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German Pages 242 [248] Year 1885
Drei englische Dichterinnen. Essais DOll
L>. Oruskowitz Dr. phil. V) e r f u j i c v uo'n ,,P e r c y B y \ j h c Shells y."
ßcrliii, Verlag von Robert Oppenheim 1885.
4869.
^ebersetzunsgrecht Vorbehalten.
I.
Joanna Baillie. Die Werke der schottischen Dramatikerin Joanna Bch nur von wenigen Kennern und Freunden der englisschen Literatur berücksichtigt worden. Und doch ist diese Diichterin zu ihrer Zeit, und sie reicht in unsere Tlüge hinein, — das Jahr 1851 ist ihr Todesjahr — besonders aber in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhmnderts in ihrem weiteren britischen Vaterlande, später amch in den Vereinigten Staaten von Nordamerika hochgefeiert und von den ersten und größten ihrer Zeitgenwssen, Sir Walter Scott uild Lord Byron an der Spitze, verrehrt und bewundert worden. Auch wurden einige ihrer Srtücke damals auf britischen Bühnen zur Aufführung
zerbracht, doch hat nur eins auf einer Bühne, — die „sFaniilienlegende" am New Theatre Royal zu Edinburg — ebnen bedeutenden Erfolg errungen. Freilich ist zu befürchten, daß Joanna Baillie nun amch im eigenen Vaterlande vergessen werde. Daß die eniglischen Theater vollständig aufgehört haben, Dramen vwn ihr aufzuführen, darüber wird man sich bei der offfenbaren Ungeeignetheit der meisten derselben für die Biühne nicht verwundern dürfen, obwohl wir andrerseits zmgestehen müssen, daß einige unter ihnen immerhin einer Druskowitz, Ways. 1
—
2
—
scenischen Wirksamkeit fähig zu sein scheinen; auffallend ist jedoch der Umstand, daß ihre Werke seit vielen Jahren in-England auch nicht mehr durch den Buchhandel zu beziehen sind. Miß Baillie veranstaltete kurz vor ihrem Tode eine Gesammtausgabe ihrer Dichtungen in einem Bande?) Das umfangreiche Buch wurde 1853 neu auf gelegt, ist aber nun vergriffen.
Wird sich die Verlags
firma nicht zu einer ferneren Auflage, wenn auch nicht sämmtlicher, so doch der ausgewählten und besten Werke
der Dichterin entschließen? Wäre es doch Ehrensache, das Andenken Joanna Baillie's im Bewußtsein der Nachwelt frisch zu erhalten. Wer ihre Stücke gelesen hat, weiß, daß er trotz aller Mängel, welche die meisten unter diesen aufweisen, einer ächten, starken und reichen
Dichternatur gegenübersteht, einer anderen Unsterblichkeit werth, als jener, welche die Literaturgeschichten zu sichern vermögen. Das Gedächtniß der schottischen Dichterin zu er neuern und sie außerhalb ihres Vaterlandes bekannt zu machen, ist der Zweck, welchen diese Zeilen verfolgen.
Mag es als eine liebenswürdige Ueberschätzung be trachtet werden, wenn der ritterliche Walter Scott Joanna Baillie einmal mit edler Selbstverleugnung den „größten Genius Schottlands seiner (Scott's) Zeit" nennt, so wird
man der Dichterin doch trotz mancher Schwächen, die selbst ihren besten Schöpfungen anhaften, folgende Vor züge nicht abstreiten können: reiches und starkes Phantasie spiel, das mitunter die feinsten dichterischen Gebilde hervorx) Erschienen bei Longman & Co.
3 bringt, mächtiges, oft ergreifendes Pathos, starke dramatische
Kraft verbunden mit einem seltenen lyrischen Talente, feine Seelenkenntniß, sowie die Oiabe, lebensfähige Menschen zu schaffen, und endlich eine seltene Herrschaft über die Sprache.
Lord Byron bezeichnete Miß Baillie als die
einzige Frau, welche Dramen zu schreiben vermochte, uitb auch wir Nachgeborenen werden einräumen müssen, daß keine Dichterin Miß Baillie an dramatischer Begabung bis
jetzt gleichgekommen sei.
Und eine um so merkwürdigere
Erscheinung ist die schottische Dramatikerin, da sie in
einer Zeit auftrat, wo die dramatische Dichtung in England,
— das letztere Wort im weiteren Sinne genommen — vollständig daniederlag.
Ja, man darf behaupten, daß
England in diesem Jahrhundert keinen zweiten Dichter
besessen habe, der den Namen eines Dramatikers in der
Weise verdient, wie Miß Baillie.
Müssen wir in Shelley's
„Cenci“ und Eoleridge's „Remorse“ vielleicht auch das Walten
einer stärkeren dramatischen Kraft anerkennen,
als solche in Miß Baillie's Stücken zu finden, so stehen
diese Leistungen unter den Werken jener beiden Dichter doch vereinzelt da, während unsere Dichterin nicht we
niger als 28 Stücke geschrieben hat und in der dramatischen
Dichtung ihren Beruf fand.
Sie bildet in ihrem engeren
Vaterlande, wo sie auf ihrem Felde keinen Nebenbuhler
hat, die Ergänzung zu Burns und Scott. sie das Drama auch
vertrat,
nicht
mit so
Und wenn
großer Begabung
wie Burns das Lied, Scott die Erzählung,
so trennt sie doch keine allzu weite -Kluft von diesen Dichtern, auch darf man nicht vergessen, daß Aiiß Baillie's
Gebiet das höhere und schwierigere war.
4 Das Leben Joanna Baillie's war ein ziemlich ein
töniges.
Es verlief ohne besondere äußere Ereigniffe und
ungewöhnliche Schicksale, ohne große Stürme, ohne starke Leidenschaften, ohne jene aufreibenden Kämpfe, welche die
begabte Frau gewöhnlich gegen Familie und Gesellschaft
zu bestehen hat.
Unsere Dichterin war im Gegentheil
wohlgebettet im Schooße der Ihrigen, die ihr keine Hinder
nisse in den Weg legten, als sie in die Oeffentlichkeit trat und an ihren Erfolgen innigen Antheil nahmen, ihre
ersten
bedeutenden Veröffentlichungen wurden begeistert
begrüßt, so daß die herbe Kritik, die später von der „Edin burgh Review" an ihren Dramen geübt wurde, ihr keinen
großen Schaden mehr beifügen konnte, sie wurde von Allen, die sie oder ihre Werke kannten, geehrt und ge liebt und von den besten ihrer Zeitgenossen, wie wir
bereits hervorhoben, ausgezeichnet.
Joanna Baillie wurde am 11. September 1762 zu Bothwell, nahe Glasgow geboren/) bald nachdem ihre
Eltern dort angekommen, denn ihr Vater wurde in seiner Stellung als Pfarrer von Shotts dahin versetzt. Dr. Baillie,
Joanna's Vater, entsprang einer alten schottischen Familie, die William Wallace, den berühmten Patrioten Schott
lands, unter ihre Vorfahren zählte.
Eine Tochter William
Wallace's vermählte sich mit einem William Baillie und
’) Die Hauptquellcn des biographischen Theils dieses Auf satzes sind: der biographische Abriß, welcher der zweiten Auflage der Gesammtausgabc der Werke Joanna Baillies vorangcdruckt ist; Lockhart, Memoirs of the Life of Sir Walter Scott; Howitt, Homes of the Poets; Austin Allibone, A critical Dictionary of the English Literature.
5 ein Abkömmling dieser Linie war der Vater der Dichterin.
Auch die Mutter Joanna's entstammte einer alten Familie, nänrlich den Hunters von Hunterstone in Ayrshire. Die Brüder Airs. Baillie's waren die beiden berühmten Aerzte William und John Hunter.
Joanna war die jüngste von vier Geschwistern. Der erstgeborene William starb sehr früh; Schwester Agnes war die Lebensgefährtin der Dichterin; Matthew, der jüngere der Brüder, wurde, wie seine Oheime von mütter licher Seite, ein berühmter Arzt.
Joanna verbrachte die ersten sechs Lebensjahre bei Bothwell, in einem Landstrich, der fruchtbar und reich an Naturschönheiten, reich auch an geschichtlichen Erinnerungen,
an Sagen und Legenden. Für die Familie Baillie hatte der Aufenthalt noch eine ganz besondere Bedeutung. Hier lebte einst ihr berühmter Ahnherr William Wallace in der Verbannung und erlitt hier den Tod. War Joanna auch zu jung, um die Bedeutung des Ortes zu erfassen, so entwickelte sie sich zu schnell, um nicht doch von mancher Legende und Heldengeschichte, die hier an ihr Ohr drang, stark beeinflußt zu werden, besonders da sie ein aus gezeichnetes Gedächtniß für mündliche Ueberlieferung be saß. Früh wurde auch ihr Sinn für das Wunderbare, das Uebernatürliche geweckt, der, wie bei den meisten Schotten, in hohem Grade bei ihr vorhanden war. Für eine möglichst rasche Entwicklung ihrer Beobachtungsgabe bot die Stellung ihres Vaters alle möglichen Vortheile. Es war bei dem schottischen Gentry Sitte, wegmüde Reisende gastlich aufzunehmen, und so war Joanna schon in frühester Jugend reiche Gelegenheit geboten, die ver-
6 schiedensten Menschen. zu sehen und kennen zu lernen. Das war noch mehr der Fall in Hamilton, wohin ihr Vater, als sie sechs Jahre zählte, versetzt wurde.
Mit
der Entwicklung ihres Beobachtungsvermögens hielt die
ihrer Einbildungskraft Schritt.
überraschte und entzückte
kleinen/Stegreiferzählungen. falls
Schon in frühen Jahren
sie ihre Spielgenossinnen mit
Es war jedoch ihre gleich
hoch begabte Schwester Agnes, welche den Sinn
für Geschichten und Märchen
in ihr weckte, um bald
durch Joanna's eigene Erfindungen in Erstaunen gesetzt
zu werden.
So sagt Joanna in den „Lines to Agnes
Baillie on her Birthday“, dem schönsten ihrer lyrisch betrachtenden Gedichte: „Dein Sinn für Sagen, Märchen war der Stoß, Der meinen Geist weckt' aus des Schlummers Schooß.
Ein dunkles Bild mein Hirn da bald gebar Von Geistern, Heren, eine bunte Schaar.
Stolz war ich, als ich solches sann mit Glück Und suchte Lob zu späh'n aus deinem Blick,
Zu hör'n, als deine Neugier wuchs gar sehr,
„Wie? hast du ganz erfunden diese Mär?"
Weniger Lob verdiente Joanna im Lernen.
So
leicht sie aus dem Leben schöpfte, so schwer aus Büchern.
Mit dem Lesen ging es so langsam,
daß sie erst mit
zehn Jahren alle Schwierigkeiten desselben überwunden
hatte.
Wenn sie später doch Geschmack an Büchern fand,
hatte sie auch dies ihrer Schwester zu verdanken, die sich
im Gegensatze zu ihr mit großer Leichtigkeit Kenntnisse aneignete.
So sagt Joanna in dem Gedicht, aus dem
wir soeben citirt :
7 „Du warst's, die mich zuerst trieb zum Versuch, Ernsthaft zu schaun auf ein gedrucktes Buch, Dies Ding, das mir verhaßt, mit guter Art Hast du vor fernerm Nichtsthun mich bewahrt, Als ich zu alt war, um mit lust'gen Possen, Die Zeit mir zrl vertreiben, unverdrossen/'
Dem Scharfsinn der Vaters aber entging es. nicht, welche von beiden Töchtern den ausgezeichneteren Geist besaß. „Agnes ist tüchtig," sagte er einmal, „aber Joanna
ist die Blume unsrer Familie." Und als sich ein ander
mal Matthew in großer Verlegenheit befand, ein Gedicht
als Aufgabe gestellt
zu machen, welches in der Schule
wordeir war, wies ihn der Vater an Joanna, die auf der Stelle
eine Strophe
fertig
brachte.
Doch hören
wir nichts von anderen dichterischen Versuchen aus ihrem frühern Lebensalter.
Joanna wird als ein überaus heiteres und über
müthiges Kind geschildert. sich
bei ihr.
einander
Die lustigen Einfälle jagten
Berühmt war sie unter ihren
Altersgenossen wegen ihrer seltenen, mädchenhaften Waghalsigkeit.
eher knaben-, als
Sie liebte es, auf Brücken
geländern und Mauergesimsen zu laufen und war eine
vortreffliche
Reiterin.
Das Bild
ihrer Kindheit und
frühesten Jugend ist ein durchaus frisches und erquickendes.
Zehn Jahre alt wurde Joanna mit Agnes in eine Erziehungsanstalt nach Glasgow geschickt. Trotz mangelnden
Lerneifers machte sie daselbst doch in verschiedenen Gegen ständen Fortschritte.
Sie
zeigte
musikalisches Talent,
spielte Guitarre und sosl mit angenehmer Stimme ge
sungen haben.
Zum Zeichnen verrieth sie so bedeutende
8 Anlagen,
daß sie,
wären dieselben
entwickelt worden.
Ausgezeichnetes auf diesem Gebiete hätte leisten können. Seltsam mag es erscheinen,
daß sie Neigung und Be
gabung für die Mathematik besaß, pflegen sich dichterisches
und mathematisches Talent doch auszuschließen; doch ist Joanna Baillie allerdings nicht der einzige Fall, wo sie
gleichwohl neben einander bestanden haben.
Zu ihren
vielen Anlagen kam noch ein großes mimisches Talent. Joanna wußte als Kind bei dramatischen Aufführungen
ihre Zuhörer zu Thränen zu rühren oder zu herzlichem Lachen zu bringen, und später wurde sie eine vortreffliche Erzählerin, indem sie eine Geschichte nicht nur durch ge schickten Vortrag, sondern auch durch Modulation der
Stimme und begleitende Geberden wirksam wiederzugeben
verstand.
Dies Talent war übrigens ein Erbe aus der
Familie ihrer Mutter, welch' letztere, sowie auch deren
Die Stücke,
Brüder dasselbe in hohem Grade besaßen.
die Joanna
mit ihren Altersgenossen zur Aufführung
brachte, waren immer von ihrer eigenen Erfindung, über dies sorgte sie auch für Dekorationen und Kostüme. kündigte sich ihr großes Talent zunächst
So
in spielerischer
Form an.
1776 wurde Dr. Baillie zum Professor der Theologie
an der Universität Glasgow ernannt.
Im Winter dieses
Jahres übersiedelte die Familie nach der Amtswohnung.
Es wurde in ihrem Hause viel aus- und eingegangen. Joanna entwickelte sich zu ihrem Vortheile.
Sie wurde
allmälig ruhiger und gesetzter und imponirte ihren Alters
genossinnen durch geistige Ueberlegenheit und Kenntnisse, welch' letztere jedoch zu keiner Zeit besonders umfaffend
9 gewesen sein mögen.
Dann und wann kam die alte,
unbändige Natur wieder zum Vorschein; eine große Neigung zu Disputationen kennzeichnete sie damals und verließ sie
nie vollständig.
Ihr Geist scheint zu jener Zeit noch
inerkwürdig spröde gewesen zu sein, denn wir erfahren,
daß sie Milton's verlorenes Paradies vergebens zu ver stehen sich bemüht habe. Er war ein
1778 starb Dr. Baillie.
gelehrter
Mann; hohe Grundsätze leiteten ihn durch's Leben, seine Familie liebte, alle Welt schätzte und ehrte ihn.
Wittwe
und Töchter begaben sich nach dem schmerzlichen Ereigniß nach Long Calderwood in Lanarkshire, wo Mrs. Baillie's ältester Bruder begütert war und wo sie einige Jahre
in größter Zurückgezogenheit lebten, während Matthew
in Oxford seinen Studien oblag.
Die herrliche Gegend
bezauberte Joanna's empfängliches Gemüth. wanderte
dieselbe
mit
ihrer
Schwester
Sie durch nach
allen
Richtungen, liebte es besonders längs der Felsenufer des Calder zu streifen, die Stromschnellen und Fährten zu beobachten und in dem Flusse zu baden. Da diese Ver
gnügungen nicht ihre ganze Zeit ausfüllten und sie wenig Umgang hatte, begann sie (wie wir sahen, aus Antrieb ihrer Schwester) sich mit Büchern zu beschäftigen.
Sie
las die größten englischen Dichter und studierte besonders
Shakespeare, der sie wie kein zweiter Dichter beeinflußte. Zu eigenem Schaffen fand sie, bevor sie Schottland ver
ließ, jedoch keine Anregung. Der Winter
1783/1784 wurde von der Familie
Baillie in Glasgow verbracht.
Im nächsten Jahre über
siedelte die Familie nach London, um sich mit Matthew zu
10
vereinigen, der sich dort als Arzt niederließ.
In einer
engen Londoner Straße war es, wo in Joanna das Dichtertalent erwachte.
Es scheinen manche Naturen absolut der Unzufrieden
heit, einer inneren Bedrängniß zu bedtirfen,- damit ihre Kräfte in Fluß kommen.
Mancher wäre wohl nie ein
Dichter geworden, wäre seine tiefste Sehnsucht nicht.un befriedigt geblieben.
Wie sagt doch Goethe? „Zart Gedicht, wie Regenbogen
Wird auf dunklem Grund gezogen, Drum behagt dem Dichtergenie
Das Element der Melancholie."
Bei Joanna Baillie war die Sehnsucht nach den
Naturwunderit ihrer Heimath der Zauberstab, der den Quell der Dichtung in ihr erschloß, indem sie sie dazu trieb,
im eigenen Reichthum Zuflucht zu finden. 1790 trat sie zunächst mit einem Bäitdchen ver mischter Gedichte, den „Fugitive Verses“, hervor.
Die
selben wurden anfangs wenig berücksichtigt, bis sich ein Kritiker
günstig darilber aussprach.
später wurden sie neu aufgelegt,
Werth
besaßen.
Wer
Viele Jahrzehnte
ein Beweis,
aber konnte
aus
daß sie
den schönen,
harmonisch gestalteten Versen auf die dramatische Kraft der Verfasserin schließen?
1798 gab sie den ersten Band der „Plays on the Passions“ heraus, unter dem Titel „A Series of Plays in which it is attempted to delineate the strenger
passions of the mind, each passion being a subject
of a tragedy and a comedy.“
Der Band enthielt die
11 beiden Trauerspiele „Count Basil-1 und „De Monfort■*
und das Lustspiel „The Trial“, und machte den Autor mit einem Schlage berühmt.
Miß Baillie hatte ihren
Namen verschwiegen. Aus einigen Spracheigenheiten, welche
die Stücke enthielten, konnte man auf das schottische Her kommen des Verfassers schließen und unter den schottischen
Autorenjener Zeit hielt man nur Walter Scott für fähig, solche Dramen geschrieben zu haben.
Groß war
das
Staunen, als man erfuhr, eine Dame sei die Verfasserin.
Die feste Chargkterzeichnung, die Kraft des Ausdrucks — Alles schien auf einen männlichen Autor zu deuten und für das merkwürdige Vorwort des Buches behauptete man selbst
dann noch männliche Urheberschaft, als das Ge
schlecht des Verfassers bereits vollkommen festgestellt war. Vor Allen spendete die „Monthlp Review" vom September 1798 den Stücken hohes Lob und der Ruf der Dichterin
war bereits fest begründet, als die „Edinburgh Review"
eine scharfe, doch nicht ungerechte Kritik an den ihren
„Plays on the Passions“ zu Grunde liegenden Theoremen zu üben begann.
Miß Baillie hat ihre Ansichten über das Wesen des Dramas in dem Vorworte entwickelt, welches sie dein
ersten Bande ihrer dramatischen Schriften vorausgeschickt hat.
Dasselbe war ganz geeignet Aufsehen zu erregen
und außer Wordsworth und Victor Hugo kennen wir
keinen Dichter, der sich so viel Mühe gegeben hätte, dem
Leser seine Anschauungen klar zu machen, wie Joanna Baillie.
Flößen uns ihre Theoreme auch als aufrichtiger
Ausdruck ihrer Ueberzeugungen Respect ein, so müssen wir die meisten derselben, sachlich betrachtet, doch für falsch
12 erklären und ihre Stücke für insofern verfehlt, als sie auf diese falschen Theoreme gegründet sind.
Miß Baillie war mit der Methode der modernen,
der nach-elisabethinischen Dramatiker unzufrieden.
Sie
vermißt bei ihnen die Kenntniß des menschlichen Herzens und eine feste und wahre Characterdarstellung.
„Sie
sind mehr damit beschäftigt gewesen, sagt sie, die Werke
der großen Dramatiker, die ihnen vorausgegangen und
die Wirklingen,
die
ihre Schriften
heroorgebracht,
zu
studieren, als die Verschiedenheiten des menschlichen Cha-
racters,
die zuerst den Stoff für jene Werke geliefert
haben, oder jener seelischer Beweggründe, mittelst welcher solche Wirkungen erzielt wurden.
Indem sie die schranken
lose Mannigfaltigkeit der Natur vernachlässigten, wurden
gewisse starke Außenlinien des Characters, gewisse offen daliegende Züge der Leidenschaft, gewisse große Wendungen
und dramatische Situationen von einem Geschlechte zum anderen wiederholt, während ein gewisser hochtrabender
und feierlicher Erirst, den sie für die Würde eines Trauer spiels angeinessen halten, aus ihren Werken fast ganz
jene kleineren Züge der Natur verdrängt hat, die das
Gemüth
so
gut
veranschaulichen,
und
indem
sie die
Menschen nur in den Augeilblicken der Größe und Kraft
anstrengung zeigen, vollkommen."
zeigen
sie
dieselben
natürlich
un
Indem Miß Baillie diese Akethode mit
Recht als falsch bezeichnet, verfällt sie selbst in den Irr
thum, zu behaupten, daß das Erste und Wichtigste, ja das Wesen des Drama's die Characterdarstellung sei, gegen
über welcher die Handlung nur secundäre Bedeutung habe. Zwar bemerkt sie, indem sie über den Werth spricht,
13 welchen die Menschenkenntniß für den Dramatiker hat. ganz richtig, daß in seinen Werken „kein Reichthum der Erfindung, keine Harmonie der Sprache, keine Größe
des Gefühls den Platz der getreuen Characterzeichnung
auszusullen vermöge", falsch aber ist es, wenn sie an einer anderen Stelle meint,
daß jeder andere Mangel
durch diesen einen Vorzug ersetzt werden könne.
Die leb
hafte, bewegte, reichgegliederte und in allen ihren Theilen wohlmotivirte Handlung kann durch keine Feinheit der
Characteristik ersetzt werden, ein Stuck, dem es an solcher
Handlung gebricht, wird, wie scharf, wie wahrheitsgetreu
seine Personen auch gezeichnet seien, nicht den Anspruch
erheben dürfen, ein Drama im vollen Sinne des Wortes genannt zu
gute
werden.
Characteristik,
Ein solches^ erfordert ebensowohl
als
auch
bewegte
und
festgefügte
Keinem dieser beiden Bestandtheile gebührt der
Action.
Vorrang, aber es darf.auch keiner von beiden vernach lässigt
werden.
Weder das Situationsschauspiel,
noch
eine bloße Charactermalerei verdient den Namen eines Dramas. Innerhalb der wahrheitsgetreuen Characterdarstellung
betrachtet Miß Baillie, einem großen Beispiele folgend, als das Wichtigste, „den menschlichen Geist unter der Herrschaft jener starken und zähen Leidenschaften zu zeigen, die schein bar ohne äußere Veranlassung, von geringen Anfängen,
in der Brust ausgebildet werden, bis all die besseren Anlagen, all die schönen Gaben der Natur von ihnen
vernichtet sind."
Jndenr sie sich gegen jene Dramatiker
wendet, welche die Leidenschaften nur deshalb einführen,
um die Charactere zu kennzeichnen und einige Scenen
14 zu beleben, stellt sie sich selbst die Aufgabe, „eine Reihe von Dramen von einfacher Construction zu schreiben, *) weniger durch dichterischen Prunk verschönert, weniger eingeengt durch den erhabenen Ernst, der so allgemein als nothwendig für die Erhaltung der tragischen Würde betrachtet wird, und deren Hauptgegenstand die Zeichnung des Fortschrittes der höheren Leidenschaften in der mensch lichen Brust sein soll, indem jedes Stück eine besondere Leidenschaft vorführt." Ein Drama nach dem Sinne der Dichterin muß demnach folgende vier Grundbedingungen erfüllen: 1) Concentrirung des Interesses auf die leitende Leidenschaft der Hauptperson des Stückes und infolge dessen 2) starkes Zurücktreten der zweiten Personen und undramatische Haltung derselben. Ausdrücklich bemerkt Miß Baillie: „Die zweiten Personen jedes Dramas sollen, da sie von den durch große Leidenschaften bewegten vollkommen ver schieden fein müssen, gewöhnlich in einem ruhig un bewegten Zustand dargestellt werden." Doch sieht die Dichterin ein, daß diese Personen, um nicht alles Interesses zu entbehren, gut characterisirt werden müssen. 3) Dar stellung der leitenden Leidenschaft der Hauptperson von ihren ersten Regungen bis zur völligen Korruption und schließ liche Zerstörung des Individuums, oder vollkommene Entwicklungsgeschichte der Leidenschaft. 4) „Einfache Con struction" oder „Einfachheit der Intrigue (simplicity of plot), worunter die Dichterin, wie aus ihren ersten Stücken hervorgeht, jedoch nichts anderes als Armuth an *) An einer andern Stelle fordert sie „simplicity of plot“.
15 Handlung und Vernachlässigung derselben versteht.
Nach
ihrer Anschauung schließen sich nämlich feine Characte-
risirung der Leidenschaft und lebhafte Handlung aus.
Gegen jede dieser Forderungen lassen sich Einwen dungen machen. . Die Dichterin betrachtete Shakespeare
als ihr Vorbild,
aber sie hat ihn nicht immer genug
in sich ausgenommen, sonst hätte sie vor Allem von ihm
lernen müssen, daß kein Drama auf der Grundlage einer einzigen Leidenschaft
kann
aufgebaut werden, daß die
Hauptperson nicht alles Interesse auszehren darf, daß die zweiten Personen ihr gegenüber nicht wie bedeutungslose
Schatten erscheinen sollen (Punkt 1 und 2), vielmehr muß dem Hauptspieler ein interessantes Gegenspiel gegenüber
gestellt werden.
Erst durch das Aneinanderprallen ver
schiedener Leidenschaften, durch starke Action und starke Reaction kommt ein Drama zu Stande.
Was hingegen
ihr Bestreben betrifft, Wachsthum und Entwicklung ein
zelner Leidenschaften bis zur vollständigen Korruption und
endlichen Vernichtung des Individuums zu veranschaulichen (3), so zeigt sie hierin allerdings, daß sie mit großem Nutzen in Shakespeare's Schule gegangen ist, auf den sie sich je doch in dem langen Vorwort merkwürdiger Weise garnicht
des Näheren bezieht, nur in zwei Anmerkungen kommt sie flüchtig auf ihn zu sprechen.
In der That ist ja
die energische Behandlung der einzelnen Leidenschaften,
ihres Anschwellens bis zu dem Punkte, wo der Umschlag erfolgt, die Hauptaufgabe des Dramatikers innerhalb der Characterdarstellung, und wäre hierin so manchem Dichter
Joanna Baillie's Einsicht zu wünschen.
Nur sehen wir
den künstlerischen Werth ihres Vorsatzes nicht ein, die
16 Leidenschaften von ihren ersten Anfängen an darzustellen.
und ist dieser Punkt auch von keinem andern Dichter in dieser Weise betont worden. Zuweilen wird der Dramatiker
gut thun, uns schon die ersten Regungen der Leiden
schaften vorzuführen, in anderen Fällen wird er es vor ziehen, bei einem späteren Entmickelungspunkt der Leiden
schaft anzusetzen.
Hier läßt sich keine Regel aufstellen und
wird der Beginn immer durch das Bedürfniß des gegebenen Falles bestimmt werden.
Doch sind es ja auch nicht
künstlerische Gründe, welche die Dichterin auf den Ge
danken gebracht haben, schon das erste Aufflammen der Leidenschaften zu zeigen, sondern sittliche.
Sie will uns
eine Waffe gegen den Ueberfall des Feindes in die Hand
geben, indem sie uns seine ersten Vorboten als solche erkennen läßt.
Gelingt es der Dichterin nun z. B. die
Leidenschaft der Liebe in ihren ersten Regungen zu veran
schaulichen, so ist dies nicht der Fall bei der gefährlicheren
Leidenschaft des Hasses, jenes Haffes nämlich, der sich eines Menschen oft schon in jungen Jahren gegen einen anderen
bemächtigt und auf tiefer innerer Verschiedenheit begründet ist, weil sie ihre Helden nicht als Kinder vorführen kann und doch wäre es gerade wichtig, vor den Gefahren dieses
Dämons zu schützen, sieht man den Zweck des Drama's nun einmal
in der Warnung vor dem Ausbruche der
Leidenschaften. Wäre die Dichterin also streng consequent gewesen, so hätte sie füglich von einem Trauerspiele des
Hasses absehen muffen, da sie auf die Möglichkeit einer sitt lichen Wirkung hier von Vornherein verzichten mußte. Was endlich den letzten Punkt, die „einfache Construction", die
„Einfachheit der Intrigue" (worunter die Dichterin, wie
wir bereits bemerkten, Dürftigkeit der Handlung ver steht) zu Gunsten eines klareren Hervortretens gewisset feiner Züge der Leidenschaft (durch das Medium von Gefühlsergüffen) anbelangt, so haben wir auf das iiqcütov chkvüot,- bereits hingewiesen, welches in diesem Gedanken enthalten liegt: daß nämlich die Charakteristik das Wesent liche, die Handlung etwas Nebsnsächliches sei; — dann aber ist auch die Anschauung grundfalsch, daß scharfe und eindringliche Charakterisirung der Leidenschaft und starkbewegte Handlung, — wenn man darunter nur nicht unkünstlerische Häufung von Vorfällen versteht — ein ander ausschließen, kann doch die Leidenschaft im Gegen theil nur durch lebhafte Handlung wirkungsvoll darge stellt werden. Nicht die Leidenschaft an sich, sondern die Handlung, durch die sie zum Ausdruck gelangt, ist ja dramatisch, und diese, und nicht Gefühlsergüsse, bilden das wesentliche Ausdrucksmittel der Leidenschaft im Drama. Die Dichterin sah nicht, daß der Erreichung ihres obersten Zieles, — intensive Darstellung der ein zelnen Leidenschaften — nichts hinderlicher sei, als die grundsätzliche Vernachlässigung der Handlung. Miß Baillie hat ihre Theorien auch auf das Lust spiel angewandt, wo sich die meisten derselben als ebenso falsch erwiesen. Dazu kommt, daß die Dichterin wenig Talent für dieses Fach besaß. „The Election“ und vielleicht auch „The Second Marriage“ ausgenommen, sind ihre Leistungen auf diesem Gebiete mehr oder weniger dürftig und matt. Ihre Anlagen wiesen sie hauptsächlich auf das ernste Drama. Es ist zu bedauern, daß Miß Baillie's starkes D r u s k o iv i lz, Essays.
2
18 dramatisches Talent,
in der ersten Zeit ihres Schaffens
wenigstens, durch manche falsche theoretische Anschauungen
irre geleitet und in seiner Entfaltung gehemmt wurde. Statt ihre Erfindungskraft anzustrengen, machte sie die
Darstellung
einer
möglichst
dürftigen
zum
Handlung
Grundsätze ihres Schaffens; statt aus starke Spannungen und Conflicte hinzuarbeiten, läßt sie die Leidenschaft des
Helden in mehr oder weniger undramatischen Scenen zum
Ausdruck gelangen.
Dies gilt jedoch hauptsächlich von
ihren ersten Dramen; in ihren späteren „Plays on the
Passions“
scheint sie glücklicherweise. immer mehr auch
den unfruchtbaren Theil
ihrer Theorien
vergessen
zu
haben, und je mehr sie dieselben außer Acht ließ, um so bessere Stücke hat sie geschaffen.
Am meisten gerecht wird sie ihren Theoremen eben in ihren ersten Trauerspielen,
„Count Basil“,
dessen
Thema Liebe, und „De Monfort“, dessen Gegenstand Haß.
Wir sahen, daß Miß Baillie etwas Großes von Shake speare gelernt hatte, indem sie sich bestrebte, in ihren
Stücken ein Entwicklungsbild einzelner Leidenschaften zu geben, doch legte sie auf dies Moment einen solchen Nach
druck, daß zu befürchten stand, die Gestalten, an denen
sie das Wachsen der Leidenschaften veranschaulichen würde, müßten sich als Allgemeinheiten oder akademische Figuren darstellen.
Miß Baillie's Talent war jedoch zu stark, um
es dazu kommen zu taffen.
Sowohl in Basil als in
Monfort pulst wirkliches Leben, obwohl die Dichterin beide
Gestalten noch weit lebendiger hätte charakterisiren können,
wenn sie mehr Handlung aus ihren Leidenschaften ge sponnen hätte.
Außerdem finden sich in „Graf Basil"
19 und „De Monfort" bei allen Mängeln doch häufig Züge und Feinheiten, die den wahren Dramatiker verrathen.
Besonders rühmenswerth ist hier schon der Dialog, der bei Joanna Baillie stets ein ächt dramatischer ist.
Sehen wir uns zunächst „Graf Basil" etwas näher an.
Die Dichterin wußte, daß- sich die überwältigende
Macht, der entsittlichende Einfiuß der Leidenschaft der Liebe am Nachdrücklichsten an einem ursprünglich starken
und willenskräftigen Charakter zeigen ließe.
deshalb
einen
tapferen,
Sie wählt
ruhmvollen Kriegshelden
zur
Hauptperson ihres Stückes, das sich wie viele andere ihrer Dramen
auf
einem
quasihistorischen
Graf Basil ist ein General Karls V.
Niveau
bewegt.
Als der Graf
mit seinen Soldaten durch das scheinbar kaiserlich ge
sinnte Mantua zieht, um sich mit der Armee zu vereinigen, erblickt er die schöne Tochter des Herzogs an der Spitze eines Zuges von Damen, und wird von ihrem Anblick
bezaubert.
Lebhaft sind seine Gefühle in der zweiten
Scene des ersten Aktes, wo er das erste Dial nach jener
Begegnung mit seinem Freunde und Verwandten, Graf
Rosenberg,
einer sympathisch gezeichneten Gestalt, zu
sammentrifft, zum Ausdruck gebrächt. Basil.
O, es ist wundervoll! Was soll das, Freund?
Rosenberg.
sprich,
was
ist
wundervoll? Basil. Form, Antlitz und Bewegung, Alles, Alles! Rosenberg. Ah, die Prinzessin! Priesen wir sie nicht? Basil.
Ich weiß, ihr prieset sie, sowie ihre Großmuth.
Sie könnt' verschenkt des Ostens Schätze haben, Bevor ich es geahnt.
20 Ach, sahst du es, wie in der Ferne sie
Erschien mit ihrem Zuge langsam schreitend, Im Winde flatternd Haare und Gewand,
Wie eine Lichtgestalt in Morgenwolken? Und als sie sich dem Auge klarer zeigte,
Wie sie an Liebreiz immer mehr noch zunahm! Die schöne Haltung und der schlanke Wuchs, Die rundgewölbte Brust, der stolze Hals,
Das Antlitz, süß vom Jugendflor erhellt — Doch als sie näher kam, zu uns sich wandte,
O Himmel! welch' ein Anblick war doch dies! Sahst du, als sie für unsre Grüße dankte,
Das Lächeln sich auf ihren Lippen bilden? Sanft glüht' die Wange, auch ihr Auge lachte,
O, wie es lachte! sowie Himmelsstrahlen! Ich fühlt' in mir die Seele heftig staunen
Wie Jemand, der vom Schlummer ist erwacht.
Flrr's Erste hat es jedoch den Anschein, als würde Graf Basil sein Entzücken nicht verwickeln
können,
bald
in
schwere
verwandelt
aber
eine überwältigende Leidenschaft.
es
Conflicte sich
in
Die Begegnung des
Grafen mit Victoria ist aber nur ein Werk des insge
heim französisch gesinnten Herzogs, der den Grafen an Mantua zu fesseln und zu verhindern wünscht, daß sich derselbe zur bevorstehenden Schlacht mit den kaiserlichen Truppen
griffen.
vereinige.-
Er
hat
das
richtige
Mittel er
Der Graf, der seinen Empfindungen anfangs
selbst geringe Bedeutung
beigelegt,
fühlt sich bald in
Mantua festgehalten und vergißt das erste Mal seine
Pflicht.
Der Grundfehler des Stückes ist der, daß der
Held, statt durch seine Leidenschaft zum Handeln geführt
21 zu werden, durch dieselbe vielmehr davon abgelenkt wird. Basil schmachtet in den Fesseln der Prinzessin, ohne daß
er in eine wirklich dramatische Beziehung zu ihr träte, denn sie erwidert seine Leidenschaft nur durch Wohlwollen und schwesterliche Zuneigung, wodurch eine dramatische
Reciprocität zwischen beiden ausgeschloffen ist.
Auch ist
die Prinzessin eine ganz schattenhafte Gestalt, während sie,
als der Gegenstand von Basil's Leidenschaft, doch ein
stärkeres Interesse in uns erregen sollte.
Wir dürfen
uns in Anbetracht der Theoreme, die wir kennen gelernt, nun nicht mehr darüber verwundern, daß die Dichterin förmlich danach strebte, sich die Erzielung einer starken dramatischen Wirkung unmöglich zu machen.
Indem die
Dichterin also aus der Hauptleidenschaft keine Handlung zu ziehen vermag, ist sie genöthigt, um in die mittleren Akte etwas Bewegung zu bringen, zu allerlei Nothbehelfen zu greifen und Situationen herbeizuführen, die von der Hauptsache mehr oder weniger unabhängig sind, und die
selbe keineswegs fördern.
So intriguirt der herzogliche
Btinister Gauriecio, der ehrgeizige Pläne hegt, gegen Graf
Basil.
Er bewirkt, um den Zorn des Herzogs gegen den
Genannten zu erregen, daß dieser den alten, tapferen
Invaliden Geoffry, — eine trefflich gezeichnete Gestalt — der von dem Herzog vernachlässigt worden, öffentlich aus
zeichnet, Meuterei.
und später verleitet er Basil's Truppen zur
Allein der Gras beruhigt die letzteren, und
der Herzog zeigt ihm keine feindliche Miene.
Die Scene
zwischen Basil und seinen aufrührerischen Truppen ver dient alles Lob.
Joanna Baillie war, wie wir noch
öfters zu beobachten Gelegenheit haben werden, in der
22 Ausführung großer Ensemblescenen besonders ausgezeichnet.
Während Basil nun seiner Liebe lebt, erwacht und wächst in Rosenbergs Brust, nachdem ihm auf einem Masken balle die Hofdame Albini einen Wink gegeben, er möge Basil vor längerem Verweilen warnen, die Furcht, man
halte seinen Freund in Mantua zurück, um böses Spiel
mit ihm zu treiben.
In der dritten Scene des vierten
Aktes versucht Rosenberg Basil zum Abzüge zu bewegen.
Wir geben die Scene, die eine der wirkungsvollsten des Stückes ist und die Leidenschaft Basil's am Besten veran
schaulicht, bis zu dem Momente wieder, wo sich Rosen
berg gestehen muß, daß sein Freund ein Verlorener sei. Rosenberg beginnt seine Vorstellungen damit, daß er Basil
an die Hoffnungslosigkeit seiner Liebe mahnt und auf einen etwaigen höher gestellten und glücklicheren Nebenbuhler
hinweist, worüber Basil nicht anders als heftig entrüstet sein kann. Basil.
Du bist erfinderisch, um mich zu quälen,
Und freust am Schmerze dich, den du bereitest.
Aus dem, was du mir sagst, spricht Schadeyfreude. Rosenberg. Nicht Schadenfreude, mein Basil, nur Freund
schaft.
Enttäuschung könnte dich vom Abgrund retten, Zu dem dich blinde Leidenschaft hinabzieht. Basil.
Geh, rette dich doch selber lieber von
Der schwachen Leidenschaft,-die dich erfaßt, Ein Ansehn dir zu leih'n durch weise Mienen,
Mein Thun zu deuten wie es dir gefällt. Ich kann mich selber lenken. Rosenberg.
Thu' es doch,
Und laß kein listig Weib für dich es thun.
23 Basil. Verachtung diesem Wort! doch nein, auch das iricht, Denn es ist gar zu niedrig, — listig' Weib'!
O, sie hat all des Himmels Lieblichkeit,
Und seine ganze Güte noch dazu!. Rosenberg.
Ich will sie ja nicht böser Schliche'zeih'n,
Ich zeih' sie nicht —
Fürwahr, Du kannst es nicht!
Basil.
Rosenberg. Was kann ich nicht? Wie sie sind alle Weiber. Nichts mehr davon! es regt dich heftig auf.
Doch noch einmal, als dein getreuster Freund, Beschwör' ich dich, wenn du die Ehre schätzest,
Des Kriegers guten Ruf, des Helden Ruhm, Die edle Geister lieben, und ich weiß,
Daß sie dir theuer sind: verlaß den Ort
Gieb den Soldaten Marschbefehl! . Basil.
Nein! da du mich an solches mahnen mußt,
Sei du der General und Truppenführer! Rosenberg.
Hat in so kurzer Zeit die Leidenschaft
— Fluch ihr! — so sehr verändert dich, Basil, Daß du in Hitze gleich geräthft, sagt dir
Dein alter Freund ein freies Wort aus Liebe?
Ich glaub', die Schönheit von zehntausend Mädchen Hätt' mich nicht so erregt, um meinem Freund,
Dem besten, frühsten Freund so zu begegnen. Basil.
Sag dem Verwandten: so sind wir verknüpft;
Verwandt ist unser Blut, getrennt die Herzen.
Nie einte unsre Seelen freie Wahl. Wir sind ganz ungleich, ungleich.unser Denken, Es leugnet meine Brust, daß du mein Freund. Rosenberg. Hab' ich so lange dich und treu geliebt,
So oft dich mit des ältern Bruders Vorsicht
Bewacht bei deinen Spielen, als du klein warst, Des trägen Schülers Arbeit oft vollendet,
24 Die ersten Waffenthaten dich gelehrt,
Mit hohem Stolz verfolgt dein frühes Steigen Am Ruhmespfad, zufrieden wenn ich einnahm
Den zweiten Platz, durft' ich mit dir nur dienen,
Daß du nun sagst, ich wäre nicht dein Freund? So sei es denn, ich bin nur dein Verwandter,
Und will als solcher deinen Namen schützen Vor der Gefahr der Schmach.
Fröhn' deinem Willen,
Ich aber leg' mich hin und stell' mich krank. Nein, nein, ich brauche mich nicht krank zu stellen,
Denn deine Härte macht mich ja dazu; Man wird sich sagen, Basil zögerte,
Um seinen Freund, — wie man mich nennt — zu pflegen, Und Schande kann nicht deinen Namen treffen
Ob solcher Liebesthat. (Basil geht in großer Bewegung auf
und ab, dann
mit den Händen und scheint besiegt.
steht er still, biberft bas Gesicht
Rosenberg sieht ernsthaft nach ihm.)
Er weint! dem Himmel Dank! (Eilt zu ihm und umarmt ihn.)
Basil! ich bin zu hart mit dir gewesen. Hab' ich so sehr dein Herz bewegt, ist's möglich?
Basil.
Ich will verzichten — will verlassen —
Rosenberg. Wie? Basil. Mantua verlassen, diesen Wonneort — Das holde Weib — entzwei das Herz mir spalten —
Entsagen diesem kurzen Freudenrausch —
Unglücklich sein und elend, was du willst — Vergiebst du mir? Rosenberg.
Mein Freund! mein theurer Freund!
Ich lieb' dich mehr, als ich dich je geliebt! Es zwang zur Grausamkeit mich meine Liebe.
Der Schmerz, den du erfährst, zuckt durch mein Herz; Drum schon' uns beide! Zeige deine Größe,
Laß uns enteilen und keine Stunde zögern!
25 (Basil bebt zurück und sieht ihn mit erzürntem und zugleich besorgtem Ausdruck an )
Basil.
Nein, laß mich nicht sogleich dem Tod verfallen;
Ich will sie nochmals sehen, und dann gehn. Rosenberg.
Sieh sie noch einmal und du bist verloren!
Cs muß nicht sein — bin ich dir etwas werth —
Basil.
Wohlan, so sei's: du kennst kein Mitgefühl!
Rosenberg.
Du wirst in Zukunft mich noch dafür segnen,
Was dir jetzt als so mitleidslos erscheint.
Basil
(setzt sich Iiicdergcschlügeu).
In Zukunft!
was soll meine
Zukunft sein? Mein Tag erlosch! Die düstre Nacht ist da!
Ein ew'ges Dunkel liegt auf meinem Schicksal. Ich sah den letzten Blick der Hellen Ailgen; Ich hört' den letzten Ton der holden Stimme; Ich sah die Huldgestalt dem Aug' entschwinden:
Mein Schicksal ist gewiß! Rosenberg
(sich mitleidig und liebevoll über ihn neigend).
Mein Freund!
Basil.
Sie schwand von mir mit all dem holden Liebreiz,
Wie wenig ahnte ich mein hartes Loos!
Rosenberg. Weshalb so zaghaft? denk an Sieg und Ehren ! Des Ruhms Gefilde liegen noch vor dir!
Wer wünschte solche Lorbeern nicht zu ernten?
Basil. Was sind jetzt Waffen oder Ruhm für mich? Bewerbe sich um sie wer will — und doch, Willkommen Krieg und deine blut'gen Scenen,
Dein Donnerrollen und dein Waffenklirren
Willkommen noch einmal! was sollt' ich andres, Als nochmals tapfer sein und hierauf sterben? (Eine Dame der Prinzessin erscheint.)
Dame
(zu Basil).
Es grüßt euch die Prinzessin, edler Graf —
Basil
(erschrocken).
Was sagt ihr da?
Rosenberg.
Verdammt sei diese Botschaft!
— Isabella.
26
—
Es grüßt euch die Prinzessin, edler Graf!
Im kühlen Hain, nah bei dem Thor im Süden Weilt sie mit dem Gefolge. Wie? sie selbst?
Basil. Isabella.
Sie selbst, mein Herr, und sie wünscht euch
zu sehen.
Basil.
Dem Himmel Dank! Ich bin sogleich bei ihr.
Rosenberg
(ihn zurückhaltend).
Halt!
halt!
laß
ab
von
deiner Raserei!
Basil.
Halt mich nicht auf! muß ich ein Thier denn sein,
Damit ich dir gefalle? Nein, beim Himmel! (reißt sich los und geht ab.)
Rosenberg.
Berloren ist nun Alles! u. s. w.
Die Scene oder das Gespräch zwischen Victoria und Basil, welches nun folgt, ist ziemlich matt und un bedeutend. Kaum hat die Prinzessin Basil, der sich auf dem Gipfel seines Glückes befindet, verlassen, als ein Bote auftritt und ihm die niederschmetternde Nachricht bringt, daß die Schlacht bei Pavia stattgefunden. Basil
(ZUM Boten).
Von der Armee?
Bote.
Ja, Herr.
Mit welcher Kunde?
Basil.
Bote.
Das kaiserliche Heer unter Pescara
Schlug die Franzosen bei Pavia's Mauern.
Basil.
Bote.
Sie fochten? wie? die Schlacht, sie ist vorbei? Gewonnen, Herr, gefangen König Franz,
Der, wie ein tapfrer, braver Edelmann,
Focht bis zuletzt, sein Schwert nicht übergab,
Bis er umringt von Feinden, und sein Arm
Nichts mehr vermochte. Basil.
Was sagst du?
Wer focht so trefflich?
wer ist ein Gefangener?
27 Frankreichs König, Herr!
Bote. Basil.
So war's — die Worte klingen mir im Ohr,
Doch ich versteh' sie nicht — Die Schlacht vorbei? Bote.
So ist's.
Es nicht mehr ging.
Pescara harrte Euer, bis
Kühn waren seine Truppen,
Ihn drängt' Gelegenheit, sie fochten tapfer —
Sie fochten gut!
Basil.
Ich hör', ich hör' dich!
Verflucht bin ich, daß es das Herz mir wendet,
Weil gut sie fochten! Sie fochten gut, indeß wir trag hier lagen! Welch' Schicksalsschlag, der auf mich niedersaust!
Verderben! Schande! Schmach! fluchwürd'ges Schicksal! Bote.
Zehntausend Feinde sind gefallen, doch
Auch wir verloren manche tapf're Seele.
Ich-sah von fern der Heere feste Bildung,
Die enggeschloss'nen Reih'n in strenger Ordnung, Wie schienen sie, ach, als vorbei die Schlacht,
Den Schäften gleich des stolzen Schilfs im Moor,
Das brach der letzte Sturm! doch wehe, wehe! Als ich zum Schlachtfeld kam, welch' Schauderanblick! Wie viel verwüstet Lebeil, blut'ge Haufen!
Basil.
Wär' ich ein rother und entstellter Klumpen
An jenem Ort! Sie fochten ohne uns! (Geht verstört umher, dann steht er plötzlich still.)
Wer sandte dich hierher? Bote.
Pescara schickt' mich, Euch zu melden, daß
Er Eurer nicht bedürfe, Euch erlaube Zu führ'n die Truppen in ein fernes Lager. Basil.
So sprach er? that er's? gut, es soll gescheh'n!
-Wohlan, ich gehe in ein enges Lager, Aus dem kein Kriegsruf mich hervor mehr lockt. (Er geht ab.)
28 Der fünfte Akt zeigt uns Basil's Verzweiflung in verschiedenen gut erfundenen Scenen und schließlich feinen
Tod, den er sich selbst giebt.
von
Rosenberg
und
seinen
Er wird als Sterbender Soldaten
gefunden.
Abschiedsscene ist von warmem Pathos erfüllt.
Die
Nachdem
Basil ausgeathmet hat, erscheint noch die Prinzessin mit
Dame,
einer
dem Todten
nachzutrauern.
Rosenberg
spricht schöne Schlußworte. Indem wir
komische
das
Gegenstück zu
„Count
Basil“, das Lustspiel „The Trial“ übergehen, denn es gehört zu den unbedeutendsten Leistungen der Dichterin,
wenden wir uns zu „De Monfort“,
der Tragödie des
Hasses.
„De Monfort“
wenn möglich noch ärmer an
ist
Handlung als „Basil“,
so daß es in der That schwer
fällt, einen Begriff von dem Inhalt dieses Stückes zu geben.
De Monfort, ein deutscher (?) Ritter, hat schon
in früher Jugend
gegen
den Marquis Rezenvelt eine
Abneigung gefaßt, die allmälig den Charakter blutigen
Haffes annimmt.
Er hält Rezenvelt für einen Ausbund
von Tücke und Schlechtigkeit, während dieser doch nur leichtlebig ist, ein gewandter Weltmann und feiner Spötter,
und einen scharfen Gegensatz zu seinem düsteren und leiden
schaftlichen Gegner bildet.
Als Monfort zu Beginn des
Stückes nach längerer Abwesenheit nach Hause
zurück
kehrt, erschrecken seine hohlen Augen, sein bleiches Gesicht, fein altes Aussehen feine Umgebung, die sich den Grund
dieser Zeichen nicht zu erklären weiß.
Monfort ist im
Zweikampf von Rezenvelt entwaffnet worden, doch hatte
der letztere die Großmuth gehabt, ihm die Waffe zurück-
29 zugeben, eine Handlung, die von dem mißtrauischen Monfort jedoch für nichts anderes, als für ein Zeichen des ärgsten
Hohnes gehalten werden kann.
Und als ob er nie vor
dem Verhaßten Ruhe finden sollte, meldet ihm bald mach seiner Ankunft sein Freund, Graf Freiberg, — eine ganz vage Figur — daß auch Rezenvelt sich in der Gegend befinde, dessen Lob Freiberg singt, und es währt nicht
lange, so stellt sich Rezenvelt selbst als Besucher Mon-
fort's
ein.
Dieser
vertraut endlich seiner
Schwester,
der edlen, sanften Jane, die einen wohlthuenden Gegen
satz zu ihm bildet, auf deren dringendes Bitten, in der zweiten Scene des zweiten Aktes, in rückhaltlosen Worten,
den Grund seiner Verdüsterung. Monfort,
s' ist Haß! schwarz, ewig, tödtlich,
Der mir den Frieden raubte und mich stieß
Von meinen Freunden, aus dem Vaterhaus,
Um einsam durch dies Erdenthal zu streifen, Die Menschen fliehend, fluchend und verflucht.
Jane.
De Monfort! Dies ist teuflisch, surchtbar, gräßlich!
Ein Dämon hat von dir Besitz genommen,
Dich zu zerstör'».
Bekämpfe ihn, mein Bruder!
Sei tapfer, stoße ihn aus deiner Brust!
Er ist es, der ein edles Herz entheiligt! Verfluche ihn und heiß' ihn gehen!
Monfort.
Er will nicht fort.
(Die Hand auf die Brust legend)
Er lebte hier zu lang. Es mischt' in meine ersten Sorgen sich Die Qual.
Jane.
Ich haßte ihn als Knabe schon.
Wen meinst du?
Monfort.
Den verhaßten R.ezenvelt.
30 Als Knaben waren wir, wie junge Thiere Verschiedener Art uns unwillkürlich hassend,
Bereit stets gegen einander loszufahren, Und boten Trotz uns.
Dann, als von der Jugend
Zum Mannesalter wir hinüberschritten,
Ward seine Arglist und sein böser Hohn, Verhüllt kaum durch den Schein sorglosen Frohsinns,
Verachtungswerther und verhaßter stets. Es giebt kein lebend Wesen aus der Welt, Das seine Bosheit ganz erfassen könnte, Mit all' der fluchenswerthen Lustigkeit Vor denen, die durch Reichthum und Verdienst
Steh'n über seinem schlechten Selbst.
Als er
Noch arm, emporblickt' zu den Glücklichen, Sowie Nachtvögel, die aus dunklen Löchern
Gescheucht, scheel seh'n und krächzen auf das Licht, Konnt' ich's ertragen; doch als Ehren nährten Und Macht und neue Titel seinen Stolz;
Als niedre Schmeichlerbrut sein'Lob da sang,
Gemeine Tröpfe Beifall spendeten, O dann, dann könnt' ich's länger nicht erdulden.' Es macht mich rasend! ach, was gäbe ich, Was gäb' ich die geblähte Kröte zu
Zermalmen.' O, so furchtbar haß' ich ihn! Jane. Und wolltest du denselben Mann zermalmen, Der dir das Leben schenkt', statt dir's zu nehmen, Da sorglos du es preisgabst der Gefahr,
Nach seinem trachtend? C, wie schrecklich ist dies! Monfort.
Als er aus dieser schwachen, schlechten Hand,
Die schlechte Waffe schlug, so schont' er mich
Aus schwarzem Hochmuth, dem's nun eine Lust ist Sieht er mich so gebunden und beschämt,
31 Durch seine schnöde Gunst und arme Nachsicht;
Indeß er dasiht nun mit spött'schem Blick,
Und mich verachtet wie 'nen armen Köter,
Der sich nicht wehren kann. Bis zil dem Tage, den: verdammten Tag
Kannt' ich nur halb der Hölle Pein, die in
Der Swift mir brennt! Daß doch der Blitz ihn träfe! Jane.
O, dies ist schrecklich! trag's, o trag's!
Es zuckt
Des Himmels Rache auf dein Haupt, hegst du
Solch' gottvergess'ne Wünsche!
Monfort.
Mög' es fein!
Mehr Pein, als die, die ich gefühlt, kann er
Nicht senden.
Ganz vernichtet sein (wovor
Die Welt sich scheut), ein Staub zu sein, wär' Lust,
Wenn ich's mit dem vergleiche, was ich bin.
Jane.
Willst mich mit deinen SchreckenSworten tobten?
Monfort.
(Die Hände zuin Hiininel ersjebenb.)
Laß mich nur einmal schau'n auf sein Verderben, Und dann für immer sich mein Auge schließen! (I^ne bebt in gvoyer Aufregung zurück und schleppt sich nach der Bühnenwand.
De ■IJlonfoit eilt bestürzt zu ihr, mit sanfterer Siimine):
Was ist dies? du bist krank; du siehst so bleich! Was hab' ich dir gethan? O wehe! wehe!
Ich wollte dich nicht kränken, meine Schwester! Jane
(den Kopf schüttelnd).
Ich kann nicht sprechen!
O, ich traf dich tief!
Monfort.
O wende dich nicht ab! blick' wiederher! Sei nicht so traurig! Leben! Stolz! o Schwester!
Blick' wiederum auf mich! Jane.
Auch dich, De Monfort,
Rannt' ich in bessern Tagen meinen Stolz!
Monfort.
Ich Elender! elend im eignen Herzen,
Roch elender durch Leiden, die ich schaffe!
32 Verdamm' den Uebelthäter, den Verruchten! Er brachte Unheil in mein Lebensschicksal,
Er strebt uns Alle zu vernichten. Jane.
Ich hatte mich durch's Weltgewirr gekämpft,
Die mir bescheerten Leiden stark getragen, Als du Genosse meiner Mühen warst!
Doch nun zeigt' sich der Rest des Lebens schwarz,
Und wilde Leidenschaft, die dich zerstört, Reißt mich von deiner Brust.
(liebreich).
Monfort
Hier bin ich machtlos.
Was soll ich thun?
Jane.
Zeig deinen edlen Geist,
Zeig all die edelmüth'ge Kraft der Tugend!
Und mit der Stärke gottergeb'nen Sinns Entsag' dem bösen Feind! sei groß, sei tapfer!
O wenn du wolltest! bist du auch umgeben
Von all den argen Schwächen der Natur, Welch" edler Mann vermöchtest du zu sein!
Monfort.
Ja, wenn
ich
aber ach,
könnte,
ich
kann's
nicht!
Erst bei einer zweiten Unterredung gelingt es Jane,
ihren Bruder zu
besser
zu
bestimmen,
beherrschen.
sich Rezenvelt
der
Rezenvelt,
veränderte Benehmen Monforts
zu
sich
gegenüber durch
dem Glauben
das
an
eine Umkehr in diesem Hinreißen läßt, eilt (2. Scene,
3. Akt) mit offenen Armen auf ihn zu; bei Monfort jedoch
wieder der
sofort kommt
alte Haß
gegen
ihn
zum Ausbruch und er weicht wie von einer Natter ge stochen vor ihm zurück. Diese Scene ist von .etwas komischer Wirkung.
Rezenvelt's Schicksal
jedoch
ist
entschieden,
als Monfort das falsche Gerücht hinterbracht wird, daß
seine Schwester und Rezenvelt sich insgeheim lieben und
33 sich zu vermählen beabsichtigen.
Als Rezenvelt, kaum
ist diese Kunde an Monfort's Ohr gedrungen, bei ihm eintritt (4. Akt, 2. Scene),
gegen ihn.
so zieht er das Schwert
Allein er muß, als ob itoch nicht genug Haß
in seiner Seele angesammelt wäre, nochmals die Schmach
erleben, von Rezenvelt entwaffnet und abermals begnadigt zu werden. Er bringt nun in Erfahrung, daß Rezenvelt
in der nächsten Nacht durch einen Wald kommen und in einem daselbst' befindlichen Kloster Halt machen werde, um einem Requiem beizuwohnen.
Er lauert dem ver
haßten Feinde im Walde auf und erinordet ihn rneuchlings.
Die Mönche des Klosters finden den Leichnam, aber sie entdecken auch den Mörder und bringen ihn in's Kloster.
Dort treffen ihn Graf Freiberg und Jane de Monfort,
die,
nachdem sie von einem Diener Rezenvelt's dunkle
Kunde von dem Geschehenen erhalten, in Verzweiflung.
als
er
herbeigeeilt sind,
Er stirbt an Reue und Seelenschmerz,
aus der Haltung
seiner Schwester dem todten
Rezenvelt gegenüber entnimmt, daß sein Verdacht ein
unglücklicher Irrthum war?)
Er hat das Leben aus
gehaucht, als die Diener des Gesetzes im Kloster erscheinen.
T) Jane. What, lies he there? Unhappy Kezenvelt! De Monfort. A sudden thought has come across my mind; How came it not beforc ? Unhappy Rezenvelt! Say st thou but this? Jane. What should I say? he was an honest man; I still have thought him such, as such lament him. (De Monfort utters a deep groan).
What means this heavy groan ? De Monfort. It bath a meaning. Druskowih, Essays.
3
34 Die Schwächen und Mängel klar genug hervor.
des
treten
Stückes
Es ist in Bezug auf Handlung in den
mittleren Akten unter allen Trauerspielen Miß Baillie's das dürftigste.
Die Personen werden immer auf dieselbe
schwunglose Weise
zusammengeführt,
indem
entweder
Freiberg
und Rezenvelt ohne zwingende Gründe den
finsteren
Monfort
ausnahmsweise
besuchen,
wofern nicht
letztere
der
einmal auf Freibergs Schlosse erscheint.
Gleichwohl bleibt uns das Stück, besonders wegen der
kräftigen Zeichnung
der Hauptperson, im
Gedächtniß.
Man sieht, der Dichterin war es hoher Ernst mit ihrer Aufgabe,
sie versenkt sich mit Liebe in ihre Gestalten
und erfaßt die Seelenbewegungen in ihrer Tiefe. fort ist
eine Figur,
die nur
Mon
eine feste Hand schaffen
konnte, obwohl nicht zu bezweifeln ist, daß seine Leiden
schaft bei mehr Handlung noch viel wirksamer hätte dar gestellt werden können.
Auch die Zeichnung Rezenvelt's,
sowie Jane de Monfort's verdient Lob, sehr
geringe dramatische Bedeutung
eine Vorläuferin jener
obwohl beide
haben.
gefühlsinnigen,
Jane ist
sensitiven
und
vergeistigten Frauengestalten, .welche der Dichterin so vor züglich gelungen sind, so daß wir, um Aehnliches zu finden,
zu Shakespeare gehen müssen. gut erfunden müssen endlich
im Kloster
im fünften
Als wohlgelungen und auch die düsteren Scenen
Akte
bezeichnet
werden.
Die
Dichterin fühlte sich in dem Stimmungselemente und der
dunklen Färbung derartiger Scenen besonders heimisch.
Miß Baillie schrieb die beiden Hauptrollen dieses Stückes für John Kemble und dessen Schwester Mrs.
Siddons.
Kemble
brachte
das
Trauerspiel
auf
das
35 Drurylane-Theater, wo es im April 1800 aufgeführt
wurde.
Es wurde zwar beifällig ausgenommen, erhielt
sich jedoch begreiflicherweise nicht auf der Bühne.
Immer
hin muß der Eindruck, den es machte, ein nachhaltiger gewesen sein.
So erzählte Miß Mitford im vorgerückten
Alter, daß sie sich noch einer Aufführung „De Monfort“§
erinnerte, der sie als Kind beigewohnt.
Miß Baillie ver
wendete die Hälfte ihrer Tantieme zu wohlthätigen Zwecken. Sie lernte damals Mrs. Siddons persönlich kennen und
trat mit der Zeit in freundschaftliche Beziehungen zu ihr. Das komische Gegenstück zu „De Monfort“, „The Election“, ist, wie wir schon bemerkt haben, das Beste,
was Miß Baillie auf dem Lustspielgebiete geleistet hat. Das Stück erschien zuerst 1802 in einem Bande mit der
Tragödie
„Ethwald“. ' Der
Vergleich,
den man
zwischen „Der Wahl" und den besten Kotzebue'schen Lust spielen
gemacht
hat,
ist
gleichwohl nicht unberechtigt.
Das Stück ist gut erfunden, besonders die Hauptperson desselben lebendig gezeichnet, und es enthält viele wirksaine Situationen; weniger befriedigend dagegen ist die
Charakteristik der Person, die hier die Stelle Rezenvelt's einnimmt, obgleich sie um Vieles dramatischer ist, als letzterer, auch lassen der Aufbau der Handlung und die
Detailarbeit sehr Vieles zu wünschen übrig. Baltimore,
ein Landedelmann,
das
Haupt
einer
alten, aber herabgekommenen Familie, hat gegen den
Tuchfabrikanten Freeman, der sich in seiner Nähe nieder
gelassen, rasch Vermögen sowie Ländereien erworben, die
einst Baltimore's Vorfahren besaßen, und schließlich auch noch als sein Nebenbuhler für die Parkamentswahl auf3»
36 getreten ist, einen heftigen Widerwillen gefaßt, der mit
jenem De Monfort's gegen Rezenvelt große Aehnlichkeit hat und den Baltimore, trotzdem seine Gemahlin, sowie sein
Freund Truebridge ihn zu anständigem Benehmen gegen Freeman zu bewegen suchen, dem letzteren durchaus nicht verbirgt.
Er ist empört über Glück und Kühnheit des
Emporkömmlings, obgleich er der Ansicht ist, daß Free-
man's schlechte Manieren
gegenkommen
der
und allzu freundliches Ent
Hauptgrund
seines
Abscheus
seien.
„Es ist feine zudringliche Höflichkeit," sagt Baltimore zu
seiner Gemahlin, „die mich krank macht.
Er glotzt und
lächelt, er zieht seine feuchte Lippe wie eine Kröte zurück, dann streckt er seine Finger mit den abgebissenen Nägeln
aus, und wenn er spricht — ah!"
und edelmüthige
Freeman
Der etwas allzu gut-
empfindet Baltimore's Haß
auf das Schmerzlichste, wünscht sich den Gegner gewogen
zu machen und bereut, kaum ist er als Wahlkandidat aufgetreten, diesen Schritt.
Natürlich weist er, als ein
Dutzend unvorhergesehener Wähler zu Gunsten Balti
mores auftritt, den Gedanken, den sein Advocat ihm nahelegt, den schwerverschuldeten Nebenbuhler durch Auf kauf feiner Schuldscheine zu vernichten, mit Entrüstung
zurück,
und
um Baltimore's
Abneigung
zu
besiegen,
macht er diesem in Bezug auf deffen müßiggängerischen Neffen sogar einen freundschaftlichen Antrag, der jedoch
nicht angenommen wird.
Das Verhältniß der beiden
Nebenbuhler tritt in ein neues Stadium, als Baltimore
durch
den Hohn
des Schicksals
gezwungen wird,
der
Schutzengel Freeman's zu sein, indem er in die Lage
kommt,
denselben vom Tode des Ertrinkens retten zu
37 Unbegränzt ist Ireeman's Dankbarkeit, die er
müssen.
zunächst dadurch beweisen will, daß er Baltimore den
Vorschlag macht, von der Wahl zurückzutreten, worauf dieser
jedoch nicht eingeht.
Allein Freeman soll bald
bessere Gelegenheit geboten werden, sich seinem Lebens retter als nützlich zu
Weniger edel als er
erweisen.
blaustrümpfige Frau,
die
selbst
denkt seine
Mrs.
Baltimore wegen Mangels an dem, was Mrs.
affectirte,
Freeman unter Bildung versteht, und strenge kritisirt.
Gereizt
gründlich
mißachtet
durch Baltimore's ver
letzendes Benehmen und von Furcht erfüllt, ihr Gatte könnte schließlich doch bei der Wahl durchfallen, läßt sie
durch den Advocaten des letzteren Baltimore's Schuld scheine aufkaufen, so daß dieser in's Gefängniß kommt. Wirkung und Folgen dieses Ereignisses konnte Frau Free
mann jedoch nicht voraussehen.
meisten Wähler Freemann
Nicht nur treten die
auf Baltimore's Seite
befreit
über,
sondern
seinen Feind und Retter insgeheim
von seinen Schulden, während dem letzteren weißgemacht wird, der Oheim seiner Gemahlin sei der Großmüthige
gewesen.
Und um jeden Verdacht von sich abzulenken,
fordert Freeman,
nachdem Baltimore auf freien Fuß
gesetzt worden, von diesem Genugthuung einer Belei
digung wegen, die er ihm bei einem Besuche im Kerker
beigefügt.
Schon stehen sie sich kampfbereit gegenüber,
als Truebridge einschreitet, Baltimore den Sachverhalt
erklärt und schließlich Beiden als Ergebniß seiner Nach
forschungen den Beweis liefert, daß sie die Söhne Eines Vaters seien, daß Freeman der natürliche Sohn des alten Baltimore, womit denn alle Feindseligkeit ein Ende hat.
38 In den beiden Tragödien „Ethwald“, deren Thema
Ehrgeiz,
auf
einer
sich
zeigt
viel
das
höheren
Talent
der
Dichterin
schon
aber
auch
Entwicklungsstufe,
weniger unter der Herrschaft ihrer Theorien stehend, als in „Basil“ und „Monfort“.
Der Stoff der beiden Stücke „Ethwald“ ist ein histo rischer, der Schauplatz der Handlung das alte Königreich
Mercia, die Zeit, das Ende der Heptarchie. Einer Prophe
zeiung zufolge soll das Haus des Than Mollo durch
deffen jüngsten Sohn, Ethwald, untergehen.
Sorgsam
wird Ethwald gehütet, und um ihn an's Haus zu fesseln, hat man ihm, als er noch ein Knabe war, ein liebliches
Mädchen, Bertha, zur Gespielin beigesellt, die er heran gewachsen liebt, sowie
hängt.
auch sie schwärmerisch an ihm
Allein die Abgeschlossenheit, in der er lebt, ver
schärft nur des Jünglings Freiheitsliebe und Thatenlust,
die sofort zum Ausbruche gelangt, als der König von
Westengland in das Königreich Mercia einfällt.
Ver
gebens sucht Mollo den Sohn zu bewegen, sich von dem Kriegszuge
fern
ersten Aktes).
zu
halten
(s.
die vierte
Scene des
Beim ersten Trompetenstoß, der an sein
Ohr dringt, fährt Ethwald wild empor, beim zweiten stürzt er bewaffnet in's Freie, den Schmerz des Vaters,
die Verzweiflung der Geliebten vergessend. ist von großer dramatischer Wirksamkeit.
Diese Scene Schon der erste
Kriegszug erhebt Ethwald unter die Helden und Großen
des Reiches:
als
die Mercier von Furcht übermannt
zu fliehen drohen, da feuert
Ethwald sie zu frischem
Wagen an, erringt den Sieg und bewirkt die Gefangennehmung des englischen Prinzen.
Der König von Mercia
39 erhebt Ethwald zum Lord von Mairnieth, während Edward, des Königs edler Neffe und Thronfolger, die schönste
Gestalt dieser Dichtung, ihm eine bewundernde Freund
schaft darbringt.
Der junge Kriegsheld kehrt zwar zu
Bertha zurück, allein es ist seines Bleibens nicht mehr
an ihrer Seite, für ihn giebt es kein stilles Glück mehr.
Ungeduldig über den Frieden, der nach seinem Siege
eintritt, versucht er es, die Flamme des Krieges wieder anzufachen, indem er die Fesseln des gefangenen Prinzen
heimlich sprengt und den gefürchteten Abenteurer Woggar
wolfe gegen den englischen König aufreizt. mals ist es Ethwald,
dessen Kühnheit
giebt,
die
indem
er,
als
Mercier
Und aber
den Ausschlag
schon
zu weichen
beginnen, seinen Helm unter die Feinde wirft, baar-
häuptig weiterkämpst und die Zaghaften zu neuer Kraft
anstrengung mit fortreißt, die schließlich den Sieg her beiführt.
Die auf die trefflich ausgeführten Schlachtscenen
folgende Bekränzungsscene, eine der besten dieser Dichtung, wollen wir ganz wiedergeben,
ist sie auch weniger be
zeichnend für das Hauptthema des Stückes.
Versammelt
sind vor dem königlichen Zelte der König selbst, dessen
Tochter Elburga, Damen und Krieger.
Prinz Edward,
mit Ethwald und Gefolge tritt auf. König
(»ix Edward).
So komm mein Sohn: so will ich jetzt
dich nennen.
Ein Lächeln hier soll deinen Ruhm vergolden,
Bist du empfänglich für der Schönheit Zauber.
Edward
(Elburga's Hand ehrfurchtsvoll küssend).
Fürwahr ich bin geehrt, ja, hoch geehrt! Ich fühl' es hier
(die Hand am Herzen)
und sollte glücklich sein,
40 Könnt' etwas meinen Trübsinn übergolden. (Seufzt tief, dann sich plötzlich sammelnd.)
Elburga, Du warst stets dem Ruhm geneigt,
Und stets bereit die Tapferkeit zu ehren; Ethwald, mein Freund — hast Ethwald du vergessen? (Er führt ihn vor Elburga.)
Vergäße ich den tapfern Than von Mairnieth,
Elburga.
So wär' mein Ohr für jeden Ton verschlossen,
Da jede Stimm' in seinem Lobe stark ist, Und alle Mercier seinen Namen preisen. (Lächelt Ethwald gnädig zu.)
König
(ungeduldig).
Wohin soll das? wir schweifen ab vom
Ziel. Dein Jugendmuth, gereift durch Kriegskunst, hat
Mit neuem Ruhmesglanz bekränzt mein Alter.
Deshalb empfange, Tapfrer du, so will ich's, Den Ehrenkranz, den schöne Hand dir beut. (Elburga den Kranz gebend.)
Edward (ernst). Ich bitte dringend euch, mein Oheim, nehmt Mein Dankeswort'! die düstere Eypresse Ziemt eher meiner Stirn; fern sei die Ehre!
König. Ermanne dich! Unziemlich ist dies Mißtraun, Es muß so sein.
Edward
(ausdrucksvoll).
Mein Herz ist schwer bedrückt:
Füg nicht hinzu Die Bürde einer unverdienten Ehre,
Die mich zu Boden beuget. König.
Es erklären
Sie für verdient die tapfern Generäle,
Und wohl verdient.
Sie stimmen alle bei,
Daß ich dir diesen Ehrenkranz hier reiche:
Und ich befehl' dir, Prinz, ihn anzunehmen. (Die Hand emporhaltend.)
Wohlan, laßt die Trompeten schallen! (Die Trompeten blasen.)
41
(Sbroar b
(die Hände bestürzt emporhallend).
Still! still! erspart mir biese Seeleapein! (Trompeten schweigen.)
Bin ich beim bis zu biefem Punkt gelangt? Wohlan! hinweg bn Trug! bn hast zu lang, Wie eines Traumes Mißgestalt sich wirft Auf eines Schläfers Brust, mein Herz bebrückt. Hinweg, bu Schmachgesell! Mein hoher Herr, Unb ihr, ihr tapfern Krieger, hört bte Wahrheit! Ihr wähntet, baß mit einer scheinbar'n Flucht Den ersten Vortheil ich errungen hätte, Des Feinbes Streitkraft brechenb! wär' es so! Die Flucht ist wahr! sie war ein rascher Antrieb Des schwachen, ungeübten Geistes, ben Die furchtbar'n Dinge, bte er nicht gekannt, Unb auch geträumt nicht, mächtig ängstigten. Auch war's bie Ehre nicht, bie mich zurückrief, Die Stimme bei* Natur war's! Ebler Seagurth! Wär' ich ba eines Anbern Sohn gewesen, In bunkle, ew'ge Schmach wär' ich gesunken, Unb hätte nie vor biesen eblen Männern Gestanben in bes Königs Gegenwart Er war ein ebler Mann Er stoh nie vor Gefahren, boch sein Sohn — Viele Stimmen zugleich. Ist seiner werth. Bon mehreren Stirnmen wieberholt. Sein Sohn ist seiner werth. Ethelbert (begeinert). Sein Sohn ist werth Des besten Häuptlings, bei* ein Schwert je führte. Stimmen. Ehr' ihn, Prinzessin, ehr' ben eblen Ebwarb. (Elburga bietet ihm ben Kranz, den er heftig zurück meist.)
Ebwarb. Verzeih! es würbe ein Seorpionenbanb Mich nicht so quäl'n, wie bieser Lorbeerkranz. (Elburga wendet sich verochtltch von ihm ab, und giebt den Kranz dem .Röntg.)
42 Edward
Mein edler Herr, ist keine Mercierstirn
(zum
Zugegen, die den Kranz verdienen würde? Soll er, der mit entblößtem Haupt den Sieg
Erstritt, mit unbekränzter Stirne steh'n? König
(verdriehlicb).
Nimm ihn hinweg!
Du denkst nicht an die königliche Würde!
(den Kranz einem Offizier gebend.)
(Wirres Gemurmel unter den Soldaten.) (Bei Seite zum Seneschall, beunruhigt.)
Seneschall
(zun, König).
Was fÜT ein Lärm?
Die Krieger, Herr, sind äußerst mißvergnügt,
Weil ihr geliebter Führer unwerth ist Befunden diesen Kranz zu tragen. König
(bei Seite).
Wie? ist es so? Ruf mir den Offizier!
(Nimmt den Kranz und übergiebt ihn Elburga auf's Neue.)
Bestimmt war dieser Kranz für einen Prinzen. Doch jeder edler Mercier, stark in Waffen,
Ist einem Prinzen gleich. Bekränz' den tapfern Ethwald!
Elburga
(Ethwald mit groher Würde bekränzend).
Lang schmücke dieser Lorbeer deine Stirn,
Vieledler Than! Ethwald.
Die unter ihres Königs Banner fochten,
Gewinnen unter ihres Königs Glücksstern Auch ihre Lorbeerm.
Wie bin ich beglückt,
Daß mir der edle Prinz so hold gesinnt,
Und daß ich demuthsvoll zu Euren Füßen,
Dies krieg'rische Gewinde legen darf! (Er legt niederkniend den Kranz zu des Königs Füßen; der König hebt ihn auf und
umarmt ihn, die Soldaten schlagen ihre Waffen zusammen und rufen)
Soldaten. Lang leb' der König und der edle Ethwald.
Die Begeisterung der Soldaten für Ethwald steigert
sich immer mehr, als derselbe alle Kriegsbeute unter sie vertheilt.
Zum Dank berauschen sie sein Ohr mit stür-
43 mischen Zurufen.
Zu Beginn des vierten Aktes zeigt
sich Ethwald in einem Selbstgespräche schon unter der
Herrschaft böser, ehrgeiziger Gedanken.
Das Nächste, was
folgt, ist, daß er nach seinem Schicksal forscht, indem er sich in den unterirdischen Raum der „mystischen Brüder
und Schwestern" begiebt.
Diese Scene ist zwar durch die
Hexenscene in Macbeth angeregt worden, — wie sich in
diesem Stücke ja allenthalben Anklänge an Shakespeare und
namentlich an dessen Macbeth finden — aber sie ist originell
ausgeführt.
Die Dichterin
beherrscht dies
halbdunkle
Element vollkommen, und da ist nichts, was die Stimmung zerreißen oder auch nur stören würde.
Ethwald sieht
zuerst die Zeichen seiner künftigen Macht: Krone und Scepter; dann vernimmt er Geschrei und Klagen derer, die unter dem Joche seiner Herrschaft leiden werden, und
sieht sich schließlich als gekröntes Schattenbild von Wund
malen bedeckt.
Als er schwören will, nie Ursache zu
Gestöhn und Klagen geben zu wollen, wie sie an sein
Ohr gellen, wird er durch ein dreimaliges „swear not“, von geheimnißvollen Stimmen gesprochen, daran gehindert.
Er schreitet nun zum Königsmorde und zwar auf geeb
netem Wege, da viele Thaus, sowie der Clerus mit dem
alten Herrscher unzufrieden sind.
Dieser wird bei einer
Berathung mit seinem Seneschall und anderen Würden
trägern von den Verschwörern überfallen und erschlagen, Prinz Edward in Gefangenschaft gesetzt. Noch hat Ethwald eine Schwierigkeit zu überwinden, um auf den Thron zu gelangen, er muß Elburga's Hand gewinnen.
Seine
Werbung ist keine sonderlich gelungene Nachbildung der be
rühmten Shakespeare'schen Scene, doch hat die Dichterin
44 mit richtigem Gefühle die schließliche Unterwerfung Elburga's dadurch vorbereitet, daß sie dieselbe schon vor der Er mordung ihres Vaters von einer Zuneigung für Ethwald
erfaßt sein läßt.
Mit der Werbescene schließt der vierte
Akt. — Im fünften Akte erscheint Ethwald als König
und Gemahl Elburga's.
seine Bahn zu fallen.
Tiefe Schatten beginnen auf
Die unglückliche Bertha, die seine
Untreue zum Wahnsinn getrieben hat, denn
noch
lebt
kommt auf das
Ihr Anblick bewegt ihn auf's Tiefste,
königliche Schloß.
etwas
von der alten Liebe in ihm,
während er sich von seiner königlichen Gemahlin abge stoßen fühlt.
Sodann wird er von unbekannter Hand
im
schwer
Gedränge
verwundet.
Er fühlt
sich
dem
Tode geweiht, und der Akt schließt damit, daß Ethwald
in Erwartung seines Endes von. seinen Getreuen Abschied
nimmt.
Der Leser ist von seinem Hinscheiden derart
überzeugt, daß er über die Fortsetzung der Dichtung im zweiten Theile zunächst erstaunt ist, bis er erfährt, daß
der neue König doch wieder gesundet -ist.
Die Dichterin
rechtfertigt
im
Vorworte
zu
dem
Bande Dramen, den sie 1802 erscheinen ließ, die Vertheilung des Stoffes von „Ethwald“ auf zwei Partieen, durch die Behandlungsweise, welche das Thema erforderte. „Um ein volles Bild dieser Leidenschaft zu geben, sagt
sie, war es nothwendig, ihren Gegenstand in verschiedenen Situationen zu zeigen, durch eine bedeutende Reihe von
Ereignissen hindurchgehend. Hätte ich unternommen, dies innerhalb der gewöhnlichen Grenzen eines Stückes zu thun, so hätte dasselbe ganz allein diesem einzigen Gegen
stände gewidmet werden müssen,
so
daß jedes andere
45 Interesse, oder jeder andere Reiz ausgeschlossen geblieben
wäre."
Mit diesen letzteren Worten widerspricht Miß
Baillie in auffallender Weise ihren in jenem ersten Vor
geäußerten
worte
Anschauungen,
welchen
zufolge
sich
im Drama alles Interesse auf die Hauptperson und die dieselbe beherrschende Leidenschaft concentriren soll.
Wir
wollen mit der Dichterin nicht darüber rechten, daß sie, um ein Entwicklungsbild des Ehrgeizes und seiner ver
derblichen Folgen für den Menschen zu geben, den Raum von
zwei Trauerspielen
in Anspruch
genommen
hat,
sind jedoch der Meinung, daß sie bei energischerer Zu sammenfassung des Stoffes, bei Hinweglassung manches
Nebensächlichen und Episodischen mit einem Stücke reicht haben würde.
beiden
Theile
ge
Doch können wir dein Ausbau der"
unser
Lob
keineswegs
versagen.
Die
Handlung ist lebhaft und bewegt, — wenn ihr Gefüge auch keineswegs jene strenge Motivirung aufweist, welches
das Drama erfordert — die fortschreitende Korruption
des Helden trefflich veranschaulicht. Daß der Dämon in Ethwald mit der Erlangung der königlichen Würde keineswegs befriedigt ist, sehen
wir gleich zu Beginn des zweiten Theiles.
Als Selred,
sein Bruder, und Ethelbert, ein Than, dem Ethwald schon
als Jüngling befreundet war, und die er beide zu hohen Würden erhoben,
die Segnungen des Friedens preisen,
erwidert er: „Ein Bild fürwahr sehr schön und wünschenswerth, Allein wie eng begrenzt! Wär's nicht ein gottGefäll'ges Werk, mit wohlgebrauchter Streitmacht Auf einmal seine Grenzen zu erweitern, Weithin den Segen zu verbreiten?"
46 Und in der That facht er einen neuen Krieg mit
und erkauft einen zweifelhaften
dem Nachbarstaate an, Sieg mit
Menschenopfern «und
ungeheuren
des Landes.
heerung
Aber schon
hat sich
der
Ver
unter den
Thans eine starke Partei gegen den König gebildet, deren
Führer
der junge Hereulf,
bedrohlicher wird.
und deren Haltung immer
Auch Selred und Ethelbert gehören durch ihre Gesinnung, an.
derselben, wenigstens
Von
Mißtrauen und Furcht gequält, von seinen Creaturen, dem Abenteurer Alwy und dem Bischof Hexulf, welche
beide wieder die Königin beeinflussen, aufgestachelt, wendet
sich Ethwald nun gegen alle jene, von denen Gefahr zu drohen scheint.
Zuerst wird der edle Edward im Gefängnisse hinge
schlachtet.
Die Scene zwischen diesem und seinen Mördern,
sowie die nächstfolgende, als König
sein
Leichnam vor den
sind gräßlich;
gebracht wird,
von
ergreifender
Wirkung dagegen die dritte Scene des dritten Aktes, wo Ethelbert
Selred,
und
Hereulf,
die
noch
nichts
von
Edward's Ermordung wissen, vor den König treten, um
des Prinzen Freilassung zu erflehen, und Ethelbert vor
dem König, den das Entsetzen übermannt, niederkniet. Im vierten Akt werden Selred und Ethelbert mit Hereulf
und
den
anderen aufrührerischen Thaus gefangen ge
nommen. Während Selred und Ethelbert ermordet werden,
entkommen Hereulf und die anderen Thans aus dem
Kerker trauen,
und
werden
die Richter Ethwald's, den Miß
Furcht und Krankheit nach und nach zu einem
Ebenbilde jener Schattengestalt gemacht haben, die er
in
der Höhle der
mystischen Brüder
und Schwestern
47 geschaut.
Gut veranschaulicht ist sein Seelenzustand, in
dem er die Mörder erwartet, gut erfunden sind die be
gleitenden Umstände, — sein Rufen nach Elburga, seine
Angst, aus einem Pokale zu trinken, das Gesicht seines todten Bruders, das Erscheinen des Kammerdieners mit dem großen Hunde und der Schreckenskunde, daß eine rothe blutige Wolke den Himmel bedecke; gut ausgeführt
endlich ist die Mord- und Schlußscene selbst.
Stehen wir in „Ethwald-1 auch keinem Meisterwerke
gegenüber
sehr
und
lehnt sich die Dichterin darin oft allzu
an Shakespeare'sche Vorbilder an,
eine Dichtung voll Leben und Bewegung,
geistige
seltene
Voraussetzung.
heit,
Muskelkraft
ist es doch und hat eine
Erfindungsgabe
zur
Es enthält Scenen von großer Schön
besonderes Lob
Hauptperson
und
so
und
aber
der
sie
verdient
die Zeichnung der
beherrschenden Leidenschaft.
Freilich: um wie viel höher „Etiiwald" auch steht als
„De Monfort“ und „Basil“, so zeigt sich die Dichterin
darin noch immer in dem Irrthum befangen, daß es im
Drama hauptsächlich auf die Charakteristik der Haupt person,
erst in zweiter Hinsicht auf die Handlung an
komme.
Denn ist die Handlung der beiden Stücke auch
bewegt und reich gegliedert, so fehlt ihr doch, wie wir schon einmal bemerkten, die strenge Motivirung und Ein
heitlichkeit.
Hervorheben wollen wir auch das Lustspiel „The Second Marriage“, welches das komische Seitenstück zu „Ethwald“
bildet.
Der Held ist ein ehrgeiziger Guts
besitzer, Namens Seabright, der, um hohe Verbindungen
zu gewinnen, die ihm als Sprungbrett dienen sollen, in den
48 Adelsstand erhoben zu werden und in das Parlament
zu gelangen, die . alte, häßliche und geizige Lady Sarah,
die Schwester des Lord Stierest,
zur Frau nimmt,
zur
Verzweiflung seiner Kinder aus erster Ehe und zu seinem eigenen Unbehagen.
Als Adelsbries und Sitz im Parla
ment glücklich errungen sind, fehlt noch ein standesgemäßes
Seabright läßt sich auf gefährliche Unter
Vermögen.
nehmungen ein,
die schließlich seinen vollständigen pe-
cuniären Ruin herbeiführen.
Aber er lernt sein Unglück
als Glück betrachten: Lady Sarah befreit ihn und seine Kinder von ihrer Gegenwart, indem sie zu ihrem Bruder
zurückkehrt, während ein großmüthiger Verwandter die
Stütze der wieder aufathmenden Familie wird. Der nächste Band
der „Plays on the Passions“
Inzwischen gab die Dichterin 1806
erschien erst 1811.
einen Band „Miscellaneous Plays“ heraus.
Wir wollen
ihre Dramen jedoch nicht nach ihrer zeitlichen Aufeinander folge, sondern nach ihrer inneren Zusammengehörigkeit
besprechen, vor Allem aber, um weitere Unterbrechungen der Analyse zu vermeiden, sogleich Alles berichten,
was
wir noch aus dem Leben der Dichterin mitzutheilen haben. Bald nach dem Erscheinen der beiden ersten Bände
der „Plays on the Passions“ übersiedelte Joanna Baillie mit ihrer Mutter und Schwester nach Hampstead,
wo
sie bald mit aller Welt bekannt waren und wo die Nähe Londons
den Besuch vieler
möglichte.
Persönliche
Talente scheinen
geeignet
zu
allsgezeichneter Gäste er
Anziehungskraft
jedem Mitgliede
haben,
besonders
und
gesellige
der Familie Baillie
aber war es Joanna's
freundliches, mildes und warmes Wesen, ihr glänzender
49 Geist und ihre vortreffliche Unterhaltuugsgabe,
welche
die Besucher fesselte. Unter den Beziehungen, die Joanna zu bedeutenden
Persönlichkeiten hatte, ist die interessanteste diejenige zu
Walter Scott wurde 1806 bei einem
Sir Walter Scott.
Aufenthalte in London von Southeby, dem Uebersetzer des „Oberon", Lady Joanna vorgestellt.
Er fand zwar
die Erwartung, die er sich von ihrem Aeußern gemacht,
— große Eleganz und Schönheit der Gesichtsbildung — nicht erfüllt, sah aber bald, daß da andere, höhere Vor
züge vorhanden waren, als diejenigen, welche er an ihr vermißte.') Doch besaß Joanna Baillie, nach dem Bilde
zu urtheilen,
welches der Gesammtausgabe ihrer Werke
von 1853 beigegeben ist, regelmäßige und sympathische, wenn auch etwas starke Züge, und daß Scott selbst ihr
Antlitz bei näherer Bekanntschaft durchgeistigt und cha rakteristisch fand,
wo er sagt:
geht aus einer Tagebuchnotiz hervor,
„ich wollte für ein gelungenes Bild von
ihr ebenso viel geben, wie für irgend eins in der Welt."')
Dramatikerin und Erzähler wurden bald die besten Freunde. Sie standen besonders in den ersten Jahren ihrer Be
kanntschaft in eifrigem Briefwechsel.
London,
so
Kam Scott nach
zählten Miß Joanna und ihr Bruder zu
seinen liebsten Bekannten und zweimal war seine Tochter
der Gast der Baillie's; ebenso besuchte Joanna Baillie die Familie Scott jedesmal, wenn sie in die Heimath reiste.
Zu den
Miß Baillie
persönlichen Sympathien,
und Walter Scott herrschten,
die zwischen
kamen die
3) Lockhart, Memoirs II. p. 101. 2) Lockhart, VII, p. 125. Druskowih, Essays.
4
50 stärksten literarischen. Walter Scott zollte Miß Baillie'K Dichtungen eine Bewunderung, welche mitunter vielleicht den Charakter der Ueberschätzung annahm. Bekannt sind die schönen Verse, die er ihr in „Marmion-1 ge widmet. ') Sie sind wohl die größte Auszeichnung, die eine hochbegabte Frau von Seiten eines genialen Atannes
erfahren hat. In einem Briefe sagt Scott, daß Vliß Baillie's Stücke eine Revolntion in seinen Anschauungen über das Wesen des Dramas bewirkt hätten. Er nahm
sich seiner Freundin auch thatkräftig an, und durch seine Vermittlung gelangte 1810 die „Familienlegende" am „New Theatre Royal" zu Edinburg mit außerordent lichem Erfolg zur. Aufführung. Die Jnscenirung des
Stückes erfolgte bis in's Kleinste unter seiner Anleitung, auch schrieb er einen Prolog dazu. Wahrhaft rührend ist der Bericht, welchen er der Dichteriit über die erste Aufführung schickte, und der mit den Worten beginnt: „Sie brauchen sich nur Alles vorzustellen, was Sie
*) „Restore the ancient tragic line And emulate the notes that rung From the wild harp, that silent hung By silver Avons holy shore Till twice an hundred years rolled over, When she the hold enchantress came With fearless hand and heart in flame! From the pale willow snatched the treasure And swept it with a kindred measure, Till Avon’s swans, while rung the grove With Monfort’s hate and Basil’s love, Awakening at the inspired strain, Deemed their own Shakespeare lived again.“
51 für dm Erfolg eines Stückes wünschen können, und Ihre
Meinung wird immer noch hinter dem vollständigen und entschiedenen
Triumph
der
„Familienlegende"
zurück
Und an seinen Freund Morritt schrieb er:
bleiben!"
„Miß Baillie's Stück wurde gestern glänzend aufgesührt.
Wir weinten, bis unsere Herzen wehe thaten und klatschten, bis
unsere Hände Blasen bekamen.
mehr?"
Was konnten wir
Das Stück wurde vierzehn Mal hintereinander
gegeben und später noch oftmals wiederholt.
Schließlich
empfahl Walter Scott das Drama auch an einen Verleger.
Es ist ihm gewidmet.
1806 starb Mrs. Baillie, die sich, wie ihr Gatte, so lange sie lebte, durch Charakterstärke und hohe Grlmdsätze ausgezeichnet.
Sie war kurze Zeit vor ihrem Tode
vom Schlage gerührt worden und bedurfte von da an ununterbrochener
Pflege,
hauptsächlich
die
kräftigere Joanna besorgt wurde. besuchten
durch
die
Im nächsten Jahre
die Schwestern die alte geliebte Heimath, der
sie im Herzen treu geblieben, deren Mundart sie nie ganz abstreiften.
Sie sahen die Plätze ihrer Kindheit wieder
und hielten sich längere Zeit in Edinburg auf.
Völlig
unbekannt und ohne ein hervorragendes Talent zu ver
rathen,
hatte Joanna Baillie Schottland verlaffen,
gefeierte Dichterin
die
alte
kehrte sie dahin zurück.
unbefangene Heiterkeit
vorhanden.
Man kann
sich
war
als
Aber auch
nicht mehr ganz
vorstellen,
daß
sich
in
Edinburg Alles, was Geist und Talent besaß, um die gefeierte Schriftstellerin drängte.
t) Lockhart II, p. 270 ff.
Lebhaft wünschte Lord
52 Jeffrey ihre Bekanntschaft zu machen, sie wich ihm aber
aus, da sie in der von ihm herausgegebenen „Edinburgh Review" hart angegriffen worden war.
später gelungen,
Lord Jeffrey
nähern.
Nur noch einmal,
Doch
es
Dichterin zu
der
sich
1820 —
im Jahre
—
ist
sahen die Schwestern die theuere Heimath wieder, und
es
war diesmal,
ford besuchten.
sie
daß
Walter
Scott
Abbots
in
An Familientraditionen erinnert, schrieb
Joanna damals die Balladen „William Wallace" und
„Lady Griseld Baillie."
Noch, traf sie ein schwerer Schlag,
Bruders, der 1837
und
Dasein ruhig
stead
nicht mehr.
ereignißlos. Mit dem
literarische Produktion
so
der Tod ihres
Von nun an verfloß ihr
erfolgte.
Sie
Jahre
ziemlich
Hamp-
verließ
1836
war ihre
abgeschlossen.
Die
jüngere Generation erwies sich ihren Werken schon we
niger zugänglich, als diejenige, Auftretens in
Amerika
gewesen.
bekannt,
Doch
und
die Zeugin ihres ersten
wurde die
die
Dichterin
„Michigan
Society" ernannte sie zu ihrem Ehrenmitglieds.
nun
Historical Es war
Joanna Baillie beschieden, ein sehr hohes Alter zu er
reichen und fast Alle, die
mit ihr jung gewesen,
zu
überleben. Wenden wir uns, nachdem wir bei diesem Punkte angelangt sind, zurück zu dem dritten B.and der „Plays on the Passions“,
den die Dichterin 1811 erscheinen liefe.
Derselbe enthält zwei Trauerspiele, deren treibender Affect Furcht ist.
Es sind dies „Orra" und „Der Traum".
In der That hat weder vorher noch nachher ein Dichter
jenen Affect für fähig befunden, als Grundthema eines
53 Miß Baillie, die sich wohl bewußt
Dramas zu dienen.
war, welches Wagestück sie unternahm, Vorworte zu diesem Bande:
wenigstens durch
bemerkt in dem
„Man hat geglaubt, daß
in einer Tragödie der Hauptcharakter nicht
gelenkt
diesen Affekt
werden könne,
ohne
sich
so sehr zu erniedrigen, daß er unfähig ist, Interesse und Sympathie des Zuschauers zu erregen.
Ich bin dennoch
geneigt, zu denken, daß selbst Furcht, die unter gewissen Verhältnissen
und
in
gemeine Leidenschaft
einem gewissen Grade
ist,
ein
Gegenstand
sei,
eine all
der im
tragischen Drama, wie auch oftmals im wirklichen Leben
sehr interessant und folglich nicht verwerflich ist."
Man
erinnert sich sogleich an ein ähnliches Wagniß Heinrich
von Kleist's, dem Banne
der seinen Prinzen von Homburg unter der Todesfurcht zeigt.
Doch ist hier die
Furcht als ein vorübergehender Seelenzustand hingestellt,
von dem sich der Held befreit und zu einem höheren sich erhebt, während Miß Baillie in den genannten Dramen
das Endschicksal ihrer Helden durch diesen Affect bestimmen läßt.
Wir denken, daß jeder, der sich über das Wesen
des Tragischen klar geworden ist, mit uns in der Ver werfung dieses Experimentes übereinstimmen wird. Eine Person, die dauernd von Furcht beherrscht wird und ihr
schließlich zum Opfer fällt, vermag, wie natürlich ihr Seelenzustand auch dargestellt sei, nimmermehr jene Ge
fühle in uns zu erregen, uns hervorbringen soll.
die der dramatische Held in
So sind sowohl „Orra" als.
„Der Traum" vom dramatischen Standpunkte aus als
verfehlt zu bezeichnen, was nicht ausschließt, daß beide Stücke ächte Poesie enthalten.
Dies gilt besonders von
54 den ersten Akten der „Orra".
Unbegreiflicherweise stellte
Walter Scott diese Stücke auch als Dramen sehr hoch.
daß es der
Für uns sind sie nur ein neuer Beweis,
Dichterin oft in auffallender Weise an richtiger Einsicht in das Wesen des Dramas gefehlt habe. In „Orra" ist nun gar Gespensterfurcht das leitende
Motiv.
Tod,
so
Diese treibt die Heldin, wenn auch nicht in den doch
zum Wahnsinn.
Wir müssen über die
Naivetät lächeln, welche vermeint, auf dieser Grundlage
allen Ernstes eine Tragödie aufbauen zu können.
wunderung
verdient
jedoch
gleichwohl
die
Be
Zeichnung
Orra's, der Heldin, einer merkwürdigen und bezaubernden Mischung von äußerster Erregbarkeit, schalkhafter, über
müthiger Laune und tiefster Dlelancholie.
Orra ist das
Mündel des Basler Grafen Hugobert von Aldenberg, der sie vergebens zu überreden sucht, Glottenbal, seinen un
ritterlichen und ungeschlachten
Sohir,
zum
Gatten
zu
nehmen, während sie den tapferen Ritter Theobald von Falkenstein
liebt.
Als
Graf Hugobert wieder einmal
erfolglos in sie gedrungen ist, schickt er sie auf den Rath
und
in
Begleitung
des
schändlichen
Rüdiger,
eines
Bastards der Familie Aldenberg, der eine. Leidenschaft für Orra gefaßt,
nach
einem
einsamen
Schlosse im
Schwarzwalde, das in dem Rufe steht, der Schauplatz gespenstischen Spukes zu sein, um sie, die der Gespenster
furcht in höchstem Maße unterworfen, fügsam zu machen.
Orra verbringt, theils von der Zudringlichkeit Rüdigers, theils von Gespensterfurcht gequält, eine schreckliche Nacht
auf dem Schlöffe.
Der immer näher kommende Schall
von Jagdhörnern und Hundegebell wird von ihr für die
55 wilde Jagd
delirien.
gehalten und
sie in
versetzt
Schreckens
Es ist jedoch Theobald von Falkenstein, welcher
dem Schlosse naht, um die Geliebte ihren Peinigern zu
Als
entfilhren.
er
aber
in
Orra's
dunkles Zimmer
tritt, wird er von ihr für eine Erscheinung gehalten und
er
eine Wahnsinnige mit sich.
nimmt
Groß ist Graf
Hugoberts Entsetzen, als er die Folgen seiner Barbarei
inne
wird,
und er büßt in noch schmerzlicherer Weise
dafür, indem Gloltenbal von dem eifersüchtigen Rüdiger getödtet wird.
Das Einzige, was uns mit diesem verfehlten Stücke zu versöhnen vermag, ist wie bemerkt die feine Zeichnung
der Hauptgestalt, besonders wie sich dieselbe in den ersten Akten darstellt.
Wir wollen zur Probe nur einen Dialog
zwischen Orra und Gloltenbal wiedergeben (1. Akt, 3. Scene),
welch' letzterer kurz vorher von Theobald von Franken
stein im Zweikampf besiegt worden ist.
Auf der Bühne
befinden sich zuerst Hugobert, Eleonore, dessen Gemahlin und Glottenbal.
Dann erscheint Orra, fröhlich einher
trippelnd und mit den Falten ihres Ueberwlirfes spielend, Glottenbal.
Euer Schritt erscheint mir munter, schöne Dame!
Orra.
Und kränkt euch dies, mein edler Ritter? Geht!
Glottenbal.
Ich kenne euch, doch warum lächelt ihr?
Orra.
Weil meine Seiten müde und inich schmerzen,
Als daß ich länger Kraft zum Lachen hätte. Glottenbal.
Ich weiß sehr gut, was euch so lustig macht.
Ihr denkt an ihn, dem ihr gabt jenes Reis
Von hoffnungsvollem Grün, den Helm zu schmücken, Da er zu euren Füßen legt, sein Schwert.
56 Orra.
Sagt doch an ihn, der, was noch ritterlicher,
Von seines stolzen Renners Rücken legt
Sein edles Selbst zu Füßen mir und dann Sich unbedankt hinwegstahl, nichts zurückließ Kein Fetzchen seines Kleids, im Staube flatternd,
Daß ich's zum theueren Gedächtniß trüge In meinem Aermel.
Es beleidigt mich,
Denkt ihr, mein Lachen könnte sich beziehen Auf einen anderen, als ihn. (Lachend.)
Eleonore.
Nein, Orra, diese wilden Lachanfälle
Erscheinen seltsam und nicht angemessen, Dem dunklen Grundton eures Geists, wie er
Seit Kurzem sich uns zeigt. Orra.
Es ist nicht seltsam, holde Eleonore!
Saht ihr denn nie der Schwalbe Schaukelbrust Die Luft durchschneidend, unter dunklen Wolken
Im Sonnenstrahle eines stürmischen Tags
Im Silberglanze hell erschimmern? oder Des Bootsmann's Ruder, leuchtend wie ein Blitz
Im Dämmerlicht, das wie 'nen Geisterpfad Die Fläche eines düstern See's durchfurcht?
Ein einsam Schloß, das zwischen braunen Wäldern
Beim Scheidegruß der Wintersonne zeigt Ein schnelles Leuchten, das die Nacht verhöhnt, Die es in Dunkel hüllt? Vieledle Freundin!
Zürnt nicht dem Lächeln jener, welche gestern
Betrübt war und es morgen sein wird. Glottenbal.
Weshalb betrübt? ist es nicht eure Laune,
Die euch betrübt macht? Andre Damen wären Beglückt und froh bei solchen Huldigungen.
Orra.
Wohl muß es Laune sein, bin ich betrübt,
Wo solch' ein Ritter um mich wirbt.
Doch sagt:
Wo lerntet ihr mit solcher seltenen Anmuth
Beschiente Füße in die Luft zu werfen Den Sand erfassend mit gespreizten Fingern? .Ich staunte um so mehr ob eurer Kunst, Da ihr von allen euren tapfern Thaten, Die ihr vorher versprochen, höchst bescheiden Nur diese nie erwähntet. Glottenbat. Spottet nur! Ich achte nicht darauf! Im offnen Kampf Und wenn nicht schwarze Künste mich .... H u g o b e r t (ans bim Hintergründe der Bühne hervortretend,
heftig zu
Glottenbal).
Gieb Frieden! iju 0rr°). Ihr, Dame, aber seid gemäßigter In eurer wilden Laune. Orra. Perzeihung: Herr, ich wußt' nicht, daß ihr nah. Wild ist mein Geist, mit euerer Erlaubniß Will ich hincingeh'n, bis er sich besänftigt. Das Thema des „Traumes" ist Todesfurcht.
Der
esprit de corps erlaubte Miß Baillie nicht, wie sie selbst
sagt, nur eine Person ihres Geschlechtes unter dem Banne der Furcht stehend zu zeigen, womit sie, im Widerspruch mit
früheren Aeußerungen,
etwas
die Furcht doch selbst als
ziemlich Unwürdiges bezeichnet.
sie im „Traum"
einen
tapferen
Deshalb wählt
General
zur Haupt
person, der auf dem Schlachtfelde ein Held ist, den aber
der Gedanke, auf dem Richtplatze den Tod erleiden zu
müssen,
mit äußerstem Grauen erfüllt,
sein Henker wird.
so daß derselbe
Das ist ohne Zweifel psychologisch
möglich und es gelingt der Dichterin auch vollkommen,
uns Erwachen und Steigerung der Todesfurcht — die
als Sühne
für
ein Verbrechen
in „Orra" von einem Vergehen,
gefaßt wird,
während
also auch von einer
58 Sühne nicht die Rede ist — bei ihrem Helden begreiflich zu machen. Doch eine Tragödie aus diesem Motive zu schaffen,
das ist ihr nicht gelungen, das konnte ihr nicht gelingen.
Die Fabel des „Traumes" ist folgende.
Die Gegend
des Schweizer Klosters St. Moritz ist von einer Seuche
heimgesucht, — als Zeit des Stückes ist das 14. Jahrhundert gedacht — nur das Kloster selbst noch davon verschont. Da hat der Senior des Klosters dreimal eine Vision, die
ihm verkündet, daß die Gegend nur dann von vollstän diger Verheerung bewahrt bleibe, wenn von der nächsteil Heeresabtheilung, die durch die Thäler ziehe, ein Soldat ausgelost werde, der eine Nacht im Kloster verbleiben und dort für seine Sünden büßen solle.
An dem Tage,
welcher der Nacht folgt, in der der Senior das Traumbild zum dritten Male gehabt, erscheint der kaiserliche General Graf Osterloo
mit
seinen Truppen
dem Kloster.
vor
Der Prior theilt dem General das Gebot des Traumes
.mit
und
das Loos
trifft Osterloo selbst.
Dieser hat
einst einen Nebenbuhler meuchlings ermordet und die rechte Hand ihm abgehauen, von dem er weiß, daß seine Ge
beine in dem Grabgewölbe des Klosters ruhen.
Als er
nun im Kloster von dem Senior hört, die Vision sei die eines
glänzenden
Ritters
gewesen,
derselbe habe dem
Senior gewinkt, ihm ins Grabgewölbe zu folgen, wo
selbst er verschwunden sei,
erinnert sich Osterloo seiner
That und heftiges Grauen überfällt ihn.
Immer stärker
und auffallender wird seine Verwirrung jedoch, als man in seiner Gegeinvart die Stelle untersucht,
Traumerscheinung verschwunden
dem die rechte Hand fehlt.
an
der die
und ein Skelett findet,
59 Bon Entsetzen überwältigt, bekennt Osterloo schließlich
seine Schuld. Der Prior versammelt die Mönche, um über des Verbrechers
die Bestrafung
Schiedsspruch
lautet:
Osterloo
Als
Tod.
und
berathen
zu
seine
ihr
Ver-
urtheilung vernimmt, verwandelt sich sein früheres Grauen in das Gefühl bebender Todesangst.
den Prior
so weit,
niederzuknieeu.
Dieser aber ist unerbittlich.
Rettung
scheint
Er erniedrigt sich
um Gnade zu flehen und vor ihm
möglich.
In
der
Doch noch
Nähe des Klosters
wohnt nämlich Osterloogs Jugendgeliebte, die Marquise
Leonore.
Als sie von dein Schicksale hört, das jenem' be
vorsteht, verkleidet sie sich als Alönch, — Verkleidungen
sind ein in Miß Baillie's Dramen häufig angewandtes Aus kunftsmittel — und versucht dem Geliebten die Flucht zu ennöglichen, die durch die Wache des Klosters jedoch vereitelt
Die Stlmde der Hinrichtung-ist gekommen, schon
wird.
kniet Osterloo vor dem Blocke, als der kaiserliche Gesandte,
den Eleoiiore rasch verständigt, mit dem Befehle herbei stürzt, Osterloo zu schonen.
Allein es ist zu spät, die
Furcht hat Osterloo getödtet. Einen
geringen Dienst
würden
wir
sowohl
der
Dichterin als auch dem Leser erweisen, wenn wir das komische Gegenstück von „Orra" „die Belagerung", sowie
die
und
vom „Traum",
übrigen Leistungen Miß
Baillie's auf komischem Gebiete aualysiren wollten. selben
sind
trotz
einzelner
Die
guter ©eenen und witziger
Gedanken, im Allgemeinen, sowohl in Bezug auf Erfindung
als auf Ausführung, nicht
entfernt mit
verglichen werden.
schwach zu nennen und
können
den ernsten Dramen der Dichterin
60 aus der
zwei Tragödien
Es erübrigen nun noch
Reihe der „Plays on the Passions“ : erstens „Romiero",
desien
Hauptmotiv
Eifersucht,
zweitens
„Henriquez",
Diese Tragödien erschienen jedoch
dessen Thema Reue.
zuerst nicht unter dem Titel „Plays on the Passions“,
sondern standen an der Spitze der drei Bände „Dramas", welche
die
Dichterin
1836
herausgab.
anderen
Die
„Dramas“, welche verschiedene Themen behandeln, ver einigte
die
Dichterin
in
der
Gesammtausgabe
ihrer
Werke in Einem Bande mit der „Family Legend“ und den
1806
erschienenen
letzterem Titel.
„Miscellaneous
Plays“
Wir übergehen „Romiero",
schwächsten Leistungen
der Dichterin und
unter
eine
den
roenbeti uns
sogleich zu „Henriquez", dem bedeutendsten, abgeschlossensten und künstlerisch vollendetsten all ihrer Dramen.
Richt
daß dasselbe ohne Gebrechen wäre, wir werden vielmehr
zu Anfang
gleich Fehler
in
der
unserer Analyse einem sehr großen
Motivirung
begegnen,
aber
es
ist
abgesehen davon doch das reifste und in jeder Hinsicht
befriedigendste ihrer Dramen.
Die Zeit des Stückes ist
der Beginn des 13. Jahrhunderts. Diego, ein alter Diener des Don Henriquez, des ruhmreichen Feldherrn König Alonzo's von Castilien, hat
irrthümlicherweise Donna Leonore, die Gemahlin seines Herrn, in Verdacht, während der letztere sich im Kriege befand, mit dessen Freunde, DonJuan, ein Liebesverhältniß
unterhalten zu haben.
Wohl war Don Juan in dieser
Zeit oft auf dem Schlosse des Don Henriquez erschienen,
aber die.Liebe zu Mencia, der Schwester Leonore's, hatte
ihn dahingeführt.
Und obwohl Mencia selbst den jungen
61 Ritter Antonio bevorzugt, ward Don Juans Werbung doch
von Leonoren unterstützt, der es auch gelang, die Schwester nachgiebig zu nrachen.
Das Verlöbniß sollte eine Ueber-
raschung für Henriquez sein.
bedeckt von
dem Feldzuge
Als dieser nun mit Ehren zurückkehrt, ruht Diego in
seiner Verblendung nicht eher, als
bis er einen Brief
in seine Hände gespielt, worin er ihn vor Don Juan warnt.
Henriquez achtet jedoch nicht darauf, und nun
stehen wir schon vor dem Hauptfehler des Stückes: an statt daß Henriquez' Eifersucht durch die Vorkehrungen des alten Dieners erregt wird, ist es hauptsächlich ein
Liebesbrief Antonio's an Mencia,
welchen er zufällig
findet und in falschen Zusammenhang bringt, der den
verderblichen Brand in seine Seele wirft.
verineintlichen Nebenbuhler suchen
Er geht den
und findet und er
mordet ihn in einem Hain in der Nähe seines, Henriquez',
Schlysses, und zwar in derselben Nacht, in der ein Fest auf demselben gefeiert wird, wo Don Juan und Niencia
als Verlobte vor Henriquez raschen
sollten.
Das
erscheinen und ihn über
Auftreteir
und
Gebühren
des
Henriquez beim Feste, — bei dem unerwartet auch der König erschienen ist —
nachdem
die That
geschehen,
die Wirkung, welche die Schreckenskunde, die ein Page überbringt,
auf die Versammlung macht, bekundet die
feste Hand
der Dichterin.
Als Henriquez
seinen un
seligen Irrthum gewahr wird, was nicht am Feste selbst,
sondern erst später und zwar durch gewisse Schriftstücke,
welche sich im Nachlaffe Don Juan's finden, geschieht, überfällt ihn gränzenlose Reue. Am Grabe des ermordeten Freundes klagt er (3. Akt, 3. Scene):
62 Und hier ruhst du mit allen deinen Zierden! Hier schläft die hohe (Sees, —die Glanzgestalt, Das Herz erfüllt von ächter, wahrer Liebe! Dies ist dein Schlaf, dies ist der Dank, der Löhn, Den deinem edlen Sinn dein Freund gespendet.
Dein Freund! o wildes Herz, o böse Hand! Boll Grimm, voll Haß, gemein, treulos und feig,
Von allem Schlechten, das der Himmel ausstieß, Das Elendste, Fluchwürdigste!
O hätte mich vorher der Staub bedeckt, Wie eine Schlang', zermalmt, eh' sie geschadet, O hätt' in blut'gen Sumpf ein Maurensäbel
Dies Herz geschleudert, — den versteckten Sitz Des Blutdursts! oder hätte schon ein Pfeil,
Ein fehlgeschoss'ner, als wir Knaben waren, Die Brust durchbohrt! Dann hätt' auf meinem Grabe,
Dem frühen, Brudersthränen er geweint,
Hätt' dort gesessen und um mich getrauert, Wär' auch aus allen andern Menschenherzen
Erinnerung an mich entschwunden. O Juan! Juan, mein theurer Freund! Juan de Torva!
Dein Name ist wie einst auf meinen Lippen; Deitt Bild im Geist als ob's sich regend lebte;
In meinem Herzen die Gestalt wie damals, Als sie mein Sein verschönt! O, wie er aussah, Wenn er nach längerm Fernsein wiederkehrt' Mit offnen Armen! O, wie martert's mich!
Mög' mein Gehirn ein anderes Bild durchkreuzen!
Nein, nein, nicht dieses! — Schwarzes Grabesdüster Verkörp're meinem Aug' ein schrecklich Ding, Ich will ihm trotzen! (Abbrechend und umherblickend.) Es wird! es wird! darin ist Form, Bewegung! Heran, ehrwürdiges Bild, was du auch seist!
63 bist nicht xx\imn, dies sagt die I^rohgeberde.' (?in Scheinbild war cs nur.' Die Seele stieg Ihw, der ja der Seelen Seele ist, Staube kehrt der Staub. Hier ist ja nichts, Als stille A'uh', die nicht geweckt kann werden. Hier unten liegt er, wen'ge Spannen tief, So nah' wir, doch verhüllt.' — Obgleich verflltcht, Die ^iebesbatide wirket: dtlrch die Erde Wie Zauberkraft und ziehen mich zu ihn:. (2tdj auf das tirab roe. fcnb.)
Brich, schuldvoll Herz! Es reg' 'kein Nerv nch mehr! Wie dieser sei empsindüngsloier Staub, Den bessern Staub für immer 511 umschließeni" Bei der Nachforschttiig nach Ton Juan's Bkörder wird
zuerst der junge Antonio für diesen gehalten und in'6 Gefängniß geworfen.
Henriquez wird vom Grabe Dotl
Iuair's zum Verhör geholt.
Nicht sogleich ist er mit
sich einig, den Jrrthuni, in dem der Gerichtshof befangen,
zu enthüllen; als er aber den edlen Antonio im Ge
fängniß besucht, ihn voll Gelassenheit und hohen Muthes findet und sein, Henriquez', Vorschlag,
verhelfen ztl
ihm zur Flucht
wollen, von ihm zurückgewiesen wird, da
ist Henriquez der Weg
fest
vorgezeichnet,
den er zu
nehnten hat. Er stellt sich dein Könige in der Versammlung
der Großen des Reiches zu Zamora.
Wir geben die
schöne Scene ganz wieder. (Heuriauer, gefolgt von seinem freunde Carlos und Antonio zu dem Könige tretend, bei' nch erhebt, ihn zu empfangen.)
König. Auch du, mein tapfrer Freund, ein Bittender? Henriquez. Ein armer Supplikant. König. Der nichts bedarf. Nenn' deine Wünsche tmd sie und gewährt.
64 Henriquez.
Doch, was ich bitte — eine ernste Gabe, —
Muß feierlichst mir zugesagt sein, Bevor ich's nenne.
K ö n i g.
Seltsames Verlangen
Doch sind mir über allen Lohn erhaben
Ja deine Dienste, und ich weiß, es ist Des Landes Wohl und deines Herrschers Ehre
Dir theuer, wie du's sattsam ja bewiesen,
Um noch zu zögern, dir mein Wort zu geben.
So sei es denn! Dein Wunsch ist dir gewährt.
Henriquez, König.
Nein, schwört es aus mein Schwert!
Was soll das sein? mißtraust du deinem König?
Henriquez.
Als letzthin Euer fürstlicher Besuch
Mich ehrte, gabt ihr diesen Ring mir, sprechend
Die gnäd'gen Worte, wenn durch Schicksalszwang
Ich ihn zurückerstatten müßte, sei mir Gewähret jede Gnade, die ich wünsche.
Hier Eure hohe Gabe, doch mein Wunsch ist, Daß ihr auf dieses Schwert schwört, mir zu geben,
Was mein Verlangen ist! (Hält sein Schwert dem Könige bin, der seine Hand darauf legt.)
König.
Ich kenne dieses Schwerts geweihte Klinge,
Die du im Kampfe von dem Maurenfürsten
Durch Heldenmuth gewannst! wie sollt ich bangen Vor einem Eid' auf dieses Schwert geschwor'n?
Ich schwöre bei der Ehre eines Kriegers
Die Bitte zu erfüll'n, was es auch sei. Erklär' dich, Henriquez.
(Paus,.)
Du bist so blaß Und schweigsam auch; ich harre deiner Worte.
Henriquez.
Mir fehlt der Athem — Doch es ist vorüber.
Nun kann ich sprechen.
Hier ist ein Verbrecher,
Deß' Schuld vor Eurer Hoheit nach Gebühr
65 In Kürze sei bezeugt; und meine Bitte,
Daß Eure Hoheit ninuner ihn begnad'ge, Wie sehr Ihr auch zur Milde seid geneigt, Wie sehr man iminer zu Euch flehen mag, Sie zu beweisen.
König.
Das setzt mich in Erstaunen, denn bis jetzt'
Beseelte Milde und nicht Blutdurst dich. Henriquez.
Doch jener hat mit selbst'scher Grausamkeit,
Mit schwarzem Uudailk, niedriger Mißachtung
Bon Allem, was da heilig ist an Banden, Die Herz mit Herz verketten, — doch was sag' ich?
Mir fehlt zu athmen Raum. (Oesfnet sein WammS mit Heftigkeit.)
Ihm war ein Freund,
Treu, offenherzig, großen, edlen Sinnes, Sein Anblick schon gab sicheres Gewähr
Der Welt, 'ob Mensch, ob Engel ihn verklage, Daß schuldlos er, — und doch erschlug er ihn.
Ein Freund, deß kräftigende Liebe Halt Und Schutz und Trost war seiner wilden Jugend —
So stark war sie! — und doch erschlug er ihn. Ein Freund, der seinen innigsten Gedanken
Von Erdenglück und Himmelsseligkeit
Einfügt' sein Bild und dem ein Sonderglück Nicht möglich schien — und doch erschlug er ihn; Wie'n Räuber überfiel er ihn im Dunkel, Und stieß ihn weg von Leben, Licht und Welt, Unvorbereitet für den großen Wechsel Des Todes. Diese fluchenswerthe That Hat er verübt.
Deshalb laßt auf sein Haupt
Die ganze Schwere des Gesetzes fallen. König. Wie kannst du glauben, daß ich diesen Menschen
Begnad'gen wollte? Wär' er auch mein Bruder, Druskowitz, Essays.
5
66 Ich würd' ihm nicht verzeihen.
Zeig' den Frevler.
(Die, welche Antonio bewachen, führen ihn vor.)
Henriquez
(der mit der Hand ein Zeichen giebt, daß sie stehen bleiben).
Nehmt seine Fesseln ab, denn er ist schuldlos. König.
Was soll das heißen? Zeige den Verbrecher!
Henriquez
(mederkmend).
Mein Fürst, mein Herr, er liegt zu Euren Füßen.
(Ein Schrei der Bestürzung schallt durch den Saal; der König, der zurückwankl, wird
von einem Bediensteten gestützt,
während Carlos und
zu Henriquez stürzen,
seinen Fesseln befreit ist,
welch'
letzterer von
tnien sortfährt,
und sich mit
Antonio,
der zu
tiefer Trauer über.ihn beugen.)
König
(gefaßter).
Steh' aus, Don Henriquez d'Altavera! (Indern er sich abwendet.)
Hebt ihn empor, laßt mich ihn nicht so sehen! (Er bedeutet der Menge sich zurückzuziehen und bleiben der König, Henriquez, Carlos und Antonio allein auf der Bühne.)
König
(zu Carlos).
Carlos,
dir gilt mein Zorn,
der du
dabeistand.'st Und littst, daß solche Täuschung ich erfahre.
Carlos. Verurtheilt mich nicht, Herr, ich täuscht' mich selbst,
Als ich den Jüngling für den Thäter hielt. Dies schwör' ich bei der Ehre eines Kriegers.
König
(zu Henriquez).
Weh, Henriquez, du hast mit arger List
An mir gehandelt! Gern verlöre ich Die schönste Stadt, die je dein Schwert erobert,
Hätt' ich die Freiheit, dir das zu verzeihn,
Was du verübt hast, eine That, die sicher Zu streng beurtheilt deine hohe Seele. Du hast im Rausche eines jähen Zorns
Gehandelt wie ein Rasender, der dort Am Schwersten fehlt, wo er am Meisten liebt.
Henriquez. Nein, nein, ich that's mit höll'scher Ueberlegung.
Wohl zog an mir vorbei die früh're Liebe Mit ihren schönen Zügen, edlen Kräften,
67
Sie zog an mir vorbei und kehrte wieder, Sie sprach mit Macht für ihn, und ward verworfen. König. O geh! du hast ein wildes Phantasiespiel, Das dir das Urtheil trübt. Latz mich gewähren! Das Wohl des Staats erheischt dich, Eide, die Dem Anspruch feindlich, binden nicht, wie billig. Henriquez. Es sind in Eurem Königreich viel Edle, Die diesem Staate besser dienen können, Wenn ailch mit bess'rem Willen nicht, als ich. ' (Sein Schiveil zu des Königs Fügen legend.)
Hier scheide ich von Ehren, Kampf und Waffen; Es soll kein Kriegerschwert, kein Feldherrnstab Von dieser Mörderhand erfaßt mehr werden. (Sure Hoheit habt bei eines Fürsten Ehre Euch mir verpflichtet und Ihr bleibt verpflichtet. König. Ach, wenn es sein mutz, du entschlossener Geist! Doch überleg dir's, es sei das Verhör Um einen Monat — um ein Jahr verzögert. Henriquez. Um keinen Tag. König. Du bist zu eigenwillig. Mit welchem Rechte widerstrebst du mir, Ist es mein Wunsch, das Arge zu verzögern? Henriquez. Das Ansehn des Gesetzes macht mich kühn. Als Erbe Don Juan's verlange ich Mit Recht des Mörders schleuniges Verhör. Auch würde die Verzögerung nichts nützen. Wie viel verborg'ne Wege giebt es nicht Für einen Schurken, der das Leben haßt .... Es wünscht mein Herz dies Opfer, lechzt danach, Da dies allein ihm nur kann wiedergeben Des Himmels Gnade und der Menschen Achtung. Carlos. Henriquez, zu spröd' ist dein Gewissen. Henriquez. Still, Carlos, still! sei nicht mein Feind! 5*
68 Es wär' mein größter Feind, der meinen Tod Verhindern wollte.
Ist dies erst vorüber,
Dann laß die Liebe meines hohen Herrn,
Der Kampfgenossen, aller braven Männer, Zu mir sich wieder kehr'n.
Ein edler Schatz,
Der mein Gedächtniß wird vor Schmach bewahren!
König
(ihn umarmend).
Ob lebend oder todt, du wirft ge
ehrt sein! Ich will nicht länger deine Wünsche tadeln. Du wirst für diesen feierlichen Akt
Dich vorbereiten wollen.
.Carlos führ' dich,
Wo du magst ruh'n und nöth'ge Hilfe finden. (Geht.)
Henriquez. Nun, Freunde, kommt, bis das Verhör mich ruft. (Geht und bleibt wieder stehen.
Zu Carlos.)
Ich lehne deine Hilfe jetzt nicht ab;
Ich bin befreit von einer schweren Bürde, Darf eines braven Mamies Hand erfassen,
Und fühl'n, daß wir verwandt. Carlos
Mit Allem, was da heißt das Größte, Beste,
Bist du verwandt.
Ich kann nicht sagen, was
Ich für dich fühle, edler, großer Mann! Henriquez
(zu Antonio).
Auch du, gieb mir die Hand, mein theurer Jüngling!
Es wies dein herrliches Vertrauen mir Den Pfad der Ehr' und Wahrheit, deine Flucht
Hätt' feige mich gemacht, ich wär' auf Erden Ein scheu Geschöpf geheimen Frevels worden, Das Licht des Himmels fluchend. Theurer Jüngling, —
Ich fühl' den starken Druck der Hand, ich fühl' Die Liebe und die Großmuth, doch vergieb mir,
Daß ich so lange dich in Zweifel ließ! Antonio.
Ich hegte keinen Zweifel, daß du mich
69 Für schuldlos hieltest und mir helfen wolltest,
Doch ahnt' ich diese edle Handlung nicht.
Wär' ich, wie du verlangtest, doch geflohen,
Hätt' ich die Welt als Vagabund durchstrichen, Eh' dies geschah! Was'bin ich? was mein Name?
Doch du — Henriquez.
Still! still! bereu' nichts, süßer Jüngling,
Kein Freund auf Erden hätte solchen Dienst,
Solch' einen großen Dienst mir je geleistet.
Schön ist auch die Schlußscene des fünften Aktes: das Erwachen des Henriquez am Morgen der Hinrichtung, das Erscheinen des Königs und dessen abermaliger Versuch, Henriquez zur Annahme der Begnadigung zu bewegen; der Abschied, den Henriquez von König, Gemahlin und Freunden nimmt. „Henriquez" ist in der That eine Tra gödie, wie nicht viele geschrieben worden sind. Wer die selbe mit den ersten Trauerspielen Miß Baillie's vergleicht, wird finden, daß sich die Dichterin darin beträchtlich von ihrem ursprünglichen Plane entfernt und einen ungeheuren Fortschritt gemacht hat. Wohl hatte sie schon in „Ethwald" viele ihrer unfruchtbareil Theorien vergessen, deren Musterstücke „Basil" und „Monfort". Doch läßt sich „Ethwald" an künstlerischem Werth durchaus nicht mit „Henriquez" vergleichen und ebenso wenig irgend ein anderes Stück der Dichterin. Zugleich geht durch „Henriquez" ein warmer poetischer Hauch, und man kann das Stück nicht lesen, ohne sich gehoben zu fühlen. Nachdem Joanna Baillie die ersten „Plays on the
Passions“ herausgegeben, sah sie ein, daß Dramen, in denen fast alles von der künstlerischen Wiedergabe der
70 Hauptperson abhängt, nur selten eine würdige Darstellung auf der Bühne finden könnten, also schon aus diesem
Grunde schlechterdings keine Bühnenstücke wären.
Sie
wollte jedoch Einseitigkeit vermeiden, wollte auch Bühnen
stücke schreiben,
und verfaßte deshalb eine Reihe von
Dramen, deren wesentliche Eigenthümlichkeit im Gegensatz
zu den „Plays on the Passions“ in der Erfindung einer bewegten und spannenden Handlung besteht, wobei
jedoch die Charakterdarstellung keineswegs vernachlässigt ist; nur an einer treibenden, alle Theile der Dichtung
beherrschenden Leidenschaft fehlt es
bestimmenden und
diesen Stücken und soll es, dem Vorsatz der Dichterin
gemäß, auch fehlen.
Wie wir sahen, hielt es Joanna
Baillie theoretisch für unausführbar, daß Dramen, welche
die
Entwicklungsgeschichte
einer Leidenschaft
darstellen,
zugleich bewegte unb reichgegliederte Handlung enthalten, und umgekehrt, daß Dramen, welche die letztere Eigen schaft besitzen, zugleich das Entwicklungsbild einer Leiden
schaft zu geben vermögen.
Praktisch hat sie jedoch, und
zwar in „Ethwald" wie in „Henriquez", den Beweis ge liefert,
daß Beides
wohl
vereinbar
sei;
auch
dürfte
„Henriquez" wenigstens, auf der Bühne wirksamer sein,
als so manches Stück der „Miscellaneons Plays“, von
denen
übrigens nur die „Familienlegende" zur
Auf
führung gelangt ist.
Das
erste Stück
der „Miscellaneous Plays“
ist
„Rayner" und spielt wie „De Monfort" in Deutschland.
Rayner
ist
ein
liebenswürdiger,
edelgesinnter junger
Mann, der bei völlig zerrütteten Vermögensverhältnissen
das Unglück hat, mit herabgekommenen Cumpanen in
71 Berührung zu kommen, deren Haupt der zügellose Gra
Interessant ist der Gegensatz zwischen Rayner
Zaterloo.
und Zaterloo.
Der
letztere
verübt
mit seiner Bande
einen Ueberfall an einem reichen Mann; Rayner^ der
an der That schuldlos, wird derselben verdächtigt und in Haft
gesetzt.
Sein Unglück
findet ihn als Mann,
der die Schande scheut und sein Schicksal ohne hoch trabenden Heroismus zwar, Es
aber mit Würde erträgt.
liegt in der Zeichnung dieses Charakters etwas un
gemein Ansprechendes und menschlich Wahres.
Schön
ist die Scene zwischen Rayner und Elisabeth, seiner Ge
liebten, im Kerker. (4. Akt, 1. Scene.) Rayne r.
Ja, bu hast Recht, süße Elisabeth.
Ich fehlte hierin gegen deine Liebe.
Allein in schön'rer Tage Glanz, in all
Der reinen Lust der ungetrübten Jugend, Da liebte ich dein mädchenhaftes Lächeln;
Doch ahnt' ich nicht die Kraft in dir, zu kämpfen
Mit all der Stärke ungebroch'nen Muthes, In dunklen Lebensstürmen.
Ja, du blühst
Im Sonnenschein und Schatten.' Wehe, wehe!
Ich dachte dies, als ich dich sah — doch still! Der Würfel fiel, nun laß mich davon schweigen. Der Strahl, der mir dein edles Wesen zeigt, Beleuchtet auch den schuiarzen, finstern Pfad,
Der spaltet unsern Weg!
Elisabeth.
O nein, o nein!
Wie unsre Herzen, so ist unser Weg,
Und nichts wird je ihn spalten! Starke Liebe Trotzt allen Dingen und besiegt sie alle. Ich will so heftig dich umklammern, daß
Mich Menschenhände nimmer von dir lösen! Rayner. Weh dir, Geliebte, das sind Schmerzensworte, Die nichts vermögen, als dein Weh zu künden. Das Schicksal über uns zwingt uns zu scheiden. Die starke Lieb', die alles überwindet, Soll für uns kämpfend Alles überwinden: Allein den Preis, den sie für uns gewinnt, Birgt eine andre Welt; auf dieser Erde Geh'n wir verschied'ne Wege mühsam aufwärts, Sowie in Sturmesnacht zwei Wanderer Auf einer Haide von einander kommen, Um wieder sich zu finden. Elisabeth. Allein deül Weg, mein theurer Rayner, Er ist so furchtbar. O, Fleisch und Blut erbebt vor diesem Pfad. Es naht der Tod dir nicht, wie er besucht Des Kranken Bett, an welchem Freunde weinen; O nein! auch nicht, wie er am Schlachtfeld naht Dem Krieger, dessen Blut tobt unterm Panzer, Mit stolzem Gruß! Du mußt den Nacken beugen, Deß süße Wärme jugendlichen Lebens Meir) Arm fühlt, den ich um ihn fest jetzt schlinge, Dich trifft das Beil — o schrecklich, es ist schrecklich! Rayner. Elisabeth! Geliebteste von Allen! Du bist geängstigt durch ein Schreckensbild, Das sich dein Geist schafft; achte nicht darauf! Es ist nicht Alles schrecklich bei der Probe, Was furchtbar scheint im Nahn; ermanne dich Sei nicht die schwerste Last mir bei dem Anprall Des Schicksals, die du meine Stütze sein sollst. (Sie seufzt schwer.)
Was will dein schweres Seufzen? laß mich's deuten Und sagen, dich besiegte die Natur,
73
Doch willst du dich dafür empor nun raffen, Mit edler Stärke alles zu ertragen, Was dir bestimmt, und einem armen Mann, Der nichts auf dieser Welt besitzt als dich, Ein muth'ger und entschlossener Genosse In dunkler Stunde fein. Sprech' ich nicht recht? Elisabeth. Du thust's, du thust's, wenn nur des Herzeus Wille Die Schwäche überwindet. Der Schluß des Stückes ist ein versöhnender.
ist eine Freisprechuitg in letzter Stunde.
Es
Ein Sterbender
sendet Graf Zaterloo einen Boten mit Dokuinenten an
den Gouverneur, welche
Rayner's
Unschuld
darthun.
Rayner nähert sich dem Schaffst, als die Begnadigung
eintrifft, die ihn dem Leben und der Liebe zurückgiebt. Den größten und zugleich den sprödesten Vorivlirf
hat die Dichterin in der Tragödie „Constantin Paläologtts, der letzte der Cäsaren" behandelt, itiib wir müssen ge stehen, daß es ihr vollkommen gelungen ist, denselben
Fu bemeistern.
Das Stück offenbart so recht die Vor
liebe der Dichterin für prächtige Situationen mit weiten Perspectiven, und ihr Talent für bewegte Ensemblescenen feiert hier seinen höchsten Triumph. geht
unleugbar durch diese Dichtung,
Schauspiel als Drama.
Ein großer Zug die jedoch mehr
Jic einem großartigen Bilde,
reich an schönen Gestalten, an packenden Gegensätzen und wirkungsvollen Scenen, bringt die Dichterin einen Um
schwung
und
Umsturz
von
ungeheurer
geschichtlicher
Bedeutung zur Anschauung; ein alter, morscher Staat, welchen die Hand seines letzten, edlen Lenkers nicht mehr
74 aufrecht zu erhalten vermag, bricht bei dem Anprall eines jungen, rohen, aber kraftvollen Volkes zusammen, das
oströmifche Reich wird durch osmanische Uebermacht in
Trümmer geschlagen und mit ihm fällt sein letzter, treff licher Herrscher und verbluten viele Edle, die auf defen
Seite standen. Joanna Baillie wurde beim Lesen von Gibbon's Schilderung der Belagerung Constantinopels durch Die Türken zu dieser Dichtung angeregt.
Doch sind außer
Mohammed und Justiniani
Constantin,
alle Personen
Constantin ist ein tugendhafter,
darin Phantasiegestalten.
edler Mann, der, als die Türken seinem Reiche furchtbar
werden, zur Heldengröße sich erhebt.
christlichen
Fürsten
Europas
Von den anderen
vollkommen
isolirt,
auf
ein kleines Häuflein großmüthiger Freunde, die meist Fremde sind, angewiesen, steht er der feindlichen Macht mit heroischem Muthe gegenüber und erleidet mit dem
Sturze einem
seiner Hauptstadt
Constantin kein tragischer Held, schuldig das härteste
Es
den Heldentod.
Beurtheiler
oberflächlichen
erscheinen,
könnte
als
wäre
da er persönlich un
Loos erleidet.
Wir
müssen ihn
jedoch, wollen wir die Intention der Dichterin verstehen, als Repräsentanten
eines Volkes
von einstiger, maß
loser Machtüberhebung und unersättlicher Herrschbegierde betrachten,
das
dem
Andrang
einer
jüngeren
und
lebensfähigeren Nation endlich nicht mehr länger wider
stehen
kann
Größe geht.
und
schließlich
den
Weg
Um uns ihren Helden
aller irdischen in verschiedenen
Beziehungen zu zeigen und unsre Theilnahme für ihir zu erhöhen, hat die Dichterin ihm eine Gemahlin, die edle
—
75
Valeria, zur Seite gestellt.
—
Beide Charaktere sind von
hoher, idealer Schönheit und es fehlt dieser Dichtung
nicht
an
hinreißenden Momenten.
Freilich
sind
die
Hauptgestalten, wie überhaupt das Ganze, viel zu modern gehalten.
Die Eröffnungsscene des Stückes orientirt uns voll
kommen über die Situation über die Parteien,
der belagerten Stadt und
die sich darin gebildet.
lichter Strahl erscheint da
Wie ein
die Gestalt der Ella,
der
Tochter des Sempronius, der an der Spitze der türken
freundlichen Partei steht, während die Tochter den tapferen Schiffscommandanten Rodrigo, einen getreuen Anhänger Constantin's, liebt. Die zweite schöne Scene des ersten Aktes zeigt uns
den Cäsaren mit der kleinen Schar seiner Getreuen — Othus, Rodrigo, Justiniani und einigen andern — in einem Saale des Schlosses nach schwerer Arbeit sich zum
Mahle
begeben,
versammelnd. als
Kaum aber
haben sie sich dazci
ein Bote nach dem andern auftritt und
meldet, daß sich das mit türkischem Gelde bestochene Volk
in Hellem Aufruhr befinde und stürmisch nach denr Herrscher begehre.
Gleichzeitig eilt auch Valeria herbei, Constantin
zu beschwören, sich nicht der Menge preiszugeben.
Nur
schwer gelingt es diesem, die Flehende von der Nothwen digkeit seines Erscheinens vor dem Volke zu überzeugen und der Akt schließt damit,
daß Constantin den stürmischen
Rufen von Außen folgt, während sich Valeria mit ihren Damen auf einen Thurm begiebt. Die erste Scene des zweiten Aktes ist eine Ensemble-
scene int großen Stile:
Constantin gegenüber den auf-
76 geregten
Volksmassen.
Der
anfänglich wilde Tumult
des Volkes, hierauf die Rede Constantins, dem ein Aben
teurer Namens Othoric,
dem
wir nochmals begegnen
werden. Gehör verschafft, sodann die allmälige Beruhigung der Menge und schließlich die Kühnheit Nodrigo's,
der
dem Volkshaufen, welcher sich dem Kaiser am schwersten fügen will, die Rechte entgegenstreckt, bis einer nach dem anderen dieselbe erfaßt — all das ist von einer festen Hand zur Anschauung gebracht. An sich
unbefriedigend,
doch
der abergläubischen
Richtung jener Zeit vollständig entsprechend, ist der Besuch Valeria's bei einem Wahrsager, in
des zweiten Aktes,
daß
der dritten Scene
der ihr selbstverständlich prophezeit,
ihr Gemahl Herr der Stadt bleiben werde.
Die
vierte Scene dieses Aktes zeigt, wie Constantin und seine Getreuen sich von gemeinsanier Berathung erheben, deren Ergebniß ist, daß Rodrigo und Justiniani zu Mohamined gehen, um Friedensunterhandlungen anzuknüpfen.
Alle,
bis auf Constantin und Othus treten ab, und nun er schließt ersterer dem letzteren in ergreifender Weise das
Herz.
Wir citiren diese Scene, sowie die sich daran
anschließende schöne, wo Valeria auftritt. Constantin.
Willst du auch gehen, Othus?
Othus. Nicht, wenn mein Herr befiehlt, daß ich noch bleibe. Constantin.
Ach, theurer Freund, ich kann nichts mehr befehlen!
Doch dies betrübt dich! Gut denn, edler Mann, Dies mein Befehl.
('Auf einen ©ip weisend.
Beide (assen sich nieder.)
An deiner Freundesseite
Will ich mein Herz ein wenig athmen lassen!
77 Denn ach, die Liebe dieser braven Männer, Die treu nur beistehn, wo mein Glück im Sinken,
Sie drückt es schwer. Vor dir, noch vor mir selbst kann ich verbergen,
Wie hoffnilngstos die Lage, die mich einengt. Kein frenider Fürst reicht nur die Vrilderhand
In dieser Zeit der Noth; kein Christenstaat Schickt' seine Heere, um das Kreuz zu schütze^:,
Das hartbedrängte Kreuz; in unsren Mauern
Find' ich, selbst wenn die jüngern Freunde ich
Hinzuzähl', nicht genug Soldaten, um Ein Städtchen gegen solche Macht zu schützen.
Wohl muß ich lächeln, Hoffnungsmiene zeigen, Dir gegenüber aber laß ich fallen Schein und Verstellung uub bin, wie ich bin,
Ein schwacher, ein zerriss'ner Mann. Vergieb mir,
Denn ich muß wirklich weinen.
Othus^
Ja, weine ohne Rückhalt, starke Seele,
Vom Wogenschwall mnbraust! du kämpftest stark
Wo spröd're Herzen unterlegen wären;
Und über deineir Fall, ist's so beschlossen, Da werden gute Menschen Thränen weinen, Verwandt den Thränen, die du nun vergießest.
Dein Name wird in Zukmlft noch genannt,
Wenn die von mächt'gen Fürsten sind vergessen. Constantin.
O täusch' mich nicht! es täuscht dich deine Liebe.
Der Menschen Thaten, sie sind für die Zukunft
Nicht mehr, als die Ereignisse bedeuten, Mit welchen sie verknüpft.
Ein Staat, gesunken
In Altersschwäche, er hat keinen Helden; Denn keiner bleibt zurück, zu dessen Stolz
78 Zählt die Erinnerung dessen, was er that.
Nein, Lthus, nein, ich acht' nicht aus den Ruhm. Doch um vor Gott, deß Auge alles sieht,
In fremder und in meiner eignen Meinung
Durch Tapferkeit und rechten Stolz, die Ehr' Und Würde eines Mannes zu behaupten,
Will ich, wie ich gestellt bin, Alles thun, Was menschenmöglich, — werde alles leiden —
Es schreit das Herz drin, was der V^enich kann leiden (Sich erhebend und die beiden Hande fest verschlungen emporhallend.)
Wenn schlichte Bürger kühn zum Richtplatz gehen, Daß die Genossen ihrer sich nicht schämen,
Da sollt' ich zittern? Nein, beim Hauche Gottes! Ich zittre nicht, vergieß ich jetzt auch Thränen. Dthus.
Sind Mühen und Gefahren, ja, selbst Leiden,
Wenn ihm der Menschen Lieb' und Beifall folgt,
Dem edlen Geiste doch ein Segenszustand, Der ihm weit höher steht, als alles Glück
Des stillen Friedens, dem kein Ruhm bescheert.
Eonstantin. Nein, guter Dthus, nein, du mißverstehst mich.
Ich wollt', ich hätt' in eines Waidmanns Hütte, In Ruhe meine Zeit verbracht, mein Brod Getheilt mit jener, der ich mich erfreut,
Mehr fern vom Thron, als auf dem Thron; doch so Will ich auch ganz sein, was ich bin.
Othus.
Ja, du wirst's ganz sein, Geist, so stolz und edel
Wie einer, welcher Eäsar's ^tarnen trug! Eonstantin (besorgt lächelnd). Ich habe
Grund,
ich
guten Grund.
Doch für die Tapfern, welche zu mir stehen, Ihr friedlich Heim in andern Ländern haben, Und Bande werth, auf welche keine Pflicht Legt ihre starke Hand — was ist ihr Grund?
habe
79 Was ist ihr Lohn? Ich ernte keinen Ruhm; Ihib überdies -
C, dies bedrückt mein Herz!
Ein Herz voll schwerer Sorgen und bedrückt
Von diesem auch, dem Schrecklichsten, von dem, Was ich bekämpft womit ich oft gerungen,
Von dem, was zwilchen mich tritt und mein Selbst — Das Selbst, das als ein Ehrist ich und als Mann Mir zu erhalten strebe —
Ctfjuö.
Du hast vorher geheimen Grund des Kunnners
In abgeriss'nen Worten — will mein Herr
Dem wohlerprobten Freund - Eonstanti^l. (Lich non ihm abwendend.) Rein, nein,meinDthus!
Ich träume oft wie ein zerstreuter Mann
Und nähre dunkles Denken
- Macht und Willkür,
Schutzlose Schönheit -- Mohammed -- Valeria —
Atach' ans den wilden Worten, was du willst, Ich sage nichts mehr. Dthus. Constantin.
Ach, nun weiß ich Alles. Und doch, weshalb sollt' dies mich so be--
trüben?
Vielleicht sand der Gedanke nirgendwo Sonst Anhalt; wohl liegt es in meiner Schwäche.
Ich bin beschämt. — Ich kann aus meine Frist schau'n, Die kurze und aus ihre dunkle Grenze;
Ich kann, wenn Gott mich stärkt, mein Erdenwerk
So wie ein Fürst beenden; wenn beendet,
Bin ich für das, was nachher sich ereignet, Zm Lärme dieser Lebensbühn' ein Nichts.
Othus.
Wohlan, mein edler Herr, ergieb dich nicht
Solch' marternden Gedanken! Giebt's kein Mittel, Das lindernd wirkte, wenn es zu gebrauchen Du dich nicht scheust? Entfern' die Kaiserin
80 Aus diesen Mauern.
S' ist ein grausam Mittel,
Doch wird es dich beruhigen. Constantin. Ich dachte dran, allein sie hat so eng Mit meinem Sein verflochten sich — ach, Freund!
Es muß vergeh'n! Im Grabe, das nichts weiß,
Da werd' ich ruhig sein. Othus. Allein weiß sie, was du befürchtest, Herr? Constantin.
O nein, sie weiß nichts, denn ich hielt sie
Von dem verhaßten Gegenstand.
ferne, Was thun?
Könnt' ich doch grad' so leicht in's Herz ihr stoßen Den Wurfspieß, als ihr zeigen meine Furcht. Othus.
Vielleicht würd'
sie zur
Flucht
bewegt durch
Schild'rung
Der Schrecken, die gefall'ner Städte Loos. Hier kommt sie selbst: — so sei es doch versucht. Valeria, Lucia und andere Hofdamen.
Valeria (zu
Constantin).
Ich mahn' dich an dein Wort! Ein kurzes Stündchen,
— Ein flücht'ger Strahl durch schwarzen Wolkensaum — Versprachst du mir, und ich behaupt' mein Recht. Ich lade deine Freunde, eh' sie gehen.
Doch was erschreckt dich? wie ist dir, Geliebter?
Verstört ist dein Gesicht, — welch' neuer Grund? Constantin. Valeria.
Grund,
doch einer, der mich
martert. Ist er mir unbekannt? •
Constantin.
Othus.
Kein neuer
Sprich zu ihr, Othus!
Bedrückt von vielen Uebeln, vielen Sorgen,
Ist unser hoher Herr zumeist geängstigt Um dich und um dein theures Wohl. Wer weiß Wie viele Schreckensdinge, Grausamkeiten In einer Stadt, die wird mit Sturm genommen,
81 Wenn dies ihr Loos, das Schicksal bergen mag? O laß ihn doch auf seinem Posten steh'n, Großmüth'ge Herrin, frei von einer Sorge
Der schwersten, wenn er denkt, daß er dich läßt Dlls mitbetrossne Zeugin solcher Dinge!
Baleria.
Was soll das? denkst du, daß der Untergang,
Der ihn mit sich reißt, würde für mich haben Forin oder Umstand? dtein, es wäre ja Das Sturzgetöse aller Tinge, das
Nicht deutlich ist, nur einmal wird vernonunen.
Du sprichst wie ein unkundiger Gelehrter, So hieß dein Meister dich wohl niemals reden. (so ii ft ant in.
Baleria, uns zwingt die harte 9coth.
Ich hab' schon einen sichern Drt gefunden
Für dieses Stammes letzten, zarten Sprossen,
Daß etwas sei von diesem Fall gerettet. Und werd' ich nicht für dich —
Baleria.
Nein, ich bin nichts,
Als was für dich ich bin.' Ist dies vorüber — (sonst ant in. Baleria, das wird ja nie vergeh'n, Du kannst für mich noch leben, kannst verbreiten
Gin ehrenvoll Gedächtniß unter Menschen Bon dem, was ich gewesen.
Lucia hilf mir,
Auch, liebe Servia, du und alle ihr
(Zu den Damen).
Hängt an die Herrin euch mit sanfter Liebe, Und sagt, daß in der Fremde ihr wollt sein
Die Freunde und die Sänft'ger ihres Weh's, Wo jedes edle Herz ihr zeigen wird
Verwandte Bande wärmsten Mitgefühls. Sagt, daß ihr eifrigst euch ihr widmen wollt:
Ihr wollt sie nicht verlassen?
Lucia und andere Damen.
Niemals, Herr.
Geliebte Herrscherin, Zeit unsres Lebens Druskowin, Enai-s.
6
82 In welchem Land, in welcher Lage wir, Wir werden niemals von dir weichen.
Ich weiß es wohl, nnd Dank sei eurer Liebe!
Valeria.
Doch nun entfernt euch, drängt euch nicht um mich! O Paläologus! hast du denn für mich
Im Geist ersonnen eine Welt, ein Sein Wo du nicht bist?
(zu ihm eilend und ihm um den Hals fallend).
Hier meine Welt, mein Leben, meine Zuflucht,
Zu keiner andern will ich je mich wenden." Hier ist noch Licht und Hoffnung, fern von hier Ist alles Andre rings ein gähnend Grab. . Constantin. Geliebteste! Großmüthige! Gepries'uc! Süße Valeria! du machst mich schwanken!
Doch handle frei, denn ich kann dich nicht zwingen. Laß kommen das Geschick, ich harr' des Schlimmsten!
Der dritte Akt versetzt uns in's türkische Lager.
Zum ersten Mal
tritt uns hier Mohammed entgegen,
der nicht ohne Wucht und Größe ist, doch nicht zu den gelungeilsten Gestalten
Constantin's
des Dranlas
treuer Anhänger,
großen Ensemblescene
gehört.
Othoric,
wir schon in der
dein
im zweiten Akte
begegnet sind,
macht ein Attentat auf den Sultan, welches mißglückt. Schön ist der Tod Othoric's, der jedoch keine selbständige Erfindung der Dichterin, sondern eine Reminiscenz an
Gelesenes ist.
Die Gesandten Constantin's werden von
dem Großherrn entlassen, ohne daß er ihr Anliegen be Der vierte
rücksichtigt.
Vorabend
Akt
der Erstürmung
zeigt
die Situation
der Stadt.
am
In der ersten
Scene erscheint Mohammed wieder, der sich mit seinem
Vezier bei einem Vorposten des türkischen Lagers Mondenlichte
ergeht,
auf die
ferne
Stadt
im
blickend.
83 deren Geräusch an sein Ohr bringt. Geräusch.
„Ich lieb' den Ton,"
Und er liebt dies
er
sagt
zu
seinem
Vezier: „So wie die letzten Seufzer eines Feindes,
Ter stirbt, ergötzet er mein Ohr.
Tu bist erschöpft, der Städte stolze Fürstin,
lind deinen letzten Laut entführt der Wind. Du hast nur eine Stimme mehr, die Stimme
Des Schreckens und des Wahnsinns, dann wirst du Glicht mehr vernommen unter Völkern. Horch'
Wie schön! sowie der Löwe hört von fern, Die Beute nahn und schüttelt seine Mähne
Und schlägt mit seinem Schweif die gelben Seiten, So höre ich das Nachtgcräusch der Stadt!"
In der zweiten Scene richtet Coitstantin in einem
Chorgang der Hagia Sophia, während die große Glocke ertönt, rührende Worte an seine Anhänger und alle ver
bünden sich im Angesicht der drohendsten Gefahr inniger
als je.
In der nächsten Scene erfolgt die Verhaftung der
Türkenfreunde Marthon und Petronius, welch letzterer dem
Sultan seine Tochter zuzuführen im Begriffe stand.
Er
greifende Momente enthält die letzte Scene zwischen Con stantin und Valeria.
Die letztere ist,
als die Gefahr
schon auf's Höchste gestiegen, noch voll Zuversicht, denn sie vertraut auf die Worte des Wahrsagers, daß ihr
Gemahl Herr der Stadt bleiben werde. Constantin.
Valeria.
Und nannte er ihn Constantin?
Welch' andren Namen denn als Constantin
Konnt' er mit meiner Frage wohl verbinden? Du wendest ab dich mit verstörten Mienen,
84 O wende dich nicht ab! o sprich! o sprich!
Welchs ein Gedanke regt dich auf? (Sich heftig an ihn klammernd, als er wegsieht.)
Constantin.
Frag' nicht, o frage nicht, es ist vorbei!
Sowie ein leuchtend Meteor schießt durch die Nacht, Schrecklich, doch jählings.
Valeria.
Du mußt dich erklären.
Constantin.
Verwirr' mich nicht.
Nein, nein, du mußt mir's sagen
Valeria.
Welch' andrer Name wohl als Constantin
Läßt sich an meinen Herrn und Gatten knüpfen? Constantin.
(Sinkt.ganz überwältigt auf einen Stuhl und bedeckt sein
Antlitz mit den Händen, während er mit bebender Stimme spricht:)
Mohammed! Mohammed! (Valeria prallt zurück, ihre Hände bestürzt emporhaltend; dann spricht er, nach einer
Pause mit selbstverachtender Miene zu ihr emporblickend:)
Ich habe dich gekränkt in dieser Stunde, Wo mein gepreßtes Herz seufzt riach dem Frieden,
Den sich am Lebensschlusse wünscht das Herz. -Ich habe dich gekränkt. Valeria.
Du hast's gethan.
Was du mir immer Kränkendes gesagt,
Das ist in diesem herben Schlag enthalten; Und jeder andre Schlag mit dem verglichen, Hat mich nur leicht berührt.
S' war ein Gedanke, der sich
Constantin.
rasch hin
wegstahl
Und ungebeten kam.
Valeria.
(Sich
(Reuevoll zu ihr tretend.) ärgerlich wegweudend.)
Nie kreuzte ein Gedanke je den Geist Dem kein verschwistertes Gefühl voranging,
Das ihm den Weg bahnt! Constantin.
Ja, du sprichst wahr, theure Valeria,
Doch wende dich nicht ab im Zorn! Ich habe
85 Vordem erwogen Mohammed's Gesinnung, Und Macht und Glauben. Runzle nicht die Stirn! Valeria, du bist schön — nein, zürne nicht!
Valeria.
Was sagst du? hast du bis zuletzt für mich
Bewahrt denn dies Erniedrigende — nein! Zerstört sei jeglicher verhaßte Schmuck Der Schönheit! denn sie ist uns Fluch und Schmach! (Sich das Haar ausraufend.)
Constantin.
O sei nicht so! Verzeih'die flücht'ge Regung!
Denk' an des Gatten maßlose Bestürzung,
Der rohen Siegers Macht zu gut nur kennt. Valeria.
Was seine Macht ist,
Constantin.
das berührt mich nicht.
Wohlan! der Zorn der Widerstrebenden
Erschreckt ihn nicht.
Valeria.
(Verächtlich lächelnd.)
Constantin.
Wird er den Tod wohl freien?
Was sagst du?
welch'
O,
ein Gedackke
ist dies? Ja, ja! ich kenne Alles! doch wie schrecklich!
Mir fährt ein kalter Schauer- durch die Glieder! Das ist nicht recht, das ist nicht gottergeben! O nein, du Edle, du Gepriesene!
Gieb dem Gefall'nen Alles, was die Seele Verwaister Lieb' kann geben — doch nicht mehr!
Der Himmel schütz' dich in der bösen Stunde! Das Andere verbann' aus deinem Geist,
Und laß es da nicht leben.
Valeria.
Es lebt da nicht.
Der Himmel wird mich schützen:
Wer mich für hilflos hält, hält mich für niedrig. Constantin.
Ich halte dich für Alles, was umschloß
Von höchstem Werthe je das schönste Weib: Groß durch Natur, nur darin fehlerhaft,
Daß das Geschick knüpft' deiner Seele Zierden
86 An eines armen Mannes trüben Geist,
Der in der Schmerzensstunde sie nicht schätzte, Wie ihrem Werthe es geziemt.
Valeria.
(In ieine Arme eikend.)
Nein, du hast sie geschäht,
In blinder Lieb' weit über ihren Werth. Zu oft nur mehrte meine Leidenschaft Die Drangsal deines schwerbedrängten Herzens,
Das ich erleichtern sollte! Auf mein Haupt Fällt alle Schuld, die zwischen uns besteht,
Und ich allein nur hab' Vergebung nöthig.
Der fünfte Akt führt in einer Reihe vortrefflicher und
ergreifender Scenen die große allgemeine Katastrophe der
Stadt vor.
Schön ist der Tod Constantin's, der von
Türkenschwertern durchbohrt hürsinkt und allein stirbt, schön auch die Begegnung Mohammeds mit der kaiser
lichen Wittwe, welch' letztere sich, ihrem Entschlusse treu, selbst den Tod giebt.
Mit. richtigem dichterischen Takt
hat Miß Baillie inmitten all der Zerstörung und Ver nichtung einen wohlthuenden Ausblick bestehen
lassen:
das ist das- Liebespaar Rodrigo und Ella, die beide den
Fall der Stadt überleben und Gnade vor dem Sultan finden.
Das Gebiet
der
einheimischen
Sage
betrat
die
Dichterin mit der „Familienlegende", dem einzigen ihrer
Dramen, welches einen bedeutenden Bühnenerfolg errang. Es ist das letzte Stück, auf welches wir hier näher ein gehen wollen.
Es war,
wie wir bereits sahen,
ein
Liebling Walter Scott's, und als dieser den Schauplatz
des Dramas, die Insel Mull und die gegenüberliegende
Küste bereiste, schrieb er an die Dichterin, daß sie diese
87 Gegenden „ebenso klassisch wie unsterblich gemacht habe." Das Stück hat vor Allem den großen Vorzug, die 2uft des Ortes zu athmen, an welchem es spielt. Die Ge stalten haben durchaus schottisches Gepräge und das Ganze
offenbart den Geist, der uns aus Scott's Romanen entgegenweht. Der Inhalt des Stückes ist kurz folgender. Maclean, der Häuptling des Stammes gleichen Namens,
welcher die Insel Mull bewohnt, hat sich während eines Waffenstillstandes zwischen seinem Volke und den Camp bells mit der Tochter des Häuptlings des letzteren Stammes, des Earl von Argyll, vermählt, um einen dauernden Frieden zwischen beiden Clans herbeiz^rführen. Mit scheelen Blicken betrachten jedoch die Verwandten und ersten Vasallen Maclean's die Anwesenheit der Fremden, die dem Könige einen Sohn gebiert und die Aufregung unter ihnen wird um so größer, als verschiedene Zeichen wahrgenommen werden, die auf klinftiges Unglück des Reiches deuten und welche die Vasallen auf die verhaßte Fremde beziehen. Sie versammeln sich daher, um zu berathen, wie man dieselbe entfernen könne und werden vom Könige überrascht (2. Akt, 2. Scene). Maclean.
Hier find' ich eine treffliche Versammlung. (Finstere Pause.)
Benlora, Thona, Allen von Glenore, Und all' ihr unsere tapfersten Verwandten! Welch' ein Geheimniß liegt in diesem Schweigen? Hängt über unserm Clan ein drohend Unheil?
Benlora.
Ja,
Herr,
ein Unheil,
welches
Blut Bejahrter Krieger sieden, so daß sie
Den Boden, der sie trägt, mit Füßen stampfen.
macht
das
88 Ein Unheil, das die Stadt in Flammen setzen, Mit Blut die Gassen füllen und Raubvögel
Mit hingeschlacht'ten Körpern mästen wird.
Ein Unheil, das die grauen Locken, ach^
Glenfadden.
Der Seher rings um die gebleichten Schädel
Wie Flammenspitzenzucken aufwärts treibt; Die Zähne schmerzen macht, Augäpfel rollen Im wilden Wahnsinn bei den Schreckensdingen,
Die grauenvoll vor ihnen sich erheben.
Es ward die Meerjungfrau gehört vom
Erster Vasall.
Felsen, Der Wellen Schicksalssang.
Das nordische Meer
Glenfadden.
Hört man an unsrer Küste ferne stöhnen
In Schreckenstönen, welche Tod bedeuten. Zweiter Vasall.
Man sah auf unserer Haide Todtenlichter
Zahllos die Gräber Tausender beleuchten.
Benlora.
Und Töne gleich der Stimme deines Vaters
Vernahmen an dem Orte, wo er ruht,. Die Wächter dreimal gegen Morgen deutlich.
(Zu Glenfadden-
War es nicht dreimal?
Glenfadden. Maclean.
Lochtarish.
Dreimal ward's gehört.
Ihr überrascht mich sehr.
Dies ist geschehen?
Ja, Herr: und glaubst du, daß gering wir
achten, Gewarnt durch solche Zeichen, künftiges Unheil? Maclean.
Lochtarish.
Wenn es so ist, dann hab' der Himmel Gnade l (Mit lauter, feierlicher Stimme.)
Hab' du selbst mit uns Gnade, Herr. Maclean. Ihr regt mich heftig auf.
Dies Unheil zu verhüten?
Wie das? Hab' ich die Macht,
89 Ja, du hast sie.
Alle. Maclean.
Dann helfe Gott in meinen Nöthen mir,
Da ich für Euch und für mein Volk, was immer
In meinen schwachen Kräften, wirken will! Alle.
Amen und schwör' es!
Maclean.
Was für Worte dies?
(Zuvückbebend.)
Mit welchem Ungestüm geäußert? Sagt, Was ihr begehrt!
Benlora.
(Aus dec Reihe der Anderen hervortretend.)
Gut denn, du sollst es wissen. Es nähret deine Brust in Helen von Campbell 'Ne Schlange, die geheimen Stachel, birgt
Für dich und all die Deinen, die ein Späher Des schwarzen Argyll; eine böse Seuche, Auf die sich jene Warnungen beziehen, Von der Bestehen oder Untergang
Uno Sein und Namen unseres Stammes abhängt. Schick' die verführerische Here fort!
Verwerflich ist's, wenn sich Geblüte einen, Die von Natur einander feindlich sind.
Es lehnt sich jeder Krieger deines Stammes Dagegen auf; des Grabes Stimme tönt
Und sagt, es soll nicht sein.
Erschrick nicht, Herr,
Wenn ich es wiederhole: schick' sie fort! Maclean.
Bist du ein Mann, daß solches du begehrst?
Wo ich gebunden bin durch heil'ge Bande?
Lochtarish.
Der du gebunden bist durch etwas, das
Dil heilig nennst, welch' Band ist heiliger
Als das, was an den Stamm und die Vasallen Den edlen Häuptling knüpfet? Gäb' es Bande,
Die diesem feindlich, ob ein Heil'ger auch Sie stellte über die geweihten Dinge,
90 Sie sind vernichtet und gelöst. Lochtarish,
Benlora.
Du sprichst gesunde Worte! Dies der Glaube Der alten Krieger und dies auch der Glaube,
Den wir, die Söhne, mit dem Schwert verfechten. (Das Schwert ziehend, während die Anderen seinem Beispiele folgen.)
Maclean.
Gar sehr verwirrt mich eure Heftigkeit.
Ich kann am Schlachtfeld kämpfen, wie ihr wißt, Doch wie mit euch ich kämpfe, wilde Männer,
Das weiß ich nicht.
Entscheide dich, Maclean, du hast die Wahl,
Lochtarish.
Der Häuptling uns zu sein und uns zu führen,
Wie ehmals es dein tapfrer Vater that, Gegen unsre Feinde — oder der Gemahl, (Verachtet und verflucht) von jener, die du
Mehr schätzest, als dein Reich und uns! Glenfadden.
So wähle!
Benlora-, der uns gegen alte Feinde
In bessern Zeiten führte wie ein Häuptling, Wird bei dem ersten Schmettern seines Kriegshorns,
Wenn er so will, um seine Fahnen sammeln Im Aufruhr deine tapferen Vasallen.
Maclean.
(Heftig erschrocken.)
Dahin ziel'n eure Wünsche? mich verlassen —
Meine Vasallen wollen mich verlassen?
Lochtarish.
Und unsre Frauen auch, ich schwör' es dir!
Kein Kind, kein altes Weib bleibt in der Halle,
Um dich als Herrn zu ehr'n.
Maclean.
(Nach großer Erregung:)
„Entscheide dich und schick^
sie fort," wie weit Die Wünsche gehen, welchen diese Worte
Ihr anpaßt . . .
(heftig:)
Reichen sie bis an ihr Leben?
(Er hält ein und betrachtet sie ängsrlich, doch sie schweigen.)
91 O dieses arge böse Schweigen!
^ochtarish.
Wir wollen nicht ihr Blut.
Ihr wollt sie schonen?
Maclean.
Lochtarish.
Gieb sie uns preis und frage weiter nicht,
Wie wir mit ihr verfahren. Es liegt in euren Worten ein Geheimniß,
Maclean.
Das Arges nur verhüllt.
Weh, weh dem Tage,
Der mich auf diesen Schwindelgrat gestellt! Auf jeder Seite gähnet das Verderben. (Eine Stimme wird von Außen gehört, die unzusammenhängende Worte ansstößt,
mit Ausrusen des Schreckens gemischt.
Welch eine Schreckensstimme? (Ein vierter Vasall kommt, scheinbar heftig erscbreckt.)
Lochtarish.
(Zum vierten Vasallen.)
Vierter Vasall.
Was führt dich her?
Er heftet grausig auf die finstre Leere
Den starren Blick, aus Schreckliches gerichtet, So daß die Sehnen seiner alten Glieder Vor Schauer beben.
Lochtarish. Wen hast bit genannt? Vierter Vasall. John von der Insel! den ehrwürdigen Seher!
Geht, seht ihn selber in der äußern Höhle.
Er steht verzückt auf seinem Weg gehemmt Durch schreckliche Gesichte, als er forschend Nach unserm Häuptling hierher eilte. (Stimme von Außen wird wie früher gehört.)
Lochtarish. Hört! Hört! ihn lenken schreckensvolle Mächte!
Komm, Häuptling, koinni und sieh' den würd'gen Mann, Kann Hinmiel oder Hölle dich bewegen,
Wirst du uns jetzt nicht widerstehn. Hörst du's? und regungslos?
Maclean.
Ich bin bestürzt, betäubt,
Und jeder Sinn verwirrt! ihr heft'gen Männer!
92 Wenn bis zu diesem Punkt gedrängt ihr wäret, — Wo solch ein Nothdruck auf mir lastet,
Was nützt hier Widerstand? Weh, weh dem Tag!
Führt mich, wohin ihr wollt!
Maclean übergiebt die Gemahlin den Vasallen und
diese setzen sie auf einem aus.
einsamen Felsen im Meere
Doch ein Fischer bemerkt und rettet sie und führt
sie in seine Hütte, wo sie ihren Bruder John de Lorne und dessen Freund, Hubert de Grey findet, die kllrz vor ihrer Verbannung sie insgeheim besucht, um itach ihrer
Lage zu forschen und auf der Rückfahrt auch nach diesem
Sie führen Helene zu ihrem Vater
Orte gelangt sind.
zurück, der sie verborgen hält.
Zunächst giebt Maclean
dem Earl von dem Tode Helene's Kunde, bald darauf aber erscheint er mit seinen Vasallen in tiefer Trauer und wird ebenso von Argyll empfangen, der nichts merken
läßt.
Ein Bankett wird veranstaltet.
Gäste versammelt,
ein
Sitz frei.
Schon sind alle
nur zur Rechten Argylls
Gespannt
harren
ist
noch
die Maclean's, für
welchen Gast derselbe wohl bestimmt sei, als zu ihrem Schrecken und höchsten Erstaunen Helene von Campbell in den Festsaal tritt.
Argyll gewährt den Uebelthätern
freien Abzug aus beut Palaste, außerhalb desselben aber
fordert John de Lorne den Maclean zum Zweikampfe heraus, in welchem Maclean fällt. gefangen
genommen.
Die Vasallen werden
Einer derselben, Lochtarish, hofft
seine Befreiung dadurch zu bewirken,
Gefahren sei.
mahnt,
welchen Macleans
daß er an die Sohn
ausgesetzt
Allein schon hat Hubert de Grey sich desselben be
mächtigt und zeigt ihn im Triumph.
Das Stück schließt
mit einer langen, erbaulichen Rede Argylls. Der Haupt fehler des gleichwohl interessanten und gut componirten Dramas ist der, daß die Hauptgestalt zu wenig hervor tritt und ihre C eelenkämpfe - zu oberflächlich behandelt werden. Mit diesen Analysen glauben wir dem Unkundigen einen genügenden Begriff von der dramatischen Kunst Joanna Baillie's gegeben zu haben. Die Dichterin hat zwar noch einige andere lesens- und bemerkenswerthe Stücke geschrieben, wie „The Whitchcraft“, welches wie die „Familienlegende" in Schottland spielt, ferner das eigenthümliche „The StripUng“, dann „The Separation“, eine von warmem Pathos erfüllte Dichtung, ferner „The Bride“, ein christliches Tendenzstück voll lyrischer Schön heiten , welches sie auf Aufforderung Sir Alexander Johnston's, des Justizchefs von Ceylon, verfaßte, der es in's Singhalesische übertragen ließ, allein wir erachten es nicht als unsere Aufgabe, eine erschöpfende Darstellung der Baillie'schen Dramen zu geben, und begnügen uns damit erstens die besten und berühmtesten, zweitens die für ihre ursprünglichen Theorien besonders charaeteristischen be handelt zu haben. Joanna Baillie that sich auch als Balladen-Dichterin und lyrische Dichterin hervor, (wenn sie in diesen Eigen schaften auch bei weitem nicht so hoch steht, denn als Dramen dichterin) wie ihr „Metrical Legends“ einerseits, ihre „Fugitive Verses“ andrerseits beweisen. Doch möchten wir den letzteren den Vorzug geben. Auch dürfen wir nicht ver gessen, auf die zahlreichen lyrischen Einlagen hinzuweisen, die ihre Dramen enthalten. Sie zeigt in ihren lyrischen
94 der Empfindung
Gedichten Unmittelbarkeit
und feines
Gefühl für Melos und Rhythmus, und in ihren lyrisch
betrachtenden Gedichten eine so poetische Auffassung der Dinge, eine solche Fähigkeit, das Gewöhnliche zu ideali-
siren, daß wir uns an William Cowper gemahnt fühlen.
Die „Fugitive Verses“ schließen mit geistlichen Hymnen
ab.
Das Ende der gesammelten Werke bildet die schöne
indische Erzählung „Ahalya Baee“.
Joanna Baillie
erreichte
ein ungewöhnlich hohes
Alter, sie starb, eine Neunundachtzigjährige, am 23. Fe bruar 1851, nachdem sie am Tage vor ihrem Tode den
Wunsch geäußert, daß es endlich vorbei sein möge. Joanna Baillie nimmt jedenfalls eine hohe Stelle
auf dem Parriaffe ein.
Sie besaß einen seltenen Reich
thum an dichterischen Kräften, und unter diesen war wieder die hervorragendste ihre ungewöhnliche Phantasie,
denn
fast alle ihre dramatischen Stoffe sind ihre eigenen Er
Hätte sie nun ihre großen und schönen Gaben
findungen.
gut zu gebrauchen verstanden, es wäre wohl wenig ge
wesen,
was sie auf dem Gebiete des ernsten Dramas
nicht erreicht haben würde.
Leider hat sie es jedoch nicht
Bei aller Verehrung für ihr großes Talent
vermocht.
werden wir ihr kaum den Namen einer Künstlerin bei
legen diirfen, oder doch zugestehen müssen, daß sie es oft
an ächter Künstlerschaft, an wahrer Kraftanstrengung und Vertiefung fehlen ließ.
Ihre besten Stücke selbst ver
rathen einen gereiften Mangel an Harmoniegefühl und an
jener
künstlerischen Gewissenhaftigkeit, mit welcher
ein Dichter sein Werk ausarbeitet.
bis ins kleinste Detail liebevoll
Dieser Mangel ist in ihren ersten Stücken
95 nun freilich zum guten Theil auf Rechnung ihrer falschen theoretischen Anschauungen zu setzen, aber nicht weniger trug auch das Fehlen einer wahren künstlerischen Durch bildung und eines wahren künstlerischen Ehrgeizes daran
Schuld. Dieier Mangel zeigt sich in substantieller Hinsicht bei ihr auch in der allzu häufigen Wiederholring derselben Motive, — wesentlicher wie secundärer — in formeller. in den zahlreichen Verstößen, welche sie sich gegen Sprache und Versball zli schulden kommeil ließ.
Wenn wir die Fehler in den Dramen Joanna Baillie's mit ihren Vorzügen vergleichen, wird es uns klar, daß es der Dichterin an einem einsichtsvolleil Rath geber gemailgelt habe, dessen manche schöpferische Geister absolut bedürfen und für welchen das Studium großer literarischer Vorbilder ihnen niemals ein vollständiger Ersatz werden kann. Nild wie wünschen wir da, Walter Scott hätte „Schwester Joanira", wie er sie zu benennen liebte, anstatt ihr ausschließlich Lob zu spenden, auf die Gebrechen ihrer Schöpfungen aufmerksam zu machen und sie vor den Jrrwegeir, die sie einzuschlageir geneigt war zu warnen vermocht. Da wir aber keinen Grund haben, an der Aufrichtigkeit von Scott's unbedingter Bewun derung zu zweifeln, so geht daraus hervor, daß in dramatischen Dingeir eben nicht viel Raths bei ihm zri holen war. Trotz aller Mängel und trotzdem manche ihrer Stücke veraltet sind, verfehlt Joanna Baillie nicht, auch heute noch einen nachhaltigen, einen imposanten Eindruck auf uns zu mache«, und zwar nicht nur vermöge ihrer seltenen dichterischen Eigeirschaften, sondern auch durch ihre mo-
96 ralischen Vorzüge. Ein großes, starkes Herz, weite Sympathien, Gesinnungstiichtigkeit prägen sich überall in
ihren Werken aus. Zugleich lebte etwas von dem kühnen ritterlidjen Geiste ihrer Vorfahren in ihr, obwohl niemand weniger aristokratisch gesinnt sein konnte, als Joanna Baillie. Joanna Baillie schwebte nur ein großes Vorbild vor Augen: Shakespeare. Sie liebte das Höchste und strebte dem Größten nach. Mitunter schließt sie sich allerdings zu eng an ihr erhabenes Muster an und dann sind ihre Nachbildungen werthlos; gewöhnlich aber sind diese Anklänge bei ihr originelle Rückstrahlungen empfangener Anregungen, die zu den schönsten und beste» gehören. Joanna Baillie ist recht eigentlich Shakespeare's Tochter zu nennen, und sie schließt sich in mancher Hinsicht an die Gruppe der großen Elisabethinischen Dramatiker. Unter den neueren englischen Dramatikern läßt sich ihr nach unserer Ansicht keiner an die Seite stellen, auch Henry Taylor nicht. Andere hervorragende englische Dichter der Gegenwart, welche sich selbst für ächte Dra-
rnatiker halten, verdienen den Namen wohl kaum, wenn man ihn recht versteht. Man ist darüber einig, daß sich Joanna Baillie's Stücke nicht für die Bühne eignen. Aber die „Familien legende" hat auf dem Edinburger Theater doch eine starke Wirkung hervorgebracht und ihre airderen Dramen, abge sehen von „De Monfort“, sind nicht zur Aufführung ge bracht worden. Aber über wie wenige Dinge läßt sich schwerer ein aprioristisches Urtheil fällen, als über die Bühnenfähigkeit eines Stückes? Sollte es niemals ein
97 Theater mit „Henriquez" wagen? Vor Allem aber wäre zu wünschen, daß diejenigen, welche sich für die Dichterin interessiren, ihre Werke leicht durch den Buchhandel er
reichen konnten,
daß
eine neue Auflage derselben ver
anstaltet würde. Wir hatten diese Zeilen abgeschlossen, als wir von
wohlllnterrichteter Seite erfuhren,
daß kein geringerer
als Franz Grillparzer die fchottische Dramatikerin eifrig studiert
und sehr hoch gestellt habe und wir glauben,
dies zu ihrer Ehre dem Leser noch mittheilen zu müssen.
Druskowitz,
7
II.
Elisabeth Barrett Browning. Es ist nichts Ungewöhnliches von Engländern und
Amerikanern, Elisabeth Barrett Browning
die größte
lyrische Dichterin aller Zeiten nennen zu hören. Dies Urtheil bedarf jedoch einer Einschränkung. Steht Elisabeth Barrett Browning auch unter den lyrischen Dichterinnen
ihres Vaterlandes unerreicht da, so hat sie unter Denjenigen Deutschlands in Annette v. Droste-Hülshoff jedenfalls eine Ebenbürtige, allerdings die einzige Ebenbürtige. Beide großen Dichterinnen sind in ihrer Eigenart übrigens so verschieden wie möglich. Elisabeth Barrett ist eine der merkwürdigsten und hervorragendsten Erscheinungen der Victoria-Literatur. Im eigenen Vaterlande geliebt und bewundert, ja bei
nahe populär, ist sie bei uns eine Fremde. Es scheint deshalb kein überflüssiges Unternehmen zu sein, den deutschen Lesern von ihrem Leben und ihren Werken ein Bild zu geben. Selten wohnten so edle und große
Empfindungen, brannte ein so reines, himmlisches Feuer in einer menschlichen Brust, selten strömten über Dichter lippen Verse von so zündender Gewalt und von so süßem Schmelz, selten schuf eine Phantasie so bestrickende und so ergreifende Gebilde, wie wir sie bei dieser inspirirten
und begnadigten Dichterin finden.
99 Elisabeth Barrett Browning wurde 1809 als Tochter eines reichen Kaufherrn in
der Grafschaft Durham/)
und nicht in London, wie man gewöhnlich liest, geboren. Leider
war
es
möglich,
mir nicht
eine
Be-
genaue
stinnnung ihres Geburtsortes zu ermitteln, sowie auch mancher andere Umstand aus ihrem Leben bis jetzt noch
in
Dunkel
Mutter.
gehüllt
ist.
Ihr Vater,
Früh
der
verlor
Elisabeth
ihre
Geburt
sich zur Zeit ihrer
schon von den Geschäften zurückgezogen zu haben scheint, war ein Mann von ungewöhnlicher Bildung und Ein
Er besaß, was Eltern doch so selten zu eignen
sicht. scheint:
Kinder,
Verständniß für Wesen und Begabung und
erkannte
die
außerordentlichen
seiner
Anlagen
Elisabeth's, die stets sein Liebling war, nicht nur, sondern
gönnte ihr auch alle Freiheit, dieselben zu entwickeln. Wie grausam
sucht man aber in
der Regel
begabte
Mädchen auf das gewöhnliche Niveau herabzuschrauben. Elisabeth Barreth verbrachte ihre Kindheit und den
größteir Theil ihrer Jugend zu Hope End in Worcester
shire, in der
Nähe der
schönen Malvern Hills,
an
.denen ihre Blicke oft schwärmerisch hingen und denen sie stets ein liebevolles Andenken bewahrte/)
Sie zeigte
schon als Kind einen unersättlichen Lerntrieb und Lese
hunger.
Was
sie in dieser Hinsicht
von der
jungen
Aurora Leigh, in der gleichnamigen epischen Dichtung
sagt, ist vollkommene Selbstdarstellung.
Die Ruhe, die
T) Vgl. Leiters of E. Barrett Browning addressed to Rich. Hengist Horne (London 1877), I. p. 161. 2) Vgl. Leiters I, p. 161 und das Gedicht „The Lost Bower1 Str. 9.
100 Abgeschiedenheit
ihres Aufenthaltes begünstigten
Hang natürlich sehr.
diesen
Zuerst scheint sie ohne Wahl und
Methode Wissen gesammelt zu haben, bis durch die Auf
nahme der klassischen Sprachen, ein Gebiet, auf welchem
sie unter den jungen Mädchen jener Zeit wenig Rivalinnen
gehabt haben dürfte, mehr Ordnung in ihr Lernen kam.
Griechisch trieb sie unter der Leitung des blinden Philo logen Hugh Stuart Boyd und den Erinnerungen an
dieses
sie beglückende Studium ist das schöne Gedicht
,,Wine of Cyprus“ gewidmet.
Wie rührend, wenn sie
darin sagt, wo sie von der Tragödie, in der sie von Oedipus' Schicksalen las, spricht: „Doch die Stimme des Lesers klang leiser,
Wenn der Dichter ihn nannte blind".
• Sie scheint schon damals die meisten Gebiete der
griechischen Literatur durchstreift zu haben.
Es werden
in jenem Gedichte „Aeschylus der Donnerer", „Sophokles
der Königliche", „Euripides der Menschliche", aber auch Pindar,
Theokrit,
Bion,
unter
Philosophen
„Plato
der Göttliche" und endlich die griechisch-christlichen Dichter genannt.
Interesse. der Zeit
Für
das Latein
hatte
sie
offenbar weniger
Wir wollen gleich hier bemerken, daß sie mit
auch
des
Hebräischen
und
vieler
moderner
Sprachen mächtig wurde.
Sehr frühe verrieth sie dichterisches Talent.
berichtet in einem
Sie
für die Kenntniß ihrer Jugendge
schichte und geistigen Entwicklung sehr wichtigen Briefe
an R. H. Horne über ihre ersten poetischen Versuche: „Ich schrieb Verse — was, wie ich sagen darf, viele
gethan haben, ohne Gedichte zu schreiben — sehr frühe.
101 mit acht Jahren und früher. Aber was weniger ge wöhnlich ist, das Spiel der jungen Phantasie wurde zuni
bewußten Streben (turned into a will) und blieb mit mir, und von jenem Tage bis zu diesem ist mir Poesie
ein bewußter Zweck gewesen, ein Zweck, für den ich lese, denke und lebe. Ich könnte Sie zum Lachen bringen, obwohl Sie nicht das Publikum zum Lachen bringen könnten, durch die Mittheilung von Oden, von epischen und didaktischen Gedichten, die von Kinderlippen laut zu veralteten Musen schrien. Die Griechen waren meine Halbgötter und kamen von Pope's Homer zu mir.
Und deshalb ist mein großes Epos, in vier Biichern, das ich elf oder zwölf Jahr alt schrieb, genannt „Die Schlacht bei Marathon", von dem fünfzig Exemplare gedruckt wurden, weil Papa es darauf abgesehen hatte mich zu verwöhnen, nichts als eine Bearbeitung oder besser eine Zevarbeitung von Pope's Homer. Denn obgleich es eine merkwürdige Leistung für ein Kind war, giebt es
doch nur von der Fähigkeit nachzuahmen und zu hören Zeugniß, sowie von einer beträchtlichen Belesenheit in
einer eigenthümlichen Richtung. Die Vorliebe für Pope's Homer führte inich zu Pope auf der einen, zu den
Griechen auf der andern Seite und endlich zum Latein, als einer Hilfe des Griechischen, und die Wirkung von all diesen Einflüssen ist lange nachher in meinem „Essay on Mincl“ sichtbar geworden, einem didaktischen Gedichte, das ich mit siebzehn ober achtzehn Jahren geschrieben und längst bereut habe, als etwas, das aller Reue werth. Das Gedicht ist in Bezug auf die Form Nachahmung, doch nicht ohne Spuren individuellen Denkens und Fühlens.
102 Dabei ist es
Der Vogel pickt darin durch die Schale.
voll Vorwitz
und Pedanterie, Züge, die
nicht einmal
damals zum Wesen der Verfasserin gehörten und die ich mehr bereue, als seine literarischen Mängel." zu strengen
keineswegs
dieser
Selbstkritik
Wir haben nichts
bei
Der „Essay on Mind“ erschien mit einigen
zufügen.
kürzeren Gedichten im Jahre 1826. Das Bändchen wurde
besonders
wegen
von der Kritik
der
großen Jugend der Verfasserin
wohlwollend
ausgenommen.
Elisabeth
Barrett war kein poetisches Wunderkind und ein Glück für sie, daß sie es nicht war.
Von Hope End übersiedelte die Familie, nachdem
Elisabeth bereits das zwanzigste Jahr überschritten, nach
Sidmouth, wo man zwei Jahre verblieb.
Dann wandten
sich die Barrett's zu dauerndem Aufenthalte nach London. In Sidmouth übersetzte Miß Barrett Aeschplos' gefesselten
Prometheus in zwölf Tagen, — die Wahl des Thema's war bezeichnend für sie — und veröffentlichte diesen Versuch auch daselbst (1835).
Diese Uebertragung war nicht ge
lungen, es fehlte ihr an Schwung sowie an Genauigkeit.
Die Kritik behandelte Miß Barrett auch als Uebersetzerin sehr milde.
Sie selbst war mit ihrer Leistung nach
träglich unzufrieden und meinte, man hätte dieselbe in's Feuer werfen sollen, als das einzige Mittel, ihr etwas Wärme zu geben.
Sie nahm jedoch später eine Ueber-
arbeitung vor, und diese ist vortrefflich. E. C. Stedman, der Verfasser der „Victorian Poets“ bemerkt über dieselbe mit
Recht:
„Diese letztere Uebersetzung
habenen Tragödie ist
poetischer
als
einer überaus
er
eine andere von
gleicher Genauigkeit und besitzt Feuer und Kraft einer
— Meisterhand.
Niemand
103
hat
— mit besserem Erfolge die
absichtlich wilden Melodien des tragischen Chors in ge
reimten Versmaßen wiedergegeben." In: Jahre 1836 machte Miß Mary Mitford
die
Bekanntschaft der Verfasserin des „Essay-., on Mind" und
der Uebersetzerin des gefesselten Prometheus.
Wir wollen
Miß Mitford gerne glauben, wenn sie sagt/) daß Miß Barrett eine der interessantesten Personen gewesen sei,
die ihr begegnet.
Sie schildert die äußere Erscheinung
der jungen Dichterin folgendermaßen: „Ihre Gestalt war zart und fein, eine Fülle schwarzer Locken fielen zri beiden
Seiten in ein außerordentlich ausdrucksfähiges Gesicht,
ihre Augen waren groß und sanft und reich mit schwarzen Wimpern befranst. strahl."
liche
Ihr Lachen glich einem Sonnen
Auch hebt Miß Mitford das ungemein jugend
Aussehen Elisabeth Barretts hervor.
Im frühen
Lebensalter wurde die letztere einmal als schwebender
Engel gemalt.
Sie war mehr als eine Schönheit im
gewöhnlichen Sinne.
Das Feuer ihrer Seele leuchtete
durch ihren zarten Körper, der später infolge mannig
facher Leiden immer mehr einem „durchsichtigen Schleier für einen himmlischen und unsterblichen Geist" glich.
Jni Jahre 1837 begannen starke Schatten auf ihr bis dahin, so weit wir urtheilen können, glückliches Leben zu fallen.
Sie sollte tief und schwer leiden, sie sollte
einem frühen Tode geweiht erscheinen, bis die Liebe ihr ein Retter wurde.
Der Beginn ihrer Leiden war, daß
ein Blutgefäß in der Lunge sprang.
Ihre Gesundheit
’) 8. Recollections of a Literary Life p. 69 ff.
104 war schon früher eine schwächliche gewesen und mit fünfzehn
Jahren war sie einmal dem Tode nahe.
Glücklicher
weise fehlte jede Neigung zur Lungenkrankheit in ihrer Familie, so daß die Verletzung keine bösen Folgen nach
sich zog.
ihres
Nachdem sie aber ein Jahr lang im Hause
Vaters
zu London
mit
aller Sorgfalt
gepflegt
worden war, ohne daß eine Besserung eintreten wollte. schickte sie der behandelnde Arzt für den Winter nach Torquay, an der Küste von Devonshire.
Sie ging in
Begleitung einer Gesellschaftsdame und ihres Lieblings
bruders dahin.
Aber ein fürchterlicher Schlag traf sie
dort und zerrüttete ihre Gesundheit vollends.
Der ge
liebte Bruder wurde ihr in grausamer Weise entrissen. Vor ihren Augen schlug er mit einigen Freunden aus einem
Segelboote um, und trotz aller Nachforschungen wurde
nie wieder eine Spur von den Verunglückten gesunden. Der Schmerz, den Elisabeth Barreth um den theuren
Verlorenen empfand, war um so qualvoller,
als sie sich
den Vorwurf machte, iudirect Schuld an seinem Unter
gänge gewesen zu sein.
Ihr zerbrechlicher und kranker
Körper konnte solchen Gemüthsbewegungen nur wenig Widerstand
entgegensetzen und die Folge war, daß
sie
in einen Zustand verfiel, der ein frühes Lebensende be fürchten ließ.
Sie mußte noch längere Zeit in Torquay
verharren, bis sie nur so weit gekräftigt war, um in kurzen Tagereisen im Wagen nach London zurückgebracht zu werden.
So lange sie in Torquay am Meere lebte,
glaubte sie im Rauschen der Wogen immer wieder das Stöhnen eines Sterbenden zu hören. Nach London zurückgekehrt lebte sie eine Reihe von
105 Jahren, von der Welt ganz abgeschlossen, an ihr Zimmer gebannt, welches, da ihr oft schon ein Lichtstrahl Nervenasfectronen
verursachte,
verdunkelt
sein
mußte.
Ihre
Stimmung war gewöhnlich eine tief schwermüthige, sie fühlte sich vor der Zeit alt und sah einem baldigen Tode entgegen.
Ihr
größter
Trost
war
das Lesen.
Vor
Allem nahm sie wieder die griechischen Dichter vor, deren
Seetüre ihr nun mehr als je ein Herzensbedürfniß war.
Ihr Arzt aber mahnte in einer falschen Voraussetzung von diesem ernsten Lesen ab, so daß sie sich zu der List gezwungen sah, eine kleine Ausgabe des Plato so binden zu lassen,
daß das Büchlein
wie ein Roman aussah.
Nur wenige Freunde sanden in jener Zeit zu ihr Zutritt. Ihr ständiger Gesellschafter war das Bologneserhündchen
Flush, an dem sie mit Zärtlichkeit hing.
Sie richtete
später ein Gedicht an ihn, in dein sie ihrer Dankbarkeit für seine Verdieiiste einen rührenden Ausdruck giebt. Während ihre Gesundheit schwer erschüttert war,
gewann ihr Talent immer mehr an Kraft und entfaltete sich immer herrlicher uitb reicher.
Wir gehen nun zu
der Besprechung jener Werke über, welche sie seit dem
Erscheinen des Prometheus bis 1846 — diesem für sie
so bedeutungsvollen Jahre in welchem nicht nur in ihrem Leben, sondern auch in ihrem Dichten ein wesentlicher Umschwung eintrat — schrieb und herausgab.
Da begegnen wir zunächst dem Mysterium „Seraphim", welches sie 1838 mit anderen Gedichten erscheinen ließ. In „Seraphim" hat sich ihr christlicher Enthnsiasmus,
der stets eins der
wichtigsten Elemente
ihres Wesens
und ihrer Poesie bildete, zum ersten Btal eine Ausdrucks-
106 form geschaffen.
Zugleich verräth das Gedicht schon eine
bedeutende Originalität,
ist
aber dennoch im höchsten
Es besteht aus einem
Grade unreif und verworren.
Gespräche, welches zwei Engel, Ador und Zerah, während
Elisabeth Barrett übte
der Kreuzigung Christi führen.
später selbst strenge Kritik an diesem Versuche.
Zeigen
sich darin doch nur die Fehler ihrer Vorzüge, wie 33erschwommenheit,
Bombast,
Unverständlichkeit,
sprachliche
Bizarrerien
Mangel und
an
Logik,
Jncorrectheiten,
sowie Verstöße gegen den Versbau — Fehler, die wenigstens vielen ihrer Gedichte,
die vor 1846 entstanden sind,
anhaften, wenn dieselben auch nirgendwo in dem Grade hervortreten, wie in „Seraphim".
Es ist kaum möglich
dies Gedicht zu Ende zu lesen.
1844 ließ Elisabeth Barreth die erste Sammlung
ihrer Gedichte erscheinen, an deren Spitze sie das Mysterium
„Drama of Exile“ stellte.
Diese Dichtung verzeichnet
im Vergleich mit „Seraphim" einen großen Fortschritt und
beweist
es
auch
geringe
Kenntniß
der
späteren
Leistungen der Dichterin, wenn ein sehr bekannter deutscher Literarhistoriker dasselbe als ihr Hauptwerk bezeichnet, so ist es doch ihr erster größerer Wurf geweseil.
Das Thema des
„Drama of Exile“
bilden die
ersten Mühsale und Kämpfe, welche das erste Menschen paar nach dem Verluste des Paradieses zu erleiden und zu bestehen hat.
Milton
läßt
dasselbe
im Paradiese
zurück, die Dichterin zeigt es im Lichtschein des flammen den Schwertes in die Wildniß fliehend.
Lucifer tritt
immer wieder als Versucher an die Verstoßenen heran, die Naturkräfte erheben heftige Vorwürfe gegen sie, bis
107 eine Vision Christi sie von ihrer Bedrängniß erlöst und
sie tröstet, so daß sie bei dem Gesänge milder Geister
und
Engel,
der
ihre Hoffnung
frisch
belebt,
tiefer
in die Wildniß eindringen und die Dichtung mit den Worten der Engelchöre „Verstoßen, doch nicht verloren"
schließt.
Miß Barrett stand
Standpunkte
und ihr
durchaus auf christlichem
„Drama of Exile“
Widerspiel zu Byrons „Kain".
bildet das
Ihr Lucifer ist nicht in
der höheren Bedeutling des Lichtbringers gefaßt, sondern ist lediglich ein Geist der Zerstörung und Vernichtung.
Sie denkt sich denselben als schönen Engel mit traurigem Allssehen.
Auf die Frage, die Lucifer an Adam richtet,
wer ihm gesagt, daß er, Lucifer, ein gefallener Engel, antwortet Adanr mit den prächtigen Worten: „Du selbst! denn seltsam sind an dir Die dichten Brau'n, die schwermuthsvollen Augen.
Sie deuten auf die Höh', voll der du fielst. Ich denke, daß du eine Krone einst Gewonnen hast vor Gottes Auge!"
Kühlle und kraftvolle Worte legt die Dichterin ihrem gefallenen Engel in den Mund.
Schwungvoll ist gleich
sein Triumphgesang, mit dem die Dichtung \) „Jauchzt in bcii Höllenspalten Genossen aus voller Brust! Aist der Grdc Strafen walten, Die groß tvic des Himmels Verlust, Durch die Fltgen des wankenden Grundes Rücket jubelnd heran, Mit Frohlocken eures Mundes Das Zerstörnilgslverk sei gethan! Mögt zum Rachezug ihr euch einen Und verfinstern das Angesicht,
anhebt/)
108 aber freilich
um so
kläglicher erscheint die schließliche
Ohnmacht dieses Lucifer, je stolzer und selbstbewußter die
Auch an einem
Worte, die wir anfangs von ihm hören.
mephistophelischen Elemente
fehlt
es
schönste Gestalt dieser Dichtung ist Eva.
ihm
nicht.
Sie hat nichts
sie ist ganz
von dem Hausbackenen der Eva Milton's, Zärtlichkeit, Innigkeit und Poesie,
Die
und veranschaulicht
so recht die edlen Gefühle, von denen das eigene Herz
der Dichterin überströmte.
gestalt der Dichtung.
Eva ist aber auch die Haupt
Miß Barrett wollte darin den
Gedanken ausdrücken, der zugleich der bedeutendste und
wichtigste des Ganzen ist, daß das Weib, welches die Sünde in die Welt gebracht, die Welt auch von der
Sünde befreien werde.
In
der Scene,
wo Christus
auftritt, kommt über Adam plötzlich die Erleuchtung und er sagt zu Eva gewendet, nachdem diese sich vorher als
Urheberin der Sünde bezeichnet: „Doch bist du auch die Trägerin des Samens Durch den die Sünde stirbt. Zieh' würdevoll Der Himmel, auf das sie scheinen Nicht länger herrlich und lichl. Wir ziehen im Sturz, wenn geschlagen Hinab die Himmel all: Laßt nach dem Rest ihrer Engel sic fragen, Wer ist sicher vor dem Fall? . Er schützt nicht. Wo ist Adam, ob Worte Beleben die Erdscholl' so todt? Verstoßen vom himmlischen Orte Ist das glorreiche Abbild von Gott. Wir siegten durch böse Zivcifcl, Das Gute herrscht nicht allein. Jetzt herrsch' ich und Engel oder Teufel, Soll eines Thrones Erbe sein."
109 Die dunkle Bran empor, du Vielgeliebte,
Und miß mit offnem Auge das, was fommt, Und all das Weh der Welt!
Erheb' dich, Weib,
Zu deinem höchsten, eigensten Beruf! Zu thun das Gute, Böses zu erdulden, In Leiden beizustehn, zu lehr'n das Gute,
Das Gute und das Böse zu versöhnen
Durch die Geduld einer beständ'gen Hoffnung! Sei groß mit deinen Töchtern! Kam die Sünde Dilrch dich und mit der Sünde Tod, wird die
Erlösung, wird das sel'ge Leben und Verdiente Ruh durch dich auch kommen."
Wir
finden
diesen
schöne!: Gedanken
bei
keinem
andern Dichter so bestimmt ausgedrückt und lernen hier
sogleich
eine Seite
der umfassenden und
hochherzigen
Sympathien Elisabeth Barrett Brownings kennen.
Sie
liebte ihr Geschlecht. Tas
„Drama of Exile-
Schönheiten.
ist
reich
an
lyrischen
Welch' weichen Schmelz haben die Gesänge
der Geister des Paradieses, welche hinter dem fliehenden
Menschenpaare ertönen?)
Zugleich zeigt sich in dieser
y Besoilders eigeuthüinlich imb schon ist das Lied des Bird
spirit: Ich bin die nächste Nachtigall, Die süß euch nach aus Eden singt Tas Lied, -das stark und voll erklingt, Und komme nie zu Fall. Ich sitz auf dem Eypressenzweig Nah bei dem Thor und jauchz' mein Lied Ueber das Thor und durch deu Stahl, Der die Brust der Engelwache umzieht, Ueber das Thor imb laut euch nach! Die wehrhaften Engel ihm Eingang gewähr'n,
110 Dichtung ein starker Sinn für das Erhabene imb Ge waltige.
Man
lese
das
Bild
vom
Löwen,
welches
Lucifer in den Mund gelegt wird. „Erinnerst du dich, Adam, wie der Fluch uns In Eden traf? Auf einer Bergeshöhe, Bedeckt halb durch die Wälder und erglänzend
Im Zitterstrahl der hehren Sonne, lag Ein Löwe, halb gestützt auf seine Tatzen, Sein festes Antlitz ganz dir zugewandt, Mit glatter Mähne; als der Fluch vorüber Und still die Welt ward, sprang er plötzlich auf
Mit einem Satz und stand gerad und steif,
Als hätt' die neue Wirklichkeit des Todes Jn's Aug' getroffen ihn, und brüllt' so laut (Es brach die blutdürstig'ste Leidenschaft In seinem Schlund sich Bahn durch Grimm und Furcht)
Und brüllt' so laut und weckte auf den Hügeln
So wilde Echos, die die Thäler glitten Da sie den armen Vogel hör'n Im Garten, so an Wohllaut reich. Aus hohen Tönen, mein Lied sich gestaltet Ton über Ton, Höh' über Höh', Bis ich fühle des Himmels Näh' Und überbrücke abgrundtiefe Schmerzen Mit Harmonien, die sänst'gen die Herzen, Und etwas ruht und etwas waltet In dem Lied, das ich euch singe nach! Lebet wohl! lebet wohl! Der lebend'ge Ton, nicht langer vernehmbar, Verhaucht an Eden's Thor! Jeder Schritt, den ihr macht, Zertritt einen Klang, den ihr hörtet zuvor. Lebt wohl! ihr werdet ihn nimmer hör'n Des Eden Vögelchor!
111 Jählings hinab — so daß des Waldes Thiere Eins nach dem andern heulend Antwort gaben
Boll wilden und voll sorgenvollen Mitleids Das durch die Kehlen brauste.
Dann auf einmal
Fiel er zurück und rollte polternd von
Der Höh' in Waldesdunkelheit."
Wir dürfen jedoch auch nicht die großen und zahl reichen Biängel dieser Dichtung verschweigen. Sie ist vor Allem mangelhaft und undramatisch componirt. Groß
und glorreich in unmittelbaren Ausdrücken allgenieiner oder persönlicher Gefühle, — obwohl auch da ihre Empfindling oft stärker zu sein scheint, als die Kraft sie zu bezeichnen — besaß die Dichterin in geringeren! Grade die Gabe, Ideen in Bilder, in Personell und Handlungen umzusetzen und selbst in der Zeit ihrer größten geistigen und künstlerischen Reife fehlte es ihr an höherer Gestaltungskraft. Mitunter scheint im „Drama of Exile“ die Phantasie der Dichterin wie erloschen, an der Stelle ihrer Thätigkeit ein abstractes Combiniren zu treten. Zeigt Elisabeth Barrett Browning in ihreil reiferen Werken nicht immer einen guten Geschmack, so ist dies um so weniger hier der Fall. Manches ist geradezu absurd, wie z. B. der Gesang des Morgensterns mit dem Lachrefrain „Ha! ha!“ Eine Sonderbarkeit der Dichterin, die sich nie ganz verlor, ist ferner die, daß sie oft zu wenig bemerkbare und ver schwindende Dinge für wirkungsvoll hält. So ist es fast komisch, wenn sie zu den letzten Worteil des „Drama of Exile“ folgende Schlußbemerkung macht: „Die Sterne scheinen hell, während Adam und Eva ihren Weg in
112 die Wildniß fortsetzen.
Man vernimmt durch die Stille
einen Laut, wie von niederträufelnden T.hränen
eines Engels." Durch das christlich-religiöse Gefühl, das sie durch
dringt, reihen sich an die Mysterien „Seraphim“ und ,,A Drama of Exile“', Gedichte wie „The Cry of the Human•*,
„Human’s Life Mystery“,
„The
Sleep“,
„Cowper’s Grave“ u. a. an. Elisabeth Barrett Browning
ist von gewissen modernen Gedankenströmungen nie er
griffen worden.
Unentwegt hielt sie an der christlichen
Offenbarung und zwar an der katholischsten Form des selben fest. Weder das Studium der griechischen Literatur, noch eigenes Nachdenken regten jemals Zweifel in ihr
auf.
Von jener freien Religion, welche alle Glieder der
inneren und äußeren Welt zu einem einheitlichen Ganzen
verkettet, ohne demselben einen Nameir zu geben, ohne
eine mythologische Vorstellung daran zu knüpfen, eine Religion, von der wir selbst aufgeklärte Dichter selten ■frei finden und von der wir sie auch nicht frei finden
wollen, ist dieselbe doch eine Schwester jener Weltliebe,
jener andachtsvollen Weltbetrachtung, ohne die wir uns
keinen wahren Dichter
denken
können, — von dieser
freien Religion scheint unsere Dichterin kaum eine Ahnung
gehabt zu haben.
So schreibt sie einmal an R. H. Horne:
„Sie wissen, daß Shelley inmitten der großen Offen barungen Gottes, im Chamouni, ä&eog schrieb!
Armer
Shelley! er betrog sich selbst, sowie er den Schöpfer be trog,
denn jeder
wahre
Dichter,
sagt
ein
wahrer
Dichter, birgt eine leidenschaftliche Religion in seiner Seele."
Miß Barrett, welche Shelley doch genau kannte.
113 hätte
sehen
müssen,
daß
er
trotz
jenes .Ansspruchs,
„leidenschaftliche Religiosität" besaß,
nur
daß
dieselbe
keine christliche Färbuug hatte, sondern eine freie war.
für.welche Bliß Barrett jedoch die Empftndung fehlte. — Obwohl mir die Behauptung, ein Dichter sei nur
als solcher zu betrachten, es komme auf seine Meinungen, auf seine Weltanschauung nicht an, scheint,
als unrichtig er
obwohl wir von einem modernen Dichter mit
Recht fortgeschrittene Ansichten erwarten und ein kritik loses Festhalten am Ueberlieferten nicht so ruhig hin
nehmen
können,
wie
etwa
mittelalterlichen
bei einem
Barden, so muß doch zugestanden werden, daß nicht die
Ideen bei einem Dichter das Erste sind, sondern daß
die Tiefe der Empftndung und die Schönheit der Form es ist, mit der er dieselben zum Ausdruck bringt.
ein Gedicht
von
christlicher
Färbung
Ist
tief empfunden,
phantasievoll und schön ansgeführt, so werden wir ihm unsere Bewunderung nicht versagen können, auch wenn
wir den Standpunkt nicht theilen, den es vertritt.
So
entzücken uns einige von den genannten Gedichten, namentlich „The Sleep“ und „Cowper’s Grave“, gleich wohl durch Feuer rmd Adel der Empfindung, durch dichte rische Andacht, durch die Schönheit der Gedanken und
der Formgebung.
Als einen Mißgriff müssen wir hin
gegen ein anderes Gedicht bezeichnen, welches gleichfalls
zu
dieser
Gruppe gehört
„The dead Pan“.
Es ist
das Gegenstück zu Schiller's „Die Götter Griechenlands".
Die Dichterin sah nicht ein, daß ein solches Gegenstück nothwendig
unpoetisch
aussallen
mußte.
sie das Gedicht in sehr jungen Jahren. ? r ii 51 o iv t , l9ssni)s.
Doch
schrieb
Es ist für ihre 8
114 Stellung zum klassischen Alterthum charakteristisch.
Nie
hat ein moderner Dichter, der sich pietätsvoll in die griechische Literatur versenkt, weniger von antikem Geiste
in sich ausgenommen, weniger sich in antiken Formen bewegt.
Wir hoben schon einen Herzenszug
der Dichterin
hervor: die Liebe für ihr Geschlecht und das Nertrauen zu demselben.
Ihre Sympathie aber umfaßte die ganze
Sie besaß ein tiefes Mitgefühl mit allen jenen,
Welt.
die auf der Schattenseite des Lebens stehen, eine feine Empfindung für Herzensregungen, welche dem gewöhn lichen Menschen entgehen und einen heftigen Widerwillen
gegen aber
alle Formen der haben
und dasielbe
spezifische Gepräge
jammte Dichtung. anders wäre.
Tyrannei.
Ihre
Neigungen
einen unverkennbar weiblichen Charakter, offenbart ja ihre ge
Und wir wünschen nicht, daß dies
Wir suchen bei einer Frau nicht männliches
Fühlen und Schaffen,
aus
der
Tiefe
des
weiblichen
Wesens soll sie schöpfen, um eine Poesie hervorzubringen,
welche die natürliche Ergänzung zu den Offenbarungen des männlichen Genies bildet.
Denn falsch ist der Ausspruch,
daß das Genie kein Geschlecht habe.
Dem unerschöpf
lichen Mitgefühl und der gerechtesteir Entrüstung eines Frauenherzens nur konnte der Schmerzensgesang ,.The
Gry of the Children“ entquellen.
Es find jene un
glücklichen Kinder Englands gemeint,' welche zum Frohn-
dienst in Minen und Fabriken verurtheilt, seelisch und körperlich einem frühen Ende entgegengehen.
denken,
daß
jener
Aufschrei
genügt
habe,
Man sollte
um
dem
schrecklichen Unrecht für inimer zu steuern, statt dessen
115 hat er im
gegeben.
besten Falle einigen Publicisten Anregung
Sehr wahr ist es, daß der „Schrei der Kinder"
über Thomas Hood's ,.The Song of the Shirt“ stehe,
wenn wir auch zugeben müssen, daß nicht alle Strophen von gleichem poetischen Werth sind.
Der Leser findet
eine Uebersetzung des „Schrei's der Kinder", die seine
Nachsicht beansprucht,
im Anhänge
ähnliches Thema
Ein
behandelt
der
zu
diesen Zeilen.
,.Song
for the
Ragged Schools“, den die Dichterin viele Jahre später
in Italien schrieb, der jedoch weit geringere poetische
Bedeutung hat, als der „Ory of the Children“. einem Frauenherzen konnte
ferner das
Nur
schöne Gedicht
„Loved once“ entströmen, das mit den Wortenschließt:
„those never loved Wlio dream that they loved once.“ Bei Dichtern, welche nach
dem Erhabenen streben
nnd von starken Empfindungen bewegt werden,
trifft
man selten auch die Gabe, das Große im Kleinen zu sehen, in einfache Dinge und Vorgänge einen tieferen
Sinn
hineinzulegen,
die Quellen der Poesie zu ent
Elisabeth
decken, die unter dem täglichen Leben fließen. Barrett Browning
hat dies vermöge ihrer umfassenden
weiblichen Syinpathien jedoch verstanden, wie ihre schönen Balladen „Romance of the Swans Nest“
und „The
Lost Bower“, dann die sinnigen Gedichte „A Lay ol
the Early Rose“,
Doves“ beweisen.
„Wisdom unapplied“
und
„My
Das letztgenannte Gedicht setzt das
Goethe'sche Wort „Q Weisheit, du bist wie eine Taube"
in ein überaus poetisches Bild um.
Das Gedicht ist
zugleich eins der melodischsten, welches wir von Elisabeth
8*
116 Barrett Browning besitzen.
Wer könnte dem Reiz der
folgenden Strophen widerstehen:
My littles doves have lest a nest Upon an Indian tree, Whose leave fantastic take their rest Or motion from the sea; For, ever there the sea-winds go With sunlit paces to and fro.
The tropic Howers looked up to it, The tropic stars looked down, And there my littles doves did sit With feathers softly brown, And glittering eyes that showed their right To general Nature’s deep delight.
And God them taught, at every close Of murrnuring waves beyond And green leaves round to interpose Their choral voices fon'd, Interpreting that love must he . The meaning of the earth and sea.“1)
9 Mein Täubchenpaar ein Nest sich baut’ Auf iud'schcn Baumes Ast, Deß Blättern giebt, die See, die blaut Bewegung oder Rast; Denn irnmefc wandelt hier am Meer Ein rascher Windhauch hin und her.
Es blickt empor die Blumenschaar, Hinab die Sterne schau'n, Hier sitzt mein kleines Taubenpaar In seinem lichten Braun.
117 Dies liebliche Gedicht erinnert an zwei andere, in denen Miß Barrett Sympathie für Thiere kundgiebt, an „The Sea Mew“ und „To Flush my dog“. — Weniger will es der Dichterin gelingen, einen großen philosophischen oder sittlichen Gedanken durch die Elsindung von Personen oder Vorgängen zu illuuriren, wie sie es z. B. in A Vision of Poets“ versucht hat, oder auch nur durch eine Reihe von Bildern auszu drücken, wie sie es in „A Rhapsody of Life’s Progress“ gethan, ein Gedicht, das ich nicht so hoch zu stellen vermag, wie manche Kritiker es thun. Das Thema ist dasselbe wie in Schiller's „Glocke", die Ausführung jedoch eine ganz andere. Dieser große Gegenstand war Bliß Barrett entschieden nicht angemessen, aus Gründen, auf die -wir bereits hiugewiesen. Obwohl manche Gedichte Miß Barrett's reich sind an gesanglichen Elementen, wie melodischer Tonfall, leichte Rhythmen, wohlklingende Refrains, (vgl. in Bezug auf die letzteren „A Lay of the Early Rose“, „Bianca among the Nigthingales“, „The Sleep“, „Catarina to
Camoens“ u. a.) finden wir doch kein eigentliches Lied unter ihnen. Liedmäßig zwar läßt sich der schöne „A
In seinen Aeuglein liegt enthüllt, Was Alles rings mit Lnn erfüllt. Sie sind bestimmt ivemi Wogenschwall Und Blätter stille sind, Dann einzurallen jedesmal. Mit Stimmen süß und lind. Verkündend, daß die Grundidee Die l'iebe sei von Erd' und See.
118
Lay of the Early Rose“ an. within“ beginnt es.
„A Rose once grew
A garden April-green, In her loneness, in her loneness All the fairer for that oneness“, allein sowohl seine Länge als auch der Gedankengang
schließen das Gedicht doch aus der Reihe der eigent lichen Lieder aus.
Um solche zu schreiben, dazu war
Elisabeth Barrett Browning zu sehr von Reflexion durch Dieses Vorwalten der Reflexion
drungen und gesättigt.
ist der Grund, weshalb ihr auch für das der Lyrik
entgegengesetzte Gebiet, für das Plastische, für den ruhen den Gegenstand und dessen Wiedergabe der Sinn fehlte. Sie kennt die ästhetische Freude nicht, ein Bild mit aller Klarheit und Deutlichkeit für die Anschauung zu malen.
Die
äußere Welt
hat
inneren Bedeutung. berühmtesten Gedichte
sie
für
nur
als
Spiegel
der
sind die Umrisse viele ihrer
Auch
aus
der Periode ihres Lebens,
von der wir hier sprechen, etwas verschwommen, doch
wurden dieselben knit fortschreitender Entwicklung immer bestimmter und schärfer.
Das sieht mau am klarsten,
wenn man die Balladen aus ihrer italienischen Periode mit den in' früheren Jahren entstandenen vergleicht.
Gleichwohl möchten wir diesen letzteren den Vorzug geben.
Sind sie auch weniger künstlerisch vollendet, so besitzen die meisten derselben einen Zauber ganz eigener Art.
Sie
kommen den Balladen Tennyson's, dessen große Verehrerin
Elisabeth Barrett
Browning
war,
formell
allerdings
nicht gleich, überragen dieselben jedoch durch die größere Ursprünglichkeit
und
packendere Verve.
Die Ballade
119 „Lady Geraldine’s Courfship“,
welche Miß Barrett
schon in jungen Jahren gedichtet,
und die ihre popu
lärste ist, hat einen ähnlichen Inhalt wie Tennpson's „Locksley Hall“. Die Dichterin soll diese Ballade in zwölf Stunden niedergeschrieben haben. Dieselbe hat ihren Namen zuerst berühmt gemacht. Die lebhafteste
Handlung, die anschaulichste Darstellung der Scenerie enthält „RJiyme of the Duchess May.“ Einen eigen thümlichen Reiz gewährt diesem Gedichte das Hinein
spielen des .Todtenglöckleins, „Toll slowly“ markirt wird.
das durch den Refrain: Es scheint ein seltsames
Wagniß, diese Worte hundert und sechzig mal zu wieder holen. Aber mau lese das Gedicht mit offenem Sinn und man wird seinem Zauber nicht widerstehen können. Es ist eine der glücklichsten Bereinigungen von Lyrik und erzählender Poesie, die uns bekannt sind. Eine andere Romanze mit mittelalterlichem Stoff ist „The Romaunt of the Page“, worin Liebe und Treue ver herrlicht wird. Mu besonders tiefempfundenes und er
greifendes Gedicht ist „Bertha in the Lane“. Einen freien Flug läßt die Dichterin ihre Einbil dungskraft, zu deren eigenem unschuldigen Ergötzen, in „The Home of Clouds“ und „Tiie Islandnehmen, Gedichte, die stark an Shelleys freie Phantasiespiele mahnen. Daß ihre Seele auch Heiterkeit besaß,
und zu Scherz und
witziger Betrachtung der Tinge geneigt war, zeigt unter diesen Gedichten hauptsächlich das bereits erwähnte „Wine of Cyprus-‘ mit seinen graziösen Bewegungen?)
T) Welche cmmuthche Heiterkeit strahlt uns besonders aus deu ersteu Stropheu dieses Gedichtes eutqegen:
120
Bevor wir uns zu jenem für Leben und Dichtung Miß Barrett's so wichtigeil Ereignisse wenden,
wollen
wir noch einige literarhistorische und kritische Verdienste,
die sie sich erworben, hervorheben.
So betheiligte sie sich
an dem von Wordsworth 1841 angeregten Unternehmen,
den Vater der englischen Dichtung,
Chaucer,
in neues
Englisch zu übersetzen, indem sie die Geschichteil „Queen
„False
Annabelle“
und
Tales“
großem
mit
Arcite“
der
„Canterbury
Geschick modernisirte.
„Wär' all Bacchus jetzt der Sprecher, Klagten seufzend seine Lippen, Daß vom Wein in diesem Becher Wie 'ne Fliege ich that nippen. Wie 'ne Fliege vom' Berg Ida, Weggejagt zur Tafelstunde Von der Kvn'gin Juno, die da Arme schwenket, weiße, runde'.
Wenn so köstlich ist ein Becher, Muß man tiefre Züge wagen, 'Nem tveitschlünd'gen griech'scheir Zecher Würde besser er behagen. (Lyclop's Mund sollt' drin verschwinden, Nur sein Auge drüber schielen, Titan's Mund sich drein auch finden, Ströme Weins hinabzuspülen
Pan's Kopf sollt' mit guter Laune Drin bis zu den Ohren stecken, Um ihn drangen sich die Faune, Fingerdeutend ihn 511 necken. Die Najaden schrein wie Bacchen (Nieder ihre Urnen sinken) „Erde, laß uns doch bewachen Quellen, die so süß zu trinken.^
Außerdem
121 lieferte sie zu dem kritischen Werke ,,A New Spirit of
the Age“ Beiträge, die sie gemeinsam mit ihrem Freunde
R. H. Horne ausarbeitete, in der Weise, daß dieselben ent weder in gleichen Theilen von beiden geschrieben wurden,
oder daß einer von ihnen den Hauptantheil hatte. An diese
Arbeiten schließen sich zwei Aufsätze, die Miß Barrett 1842 im „Athenaeunr- erscheinen ließ, von denen der eine über die griechisch-christlichen Dichter handelt, der andere einen Ueberblick giebt über die gesummte englische Literatur
aus Anlaß eines Sammelwerkes, das unter
dem Titel „The Book of the Poets“ erschien.
Beide
Aufsätze zeigen eine Höhe der Bildung und eine Weite
des Gesichtskreises,
wie ihn nächst George Eliot unter
Schriftstellerinnen eben nur Elisabeth Barrett Browning
erreicht hat.
Als Kennerin der alten Sprachen, besonders
des Griechischen, gebührt der letzteren sogar der Vorrang, war sie auch keine Hellenistin im philologischen Sinne. In dein Aufsatz über „The Book of the Poets--' sind
die
die
Bemerkungen,
macht, das Beste.
ihr für Byron
sie
über
die
älteren Dichter
Unter den modernen Dichtern scheint
die Sympathie
vollkommen gefehlt zu
haben. Zu denken giebt der Ausspruch, den sie in dieser Abhandlung
daß
macht,
die Theorie von Accent und
Quantität in Bezug auf moderne und alte Dichtung auf
einem Irrthum beruhe, da aller Rhythmus Quantität
und Zeit voraussetze.
Aufsätze
Den Stil dieser beiden kritischen
können wir nicht
loben.
Er
ist
übertrieben
lebhaft und mit rednerischen Figuren überladen.
Wodurch
sich
Elisabeth
Barrett Browning
vor-
nehmlik) von allen anderen lyrischen Dichterinnen ihres
122 Vaterlandes unterscheidet, das ist die Kraft der Empfindung, die sich bis zur hinreißenden Leidenschaft bei ihr steigern
kann, und vergleicht sich in dieser Hinsicht überhaupt nur noch eine Dichterin mit ihr:
nämlich die österreichische
Lyrikerin Betty Paoli. Wir sprachen von ihrem religiösen, von ihrem humanitären Enthusiasmus, von ihrem Hasse gegen das Unrecht und von den Dichtungen, in welchen
sie
diese Empfindungen
sie
nun
lernen.
ausgeströmt
hat.
Wir
unter dem Einfluß der Liebe stehend
sollen kennen
Wir befinden uns vor dem wichtigsten Wende
punkte ihres Lebens und ihrer künstlerischen Entwicklung. Obwohl sie, die Schwerleidende, für Fremde gewöhnlich nicht zugänglich war, gelang es doch Robert Browning,
den Eingang zu ihr zu finden und beider hochgestimmte Seelen
erfaßten einander zu einem dauernden Bunde.
Elisabeth Barrett zögerte zuerst, die glühende Bewerbung Robert Brownings zu erhören. den Tod
Schien sie doch eher für
als für die Liebe bestimmt.
Sollte sie auch
des Geliebten Dasein vergiften, indem sie ihr Schicksal
mit dein teinige« verband? Sie leistete ihm und sich selbst
Widerstand, sie kämpfte einen schrecklichen Kampf, schließ lich aber siegte die Allgewalt der Leidenschaft nnd Elisabeth
Barrett sah, daß für's Erste noch nicht der Tod, sondern Liebe ihr Theil sei..
Die wechselnden Stimmungen der
zögernden Angst und der vollen Hingabe an das neue,
ungeahnte Glück haben in den Gedichten „Life and Love“,
„A Denial“
und
in den sogenannten „Portugiesischen
Sonetten", die unter einem täuschenden Titel nur ihre
eigenen
wundervollen
Gefühlsergüsse
unvergleichlichen Ausdruck
gefunden.
enthalten,
einen
Der Leser findet
123 im Anhänge Proben dieser schönen Liebespoesie,
deren
traurige, obwohl weniger bezeichnende Töne, die freudigen
an ergreifendem Pathos fast übertreffen. Die portugiesischen Sonette gehören nicht nur zu
den
schönsten Gedichten
Elisabeth Barrett Brownings,
sondern bezeugen auch im Vergleich mit ihren früheren
Schöpfungen einen großen künstlerischen Fortschritt und bilden den Beginn ihrer zweiten Dichterperiode.
Zugleich
zählen die portugiesischen Sonette zu den besten Beispielen dieser Kunstgattung in der Weltliteratur.
Sie sind wie
feingeschliffene Gläser, voll des köstlichsten und feurigsten
Weines.
Ihr Urheber ist „ein volles, yanz von Einer
Empfindung erfülltes Herz."
Es ist,
als
ob sich die
heißen Gefühle der Dichterin von selbst in diese schwierige
Form ergossen hätten und man darf behaupten, daß die Leidenschaft
der Liebe
nie
natürlicher und kunstvoller
zugleich ausgedrückt worden ist, als es in diesen Gedichten
geschieht.
Von ihr selbst gelten ganz besonders die Worte,
welche Airs. Browning
in „Aurora Leigh“ von
dem
Dichter faßt: „Er kann Wie Atlas dastehn im Sonett und tragen Den eignen Himmel voller mächt'gcr Sterne."
Nie ist ein Mann von einer Frau, me ein Dichter von einem Dichter schwungvoller • unb herrlicher besungen worden, als es in dieser meisterhaften Serie geschieht.
Es galt für Robert Browning nicht nur den Wider stand der Geliebten, sondern
auch die Abneigung ihres
alten Vaters, die Tochter, welche sein Liebling war, einem
Andern
zu überlassen,
zu besiegen.
Im Jahre 1846
124 aber führte der Sänger die Sängerin als seine Gemahlin
nach Italien, wo sie bis zum Tode der letzteren, volle
fünfzehn Jahre,
für beide die schönste Lebenszeit, ver
blieben, das seltene Beispiel einer glücklichen Dichterehe, in der beide manches schöne und unsterbliche Werk schufen.
Ihr Glück gipfelte in der Geburt eines Sohnes. Der große Umschwung, der in Elisabeth Barrett
Browning's Dichten Hand in Hand mit dem
großen
Wechsel ihres Lebens — der sich in den Worten Liebe, häusliches Glilck, steter Verkehr mit einem anderen macht
vollen Dichtergeiste, physische Kräftigung, Reise imb Ver tauschung des rauhen, nebeligen Nordens mit dem milden
und sonnenklaren Süden zusammenfassen läßt — eintrat,
offenbarte sich in substantieller Hinsicht in der Erweiterung ihres Gedanken- und Gefühlskreises, im Ergreifen neuer
und größerer Themen, in formeller Hinsicht in den schärferen Umrissen, im geläuterteren Geschmack, in der reineren Sprache, im virtuoseren Versbau. Wir wollen hier sogleich
hervorheben, in welcher Weise Elisabeth Browning's Genie von dem ihres Gatten beeinflußt wurde.
dieser Einfluß rein kritischer Art von großem Nutzen.
und
Zunächst war
insofern für sie
Wir dürfen annehmen, daß er sie
auf die Mängel ihrer ursprünglichen Stilweise aufmerk
sam machte, von denen seine eigenen ja völlig verschieden
waren und dadurch ihre künstlerische Läuterung förderte. In späteren Jahren aber kanl es mitunter vor, daß sie
ihre Eigenart aufgab und unwillkürlich im Stile ihres Gatten schrieb, damit aber auch dessen Härten übernahm, die den allerunangenehmsten Gegensatz zu den ihr eigen
thümlichen und
bei
aller
.schmelzenden Tönen bilden.
Kraft
immer
weichen
und
In ihre italienische Periode fallen ausser den von
bereits
uns
gewürdigten
portugiesischen Sonetten ihre
politischen Gedichte, ferner der Roman „Aurora Leigh-,
ihr umfangreichstes Werk, und. zahlreichere kleinere Dich tungen, theils lyrischer, theils erzählender Art. Zunächst folgte auf die portugiesischen Sonette das
schöne
Gedicht
„Casa Guidi Windows“,
dessen erster
Theil 1848, dessen zweiter Theil 1851 entstand.
Gedicht,
die Sonette
Dieses
und „Aurora Leigh“' bezeichnen
den dichterischen Höhepunkt Airs. Brownings, während
die „Poems before Congress“ und die „Last Poems“ vielfad) eine Abnahme ihrer Kräfte und den ungünstigen Einfluß ihres Gatten verrathen.
den Inhalt
Airs. .Browning legt
von „Casa Guidi Windows“
Borworte folgendermaßen dar:
in
einem
„Dies Gedicht enthält
die Eindrücke der Berfasserin von den Vorfällen in ToScaim, von denen sie Zeugin war.
Es wird keine forttaufeiibe
Erzählung oder eine Darstellung politischer Philosophie versucht.
Es ist eine einfache Geschichte von persönlichen
Eindrücken, deren einziger Werth in der Stärke beruht,
mit der sie aufgenommen wurden, der Verfasserin Liebe für ein schönes nnd unglückliches Land bezeugend und in
der Gewissenhaftigkeit, mit der sie mitgetheilt sind, als Zeichen, daß sie selbst daran glaubt und von Parteilich
keit frei ist." gewebe
Das phantasievolle, hochpoetische Gedanken
zeigt uns die Dichterin auf einem Gebiete, auf
dem wir sie bisher noch nicht beobachtet: auf dem der politischen Poesie. So zogen ihre umfassenden Sympathien
einen Gegenstand nach dem anderen in ihren Bereich.
Mit kindlicher Pietät, mit hochherzigem Mitgefühl um-
126
faßte sie das Land, das ihr zur zweiten Heünath wurde und dessen schwere Geschicke und feierte und beklagte es in zahlreichen Liedern. Und es ist etwas Heiliges, die Begeisterung eines Dichters für die Schicksale eines fremden Volkes. Besonders schön ist der Anfang von „Casa Guidi Windows“: „I heard last night a little child go singing, ’Neath Casa Guidi Windows, by the cliurch, 0 holla lib ertä, 0 Bella' — stringing The same words still on notes he went in search, So high for, you concluded the upspringing Of such a nimble bird to sky from perch Must leave the whole bush in a tremblc green, And that the heart of Italy must beat, While such a voice bad leave to rise serene ’Twixt church and palace of a Florence Street: A little child, too, who not long bad been By mother’s finger steadied on Ins feet, And still 0 b eil a liberta he sang/* v)
In reimloser Uebcrfe^uiig: „Ich horte zwischen Casa Guidi und Der Kirche letzte Nacht ein Kindlein singen: 0 bella liberta, o bella! stets Dieselben Worte, doch ans Tönen, die Von solcher Höhe, daß ihr meintet, wenn Solch' Vöglein sich vorn Nest znrn Himmel schwänge, Der ganze grüne Busch erzittern wurde, Italiens Herze heftig pochen mußte, Weil solche Stimme fröhlich sich erhob, Erschallend zwischen Kirche und Palast: Eilt kleines Kind, das vor nicht langer Zeit Die Mutterhände stellten auf die Fuße, Und dennoch sang's: o bella liberta!“
127 Großes
erregte
Aufsehen
der
poetische
..Aurora Leigh“, der 1856 erschien. beendete
denselben
in London und Es
Werk."
während eines
diese Dichtung gefällt. Landor
in
kurzen Aufenthaltes
bezeichnete ihn selbst
rourben
Roman
Mrs. Browning
als ihr „reifstes
überschwängliche
Urtheile
über
Treffend bemerkte sogleich Savage an Forster:
einem Briefe
„Ich lese ein
Gedicht mit einer Fülle von Gedanken und von bestechendem Phaiitasiereichthum.
Auf vielen Seiten
kühne Einbildungskraft Shakespeare's.
Ahnung
daß Jemand
davon,
Poesie fähig sei." nicht,
sich die
Ich hatte keine
in unserer Zeit solcher
Er fügte noch hinzu: „Ich weiß uoch
auf was die Geschichte hinausläuft.
sitzen Constructionsgabe."
dieses
findet
Wenige be
In der That ist die Bedeutung
merkwürdigen Buches hauptsächlich in der Fülle
geistreicher und origineller Gedanken und Betrachtungen
zu suchen,
denen wir auf Schritt und Tritt begegnen
uub fühlen wir uns auch oft
zum Widerspruch gereizt,
so werden wir doch stets durch die Eigenthümlichkeit der An
schauungsweise und den Zauber des Ausdrucks gefesselt.
Es ist selten so natürlich, so einfach, so bequem und poetisch zugleich gesprochen worden,
wie es in diesem Gedichte
geschieht, auch ersehen wir aus demselben, welche satirische
Kraft,
welcher
stand.
-Das Buch ist im höchsten Grade subjektiv.
reiche Witz Mrs. Browning zu Gebote
Die
Dichterin spricht darin Alles aus, was ihr in der Zeit ihrer größten geistigen Reise am Herzen lag, wozu stets nur
die eigenthümlichsten und interessantesten Geister berechtigt sind, jede Zeile des merkwürdigen Buches aber sagt uns.
128 daß
die
Dichterin
dieser Kategorie angehörte.
Welch'
eigener Zauber liegt gleich in den Eingangsversen: „Das Bücherschreiben will kein Ende nehmen! Und ich, die viel in Vers und Prosa schrieb Zu Andrer Nutzen, schreibe nun zu meinem, — Will für mein bess'res Selbst mir was erzählen, •
Wie wenn ihr euer Bild malt für den Freund,
Der es im Schrank verschließt und es betrachtet, Nachdem er lang geendet euch zu lieben,
Als wollte er das Einst und Jetzt vergleichen."
„Wenige besitzen
in jenem Briefe.
Constructionsgabe," sagt Landor
Auch in diesem Gedichte bewies Mrs.
Browning, daß die Akuse ihr höhere Darstellungskraft
versagt
habe.
Die Komposition des Romanes ist sehr
unbefriedigend. belangt,
wenig
so
Was ferner die Charakterdarstellung an-
läßt sich über die des männlichen Helden
Gutes
sagen,
besser
sind
der
Dichterin
die
Frauengestalten gelungen, aber es ist dies mehr auf dem
Wege der Analyse,
als der Synthese geschehen.
Aber
auf was läuft die merkwürdige Dichtung eigentlich hinaus?
Es ist die Geschichte zweier Enttäuschter, die nach hohen Zielen ringen, aber schließlich zur Erkenntniß gelangen,
daß sie sich auf falschem Wege
befanden und falsche
Mittel ergriffen.
Aurora Leigh ist die Tochter eines vornehmen Eng
länders und einer Italienerin.
Sie wird im Vaterlande
ihrer Mutter geboren, welch' letztere sie sehr früh ver liert und auch der Tod des Vaters fällt in ihre frühe Jugend. Nach diesem zweiten Verluste wird sie nach England zu einer Schwester ihres Vaters, einer Lady
129 vom gewöhnlichen Schlage gebracht, in- deren Hanse sie
heranwächst.
Ihre Leidenschaft ist das Lesen, besonders
das Lesen
von
poetisches
Talent
Dichtern,
an
entwickelt.
sich
denen Die
eigenes
ihr
Schilderung
ihrer
Jngend ist Mrs. Browning's eigene idealisirte Jugend geschichte und voll von den feinsten Zügen.
Mit Aurora
wächst ihr Vetter Romney Leigh, der künftige Erbe von Leigh Hall,
dem Stammsitze
der Familie,
heran.
Er
saßt srüh eine geheime Neigung zu Aurora und auch sie
ist ihm unbewußt zugethan.
Roniney hat jedoch etwas
beschränkte Ansichten von der Bestimmung eines weib
lichen Wesens, und
als er eines Tags Gedichte seiner
Cousine findet, da tritt sein Herz auf seine Lippen, und er beschwört sie in einem Athemzuge die Kunst zu lassen und
sein Weib
zu werden.
Aurora's Stolz,
der in
diesem Augenblicke größer ist, als ihre Zuneigung, empört sich gegen seine erste Forderung, so daß sie auch seine zweite zurückweist und sie trennen'sich, nachdem sie beide
ihre besten Gründe in's Feld geführt. die alte Tante
stirbt,
begiebt
Als bald darauf
sich Aurora,
die nun
mittellos dasteht und den Beistand, den ihr Romney in zarter Weise sichern möchte, ablehnt,
nach London, um
sich als Schriftstellerin eine Existenz zu gründen.
erringt große Erfolge, die Kritik, —
Sie
über die es an
scherzhaften Ausfällen nicht fehlt — behandelt sie gnädig. Aber sie muß Tag und Nacht arbeiten,
Wangen bald eingesunken und blaß sind.
daß
so
ihre
Romney aber
hat sich seit ihrer Trennung ganz philantropischen Zwecken
gewidmet und, — wir übergehen die Geschichte von der un glücklichen Marian Erle und der dämonischen Jirtriguantin T) r ii s f o ro i r , Essays.
9
130 Lady Waldemar — schließlich Leigh Hall zum Zufluchts ort für Obdachlose und Arme gemacht und sich bemüht,
seine Schützlinge an ein geregeltes Leben zu gewöhnen, obwohl er mehr für ihr materielles Wohl, als für ihre
sittliche Besserung Sorge trägt.
Sie aber fluchen ihm
ob seiner Barmherzigkeit, verbrennen sein Schloß schließlich zu
Asche
Brandes
und
ein
Mensch
er erblindet.
ihn während
des
In diesem Zustande findet er die Jugend
geliebte in Italien wieder.
langen
trifft
mit einem Balken derart auf den Kopf, daß
Schlußscene
Aurora entdeckt,
daß
des er
Rührend schön ist in der
Buches
der
Augenblick,
wo
blind ist und das Erbarmen
die alte Liebe in ihren: Herzen wieder erweckt.
Beide
bereuen ihr Leben oder gestehen doch zu, daß sie nicht
die wahren Mittel ergriffen, um das hohe Ziel zu er reichen, welches ihnen vorgeschwebt. In Romney's Schicksal wollte die Dichterin nichts anders zeigen,
als daß alle
Versuche, die „Armen und Elenden" zu heben, so lange
scheitern müssen, als Reformer und Menschenfreunde nur
Die Verbesserung der äußeren Lage derselben und nicht auch ihre innere Stärkung und Versittlichung im Auge haben.
Nun kann man allerdings einwenden,
daß die
Hebung jener Menschenklaffen doch nicht anders als durch
materielle Unterstützung und Regelung ihres Lebens be ginnen kann, ist die Beseitigung von
wahrlosung doch gleichbedeutend eines
entsittlichenden
Umstandes.
Noth und Ver
mit der Wegräumung Immerhin
ist
die'
Dichterin mit ihrem Betonen des idealen Momentes voll
kommen im Rechte und sehr wahr sind die Worte, welche Aurora, als Dichterin urtheilend, zu Romney
spricht:
131 Der Seele braucht's Den Körper zu regieren; des hohen Sinns
Um nur zu einem reinern Stall die Massen Zu führ'n; des Ideals, um nur den Rauch Der Wirklichkeit ein wenig zu vermindern."
Die Wahrheit dieses Gedankens zugegeben, müssen rvir jedoch beklagen, daß die Dichterin nicht einfach das
Mittel genannt oder
im Bilde dargestellt habe, durch
welches jene Menschenklasse allein gehoben und gerettet werden
könne,
statt des Scheitern
unzulängliche Ver
besserungsversuche vorzuführen und das alte Lied voll
dem Pöbel, der sich gegen seinen Wohlthäter empört, zu
wiederholen.
Und nun das zweite Thema der Dichtung,
welches Mrs. Browning in Aurora's Lebensschicksal und
schließlicher Reue zum Ausdruck gebracht hat.
Das Er
gebniß ist auch hier, wenn auch in einem andern Sinne,
ein unbefriedigendes.
Aurora glaubt in einer anderen
Richtung als Romney gefehlt zu haben.
In der Schluß-
fcene sagt sie, zu diesem gewendet: Du fehltest schwer? Dll sagst es ja.
Arn Schwersten fehlte ich,
Arn Schwersten, ja. Du wolltest Menschen retten Durch halbe Mittel, halb nur ihre Roth
Erkennend, da du an dich selbst nicht dachtest. Doch ich, die die Natur des Menschen sah
Von beiden Seiten, wußte was die Seele
Und was die Kunst bedarf, verbarg Die Dinge, die ich sah, verdarb mein Leben,
Für das ich sprach.
Begierig zu erhöhen
Den künstlerischen Trieb in mir aus Kosten
Der weiblichen Natur, vergaß ich, daß
132 Sein ganzer Künstler jemals werden kann Ein nnvollkomm'nes Weib.
Vorn Stamme kommt
Die Blnme, vorn Natürlichen der Geist ....
Die Knnst ist viel, doch Liebe mehr! O dn bist viel, o Kunst, doch Liebe mehr!
Knnst zeigt den Himmel, aber Lieb' ist Gott
Und schafft den Himmel.
Ich entsagt dem meinen!
Wir könnten mit dieser Reue und Selbstanklage, —
abgesehen von der etwas geschmacklosen Einkleidung der
selben in den letzten Sätzen — nun vollkommen einver standen sein, wenn sich dieselbe nur darauf bezöge, daß Aurora der Liebe entsagt habe.
Denn in der That giebt
diese dein Künstler, — sei er Manir oder Weib — erst die wahre Weihe.
Aber Aurora bereut, daß sie Romney's
damalige Werbting nicht erhört, und macht die wahre
Künstlerschaft beim Weibe abhängig von der Ehe.
Nur
das „vollkommene Weib", also das Weib, welches seine
natürliche Bestimmung in der Ehe erreicht, vermöge ein
ganzer Künstler zu werden.
Wir sind jedoch der Ansicht,
daß die Dichterin, die ja hinter Aurora steht, den glück
lichen Fall, in dem sie sich selbst befand, in einer der Erfahrung widersprechenden Weise zu einem allgemeineir Gesetze erhoben habe.
Die Wahrheit liegt im Allge
meinen weit eher in Goethe's Ansicht, daß die Ehe der Feind des weiblichen Talentes sei, und auch hierin be stätigt die Ausnahme die Regel.
Fast alle hervorragenden
Künstlerinnen, Dichterinnen und Schriftstellerinnen waren entweder
unverehelicht
oder schufen
erst
Bedeutendes,
wenn die ehelichen Bande sich gelöst hatten. Trotz ungenügender Charakteristik und mangelhaften
133 Gefüges, trotz vielen unbefriedigenden Gedanken, welche die Dichtlmg enthält, möchten wir doch jedem dringend ihre Lectüre empfehlen.
Ein Landor staunte, daß Jemand
in unserer Zeit noch solche Poesie schaffen könne und
mit ihn: wird jeder Leser staunen, der sich nicht etwa das nil mirari zum Grundsatz gemacht hat.
all'
seiner Mängel
Gedicht.
ein
einziges und
Es ist trotz
unvergleichliches
Noch müssen wir, bevor wir dasselbe verlassen,
auf die Verherrlichilng Hinweisen, welche wiederholt der
Dichtkunst und ihren Jüngern darin zu Theil wird.
Kein
Dichter konnte von seiner Kunst und seinen Genossen einen höheren Begriff haben, als Mrs. Browning.
So nennt
sie die Dichter einmal:
Die Iw. Und Am
einigen Künder wesentlicher Wahrheit Gegensatz zu der verhältnißmäß'gen zeitlichen; die einzigen, die sie halten sonn’gen Saum durch’s Grau in Grau der Sitte.
An einer andern Stelle ruft sie aus:
O sorgenvolle Himmelsgabe Bescheert dem Dichter eines Doppellebens Wenn schon ein ^eben birgt genug der Qual. Beugt uns die Last des bloßen Menschen schon, Wessen wir aufrecht steh’n als halbe Götter, Ertrage:: das untragbare Gewicht Des Allgemeinen, müssen aufwärts senden, Mit Stimmen, welche menschlich Stöhnen trübte, Gedichte, Reime dort für sie zu finden. Ueber das Wesen der dichterischen Thätigkeit sagt
sie die treffenden Worte:
Da Kunst Die Handlung setzt an Stelle der Empfindung,
134 So muß der Künstler sowohl sein als thun. Durchdringend mit besondrer Geisteskraft
Das, was der -Alltagsmensch nur seicht empfindet, Und auswärts wenden mit gewalt'gem Ruck Halb Krampf, halb Seligkeit, das Ding, das er Am Tiefsten fühlt ....
Auch an kritischen Bemerkungen und ästhetischen Be
trachtungen über Dichter und Dichtungsformen fehlt es in
„Aurora Leigh"
nicht.
Treffend
verspottet
Mrs.
Browning jene Barden, die sich nur in früheren Epochen heimisch fühlen, mit den Worten: „Ich kann dem Dichter nicht vertrauen, der Nicht Ruhm, noch Helden sieht in seiner Zeit,
Fünfhundert Jahr zurück die Seele wälzt In ein Kastell mit Zugbrück' und mit Gräben,
Wo er besingt — nicht etwa Kröt' imd Eidechs
Die dort im Pfuhle, dies wär zu entschuld'gen, — Doch einen Häuptling, Ritter halb, halb Schafdieb,
'Ne Dame, die halb Königin, halb Dirne, So todt, wie wohl zum größten Theil muß das
Gedicht sein über ihre edle Asche.
Und dies kein Wunder.
Tod vererbt den Tod."
Bom Drama hofft die Dichterin: „Vielleicht entwächst es noch Der Gleißnerei der farbigen Coulisse
Den Brettern, Spielern, Gas, Souffleurs, Costümen
Und wählt' als würd'gern Schauplatz sich die Seele."
Was würde endlich mancher schulsteife Aesthetiker zu folgendem Ausspruch sagen: „Die beste Form der Dichtung'^ laßt mich denken Nicht an die Form und Aeußeres.
^aßt den Geist
Wie die Natur es thut, die Form sich bilden,
135 Da wir gewiß den Geist sonst fesseln statt
Ihn zrl verkörpern.
Inn'res immerdar
3ii Aeuß'rem — so im Leben und in Kunst, Die auch nur Sein .... Fünf Akte für ein Stück ?
Weshalb nicht fünfzehn? zehn? weshalb nicht sieben? Wer frägt wohl nach der Zahl der Blätter, wenn
Der Banm lebt und gedeiht?
Sich steifen auf
Die Zeit- und Raumeinheit in der Poetik ?
Da doch die Leidenschaft nie pflegt zu achten Auf Raum und Zeit? Absurd. Erhalt' das Feuer
Und laß die edlen Flammen selbst sich formen."
Ausschließlich politischen Inhaltes,
wie schon der
Titel besagt, waren die 1860 erschienenen „Poems before Congress“.
Mit Ausnahme des „Curse for a Nation“
sind sie alle von der Sympathie für die freiheitlichen
Bestrebungen Italiens, und zum Theil für dessen fran zösischen
Bundesgenossen
Die
eingegeben.
Sammlung
wird mit einer Napoleon III. überschwänglich verherr
lichenden Rhapsodie eröffnet, die den merkwürdigsten und auffallendsten Gegensatz
Pamphlete
zu
Victor
Hugo's
„Napoleon le petit“ bildet.
grimmigen
In „Napo
leon III/' hauptsächlich zeigt sich der üble Einfluß, welchen
Robert Brownings Stil in den letzten Jahren ihrer Ehe auf den seiner Frau ausübte.
Von den erzählenden
Gedichten jener Gruppe, sind hier hauptsächlich
„The
„A Court Lady“
Das
Dance“
und
hervorgehoben.
letztere ist vielleicht die schönste Ballade, welche die Dichterin in ihrer italienischen Periode geschrieben hat.
Sie ist
dramatisch, anschaulich, formvollendet und hauptsächlich poetisch.
„A Curse for a Nation “
sklaverei Nordanierika's.
galt der Neger
Auch dies Gedicht zeigt formell
136
den Einfluß Robert Brownings, doch verdient es als ein
machtvoller
Ausdruck
der
Gerechtigkeitsliebe
der
Dichterin unsere Bewunderung.
In den „Last Poems“
(1861) finden wir Lyrik,
erzählende und Gedankendichtung.
Die Romanze „Lord
Walter’s Life“ erinnert an ältere Balladen, wie „The Romaunt of the Page“, „Romaunt of Margaret“ u. s. w.
„Bianca among the Nightingales“ ist voll melodischen
Reizes, besonders schön die erste Strophe: „Die Cypresse stand da einer Kirche gleich In der Nacht, da wir weihten den Liebesbund,
Und heiliges Mondlicht erfüllt' den Bereich Und klärte wie Gold das weite Rund.
Die Oliven erhellten die Thaleshallen
Bis dort, wo Hügel zu Hügel sich zieht, Die Feuerfliegen und Nachtigallen Vereinten sich beide, Flamme und Lied — Die Nachtigallen, die Nachtigallen!"
Von
ächt
weiblicher
Empfindung
ist
Gedicht „Nature’s Remorses“ eingegeben.
das
schöne
Viele dieser
Poesien sind düsteren Inhaltes. Die Sammlung bezeichnet im Allgemeinen eine Abnahme der dichterischen Kräfte
ihrer Schöpferin. Wir vermissen darin oft ihren „eigensten Gesang", und wie hoch diese Gedichte künstlerisch und dramatisch über denjenigen ihrer englischen Periode stehen
mögen, so gehört unser Herz doch den letzteren und ihrem
originellen Zauber. Die Besserung der Gesundheit unserer Dichterin in
den ersten Jahren ihres florentinischen Aufenthaltes war
trügerisch gewesen.
Nur zu bald kehrten die alten Leiden
137
zurück.
Ihre zarte Gestalt schwand immer mehr zu einem
Schatten zusammen. Mit warmem und schönem Pathos
„Am Ende des ersten Sommerinonats
sagt Stedman:
von 1861, ein denkwürdiges Jahr für Italien, war das
Land des Gesanges frei und geeinigt, mehr als je eine Königin unter den Völkern;
aber
die Stimme seines
süßesten Sängers war verstummt, die goldene Harfe ge
brochen, die sibyllinische Sängerin lag sterbend in der
Es war am 29. Juni 1861, daß
Stadt der Blumen."
ihr Seher-Auge brach, vor dem bis zuletzt noch schöne Visionen schwebten.
Die Florentiner errichteten an dem
Hause, wo die edle Dichterin so viele Jahre mit hoch klopfendem
Herzschlag
die Geschicke
ihres
Vaterlandes
verfolgt und besungen, eine Gedenktafel.
Elisabeth Barrett Browning entspricht auf's voll kommenste jenem Bilde, welches man mit dem Worte „Dichter" hauptsächlich zu verbinden pflegt, denn inan
denkt dabei fast immer an den begeisterten, schwungvollen Lyriker.
Wie Wenigen war es dieser herrlichen Frau
gegeben, die Welt zu entzücken, zu erheben und hinzu reißen.
Zugleich
gehört sie zu den.seltenen Beispielen
der Vereinigung von Unmittelbarkeit
fassender Cultur.
der
starkem dichterischen Drang und
Empflirdung
mit
hoher
und
um
Und war ihr auch die höchste Bildner
kraft versagt, so wäre es doch unschön und ungerecht, diesen Mangel gegenüber ihren anderen großen dichte rischen und menschlichen Eigenschaften und der idealen
Kraft, welche ihre Schöpfnngen ausströmen, zu stark zu
betonen.
Diese Zeilen sollten eine der größten Frauen aller
—
138
—
Zeiten dem deutschen Leser näher bringen, aber noch mehr der deutschen Leserin.
Die Dichterin, welche von
ihrem Geschlechte so hoch gedacht, ihm so manches schöne
Denkmal geweiht, welche die edelsten Gefühle und Leiden schaften des Frauenherzens ausgeströmt und eine Poesie geschaffen, wie sie nur eine geniale und begeisterte Frau hervorzubringen vermochte, sie verdient alle Liebe und
Bewunderung ihres Geschlechts.
In vollem Maße bringen
die englischen Frauen ihr diese dar, mögen die deutschen ihnen darin folgen!
Anhang. Der Schrei der Linder. Hört ihr weinen die Kinder bittere Thränen
Eh' heran mit den Jahren die Sorge kriecht? Die Häupter an ihre Mütter sie lehnen, Doch solches stillt ihr Schluchzen nicht.
Es blöken die Läimnlein auf den Matten, Die jungen Bögel zwitschern im )test, Die jungen Rehe spielen im Schatten,
Die jungen Blumen erblüh'n gegen West! Doch die Kindlein, die Kindlein, meine Brüder,
Die Kindlein, sie weinen bitterlich,
In der Andern Spielzeit sind roth ihre Lider In dem Land, das mit Freiheit brüstet sich. Fragt ihr die Kinder ob ihrer Sorgen
Ob ihrer Thränen um Bescheid? Ein Alter niag weinen um sein Morgen,
Das ihm verloren in Ewigkeit;
Der alte Baum im Walde trauert, Es endet im Winterfroste das Jahr, Vor Berührung der alten Wunde euch schauert,
Weh der Hoffmmg Verlust, wenn alt sie war! Doch die Kindlein, die Kindlein, meine Brüder,
Fragt ihr sie, was ihnen die Thränen entwand, In den Schooß ihrer Mütter strömend hernieder,
In unserm glücklichen Vaterland?
140 Sie schau'n auf mit hagern Gesichtern, mit fahlen Und wehe dem, der in ihr Antlitz blickt! Es haben der Menschheit dunkle Qualen Die Wangen der Kindheit eingedrückt.
„Sehr traurig, sagen sie, ist die Erde, Und unsre Füße sind schon müd',
Schon wenige Schritte sind uns Beschwerde, Und noch lange tönt uns kein Grabeslied. Fragt die Bejahrten, weshalb sie bangen Und nicht die Kinder! die Welt ist so kalt!
Wir Jungen stehn außen mit unserm Verlangen,
Und das Grab ist für die nur, welche alt." „Wohl, sagen die Kinder, kann es kommen Daß eher beendet ist unser Weh! So ward letztes Jahr hinweggenommen
Klein Alice, ihr Grab wie ein Ball ist von Schnee.
Wir sah'n in die Grub', die man macht, sie zu decken, Die war zu Allein zu eng und zu klein, Aus ihrem Schlaf wird der Ruf sie nicht wecken:
„Steh' auf, klein Alice, der Tag scheint herein!" Horcht ihr am Grabe bei Sonn' oder Regen,
Abwärts das Ohr, ihr hört Alice nicht schrei'n. Es würde ihr Antlitz uns seltsam bewegen,
Der Glanz im Aug' muß gewachsen sein. Vom Glockenspiel eingelullt ohne Klagen Verbringt sie im Schrein ihre Mußezeit,
Es ist gut, wenn sich's trifft, die Kleinen sagen, Wenn der Tod uns im frühen Alter befreit."
Weh! weh! den Kindern! sie suchen im Leben
Den Tod als ihren rettenden Strand, Auf daß der Verzweiflung sie's nicht ergeben,
So hüllen das Herz sie in's Leichengewand.
141 Vertagt die Mine, das Stadtgewühle, Singt wie Drosseln, ihr Kinder, ohne Acht! Pflückt die Hände voll Blumen mit frohem Gefühle Und wenn sic den Händen entschlüpfen, so lacht! Doch ihre Antwort: sind Blumen und Ntatten Dem Schachte so nah wie das schlechte Kraut? Laßt uns ruhig im Dunkel der Kohlenschatten Mit euren Freuden hold und traut.
Denn ach, cs sind müde unsre Beine Und laufen und springen ist uns so fern, Wenn in's Freie wir wollten, geschäh cs alleine, Weil wir ruhen und schlafen würden gern. Uns zittern die Kniee, wenn wir sie beugen Und wenn wir gehen, erleiden wir Noth, Unter Lidern, die sich abwärts neigen Schien die rötheste Blume wie Schnee so todt. Denn alltäglich ziehen wir unsre Lasten In den Kohlenschachten finster und stumm, Oder drehen die Räder ohne zu rasten, In den Werkhäusern um unb um. Alltäglich die Räder sich wenden und smnmen, Es streicht über unser Antlitz ihr Wind, Bis die Herzen sich drehen, die Köpfe brummen, Die Mauern am alten Ort nicht mehr sind. Es dreht sich im Fenster die Himmelsstrecke Und an den Mauern das Llcht für und für, Es dreht sich die Fliege, die kriecht an der Decke, Wie Alles sich dreht, so mit Allem auch wir. Alltäglich die Eisenräder dröhnen, Doch zuweilen sprechen wir im Gebet: „O ihr Räder (ausbrechend, in thörichtes Stöhnen), O daß ihr nur heilte stille steht!"
142 Ja, seid still! laßt sie gegenseitig belauschen
Ein wenig ihr Athmen Mund an Mund! Laßt sie mit einander Handschlag tauschen,
Zu einem neuen Jugendbund. Laßt sie wissen, daß die metallische Bewegung Nicht alles Leben in Gottes Bereich,
Laßt die lebenden Seelen erfahren die Regung, Daß in euch sie nicht leben, nicht unter euch.
Doch täglich drehen die Räder sich weiter
Zerstörend des Lebens inneren Kern, Und die Seelen, welche der himmlische Leiter
Ruft sonnenwärts, regen vom Lichte sich fern. Run mahnt die armen Kinder, o Brüder, Daß nach Ihm sie sehn vom Gebete geführt,
Daß Er, der ja segnet Hoch und Nieder, Auch sie eines Tages segnen wird.
Doch sie: „Wer ist Gott, der uns hört von der Höhe Während das Sausen der Räder tönt fort und fort?
Denn es hör'n unsre Seufzer nicht, die in der Nähe
Vorbeigehen, oder sie sagen kein Wort. Und wir hören nicht, (weil die Räder schnarren), Die Fremden sprechen an der Thür,
Kann Er unter singenden Engelschaaren
Je gehört uns haben, weinen wir? Zwei Gebetesworte vergessen wir nimmer, Naht heran die schaurige Mitternacht, So sagen wir aufwärts blickend im Zimmer,
„Unser Vater," auf daß er vor Leid uns bewacht. Nur diese zwei Worte sind uns eigen Und wenn die Engelsstimmen einst ruh'n,
Wird Gott sie pflücken im günstigen Schweigen, Um sie in die starke Rechte zu thun.
—
143
—
„Unser Vater.'" Hört' er ilns also klagen (Sie nennen ihn niild und gut gesinnt), Würd' er herniederlächelnd sagen: „Konun und bleibe bei nur, mein Kind."
„Nein," sagen die Kinder, und murren dreister, „So sprachlos wie ein Stein er bleibt. Sie sagen sein Abbild sei der Meister, Der uns zur heilen Arbeit treibt.
Wir sehen am Himmel, sagen die Kleinen, Nur Wolken, die wie Räder sind,
Lacht nicht! Schmerz nahm uns den Glauben, den reinen Und Thränen machten für Gott uns blind.
Hört ihr die Kinder so unumwunden
Mit Tadel an euren Lehr'n sich ergehn?
Denn Gott wird nur in der Liebe gefunden,
Und die Kinder zweifeln an Beider Besteh'n.
Wohl mögen die Kinder laut vor euch weinen, Denn sie sind ermüdet in kürzester Frist. Sie sehen die Sonne, den Ruhm nicht scheinen, Der Heller selbst als die Sonne ist.
Sie kennen den Schmerz, doch nicht seine Lehre,
Den Kunimer, doch seine Ruhe nicht; Sie sind Sklaven ohne christliche Wehre,
Dulder, für die Niemand Kränze flicht. Sie sind müd' wie im Alter, doch nie wird gedeihen
Der Erinnerung Saat bei dem jungen Blut,
Weder Erde noch Hnmnel mag Lieb' ihnen weihen, Wollt ihr hemmen ailch noch ihre Thränenfluth? Sie schau'n auf mit blassen und Hagern Gesichtern Und wehe dem, der in ihr Antlitz blickt!
Sie mahnen an die, die über den Lichterir
144 Des Himmels schauen nach Gott entzückt. „Wie lang stehst du auf dem Kinderherzen,
Die Welt zu beherrschen,
du böse Nation?
Erstickend sein Pochen mit eisernen Fersen,
Am Markte schreitend zu deinem Thron? Unser Blut schreit aufwärts, ihr Goldesmehrer,
Euer Purpur zeigt eure Schreckens bahn! Doch der Fluch in dem Kindesseufzer ist schwerer,
Als der des Mannes in seinem Wahn!"
Äbschied. Wir haben spät uns, ach, zu spät gefunden, O Freund, nicht mehr als Freund! Ein Bote ist
Des Tods, die. Hülle um mein Knie gewunden,
Und jeder Schritt sagte: du am Ende bist! In dieser letzten der Gefahren, wie Soll ich dir nahen, die sich nicht kann regen?
Wie komm' ich deinem Flehen wohl entgegen?
Jn's Antlitz blicke mir und sieh! Ich darf dich ja nicht lieben! Geh in Schweigen
Und lasse sinken diese welke Hand!
Such' Rosen an dem Orte, dem sie eigen,
In Gartenplätzen, nicht im Wüstensand. Kann Leben sich dem Tode einen? wie? Du stimmst herab dein Lied mich zu beweinen?
Ich lieb' dich nicht, wenn matt die Worte scheinen:
Jn's Antlitz blicke mir und sieh! Ich hätte dich geliebt in frühern Tagen! O damals hätte deine Liebe mich
So hoch gestimmt, wie groß jetzt ist inein Zagen! Bevor von den verweinten Wangen wich
Der Schmelz, hältst du mich da um Sympathie,
—
145
—
Um ganze, volle Liebe angegangen,
Hätt' lächelnd ich gesagt und unbefangen: „Jn's Antlitz blicke mir und sieh!"
Doch jetzt, Gott sieht mich, Gott, der meine Seele Getaucht hat in des Lebens Wogenschwall! Auf dieser Welt ist nichts, was ich mir wähle,
Wie Klage tönt mir heller Liederschall. Wie sollte nicht der Liebe Harmonie,
Nach der entfesselt Heil'ge sich bewegen, Newält'gen mich? doch wär' ich dir ein Segen?
Jn's Antlitz blicke mir und sieh! Indeß ich schaue wie in Traumeshelle Ein edles Weib des höchsten Werthes voll,
Der Stimme Schall, wie der der Silberwelle,
Zeugt für den Seelenborn, dem sie entquoll. Die jünger, heit'rer, freiern Geistes, die Schöner als ich bin (die du mußt vergessen),
Mit lichten Augen... die nicht Thränen nässen,
Jn's Antlitz blicke mir und sieh! Leb' wohl du, den zu spät ich lernte kennen,
Als daß du mir noch liebend dürftest nah'n, Sei glücklich du, den groß die Menschen nennen, Und der Geliebten Treue sei kein Wahn. Doch ich kann sie nicht sein! Undenkbar! nie! Ich bin verloren, ich muß weiter gehen, Wo ich nur mehr zu Einem werde flehen:
Jn's Antlitz blicke mir und steh!j)
In: Original lauten die letzten Zeilen dieser Strophe: I am lost, I am changed, — I must go farther where The change shall take me worse, and no one dare Look in my face and see. Die Anwendung des „see“ im Infinitiv in der Schluß10 Druskowitz, Essays.
146 O sei gesegnet! alle Güter, welche Ich für dich wünsche, werden dir gesandt!
Hab' in der Lampe Oel, und Wein im Kelche, Dein Herd sei freudvoll, drücke deine Hand
In gleicher Treue eine andre! Nie Werd' ich dich lieben! Geh und ohne Klagen!
Ich fühle nicht mehr Muth, um dir zu sagen: Jn's Antlitz blicke mir und sieh!"
Sonette aus dem portugiesischen?) 1. (L) Ich dacht' einst dran, was Theokrit gesungen
Von süßen Jahren, hochwillkomm'nen Tagen,
Da Jeder schien in güt'ger Hand zu tragen Ein Götterpfand den Alten wie den Jungen. Und da ich sann von seinem Geist durchdrungen,
Zog's nebelgleich durch Thränen und es lagen
Vor mir der e^g'nen Jahre bittre Klagen, Die düster über meinem Haupt geschlungen
Des Grames Schleier.
Plötzlich sah' ich's kommen
Durch meine Thränen wie ein mächt'ger Schatten, Ich fühlt' mein Haar in Geisterhand genommen
Und eine ernste Stimme hieß mich rathen:
Wer hält dich? Tod! — Doch habe ich vernommen: Nein: Liebe rafft dich auf aus dem Ermatten.
zeile, im Unterschied von dem früheren imperativischen Gebrauch, machte eine getreue Wiedergabe des in den beiden letzten Zeilen enthaltenen Gedankens in der Uebersetzung unmöglich. x) Die Uebersetzung des ersten und vierten Sonetts rührt von I. Dohmke (vgl. „Magazin für die Literatur des In- und Auslandes" 1880, p. 323 st.), die des zweiten und dritten sowie alle übrigen metrischen Uebertragungen dieses Buches von mir her.
147 2. (III.) Sieh, großes Herz, wie wir in allen Dingen So ungleich, im Berufe und im Sinnen.'
Wie unsre Engel mit erstaunten Mienen Sich messen, wenn sich kreuzen ihre Schwingen
Im Fluge.
Dich, bedenk es, macht dein Singen
Zum Gast, beim Festesspiel von Königinnen, Wo hundert Blicke lohnend dich umspinnen,
Von iüß'rem Reiz, als meine je erringen
Im Thränenglanz.
Wie wär' es dir beschieden
Rach mir zu schau'n, aus Hellem Lichterscheine,
Rach mir, der Wandersängerin, der müden,
Durch's Dunkel singend im Eypressenhaine? Dein Haupt netzt Chrysam, meins der Thau.' der Frieden Des Tod's bestimm die Höh', die beide eine.
3. (V.) Elektra wies die Urne — feierlich
Heb' ich mein Herz empor, das übervolle,
Und auf dich blickend seine Asche rolle Zu deinen Füßen ich.
Besinne dich,
Welch eine Last in mir gesammelt sich,
Und wie die Funkenschaar, die rothe, tolle Dunkel durch Asche glühet! Will im Grolle
Dein Fuß sie löschen, bis sie ganz verblich,
So mag es gut sein, aber willst du harren Mit mir auf einen Windhauch, der den Staub Hinwegbläst, dann, dann dürfte kaum bewahren,
Dein Haupt, Geliebtester, das Lorbeerlaub, Daß nicht das Feuer sengend sollte fahren
Zn deine Locken! Geh'! entflieh dem Raub!
148
4. (XXIII.) Und ist es wahr? wenn todt ich lüg' und kalt,
Würd'st du in mir dein Lebensglück beweinen? Die Sonne würde dunkel dir erscheinen
Wenn Grabesduft dies bleiche Haupt umwallt? Ich staun' ob solcher Liebe Allgewalt.
Wohl bin ich dein — doch zögernd möcht' ich meinen, Bin ich so viel dir denn? den Wein den reinen, Darf ich ihn bieten dir? Erdwärts so bald
Aus Todesträumen soll die Seele kehren?
So liebe mich! stärk' mich durch Hauch und Blick!
Wie stolze Frauen lassen Rang und Ehren, Mit Freuden folgend sel'gem Liebesglück.
So will den nahen Himmel ich entbehren, Das Grab um dich! und bleib' bei dir zurück! —
III.
George Eliot. Es
erscheint oft wie eine Engherzigkeit, wie eine
Grausamkeit, das Vergleichen von literarischen Größen, das Abwägen ihrer Werthe gegeneinander und die schließ
liche Bestimmung ihrer Rangstellung.
Und doch drängt
sich uns dieses Verfahren immer wieder auf, und unser Gefühl verlangt,
daß
Geistern festgestellt werde.
eine
Rangordnung
unter
den
Es befriedigt uns nicht, die
Dichter, nur im Verhältniß zum Ideal der Kunst zu betrachten, wir wollen erkennen, wie sie sich unterein
ander im Verhältniß zu diesem Ideal abstufen, bilden sie doch zusanunen
eine Gemeinschaft.
Besonders aber
drängt es uns zu bestimmen, wen wir uns an der Spitze einer Kategorie stehend denken sollen.
Wer nun über George Eliot spricht, der wird es nicht unterlassen können, George Sand ihr gegenüber
zu stellen, die fast ein halbes Jahrhundert hindurch als
das größte weibliche Genie gefeiert worden ist.
Das
Ergebniß dieses Vergleiches wird jedoch die Behauptung
sein,
daß nicht mehr George Sand, sondern George
Eliot es ist, welcher der erste Platz unter den Frauen
gebührt, auf welche die Literatur stolz sein kann. Be gründen werden wir diesen Satz erst, nachdem wir über die große englische Dichterin gesprochen haben.
150
Es ist in Deutschland verhältnißmäßig wenig über
George Eliot gesagt worden
und
doch
kann man zil
einer -Zeit, wo der nur die niedrige und gemeine Seite
des Lebens veranschaulichende naturalistische Roman, der oberflächliche,
seichte
Gesellschaftsroman
und
der, von
einigen großen Beispielen abgesehen, auf falschen Vor aussetzungen beruhende historische Roman das Feld be herrschen, nicht oft genug aus eine Dichterin Hinweisen,
die mit ihrem
umfassenden
Geiste
allen
Seiten
des
Lebens gerecht wird, die nie von der Oberfläche der
Dinge schöpft, sondern stets in ihr Innerstes eindringt, die endlich unserer Zeit angehörend auch durchaus modern
fühlt und, zwei Werke ausgenommen, die Gegenwart
im Bilde darzustellen sucht,
wie
es die Aufgabe des
epischen Dichters unserer Tage ist. Mary Ann Evans — dies der Vorname und der
Familienname der Dichterin — wurde am 22. November 1819 zu South Farm in der Pfarrei Colton, Warwick
shire,
geboren?)
Wenige Monate
nach
ihrer Geburt
übersiedelten ihre Eltern nach Griff House, nahe Nuneaton in derselben Grafschaft.
von wallisischer Abkunft.
Robert Evans, -ihr Vater, war Er war zuerst Zimmermann,
Als Quellen zu dem biographischen Theil dieser Studie haben mir gedient: der Essay von Call: George Eliot. Her Life and Writings erschienen in der Westminster Review LX. p. 154 ff. und das vortreffliche Buch, welches Mathilde Blind über die Dich terin veröffentlicht hat (London 1883). Es bildet den Anfang der: Eminent Women Series edited by John H. Ingram und ist vom biographischen Gesichtspunkt aus die tverthvollste und eingehendste Arbeit, welche wir über die Dichterin besitzen und bietet eine Fülle
neuere Details.
151 brachte es aber später zum Förster und endlich zum Guts verwalter. Nur in letzterer Eigenschaft war er in Warwickshire bekannt und zwar bestens bekannt. Er verwaltete dort zu einer Zeit zugleich fünf Güter. Er wurde nicht nur wegen seiner Fähigkeit und Gewandt heit, sondern auch wegen seines vortrefflichen Charakters hochgeschätzt. Seine Vertrauenswürdigkeit war in der Gegend sprichwörtlich. Seine große Tochter bewahrte ihm zeitlebens eine tiefe Verehrung, und sie hat vielen ihrer Gestalten, vor Allem einer ihrer ansprechendsten und vortrefflichsten, dem prächtigen Adam Bede, Aehnlichkeit mit ihm gegeben. Sie selbst hatte des Vaters sittliche Tüchtigkeit geerbt. Dagegen scheint sie in Bezug auf Temperament, Hllmor und manche geistige Eigen schaft mit ihrer Mutter Aehnlichkeit gehabt zu haben. Robert Evans war zweimal verheirathet. Er hatte aus erster Ehe einen Sohn und eine Tochter; Mary Ann war der jüngste Sprößling seiner zweiten Ehe, aus der noch eine Tochter, Namens Christiana und ein Sohn, Namens Isaak hervorgingen. Von Mary Ann's Mutter
wissen wir jedoch nichts Direktes und können nur aus einer Gestalt der Dichterin eine Vorstellung von ihr ge winnen. Es ist nämlich bekannt, daß Frau Hackit in Eliot's erster meisterhaften Erzählung: „Die traurigen Schicksale des ehrwürdigen Herrn Amos Barton" ein getreues Abbild der Mutter der Dichterin sei. Demnach war Frau Evans vor Allem eine unermüdliche Hausfrau, gutherzig und zugleich mit einer vortrefflichen Beob achtungsgabe und einer scharfen Zunge ausgerüstet. Mit Recht weist Miß Blind darauf hin, daß von Frau Hackit
152 kein weiter Schritt mehr sei zur trefflichen Frau Poyser, einer der heitersten aller Eliot'schen Gestalten, und es ist wohl möglich, daß Frau Evans gewissermaßen auch das Modell dieser Gestalt gewesen sei. Demnach würde George Eliot in Bezug auf die Herleitung gewisser Vorzüge des Charakters, des Geistes und des Gemüths von ihren Eltern ein bekanntes Dichterwort auch auf sich haben anwenden können, nur daß mit der Vererbung
von Seiten der Eltern zugleich eine Veredlung des Ererbten in ihr vor sich gegangen war. Bis zu ihrem zwanzigsten Jahr lebte die Dichterin in der genannten schönen und fruchtbaren Landschaft, die damals viel dichter bewaldet war, als sie es jetzt ist, und „man wird von den Fenstern von Griff House die Eichen und Ulmen gesehen haben, die von Shakespeare's Ar dennerwald noch übrig geblieben waren." Die Stellung ihres Vaters, die sich immer mehr verbesserte und ihr ermöglichte mit Personen aus den verschiedensten Ständen bekannt zu werden, war für die Entwicklung und Schärfung ihrer Beobachtungsgabe und Bereicherung ihrer Lebens kenntniß von unschätzbarem Werthe, ja sie hätte füglich in keiner günstigeren Lebenslage aufwachsen können. Kaum sind für einen anderen Dichter die Erinnerungen an Kindheit und Jugend aber auch so fruchtbar ge worden, wie für George Eliot. Ihr wunderbares Ge dächtniß hielt alle einmal empfangenen Eindrücke fest, ein großer Reichthum von Bildern sammelte sich daher in ihr an, und sie liebte in ihren schöpferischen Jahren die Rückblicke in eine glückliche Vergangenheit. Unver gänglich werden aber jene Werke sein, die in deir Schau-
153 platzen ihrer Jugend fußen und wo sie Menschen schildert. die sie damals anr häufigsten beobachtet. Wollen wir uns Mary Ann als Kind vorstellen, so müssen wir an die wundervolle Maggie in der Kind heitsidylle der „Mühle am Floß" denken, denn es steht außer Zweifel, daß der Dichterin bei der Darstellung
dieser berückenden Gestalt Züge ihrer eigenen Kindheit vorgeschwebt haben. Auch ihr Verhältniß zu ihrem Bruder Isaak war ein ähnliches wie dasjenige, welches
Btaggie zu Tom in der Dichtung einnimmt, wie ja die Gedichte „ Brother and Sister“ beweisen, in denen sie uns von ihren und ihres Bruders gemeinsamen Lieb habereien, Streifereien und Spielen in jenem frühen Lebensalter erzählt. Leider wird, nebenbei bemerkt, unsere Freude an dem naiven Inhalt dieser kleinen Serie anmuthiger Bilder durch die oft gar zu mangelhafte Formgebung beträchtlich geschmälert. Aber, ach, wie bald trübte sich das Verhältniß der beiden Geschwister, und sie, die am thaufrischen Morgen mit Angelruthe und Angelschnur durch Flur und Wiese fröhlich nach
dem fernen Strom zogen, Freud und Leid mit einander theilend, wie bald trennten sich ihre Wege. In welchem Grade die herrliche Kindergeschichte der „Mühle am Floß" autobiographische Bedeutung hat, beweist unter Anderem auch der Umstand, daß die hübsche Zigeuner episode auf einem thatsächlichen Erlebniß der jungen Mary Ann beruht. Mary Ann entwickelte sich geistig und körperlich sehr
rasch. Ihre ungewöhnlichen Talente scheinen zuerst von ihrer Mutter erkannt worden zu sein, die einsichtsvoll
154 und ehrgeizig genug war, um ihrem Kinde eine möglichst gute Erziehung geben zu lasten. Schon früh wurde Mary Ann mit ihrem Bruder in eine Gemeindeschule geschickt, älter geworden, kam sie nach einer Schule in Nuneaton und besuchte gleichzeitig eine Sonntagsschule. Zwölf Jahre alt wurde sie in eine Pension in Coventry gethan, die von zwei Schwestern, Namens Franklin, ge leitet wurde und in der Nachbarschaft in sehr gutem Rufe stand. Der jüngeren Miß Franklin, die sich durch gewählte Sprechweise und feine Manieren auszeichnete,
hatte es Mary Ann zu verdanken, daß sie den Dialekt abstreifte, den man in ihrem Elternhause sprach, und sich an eine correcte und gewählte Ausdrucksweise ge wöhnte. Ja, sie soll noch weiter gegangen sein und sich förmlich eine neue Stimme gebildet haben, was wohl so zu verstehen ist, daß sie sich daran gewöhnte, in einer gewissen besonders klangvollen Tonlage zu sprechen. Bian kann sich vorstellen, daß ihre Sprache in dieser Uebergangszeit etwas Affektirtes gehabt habe.; später übte ihr schönes Organ und ihre vollendete Ausdrucksweise einen starken Zauber auf alle aus, die sie kennen lernten. Müssen wir uns Mary Ann in ihrer Kindheit sowie Maggie von einer Lebhaftigkeit denken, die oft an Wild heit gränzte, so erfuhr ihr Wesen in dieser Hinsicht doch sehr frühe eine Umwandlung. In Coventry hatte sie durchaus nicht die Art eines Schulmädchens, sie war für
ihr Alter ungemein ruhig und gesetzt. Ein merkwürdiger Ernst lag in ihrem Wesen und im Ausdruck ihres Ge sichtes, mit seinen eher männlichen, als weiblichen Formen. Sie war ihrer gesammten körperlichen und geistigen
155 Entwicklung nach mehr Weib, als Kind und so darf man sich nicht darüber verwundern, wenn sie im Alter von vierzehn Jahren von einem Fremden einmal für eine der Vorsteherinnen gehalten wurde. Von ihren Schulge nossinnen wurde sie angestaunt, während sie sich ihrer seits ziemlich fern von ihnen hielt, ihnen in Kenntnissen überlegen war und mit Vorliebe las. Unter ihrem ernsten, ruhigen Aeußern verbarg sich jedoch ein leidenschaftliches Herz und eine Seele, in der es heftig stürmte. Sehnsucht
nach Sympathie — eine ihrer Mitschülerinnen fand da mals Verse von ihr, die solche Sehnsucht ausdrttckten — der Widerstreit eines starken Lebenstriebes und einer Neigung zur Weltentsagung, wie sie ihn später in Maggie so schön dargestellt hat, und endlich wohl auch jenes dunkle Gefühl überlegener Kraft, welches das junge Genie empfindet, ohne noch seine Schwingen regen zu können — dies war es, was ihr Herz bewegte. Und welcher zu großen Dingen berufene Geist wäre über die unklare Jugend ohne heiße Kämpfe hinweggekommen? Doch reichten diese inneren
Aufregungen bei Miß Evans weit über die Jugend hinaus. Selbst in reiferem Alter war sie oft den heftigsten Schwermuthsanfällen ausgesetzt, zum Theil wohl eine Folge ihrer großen nervösen Erregbarkeit, und es währte lange, bevor ihre Gefühle in's Gleichgewicht kamen und sie die ersehnte innere Ruhe fand. Mit fünfzehn Jahren verließ Mary Ann die Schule. Bald nach ihrer Rückkehr in's Elternhaus sollte sie den Abschied für immer kennen lernen: ihre Mutter starb
unb sie empfand den Verlust auf's Schmerzlichste. Als sich nach nicht langer Zeit ihr Bruder und ihre Schwester
156 verheiratheten, führte Mary Ann für ihren Vater den Haushalt, beschäftigte sich mit allen Angelegenheiten der
Farm, vernachlässigte aber darüber ihre geistige Fort
bildung nicht. 1841 übersiedelte Robert Evans mit seiner Tochter nach Foleshill bei Coventry.
An diesem Orte war es,
wo Mary Ann sich jene hohe Bildung aneignete, die sich in ihren Werken nirgends verleugnet.
Sie lebte nun
hauptsächlich ihren Studien, vertiefte sich in Philosophie, unter der Anleitung
trieb
bedeutender Lehrkräfte die
klassischen und verschiedene moderne Sprachen, sowie ohne
Beihilfe Hebräisch. in der Musik.
Gleichzeitig vervollkommnete sie sich
Ihr Clavierspiel soll ihre Freunde an
gesprochen haben, wenn ihre Technik auch nicht die Kritik der Kenner bestand.
Daß sie musikalisch gebildet war,
beweisen zahlreiche Aussprüche in ihren Werken.
Von
ihrer Liebe für die Musik legt auch ihre ansprechende
„Juballegende", jedenfalls die bedeutendste ihrer größeren metrischen Dichtungen, Zeugniß ab. Als eine Gilnst des Schicksals müssen wir es be
zeichnen, daß Mary Ann in Foleshill Gelegenheit hatte, mit geistesverwandten Menschen in freundschaftliche Beziehungen
zu treten. Es waren dies Mr. Bray, dessen Frau und Miß Hennell, dessen Schwägerin, die auf einer Villa in Rosehill
lebten.
Mr. Bray, seiner äußeren Stellung nach ein
wohlhabender Industrieller,
war
dem
inneren Berufe
nach philosophischer Schriftsteller und Philanthrop.
Eine
Reihe hervorragender Schriften sind aus seiner Feder hervorgegangen, in denen er überall für Comte's Lehre
eintritt.
Auch seine Frau, eine edle und im besten Sinne
157 des Wortes religiöse Natur, die seine freien Ansichten
theilte, sowie deren Schwester, die geistvolle, doch stark
zum Mysticismus neigende Miß Hennell zeichneten sich jede in ihrer Weise in der Literatur aus.
Der intime,
fast tägliche Verkehr mit diesen hochgebildeten und frei sinnigen Menschen, in deren Hause George Combe und
Anthony Froude
häufig Gäste
waren,
wo
zuweilen
auch Ralph Waldo Emerson erschien, war für Miß Evans besonders zu jener Zeit ihres Lebens von großer Be deutung.
Nicht nur erfuhr ihr Ideen- und Jnteressen-
kreis dadurch im Allgemeinen eine Erweiterung, sondern war es auch, zum guten Theil wenigstens, dem Einfluß
ihrer Freunde zuzuschreiben, daß sie das Christenthum
mit Comte's
Religion
der
schönen
Menschlichkeit ver
tauschte, nachdem allerdings schon in der Zeit, die ihrer Bekanntschaft mit den Bray's unmittelbar vorherging, sich starke Zweifel in ihr zu regen begonnen hatten.
Lange konnte der große Umschwung,
der sich in
dieser Zeit in ihren Anschauungen vollzog, ihren streng
gläubigen Bekannten und ihrer nächsten Unigebung nicht verborgen bleiben. Es fehlte natürlich nicht an Bekehrungs versuchen; ernste Folgen aber drohte ihre Abtrünnigkeit
für ihr Verhältniß
zu ihrem Vater zu
haben.
Wie
hätte der einfache schlichte Mann den Kämpfen und Er rungenschaften seiner Tochter Verständniß entgegenbringen
sollen, wie hätte es ihn im Gegentheil nicht schmerzen sollen, daß es dahin mit ihr gekommen war?
Er forderte
von ihr die fernere Beobachtung äußerer religiöser Formen, und schon dachte Mary Ann daran, sich von ihm loszu
sagen, und allein zu leben, als durch Vermittlung von
158 Freunden, die sie überredeten, sich seinen Wünschen in jener Hinsicht zu fügen, das alte gute Einvernehmen zwischen Vater und Tochter so viel als möglich wieder hergestellt
Wir hoben bis jetzt nur hervor, welche Vortheile
wurde.
für Mary Ann aus dem Umgang mit den Bray's ent
sprangen, nicht weniger groß war aber umgekehrt die Be
deutung, welche ihr Umgang für die Freunde hatte. Denn lange bevor sie berühmt war, bildete ihr Gespräch, das
ebenso viel Geist wie Milde und Güte verrieth, den Gegen stand der Bewunderung und des Entzückens Aller, die
desselben theilhaftig werden konnten und wer mit ihr
verkehrt hatte, fand die Unterhaltung mit Anderen schaal
und bedeutungslos.
Zudem konnte Miß Evans, so zu
rückhaltend sie Fremden gegenüber zu sein pflegte, unter Freunden, trotz des allgemeinen ernsten Charakters ihres Geistes sich zuweilen einer übermüthigen Fröhlichkeit hin geben, und wie wäre es denkbar, daß die Schöpferin
von Gestalten und Scenen voll des köstlichen Humors, nicht auch int Leben diese Gabe geltend gemacht und die jenigen, die das Glück hatten ihre Freundschaft zu be
sitzen, nicht durch ihre humoristischen Einfälle bezaubert
hätte?
Die sorglose Heiterkeit der Jugend scheint unserer
Dichterin allerdings immer gefehlt zu haben, und wir
hören nichts davon, daß sie an jugendlicheit Vergnügungen jemals Freude gehabt habe.
Sie war dazu vor Allem
zu sehr von geistigen Interessen erfüllt; dann aber fehlte
ihrer äußeren Erscheinung auch jener Grad von Anmuth
und Wohlgefälligkeit, ohne welche junge Mädchen sich
nicht frei
und unbefangen unter ihren Altersgenossen
bewegen.
Sie war in jungen Jahren, abgesehen von
159
dem
Schmucke
Haars
und
einer Fülle
lichten und
schöngelockten
einer wohlproportionirten Gestalt,
durch
aus nicht hübsch zu nennen, ihre Gesichtsformen waren vielmehr ungewöhnlich massiv, der Gesichtsfarbe fehlte
die Frische, doch besserte sich ihr Aussehen mit den Jahren,
je mehr der Geist demselben sein Gepräge verlieh.
Eine
ungemeine Beweglichkeit ließ die unschöne Bildung des
großen Mundes vergessen, und ihre die Farbe stets wech
selnden Augen hatten einen außerordentlich mütterlichen
und seelenvollen Ausdruck.
Bezaubernd konnte sie sein,
wenn sie lebhaft sprach; wer sie jedoch zuerst so gesehen
und dann still vor sich hinblickend wiedersah, vermochte sie wohl
kaum mehr wiederzuerkennen.
Die Bildung
ihres Kopfes verrieth die geniale Begabung.
Mr. Bray
machte die Beobachtung, daß der Kopf George Eliot's, nächst dem Napoleon's, die größte Breite von Stirn zu
Ohr zeigte.
Auffallend ist die Aehnlichkeit zwischen ihrer
Gesichts bildung und derjenigen Savonarola's.
Sie schien
größer als sie in Wirklichkeit war, und war schlank und
gut gebaut.
Einer festen Gesundheit konnte sie sich nie
erfreuen und sie war häufig qualvollen Nervenaufregungen unterworfen. 1842 machte das Erscheinen des „Leben Jesu" von Strauß auch in England großes Aufsehen und seltsamer
weise fanden sich gerade in dem kleinen Städtchen von Warwickshire viele dafür besonders empfängliche Geister,
an deren Spitze Charles Hennell stand, der Berfaffer einer auch
in Deutschland
bestens
bekannten „Untersuchung
über den Ursprung des Christenthums." Lebhaft wünschte
man eine Uebersetzung des Werkes zu besitzen und beschloß
160 kein
Geldopfer
Bewerkstelligung
behufs
solchen
einer
Mr. Hennell aber ersah eine Miß Brabant,
zu scheuen.
die gebildete Tochter eines gelehrten Theologen, als die geeignetste Persönlichkeit, die Uebersetzung des Werkes
zu lmternehmen.
Kaum jedoch hatte er Miß Brabant
zur Uebersetzerin bestimmt, als er sie für etwas Anderes noch
geeigneter
werden.
betrachtete:
nämlich Mrs. Hennell zu
Als junge Frau konnte sie die begonnene Arbeit
jedoch nicht fortsetzen und so wurde diese Miß Evans' Händen anvertraut, die dem Paare nahe stand, und das
Freilich ging dies nicht so leicht
Werk auch vollendete. und glatt von Statten.
Die Uebersetzung bereitete ihr
mehr Mühe, als irgend eine ihrer eigenen Schöpfungen, und sie bedurfte mehr als einmal der Ermunterung von
Seiten ihrer Freunde, um die Arbeit nicht fallen zu
lassen.
Sie gelang jedoch vorzüglich und erschien 1846
bei Chapman.
Die Einführung der Dichterin in die
Literatur
demnach
war
eine
rein
zufällige
und
in
Anbetracht dessen, was sie zu leisten berufen war, kaum
eine würdige zu nennen-
So wenig regte sich jedoch in
dieser Zeit der Schaffenstrieb in ihr, daß sie fortfuhr
am Uebersetzen Freude zu finden.
Denn kaum hatte sie
das „Leben Jesu" beendet, so griff sie zu Feuerbach's
„Wesen des Christenthums".
Die Uebertragung dieses
Werkes erschien gleichfalls bei Chapman, der jedoch wenig
Für's erste machten diese Ueber-
Glück damit hatte.
tragungen den Namen Miß Evans' in gelehrten Kreisen vortheilhaft
bekannt.
Wir
haben
jedoch
noch
nicht
alle Werke genannt, die Miß Evans in ihre Mutter sprache übertrug.
Es
kommen
dazu
noch
Spinoza's
161 Abhandlung
„De Deo“
und seine Ethik.
Die Ueber-
setzung der letzteren unternahm sie im Jahre 1854, doch
erschien sie erst nach ihrem Tode.
Mr. Evans hatte beiläufig sechs Jahre mit seiner
Lieblingstochter in Foleshill verbracht, als er zu kränkeln begann.
Mary Ann pflegte ihren Vater mit Hingebung
Einige Zeit verbrachte sie mit ihm
und Aufopferung.
auf der Insel Wight, und in seinem letzten Lebensjahre
pflegte sie ihm täglich stundenlang aus Scott vorzulesen. 1849 wurde er ihr durch den Tod entrissen. den
Verlust
mit
nicht
größerem
Schmerze empfinden können. Jahren manche
und
Sie hätte
nachhaltigerem
Obwohl ja in den letzten
Verschiedenheit
der
Anschauungen ihr
Verhältniß zu dem Vater wiederholt getrübt hatte, wurde doch ihre Kindesliebe nicht dadurch beeinträchtigt.
hatten
acht Jahre
in
Sie
engster Gemeinschaft zusammen
verlebt, und die Sorge um den Vater war stets ihre erste gewesen.
Sein Tod riß eine starke Lücke in ihr
Leben und die nunmehr Alleinstehende überließ sich der
tiefsten Trauer.
Die
vortrefflichen Brap's
versuchten
ihren Gedanken und Empfindungen eine andere Richtung
zu geben, indem sie eine Reise nach dem Continent mit ihr unternahmen.
Als Reiseziel war Anfangs Italien
bestimmt, der Weg sollte durch die Schweiz genommen
werden, doch erreichte man nur die letztere.
Die ge
wünschte Wirkung wollte sich bei Miß Evans lange nicht
zeigen, und überdies wurde ihr die Reise in den Alpen durch nervöse Furchtsamkeit verleidet, der sie nur selten
Herr werden konnte.
Am Genfer See ließen die Bray's sie allein zurück, 11
? r u s k o >v i tz , Essays.
162 da sie genöthigt waren, früher nach England zurückzu kehren. Miß Evans lebte nun acht Monate in der Pension „Le Plongeau“ bei Genf. Wie für viele große Menschen,
wurde
auch
für
die
künftige Verfasserin
des
„Adam
Bede" und der „Mühle am Floß" dieser See mit seinen entzückenden Gestaden ein Tröster und Wohlthäter.
beruhigte sie sich allmälig. am Lesen.
Hier
Auch fand sie wieder Freude
Sie vertiefte sich in Rousseau und Proudhon
und machte, durch diese Denker angeregt, selbst Welt
verbesserungspläne.
Einen anregenden Verkehr fand sie
in der Person des Malers d'Albert, eines bedeutenden Künstlers und liebenswürdigen und hochgebildeten Blenschen.
Er war der Urheber des einzigen Bildnisses in Oel, welches
von ihr vorhanden ist.
Als Miß Evans die Rückreise
nach England antrat, war d'Albert ihr Begleiter.
Mary Ann's Stimmung hatte sich am Genfer See wohl gebessert.
Die Rückkehr nach der Heimath,
die
kaum mehr ihre Heimath war, riß die alte Wunde wieder
auf und das Gefühl der Verlassenheit und Verwaistheit
bemächtigte sich ihrer mehr als je.
Ihr Bruder forderte
sie auf in seinem Hause zu wohnen; allein die beiden
Menschen, die als Kinder unzertrennlich gewesen, hatten
sich längst zu sehr von einander entfernt, als daß eine Verständigung und ein Zusammenleben noch möglich ge
wesen wäre.
Wie aus dem letzten Abschnitt der Serie
„Brother and Sister“ hervorgeht, scheint diese Ent fernung schon in der Schulzeit'begonnen zu haben und
nie ein Ausgleich erfolgt zu sein.
„School parted us; we never found again That childish world where our two spirits mingled
163
Like scents from varying roses that remairi One sweetnes, nor can evermore be singled.“ Welche Wehmuth spricht aus diesen Worten, be
sonders aber zeigt wieder die „Mühle am Floß", wie nachhaltig sich die Dichterin mit dieser frühzeitigen Trennung
von dem einst geliebten Bruder beschäftigte.
Wohler fühlte sich Mary Ann bei ihren Freunden in Foleshill, in derem Hause sie ein ganzes Jahr (1850 bis 1851) verbrachte, obwohl auch hier, bei aller geistigen
Anregung, die sie fand, bei aller Herzlichkeit, mit der man ihr begegnete, eine'tiefe Melancholie nicht von ihr Für diese gab es nur ein Heilmittel, geistige Arbeit.
mich.
Doch regte sich der Schaffensdrang
noch immer nicht.
Es mußte also eine Anregung von Außen kommen.
rechten Zeit erreichte sie daher
Zur
die Aufforderung
des
Dr. Chapman, in. die Redaktion der Westminster Neview einzutreten,
welch'
letztere
John Stuart
aus
Händen in die seinen übergegangen war.
zögerte
Mill's
Miß Evans Wohl fiel ihr
keinen Augenblick und sagte zu.
der Abschied von den Freunden schwer, aber eine Stimme
daß
inahnte sie,
sie es sich selbstschuldig sei, in einen
Lebenskreis einzutreten, wo ihrer Arbeit und Thätigkeit harrten. • Sie verließ Foleshill im Juni 1851 und ging
nach London.
Dort
wohnte Miß Evans
zuerst
in
der Familie
Dr. Chapman's, der damals Pensionäre in sein Haus aufnahm und zwar besonders Personen aus literarischen
Kreisen.
Miß Evans war somit die beste Gelegenheit
geboten, mit den damaligen literarischen Berühmtheiten
Londons in Verbindung zu treten.
Sehr bald war sie ii*
164 mit Herbert Spencer befreundet, den man irrthümlicher
Weise als den Erwecker ihres Geistes und ihren Führer durch die Studien bezeichnet hat, während sie ihn doch
zu einer Zeit kennen lernte, als ihre geistige Physiognomie schon feste Formen angenoinmen und sie sich jene hohe
Bildung angeeignet hatte, von welcher gestützt und durch drungen ihr Genius so überaus herrliche Früchte hervor
zubringen berufen war. Sie stand also zu Herbert Spencer in keinem geistigen Abhängigkeitsverhältniffe, sondern war ihm, als sie ihn kennen lernte,
ebenbürtig.
band eine starke geistige Zuneigung.
Beide ver
Auch waren sie
gewissermaßen Collegen, da auch Herbert Spencer für
die Westminster Review arbeitete, deren Blüthezeit da
mals war.
Miß Evans schrieb für die Zeitschrift eine
ansehnliche Reihe größerer Aufsätze und Abhandlungen
und besorgte überdies die Bücherschau jeder Nummer. Ihre Arbeiten
gehörten zu den besten der Zeitschrift.^)
Gediegenheit und Reife der Gedanken, reiches Wissen, Witz und Phantasie — dies alles ist in ihren Aufsätzen vereinigt.
Rücksicht für den Raum verbietet uns leider
näher auf dieselben einzugehen.
Für
Miß Evans
sollte jedoch
keine ihrer neuen
’) Es ist sestgestcllt, daß folgende größere Artikel aus ihrer Feder stammen (vgl. Westminster Review Vol. LX. p. 162 und Mathilde Blind p. 71): „Life of Sterling by Carlyle“, Januar 1852; „Woman in France: Madame de Sabie“, Oktober 1854; „Evangelical Teaching: Dr. Cumming“, Oktober 1855; „German Wit: Heinrich Heine", Januar 1856; „Silly Novels by Lady Novelists“, Oktober 1856; „The National History of German Life“, Juli 1856; „Worldliness and other Worldliness: The Poet Young“, Juni 1857.
165 Londoner Bekanntschaften größere Bedeutung und nach
haltigere Folgen haben, als die mit dem vortrefflichen und
glänzenden
G. H. Lewes,
kennen lernte und Review schrieb.
den
sie bei Chapman
der gleichfalls für die Westminster
Ein philosophischer Denker, ein viel
seitiger Forscher und Gelehrter, ein bedeutender Schrift
besaß Lewes zugleich eine ungewöhnliche Bered
steller,
samkeit,
eine
berückende
Unterhaltungsgabe,
verwüstliche Heiterkeit und ein
auch
eine
sehr originelles,
etwas absonderliches Wesen.
un wenn
Trotz mancher tief
liegender Verschiedenheit bezauberten sich Miß Evans und
Lewes
die
gegenseitig,
stärkste
bewunderten
Hinneigung
einander
zu einander.
und fühlten
Eine
gesetzliche
Verbindung war jedoch zwischen diesen beiden Menschen,
von beiien der eine in dem anderen instiuctiv die Er gänzung seines eigenen Wesens suchte, nicht möglich. Lewes war an eilte Frau gebunden, die er in jungen Jahren ohne Ueberlegung geheirathet, von der er aber
vollständig getrennt lebte.
Mary Ann Evans' ab.
Alles hing von dem Muthe Gewiß trennte sie immer eine
weite Kluft von denen, welche eine sittliche Schranke im Bewußtsein der eigenen Genialität ohne Gewissenskämpfe überschreiten, noch auch verkannte sie jemals die Noth
wendigkeit der gesetzlichen Ehe.
Da es ihr aber versagt
war, das rechtmäßige Weib des Mannes zu werden, den
sie liebte, hielt sie es nicht für Unrecht, ein freies Ehe-
bündniß mit ihm einzugehen. an und
Sie nahm seinen Namen
beide betrachteten sich in jedem Sinne außer
dem gesetzlichen als einander angehörig. Man kann sich vorstellen, in welchen Aufruhr dies
166 Vorgehen, — das offenbar niemand bei ihr, der Streng gesinnten, für möglich gehalten hätte — die Verwandt
schaft in Warwickshire versetzte, die sich nun für immer
von Mary.Ann zurückzog; aber nicht nur diese biedern Leute, sondern
auch freier
denkende,
wie
die
Brays,
waren heftig bestürzt und konnten der Freundin gegen
über den alten Ton lange nicht mehr finden.
Wie mag
Mrs. Lewes bei ihrer großen Erregbarkeit unter dieser Verurtheilung gelitten haben!
die
Wir, Frau
ermessen,
überblicken,
die volle Bedeutung der genialen
wir
die
die. Beweggründe
wir
vollständig
sie zu jenem Schritte geführt, die wir
die
wissen, daß ihre Verbindung mit Lewes, wenn auch keine
gesetzmäßige, so doch
eine wahrhafte Ehe war, die auf
den stärksten und edelsten Banden beruhte und nur durch den Tod gelöst werden konnte, wir werden milder über sie Nicht daß wir die Dichterin vollständig recht
urtheilen.
fertigen zu können glauben.
Daß sie einen Verstoß gegen
eine für das Wohl der Menschheit und namentlich der Frauen sehr wichtige Schranke begangen hat, ist ja nicht
wegzuleugnen.
Ein solcher
Falle entschuldigt
wird
am
ehesten in dem
werden können, wenn er aus einer
grundsätzlichen und wahrhaften Mißachtung dessen, gegen
was verstoßen wird, hervorgeht, wie es z. B. bei Mary Godwin
Shelley
der
Fall war.
Davon
konnte
bei
Mrs. Lewes jedoch nicht die Rede sein, und mit Recht weist Miß
Blind
auf
die Kluft
hin,
die in diesem
Punkte zwischen dem Geiste ihrer Werke und dem prak
tischen Handeln der Dichterin lag.
Allein es hängt bei
einem Falle, wie der in Frage stehende, unsre Beurtheilung
167 auch davon ach welche Persönlichkeit wir vor uns haben
und
da
werden wir die geniale Persönlichkeit, welche
das üble Beispiel, das sie gegeben, den Schaden, den sie
der Gesellschaft möglicherweise zugesügt, durch die ideale Wirkung
ihrer Schöpfungen
hundert-
und
tausendfach
ausgewogen hat, jedenfalls milder beurtheilen müssen; ’)
ferner kommen die Lage,
in der gehandelt wurde und
die Motive des Handelns in Anbetracht und endlich auch der Umstand, in welchem Grade das eingegangene freie
Bündniß dem Ideal der Ehe entspricht.
Die Verbindung
zwischen unserer Hxldin mit Lewes entsprach aber dem
höchsten Ideal der Ehe.
Und ■ wer würde
andrerseits
nicht das edle Vertrauen der Dichterin, — in der wir nicht den geringsten Leichtsinn zu entdecken vermögen — in
den Mann, welchen sie liebte und den Mlith, mit dem sie das Verdammungsurtheil der Welt auf sich nahm,
be
wundern müssen? Und endlich ist es ja als ein großes Glück für die Literatur zu preisen, daß Mrs. Lewes dieses
Vertrauens und Muthes fähig gewesen. Lewes' eigene rast
lose geistige Thätigkeit, die Bewunderung, welche er ihren
Talenten entgegenbrachte und das begeisterte Vertrauen, welches er in sie setzte, sammenzunehmen,
daß
bestimmten sie, sich derart zu
ungeahnte Kräfte bei
ihr an's
T) Allerdings haben wir ein Recht darauf, von dem Genie zu wünschen, daß es auch als Mensch vollkommen sei, aber es ist andrerseits unschön, wenn wir die Irrthümer, die wir in seinem Leben entdecken, zu stark betonen, und es ist unsre Pflicht, mit dem Schaden, den es etwa gestiftet, die Vortheile zu vergleichen, welche der Welt aus seinem Wirken erwachsen sind.
168 Licht traten. ’)
Es wird erzählt, daß ihr Dichtergenie
geradezu durch einen ermunternden Ausspruch von Lewes'
Seite geweckt worden sei.
Als das Paar, nachdem es
das Jahr 1854 in Deutschland verbracht, nach London zu
rückgekehrt, sich bei der nicht besonders einträglichen Art seiner schriftstellerischen Thätigkeit, in etwas engen Ver
hältnissen befand, soll Lewes eines Tages zu Mary Ann gesagt
haben:
„Liebe,
ich glaube, du
prächtige Geschichte schreiben"
könntest
eine
und bald darauf soll die
Dichterin das erste der „Bilder aus dem geistlichen Leben" beendet haben.
Sollte die Anecdote erfunden sein, so ist
sie jedenfalls eine gelungene Bezeichnung der Art und
Weise, in welcher wir uns den Einfluß, den Lewes auf die Dichterin ausübte, zu denken haben.
Er regte sie zum
Schaffen an, — mehr als dies vermochte er jedoch nicht^ *) Eine eigenthümliche Bedeutung bekommen in Anbetracht ihrer persönlichen Lage Worte in ihrem Aussatze über Madame de Sabie, wo sie über die Laxheit französischer Anschauungen in Betreff der Ehe spricht. Indem sie dieselben tadelt, bemerkt sie jedoch: „Aber es ist unleugbar, daß Verbindungen, welche in der Reife der Gedanken und Gefühle vollzogetr sind unb nur auf natürlicher Zusammengehörigkeit und gegenseitiger Anziehung be ruhen, geeignet sind, Frauen in größere geistige Sympathie mit Männern zu bringen und ihren Antheil am politischen Drama zu erhöhen und zu vervielfältigen. Die Ruhe und Sicherheit der ehelichen Beziehungen sind unzweifelhaft der Offenbarung der höchsten Eigenschaften bei solchen Personen günstig, die schon eine hohe Culturstufe erreicht haben, selten aber fördern sie eine Leidenschaft, lvclche hinreicht, um alle Fähigkeiten zu wecken, die dazu beitragen, den geliebten Gegenstand zu gewinnen oder zu erhalten, — um Trägheit in Thätigkeit, Gleichgiltigkeit in glühende Parteinahme, Stumpfheit in Scharfsinn zu verwandeln."
169 Die
„Bilder aus dem geistlichen Leben" erschienen
zuerst in Blackwood's Magazin,
hierauf gesammelt in
Buchform (1858) unter dem Pseudonym, welches welt berühmt werden sollte.
Sowohl der Herausgeber jenes
Magazin's als auch Lewes selbst, welcher die Bilder an
den ersteren
als Produkte
eines Freundes empfohlen,
erkannten mit klarem Auge die Vorzüge derselben. Dickens sandte dem Verfasser durch den Verleger einen Brief,
in welchem er ihm seine Bewunderung ausdrückte, und
während weniger scharfsinnige Beurtheiler
auf Bulwer
oder Owen als mögliche Verfasser riethen, sah Dickens,
daß der Urheber eine Frau sein müsse.
Die Dichterin, die das Christenthum mit der Religion der Blenschlichkeit vertauscht hatte, verweilte mit Vorliebe
bei der Darstellung ehrwürdiger Geistlicher, ihres Wirkens und ihrer Schicksale. Jemand, der mit den in ihren Prosa
aufsätzen und metrischen Dichtungen niedergelegten An schauungen nicht bekannt ist und nur ihre epischen Werke
gelesen hat, dürfte kaum bemerken, daß die Dichterin nur
die Religion des Humanismus anerkailnte und pflegte, daß sie Gott nicht über den Sternen suchte, sondern in
der Menschenbrust, daß sie kein göttliches, sondern ein menschliches Ideal besaß.
Was also bewog die Dichterin
immer wieder,
einer Weltanschauung vorzu
Vertreter
führen, die sie selbst überwunden hatte? Wohl hatte sie dieselbe überwunden, aber dennoch eine tiefe Pietät für sie bewahrt, theils aus ethischen Gründen, da das Christen
thum, wie sie einmal sagt, „Gott alle jene Eigenschaften
beilegt, die wir im menschlichen Bereiche als sittlich an erkennen, weil das Gefühl seiner Gegenwart alle edlen
170 Empfindungen verstärkt und zu allen edlen Anstrengungen
ermuntert, nach demselben Principe, dem zu Folge menschliche
Zuneigung eine Quelle der Kraft istdann aber konnte
niemand eine stärkere Anhänglichkeit an die Erinnerungen und Eindrücke seiner Jugend besitzen, als George Eliot, und sie hatte ihre Jugend unter strenggläubigen Anhängern
der Hochkirche verbracht, hatte glaubenseifrige Methodisten kennen gelernt und sich viel in geistlichen Kreisen bewegt. Zugleich haben wir in ihrer objektiven Zeichnung geist licher
Gestalten
ein Zeichen jener Unparteilichkeit und
Gerechtigkeit zu sehen,
die sie nie im Stiche ließ und
die allen ihren Werken das eigenthümliche Gepräge verleiht. Wir müssen der Besprechung ihrer einzelnen Werke
hier ein paar einleitende Beckerkungen vorausschicken. Durch jene Vorzüge, die wir soeben genannt —
Unparteilichkeit und Gerechtigkeit, — reicht George Eliot größten Dichter
geradezu an die
aller Zeiten
hinan
Das Erscheinen ihrer ersten Werke muß auf die damaligen
Engländer, die unter dem Banne eines Dickens, eines Thackeray standen,
von denen der eine seine Gestalten
mit unverhohlener Sympathie oder Antipathie behandelt,
während dem anderen sich alles in Vanity fair auflöst,
eigenthümlich gewirkt haben.
George Eliot ist das Leben
tiefer Ernst und nichts Menschliches liegt ihr fern.
Jede
Menschenklasse, jede sittliche Qualität ist ihr der Er gründung und Durchforschung werth und sie ruht nicht
eher,
bis sie die letzte Falte des Herzens aufgeschlagen
und die geheimsten Beweggründe menschlichen Handelns
aufgedeckt hat.
Sie findet den Quell des Guten,
sie
glaubt an die Reinheit, an die Stärke und sittliche Kraft
—
171
—
des Menschen und hat schöne Gestalten in aufsteigender Entwickelung und Entfaltung ihrer angestammten edlen
Kräfte und Eigenschaften geschaffen; aber sie findet auch Sitz und Wurzel der
Aufzeigung
Ein Geist
der Sünde
wachsender
der Milde und
und
ist
unerbittlich
menschlicher zugleich
in
Verderbtheit.
der Strenge weht
durch alle ihre Werke und flößt dem Leser , das höchste
Und wahrlich, sie ist eine treff
Vertrauen zu ihr ein.
liche Führerin dürch das Weltwirrwesen, die keine Launen, keine
Parteileidenschaft,
kein Beschönigen,
aber auch
Die Guten Und die
keinen falschen Pessimismus kennt.
Bösen, die Gerechten und die Sündhaften zeichnet sie mit derselben seelenkundigen Feinheit,
behandelt sie mit der
selben künstlerischen Gewissenhaftigkeit und das moralische
Interesse wird überall dem dramatischen untergeordnet.
Mit der feinsten Empfindung für Recht und Unrecht aus gestattet,
erfüllt
von sittlicher Begeisterung,
oder predigt sie doch niemals. noch
der Unwille vermögen
nioralisirt
Weder die sittliche Freude
schaffende
ihre
Hand
Uebertreibungen oder Entstellungen zu verleiten.
zu
Allein
bei aller künstlerischer Unparteilichkeit, und wie sehr sie als ächte Dichterin das sittliche Interesse dem dramatischen
unterordnet, verleugnet sie doch
niemals ihren hohen
Standpunkt und ihre ethische Gediegenheit. Kurzem
von
worden,
daß
einem
in dem
der Fähigkeit der
Es ist vor
berühmten Schriftsteller behauptet
sittlichen
Jndifferentismus,
in
älteren Romandichter die Menschen
und Dinge zu nehmen wie sie sind,
ohne sie an einem
höheren Maße zu messen und ihre unsittlichen Handlungen mit voller Heiterkeit, ihre Schwächen mit aller Schonungs-
172 losigkeit hinzustellen, der Vorzug vor den modernen bestehe,
welche mehr oder weniger den sittlichen Standpunkt einer
seits, den sympathetischen andererseits aufrecht erhalten. Wir möchten
das
behaupten und in
Gegentheil
der
Tendenz der modernen Schriftsteller nur ein Zeichen der
Läuterung, der Verfeinerung und Veredlung der gesammten
Gefühlswelt erblicken, durch welche die Kunstgattung des Romanes nicht nur keinen Schaden erlitten, sondern viel
mehr selbst
eine Veredlung erfahren hat.
Aber freilich
hat sich der Dichter, wie stark sein sittlicher Sinn auch
sei, des Moralisirens zu enthalten. gerechtigkeit wäre
zu zeihen.
es,
George
Und die größte Un
Eliot des Moralisirens
Ihr großer Vorzug besteht vielmehr darin,
daß sie die größte künstlerische Unparteilichkeit mit dem
feinsten sittlichen Gefühle vereinigt. Wie diese Ver schmelzung möglich, muß man eben aus ihren Dichtungen lernen.
Dieselben sind objektiv, dem künstlerischen Gehalte
nach, zugleich
aber von
einer hohen Weltbetrachtung
durchdrungen und getragen.
Die Klage über
die Un
erbittlichkeit der Verhältnisse, welche es dem höher orga-
nisirten Menschen verwehren, sein Wesen voll zu entfalten, hallt
durch viele,
der Gedanke,
daß jede Schuld
aus
Erden sich räche, durch alle ihre Dichtungen. Doch liegen denselben auch positive Tendenzen zu Grunde. Indem sie sich liebevoll in das einzelne Individuum
versenkt, geht sie zugleich über dasselbe hinaus und betrachtet es in ihrer ernsten, großen Art im Zusamnwnhange mit
der Menschheit, ja, mit dem Weltganzen.
Zugleich fordert
sie aber, daß der Mensch sich stets als Theil des Ganzen und in lebendiger Gemeinschaft mit den Anderen fühle.
173 daß er seine persönlichen Wünsche dem Interesse derselben
unterordne
zur Selbstaufopferung seine
und ihm bis
Dienste widme.
Wie aber vermag er das? Indem er
seinem nächsten Kreise, der Familie, der Gemeinde, dem
Vaterlande mit allen Kräften des Gemüthes dient und
seine nächsten Mitmenschen fördert. George Eliot machte zuerst einfache Menschen und
Lebensverhältnisse, wie sie solche in ihrer Jugend vor
Augen gehabt, zum Gegenstände dichterischer Darstellung. Unter den Personen, welche sie in jener Zeit, nach
der sie so gern zurückblickt, am häufigsten beobachtet, — Geistliche, Pächter, Handwerker, Bauern, — giebt sie den
der Geistlichen den Vortritt.
Die drei Bilder aus dem geistlichen Leben sind in Bezilg aus Composition vielfach fehlerhaft und liegt die Stärke
der Eliotfi'chen Dichtungen überhaupt nirgends im kunst
gerechten, leicht überschaulichen Aufbau, in welchem die Franzosen Meister sind, sondern in dem lebendigen Ge fühle, mit dem sie die Dinge erfaßt und zur Anschauung bringt.
Jede dieser drei Erzählungen versetzt uns in
eine ernste (Stimmung. die
kleine
Erfindung
Geschichte fast
gar
Die einfachste Construction zeigt des
Amos Barton,
keinen Antheil
an
der die
hat, denn sie be
steht fast gairz aus Erinnerungen, aber nur der Dichter kann den Rohstoff des Ueberlieferten zu einem lebendigen
Bilde umschmelzen. Der ehrwürdige Herr Amos Barton und
seine sanfte, nachgiebige, unermüdliche Frau, die mit sieben Kindern von dem schmälsten Einkommen leben sollen; ihre Freundin, die zweifelhafte Gräfin, die aus dem Hause ihres Bruders weggejagt,
sich
in
der kleinen Familie
174 einnistet, welch' letztere trotz der Mahnungen wohlmeinender Nachbaren die Anwesenheit des beschwerlichen Gastes ruhig
bis über den armen Amos häßliche Gerüchte
erträgt,
in Umlauf kommen, während seine Frau aus Rücksicht für den anspruchsvollen Gast sich Blühen und Plagen unterwerfen muß, die ihre Kräfte erschöpfen, sodaß sie
die Geburt eines Kindes nicht überlebt, — all diese Ge stalten und Vorgänge waren der Dichterin vorgezeichnet,
allein es ist ihr Verdienst, daraus eine Geschichte voll rührender Momente gebildet zu haben.
Wer würde sich
von dem Abschiede, welchen die Sterbende von Gatten
und Kindern nimmt, von der Wirkung, hie das Unglück des verehrten Pfarrers auf die Gemeinde ausübt,
Die
fühlen?
zusannnenschmilzt",
Gefühle
in Einem
Geschichte
kleine
beschränkt
„die
ergriffen
nicht
sich
jedoch
nicht auf die von' uns bezeichneten Gestalten,- sie bietet
vielmehr eine Rundschau über den gesammten Wirkungs kreis und die ganze Gemeinde des braven Amos. ersten
humoristischen
„College" - Scene
Wurf hat die Dichterin
gethan.
Humorvoll
ist
Den
in der
auch
die
Zeichnung des Mr. Bridman, des Bruders der Gräfin
Czerlaski. — Diese Erzählung ist in der That so ein fach wie möglich und Amos Barton ein sehr schlichter
Held.
Das
Dichterin
sichtspunkt,
hat
selbst; aus
niemand
aber
sie
besser zeigt
eingesehen uns
welchem wir derartige
auch
als
die
den
Ge
Gestalten be
trachten lernen müssen, sodaß schließlich, gerade wie für
die Dichterin. selbst, die Beschäftigung mit solchen Per sonen einen besonderen Reiz für uns gewinnt.
„Liegt
nicht eine Art Tragödie in ihrer Unbedeutenheit, frägt
175 sie,
wenn wir ihr dunkles und enges Dasein mit den
glorreichen Möglichkeiten jener menschlichen Natur ver gleichen, an der sie Theil haben?" Und hier haben wir schon einen Beleg für eine oben geinachte Bemerkung.
Die lebhafteste Handlung imter den drei Bildern hat „Maynard Kilsil's Liebesgeschichte/"
Wir finden
hier schon einige (^rundtypen der Dichterüi.
Die in
teressanteste Gestalt dieser Erzählung ist Caterina Sarti. Sie ist die Tochter "eines armen italienischen Musikers
und wird nach dein Tode ihres Naters, als kleines Kürd,
von Sir
Christopher
Cheverel
mib
Gemahlin,
seiner
welche den Musiker auf einer italienischen Reise zufällig
gelernt
kennen nommen
und
haben auf
und
ihren
kinderlos
englischeil
Manor geführt, wo sie bald Aller,
sind,
511 sich ge
Landsitz
Cheverel
und besonders Sir
Christopherus Liebling wird und sich sehr zu ihrem Vor
theile
entwickelt.
Zur selben Zeit, als die kleine Tina
ilach Cheverel Maiior gebracht wird, beginnt Maynard, dainals ein halber Knabe, als Sir Christophers Mündel,
seine Ferien auf dessen Laildsitz zu verbringen und hegt
für Tina brüderliche Gefühle.
Kaum ist er jedoch von der
Schule zur Universität übergegangen, als sich seine Neigung
für das anmuthsvoll Heranwachsende Mädcheir mit den großen tiefschwarzen Augen, welches das Talent ihres Vaters geerbt hat und ihre Umgebung bald durch Gesang
und Harfenspiel bezaubern lernt, in eine tiefe Liebe ver wandelt.
Tina erwidert dieselbe nicht, wenn sie sie auch
Nicht entbehren möchte.
Maynard hegt jedoch gute Hoff
nung von der Zukunft.
Als er seine Studien vollendet,
macht Sir Christopher ihn zu seinem Kaplan
und auch
176 dieser beschäftigt sich mit dem Gedanken einer Verbindung zwischen Maynard und seinem Liebling.
Die Situation
wird aber eine wesentlich andere, als der elegante schöne Capitän Anthony Wybrow, Sir Christopher's Neffe und
künftiger Erbe zu längerem Besuche nach Cheverel Manor kommt.
Die Dichterin
zeigt uns hier das erste Mal,
daß es nicht eines schlechten Characters bedürfe, um Un heil zu stiften, sondern nur eines schwachen und unwahren. Es finden sich unter den Gestalten,
an denen sie die
Sünde und Schuld veranschaulicht, keine von allem An fang mit bösen
Neigungen
und
gefährlichen Trieben
ausgestattete Menschen, es sind vielmehr von Haus aus
gutmüthige, zugleich aber auch schwache Naturen, die dem
Unangenehnien aus dem Wege gehen und nicht die Kraft
besitzen, dem Ernst des Lebens in's Auge zu blicken. begehen
sie
So
einmal einen Fehltritt, machen sich einer
Lüge schuldig, die entweder mit der forttreibenden Gewalt,
welche dem ersten Irrthum eigen, die Ursache ist, daß sie immer bedenklichere Dinge begehen, immer tiefer sinken,
oder die in sonstiger Weise sie selbst und Andere in's Verderben stürzt.
Es
konnte der Dichterin
natürlich
nicht entgehen, daß Schwäche und Unwahrheit nicht die einzige Wurzel der Sünde seien.
weit mehr
schwache
und
haltlose,
Wohl aber giebt es als
eigentlich
böse
Menschen und die kleinen Fehltritte und deren Folgen
und nicht die großen Leidenschaften sind es, welche die menschlichen Geschicke hauptsächlich bestimmen.
Das All
gemein-Menschliche ist es aber, was George Eliot vor nehmlich darzustellen liebt.
So ist auch Anthony Wybrow
durchaus kein schlechter Mensch, er ist vielmehr eine leiden-
177 schaftslose Natur, aber auch ohne Grundsätze, ohne feineren
sittlichen Jnstict und nur darauf bedacht, seinen Neigungen
zu leben, wie er es sich selbst schuldig zu sein glaubt.
Er
macht der hübschen Caterina den Hof, versichert ihr seine
Neigung, ohne an die Folgen seines Vorgehens zu denken. Nach einigen Monaten ist die Situation jedoch weit be
denklicher geworden als er je geglaubt und Caterina hat
eine heftige Liebe zu ihm gefaßt.
Es ist um diese Zeit,
daß Sir Christopher seinem Neffen den Wunsch mittheilt,
er möge sich um die Hand einer reichen Erbin bewerben. Die junge Daine ist Anthony nicht unbekannt, ja er be'wundert sie und ist von ihrer Mutter freundlich aus
genommen worden.
Er fügt sich dem Wunsche seines
Oheims pflichtschuldigst und weiß seine Absicht vor Ca terina mit dem Scheine eines Opfers zu umgeben.
lassend.
Er
in Verzweiflung zurück
reist nach Bath ab, Caterina
Aber noch stehen dem leidenschaftlichen Mädchen
die' schlimmsten
Tage
bevor.
Anthony
kehrt
Bräutigam zurück, mit ihm kommt seine Braut.
als
In der
ergreifenden Schilderung des Gemüthszustandes der armen
Caterina treffen wir eine Stelle,
die den tiefen Blick
der Dichterin und ihre das Einzelne mit dem großen Ganzen zusammenfaffende Weltbetrachtung vortrefflich ver
anschaulicht.
„Während dies arme kleine Herz einer Last
erlag, die ihm zu schwer war, veränderlicher,
ruhigen
Bahnen;
Weg.
schrecklicher
Die
ging die Natur in un
Schönheit unerbittlich ihren
Sterne
beschrieben
ihre
ewigen
die Fluth schwoll dem sie erwartenden Sqnd
entgegen; die Sonne bereitete geschäftigen Völkern auf
der ,anderen Seite der ruhelosen Erde einen Hellen Tag. D r u s k o w i tz , Essays.
12
178 Der Strom der menschlichen Gedanken und Thaten be
wegte sich erweiternd vorwärts.
Der Astronom war bei
seinem Telescop; die großen Schiffe arbeiteten sich durch
die
Wellen;
die
geschäftige
Eile
des
Handels,
der
grimme Geist der Revolutionen hatte sich nur für kurze Zeit beruhigt; und schlaflose Staatsmänner befürchteten
die Möglichkeit
eines Umschlags
Was war unsere kleine Tina
am folgenden
Tage.
und ihre Aufregung in
diesem mächtigen Strome, der von einem unbekannten
Furchtbaren zum anderen fließt? Leichter als das kleinste
Pünktchen beweglichen Lebens im Wassertropfen, verborgen
und unbeachtet wie der Schlag der Furcht in der Brust des kleinsten Vogels, der zu seinem Neste fliegt mit dem
lang gesuchten Futter und das Nest zerstört und leer findet.". Capitän Wybrow spielt mit seiner Braut und Ca terina ein schnödes Doppelspiel, indem er immer eine
an die andere verräth.
Doch kommt Caterina's südliche
Natur mit Macht zum Durchbruch, als sie erfährt, daß
Wybrow versucht habe, ihren Pflegevater, der von nichts eine Ahnung hat, zu überreden, er möge eine Heirath
zwischen ihr und Maynard zu Stande bringen.
Von
Zorn überwältigt, bemächtigt sie sich eines Dolches und
geht Wybrow suchen, indem sie sich die Kraft zutraut,
den Stahl in des Verräthers Brust zu stoßen. findet ihn an dem Orte, wo
sie ihn gesucht,
Sie
aber auf
dem Boden hingestreckt, eine Leiche: ein Herzschlag hat ihn getödtet.
Nun erst erfährt Sir Christopher, welch
ein Drama sich in seinem Hause abgespielt.
Grenzenlos
ist Tina's Schmerz, qualvoll ihre Reue über eine Ab-
179 sicht, die sie niemals ausgeführt hätte und sie flieht zuletzt
von Gedankenschuld
gefoltert
aus
dem Schlosse.
Wie
sie nun von dem getreuen Gilftl, für dessen Liebe keine
Probe zu schwer war, in dem Anwesen einer früheren Bediensteten am Schlosse gefunden, von ihm beruhigt und der liebevollen Pflege seiner Schwester anvertraut wird,
wie ihre Seele,
die
in Apathie
zu versinken
droht,
durch den tiefen Ton eines Klaviers zu neuem Leben
geweckt wird, bis sie endlich Mapnard's Liebeswerbung erhört und die Seine wird, Gefühl geschildert.
all
das ist mit feinem
Endlich scheint ihr das Glück wieder
lächeln zu wollen und Mutterschaft verspricht ihre voll ständige geistige Genesung.
„Aber die zarte Pflanze war
zu tief gebrochen worden, und in dem Bestreben, Blüthe hervorzubringen, starb sie."
habeil
die Kraft
und
eine
Nur große Dichter
die geistige Ruhe,
entscheidende
Wendungen so einfach zu bezeichnen.
Hat diese Liebesgeschichte
eine
etwas
romantische
Färbung, so offenbart das letzte und größte der Bilder
aus dein geistlichen Leben, „Janet's Neue" einen um so
strengeren und herberen Character.
Es ist in mancher
Hinsicht die bedeutendste der drei Novellen, zugleich aber
enthält es auch so abstoßende Scenen uird Momente und
Einzelnes darin ist mit so grellen Farben gemalt, wie wir in keinem der späteren Werke der Dichterin Aehnliches
finden.
Schön ist das Hauptthema, welches,
wie ihre
späteren Dichtungen zeigen, ein Lieblingsthema George
Eliot's wurde: nämlich die Läuterung und Erhebung eines noch zu sehr in sich selbst befangenen und in Folge dessen
mit sich selbst zerfallenen weiblichen Wesens durch einen 12*
180 geistig und sittlich höherstehenden Mann zum Bewußt
sein ihrer
hier
wahren
menschlichen Bestimmung.
die unglückliche Janet, die Frau
des
Es ist
Advokaten
Dempster, eines rohen und wüsten Trunkenboldes, an der durch den Dissidentenprediger Tryan jene innere Ab klärung und Läuterung bewirkt wird.
Janet als Tryan's Widersacherin.
Zunächst erscheint
Es kommt in Milby
zu einem Kampfe zwischen Dissidenten und den Anhängern
der Hochkirche, welch letztere der Advokat Dempster an führt und übel beeinflußt, und Janet leiht ihrem Gatten die Hand zu schnöden Ausfällen, die' er gegen die Dis
sidenten und besonders gegen den Prediger Mr. Tryan
unternimmt.
Aber sie lebt in schrecklicher Ehe mit dem
Trunkenbolde und wir können nicht behaupten, daß die
Dichterin in der Schilderung der nächtlichen Excesse des letzteren und der Leiden Janet's maßvoll verfahren sei.
Um sich gegen ihr unausgesetztes häusliches Elend abzu stumpfen, hat Janet sich schließlich selbst dem Trünke ergeben'. So kommt sie körperlich und besonders seelisch immer mehr herab und verliert den Glauben an eine
ewige Gerechtigkeit und an sich selbst.
Wir gestehen,
daß es nicht viele Dinge in der Literatur giebt, welche einen so unangenehmen Eindruck hinterlassen,
wie das
Bild dieser furchtbaren, wenn auch keineswegs seltenen
Ehe, in welcher der Mann fast schon entmenscht ist, die Frau aus Verzweiflung in dessen Fußstapfen tritt und in lasterhafter Weise ihr besseres Selbst zu zerstören^ und zu tobten sucht. Die Leidensgeschichte der Unglücklichen gipfelt
darin, daß ihr Mann sie, als sie ihm eines Nachts Trotz
bietet, aus dem Bette reißt und auf die Straße wirft.
181 In dieser Lage findet die Mißhandelte Aufnahme und
Schlimmer als ihr äußeres
Schutz bei einer Freundin.
Elend fühlt sie jedoch schon am nächsten Tage ihre moralische
Haltlosigkeit.
In dieser Stimmung erinnert sie sich einer
flüchtigen Zusammenkunft mit dem einst von ihr ange-
feindeten Tryan, und des Eindrucks, den diese auf sie ge
macht.
Nur wenige Worte hatte sie von ihm vernommen,
und diese waren ein Bekenntniß eigener Leiden und Be
fürchtungen ; aber nur jemand, der selbst schwer gelitten und gekämpft, das fühlt sie, könnte in ihren Nöthen ihr
beistehen.
Der Wunsch erwacht, Tryan zu sehen.
Sie
verständigt ihn, er kommt und findet, nachdem sie ihm ihre Leidensgeschichte erzählt, Zugang zu ihrem Herzen,
indem er von seinen eigenen Kämpfen und Irrthümern
spricht, wie er einst mit sich selbst und mit Gott zerfallen war, wie er aber die Rückkehr zum Glauben fand, sich selbst vergessen und in Werken der Nächstenliebe seine höhere Bestimmung erblicken lernte.
Seine Worte bewirken den
gleichen wohlthätigen Wandel in Janet und sie beschließt, standhaft alles zu. er
zu ihrem Gatten zurückzukehren,
tragen und durch Liebe und Nachsicht auf ihn einwirken
zu wollen.
Während
sie jedoch
noch
im Hause
der
Freundin weilt, ist bei Dempster das delirium tremens zum Ausbruch gekommen.
Sie eilt zu ihm, um ihn
eines Todes sterben zu sehen, schildert werden
könnte.
der nicht gräßlicher ge
Traum
von einem
ist dahin.
Ein letztes
Janet's
Leben der Liebe und Verzeihung
Mal überkommt sie die Versuchung, Wandschrank ihres
Brandy entdeckt.
als
verstorbenen Mannes
sie in einem eine Flasche
Allein sie überwindet den Dämon und
182 schleudert die Flasche zu Boden.
Neue Verzweiflung und
mit Tryan, welch letztere ihre
eine neue Unterredung
vollständige Besserung und geistige Heilung zur Folge hat. Wohl stirbt ihr Berather an Lungenkrankheit, allein seine
Lehre wirkt segensvoll in ihrem Herzen fort.
Sie adoptirt
ein Kind und widmet sich seiner Erziehung und anderen Werken der Nächstenliebe. Die „Bilder aus dem geistlichen Leben" sind wunderbar
fein ausgeführte Skizzen.
„Adam Bede", George Eliot's
nächstes Werk, ist ein breiter angelegtes Lebensbild.
Hier
läßt die Dichterin schön ihr ganzes Orchester erklingen, hier zeigt sie sich als eine Volksdichterin im besten Sinne
des Wortes und erfüllt die Aufgabe,
die sie in einer
Zeit, als ihr eigenes produktives Talent noch nicht er
wacht war, in einer Abhandlung als Hauptaufgabe des Dichters bezeichnet hat, in unvergleichlicher Weise.
sagt daselbst:
„Kunst ist
Sie
der dem Leben nächststehende
Faktor; sie ist eine Art, unsere Erfahrung zu erweitern und unsere Berührung mit unsern Mitmenschen über die
Grenzen unseres p ersönlichen Looses auszudehnen.
Um
so heiliger aber ist die Aufgabe des Dichters, wenn er
es.unternimmt, das Leben des Volkes zu schildern." Freilich
umfaßte die
Dichterin mit ihren Sympathien
die gesammte Welt und alle Existenzen, vor Allem aber galten sie dem Volke, dem sie selbst entstammte.
Jene
Menschenklassen, welchen meist ein so hartes Leben zu
Theil ist, liebt sie mit besonderer Innigkeit.
Der Grund
gedanke des „Adam Bede" ist daher Schätzung der Arbeit, Schätzung jener Beschäftigungen, welche die Grundlage
des gesellschaftlichen Lebens bilden,
auf welche höhere
183 Schichten dankbar herabblicken sollten, da sie die noth
wendige bilden.
Voraussetzung Zugleich
aber
eigenen
ihres
Vorhandenseins
hat jede nützliche und ehrliche
Arbeit ihre Poesie, und „Adam Bede" ist eine Verklärung
der Arbeit.
George Eliot adelt das Volk, aber sie re-
volutionirt es nicht.
Sie zeigt den höheren, verhältniß-
welche Kraft
mäßig glücklicher situirten Ständen,
der
Entsagung, welche Charactertüchtigkeit im Volke zu finden ist, aber sie betont nie mit Bitterkeit dessen schwierigere
Lage.
Doch
strebt
sie keineswegs,
die Gestalten
aus
dem Volke zu idealisiren, sie stellt sie vielmehr dar wie
sie sind,
und wie sie sind,
sollen wir sie lieben.
So
bemerkt sie im Anschluß an jene soeben citirten Worte: „Fälschung ist bei Schilderung des Volkes bei weitem gefährlicher als in den künstlicheren Lebensbeziehungen.
Es liegt nicht soviel daran, wenn wir falsche Anschauungen über vorübergehende Sitten haben, z. B. über die Ge wohnheiten und Gespräche
galanten Herren und
von
Herzoginnen; aber es liegt etwas daran, ob unsere Theil nahme an den ewigen Freuden und Kämpfen, an der Arbeit,
an Leid und Lust des Lebens unserer schwerer beladenen
Mitmenschen einem falschen Bilde zugewandt und
gekehrt sei, oder einem wahren."
zu-
Wenn uns die Dichterin
Leute aus dem Volke vorführt, so ist damit nicht gesagt, daß
dieselben von gewöhnlichem Schlage sein müssen,
wenn sie auch nirgends das Gepräge ihres Standes und ihrer Stellung
verleugnen.
So
ist
Adam Bede ein
Mensch von der seltensten Stärke des Gemüthes und des
Characters.
Aber freilich,
obwohl ein „König unter
Bauern, ein Fürst unter Handwerkern", bleibt er doch
184 immer ein Bauer und Zimmermann. scheinung mächtig, ja athletisch,
so
Sowie seine Er
ist auch in seinem
Innern keine Schwäche zu entdecken.
Willensstark, ein
unermüdlicher Arbeiter, durch jund durch redlich und wahr heitsliebend tritt er uns von allem Anfang an entgegen. Streng gegen sich selbst,
ist er es auch gegen andere,
so gegen seinen Vater, der sich dem Trünke ergiebt und
die Arbeit vernachlässigt. Adam hat noch Eines zu lernen: die Nachsicht mit fremden Fehlern und Schwächen.
Er
kennt zwar die Härte seiner Natur, er kämpft dagegen
und als sein Vater den Tod durch Ertrinken findet, so
erfaßt heftige Reue sein Herz über die Strenge, mit der er den Lebenden verurtheilt, allein diese Reue führt zu
nächst noch keine wirkliche Besserung seines Wesens herbei.
oder Milderung
Er muß wie wir alle, den Schmerz,
den tiefsten Seelenschmerz kennen lernen, um jene Voll kommenheit zu erreichen, welche er zu erreichen im Stande
ist.
Man hat behauptet, daß Adam Bede eine von
vornherein abgeschlossene Gestalt sei, die keiner Entwicklung fähig.
Er i st einer Entwicklung fähig und zwar in dem
Punkte, den wir soeben angedeutet, und er ist am Schluffe
der Erzählung entschieden ein anderer,
derselben. von
den
als zu Beginn
Wohl aber erscheint er auch schon anfangs zartesten Empfindungen beseelt.
Er ist meist
langmüthig und nachsichtig gegen seine stets jammernde
und zerfahrene Mutter,
ihm
hängt,
er
ist
die
liebevoll
mit abgöttischer Liebe an gegen
seinen
jüngeren
schwärmerischen Bruder Seth, welcher der Methodisten
predigerin Dinah Morris seine Liebe geweiht hat und
endlich wohnt in seinem eigenen Herzen die zarteste Liebe
zur schönen Hetty ©ortet, der Nichte des Pächters Poyser. Welch ein entzückendes Bild versteht die Dichterin von der Schönheit dieses jungen Geschöpfes zu geben! Aber welches Herz, welche Seele verbirgt sich unter dieser liebreizenden Hülle? Gar kein Herz, gar keine Seele verbirgt sich darunter, ober doch nur ein recht armes, ödes Herz und eine recht kleine ganz und gar auf nichtige und erbärmliche Dinge gerichtete Seele. Hetty kennt keine Dankbarkeit, keine Anhänglichkeit, weder an Menschen noch an Orte, und Kinder erscheinen ihr wie Mücken, die einen an heißen Sommertagen quälen. Es ist leider wahr, was ihre uin treffende Vergleiche nie verlegene Tante, Frau Poyser, die Pächtersfrau, von ihr sagt: „Sie ist gerade wie ein Pfau, der auf der Mauer hcrumspaziert und sein Rad in der Sonne ansbreitet, wenn auch" alle Leute im Dorfe im Sterben lägen." Sie ist ganz eitel und oberflächlich und besitzt einen sehr aus geprägten Sinn für Tand und Luxusgegenstände und für alles, was nicht an Arbeit erinnert. Wir mochten nicht mit Aiiß Blind behaupten, daß ein Mann, der solch ein bezauberndes Wesen geschaffen hätte, sich von ihr hätte Hinreißen lassen und doch einen schonen Zug in ihr Herz gelegt Hütte, wir haben ja Beweise des Gegentheils; kaum aber dürfte eine Dichterin, welche selbst von Natur mit ähnlichen äußeren Reizen 'wie Hetty geschmückt gewesen wäre, ein solches Widerspiel von Schönheit der Erscheinung und innerer Armseligkeit haben schaffen können. Die Gestalt ist so währ wie möglich, ja, sie hat eine Wahrheit, wie sie sonst meist
186 nur jene dichterischen Gestalten besitzen, in die der Dichter
etwas von sich selbst hineingelegt oder in denen er den vollkommensten Gegensatz zu seiner eigenen Persönlichkeit
geschaffen hat.
Und dieser vollkommenste Gegensatz besteht
hier zwischen der Dichterin und der von ihr geschaffenen
Gestalt in der That.
Es ist natürlich, daß der
ver
führerisch schönen, nur auf Aeußerlichkeiten gerichteten Hetty der baumlange Zimmerinann Adam mit seinen rauhen
breiten Händen
kein
erwünschter Bewerber sein kann,
um so besser gefällt ihr der hübsche Neffe des Schloß
herrn, der elegante Capitän Arthur Donnithorne, der ihr den Hof machte.
Obwohl sympathischer und warm
herziger, als Anthony Wybrow, ist Arthur von demselben Schlage wie dieser. Er hat nicht die Kraft, seinen Neigungen
zu widerstehen und wenn er ein Unrecht begangen hat,
glaubt er dasselbe wieder gut machen zu können, doch nicht immer möglich ist.
was
So bildet er einen offen
baren Gegensatz zu dem starken, pflichtersüllten Adam,
der nie vom Pfade des Rechten abweicht,
außer darin,
daß er das Unrecht Anderer oft zu hart beurtheilt.
Auch
Arthur ist offen und wahrheitsliebend, aber als er ein mal
einen Fehltritt begangen,
anklage zu
schwer
und
er
wird
greift
ihm
die Selbst
zur Lüge.
Arthur
weiß, als er Hetty das erste Mal sieht, nicht, daß Adam,
den er von seinem Knabenalter an gerne hat, sie liebe.
Auch kämpft er gegen seine Neigung zu dem schönen Mädchen, aber freilich nur mit halbem Willen und ohne die Kraft, seine guten Vorsätze durchzuführen.
Vortrefflich
wird dieser Scheinkampf, dies Suchen und Fliehen, dies
Zagen und Wagen von der Dichterin dargestellt. Ueberaus
187 frisch ist die Schilderung der ersten Begegnung der Lie
benden im Wäldchen, das zwischen dem Schlosse und dem
Pachthof liegt, so frisch, als wäre diese Siebe die erste, als wäre Liebesglück
eine kurze
vorher
nie
geschildert worden.
Sommerzeit schwelgt
das
Nur
Paar in seinem
Glücke, dessen Schauplatz immer dasselbe Wäldchen. Eines
Tages überrascht sie Adam, der keine Ahnung von diesen Zusammenkünften gehabt, und im Gegentheil in der letzteil
Zeit auf das Erwachen einer Gegenliebe bei Hetty gehofft
hatte. Es kommt, nachdem Helly entschlüpft, zu einer pein lichen Scene zwischen den beiden Männern, die bis dahin
einander so zugethan waren.
Arthur täuscht Adam über
die Art seines Verhältnisses zu Hetty und Adam fordert von ihm, daß er Hetty einen Brief schreibe, worin er ihr. die
Aussichtslosigkeit
ihrer Liebe
auseinandersetze.
Arthur willigt ein, schreibt den Brief und begiebt sich
zu seinem Regiments nach Windsor zurück, in der Meinung, daß das begangene Unrecht gesühnt sei.
Unser ganzes
Interesse wird nun auf die Wirkung concentrirt, welche Arthur's Brief auf die schwache oberflächliche Hetty hervor
bringt, die bis dahin den Schmerz nicht gekannt. ein Donnerschlag
Wie
trifft sie die grausame Enttäuschung.
Sie verbringt eine Nacht mit leidenschaftlichem Schluchzen,
dann
folgt der Jammer
mit trockenem Auge.
Es ist
durchaus characteristisch für sie, daß das erste Bedürfniß,
welches sich nun bei ihrer sonst keineswegs zu kühnen Entschlüssen geneigten Natur, in ihr regt, das ist, ihre Ver
wandten zu verlassen, eine Stelle zu suchen.
Die guten
Poyser's widersetzen sich der Ausführung. dieses Planes jedoch auf das Entschiedenste und legen ihr den Gedanken
188 einer Heirath mit Adam nahe, dessen Liebe zu Hetty nur
noch stärker gew'orden und der von seinem Principal zur
Theilnahnie cm dessen Geschäfte aufgefordert, sich in der Lage
befindet,
einen
eigenen
Auch darauf geht Hetty
Hausstand
zu
gründen.
ein, die um jeden Preis eine
Veränderung ihres Zustandes wünscht.
Das entspricht
alles genau ihrem Character, aber freilich ist diese Wahr heit fast unbarmherzig.
Doch die Dichterin hat diese
Gestalt einmal geschaffen und muß nun „die Regungen einer kleinen oberflächlichen Seele, die gegen die ernsten
und traurigen Geschicke des Menschen ankämpft", auch
zeigen und
darf
vor
keiner Consequenz zurückscheuen.
Als Adam nun als Bewerber um Hetty's Hand auftritt,
nimmt diese seinen Antrag
an.
Allein es soll keine
Ruhe, kein friedliches Glück mehr für sie geben.
.Ein
zweites Leben athmet in ihr und sie flieht, als sie be
fürchten muß, sich zu verrathen, vom Pachthofe.
Mit
gespanntem Interesse verfolgen wir jeden ihrer Schritte,
der sie abwärts führt auf schiefer Ebene in die Tiefe äußersten Verderbens, wie sie nach Windsor wandert. um Arthur zu suchen und als sie ihn nicht findet, in
Verzweiflung zurückkehrt.
Es folgt der Kindesmord und
ihre Verurtheilung.
George Eliot ist Meisterin in'der Darstellung der Wirkungen,
welche
eine
große
Schicksalswendung
auf
jene Personen heroorbringt, welche den Betroffenen am nächsten stehen und zeigt darin ihre wundervolle Seelenkenntniß.
Grenzenlos ist Adam's Seelenjammer und von
ergreifender Wirkung die Scene zwischen ihm und Hetty
im Kerker;
die raffinirteste Rache des
Schicksals. soll
189 Er ist auf die Nachricht
aber auch. Arthur erfahren.
vom Tode seines Oheims nach Hause geeilt, um sein
Erbe in Empfang zu nehmen.
Die Dichterin schildert
seine Ankunft, sein Behagen, als
strengung der Reise erholt,
er sich, von der An
an das Lesen von Briefen
begiebt. Doch der erste Brief, den er öffnet, bringt ihm die
Nachricht von Hettp's Schicksal. fürchterlicher Wechsel seiner Lage!
Welch' jäher, welch'
vernichtet
all
seine
Hoffnungen, all seine Pläne! In rasender Eile reitet er nach London, wo es ihm gelingt, die Begnadigung Hetty's
zu erwirken. Auf schäumendem Rosse, mit hervorquellenden Augen, das Dokument hoch in der Luft haltend, langt
er noch rechtzeitig am Richtplatze an.
Hetty wird zur
Deportation bestimmt. Und wie gestaltet sich nun das Schicksal der zunächst
Betheiligten, Arthur's und Adam's? Noch einmal treffen
sich Beide cm dem Orte, wo sie einst so heftig aneinander gerathen.
Arthur zeigt,
daß
er ein guter Mensch ist,
indem er Adam mittheilt, das Schloß verlassen und in
den Krieg ziehen zu wollen, um es den braven Poyser's,
welche die Schande, die ihre Angehörige über sie ge bracht, so tief fühlen, zu ermöglichen, in der Gegend zu bleiben.
Adam scheint der Versöhnung lange unzugänglich
zu sein und die harte Rinde sich nicht von seinem Herzen lösen zu wollen.
wohl
Als Arthur jedoch meint, daß Adam sich
selbst niemals
etwas vorzuwerfen hatte, um
zu
begreifen, wie schwer das Bewußtsein der Schuld sei, trifft dies Wort ihn in's Herz, er erinnert sich seiner einstigen
Härte gegen seinen alten Vater.
Eine Wandlung geht
190 in ihm vor und er bittet nun Arthur, ihm die Hand
zu reichen, die er einst zurückgewiesen.
Aber es soll Adam, wie er es verdient, doch noch das Glück lächeln, es soll ein edles Weib, das wahre Liebe
für ihn empfindet, warmen Sonnenschein in sein Leben
bringen, dessen Gefährtin sie wird.
Wir erwähnten schon
einmal der herrlichen Dinah Morris, der Methodisten predigerin, die einen so merkwürdigen Gegensatz zu Hetty
Sorrel bildet, ein Gegensatz,
Erscheinung ausgedrückt ist.
der schon in der äußeren
Wo dieses, von evangelischem
Liebestrieb beseelte lilienreine Wesen erscheint, wo wir ihre sanfte Stimme und ihre krystallhelle Rede vernehmen, da wird es licht und hell vor uns.
Bei einem zufälligen
äußeren Anlasse ist die Rednergabe in Dinah Morris er wacht.
Sie spricht, wenn die Inspiration über sie kommt,
wie ein Dichter dichtet und dann
strömen Worte,
so
machtvolle Worte über ihre Lippen, daß Männer weinen,
Frauen
in Ohnmacht
fallen.
Wie
ein milder Geist
wandelt sie unter den Menschen einher, ein Segen jedem Orte, an dem sie erscheint,
ein Seelentrost für Kranke
und Leidende, und niemand widersteht dem Zauber ihrer Worte.
Man hat es getadelt, daß die Dichterin Dinah
Morris' Opferdrang und Opfermuth nicht als die Folge persönlicher Leiden und Kämpfe dargestellt habe, dann
wäre aber Dinah Morris eben nicht Dinah Morris ge worden.
Weil ihrem selbstlosen Walten nun die Vor
geschichte fehlt, wollte man ihrem Wesen überhaupt die Ge
schichte, die Entwicklung absprechen.
Und doch ist eine
solche ja deutlich vorhanden, nur daß die Entwicklung, die
in Dinah stattfindet, das Gegentheil von jener ist, die
191 man an ihr vermißt hat.
Dinah, die zuerst als ein
Wesen ohne alle persönlichen Wünsche erscheint, erwacht
durch die Liebe zu Adam Bede zum persönlichen Leben und die schließliche Vereinigung dieser beiden herrlichen
Menschen ist wohl der einzig richtige Abschluß, welchen
die Dichterin ihrem Werke geben konnte. Um einige Nebenfiguren dieser Erzählung
hervor
zuheben, so hat die Dichterin mit besonderer Vorliebe den Rector Irwine, den Freund und Lehrer Arthur Donnithorne's geschildert. und
Er ist ein liebenswürdiger, heiterer
lebenslustiger Weltmann, zugleich aber ein guter
Prediger
und ein durch
gesinnter Akensch,
und durch milder und edel
der für seine Umgebung die zartesten
Rücksichten kennt und wie Sonnenschein auf sie wirkt. Er ist so recht ein Mensch, wie die Dichterin sie liebt und von denen sie sich mehr Heil für die Welt verspricht,
als von Weltverbesserern und Reformatoren.
Vortrefflich
gezeichnet sind auch die Mutter Jrwine's, die alte prächtige Dame mit dem adligen Gesichtsschnitt und der vornehmen
Haltung, sowie seine beiden häßlichen Schwestern reiferen Alters.
Der
Gegenstand
des Entzückens aller, welche
über „Adam Bede" gesprochen haben, bildet unter den
Gestalten des Pachthofes die vortreffliche Frau Popser. In der That hat nie ein Dichter eine Gestalt geschaffen,
in welcher der Volkswitz mit seinen Sprichwörtern, seinen schlagenden Vergleichen und treffenden Bildern besser ver
anschaulicht worden wäre,
Pächtersfrau geschieht.
als
es
in dieser wackeren
Von ihr sagt Pastor Irwine:
„Ihre Zunge ist wie ein frisch geschliffenes Rasirmesser. Und dabei ist sie so originell und hat den natürlichen
192 Witz, her. eine ganze Grafschaft mit Sprichwörtern ver Und von Pastor Irwine
sorgt."
sagt
einmal Frau-
Poyser ihrerseits: „Ja! es ist ein w,ahrer Staat, so ’nen
Mann Sonntags auf der Kanzel zu sehen! Es ist grade so, als sähe man so'n recht volles Weizenfeld oder ’ne
Wiese mit ’nem Trupp Kühe darauf."
Und noch ein
anderes Beispiel ihres Witzes: „Mit den drei Mädchen
im Hause müßt ich noch einmal so viel Kräfte haben, um die bei der Arbeit zu halten,
das ist gerade, als
wenn man drei Braten, jeden an einem besonderen Feuer
hat, wenn man den einen begießt, brennt der andre an." Ueber solche Aussprüche — und Frau Poyser ist reich
daran
—
muß
man
herzlich
lachen
und
auch noch
manches andere Ergötzliche ist in „Adam Bede."
Aber
Humor von der Art, wie wir ihn bei Cervantes, Sterne, Jean Paul, Dickens, Fritz Reuter finden, hat die Dichterin
bei Zeichnung der Frau Poyser allerdings nicht geleitet. In die Reihe jener Humoristen trat sie erst in der un
übertrefflichen Darstellung der Philister und Spießbürger
in der „Mühle am Floß."
Es ist bekannt, daß George Eliot in „Adam Bede" viele
wirkliche
geschildert
hat.
Personen
und
Plätze
Der Leser findet über
nähere Aufschlüsse bei Miß Blind.
ihrer
Heimath
diesen Punkt
Aber schon in den
„Bildern aus dem geistlichen Leben" fanden die Be
wohner
von
zu
Nuneaton
Personen und Orte,
ihrem
höchsten
Erstaunen
die ihnen wohl bekannt waren.
Sie sahen, daß Jemand aus ihrer Mitte der Urheber
derselben sein müsse.
Da war aber nur ein Einziger,
den man für fähig hielt,
jene Erzählungen geschrieben
193 zu haben, ein gewisser Liggins nämlich, der auch sonst
in dem Ruf
gelehrter Bildung stand.
Ihn hielt man
also für denjenigen, der sich hinter dem Namen George Eliot verberge.
Liggins wußte zunächst nicht recht, wie er
auf die ihm erwiesene Ehre reagiren solle; als jedoch „Adam
Bede" erschien und einen ungeheuren Erfolg errang, so
nahm er dieselbe bereitwillig an. Es war deshalb hohe Zeit, daß sich der wahre Autor zu erkennen gab, was auf dem
Titelblatte der „Mühle am Floß" geschah. heute noch
Doch soll
ein Mann auf der Insel Man leben,
der
immer noch Liggins für den Verfasser der Werke George Eliot's hält. In „Adam Bede" sind die Hauptgestalten Personen
aus dem Volke, .in der „Mühle am Floß" versetzt uns die Dichterin in bürgerliche, nein, in spießbürgerliche Kreise
des englischen Provinziallebens.
In diesen nun ist ein
Fremdling und lebt in ständigem Kampfe mit ihnen Maggie Tulliver, eine der herrlichsten von George Eliot's Frauen gestalten.
Maggie zählt ebenso wie Dorothea in „Middle-
march" zu jener Menschenklasse,
die bei hervorragenden
Anlagen, idealein Sinne und seltenen Kräften des Ge
müthes ihre Stelle im Leben nicht finden.
Wir wollen
es dahingestellt sein lassen, ob sie dieselbe überhaupt nicht finden können.
„Problematische Naturen" ist ein Schlag
wort des Tages geworden. Wir müssen es in Ermangelung
eines anderen auch auf jene eben von uns bezeichneten Frauengestalten anwenden.
Während männliche Schrift
steller problematische Männer dargestellt haben, schildert George Eliot immer nur problematische Frauen.
In der „Mühle am Floß" hat uns die Dichterin D r u s k o w i tz, Essays.
13
194 mehr von ihren eigenen Kämpfen, Schicksaleil und Lebens
beziehungen
mitgetheilt,
als
in irgend
einer anderen
Dichtung und zugleich ihrem Bedürfnisse nach allseitiger Spiegelung und genetischer Entwickelung der Charactere
am meisten Genüge gethan, indem sie uns ihre Helden schon als Kinder vorführt.
Dieser Kindergeschichte kann
in Bezug auf dichterischen Gehalt, auf tiefes Eindringen
in die Kindesseele, wenn irgend etwas, so höchstens nur diejenige
in Gottfried Keller's „Grünem Heinrich" ver
glichen werden. . Doch fehlt hier der interessante Gegen satz der Geschwister und ferner. ist das Kind Maggie eine
Schöpfung, die nicht ihres Gleichen in der gesummten Literatur hat.
Wir beobachten Toni und Maggie theils
in der Mühle ihres Vaters, am Gestade des Flusses, dessen Rauschen ihren Lebensgang begleitet, dessen Wogen einst
über ihren enttäuschten Herzen zusammenschlagen sollen, theils in dem Hause des Pastors Sterling, dessen Leitung
Tom, als er dreizehn Jahre zählt, übergeben wird uni> wo Maggie ihn besucht.
Schon die äußere Erscheinung
Maggie's, ihre dunklen Augen,
aus denen Leidenschaft
und Genie
blitzt und die Fluth schwarzer Haare,
über
Stirne
ihre
hereinfallen
und
die
sie wie
shetländisches Pony schüttelt, ist ungewöhnlich.
die
ein
Wir cha-
racterisiren sie nicht genügend, wenn wir von ihrer wilden Grazie, ihrer Unbändigkeit, die sich jedes mütkerlichen
Zügels entschlägt, von ihrem wilden Trotze und ihrem
ungestümen Liebesdrange, der zunächst ganz auf Bruder Tom gerichtet ist, sprechen:
es leben
in diesem Kinde
Kräfte und Leidenschaften, die, man nröchte sagen, einen heidnischen Character. haben.
Aber, wie der Poesie die
195 Prosa, wie der Phantasie der praktische Verstand, steht
diesem berückenden Wesen der rothwangige, gewöhnlich aussehende, nüchterne -Tom gegenüber, dessen Sinn nur
auf das Nächste gerichtet, der von
lichen Gerechtigkeitsgefühle
eine
Willensstärke
und
einem
schier pein
durchdrungen ist,
einen
praktischen
aber auch
Blick
zeigt,
der für seine Zukunft nur Günstiges prophezeien läßt. Indeß fehlen ihm auch zartere Regungen und Gefühle
keineswegs.
Seinen Vater hält er
für unfehlbar;
zu
seiner Mutter hat er ein inniges Verhältniß, auch seine
Schwester liebt er, ja, er ist sogar im Stande, ein Opfer für sie zu bringen,
aber wenn
er
glaubt,
daß
sie
Unrecht gethan, einen Verstoß begangen, behandelt er
sie hart.
In wunderbarer Weise
wird
der Gegensatz
ihrer Neigungen und Antriebe gekennzeichnet und das
Spiel ihrer jungen Leidenschaften geschildert.
Und da
ist noch eine dritte Kindergestalt, die zahine, ächt mädchen und
hafte
wohlgekämmte
Lucie
Deane,
deren
Vor
bild George Eliot's ältere Schwester Christiana gewesen
ist,
die
in dieser
Eifersucht
gequält,
Geschichte eine
Rolle spielt.
stößt Maggie, das
Von
hübsche artige
Mädchen, bei einer gemeinsamen Streiferei, wo Tom all seine Aufmerksamkeit dieser geschenkt hat, in eine Pfütze
und als Tom ihr deshalb einen Schlag versetzt,
sie wuthentbrannt ein
längst
gehegtes Vorhabeir
indem sie unter die Zigeuner geht.
führt
aus,
Wir bemerkten be
reits, daß diese ergötzliche Episode (wir finden eine ähn liche in Disraeli's „Venetia") gleichfalls einer Erinnerung
der Dichterin an ihre eigne Jugend die Entstehung ver dankt.
Die Komik der Scene im Zigeunerlager gipfelt 13* *
196 in den Worten, die Maggie an die Zigeunermutter richtet :
„ich möchte meinen Thee haben."
Glücklicherweise wird
die kleine Abenteurerin von einem der Zigeuner zurück
geführt und ihrem Vater überliefert.
ihres
Leidenschaft
der
in
Vaters,
und
der
ihr
Es ist die Familie Wesen,
ihre
Herzens
ihre
excentrisches
Reichthum
ihres
entartet aber ist sie vom Standpunkte
Wurzel haben,
der unübertrefflichen Dodson's, der Familie ihrer Mutter
aus betrachtet, mit deren edlen Characterzügen sie keine
Wie schrecklich!
Aehnlichkeit hat.
Unzählige Male hat
den adeligen Ahnenstolz satirisch angegriffen und
man
humoristisch
belächelt;
aber zum
ersten Mal
hat die
Dichterin hier den verhärteten Stolz, den zähen FamilienEgoismus einer Spießbürgerfamilie, und zwar einer
englischen, die
der
jeden, als
die
sich
aus
für
die erste
Familie der Welt,
für
ihrem Schoße hervorgeht,
ganze übrige Welt hält und
in
bester
allem
und
jedem ihre besondere Art und Weise hat (the way in our family) mit köstlichem Humor zur Darstellung ge
bracht und es ist dies kein an der Oberfläche spielender und
an Aeußerlichkeiten
innere Wesen Sinne.
sich ergötzender,
sondern das
erfassender Humor, Humor im höchsten
Die drei Schwestern Dodson, die schwachsinnige
Mrs. Tulliver, die weinerliche, stets medizinirende Mrs.
Pullet und die herrschsüchtige Mrs. Glegg, welch' letztere den
Dodson'schen
repräsentirt,
Familiengeist
bilden nebst
wieder
am
Reinsten
Mr. Glegg und Mr. Pullet
eine Gruppe von Spießbürgern, wie sie nicht ergötzlicher gedacht
werden
kann.
Gegenüber
in diese Gestalten gelegt,
dem
ist derjenige,
Humor,
der
mit dem die
197 seicht zu nennen.
Dichterin Fran Poyser ausgestattet,
Der
wahre
Tulliver,
in
Dodson'schen
Erbe
des
dem
Dodson'schen
sich
Geistes
die Hartnäckigkeit der
Generation
in
Thatkraft
und
Tom
ist
älteren Energie
umsetzt. Tom und Bcaggie wachsen in dem Glauben auf,
daß
ihr Vater, der Besitzer der Dorlcote Mühle,
äußerst wohlhabender Mann sei.
ein
Tulliver ist ein grund
ehrlicher, gutmüthiger, dabei stolzer und leidenschaftlicher
Mensch mit beschränkten Ansichten und gefährlichen Nei gungen.
Er findet die Welt überaus verzwickt und hält
Kornwürmer, Ratten und Rechtsgelehrte
des Teufels.
für Geschöpfe
Sein Widerwille gegen die Rechtsgelehrten
gipfelt in einem verbissenen Haß gegen den Advokaten
Wakem.
Tulliver erinnert an die. Bauern in Gottfried
Keller's „Romeo und Julie" und wie diese processirt er sich zu Schanden und zwar gegen einen Clienten des genannten Wakem.
So steht eines Tages der Bankerott
vor der Thüre und als Tulliver's
letzte Hoffnung auf
eine mögliche Rettung vereitelt wird, da trifft ihn ein Schlaganfall, so - daß er überdies für längere Zeit un
fähig ist, die Geschäfte zu leiten. Wirkung dargestellt,
welche
Ergreifend ist
die Nachricht
die
dieses plötz
lichen Umschlags auf die Geschwister macht, die beide auswärts weilen und Hand in Hand in das verwandelte
Vaterhaus eintreten, wo die erste Person,
der sie be
gegnen, ein Gerichtsdiener ist. Unsere Theilnahme concentritt sich zunächst auf Tom,
der unter der Wucht solcher Schicksalsschläge plötzlich zum Manne heranreift.
Schon während des Familienrathes
198 sticht sein Benehmen von dem Gejammer seiner Mutter
um ihr Porcellan und ihren Theetops, den Hammer kommen sollen, Raisvnniren
der
und dem
geizigen Verwandten
die
auch unter
Schelten und
vortheilhaft ab
und er giebt einen schönen Beweis seines Rechtlichkeits gefühls,
als
er auf Vernichtung
eines Schuldscheines
dringt, den eine Schwester seines Vaters diesem ausge
stellt hat und von welchem dieser vor seiner Krankheit
erklärte, keinen Gebrauch machen zu wollen..
Als aber
die Pfändung erfolgt ist und noch eine große Schuld un
beglichen bleibt, da wird Tom die Stütze der Familie, indem er die nächste kaufmännische Stelle, die sich ihm
bietet, annimmt, durch seine Tüchtigkeit sehr bald die Aufmerksamkeit der Principale auf sich zieht und über
dies das Glück hat, auf eigene Faust vortheilhafte Ge
schäfte zu machen.
Die Mühle ist hauptsächlich in Folge
der diplomatischen Kunst der armen Frau Tulliver, die durch das Unglück vollständig Kind geworden, anläßlich
eines Besuches bei dem Advokaten Wakem, wo sie Alles
zu Gunsten ihres Mannes zum Ausgleich zu bringen hoffte, durch verkehrte Reden aber das Gegencheil bewirkte, von diesem erstanden worden.
Wakem aber hat. Tulliver den
Antrag gemacht, die Mühle zu verwalten, und Tulliver hat,
durch das Schicksal gezwungen, nach heftigen Seelen
kämpfen sich entschlossen, die Stelle anzunehmen. durch
hat
sein Haß
Da-,
gegen Wakem einen dämonischen
Charakter angenommen und er läßt Tom in eine alte Bibel den Schwur schreiben, daß er, Tom, Wakem und die Seinen,
wenn die Stunde gekommen sei,
lassen wolle, was dieser an seinem Vater gethan.
fühlen
199 Wie aber steht es um Maggie?
In der ersten Zeit
ihres häuslichen Unglücks war sie vielleicht weniger bedauernswerth
als
denn
Tom,
„der
Kummer
schaffte
Raum für den Erguß ihrer Liebe und den Flügelschlag
ihrer leidenschaftlichen Natur".
ist sie später, Thätigkeit
sie,
schaffen
Richtung gäbe.
die
kann,
Um so beklagenswerther
wie ihr Bruder sich eine
nicht
die
ihren
Gedanken
neue
„Erst in dem langsamen, veränderten
Leben, welches dann kommt, wenn das Leid wie ab-' gestanden ist und nicht mehr durch Tiefe und Stärke
den Schmerz aufwiegt,
erst wenn ein Tag nach dem
anderen in dem langweiligen Einerlei des Daseins folgt,
in dem man nichts mehr hofft und das Dulden zu einer
traurigen Gewohnheit geworden ist, — erst dann droht
Verzweiflung, erst dann macht sich gebieterisch der Hunger der Seele fühlbar, und Auge und Ohr sehnen sich nach
einem unbekannten Geheimniß unserer Existenz, wodurch unsere Geduld im Leiden in Zufriedenheit verwandelt
werde."
Maggie's phantasievolle Natur verlangt nach
Schönheit und Glanz, was sie umgiebt, ist Oede und Leere und jedes Schmuckes ist das Heim beraubt, in dem sie ihre Tage hinbringen soll.
Ihr Herz sehnt sich nach
Liebe, doch bei den Menschen, die sie umgeben, findet es
keine Erwiderung.
Was ist aus der traulichen Kamerad
schaft mit dem Bruder geworden?
Sie besteht nicht
mehr; die schweren Schicksale haben auf des Bruders
Herz wenigstens erkältend gewirkt, er hat kein freundliches Wort
für
die Schwester.
Schulbüchern, aber
Sie sucht Trost in seinen
vergebens.
In dieser Seelenver
lassenheit und Herzensöde fällt Thomas a Kempis in
200 ihre Hände. „Glaub, daß nichts in der Welt dir so schadet,
als deine Eigenliebe," liest sie da, und: Ohren,
„selig sind die
die das leise Wehen des göttlichen Geistes ver
nehmen und auf das Geräusch dieser Welt nicht achten. Ja, wahrhaftig, selig die Ohren, die nicht horchen auf
die Stimme, die von Außen erschallt, sondern auf die
Diese Worte bewirken
Wahrheit, die" inwendig lehret."
einen scheinbaren Umschlag in ihrem Wesen, in dessen
vortrefflicher Schilderung Selbsterlebtes darstellt.
die Dichterin Maggie,
wiederum nur
deren feurige. Natur,
ganz und gar auf den edlen Genuß gerichtet ist, ent
sucht die Sehnsucht
sagt allen Träumen, und
Schönheit in
sich
die gröbste Prosa.
abzutödten und
Es kann nicht anders
Glück
nach
stürzt
sich
sein,
in als
ihrer
neuen Lebensan
schauung in Uebertreibungen verfällt,
so geht sie z. B.
daß
sie
in
der
Bethätigung
in ein Nähgeschäft, um sich Arbeit zu verschaffen.
Aus
diesem Zustande gewaltsamer geistiger Abstumpfung und
Abtödtung sucht sie Philipp Wakem, der Sohn des Ad vokaten, zu erwecken.
Philipp war einst Tom's College bei Pastor Stelling gewesen, aber die Verschiedenheit ihrer Naturen und das Bewußtsein der Feindschaft der beiderseitigen Väter, ließ
es nie zu einer Annäherung zwischen ihnen kommen, wo
gegen sich Maggie bei einem Besuche, den sie ihrem Bruder machte, mit Philipp befreundete, und dieser eine unauslöschliche Erinnerung an sie bewahrte. Einige Zeit nach den schweren Schicksalen, die über Maggie und die Ihren
gekommen, begegnet sie Philipp auf einem Spaziergange
an
einem einsamen Orte.
Philipp ist mit dem dop-
peilen Fluche einer verkrüppelten Gestalt und halber künstlerischer Talente behaftet. Mit einem leidenschaftlichen Herzen und voll der feinsten Empfänglichkeit für die Reize des Schönen, scheint er doch immer darauf verzichten zu müssen, Liebe zu finden und das Schöne im Bilde darzustellen. Er ist hochgebildet, sein Herz zärtlich und edel, das Wiedersehen mit Maggie, die inzwischen zur Schönheit herangeblüht ist, entfacht seine Neigung zu ihr zur Leidenschaft. Sie selbst hat ihm die Gefühle der Kindheit bewahrt. Schon bei der ersten Begegnung macht Philipp's Beredsamkeit sie in ihren Grundsätzen schwankend und sie wird in ein Meer neuer Kämpfe geschleudert. Nicht ohne Gewissenskämpfe sagt sie Philipp öfteres Wiedersehen zu, wozu das neuerwachte Bedürf niß nach geistiger Anregung sie treibt. Schließlich be kennt Philipp ihr seine Liebe, auch sie glaubt ihn zu lieben, irrt sich darin jedoch ebenso sehr wie in ihrer Askese. Tow's scharfes Auge hat indeß die Heimlichkeiten der Schwester durchschaut. Es ist um die Zeit, wo er die Summe erworben hat, die genügt, um die Schulden des Vaters zu begleichen. Gerecht ist und besonders in diesem Augenblicke seine Entrüstung über die Beziehungen der Schwester zu dem Sohne. des größten Feindes des Vaters, brutal aber die Art, wie er das Paar trennt und von der Schwester verlangt, daß sie Philipp ohne seine Erlaubniß nie mehr spreche. Diese Lebensperiode des Geschwisterpaares schließt mit dem Tode ihres Vaters, der im Triumph über Tom's Errungenschaften sich zu einer Mißhandlung seines Feindes hinreißen läßt und
202 gleich darauf einen neuen Schlaganfall erleidet, der seinen
Tod herbeiführt.
Im sechsten Buche tritt Maggie als Gast ihrer Cou
sine Lucie Deane in St. Ogg auf. Maggie hatte nach dem Tode des Vaters eine untergeordnete Lehrerstelle an einer Schule angenommen und tritt aus dieser trüben Sphäre
nun znm ersten Male in ein glänzendes Haus, wo Eleganz und Comfort herrschen.
Bei einer ihrer einsamen Be
gegnungen
hatte
im
Walde
Philipp
ihr
geweissagt:
„Du wirst einst noch in die Welt geworfen werden und dann wird jedes
verständige Bedürfniß deiner Natur,
welches du jetzt unterdrückst, mit der Wuth des Hungers
über dich herfallen" und diese Prophezeiung soll sich jetzt an
ihr erfüllen, an ihr, „deren ganzes Wesen nach Wohlstand, feinem Lebensgenuß und zugleich geistiger Vervollkomm nung und — Liebe dürstet." Das erste Mal tritt ihr im Hause Deane ein glänzender und schöner junger Mann
entgegen
in der
Gestalt des
jungen
Stephen
Guest.
Derselbe gilt für Lucie's Bräutigam, obwohl die Ver lobung noch nicht ausgesprochen worden' ist.
Stephen
und Maggie traten einander mit den ungünstigsten Vor urtheilen entgegen, allein ihre erste Begegnung ist für
beide entscheidend.
Maggie hat von ihrem Bruder, der
Lucie insgeheim liebt, die Erlaubniß erhalten, Philipp
wieder sprechen zu dürfen, der Stephen's Freund ist und im Hause Deane verkehrt. Wenn Maggie sich bis dann
über ihre Gefühle für Philipp nicht klar war, so sieht sie
jetzt um so schärfer, daß dieselben niemals einen anderen
Charakter als den schwesterlicher Liebe hatten, während
ihr Herz leidenschaftlich
nach
Stephen begehrt.
Tom
203 hat
einmal
in
seiner strengen Weise zu ihr gesagt:
„Heute gefällst du dir plötzlich in einer sehr thörichten Entsagung,
und morgen hast du nicht die Kraft des
Widerstandes gegen etwas, das du selbst als erkennst."
Und
unrecht
gleichwohl siegt in Maggie schließlich
doch eine andere Macht und eine andere Stimme, - als
die der Liebe.
Wohl läßt sie sich von Stephen be
stimmen, mit ihm allein ein Schiff zu besteigen, Stephen
lenkt.
Zu spät
nehmen
sie wahr,
weit über das Ziel hinaus gefahren sind.
daß
das
sie
Maggie be
findet sich Anfangs in einem Zustande der Verzauberung,
als Stephen aber nach einiger Zeit in sie zu dringen be ginnt, ihm nach Schottland zu folgen und die Seine zu werden, da kommt sie zum Bewußtsein und setzt ihm
einen
unüberwindlichen
Widerstand
entgegen..
Es ist
jedoch nicht nur das Mitleid mit Lucie und Philipp, welches sie dazu führt, sich von Stephen loszureißen,
es kommt hierzu noch ein anderer Grund.
„Mein Friede
wäre dahin," ruft sie in der letzten stürmischen Scene
mit Stephen aus, „wenn ich den Schatteir einer wissent
lichen Sünde zwischen euch und Gott treten ließe," doch diese Worte berühren uns kalt und wir sagen uns, daß Maggie, hätte sie sich so eigenthümlich entwickelt, wie
ihre Kindheit es versprach, dieselben nimmer gebraucht
haben.
Wir dürfen der Dichterin jedoch keinen Vorwurf
darüber machen, daß Maggie nicht mehr das originelle und kühne Wesen von einst ist.
Diese Entwicklung ist vielmehr
durch die eingeengte Lebenslage bedingt, in die Maggie gestellt ist, und von der Dichterin von vornherein be-
204 absichtigt.
Maggie sagt sich also von Stephen los und
kehrt allein in die Heimath zurück.
Tom, der die Früchte aller Anstrengungen durch
die Schande, mit der Maggie den Namen seiner Familie
befleckt hat, vernichtet und jenes Mädchen, welches er selbst hoffnungslos liebt,
sieht,
durch dieselbe tödtlich gekränkt
weist sie rauh und hart von der Schwelle des
Hauses,
das einst auch ihr Elternhaus gewesen,
Tom waltet wieder auf der Dorlcote Mühle.
denn
Zu St. Ogg
ist Maggie geächtet, der Prediger Dr. Kenn, der sich
ihrer.annehmen will, muß sie wieder aufgeben, da sich
Noch
sogleich häßliche Gerüchte zu verbreiten beginnen.
hat sie einen schweren Kampf zu bestehen.
Ein Brief
Stephen's trifft ein, ein Nothschrei nach ihr.
Allein sie
widersteht auch dieser letzten Versuchung und indem sie
den Brief verbrennt, ist ihr inneres That entschieden.
Schicksal in
der
Ebenso wenig vermag aber auch Tom
ein glücklicher Mensch zu werden.
Es giebt
nur einen Retter für die Beiden: den Tod.
Er erhebt
je wieder sich aus
dem Schooße des Flusses, der die Tage ihrer
Kindheit verschönt, Nöthen wird.
der
nun
der
Erbarmer in
ihren
Maggie's erster Gedanke, als der Fluß
zu steigen beginnt, ist der Bruder.
Sie fährt auf einem
Kahn zu ihm, um ihn zu retten.
Als sie sich zusammen
auf dem Boote befinden, geht etwas Merkwürdiges in
Tom vor.
„Es überkam ihn mit überwältigender Macht,
es war für seinen Geist eine so neue Offenbarung der Tiefen des Lebens, die sich seinem, wie er meinte, scharfen
und klaren Blicke aufdrängte, daß er unfähig war, eine
Frage an sie zu stellen und er richtete das alte Wort
205 Eine Trümmermasse
der Kindheit: „Magsie" an sie/
schwimmt gegen das Boot heran, die Geschwister um fangen einander und sinken unter.
Dieser herrliche Schluß ist ein neuer Beweis, in welch innigem Zusammenhang die Dichterin ihre Helden
immer mit deren Umgebung fühlt und nur der ober flächliche Beurtheiler wird in dem Untergange Maggie's
und Tonl's etwas Unvermitteltes erblicken.
Im Uebrigen
ist der letzte Abschnitt der Dichtung weit weniger be
friedigend als das Vorhergegangene, aber das konnte dem Plane.der Dichterin zufolge nicht anders sein.
Wir verglichen Maggie mit Dorothea Brooke. Dieser
Vergleich ist allerdings insofern berechtigt, als Maggie ebenso wenig wie Dorothea ihre richtige Rolle im Welt
gefüge findet; sie unterscheidet sich jedoch darin von ihr,
daß
ihr
der Opferdrang und
pathien fehlen, welche jene
die
umfassenden Sym
auszeichnen.
Sie ist weit
weltlicher und selbstischer und ganz und gar auf des Lebens Genuß gerichtet, deshalb tritt sie uns aber auch
mit viel individuelleren Farben entgegen als Dorothea. Für Maggie gab es. nur ein Ziel: sie verfehlt dieses.
Es
ist schmerzlich,
eine solche Natiw im Kampfe mit
einer, harten Wirklichkeit unterliegen zu sehen, zugleich aber liegt in der Willkür, mit der sie die Wirklichkeit behandelt, eine Schuld, die' nur durch ihre Leiden ge sühnt werden kann.
Und um noch einmal auf die Dodson's zurückzu kommen, giebt die Dichterin nicht ohne einen tieferen Grund,
ein so
eingehendes Bild des dürftigen,
Reizes entbehrenden Lebens dieser Philister.
jedes
Indem sie
206 sich die Einwände des Lesers gegen ihre breite Detailmalerei
rechtfertigt
vorstellt,
sie' sich folgendermaßen:
„Ich theile das Gefühl erdrückender Beschränktheit, aber
wir müssen sie empfinden, wenn wir verstehen wollen.
wie sie auf den Lebensgang Tom's und Maggie's ein
wirkte, ,roie sie schon auf junge Naturen eingewirkt hat, die in dem Streben der Menschheit nach vorwärts über das geistige Niveau des vergangenen Geschlechts sich er
hoben, mit der sie doch durch die stärksten Fasern ihres
Innern und
verknüpft
Opfer,
waren.
die
jeden
Die Leiden der Märtyrer geschichtlichen
Fortschritt
der
Menschheit bezeichnen, treten so in jeder Stadt und in hundert dunklen Hütten zu Tage. diesen
Vergleich
des
Kleinen
mit
Auch brauchen wir dem Großen • nicht
zu scheuen, gesteht doch die Wissenschaft, daß ihr höch
stes Streben
auf
die Erfassung
einer
Einheit
geht,
welche das Kleinste mit dem Größten verknüpft.
In
der Naturwissenschaft sagt man mir, ist nichts kleinlich für einen Geist, der einen weiten Blick für Beziehungen
und Wechselwirkungen hat und dem jedes Einzelne eine große Menge von Bedingungen des Naturlebens erschließt.
Und mit der Beobachtung des menschlichen Lebens ver
hält es sich doch ebenso." Im Jahre 1860 war die „Mühle am Floß"
er
schienen, schon das nächste Jahr brachte „Silas Marner".
Mit diesem Werke schließt die Reihe der vorzüglichsten Dichtungen George Eliot's. „Silas Marner" verdient das
naivste und das künstlerisch vollendetste ihrer Schöpfungen genannt zu werden und enthält Momente von solcher
poetischer Schönheit, daß wir selbst unter den Werken der
207 Dichterin nicht ihres Gleichen finden.
Es wird uns hier ein
schlichter Mann aus dem Volke vorgeführt, der schwere
Schicksale erleidet, die sein Herz verhärten und ihn seinen Mitmenschen entfremden, bis ein Kind, das ein gnädiges
Geschick in seine Hände führt, die zurückgedämmte Quelle
der Liebe wieder in ihm erschließt und ihn der Mensch heit
zurückgiebt.
In
keinem
anderen
Werke
George
Eliot's ist die Kraft des Gemüthes so wundervoll ver
anschaulicht, in keinem anderen so schön gezeigt, daß der Btensch nur in lebendiger Gemeinschaft mit anderen den
Namen Menfch verdiene.
Man hört immer von dem
traurigen Grundton, von der finsteren Weltbetrachtung der Dichterin sprechen. In der That stellen verschiedene ihrer Werke' den nutzlosen Kampf des Individuums gegen
die Unerbittlichkeit der Verhältnisse dar, wie die „Mühle am Floß",
„Middlemarch",
der „Spanische Zigeuner"
und in einem gewissen Sinne auch „Romola", dagegen erreicht
der Held sein Ziel und seine Bestimmung in
„Adam Bede" (roemt man den Helden dieser Dichtung nämlich so betrachtet, wie wir es gethan haben), in „Silas
Blarner", „Felix Holt" und „Daniel Derondg".
Der
Werke mit gutem Ausgange sind also gerade so viele
wie der mit traurigem Ende.
Wohl zeigt die Dichterin
schonungslos die Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens,
die Unwahrheit des menschlichen Herzens,. den verderb
lichen Zwang der äußeren Umstände, aber sie zeigt auch die Kraft des Herzens und
des Willens, die Fähigkeit
des Menschen sich aus einer niederen sittlichen Sphäre
emporzuringen und den Sieg des muthigen Strebens. Silas Marner,
ein unschöner Weber,
gehört in
208 seiner Jugend einer Dissenter-Gemeinde an, bei der er
in
dem
Rufe
festen Glaubens
Gegenstand
eines musterhaften Lebenswandels
steht
und
durch
kataleptische
eines besonderen Interesses wird.
und
Anfälle Innige
Freundschaft verbindet ihn mit einem anderen jungen
Manne seiner Gemeinde,
Wilhelm Dane, doch glaubt
Marner diese Freundschaft keineswegs zu beeinträchtigen, indem er sich mit einem jungen Dienstmädchen verlobt. In Kurzem soll die Hochzeit stattfinden, sie warten nur
noch auf einen kleinen Zuwachs ihrer Ersparnisie. Wilhelm
Dane jedoch, der an ihren sonntägigen Zusammenkünften
Theil nimmt, verliebt sich in Marner's Verlobte und wendet ein verruchtes Mittel an, um den armen Marner
aus dem Felde zu schlagen.
Er weiß ihn vor der Ge
meinde in den Verdacht des Diebstahls zu bringen, das Loos erklärt Marner für schuldig, die Gemeinde stößt
ihn aus und auch die Braut ist für ihn verloren.
An
Gott und Menschen verzweifelnd verläßt er die Gegend.
Er wendet sich nach dem Dorfe Raveloe, bezieht ein einsam gelegenes Häuschen in der Nähe eines alten
Steinbruchs, sucht und findet Arbeit und arbeitet Tag
aus Tag
ein gleichsam
aus reinem Naturtriebe ohne
Ueberlegung, bis sein Leben „zur gedankenlosen Thätig keit eines spinnenden Insekts" herabgesunken ist.
.den Bewohnern von Raveloe tritt Berührung, als seine Arbeit
es
Mit
er nur so weit in
erheischt.
Von allem
Anfang betrachten ihn die Leute ihrerseits für ein selt
sames Geschöpf, dem man nicht recht trauen dürfe, mit dem man sich aber auf gutem Fuße erhalten müsse.
Als
Marner jedoch den Ruf eines Wunderdoktors, in dem
209 er durch die Hülfe,
die er einer armen Frau geleistet,
gekommen ist, nicht ausnützen will und die Leute von seiner Schwelle jagt, wird er ihnen noch mehr ein Gegen stand
der Furcht.
Aber Marner ist ein Mensch,
der
ohne Liebe nicht leben kann, und so stndet sein Herz denn
immer mehr einen Anhalt an der reichen Ernte seiner Arbeit: am Gelde.
Er versteckt den Schatz im Fußboden
und es ist seine einzige Freude, Abends sein Geld her vorzuholen, Goldstücke
es
zu
zu
zählen
und Form
betrachten.
und Farbe der
Die Dichterin zeigt
jedoch,
um Marner's spätere Umwandlung verständlich zu machen,
an einem Vorfälle mit feinem Gefühle,
daß „selbst in
diesem Zustande des Welkens noch nicht aller frischer
Saft aus ihm gewichen war", denn als er einen alten Topf zerbricht, liest er die Stücke zusammen und be
wahrt sie zunl Andenken. sein Herz treffen.
Als
Allein ein neuer Schlag soll er
konrmt, ist sein Geld gestohlen.
eines Abends nach Hause
Alle Nachforschungen sind
erfolglos und erst nach sechszehn Iahten, nachdem das Ereigniß schon fast in Vergessenheit gerathen ist,
soll
man erfahren, wer der Dieb gewesen und wohin das Geld gekommen. Das neue Unglück droht Meister Marner
den Verstand zu rauben und wieder füllen Schmerz und Verzweiflung die Leere seines Herzens.
„Wenn er beim
Weben saß, ächzte er wohl ab und zu wie vor Schmerz; das war das Zeichen, daß seine Gedanken wieder vor
der jähen Kluft standen, vor der leeren, öden Abendzeit. Und dann gegen Abend, wenn er einsam an seinem spär
lichen Feuer saß, stützte er die Ellbogen auf die Kniee und nahm den Kopf zwischen die Hände und ächzte ganz Druskowih, Essays.
14
210 leise, als wollte er nicht gehört sein".
Doch bildet sein
Unglück das erste Band zwischen ihm und seinen Mit
Die Leute von Raveloe hatten ihn für ge
menschen.
fährlich und schlau gehalten, nun sah man, daß -er nicht einmal im Stande gewesen, sein Geld zu hüten.
beginnt
Antheil
an
ihm
zu
nehmen,
weiblichen Theil der Bevölkerung.
Man
besonders
im
Es ist Weihnachts
zeit, wo die Reicheren an Thaten der Nächstenliebe ge
mahnt werden.
Biele besuchen Marner, am Besten aber
versteht die Frau des Stellmachers Winthrop mit ihm
zu sprechen, die ihm überdies zu besonderer Ergötzung ihren kleinen Sohn Aaron vorführt.
So bereitet
die
Dichterin in meisterhafter Weise das Erscheinen der kleinen
Eppie vor.
Es ist Neujahrsnacht.
In Silas Marner' s
Hütte steht die Thür offen — er selbst befindet sich in jenem Zustand der Erstarrung und Geistesabwesenheit,
der hei ihm nicht selten vorkommt.
Als er erwacht —
doch nein, hören wir das in den eigenen Worten der
Dichterin: „Als seine Empfindung wiederkehrte, schloß er die Thür, ohne die Lücke in seinem Bewußtsein zu bemerken und nicht gewahr, daß sich etwas verändert habe, außer
daß es dunkler geworden und daß er kalt sei und matt. Er glaubte, er habe • zu lange vor der Thür gestanden
und hinausgesehen.
Dann wandte er sich zu dem Heerde,
wo die Scheite halb ausgebrannt waren und nur noch
einen ungewissen rothen Schein verbreiteten, und setzte
sich auf den Stuhl am Feuer und bückte sich eben, um die Scheite zusammenzuschieben, da kam es seinen trüben, Blicken vor, auf dem Fußboden vor dem Heerde liege
Gold.
Gold! — sein liebes Gold — das ihm so ge-
211 heimnißvoll zurückgebracht worden, wie es ihm genommen
war.
Er fühlte sein Herz inächtig schlagen und einige
Augenblicke war er unfähig, die Hand auszustrecken und
den wiedergefundenen Schatz zu ergreifen.
Seinem auf
geregten Blicke schien der Haufen Gold zu glühen und
größer zu werden.
Endlich lehnte er sich vornüber und
streckte die Hand aus, aber statt des harten Metalles, mit
dem
wohlbekannten scharfen Rande,
Finger weiche warme Locken.
faßten
seine
Im höchsten Erstaunen
fiel Silas auf die Knie und bog deü Kopf tief hinab, um das Wunder zu prüfen, es war ein schlafendes Kind,
ein
rundliches,
hübsches
Ding
Ringeln über den ganzen Kopf. kleine Schwester, die
mit weichen,
goldenen
War es vielleicht seine
im Traume wieder zu ihm
ge
kommen, sein kleines Schwesterchen, das er ein Jahr lang auf den Armen getragen hatte, ehe es starb, als
er noch ein kleiner Junge war ohne Schuhe und Strümpfe? Dies war der erste Gedanke, der Silas durch den Kopf
schoß, als er starr vor Verwunderung das Kind ansah.
Und war es denn ein Traum? Er sprang wieder auf, schob die Feuerbrände zusammen, warf trockene Blätter und Reisig dazu und machte eine helle Flamme,
aber die
Flamme verscheuchte das Bild nicht, sondern erhellte nur noch deutlicher das kleine runde Gesicht des Kindes und
seine ärmlichen Kleider.
Schwester.
Es glich sehr seiner kleinen
Unter dem doppelten Gewicht einer uner
klärlichen Ueberraschung
und
eines Stromes
von Er
innerungen, die auf ihn eindrangen, sank Silas erschöpft
auf den Stuhl.
Wie nur war das Kind hereingekommen,
ohne daß er davon wußte?
Er war doch mit keinem
—
Schritte über
—
212
die Schwelle
gekonimen.
Aber
zugleich
mit dieser Frage und sie fast verdrängend, tauchte das Bild der alten Heimakh auf und der alten Straßen, die nach der Kapelle führten, und in diesem Bilde noch ein
anderes, das Bild der Gedanken, die ihn in jenen fernen Zeiten erfüllt hatten.
Die Gedanken waren ihm jetzt
fremd, wie eine alte Freundschaft, die sich nicht wieder
beleben läßt, und doch hatte er ein unbestimmtes Gefühl,
dieses Kind sei eine Botschaft für ihn aus jenem fernen
Leben; es regte Saiten in seinem Jnnem auf, die sich in Raveloe nie gerührt hatten, alte Anklänge von Zärt lichkeit, alte Eindrücke von Ehrfurcht bei der Ahnung,
daß eine höhere Macht über seinem Leben walte, denn
seine Einbildungskraft hatte sich noch nicht frei gemacht
von dem Glauben, die plötzliche Erscheinung des Kindes sei ein Wunder und Geheimniß, und war ihm nicht ein gefallen, daß sich dies Ereigniß auch wohl auf gewöhn
liche und natürliche Weise erklären ließe." gehört zu dem Schönsten der literatur?)
Der
Diese Scene
gesammten Erzählungs
lebendige Schatz, der an Stelle des
todten getreten ist, soll dem armen Marner fortan an gehören und ihn wieder zu einem Menschen machen.
Aber wer ist das Kind? unglücklichen
Ehe
des
Es ist die Frucht der
Gottfried
Caß,
des
Sohnes
von Squire Caß, eines der vornehmsten Grundbesitzer
von Raveloe.
Gottfried ist von seinem Bruder,
dem
*) Miß Blind hat auf die Aehnlichkeit zwischen „Silas Marner" und Kraszewski's „Jermola der Töpfer" hingewiesen. Das Werk George Eliot's ist jedoch unvergleichlich poetischer und ansprechender.
213 liederlichen Dunstan, aus gemeinen Gründen zur Heirath
mit einer Person aus den niederen Ständen gedrängt worden,
ohne daß Jemand
anders
von der Heirath
weiß, als Dunstan, deffen Schweigen Gottfried theuer
genug bezahlen muß.
Denn nicht nur fürchtet Gottfried,
wenn das Geheimniß verrathen würde, Enterbung durch
den Vater, sondern auch den Verlust jeder Aussicht auf
die schöne Nancy Lammeter, der seine Liebe gehört.
Er
lebt im Hause seines Vaters, getrennt von seiner recht mäßigen Frau, die sich dem Trünke und dem Opium genusse ergiebt und ihm wegen mangelhafter Unterstützung
fortwährend droht, eines Tages in Raveloe zu erscheinen. So
naht
Sylvesternacht
jene
heran.
Vor
Dunstan
glaubt Gottfried einige Zeit Ruhe zu haben, denn er hat ihm sein Pferd zum Verkaufe überlassen, das dieser je doch zu Schanden geritten hat und sodann verschwunden
ist, ohne daß Jemand weiß, was aus ihm geworden;
weniger sicher Frau.
ist
Gottfried
vor
der
Ankunft
seiner
Nach altem Herkommen pflegt in der Sylvester
nacht ein großes Fest in dem Hause seines Vaters ge
feiert zu werden.
In dieser Nacht nun will Gottfried's
Frau, die aller Mittel entblößt ist, den längstgehegten
Racheplan ausführen.
Sie begiebt sich mit der zwei
jährigen Eppie zu Fuß auf den Weg, da sie aber unter wegs Opium zu sich nimmt, überfällt sie bald der Schlaf, sie
sinkt zu Boden,
wo Frost und Kälte sie
todten.
Silas Marner ist es, der durch das Kind aufmerksam gemacht, sie im Schnee findet, der die Nachricht nach
dem Hause des Squire Caß bringt und den Arzt her beiholt, der die Dahingestreckte für todt erklärt.
214 Da Niemand einen Anspruch auf Eppie erhebt —
Gottfried hat nicht den Muth, sie als sein Kind an zuerkennen — bleibt sie in Silas Marner's Besitz, der sogleich sein ganzes hungriges Herz an sie gehängt hat
und eifersüchtig über sie wacht, sie ganz für sich haben will und in der ersten Zeit seiner Vaterfreuden nichts
Anderes hervorbringt, als: „das Geld ist gekommen, ich weiß nicht wohin, das Kind ist gekommen, ich weiß nicht
Er hat
woher".
nun
Mitmenschen, denn
keine Scheu
mehr vor seinen
sie sind gut mit ihm seitdem sie
wissen, daß er fühlt wie sie. Wie Marner nun unter der Anleitung Frau Winthrop's die kleine Eppie warten und
erziehen lernt, wie seine
Versuche, das Heranwachsende wilde Ding im Zaum zu
halten, mißlingen, all dies ist mit unnachahmlichem Humor geschildert.
Je älter jedoch Eppie wird, um so mehr
zeigt sich, daß auch sie eng verkettet ist mit ihrem Pflege
vater, für den sie nach und nach den Haushalt führen
lernt.
So wohnen
sie zusammen bis Eppie achtzehn
Jahre zählt und sich mit Aaron Winthrop, dem Ge spielen ihrer Kindheit, verlobt. Gottfried hat allerdings insofern sein Ziel erreicht,
als Nancy' die Seine geworden ist.
Das einzige Kind und wie innig
aus dieser Ehe ist sehr früh gestorben
sein Verhältniß zu Nancy auch ist, so hindert ihn der Gedanke, daß er einmal Niemanden zurücklasse, der die
Früchte seiner Thätigkeit und Sparsamkeit ernten soll, sich glücklich zu fühlen.
ein Anderes hinzu:
Freilich kommt bei ihm noch
er sieht in seiner kinderlosen Ehe
eine Strafe für das Versäumniß, das er an Eppie be-
215 gangen.
Das Gewissen hört nie auf ihn zu bedrücken,
sein Herz hört nie auf, sich nach ihr zu sehnen. Gottfried Caß ist
ein naher Verwandter von Anthony Wybrow und
Arthur Donnithorne.
Wie diese fehlt er, hat nicht die
Kraft seine Schuld einzugestehen und muß nun dafür büßev.
Schon in den ersten Jahren seiner Ehe hatte
er seiner Frau den Vorschlag gemacht, ein Kind zu adoptiren und Eppie als diejenige bezeichnet, die sich dazu
am Besten eignen würde.
Nancy wollte jedoch nicht auf
seine Wünsche eingehen, da sie zu jenen
Naturen gehört
die dem Schicksal nicht vorgreifen wollen.
So wird es
für Gottfried immer schwieriger den alten Fehler gut zu
machen.
Ihr aber das Geheimniß zu gestehen, dazu ist
er eben zu schwach, dazu ist seine Vorstellung von Nancy nicht hoch genug und wie er später einsehen soll, hat er
nicht nur an dem Kinde, sondern durch diesen Mangel
an Vertrauen auch an seiner Frau schwer gefehlt.
Es
soll der Augenblick kommen, wo er sein Geheimniß nicht
mehr länger vor ihr zu verbergen vermag.
Sechzehn
Jahre sind verstrichen, seitdem Eppie in Silas Marner's Hütte getreten, als eines Sonntags
in der Steingrube,
die sich in der Nähe der Hütte befindet, ein Skelett ent
deckt wird, welches den dabei liegenden Gegenständen zu folge als dasjenige Dunstan's erkannt wird, dabei aber findet man das Gold des Webers.
Gottfried, der die
Entdeckung, daß sein Bruder einen Diebstahl begangen, als persönliche Schande fühlen muß, schüttet seiner Frau sein bedrängtes Herz ganz aus und gesteht Alles.
Nancy
zeigt sich in der That größer, als Gottfried geglaubt und beide begeben sich zu Marner, um ihm und Eppie Alles
216 Gottfrieds Worte bewirken aber durchaus
zu bekennen.
das Gegentheil von dem, was er gewünscht und gehofft. Denn nicht nur verfällt Marner bei dem Gedanken, Eppie verlieren zu
müssen,
sondern Eppie
selbst
in
ein krampfhaftes Schluchzen,
auf's Entschiedenste,
weigert sich
ihren Pflegevater zu verlassen, sie scheint durchaus keine Zuneigung zu ihrem natürlichen Vater zu fühlen und
drückt es offen und bestimmt aus, daß sie das Leben, an das sie gewohnt ist, nicht mit dem zu vertauschen wünsche,
welches Gottfried ihr schildert.
steht,
Als sie schließlich ge
daß sie mit einem Bauernsohn verlobt sei, sieht
Gottfried, daß nichts mehr für ihn zu hoffen.
Eppie
feiert ihre Hochzeit mit Aaron, nachdem sie vorher mit Marner dessen alte Heimath besucht, wo sie aber die Gasse nicht mehr fanden, in der er' gewohnt. Das junge
Paar lebt in Marner's Hütte. Es ist ohne Sroeifel. richtig, daß „Silas Marner" das bestcomponirte Werk der Dichterin ist, denn es ist einheitlich,
alle Vorfälle darin sind dem Hauptmotive
untergeordnet,
der Episoden und
Abschweifungen
sind
wenige und die Geschichte steht niemals stille, wie es in den anderen Werken der Dichterin mitunter vorkommt.
Dennoch leidet es in Bezug auf Composition an einem erheblichen Fehler, indem der Höhepunkt und der innere Abschluß der Erzählung nicht mit dein äußeren zusammen, sondern weit vor diesem fällt. Denn offenbar ist die Geschichte des Helden mit dem Erscheinen der kleinen
Eppie in seiner Hütte und dem Wiedererwachen der Liebe in seiner Brust abgeschlossen und liest sich Alles was
nun folgt mehr wie ein Epilog,
dessen Inhalt vom
217 künstlerischen Gesichtspunkt aus auf wenigen Seiten hätte
zusammengedrängt werden müssen.
Wohl ist aber auch
der Inhalt dieses Theils so poetisch und ansprechend. daß wir ihn gleichwohl ungern vermissen würden. Wir halten die bis jetzt von uns besprochenen Werke
für die vorzüglichsten der Dichterin.
Sie bezeichnen für
uns die eigentliche George Eliot, die unsterbliche George Eliot.
Nur „Middlemarch" reicht in mancher Hinsicht an
dieselben hinan, aber ganz in eine Reihe mit ihnen ver
mögen wir aus Gründen, die wir bald nennen werden, auch „Middlemarch" nicht zu stellen.
Jene ersteren Werke
sind nämlich aus der tiefsten Seele der Dichterin her vorgequollen, ja, wir möchten sie als nothwendige Her
vorbringungen ihrer Dichterseele bezeichnen, und sie ge hören zu den unsterblichen Schöpfungen der Erzählungs
literatur.
Man samt sie nicht nur immer wieder lesen,
sondern mait liest sie jedes Mal mit erhöhtem Interesse,
mit größerem Entzücken und eittdeckt immer wieder neue Schönheiten in ihnen.
Ihr Werth
liegt nun haupt
sächlich in der Realität alles betritt Dargestellten, in dem köstlichen Erdgeruch, den sie ausströmen und der Lebens fülle, die sie enthalten, sowie auch in der natürlichen und folgerichtigeit Entwickelung von Charakteren und Handlung
und der schlichten Einfachheit der Darstellung. auch unsere Scheu,
Daher
diese Erzählungen Romane zu be
nennen, da das wahre Wesen des Romans die Ueberraschung, das Ungewöhnliche und Unerhörte ist, während die Dichterin dies vielmehr gerade vermeidet, lieber bis zu den letzten Beweggründen zurückgreift, um das Ein treten gewisser Ereignisse genügend vorzubereiten.
Dazu
218 Kunst,
kommt
ihre
Werke
verleugnet,
vorauszuschicken, Kommenden
sie übrigens in keinem ihrer
die
wichtigen
erregen,
Vorfällen
Andeutungen
der Seele eine Ahnung
die in
symbolisch
die
auf
dieses
des Hin
weisen. Es besitzt diese eminent-dichterische Gabe unter allen
lebenden Erzählern in diesem Maße nur Gottfried Keller. Ein fernerer Vorzug jener ersten Erzählungen besteht darin,
daß ihre Motive durchaus poetisch und allgemein menschlich
sind, daß sie nur Conflicte des Herzens und des Gemüthes behandeln.
Endlich sind
Personen und Momente,
es
nicht
etwa
nur
einzelne
die in diesen Dichtungen be
sonders gelungen sind, sondern sie befriedigen uns, als
Ganzes betrachtet, oder es sind nur einzelne Momente
darin, die uns weniger befriedigen.
Und hier sind wir
bei jenem Punkte angelangt, in welchem sich alle späteren
Werke George Eliot's indem
von
ihren ersten unterscheiden,
sie im Gegensatz zu diesen zwar einzelne aus
gezeichnete Gestalten und vortreffliche Scenen enthalten, aber als Ganzes betrachtet mehr oder weniger unbe friedigend sind, indem sie das Gegentheil dessen bieten, was wir sonst noch als Vorzüge jener ersten Werke der
Dichterin hervorgehoben haben. Da die späteren Schöpfungen George Eliot's gegen
wärtig mehr gelesen werden als ihre Meisterwerke, und uns
überdies die Rücksicht auf den Raum weitere ausführlichere Analysen — die bei den späteren Werken wegen der größeren Complicirtheit
derselben
noch
umfangreicher
werden
müßten — verbietet, wollen wir uns auf einige kritische
Bemerkungen über jede derselben beschränken. Es folgte auf jene Gruppe von Meisterwerken zu-
219 George Eliot betrat daniit das Gebiet
erst „Romola".
des historischen Romans.
das Zeitalter der
Es war
italienischen Renaissance, welches ihre Phantasie mächtig
fesselte.
Von einem Dichter, der die Gegenwart lebens
lebensvoll
wahr und
zu
schildern vermag,
wird die
Wendung zur Vergangenheit stets zu bedauern sein, kann
ein
historischer
Roman
doch
niemals
ein so getreues
Bild seines Gegenstandes geben, wie der moderne Roman, da die eigene Anschauung doch nur bis zu einem gewissen
Grade durch Intuition ersetzt zu werden vermag
und
wird der Dichter einem seinem natürlichen Gefühle ferne liegenden Stoffe trotz aller Kraft der Phantasie kaum jemals jene Lebensfülle einzuhauchen vermögen, wie einen
aus der ihn umgebenden Welt geschöpften.
Im Grunde
fehlt
für den historischen Roman die Controlle.
Leser
kann zwar
beurtheilen,
in welchem Grade
Der
ein
solcher Roman modern gefärbt sei, — und ein jeder ist
es mehr oder weniger — nicht aber in welchem Grade derselbe ein angemessenenes Bild der Epoche giebt,
er
zu
spiegeln vermeint.
Das
Lob,
das
die
man dem
„historischen Gefühl" manches Dichters spendet, ist nichts
anderes
als
eine
leere Phrase.
Es ist wohl möglich,
daß mancher unserer histörischen Romane seinem Gegen stände
obwohl
in
der That im hohen Maße gerecht wird —
sich
bei
jedem
moderne
lassen, ist es doch undenkbar,
Gedanken,
Elemente nachweisen
daß sich ein Dichter der
der Gefühle und Lebensformen seiner Zeit
vollkommen entschlage und bewegt sich somit der historische Roman immer zwischen zwei Welten — aber wir können
nie
mit Sicherheit behaupten,
daß
das gegebene Bild
220 da wir mit Bestimmtheit doch nur über
zuverlässig sei,
Dinge urtheilen können, die in den Bereich unserer eigenen
Anschauung fallen. George Eliot hat ihren feinen poetischen Jnstinct
darin bewiesen, daß sie wie Walter Scott, wie Bkanzoni in seinen „Verlobten" nicht etwa historische Persönlichkeiten
zu Helden ihres Romans macht,
sondern singirte Per
sonen, während sie die historischen Personen entweder nur
leicht skizzirt oder doch nicht in allzu greller Beleuchtung zeigt.
Es kann kein Zweifel darüber sein, daß die mächtige
Gestalt des Savonarola der Dichterin den ersten Im puls zu ihrem Iioman gegeben hat.
Ein anderer Dichter
hätte aber Savonarola selbst zum Helden seines Werkes
gemacht; George Eliot hat dies wohlweislich unterlassen
und das Interesse an Savonarola wesentlich Beziehungen zu Romola geknüpft.
an seine
Er ist unter all den
Berathern und geistigen Führern, die sie geschaffen, der großartigste, aber sie hätte ihn wohl noch etwas wuchtiger
zeichnen können.
Romola und Tito
ganz wie Gestalten
berühren
unserer Zeit und da müssen
wir
bedauern,
daß
die
Dichterin sie nicht auch in einen modernen Rahmen ge
fügt, sondern in eine Welt, in eine Umgebung gestellt
hat,
deren
Schilderung
weit
hinter
zurückbleiben mrlßte.
Von
an
ihren modernen Romanen
Lebendigkeit
dem Bestreben geleitet, gewisse Haupterscheinungen der
florentinischen Gesellschaft zu bringen,
hat
sie
jener Zeit
allerdings
zur Darstellung
einen
thum an Nebenfiguren geschaffen, allein mehr Typen als Individualitäten.
großen
Reich
dieselben
sind
Die Dichterin hat
‘221 offenbar sehr gründliche Studien über jene Epoche ge macht,
allein
man kann nicht behaupten,
gelehrtes Wisseir
daß sie ihr
mit so großer Leichtigkeit verwerthet,
wie dies andere Dichter gethan haben,
auch
ist sie in
der Ausbeutung ihrer archäologischen Kenntnisse zu weit gegangen.
Es ist eben wieder das Streben, die Umgebung
ihrer Helden genau zu veranschaulichen, was sie zu manchem Ueberflüssigen
verleitet
ohne daß wir in diesem
hat,
Falle eine Garantie für die Wahrheit des gegebenen Bildes besitzen. In Romola wollte George Eliot offenbar ein weib
liches Ideal verkörpern, was ihr jedoch nicht vollkommen
gelungen ist. jenem
Romola's Liebe zu Tito hat nichts von
blinden Jnstincte an
sich,
der unabhängig
ist
von sittlicher Schätzung und der die Liebe erst liebens Mit dem ersten Unrecht,
würdig macht.
das Tito ihr
zugefügt, ist ihre Liebe dahin und nichts vermag dieselbe
wieder zu beleben, kein Wunsch erwacht in ihr, sich ihm wieder zu nähern, dem Irrenden zu vergeben, ihn vor
ferneren Fehltritten zu schützen. und Läuterung,
Deshalb ist die Hebung
welche Savonarola's Worte in ihrem
Wesen hervorbringen, nur eine halbe.
Wohl verhindert
sie der große Mahner, den ehelichen Banden nach der ersten Enttäuschung, die Tito ihr bereitet, durch Flucht zu ent
gehen;
wohl
bringt
er sie zur Erkenntniß, daß
der
Mensch sich seine Pflichten nicht wählen könne, und daß Jeder dem Boden, dem Volke, dem er entstammt, treu
bleiben müsse;
wohl beginnt in ihr, nachdem sie nach
Florenz zurückgekehrt ist, durch den Einfluß ihres er habenen Vorbildes eine Wandlung vorzugehen: ihr Ich
222 erweitert sich, sie lernt fremde Leiden mitempfinden, sie wird eine Piagnone und pflegt die Armen und Kranken
der
von Hungersnoth
all
dieser
heimgesuchten Stadt.
sittlichen Erhebung
und
Aber bei
Erweiterung
ihres
Wesens lernt sie doch niemals das, was sie vor Allem
hätte lernen sollen, nämlich ein versöhnliches Wort an
Diese
Tito richten.
fähigkeit etwas,
Härte ihres
Wesens, diese
Un
das sie als ungerecht oder unwahr er
kannt, zu verzeihen, zeigt sich auch in der letzten Scene
zwischen ihr und Savonarola.
So schrecklich die Tragödie
ihrer Ehe, so fürchterlich die Enttäuschungen, die sie er
fährt, so erregt ihr Schicksal doch nicht jenes Mitgefühl
in uns,
welches wir, wäre ihr
Wesen versöhnlicher,
nothwendig empfinden müßten.
Ein Meisterwurf ist Tito Melema, eine Schöpfung,
die .zu
den
glänzendsten Triumphen der
Characterdarstellung zählt,
dichterischen
auch finden wir im weiten
Reiche der Literatur nirgendwo eine ähnliche Gestalt, nur
bei der Dichterin selbst Ansätze zu einer solchen. Melema
ist
die höchste
Verwirklichung
Denn
jenes Typus,
welchen George Eliot bei der Zeichnung Anthony Wybrow's, Arthur Donnithorne's und Gottfried Caß' vor geschwebt hat.
Um eine vollkommene Realisirung jenes
Typus zu ermöglichen, hat die Dichterin ihren Helden mit be
sonderen Vorzügen des Geistes und der äußeren Erscheinung ausgestattet und ihn in eine außerordentliche Lebenslage
versetzt.
Gewiß hätte ein Tito Melema in jeder Stellung,
früher oder später.
Beweise eines feigen und perfiden
Wesens gegeben, allein je gewöhnlicher die Verhältnisse, die eine, solche Natur umgeben, um so geringfügiger ihre
223 Fehltritte und Vergehen, erst unter dem Einfluß einer
ungewöhnlichen Versuchung kann sie zeigen, welch schwerer Verirrungen sie fähig und je höher das Glück sie hebt,
um so schlimmer werden,
nachdem sie einmal auf die
Bahn des Verrathes und Verbrechens gestoßen ist, successiver Steigerung ihre Vergehen werden.
in
Wie an
keiner anderen hat die Dichterin an dieser Gestalt den
verderblichen Einfluß äußerer Umstände wickelung des Characters
den Keim,
veranschaulicht.
auf die Ent
Tito trägt
aus dem alles Schlechte sich zu entwickeln
vermag, zwar von allem Anfang an latent in sich, aber daß dieser Keim sich entfalte, dazu bedarf es ungewöhn
licher Anlässe von Außen.
Die Dichterin hat in Tito
Melema nicht nur ein Meisterstück der Characterisirungs-
kunst geschaffen, sondern sie hat eines der schwierigsten
Probleme dieser Kunst gelöst.
den Leser zu
überzeugen,
Es galt zu zeigen und
wie ein Jüngling, der mit
allen Zierden des Geistes, der Bildung, der Erscheinung und mit vielen Vorzügen des Herzens, wie Milde, Sanftmuth
und Mitgefühl ausgestattet ist, zum schmählichsten Verrath zu schreiten vermag und nachdem er
einmal Verrath
geübt, es noch tausendmal thut und durch seine Talente
zu hoher Lebensstellung berufen, Tragweite begeht.
Und
mit
Vergehen von großer
welcher unnachahmlichen
Kunst versteht die Dichterin von allem Anfang an uns ein gewisses Mißtrauen gegen den glänzenden, schönen, gewandten, liebenswürdigen und sanften Tito einzuflößen,
ein Mißtrauen, von dem wir uns kaum Rechenschaft geben können.
Doch als uns Tito's erste
böse Absicht ver
rathen wird, sind wir schon vollkommen auf dieselbe vor-
224 bereitet. — George Eliot übertrifft in der Kunst, Männer zu zeichnen, alle andern Schriftstellerinnen und sie ge
hört zu jenen wenigen Dichtern unserer Zeit, welche beide Geschlechter gleich genau kennen und beide mit derselben Liebe und Gerechtigkeit darstellen.
Mit „Felix Holt" kehrte die Dichterin zwar zu dem
englischen Provinzialleben zurück, aber dennoch wird keines ihrer späteren Werke von jenen, die wir als ihre Meister
werke bezeichnet, durch eine so weite Kluft getrennt, wie
dieser Roman.
Schon in „Romola" spielt die Politik eine
erhebliche Rolle, viel greller und nackter tritt dies Element in „Felix Holt" hervor.
Dazu
kommt hier
noch eine
criminalrechtliche und eine höchst complicirte civilrechtliche Handlung, also lauter unpoetische Dinge, von denen jenen
drei ersten Dichtungen nichts anhaftet.
Hiermit haben wir
aber auch schon auf ein anderes Moment hingedeutet,
wodurch Felix Holt von. den ersten Werken der Dichterin sehr unvortheilhaft absticht,
das
ist nämlich sein ver
wickeltes Gewebe, das bunte Jneinanderspielen von allerlei Motiven und Elementen, unter denen sich auch zahlreiche
ächt romanhafte befinden.
Die beiden Hauptgestalten
des Romanes
nebst Daniel Deronda zu den unhaltbarsten, Dichterin geschaffen.
gehören
welche die
Welch' abstoßender Bursche dieser
Felix Holt! In welch' anmaßender Art sucht er Anderen seine Ueberzeugungen aufzudrängen.
Offenbar will die
Dichterin in ihm ein Ideal darstellen, aber die Gestalt ist verzeichnet
und es gelingt ihr keineswegs, den be
absichtigten Eindruck können begreifen,
auf
uns
hervorzubringen.
Wir
daß ein Mann aus dem Volke, der
225 sich die Bildung höherer Stände angeeignet, es vorzieht.
dem Stande, dem er durch seine Geburt angehört, treu
zu bleiben, um demselben durch seine überlegene Bildung 9!utzen zu bringen.
Wir können das begreifen, aber es
ist gewiß, daß Felix Holt nicht die Gestalt ist, an der uns diese Möglichkeit begreiflich gemacht wird. Bei ihm,
der Byron und Chateaubriand kritisirt, scheint der Ent schluß, ein armer Handwerker zu bleiben, weit mehr eine
Grille, eine Marotte, weit mehr die Folge seines Hasses gegen
Westen und Halsbinden,
seiner
cynischen
und
pöbelhaften Verachtung besserer Lebensgewohnheiten, als
diejenige einer festen, ernsten Ueberzeugung zu sein. Welch Gestalt hätte
sympathische
eine
das ihr
können, wenn sie
die
Dichterin
Mannes aus dem Volke gut realisirt hätte.
ist
ebenso
nicht
neu wie schön,
gelungen,
sie
schaffen
vorschwebende Ideal es
aber
zu
überzeugend
eines
Die Idee
ist George Eliot objectiviren.
Ebenso verfehlt ist die Zeichnung Esther Lyon's.
—
Es
wird zwar gesagt, daß dieses schöne Geschöpf, das an
fangs den auffallendsten Gegensatz zu Felix bildet, — sie ist eitel, oberflächlich, putzsüchtig, hat die ausgesprochenste
Vorliebe für jede Art Luxus und Comfort,
verleugnet
nirgends ihre vornehme Abkunft, träumt von galanten Rittern und schönen Schlössern — es wird gesagt, daß dieses so beschaffene Wesen von Felix bekehrt
und auf
höhere Ziele gelenkt wird, und daß sie, als ihre früheren
Träume
sich
plötzlich in wunderbarer Weise
verwirk
lichen wollen, aus Liebe zu Felix resignirt und Armuth theilt.
seine
Allein es wird uns die Möglichkeit eines
solchen Wandels nicht gezeigt. D r u s k o w i tz, Essays.
Wie Esther geschildert '
15
226 ist, könnte eine solche Umkehr, wenn überhaupt, so doch
nur
bittere
durch
Enttäuschungen
und
schwere
De
müthigungen (wie dies bei Gwendolen Grandcourt der Fall
ist) in ihr bewirkt werden.
Warum, fragen wir, ist diese
Wandlung, wenn dieselbe so leicht in Esther herbeizuführen
wär, nicht fchon durch das Beispiel ihres Pflegevaters, des braven Dissenter-Predigers, dieses Musters von Pflicht
treue, Selbstverleugnung und Entsagung, erfolgt, oder doch angebahnt
Wir können
und vorbereitet worden?
uns keine Vorstellung von der Verbindung Esther's und
Felix', dieser beiden so ungleichartigen Naturen machen, schließt dieser Roman, ob zwar glücklich,
und
doch
sehr unbefriedigend ab. Der Werth gestalten.
des Buches liegt mehr in den Neben
Vorzüglich ist die Zeichnung Mrs. Transome's.
Die Dichterin hat nie ein so trostloses Bild der Ent
täuschung, der Verlassenheit, der inneren Verödung und des vollkommensten Herzenselends geschaffen, wie in dieser Gestalt. Das
ausgedehnteste
und
englischen Provinziallebens,
umfassendste
ein Rundbild
Bild
des
im vollsten
Sinne des Wortes wird uns in „Middlemarch" geboten.
Wir und
finden
hier
Einfachheit
dieselbe
der
Gediegenheit,
Därstellung
wie
in
Schlichtheit den
ersten
Dichtungen George Eliot's und wir bemerkten bereits,
daß Middlemarch unter all ihren späteren Schöpfungen am meisten
an jene ersten hinanreicht.
Ist aber schon
in „Adam Bede", in der „Mühle am Floß" die Com-
position weit weniger zu loben, als die Characteristik und kann man nicht läugnen, daß diese Werke in dramatischer
—
227
—
Hinsicht an einer gewissen Schwerfälligkeit leiden, so müssen
wir uns bei „Middlemarch" jedes Anspruches auf Compo-
Es ist eine
sition nnb dramatische Bewegung begeben.
Erzählung ohne dramatischen Hauch, ohne künstlerische Gliederung.
Eine fast unübersehbare Menge von Per
sonen wird uns vorgeführt und
irgendwie characteristische
keine
rains,
das
sie
die Dichterin
Erscheinung
scheint
des
behandelt, vergessen zu haben.
Ter
Diese
Personen scheiden sich wieder in Gruppen, jede Gruppe hat ihre Geschichte.
Immer wieder wird unsere Auf
merksamkeit von den Hauptgestalten ab- und den Neben gestalten zugelenkt, die fast ebenso eingehend und um ständlich geschildert werden, wie jene.
Geflissentlich scheint
die Dichterin alle Gesetze der Komposition außer Acht zu
lasieu und sich einmal ausschließlich ihrer Lust am Ge staltenschaffen und Characterisiren hinzugeben und man kann die Gestaltungskraft, die sie hier bekundet, in der
That nicht genug bewundern. Die eigenthÄnlichste und mit den feinsten Linien ge zeichnete Gestalt ist Casäubon. Er ist eine Meisterschöpfung,
wie Tito Melema.
Nirgendwo in der Literatur begegnen
wir einer derartigen Behandlung gelehrter Monomanie.
George Eliot enthüllt uns mit unbarmherziger Klarheit
die innere Pein
und Wirrsal
einer
nutzlos
sich
ab
ringenden, pedantischen, verschrobenen und von Ehrgeiz gefolterten Gelehrtenseele.
Sie behandelt ihren Heiden im
zu
seiner Cha-
Allgemeinen ernst,
doch bedient sie sich
racterisirung auch
zuweilen humoristischer Streiflichter,
die zu den besten dieser Art gehören. dieses
unglücklichen
Pedanten
hat
ein
Zur Gemahlin
unbegreifliches
228 ideale Dorothea
Schicksal die jugendliche, schöne und
Brooke bestimmt.
Freilich steht
noch ferner als Casaubon.
sie unserem Gefühle
Sie ist ein Wesen, das hoch
über ihre Umgebung hinausragt und ewig von ihr un
verstanden bleibt.
Der glühendste
Wissensdurst,
das
heißeste Begehren nach schönen und großen Thaten scheint sie zu beseelen, aber es ist ihr versagt, ihre Wünsche er füllt zu sehen.
Eine heilige Theresa gründete in ihrem
Drange nach einem thatenreichen Leben einen Orden und
darin ihre tiefste Befriedigung.
fand als
eine
spätgeborene
Theresa
demselben hohen Streben
erfüllt
Dorothea wird
hingestellt,
die
von
wie ihr Vorbild im
Kampfe mit der Kleinheit der Verhältniffe kein anderes
Leben
als ein solches der Enttäuschungen findet.
Das
Schicksal Dorothea's ist eine Anklage gegen die Gesell schaft und die Dichterin hat in diesem Werke ihre Stellung gegenüber einer der wichtigsten Bewegungen dieses Jahr hunderts klargelegt.
Handlungen
in
„Gewiß waren die entscheidenden
Dorothea's
Leben
nicht
von
idealer
Schönheit," bemerkt sie gegen den Schluß des Werkes.
„Sie waren
das gemischte Ergebniß jugendlicher und
edler, mit prosaischen Verhältnissen kämpfender Impulse. Unter den vielen in Middlemarch und seiner Umgegend
gemachten Bemerkungen kam nur die eine nie vor, daß
solche Mißgriffe nicht hätten begangen werden können, wenn die Gesellschaft, in welcher sie geboren war, nicht dem Heirathsantrage eines kränklichen Mannes an ein kaum
halb so altes Mädchen lächelnd zugestimmt, eine Erziehung, welche das Wissen der Frau nur zu einem anderen Namen
für buntscheckige Unwiffenheit macht, Vorschub geleistet
229 und
herkömmliche Regeln
des Benehmens,
welche im
schreiendsten Widerspruch mit ihren eigenen lautverkündeten Ueberzeugungen stehen, sanktionirt hätte.
die
gesellschaftliche
So lange das
Atmosphäre bleibt, in
welcher
die
Menschen zu athmen beginnen, wird es Collisionen, wie die in Dorothea's Leben geschilderten, geben, bei welchen
große Gefühle als Irrthümer und ein großer Glaube als Illusion erscheinen müssen, denn es giebt kein mensch
liches Wesen, dessen inneres Leben stark genug wäre,
um nicht zum guten Theil durch äußere Umstände bestimmt
zu werden."
Doch will es uns scheinen, als ob Dorothea's
Lage, wie sie dargestellt wird, keineswegs immer eine so beengte gewesen wäre, um eine vollere Entfaltung hoher
Antriebe und die Bethätigung eines auf große Dinge ge
richteten Dranges unmöglich zu machen.
Man erwäge,
wie sehr gerade die Verhältniffe, in die sie nach dem Tode Casaubon's gelangt, die Entfaltung eines humani tären Wirkens im großen Stile begünstigt hätten.
Dorothea rafft sich zu keinem Entschlusse
Allein
auf und un
freiwillig zeigt die Dichterin, daß ihre Heldin nicht jenen
Thatendrang besitzt, mit dem sie dieselbe ausgestattet zu haben glaubt.
Dorothea, wie sie geschildert ist, macht
weit mehr den Eindruck einer edlen, idealen Schwärmerin,
als einer Natur, wie diejenige war, mit der die Dichterin sie vergleicht.
Somit eignet sie sich
auch nicht dazu,
die Wahrheit des Gedankens zu beweisen, welchen die Dichterin zu erhärten strebt Weit ergreifender als Dorothea's Schicksal ist das
jenige Tertius Lydgate's, der als junger Arzt mit hohem Eifer für seine Wissenschaft erfüllt, in der kleinen Pro-
230 vinzialstadt sich niederläßt,
um die nöthige Ruhe für
eigene Forschungen zu finden, sich aber durch die Heirath
mit einer schönen, aber oberflächlichen, eitlen und ver
schwenderischen Frau (Rosamunde gehört übrigens zu den lebendigsten Frauengestalten George Eliot's) in Schulden
stürzt, so daß statt wiffenschaftlicher Gedanken sehr bald die niedrigsten Sorgen ihn beschäftigen.
Durch mannigfaches
Ungemach aus dem kleinen Orte getrieben, geht er nach London,
wo
er sich durch die wachsenden Bedürfnisie
seiner Familie immer ausschließlicher dem Erwerbe widmen muß, so daß sein einstiges Ideal seinem Auge mehr und
mehr entschwindet. Lydgate ist wirklich eine Persönlichkeit, die zur That berufen
zu sein scheint,
aber
er ist das
Opfer elender Umstände.
George Eliot hat sich auch auf dem Gebiete der metrischen Poesie, oder der Poesie im engeren Sinne des
Wortes versucht, aber ganz offenbar ohne wahren inneren
Drang und Beruf.
Ein Blick auf die seltsamen strophischen
Formen ihrer Gedichte genügt dem schärferen Auge, um zu erkennen, daß sie keine Tochter der rhythmischen Muse
war.
Es fehlt ihren Versen, ganz abgesehen von dem
oft sehr fehlerhaften Bau derselben und all den Härten, die sie aufweisen, jenes geheimnißvolle Etwas, jene Flug kraft, jener Schwung, jene Ursprünglichkeit des Tones,
welche das echte Musenkind verrathen.
Und während bei
diesem durch die rhythmische Bewegung der Gedanken auch die Gestaltungskraft
sine Stärkung und Hebung
erfährt, so ist bei George Eliot das Gegentheil der Fall; ihre Gestaltungskraft wird dadurch in ihrer Entfaltung offenbar gehemmt.
Die rhythmische Rede,
statt ihrem
231 Geiste Flügel zu geben, wird für ihn ein Joch.
Dies
gilt nun freilich im Allgemeinen und es ist damit nicht
gesagt, daß sich in ihren Gedichten nicht auch manche schöne
Verse befinden, daß einzelne ihrer Dichtungen auch in
Bezug auf Composition ansprechend seien und Lob ver dienen.
Wohl aber haben
wir bei allen das Gefühl,
daß sie keine organischen, keine nothwendigen Hervor Was verleitete George
bringungen ihres Geistes sind.
Eliot Lorbeeren auf einem Gebiete zu suchen, wo sie ihr versagt waren? Vielleicht war es das Gefühl, daß der Prosaerzähler eben doch nur der Halbbruder des Dichters im engeren
Sinne sei, wie Schiller es ausgedrückt hat.
Viele möchten
den Unterschied zwischen Erzähler und Dichter als einen
blos äußerlichen hinstellen.
Es
ist jedoch gewiß,
daß
durch die gehobene Form auch der Inhalt gehoben und in eine höhere Sphäre
gerückt wird,
und hätten die
großen Romanschriftsteller nebst ihrer Erfindungskraft, ihrer
Seelenkenntniß, ihrer Fähigkeit, Charactere zu schaffen, auch den Adel der Form besessen,
so wären sie ohne
Zweifel noch größere Dichter gewesen.
Jener Ausspruch
Schiller's wird jedoch so verstanden werden müssen, daß
der
Romanschriftsteller
nur
hinter einem Dichter
der
rhythmischen Rede, der ihm in allen anderen Beziehungen
ebenbürtig ist, zurückstehe, nicht aber hinter einem solchen,
den er seinerseits an schöpferischer Kraft, an philosophischer Einsicht und an allgemeiner Energie des Geistes über trifft.
Deshalb ist George Eliot gleichwohl eine größere
Dichterin, als alle jene Frauen, die bisher in gebundener Sprache
geschrieben
haben.
Denn
nur,
wenn alle
232 anderen dichterischen Kräfte in gleicher Stärke vorhanden sind, wird das Vorhandensein oder Fehlen der poetischen
Form ein Mehr oder Weniger der Bedeutung zwischen
dem rhythmischen Dichter und dem Prosadichter
aus
machen.
Wir
bezeichneten
schon
einmal
die
Legende
Jubal, dem Erfinder der Musik, als das
von
bedeutendste
der größeren metrischen Gedichte George Eliot's.-
So
wohl die Scene, wo Jubal die neuerfundene Kunst das erste Mal der Menge vorführt, als auch
von seiner Wanderschaft nach
jene,
wo
er
der Heimath zurückkehrt,
wo Alle seinen Namen preisen, ohne daß man ihn für
den Träger des Namens halten will, sind schön geschildert.
Lob verdient
auch
die dramatische Skizze „Armgart",
deren Heldin eine gefeierte Sängerin ist, die in der ersten Zeit ihrer Triumphe die Bewerbung eines vornehmen
Mannes abgelehnt hat, nach nicht langer Zeit aber ihre Stimme und hiermit all ihre stolzen Hoffnungen einbüßt und schon hart am Rande der Verzweiflung steht,
das
Erwachen der Theilnahme
ihr ein
Retter wird.
„A Minor
Prophet“
an
Humoristische
und
als
fremdem Schicksal
Momente
„A College
enthält
Breakfast-
Party“ ; hübsch ist das Hirtenspiel „Agatha“, welches
am Rhein spielt, besonders stimmungsvoll der Anfang
desselben.
Das
schwungvollste Gedicht George Eliot's
ist die Hymne „O may I join the choir invisible“,
in der sie der Religion der schönen Menschlichkeit den
vollsten Ausdruck verliehen hat.
Das Gedicht sei hier,
um doch eine Probe ihrer Verse zu geben, in deutscher Uebersetzung mitgetheilt.
'Der heilige Wunsch, den die
233 Dichterin darin ausspricht, sollte
sich ihr im höchsten
Maße erfüllen. Könnt' ich dem unsichtbaren Chor mich einen
Der Todten, die unsterblich, neu erstehend In Geistern, welche sie veredeln: leben In Regungen, aus welchen Großmuth spricht, In Thaten kühner Gradheit, in Verachtung Elender Zwecke eigennützigen Strebens,
In den Gedanken, die wie Sterne leuchten, Mit sanftem Zwang des Menschen Streben drängend
Zu größern Zielen.
Himmlisch solch ein Leben:
Unsterbliche Musik der Welt zu schaffen, Als schöne Regel athmend, welche lenkt Des Lebens Wachsthum mit stets größerer Macht.
So erben wir die süße Lauterkeit Für die wir stritten, fehlten und erlitten Die Pein, die wuchs, je weiter ward die Rückschau.
Das wilde Fleisch, das sich nicht zähmen ließ, Ein schlechter Vater, stets der Kinder Reue, Die wahrhafte, verhöhnend, — ist zerschmolzen.
Sein Mißton, der in Harmonien verschwindet, Erstirbt im weiten Raum der milden Luft.
Und unser bess'res, eigentliches Selbst, Das andachtsvoll in Sehnsuchtstönen schluchzte,
Bemüht, der Menschen Bürde zu erleichtern. . . .
Dies Selbst soll leben, bis die Zeit des Menschen
Schließt ihre Lider, und des Menschen Himmel Gefaltet ist wie eine Roll' im Grab.e, Nie mehr gelesen.
234 Dies das künitge Leben, Das Märtyrer noch mehr verklärt für uns, Die wir zu folgen streben.
Wäre mir
Zu Theil der Himmel, könnt' ich Andern sein
Ein Stärkungstrank in einer großen Pein, Befördern edlen Eifer, Liebe nähren,
Das Lächeln schaffen, das nicht Wunden schlägt,
Ein Gut verkörpern, welches weit verbreitet,
Und, weil verbreitet, immer mächt'ger wird. Dann eint' ich mich den: unsichtbaren Chor,
Der mit Musik die weite Welt entzückt.
Die
umfangreichste
der
rhythmischen
Dichtungen
George Eliot's ist der „Spanische Zigeuner", ein höchst seltsames und allen gewohnten poetischen Formen spottendes
Gemisch von Drama, Erzählung und Lyrik,
das aber
keine neue Form schafft, die wir gutheißen könnten. ist vielmehr völlig formlos,
schweifig
und
mit
Es
im höchsten Grade weit
überflüssigen
Episoden
überladen.
Wohl aber ist die Fabel des Gedichtes reich an hoch dramatischen Momenten.
Der Zigeunerhäuptling Zarca,
eine scharf gezeichnete Gestalt, glüht für den Gedanken, seine verstreuten Stammgenoffen an einer Stelle Afrika's
zu versammeln und zu einem geeigneten Volke mit staat lichem Leben zu erheben; er findet seine Tochter Fedalma, der er, als sie noch ein Kind war, verlustig gegangen, als Braut des Herzogs Silva von Bedmar, giebt sich
ihr zu erkennen und dringt in sie, wieder ihrem Stamme
anzugehören; ein heißer Kampf zwischen Liebe und Pflicht
gefühl entbrennt in Fedalma's Brust, die Stimme der Pflicht siegt und sie flieht insgeheim mit ihrem Vater; der
235 Herzog, den die Entdeckung der Flucht fast zur Verzweiflung
treibt, folgt ihr und entschließt sich, nachdem er ihren Vorsatz vergebens zu erschüttern gesucht, um sie wieder
Als seine neuen
zu besitzen, selbst Zigeuner zu werden.
Stammgenossen die Festung, welche seinen Händen an vertraut war, jedoch erstürmen und seine Freunde nieder
metzeln, entbrennt wilde Reue und wüthender Haß in seinem Herzen, er erschlägt Zarca und ist nun durch eine unüberbrückbare Kluft für immer von Fedalma getrennt.
George Eliot
hat diese dramatische Handlung erfunden,
nicht zu gliedern
allein sie hat sie nicht auszubeuten,
verstanden. Die Hauptscenen enthalten unleugbar Schönes,
allein die feste Hand des Dramatikers lassen
auch sie
vermissen.
Was Zarca für sein Volk zu gewinnen strebt, das will Mardochai Cohen in „Daniel Deronda" und, durch ihn beeinflußt, der Held dieses Romans für die Juden erreichen.
Mardochai's
Ideal,
an
dem
er
mit
der
ganzen Gluth seiner Seele hängt, ist die Centralisirung des jüdischen Volkes in seinem asiatischen Stammlande.
Die hohe Begeisterung, die
in
diesem siechen,
armen
Menschen lebt, der von dem Mitleid eines Pfandleihers seines Stammes
sein Dasein fristet,
sein festes Ver
trauen, daß ein Erbe seiner Ideen erscheinen und in günstigerer Lage als er selbst dieselben auch verwirklichen
werde, hat etwas unendlich Rührendes. unter
allen idealen Gestalten George
greifendste.
Mardochai ist
Eliot's
die
er
Man hat sowohl diese Gestalt wie überhaupt
die gesammte Darstellung jüdischen Wesens in diesem Romane für unzureichend befunden, aber wie mir scheint
236 mit Unrecht.
Sympathisch ist die Häuslichkeit des Pfand
leihers Cohen allerdings nicht, aber sie ist charakteristisch geschildert, und darauf kommt es ja an.
Ferner ist das
jüdische Wesen von der Dichterin entschieden wohlwollend
und liebevoll dargestellt. Sowohl Zarca's wie Mardochai's
nationaler Gedanke ist ganz aus dem Herzen der Dich terin gesprochen, die überall für die engere Gemeinschaft eintritt. Leider ist es George Eliot nicht gelungen, den Erben
von Mardochai's Gedanken so interessant zu gestalten wie Mardochai selbst.
Daniel Deronda ist eine feine Natur,
er besitzt ein liebevolles, reines Herz, umfassende Jntereffen, allein er macht ebenso wenig wie Dorothea den
Eindruck einer zu großen Handlungen berufenen Persön Es lebt nichts von dem Ungestüm, von dem festen
lichkeit.
Selbstvertrauen, Kraft
in
ihm,
von der
ohne
Seelengluth und
Wir haben kein rechtes Ver
vollbracht werden können.
trauen
zu
dem
stählernen
welche bedeutende Thaten nicht
Enthusiasmus,
Ideen in ihm erwachen soll,
der
für Mardochai's
sich
nachdem
ihm
das
Geheimniß seiner Geburt enthüllt hat; wir halten ihn nicht für fähig jenes Werk in Angriff zu nehmen, für
welches Mardochai's edle Seele glüht. verdankt seinen Ursprung ebenso
Daniel Deronda
wenig wie Dorothea
einer plötzlichen dichterischen Hallucination, fondern der
grübelnden Construction.
Die Bemühung der Dichterin,
durch ihren Helden, wie er geschildert wird, aiff den Stifter des
Christenthums
hinzuweisen,
erscheint
un
begreiflich und ist ein Mißgriff, der geradezu peinlich
berührt.
237 Die Hauptbedeutung Deronda's ist entschieden in
seiner Beziehung zu Gwendolen Grandcourt zu suchen. Gwendolen ist die interessanteste Gestalt des Werkes, da
sie diejenige ist,
die wirklich in glaubwürdiger Weise
vor unsern Augen sich verändert und sich bessert. es ist Deronda's reines, edles
Und
Wesen, welches diesen
Wandel in Gwendolen's Natur hervorbringt und ihr dazu verhilft, und
einer
auf
Leben
Eitelkeit
neuen
zu beginnen.
und Egoismus zu überwinden
sittlichen Grundlage
ein
neues
Hier gelingt der Dichterin voll
kommen, was sie bei Esther vergebens sich zu zeigen be müht hat. Einen unendlich feinen Zug treffen wir in der ersten
Scene zwischen Deronda und seiner Mutter, der Prinzessin Halm-Eberstein. Lange Jahre war Deronda das Dunkel,
das über seiner Geburt, seinen Eltern lag, ein qualvoller
Gedanke, und namentlich war es die Sehnsucht nach der unbekannten Mutter, die sich seinem Herzen immer wieder
fühlbar machte.
Da endlich
giebt die Mutter sich ihm
zu erkennen und bescheidet ihn zu sich.
Er sieht sie aber
nur, um sich zu überzeugen, daß er keinen Anspruch auf ihre Liebe erheben darf, zugleich aber gelangt er durch
eine Bemerkung seiner Mutter zum Bewußtsein seiner Liebe zu Mirah Lapidoth, so daß sie, welche die bitterste
Enttäuschung ihm bereitet, dieselbe zugleich dadurch ge-
wiffermaßen sühnt, indem sie sein Herz auf ein neues
Ziel hinweist, und eine Quelle des höchsten Glückes ihm erschließt. Einen
tungen,
traurigen
welche
uns
Eindruck
machen
George Eliot
in
die
Betrach
„Theophrastus
238 Such", ihrem letzten Buche, geboten hat.
Hier verlegt
sie sich auf das Doziren oder gefällt sich in sarkastischen
Ausfällen, während sie früher gestaltet und gebildet unb
mit versöhnendem Humor über Menschen und Dinge ge lächelt hatte.
Das Leben
der Dichterin
war,
nachdem
sie die
Verbindung mit Lewes eingegangen,' in jeder Hinsicht ein glückliches zu nennen.
Ihr Verhältniß
zu Lewes
erlitt nie eine Trübung oder Lockerung und gingen die
Anschauungen des Paares in manchem Punkte auch weit auseinander, so hegte doch jeder die größte Achtung für die Art des Anderen.
Lewes eiferte die Dichterin immer
wieder zu neuen Kraftanstrengungen an und seine reiche Lebenserfahrung, sein umfassendes Wissen war für ihren
Geist eine Quelle der Bereicherung.
Lewes' Liebe zu
ihr hatte aber zugleich einen mütterlichen Zug.
Aengstlich
wachte er über ihre stets zarte Gesundheit, und ebenso suchte er es zu vermeiden, daß ungünstige, kritische Ur
theile über ihre Werke an ihr Ohr drangen, denn die
Dichterin war in diesem Punkte minosenhaft empfindlich. George Eliot scheint mit größter Bequemlichkeit, ge
arbeitet zu London
haben und zwar waren es, wenn sie in
weilte, . die
Vormittagsstunden,
literarischen Arbeiten ausfüllte.
die
sie
mit
Nachmittags pflegte sie
entweder einige Stunden auszufahren, mit Lewes
promeniren oder Bildergallerien zu besuchen.
zu
Die Abende
waren der Musik, dem Lesen oder dein Zusammensein mit einigen intimen Freunden gewidmet.
Durch unausgesetzte literarische Thätigkeit und be sonders bei der Art der schöpferischen Thätigkeit George
239 Eliots und dem ungeheuren Aufsehen, welches ihre Werke in England hervorriefen, lebte das Paar in sehr günstigen äußeren Umständen. Wiederholt reisten sie nach dem Continent und besuchten außer Deutschland auch Nordfrank
reich und Spanien,
oft auch zogen sie sich aus dem
Geräusche London's nach einem abgeschiedenen englischen
Landaufenhalt
zurück.
Berühmt
war
Nachmittags-Empfang in der Priorp, in
der
Sonntag-
North Bank,
St. John's Wood, wohin das Paar 1865 von Blandford Square übersiedelte.
In den schönen Gesellschaftsräumen
dieses Hauses versammelten
sich
jeden Sonntag
viele
berühmte Literaten, einheimische und fremde, außerdem
wurden auch junge Leute, die Hoffnungen für die Zu
kunft erregten, freundlich ausgenommen.
Priorp durch
eine Reihe von Jahren
Centralpunkt London's.
So war die
der literarische
Jedermann betrachtete es als
Auszeichnung, dort ausgenommen zu werdeir und man
riß sich förmlich um das ausgezeichnete Paar. Dasselbe hatte den Sommer 1878 in stiller länd
licher Zurückgezogenheit verbracht.
Nach der Heimkehr
nach London fühlte sich Lewes ernstlich unwohl und ver
schied nach kurzer Krankheit.
Die Dichterin suchte auch
vor diesem schwersten Schlage Rettung in der Arbeit. Auch beschäftigte sie sich mit Gründung eines George Henry
Lewes-Stipendiums.
200 Pfund schlechter
jährlich
bestimmt.
Dasselbe
beträgt
etwas
und ist für Personen
unter
beider Ge
Nur zu bald sollte die Dichterin
dem theueren Verstorbenen selbst folgen.
Leider
that sie in ihrer letzten Lebenszeit
einen
Schritt, über den selbst ihre wärmsten Verehrer nicht
240 ohne Kopfschütteln werden hinwegkommen können. dem der Tod
die
Nach
wichtigste Verbindung ihres Lebens
gelöst, nachdem sie selbst schon längst eine Matrone ge
worden, entschloß sie- sich, die Frau eines Herrn Walter
Croß zu werden,
nes.
allerdings keines unwürdigen
Herr Croß
hegte schon
Man
seit vielen Jahren
die
wärmste Verehrung für sie und durfte sie hoffen, durch
diese
neue
zu sinden.
Verbindung
Doch
einen
aus
liegt
liebevollen
dieser
Ehe
Beschützer
ein Dunkel.
Während einige behaupten, daß dieselbe eine glückliche gewesen sei, wissen andere von einer frühen Trübung
derselben zu erzählen.
kurze Zeit.
Auf jeden Fall währte sie nur
Nachdem das Paar von einer Reise nach
Italien nach London zurückgekehrt war, bezogen sie Croß' Haus
in
Chepne Walk,
Chelsea.
Nur noch
Wochen war es der Dichterin vergönnt, bringen.
„Freitag,
den 17.
dort
wenige
zu ver
December, erzählt Miß
Blind, wohnte George Eliot einer Vorstellung des „Aga memnon" in griechischer Sprache durch Oxforder Studenten bei und wurde durch die großen Worte ihres Lieblings
Aeschylos so ergriffen,
daß sie an eine neue Lectüre
der griechischen Dramatiker mit ihrem Gemahl dachte.
Am nächsten Tage besuchte sie das Samstäg-Volksconcert
und als sie nach Hause kam, spielte sie einige der. Me lodien, die sie gehört hatte.
Wahrscheinlich zog sie sich
bei dieser Gelegenheit eine Erkältung zu, denn, obgleich sie ihre Freunde, ihrer Gewohnheit gemäß, am Sonntag Nachmittag empfing, fühlte sie sich Abends unwohl und
am nächsten Tage erforderte eine Kehlkopf-Entzündung
ürztliche Hilfe.
Anfangs
schien
kein Grund zur Be-
241 unruhigung vorzuliegen,
bis
man Donnerstags
uner
wartet entdeckte, daß die Entzündung das Herz ergriffen habe
und
daß
handen sei.
keine
Hoffnung
auf
Genesung
vor
Vor Mitternacht des 22. December 1880
war George Eliot, die genau in deniselben Alter wie Lewes
starb, ruhig und schmerzlos verschieden; und mn Christ abend vernahm die Welt mit Schmerz
ihrem Tode.
die Kunde von
Sie wurde an der Seite George Henry
Lewes' auf dem Friedhofe zu Highgate beerdigt."
Wir kommen schließlich auf die Behauptung- zurück, welche wir zu Beginn dieser Zeilen ausgesprochen haben: daß George Eliot und nicht George Sand es sei, welcher der erste Platz unter den Frauen gebühre, die sich bis
jetzt in der Literatur ausgezeichnet haben.
Das, was
nämlich den Vorrang eines Romandichters vor dem anderen
hauptsächlich bestimmt, kann nichts Anderes sein, als der
tiefere Einblick in das Wesen der Erscheinungen,
die
größere Umsicht, mit welcher der Werth der Dinge be
stimmt wird, die größere Wahrheit, Natürlichkeit, Leben digkeit und Plastik alles Gestalteten. beide Dichterinnen
von
diesem
Vergleichen
höchsten
wir
Gesichtspilnkte
aus, so werden wir keinen Augenblick zögern, George Eliot, als den überlegeneren Geist,
als die bedeutendere
schöpferische Kraft, als das größere Genie zu bezeichnen. Wie wir sattsam hervorhoben, waren ihre Dichtungen von sehr verschiedenem Werthe, aber selbst in ihren verfehl
testen Werken offenbarte sie jene Vorzüge in weit höherem Maße als George Sand.
Es ist falsch, George Sand's
subjective Tendenz der streng objektiven Richtung George Eliot's als etwas Gleichberechtigtes gegenüber zu stellen, £) r u 51 o iv i £>, Essays.
16
242 der letzteren gebührt unbedingt die erste Stelle, und ferner ist auch die Bezeichnung jenes Gegensatzes durch „Idealis
mus" und „Realismus" zu tadeln. wie man mit Recht bemerkt
hat,
Denn einmal ist, der Gegensatz von
Realismus, als der Grundlage der Kunst, keineswegs Idealismus, sondern Falsismus.
Sodann ist die Be
zeichnung George Sand's als Idealistin, im Gegensatz zu George Eliot, auch deshalb zu vermeiden, da sie den
Gedanken in sich schließt, es habe George Sand die
große Engländerin an Idealismus der Gesinnung über troffen.
Allerdings ist die Moral George Eliot's nicht
kühn und nicht revolutionär, aber sie ist gesund, edel, fruchtbar und einer ganz anderen Kenntniß der mensch
lichen Natur
und
einer
weit tieferen philosophischen
Einsicht entsprungen, als die Visionen George Sand's es sind.
Sand's
Und während die Wirkung der Lectüre George
die
einer flüchtigen
momentanen idealen Rausches
idealen Erregung, ist,
eines
bewirkt der Geist,
welcher durch George Eliot's Werke weht, eine wahr hafte Erhebung und Bereicherung unseres Wesens.
Inhalt. Seile
1. Joanna Baillie
..................................................................
d
2.
Elisabeth Barrett-Browning........................................................ 98
3.
George Eliot
.....................................................
149
Kerichtiguugrn S. 5 Z. 3 v. it.: „der schottischen Gentry" statt „dem schot tischen Gentry."
S. 11 /
Z.11v. o.: „derselben" statt „desselben."
S. 112
Z.5 v. u.: „b hamounir" statt „Chamouni."
S. 117
Z.4 v. u.: „die letzteren" statt „den letzteren."
S. 117 Z. 1 v. u.: „das schöne" statt „der schöne." S- 124 Z. 8 v. u.. nach „seine eigenen" „Fehler" einzusetzen. S. 191 Z. 3 v. u. und S. 192 Z. 2 v. o.: „Rector" statt
„Pastor." S. 194 3- 8 v. II.. „schetländisches" statt „shetländisches".
Druck von (*. H. Schulze & ($o. in Gräfenhainichen.