Entwerferische Dinge: Neue Ansätze integrativer Gestaltung im Design 9783035622782, 9783035621624

Offene und kooperative Vorgänge von Gestaltung gelten zurecht als ein Garant für zukunftsfähige Erzeugnisse und Dienstle

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German Pages 224 Year 2020

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
Von dunklen Phasen zu kultureller Nachhaltigkeit
Einleitung
Theoretischer Teil
1. Theoretische Grundlagen und Kontext
2. Material, Erzeugnis, Kooperation – offene Entwicklungsprozesse
3. Recherche historischer und aktueller Tendenzen offener Entwicklung
Praktischer Teil und Fazit
4. Entwurfsforschung
5. Erkenntnisse und Fazit
Anhang
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Entwerferische Dinge: Neue Ansätze integrativer Gestaltung im Design
 9783035622782, 9783035621624

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Entwerferische Dinge

Board of International Research in Design, BIRD

Members: Michelle Christensen Michael Erlhoff Sandra Groll Wolfgang Jonas Gesche Joost Ralf Michel Marc Pfaff

Advisory Board: Lena Berglin Cees de Bont Elena Caratti Michal Eitan Bill Gaver Orit Halpern Denisa Kera Keith Russell Doreen Toutikian Michael Wolf John Wood

Helge Oder

Entwerferische Dinge Neue Ansätze integrativer Gestaltung im Design

Birkhäuser Basel

INHALTSVERZEICHNIS Von dunklen Phasen zu kultureller Nachhaltigkeit 007 Einleitung 011

Theoretischer Teil

023



1 Theore­tische ­Grundlagen und Kontext

025

Kultur als Handlungsrahmen von ­G estaltung

026

Entwicklungs- und ­E ntwurfskulturen

030

Erschließung von Möglichkeiten

038

Experimentalkulturen und ­F orschung im Design

043

Zusammenhang von Materialität und Handlung

057



2 Material, E ­ rzeugnis, K ­ ooperation  – offene Entwicklungsprozesse

069

Systemdenken und Rahmungen

070

Physische Objekte als Anker

072

Methoden und Formen offener ­E ntwicklung

075

Prototyping 084



004  ENTWERFERISCHE DINGE 

3 Recherche historischer und aktueller T ­ endenzen o ­ ffener E ­ nt­wicklung

089

Radiobastlerbewegung der 1920er Jahre – ein historisches Beispiel der ­o ffenen ­E ntwicklung von physischen, technisch ­ komplexen Erzeugnissen

091

Mobility-Projekte: offene ­E ntwicklung und Open Design

099

Reprap: Open 3D-Print – eine kurze Geschichte des 3D-Drucks und seiner kulturellen ­E inbettung

106

Tableau offener Entwicklung

109

„Urszene“ offener Entwicklung

115

Praktischer Teil und Fazit

123



125

4 Entwurfs­forschung Forschungsgegenstand

126

Forschungsfragen 127



Allgemeine Herangehensweise

128

Practice Based

129

5 Erkenntnisse und Fazit

189

Qualitative Entwicklungsschritte und Qualitäten von Objekten

191

Form als anschlussfähige Grund­l age für Offenes Design

194

Mehrfache Bestimmtheit und ­B edeutung von Design

198

Kulturell nachhaltige ­I mplementierung

203

Entwerferische Dinge: Perspektiven für die Designforschung

205

Fazit

209

Anhang

213

Literaturverzeichnis 214 Weblinkverzeichnis 218 Abbildungsverzeichnis 219 Danksagung 220

INHALTSVERZEICHNIS 005

VON DUNKLEN PHASEN ZU KULTURELLER NACHHALTIGKEIT Vorwort zur Promotionspublikation von Helge Oder Unter freundlich verdankter Verwendung des Gutachtens von Prof. Dr. Jörg Petruschat

Die Forschungsarbeit von Helge Oder ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Im aktuellen Designdiskurs stellt sie eine seltene Verschränkung großformatiger systemischer und kultureller Veränderungsprozesse mit individuellen, sinnlich-ästhetischen Fähigkeiten und Fertigkeiten dar. Der Autor beleuchtet die Mechanismen der Integration von Design in Innovations- sowie in ökonomisch relevante Prozesse. Am Design von Arte­ fakten analysiert er das individuelle entwerferische Können des einzelnen Gestalters, verbunden mit den Fähigkeiten, die Bedeutung jener Artefakte in die Prozesse der Wertschöpfung auf neue Weisen und vor allem bewusst zu integrieren. Der Grund für seine Analyse ist die Annahme, dass die Qualität der gestalteten Artefakte insgesamt bedeutsamer, innovativer und nachhaltiger werden könnte. Dies verlangt selbstverständlich eine kritische Weiterentwicklung der gestalterischen Handlungen. Folgerichtig adressiert Helge Oder den Begriff der kulturellen Nachhaltigkeit von Gestaltungsprozessen, die der reinen ökonomischen Verwertung von Design scheinbar entgegensteht. Der Autor positioniert sich damit gegen zeitaktuelle Vorstellungen von Designprozessen. Diese propagieren etwa im Design Thinking den Nutzen von Designmethoden als beliebig verfügbare Mittel zur Moderation von marktorientierten Entwicklungsvorgängen – und führen damit von einer Eigenständigkeit der Disziplinen fort. Diese Differenzierung findet in zweierlei Weise statt. Zum einen thematisiert Helge Oder die beiden Begriffe Entwurf und Gestaltung losgelöst vom angelsächsisch dominierten Diskurs, in dem alles irgendwie Design ist und entsprechend vage bleibt. Vielmehr sieht er im Design eine klare, disziplinäre Kompetenz mit Praktiken und Traditionen, die als Bestandteil von Entwicklungsprozessen qualitative, anders nicht realisierbare Eigenheit garantiert. Zum Zweiten agiert Helge Oder in seiner theoretischen Abhandlung – und noch viel mehr in seiner entwurfsgeleiteten, empirischen Forschung – sehr umsichtig, wenn es darum geht, Design als integrativen Vorgang zu verstehen. Er ist der Ansicht, dass die verschiedenen Stakeholder und Akteure in einem derartigen Entwicklungsprozess involviert sein müssen. Dabei orientiert er sich an einem disruptiven Innovationsbegriff und untersucht unter diesem Aspekt historische wie aktuelle Vorgänge offener Gestaltung, Entwicklung und Innovation auf kulturelle Veränderungspotenziale hin. In diesen Communities findet er einen Raum, der jenseits einer marktorientierten Verwertungslogik das Zueinander und Miteinander von Akteuren neu denkt. Obgleich vordergründig zumeist technische Innovationen erzeugt werden, sind in der Nachschau letztendlich

VON DUNKLEN PHASEN ZU KULTURELLER NACHHALTIGKEIT  007

wünschenswerte und als zukunftsfähig erachtete kulturelle Kontexte das Ergebnis dieser offenen und kooperativen Vorgänge. Den zweiten, entscheidenden Fokus der Arbeit richtet Helge Oder auf das entgegengesetzte Ende eines prozessualen Vorgehens: auf die Individuen und deren sinnlich-ästhetisches Vermögen. Die bildnerisch-ästhetische Dimension von Entwurfs- und Gestaltungsvorgängen steht unter dem Generalverdacht des Oberflächlichen und Dekorativen. Frei von derlei Ängsten, geht Helge Oder aus einer sinnlich-ästhetischen Per­ spektive auf die Gestaltung komplexer kultureller Zusammenhänge zu und spricht dieses Vermögen der Stakeholder auch gezielt an. Die von ihm so genannten Dunklen Phasen des individuellen Entwerfens und mentalen Modellierens sind, so das Ergebnis der Fallstudien von Helge Oder, zentrales Element in der Strukturierung von Komplexität und der Initiierung und Organisation von Kooperations- und Innovationsvorgängen. Im Mittelpunkt stehen individuell entworfene Artefakte, die aus einem kulturellen Raum heraus zur Form verdichtet wurden und in diesen zurückgespielt werden. Das Wechselspiel aus individuellem Entwerfen und der daraus resultierenden Disruption gewohnter Praktiken des Innovierens sowie aus kooperativem Prototyping und der damit einhergehenden Verfestigung und Verstetigung „des Neuen“ erachtet Helge Oder als Basis für die kulturell nachhaltige Entwicklung komplexer Erzeugnisse. Und im Gegensatz zu etablierten kooperativen Gestaltungsprozessen (siehe Design Thinking) sind Artefakte nicht nur Verkörperung bekannter Zwecke und ein Behältnis vorgefertigter Bedeutungszusammenhänge. Helge Oder fasst dieses Vorgehen mit dem Begriff des Entwerferischen Dings. Damit schafft er einen starken Rahmen, in dem dieses Vorgehen in Anlehnung an Hans-Jörg Rheinbergers Epistemisches Ding für wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenhänge operabel gemacht wird. In Rheinbergers Ansatz sind Vorgänge und Gegenstände von Erkenntnis im Kern schwer fassbar und vage ausgewiesen. Im Gegensatz dazu beschreibt das Entwerferische Ding sehr präzise, auf welche kulturell nachhaltige Weise immer wieder darum gerungen wird, was genau Gegenstand von Entwicklung und Erkenntnis sein soll. In dem von Helge Oder postulierten Wellenbrechermodell erzeugt er einen Rahmen, der geeignet ist, die systemischen Dimensionen von Gegenständen der Gestaltung und Wirkhorizonten der Entwerferischen Dinge zu strukturieren. Gleichzeitig zeigt es neue, wertvolle Perspektiven für unterschiedliche Stakeholder auf. Dieser Ansatz verbindet konkrete kooperative Entwicklungsvorhaben (regionale KMU und Entwicklungsdienstleister) und permanente Forschung durch und im Design (u. a. über Formen von Zusammenarbeit und disziplinäres Selbstverständnis) in einem integrativen Prozess. Eine folgerichtige Strategie, ist doch seiner nachvollziehbaren Argumentation nach die sinnlich-ästhetisch basierte Integration von individuellem Entwerfen und kooperativem Gestalten immer erkenntnisorientiert und de facto wissenschaftlich. Helge Oder hat in seinen Praxisexperimenten eng mit Fachleuten aus verschiedenen Branchen, aus dem Technologiebereich und mit Experten anderer Disziplinen an Hochschulen zusammengearbeitet. Dieser Resonanzraum des Überdisziplinären ist von

008  ENTWERFERISCHE DINGE

hohem Wert. Denn die Argumentationen des Autors entwickeln sich aus der stetigen Reflexion seiner Praktiken in diesem Resonanzraum. In der hier aufgelegten Publikation spiegelt sich der von Donald Alan Schön angelegte Grundbegriff des Reflective Practioner in der Eigenständigkeit gestalterischer Forschung wider. Helge Oder stellt bildnerische Kompetenzen und daraus entstehende Artefakte sowie deren ästhetische Aneignung als gestaltgebendes Element vor, welches ebenso Kooperation und Kultur strukturiert. Damit unterstreicht er die Bedeutung der Inte­gration von Design. Aus der Perspektive eines Designforschers und Hochschuldozenten sind für mich die Impulse zur disziplinären Fortentwicklung des Designs sowie zu den bildnerisch-ästhetischen Grundlagen der Gestaltung zukünftiger Lebensrealitäten von besonderem Wert. Ralf Michel, Board of International Research in Design

VON DUNKLEN PHASEN ZU KULTURELLER NACHHALTIGKEIT  009

EINLEITUNG Anhand des häufig gebrauchten und vagen Begriffs des Open Design möchte das vorliegende Buch einen Ansatz kulturell nachhaltiger Gestaltungs- und Entwicklungspraxis modellieren. Der Fokus liegt auf Entwerfen und Kooperation als Voraussetzung für Innovation und Erkenntnis im Design und – darauf aufbauend – dem Umreißen großer, paradigmatischer Fragestellungen: Es geht um die Suche nach zukunftsfähigen und wünschenswerten Daseinsformen jenseits kurzfristiger ideologie- und technikgeleiteter Zielstellungen und ungenügender Formen von Wissenschaftlichkeit und Erkenntnistätigkeit. Die Frage, woher das Vermögen zum ­Erkennen und Benennen zukunftsfähiger und wünschenswerter Zustände kommt, bringt uns direkt zum Design. Im letzten Jahrzehnt konnten im Design Strategien zur Gestaltung nachhaltiger Lebensweisen und kultureller Kontexte beobachtet werden: großformatige Planungs- und Transformationsprozesse in der Tradition der Urbanistik. Sie spiegeln den Wunsch nach systemischen Vorgehensweisen und Regelprozessen wider und beinhalten im Kontext der Digitalisierung ganz neue Implikationen. Flankiert wird dieses Vorgehen von Strategien, die sich auf die Substituierung ökologisch bedenklicher Technologien konzentrieren, aus dem Entwurf heraus nach neuen technischen Lösungen suchen oder dieses Paradigma in leicht verständliche Produkte und Systeme implementieren. Strategien zur impliziten und spielerischen Veränderung von Handeln und Verhalten des Individuums hin zu nachhaltigen Gewohnheiten und Lebensweisen ergänzen die Zugehensweisen auf kulturelle und gesellschaftliche Transformationen.

Entwerfen und Gestalten Die Gestaltung von nachhaltigen kulturellen Kontexten erfordert meiner Meinung nach die stete dingliche Kritik bestehender Verhältnisse in Gestalt neuer Entwürfe. In Kapitel 3 differenziere ich den in der angelsächsischen Verwendungstradition geprägten, vagen Designbegriff in Dimensionen von Gestalten und Entwerfen und zeichne ein historisch fundiertes Szenario des Designs als experimentelle und erkenntnisorientierte Praxis, indem ich die historischen und aktuellen Rollen des Produktdesigns ausführlich beleuchte. Die Strategien des Entwerfens und Gestaltens differenzieren sich in die Sphären der Moderation von Zusammenarbeit, der Entwicklung von weitreichenden Ideen sowie der Implementierung konkreter Absichten in Form von physischen Produkten oder modularen Systemen und deren Evaluation und Variation durch verschiedene Akteure aus.

EINLEITUNG 011

Open Design Zunächst wird der Begriff des Open Design umrissen: als Öffnung von Vorhaben und Projekten für kooperatives Arbeiten, als Teilhabe verschiedenster Akteure und Stakeholder. Als treibende Kraft dieser Offenheit im Design werden originär entwerferische Vorgehensweisen hervorgehoben. Die theoretischen Betrachtungen setzen sich mit aktuellen Konzepten wie Human Centered Design und Design ­Thinking auseinander und reflektieren historische Vorgänge kulturell innovativer, koope­ rativer Entwicklungs- und Gestaltungspraxis wie die Funk- und Radioamateurbewegung der 1920er Jahre oder das partizipatorische Bauen in den 1950er und 1960er Jahren sowie jüngere kooperative Formen von Innovation und Entwicklung. Neue Ansätze der Nutzerintegration und Partizipation in Designprozessen sind ebenso von Interesse wie Formen von Open Design, Open Innovation, Social Design sowie Grassroot- und Bottom-up-Entwicklungsprozesse.

Entwurf und Erkenntnis Das zweite essenzielle Thema des vorliegenden Buches bezieht sich auf das Wesen des Entwerfens als Innovations- und Erkenntnisvorgang. Im Kapitel 4 wird gezeigt, dass Erkenntnistätigkeit im Design auf sinnlich-ästhetischen Praktiken basiert und auf dieser Basis Vorgänge von Kooperation initiiert. Erst diese Verbindung ermöglicht eine im kulturell nachhaltigen Sinne innovative Gestaltung und Entwicklung. Ich gehe dabei von der Annahme aus, dass sowohl das individuelle Entwerfen als auch offene und kollaborative Gestaltungsvorgänge auf je eigene Weise Erkenntnisse generieren und immer als potenziell epistemisch anzusehen sind. In der Erforschung offener Entwurfs- und Entwicklungszusammenhänge beziehe ich mich auf grundlegende Überlegungen zum Wesen des Entwerfens als erkenntnisorientierte Praxis von Jörg Petruschat und Donald A. Schön, auf die sich wandelnde Bedeutung und Praxis von Design, postuliert durch Wolfgang Sattler und Klaus Krippendorff, sowie auf Erkenntnisse von Hans-Jörg Rheinberger zu Experimentalkulturen und Formen von Wissenschaftlichkeit. Individuelles Entwerfen macht Komplexität handhabbar durch Vorgänge der mentalen und materiellen Modellbildung und somit durch Strukturierung und Reduktion. Dieser Vorgang ist nicht primär zweckrational und technisch, sondern folgt zuvorderst sinnlich-ästhetischen Gesetzmäßigkeiten. Entwerfen ist ein ideenbildender, zweckerzeugender Vorgang, nicht nur ein Umsetzen rational und technisch geplanter Ziele und Zwecke. Offene Entwicklung funktioniert bislang nach anderen Gesetzmäßigkeiten. Aus der Recherche verschiedener historischer und aktueller Entwicklungsprojekte, Prozessmodelle und kultureller Strömungen resultiert die Erkenntnis, dass kollektives, partizipatives und offenes Gestalten zumeist innerhalb systemisch geregelter

012  ENTWERFERISCHE DINGE

Settings abläuft und dabei überwiegend quantitative Entwicklungsschritte realisiert werden. Die Arbeit wird entlang technischer Parameter aufgeteilt und in zumeist technologischen Rahmungen abgewickelt.

Experimentalkulturen – offene Entwicklung als Experimentalsystem Jedoch wird durch diese Objekte innerhalb und außerhalb des Entwicklungsprozesses oft keine genügend große Resonanz bei unterschiedlichen Akteuren erzeugt. Dieser Aspekt ist Gegenstand meiner praxisbasierten Forschung. Folgende Fragestellungen resultieren aus der Recherche: Wie kann ein Ungenügen offener Entwicklung (u. a. zumeist rein ideative oder technische Orientierung) durch entwerferisches Wirken des Produktdesigns und die Arbeit an der Form behoben werden? Welche Qualitäten besitzen die entworfenen Dinge, auf die sich eine Zusammenarbeit stützt, und welche mehrfache Bestimmtheit entfalten sie im Rahmen eines potenziell offenen Entwicklungsvorhabens? Um diese Fragestellung zu präzisieren, muss das Setting der offenen Entwicklung aus der Perspektive eines experimentellen, erkenntnisorientierten Vorgehens betrachtet werden. Hans-Jörg Rheinbergers Untersuchungen zu Experimentalsystemen beschreiben sogenannte „epistemische Dinge“, also die noch vagen und zu konkretisierenden Gegenstände des Erkenntnisstrebens. Die in dieser Arbeit geleistete Forschung konkretisiert das scheinbar vage, unscharfe Gefilde des „epistemischen Dings“. Stabilisiert wird dieser epistemische Raum durch den sinnlich-ästhetischen Zugang aus dem Entwurf heraus. Das „Vage“ wird auf einer sinnlichen Ebene konkret und anschlussfähig. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt darauf, Formen der tätigen und ästhetischen Aneignung jenseits vorgefertigter semantisch-semiotischer Zusammenhänge, technischer Passungen, beliebiger Ideen oder nicht zukunftsfähiger paradigmatischer Rahmungen zu ergründen. Wie im Kapitel 5 resümiert, umreiße ich zugleich eine Grundlage von Erkenntnistätigkeit und Wissenschaftlichkeit – auch über das Design hinaus.

Practice Based Research In zwei aufeinander aufbauenden, experimentellen Entwurfsprojekten wurde untersucht, wie durch entwerferisches Vorgehen Objekte geschaffen werden können, die sowohl innerhalb eines konkreten Settings von Akteuren qualitative Entwicklungsschritte anregen als auch externen Akteuren verschiedene Perspektiven zur innovativen Verwendung bieten. Eine Rahmenbedingung für diese Untersuchung bestand in der Kooperation mit technologie- und innovationsaffinen Unternehmen und Entwicklungsdienstleistern der Fraunhofer Gesellschaft. In diesen Projekten

EINLEITUNG 013

wurden, evoziert durch entwerferisches Vorgehen, neue Formen der Zusammenarbeit entwickelt und erprobt. Dabei konnte ich zeigen, dass die Gegenstände der Gestaltung und Innovation erst aus einem entwurfsgeleiteten, kooperativen Miteinander verschiedener Akteure heraus erkennbar sind. Entwurfsgeleitete experimentelle Modellierung in unterschiedlichen Materialien und Medien erwies sich als zielführend, um einen neuen Rahmen für die Anwendung technischer Arbeitsweisen und Innovationsvorgänge aufzuspannen. Darüber hinaus konnte auf Basis dieser designgetriebenen Entwicklung eine Gruppe von Akteuren (Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Privatpersonen) zusammengeführt werden, um Folgeprojekte zu verschiedenen Themenbereichen zu entwickeln.

Entwerferische Dinge Aus der Untersuchung dieses Miteinanders von individuellem Entwerfen und kooperativem Gestalten und Entwickeln habe ich das Konzept des Entwerferischen Dings abgeleitet. Dieser in Anlehnung an Hans-Jörg Rheinbergers Epistemisches Ding gewählte Begriff beschreibt ein auf den ersten Blick vages Interagieren von Individuen, Artefakten und Organisationsformen, aus dem heraus komplexe Faktorengefüge aufgeklärt und Wirkdimensionen sowie Gegenstände des Entwickelns und Erkenntnisstrebens sichtbar gemacht werden. In diesen Phasen wurden von mir als beteiligtem Designer initiativ Artefakte geschaffen, die zum Gegenstand von gemeinsamen Prototyping-Vorgängen wurden. Die ästhetischbildnerische Arbeit an der Form stellte sich als zentrale Vorgehensweise dieses ­individuellen Entwerfens heraus (und nicht ideative, technisch geregelte oder ­Objekte als semiotisch vermittelte Bedeutungsträger nutzende Vorgehensweisen). Aus der praxisbasierten Entwurfsforschung heraus entwickle und postuliere ich daher die Konzepte der Dunklen Phasen1 des individuellen Entwerfens sowie der daraus entstehenden Entwerferischen Dinge. Die Auswirkungen dieser Konzepte auf einen offenen, kollaborativen Entwicklungsprozess werden in dem von mir so bezeichneten Wellenbrechermodell anschaulich gemacht. Die Entwerferischen Dinge werden – anders als in Rheinbergers Experimentalsystem beschrieben –- nicht in einen disziplinären, semantisch-semiotisch festgelegten Rahmen zurückgeführt, sondern dienen als Grundlage der Veränderung dieses Rahmens und der damit einhergehenden Bedeutungs- und Zeichenzusammenhänge. Gemeinsames Handeln innerhalb des E ­ ntwerferischen Dings führt zur Verstetigung des Wissens in Gestalt von Prototypen, die auf vielen Ebenen für unterschiedliche Stakeholder anschlussfähig (bzw. „offen“) sind. Zum einen werden durch ihre Nutzung die Grenzen von Kompetenzen, Ressourcen und Formen der Zusammenarbeit aufgezeigt. Veränderungen auf Ebene des Prozesses und der Kooperation können vorgenommen und neue Ziele und Zwecke für die nächsten Entwicklungsschritte definiert werden. Ebenso verkörpern Entwerferische Dinge und die aus ihnen resultierenden

014  ENTWERFERISCHE DINGE

Prototypen innovative Qualitäten und längerfristige Nutzungsangebote für Akteure jenseits des überschaubaren Projektrahmens. Diese Potenziale betreffen offene Innovationstätigkeiten auf der Ebene von Produkten, Technologie/Verfahren, Wertschöpfungsform und ­Entwicklungsprozess sowie das Herausbilden neuer Kompetenzen, Rollen und Überschneidungen im Dreiklang von Entwicklung, Produktion und Nutzung/­Konsumption.

Qualitative Schritte oder: Was ist Gegenstand von Innovation und Erkenntnis? Es handelt sich um ein zirkulär-wechselwirkendes Schaffen von neuen, originären Qualitäten (am Beispiel der Projekte Extended 3D-Print und Hydrofix beschrieben) und ein zielgerichtetes Evozieren von Diversität auf kultureller Ebene. Das Vorgehen ist integrativ und mehrfach erkenntnisorientiert. Dabei dürfen keine linearen, teleologischen Ausrichtungen hin zu „Fortschritt“ und „Besserem“ leitend sein. Vielmehr wird ein potenziell unabschließbares Resonanzverhältnis aus Konkretisierung von Zwecken und Bestimmtheiten,2 Analyse von vorhandenen Beständen und Öffnung der auf diese Weise ermittelten Zusammenhänge für unterschiedliche Stakeholder angestrebt. Dieses Vorgehen wird durch den Entwurf angetrieben. Drei Ebenen ­werden auf Basis der Bestimmtheit gleichzeitig oder unabhängig voneinander entwickelt: Entwürfe und Prototypen, Projekte sowie kulturelle Zusammenhänge und Settings von Akteuren (menschlich wie nicht-menschlich). Aus der Perspektive der Designforschung sind es Rollen, Kompetenzen und Formen der Zusammenarbeit, welche auf diese Weise sichtbar und entwickelbar werden. Primär technolo­ gieorientierte Entwicklungsdienstleister und kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) verfügen über spezialisierte, jedoch angesichts konjunktureller sowie paradigmatischer Veränderungen nur bedingt innovative und anpassungsfähige Strukturen. Zugleich verfügen sie auf der Ebene der Individuen (Mitarbeiter) über Erfahrungswissen und Kompetenzen, die auch Grundlage zukunftsfähiger und kulturell nachhaltiger Formen der Implementierung komplexer Erzeugnisse sein können. Derartige Aspekte wurden in dieser Arbeit auf ideativer und konzeptioneller Ebene skizziert und müssen in Folgeprojekten vertieft werden. Gleiches gilt für die Erkennbarkeit und Beschreibbarkeit der durch das Entwerferische Ding verkörperten mehrfachen Bestimmtheiten und der durch das Zutun der Stakeholder in diesem Zusammenhang geschaffenen Dinge, Performances und Interaktionszusammenhänge.

Forschung im und durch Open Design Derartige, über das Entwerfen moderierte und reflektierte Vorgänge stellen eine Spielart der integrierten Erkenntnistätigkeit dar. Der aus Sicht der Designforschung

EINLEITUNG 015

relevante experimentelle Zusammenhang ist in der „doppelten Erkenntnistätigkeit“ aus individuellem Entwerfen und offenem, kooperativem Entwickeln gegeben. Als eine Erkenntnis dieser Studie möchte ich das Konzept der „empirischen Forschung durch Open Design“ (FDOD oder engl. RTOD) postulieren und ein Feld neuer Fragestellungen und Forschungsvorhaben öffnen. Untere anderem sind die Relevanz und Qualität der bildnerisch-ästhetischen Vorgehensweise als Initiator qualitativer Entwicklungsschritte in offener, kollaborativer Entwicklung weiter zu erforschen sowie diese FDOD als eigenständige Methode zur Klärung spezieller Fragestellungen weiter zu qualifizieren und zu verfeinern. Hervorzuheben sind die Rolle des akademischen Raums als Initiator und Koordinator derartiger Projektkulturen und die in der Arbeit skizzierten institutionellen Rahmenbedingungen, durch die verschiedenen Stakeholdern ein stabiler Rahmen für die Teilhabe an derartigen Innovationstätigkeiten geboten werden kann.

Fazit Die in der vorliegenden Arbeit getätigten, punktuellen Tiefenbohrungen in der Sphäre der sinnlich-ästhetischen Entwurfs- und Gestaltungsstrategien jenseits von Idee und technischer Zurichtung zeigen beispielhaft auf, wie technologiegetriebene Innovationsvorgänge in zukunftsfähige, kulturell nachhaltige Formen der Gestaltung implementiert werden können. Über die mehrfachen Bestimmtheiten des Entwerfens wird ein erweiterter Raum der Erkenntnistätigkeit geöffnet. Sie fundieren den Resonanzboden für die Analyse vorgefundener, komplexer Zustände sowie die Strukturierung des zukünftigen Verhältnisses von Individuen und Ressourcen, von Entwicklung, Produktion und Nutzung. Die Kultur als Handlungsrahmen für Gestaltung wird an konkreten Settings experimentell nachvollzogen, eingegrenzt und auf einem an Erfahrung reicheren, konkreteren und gegebenenfalls theoretisierbaren Level wieder erweitert. Als Ergebnis der wendungsreichen Entfaltung der vorliegenden Arbeit liegt das Konzept der Entwerferischen Dinge vor.

Forschungsansatz Das Ungenügen individueller Poblemlösungen Die Antizipation einer angemessenen Lösung für eine vorgefundene Sachlage3 war, seit es die Profession gibt, auch Sache des Produktdesigns. Nach Klaus Krippendorff muss ein Zusammenhang zwischen Entwurf und Wirkungszusammenhängen ­bestehen:

016  ENTWERFERISCHE DINGE

Ein Artefakt so zu gestalten, dass es eine bestimmte Funktion erfüllt, […] heißt, das ­größere Ganze, dem das Artefakt dienen soll, nicht zu hinterfragen und größere Verantwortung für einen Entwurf abzulehnen.4

Das von Krippendorff so bezeichnete, „technologiegetriebene Design“ unterstütze die Autoritätsstrukturen und hierarchische Ungleichheit in funktionalistischen Gesellschaftsformen. Der Benutzer habe sich, so Krippendorff, als Rezipient von „massenhaft produzierten Produkten im Rahmen funktionaler Subsysteme dem abstrakten Verstehen eines ganzen Systems unterzuordnen“.5 Horst Rittel erkannte in offenen, nicht abschließbaren sozialen Dynamiken den Grund für die Schwierigkeit, Ursachen für Probleme in einem komplexen kausalen Netzwerk zu erkennen und Lösungsideen umzusetzen.6 Dies beinhaltet die Interaktionen zwischen Individuen beziehungsweise zwischen dem Einzelnen und seiner Umwelt sowie die Wechselwirkungen zwischen den dabei genutzten Dingen auf einer räumlichen und zeitlichen Ebene. Auf diese Weise entsteht ein Zusammenwirken, das mit dem Begriff der Ökologie beschrieben werden kann.7 Die Rahmenbedingungen für wünschenswerte oder weniger wünschenswerte Entwicklungen sind in jedem Fall auch im Artefakt (Produkt) sowie den direkten und indirekten Interaktionen zwischen Individuen angelegt. Sie beeinflussen Wertschöpfungsketten und Stoffkreisläufe und berücksichtigen die Ansprüche verschiedenster Stakeholder mal mehr, mal weniger. Es besteht zudem ein Zusammenhang zwischen der Quantität und Qualität des individuellen Wunschvermögens und der Quantität und Qualität der Interaktion mit anderen Individuen. Dies beinhaltet die Nutzung sowie auch die Erzeugung von materiellen Artefakten in konkreten kulturellen Zusammenhängen.8 Die ungenügende Berücksichtigung derartiger Wirkhorizonte charakterisiert, wie im Folgenden an Beispielen erläutert werden wird, einen erheblichen Teil historischer und auch aktueller Designpraxis, die von der Vorstellung des individuellen Wirkens von Designer*innen in der Rolle von Solisten oder Autoren maßgeblich geprägt ist.

Komplexität und Kompetenz Das Thema „Komplexität“ leitet diese Arbeit. Komplexität zeigt sich in der möglichen Überforderung des Individuums bei der Bewältigung seiner Lebensrealität. Sie zeigt sich auch in der Unmöglichkeit, das Zusammenwirken von verschiedensten Faktoren abzubilden, zu beschreiben und vorherzusehen.9 Die reale Menge an Informationen und Entscheidungsoptionen hat zugenommen. Dies kumuliert für Sloterdijk in der Erkenntnis, dass dem Individuum der Anschein und die Simulation von Souveränität geboten werden müsse. Sloterdijk marginalisiert die Rolle des Designs und des Designers als die eines Akteurs, der ebenfalls Komplexität meidet und die Auseinandersetzung mit komplexen, jedoch beeinflussbaren

EINLEITUNG 017

Faktoren der Lebenswelt negiert.10 Seine Fertigkeiten nutze der Designer, um das wenige, was ihm individuell verständlich ist, in die Gestaltung der Oberflächen von Blackboxes einzubringen11 und die Entkoppelung zwischen unmittelbar verständlichen Handlungsoptionen und Kausalitäten abzumildern. Petruschat vertritt ebenfalls die Ansicht, dass Komplexität durch Gestaltungsleistung reduziert und in Objekten verkörpert wird. Jedoch sieht er darin keinen Akt der Verschleierung und der Simulation, sondern des Ordnens und Strukturierens, der Erkenntnis und auch der Wirkmächtigkeit: Wir stellen, wenn wir sehen und sinnlich uns fühlen, eine sehr beschränkte Auswahl dieser Daten zusammen zu einer Szene, die uns handlungs- und entscheidungsmächtig macht. Und diese Selektion, diese Ordnung, ist, wie der Akt ästhetischer Musterbildung, ebenfalls eine Informationserzeugung auf der Basis abgewiesener Komplexität. Was wir hieran lernen können ist: die Fassung von Komplexität ist kein Aufgeben, kein Resignieren, sondern sie erzeugt die neue Qualität Bewusstsein: Erst die Degeneration von Datenmengen erzeugt Modellräume für ein Handeln, das über verkörperte Automatismen [den Zwanglauf der Instinkte] hinausreicht.12

Daraus ergeben sich auch weitreichende Konsequenzen für die Schaffung von Qua­litäten in Form von inneren Modellen und materiellen Objekten. Im Gegensatz zu Sloterdijk, der dem Design einen an der Oberfläche sich abarbeitenden und Souveränität nur simulierenden Gestus des Gestaltens attestiert, stellt Design nach Petruschat einen auf struktureller Ebene Komplexität reduzierenden Vorgang dar.13 Und da Gestaltung, Entwurf und Nutzung untrennbar miteinander verbunden sind, handelt es sich per se um einen Vorgang, der viele Akteure involviert.

Zielstellungen und Methoden des Forschungsvorhabens Diese Arbeit soll einerseits Vorgehensweisen und Motive ergründen, welche Ursprung und Ausgangspunkt offener Entwicklungen sein können. Der Begriff des Open Design soll anhand der Analyse von Entwurfs- und Entwicklungspraxis definiert und in seinem Profil geschärft werden. Dies beinhaltet die Untersuchung einer vermuteten, impliziten Forschungsorientierung und die Benennung diesbezüglicher Voraussetzungen, Verfahrensweisen und Ergebnisse. Es wird eine Methodenbildung angestrebt. Parallel dazu wird in experimentellen Entwurfsprojekten die Rolle des Designers in einer Open-Design-Ökologie beziehungsweise in einem ­offenen Entwicklungsprozess analysiert, und es werden Potenziale für eine neue Grundlage professioneller Tätigkeit aufgezeigt. Um diese Ziele fokussiert realisieren zu können, wird als konkreter Untersuchungsgegenstand eine Phase der Kooperation zwischen technologieaffinen

018  ENTWERFERISCHE DINGE

­ leinen und mittleren Unternehmen (KMU) und Produktdesignern vor dem Hinterk grund eines potenziell offenen Entwicklungsumfeldes thematisiert. Unter anderem sollen die Ursachen und Voraussetzungen für qualitative Entwicklungsschritte innerhalb eines offenen Entwicklungsumfeldes sowie die damit verbundene Rolle von Design untersucht werden. Zu diesem Zweck wird ein experimenteller, entwurfspraxisbasierter For­ schungsansatz gewählt. Aus der Recherche von historischen und aktuellen Beispielen werden zunächst verallgemeinerbare Erkenntnisse zu gestalterischen ­Strategien abgeleitet. Das im Theorieteil der Arbeit entwickelte Panorama offener Entwicklung wird im praktischen Teil unter Berücksichtigung der ermittelten Erkenntnisse zu bekannten Formen offener Entwicklung in zwei Designprojekten experimentell qualifiziert und überprüft. Diese Projekte bauen thematisch und hinsichtlich der teilhabenden Akteure und konkreten, bearbeiteten Entwurfsgegenstände aufeinander auf und wurden nacheinander durchgeführt und mit praxisbasierten14 Methoden der Forschung durch Design untersucht. In den praxisbasierten Forschungsprojekten Extended 3D-Print und Hydrofix werden diese Erkenntnisse zu aufeinander aufbauenden Entwurfsprojekten verdichtet und machen die Besonderheiten des interdisziplinären, aber auch originär entwerferischen Arbeitens an einem Open-Design-Entwurf sichtbar. Diese Projekte fokussieren die Zusammenarbeit zwischen Produktdesignern (u. a. dem Autor) und einem Unternehmen beziehungsweise einem Forschungsinstitut in einem innovationsträchtigen technologischen Themenfeld mit dem Ziel, eine offene Entwicklungs- und Forschungsökologie anzustoßen.

Struktur der Forschungsarbeit Die Studie teilt sich in einen theoretischen Teil und einen praktischen, die Entwurfsforschung dokumentierenden Teil. Im ersten Kapitel des Theorieteils werden kulturelle und handlungstheoretische Rahmenbedingungen des Entwerfens und des Designs thematisiert. Auf Grundlage dieser Annahmen werden im zweiten Kapitel verschiedene Formen und Konzepte offener Entwicklung recherchiert und differenziert. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit konkreter, gelebter, beispielhafter Entwicklungspraxis anhand historischer und aktueller Beispiele. Auf Basis dieser Erkenntnisse werden im Entwurfsteil (Kapitel 4) zwei aufeinander aufbauende Entwurfsprojekte entwickelt und durchgeführt. Aus den Ergebnissen der beiden experimentellen Entwurfsprojekte werden im fünften Kapitel verallgemeinerbare Erkenntnisse abgeleitet und zu einem methodischen Gestaltungsansatz verdichtet.

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Der Begriff der Dunklen Phasen wurde von mir gewählt, um die im individuellen Erleben und Handeln verortete und faktisch nicht quantifizierbare, sinnlich-ästhetische Kompetenz der beteiligten Stake­ holder und – aufgrund disziplinärer Vorprägung – im Besonderen der Akteure aus den entwerferischen Disziplinen hervorzuheben. Der Begriff der Bestimmtheit bezieht sich auf Richard Buchanan, Donals S. Schön und Jörg Petruschat, die dem Design jeweils einen nicht festgelegten (indeterminated), ungenau bestimmten (ill-defined) bzw. ein Zuviel an Information in zwangsläufig erscheinenden Ordnungen zunächst infrage stellenden ­Charakter attestieren. Siehe: Kapitel 1 „Experiment, Entwurf und Forschung durch Design“ dieser Arbeit. … oder, je nach Betrachtungsweise, eines Problems. Die dem Design oft zugewiesene Rolle als Problemlöser wird im Rahmen der Arbeit noch vertieft reflektiert. Siehe: Krippendorff, K. (2013): Die semantische Wende. Basel: Birkhäuser. S. 350. Ebd. S. 105. Rittel bemerkte: „By now, we all beginning to realize that one of the most intractable problems is that of defining problems (of knowing what distinguishes and observed condition from a desired condition) and of locating problems (finding where in the complex causal network the trouble really lies). […] As we seek to improve the effectiveness of action in pursuit of valued outcomes, as system boundaries get stretched, and as we become more sophisticated about the complex working of open societal systems, it ­becomes ever more difficult to make the planning idea operational.“ Rittel, H. W. J., Webber, M. M. (1973). Dilemmas in a General Theory of Planning. In: Policy Sciences 4, S. 155–169, hier S. 159. Unter einer (artefaktischen) Ökologie wird im Rahmen dieser Arbeit das Zusammenwirken verschiedener Artefakte (u. a. Produkte) verstanden, die – ihren Gebrauch vorausgesetzt – einander begünstigen, verdrängen, neuartige Kontexte bewirken oder bestehende Verhältnisse zementieren. Diese Prozesse sind selten planbar und die sich daraus ergebenden Dynamiken schwer einzuschätzen. Siehe: Krippendorff, K. (2013). S. 256. Der kulturelle Raum oder kulturelle Rückraum wird als Resonanzboden für gestalterisches Handeln ­angesehen. Siehe u. a.: Petruschat, J. (2011a), Wicked Problems. http://www.redesign.cc/Wicked_Pro­ blems_2.html. Peter Sloterdijk skizziert in seinem Text „Das Zeug zur Macht“ einen solchen exponentiellen Zuwachs an Komplexität, den das Individuum in seiner Lebenswirklichkeit zu bewältigen hat. Siehe: Sloterdijk, P. (2010). Das Zeug zur Macht. In: Sloterdijk P., Voelker S. (Hg.). Der Welt über die Straße helfen – Designstudien im Anschluss an eine philosophische Überlegung. Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, S. 7–25, hier S. 9. Sloterdijk, P. (2010). S. 12. Ganz zu Recht vergleicht Sloterdijk diese Form von Gestaltung mit dem vormodernen Ritual als Mittel der Beherrschung von nicht beherrschbaren Situationen. Beide haben keinen Einfluss auf die Ursache des Unbehagens. Diese Strategie ist zu ungenügend, um jenseits von individueller Anpassung und soziotechnischer Abrichtung gestaltend zu wirken. Ebd. S. 12 f. Siehe: Petruschat, J. (2011a). Die Gründe hierfür liegen zunächst in der Ähnlichkeit von individuellen Wahrnehmungs- und Kognitionsvorgängen und Gestaltungsvorgängen (siehe Kapitel 1). Die Definitionen praxiszentriert und praxisbasiert orientieren sich an dem Ansatz von Fatina Saikaly. Siehe: Hugentobler, H. K., Mareis, C., Nyffenegger, F., Reichhardt, U., Zerweck, P. (n.d. ). Designwissenschaft und Designforschung. Bern: Educational Technology Publications. http://blog.hslu.ch/design­ forschung/files/2010/04/Designwissenschaft_Designforschung_HSLU_DK_2010.pdf (Aufruf­datum 12.12. 2014). S. 46.

020  ENTWERFERISCHE DINGE

Theoretischer Teil

1  Theore­tische ­Grundlagen und Kontext

KULTUR ALS HANDLUNGSRAHMEN VON ­GESTALTUNG Das vorliegende Buch sucht einen im Produktdesign und der reflektierenden Entwurfspraxis verankerten Zugang zum Themenfeld Kultur. Kultur beschreibt im Allgemeinen einen Prozess der Kumulation von Wissen und Werten. Sie beinhaltet zudem Artefakte und Praktiken. Ebenso dient sie – unter vergleichender Erkenntnis und Beschreibung von Differenzen – der Unterscheidung verschiedener Gruppen von Individuen, die sich durch ähnliche produktive Tätigkeiten auszeichnen. Die physischen Bedingungen im Umfeld von Entwurfs- und Nutzungstätigkeiten – individuell wie materiell – stehen im Mittelpunkt dieser wissenschaftlichen Arbeit.

Kulturelle Nachhaltigkeit Das Wort Kultur ist zurückzuführen auf das lateinische Wort cultura, welches einerseits Landbau (im Sinne von Ackerbau), andererseits aber auch Pflege – unter anderem die Pflege von Körper und Geist – bezeichnet.1 Diese Pflegevorgänge sind ihrer Natur nach auf Erhalt und Nachhaltigkeit ausgerichtet. Der dem Wort Kultur etymologisch innewohnende Nachhaltigkeitsansatz wird in dieser Arbeit auf seine grundlegenden Eigenschaften im Kontext der Gestaltung zukunftsfähiger Lebensmöglichkeiten hin untersucht. Nach Oliver Stengel besteht eine Möglichkeit zur Implementierung neuartiger (und weniger ressourcenintensiver) kultureller Gewohnheiten und Lebensstile unter anderem in der gezielten Förderung von Communities of Experts, die Oliver Stengel als ein Ergebnis seiner Forschung zu nachhaltigen Lebensweisen vorschlägt.2 Diese im speziellen Kontext relevanten Akteure, so die Annahme, verkörpern suffizientere3 (in etwa: genügsamere) Alltagsgewohnheiten sowie die Kompetenz zu deren fortlaufender experimenteller Weiterentwicklung und Korrektur. Die Impulse zu nachhaltiger Entwicklung und kultureller Veränderung wurzeln in eigenmotivierter, erfahrungsbasierter und eben im kulturellen Sinne nachhaltiger Tätigkeit.4 Diese Akteure treten nach Stengel als Deutungselite auf – ein Ansatz, der angesichts von Szenarien offener Entwicklung relevant sein kann. Die Sphäre der sozialen und gesellschaftlichen Reproduktion ­ estaltung und Veränderung, die der Produktion selbst ist damit Gegenstand von G ein Mittel zum Erreichen dieser Ziele.

026  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

Gestaltung und Komplexität Gemäß Jörg Petruschat ist der Begriff der Kultur definiert als die subjektiven und objektiven Bedingungen, die den Individuen gegeben sind, aus sich etwas Besonderes zu machen5 – eingeschlossen die „Verhaltensweisen, Denkarten und Idealvorstellungen, mit denen sie auf die Bedingungen, in denen sie leben und die sie zur Grundlage ihrer Existenz haben, reagieren“.6 Diese Sichtweise impliziert einen persönlichen Prozess der Durchdringung und auch Bewusstseinsentwicklung. Petruschat beschreibt Design als Kulturfaktor, welcher es dem Einzelnen gestattet, einen Zugang zur Welt zu realisieren und aus der Kritik bestehender Verhältnisse eigenständige Bedürfnisse zu entwickeln. Es geht also nicht nur um die als artifizielle Welt materialisierten Dispositionen des menschlichen Wirkens. Es geht um verschiedene Arten des Zugangs zu diesen Gegebenheiten sowie um deren Reflexion, Kritik und dynamische Weiterentwicklung im Sinne der Realisierung „wünschenswerter Zukünfte“.7

Gestalten Diese Untersuchung orientiert sich an einem Begriff von Gestaltung, dem die Erweiterung von Lebensmöglichkeiten nach Maßgabe eines Selbstmodells8 zugrunde liegt. Diese Verknüpfung von individuellen Zuständen (Körper, Kognitionsapparat) und äußeren, auch komplexen Gegebenheiten stellt eine Grundkonstante von Kultur als Handlungsrahmen für Gestaltung dar. Dazu Petruschat: Die Stärke und ästhetische Besonderheit des Designs als Beruf besteht darin, nicht geregelte und also frustrierende Situationen intuitiv und ganzheitlich zu erfassen, und erfassen heißt, sie zu mustern und dabei zu ordnen. Dabei greifen Verfahren der Ganzheitsbildung und Verfahren der logischen Strukturierung ineinander. Ohne Zeichnung kein Bild. Und das heißt: Ohne Motorik, ohne Kausalität entlang der Zeit gibt es kein Bewusstsein und ohne Bewusstsein gibt es keine brauchbaren Objekte. Was wir Design nennen, sind Zwischen- und Endphasen auf diesem Weg zunehmender Aufklärung.9

Zunächst handelt es sich um eine individuelle Erfahrung und Bewertung, die durch dritte intendierte, objekthafte Komplexität adressiert, jedoch oft auch die Bewertung und Anerkennung anderer nach sich zieht. Nach Petruschat ist auch ein Design erst als solches anerkannt, wenn es in einem gesellschaftlichen Auseinandersetzungsprozess jenseits von geldwerten Tauschvorgängen überzeugt.10 Nach Wolfgang Sattler erfährt der Hintergrund, vor dem dieser Anerkennungsprozess stattfindet, eine immer stärkere Diversifizierung.11 Diese schlägt sich auch in den Anforderungen an Kompetenzen nieder, die in einen Gestaltungsvorgang eingebracht werden müssen. Dazu gehören interdisziplinäre Kompetenzen sowie

KULTUR ALS HANDLUNGSRAHMEN VON G ­ ESTALTUNG  027

die Auseinandersetzung mit zukünftigen, weit gefassten Themenfeldern, zum Beispiel Gesellschaft im Kontext von Digitalisierung. Die Foren der Bewertung sind jedoch durch den Selbstmodell-­Ansatz der Gestaltung eng verwoben: durch den Designprozess, der auf die Kompetenz und Urteilsfähigkeit von Experten und auf den Austausch mit unterschiedlichen Stakeholdern angewiesen ist, und durch den Gebrauch, die Nutzung, in der die Qualitäten und Auswirkungen der Erzeugnisse von verschiedensten Akteuren bewertet werden können.

Entwerfen Das Erkennen und Wahrnehmen von handlungsrelevanten Resonanzflächen der Umwelt hat eine wertende Dimension. Deren Strukturierung findet zunächst in Form einer inneren, mentalen Musterung und Modellbildung statt.12 Insbesondere höherkomplexe Erzeugnisse sind Produkte gezielter, kooperativer Arbeit. Sie vergegenständlichen und verkörpern Konzepte, Bewegungen, Interaktionsmuster oder Interaktionserwartungen, die in den Individuen Handlungen wachrufen – im ­Gebrauch wie auch in der Bewertung. Zugleich verkörpern sie derartige historische und gegebenenfalls tradierte Vorgänge, die zu ihrer Entstehung geführt haben. Entwurf beziehungsweise Entwerfen bezeichnet die Rückbindung von ephemeren Ideen und Konzepten an diese pragmatischen Gegebenheiten und erfolgt unter anderem durch bildnerisch-ästhetische Experimente und materielles Arbeiten.13

Kulturelle Erfahrung Die Benutzung eines Produktes stellt – wie bereits in Bezug auf den Kulturbegriff beschrieben – zugleich auch ein stetes Bewerten der Relation zwischen Individuum und Lebenswelt dar.14 Der Auffassung von Kultur als ein Vorgang des steten Bewertens von entwerferisch in Objektform gebannter Komplexität schließt sich diese Arbeit an. Auf Basis der Ausführungen zur Verwurzelung sowohl des Bewertungs- als auch des Entwurfsvermögens in den Strukturen der menschlichen Körperlichkeit und Kognition wird der Kulturbegriff Petruschats noch einmal verdeutlicht: […], dass die Entscheidungen zum Abbruch von Komplexitätszuwächsen auf Zusammenhängen beruhen, die tiefer verankert sind als jede aktuelle Problemstellung. Ich nenne diesen, alle aktuellen Probleme relativierenden Zusammenhang der Zufriedenheit verkürzt „Kultur“. […] Ich sehe Kultur nicht als einen Faktor in Gestaltungsprozessen an, nicht als einen Faktor neben anderen Faktoren, sondern als das im tiefsten Wortsinne entscheidende und gestaltbildende Kriterium über allen anderen.15

028  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

Objekte und Produkte sind die Verkörperungen von kultureller Erfahrung und damit auch vergangener Interaktionsgeschichte zwischen Individuen. Dies findet in der Gestaltung wie auch im Gebrauch seinen Ausdruck. Und es ist ein kooperativer, interindividueller Vorgang, der eine potenzielle Unabschließbarkeit zeitlich strukturiert und handhabbar macht. Der Beitrag, der zum Beispiel im Rahmen der Benutzung in Form einer Resonanz- oder Dissonanzerfahrung entsteht, stellt einen Zwischenschritt in der potenziellen Unabschließbarkeit von Komplexitätsverarbeitung und Gestaltung dar. Daher ist es elementarer Teil der weiteren Arbeit, zeitliche und räumliche Offenheit als Bedingung und Resonanzboden des hier beschriebenen Konzeptes von Kultur als Handlungsrahmen für Gestaltung von konkreten Erzeugnissen zu untersuchen. Vor dem Hintergrund der Kultur als gestaltgebendem Element sind angesichts derzeitiger, im folgenden Abschnitt beschriebener Vorgehensweisen noch ungenügende Bewertungsgrundlagen für die Entwicklung von Produkten vorhanden. Produkte werden – kurz gesagt – nur bis zum Point of Sale gedacht, und darüber hinaus wird auf Kundenbindung geachtet. Die in dieser Arbeit verwendete Definition von Kultur erfordert eine andere Form der Rückkopplung von der Sphäre der Entwicklung in die Sphäre der Nutzung, und zwar jenseits wirtschaftlicher Verwertungsinteressen mit dem Augenmerk auf zukunftsfähigen Daseinsformen.

KULTUR ALS HANDLUNGSRAHMEN VON G ­ ESTALTUNG  029

ENTWICKLUNGS- UND ­ENTWURFSKULTUREN Der folgende Abschnitt diskutiert die Tauglichkeit und Wirkungsweise vorhandener Kulturen des Entwerfens im Kontext der im vorangegangenen Abschnitt aufgezeigten kulturellen Wirkzusammenhänge des Designs. Dabei werden zunächst drei bewährte Prozessmodelle angeführt. Abschließend steht die Frage nach der Ausweitung und Entgrenzung des Designs und des Beitrags unterschiedlicher Stakeholder zur Debatte.

Vorgehensmodell nach VDI 2221 Der Verband Deutscher Ingenieure (VDI) fasste 1993 die Vorgehensweisen in der Entwicklung technischer Produkte in dem idealtypischen Vorgehensmodell 2221 zusammen.16 Ähnlich wie im Wasserfall-Prozessmodell 17 findet eine lineare Verdichtung hin zur finalen Lösung statt. Am Anfang steht ein klares Definieren der Aufgabe und der Anforderungen, die das Produkt erfüllen soll.18 Dieser Anforderungskatalog wird in erkennbare Teil- und Einzelprobleme zerlegt und in sieben Schritten abgearbeitet.19 Gestalterische Aspekte im Sinne des Produktdesigns kommen im Schritt sechs zum Tragen. Der VDI weist darauf hin, dass das parallele und mehrmalige Durchlaufen von Schritten durchaus übliche Praxis sei.20 Die Vorteile für die Planbarkeit eines Entwicklungsprojektes unter Zeit- und Kostenaspekten sind unter unmittelbaren wirtschaftlichen Aspekten nachvollziehbar. Jedoch setzt diese Vorgehensweise ein Markt- und Nutzungsumfeld voraus, das sich unter vorhersehbaren Rahmenbedingungen entwickelt, sodass die Fokussierung auf spezifische Problemstellungen und die entsprechende Abhilfe mit einer punktuellen Produktlösung zu erreichen sind.21 Nun ist die Vorgehensweise nach VDI 2221 kein ausgewiesenes Designprozessmodell und der Begriff von Design beziehungsweise Gestaltung nicht klar beschrieben. Vielmehr handelt es sich um primär technologiegetriebene Vorhaben, in denen die Gestaltung von Housings, die Ergonomie von Interfaces etc. einen Teilbereich der Entwicklungstätigkeit ausmachen. Der Bereich der Kultur, der als Resonanzboden für derartig entwickelte Erzeugnisse fungiert, beschränkt sich unter anderem auf Fragen von wirtschaftlicher Realisierung technischer Anforderungen sowie Kundenakzeptanz. Auch werden systemische Rahmenbedingungen dieser punktuellen Entwicklungstätigkeit nicht thematisiert.

030  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

Klären und Präzisieren der Aufgabenstellung Anforderungsliste

2

Ermitteln von Funktionen und deren Strukturen Funktionsstrukturen

3

Suchen nach Lösungsprinzipien und deren Strukturen

Konzipieren

Prinzipielle Lösungen Gliedern in realisierbare Module Modulare Strukturen 5

Gestalten der maßgeschneiderten Module Vorentwürfe

6

Gestalten des gesamten Produkts Gesamtentwurf

7

Entwerfen

4

Ausarbeiten der Ausführungsund Nutzungsangaben Produktdokumentation

Ausarbeiten

Iteratives Vor- oder Rückspringen zu einem oder mehreren Abschnitten

1

Planen

Aufgabe

Weitere Realisierung

Abb. 1: Vorgehens­modell 2221 des VDI für die Vorgehensweisen in der Entwicklung technischer Produkte

Double Diamond Modell Neben primär technischen Entwicklungsvorhaben, die in erster Linie unterschiedliche Kompetenzen aus dem Engineering vereinen, stellt das Double Diamond Modell einen Ansatz dar, der auf die Dynamiken eines heterogenen Marktumfeldes mit einer umfangreichen konzeptionellen Ergründung des Gestaltungsgegenstandes reagiert. Der UK Design Council hat 2005 mit dem Double Diamond Modell 22 eine Vorgehensweise im Design fixiert, die es erlaubt, einzelne Schritte und Phasen von

ENTWICKLUNGS- UND E ­ NTWURFSKULTUREN  031

Di ve rg en t

Di ve rg en t

nt ge er

nt ge er

Ideate

nv

nv Analyze

Co

Co

Research

Prototype

Test

Abb. 2: Double Diamond Modell.

Offenheit und Varianz sowie von Definition und Umsetzung planbar zu machen.23 Das Double Diamond Modell besteht aus zwei Phasen: der Problemfindung und der Lösungsgenerierung. Diese Phasen unterteilen sich jeweils in einen sich öffnenden, divergierenden und einen sich schließenden, konvergierenden Bereich. Am Ende der einen Phase wird das Problem benannt, am Ende der anderen die Lösung generiert.24 Unter dem Gesichtspunkt der Kosteneffizienz soll das Produktkonzept bereits mit Abschluss der ersten Phase und vor Beginn der Zusammenarbeit mit dem Engineering definiert sein. Iterationen sollten – auch aus Kostengründen – in dieser ideativen Phase durchgeführt werden.25 Dieses Vorgehen schließt tiefere Auseinandersetzung mit Material und komplexen Modellen unter Einbeziehung verschiedener Stakeholder von vornherein aus. Auffällig ist die Dichotomie von Problemfindung und Lösung, die dem Vorgehen zugrunde gelegt ist. So werden Freiräume in der Gestaltung geschaffen, da Themenbereiche zunächst ergründet werden können und nicht von vornherein ein konkretes Problem oder ein konkreter Gegenstand der Gestaltung festgelegt wird. Norman hebt für dieses Modell die Unabhängigkeit des Designers von Vorgaben und Festlegungen seitens des Produktmanagements hervor.26 Das Double Diamond Modell ist primär für den Gebrauch in konkreten Produktentwicklungsprozessen konzipiert, in denen kunden- und marktspezifische Überlegungen am Anfang stehen. Die grundlegenden Fragen – auch bei der Eingrenzung des Gegenstandes der Gestaltung – lauten: Was will der Kunde? Was ist am Markt erfolgreich? Die – von mir in Anlehnung an Petruschat kritisierten – Rahmungen für innovative und forschende Vorgehensweisen im Design sind damit gesteckt. Das Setting an Beteiligten formiert sich rund um die klassischen Rollen von Design, Produktmanagement, Marketing und Engineering. Die Einhaltung von Zeit- und

032  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

Kostenrahmen werden von Norman als zentrale, unverrückbare Faktoren gesehen, die kreative Arbeit limitieren.27 Iterationen und komplexeres Prototyping betreffen nur die fortgeschrittene Ausarbeitung von Details. Nutzerintegration ist nur im üblichen Rahmen von Recherche, Usabillitytests etc. vorgesehen. Der Designer hat die Rolle eines den Nutzer befragenden und ergründenden Akteurs inne. Was ist daran ungenügend? Der Rahmen der Beteiligten ist, wie bereits erwähnt, auf klassische Rollen beschränkt. Es geht in erster Linie darum, ein derartiges Team an Akteuren – auch von beteiligten Nutzern – effizient zu steuern. Das Hinterfragen von Methode und Prozess selbst ist als Bestandteil der Gestaltung und projektübergreifender Vorgehensweisen nicht explizit benannt. Und die Zweiteilung in Problem und Lösung schließt bestimmte neuartige Ansätze und erweiterte Rahmungen von vornherein aus.

Human Centered Design Prozess Einen weiteren Ansatz bietet das Modell des Human Centered Design, postuliert unter anderem durch Don Norman und Klaus Krippendorff. Das in diesem Ansatz ­beschriebene zirkuläre Vorgehen ist laut Norman Bestandteil der divergenten ­Vorgehensweise im Double Diamond Modell.28 Elementarer Bestandteil dieser Vorgehensweise ist es, die „wirklichen Bedürfnisse“ (real needs) der Menschen zu ermitteln. Im Gegensatz zu technologiegetriebenen, funktionalistischen Gestaltungsansätzen, so Krippendorff, beziehe sich das Human Centered Design auf die menschliche Lebenswirklichkeit als Rahmen entwerferischer Tätigkeit.29 Die Anerkennung der Qualitäten vielfältigen, divergierenden menschlichen Verhaltens steht im Mittelpunkt dieses Ansatzes.30 Es soll ein positiver Resonanzraum geschaffen werden, der die selbstbestimmte, verschiedenartige Nutzung von Produkten unterstützt.31 Nutzerbefragung, Beobachtung zweiter Ordnung, Feststellung der User Experience und viele weitere Verfahrensweisen sollen es dem Designer möglich machen, eine aus Nutzersicht wünschenswerte Lebenswirklichkeit nachzuvollziehen und Entwürfe daran anzupassen.32 Der Nutzer wird als Experte seiner eigenen Lebenswirklichkeit angesehen. Die Annäherung an Design erfolgt demnach über iteratives Prototyping und Testen in unterschiedlichen Phasen des Projektes. Die dialektische Frage der Verfestigung von Lebenswelten und Gewohnheiten einerseits und deren Weiterentwicklung hin zu wünschenswerten, jedoch zunächst noch nicht bewusst gewünschten Zuständen andererseits scheint nicht unmittelbarer Bestandteil des Human Centered Design zu sein. Jedoch lässt sich aus der Vorgehensweise schlussfolgern, dass Bedürfnisse nach situativer oder allgemeiner Souveränität,33 Zufriedenheit und Genuss mit Human-Centered-Design-Methoden bearbeitet werden können. Ideen werden in diesem Prozess zuhauf generiert und

ENTWICKLUNGS- UND E ­ NTWURFSKULTUREN  033

Abb. 3: Human Centered Design; zirkuläres Prozessmodell, auch als ­Spiral Method bezeichnet.

Observation

Idea Generation

Testing

Prototyping

iterativ überprüft. Prototyping und Tests sind explizit als eigene Phasen ausgewiesen. Jedoch wird in erster Linie auf schnelle Mock-ups und preiswert zu realisierende Modelle verwiesen, die Ideen Gestalt geben.34 Das Ungenügen besteht darin, dass der Designprozess zwar potenziell offen ist, jedoch immer auf die klassische Form des hierarchischen Nachempfindens von Nutzer-Lebenswirklichkeit und -Bedürfnissen durch Designer abzielt. Nutzer werden mit unterschiedlichen Methoden und in verschiedenen Phasen in den Prozess integriert, sind jedoch zumeist auf die Rolle des Endnutzers festgelegt.35 Objekte verkörpern konkrete Handlungsofferten, die durch bekannte Bedeutungskontexte, Zeichensituationen oder Angebotscharaktere anschlussfähig sind.36 Der Beitrag, den unterschiedliche Stakeholder erbringen, ist meist auf eine ideative, abstrakte Ebene oder das Testen von Vorschlägen in Form von prototypischen Settings beschränkt.37 Ein weiterer Widerspruch besteht darin, dass Human-Centered-Design-Prozesse zum einen die wirklichen Bedürfnisse der Menschen bedienen und aus deren Lebenswirklichkeit heraus entwickelt werden sollen. Dem gegenüber bezeichnet Norman Human-Centered-Design-Prozesse als Teil größerer Entwicklungsvorhaben. Hier ist schärfere Abgrenzung zu User Centered Design und User Experience angebracht. Letztere dienen in der Tat dazu, sicherzustellen, dass der Einzelne nicht mit komplizierten Mensch-Maschine-Schnittstellen und unverständlichen Nutzungskontexten überfordert wird – oft im Sinne der von Krippendorff bemängelten soziotechnischen Abrichtung des Individuums. Letztlich dient das Human Centered Design auch dazu, die Standardisierung von Zielgruppen entlang bestimmter Muster aufzubrechen38 und die Expertise des Einzelnen über seine eigene, vom betreffenden Design tangierte Lebenswelt für den Gestaltungsprozess fruchtbar zu machen39 – eine klassische, marktorientierte Vorgehensweise, in der Kultur als Handlungsrahmen für Gestaltung nur verkürzt vorkommt.

034  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

Zusammenfassung: Die drei beschriebenen Prozessmodelle sind ungenügend in vier Punkten, die in der vorliegenden Arbeit thematisiert werden sollen: • Sie orientieren sich an konkreten, durch Marktforschung und Nutzerbefragung ermittelten Zielvorgaben. • Sie thematisieren nicht die integrierte Weiterentwicklung der Rollen und Kompetenzen von Individuen, Unternehmen oder F&E-Institutionen. • Sie enden an einem definierten Punkt, an dem die markt­ gerechte Verwertung steht, ohne darüber hinausgehende ­Aspekte von Nutzung und weiterer Entwicklung zu berücksichtigen. • Das Entwerfen hat keinen primär experimentellen und ­erkenntnisorientierten Charakter, sondern dient dazu, innerhalb bestimmter Rahmungen erwartbare Ergebnisse zu ­liefern. Folgende Rollenschemata sind zu erkennen: • Rolle des Designer oder der Designerin (in direkter Interaktion mit Stakeholdern des Designs): Ideation, Befragung von Nutzern in partizipativen Formaten • Rolle des Nutzers: Lieferung präziser Bedürfnisinformationen in frühen Phasen der Entwicklung (Ideation, Konzeption), Teilnahme an Tests, zum Beispiel Bewertung von User Experience und Usabillity

Entgrenzung des Designs – Stakeholder und deren Beitrag Wenn die komplexen Herausforderungen der Gegenwart als Gestaltungs­ aufgabe aufgefasst werden, dann bekommen die zu schaffenden Vorgänge und Zusammenhänge (Kontexte) schnell etwas Großformatiges und Unspezifisches. Dasselbe gilt für die zukünftige Lebenswelt, die sich der Einzelne als wünschenswert vorstellt. Mit der Komplexität der übergeordneten Gestaltungsgegenstände müssen zwangsläufig Formen von Interaktion Einzug halten, die es erlauben, auch die Gestaltung abgrenzbarer Dinge, wie die eines physischen, höherkomplexen Erzeugnisses, zu großformatigen Entwicklungen ins Verhältnis zu setzen. Die Integration von Stakeholdern in den Entwurfsprozess ist eine

ENTWICKLUNGS- UND E ­ NTWURFSKULTUREN  035

derartige Strategie. Als eine der Aufgaben des Designs sieht Klaus Krippendorff Folgendes: Um zwischen alternativen Formen der Zukunft wählen zu können, müssen Designer die Wünschbarkeit der Zukunftsformen mit den daran Interessierten gemeinsam bewerten. […] Übereinkunft über die Wünschbarkeit kann nur durch Sprache und unter Einbeziehung aller Stakeholder erreicht werden. Dabei werden Szenarien, Erläuterungen, Narrationen wichtig, die imstande sind, über Daten und Fakten hinauszugehen.40

Der Bewertungsvorgang, ob eine spezifische Form von Zukunft als zustimmenswert und anerkennenswert empfunden wird, vollzieht sich aber auch oder erst in der Nutzung. Und dieser Vorschlag, die dadurch hervorgerufene Resonanzerfahrung muss in einem benutzbaren Objekt verkörpert41 sein und nicht nur in einer gut vermittelten Erzählung.42 Die Anerkennung des permanenten Zustands des Wandels und Experimentierens und die aktive Teilhabe daran werden von mir als Teil einer Designstrategie betrachtet. Diese Wünschbarkeit muss auch das Wissen um und die Teilhabe an Strukturen beinhalten, welche das Experimentieren zu einem beherrschbaren, planbaren Teil des Lebens und gegebenenfalls der Zukunft machen – jenseits marktliberaler Vorstellungen von individueller Eigenverantwortung. Die strikte Trennung von Kulturen der Entwicklung/des Entwerfens und der Nutzung ist nur schwer aufrechtzuerhalten.43 Das Miteinander von Akteuren mit unterschiedlichen Kompetenzen wird in einem materiellen Prozess abgebildet.44 Nach Krippendorff erzeugt die Designtätigkeit auch eine intrinsische Motivation: „Wahrscheinlich liegt der wichtigste Grund dafür, dass sich die Designkultur immer mehr Geltung verschafft, darin, dass Designtätigkeit selbstmotivierend ist.“45 Nun ist diese intrinsische Motivation, die Krippendorff anführt, ein weites Feld. Es beinhaltet das von Csíkszentmihályi als flow 46 bezeichnete positive, auch in körperlichen Handlungen und Resonanzerfahrungen begründete Erleben einer Arbeitsbewältigung. Je positiver die Resonanzerfahrung der tätigen, bewirkenden Interaktion mit der Umwelt ist, umso stärker wird ein Tun intrinsisch gefördert. Krippendorff weitet den Anspruch, gestalten zu können, auch auf Individuen aus, die nicht im Tätigkeitsfeld des Designs geschult oder sozialisiert sind. Designtätigkeit ist oft intrinsisch motivierend. Aber nicht alles, was an schöpferischen Tätigkeiten intrinsisch motiviert, ist gleich Design. Die weiterreichende Bedeutung von Design erschließt sich nach Krippendorff jedoch auch auf der Ebene der selbstbestimmten Identitätsbildung jenseits soziotechnischer Abrichtung: Im Verlauf von Designprozessen erstellt man nicht nur seine Artefakte sondern auch sich selbst als Individuum oder Mitglied einer Gemeinschaft. Das gilt also nicht nur für professionelle Designer, sondern auch für das Alltagsleben.47

036  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

Individuum, Gemeinschaft und Artefakte – sie stehen bei Krippendorff nebeneinander. Petruschats Konzept der Kritik und Anerkennung von Komplexitätsbewältigung im Artefakt sowie Krippendorffs Begriff von Gemeinschaftsbildung sind nur ungenügend verknüpft. Formen von Gegenseitigkeit und Gemeinschaft selbst können Gegenstand von Gestaltung unter aktiver Beteiligung von Stakeholdern sein. Ein solcher Vorgang wird immer auf die eine oder andere Art Materialität und Artefakte hervorbringen oder durch diese beeinflusst werden. Dort gilt es anzusetzen – jenseits der in den drei Prozessmodellen beschriebenen, ungenügenden Vorgehensweisen. Design und Nicht-Design sind angesichts dieser (hier erst grob umrissenen) Gemengelage an Kompetenzen und Faktoren glaubhaft zu ­trennen. Bei Design handelt es sich meiner Ansicht nach auch um ein spezifisches Kompetenzfeld, das Prozesse beinhaltet und Dingeigenschaften hervorbringt. Wie im Abschnitt „Kultur als Handlungsrahmen für Gestaltung“ gezeigt, ist der Vorgang der Komplexitätsreduktion ein der Bewusstseinsbildung ähnlicher, auf materieller und Vergegenständlichung aufbauender Prozess48 und somit ein wesentliches Merkmal von professionellem Design wie auch ein „grundlegender“ Vorgang des Seins. Dennoch müssen die spezifischen Qualitäten individueller und disziplinärer Vorgehensweisen differenziert werden.49 Stakeholder-Integration beinhaltet daher die Einbeziehung von Akteuren, die auf unterschiedlichen Gebieten Kompetenz und Expertise aufweisen. Es bleibt also festzuhalten, dass StakeholderIntegration notwendig ist, um die Kultur als gestaltgebenden Faktor nachhaltig zu berücksichtigen. Jedoch sind die disziplinären oder jeweils individuellen Kompetenzen und Formen der Einbringung angesichts üblicher Entwicklungspraktiken nicht ausreichend.

ENTWICKLUNGS- UND E ­ NTWURFSKULTUREN  037

ERSCHLIESSUNG VON MÖGLICHKEITEN Wie der vorhergehende Abschnitt über Designkulturen gezeigt hat, liegt ein elementarer Bestandteil von Design darin, Dinge und Zustände zu realisieren, die als neuartig, mit dem Gewohnten brechend und unerwartet, jedoch als sinnhaft empfunden werden. Die Voraussetzungen, um ein derartiges Vorgehen anzuschieben, werden im folgenden Abschnitt erörtert.

Das traditionelle Zweckmodell Individuelle Handlungen werden ausgelöst durch sinnliche Reize. Eingebettet in einen bekannten Kontext oder Bezugsrahmen, lösen sie eine Kausalitätskette aus, durch die bewusste, zweckgerichtete Absichten verfolgt werden. Als Bestandteil von soziotechnischen Systemen begründen bekannte Zweckzusammenhänge die Planbarkeit von Gebrauch als den Nachvollzug in der Gestaltung antizipierter und im Produkt materialisierter Anweisungen. Das klassische zweckrationale Organisationsmodell geht davon aus, dass jede Zielstellung in beliebig viele „Unterzwecke“ aufgeteilt werden kann und diese – im tayloristischen Sinne – mit den zur Zweckerfüllung nötigen personellen und materiellen Ressourcen ausgestattet werden müssen.50 Auf Organisationsebene bedeutet dies, das Zusammenspiel von Zwecken, Hierarchie und Mitgliedschaft ­auszugestalten.51 Man könnte auch von Rollen, Kompetenzen und Identitäten sprechen, die bestätigt und verstetigt werden sollen. Nach Krippendorff unterstützt das so bezeichnete technologiegetriebene ­Design die Autoritätsstrukturen und hierarchische Ungleichheit in funktionalistischen ­Gesellschaftsformen.52 Nun kann, bezogen auf unsere Vorstellung vom Gestalten als kulturellem Vorgang, das Verfolgen von konkreten Zwecken oder „Unterzwecken“ durchaus erwünscht und kurzfristig erfolgversprechend sein. Jedoch sind dies Vorgänge instrumenteller oder technischer Natur, die als Modell für ein gestalterisches Vorgehen im Sinne der kulturell nachhaltigen Implementierung höherkomplexer Erzeugnisse ungeeignet sind.

Reflexivität und Vor-Reflexivität des Handelns In dieser Arbeit geht es um eine Form des Gestaltens, in der kulturelle Nachhaltigkeit und die damit verbundene Strategie der Komplexitätsreduktion durch Neuordnung von Zweckzusammenhängen im Mittelpunkt stehen. Petruschat

038  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

beschreibt die Differenz aus designgetriebenem Vorgehen und ingenieursgetriebenem Vorgehen wie folgt: Designer werfen ihre Ideen auf eine besondere Weise heraus. Sie arbeiten sie in Zeichnungen, virtuelle und handgreifliche Modelle ein. […] Danach kommen die Ingenieure. […] Auch sie entwerfen. […] Aber sie tun dies offenbar in anderer Weise. Sie haben – den Designern sei Dank – die Konzepte bereits vor Augen. Deshalb sagen die Ingenieure, dass sie Soll-Zustände in Ist-Zustände umwandeln.53

Aus dem Wesen dieses Vorgangs werden Rahmungen und Struktur, Ordnung und Zweckbezogenheit oft überhaupt erst geschaffen. Das ist – analog der Herausbildung von Bewusstsein – menschlichen Handlungen prinzipiell eigen. Beobachtungen des Neurologen Frank R. Wilson zufolge organisiert der neuronale Apparat von Kindern die Interaktion mit Objekten (z. B. einem Löffel) genauso, wie Spracherzeugung organisiert und beaufsichtigt wird.54 Diese Parallele im Umgang mit Objekten und Wörtern legt die Vermutung nahe, dass entweder vom Gehirn die gleiche Logik beziehungsweise Verfahrensweise angewendet wird oder dieselben anatomischen Strukturen genutzt werden. Patricia Greenfeld, auf deren Arbeit sich Wilson bezieht, stellte im Rahmen eines Experiments fest, dass die sich entfaltende Schrittfolge bei der Bewältigung einer bestimmten Aufgabe selbst zur Lösung wird, ohne dass die Lösung im Vorhinein bekannt wäre.55 Dem Begriff der inneren Repräsentation – dem Durchspielen von möglichen nächsten Handlungsschritten, zum Beispiel flüssigen Handbewegungen beim Hantieren mit Objekten – kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Diese Handlungssequenz wird kognitiv mit einer Geschichte erfasst, ein Vorgehen, welches bei der Formulierung von Sätzen, so Wilson, auf die gleiche Weise angewendet wird.56 Das Gehirn, so Wilson, legt der Formulierung der Welt das narrative Prinzip zugrunde. Es richtet sich nach Rhythmen, welche die Arme, Beine, Zunge in ihrer Reaktion auf die Welt vorgeben (Veränderungen der extrapersonalen Welt). Wilson resümiert mit der Feststellung, die Welt werde nach dem Körper erzählt.57 Diese Form der Vor-Reflexivität liegt beispielsweise vor, wenn Handlungen und Entscheidungen durch Handlungswissen, sogenanntes stilles Wissen (tacit knowledge 58), den unbewussten Rückgriff auf bereits gemachte Erfahrungen sowie die vorbewussten Gerichtetheiten unseres Organismus,59 den Rhythmus unserer Handlungen leiten. Vor-Reflexivität begründet zum einen Teil die Expertise der Stakeholder und beinhaltet auch Potenziale für unkonventionelle Lösungsansätze, für qualitative Veränderungen.60 Es wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass Kompetenzen im individuellen Gestalten wie auch in der Teilhabe von Stake­holdern an Ent­ wicklungs- und Gestaltungsvorgängen zu einem großen Teil auf eingeübten und sich stetig weiterentwickelnden individuellen Fertigkeiten und Erfahrungen aufgebaut sind.

ERSCHLIESSUNG VON MÖGLICHKEITEN  039

Reflektierende Praxis Donald Schön hat sich als einer der ersten Wissenschaftler explizit dem Vorgang des Entwerfens in den Disziplinen Architektur und Design gewidmet.61 Seine empirische Vorgehensweise stützt sich auf die Beobachtung des Entwurfshandelns und auf die Befragung der Beteiligten sowie die Auswertung der Daten mit qualitativen Methoden.62 Das von Donald A. Schön beschriebene Konzept der Arbeitsweise im Design, welches den Designer als einen „reflective practitioner“ und das Entwurfshandeln als eine „reflexion in action“ verhandelt, wird essenziell durch die Selbstreflexivität im praktischen, materiellen Tun bestimmt.63 Dabei spielen die individuellen Leistungen von Designern und anderen Stakeholdern ebenso eine Rolle wie die Stabilisierung eines gemeinsamen entwerferischen Handlungsraumes und die damit verbundenen Vorgänge von Gegenseitigkeit. Vermeintlich spontane Handlungen während des Entwerfens, so Schön, können nur schwer durch Sprache beschrieben werden.64 Er ist der Ansicht, dass Wissen in Handlungen verkörpert ist beziehungsweise, wie Wilson feststellte, dort entsteht65 und dass im Designprozess Elemente und Materialien auf zunächst scheinbar nicht zielführende Weise und durch Nutzung verschiedener Techniken des Vergegenständlichens, Modellierens und Abstrahierens variiert oder assem­ bliert werden. In einem Vorgang der Bewertung jedoch erkennt der Designer in diesem Neben- und Miteinander von Dingen einen Sinnzusammenhang, der in einem weitergefassten Kontext des Entwurfsvorhabens relevant ist. Neue Framings/Rahmungen werden aufgespannt.66 Jedoch ist diese von Mareis mit Verweis auf Schön beschriebene Reflexion von materiell basierten Prozessen nicht bei allen Designern gleichermaßen ausgeprägt; sie hängt von „individuellen Zugängen und normativen Prägungen ab […]“, etwa begründet durch verschiedene Ausbildungen, disziplinäre Gepflogenheiten oder andere Sozialisationshintergründe.67 Entscheidend dabei ist nach meiner Auffassung die damit verbundene nicht-technische, systemisch nicht geregelte Erzeugung von Repräsentationen und Formen.68 Dieser Vorgang von Assoziation und mentaler Modellierung ist nicht rational.69 Petruschat sieht darin eine leiblich verankerte Praxis: Derartigen Musterungen und Entscheidungen zum Framing liegen Erfahrungen zu Grunde, die nur zu einem Teil in den Faktoren liegen, um die es geht. Zur formalen Fassung von Faktoren, die nicht logisch zueinander stehen, bringen Designer Muster ins Spiel, die in ihnen verkörpert sind – einerseits die Struktur von Sensoren und den Rhythmen psychischer Verarbeitung, andererseits sowohl bewusste als auch ins nicht mehr Bewusste abgesunkene Erfahrungen, wie diese eingewachsenen Muster sich in vergangenen Konstellationen bewährt haben. Diese Ordnungsarbeit schreibe ich hier als eine Information, als sinnliche Erkenntnis an.70

040  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

Es sind also, mit Petruschat gesprochen, auch die Arbeit an der Form, die Materialisierung von Gesten und der „Umweg“ über die bildnerischen Fähigkeiten des Gestalters, die komplexen Fragestellungen zu einem menschlichen Maß verhelfen. Dabei wird in erster Linie eine ästhetische Form der Bewertung angewendet, die dann auch auf einer Bedeutungsebene Inhalte generiert. Dem geht, so Petruschat, immer die Schaffung eines Framing voraus, aus dem heraus Differenz zu Umwelt und Struktur hergestellt wird. Wir stellen, wenn wir sehen und sinnlich uns fühlen, eine sehr beschränkte Auswahl dieser Daten zu einer Szene zusammen, die uns handlungs- und entscheidungsmächtig macht. Und diese Selektion, diese Ordnung, ist, wie der Akt ästhetischer Musterbildung, ebenfalls eine Informationserzeugung auf der Basis abgewiesener Komplexität. […] [D]ie Fassung von Komplexität ist kein Aufgeben, kein Resignieren, sondern sie erzeugt die neue Qualität Bewusstsein: Erst die Degeneration von Datenmengen erzeugt Modellräume für ein Handeln, das über verkörperte Automatismen [den Zwanglauf der Instinkte] hinausreicht.71

Diese von Petruschat beschriebene mentale und materielle Modellierung ist ein Vorgang des Musterns und des Verstehens. Kurz gesagt: Komplexität kann nur erfasst werden, wenn sie auf ein menschliches Maß gebracht wird, wenn sie sich in Modellund Repräsentationsräumen, quasi auf „unserer“ Bühne, präsentieren muss, wenn sie nach „unseren“ Regeln nach der Maßgabe eines Selbstmodells spielen muss. Design, der Aufbau von Modellen, ist eine fortgesetzte, aufeinander aufbauende Außenspeicherung, wie komplexe Faktorenhaufen positiv zueinander gestellt werden können. Die Eingrenzung von Problemen ist zugleich ihre Fassung. […] Was Designer hierbei tun [Anm.: das Herstellen von Relationen zu Mustern, die in ihnen verkörpert sind] ist, populär gefasst, das Formulieren der Erkenntnis, dass weiterere Komplexitätszuwächse [vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Erfahrungen formal] nicht zufriedenstellend sind.72

Nun ist zunächst ein Rahmen gesetzt, der die Herstellung von Resonanz zwischen komplexen, ill-definded Situationen und dem menschlichen entwerferischen Vermögen erlaubt. Das grundlegende Framing, das durch die Kultur als Handlungsrahmen für Gestaltung gesetzt ist, bildet natürlich auch den übergeordneten Rahmen für Modellierungs-, Abstraktions- und Repräsentationsvorgänge. Dabei entstehen, wie von Petruschat und Schön gezeigt, Qualitäten, die nicht zwingend mit der Ausgangssituation oder Fragestellung zu tun haben und die es zu bewerten gilt. Die als „Implikationssysteme“ bezeichneten Abfolgen aus Relationen von Objekt und Kontext sowie von Konformität und Regelverstoß73 konstituieren nach Schön die Disziplin des Designs.74 Diese qualitativen Veränderungen oder Sprünge, die nach Petruschat mit der semantischen Erfassung neuer Framings und materieller Arrangements einhergehen, sind ein entscheidendes Wesensmerkmal

ERSCHLIESSUNG VON MÖGLICHKEITEN  041

entwerferischer Vorgehensweisen.75 Das von Schön beschriebene Spiralmodell76 beinhaltet, aus der Warte offener Entwicklung betrachtet, dass der Abbruch von Komplexitätsakkumulation und die Konkretisierung von Entwurfsschritten in komplexen, für Dritte gebrauchsfähigen Erzeugnissen münden müssen – ein Vorgang, der von Petruschat beschriebenen Anerkennung durch Nutzung.

Offene Entwicklung als Vorgang der Reflexivität Der Prozess der steten Bewertung durch den Designer, der nach Schön innerhalb des materiellen Arbeitens abläuft,77 kommt sehr schnell an den Punkt, an dem die Erzeugnisse dieser Entwurfshandlungen von verschiedenen Akteuren angeeignet, bewertet und gegebenenfalls verändert werden.78 Es ist also nicht nur Aufgabe des Designers, relevante Denkansätze in Form von Artefakten in die Welt zu bringen, sondern auch, sie für andere Stakeholder reflektierbar zu machen oder ihnen Eigenschaften zu geben, die für Dritte anschlussfähig sind und neue Implikationen erzeugen. Der Reflexionsvorgang ist dann ein Gruppenvorgang, der auf Basis jeweils gleicher Objekte und Settings unterschiedliche Betrachtungsweisen und Implikationen erzeugt. In Aspekten ähnliche Eigenschaften weist das Konzept des Boundary Object79 auf. Doch es greift zu kurz, da es primär Vorgänge der Kommunikation über Disziplingrenzen hinweg beschreibt und das Objekt beziehungsweise Material als Vokabular, Gefäß und Bezeichnendes für Bekanntes dient. Über die genuine ­Erkenntnistätigkeit offener Entwicklungsstrukturen jenseits des disziplinären ­Designs wird im nächsten Kapitel diskutiert. Entwurfshandeln ist mindestens doppelt bestimmt. In Handlungen werden Zwecke durch materielles Arbeiten verändert und konkretisiert. Zugleich wird auch das Wissen darüber, wie man zu den Ergebnissen kommt, ständig weiterentwickelt. Prozess und Form der Zusammenarbeit sind auch Gegenstand des Entwerfens. Das Lernen über den Gegenstand der Gestaltung greift bei Schön nahtlos über in das Lernen über Prozesse und Formen der Zusammenarbeit und Organisation. Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie längerfristigen Bestand haben, über tradierte Praktiken verfügen und das Miteinander von Individuen koordinieren.80

042  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

EXPERIMENTALKULTUREN UND ­FORSCHUNG IM DESIGN Experimente und Wissenschaft Wissenschaft zeichnet sich durch definierte Methoden und Gegenstände, durch ­reproduzierbare Experimente, anschlussfähige und übertragbare Erkenntnisse sowie durch standardisierte Vorgehensweisen aus, die, gemäß ihrer Ausrichtung und ihrer Gegenstände, in akademischen Disziplinen gebündelt werden. Dieses Bild versucht der Wissenschaftstheoretiker Hans-Jörg Rheinberger mit einem Blick auf den konkreten Prozess der Erkenntnisgewinnung zu konkretisieren und auch ideologisch zu entrümpeln. Er bezieht sich auf die Kunst als scheinbaren Antipoden zu rationalem, theoriegeleitetem wissenschaftlichen Vorgehen, um die Kontingenzen zu charakterisieren, die im experimentellen Laborprozess auch eine Rolle spielen können.81 Das allgemein bekannte Verständnis von Wissenschaftlichkeit basiert unter anderem auf der Forderung nach Transparenz und Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen – ein Anspruch, mit dem künstlerische Disziplinen82 auf akademischer Ebene traditionell (von „außen“) nicht konfrontiert sind, der jedoch, wie die Arbeit Schöns und Petruschats zeigt, aufschlussreich ist und dabei hilft, die eigene Disziplin und deren empirische Vorgehensweisen zu verstehen und zu einem relevanten Bestandteil komplexer und arbeitsteiliger Vorgehensweisen zu machen. Eigentlich müsste es heißen, zu einem „noch relevanteren“ Bestandteil, da im Besonderen das Produktdesign als „Wertschöpfungsfaktor“ anerkannt ist und als Bestandteil der Arbeit großer Unternehmen wie Apple Inc., aber auch deutscher Akteure wie BMW, Bosch/Siemens etc. einen relevanten Beitrag zur Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit leistet.83

Epistemische Dinge, technische Dinge und Hybride Die Themen, Fragestellungen und Zugangsweisen zu Forschung unterliegen wie die Auswertung, Analyse und Beschreibung der Erkenntnisse oft bewussten ideologischen Ausrichtungen und systemimmanenten Machtdispositionen. 84 Der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger zeigt deutlich, dass sich derartige, Erkenntnis produzierende Vorgänge zwar im Nachhinein beschreiben lassen, jedoch nicht als determinierte Aneinanderreihung von Schritten im Vorhinein planbar und beschreibbar sind.

EXPERIMENTALKULTUREN UND ­FORSCHUNG IM DESIGN  043

Wer forscht, weiß nicht, sondern tastet sich vorwärts, bastelt, zögert, hält seine Entscheidungen in der Schwebe. […] Vorläufigkeiten sind unvermeidlich, denn epistemische Dinge verkörpern das, was man noch nicht weiß.85

Das kontingente Wissen, von dem Rheinberger spricht, steckt auch in den Objekten beziehungsweise Gegenständen des Erkenntnisstrebens. Hans-Jörg Rheinberger beschreibt in seiner Forschung Objekte und Arrangements mit der Eigenschaft, Unerwartetes und potenziell Neuartiges hervorzubringen. Dabei unterscheidet er zunächst zwischen übergeordneten Experimentalsystemen und konkreten Epistemischen Dingen: […] kann man als den Gegenstand der Forschung im engeren Sinne, [als] Wissensobjekt oder auch epistemisches Ding bezeichnen. Epistemische Dinge sind die Dinge, denen die Anstrengung des Wissens gilt – nicht unbedingt Objekte im engeren Sinn, es können auch Strukturen, Reaktionen, Funktionen sein. Als epistemisch präsentieren sich diese Dinge in einer für sie charakteristischen, irreduziblen Verschwommenheit und Vagheit.86

Damit ist zunächst der maßgebliche Bestandteil eines Experimentalsystems in ­seinen strukturellen Eigenschaften benannt. Ihn gilt es, zu erkennen, zu verstehen und zu beschreiben. Und er ist mit bekannten Begrifflichkeiten schwer zu erfassen. Standardisierte Vorgehensweisen seien, so Rheinbergers Ansatz, wenig geeignet, um tatsächlich neuartige Erkenntnisse zu produzieren. Gleichfalls stellt Rheinberger fest, dass Epistemische Dinge – die Objekte der Vorläufigkeit, die das verkörpern, was man noch nicht weiß – Ausdruck der Bemühung sind, „die Materialität der semantischen Räume zu charakterisieren, in denen sich die Produktion des Wissenschaftswirklichen abspielt“.87 Dies bedeutet auch, dass die „semantischen Räume“ der disziplinären wissenschaftlichen Tätigkeit definiert sind und letztlich experimentell ermitteltes Wissen zurückgeführt wird in einen disziplinär-geregelten systemischen Rahmen mit den dort üblichen semantischen und semiotischen Zuschreibungen. Seine nicht-deterministische Sichtweise auf Erkenntnisprozesse, so Rheinberger, erfordere jedoch auch einen Vorgang der steten Repräsentation, da „alles Dargestellte ohne Vorbild“ sei.88 Dennoch sind innerhalb eines Experimentalsystems – ebenso wie in einem Entwurfsvorgang – Grundlagen und stabile Rahmenbedingungen nötig, um das „Verschwommene und Vage“ in eine handhabbare und anschlussfähige Form zu bringen. Dazu schreibt Rheinberger: Um in einen solchen Prozess des operationalen Umdefinierens einzutreten, braucht man jedoch eine stabile Umgebung, die man als Experimentalbedingungen oder als technische Dinge bezeichnen kann; die epistemischen Dinge werden von ihnen eingefasst und dadurch in übergreifende Felder von epistemischen Praktiken und materiellen Wissenskulturen eingefügt. Zu den technischen Dingen gehören Instrumente, […]

044  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

und, […] standardisierte Modellorganismen mitsamt der in ihnen sozusagen verknöcherten Wissensbestände. […] Im Gegensatz zu epistemischen Dingen müssen die technischen Bedingungen im Rahmen der aktuellen Reinheits- und Präzisionsstandards von charakteristischer Bestimmtheit sein. Sie determinieren die Wissensobjekte in doppelter Hinsicht: Sie bilden ihre Umgebung und lassen sie so erst als solche hervortreten, sie begrenzen sie aber auch und schränken sie ein.89

Sind die Epistemischen Dinge vage und unscharf, so sind es die Technischen Dinge, an denen sich auch die Kenntnisse und Fertigkeiten der Forschenden auf der Ebene des Individuums und der Gruppe manifestieren. Es bedarf konkreter Dispositionen und Fertigkeiten seitens der Forschenden, um eine entsprechende Resonanz mit den auf technischer Ebene anschlussfähigen Dingen zuzulassen. Die „Eingrenzung“ durch die technische Umgebung, die Rheinberger beschreibt, soll auch als eine Form von Komplexitätsreduktion beziehungsweise Komplexitätsabbruch angesehen werden. Indem sich „das Neue“ auf ein konkretes Framing von stabilen Strukturen bezieht, hat es überhaupt erst eine Chance, repräsentiert zu werden und eine Form anzunehmen. Zudem stellen diese Strukturen von „charakteristischer Bestimmtheit“ einen verlässlichen Rahmen für kooperatives Arbeiten verschiedener Individuen dar. Jedoch ist die Anschlussfähigkeit zunächst technischer Natur und funktioniert damit innerhalb einer geregelten systemischen Rahmung. Auf diese Eigenschaften offener und geschlossener Systeme wird im zweiten Kapitel dieses Buches eingegangen. Doch es sei daran erinnert, dass es mentale Modelle und deren materielle Repräsentationen sind, die, wie mit Petruschat und Schön beschrieben, die Charakteristik eines entwerferischen Vorgehens bestimmen. In diesem Fall wird der vage und verschwommene Charakter durch Modellierungen und Komplexitätsreduktionen jenseits technischer Bestimmtheit verfestigt und handhabbar gemacht. Vorläufig soll anskizziert werden, dass Gebrauch, Nutzung und Interaktion eine gewisse Ähnlichkeit haben mit einem Experimentalsystem, Produkte eher mit Technischen Dingen und Nutzungs- und Verhaltensweisen eher mit Epistemischen Dingen.90 Doch handelt es sich bei Produkten eher um Epistemische Dinge oder um Technische Dinge? Ich denke, um beides. Doch gehen wir für einen Moment davon aus, es seien Technische Dinge – ohne explizit auf die Brisanz einzugehen, die das Konzept von Technik in diesem Zusammenhang in sich tragen könnte. Diese Dinge stellen eine Form der Stabilisierung, Komplexitätsreduktion und der situativen Handhabbarmachung dar. Doch so einfach sei dies, wie Rheinberger beschreibt, nicht zu bestimmen. Rheinberger attestiert den Epistemischen Dingen auch einen hybriden, changierenden Charakter: Bei näherem Hinsehen stellt sich aber heraus, daß die beiden Komponenten eines ­Experimentalsystems [Anm. H. O.: technische und epistemische Objekte] in ein nichttriviales Wechselspiel verwickelt sind, in dessen Verlauf sie sich ineinanderschieben,

EXPERIMENTALKULTUREN UND ­FORSCHUNG IM DESIGN  045

auseinanderstreben und auch ihre Rollen tauschen können. Die technischen Bedingungen bestimmen nicht nur die Reichweite, sondern auch die Form möglicher Repräsen­ tationen eines epistemischen Dings; ausreichend stabilisierte epistemische Dinge wie­ derum können als technische Bausteine in eine bestehende Experimentalanordnung eingefügt werden.91

Es versteht sich von selbst, dass das stete Experimentieren mit unterschiedlichen Technischen Dingen zum einen neue Erkenntnisse und somit Epistemische Dinge, zum anderen aber auch auf methodischer und disziplinärer Ebene neue Vorgehensweisen, Apparaturen und eben auch Erkenntnisse produziert, die vom Gegenstand des epistemischen Interesses oft nur schwer zu trennen sind. Ähnliches hat Schön mit Blick auf Entwürfe wie auch auf Prozesse und Organisationen festgestellt. Nun ist in der Designforschung sowie in offener Entwicklung der Gegenstand des Interesses oft komplexer Natur. Dazu zählen die Wechselwirkung zwischen materiellen Dingen sowie die Handlungen und Verhaltensweisen von Individuen und Gruppen. Dies bedeutet, dass die von den Produkten beziehungsweise gebrauchsfähigen, anschlussfähigen Objekten hervorgerufenen, gegebenenfalls neuartigen Verhaltens- und Interaktionsweisen und die damit verbundenen Erfahrungen der Individuen den tatsächlichen Erkenntnisgehalt ausmachen; dass die Epistemischen Dinge in neuartigen Formen des Interagierens und gemeinsamen Seins liegen – auch im Sinne von Prozessen und Organisationsformen. Und dass diese natürlich wiederum neuartige Dinge hervorbringen, die sich auch zu etwas Materiellem stabilisieren und die Bezeichnung „Produkte“ oder „technische Dinge“ tragen können. Mir erscheint es an dieser Stelle wichtig, die Interaktionsgeschichten auch in die Sphäre der Entwicklung hineinzutragen. Ein in Gebrauchskontexten befindliches Produkt kann Resonanz- oder Dissonanzerfahrungen erzeugen, Kritik anregen und Vorgänge von Entwicklung, Produktion und Nutzung beeinflussen. Ähnlich wird auch in der Verdichtung von Erkenntnissen zu anschlussfähigen Dingen (Technischen Dingen) wiederum eine neue Spirale der Tätigkeit von Akteuren angestoßen, eine neues Feld der Vagheit und Verschwommenheit anvisiert und bearbeitet. Auf welche Weise aus diesen hybriden Settings heraus Erkenntnisse Gestalt bekommen können, beschreibt der folgende Abschnitt.

Modelle und Repräsentationen Doch wie entstehen die Hybride, die Rheinberger beschreibt? Dem Begriff der ­Repräsentation, der bereits mit Schön eingeführt wurde, kommt bei Rheinberger eine zentrale Bedeutung zu. Der Modellierungsprozess ist schließlich eine Hin- und Her-Bewegung zwischen verschiedenen Darstellungsformen in verschiedenen Repräsentationsräumen. Wissen-

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schaftsobjekte nehmen durch Vergleichen, Verschieben, Marginalisieren, Hybridisieren und Pfropfen verschiedener Modelle Gestalt an – miteinander, gegeneinander, voneinander, aufeinander.92

Die Modelle bilden nicht nur Realität ab, sondern schaffen auch Realität. Durch Auswahl, Reduktion, Abstraktion und Materialität werden neuartige Phänomene geschaffen, die zwar mit dem modellhaft Abgebildeten (reale Vorbilder und mentale Modelle) zusammenhängen, jedoch auch eine Eigenwertigkeit besitzen. Stete, verschiedenartige Repräsentationen sind Methodik und Handwerkszeug der Disziplin des Designs.93 Zur Erinnerung und, um die materielle Dimension zu unterstreichen, führe ich hier noch einmal die elementaren Aussagen Petruschats zum Modell auf: Design, der Aufbau von Modellen, ist eine fortgesetzte, aufeinander aufbauende Außenspeicherung, wie komplexe Faktorenhaufen positiv zueinander gestellt werden können. Die Eingrenzung von Problemen ist zugleich ihre Fassung.94

Die Ergebnisse dieser „Außenspeicherung“ sind ein erster Schritt zur Verfestigung ephemerer Epistemischer Dinge. Sie sind auch für Dritte potenziell anschlussfähig. Ebenso beschreibt Donald Schön mit der „reflection in action“ ein Vorgehen, das, vom Lösungsraum ausgehend, die gründliche Analyse und damit auch die ­Definition und Konkretisierung des Gegenstands der Gestaltung und der zugrundeliegenden Fragestellungen erlaubt. Auch hier sind es, um beim Wortschatz Rheinbergers zu bleiben, die stabilisierten technischen Dinge wie Materialien, Werkzeuge, Darstellungs- und Modellbautechniken sowie das habitualisierte Wissen und Können und der souveräne Umgang damit, die neuartige gestalterische Ansätze und stabilisierte Artefakte hervorbringen. Wie Rheinberger attestiert Schön dem „reflective practitioner“ ein Wechselspiel aus ergebnisoffener Entwurfsfindung und Konkretisierung der Frage- und Zielstellung aus entwerferischen Zwischenschritten heraus. Dieses Oszillieren zwischen den sogenannten „Lösungsräumen“ und „Problemräumen“95 hilft, sowohl den Gegenstand als auch die Rahmung zu ergründen, ohne dass eine feste Reihenfolge eingehalten wird. Handelt es sich dabei um ein Wechselspiel, das mit der Differenz von Technischen Dingen und Epistemischen Dingen vergleichbar ist? Rheinberger unterscheidet zwischen technischen Komponenten und epistemischen Bestandteilen oder Dingen eines Experimentalsystems, ohne sie abschließend zu trennen. Die Unterscheidung zwischen technischen Bedingungen und epistemischen Dingen ist daher funktional zu verstehen und nicht material begründet; sie lässt sich nicht ein für alle Mal zwischen den verschiedenen Komponenten eines Systems vornehmen. Ob ein Objekt als epistemisches oder technisches funktioniert, hängt von dem Platz oder dem Knoten ab, den es im experimentellen Kontext besetzt.96

EXPERIMENTALKULTUREN UND ­FORSCHUNG IM DESIGN  047

Diese nicht aufrechtzuerhaltende Dichotomie weitet Rheinberger auf das übliche Verständnis von Problem und Lösung, Methode und Ergebnis, Wissenschaft und Technik sowie Theorie und Praxis aus. Seiner Ansicht nach impliziert die von ihm aufgezeigte Wissenschaftswirklichkeit eine Abkehr von diesen traditionellen Kategorien. Dennoch sei die Unterteilung in „technisch“ und „epistemisch“ hilfreich, um die „Hervorbringung von Neuem“, kurz, „das Wesen der Forschung“ zu verstehen.97 Letztlich löst Rheinberger diese Wissenschafts-Technik-Wechselbeziehung auf eine für das Design absolut fruchtbare Weise folgendermaßen auf: Das Paradoxon löst sich dadurch, daß die Wechselwirkung zwischen epistemischen Dingen und technischen Bedingungen im höchsten Maße nicht-technisch ist. Wissenschaftler sind vor allem „Bastler“, Bricoleure, weniger Ingenieure. In seinem nicht-technischen Charakter transzendiert das Experimentalensemble die Identitätsbedingungen der technischen Objekte, die es zusammenhalten.98

Kurzum: Die Entstehungsbedingungen können nach dieser Lesart auch in dem ­ ereich des nicht-technischen und somit nicht systemisch geregelten Wesens des B Entwerfens und Gestaltens verortet werden.

Zwecke und deren Veränderung Zweckveränderung und Zweckerzeugung können auftreten, wenn das Framing, innerhalb dessen ein Objekt wirkt, sowie damit zusammenhängenden Funktions- und Bedeutungszusammenhänge verändert werden. Ein Beispiel dafür ist die alltägliche Gestaltung, das sogenannte „design by use“.99 Rheinberger beobachtete: Gängig verwendete Werkzeuge können im Prozeß ihrer Reproduktion neue Funktionen annehmen. Geraten sie in Zusammenhänge, die über ihre ursprüngliche Zwecksetzung hinausgehen, so können Eigenschaften an ihnen sichtbar werden, die bei ihrem Entwurf nicht beabsichtigt waren.100

Doch im Sinne von Design als Erkenntnisfaktor muss mehr geschehen als das Erreichen bekannter Zwecke.101 Entscheidend sind qualitative Schritte, die jenseits reinen quantitativen Variierens neuartige Dinge und Kontexte erzeugen. Dabei spielt das Experimentieren mit Objekten, das Assemblieren und Collagieren eine entscheidende Rolle, wie in diesem Buch im Abschnitt zu Prototyping gezeigt werden wird. Rheinberger erkannte die auch als soziotechnisch und letztlich als kulturell zu beschreibende Dimension, die ein derartiger Vorgang haben kann: Experimentelle Vorrichtungen in der Physik erscheinen oft als Konstruktionen, die sich aus kleinen Prototypen mit zunehmender Raffinesse zu einer Maschinerie großen Maß-

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stabs fortentwickeln und schließlich zu umfangreichen Installationen mit eigener Wartung und eigenem Management anwachsen.102

All diese von Rheinberger ins Feld geführten Zusammenhänge sind Praktiken, die auch in Entwurfsvorgängen im Produktdesign sowie in offenen Entwicklungsvorgängen bedeutsam sind. Was wir mit Rheinberger lernen, ist, dass der Prozess der Erkenntnis zunächst seine eigene Struktur und seine eigenen materiellen Ausprägungen generiert. Ausschlaggebend dabei ist, wie kompetente Individuen im Umgang mit Material (technischen Dingen) einen Handlungsraum und „Entdeckungszusammenhang“ stabilisieren, aus dem heraus Qualitäten jenseits erwartbarer Zusammenhänge entstehen. So schreibt Rheinberger folgerichtig: Es ist, ganz im Gegenteil, das Kennzeichen von produktiven Experimentalsystemen, daß ihre differentielle Reproduktion zu Ereignissen führt, die immer wieder größere Verschiebungen nach sich ziehen, die entweder innerhalb der Grenzen des Systems verbleiben oder auch über es hinausweisen können.103

Gruppen, Kooperation und Organisation Der Fokus der Betrachtung soll nun von Rheinbergers Konzept des Experimentalsystems auf die Zusammenarbeit von Individuen gerichtet werden. Rheinberger sieht die zumeist lockere und horizontal organisierte Zusammenarbeit von größeren Gruppen von Wissenschaftlern – auch unterschiedlicher Disziplinen – als eine Voraussetzung, um Experimentalsysteme und Erkenntnisvorgänge am Laufen zu halten, und attestiert ihnen einen initiierenden Charakter in der Herstellung von materiellen, experimentellen Settings. Die technischen Bedingungen definieren nicht nur die Grenzen des Experimentalsystems, sie sind auch Sedimentationsprodukte lokaler oder disziplinärer Arbeitstraditionen mit ihren Meßapparaturen, dem Zugang zu, vielleicht auch nur der Vorliebe für spezifische Materialien oder Labortiere, den kanonisierten Formen handwerklichen Könnens, das von erfahrenen Laborkräften unter Umständen über Jahrzehnte weitergegeben wird.104

Parallel dazu misst Rheinberger der materiellen Dimension dieser Zusammenarbeit eine erhebliche Bedeutung zu. Die so entstehenden neuen Repräsentationsräume 105 implizieren, dass es um neue Formen der Modellbildung, Abstraktion und der Sichtbarmachung von Phänomenen geht, die nur durch Kooperation möglich sind. Solche Systeme sind […] hybride Einrichtungen: Sie sind zugleich lokale, soziale, technische, institutionelle, instrumentelle und epistemische Schauplätze. […] In der Regel

EXPERIMENTALKULTUREN UND ­FORSCHUNG IM DESIGN  049

halten sie sich weder […] an disziplinäre Grenzen noch an nationale Gesetze der Forschungspolitik.106

Oder anders ausgedrückt: Sie entstehen durch die Aufhebung und Infragestellung bestehender Rahmungen, Normen und Gewohnheiten. Dass neben quantitativen Schritten auch qualitative Veränderungen stattfinden, sieht Rheinberger in der „­Erfahrenheit“107 der Akteure begründet. Sie basiert auf implizitem Wissen, das durch Sozialisation sowie die Anreicherung bewusster und unbewusster Wissens- und Könnensbestände fundiert ist.108 In Bezug auf die Kultur als Handlungsrahmen für Gestaltung kann als grundlegende Maßgabe für eine derartige Akkumulation von Wissen und Können das Selbstmodell herangezogen werden, das nach P ­ etruschat Grundlage von Gestaltungsvorgängen ist. Der kooperative Rahmen beinhaltet auch zum Teil implizite, in den Settings und Handlungen verkörperte Anerkennungs­verhältnisse der jeweiligen Kompetenz des anderen.

Experiment, Entwurf und Forschung durch Design Die Ähnlichkeit zwischen dem Vorgehen nach Rheinbergers ExperimentalsystemKonzept und den Gestaltungs- und Entwurfsvorgängen nach Schön und Petruschat wurde an mehreren Aspekten gezeigt. Aber wie kann dem Entwerfen die Eigenschaft der Erkenntnisgewinnung im Sinne von (wissenschaftlicher) Forschung ­zugesprochen werden? Richard Buchanan stellte fest, dass das designgetriebene Vorgehen dadurch charakterisiert sei, dass es nicht festgelegt (indeterminated) ist und zunächst die Festlegung auf einen Gegenstand nötig sei, da sie [Anm.: die Designer*innen] an etwas arbeiten, was es noch nicht gibt.109 Schön erachtete die Ausgangssituation von Entwurfsvorgängen als ill-defined, als ungenau bestimmt. Die Aufgabe des Entwerfens bestehe darin, die relevanten Aspekte und Fragen, wie im Kapitel 1 beschrieben, aus einer entwerferisch-reflektierenden Perspektive sichtbar und handhabbar zu machen. Petruschat hingegen argumentiert in Gegensatz zu Buchanan und Schön, dass ein Zuviel an Information vorhanden sei und zwangsläufig erscheinende Ordnungen zunächst infrage gestellt und aufgelöst werden sollten.110 Damit steht nach P ­ etruschat am Anfang eines Designprozesses nicht nur die Strukturierung von überbordender Komplexität durch Selektion und materielles Arbeiten an der Form. Vielmehr ist die Erkenntnis des Ungenügens eines Ist-Zustandes das entscheidende Kriterium, das zu dem in diesem Kapitel 1 beschriebenen Komplexitätsabbruch führt.111 Nach Petruschat findet die letztliche Bewertung dieser Passung zwischen Realität und Individuum im Erleben von Dissonanz oder Resonanz, unter anderem auch im Genuss112 (nach der Maßgabe eines Selbstmodells), statt. Diese Bewertungskriterien erzeugen eine eigene Form von Qualität, indem komplexe

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Faktoren unterschiedlich gewichtet, abstrahiert, ignoriert etc. werden. Diese Bewertung findet, zeitlich und personell gestaffelt, auch stetig im Entwurfsprozess statt. Das heißt, dass alles, was an verallgemeinerbaren, übertragbaren und reproduzierbaren Erkenntnissen erzeugt wird, auf diese Maßgabe hinausläuft. Wie von Rheinberger beschrieben, wird eine erfolgreiche Wissenschaftspraxis durch individuelle Erfahrung in der Infragestellung und Dekonstruktion von Bekanntem, der Schaffung neuartig funktionierender Settings, der damit einhergehenden impliziten Bewertungen von Resonanz oder Dissonanz sowie der Arbeitsübereinstimmung113 in einem größeren Team bestimmt. Dies sind Eigenschaften, die wir auch im Design finden. Doch wie wird aus Design Forschung?

Design als Innovative und epistemische Praxis Rheinberger selbst bezieht sich auf die gestalterisch-künstlerische Praxis zur Erläuterung seiner Auffassung von Wissenschaftswirklichkeit.114 Der materielle Zusammenhang, in dem Kunst entsteht, und die von ihm so benannte Materialität der semantischen Räume ähneln einander. Jedoch ist der disziplinäre Rahmen, in dem Entwurfsforschung funktioniert, ein anderer. Anstatt den vorhandenen semantischen Rahmen nach einem Ausflug ins materiell Fundierte zu bestätigen, ist es Praxis in Gestaltung und Entwurfsforschung, diesen semantischen und semiotischen Zusammenhang zu verändern beziehungsweise einen eigenen, verlässlichen Rahmen der fortlaufenden epistemischen Praxis zu etablieren. Es wird ein Diskurs über Praktiken und Methoden angeregt, der zur Veränderung des disziplinären Selbstverständnisses beiträgt. Hier ist es wichtig, präziser zu werden und die „Dinge“, die Rheinberger zur Erfassung der Wissenschaftswirklichkeit beschreibt, noch einmal genau zu betrachten. Wenn wir bei einem am Objekt orientierten Dingbegriff bleiben, ­können konkrete Entwurfsvorgänge und deren Materialität tatsächlich als Epistemische Dinge verhandelt werden. Das Wechselspiel aus Epistemischen Dingen und Tech­ nischen Dingen wurde im Kapitel 1 „Experimente und Wissenschaft“ dargelegt. Es soll an der Ähnlichkeit des Technischen Dings und des Produkts beziehungsweise des gestalteten, benutzbaren, ­verlässlichen Objekts festgehalten werden.115 Auch auf dieser Ebene, der Ebene der experimentellen Nutzung, ist ein Erkenntnisgewinn beschreibbar: Das Hy­bride, das Changieren zwischen Epistemischen Dingen und Technischen Dingen ­ähnelt der Komplexitätsbannung in benutzbaren Artefakten und deren immer neuer Infragestellung als Ergebnis der Nutzung. Als Experimentalsystem sind die Form der Z ­ usammenarbeit von Akteuren beziehungsweise Stakeholdern innerhalb eines Entwicklungsvorgangs und die dabei genutzten und erzeugten Dinge zu betrachten. Aus Sicht des Designs ist damit die Ebene der Nutzung inbegriffen und der Prozess potenziell unabschließbar.

EXPERIMENTALKULTUREN UND ­FORSCHUNG IM DESIGN  051

Gegenstand der Gestaltung ist dann nicht das materielle Ergebnis eines Design- oder Entwicklungsprozesses, sondern die Art und Weise der Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure in einem offenen Prozess, oder – mit den Worten Rheinbergers – ein Experimentalsystem.116 Ein Design- und Erkenntnisprozess endet nicht beim Tausch Ware gegen Geld. Kulturelle Räume117 und konkrete Settings von Akteuren werden maßgeblich bestimmt durch die Aktivitäten und Interessenlagen von Individuen und Gruppen, von Communities, die an der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen und der Konstituierung und Stabilisierung von Grundlagen für ihr Handeln und Sein interessiert sind. Diese Form des Handelns ist intrinsisch und beruht auf der Maßgabe eines Selbstmodells – ebenso wie der in dieser Arbeit genutzte Begriff von Gestaltung. Es können konkrete Settings von Akteuren entstehen, die sich durch Formen der Arbeitsübereinstimmung oder gar wechselseitigen Anerkennung charakterisieren. Innovation in offener Entwicklung – mehrfache Bestimmtheit des Gestaltens

Im Rahmen dieser Arbeit wird Erneuerung auf drei Ebenen des Innovationsbegriffes verstanden.118 Materielle Erzeugnisse, die im Innovationsprozess fortlaufend verwendet und erzeugt werden, haben die Funktion von Hilfswerkstoffen, mit deren Hilfe fortlaufend Erkenntnisse gewonnen werden und die den Innovationsprozess selbst in einem Zustand des Flusses halten (siehe die Wechselbeziehung zwischen Technischen Dingen, Epistemischen Dingen und dem Experimentalsystem). Sie sind angesichts ihrer Anschlussfähigkeit mit Produkten zu vergleichen. Weiterhin geht das Innovationsverständnis, das dieser Arbeit zugrunde liegt, von folgenden Tatsachen aus: Seitens aller Akteure beziehungsweise Stakeholder besteht die Übereinkunft und Bereitschaft zur Erneuerung und Erweiterung • der Kompetenzen und Fähigkeiten, • der Strukturen der Zusammenarbeit und • der materiellen Gefüge und Voraussetzungen. Diese Vorstellung von Innovation verweist unter anderem auf das Konzept der „schöpferischen Zerstörung“ nach Schumpeter.119 Etablierte Strukturen, Rahmungen und Prozesse von Innovation werden infrage gestellt und aus dem Prozess heraus erneuert. Der Ansatz der „disruptiven Innovation“ beziehungsweise „disruptiven Technologie“ zeichnet ebenfalls ein Panorama der abrupten Veränderung von Erzeugniseigenschaften und kulturellen Kontexten.120 Kritisch an letztgenanntem Konzept ist hervorzuheben, dass die Hintergründe, aus denen her­ aus diese Veränderungen erfolgen, zumeist bereits fest gefügt sind und konkreten paradigmatischen oder ideologischen Dispositionen entspringen, zum Beispiel technisch begründeter Innovation, deren kulturelle Veränderungspotenziale eher als ungesteuerter Nebeneffekt anzusehen sind.121

052  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

Forschung durch Design – Experimentalsysteme mit theoriebildendem C ­ harakter? Bei genauer Betrachtung der verschiedenen Diskurse und Strömungen im Themenfeld „Design als Wissenskultur“ zeigt sich, dass die Rolle von materiellem Arbeiten in gemeinschaftlichen, komplexen Entwurfsprojekten nur unzureichend theoretisch fundiert ist. Krippendorffs Ansätze der Stakeholder-Integration sparen die Frage der Materialität aus und konzentrieren sich auf die Rolle von Objekten als Bedeutungsträger. Schöns Konzepte zur reflektierenden und erkenntnisgenerierenden Praxis f­okussieren zumeist auf individuelle Arbeits- und Lösungsansätze. Das Organisationslernen wird schnell vage, wenn es um Materialität geht. Die wenig spezifische Annahme des Designs als „first tradition“122 nach ­Nelson und Stolterman verweist ebenso wenig auf die materiellen Komponenten der Komplexitätsreduktion außerhalb individueller Wirkhorizonte. Design Thinking123 verhandelt Material mehrheitlich als reinen Träger vorgefertigter Bedeutungen. Der Ansatz der Forschung durch Design124 geht davon aus, dass im Entwurf und seinen Artefakten immer Erkenntnis produziert wird. Im folgenden Abschnitt gehe ich auf die Ähnlichkeit des Konzeptes des Experimentalsystems und des Epistemischen Dings (nach Rheinberger) mit Research through Design sowie der sozialwissenschaftlichen Methodologie der Grounded Theory ein. Jonas sieht auch eine Parallele der Designforschung zu ergebnisoffenen Forschungsmethoden aus den Sozialwissenschaften. Die als Grounded Theory und Action Research bezeichneten Vorgehensweisen beinhalten sowohl Praxisveränderung wie auch Theorieentwicklung. Jonas schreibt dazu: […] Grounded theory, zielend auf Theorieentwicklung (dabei Praxisveränderung in Kauf nehmend.) Action research, zielend auf Praxisveränderung (daneben Theorieveränderung registrierend und prozessierend). […] Beide Ansätze akzeptieren die Involviertheit des Forschers sowie die Emergenz von Theorien aus empirischen Daten, im Gegensatz zum tradierten Verständnis von Theorien als Verifikation von vorher formulierten Hypothesen.125

Grounded Theory, das heißt „gegenstandsbezogene Theoriebildung“ oder „datengestützte Theoriebildung“ wird durch systematisches Erheben und Analysieren von Daten, die sich auf das entdeckte Phänomen beziehen, ausgearbeitet und vorläufig bestätigt. Datensammlung, Analyse und die Theoriebildung stehen in einer wechselseitigen Beziehung zueinander. Es finden weder vorweggenommene Hypothesenformulierungen noch die Anwendung vorgefertigter Theoriegebäude statt. Der theoretische Rahmen, der die beobachteten Phänomene erklärt, entsteht erst im Verlaufe des Forschungsprozesses. Dennoch bezieht sich der Forschungsvorgang aber auch auf bestehende Theorien, die auf empirischen Daten und Erkenntnissen basieren.

EXPERIMENTALKULTUREN UND ­FORSCHUNG IM DESIGN  053

In der Designforschung werden unter dem Aspekt von Research through Design entwickelte Artefakte im Entwurfs- wie auch im Forschungskontext zur Erkenntnisproduktion genutzt,126 auch und gerade, wenn es sich um Produkte handelt, die in einem realen Nutzungs- und Gebrauchskontext relevant sind. Forschung geschieht hier aus dem entwerfenden Handeln heraus. Dabei kann – wie im Beispiel der vorliegenden Forschungsarbeit zu offenen Entwicklungsprozessen – auch das Design selbst Gegenstand der Forschung sein.127 Dies ist ein grundlegender Unterschied zur Anwendung der Grounded Theory in den Sozialwissenschaften: Dort wird hauptsächlich beschreibend vorgegangen und der Ist-Stand beforscht und abgebildet. An der Form im materiellen Sinne führt bei der Anwendung der Grounded Theory und des Action Research im Kontext von Research through Design kein Weg vorbei. So bemerkt Wolfgang Jonas mit Blick auf die konzeptuellen Triaden von Gegenstandsbereichen: „Design ist ein Prozess, der Wissen benutzt, um neue Formen und neue (Formen von) Wissen zu generieren.“128 Die der Grounded Theory zugrunde liegende Erhebung von Daten hat in Bezug auf die Forschung durch Design eine schöpferische Dimension. Daten zu erheben bedeutet hier, Dinge zu gestalten und zu fertigen, in denen Informationen verkörpert sind. Diese Informationen haben einen unscharfen, undefinierten Charakter.129 Das Wissen, das in den zu Forschungszwecken gestalteten und gefertigten Objekten steckt, ist in der Analyse der Objekte und im Gebrauch erfahrbar. Und natürlich sind die Interaktionen von Individuen mit den gestalteten Objekten durch empirische Vorgehensweisen (Beobachtung, Befragung etc.) erfassbar. Die Wechselbeziehung aus Theoriebildung und Arbeit am Forschungsgegenstand korrespondiert mit Rheinbergers Aussage, ein Experimentalsystem müsse sich stetig selbst infrage stellen. Die Selbsterneuerung ist inhärenter Bestandteil von Rheinbergers Konzept wie auch der an die Grounded Theory angelehnten Forschung durch ­Design. Die hybride, changierende Beziehung von Epistemischen Dingen und Tech­ nischen Dingen hat in dem wesensverändernden und Neues erzeugenden Wechselspiel aus Praxisveränderung und Theoriebildung in der Grounded Theory eine materielle ­Entsprechung.130

Zusammenfassung Praxisbasierte Forschung durch Design kann einen wertvollen Beitrag leisten bei der empirischen Erforschung neuartiger Formen von Entwicklung und Nutzung. Unter Berücksichtigung der Ansätze von Petruschat und Schön zum Wesen des Entwerfens ist die Wichtigkeit des materiellen Arbeitens und der Erzeugung von neuartigen und dennoch anschlussfähigen Objekten in einem erweiterten Experimentalzusammenhang hervorzuheben. Die Problematik ideativer und konzeptioneller Herangehensweisen an Entwurfsaufgaben (Double Diamond Modell, Human Centered Design) wird anhand der Charakteristik des Experimentalsystems

054  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

nach Rheinberger sichtbar. Wenn keine neuartigen Phänomene und somit auch keine materiellen Objekte erzeugt werden, ist es schwer möglich, die Interaktion von Akteuren auf eine neue, nicht in bekannten Denkmustern verlaufende Weise zu organisieren. Die basale Kraft des kreativen Umgangs mit zwar anschlussfähigen und stabilisierten, jedoch auch neuartigen Objekten wird gerade in frühen Phasen von Ent­wicklungs- und Designprozessmodellen nur ungenügend genutzt. Andererseits sind Strategien des Prototyping gerade komplexerer Erzeugnisse (z. B. in Bereich Mobility Design) oft zu nah an bekannte Nutzungsdispositive und Kundenerwartungen angelehnt. Diese Problematik ist aufzulösen, indem Rheinbergers Ansatz des Experimentalsystems auf das Wirken des Designs in einen potenziell offenen und somit Komplexität auf breiter Ebene verhandelnden Entwicklungskontext übertragen und untersucht wird. Es gilt zu untersuchen, auf welche Weise und an welchen Stellen von Designern entwickelte Artefakte in einem derartigen Prozess für unterschiedliche Stakeholder strukturbildend sind. Letztlich soll an dieser Stelle die Möglichkeit einer mehrfachen Erkenntnistätigkeit des Entwerfens anskizziert werden – wenn die genuine Tätigkeit aus dem Design/Entwurf mit der Tätigkeit von Stakeholdern in einem offenen Setting in Wechselwirkung tritt. Die dabei auftretenden, gegebenenfalls einem Experimentalsystem ähnlichen Settings gilt es, näher zu betrachten. Glossar Experimentalkulturen

Epistemische Dinge:

Bezeichnet den Gegenstand der Erkenntnisbemühung, der in einer noch vagen, unscharfen Form vorliegen kann. In einem im Voraus nicht präzise beschreibbaren und planbaren Experimentalprozess nimmt das Epistemische Ding mehr und mehr Gestalt an und wird auch semantisch fassbar. Es steht in einer steten, hybridisierenden Wechselwirkung mit Technischen Dingen.

Experimentalsystem:

Beinhaltet alle an dem forschenden Erkenntnisvorgang beteiligten Faktoren: Wissensbestände, Individuen als fachspezifische Akteure, deren Erfahrenheit und Zusammenarbeit, die materiellen Voraussetzungen (u. a. Technische Dinge) sowie Epistemische Dinge, also den Gegenstand der Erkenntnisbemühung. Um tatsächlich neue Erkenntnisse zu generieren, muss sich das Experimentalsystem im steten Wandel befinden und sich selbst bis an die Grenze des „Zusammenbruchs“ und der „Selbstinfragestellung“ erneuern.

EXPERIMENTALKULTUREN UND ­FORSCHUNG IM DESIGN  055

Repräsentation:

Beschreibt die materielle, kognitive Erscheinung von Informationen und Erkenntnissen. Sie kann in Form von Modellen unterschiedlicher Abstraktionsgrade vorliegen und in unterschiedlichen Repräsentationsräumen stattfinden. Je umfangreicher, so Rheinberger, unterschiedliche Formen der Repräsentation genutzt werden, umso vielfältiger kann der Erkenntnisgewinn sein.131

Technische Dinge:

Damit sind stabilisierte, dingliche Bestandteile eines Ex­peri­ mentalsystems gemeint, die in Zweck und Funktion bekannt und determiniert sind. Jedoch sind auch sie unter Umständen Ergebnis von experimenteller und erkenntnisorientierter Tätigkeit und in ihrem „technischen“ Charakter Verdichtung und Hybrid Epistemischer Dinge oder können sich wiederum zu Epistemischen Dingen wandeln.

056  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

ZUSAMMENHANG VON MATERIALITÄT UND HANDLUNG In dem vorangegangenen Kapitel 1 wurden prozesshafte Zusammenhänge rund um das Entwerfen und die Hervorbringung von neuen Erkenntnissen beschrieben. Das Zueinander von Faktoren – Individuen, Kompetenzen und materiellen Ressourcen – wurde auf einer noch sehr schematischen und abstrakten Ebene dargestellt. Um Vorgänge offener Entwicklung in einem tieferen Sinn erfassen zu können, muss die Ebene der Materialität, der Handlungen und der Informationen, welche die Interaktion von Akteuren miteinander strukturiert, genauer betrachtet werden. Im Mittelpunkt stehen materielle Objekte, deren Eigenschaft es ist, Vergegenständlichung von Handlungen zu sein und andererseits in Akteuren Handlungen jenseits von Gewohnheit und Routine zu evozieren.

Ästhetik und Semiotik Ästhetik als Moment von Handlung Nach Lothar Kühne ist ästhetische Aktivität nicht nur ein Moment der distanzierten Wahrnehmung.132 Seine Auffassung von Ästhetik als einer Dimension der handelnden und tätigen Aneignung ist für die vorliegende Forschungsarbeit elementar. Vorgänge von Nutzung, die Interaktion mit Objekten sowie die Interaktion zwischen Individuen können aus dieser Perspektive jenseits von Zeichenzusammenhängen und unmittelbaren Zweckdimensionen erfasst werden. Parallel zu Kühnes Ansatz wird Ästhetik in dieser Arbeit in Anlehnung an Wolfgang Iser als eine produktive Beziehung verstanden, die unabdingbar für kreative Prozesse ist. Iser fasst das Ästhetische als „das Grundmuster gegenwärtiger Weltherstellung“133 auf, also als Produktionsvorgang und nicht nur als Akt der Wahrnehmung und Orientierung. Als dritter Aspekt ästhetischer Wirkzusammenhänge, auf die ich mich in dieser Arbeit beziehe, ist Petruschats Ansatz hervorzuheben. Diesem zufolge sind unser Selbst und unsere Persönlichkeit ästhetisch fundiert.134 Das Ästhetische ist nach Petruschat das Sinnliche, bezogen auf die gesamte biografische Erfahrung des Individuums. Diese Fokussierung auf den Ästhetik-Begriff als handelnden, tätigen und produktiven Gestus korreliert mit der experimentellen und entwerferischen Erkenntnisproduktion vor dem Hintergrund einer individuellen Prägung und Erfahrung, die in den vorhergehenden Kapiteln mit Verweis auf Schön, Petruschat und Rheinberger argumentiert wurde.

ZUSAMMENHANG VON MATERIALITÄT UND HANDLUNG  057

Designsemiotik und Entwurfssemantik Diese Arbeit orientiert sich an einem Begriff von Semiotik und Semantik, der von Michael Franz in der Tradition von Charles Sanders Peirce geprägt wurde.135 Nach Franz wird Bedeutung durch das Erkennen von Zeichen hergestellt. Unterschiedliche Verweisarten begründen verschiedene Zeichenklassen. Dem sinnlichen Angesprochensein beim visuellen Erkennen von Icons (ikonische ­Zeichen) beziehungsweise Wahrnehmen von Indices (indexikalische Zeichen) steht der symbolische Zeichenzusammenhang gegenüber. Das indexikalische Zeichen hat eine eigene Gestalt. Jedoch ist diese auch ein Verweis auf einen ­bekannten und damit verbundenen, jedoch nicht unmittelbar wahrnehmbaren Zusammenhang (z. B. verweist das Pfeifen einer Lokomotive auf das Nahen eines Zuges). Der symbolische Zeichenzusammenhang ist von einer ursächlichen Gestalt losgelöst. Er basiert auf Abmachungen, auf Konventionen. Neben den Verweisarten beschreibt Franz Verweishinsichten und Verweisebenen. Verweishinsichten beziehen sich auch auf das Subjekt, das Zeichen benutzt und in allem, was es darstellt, auch sich selber ausdrückt.136 In der Bedeutung von Zeichen treffen stets semantische Objekt- und semantische Subjektbeziehungen zusammen. Verweisebenen von zeichenhaftem Ausdruck haben nach Kühne auch Darstellungscharakter und verweisen auf die geschichtliche Lebenswelt, die das betreffende Subjekt als gesellschaftliches Wesen prägt und mit der es sich auseinandersetzen muss.137 Vor diesem Hintergrund einer interpretativen Herangehensweise an Dinge sollen in der vorliegenden Studie die Bereiche erspürt werden, in denen diese Mechanismen an ihre Grenzen gelangen und selber Gegenstand von Veränderung werden. Der Raum der Unschärfe und nicht bedeutsamen oder begrifflichen ­Bestimmtheit ist zentrales Element individuellen und gemeinschaftlichen ­Wirkens in offenen Entwicklungszusammenhängen. Die Ganzheit von Bedeutungsmomenten, die angesichts von Vorgängen offener Entwicklung in die Gestaltung einfließen und erzeugt werden, soll im Praxisteil der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Dabei liegt ein Augenmerk auf dem Versagen gewohnter Zeichenzusammenhänge in konkreten Vorgängen der Vergegenständlichung sowie auf der dabei hervortretenden Bedeutung eines produktiv-ästhetischen Gestus.

Form Um die tatsächlichen Qualitäten der geschaffenen Objekte zu erfassen, muss das Wesen einer Form als zweckstiftend und nicht zweckerfüllend aufgefasst werden. Im Kapitel 2 wurde mit Verweis auf Petruschat und Zeischegg beschrieben, dass

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Formfindungsvorgänge als Grundlage für neue Zweckzusammenhänge betrachtet werden können.138 Petruschat schreibt dazu: Formen, beschreibbar in Geometrien, sind ihm [Anm. H. O.: Zeischegg] Ursache von Funktionen, Technik eine Folge und eine Möglichkeit von Formbildungsvorgängen. Neue Technik, neue Verwendungszusammenhänge und neue Gebrauchsweisen erschienen ihm ganz selbstverständlich ästhetischer Botmäßigkeit unterstellt und aus gestalterischer Arbeit hervorzugehen.139

Petruschat betrachtet Zeischeggs Lehre zur Formfindung auch als grundlegend für ein kulturell nachhaltiges Verständnis von Entwerfen jenseits technischer Determinierungen und funktionaler Zwänge. Die Voraussetzung für diesen Erkenntnismodus, so Petruschat, bestand in der künstlerischen Grundausbildung an der HFG Ulm.140 In Bezug auf die in dieser Arbeit postulierte Sicht auf Semiotik und Ästhetik stellt die Form ein Moment dar, an dem gewohnte semantische und semiotische Vorgehensweisen versagen, an der jedoch die Möglichkeit zur Erkenntnis neuer Bedeutungszusammenhänge und Schaffung neuartiger semiotischer Konstellationen gegeben ist.

Kreativität und Spiel Individuelles, spielerisches Vorgehen hat einen experimentellen, explorativen Charakter und schafft neue Erfahrungen mit Erkenntnisgehalt. Wie mit Petruschat, Schön und Rheinberger umrissen wurde, nimmt im experimentellen und erkenntnisorientierten Entwerfen der Vorgang der „Außenspeicherung“, das heißt der Vergegenständlichung in Objekten und Modellen, eine elementare Rolle ein.141 In diesem Zusammenhang hat das von Donald Winnicott stammende Konzept des Intermediären Raumes und des Übergangsobjektes einige Bedeutung.142 Sinnhaftigkeit entsteht, so Winnicott, erst durch die Erkundung und Prüfung der Realität anhand der materiellen Projektion illusionärer und ideeller Sachverhalte. Die materielle Realität wird als widerständig und die ideative, illusionäre Zugangsweise infrage stellend und dadurch strukturierend beschrieben.143 Erinnern wir uns an Rheinbergers Aussage, Epistemische Dinge verkörpern „das, was man noch nicht weiß“144 und sind Ausdruck der Bemühung, „die Materialität der semantischen Räume zu charakterisieren“.145 Ebenso sei nach Rheinberger im Kontext eines Experimentalsystems „alles Dargestellte ohne Vorbild“146 – einschließlich der Verhaltensweisen und Interaktionen, die durch Dinge evoziert werden. Wenn wir Schöns „reflective practitioner“ herbeiziehen, um Winnicotts Konzept zu charakterisieren, dann ist mit diesen materiellen Objekten ein Framing gesetzt, das am

ZUSAMMENHANG VON MATERIALITÄT UND HANDLUNG  059

Anfang der Bewertung und Strukturierung komplexer Situationen (ill-defined) steht und semantische Räume neu definieren kann. Nach Petruschat ist das spielerisch-experimentelle, potenziell erkenntnisorientierte Vorgehen, das dem intermediären Raum und dem damit verbundenen Umgang mit Objekten innewohnt, auch für Gestaltungsvorgänge – im Besonderen für solche mit offenem Charakter und der Teilhabe von Stakeholdern – bedeutsam.147 Dem Versagen von Gewohnheiten, unter anderem in der Zeicheninterpretation und Bedeutungsbildung, kann epistemisches Potenzial innewohnen.148 Erkenntnisse werden durch spielerisch-experimentelles Vorgehen evoziert.

Kulturelles Lernen Im Unterschied zum individuellen, experimentellen Lernen hat die Praxis des kulturellen Lernens, ein von dem Anthropologen Michael Tomasello postuliertes Konzept, imitativen Charakter. Diese Form des Lernens hat zwei Dimensionen: zum einen gemeinsame Repräsentation149 als Grundlage eines interpersonellen und interperspektivischen Handlungsrahmens für Kooperation.150 Diese Fertigkeiten des rekursiven Erkennens geistiger Zustände führen nach Tomasello zum anderen zur Bildung gemeinsamer Ziele – zu einer sozialen Perspektive.151 Im zweiten Schritt spielt die Nutzung auch komplexerer Objekte innerhalb dieses Kontextes eine herausragende Rolle.152 Der sogenannte „kulturelle Wagenhebereffekt“153 ist eine Erscheinung kultureller Lernprozesse, welche die Kumulation von einmal Gelerntem über Generationen zulässt und zur Veränderung tradierter Fähigkeiten beiträgt.154 So ist laut Tomasello das Wissen und Können vorhergehender Akteure und Generationen in Objekten gespeichert.155 Sie laden ein zum spielerischen Gebrauch, zum Infragestellen. Diese Verknüpfung der beiden beschriebenen Formen des Lernens – des spielerisch-experimentellen wie des imitativ-kulturellen – bildet einen möglichen Rahmen für die Betrachtungen des Objektgebrauchs sowie der Zusammenarbeit von Akteuren in offener Entwicklung. Eine ausreichende Stabilisierung kann den Objekten auch auf einer ästhetisch basierten Handlungsebene innewohnen.

1 2 3

Siehe u. a.: http://www.duden.de/rechtschreibung/Kultur (Aufrufdatum 22.05.2017). Vgl.: Stengel, O. (2011). Weniger ist schwer. In: Gaia. Ökologische Perspektiven in Natur-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaften (Januar 2011). S. 27–29. Suffizienzstrategien stehen in der Nachhaltigkeitsforschung neben Effizienz- und K ­ onsistenzstrategien. Diese Arbeit hat keinen expliziten ökologischen Nachhaltigkeitsbezug. Daher soll an dieser Stelle auf die aktuellen Diskurse nur kurz und schlaglichtartig hingewiesen werden: Die Fokussierung auf ­Effizienz- und Konsistenzstrategien thematisiert zu einem erheblichen Teil die Überwindung der

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­Nutzung ­fossiler Brennstoffe. Seit mehreren Jahren etablierte Standards sind das vom Wuppertal ­Institut für Klima, Umwelt, Energie entwickelte MIPS-Modell und seine praktische Anwendung in Form einer Materialintensitätsanalyse (MAIA). Siehe u. a.: https://wupperinst.org/fa/redaktion/downloads/projects/ResKo_Handreichung_Qualifizierung.pdf sowie: https://www.researchgate.net/publication/260360078_MAIA_Einfuhrung_in_die_Material-Intensitats-Analyse_nach_dem_MIPS-Konzept (Aufrufdatum 20.06. 2020). Ebenfalls relevant ist die vom WBGU (Wissenschaftsbeirat der Bundesregierung Globale Veränderung) 2010 entwickelte Richtlinie für eine Reduzierung des globalen CO2-Ausstoßes anhand eines Pro Kopf-Jahresbudgets von 2,7 t CO2 gemäß der bis 2050 angestrebten globalen CO2-Reduktion. Zitiert nach: http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/veroeffentlichungen/ factsheets/fs2009-fs3/wbgu_factsheet_3.pdf (Aufrufdatum 23.01.2015). Zudem ist zu unterscheiden zwischen konkreten Maßnahmen zur Steigerung der ökologischen Nachhaltigkeit und deren Über­ tragung in Verhaltensweisen und Gewohnheiten. Das sogenannte „Nudging“, das „Anstubsen“ zu als wünschenswert erachteten Verhaltensweisen durch manipulative Strategien, ist eine aktuelle Spielart dieser Vorgehensweise. Siehe: Thaler, R. H., Sunstein, C. R. (2008). Nudge – Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness. New Haven & London: Yale University Press. 4 Bei aller Anerkennung der wissenschaftlichen Relevanz und Richtigkeit technologischer Aspekte kann eine nachhaltige Realisierung dieser Veränderungsprozesse nur durch kulturelle Faktoren erfolgen. ­Jedoch zeichnet sich angesichts aktueller Tendenzen – besonders mit der Implementierung von Effizienz- und Konsistenzstrategien – vielmehr ein Sieg einer instrumentellen Vernunft und damit einhergehender soziotechnischer Abrichtung von Individuen ab. Siehe u. a.: Bergande, W. (2012). Der Exot der ­Immanenzebene. In: Bernsau, K., Friedrich, T., Schwarzfischer, K. (Hg.). Management als Design? Design als ­Management? Intra-, inter- und trans-disziplinäre Perspektiven auf die Gestaltung von ökonomischer, ­ästhetischer und moralischer Lebenswelt. Regensburg: InCodes Verlag. 5 Siehe: Petruschat, J. (2011a). 6 Zitiert nach: Petruschat, J. (2013). Common Prototyping. Einige Bemerkungen über das Neue in der ­Entwurfskultur des Prototyping. http://www.redesign.cc/Common_Prototyping.html. S. 2. (Abrufdatum 20.06. 2020) 7 Krippendorff (2013). S. 55. 8 Selbstmodell-Theorie nach Thomas Metzinger: Sie beinhaltet das Empfinden von Zugehörigkeit von Körper, Gefühlen und Gedanken zum Selbst sowie der unmittelbaren Vertrautheit mit sich selbst. Diese gegenständlich vermittelte Form der Identitätsbildung beruht auch auf kulturellen Maßgaben und be­ inhaltet u. a. die Auflösung einer vorhandenen Gestalt in wirksame Elemente und Faktoren sowie deren neues Arrangement in einem Artefakt. Siehe u. a.: Petruschat, J. (2011a). 9 Petruschat, J. (2011a) S. 15 f. 10 Ebd. 11 Siehe: Sattler, W. (2014). Quo vadis Design? In: Vossenkuhl, W. (Hg.). Quo vadis Design? 4 Thesen. ­München: IF Design Media GmbH, S. 70–88, hier S. 74. 12 Siehe: Petruschat, J. (2011a). 13 Vgl.: Ebd. 14 Petruschat schreibt dazu: „Und ich darf nicht vergessen hier hinzuzufügen, dass auch diese Wertung nicht nur ein Akt der Reflexion ist, der kontemplativ oder interesselos an der Objektform ansetzt, sondern […] die Bewertung und Anerkennung ist integrierter Bestandteil des Prozesses ihrer Nutzung, der Interaktion mit ihnen. Indem Objekte Erlebnissen dargelegt werden, wird in der bestimmten Form, in der ein Problem als gelöst erscheint, ein neues erzeugt, weil in der Konfrontation des Nutzers mit dem Objekt wiederum eine Entscheidungssituation entsteht. Und diese lautet nicht bloß: Willst Du mich kaufen? Sondern, ganz einfach: Stimmst Du mir zu? Bist Du resonant zu diesem in der Objektform ausgearbeiteten Vorschlag, der Dir hier dargelegt wird, zum Beispiel für das Zueinander von Ressourcen und Akteuren? Diese Problemstellungen sind keine theoretischen und auch nicht nur der Theorie zugänglich. Sie liegen in sinnlichen Formen vor und rekurrieren auf die Erfahrungen der Nutzer auch aus ganz anderen Erlebnisbereichen. Ganz gleich, ob an den Designobjekten Resonanz oder Dissonanz erlebt wird, in beiden Fällen entsteht auf Seiten der Nutzer ein Bewusstsein der Differenz und Autonomie zwischen i­ hnen und denen, die die formalen Entscheidungen zur Gestaltwerdung der Produkte getroffen haben.“ Ebd. S. 19. 15 Ebd. S. 18. 16 Eine zeitgemäße Überarbeitung dieses Modells soll bis Mitte 2017 abgeschlossen sein. Siehe: Institut für Technologie und Arbeit: Entwicklungsprozess. Vorgehensmodell nach VDI 2221. (n. d.). http://www. daswirtschaftslexikon.com/d/konstruktion/konstruktion.htm (Aufrufdatum 04.08.2020).

ANMERKUNGEN 061

17 Siehe u. a.: Norman, D. (2013). The Design of Everyday Things. Philadelphia: Basic Books, S. 234. 18 Es handelt sich dabei um ein generelles Vorgehen mit breiter Anwendbarkeit für „Maschinenbau, Feinwerktechnik, Schaltungs- und Softwareentwicklung sowie für verfahrenstechnische Anlagen“. Siehe: ebd. 19 Siehe: ebd. S. 1. 20 Siehe: https://blog.vdi.de/2016/10/methodische-produktentwicklung/ (Aufrufdatum 01.02.2017). 21 Das Design ist nicht als Impulsgeber für die Entwicklung der Rahmenbedingungen bestimmt. Produktmanagement und unternehmensstrategische Fragestellungen werden nicht als Bestandteil dieses ­Vorgehensmodells thematisiert. 22 http://www.designcouncil.org.uk/news-opinion/design-process-what-double-diamond (Aufrufdatum 15.01.2017). 23 Siehe u. a.: Norman, D. (2013). S. 220 f. 24 http://www.designcouncil.org.uk/news-opinion/design-process-what-double-diamond (Aufrufdatum 15.01.2017). 25 „In order to discover which ideas are best, the creative process is iterative. This means that ideas are developed, tested and refined a number of times, with weak ideas dropped in the process. This cycle is an essential part of good design.“ Siehe: http://www.uxmatters.com/mt/archives/2015/05/ux-strat-2014part-2-day-1-of-the-conference.php, (Aufrufdatum 15.01.2017). 26 Norman, D. (2013). 27 Ebd. S. 221. 28 Ebd. 29 Dazu zählt – auf Prozessebene – u. a. das lineare Vorgehen innerhalb des Wasserfall-­Modells, auf das im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen wird. Ebenso sollen positivistische Vorgehensweisen und die Anpassung des Individuums an unhinterfragte soziotechnische Systeme vermieden werden. Siehe u. a.: Krippendorff, K. (2013). S. 65 f. 30 Siehe: ebd. S. 66 f., S. 105. Er spricht damit eine Eigenschaft an, die bereits in den späten 1960er Jahren von Tomás Maldonado und Guy Bonsiepe mit dem Gegensatzpaar des Jongleurs und des aus raumfahrtmedizinischer Sicht optimalen Kosmonauten, des Mr. Optiman, postuliert wurde. Dies geschah vor dem Hintergrund einer Reflexion zu Wissenschaftlichkeit und Erkenntnistätigkeit in der Gestaltung. Siehe: Bonsiepe, G., Maldonado, T. (1968). Wissenschaft und Gestaltung. In: Ausgewählte Texte aus der Zeitschrift der HfG Ulm 1958–1968. Ulm. S. 33 f. 31 Krippendorff, K. (2013). S. 65 ff. 32 Siehe: ebd. S. 95 ff. 33 Vgl.: Sloterdijk, P. (2010). 34 Diese Modelle repräsentieren die Idee auf die eine oder andere abstrahierte Art und Weise. Kleine Nutzergruppen nehmen an Tests teil. Komplexere und verbindlichere, aber auch weniger variantenreiche Formen von komplexerer Modellierung sind erst im zweiten Teil des Double Diamond-Prozesses angedacht, in dessen erstem Teil das HCD angesiedelt ist. Siehe: Norman, D. (2013). S. 227–229. 35 Siehe u. a.: Krippendorff, K. (2013). S. 287 ff. 36 Affordance-Konzept nach Gibson, für das Interaction Design weiterentwickelt von Norman. Siehe u. a.: Gibson, J. J. (1982). Wahrnehmung und Umwelt. München, Wien, Baltimore: Urban &Schwarzenberg. S. 137.; siehe auch: Norman, D. (2013). S. 14 ff.; sowie: Krippendorff, K. (2013). S. 123 f., S. 182. 37 Siehe: Norman, D. (2013). S. 228. 38 Siehe: Begriff des Verfassungsmarketings, eingeführt von Wolfgang Ullrich. Vgl.: Ullrich, W. (2009). ­Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur? Frankfurt am Main: Fischer Verlag. 39 Siehe: Krippendorff, K. (2013). S. 93 ff. 40 Ebd. S. 54 f. 41 In einem Objekt, das natürlich innerhalb eines Kontextes wirkt. Gleiches gilt auch für eine Dienstleistung, die mit konkreten physischen Objekten zu tun hat. 42 Krippendorff, K. (2013). S. 55. 43 Siehe: Petruschat, J. (2013). S. 1. 44 Was sind Anzeichen neuer Entwurfskulturen? Nach Petruschat sind dies Verhaltensweisen, Denkformen und Wunschvorstellungen, die mit dem Gewohnten brechen. Es ist der experimentelle Umgang mit bestehenden Regeln, Normen und Gewohnheiten. Siehe: ebd. 45 Siehe: Krippendorff, K. (2013). S. 106. 46 Siehe u. a.: Csíkszentmihályi, M. (1990). Flow: The Psychology of Optimal Experience. New York: Harper and Row.

062  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

47 Krippendorff, K. (2013). S. 106 f. Krippendorff schließt sich mit dieser Einschätzung des erweiterten Designbegriffs einer Tradition an, die für die Disziplin des Designs und ihre Anerkennung als eigenständige Wissenskultur und relevanter Wertschöpfungsfaktor schwierig ist. Nelson und Stolterman bezeichnen das Design als „our first tradition“. (Vgl.: Stolterman, E., Nelson, H. G. (2002). The Design Way: Intentional Change in an Unpredictable World. Cambridge Mass.: MIT Press. S. 1.). Jedoch: Für entwerferisches Vorgehen, auch wenn es im Vergleich zu wissenschaftlichen Disziplinen aus den sciences und humanities seiner Meinung nach keine kanonische, abgrenzbare Vorgehensweisen besitzt und eher natürliche, dem menschlichen Verhalten inhärente Praktiken aufweist, bedarf es einer Form der tiefer gehenden Sozialisierung und Erfahrenheit. Vgl.: Mareis, C. (2010). The „Nature“ of Design. Konzeptionen einer impliziten Wissenskultur. In Mareis, C., Joost, G., Kimpel, K. (Hg.). Entwerfen – Wissen – Produzieren Design­ forschung im Anwendungskontext. Bielefeld: Transcript. 48 Aufgabe von Designern nach Krippendorff: „[…] erarbeiten realistische Wege in die erwünschte Zukunft und schlagen sie denjenigen vor, die ein Design verwirklichen können.“ Krippendorff (2013). S. 55. 49 Unter anderem ist die im Kapitel 1 beschriebene Differenzierung des Designbegriffs in Gestaltung und Entwurf relevant. 50 Siehe u. a.: Kühl, S. (2010). Zweckrationalität – Wie man aus Zweck, Hierarchie und Mitgliedschaft ein simples Organisationsmodell baut. http://www.uni-bielefeld.de/soz/forschung/orgsoz/Stefan_Kuehl/ pdf/Zweckrationalitat-Working-Paper-150610.pdf (Aufrufdatum 15.08.2018). 51 Siehe: Ebd. 52 Siehe: Krippendorff, K. (2013). Die semantische Wende. Basel: Birkhäuser. S. 105, S. 350. 53 Siehe: Petruschat, J. (2013). 54 Siehe: Wilson, F. R. (2000). Die Hand. Geniestreich der Evolution. Stuttgart: Klett-Cotta. S. 182. 55 Die Aufgabe bestand im Legen eines bestimmten Musters mithilfe von Stäbchen. Greenfeld zitiert nach Wilson. Wilson, F. R. (2000). S. 185 f. 56 Wilson stellt die These auf, dass wir, instruiert durch unsere Gene, Sätze genauso bauen, wie wir Hütten und Dörfer bauen. Ebd. S. 187. 57 Ebd. S. 212. 58 Der von Michael Polanyi erstmalig in diesem Zusammenhang gebrauchte Begriff des tacit knowledge soll an dieser Stelle erwähnt, jedoch nicht vertieft werden. Siehe: Polanyi, M. (1985). Implizites Wissen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. 59 Vgl. dazu die Theorie der Somatischen Marker und des Proto-Selbst/Kern-Selbst nach Antonio Damasio. Siehe u. a.: Damasio, A. R. (2004). Descartes’ Irrtum. Berlin: Ullstein Verlag; sowie: Damasio, A. R. (2001). Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins. München: Ullstein Verlag. 60 Dies beschrieb Wilson an dem grundlegenden Beispiel des Zusammenhangs von händisch-materiellem Arbeiten und der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten. Siehe: Wilson, F. R. (2000). S. 187. 61 Siehe: Schön, D. (1984). The Reflective Practitioner: How Professionals Think in Action. Basel: Perseus Books. S. 79 ff. 62 Unter anderem wurde von ihm die Entwicklung von Architekturentwürfen im Hochschulkontext beobachtet. 63 Schön, D. (1984). S. 78. 64 Ebd. S. 35. 65 Schön, D. (1984). S. 40. 66 Aus einer klassischen, problemorientierten Sichtweise auf Design könnte von einem „von der Lösung zum Problem Denken“ gesprochen werden. 67 Schön, zitiert in: Mareis, C. (2010). S. 129. 68 Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass Modelle und Bilddarstellungen, gerade wenn sie Ergebnis von nicht-technischer Komplexitätsreduktion und mentaler Modellbildung sind, nie nur Realität abbilden, sondern immer auch erzeugen, also etwas Neues, zuvor nicht Gewesenes anschaulich und bewertbar machen und auch relativierend und verändernd auf die ursprünglichen Fragenstellung wirken. Unter anderem wirken sich besondere Materialeigenschaften, durch welche bestimmte Modelleigenschaften begünstigt werden, auf den Grad der Abstrahierung und der Genuinität eines Modells aus. Vgl.: Petruschat, J. (2011a). 69 Zu Kritik an rationalen Entwurfsstrategien siehe u. a.: Schön, D. (1984). S. 21 ff. 70 Petruschat, J. (2011a). S. 16. 71 Ebd. S. 17. 72 Ebd. S. 16. 73 Schön, D. (1984). S. 101.

ANMERKUNGEN 063

74 Ebd. S. 99. 75 Schön hebt die Bedeutung der schnellen experimentellen und entwerferischen Aktivität als Reaktion auf neu gewonnene Bewertungen und Beschreibungen von erzeugten Phänomenen hervor – ein Vorgehen, dass in den kritisierten Designprozessmodellen unter verschiedenen Gesichtspunkten sowie unter ­Hinzunahme von Stakeholdern getätigt wird. Dadurch kann die faktische Unendlichkeit von Vorgängen reflektierender Praxis zu relevanten und bewertbaren Artefakten und darauf basierenden Beschreibungen und semantischen Zuweisungen verdichtet werden. Ebd. S. 63. Zur semantischen Anreicherung von ­Einzelfaktoren auf Basis neuer Framings siehe auch: Petruschat, J. (2011a). 76 Schön, D. (1984). S. 132. 77 Wird im folgenden Absatz näher beschrieben. 78 Siehe u. a.: Schön, D., Argyris, C. (1996). Organisazional Learning II: Theory, Method and Practice. Reading, MA: Addison Wesley. Siehe auch: Moldaschl, V. M. (2004). Institutionelle Reflexivität, Bd.1. S. 1–18. https://www.econstor.eu/bitstream/10419/55381/1/684988275.pdf 79 Siehe: Griesemer, J. R., Star, S. L. (1989). Institutional Ecology: “Translations” and Boundary Objects: Amateurs and Professionals in Berkeley’s Museum of Vertebrate Zoology, 1907–39. In: Social Studies of Science, 19/4. S. 387–420. 80 Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle kurz der von Schön und Argyris formulierte Ansatz zum Lernen in Organisationen erwähnt werden. Zentrales Element bilden drei aufeinander aufbauende Modi des Lernens. Das sogenannte Single-loop Learning thematisiert die Mittel und Ressourcen sowie die Erweiterung der Kenntnisse, die zur Erreichung eines bestimmten vorgegebenen Zieles benötigt werden. Im Gegensatz dazu steht beim Double-loop Learning die Frage im Mittelpunkt, ob die richtigen Ziel- und Fragestellungen bearbeitet werden. Dies geschieht u. a. durch fortlaufendes Experimentieren und Umreißen neuer Bezugsrahmen (Framing). Das Triple-loop Learning schließlich macht das Lernen selbst zum Gegenstand des Lernens. Also die Frage, wie sich eine lernende Organisation verändern und weiterentwickeln muss. Neben klassischen Organisationen wie Unternehmen, Arbeitsgruppen, p ­ olitischen Gruppierungen etc. werden in dieser Arbeit auch Stakeholder-Netzwerke und verlässliche Kooperationsstrukturen und Cluster, z. B. zwischen Hochschulen, Unternehmen und anderweitigen Akteuren, u. a. Communities als Organisationen betrachtet. Entscheidend ist der Grad der I­ nstitutionalisierung und Verstetigung, der das Herausbilden einer eigenen Kultur erlaubt. Siehe auch: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/single-loop-lernen.html (Aufrufdatum 14.04.2017). Siehe auch: Schön, D., Argyris, C. (1996). Sowie: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/double-looplernen.html (Aufrufdatum 14.04.2017). Ebenfalls: http://managementhelp.org/misc/learning-typesloops.pdf (Aufrufdatum 14.04.2017). 81 Interview von Rheinberger, H.-J. In: Röller, N. (2003). Lassen sich künstlerische auf wissenschaftliche ­Innovationsprozesse abbilden? In: KUNSTFORUM International, 164, S. 386 f. 82 Im akademischen Raum ist eine Trennung in wissenschaftliche Disziplinen und künstlerische Disziplinen festzustellen. Auch wenn das Wissen in den künstlerischen Disziplinen oft nicht nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten erlangt wird, so handelt es sich doch um eine Wissenskultur: „Wissenskulturen […] sind diejenigen Praktiken, Mechanismen und Prinzipien, die, gebunden durch Verwandtschaft, ­Notwendigkeit und historische Koinzidenz, in einem Wissensgebiet bestimmen, wie wir wissen, was wir wissen. Wissenskulturen generieren und validieren Wissen.“ Siehe: Knorr Cetina, K. (2002). Wissens­ kulturen. Ein Vergleich naturwissenschaftlicher Wissensformen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. 83 Siehe u. a.: Korte, S., Mengel, S. (n .d.). Statusbericht Design und Innovation. http://www.vditz.de/fileadmin/media/publications/pdf/sbdes.pdf. (Aufrufdatum 23.04.2017). 84 Dazu schreibt u. a. Rheinberger mit Verweis auf Lacan: „Führt uns das Experiment nicht g ­ erade in ­ einen Raum, in dem von Wahrheit in einem traditionellen Sinne gar nicht mehr die Rede sein kann? Kommt hier möglicherweise Jacques Lacans eigentümlich anmutende Bemerkung zu ihrem Recht, daß die unglaublichen Hervorbringungen der modernen Wissenschaften gerade in ihrem Charakter ­begründet liegen, nichts-wissen-zu-wollen von der Wahrheit als Ursache?“ Rheinberger, H.-J. (1993). Experimentalsysteme. In: Hagner, M., Rheinberger, H.-J. (Hg.). Die Experimentalisierung des Lebens. ­Experimentalsysteme in den biologischen Wissenschaften 1850/1950. Berlin: Akademie Verlag. S. 8. 85 Ebd. S. 24 f. 86 Rheinberger, H.-J. (2001). Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas. Göttingen: Wallstein. S. 24. 87 Ebd. 88 Rheinberger, H.-J. (1993). S. 183 89 Rheinberger, H.-J. (2001). S. 25 f.

064  THEORE­T ISCHE ­G RUNDLAGEN UND KONTEXT 

90 In Bezug auf das Design stellen Aspekte des Gebrauchs und der etablierten Nutzungskultur, in die ­Produkte hinein entwickelt werden, eine zwar dynamische, jedoch letztlich auch stabile Rahmung dar. Die durch neuartige Objekte angeregte Interaktion hingegen kann bewusst epistemischen Charakter ­besitzen. 91 Rheinberger, H.-J. (2001). S. 26. 92 Ebd. S. 116. 93 Siehe u. a. der „Designraum“ nach Krippendorff. Krippendorff, K. (2013). S. 55 f. 94 Petruschat, J. (2011a). 95 Auf das Ungenügen der Problem/Lösung-Dichotomie wurde in den vorangegangenen Kapiteln mehrfach hingewiesen. 96 Rheinberger, H.-J. (2001). S. 27. 97 Ebd. 98 Ebd. S. 30. Das Konzept „Bastler“, Bricoleure stammt von Claude Lévi-Strauss (Das wilde Denken). 99 Siehe: Brandes, U., Stich, S., Wender, M. (2008). Design durch Gebrauch: Die alltägliche Metamorphose der Dinge. Basel: Birkhäuser Verlag. 100 Rheinberger, H.-J. (2001). S. 30. 101 Zum Beispiel mit der Feuerzeugrückseite Bierflaschen öffnen – dabei wird nur ein bekannter und als mentales Muster im Individuum fest angelegter Vorgang etwas anders als gewohnt realisiert. 102 Rheinberger, H.-J. (2001). S. 33. 103 Ebd. S. 34. 104 Ebd. S. 25 f. 105 Ebd. S. 31. 106 Ebd. 107 Dieser Begriff wird im Sinne Rheinbergers verwendet und bezieht auch unbewusste und somatisch tief eingesunkene Könnensbestände mit ein. Ebd. S. 80. 108 Der von Schön attestierten und in Rheinbergers Beschreibung der Experimentalsysteme gezeigten Reflexivität ist also auch eine aus Erfahrenheit und stillem Wissen gespeiste Vor-Reflexivität vorangestellt, die nur von geübten Individuen oder Experten – egal welcher Disziplin oder Sozialisation – verkörpert werden kann. Dieser Fakt soll für die Analyse und – im praktischen Teil – für die Durchführung von Aspekten offener Entwicklung leitend sein. 109 Siehe: Buchanan, R. (2008). Design and Organizational Change. In: Design Issues, 24/2. S. 2–9. 110 Siehe: Petruschat, J. (2011a). S. 8 f. 111 Siehe: ebd. S. 9 f. 112 Siehe: ebd. S. 12, S. 18. 113 Zum Begriff der Arbeitsübereinstimmung siehe: Goffman, E. (2009). Wir alle spielen Theater. München: Piper Verlag. S. 13. 114 Interview mit Rheinberger, H.-J. In: Röller, N. (2003). Lassen sich künstlerische auf wissenschaftliche ­Innovationsprozesse abbilden? In: KUNSTFORUM International, 164. S. 386 f. 115 Mit der Einschränkung, dass Produkte wiederum Resonanzerfahrungen, Wertungsvorgänge und letztlich Genuss erzeugen, der auch außerhalb zweckbestimmter Nutzungsweisen stattfinden kann und für einen größeren Kreis von Stakeholdern erfahrbar ist. 116 Dies beinhaltet auch das Neudenken von Rollen und der mit ihnen verbundenen Kompetenzen sowie übergeordneter Vorgänge von Entwicklung, Produktion und Konsumption – was jedoch den Rahmen ­dieser Arbeit sprengen würde. 117 Kulturelle Räume werden als historische Sinnstrukturen angesehen, innerhalb derer benennbare ­Akteure zu bestimmten Fragen, Themen und Lebensbereichen miteinander interagieren. Ihr Tun ist in Form von Performances, Artefakten, Praktiken und Lebensweisen sichtbar und beschreibbar. Siehe: Franz, M., Rößler, D. (1989). Formstrukturen und Sinnstrukturen. In: Weimarer Beiträge, 7 (1989). 118 Vgl.: Anpassung von Zielstellungen in kollektiven Lernprozessen und faktorspezifische Vorgehensweise (Double-loop Learning, Triple-loop Learning). Siehe: Schön, D., Argyris, C. (1996). 119 Siehe u. a.: Schumpeter, J. (1993). Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Stuttgart: UTB. Sowie: Schellnhuber, H. J. (2011). Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Studie des Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Berlin. 120 Siehe u. a.: Buhse, W., Henkel, S., Lessmann, U., Reppesgaard, L. (2011). Der Case Local Motors. ­Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie. http://doubleyuu.com/der-case-local-motors-co-creation-und-collaboration-in-der-automotive-industrie/. S. 53 (Aufrufdatum 16.06.2020) 121 Siehe u. a. Krippendorff K. (2013). S. 245 ff.

ANMERKUNGEN 065

122 Stolterman, E., Nelson, H. G. (2002). The Design Way: Intentional Change in an Unpredictable World. ­Cambridge Mass.: MIT Press. S. 1. 123 Siehe u. a.: Brown, T. (2009) und: Jonas, W. (2011). Schwindelgefühle. Design Thinking als General Problem Solver? EKLAT Symposium Proceedings. http://8149.website.snafu.de/wordpress/wp-content/uploads/2011/07/2011_EKLAT.pdf. (Aufrufdatum 12.03. 2016). 124 Siehe u. a.: Jonas, W., Münch, J. (2007). Forschung durch Design als integratives Prozessmodell – eine Skizze. http://8149.website.snafu.de/wordpress/wp-content/uploads/2011/07/2007_TUDresden.pdf. 125 Siehe: Jonas, W., Münch, J. (2007). S. 30. 126 Diese Artefakte zeichnen sich, einfach gesagt, durch die Eigenschaft aus, entwickelt und gefertigt ­worden zu sein, um Erkenntnis zu produzieren. Jedoch ist deren Entwurf auch ein impliziter Erkenntnis­ vorgang in sich, der Varianten produziert etc. 127 Der Grounded Theory nach ist der Forscher in den Entwicklungs- und Gestaltungsprozess involviert. ­Action Research, eine weitere, ergebnisoffene und den Forschungsprozess als entwickelbaren und veränderlichen Vorgang auffassende Vorgehensweise, baut auf der engen Verzahnung von Forschenden und Beforschten, von Forschungsprojekt und Entwurfsprojekt auf. Sie hat in erster Linie Praxisveränderung zum Ziel und nimmt Theoriebildung in Kauf. Dieses Vorgehen ist geprägt von gemeinsamer Aktion und Reflexion, auch seitens der Forschenden und Beforschten. Dabei ist die Rolle der Beforschten die von „Co-Forschern“, die um die Beforschung ihrer Aktivitäten wissen, teilweise an der Auswertung der gemeinsam gemachten Beobachtung beteiligt sind und somit eine fundierte Grundlage für die weitere Planung in Entwurfs-/Innovations- wie im Forschungsprojekt haben. Siehe: Jonas, W. (2007). S. 30 ff. 128 Siehe: Jonas, W. (2011). S. 7. 129 Siehe: Experimentalsystem nach Rheinberger. Auch Schön geht davon aus, dass das disziplinäre Wissen im Design in unseren Handlungen verkörpert ist, und ich möchte hinzufügen: auch in den dabei entstehenden Objekten. 130 Ich erinnere an Krippendorffs Designraum: Dort entstehen „realistische Vorschläge“, indem Designer Dinge „zusammensetzen, auseinandernehmen […]“ etc. Krippendorff, K. (2013). S. 56 f. 131 Der im Rahmen dieser Arbeit gebrauchte Modellbegriff unterscheidet zwischen materiellen und mentalen Modellen. Das durch Experimentalsysteme Dargestellte und Modellierte ist eine Vergegenständlichung mentaler Modelle. Jedoch steckt, wie Donald Schön bemerkte, auch in den Formen und Materialien exklusives Wissen, das eigenwertige Bewertungen und Handlungen hervorruft und nicht nur Rohmasse zur Vergegenständlichung innerer Zustände ist. 132 Kühne, L. (1981). Gegenstand und Raum. Über die Historizität des Ästhetischen. Dresden: Verlag der Kunst. 133 Wolfgang Iser, zitiert nach Petruschat, J. (2011b). Fassungslosigkeit. Einige Bemerkungen zum freien Spiel der Kräfte. http://www.redesign.cc/Fassungslosigkeit.html (Aufrufdatum 20.06.2020). Vgl. auch: Iser, W. Von der Gegenwärtigkeit des Ästhetischen. In: Küpper, J., Menke, C. (Hg.). Dimensionen ästhetischer Erfahrung. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. S. 176–202. 134 „Es ist die Resonanz unserer sinnlichen Erfahrungen, die uns als Individuen aufrichtet, stabilisiert und stärkt: aus diesem Zusammenspiel unserer Sinne in einem ganzheitlichen Erfahrungshorizont geht ­unsere Identität hervor. Unser Selbst und unsere Persönlichkeit sind ästhetisch fundiert.“ Zitiert nach: Petruschat, J. (2016). Eindeutigkeit und Vieldeutigkeit. http://www.redesign.cc/Petruschat/Eindeutigkeit_udn_Vieldeutigkeit_files/Petruschat_Eindeutigkeit und Vieldeutigkeit_Berlin_2016.pdf. S. 8 f. (­Aufrufdatum 20.03.2018). 135 Franz, M. (1980). Designsemantik. In: Form+Zweck, 2 (1980). S. 27–29. 136 Siehe: ebd. S. 29 ff. 137 Ebd. 138 Petruschat schreibt dazu: „Formen, beschreibbar in Geometrien, sind ihm Ursache von Funktionen, Technik eine Folge und eine Möglichkeit von Formbildungsvorgängen. Neue Technik, neue Verwendungszusammenhänge und neue Gebrauchsweisen erschienen ihm ganz selbstverständlich ästhetischer Botmäßigkeit unterstellt und aus gestalterischer Arbeit hervorzugehen.“ Siehe: Petruschat, J. (2003). Befreit die Technik und ihr befreit die Form. In: Form+Zweck, 20 (2003). S. 12 f. 139 Siehe: ebd. 140 „Zeischeggs Leistung besteht darin, Formen von einem funktionalen, durch Technik gebrochenen Blick befreit zu haben. Ihm gelang diese Befreiung der Form aus technischen Zwangsverwendungen im Schutzraum der Laboratorien auf dem ,QBerg‘ und jenseits warenproduzierender Zusammenhänge. Die Voraussetzungen für diesen Erkenntnismodus bestanden in seiner künstlerischen Grundausbildung. Sie

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erlaubte ihm das ,zweckfreie‘ Gesicht. Darin hat er demonstriert, wozu Herrschaftstechniker nicht fähig sind. Das Ergebnis seiner Untersuchungen waren keine sinn- weil zwecklosen Formen, sondern Kunstformen, an denen zu lernen ist, daß das, was schön an ihnen erscheint, nicht überwältigend, sondern unsere Menschheit ist. Allerdings ist an Zeischegg auch zu sehen, wie der Versuch, Formen von menschlichen Verwendungsweisen völlig freizustellen, buchstäblich in die Irre führt. Es gibt keine ,Form an sich‘ und die Idee, den Formen eigene Bildungsgesetze abzuschreiben, geht an der Menschlichkeit, die in Gestaltung immer abläuft, reflexionslos vorbei.“ Ebd. S. 15 f. 141 Winnicott, D. W. (2010). Vom Spiel zur Kreativität. Stuttgart: Klett Cotta, S. 23–25, S. 116–124. Eines ­davon besteht in den sogenannten Übergangsobjekten und damit in der Annahme, dass ein externer ­Gegenstand wie z. B. ein Lieblingsteddy noch ein Teil unseres Selbst sei. 142 Ebd. S. 21 f. Der Intermediäre Raum stellt eine Art Übergangszone dar, in der keine klare Trennung zwischen innerer und äußerer Realität besteht. Winnicott deutete an, dass der Genuss von Kultur die Fortsetzung dieser Bedürfnisse im Erwachsenenalter darstelle. Meiner Interpretation nach trifft das auch für die aktive Teilhabe an der Schaffung von Kultur zu. 143 Siehe: ebd. 144 Rheinberger, H.-J. (2001), S. 24. 145 Ebd. 146 Ebd. 147 „[…] dass vor allem Erkenntnis und Bewusstsein erspielt wird, dass also das Spiel mit Materialien eine erkennende, fallweise sogar eine epistemische Praxis ist.“ Siehe: Petruschat, J. (2012). Tische, Tischtennisbälle und kurze Schreie – einige Bemerkungen zum Prototyping. In: Adenauer J., Petruschat, J. (Hg.). Prototype! – physical, virtual, hybrid, smart – tackling new challenges in design & engeneering. Berlin: Form+Zweck. S. 286–317, hier S. 307 f. 148 Vgl.: ebd. 149 Zentrales Element für dieses kulturelle Lernen ist die Kommunikation über eine perspektivische, kognitive Repräsentation mittels eines vorliegenden Gegenstandes, welche die inneren Repräsentationen (mentale Modelle) hervorrufen. Vgl.: Tomasello, M. (2009). Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. S. 183–206, S. 339–346, S. 362–365. 150 Tomasello, M. (2002). Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Zur Evolution der Kognition. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. S. 15. 151 Ebd. 152 Zentral für die Begriffsbildung und die Entwicklung gemeinsamer Intentionen, so Tomasello, ist die Kommunikation über einen Gegenstand, der aus verschiedenen Perspektiven betrachtet wird. Einerseits übernehmen die Beteiligten die Intentionen des jeweils anderen. Dies ermöglicht es im zweiten Schritt, von dem gemeinsam wahrgenommenen Gegenstand intersubjektiv geteiltes Wissen zu gewinnen und daraus gemeinsames Hintergrundwissen aufzubauen inklusive neuer semantischer und semiotischer Zusammenhänge. 153 Siehe: Tomasello, M. (2010). Warum wir kooperieren. Berlin: Suhrkamp Verlag. 154 Ebd. S. 50 ff. 155 Ebd. S. 9 f.

ANMERKUNGEN 067

2 Material, ­Erzeugnis, ­Kooperation  – offene Entwicklungsprozesse

SYSTEMDENKEN UND RAHMUNGEN In den vorangegangenen Kapiteln sind mehrfach Begriffe gefallen wie „systemische Rahmung“, „technikdeterministisch“ und „nicht geregeltes Vorgehen“. Um die Eigenarten von Gestaltung in einem offenen, experimentellen Kontext und die Formen offener und gemeinschaftlicher Entwicklung besser verstehen zu können, ist es wichtig, nunmehr die Eigenschaften offener und geschlossener systemischer Rahmenbedingungen zu betrachten.

Geschlossene Systeme/Rahmen Unter geschlossenen Systemen versteht man Systeme, die nicht mit ihrer Umwelt interagieren und aufgrund dessen nicht in der Lage sind, sich an äußere Veränderungen anzupassen. Die bestehende „Unordnung“ (Entropie) in einem geschlossenen System kann – gemäß dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik – nur zunehmen, nicht abnehmen. Überlebensfähig sind, so Frederic Vester, geschlossene Systeme nicht – ihnen fehlt die zur Selbstregulierung nötige Fähigkeit zur negativen Rückkopplung.1 Diese Fähigkeit zur Selbsterneuerung durch den Aufbau von Regelkreisen charakterisiert natürliche Systeme und steht im Gegensatz zu positiven Rückkopplungen, also Selbstverstärkungen, die äußeren Widerständen entgegenwirken sollen.2 Entwerferische Vorgehensweise und die Gestaltung von Produkten fokussieren innere und äußere Faktoren (z. B. Verhaltensweisen und Ressourcenverbrauch), welche das Zusammenspiel der Elemente in einem System bestimmen. Unter einem funktionalistischen Designbegriff hatte die Gestaltung von Erzeugnissen die Aufgabe, exakt definierte Rahmenbedingungen und Zielstellungen zu erfüllen. Nach Krippendorff unterstützt technologiegetriebenes Design in funktionalistischen Gesellschaftsformen deren Autoritätsstrukturen, die hierarchische Ungleichheit und Unterordnung des Benutzers funktionaler Subsysteme unter das abstrakte Verstehen eines ganzen Systems.3 Ein Artefakt so zu gestalten, dass es eine bestimmte Funktion erfüllt, heißt in diesem Kontext – so Krippendorff –, „das Große und Ganze, dem es dient, nicht zu hinterfragen und größere Verantwortung für den Entwurf abzulehnen“.4 Die Rahmung, innerhalb derer ein Produkt funktioniert und deren Dynamik es aufnehmen muss, kann mit dem in der Einleitung genannten Ansatz der Artefaktischen Ökologien (nach Krippendorff) beschrieben werden und ist demnach in verschiedene Wirkhorizonte einzuteilen.

070  MATERIAL, ­E RZEUGNIS, ­KOOPERATION – OFFENE ENTWICKLUNGSPROZESSE 

Offene Systeme/Rahmen Offene Systeme sind im Gegensatz zu geschlossenen Systemen in der Lage, mit ihrer Umwelt in Interaktion zu treten und Materie, Energie und Informationen auszutauschen.5 Diese Form des stabilen Ungleichgewichts und dessen unzureichende Berücksichtigung in Gestaltungs- und Planungsprozessen beschrieb Horst Rittel indirekt, als er als Ursache von „wicked problems“ die Wirkung menschlicher, schwer rational erfassbarer Faktoren nannte. Er argumentierte unter anderem, dass es de facto keine gleichartigen (Problem)Kontexte gebe, die sich in vergleichbare Kategorien einordnen und mit übertragbaren, prototypisch vorstrukturierten Lösungsprinzipien bearbeiten ließen.6 Diese Argumentation Rittels wird durch die Eigenschaften entwerferischer Praxis (nach Schön und Petruschat) bestätigt. Auch ein Experimentalsystem (nach Rheinberger) kann nur funktionieren, wenn es stetig durch die Veränderung einzelner Faktoren eine ausreichende reproduktive Kohärenz erzeugt und am Rande der „Selbstinfragestellung“ arbeitet. Das Ergebnis der fortlaufenden experimentellen Eigenschaften sind neue Qualitäten,7 die an bestimmten Tipping Points oder aufgrund von Stressfaktoren durch Disruption erzeugt werden. Dieser Mechanismus kann bezogen auf offene Entwurfsprozesse unter anderem eine zeitliche Staffelung von Vorgängen beinhalten, das faktorspezifische Realisieren von materiellen Zuständen (Objekten) sowie die Beobachtung und Bewertung von deren Wirkung. So können wiederum Rückschlüsse auf übergeordnete Zusammenhänge gezogen werden.8

SYSTEMDENKEN UND RAHMUNGEN  071

PHYSISCHE OBJEKTE ALS ANKER Wie im Kapitel zur „Vor-Reflexivität“ herausgestellt, ist die Tätigkeit im Entwurf mehrfach bestimmt. Im Verlauf entwerferischer Handlungen werden pragmatische Gebrauchszusammenhänge und Lösungsansätze zur Erreichung eines Zieles erzeugt. Parallel dazu werden übergeordnete Ziele und Zwecke neu definiert. Diese neuen Zwecke werden faktorspezifisch herausgearbeitet, indem vorliegende Objekte Gegenstand steter Detailarbeit sind. Dieses Vorgehen stabilisiert zudem das Zueinander verschiedener Individuen durch einen materiellen Bezugsrahmen. Wissen, Erfahrung (bzw. Erfahrenheit im Sinne Rheinbergers) und Können einzelner Akteure werden am vorliegenden Objekt mit der Haltung anderer, auf anderen Gebieten fähiger Akteure konfrontiert. Die Variabilität der vorliegenden Objekte und der Assemblagen und Collagen erzeugt neue Zweckzusammenhänge,9 die einerseits innerhalb bekannter Routinen und geschlossener systemischer Rahmung neuartige Wirkung entfalten, ebenso jedoch – mit Blick auf Rheinbergers Epistemische Dinge und die tätige Kritik nach Petruschats Ansatz zum Entwerfen – der Erschaffung, Erkenntnis und Anerkenntnis neuartiger Kontexte Vorschub leisten.

… im Verhalten Gewohnheiten stabilisieren sich durch die den Objekten inhärenten Angebote zum Gebrauch, durch Kontextgebundenheit der Interaktion und durch die Erkundung von Neuem auf Basis von Bekanntem, durch Bestätigung gegebener Interaktionen zwischen Individuen und Objekten. Die in dieser Studie untersuchten Verhaltensweisen beziehen sich einerseits auf Akteure, die in einem kulturellen Umfeld verwurzelt sind, in dem die Erfahrenheit im kreativen Umgang mit Routinen, Normen und Regeln zur Lebenswirklichkeit und Lebenskultur gehört. In diese Rahmenstruktur ist die konkrete, projektbasierte Innovations- und Entwicklungstätigkeit eingebettet. Disziplinäre Routinen und individuelle Erfahrung prägen die Verhaltens- und Handlungsweisen von Akteuren im Umgang mit physischen Objekten innerhalb dieser abgrenzbaren Handlungsräume. Individuelle Vor-Reflexivität und somatisiertes Wissen können diese Routinen verstetigen. Handlungsangebote, die den Objekten und Komponenten innewohnen, werden innerhalb der bekannten Kontexte wahrgenommen, Bedeutungen werden interpretiert, semiotische Zuweisungen dechiffriert und befolgt.

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… in der Verhaltensänderung Physischen Objekten können Handlungsangebote innewohnen, welche das Durchbrechen von Routinen und Gewohnheiten erlauben. Das Versagen gewohnter semiotischer und semantischer Zusammenhänge und systemisch geregelter Strategien fordert im Bereich des Ästhetischen angesiedelte Handlungsweisen ein. Die dabei entstehenden Verhaltensweisen, aber auch die daraus direkt und indirekt erzeugten Dinge sind Grundlage für neue semantische und semiotische Anreicherung und Zuweisung. Das Konzept des Experimentalsystems beschreibt, wie ein stabiler Hintergrund aus Wissen und Erfahrenheit, aber auch stabilisierten Technischen ­Dingen einen Handlungsraum aufspannt und zur Verdichtung Epistemischer Dinge führt. Die dabei genutzten Objekte sind so konkret, dass sie eine stabile Plattform bieten für neuartiges Kombinieren, Probieren, „Tasten“ (wie Rheinberger es nannte). Dabei wird nicht schematisch oder geregelt vorgegangen. Wilsons Ansatz zum lösungsinhärenten händischen Herumprobieren mit Objekten stellt heraus, dass die feststehende Basis nicht starre Verhaltensweisen sind, sondern, wie im Kapitel 1 beschrieben, der besondere Zusammenhang von Handeln und Denken, durch den ein stetes Fortentwickeln von Handlungs- und Verhaltensweisen auf individueller Ebene möglich ist. Das Erkennen von Bedeutung und Zeichenhaftigkeit in einem geregelten, bekannten Zusammenhang kann erweitert werden durch pragmatische, neuartige Verhaltensweisen, die zur Erzielung eines bekannten Bedeutungs- und Zweckzusammenhangs führen.10 Diese Untersuchung jedoch konzentriert sich auf das Erschließen neuartiger Zusammenhänge, Framings und Verhaltensweisen auch durch ästhetische Dimensionen der tätigen handelnden Aneignung.

Prototypen Im VDI-Modell 2221 haben Prototypen den Zweck, sich iterativ oder inkrementell den finalen Prototypen anzunähern. Fehlerquellen sollen Stück für Stück eliminiert werden. Der Prototyp verkörpert dann die Eigenschaften, die das finale Produkt auszeichnen sollen. Parallel dazu haben Prototypen dahingehend Modellcharakter, als sie oft nur einen bestimmten Teilaspekt materiell repräsentieren und so grundlegendere Fragestellungen erlauben.11 Das klassische niederkomplexe Prototyping, getätigt im Design Thinking, im Double Diamond Modell sowie als Bestandteil von Methoden des Human Centered Design (HCD), dient unter anderem der schnellen Generierung von Ideen. Stakeholder werden oft an derartigen Prototyping-Workshops beteiligt. Die Objekte selbst sind zumeist Container für Bedeutungen und ihre zeichenhafte Vermittlung.

PHYSISCHE OBJEKTE ALS ANKER  073

Diese Untersuchung orientiert sich an der Vorstellung eines Zustands des permanenten Wandels (permanent beta) und der Eigenschaft von Produkten und Erzeugnissen als vorläufigen, zu kritisierenden Vorschlägen zur Reduktion von Komplexität.12 Objekte müssen demnach genug stabile Handlungsmöglichkeiten und Bekanntheitsgrade bieten, um mit ihnen auf tief greifende Weise zu interagieren. Ihre Zweckbestimmtheit muss so konkret ausgerichtet sein, dass sie den Charakter von Werkzeug, Hilfsstoff oder Bauelement aufweisen. Diese „Halbzeuge“ und „build­ing blocks“ müssen in ihrer Komplexität nicht bis ins Kleinste verstanden werden. Prototypen sind mit einem Entwicklungsprozess wachsende Dinge. Dieses Spannungsfeld aus einfacher Zugänglichkeit und der Verknüpfung von Elementen zu neuartigen, in ihrer Relevanz und Bedeutung erst zu erfassenden Dingen gilt es in dieser Studie zu ergründen. Die Wechselwirkung aus verlässlichen Funktionszusammenhängen und vagen Erkenntniszusammenhängen13 sowie das Verhältnis von semantischer Bestimmtheit, semiotischer Interpretation und ästhetischer Aneignung muss angesichts des Prototypings in Open-Design-Prozessen und dem Zueinander verschiedener Stakeholder reflektiert werden. Entscheidend ist die Frage, ob diese Objekte etwas hervorbringen, das nicht schon in den mit ihnen interagierenden Individuen als Wissen um Zeichen- und Bedeutungszusammenhänge angelegt ist, zugleich aber vorhandene Erfahrungen und Kompetenzen der Individuen nicht grundlegend negiert, sondern vielmehr im Sinne des Entwerfens und Entwickelns als kulturelle Tätigkeit fruchtbar macht. Weiterhin sollten die Objekte eine Form der Widerständigkeit aufweisen, die das Ideative herausfordert und infrage stellt (ähnlich dem erkenntnisträchtigen Interagieren mit Übergangsobjekten). Wechselseitige Anerkennungsverhältnisse zwischen Akteuren entstehen nicht nur durch direkte Kommunikation als gegenseitige Anerkennung von Ingenieurs- und Designkompetenzen in einem kooperativen Vorgang, sondern verkörpern sich auch im Prototyp14 und verfügen insofern gegebenenfalls über eine historische Dimension.

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METHODEN UND FORMEN OFFENER ­ENTWICKLUNG Partizipation Die offene Entwicklungsstrategie der Partizipation stammt nicht unmittelbar aus dem Produktdesign. Jedoch zeigen die ersten Ansätze der Öffnung von Entwicklung, Planung und Gestaltung auch übertragbare Aspekte des materiellen Arbeitens in einer Gruppe verschiedener Akteure. In den partizipatorischen Projekten, die es seit den frühen 1950er Jahren gibt, beziehen professionelle Gestalter künftige Nutzer in die Konzeptionsbildung ihrer Entwürfe mit ein. Dadurch sollen die Akzeptanz und Gebrauchstüchtigkeit von Produkten und Bauleistungen verbessert werden. Der Gestaltungsprozess selbst verbleibt in der Regel in den Händen der Profis. Die Produktentwicklung ist ein mehr oder weniger von Designern und Architekten geführter oder offensiv moderierter Prozess. Giancarlo De Carlo organisierte die Teilhabe der zukünftigen Bewohner der Arbeitersiedlung Matteotti im italienischen Terni in einem straff strukturierten Format. Zunächst fanden eine Ausstellung zu möglichen Bautypen und organisierte Gesprächsrunden zur Bedürfnisklärung statt. Daraus wurden im nächsten Schritt Entwürfe für drei grundsätzliche Varianten von Haustypen entwickelt. Die Auswahl erfolgte also anhand vorgefertigter Entscheidungsbilder und sollte den Rückgriff auf tradierte Muster und Formen von Architektur durch die in Gestaltungsprozessen ungeübten Teilnehmer vermeiden. Lebensart und Selbstverständnis der größtenteils dem Arbeitermilieu entstammenden zukünftigen Bewohner konnten seiner Meinung nach nur durch von Architektenhand entwickelte Entwürfe und die Antizipation von Bedarf abgebildet werden.15 Christopher Alexanders Pattern Language16 stellte einen Beitrag zur Öffnung von Architekturprojekten und städtebaulichen Planungsprozessen dar und leitete gleichzeitig den Übergang von positivistischen zu menschbezogenen Gestaltungsmethoden ein.17 Dieses erlernbare Werkzeug sollte teilhabenden Amateuren ­komplexe und unbewusste Gegebenheiten sichtbar machen und deren Syste­ma­ tisierung ermöglichen. Einerseits werden so individuelle Vorstellungen der erlebbaren und wünschenswerten Wirklichkeit vergleichbar und überindividuell handhabbar. Das beste Beispiel hierfür ist Pattern 180 „Platz am Fenster“. Andererseits werden punktuelle Phänomene in strukturelle Zusammenhänge gebracht und ­diskutierbar gemacht. Artefaktische Ökologien18 und Praktiken können bezüglich der ­Erstellung eines Topos wie „Platz am Fenster“ oder „Food Stands“ (Pattern 93) auf ­reversem Weg analysiert und beschrieben werden. Dadurch wird auch die Notwendigkeit von Komplexität und unkalkulierbarer, selbstorganisierender Dynamik sichtbar, welche erst den Erlebnisgehalt und die Handlungsangebote etwa einer Straßenecke mit all ihren Artefakten, Interaktionen und sozialen Begegnungen ermöglicht.

METHODEN UND FORMEN OFFENER E ­ NTWICKLUNG  075

Abb. 4: Ausschnitt aus einem ­Architekturmodell der Arbeitersiedlung Matteotti in Terni/Italien.

Die Pattern Language ist ein beschreibendes Verfahren, das den Ist-Zustand unter einem bestimmten Blickwinkel zu erfassen und für Planungs- und Gestaltungsvorgänge nutzbar zu machen sucht. Ein gemeinsamer semantischer Bezugsrahmen wird definiert und standardisiert (vereinfacht: Mein Platz am Fenster hat etwas zu tun mit deinem Platz am Fenster, auch wenn der ganz anders aussieht), jedoch nicht durch Neues, vorher nicht Bekanntes erweitert. Ähnlich wie Prototypen können diese Bedarfskonstrukte kombiniert und in einen größeren Planungszusammenhang eingebracht werden. Der Planungsprozess verbleibt aber weiterhin – auch bedingt durch die Großmaßstäblichkeit der zu gestaltenden Vorgänge – in der ideellen und in symbolischikonischen Bildobjekten vermittelten Verhandlung von Gemeinplätzen ohne materielle Dimension. Jedoch sah Alexander in der Pattern Language einen Rahmen zum Aufbau einer eigenen Sprache, welche aufgaben- und standortspezifisch angepasst und weiterentwickelt werden müsse. Kritisch betrachtet kann diese Form der Partizipation zur Legitimation von Planungsverfahren dienen – jenseits tiefgründigen Verstehens und Durchdringens des Gegenstandes der Planung aufseiten der Partizipierenden. Dies ist ein Argument dafür, dass die Erfassung und entwerferischplanerische Reflexion von Zusammenhängen ab einer gewissen Komplexität in die Hand von Experten gehört. Jedoch sollte wiederum die paradigmatische Einordnung dieser Prozesse Gegenstand allgemeiner Diskurse sein und sich in den Entwurfspraktiken wiederfinden. Dem aktuellen Boom an Partizipation – gerade in der Stadtplanung – scheint in der Tat eher der Reiz der Neuartigkeit und der

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Abb. 5: Fotografie zu Pattern Nr. 93 „Food Stands“ aus ­Christopher Alexanders Pattern Language.

Teilhabe an sich innezuwohnen als eine tatsächlich signifikante Veränderung der Ergebnisse, besonders mit Blick auf die Anschlussfähigkeit für nicht in den Prozess Involvierte, zum Beispiel später zugezogene Bewohner eines Hauses/Wohnviertels. Auch die materielle Dimension hat in Christopher Alexanders Partizipationsbestrebungen einen Platz. Parallel zur Konzeption auf Basis der Pattern Language hob er die Bedeutung des Planens vor Ort im Maßstab 1:1 und damit das unmittelbare Sichtbar- und Erfahrbarmachen des Entwurfsgegenstands hervor.19 Basierend auf diesen Anforderungen wurden unter anderem neuartige Techniken des Bauens entwickelt, die preisgünstiges Modifizieren des Entwurfs auch in einem fortgeschrittenen Stadium der Umsetzung erlaubten.20 Einen eigenen, weniger organisierten Weg ging Ralph Erskine bei der Planung des Byker-Quartiers in Newcastle.21 Eine seiner ersten Maßnahmen bestand darin, selbst in das Quartier überzusiedeln und ein für alle zugängliches Planungsbüro zu eröffnen. Damit wurde die Teilhabe an der Planung für die Bewohner von Beginn an über mehrere Jahre zu einem festen Bestandteil ihrer Alltagskultur. Es entstand eine Atmosphäre des unmittelbaren, persönlichen Austauschs und der Verständigung. Die Identifikation mit dem Projekt führte neben einem hohen Verantwortungsbewusstsein auch zu spontaner sozialer Interaktion und zur Konstituierung von Gemeinschaften. Hinzu kommt, dass in Gruppenprozessen, wie zum Beispiel partizipativen Projekten im Bereich Architektur- und Stadtplanung, oft die Parallelität von individuellen Zielen und Interessen mit denen der Gruppe zu beobachten ist (saubere Luft, wenig Lärmbelästigung im Wohnquartier u. Ä.). Allerdings steht die Frage der Anerkennung der im Entwurf verkörperten Dinge durch dritte, nicht in das Projekt involvierte Akteure zur Diskussion.22 Sind die Qualitäten anschlussfähig und

METHODEN UND FORMEN OFFENER E ­ NTWICKLUNG  077

Abb. 6: Luftaufnahme des Byker-Quartiers in Newcastle.

nachvollziehbar? Welche semantisch-semiotischen Zusammenhänge oder ästhetisch-tätigen Erfahrungen tragen dazu bei? Im Produktdesign sind Tendenzen der Partizipation und des Co-Designs ebenfalls zu beobachten. Gestaltungs- und Entwurfskompetenzen sowie die damit einhergehende Rolle des Designers umfassen ein Spektrum, das dem der zuvor beschriebenen Architektur- und Planungsprojekte ähnelt. Pieter Jan Stappers beschreibt in seinem Text „Creation & Co“ das Vorgehen in einem kokreativen Designprojekt zur Entwicklung von Ohrschützern für Amateurmusiker. Neben klassischer Beobachtung einer Nutzungssituation sind es gemeinsame Ideen- und Konzeptworkshops mit der Community von potenziellen Nutzern, durch die das Vorgehen geprägt ist und unterschiedliche Gestaltungsbereiche definiert werden (Aufklärungsarbeit über die Schädlichkeit von zu viel Lärm, neue Kommunikationsstrategien, Marketingstrategien für diese besondere Nutzergruppe sowie Produktkonzepte). The role of designers is becoming more varied: part creator, part researcher, part facilitator, part process manager. We see graduates of design schools specializing in these roles to varying extents. Users’ roles are also changing. A side effect of co-creation.23

Die materielle Dimension sowie die konkrete Arbeit an der Form kommen nicht vor. Die Rolle des Designers besteht darin, durch Fragen und Beobachten den tatsächlichen Bedarf der Nutzer zu ergründen. Der damit einhergehende Prozess der Co-Creation wird durch ihn strukturiert und offensiv moderiert und stellt unter anderem einen Aspekt von Human Centered Design dar – wie im Kapitel 1 beschrieben.

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Open Innovation Unter dem Begriff Open Innovation wird eine Anzahl von heterogenen Entwicklungsstrategien gehandelt, von denen im Folgenden eine Auswahl beschrieben wird. Gemeinsam ist diesen Strategien die maßgebliche Einbeziehung von Akteuren außerhalb klassischer Entwicklungsumgebungen (Unternehmen, Entwicklungsdienstleister) in die Generierung von primär technischen Innovationen.24 Oft sind diese Akteure in Communities organisiert, die sich in Netzwerken über institutionelle und habituelle Grenzen hinweg formieren. Ihnen können Nutzer, Produzenten und Entwickler angehören.25 Hier sollen drei konkrete Verfahrensweisen beschrieben werden:

Lead-User-Methode Die Lead-User-Methode ist eine Methode zur Generierung von Bedürfnisinformationen und zielt auf die aktive Einbindung ausgewählter Anwender ab, um gemeinsam mit diesen Ideen und Konzepte für neue Leistungsangebote zu entwickeln. Sie stellt eine Spielart der unter anderem von Eric von Hippel beschriebenen User Innovation26 dar. Diese sogenannten Lead User sind in der Lage, Erwartungen und Bedürfnisse zu kultivieren, die bisher noch durch keine am Markt angebotenen Produkte oder Dienstleistungen befriedigt werden. Parallel dazu können Lead User auch über Lösungsinformationen beziehungsweise Lösungskompetenzen verfügen, mit denen sie ihre Ansprüche erfüllen.

Toolkits for Open Innovation Diese Verfahrensweise bezeichnet eine Entwicklungsumgebung, welche den explizit herausgestellten Nutzern erlaubt, ihre Bedürfnisse iterativ in eine Lösung (sprich: einen Entwurfsansatz) zu überführen.27 Ein Toolkit beschreibt nach von Hippel eine Entwicklungsumgebung (er spricht auch von einem „Lösungsraum“), durch die bestimmte Parameter der Lösungsfindung in verschiedenen Variabilitätsgraden vorgegeben sind.28 Primär werden dabei die Kunden als Akteure angesehen. Sie können selbstständig ihre Bedürfnisse in eine konkrete Lösung überführen, ohne dabei mit dem Hersteller in persönlichen Kontakt zu treten. Dieser stellt dazu eine Interaktionsplattform bereit,29 auf der die Nutzer selbst ihre Bedürfnisse nach dem Baukastenprinzip in eine fertige Lösung überführen können. Der Hersteller muss dann „nur“ die vom Nutzer eigenständig erzeugte Lösung produzieren und distribuieren, ohne dass er den Bedürfnishintergrund verstanden haben muss.30

METHODEN UND FORMEN OFFENER E ­ NTWICKLUNG  079

Entwerfen und physische Erzeugnisse in Reallaboren und Living Labs Eine Form der Nutzerpartizipation und Stakeholderintegration stellt die am MIT entwickelte Living-Lab-Methode dar. Sie verbindet in der Entwicklung innovativer Produkte das Labor mit der realen Welt des Anwendungseinsatzes. Die Verfahrensweise Reallabor beziehungsweise Living Lab ist eine in der Urbanistik verwurzelte Tradition und kann als ein möglicher institutioneller Rahmen einer offenen Entwicklungs- und Entwurfskultur betrachtet werden. Der Fokus liegt auf der Untersuchung großmaßstäblicher Vorgänge in einer soziologischen Sichtweise.31 Die Rolle des Designs besteht auch in diesem Fall einerseits im Entwerfen und Bereitstellen von gebrauchsfähigen Prototypen beziehungsweise Produkten und andererseits in der klassischen Nutzerbefragung, Bedürfnisermittlung und Moderation von Nutzerbeteiligung.

Open Source Die Open-Source-Bewegung propagiert in erster Linie die freie Verfügbarkeit einer zugrunde liegenden Programmierstruktur beziehungsweise eines Kernels, um auf dieser Basis das Betriebssystem auszubauen und Codes für Anwendungen zu schreiben. Ein konkretes Ziel ist der Entwicklung dieser Anwendungen nicht vorgegeben. Der Begriff der Offenheit hat also zumindest zwei Bedeutungen: Offen liegt die Programmiersprache des Betriebssystems und offen ist der Horizont seiner Verwendung. Limitierungen ergeben sich allein durch die Regeln der Programmierung und die begrenzten Möglichkeiten der Computertechnik. Weil aber Computer als Turingmaschinen gelten, in denen jede Wirklichkeit simuliert werden kann, wird diesem Open-Source-Konzept eine universelle Gültigkeit ­zugesprochen, die es in einem materiellen Sinne nicht besitzt.32 Der an den OpenSource-Gedanken anschließende Begriff der Open Hardware überträgt diese Allgemeingültigkeit auf materielle Objekte und grenzt die Universalität, da auf einen materiellen Prozess bezogen, ein. Diese Verwendung von offen zugänglichen Elementen spielt sich – dem technikzentrierten Begriff der offenen Hardware entsprechend – innerhalb technisch geregelter Passungen und Anschlussfähigkeiten sowie quantitativen Variierens ab.33 Das Zustandekommen von neuartigen Entwurfsansätzen und qualitativen Schritten in einem offenen Entwicklungsprozess muss nicht zwingend etwas mit der Verfügbarkeit offener Hardware in diesem expliziten Sinne zu tun haben.

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Open Design34 Open Design wird üblicherweise auf drei Tendenzen zurückgeführt: auf partizipatorische Bestrebungen in Architektur und Design, auf den Open-Source-Gedanken und auf die DIY-Bewegung. Diese drei Bezüge betonen verschiedene Aspekte von Open Design: In den bereits beschriebenen partizipatorischen Projekten, die es seit den frühen 1950er Jahren gibt, verbleibt der Gestaltungsprozess in der Regel in den Händen der Profis. Der Gedanke der Open Source greift auch zu kurz. Die an Programmiersprache, Script und Algorithmus ausgerichtete Vorgehensweise in der Softwareentwicklung auf Basis offener Programmkerne impliziert durch Turing-Mächtigkeit eine Universalität, die mit der materiell-widerständigen Realität nicht korrespondiert und viele Aspekte unberücksichtigt lässt.35 Die Verankerung des Open Design im DIY, in der Heimwerkerszene und, darüber hinaus im Handwerk und der Heimarbeit im 19. Jahrhundert, ist von einem ähnlichen Missverständnis begleitet. Das Handwerk scheint der Arbeit an gemeinsamen Projekten günstig, da unterstellt wird, es seien nur geringe und leicht erlernbare Kompetenzen zur Mitarbeit vonnöten.36 Open Design ist ein vielschichtiger Sammelbegriff. Er beinhaltet eine Blueprint-Kultur und freie beziehungsweise teilweise freie Lizensierung zur Fertigung eigens dafür entwickelter Entwürfe.37 Ebenso kann damit die Einbeziehung von verschiedenen Akteuren in die Entwicklung und Gestaltung eines komplexen Erzeugnisses, zum Beispiel eines Fahrzeugs,38 gemeint sein. Der meist explizite Objektbezug schafft eine mögliche Abgrenzung zu Open Innovation und beinhaltet Aspekte von Open Hardware, also der Verfügbarkeit von nicht proprietärer und in Entwicklungsvorhaben frei oder lizenziert nutzbarer Komponenten. Eine spezifische Form von offener Gestaltung stellt das Offene Prinzip dar, das der Möbelgestalter Rudolf Horn in den 1960er Jahren entwickelte.39 Es versteht Gestaltung als einen mit den wirtschaftlichen und kulturellen Dimensionen von Produktionsvorgängen rückgekoppelten materiellen Vorgang. Der Käufer seines Schranksystems sollte in der Rolle des produktiven Endnutzers in der Lage sein, ureigenste Ansprüche an sein Wohnumfeld auf Basis elementarisierter, indus­ triell gefertigter Möbelelemente zu entwickeln und zu erfüllen.40 Eine vorgedachte Gesamtform eines Möbelstücks wurde ersetzt durch einen materiell fundierten Gestaltungskontext, der sich weit in die Sphäre der Nutzung erstreckte – auch wenn sich oft die monolithische Schrankwand als Standard durchsetzte. An diesem Beispiel ist zu lernen, dass bereits in den 1960er Jahren die jeweiligen Kompetenzen von Akteuren entwerferisch in einem ganzheitlichen Prozess, der sich auf Produkte mit modularem Baustein-Charakter stützt, anerkannt und reflektiert wurden. ­Zudem kann Horns Wirken als der Versuch angesehen werden, einen potenziell unabschließbaren Vorgang der Gestaltung und Reflexion individueller wie auch gemeinschaftlicher Lebensweisen auf eine produktive und gegebenenfalls auch

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im ästhetischen Aneignen und Erfahren angesiedelte Basis zu stellen. Dieser Vorgang sollte nicht einfach nur mit den gerade aktuellen politischen und wirtschaftlichen Kontexten konforme, vorgefertigte Wohnwelten und Lebensweisen perpetuieren, sondern die Entwicklung eines neuartigen Zueinanders von Faktoren aus der Sphäre von Produktion und Nutzung, oder kurz, neuer kulturelle Kontexte anregen. Ein Vorgang, für den auch die Erklärung mit dem Aspekt ressourcensparender Vorfertigungs- und Standardisierungspraktiken, die zum Beispiel auch im Wohnungsbau Anwendung fanden, zu kurz greift. Ähnlich gelagert ist Clauss Dietels Spielart des Offenen Prinzips im Bereich der Mobilität.41 Seine Entwürfe begriffen das Benutzen als Akt der steten Entwicklung und Veränderung auf der Ebene des Objekts (des Fahrzeug, das als modulare Plattform funktioniert), aber auch des Subjekts (Nutzer und andere Stakeholder, die direkt und indirekt in die Nutzung und Instandhaltung des Fahrzeugs involviert sind und dabei neuartige Gewohnheiten entwickeln). Unterschiedlichen Akteuren eröffnet das Kleinkraftrad Simson S50 den Zugang zu Pflege, Reparatur und Austausch von Teilen. So können letztlich nicht nur technische Neuerungen an das Objekt angepasst werden, sondern ebenso die sich über einen längeren Zeitraum ändernden Ansprüche und Vorlieben der Nutzer. Doch wie sind die Objekte beschaffen, die im Rahmen von Open Design entwickelt werden? Mehrere Studien attestieren einen Zusammenhang zwischen dem Grad der Komplexität und dem Grad der Modularität eines Produktes.42 Zwar beinhaltet Open Design auch Aspekte von Open Innovation, doch prinzipiell ist die Annahme falsch, dass Open Design zwingend innovative Erzeugnisse hervorbringen müsse. Wie bereits der Vergleich von Rheinbergers Experimentalsystem-Konzept mit Design- und Entwurfsprozessen gezeigt hat, kann es vielmehr das Wesen des Entwicklungszusammenhangs selbst sein, das innovative Eigenschaften hervorzubringen vermag. Auf der Ebene der Objekte vollzieht sich jedoch oft eine rein technische und damit systemisch geregelte Verwendungsweise.43 Die Komponenten haben standardisierte Passungen und sind in bekanntem Rahmen kontrollierbar. Dieser Fakt wird im Kapitel 3 an mehreren konkreten Projekten näher betrachtet. Zwei grundsätzliche Strategien der „Offenheit im Design“ wurden unter dem Blickwinkel der organisatorischen und materiellen Zugänglichkeit der Projekte beschrieben: „teilweise Offenheit“ (partly open) beschreibt den Grad der Offenheit, und „offene Teile“ (open parts)44 den Bereich, der als offen deklariert wird. Schauen wir auf die erweiterte Wirkung der „offenen Teile“. Projekte wie RepRap haben auch das Ziel, offene Plattformen zu schaffen, auf deren Basis weitere Entwicklungstätigkeit möglich ist. Die Community wird durch die Material- und Objektebene in ihrem Vermögen, längerfristig und selbstständig als Entwickler tätig zu werden, unterstützt.45 Doch auch hier spielt der Blueprint-Charakter der technischen Bauteile und deren einfache Assemblierung entlang geregelter Schnittstellen eine essenzielle Rolle.

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Social Design Die Einbeziehung von Nutzern hat eine explizite soziale Dimension. Im Rahmen von Social Design werden konkrete Probleme und Herausforderungen partizipativ mit potenziellen Stakeholdern gelöst und die Weiterentwicklung des sozialen Miteinanders angestrebt. Design hat hier die Aufgabe, Baukästen oder modulare Systeme bereitzustellen, die zur Herstellung variantenreicher Produkte dienen. Als Beispiel soll ein Projekt zur Entwicklung einer Unterschenkelprothese für Nutzer in Indonesien dienen.46 Die grundlegende Vorgabe war, dass die Prothese nicht mehr als 50 US-Dollar kosten sollte. In mehreren Workshops, an denen lokale Stakeholder und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen teilnahmen, wurden funktionale Parameter, die Verwendung lokaler Materialien, geringe technologische Anforderungen in der Herstellung sowie die Auslegung als modulares, veränderbares und justierbares System entwickelt. Alle Entscheidungen orientierten sich an den Bedürfnissen der Community vor Ort. Die Justierbarkeit der Abrollkurve des Fußes für unterschiedliche Untergründe sowie die einfache Veränderung der Abmessungen von Prothesen speziell für Kinder und Heranwachsende wurden als konkrete Anforderungen an das modulare System gemeinsam mit den potenziellen Nutzern (Patienten, Ärzte, Hersteller etc.) definiert. Jedoch handelt es sich auch hier um ein klassisches, systemisch geregeltes Vorgehen. Die Nutzer werden zu ihren Bedürfnissen befragt und bekommen ein anpassbares Produktsystem, das individuelle wie auch wirtschaftliche, ökologische und soziokulturelle Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt. Das Rollenverständnis von Nutzern und Designern deckt sich weitgehend mit dem in Bezug auf das Human Centered Design beschriebenen Zustand: Der Designer tritt als Ermittler von Bedürfnissen (durch partizipative Workshops, Nutzerbefragung) sowie als Entwickler eines modularen, durch die Nutzer (Prothesenbauer und -träger) anpassbaren und variierbaren Baukastens auf.

METHODEN UND FORMEN OFFENER E ­ NTWICKLUNG  083

PROTOTYPING47 Als Prototyping wird, wie bereits erwähnt, das Realisieren von benutzbaren technischen Komplexen, auch unter Verwendung und durch Neuassemblierung bereits vorhandener Elemente und Erzeugnisse bezeichnet.

Permanentes Prototyping als Erkenntnis- und E ­ rneuerungsprozess Die Open-Design-Bewegung beruht auf der Entwicklung in sich komplexer, zumeist technischer Komponenten und auf dem Wissen um Möglichkeiten zu ihrer strukturellen Verbindung. Mit dem Begriff des permanenten Prototyping wird die Idee der Finalisierung eines Entwurfes infrage gestellt und die Rolle von scheinbar „fertig gedachten“ Dingen als „Material“ neuer gestalterischer Ambitionen in den Mittelpunkt gerückt. Es handelt sich um einen permanenten Erkenntnisprozess.48 Diese Verfahrensweise – als permanent beta bekannt – findet in der Softwareentwicklung Anwendung. Eine entscheidende Rolle kommt im Entwurfsprozess der Arbeit mit vorhandener Komplexität zu.49 Prototyping ermöglicht Komplexitätsbewältigung durch zwei Faktoren: Erstens ist der „prototypisierte“ Gegenstand bereits Ergebnis komplexer Entwicklungsleistung, kultureller Bestimmung und somit vergegenständlichtes Wissen, welches objekthaft vorliegt und auch sinnlich-ästhetisch erfahrbar ist. Der Einstieg in die Entwicklung findet somit nicht bei „null“ statt. Zum Zweiten ist er die Basis für Verständigung im Arbeitsprozess sowie mittelbares Werkzeug für den Abgleich und die Entwicklung gemeinsamer Intentionen. Erkenntnisse zu Methoden und Formen offener Entwicklung

Zunächst ist zu sagen, dass Design in offener Entwicklung nicht die vordergründige Rolle spielt, die das inflationäre Vorkommen des angelsächsischen Designbegriffs vermuten lässt. Vier grundlegende Rollenschemata können hervorgehoben werden. • Organisieren, Strukturieren und Moderieren von Zusammen­ arbeit • Ergründung von Nutzerbedürfnissen durch partizipative Prozesse (Befragung, Workshops, Teilhabe an Lebenswirklichkeit der potenziellen Nutzer) • Gestalten von Entwurfslösungen mit unterschiedlichen Ausarbeitungsgraden, die Gegenstand von Beurteilung und Tests durch Partizipierende sind

084  MATERIAL, ­E RZEUGNIS, ­KOOPERATION – OFFENE ENTWICKLUNGSPROZESSE 

• Gestalten von Systemen und Baukästen, die es Nutzern erlauben, als Entwickler und Produzent zu agieren Die dritte und die vierte Kategorie beinhalten Objektdesign und die Arbeit an der Form. Jedoch herrscht im Fall der fertigen Entwurfslösung eine klassische Arbeitsteilung, die aus dem Human Centered Design bekannt ist, während die Gestaltung von modularen Systemen ein Herstellen primär technischer Passstellen zum Inhalt hat. Diese beiden Modi agieren innerhalb geregelter Systeme und schöpfen die innovativen Potenziale offener Gestaltung nur ungenügend aus. Entwerferische Kompetenzen sind in keinem neuartigen Sinnzusammenhang festzustellen.

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Siehe: Vester, F. (1978). Unsere Welt – ein vernetztes System. Stuttgart: Ernst Klett Verlag. Siehe: Vester, F. (1995). Leitmotiv vernetztes Denken. Für einen besseren Umgang mit der Welt. ­München: Heyne Verlag. S. 20. Krippendorff, K. (2013). S. 105. Ebd. S. 350. Wie bereits im ersten Kapitel erwähnt. Siehe: Vester, F. (1978). Rittel, H. W. J. (1992). Planen, Entwerfen, Design. Stuttgart: Kohlhammer. S. 81. Die Dialektik von Qualität und Quantität wird im weiteren Verlauf der Untersuchung herangezogen, um die Besonderheit entwerferischen Arbeitens in offenen Entwicklungszusammenhängen zu charak­ terisieren. Krippendorff setzt der Vorstellung von aufeinander aufbauenden funktionalen Hierarchien den Begriff der politischen Heterarchie entgegen. Die Korrelation von Gesellschaftsform und Designkultur, so spekuliert Krippendorff, kann durchaus zugunsten von nicht-funktionalistischen deterministischen Entwicklungs- und Designkonzepten ausfallen, die wiederum bestimmte pluralistische Gesellschaftsformen fördern und unterstützen. Ein Beispiel für einen solchen heterarchischen Prozess sei die Entwicklung des Internets. Es sei schwer, dessen Hervorbringung auf ein planvolles Vorgehen zu verdichten. Vielmehr liege ein zeitlich gestaffelter Prozess vor, der verschiedene Akteure und deren Kompetenzen verknüpft, „Zwischenergebnisse“ hervorbringt, welche ihrerseits gesellschaftliche Rahmenbedingungen verändern und wiederum zur Weiterentwicklung des Internets beitragen. Betrachten wir diese Zwischenergebnisse unter dem Aspekt des Experimentalsystems und der changierenden Eigenschaften von Technischen Dingen und Epistemischen Dingen, so sehen wir eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen großformatigen Vorgängen und konkreten Experimentalsettings. Siehe: Krippendorff, K. (2013). S. 351. Eine Möglichkeit der Anpassung an verschiedene Gegebenheiten und Nutzungs- und Erneuerungswünsche liegt in modularen Strategien, in der Konzipierung von Produkten als offene Plattformen. Unter instrumentellen, funktionalen Aspekten ist diese Vorgehensweise im Bereich der Investitionsgüterentwicklung zu beobachten. Preis-Leistungs-Erwägungen erfordern die Realisierung verschiedenen, im Vorfeld ermittelten Bedarfs auf Basis homologierter und standardisierter Bauelemente, Plattformstrategien, offener Konfigurationen und der Möglichkeit zur nachträglichen Modifikation und Aufwertung. Diese systemisch gedachten Erzeugnisse funktionieren innerhalb einer aufeinander abgestimmten Wertschöpfungskette, die nicht nur „indoor“ realisiert wird, sondern verschiedene Stakeholder, in diesem Fall Unternehmen mit unterschiedlicher Spezialisierung, einbezieht. Lastkraftwagen werden von einem Hersteller gefertigt. Spezielle Aufbauten fertigt ein anderer Hersteller. Diese hier vereinfacht dargestellte Fertigungskultur bildet verschiedene Bedürfnisse nach vielfältigen funktionalen Anforderungen ans Produkt und effizienten Umgang mit Material- und Produktionsressourcen ab. Vorhandenes Gerät wird für einen anderen, bereits gegebenen Zweck optimiert. Dass auf Basis quantitativer, geregelter Passungen eines modularen Systems auch qualitative Schritte unternommen werden können, zeigt die Hardwareplattform Arduino. Auf Basis einer Programmiersprache und standardisierter Hardware werden unterschiedlichste Funktionszusammenhänge hergestellt. Jedoch ist die Grundstruktur des Arbeitens einfach geregelt und gehorcht technischen Zweckzusammenhängen. Qualitätssprünge sind hier

ANMERKUNGEN 085

kein Ergebnis der Arbeit mit dem Material. Vgl.: Oder, H. (2009). Gestaltungsstudie zu einer Segelyacht in ­modularer Bauweise. Anpassung an verschiedene Nutzerprofile unter dem Aspekt von Produktlanglebigkeit. Unveröffentlichte Diplomarbeit an der HTW Dresden. S. 50 f. 10 Siehe: Das Konzept von „Design by use“, postuliert von Uta Brandes und Michael Erlhoff. Siehe u. a.: Brandes, U., Stich, S., Wender, M. (2008). Design durch Gebrauch – Die alltägliche Metamorphose der Dinge. Berlin: Birkhäuser-Verlag. 11 Siehe: Adenauer, J., Petruschat, J. (2012). Was wir denken. In: Dies. (Hg.). Prototype! physical, virtual, hybrid, smart – tackling new challenges in design & engineering. Berlin: Form+Zweck, S. 14–37, hier S. 34 f. 12 Ebd. 13 Beziehungsweise, nach Rheinberger, zwischen Technischen Dingen und Epistemischen Dingen. 14 Petruschat schreibt dazu: „[…] Die Grundfigur und Metapher für Herstellung und Gebrauch ist nicht das Bild vom Menschen als eines Einzelwesens, das Organe hat, trägt, projiziert und spendet, sondern das ihres Interaktionszusammenhanges miteinander das seines Interaktionszusammenhangs mit anderen und mit den Dingen, die in diesen Verhältnissen erzeugt werden und deren Geschichte ausmachen. […] Derart begriffen und in Szene gesetzt ist das Prototyping eine Erkenntnisstrategie, die weit über die Funktionen des Nachweises, der Darstellung, Externalisierung und Demonstration hinausgeht. Entscheidend dabei ist […], dass vor allem Erkenntnis und Bewusstsein erspielt wird, dass also das Spiel mit Materialien eine erkennende, fallweise sogar eine epistemische Praxis ist.“ Petruschat, J. (2012a). S. 313 f. 15 Bohning, I. (1981). Autonome Architektur und Partizipatorisches Bauen. Stuttgart: Birkhäuser Verlag. S. 200. 16 Alexander, C. (1978). A Pattern Language: Towns, Buildings, Construction. New York: Oxford University Press. S. 257 ff. 17 Vgl.: Krippendorff, K. (2013). S. 61. 18 Krippendorf beschreibt mit dem Konzept der Artefaktischen Ökologien, wie neue Gattungen von Artefakten vorhandene Artefakte fördern, unberührt lassen oder verdrängen sowie ggf. andere, neue Artefaktkategorien hervorbringen. So hat das Automobil die Pferdekutsche und damit den Beruf des Kutschers weitestgehend verdrängt, dafür jedoch die Vorstädte mit ihren charakteristischen Straßen, Häusern aber auch Wertschöpfungskulturen (Ölindustrie, Tankstellen), Lebensentwürfen (durchmotorisierte ­Biografien und Identitätsstiftung durch Mobilitätskuturen), neue Formen von Erwerbsarbeit (mobile Arbeitnehmer) und spezifische Geschlechterrollen hervorgebracht oder begünstigt. Vgl.: Krippendorff, K. (2013). S. 256. 19 Auf den Punkt bringt Christopher Alexander diesen Ansatz mit folgendem Zitat: „[…] do not try to design on paper!“ Siehe: Alexander, C. (1978), S. 267. 20 Alexander, C., Davis, H., Martinez, J., Corner, D. (1985). The Production of Houses. New York: Oxford ­University Press. S. 12 ff. Siehe dazu auch Rudolf Horns Konzept variabler Innenwände. Horn, R. (2010). Gestaltung als offenes Prinzip. Berlin: Form+Zweck. 21 Bohning, I. (1981). Autonome Architektur und Partizipatorisches Bauen. Stuttgart: Birkhäuser Verlag, S. 205. 22 Das Byker-Quartier in Newcastle wandelte sich in den 1990er Jahren zu einem sozialen Brennpunkt. ­Einerseits wurde dies durch Strukturwandel und politische Veränderungen während der Thatcher-Ära begünstigt, andererseits spielte Fluktuation in der Bevölkerung eine Rolle. 23 Stappers, P. J. (2011). Creation & Co: User participation in design. In: Abel, B. van, Klaassen, R., Evers, L., Troxler, P. (Hg.). Open Design Now. Amsterdam: Bis Publisher. http://opendesignnow.org/index. html%3Fp=421.html (Aufrufdatum 24.11.2016). 24 Gemäß Untersuchungen von Eric v. Hippel gehen – direkt oder indirekt – bis zu 82 Prozent aller Innovationen auf verschiedene Spielarten von Open Innovation zurück. Siehe: Hippel, E. V. (2005). Democraticing Innovation. Cambridge Mass.: MIT Press, S. 71. 25 Ebd. S. 96. 26 Ebd. Und des Weiteren: Hippel, E. v., Luthje, C., Herstatt, C. (2006). User-innovators and „local“ information: The case of mountain biking. MIT Sloan School Working Paper 4377-02. Letzte Version veröffentlicht in: Research Policy 34/6, S. 951–965. Sowie: Hippel, E. V., Luthje, C., Herstatt, C. (2006). S. 3 f. 27 Diese Methode wird häufig in der Software-Entwicklung und in technologischen Innovationsprozessen in chemischer und Lebensmittelindustrie angewandt. 28 Reichwald, R., Piller, F. (2009). Interaktive Wertschöpfung. Wiesbaden: Gabler Verlag, S. 189 f. 29 Ebd. S. 189 f. 30 Ebd. S. 191.

086  MATERIAL, ­E RZEUGNIS, ­KOOPERATION – OFFENE ENTWICKLUNGSPROZESSE 

31 Siehe u. a.: Geibler, J. von et al. (2013). Living Labs für nachhaltige Entwicklung. http://publica.fraun­hofer. de/documents/N-249742.html (Aufrufdatum 02.06.2020) 32 Siehe: Oder, H., Petruschat, J. (2012). Prototyping und Open Design – Geschichte und Geschichten. In: Petruschat J., Adenauer J. (Hg.) (2012). Prototype! physical, virtual, hybrid, smart – tackling new challenges in design & engineering. Berlin: Form+Zweck. S. 256 f. 33 Siehe u. a.: Verwendung genormter Rastermaße für einfache Fertigung und Verbreitung von Entwürfen einer Open Hardware Community: http://openstructures.net/. 34 Der folgende Abschnitt basiert teilweise auf folgendem, von mir zusammen mit Jörg Petruschat publiziertem Text: Oder, H., Petruschat, J. (2012). 35 Siehe u. a. die sozialen Auswirkungen von digitalen Plattformökonomien, sehr gut zu beobachten z. B. am Fahrdienstleister Uber. 36 Initiativen wie RepRap und Makerbots haben gezeigt, wie rasch ein amateurhaftes Niveau verlassen werden muss, wenn man zu nur annähernd funktionierenden Nachbauten professioneller Reproduk­ tionswerkzeuge gelangen möchte. 37 Siehe u. a. die Arbeiten des Berliner Designers Ronen Kadushin im Bereich Möbel und Accessoires. 38 Auf das Beispiel Local Motors wird im Kapitel 3 näher eingegangen. 39 Horn, R. (2010). 40 Ein Beispiel ist das Montagemöbelprogramm der Deutschen Werkstätten Hellerau, MDW genannt. Es gehörte seit den 1960er Jahren zu den am weitesten verbreiteten Möbelsystemen der DDR. 41 Eine anschauliche Umsetzung fand dieses Prinzip in dem ab 1975 in Suhl in der DDR hergestellten Kleinkraftrad Simson S50. 42 Siehe u. a.: Raasch, C., Herstatt, C., Balka, K. (2009). On the Open Design of Tangible Goods. In: R&D Management 39/4 (2009), S. 382–393, hier S. 390 f. 43 Ebd. S. 388–389. 44 Siehe: West, J. (2003). How open is open enough? Melding proprietary and open source platform strategies. In: Research Policy 32, S. 1259–1285. 45 Jedoch kommt diese Studie zu dem Schluss, dass die Nutzung gänzlich offener Hardware sowie die ­Offenlegung aller Unterlagen für die kommerzielle Verwertung der Ergebnisse einer Entwicklung auch Nachteile birgt. 46 Schaub, A. et al. (2011). Fifty Dollar Leg Prothesis. In: Open Design Now: Why Design Cannot Remain ­Exclusive. Amsterdam: Bis Publisher. http://opendesignnow.org/index.html%3Fp=442.html. (Aufruf­ datum 16.06.2020). Vgl. auch das Konzept des Toolkit for Open Innovation. 47 Teile dieses Unterkapitels basieren auf zwei bereits veröffentlichten Texten zum Thema Open Design. Siehe: Oder, H., Petruschat, J. (2012). Sowie: Oder, H. (2013). Kulturelle Nachhaltigkeit, Prototyping, Open Design. In: Mareis C., Joost, G., Held, M. (Hg.). Wer gestaltet die Gestaltung? Praxis, Theorie und ­Geschichte des partizipatorischen Designs. Bielefeld: Transcript. 48 Siehe: Petruschat, J. (2012a). S. 307 f. 49 Aktuell genutzte Prototyping-Methoden und -Werkzeuge wie Physical Computing, Arduino und Hardware Hacking verbinden auf wirksame Weise die Vorzüge digitalen und analogen Entwerfens. Häufig findet diese im realen Raum verortete Arbeitsweise in größeren Gruppen von Teilnehmern statt – teilweise auf Hardware Hacking Parties, in Hacker Spaces und Maker Labs im analogen Raum und am besten an einem Tisch. Dabei werden auch elektronische Elemente und mechanische Bauteile zu funktionalen Prototypen assembliert, die einerseits schwer Vorstellbares und Vermittelbares abbilden, durch Experimentieren unerwartete Verbindungen zwischen singulären Elementen in neuen Kontexten erzeugen und darüber hinaus den Austausch von Wissen und Ideen fördern.

ANMERKUNGEN 087

3 Recherche historischer und aktueller ­Tendenzen ­offener ­Ent­wicklung1

Die folgenden Projekte und kulturellen Strömungen können aufgrund ihrer Vielschichtigkeit nicht ohne Weiteres einer der im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Formen offener oder kollaborativer Entwicklung zugeordnet werden. Daher erfolgt die Analyse der jeweils besonderen Vorgehensweisen separat. Aspekte der oben erwähnten Prozessmodelle werden gegebenenfalls benannt.

090  RECHERCHE HISTORISCHER UND AKTUELLER ­T ENDENZEN ­O FFENER E ­ NT­W ICKLUNG 

RADIOBASTLERBEWEGUNG DER 1920ER JAHRE – EIN HISTORISCHES BEISPIEL DER ­OFFENEN ENTWICKLUNG VON PHYSISCHEN, TECHNISCH KOMPLEXEN ERZEUGNISSEN Anfang der 1920er Jahre begann in Deutschland der Aufstieg des öffentlichen Rundfunks, an dem bastelnde Amateure einen wesentlichen Anteil hatten. Funkamateure beschäftigten sich mit der Adaptierung und Weiterentwicklung der bis dahin überwiegend behördlich und militärisch genutzten, aber dennoch breit verfügbaren Technologie.2 Im Laufe der 1920er Jahre vollzogen sich die Implementierung des Rundfunks ins öffentliche Leben sowie die Debatte um die Teilhabe an der Ausgestaltung dieses neuen medialen Miteinanders. Es ging um nicht weniger als die Erschließung des kulturellen Potenzials des neuen Mediums Radio.3 Das beinhaltete den Kampf um Teilhabe an Medienproduktion und -konsumption – am Senden und Empfangen. Die Gestaltungshoheit über die Massenkultur hing eng mit dem technischen und organisatorischen Zugriff auf das neue Medium Radio zusammen.4 Die gesetzlichen Richtlinien für den Rundfunk in Deutschland führten allerdings zu stark kontrollierten und sanktionierten Nutzungsbedingungen5 und hatten eine explizite Beschränkung der Teilhabe bestimmter politischer und gesellschaftlicher Lager an Medienproduktion und Gestaltung der neuen Form von Massenkultur zur Folge.

Clubs und Vereine: Communities und Institutionalisierung? Die sogenannten Arbeiterradioamateure standen unter dem Generalverdacht umstürzlerischer Machenschaften und sollten nach dem Willen der Reichsregierung vom Rundfunk ferngehalten werden.6 Immerhin gingen ihre Bastelintentionen auch mit der Forderung nach selbstbestimmtem Empfangen und Senden von Informationen und der Verbreitung eigener kultureller und auch politischer Inhalte einher.7 Als ein Beispiel dieser Gemeinschaftskultur sticht der Arbeiter-Radio-Bund Deutschlands hervor. Gegründet im April 1924 als Arbeiter-Radio-Club Deutschlands, vertrat diese Vereinigung von Radioamateuren neben der Forderung nach Erleichterung des technischen Zugangs zum Medium auch eine politische Agenda. Laut der Vereinszeitschrift Der neue Rundfunk diente das Medium Radio nicht nur der Unterhaltung, sondern wurde auch als technisches Hilfsmittel angesehen, „das geeignet ist, den kulturellen Willen der aufsteigenden Klasse zu manifestieren und

RADIOBASTLERBEWEGUNG DER 1920ER JAHRE  091

Abb. 7: Mitglieder des 1924 gegründeten Arbeiter Radio Bunds Plauen, einem der bedeutendsten Vereine, der mit dem Ziel gegründet wurde, Radios selbst zu bauen und ­ reiten Bevölkerungsb schichten den Zugang zum neuen Medium zu ermöglichen.8

­­

Abb. 8: Handgezeichneter Bauplan eines Radioempfängers, der von ­einem Leipziger Radioamateur selbst entwickelt wurde. Zu beachten ist die interessante Mischform aus technischer Zeichnung und ­naturgetreuer Darstellung.9

durch seine Einrichtung die Fortschritte menschlichen Geistes ihren Klassenangehörigen zu vermitteln“.10 Der Arbeiter-Radio-Club Deutschland e. V. vertrat mit seiner expliziten politischen Ausrichtung 10 000 Mitglieder in 210 Ortsvereinen.11

092  RECHERCHE HISTORISCHER UND AKTUELLER ­T ENDENZEN ­O FFENER E ­ NT­W ICKLUNG 

Wissen und Kompetenz Die im Ersten Weltkrieg erstmals zum Koordinieren komplexer militärischer Operationen im großen Stil genutzte Funktechnik brachte ein Heer an ausgebildeten Funkern und Funktechnikern hervor. Und auch nach dem Krieg demobilisierte Funker waren, wie Friedrich Kittler bemerkte, immer noch Funker.12 Sie beherrschten die Technik, warteten und reparierten sie, übernahmen die Aufgabe des Sendens von Informationen und somit auch zum Teil deren mediale Produktion. Sie verfügten über das, was Rheinberger „Erfahrenheit“ nennt. Es kann in diesem Zusammenhang auch von kultureller Erfahrung gesprochen werden, wenn wir einerseits den Umgang mit Echtzeitkommunikation und andererseits deren Einbettung in die damalige gesellschaftlich-politische Situation betrachten. Die ehemaligen Funker bildeten den Kern der Radiobastlerbewegung und wurden zu Trägern und Multiplikatoren von Wissen und Können. Engagement in Radio- und Funkvereinen, eigene publizistische und unternehmerische Tätigkeiten sowie professionelle Forschung und Entwicklung kennzeichneten das Wirken dieser heterogenen Gruppe von Akteuren mit quasi-professioneller Kompetenz. Zahlreiche Zeitschriften und Bücher verbreiteten das praktische Wissen rund um die Herstellung von Radiogeräten ab 1923.13 Letztlich kann von einem Wechselspiel aus individuellen und gruppenspezifischen Kompetenzen und der Bildung und Stabilisierung eines neuartigen, technikbegeisterten kulturellen Submilieus gesprochen werden. Konkrete Anforderungen an Technik und deren Funktionsumfang wurden innerhalb geregelter Passstellen und mit zumeist quantitativem Vorgehen schrittweise realisiert, getestet und bewertet. Dadurch entstand wiederum ein Bewusstsein für neue Verwendungsmöglichkeiten und Detaillösungen. Zum anderen konnte sich diese technische Machbarkeit nur etablieren durch ein kulturelles Umfeld, das Veränderungen einforderte und vorantrieb. In einem solchen Resonanzraum verstetigt sich die Zusammenarbeit von Akteuren, und ein Bewusstsein für Möglichkeiten der Teilhabe wächst mit der Weiterentwicklung von technischen und organisatorischen Settings.

Experimente: Material, Kompetenzen und Austausch Die Basteltätigkeit in den Vereinen war geprägt von tätigem Austausch und der direkten Arbeit am Versuchsaufbau und am physischen Objekt mit seinen unterschiedlichen technischen Komponenten.14 Die unmittelbare Repräsentanz dieser Objekte ergab nachvollziehbare technische Informationen, die in Form eines Schaltplans niedergeschrieben werden konnten. Neben den Amateuren, die sich mithilfe ihres Radiovereins ein eigenes preiswertes Rundfunkgerät bauten, gab es die erfahrenen Akteure, die neuartige und

RADIOBASTLERBEWEGUNG DER 1920ER JAHRE  093

Abb. 9: Radiobastler eines Vereins bei der gemeinsamen Arbeit. Auch wenn das Mitte der 1920er Jahre ­entstandene Bild etwas inszeniert anmuten mag, gibt die gezeigte Szenerie doch einen aufschlussreichen Einblick in die Praxis der Radioamateure.15

Abb. 10: Hinweis zur Lizenzierung eines frei erhältlichen Radio-Bauplans in zeit­ genössischer Bastelliteratur.

094  RECHERCHE HISTORISCHER UND AKTUELLER ­T ENDENZEN ­O FFENER E ­ NT­W ICKLUNG 

Abb. 11: Schaltplan eines Röhrenempfängers aus einer zeitgenössischen Buch­ veröffentlichung für Radioamateure.

Abb. 12: Dasselbe Setting, jedoch als ­Hybriddarstellung aus Schaltplan und ­perspektivischer Zeichnung ausgeführt.

Abb. 13: Handzeichnung eines fertigen Empfangsgerätes, basierend auf dem im Schaltplan (Abb. 12) gezeigten technischen Settings.

RADIOBASTLERBEWEGUNG DER 1920ER JAHRE  095

Abb. 14: Bestandteile wie Schalter, Steckbuchsen, Spulen, Drahtrollen, ­Kristalldetektor und Ohrhörer, die zum Bau eines einfachen Detektorradios notwendig sind.

folgenreiche technische Entwicklungen realisierten. So rekrutierten sich aus der Bastlerszene etliche Persönlichkeiten, die auf der Basis der hier gewonnenen Kenntnisse, Fähigkeiten und unkonventionellen Arbeitsmethoden erfolgreiche Laufbahnen in Entwicklung und Forschung einschlugen. Das prominente Beispiel Manfred von Ardennes16 zeigt einen Mechanismus, der in allen recherchierten ­Projekten und Strömungen zu beobachten ist: die privat-intrinsisch motivierte Tätigkeit professioneller Akteure, der Wissenstransfer und die Wechselwirkung zwischen Community-Aktivitäten und professioneller Tätigkeit.

Fazit: Radiobastler Was lernen wir von den Radiobastlern? Zum einen, dass Kultur auf idealtypische Weise den Handlungsrahmen für Gestaltung bildet. Der Begriff der Gestaltung bezieht sich in diesem Fall aber nicht auf das Produktdesign. Vielmehr ist es dieser heterogenen Gemeinschaft von Bastlern gelungen, eine tätige Kritik an bestehenden Zuständen und Gewohnheiten zu artikulieren. Ausgangspunkt dieser Kritik war nicht die Idee, sondern das spielerische Experimentieren mit komplexen, technisches und kulturelles Wissen verkörpernden Objekten. Die Umnutzung der Funktechnik, die zunächst dem Militärwesen, staatlichen Institutionen und der Finanzwirtschaft17 vorbehalten war, stellte einen radikalen Eingriff in den Zusammenhang von Technik und Herrschaft dar.18 Mit diesem Akt der

096  RECHERCHE HISTORISCHER UND AKTUELLER ­T ENDENZEN ­O FFENER E ­ NT­W ICKLUNG 

Abb. 15: Ortsempfänger 333 von Loewe (OE 333) von 1926, einer der ersten leistungsstarken und gebrauchsfähigen Radioempfänger auf dem Markt. Das kompakte und dennoch leistungs­ fähige Gerät wurde ermöglicht durch die von Manfred von Ardenne in Zusammenarbeit mit Siegmund Loewe ent­ wickelte Dreifach-Verstärkerröhre.

Abb. 16 und 17: Loewe-Mehrfachröhren werden in einer Publikation für Funkamateure von 1926 als ­leistungsstarke Bauelemente vorgestellt.

RADIOBASTLERBEWEGUNG DER 1920ER JAHRE  097

Demokratisierung des Mediums diversifizierten und spezialisierten sich auch die Kompetenzen von Individuen und Organisationen – von der Realisierung leistungsstarker Geräte bis hin zu politischer oder wirtschaftlicher Tätigkeit.19 Bei der Entwicklung konkreter Geräte ist die Zusammenarbeit zumeist auf technische Passstellen und Anschlussfähigkeit orientiert. Sie findet auf quantita­ tiver Ebene statt und ist systemisch geschlossen geregelt. Wenn auch auf quantitativer, technischer Ebene entwickelt und gebastelt wird, so ist doch der kulturelle ­Zuwachs auf qualitativer Ebene,20 die Erweiterung von Kompetenzen der Stakeholder, nicht weniger relevant. Hindernisse wie die staatliche Reglementierung des Zugangs zum Medium und zur Technik sowie die Tipping Points, die zu neuen kulturellen Entwicklungen führten, sind eindeutig benennbar. Es ist festzustellen, dass durch die zumeist quantitative Zusammenarbeit verschiedener Akteure Neuartiges in Form neuer kultureller Dispositionen (z. B. Formen der Gemeinschaft) sowie Erkenntnisse und Verschiebungen rund um bestehende Machtverhältnisse entstanden ist (Teilhabe an Medienproduktion- und Konsumption). Kooperative Arbeit entlang handhabbarer, verlässlicher Technologie qualifiziert diese Form der Erkenntnistätigkeit im Sinne Rheinbergers als Experimentalsystem.21 Auch fand keine bloße Rücküberführung der Erkenntnisse in einen etablierten (wissenschaftlichen) semantischen Zusammenhang statt, sondern die erzeugten Kontexte und Dinge mussten Gegenstand neuer Bedeutungskontexte und Zeichenzusammenhänge werden.

098  RECHERCHE HISTORISCHER UND AKTUELLER ­T ENDENZEN ­O FFENER E ­ NT­W ICKLUNG 

MOBILITY-PROJEKTE: OFFENE E ­ NTWICKLUNG 22 UND OPEN DESIGN Aus drei Gründen bietet sich der Bereich der Automobile für die Untersuchung offener Entwicklungsprozesse an: Die Entwicklung und Herstellung von Automobilen ist ein komplexes Geschäft, das auf technischen Komponenten beruht, die nicht am heimischen Küchentisch zu fertigen sind. Zweitens handelt es sich bei Automobilen um einen zentralen Bestandteil der westlichen Kultur. Deshalb sind sie in mehrfacher Hinsicht beispielhaft: Ihre Produktion, ihr Gebrauch und damit einhergehende kulturelle Konstellationen verschärfen globale Probleme der Ressourcennutzung, des Umweltschutzes und der nachhaltigen Entwicklung. Hier sind dringend unkonventionelle Lösungen erforderlich. Und drittens enthält das Thema Mobilität Bezüge zu Sport, Entertainment, körperlicher Selbsterfahrung, die für beteiligte Akteure starke Motivationen darstellen und die Herausbildung von Subkulturen fördern.

Local Motors / Rally Fighter Eine seit circa 2010 bestehende, unternehmerisch geleitete Form von Open Design im Mobilitätssektor praktiziert der US-amerikanische Autohersteller Local Motors. Er steht in der Tradition der Hot Rodder,23 der Hobbyrennfahrerkreise und Kitcar-Communities und machte die individuelle oder in Kleinserien aufgelegte Fertigung spezieller Fahrzeuge zur Grundlage seiner Geschäftsidee. Die Firma besteht aus einem kleinen Kernteam von rund 25 fest angestellten Experten, die in einem offenen Entwicklungsprozess Anforderungen an Fahrzeuge umsetzen, welche von einer Community artikuliert werden. Diese Community bestand bereits 2011 aus über 13 000 angemeldeten Mitgliedern24 und ist über die Jahre und mit sich verändernden und diversifizierenden Aktivitätsschwerpunkten permanent gewachsen. Local Motors verkörpert eine auf den Standort in Arizona zentrierte, aber weltweit vernetzte Wertschöpfungskultur, die mit Begriffen wie co-create, make, experience und re-make gelabelt wird. Dabei geht es durchweg um die Verwendung vorhandener Technik zum Bau spezieller Prototypen und gebrauchsfähiger ­Fahrzeuge.

MOBILITY-PROJEKTE: OFFENE E ­ NTWICKLUNG UND OPEN DESIGN  099

Abb. 18: Rally Fighter – das weltweit erste mittels Crowdsourcing und Open-Design-Methoden entwickelte Fahrzeug.

Technische Entwicklung und Realisierung Alle Daten, CAD-Dateien, Teilelisten und Informationen über verwendete Materialien werden über eine Internetplattform offen zugänglich gemacht. Die kontinuierliche Weiterentwicklung sowohl des eigenen Fahrzeugs als auch des Fahrzeugtyps wird durch eine offene Bauweise unterstützt und offensiv als Teil der Markenphilosophie von Local Motors postuliert. Grundlage ist ein Baukastenprinzip mit geregelten technischen Passungen. Prototypenbau während der Entwicklung und das permanente Prototyping am benutzbaren Fahrzeug gehen ineinander über. Die planvolle Wiederverwendung gebrauchter Autoteile wird verbunden mit der Vorstellung eines lebenslang genutzten und in Eigenregie modifizierbaren Fahrzeugs sowie der Rückführung von daraus resultierenden Verbesserungsvorschlägen in die Community. Das Konzept steht im klaren Gegensatz zu etablierten indus­ trialisierten Formen von Entwicklung, Produktion und Nutzung von Fahrzeugen im motorisierten Individualverkehr. Das erste auf diese Weise entwickelte und gefertigte Fahrzeug ist der Rally Fighter. Ausgangspunkt für dessen Entwicklung war die Ermittlung des Bedarfs der Community mit Methoden des ideativen Crowdsourcing über eine Onlineplattform.25 Am Ende stand ein modularer Eigenbau-Geländewagen mit Hüllendesign jenseits improvisierter Halbzeugverarbeitung.26 Ein erwartbares Bedarfsszenario, das – abgesehen von der durch das Kernteam konzipierten Form von Entwicklung, Fertigung und Distribution – keine wirklichen qualitativen Schritte erkennen lässt. Der Designentwurf für den Rally Fighter, der schließlich in einem Wettbewerb durch die Community ausgewählt und prämiert wurde, verkörpert in ebenfalls fast idealtypischer Weise gestalterischen Durchschnitt.27

100  RECHERCHE HISTORISCHER UND AKTUELLER ­T ENDENZEN ­O FFENER E ­ NT­W ICKLUNG 

Abb. 19: Blick in die Micro Factory von Local Motors in Tucson/Arizona.

Abb. 20: Vergleich: ­prämierter Entwurf des Rally Fighter und finales Fahrzeug.

Abb. 21: Verschiedene Phasen der Formfindung bis hin zum 1:1- Mockup: zu einem großen Teil geschlossene Entwicklungsarbeit weniger Experten.

MOBILITY-PROJEKTE: OFFENE E ­ NTWICKLUNG UND OPEN DESIGN  101

Rollen und Kompetenzen In diesem ersten Projekt von Local Motors ist eine frühe Phase der Konzeptfindung von einer späteren Phase zu unterscheiden, bei der ein konkretes Fahrzeug gestalterisch und technisch ausentwickelt wird. Obwohl es prinzipiell jedem Teilnehmenden möglich sein soll, auch in fortgeschrittenen Stadien Impulse zu geben, stellt die Verwendung von CAD-Werkzeugen eine Hürde dar. Professionelle Kompetenzen dieser Art werden vorausgesetzt. Die Entwicklungsplattform LM unterscheidet explizit zwischen „Besucher“, einfachem „Mitglied“, „Designer“ (damit werden in erster Linie Ingenieure bezeichnet) und „Builder“, also dem, der sein eigenes Auto baut und modifiziert. Die Arbeit der Community, besonders die der Technik entwickelnden Designer, ist horizontal organisiert und erzeugt vordergründig quantitative Entwicklungsschritte hin zu erwartbaren und vorab geplanten Ergebnissen. Local Motors fördert die emotionale Bindung an die Projekte und an seine Marke mit monatlichen Treffen.28 Bei diesen Treffen ist auch der Prototyp29 als vergegenständlichte Anerkennung vorangegangener Zusammenarbeit sowie als Inspirationsquelle für weitergehende Entwicklungen sinnlich erfahrbar.30

Die Rolle des Designs Das sehr elaborierte Konzept offener, kollaborativer Entwicklung, nach dem Local Motors funktioniert, ist in erster Linie Resultat der unternehmerisch motivierten Arbeit des Kernteams beziehungsweise der Firmengründer.31 Designkompetenz zeigt sich in klassischen Rollen und Funktionen: in den Visionen anschlussfähiger Konzepte und Stylings von Objekten sowie in der Detaillierung von Hüllendesign und ergonomischen Details am Fahrzeug gemäß konkreter Vorgaben. Erstere Aufgaben wurden von der Community übernommen, Letztere von Mitgliedern des ­Kernteams. Die eigentlichen Neuerungen, die Organisation von Kooperationen, die konzeptionelle Idee des permanenten Prototypings am benutzbaren Fahrzeug und die spezielle Form regionaler Fertigung, vollzogen sich unabhängig vom Design.

Mobilität im Universitären Umfeld: C,mm,n In dem an den niederländischen Hochschulen TU Delft, TU Eindhoven und der University of Twente initiierten Projekt C,mm,n erfolgt die Entwicklung der Hardware unter explizit formulierten Rahmenbedingungen, deren Zielstellung eine Vision von nachhaltiger Mobilität für das Jahr 2020 ist.32 Die Vorgehensweise weist Parallelen zur Strategie des Critical Design auf.33 Die Gestaltung des Fahrzeugs soll

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Ausgangspunkt einer ganzheitlichen Betrachtung zukünftiger Lebensweisen, gesellschaftlicher Situationen und konkreter Entwicklungsansätze zu Infrastruktur, Energiespeichersystemen, Wissensmanagement und der zukünftigen Rolle des Kunden sein. Die Vorgabe eines konzeptionellen Rahmens ist in diesem Projekt erforderlich, weil das Produkt selbst möglichst offen und unbestimmt sein soll. In Anlehnung an die seit 1995 an der Fakultät für Industrial Design Engineering der Delft University of Technology entwickelte ViP-(Vision in Product-)Designmethode34 soll ein „cleverer“ und durch umfassende Bildung ermächtigter Nutzer an der Konstituierung des Objekts beteiligt werden. Während in traditionellen Produktkulturen ein Objekt vorausgesetzt wird, an dem die Interaktionen der Nutzer sich entfalten und einen Nutzungskontext stiften, propagiert die ViP-Methode zunächst die Schaffung eines Kontextes, aus dem heraus in Interaktion mit modifizierbaren materiellen Strukturen ein finales Erzeugnis resultiert.35 Fast zwangsläufig ergibt sich aus diesem Ansatz die Idee eines Fahrzeugs als einer Art Plattform,36 die über einen langen Zeitraum flexibel und variabel an verschiedene Anforderungen in Herstellung und Nutzung angepasst werden kann37 und somit gut in eine Welt individueller Mobilität passt, die durch Leasing- und Mietverhältnisse geprägt sein wird. Zunächst muss differenziert werden zwischen dieser zukünftigen Nutzung beziehungsweise nutzerbasierten Konfiguration und der Entwicklung des Konzeptes selbst. Um Letzteres geht es in diesem offenen Entwicklungsprojekt. Anders als bei Local Motors handelt es sich um eine kleinere Community von Experten, die entlang expliziter technischer Fragestellungen mehrere Prototypen realisierte.38 Ein wesentlicher Unterschied zu den Entwicklungen bei Local Motors besteht in puncto Funktionstüchtigkeit. Das C,mm,n–Fahrzeug wird zwar auch am 1:1-Mock-up entwickelt und die Elemente sind prinzipiell funktionstüchtig, dennoch ist nicht die Fertigung eines fahrtüchtigen und gebrauchsfähigen Fahrzeugs, sondern die konkrete Formulierung von Anforderungen an zukünftige Mobilität das Ziel. Es existieren mehrere Modelle und Mock-ups, die unterschiedlichen Anfor­ derungen in der Entwicklung gerecht werden und verschiedene Aspekte abbilden. Visionäres wird auf hohem Niveau an einem Objekt ausformuliert. Das Projekt bekommt ein Gesicht. Dabei werden die Potenziale, die der real vorliegenden Technik innewohnen, explizit gemacht und in einen neuen konzeptionellen Rahmen gestellt. Erst durch diese komplexe materielle Basis ist es möglich, der Beliebigkeit von Vision und Idee entgegenzutreten. Neue konzeptionelle Qualitäten entstehen, indem sie durch einen materiellen Prozess angeregt werden. Die Entwicklung von Kontexten, aus denen heraus Produkte entstehen können, scheint eine genau umgekehrte Vorgehensweise zu erfordern: Die Gestaltung von Objekten, aus denen heraus erst Potenziale für Kontexte abgeleitet werden können. Die Vorgehensweise ist klug gewählt: Technische Details sind zwar prinzipiell

MOBILITY-PROJEKTE: OFFENE E ­ NTWICKLUNG UND OPEN DESIGN  103

Abb. 22: 1:1 Formstudie für C,mm,n-Fahrzeug, Local Motors.

Abb. 23: Funktionsprototyp C,mm,n-Fahrzeug mit sichtbaren technischen Komponenten.

funktionsfähig, besitzen aber einen sehr starken Mock-up-Charakter. Sie regen neuartige Denkansätze an, anstatt Visionen auf technischer Ebene einzuhegen. Und die tatsächlich alltagstaugliche Ausentwicklung des Zusammenspiels dieser Elemente und Detaillösungen erfordert mit diesem Framing noch mehrere Jahre Entwicklungsanstrengungen. Jedoch ist bereits ein Ziel möglicher Entwicklung auf technologischer wie auf kultureller Ebene anvisiert. Unter dem Aspekt der mehrfach bestimmten, zweckverändernden Vorgehensweise im Design werden – durch vorhandene Komponenten fundiert – unterschiedlichste Faktoren sichtbar gemacht und können Gegenstand weiterer Entwicklung und Gestaltung jenseits vager Ideen und Visionen sein.

104  RECHERCHE HISTORISCHER UND AKTUELLER ­T ENDENZEN ­O FFENER E ­ NT­W ICKLUNG 

Rolle des Designs Das Prinzip des Baukastens mit technisch anschlussfähigen Passstellen für die weitere Entwicklung und Nutzung ist ein wesentlicher Bestandteil gestalterischer Tätigkeit. Die Rolle des Designs changiert auch hier zwischen dem großformatigen Planen und Strukturieren von Kontexten und der Teilhabe an der Entwicklung eines modularen technischen Systems. Dieses primär technische Setting dient jedoch dazu, zukünftige Szenarien von Mobilitäts- und Produktionskultur jenseits der Ideation zu erspüren. Die Basis ist der Prototyp. Das Styling des Hüllendesigns bleibt relativ beliebig und ist hier nicht als Kernkompetenz des Designs herauszustellen. Das innovative Konzept erschließt sich aus der Anschauung des Hüllendesigns nicht.

MOBILITY-PROJEKTE: OFFENE E ­ NTWICKLUNG UND OPEN DESIGN  105

REPRAP: OPEN 3D-PRINT – EINE KURZE ­GESCHICHTE DES 3D-DRUCKS UND SEINER KULTURELLEN EINBETTUNG Seit der Erfindung der Stereolithografie durch den Amerikaner Chuck Hall und der ersten Patentpublikation 1986 ist im 3D-Druck auf technologischer Ebene viel passiert. Die Hintergründe der Nutzung unterschiedlicher 3D-Druck-Verfahren, einer Spielart des Rapid Prototyping, sind vielfältig. Zum einen werden Bauteile oder Werkzeuge schnell und ohne hohe Kosten gefertigt. Rapid Prototyping (RP), Rapid Manufacturing (RM) und Rapid Tooling (RT) ermöglichen agile Produktentwicklungsprozesse, Variantenbildung und vielfältige Tests von Bauelementen mit Eigenschaften ähnlich denen seriell gefertigter Teile. Kleinserienfertigung bis Losgröße 1 und individualisierte Erzeugnisse, aber auch dezentrale Fertigung und die Verlagerung von Produktionskompetenzen zu anderen Akteuren werden durch diese Technologie ermöglicht.39 Darüber hinaus beinhaltet der 3D-Druck immer auch eine kulturelle und politische Dimension. Die unter ökonomischen Gesichtspunkten betriebene Verbesserung von Fertigung und Verfahrenstechnik durchstößt die Grenzen technischer und technologischer Fragestellungen hin zu Fragen von Teilhabe an Macht über Produktionsprozesse, Ressourcennutzung und die Planung und Gestaltung der Dingwelt. Der bekannteste Ansatz zur Verbreitung und Demokratisierung von Produktion ist die Initiative RepRap. Adrian Bowyer, Mathematiker an der University of Bath, startete mit einer großen Vision. Einfache und preiswerte (weniger als 400 Dollar kostende), sich teils selbst reproduzierende40 3D-Drucker sollten netzwerkartig zur raschen Verbreitung dieser Technologie und zu deren Nutzung durch jedermann beitragen. Das dazugehörige Fachwissen wurde von den Beteiligten, einer Community, online auf Wikis geteilt und vermehrt.41 Diese Initiative bewirkte unter anderem, dass kleine, preiswerte Desktop-3D-Drucker in primär akademische Forschungs- und Projektkontexte Einzug hielten. Die stete Verbesserung der Geräte und Baupläne durch die Community brachte neue Gerätegenerationen, Ableger und zahlreiche kommerzielle Nachfolger hervor. Ebenfalls wurde der 3D-Druck zum Experimentierfeld für ungewöhnliche oder neuartige Druckmaterialien und Verfahren (u. a. Bio-Materialien, Schweißen etc.), modular umrüstbare Universalmaschinen (zum Drucken, Schneiden, Fräsen) sowie für den Umbau vorhandener Maschinen zu 3D-Druckern (u. a. Kuka-Industrieroboter). Im Gegensatz zu vielen anderen Open-Design-Projekten konnte RepRap – nach eigenen Angaben – eine potenziell multidisziplinäre Community zusammenbringen.42 Einerseits entstand eine für jedermann zugängliche Wissensalmende in Form von Wikis43 und anderem Online-Content, die, unter Berücksichtigung der zeitgemäßen Verbreitungsmedien, jener der Radiobastlerbewegung ähnlich ist. Zudem ist Wissen auch im Prototyp (dem Drucker) sowie in vielfältigen Elementen

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Abb. 24: RepRap „Darwin“. Deutlich ist die offene Konfiguration des Gerätes zu sehen: Stahlstäbe werden von 3D-gedruckten (replizierten!) Verbindungselementen zu einer stabilen Struktur gefügt. Platinen, Schrittmotoren und Extruder sind frei zugänglich und können jederzeit nachjustiert oder modifiziert werden. Zu beachten ist die Ähnlichkeit mit den ersten Radiogeräten, die sich durch eine ähnlich offene und zugängliche Bauform auszeichneten.

verkörpert, die von unterschiedlichen Akteuren speziell für die Verwendung im Rep­Rap-Entwicklungskontext produziert werden oder aus anderen Kontexten übernommen wurden. Und es gibt – wie auch bei den Radiobastlern zu beobachten – die Erfahrungsträger, die aufgrund ihrer professionellen Prägung sowie ihrer konkreten Erfahrenheit im Bauen und Modifizieren von 3D-Druckern ihr Wissen weitergeben.44 Derzeit hat sich aus dem RepRap-Kontext eine nahezu unüberschaubare Vielzahl an Einzellösungen, Produktgenerationen und Spezialdruckern für die unterschiedlichsten Nutzungs- und Bedarfsszenarien entwickelt. Mitte 2013 waren ca. 500 unterschiedliche Versionen bekannt45 – die gemeinsame Entwicklung eines einzelnen Gerätes wurde zu dem Zeitpunkt nicht mehr betrieben. Der Vertrieb von Komplettgeräten und Komponenten, Hardware- und Softwarelösungen, integrierten Bauteilen sowie selbst bestückbaren Platinen findet über dutzende ­Online-Shops statt. Der Gegenstand der Erkenntnis ist nicht das Einzelgerät,

REPRAP: OPEN 3D-PRINT  107

sondern die Entwicklung neuartiger Formen der Zusammenarbeit und des Austausches sowie die weiteren, sich daraus entwickelnden kulturellen Zusammenhänge. Und es darf nicht vergessen werden, dass dieses inzwischen auch für verschiedenste Stakeholder unter ökonomischen Aspekten interessante Projekt aus einem universitären, sehr visionären und eher marktfernen Kontext heraus entstand. Die intrinsische Motivation von unterschiedlichsten Akteuren trug zur erfolgreichen Verbreitung bei. Die Verlagerung von Produktion hin zu kleinen Akteuren vor Ort oder direkt zum Konsumenten ist ebenfalls Teil des Diskurses um RepRap. Das Konzept des Fab Lab46 hat sich im urbanen Raum teilweise auch schon außerhalb von Maker-­Bewegung47 und Creative Class durchgesetzt. Doch damit kommen wir zu einem essenziellen Thema: Wenn die Möglichkeit zum Drucken besteht, was ist dann Gegenstand des Drucks? Welche Objekte oder Bauteile werden von wem mit welchen Intentionen angefertigt? Sehr schnell zeigt sich ein Unterschied zwischen Laien und Experten.48 Plattformen wie Thingiverse oder Grabcad quellen über von Datensätzen banaler Objekte. Daneben existiert auch ein breites Angebot für sehr spezialisierte technische Elemente, die in komplexeren Vorhaben, teils im Amateurbereich, teils im professionellen, oft universitären Kontext genutzt werden.49 Diese Form der online basierten, thematisch fokussierten, jedoch nicht zwingend am konkreten Projekt entlang organisierten Arbeitsteilung hält Prozesse des permanenten Experimentierens und der Veränderung am Laufen.

Rolle des Designs Die Idee des Replizierenden Replikators bedarf zu ihrer Umsetzung keiner expliziten Designkompetenzen. Gleiches gilt für den Aufbau und die Organisation der Community. Der Ursprung dieser Form von Zusammenarbeit liegt zum Teil in vorhandenen Objekten und deren Verwendung. Die Anschlussfähigkeit dieser Objekte ist jedoch primär technischen Ursprungs, und die Verwendung erfolgt innerhalb eines systemisch geregelten Miteinanders. Die bemerkenswerten Erneuerungseffekte entstehen durch die dynamische Verbreitung und Weiterentwicklung des Projektes und seiner Ableger. Diese kulturellen Effekte bergen auch Potenziale für neue Lebensmöglichkeiten im Sinne eines Gestaltungsbegriffs. Sie sind in ihrem Ursprung jedoch nicht auf das Produktdesign oder entwerferische Vorgehensweisen zurückzuführen.

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TABLEAU OFFENER ENTWICKLUNG Die beschriebenen Beispiele zeigen verschiedene Formen offener Entwicklung, die Aspekte dessen, was diese Studie unter dem Begriff Open Design verhandelt, beinhalten. Zu unterscheiden sind folgende Kategorien von Artefakten:50 Kulturelle Räume und Strömungen/Settings von Akteuren Sie sind als historische Sinnstruktur zu verstehen, durch die Wissenskulturen und innovative Räume aus der Tätigkeit der Stakeholder heraus fundiert werden. Kulturelle Räume können durch konkrete offene Entwicklungsarbeit entstehen oder weiterentwickelt werden. Konkrete Projekte Projekte haben einen abgegrenzten, absichts- und zweckorientierten Charakter und zeichnen sich durch die kollektive Realisierung aus.51 Sie erzeugen unter anderem auch benutzbare Objekte und Dingeigenschaften. Objekte/Dinge, die aus Projekten stammen und neue Projekte wie auch Settings und Strömungen fördern Objekte resultieren aus dem Zusammenwirken von Stakeholdern in einem Projekt oder kulturellen Raum. Sie verkörpern sowohl technisches Wissen als auch Anerkennungs­ verhältnisse der Kompetenzen der jeweiligen Akteure. Ihr explizit vorläufiger Charakter ermöglicht es, sie als Hilfsstoff zur beständigen Erkundung neuer kultureller Zusammenhänge zu betrachten.

Rollen und Kompetenzen der Stakeholder Stakeholder können sich in Communities und beschreibbaren Settings zusammenfinden. Sie sind Bestandteil von weiter gefassten kulturellen Räumen und Strömungen und arbeiten an konkreten, mehr oder weniger umfänglichen Projekten.52 Alle recherchierten Formate offener Entwicklung zeigen, dass sich die Rollen von Stake­holdern verändern. Nutzer artikulieren ihre Bedürfnisse, Objekte regen neue Zweckorientierung an. Diese Anpassungen werden von erfahrenen Experten unterschiedlicher technisch-ingenieurswissenschaftlicher Disziplinen vorgenommen.53 Die stete Weiterentwicklung von Formen der Zusammenarbeit bringt neuartige

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Rollenschemata hervor. Das Design hingegen ist in seiner traditionellen Rolle festgeschrieben beziehungsweise marginalisiert.54 Die Arbeit an der Form hat in den untersuchten Projekten keine hohe Relevanz. Akteure haben eine bestimmte Erfahrenheit im Umgang mit technischen Fragestellungen und Objekten. Diese Kompetenzen sind oft aus einem professionellen Bildungs- und Sozialisationshintergrund heraus erwachsen. Stressfaktoren und Tipping Points sind in den untersuchten Projekten und Strömungen oft kultureller und nicht technischer Natur. Rollen in den Bereichen Produktion und Entwicklung können durch das Wirken kultureller Kompetenzen beständig weiterentwickelt werden. Am Beispiel von RepRap und den Radioamateuren ist zu beobachten, wie eine dezentrale Organisationsform mit flachen Hierarchien einen kulturellen Raum entstehen lässt und diesen ausgestaltet, diversifiziert. Ein Gegenstand beziehungsweise Ergebnis der Tätigkeiten ist die kulturelle Reproduktion der Gesellschaft jenseits festgefügter Strukturen von Macht und Herrschaft.

Das Ungenügen gemeinschaftlicher Problemlösung Zu Beginn der Untersuchung wurde das Ungenügen individueller Problemlösungen beleuchtet. Um nunmehr ein Ungenügen gemeinschaftlicher Ansätze festzustellen, ist noch einmal ein Exkurs zum Wesen des Entwerfens als experimenteller und erkenntnisorientierter Praxis nötig. Der Begriff des Open Design ist eine angloamerikanische Schöpfung und einem in diesem Sprachraum verhafteten sowie hier bereits kritisierten Begriff von Design verpflichtet,55 der an dieser Stelle nur eine untergeordnete Rolle spielt. In den hier untersuchten Open-Design-Projekten geht es vielmehr, wie in Kapitel 1 dargelegt, um einen Begriff des Designs und des Entwerfens als epistemische und kulturelle Praxis. Die Vorgänge der Komplexitätsreduktion und -strukturierung – die zu den Kernkompetenzen des Designs gehören – treten in den untersuchten Projekten als ein kollektives und zeitlich gestaffeltes Phänomen auf und bedürfen der unterschiedlichen technischen und kulturellen Kompetenzen der Stakeholder. Die damit verbundenen Vorgänge von kultureller Veränderung, neuen Formen der ­Zusammenarbeit und Rollenverteilung sowie Innovation sind oft implizite, zeitlich gestaffelte Folgeerscheinungen und nicht explizit angestrebt.56

Kultur als Gegenstand und Handlungsrahmen offener Entwicklung Die untersuchten Projekte und Strömungen zeigen, dass kulturelle Kompetenzen und die Verfestigung von Gemeinschaften im Mittelpunkt der Tätigkeit stehen, ohne dass das Produktdesign eine maßgebliche Rolle spielt. Insbesondere ist bei den

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Vorgängen, welche ein Setting von Akteuren oder einen kulturellen Raum konstituieren, eine doppelte beziehungsweise mehrfache Bestimmtheit zu beobachten. Die Art und Weise der Zusammenarbeit entwickelt sich parallel zu der Tätigkeit am Entwicklungsgegenstand weiter, und Schwerpunkte verlagern sich zum Beispiel von der Entwicklung konkreter Objekte hin zur Entwicklung von alternativen Innovationsstrukturen.57

Objekte – Qualität und Quantität Um diesen Ansatz zu vertiefen, muss die Wesenhaftigkeit des Entwerfens und des Experimentalsystems reflektiert werden. Beide funktionieren, indem systemisch geregelte Vorgehensweisen an bestimmten Punkten infrage gestellt und durchbrochen werden. Diese Vorgänge – die Weitergabe von Objekten sowie die dadurch bewirkte kulturelle Veränderung – sind auf einer zeitlich gestaffelten Ebene zu beobachten (sequenzielles Vorgehen). Das bestätigt den Wert offener Entwicklung im Sinne des in dieser Publikation formulierten Anspruchs an Gestaltung. Im konkreten Arbeiten mit Objekten hingegen ist diese Qualität nicht zu beobachten.58 Gestalterische Qualitätssprünge59 werden durch die Arbeit mit Material und am Objekt im Rahmen der untersuchten offenen und partizipativen Projekte nicht erlangt. Die Dialektik von Quantität und Qualität der genutzten und geschaffenen Objekte muss unter dem Gesichtspunkt der Anschlussfähigkeit für verschiedene Stakeholder sowie des innovativen Charakters des Entwicklungsgegenstandes betrachtet werden. Anschlussfähigkeit besteht, wie in den untersuchten Projekten gezeigt, entweder auf technischem Niveau oder auf einer ideativen, materiell niederkomplexen Ebene. Konkrete Zeichenzusammenhänge und Bedeutungskontexte sprechen explizites, gegebenenfalls disziplinäres (Fach)Wissen, implizite, sozialisierte Gewohnheiten und Könnensbestände sowie auch tiefer gehende Erfahrenheiten 60 an. Um dennoch gemeinschaftlich qualitative Resultate zu erzielen, bedarf es der „Phasenübergänge“ und „qualitativen Schritte“.61 Da das Produktdesign als experimentelle Praxis diese Potenziale seinem Wesen nach aufweist, gilt es, diese auch in einem offenen Entwicklungszusammenhang zu realisieren. In den untersuchten Projekten fanden derartige Phasenübergänge nur durch vorangestelltes ideatives Planen (Local Motors: Wertschöpfungsmodell + kreative Produktnutzung) oder in Form von zeitlich gestaffelten, großformatigen sozialen und kulturellen Effekten (Radiobastler) statt, nicht jedoch durch entworfene Objekte und die Arbeit an der Form. Funktionstüchtige Objekte können also direktes oder indirektes Ergebnis von offener, eigenmotivierter, gemeinschaftlicher Entwicklung sein und dann wieder­um Grundlage für weitere Entwicklungsvorgänge (hier am Beispiel der Radiobastler gezeigt) auf der Ebene von Objekt (Mehrfachröhre), Projekt (Produktentwicklung bei Loewe) und Setting/kulturellem Raum (Weiterentwicklung von Kompetenzen und Praktiken der Radiobastlerbewegung) werden. Diese Grundfigur ist wichtig

TABLEAU OFFENER ENTWICKLUNG  111

für einen möglichen Ansatz zur entwerferischen Erforschung offener Entwicklung. Kann dieses Wechselspiel, das auch jenseits technikdeterministischer Gebrauchszusammenhänge stattfindet, eine Kernkompetenz des Produktdesigns sein? Skizzieren wir zunächst ein grundlegendes Tryptichon für die Nutzungshorizonte, Dingeigenschaften und Bestimmtheiten von derartigen Objekten: • Gebrauch innerhalb des Entwicklungsprozesses (Detaillösungen und Entwicklungsschritte, Entwicklung von Kompetenzen, Strukturierung der Zusammenarbeit) • Gebrauchsfähiges Produkt für spezifische Nutzungszusammenhänge (Fahrzeug, Radioempfänger, 3D-Drucker etc.) • Grundlage für spätere Entwicklungstätigkeit von Stakeholdern/Stabilisierung eines kulturellen Rahmens (3D-Druckkonzept: übertragen, weiterentwickeln etc.; Spielart des kulturellen Lernens) Im Kapitel zu Experimentalsystemen habe ich festgestellt, dass es sich bei dem Miteinander von Individuen und Dingen in einem offenen Entwicklungsprozess um ein Experimentalsystem handeln könnte. Das Wechselspiel aus der Verfestigung von Rheinbergers sogenannten Technischen Dingen und der Verdichtung neuer Fragestellungen und Formen des Nicht-Wissens aus einem Experimentiervorgang her­aus habe ich mit der Gestaltung und Nutzung von Produkten beziehungsweise komplexeren, kreativ nutzbaren Objekten (Prototypen) verglichen. Dieser Vorgang findet jedoch, wie an den recherchierten Projekten im Kapitel 3 gezeigt, innerhalb technisch geregelter Systeme und kompatibler Kompetenzen statt.62 Wenn wir Rheinbergers Annahme zu Experimentalsystemen weiterverfolgen, so muss das Epistemische Ding benannt werden.63 Dies kann, wie bei Rheinbergers Ansatz, über die Rücküberführung erzeugter Phänomene in ein bekanntes, wissenschaftliches Bezugssystem geschehen. Im Falle entwerferischer Aktivität kann sich aber auch die Schaffung eines neuen Bezugssystems mitsamt neuer Bedeutungen, Bestimmtheiten und Zeichenzusammenhängen als konsequente Fortsetzung dieser Bemühungen herausstellen. Welche Aspekte machen die untersuchten Projekte jeweils einzigartig gegenüber den benannten, ungenügenden Prozessmodellen? • Es wird eine eigene Form der Zusammenarbeit von Stakeholdern initiiert und stetig weiterentwickelt.64 Diese konkreten Settings sind innerhalb kultureller Räume (Gemeinschaften, Communities) verortet. • Es findet ein Analyse- und Erkenntnisvorgang auch auf ­kultureller Ebene statt. Mithilfe der geschaffenen Dinge sind Situationen, neue Fragen und Zielstellungen kultureller

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­ atur fassbar und handhabbar (z. B. durch die politisch aktiN ven Radiobastler). Das beinhaltet aus der Entwicklungstätigkeit gewonnene Erkenntnisse über das Ungenügen bestehender Verhältnisse.65 • Die geschaffenen Objekte (Prototypen) sind Verkörperung von technischen Zusammenhängen, kulturellem Wissen und zugleich auch Anerkennung der Kompetenz einzelner Mitglieder und des spezifischen Zueinanders in einer Gruppe von Akteuren.









Was ist als ungenügend an den untersuchten Beispielen festzustellen? Produktdesign- und Entwurfskompetenzen spielen keine maßgebliche Rolle: Dadurch stehen rein technische oder konzeptuell-ideative Eigenschaften und Kompetenzen im Vordergrund der Entwicklungstätigkeit.66 Erzeugnisse produktgestalterischer Tätigkeit spielen lediglich im Bereich des Stylings oder der Detaillierung von bereits konzeptionell und technologisch ausformulierten Objekten eine Rolle. Anschlussfähigkeit von Objekten wird über technische Schnittstellen und, aus einem weiteren Blickwinkel betrachtet, über definierte semantische und semiotische Zusammenhänge (Sprache, Schrift, vereinfachte Modelle und Abbildungen als Bedeutungsträger) hergestellt. Die von Schön und Petruschat attestierten, analytischen und strukturierenden Eigenschaften des Designs sind nicht festzustellen. Explizite konzeptionelle Kompetenzen (wie bei Local Motors) hingegen verharren in einem ephemeren, ideativen Stadium. Vielversprechende Ansätze auf der Ebene von Kompetenzen und neuen Settings/kulturellen Räumen werden nicht konsequent genug weiterverfolgt. Es finden keine qualitativen Entwicklungsschritte und „Phasenübergänge“ aus der Designkompetenz heraus statt. Daher stellt sich die Frage:

Wo bleibt das Design? Um die Rolle des Designs klar zu umreißen, werden die zwei grundsätzlichen Tätigkeitsfelder des Designs differenziert: Beteiligung an konkreter, technisch orientierter Produktentwicklung („Styling“ oder „Baukästen“) und die Organisation und

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Durchführung von zumeist ideativen partizipativen Formaten. Dieses Rollenverständnis des Designs in offenen und partizipativen Formaten soll im Rahmen der Entwurfsforschung infrage gestellt werden. Da, wo in den im Kapitel 3 recherchierten Projekten ausgewiesenes Produktdesign eine Rolle spielt, ist keine mehrfache Bestimmtheit und kein Erkenntnisgewinn im Sinne eines Experimentalsystems zu erkennen (etwa bei Local Motors mit festgelegten Crowdsourcing- und Open-SourceMethoden). Da, wo Produktdesign keine herausragende Rolle spielt, ist eine mehrfache Bestimmtheit, eine Weiterentwicklung von Gegenstand, Ziel und Fragen zu beobachten; dort finden sich Eigenschaften eines Experimentalsystems (Radiobastler, RepRap). Wo bleibt das Design? Die komplexen Elemente, auf die sich Prototyping und die kulturell nachhaltige Entwicklung von komplexen Erzeugnissen stützen, können Gegenstand von disziplinärer Entwurfsarbeit sein.67 Vor diesem Hintergrund ist die Frage zu klären, welche Eigenart die Wirkung eines (als Arbeitsbegriff in Anlehnung an Rheinberger hypothetisch konstruierten) Entwerferischen Dings im Unterschied zu einem Technischen Ding 68 und einem Epistemischen Ding 69 haben kann. Auf welche Weise ist sein nicht-technischer und mehrfach bestimmter Charakter anschlussfähig für unterschiedliche Stakeholder? Wie bekommt der eigentliche Gegenstand des Strebens nach Innovation und Erkenntnis durch den Entwurf und durch kooperative Gestaltungs- und Entwicklungspraxis Kontur?

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„URSZENE“ OFFENER ENTWICKLUNG Aus den recherchierten und analysierten Ist-Zuständen sowie der theoretisch entwickelten Vorstellung von der Wirkfähigkeit des Produktdesigns resultiert die im Folgenden skizzierte „Urszene“ offener Entwicklung. Diese „Urszene“ ist Grundlage der im praktischen Teil der Untersuchung entwickelten Entwurfsprojekte. • Es soll ein bereits vorhandenes thematisches Umfeld potenziell offener Entwicklung (Community, kultureller Raum) für ein Projekt recherchiert werden. Dort bereits vorhandene, unter Umständen selbst entwickelte ideative und materielle Aspekte sollen eine der Grundlagen des Projektes sein. Darin wird ein erster Beitrag potenzieller Stakeholder zu kulturell nachhaltiger Implementierung eines Produktes gesehen. • Die Zusammenarbeit soll im Sinne eines Experimentalsystems Neuartiges und Erkenntnis jenseits von Technikdeterminismus und geregelten Systemen hervorbringen. • Die Rahmung der horizontalen, quantitativen Zusammenarbeiten entlang systemisch geregelter technischer oder ideativer Anschlussfähigkeit soll erweitert werden. • Qualitative Entwicklungsschritte sollen aus der Tätigkeit des Produktdesigns, konkret aus der Arbeit an der Form heraus, erfolgen und für Stakeholder anschlussfähige Objekte sowie neuartige Rahmungen für weitere Entwicklungstätigkeit hervorbringen. • Die durch entwerferische Tätigkeit und deren Resultate erzeugten Phasen und Möglichkeiten der Öffnung zur Einbeziehung von Stakeholdern im Verlaufe eines Entwicklungsprozesses sollen ergründet und beschrieben werden. Diese Punkte verdeutlichen, dass es um die Gestaltung von konkreten Objekten gehen muss, durch die der Entwicklungsprozess strukturiert werden soll. Die Objekte haben dabei die Funktion, einen Kompromiss aus qualitativer Weiterentwicklung und anschlussfähigem Artefakt zu bilden. Es soll sich nicht zwingend um Endprodukte oder fertige Entwürfe handeln. Sie sind – in Anlehnung an Rheinberger, Petruschat und Schön – vorläufig als Arbeitsbegriff so benannte und im Kapitel 5 näher beschriebene Entwerferische Dinge. Der Rückgriff auf die Form eröffnet einen nicht bedeutungs- und zeichengeladenen Zugang. Dennoch müssen die primär ästhetischen Aneignungsvorgänge und Interaktionen mit den Entwerferischen Dingen einerseits genügend Schnittmengen mit den vorhandenen Kompetenzen beziehungsweise Erfahrenheiten der

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Akteure aufweisen, sie jedoch andererseits ausreichend infrage stellen, um deren qualitative Weiterentwicklung zu evozieren. Da es sich um ein sequenzielles Vorgehen mit qualitativen Entwicklungsschritten handeln soll, kann vorab eine neue Art von Design, das sequenzielle Open Design70, als Arbeitsbegriff angenommen werden.

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Teile dieses Kapitels basieren auf zwei bereits veröffentlichten Texten zum Thema Open Design: Oder, H., Petruschat, J. (2012). Prototyping und Open Design – Geschichte und Geschichten. In: Petruschat, J., Adenauer, J. (Hg.). Prototype! physical, virtual, hybrid, smart – tackling new challenges in design & engeneering. Berlin: Form+Zweck. Sowie: Oder, H. (2013). Kulturelle Nachhaltigkeit, Prototyping, Open ­Design. In: C. Mareis, C., Joost, G., M. Held M. (Hg.). Wer gestaltet die Gestaltung? Praxis, Theorie und ­Geschichte des partizipatorischen Designs. Bielefeld: Transcript. 2 Die Entwicklung der Funktechnologie geht auf das Wirken technikbegeisterter Pioniere zurück, die als hochbefähigte Amateure bezeichnet werden müssen. Sie experimentierten in ihrer nicht unmittelbar zielgerichteten Beschäftigung mit einer neuen und mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln zu realisierenden Technologie. Technische Bauteile wurden in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg teilweise selbst gefertigt. Die Erschließung des Kurzwellensendespektrums zur leistungsstarken Nachrichtenübermittlung, auch unter Ausnutzung des Phänomens der Ionosphärenreflexion, geht auf Amateurfunker zurück – weil sie von Amts wegen nur auf diesem scheinbar „wertlosen“, weil keine leistungsstarken Übertragungen ermöglichenden Sendeband frei funken durften. 3 Bertolt Brecht regte in seiner Radiotheorie an, das neue Medium als Ort der Kommunikation und des Diskurses zu nutzen, und nicht nur zur Repetition von Bekanntem. Seine Kernforderung lautete: „[…] um das Positive am Rundfunk aufzustöbern; ein Vorschlag zur Umfunktionierung des Rundfunks: Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanal­system, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen.“ Siehe: Brecht, B. (1967): Der Rundfunk als Kommunikationsapparat [1932]. In: Bertolt Brecht: Gesammelte Werke, Bd. 18. Schriften zur Literatur und Kunst, Bd. 1. Frankfurt am Main. S. 127 ff. 4 Siehe: Friemert, C. (1986). Zur Ästhetik der drahtlosen Telegrafie. In: Form+Zweck, 5 (1986), S. 32–38. 5 Staatliches Monopol für Nachrichtenübertragung, kodifiziert durch das „Gesetz über das Telegraphenwesen des deutschen Reiches“ von 1892. Diese Bestimmung wurde auch auf die drahtlose Telegrafie angewandt. Ebd. S. 211. 6 Seitens der Politik bestanden, auch aufgrund der Erfahrungen aus der Novemberrevolution, Vorbehalte gegen politische Inhalte in Rundfunksendungen und somit gegen einen allgemeinen, wenig reglementierten Rundfunk. Noch 1923 wird vom Postministerium auf die „Gefahr des Missbrauchs bei Putschen und Unruhen“ hingewiesen. In einer Notverordnung vom 12.03.1924 wurde die ernstliche Gefährdung der Sicherheit von Staat und öffentlicher Ordnung durch die zunehmende Anzahl geheimer Funkanlagen festgestellt, die umstürzlerischen Kreisen die Schaffung eines geheimen Nachrichtennetzes ermöglichten. Diese Befürchtung wurzelte in der Erfahrung des „Funkerspuks“, d. h. der Übernahme des Funktelegrafennetzes durch revoltierende Matrosen und Soldaten im Zuge der Novemberrevolution 1918 und dessen Nutzung zur Koordinierung und Synchronisierung von gemeinsamen Aktionen. Sie ­bestimmten den Umgang mit Radioamateuren aus dem Arbeitermilieu während der gesamten Zeit der Weimarer Republik. In: Dahl, P. (1978). Arbeitersender und Volksempfänger. Proletarische Radiobewegung und bürgerlicher Rundfunk bis 1945, Frankfurt am Main: Syndikat Verlag. 7 Unter anderem war die Möglichkeit, deutschsprachige Sendungen von Radio Moskau zu empfangen, für Radioamateure aus dem Arbeitermilieu unmittelbare Triebfeder, ihre Empfänger leistungsfähiger zu machen und komplett neue Geräte zu bauen. 8 Siehe: https://www.dra.de/rundfunkgeschichte/ (Aufrufdatum 04.08.2020). 9 Siehe: Pfau, H. (2000). Mitteldeutscher Rundfunk – Radio-Geschichte(n). Altenburg: Verlag Klaus-Jürgen Kamprad. 10 Siehe: Dahl, P. (1978). S. 41.

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11 Gemessen an der Gesamtbevölkerung war das Arbeitermilieu jedoch in der Rundfunklandschaft vergleichsweise unterrepräsentiert. Im Jahr 1930 betrug der Anteil der Arbeiterhaushalte am Radiopublikum gerade einmal 25 Prozent, nur ein Siebtel der Arbeiterhaushalte verfügte über ein eigenes Rundfunkgerät. Umso relevanter ist deshalb die Medienkompetenz, die das Arbeiterradio verkörperte. Gesendet werden sollte nicht nur, um an etablierten Formen von Kultur und politischem Diskurs teilhaben zu können, sondern auch, um neue Formate der medialen Kommunikation, der Inhalte und der kulturellen Aktivitäten zu entwickeln und zu etablieren. Zur Statistik siehe: Führer, K. C. (1997). A Medium of Modernity? Broadcasting in Weimar Germany, 1923–1932. In: Journal of Modern History 69/4, S. 722– 753, hier S. 738. 12 Kittler, F. (2013). Rockmusik – ein Missbrauch von Heeresgerät. In: Gumbrecht, U. (Hg.). Die Wahrheit der technischen Welt. Essays zur Genealogie der Gegenwart. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. S. 198 ff. 13 Stellvertretend sei das Buch Der praktische Radioamateur von 1923 genannt, dem auch die Abbildungen von Bauplänen und Versuchsanordnungen in diesem Abschnitt entnommen wurden. Fuchs, F., Günther, H. (1923). Der praktische Radioamateur. Wilhelm Herbst Verlag. 14 Die Palette der verwendbaren Einzelkomponenten war groß, die Funktionskategorien der verwendeten, teils komplexen elektrischen Bauteile waren jedoch überschaubar. Das tatsächliche Entwicklungs­ potenzial lag in verschiedenen Kombinationen und Einstellungen. Ständig kamen neue, verbesserte Teile auf den Markt oder es wurden nicht ausdrücklich für den Bau von Rundfunkgeräten bestimmte Elemente ausprobiert. 15 Ebd. 16 Manfred von Ardenne (1907–1997) war in den 1920er Jahren ein passionierter Rundfunkamateur. ­Gemeinsam mit Sigmund Loewe entwickelte er eine der ersten Mehrsystemröhren. Die Dreifachröhre, Typ 3NF, arbeitete mit voreingestellten und in einem Glaskolben verplombten Einzelröhren. Diese vorgefertigten, leistungsfähigen Elemente eigneten sich als Ausgangspunkt für die Entwicklung komplexerer Empfangs- und Sendeanlagen, waren aber auch zentraler Bestandteil des von Loewe 1926 auf dem Markt eingeführten, zuverlässig funktionierenden und dabei relativ preisgünstigen Radioempfängers OE 333. 17 Im September 1922 wurde der „Eildienst für amtliche und private Handelsnachrichten GmbH“ gegründet. Der gebührenpflichtige, an die Außenhandelsstelle des Auswärtigen Amts in Berlin angegliederte Service ermöglichte es, weltweit gleichzeitig Börsenkurse zu notieren und auf Ereignisse am Weltmarkt zu reagieren. Der Empfang erfolgte über fest installierte und zur Verhinderung anderweitiger Nutzung oder Manipulation verplombte Geräte, die im Auftrag der Deutschen Reichspost von Lorenz, Telefunken und Dr. Huth gefertigt wurden. Lediglich die Feinabstimmung des Empfangs mittels eines Drehreglers oblag dem Benutzer. Ein Massenmedium war diese auf gewerbliche Nutzer aus Wirtschaft und Industrie ausgerichtete Dienstleistung noch nicht: Ende 1923 waren ca. 2000 Nutzer registriert. 18 Dabei schuf die Realisierung neuer technischer Voraussetzungen und die Reflexion über deren Nutzungsmöglichkeiten und Weiterentwicklung immer auch ein Moment der Erkenntnis über bestehende Machtverhältnisse, über die eigene Position (z. B. wenn auf eine neue Kompetenz der Gruppierung ­reflexartig Restriktionen von staatlicher Seite folgten) und Potenziale zu deren Veränderung. 19 Doch auch im Fall der Radiobastler lebte die heterogene Community von der Expertise und dem kulturellen Wissen, den Sozialisationshintergründen sowie der Erfahrenheit von Akteuren mit Expertenwissen. Dieses Wissen wurde durch den umgebenden und sich stetig entwickelnden kulturellen Raum und darin verortete konkrete Settings von Zusammenarbeit strukturiert. 20 Von neuer Qualität waren eigenständige Formate der Kommunikation und Medienproduktion sowie die damit einhergehenden neuen Kompetenzfelder und Berufsbilder, die sich Stück für Stück entwickelten. 21 Der Gegenstand der Entwicklung lag im Bereich des kulturellen Miteinanders, und die technische Tätigkeit fungierte als eine Art von Werkzeug (Technisches Ding). 22 Teilergebnisse des folgenden Kapitels wurden vorab publiziert: Oder, H., Petruschat, J. (2012). 23 Die Hod-Rodder-Szene widmet sich der Aufarbeitung und „Optimierung“ älterer Automodelle nach definierten Regeln. Siehe auch: ebd. S. 259–264. 24 Stand April 2011. Nach einem Interview, welches Helge Oder im April 2012 mit Ariel Ferreira, der damaligen PR-Verantwortlichen von Local Motors führte. 25 Hier spielten die Art der Formulierung und die Interpretation und Gewichtung einzelner Aspekte durch den Moderator eine große Rolle. Einerseits können artikulierte Bedürfnisse 1:1 weitergereicht oder auch als Ausprägung bestimmter, grundlegenderer Intentionen verstanden werden. Andererseits spielt der ­Verständnishintergrund des Moderators, abhängig von Profession und damit einhergehender, habitu-

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alisierter Denk- und Arbeitskultur, eine Rolle. Da es sich um ein Projekt handelt, das ausdrücklich den ­Willen der Community abbildet, werden entscheidende Impulse auch von ihrer Seite erwartet. Diese Form des Hobbymotorsports hat im Südwesten der USA Tradition. Analog zu der Hot-Rod-Szene werden diese Wüstenrenner meist in Eigenregie von technikbegeisterten Amateuren auf Basis von Motor- und Fahrwerkskomponenten aus dem Teileregal gebaut. Das Fahrzeugchassis selbst wird, anders als bei Hot Rod, aus Gründen der höheren Stabilitätsanforderungen, aus Rohrprofilen in der heimischen Garage oder in kleinen metallverarbeitenden Betrieben geschweißt und hat damit eine sehr funktionale, rohe Ästhetik. Die größte Zustimmung erhielt der Entwurf eines Designstudenten vom Art Center College of Design in Pasadena, Kalifornien. Local Motors hat darüber hinaus die implizite Funktion eines sozialen Netzwerkes und einer Jobbörse. Die in persönlichen Profilen online gestellten Entwürfe zielen in erster Linie darauf ab, Kompetenzen in Konzept und Formgestaltung im Transportation Design und deren Präsentation in aussagekräftigen Darstellungen zu kommunizieren. Dafür spricht auch die Anzahl hauptberuflicher Designer oder Designstudenten, die Mitglied der LM-Community sind. Fast scheint es, dass Giancarlo di Carlos Befürchtung, Nutzer würden in ihren Gestaltungspräferenzen nur gewohnte Stereotype reproduzieren, im Fall des Rally Fighter idealtypisch zutrifft. Gesteigert wird die Identifikation und Zustimmung aufgrund des Wertes der eigenen Beteiligung. Das entscheidende Element, das Local Motors von anderen, ausschließlich online geführten Fahrzeugentwicklungen unterscheidet, ist die gemeinsame Arbeit vor Ort an einem realen Fahrzeugprototypen. Vgl.: www.theoscarproject.org – ein Projekt, das ausschließlich online betrieben wurde und dessen konkrete Schritte zur Umsetzung nicht über das Stadium von computergenerierten Darstellungen und technischen Anforderungslisten hinausgekommen ist. Letztlich werden – ganz im Sinne tayloristischer Produktionsmethoden – die Arbeitsschritte in der technischen Entwicklung unter Moderation des Kernteams in kleinstmögliche Einheiten zerlegt und an verschiedene Akteure innerhalb der Crowd delegiert. Die Entwicklungsspielräume und Fragestellungen, mit denen sich die Betroffenen beschäftigen, sind überwiegend technischer Natur und betreffen konstruktive Details. Quelle: Interview mit Ariel Ferriera, ehemalige Community-Managerin und verantwortlich für Presseund Öffentlichkeitsarbeit bei Local Motors (2012). In einem Interview mit Ariel Ferriera, der damaligen (2012) PR-Verantwortlichen von Local Motors, ­wurden auch Fragen zu verschiedenen Formen der Zusammenarbeit diskutiert. Denn neben 25 festen Mitarbeitern und den über 13 000 Mitgliedern weltweit zählten zum damaligen Zeitpunkt (2011) auch 40 private Investoren zum Umfeld von Local Motors. Oder, H., Petruschat, J. (2012). Siehe: Dunne, A., Raby, F. (2001). Design Noir: The Secret Life of Electronic Objects. Basel: Birkhäuser Verlag. Siehe ebenfalls: Ratto, M. (2011). Open Design and Critical Making. In: Open Design Now: Why ­Design Cannot Remain Exclusive. Amsterdam: Bis Publisher. S. 203–209. Die ViP-Methode fokussiert die Eröffnung von Möglichkeiten als Gegenentwurf zu problemorientierten Designstrategien. Siehe: Oder, H., Petruschat, J. (2012). S. 269 f. In etwas anderer Formulierung findet sich das gleiche Prinzip auch bei Local Motors. Das C,mm,n-Konzept fokussiert diese serviceorientierte Anpassung im Hinblick auf zukünftige steigende Relevanz von Mietfahrzeugkonzepten und vernetzter, kombinierter Mobilität, während Local-Motors-Kunden im Hier und Jetzt unmittelbar selbst Hand anlegen. Das Fahrzeug – ein Elektromobil – soll darüber hinaus auch wie ein Prototyp offen sein für weitergehende Veränderungen und Anpassungen im Laufe seines Nutzungs- und Lebenszyklus. Verschiedene Servicekonzepte, veränderte Nutzungsdispositionen und neuartige Mobilitätsanforderungen und -konzepte sollen so mit einer Plattform reflektiert werden können. Siehe.: Oder, H., Petruschat, J. (2012). S. 270. Dem Wunsch nach Autarkie und Unabhängigkeit von großseriellen Fertigungsverfahren, sei es aus Gründen zeitlicher Beschleunigung oder geografischer Entfernung, eröffnet der 3D-Druck relevante Perspektiven. Als Werkzeug in Forschung und Entwicklung ermöglicht der 3D-Druck umfangreiche Experimente und Tests, die Beschleunigung von Iterationen, agiles Prototyping und die schnelle, variantenreiche ­Realisierung von gebrauchstüchtigen Komponenten und Objekten mit seriennahem Qualitätsniveau. ­Anders nicht realisierbare Bauteile und die Umsetzung komplexer, auch algorithmisch gestalteter Geometrien sind machbar. Die Graswurzelinitiative gruppiert sich um ein bekanntes und starkes Bild: Das Konzept der „Von-Neumann-Maschine“, einer sich nach dem Prinzip einzelliger Lebewesen selbst replizierenden Raumsonde,

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weckte starke Assoziationen an Maschinenintelligenz, Weltraumforschung, die Suche nach extraterrestrischem Leben und die grundlegenden Fragen des menschlichen Daseins als Bestandteil des Universums. Tutorials liegen oft als Videotutorials vor, hochgeladen auf Portalen wie Youtube oder Vimeo und im ­RepRap-Wiki verlinkt. http://www.reprap.org/wiki/RepRap/de (Aufrufdatum 20.05.2017). Siehe: Raasch, C., Herstatt, C., Balka, K. (2009). S. 7. http://www.reprap.org/wiki/RepRap/de (Aufrufdatum 20.05.2017). Aus meiner persönlichen Erfahrung als Lehrender und künstlerischer Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität Weimar – wir verfügten ab 2012 über zwei arbeitsfähige Eigenbau-Drucker, einen Shapercube und einen RepMan – kann ich bestätigen, dass der unmittelbare Austausch zwischen Erfahrungsträgern bzw. die Weitergabe von Erfahrung an nachkommende Studierendenjahrgänge nutzbringend ist. http://reprap.org/wiki/RepRap_Family_Tree (Aufrufdatum 20.05.2017). Siehe u. a.: https://fablab.berlin/de/ (Aufrufdatum 20.03.2017). Siehe u. a.: Friebe, H. (2008). Marke Eigenbau. Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion. Frankfurt a. M.: Campus Verlag. Die auf der Plattform Thingiverse zur freien Nutzung bereitgestellten 3D-Datensätze werden dominiert von technischen Funktionselementen (Scharniere, Verbinder etc.), aber auch von reproduzierten Versatzstücken aus der Populärkultur (Star-Wars-Figuren etc.). Parallel dazu ist die Dominanz von MeshModellen im STL-Format mit polygonisierten Oberflächen zu beobachten. Dies macht eine weitere parametrische Bearbeitung oftmals schwierig und erlaubt vielmehr freies Morphen und additives Kombinieren. http://www.thingiverse.com/ (Abrufdatum 12.03.2016). An der Fakultät für Design und Kunst der Bergischen Universität Wuppertal wurden unter Leitung des Autors mehrere 3D-Drucker durch studentische Hilfswissenschaftler betreut. Die unterschiedlichen Bauelemente wie Extruder, Fahrmechanik etc. wurden ständig verbessert, wobei oft auch auf Lösungen anderer Akteure in Form von online gestellten 3D-Datensätzen zurückgegriffen wurde. Bruce Archer nutzte 1979 die Unterteilung product – process – people, um die Gegenstände von Design und Designforschung triadisch zu erfassen. Jonas beschrieb in Anlehnung daran forms – processes – knowledges als relevante Kategorien zu deren Erfassung. Siehe: Jonas, W. (2011). Schwindelgefühle – Design Thinking als General Problem Solver? EKLAT Symposium Proceedings. http://8149.website. snafu.de/wordpress/wp-content/uploads/2011/07/2011_EKLAT.pdf. (Aufrufdatum 12.03.2016). Siehe u. a.: Krippendorff (2013). S. 33. Beispiel: Der Arbeiterradio-Verein, der gemeinschaftlich ein leistungsstarkes Empfangsgerät oder sogar einen Sender baut, hat die Erweiterung eines gemeinschaftlichen Handlungs- und Kompetenzraumes zum Ziel. Wenn man senden kann, ist es möglich und nötig, Medieninhalte zu erzeugen, zu adressieren, dabei originäre Formen der medialen Äußerung auszuloten, daraus wiederum Anforderungen an Kompetenzen sowie technische und personelle Settings abzuleiten etc. Andererseits: Der Radiobastler, der sich beim Bau seines einfachen privaten Rundfunkgeräts von seinen erfahreneren Clubkollegen helfen lässt, arbeitet an einem individuellen und nicht unmittelbar innovativen Projekt. Sie schaffen Dinge auf hohem, funktionsfähigem Niveau, die neuartige (kulturelle) Erfahrungen und kulturelle Zusammenhänge hervorrufen können. Die Kompetenzen sind kultureller und technischer Natur. Die Alleinstellung des Entwerfens als Komplexität reduzierender Vorgang konnte in keinem der Projekte als herausragende Eigenschaft vorgefunden werden. Das English Oxford Dictionary beschreibt Design u. a. als: „The art or action of conceiving of and producing a plan or drawing of something before it is made.“ Siehe: https://en.oxforddictionaries.com/definition/design (Aufrufdatum 20.09.2017). Der Gegenstand der Veränderung ist, wie bereits im Vergleich Offene Entwicklung – Experimentalsystem gezeigt, diese neue Art von Zusammenarbeit sowie die Kompetenz- und Rollenverteilung. Galt es im RepRap-Projekt zunächst, einen funktionsfähigen Drucker „auf die Beine zu stellen“, so wurde später die Diversifizierung von offener Entwicklungsarbeit, aber auch die Verwertung der Ergebnisse im Rahmen unterschiedlicher Geschäftsmodelle Gegenstand der Bemühungen einer heterogenen, dezentral und hierarchisch flach organisierten Community. Die Schaffung und Nutzung von Objekten ist, wie am Beispiel der Entwicklung des Rally Fighters oder des RepRap-Projekts zu sehen, horizontal organisiert. Es handelt sich um ein quantitatives Arbeiten, um das Variieren innerhalb eines Rahmens, der durch technische Passstellen und auf konzeptioneller Ebene festgelegte Ziele definiert ist. Die dabei verwendeten Objekte und Prototypen sind auf technischer Ebene genau definiert und variabel verwendungsfähig.

ANMERKUNGEN 119

59 Diese Qualität macht das (individuelle) Entwerfen jedoch aus. Wie mit Petruschat und Schön beschrieben, handelt es sich um eine Form der Abstraktion und der Bildung mentaler Modelle und Strukturen, die nicht auf technische Passung angewiesen sind und Komplexität souverän handhaben. Die Reduktion der Komplexität auf ein aktuell angemessenes Maß beinhaltet auch, das wegzulassen, was gerade nicht lösbar ist, und dennoch von dem dadurch entstandenen mentalen Modell zu einer Form zu gelangen. Dabei handelt es sich um einen disruptiven Vorgang des Aufbrechens geregelter Rahmungen, ­welche zum Bewältigen von Komplexität nicht genügen. 60 Zum Begriff der Erfahrenheit vgl. Kap. 1.4.1.4. Siehe u. a.: Rheinberger, H.-J. (2001). S. 80. 61 Das entwerferische Schaffen neuer framings für ingenieurstechnische Innovations- und Entwicklungstätigkeiten stellt einen solchen Vorgang dar. 62 Technische Dinge können auch Prototypen sein; aus anderen Zusammenhängen entnommen: der Kriegsfunkerei (Radiobastler), dem Großserienautomobilbau (Local Motors) oder dem Geräte- und Anlagenbau (RepRap). 63 Der vage, verschwommene Gegenstand des Erkenntnisstrebens, der „noch nicht Begriff gewordenes“ Phänomen ist – so nannte es Rheinberger sinngemäß. Bei Local Motors war es die Frage, ob mit Crowd­ sourcing-Methoden ein Fahrzeug entwickelt werden kann. Das hat funktioniert, auch wenn die im Vorfeld bereits festgelegte Form der Wertschöpfung (Fertigung in Micro Factories, Fahrzeug über längeren Zeitraum veränderbar, nachrüstbar) den eigentlichen Mehrwert es Konzepts darstellt. Die Community hat nur noch technische Detailaufgaben abzuarbeiten. Jedoch liegen die längerfristigen Effekte eher in der Erkenntnis, als Entwicklungsdienstleister mit Crowdsourcing-Methoden und Wettbewerben preiswerte Entwicklungsarbeit auf Ideen-, Konzept-, und Detailebene anbieten zu können. Diese Ergebnisse wurden in einem geregelten, quantitativen Prozess ermittelt. Ein Vorgehen, das sich nahtlos in den Plattform-Kapitalismus US-amerikanischer Prägung einfügt und letztlich auch ausbeuterischen und auf kultureller Ebene wenig nachhaltigen Tendenzen Vorschub leistet. Angesichts der einigen Dutzend Rally Fighter, die in den Micro Factories gefertigt wurden, ist dieser an sich sehr interessante Aspekt von Local Motors nicht konsequent weiterverfolgt worden. Die Qualität gestalterischer Tätigkeit im Sinne der vorliegenden Arbeit spielt bei diesen Vorgängen keine Rolle. 64 Vgl. Lernen 2. und 3. Ordnung nach Schön. Schön, D. 65 Vgl. Schöns und Petruschats Ansätze zum analytischen, erkenntnisorientierten Entwerfen, wie in Kap.1.3. behandelt. Schön, D. (1984); Petruschat, J. (2011a). 66 Reine Formen des Technikdeterminismus wurden im Rahmen dieser Untersuchungen nicht festgestellt. 67 Dabei geht es nicht darum, die als ungenügend erachteten Ausprägungen von Design zu perpetuieren. Vielmehr soll an unterschiedlichen Punkten und Stadien eines konkreten Entwicklungsvorhabens die Zusammenarbeit durch entwerferische Interventionen vorangetrieben werden. 68 Damit ist der (technisch) bestimmte und verlässliche Charakter der verwendeten Objekte und Proto­ typen gemeint, d. h. seine Erfassung mit dem Individuum bekannten Kategorien von Funktion, ­Bedeutung und Zeichenzusammenhang. 69 Die im steten Werden begriffene Form der Zusammenarbeit. 70 In Vorbereitung der praktischen Entwurfsforschung soll ein Zusammengehen der dezentralen, hierarchisch flach organisierten offenen Entwicklung in einer Community sowie der komplexen Entwicklungsarbeit an technischen Bauelementen und Verfahren in professionellen Umfeldern (Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen) als Teil der „Urszene“ angesehen werden. Wir haben es mit zwei Gegenständen der Gestaltung und Entwicklung zu tun: den konkreten Objekten (bzw. den mit ihnen zusammenhängenden Verfahren, Nutzungsweisen, Formen der Zusammenarbeit und Kontexten) und einer weiter gefassten Form der Lebenskultur, die sich in einem kulturellen Raum manifestieren kann. Beiden Faktoren, dem Zueinander von Individuen und der Nutzung und Erzeugung von Dingen, kann der Charakter eines Experimentalsystems eigen sein. Jedoch kann im Rahmen dieser Arbeit nur der erste Punkt untersucht werden: Formen der mehrfachen Bestimmtheit des Designs, die nur durch o ­ ffene Entwicklungstätigkeiten realisiert werden können. Dabei stehen die drei Eigenschaftskategorien von Design Pate: Prozessqualität, Kompetenzfeld, Dingeigenschaft.

120  RECHERCHE HISTORISCHER UND AKTUELLER ­T ENDENZEN ­O FFENER E ­ NT­W ICKLUNG 

Praktischer Teil und Fazit

4 Entwurfs­ forschung

FORSCHUNGSGEGENSTAND Bisher wurde gezeigt, dass sowohl individuelles Entwerfen wie auch offenes, gemeinschaftliches Entwickeln einen forschenden, erkenntnisorientierten Charakter besitzen. Jedoch trägt Entwerfen derzeit nicht dazu bei, Formen von offener Entwicklung einen forschenden und erkenntnisorientierten Charakter im Sinne kultureller Nachhaltigkeit zu geben. Forschungsgegenstand ist im Folgenden das Wirken des Produktdesigns in einem potenziell offen angelegten Entwicklungsvorhaben. Die Qualitäten der in diesem Rahmen geschaffenen Objekte und ihre Auswirkung auf faktorspezifische Zusammenarbeit und qualitative Entwicklungsschritte in einem konkreten Projekt werden untersucht.

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FORSCHUNGSFRAGEN Die Bedeutung von Open Design für kulturell nachhaltige Implementierung von höherkomplexen Erzeugnissen soll an der im Kapitel 3 beschriebenen „Urszene“ unter einer konkreten Fragestellung untersucht werden:1 Wie kann ein Ungenügen offener Entwicklung (zumeist rein ideative oder technische Orientierung) durch entwerferisches Wirken des Produktdesigns und die Arbeit an der Form behoben werden? Welche Qualitäten besitzen die entworfenen Dinge, auf die sich eine Zusammenarbeit stützt, und welche mehrfache Bestimmtheit entfaltet ihre Nutzung im Rahmen eines potenziell offenen Entwicklungsvorhabens?

FORSCHUNGSFRAGEN 127

ALLGEMEINE HERANGEHENSWEISE Diese Arbeit stand vor der Herausforderung, mit begrenzten Ressourcen einen zeitlich und personell offenen Entwicklungsprozess zu erforschen. Der klassische Weg bestünde darin, ein vorhandenes offenes Entwicklungsprojekt, eine Initiative oder ein Netzwerk zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. Forschung durch D ­ esign ist so zu bewerkstelligen. Entwurfsforschung, also die eigene entwerferische Tätigkeit im Kontext von Erkenntnisproduktion, gerät angesichts dieser komplexen Faktoren an Grenzen. Daher wurden aus dem akademischen, universitären Raum heraus zwei forschungs- und entwicklungsorientierte Kooperationsprojekte in Zusammenarbeit mit einem innovationsorientierten mittelständigen Unternehmen beziehungsweise einem Forschungs- und Entwicklungsdienstleister durchgeführt. Im Mittelpunkt standen auch Stakeholdernetzwerke mit dem Fokus auf KMU. In weiteren Schritten sollten auf diese Weise ein Setting von Akteuren verfestigt und die Fähigkeiten der Stakeholder zur kulturell relevanten Zusammenarbeit ausgebaut werden. Rollen und Kompetenzen der Stakeholder wurden ergründet und Potenziale zu deren Weiterentwicklung und Veränderung aufgezeigt. Das Forschungsprojekt und die konkreten Entwurfsvorhaben wurden im Sinne des im folgenden Kapitel beschriebenen Research-through-Design-Ansatzes als Einheit aufgefasst und unterliegen einem Prozess der stetigen Veränderung und Fortentwicklung.2

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PRACTICE BASED Der praxisbasierte Forschungsansatz gliedert sich in zwei Teile, unterbrochen durch eine Phase der Reflexion und Konkretisierung der Vorgehensweisen. Die Beforschung der Zusammenarbeit in einem konkreten Setting von Akteuren erforderte ein eigens initiiertes Entwicklungsvorhaben und wurde von mir geplant, teilnehmend beobachtet und als Produktgestalter selbst durchgeführt.3 • Das erste Projekt nahm die Zusammenarbeit zwischen Designern und technologieorientierten KMU in offener Entwicklung zum Thema 3D-Druck in den Fokus. Es wurden eigene Entwürfe als Teile einer Kooperation mit verschiedenen Stakeholdern zum Thema Extended 3D-Print realisiert. • Mit etwas zeitlichem Abstand wurde ein zweites Entwurfsprojekt zu Fragen neuartiger Entwicklungs- und Wertschöpfungsmodelle angeschoben. • In diesem zunächst technologiezentrierten Projekt unter Verwendung der Hochdruckinnenumformung (HDU) mit dem Arbeitstitel Hydrofix wurde ein aus dem Produktdesign heraus initiiertes zukunftsfähiges Miteinander von Entwicklungsdienstleistern, KMU und dem Produktdesign in einem Entwicklungsprozess untersucht. Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde ein experimenteller, induktiver Ansatz gewählt. Die beiden Entwicklungs-/Kooperationsprojekte waren unmittelbar an das Entwurfsforschungsprojekt gekoppelt. Da sowohl das Entwurfsprojekt selbst als auch die im Entwurfsprojekt entstehenden physischen Artefakte und Formen von Kooperation die Resultate von entwerferischer Arbeit darstellen, sind diese Projekte als praktische Entwurfsforschung, als Forschung durch Design4 anzusehen. Als grundlegend wird im Entwurfsforschungsvorgang die Auflösung vorhandener Kategorien und Rahmungen von Bedeutungs- und Zeichenzusammenhängen wie auch der durch sie begründeten, weiter gefassten Handlungsweisen und Gewohnheiten in offenen Entwicklungszusammenhängen angesehen. Die Arbeit an der Form und die durch sie evozierten ästhetischen Aneignungsdimensionen sind sowohl für die Entwurfsforschung wie auch für die beforschte Zusammenarbeit in einem offenen Entwicklungszusammenhang essenziell.

PRACTICE BASED  129

Erstes Detailproblem – Realisierung eines ausgewählten eigenen Entwurfes in Kooperation mit verschiedenen Stakeholdern Thema: Extended 3D-Print KMU als Akteur offener Entwicklung

Während meiner Tätigkeit als künstlerischer Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität Weimar wurde ich auf die Prototyping-Firma 3D-Schilling aus Oberspier bei Sondershausen in Thüringen aufmerksam. Herr Dr. Martin Schilling, Inhaber des Unternehmens, eröffnete 2012 das erste FabLab Thüringens. Parallel dazu experimentierte er mit seinen Mitarbeitern an einem 3D-Druck-Roboter – einem mit einem Kunststoffspritzgussextruder versehenen KUKA-Industrieroboter –, um großformatige Monoelemente in technischer Qualität drucken zu können. Wir beschlossen nach einem ersten Telefonat, die Möglichkeiten für ein gemeinsames Projekt auszuloten. Zwei der in diesem Projekt diskutierten Themenfelder, der 3DDruck und die schwimmenden Strukturen, könnten in diesem Projektzusammenhang möglicherweise zusammengeführt werden. Technische und kulturelle Voraussetzungen

Die experimentelle Arbeitsweise des Unternehmens 3D-Schilling ist teilweise inspiriert durch die Hacker- und Maker-Kultur, innerhalb derer der experimentelle Umgang mit vorhandenen Materialien und Werkzeugen praktiziert wird. Die in­ krementelle Entwicklung eines 3D-Druckers auf Basis eines KUKA-Industrieroboters zählt in diese Kategorie des technologieorientierten Prototyping. Die Gründung des FabLab Thüringen auf Initiative von Dr. Martin Schilling im Jahr 2012 kann als ein Versuch gewertet werden, aktuelle Tendenzen in Communitiy-basierter und offener Entwicklung und Produktion, Maker Culture und ähnliche Trends, aufzugreifen und mit zur Verfügung stehenden Mitteln weiterzuentwickeln beziehungsweise zum Bestandteil der eigenen unternehmerischen Tätigkeit zu machen.5 Ein fundierter Wille, auf dem Gebiet der additiven Fertigung zu innovieren, ist vorhanden. Die ausbaufähige Teilhabe an offenen Entwicklungskulturen ebenfalls. Die folgenden fotografischen Impressionen zeigen die damals (2015) neuesten Projekte, die im 3D-Druck großer Elemente besondere Anforderungen erfüllten beziehungsweise die Potenziale des 3D-Drucks großformatiger Monoelemente auf experimenteller Ebene ausloteten.

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Abb. 25: Screenshot Website FabLab ­Thüringen.

Abb. 26: Extrusionsdruck von liegenden und später aufzustellenden Einzelelementen für modulare Häuser. Material: Beton.

Abb. 27: Montiertes Haus aus horizontal gedruckten, aufgerichteten ­Einzelelementen. Die Geometrien der Einzelelemente zeigen sich als linear extrudierte 2DFlächen, die liegend gedruckt und anschließend senkrecht aufgestellt werden.

PRACTICE BASED  131

Abb. 28: Druck einfacher Geometrien mittels ­Granulatextruder und 5-Achs-Industrieroboter. Die Performance der Herstellung und die Neuartigkeit des Verfahrens stehen im Mittelpunkt. Es handelt sich um keine technische Anwendung. Deutlich zu erkennen ist die zweidimensionale, ­linienhafte Grundlage der gedruckten Formen.

Abb. 29: Local Motors 3D-printed-car-­ challenge. Verwendet wurde das FDM-­ Verfahren mit einem 3-Achs-Drucker und einer 80 % : 20 % Materialmischung aus ABS-Kunststoff und Glasfasern. Die Größe der Druckmaschine wird durch die Größe des maximalen Bauraums bestimmt. Die Firma Local Motors entwickelte auch den im Kapitel 3 als Beispiel von Co-Creation ­ ighter. und Open Design analysierten Rally F

Abb. 30: Digital ­Grotesque: Ein Grund­ lagenprojekt der ETH ­Zürich zur Algorithmusbasierten Generierung von Form und Raum. Der Aspekt großer Monoelemente stand nicht unmittelbar im Mittelpunkt. Fertigung mittels Pulverbettverfahren.

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Forschungsdesign – Experimentalanordnung 1 Kurzübersicht der Rahmenbedingungen: • Erkenntnisse aus Recherche im Theorieteil („Urszene“ offener Entwicklung) auf abgrenzbare Praxis übertragen • Experimentalumfeld beziehungsweise Setting mit begrenzter Anzahl von professionellen Stakeholdern • Entstehungshintergrund und Eigenschaften der entworfenen Objekte jenseits geregelter, technischer Passstellen und Anschlussfähigkeiten ermitteln • Erkenntnis über so erzeugte Form und Veränderung der Zusammenarbeit der Stakeholder • Am Ausgangspunkt des Projektes steht das Design: vorhandener Entwurf Five55 (modulare Segelyacht) • Potenziell offene Zusammenarbeit und Anschlussfähigkeit für externe Stakeholder: Es fanden keine vertraglichen Regelungen über Geschlossenheit statt. Lediglich der Prototyp des Druckers wurde als Firmengeheimnis eingestuft und sollte zunächst nicht in Form von Fotografien veröffentlicht werden. Es soll ein Entwurf geschaffen werden, der auch innerhalb einer Gemeinschaft von befähigten Akteuren zum Gegenstand weiterer Entwurfs-, Entwicklungs- und Nutzungstätigkeiten werden kann. Für konkrete Nutzung und Anpassung an eigene Bedürfnisse im Sinne einer Endnutzung soll sich der Entwurf ebenso eignen wie zur technologischen und entwerferischen Weiterentwicklung durch verschieden befähigte, auch unternehmerisch agierende Experten. Es sollen technische Voraussetzungen geschaffen werden, um anders nicht realisierbare schwimmende Strukturen zu fertigen und an spezifischen Bedarf anzupassen. Die Offenheit soll durch verschiedene, zu entwickelnde und zu beschreibende Anschlussmöglichkeiten für die besagten Stakeholder gewährleistet werden. (CAD-Datensätze können z. B. entsprechend gängiger offener Lizenzmodelle6 frei zugänglich sein und in ihrer Grundform die Fertigung mittels 3D-Druckverfahren gewährleisten.) Modifikationen und Umbauten sollen erleichtert werden durch verschiedene Schnittstellen zu Erzeugnissen und Komponenten unterschiedlicher Fertigungsverfahren (Textil, Holz …). Der Gestaltungs- und Entwicklungsprozess selbst ist impliziter Bestandteil einer vorhandenen sogenannten Strömung beziehungsweise eines kulturellen Raumes unter Beteiligung professioneller Akteure. Diese kulturellen Räume finden auf zwei Ebenen Eingang in das Projekt: • als auf das erweiterte Thema „Mobilität/Gewässernutzung“ bezogene Aktivitäten und Hintergründe von Communities7

PRACTICE BASED  133

• als technologieaffine kulturelle Aktivitäten zum Thema 3DDruck (siehe u. a. RepRap-Projekt inklusive Community) Die Erkenntnis, dass Expertenwissen und technische Voraussetzungen zur Initiierung und Aufrechterhaltung eines auf Innovation ausgerichteten Settings und genuinen kulturellen Zusammenhangs nötig sind, führt zur Einbeziehung eines mittelständischen, innovativen Prototyping-Unternehmens8 in einem speziellen Anwendungsfall. Die Entwicklung von Verfahren und Werkzeugen im Bereich 3DDruck ist – parallel zu geschlossenen, technologiegetriebenen Entwicklungen – ebenfalls Gegenstand offener, aus dem akademischen Raum heraus initiierter Entwicklung und der damit einhergehenden, Community-basierten Grassroot ­Innovationen und „Tüfteleien“ (siehe u. a. RepRap-Projekt, Umbau von Kuka-Industrierobotern zu 3D-Druckern etc., erläutert im Kapitel 3). Stakeholder, Kompetenzen und Infrastruktur

Ein Gegenstand der Forschung ist die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern des Unternehmens 3D-Schilling und dem Autor. Es besteht eine generelle Übereinstimmung darin, zu innovieren und Veränderungen anzuregen. Dies beinhaltet auch die Weiterentwicklung der Kompetenzen der jeweiligen Stakeholder sowie der Form der Zusammenarbeit. Der Entwicklungsprozess involviert zwei Institutionen, das Unternehmen 3D-Schilling und die Bauhaus-Universität Weimar. Innerhalb dieser Strukturen sind zu drei exakt benennbaren Akteuren/Personen, die jeweils verschiedene Kompetenzen einbringen, nähere Angaben zu machen. Die Firma 3D-Schilling aus Oberspier bei Sondershausen ist Thüringens führender Anbieter von Rapid-Prototyping-Technologien wie Stereolithografie, Lasersintern, Vakuumguss sowie Prototypen aus Originalmaterialien. Parallel dazu ist das Unternehmen im Bereich Kunststoff-Verarbeitung tätig und bietet Ingenieurdienstleistungen an.9 Das mittelständischen Familienunternehmen hat sich seit den frühen 1990er Jahren im Bereich Prototypenbau und Serienfertigung (Kunststoffspritzguss) überregional etabliert. Hervorzuheben ist der auch für ein Prototyping-Unternehmen sehr hohe Anteil an Ingenieuren an der Gesamtbelegschaft (ca. 50 %). Dies ist einerseits Ausdruck einer generellen Innovationsfreudigkeit auf technischem Gebiet. Andererseits spiegelt dies auch die Bereitschaft wider, aus der Innovationstätigkeit heraus neue Geschäftsfelder, Dienstleistungen und Wertschöpfungsformen zu erschließen. Das Hauptgeschäftsfeld von 3D-Schilling liegt in der Anfertigung von Prototypen und Serienkomponenten für produzierende Unternehmen aus dem In- und Ausland. Einen signifikanten Wettbewerbsvorteil erschließt sich 3D-Schilling aus betriebsinterner Werkzeug- und Verfahrensentwicklung wie auch der Investition in neueste Anlagen (z. B. die Anschaffung einer vollautomatischen Prototypen-CNCFrässtrecke inklusive Werkstückvorbereitung, Fräskopfwechsel etc.).

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• Dr. Martin Schilling – Unternehmensgründer, Eigentümer und Geschäftsführer der 3D-Schilling GmbH; promovierter Ingenieur und Mitinitiator verschiedener Netzwerke zum Thema Prototyping, additive Fertigung und Industrie 4.0 (u. a. Vorsitzender des Protonetz Thüringen10) • Andreas Stietz – Angestellter Ingenieur und CAD-Konstrukteur/Programmierer bei der 3D-Schilling GmbH: Betreuung des Projektes Extended 3D-Print, unter anderem Programmierung der Fahrstrecken des Kuka-Industrieroboters sowie Evaluierung und gegebenenfalls Optimierung der dafür nötigen 3D-Datensätze • Helge Oder – Produktdesigner und Designforscher: Initiator des Projektes, teilnehmender Beobachter und Autor dieser Studie. Das Projekt wurde durch ihn auf Basis des Wissens um die Verfügbarkeit eines zum 3D-FDM-Drucker umgebauten 5-Achs-Industrieroboters der Marke Kuka angeregt. Das Forschungsdesign sah eine auf fünf Monate ausgelegte Zusammenarbeit vor, mit mehreren Treffen im Unternehmen und dem Austausch von digitalen Daten.

Methoden Projekt 1 Gemäß den Schlüssen aus dem Theorieteil sind sowohl das Entwerfen als auch die offenen Entwicklungstätigkeiten im Sinne eines Experimentalsystems erkenntnisorientiert. Nun soll versucht werden, die Besonderheit der doppelten ­Erkenntnisorientierung11 und der mehrfachen Bestimmtheit12, die die Tätigkeit des Designs innerhalb eines offenen Entwicklungsvorgangs kennzeichnet, herauszuarbeiten. Analog zu Technischen Dingen werden nun die stabilisierten, benutzbaren beziehungsweise anschlussfähigen Objekte als innovationsrelevante Dinge13 aufgefasst, die durch das Design in den Entwicklungsprozess eingebracht wurden. Auf Basis der bereits mehrfach erwähnten Komplexitätsreduktion durch nicht-technische Vorgehensweisen sollen qualitative Entwicklungsschritte evoziert werden. Unmittelbares Ziel des Projektes und unter methodischen Gesichtspunkten der eigentliche Gegenstand der Entwicklung ist die Befähigung des Unternehmens, Objekte dieser Größe mittels 3D-Druck zu fertigen. Dieses kooperative Vorgehen wird in Anlehnung an Rheinbergers Konzept vom Epistemischen Ding als Erkenntnisgegenstand verhandelt. Ebenso soll die Fähigkeit des Unternehmens, zukünftig in kooperativen und offenen Entwicklungszusammenhängen agieren zu können, als Bestandteil des Erkenntnisstrebens untersucht werden. Der Schwerpunkt der Erforschung offener Zusammenarbeit im Rahmen dieses Projektes liegt auf der Erzeugung von analogen und digitalen 2D- und

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3D-Objekten. Das Entwerfen von konkreten Objekten wird gemäß Forschung durch Design als epistemische Praxis betrieben. Die Objekte werden in verschiedenen Testszenarien und Experimenten erzeugt beziehungsweise eingesetzt. Die Arbeit mit diesen als Prototypen betrachteten Objekten wird teilnehmend beobachtet, und die Objekte werden im Hinblick auf ihre Rolle als Attraktoren im Innovationsprozess und auf ihre Eigenschaften als Entwerferische Dinge beschrieben. Die Person des Forschenden ist als Entwerfer unmittelbar in das Entwurfs- und Innovationsprojekt involviert. Die Methodologie unterteilt sich in folgende Bestandeile: • Konzeption und Planung eines innovationsorientierten Gestaltungs- und Entwicklungsprojektes • Gestaltung materieller Objekte (Entwurf) • Teilnehmende Beobachtung • Analyse der im Entwurfsprozess und im Austausch mit Stake­ holdern erzeugten Artefakte (2D- und 3D-Objekte) • Beschreibung konkreter qualitativer Entwicklungsschritte sowie des unter Umständen veränderten Settings Grundlage der Vorgehensweise ist ein zweistufiger projektbasierter Designfor­ schungsansatz.14 Zunächst wird auf Basis der bisherigen Recherchen und Analysen zu Open-Design-Prozessen ein Projekt formuliert. Die Rahmenbedingungen, das Themenfeld und die inhaltlichen Schwerpunkte sind Ergebnis der Reflexion der in den vorhergehenden Kapiteln beschriebenen Erkenntnisse zur Entwicklungs- und Entwurfskultur in offenen Entwicklungsprozessen.15 Im Forschungsprojekt Extended 3D-Print verdichten sich diese Erkenntnisse zu einem konkreten Vorhaben und machen die Besonderheiten des interdisziplinären Arbeitens an einem Open-Design-Entwurf sichtbar, welcher das Potenzial haben soll, Prozesse auch auf kultureller Ebene in Gang zu setzen. Die erste Phase dieses Projektes fokussiert die Zusammenarbeit zwischen dem Produktdesigner (dem Autor) und einem Unternehmen (KMU), dem Unternehmen 3D-Schilling, an einem innovationsträchtigen technologischen Themenfeld mit dem Ziel, eine offene Innovations- und Designökologie anzustoßen.

Konkretes Thema: Extended 3D-Print – Untersuchung der räumlichen und z­ eitlichen Öffnung von Innovationsprojekten Im ersten Teil des Projektes steht die Entwicklung von CAD-Datensätzen für ein Kajak und ein 8,5 Meter langes Segelboot im Mittelpunkt. Basierend auf vorhandenen schwimmfähigen Linienrissen wird die Bootsstruktur16 an die veränderte Fertigungstechnologie und das Material angepasst. Durch die generative Fertigung werden neue Freiheitsgrade für Strukturelemente und Innenarchitektur möglich

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und sollen durch den Entwurf reflektiert werden. Ziel der Kooperation ist die Nutzbarmachung dieser 3D-Druck-Technologie für technische Anwendungen, das heißt, dass die Einhaltung von Toleranzen und die Fertigung steifer, belastbarer Elemente gewährleistet sind. Die Abstimmung über das finale Design findet in einer iterativen Zusammenarbeit von Ingenieur und Designer statt und wird über den Austausch von CAD-Datensätzen und die dadurch hervorgerufene direkte und indirekte Kommunikation strukturiert. Dieser Prozess gliedert sich in folgende Arbeitsschritte: Produktdesigner (Autor der Studie): • Entwerfen mittels Skizzen und 2D-Werkzeugen (Phototshop, Illustrator) • Oberflächenmodellierung in Autodesk Alias (NURBS-basierter Flächenmodeller) • Parametrische Konstruktion der inneren, festigkeitsoptimier­ ten Hohlkammerstruktur mittels Solidworks (Volumenmodel­ ler/Konstruktionssoftware)

• • • • •

Ingenieur (Mitarbeiter der 3D-Schilling GmbH) als externer Kooperationspartner: Bewertung der technischen Realisierbarkeit der Formentwürfe Simulation und Evaluation der Belastbarkeit; Topologieoptimierung Optimierung der 3D-Datensätze für den Druck Programmierung des 5-Achs-Druck-Roboters Überwachung des 3D-Drucks

Grundlegende technische Fragestellungen:

Die Entwicklungstätigkeit konzentriert sich auf Freiraumverfahren. Anstelle eines Filaments (FDM-Verfahren) wird thermoplastisches Kunststoffgranulat über einen Spritzgussextruder geschmolzen und durch die Extruderdüse schichtweise in Form gebracht. Daraus ergeben sich für das Vorhaben neben dem Vorteil des limitierten Bauraums und der Möglichkeit der großen Verbreitung in verschiedenen Communities auch einige Nachteile: Es ist mit der zum Zeitpunkt des Projektstarts verwendeten Hardware und Steuerungstechnik keine Unterbrechung der Extrusion möglich. Nur geschlossene Konturen sind ohne Absetzen des Extruders druckbar. Stützmaterial kann nicht gedruckt werden, und die Seitenneigung ist auf maximal 45 Grad beschränkt. Auskragungen und Hinterschnitte sind nicht beziehungsweise nur in der horizontalen Ebene druckbar. Die maximal druckbare Höhe beträgt mit dem zu Beginn des Projektes verfügbaren Experimentalsetting 180 Zentimeter (kleiner Kuka-Industrieroboter). Die Feinheit der Oberfläche wird durch den Durchmesser der extrudierten „Kunststoffwürste“ definiert. Er beträgt circa 6 Millimeter.

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Abb. 31: Während der Präsentation bei 3DSchilling gezeigtes Bild einer Segelyacht: Vorschlag zum Gegenstand des Entwicklungs­ projektes.

Die Ausführungsgenauigkeit ist aufgrund verschiedenster mechanischer Toleranzen und unkontrollierbarer Deformationen des auskühlenden Kunststoffes nicht auf technischem Niveau realisierbar. Für Anwendungen im Bereich Monomöbel ist es ausreichend. Die Realisierung sogenannter technischer Anwendungen mit definierten Toleranzen und präzise reproduzierbaren Geometrien sind ein von 3DSchilling angestrebtes Ziel. Impulse aus dem ersten Arbeitstreffen:

Nach kurzem E-Mail-Verkehr wurde ein initiierendes Projekttreffen im Unternehmen anberaumt, in dessen Verlauf ich meine Ideen und Vorschläge präsentierte.17 Auch die Diskussion über den exemplarischen Entwicklungsgegenstand wurde geführt und – auf meine Anregung hin – verbindlich das Thema Boot/Yacht festgelegt. Als Beispiel eines Open Design mit Potenzialen zur Veränderung von Wertschöpfungsketten zeigte ich mehrere Bilder und einen Linienriss der von mir 2009 gestalteten Yacht five55. Diese Abbildungen ernteten große Zustimmung. Die bildliche Repräsentation vermittelte das Potenzial dieses Objektes, das in kulturell konstruierten Wertvorstellungen wie auch in seiner ästhetischen Qualität fußt. Auf der Basis dieses Entwurfs wurde eine Arbeitsvereinbarung über die kooperative Innovationstätigkeit getroffen. Die Herausforderung des Drucks eines auf verschiedene Weise dynamisch hoch belasteten Monoobjekts (Schiffsrumpf) definiert Rahmenbedingungen, an deren Realisierung sich die im Unternehmen üblichen Innovationsprozesse

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Abb. 32: Linienriss der Segelyacht – gestalterisch und konstruktiv fundierter Ausgangpunkt des Projektes Extended 3D-Print.

auszurichten hatten. Auch die Aussicht der Verwertung des gedruckten Objekts als Technologieträger in Ausstellungen oder bei medialen Präsentationen wirkte als Anreiz. Objekt 1: Kajak als Experimentator für 3D-Druck-Technologie

Zunächst sollte eine einfache schwimmende Struktur entwickelt werden. Wir entschieden uns in der Projektgruppe für einen Kajak-Rumpf. Da der Kajak-Entwurf als eine „Vorübung“ geplant war, erfolgte die formale Entwicklung unter dem Aspekt bestmöglicher technischer Umsetzbarkeit und beinhaltete die Auslotung von Machbarkeitsgrenzen der aktuellen Hardware-Software-Konfiguration. Die Bootskörper wurden zunächst im NURBS-Flächenmodellierprogramm Alias18 von Autodesk nach der Theoriemodell-Methode19 modelliert. Im Solidworks auf Basis dieses Datensatzes mittels der Funktion „Offset“ erzeugte Volumina ermöglichten die Berechnung der CNC-Daten.20 Zunächst wurde ein Kajak von 3,60 Metern Länge entwickelt. Um den Gesamtaufwand beim Druck niedrig zu halten, wurden Gestaltungselemente der ersten Version auf eine Länge von 2,60 Metern übertragen. Die Begutachtung und erste Berechnung dieses Entwurfes durch den beteiligten CAD-Ingenieur ergab, dass dieses Fahrzeug nur schwer zu drucken ist. Er stellte anhand des Datensatzes fest, dass ein geschlossener Hohlkörper leichter zu berechnen und zu drucken wäre. Aufgrund des gleichmäßig und ohne Unterbrechung arbeitenden Spritzgussextruders waren geschlossene Konturen vor­zuziehen. Die Einstiegsöffnung sollte geschlossen sein und nach dem Druck ­ausgeschnitten werden. Der schwer druckbare Kragrand am Einstieg sollte entfallen. Der Druck des Kajaks sollte in vertikaler Ausrichtung erfolgen, das heißt, das Kajak würde als vordere und hintere Hälfte gedruckt werden. Die Rumpfteile stünden wie ein Zuckerhut auf dem Boden und würden bis zur Spitze (Bug oder Heck)

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Abb. 33: Der erste Entwurf eines Kajaks von 3,60 Metern Länge wurde als zweiteilig zu druckender Rumpf konzipiert.

Abb. 34: Zweiter KajakEntwurf: eine eingekürzte Variante des ersten Entwurfs.

Schicht für Schicht gedruckt werden. Alternativ wurde der Druck eines deutlich kürzeren Kajaks im Ganzen ins Auge gefasst. Damit nicht unnötig Höhe für einen später zu entfernenden Sockel verbraucht werden müsste, kam der Gedanke auf, einen Entwurf mit einem in die Rumpfform integrierten, flächigen Drucksockel zu realisieren. Der Gedanke des Drucks im Ganzen wurde aufgrund des höheren Aufwands bei der Montage des Druckroboters wieder verworfen.21 Die dritte Variante sah schließlich ein Kajak mit spitzen Enden und 2,95 Metern Länge vor. Diese Variante wurde letztendlich Gegenstand des ersten 3D-Drucks. Das Boot wurde in zwei Teilen realisiert, die jeweils auf der mittigen Trennfläche stehend zu Bug und Heck hin gedruckt wurden. Die Stabilisierungssicke auf dem Deck wurde beibehalten. Die Enden sind in einem Winkel kleiner als 45 Grad umgesetzt.

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Abb. 35: „Doppelsockelbug“.

Abb. 36: Seitenansicht.

Die eigentliche Neuerung war die Entscheidung, das Boot als Flächendatensatz zu exportieren. Damit entspricht die geslicte, also in Scheiben mit dem Abstand je einer Drucklage „geschnittene“ Außenfläche exakt einer ebenen, geschlossenen Fahrstrecke des Roboterarms.

PRACTICE BASED  141

Abb. 37: Druckfähiger ­Datensatz, Variante 3.

Abb. 38: Druckfähiger ­Datensatz, Variante 3, Seitenansicht.

Abb. 39: Momentaufnahme des Druckvorgangs. ­Dieses Druckverfahren erforderte stets geschlossene Konturen, die schichtweise linear und ohne ­abzusetzen gedruckt wurden. „Freistehende“ ­Elemente wie Verstrebungen etc. konnten nicht ­realisiert ­werden.

Abb. 40 und 41: Probefahrten auf dem Firmengelände von 3D-Schilling in Oberspier.

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Abb. 42: Standbilder aus der Videodokumentation der Testfahrt.

Abb. 43: Gedruckter ­Kajak-Prototyp mit einer Länge von 3 Metern: Gestaltungs- und Konstruktionsgrundlagen wurden an diesem Objekt exem­ plarisch untersucht.

PRACTICE BASED  143

Erkenntnisse aus dem Kajak-Druck und Qualitätssprung I

Auf den ersten Blick erscheint der Entwurf eines Kajaks banal: Das Variieren von Außenformen bei gleichbleibendem Produktcharakter, Nutzungsdispositiven und Interaktionsformen scheinen dem Bereich des Stylings zu entstammen. Doch dahinter steckt mehr: Indem der Rückzug auf die Form zur Methode und das ästhetische Ausloten von Lösungen zur Strategie wird, entzieht sich das Design der Notwendigkeit, innerhalb technisch geregelter Vorgehensweisen sowie vorgefertigter, sinn- und zweckentsprechender Formen von Gebrauch und Interaktion zu agieren. Durch das wiederholte Variieren hatte die Form zunächst einen analytischen Charakter. Jeder Zwischenschritt beziehungsweise jede Entwurfsvariante machte die Grenzen und den Entwicklungsbedarf der technologischen Verfahrensweisen sichtbar. Die nur bedingt erfüllbaren Anforderungen, die der Druck des Kajak-Entwurfs an die vorhandenen Ressourcen stellte, führten zu Veränderungen in der ingenieursspezifischen Arbeit: Verschiedene Detailverbesserungen am Drucker wurden vorgenommen.22 Dieser Vorgang war bemerkenswert, da die Kompetenz des Designs zum Reframing und nicht-technischen Analysieren des Gegenstandes der Gestaltung nahezu idealtypisch wirkte. Der Entwurf brachte den CAD-Ingenieur an seine Grenzen. Flächenmodelle sind Volumenmodellen aus Gründen der einfacheren Berechnung der CNC-Fahrwege vorzuziehen. Das CNC-Programmieren von Teilen mit Volumina, die mehr als eine einfache Lage extrudierten Kunststoffs umfassen (also Materialstärken jenseits der ca. 6 Millimeter starken, einfach extrudierten Kunststofflage), ist nur mit größerem Aufwand realisierbar. Dieser aufgedeckte Mangel wäre auf dreierlei Art und Weise zu beheben. Durch Aufstockung des Personals, durch Veränderung der Berechnungsmethode oder durch Veränderungen am Entwurf. Letzterer Punkt ist essenziell. Er zeigte eine weitere Bedeutungsebene, durch welche die Arbeit an der Form in diesem Projekt relevante Entwicklungen anregen konnte. Dabei handelt es sich nicht um die Kapitulation vor technischen Unabänderlichkeiten, sondern um die Eröffnung eines Entwurfsraumes, ausgehend von Erkenntnissen über die Ressourcen und Möglichkeiten der Stakeholder, die erst durch den Entwurf sichtbar wurden. In diesem Entwurfsraum23 wird nicht nur technikdeterministisch und positivistisch entworfen, sondern es entstehen neue Rahmenbedingungen, die zwar zunächst die technische Unzulänglichkeit ausgleichen, zugleich aber auch die Möglichkeit zur Schaffung neuer Formen von Komplexität und Anregungen zur Veränderung der (zunächst) technischen Vorgehensweise inklusive der damit verbundenen Rollen und Kompetenzen der Stakeholder aus dem Entwurf heraus beinhalten. Dieser Gedanke stand bei der Durchführung des zweiten Objektentwurfs Pate. Eine weitere Qualität konnte durch den Entwurf des Kajaks erreicht werden: Engineering und Design waren in der Lage, sich aufeinander einzuspielen, sich anzuerkennen und eine gemeinsame Perspektive auf das faktorspezifische Erarbeiten neuer Lösungen zu entwickeln. Dies geschah zumeist im Austausch von

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3D-Datensätzen, Detail-Screenshots und via E-Mail oder Telefon. Diese Seite des Entwurfs kann mit den theoretischen Ausführungen des kulturellen Lernens durch Tomasello24 und der durch die Arbeit an einem gemeinsamen Objekt/einer Repräsentation hervorgerufenen Interperspektivität gut beschrieben werden. Jedoch handelt es sich bei dem Entwurf nicht um eine unmittelbare Verkörperung früheren kulturellen Wissens (kultureller Wagenheber-Effekt), sondern um eine im Entwurf strukturierte, eigenständige Varianz, die ein gegenwärtiges Zueinander von Akteuren verkörpert. Objekt 2: 10-Meter-Daysegler als Grundlage experimenteller F ­ ormentwürfe

Ausgangspunkt der zweiten Phase der 3D-Druck-Optimierung war mein OpenDesign-Entwurf der Segelyacht five55. Wie beschrieben, wurde dieser Entwurf aus dem Jahr 2009 als initiierendes Element zu Beginn der Kooperation eingebracht und als realisierbares mittelfristiges Ziel der Zusammenarbeit festgelegt.25 Neben dieser strukturellen und konzeptionellen Vorgehensweise wurde die bereits b ­ erechnete Rumpfform, der Linienriss, in das aktuelle Projekt ­übernommen. Freihandskizzen: Ideensammlung und reflektierende Praxis

Die folgenden Abbildungen zeigen eine Reihe von schnellen Skizzen aus meinem Notizbuch. Die Besonderheit der Darstellungen besteht nicht in der zeichnerischen Ausarbeitung oder Abbildungsqualität, sondern in der suchenden Unmittelbarkeit des Augenblicks, in dem sie entstanden. Es handelt sich jeweils um allererste Vergegenständlichung neuer Gedanken, die im Verlauf der Kooperation mit 3D-Schilling entstanden. Eine Form der Autonomie und originären Kompetenz des Produktdesigns besteht in der Nutzung des Werkzeugs des Zeichnens als generierendes Verfahren.26 Es handelt sich um eine reflektierende Praxis im Sinne Schöns, in der jedoch der körperlich-gestische Vorgang der „Bilderzeugung“ für sich bereits ein Moment der tätigen und ästhetischen Reflexion und des stetigen Erzeugens originärer Phänomene und Ansätze ist.27 Die Bildobjekte generieren neue Erkenntnisse über den Gegenstand der Gestaltung. Diese individuelle Form der Erfahrenheit gründet sich auf somatisiertes Handlungswissen, auf bestimmte Prägungen in Zeichenstil und Zeichentechnik. Das Zeichnen öffnet als Entwurfstechnik einen Zwischenbereich. Dieser ist verortet zwischen den materiellen Widerständen des dreidimensional Objekthaften, der programmierungsbedingten Vorherbestimmtheit digitaler Entwurfswerkzeuge zur 3D-Modellierung sowie dem ephemeren Charakter des rein Ideellen (und der Darstellung dessen mittels Zeichen und Bedeutungsträger). Grundlegende, entwurfsspezifische Entscheidungen wurden in diesem Projekt auf Basis dieser Vorgehensweise getroffen.28

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Abb. 44: Verschiedene Varianten der Mastform und -aufnahme wurden in schnellen Skizzen reflektiert. Ebenfalls Formen der Verbindung von Mastfuß und Rumpf, von Krafteinleitung und Integration der Komponenten. Bekannte Motive wie das offene Spitzgattboot bildeten u. a. die Grundlage für schrittweise zeichnerische Abstraktion und neuartige Ansätze. Letztlich fiel die Entscheidung zugunsten eines klassischen Sloop rig. Im Sinne einer Open-Design-Ökologie kann in diesem Fall auf bestehende Produktions- und Nutzungskulturen auf­ gebaut werden. Das Design bezieht sich auf vorhandenes Wissen um Bedienung, Wartung und Reparatur. Akteure wie Segel­ macher, Beschlägehersteller, Tauwerkproduzenten sind auch indirekte Stakeholder in einer Open-Design-Ökologie. Standardisierte Bauelemente verschiedener Hersteller sind untereinander kombinierbar und Grundlage für oft individuelle, wenn auch technische Lösungen. ­ Abb. 45: Entkoppelung des Mastes vom Rumpf. Der durchgesteckte Mast steht ­direkt auf dem Kiel. Die Wanten werden durch Öffnungen im Rumpf geführt und ­direkt am Kiel befestigt. Dieser ragt ins Schiffsinnere. Somit sind keine von den Wanten eingeleiteten Zugkräfte vom Rumpf zu kompensieren, sondern lediglich Druckkräfte zwischen den Wanten aufzunehmen. Diese können unter Umständen von einem nachträglich eingelegten Stahlprofil, ähnlich einer Saling, aufgenommen werden. Da der Mastfuß ebenfalls auf dem oberen Ende des Kiels steht, wird ­zwischen diesen beiden Elementen eine Druckverbindung aufgebaut. Lediglich ein Biegemoment ist von der Mastöffnung im Rumpf aufzunehmen.

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Abb. 46: Formal signifikante Varianten der ­Verstärkung statisch belasteter Bereiche. Auf Deck nehmen biomorphe Strukturen die Druckund Biegekräfte auf, die durch Mast, Wanten und das Laufen an Deck entstehen. Torsionskräfte werden von Hohlprofilen längs und quer im Rumpf kompensiert. Die Tat­ sache, dass diese komplexen Hohlformen und hinterschnittigen Kragränder nur schwer oder gar nicht zu drucken sind, wurde zunächst bewusst ausgeblendet.

Abb. 47: Kreuzförmiges Profil zur Aussteifung des Schiffsrumpfes (­extrem ausgeformtes Kielschwein mit Quer­ volumen analog einer ­ odenwrange). B

Abb. 48: Erste Skizzen ­einer asymmetrischen Auslegung des Innenraumes (Skizzen im rechten Bereich des Bildes).

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Was ist auffällig an den Zeichnungen? • Die Linie beziehungsweise der Strich dienen in klassischer Weise dem Imaginieren von Volumina. Eine Reduktion auf Linien als eigenwertiges, gestaltgebendes Element findet nicht bewusst statt. • Eine scheinbar ungeordnete Genealogie von Themen, Motiven und Varianten ist zu sehen. Aus dieser generieren sich jenseits der Funktion konkrete Formcharakteristika und daraus ableitbare Prinzipien für den digitalen Modellbau, ohne festgesetzte Details vertieft auszuarbeiten. • Nahezu stereotype Verwendung der individuellen Vorstellung von Naturformen, die aus dem Erfahrungsschatz des Zeichnenden heraus an die Grundform appliziert werden. Auch dieses Mittel dient nicht der zweckgerichteten Entwicklung eines Funktionszusammenhangs, sondern der Erkundung und Konkretisierung eines an der Form orientierten Entwurfsraumes. Flächenmodellierung in Autodesk Alias als Entwurfsverfahren

Zwei Grundmotive wurden aus der zeichnerischen Reflexion herausgestellt: die asymmetrische Rumpfform (Abb. 48) und die Nutzung eines teilweise vom Rumpf entkoppelten Mast-Wanten-Kiel-Systems (Abb. 45 und 46). Die NURBS-3D-Modelliersoftware Alias wurde im folgenden Entwurfsschritt zur flächenbasierten 3D-Skizzierung der zeichnerisch entwickelten Entwurfsansätze genutzt. Ziel dieses Vorgehens ist nicht das Erstellen von druckfähigen Daten, sondern das Veranschaulichen, Ergründen und Erzeugen von bisher nicht vorstellbaren Detailkonstellationen und neuartigen Lösungen. Basierend auf der asymmetrischen Rumpfaufteilung wurden verschiedene Kombinationen aus einfach und mehrfach gekrümmten Flächen, Profilen und Durchbrüchen geprüft. Die folgenden Abbildungen zeigen einige mögliche Varianten struktureller Elemente mit Mehrfachfunktion. Modellierung in Solidworks (Volumenmodeller)

Im nächsten Schritt sollte die Herstellung eines druckbaren 3D-Datensatzes erfolgen. Bereits als Ergebnis der Entwicklung des Kajak-Prototyps wurde festgestellt, dass ein auf Flächen basierender Datensatz am besten geeignet ist, um ein relativ schnell als CNC-Datensatz zu berechnendes Objekt zu erstellen. Dieser Ansatz wurde bisher nur auf formaler (alle Formelemente wurden als einfache Flächen ausgeführt), nicht jedoch auf konstruktiver Ebene verfolgt. Bei dem mit NURBS modellierten Alias-Datensatz handelt es sich um ein Entwurfsmodell, an dem fortlaufend Veränderungen und Experimente vorgenommen wurden. Der Flächendatensatz im Alias entstand nicht mit dem Ziel der unmittelbaren Verwertung im Druck. Er zeigte zudem ein typisches Charakteristikum von 3D-Software: Die Möglichkeiten

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Abb. 49: Gekreuzte ­Hohlprofile als Stringer; ­Sekundärfunktionen als Stauraum oder Grundstruktur für weitere ­Einbauten sind denkbar.

Abb. 50: Doppelwandige Rumpfkonstruktion; Durchbrüche bilden den Kraftfluss entlang der Horizontalen und Vertikalen ab (Fachwerkkon­ struktion).

Abb. 51: Varianten der Rumpfstabilisierung mittels asymmetrischen Hohlprofils. Dieses dient als Sitzund Liegefläche. Zur Abtrennung und Schaffung von Privatsphäre sind textile Elemente vorgesehen.

Abb. 52: Rückansicht der asymmetrischen Rumpfvariante.

PRACTICE BASED  149

Abb. 53: Geschlossenes Deck und Innenraum.

Abb. 54: Negativansicht der Rumpfinnenfläche. Die Wandstärke beträgt in dieser ersten Testversion aus Gründen der ­einfachen Programmierbarkeit des CAD-Datensatzes durchgängig 8 Millimeter.

Abb. 55: Asymmetrisches Hohlprofil zur Längsund Querstabilisierung des Rumpfes. Alle durch Mast und Wanten auftretenden Kräfte werden in den Kiel geleitet. Zwei Querbolzen befestigen den durchgesteckten Kiel an dem asymmetrischen Hohlprofil. Der Mast ruht auf dem oberen Ende des Kiels. Die Wanten werden über Deckdurchbrüche ebenfalls ins Innere ­geleitet und am Kiel befestigt.

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Abb. 56: Längsschnitt mit Hohlkammerstruktur und seitlicher Kielauflage.

Abb. 57: Finales Kon­ struktionsprinzip.

Abb. 58: Innenstruktur der 3D-druckfähigen ­Segelyacht (Bildmontage).

des Programms sowie die Fähigkeiten des Gestaltenden bestimmen maßgeblich die Formfindung und Variantenbildung. Gut zu sehen ist dies an den extrudierten Kurven, die als Stringer verwendbare, gekreuzte Hohlprofile hervorbrachten (Abb. 49).29 Um einen druckbaren Datensatz zu erhalten, war es zunächst notwendig, mit einer Konstruktions-Volumenmodelliersoftware30 weiterzuarbeiten. Zudem waren die zu geringe Anzahl und der Ausarbeitungsgrad der Flächen ungeeignet, um Stabilität und Steifigkeit auf dem für einen Bootskörper erforderlichen Niveau

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zu erzeugen. Das Einfügen zahlreicher Versteifungselemente ist notwendig – eine Arbeit, die in einem auf Oberflächenerzeugung hin optimierten 3D-Programm wie Alias zeitaufwendig und kompliziert ist. Nun stellt die Verwendung eines Volumenmodellers wie Solid Works einen Widerspruch zu dem gestellten Ziel der reinen Flächenmodellierung dar. Ziel ist jedoch die Schaffung eines geschlossenen Volumens, das sich als Hohlkörper in der exportierten .iges-Datei mit exakt abgestimmten Flächenabständen31 gut als Grundlage für den CNC-Datensatz verwenden lässt (geschlossene Außenfläche als Fahrweg). Die in Alias erzeugten Außenflächen für Rumpf und Deck bildeten die Grundlage für den Nachbau der Innenstrukturen im Volumen-Konstruktionsprogramm Solidworks. Verschiedene Detailveränderungen wurden im Laufe der Modellierung vorgenommen. Kritik am Ersten Daysegler-Entwurf:

Der erste Ansatz erwies sich bei mehrfacher Bewertung und Reflexion als ungenügend. Der Entwurf hatte nicht das Potenzial, einen qualitativen Sprung zu initiieren. Er reflektierte weder die technologiespezifischen Eigenheiten des 3D-Drucks, noch forderte er neue Denkweisen im Bereich der ingenieurstechnischen Arbeit ein. Der Entwurf hätte auch als GFK-Rumpf realisiert werden können. Die Wabenstruktur im Bereich des Unterwasserschiffs hatte den Charakter einer nachträglich eingebrachten Hilfskonstruktion und konterkarierte die verfahrensspezifischen Gestaltungsansätze, anstatt sie zu fundieren. Als Zusammenarbeit strukturierendes und Komplexität reduzierendes qualitatives Element im Sinne eines Prototyps/technischen Dings leistete dieser Entwurf auch nichts, was der Kajak-Prototyp im ersten Teil des Projektes nicht auch geleistet hat. Das geslicte Modell hätte aufwendig auf seine Druckbarkeit hin überprüft werden müssen. Nicht erwünschte Unterbrechungen im Fahrweg des Extruderkopfes ließen sich angesichts der Grundform nicht ausschließen. Detailreiche Nacharbeiten am Datensatz wären notwendig gewesen. Letzten Endes waren keine Potenziale für qualitative Entwicklungsschritte festzustellen. #Objekt 3#: Open-Design-Daysegler – zweiter Ansatz: Omega

Für die folgenden Schritte wurde die Erkenntnis aus der Umsetzung des finalen KajakEntwurfs – die Konzentration auf die Arbeit mit Flächen – zum grundlegenden Charakteristikum und gestalterisch leitenden Motiv des weiterentwickelten Entwurfs. Dieses Vorgehen erforderte, verglichen mit dem geometrisch relativ einfach zu realisierenden Kajak-Entwurf, die flächige Ausgestaltung und 3D-Modellierung von unsichtbaren Strukturen. Kurz: Der Entwurf musste von seiner Druckbarkeit her gedacht werden, ohne dass dadurch gestalterische Einschränkungen entstehen. Die intensive Beschäftigung mit der flächenbasierten Gestaltung des

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Abb. 59: Erste Zeichnung, in der das Konzept einer floßartigen Monoform mit längs angeordneten Hohlkammern visualisiert wurde. Diese Skizze entstand in einer frühen Ideenphase zur Entwicklung des ersten, inzwischen verworfenen Bootsrumpf-Entwurfes.

Abb. 60: Frühe Skizze von rhythmischen Hohlkammerstrukturen. Dieser Skizze liegt der implizite Gedanke einer zweidimensionalen Strukturierung der Form zugrunde.

Entwurfes barg die Möglichkeit neuartiger Lösungen und originärer gestalterischer Ansätze. Weiter verfolgt wurden die asymmetrische Aufteilung und der Gedanke, die Mast-Kiel-Einheit als separates, an wenigen Stellen mit dem Rumpf verbundenes Element zu betrachten und die Krafteinleitung in den Rumpf damit zu lenken. Die anhand des verwendeten Druckverfahrens definierten Rahmungen erforderten folgende Eckpunkte: • Geringstmöglicher Abstand zwischen den Berührungspunkten der Druckbahnen zur besseren Verklebung des angeschmolzenen Kunststoffs

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• Einzelelemente mit statisch stabiler Geometrie (ähnlich einem Fachwerk mit Grundteilung im 60-Grad-Winkel) • Exponentielle Verfeinerung und Vergröberung der Struktur an stärker oder schwächer belasteten Bereichen bei gleicher Grundgeometrie der Einzelelemente • Nutzung der Grundgeometrie für Funktionselemente der Inneneinrichtung (Sitzflächen, Ablagen etc.) Linie – Fläche – Volumen

Der Architekt Gottfried Semper suchte seinerzeit nach der kleinsten gestaltgebenden Konstante. Er fand sie im Textil in Form des Kett- und Schussfadens. Diese Fäden können auf unterschiedlichste Weise miteinander verwoben werden.32 Sein Ideal der „gewebten Wand“ prägte viele seiner Entwürfe. Eine derartige Herangehensweise konnte auch für das vorliegende Verfahren originäre formale und konstruktive Perspektiven eröffnen. Das kleinste gestaltgebende Element war im Falle unseres 3D-Drucks der Fahrweg des Roboterarms und die dabei extrudierte Kunststofflage. Eine bereits aus dem Kajak-Prototyping gewonnene Erkenntnis bestand darin, Flächenmodelle zu nutzen und den Fahrweg als unmittelbar formgebendes Moment zu behandeln. Dieses aus der Zusammenarbeit resultierende Framing erzeugte eine neue Implikation beziehungsweise Erkenntnis: Dieser Schritt erforderte die Nutzung anderer Entwurfswerkzeuge. Kapazitäten zum generisch-scriptbasierten Erzeugen von Grundstrukturen und Variationen in der Rumpfkonstruktion standen aber nicht zur Verfügung. Für die Arbeit mit einem algorithmischen Werkzeug wie Grasshopper33 erwiesen sich die Anzahl und die Beschaffenheit der einzelnen veränderlichen und kombinierbaren Elemente und Parameter als nicht ausreichend. Daher wurden die Grundlagen für die Form von Hand erzeugt. Der erste Schritt erfolgte grafischlinienbasiert. In Adobe Illustrator wurden Linienstrukturen als Grundmuster erzeugt und überprüft. Die experimentelle Entwicklung von Faltenmustern mündete schließlich in einer variablen 60-Grad-Geometrie, deren Einzelelemente aus einer fortlaufenden, gekrümmten Linie erzeugt wurden. Das solitäre Grundelement weist die Form eines in die Länge gezogenen Buchstabens Ω auf. Jeweils um die Hälfte ­verkleinert oder vergrößert, bildeten diese linearen Faltungen die Grundstruktur der versteiften und je Lage in einer ununterbrochenen Bahn druckbaren Hohlstruktur des Rumpfes. Von 2D zu 3D

Im nächsten Schritt erfolgten verschiedene Extrusionsversuche in Rhinoceros 3D, einem verglichen mit Alias einfach zu bedienenden NURBS-Modeller. Dieses Vorgehen zeigte – wie erwartet – eine Schwäche der Arbeit mit NURBS-Modelliersoftware: Da die NURBS-Flächen immer durch vier Kanten begrenzt sind, mussten

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Abb. 61: Grundelemente des zweidimensionalen Gestaltungsprinzips. Die Endloslinie bestimmt zugleich den Fahrweg des Extruders. Die Elemente können nach dem Fraktal-Prinzip verdichtet oder ausgedünnt werden, um unterschiedlichen Krafteinleitungen und Anforderungen an Steifigkeit zu genügen.

Abb. 62: Ausschnitt aus der fraktalen Linienstruktur, die der Erzeugung komplexer und einfach druckbarer Volumina zugrunde liegt. Die Bildausschnitte wurden exportiert aus Adobe Illustrator. Mehrere Rumpfquerschnitte werden durch eine Fläche verbunden und bilden den Bootsrumpf. Wird diese Fläche wiederum in dem Abstand der Drucklagen in Slices geteilt, erhält man unmittelbar den Fahrweg für die einzelnen Lagen, ohne das Ausfüllen von Volumina berechnen zu müssen.

die einzelnen Rumpfquerschnittspfade und deren Kontrollpunkte (CV – Control ­ ertex) präzise aufeinander abgestimmt werden. Dies geschah in tagelanger „HandV arbeit“. Das Programm Alias von Autodesk (im konkreten Fall: Alias Auto Studio) eignet sich zum präzisen Modellieren einzelner Flächen und exakten Positionieren der CVs. In diesem Programm wurden die in Rhinoceros 3D grob erstellten NURBSFlächenverbunde präzisiert und gemäß der für den 3D-Druck nötigen exakten Abstände und Toleranzen zwischen den Flächen beziehungsweise späteren Fahrwegen des Roboterarms finalisiert. Sowohl die CVs der 2D-Rumpfquerschnitte als auch die der dazwischenliegenden Flächen wurden bearbeitet. Teilweise erwies es sich als notwendig, einzelne CVs nachträglich einzusetzen, um Funktionselemente und Versteifungsstrukturen präzise auszuformen. Form und Datensatz

Die dem Entwurf zugrunde liegende, ornamental anmutende, innenversteifende „Fahrwegstruktur“ bildete die Ausgangsvoraussetzung zur Entwicklung eines parametrischen 3D-Werkzeuges oder Plug-ins. Dadurch konnten die Fähigkeiten und Grenzen des vorhandenen Druckers automatisch in die Konstruktion eines Datensatzes eingebracht werden. Die Kauschen (schleifenartige Formen) werden durch Rumpfquerschnitte definiert. Diese sind veränderbar. Derzeit geschieht dies durch „Zupfen“ an den CVs von Hand. Diese Kauschen oder Schleifenelemente können Funktionselemente verschiedener Art ausformen, wie zum Beispiel Sitzbänke mit statischer Funktion, Ablageflächen, Aufnahmen für weitere, unter anderem textile Elemente der Inneneinrichtung, Aufnahmepunkte für den Kiel etc. Im nächsten Schritt konnte ein Programmbaustein geschrieben werden, durch den an den

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Kontaktflächen für einen immer gleichbleibenden Abstand zwischen den einzelnen Kauschen gesorgt wird (Materialstärke des Druckfilaments). Besonderes Augenmerk galt dabei den Kontaktflächen nahe der Außenhaut. Sie sind nicht punktuell, sondern haben eine gewisse Höhe. So sorgen sie wie kleine Stringer für eine Grundstabilität des Rumpfes. Oberhalb dieser Kontaktflächen entfalten sich die kauschartigen Hohlstrukturen, die einander wiederum an bestimmten Punkten berühren und so – besonders in der Querrichtung – für eine stabile Fachwerkstruktur sorgen. Drei Größenrelationen von Grundelementen, durch welche die Gesamtstruktur an belasteten Bereichen fraktal verfeinert wird, waren zunächst angedacht. Im hier gezeigten ersten Entwurf verkleinern sie sich jeweils um die Hälfte, das heißt, die drei Elemente könnten zum Beispiel 20, 10 und 5 Zentimeter hoch sein. Diese zunächst in einer quadratischen Funktion beschreibbare Skalierung ist stufenlos variierbar und kann sich auch vergröbern; ein Element kann also so weit verkleinert werden, dass es verschwindet. Aus der Form der kleinsten Elemente dieser Struktur resultiert der Name OMEGA. 

Abb. 63: Flächige Klebestellen nahe der Außenhaut doppeln Material auf und fungieren als Stringer.

Abb. 64: Erste flächige Extrusion eines Rumpfquerschnittpfades in ­Rhinoceros 3D.

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Abb. 65: Rumpfquerschnitte und veränder­ liche Hohlkammer­ strukturen.

Abb. 66: Fehlerhafte Flächenextrusion in Rhinoceros 3D aufgrund nicht aufeinander abgestimmter Kurvenlängen und CVs.

Abb. 67: Rumpfquerschnitte und veränder­ liche Hohlkammerstrukturen; in Adobe Illustrator erzeugte und in Rhinoceros 3D importierte Pfade.

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Abb. 68: Detailarbeit an einzelnen CVs in Autodesk Alias.

Abb. 69: Veränderung durch Verschieben von zwei CVs in Autodesk Alias.

Abb. 70: Perspektivische Ansichten eines ersten Flächenmodells des Rumpfes.

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Abb. 71: Längsschnitt.

Abb. 72: Rückansicht; deutlich sind die aus der Hohlkammerstruktur ausgeformten Sitzbänke zu erkennen.

Abb. 73: Probedruck ­eines ­Rumpf­segmentes.

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Abb. 74: Gedrucktes Rumpfsegment im ­Größenvergleich.

Der Datensatz konnte problemlos als Grundlage für den Probedruck genutzt werden. Aufgrund von Störungen in der Materialzufuhr musste in unserem Entwurfsprozess der Druck leider nach einer Höhe von circa 40 Zentimetern abgebrochen werden. Die Reparatur beziehungsweise Verbesserung des Druckers dauerte mehrere Wochen. Abgesehen von diesen Problemen erfüllte der Entwurf die in ihn gesetzten Erwartungen.

Abb. 75: Überzeichnete Bildmontage für ein mögliches Szenario der Fertigung an variablen Orten.

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Abb. 76: Rumpf, ­Rendering.

Abb. 77: Rumpf, ­Draufsicht.

Abb. 78: Rumpf, Rück­ ansicht. Zu beachten ist die ­offene Hohlkammerstruktur, die an einem ­gebrauchsfähigen Boot geschlossen wäre. Auch die statisch sinnvollen, deutlichen Kantenradien würden im Tritt- und Sitzbereich kleiner ausfallen oder durch eine ­zusätzliche dünne Oberfläche bedeckt werden.

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Projektergebnisse

In einem abschließenden Gespräch mit Dr. Schilling Ende 2015 konnte ein positives Fazit aus der designgetriebenen Entwicklung zum Druck großer Monoteile gezogen werden.34 Auf technologischer Ebene wurden folgende Fortschritte konstatiert und weiterführende Vorhaben umrissen: • Materialzufuhr: Die Notwendigkeit der Optimierung der Materialzufuhr zum Druck einzelner Teile über mehrere Tage wurde durch die Anforderungen des Drucks der großen Einzelelemente deutlich. Der Drucker wurde mit einem mitwachsenden „Überbau“ versehen, durch den ein ausreichend großes Reservoir an Granulat mitführt werden konnte. • Kalibrierung der Schrittmotoren: Die feinmechanische Ausführungsqualität wurde fortwährend verbessert und ermöglichte den Druck großer Elemente mit Maßgenauigkeit im Millimeterbereich. • Schrittweise Entwicklung einer nochmals verbesserten, beheizbaren Bodenplatte: • Im nächsten Schritt soll die Fähigkeit zum Drucken mit feststehender Düse und bewegtem Bauteil entwickelt werden. Zusätzlich ist geplant, das Druckteil in einem zweiten Arbeitsschritt oberflächlich zu fräsen und somit Maßgenauigkeit im Zehntelmillimeterbereich zu erreichen. • Optimierung der Berechnung des CNC-Modells: Am Beispiel des Probesegmentes der 10-Meter-Segelyacht wurde die Zeitersparnis durch die Adaption der Open-Source-Software Mach3 deutlich: Anstatt der sonst erforderlichen vier Arbeitstage benötigte der neu eingestellte Mitarbeiter mit der angepassten Software lediglich zwei Stunden. Wertschöpfung:

• Personelle Aufstockung beim Unternehmen 3D-Schilling im Themenfeld „generative Fertigung“ • Entwicklung eines Kompetenzclusters zum Thema additive Fertigung und Industrie 4.0 in Mitteldeutschland in Form eines eingetragenen Vereins. Mehrere Akteure aus Unternehmen und Hochschulen sind darin organisiert. • 2017 konnte auch auf Basis von Erkenntnissen aus diesem Projekt die Herstellung großformatiger 3D-Druckteile im echten 3D-Druck (also mit frei bestimmbaren Geometrien jenseits der horizontalen Ebene) in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten

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Folgeprojekt vertieft und zu einem Dienstleistungsangebot ausgebaut werden.35 Auswertung und Schlussfolgerungen 1

Das Projekt Extended 3D-Print konnte durch die Arbeit an der Form sowie die dabei entstandenen Entwürfe ein schrittweises Öffnen bewirken: • Zunächst wurde das Projekt durch ein Beispiel angestoßen. • Im zweiten Schritt wurden die technologischen Möglichkeiten ausgelotet und das Ungenügen in Technologie und Kompetenzen aufgezeigt. • Der dritte Schritt betraf das konzeptionelle Weiterdenken (Öffnen) und die Einbeziehung verschiedener Stakeholder in die Planung weiterer Entwicklungs- und Verwertungsmöglichkeiten.

Die Objekte und ihre Qualitäten

Die Segelyacht five55 • Aussagekräftige fotografische Darstellungen eines maßstäblichen Modells der Segelyacht unterstützten die Herbeiführung der Arbeitsübereinkunft zu Beginn des Projekts. Diese durchaus als „Hochglanzbilder“ zu bezeichnenden Fotografien riefen teils affektive Zustimmung hervor. Die drei folgenden Entwürfe lagen zunächst als digitale Datensätze vor. Erfahrenheit und Routinen im ingenieurstechnischen Entwickeln und Innovieren seitens der Stakeholder (besonders der CNC-Programmierer) wurden angesichts der anschlussfähigen Datensätze abgerufen und zunächst nicht infrage gestellt. Jedoch zeigte die Form dem technischen Sachverstand und den materiellen Möglichkeiten Grenzen auf. Um auf einer inhaltlichen Ebene weiter innovieren zu können, mussten Routinen und Gewohnheiten verändert werden. Der Kajak-Entwurf: • diente der Analyse der Rahmenbedingungen und zeigte auf zwei Ebenen Veränderungspotenzial auf (technisches Realisieren, Entwerfen)36 Der Daysegler-Entwurf: • zeigte das Ungenügen konventioneller Formen der Gestaltung von 3D-druckbaren Objekten

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Der Entwurf OMEGA: • verkörpert einen qualitativen Entwicklungsschritt in einem Formentwurf, der einerseits Potenziale des Druckverfahrens aufgreift und andererseits auf mehreren Ebenen für unterschiedliche Stakeholder anschlussfähig ist37 • verkörpert die entscheidenden Qualitäten, die das Projekt über den konkreten Entwicklungszusammenhang hinaus öffnen. Der entwerferische Rückgriff auf die kleinsten gestaltbaren Elemente der Form diente als Basis für eine Form, die aus der Anschauung und entwerferischen Aneignung wie auch auf technischer Ebene anschlussfähig ist. Stressfaktoren, Tipping Points und ihre Ursachen

Drei konkrete Stressfaktoren sind zu benennen: Auf technischer Ebene war zu Beginn eine mangelhafte Ausführungsqualität zu erkennen (Druck ungenau, große Maßtoleranzen, stockende Materialzufuhr, Warping etc.). Dieser Mangel wurde durch die Anpassungen angesichts der beim Druck des Kajaks sichtbar gewordenen Probleme behoben. Das daraus resultierende Vermögen zum qualitativ hochwertigen Druck kann als ein erster Tipping Point angesehen werden. Der zweite Stressfaktor entstand, als auf Basis der Erkenntnisse aus dem ­Kajak-Druck ein komplexerer Bootskörper (Daysegler, Entwurf 2) entworfen werden sollte. Die technische Rahmung, die als vorläufige Grundlage des Daysegler-­ Entwurfs angenommen wurde, wies eine Vielzahl von Beschränkungen auf. Her­ kömmliche Herangehensweisen an die Formentwicklung mittels 3D-Software erwiesen sich als ungenügend. Auf Basis von Handzeichnungen und der bewussten Reduktion von Faktoren wurde ein grundlegend anderer Weg der Formfindung gewählt. Dieser führte zum dritten Entwurf OMEGA sowie zu der endgültigen Entscheidung, ein reines Flächenmodell mit darin verkörperten Fahrwegen für den Druckkopf zu bauen. Der Entwurf OMEGA weist einen formal und konstruktiv originären Charakter auf. Auf dieser formalen und verfahrenstechnischen Grundlage eröffnen sich Möglichkeiten für den 3D-Druck unterschiedlichster Formen und Geometrien. Es handelt sich um den entscheidenden Stressfaktor, Tipping Point und qualitativ wichtigsten Schritt im Projekt. Er ist im autonomen individuellen Entwerfen begründet. Dieser Entwurf erzeugte einen weiteren Stressfaktor: Der trotz Beschränkung auf die Fläche sehr große Datensatz musste berechnet werden. Dank der bewussten Suche nach einer effizienteren Berechnungsmethode durch einen neu eingestellten Mitarbeiter wurde das Unternehmen in die Lage versetzt, größere Monoelemente zu drucken.

164  ENTWURFS­FORSCHUNG 

Form

Die technischen Innovationen sind Ergebnis der Arbeit an der Form. Der Entwurf OMEGA weist formalästhetische Eigenständigkeit auf, aus der qualitative Aspekte auf verschiedenen Ebenen resultieren. Diese Form ist auf grundlegende Elemente reduzierbar, daraus resultiert die Anschlussfähigkeit als mögliches algorithmisches Gestaltungsprinzip.38 Ebenso können bekannte Bauelemente oder Objekte nach diesem Prinzip in einfache und steifigkeitsoptimierte 3D-Druck-Elemente integriert werden (einfache oder komplexere, aus anderen Materialien gefertigte oder assemblierte technische Elemente wie Beschläge oder Motoren). Auch hier handelt es sich um eine Form, auf der Variationen oder neu entwickelte Objekte aufbauen können. Ästhetik, Designsemiotik und Entwurfssemantik

Am Anfang des Projektes stand unter anderem die Übereinkunft, den 3D-Druck am Beispiel eines Bootsrumpfs weiterzuentwickeln. Über die schrittweise Reduktion von Bestimmtheiten und Bedeutungszusammenhängen auf ästhetische Phänomene konnten die beschriebenen Kompetenzgrenzen aufgezeigt und Ansatzpunkte zu deren Überwindung skizziert werden. Im Besonderen der Entwurf OMEGA zeigt, dass nur die bildnerisch-entwerferische Dekonstruktion bestehender Bedeutungsund Zeichenzusammenhänge zu anschlussfähigen ästhetischen Phänomenen führen konnte. Auf dieser Grundlage war es möglich, die auf großer Erfahrenheit der Akteure basierenden Gewohnheiten im Innovationsvorgang in einem qualitativ neuartigen Zusammenhang fruchtbar zu machen. Die ästhetisch fundierten Akte der Aneignung wurden in der finalen Ausarbeitung des Entwurfes OMEGA auf eine wiederum auch semiotisch anschlussfähige Basis gestellt: Als Resultat dieser ästhetisch-kooperativen Arbeit an der Form entstand ein Bootsrumpf – ein Objekt, das auf den ersten Blick erkennbar und vermittelbar ist, dann aber die Auflösung und Neukonstitution von Bestimmtheiten und Bedeutungszusammenhängen durch ästhetische Aktivität einfordert39 und die Bedeutung „Boot“ auf neue Weise fundiert. Als Grundlage einer Designsemantik verkörpert der Entwurf OMEGA auf idealtypische Weise das Zusammenspiel individueller sowie offener, kooperativer Erkenntnistätigkeit im Kontext von Design. Letztere fordert von allen Stakeholdern ästhetische Aktivität im Sinne tätiger Aneignung. Auf welche Weise sich aus dieser Wechselwirkung von Semiotik und Ästhetik die von Michael Franz beschriebenen Verweisebenen und Verweishinsichten verdichten und Erkenntnisse über die beteiligten Individuen zulassen, muss Gegenstand weiterer Untersuchungen sein.40 Kompetenzen und Kooperation

Eine neu geschaffene Bedeutungsebene verfestigt sich in einem besonderen Anerkennungsverhältnis, das in dem Entwerferischen Ding verkörpert ist. Die qualitativ veränderten technischen Eigenschaften sowie ideative Zuschreibungen sind

PRACTICE BASED  165

Resultat der Arbeit an der Form und der damit verbundenen ästhetischen Aktivität der Stakeholder. Die in dem Kooperationsprozess zunächst als eine Form der Arbeitsübereinkunft getätigte Zusammenarbeit verkörpert neben den oben stehenden Qualitäten auch ein tief greifendes Zusammenspiel von entwerferischen und ingenieurstechnischen Kompetenzen in einem auch ästhetisch fundierten Prozess. Auf der Ebene der Wertschöpfung und dezentralen Fertigung liegen ebenfalls Erneuerungspotenziale. Zentrale Elemente sind gemäß der Analogie zwischen Produkt-/Objektnutzung und Experimentalsystem nach Rheinberger die damit einhergehenden potenziellen Veränderungen von Kompetenzen und Rollen sowie von Formen der Zusammenarbeit. Diese Aspekte wurden im Projekt Extended 3D-Print nur skizziert und konnten nicht überprüft werden. Hier ist Raum für weitere Untersuchungen.

Zweites Detailproblem – Realisierung eines qualitativ ­relevanten ­Entwurfs als Grundlage von Öffnung für unterschiedliche Stakeholder. Thema: Verfahren zur werkzeuglosen Hochdruckinnenumformung Mehrere Konstanten charakterisieren die bisher durchgeführten Praxisprojekte: die niederschwellig und offen entwickelten technologischen Grundlagen (3DDruck), die Konstellation in der Zusammenarbeit mit KMU, die Anknüpfung an Zwischenschritte und Ergebnisse in einem offenen Entwicklungs- und Produktionszusammenhang sowie die Arbeit an schwimmenden Strukturen, an Hohlkörpern. Die letzten beiden Punkte sollen auch für eine weitere experimentelle Formgestaltung im Kontext offener Entwicklung herangezogen werden. Überdies konnte in dem Projekt Extended 3D-Print gezeigt werden, dass die abgeschlossene, autonome Arbeit des Produktdesigns Objekte schafft, durch die eine geregelte, rein quantitative Arbeitsweise verschiedener Stakeholder auf ein höheres Qualitätsniveau gehoben werden kann. An den Vorgängen beteiligt war eine relativ kleine Gruppe von Stakeholdern, auch die Weiterentwicklung des 3DDrucks großer Monoteile erfolgte nur in diesem kleinen Kreis von Ingenieuren und Programmierern.

Forschungsdesign / Experimentalanordnung 2 Das folgende Projekt entstand ab 2015 in Kooperation mit dem Fraunhofer In­ stitut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) Dresden und hatte das Ziel, einen Ansatz zu entwickeln, der explizit auf die Öffnung an unterschiedlichen Punkten ausgelegt ist. Die werkzeugarme Hochdruckinnenumformung (HDU)41

166  ENTWURFS­FORSCHUNG 

Abb. 79: Möbel und Objekte, u. a. von Oskar Zieta, werkzeugfrei hergestellt und teils mithilfe innerer ­Strukturen in die gewünschte Form gebracht.

bildete den technologischen Hintergrund des Versuchs, Stakeholder aus unterschiedlichen Bereichen der Entwicklung, Produktion und Nutzung zu einem sehr frühen Zeitpunkt in die Entwicklungstätigkeit anschlussfähiger Objekte einzubeziehen. Ziel war die kostengünstige und werkzeugarme Fertigung von stabilen Leichtbauelementen aus Metallblech, die einfache Konfigurierung und Herstellung von kleinen Losgrößen verschiedenartiger Elemente in dezentralen, vernetzten Wertschöpfungsszenarien sowie die Fertigung angepasster Stahlblechelemente vor Ort. Das Projekt lief in drei Phasen ab. In der ersten Phase wurden in einer kleinen Projektgruppe grundlegende Prinzipien zu verhakenden inneren Versteifungsstrukturen, einer Alleinstellung unseres Ansatzes der werkzeugarmen Hochdruckinnenumformung, entwickelt und an Prototypen getestet. Phase 2 stellte eine Art Zwischenspiel zur konzeptionellen Weiterentwicklung der Ergebnisse aus Phase 1 dar. Die dritte Phase beinhaltete die Öffnung des Projektes für verschiedene Stakeholder. Unter anderem wurde eine Projektgruppe gebildet mit dem Ziel, im Rahmen eines Drittmittelantrags Gelder für die weitere Erforschung und Entwicklung dieser Technologie zu akquirieren. Teilnehmende Akteure Phase 1: • Fraunhofer Institut für Werkzeugmaschinen und Umformung (IWU) Dresden • Drei Studierende des MA Produktdesign / HTW Dresden • Helge Oder / Produktdesigner, während des ersten Teils des Projektes Vertretungsprofessor an der HTW Dresden Teilnehmende Akteure Phase 2 und 3: • Fraunhofer Institut für Werkzeugmaschinen und Umformung (IWU), Dresden (Entwicklungsdienstleister) • Helge Oder (Produktdesigner)

PRACTICE BASED  167

• Whitestone Bikes, Zittau (KMU, Fahrradhersteller) • Institut Chemnitzer Maschinen- und Anlagenbau e. V. (Entwicklungsdienstleister) • Laser, Schneid und Gerätebau (LSG) GmbH, Dresden (KMU) • Hermann BLECHTECHNIK GmbH, Schorndorf (KMU) • Schmutzler GmbH, Lengenfeld (KMU) Phase 1: Am Beginn des Projektes stand der Gedanke, auffaltbare und sich verhakende Strukturen zur Innenstabilisierung und Steifigkeitserhöhung von Hohlkörpern zu nutzen. Die explizite Projektzielstellung der ersten Kooperation bestand dar­in, durch Entwurfsexperimente und die Arbeit an der Form materielle Grundlagen zur Verfahrensentwicklung der neuen Technologie zur Hochdruckinnenumformung im Rahmen des Methodenkanons des Fraunhofer IWU Dresden zu schaffen. Die vage, beliebige Idee sollte konkretisiert und dabei eigenständig entwickelt werden.42 Phase 2: Mehrere Konzepte für Produktanwendungen wurden iterativ entwickelt. Phase 3: Teilweise parallel zu Phase 2 fanden Workshops mit potenziellen Stakeholdern und Projektpartnern statt.

Methoden Projekt 2 In diesem Projekt wird die Forschung durch Design in einer Gruppe durchgeführt. Empirische Erkenntnisse über die Entstehung und die Auswirkungen der Entwürfe werden durch teilnehmende Beobachtung sowie die Analyse der entwickelten Objekte gewonnen. Der Autor tritt als teilnehmender Beobachter auf und bringt sich aktiv in Gestaltung und Entwurf ein.

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Abb. 80: Modellbau und Experimente der drei Studierenden der HTW mit unterschiedlichen Formen und ­Materialien (z. B. Karton, Folie).

Konkretes Thema: Entwicklung eines Verhakungsprinzips für innen­versteifte Hohlkörper im Kontext der HDU durch entwerferische Experimente Phase 1 – Grundlagen und Arbeitsfähigkeit durch gestalterisches ­Vorgehen

Für dieses Verfahren gibt es bis dato keine Grundlagen, auf deren Basis konkrete Elemente konstruiert und gestaltet werden könnten. Diese Grundlagen zu schaffen, ist Gegenstand des Projekts. Initiierende Impulse sollen durch analog-dreidimensionale, entwerferische Vorgehensweisen (u. a. Modellbau in verschiedenen Materialien) zur Ergründung und Übertragung von formalen und funktionalen Prinzipien erfolgen. Im Unterschied zu bisher gängigen HDU-Verfahren sind einerseits keine aufwendig zu fertigenden Werkzeuge vorgesehen und andererseits auffaltbare, sich verhakende Innenstrukturen zur Versteifung des Hohlkörpers als Innovation geplant. Um eine Grundlage für erste CAD-gestützte Konstruktionen und numerische Festigkeitssimulation zu erzeugen, werden die Materialexperimente in einen Prozess des ständigen Schaffens, Bewertens und Konkretisierens formaler Prinzipien eingebettet. Neben dem Ergebnis in Form eines Objektes und technischen Prinzips werden auch skalierbare Erkenntnisse zu Praktiken der Kooperation in einem F&E-Projekt ermittelt und dokumentiert.

PRACTICE BASED  169

Abb. 81: Drei Grundprinzipien der Verhakung, die vom Autor entwickelt wurden. Sie bildeten die Grundlage der weiteren Formexperimente der Studierenden. Das auf dem Bild mittig dargestellte Prinzip wurde aus­ gewählt, um es gemeinsam weiterzuentwickeln und abzuwandeln.

Abb. 82: Formexperimente auf Basis des ausgewählten Grundprinzips.

Qualitätssprung I – Verhakungsprinzip

Die Entwicklung des Verhakungsprinzips stellt den ersten qualitativen Sprung in diesem Projekt dar, der originär aus dem Produktdesign heraus entwickelt wurde. Aus drei möglichen Prinzipien, die vom Autor anhand von Papiermodellen und unter Berücksichtigung der präsentierten Materialexperimente (Abb. 81) der Studierenden in einer gemeinsamen Konsultationssitzung an der HTW entwickelt wurden, wählte die Studierendengruppe ein Prinzip für die weitere entwerferische R ­ eflexion aus.

170  ENTWURFS­FORSCHUNG 

Abb. 83: Skizze des ­Verhakungsprinzips der ­innenversteifenden Strukturen an einem ­einfachen Hohlkörper.

Abbildungen 84 bis 86: Schrittweise Verhakung gemäß dem entwickelten Prinzip.

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Abb. 87: Kunststoff­ modell der irisartigen, zentrischen Verhakung des ausgewählten Grundprinzips, Variante 1.

Abb. 88: Kunststoff­ modell der irisartigen, zentrischen Verhakung des ausgewählten Grundprinzips, Variante 2.

Qualitätssprung II – Simulation

Nachdem ein Grundprinzip erschlossen und ausgewählt wurde, sollte im zweiten Schritt dieses Prinzip für einen einfachen, geschlossenen Stahlblechhohlkörper adaptiert werden. Parallel zu diesen Entwurfsschritten wurden auch die möglichen ersten prototypischen Versuche sowie die dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen umrissen. Ausgehend von der runden Grundform wurde Schritt für Schritt ein Versuchsaufbau

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Abb. 89–91: Schematische Ansicht des Ver­ hakungsvorgangs am Probehohlkörper.

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Abb. 92: Numerische ­FE-Simulation des Fraunhofer IWU Dresden auf Basis der im Entwurf entwickelten Vorgaben.

entwickelt, der im Wesentlichen aus mit Druckluft aufzublasenden Edelstahlblechen bestehen sollte. Um den Aufwand des Fügens gering zu halten, sollte der prototypische Hohlkörper aus deckungsgleichen Innenstrukturen und Außenblechen bestehen, die mithilfe eines Balanciers und eines Hohlzylinders luftdicht aneinandergepresst werden. Die mit diesem Versuch gewonnenen Erkenntnisse sind nur bedingt übertragbar und skalierbar. Es liegt in der Natur von Umformungsvorgängen, dass jeweils unterschiedliche Materialstärken und Objektdimensionen ganz eigene, verschiedenartige Fließvorgänge hervorrufen, die nur grob antizipierbar sind und nicht von kleinformatigen Experimenten auf größere Hohlkörperstrukturen übertragen werden können. Daher handelt es sich bei diesem Versuch um eine prinzipielle Erkenntnis, die für jeweils andere Geometrien, Dimensionen und Formen der gewünschten Stabilität und Steifigkeit (Druck, Zug, Biegung etc.) aufs Neue experimentell spezifiziert werden muss. Die Besonderheit des Konzeptes besteht darin, dünnwandige Außenflächen mit inneren Stütz- und Fachwerkstrukturen in einem innovativen Mehrlagenaufbau zu kombinieren und mediendicht aneinanderzufügen. Diese aus ebenen Blechen bestehenden Innenstrukturen falten beim anschließenden Expandieren zu einem Hohlkörper auf, verhaken sich irreversibel und bilden so die Steifigkeit im Inneren der erzeugten Struktur. Derartige Bauteileigenschaften werden bisher nur über dickwandige Außenflächen unter Einsatz teurer Werkzeuge in Hochdruckinnenumformung (HDU) erreicht. Der für die Umformung nötige Wasserdruck liegt hier im Bereich weniger Bar. Die Umformung „am Wasserhahn“ mit geringem Aufwand ist möglich.

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Abb. 93 und 94: Mittels eines Balanciers und eines Hohlzylinders werden die ­Bleche temporär fixiert und mit Druckluft aufgeblasen. Der Vorteil besteht darin, dass die Bleche zur anschließenden ­Begutachtung leicht getrennt werden können.

Abb. 95: Verhakende ­Innenstrukturen an ­einem aufgeplatzten Hohlkörper.

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Allgemeine Erkenntnis

Auf rein technischer Ebene sind Ergebnisse von Materialexperimenten (wie am Beispiel des Edelstahlhohlkörpers gezeigt) nur schwer übertragbar und skalierbar. Auf entwerferischer Ebene gibt es einen Zusammenhang zwischen Form und Material. Entwerferische Experimente sind ästhetisch fundiert und skalierbar. Das bildnerische Vermögen der Entwerfenden erlaubt mentale Modellierung jenseits systemisch geregelter Grenzen. Formen und ästhetische Phänomene werden fortlaufend produziert und bewertet. Der im ersten Entwurfsprojekt beschriebene ­Zusammenhang von Ästhetik, Zeichen und Bedeutung ist auch in diesem vorliegenden Fall relevant. Dies schafft Ergebnisse, welche explizit auf die Vorbereitung und Initiierung von weiterführenden technischen Entwicklungen mit kultureller Relevanz ausgerichtet sind. Phase 2 – Konzeption für weitere Entwicklungen

Die folgende Phase der Projektentwicklung befasste sich damit, mögliche Objekte und Produkte zu finden und in konzeptionellen Entwürfen zu konkretisieren, an denen die Potenziale der werkzeugarmen HDU exemplarisch weiterentwickelt und demonstriert werden können. Ähnlich wie im Fall der 3D-gedruckten Bootskörper fiel die Wahl auf ein statisch anspruchsvolles, jedoch technisch nicht zu komplexes Objekt. Ein Bootskörper (Kayak-Rumpf) fiel nach ersten Entwürfen und der numerischen Simulation eines vom Autor angefertigten Datensatzes aufgrund zu hoher lokaler Materialausdünnung beim Umformvorgang aus. Nun sollten am Beispiel eines E-Bike-Rahmens technische Machbarkeiten der Hochdruckinnenumformung mit selbstverhakenden inneren Versteifungselementen in einem Folgeprojekt entwickelt werden. Qualitätssprung III – Konzeption

In dieser Phase wurde eine Konzeptskizze für ein konkretes Produkt entwickelt und visualisiert. Ziel war nicht die Entwicklung eines marktfähigen Erzeugnisses, sondern die entwerferische Rahmung der folgenden technischen Entwicklung. Daher wurden neuartige Herangehensweisen an ein bekanntes Objekt praktiziert (Rahmen eines motorisierten Zweirades). Dabei wurden die Eigenarten der HDU bewusst pointiert und in einem prägnanten und von gewohnten Konzepten für Zweiradrahmen abweichenden Formentwurf reflektiert. Die im Konzept gezeigte Form erschien sehr ballig und voluminös. Ähnlich wie beim Entwurf OMEGA (Daysegler) wurde hier ein bekanntes Objekt in seiner gewohnten Erscheinung und Bestimmtheit auf grundlegende Formelemente reduziert. Als Ergebnis ist ein auf vertikalen Flächen ausgeformtes Volumen entstanden.43 Spezielle Fragen der Rahmengeometrie wurden angesichts der asymmetrischen Auslegung zunächst vernachlässigt (Lagerung der Vorderradgabel außerhalb der Längsachse etc.). Anspruchsvolle Krafteinleitungspunkte, wie die Lagerung der Tretkurbel, wurden umgangen, indem der Rahmen für ein ausschließlich motorgetriebenes Fahrzeug (elektrisches

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Abb. 96: Skizze zum Konzept eines ­zweiteiligen, asymmetrischen E-Bike-­Rahmens. Sehr plakativ wurde hier die Auslegung als asymmetrischer Rahmen hervorgehoben. Der Entwurf hat zunächst das Ziel, Anschlussfähigkeit und schnelles Verstehen seitens der Stakeholder zu gewährleisten. Zwei separat zu fertigende Stahlblechhohlkörper sowie separate Anbauteile werden vor dem Expandieren an die ebenen Innenflächen gefügt. Unterschiedliche Blechstärken führen zu verschieden starker Umformung. Verhakende Innenstrukturen verstärken Krafteinleitungspunkte.

MOFA) konzipiert wurde. Im Zuge der weiteren Entwicklung mit verschiedenen

Stakeholdern sind unter dem Aspekt von Leichtbau verschiedenste Optimierungspotenziale denkbar. Phase 3 – Öffnung für externe Stakeholder: weitere Kooperationen und ­Forschungsanträge

Der folgende Abschnitt beschreibt eine Phase der Öffnung des Projektes für unterschiedliche Stakeholder. Auf Basis des entwerferisch realisierten Zwischenstandes – Grundlagen der HDU-Technologie und visuell skizzierte Konzepte für weitere Anwendungen – sollen in einem Netzwerk von Akteuren konkrete, horizontal organisierte Verwertungsschritte dieses Verfahrens skizziert werden. Eines der Ziele ist die Einwerbung von Drittmitteln, um die begonnenen Ansätze zur werkezugarmen HDU weiterentwickeln zu können.

PRACTICE BASED  177

Abb. 97: Zeichnerische Formstudie für einen Fußroller (ähnlich Inline-Skate) als innenversteiftes HDU-Teil – ein ­Demonstrator, der im Rahmen des ZIM-Projektes realisiert werden soll.

Das primäre Ziel weiterer Projektvorhaben ist die Entwicklung neuartiger dünnwandiger selbstversteifender 3D-Hohlkörperleichtbaustrukturen, welche mit werkzeugarmen, vollflexiblen Fertigungsstrategien hergestellt werden.44 Eine relevante Innovation besteht darin, dass die Fertigungstechnologie und die Prozesskette für diese „komplizierten“ Strukturen denkbar einfach sind. Es werden ebene Platinen flexibel und skalierbar beschnitten (Laserschneiden), bei Bedarf thermisch vorbehandelt (zur partiellen Festigkeitsstrukturierung), verschweißt (Laserstrahlschweißen) und im einfachsten Fall mit Wasserdruck zur Ausformung (Hydroforming) beaufschlagt. Für diesen Umformprozess werden prinzipiell keinerlei weitere Werkzeuge benötigt. Ein vergleichbares Verfahren gibt es bis heute nicht, es übertrifft bezüglich der Bauteilfreiheitsgrade und der kostengünstigen, vollflexiblen Fertigungsprozesskette alle bisherigen technologischen Lösungen. Mit dieser Form des Hydroformings können unterschiedlichste Geometrien in Losgröße eins erzeugt werden. So beinhaltet das Verfahren Potenziale, um diese innenversteiften Strukturen als modularen Baukasten konstruieren und in einer flexiblen Prozesskette regional vernetzt realisieren zu können. Die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten KMU wird durch Nutzung von Industrie-4.0-Verfahren zur digital vernetzten und automatisierten Fertigung gefördert.

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Abb. 98: Formstudie für Chassis eines Elektrokleinfahrzeugs mit ­seitlichen Crashschutzelementen und ­Batterieschutz – ebenfalls zu realisieren im beantragten ZIM-Projekt.

Die Akquise der Stakeholder für ein F&E-Projekt erfolgte auf Grundlage des Netzwerks des Fraunhofer IWU Dresden. Folgende Unternehmen aus den Bereichen Laserschweißen/-schneiden, Metallumformen, Prototypenbau (Mobility) und der Fahrradherstellung fanden sich für die Entwicklung eines Projektes zusammen. • • • •

LSG GmbH (Dresden/Sachsen) Hermann Blechtechnik (Schorndorf/Baden-Württemberg) Schmutzler GmbH (Witzenhausen/Hessen) WhiteStone Bikes (Zittau/Sachsen)

In mehreren Gesprächen zwischen den einzelnen Akteuren wurden verschiedene Themenschwerpunkte für ein zukünftiges Projekt festgelegt. Als Grundlage für die Beurteilung der jeweiligen eigenen Kompetenzen dienten den Unternehmen die aufbereiteten Ergebnisse der vorangegangenen beiden Phasen gestalterischer Tätigkeit (Entwicklung des Verhakungsprinzips, konzeptionelle Ansätze für Produktzusammenhänge) in Form von Bildern und Präsentationen. Ein erster Forschungsantrag, der auf die beschriebenen Prozesseigenschaften sowie die Kooperation/Vernetzung von Akteuren und die neuen Geschäftsmodelle

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setzte,45 wurde vom Projektträger mit Hinweis auf zu geringe technische Risiken in der Umsetzung abschlägig beschieden. Dies kann als Anzeichen dafür gedeutet werden, dass die Verbindung zwischen klassischer ingenieursgetriebener Entwicklung/Fertigung und primär digitalen, web- und plattformorientierten Geschäfts- und Wertschöpfungsmodellen (noch) nicht als vorrangig erachtet wird. Mit demselben Setting von Akteuren wurde ein zweiter Forschungsmittelantrag entwickelt. Im Rahmen eines Workshops am Fraunhofer IWU Dresden am 12. Januar 2018 wurden mit Vertretern des Netzwerks konkrete Fragen zu einem schon sehr weit ausgearbeiteten Forschungsmittelantrag46 diskutiert. Angestrebtes Förderformat war das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM), von dem Entwicklungsvorhaben von KMU in Kooperation mit Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen wie den Fraunhofer Instituten gefördert werden. Die im ersten und zweiten Teil des Projektes entwickelten Entwerferischen Dinge (Prototypen des Verhakungsprinzips sowie Konzeptentwurf E-Bike-Rahmen) waren den Akteuren im Vorfeld bekannt und wurden als Vergegenständlichung von Entwurfsund Kooperationskompetenz anerkannt. Da gemäß der Förderrichtlinien nach drei Jahren eine marktfähige Verwertungsperspektive verwirklicht sein sollte, war die Orientierung an derzeitigen Marktrealitäten geboten. Diese Tatsache illustriert ein generelles Dilemma in der Transformation bestehender Wertschöpfungsformen hin zu kulturell nachhaltigen Formen der Entwicklung, Produktion und Nutzung. Ein neuartiges, kulturell nachhaltige Effekte anregendes Produkt muss innerhalb einer herkömmlichen Struktur von Entwicklung und Verwertung realisiert werden. Der primäre Resonanzboden besteht damit nicht in kulturellen Dispositionen, sondern in wirtschaftlichen, unmittelbar verwertungsorientierten Überlegungen. Entsprechend naheliegend und risikoarm fielen die Themenfelder aus, auf die sich die Runde neben dem E-BikeRahmen einigte: architektonische Fassadenelemente, Messestände (Bauten, bei denen Geld eine untergeordnete Rolle spielt, die spektakulär aussehen sollen und nach kurzer Nutzung entsorgt werden), Karosserieelemente für Elektroleichtfahrzeuge (Crashsicherheit) und eventuell individualisierbare Fahrradsättel. Die Erforschung einer alternativen Form der Entwicklung, Produktion und Nutzung ist im Rahmen derartiger wirtschaftlich orientierter und anwendungsbezogener Förderprogramme schwer realisierbar.47 Die potenziellen Abnehmer (aus dem BusinessBereich) werden als feste Größe behandelt, deren ermittelter Bedarf nach konkreten Produktlösungen unmittelbar erfüllt werden soll. Partizipation und Entwicklung

Aufgrund der beschriebenen Möglichkeiten, Produkte in Losgröße eins zu fertigen, bekommt der Kunde beziehungsweise Nutzer in der Entwicklung eine wichtigere Rolle. Die Nachfrage nach Produkten oder Lösungen für konkrete Situationen und Gegebenheiten (Anlagenbau, schwimmende Strukturen, Raumgestaltung, Behälter) kann durch die vielfältige Anwendbarkeit und die dezentrale, digitale

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Entwicklungs- und Fertigungskette gefördert werden. Co-Entwicklung ist so denkbar. Damit ist die Tätigkeit des Kunden nicht mehr die eines reinen Partizipanten, sondern wird zu einem ideativen oder konzeptionellen Vorgang. Dieser Schritt muss jedoch gesondert realisiert und erforscht werden.

Auswertung und Schlussfolgerungen Das im letzten Abschnitt beschriebene Setting von Akteuren im Kontext des ZIMForschungsantrags stellt die organisatorische Grenze meiner Erkenntnistätigkeit dar. Neben der entwurfsgetriebenen, kooperativen Tätigkeit innerhalb des Kooperationsprojektes mit dem Fraunhofer IWU konnte ein sehr auf die Rolle des Ingenieurs zugeschnittenes Projekt angeschoben werden, das zunächst innerhalb bestehender Rahmungen von Wertschöpfung und Kompetenzschemata funktionieren soll. Das Projekt Hydrofix zeigt anhand dreier verschiedener Ebenen, wie Designkompetenzen ein schrittweises Öffnen bewirken können. • Zunächst wurde durch Formstudien die Arbeitsfähigkeit in einem kleinen Team von Produktdesignern und Ingenieuren hergestellt. • Auf der zweiten Ebene wurde dieses Konzept durch primär formgestalterische Experimente zu einem einfachen, funktionstüchtigen Prototyp weiterentwickelt. • Die dritte Ebene betrifft das konzeptionelle Weiterdenken und die Einbeziehung verschiedener Stakeholder in die Planung weiterer Entwicklungs- und Verwertungsmöglichkeiten – auch auf Basis von konkreten Konzeptentwürfen. Objekteigenschaften und Qualitäten

Die Anschlussfähigkeit der Erzeugnisse entstand einerseits durch die Implikationen unterschiedlicher Modellbaumaterialien, durch den Zwang zur Abstraktion und die Fokussierung auf bestimmte Aspekte. Die Ergebnisse präsentieren sich in erster Linie als anschauliche Objekte, an denen mit vorausgesetztem technischen Wissen und Erfahrenheit Wirkprinzipien erkennbar sind. Zu nennen sind das Modell, in dem das ausgewählte Verhakungsprinzip verkörpert ist, sowie die unterschiedlichen rotationssymmetrischen Ansätze für den ersten Expansionsversuch. Im Unterschied zum Extended 3D-Print wurden in der ersten Phase dieses Projektes zahlreiche Modelle geschaffen und genutzt, um Erkenntnisse zu erzielen und zu kommunizieren.

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Stressfaktoren, Tipping Points und ihre Ursachen

Dieses Projekt war von Beginn an auf die Wirksamkeit von Design als Innovationsfaktor ausgelegt. Daher sind die relevanten qualitativen Veränderungen zu erwarten gewesen. Der entscheidende Stressfaktor bestand darin, mit den Kompetenzen und dem Methodenrepertoire des Fraunhofer IWU überhaupt arbeitsfähig zu werden. Die Qualität der entwerferischen Arbeit beinhaltete, nicht nur der Idee eine Gestalt zu geben, sondern sie überhaupt erst substanziell zu machen und auf materieller Ebene zu korrigieren und zu entwickeln. Reduktion, Abstraktion und die unterschiedliche Gewichtung von Faktoren im materiellen Arbeiten erzeugten oft als Ganzes betrachtet unklare und dysfunktionale Modelle, durch die jedoch konkrete Details herausgearbeitet werden konnten. Der erste Qualitätssprung/Tipping Point zeigte sich in dem Übergang von einer vagen Idee zu einem konkreten, funktionierenden Verhakungsprinzip. Mit den rotationssymmetrischen Modellen wurde der zweite Schritt hin zur erstmaligen Expansion eines Hohlkörpers im Originalmaterial ­getätigt. Im ersten Fall herrschte der Zwang, etwas Abstraktem und schwer Vorstellbarem eine auch technische Anschlussfähigkeit zu verleihen. Der zweite Fall (das linsenförmige Experimentierstück) stellte die Anschlussfähigkeit zu den (ebenfalls als Gegenstand der Entwicklung aufgefassten) technischen Experimentierressourcen des Fraunhofer IWU in Dresden her (numerische Simulation sowie Bau des physischen Funktionsprototypen aus Stahlblech). Die Entscheidung, mit Luftdruck und einem Balancier zu arbeiten, fiel infolge der Formfindung. Die numerische Simulation stellte einen Überprüfungs- und Feinabstimmungsvorgang vor den aufwendigeren physischen Versuchen dar. Ästhetik, Designsemantik und Entwurfssemiotik

Welche Impulse lieferten die Akteure auf Basis der gestalteten Objekte und Ansätze? In der ersten Phase (Öffnung innerhalb des Fraunhofer IWU) können die Ansätze klar benannt werden: Das entworfene Verhakungsprinzip repräsentiert eine Anfangsqualität und damit einen qualitativen Sprung, auf dessen Basis die zwei beteiligten Mitarbeiter des IWU auf technischer Ebene Wissen und Kompetenzen einbringen konnten. Im Gegensatz zum Projekt Extended 3D-Print war am Beginn dieses Projektes, abgesehen von einer ephemeren Idee, kein Ansatzpunkt für Bedeutungszusammenhänge innerhalb geregelter, technischer Innovationsstrategien vorhanden. Grundlegende Bedeutungszusammenhänge entstanden aus ästhetischer Tätigkeit und dem experimentell-entwerferischen Umgang mit Material. Die erzeugten Formen bildeten unter anderem die Grundlage für ein innerhalb des Teams genutztes Vokabular. So wurde der Begriff der „Verhakung“ in unterschiedlichen Zusammenhängen Bestandteil der Fachsprache – fundiert durch die ästhetisch-tätige Erfahrung der Entwerferischen Dinge.

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Anerkennung

Das auf langjähriger Erfahrung (bzw. nach Rheinberger Erfahrenheit) basierende Wissen der Akteure (Designer und Ingenieure) um konstruktiv-technische Zusammenhänge und deren modellhafte Erkundung führte zu der Entscheidung, einen linsenförmigen Hohlkörper als erstes Testobjekt zu realisieren. Auch hier wurde die Form durch gestalterische Experimente konkretisiert und als CAD-Modell, zunächst 2D, dann 3D, geschaffen. Diese gestalterisch-technische Grundvoraussetzung bildete die Basis für ein erstes Experiment mit einem physischen Objekt im Originalmaterial. Diese anders nicht realisierbaren Artefakte verkörpern die Anerkennung der jeweiligen Kompetenzen und biografischen Voraussetzungen der beteiligten Individuen aus ihrer Sozialisierung im gestalterisch-entwerferischen oder im ingenieurstechnischen Kontext. Somit ist auch die nicht-technische Strukturierung und Rahmung des Entwicklungsvorhabens durch das entwerferische Tun als unverzichtbarer Bestandteil technischer Innovationstätigkeit anerkannt. Der übergeordnete Handlungsrahmen der Kultur ist in den Innovationsvorgang implementiert.

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Weitere relevante Fragen lauten: Wie tragen Formen von offener Entwicklung dazu bei, Produktdesign und Entwerfen einen forschenden und erkenntnisorientierten Charakter im Sinne kultureller Nachhaltigkeit zu geben? Wie kann ein Ungenügen offener Entwicklung (u. a. zumeist technische Orientierung und dadurch teils deterministisch) durch entwerferisches Wirken des Produktdesigns und die Arbeit an der Form behoben werden? Welche besonderen Eigenschaften haben Erzeugnisse, die von Produktdesignern innerhalb eines potenziell offenen Entwicklungskontextes gestaltet werden? Ausgehend von den Forschungsfragen sollten auch die Fragestellung und die Fokussierung auf den ­Forschungsgegenstand des Forschungsvorhabens stetig empirisch überprüft werden. Der Autor (Forscher) als betreuender Lehrender trat im ersten Teilprojekt als entwerfender Akteur wie auch als externer Beobachter auf. Im zweiten Teilprojekt hatte er die Rolle und Funktion des Produktgestalters in einem kooperativen Projekt inne. „Research through Design bezeichnet das designeigene forschende und entwerfende Vorgehen. Designer/Forscher sind unmittelbar involviert, Verbindungen herstellend, den Forschungsgegenstand gestaltend.“ Dieser Ansatz entspricht zum Teil den als Grounded Theory und Action Research bezeichneten Vorgehensweisen, die sowohl Praxisveränderung als auch Theorieentwicklung aus dem entwerfenden Handeln heraus beinhalten. Zitiert aus: Jonas, W. (2007). Forschung durch Design als integratives Prozessmodell – eine Skizze. Veraltete und überzählige 3D-Drucker des Unternehmens 3D-Schilling bildeten den Grundstock des in einem ehemaligen Dorfgasthof untergebrachten FabLab. Inzwischen sind ein 3D-Scanner und andere Anlagen angeschafft worden. Verschiedene Formen von Creative Commons (CC) und der auf Richard Stallmann zurückgehenden ­General Public License (GPL) werden u. a. in der Softwareentwicklung seit einigen Jahren erfolgreich ­eingesetzt. Aus dem externen Studentenprojekt „Leben auf dem Wasser“ ermittelte Kompetenzen, u. a. Aktivitäten einer Berliner Hausbootcommunity und des Vereins Kulturfluss e. V. Siehe: http://kulturfluss.org/ (­Aufrufdatum 20.09.2017). Die Potenziale dieses Unternehmens können kulturelle Prozesse anregen und den technologischen Möglichkeiten einen kulturell relevanten Wirkhintergrund geben. Ebenso müssen sich kommerzielle A ­ ktivität und kulturelle Nachhaltigkeit nicht ausschließen. Vielmehr ist ein kluges Verknüpfen von ­Ressourcen in einem materiellen Prozess Gegenstand des Entwurfes. Die beobachteten und dokumen-

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tierten Praktiken und Artefakte des Entwurfsprozesses können Aufschlüsse über die Spezifik dieses Vorgehens liefern. Website 3D-Schilling. www.3d-schilling.de (Aufrufdatum 02.10. 2014). Siehe u. a.: https://www.thueringen.de/th6/tmwwdg/service/pressemitteilungen/81527/ (Aufrufdatum 20.05.2015). Durch individuelle entwerferische Tätigkeit sowie die Zusammenarbeit von Stakeholdern in einem ­Setting. Veränderungen, die neben dem Produkt auch auf Prozessebene, der Weiterentwicklung von Kompetenzen der einzelnen Stakeholder sowie bezüglich Formen der Zusammenarbeit Wirkung entfalten. Siehe Kapitel 1. Vgl. Arbeitsbegriff des Entwerferischen Dings im Kapitel 3. Siehe Analyse von Designforschungsansätzen nach Fatina Saikaly. In: Hugentobler, H. K. (2010). Designforschung und Designpraxis. In: Hugentobler, H. K., Mareis, C., Nyffenegger, F., Reichhardt, U., & Zerweck, P. (n.d.). Designwissenschaft und Designforschung. Bern, S. 41 ff. Materielle, politische und ökonomische Rahmenbedingungen werden analysiert und bei der Auswahl ­relevanter Stakeholder berücksichtigt; das potenzielle Wirkungsfeld für Produktdesign wird abgesteckt. Unter Berücksichtigung der statischen Anforderungen. Um die Zustimmung der Firma 3D-Schilling zu dem Projekt zu erwirken, entwickelte ich im Rahmen einer 10-minütigen Präsentation neben technologischen Details und Erläuterungen zur Erweiterung des Tätigkeitsprofils im Kontext von Open-Design-Ökologien auch konkrete Ansätze zur Präsentation und Verwertung des Projektes. Als Kontaktpunkte mit dem anvisierten, breiten Fachpublikum nannte ich in erster Linie Fachmessen und Publikationen in der Fachpresse im Bereich additiver Fertigung und Produktdesign. Durch die jahrelange Vertrautheit mit dieser Software war es mir relativ schnell möglich, Formvarianten zu erzeugen. Diese wurden Grundlage der gemeinsamen Evaluierung und faktorspezifischen Weiterentwicklung. Diese Art des Modellierens sieht vor, zunächst die Hauptflächen bzw. Hauptgeometrien (Flächen erster Ordnung) aufzuziehen, auf Kante zu verbinden und im nächsten Schritt unter Verkürzung der Hauptflächen Zwischenflächen einzuziehen (Flächen zweiter Ordnung). Zuletzt werden Verrundungen und Ecken ergänzt (Flächen dritter Ordnung). Es handelt sich um ein subtraktiv-verfeinerndes Vorgehen. Daten wurden als .iges-Format exportiert. Dabei zeigte sich ein Problem der Arbeitskultur: Im Rahmen der seltenen persönlichen Treffen konnten nur wenige Details tiefer gehend besprochen werden. Zwischenschritte basierten auf mündlichen Absprachen angesichts der jeweils jüngsten Entwürfe. Diese Entwurfsvariante dokumentiert die Geschichte eines Missverständnisses in der Zusammenarbeit zwischen dem CAD-Ingenieur und mir. Bei einem Treffen kam die Problematik der stabilen Sockelung des zu druckenden Kajaks zur Sprache. Verschiedene Varianten einer Formgestaltung mit integriertem Sockel wurden diskutiert. Letztlich schien ein geeigneter und gut druckbarer Weg darin zu bestehen, das Kajak mit einem in die Form integrierten „Doppelsockel“ auszustatten, der zugleich die Bugform definiert. Das Boot sollte dann in zwei Hälften von je 150 Zentimetern Länge gedruckt und mittig verschweißt werden. Eine vom Bug bis zum Heck durchgehende Sicke dient der Längsstabilisierung der Deckfläche gegen Durchbiegen. Letztlich erwies sich diese Form als nicht realisierbar aufgrund der anfangs doppelten geschlossenen Kontur, wodurch das Absetzen des Druckextruders nötig geworden wäre. An dieser Stelle kam erstmals die anfangs erwähnte Unmöglichkeit des Drucks separater Elemente in einer Lage explizit zur Sprache (nur geschlossene Konturen ohne Absetzen waren möglich). Unter anderem wurde durch die große Abmessung der Teile die Problematik der Positionsabweichung des Extruders (u. a. wies die starke Rumpfform deutlich sichtbare Wellen auf) und des Warpings (temperaturbedingtes Verziehen) der Kunststoffteile sichtbar. Ersteres wurde durch verschiedenste Detailabstimmungen gemindert, Letzteres durch ein neu konstruiertes beheizbares Bett behoben. Schön sprach von „new implications“, Petruschat sinngemäß von Modellbildung durch Auswahl und ­Reduktion und Rheinberger betrachtete ein derartiges Vorgehen als die Infragestellung des eigenen­ ­reproduktiven Hintergrundes. Diese Fertigkeiten des rekursiven Erkennens geistiger Zustände führen nach Tomasello zur Bildung ­gemeinsamer Ziele – zu einer sozialen Perspektive. Daraus wiederum resultiert die gemeinsame Aufmerksamkeit für Dinge, welche für die Zielvorgabe wie auch für die Aufrechterhaltung der dafür nötigen sozialen Konstellation relevant sind. Zentrales Element für dieses kulturelle Lernen ist die Kommuni­kation über eine perspektivische, kognitive Repräsentation mittels eines vorliegenden Gegenstandes, welcher die inneren Repräsentationen (mentalen Modelle) hervorruft. Siehe auch: Kapitel 1 Kulturelles ­Lernen.

184  ENTWURFS­FORSCHUNG 

25 Diesen 10 Meter langen Daysegler habe ich als „mitwachsende“ Segelyacht mit offen konfigurier- und veränderbarer Außen- und Innengestaltung mehrere Jahre vor der Durchführung des hier beschriebenen Projektes im Geist eines Open-Design-Gedankens entwickelt. Diese Open-Design-Ökologie wird durch die Fertigung mittels 3D-Print erweitert. 26 Siehe u. a.: Petruschat, J. (2001). Bemerkungen zum Zeichnen. In: Form+Zweck, 18 (2001). 27 Diesen tätigen Handlungskreis beschreibt neben Petruschat auch Wilson als elementar für das Finden originärer Ansätze (bzw. von „Lösungen“ nach Wilson) aus der suchenden Tätigkeit selbst heraus und nicht erst in der kontemplativen Reflexion der Ergebnisse (hier: Zeichnungen). 28 Da in dieser Forschungsarbeit bisher das Zeichnen als Entwurfstechnik noch nicht explizit thematisiert wurde, soll an dieser Stelle ein kleiner Exkurs erfolgen. Der Vorgang der mentalen Modellbildung bekommt durch das Zeichnen eine qualitative Steigerung. Petruschat schreibt dazu: „Zeichnen ist ein rückgekoppeltes Verhalten, virtuelle Realitäten aus der Vorstellung virtuos auf eine Fläche zu bringen. Dabei schärft die Zeichnung die Vorstellung, die ihrerseits das Zeichnen vorantreibt. Die Schleife des Zeichnens ist ein Schwingkreis der Erregung und einem Beobachter erscheint das Zeichnen als ein Flächen vermittelndes Zeigen innerer Bilder.“ Diesem Handlungskreis aus Vorstellung, motorischer Aktivität und dem Anregen und Konkretisieren neuer mentaler Muster wohnt ein produktiver, erneuernder Gestus inne. Petruschat: „Zeichnungen, die Objekte darstellen sollen, sind also immer unfertig. Sie sind nicht die Objekte, die sie vorstellen sollen, sondern bloße, mit Perspektive auch streng geführte Anregungen, diese Objekte auf eine über die Sinne hinaus gehende, also über-sinnliche Weise zu erzeugen. Zeichnungen zeigen nicht auf Dinge, wie viele noch immer glauben. Zeichnungen erregen Betrachter, in ihren Hirnen Neuronenfelder derart zu assoziieren, dass eine durch die Zeichnung vorherbestimmte Vorstellung entsteht. Zeichnungen zeigen also nicht rückwärts auf Objekte, auf die sie bezogen sind, wie Bildfolien (eidolas), sondern nach vorn, in die Sinnesapparate der Betrachter, um dort objektiviert zu werden.“ Diese Überlegungen Petruschats sollen Pate stehen bei dem Versuch, durch ein Wechselspiel aus Zusammenarbeit mit dem Projektpartner (CAD-Ingenieur) und zeichnerischer Reflexion zu originären Ansätzen für die Weiterentwicklung von Entwurf und Zusammenarbeit zu gelangen. Siehe: Petruschat, J. (2001). 29 Hier bietet das Programm Autodesk Alias „einfache“, „angenehme“ und gemessen am Aufwand „effektvolle“ Verwendungsmöglichkeiten. 30 Auch in Solidworks können für die einfachere CNC-Programmierung Flächenelemente und -datensätze erzeugt und exportiert werden. 31 Bspw.: Ein 6 Millimeter breites Volumen erzeugt zwei Flächen mit einem Abstand von 6 Millimetern, die ­parallel zueinander druckbar sind und miteinander verkleben. Damit wird eine doppelte Materialstärke erzeugt. 32 Siehe u. a.: Semper, G. (1851). Die vier Elemente der Baukunst. Braunschweig: Vieweg. 33 Ein Plug-in der 3D-Software Rhinoceros zur algorithmisch-parametrischen Erzeugung von Volumina mittels grafischer Benutzeroberfläche. 34 Zu Beginn des Projektes war der Drucker in der Lage, Objekte von der Größe und Komplexität eines ­Büropapierkorbs fehlerfrei zu drucken. 35 In einem neuen Setting von professionellen Stakeholdern (4 x KMU, die Hochschulen Jena und Ilmenau, das Fraunhofer Institut IWI Magdeburg) wurden Ergebnisse von Extended 3D-Print auf technischer Ebene zu einem „echten“ 3D-Druckverfahren großer Teile (1 m3) ohne den Zwang zum horizontalen, linearen Schichtaufbau entwickelt. Siehe: Schilling, M., Bliedtner, J. (2017). Hochproduktiver fertigungsangepasster 3D-Druck. In: Wt Werkstattstechnik Online 107, S. 1–4. http://www.3d-bigprint.de/images/ download/WBK_17_07_HP3D_Schilling.pdf (Aufrufdatum 20.02.2018). 36 Hier konnte zunächst das Erfahrungswissen des CAD-Ingenieurs im Drucken von Objekten auf der Ebene der Anschauung des 3D-Datensatzes ansetzen. Formdetails und mögliche Probleme bei deren Druck wurden auf Basis der vorliegenden Bilddarstellungen und 3D-Datensätze diskutiert. Sein Wissen und seine Erfahrenheit trafen im Entwurf auf einen dinglichen Resonanzboden. Aus dem aufgedeckten Ungenügen der vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen wurden weitere Schritte auf entwerferischer und technischer Ebene beschlossen (u. a. Verbesserungen am Druckersetting zur Erhöhung der Genauigkeit beim Druck, aber auch die Vereinfachung der Form wie auch die Konstruktion des Datensatzes in nur einer Drucklagenstärke (6 mm). 37 Die Qualität und Anschlussfähigkeit der Entwurfsschritte liegen u. a. in einer Erweiterung des Settings der potenziell an der Entwicklung teilhabenden Stakeholder in vier Bereichen: – Nutzung im Projekt zur Weiterentwicklung des Druckverfahrens sowie der damit zusammenhängenden konkreten Kompetenzen der Stakeholder

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– Verwendbare und weiterentwickelbare Erzeugnisse und Formprinzipien (in diesem Fall Bootsrümpfe oder andere Strukturen, Übertragung dieses Formprinzips auf andere Objekte) – Weiterentwicklung von Verfahren und Technologie außerhalb des Projekts – Entwicklung und Anerkennung von Kompetenzen, Rollen und Formen der Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb des Projektes Der Datensatz des Entwurfs OMEGA wurde „von Hand“ realisiert. Dieses Formprinzip kann in einen Algorithmus überführt werden. Auf diese Weise wäre es möglich, anhand konkreter Parameter wie Größe, Außenform, Stabilitäts- und Steifigkeitsanforderungen, Krafteinleitung an bestimmten Punkten, aber auch formaler und stilistischer Präferenzen (z. B. Grad der Sichtbarkeit dieses Formprinzips) eine automatisierte Berechnung des zu fertigenden Objekts vorzunehmen. Das Rhinoceros 3D-Plug-in Grass­ hopper stellt eine mögliche Plattform für ein derartiges Vorgehen dar. Die einfache Verfügbarkeit dieser Grundlagen des 3D-Drucks beinhaltet das Potenzial, die Rolle des Konsumenten hin zu Produktion und Entwicklung zu verschieben. Das Objekt Boot wurde zunächst aufgelöst. Die Innenstruktur ist gestaltgebendes Phänomen, das sich u. a. wieder zu einem Boot verdichten kann. Die Grundstruktur, der in diesem Kontext die B ­ edeutung Boot zugrunde liegt, ist ästhetischen Ursprungs und auch nur so zu erfassen. Siehe: Franz, M. (1980). Designsemantik. In: Form+Zweck, 2 (1980s), S. 27–29. Aktueller Stand der Technik im Bereich der werkzeugarmen HDU (2017): Der Architekt Oskar Zieta entwickelte an der ETH Zürich einen Ansatz der werkzeugfreien Hochdruckinnenumformung zur Erzeugung von Objekten aus Edelstahlblech vornehmlich im Bereich Möbel. Die im Patent beschriebenen Schutzansprüche beinhalten zwar Innenstrukturen, die ein Expandieren begrenzen sollen, nicht aber die Versteifung durch Innenstrukturen und auch nicht die Auffaltung und anschließende Verhakung der Elemente. Auch wird mit diesem Verfahren nicht der Präzisionsgrad erreicht, der für technische Anwendung nötig wäre. Präzise Funktionsflächen auf der Oberfläche sind nicht realisierbar. Eine andere Anwendung der werkzeugarmen Hochdruckinnenumformung findet sich im Turbinenbau. Der Flugzeughersteller Boeing hält ein Patent für die werkzeugarme Innenumformung von Turbinenschaufeln. Als initiierend für das Projekt kann eine erste vage Idee des Leiters des Forschungsbereichs Metallumformung am Fraunhofer IWU Dresden angesehen werden. In einem Kooperationsprojekt mit drei MAStudierenden der Fakultät Gestaltung an der HTW Dresden wurden Grundlagen für eine werkzeugarme Hochdruckinnenumformung (HDU) erarbeitet. Jedoch handelt es sich – anders als beim Bootsrumpf OMEGA – nicht um ein formales Analysieren vom kleinsten gestaltgebenden Element, der Linie, aus, sondern um ein Konzipieren von „außen“ nach „innen“ gemäß der in Phase 1 experimentell erzeugten Formphänomene. Die Innenstrukturen eines Rahmens muss Gegenstand zukünftiger gemeinsamer Innovationstätigkeit sein. Projektinterne Beschreibung: Es werden laserstrahlbeschnittene Feinblechstrukturen intelligent (vollständig und partiell) miteinander verschweißt. Dieses vorgefertigte mehrlagige, ebene Bauteil wird nun mittels eines Fluids mit Innendruck beauflagt und formt sich so zu einem 3D-Hohlkörper. Dabei richten sich innen liegende Blechkomponenten irreversibel (u. a. durch Verhaken) zu einer leichten Fachwerkstruktur auf und versteifen so gezielt den ausgebildeten Hohlkörper. Im Vergleich zu konventionellen Verfahren ist es mit dieser Innovation möglich, nahezu beliebige 3D-Hohlkörperstrukturen herzustellen, die sehr große Freiheitsgrade in der 3D-Oberfläche (Freiform), dem Volumen und den Eigenschaften (Festigkeit, Steifigkeit, Gewicht) besitzen. Dabei können alle umformbaren metallischen Materialien zur Anwendung kommen. Es handelte sich um das 2016 neu ausgelobte Format KMU_NetC des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). In diesem zweiten Anlauf wurde das für KMU- und Entwicklungsdienstleister naheliegende, jedoch auch sehr verwertungsorientierte und anwendungsnahe Format Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi) gewählt. Als Ausblick auf zukünftige Entwicklungstätigkeit wurde Folgendes umrissen: Wirtschaftliche Erfolgsaussichten und Anschlussfähigkeit / nächste innovatorische Schritte: Die Entwicklung weiterer Strukturklassen geschieht im engen Austausch mit beteiligten KMU. Diese ­sollen die Fertigung unterschiedlicher Typen von Bauteilen und Baugruppen übernehmen und eine breite Anwendung für unterschiedliche Zwecke und in verschiedenen Marktsegmenten ermöglichen. Prinzipiell soll dies anhand dreier Kategorien von Bauteilen entwickelt werden: Gleichartiges, in großen Stückzahlen zu produzierendes Bauteil (Sitzunterkonstruktion Automobilbau) Innerhalb bestimmter Grenzen konfigurierbares Produkt (ähnlich E-Bike-Rahmen)

186  ENTWURFS­FORSCHUNG 

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Komplett zu planende Bauteile, die in Losgröße eins und ggf. vor Ort produziert werden (­Lösung für solitäre, komplexe Geometrien, z. B. im Anlagenbau) Technische und konstruktive Schritte: Übertragung von Prinzipien und Standards (Strukturklassen) auf verschiedenartige Geometrien Implementierung von Standards und Strukturklassen in ein algorithmisches Werkzeug (Grasshopper) Technische Lösung der innenversteiften IHU soll an einem konkreten Bauelement als preiswertes Sub­ stitut zu bisherigen Fertigungsverfahren skaliert und für spezifische Zwecke weiterentwickelt werden 3D-Konstruktion und automatisierte Berechnung und Übertragung von modularen Konstruktionsstandards in den vom Kunden/Konstrukteur konfigurierten digitalen Datensatz des Produktes Entwicklung mobiler Verfahren für Bauteile, die „vor Ort“, also an der finalen Position innerhalb einer größeren Struktur, expandiert werden Preiswerte Implementierung der Technologie in kleinen KMU und deren Beteiligung am portalbasierten Fertigungsverbund

ANMERKUNGEN 187

5 Erkenntnisse und Fazit

Im theoretischen Teil dieser Untersuchung wurde im Zusammenhang mit der Forschungs- und Erkenntnistätigkeit im Design die Frage aufgestellt, worum es sich bei Design handelt: um eine Dingeigenschaft, ein Kompetenzfeld oder eine Prozessqualität? Die im Vorfeld formulierte Annahme, es handle sich um ein Kompetenzfeld, das Dingeigenschaften hervorbringt, in denen wiederum Prozessqualitäten enthalten sind, konnte durch den praktischen Teil bestätigt werden. Es sind in erster Linie entwerferische Kompetenzen von Individuen, die im Rahmen einer konkreten Zusammenarbeit zur Entstehung von originären Objekten und Innovationsschritten geführt haben.

190  ERKENNTNISSE UND FAZIT 

QUALITATIVE ENTWICKLUNSSCHRITTE UND QUALITÄTEN VON OBJEKTEN Die in den Projekten Extended 3D-Print und Hydrofix entworfenen Objekte sind Prototypen. Sie eröffnen für verschiedene Stakeholder unterschiedliche Arten der weiteren Verwendung, ohne diese Möglichkeiten als explizite funktionale und rein technische Bestimmtheit in sich zu tragen. Im Rahmen meiner entwerferischen Tätigkeit sind keine expliziten Produkte (im Sinne von am Markt erhältlichen, konsumierbaren Erzeugnissen) entstanden. Die neuartigen materiell-formalen Ansätze wurden an bekannten Kategorien von Objekten (Bootsrumpf) oder Modellen (Verhakungsprinzip Hohlkörper) vergegenständlicht, ermöglichten zunächst neue Formzusammenhänge und regten technische Vorgänge an. Der Entwurf von eigenständigen, originären Produkten, neuen Produkttypologien und damit zusammenhängenden neuen Gewohnheiten in Produktion und Nutzung wurde prospektiv angedeutet und muss Gegenstand weiterer Forschung und Entwicklung sein. Die Qualitäten entwerferischen Vorgehens – im Gegensatz zu technischen Vorgehensweisen – wurden ausführlich diskutiert. Im Kapitel 3 kumulierten diese Qualitäten im Arbeitsbegriff des Entwerferischen Dings. Als Folge erweist sich die entwerferische Vorgehensweise und das mit ihr verbundene Entwerferische Ding als Indikator und Verkörperung dessen, was man, nach Rheinbergers Formulierung, „noch nicht weiß“. Sie ist bestimmter als die von Rheinberger beschriebene Vagheit Epistemischer Dinge, jedoch nicht systemisch geregelt wie Technische Dinge. Sie erzeugt aus nicht-technischen, sinnlich-ästhetischen Zusammenhängen1 Anschlussfähigkeiten für zukünftiges, gegebenenfalls auch als „technisch“ zu bezeichnendes Vorgehen.

Zeit und Varianz als Form von Offenheit Die vorliegenden Entwürfe und gestalteten Objekte sind auf zwei zeitlichen Ebenen zu betrachten: der der Verwendung und Wirkung innerhalb eines Projektsettings und der der Hervorbringung neuer Settings und Kontexte. Ersteres wurde ausführlich beschrieben. Letzteres konnte mit der Vorbereitung des Forschungsantrages für das Projekt Hydrofix in einer Facette konkretisiert werden. Seine Relevanz besteht darin, längerfristig viel parallele Varianz zu erzeugen. Durchlässigkeit und ­Anschlussstellen sind an vielen Punkten in dem angeregten Prozess vorhanden. Jedoch ist diese Anschlussfähigkeit nicht technisch-beliebig2 und auch nicht auf einer rein planerisch-ideativen Ebene vorhanden. Dieses Vorgehen muss durch die Rolle des Designs ästhetisch-entwerferisch moderiert werden.

QUALITATIVE ENTWICKLUNSSCHRITTE UND QUALITÄTEN VON OBJEKTEN  191

Dunkle Phase – veränderte Rolle und Autonomie von Design Die hier behandelte Art des Entwerfens muss aufgrund ihrer Eigenarten auf besondere Weise eingeordnet und beschrieben werden. Im Gegensatz zu den recherchierten Formen der entwerferischen Beiträge in offenen Entwicklungsprojekten (Partizipation, Social Design) in Form von Nutzerbefragung sowie modularen, konfigurierbaren Objekten und Produkten hat das Design hier eine weiter reichende Rolle. Die zumeist technischen Objektbeiträge von Nicht-Designern (Open/User Innovation, z. B. bei Local Motors) zeigen nur technische Zweckzusammenhänge auf. Die in der vorliegenden praktischen Entwurfsforschung getätigte Entwicklung von der Form zur Technik und von der Form zur Kooperation, Interaktion und (künftigen) Gewohnheit stellt im Kontext offener Entwicklung ein Alleinstellungsmerkmal dar. Zunächst geht es darum, aus dem Design heraus die Settings und Grenzen von systemisch geregelten Formen der Zusammenarbeit zu erkennen. Dies geschieht nicht über Recherche und Analyse vorhandener Dinge und Praktiken, sondern über die experimentelle Gestaltung von Formen. Die Interaktion der Stakeholder mit diesen Formen macht neben konkreten Aspekten des Entwicklungsgegenstandes auch vorhandene Rollen, Kompetenzen und Modi der Zusammenarbeit sichtbar. Zugleich eröffnen sich Anknüpfungspunkte für qualitative Veränderungen dieser Aspekte. Diese Tätigkeit findet autonom und nicht unter direkter Partizipation oder kokreativer Mitwirkung anderer Akteure statt. Im Fall der von mir durchgeführten Projekte erforderten diese Dunklen Phasen die disziplinäre Kompetenz und Erfahrenheit des Produktdesigners und die sinnlich-ästhetisch geleitete Arbeit an der Form. Von einer schnellen Iteration im Sinne agilen Prototypings kann in dieser Phase keine Rede sein, da die qualitative Ausarbeitung der Entwürfe einer gewissen Sorgfalt und Ausdauer bedarf.

Resonanzraum der Dunklen Phasen Es handelt sich dabei um eine besondere Form der reflektierenden Praxis, in der Designer und Objekte erweiterte Rollen innehaben.3 In den recherchierten Varianten von offener und partizipativer Entwicklung war diese Arbeitsteilung leicht zu verstehen.4 Die Existenzweise der Objekte machte es den präzise adressierten Akteuren leicht, auf technischer Ebene (Entwicklung) oder im Rahmen von definierten Bedeutungen und Gebrauchszusammenhängen beziehungsweise deren Antizipation (fertige Produkte und Entwurfsalternativen, agiles Prototyping) an der Entwicklung teilzuhaben. Der der Dunklen Phase entstammende Entwurf hingegen stellt zunächst Fragen – und stellt, auch auf kultureller Ebene, vermeintliche Gewissheiten über

192  ERKENNTNISSE UND FAZIT 

Praktiken und Rollen in Kooperation und Innovation sowie über aktuelle kulturelle Kontexte und semantische Horizonte eines gesellschaftlichen Miteinanders infrage. Damit wird ein dem Epistemischen Ding Rheinbergers ähnlicher Kontext eröffnet: Der Gegenstand des Erkenntnisstrebens und die sich daraus ergebenden Prozesse, Haltungen und materiellen Dispositionen sind zunächst schwer zu f­ assen. Jedoch ist ein Entwurf Gegenstand wie auch Resultat sinnlich-ästhetischer Aktivität verschiedener Stakeholder und damit nicht vage und unscharf, sondern anschlussfähig und präzise. Objekte stehen im Entwurfsprozess nicht für sich. Sie sind integriert in ein Geflecht aus prinzipieller Arbeitsübereinstimmung, wachsendem Vertrauen und persönlicher Kommunikation der Akteure.5 Jedoch hat das Projekt Extended ­3D-Print gezeigt, dass eine derartige Arbeitsübereinstimmung auch durch einen Entwurf und im Besonderen durch eine Form initiiert werden kann und dabei die Anerkennung der jeweiligen Kompetenzen beinhaltet. Der Entwurf beziehungsweise die Form sind nicht nur Container von Ideen und vorgefertigten Bedeutungen und deren zeichenhafter Vermittlung, sie rufen nicht nur im Individuum Vorgeprägtes ab, sondern fordern ästhetische Aktivität und Veränderung ein.

QUALITATIVE ENTWICKLUNSSCHRITTE UND QUALITÄTEN VON OBJEKTEN  193

FORM ALS ANSCHLUSSFÄHIGE GRUND­LAGE FÜR OFFENES DESIGN Es konnte anhand der zwei Praxisprojekte gezeigt werden, dass sinnlich-ästhetische Aktivität eine produktive Beziehung hervorbringen kann und konstitutiv bei der Erzeugung von Formen ist – welche wiederum Resultat der umgebenden kulturellen Räume ist und in diese projiziert wird. Angesichts der im Kapitel 4 beschriebenen Kompetenzen von Stakeholdern ist einerseits die Erzeugung von Formen (primär in den Dunklen Phasen) und andererseits deren Aneignung durch tätige Interaktion seitens verschiedener Stakeholder (als Bestandteil des kooperativen Erkenntnisprozesses, des Entwerferischen Dings) zu betrachten.

Entstehung von Formen Die Fähigkeit, auf der Ebene der Form zunächst zweckfreie ästhetische Zusammenhänge zu erzeugen, wurzelt in der Erfahrenheit und Sozialisierung des Entwerfenden – in seiner Vorliebe für bestimmte Werkzeuge des Entwerfens, für Darstellungsformen und Arbeitsumfelder. Es handelt sich um eine Kompetenz des Designs. Dieses bildnerisch-ästhetisch dominierte Vorgehen konnte in der Entwurfsforschung realisiert werden.6 Durch die ästhetische Strukturierung von Komplexität wurde ein „formaler“, „feinplastischer“ Rahmen im Wortsinne geschaffen, der als „reine Form“ vorliegt. Passstellen und Anknüpfungspunkte wurden jenseits technisch und systemisch geregelter Parameter auf zunächst sinnlicher Ebene handhabbar gemacht.

Ästhetik Um die tatsächlichen Qualitäten der geschaffenen Objekte zu erfassen, ist das Wesen einer Form als zweckstiftend und nicht zweckerfüllend aufzufassen. Im Kapitel 2 wird mit Verweis auf Petruschat und Zeischegg beschrieben, dass von Formen zunächst bekannte Bedeutungen und ihre zeichenhafte Vermittlung zurückgewiesen werden können.7 In den vorliegenden Projekten konnte ein solches Zusammenspiel von Entwurf und neuer Rahmung an zwei Punkten herbeigeführt und beobachtet werden: am Entwurf OMEGA (Projekt Extended 3D-Print) sowie an dem Verhakungsprinzip von Hydrofix. Im Fall von OMEGA erwies sich das Spiel mit verschiedenen formgebenden Faktoren wie Linien und mehrfach gekrümmten Flächen sowie die Suche nach invarianten Faktoren8 als geeignet, um

194  ERKENNTNISSE UND FAZIT 

einen Entwurfsraum zu stabilisieren. Dieses Vorgehen wurde lediglich durch das Wissen um die aktuellen Möglichkeiten des 3D-Drucks im Partnerunternehmen grob bestimmt. Der Bedeutungszusammenhang „Bootsrumpf“ wurde immer wieder in ästhetisch erzeugte Formzusammenhänge aufgelöst, um als neues Formphänomen wieder in diesen Bedeutungszusammenhang zurückgeführt und von den Akteuren erkannt zu werden. Im Projekt Hydrofix konnte durch einfache Papiermodelle ein Raum der Analyse geschaffen werden. Technische Bedeutungszusammenhänge wurden durch primär ästhetische Abstraktionsschritte in verschiedenen Materialien zu grundlegenden Formen reduziert. Da die beiden Beispiele in einen überschaubaren Kreis von Akteuren implementiert wurden, muss dieses Wechselspiel aus Auflösung von Bedeutung und bekannten Zweckzusammenhängen durch ästhetische Reduktion, Strukturierung und Ordnung und der Herstellung neuer Zeichen- und Bedeutungszusammenhänge weiter beforscht werden.

Anschlussfähigkeit von Formen und die entwerferischen Dinge Das visuelle Erkennen sowie das Interagieren, das Hantieren mit der Form sprechen nicht nur sogenanntes „technisches Wissen“ an, sondern die Erfahrenheit im Umgang mit diesem Wissen.9 Sichtbar gemacht wurde dasjenige, was nicht technisch realisierbar sein muss, jedoch die Substanz besitzt, in Objekten vergegenständlicht zu werden. Es entsteht ein lückenhafter Gegenstand, eine Rahmung mit Vorschlägen für weitere, sinnhafte Bestandteile und Vorgehensweisen.10 Die primär sinnliche Ansprache ohne technische, geregelte Passstellen erfordert auch aufseiten der beteiligten Stakeholder eine produktive Beziehung im Sinne der ästhetischen Aneignung. Der Entwurf ist eine handlungsrelevante Resonanzfläche für Einträge der Stakeholder, die sich nicht in etablierte, systemisch geregelte Rahmungen fügen. Das Konzept der Entwerferischen Dinge beinhaltet derartige objekt- und materiell fundierte Eigenschaften und Vorgehensweisen. Zudem beschreibt es das kooperative Miteinander, aus dem heraus der Gegenstand von Entwicklung und Erkenntnisstreben an Kontur gewinnt: Aus der Dunklen Phase des individuellen Entwerfens hervorgegangene Resultate werden gemeinsam evaluiert und zu Prototypen verdichtet. Das Neue, zunächst Sinnlich-Ästhetische, wird iterativ verstetigt. Auch die Entwicklung neuartiger Interaktionszusammenhänge und Kontexte (wie in den Projekten Extended 3D-Print und Hydrofix geschehen) kann als eine „formgetriebene Moderation“ bezeichnet werden. Dieser Begriff positioniert sich zu der scheinbar oft im Design erkannten Kompetenz einer „Moderation von Prozessen und Zusammenarbeit“ – ich verweise einmal mehr auf das Design Thinking. Warum wird in dem Konzept der Entwerferischen Dinge der Ding-Charakter hervorgehoben? Die beschriebenen, komplexen und zweckerzeugenden Vorgänge

FORM ALS ANSCHLUSSFÄHIGE GRUND­L AGE FÜR OFFENES DESIGN  195

von Entwerfen und Kooperation sind nur mit einem Dingbegriff jenseits von Kategorien des Gegenständlichen zu fassen. Dieser Dingbegriff umfasst sowohl materielle als auch gedankliche Aspekte der Suche nach dem, was man „noch nicht weiß“. Zugleich muss ein qualitativer Unterschied zu dem per definitionem unscharfen und vagen Begriff des Epistemischen Dings (nach Rheinberger) herausgestellt werden: Die nach ästhetischen Maßgaben und unter bildnerischen Gesichtspunkten strukturierte Komplexität ist weder vage noch unscharf. Vielmehr werden komplexe Faktorengefüge, die mit technischen und rationalen Strategien schwer zu erfassen sind, aufgeklärt. Durch den Entwurf in Form gebracht, sind sie auf einer sinnlich-ästhetischen Ebene für alle Akteure und Stakeholder anschlussfähig.

Disruption und neue Bedeutungshorizonte als Resultat ästhetischer Aktivität Die Ergebnisse der theoretischen und praktischen Forschungstätigkeit wurden in dem von mir so benannten Wellenbrechermodell zusammengefasst. In diesem Modell wird zum einen veranschaulicht, dass die Perspektive des Designs die Momente von Disruption und Innovation in einem komplexen Erzeugnisentwicklungsprozess hervorruft. Der kulturelle Raum, aus dem heraus die Entwürfe entstehen und in den sie projiziert werden, ist integrales Element des Designprozesses. Das impliziert die unbedingte Einbeziehung verschiedenster Stakeholder in Entwurf und Designvorgänge. Kulturelle Nachhaltigkeit wird so auf methodischer Ebene gesichert. Faktoren technischer und kultureller Art werden in den sogenannten Dunklen Phasen des individuellen Entwerfens zusammengefasst und geordnet. Als Bestandteil des Entwerferischen Dings (also der sinnlich-ästhetisch begründeten Vorgänge und materiellen Dispositionen, aus denen heraus Innovation und Erkenntnis entstehen können) bilden die Dunklen Phasen die Grundlage, Wissen für alle Stakeholder und Akteure zugänglich zu machen, es gemeinsam in Prototypen zu verstetigen und so wiederum Innovation auf der Ebene von Objekten, Projekten und kulturellen Räumen (so die von mir aufgestellte Trajektorie von Entwicklungszusammenhängen) disruptiv hervorzurufen. Der primäre Vorgang von Disruption ist jedoch im sinnlich-ästhetisch fundierten Übergang von der entworfenen Form zum gemeinsam gestalteten Prototyp zu finden. In dieser Phase wird erstmalig überbordende, nicht zukunftsfähige Komplexität zurückgewiesen und auf neue Weise kooperativ strukturiert. Entwerferische Dinge stellen die Kompetenzen der Stakeholder nicht grundsätzlich infrage. Vielmehr erlauben sie, deren Kompetenzen und Erfahrenheiten in einem neuen Zusammenhang anwendungsfähig zu machen. Dabei treten, wie mehrfach beschrieben, Unzulänglichkeiten in dem bestehenden Setting von Ressourcen und Kompetenzen disruptiv zutage. Zudem regen die Objekte qualitativ neuartige (als „technisch“ beschreibbare) Vorgehensweisen auf mehreren Ebenen an. (Man könnte hier von Synthese sprechen.)

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DUNKLE PHASEN UND ENTWERFERISCHE DINGE

SETTINGS/ KULTURELLER RAUM

PROJEKT/ KOOPERATION

OBJEKT/ MATERIAL

Dunkle Phase

Dunkle Phase

Dunkle Phase

KULTUR (FORTLAUFENDE DINGLICHE KRITIK AUS DEM ENTWURF HERAUS)

Abb. 99: Aneinanderreihung mehrerer Dunkler Phasen in einem konkreten Projektsetting. Die in den Dunklen Phasen entstehenden Objekte sind jeweils auch für neue Projekte sowie für die Analyse und Anregung neuer Settings und kultureller Kontexte anschlussfähig. Aufgrund der interventionistischen Anschlussfähigkeit dieser Vorgehensweise auf mehreren Entwicklungsebenen und -kontexten wurde von mir der Arbeits­begriff Wellenbrechermodell eingeführt. „Wellen“ primär ideativer oder technikzentrierter Entwicklung und Innovationstätigkeit werden durch die Dunklen Phasen für kulturelle Fragestellungen geöffnet und zu einem vielfach anschlussfähigen Open Design transformiert.

FORM ALS ANSCHLUSSFÄHIGE GRUND­L AGE FÜR OFFENES DESIGN  197

MEHRFACHE BESTIMMTHEIT UND B ­ EDEUTUNG VON DESIGN Die ästhetische Reflexion des Ungenügens gewohnter Zweck- und Bedeutungszusammenhänge wurde als wesentlicher Impuls für das Gestalten und Entwerfen verhandelt. Im folgenden Abschnitt wird erläutert, welche Bestandteile komplexer Faktorengefüge im Rahmen des Entwerferischen Dings aufgeklärt und als Gegenstand von Innovation und Gestaltung herausgestellt wurden.

Nachgewiesene Bestimmtheiten Erkundung und Analyse, Zusammenkunft und Setting: Ein Design kann dazu dienen, ein mögliches Setting von Akteuren in offener Entwicklung in einem speziellen Umfeld zu erkennen und zu benennen. Arbeitsübereinkunft schaffen: Ein Design kann die Grundlage für die Initiierung eines Projektes sein11 sowie weitere faktorspezifische Schritte strukturieren. Die Zielsetzung des Projektes ist Gegenstand von Veränderung und Öffnung: Als ­Bestandteil der Arbeitsübereinstimmung in den durchgeführten Praxisprojekten galt von Beginn an, dass das Ziel des Projektes nicht nur in der technischen Realisierung eines konkreten Entwurfes besteht, sondern auf Basis der Zwischenschritte immer wieder neu zur Debatte steht (vgl. Double-loop Learning). Erkunden und Erkennen von Grenzen bestimmter systemischer Rahmungen und ­Settings von Akteuren und Ressourcen: Die Zusammenarbeit findet zunächst innerhalb eines Settings mit konkreten Ressourcen, Kompetenzen und Praktiken statt und erzeugt nur Entwicklungsschritte auf quantitativer Ebene. Qualitative Veränderungen und Entwicklungsschritte erfolgen über den Entwurf.12 Disruptive, strategische Weiterentwicklung der Kompetenzen der Stakeholder: Am Beispiel des Projektes Extended 3D-Print wurden die Kompetenzen des Unternehmens als relevanter Akteur im relativ neuen Feld der individualisierten Planung und Fertigung großer Monoelemente mittels 3D-Druck fundiert und zugleich die Anschlussfähigkeit an zeitgemäße Formen dezentraler Produktion und Entwicklung (Maker Culture, Fab Lab, dezentrale, digitale Produktion) jenseits klassischer Prototypenherstellung gestärkt. Die Notwendigkeiten personeller Veränderungen und Aufstockungen im Unternehmen wurden sichtbar gemacht. Weiterentwicklung der Formen der Zusammenarbeit. Aus der entwurfsge­ triebenen Zusammenarbeit konnten stabile, längerfristige Settings von Kooperation unter Anerkennung der Bedeutung offener Entwicklung und der Rolle des Designs etabliert werden. Beteiligte Akteure (3D-Schilling wie auch Fraunhofer IWU) erweiterten ihren Erfahrungsschatz in der Kooperation mit Designern sowie in der

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primär technikzentrierten Handhabung komplexer Projekte anhand der unmittelbaren, durch den Entwurf moderierten Arbeitsweise. Begründen neuartiger Settings von Akteuren und Initiierung neuer Projekte: 13 Dabei zeigte sich jedoch auch ein neues Ungenügen, das durch die Rahmenbedingungen bestehender Formate von Forschungs- und Entwicklungsförderung begründet ist. Mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen und angesichts des Settings von Akteuren konnte nur ein anwendungsorientiertes14 und kein grundlagenorientiertes Projekt angeschoben werden. Bei diesen disruptiven Vorgängen handelt es sich auch um eine Form des entwurfsgetriebenen Organisationslernens.15 Kulturen des Innovierens und Kooperierens werden schrittweise und nachhaltig verändert.

Verlässlichkeit, Anerkennung, Iteration Die Rolle des Designers ist auch die eines Change Agent kulturell nachhaltiger Entwicklung. Die Komplexität von Open Design als grundlegende Haltung zu Entwicklungsprozessen, als Dingeigenschaft, die eine Anschlussfähigkeit für offene Verwendung zulässt, sowie als Rolle und Kompetenz des Designers in der Initiierung derartiger Vorgänge prägt das Bild von Design, das in den Praxisprojekten gezeigt werden konnte. Die mehrfachen Bestimmtheiten beinhalten auch, dass die Objekte beziehungsweise Prototypen, die aus dem Entwurf hervorgegangen sind und gemeinsam mit anderen Stakeholdern genutzt und weiterentwickelt wurden, in ihrer neuen Form in die Domäne des Entwerfens zurückfinden. Dieses Vorgehen kann als disruptiv-zirkuläres, sich spiralförmig zu innovativen Formen von Zusammenarbeit und Rollenverteilung hin entwickelndes Modell beschrieben werden. Als ein Ergebnis der Untersuchungen im Praxisteil ist die Erweiterung dieses Vorgangs der individuellen, nicht technisch-systemisch geregelten Vorgehensweise auf andere Stakeholder anzusehen.16 Es findet ein durch Entwurf und Prototyp vermittelter Vorgang der Anerkennung originärer Kompetenzen jenseits der Dimensionen von Zweck und Bedeutung statt. Im Unterschied zu bekannten wissenschaftlichen Perspektiven17 auf das Phänomen der Anerkennung handelt es sich um ein im Objekt verkörpertes Anerkennungsverhältnis. Somit ist, wie bereits am Ende von Kapitel 4 bemerkt, die ästhetisch-bildnerische Strukturierung und Rahmung des Entwicklungsvorhabens durch das entwerferische Tun als unverzichtbarer Bestandteil technischer Innovationstätigkeit anerkannt. Der übergeordnete Handlungsrahmen der Kultur ist in den Innovationsvorgang implementiert und öffnet ihn zugleich.

MEHRFACHE BESTIMMTHEIT UND B ­ EDEUTUNG VON DESIGN  199

Entwerferische Dinge und Open Design Durchlässigkeit und Anschlussstellen sind, vermittelt und moderiert durch die entworfenen Objekte, an vielen Punkten in einem Prozess vorhanden. Jedoch ist die Anschlussfähigkeit nicht technisch-beliebig (Open Innovation, Open Source) und auch nicht auf einer rein planerisch-ideativen Ebene vorhanden (Partizipation, S ­ ocial Design). Die von mir postulierte Vorstellung von offener Gestaltung als ein mit kulturellen Kontexten rückgekoppelter, materieller Vorgang steht vielmehr in der Tradition der Konzepte der Gestaltung als Offenes Prinzip, auf jeweils eigenständige Weise postuliert von den DDR-Designern Rudolf Horn18 und Clauss Dietel. Man kann von einem gegenseitigen Anerkennungsverhältnis verschiedenster Sphären der Entwicklung, Produktion und Nutzung sprechen, das sich im Objekt und in individuellen neuen Handlungsweisen erfüllt. Im Unterschied zum Offenen Prinzip hat meine Spielart der Offenheit zunächst das Ausloten und Erkennen anders nicht planbarer und realisierbarer Konstellationen auf der Ebene des Innovationsund Entwicklungsvorgangs selbst zum Gegenstand. Die potenzielle Unabschließbarkeit von Gestaltungsvorgängen wird bereits an diesen grundlegenden Faktoren vorweggenommen. In dieser Studie wurde sowohl die konzeptionelle, moderierende Tätigkeit des Designs kritisiert wie auch die frühe Festlegung auf konkrete Objekte oder Baukastensysteme. Zwei Dinge sind es, die das Wesen eines Open Design ausmachen: die Involviertheit des professionellen Designs und die professionelle Aneignung der Artefakte im Rahmen von Entwicklungsarbeit der beteiligten Stakeholder in einem sektionierbaren, jedoch potenziell unabschließbaren kulturellen Prozess. Diese besondere, ästhetisch-produktive Wechselwirkung steht auf der Grundlage der Entwürfe, ihrer mentalen und medialen Modelle (Bestandteile des Entwerferischen Dings), die in der Dunklen Phase des individuellen Entwerfens entstanden. Jedoch kann es sich dabei auch um Vorgänge außerhalb des konkreten Projektes handeln. Die Designkompetenz muss nicht vom Ursprungsdesigner (als Individuum oder kleine Gruppe von Individuen) verkörpert werden. Bei der Weitergabe dieser Dinge mit „Hilfsstoffcharakter“ im Entwurfskontext handelt es sich um einen bemerkenswerten Vorgang. Der Egoismus, der anderen Formen der individuellen Entwürfe innewohnt, so prognostiziere ich, kann aufgehoben werden.19 Es handelt sich nicht um fertige Produktentwürfe, die weitergegeben und weiter bearbeitet werden, sondern um dezidierte Objekte der Vorläufigkeit, um Manifestationen Entwerferischer Dinge, die in erster Linie Anerkennungsverhältnisse verkörpern und hervorbringen, ohne bekannte Bedeutungszusammenhänge nur zu reproduzieren. Die daraus entstehenden Formen von Kooperation sind die tatsächlichen Entwurfs- und Erkenntnisgegenstände. Und diese sind nur offen und gemeinsam realisierbar – als Open Design. Als Grafik dargestellt, zeigt ein solches Vorgehen iterative Schleifen. Die entworfenen Objekte können aufgrund der potenziellen Offenheit und

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DUNKLE PHASEN UND ENTWERFERISCHE DINGE

Dunkle Phase

SETTINGS/ KULTURELLER RAUM

Dunkle Phase

PROJEKT/ KOOPERATION

OBJEKT/ MATERIAL

Dunkle Phase

KULTUR (FORTLAUFENDE DINGLICHE KRITIK AUS DEM ENTWURF HERAUS)

Abb. 100: Aneinanderreihung mehrerer Dunkler Phasen in unterschiedlichen Zusammenhängen und Settings. Die in den Dunklen Phasen entstehenden Entwürfe stammen von ein und demselben Entwerfenden sowie aus ein und demselben Ursprungskontext, werden aber zeitversetzt an unterschiedlich komplexen ­Gegenständen von Entwicklung und Gestaltung durchgeführt. Beispielsweise könnten auf Basis des Entwurfs OMEGA sowohl ein Boot als auch ein Projekt sowie ein neues Setting von Akteuren mit eigener, sich entwickelnder Kooperationskultur entstehen.

Anschlussfähigkeit in den verschiedenen Kategorien von Entwicklungsgegenständen und Entwicklungsumfeldern weitergenutzt werden. Dies führt jedoch immer wieder in die Obhut des Designers und somit in eine Dunkle Phase der ästhetischen Reflexion zurück. Dieses Vorgehen wird im Wellenbrechermodell in mehreren Diagrammen dargestellt. Es ist auch möglich, ein solches Vorgehen als gleichzeitig, integrierten Prozess zu denken, der auf einem bereits existierenden Entwurf aus einer Dunklen Phase basiert. Unterschiedliche Stakeholder innerhalb und außerhalb des Projekts haben teil. Denkbar ist dies zum Beispiel beim Entwurf des Verhakungsprinzips im Projekt Hydrofix, welches Grundlage konkreter Anwendungsprojekte sowie einer neuen Konstellation von forschenden und entwickelnden Akteuren sein kann. Ob die Verbreitung proprietären Interessen oder sogar der Geheimhaltung unterliegt, muss unter den beteiligten Stakeholdern abgestimmt werden.

MEHRFACHE BESTIMMTHEIT UND B ­ EDEUTUNG VON DESIGN  201

DUNKLE PHASEN UND ENTWERFERISCHE DINGE Dunkle Phase

SETTINGS/ KULTURELLER RAUM

Dunkle Phase

PROJEKT/ KOOPERATION

OBJEKT/ MATERIAL

Dunkle Phase

KULTUR (FORTLAUFENDE DINGLICHE KRITIK AUS DEM ENTWURF HERAUS)

Abb. 101: Die von Stakeholdern weiter bearbeiteten Ergebnisse einer ersten Dunklen Phase bilden die Grundlage für neue Projekte und Settings von Akteuren. Die weiteren Entwürfe in den Dunklen Phasen ­müssen nicht Werk ein und desselben Entwerfenden sein. Die durch das Zutun verschiedener Stakeholder angereicherte Form des Entwerferischen Dings bietet die Grundlage für eine erneute entwerferische Re­flexion und qualitative Entwicklung. Die zirkulär-spiralisierende Trajektorie vom Objekt zum Setting und k ­ ulturellen Raum kennzeichnet die Wirksphären des Entwerfens.

Die Grafiken beschreiben ein Vorgehen, das als Spielart von Open Design verstanden werden kann. Der Fokus liegt auf der Schaffung von Qualitäten, die nur als Phänomene, als Form, vorliegen und die systemisch geregelte Nutzung durch die beteiligten Stakeholder durchbrechen. Die Offenheit besteht in der Anschlussfähigkeit der Form für verschiedene Stakeholder in unterschiedlichen Phasen eines Entwicklungs- oder Innovationsvorhabens sowie in der Evozierung neuer Vorhaben und Formen von Zusammenarbeit.20

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KULTURELL NACHHALTIGE ­IMPLEMENTIERUNG Eine Leistung dieser Studie besteht darin, in einem kleinen, nicht repräsentativen Rahmen einen neuartigen Umgang mit Objekten untersucht zu haben. Das Kernelement der von mir postulierten kulturellen Nachhaltigkeit besteht in der ästhetischen Aktivität und kulturellen Erfahrung, die in die Strukturierung komplexerer Vorgänge von Entwicklung eingebracht werden. Dieser Vorgang teilt sich – gemäß dem Ansatz des Entwerferischen Dings – in einen individuellen und einen offenen, gemeinschaftlichen Teil – die Dunkle Phase, sowie in Gestaltung und Prototyping in unterschiedlichen Kontexten. Beide Vorgänge sind vom Wesen her erkenntnisorientiert. Ästhetische Qualitäten, die im Rahmen des Entwerferischen Dings hervorgebracht werden, fordern, wie in den beiden Projekten gezeigt, von beteiligten Akteuren auch gestaltende Reflexion nach der Maßgabe eines Selbstmodells ein. Die im Wellenbrechermodell beschriebenen, sequenziellen sinnlich-ästhe­ tischen Aktivitäten (Dunkle Phase sowie die produktiv-tätige Kooperation und Prototyping des Entwerferischen Dings) stellen eine Garantie für die Aufrechterhaltung der kulturell nachhaltigen Implementierung komplexer Erzeugnisse dar. Erkenntnisvorgänge sind sinnlich-ästhetisch fundiert und verändern die technischen, ästhetischen und wissenschaftlichen Kulturen, innerhalb derer die einzelnen Stakeholder agieren. Der Kulturbegriff, gemäß dem das Design ein Garant für stete produktive Kritik bestehender Verhältnisse ist, wird als Ergebnis meiner Forschung anhand dieser maßgeblichen Faktoren konkretisiert.

Was ist Open Design? Open Design bezeichnet Dingeigenschaften, die Prozesse anstoßen, aus denen her­ aus neue Kompetenzfelder entstehen. Die geschlossene Vorgehensweise in der Dunklen Phase ist integraler Bestandteil des offenen Vorgehens, ebenso wie das Mittun unterschiedlicher Stakeholder. Diese neuen Kompetenzfelder, die Rollen und Formen der Zusammenarbeit sowie kulturelle Kontexte bilden die Grundlage für neue Entwerferische Dinge und Dunkle Phasen. Zum offenen Design wird es in dem Augenblick, in dem vorhandene Gewohnheiten, Kompetenzen und Formen der Zusammenarbeit an Grenzen gelangen. Dies erfordert, dass sich Stakeholder auf eine neue Art und Weise verhalten und an einer ästhetischen Wechselwirkung von D ­ esign und Entwicklung teilhaben. Die aktive Schaffung und Erkundung von Kontexten der Entwicklung, Produktion und Nutzung unter Teilhabe von Stakeholdern und durch nicht primär technisch oder zweckbestimmt zugerichtete Formen stellt die hier vorgenommene Erweiterung des Begriffs von Design21 dar. Zugrunde

KULTURELL NACHHALTIGE I­ MPLEMENTIERUNG  203

liegt das die Disziplin des Designs charakterisierende Bewusstsein für die paradigmatische Kraft zur kulturellen Veränderung. Mit dieser Untersuchung wurden Aspekte der zum Teil kritischen Praxis der Radiobastler sowie des technikzentrierten Vorgehens der RepRap-Community weiterentwickelt. Dabei ist im Besonderen die Verknüpfung von offener, kritischer Entwicklungspraxis und dem Aufzeigen neuer Perspektiven für etablierte Akteure in Entwicklungsdienstleistung und Fertigung hervorzuheben. Eine neuartige unternehmerische Praxis kann auf einem soliden kulturellen Fundament stehen und in künftige Projekte implementiert werden.

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ENTWERFERISCHE DINGE: PERSPEKTIVEN FÜR DIE DESIGNFORSCHUNG Es hat sich gezeigt, dass ein integriertes Erforschen der strukturellen Zusammenhänge von Gestaltung, Entwicklung und Produktion mit Stakeholdern an realen, großmaßstäblichen Entwicklungsvorhaben zielführend ist. Viele Zwischenschritte des Forschungsprojektes konnten erst durch die empirische Untersuchung zuvor hervorgerufener Kontexte und gestalteter Dinge geplant werden. Basis dieses Vorgehens sind individuelle, abgeschlossene Entwürfe, eingebettet in einen erweiterten Kontext. Wie mit dem Wellenbrechermodell beschrieben, erfolgt eine Verbreitung und Reflexion dieser Entwürfe und Prototypen in räumlicher und zeitlicher Offenheit. Zum Verständnis der übergeordneten Bedeutung von Open Design soll abschließend noch einmal die Exzeptionalität des Konzepts der Entwerferischen Dinge für einen wissenschaftlichen Erkenntnisprozess hervorgehoben werden. HansJörg Rheinbergers Begriff des Epistemischen Dings umreißt materielle und mentale Eigenschaften von Forschungsabläufen und Erkenntnisprozessen sowie die Erkenntnisgegenstände, die allmählich Gestalt gewinnen. An dieser Stelle wird er jedoch, wie in Kapitel 2 beschrieben, vage. Wissenschaftlichkeit mündet nach Rheinberger letztlich in „Bastelei“. Mein Ansatz setzt an dieser Stelle an und beschreibt die Qualitäten eines derartigen Erkenntnisvorgangs. Im Mittelpunkt steht das sinnliche und ästhetische Vermögen der Akteure. Das Konzept des Entwerferischen Dings sehe ich als einen Basisprozess der Erkenntnisproduktion an. Es fundiert nicht nur Erkenntnisprozesse im Design und in kooperativen Entwicklungsvorhaben, sondern bildet auch eine Grundlage für Wissenschaftlichkeit. Wie mit dem Konzept des Entwerferischen Dings beschrieben, erzeugt die enge Verschränkung der individuellen Sinnlichkeit und Kreativität mit den wissenschaftlichen, technischen und ästhetischen Kulturen einen Vorgang der steten kulturellen Erneuerung. Dabei kommen neben den beschriebenen Vorgängen von Entwerfen, Gestalten und Strukturieren auch unbewusste Vorgänge zum Tragen, die tief in den sinnlich-ästhetisch fundierten biografischen Erfahrungen des Individuums verortet sind.

Open Design als integrierte Methode der Forschung in und durch ­Design Der aus Sicht der Designforschung relevante experimentelle Erkenntniszusammenhang ist in der „mehrfachen Erkenntnistätigkeit“ aus individuellem Entwerfen und offenem, kooperativem Entwickeln gegeben. Als eine Erkenntnis aus der Untersuchung soll das Konzept der Forschung in und durch Open Design postuliert werden,

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das sich mit dem als Entwerferisches Ding beschriebenen Erkenntnisvorgang in weiten Teilen deckt und ein Feld neuer Fragestellungen und Forschungsvorhaben öffnet. Es gilt unter anderem, die Relevanz und Qualität bildnerisch-ästhetischer Vorgehensweise als Initiator qualitativer Entwicklungsschritte in offener, kollaborativer Entwicklung weiter zu beforschen sowie das Konzept der Entwerferischen Dinge als eigenständige Methode zur Klärung spezieller Fragestellungen weiter zu qualifizieren und verfeinern. Als ein weiteres Ergebnis können der analytische Charakter sowie die experimentelle Praxis der Forschung in und durch Open Design herausgestellt werden. Die Arbeit an der Form hat einen mehrfach bestimmten Charakter (siehe Kapitel 5). Zudem wird die genuine Erkenntnistätigkeit offener Entwicklung durch die Entwerferischen Dinge profiliert und qualitativ entwickelt. Dieser Vorgang ist nicht auf ein konkretes Projekt oder Setting beschränkt, und die gemäß dem Wellenbrechermodell sequenziell eingebrachte Designkompetenz kann von unterschiedlichen Designern verkörpert werden.22 Erkenntnisvorgänge im Sinne des von mir genutzten Begriffs von Gestaltung23 haben durch die Konzeption des Entwerferischen Dings eine Unabschließbarkeit. Daran schließt sich eine Fragestellung an, die in diesem Rahmen nicht abschließend beantwortet werden kann: Welche Erkenntnisse können nur mithilfe der Forschung durch offene Entwicklung beziehungsweise durch Design in offener Entwicklung erlangt werden? Bleiben wir bei dem Bild eines Experimentalsystems nach Rheinberger, das durch die Entwerferischen Dinge eine neue Qualität bekommt. Letztlich sind es der Prozess von Arbeit und Wertschöpfung und die damit verbundene zukünftige Dingkultur, die sich in einem steten Zustand des experimentellen Weiterentwickelns befinden.24 Darin besteht auch ein wesentlicher Unterschied zu Rheinbergers Experimentalsystem: Anstatt Erkenntnisse aus dem vagen Feld des Experimentellen in einen festen semantischen und semiotischen Bezugsrahmen zurückzuführen, ist es bei der Forschung in und durch Open Design und bei den Entwerferischen Dingen unter anderem auch dieser Rahmen selbst, der Gegenstand von Veränderung ist.25 Für die wiederkehrende entwerferische Reflexion der getätigten offenen Entwicklungen (also dessen, was mit den Entwerferischen Dingen geschehen ist) werden individuelle Entwurfstätigkeiten herangezogen. Ähnlich der die ­Grounded Theory leitenden Vorstellung eines fluiden, sich stetig anhand empirischer Daten weiterentwickelnden Forschungsprozesses und theoretischen Erkenntnisgerüstes stellt die Forschung in und durch Open Design in regelmäßigen Abständen eine entwerferisch-experimentelle Reflexion sowie das Generieren empirischer Daten ­sicher.26 Dieses entwerferische Vorgehen ist selbstverständlich nicht frei von Strukturen von Macht und Herrschaft. Dies gilt für die Themenschwerpunkte der Praxisprojekte im Kontext des Sozialisierungshorizonts der Entwerfenden sowie für die Implikationen durch bestehende Forschungs- und Innovationsstrukturen.

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Möglicherweise hätten andersartige thematisch-inhaltliche Schwerpunkte und ­individuelle Kompetenzen sowie unterschiedliche Konstellationen von Stakeholdernetzwerken andere Implikationen zur Entwicklung eines Open Design hervorgerufen. Derartige Effekte müssen jedoch Gegenstand zukünftiger Forschung sein. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eine genuin forschende und erkenntnisorientierte Vorgehensweise auf die Entwicklung konkreter Erzeugnisse ausgeweitet wurde. Die klassische Koexistenz von Design und Designforschung27 ist in der von mir ergründeten Form des Open Design einem integrierten Erkenntnisvorgang gewichen, dessen Ergebnisse erst durch die Erzeugnisse (relevante, benutzbare Objekte als Ausprägungen der Entwerferischen Dinge) entstehen. Basis für diesen Vorgang ist der im Entwurf verkörperte Zwang zur Hinterfragung üblicher individueller Kompetenzen und Formen der Zusammenarbeit durch unterschiedliche involvierte Stakeholder.

Form, Ästhetik und Entwurfsforschung Es mutet fast ironisch an, dass das Verhandeln von Kompetenzen und Formen der ­Zusammenarbeit im Rahmen von Open Design nicht in partizipativen, transparenten, demokratischen und rationalen Prozessen abläuft. Stattdessen sind individuelle ästhetisch-bildnerische Aktivitäten zentrales Element dieser Vorgehensweise. Die durch entwerferische Komplexitätsstrukturierung sowie ästhetische Aneignung und Reflexion gewonnenen Erkenntnisse sind zudem in Objekten verkörpert, die weder technisch-geregelt noch semiotisch-semantisch unmittelbar anschlussfähig und somit plan- und kontrollierbar sind. An zwei Beispielen wurde schlaglichtartig gezeigt, dass somit durch die Erkenntnisproduktion des Entwerfens ein neuer semantischer Rahmen aufgespannt wird. Der Zusammenhang zwischen der Neuartigkeit der Handlungen von Akteuren und der Besonderheit der Gestaltung, Entwicklung und Fertigung der Objekte (Entwerferische Dinge) wurde punktuell gezeigt. Aber kann eine ästhetische Struktur im konkreten Kontext beschrieben und auf andere Kontexte übertragen werden, die ihrem Wesen nach geeignet ist, Kooperation und qualitative Entwicklungsschritte zu initiieren? Dieser Gedanke kann auch umgekehrt gedacht werden. Erzeugen die vordergründig neuartigen Prozesse von Kooperation und veränderten Rollen und Kompetenzbilder, die Entwurfsvorgänge anregen, auch eigenständige ästhetische Erscheinungen? Gibt es so etwas wie eine Genealogie der Form, die eine derartige Veranlagung in sich trägt? Diese Gedanken muten zunächst grotesk an, entbehren jedoch angesichts der Erkenntnisse zu Dunklen Phasen und Entwerferischen Dingen nicht einer gewissen Stichhaltigkeit. Wie genau können unterschiedliche Aspekte von Kooperations- und Kompetenzentwicklung durch spezielle ästhetische Vorgänge und Formeigenschaften jenseits geregelter technischer oder ausschließlich

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semantischer Zusammenhänge strukturiert werden? Der Gedanke einer strukturellen Formalästhetik kann noch weitergeführt werden. Die bekannte Vorstellung, dem Wesen einer Sache, eines ­Objektes oder eines Zusammenhangs durch Vorgänge bildnerischer Abstraktion und Reduktion auf die Spur zu kommen, ist spätestens seit dem Bauhaus fester Bestandteil der Grundlagen von Design. Auch Vor­ onsumption, Produktion und Arbeit sowie die dahinterstehenden, oft gänge von K ausbeuterischen und ressourcenintensiven Gewohnheiten und Praktiken sowie deren Abweisung müssen Bestandteil dieser Wesenhaftigkeit sein. Gibt es einen Zusammenhang zwischen formalästhetischer Erscheinung und Reduktion der beschriebenen, nicht zukunftsfähigen kulturellen Gewohnheiten? Indem komplexe, arbeitsteilige und ressourcenintensive Formen von Entwicklungs-, Produktionsund Nutzungskultur immer wieder auf ästhetische Phänomene sowie Formen reduziert werden, ist auch anzunehmen, dass Erkenntnisse über deren Hintergründe und Auswirkungen sowie Vorschläge für alternative Vorgehensweisen immer wieder neu erzeugt werden. Ein derartiges stetes Hinterfragen ist elementarer Gegenstand von Open Design. Eine mögliche fortführende Forschungsarbeit könnte unter anderem darin bestehen, Taxonomien unterschiedlicher entwerferischer Vorgehensweisen in ähnlichen Projektzusammenhängen auf spezifische Eigenarten der Ergebnisse hin zu untersuchen. Die hier anskizzierte Trajektorie von Objekt, Projekt und kulturellem Raum könnte anhand einer derartigen systematischen Strategie im Projektzusammenhang experimentell und empirisch qualifiziert und erweitert werden.

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Fazit Das Wesen des sehr unbestimmten Konzeptes von Open Design wurde aus einer Entwurfsperspektive heraus konkretisiert. Jedoch wird nicht etwa der einzelne Autorendesigner in den Mittelpunkt gestellt, dessen individuelle Gestaltungskompetenz das Bild der Disziplin des Designs prägt. Vielmehr ordnet sich die entwerferische Kompetenz gleichberechtigt in ein Konzert kooperativer Praktiken ein, durch das Dimensionen von Entwurf, Gestaltung und Entwicklung definiert werden. Dass es gerade die ästhetischen Kompetenzen des Designs (bzw. des Entwerfens) sind, die Gestaltungs- und Entwicklungsprozesse auf disruptive Weise beeinflussen, liegt in den von mir beschriebenen Eigenheiten und Intentionen dieser professionellen Disziplin begründet. Das mit dieser Arbeit fundierte Wissen um die Relevanz von Sinnlichkeit, Ästhetik, Entwerfen, Gestaltung und Open Design ist bedingt durch ebendiese, in meiner Forschung angewendeten Strategien und Vorgehensweisen. Die Gewissheit über die Relevanz offener Entwicklung stammt, neben der historischen Perspektive, vor allen Dingen aus der hier experimentell erprobten Idee der zukünftigen emanzipierten und gleichberechtigen Artikulation von Zukunft jenseits ideologisch begründeter Strukturen von Macht und Herrschaft. Die Kombination komplexer Erzeugnisentwicklung mit zukunftsgewandter Gestaltung von Kulturen des Entwickelns und Lebens wurde in dieser Arbeit beispielhaft gezeigt und bildet die Grundlage für zukünftige Untersuchungen und gestalterische Praxis.

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Zu mentaler Modellbildung und Reduktion von Faktoren siehe Kapitel 1 dieser Arbeit. Wie es die verschiedenen Konzepte der Open Source sowie das in diesem Zusammenhang von Raymond geprägte Bild des Basars als Ort des innovationsträchtigen Miteinanders imaginieren. Siehe: Raymond, E. S. (2001). The Cathedral and the Bazaar: Musings On Linux And Open Source By An Accidental Revolutionary. Cambridge et al.: O’Reilly Media. Donald Schön bezeichnete ein wesentliches Merkmal der reflektierenden Praxis als „back-talk of the ­situation“. Dabei handelt es sich um einen recht einsamen Dialog zwischen entworfenen, geschaffenen Dingen und dem Kontext bzw. Framing, innerhalb derer diese Dinge wirken oder über die sie hinauswachsen. Unser „back-talk“ hat mehr Adressaten. Naheliegend wäre es zu sagen, es sind die bisher unter dem Macht- und Herrschaftsparadigma des Technisch-Zweckrationalen zu kurz gekommenen und nun im Entwurf bzw. der Form verkörperten Zugehensweisen auf wünschenswerte ­zukünftige Formen von Entwicklung, Produktion und Nutzung. Social Design/Partizipation sowie Baukästen/modulare Systeme. Eine Erfahrung aus dem Projekt ist, dass auch und besonders auf persönlicher Ebene ein gutes Miteinander zwischen den Stakeholdern herrschen muss. Sobald die Zusammenarbeit eine bestimmte Intensität und Verstetigung erreicht, ist der persönliche Kontakt ein ausschlaggebendes Kriterium für den Flow des Projektablaufes. Der Entwurf OMEGA entstand durch handzeichnerisches Herantasten an reduzierte und invariante gestaltbildende Elemente, die dann mithilfe von digitalen Tools (Alias Autodesk) detailliert ausgearbeitet wurden. Im Fall von Hydrofix zeigte sich die Modellierung mithilfe einfacher Modellbautechniken und Stellvertretermaterialien (u. a. Karton) als ergiebig für die grundlegende Formfindung.

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Siehe: Walter Zeischeggs Ansatz der Form und ästhetischen Botmäßigkeit als Ursache von Funktionen sowie Technik als einer Folge und einer Möglichkeit von Formbildungsvorgängen. Ästhetik wird, wie im Kapitel 1 beschrieben, als Moment von Aneignung und als Gebrauchszusammenhang sowie als produktive Beziehung und notwendiger Bestandteil von Kreativität aufgefasst. Siehe: Petruschat, J. (2003). S. 12 f. http://www.redesign.cc/Petruschat/Befreit_die_Technik_files/DID_Petruschat_Befreit%20 die%20Technik%20und%20Ihr%20befreit%20die%20Form%21.pdf (Aufrufdatum 20.09.2017). Invarianten sind in diesem Fall die Wiederholungen von 2D-Formen, die Berührung der so entstehenden Linien sowie die Schaffung von formal und ästhetisch stimmigen Flächenzusammenhängen aus diesen Elementen heraus. Unter anderem wird durch die mentale Modellbildung auf Basis von Bilddarstellungen und primär ­nicht-technischen Modellen eine Stufe der Abstraktion und Distanz zum Gegenstand der Entwicklung aufseiten der von den Stakeholdern repräsentierten Ingenieurskompetenzen eingefordert. Komplexitätsreduktion fand durch das bewusste Abstrahieren, Unterdrücken und Ignorieren unklarer, komplexer Faktoren statt, etwa Fragen der technischen Realisierbarkeit. Die Lücken bilden die ­Rahmung für technische Lösungssuche und definieren Ziele und Zwecke sowie nötige Unterschritte (z. B. Monoelement drucken, Verhakungsprinzip an Prototypen realisieren). Darüber hinaus werden – im Sinne der mehrfachen Bestimmtheit des Entwerfens – auch die eigenen Kompetenzen und die ­Zusammenarbeit der Stakeholder im Projekt zum Gegenstand von Innovation. Im Fall der Arbeitsübereinkunft mit dem Unternehmen 3D-Schilling stellte neben einer Technologie und einer vorhandenen offenen Entwicklungskultur (Maker Lab bzw. Fab Lab-Kultur) ein fertiges und visuellbildhaft sowie technisch-konstruktiv aufbereitetes Design den Ausgangspunkt dar (­Segelyacht five55). Beispiel des Entwurfs OMEGA: Es handelte sich bei diesem Entwurf nicht um sogenanntes „fertigungsgerechtes Gestalten“, dessen einzige Bestimmung es war, gut druckbar zu sein und dabei noch ein originäres, nur auf diese Weise realisierbares Formprinzip zu verkörpern. Dennoch ließ er sich ­zunächst nur schwer mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen realisieren (schwierige, zeitaufwendige Programmierung des CNC-Datensatzes sowie Abbruch des Drucks durch Fehler bei der Material­zufuhr). Fehldrucke und das Ausloten von Grenzen der Machbarkeit im Druck sowie der Programmierung des CNCDatensatzes wurden anfangs nicht explizit eingeplant, erwiesen sich jedoch schnell als wünschenswert. Im Rahmen eines Workshops am Fraunhofer IWU Dresden am 12.01.2018 wurden mit dem bereits benannten Netzwerk von Akteuren rund um das Hydrofix-Projekt konkrete Fragen zu einem geplanten und schon sehr weit ausgearbeitetem Drittmittelantrag (ZIM/BMBF) diskutiert. BMWI-Instrument Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand, kurz ZIM. Siehe: Schön, D., Argyris, C. (1996). Organisational Learning II: Theory, Method and Practice. Reading, MA: Addison Wesley. In der Analyse individueller Gestaltung und offener Entwicklung im Kontext von Rheinbergers Experimentalsystem wurde diese Analogie aufgezeigt. Hier wird sie auch auf den Ebenen von Projekten und Settings/kulturellen Räumen verbreitet. Siehe u. a.: Honneth, A. (2010). Das Ich im Wir: Studien zur Anerkennungstheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag; sowie: Ricoeur, P. (2006). Wege der Anerkennung. Frankfurt am Main: Suhrkamp ­Verlag. Horn, R. (2010). Gestaltung als offenes Prinzip. Berlin: Form+Zweck. Zum Begriff „Egoismus an der Form“ siehe: Petruschat, J. (2009). OPEN DESIGN! Einige Bemerkungen zur Demokratisierung des Genies. https://docplayer.org/1433801-Open-design-einige-bemerkungenzur-demokratisierung-des-genies.html (Abrufdatum 16.06.2020). Nachgewiesen u. a. am Projekt Hydrofix. Der Begriff des Designs baut, wie mehrfach erwähnt, auf der Tradition seiner Verwendung im deutschsprachigen Raum auf. Die Gegenstände der Forschung werden geschaffen. Dies sind zunächst Settings von Stakeholdern und die Arbeitsübereinkunft, gemeinsam innovieren zu wollen. Diese Projekte werden empirisch beforscht. Dabei entstehen die materiellen und nicht-materiellen Dimensionen der Entwerferischen Dinge, durch die das Interagieren von Individuen, Artefakten und Organisationsformen neu strukturiert werden. Als Gestaltung wird die Erweiterung von Lebensmöglichkeiten nach Maßgabe eines Selbstmodells verstanden. Siehe u. a.: Petruschat, J. (2011a). Es geht also nicht nur darum, für ein konkretes Problem die bestmögliche Lösung unter Hinzuziehung von Stakeholdern zu finden (siehe: Ungenügen offener Entwicklung, Kapitel 3). Vielmehr ist das entwurfsgetriebene Aufspannen eines neuen Kontextes der Zusammenarbeit Gegenstand meiner Form von Open Design. Die dabei entstehenden Objekte verkörpern potenzielle Vorgänge der Disruption

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­ ewohnter, nicht zukunftsfähiger Kompetenzen und Interaktionen von Individuen und klären letztlich g auf dieser Ebene überbordende Komplexität auf. Ein solches Vorgehen ist per se ein forschendes und erkenntnisorientiertes Vorgehen. 25 Aus Experimenten gewonnene Erkenntnisse werden z. B. in die festgelegte methodische und paradigmatische Rahmung einer konkreten wissenschaftlichen Disziplin zurückgeführt. In der Forschung in und durch Open Design und im Open Design (gemäß dieser Arbeit) treffen sich die Rahmungen und Gegenstände des Erkenntnisstrebens (Kultur als Handlungsrahmen für Gestaltung sowie u. a. der Ansatz der Grounded Theory). Die Gegenstände der Forschung sind zugleich deren methodische und disziplinäre Rahmung. Das Erkenntnisinteresse beinhaltet u. a. die Realisierung besonderer Erzeugnisse, welche Kooperationsverhältnisse zwischen Stakeholdern schaffen. Dadurch werden ständig neue empirisch untersuchbare und entwerferisch reflektierbare Gegebenheiten geschaffen, die dem eingangs beschriebenen Charakter eines durch die Grounded Theory geleiteten Vorgehens ähneln. Es ist also schwer, diese Erkenntnisse zu trennen von der Weiterentwicklung des Rahmens von Open Design und FDOD, innerhalb dessen die Forschungsergebnisse mit Bedeutung versehen, explizit gemacht und gewertet werden. 26 Im Rahmen des Grounded-Theory-Ansatzes spricht man von „elaborated“, also sinngemäß „ausgefeilt“ oder „verfeinert“. 27 Design = erzeugnis-/produktorientiert; Designforschung = erkenntnisorientiert.

ANMERKUNGEN 211

Anhang

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214 ANHANG

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LITERATURVERZEICHNIS 215

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216 ANHANG 

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LITERATURVERZEICHNIS 217

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218 ANHANG 

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: http://www.optimus-spitzencluster.de/entwicklungsprozessvorgehensmodellnachvdi.pdf Abbildung 2: http://www.uxmatters.com/mt/archives/2015/05/ux-strat-2014-part-2-day-1-of-the-conference.php Abbildung 3: Eigene Darstellung nach Norman, D. (2013) Abbildung 4: http://www.bmiaa.com/the-narrative-lines-of-giancarlo-de-carlo-last-week-for-the-exhibition-in-venice/ Abbildung 5: Alexander, C. (1978). A Pattern Language: Towns, Buildings, Construction. New York: Oxford ­University Press. Abbildung 6: Screenshot: https://www.google.de/maps/place/Byker,+Newcastle+upon+Tyne,+Vereinigtes+K%C3%B6nigreich/@54.9738372,-1.5753149,231a,35y,39.43t/data=!3m1!1e3!4m5!3m4!1s0x487e708b6aae15cd:0xbee0b7908f49ef1f!8m2!3d54.9716313 !4d-1.5773055 (Aufrufdatum 10.05.2016). Abbildung 7/8: http://www.dra.de/rundfunkgeschichte/75jahreradio/anfaenge/radioten/inhalt_radiobund. html (Aufrufdatum 20.03.2017). Bild: DRA/Gerisch. Abbildung 9: Pfau, H. (2000). Mitteldeutscher Rundfunk – Radio-Geschichte(n). Altenburg: Verlag Klaus-­ Jürgen Kamprad. Abbildung 10–14: Fuchs, F., Günther, H. (1923). Der praktische Radioamateur. Wilhelm Herbst Verlag. Abbildung 15: http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/874375 (Aufrufdatum 20.06.2017) Abbildung 16: http://jogis-roehrenbude.de/Roehren-Geschichtliches/Loewe-Roehren/Loewe.htm (Aufrufdatum 20.06.2017) Abbildung 17: http://jogis-roehrenbude.de/Roehren-Geschichtliches/Loewe-Roehren/Loewe.htm (Aufrufdatum 20.06.2017) Abbildung 18/19: https://localmotors.com (Aufrufdatum 06.12.2014) Abbildung 20/21: Buhse, W., Henkel, S., Lessmann, U., Reppesgaard, L. (2011). Der Case Local Motors: ­C­­o-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie. http://doubleyuu.com/der-case-local-­ motors-co-creation-und-collaboration-in-der-automotive-industrie/ (Aufrufdatum 30.06.2015) Abbildung 22/23: http://gallery.tudelft.nl/index.php/start/start-IO/rai2009/ (Aufrufdatum 21.03.2014) Abbildung 24: https://wirrendesalltags.wordpress.com/2011/07/01/3d-druck-auf-der-nachsten-ebene/ Abbildung 25: Screenshot: Fablab Thüringen (2015). Main Page. http://www.fablab-thueringen.de/  (Aufrufdatum 21.03.2016) Abbildung 26: http://mashable.com/2014/04/28/3d-printing-houses-china/#8jyJUXW2oiqT  (Aufrufdatum 21.03.2016) Abbildung 27: http://inhabitat.com/12000-square-foot-3d-printed-mansion-pops-up-in-china/  (Aufrufdatum 21.03. 2016) Abbildung 28: http://drawn.fr (Aufrufdatum 12.12. 2015) Abbildung 29: local-motors.com (Aufrufdatum 12.12. 2015) Abbildung 30: http://weburbanist.com/2013/09/18/digital-grotesque-intricate-full-scale-3d-printedroom/ (Aufrufdatum 21.03. 2016) Abbildung 31: Helge Oder Abbildung 32: Linienriss, gezeichnet von Uli Trebeß Abbildung 33–38: Helge Oder Abbildung 39–43: 3D-Schilling GmbH Sondershausen/Oberspier Abbildung 44–72: Helge Oder Abbildung 73/74: 3D-Schilling GmbH Sondershausen/Oberspier Abbildung 75–78: Helge Oder Abbildung 79: https://21stgallery.com/collections/zieta-oskar (Aufrufdatum 21.11. 2016) Abbildung 80–82: Christoph Uckermark Abbildung 83–86: Helge Oder Abbildung 87/88: Christoph Uckermark Abbildung 89–91: Helge Oder Abbildung 92: Fraunhofer IWU Dresden Abbildung 93–95: Christoph Uckermark Abbildung 96–101: Helge Oder

ABBILDUNGSVERZEICHNIS 219

DANKSAGUNG Ich möchte allen Personen, die direkt oder indirekt zum Gelingen des vorliegenden ­Buches beigetragen haben, meinen tiefen Dank aussprechen. Zu tiefstem Dank verpflichtet bin ich den Mentoren Prof. Dr. Jörg Petruschat und Prof. Wolfgang Sattler, die diese Forschungsarbeit betreut haben. Prof. Dr. Petruschat und Prof. Heinz Wagner danke ich zudem für die Gutachtertätigkeit in Rahmen des Promotionsverfahrens. Ich danke Dr. Ulrich Schmidt und Freya Mohr vom Birkhäuser-Verlag Basel für die Betreuung der Publikation sowie Kirsten Thietz für das Lektorat der vorliegenden Arbeit. Dr. Lisa Glauer gilt mein besonderer Dank für den motivierenden und zugleich kritischen Input in der Schlussphase der Arbeit. Dr. Ralf Michel danke ich für immerwährende Unterstützung und die guten Ratschläge, durch die diese Arbeit in ihrem Profil geschärft wurde, sowie für das Vorwort, das diesem Buch vorangestellt ist. Weiterhin danke ich Prof. Dr. Frank Hartmann †, Dr. Christa Billing, Dr. Christina Junghanß und allen Lehrenden und Mitarbeiter*innen der Fakultät Gestaltung an der Bauhaus-Universität Weimar, die dem Ph.D.-Studiengang einen verlässlichen Rahmen boten und bieten; zudem Prof. Elke Mathiebe, Prof. Bernd Neander und den Lehrenden und Mitarbeitern der Fakultät Gestaltung an der HTW Dresden. Mein Dank gilt außerdem Dr. Martin Schilling und den Mitarbeiter*innen der Firma 3D-Schilling GmbH aus Sondershausen, durch die das Projekt Extended 3D-Print möglich gemacht wurde. Ebenso danke ich Stefan Jungklaus für den Austausch im Rahmen der Projektes ­Extended 3D-Print sowie unzählige Gespräche, ohne die diese Arbeit vermutlich ganz anders aussehen würde. Desgleichen danke ich Prof. Dr. Reinhard Mauermann, André Colditz und den Mitarbeiter*innen des Fraunhofer IWU Dresden sowie den Studierenden Jie Ding, Kuan-Ju Pan und Christoph Uckermark von der HTW Dresden, die unermüdlich das Projekt Hydrofix voranbrachten und begleiteten. Außerdem danke ich den Kommiliton*innen des PhD.-Studiengangs, im Besonderen Daniel Plaumann und Jens Velte. Weiterhin danke ich Daniela Caesar und Dr. Nora Vogt für alles, was sie zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Darüber hinaus gilt besonderer Dank meinen ­Eltern Gabriele und Henning Oder, meinem Bruder Niels und vor allem meiner Omi ­Gertraude Hein für die immerwährende Unterstützung in allen Lebenslagen.

220 ANHANG 

BIRD

www.birkhauser.com

Urban Transformation Design Unsere Zukunft entscheidet sich in den Städten: Urbane Räume gelten als Treiber und als Betroffene globaler Umweltveränderungen, als wichtiger Teil des Problems und der Lösung zentraler Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die urbanen Lebensräume und die Art ihrer Gestaltung werden sich in jedem Fall ­radikal ändern; die Frage ist, ob by Disaster or by Design. Diese „große Transformation“ einer urbanisierten Weltgesellschaft setzt ein „Change of Urban Design" voraus, da unser bisheriges Urban Design-Verständnis wesentlich für die heutige Krise mitverantwortlich ist. Die Arbeit fragt deshalb nach Bedeutung und Aufgabe guten Urban Designs und zielt auf die systematische und theoretisch fundierte Formulierung eines zeitgemäßen und zukunftsgewandten Urban Design-Verständnisses. Hişar Schönfeld In Zusammenarbeit mit dem Board of International Research in Design 200 Seiten 16,8 × 22,4 cm Gebunden ISBN: 978-3-0356-2050-4 Deutsch

Politics of Things In a state of ontological crisis, all boundaries have been ruptured between nature and culture, human and machine, and object and subject. We find ourselves exhaustively tackling the turmoil of our own designed circumstances, as we emerge to become extensions of the extensions that we built. In this practice-based design theory project, the authors share their experiments in negotiating power with things, hacking mundane objects, and thus their own everyday lives, allowing themselves to be swayed and misled, disrupted and called into question. The experiments delineate a mode of critical cultural inquiry where design and sociology collide to elicit critical perspectives on the ‘designer’ and the ‘designed’ as we act within an entangled politics of things. Michelle Christensen, Florian Conradi In Zusammenarbeit mit dem Board of International Research in Design 352 Seiten 16,8 × 22,4 cm Hardcover ISBN: 978-3-0356-2053-5 English

Integrative Design Design reflects social developments in those issues which are also embraced by design researchers. A key concept for how designers position themselves in the future, according to the editor’s thesis, may well be integrative design. This term denotes design’s potential for the integrative development of a society, a potential imperatively linked with economic and political positions. Integrative Design collects basic essays on aspects of Integrative Design, including design after ownership, inclusion, design as an interface with society, the ­integration of design and technology, and the political agenda of design. The associated website documents current and recently completed research projects that expand on these aspects. Ralf Michel In Zusammenarbeit mit dem Board of International Research in Design 152 Seiten 16,8 × 22,4 cm Hardcover ISBN: 978-3-03821-644-5 English

Inklusion als Entwurf Teilhabeorientierte Forschung über, für und durch Design Wie wir Dinge gestalten, hat einen maßgeblichen Einfluss darauf, was oder wen wir als „normal“ oder „normabweichend“ empfinden. Design markiert somit die Grenzbereiche zwischen In- und Exklusion, indem es implizit Rollen- und Wertebilder konfiguriert und dabei gleichermaßen in den Herstellungs- und Deutungsprozess von Normalität involviert ist. Wenn solche Normvorstellungen durch Design mitkonstruiert werden, bedeutet das im Umkehrschluss jedoch auch, dass sie sich durch Design dekonstruieren, also kritisch hinterfragen und verändern lassen: Design kann auch Gegenmodelle entwickeln. Tom Bieling deckt auf zahlreichen Ebenen Verbindungen von Design und Inklusion auf und leitet daraus nicht nur neue Operationsbereiche für Designer ab, sondern liefert auch Anknüpfungspunkte für andere Praxis- und Wissensfelder. Tom Bieling In Zusammenarbeit mit dem Board of International Research in Design 320 Seiten 16,8 × 22,4 cm Gebunden ISBN: 978-3-0356-2020-7 Deutsch

Projektkoordination: Freya Mohr Herstellung: Amelie Solbrig Layout und Satz: Sven Schrape Design-Konzept BIRD: Christian Riis Ruggaber, Formal Papier: 110g/m2 Offset Lithografie: LVD Gesellschaft für Datenverarbeitung mbH, Berlin Druck: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Library of Congress Control Number: 2020945178 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Wenn nicht anders angegeben, liegen die Rechte für die Abbildungen beim Autor. ISBN 978-3-0356-2162-4 e-ISBN (PDF) 978-3-0356-2278-2

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