines Opfers zu umgeben.

lassend.

Er

in Verzweiflung zurück­

reist nach Bath ab, Caterina

Aber noch stehen dem leidenschaftlichen Mädchen

die' schlimmsten

Tage

bevor.

Anthony

kehrt

Bräutigam zurück, mit ihm kommt seine Braut.

als

In der

ergreifenden Schilderung des Gemüthszustandes der armen

Caterina treffen wir eine Stelle,

die den tiefen Blick

der Dichterin und ihre das Einzelne mit dem großen Ganzen zusammenfaffende Weltbetrachtung vortrefflich ver­

anschaulicht.

„Während dies arme kleine Herz einer Last

erlag, die ihm zu schwer war, veränderlicher,

ruhigen

Bahnen;

Weg.

schrecklicher

Die

ging die Natur in un­

Schönheit unerbittlich ihren

Sterne

beschrieben

ihre

ewigen

die Fluth schwoll dem sie erwartenden Sqnd

entgegen; die Sonne bereitete geschäftigen Völkern auf

der ,anderen Seite der ruhelosen Erde einen Hellen Tag. D r u s k o w i tz , Essays.

12

178 Der Strom der menschlichen Gedanken und Thaten be­

wegte sich erweiternd vorwärts.

Der Astronom war bei

seinem Telescop; die großen Schiffe arbeiteten sich durch

die

Wellen;

die

geschäftige

Eile

des

Handels,

der

grimme Geist der Revolutionen hatte sich nur für kurze Zeit beruhigt; und schlaflose Staatsmänner befürchteten

die Möglichkeit

eines Umschlags

Was war unsere kleine Tina

am folgenden

Tage.

und ihre Aufregung in

diesem mächtigen Strome, der von einem unbekannten

Furchtbaren zum anderen fließt? Leichter als das kleinste

Pünktchen beweglichen Lebens im Wassertropfen, verborgen

und unbeachtet wie der Schlag der Furcht in der Brust des kleinsten Vogels, der zu seinem Neste fliegt mit dem

lang gesuchten Futter und das Nest zerstört und leer findet.". Capitän Wybrow spielt mit seiner Braut und Ca­ terina ein schnödes Doppelspiel, indem er immer eine

an die andere verräth.

Doch kommt Caterina's südliche

Natur mit Macht zum Durchbruch, als sie erfährt, daß

Wybrow versucht habe, ihren Pflegevater, der von nichts eine Ahnung hat, zu überreden, er möge eine Heirath

zwischen ihr und Maynard zu Stande bringen.

Von

Zorn überwältigt, bemächtigt sie sich eines Dolches und

geht Wybrow suchen, indem sie sich die Kraft zutraut,

den Stahl in des Verräthers Brust zu stoßen. findet ihn an dem Orte, wo

sie ihn gesucht,

Sie

aber auf

dem Boden hingestreckt, eine Leiche: ein Herzschlag hat ihn getödtet.

Nun erst erfährt Sir Christopher, welch

ein Drama sich in seinem Hause abgespielt.

Grenzenlos

ist Tina's Schmerz, qualvoll ihre Reue über eine Ab-

179 sicht, die sie niemals ausgeführt hätte und sie flieht zuletzt

von Gedankenschuld

gefoltert

aus

dem Schlosse.

Wie

sie nun von dem getreuen Gilftl, für dessen Liebe keine

Probe zu schwer war, in dem Anwesen einer früheren Bediensteten am Schlosse gefunden, von ihm beruhigt und der liebevollen Pflege seiner Schwester anvertraut wird,

wie ihre Seele,

die

in Apathie

zu versinken

droht,

durch den tiefen Ton eines Klaviers zu neuem Leben

geweckt wird, bis sie endlich Mapnard's Liebeswerbung erhört und die Seine wird, Gefühl geschildert.

all

das ist mit feinem

Endlich scheint ihr das Glück wieder

lächeln zu wollen und Mutterschaft verspricht ihre voll­ ständige geistige Genesung.

„Aber die zarte Pflanze war

zu tief gebrochen worden, und in dem Bestreben, Blüthe hervorzubringen, starb sie."

habeil

die Kraft

und

eine

Nur große Dichter

die geistige Ruhe,

entscheidende

Wendungen so einfach zu bezeichnen.

Hat diese Liebesgeschichte

eine

etwas

romantische

Färbung, so offenbart das letzte und größte der Bilder

aus dein geistlichen Leben, „Janet's Neue" einen um so

strengeren und herberen Character.

Es ist in mancher

Hinsicht die bedeutendste der drei Novellen, zugleich aber

enthält es auch so abstoßende Scenen uird Momente und

Einzelnes darin ist mit so grellen Farben gemalt, wie wir in keinem der späteren Werke der Dichterin Aehnliches

finden.

Schön ist das Hauptthema, welches,

wie ihre

späteren Dichtungen zeigen, ein Lieblingsthema George

Eliot's wurde: nämlich die Läuterung und Erhebung eines noch zu sehr in sich selbst befangenen und in Folge dessen

mit sich selbst zerfallenen weiblichen Wesens durch einen 12*

180 geistig und sittlich höherstehenden Mann zum Bewußt­

sein ihrer

hier

wahren

menschlichen Bestimmung.

die unglückliche Janet, die Frau

des

Es ist

Advokaten

Dempster, eines rohen und wüsten Trunkenboldes, an der durch den Dissidentenprediger Tryan jene innere Ab­ klärung und Läuterung bewirkt wird.

Janet als Tryan's Widersacherin.

Zunächst erscheint

Es kommt in Milby

zu einem Kampfe zwischen Dissidenten und den Anhängern

der Hochkirche, welch letztere der Advokat Dempster an­ führt und übel beeinflußt, und Janet leiht ihrem Gatten die Hand zu schnöden Ausfällen, die' er gegen die Dis­

sidenten und besonders gegen den Prediger Mr. Tryan

unternimmt.

Aber sie lebt in schrecklicher Ehe mit dem

Trunkenbolde und wir können nicht behaupten, daß die

Dichterin in der Schilderung der nächtlichen Excesse des letzteren und der Leiden Janet's maßvoll verfahren sei.

Um sich gegen ihr unausgesetztes häusliches Elend abzu­ stumpfen, hat Janet sich schließlich selbst dem Trünke ergeben'. So kommt sie körperlich und besonders seelisch immer mehr herab und verliert den Glauben an eine

ewige Gerechtigkeit und an sich selbst.

Wir gestehen,

daß es nicht viele Dinge in der Literatur giebt, welche einen so unangenehmen Eindruck hinterlassen,

wie das

Bild dieser furchtbaren, wenn auch keineswegs seltenen

Ehe, in welcher der Mann fast schon entmenscht ist, die Frau aus Verzweiflung in dessen Fußstapfen tritt und in lasterhafter Weise ihr besseres Selbst zu zerstören^ und zu tobten sucht. Die Leidensgeschichte der Unglücklichen gipfelt

darin, daß ihr Mann sie, als sie ihm eines Nachts Trotz

bietet, aus dem Bette reißt und auf die Straße wirft.

181 In dieser Lage findet die Mißhandelte Aufnahme und

Schlimmer als ihr äußeres

Schutz bei einer Freundin.

Elend fühlt sie jedoch schon am nächsten Tage ihre moralische

Haltlosigkeit.

In dieser Stimmung erinnert sie sich einer

flüchtigen Zusammenkunft mit dem einst von ihr ange-

feindeten Tryan, und des Eindrucks, den diese auf sie ge­

macht.

Nur wenige Worte hatte sie von ihm vernommen,

und diese waren ein Bekenntniß eigener Leiden und Be­

fürchtungen ; aber nur jemand, der selbst schwer gelitten und gekämpft, das fühlt sie, könnte in ihren Nöthen ihr

beistehen.

Der Wunsch erwacht, Tryan zu sehen.

Sie

verständigt ihn, er kommt und findet, nachdem sie ihm ihre Leidensgeschichte erzählt, Zugang zu ihrem Herzen,

indem er von seinen eigenen Kämpfen und Irrthümern

spricht, wie er einst mit sich selbst und mit Gott zerfallen war, wie er aber die Rückkehr zum Glauben fand, sich selbst vergessen und in Werken der Nächstenliebe seine höhere Bestimmung erblicken lernte.

Seine Worte bewirken den

gleichen wohlthätigen Wandel in Janet und sie beschließt, standhaft alles zu. er­

zu ihrem Gatten zurückzukehren,

tragen und durch Liebe und Nachsicht auf ihn einwirken

zu wollen.

Während

sie jedoch

noch

im Hause

der

Freundin weilt, ist bei Dempster das delirium tremens zum Ausbruch gekommen.

Sie eilt zu ihm, um ihn

eines Todes sterben zu sehen, schildert werden

könnte.

der nicht gräßlicher ge­

Traum

von einem

ist dahin.

Ein letztes

Janet's

Leben der Liebe und Verzeihung

Mal überkommt sie die Versuchung, Wandschrank ihres

Brandy entdeckt.

als

verstorbenen Mannes

sie in einem eine Flasche

Allein sie überwindet den Dämon und

182 schleudert die Flasche zu Boden.

Neue Verzweiflung und

mit Tryan, welch letztere ihre

eine neue Unterredung

vollständige Besserung und geistige Heilung zur Folge hat. Wohl stirbt ihr Berather an Lungenkrankheit, allein seine

Lehre wirkt segensvoll in ihrem Herzen fort.

Sie adoptirt

ein Kind und widmet sich seiner Erziehung und anderen Werken der Nächstenliebe. Die „Bilder aus dem geistlichen Leben" sind wunderbar

fein ausgeführte Skizzen.

„Adam Bede", George Eliot's

nächstes Werk, ist ein breiter angelegtes Lebensbild.

Hier

läßt die Dichterin schön ihr ganzes Orchester erklingen, hier zeigt sie sich als eine Volksdichterin im besten Sinne

des Wortes und erfüllt die Aufgabe,

die sie in einer

Zeit, als ihr eigenes produktives Talent noch nicht er­

wacht war, in einer Abhandlung als Hauptaufgabe des Dichters bezeichnet hat, in unvergleichlicher Weise.

sagt daselbst:

„Kunst ist

Sie

der dem Leben nächststehende

Faktor; sie ist eine Art, unsere Erfahrung zu erweitern und unsere Berührung mit unsern Mitmenschen über die

Grenzen unseres p ersönlichen Looses auszudehnen.

Um

so heiliger aber ist die Aufgabe des Dichters, wenn er

es.unternimmt, das Leben des Volkes zu schildern." Freilich

umfaßte die

Dichterin mit ihren Sympathien

die gesammte Welt und alle Existenzen, vor Allem aber galten sie dem Volke, dem sie selbst entstammte.

Jene

Menschenklassen, welchen meist ein so hartes Leben zu

Theil ist, liebt sie mit besonderer Innigkeit.

Der Grund­

gedanke des „Adam Bede" ist daher Schätzung der Arbeit, Schätzung jener Beschäftigungen, welche die Grundlage

des gesellschaftlichen Lebens bilden,

auf welche höhere

183 Schichten dankbar herabblicken sollten, da sie die noth­

wendige bilden.

Voraussetzung Zugleich

aber

eigenen

ihres

Vorhandenseins

hat jede nützliche und ehrliche

Arbeit ihre Poesie, und „Adam Bede" ist eine Verklärung

der Arbeit.

George Eliot adelt das Volk, aber sie re-

volutionirt es nicht.

Sie zeigt den höheren, verhältniß-

welche Kraft

mäßig glücklicher situirten Ständen,

der

Entsagung, welche Charactertüchtigkeit im Volke zu finden ist, aber sie betont nie mit Bitterkeit dessen schwierigere

Lage.

Doch

strebt

sie keineswegs,

die Gestalten

aus

dem Volke zu idealisiren, sie stellt sie vielmehr dar wie

sie sind,

und wie sie sind,

sollen wir sie lieben.

So

bemerkt sie im Anschluß an jene soeben citirten Worte: „Fälschung ist bei Schilderung des Volkes bei weitem gefährlicher als in den künstlicheren Lebensbeziehungen.

Es liegt nicht soviel daran, wenn wir falsche Anschauungen über vorübergehende Sitten haben, z. B. über die Ge­ wohnheiten und Gespräche

galanten Herren und

von

Herzoginnen; aber es liegt etwas daran, ob unsere Theil­ nahme an den ewigen Freuden und Kämpfen, an der Arbeit,

an Leid und Lust des Lebens unserer schwerer beladenen

Mitmenschen einem falschen Bilde zugewandt und

gekehrt sei, oder einem wahren."

zu-

Wenn uns die Dichterin

Leute aus dem Volke vorführt, so ist damit nicht gesagt, daß

dieselben von gewöhnlichem Schlage sein müssen,

wenn sie auch nirgends das Gepräge ihres Standes und ihrer Stellung

verleugnen.

So

ist

Adam Bede ein

Mensch von der seltensten Stärke des Gemüthes und des

Characters.

Aber freilich,

obwohl ein „König unter

Bauern, ein Fürst unter Handwerkern", bleibt er doch

184 immer ein Bauer und Zimmermann. scheinung mächtig, ja athletisch,

so

Sowie seine Er­

ist auch in seinem

Innern keine Schwäche zu entdecken.

Willensstark, ein

unermüdlicher Arbeiter, durch jund durch redlich und wahr­ heitsliebend tritt er uns von allem Anfang an entgegen. Streng gegen sich selbst,

ist er es auch gegen andere,

so gegen seinen Vater, der sich dem Trünke ergiebt und

die Arbeit vernachlässigt. Adam hat noch Eines zu lernen: die Nachsicht mit fremden Fehlern und Schwächen.

Er

kennt zwar die Härte seiner Natur, er kämpft dagegen

und als sein Vater den Tod durch Ertrinken findet, so

erfaßt heftige Reue sein Herz über die Strenge, mit der er den Lebenden verurtheilt, allein diese Reue führt zu­

nächst noch keine wirkliche Besserung seines Wesens herbei.

oder Milderung

Er muß wie wir alle, den Schmerz,

den tiefsten Seelenschmerz kennen lernen, um jene Voll­ kommenheit zu erreichen, welche er zu erreichen im Stande

ist.

Man hat behauptet, daß Adam Bede eine von

vornherein abgeschlossene Gestalt sei, die keiner Entwicklung fähig.

Er i st einer Entwicklung fähig und zwar in dem

Punkte, den wir soeben angedeutet, und er ist am Schluffe

der Erzählung entschieden ein anderer,

derselben. von

den

als zu Beginn

Wohl aber erscheint er auch schon anfangs zartesten Empfindungen beseelt.

Er ist meist

langmüthig und nachsichtig gegen seine stets jammernde

und zerfahrene Mutter,

ihm

hängt,

er

ist

die

liebevoll

mit abgöttischer Liebe an gegen

seinen

jüngeren

schwärmerischen Bruder Seth, welcher der Methodisten­

predigerin Dinah Morris seine Liebe geweiht hat und

endlich wohnt in seinem eigenen Herzen die zarteste Liebe

zur schönen Hetty ©ortet, der Nichte des Pächters Poyser. Welch ein entzückendes Bild versteht die Dichterin von der Schönheit dieses jungen Geschöpfes zu geben! Aber welches Herz, welche Seele verbirgt sich unter dieser liebreizenden Hülle? Gar kein Herz, gar keine Seele verbirgt sich darunter, ober doch nur ein recht armes, ödes Herz und eine recht kleine ganz und gar auf nichtige und erbärmliche Dinge gerichtete Seele. Hetty kennt keine Dankbarkeit, keine Anhänglichkeit, weder an Menschen noch an Orte, und Kinder erscheinen ihr wie Mücken, die einen an heißen Sommertagen quälen. Es ist leider wahr, was ihre uin treffende Vergleiche nie verlegene Tante, Frau Poyser, die Pächtersfrau, von ihr sagt: „Sie ist gerade wie ein Pfau, der auf der Mauer hcrumspaziert und sein Rad in der Sonne ansbreitet, wenn auch" alle Leute im Dorfe im Sterben lägen." Sie ist ganz eitel und oberflächlich und besitzt einen sehr aus­ geprägten Sinn für Tand und Luxusgegenstände und für alles, was nicht an Arbeit erinnert. Wir mochten nicht mit Aiiß Blind behaupten, daß ein Mann, der solch ein bezauberndes Wesen geschaffen hätte, sich von ihr hätte Hinreißen lassen und doch einen schonen Zug in ihr Herz gelegt Hütte, wir haben ja Beweise des Gegentheils; kaum aber dürfte eine Dichterin, welche selbst von Natur mit ähnlichen äußeren Reizen 'wie Hetty geschmückt gewesen wäre, ein solches Widerspiel von Schönheit der Erscheinung und innerer Armseligkeit haben schaffen können. Die Gestalt ist so währ wie möglich, ja, sie hat eine Wahrheit, wie sie sonst meist

186 nur jene dichterischen Gestalten besitzen, in die der Dichter

etwas von sich selbst hineingelegt oder in denen er den vollkommensten Gegensatz zu seiner eigenen Persönlichkeit

geschaffen hat.

Und dieser vollkommenste Gegensatz besteht

hier zwischen der Dichterin und der von ihr geschaffenen

Gestalt in der That.

Es ist natürlich, daß der

ver­

führerisch schönen, nur auf Aeußerlichkeiten gerichteten Hetty der baumlange Zimmerinann Adam mit seinen rauhen

breiten Händen

kein

erwünschter Bewerber sein kann,

um so besser gefällt ihr der hübsche Neffe des Schloß­

herrn, der elegante Capitän Arthur Donnithorne, der ihr den Hof machte.

Obwohl sympathischer und warm­

herziger, als Anthony Wybrow, ist Arthur von demselben Schlage wie dieser. Er hat nicht die Kraft, seinen Neigungen

zu widerstehen und wenn er ein Unrecht begangen hat,

glaubt er dasselbe wieder gut machen zu können, doch nicht immer möglich ist.

was

So bildet er einen offen­

baren Gegensatz zu dem starken, pflichtersüllten Adam,

der nie vom Pfade des Rechten abweicht,

außer darin,

daß er das Unrecht Anderer oft zu hart beurtheilt.

Auch

Arthur ist offen und wahrheitsliebend, aber als er ein­ mal

einen Fehltritt begangen,

anklage zu

schwer

und

er

wird

greift

ihm

die Selbst­

zur Lüge.

Arthur

weiß, als er Hetty das erste Mal sieht, nicht, daß Adam,

den er von seinem Knabenalter an gerne hat, sie liebe.

Auch kämpft er gegen seine Neigung zu dem schönen Mädchen, aber freilich nur mit halbem Willen und ohne die Kraft, seine guten Vorsätze durchzuführen.

Vortrefflich

wird dieser Scheinkampf, dies Suchen und Fliehen, dies

Zagen und Wagen von der Dichterin dargestellt. Ueberaus

187 frisch ist die Schilderung der ersten Begegnung der Lie­

benden im Wäldchen, das zwischen dem Schlosse und dem

Pachthof liegt, so frisch, als wäre diese Siebe die erste, als wäre Liebesglück

eine kurze

vorher

nie

geschildert worden.

Sommerzeit schwelgt

das

Nur

Paar in seinem

Glücke, dessen Schauplatz immer dasselbe Wäldchen. Eines

Tages überrascht sie Adam, der keine Ahnung von diesen Zusammenkünften gehabt, und im Gegentheil in der letzteil

Zeit auf das Erwachen einer Gegenliebe bei Hetty gehofft

hatte. Es kommt, nachdem Helly entschlüpft, zu einer pein­ lichen Scene zwischen den beiden Männern, die bis dahin

einander so zugethan waren.

Arthur täuscht Adam über

die Art seines Verhältnisses zu Hetty und Adam fordert von ihm, daß er Hetty einen Brief schreibe, worin er ihr. die

Aussichtslosigkeit

ihrer Liebe

auseinandersetze.

Arthur willigt ein, schreibt den Brief und begiebt sich

zu seinem Regiments nach Windsor zurück, in der Meinung, daß das begangene Unrecht gesühnt sei.

Unser ganzes

Interesse wird nun auf die Wirkung concentrirt, welche Arthur's Brief auf die schwache oberflächliche Hetty hervor­

bringt, die bis dahin den Schmerz nicht gekannt. ein Donnerschlag

Wie

trifft sie die grausame Enttäuschung.

Sie verbringt eine Nacht mit leidenschaftlichem Schluchzen,

dann

folgt der Jammer

mit trockenem Auge.

Es ist

durchaus characteristisch für sie, daß das erste Bedürfniß,

welches sich nun bei ihrer sonst keineswegs zu kühnen Entschlüssen geneigten Natur, in ihr regt, das ist, ihre Ver­

wandten zu verlassen, eine Stelle zu suchen.

Die guten

Poyser's widersetzen sich der Ausführung. dieses Planes jedoch auf das Entschiedenste und legen ihr den Gedanken

188 einer Heirath mit Adam nahe, dessen Liebe zu Hetty nur

noch stärker gew'orden und der von seinem Principal zur

Theilnahnie cm dessen Geschäfte aufgefordert, sich in der Lage

befindet,

einen

eigenen

Auch darauf geht Hetty

Hausstand

zu

gründen.

ein, die um jeden Preis eine

Veränderung ihres Zustandes wünscht.

Das entspricht

alles genau ihrem Character, aber freilich ist diese Wahr­ heit fast unbarmherzig.

Doch die Dichterin hat diese

Gestalt einmal geschaffen und muß nun „die Regungen einer kleinen oberflächlichen Seele, die gegen die ernsten

und traurigen Geschicke des Menschen ankämpft", auch

zeigen und

darf

vor

keiner Consequenz zurückscheuen.

Als Adam nun als Bewerber um Hetty's Hand auftritt,

nimmt diese seinen Antrag

an.

Allein es soll keine

Ruhe, kein friedliches Glück mehr für sie geben.

.Ein

zweites Leben athmet in ihr und sie flieht, als sie be­

fürchten muß, sich zu verrathen, vom Pachthofe.

Mit

gespanntem Interesse verfolgen wir jeden ihrer Schritte,

der sie abwärts führt auf schiefer Ebene in die Tiefe äußersten Verderbens, wie sie nach Windsor wandert. um Arthur zu suchen und als sie ihn nicht findet, in

Verzweiflung zurückkehrt.

Es folgt der Kindesmord und

ihre Verurtheilung.

George Eliot ist Meisterin in'der Darstellung der Wirkungen,

welche

eine

große

Schicksalswendung

auf

jene Personen heroorbringt, welche den Betroffenen am nächsten stehen und zeigt darin ihre wundervolle Seelenkenntniß.

Grenzenlos ist Adam's Seelenjammer und von

ergreifender Wirkung die Scene zwischen ihm und Hetty

im Kerker;

die raffinirteste Rache des

Schicksals. soll

189 Er ist auf die Nachricht

aber auch. Arthur erfahren.

vom Tode seines Oheims nach Hause geeilt, um sein

Erbe in Empfang zu nehmen.

Die Dichterin schildert

seine Ankunft, sein Behagen, als

strengung der Reise erholt,

er sich, von der An­

an das Lesen von Briefen

begiebt. Doch der erste Brief, den er öffnet, bringt ihm die

Nachricht von Hettp's Schicksal. fürchterlicher Wechsel seiner Lage!

Welch' jäher, welch'

vernichtet

all

seine

Hoffnungen, all seine Pläne! In rasender Eile reitet er nach London, wo es ihm gelingt, die Begnadigung Hetty's

zu erwirken. Auf schäumendem Rosse, mit hervorquellenden Augen, das Dokument hoch in der Luft haltend, langt

er noch rechtzeitig am Richtplatze an.

Hetty wird zur

Deportation bestimmt. Und wie gestaltet sich nun das Schicksal der zunächst

Betheiligten, Arthur's und Adam's? Noch einmal treffen

sich Beide cm dem Orte, wo sie einst so heftig aneinander­ gerathen.

Arthur zeigt,

daß

er ein guter Mensch ist,

indem er Adam mittheilt, das Schloß verlassen und in

den Krieg ziehen zu wollen, um es den braven Poyser's,

welche die Schande, die ihre Angehörige über sie ge­ bracht, so tief fühlen, zu ermöglichen, in der Gegend zu bleiben.

Adam scheint der Versöhnung lange unzugänglich

zu sein und die harte Rinde sich nicht von seinem Herzen lösen zu wollen.

wohl

Als Arthur jedoch meint, daß Adam sich

selbst niemals

etwas vorzuwerfen hatte, um

zu

begreifen, wie schwer das Bewußtsein der Schuld sei, trifft dies Wort ihn in's Herz, er erinnert sich seiner einstigen

Härte gegen seinen alten Vater.

Eine Wandlung geht

190 in ihm vor und er bittet nun Arthur, ihm die Hand

zu reichen, die er einst zurückgewiesen.

Aber es soll Adam, wie er es verdient, doch noch das Glück lächeln, es soll ein edles Weib, das wahre Liebe

für ihn empfindet, warmen Sonnenschein in sein Leben

bringen, dessen Gefährtin sie wird.

Wir erwähnten schon

einmal der herrlichen Dinah Morris, der Methodisten­ predigerin, die einen so merkwürdigen Gegensatz zu Hetty

Sorrel bildet, ein Gegensatz,

Erscheinung ausgedrückt ist.

der schon in der äußeren

Wo dieses, von evangelischem

Liebestrieb beseelte lilienreine Wesen erscheint, wo wir ihre sanfte Stimme und ihre krystallhelle Rede vernehmen, da wird es licht und hell vor uns.

Bei einem zufälligen

äußeren Anlasse ist die Rednergabe in Dinah Morris er­ wacht.

Sie spricht, wenn die Inspiration über sie kommt,

wie ein Dichter dichtet und dann

strömen Worte,

so

machtvolle Worte über ihre Lippen, daß Männer weinen,

Frauen

in Ohnmacht

fallen.

Wie

ein milder Geist

wandelt sie unter den Menschen einher, ein Segen jedem Orte, an dem sie erscheint,

ein Seelentrost für Kranke

und Leidende, und niemand widersteht dem Zauber ihrer Worte.

Man hat es getadelt, daß die Dichterin Dinah

Morris' Opferdrang und Opfermuth nicht als die Folge persönlicher Leiden und Kämpfe dargestellt habe, dann

wäre aber Dinah Morris eben nicht Dinah Morris ge­ worden.

Weil ihrem selbstlosen Walten nun die Vor­

geschichte fehlt, wollte man ihrem Wesen überhaupt die Ge­

schichte, die Entwicklung absprechen.

Und doch ist eine

solche ja deutlich vorhanden, nur daß die Entwicklung, die

in Dinah stattfindet, das Gegentheil von jener ist, die

191 man an ihr vermißt hat.

Dinah, die zuerst als ein

Wesen ohne alle persönlichen Wünsche erscheint, erwacht

durch die Liebe zu Adam Bede zum persönlichen Leben und die schließliche Vereinigung dieser beiden herrlichen

Menschen ist wohl der einzig richtige Abschluß, welchen

die Dichterin ihrem Werke geben konnte. Um einige Nebenfiguren dieser Erzählung

hervor­

zuheben, so hat die Dichterin mit besonderer Vorliebe den Rector Irwine, den Freund und Lehrer Arthur Donnithorne's geschildert. und

Er ist ein liebenswürdiger, heiterer

lebenslustiger Weltmann, zugleich aber ein guter

Prediger

und ein durch

gesinnter Akensch,

und durch milder und edel­

der für seine Umgebung die zartesten

Rücksichten kennt und wie Sonnenschein auf sie wirkt. Er ist so recht ein Mensch, wie die Dichterin sie liebt und von denen sie sich mehr Heil für die Welt verspricht,

als von Weltverbesserern und Reformatoren.

Vortrefflich

gezeichnet sind auch die Mutter Jrwine's, die alte prächtige Dame mit dem adligen Gesichtsschnitt und der vornehmen

Haltung, sowie seine beiden häßlichen Schwestern reiferen Alters.

Der

Gegenstand

des Entzückens aller, welche

über „Adam Bede" gesprochen haben, bildet unter den

Gestalten des Pachthofes die vortreffliche Frau Popser. In der That hat nie ein Dichter eine Gestalt geschaffen,

in welcher der Volkswitz mit seinen Sprichwörtern, seinen schlagenden Vergleichen und treffenden Bildern besser ver­

anschaulicht worden wäre,

Pächtersfrau geschieht.

als

es

in dieser wackeren

Von ihr sagt Pastor Irwine:

„Ihre Zunge ist wie ein frisch geschliffenes Rasirmesser. Und dabei ist sie so originell und hat den natürlichen

192 Witz, her. eine ganze Grafschaft mit Sprichwörtern ver­ Und von Pastor Irwine

sorgt."

sagt

einmal Frau-

Poyser ihrerseits: „Ja! es ist ein w,ahrer Staat, so ’nen

Mann Sonntags auf der Kanzel zu sehen! Es ist grade so, als sähe man so'n recht volles Weizenfeld oder ’ne

Wiese mit ’nem Trupp Kühe darauf."

Und noch ein

anderes Beispiel ihres Witzes: „Mit den drei Mädchen

im Hause müßt ich noch einmal so viel Kräfte haben, um die bei der Arbeit zu halten,

das ist gerade, als

wenn man drei Braten, jeden an einem besonderen Feuer

hat, wenn man den einen begießt, brennt der andre an." Ueber solche Aussprüche — und Frau Poyser ist reich

daran



muß

man

herzlich

lachen

und

auch noch

manches andere Ergötzliche ist in „Adam Bede."

Aber

Humor von der Art, wie wir ihn bei Cervantes, Sterne, Jean Paul, Dickens, Fritz Reuter finden, hat die Dichterin

bei Zeichnung der Frau Poyser allerdings nicht geleitet. In die Reihe jener Humoristen trat sie erst in der un­

übertrefflichen Darstellung der Philister und Spießbürger

in der „Mühle am Floß."

Es ist bekannt, daß George Eliot in „Adam Bede" viele

wirkliche

geschildert

hat.

Personen

und

Plätze

Der Leser findet über

nähere Aufschlüsse bei Miß Blind.

ihrer

Heimath

diesen Punkt

Aber schon in den

„Bildern aus dem geistlichen Leben" fanden die Be­

wohner

von

zu

Nuneaton

Personen und Orte,

ihrem

höchsten

Erstaunen

die ihnen wohl bekannt waren.

Sie sahen, daß Jemand aus ihrer Mitte der Urheber

derselben sein müsse.

Da war aber nur ein Einziger,

den man für fähig hielt,

jene Erzählungen geschrieben

193 zu haben, ein gewisser Liggins nämlich, der auch sonst

in dem Ruf

gelehrter Bildung stand.

Ihn hielt man

also für denjenigen, der sich hinter dem Namen George Eliot verberge.

Liggins wußte zunächst nicht recht, wie er

auf die ihm erwiesene Ehre reagiren solle; als jedoch „Adam

Bede" erschien und einen ungeheuren Erfolg errang, so

nahm er dieselbe bereitwillig an. Es war deshalb hohe Zeit, daß sich der wahre Autor zu erkennen gab, was auf dem

Titelblatte der „Mühle am Floß" geschah. heute noch

Doch soll

ein Mann auf der Insel Man leben,

der

immer noch Liggins für den Verfasser der Werke George Eliot's hält. In „Adam Bede" sind die Hauptgestalten Personen

aus dem Volke, .in der „Mühle am Floß" versetzt uns die Dichterin in bürgerliche, nein, in spießbürgerliche Kreise

des englischen Provinziallebens.

In diesen nun ist ein

Fremdling und lebt in ständigem Kampfe mit ihnen Maggie Tulliver, eine der herrlichsten von George Eliot's Frauen­ gestalten.

Maggie zählt ebenso wie Dorothea in „Middle-

march" zu jener Menschenklasse,

die bei hervorragenden

Anlagen, idealein Sinne und seltenen Kräften des Ge­

müthes ihre Stelle im Leben nicht finden.

Wir wollen

es dahingestellt sein lassen, ob sie dieselbe überhaupt nicht finden können.

„Problematische Naturen" ist ein Schlag­

wort des Tages geworden. Wir müssen es in Ermangelung

eines anderen auch auf jene eben von uns bezeichneten Frauengestalten anwenden.

Während männliche Schrift­

steller problematische Männer dargestellt haben, schildert George Eliot immer nur problematische Frauen.

In der „Mühle am Floß" hat uns die Dichterin D r u s k o w i tz, Essays.

13

194 mehr von ihren eigenen Kämpfen, Schicksaleil und Lebens­

beziehungen

mitgetheilt,

als

in irgend

einer anderen

Dichtung und zugleich ihrem Bedürfnisse nach allseitiger Spiegelung und genetischer Entwickelung der Charactere

am meisten Genüge gethan, indem sie uns ihre Helden schon als Kinder vorführt.

Dieser Kindergeschichte kann

in Bezug auf dichterischen Gehalt, auf tiefes Eindringen

in die Kindesseele, wenn irgend etwas, so höchstens nur diejenige

in Gottfried Keller's „Grünem Heinrich" ver­

glichen werden. . Doch fehlt hier der interessante Gegen­ satz der Geschwister und ferner. ist das Kind Maggie eine

Schöpfung, die nicht ihres Gleichen in der gesummten Literatur hat.

Wir beobachten Toni und Maggie theils

in der Mühle ihres Vaters, am Gestade des Flusses, dessen Rauschen ihren Lebensgang begleitet, dessen Wogen einst

über ihren enttäuschten Herzen zusammenschlagen sollen, theils in dem Hause des Pastors Sterling, dessen Leitung

Tom, als er dreizehn Jahre zählt, übergeben wird uni> wo Maggie ihn besucht.

Schon die äußere Erscheinung

Maggie's, ihre dunklen Augen,

aus denen Leidenschaft

und Genie

blitzt und die Fluth schwarzer Haare,

über

Stirne

ihre

hereinfallen

und

die

sie wie

shetländisches Pony schüttelt, ist ungewöhnlich.

die

ein

Wir cha-

racterisiren sie nicht genügend, wenn wir von ihrer wilden Grazie, ihrer Unbändigkeit, die sich jedes mütkerlichen

Zügels entschlägt, von ihrem wilden Trotze und ihrem

ungestümen Liebesdrange, der zunächst ganz auf Bruder Tom gerichtet ist, sprechen:

es leben

in diesem Kinde

Kräfte und Leidenschaften, die, man nröchte sagen, einen heidnischen Character. haben.

Aber, wie der Poesie die

195 Prosa, wie der Phantasie der praktische Verstand, steht

diesem berückenden Wesen der rothwangige, gewöhnlich­ aussehende, nüchterne -Tom gegenüber, dessen Sinn nur

auf das Nächste gerichtet, der von

lichen Gerechtigkeitsgefühle

eine

Willensstärke

und

einem

schier pein­

durchdrungen ist,

einen

praktischen

aber auch

Blick

zeigt,

der für seine Zukunft nur Günstiges prophezeien läßt. Indeß fehlen ihm auch zartere Regungen und Gefühle

keineswegs.

Seinen Vater hält er

für unfehlbar;

zu

seiner Mutter hat er ein inniges Verhältniß, auch seine

Schwester liebt er, ja, er ist sogar im Stande, ein Opfer für sie zu bringen,

aber wenn

er

glaubt,

daß

sie

Unrecht gethan, einen Verstoß begangen, behandelt er

sie hart.

In wunderbarer Weise

wird

der Gegensatz

ihrer Neigungen und Antriebe gekennzeichnet und das

Spiel ihrer jungen Leidenschaften geschildert.

Und da

ist noch eine dritte Kindergestalt, die zahine, ächt mädchen­ und

hafte

wohlgekämmte

Lucie

Deane,

deren

Vor­

bild George Eliot's ältere Schwester Christiana gewesen

ist,

die

in dieser

Eifersucht

gequält,

Geschichte eine

Rolle spielt.

stößt Maggie, das

Von

hübsche artige

Mädchen, bei einer gemeinsamen Streiferei, wo Tom all seine Aufmerksamkeit dieser geschenkt hat, in eine Pfütze

und als Tom ihr deshalb einen Schlag versetzt,

sie wuthentbrannt ein

längst

gehegtes Vorhabeir

indem sie unter die Zigeuner geht.

führt

aus,

Wir bemerkten be­

reits, daß diese ergötzliche Episode (wir finden eine ähn­ liche in Disraeli's „Venetia") gleichfalls einer Erinnerung

der Dichterin an ihre eigne Jugend die Entstehung ver­ dankt.

Die Komik der Scene im Zigeunerlager gipfelt 13* *

196 in den Worten, die Maggie an die Zigeunermutter richtet :

„ich möchte meinen Thee haben."

Glücklicherweise wird

die kleine Abenteurerin von einem der Zigeuner zurück­

geführt und ihrem Vater überliefert.

ihres

Leidenschaft

der

in

Vaters,

und

der

ihr

Es ist die Familie Wesen,

ihre

Herzens

ihre

excentrisches

Reichthum

ihres

entartet aber ist sie vom Standpunkte

Wurzel haben,

der unübertrefflichen Dodson's, der Familie ihrer Mutter

aus betrachtet, mit deren edlen Characterzügen sie keine

Wie schrecklich!

Aehnlichkeit hat.

Unzählige Male hat

den adeligen Ahnenstolz satirisch angegriffen und

man

humoristisch

belächelt;

aber zum

ersten Mal

hat die

Dichterin hier den verhärteten Stolz, den zähen FamilienEgoismus einer Spießbürgerfamilie, und zwar einer

englischen, die

der

jeden, als

die

sich

aus

für

die erste

Familie der Welt,

für

ihrem Schoße hervorgeht,

ganze übrige Welt hält und

in

bester

allem

und

jedem ihre besondere Art und Weise hat (the way in our family) mit köstlichem Humor zur Darstellung ge­

bracht und es ist dies kein an der Oberfläche spielender und

an Aeußerlichkeiten

innere Wesen Sinne.

sich ergötzender,

sondern das

erfassender Humor, Humor im höchsten

Die drei Schwestern Dodson, die schwachsinnige

Mrs. Tulliver, die weinerliche, stets medizinirende Mrs.

Pullet und die herrschsüchtige Mrs. Glegg, welch' letztere den

Dodson'schen

repräsentirt,

Familiengeist

bilden nebst

wieder

am

Reinsten

Mr. Glegg und Mr. Pullet

eine Gruppe von Spießbürgern, wie sie nicht ergötzlicher gedacht

werden

kann.

Gegenüber

in diese Gestalten gelegt,

dem

ist derjenige,

Humor,

der

mit dem die

197 seicht zu nennen.

Dichterin Fran Poyser ausgestattet,

Der

wahre

Tulliver,

in

Dodson'schen

Erbe

des

dem

Dodson'schen

sich

Geistes

die Hartnäckigkeit der

Generation

in

Thatkraft

und

Tom

ist

älteren Energie

umsetzt. Tom und Bcaggie wachsen in dem Glauben auf,

daß

ihr Vater, der Besitzer der Dorlcote Mühle,

äußerst wohlhabender Mann sei.

ein

Tulliver ist ein grund­

ehrlicher, gutmüthiger, dabei stolzer und leidenschaftlicher

Mensch mit beschränkten Ansichten und gefährlichen Nei­ gungen.

Er findet die Welt überaus verzwickt und hält

Kornwürmer, Ratten und Rechtsgelehrte

des Teufels.

für Geschöpfe

Sein Widerwille gegen die Rechtsgelehrten

gipfelt in einem verbissenen Haß gegen den Advokaten

Wakem.

Tulliver erinnert an die. Bauern in Gottfried

Keller's „Romeo und Julie" und wie diese processirt er sich zu Schanden und zwar gegen einen Clienten des genannten Wakem.

So steht eines Tages der Bankerott

vor der Thüre und als Tulliver's

letzte Hoffnung auf

eine mögliche Rettung vereitelt wird, da trifft ihn ein Schlaganfall, so - daß er überdies für längere Zeit un­

fähig ist, die Geschäfte zu leiten. Wirkung dargestellt,

welche

Ergreifend ist

die Nachricht

die

dieses plötz­

lichen Umschlags auf die Geschwister macht, die beide auswärts weilen und Hand in Hand in das verwandelte

Vaterhaus eintreten, wo die erste Person,

der sie be­

gegnen, ein Gerichtsdiener ist. Unsere Theilnahme concentritt sich zunächst auf Tom,

der unter der Wucht solcher Schicksalsschläge plötzlich zum Manne heranreift.

Schon während des Familienrathes

198 sticht sein Benehmen von dem Gejammer seiner Mutter

um ihr Porcellan und ihren Theetops, den Hammer kommen sollen, Raisvnniren

der

und dem

geizigen Verwandten

die

auch unter

Schelten und

vortheilhaft ab

und er giebt einen schönen Beweis seines Rechtlichkeits­ gefühls,

als

er auf Vernichtung

eines Schuldscheines

dringt, den eine Schwester seines Vaters diesem ausge­

stellt hat und von welchem dieser vor seiner Krankheit

erklärte, keinen Gebrauch machen zu wollen..

Als aber

die Pfändung erfolgt ist und noch eine große Schuld un­

beglichen bleibt, da wird Tom die Stütze der Familie, indem er die nächste kaufmännische Stelle, die sich ihm

bietet, annimmt, durch seine Tüchtigkeit sehr bald die Aufmerksamkeit der Principale auf sich zieht und über­

dies das Glück hat, auf eigene Faust vortheilhafte Ge­

schäfte zu machen.

Die Mühle ist hauptsächlich in Folge

der diplomatischen Kunst der armen Frau Tulliver, die durch das Unglück vollständig Kind geworden, anläßlich

eines Besuches bei dem Advokaten Wakem, wo sie Alles

zu Gunsten ihres Mannes zum Ausgleich zu bringen hoffte, durch verkehrte Reden aber das Gegencheil bewirkte, von diesem erstanden worden.

Wakem aber hat. Tulliver den

Antrag gemacht, die Mühle zu verwalten, und Tulliver hat,

durch das Schicksal gezwungen, nach heftigen Seelen­

kämpfen sich entschlossen, die Stelle anzunehmen. durch

hat

sein Haß

Da-,

gegen Wakem einen dämonischen

Charakter angenommen und er läßt Tom in eine alte Bibel den Schwur schreiben, daß er, Tom, Wakem und die Seinen,

wenn die Stunde gekommen sei,

lassen wolle, was dieser an seinem Vater gethan.

fühlen

199 Wie aber steht es um Maggie?

In der ersten Zeit

ihres häuslichen Unglücks war sie vielleicht weniger bedauernswerth

als

denn

Tom,

„der

Kummer

schaffte

Raum für den Erguß ihrer Liebe und den Flügelschlag

ihrer leidenschaftlichen Natur".

ist sie später, Thätigkeit

sie,

schaffen

Richtung gäbe.

die

kann,

Um so beklagenswerther

wie ihr Bruder sich eine

nicht

die

ihren

Gedanken

neue

„Erst in dem langsamen, veränderten

Leben, welches dann kommt, wenn das Leid wie ab-' gestanden ist und nicht mehr durch Tiefe und Stärke

den Schmerz aufwiegt,

erst wenn ein Tag nach dem

anderen in dem langweiligen Einerlei des Daseins folgt,

in dem man nichts mehr hofft und das Dulden zu einer

traurigen Gewohnheit geworden ist, — erst dann droht

Verzweiflung, erst dann macht sich gebieterisch der Hunger der Seele fühlbar, und Auge und Ohr sehnen sich nach

einem unbekannten Geheimniß unserer Existenz, wodurch unsere Geduld im Leiden in Zufriedenheit verwandelt

werde."

Maggie's phantasievolle Natur verlangt nach

Schönheit und Glanz, was sie umgiebt, ist Oede und Leere und jedes Schmuckes ist das Heim beraubt, in dem sie ihre Tage hinbringen soll.

Ihr Herz sehnt sich nach

Liebe, doch bei den Menschen, die sie umgeben, findet es

keine Erwiderung.

Was ist aus der traulichen Kamerad­

schaft mit dem Bruder geworden?

Sie besteht nicht

mehr; die schweren Schicksale haben auf des Bruders

Herz wenigstens erkältend gewirkt, er hat kein freundliches Wort

für

die Schwester.

Schulbüchern, aber

Sie sucht Trost in seinen

vergebens.

In dieser Seelenver­

lassenheit und Herzensöde fällt Thomas a Kempis in

200 ihre Hände. „Glaub, daß nichts in der Welt dir so schadet,

als deine Eigenliebe," liest sie da, und: Ohren,

„selig sind die

die das leise Wehen des göttlichen Geistes ver­

nehmen und auf das Geräusch dieser Welt nicht achten. Ja, wahrhaftig, selig die Ohren, die nicht horchen auf

die Stimme, die von Außen erschallt, sondern auf die

Diese Worte bewirken

Wahrheit, die" inwendig lehret."

einen scheinbaren Umschlag in ihrem Wesen, in dessen

vortrefflicher Schilderung Selbsterlebtes darstellt.

die Dichterin Maggie,

wiederum nur

deren feurige. Natur,

ganz und gar auf den edlen Genuß gerichtet ist, ent­

sucht die Sehnsucht

sagt allen Träumen, und

Schönheit in

sich

die gröbste Prosa.

abzutödten und

Es kann nicht anders

Glück

nach

stürzt

sich

sein,

in als

ihrer

neuen Lebensan­

schauung in Uebertreibungen verfällt,

so geht sie z. B.

daß

sie

in

der

Bethätigung

in ein Nähgeschäft, um sich Arbeit zu verschaffen.

Aus

diesem Zustande gewaltsamer geistiger Abstumpfung und

Abtödtung sucht sie Philipp Wakem, der Sohn des Ad­ vokaten, zu erwecken.

Philipp war einst Tom's College bei Pastor Stelling gewesen, aber die Verschiedenheit ihrer Naturen und das Bewußtsein der Feindschaft der beiderseitigen Väter, ließ

es nie zu einer Annäherung zwischen ihnen kommen, wo­

gegen sich Maggie bei einem Besuche, den sie ihrem Bruder machte, mit Philipp befreundete, und dieser eine unauslöschliche Erinnerung an sie bewahrte. Einige Zeit nach den schweren Schicksalen, die über Maggie und die Ihren

gekommen, begegnet sie Philipp auf einem Spaziergange

an

einem einsamen Orte.

Philipp ist mit dem dop-

peilen Fluche einer verkrüppelten Gestalt und halber künstlerischer Talente behaftet. Mit einem leidenschaftlichen Herzen und voll der feinsten Empfänglichkeit für die Reize des Schönen, scheint er doch immer darauf verzichten zu müssen, Liebe zu finden und das Schöne im Bilde darzustellen. Er ist hochgebildet, sein Herz zärtlich und edel, das Wiedersehen mit Maggie, die inzwischen zur Schönheit herangeblüht ist, entfacht seine Neigung zu ihr zur Leidenschaft. Sie selbst hat ihm die Gefühle der Kindheit bewahrt. Schon bei der ersten Begegnung macht Philipp's Beredsamkeit sie in ihren Grundsätzen schwankend und sie wird in ein Meer neuer Kämpfe geschleudert. Nicht ohne Gewissenskämpfe sagt sie Philipp öfteres Wiedersehen zu, wozu das neuerwachte Bedürf­ niß nach geistiger Anregung sie treibt. Schließlich be­ kennt Philipp ihr seine Liebe, auch sie glaubt ihn zu lieben, irrt sich darin jedoch ebenso sehr wie in ihrer Askese. Tow's scharfes Auge hat indeß die Heimlichkeiten der Schwester durchschaut. Es ist um die Zeit, wo er die Summe erworben hat, die genügt, um die Schulden des Vaters zu begleichen. Gerecht ist und besonders in diesem Augenblicke seine Entrüstung über die Beziehungen der Schwester zu dem Sohne. des größten Feindes des Vaters, brutal aber die Art, wie er das Paar trennt und von der Schwester verlangt, daß sie Philipp ohne seine Erlaubniß nie mehr spreche. Diese Lebensperiode des Geschwisterpaares schließt mit dem Tode ihres Vaters, der im Triumph über Tom's Errungenschaften sich zu einer Mißhandlung seines Feindes hinreißen läßt und

202 gleich darauf einen neuen Schlaganfall erleidet, der seinen

Tod herbeiführt.

Im sechsten Buche tritt Maggie als Gast ihrer Cou­

sine Lucie Deane in St. Ogg auf. Maggie hatte nach dem Tode des Vaters eine untergeordnete Lehrerstelle an einer Schule angenommen und tritt aus dieser trüben Sphäre

nun znm ersten Male in ein glänzendes Haus, wo Eleganz und Comfort herrschen.

Bei einer ihrer einsamen Be­

gegnungen

hatte

im

Walde

Philipp

ihr

geweissagt:

„Du wirst einst noch in die Welt geworfen werden und dann wird jedes

verständige Bedürfniß deiner Natur,

welches du jetzt unterdrückst, mit der Wuth des Hungers

über dich herfallen" und diese Prophezeiung soll sich jetzt an

ihr erfüllen, an ihr, „deren ganzes Wesen nach Wohlstand, feinem Lebensgenuß und zugleich geistiger Vervollkomm­ nung und — Liebe dürstet." Das erste Mal tritt ihr im Hause Deane ein glänzender und schöner junger Mann

entgegen

in der

Gestalt des

jungen

Stephen

Guest.

Derselbe gilt für Lucie's Bräutigam, obwohl die Ver­ lobung noch nicht ausgesprochen worden' ist.

Stephen

und Maggie traten einander mit den ungünstigsten Vor­ urtheilen entgegen, allein ihre erste Begegnung ist für

beide entscheidend.

Maggie hat von ihrem Bruder, der

Lucie insgeheim liebt, die Erlaubniß erhalten, Philipp

wieder sprechen zu dürfen, der Stephen's Freund ist und im Hause Deane verkehrt. Wenn Maggie sich bis dann

über ihre Gefühle für Philipp nicht klar war, so sieht sie

jetzt um so schärfer, daß dieselben niemals einen anderen

Charakter als den schwesterlicher Liebe hatten, während

ihr Herz leidenschaftlich

nach

Stephen begehrt.

Tom

203 hat

einmal

in

seiner strengen Weise zu ihr gesagt:

„Heute gefällst du dir plötzlich in einer sehr thörichten Entsagung,

und morgen hast du nicht die Kraft des

Widerstandes gegen etwas, das du selbst als erkennst."

Und

unrecht

gleichwohl siegt in Maggie schließlich

doch eine andere Macht und eine andere Stimme, - als

die der Liebe.

Wohl läßt sie sich von Stephen be­

stimmen, mit ihm allein ein Schiff zu besteigen, Stephen

lenkt.

Zu spät

nehmen

sie wahr,

weit über das Ziel hinaus gefahren sind.

daß

das

sie

Maggie be­

findet sich Anfangs in einem Zustande der Verzauberung,

als Stephen aber nach einiger Zeit in sie zu dringen be­ ginnt, ihm nach Schottland zu folgen und die Seine zu werden, da kommt sie zum Bewußtsein und setzt ihm

einen

unüberwindlichen

Widerstand

entgegen..

Es ist

jedoch nicht nur das Mitleid mit Lucie und Philipp, welches sie dazu führt, sich von Stephen loszureißen,

es kommt hierzu noch ein anderer Grund.

„Mein Friede

wäre dahin," ruft sie in der letzten stürmischen Scene

mit Stephen aus, „wenn ich den Schatteir einer wissent­

lichen Sünde zwischen euch und Gott treten ließe," doch diese Worte berühren uns kalt und wir sagen uns, daß Maggie, hätte sie sich so eigenthümlich entwickelt, wie

ihre Kindheit es versprach, dieselben nimmer gebraucht

haben.

Wir dürfen der Dichterin jedoch keinen Vorwurf

darüber machen, daß Maggie nicht mehr das originelle und kühne Wesen von einst ist.

Diese Entwicklung ist vielmehr

durch die eingeengte Lebenslage bedingt, in die Maggie gestellt ist, und von der Dichterin von vornherein be-

204 absichtigt.

Maggie sagt sich also von Stephen los und

kehrt allein in die Heimath zurück.

Tom, der die Früchte aller Anstrengungen durch

die Schande, mit der Maggie den Namen seiner Familie

befleckt hat, vernichtet und jenes Mädchen, welches er selbst hoffnungslos liebt,

sieht,

durch dieselbe tödtlich gekränkt

weist sie rauh und hart von der Schwelle des

Hauses,

das einst auch ihr Elternhaus gewesen,

Tom waltet wieder auf der Dorlcote Mühle.

denn

Zu St. Ogg

ist Maggie geächtet, der Prediger Dr. Kenn, der sich

ihrer.annehmen will, muß sie wieder aufgeben, da sich

Noch

sogleich häßliche Gerüchte zu verbreiten beginnen.

hat sie einen schweren Kampf zu bestehen.

Ein Brief

Stephen's trifft ein, ein Nothschrei nach ihr.

Allein sie

widersteht auch dieser letzten Versuchung und indem sie

den Brief verbrennt, ist ihr inneres That entschieden.

Schicksal in

der

Ebenso wenig vermag aber auch Tom

ein glücklicher Mensch zu werden.

Es giebt

nur einen Retter für die Beiden: den Tod.

Er erhebt

je wieder sich aus

dem Schooße des Flusses, der die Tage ihrer

Kindheit verschönt, Nöthen wird.

der

nun

der

Erbarmer in

ihren

Maggie's erster Gedanke, als der Fluß

zu steigen beginnt, ist der Bruder.

Sie fährt auf einem

Kahn zu ihm, um ihn zu retten.

Als sie sich zusammen

auf dem Boote befinden, geht etwas Merkwürdiges in

Tom vor.

„Es überkam ihn mit überwältigender Macht,

es war für seinen Geist eine so neue Offenbarung der Tiefen des Lebens, die sich seinem, wie er meinte, scharfen

und klaren Blicke aufdrängte, daß er unfähig war, eine

Frage an sie zu stellen und er richtete das alte Wort

205 Eine Trümmermasse

der Kindheit: „Magsie" an sie/

schwimmt gegen das Boot heran, die Geschwister um­ fangen einander und sinken unter.

Dieser herrliche Schluß ist ein neuer Beweis, in welch innigem Zusammenhang die Dichterin ihre Helden

immer mit deren Umgebung fühlt und nur der ober­ flächliche Beurtheiler wird in dem Untergange Maggie's

und Tonl's etwas Unvermitteltes erblicken.

Im Uebrigen

ist der letzte Abschnitt der Dichtung weit weniger be­

friedigend als das Vorhergegangene, aber das konnte dem Plane.der Dichterin zufolge nicht anders sein.

Wir verglichen Maggie mit Dorothea Brooke. Dieser

Vergleich ist allerdings insofern berechtigt, als Maggie ebenso wenig wie Dorothea ihre richtige Rolle im Welt­

gefüge findet; sie unterscheidet sich jedoch darin von ihr,

daß

ihr

der Opferdrang und

pathien fehlen, welche jene

die

umfassenden Sym­

auszeichnen.

Sie ist weit

weltlicher und selbstischer und ganz und gar auf des Lebens Genuß gerichtet, deshalb tritt sie uns aber auch

mit viel individuelleren Farben entgegen als Dorothea. Für Maggie gab es. nur ein Ziel: sie verfehlt dieses.

Es

ist schmerzlich,

eine solche Natiw im Kampfe mit

einer, harten Wirklichkeit unterliegen zu sehen, zugleich aber liegt in der Willkür, mit der sie die Wirklichkeit behandelt, eine Schuld, die' nur durch ihre Leiden ge­ sühnt werden kann.

Und um noch einmal auf die Dodson's zurückzu­ kommen, giebt die Dichterin nicht ohne einen tieferen Grund,

ein so

eingehendes Bild des dürftigen,

Reizes entbehrenden Lebens dieser Philister.

jedes

Indem sie

206 sich die Einwände des Lesers gegen ihre breite Detailmalerei

rechtfertigt

vorstellt,

sie' sich folgendermaßen:

„Ich theile das Gefühl erdrückender Beschränktheit, aber

wir müssen sie empfinden, wenn wir verstehen wollen.

wie sie auf den Lebensgang Tom's und Maggie's ein­

wirkte, ,roie sie schon auf junge Naturen eingewirkt hat, die in dem Streben der Menschheit nach vorwärts über das geistige Niveau des vergangenen Geschlechts sich er­

hoben, mit der sie doch durch die stärksten Fasern ihres

Innern und

verknüpft

Opfer,

waren.

die

jeden

Die Leiden der Märtyrer geschichtlichen

Fortschritt

der

Menschheit bezeichnen, treten so in jeder Stadt und in hundert dunklen Hütten zu Tage. diesen

Vergleich

des

Kleinen

mit

Auch brauchen wir dem Großen • nicht

zu scheuen, gesteht doch die Wissenschaft, daß ihr höch­

stes Streben

auf

die Erfassung

einer

Einheit

geht,

welche das Kleinste mit dem Größten verknüpft.

In

der Naturwissenschaft sagt man mir, ist nichts kleinlich für einen Geist, der einen weiten Blick für Beziehungen

und Wechselwirkungen hat und dem jedes Einzelne eine große Menge von Bedingungen des Naturlebens erschließt.

Und mit der Beobachtung des menschlichen Lebens ver­

hält es sich doch ebenso." Im Jahre 1860 war die „Mühle am Floß"

er­

schienen, schon das nächste Jahr brachte „Silas Marner".

Mit diesem Werke schließt die Reihe der vorzüglichsten Dichtungen George Eliot's. „Silas Marner" verdient das

naivste und das künstlerisch vollendetste ihrer Schöpfungen genannt zu werden und enthält Momente von solcher

poetischer Schönheit, daß wir selbst unter den Werken der

207 Dichterin nicht ihres Gleichen finden.

Es wird uns hier ein

schlichter Mann aus dem Volke vorgeführt, der schwere

Schicksale erleidet, die sein Herz verhärten und ihn seinen Mitmenschen entfremden, bis ein Kind, das ein gnädiges

Geschick in seine Hände führt, die zurückgedämmte Quelle

der Liebe wieder in ihm erschließt und ihn der Mensch­ heit

zurückgiebt.

In

keinem

anderen

Werke

George

Eliot's ist die Kraft des Gemüthes so wundervoll ver­

anschaulicht, in keinem anderen so schön gezeigt, daß der Btensch nur in lebendiger Gemeinschaft mit anderen den

Namen Menfch verdiene.

Man hört immer von dem

traurigen Grundton, von der finsteren Weltbetrachtung der Dichterin sprechen. In der That stellen verschiedene ihrer Werke' den nutzlosen Kampf des Individuums gegen

die Unerbittlichkeit der Verhältnisse dar, wie die „Mühle am Floß",

„Middlemarch",

der „Spanische Zigeuner"

und in einem gewissen Sinne auch „Romola", dagegen erreicht

der Held sein Ziel und seine Bestimmung in

„Adam Bede" (roemt man den Helden dieser Dichtung nämlich so betrachtet, wie wir es gethan haben), in „Silas

Blarner", „Felix Holt" und „Daniel Derondg".

Der

Werke mit gutem Ausgange sind also gerade so viele

wie der mit traurigem Ende.

Wohl zeigt die Dichterin

schonungslos die Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens,

die Unwahrheit des menschlichen Herzens,. den verderb­

lichen Zwang der äußeren Umstände, aber sie zeigt auch die Kraft des Herzens und

des Willens, die Fähigkeit

des Menschen sich aus einer niederen sittlichen Sphäre

emporzuringen und den Sieg des muthigen Strebens. Silas Marner,

ein unschöner Weber,

gehört in

208 seiner Jugend einer Dissenter-Gemeinde an, bei der er

in

dem

Rufe

festen Glaubens

Gegenstand

eines musterhaften Lebenswandels

steht

und

durch

kataleptische

eines besonderen Interesses wird.

und

Anfälle Innige

Freundschaft verbindet ihn mit einem anderen jungen

Manne seiner Gemeinde,

Wilhelm Dane, doch glaubt

Marner diese Freundschaft keineswegs zu beeinträchtigen, indem er sich mit einem jungen Dienstmädchen verlobt. In Kurzem soll die Hochzeit stattfinden, sie warten nur

noch auf einen kleinen Zuwachs ihrer Ersparnisie. Wilhelm

Dane jedoch, der an ihren sonntägigen Zusammenkünften

Theil nimmt, verliebt sich in Marner's Verlobte und wendet ein verruchtes Mittel an, um den armen Marner

aus dem Felde zu schlagen.

Er weiß ihn vor der Ge­

meinde in den Verdacht des Diebstahls zu bringen, das Loos erklärt Marner für schuldig, die Gemeinde stößt

ihn aus und auch die Braut ist für ihn verloren.

An

Gott und Menschen verzweifelnd verläßt er die Gegend.

Er wendet sich nach dem Dorfe Raveloe, bezieht ein einsam gelegenes Häuschen in der Nähe eines alten

Steinbruchs, sucht und findet Arbeit und arbeitet Tag

aus Tag

ein gleichsam

aus reinem Naturtriebe ohne

Ueberlegung, bis sein Leben „zur gedankenlosen Thätig­ keit eines spinnenden Insekts" herabgesunken ist.

.den Bewohnern von Raveloe tritt Berührung, als seine Arbeit

es

Mit

er nur so weit in

erheischt.

Von allem

Anfang betrachten ihn die Leute ihrerseits für ein selt­

sames Geschöpf, dem man nicht recht trauen dürfe, mit dem man sich aber auf gutem Fuße erhalten müsse.

Als

Marner jedoch den Ruf eines Wunderdoktors, in dem

209 er durch die Hülfe,

die er einer armen Frau geleistet,

gekommen ist, nicht ausnützen will und die Leute von seiner Schwelle jagt, wird er ihnen noch mehr ein Gegen­ stand

der Furcht.

Aber Marner ist ein Mensch,

der

ohne Liebe nicht leben kann, und so stndet sein Herz denn

immer mehr einen Anhalt an der reichen Ernte seiner Arbeit: am Gelde.

Er versteckt den Schatz im Fußboden

und es ist seine einzige Freude, Abends sein Geld her­ vorzuholen, Goldstücke

es

zu

zu

zählen

und Form

betrachten.

und Farbe der

Die Dichterin zeigt

jedoch,

um Marner's spätere Umwandlung verständlich zu machen,

an einem Vorfälle mit feinem Gefühle,

daß „selbst in

diesem Zustande des Welkens noch nicht aller frischer

Saft aus ihm gewichen war", denn als er einen alten Topf zerbricht, liest er die Stücke zusammen und be­

wahrt sie zunl Andenken. sein Herz treffen.

Als

Allein ein neuer Schlag soll er

konrmt, ist sein Geld gestohlen.

eines Abends nach Hause

Alle Nachforschungen sind

erfolglos und erst nach sechszehn Iahten, nachdem das Ereigniß schon fast in Vergessenheit gerathen ist,

soll

man erfahren, wer der Dieb gewesen und wohin das Geld gekommen. Das neue Unglück droht Meister Marner

den Verstand zu rauben und wieder füllen Schmerz und Verzweiflung die Leere seines Herzens.

„Wenn er beim

Weben saß, ächzte er wohl ab und zu wie vor Schmerz; das war das Zeichen, daß seine Gedanken wieder vor

der jähen Kluft standen, vor der leeren, öden Abendzeit. Und dann gegen Abend, wenn er einsam an seinem spär­

lichen Feuer saß, stützte er die Ellbogen auf die Kniee und nahm den Kopf zwischen die Hände und ächzte ganz Druskowih, Essays.

14

210 leise, als wollte er nicht gehört sein".

Doch bildet sein

Unglück das erste Band zwischen ihm und seinen Mit­

Die Leute von Raveloe hatten ihn für ge­

menschen.

fährlich und schlau gehalten, nun sah man, daß -er nicht einmal im Stande gewesen, sein Geld zu hüten.

beginnt

Antheil

an

ihm

zu

nehmen,

weiblichen Theil der Bevölkerung.

Man

besonders

im

Es ist Weihnachts­

zeit, wo die Reicheren an Thaten der Nächstenliebe ge­

mahnt werden.

Biele besuchen Marner, am Besten aber

versteht die Frau des Stellmachers Winthrop mit ihm

zu sprechen, die ihm überdies zu besonderer Ergötzung ihren kleinen Sohn Aaron vorführt.

So bereitet

die

Dichterin in meisterhafter Weise das Erscheinen der kleinen

Eppie vor.

Es ist Neujahrsnacht.

In Silas Marner' s

Hütte steht die Thür offen — er selbst befindet sich in jenem Zustand der Erstarrung und Geistesabwesenheit,

der hei ihm nicht selten vorkommt.

Als er erwacht —

doch nein, hören wir das in den eigenen Worten der

Dichterin: „Als seine Empfindung wiederkehrte, schloß er die Thür, ohne die Lücke in seinem Bewußtsein zu bemerken und nicht gewahr, daß sich etwas verändert habe, außer

daß es dunkler geworden und daß er kalt sei und matt. Er glaubte, er habe • zu lange vor der Thür gestanden

und hinausgesehen.

Dann wandte er sich zu dem Heerde,

wo die Scheite halb ausgebrannt waren und nur noch

einen ungewissen rothen Schein verbreiteten, und setzte

sich auf den Stuhl am Feuer und bückte sich eben, um die Scheite zusammenzuschieben, da kam es seinen trüben, Blicken vor, auf dem Fußboden vor dem Heerde liege

Gold.

Gold! — sein liebes Gold — das ihm so ge-

211 heimnißvoll zurückgebracht worden, wie es ihm genommen

war.

Er fühlte sein Herz inächtig schlagen und einige

Augenblicke war er unfähig, die Hand auszustrecken und

den wiedergefundenen Schatz zu ergreifen.

Seinem auf­

geregten Blicke schien der Haufen Gold zu glühen und

größer zu werden.

Endlich lehnte er sich vornüber und

streckte die Hand aus, aber statt des harten Metalles, mit

dem

wohlbekannten scharfen Rande,

Finger weiche warme Locken.

faßten

seine

Im höchsten Erstaunen

fiel Silas auf die Knie und bog deü Kopf tief hinab, um das Wunder zu prüfen, es war ein schlafendes Kind,

ein

rundliches,

hübsches

Ding

Ringeln über den ganzen Kopf. kleine Schwester, die

mit weichen,

goldenen

War es vielleicht seine

im Traume wieder zu ihm

ge­

kommen, sein kleines Schwesterchen, das er ein Jahr lang auf den Armen getragen hatte, ehe es starb, als

er noch ein kleiner Junge war ohne Schuhe und Strümpfe? Dies war der erste Gedanke, der Silas durch den Kopf

schoß, als er starr vor Verwunderung das Kind ansah.

Und war es denn ein Traum? Er sprang wieder auf, schob die Feuerbrände zusammen, warf trockene Blätter und Reisig dazu und machte eine helle Flamme,

aber die

Flamme verscheuchte das Bild nicht, sondern erhellte nur noch deutlicher das kleine runde Gesicht des Kindes und

seine ärmlichen Kleider.

Schwester.

Es glich sehr seiner kleinen

Unter dem doppelten Gewicht einer uner­

klärlichen Ueberraschung

und

eines Stromes

von Er­

innerungen, die auf ihn eindrangen, sank Silas erschöpft

auf den Stuhl.

Wie nur war das Kind hereingekommen,

ohne daß er davon wußte?

Er war doch mit keinem



Schritte über



212

die Schwelle

gekonimen.

Aber

zugleich

mit dieser Frage und sie fast verdrängend, tauchte das Bild der alten Heimakh auf und der alten Straßen, die nach der Kapelle führten, und in diesem Bilde noch ein

anderes, das Bild der Gedanken, die ihn in jenen fernen Zeiten erfüllt hatten.

Die Gedanken waren ihm jetzt

fremd, wie eine alte Freundschaft, die sich nicht wieder

beleben läßt, und doch hatte er ein unbestimmtes Gefühl,

dieses Kind sei eine Botschaft für ihn aus jenem fernen

Leben; es regte Saiten in seinem Jnnem auf, die sich in Raveloe nie gerührt hatten, alte Anklänge von Zärt­ lichkeit, alte Eindrücke von Ehrfurcht bei der Ahnung,

daß eine höhere Macht über seinem Leben walte, denn

seine Einbildungskraft hatte sich noch nicht frei gemacht

von dem Glauben, die plötzliche Erscheinung des Kindes sei ein Wunder und Geheimniß, und war ihm nicht ein­ gefallen, daß sich dies Ereigniß auch wohl auf gewöhn­

liche und natürliche Weise erklären ließe." gehört zu dem Schönsten der literatur?)

Der

Diese Scene

gesammten Erzählungs­

lebendige Schatz, der an Stelle des

todten getreten ist, soll dem armen Marner fortan an­ gehören und ihn wieder zu einem Menschen machen.

Aber wer ist das Kind? unglücklichen

Ehe

des

Es ist die Frucht der

Gottfried

Caß,

des

Sohnes

von Squire Caß, eines der vornehmsten Grundbesitzer

von Raveloe.

Gottfried ist von seinem Bruder,

dem

*) Miß Blind hat auf die Aehnlichkeit zwischen „Silas Marner" und Kraszewski's „Jermola der Töpfer" hingewiesen. Das Werk George Eliot's ist jedoch unvergleichlich poetischer und ansprechender.

213 liederlichen Dunstan, aus gemeinen Gründen zur Heirath

mit einer Person aus den niederen Ständen gedrängt worden,

ohne daß Jemand

anders

von der Heirath

weiß, als Dunstan, deffen Schweigen Gottfried theuer

genug bezahlen muß.

Denn nicht nur fürchtet Gottfried,

wenn das Geheimniß verrathen würde, Enterbung durch

den Vater, sondern auch den Verlust jeder Aussicht auf

die schöne Nancy Lammeter, der seine Liebe gehört.

Er

lebt im Hause seines Vaters, getrennt von seiner recht­ mäßigen Frau, die sich dem Trünke und dem Opium­ genusse ergiebt und ihm wegen mangelhafter Unterstützung

fortwährend droht, eines Tages in Raveloe zu erscheinen. So

naht

Sylvesternacht

jene

heran.

Vor

Dunstan

glaubt Gottfried einige Zeit Ruhe zu haben, denn er hat ihm sein Pferd zum Verkaufe überlassen, das dieser je­ doch zu Schanden geritten hat und sodann verschwunden

ist, ohne daß Jemand weiß, was aus ihm geworden;

weniger sicher Frau.

ist

Gottfried

vor

der

Ankunft

seiner

Nach altem Herkommen pflegt in der Sylvester­

nacht ein großes Fest in dem Hause seines Vaters ge­

feiert zu werden.

In dieser Nacht nun will Gottfried's

Frau, die aller Mittel entblößt ist, den längstgehegten

Racheplan ausführen.

Sie begiebt sich mit der zwei­

jährigen Eppie zu Fuß auf den Weg, da sie aber unter­ wegs Opium zu sich nimmt, überfällt sie bald der Schlaf, sie

sinkt zu Boden,

wo Frost und Kälte sie

todten.

Silas Marner ist es, der durch das Kind aufmerksam gemacht, sie im Schnee findet, der die Nachricht nach

dem Hause des Squire Caß bringt und den Arzt her­ beiholt, der die Dahingestreckte für todt erklärt.

214 Da Niemand einen Anspruch auf Eppie erhebt —

Gottfried hat nicht den Muth, sie als sein Kind an­ zuerkennen — bleibt sie in Silas Marner's Besitz, der sogleich sein ganzes hungriges Herz an sie gehängt hat

und eifersüchtig über sie wacht, sie ganz für sich haben will und in der ersten Zeit seiner Vaterfreuden nichts

Anderes hervorbringt, als: „das Geld ist gekommen, ich weiß nicht wohin, das Kind ist gekommen, ich weiß nicht

Er hat

woher".

nun

Mitmenschen, denn

keine Scheu

mehr vor seinen

sie sind gut mit ihm seitdem sie

wissen, daß er fühlt wie sie. Wie Marner nun unter der Anleitung Frau Winthrop's die kleine Eppie warten und

erziehen lernt, wie seine

Versuche, das Heranwachsende wilde Ding im Zaum zu

halten, mißlingen, all dies ist mit unnachahmlichem Humor geschildert.

Je älter jedoch Eppie wird, um so mehr

zeigt sich, daß auch sie eng verkettet ist mit ihrem Pflege­

vater, für den sie nach und nach den Haushalt führen

lernt.

So wohnen

sie zusammen bis Eppie achtzehn

Jahre zählt und sich mit Aaron Winthrop, dem Ge­ spielen ihrer Kindheit, verlobt. Gottfried hat allerdings insofern sein Ziel erreicht,

als Nancy' die Seine geworden ist.

Das einzige Kind und wie innig

aus dieser Ehe ist sehr früh gestorben

sein Verhältniß zu Nancy auch ist, so hindert ihn der Gedanke, daß er einmal Niemanden zurücklasse, der die

Früchte seiner Thätigkeit und Sparsamkeit ernten soll, sich glücklich zu fühlen.

ein Anderes hinzu:

Freilich kommt bei ihm noch

er sieht in seiner kinderlosen Ehe

eine Strafe für das Versäumniß, das er an Eppie be-

215 gangen.

Das Gewissen hört nie auf ihn zu bedrücken,

sein Herz hört nie auf, sich nach ihr zu sehnen. Gottfried Caß ist

ein naher Verwandter von Anthony Wybrow und

Arthur Donnithorne.

Wie diese fehlt er, hat nicht die

Kraft seine Schuld einzugestehen und muß nun dafür büßev.

Schon in den ersten Jahren seiner Ehe hatte

er seiner Frau den Vorschlag gemacht, ein Kind zu adoptiren und Eppie als diejenige bezeichnet, die sich dazu

am Besten eignen würde.

Nancy wollte jedoch nicht auf

seine Wünsche eingehen, da sie zu jenen

Naturen gehört

die dem Schicksal nicht vorgreifen wollen.

So wird es

für Gottfried immer schwieriger den alten Fehler gut zu

machen.

Ihr aber das Geheimniß zu gestehen, dazu ist

er eben zu schwach, dazu ist seine Vorstellung von Nancy nicht hoch genug und wie er später einsehen soll, hat er

nicht nur an dem Kinde, sondern durch diesen Mangel

an Vertrauen auch an seiner Frau schwer gefehlt.

Es

soll der Augenblick kommen, wo er sein Geheimniß nicht

mehr länger vor ihr zu verbergen vermag.

Sechzehn

Jahre sind verstrichen, seitdem Eppie in Silas Marner's Hütte getreten, als eines Sonntags

in der Steingrube,

die sich in der Nähe der Hütte befindet, ein Skelett ent­

deckt wird, welches den dabei liegenden Gegenständen zu­ folge als dasjenige Dunstan's erkannt wird, dabei aber findet man das Gold des Webers.

Gottfried, der die

Entdeckung, daß sein Bruder einen Diebstahl begangen, als persönliche Schande fühlen muß, schüttet seiner Frau sein bedrängtes Herz ganz aus und gesteht Alles.

Nancy

zeigt sich in der That größer, als Gottfried geglaubt und beide begeben sich zu Marner, um ihm und Eppie Alles

216 Gottfrieds Worte bewirken aber durchaus

zu bekennen.

das Gegentheil von dem, was er gewünscht und gehofft. Denn nicht nur verfällt Marner bei dem Gedanken, Eppie verlieren zu

müssen,

sondern Eppie

selbst

in

ein krampfhaftes Schluchzen,

auf's Entschiedenste,

weigert sich

ihren Pflegevater zu verlassen, sie scheint durchaus keine Zuneigung zu ihrem natürlichen Vater zu fühlen und

drückt es offen und bestimmt aus, daß sie das Leben, an das sie gewohnt ist, nicht mit dem zu vertauschen wünsche,

welches Gottfried ihr schildert.

steht,

Als sie schließlich ge­

daß sie mit einem Bauernsohn verlobt sei, sieht

Gottfried, daß nichts mehr für ihn zu hoffen.

Eppie

feiert ihre Hochzeit mit Aaron, nachdem sie vorher mit Marner dessen alte Heimath besucht, wo sie aber die Gasse nicht mehr fanden, in der er' gewohnt. Das junge

Paar lebt in Marner's Hütte. Es ist ohne Sroeifel. richtig, daß „Silas Marner" das bestcomponirte Werk der Dichterin ist, denn es ist einheitlich,

alle Vorfälle darin sind dem Hauptmotive

untergeordnet,

der Episoden und

Abschweifungen

sind

wenige und die Geschichte steht niemals stille, wie es in den anderen Werken der Dichterin mitunter vorkommt.

Dennoch leidet es in Bezug auf Composition an einem erheblichen Fehler, indem der Höhepunkt und der innere Abschluß der Erzählung nicht mit dein äußeren zusammen, sondern weit vor diesem fällt. Denn offenbar ist die Geschichte des Helden mit dem Erscheinen der kleinen

Eppie in seiner Hütte und dem Wiedererwachen der Liebe in seiner Brust abgeschlossen und liest sich Alles was

nun folgt mehr wie ein Epilog,

dessen Inhalt vom

217 künstlerischen Gesichtspunkt aus auf wenigen Seiten hätte

zusammengedrängt werden müssen.

Wohl ist aber auch

der Inhalt dieses Theils so poetisch und ansprechend. daß wir ihn gleichwohl ungern vermissen würden. Wir halten die bis jetzt von uns besprochenen Werke

für die vorzüglichsten der Dichterin.

Sie bezeichnen für

uns die eigentliche George Eliot, die unsterbliche George Eliot.

Nur „Middlemarch" reicht in mancher Hinsicht an

dieselben hinan, aber ganz in eine Reihe mit ihnen ver­

mögen wir aus Gründen, die wir bald nennen werden, auch „Middlemarch" nicht zu stellen.

Jene ersteren Werke

sind nämlich aus der tiefsten Seele der Dichterin her­ vorgequollen, ja, wir möchten sie als nothwendige Her­

vorbringungen ihrer Dichterseele bezeichnen, und sie ge­ hören zu den unsterblichen Schöpfungen der Erzählungs­

literatur.

Man samt sie nicht nur immer wieder lesen,

sondern mait liest sie jedes Mal mit erhöhtem Interesse,

mit größerem Entzücken und eittdeckt immer wieder neue Schönheiten in ihnen.

Ihr Werth

liegt nun haupt­

sächlich in der Realität alles betritt Dargestellten, in dem köstlichen Erdgeruch, den sie ausströmen und der Lebens­ fülle, die sie enthalten, sowie auch in der natürlichen und folgerichtigeit Entwickelung von Charakteren und Handlung

und der schlichten Einfachheit der Darstellung. auch unsere Scheu,

Daher

diese Erzählungen Romane zu be­

nennen, da das wahre Wesen des Romans die Ueberraschung, das Ungewöhnliche und Unerhörte ist, während die Dichterin dies vielmehr gerade vermeidet, lieber bis zu den letzten Beweggründen zurückgreift, um das Ein­ treten gewisser Ereignisse genügend vorzubereiten.

Dazu

218 Kunst,

kommt

ihre

Werke

verleugnet,

vorauszuschicken, Kommenden

sie übrigens in keinem ihrer

die

wichtigen

erregen,

Vorfällen

Andeutungen

der Seele eine Ahnung

die in

symbolisch

die

auf

dieses

des Hin­

weisen. Es besitzt diese eminent-dichterische Gabe unter allen

lebenden Erzählern in diesem Maße nur Gottfried Keller. Ein fernerer Vorzug jener ersten Erzählungen besteht darin,

daß ihre Motive durchaus poetisch und allgemein menschlich

sind, daß sie nur Conflicte des Herzens und des Gemüthes behandeln.

Endlich sind

Personen und Momente,

es

nicht

etwa

nur

einzelne

die in diesen Dichtungen be­

sonders gelungen sind, sondern sie befriedigen uns, als

Ganzes betrachtet, oder es sind nur einzelne Momente

darin, die uns weniger befriedigen.

Und hier sind wir

bei jenem Punkte angelangt, in welchem sich alle späteren

Werke George Eliot's indem

von

ihren ersten unterscheiden,

sie im Gegensatz zu diesen zwar einzelne aus­

gezeichnete Gestalten und vortreffliche Scenen enthalten, aber als Ganzes betrachtet mehr oder weniger unbe­ friedigend sind, indem sie das Gegentheil dessen bieten, was wir sonst noch als Vorzüge jener ersten Werke der

Dichterin hervorgehoben haben. Da die späteren Schöpfungen George Eliot's gegen­

wärtig mehr gelesen werden als ihre Meisterwerke, und uns

überdies die Rücksicht auf den Raum weitere ausführlichere Analysen — die bei den späteren Werken wegen der größeren Complicirtheit

derselben

noch

umfangreicher

werden

müßten — verbietet, wollen wir uns auf einige kritische

Bemerkungen über jede derselben beschränken. Es folgte auf jene Gruppe von Meisterwerken zu-

219 George Eliot betrat daniit das Gebiet

erst „Romola".

des historischen Romans.

das Zeitalter der

Es war

italienischen Renaissance, welches ihre Phantasie mächtig

fesselte.

Von einem Dichter, der die Gegenwart lebens­

lebensvoll

wahr und

zu

schildern vermag,

wird die

Wendung zur Vergangenheit stets zu bedauern sein, kann

ein

historischer

Roman

doch

niemals

ein so getreues

Bild seines Gegenstandes geben, wie der moderne Roman, da die eigene Anschauung doch nur bis zu einem gewissen

Grade durch Intuition ersetzt zu werden vermag

und

wird der Dichter einem seinem natürlichen Gefühle ferne liegenden Stoffe trotz aller Kraft der Phantasie kaum jemals jene Lebensfülle einzuhauchen vermögen, wie einen

aus der ihn umgebenden Welt geschöpften.

Im Grunde

fehlt

für den historischen Roman die Controlle.

Leser

kann zwar

beurtheilen,

in welchem Grade

Der

ein

solcher Roman modern gefärbt sei, — und ein jeder ist

es mehr oder weniger — nicht aber in welchem Grade derselbe ein angemessenenes Bild der Epoche giebt,

er

zu

spiegeln vermeint.

Das

Lob,

das

die

man dem

„historischen Gefühl" manches Dichters spendet, ist nichts

anderes

als

eine

leere Phrase.

Es ist wohl möglich,

daß mancher unserer histörischen Romane seinem Gegen­ stände

obwohl

in

der That im hohen Maße gerecht wird —

sich

bei

jedem

moderne

lassen, ist es doch undenkbar,

Gedanken,

Elemente nachweisen

daß sich ein Dichter der

der Gefühle und Lebensformen seiner Zeit

vollkommen entschlage und bewegt sich somit der historische Roman immer zwischen zwei Welten — aber wir können

nie

mit Sicherheit behaupten,

daß

das gegebene Bild

220 da wir mit Bestimmtheit doch nur über

zuverlässig sei,

Dinge urtheilen können, die in den Bereich unserer eigenen

Anschauung fallen. George Eliot hat ihren feinen poetischen Jnstinct

darin bewiesen, daß sie wie Walter Scott, wie Bkanzoni in seinen „Verlobten" nicht etwa historische Persönlichkeiten

zu Helden ihres Romans macht,

sondern singirte Per­

sonen, während sie die historischen Personen entweder nur

leicht skizzirt oder doch nicht in allzu greller Beleuchtung zeigt.

Es kann kein Zweifel darüber sein, daß die mächtige

Gestalt des Savonarola der Dichterin den ersten Im­ puls zu ihrem Iioman gegeben hat.

Ein anderer Dichter

hätte aber Savonarola selbst zum Helden seines Werkes

gemacht; George Eliot hat dies wohlweislich unterlassen

und das Interesse an Savonarola wesentlich Beziehungen zu Romola geknüpft.

an seine

Er ist unter all den

Berathern und geistigen Führern, die sie geschaffen, der großartigste, aber sie hätte ihn wohl noch etwas wuchtiger

zeichnen können.

Romola und Tito

ganz wie Gestalten

berühren

unserer Zeit und da müssen

wir

bedauern,

daß

die

Dichterin sie nicht auch in einen modernen Rahmen ge­

fügt, sondern in eine Welt, in eine Umgebung gestellt

hat,

deren

Schilderung

weit

hinter

zurückbleiben mrlßte.

Von

an

ihren modernen Romanen

Lebendigkeit

dem Bestreben geleitet, gewisse Haupterscheinungen der

florentinischen Gesellschaft zu bringen,

hat

sie

jener Zeit

allerdings

zur Darstellung

einen

thum an Nebenfiguren geschaffen, allein mehr Typen als Individualitäten.

großen

Reich­

dieselben

sind

Die Dichterin hat

‘221 offenbar sehr gründliche Studien über jene Epoche ge­ macht,

allein

man kann nicht behaupten,

gelehrtes Wisseir

daß sie ihr

mit so großer Leichtigkeit verwerthet,

wie dies andere Dichter gethan haben,

auch

ist sie in

der Ausbeutung ihrer archäologischen Kenntnisse zu weit gegangen.

Es ist eben wieder das Streben, die Umgebung

ihrer Helden genau zu veranschaulichen, was sie zu manchem Ueberflüssigen

verleitet

ohne daß wir in diesem

hat,

Falle eine Garantie für die Wahrheit des gegebenen Bildes besitzen. In Romola wollte George Eliot offenbar ein weib­

liches Ideal verkörpern, was ihr jedoch nicht vollkommen

gelungen ist. jenem

Romola's Liebe zu Tito hat nichts von

blinden Jnstincte an

sich,

der unabhängig

ist

von sittlicher Schätzung und der die Liebe erst liebens­ Mit dem ersten Unrecht,

würdig macht.

das Tito ihr

zugefügt, ist ihre Liebe dahin und nichts vermag dieselbe

wieder zu beleben, kein Wunsch erwacht in ihr, sich ihm wieder zu nähern, dem Irrenden zu vergeben, ihn vor

ferneren Fehltritten zu schützen. und Läuterung,

Deshalb ist die Hebung

welche Savonarola's Worte in ihrem

Wesen hervorbringen, nur eine halbe.

Wohl verhindert

sie der große Mahner, den ehelichen Banden nach der ersten Enttäuschung, die Tito ihr bereitet, durch Flucht zu ent­

gehen;

wohl

bringt

er sie zur Erkenntniß, daß

der

Mensch sich seine Pflichten nicht wählen könne, und daß Jeder dem Boden, dem Volke, dem er entstammt, treu

bleiben müsse;

wohl beginnt in ihr, nachdem sie nach

Florenz zurückgekehrt ist, durch den Einfluß ihres er­ habenen Vorbildes eine Wandlung vorzugehen: ihr Ich

222 erweitert sich, sie lernt fremde Leiden mitempfinden, sie wird eine Piagnone und pflegt die Armen und Kranken

der

von Hungersnoth

all

dieser

heimgesuchten Stadt.

sittlichen Erhebung

und

Aber bei

Erweiterung

ihres

Wesens lernt sie doch niemals das, was sie vor Allem

hätte lernen sollen, nämlich ein versöhnliches Wort an

Diese

Tito richten.

fähigkeit etwas,

Härte ihres

Wesens, diese

Un­

das sie als ungerecht oder unwahr er­

kannt, zu verzeihen, zeigt sich auch in der letzten Scene

zwischen ihr und Savonarola.

So schrecklich die Tragödie

ihrer Ehe, so fürchterlich die Enttäuschungen, die sie er­

fährt, so erregt ihr Schicksal doch nicht jenes Mitgefühl

in uns,

welches wir, wäre ihr

Wesen versöhnlicher,

nothwendig empfinden müßten.

Ein Meisterwurf ist Tito Melema, eine Schöpfung,

die .zu

den

glänzendsten Triumphen der

Characterdarstellung zählt,

dichterischen

auch finden wir im weiten

Reiche der Literatur nirgendwo eine ähnliche Gestalt, nur

bei der Dichterin selbst Ansätze zu einer solchen. Melema

ist

die höchste

Verwirklichung

Denn

jenes Typus,

welchen George Eliot bei der Zeichnung Anthony Wybrow's, Arthur Donnithorne's und Gottfried Caß' vor­ geschwebt hat.

Um eine vollkommene Realisirung jenes

Typus zu ermöglichen, hat die Dichterin ihren Helden mit be­

sonderen Vorzügen des Geistes und der äußeren Erscheinung ausgestattet und ihn in eine außerordentliche Lebenslage

versetzt.

Gewiß hätte ein Tito Melema in jeder Stellung,

früher oder später.

Beweise eines feigen und perfiden

Wesens gegeben, allein je gewöhnlicher die Verhältnisse, die eine, solche Natur umgeben, um so geringfügiger ihre

223 Fehltritte und Vergehen, erst unter dem Einfluß einer

ungewöhnlichen Versuchung kann sie zeigen, welch schwerer Verirrungen sie fähig und je höher das Glück sie hebt,

um so schlimmer werden,

nachdem sie einmal auf die

Bahn des Verrathes und Verbrechens gestoßen ist, successiver Steigerung ihre Vergehen werden.

in

Wie an

keiner anderen hat die Dichterin an dieser Gestalt den

verderblichen Einfluß äußerer Umstände wickelung des Characters

den Keim,

veranschaulicht.

auf die Ent­

Tito trägt

aus dem alles Schlechte sich zu entwickeln

vermag, zwar von allem Anfang an latent in sich, aber daß dieser Keim sich entfalte, dazu bedarf es ungewöhn­

licher Anlässe von Außen.

Die Dichterin hat in Tito

Melema nicht nur ein Meisterstück der Characterisirungs-

kunst geschaffen, sondern sie hat eines der schwierigsten

Probleme dieser Kunst gelöst.

den Leser zu

überzeugen,

Es galt zu zeigen und

wie ein Jüngling, der mit

allen Zierden des Geistes, der Bildung, der Erscheinung und mit vielen Vorzügen des Herzens, wie Milde, Sanftmuth

und Mitgefühl ausgestattet ist, zum schmählichsten Verrath zu schreiten vermag und nachdem er

einmal Verrath

geübt, es noch tausendmal thut und durch seine Talente

zu hoher Lebensstellung berufen, Tragweite begeht.

Und

mit

Vergehen von großer

welcher unnachahmlichen

Kunst versteht die Dichterin von allem Anfang an uns ein gewisses Mißtrauen gegen den glänzenden, schönen, gewandten, liebenswürdigen und sanften Tito einzuflößen,

ein Mißtrauen, von dem wir uns kaum Rechenschaft geben können.

Doch als uns Tito's erste

böse Absicht ver­

rathen wird, sind wir schon vollkommen auf dieselbe vor-

224 bereitet. — George Eliot übertrifft in der Kunst, Männer zu zeichnen, alle andern Schriftstellerinnen und sie ge­

hört zu jenen wenigen Dichtern unserer Zeit, welche beide Geschlechter gleich genau kennen und beide mit derselben Liebe und Gerechtigkeit darstellen.

Mit „Felix Holt" kehrte die Dichterin zwar zu dem

englischen Provinzialleben zurück, aber dennoch wird keines ihrer späteren Werke von jenen, die wir als ihre Meister­

werke bezeichnet, durch eine so weite Kluft getrennt, wie

dieser Roman.

Schon in „Romola" spielt die Politik eine

erhebliche Rolle, viel greller und nackter tritt dies Element in „Felix Holt" hervor.

Dazu

kommt hier

noch eine

criminalrechtliche und eine höchst complicirte civilrechtliche Handlung, also lauter unpoetische Dinge, von denen jenen

drei ersten Dichtungen nichts anhaftet.

Hiermit haben wir

aber auch schon auf ein anderes Moment hingedeutet,

wodurch Felix Holt von. den ersten Werken der Dichterin sehr unvortheilhaft absticht,

das

ist nämlich sein ver­

wickeltes Gewebe, das bunte Jneinanderspielen von allerlei Motiven und Elementen, unter denen sich auch zahlreiche

ächt romanhafte befinden.

Die beiden Hauptgestalten

des Romanes

nebst Daniel Deronda zu den unhaltbarsten, Dichterin geschaffen.

gehören

welche die

Welch' abstoßender Bursche dieser

Felix Holt! In welch' anmaßender Art sucht er Anderen seine Ueberzeugungen aufzudrängen.

Offenbar will die

Dichterin in ihm ein Ideal darstellen, aber die Gestalt ist verzeichnet

und es gelingt ihr keineswegs, den be­

absichtigten Eindruck können begreifen,

auf

uns

hervorzubringen.

Wir

daß ein Mann aus dem Volke, der

225 sich die Bildung höherer Stände angeeignet, es vorzieht.

dem Stande, dem er durch seine Geburt angehört, treu

zu bleiben, um demselben durch seine überlegene Bildung 9!utzen zu bringen.

Wir können das begreifen, aber es

ist gewiß, daß Felix Holt nicht die Gestalt ist, an der uns diese Möglichkeit begreiflich gemacht wird. Bei ihm,

der Byron und Chateaubriand kritisirt, scheint der Ent­ schluß, ein armer Handwerker zu bleiben, weit mehr eine

Grille, eine Marotte, weit mehr die Folge seines Hasses gegen

Westen und Halsbinden,

seiner

cynischen

und

pöbelhaften Verachtung besserer Lebensgewohnheiten, als

diejenige einer festen, ernsten Ueberzeugung zu sein. Welch Gestalt hätte

sympathische

eine

das ihr

können, wenn sie

die

Dichterin

Mannes aus dem Volke gut realisirt hätte.

ist

ebenso

nicht

neu wie schön,

gelungen,

sie

schaffen

vorschwebende Ideal es

aber

zu

überzeugend

eines

Die Idee

ist George Eliot objectiviren.

Ebenso verfehlt ist die Zeichnung Esther Lyon's.



Es

wird zwar gesagt, daß dieses schöne Geschöpf, das an­

fangs den auffallendsten Gegensatz zu Felix bildet, — sie ist eitel, oberflächlich, putzsüchtig, hat die ausgesprochenste

Vorliebe für jede Art Luxus und Comfort,

verleugnet

nirgends ihre vornehme Abkunft, träumt von galanten Rittern und schönen Schlössern — es wird gesagt, daß dieses so beschaffene Wesen von Felix bekehrt

und auf

höhere Ziele gelenkt wird, und daß sie, als ihre früheren

Träume

sich

plötzlich in wunderbarer Weise

verwirk­

lichen wollen, aus Liebe zu Felix resignirt und Armuth theilt.

seine

Allein es wird uns die Möglichkeit eines

solchen Wandels nicht gezeigt. D r u s k o w i tz, Essays.

Wie Esther geschildert '

15

226 ist, könnte eine solche Umkehr, wenn überhaupt, so doch

nur

bittere

durch

Enttäuschungen

und

schwere

De­

müthigungen (wie dies bei Gwendolen Grandcourt der Fall

ist) in ihr bewirkt werden.

Warum, fragen wir, ist diese

Wandlung, wenn dieselbe so leicht in Esther herbeizuführen

wär, nicht fchon durch das Beispiel ihres Pflegevaters, des braven Dissenter-Predigers, dieses Musters von Pflicht­

treue, Selbstverleugnung und Entsagung, erfolgt, oder doch angebahnt

Wir können

und vorbereitet worden?

uns keine Vorstellung von der Verbindung Esther's und

Felix', dieser beiden so ungleichartigen Naturen machen, schließt dieser Roman, ob zwar glücklich,

und

doch

sehr unbefriedigend ab. Der Werth gestalten.

des Buches liegt mehr in den Neben­

Vorzüglich ist die Zeichnung Mrs. Transome's.

Die Dichterin hat nie ein so trostloses Bild der Ent­

täuschung, der Verlassenheit, der inneren Verödung und des vollkommensten Herzenselends geschaffen, wie in dieser Gestalt. Das

ausgedehnteste

und

englischen Provinziallebens,

umfassendste

ein Rundbild

Bild

des

im vollsten

Sinne des Wortes wird uns in „Middlemarch" geboten.

Wir und

finden

hier

Einfachheit

dieselbe

der

Gediegenheit,

Därstellung

wie

in

Schlichtheit den

ersten

Dichtungen George Eliot's und wir bemerkten bereits,

daß Middlemarch unter all ihren späteren Schöpfungen am meisten

an jene ersten hinanreicht.

Ist aber schon

in „Adam Bede", in der „Mühle am Floß" die Com-

position weit weniger zu loben, als die Characteristik und kann man nicht läugnen, daß diese Werke in dramatischer



227



Hinsicht an einer gewissen Schwerfälligkeit leiden, so müssen

wir uns bei „Middlemarch" jedes Anspruches auf Compo-

Es ist eine

sition nnb dramatische Bewegung begeben.

Erzählung ohne dramatischen Hauch, ohne künstlerische Gliederung.

Eine fast unübersehbare Menge von Per­

sonen wird uns vorgeführt und

irgendwie characteristische

keine

rains,

das

sie

die Dichterin

Erscheinung

scheint

des

behandelt, vergessen zu haben.

Ter­

Diese

Personen scheiden sich wieder in Gruppen, jede Gruppe hat ihre Geschichte.

Immer wieder wird unsere Auf­

merksamkeit von den Hauptgestalten ab- und den Neben­ gestalten zugelenkt, die fast ebenso eingehend und um­ ständlich geschildert werden, wie jene.

Geflissentlich scheint

die Dichterin alle Gesetze der Komposition außer Acht zu

lasieu und sich einmal ausschließlich ihrer Lust am Ge­ staltenschaffen und Characterisiren hinzugeben und man kann die Gestaltungskraft, die sie hier bekundet, in der

That nicht genug bewundern. Die eigenthÄnlichste und mit den feinsten Linien ge­ zeichnete Gestalt ist Casäubon. Er ist eine Meisterschöpfung,

wie Tito Melema.

Nirgendwo in der Literatur begegnen

wir einer derartigen Behandlung gelehrter Monomanie.

George Eliot enthüllt uns mit unbarmherziger Klarheit

die innere Pein

und Wirrsal

einer

nutzlos

sich

ab­

ringenden, pedantischen, verschrobenen und von Ehrgeiz gefolterten Gelehrtenseele.

Sie behandelt ihren Heiden im

zu

seiner Cha-

Allgemeinen ernst,

doch bedient sie sich

racterisirung auch

zuweilen humoristischer Streiflichter,

die zu den besten dieser Art gehören. dieses

unglücklichen

Pedanten

hat

ein

Zur Gemahlin

unbegreifliches

228 ideale Dorothea

Schicksal die jugendliche, schöne und

Brooke bestimmt.

Freilich steht

noch ferner als Casaubon.

sie unserem Gefühle

Sie ist ein Wesen, das hoch

über ihre Umgebung hinausragt und ewig von ihr un­

verstanden bleibt.

Der glühendste

Wissensdurst,

das

heißeste Begehren nach schönen und großen Thaten scheint sie zu beseelen, aber es ist ihr versagt, ihre Wünsche er­ füllt zu sehen.

Eine heilige Theresa gründete in ihrem

Drange nach einem thatenreichen Leben einen Orden und

darin ihre tiefste Befriedigung.

fand als

eine

spätgeborene

Theresa

demselben hohen Streben

erfüllt

Dorothea wird

hingestellt,

die

von

wie ihr Vorbild im

Kampfe mit der Kleinheit der Verhältniffe kein anderes

Leben

als ein solches der Enttäuschungen findet.

Das

Schicksal Dorothea's ist eine Anklage gegen die Gesell­ schaft und die Dichterin hat in diesem Werke ihre Stellung gegenüber einer der wichtigsten Bewegungen dieses Jahr­ hunderts klargelegt.

Handlungen

in

„Gewiß waren die entscheidenden

Dorothea's

Leben

nicht

von

idealer

Schönheit," bemerkt sie gegen den Schluß des Werkes.

„Sie waren

das gemischte Ergebniß jugendlicher und

edler, mit prosaischen Verhältnissen kämpfender Impulse. Unter den vielen in Middlemarch und seiner Umgegend

gemachten Bemerkungen kam nur die eine nie vor, daß

solche Mißgriffe nicht hätten begangen werden können, wenn die Gesellschaft, in welcher sie geboren war, nicht dem Heirathsantrage eines kränklichen Mannes an ein kaum

halb so altes Mädchen lächelnd zugestimmt, eine Erziehung, welche das Wissen der Frau nur zu einem anderen Namen

für buntscheckige Unwiffenheit macht, Vorschub geleistet

229 und

herkömmliche Regeln

des Benehmens,

welche im

schreiendsten Widerspruch mit ihren eigenen lautverkündeten Ueberzeugungen stehen, sanktionirt hätte.

die

gesellschaftliche

So lange das

Atmosphäre bleibt, in

welcher

die

Menschen zu athmen beginnen, wird es Collisionen, wie die in Dorothea's Leben geschilderten, geben, bei welchen

große Gefühle als Irrthümer und ein großer Glaube als Illusion erscheinen müssen, denn es giebt kein mensch­

liches Wesen, dessen inneres Leben stark genug wäre,

um nicht zum guten Theil durch äußere Umstände bestimmt

zu werden."

Doch will es uns scheinen, als ob Dorothea's

Lage, wie sie dargestellt wird, keineswegs immer eine so beengte gewesen wäre, um eine vollere Entfaltung hoher

Antriebe und die Bethätigung eines auf große Dinge ge­

richteten Dranges unmöglich zu machen.

Man erwäge,

wie sehr gerade die Verhältniffe, in die sie nach dem Tode Casaubon's gelangt, die Entfaltung eines humani­ tären Wirkens im großen Stile begünstigt hätten.

Dorothea rafft sich zu keinem Entschlusse

Allein

auf und un­

freiwillig zeigt die Dichterin, daß ihre Heldin nicht jenen

Thatendrang besitzt, mit dem sie dieselbe ausgestattet zu haben glaubt.

Dorothea, wie sie geschildert ist, macht

weit mehr den Eindruck einer edlen, idealen Schwärmerin,

als einer Natur, wie diejenige war, mit der die Dichterin sie vergleicht.

Somit eignet sie sich

auch nicht dazu,

die Wahrheit des Gedankens zu beweisen, welchen die Dichterin zu erhärten strebt Weit ergreifender als Dorothea's Schicksal ist das­

jenige Tertius Lydgate's, der als junger Arzt mit hohem Eifer für seine Wissenschaft erfüllt, in der kleinen Pro-

230 vinzialstadt sich niederläßt,

um die nöthige Ruhe für

eigene Forschungen zu finden, sich aber durch die Heirath

mit einer schönen, aber oberflächlichen, eitlen und ver­

schwenderischen Frau (Rosamunde gehört übrigens zu den lebendigsten Frauengestalten George Eliot's) in Schulden

stürzt, so daß statt wiffenschaftlicher Gedanken sehr bald die niedrigsten Sorgen ihn beschäftigen.

Durch mannigfaches

Ungemach aus dem kleinen Orte getrieben, geht er nach London,

wo

er sich durch die wachsenden Bedürfnisie

seiner Familie immer ausschließlicher dem Erwerbe widmen muß, so daß sein einstiges Ideal seinem Auge mehr und

mehr entschwindet. Lydgate ist wirklich eine Persönlichkeit, die zur That berufen

zu sein scheint,

aber

er ist das

Opfer elender Umstände.

George Eliot hat sich auch auf dem Gebiete der metrischen Poesie, oder der Poesie im engeren Sinne des

Wortes versucht, aber ganz offenbar ohne wahren inneren

Drang und Beruf.

Ein Blick auf die seltsamen strophischen

Formen ihrer Gedichte genügt dem schärferen Auge, um zu erkennen, daß sie keine Tochter der rhythmischen Muse

war.

Es fehlt ihren Versen, ganz abgesehen von dem

oft sehr fehlerhaften Bau derselben und all den Härten, die sie aufweisen, jenes geheimnißvolle Etwas, jene Flug­ kraft, jener Schwung, jene Ursprünglichkeit des Tones,

welche das echte Musenkind verrathen.

Und während bei

diesem durch die rhythmische Bewegung der Gedanken auch die Gestaltungskraft

sine Stärkung und Hebung

erfährt, so ist bei George Eliot das Gegentheil der Fall; ihre Gestaltungskraft wird dadurch in ihrer Entfaltung offenbar gehemmt.

Die rhythmische Rede,

statt ihrem

231 Geiste Flügel zu geben, wird für ihn ein Joch.

Dies

gilt nun freilich im Allgemeinen und es ist damit nicht

gesagt, daß sich in ihren Gedichten nicht auch manche schöne

Verse befinden, daß einzelne ihrer Dichtungen auch in

Bezug auf Composition ansprechend seien und Lob ver­ dienen.

Wohl aber haben

wir bei allen das Gefühl,

daß sie keine organischen, keine nothwendigen Hervor­ Was verleitete George

bringungen ihres Geistes sind.

Eliot Lorbeeren auf einem Gebiete zu suchen, wo sie ihr versagt waren? Vielleicht war es das Gefühl, daß der Prosaerzähler eben doch nur der Halbbruder des Dichters im engeren

Sinne sei, wie Schiller es ausgedrückt hat.

Viele möchten

den Unterschied zwischen Erzähler und Dichter als einen

blos äußerlichen hinstellen.

Es

ist jedoch gewiß,

daß

durch die gehobene Form auch der Inhalt gehoben und in eine höhere Sphäre

gerückt wird,

und hätten die

großen Romanschriftsteller nebst ihrer Erfindungskraft, ihrer

Seelenkenntniß, ihrer Fähigkeit, Charactere zu schaffen, auch den Adel der Form besessen,

so wären sie ohne

Zweifel noch größere Dichter gewesen.

Jener Ausspruch

Schiller's wird jedoch so verstanden werden müssen, daß

der

Romanschriftsteller

nur

hinter einem Dichter

der

rhythmischen Rede, der ihm in allen anderen Beziehungen

ebenbürtig ist, zurückstehe, nicht aber hinter einem solchen,

den er seinerseits an schöpferischer Kraft, an philosophischer Einsicht und an allgemeiner Energie des Geistes über­ trifft.

Deshalb ist George Eliot gleichwohl eine größere

Dichterin, als alle jene Frauen, die bisher in gebundener Sprache

geschrieben

haben.

Denn

nur,

wenn alle

232 anderen dichterischen Kräfte in gleicher Stärke vorhanden sind, wird das Vorhandensein oder Fehlen der poetischen

Form ein Mehr oder Weniger der Bedeutung zwischen

dem rhythmischen Dichter und dem Prosadichter

aus­

machen.

Wir

bezeichneten

schon

einmal

die

Legende

Jubal, dem Erfinder der Musik, als das

von

bedeutendste

der größeren metrischen Gedichte George Eliot's.-

So­

wohl die Scene, wo Jubal die neuerfundene Kunst das erste Mal der Menge vorführt, als auch

von seiner Wanderschaft nach

jene,

wo

er

der Heimath zurückkehrt,

wo Alle seinen Namen preisen, ohne daß man ihn für

den Träger des Namens halten will, sind schön geschildert.

Lob verdient

auch

die dramatische Skizze „Armgart",

deren Heldin eine gefeierte Sängerin ist, die in der ersten Zeit ihrer Triumphe die Bewerbung eines vornehmen

Mannes abgelehnt hat, nach nicht langer Zeit aber ihre Stimme und hiermit all ihre stolzen Hoffnungen einbüßt und schon hart am Rande der Verzweiflung steht,

das

Erwachen der Theilnahme

ihr ein

Retter wird.

„A Minor

Prophet“

an

Humoristische

und

als

fremdem Schicksal

Momente

„A College

enthält

Breakfast-

Party“ ; hübsch ist das Hirtenspiel „Agatha“, welches

am Rhein spielt, besonders stimmungsvoll der Anfang

desselben.

Das

schwungvollste Gedicht George Eliot's

ist die Hymne „O may I join the choir invisible“,

in der sie der Religion der schönen Menschlichkeit den

vollsten Ausdruck verliehen hat.

Das Gedicht sei hier,

um doch eine Probe ihrer Verse zu geben, in deutscher Uebersetzung mitgetheilt.

'Der heilige Wunsch, den die

233 Dichterin darin ausspricht, sollte

sich ihr im höchsten

Maße erfüllen. Könnt' ich dem unsichtbaren Chor mich einen

Der Todten, die unsterblich, neu erstehend In Geistern, welche sie veredeln: leben In Regungen, aus welchen Großmuth spricht, In Thaten kühner Gradheit, in Verachtung Elender Zwecke eigennützigen Strebens,

In den Gedanken, die wie Sterne leuchten, Mit sanftem Zwang des Menschen Streben drängend

Zu größern Zielen.

Himmlisch solch ein Leben:

Unsterbliche Musik der Welt zu schaffen, Als schöne Regel athmend, welche lenkt Des Lebens Wachsthum mit stets größerer Macht.

So erben wir die süße Lauterkeit Für die wir stritten, fehlten und erlitten Die Pein, die wuchs, je weiter ward die Rückschau.

Das wilde Fleisch, das sich nicht zähmen ließ, Ein schlechter Vater, stets der Kinder Reue, Die wahrhafte, verhöhnend, — ist zerschmolzen.

Sein Mißton, der in Harmonien verschwindet, Erstirbt im weiten Raum der milden Luft.

Und unser bess'res, eigentliches Selbst, Das andachtsvoll in Sehnsuchtstönen schluchzte,

Bemüht, der Menschen Bürde zu erleichtern. . . .

Dies Selbst soll leben, bis die Zeit des Menschen

Schließt ihre Lider, und des Menschen Himmel Gefaltet ist wie eine Roll' im Grab.e, Nie mehr gelesen.

234 Dies das künitge Leben, Das Märtyrer noch mehr verklärt für uns, Die wir zu folgen streben.

Wäre mir

Zu Theil der Himmel, könnt' ich Andern sein

Ein Stärkungstrank in einer großen Pein, Befördern edlen Eifer, Liebe nähren,

Das Lächeln schaffen, das nicht Wunden schlägt,

Ein Gut verkörpern, welches weit verbreitet,

Und, weil verbreitet, immer mächt'ger wird. Dann eint' ich mich den: unsichtbaren Chor,

Der mit Musik die weite Welt entzückt.

Die

umfangreichste

der

rhythmischen

Dichtungen

George Eliot's ist der „Spanische Zigeuner", ein höchst seltsames und allen gewohnten poetischen Formen spottendes

Gemisch von Drama, Erzählung und Lyrik,

das aber

keine neue Form schafft, die wir gutheißen könnten. ist vielmehr völlig formlos,

schweifig

und

mit

Es

im höchsten Grade weit­

überflüssigen

Episoden

überladen.

Wohl aber ist die Fabel des Gedichtes reich an hoch­ dramatischen Momenten.

Der Zigeunerhäuptling Zarca,

eine scharf gezeichnete Gestalt, glüht für den Gedanken, seine verstreuten Stammgenoffen an einer Stelle Afrika's

zu versammeln und zu einem geeigneten Volke mit staat­ lichem Leben zu erheben; er findet seine Tochter Fedalma, der er, als sie noch ein Kind war, verlustig gegangen, als Braut des Herzogs Silva von Bedmar, giebt sich

ihr zu erkennen und dringt in sie, wieder ihrem Stamme

anzugehören; ein heißer Kampf zwischen Liebe und Pflicht­

gefühl entbrennt in Fedalma's Brust, die Stimme der Pflicht siegt und sie flieht insgeheim mit ihrem Vater; der

235 Herzog, den die Entdeckung der Flucht fast zur Verzweiflung

treibt, folgt ihr und entschließt sich, nachdem er ihren Vorsatz vergebens zu erschüttern gesucht, um sie wieder

Als seine neuen

zu besitzen, selbst Zigeuner zu werden.

Stammgenossen die Festung, welche seinen Händen an­ vertraut war, jedoch erstürmen und seine Freunde nieder­

metzeln, entbrennt wilde Reue und wüthender Haß in seinem Herzen, er erschlägt Zarca und ist nun durch eine unüberbrückbare Kluft für immer von Fedalma getrennt.

George Eliot

hat diese dramatische Handlung erfunden,

nicht zu gliedern

allein sie hat sie nicht auszubeuten,

verstanden. Die Hauptscenen enthalten unleugbar Schönes,

allein die feste Hand des Dramatikers lassen

auch sie

vermissen.

Was Zarca für sein Volk zu gewinnen strebt, das will Mardochai Cohen in „Daniel Deronda" und, durch ihn beeinflußt, der Held dieses Romans für die Juden erreichen.

Mardochai's

Ideal,

an

dem

er

mit

der

ganzen Gluth seiner Seele hängt, ist die Centralisirung des jüdischen Volkes in seinem asiatischen Stammlande.

Die hohe Begeisterung, die

in

diesem siechen,

armen

Menschen lebt, der von dem Mitleid eines Pfandleihers seines Stammes

sein Dasein fristet,

sein festes Ver­

trauen, daß ein Erbe seiner Ideen erscheinen und in günstigerer Lage als er selbst dieselben auch verwirklichen

werde, hat etwas unendlich Rührendes. unter

allen idealen Gestalten George

greifendste.

Mardochai ist

Eliot's

die

er­

Man hat sowohl diese Gestalt wie überhaupt

die gesammte Darstellung jüdischen Wesens in diesem Romane für unzureichend befunden, aber wie mir scheint

236 mit Unrecht.

Sympathisch ist die Häuslichkeit des Pfand­

leihers Cohen allerdings nicht, aber sie ist charakteristisch geschildert, und darauf kommt es ja an.

Ferner ist das

jüdische Wesen von der Dichterin entschieden wohlwollend

und liebevoll dargestellt. Sowohl Zarca's wie Mardochai's

nationaler Gedanke ist ganz aus dem Herzen der Dich­ terin gesprochen, die überall für die engere Gemeinschaft eintritt. Leider ist es George Eliot nicht gelungen, den Erben

von Mardochai's Gedanken so interessant zu gestalten wie Mardochai selbst.

Daniel Deronda ist eine feine Natur,

er besitzt ein liebevolles, reines Herz, umfassende Jntereffen, allein er macht ebenso wenig wie Dorothea den

Eindruck einer zu großen Handlungen berufenen Persön­ Es lebt nichts von dem Ungestüm, von dem festen

lichkeit.

Selbstvertrauen, Kraft

in

ihm,

von der

ohne

Seelengluth und

Wir haben kein rechtes Ver­

vollbracht werden können.

trauen

zu

dem

stählernen

welche bedeutende Thaten nicht

Enthusiasmus,

Ideen in ihm erwachen soll,

der

für Mardochai's

sich

nachdem

ihm

das

Geheimniß seiner Geburt enthüllt hat; wir halten ihn nicht für fähig jenes Werk in Angriff zu nehmen, für

welches Mardochai's edle Seele glüht. verdankt seinen Ursprung ebenso

Daniel Deronda

wenig wie Dorothea

einer plötzlichen dichterischen Hallucination, fondern der

grübelnden Construction.

Die Bemühung der Dichterin,

durch ihren Helden, wie er geschildert wird, aiff den Stifter des

Christenthums

hinzuweisen,

erscheint

un­

begreiflich und ist ein Mißgriff, der geradezu peinlich

berührt.

237 Die Hauptbedeutung Deronda's ist entschieden in

seiner Beziehung zu Gwendolen Grandcourt zu suchen. Gwendolen ist die interessanteste Gestalt des Werkes, da

sie diejenige ist,

die wirklich in glaubwürdiger Weise

vor unsern Augen sich verändert und sich bessert. es ist Deronda's reines, edles

Und

Wesen, welches diesen

Wandel in Gwendolen's Natur hervorbringt und ihr dazu verhilft, und

einer

auf

Leben

Eitelkeit

neuen

zu beginnen.

und Egoismus zu überwinden

sittlichen Grundlage

ein

neues

Hier gelingt der Dichterin voll­

kommen, was sie bei Esther vergebens sich zu zeigen be­ müht hat. Einen unendlich feinen Zug treffen wir in der ersten

Scene zwischen Deronda und seiner Mutter, der Prinzessin Halm-Eberstein. Lange Jahre war Deronda das Dunkel,

das über seiner Geburt, seinen Eltern lag, ein qualvoller

Gedanke, und namentlich war es die Sehnsucht nach der unbekannten Mutter, die sich seinem Herzen immer wieder

fühlbar machte.

Da endlich

giebt die Mutter sich ihm

zu erkennen und bescheidet ihn zu sich.

Er sieht sie aber

nur, um sich zu überzeugen, daß er keinen Anspruch auf ihre Liebe erheben darf, zugleich aber gelangt er durch

eine Bemerkung seiner Mutter zum Bewußtsein seiner Liebe zu Mirah Lapidoth, so daß sie, welche die bitterste

Enttäuschung ihm bereitet, dieselbe zugleich dadurch ge-

wiffermaßen sühnt, indem sie sein Herz auf ein neues

Ziel hinweist, und eine Quelle des höchsten Glückes ihm erschließt. Einen

tungen,

traurigen

welche

uns

Eindruck

machen

George Eliot

in

die

Betrach­

„Theophrastus

238 Such", ihrem letzten Buche, geboten hat.

Hier verlegt

sie sich auf das Doziren oder gefällt sich in sarkastischen

Ausfällen, während sie früher gestaltet und gebildet unb

mit versöhnendem Humor über Menschen und Dinge ge­ lächelt hatte.

Das Leben

der Dichterin

war,

nachdem

sie die

Verbindung mit Lewes eingegangen,' in jeder Hinsicht ein glückliches zu nennen.

Ihr Verhältniß

zu Lewes

erlitt nie eine Trübung oder Lockerung und gingen die

Anschauungen des Paares in manchem Punkte auch weit auseinander, so hegte doch jeder die größte Achtung für die Art des Anderen.

Lewes eiferte die Dichterin immer

wieder zu neuen Kraftanstrengungen an und seine reiche Lebenserfahrung, sein umfassendes Wissen war für ihren

Geist eine Quelle der Bereicherung.

Lewes' Liebe zu

ihr hatte aber zugleich einen mütterlichen Zug.

Aengstlich

wachte er über ihre stets zarte Gesundheit, und ebenso suchte er es zu vermeiden, daß ungünstige, kritische Ur­

theile über ihre Werke an ihr Ohr drangen, denn die

Dichterin war in diesem Punkte minosenhaft empfindlich. George Eliot scheint mit größter Bequemlichkeit, ge­

arbeitet zu London

haben und zwar waren es, wenn sie in

weilte, . die

Vormittagsstunden,

literarischen Arbeiten ausfüllte.

die

sie

mit

Nachmittags pflegte sie

entweder einige Stunden auszufahren, mit Lewes

promeniren oder Bildergallerien zu besuchen.

zu

Die Abende

waren der Musik, dem Lesen oder dein Zusammensein mit einigen intimen Freunden gewidmet.

Durch unausgesetzte literarische Thätigkeit und be­ sonders bei der Art der schöpferischen Thätigkeit George

239 Eliots und dem ungeheuren Aufsehen, welches ihre Werke in England hervorriefen, lebte das Paar in sehr günstigen äußeren Umständen. Wiederholt reisten sie nach dem Continent und besuchten außer Deutschland auch Nordfrank­

reich und Spanien,

oft auch zogen sie sich aus dem

Geräusche London's nach einem abgeschiedenen englischen

Landaufenhalt

zurück.

Berühmt

war

Nachmittags-Empfang in der Priorp, in

der

Sonntag-

North Bank,

St. John's Wood, wohin das Paar 1865 von Blandford Square übersiedelte.

In den schönen Gesellschaftsräumen

dieses Hauses versammelten

sich

jeden Sonntag

viele

berühmte Literaten, einheimische und fremde, außerdem

wurden auch junge Leute, die Hoffnungen für die Zu­

kunft erregten, freundlich ausgenommen.

Priorp durch

eine Reihe von Jahren

Centralpunkt London's.

So war die

der literarische

Jedermann betrachtete es als

Auszeichnung, dort ausgenommen zu werdeir und man

riß sich förmlich um das ausgezeichnete Paar. Dasselbe hatte den Sommer 1878 in stiller länd­

licher Zurückgezogenheit verbracht.

Nach der Heimkehr

nach London fühlte sich Lewes ernstlich unwohl und ver­

schied nach kurzer Krankheit.

Die Dichterin suchte auch

vor diesem schwersten Schlage Rettung in der Arbeit. Auch beschäftigte sie sich mit Gründung eines George Henry

Lewes-Stipendiums.

200 Pfund schlechter

jährlich

bestimmt.

Dasselbe

beträgt

etwas

und ist für Personen

unter

beider Ge­

Nur zu bald sollte die Dichterin

dem theueren Verstorbenen selbst folgen.

Leider

that sie in ihrer letzten Lebenszeit

einen

Schritt, über den selbst ihre wärmsten Verehrer nicht

240 ohne Kopfschütteln werden hinwegkommen können. dem der Tod

die

Nach­

wichtigste Verbindung ihres Lebens

gelöst, nachdem sie selbst schon längst eine Matrone ge­

worden, entschloß sie- sich, die Frau eines Herrn Walter

Croß zu werden,

nes.

allerdings keines unwürdigen

Herr Croß

hegte schon

Man­

seit vielen Jahren

die

wärmste Verehrung für sie und durfte sie hoffen, durch

diese

neue

zu sinden.

Verbindung

Doch

einen

aus

liegt

liebevollen

dieser

Ehe

Beschützer

ein Dunkel.

Während einige behaupten, daß dieselbe eine glückliche gewesen sei, wissen andere von einer frühen Trübung

derselben zu erzählen.

kurze Zeit.

Auf jeden Fall währte sie nur

Nachdem das Paar von einer Reise nach

Italien nach London zurückgekehrt war, bezogen sie Croß' Haus

in

Chepne Walk,

Chelsea.

Nur noch

Wochen war es der Dichterin vergönnt, bringen.

„Freitag,

den 17.

dort

wenige

zu ver­

December, erzählt Miß

Blind, wohnte George Eliot einer Vorstellung des „Aga­ memnon" in griechischer Sprache durch Oxforder Studenten bei und wurde durch die großen Worte ihres Lieblings

Aeschylos so ergriffen,

daß sie an eine neue Lectüre

der griechischen Dramatiker mit ihrem Gemahl dachte.

Am nächsten Tage besuchte sie das Samstäg-Volksconcert

und als sie nach Hause kam, spielte sie einige der. Me­ lodien, die sie gehört hatte.

Wahrscheinlich zog sie sich

bei dieser Gelegenheit eine Erkältung zu, denn, obgleich sie ihre Freunde, ihrer Gewohnheit gemäß, am Sonntag Nachmittag empfing, fühlte sie sich Abends unwohl und

am nächsten Tage erforderte eine Kehlkopf-Entzündung

ürztliche Hilfe.

Anfangs

schien

kein Grund zur Be-

241 unruhigung vorzuliegen,

bis

man Donnerstags

uner­

wartet entdeckte, daß die Entzündung das Herz ergriffen habe

und

daß

handen sei.

keine

Hoffnung

auf

Genesung

vor­

Vor Mitternacht des 22. December 1880

war George Eliot, die genau in deniselben Alter wie Lewes

starb, ruhig und schmerzlos verschieden; und mn Christ­ abend vernahm die Welt mit Schmerz

ihrem Tode.

die Kunde von

Sie wurde an der Seite George Henry

Lewes' auf dem Friedhofe zu Highgate beerdigt."

Wir kommen schließlich auf die Behauptung- zurück, welche wir zu Beginn dieser Zeilen ausgesprochen haben: daß George Eliot und nicht George Sand es sei, welcher der erste Platz unter den Frauen gebühre, die sich bis

jetzt in der Literatur ausgezeichnet haben.

Das, was

nämlich den Vorrang eines Romandichters vor dem anderen

hauptsächlich bestimmt, kann nichts Anderes sein, als der

tiefere Einblick in das Wesen der Erscheinungen,

die

größere Umsicht, mit welcher der Werth der Dinge be­

stimmt wird, die größere Wahrheit, Natürlichkeit, Leben­ digkeit und Plastik alles Gestalteten. beide Dichterinnen

von

diesem

Vergleichen

höchsten

wir

Gesichtspilnkte

aus, so werden wir keinen Augenblick zögern, George Eliot, als den überlegeneren Geist,

als die bedeutendere

schöpferische Kraft, als das größere Genie zu bezeichnen. Wie wir sattsam hervorhoben, waren ihre Dichtungen von sehr verschiedenem Werthe, aber selbst in ihren verfehl­

testen Werken offenbarte sie jene Vorzüge in weit höherem Maße als George Sand.

Es ist falsch, George Sand's

subjective Tendenz der streng objektiven Richtung George Eliot's als etwas Gleichberechtigtes gegenüber zu stellen, £) r u 51 o iv i £>, Essays.

16

242 der letzteren gebührt unbedingt die erste Stelle, und ferner ist auch die Bezeichnung jenes Gegensatzes durch „Idealis­

mus" und „Realismus" zu tadeln. wie man mit Recht bemerkt

hat,

Denn einmal ist, der Gegensatz von

Realismus, als der Grundlage der Kunst, keineswegs Idealismus, sondern Falsismus.

Sodann ist die Be­

zeichnung George Sand's als Idealistin, im Gegensatz zu George Eliot, auch deshalb zu vermeiden, da sie den

Gedanken in sich schließt, es habe George Sand die

große Engländerin an Idealismus der Gesinnung über­ troffen.

Allerdings ist die Moral George Eliot's nicht

kühn und nicht revolutionär, aber sie ist gesund, edel, fruchtbar und einer ganz anderen Kenntniß der mensch­

lichen Natur

und

einer

weit tieferen philosophischen

Einsicht entsprungen, als die Visionen George Sand's es sind.

Sand's

Und während die Wirkung der Lectüre George

die

einer flüchtigen

momentanen idealen Rausches

idealen Erregung, ist,

eines

bewirkt der Geist,

welcher durch George Eliot's Werke weht, eine wahr­ hafte Erhebung und Bereicherung unseres Wesens.

Inhalt. Seile

1. Joanna Baillie

..................................................................

d

2.

Elisabeth Barrett-Browning........................................................ 98

3.

George Eliot

.....................................................

149

Kerichtiguugrn S. 5 Z. 3 v. it.: „der schottischen Gentry" statt „dem schot­ tischen Gentry."

S. 11 /

Z.11v. o.: „derselben" statt „desselben."

S. 112

Z.5 v. u.: „b hamounir" statt „Chamouni."

S. 117

Z.4 v. u.: „die letzteren" statt „den letzteren."

S. 117 Z. 1 v. u.: „das schöne" statt „der schöne." S- 124 Z. 8 v. u.. nach „seine eigenen" „Fehler" einzusetzen. S. 191 Z. 3 v. u. und S. 192 Z. 2 v. o.: „Rector" statt

„Pastor." S. 194 3- 8 v. II.. „schetländisches" statt „shetländisches".

Druck von (*. H. Schulze & ($o. in Gräfenhainichen.