Enteignung für Rohrleitungsvorhaben: Gemeinwohlbezug, Gemeinwohlkonkretisierung und Gemeinwohlsicherung bei der Enteignung zugunsten Privater [1 ed.] 9783428585885, 9783428185887

Die Arbeit untersucht die verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen der privatbegünstigenden Enteignung mit sp

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German Pages 218 [219] Year 2022

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Enteignung für Rohrleitungsvorhaben: Gemeinwohlbezug, Gemeinwohlkonkretisierung und Gemeinwohlsicherung bei der Enteignung zugunsten Privater [1 ed.]
 9783428585885, 9783428185887

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1476

Enteignung für Rohrleitungsvorhaben Gemeinwohlbezug, Gemeinwohlkonkretisierung und Gemeinwohlsicherung bei der Enteignung zugunsten Privater

Von

Lukas Carstensen

Duncker & Humblot · Berlin

LUKAS CARSTENSEN

Enteignung für Rohrleitungsvorhaben

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1476

Enteignung für Rohrleitungsvorhaben Gemeinwohlbezug, Gemeinwohlkonkretisierung und Gemeinwohlsicherung bei der Enteignung zugunsten Privater

Von

Lukas Carstensen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahr 2021 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-18588-7 (Print) ISBN 978-3-428-58588-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2021 von der Rechtswissenschaft­ lichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Disserta­ tion angenommen. Sie entstand berufsbegleitend zu meiner Tätigkeit für die Sozietät Kümmerlein in Essen und berücksichtigt Rechtsprechung und Lite­ ratur bis März 2021. Der Untertitel wurde für die Druckfassung geringfügig angepasst. Für die engagierte und wohlwollende Betreuung meines Dissertationsvor­ habens sowie die Unterstützung bei der Veröffentlichung danke ich Herrn Prof. Dr. Fabian Wittreck. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Dirk Ehlers danke ich für die zügige Erstattung des Zweitgutachtens. Einen besonderen Dank möchte ich meiner ehemaligen Chefin, Frau Rechtsanwältin und Notarin Dr. Bettina Keienburg, aussprechen, nicht allein für die Anregung des Dissertationsthemas, sondern auch für die lehrreiche Zusammenarbeit und die Freiräume während der Promotionszeit. Für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses bedanke ich mich dane­ ben bei dem Bundesministerium des Innern und für Heimat. Herzlich danke ich schließlich meinen Eltern, Helga und Uwe Carstensen, für die bedingungslose Förderung und Unterstützung während meiner gesam­ ten Ausbildung und darüber hinaus, und ich danke Anna-Lena, deren Zu­ spruch und Rückhalt mich fortwährend begleiten. Münster in Westfalen, Dezember 2021

Lukas Carstensen

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Spielarten der Enteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Enteignungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Enteignung auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus: Die beschränkte persönliche Dienstbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gesetzliche Grundlage: Nebeneinander von Legal- und Administrativ­ enteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Legalenteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Administrativenteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bundesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nebeneinander von Legal- und Administrativenteignung . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Enteignung „zugunsten Privater“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Einfachgesetzliche Grundlagen für Enteignungen auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Enteignung nach dem Energiewirtschaftsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtliche Bezüge der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Enteignung nach § 45 EnWG als Enteignung zugunsten Privater . . . 3. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorhabenkatalog gem. § 43 EnWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Enteignungserforderlichkeit als energiewirtschaftliche Notwen­ digkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rohrleitungsbau und Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Enteignungsrechtliche Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rangverhältnis von Enteignungsgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Allgemeine Enteignungsgesetze als subsidiäre Instrumentarien . . . . . 4. Enteignungsrechtliche Fachgesetze auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . 5. Projektbezogene Enteignungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) MERO-Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) NRWRohrlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) BayRohrlEnteigG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) BWEthylRohrlG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 15 18 20 21 22 22 23 24 24 26 29 33 33 33 34 35 36 37 39 40 40 42 43 46 46 46 48 49 50

8 Inhaltsverzeichnis D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung . . . . . . . . 52 I. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. März 1981(Gondel­ bahn) und Sondervotum Böhmers, BVerfGE 56, 266 . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 1984 (Energiewirtschaftsgesetz), BVerfGE 66, 248 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 III. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1987(Prüfgelände Boxberg), BVerfGE 74, 264 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 IV. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2013(Garz­ weiler), BVerfGE 134, 242 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 V. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Dezember 2016 (NRWRohrlG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 VI. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2017 (BWEthylRohrlG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 VII. Aktueller Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Grundsätzliche Zulässigkeit der Enteignung zugunsten Privater . . . . 69 2. Allgemeinwohl: Weite Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers  . 70 3. Hinreichende gesetzliche Konkretisierung von Vorhaben und Gemeinwohlziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Gesetzliche Sicherung dauerhafter Gemeinwohlnutzung . . . . . . . . . . 71 5. Enteignungserforderlichkeit und Enteignungsverhältnismäßigkeit, insbesondere Gesamtabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung zugunsten Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 I. Terminologisches Spektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Allgemeinwohl und öffentliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Gemeinwohlziel – Enteignungszweck – Entziehungszweck  . . . . . . . 77 II. Allgemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Abgrenzung zulässiger Gemeinwohlziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Festlegung von Gemeinwohlzielen als „Qualifikationskompe­ tenz“ des parlamentarischen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) Wesentlichkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 bb) Gesetzmäßigkeit der Enteignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 cc) Kein statischer Gemeinwohlbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit – Justiziabili­ tät des Gemeinwohls anhand von Negativkriterien . . . . . . . . . . . . 84 aa) Negativkatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 bb) Rein privatnützige Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 cc) Beruhen auf offensichtlich unzulässiger Beurteilung . . . . . . . 89 c) Positive Merkmale des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Enteignungsrechtliche Gemeinwohlintensität . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Abgrenzung zu Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 cc) Staatsaufgaben als messbarer Schweregrad von Gemein­ wohlintensität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

Inhaltsverzeichnis9 dd) Anforderungen an die Gemeinwohlintensität bei Enteignun­ gen zugunsten Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 ee) Gemeinwohl als Ergebnis einer bilanzierenden Abwägung . . 97 (1) Abwägungsvorgang und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . 98 (2) Gerichtliche Bilanzierungskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 d) Fallbeispiele für Gemeinwohlbelange auf dem Gebiet des Rohr­ leitungsbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 aa) Gutnachbarschaftliche Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 bb) Stärkung der wirtschaftlichen Struktur und Sicherung von Arbeitsplätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 cc) Verbesserung der Transportsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Gemeinwohlbezug als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung . . 104 a) Enteignungsrechtliche Gemeinwohldienlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Exklusivität des Gemeinwohlbezugs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 c) Destinatar des Gemeinwohls und grenzüberschreitende Bezüge  . 106 3. Allgemeinwohl und Privatwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Kein verfassungsrechtlicher Ausschluss bestimmter Enteignungs­ begünstigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Privatbegünstigende Enteignungen als historischer Normal­ fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) Schutzzweck der Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) „Enteignungsansprüche“ des privaten Unternehmens . . . . . . . . . . 118 aa) Anspruch auf behördliches Einschreiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 bb) Anspruch auf gesetzgeberisches Tätigwerden . . . . . . . . . . . . . 120 III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Hintergrund weitergehender Konkretisierungserfordernisse . . . . . . . . 121 a) Vorbehalt des Gesetzes und Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . 122 b) Wesentlichkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Wesentlichkeit als Kriterium der Regelungsdichte . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Regelungsstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Regelungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Enteignungsrechtliche Wesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Regelungsstoff in Enteignungsgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 aa) Gemeinwohlziel und Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 bb) Zugriffsobjekt und sonstige materielle Zulässigkeitsvoraus­ setzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Erklärung über das Zugriffsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 dd) Regelung des Enteignungsverfahrens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 ee) Sicherungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 ff) Vorgaben für die Gesamtabwägung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 gg) Entschädigungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Regelungsgestaltung in Enteignungsgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

10 Inhaltsverzeichnis aa) Interdependenz von Gemeinwohlziel und Vorhaben . . . . . . . . 137 bb) Gemeinwohlziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (1) Beispiel Wirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (2) Beispiel Arbeitsplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (3) Beispiel Transportsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (4) Negativbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 cc) Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 dd) Gestaltung der sonstigen Regelungsmaterie . . . . . . . . . . . . . . 146 c) Einheitliche enteignungsrechtliche Bestimmtheitsanforderungen . 149 IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Erfordernis eines dauerhaften Gemeinwohlbezugs . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Gemeinwohlverantwortung und Sicherungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Risikoabwehr als Inhalt des Sicherungsauftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Risiken für den Gemeinwohlbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Risikobewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Subsumptionsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Gemeinwohlzielprognoserisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 cc) Verhaltensrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Sicherungsprogramm als Programm der Risikoabwehr . . . . . . . . . 162 aa) Handlungsoptionen: Erfolgs- oder verhaltensorientierte Maßnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Bewertung der Handlungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (1) Status des Enteignungsbegünstigten: Indienstnahme oder Rechtsverhältnis sui generis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (2) Eingriffe in den Schutzbereich und Ungleichbehandlung  168 (3) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung, insbesondere Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (a) Legitimer Zweck: Risikoabwehr als Sicherung des Gemeinwohlbezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (b) Geeignetheit: Beherrschbarkeit von Gemeinwohl­ zielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (c) Erforderlichkeit: Vertrauensvorschuss? . . . . . . . . . . . 175 (d) Angemessenheit: Verantwortung des Enteignungs­ begünstigten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (4) Zwischenergebnis: Einzelfallabhängiges Sicherungspro­ gramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 4. Sicherungsmittel und formelle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Gesetzliche Sicherungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Anspruch auf Rückübereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Vertragliche Sicherungsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 V. Enteignungsrechtliche Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Geeignetheit: Förderung von Vorhaben und Gemeinwohlziel . . . . . . . 189

Inhaltsverzeichnis11 2. Erforderlichkeit: Unverzichtbarkeit der Maßnahme und Gebotenheit des Vorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3. Angemessenheit, insbesondere Gesamtabwägung  . . . . . . . . . . . . . . . 193 F. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Abkürzungsverzeichnis 3R

3R Fachzeitschrift für sichere und effiziente Rohrleitungssyste­ me ApoR Apotheke & Recht: Zeitschrift für das gesamte Apothekenrecht AUR Agrar- und Umweltrecht BayRohrlEnteigG Gesetz über die Enteignung für die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Münchsmünster und der Landesgrenze zu Baden-Württemberg bei Nördlingen BWEthylRohrlG Gesetz zur Errichtung und zum Betrieb einer Ethylenrohrlei­ tungsanlage in Baden-Württemberg DtZ Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift EurUP Zeitschrift für Europäisches Umwelt- und Planungsrecht HHWerkflEnteigG Enteignungsgesetz für die Erweiterung des Werkflugplatzes in Hamburg-Finkenwerder i. O. im Original IR InfrastrukturRecht MDR Monatsschrift für Deutsches Recht MERO-Gesetz Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungs­ anlage zwischen Vohburg an der Donau und Waidhaus N&R Netzwirtschaften und Recht NordÖR Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland NRWRohrlG Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungs­ anlage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen NuR Natur und Recht RdE Recht der Energiewirtschaft ZfB Zeitschrift für Bergrecht ZfBR Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergabe­ recht Im Übrigen wird verwiesen auf Hildebert Kirchner/Eike Böttcher, Abkürzungsver­ zeichnis der Rechtssprache, 9. Aufl. 2018.

A. Einleitung Das Enteignungsrecht ist in seinem Kern ein „Kompromiß zwischen Indi­ vidualismus und Kollektivismus“1. Besondere Kompromissfähigkeit wird Enteignungsbetroffenen abverlangt, betritt man das Problemfeld der Enteig­ nung „zugunsten Privater“. Im Spannungsfeld zwischen Eigentumsgarantie und Gemeinwohl treten bei solchen Enteignungen empfindliche Konfliktla­ gen hervor, entzieht der Staat dem einzelnen Privaten doch Eigentum und überträgt es auf einen anderen Privaten. Der Widerstand Enteignungsbetrof­ fener ist Gegenstand politischer Diskussionen, medialer Berichterstattung und zahlreicher gerichtlicher Verfahren. Dies gilt in besonderem Maße für Enteignungen, mit deren Hilfe Rohrleitungen realisiert werden sollen, die sich über weite Entfernungen erstrecken und die regelmäßig eine Vielzahl von Eigentümern betreffen. Grundlage dieser Enteignungen sind gerade in jüngerer Zeit häufig sogenannte projektbezogene Enteignungsgesetze2. Die auf diese Gesetze gestützten Enteignungen bieten den Schauplatz für lang­ wierige3 Auseinandersetzungen im Dreiecksverhältnis Staat – Enteignungs­ betroffener – Enteignungsbegünstigter. Mehr als 35 Jahre nach der ersten inhaltlichen Entscheidung des Bundes­ verfassungsgerichts zur Zulässigkeit privatbegünstigender Enteignungen4 1  So schon M. Layer, Principien des Enteignungsrechtes, 1902, S. 65: „Enteig­ nungsrecht (Enteignung gegen Entschädigung) als […] Kompromiß zwischen Indivi­ dualismus und Kollektivismus, Einzelinteresse und Gesamtinteresse, zwischen Indivi­ dualrecht und dem Rechte der öffentlichen Gewalt“. 2  Vgl. etwa das Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsan­ lage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen (NRWRohrlG) vom 21.3.2006, GV.NRW. 2006, S. 130, das Gesetz über die Enteignung für die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Münchsmünster und der Landesgrenze zu Baden-Württemberg bei Nördlingen (Bayerisches Rohrleitungs-Enteignungsgesetz – BayRohrlEnteigG) vom 10.6.2008, GVBl. 2008, S. 310 oder das Gesetz zur Errich­ tung und zum Betrieb einer Ethylenrohrleitungsanlage in Baden-Württemberg (Ba­ den-Württembergisches Ethylen-Rohrleitungsgesetz – BWEthylRohrlG) vom 1.12. 2009, GBl. 2009, S. 677. 3  So ist etwa der Rechtsstreit um den u. a. auf das NRWRohrlG gestützten Plan­ feststellungsbeschluss der Bezirksregierung Düsseldorf vom 14.2.2007 für den Ab­ schnitt Köln-Worringen nach Krefeld-Uerdingen nach über zehn Jahren noch nicht endgültig abgeschlossen. Nach dem Urteil des OVG NRW vom 31.8.2020, 20 A 1923/11, juris, sind im Frühjahr 2021 noch Nichtzulassungsbeschwerden anhängig. 4  BVerfGE 66, 248–259 (Energiewirtschaftsgesetz).

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A. Einleitung

herrscht in Rechtsprechung und Literatur über die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen einer solchen Enteignung keine Einigkeit. Trotz einiger wissenschaftlicher Abhandlungen5 und weiterer Rechtsprechung6 zu diesem Thema zeigen jüngere Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts7 und ihre öffentliche – überwiegend kritische – Rezeption8, dass die spezifi­ schen Enteignungsvoraussetzungen keineswegs endgültig geklärt sind. Vor diesem Hintergrund möchte die vorliegende Untersuchung die verfas­ sungsrechtlichen Anforderungen an eine privatbegünstigende Enteignung mit spezifischem Blick auf Rohrleitungsvorhaben herausarbeiten. Zunächst soll ein begrifflicher Überblick das Verständnis des weiteren Verlaufs der Unter­ suchung erleichtern. Neben dem Begriff der Enteignung selbst werden hier die verschiedenen enteignungsrechtlichen Spielarten vorgestellt (Kapitel B.). Anschließend werden die einfachgesetzlichen Grundlagen auf Bundes- und Landesebene untersucht (Kapitel C.), bevor die bisher ergangene Rechtspre­ chung des Bundesverfassungsgerichts zum topos Enteignung zugunsten Pri­ vater skizziert wird (Kapitel D.). Schließlich werden die verfassungsrecht­ lichen Voraussetzungen an eine privatbegünstigende Enteignung in kritischer Würdigung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und unter Berücksichtigung bisher nicht behandelter Aspekte und eigener Ansätze dis­ kutiert (Kapitel E.). Die Ergebnisse der Arbeit werden in Thesen zusammen­ gefasst (Kapitel F.).

5  W. Schmidbauer, Enteignung zugunsten Privater, 1989; A. Jackisch, Die Zuläs­ sigkeit der Enteignung zugunsten Privater, 1996; T. Bauer, Kongruenz privater und öffentlicher Interessen im Enteignungsrecht, 1996; A. Jagst, Enteignung zugunsten privatisierter Flughäfen, 2012. 6  Vgl. nur BVerfGE 74, 264–297 (Prüfgelände Boxberg); 134, 242–357 (Garzwei­ ler); BVerfG WM 2009, 422–428 (Energiewirtschaftsgesetz II); BVerwGE 117, 138– 145 (MERO). 7  BVerfG NVwZ 2017, 399–403 (NRWRohrlG); BVerfG DVBl. 2017, 1174–1176 (BWEthylRohrlG). 8  B. Hoops, Verabschiedet sich das BVerfG von „Boxberg“ und seinem internatio­ nal vorbildlichen Schutz vor Enteignungen zugunsten Privater?, in: NVwZ 2017, S.  1496 (1496 ff.); W. Höfling/P. Stöckle, Enteignung zugunsten Privater – EthylenPipeline-Süd (Baden-Württemberg), in: DVBl. 2017, S. 1176 (1176 ff.); M. Ogorek, Eigentum und Gemeinwohl, in: DÖV 2018, S. 465 (465 ff.); G. Hermes, Energiever­ sorgung und Enteignung zugunsten Privater, in: F. Shirvani (Hrsg.), Eigentum im Recht der Energiewirtschaft, 2018, S. 53 (53 ff.).

B. Spielarten der Enteignung Um die Untersuchung im weiteren Verlauf nachvollziehen zu können, ist es notwendig, vorab diejenigen Begriffe zu klären, die im Rahmen einer Enteignung auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus eine Rolle spielen. Neben dem Begriff der Enteignung selbst (dazu unter I.) und der konkreten Ausge­ staltung einer Enteignung auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus (dazu un­ ter II.) sollen die typischen Erscheinungsformen einer Enteignung beleuchtet werden. Diese werden zunächst hinsichtlich der gesetzlichen Grundlage un­ terschieden (dazu unter III.) und sodann danach betrachtet, wer von der je­ weiligen Enteignung begünstigt wird bzw. von ihr profitiert (dazu unter IV.).

I. Enteignungsbegriff Bevor im Folgenden die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG dargestellt werden, soll auf den Inhalt und den Begriff der Enteignung an sich eingegangen werden. Art. 14 Abs. 3 GG selbst regelt allein bestimmte Zulässigkeitsvoraussetzungen9. Um also an späterer Stelle nachvollziehen zu können, auf welches besondere In­ stitut sich die darzustellenden Zulässigkeitsvoraussetzungen beziehen, sollen eingangs in gebotener Kürze Inhalt und Begriff einer Enteignung beleuchtet werden. In Abgrenzung zur Inhalts- und Schrankenbestimmung gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG ist eine Enteignung nach der gefestigten Rechtsprechung des Bun­ desverfassungsgerichts ein Eingriff des Staates in das Eigentum Einzelner, der gerichtet ist auf eine „vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleisteter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben“10. Bloße Nutzungs- und Verfügungsbeschränkungen stellen danach nie eine Enteignung dar, auch wenn dadurch die Eigentumsnutzung vollständig entwertet wird11. In der 9  H.-J.  Papier/F.  Shirvani, in: T. Maunz/G. Dürig u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 14 (2018), Rn. 628. 10  BVerfGE 143, 246 (333 Rn. 245); 134, 242 (289 Rn. 161); 104, 1 (9); 101, 239 (259) [Zitat]; ähnlich bereits E 100, 226 (240); 79, 174 (191); 74, 264 (280); 72, 66 (76). 11  BVerfGE 102, 1 (16); N.  Petersen, Deutsches und Europäisches Verfassungs­ recht II, 2019, § 3 Rn. 142.

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B. Spielarten der Enteignung

jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist inzwischen ge­ klärt, dass darüber hinaus eine hoheitliche Güterbeschaffung konstitutives Merkmal einer Enteignung ist12. Güterbeschaffung meint hierbei, dass dem Eigentümer ein Vollrecht oder einzelnes Nutzungsrecht entzogen und auf den Träger eines konkreten Gemeinwohlprojekts zum Zwecke der Nutzung der Sache zu Gunsten dieses Projekts übertragen wird13. Die Eingrenzung des Enteignungsbegriffs auf Fälle hoheitlicher Güterbe­ schaffung begründet das Bundesverfassungsgericht insbesondere mit dem „praktischen Bedarf“ für einen solchen bloßen Eigentumsentzug, der nicht zugleich mit einem Übergang des Eigentums verbunden ist14; in diesem Zu­ sammenhang lasse sich auch die Entschädigungslosigkeit straf- und polizei­ rechtlicher Mittel wie Einziehung, Verfall oder Vernichtung konsistenter er­ klären15. In der Literatur findet die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einem hoheitlichen Güterbeschaffungsvorgang überwiegend Zustimmung16. 12  BVerfGE 143, 246 (333 f. Rn. 246; 334 Rn. 248); bis zu diesem Urteil wurde die Frage nach dem Merkmal einer hoheitlichen Güterbeschaffung vom Bundesver­ fassungsgericht nicht einheitlich beurteilt; für ein solches Erfordernis schon vorher z. B. BVerfGE 104, 1 (10); 126, 331 (359) und BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 15.4.2009, 1 BvR 3478/08, juris, Rn. 16; zur historischen Ent­ wicklung des Enteignungsbegriffs in der Rechtsprechung, insb. vom klassischen Ent­ eignungsbegriff über die „Schwellentheorien“ (Sonderopfer- bzw. Schweretheorie) zur „Trennungstheorie“ und dem heutigen Verständnis s. Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 629 ff.; O.  Depenheuer/J.  Froese, in: P. M. Huber/A. Voßkuhle (Hrsg.), v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. I, 7. Aufl. 2018, Art. 14 Rn.  407 ff.; H.-G. Dederer, in: W. Kahl/C. Waldhoff/C. Walter (Hrsg.), Bonner Kom­ mentar zum Grundgesetz, Art. 14 (2017), Rn. 495 oder sehr ausführlich M.  Cornils, Der Begriff der Enteignung – Rückschritt als Fortschritt?, in: O. Depenheuer/F. Shirvani (Hrsg.), Die Enteignung. Historische, vergleichende, dogmatische und politische Per­ spektiven auf ein Rechtsinstitut, 2017, § 6, S. 137 (143 ff.). 13  J. Lege, Enteignung als Güterbeschaffungsvorgang, in: NJW 1993, S. 2565 (2565). 14  BVerfGE 143, 246 (336 Rn. 253). 15  BVerfGE 143, 246 (337 Rn. 254). 16  Siehe Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 510; H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, GG (Fn. 9), Art. 14 (2010), Rn. 335, 481, 638; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 405, 418; B.-O. Bryde/A. Wallrabenstein, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Kom­ mentar zum Grundgesetz, Bd. I, 7. Aufl. 2021, Art. 14 Rn. 119; H. D.  Jarass, in: ders./B. Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 16. Aufl. 2020, Art. 14 Rn. 77; F. Becker, in: K. Stern/ders. (Hrsg.), Grundrechte-Kommentar, 3. Aufl. 2019, Art. 14 Rn. 155, 255; O. Depenheuer, Eigentum, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. V, 2013, § 111 Rn. 84; Lege, Enteignung (Fn. 13), S. 2565; D. Riedel, Eigentum, Enteignung und das Wohl der Allgemeinheit, 2012, S. 107 ff., 136 f.; J. Froese, Der Eigentumsentzug ohne Güterbeschaffung als Enteignung „light“?, in: NJW 2017, S. 444 (446); ähnlich schon



I. Enteignungsbegriff17

Indes ist bei der zu untersuchenden Enteignung auf dem Gebiet des Rohrlei­ tungsbaus ein Güterbeschaffungsvorgang in den einschlägigen Fallkonstella­ tionen auch immer gegeben (siehe hierzu unten II. und IV.). Für das zu un­ tersuchende Problem ist das Erfordernis eines Güterbeschaffungsvorgangs mithin nicht weiter relevant. Für ein umfassendes Bild über den Meinungs­ stand wird auf die zitierte Literatur verwiesen17. Neben dem Kriterium der Güterbeschaffung ist weiter umstritten, ob die Rechtmäßigkeit des Eingriffs selbst konstitutives Tatbestandsmerkmal einer Enteignung ist18. Diese Frage ist zu verneinen: Nach einhelliger Auffassung kommt eine Enteignungsentschädigung gem. Art. 14 Abs. 3 GG nur bei rechtmäßigen, das heißt verfassungsmäßigen Enteignungen in Betracht19. Um die Voraussetzungen einer solchen Enteignungsentschädigung aber über­ haupt prüfen zu können, kann die Rechtmäßigkeit der Enteignung denk­ logisch nicht Bestandteil des Enteignungsbegriffs selbst sein, möchte man „sich nicht im Kreise drehen“20. H. Rittstieg, in: E. Denninger/W. Hoffmann-Riem/H.-P. Schneider u. a. (Hrsg.), Alter­ nativkommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 14 (2001), Rn. 193 ff., ohne aber den Terminus „Güterbeschaffungsvorgang“ zu ver­ wenden; a. A. J. Wieland, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 14 Rn. 93; R. Wendt, in: M. Sachs (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art.  14 Rn.  80; J. Berkemann, in: D.  C. Umbach/T.  Clemens (Hrsg.), Mitarbeiterkommentar zum Grundgesetz, Bd. I, 2002, Art. 14 Rn. 554, 563; R. Steinberg/A. Lubberger, Aufopferung – Enteignung und Staatshaftung, 1991, S. 103; J. Eschenbach, Der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums, 1996, S.  541 f.; K.-A. Schwarz, „Güterbeschaffung“ als notwendiges Element des Enteig­ nungsbegriffs?, in: DVBl. 2013, S. 133 (138); J. Dietlein, Aktuelle Entwicklungen der Enteignungsdogmatik – Eine Bestandsaufnahme nach der Garzweiler-Entschei­ dung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013, in: AUR 2015, S. 167 (167 f.); G. Dürig, Zurück zum klassischen Enteignungsbegriff, in: JZ 1954, S. 4 (9); W. Leisner, Eigentum, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VIII, 3. Aufl. 2010, § 173 Rn. 213 ff. fordert das Kriterium einer hoheitlichen Güterbeschaffung zumindest nicht positiv ein. 17  Siehe hierzu insb. Fn. 16. 18  Dafür: Papier (Fn. 16), Art. 14 Rn. 545 f.; Steinberg/Lubberger, Aufopferung (Fn. 16), S. 132; J. Dietlein, Die Eigentumsfreiheit und das Erbrecht, in: K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/1, 2006, S. 2265; wohl auch Leisner (Fn. 16), § 173 Rn. 215; dagegen: Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 528; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 417; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 654; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 94; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 537; H. Maurer/ C. Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 27 Rn. 55; H. D. Jarass, Inhalts- und Schrankenbestimmung oder Enteignung? – Grundfragen der Struk­ tur der Eigentumsgarantie, in: NJW 2000, S. 2841 (2845); U. Hösch, Eigentum und Freiheit, 2000, S. 237. 19  Statt vieler Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 701. 20  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 27 Rn. 55.

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B. Spielarten der Enteignung

II. Enteignung auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus: Die beschränkte persönliche Dienstbarkeit Typischerweise wird bei Enteignungen, die der Errichtung und dem Be­ trieb von Rohrleitungen dienen sollen, Grund und Boden in Anspruch ge­ nommen. Neben der Rohrleitung als solcher werden für ihren Bau und ihren Betrieb regelmäßig weitere bauliche Anlagen benötigt, die ihrerseits Flächen beanspruchen. Zu ihnen gehören zum Beispiel Absperrstationen oder (spe­ ziell bei Gasleitungen) Verdichterstationen entlang der eigentlichen Pipeline. Außerdem werden typischerweise weitere Flächen für den Bau und den Be­ trieb der Pipeline gebraucht; hierzu zählen insbesondere ein Arbeitsstreifen während der Bauphase sowie etwaige Zuwegungen. Dauerhaft wird daneben üblicherweise ein nicht zu überbauender und von Bewuchs freizuhaltender Schutzstreifen zu beiden Seiten der Rohrleitung eingerichtet. Das Leitungsrecht, also das Recht, die Rohrleitung zu verlegen, sie auf den betroffenen Grundstücken zu betreiben und instandzuhalten, sonstige Anlagen hierfür zu errichten, einen Arbeitsstreifen während der Bauphase bzw. dauerhaft einen Schutzstreifen in Anspruch zu nehmen und etwaige Zufahrtswege zu nutzen, wird für den Enteignungsbegünstigten im Regelfall in Gestalt einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit begründet21. Eine solche Dienstbarkeit ist nach der Legaldefinition gem. § 1090 Abs. 1 BGB eine Belastung des betreffenden Grundstücks in der Weise, dass derjenige, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, berechtigt ist, das Grundstück in ein­ zelnen Beziehungen zu benutzen, oder dass ihm eine sonstige Befugnis zu­ steht, die den Inhalt einer Grunddienstbarkeit (§ 1018 BGB) bilden kann. Die Dienstbarkeit kann niemals zu positivem Tun verpflichten22. Wenn die Dienstbarkeit nicht rechtsgeschäftlich bestellt wird, sondern die Belastung des Eigentums an dem Grundstück zwangsweise durch einen Hoheitsakt erfolgt, handelt es sich hierbei um eine (Teil-)Enteignung23. Dies gilt jedenfalls inso­ 21  P. Seeliger, Die Benutzung fremder Grundstücke durch Leitungen der öffent­ lichen Versorgung in den neuen Bundesländern, in: DtZ 1995, S. 34 (34 f.); K.-D. Morell, Handbuch der Leitungs- und Wegerechte, (2017) S. 41; E. Ahnis/A. Bartsch, Leitungsrechte in der Energiewirtschaft: Die beschränkte persönliche Dienstbarkeit, in: IR 2014, S. 122 (125); OLG Jena, Urteil vom 30.12.2013, BI U 299/12, juris, Rn. 47 für Zuwegungen; FG Düsseldorf, Urteil vom 19.1.2017, 14 K 2779/14 G, ­juris, Rn. 55 für Absperrstationen; J. Mohr, in: F. J. Säcker/R. Rixecker/H. Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. VIII, 8. Aufl. 2020, § 1090 Rn. 12; vgl. außerdem schon R. W. Stengel, Die Grundstücksenteignung zugunsten privater Wirtschaftsunternehmen, 1967, S. 87. 22  BGH NJW-RR 2003, 733 (735); Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 25.2.2005, 2Z BR 224/04, juris, Rn. 18. 23  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 Rn. 32); BVerfGE 56, 249 (260) unter Verweis auf E 45, 297 (339); BVerwGE 117, 138 (139); BGHZ 83, 61 (63); 120, 38 (40); OLG



II. Enteignung auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus19

weit, als der Grundstückseigentümer eine Rechtsposition verliert, die er zuvor selbst innehatte und die er in dieser Form dem nun Begünstigten selbst hätte gewähren können24. Die Dienstbarkeit wird in das Grundbuch eingetragen25. Der Kern des als Dienstbarkeit eingetragenen Leitungsrechts ist als soge­ nannte Benutzungsdienstbarkeit gem. § 1090 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. § 1018 Alt. 1 BGB ausgestaltet. Der Grundstückseigentümer, zu dessen Las­ ten die Dienstbarkeit eingetragen wird, muss also die Benutzung seines Grundstücks in den oben genannten einzelnen Beziehungen dulden, wobei Benutzung jedes dauerhafte und fortgesetzte Gebrauchmachen des belasteten Grundstücks meint26. Einzig hinsichtlich des Schutzstreifens ist zu differen­ zieren: Inhalt der Dienstbarkeit ist hierbei typischerweise, dass der Grund­ stückseigentümer es zu unterlassen hat, auf dem Schutzstreifen Anlagen zu errichten oder im Streifen Gewächse aller Art anzupflanzen. Daneben wird ihm für gewöhnlich aufgegeben, den Schutzstreifen dauerhaft frei von Be­ wuchs zu halten. Hinsichtlich der ersten Belastung ist von einer sogenannten Unterlassungsdienstbarkeit gem. § 1090 Abs. 1 und 2 BGB i. V.m § 1018 Alt. 2 BGB auszugehen, die das Verbot beinhaltet, auf dem Grundstück be­ Jena, Urteil vom 30.12.2013, BI U 299/12, juris, Rn. 36; Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 515; Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 190; M. Antoni, in: D. Hömig/H. A. Wolff (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2018, Art. 14 Rn. 14; J. Mayer, in: J. v. Staudinger (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz­ buch, Buch 3: Sachenrecht: ErbbauRG: §§ 1018–1112, Neubearbeitung 2017, § 1018 Rn. 11; M. Kment, in: ders. (Hrsg.), Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, § 45 Rn. 7; V. Giesler, Die Eigentumsgarantie in der Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts, 2020, S. 366; H. D. Jarass, Eigentumsgarantie, in: Akademie für Raum­ forschung und Landesplanung (Hrsg.), Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwick­ lung, 2018, S. 463 (467); F. Michl, Grundrechtlicher Eigentumsschutz in Deutschland und Europa, in: JuS 2019, S. 431 (431); A. Hamann, Enteignung von Grundstücken zu Gunsten größerer industrieller Vorhaben, in: BB 1957, S. 1258 (1258); F. Schack, Ent­ eignung öffentlicher Wege zugunsten Privater, in: DVBl. 1965, S. 588 (588); F. Wichert, Enteignung und Besitzeinweisung für energiewirtschaftliche Leitungsvorhaben, in: NVwZ 2009, S. 876 (877); zustimmend auch R. Breuer, Anmerkung zu BVerfG, Urt. des Ersten Senats vom 10.3.1981 – 1 BvR 92, 96/71, in: DVBl. 1981, S. 971 (972); mit Differenzierung zwischen Rechtsentziehung und Belastung Dürig, Enteig­ nungsbegriff (Fn. 16), S. 10; a. A. Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 418. 24  BVerfGE 45, 297 (339); 56, 249 (260); U. Stelkens, Inanspruchnahme privater Grundstücke für den Ausbau von Versorgungsnetzen, in: VerwArch. 100 (2009), S. 192 (205); vgl. hierzu auch Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 566 m. w. N., der inso­ fern auf den Typenzwang des Sachenrechts verweist, welcher hier „dem Enteignungs­ recht vorgegeben“ sei. 25  C. Berger, in: O. Jauernig (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 18. Aufl. 2021, § 1018 Rn. 8. 26  J. Mohr, in: Säcker u. a., MüKo BGB VIII (Fn. 21), § 1018 Rn. 29; S. Herrler, in: O. Palandt (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 80. Aufl. 2021, § 1018 Rn. 14.

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B. Spielarten der Enteignung

stimmte Handlungen vorzunehmen27. Das Gebot, den Schutzstreifen frei von Bewuchs zu halten, darf als positives Tun nicht Inhalt einer Dienstbarkeit sein28, kann aber zulässigerweise eine Nebenpflicht einer nach § 1018 BGB zulässigen Belastungsart darstellen, soweit das Tun zur Erhaltung des Grund­ stücks in einem der Dienstbarkeit entsprechenden Zustand erforderlich ist29. Letzteres Kriterium ist bei Pipelines typischerweise erfüllt: Die Freihaltung des Schutzstreifens dient gerade dazu, die Rohrleitung auf dem Grundstück sicher betreiben und instandhalten zu können30. Durch die Einräumung des Leitungsrechts im Wege der Dienstbarkeit in Zusammenhang mit der Errichtung und dem Betrieb einer Pipeline werden dem betroffenen Eigentümer einzelne Nutzungsrechte entzogen und auf den Enteignungsbegünstigten übertragen: Der durch die Dienstbarkeit Berechtigte ist dazu befugt, etwas zu tun, was der Grundstückseigentümer eigentlich untersagen könnte, aber infolge der Grundstücksbelastung nun zu dulden hat31. Die hoheitliche Bestellung einer solchen persönlich beschränkten Dienstbarkeit stellt deshalb einen Güterbeschaffungsvorgang in oben genann­ tem Sinne dar32, wie er vom Bundesverfassungsgericht als konstitutives Merkmal einer Enteignung gefordert wird.

III. Gesetzliche Grundlage: Nebeneinander von Legal- und Administrativenteignung Gem. Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG darf eine Enteignung nur durch oder auf­ grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung re­ gelt. Die Enteignung steht unter einem förmlichen Gesetzesvorbehalt33, not­ wendig ist also ein Parlamentsgesetz. Dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG können die beiden Formen der Enteignung entnommen werden: Legalenteignung34 („durch“) und Administrativenteignung („aufgrund“). Das 27  Mohr

(Fn. 26), § 1018 Rn. 32. NJW-RR 2003, 733 (735); Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 25.2.2005, 2Z BR 224/04, juris, Rn. 18. 29  Mohr (Fn. 26), § 1018 Rn. 44; Ahnis/Bartsch, Dienstbarkeit (Fn. 21), S. 124 mit Verweis auf BGH DNotZ 1959, 240 (241). 30  Vgl. hierzu z. B. die Regelungen in 2.3.1 ff. der Richtlinie für Rohrleitungsanla­ gen zum Befördern wassergefährdender Stoffe (RRwS), Bek. d. BMU vom 4.3.1987, GMBl. 1987, S. 110. 31  Berger (Fn. 25), § 1018 Rn. 4. 32  BVerfGE 45, 297 (332). 33  Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 656; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 419. 34  Teilweise wird auch der Begriff „Legislativenteignung“ verwendet, vgl. z. B. Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 529 f.; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 584, 633; Mau28  BGH



III. Gesetzliche Grundlage21

Bundesverfassungsgericht sieht beide Formen der Enteignung als jeweils ei­ genständige Rechtsinstitute an35. 1. Legalenteignung Eine Legalenteignung ist die Enteignung unmittelbar durch ein Parla­ mentsgesetz36. Das Gesetz entzieht also selbst mit seinem Inkrafttreten kon­ krete und individuelle Rechtspositionen, die einem bestimmbaren Kreis von Personen oder Personengruppen nach dem bis dahin geltenden Recht zuste­ hen37; weitere Vollzugsakte sind nicht notwendig. Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG ist spezieller und derogiert mit seinen Anforderungen dem Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, das Verbot des Einzelfallgesetzes gilt im Rahmen eines solchen Enteignungsgesetzes also nicht38. Unterart der Legalenteignung ist die soge­ nannte Legalenteignung im Gewande der Legalplanung. Unter diesem Be­ griff werden vor allem planersetzende formelle Investitionsmaßnahmege­ setze39 diskutiert, die aufgrund ihrer enteignungsrechtlichen Vorwirkung40 an Art. 14 Abs. 3 GG zu messen sind41. Solche Gesetze werden deshalb wie eine Legalenteignung behandelt42. rer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 27 Rn. 51; W. Erbguth, Entschädigungsan­ sprüche bei Eigentumseingriffen, in: Ad Legendum 2009, S. 199 (201). 35  BVerfGE 58, 300 (331). 36  Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 159. 37  BVerfGE 31, 275 (281); 45, 297 (325 f.); 58, 300 (330 f.); 95, 1 (21). 38  Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 204; Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 620; Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 84; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 426; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 158; J.-R. Sieckmann, in: W. Höfling/H. Friauf (Hrsg.), Berliner Kom­ mentar zum Grundgesetz, Bd. II, Art. 14 (2014), Rn. 160; a.  A. Papier (Fn. 16), Art. 14 Rn. 559, der darin einen Formenmissbrauch erkennt. 39  Siehe hierzu z. B. das Gesetz über den Bau der „Südumfahrung Stendal“ der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde vom 29.10.1993, BGBl. I 1993, S. 1906 oder das Gesetz über den Bau des Abschnitts Wismar West-Wismar Ost der Bundesautobahn A 20 Lübeck-Bundesgrenze (A 11) vom 2.3.1994, BGBl. I 1994, S. 734; zum Begriff „Investitionsmaßnahmegesetze“ vgl. H. Falter, Die enteignungsrechtliche Vorwir­ kung – insbesondere von Planfeststellungsbeschlüssen, 2016, S. 115 m. w. N. zur Verwendung dieses Begriffs in Fn. 353. 40  Die sogenannte enteignungsrechtliche Vorwirkung meint hierbei, dass die Zuläs­ sigkeit der Enteignung „dem Grunde nach“ schon unmittelbar durch das Gesetz ab­ schließend und für das nachfolgende Enteignungsverfahren bindend feststeht, vgl. BVerfGE 74, 264 (282), 95, 1 (21); zum Begriff der enteignungsrechtlichen Vorwir­ kung vgl. umfassend Falter, Vorwirkung (Fn. 39), S. 46 ff. 41  BVerfGE 74, 264 (282); 95, 1 (22); D. Hönig, Fachplanung und Enteignung, 2002, S. 73; U. Battis/C.-W. Otto, Die Enteignung von Grundstücken zur Erweiterung industrieller Produktionsstätten am Beispiel des Werkflugplatz-Enteignungsgesetzes, in: DVBl. 2004, S. 1501 (1503); H. D. Jarass, Die enteignungsrechtliche Vorwirkung bei Planfeststellungen, in: DVBl. 2006, S. 1329 (1330); Riedel, Eigentum (Fn. 16),

22

B. Spielarten der Enteignung

2. Administrativenteignung Demgegenüber ist die Administrativenteignung als Regelfall einer Enteig­ nung43 ein Verwaltungsakt i. S. d. § 35 S. 1 VwVfG, der aufgrund einer ge­ setzlichen Ermächtigung erlassen wird. Auch bei Enteignungen, die durch eine Satzung oder eine Rechtsverordnung erfolgen, handelt es sich um Ad­ ministrativ- und nicht etwa um Legalenteignungen44. Entscheidend ist stets, dass die jeweilige Enteignungsanordnung ihrerseits auf einem formellen Gesetz beruht, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 14 ­ Abs. 3 GG genügt. a) Bundesrecht Auf Bundesebene gibt es ein allgemeines Enteignungsgesetz, das Adminis­ trativenteignungen einheitlich regelt – im Gegensatz zu landesrechtlichen Regelungen – nicht45. Vielmehr hat der Bundesgesetzgeber die gesetzlichen Ermächtigungen jeweils fachspezifisch implementiert. Im Hinblick auf Rohr­ leitungsvorhaben ist in diesem Zusammenhang vor allem das Energiewirt­ schaftsgesetz (§ 45 EnWG) zu nennen, auf das an späterer Stelle intensiver eingegangen werden soll46. Daneben regeln beispielsweise auch das Bundes­ fern­straßengesetz (§ 19 Abs. 1 FStrG), das Luftverkehrsgesetz (§ 28 Abs. 1 LuftVG), das Landbeschaffungsgesetz (§ 10 ff. LBG), das Baugesetzbuch (§§ 85 ff. BauGB), das Wasserstraßengesetz (§ 44 Abs. 1 WaStrG), das Perso­ nenbeförderungsgesetz (§ 30 PBefG) oder das Allgemeine Eisenbahngesetz S. 97; L. Osterloh, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 55 Rn. 124; Falter, Vor­ wirkung (Fn. 39), S. 333; Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 518. 42  BVerfGE 95, 1 (22); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 532. 43  Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 579; F. Ossenbühl/M. Cornils, Staatshaftungs­ recht, 6. Aufl. 2013, S. 211; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 141; Erbguth, Entschädigungsansprüche (Fn. 34), S. 201. 44  P. Badura, Eigentum, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 10 Rn. 60 in Fn. 129; Papier (Fn. 16), Art. 14 Rn. 549; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht (Fn. 43), S. 211; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 113; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 420; H. Hofmann, in: B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein/ders. u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 14. Aufl. 2017, Art. 14 Rn. 71; A. Hamann/A. Hamann jr./H. Lenz, Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1947, 3. Aufl. 1970, Art. 14 Rn. 10; kritisch hinsichtlich der Enteignung durch Sat­ zung Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 589. 45  Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 591 mit weiterführenden Nachweisen aus der Literatur auch zur Schwierigkeit der Einführung eines solchen Gesetzes in Fn. 264. 46  Vgl. Kapitel C. I.



III. Gesetzliche Grundlage23

(§ 22 Abs. 1 AEG) die Zulässigkeit der Enteignung im jeweiligen Geltungs­ bereich. Dabei wird in den entsprechenden Vorschriften für das konkrete Enteignungsverfahren teilweise auf die allgemeinen Enteignungsgesetze der Länder verwiesen47. b) Landesrecht Auf Länderebene existieren allgemeine Enteignungsgesetze in jedem Bun­ desland48. Diese legen vor allem Anforderungen an alle im jeweiligen Gel­ tungsbereich durchgeführten Enteignungsverfahren selbst fest49. Daneben gibt es auf Länderebene eine Reihe von fachgesetzlichen Regelungen50, die zu Enteignungen ermächtigen und teilweise auf die allgemeinen landesrecht­ lichen Enteignungsgesetze verweisen. Eine besondere Spielform der Administrativenteignung stellt die Enteig­ nung aufgrund sogenannter projekt- bzw. vorhabenspezifischer Enteignungs­ gesetze51 dar, welche gehäuft in Zusammenhang mit Pipeline-Vorhaben zu finden sind. Diese Gesetze beziehen sich zwar – wie bei der Legalenteignung im Gewande der Legalplanung – auf ein konkretes Vorhaben. Welche Eigen­ 47  § 45 Abs. 3 EnWG, § 19 Abs. 5 FStrG, § 44 Abs. 3 WaStrG, § 30 S. 3 PBefG, § 22 Abs. 4 AEG. 48  Vgl. hierzu den Überblick von Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 662; zu den allgemeinen Enteignungsgesetzen siehe Kapitel C. II. 3. 49  Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 662. 50  Vor allem in Wasser-, Straßen- und Wegegesetzen; vgl. z. B. § 42 StrWG NRW, § 101 LWG NRW, § 42 NStrG; § 44 StrWG SH, § 127 LWG SH, § 15b HWG oder § 74 HWaG. 51  Auch als „Spezialenteignungsgesetze“ bezeichnet, vgl. hierzu OVG NRW, Be­ schluss vom 28.8.2014, 20 A 1923/11, juris, Rn. 111 (insoweit nicht in ZUR 2015, 179–182 abgedruckt); Beispiele für solche Gesetze sind das Gesetz über die Errich­ tung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Vohburg an der Donau und Waidhaus (MERO-Gesetz) vom 28.4.1994, GVBl. 1994, S. 294, das Enteignungsge­ setz für die Erweiterung des Werkflugplatzes in Hamburg-Finkenwerder (Werkflug­ platz-Enteignungsgesetz – HHWerkflEnteigG) vom 18.2.2004, HmbGVBl. 2004, S. 95, das Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwi­ schen Selfkant und Marl (RohrLeitErrG) vom 21.7.2004, GV.NRW. 2004, S. 411, das Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Dor­ magen und Krefeld-Uerdingen (NRWRohrlG) vom 21.3.2006, GV.NRW. 2006, S. 130, das Gesetz über die Enteignung für die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Münchsmünster und der Landesgrenze zu Baden-Würt­ temberg bei Nördlingen (Bayerisches Rohrleitungs-Enteignungsgesetz – BayRohrl­ EnteigG) vom 10.6.2008, GVBl. 2008, S. 310 oder das Gesetz zur Errichtung und zum Betrieb einer Ethylenrohrleitungsanlage in Baden-Württemberg (Baden-Würt­ tembergisches Ethylen-Rohrleitungsgesetz – BWEthylRohrlG) vom 1.12.2009, GBl. 2009, S. 677; vgl. für einen Überblick über projektspezifische Enteignungsgesetze auch außerhalb von Rohrleitungsvorhaben Falter, Vorwirkung (Fn. 39), S. 503 f.

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B. Spielarten der Enteignung

tümer in welchem Umfang aber letztlich von der Enteignung betroffen sein sollen, bleibt nach der gesetzlichen Regelung – anders als bei der benannten Unterart der Legalenteignung – dem Enteignungsverfahren vorbehalten. 3. Nebeneinander von Legal- und Administrativenteignung Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht die Admi­ nistrativenteignung in einem Vorrangverhältnis zur Legalenteignung. An ei­ nem solchen bestehen indes gewichtige Zweifel. a) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Legal- und Administrativenteignung zwar eigenständige Rechtsinstitute; sie sollen aber nicht gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Der Gesetzgeber habe insofern keine freie Wahlbefugnis, die Legalenteignung sei im Gegensatz zur Admi­ nistrativenteignung nur ausnahmsweise, in eng begrenzten Fällen, zulässig52. Das Bundesverfassungsgericht begründet dies in erster Linie folgenderma­ ßen: Mit der Legalenteignung werde die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG eingeschränkt, nach welcher demjenigen der Rechtsweg offen­ steht, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Denn der Begriff der „öffentlichen Gewalt“ in Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG meine nur die Verwaltung, nicht aber den Gesetzgeber53; eine Legalenteignung schmä­ lere deshalb den durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten effektiven Rechts­ schutz54. Zudem habe die Enteignung traditionell in den Händen der Verwal­ tung gelegen55; die Legalenteignung sei deshalb „wesensmäßig ‚Verwaltung‘ durch Gesetz“56 und stelle nur eine Ausnahme vom typischen Fall der Admi­ nistrativenteignung dar, der aus diesem Grund auch besonders behandelt werden müsse. Weiter sei ein gleichwertiges Nebeneinander von Administra­ tiv- und Legalenteignung auch deshalb abzulehnen, weil der Rechtsentzug jeweils zu verschiedenen Zeitpunkten eintrete57. 52  BVerfGE 24,

367 (402 f.); 45, 297 (331); 95, 1 (22). 33 (49), 367 (401); 25, 352 (365); 45, 297 (334); 75, 108 (165). 54  BVerfGE 95, 1 (22). 55  BVerfGE 24, 367 (400). 56  BVerfGE 24, 367 (401); vgl. hierzu auch BVerfGE 45, 297 (332). 57  BVerfGE 45, 297 (326); 58, 300 (331): Zeitpunkt bei der Administrativenteig­ nung sei regelmäßig die jeweilige Anordnung der Enteignungsausführung, bei der Legalenteignung hingegen das Inkrafttreten des Gesetzes; vgl. hierzu auch Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 634. 53  BVerfGE 24,



III. Gesetzliche Grundlage25

Ein Ausnahmefall, der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs­ gerichts eine Legalenteignung zu rechtfertigen vermochte, war die Hambur­ ger Flutkatastrophe von 1962 als Rechtfertigung für das Deichordnungsgesetz vom 29. April 196458. Zum Maßstab bzw. zu den Gründen für die Annahme eines solchen Ausnahmefalls äußerte das Bundesverfassungsgericht in sei­ nem Urteil zum DOG, „Einzelenteignungen [hätten] in einer angemessenen Zeit nicht […] durchgeführt werden können und […] diese [würden] die Durchführung der zwingend gebotenen Maßnahmen in erheblichem Umfang verzögert haben“59. Entsprechend dieser Rechtsprechung soll auch die Legal­ enteignung im Gewande der Legalplanung nur dann zulässig sein, wenn „triftige Gründe für die Annahme bestehen, daß die Durchführung einer be­ hördlichen Planfeststellung mit erheblichen Nachteilen für das Gemeinwohl verbunden wäre, denen nur durch eine gesetzliche Regelung begegnet wer­ den kann“60. Teilweise wurde in der Literatur die Frage aufgeworfen, ob das Bundes­ verfassungsgericht in seinem Urteil vom 24. März 1987 (Boxberg-Urteil) die Voraussetzungen an eine Legalenteignung gelockert habe61. Hierin heißt es: „Es mag zwar nicht unerhebliche Schwierigkeiten bereiten, in einem Strukturver­ besserungs- und Industrieansiedlungsgesetz abstrakt-generelle Regelungen zu schaffen, unter die sich das umstrittene Vorhaben subsumieren läßt und die zu­ gleich den Anforderungen der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie genügen. Dem Gesetzgeber bleibt jedoch – hält er ein solches Großprojekt für durchset­ zungsbedürftig, den Weg über ein allgemeines Enteignungsgesetz aber nicht für gangbar – die Möglichkeit eines auf dieses Projekt beschränkten Gesetzes.“62

Mit dieser durch das Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Möglichkeit sollte aber womöglich gar nicht auf die Legalenteignung hingewiesen wer­ den. Hierzu hätte vor dem Hintergrund der übrigen Urteilsbegründung über­ haupt kein Anlass bestanden. Vielmehr liegt eine Lesart näher, nach der nicht nur ein „allgemeines“ Administrativenteignungsgesetz wie etwa ein allge­ 58  Gesetz zur Ordnung deichrechtlicher Verhältnisse der Freien und Hansestadt Hamburg (Deichordnungsgesetz – DOG) vom 29.4.1964, GVBl. I 1964, S. 79; zur Begründung der eine Legalenteignung rechtfertigenden Ausnahmesituation vgl. BVerfGE 24, 367 (402 f.). 59  BVerfGE 24, 267 (403). 60  BVerfGE 95, 1 (22). 61  Siehe hierzu Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 665; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 66; E. Schmidt-Aßmann, Bemerkungen zum Boxberg-Urt. des BVerfG, in: NJW 1987, S. 1587 (1589); H.-J.  Papier, Anmerkung zu BVerfG, Urt. vom 24.3.1987 – 1 BvR 1046/85, abgedruckt in JZ 1987, S. 614 ff., in: JZ 1987, S. 619 (621); P. Heuser, Die Enteignung zugunsten Privater, in: StudZR 2 (2007), S. 263 (278, 286); vgl. auch A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, 1999, S. 262 in Fn. 36 und Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 59 f. 62  BVerfGE 74, 264 (297).

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B. Spielarten der Enteignung

meines „Strukturverbesserungs- und Industrieansiedlungsgesetz“, sondern auch ein „projektbezogenes“ Administrativenteignungsgesetz zu erwägen sei. Das Bundesverfassungsgericht hat nach dieser Lesart bereits im BoxbergUrteil die grundsätzliche Zulässigkeit der bereits oben angesprochenen „Spe­ zialenteignungsgesetze“ aufgezeigt63. Dafür, dass das Bundesverfassungsge­ richt hiermit die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Legalenteignung öff­ nen wollte, ergeben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte. Auch in den fol­ genden Judikaten des Bundesverfassungsgerichts wurde im Rahmen der Beurteilung des Verhältnisses zwischen Administrativ- und Legalenteignung nie wieder auf diesen letzten Absatz des Boxberg-Urteils hingewiesen. Es ist mithin davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht der Legalent­ eignung weiterhin Ausnahmecharakter beimisst. b) Kritik Dieser restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu ­ egalenteignungen kann zunächst der Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 GG ent­ L gegengehalten werden: Die Verwendung der verschiedenen Präpositionen „durch“ bzw. „aufgrund“ legt zwar Unterschiede in der Bedeutung nahe64; eine unterschiedliche Behandlung der beiden Rechtsinstitute ist dem Wortlaut indes nicht zu entnehmen65. Der Verfassungswortlaut streitet im Gegenteil für ein gleichberechtigtes Nebeneinander und gegen einen Anwendungsvor­ rang der Administrativenteignung. Auch aus dem allgemeinen Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes lässt sich ein etwaiges Überordnungsverhältnis nicht herleiten66. Systematische Erwägungen sprechen vielmehr dagegen: In andere Grundrechte als Art. 14 GG kann ebenfalls „durch Gesetz“ oder „aufgrund eines Gesetzes“ eingegriffen werden67. Hier wird aber vom Bundesverfassungsgericht im Gegensatz zu seiner Rechtsprechung für Art. 14 Abs. 3 GG gerade keine unterschiedliche Behandlung der Eingriffsformen gefordert68. Es leuchtet 63  Hermes, Energieversorgung (Fn. 8), S. 74; Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 168; wohl auch S. Muckel, Die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG als Recht zur Abwehr missbräuchlicher Enteignungen zugunsten Privater, in: H.  Butzer/ M. Kal­tenborn/W. Meyer (Hrsg.), Organisation und Verfahren im sozialen Rechts­ staat. Festschrift für Friedrich E. Schnapp zum 70. Geburtstag, 2008, S. 181 (187). 64  C. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, 1998, S. 198. 65  Papier (Fn. 16), Art. 14 Rn. 555; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 111; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 422; Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 262 in Fn. 36. 66  Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 422. 67  Siehe z. B. die Regelungen in Art. 8 Abs. 2 GG oder Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG. 68  Papier (Fn. 16), Art. 14 Rn. 557.



III. Gesetzliche Grundlage27

nicht ein, warum Art. 14 Abs. 3 GG in diesem Zusammenhang einen Sonder­ fall darstellen sollte69. Aus der Entstehungsgeschichte zu Art. 14 Abs. 3 GG ergeben sich eben­ falls keine Anhaltspunkte für den Willen des Parlamentarischen Rates, die beiden Enteignungsformen unterschiedlich zu behandeln. Im Gegenteil: Dem Vorsitzenden von Mangoldt wurde in der 26. Sitzung des Grundsatzausschus­ ses am 30. November 1948 nicht widersprochen, als er äußerte: „Es kann die Enteignung unmittelbar in einem Gesetz ausgesprochen werden. Es kann aber auch […] die Enteignung auf Grund eines Gesetzes ausgesprochen werden.“70 Etwaige Beschränkungen einer solchen Enteignung kamen nicht zur Sprache71. Gerade angesichts der Tatsache, dass die Weimarer Reichsver­ fassung nur die Administrativenteignung und nicht auch schon die Legalent­ eignung kannte72, wäre ob dieser Neuerung die Erwähnung von etwaigen Restriktionen dieser neu eingeführten Enteignungsform im Beratungsprozess zu erwarten gewesen73. An keiner Stelle des Beratungsprozesses klingt aber auch nur eine Beschränkung an74. Die vom Bundesverfassungsgericht herangezogene, historisch begründete Erwägung, bei der Legalenteignung handele es sich aufgrund des „traditionel­ le[n] System[s] der Administrativenteignung“75 um einen besonders zu be­ handelnden Ausnahmefall, vermag als Begründung für einen Vorrang der Administrativenteignung nicht zu überzeugen. Eben jenes „traditionelle Sys­ tem“ fußte allein darauf, dass sich die Eigentumsgarantie in früherer Zeit nur auf Verwaltungshandlungen erstreckte und deshalb eine Enteignung unmittel­ bar durch ein Gesetz schon gedanklich gar nicht möglich war76. Insofern kann dieses Argument schon aufgrund der Veränderung der verfassungsrecht­ lichen Rahmenbedingungen nicht gewinnen.

69  Papier

(Fn. 16), Art. 14 Rn. 557. Wortprotokoll vom 8.12.1948, abgedruckt in: Deutscher Bun­ destag/Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Proto­ kolle. Band V/1: Ausschuss für Grundsatzfragen, 1993, S. 734; auf diesen Umstand weist W.-R. Schenke, Zur Zulässigkeit von Legalenteignungen, in: H.  Jochum/ M. Elicker/R. Bartone (Hrsg.), Freiheit, Gleichheit, Eigentum – Öffentliche Finanzen und Abgaben. Festschrift für Rudolf Wendt zum 70. Geburtstag, 2015, S. 403 (408) hin. 71  Vgl. hierzu allerdings in anderem Zusammenhang BVerfGE 143, 246 (335 Rn. 249). 72  Vgl. Art. 153 Abs. 2 S. 1 WRV: Enteignung „auf gesetzlicher Grundlage“. 73  Schenke, Legalenteignungen (Fn. 70), S. 408. 74  Schenke, Legalenteignungen (Fn. 70), S. 408. 75  BVerfGE 24, 367 (400). 76  W.-R. Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 45 f. 70  Stenographisches

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B. Spielarten der Enteignung

Mit der gleichberechtigten Zulassung der Legalenteignung ist daneben entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Verkür­ zung der Rechtsschutzgarantie verbunden. Der Legalenteignung kann entge­ gen dieser Rechtsprechung77 sehr wohl in ausreichender Art und Weise mit Rechtsmitteln begegnet werden: Möchte sich der von einer Legalenteignung Betroffene gegen die Enteignung wehren, hat er zumindest subsidiär immer die Möglichkeit, gegen das Gesetz mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG vorzugehen78. Vorab kann bereits im Rahmen von der Enteignung nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen oder zivilrecht­ lichen Auseinandersetzungen mit dem jeweils durch die Enteignung Begüns­ tigten der durch Art. 19 Abs. 4 GG geforderte Schutz über Inzidentprüfungen der erkennenden Gerichte, ggf. über eine konkrete Normenkontrolle gem. Art. 100 Abs. 1 GG, sichergestellt werden79. Der Zeitpunkt des Enteignungs­ eintritts, der insoweit teilweise zur Begründung des Vorrangverhältnisses herangezogen wird80, kann in diesem Zusammenhang für die Zulässigkeit der jeweiligen Enteignung keine Rolle spielen. Qualitativ besteht zwischen Legal- und Administrativenteignung nämlich kein Unterschied81. Auch unter Berücksichtigung des für jeden staatlichen Eingriff geltenden Übermaßverbotes ist die Annahme eines Vorrangverhältnisses in diesem Zu­ sammenhang nicht einsichtig. So gilt das rechtsstaatliche Gebot der Verhält­ nismäßigkeit auch für die Enteignung82. Im Rahmen der Erforderlichkeit des 77  BVerfGE 45,

297 (333 f.) hierzu Schenke, Rechtsschutz (Fn. 76), S. 52. 79  Schenke, Rechtsschutz (Fn.  76), S. 51  f.; ders., Legalenteignungen (Fn. 70), S. 410; Papier (Fn. 16), Art. 14 Rn. 558; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 112; P. Lassahn, Rechtsprechung und Parlamentsgesetz, 2017, S. 137; F. Hufen, Staatsrecht II, 8. Aufl. 2020, § 38 Rn. 38; insofern hält auch D. Ehlers, Eigentumsschutz, Sozialbin­ dung und Enteignung bei der Nutzung von Boden und Umwelt, in: VVDStRL 51 (1992), S. 211 (240 f. in Fn. 154), der den Ausnahmecharakter der Legalenteignung allerdings insgesamt befürwortet, die Vorbehalte des Bundesverfassungsgerichts für „übertrieben“ und weist zutreffend darauf hin, dass unter Rechtsschutzgesichtspunk­ ten ebenso Bedenken gegen solche Administrativenteignungen in Gestalt einer Ver­ ordnung oder Satzung bestehen müssten, gegen die ein Normenkontrollverfahren gem. § 47 VwGO ausgeschlossen ist. Dies wäre bspw. im Land Nordrhein-Westfalen (das mit § 109a JustG NRW mittlerweile von der Möglichkeit des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht hat) bei Satzungen und Verordnungen außerhalb des Bau­ gesetzbuches der Fall, die vor dem 1.1.2019 bekannt gemacht worden sind, vgl. § 133 Abs. 3 S. 2 JustG NRW. Zu § 109a JustG NRW vgl. H. Wißmann/J. Fechter, Die Rechtsverordnung und ihre Richter: Zur Einführung von § 109a JustizG NRW, in: Ad Legendum 2020, S. 354 (354 ff.). 80  BVerfGE 45, 297 (326); 58, 300 (331); Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 634. 81  BVerfGE 24, 367 (404). 82  BVerfGE 38, 367 (404); 53, 336 (349); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 625 m. w. N. in Fn.  1912; Sieckmann (Fn. 38), Art. 14 Rn. 161. 78  Ausführlich



IV. Enteignung „zugunsten Privater“29

Eingriffsmittels ist jeweils das mildeste unter allen gleich geeigneten Mitteln zu wählen. Eingedenk der obigen Überlegungen zur Wahrung der Rechts­ schutzgarantie und der Tatsache, dass der Eintrittszeitpunkt der Enteignung nichts an der jeweiligen Belastungsqualität für den hiervon Betroffenen än­ dert, stellen Administrativ- und Legalenteignung „gleich milde“ Eingriffsmit­ tel dar83. Ein etwaiges Vorrangverhältnis ist deshalb abzulehnen; einem gleichberechtigten Nebeneinander von Administrativ- und Legalenteignung ist der Vorzug zu gewähren84.

IV. Enteignung „zugunsten Privater“ Die Enteignung zugunsten Privater ist kein selbstständiges Rechtsinstitut, das eigenständig neben der „klassischen“ Enteignung steht, bei der die durch Art. 14 GG gewährleistete Rechtsposition durch Hoheitsgewalt entzogen und fortan dem Staat zugeordnet wird. Vielmehr stellt die Enteignung zugunsten Privater eine Form der „klassischen Enteignung“ dar85. Der Begriff um­ schreibt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Ent­ eignung, bei der das „Eigentum zwangsweise von einem Staatsbürger auf den anderen übertragen werden soll“86.

83  Insofern erkennt auch das Bundesverfassungsgericht an, dass „kein qualitativer Unterschied zwischen dem Enteignungsakt, den die Verwaltung vollzieht, und dem, der unmittelbar vom Gesetzgeber vorgenommen wird“, besteht, BVerfGE 24, 367 (404); a. A. J. Dietlein/D. Riedel, Allgemeinwohlerfordernis und Zwecksicherung bei der Enteignung zugunsten Privater, in: Butzer u. a., Festschrift für Schnapp (Fn. 63), S. 65 (76). 84  So auch ausführlich Schenke, Legalenteignungen (Fn. 70), S. 403 ff.; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 112; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 423; mit Differen­ zierungen Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 143; Schmidt-Aßmann, Bemer­ kungen (Fn. 61), S. 1589; wohl auch Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 262 in Fn. 36; S. Werner, Legalenteignung zur Baulandbeschaffung für die neue Messe Stuttgart – eine Alternative zur geplanten Administrativenteignung?, in: VBlBW 1998, S. 323 (328); vgl. daneben bereits H. P. Ipsen, Enteignung und Sozia­ lisierung, in: VVDStRL 10 (1952), S. 74 (78, 89, 120) ohne Restriktionen hinsichtlich der Anerkennung von Legalenteignungen; a. A. Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 159; Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 538; Badura (Fn. 44), § 10 Rn. 60; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 633 ff.; Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 244; Hofmann (Fn. 44), Art. 14 Rn. 70; B.-O. Bryde, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. I, 6. Aufl. 2012, Art. 14 Rn. 74; Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 85; Leisner (Fn. 16), § 173 Rn. 218; unentschlossen Sieckmann (Fn. 38), Art. 14 Rn. 164. 85  Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 30; M. Bullinger, Die Enteignung zuguns­ ten Privater, in: Der Staat 1 (1962), S. 449 (460 f.); Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 169. 86  BVerfGE 74, 264 (285).

30

B. Spielarten der Enteignung

Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass auch eine Enteignung, aus der sich selbst keine Übertragung der Zuordnungsberechtigung auf einen Privaten ergibt, eine begünstigende Wirkung für Private entfalten kann. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn im Rahmen einer Enteignung ein Grundstück auf einen Hoheitsträger übergeht, welcher das Grundstück dann wiederum an einen privaten Vorhabenträger vermietet87. Weil in dieser Kon­ stellation das Eigentum in der Hand des Hoheitsträgers verbleibt und eben nicht „von einem Staatsbürger auf den anderen übertragen“88 wird, liegt bei einer solchen „Enteignung zugunsten der öffentlichen Hand mit privatbe­ günstigender Wirkung“89 keine Enteignung zugunsten Privater im oben ge­ nannten Sinne vor. Auch die sogenannte transitorische Enteignung, in deren Rahmen das Ei­ gentum zunächst einem hoheitlichen Rechtsträger zuwächst, dem die Ver­ wirklichung des Enteignungszweckes zugewiesen ist und der wiederum ver­ pflichtet ist, das Eigentum an bestimmte (private) Personen weiterzuveräu­ ßern90 ist danach keine Enteignung zugunsten Privater im oben genannten Sinne, sondern nur eine Enteignung zugunsten des Staates, von der Private profitieren91. Zwar ist der transitorischen Enteignung zuzugeben, dass auch bei ihr letzten Endes ein anderer Privater die nach Art. 14 Abs. 1 GG ge­ währleistete Rechtsposition erhält. Dennoch findet vorgeschaltet ein Durch­ gangserwerb eines hoheitlichen Rechtsträgers statt. Eine solche Enteignung ist auch schon deshalb verfassungsrechtlich different einzuordnen, weil die Verwirklichung des Enteignungszwecks, die soziale Umverteilung92, schon vor dem Erwerb des Privaten erfolgt ist93. Für die vorliegende Untersuchung soll das Begriffsverständnis des Bun­ desverfassungsverfassungsgerichts zugrunde gelegt werden. Eine Enteignung 87  Jarass,

Vorwirkung (Fn. 41), S. 1332. 264 (285). 89  Jarass, Vorwirkung (Fn. 41), S. 1332. 90  M. Gerhardt, Gibt es verfassungsrechtliche Besonderheiten bei „Enteignungen zugunsten Privater“?, in: W. Fürst/R. Herzog/D. C. Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Bd. II, 1987, S. 1663 (1666); für eine Gesamtdarstellung zur tran­ sitorischen Enteignung vgl. K. Frey, Die Verfassungsmäßigkeit der transitorischen Enteignung, 1983; in diesem Zusammenhang relevant ist vor allem die transitorische Enteignung nach dem Baugesetzbuch, vgl. § 85 Abs. 1 Nr. 1, 2, § 87 Abs. 3, § 89 BauGB. 91  K. Frey, Die Verfassungsmäßigkeit der transitorischen Enteignung, 1983, S. 93; anders Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 23 f. und Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1665, welche die transitorische Enteignung als Unterart der Enteignung zugunsten Privater einordnen. 92  Frey, Enteignung (Fn. 91), S. 91. 93  Frey, Enteignung (Fn. 91), S. 93. 88  BVerfGE 74,



IV. Enteignung „zugunsten Privater“31

zugunsten Privater liegt mithin vor, wenn die durch Art. 14 Abs. 1 GG ge­ währleistete Rechtsposition im Rahmen der Enteignung ohne einen weiteren Durchgangs- oder Zwischenerwerb eines Hoheitsträgers auf eine private (ju­ ristische) Person übergeht. Wenn im Folgenden von Enteignungen zugunsten Privater94, privatbegüns­ tigenden95 Enteignungen oder privatnützigen96 Enteignungen gesprochen wird, soll mithin immer der Fall gemeint sein, dass die durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Rechtsposition auf den Privaten übergeht und sich aus der Enteignung nicht lediglich andere begünstigende Wirkungen ergeben. Der Begriff des „Enteignungsbegünstigten“ meint in der folgenden Untersu­ chung damit auch immer denjenigen, dem diese Rechtsposition in Zusam­ menhang mit der Enteignung unmittelbar zukommt97. In Würdigung des Gemeinwohlerfordernisses liegt die Enteignung zwar regelmäßig zugleich im Interesse des Staates. Dies qualifiziert ihn nach diesseitigem Verständnis al­ lerdings nicht zum Enteignungsbegünstigten. Die Enteignung zugunsten Privater wird in der Literatur begrifflich in eine enge und eine weite Fassung untergliedert98. Bei der privatbegünstigenden Enteignung im engeren Sinne ergibt sich die Allgemeinwohlverwirklichung unmittelbar aus dem Unternehmensgegenstand desjenigen Privaten, zuguns­ ten dessen enteignet wurde. Unter diese Spielart fallen insbesondere Enteig­ nungen zugunsten solcher Privater, die Aufgaben der Daseinsvorsorge über­ nehmen99. Bei der privatbegünstigenden Enteignung im weiteren Sinne ergibt 94  Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 449  ff.; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S.  26 ff.; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 19 ff.; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 121; Dederer (Fn. 12), Art. 14, Rn. 637; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2278; Michl, Eigentumsschutz (Fn. 23), S. 433. 95  Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 82; L. Gramlich, „Privatbegünstigende“ Ent­ eignung als Verfassungsproblem, in: JZ 1986, S. 269 (269 ff.). 96  Vgl. zu diesem Begriff etwa Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (292); Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 121; J. Masing, Enteignungen für Großvorhaben, in: EurUP 2016, S. 343 (345); A. Kukk, Rechtsschutz gegen raumgreifende Großvorha­ ben insbesondere der „Energiewende“ nach „Garzweiler II“, in: M. Quaas (Hrsg.), Rechtsprobleme der Energiewende, 2015, S. 83 (90); Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 182; M. Frenzel, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteig­ nung, 1978, S. 72; C. Engel, Die privatnützige Enteignung als Steuerungsinstrument, in: Die Verwaltung 31 (1988), S. 543 (543 ff.). 97  Wie hier Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 30. 98  Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1665, der indes noch die Figur der transi­ torischen Enteignung hinzunimmt; Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 275; Dietlein/ Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 67. 99  Relevant sind in diesem Bereich vor allem Enteignungen zugunsten privater Energieversorgungsunternehmen, vgl. hierzu z. B. BVerfGE 66, 248 (257 f.), sowie Enteignungen zugunsten privater Unternehmen des öffentlichen Personenverkehrs.

32

B. Spielarten der Enteignung

sich die Allgemeinwohlverwirklichung erst mittelbar als Nebenfolge aus der Realisierung eines Vorhabens, nicht aus dem Geschäftsgegenstand selbst. Während für die erste Fallgruppe die verfassungsrechtlichen Zulässigkeits­ voraussetzungen nicht vollständig, aber weitgehend geklärt sind, sind bei der letzteren verschiedene Aspekte nach wie vor im Ungewissen. Die vorliegende Untersuchung möchte einen Beitrag zur Aufklärung und Harmonisierung der verbleibenden Unsicherheiten leisten100.

100  Siehe

hierzu insgesamt Kapitel E.

C. Einfachgesetzliche Grundlagen für Enteignungen auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus In diesem Kapitel sollen diejenigen einfachgesetzlichen Rechtsgrundlagen beleuchtet werden, die bei Enteignungen für Großvorhaben auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus eine Rolle spielen. In erster Linie geht es hierbei um das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), landesgesetzliche Regelungen und die verschiedenen projektbezogenen Enteignungsgesetze, von denen vier exem­ plarisch betrachtet werden.

I. Enteignung nach dem Energiewirtschaftsgesetz Gem. § 45 Abs. 1 EnWG ist die Entziehung oder die Beschränkung von Grundeigentum oder von Rechten am Grundeigentum im Wege der Enteig­ nung zulässig, soweit sie zur Durchführung 1. eines Vorhabens nach § 43b Nr. 1 EnWG, für das der Plan festgestellt oder genehmigt ist, oder 2. eines sonstigen Vorhabens zum Zwecke der Energieversorgung erforderlich ist. Gem. § 45 Abs. 2 S. 1 EnWG i. V. m. § 45 Abs. 1 Nr. 1 EnWG entfalten so­ wohl der festgestellte als auch der genehmigte Plan enteignungsrechtliche Vorwirkung101. In den Fällen des § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG ist die Zulässig­ keit der Enteignung von der nach Landesrecht zuständigen Behörde fest­ zustellen, § 45 Abs. 2 S. 3 EnWG. Nach § 45 Abs. 3 EnWG wird das Enteig­ nungsverfahren durch die jeweiligen allgemeinen Enteignungsgesetze der Bundesländer geregelt102. 1. Verfassungsrechtliche Bezüge der Norm § 45 EnWG stellt nicht allein das von Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG geforderte Gesetz dar. So können die Voraussetzungen des § 45 EnWG nicht allein zu einer Enteignung führen; sie wirken vielmehr in Verbindung mit den landes­ 101  Zur enteignungsrechtlichen Vorwirkung siehe oben Fn. 40; vgl. hierzu auch J­ .-C. Pielow, in: F. J. Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Energierecht, Bd. I/2, Energiewirtschaftsgesetz, 4. Aufl. 2019, § 45 Rn. 14 und G. Hermes, in: G. Britz/ J. Hellermann/ders. (Hrsg.), Kommentar zum Energiewirtschaftsgesetz, 3. Aufl. 2015, § 45 Rn. 24. 102  Siehe hierzu unten Kapitel C. II. 3.

34

C. Einfachgesetzliche Grundlagen für Enteignungen

rechtlichen Enteignungsregelungen103. Während diesen Regelungen die ver­ fahrensrechtlichen Anforderungen und die Entschädigungsregelungen104 zu entnehmen sind, fungiert § 45 Abs. 1 EnWG als Verweisungsnorm, welche die materiell-rechtlichen Voraussetzungen festlegt, die an die Zulässigkeit einer Enteignung zu stellen sind105. Bei diesem Zusammenspiel der Normen handelt es sich um eine Form der Administrativenteignung. Die noch näher zu erläuternde Frage nach dem Zulässigkeitskriterium „zum Wohle der Allgemeinheit“106 in Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG beantwortet § 45 Abs. 1 EnWG insofern positiv, als dass „Zwecke der Energieversor­ gung“ einen Allgemeinwohlbelang darstellen, der grundsätzlich eine Enteig­ nung zu rechtfertigen vermag107. Dass die Energieversorgung eine dem Ge­ meinwohl dienende Aufgabe darstellt, hat vor diesem Hintergrund auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt108. 2. Enteignung nach § 45 EnWG als Enteignung zugunsten Privater Begünstigt von einer Enteignung gem. § 45 EnWG können nur diejenigen natürlichen oder juristischen Personen werden, deren Vorhaben Zwecken der Energieversorgung i. S. d. § 45 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder 2 EnWG dienen; im 103  C. Theobald, in: ders./J. Kühling (Hrsg.), Energierecht, Kommentar zum Ener­ giewirtschaftsgesetz, § 45 (2007), Rn. 10; J.-C. Pielow, Vorhaben der Energiewende als Gegenstand der Enteignung nach § 45 EnWG, in: RdE Sonderheft 2017, S. 27 (28); O. Engel, in: P. Rosin/M. Pohlmann/A. Gentzsch u. a. (Hrsg.), Praxiskommentar zum EnWG, § 45 (2015), Rn. 27; P. Salje, in: ders. (Hrsg.), Kommentar zum Energie­ wirtschaftsgesetz, 2006, § 45 Rn. 13; zu den landesrechtlichen Enteignungsregelun­ gen siehe unten Kapitel C. II. 3. 104  Durch das Zusammenspiel mit den landesgesetzlichen Entschädigungsregelun­ gen wird trotz der Tatsache, dass § 45 EnWG keine Entschädigungsregelung statu­ iert, auch das Gebot der Junktimklausel gewährleistet, vgl. hierzu BVerfGE 66, 248 (259) sowie J. A. Nebel/C. Riese, in: A. Steinbach (Hrsg.), Kommentar zum Recht des Energieleitungsbaus, EnWG, 2. Aufl. 2017, § 45 Rn. 14 f. und Engel (Fn. 103), § 45 Rn. 6. 105  Kment (Fn. 23), § 45 Rn. 4; Salje (Fn. 103), § 45 Rn. 13; teilweise wird des­ halb bei § 45 Abs. 1 EnWG auch von der sog. Enteignungsermächtigung gesprochen, vgl. hierzu Engel (Fn. 103), § 45 Rn. 27. 106  Siehe hierzu unten Kapitel D. II. 107  Theobald (Fn. 103), § 45 Rn. 7, 9; ähnlich auch Nebel/Riese (Fn. 104), § 45 Rn. 12, die allerdings ausführen, § 45 EnWG selbst diene dem Wohl der Allgemein­ heit. Dies ist allerdings deshalb unscharf, weil § 45 EnWG erst denjenigen Allge­ meinwohlbelang statuiert, welcher eine Enteignung rechtfertigen kann. 108  BVerfGE 66, 248 (258): Energieversorgung als „öffentliche Aufgabe von größ­ ter Bedeutung, weil die Energieversorgung zum Bereich der Daseinsvorsorge gehört und eine Leistung ist, derer der Bürger zur Sicherung einer menschenwürdigen Exis­ tenz unumgänglich bedarf“.



I. Enteignung nach dem Energiewirtschaftsgesetz35

Allgemeinen sind das Energieversorgungsunternehmen (EVU)109. In der Re­ gel ist das Energieversorgungsunternehmen dabei in privater Rechtsform ausgestaltet; zwar kommen daneben auch Mischformen110 oder vollständig hoheitlich ausgestaltete Betriebe in Betracht111. In den meisten Fällen handelt es sich jedoch bei der Enteignung nach § 45 EnWG um eine Enteignung zugunsten Privater112: Die durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Rechts­ position geht im Rahmen der Enteignung ohne weiteren Durchgangs- oder Zwischenerwerb eines Hoheitsträgers auf das private EVU über113. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt der Per­ son des Enteignungsbegünstigten, insbesondere, wenn es sich um ein Ener­ gieversorgungsunternehmen handelt, zwar keine ausschlaggebende Rolle für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Enteignung zu114. Insbesondere im Hinblick auf die gesetzliche Konkretisierung des Enteignungszwecks und der Absicherung des verfolgten Gemeinwohlbelangs ergeben sich bei privat­ wirtschaftlichen Unternehmen – je nach Ausrichtung des Geschäftsgegen­ stands – nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts jedoch spezielle Anforderungen115. Hierauf soll verstärkt jedoch erst an anderer Stelle einge­ gangen werden116. 3. Tatbestandsvoraussetzungen Für die Zulässigkeit einer Enteignung gem. § 45 EnWG muss ein Vorha­ ben nach § 43 oder § 43b Nr. 1 EnWG, für das der Plan festgestellt oder genehmigt ist, bzw. ein sonstiges Vorhaben zum Zwecke der Energieversor­ gung vorliegen, zu dessen Durchführung die Enteignung erforderlich ist. 109  Engel (Fn. 103), § 45 Rn. 28; Nebel/Riese (Fn. 104), § 45 Rn. 31; G. Hermes, Die Benutzung privater Grundstücke für die Energieversorgung und Fragen der Ent­ eignung, in: J.-P. Schneider/C. Theobald (Hrsg.), Recht der Energiewirtschaft, 4. Aufl. 2013, § 10 Rn. 41, unter Hinweis auf die Legaldefinition von Energieversorgungs­ unternehmen in § 3 Nr. 18 EnWG. 110  Zum Beispiel ein in der Rechtsform der GmbH betriebenes Stadtwerk, an dem die jeweilige Gemeinde als Gesellschafter beteiligt ist, vgl. hierzu Engel (Fn. 103), § 45 Rn. 30. 111  Engel (Fn. 103), § 45 Rn. 30. 112  Nebel/Riese (Fn. 104), § 45 Rn. 31; Hermes (Fn. 109), § 10 Rn. 22; ders. (Fn. 101), § 45 Rn. 14; H. Lecheler, Enteignung zu Gunsten Privater beim Bau von Elektrizitätsfernleitungen, in: RdE 2005, S. 125 (126). 113  Zum Begriff der Enteignung zugunsten Privater siehe Kapitel B. IV. 114  BVerfGE 74, 264 (284 f.); im Besonderen für EVU vgl. schon BVerfGE 66, 248 (257). 115  BVerfGE 74, 264 (286); 134, 242 (296 Rn. 181). 116  Siehe Kapitel E.

36

C. Einfachgesetzliche Grundlagen für Enteignungen

a) Vorhabenkatalog gem. § 43 EnWG Zu den Vorhaben gehören gem. § 43 Nr. 1 bis 5 EnWG neben verschiede­ nen Arten von Hoch- und Höchstspannungs(frei)leitungen (Leitungen mit mehr als 110 Kilovolt [kV] Nennspannung, ausgenommen Bahnstromfern­ leitungen [Nr.  1], Anbindungsleitungen an Offshore-Windenergieanlagen [Nr. 3], sonstige grenzüberschreitende Gleichstrom-Hochspannungsseekabel [Nr. 4] sowie Leitungen gem. § 2 Abs. 5 und 6 Bundesbedarfsplangesetz [Nr. 5]) Gasversorgungsleitungen mit einem Durchmesser von mehr als 300 Millimeter (Nr. 2), welche im Hinblick auf den Schwerpunkt der vorlie­ genden Arbeit vor allem relevant sind. Unter dem Durchmesser wird der In­ nendurchmesser als Nennweite verstanden117. Gasversorgungsleitungen sind nur solche Leitungen, die der Beförderung von Gas zum Zwecke der Ener­ gieversorgung dienen118. Dies sind gem. § 3 Nrn. 36, 16 und 20 EnWG119 alle Fernleitungsnetze, Gasverteilernetze, LNG-Anlagen120 oder Speicheran­ lagen, die der Versorgung anderer dienen. Gasleitungen, die anderen Zwe­ cken dienen, beispielsweise eine Leitung zwischen zwei Industrieparks eines Unternehmens zur Eigennutzung dieses Unternehmens121, sind demzufolge keine Gasversorgungsleitungen i. S. d. Norm. § 43b Nr. 1 EnWG normiert Regelungen betreffend die Öffentlichkeitsbe­ teiligung im Planfeststellungsverfahren für bestimmte Vorhaben des § 43 EnWG unter zeitlichen bzw. qualitativen Gesichtspunkten122, geht aber hin­ sichtlich des Vorhabenbegriffs selbst nicht über die in § 43 EnWG genannten Vorhaben hinaus. Vom Vorhabenbegriff umfasst sind auch Hilfsanlagen der jeweiligen Lei­ tung, die mit der in Rede stehenden Energieleitung in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen123. Hierzu gehören zum Beispiel Reparaturwerkstät­ ten, interne Leitungen oder Anschlussbahnen124. Auch die bereits angespro­ 117  BT-Drs. 15/4068,

S. 8. Pielow, in: Säcker, BK Energierecht I/2, EnWG (Fn. 101), § 43 Rn. 10. 119  Vgl. zu dieser Normenkette Pielow (Fn. 118), § 43 Rn. 10. 120  Unter LNG (liquefied natural gas) versteht man verflüssigtes Erdgas. 121  Zur Kohlenmonoxid-Pipeline des Bayer Konzerns zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen, die zwei Industrieparks miteinander verbindet, siehe unten Kapi­ tel C. II. 5. b). 122  Sogenannte dringliche Vorhaben bzw. im Bedarfsplan zum EnLAG aufgeführte Vorhaben, vgl. Kment (Fn. 23), § 45 Rn. 12. 123  Engel (Fn. 103), § 45 Rn. 59; Kment (Fn. 23), § 45 Rn. 13. 124  Engel (Fn. 103), § 45 Rn. 59; Kment (Fn. 23), § 45 Rn. 13; anders Pielow (Fn. 101), § 45 Rn. 17, der solche Nebeneinrichtungen, insbesondere auch „Stationen zur Gasdruckänderung“, als „sonstige Vorhaben“ i. S. d. § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG be­ greift. Dies ist m. E. allerdings deshalb zweifelhaft, weil derartige Nebeneinrichtun­ 118  J.-C.



I. Enteignung nach dem Energiewirtschaftsgesetz37

chenen, für Gasleitungen wichtigen Absperr- und Verdichterstationen werden danach vom Vorhabenbegriff umfasst. Um zur Zulässigkeit der Enteignung führen zu können, muss für solche Vorhaben der Plan festgestellt oder geneh­ migt sein, das Planfeststellungs- bzw. Plangenehmigungsverfahren muss also beendet sein125. Bei den Vorhaben nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 EnWG steht die enteignungsrechtliche Zulässigkeit mit dem Planfeststellungsbeschluss bzw. der Plangenehmigung fest, § 45 Abs. 2 S. 1 EnWG126. b) Sonstige Vorhaben „Sonstige Vorhaben zum Zwecke der Energieversorgung“ sind zunächst alle diejenigen unter- und überirdischen Leitungen, die nicht die für die Vor­ haben des § 43 EnWG statuierten (Schwellen-)Werte und Kenngrößen auf­ weisen127. Im Hinblick auf Pipelines können dies etwa Gasversorgungslei­ tungen128 sein, die einen Durchmesser bis 300 Millimeter haben. Zwecke der Energieversorgung sind dann gegeben, wenn über ein Leitungsnetz die All­ gemeinheit mit Energie versorgt wird, also Energiebelieferung an Kunden stattfindet129. Rohrleitungen zum Transport von Fernwärme, Mineralöl oder Rohöl können nicht als sonstige Vorhaben i. S. d. Norm qualifiziert werden. Denn der Anwendungsbereich des Energiewirtschaftsgesetzes und also auch des § 45 EnWG ist auf Elektrizität und Gas beschränkt130. Gleiches gilt für Telekommunikationsleitungssysteme131. Bei den sonstigen Vorhaben nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG steht die enteignungsrechtliche Zulässigkeit nicht bereits durch einen Planfeststellungsbeschluss fest, sondern muss erst noch

gen nur dem Leitungssystem selbst dienen und keine eigenständige Bedeutung haben. Da sie als für den Betrieb von Energieleitungen notwendige Anlagen i. S. d. § 43 S. 3 EnWG zu qualifizieren sind und damit in der Regel in das Planfeststellungsverfahren einbezogen werden, liegt es näher, diese Nebeneinrichtungen – auch im Rahmen von § 45 EnWG – als Bestandteil des jeweiligen Vorhabens des § 43 Nr. 1 bis 5 EnWG zu verstehen. 125  Engel (Fn. 103), § 45 Rn. 40; Nebel/Riese (Fn. 104), § 45 Rn. 18. 126  Zur enteignungsrechtlichen Vorwirkung siehe oben Fn. 40. 127  Pielow (Fn. 101), § 45 Rn. 17; Kment (Fn. 23), § 45 Rn. 15. 128  Gas im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes ist Erdgas, Biogas, Flüssiggas sowie durch Wasserelektrolyse erzeugter Wasserstoff und Methan, vgl. § 3 Nr. 19a EnWG. 129  Pielow (Fn. 101), § 45 Rn. 17 unter Hinweis auf § 3 Nr. 18 EnWG; Wichert, Enteignung (Fn. 23), S. 877. 130  U. Büdenbender, Kommentar zum Energiewirtschaftsgesetz, 2003, § 12 EnWG a. F. Rn. 34, 37; J. Hellermann/G. Hermes, in: Britz/ders./ders, EnWG (Fn. 101), § 1 Rn. 19. 131  Büdenbender (Fn. 130), § 12 EnWG a. F. Rn. 37.

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C. Einfachgesetzliche Grundlagen für Enteignungen

von der nach Landesrecht zuständigen Behörde positiv festgestellt werden, § 45 Abs. 2 S. 3 EnWG. Diskutiert wird, ob auch reine Erzeugungsanlagen wie etwa Biogas- oder Kohlevergasungsanlagen, die nicht dem Transport bzw. der Durchleitung von Energie dienen, unter die sonstigen Vorhaben gem. § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG fallen. Argumentiert wird in diesem Rahmen insbesondere damit, dass auf­ grund des im Zuge der Energiewirtschaftsreform eingeführten Wettbewerbs­ modells auf dem Erzeugermarkt bzw. der mit der Entflechtung einhergehen­ den „infrastrukturtypischen Trennung von Netz und Diensten“ die Energie­ erzeugung – anders als die reine Versorgung mit Energie – keiner Allgemein­ wohlbindung unterläge132 und Enteignungen für die bloße Energieerzeugung deshalb verfassungswidrig seien. Dem ist jedoch neben dem weiten Wortlaut der Norm133 entgegenzuhalten, dass § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG lediglich nor­ miert, für welche Art von Vorhaben eine Enteignung grundsätzlich gerecht­ fertigt sein kann, wenn zusätzlich alle weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen. Diese weiteren Voraussetzungen, also die Erforderlichkeit des Vorhabens für Zwecke des Allgemeinwohls134 und auch die Frage einer aus­ reichenden Bindung des jeweiligen Unternehmens an das Allgemeinwohl prüft erst die nach Landesrecht zuständige Behörde im Rahmen ihrer Zuläs­ sigkeitsentscheidung135. Insofern ist die Frage der Allgemeinwohlbindung zu trennen von der vorgelagerten Frage, ob überhaupt ein sonstiges Vorhaben zum Zwecke der Energieversorgung vorliegt. Demnach gehören auch die der Energieversorgung dienenden Erzeugungsanlagen zu den sonstigen Vorhaben i. S. d. § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG136. c) Enteignungserforderlichkeit als energiewirtschaftliche Notwendigkeit Die Enteignung muss weiterhin für die Durchführung des jeweiligen Vor­ habens nach § 45 Abs. 1 EnWG erforderlich sein. Während die enteignungs­ rechtliche Zulässigkeit dem Grunde nach bei Vorhaben gem. § 45 Abs. 1 132  G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 445, 477 ff.; ders. (Fn. 101), § 45 Rn. 25. 133  Kment (Fn. 23), § 45 Rn. 16. 134  Siehe hierzu unten Kapitel C. III. 3. c). 135  Zu der Prüfung der Zulässigkeit der Enteignung in zwei Prüfschritten durch die nach Landesrecht zuständige Behörde vgl. Wichert, Enteignung (Fn. 23), S. 877 ff. 136  Im Ergebnis zustimmend Pielow (Fn. 101), § 45 Rn. 19; B. Holznagel, Ent­ schädigung von Wegerechten beim Bau von Energietransportleitungen: Sind die Ent­ schädigungsmaßstäbe bei privatnütziger Enteignung noch zeitgemäß?, in: DÖV 2010, S. 847 (848), Salje (Fn. 103), § 45 Rn. 36 und wohl auch E.  Ahnis/A. Bartsch, Lei­ tungsrechte in der Energiewirtschaft: Die Enteignung nach § 45 EnWG, in: IR 2014, S. 98 (99); a. A. Hermes, Energieversorgung (Fn. 8), S. 76.



I. Enteignung nach dem Energiewirtschaftsgesetz39

Nr. 1 EnWG unmittelbar aus der Planfeststellung bzw. -genehmigung folgt und also bei Vorliegen der entsprechenden Vorhabenbewilligung kraft Geset­ zes feststeht, muss bei den sonstigen Vorhaben gem. § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG die Erforderlichkeit der Enteignung noch von der nach Landesrecht zuständi­ gen Behörde festgestellt werden. Bei letzterer Feststellung geht es aber eben­ falls nur um eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Enteignung dem Grunde nach. Das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit aus § 45 Abs. 1 EnWG ist dabei zu unterscheiden von der Erforderlichkeit der jeweiligen konkreten Zugriffsmaßnahme im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die erst auf einer zweiten Prüfstufe steht137. Eine solche zweistufige Prüfung folgt aus dem bereits oben skizzierten Umstand, dass über die Zulässigkeit der Enteignung nur dem Grunde nach gem. § 45 Abs. 2 EnWG durch Plan­ feststellungsbeschluss oder -genehmigung bzw. durch Feststellung der nach Landesrecht zuständigen Behörde entschieden wird. Über die Zulässigkeit der konkreten Eingriffsmaßnahme wird erst in einem späteren Schritt ent­ schieden. Dabei gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass auch diese konkrete Maßnahme erforderlich ist. Geht es also bei der Erforderlichkeitsprüfung auf erster Stufe um die Zu­ lässigkeit der Enteignung dem Grunde nach bzw. um ihre generelle Zulässig­ keit, steht hierbei nicht die einzelne Enteignungsmaßnahme zur Diskussion, sondern vielmehr die Frage, ob dem Vorhaben ein solch großer Nutzen für das Allgemeinwohl beigemessen werden kann, dass es gerechtfertigt ist, die Überwindung von Eigentumsrechten generell zuzulassen. Im Kern geht es bei dieser Frage im Rahmen von Enteignungen nach dem Energiewirtschafts­ gesetz um die energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Vorhabens, ob für dieses also energiewirtschaftlicher Bedarf besteht138. Das Bundesverwal­ tungsgericht hat in diesem Zusammenhang gefordert, dass das jeweilige Leitungsvorhaben eine vorhandene Versorgungslücke schließen soll oder der Versorgungssicherheit dient139. Nach der neueren Rechtsprechung des Bun­ desverfassungsgerichts140 reicht es aus, dass das Vorhaben zum Wohl der 137  So auch Hermes (Fn. 101), § 45 Rn. 28; Kment (Fn. 23), § 45 Rn. 17 f.; Wichert, Enteignung (Fn. 23), S. 877 f.; Pielow (Fn. 129), § 45 Rn. 32 f.; 40 ff.; a. A. wohl Nebel/Riese (Fn. 104), § 45 Rn. 24 und Theobald (Fn. 103), § 45 Rn. 32, die eine Abschichtung der Erforderlichkeitsprüfung nicht vornehmen. 138  Ohne weitere Erläuterung, im Ergebnis aber zustimmend Engel (Fn. 103), § 45 Rn.  46 ff.; Kment (Fn. 23), § 45 Rn. 17; vgl. auch BVerwGE 116, 365 (375 f.) zu § 12 EnWG a. F. 139  BVerwGE 116, 365 (376) zu § 12 EnWG a. F. 140  Siehe hinsichtlich der Entwicklung des Kriteriums der Erforderlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von „unumgänglich“ in BVerfGE 38, 175 (180) zu „vernünftigerweise geboten“ in BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 184) auch Kapitel D. IV., hier insb. Fn. 297, und Kapitel E. V. 2.

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C. Einfachgesetzliche Grundlagen für Enteignungen

Allgemeinheit – hier zur Deckung des notwendigen energiewirtschaftlichen Bedarfes für Zwecke der Energieversorgung – „vernünftigerweise geboten ist“ bzw. „einen substantiellen Beitrag“ hierzu leistet141. Für die zweite Stufe der Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der konkreten Enteignungsmaßnahme gilt ein stren­ gerer Maßstab. Die jeweilige Enteignung muss für die Verwirklichung des Vorhabens „unverzichtbar“ sein; es darf also kein anderes milderes, rechtlich und wirtschaftlich vertretbares Mittel geben, das gleich geeignet wäre142.

II. Rohrleitungsbau und Landesrecht Zahlreiche landesrechtliche sowohl allgemeine also auch fachspezifische Enteignungsgesetze regeln die Möglichkeit, für bestimmte Vorhaben im Be­ reich der Errichtung und des Betriebs von Pipelines zu enteignen. Bevor diese einzelnen Landesgesetze und Regelungen vorgestellt werden, soll ein­ gangs erläutert werden, in welchem Verhältnis in diesem Zusammenhang bundesrechtliche und landesrechtliche Enteignungsvorschriften sowie allge­ meine, fachspezifische und projektbezogene Enteignungsgesetze auf Landes­ ebene zueinanderstehen. 1. Enteignungsrechtliche Gesetzgebungskompetenz Gem. Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht enteignungsrechtli­ cher Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungs­ befugnisse verleiht. Die Abgrenzung der Zuständigkeit bestimmt sich hierbei gem. Art. 70 Abs. 2 GG nach den Vorschriften des Grundgesetzes über die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung. Einschlägig für Enteignungen auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus ist mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 14 GG eine Vorschrift im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 14 erstreckt sich diese auf das Recht der Enteignung, soweit sie auf den Sachgebieten der Artikel 73 und 74 in Betracht kommt. Der Begriff der Enteignung ist dabei inhaltsgleich zu dem bereits erläuterten Begriff aus Art. 14 Abs. 3 GG143. Art. 74 Abs. 1 Nr. 14 GG 141  BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 184), vgl. hierzu auch Pielow (Fn. 129), § 45 Rn.  34 f. 142  BVerfGE 24, 367 (404 f.); 45, 297 (321 f.); 134, 242 (296 Rn. 183); zur enteig­ nungsrechtlichen Verhältnismäßigkeit vgl. generell Kapitel E. V. 143  F. Wittreck, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 74 Rn. 68; C. Seiler, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher On­



II. Rohrleitungsbau und Landesrecht41

gilt sowohl für Legal- als auch für Administrativenteignungen144. In Betracht kommendes Sachgebiet für das Gebiet des Rohrleitungsbaus im Rahmen der Art. 73 und 74 ist vor allem das Sachgebiet des Rechts der Wirtschaft, insbe­ sondere des Bergbaus, der Industrie und der Energiewirtschaft, welches in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG aufgeführt wird145. Weiter kommen in Betracht das Sachgebiet des Bodenrechts in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG146 bzw. das Sachge­ biet der Luftreinhaltung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG147. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung liegt die Gesetzgebungs­ kompetenz gem. Art. 72 Abs. 1 GG bei den Ländern, soweit der Bund nicht von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat. Im Hinblick auf die Enteignung zugunsten von Rohrleitungsvorhaben hat der Bund insbe­ sondere mit dem Energiewirtschaftsgesetz148, dem Kohlendioxid-Speiche­ rungsgesetz149, dem Baugesetzbuch150 bzw. mittelbar über das bergrechtliche Instrument der Grundabtretung151 mit dem Bundesberggesetz von seiner Zu­ ständigkeit Gebrauch gemacht. Spezialgesetzlich, d. h. auf ein konkretes Vorhaben bezogen, hat der Bun­ desgesetzgeber für Enteignungen für Vorhaben des Rohrleitungsbaus nicht von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht. Auch ein allgemeines Enteig­ line-Kommentar zum Grundgesetz, 45. Ed., Art. 74 (2020), Rn. 55; C. Degenhart, in: Sachs, GG (Fn. 16), Art. 74 Rn. 63. 144  S. Oeter, in: P. M. Huber/A. Voßkuhle (Hrsg.), v. Mangoldt/Klein/Starck, Kom­ mentar zum Grundgesetz, Bd. II, 7. Aufl. 2018, Art. 74 Rn. 111; Degenhart (Fn. 143), Art. 74 Rn. 63. 145  Vgl. hierzu bereits Hamann, Enteignung (Fn. 23), S. 1259. 146  Dieses Sachgebiet ist im Hinblick auf Pipelines in Zusammenhang mit Enteig­ nungen nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB relevant, wenn gem. § 9 Abs. 1 Nr. 13 BauGB eine Versorgungsleitung im Bebauungsplan festgesetzt wurde. 147  Das Sachgebiet der Luftreinhaltung ist einschlägig bei Enteignungen zugunsten von Rohrleitungen im Rahmen des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpG), BTDrs. 17/5750, S. 32. 148  Siehe zu § 45 EnWG bereits oben Kapitel C. I. 149  Vgl. § 4 Abs. 5 KSpG. 150  Siehe Fn. 146. 151  Die Grundabtretung ist grundsätzlich möglich im Rahmen der Errichtung oder Führung eines bergbaulichen Gewinnungsbetriebes, wenn für die bergbaulichen Tä­ tigkeiten und Einrichtungen die Benutzung eines Grundstücks notwendig ist, vgl. § 77 Abs. 1 BBergG. Weil das BBergG auch für bestimmte betriebsinterne Rohrlei­ tungen gilt (argumentum e contrario § 2 Abs. 4 Nr. 5 BBergG), kann mit diesem Instrument mittelbar auch zugunsten von Rohrleitungen – hier sind insbesondere ­ bergbautypische Feldleitungen zu nennen – enteignet werden, vgl. zum Anwendungs­ bereich des BBergG in diesem Zusammenhang B. Keienburg/M. Neupert, Zulas­ sungsverfahren für Errichtung und Betrieb von Rohrfernleitungen, Teil 3: Anforde­ rungen des Bundesberggesetzes (BBergG) und des Kohlendioxidspeichergesetzes (KSpG), in: 3R 2013/04–05, S. 44 (44).

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C. Einfachgesetzliche Grundlagen für Enteignungen

nungsgesetz wurde nicht geschaffen. In allen anderen Fällen kommt daher den Landesgesetzgebern die Kompetenz zu, Regelungen für Enteignungen zugunsten des Rohrleitungsbaus zu schaffen. In diesem Zusammenhang rü­ cken landesrechtliche allgemeine, fachspezifische oder projektbezogene Ent­ eignungsgesetze in den Fokus152. 2. Rangverhältnis von Enteignungsgesetzen Soweit Enteignungen für Pipelines aufgrund bundesgesetzlicher Vorschrif­ ten in Rede stehen, brechen die jeweiligen Normen als Bundesrecht landes­ rechtliche Regelungen, Art. 31 GG. Dies gilt jedenfalls insoweit, als sie nicht selbst in enteignungsverfahrensrechtlicher Sicht bzw. im Übrigen auf Lan­ desrecht verweisen153. Der Anwendungsvorrang von Bundesrecht findet in der Regel auch Ausdruck in den Vorschriften zum Anwendungsbereich des jeweiligen allgemeinen Enteignungsgesetzes auf Landesebene. Hier heißt es in vielen Fällen, das Gesetz gelte für alle Enteignungsverfahren, „wenn und soweit nicht Bundesrecht anzuwenden ist“154. Gelangt danach Landesrecht zur Anwendung, gilt der allgemeine Rechts­ grundsatz lex specialis derogat legi generali155. Das bedeutet zunächst, dass die allgemeinen landesrechtlichen Enteignungsgesetze stets nur nachrangig herangezogen werden. In aller Deutlichkeit stellt vor diesem Hintergrund etwa das Hamburgische Enteignungsgesetz156 heraus: „Dieses Gesetz ist für alle Enteignungen anzuwenden, wenn dafür keine andere gesetzliche Rege­ lung besteht oder wenn auf dieses Gesetz verwiesen wird.“ Sofern für das jeweilige Enteignungsvorhaben besondere fachgesetzliche landesrechtliche Regelungen existieren, sind diese gegenüber den allgemei­ nen Enteignungsgesetzen spezieller und gelangen vorrangig zur Anwendung. Absoluten Anwendungsvorrang vor allen anderen landesrechtlichen Gesetzen genießen schließlich Gesetze, die speziell auf ein bestimmtes Projekt zuge­ schnitten sind und die Enteignung zugunsten dieses Projekts für zulässig er­ klären (sogenannte projektspezifische bzw. projektbezogene Enteignungsge­

152  Siehe

hierzu unten Kapitel C. II. 3. ff. etwa § 45 Abs. 3 EnWG oder §§ 4 Abs. 5 S. 5 i. V. m. 15 Abs. 3 S. 3 KSpG. 154  Vergleiche statt vieler z. B. § 1 LEntG BW, § 1 EntG Bbg oder § 1 EEG NW. 155  Nach diesem Grundsatz verdrängt das speziellere Gesetz das allgemeine Ge­ setz. Dahinter steckt die Erwägung, der potentiell anzuwendenden Norm dann den Vorzug zu geben, wenn sie „sämtliche Tatbestandsmerkmale der Vergleichsnorm auf­ weist und diesen mindestens noch ein weiteres Merkmal hinzufügt“, siehe hierzu T. Barczak, Normenkonkurrenz und Normenkollision, in: JuS 2015, S. 969 (973). 156  Hamburgisches Enteignungsgesetz vom 11.11.1980, HmbGVBl. 1980, S. 305. 153  So



II. Rohrleitungsbau und Landesrecht43

setze). In dieser Reihenfolge, also vom Allgemeinen zum Speziellen orientiert sich die nachfolgende Darstellung der landesrechtlichen Regelungen. 3. Allgemeine Enteignungsgesetze als subsidiäre Instrumentarien Alle Länder haben allgemeine Enteignungsgesetze verabschiedet157. Dabei ähneln sich die Vorschriften der Gesetze weitgehend; in vielen Fällen existie­ ren gleichartige Vorschriften158. Lediglich die Länder Berlin, Bremen, Ham­ 157  In alphabetischer Reihenfolge der Bundesländer: Baden-Württemberg: Landes­ enteignungsgesetz (LEntG BW) vom 6.4.1982, GBl. 1982, S. 97, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.12.2004, GBl. 2004, S. 884; Bayern: Bayerisches Gesetz über die entschädigungspflichtige Enteignung (BayEG) in der Fassung der Bekanntma­ chung vom 25.7.1978, GVBl. 1978, S. 625, zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.3.2019, GVBl. 2019, S. 98; Berlin: Berliner Enteignungsgesetz (EntEigG BE) vom 14.7.1964, GVBl. 1964, S. 737, zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.10.2020, GVBl. 2020, S. 807; Brandenburg: Enteignungsgesetz des Landes Brandenburg (EntGBbg) vom 19.10.1992, GVBl. 1992, S. 430, zuletzt geändert durch Gesetz vom 7.7.1997, GVBl. 1997, S. 72; Bremen: Enteignungsgesetz für die Freie Hansestadt Bremen (EnteigG BR) vom 5.10.1965, Brem.GBl. 1965, S. 129, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.5.2014, Brem.GBl. 2014, S. 263; Hamburg: Hamburgisches Enteignungsgesetz (EnteigG HA) in der Fassung vom 11.11.1980, HmbGVBl. 1980, S. 305; zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.2.2004, HmbGVBl. 2004, S. 107; Hessen: Hessisches Enteignungsgesetz (HEG) vom 4.4.1973, GVBl. 1073, S. 107, zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.10.2020, GVBl. 2020, S. 710; Mecklenburg-Vorpommern: Enteignungsgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern (LEntG MV) vom 2.3.1993, GVOBl. M-V 1993, S. 178, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.10.2005, GVOBl. M-V 2005, S. 535; Niedersachsen: Niedersächsisches Enteignungsgesetz (NEG) in der Fassung vom 6.4.1981, NdS. GVBl. 1981, S. 83, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.11.2004, NdS. GVBl. 2004, S. 394; Nordrhein-Westfalen: Gesetz über Enteignung und Entschädigung für das Land Nordrhein-Westfalen (EEG NW) vom 20.6.1989, GV. NRW. 1989, S. 366, ber. S. 570, zuletzt geändert durch Gesetz vom 2.10.2014, GV. NRW. 2014, S. 622; Rheinland-Pfalz: Landesenteignungsgesetz (LEnteigG) vom 22.4.1966, GVBl. 1966, S. 103, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.12.2009, GVBl. 2009, S. 413; Saarland: Gesetz über die Enteignung von Grund­ eigentum (GrundEnteigG SL) vom 11.6.1874, PrGS 1874, S. 221, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.2.2006, GVBl. 2006, S. 474; Sachsen: Sächsisches Enteig­ nungs- und Entschädigungsgesetz (SächsEntEG) vom 18.7.2001, SächsGVBl. 2001, S. 453, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.1.2012, SächsGVBl. 2012, S. 130; Sachsen-Anhalt: Enteignungsgesetz für das Land Sachsen-Anhalt (EnteigG LSA) vom 13.4.1994, GVBl. LSA 2010, S. 508, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.4.2010, GVBl. LSA, S. 192; Schleswig-Holstein: Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum (EnteigG SH) vom 11.6.1874, GS 1874, S. 221, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.6.2004, GVOBl. Schl.-H. 2004, S. 153; Thüringen: Thüringer Enteignungsgesetz (ThürEG) vom 23.4.1994, GVBl. 1994, S. 329, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.11.2004, GVBl. 2004, S. 853; vgl. hierzu auch die Überblicke bei Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 662 und Falter, Vorwirkung (Fn. 39), S. 98 ff. 158  Hönig, Fachplanung (Fn. 41), S. 60.

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C. Einfachgesetzliche Grundlagen für Enteignungen

burg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen haben Enteignungsgesetze geschaffen, die nur wenige Regelungen enthalten und die im Übrigen auf die §§ 85 ff. BauGB verweisen159. Alle anderen Bundesländer enthalten enteig­ nungsrechtliche Bestimmungen, die Enteignungszweck und -gegenstand, Ver­fahrens- und Entschädigungsfragen umfassend normieren. Unter der Überschrift „Enteignungszweck“ normieren die meisten Landes­ enteignungsgesetze, welche Vorhaben eine Enteignung zu rechtfertigen ver­ mögen. In diesem Zusammenhang verweisen die Gesetze überwiegend zu­ nächst auf diejenigen Vorhaben, für die andere Gesetze die Enteignung zuge­ lassen haben160. Sodann bestimmen die Gesetze auch eigene Vorhaben, für die enteignet werden kann. In einigen Landesgesetzen wird hierzu pauschal formuliert, dass die Enteignung zulässig ist für Vorhaben, die dem Wohle der Allgemeinheit dienen161. Solche Regelungen sind mit den verfassungsrecht­ lichen Bestimmtheitsanforderungen aus Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG nicht verein­ bar, da der Gesetzgeber die Entscheidung, für welche Vorhaben und zu wel­ chen Zwecken enteignet werden darf, unzweideutig selbst treffen muss und sie nicht in die Hände der Verwaltung legen darf162. Sofern weder Vorhaben noch Allgemeinwohl näher präzisiert werden, wird die dem Gesetzgeber vorbehaltene Konkretisierungsaufgabe verfehlt163. Eine allein auf eine solche Norm gestützte Enteignung ist deshalb verfassungswidrig164. Einige Landesgesetze treffen vor diesem Hintergrund präzisere Aussagen über die eine Enteignung rechtfertigenden Vorhaben. Teilweise wird die an Art. 14 Abs. 3 GG angelehnte Generalklausel „Vorhaben, die dem Wohl der Allgemeinheit dienen“ um eine Liste mit Beispielvorhaben angereichert („insbesondere“)165. Teilweise werden unter der Voraussetzung, dass die be­ 159  J. Wolf, Enteignungsrecht, in: K. Schreiber (Hrsg.), Handbuch Immobilien­ recht, 3. Aufl. 2011, Kap. 2 Rn. 107. 160  So z. B. § 2 Nr. 1 LEntG BW, Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayEG, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Ent­ eigG BE, § 2 Abs. 1 Nr. 1 EEG NW oder § 2 Abs. 1 Nr. 1 ThürEG. 161  § 1 Abs. 1 c) EnteigG BR, § 3 Nr. 1 HEG, § 2 S. 1 EnteigG HA, § 2 Nr. 1 NEG, § 2 Nr. 1 LEnteigG RP, § 1 EnteigG LSA, § 1 EnteigG SH. 162  BVerfGE 134, 242 (294 Rn. 171, 174, 177); 56, 249 (261); 74, 264 (285 f.); vgl. hierzu auch Breuer, Anmerkung (Fn. 23), S. 972 und Kapitel E. III. 3. b) bb). 163  BVerfGE 134, 242 (294 Rn. 177, 198); vgl. hierzu auch Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 158. 164  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 616; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 134; mit Zweifeln noch Bryde (Fn. 84), Art. 14 Rn. 88 und Gramlich, Enteignung (Fn. 95), S. 275; zur hinreichenden Konkretisierung von Vorhaben und Allgemein­ wohl siehe weiter unten Kapitel E. III. 3. 165  § 1 Abs. 1 S. 2 LEntG BW, Art. 1 Abs. 1 S. 2 BayEG, § 2 Nr. 2 EnteigG LSA; soweit eine solche „offene Beispielliste“ aufgestellt wird, bestehen verfassungsrecht­ liche Bedenken, vgl. etwa BVerfGE 134, 242 (302 Rn. 198); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 616, Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 113 oder Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1



II. Rohrleitungsbau und Landesrecht45

treffenden Vorhaben dem Wohl der Allgemeinheit dienen, auch abschließende Kataloge mit rechtfertigenden Vorhaben aufgestellt166. In diesen Katalogen werden überwiegend auch Rohrleitungen explizit an­ geführt (jeweils: „Rohrleitungen zum Transport von Rohstoffen oder Produk­ ten in großen Mengen oder mit gefährlichen Eigenschaften“167). Grundsätz­ lich kann nach diesen Vorschriften also eine Enteignung auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus zulässig sein. Anders als bei den übrigen, typischerweise aufgeführten Vorhaben (z. B. Vorhaben für den Umweltschutz168 bzw. den Schutz von Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft169, Vorhaben für die öffentliche Versorgung170, Vorhaben für die öffentliche Entsorgung171, Ein­ richtungen für (Hoch-)Schulen172 oder den öffentlichen Verkehr173) werden hierbei in der Regel private Unternehmen von der Enteignung begünstigt174. Fast alle landesrechtlichen Enteignungsgesetze sehen eine Enteignung da­ neben nur dann als zulässig an, wenn der Enteignungszweck auf andere zu­ mutbare Weise nicht erreicht werden kann und der Antragsteller sich ernsthaft um einen freihändigen Erwerb bemüht hat175. Dies ist Ausdruck des Grundsat­ zes der Verhältnismäßigkeit und dem Wesen der Enteignung als ultima ratio. (Fn. 18), S. 2269 sowie ders., Entwicklungen (Fn. 16), S. 170; zur Frage, ob solche Listen dem Gesetzesvorbehalt genügen, siehe unten Kapitel E. III. 3. b) bb). 166  § 2 Nr. 2 EntGBbg, § 2 Abs. 1 Nr. 2 LEntG MV, § 2 Abs. 1 Nr. 2 EEG NW, § 2 Nr. 1 SächsEntEG, § 2 Abs. 2 Nr. 2 ThürEG. 167  Art. 1 S. 2 Nr. 4 BayEG, § 2 Abs. 1 Nr. 2 d) EntGBbg, § 2 Abs. 1 Nr. 2 LEntG MV, § 2 Abs. 1 Nr. 2 d) EEG NW, § 2 Nr. 1 h) SächsEntEG, § 2 Nr. 2 g) EnteigG LSA, § 2 Abs. 1 Nr. 2 g) ThürEG. 168  § 2 Nr. 2 d) LEntG BW, § 2 Nr. 2 d) EnteigG LSA, § 2 Nr. 1 e) SächsEntEG. 169  § 2 Abs. 1 Nr. 2 a LEntG BW, § 2 Abs. 1 Nr. 2 a) LEntG MV, § 2 Abs. 1 Nr. 2 a) EEG NW, § 2 Abs. 1 Nr. 2 e) ThürEG. 170  § 2 Nr. 2 c) LEntG BW, Art. 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BayEG, § 2 Abs. 1 Nr. 2 b) EntGBbg, § 2 Nr. 2 c) EnteigG LSA, § 2 Abs. 1 Nr. 2 b) LEntG MV, § 2 Abs. 1 Nr. 2 b) EEG NW, § 2 Nr. 1 d) SächsEntEG, § 2 Abs. 1 Nr. 2 c) ThürEG. 171  § 2 Nr. 2 c) LEntG BW, Art. 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BayEG, § 2 Abs. 1 Nr. 2 c) EntGBbg, § 2 Nr. 2 c) EnteigG LSA, § 2 Abs. 1 Nr. 2 c) EEG NW, § 2 Nr. 1 d) Sächs­EntEG, § 2 Abs. 1 Nr. 2 d) ThürEG. 172  § 2 Nr. 2 b) LEntG BW, Art. 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BayEG, § 2 Nr. 2 b) EnteigG LSA, § 2 Abs. 1 Nr. 2 d) LEntG MV, § 2 Nr. 1 c) SächsEntEG, § 2 Abs. 1 Nr. 2 b) ThürEG. 173  § 2 Nr. 2 f) LEntG BW, § 2 Nr. 2 f) EnteigG LSA, § 2 Nr. 1 g) SächsEntEG. 174  Vgl. hierzu für § 2 Abs. 2 d) EEG NW G. Rasche, Abschied vom preußischen Enteignungsgesetz – Zur Neuordnung des Enteignungsrechts in Nordrhein-Westfalen, in: NWVBl. 1989, S. 261 (263); zu etwaigen Besonderheiten der Enteignung zuguns­ ten Privater hinsichtlich der Konkretisierung von Enteignungszwecken und der Siche­ rung der Bindung an das Allgemeinwohl siehe unten Kapitel E. III. 3. c) und IV. 175  S. z. B. Art. 3 BayEG, § 4 EntGBbg, § 4 LEntG BW oder § 5 HEG.

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C. Einfachgesetzliche Grundlagen für Enteignungen

Die landesrechtlichen Enteignungsgesetze regeln ebenso das verwaltungsge­ richtliche Verfahren der Enteignung sowie die Enteignungsentschädigung. 4. Enteignungsrechtliche Fachgesetze auf Landesebene Enteignungsrechtliche Fachgesetze gehen den oben skizzierten allgemei­ nen Enteignungsgesetzen vor. Sie existieren vor allem auf den Gebieten des Straßen- und Wegerechts, des Wasser- und Deichrechts sowie des Denkmal­ schutzrechts176. Für das Gebiet des Rohrleitungsbaus sind vor allem die Regelungen was­ serrechtlicher Landesgesetze relevant, insbesondere im Hinblick auf Zwecke der öffentlichen Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Das Wasser­ haushaltsgesetz des Bundes bietet insofern kein enteignungsrechtliches Rege­ lungsregime für derartige Rohrleitungssysteme, als dass gem. § 71 Abs. 1 S. 1 WHG i. V. m. §§ 67 Abs. 2 und 68 WHG eine enteignungsrechtliche Vorwirkung nur Planfeststellungsbeschlüssen oder -genehmigungen des ­Gewässerausbaus zukommen kann, wobei unter Gewässerausbau gem. § 67 Abs. 2 WHG die Beseitigung und die wesentliche Umgestaltung eines Ge­ wässers oder seiner Ufer zu verstehen ist. Im Gegensatz dazu erklären einige Landeswassergesetze explizit die Ent­ eignung auch für Zwecke der öffentlichen Wasserversorgung und Abwasser­ beseitigung für zulässig177. Vor dem Hintergrund dieses weit gefassten Begriffes können bei diesen fachgesetzlichen Regelungen insbesondere ­ Rohrleitungssysteme, vor allem in Gestalt von Wasser oder Abwasserleitun­ gen, eine relevante Rolle spielen. 5. Projektbezogene Enteignungsgesetze Exemplarisch werden vier projektbezogene Enteignungsgesetze in der chro­ nologischen Reihenfolge ihrer Verabschiedung vorgestellt, die ausdrücklich eine Enteignung auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus für zulässig erklären. a) MERO-Gesetz Bis Anfang der 90er Jahre bezog die Tschechische Republik Rohöl fast ausschließlich aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS)178. Zur 176  Papier/Shirvani

(Fn. 9), Art. 14 Rn. 662. z. B. Art. 56 S. 1 BayWG, § 58 BbgWG, § 101 LWG NRW oder § 101 Abs. 1 SächsWG. 177  Vgl.



II. Rohrleitungsbau und Landesrecht47

Vermeidung von weiteren Lieferengpässen, die seit 1988 nach dem Rück­ gang der Rohölförderung in der ehemaligen UdSSR immer wieder aufge­ kommen waren, strebte die Tschechische Republik einen Anschluss an die Mineralölfernleitung Triest – Ingolstadt mittels einer Stichleitung an179. Da die Erforderlichkeit enteignungsrechtlicher Verfahren nicht ausgeschlossen werden konnte, sollte das MERO-Gesetz180 in enteignungsrechtlicher Hin­ sicht der Realisierung dieser Stichleitung dienen181. Dieses erklärt die Errich­ tung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage nach § 19a Abs. 1 WHG a. F. zur Beförderung von Rohöl zwischen der Stadt Vohburg an der Donau und dem Markt Waidhaus als dem Wohl der Allgemeinheit gem. Art. 14 Abs. 3 GG dienend, Art. 1 Abs. 1 S. 1 MERO-Gesetz, auch unter der Voraussetzung, „daß mit Hilfe der Anlage ausschließlich ausländische Abnehmer mit Rohöl versorgt werden“. Die Gemeinwohlziele, zu deren Verwirklichung die Rohr­ leitungsanlage dienen soll, werden in Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 MERO-Gesetz statuiert. Zu ihnen gehören die Vermeidung zusätzlichen Verkehrsaufkom­ mens und erhöhter Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs bei der Beförderung von Rohöl auf bayerischen Straßen (Nr. 1), die Verminderung der Gefahr der Verunreinigung bayerischer Gewässer infolge von Unfällen bei der Beförderung von Rohöl (Nr. 2), die Beförderung von Rohöl auf mög­ lichst energiesparende und emissionsarme Weise (Nr. 3), die Erhöhung der Sicherheit der Rohölversorgung des Freistaates Bayern (Nr. 4) sowie die Er­ füllung der in Art. 18 des Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaft­ liche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Republik vom 27. Februar 1992 getroffe­ nen Vereinbarungen (Nr. 5). Inwiefern diese Belange zulässige Gemeinwohl­ ziele darstellen können, insbesondere wie grenzüberschreitende Sachver­ halte182 und die Rolle der Europäischen Union (EU) vor diesem Hintergrund zu beurteilen sind, wird an späterer Stelle zu klären sein183. 178  Bay

LT-Drs. 12/13627, S. 3. LT-Drs. 12/13627, S. 3 f. 180  Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Vohburg an der Donau und Waidhaus (MERO-Gesetz) vom 28. 4.1994, GVBl. 1994, S. 294; der Name MERO ist eine Abkürzung für „Mitteleuropäische Rohölleitung“, mittels derer die Tschechische Republik an die Mineralölfernleitung Triest – Ingol­ stadt angeschlossen werden sollte. 181  Bay LT-Drs. 12/13627, S. 4. 182  Insbesondere ist Art. 1 Abs. 2 Nr. 5 MERO-Gesetz zu betrachten; vgl. hierzu schon BVerwGE 117, 138 (141 f.). 183  Siehe unten Kapitel E. II. 2. c); das Bundesverwaltungsgericht hat in ­BVerwGE 117, 138 (140 f.) noch abgelehnt, die Tschechische Republik (damals noch kein Mitglied der Europäischen Gemeinschaft) als Destinatarin des Gemeinwohls zu berücksichtigen. Auf den Umstand, dass diese Frage mit dem Beitritt der Tschechi­ schen Republik neuer Klärung bedarf, weist bereits C. Stenneken, Nutzung privater 179  Bay

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C. Einfachgesetzliche Grundlagen für Enteignungen

Das MERO-Gesetz legt lediglich den Start- und Endpunkt der Rohrlei­ tungsanlage fest; welche Eigentümer konkret von einer Enteignung betroffen sind, entscheidet sich erst im Enteignungsverfahren184. Es handelt sich damit um eine Administrativenteignung, weil die Enteignung erst aufgrund dieses Gesetzes und nicht bereits durch das Gesetz selbst erfolgt185. Wie schon bei vielen allgemeinen Enteignungsgesetzen der Fall, darf auch nach dem MERO-Gesetz der Enteignungszweck nicht auf andere zumutbare Weise er­ reicht werden, Art. 3 Abs. 1 S. 1 MERO-Gesetz, und der Vorhabenträger muss sich nachweislich ernsthaft um einen freihändigen Erwerb bemüht ha­ ben, Art. 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MERO-Gesetz. Gem. Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 MEROGesetz muss er glaubhaft machen, dass er das Grundstück oder das Recht daran innerhalb angemessener Frist zu dem vorgesehenen Zweck verwendet. Im Übrigen gelten für das Enteignungsverfahren die Vorschriften des BayEG, Art. 3 Abs. 3 MERO-Gesetz. Für den Fall der Betriebseinstellung sollen gem. Art. 4 MERO-Gesetz die Vorschriften über die Rückenteignung186 gem. Art. 16 Abs. 1, 5 und 6 BayEG sinngemäß gelten. b) NRWRohrlG Das Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen (NRWRohrlG) vom 21. März 2006187 ermöglicht die Enteignung zugunsten einer Pipeline zur Durchlei­ tung von Kohlenmonoxid und Kohlenmonoxid-Wasserstoffgemischen zwi­ schen den beiden 45 Kilometer entfernt liegenden Standorten des Bayer Konzerns Dormagen und Krefeld-Uerdingen. Mittels dieser Leitung soll in Dormagen produziertes Kohlenmonoxid (CO) nach Krefeld-Uerdingen trans­ portiert werden188. Enteignungsbegünstigter ist also ein privates Unterneh­ men. Das NRWRohrlG selbst erwähnt den Bayer Konzern nicht, das hinter dem Rohrleitungsvorhaben stehende Unternehmen kommt aber in der Geset­ zesbegründung zum Ausdruck189. Grundstücke zum Leitungsbau im liberalisierten Markt, in: N&R 2005, S. 134 (136) hin. 184  Zu diesem Unterschied der projektbezogenen Enteignungsgesetze im Verhält­ nis zu Legalenteignungen im Gewande der Legalplanung siehe schon oben Kapitel B. III. 2. b). 185  Indes geht G. Henze, Die nicht planakzessorische Enteignung, 2009, S. 37, ohne nähere Begründung offenbar von einer Legalenteignung aus. 186  Zu diesem Instrument siehe noch unten Kapitel E. IV. 4. b). 187  GV.NRW. 2006, S. 130, in Kraft getreten am 6.4.2006. 188  NRW LT-Drs. 14/909, S. 5. 189  NRW LT-Drs. 14/909, S. 5: „Bau und Betrieb wird durch die Bayer Material­ Science AG (BMS AG) erfolgen“.



II. Rohrleitungsbau und Landesrecht49

In § 1 NRWRohrlG hat der Landesgesetzgeber festgelegt, dass diese Lei­ tung unabhängig von gleichzeitig realisierten privatwirtschaftlichen Zwecken dem Wohl der Allgemeinheit dient. In § 2 NRWRohrlG werden unter der Überschrift „Enteignungszweck“ diejenigen Allgemeinwohlbelange aufge­ führt, denen die Verwirklichung der Rohrleitungsanlage dienen soll. Zu die­ sen gehören die Stärkung der wirtschaftlichen Struktur der Chemieindustrie und der mittelständischen kunststoffverarbeitenden Unternehmen bzw. die Sicherung von Arbeitsplätzen (Nr. 1), die Stärkung und der Ausbau des Ver­ bunds von Standorten und Unternehmen (Nr. 2), die Gewährleistung eines diskriminierungsfreien Zugangs bei hoher Verfügbarkeit (Nr. 3)190 und die Verbesserung der Umweltbilanz der Kohlenmonoxidproduktion (Nr. 4). Der jeweilige Enteignungszweck darf gem. § 4 Abs. 1 S. 1 NRWRohrlG nicht auf andere zumutbare Weise erreicht werden. Hier spricht das Gesetz insbeson­ dere den „Grundbesitz des die Anlage errichtenden und betreibenden Unter­ nehmens“ an. Auch das NRWRohrlG verlangt in § 4 Abs. 1 S. 2 ein ernsthaf­ tes Bemühen um den freihändigen Erwerb des Grundstücks bzw. dessen Be­ lastung sowie die Glaubhaftmachung. der Verwendung für den vorgegebenen Zweck. Im Übrigen gelten gem. § 4 Abs. 4 NRWRohrlG die Vorschriften des EEG NW. Wie im Rahmen des MERO-Gesetzes gelten für den Fall der Be­ triebseinstellung die Vorschriften über die Rückenteignung sinngemäß; hier wird auf § 42 Abs. 1, 5 und 6 sowie § 43 S. 1 bis 3 und 5 EEG NW Bezug genommen. c) BayRohrlEnteigG Das Gesetz über die Enteignung für die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Münchsmünster und der Landesgrenze zu Ba­ den-Württemberg bei Nördlingen (Bayerisches Rohrleitungs-Enteignungs­ gesetz – BayRohrlEnteigG) vom 10. Juni 2008191 statuiert enteignungsrecht­ liche Regelungen, die zu weiten Teilen parallel zu denen des MERO-Gesetzes und auch des NRWRohrlG laufen. Errichtung und Betrieb der durch die Firma EPS Ethylen Pipeline Süd GmbH & Co. KG192 verantworteten Rohr­ leitung dienen nach Art. 1 Abs. 1 BayRohrlEnteigG dem Wohl der Allge­ meinheit, auch unter der Voraussetzung, dass sie auch privatwirtschaftlichen Interessen dient bzw. neben deutschen auch ausländischen Nutzern zugute­ kommt. Mit letzterem Zugeständnis an die Voraussetzungen des Allgemein­ wohls hat der Bayerische Landesgesetzgeber insofern Vorgaben des MERO190  Hiermit dürfte die Verfügbarkeit von Kohlenmonoxid gemeint sein, vgl. Ogorek, Eigentum (Fn. 8), S. 472. 191  GVBl. 2008, S. 310, in Kraft getreten am 1.7.2008. 192  Bay LT-Drs. 15/10316, S. 1.

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C. Einfachgesetzliche Grundlagen für Enteignungen

Gesetzes und des NRWRohrlG kombiniert. Die Belange, deren Verwirk­ lichung das Rohrleitungsvorhaben dienen soll, werden in Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 BayRohrEnteigG aufgeführt. Zu ihnen gehören die Gewährleistung und Verbesserung der Ethylenversorgung, um den bayerischen Petrochemiestand­ ort zu stärken (Nr. 1), die Förderung des Wettbewerbs durch die Vergröße­ rung des Markts für Ethylen (Nr. 2), die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Petrochemie (Nr. 3) und der Umwelt- und Klimaschutz so­ wie der Transportsicherheit durch Vermeidung von Straßen- oder Schienen­ transporten (Nr. 4)193. Im Rahmen der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Enteignung wird zusätzlich zu den Voraussetzungen der vorgenannten Ge­ setze erstmals eine besondere Verpflichtung des begünstigten Unternehmens in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag mit dem Freistaat Bayern gefordert, die Rohrleitungsanlage zu errichten, zweckentsprechend zu betreiben und in einem betriebssicheren Zustand zu erhalten sowie allen Unternehmen den diskriminierungsfreien Zugang zur Rohrleitungsanlage zu marktgerechten Entgelten zu gewährleisten, Art. 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BayRohrlEnteigG. Dieser Vertrag hat Sanktionsmöglichkeiten vorzusehen. Im Übrigen entsprechen die Vorschriften denjenigen von MERO-Gesetz und NRWRohrlG. d) BWEthylRohrlG Das Gesetz zur Errichtung und zum Betrieb einer Ethylenrohrleitungsan­ lage in Baden-Württemberg (Baden-Württembergisches Ethylen-Rohrlei­ tungsgesetz – BWEthylRohrlG) vom 1. Dezember 2009194 normiert in § 1 Abs. 1 S. 1, dass eine Pipeline zur Durchleitung von Etyhlen zwischen der Landesgrenze zum Freistaat Bayern bei Riesbürg und der Landesgrenze zum Land Rheinland-Pfalz bei Eggenstein-Leopoldshafen dem Allgemeinwohl dient. Betreiber der Anlage ist wiederum die Firma EPS Etyhlen Pipeline Süd GmbH & Co KG195. Bis auf die normierten Gemeinwohlbelange statu­ iert das Gesetz inhaltlich zum BayRohrlEnteigG gleichgerichtete Regelun­ gen. Deshalb sollen an dieser Stelle nur erstere dargestellt werden: Das Rohrleitungsvorhaben dient demnach gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 BWEthyl­ RohrlG dem Ausbau und der Stärkung des Chemie- und Petrochemiestandor­ tes Baden-Württemberg (Nr. 1), der Stärkung des Chemieclusters KarlsruheMannheim-Ludwigshafen (Nr. 2), dem Anschluss der baden-württembergi­ schen Chemie- und Petrochemiestandorte an den nordwesteuropäischen 193  Vgl. hierzu S. Muckel, Das Bayerische Rohrleitungs-Enteignungsgesetz auf dem Prüfstand der Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG, in: BayVBl. 2011, S. 225 (226 f.) mit Kritik zur hinreichenden Bestimmtheit der Enteignungszwecke. 194  GBl. 2009, S. 677, in Kraft getreten am 8.12.2009. 195  Bay LT-Drs. 14/5171, S. 1.



II. Rohrleitungsbau und Landesrecht51

Ethylen-Verbund (Nr. 3), der Stärkung der wirtschaftlichen Infrastruktur zur Verbesserung der Ansiedelungsmöglichkeiten für Unternehmen (Nr. 4), der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Petrochemie (Nr. 5), der Verbesserung der Umweltbilanz und der Transportsicherheit (Nr. 6) so­ wie der Erhöhung der Versorgungssicherheit (Nr. 7). Der Frage, inwieweit diese in den projektspezifischen Enteignungsgeset­ zen normierten Gemeinwohlbelange und die in den Gesetzen vorgesehenen Sicherungsinstrumente eine Enteignung zu rechtfertigen vermögen, auch im Hinblick auf den räumlichen Bezugsbereich des Allgemeinwohls, wird im Laufe der weiteren Untersuchung, insbesondere in Kapitel E., nachgegan­ gen.

D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung Wie bereits gezeigt196, stellen sich Enteignungen zugunsten von Rohrlei­ tungsvorhaben in den meisten Fällen als Enteignungen zugunsten Privater dar. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Thema hat bis heute immer wieder neue Anstöße und Differenzierungen erfahren. Jüngere Judikate zeigen, dass nach wie vor nicht alle Anforderungen an die Zulässigkeit einer Enteignung zugunsten Privater geklärt sind. Zuweilen ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf den Maßstab in früheren Entscheidungen sogar undeutlicher geworden und zeugt von Unsicherheiten im Umgang mit diesem Problem. Die Entwicklung der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur wird – an­ gefangen mit dem Urteil zur Bad Dürkheimer Gondelbahn vom 10. März 1981 bis zu den jüngsten Kammerbeschlüssen vom 21. Dezember 2016 (NRWRohrlG) bzw. 25. Januar 2017 (BWEthylRohrlG) – chronologisch er­ läutert. Verbleibende Unsicherheiten und offene Fragen werden aufgezeigt.

I. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. März 1981 (Gondelbahn) und Sondervotum Böhmers, BVerfGE 56, 266 In dem Verfahren zur Bad Dürkheimer Gondelbahn197 ging es um die Zu­ lässigkeit von Enteignungen nach dem damaligen Bundesbaugesetz. Die Firma Dürkheimer Gondelbahn GmbH198 strebte die Errichtung einer Gon­ delbahn vom Wurstmarktgelände in der Stadt Bad Dürkheim zu einem ge­ fragten Ausflugsziel199, dem sogenannten Teufelstein, an. Weil nicht alle auf der Trasse liegenden Grundstücke bzw. Dienstbarkeiten zum Überfliegen freihändig erworben werden konnten, waren zur Realisierung des Projekts 196  Siehe

oben Kapitel C. I. 2. und C. II. 5. 249. 198  Die GmbH war zuvor im Rahmen eines Gesellschaftsvertrages zwischen der Stadt Bad Dürkheim und Herrn Otto S. gegründet worden, die beide Gesellschafter der GmbH wurden; vom Stammkapital übernahm die Stadt nur 1/20; zu dieser Ver­ strickung vgl. auch die Ausführungen unter Kapitel E. III. 3. c). 199  W. Brohm, Kompetenzüberschneidungen im Bundesstaat, in: DÖV 1983, S. 525 (526). 197  BVerfGE 56,



I. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. März 198153

Enteignungen notwendig200. Zu diesem Zweck wurde seitens der Stadt Bad Dürkheim ein Bebauungsplan aufgestellt, der die Trasse der Seilbahn aus­ wies. Auf Grundlage dieser Ausweisung wurde durch die GmbH nach den damaligen Vorschriften die Einräumung von Fahrrechten an den betreffenden Grundstücken im Wege der Enteignung beantragt, schließlich wurden diese Grundstücke durch Enteignungsbeschlüsse mit beschränkt persönlichen Dienstbarkeiten belastet201. Nach Ausschöpfung aller Instanzen durch die betroffenen Grundstückseigentümer hatte das Bundesverfassungsgericht über die gegen die Enteignungsbeschlüsse gerichteten Verfassungsbeschwerden zu entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, Art. 14 Abs. 3 GG lasse eine Ent­ eignung „nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage zu“202. Die Belastung von Grundstücken mit einer Dienstbarkeit stelle eine Enteignung dar203. Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG gebe dem Gesetzgeber auf, „aus dem Bereich der Gemeinwohlaufgaben diejenigen Sachgebiete auszuwählen, für die er die zwangsweise Verwirklichung durch Enteignung zulassen will“204. Nur dem Gesetzgeber sei es vorbehalten, „die eine Enteignung legi­ timierenden Gemeinwohlaufgaben zu bestimmen“; dem entspreche es, wenn in den Gesetzen bestimmt werde, „für welche Vorhaben unter welchen Vor­ aussetzungen und für welche Zwecke eine Enteignung zulässig sein soll“205. Diese alleinige Kompetenz des Gesetzgebers könne die staatliche oder kom­ munale Verwaltung auch nicht im Rahmen von Planungsbefugnis oder Selbstverwaltungsrecht ausüben206. Die Gondelbahn unterfalle enteignungs­ rechtlich der landesrechtlichen Gesetzgebungskompetenz207. Auf das Bun­ desbaugesetz gestützte Enteignungen verstießen deshalb gegen den Grund­ satz der Gesetzmäßigkeit der Enteignung gem. Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG und verletzten das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG208.

200  BVerfGE 56,

249 (251). beschränkt persönlichen Dienstbarkeiten räumten der GmbH das Recht ein, die Grundstücke mit einem Führungsseil zu überspannen und die Bahn zu betreiben sowie jederzeit die Grundstücke zum Zweck der Unterhaltung bzw. Reparatur zu be­ fahren, BVerfGE 56, 249 (253). 202  BVerfGE 56, 249 (259). 203  BVerfGE 56, 249 (260) unter Verweis auf E 45, 297 (339); siehe hierzu schon oben Kapitel B. II. 204  BVerfGE 56, 249 (261). 205  BVerfGE 56, 249 (261) unter Verweis auf E 24, 367 (403 f.) und E 38, 175 (180). 206  BVerfGE 56, 249 (261 f.). 207  BVerfGE 56, 249 (263 f.). 208  BVerfGE 56, 249 (265 f.). 201  Die

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D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung

Das Bundesverfassungsgericht nahm in seinem Urteil nicht weiter Stellung zum Kriterium des Wohls der Allgemeinheit gem. Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG209. Dies veranlasste den Richter Werner Böhmer zur Abgabe eines Sonder­ votums: Nach Böhmer sei die Enteignung „keine Einrichtung, jemanden zu begünstigen, weder den Staat noch eine Gemeinde noch einen Privaten“210. Die Aussage des Grundgesetzes „zum Wohle der Allgemeinheit“ beinhalte mehr als eine bloße Gemeinwohldienlichkeit des Vorhabens211, da andern­ falls die Schutzfunktion der Vorschrift beseitigt würde212. Die Zulässigkeit einer Enteignung sei vielmehr nur dann anzunehmen, wenn die Enteignung „zum Zwecke der Verwirklichung eines vom Gemeinwohl geforderten Vor­ habens notwendig ist, mit dem eine staatliche Aufgabe erledigt werden soll“213. Ausgehend von dieser These214 kritisiert Böhmer, dass die Enteig­ nung zugunsten eines privaten Unternehmens erfolgte. Während er bei der Enteignung in Bereichen privatrechtlich organisierter Daseinsvorsorge keine „besondere Problematik“ erkennt, hält er eine Enteignung „zugunsten allein auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmen für verfassungswidrig“215, da es bei diesen insbesondere „an einem konkret verdichteten Gemeinwohl­ auftrag“ fehle216. Die Enteignung sei kein Instrument zur Änderung der Pri­ vatrechtsordnung bzw. der privaten Vermögensverschiebung217. Der GmbH sei gesetzlich keine Staatsaufgabe zugewiesen worden und die Enteignung nach alldem verfassungswidrig218. 209  Angesichts einer Verfahrensdauer von zehn Jahren war eine Auseinanderset­ zung des Bundesverfassungsgerichts mit dieser Frage zwar verfahrensrechtlich nicht zwingend erforderlich, aber „doch dessen nobile officium gewesen“, so H. J. Müller, Enteignung zwischen Allgemein- und Individualinteresse, in: NJW 1981, S. 1254 (1255); die Enthaltsamkeit des Bundesverfassungsgericht empfindet auch G. Schultz, Die Gondelbahn über den Gärten, in: MDR 1981, S. 545 (545) als „nicht befriedi­ gend“. Zum überlangen Verfahren insgesamt, auch zum anschließenden Verlauf vgl. Breuer, Anmerkung (Fn. 23), S. 971 (971) [„rechtsstaatliches Kuriositätenkabinett“] bzw. G. Fromm, Bad Dürkheimer Gondelbahn, in: W. Blümel (Hrsg.), Aktuelle Pro­ bleme des Enteignungsrechts, 2. Aufl. 1983, S. 101 ff. 210  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (271). 211  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (278). 212  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (279). 213  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (279); bereits diese Ausgangsthese Böhmers im Sinne einer Beschränkung der Enteignung auf Vorhaben, welche die Wahrnehmung von Staatsaufgaben vorsehen, begegnet Zweifeln, siehe unten Kapi­ tel E. II. 1. c) cc); vgl. hierzu auch Breuer, Anmerkung (Fn. 23), S. 974. 214  H. Weber, Entscheidungsbesprechung zu BVerfGE 56, 249, in: JuS 1982, S. 852 (853). 215  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (287). 216  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (288). 217  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (290). 218  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (294).



II. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 1984 55

II. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 1984(Energiewirtschaftsgesetz), BVerfGE 66, 248 Inhaltlich setzte sich das Bundesverfassungsgericht mit Enteignungen zu­ gunsten Privater erstmals in seinem Urteil zum Energiewirtschaftsgesetz vom 20. März 1984219 auseinander. Hierbei ging es um die Frage der Zuläs­ sigkeit von Enteignungen zugunsten privatrechtlich organisierter Energiever­ sorgungsunternehmen auf Grundlage des damals gültigen Energiewirtschafts­ gesetzes220. In dem zu entscheidenden Fall wollte ein Energieversorgungs­ unternehmen eine Hochspannungsfreileitung über ein Privatgrundstück füh­ ren sowie dort einen Hochspannungsmast errichten221. Die Zulässigkeit der Enteignung für das Vorhaben wurde gem. § 11 Abs. 1 EnWG 1935222 festge­ stellt und in Ermangelung parteilichen Einvernehmens die vorzeitige Besitz­ einweisung angeordnet223. Das hiergegen gerichtete Verfahren wurde gem. Art. 100 Abs. 1 GG vom Verwaltungsgericht ausgesetzt und im Wege der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung von § 11 EnWG 1935 auf seine Übereinstimmung mit dem Grundgesetz vorge­ legt. Das Bundesverfassungsgericht erklärte § 11 EnWG 1935 als mit dem Grundgesetz vereinbar, „soweit für Zwecke der öffentlichen Energieversor­ gung die Enteignung auch zugunsten privatrechtlich organisierter Energie­ versorgungsunternehmen für zulässig erklärt wird“224. Jedenfalls dann, „wenn einem privatrechtlich organisierten Unternehmen durch oder aufgrund eines Gesetzes die Erfüllung einer dem Gemeinwohl dienenden Aufgabe zugewie­ sen“ und zudem sichergestellt sei, „dass das Unternehmen zum Nutzen der Allgemeinheit geführt“ werde, sei eine Enteignung zugunsten eines solchen Unternehmens zulässig225. Entscheidend sei der hinter der Enteignung ste­ 219  BVerfGE 66,

248. zur Förderung der Energiewirtschaft (Energiewirtschaftsgesetz) vom 13.12.1935, RGBl. I 1935, S. 1451; im Folgenden: EnWG 1935. 221  BVerfGE 66, 248 (251). 222  § 11 Abs. 1 EnWG 1935, eingeführt mit dem Gesetz zur Förderung der Ener­ giewirtschaft (Energiewirtschaftsgesetz) vom 13.12.1935, RGBl. I 1935, S. 1451, war ein Vorläufer der heutigen Regelung in § 45 Abs. 1 EnWG, hierzu schon oben Kapi­ tel C. I. § 11 Abs. 1 EnWG 1935 lautete: „Soweit für Zwecke der öffentlichen Ener­ gieversorgung die Entziehung oder die Beschränkung von Grundeigentum oder Rech­ ten am Grundeigentum im Wege der Enteignung erforderlich wird, stellt der Reichs­ wirtschaftsminister die Zulässigkeit der Enteignung fest.“ 223  BVerfGE 66, 248 (251). 224  BVerfGE 66, 248 (257). 225  BVerfGE 66, 248 (257). 220  Gesetz

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D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung

hende, im öffentlichen Nutzen liegende Zweck226, nämlich, dass eine Staats­ aufgabe227 erledigt werde. Die Sicherstellung der Energieversorgung sei eine „öffentliche Aufgabe von größter Bedeutung“; sie gehöre zum Bereich der Daseinsvorsorge und sei privatrechtlich organisierten Energieversorgungsun­ ternehmen durch das Energiewirtschaftsgesetz zugewiesen228. Die Führung dieser Unternehmen zum Nutzen der Allgemeinheit sei durch die allgemeine Anschluss- und Versorgungspflicht sowie die Instrumente der staatlichen Energieaufsicht gewährleistet229. Insofern folgte das Bundesverfassungsge­ richt für diesen Fall der Enteignung zugunsten eines privatrechtlich organi­ sierten Unternehmens, das eine gesetzlich zugewiesene Aufgabe der Daseins­ vorsorge erfüllt, der Auffassung Böhmers230. Eine uneingeschränkte Zustim­ mung zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Enteignung zugunsten Privater war der Entscheidung indes nicht zu entnehmen.

III. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1987 (Prüfgelände Boxberg), BVerfGE 74, 264 Den vorbezeichneten Maßstab hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Kraftfahrzeug-Prüfgelände der Daimler-Benz AG „Boxberg“ vom 24. März 1987231 weiterentwickelt, insbesondere im Hinblick auf Unterneh­ men, deren Geschäftsgegenstand nicht wie bei der Daseinsvorsorge unmittel­ bar, sondern nur mittelbar dem Allgemeinwohl dient. Die Entscheidung behandelte eine Unternehmensflurbereinigung auf Grund­lage des damaligen Bundesbaugesetzes (§§ 144 f., 85, 87 BBauG a. F.) in Verbindung mit dem Flurbereinigungsgesetz (§ 87 Abs. 1 FlurbG)232. Die Gemeinden Boxberg und Assamstadt erließen 1980 die einander ergänzenden Bebauungspläne „Sondergebiet Prüfgelände“, mit deren Festsetzungen der 226  BVerfGE 66,

248 (257). 248 (257): „Erledigung einer dem Staat […] obliegenden Ange­ legenheit“; für eine Beschränkung der Enteignung auf solche Fälle hatte sich auch Böhmer in seinem Sondervotum, BVerfGE 56, 266 (279), ausgesprochen, vgl. oben Fn. 213. 228  BVerfGE 66, 248 (258). 229  BVerfGE 66, 248 (258 f.). 230  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (287); zu dieser Parallele vgl. auch Dietlein/Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 67. 231  BVerfGE 74, 264. 232  Die Normen finden sich auszugsweise abgedruckt in BVerfGE 74, 264 (266 ff.); zu unterscheiden ist die Unternehmensflurbereinigung von der Regelflurbereinigung bzw. der (städtebaulichen) Umlegung, hinsichtlich derer die Enteignungsqualität vom Bundesverfassungsgericht offengelassen wurde, vgl. hierzu Papier, Anmerkung (Fn. 61), S. 619 und Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1587. 227  BVerfGE 66,



III. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 198757

Daimler-Benz AG die Anlage eines Geländes zu Prüf-, Mess- und Erpro­ bungszwecken für Kraftfahrzeuge ermöglicht werden sollte233. Mit dem Vorhaben sollten ausweislich der Begründungen zu den Bebauungsplänen die Strukturschwäche des Raumes überwunden und neue Arbeitsplätze geschaf­ fen werden234. Ein vollständiger freihändiger Erwerb der vorgesehenen Flä­ chen seitens der Daimler-Benz AG scheiterte; auf Antrag der betroffenen Gemeinden ordnete das Landesamt für Flurbereinigung und Siedlung BadenWürttemberg ein Flurbereinigungsverfahren an, um die Bebauungspläne zu verwirklichen. Die hiergegen und gegen den Widerspruchsbescheid sowie gegen die hierzu ergangenen Urteile des Verwaltungsgerichtshofs BadenWürttemberg und des Bundesverwaltungsgerichts gerichtete Verfassungsbe­ schwerde hatte Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht maß der angeordneten Unternehmensflur­ bereinigung „enteignenden Charakter“ zu und beurteilte sie verfassungsrecht­ lich anhand von Art. 14 Abs. 3 GG235: Enteignungsrechtlich komme „der Person des Begünstigten keine ausschlaggebende Bedeutung bei der Beurtei­ lung der Verfassungsmäßigkeit“ zu236; es komme vielmehr auf einen „quali­ fizierten Enteignungszweck – das Wohl der Allgemeinheit“237 an. In diesem Zusammenhang reiche nicht „jedes beliebige öffentliche Interesse aus“; vielmehr verlange eine Enteignung ein „besonders schwerwiegendes, drin­ gendes öffentliches Interesse“238. Eine privatbegünstigende Enteignung, „bei der Eigentum zwangsweise von einem Staatsbürger auf den anderen239 über­ tragen werden soll, die nur mittelbar dem Gemeinwohl dient und die in er­ höhtem Maße der Gefahr des Mißbrauchs zu Lasten des Schwächeren ausge­ setzt“ sei, werfe aber „besondere verfassungsrechtliche Probleme auf“240. Bei solchen Enteignungen sei zu beachten, dass der Private in erster Linie privat­

233  BVerfGE 74,

264 (265). 264 (266). 235  BVerfGE 74, 264 (279 f.). 236  BVerfGE 74, 264 (284 f.); insbesondere von Böhmer, Sondervotum BVerfGE 56, 266 (287) war das noch anders gesehen worden, vgl. hierzu auch Papier, Anmerkung (Fn. 61), S. 619 und Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1587 f. 237  BVerfGE 74, 264 (284 f.). 238  BVerfGE 74, 264 (289). 239  Vgl. hierzu auch L. Gramlich, Anmerkung zu BVerfG, Urt. vom 24.3.1987 – 1 BvR 1046/85, abgedruckt in DÖV 1987, S. 488 ff., in: DÖV 1987, S. 596 (596), der davon ausgeht, dass diese Formulierung des Bundesverfassungsgerichts „ausländische Begünstigte wohl nicht von vornherein negieren“ wollte; zur komplementären Frage, wer Destinatar des Gemeinwohls sein kann, insbesondere im Hinblick auf grenzüber­ schreitende Sachverhalte, siehe unten Kapitel E. II. 2. c). 240  BVerfGE 74, 264 (285). 234  BVerfGE 74,

58

D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung

autonom eigene Interessen verfolge und nicht „unmittelbar staatliche Aufga­ ben“ erfülle241. Vor diesem Hintergrund müsse der Enteignungszweck hinreichend konkre­ tisiert sein. Der Gesetzgeber müsse unzweideutig entscheiden, „ob und für welche Vorhaben eine solche Enteignung statthaft sein soll“242; der Enteig­ nungszweck müsse so genau „gesetzlich“ beschrieben werden, dass „die Entscheidung über die Zulässigkeit der Enteignung insoweit nicht in die Hand der Verwaltung gegeben wird“243. Das Bundesverfassungsgericht diffe­ renziert in diesem Zusammenhang zwischen denjenigen Privatunternehmen, bei denen der Gemeinwohlbezug schon aus dem Geschäftsgegenstand des Unternehmens selbst folgt (insbesondere Unternehmen im Bereich der Da­ seinsvorsorge, z. B. „Verkehrs- oder Versorgungsbetriebe“244), und denjeni­ gen privaten Unternehmen, bei denen sich „der Nutzen für das allgemeine Wohl […] nur als mittelbare Folge der Unternehmenstätigkeit“ ergibt245. Im ersten Fall sei der Enteignungszweck bereits „von vornherein handgreiflich“246, im zweiten Fall müssten dem gegenüber „besondere Anforderungen an die gesetzliche Konkretisierung des […] Enteignungszwecks gestellt werden“247. Neben der Konkretisierung des Enteignungszwecks an sich bedürfe es „dif­ ferenzierter materiell- und verfahrensrechtlicher Regelungen, die sicherstel­ len, daß den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Gleichheit vor dem Gesetz […] im Einzelfall Rechnung getragen und […] die Erforderlichkeit der Enteignung geprüft wird“248. Insbesondere müsse das Gesetz Regelungen über die Voraussetzungen für das Vorliegen bzw. die Erreichbarkeit des jeweiligen Enteignungszwecks treffen bzw. Vorschriften darüber bereithalten, wie diese Voraussetzungen zu ermitteln seien249. Auch im Hinblick auf die vorzuneh­ mende Abwägung der Enteignungsbehörde mit anderen Belangen müsse das Gesetz zur Umsetzung von nur allgemein formulierten Gemeinwohlzielen, „also für die Gemeinwohlaktualisierung […] Anhaltspunkte für die Bewer­ tung der einzelnen widerstreitenden Interessen bieten“250. 241  BVerfGE 74,

264 (285). 264 (285). 243  BVerfGE 74, 264 (286). 244  BVerfGE 74, 264 (286). 245  BVerfGE 74, 264 (286). 246  BVerfGE 74, 264 (286). 247  BVerfGE 74, 264 (286); diese Vorgaben hält Papier, Anmerkung (Fn. 61), S. 619 f., für eine „Überdehnung oder Überforderung des enteignungsrechtlichen Ge­ setzesvorbehalts“; zur Reichweite des Gesetzesvorbehaltes und der notwendigen Konkretisierung des Enteignungszwecks siehe weiter unten Kapitel E. III. 248  BVerfGE 74, 264 (286). 249  BVerfGE 74, 264 (293). 250  BVerfGE 74, 264 (293). 242  BVerfGE 74,



III. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 198759

Weiter müsse bei der privatbegünstigenden Enteignung gewährleistet sein, „daß der im Allgemeininteresse liegende Zweck der Maßnahme erreicht und dauerhaft gesichert wird“251. Der Gemeinwohlbezug dürfe kein „bloßer tat­ sächlicher Reflex“ bleiben, sondern müsse „auf Dauer garantiert“ sein252. Auch im Hinblick auf dieses Sicherungserfordernis differenziert das Bundes­ verfassungsgericht nach obigem Muster: Ergebe sich der Gemeinwohlbezug bereits aus dem Geschäftsgegenstand, genüge es, „wenn hinreichende Vor­ kehrungen dafür getroffen sind, daß die selbstgestellte ‚öffentliche Aufgabe‘ ordnungsgemäß erfüllt wird“253. Bei nur mittelbareren Folgen der Unterneh­ menstätigkeit für das Gemeinwohl sei „eine gesetzlich vorgesehene effektive rechtliche Bindung des begünstigten Privaten an das Gemeinwohl notwen­ dig“254. Das Gesetz müsse selbst Vorkehrungen treffen oder die Grundlagen für solche Vorkehrungen schaffen255. Dabei müssten die Sicherungsvorkeh­ rungen über die bloße Realisierung des Vorhabens hinausgehen256. Die bloße Wirtschaftskraft des begünstigen Unternehmens im Sinne eines „Vertrauens­ vorschusses“257 könne im Einzelfall eine solche Sicherung darstellen, müsse sich aber ebenfalls aus dem Gesetz ergeben258. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts genügten die Normen des Bundesbaugesetzes, auf welche die Flurbereinigung gestützt worden war, diesen Anforderungen nicht. Die Enteignungszwecke der Stärkung der regio­ nalen Wirtschaftsstruktur bzw. der Schaffung von Arbeitsplätzen seien dem Bundesbaugesetz nicht in ausreichend konkretisierter Art und Weise zu ent­ nehmen259, ebenso wenig regele das Bundesbaugesetz die für eine Enteig­ 251  BVerfGE 74,

264 (286). 264 (286). 253  BVerfGE 74, 264 (286). 254  BVerfGE 74, 264 (286); Kritik hieran äußert Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588, der eine Verschärfung der Anforderungen für Enteignungen zuguns­ ten Privater nicht einsichtig findet, da es auch auf Hoheitsseite zu „Interessenverfeh­ lungen“ kommen könne; ähnlich auch Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1668 f. 255  BVerfGE 74, 264 (295); wenn das Gesetz nicht selbst Sicherungsvorkehrungen treffe, sondern nur die Grundlagen für solche Vorkehrungen schaffe, müssten nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dennoch stets die Mindestanforderungen im Gesetz selbst geregelt werden, BVerfGE 74, 264 (296). Diesbzgl. wiederholt Papier, Anmerkung (Fn. 61), S. 620, seine Kritik („Überdehnung des enteignungsrecht­ lichen Gesetzesvorbehalts“): Er hält auch die Sicherung durch Verwaltungsakt, durch die Enteignungsverfügung selbst bzw. durch einen Vertrag für ausreichend; zur aus­ reichenden Sicherung vgl. weiter unten Kapitel E. IV. 256  BVerfGE 74, 264 (295). 257  Zur Möglichkeit der ausreichenden Sicherung durch einen „Vertrauensvor­ schuss“ siehe unten Kapitel E. IV. 3. c) bb) (3) (c). 258  BVerfGE 74, 264 (296). 259  BVerfGE 74, 264 (287 ff.). 252  BVerfGE 74,

60

D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung

nung notwendigen Voraussetzungen für das Vorliegen des Enteignungszwecks bzw. Anhaltspunkte hinsichtlich der Gemeinwohlaktualisierung für die Ab­ wägung der Enteignungsbehörde260. Schließlich treffe das Bundesbaugesetz auch keine Sicherungsvorkehrungen für die Bindung des Enteignungsbe­ günstigten an das Allgemeinwohl oder schaffe entsprechende Grundlagen hierfür261. Am Schluss seiner Ausführungen weist das Bundesverfassungsgericht auf verschiedene gesetzgeberische Möglichkeiten zur Verwirklichung eines sol­ chen Großvorhabens hin. Zum einen hält das Gericht ein abstrakt-generelles „Strukturverbesserungs- und Industrieansiedlungsgesetz“ für möglich, auch wenn es diesem „nicht unerhebliche Schwierigkeiten“ attestiert262. Zum an­ deren nennt es die „Möglichkeit eines auf dieses Projekt beschränkten Gesetzes“263. Dass das Bundesverfassungsgericht mit letzterer Möglichkeit vermutlich in erster Linie auf die grundsätzliche Zulässigkeit von „Spezial­ enteignungsgesetzen“ hinweisen wollte und mit dem Urteil nicht etwa – wie von Teilen der Literatur vermutet264 – die Voraussetzungen an eine Legalent­ eignung gelockert werden sollten, wurde bereits an anderer Stelle ausge­ führt265.

IV. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2013 (Garzweiler), BVerfGE 134, 242 In seinem Urteil zur Realisierung des Braunkohlentagebauvorhabens Garz­ weiler266 konkretisierte und modifizierte das Bundesverfassungsgericht sei­ nen im Boxberg-Urteil aufgeworfenen Prüfungsmaßstab. In dem Verfahren ging es unter anderem um die Inanspruchnahme eines Grundstücks im Wege der bergrechtlichen Grundabtretung nach §§ 77 ff. BBergG267. Das streitge­ 260  BVerfGE 74,

264 (293). 264 (295). 262  BVerfGE 74, 264 (297). 263  BVerfGE 74, 264 (297). 264  Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 665; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 66; Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1589; Papier, Anmerkung (Fn. 61), S. 621, und Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 286. 265  Siehe hierzu oben Kapitel B. III. 3. a). 266  BVerfGE 134, 242; vgl. zum Urteil etwa W. Durner/F. Karrenstein, Anmerkun­ gen zum Urt. des BVerfG in der Rechtssache „Garzweiler“, in: DVBl. 2014, S. 182 ff. oder C. Ziehm, Neue Braunkohlentagebaue und Verfassungsrecht – Konsequenzen aus dem Garzweiler-Urt. des BVerfG vom 17.12.2013, in: ZUR 2014, S. 458 ff. 267  BVerfGE 134, 242 (246 Rn. 9 ff.; 259 Rn. 52); nach § 79 Abs. 1 i. V. m. § 77 BBergG ist eine Grundabtretung, ein bergrechtliches Instrument zum Eigentumsent­ zug, „im einzelnen Fall zulässig, wenn sie dem Wohle der Allgemeinheit dient, insbe­ 261  BVerfGE 74,



IV. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 201361

genständliche Grundstück des Beschwerdeführers, eines anerkannten Natur­ schutzverbandes, lag innerhalb der Abbaufläche des mit Bescheid vom 22. Dezember 1997 zugelassenen Rahmenbetriebsplans für den Tagebau Garzweiler I/II268 der RWE Power AG. Das Grundeigentum des Beschwerde­ führers wurde mit Grundabtretungsbeschluss vom 9. Juni 2005 entzogen und auf die RWE Power AG übertragen269. Das Bundesverfassungsgericht hatte schließlich über die gegen den Grundabtretungsbeschluss und gegen die seine Rechtmäßigkeit bestätigenden vorinstanzlichen Gerichtsentscheidungen sowie mittelbar gegen die zugrundeliegenden Normen §§ 77 und 79 BBergG gerichtete Verfassungsbeschwerde270 zu entscheiden. Die Verfassungsbe­ schwerde hatte teilweise Erfolg271. Das Bundesverfassungsgericht maß der Grundabtretung Enteignungsquali­ tät zu und beurteilte sie verfassungsrechtlich nach Art. 14 Abs. 3 GG272. Dem Gesetzgeber stehe bei der Festlegung der Gemeinwohlziele ein „weiter Spiel­ raum“ zu, der nur „eingeschränkter verfassungsgerichtlicher Kontrolle“ zu­ gänglich sei273. Die Verfassung schließe nur ausschließlich im Privatinteresse und im rein fiskalischen Interesse liegende sowie solche Enteignungszwecke aus, die vom „Grundgesetz missbilligte Ziele verfolgen“274. Allerdings müsse das Gemeinwohlziel „von besonderem Gewicht“ sein275. Die Versorgung des Marktes mit Rohstoffen stelle vor diesem Hintergrund ein zulässiges Ge­ meinwohlziel dar276. Das Bundesverfassungsgericht wies zugleich darauf hin, dass die Einschätzung des Gesetzgebers über eine Enteignung rechtferti­ gende Allgemeinwohlbelange sich im Laufe der Zeit ändern könne277. sondere die Versorgung des Marktes mit Rohstoffen, die Erhaltung der Arbeitsplätze im Bergbau, den Bestand oder die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur oder der sinnvolle und planmäßige Abbau der Lagerstätte gesichert werden sollen, und der Grundabtretungszweck unter Beachtung der Standortgebundenheit des Gewinnungs­ betriebes auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann“. 268  BVerfGE 134, 242 (258 Rn. 49). 269  BVerfGE 134, 242 (259 Rn. 52). 270  BVerfGE 134, 242 (284 Rn. 148). 271  BVerfGE 134, 242 (284 Rn. 147 ff.). 272  BVerfGE 134, 242 (288 Rn. 159, 162, 164). 273  BVerfGE 134, 242 (292 Rn. 172). 274  BVerfGE 134, 242 (293 Rn. 172); bzgl. ausschließlich privater Interessen unter Hinweis auf das Boxberg-Urteil, BVerfGE 74, 264 (284 ff.), bzgl. der rein fiskali­ schen Interessen unter Hinweis auf BVerfGE 38, 175 (179 f.). Zu den bereits durch das Grundgesetz selbst ausgeschlossenen Enteignungszwecken siehe weiter unten Kapitel E. II. 1. b). 275  BVerfGE 134, 242 (293 Rn. 173) unter Verweis auf E 74, 264 (289). 276  BVerfGE 134, 242 (303 f. Rn. 201 f.). 277  BVerfGE 134, 242 (292 Rn. 171); ähnlich schon E 52, 1 (30); 70, 191 (201); hier weist W. Frenz, Braunkohlentagebau und Verfassungsrecht, in: NVwZ 2014,

62

D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung

Hinsichtlich der Konkretisierung des jeweiligen Gemeinwohlziels in den Enteignungsgesetzen komme es zunächst darauf an, ob dieses unmittelbar durch die einzelne Enteignung erreicht werde oder ob zur Verwirklichung des Gemeinwohlziels noch ein Zwischenschritt in Gestalt einer Vorhabenrealisie­ rung notwendig sei278. In ersterem Fall genüge allein eine „präzise Bestim­ mung des Enteignungsziels“, in welcher „das letztlich verfolgte Gemeinwohl­ ziel erkennbar“ werde279, in letzterem Fall müsse zusätzlich auch das Vorha­ ben „seiner Art nach“ beschrieben werden280. Bzgl. der jeweiligen Bestimmt­ heit von Gemeinwohlziel und Vorhaben komme es auf ein Zusammenspiel der beiden Elemente an: Je eindeutiger sich das eine schon seiner Art nach aus der gesetzlichen Beschreibung des anderen ergebe, desto ungenauer dürfe es selbst festgelegt werden281. Während das Bundesverfassungsgericht die Inten­ sität der Konkretisierung des Enteignungszwecks in seinem Boxberg-Urteil noch in erster Linie vom Geschäftsgegenstand abhängig gemacht hat282, geht es nun zwar immer noch davon aus, dass an eine privatbegünstigende Enteig­ nung „erhöhte Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit der gesetzli­ chen Enteignungsregeln zu stellen“283 seien, erweitert seine Formel aber um die Betrachtung auch der von den Unternehmen konkret verfolgten Vorhaben. Das hinter der Grundabtretung stehende Gemeinwohlziel der Versorgung des Marktes mit Rohstoffen (§ 79 Abs. 1 Alt. 1 BBergG) sei ob der Begrenzung auf Bodenschätze gem. § 3 BBergG auch hinreichend bestimmt284. Hinsicht­ lich der Erhaltung der Arbeitsplätze im Bergbau (§ 79 Abs. 1 Alt. 2 BBergG) und des Bestands oder der Verbesserung der Wirtschaftsstruktur (§ 79 Abs. 1 Alt. 3 BBergG) lässt das Bundesverfassungsgericht – wie schon im BoxbergS. 194 (196 f.), etwa auf die sich wandelnden Ziele auf dem Gebiet des Klimaschut­ zes hin, insbesondere auf die stetig diskutierte Beendigung der Braunkohlenverstro­ mung. Auch Ziehm, Braunkohlentagebaue (Fn. 266), S. 461 f. thematisiert in diesem Zusammenhang die besondere Bedeutung der Energiewende; vgl. außerdem Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1664 („Eigentumsgarantie [steht] im Wandel der Zeit und der Anschauungen“). 278  BVerfGE 134, 242 (294 Rn. 176). 279  BVerfGE 134, 242 (294 Rn. 176). 280  BVerfGE 134, 242 (294 Rn. 176). 281  BVerfGE 134, 242 (294 Rn. 176); vgl. zu dieser Formel insbesondere Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 345, der hierin zwar eine „gehaltvolle Maßgabe“ erkennt, aber zugibt, dass dadurch kein „messerscharfes Raster“ geschaffen werde. Auf den Punkt gebracht fasst B. Dammert, Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Braunkohlentagebau Garzweiler II, in: jM 2014, S. 288 (289), die Formel zu­ sammen: „Die Anforderungen an die Konkretisierung hängen davon ab, wie genau jeweils das komplementäre Element gesetzlich geregelt ist“. 282  Enteignungszweck bereits „handgreiflich“ bei Unternehmen der Daseinsvor­ sorge, bei anderen Unternehmen hingegen nicht, vgl. BVerfGE 74, 264 (286). 283  BVerfGE 134, 242 (295 Rn. 180). 284  BVerfGE 134, 242 (304 Rn. 201 f.).



IV. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 201363

Urteil285 – offen286, ob diese Gemeinwohlziele als hinreichend bestimmt zu qualifizieren sind, meldet hierfür allerdings Zweifel an287. In Bezug auf das Sicherungsobjekt stellt das Bundesverfassungsgericht nicht mehr auf eine Bindung unmittelbar an das Gemeinwohlziel selbst im Sinne einer Erfolgssicherung288 ab, sondern lässt erkennen, dass auch die Sicherung einer auf das Gemeinwohlziel gerichteten dauerhaften Verwen­ dung des Enteignungsobjektes ausreichen kann289. Außerdem differenziert es hierbei – wie noch im Boxberg-Urteil – nicht mehr trennscharf danach, ob der Unternehmensgegenstand unmittelbar oder mittelbar dem Allgemeinwohl dient. Vielmehr wird eine „skalierende“290 Abwägung vorgenommen: „Die Sicherung der dauerhaften Gemeinwohlnutzung des enteigneten Gutes bedarf umso genauerer und detaillierterer gesetzlicher Vorgaben, je weniger schon der Geschäftsgegenstand des privaten Unternehmens, zu dessen Gunsten die Enteignung erfolgt, darauf ausgerichtet ist, dem gemeinen Wohl zu dienen“291. Je näher ein Unternehmen nach seinem Geschäftsgegenstand der Daseinsvor­ sorge zugeordnet werden könne, desto eher genüge weiter die bereits im Boxberg-Urteil geforderte Voraussetzung hinreichender Vorkehrungen für eine ordnungsgemäße Erfüllung der „selbstgestellten ‚öffentlichen‘ Auf­ gabe“292. Als Sicherungsmittel nennt das Gericht „gesetzliche Verpflichtun­ gen gegenüber anderen Privaten oder der Allgemeinheit oder […] geeignete und effektive Zulassungs-, Überwachungs- und Eingriffsrechte einer Be­ hörde“293. Die Anführung dieser Regulierungsinstrumente zeigt ebenfalls, 285  BVerfGE 74,

264 (287). Kukk, Rechtsschutz (Fn. 96), S. 92 f., nach dessen Verständnis das Urteil sich gegen die Anerkennung solcher Gemeinwohlziele ausspricht. 287  BVerfGE 134, 242 (305 Rn. 204). 288  Vgl. noch die Formulierung in BVerfGE 74, 264 (286): Sicherung des „im Allgemeininteresse liegende[n] Zweck[s]“. 289  BVerfGE 134, 242 (295 Rn. 179): „Regelungen, die sicherstellen, dass begüns­ tigte Private das enteignete Gut zur Verwirklichung des die Enteignung legitimieren­ den Ziels verwenden werden und dass diese Nutzung dauerhaft erfolgt, soweit sie nicht der Natur der Verwendung gemäß auf eine einmalige Inanspruchnahme be­ schränkt ist“ (Hervorhebungen nicht i. O., L. C.). 290  Höfling/Stöckle, Enteignung (Fn. 8), S. 1178. 291  BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 181) unter Verweis auf E 74, 264 (285). 292  BVerfGE 134, 242 (306 f. Rn. 207) unter Hinweis auf E 74, 264 (286): Weil die Versorgung des Marktes mit Rohstoffen als der hier maßgebliche Enteignungs­ zweck nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bereits durch die Gewinnung des Rohstoffes und dessen Veräußerung auf dem Markt erreicht wurde, rückte es private Bergbauunternehmen in die Nähe von Unternehmen der Daseinsvorsorge und wandte den für diese dargelegten Sicherungsmaßstab auch auf sie an. 293  BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 181); von Teilen der Literatur wird diese Formu­ lierung des Bundesverfassungsgericht so verstanden, dass die Einrichtung der behörd­ lichen Zulassungs-, Überwachungs- und Eingriffsrechte nicht notwendigerweise 286  A. A.

64

D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung

dass für das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Sicherungsobjektes nicht mehr ein Erfolg, sondern ein Verhalten des Enteignungsbegünstigten im Vordergrund steht. Wäre es anders, „bräuchte man keine behördlichen Auf­ sichts- und Eingriffsrechte, sondern könnte sogleich das Ergebnis fest­ schreiben“294. Das Bundesverfassungsgericht schichtet sodann die Erforderlichkeitsprü­ fung und die Prüfung der Verhältnismäßigkeit in zwei Stufen ab. Im Rahmen der Erforderlichkeit sei zu unterscheiden zwischen der Erforderlichkeit der konkreten Enteignungsmaßnahme für das Vorhaben und der Erforderlichkeit des Vorhabens für das Allgemeinwohl295. Die konkrete Enteignungsmaß­ nahme müsse sich für das Vorhaben als unverzichtbar darstellen, sie müsse das mildeste unter allen gleich geeigneten Mitteln sein296. Für die Erforder­ lichkeit des Vorhabens genüge demgegenüber, dass es „zum Wohl der Allge­ meinheit vernünftigerweise geboten ist“, also „einen substantiellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels“ leisten könne297. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung differenziert das Bundesver­ fassungsgericht wie bei der Erforderlichkeit zwischen der einzelnen Enteig­ nungsmaßnahme und dem Gesamtvorhaben298. Hinsichtlich der Enteignungs­ maßnahme dürfe der durch das entzogene Eigentumsrecht gewonnene Beitrag nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht des Eingriffs für den betroffenen Rechtsinhaber stehen299. Die Bedeutung des Vorhabens für das verfolgte Gemeinwohlziel müsse daneben in einem angemessenen Verhältnis zu den

durch ein Gesetz erfolgen müsse, siehe Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 171, der danach etwa die „Konstituierung behördlicher Sicherungsbefugnisse in Planfeststel­ lungsbeschlüssen“ für ausreichend hält; an diesem Verständnis bestehen allerdings vor allem angesichts anderer eindeutiger Passagen des Urteils Zweifel, vgl. z. B. BVerfGE 134, 242 (295 Rn. 179): „gesetzliche Regeln“ oder E 134, 242 (296 Rn. 181): „gesetzliche[r] Vorgaben“; für letzteres Verständnis wohl auch F. Shirvani, Eigentumsschutz und Energiepolitik, in: EnWZ 2015, S. 3 (8). 294  M. Neupert, Die Sicherung von Enteignungszwecken, in: ZfB 2014, S. 116 (135). 295  BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 182). 296  BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 183). 297  BVerfGE 134, 242 (297 Rn. 184); vgl. im Gegensatz hierzu noch die Formulie­ rung in BVerfGE 38, 175 (180) „zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe unumgäng­ lich erforderlich“. Diese auf den ersten Blick konträren Anforderungen an die Erfor­ derlichkeit dürften indes nur scheinbar gegensätzlich und in erster Linie der erst in BVerfGE 134, 242 (296 ff.) vom Bundesverfassungsgericht eingeführten zweistufigen Abschichtung der Erforderlichkeitsprüfung geschuldet sein. Auf der ersten Stufe fin­ det sich weiterhin das strenge Kriterium der „Unverzichtbarkeit“. 298  BVerfGE 134, 242 (298 Rn. 186). 299  BVerfGE 134, 242 (298 Rn. 187).

V. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Dezember 2016 65

durch das Vorhaben beanspruchten Belangen stehen300. Wie schon im Box­ berg-Urteil ausgeführt, hält es das Bundesverfassungsgericht auch in diesem Urteil für notwendig, hinsichtlich der Gesamtabwägung im Gesetz ausdrück­ liche Vorgaben zu schaffen301. Zusammengefasst lässt sich diese zweistufig abgeschichtete Prüfung von Erforderlich- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aufgliedern in die Betrachtung des „Entziehungszwecks“ (1. Stufe) bzw. des „Enteignungszwecks“ (2. Stufe)302.

V. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Dezember 2016(NRWRohrlG) Der Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Dezember 2016303 behandelte eine Richtervorlage durch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen gemäß Art. 100 Abs. 1 Alt. 2 GG. Die Vorlage vom 28. August 2014 betraf die Frage, ob das Gesetz über die Er­ richtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen (NRWRohrlG) vom 21. März 2006304 mit Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG vereinbar ist305. Die zweite Kammer des Ersten Senats stellte die Unzulässigkeit der Vorlage fest. Das Bundesverfassungsgericht führte hierzu zunächst aus, Regelungsge­ genstand des NRWRohrlG sei eine Enteignung zugunsten Privater306. Sodann wiederholte es im Wesentlichen die im Garzweiler-Urteil aufgestellten Min­ destanforderungen hinsichtlich der Konkretisierung des jeweiligen Enteig­ nungszwecks307 und den Sicherungsanforderungen in Bezug auf das Gemein­ wohlziel308. Die Enteignungszwecke aus § 2 NRWRohrlG seien geeignet, 300  BVerfGE 134, 242 (298 Rn. 188); der Enteignungsbetroffene kann nach dieser Rechtsprechung gegen das Gesamtvorhaben neben seinem eigenen Eigentum auch die Eigentumsrechte anderer betroffener Eigentümer sowie dem Vorhaben entgegen­ stehende öffentliche, auch nicht per se drittschützende Belange vorbringen, vgl. Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 347. 301  BVerfGE 134, 242 (307 Rn. 210). 302  Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 169; zum Inhalt dieser Begriffe vgl. auch Kapitel E. I. 2. 303  BVerfG NVwZ 2017, 399–403. 304  GV.NRW. 2006, S. 130, in Kraft getreten am 6.4.2006. 305  Zu den enteignungsrechtlichen Regelungen des NRWRohrlG siehe bereits oben Kapitel C. II. 5. b). 306  BVerfG NVwZ 2017, 399 (400 Rn. 19). 307  BVerfG NVwZ 2017, 399 (400 f. Rn. 20–23). 308  BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 25–27, 35 ff.); insbesondere komme es auf die „Sicherung der dauerhaften Gemeinwohlnutzung des enteigneten Gutes“, nicht auf die „Sicherung eines Erfolges“ an (Hervorhebung nicht i. O., L. C.).

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D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung

eine Enteignung zu rechtfertigen, und auch hinreichend gewichtig309. Insbe­ sondere im Hinblick auf das Ziel der „Sicherung der Versorgung der Indus­ trie mit Kohlenmonoxid“ und die Gewährleistung eines „diskriminierungs­ freien Zugangs bei hoher Verfügbarkeit“ sei hier dem weiten gesetzgeberi­ schen Spielraum Rechnung zu tragen310. Die Enteignungszwecke seien im Gesetz auch hinreichend bestimmt311: Angesichts der Angaben im Gesetz selbst und den zur Auslegung heranzuzie­ henden Gesetzesmaterialien312 sei das Vorhaben durch die Nennung der konkret eingebundenen Industriestandorte, der Größenordnung der betroffe­ nen Arbeitsplätze, der ungefähren Lage (Start- und Endpunkt) und Länge der Rohrleitung, der durchzuleitenden Stoffe sowie des Betreibers genau be­ schrieben und infolgedessen auch die bezweckte Förderung wirtschaftlicher Strukturen klar konturiert313. Offen ließ die Kammer allerdings, wie es sich mit der Bestimmtheit des Enteignungszwecks „Verbesserung der Umwelt­ bilanz der Kohlenmonoxidproduktion“ verhält314. 309  BVerfG

NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 29 f.). NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 31); letzterer Enteignungszweck wird ins­ besondere kritisiert von Hoops, Schutz (Fn. 8), S. 1497, der andeutet, das Bundesver­ fassungsgericht lasse hierdurch die Enteignung zu rein privatnützigen Zwecken zu. Dabei scheint er jedoch zu verkennen, dass von dem „diskriminierungsfreien Zugang bei hoher Verfügbarkeit“ zwar auf den ersten Blick nur die beteiligten Industrieunter­ nehmen profitieren und das transportierte CO nicht unmittelbar durch die Gesellschaft nutzbar ist, durch die ständige Verfügbarkeit des Rohstoffes nach der Intention des Gesetzgebers aber der Standort unterschiedlichster Unternehmen und gleichsam der Erhalt von Arbeitsplätzen gesichert werden soll und die Pipeline dadurch dem Allge­ meinwohl dient, vgl. NRW LT-Drs. 14/909, S. 6 f. Diese so dem Allgemeinwohl die­ nende hohe Verfügbarkeit von CO wird nach der Intention des Gesetzgebers u. a. da­ durch erreicht, dass die Rohrleitung für jeden potenziellen Nutzer zu gleichen Bedin­ gungen geöffnet und bereitgestellt wird, NRW LT-Drs. 14/909, S. 7. Vor diesem Hintergrund des gesetzgeberischen Willens ist die Befürchtung von Hoops zurückzu­ weisen. Insofern ist aber zuzugeben, dass die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Koh­ lenmonoxidversorgung (§ 2 Nr. 1 NRWRohrlG), der Ausbau und die Stärkung des Verbundes von Standorten und Unternehmen (§ 2 Nr. 2 NRWRohrlG) sowie die Ge­ währleistung des diskriminierungsfreien Zugangs bei hoher Verfügbarkeit (§ 2 Nr. 3 NRWRohrlG) jeweils für sich genommen und ohne Betrachtung weiterer Folgewir­ kungen in der Tat nur privaten Interessen dienen, vgl. hierzu auch Ogorek, Eigentum (Fn. 8), S. 472. Unter Anschauung aber des hinter allem stehenden Gemeinwohlziels, die Wirtschaftsstruktur zu stärken und Arbeitsplätze zu sichern (NRW LT-Drs. 14/909, S. 6 f.), stellen sich diese Zwecke als Zwischenziele auf dem Weg zur Realisierung dieses Hauptziels und insoweit selbst als gemeinwohlbezogen dar. 311  BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 32). 312  Vgl. hierzu NRW LT-Drs. 14/909. 313  BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 32). 314  Vgl. hierzu Ogorek, Eigentum (Fn. 8), S. 472, der die hinreichende Konkreti­ sierung dieses Gemeinwohlziels als „völlig im Ungefähren“ verbleibend ablehnt; zur 310  BVerfG



VI. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2017 67

Ferner sei es nicht zu beanstanden, die Gesamtabwägung über eine Enteig­ nung der Behörde zu überlassen, diese müsse nur „gesetzlich vorgesehen sein“; der Gesetzgeber müsse diese Gesamtabwägung nicht selbst vorneh­ men315. Dies sei nur erforderlich in Fällen der Legalplanung316. Anders als noch im Boxberg-Urteil gefordert317, geht das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang allerdings nicht mehr darauf ein, ob das Gesetz ggf. Anhaltspunkte hinsichtlich der Gemeinwohlaktualisierung für die Bewertung der widerstreitenden Interessen vorsehen muss318. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Garzweiler-Urteils sei im Hin­ blick auf das Sicherungsobjekt „nicht die dauerhafte Sicherung eines Er­ folgs“, sondern die Sicherung der dauerhaften Verwendung des enteigneten Gutes zur Verwirklichung des Enteignungszwecks erforderlich319. Die dauer­ hafte Bindung des Enteignungsbegünstigten an die gemeinwohlorientierte Nutzung des enteigneten Gutes sei im NRWRohrlG sichergestellt über die Begrenzung der Leitungsnutzung auf die Durchleitung bestimmter Kohlen­ monoxidgemische sowie das Erfordernis der Glaubhaftmachung der Nut­ zung320 des jeweils enteigneten Grundstücks zum vorgegebenen Zweck durch den Enteignungsbegünstigten321.

VI. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2017(BWEthylRohrlG) In seinem Kammerbeschluss (Nichtannahmebeschluss) vom 25. Januar 2017322 untersuchte das Bundesverfassungsgericht die Vorschriften des BWEthylRohrlG323 auf ihre verfassungsrechtliche Vereinbarkeit mit den An­ forderungen des Art. 14 Abs. 3 GG. Nach Auffassung der ersten Kammer des Ersten Senats genügten die gesetzlichen Regelungen „auch unter Berücksich­ Frage der hinreichenden Bestimmtheit von Gemeinwohlzielen siehe weiter Kapitel E. III. 3. b) bb). 315  BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 33). 316  BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 34); zur Legalenteignung im Gewande der Legalplanung vgl. oben Kapitel B. III. 1. 317  BVerfGE 74, 264 (293). 318  Hierauf weist Hoops, Schutz (Fn. 8), S. 1499, hin. 319  BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 36). 320  Dies hält Hoops, Schutz (Fn. 8), S. 1499, unter Hinweis auf eine fehlende ver­ tragliche Bindung bzw. die fehlende rechtliche Garantie für die tatsächliche Inbetrieb­ nahme der Leitung für nicht ausreichend. 321  BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 f. Rn. 38 f.). 322  BVerfG DVBl. 2017, 1174–1176. 323  Zu den enteignungsrechtlichen Regelungen des BWEthylRohrlG siehe bereits oben Kapitel C. II. 5. d).

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D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung

tigung der strengen Anforderungen an Enteignungen zugunsten Privater den verfassungsrechtlichen Anforderungen“324: Die Kammer konzentrierte sich in ihren Ausführungen auf das Gemein­ wohlziel der Transportsicherheit (§ 1 Abs. 2 Nr. 6 Alt. 2 BWEthylRohrlG). Jedenfalls diese sei als ausreichend gewichtiges und die Enteignung tragen­ des Gemeinwohlziel zu qualifizieren325. Dieses Ziel sei angesichts des Ge­ staltungsspielraums des Gesetzgebers nicht zu beanstanden und auch nicht aufgrund von ausschließlicher Privatnützigkeit bzw. der Unvereinbarkeit mit verfassungsrechtlichen Wertungen von vornherein ausgeschlossen326. Das Gemeinwohlziel sei im Gesetz hinreichend bestimmt327, auch das Vorhaben selbst sei angesichts der Angabe von Start- und Endpunkt der Rohrleitung ausreichend konkretisiert328. Das Enteignungsgesetz sehe auch eine „ausreichende dauerhafte Sicherung des im Allgemeininteresse liegen­ den Zwecks der Maßnahme“ vor329. Anders als im Beschluss zum NRW­ RohrlG angeklungen, rückt das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Sicherungsobjekts damit nicht ein Verhalten des Enteignungsbegünstigten im Hinblick auf seine Verwendung des enteigneten Gutes in den Mittelpunkt, sondern stellt unter Hinweis auf das Boxberg-Urteil ab auf eine „Bindung des begünstigten Privaten an das Gemeinwohl“ bzw. auf eine Sicherung der „Erreichung des Gemeinwohlziels“330, was auf eine erfolgsbezogene Siche­ rungspflicht hindeutet. Gleichzeitig wird aber an anderer Stelle das Garz­ weiler-Urteil herangezogen und auf die „Sicherung der dauerhaften Gemein­ wohlnutzung“331 (Hervorhebung durch den Verfasser) hingewiesen, was einer solchen Wertung wiederum entgegensteht. Da in dem Fall der Ethylen-Pipe­ line-Süd die Verbesserung der Transportsicherheit durch die Errichtung und den ordnungsgemäßen Betrieb der Anlage erreicht und also der Erfolg des Gemeinwohlziels unmittelbar über die Nutzung des enteigneten Gutes selbst realisiert wird332, macht die Differenzierung zwischen Verwendungs- und 324  BVerfG DVBl. 2017,

1174 (1175 Rn. 33 ff.). 1174 (1175 Rn. 38 ff.); Bedenken meldet Ogorek, Eigen­ tum (Fn. 8), S. 470, an, der für eine Gemeinwohldienlichkeit der Transportsicherheit voraussetzt, dass der Transport selbst dem Gemeinwohl diene. Zu diesem Gedanken vgl. weiter unten Kapitel E. II. 1. d) cc). 326  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 Rn. 39). 327  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1176 Rn. 44). 328  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 Rn. 43 ff.). 329  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1176 Rn. 47). 330  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1176 Rn. 47). 331  BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 37 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt). 332  Anders im Fall der Kohlenmonoxid-Rohrleitungsanlage in NRW, bei dem die Erfolgsrealisierung der Gemeinwohlziele „Stärkung der Wirtschaftskraft“ bzw. „Er­ 325  BVerfG DVBl. 2017,



VII. Aktueller Befund69

Erfolgsbezogenheit der Sicherungsverpflichtung zwar für die Auswirkungen in concreto keinen Unterschied. Hinsichtlich des generellen Umgangs mit den Sicherungsanforderungen bei Enteignungen zugunsten Privater zeugt der Beschluss allerdings von verbleibenden Unsicherheiten. Unabhängig von dem letztlich zu sichernden Bezugsobjekt333 stellten nach Ansicht der Kammer insbesondere der im Gesetz vorgesehene, sanktionsbe­ wehrte öffentlich-rechtliche Vertrag zwischen dem Begünstigten und dem Land Baden-Württemberg sowie das ebenfalls statuierte Verfahren über die Rückenteignung taugliche Sicherungsmittel dar334.

VII. Aktueller Befund In Ansehung der erläuterten Judikate zum Themenkomplex der Enteignung zugunsten Privater stellen sich die durch das Bundesverfassungsgericht ent­ wickelten Maßstäbe für die Beurteilung einer solchen Enteignung zusam­ mengefasst aktuell wie folgt dar: 1. Grundsätzliche Zulässigkeit der Enteignung zugunsten Privater Enteignungen zugunsten Privater sind von Verfassung wegen nicht von vornherein ausgeschlossen. Sie unterliegen aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besonderen Anforderungen (siehe hierzu im Folgenden). Enteignungen zugunsten Privater sind nicht nur bzgl. Unternehmen der Daseinsvorsorge335 zulässig. Seit dem Boxberg-Urteil336 ist in der bundesver­ fassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass auch zugunsten von sol­ chen Unternehmen enteignet werden kann, deren Geschäftsgegenstand nur mittelbar dem Allgemeinwohl dient. In der Folge kann bei der Enteignung zugunsten Privater die Verwendung des enteigneten Gutes entweder unmit­ telbar dem Allgemeinwohl dienen (bezeichnet als Enteignung zugunsten Privater im engeren Sinne) oder auch nur als Nebenfolge mittelbar dem All­ gemeinwohl zugutekommen (bezeichnet als Enteignung zugunsten Privater im weiteren Sinne)337. halt von Arbeitsplätzen“ erst mittelbar nach Einrichtung der Rohrleitung als Folge­ wirkung beabsichtigt ist. 333  Hierzu siehe unten im Einzelnen Kapitel E. IV. 3. c) aa). 334  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1176 Rn. 47). 335  Hierzu noch Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (287), und E 66, 248 (257). 336  BVerfGE 74, 264. 337  Zu dieser Unterscheidung siehe schon Kapitel B. IV.; bei Enteignungen zu­ gunsten von Rohrleitungsvorhaben können beide Fallgruppen eine Rolle spielen.

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D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung

2. Allgemeinwohl: Weite Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers Auch die Enteignung zugunsten Privater ist nur zum Wohle der Allge­ meinheit zulässig. Bei der Auswahl der Allgemeinwohlziele kommt dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum zu; von vornherein ausgeschlossen sind nur ausschließlich private338, rein fiskalische339 und vom Grundgesetz miss­ billigte Interessen340. Nur ein Allgemeinwohl von besonderem Gewicht kann eine Enteignung rechtfertigen341. Allgemeinwohlziele, die grundsätzlich, d. h. ohne Beachtung der zusätzlich erforderlichen hinreichenden gesetzlichen Präzisierung eine Enteignung zu rechtfertigen vermögen, sind in der bundes­ verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung insbesondere folgende gewesen (nicht abschließend): Die öffentliche Energieversorgung342, die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur343, insbesondere bezogen auf einen bestimmten Sek­ tor und die Sicherung von Arbeitsplätzen344, die Versorgung des Marktes mit Rohstoffen345, die Sicherung der Versorgung der Industrie mit Kohlenmon­ oxid346 oder auch die Verbesserung der Transportsicherheit347. 3. Hinreichende gesetzliche Konkretisierung von Vorhaben und Gemeinwohlziel Das Vorhaben, zugunsten dessen enteignet werden soll, und das damit verfolgte Gemeinwohlziel müssen gesetzlich hinreichend bestimmt sein. Auf einer ersten Stufe richtet sich die Konkretisierungslast danach, ob das Gemeinwohlziel unmittelbar durch die Enteignung erreicht wird oder noch die Realisierung eines Vorhabens erforderlich ist348. Sodann hängen die ­Anforderungen an die Konkretisierung von Vorhaben und Gemeinwohlziel wechselseitig von dem Konkretisierungsgrad des jeweils anderen Gegen­ stands ab349. An privatbegünstigende Enteignungen sind dabei nach der 338  BVerfGE 74,

264 (284 ff.). 175 (179 f.). 340  BVerfGE 134, 242 (292 Rn. 171). 341  BVerfGE 74, 264 (289); 134, 242 (293 Rn. 173). 342  BVerfGE 66, 248 (257). 343  BVerfGE 74, 264 (293). 344  BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 30). 345  BVerfGE 134, 242 (303 f. Rn. 201). 346  BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 32). 347  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 Rn. 38). 348  BVerfGE 134, 242 (293 f. Rn. 176). 349  BVerfGE 134, 242 (294 Rn. 176). 339  BVerfGE 38,



VII. Aktueller Befund71

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhöhte Anforderungen zu stellen350. Im Hinblick auf die Teststrecke Boxberg verneinte das Bundesverfassungs­ gericht eine hinreichende Konkretisierung des Gemeinwohlziels „Verbesse­ rung der Wirtschaftsstruktur“ in den Vorschriften des BauGB a. F. Im Garz­ weiler-Urteil bejahte es dagegen eine ausreichende Präzisierung des Gemein­ wohlziels „Versorgung des Marktes mit Rohstoffen“, insbesondere vor dem Hintergrund der übrigen Vorschriften des BBergG. In Bezug auf Rohr­ leitungsvorhaben sind insbesondere die jüngsten Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts von Bedeutung. Dem Beschluss in Sachen NRW­ RohrlG ist zu entnehmen, dass das Bundesverfassungsgericht für eine hinrei­ chende Präzisierung bei Rohrleitungsvorhaben die Angabe der Länge und Lage unter Anführung des Start- und Zielpunktes sowie des Betreibers und der Funktion der Rohrleitung ausreichen lässt351. Durch diese Vorhabenkon­ kretisierung ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch die bezweckte Verbesserung der Wirtschaftsstruktur klar konturiert. Ausweislich des Beschlusses in Sachen BWEthylRohrlG weist das Gemeinwohlziel „Transportsicherheit“ für das Bundesverfassungsgericht ebenfalls einen hin­ reichenden Konkretisierungsgrad auf352. Nach alldem hängt die Frage, ob Vorhaben und Gemeinwohlziel in dem jeweiligen Enteignungsgesetz hinreichend präzisiert sind, in der Rechtspre­ chung des Bundesverfassungsgerichts somit stark vom Einzelfall ab353. Wichtige Anforderung an die Konkretisierung bleibt allerdings immer, dass die Entscheidung, ob und für welche Vorhaben enteignet werden kann, nicht in die Hände der Verwaltung gegeben werden darf354. 4. Gesetzliche Sicherung dauerhafter Gemeinwohlnutzung Sicherungsobjekt ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge­ richts nicht ein bestimmter Erfolg355, sondern ein am Allgemeinwohl orien­ tiertes Verhalten im Hinblick auf die Nutzung des enteigneten Gutes zur Verwirklichung des Enteignungszwecks356. Sicherungsobjekt ist also nicht 350  BVerfGE 134,

242 (295 Rn. 180). NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 32). 352  Zu der Frage, in welcher Beziehung die „Transportsicherheit“ ein Gemein­ wohlziel darstellen kann, siehe Kapitel E. II. 1. d) cc). 353  Zu dem Versuch einer Abstrahierung der Konkretisierungsanforderungen auf Grundlage allgemeiner Rechtsgrundsätze vgl. Kapitel E. III. 3. 354  BVerfGE 74, 264 (286). 355  BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 36). 356  BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 181). 351  BVerfG

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D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung

der Enteignungszweck selbst als ein bestimmter Zielzustand; vielmehr sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Voraussetzun­ gen für das Erreichen dieses Zwecks zu sichern357. Je weniger das enteig­ nungsbegünstigte Unternehmen bereits seinem Geschäftsgegenstand nach auf das Allgemeinwohl ausgerichtet ist, je genauer und detaillierter müssen die gesetzlichen Sicherungsvorgaben358 sein359. Einige Stimmen in der Literatur scheinen die bundesverfassungsgericht­ liche Rechtsprechung zwar so zu verstehen, dass auf die Enteignung zuguns­ ten Privater i. e. S. das Garzweiler-Urteil und also eine nutzungs- bzw. verhal­ tensbezogene Sicherungspflicht und auf die Enteignung zugunsten Privater i. w. S. das Boxberg-Urteil und also eine erfolgsbezogene Sicherungspflicht Anwendung finden sollen360. Hiergegen ist allerdings einzuwenden, dass sich dem Garzweiler-Urteil eine Beschränkung der darin aufgestellten Anforde­ rungen nur auf Enteignungen zugunsten Privater i. e. S. nicht entnehmen lässt. Dass das Garzweiler Urteil sich dem gegenüber insbesondere im Hin­ blick auf die Anforderungen der Sicherungspflicht auf alle Fallgruppen der Enteignung zugunsten Privater beziehen sollte, macht vor allem folgende Passage deutlich: „Ordnet der Staat Enteignungen zugunsten Privater an, kann er sich trotz der grundsätzlichen Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) nicht ohne weiteres darauf verlassen, dass die enteignungsbegünstigten Privaten tatsächlich das Gemeinwohlziel verfolgen, das der Staat mit der Enteignung errei­ chen oder zumindest fördern will. Es bedarf daher in diesen Fällen gesetzlicher Regeln, die sicherstellen, dass begünstigte Private das enteignete Gut zur Verwirk­ lichung des die Enteignung legitimierenden Ziels verwenden werden und dass diese Nutzung dauerhaft erfolgt, soweit sie nicht der Natur der Verwendung gemäß auf eine einmalige Inanspruchnahme beschränkt ist (vgl. BVerfGE 38, 175 [180]; 74, 264 [286]).“361

Ohne zu viel in eine solche Textstelle hineininterpretieren zu wollen, macht gerade die Bezugnahme auf das Boxberg-Urteil aus BVerfGE 74, 264, also einer Entscheidung, die eine Fallkonstellation der privatbegünstigenden 357  Höfling/Stöckle,

Enteignung (Fn. 8), S. 1177. (gesetzlichen) Ausgestaltung der Sicherungsmittel, dem bisher vom Bun­ desverfassungsgericht nicht abschließend untersuchten Argument des „Vertrauensvor­ schusses“ und der Frage, inwieweit Vorgaben über die bloße Vorhabenrealisierung hinaus gemacht werden können, vgl. Kapitel E. IV. 359  BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 181). 360  So etwa Ogorek, Eigentum (Fn.  8), S. 471  f. und Hoops, Schutz (Fn. 8), S. 1500. 361  BVerfGE 134, 242 (295 Rn. 179); in die gleiche Stoßrichtung, ebenfalls unter Bezugnahme auf das Boxberg-Urteil auch E 134, 242 (296 Rn. 181): „Sicherung der dauerhaften Gemeinwohlnutzung des enteigneten Gutes“ (Hervorhebung nicht im i. O., L. C.). 358  Zur



VII. Aktueller Befund73

Enteignung i. w. S. behandelte, doch sehr deutlich, dass das Bundesverfas­ sungsgericht hinsichtlich der Anforderungen an die notwendigen Sicherungs­ maßnahmen alle Arten privatbegünstigender Enteignungen im Blick hatte362. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit seinem Urteil in Sachen NRW­ RohrlG folgerichtig pro verhaltens- bzw. verwendungsbezogener Sicherungs­ verpflichtung positioniert363. Wer der zweiten Kammer des Ersten Senats in diesem Zusammenhang „Kompetenzanmaßung“ vorwirft364, verkennt dabei die konsequente und deshalb richtige Anwendung der im Garzweiler-Urteil entwickelten Maßstäbe auf alle Fallgruppen privatbegünstigender Enteignun­ gen. Mit anderen Worten hat die Kammer die insofern eingeforderte „senats­ akzessorische Judikatur“365 – im Hinblick auf das nach dem Garzweiler-Urteil erforderliche Objekt der Sicherungsverpflichtung, nämlich die allgemein­ wohlorientierte Nutzung des enteigneten Gutes – gerade erfüllt. Der zuletzt ergangene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts in Sachen BWEthylRohrlG steht dem aufgezeigten Verständnis bundesverfassungsge­ richtlicher Rechtsprechung zwar nicht diametral entgegen, deutet aber den­ noch auf verbleibende Untersicherheiten des Gerichts im Umgang mit dem Sicherungserfordernis hin366. Im Rahmen einer Untersuchung der überhaupt zu einem Sicherungserfordernis führenden Risiken soll diesen Untersicher­ heiten in Kapitel E. IV. begegnet werden367. Zu zeigen wird sein, dass sich das jeweils zu sichernde Objekt nicht als statisch darstellt, sondern immer 362  Hinsichtlich der inhaltlichen Reichweite des Garzweiler-Urteils differenzieren G. Kühne, Verfassungsrechtliche Fragen der bergrechtlichen Enteignung, in: NVwZ 2014, S. 321 (323) und Shirvani, Eigentumsschutz (Fn. 293), S. 7 f., ebenfalls nicht zwischen den verschiedenen Fallgruppen; vgl. auch Höfling/Stöckle, Enteignung (Fn. 8), S. 1177 unter Hinweis auf die Tatsache, dass der „im Boxberg-Urteil formu­ lierte Satz von der notwendigen ‚effektiven rechtliche[n] Bindung des begünstigten Privaten an da Gemeinwohlziel‘ in Garzweiler nicht wiederholt“ werde. Zu berück­ sichtigen ist insbesondere auch, dass ein Mitglied des die Garzweiler-Entscheidung treffenden Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts in einem Aufsatz zum Thema ebenfalls nicht zwischen verschiedenen Arten privatbegünstigender Enteignungen unterscheidet, vgl. Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 345. Hermes, Energieversor­ gung (Fn. 8), S. 70 f., fasst das Garzweiler-Urteil, wie hier vertreten, ebenfalls als Zusammenführung der beiden Varianten der Enteignung zugunsten Privater auf. 363  BVerfG NVwZ 2017, 399 ff.; siehe hierzu oben Kapitel D. V. 364  Ogorek, Eigentum (Fn. 8), S. 473; Höfling/Stöckle, Enteignung (Fn. 8), S. 1180. 365  Ogorek, Eigentum (Fn. 8), S. 473. 366  Hierzu schon oben Kapitel D. VI. 367  Das Bundesverfassungsgericht hat es im Rahmen der beiden Kammerbe­ schlüsse ausreichen lassen, über die Beschränkung der durchzuleitenden Stoffgemi­ sche und die Pflicht zur Glaubhaftmachung der Nutzung (NRWRohrlG) bzw. den sanktionsbewerten öffentlich-rechtlichen Vertrag und das Verfahren der Rückenteig­ nung (BWEthylRohrlG) die bloße ordnungsgemäße Realisierung des Vorhabens abzu­ sichern.

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D. Enteignung zugunsten Privater im Lichte der Rechtsprechung

unter Berücksichtigung des zu verwirklichenden Enteignungszwecks und der gesetzgeberischen Prognose der Vorhabenwirkungen, insbesondere dem Ver­ antwortungsbereich des Enteignungsbegünstigten innerhalb dieser Prognose, zu beurteilen ist368. 5. Enteignungserforderlichkeit und Enteignungsverhältnismäßigkeit, insbesondere Gesamtabwägung Seit dem Garzweiler Urteil steht fest, dass Erforderlichkeits- und Verhält­ nismäßigkeitsprüfung jeweils in zwei Stufen abgeschichtet werden369. Auf der ersten Stufe wird die konkrete Enteignungsmaßnahme betrachtet. Diese muss sich als unverzichtbar für das Vorhaben darstellen; der durch sie ge­ wonnene Beitrag darf nicht außer Verhältnis zum Eingriff für den betroffenen Rechtsinhaber stehen. Auf der zweiten Stufe wird das Gesamtvorhaben be­ trachtet. Dieses muss zum Wohl der Allgemeinheit vernünftigerweise gebo­ ten sein bzw. einen substantiellen Beitrag hierzu leisten; es muss in einem angemessenen Verhältnis zu den durch das Vorhaben beanspruchten Belangen stehen370. Das Gesetz selbst muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs­ gerichts daneben ausdrückliche Vorgaben für die im Rahmen der Verhältnis­ mäßigkeitsprüfung vorzunehmende Gesamtabwägung machen371. Bei allge­ mein formulierten Gemeinwohlzielen muss es für die Gemeinwohlaktualisie­ rung Anhaltspunkte für die Bewertung der widerstreitenden Interessen vorse­ hen372.

368  Vgl.

hierzu Kapitel E. IV. 242 (296 Rn. 182 ff.). 370  Zu alldem siehe schon Kapitel D. IV. 371  BVerfGE 134, 242 (307 Rn. 210; 308 Rn. 212); hierzu Kapitel E. III. 3. a) ff). 372  BVerfGE 74, 264 (293). 369  BVerfGE 134,

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung zugunsten Privater Gemäß Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG ist eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nach Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG nur durch Ge­ setz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Ent­ schädigung regelt. Anhand einer kritischen Analyse der durch das Bundes­ verfassungsgericht entwickelten Anforderungen373 soll dieser Tatbestand im Hinblick auf die Voraussetzungen, die er in Bezug auf Enteignungen zuguns­ ten Privater vorsieht374, im Folgenden beleuchtet werden. Aspekte, die durch die bisherige Rechtsprechung und Literatur noch nicht abgedeckt worden sind, werden aufgezeigt und bewertet.

I. Terminologisches Spektrum In Literatur und Rechtsprechung herrscht eine ganze Bandbreite an be­ grifflichen Variationen bzw. synonymer Verwendung verschiedener Termini, geht es um Argumentationen betreffend das „Wohle der Allgemeinheit“ gem. Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG. Dies betrifft zum einen die Ebene der Begriffe (All)gemeinwohl und öffentliches Interesse375, zum anderen die Beziehung zwi­ schen (All)gemeinwohl, Enteignungs- und Entziehungszweck. 1. Allgemeinwohl und öffentliches Interesse Das Bundesverfassungsgericht verwendet die Begriffe des (All)gemein­ wohls und des öffentlichen Interesses in seiner Rechtsprechung synonym376. 373  Vgl.

hierzu Kapitel D. dem Begriff der Enteignung zugunsten Privater vergleiche Kapitel B. IV. 375  Zu den möglichen Kombinationen der verschiedentlich gebrauchten Adjektive („öffentlich“ bzw. „[all]gemein“) und Substantive („Wohl“, „Nutzen“, „Werte“, „Gü­ ter“, „Gründe“ „Interesse[n]“ und „Belang[e]“) siehe R. Uerpmann-Wittzack, Das öf­ fentliche Interesse, 1999, S. 23 und Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 130. 376  Vgl. BVerfGE 74, 264 (289); 134, 242 (293 Rn. 173); BVerfG WM 2009, 422 (423); BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 24); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 37 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt). Wenn das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang bzgl. des verfolgten Gemeinwohlziels ein „besonders schwerwiegen­ 374  Zu

76

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Gleiches gilt für die überwiegenden Stimmen in der Literatur377. Teilweise wird ein Unterschied zwischen dem „öffentlichen Interesse“ im Singular und den „öffentlichen Interessen“ im Plural in Bezug auf die Parallelbedeutung des, dringendes“ bzw. „hinreichend schwerwiegendes, spezifisch“ öffentliches Inte­ resse verlangt, bedeutet das nicht, dass die Begriffe nicht deckungsgleich sind. Viel­ mehr ist damit die für die Zulässigkeit einer Enteignung erforderliche Intensität des jeweiligen Gemeinwohlziels angesprochen (vgl. hierzu Kapitel E. II. 1. c] aa]). Sehr deutlich wird dies insbesondere im Urteil zum Braunkohlentagebau Garzweiler, in welchem das Bundesverfassungsgericht unter Bezugnahme des Urteils zur Teststrecke Boxberg ausführt (BVerfGE 134, 242 [293 Rn. 173]: „Das […] Gemeinwohlziel [muss] allerdings von besonderem Gewicht sein. Nicht jedes beliebige öffentliche Interesse reicht hierfür aus (vgl. BVerfGE 74, 264 [289]).“ 377  Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 428, 435; A. M. Rehs, in: W. Frenz (Hrsg.), Bundesberggesetz-Kommentar, 2019, § 79 Rn. 11, 13; J. Isensee, Staatsauf­ gaben, in: ders./P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 73 Rn. 5; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2277, 2279 f.; W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 169; H. Schulte, Eigentum und öffentliches Interesse, 1970, S. 85; H. Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 1976, S. 416 f.; Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 68; UerpmannWittzack, Interesse (Fn. 375), S. 27, 36; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristi­ sches Problem, 2. Aufl. 2006, S. 32, 54, 71, 145; R. Viotto, Das öffentliche Interesse, 2009, S. 139; H. Ryffel, Öffentliche Interessen und Gemeinwohl, in: Hochschule Speyer (Hrsg.), Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, S. 13 (15); Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1675; W. Brugger, Gemeinwohl als Ziel von Staat und Recht, in: D. Murswiek/U. Storost/H. A. Wolff (Hrsg.), Staat – Souveräni­ tät – Verfassung. Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, 2000, S. 45 (48); Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 187; W. Krawietz, Unbestimmter Rechts­ begriff, öffentliches Interesse und gesetzliche Gemeinwohlklauseln als juristisches Entscheidungsproblem, in: Der Staat 11 (1972), S. 349 (349); T. Läufer, „Gemein­ wohl“ und „öffentliches Interesse“ – Summarische Wertsetzung oder unverzichtbare Rechtsprechungshilfe?, in: JuS 1975, S. 689 (690); A. Bell, Die fachplanerische Ent­ eignung zugunsten Privater, in: UPR 2002, S. 367 (369); M. Kuxenko, Zum Verhältnis von Wettbewerb und Gemeinwohlzielen im Energiewirtschaftsgesetz, in: UPR 2003, S. 373 (375); Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 273; P. Weides/E. H. Jahnz, Rechts­ fragen der Enteignung nach dem Bundesberggesetz, in: DVBl. 1984, S. 921 (926 Fn. 74); K. Obermayer, Verfassungswidriges Enteignungsrecht, in: BayVBl. 1971, S. 209 (211); ähnlich Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 680, Bryde (Fn. 84), Art. 14 Rn. 79; Hofmann (Fn. 44), Art. 14 Rn. 74; Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 207; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 604; Hamann/Hamann jr./Lenz (Fn. 44), Art. 14 Rn. 9 und Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 452, die der Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts folgend darauf hinweisen, dass für die Erfüllung des Tatbestandsmerk­ mals „zum Wohle der Allgemeinheit“ in Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG bzw. für die Zulässig­ keit der Enteignung ein besonderes bzw. gesteigertes öffentliches Interesse vorliegen müsse; a. A. Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (273); U. Battis, in: ders./ M. Krautzberger/R.-P. Löhr, Baugesetzbuch-Kommentar, 14. Aufl. 2019, § 87 Rn. 2; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 84; R. Schnur, Gemeinwohl in den Verfassungen und Gesetzen des sozialen Rechtsstaates, in: Hochschule Speyer, ebda., S. 57 (62 f.); zum Meinungsstand vgl. auch Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 130 ff. und Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 265 f. in Fn. 55.



I. Terminologisches Spektrum77

zum Allgemeinwohl gesehen378. Der Frage der Berechtigung einer synony­ men Verwendung der genannten Begriffe soll die vorliegende Arbeit jedoch nicht nachgehen. Für die folgende Untersuchung steht nicht das „öffentliche Interesse“ im Zentrum der Betrachtung, sondern – ausgehend vom Wortlaut des Grundgesetzes in Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG – die Tatbestandsvoraussetzung „zum Wohle der Allgemeinheit“379. Soweit zur Klärung dieses Tatbestands­ merkmals inhaltliche Einlassungen zum Begriff des öffentlichen Interesses notwendig werden380, geht die Arbeit an entsprechender Stelle darauf ein. 2. Gemeinwohlziel – Enteignungszweck – Entziehungszweck Die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Rechtspre­ chung hinsichtlich Enteignungen zugunsten Privater gehen dahin, „(All-)ge­ meinwohlziel“ und „Enteignungszweck“ gleichzusetzen381. Zwischen den Begriffen ist allerdings genau genommen zu differenzieren382. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang der bei Enteignungsvorgängen typische Zusam­ menhang zwischen Enteignung und Vorhaben herauszustellen383: Mit der Enteignungsmaßnahme selbst wird der Zweck verfolgt, dem Enteignungsbe­ günstigten eigentumsrechtlich einen Gegenstand zuzuweisen, damit dieser damit ein konkretes Vorhaben durchführt, welches wiederum dem Wohl der Allgemeinheit dient. Dieser verfolgte Zweck ist in seiner Gesamtheit der Enteignungszweck. Das Gemeinwohlziel stellt nur den finalen Ausschnitt dieses Zwecks dar, die Begriffe sind deshalb in der Regel nicht exakt de­ ckungsgleich384. Der Enteignungszweck kann nur dann gleichzeitig auch das 378  Darauf weist M. Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, 2006, S. 52, hin; vgl. hierzu auch C. H. Ule, Allgemeines Wohl und öffentliche Interessen in der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte, in: Hochschule Speyer, Wohl (Fn. 377), S. 125 (129). 379  So auch Riedel, Eigentum (Fn.  16), S.  132 und Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (273), die beide darauf hinweisen, dass das Grundgesetz es inso­ weit verdiene, „beim Wort genommen zu werden“. 380  Vgl. etwa in Zusammenhang mit dem erforderlichen Gewicht des verfolgten Gemeinwohlziels in Kapitel E. II. 1. c) aa). 381  BVerfGE 56, 249 (261 f.); 74, 264 (285); 134, 242 (293 Rn. 172; 301 Rn. 196; 302 Rn. 198; 304 Rn. 203); BVerfG WM 2009, 422 (423); BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 31); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 35, 37 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abge­ druckt). 382  Hierzu Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 614 in Fn. 1873 sowie Rn. 630 ff. 383  Henze, Enteignung (Fn. 185), S. 61, insbesondere im Hinblick auf die verschie­ denen Regelungen in Landesenteignungsgesetzen. 384  Vgl. in diesem Zusammenhang Cornils, Enteignung (Fn. 12), S. 161, der zwi­ schen dem Gemeinwohlziel und der Verwirklichung des gemeinwohldienlichen Vor­ habens als dem „unmittelbaren Enteignungszweck“ differenziert; vgl. auch Battis/

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Gemeinwohlziel darstellen, wenn das Ziel bereits unmittelbar und ohne weitere Zwischenschritte allein durch die Enteignungsmaßnahme erreicht ­ wird385. Zuzugeben ist aber, dass Enteignungszweck und Gemeinwohlziel aufgrund der dargestellten Verknüpfung in der Regel nur gemeinsam betrach­ tet werden können. So werden die Begriffe in der Literatur auch vielerorts durcheinandergebracht und miteinander vermengt386. Im Ergebnis ist eine begriffliche Unterscheidung deshalb zwar gerechtfertigt; aufgrund der gegen­ seitigen Abhängigkeit von Enteignungszweck und Gemeinwohlziel wird sie aber typischerweise keine entscheidenden Auswirkungen auf die enteig­ nungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen haben, da das eine nie ohne das andere betrachtet werden kann. Der Begriff Entziehungszweck betrifft dagegen nur das Verhältnis zwi­ schen der konkreten Enteignungsmaßnahme und dem durchzuführenden Vorhaben. Er betrifft den Vorgang der Güterbeschaffung zur Realisierung des Vorhabens387. Im Hinblick auf den Entziehungszweck stellt das Bundesver­ fassungsgericht – ohne gesonderte Betrachtung des hinter allem stehenden Gemeinwohlziels – besondere Anforderungen an die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Enteignungsmaßnahme388.

II. Allgemeinwohl Hinsichtlich des Wohls der Allgemeinheit i. S. d. Art 14 Abs. 3 S. 1 GG gibt das Grundgesetz selbst zunächst keinen materiellen Begriff vor389. We­ Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1504, die auf den wechselseitigen Bezug von Enteig­ nungszweck und Allgemeinwohl hinweisen. 385  Vgl. BVerfG NVwZ 2017, 399 (400 Rn. 22); zu den in diesem Fall gesenkten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der gesetzlichen Be­ stimmtheit des Gemeinwohlziels siehe bereits Kapitel D. IV.; schon durch die bloße Enteignungsmaßnahme, also unmittelbar durch die Güterbeschaffung, wird das Ge­ meinwohlziel z. B. bei der „Enteignung eines Baudenkmals zur Bestandserhaltung“ erreicht, hierzu Michl, Eigentumsschutz (Fn. 23), S. 433. Vgl. ferner J. Oebbecke, in: D. Ehlers/M. Fehling/H. Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, 4. Aufl. 2020, § 42 Rn. 52. 386  So gebrauchen etwa Engel (Fn. 103), § 45 Rn. 32; M. R. Karl, Wohl der Allge­ meinheit und „utilité publique“ als verfassungsrechtliche Zulässigkeitsvoraussetzun­ gen der Enteignung von Grundeigentum nach deutschem und französischem Recht unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, 2001, S. 76 f. oder Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 110 f., 115 Fn. 138 die Begriffe „Enteignungs­ zweck“ und „(All)gemeinwohlzweck“ synonym. 387  Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 136. 388  Siehe hierzu schon Kapitel D. IV. a. E. 389  BVerfGE 134, 242 (293 Rn. 172): „keine umfassende, allgemeine Bestimmung der Gemeinwohlziele“; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 118; Depenheuer/Froese



II. Allgemeinwohl79

der die Rechtsprechung noch die rechtswissenschaftliche Literatur haben es geschafft, dem Begriff „scharfe Konturen zu verleihen“390. Gleiches gilt für die Wissenschaften anderer Fachrichtungen391. Inhaltliche Reichweite und gerichtliche Nachprüfbarkeit dieses unbestimmten Rechtsbegriffs sind um­ stritten392. Ausgehend von übergreifenden Darstellungen zur Abgrenzung des Gemeinwohlbegriffes werden die relevanten Gemeinwohlziele auf dem Ge­ biet des Rohrleitungsbaus untersucht. 1. Abgrenzung zulässiger Gemeinwohlziele Ausgangspunkt einer inhaltlichen Beschreibung des Wohls der Allgemein­ heit sind die Rolle des parlamentarischen Gesetzgebers bei der Bestimmung der Gemeinwohlziele und die Justiziabilität einer solchen gesetzgeberischen Festlegung. In diesem Zusammenhang besteht in Rechtsprechung und Litera­ tur zumindest weitgehende Einigkeit hinsichtlich derjenigen Belange und Interessen, die nicht dem Gemeinwohlerfordernis gem. Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG genügen können. Eine abstrakte positive Definition ist zwar bislang nicht geglückt393. Gleichwohl lassen sich anhand bereits realisierter bzw. geplanter Pipeline-Vorhaben und der hierzu ergangenen Rechtsprechung Fallbeispiele gerichtlich bestätigter Gemeinwohlziele aufzeigen, insbeson­ dere in Zusammenhang mit den sogenannten Spezialenteignungsgesetzen394, die eine Enteignung grundsätzlich zu rechtfertigen vermögen.

(Fn. 12), Art. 14 Rn. 430; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2276; Jarass, Vorwirkung (Fn. 41), S. 1331; vgl. auch J. Isensee, Gemeinwohl im Verfas­ sungsstaat, in: ders./Kirchhof, HStR IV3 (Fn. 377), § 71 Rn. 71 sowie R.  UerpmannWittzack, Verfassungsrechtliche Gemeinwohlkriterien, in: G.  F. Schuppert/F.  Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suche nach Substanz, 2002, S. 180 (184). 390  Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 116 (Zitat) m.  w. N.; vgl. daneben Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn.  61), S.  265 f. m. w. N.; Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 212; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 131; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 104; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 603. Siehe außerdem R. Fisch/K.  Strohm, Wandel in der Kontinuität? Überlegungen zum Begriff Gemeinwohl, in: S. Brink/H. A. Wolff (Hrsg.), Gemeinwohl und Verantwortung, 2004, S. 73 (77), für welche die „Unbe­ stimmtheit und Unquantifizierbarkeit“ gerade Wesensmerkmal des Gemeinwohls ist. 391  G. F. Schuppert, Gemeinwohl, das, in: ders./Neidhardt, Gemeinwohl (Fn. 389), S. 19 (21). 392  Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 429. 393  Zu den wenigen positiven Anknüpfungspunkten vgl. Kapitel E. II. 1. c). 394  Vgl. bereits unter Kapitel C. II. 5.

80

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

a) Festlegung von Gemeinwohlzielen als „Qualifikationskompetenz“395 des parlamentarischen Gesetzgebers Das Wohl der Allgemeinheit i. S. d. Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG ergibt sich nicht schon aus dem Grundgesetz selbst396. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen unbestimmten Rechtsbegriff397, den der parlamentarische Gesetzgeber zu konkretisieren hat398. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs­ gerichts ist es Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers, „aus dem viel­ fältigen Bereich der Gemeinwohlaufgaben diejenigen Sachgebiete auszuwäh­ len, für die er die zwangsweise Verwirklichung durch Enteignung zulassen oder anordnen will“399. Der Gesetzgeber hat „gesetzlich festzulegen, (…) für welche Zwecke eine Enteignung zulässig sein soll“400. Die Gemeinwohlziele unterliegen somit der „Qualifikationskompetenz“ des parlamentarischen Ge­ setzgebers401. Ihm ist es überlassen, Gemeinwohlziele zu wählen und bei dieser Auswahl „über Prioritäten zu entscheiden“402.

395  Begriff bei Martens, Rechtsbegriff (Fn.  377), S.  186; Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 101 in Fn. 175; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 79; ähnlich („Qualifizierungs­ kompetenz“) bei Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 596. 396  Hierzu schon oben Fn. 389. 397  A. v. Brünneck, Das Wohl der Allgemeinheit als Voraussetzung der Enteignung, in: NVwZ 1986, S. 425 (431); Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1664; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 429; Viotto, Interesse (Fn. 377), S. 191. 398  BVerfGE 24, 367 (403); 56, 249 (261); Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 118; Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1504; Jarass, Eigentumsgarantie (Fn. 23), S. 472; Leisner (Fn. 16), § 173 Rn. 219; A. v. Brünneck, Die Eigentumsgarantie des Grundge­ setzes, 1984, S. 412; Dietlein/Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 69; Uerp­ mann-Wittzack, Interesse (Fn. 375), S. 148; Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1589; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2276; Voßkuhle, Kompensa­ tionsprinzip (Fn. 61), S. 269; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht (Fn. 43), S. 243; Viotto, Interesse (Fn. 377), S. 30  ff.; Erbguth, Entschädigungsansprüche (Fn. 34), S. 201; D. A. Bauer, Staatliches Handeln im systemrelevanten Markt am Beispiel des Rettungsübernahmegesetzes, in: DÖV 2010, S. 20 (24); a. A. Sieckmann (Fn. 38), Art. 14 Rn. 161 und Papier, Anmerkung (Fn. 61), S. 620. 399  BVerfGE 56, 249 (261); ähnlich schon E 24, 367 (404). 400  BVerfGE 74, 264 (285). 401  Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 79. 402  Isensee (Fn. 389), § 71 Rn. 71 (Zitat); vgl. auch Voßkuhle, Kompensationsprin­ zip (Fn. 61), S. 269 und W. Farke, Öffentliche Bedeutung privater Wirtschaftsunter­ nehmen und Sozialpflichtigkeit des Eigentums, 1973, S. 19 f.



II. Allgemeinwohl81

aa) Wesentlichkeitslehre Die gesetzgeberische Pflicht zur Ausfüllung des Gemeinwohlbegriffes folgt aus der Wesentlichkeitslehre403 des Bundesverfassungsgerichts404. Auch wenn sich das Bundesverfassungsgericht in seinen enteignungsrechtlichen Entscheidungen in Zusammenhang mit der Festlegung der Gemeinwohlziele noch nicht ausdrücklich auf diese Lehre gestützt hat, greifen Enteignungen doch so erheblich und intensiv in das verfassungsrechtlich geschützte Eigen­ tum ein, dass sie als „wesentlich für die Verwirklichung“405 des Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG im Sinne der Wesentlichkeitslehre des Bundesverfas­ sungsgerichts zu qualifizieren sind406. Enteignungen sind deshalb auch im Hinblick auf die verfolgten Gemeinwohlziele vom parlamentarischen Gesetz­ geber selbst zu regeln407. bb) Gesetzmäßigkeit der Enteignung Andere Stimmen ziehen zur Begründung der gesetzgeberischen Pflicht zur Festlegung der Gemeinwohlziele den Gesetzesvorbehalt gem. Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG heran408. Dieser ist im Ergebnis Ausprägung der oben dargestellten 403  Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung aus grundrecht­ lichen Gesetzesvorbehalten und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) die Verpflichtung des Gesetzge­ bers abgeleitet, in allen grundlegen normativen Bereichen die wesentlichen Entschei­ dungen selbst zu treffen, BVerfGE 150, 1 (96 Rn. 191), sog. Wesentlichkeitslehre; vgl. hierzu allgemein BVerfGE 150, 1 (96 Rn. 191 ff.); 136, 69 (114 Rn. 102); 101, 1 (34); 98, 218 (251); 49, 89 (126). 404  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 612 f.; K.-P. Dolde, Städtebauliche Enteignung und planerische Abwägung, in: E. Franßen/K. Redeker/O. Schlichter (Hrsg.), Bür­ ger – Richter – Staat. Festschrift für Horst Sendler zum Abschied aus seinem Amt, 1991, S. 225 (234) unter Hinweis auf W. Brugger, Verfassungswidrigkeit der plan­ akzessorischen Enteignung nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 und § 87 BBauG (= BauGB)?, in: ZfBR 1987, S. 60 (60 ff.); C. Wunderlich, Die Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts zur Eigentumsgarantie und ihre Auswirkungen auf die Staatshaftung für legislatives Unrecht, 1994, S. 87; ähnlich Hermes, Energieversorgung (Fn. 8), S. 68. 405  Zu der Bedeutung des Begriffes „wesentlich“ in diesem Zusammenhang vgl. BVerfGE 150, 1 (97 Rn. 194); 139, 19 (45); 98, 218 (251). Siehe außerdem Kapi­ tel E. III. 3 zur Wesentlichkeit im Hinblick auf die erforderliche Regelungsdichte. 406  Zur Relevanz der Wesentlichkeitslehre im Rahmen des Gesetzesvorbehalts des Art. 14 Abs. 3 S. 2 vgl. Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 134. 407  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 613; Dolde, Enteignung (Fn. 404), S. 234. 408  Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 118; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 678; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 419; Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1504; Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1664; Dietlein, in: Stern, Staats­ recht IV/1 (Fn. 18), S. 2268; W. Labbé, Baugesetzbuch und Art. 14 GG, in: AnwBl.

82

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Wesentlichkeitslehre409, in deren Lichte auch seine Reichweite bzw. die er­ forderliche gesetzliche Regelungsdichte zu betrachten ist410. Insofern haben beide Ansätze eine ähnliche Stoßrichtung. Nach Auffassung derjenigen Vertreter, die unmittelbar an Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG anknüpfen, ohne dabei erkennbar auf die Wesentlichkeitslehre zu rekurrieren, beinhalte der Gesetzesvorbehalt nicht nur das bloße Erfordernis einer gesetzlichen Enteignungsermächtigung, sondern statuiere selbst auch konkrete Regelungspflichten des parlamentarischen Gesetzgebers hinsicht­ lich des Wohls der Allgemeinheit. Zur Begründung dieser Auffassung wird unter anderem Art. 17 Abs. 1 der Grundrechtecharta herangezogen411. Nach diesem darf niemandem „sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingun­ gen, die in einem Gesetz vorgesehen sind“. Hiernach umfasst die Gesetzmä­ ßigkeit der Enteignung bei entsprechender Lesart auch die gesetzliche Rege­ lung der „Gründe des öffentlichen Interesses“412. Angesichts der Tatsache, dass die Grundrechtecharta als Auslegungshilfe für das Verständnis der grundgesetzlichen Garantien zu berücksichtigen ist413, deutet dies auf eine entsprechende Pflicht zur Konkretisierung der Gemeinwohlziele auch im Rahmen der Gesetzmäßigkeit der Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG hin.

1989, S. 530 (531); Obermayer, Enteignungsrecht (Fn. 377), S. 211; Jagst, Enteig­ nung (Fn. 5), S. 200. 409  In aller Deutlichkeit Gramlich, Enteignung (Fn. 95), S. 273; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 134; vgl. allgemein zum Charakter des grundrechtlichen Gesetzesvorbehaltes als positivierte Ausprägung der Wesentlichkeitslehre S. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 268 in Fn. 388. 410  F. Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 53. 411  Vgl. Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1504, die für die Konkretisierungs­ pflicht des Gesetzgebers neben Art. 17 Abs. 1 der Grundrechtecharta auf Art. 8 bis 11 EMRK hinweisen; der Hinweis auf Art. 8 bis 11 EMRK überzeugt dabei nicht, da diese Artikel andere Rechte und Freiheiten als die Eigentumsgarantie zum Gegen­ stand haben und auch hinsichtlich der Gesetzesvorbehalte keine Parallelen zu Art. 14 GG aufweisen. 412  Für die Definitionshoheit des (Unions-)Gesetzgebers über zu verfolgende Ge­ meinwohlziele auch im Rahmen von Art. 17 Abs. 1 der Grundrechtecharta H. D.  Jarass, Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl. 2021, Art. 17 Rn. 27 und J. Kühling, in: M. Pechstein/C. Nowak/U. Häde (Hrsg.), Frankfur­ ter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, Bd. I, 2017, Art. 17 GRC Rn. 27. 413  BVerfG NVwZ 2020, 53 (57 Rn. 60 ff.); hierzu K. Ritgen, Grundrechtsschutz im europäischen Mehrebenensystem, in: Der Landkreis 2020, S. 109 (109 ff.); vgl. außerdem M. Ruffert, Privatrechtswirkung der Grundrechte, in: JuS 2020, S. 1 (4).



II. Allgemeinwohl83

Dem lässt sich entgegenhalten, dass der bloße Wortlaut des Gesetzesvorbe­ halts eine gesetzgeberische Verpflichtung zur Konkretisierung des Gemein­ wohls im Gegensatz zum Gebot zur Regelung der Enteignungsentschädigung (Junktimklausel) gerade nicht vorsieht414. Insoweit wird einer entsprechenden Interpretation auch vorgeworfen, sie überdehne den enteignungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt415. An anderer Stelle wird deshalb stärker der Bezug des Gesetzesvorbehalts zu Satz 1 des gleichen Absatzes gesucht. Aus einer Zu­ sammenschau mit diesem ergebe sich nach dem telos der Norm sowie dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip die Konkretisierungspflicht des Gesetz­ gebers416. Insgesamt ist zu konstatieren, dass gerade das jeweils verfolgte Gemein­ wohlziel der entscheidende Faktor einer jeden Enteignung ist. Hinsichtlich der Durchbrechung der Eigentumsgarantie ist das Gemeinwohlziel neben der generellen Zulassung der Enteignung selbst das wichtigste Element. Zualler­ erst muss das Gemeinwohlziel die Rechtfertigung für den Eingriff tragen. Legt man den Gesetzesvorbehalt gem. Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG vor diesem Hintergrund im Lichte der Wesentlichkeitslehre aus, erstreckt sich dieser so­ mit auch auf die Festlegung konkreter Gemeinwohlziele und folgt daraus die gesetzgeberische Kompetenz zur Konkretisierung des unbestimmten Rechts­ begriffes „Wohl der Allgemeinheit“. Während an dieser Stelle vorrangig die Kompetenz zur Abgrenzung des Gemeinwohls im Zentrum steht, steht die Frage der hinreichenden Bestimmt­ heit einzelner Gemeinwohlziele in den Gesetzen in stärkerem Zusammen­ hang mit den formellen Anforderungen an ein Enteignungsgesetz. Ihr soll deshalb erst an anderer Stelle nachgegangen werden417. Freilich ist die in erster Linie zur Kompetenzabgrenzung entwickelte418 Wesentlichkeitslehre ebenfalls eng mit dem Gebot hinreichender Bestimmtheit einer Verfassungs­ norm verknüpft und auch in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeu­ tung419.

414  A.  A. offenbar – ohne nähere Ausführung hierzu – Labbé, Baugesetzbuch (Fn. 408), S. 531. 415  Papier, Anmerkung (Fn. 61), S. 620. 416  Breuer, Anmerkung (Fn. 23), S. 972. 417  Siehe hierzu unten Kapitel E. III. 418  A. Voßkuhle, Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, in: JuS 2007, S. 118 (119). 419  Vgl. zur Wesentlichkeitslehre in Zusammenhang mit den Konkretisierungser­ fordernissen in Enteignungsgesetzen unten Kapitel E. III. 3.

84

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

cc) Kein statischer Gemeinwohlbegriff Die gesetzgeberische Kompetenz zur Festlegung der Gemeinwohlziele bringt es mit sich, dass sich das Gemeinwohl niemals als statisch darstellt; mit der Veränderung von Lebensverhältnissen und politischen Umgebungsbedin­ gungen durch aktuelle Geschehen ändern sich auch Vorstellungen und Erwä­ gungen des Gesetzgebers über das Wohl der Allgemeinheit420. So weist auch das Bundesverfassungsgericht darauf hin, „dass die Einschätzung, welche Ziele für die Gesellschaft besonders wichtig sind, im Laufe der Zeit Verände­ rungen unterliegen kann“421. Gemeinwohl ist deshalb kein feststehender Be­ griff422. Es lässt sich nur „situationsbezogen im Zusammenwirken von Recht und Politik bestimmen und verwirklichen“423. Nachdem etwa im 19. Jahrhun­ dert vor allem ökonomische Aspekte dominiert hatten, traten mit dem 20. Jahr­ hundert sozialpolitisch motivierte Gemeinwohlziele hinzu424. In neuerer Zeit gewinnt insbesondere der Umwelt- und Klimaschutz an Bedeutung425. b) Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit – Justiziabilität des Gemeinwohls anhand von Negativkriterien Bei der Auswahl der zulässigen Gemeinwohlziele durch den Gesetzgeber hat dieser keinen vollkommen freien Gestaltungsspielraum426. Wäre die Qua­ lifizierung des Gesetzgebers in jedem Fall verbindlich, „würde letztlich der Gesetzgeber den Inhalt des Grundrechts bestimmen“427. Deshalb muss das durch den Gesetzgeber bestimmte Gemeinwohlziel einer gerichtlichen Über­ prüfungskompetenz unterliegen428. Diese Überprüfungskompetenz ist jedoch 420  BVerfGE 134, 242 (292 Rn. 171); Wunderlich, Rechtsprechung (Fn. 404), S. 86; außerdem Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1664 („Eigentumsgarantie [steht] im Wandel der Zeit und der Anschauungen“); Fisch/Strohm, Wandel (Fn. 390), S. 77. 421  BVerfGE 134, 242 (292 Rn. 171). 422  Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 129, 133 f.; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S.  119 f.; Farke, Bedeutung (Fn. 402), S. 15, 27 f. 423  Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 221 (Zitat); vgl. auch Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 75 f.; siehe daneben Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 269: „Chamäleonartig[e]“ Verbundenheit zwischen dem Allgemeinwohl und den „vordringlichen Bedürfnissen, Problemen oder politischen Zielen der jeweiligen Zeit“. 424  Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 213. 425  Rittstieg, a. a. O. 426  Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1504. 427  BVerfGE 24, 367 (406); U. Smeddinck/C. Au, „Lex Airbus“ – Gesetzgebung als Prozesstaktik, in: ZUR 2004, S. 273 (274). 428  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 574; F. Schack, Enteignung „nur zum Wohle der Allgemeinheit“, in: BB 1961, S. 74 (77 f.).



II. Allgemeinwohl85

eingeschränkt429. Insoweit ist der weite Gestaltungsspielraum des parlamen­ tarischen Gesetzgebers zu beachten430, welcher eine gerichtliche Überprü­ fung nur in engen Grenzen zulässt. Die Grenzen werden dabei mittels be­ stimmter Ausschlusskriterien431 gesetzt. Hinsichtlich der Frage, ob diese Ausschlusskriterien erfüllt werden, ist allerdings eine volle gerichtliche Über­prüfbarkeit anzunehmen432. aa) Negativkatalog Vor diesem Hintergrund hat sich in Rechtsprechung und Literatur im Hin­ blick auf das Wohl der Allgemeinheit ein „Negativkatalog“ für dessen Vorlie­ gen herausgebildet433: So geht das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung – von der Literatur bestätigt – davon aus, dass ausschließlich privatnützige Interessen434 und rein fiskalische Interessen435 nicht unter den

429  BVerfGE 24, 367 (406); Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588; a. A. mit Hinweis auf die Bestandsgarantie Sieckmann (Fn. 38), Art. 14 Rn. 161. 430  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 632; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 678; V. Epping, Grundrechte, 8. Aufl. 2019, Kap. 9 Rn. 493; J. Wieland, Gemeinwohlbin­ dung des Eigentums als republikanisches Rechtsinstitut, in: K. Gräfin v. Schlieffen u. a. (Hrsg.), Republik – Rechtsverhältnis – Rechtskultur, 2018, S. 115 (124). Ein­ schränkend will Leisner (Fn. 16), § 173 Rn. 219 dem Gesetzgeber nur eine „gewisse Prognosefreiheit“ zugestehen. Ähnlich meint Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1664, der Gesetzgeber dürfe keine Gemeinwohlziele „erfinden“, vermengt an die­ ser Stelle aber wohl die Frage des grundsätzlichen Gestaltungsspielraums des Gesetz­ gebers bei seiner Auswahl der Gemeinwohlziele mit der Frage der erforderlichen Gemeinwohlintensität zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung „zum Wohle der Allgemeinheit“ gem. Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG, vgl. hierzu Kapitel E. II. 1. c). 431  Hierzu im Folgenden. 432  Jarass, Vorwirkung (Fn. 41), S. 1331; v.  Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 431; Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 270; zur „Gemeinwohlrechtssprechung durch Aus­ grenzung“ vgl. Häberle, Interesse (Fn. 377), S. 507. 433  Vgl. zur leichteren Definition bestimmter abstrakter Begriffe durch Negativkri­ terien H. H. v. Arnim, Gemeinwohl im modernen Verfassungsstaat am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, in: ders./K.-P. Sommermann (Hrsg.), Gemeinwohlge­ fährdung und Gemeinwohlsicherung, 2004, S. 63 (71 f.) m. w. N. 434  BVerfGE 74, 264 (284 ff.); 134, 242 (293 Rn. 172); Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 429; Hamann/Hamann jr./Lenz (Fn. 44), Art. 14 Rn. 9; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 680, 682; Hofmann (Fn. 44), Art. 14 Rn. 74; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 129; Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 211; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 120; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2278; Leisner (Fn. 16), § 173 Rn. 220; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 112 f.; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S.  108 ff.; Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 450; Gramlich, Enteignung (Fn. 95), S. 275; Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 272; Hoops, Schutz (Fn. 8), S. 1497; Jarass, Vorwirkung (Fn. 41), S. 1331; Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 345; Schack, Enteig­

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Begriff des Wohls der Allgemeinheit fallen436. Gleiches gilt für vom Grundge­ setz selbst missbilligte Ziele437. Das Wohl der Allgemeinheit soll daneben dann nicht vorliegen, wenn die gesetzgeberische Festlegung auf einer offen­ sichtlich unzutreffenden Beurteilung beruht438. Zudem kann das Wohl der All­ gemeinheit auch dann nicht gegeben sein, wenn das durch die Enteignung er­ möglichte Vorhaben nach den einschlägigen Vorschriften rechtswidrig ist439. Darüber hinaus soll das Gemeinwohl auch bei einer Enteignung „aus allge­ meinen Zweckmäßigkeitserwägungen heraus“ ausgeschlossen sein440. Schmidbauer führt daneben weitere negative Ausgrenzungskriterien an441, die jedoch nung (Fn. 428), S. 76; Werner, Legalenteignung (Fn. 84), S. 329; a. A. Hamann, Ent­ eignung (Fn. 23), S. 1259. 435  BVerfGE 38, 175 (179 f.); BVerfG NJW 1999, 1176 (1176); BVerfGE 134, 242 (293 Rn. 172); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 636; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 429; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 680; Hofmann (Fn. 44), Art. 14 Rn. 74; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 129; Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 208; Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 86; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 117; A. Reich, Magdeburger Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1998, Art. 14 Rn. 5; Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 252; P. Axer, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG (Fn. 143), Art. 14 (2019), Rn. 116; Antoni (Fn. 23), Art. 14 Rn. 15; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2277; Leisner (Fn. 16), § 173 Rn. 220; Badura (Fn. 44), § 10 Rn. 62; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 93 ff.; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 110 ff.; Battis (Fn. 377), § 87 Rn. 2; v.  Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 427; Gramlich, Enteignung (Fn. 95), S. 275; Häberle, Interesse (Fn. 377), S. 520; Jarass, Vorwirkung (Fn. 41), S. 1331; Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 345; Schack, Enteignung (Fn. 428), S. 76. 436  Vgl. übergreifend BVerfGE 134, 242 (293 Rn. 172). 437  BVerfGE 24, 367 (406); 134, 242 (293 Rn. 172); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 632; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 680; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 129; Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 86; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 160; Hoops, Schutz (Fn. 8), S. 1497; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 111, führt in diesem Zusammenhang etwa das „Eigeninteresse der Machthabenden“ an. 438  BVerfGE 24, 367 (406); 95, 1 (23); BVerwGE 117, 138 (139); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 632; Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 86; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 607. 439  BVerwGE 77, 86 (91); Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 86; ders., Vorwirkung (Fn. 41), S. 1331; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 117; vgl. auch Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 469 (sic! recte: Rn. 649) mit Differenzierung zwischen Verstößen gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Enteignung und Verstößen gegen sonstiges Recht. 440  BVerfG NJW 1999, 1176 (1176); Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 160; Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 252; Axer (Fn. 435), Art. 14 Rn. 116; Dietlein, in: Stern, Staats­ recht IV/1 (Fn. 18), S. 2277. 441  Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 91 ff., nämlich die Zweckfreiheit (S. 92 f.), die Gewinnerzielung des Privaten (S. 100 ff.), die bloße Vermögensumschichtung (S. 105  ff.), die allgemeine Wirtschaftsförderung (S. 107  f.), emotionale Gesichts­ punkte (S. 108 f.) sowie die bloße Bequemlichkeit (S. 109 ff.); hierzu mit krit. Anmer­ kung Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 113.



II. Allgemeinwohl87

bei näherer Betrachtung entweder einem der bereits benannten Aspekte zuge­ rechnet werden können442 oder andere Fragen der enteignungsrechtlichen Zu­ lässigkeit als die der grundsätzlichen Bestimmung von Gemeinwohlzielen betreffen443. Der von Jackisch in diesem Zusammenhang angeführte Gemein­ wohlbegriff aus Art. 14 Abs. 2 S. 2  GG444 stellt per se ebenfalls kein Aus­ schlusskriterium für das Wohl der Allgemeinheit gem. Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG dar445. Bedeutung entfaltet der Unterschied zwischen den beiden Gemein­ wohlbegriffen vielmehr im Hinblick auf die Abgrenzung der für die Enteig­ nungszulässigkeit erforderlichen hinreichenden Gemeinwohlintensität446. Die gerichtliche Überprüfungskompetenz beschränkt sich demnach auf die Überprüfung der vom Gesetzgeber konkretisierten Gemeinwohlziele auf die Erfüllung der vorbenannten Ausschlusskriterien. Hält sich die gesetzgeberi­ sche Einschätzung innerhalb dieser so gesteckten Grenzen, ist seine Gemein­ wohlauswahl als solche hinzunehmen. In diesem Zusammenhang ist indes zu berücksichtigen, dass die Einhaltung der dargestellten Grenzen bei der Kon­ kretisierung der Gemeinwohlziele durch den parlamentarischen Gesetzgeber im Hinblick auf die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung „zum Wohle der Allgemeinheit“ gem. Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG nur eine Teilfrage darstellt447: Nicht jedes legitime Gemeinwohlziel vermag auch Enteignungen jeglicher Schwere zu rechtfertigen448. 442  So decken die Gewinnerzielung des Privaten, emotionale Gesichtspunkte wie etwa die „reine Prestigesucht des Unternehmensträgers“, Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 108, sowie die bloße Bequemlichkeit einzelne Aspekte des Ausschlusses ausschließlich privatnütziger Interessen vom Gemeinwohlbegriff (Fn. 434) ab. Das Ausschlusskriterium der bloßen Vermögensumschichtung wird von den ‚privatnützi­ gen Interessen‘ oder auch den ‚fiskalischen Interessen‘ inkludiert. 443  Während der Enteignung schon per definitionem ein finales Moment anhaftet (vgl. hierzu Kapitel B. I.) und bei Zweckfreiheit deshalb schon gar keine Enteignung vorliegen kann, ist das Problem der allgemeinen Wirtschaftsförderung als zulässiges Gemeinwohlziel vielmehr eines der hinreichenden Bestimmtheit in den Enteignungs­ gesetzen, hierzu Kapitel E. III. 3. b) bb) (1). 444  Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 112 f. 445  Auch wenn die beiden Begriffe nicht inhaltsgleich sein mögen, bedeutet dies nicht, dass das Wohl der Allgemeinheit nach Abs. 3 deshalb nicht erfüllt sein kann, weil das gesetzgeberisch festgelegte Gemeinwohlziel zugleich die Hürde des Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG nimmt. Der Gemeinwohlbegriff des Abs. 2 ist zwar nicht hinreichende Bedingung für die Erfüllung des Gemeinwohlbegriffes des Abs. 3, schließt diesen aber auch unter keinen Umständen von vornherein aus. 446  Vgl. zu dem Verhältnis der beiden Gemeinwohlbegriffe insofern Kapitel E. II. 1. c) bb). 447  Zu den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des ausreichenden Gemeinwohl­ bezugs bzw. der Gemeinwohlintensität siehe im Folgenden. 448  BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 35 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt); Antoni

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Für Enteignungen auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus ist aufgrund der weit fortgeschrittenen Privatisierung im Energiesektor insbesondere das Aus­ schlusskriterium der ausschließlich privatnützigen Belange von verstärkter Bedeutung. Daneben können auch gesetzgeberische Festlegungen, die auf offensichtlich unzulässiger Beurteilung beruhen, eine relevante Rolle spielen: Insbesondere im Rahmen von projektbezogenen Enteignungsgesetzen wird etwa in Bezug auf die häufig angestrebte Erhaltung bzw. Schaffung von Ar­ beitsplätzen um die korrekte Ermittlung des entsprechenden Bedarfes bzw. des diesbezüglichen Vorhabenpotentials gerungen. bb) Rein privatnützige Belange Vor dem Grundgesetz ist jedes Privateigentum von gleichem Wert449. Es gibt keine unterschiedlichen Kategorien oder Klassen von privatem Eigen­ tum450. Vor diesem Hintergrund kann die Eigentumsumschichtung von einem Privaten auf den anderen enteignungsrechtlich nicht mit dem Hinweis darauf zugelassen werden, dass das andere private Interesse überwiege. Dass des­ halb nicht „zum Vorteil bloßer Privatinteressen“ enteignet werden darf, war schon im Hinblick auf die Enteignung nach Art. 153 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung allgemein anerkannt451. Diese Bewertung ist nach wie vor aktuell. Auch eine Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG darf nicht ausschließlich privatnützige Belange zum Ziel haben452. Dies gibt schon der Wortlaut selbst vor453. Reine Privatinteres­ sen können deshalb keinen Teil zur Rechtfertigung einer Enteignung beitra­ gen454, unabhängig davon, wie dringend oder gewichtig das jeweilige private Interesse ist455. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die (ausschließlich) verfolgten privaten Zwecke einzelnen Privatpersonen, Gruppen oder juristi­ (Fn. 23), Art. 14 Rn. 15; Breuer, Anmerkung (Fn. 23), S. 974; zur notwendigen Schwere des Gemeinwohlziels vgl. Kapitel E. II. 1. c). 449  Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 451; Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (291). 450  Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 109. 451  Statt vieler G. Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 153 Anm. 11. 452  Nachweise in Fn. 434. 453  Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 266; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 101. 454  Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 112. 455  v.  Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 430; Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 450; D. Bahls, Wirtschaftspolitische Ausgangslagen und rechtliche Probleme der Erdölver­ sorgung, dargestellt am Beispiel des Raffineriezentrums Ingolstadt mit der Transalpi­ nen Erdölleitung (TAL) von Triest, in: DVBl. 1972, S. 446 (451).



II. Allgemeinwohl89

schen Personen des privaten bzw. öffentlichen Rechts zum Vorteil gereichen sollen456. Im Ergebnis folgt daraus auch, dass die Enteignung nicht dazu dienen kann, ausschließlich private Konflikte zu schlichten457. Sie ist „kein Instru­ ment zur Umverteilung von Eigentum“458. Für privatwirtschaftliche Unter­ nehmen, die bezwecken, eine Rohrleitung zu errichten, kann eine Enteignung deshalb niemals allein mit dem Verweis darauf gerechtfertigt werden, dass ohne die Leitung ein wirtschaftlicher Schaden für das Unternehmen resul­ tierte, der den Wert des von dem Vorhaben betroffenen Grundstückes um ein Vielfaches überstiege. Auch wenn eine zu errichtende Pipeline das Geschäft eines Unternehmens noch so rentabel machte, ist im Rahmen der Zulässig­ keit einer Enteignung eine derartige Aufrechnung gegenläufiger privater In­ teressen nach dem Grundgesetz nicht vorgesehen. cc) Beruhen auf offensichtlich unzulässiger Beurteilung Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ausübung seiner Kon­ kretisierungskompetenz ist nicht mit einem Freibrief zu verwechseln, bar je­ der gerichtlichen Kontrolle Erwägungen und Schlussfolgerungen treffen zu dürfen, die auf nicht richtig ermittelten Tatsachengrundlagen beruhen. Ge­ nauso wenig ist der Gesetzgeber frei darin, aus richtig ermittelten Tatsachen­ grundlagen logisch falsche Schlussfolgerungen zu ziehen. Zumeist wird der Gesetzgeber bei seiner Entscheidung über Gemeinwohlziele Prognosen anzu­ stellen haben, welche Wirkungen ein bestimmtes Vorhaben zukünftig entfal­ ten wird459, und Wertungen dazu treffen müssen, ob er für das Eintreten dieser Wirkungen eine Enteignung zulassen möchte. Soweit bei dieser Prog­ nose und der auf deren Basis vorgenommenen Konkretisierung des Wohls der Allgemeinheit „Wertungen und Erwägungen“ eine Rolle spielen, sind diese nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann unbe­ achtlich, „wenn sie eindeutig widerlegbar oder offensichtlich fehlsam sind“460. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Gericht die getroffenen Ge­ meinwohlvorstellungen durch eigene ersetzen darf461.

456  Schack,

Enteignung (Fn. 428), S. 76. in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2278. 458  Leisner (Fn. 16), § 173 Rn. 220; vgl. auch Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 682. 459  Zur Unumgänglichkeit von prognostischen Einschätzungen bei der Beurteilung von Gesetzeswirkungen vgl. BVerfGE 106, 62 (150 f.). 460  BVerfGE 24, 367 (406); 95, 1 (22 f.); BVerfG NVwZ 2008, 1229 (1231). 461  Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 118. 457  Dietlein,

90

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Prognosen des Gesetzgebers sind im Hinblick auf den Gemeinwohlbegriff des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs­ gerichts „daraufhin überprüfbar, ob der Sachverhalt zutreffend ermittelt und der Prognose eine geeignete Methode zu Grunde gelegt worden ist“462. Die Überprüfung einer zutreffenden Ermittlung bzw. geeigneter Methoden ist in der Regel nur dann möglich, wenn die jeweilige Prognose auch begründet worden ist. Die zugrunde gelegten Tatsachen und die wissenschaftlichen Er­ kenntnismethoden müssen deshalb vom Gesetzgeber nachvollziehbar darge­ legt werden463. Dies bedeutet indes nicht, dass sich die Prognosebegründung schon aus dem Enteignungsgesetz ergeben muss. Eine Nachvollziehbarkeit ist etwa bereits dann gegeben, wenn sich aus den Gesetzesmaterialien, etwa der Begründung, entnehmen lässt, auf welchen Tatsachen und Methoden der Gesetzgeber seine Einschätzung begründet hat. Eine sachgerechte und ver­ tretbare Prognose liegt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dann nicht mehr vor, wenn die Prognose auf „ ‚gegriffene[n]‘ Ansätzen“464 basiert und es aus der gesetzgeberischen Perspektive zum Zeitpunkt der Entschei­ dung „naheliegende Möglichkeiten besserer Informationsgewinnung“465 ge­ geben hätte. Das Risiko einer Fehlprognose wohnt jeder Einschätzung über zukünftige Entwicklungen inne. Hält der Gesetzgeber die oben skizzierten Anforderungen ein, soll er insofern keine „negative verfassungsrechtliche Beurteilung“ befürchten müssen466. In projektbezogenen Enteignungsgesetzen, die die Enteignung zugunsten von Rohrleitungsanlagen zum Gegenstand haben, wird vom Gesetzgeber häufig die Stärkung eines bestimmten Wirtschaftssektors als verfolgtes Ge­ meinwohlziel in das jeweilige Enteignungsgesetz aufgenommen467. Wenn sich hierzu aus der Gesetzesbegründung ergibt, welche konkreten Ansied­ lungspotentiale der Gesetzgeber infolge der Pipeline annimmt468 und diese Potentiale mit einem Vergleich der Entwicklung im Bereich bestehender Pipelines469 bzw. mit der strategischen Ausrichtung konkret benannter Unter­

462  BVerfG

NVwZ 2008, 1229 (1231). NVwZ 2008, 1229 (1231); BVerfG NVwZ 1993, 666 (670). 464  BVerfG NVwZ 2008, 1229 (1231); BVerfG NVwZ 2007, 1405 (1408). 465  BVerfG NVwZ 2008, 1229 (1231); BVerfG NVwZ 2007, 1405 (1408). 466  BVerfG NJW 2003, 41 (54). 467  Vgl. zum Beispiel § 1 Abs. 2 Nr. 1 BWEthylRohrlG (Ausbau und Stärkung des Chemie- und Petrochemiestandortes Baden-Württemberg) oder § 2 Nr. 1 NRWRohrlG (Stärkung der wirtschaftlichen Struktur der Chemieindustrie und der mittelständi­ schen kunststoffverarbeitenden Unternehmen). 468  BW LT-Drs. 14/5171, S. 9. 469  Hier: Die bestehende Ethylenpipeline ARG zwischen Antwerpen, Köln und Marl, entlang derer rund 40 % der heutigen Anrainer Unternehmen und Anlagen zu 463  BVerfG



II. Allgemeinwohl91

nehmen470 begründet werden, genügt dies den durch das Bundesverfassungs­ gericht aufgestellten Anforderungen, da der Gesetzgeber insofern keine „ge­ griffenen Ansätze“ verwendet. Zuweilen wird ausdrücklich auch die Siche­ rung von Arbeitsplätzen als Gemeinwohlziel aufgenommen471, ein Aspekt, der naturgemäß eng mit der Stärkung eines Wirtschaftssektors verknüpft ist. Wenn in der Gesetzesbegründung der Beitrag des Vorhabens zur Standort­ sicherung erläutert wird und hierauf aufbauend dargestellt wird, der Erhalt wie vieler Arbeitsplätze an welchen Standorten langfristig gefördert werden kann472, ist von einer sachgerechten gesetzgeberischen Prognose auszugehen und eine „offensichtliche Fehlsamkeit“ ausgeschlossen. Ein prognostisches Element enthält neben den bereits angesprochenen Aspekten der Stärkung eines Wirtschaftssektors bzw. der Sicherung von Ar­ beitsplätzen u. a. auch der in projektbezogenen Enteignungsgesetzen häufig angeführte Umwelt- und Klimaschutz473. Soweit aufgezeigt wird, worin der Vorteil für die Umweltbilanz im Rahmen der Vorhabenrealisierung besteht, insbesondere etwa anhand einer wissenschaftlichen Studie verschiedene Transportmöglichkeiten hinsichtlich ihrer CO2-Bilanz verglichen werden474, liegt damit ein Gemeinwohlziel auf Grundlage einer vertretbaren Prognose des Gesetzgebers vor, über das sich das Gericht nicht hinwegsetzen kann. c) Positive Merkmale des Gemeinwohls Aufgrund der vorbeschriebenen Tatsache, dass der Gemeinwohlbegriff gem. Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG der Auswahlkompetenz des aktuellen Gesetzge­ bers und damit stetiger Veränderung475 unterliegt, muss eine positive, trenn­ scharfe und subsumptionsfähige Umschreibung scheitern476. Gleichwohl werden in Rechtsprechung und Literatur einzelne Aspekte angeführt, die insbesondere das inhaltliche Gewicht des Wohls der Allgemeinheit gem. Beginn des Baus des ARG noch nicht tätig gewesen seien, BW LT-Drs. 14/5171, S. 10. 470  Hier: Die Mineralölraffinerie Oberrhein GmbH & Co. KG (MiRO) in Karls­ ruhe, BW LT-Drs. 14/5171, S. 10 f. 471  Vgl. etwa § 2 Abs. 1 Nr. 1 NRWRohrlG. 472  NRW LT-Drs. 14/909, S. 6 f.; hier: 300 Arbeitsplätze im Chemiepark KrefeldUerdingen, mittelbar 800 Arbeitsplätze in der Produktion der petrochemischen Roh­ stoffe landesweit. 473  Vgl. z. B. Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 1 BayRohrlEnteigG bzw. ähnlich § 1 Abs. 2 Nr. 6 BWEthylRohrlG („Verbesserung der Umweltbilanz“). 474  Bay LT-Drs. 15/10316, S. 6. 475  Vgl. oben Kapitel E. II. 1. a) cc). 476  Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 118 unter Verweis auf Häberle, Interesse (Fn. 377), S. 508.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG positiv charakterisieren sollen, freilich ohne dass hieraus eine feststehende, allgemeingültige Definition477 resultiert. aa) Enteignungsrechtliche Gemeinwohlintensität Das Bundesverfassungsgericht fordert von dem durch den Gesetzgeber konkretisierten Gemeinwohlziel ein spezifisches Gewicht478. Auch in der Literatur wird eine bestimmte Intensität des verfolgten öffentlichen Interes­ ses verlangt. Wenn hier nicht bereits die entsprechenden Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts aufgenommen werden479, wird sehr ähnlich for­ muliert und von einem „gesteigerte[n], sachlich objektive[n]“480, einem „be­ sonders qualifizierten öffentlichen“481, einem „besonders gewichtige[n] und dringende[n]“482 oder einem „spezifischen enteignungsrechtlichen“483 öffent­ lichen Interesse, einem „gewichtige[m] Grund des Allgemeinwohls“484 oder „besonderen Gemeinschaftsinteressen“485 gesprochen486. Die Forderungen nach einem spezifischen Gewicht des verfolgten Ge­ meinwohlziels wird insbesondere mit der „freiheitssichernden Funktion“ des Eigentumsgrundrechts begründet487. Jeder Enteignung wohne angesichts dessen schon grundsätzlich eine besondere Eingriffsintensität inne488, die nicht durch jedes beliebige öffentliche Interesse gerechtfertigt werden könne. 477  Zu den bisherigen Versuchen vgl. ausführlich Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S.  115 ff. 478  BVerfGE 134, 242 (292  f. Rn. 169 u. 173): „besonderes Gewicht“; ähnlich E 66, 248 (257): „besondere[r], im öffentlichen Nutzen liegende[r] Zweck“; strenger E 74, 264 (289) und BVerfG WM 2009, 422 (423): „besonders schwerwiegendes, dringendes öffentliches Interesse“. 479  Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 604; Battis (Fn. 377), § 87 Rn. 2; Axer (Fn. 435), Art. 14 Rn. 116; M.  Beckmann, Enteignung, in: K. Redeker/M. Uechtritz (Hrsg.), Anwaltshandbuch Verwaltungsverfahren, 4. Aufl. 2020, Rn. 15. 480  Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 99; Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 207 unter Be­ rufung auf O. Kimminich, in: BK GG (Fn. 12), Art. 14 (1992), Rn. 273; Hofmann (Fn. 44), Art. 14 Rn. 74; kritisch zu dieser Formulierung Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 118. 481  Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 252. 482  Bell, Enteignung (Fn. 377), S. 369. 483  Schulte, Eigentum (Fn. 377), S. 71. 484  U. Prall, Zur Abgrenzung von gemein- und privatnützigen Planfeststellungen, in: NordÖR 2001, S. 187 (189). 485  Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2276. 486  Zu weiteren ähnlichen Formulierungen vgl. W. Leisner, Bestandsgarantie des Eigentums – vom Bergrecht unterminiert?, in: DVBl. 1988, S. 555 (557) m. w. N. 487  BVerfGE 74, 264 (289). 488  BVerfGE 134, 242 (293 Rn. 173).



II. Allgemeinwohl93

Den Steigerungsformulierungen als solchen lässt sich zum materiellen Inhalt des Gemeinwohls allerdings kaum etwas entnehmen, da ein abgrenzbarer Schweregrad durch sie nicht vorgegeben wird489. Messbare Anhaltspunkte für die Ermittlung des erforderlichen Gewichts werden regelmäßig nicht ge­ nannt. bb) Abgrenzung zu Art. 14 Abs. 2 S. 2  GG Das erforderliche Gewicht des Gemeinwohlziels betreffend lässt sich für eine grobe Konturierung jedenfalls festhalten, dass das in Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG angesprochene Wohl der Allgemeinheit eine andere Bedeutung hat als das in Abs. 2 S. 2 angesprochene490. Die Funktion des Begriffes ist je­ weils unterschiedlich491: Während dem Gesetzgeber über Abs. 2 S. 2 aufge­ geben ist, die Eigentumsordnung unter gleichberechtigter Berücksichtigung von Individualinteressen und Allgemeinwohl („zugleich“) ausgewogen aus­ zugestalten492, steht in Abs. 3 S. 1 der Eigentumsschutz im Fokus, bei dem das Allgemeinwohl die Eingriffsgrenze markiert493. Im Fall der Enteignung tritt ein Übergewicht des Gemeinwohls über die Individualinteressen zutage. Daraus ergibt sich, dass in Abs. 3 strengere Anforderungen an das Gemein­ wohl gestellt werden müssen als bei der Ausgestaltung des Eigentums nach Abs. 2494. Die „Eingriffsschwelle“ liegt höher495. Gleichwohl bleibt festzu­ stellen, dass auch mit dieser Erkenntnis nichts Skalierbares im Hinblick auf die konkrete Bestimmung der Gemeinwohlintensität nach Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG gewonnen ist. 489  Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 120; kritisch zu diesen Steigerungsformu­ lierungen ebenfalls Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 118. 490  Bryde (Fn. 84), Art. 14 Rn. 79; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 603; v.  Brünneck, Eigentumsgarantie (Fn. 398), S. 407; Smeddinck/Au, „Lex Airbus“ (Fn. 427), S. 275; a. A. Hamann/Hamann jr./Lenz (Fn. 44), Art. 14 Rn. 9; Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 207. 491  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (275  f.); Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 207; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 112. 492  W. Böhmer, Die rechtsgeschichtlichen Grundlagen der Abgrenzungsproblema­ tik von Sozialbindung und Enteignung, in: Der Staat 24 (1985), S. 157 (193); ­Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 112; vgl. auch Bryde (Fn. 84), Art. 14 Rn. 79. 493  Bryde (Fn. 84), Art. 14 Rn. 79; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 112. 494  Bryde (Fn. 84), Art. 14 Rn. 79; Prall, Abgrenzung (Fn. 484), S. 189; Ehlers, Eigentumsschutz (Fn. 79), S. 240; a. A. Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 207 und Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 195, die zwar die unterschiedlichen Funktionen des Begriffes, nicht aber einen qualitativen Unterschied anerkennen. 495  Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 129; vgl. auch Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2276, der insoweit gar einen „deutlich[en]“ Unterschied erkennt, sowie v.  Brünneck, Eigentumsgarantie (Fn. 398), S. 413; a. A. Depenheuer (Fn. 16), § 111 Rn. 84.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

cc) Staatsaufgaben als messbarer Schweregrad von Gemeinwohlintensität? Vereinzelt wird geäußert, dass insbesondere staatliche Aufgaben solche Gemeinwohlziele darstellen, welche den für die Rechtfertigung einer Enteig­ nung erforderlichen Schweregrad erreichen496. Staatsaufgaben als Teilmenge der öffentlichen Aufgaben497 sind solche Tätigkeitsbereiche, die dem Staat rechtlich zugewiesen oder zugänglich sind498 bzw. solche Aufgaben, die er im Rahmen der Verfassungsordnung an sich zieht499. Der Bereich der staat­ lichen Aufgaben ist offen500. Der Staat hat jedoch kein „Gemeinwohlmonopol“501. Dies zeigt schon die Sozialbindungsklausel des Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG502. Auch aus Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG ergibt sich kein Monopol des Staates zur Verwirklichung des Ge­ meinwohls503. Zudem lassen sich auch aus der Zuordnung einer öffentlichen Aufgabe zu den Staatsaufgaben keine Rückschlüsse auf ihre verfassungs­ rechtliche Qualität ziehen504. Einen Gemeinwohlbelang vermögen deshalb nicht nur Staatsaufgaben, sondern alle öffentlichen Aufgaben abzubilden505. 496  Vgl. etwa Böhmer, Sondervotum, BVerfGE 56, 266 (279), der eine „dringende staatliche Aufgabe“ fordert und Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 100, der auf „ele­ mentare[n] staatliche Aufgaben“ verweist; ähnlich Ehlers, Eigentumsschutz (Fn. 79), S. 239, Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht (Fn. 43), S. 243 und H. J. Wolff/ O. Bachof/R. Stober/W. Kluth, Verwaltungsrecht II, 7. Aufl. 2010, § 71 Rn. 50. Auch R. Walther, Die Regulierung der Elektrizitätsnetzentgelte nach der Anreizregulie­ rungsverordnung, 2009, S. 141 f. scheint davon auszugehen, dass für eine Enteignung die Zuweisung einer Staatsaufgabe zu fordern sei. 497  Isensee (Fn. 377), § 73 Rn. 13; W. Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, 2002, S. 25; M. Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, S. 42, 44; zum Begriff der Verwaltungsaufgaben und seiner Abgrenzung zu Staatsaufgaben und öffentlichen Aufgaben vgl. S. Baer, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/ A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 11 Rn.  11 ff. 498  H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 50; Martens, Rechtsbegriff (Fn. 377), S. 131; Isensee (Fn. 377), § 73 Rn. 13. 499  F. Ossenbühl, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, in: VVD­ StRL 29 (1971), S. 137 (153) m. w. N.; für ein solches formelles Verständnis der Staatsaufgaben auch T. Hansen, Indienstnahme und Verfassungstreue, 2020, S. 42 ff., 399. 500  Ossenbühl, Erfüllung (Fn. 499), S. 153. 501  J. Isensee, Konkretisierung des Gemeinwohls in der freiheitlichen Demokratie, in: v. Arnim/Sommermann, Gemeinwohlgefährdung (Fn. 433), S. 95 (107); ders. (Fn. 389), § 71 Rn. 110; Weiß, Privatisierung (Fn. 497), S. 22 m. w. N.; Hansen, In­ dienstnahme (Fn. 499), S. 46; Engel, Enteignung (Fn. 96), S. 546; Hermes, Infrastruk­ turverantwortung (Fn. 132), S. 156. 502  Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 169. 503  Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 78, 170, 290.



II. Allgemeinwohl95

Ohnehin würde das Problem hinreichender Abgrenzung auch nach den Ausführungen von Böhmer oder Frenzel nur an andere Stelle verlagert: Nach einer Anleitung, wie „dringende“ oder „elementare“ staatliche Aufgaben506 abstrakt zu bestimmen sind, sucht man in den Ausführungen der betreffenden Autoren vergebens507. Aus der Qualifikation einer Aufgabe als Staatsaufgabe können daher vor diesem Hintergrund insgesamt keine Rückschlüsse auf eine hinreichende Gemeinwohlintensität gezogen werden. dd) Anforderungen an die Gemeinwohlintensität bei Enteignungen zugunsten Privater Im Kontext der Gemeinwohlintensität bei Enteignungen zugunsten Priva­ ter fordern das Bundesverfassungsgericht und Teile der Literatur ein „hinrei­ chend schwerwiegendes, spezifisch öffentliches“508 Interesse. In einem jün­ geren Judikat wird in diesem Zusammenhang auch nur noch ein „ausreichend gewichtiges“ Gemeinwohlziel verlangt509. Undeutlich bleibt hierbei, ob mittels dieser Formulierungen hinsichtlich der Gemeinwohlintensität bei Enteignungen zugunsten Privater ein anderer Maßstab angesetzt werden soll als an Enteignungen allgemein510. Dafür, dass das Bundesverfassungsgericht für privatbegünstigende Enteignungen inso­ fern strengere Anforderungen stellt, streitet die Systematik des Garzweiler504  S. Korioth, in: Maunz/Dürig, GG (Fn. 9), Art. 30 (2006), Rn. 14 unter Verweis auf Weiß, Privatisierung (Fn. 497), S. 25; Uerpmann-Wittzack, Interesse (Fn. 375), S. 32; Martens, Rechtsbegriff (Fn. 377), S. 118; Breuer, Anmerkung (Fn. 23), S. 974. 505  Vgl. Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 120; Weiß, Privatisierung (Fn. 497), S. 22 ff.; Jagst, Enteignung (Fn. 5), S. 203; Brugger, Enteignung (Fn. 404), S. 65 in Fn. 52; Hansen, Indienstnahme (Fn. 499), S. 46; ebenso Burgi, Privatisierung (Fn. 497), S. 356 in Fn. 58 unter Erläuterung weiterer Konsequenzen eines anderen Verständnis­ ses; a. A. Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 209; unentschlossen D.  Raschke, Die Regio­ nalisierung als Voraussetzung der Entwidmung von Bahnanlagen, 2007, S. 144. 506  Zur Verwendung dieser wiederum unbestimmten Rechtsbegriffe vgl. oben Fn. 496. 507  Zur Kritik an den diesbzgl. Ausführungen Böhmers vgl. v. Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 426. 508  BVerfGE 134, 242 (295 Rn. 178) unter Hinweis auf E 74, 264 (281 ff., 289); BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 24); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 642; Papier/ Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 688; Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 345; ähnlich Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 460 und Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1663, der ein „besonders schwerwiegendes, dringendes öffentliches Interesse an der Enteignung“ fordert. 509  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 Rn. 38, 40, 42). 510  Dies bejaht Hermes, Energieversorgung (Fn. 8), S. 68; vgl. zu den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts an die grundsätzliche enteignungsrechtliche Gemein­ wohlintensität oben Kapitel E. II. 1. c) aa).

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Urteils, in welchem das Gericht grundsätzlich für jede Enteignung voran­ stellt, dass ein „besonderes Gewicht“ des Gemeinwohlziels zu fordern sei511, und sodann speziell mit dem Fokus auf Enteignungen zugunsten Privater ein „hinreichend schwerwiegendes, spezifisch öffentliches Interesse“512 verlangt. Allerdings verwendet das Bundesverfassungsgericht hierbei die Formulie­ rung „auch unter Berücksichtigung der Privatnützigkeit“513. Zudem deutet der Verweis auf „BVerfGE 74, 264 [281 ff., 289]“514, wo das Bundesverfas­ sungsgericht auf Enteignungen generell rekurriert, darauf hin, dass das Bun­ desverfassungsgericht bei Enteignungen zugunsten Privater bzgl. der Ge­ meinwohlintensität von den gleichen Anforderungen wie an alle Enteignun­ gen ausgeht515. Sollten strengere Anforderungen an das spezifische Gewicht des verfolg­ ten Gemeinwohlziels bei Enteignungen zugunsten Privater gestellt werden, ist diesen Ansinnen eine Absage zu erteilen. Entscheidend ist für die Prüfung, ob die Enteignung für ein bestimmtes Vorhaben verfassungsrechtlich zulässig ist, das hinter der Enteignung stehende Gemeinwohlziel, nicht die Person des Begünstigten516. Die objektive Bedeutung des Gemeinwohlziels ist losgelöst vom Enteignungsbegünstigten zu bewerten. Es ist unabhängig von dem ­Privatinteresse zu prüfen517. Der Stellenwert des Gemeinwohlziels wird nicht dadurch (nachteilig) verändert, dass von der Enteignung ein Privater profi­ tiert. Vor diesem Hintergrund geht es deshalb nicht um die Frage, ob die Gewinnerzielungsabsicht des Privaten angesichts der Gemeinwohlintensität in den Hintergrund tritt518. Wenn zur Begründung eines besonderen Intensi­ tätsgrades bei der privatbegünstigenden Enteignung auf die Gefahr des „Mißbrauch[s] des Enteignungsrechts“ hingewiesen wird519, ist dem entge­ genzuhalten, dass auch Enteignungen zugunsten der öffentlichen Hand nicht per se vor einem Zweckmissbrauch des enteigneten Grundstücks geschützt 511  BVerfGE 134,

242 (292 f. Rn. 169 u. 173). 242 (295 Rn. 178). 513  BVerfGE 134, 242 (295 Rn. 178; Hervorhebung nicht i. O., L. C.). 514  BVerfGE 134, 242 (295 Rn. 178). 515  Dem gegenüber jedoch wieder BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 Rn. 42): „stellt sich das Gemeinwohlziel […] unter Berücksichtigung der erhöhten Anforde­ rungen für Enteignungen zugunsten Privater als ausreichend gewichtig dar“. 516  Vgl. hierzu ausführlich Kapitel E. II. 2. 517  v. Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 430. 518  So aber G.-H. Zimmer, Flurbereinigung aus städtebaulichen Gründen und pri­ vatnützige Enteignung, in: DÖV 1986, S. 1001 (1006); ähnlich Hufen, Staatsrecht II (Fn. 79), § 38 Rn. 35 und Schack, Enteignung (Fn. 428), S. 76. 519  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (279); vgl. hierzu Gerhardt, Beson­ derheiten (Fn. 90), S. 1663. Zu diesem Argument in der Diskussion um die Siche­ rungserfordernisse bei Enteignungen zugunsten Privater vgl. unter Kapitel E. IV. 512  BVerfGE 134,



II. Allgemeinwohl97

sind520. Eine sorgfältige Prüfung des Gemeinwohlgewichts mag bei privatbe­ günstigenden Enteignungen angezeigt sein521, nicht aber das Anlegen stren­ gerer Maßstäbe an dieses als bei anderen Enteignungen auch. ee) Gemeinwohl als Ergebnis einer bilanzierenden Abwägung Den Forderungen nach einem bestimmten Gewicht der verfolgten Gemein­ wohlaufgabe ist letztlich immanent, dass die vom Gesetzgeber zu bestim­ menden Gemeinwohlziele qualitativ derart beschaffen sein müssen, dass ih­ nen bei einer Abwägung anhand einer objektiven, „typisierenden“522 Be­ trachtung generell der Vorrang gegenüber den regelmäßig betroffenen öffent­ lichen523 und privaten Belangen zukommt524. Insoweit stellt sich das Wohl der Allgemeinheit als sogenannter Bilanzbegriff525 dar. Das Gemeinwohlziel muss für sich schon so gewichtig sein, dass es eine Enteignung abstrakt zu rechtfertigen vermag526. Der dahinterstehende Abwägungsvorgang wird me­ thodisch regelmäßig als gestufte Prüfung konzipiert, die – mit unterschied­ lichen Abstufungen im Einzelnen – die Ermittlung der gegenläufigen Interes­

520  Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588; vgl. auch Neupert, Siche­ rung (Fn. 294), S. 130 unter Hinweis auf das Mitwirken der Kommune im Fall der Enteignung für die Bad Dürkheimer Gondelbahn; vgl. zu diesem Fall schon Kapi­ tel D. I.; vgl. zudem Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1668 mit Hinweis auf die Möglichkeit der Umwidmung durch den Staat. 521  Vgl. etwa Burgi, Privatisierung (Fn. 497), S. 355 („erhöhte Aufmerksamkeit“). 522  Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 600 u. 604. 523  Insbesondere das „generelle verfassungskräftige Interesse am eigentumsrechtli­ chen Bestandsschutz“, Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 207; ähnlich Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588. Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 77, stellt klar, dass der Bestandsschutz insofern sowohl den öffentlichen als auch den privaten Belangen zu­ zurechnen ist. 524  Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 160; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 604; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 428; Bryde (Fn. 84), Art. 14 Rn. 79; Badura (Fn. 44), § 10 Rn. 62; Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 168; ders., in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2277; Uerpmann-Wittzack, Interesse (Fn. 375), S. 122 f.; Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1504 f.; Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 274; Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 267; Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588; Breuer, Anmerkung (Fn. 23), S. 974; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S.  113 ff.; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 135 ff.; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S.  79 ff.; v. Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 427 ff.; W. Erbguth, Das Dilemma der Ent­ eignung zugunsten privatnütziger Vorhaben, in: NordÖR 2005, S. 55 (56). 525  Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 207; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 603. 526  BVerfGE 134, 242 (293 Rn. 173); Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1664; aufschlussreich ferner Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588: Gemein­ wohlziel „nicht eine Frage der Interessenauswahl, sondern der Interessenintensität“.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

sen unter Aussonderung nach Negativschranken527 und die Gewichtung der Interessen gegeneinander umfasst528. (1) Abwägungsvorgang und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Nicht zu diesem enteignungsrechtlichen Abwägungsvorgang gehört die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes529. Dieser folgt auch bei einem enteignungsrechtlichen Hintergrund aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3  GG530 und ist als selbstständiger Teil der Überprüfung der Verfas­ sungsmäßigkeit einer Enteignung in Ergänzung531 des Gemeinwohlbezugs zu betrachten. Zur Ermittlung des Wohls der Allgemeinheit trägt er nicht bei. Der Rekurs auf den verfassungsmäßigen Rang des Verhältnismäßigkeits­ grundsatzes532 allein erklärt nicht, warum dieser in der Prüfung des Allge­ meinwohls berücksichtigt werden muss. Vielmehr wird die Verhältnismäßig­ keitsprüfung gerade in Relation zum Gemeinwohl vorgenommen533; legitimer 527  Vgl.

zu diesen schon Kapitel E. II. 1. b) aa). Ausgestaltung des Abwägungsvorgangs im Einzelnen vgl. die Ausführun­ gen bei v.  Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 427 ff.; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S.  135 ff.; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 113 ff.; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 79 ff. 529  BVerfGE 24, 367 (404); 45, 297 (335); 53, 336 (349); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 53 ff. (inso­ weit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt); Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (280 ff.); Holznagel, Entschädigung (Fn. 136), S. 849; P. Badura, Staatsrecht, 7. Aufl. 2018, Kap. C Rn. 86; a. A. v. Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 427; ders., Eigentumsgarantie (Fn.  398), S.  411  f.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 267; Schack, Enteignung (Fn. 23), S. 589; M. Zastrow, Die Bedeutung der Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen im Planungs- und Wirtschaftsverwal­ tungsrecht, 2006, S. 106; unklar BVerwGE 117, 138 (139). 530  BVerfGE 61, 126 (134); 69, 1 (35); 76, 256 (359); 108, 129 (136); 111, 54 (82); Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 27 Rn. 59; Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 215 m. w. N. in Fn. 1277; a. A. Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 131 in Fn. 586, nach welchen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Grenze der Enteignung unmittelbar aus Art. 14 Abs. 3 GG folge. 531  Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 694; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 431; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2280; Anderheiden, Gemein­ wohl (Fn. 378), S. 95 f.; Jarass, Vorwirkung (Fn. 41), S. 1333; Jagst, Enteignung (Fn. 5), S. 198, 245 ff.; Werner, Legalenteignung (Fn. 84), S. 329; Bell, Enteignung (Fn. 377), S. 370; Schack, Enteignung (Fn. 428), S. 77 sowie ders., Enteignung (Fn. 23), S. 591 in Fn. 42; Erbguth, Entschädigungsansprüche (Fn. 34), S. 201; wohl auch Petersen, Verfassungsrecht II (Fn. 11), § 3 Rn. 144. 532  Vgl. hierzu v.  Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 427 u. Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 91. 533  Zur gestuften Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch das Bundes­ verfassungsgericht siehe schon oben zusammenfassend Kapitel D. VII. 5.; zu den einzelnen Aspekten der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelnen siehe Kapitel E. V. 528  Zur



II. Allgemeinwohl99

Zweck im Rahmen einer enteignungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung kann bereits nur der verfolgte Gemeinwohlbelang selbst sein534. Die Verhält­ nismäßigkeitsprüfung kann demnach nicht dazu dienen, den Begriff des Ge­ meinwohls auszufüllen535. Der Satz, dass „unverhältnismäßige Enteignungen niemals dem Wohl der Allgemeinheit entsprechen“536 ist in dieser Pauschalität deshalb zurückzu­ weisen: Auch bei einem bestehenden Gemeinwohlinteresse kann es insbeson­ dere auf der Stufe der Geeignetheit bzw. der Erforderlichkeit Gründe geben, die trotz eines vorhandenen Gemeinwohlbelangs zur Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme führen. Es ist nicht einzusehen, warum etwa bei der gegebe­ nen Möglichkeit eines rechtsgeschäftlichen Erwerbs einer Grundstücksflä­ che537, die zwingend für die Realisierung einer der Wasserversorgung die­ nenden Rohrleitung benötigt wird, eine Enteignung nicht dem Allgemeinwohl entsprechen kann. Eine solche Enteignung wird dem Gemeinwohl regelmäßig entsprechen, sich an dieser Stelle aber als unverhältnismäßig darstellen, weil es ein milderes Mittel zur Verwirklichung des Zweckes gibt. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, ob die Verhältnismäßigkeitsprüfung bereits im Rahmen der Allgemeinwohlprüfung zu erfolgen hat, gerade nicht „inhaltlich ohne Belang“538. (2) Gerichtliche Bilanzierungskontrolle Hinsichtlich der abwägenden Gewichtung gesteht das Bundesverfassungs­ gericht dem Gesetzgeber – wie schon bei seiner allgemeinen Qualifizierungs­ kompetenz539 – einen Einschätzungsspielraum zu540. Die gesetzgeberische Bilanzierung unterliegt insofern aber einer „verfassungsrechtlichen Vertret­ barkeitskontrolle“541. Im Rahmen einer derartigen Vertretbarkeitskontrolle wird vom Bundesverfassungsgericht regelmäßig geprüft, ob der Gesetzgeber sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren 534  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 626, 629; Hufen, Staatsrecht II (Fn. 79), § 38 Rn. 35. 535  So im Ergebnis auch Bell, Enteignung (Fn. 377), S. 369 f.; Jackisch, Zulässig­ keit (Fn. 5), S. 201. 536  v. Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 427. 537  Aspekt der Erforderlichkeit im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. 538  So aber Zastrow, Bedeutung (Fn. 529), S. 113. 539  Hierzu Kapitel E. II. 1. a). 540  BVerfGE 134, 242 (293 Rn. 173); hierzu Ogorek, Eigentum (Fn. 8), S. 469. 541  BVerfGE 134, 242 (293 Rn. 173); v.  Brünneck, Eigentumsgarantie (Fn. 398), S.  412 f.; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 99 f.; Hermes, Energieversorgung (Fn. 8), S. 68; Ogorek, Eigentum (Fn. 8), S. 469.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Materials orientiert hat542. Der Gesetzgeber muss „die ihm zugänglichen Er­ kenntnisquellen ausgeschöpft haben, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können und einen Verstoß gegen Verfassungsrecht zu vermeiden“543. Der Gesetzgeber kann seine enteignungsrechtliche Gewichtung bei einem projektbezogenen Enteignungsgesetz betreffend eine Pipeline zur Durchlei­ tung von Gas etwa insbesondere darauf stützen, dass typischerweise die Belastung des betroffenen Grundstücks mit einer beschränkt persönlichen ­ Dienstbarkeit in Form eines unterirdischen Leitungsrechts544 ausreichen wird545. Möglicherweise wird aber tatsächlich bei einer Mehrzahl der für die Pipeline benötigten Grundstücke wegen im Boden befindlicher Altlasten eine oberirdische, aufgeständerte Führung der Leitung notwendig, die größere Nutzungsbeeinträchtigungen für die von der Pipeline betroffenen Grund­ stückseigentümer bedingt. Wenn dies bereits im Gesetzgebungsprozess er­ kennbar war, kann eine verfassungsrechtliche Vertretbarkeitskontrolle zu dem Ergebnis führen, dass die typischerweise in Betracht kommenden Ent­ eignungen bereits abstrakt nicht gerechtfertigt sein können und das Enteig­ nungsgesetz sich als verfassungswidrig darstellt. d) Fallbeispiele für Gemeinwohlbelange auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus Wie gezeigt wurde, ist das Wohl der Allgemeinheit gem. Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG kein statischer Begriff. Sein Inhalt hängt ab von dynamischer ge­ setzgeberischer Qualifikation und Gewichtung im einzelnen Fall. Bereits oben546 wurden im Hinblick auf die bisherige bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung solche Allgemeinwohlziele dargestellt, die nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich eine Enteignung zu rechtferti­ gen vermögen. An dieser Stelle sollen einzelne Gemeinwohlbelange in den Kontext ihrer gesetzgeberischen Bilanzierung gestellt und die der gesetzge­ berischen Abwägung zugrunde liegende Situation anhand von Fallbeispielen im Bereich des Rohrleitungsbaus dargelegt werden.

542  BVerfGE 50,

290 (333 f.). 290 (334); BVerfG NJW 2019, 3054 (3064 Rn. 117). 544  In der Regel Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks allein durch die Verpflichtung zur Freihaltung des Bodens oberhalb der verlegten Rohrlei­ tung von Überbauung, Bäumen bzw. tief wurzelnden Pflanzen; vgl. hierzu schon Kapitel B. II. 545  Vgl. hierzu BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 Rn. 42). 546  Kapitel D. VII. 2. 543  BVerfGE 50,



II. Allgemeinwohl101

aa) Gutnachbarschaftliche Beziehungen Im Fall der Mitteleuropäischen Rohölleitung (MERO)547 zog das Bundes­ verwaltungsgericht als maßgebliches Gemeinwohlziel das Interesse der ­Bundesrepublik Deutschland an gutnachbarschaftlichen Beziehungen mit der Tschechischen Republik heran548. Der bayerische Landesgesetzgeber hatte nämlich die Erfüllung der in Art. 18 des Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Republik vom 27. Fe­ bruar 1992 getroffenen Vereinbarungen gem. Art. 1 Abs. 2 Nr. 5 MERO-Ge­ setz als Enteignungszweck festgelegt. Für die Realisierung der Pipeline, die größtenteils unterirdisch geführt wird, war in enteignungsrechtlicher Hinsicht regelmäßig die Belastung benötigter Grundstücke mit einer beschränkt per­ sönlichen Dienstbarkeit ausreichend. Dies hatte der Gesetzgeber bereits im Gesetzgebungsprozess erkannt und entsprechend in seine enteignungsrecht­ liche Abwägung eingestellt549. Art. 2 Abs. 1 S. 2 MERO-Gesetz sah eine Enteignung mit den Mitteln des § 1090 BGB ausdrücklich vor. Das Bundes­ verwaltungsgericht wertete das öffentliche Interesse an der Realisierung der Pipeline in Ansehung des vorbenannten verfolgten Gemeinwohlziels als ge­ wichtiger als die entgegenstehenden Interessen, insbesondere das Interesse betroffener Grundeigentümer an dem Bestand ihres Eigentums550 und bestä­ tigte insoweit die gesetzgeberische Gewichtung. Mitentscheidender Faktor war dabei die geringe Belastungsintensität durch die typischerweise in Be­ tracht kommenden Dienstbarkeiten551. bb) Stärkung der wirtschaftlichen Struktur und Sicherung von Arbeitsplätzen Im Hinblick auf Enteignungen zur Realisierung der KohlenmonoxidRohrleitung zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen ist im zugrundelie­ genden Enteignungsgesetz in § 2 Nr. 1 NRWRohrlG als Enteignungszweck die Erhöhung der Sicherheit und Zuverlässigkeit der Kohlenmonoxidversor­ gung zur Stärkung der wirtschaftlichen Struktur der Chemieindustrie und der 547  Den Enteignungen für diese Rohrleitung lag das Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Vohburg an der Donau und Waid­ haus (MERO-Gesetz) vom 28.4.1994, GVBl. 1994, S. 294, zugrunde. 548  BVerwGE 117, 138 (141); Kritik hieran übt T. Schönfeld, Anmerkung zu BayVGH, Beschluß vom 25.8.1995, Az. 22 CS 95.2269, in: BayVBl. 1996, S. 439 (441). 549  Bay LT-Drs. 12/13627, S. 6. 550  BVerwGE 117, 138 (142). 551  BVerwGE 117, 138 (142).

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

mittelständischen Kunststoff verarbeitenden Unternehmen in NordrheinWestfalen und zur Sicherung von Arbeitsplätzen vorgesehen. Auch diese Pipeline lässt sich typischerweise schon durch eine Belastung der benötigten Grundstücke verwirklichen; eine Beschränkung auf eine derartige Vorgehens­ weise – soweit nicht nachteilig für die Erreichung des Enteignungszwecks – sieht das NRWRohrlG in § 3 Abs. 1 S. 2 vor. Der Gesetzgeber hat insoweit in seinen enteignungsrechtlichen Abwägungsvorgang eingestellt, dass die benötigten Grundstücke nach Verlegung der Pipeline in ihren Grundzügen nutzbar bleiben und nur gewissen Einschränkungen unterliegen552. Das Bun­ desverfassungsgericht beurteilte die gesetzgeberische Bestimmung des Ge­ meinwohlziels gem. § 2 Nr. 1 NRWRohrlG als verfassungsrechtlich zuläs­ sig553. Hinsichtlich der Gewichtung der gegenläufigen Belange hob es die Eingriffsschwere einer jeden Enteignung hervor, wies zugleich aber auf die geringe Belastungsintensität der regelmäßig ausreichenden dinglichen Belas­ tung hin554. Auch die Tatsache, dass nicht nur das die Rohrleitung betrei­ bende Unternehmen, sondern eine Vielzahl von Kohlenmonoxid verarbeiten­ den Betrieben in der Region von der Enteignung profitierten, hat es dabei als Abwägungsfaktor benannt555. cc) Verbesserung der Transportsicherheit Ein weiteres, für Pipelines besonders relevantes Gemeinwohlziel stellt die Verbesserung der Transportsicherheit dar. Dieses Ziel hat der Baden-Würt­ tembergische Landesgesetzgeber in § 1 Abs. 2 Nr. 6 BWEthylRohrlG556 an­ geführt. Der Gesetzgeber hat im Hinblick auf dieses besondere Gemeinwohl­ ziel die potenziellen Gefahrenquellen im Rahmen anderer Transportmöglich­ keiten wie Straße, Schiene oder Binnenschiff dargestellt557. Er hat im Rahmen seiner Qualifikationskompetenz und der abwägenden Gewichtung auch be­ rücksichtigt, dass im Regelfall eine aufgrund des BWEthylRohrlG vorge­ nommene Enteignung nicht den vollständigen Entzug des Grundstückseigen­ tums zur Folge hat, sondern typischerweise die Einräumung einer beschränkt persönliche Dienstbarkeit für die Realisierung der Rohrleitung genügt und

552  NRW

LT-Drs. 14/909, S. 8. NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 30 f.); zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen als Gemeinwohlziel vgl. weiter Zastrow, Bedeutung (Fn.  529), S.  101 ff. 554  BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 31). 555  BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 f. Rn. 31) unter Hinweis auf NRW LT-Drs. 14/ 909, S. 5. 556  Zum BWEthylRohrlG vgl. schon Kapitel C. II. 5. d). 557  BW LT-Drs. 14/5171, S. 13. 553  BVerfG



II. Allgemeinwohl103

eine weitgehende Nutzung erhalten bleibt558. Zudem hat der Gesetzgeber in seinen Abwägungsprozess eingestellt, dass mit den beanspruchten Grundstü­ cken überwiegend landwirtschaftliche Nutzung betroffen ist559. Im Regelfall trete das Integritätsinteresse Betroffener vor diesem Hintergrund zurück560. Das Bundesverfassungsgericht hat diese konkrete Gewichtung verfassungs­ rechtlich nicht beanstandet561. Der Einwand, das Gemeinwohlziel der Trans­ portsicherheit setze voraus, dass der „Transport selbst dem Gemeinwohl dient“562, verfängt nicht: Das bereits bestehende Unfallrisiko der Allgemein­ heit in Baden-Württemberg infolge des Ethylentransportes wird mit der Rea­ lisierung der Rohrleitung durch die Einrichtung eines alternativen Transport­ weges reduziert563. Ethylentransporte auf anderen (risikoreicheren) Wegen werden infolge der Vorhabenrealisierung vermieden564. dd) Zwischenergebnis Anhand der Fallbeispiele ist eindeutig zu erkennen, dass bei Enteignungen zugunsten von Rohrleitungen die typischerweise gegebene Möglichkeit der Bestellung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit565 einen entscheiden­ den Faktor in der enteignungsrechtlichen Gewichtung darstellt. Das Bundes­ verfassungsgericht misst insbesondere unterirdisch verlegten Rohrleitungen typischerweise eine geringfügigere Eingriffsintensität zu. Dem gegenüber können vor dem Hintergrund der weiten gesetzgeberischen Einschätzungs­ prärogative sehr verschiedene Gemeinwohlbelange den betroffenen Interes­ sen in der Abwägung überwiegen und eine Enteignung abstrakt rechtferti­ gen.

558  BW

LT-Drs. 14/5171, S. 16 f. LT-Drs. 14/5171, S. 16; in diesem Zusammenhang weist das Bundesver­ fassungsgericht auf die geringere Eingriffsintensität als etwa im Bereich von Wohn­ bebauung hin, vgl. BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 Rn. 42). 560  BW LT-Drs. 14/5171, S. 16 f. 561  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 Rn. 40–42); vgl. zur enteignungsrechtlichen Gewichtung des Gemeinwohlziels der Verbesserung der Transportsicherheit auch BayVGH, Urteil vom 23.5.2019, 22 B 17/1299, juris, Rn. 24 f. zur insoweit gleichlau­ tenden Vorschrift in § 1 Abs. 2 Nr. 4 BayRohrlEnteigG. 562  Ogorek, Eigentum (Fn. 8), S. 470. 563  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 Rn. 40); vgl. daneben schon Stengel, Grund­ stücksenteignung (Fn. 21), S. 91 zur Zulässigkeit von Enteignungen zugunsten von Rohrleitungsunternehmen aus „sicherheitspolizeilichen Gründe[n]“. 564  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 f. Rn. 44). 565  Zur Art der Belastung durch eine solche vgl. im Einzelnen Ahnis/Bartsch, Dienstbarkeit (Fn. 21), S. 124. 559  BW

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

2. Gemeinwohlbezug als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung Die Enteignung und das Gemeinwohl sind in Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG über die Präposition „zu“ sowie das Adverb „nur“ verknüpft. Während mit der Präposition der hinter der Enteignung stehende Zweck angesprochen wird566, zeigt das Adverb die Ausschließlichkeit dieses Zweckes an. Über beides wer­ den Anforderungen an die Zulässigkeit einer Enteignung gestellt567; insofern stellt Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG nicht allein einen Eingriffsvorbehalt dar, sondert statuiert mit dem Gemeinwohlbezug zugleich eine „Schranken-Schranke“568. a) Enteignungsrechtliche Gemeinwohldienlichkeit Mit der Formulierung „zum Wohle der Allgemeinheit“ ist die Frage aufge­ worfen, in welcher Beziehung die Enteignung zu einem zulässig abgegrenz­ ten Gemeinwohlziel569 stehen muss, um dem Gemeinwohlbezug des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG zu genügen570. In diesem Zusammenhang wird vorgebracht, der Eigentumszugriff müsse zur Realisierung des Gemeinwohlziels erforder­ lich sein, eine Gemeinwohlförderung im Sinne einer Dienlichkeit genüge nicht571. Dem kann nur zugestimmt werden, soweit es die Prüfung der Erfor­ derlichkeit im Rahmen des auch bei der Enteignung zu beachtenden Grund­ satzes der Verhältnismäßigkeit betrifft572. Soweit aber der konkrete Gemein­ wohlbezug des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG angesprochen wird, drückt die Präpo­ sition „zu“ lediglich aus, dass Ziel und Ergebnis der Enteignung das Gemein­ wohl ist. Eine bestimmte Notwendigkeit der Enteignung ergibt sich daraus gerade nicht573. 566  Riedel,

Eigentum (Fn. 16), S. 136. ergeben sich zumindest nicht ohne weitere Erläuterungen unmittelbar aus dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG, sodass der Ausdruck – anders als Schack, Enteignung (Fn. 428), S. 75 meint – nicht „klar“ ist. 568  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (275); Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 135. 569  Hierzu Kapitel E. II. 1. 570  Vgl. hierzu schon BVerfGE 24, 367 (404). 571  Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (276, 278); wohl auch Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588; Ehlers, Eigentumsschutz (Fn. 79), S. 240; Erbguth, Entschädigungsansprüche (Fn. 34), S. 201; G. Manssen, Privatrechtsgestal­ tung durch Hoheitsakt, 1994, S. 230. 572  Hierzu unter Kapitel E. V.: Legitimer Zweck einer jeden Enteignung ist allein das Gemeinwohl. Für die Erforderlichkeit muss die Enteignung die mildeste Maß­ nahme unter allen zur Zweckerreichung gleich geeigneten Mitteln darstellen; anders v. Brünneck, Eigentumsgarantie (Fn. 398), S. 411. 573  So auch Henze, Enteignung (Fn. 185), S. 91; Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1507; T. Regenfus, Vorgaben des Grundgesetzes für die Lösung sachenrechtlicher 567  Diese



II. Allgemeinwohl105

Allerdings reicht es für den Gemeinwohlbezug auch nicht aus, dass das Gemeinwohl lediglich nicht beeinträchtigt wird574. Die Formulierung „zum Wohle“ weist darauf hin, dass nach der Enteignung das Allgemeinwohl ge­ mehrt sein muss575. Soweit mit der Enteignung zugleich ein anderes öffentli­ ches Interesse gemindert wird576, muss als Saldo im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Enteignung ein Mehr an Gemeinwohl verbleiben. Insofern muss die Enteignung das Gemeinwohl insgesamt fördern577 bzw. diesem dienen578. Das Grundgesetz schweigt zu dem jeweiligen Maß der konkreten Förde­ rung579. Dieses ist wiederum eine Frage der enteignungsrechtlichen Verhält­ nismäßigkeitsprüfung580: Je stärker ein Gemeinwohlziel durch das enteig­ nungsbegünstigte Vorhaben gefördert werden kann, desto eher kann die Hürde eines Eingriffes in die Bestandsgarantie des Eigentums überwunden werden. b) Exklusivität des Gemeinwohlbezugs „Nur“ zum Wohle der Allgemeinheit ist die Enteignung zulässig. Die in diesem Adverb zum Ausdruck kommende Exklusivität des Gemeinwohlbe­ zugs beschränkt in erster Linie den legitimen Zweck einer Enteignung. Das bedeutet indes nicht, dass mit einer Enteignung nicht auch gleichzeitig meh­ rere Interessen verfolgt werden können, von denen nicht alle einen Gemein­ wohlbelang abbilden. Für die Zulässigkeit der Enteignung ist allerdings nur das verfolgte Gemeinwohlziel entscheidend. Zuordnungs- und Nutzungskonflikte, 2013, S. 139; irrelevant für Rittstieg, Eigentum (Fn. 377), S. 417; a. A. Schack, Enteignung (Fn. 428), S. 77, wobei undeutlich bleibt, ob zwischen dem tatbestandlichem Gemeinwohlbezug und den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes differenziert wird; undeutlich auch BVerfGE 56, 249 (264). 574  Siehe Pommer, Bahnreform und Enteignung, 2002, S. 166 f. 575  Gramlich, Anmerkung (Fn. 239), S. 596; Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 271 („Plus an Allgemeinwohl“). 576  Auf solche Konstellationen weist Schack, Enteignung (Fn. 428), S. 77 hin; vgl. auch Zastrow, Bedeutung (Fn. 529), S. 111 zu dem Fall der Arbeitsplatzförderung an dem einem und dem Arbeitsplatzabbau an dem anderen Unternehmensstandort. 577  BVerwGE 117, 138 (143); Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 117, 121. 578  Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 86 f.; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 429; Axer (Fn. 435), Art. 14 Rn. 114; Gramlich, Enteignung (Fn. 95), S. 275; Schack, Ent­ eignung (Fn. 428), S. 77; Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1507; vgl. auch Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 167: Herbeiführung eines Zustands, „der dem Allge­ meinwohl besser entspricht, als wenn die Ausführung unterbliebe“. 579  Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 212. 580  BVerfGE 134, 242 (298 Rn. 188); vgl. hierzu Kapitel E. V. 2. u. 3.; anders Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 168, nach welcher auch die konkrete Quantität der Allgemeinwohlsteigerung bereits Teil der Tatbestandsvoraussetzung „zum Wohle“ ist.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

„Nur“ meint demnach nicht, dass eine Enteignung schon deshalb unzuläs­ sig sind, weil gleichzeitig auch andere Ziele oder Interessen als das Gemein­ wohlziel mit ihr verfolgt werden581. Solche Ziele können eine Enteignung zwar für sich genommen niemals rechtfertigen582, stellen aber auf der ande­ ren Seite auch die Zulässigkeit der Enteignung nicht infrage, sofern diese zugleich einem zulässig abgegrenzten Gemeinwohlziel dient583. Die Aus­ schließlichkeit des Gemeinwohlbezugs („nur“) bezieht sich also auf die Ebene der hinreichenden Enteignungsrechtfertigung. Weil für die Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Enteignung Belange, die nicht dem Gemeinwohl zugerechnet werden kön­ nen, keine Rolle spielen, kommt es unter den verfolgten Zielen und Interes­ sen auch nicht darauf an, dass das Gemeinwohlziel die anderen Interessen überwiegt584. Für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Enteignung sind die anderen Interessen vielmehr auszuklammern585. Relevant ist einzig das Gemeinwohl. c) Destinatar des Gemeinwohls und grenzüberschreitende Bezüge Schließlich ist für die Abgrenzung des Tatbestandsmerkmals „zum Wohle der Allgemeinheit“ zu klären, wer bzw. was unter die „Allgemeinheit“ zu fassen ist, also, wessen Wohl durch die Enteignung eigentlich gefördert wer­ den soll. Das damit angesprochene Bezugsobjekt des Gemeinwohls wird gemeinhin als „Destinatar“ bezeichnet586. Damit wird ein Terminus aus dem Stiftungsrecht verwendet, der hier den Nutzungsberechtigten der Stiftungs­

581  So aber Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (294); der typische Fall ist hier das gleichzeitig verfolgte privatwirtschaftliche Interesse des begünstigten Unter­ nehmens; vgl. hierzu außerdem schon H. Stummer, Die öffentliche Zweckbindung der enteigneten Sache, 1967, S. 20. 582  Statt vieler v. Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 430; zu rein privatnützigen Zielen vgl. schon oben Kapitel E. II. 1. b) bb). 583  Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 265: Enteignung „(auch) zum Wohl der Allgemeinheit“. 584  So aber Stengel, Grundstücksenteignung (Fn. 21), S. 29; vgl. zur ähnlich gela­ gerten Frage der hinreichenden Gemeinwohlintensität bei privatbegünstigenden Ent­ eignungen Kapitel E. II. 1. c) dd). 585  Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 210; Dietlein/Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 68; v. Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 430. 586  BVerwGE 117, 138 (140); VGH BaWü NVwZ-RR 2011, 143 (146); J. Isensee, Gemeinwohl und öffentliches Amt, 2014, S. 21, 74, 77; ders. (Fn. 389), § 71 Rn. 22 ff.; vgl. auch schon Stummer, Zweckbindung (Fn. 581), S. 201 („Destinatär“); anders z. B. G.  Lehmbruch, Gemeinwohl und kooperativer Föderalismus, in: v. Arnim/Som­ mermann, Gemeinwohlgefährdung (Fn. 433), S. 165 (171): „Benefiziar“.



II. Allgemeinwohl107

leistungen beschreibt587 – geht es also um den „Nutznießer“588 des Gemein­ wohls, werden insofern gewisse Parallelen erkennbar. Das Gemeinwohl stellt sich als relative Größe dar, die abhängig ist von der dazugehörigen Gemeinschaft589. Ausgangspunkt der Bestimmung des Desti­ natars, also der vom Wohl begünstigten Gemeinschaft, ist die Aufgabe des Gesetzgebers, die Gemeinwohlwohlaufgaben auszuwählen und das Gemein­ wohl so zu konkretisieren590. Diese Konkretisierungsprärogative erstreckt sich soweit, wie auch der Kompetenzbereich des Gesetzgebers reicht591. Vor diesem Hintergrund ist die Reichweite des Gemeinwohls i. S. d. Art. 14 GG auf nationaler Ebene kongruent mit dem Machtbereich der deutschen Staats­ gewalt und dem Geltungsanspruch des Grundgesetzes592. Das bedeutet, Des­ tinatäre des Gemeinwohls sind diejenigen Personen, die im nationalen Staatsverband leben593. Die Erstreckung auf sämtliche in diesem Verband verfassten Menschen und nicht etwa die Beschränkung auf Staatsangehörige erscheint gerade im Zusammenhang mit Art. 14 GG angesichts seines We­ sens als Jedermann-Grundrecht594 konsequent595. 587  J. Fuchs, Destinatär, in: K. Weber (Hrsg.), Creifelds, Rechtswörterbuch, 25. Aufl. 2020; vgl. daneben B. Weitemeyer, in: F. J. Säcker/R. Rixecker/H. Oetker u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. I, 8. Aufl. 2018, § 85 Rn. 42 ff. 588  Begriff in diesem Zusammenhang bei Henze, Enteignung (Fn. 185), S. 86 sowie C.  Offe, Wessen Wohl ist das Gemeinwohl?, in: L. Wingert/K. Günther (Hrsg.), Die Öffentlichkeit der Vernunft und die Vernunft der Öffentlichkeit, 2001, S. 459 (473). 589  U. Di Fabio, Das Gemeinwohl der Weltgesellschaft, in: C. M. Flick (Hrsg.), Das Gemeinwohl im 21. Jahrhundert, 2018, S. 25 (31); J. Isensee, Europäisches Ge­ meinwohl im Maß der Subsidiarität, in: C. Stumpf/F. Kainer/C. Baldus (Hrsg.), Pri­ vatrecht, Wirtschaftsrecht, Verfassungsrecht. Privatinitiative und Gemeinwohlhori­ zonte in der europäischen Integration, 2015, S. 1165 (1169); ders., Gemeinwohl (Fn. 586), S. 19 f.; vgl. außerdem Anderheiden, Gemeinwohl (Fn. 378), S. 131 f. 590  Vgl. hierzu Kapitel E. II. 1. a). 591  Isensee, Europäisches Gemeinwohl (Fn. 589), S. 1169: Gemeinwohl als „kom­ petenzdifferenzierte Größe“; vgl. auch Uerpmann-Wittzack, Gemeinwohlkriterien (Fn. 389), S. 186. 592  Isensee, Gemeinwohl (Fn.  586), S. 74; Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 164; Henze, Enteignung (Fn. 185), S. 86. 593  BVerfGE 117, 138 (140 f.); C. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, in: VVDStRL 48 (1990), S. 7 (22); D. Murswiek, Parlament, Kunst und Demokratie, in: D. Dörr u. a. (Hrsg.), Die Macht des Geistes. Festschrift für Hartmut Schiedermair, 2001, S. 211 (220 ff.); Isensee (Fn. 389), § 71 Rn. 32; Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 164; Uerpmann-Wittzack, Interesse (Fn. 375), S. 29; a. A. Viotto, Interesse (Fn. 377), S. 27 in Fn. 75, die nur Staatsangehörige einbezieht und Ausländer vollständig ausnimmt. 594  Hierzu Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 165. 595  Indes ist damit nicht gesagt, dass das angestrebte Gemeinwohlziel jeweils auf die gesamte Bevölkerung gerichtet sein muss, vgl. dazu Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn.  208; a. A. Gramlich, Enteignung (Fn. 95), S. 275.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Im Rahmen von Enteignungsgesetzen, die der Gesetzgebungskompetenz eines Bundeslandes unterliegen, erstreckt sich die Qualifizierungskompetenz des Landesgesetzgebers über das Gemeinwohl in Würdigung seiner originä­ ren Staatsgewalt zunächst auf das Gebiet des jeweiligen Bundeslandes. Im Rahmen seiner Rechtspflicht zu bundesfreundlichem Verhalten596 hat der Landesgesetzgeber bei der Ausübung seiner Gesetzgebungsbefugnisse aller­ dings Rücksicht auf die Interessen des Bundes und der übrigen Länder zu nehmen, wenn sich die Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung nicht auf sein Landesgebiet begrenzt597. Das Interesse an der Einheit der Rechtsord­ nung im Bundesgebiet und also einem Landesgrenzen übergreifenden Ge­ meinwohlverständnis bestätigt ein solches Ergebnis. Andernfalls würden im Rahmen von länderübergreifenden Leitungsvorhaben Gemeinwohlbelange, die sich ihrerseits auf das Vorhaben in seiner Gesamtheit beziehen, künstlich auseinandergezogen. Die Gesamtleitung würde hinsichtlich ihres enteig­ nungsspezifischen Gewichts ggf. uneinheitlich bewertet. Der Landesgesetz­ geber muss deshalb auch Gemeinwohlbelange aus anderen Bundesländern berücksichtigen können598. Eine parallel gelagerte Frage stellt sich im Verhältnis zwischen der Bun­ desrepublik und ihren Nachbarstaaten. Hier werden bei der Betrachtung von Gemeinwohlzielen angesichts der zunehmenden Verflechtung der Staaten untereinander, insbesondere forciert durch die europäische Integration ver­ mehrt grenzüberschreitende Gesichtspunkte relevant. So wurde etwa im Jahr 1996 die länderübergreifende Mitteleuropäische Rohölleitung (MERO)599 zwischen Vohburg an der Donau und dem nördlich von Prag gelegenen Tanklager Nelahozeves in Betrieb genommen. Hierfür notwendige Enteig­ 596  Zur wechselseitigen Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten siehe BVerfGE 1, 299 (315); „Der im Bundesstaat geltende verfassungsrechtliche Grundsatz des Föde­ ralismus enthält […] die Rechtspflicht des Bundes und aller seiner Glieder zu ‚bun­ desfreundlichem Verhalten‘; d. h. alle an dem verfassungsrechtlichen ‚Bündnis‘ Betei­ ligten sind gehalten, dem Wesen dieses Bündnisses entsprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und zur Wahrung seiner und der wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen.“; kritisch F. Wittreck, Die Bundestreue, in: I. Härtel (Hrsg.), Handbuch Föderalismus – Föderalismus als demokratische Rechtsordnung und Rechtskultur in Deutschland, Europa und der Welt, Band I: Grundlagen des Fö­ deralismus und der deutsche Bundesstaat, 2012, § 18 Rn. 47 ff., 55. 597  BVerfGE 4, 115 (140); 12, 205 (254); vgl. zur Berücksichtigung dieses Grund­ satzes im Rahmen des BWEthylRohrlG BW LT-Drs. 14/5171, S. 15. 598  Vgl. im Ergebnis ebenso VGH BaWü NVwZ-RR 2011, 143 (146); so hat der Baden-Württembergische Landesgesetzgeber im Rahmen des BWEthylRohrlG be­ rücksichtigt, dass auch Chemiestandorte in Bayern und Rheinland-Pfalz im Hinblick auf Anreize für Neuinvestitionen und Arbeitsplätze von der Rohrleitung profitieren, BW LT-Drs. 14/5171, S. 14. 599  Siehe hierzu bereits Kapitel C. II. 5. a) sowie Kapitel E. II. 1. d) aa).



II. Allgemeinwohl109

nungen beschäftigten das Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2002600. Das Gericht äußerte in seinem Urteil, die Deckung des Primärenergiebedarfs der Tschechischen Republik sei kein Gemeinwohlbelang im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG. Denn die Bewohner der Tschechischen Republik gehörten nicht zu den Destinatären des Gemeinwohls601. Allerdings war Tschechien zu die­ ser Zeit noch kein Mitglied der Europäischen Union. Das Bundesverwal­ tungsgericht ließ mögliche Besonderheiten resultierend aus einer Mitglied­ schaft in der Europäischen Union deshalb dahinstehen602. Weitere Gerichte haben sich in diesem Zusammenhang – soweit ersichtlich – bislang nicht geäußert. Die gleichen Fragen stellen sich hinsichtlich der Europäischen Gas-Anbindungsleitung (EUGAL): Diese Pipeline verläuft von Lubmin bei Greifswald an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern in südlicher Rich­ tung bis nach Deutschneudorf in Sachsen und weiter nach Tschechien. Sie dient zumindest zu einem überwiegenden Teil der Versorgung des tschechi­ schen Endverbrauchers. Auch für die Realisierung der EUGAL waren Ent­ eignungen auf deutschem Boden notwendig. Insofern muss hier ebenfalls geklärt werden, ob „ausländische“ Gemeinwohlbelange im Rahmen von Art. 14 Abs. 3 GG Berücksichtigung finden können. In diesem Kontext ist zunächst festzustellen, dass Staaten sich in ihrem eigenen Interesse auf vielfältige Weise in vielfältigen Bereichen mit anderen Staaten gerade deshalb verbinden und verflechten bzw. überstaatliche Ko­ operationen eingehen, um damit zugleich für das von ihnen verantwortete603 Gemeinwohl zu sorgen604. Dies gilt erst recht hinsichtlich solcher übergrei­ fender Gemeinwohlziele, die von Natur aus einer internationalen Ausrichtung bedürfen605. Mit dem Maß solcher supranationalen Verbindungen nimmt folglich auch die personale Reichweite des Kreises der Gemeinwohldestina­ täre zu606 – gleichwohl in Würdigung des Geltungsanspruches des Grundge­ setzes607. 600  BVerwGE 117,

138. 138 (140). 602  BVerwGE 117, 138 (141); vgl. zudem Stenneken, Nutzung (Fn. 183), S. 136. 603  Zur Letztverantwortung des Staates für das Gemeinwohl vgl. Isensee, Gemein­ wohl (Fn. 586), S. 79 ff., 98 ff.; ders. (Fn. 389), § 71 Rn. 114; M. Heintzen, Öffent­ liche Gemeinwohlverantwortung im Wandel, in: VVDStRL 62 (2003), S. 220 (238). 604  Vgl. Isensee, Gemeinwohl (Fn. 586), S. 76. 605  Anderheiden, Gemeinwohl (Fn. 378), S. 161 f., 515, z. B. das kollektive Gut des Friedens, Klimaschutz oder sichere Außengrenzen. Vgl. zu den tragenden Ge­ meinwohlzielen im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses K.-P. Sommermann, Nationales und europäisches Gemeinwohl, in: v. Arnim/ders., Gemeinwohlge­ fährdung (Fn. 433), S. 202 (202 ff.). 606  Isensee (Fn. 389), § 71 Rn. 34. 607  Siehe zu dieser Grenze bereits Fn. 592. 601  BVerwGE 117,

110

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Im Hinblick auf die europäische Integration schreibt das Grundgesetz mit der Staatszielbestimmung608 in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich vor, dass die Bundesrepublik Deutschland zur Verwirklichung eines vereinten Europas bei der Entwicklung der Europäischen Union mitwirkt. Hiermit wird eine rechtliche Handlungsermächtigung des Gesetzgebers609 statuiert, dem hin­ sichtlich des konkreten Integrationsprogrammes eine Gestaltungs- und Ein­ schätzungsprärogative zukommt610. Gleichzeitig leitet das Bundesverfas­ sungsgericht aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG den Grundsatz der Europarechts­ freundlichkeit des Grundgesetzes ab611. Dieser Grundsatz verlangt, insbeson­ dere bei Gestaltungsspielräumen, eine Rechtsauslegung „im Lichte des Staatsziels Europa“612. Unter diesen Prämissen ist auch Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG und der dort statuierte Gemeinwohlbezug auszulegen. Insofern kommt es zu einer „Koppelung der Gemeinwohlsphären“613 von nationaler bzw. supranationaler Ebene. Die Gemeinwohlperspektive ist reziprok zu er­ weitern, sodass der Grundrechtseingriff auf deutscher Seite „über das ‚euro­ päische Gemeinwohl‘ auch im Interesse anderer EU-Bürger“ gerechtfertigt 608  R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG (Fn. 9), Art. 23 (2020), Rn. 5, 50; R. Streinz, in: Sachs, GG (Fn. 16), Art. 23 Rn. 10; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG (Fn. 16), Art. 23 Rn. 10. 609  C. D.  Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG II (Fn. 144), Art. 23 Rn. 7; Scholz (Fn. 608), Art. 23 Rn. 51. 610  F. Wollenschläger, in: Dreier, GG II (Fn. 143), Art. 23 Rn. 37; Scholz (Fn. 608), Art. 23 Rn. 51; vgl. auch BVerfGE 123, 267 (351); 89, 155 (212). 611  BVerfGE 123, 267 (354); 126, 286 (303); 129, 124 (172); 136, 69 (91 Rn. 43); 143, 246 (317 Rn. 196); vgl. zur „Europafreundlichkeit“ des Grundgesetzes daneben Classen (Fn. 609), Art. 23 Rn. 7, 51 und E. Klein, Gedanken zur Europäisierung des deutschen Verfassungsrechts, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit. Fest­ schrift für Klaus Stern zum 65. Geburtstag, 1997, S. 1301 (1304). 612  Wollenschläger (Fn. 610), Art. 23 Rn. 38; vgl. zudem BVerfGE 143, 246 (317 Rn. 196); 73, 339 (386) und BVerfG NVwZ 2020, 53 (57 Rn. 60 ff.). Insofern wer­ den Parallelen zum Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens im Verhältnis Bund – Länder erkennbar, vgl. in diesem Zusammenhang M. Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip im Recht der Europäischen Gemeinschaft: ein Ver­ gleich zur Bundestreue im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S.  92 ff. 613  Sommermann, Gemeinwohl (Fn. 605), S. 207, 211 mit Verweis insbesondere auf solche Klauseln des nationalen Rechts, die sich – wie Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG – auf das öffentliche Interesse (bzw. das Allgemeinwohl) beziehen; ähnlich G. Ress, Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, in: VVDStRL 48 (1990), S. 56 (81): „Verschränkung und Einbeziehung des europäischen Gemeinwohls in die Auslegung und Anwendung der Grundrechte, also eine spezifische europarecht­ liche Grundrechtsinterpretation“; ebenso C. Calliess, Gemeinwohl in der Europäi­ schen Union – Über den Staats- und Verfassungsverbund zum Gemeinwohlverbund, in: W. Brugger/S. Kirste/M. Anderheiden (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, Eu­ ropa und der Welt, 2002, S. 173 (206).



II. Allgemeinwohl111

werden kann614. Damit kann sich die Zulässigkeit von Enteignungen auf bundesdeutschem Gebiet auch über Gemeinwohlbelange der EU615 bzw. von EU-Nachbarstaaten ergeben. Für den Landesgesetzgeber gelten in diesem Zusammenhang in Verbindung mit dem bereits skizzierten Grundsatz bun­ desfreundlichen Verhaltens616 die gleichen Voraussetzungen617. So wird ins­ besondere in projektbezogenen Enteignungsgesetzen stellenweise der Bezug zu ausländischen Gemeinwohldestinatären gesucht618. Nach alldem müsste das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen MERO619 aus heutiger Perspektive anders gefasst werden. Im Hinblick auf die zuvor ebenfalls angesprochene EUGAL stellt der zugrundeliegende Plan­ feststellungsbeschluss für den Teilabschnitt Brandenburg vom 17. August 2018 in Übereinstimmung mit den hier angestellten Erwägungen fest, dass „eine Beschränkung der Zweckbestimmung auf eine Versorgung der deut­ schen Allgemeinheit“ ausscheidet620. In beiden Fällen, MERO und EUGAL, konnte jeweils zugleich mit Gemeinwohlbelangen argumentiert werden, die der deutschen Allgemeinheit zuzuordnen waren. Unter Berücksichtigung der Staatszielbestimmung aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG und der „Europarechts­ freundlichkeit“ des Grundgesetzes ist es eingedenk der vorstehenden Ausfüh­ rungen allerdings ebenso möglich, die Zulässigkeit von Enteignungen voll­ ständig auf gesamteuropäische Gemeinwohlbelange zu stützen621. Mit dem 614  So bereits P. Häberle, „Gemeinwohl“ und „Gemeinsinn“ im national-verfas­ sungsstaatlichen und europarechtlichen Kontext, in: H. Münkler/K. Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, 2002, S. 99 (117). 615  Zu übergreifenden Belangen des europäischen Gemeinwohls vgl. Sommermann, Gemeinwohl (Fn. 605), S. 205 f. 616  Siehe dazu oben Fn. 596 f. 617  Aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens kann sich weiter die Pflicht der Länder zur Beachtung von völkerrechtlichen Verträgen des Bundes ergeben, vgl. BVerfGE 6, 309 (328, 361 f.); 12, 205 (254 f.). 618  Vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 2 BayRohrlEnteigG bzw. § 1 Abs. 1 S. 2 BWEthylRohrlG: „Dies gilt auch unter der Voraussetzung, dass die Anlage […] neben deutschen auch ausländischen Nutzern zur Verfügung stehen kann.“ 619  BVerwGE 117, 138 ff. 620  Planfeststellungsbeschluss und wasserrechtliche Erlaubnisse für die Errichtung und den Betrieb der Erdgasfernleitung EUGAL vom 17.8.2018, Az. 27.1-1-32, S.  510 f., www.lbgr.brandenburg.de/media_fast/4055/PLFB %20EUGAL%2017.pdf (13.1.2021). 621  Letztlich wirken diese übergreifenden „europäischen“ Gemeinwohlbelange, wie etwa Frieden und Wohlstand, auf das jeweilige nationale Gemeinwohl zurück und stellen sich deshalb im Ergebnis in ihrer Zielrichtung als identisch mit dem nationalen Gemeinwohl dar, vgl. hierzu P. Kempf, Bericht über die Diskussion zum Vortrag von Karl-Peter Sommermann, in: v. Arnim/Sommermann, Gemeinwohlgefährdung (Fn. 433), S. 223 (224), Diskussionsbeitrag von W. Brugger. Plakativ fragt Brugger: „Oder gibt es doch ein deutsches Gemeinwohl, was nicht europäisch ist, bzw. gibt es

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

weiteren Fortschreiten der europäischen Integration erscheint es ferner zu­ mindest denkbar, allein nationale Gemeinwohlziele anderer EU-Nachbarlän­ der zur Enteignungsrechtfertigung heranzuziehen. Genau genommen dienen solche Ziele bei länderübergreifenden Vorhaben in letzter Konsequenz immer dem weiteren Zusammenwachsen der Länder zu einem vereinten Europa und damit dem über Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG statuierten Staatsziel als nationalem Gemeinwohlbelang. Gleichzeitig wird – unabhängig von einer Mitgliedschaft in der EU – bei solchen Sachverhalten typischerweise der bereits von Bun­ desverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht bestätigte Gemeinwohlbelang gutnachbarschaftlicher Beziehungen gefördert622. 3. Allgemeinwohl und Privatwirtschaft Der mit der Enteignung verfolgte Zweck ist für ihre Zulässigkeit maßge­ bend623. Parallele vom Enteignungsbegünstigten verfolgte Motive und Inte­ ressen spielen für das Vorliegen eines Gemeinwohlziels keine Rolle624. Weil allein das angestrebte Gemeinwohlziel entscheidet, kommt es auf eine „Über­lagerung“ der privaten Unternehmensstruktur gar nicht an625. Das Wohl der Allgemeinheit und privatwirtschaftliche Interessen, nament­ lich die mit jedem privatwirtschaftlichen Handeln verfolgte Gewinnerwar­ tung, schließen sich somit nicht gegenseitig aus626. Insbesondere sieht das ein europäisches Gemeinwohl, was sich nicht auf deutscher Ebene wiederfindet?“; vgl. daneben schon BW LT-Drs. 14/5171, S. 13: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft als Gemeinwohlziel. 622  BVerfGE 72, 66 (79 f.); BVerwGE 117, 138 (142); hierzu bereits Kapitel E. II. 1. d) aa). 623  BVerfGE 74, 264 (285); Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 642; Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588. 624  Uerpmann-Wittzack, Interesse (Fn.  375), S. 120; Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1673; Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 122; zur Unbeachtlichkeit von gleichzeitig hinter der Enteignung stehenden subjektiven Gewinnerzielungsmotiven des Enteignungsbegünstigten vgl. schon unter Kapitel E. II. 1. c) dd) und Kapitel E. II. 2. 625  So aber BVerfGE 66, 248 (257) und BVerwG NVwZ 1991, 987 (989); gegen die Verwendung der Formulierung in diesem Kontext K. Waechter, Verwaltungsrecht im Gewährleistungsstaat, 2008, S. 264; anders Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 194, nach der „privatwirtschaftliche[s] Erwerbsstreben niemals Motiv und Haupt­ zweck des Betriebes sein“ dürfe. 626  Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 43; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 683, 688; Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 96; Bell, Enteignung (Fn. 377), S. 369; v. Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 430; Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 169; Ehlers, Eigentumsschutz (Fn. 79), S. 240; Anderheiden, Gemeinwohl (Fn. 378), S. 93; vgl. zum Gemeinwohlbezug von Wirtschaftsunternehmen allgemein Farke, Bedeu­ tung (Fn. 402), S. 28.



II. Allgemeinwohl113

Grundgesetz nicht vor, dass Enteignungen, durch die bestimmte (juristische) Personen begünstigt werden, von vornherein unzulässig sind627. Vielmehr stellt sich gerade die privatbegünstigende Enteignung bei näherer Betrach­ tung als historischer Normalfall dar628 und streitet auch der Schutzzweck der Eigentumsgarantie für einen offenen Begriff des Enteignungsbegünstigten629. Partiell können sich private Interessen und Gemeinwohl überschneiden und decken630. Ein materiell-rechtlicher Anspruch des privaten Unternehmens auf Durchführung einer Enteignung ergibt sich daraus aber nicht631. a) Kein verfassungsrechtlicher Ausschluss bestimmter Enteignungsbegünstigter Der Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG schränkt die enteignungsrecht­ liche Zulässigkeit nicht für bestimmte Begünstigte ein632, sondern fokussiert den Zweck der Enteignung633. Auch Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG spricht im Hin­ blick auf die Enteignungsentschädigung lediglich offen von den „Beteiligten“ einer Enteignung634. Ein verfassungsrechtliches Verbot der Enteignung für bestimmte Enteignungsbegünstigte folgt daraus nicht. Ebenso macht die Sozialbindung des Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG deutlich, dass Allgemeinwohl und privates Handeln sich nicht gegenseitig ausschließen635. Wenn das Wohl der Allgemeinheit durch ein Vorhaben des Enteignungsbe­ günstigten gefördert werden soll und dem Staat kein „Gemeinwohlmonopol“ 627  BVerfGE 74,

264 (285); dazu im Folgenden. Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 460 ff.; dazu im Einzelnen unter Kapi­ tel E. II. 3. a) aa). 629  Dazu im Einzelnen unter Kapitel E. II. 3. a) bb). 630  H. D. Jarass, Die Planfeststellung privater Vorhaben, 2003, S. 5 f.; Wunderlich, Rechtsprechung (Fn. 404), S. 91; R. Breuer, Die wasserrechtliche Planfeststellung, in: W. Erbguth u. a. (Hrsg.), Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, S. 667 (680): „Ambivalente Überschneidungs- und Gemengelagen privater und öffentlicher Zwecke“; Regenfus, Vorgaben (Fn. 573), S. 140. 631  Dazu im Einzelnen unter Kapitel E. II. 3. b). 632  Zastrow, Bedeutung (Fn. 529), S. 102; Jagst, Enteignung (Fn. 5), S. 201; Bahls, Ausgangslagen (Fn. 455), S. 451; Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 190; Gramlich, Enteignung (Fn. 95), S. 275; vgl. hierzu auch Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 40, demzufolge der Wortlaut aber weder für noch gegen eine Personenidentität des Ent­ eignungsbegünstigten mit dem Staat spreche. Aus dem älteren Schrifttum Stummer, Zweckbindung (Fn. 581), S. 14. 633  Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 433; Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1505. 634  Vgl. hierzu E. Knoll, Eingriffe in das Eigentum im Zuge der Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse, in: AöR 81 (1956), S. 157 (160). 635  Zastrow, Bedeutung (Fn. 529), S. 102; Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 169. 628  Vgl.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

zukommt636, muss es neben dem Staat weitere mögliche Enteignungsbegüns­ tigte geben. Dies gilt umso mehr, als einige Gemeinwohlziele von privater Seite besser verwirklicht werden können als es der Staat vermag: Die Schaf­ fung und die Sicherung von Arbeitsplätzen liegen in erster Linie in der Hand privater Unternehmer. Auch die Förderung bestimmter Wirtschaftssektoren ist zuvorderst mit der Betätigung und dem wirtschaftlichen Erfolg der betref­ fenden Unternehmen verknüpft637. Bei näherer Betrachtung werden gerade diese Gemeinwohlziele dadurch gefördert, dass sich der enteignungsbegüns­ tigte Unternehmer „so privatnützig wie möglich und damit erfolgreich“638 verhält639. Die Befürchtung, bei der privatbegünstigten Enteignung würden Gemeinwohlziele nur „vorgeschoben“, um dahinterliegende private Interes­ sen zu „verdecken“640, verkennt den engen Zusammenhang zwischen privat­ wirtschaftlichem Unternehmererfolg und Gemeinwohlziel641. Vor diesem Hintergrund sind enteignungsbegleitende private Interessen nicht – wie aber oft vorgetragen642 – ein enteignungsrechtliches Stigma, sondern begünstigen vielmehr regelmäßig eine positive Prognose hinsichtlich der Erreichung des Gemeinwohlziels643. Der Person des Begünstigten kommt deshalb für die Beurteilung der Ver­ fassungsmäßigkeit einer Enteignung keine tragende Rolle zu644. Enteignun­ 636  Zu

dieser Feststellung vgl. schon oben Kapitel E. II. 1. c) cc). Berger, Unternehmerisches Handeln und Gemeinwohl – ein Plädoyer, in: Flick, Gemeinwohl (Fn. 589), S. 139 (140). 638  Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1667 (Zitat); vgl. außerdem Dietlein/ Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 79; ähnlich Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 209. 639  Vgl. zur Verflechtung öffentlicher und privater Interessen Jarass, Planfeststel­ lung (Fn. 630), S. 5 f., hinsichtlich der Enteignung zugunsten privatnütziger Vorhaben S. 7; P. Müller, Abschied von der Planrechtfertigung, 2005, S. 117; zur „Initialwir­ kung“ privaten Handelns für die Gemeinwohlverwirklichung Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 171. Vgl. in diesem Zusammenhang aus der Perspektive der Wirtschafts­ theorie außerdem K. A. Konrad, Wie viel Gemeinwohlorientierung braucht der Unter­ nehmer, in: Flick, Gemeinwohl (Fn. 589), S. 129 (132). 640  Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 183. 641  Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 123 kritisiert diese Befürchtung als „beinahe scheinheilig“, weil die begünstigten Unternehmen nicht unter dem Deckmantel des Altruismus operierten und regelmäßig gar keinen Hehl daraus machten, auch eigene Ziele zu verfolgen. 642  Vgl. nur Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266  ff. passim; Muckel, Ei­ gentumsgarantie (Fn. 63), S. 183; ders., Rohrleitungs-Enteignungsgesetz (Fn. 193), S. 226. 643  Vgl. Bahls, Ausgangslagen (Fn. 455), S. 451; Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1667. 644  BVerfGE 74, 264 (285); vgl. auch Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 211: Person des Enteignungsbegünstigten ohne „ausschlaggebende Bedeutung“ für Enteignungs­ 637  R.



II. Allgemeinwohl115

gen sind im Ausgangspunkt sowohl zugunsten der öffentlichen Hand als auch zugunsten eines öffentlichen Trägers in privater Rechtsform645 als auch zugunsten eines vollständig privatwirtschaftlichen Unternehmens ohne jede staatliche Verflechtung verfassungsrechtlich möglich646. aa) Privatbegünstigende Enteignungen als historischer Normalfall Die Geschichte des Enteignungsrechts ist die Geschichte von Enteignun­ gen zugunsten Privater647. Die privatbegünstigende Enteignung stellt in An­ sehung der enteignungsrechtlichen Historie nicht einen Sonderfall der Eigen­ tumsdogmatik dar, sondern ist eine der „Urformen“ der Enteignung648: So waren noch vor Einführung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten (Preußisches Allgemeines Landrecht – PrALG)649 bzw. des Allge­ meinen Berggesetzes für die Preußischen Staaten (Preußisches Allgemeines

begriff und Enteignungsrechtfertigung; siehe daneben Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1505; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 27 Rn. 61; Bahls, Ausgangslagen (Fn. 455), S. 452; Zastrow, Bedeutung (Fn. 529), S. 103; Regenfus, Vorgaben (Fn. 573), S. 140; Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 189; D. Murswiek, Privater Nutzen und Gemeinwohl im Umweltrecht, in: DVBl. 1994, S. 77 (77). 645  Auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus regelmäßig von Relevanz: Stadtwerke in der Rechtsform der GmbH oder der GmbH & Co. KG. 646  Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 161; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 433; Petersen, Verfassungsrecht II (Fn. 11), § 3 Rn. 144; vgl. auch Murswiek, Nutzen (Fn. 644), S. 78. 647  Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 259; für einen geschichtlichen Überblick vgl. Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 460 ff.; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 33 ff. u. Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 265  ff.; Zastrow, Bedeutung (Fn. 529), S. 102; Jagst, Enteignung (Fn. 5), S. 201; für die ersten Nachweise von Enteignungen insgesamt vgl. J.-P. Blanc, Das öffentliche Interesse als Voraussetzung der Enteignung, 1967, S. 12 f. 648  Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 169, der deshalb den auf einen – ver­ meintlichen – Sonderfall hinweisenden Begriff „Enteignung zugunsten Privater“ als „dogmatisch gewiss wenig glücklich“ kritisiert bzw. eine negative Konnotation be­ fürchtet; ähnlich Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588 mit Kritik am Begriff der „privatnützigen“ Enteignung. 649  Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten vom 5.2.1794, abgedruckt bei H. Hattenhauer/G.  Bernert, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, 1970, S. 51 ff.; enteignungsrechtlich relevant in diesem Zusammenhang ist insbesondere der in §§ 74, 75 der Einleitung zum PrALG statuierte Aufopferungsge­ danke als Mittel der Konfliktlösung zwischen den „Rechte[n] und Vortheile[n] der Mitglieder des Staats“ und dem „Wohle des gemeinen Wesens“; vgl. hierzu A. Niesler, „Aufopferung“ und „Enteignung“ vom ALR bis zum WRV, in: T. Vormbaum (Hrsg.), Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte, Band 8 (2006/2007), 2007, S. 128 (131 ff.).

116

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Berggesetz – PrABG)650 bereits Enteignungen zugunsten der (privaten) Mon­ tanindustrie zu verzeichnen651. Im 19. Jahrhundert waren insbesondere Enteignungen für Vorhaben des Eisenbahnbaus, welcher zu Beginn noch in der Hand privater Unternehmer lag, ein bestimmendes enteignungsrechtliches Anwendungsfeld652. Auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen Enteignungen zugunsten pri­ vater Unternehmen regelmäßig vor653. So regelt § 1 des Gesetzes über die Enteignung von Grundeigenthum (Preußisches Enteignungsgesetz – PrEG)654 ohne weitere Differenzierung die Zulässigkeit der Zulässigkeit der Enteig­ nung „für ein Unternehmen, dessen Ausführung die Ausübung des Enteig­ nungsrechtes erfordert“655. Enteignungen für private Leitungsvorhaben rück­ ten Anfang des 20. Jahrhunderts in den Vordergrund656. Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Enteignung zugunsten Privater kein modernes Phänomen, sondern letztlich fortwährende Erschei­ nungsform der „klassischen“ Enteignung ist657. Die frühe gesellschaftliche Anerkennung des Enteignungsinstituts im liberalen Rechtsstaat, die erst durch das Interesse der Bürger an einer Enteignung (auch) zu ihren Gunsten ermöglicht wurde658, ist ein Ergebnis dieser Entwicklung.

650  Allgemeines Berggesetz für die Preußischen Staaten vom 24.6.1865, Preuß. GS 1865, S. 705 ff.; enteignungsrechtlich relevant sind in diesem Zusammen­ hang die Normen über die bergrechtliche Grundabtretung, §§ 135 ff. PrABG. 651  Stengel, Grundstücksenteignung (Fn.  21), S. 54; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 34 f.; Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 265 m. w. N. 652  D. Grimm, Die Entwicklung des Enteignungsrechts unter dem Einfluß der In­ dustrialisierung, in: H. Coing/W. Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. IV, Eigentum und industrielle Enwicklung, 1979, S. 121 (132). 653  Hierauf weist bereits O. Kirchheimer, Die Grenzen der Enteignung, 1930, S. 23 f. hin; vgl. auch Grimm, Entwicklung (Fn. 652), S. 134 f. und Ogorek, Eigentum (Fn. 8), S. 465. 654  Gesetz über die Enteignung von Grundeigenthum vom 11.6.1874, Preuß. GS 1874, S. 221 ff.; die Modernität des Preußischen Enteignungsgesetzes wird da­ durch bezeugt, dass das Gesetz bis heute mit nur wenigen Änderungen in SchleswigHolstein in Kraft ist (siehe zum EnteigG SH oben Fn. 157), vgl. hierzu A. Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 43 in Fn. 106. 655  Vgl. zum Begriff des Unternehmens in diesem Sinne Obermayer, Enteignungs­ recht (Fn. 377), S. 212 f. 656  Hermes, Energieversorgung (Fn. 8), S. 54 unter Hinweis auf dens., Infrastruk­ turverantwortung (Fn. 132), S. 286 f., 291. 657  Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 460; hierzu schon oben unter Kapitel B. IV. 658  Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 460 f.



II. Allgemeinwohl117

bb) Schutzzweck der Eigentumsgarantie Im Hinblick auf enteignungsrechtliche Eingriffe erschöpft sich die Eigen­ tumsgarantie in ihrer abwehrrechtlichen Dimension nicht in einer – sekundär enthaltenen659 – Wertgarantie660. Primär betrifft der Schutzzweck der Eigen­ tumsgarantie die Rechtsstellung des Einzelnen in seiner Position als Eigentü­ mer (Rechtsstellungsgarantie) und gerade auch den Bestand bzw. die Subs­ tanz des Eigentums selbst (Bestandsgarantie)661. Wäre nur eine Wertgarantie von Relevanz, ließe sich im Hinblick auf die Person des Enteignungsbegüns­ tigten zumindest anführen, dass mit dem Staat ein solventerer Entschädi­ gungspflichtiger662 zur Verfügung stände als mit einem privaten Enteig­ nungsbegünstigen, und der Enteignungsbetroffene deshalb bei einer privatbe­ günstigenden Enteignung schwerwiegender in Anspruch genommen würde. Das Insolvenzrisiko des privaten Enteignungsbegünstigten trüge der Enteig­ nungsbetroffene663. Angesichts aber des zugleich verfolgten Substanzschutzes macht es für den Enteignungsbetroffenen keinen Unterschied, wer von dem Verlust seiner Rechtsposition begünstigt wird. Die Intensität der eigentumsrechtlichen Be­ troffenheit in abwehrrechtlicher Dimension ist dieselbe. Exemplarisch wird dies angesichts privatbegünstigender Enteignungen zugunsten solcher Unter­ nehmen, die ehemals staatlich strukturiert waren, für den Bereich der Tele­ kommunikation die Deutsche Bundespost oder für den Bereich des Bahnver­ kehrs die Deutsche Bundesbahn. Es ist nicht einzusehen, weshalb der Schutzzweck der Eigentumsgarantie im Sinne eines Substanzschutzes nach 659  Breuer, Anmerkung (Fn. 23), S. 972; B. Stüer, Bergbau und Grundeigentum im Widerstreit, in: NuR 1985, S. 263 (265): „Bestandsgarantie vor Wertgarantie“. 660  B. Grzeszick, in: D. Ehlers/H. Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 45 Rn. 24. 661  BVerfGE 24, 367 (400); 38, 175 (181, 184 f.); 56, 249 (260); 58, 300 (323); 102, 1 (23); 134, 242 (290 f. Rn. 168); 143, 246 (324 Rn. 217); Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 114; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 76; v. Brünneck, Eigentums­ garantie (Fn. 398), S. 410; Eschenbach, Eigentum (Fn. 16), S. 479; Petersen, Verfas­ sungsrecht II (Fn. 11), § 3 Rn. 129, 135; Badura (Fn. 44), § 10 Rn. 32 f.; Wunderlich, Rechtsprechung (Fn. 404), S. 131 ff.; Leisner, Bestandsgarantie (Fn. 486), S. 555; Stüer, Bergbau (Fn. 659), S. 265. 662  Verpflichteter der Enteignungsentschädigung i. S. d. Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG ist der durch die Enteignung unmittelbar Begünstigte, vgl. BGH NJW 1980, 582 (582); Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 745; Axer (Fn. 435), Art. 14 Rn. 125; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 139; J. Froese, Entschädigung und Ausgleich, in: Depenheuer/ Shirvani, Enteignung (Fn. 12), § 9, S. 255 (265). 663  Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 272, der deshalb zur Vermeidung von Wertungswi­ dersprüchen im Hinblick auf die Verantwortung für die Enteignungsentschädigung das Entstehen eines Dreiecksverhältnisses zwischen Enteignetem, Enteignungsbe­ günstigtem und Staat annimmt.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

der Privatisierung dieser Unternehmen anders berührt sein sollte als davor664. Freilich mag Enteignungen zugunsten der öffentlichen Hand gegenüber mög­ licherweise eine andere Akzeptanz des betroffenen Eigentümers zukommen als es bei Enteignungen zugunsten privater Großkonzerne der Fall ist665. Die rechtlichen Wirkungen unterscheiden sich jedenfalls nicht. b) „Enteignungsansprüche“ des privaten Unternehmens Angesichts der skizzierten Vereinbarkeit von Allgemeinwohl und Privat­ wirtschaft und der Überschneidung privater und öffentlicher Interessen ist die Frage aufgeworfen, ob über die bloße Gemeinwohlvereinbarkeit hinaus ein privates Unternehmen ein staatliches Vorgehen in enteignungsrechtlicher Hinsicht positiv einfordern kann, ob also „Enteignungsansprüche“ des Unter­ nehmens bestehen. Mögliche Ansprüche des privaten Unternehmens könnten dahin gehen, ein behördliches (Enteignungs-)Einschreiten auf Grundlage be­ stehender Rechtsnormen oder ein gesetzgeberisches Tätigwerden zur Ein­ richtung von entsprechenden Ermächtigungsnormen einfordern zu können. aa) Anspruch auf behördliches Einschreiten Ein behördliches Tätigwerden könnte der Private im Rahmen einer Ver­ pflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO bzw. eines Antrags auf einstweilige Anordnung gem. § 123 Abs. 1 VwGO erzwingen. Dann müsste er einen Anspruch auf Erlass des begehrten Enteignungsbeschlusses haben. Ein „allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch“ existiert anerkanntermaßen nicht666. Hierfür ist eine Norm notwendig, welche die Behörde zum Erlass dieses Verwaltungsaktes verpflichtet oder ermächtigt und gleichzeitig dem Privaten ein subjektives Recht einräumt und ihn in den Kreis der Berechtigten einbe­

664  Vgl. in diesem Zusammenhang außerdem Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1668, der den enteignungsrechtlichen Unterschied zwischen der Enteignung „für einen Kindergarten in kommunaler, kirchlicher oder privater Hand“ infrage stellt. Siehe zudem Murswiek, Nutzen (Fn. 644), S. 78 für den Fall einer öffentlich bzw. privatrechtlich betriebenen Abfalldeponie. 665  Neupert, Sicherung (Fn.  294), S. 122 in Fn. 33; a.  A. Engel, Enteignung (Fn. 96), S. 555, für den es „keinen einsichtigen Grund [gibt], warum der Verlust des Eigentums an den Staat leichter erträglich sein sollte als der Verlust des Eigentums an einen Privaten“. 666  Statt vieler E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG (Fn. 9), Art. 19 Abs. 4 (2014), Rn. 122 m. w. N. und A. Scherzberg, in: Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwal­ tungsrecht (Fn. 660), § 12 Rn. 9 m. w. N.



II. Allgemeinwohl119

zieht667. Eine Eingriffsnorm wie Art. 14 Abs. 3 GG668 kann ein subjektives Recht nur insoweit begründen, als sie zumindest auch Individualinteressen zu dienen bestimmt ist669. Aus Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG allein ergibt sich schon keine behördliche Verpflichtung oder Ermächtigung. Ein Anspruch auf Enteignung lässt sich damit unmittelbar aus der Verfassung nicht ableiten670. Auf Art. 14 Abs. 3 GG gestützte Gesetze auf Ebene des einfachen Rechts sehen hingegen regelmä­ ßig die Möglichkeit der Enteignung durch Hoheitsgewalt vor. Allerdings gilt für Enteignungen auf solcher Grundlage wiederum der Maßstab des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG, wonach eine Enteignung nur671 zum Wohle der Allgemein­ heit zulässig ist. Eine Eingriffsnorm, die für bestimmte Enteignungszwecke unter bestimmten Voraussetzungen zur Enteignung ermächtigt, schützt nach dem Vorstehendem niemals auch Individualinteressen, sondern dient allein dem Allgemeinwohl. Ein subjektives Recht vermögen solche Normen damit nicht zu begründen672. Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der Tat­ sache, dass einige Fachgesetze bzw. die allgemeinen landesrechtlichen Ent­ eignungsgesetze die Möglichkeit der Einreichung eines Antrags auf Durch­ führung des Enteignungsverfahrens vorsehen673. Die Antragstellung selbst kann zwar in oben genanntem Sinne geschützt sein; ein Anspruch auf die

667  BVerwGE 104,

115 (118); BVerwG NVwZ 2019, 163 (163 Rn. 10). Doppelcharakter der Norm als Eingriffsvorbehalt auf der einen und Schranken-Schranke auf der anderen Seite vgl. schon Fn. 568. Vgl. zur Ambivalenz von Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG weiter Isensee (Fn. 389), § 71 Rn. 60. 669  D. Ehlers, in: ders./Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 660), § 6 Rn. 5; K. F. Gärditz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 56; M. Happ, in: ders./M. Hoppe/I. Kraft u. a., Eyermann/Fröhler, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 89; R. Wahl/ P. Schütz, in: F. Schoch/J.-P. Schneider (Hrsg.), Kommentar zur Verwaltungsgerichts­ ordnung, § 42 Abs. 2 (1996), Rn. 89. 670  Im Ergebnis ebenso Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 79. 671  Vgl. zu diesem Maßstab bereits Kapitel E. II. 2. b). 672  So im auch Ergebnis Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 80 und Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 81; ähnlich für die Vorschriften des BauGB R. Breuer, in: W. Schrödter (Hrsg.), Kommentar zum Baugesetzbuch, 9. Aufl. 2019, § 107 Rn. 8. Die Befürchtung Schmidbauers, mit dem Rechtsanspruch auf Enteignung ginge auf­ grund des dynamischen Gemeinwohlbegriffs eine Unsicherheit in der Eigentümerpo­ sition einher, würde indes nur dann überhaupt relevant, wenn die Möglichkeit der Enteignung in dem Gesetz lediglich „zum Wohle der Allgemeinheit“ und ohne nähere Spezifikation des konkret verfolgten Gemeinwohlziels eröffnet würde. Diese Be­ fürchtung Schmidbauers nimmt deshalb vielmehr die Frage hinreichender Bestimmt­ heit des jeweiligen Gemeinwohlgesetzes vorweg und kann letztlich zum Problem des Rechtsanspruchs auf Enteignung nichts beitragen. 673  Vgl. etwa § 105 BauGB bzw. § 19 EEG NW oder § 20 BayEG. 668  Zum

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

dem Antrag erst nachgelagerte Durchführung der Enteignung ergibt sich da­ raus aber gerade nicht674. bb) Anspruch auf gesetzgeberisches Tätigwerden Weiterhin denkbar ist ein Anspruch eines privaten Unternehmens dahinge­ hend, dass der Gesetzgeber solche Ermächtigungsnormen schafft, die es er­ lauben, für bestimmte (private) Vorhaben Enteignungen durchzuführen. Ein Anspruch auf gesetzgeberisches Tätigwerden kann nur insoweit bestehen, als den Gesetzgeber eine Pflicht zum Erlass eines konkreten Rechtsetzungsaktes trifft675. Ein „allgemeiner Gesetzerlassanspruch“ besteht nicht676. Der An­ spruch auf Tätigwerden korrespondiert also mit einer etwaig bestehenden Gesetzgebungspflicht677. Als einzige prozessuale Möglichkeit zur Durchset­ zung eines solchen Anspruches kommt die Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a) GG i. V. m. § 90 BVerfGG in Betracht. In diesem Zu­ sammenhang verlangt das Bundesverfassungsgericht für einen tauglichen Beschwerdegegenstand, dass „sich der Beschwerdeführer auf einen aus­ drücklichen Auftrag des Grundgesetzes berufen kann, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen umgrenzt hat“678. Ein solcher Auftrag wird etwa in Art. 33 Abs. 5 GG679 oder in Art. 6 Abs. 5 GG680 statu­ iert681. Das bedeutet, für einen prozessual einklagbaren Anspruch müsste nicht bloß eine Gesetzgebungspflicht bestehen; darüber hinaus müsste diese 674  Ähnlich Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 39 für § 19 FStrG, der erkennt, dass das Recht auf Einleitung eines entsprechenden Verfahrens (Antragstellung) noch kein Recht zur Enteignung beinhaltet. 675  K. Stahler, Verfassungsgerichtliche Nachprüfung gesetzgeberischen Unter­ lassens, 1966, S. 60 ff. m. w. N.; vgl. für die Frage gesetzgeberischen Unterlassens im Bereich der Amtspflichtverletzung H.-J. Papier/F. Shirvani, in: F. J. Säcker/ R. Rix­ ecker/H. Oetker u.  a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. VII, 8. Aufl. 2020, § 839 Rn. 318. 676  M. Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Recht auf infor­ mationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, 2013, S. 40; vgl. auch O. Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, 1981, S. 159. 677  Stahler, Nachprüfung (Fn. 675), S. 60. 678  BVerfGE 139, 321 (346 Rn. 82); 129, 124 (176); 11, 255 (261); 6, 257 (264) [Zitat]; vgl. auch E 56, 54 (70 f.); 23, 242 (249 f.); 12, 139 (142). 679  Art. 33 Abs. 5 GG enthält den ausdrücklichen Auftrag an den Gesetzgeber, das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln. 680  Art. 6 Abs. 5 GG enthält den Auftrag an den Gesetzgeber, den unehelichen Kindern die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern. 681  C. Walter, in: Maunz/Dürig, GG (Fn. 9), Art. 93 (2018), Rn. 345 unter Verweis auf BVerfGE 8, 1 (11 ff.); Seewald, Gesundheit (Fn. 676), S. 159; P. Kunig, Das



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze121

Pflicht auch noch ihrem Inhalt und Umfang nach vom Grundgesetz umgrenzt sein. Art. 14 Abs. 3 S. 1 u. 2 GG regeln zwar einen Eingriffsvorbehalt, nicht aber eine gesetzgeberische Pflicht zum Tätigwerden682. Unabhängig davon gibt Art. 14 Abs. 3 GG Inhalt und Umfang der gesetzgeberischen Rolle bei dem Erlass von Enteignungsgesetzen nicht vor. In diesem Zusammenhang ist noch einmal683 deutlich darauf hinzuweisen, dass der parlamentarische Ge­ setzgeber bis auf wenige verfassungsimmanente Grenzen684 frei darin ist, Gemeinwohlziele auszuwählen und ihm insoweit ein erheblicher Gestal­ tungsspielraum zukommt. Ein Anspruch des privaten Unternehmens auf ge­ setzgeberisches Tätigwerden ist in diesem Kontext deshalb nicht anzuerken­ nen.

III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze An jedes Enteignungsgesetz sind besondere formelle Anforderungen zu stellen. Diese Erfordernisse tragen zunächst dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes Rechnung und werden vom Gebot der Bestimmtheit einer Ein­ griffsregelung komplementiert. Zu beachten ist in formeller Hinsicht zudem die Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG. Im Hinblick auf die Enteig­ nung zugunsten Privater geht das Bundesverfassungsgericht von spezifischen Anforderungen aus685, die im Folgenden hinterfragt werden sollen. Es wird gezeigt, dass die privatbegünstigende Enteignung hinsichtlich der Konkreti­ sierung der enteignungsrechtlichen Regelungen nur scheinbar besonderen Maßstäben unterliegt, welche letztlich auf die Anwendung allgemeiner Grundsätze zurückzuführen sind, die für jede Enteignung gelten. 1. Hintergrund weitergehender Konkretisierungserfordernisse Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG bestimmt, dass die Enteignung nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen darf. Hiermit steht hinsichtlich for­ meller Anforderungen an eine Enteignung lediglich fest, dass eine gesetzliche Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 399; zu weiteren Gesetzgebungspflichten im Grundge­ setz vgl. M. Eisele, Subjektive öffentliche Rechte auf Normerlaß, 2000, S. 154 ff. 682  Gleiches gilt für Art. 14 Abs. 1 S. 1 u. 2 GG, soweit hieraus besondere Gesetz­ gebungspflichten entnommen werden sollen, die über die schlichte Normierung einer Eigentumsrechtsordnung hinausgehen, vgl. Wunderlich, Rechtsprechung (Fn. 404), S.  120 f.; Eisele, Rechte (Fn. 681), S. 156. 683  Ausführlich hierzu Kapitel E. II. 1. a). 684  Vgl. hierzu Kapitel E. II. 1. b). 685  BVerfGE 74, 264 (285 f.); 134, 242 (295); vgl. dazu bereits Fn. 242–247, 283.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Grundlage bestehen muss. Für die inhaltliche Einrichtung dieses Gesetzes gibt die Junktimklausel daneben vor, dass das Gesetz Art und Ausmaß der Enteignungsentschädigung regeln muss. Weitere Vorgaben zur gesetzlichen Ausgestaltung lassen sich Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG allein nicht entnehmen. a) Vorbehalt des Gesetzes und Bestimmtheitsgrundsatz Vor diesem Hintergrund ist hinsichtlich der Ausgestaltung von Enteig­ nungsgesetzen auf allgemeine verfassungsrechtliche Grundsätze zurückzu­ greifen686. So wird mit dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG, hier in Ausprägung687 des Gesetzesvorbehaltes in Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG als Parlamentsvorbehalt688) nicht nur die Notwendigkeit einer ge­ setzlichen Grundlage für staatliches Handeln689, sondern auch die notwen­ dige Regelungsdichte des Gesetzes berührt690. In diesem Zusammenhang kommt insbesondere die rechtsstaatliche Dimension691 des Vorbehalts des Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1665. begrifflichen Abgrenzung zwischen Vorbehalt des Gesetzes als der „Insti­ tution des Vorbehalts“ und Gesetzesvorbehalt als der jeweiligen Ausprägung vgl. P.  Lerche, Vorbehalt des Gesetzes und Wesentlichkeitstheorie, in: D. Merten/ H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 62 Rn. 10. 688  BVerfG NVwZ 2008, 1229 (1230); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 609; Bryde/ Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 137; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 419; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 158; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 597, 611; Antoni (Fn. 23), Art. 14 Rn. 17; Sieckmann (Fn. 38), Art. 14 Rn. 159; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2268; Wunderlich, Rechtsprechung (Fn. 404), S. 80; C. Möllers, Zur demokratischen Legitimation der Enteignungsbehörde nach dem Baugesetzbuch, in: NVwZ 1997, S. 858 (859) m. w. N.; a. A. Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 243. 689  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 609; M. Sachs, in: ders., GG (Fn. 16), Art. 20 Rn.  113 f.; H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II (Fn. 143), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 105; M. Kotzur, in: v. Münch/Kunig, GG I (Fn. 16), Art. 20 Rn. 154; Maurer/ Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 6 Rn. 3; zur Frage des Gesetzesvorbehalts als Grundlage der gesetzgeberischen Pflicht zur Festlegung von Gemeinwohlzielen vgl. Kapitel E. II. 1. a) bb). 690  BVerfGE 101, 1 (34); 83, 130 (142); 57, 295 (327); 49, 89 (127 ff.); B. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG (Fn. 9), Art. 20 VI (2007), Rn. 75 („Frage […] nach dem inhaltlichen Wie“); Schulze-Fielitz (Fn. 689), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 119; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG (Fn. 16), Art. 20 Rn. 78; Maurer/Waldhoff, Verwaltungs­ recht (Fn. 18), § 6 Rn. 12, 14; Voßkuhle, Grundsatz (Fn. 418), S. 118; C.  Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, 2000, S. 144. 691  Neben der rechtsstaatlichen Dimension ist der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes Ausprägung des Demokratieprinzip im Hinblick darauf, dass allein das Par­ lament unmittelbar demokratisch dazu legitimiert ist, grundlegende, „wesentliche“ Entscheidungen zu treffen, vgl. H. Dreier, in: ders., GG II (Fn. 143), Art. 20 (Demo­ kratie), Rn.  117 m. w. N. 686  Ebenso 687  Zur



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze123

Gesetzes zum Tragen, die u. a. mit der Transparenz bzw. der Vorhersehbar­ keit des staatlichen Handelns für die betroffenen Bürger begründet wird692. Deshalb überrascht es nicht, dass der Vorbehalt des Gesetzes „unlösbar“ mit dem Grundsatz der Bestimmtheit einer Norm verbunden ist693, letzterem insbesondere als „verfassungsrechtliche Grundlage“ dient694. Mit der hinrei­ chenden Bestimmtheit einer Norm wird in erster Linie die Berechenbarkeit einer Norm für ihren Adressaten sichergestellt695. Geht es um Eingriffsnor­ men, muss der Betroffene das Ausmaß der jeweiligen Inanspruchnahme kal­ kulieren können. Die Verknüpfung zwischen Vorbehalt des Gesetzes und Bestimmtheits­ grundsatz ergibt sich insbesondere aus folgender Überlegung: Nach dem Vorbehalt des Gesetzes wird dem Gesetzgeber die Pflicht zur Regelung be­ stimmter („wesentlicher“696) Sachverhalte aufgegeben697. Trifft der Gesetz­ geber aber nur sehr vage Regelungen, die der Exekutive einen Spielraum überlassen, den aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes eigentlich der Gesetz­ geber auszufüllen hätte, wird inhaltliche „Entscheidungsmacht auf die Exe­ kutive“ verlagert698. Insofern enthält der Vorbehalt des Gesetzes ein Delega­ tionsverbot699, welches folglich die hinreichende Bestimmtheit eines Parla­ 692  Statt vieler S. Huster/J. Rux, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG (Fn. 143), Art. 20 (2020), Rn. 173. 693  Ossenbühl (Fn. 410), § 101 Rn. 30; Huster/Rux (Fn. 692), Art. 20 Rn. 179; vgl. zur Verbindung der beiden Institute auch BVerfGE 58, 257 (278) und Kunig, Rechts­ staatsprinzip (Fn. 681), S. 400. 694  C. Gusy, Die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebotes im Ausländerrecht, in: DVBl. 1979, S. 575 (575); ähnlich P. Lerche, Übermaß und Ver­ fassungsrecht, 2. Aufl. 1999, S. 68 u. 72, der als Grundlage Teile des noch allgemei­ neren Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung heranzieht. 695  Schulze-Fielitz (Fn. 689), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 129; Jarass (Fn. 690), Art. 20 Rn. 83; M. Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, in: JZ 1984, S. 685 (691); vgl. auch F. Reimer, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts I (Fn. 497), § 9 Rn. 63 („Erkennbarkeit des Norm­ gehalts“). 696  Zur Wesentlichkeitslehre im Einzelnen sogleich. 697  Jarass (Fn. 690), Art. 20 Rn. 69; Schulze-Fielitz (Fn. 689), Art. 20 (Rechts­ staat), Rn. 105. 698  Ossenbühl (Fn. 410), § 101 Rn. 30 (Zitat); Kunig, Rechtsstaatsprinzip (Fn. 681), S. 397; Huster/Rux (Fn. 692), Art. 20 Rn. 179; G. C. Burmeister, Herkunft, Inhalt und Stellung des institutionellen Gesetzesvorbehalts, 1991, S. 45 m. w. N. 699  K.-P. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG II (Fn. 144), Art. 20 Rn. 273; J. Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1985, S. 134; Lassahn, Rechtsprechung (Fn. 79), S. 41; vgl. auch Kloepfer, Vorbehalt (Fn. 695), S. 690, der das Delegationsverbot in Gestalt der Wesentlichkeitslehre erkennt; zu dieser im Folgenden.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

mentsgesetzes entscheidend beeinflusst700. Für beide Institute gilt deshalb der gleiche „grundrechtliche Maßstab“701. b) Wesentlichkeitslehre In Zusammenhang mit dem Vorbehalt des Gesetzes und dem Grundsatz der Bestimmtheit von Gesetzen ist im Hinblick auf die erforderliche Rege­ lungs- und Konkretisierungsdichte von Gesetzen die bereits behandelte702 Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich703: Der Ge­ setzgeber muss das „Wesentliche“ selbst regeln und darf es nicht an die Exe­ kutive delegieren. Damit ist nicht nur die Kompetenzabgrenzung angespro­ chen, sondern auch die Dichte einer Regelung704. Die Anforderungen an die notwendige Regelungsdichte erhöhen sich mit der Wesentlichkeit der gesetz­ lichen Entscheidung705. Dieser Erkenntnis entspricht im Hinblick auf Enteignungsgesetze die For­ mel des Bundesverfassungsgerichts – insbesondere in seiner Rechtsprechung zu privatbegünstigenden Enteignungen – wenn es heißt, dass „Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG eine so genaue gesetzliche Beschreibung des Enteignungszwecks [gebietet], daß die Entscheidung über die Zulässigkeit der Enteignung inso­ weit nicht in die Hand der Verwaltung gegeben wird“706. Erforderlich ist also eine gesetzliche inhaltliche Normierung der durch die Verwaltung auszu­ übenden Tätigkeit707. Hinsichtlich der Notwendigkeit weitergehender Konkretisierungen in den Enteignungsgesetzen, vornehmlich betreffend das Gemeinwohl, sind also im Ausgangspunkt der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, der Bestimmt­ Schulze-Fielitz (Fn. 689), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 131. Rechtsstaatsprinzip (Fn. 681), S. 400; für eine weitgehende Überschnei­ dung auch Jarass (Fn. 690), Art. 20 Rn. 78. 702  Vgl. Kapitel E. II. 1. a) aa) zur Wesentlichkeitslehre als Instrument der Kom­ petenzabgrenzung. 703  Jarass (Fn. 690), Art. 20 Rn. 78; zur Verknüpfung von Vorbehalt des Gesetzes und Wesentlichkeitslehre vgl. D. Hömig, Grundlagen und Ausgestaltung der Wesent­ lichkeitstheorie, in: E. Schmidt-Aßmann u. a. (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesver­ waltungsgericht, 2003, S. 273 (274) sowie Lerche (Fn. 687), § 62 Rn. 54 ff. u. 64; gegen die Anwendung der Wesentlichkeitslehre in diesem Zusammenhang Reimer (Fn. 695), § 9 Rn. 57 ff. 704  BVerfGE 83, 130 (152); Kloepfer, Vorbehalt (Fn. 695), S. 691; zur Verknüp­ fung der hinreichenden Bestimmtheit einer Norm mit der Frage der Entscheidungs­ macht über den Norminhalt vgl. schon unter Kapitel E. III. 1. a). 705  Grzeszick (Fn. 690), Art. 20 VI Rn. 106. 706  BVerfGE 74, 264 (286); vgl. daneben E 134, 242 (294 Rn. 177). 707  BVerfGE 20, 150 (158). 700  Vgl.

701  Kunig,



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze125

heitsgrundsatz sowie die Wesentlichkeitslehre zu berücksichtigen. Die Insti­ tute verschränken sich nach den obigen Ausführungen jeweils gegenseitig, greifen ineinander und füllen sich aus708. 2. Wesentlichkeit als Kriterium der Regelungsdichte Die Regelungsdichte eines Gesetzes muss derart beschaffen sein, dass al­ les „Wesentliche“ Eingang in den Gesetzestext findet. Damit sind zwei Kom­ ponenten angesprochen. Zum einen geht es um die Frage, welche inhaltlichen Elemente eine Regelung aufweisen muss, zum anderen darum, wie diese Elemente im Gesetzestext im Einzelnen beschaffen sein müssen. a) Regelungsstoff Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind „wesent­ liche“ Regelungselemente zum einen solche, die „wesentlich für die Verwirk­ lichung der Grundrechte“709 sind. Dies bedeutet im Bereich von Grundrecht­ seingriffen die Regelung von „Gegenstand, Inhalt, Zweck und Ausmaß“ des Eingriffs710. Zum anderen sollen mit dem Begriff der Wesentlichkeit solche Fragen erfasst sein, „die für Staat und Gesellschaft von erheblicher Bedeu­ tung sind“711. Die politische Umstrittenheit einer Frage allein führt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings nicht zur Qualifi­ kation der Frage als „wesentlich“712. Sucht man nach spezifischen Kriterien für die Abgrenzung von Wesent­ lichkeit, werden als Extrakt der vorstehenden Ausführungen die generelle Grundrechtsrelevanz713, die Intensität der mit der betreffenden Norm inten­ 708  Vgl. BVerfGE 49, 89 (129); 58, 257 (278); zur Überschneidung vgl. Jarass (Fn. 690), Art. 20 Rn. 82. 709  BVerfGE 150, 1 (97 Rn. 194); 139, 19 (45 Rn. 52); 98, 218 (251); 47, 46 (79). 710  Sommermann (Fn. 699), Art. 20 Rn. 291 unter Verweis auf BVerfGE 69, 1 (41); 46, 120 (146 f.); 20, 150 (157 f.); 9, 137 (147); 8, 274 (325); Muckel, Rohrlei­ tungs-Enteignungsgesetz (Fn. 193), S. 226. 711  BVerfGE 150, 1 (97 Rn. 194). 712  BVerfGE 150, 1 (97 Rn. 194); 139, 19 (45 f. Rn. 52); 98, 218 (251); 49, 89 (126); ebenso; D. C. Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, in: W. Zeidler/T. Maunz/G. Roellecke (Hrsg.), Festschrift Hans Joachim Faller, 1984, S. 111 (126 f.); mit Einschränkungen Staupe, Parlamentsvorbehalt (Fn. 699), S. 249 f.; a. A. Grzeszick (Fn. 690), Art. 20 VI Rn. 107 und Reimer (Fn. 695), § 9 Rn. 48. 713  Schulze-Fielitz (Fn. 689), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 113; Grzeszick (Fn. 690), Art. 20  VI Rn. 107; Jarass (Fn. 690), Art. 20 Rn. 71, 79; Sommermann (Fn. 699), Art. 20 Rn. 276; Umbach, Wesentlichkeitstheorie (Fn. 712), S. 127; Reimer (Fn. 695), § 9 Rn. 48.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

dierten Betroffenheit für den Einzelnen714, die Bedeutung für die Allgemein­ heit715, die Finalität der Normierung716, die Reichweite der normierten Ein­ griffsmöglichkeit bzw. die Größe des betroffenen Personenkreises717 sowie die Möglichkeit sowie die Höhe finanzieller Auswirkungen für den Staat718 genannt. Es zeigt sich, dass diese Kriterien aufgrund ihrer begrifflichen Of­ fenheit eine zielgenaue Abgrenzung von Wesentlichkeit erschweren719. b) Regelungsmethode Bei der gesetzlichen Niederlegung der als „wesentlich“ identifizierten Ele­ mente ist zu beachten, dass diese umso genauer beschrieben werden müssen, je intensiver sich ein mit dem Gesetz geregelter Grundrechtseingriff dar­ stellt720. Die Regelung des „Wesentlichen“ in dem Gesetz muss dabei zumindest „auslegungsfähig“ erfolgen721. Allein dadurch, dass eine Norm auslegungs­ bedürftig ist, wird sie nicht unbestimmt722. Das bedeutet, das „Wesentliche“ kann ggf. auch offener und loser umgrenzt formuliert sein. Der Rechtsan­ wender muss es aber mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden ermitteln können. Der Grad an noch zulässiger Offenheit einer Norm korrespondiert dabei mit den vom Gesetzgeber zusätzlich zur Verfügung gestellten Hilfsmit­ teln für die Auslegung723. Abhängig ist der Grad erforderlicher Bestimmtheit 714  Umbach, Wesentlichkeitstheorie (Fn. 712), S. 127; Sommermann (Fn. 699), Art. 20 Rn. 279; ähnlich Schulze-Fielitz (Fn. 689), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 113 („in­ dividuelle Langzeitwirkung“) und Grzeszick (Fn. 690), Art. 20  VI Rn. 107 sowie Reimer (Fn. 695), § 9 Rn. 48 (beide: „Langfristigkeit einer Festlegung“). 715  Umbach, Wesentlichkeitstheorie (Fn. 712), S. 127, der die ersten drei Kriterien als sog. Relevanztrias zusammenfasst. 716  Schulze-Fielitz (Fn. 689), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 113. 717  Unger, Verfassungsprinzip (Fn. 409), S. 268 f.; Reimer (Fn. 695), § 9 Rn. 48; Schulze-Fielitz (Fn. 689), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 113; Grzeszick (Fn. 690), Art. 20 VI Rn. 107; Staupe, Parlamentsvorbehalt (Fn. 699), S. 251. 718  Staupe, Parlamentsvorbehalt (Fn. 699), S. 252; Grzeszick (Fn. 690), Art. 20 VI Rn. 107; Reimer (Fn. 695), § 9 Rn. 48. 719  Mit genereller Kritik an der Wesentlichkeitslehre hinsichtlich ausreichender Klarheit des Wesentlichkeitskriteriums deshalb Kloepfer, Vorbehalt (Fn. 695), S. 692 f.; dagegen wiederum Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 6 Rn. 13. 720  BVerfGE 149, 293 (324 Rn. 77); 134, 33 (81 Rn. 111); 131, 88 (123); 93, 213 (238); 86, 288 (311); Grzeszick (Fn. 690), Art. 20  VI Rn. 111; Jarass (Fn. 690), Art. 20 Rn. 84. 721  Seiler, Parlamentsvorbehalt (Fn. 690), S. 145. 722  BVerfGE 149, 293 (324 Rn. 78); 128, 282 (317); 117, 71 (111); 89, 69 (84 f.); Kotzur (Fn. 689), Art. 20 Rn. 148. 723  Seiler, Parlamentsvorbehalt (Fn. 690), S. 145; zu den so angesprochenen Hilfs­ mitteln gehören etwa Gesetzesmaterialien; ggf. auch andere durch den Gesetzgeber



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze127

im Rahmen des Wesentlichkeitskriteriums auch davon, inwiefern sich bereits aus „aus der ‚Natur der Sache‘ “724 bzw. „aus dem Zusammenhang […] zu dem geregelten Lebensbereich“725 adäquate Ergebnisse ableiten lassen. 3. Enteignungsrechtliche Wesentlichkeit Die unter 2. angeführten Maßstäbe gilt es auf Enteignungsgesetze zu über­ tragen726. Hinsichtlich der überhaupt zu regelnden Elemente ist den Ansätzen des Bundesverfassungsgerichts in überwiegendem Maße zuzustimmen (dazu unter a]). Gleiches gilt für die Regelungstechnik (dazu unter b]). Nicht zuge­ stimmt werden kann dem Bundesverfassungsgericht allerdings hinsichtlich seiner Forderung nach erhöhten Bestimmtheitsanforderungen bei der Rege­ lung privatbegünstigender Enteignungen (dazu unter c]). a) Regelungsstoff in Enteignungsgesetzen Die Enteignung ist ein tiefgreifender Grundrechtseingriff727, weil sie die durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistete Rechtsposition nicht bloß beein­ trächtigt, sondern diese teilweise oder vollständig entzieht728. Für die Ver­ wirklichung des Eigentumsgrundrechts ist die Enteignung deshalb von zent­ raler Relevanz. Mit ihr geht eine besondere Intensität des Eingriffs einher. Die Enteignung tritt niemals als bloße Nebenerscheinung eines Grundrechts­ eingriffs auf, sondern wirkt immer final. Angesichts dessen ist die Enteig­ nung „wesentlich“ in oben genanntem Sinne729. Der enteignungsrechtliche Parlamentsvorbehalt kann sich deshalb nicht auf die Regelung der Entschädi­ gung beschränken730, sondern muss darüber hinaus weitere Elemente be­ inhalten. Geht es um Grundrechtseingriffe wie hier die Enteignung, ist nach zugänglich gemachte Dokumente, aus denen sich ein bestimmter gesetzgeberischer Wille ableiten lässt. 724  Seiler, a. a. O., S. 145 f.; so etwa BVerfGE 134, 242 (294 Rn. 176) im Hinblick auf Gemeinwohlziele, die sich ohne weiteres schon eindeutig aus dem jeweils be­ günstigten Vorhaben ergeben. 725  BVerfGE 65, 1 (54); 62, 169 (183 f.); BVerwG NVwZ 1991, 987 (989); Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 188, 200 f. 726  Zur Anwendung der Wesentlichkeitslehre auf den enteignungsrechtlichen Ge­ setzesvorbehalt Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 610, 612. 727  BVerfGE 134, 242 (291 Rn. 168); Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 24; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 628; Antoni (Fn. 23), Art. 14 Rn. 13. 728  Vgl. hierzu schon oben Fn. 10. 729  So ausdrücklich Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 137. 730  L. Gramlich, Realförderung privater Schulen und eigentumsrechtliche Be­ standsgarantie, in: NJW 1990, S. 32 (34).

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

den oben benannten Maßstäben die Regelung von Gegenstand, Inhalt, Zweck und Ausmaß des Eingriffs notwendig731. aa) Gemeinwohlziel und Vorhaben Dies bedeutet im Rahmen von Enteignungsgesetzen zuallererst die Konkre­ tisierung des verfolgten Gemeinwohlziels732, eines Elementes, dem nicht nur die hier beleuchtete modale Bedeutung zukommt, sondern das auch kompe­ tenzielle Aspekte733 berührt. Mit dem Gemeinwohlziel wird insbesondere der „Zweck […] des Eingriffes“ angesprochen. Das Gemeinwohl ist schon aus­ weislich des Wortlautes von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zentraler Aspekt der Zu­ lässigkeit einer jeden Enteignung734. Vom Gemeinwohl hängt zuvorderst die Möglichkeit einer Durchbrechung des eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes ab. Seine Regelung ist „wesentlich“. Namentlich Papier hält die Konkretisie­ rung von Gemeinwohlzielen in den Enteignungsgesetzen für „eine Überdeh­ nung oder Überforderung des enteignungsrechtlichen Gesetzes­vorbehalts“735. Diese Kritik ist allerdings in ihrem Ausgangspunkt schon auf ein anderes Ver­ ständnis der gesetzgeberischen Qualifikationskompetenz zurückzuführen, die nach hier vertretener Auffassung allein dem parlamentarischen Gesetzgeber zukommt736. Insofern liegt in der Forderung der Fixierung eines konkreten Gemeinwohlziels keine Überspannung des Gesetzesvorbehalts, sondern ein Gleichschritt von Regelungsauftrag und Regelungsgestaltung. Wenn das Gemeinwohlziel nicht unmittelbar als Folge der Enteignung er­ reicht wird737, sondern als Zwischenschritt die Realisierung eines bestimmten Vorhabens steht, ist auch das jeweilige Vorhaben, für das enteignet werden kann, im Gesetz zu fixieren738. Denn Gemeinwohlziel und Vorhaben sind 731  Hierzu

unter Kapitel E. III. 2. a). 987 (988); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 635; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 420; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 678; Muckel, Rohrleitungs-Enteignungsgesetz (Fn.  193), S.  226; Jarass, Vorwirkung (Fn. 41), S. 1331; Dietlein/Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 69 unter Verweis in Fn. 23 u. 24 auf BVerfGE 74, 264 (292 f.); Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1506; Regenfus, Vorgaben (Fn. 573), S. 139; Dietlein, in: Stern, Staats­ recht IV/1 (Fn. 18), S. 2268 f.; vgl. auch Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1665. 733  Hierzu unter Kapitel E. II. 1. a). 734  BVerfGE 134, 242 (292 Rn. 170). 735  Papier, Anmerkung (Fn. 61), S. 619 f. 736  Hierzu bereits unter Kapitel E. II. 1. a); wie hier deshalb auch Gramlich, Real­ förderung (Fn. 730), S. 34. 737  Zu diesem seltenen Fall vgl. schon oben Fn. 385. 738  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 635; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 678; Dietlein/Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 69 f.; Muckel, RohrleitungsEnteignungsgesetz (Fn. 193), S. 226. 732  BVerwG NVwZ 1991,



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze129

gemeinsam Bestandteile des Enteignungszwecks739 und betreffen mithin den „Zweck […] des Eingriffs“740. Zudem wird mit der Darlegung des Vorhabens auch ein Teil des Eingriffsgegenstands741 angesprochen. bb) Zugriffsobjekt und sonstige materielle Zulässigkeitsvoraussetzungen Neben Gemeinwohlziel und Vorhaben muss das Gesetz auch das jeweilige Eigentumsobjekt erkennen lassen, auf das aufgrund oder durch das Enteig­ nungsgesetz zugegriffen werden kann742. Nur mit der Festlegung des Zu­ griffsobjektes kann die erforderliche Berechenbarkeit für den Normadressa­ ten sichergestellt werden. Das Zugriffsobjekt lässt sich wie das Vorhaben dem Eingriffsgegenstand zuordnen743. Möchte der Gesetzgeber die Zulässigkeit der Enteignung an weitere mate­ rielle Voraussetzungen geknüpft wissen, die über Gemeinwohlziel und Vor­ haben hinausgehen744 bzw. sich nicht bereits aus dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit745 ergeben, muss er diese Voraussetzungen ebenfalls im Enteignungsgesetz niederlegen, da diese Voraussetzungen dann den Ein­ tritt des Tatbestands der Enteignung bedingen und deshalb im Hinblick auf die Berechenbarkeit des Eingriffs für den Normadressaten von besonderer Bedeutung sind. In diesem Kontext könnte etwa das nachweisliche Bemü­ hen746 des Vorhabenträgers um einen freihändigen Erwerb als Voraussetzung statuiert werden747. 739  Hierzu 740  Vgl.

(325).

unter Kapitel E. I. 2. BVerfGE 69, 1 (41); 46, 120 (146 f.); 20, 150 (157 f.); 9, 137 (147); 8, 274

741  Vgl. z. B. § 3 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 NRWRohrlG zur Regelung des Rohrlei­ tungsvorhabens unter der Normüberschrift „Gegenstand der Enteignung“. Daneben gehört zum Eingriffsgegenstand das Eigentumsobjekt, auf das potentiell zugegriffen wird, dazu im Folgenden. 742  Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2268. 743  Vgl. z. B. ausdrücklich unter der Überschrift „Gegenstand der Enteignung“ § 3 EnteigG LSA, § 3 NEG oder § 4 EnteigG HA: „Eigentum an Grundstücken“ oder „andere Rechte an Grundstücken“. 744  Die materiellen Voraussetzungen für die Enteignungszulässigkeit kann der Ge­ setzgeber immer verschärfen; hinter den sich aus Wertungen des Grundgesetzes erge­ benden Voraussetzungen zurückbleiben darf er nicht; vgl. dazu Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 678. 745  Hierzu unter Kapitel E. V. 746  In der Regel: Glaubhaftmachung. 747  So z. B. § 4 Abs. 1 S. 2 NRWRohrlG oder Art. 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BayRohrl­ EnteigG; vgl. zudem Fn. 1139; die häufig in den Enteignungsgesetzen zu findende Festlegung, die Enteignung auf eine Belastung des Grundstücks zu beschränken, wenn dies zur Verwirklichung des Enteignungszwecks ausreicht (§ 3 Abs. 1 S. 2

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

cc) Erklärung über das Zugriffsmittel Das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG gilt im Rahmen von Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG nicht, weil die damit bezweckte Warnfunktion schon durch die Junktimklausel in ausreichender Weise erfüllt wird748. Das Gesetz muss also nicht erklären, dass es das Eigentumsgrundrecht gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG einschränkt. Es muss aber ausdrücklich benennen, dass enteignet werden kann (Erklärung gerade der Enteignungszulässigkeit), d. h. welche Qualität die Beeinträchtigung des Eigentumsgrundrecht hat, sofern es nicht schon die Art der einzelnen Zugriffsmöglichkeiten749 deutlich umschreibt. Aufgrund der besonderen Grundrechtsrelevanz des spezifischen Eingriffsmit­ tels der Enteignung ist dieses Mittel „wesentlich“ und als solches ausdrück­ lich im Enteignungsgesetz darzulegen750. Mit der Nennung dieses Eingriffs­ mittels werden zugleich „Inhalt“ und „Ausmaß“ des Eingriffs in das Enteig­ nungsgesetz aufgenommen. Das Bundesverfassungsgericht begegnet den unter aa) bis cc) genannten generellen Bestimmtheitsanforderungen im Bereich von Grundrechtseingrif­ fen, indem es für Enteignungsgesetze generell bestimmt, diese müssten „hin­ reichend bestimmt regeln, zu welchem Zweck, unter welchen Voraussetzun­ gen und für welche Vorhaben enteignet werden darf“751. Diese Formel ent­ spricht bis auf die Benennung des Zugriffsobjektes, den angeführten Ein­ schränkungen bei der Festlegung von materiellen Enteignungsvoraussetzungen sowie der Erklärung über das Zugriffsmittel dem hier getroffenen Befund. dd) Regelung des Enteignungsverfahrens? Teilweise wird in der Literatur darüber hinaus angebracht, das Enteig­ nungsgesetz selbst müsse auch Regelungen zum Enteignungsverfahren bein­ NRWRohrlG, Art. 2 Abs. 1 S. 3 BayRohrlEnteigG), dürfte hingegen schon dem allge­ meinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entnehmen sein (Stufe der Erforderlich­ keit). Die Aufnahme derartiger Voraussetzungen in die Enteignungsgesetze ist deshalb zumindest nicht zwingend. 748  BVerfGE 21, 92 (93); 24, 367 (398); Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 669; Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 621; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 425; Rn. 84; Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 242; Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 204; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 593; Sieckmann (Fn. 38), Art. 14 Rn. 160; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2275 f. 749  Etwa die Entziehung oder die dingliche Belastung von Eigentum. 750  Wichtig ist die konkrete Benennung dieser Eingriffsqualität. Sollen Enteignun­ gen geregelt werden, reicht es also nicht aus, die Möglichkeit von „Eingriffen in das Eigentum“ o. ä. im Gesetz niederzulegen. 751  BVerfGE 134, 242 (293 Rn. 174) unter Verweis auf E 74, 264 (285); 56, 249 (261) sowie E 24, 367 (403).



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze131

halten752, also konkret vorschreiben, welche Verfahrensschritte, betreffend etwa Antrag und Enteignungsbeschluss, im Einzelnen durchgeführt werden müssen, insbesondere Aussagen dazu treffen, wie das Eigentum im Einzel­ nen entzogen und übertragen wird753. Eine ausreichende Begründung für ein solches Regelungserfordernis lassen diese Auffassungen allerdings vermis­ sen754. Ein praktisches Bedürfnis gibt es hierfür angesichts – subsidiär anzuwen­ dender – allgemeiner Enteignungsgesetze mit Verfahrensvorschriften in je­ dem Bundesland755 jedenfalls nicht. Auch aus verfassungsrechtlicher Per­ spektive kann die Regelung von Verfahrensvorschriften in Enteignungsgeset­ zen nicht gefordert werden. Art. 14 Abs. 3 GG mag verlangen, dass die Feststellung der materiellen Voraussetzungen in einem geordneten Verfahren erfolgt, das in Grundzügen gesetzlich geregelt sein muss756. Für ein solches Verfahren bieten aber einerseits die allgemeinen Enteignungsgesetze sowie die Junktimklausel757 ausreichende Gewähr. Das jeweils spezifische Enteig­ nungsgesetz muss darüber hinausgehend keine Vorgaben für das Enteig­ nungsverfahren aufnehmen758. Im Rahmen von Legalenteignungen bildet schon das Gesetzgebungsverfahren das geforderte geordnete Verfahren ab.

752  Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 13; Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 254; Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 200; Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1665; Ehlers, Eigen­ tumsschutz (Fn. 79), S. 240 in Fn. 152; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 57; Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 184. 753  Zu letzterem Aspekt ausdrücklich Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1665. 754  So bleiben die Auffassungen von Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 254, Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 200 und Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1665 zur Auf­ nahme von Verfahrensregelungen ohne jede weitere Begründung. Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 57 verweist in Fn. 4 verfehlt auf einen Aufsatz Papiers zum enteignungs­ gleichen Eingriff. Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 184 verweist auf Breuer, An­ merkung (Fn. 23), S. 972 und BVerfGE 56, 249 (261), wo allerdings jeweils gar keine Ausführungen zum Enteignungsverfahren getroffen werden. Ehlers, Eigentumsschutz (Fn. 79), S. 240 in Fn. 152 und Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 13 verweisen auf BVerfGE 74, 264 (286 f. bzw. 296 f.), wo aber einzig das Ermittlungsverfahren hin­ sichtlich der enteignungsrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen, namentlich die Ge­ meinwohlaktualisierung im konkreten Fall, thematisiert wird. 755  Vgl. hierzu oben Fn. 157. 756  Axer (Fn. 435), Art. 14 Rn. 112; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 630. 757  S. hierzu unten Kapitel E. III. 3. a) gg). 758  Auch ein Verweis auf die landesrechtlichen Vorschriften, den zahlreiche Ent­ eignungsgesetze vorsehen, vgl. z. B. § 45 Abs. 3 EnWG, ist obsolet. Die allgemeinen Enteignungsgesetze auf Landesebene beanspruchen auch ohne ausdrücklichen Ver­ weis subsidiäre Geltung.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

ee) Sicherungsregelung In Rechtsprechung und Literatur besteht Einigkeit darüber, dass der Ge­ meinwohlbezug des mit der Enteignung begünstigten Vorhabens nachhaltig sichergestellt sein muss759. Eine Enteignung ohne solche Sicherung ist ver­ fassungswidrig. Über die Frage, wie sich diese Sicherung konkret darstellt, insbesondere, welches Bezugsobjekt für die Sicherung in den Blick zu neh­ men ist, besteht allerdings erhebliche Unsicherheit. Dieser Frage widmet sich Kapitel E. IV. Im Hinblick auf solche Regelungselemente, die sich aus dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit als obligatorischer Bestandteil eines jeden Enteignungsgesetzes ergeben, genügt es an dieser Stelle festzuhalten, dass die Sicherung – unabhängig von der Frage, welche Sicherungserforder­ nisse im Einzelnen bestehen mögen – jedenfalls im Enteignungsgesetz ange­ legt sein bzw. in diesem einen Anknüpfungspunkt finden muss760. Nur so­ lange der Gemeinwohlbezug hergestellt ist, ist die Enteignung auch gerecht­ fertigt761. Erst mit der Sicherung ist der dauerhafte Gemeinwohlbezug auch tatsächlich gewährleistet. Die nachhaltige Sicherung des Gemeinwohlbezugs ist deshalb wie die Konkretisierung des verfolgten Gemeinwohlziels selbst zentrales Element und als solches „wesentlich“762.

759  BVerfGE 24, 367 (407); 38, 175 (180); 66, 248 (257 f.); 74, 264 (277 f.); 134, 242 (396 Rn. 181); BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 f. Rn. 25 u. 36); BVerfG, Be­ schluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 37 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt); Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 691; Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 641 ff.; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 132; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2279; Badura (Fn. 44), § 10 Rn. 63; Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 457; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 195 ff.; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 162 ff.; Bauer, Kon­ gruenz (Fn. 5), S. 116 ff.; Jagst, Enteignung (Fn. 5), S. 231 ff.; Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 127 ff.; Stengel, Grundstücksenteignung (Fn. 21), S. 48 ff.; Layer, Princi­ pien (Fn. 1), S. 216; Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 211 f.; vgl. näher zu der Frage der Sicherung Kapitel E. IV. 760  BVerfGE 74, 264 (286 f.); 134, 242 (295 Rn. 179); BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 25); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 37 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt); Dietlein/Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 77; Muckel, Eigentumsgaran­ tie (Fn. 63), S. 187 ff.; zum Mindestmaß der Ausgestaltung eines solchen Anknüp­ fungspunktes Kapitel E. III. 3. b) und IV. 761  Vgl. Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 211 unter Verweis auf BVerfGE 38, 175 (180 f.); Wieland, Gemeinwohlbindung (Fn. 430), S. 125. 762  Weil in der Überantwortung bestimmter Sicherungsverpflichtungen an den Ent­ eignungsbegünstigten regelmäßig ein Grundrechtseingriff liegen dürfte, ergibt sich das Erfordernis einer gesetzlichen Anknüpfung ohnehin aus den entsprechenden grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten, dazu Kapitel E. IV. 3. c) bb) (3).



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze133

ff) Vorgaben für die Gesamtabwägung? Nicht unmittelbar dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 GG zu entnehmen ist die seitens des Bundesverfassungsgerichts geforderte enteignungsrechtliche Gesamtabwägung763. Nach seiner Rechtsprechung muss die Gesamtabwä­ gung gesetzlich vorgesehen sein764. Die Gesamtabwägung muss sich aber auch nach dieser Rechtsprechung nicht zwangsläufig aus dem Enteignungs­ gesetz selbst ergeben, sondern kann auch auf einer anderen gesetzlichen Grundlage beruhen765. Hier sieht das Bundesverfassungsgericht etwa ausrei­ chende gesetzliche Regelungen in Zusammenhang mit der Planfeststellungs­ bedürftigkeit für Rohrleitungsvorhaben nach dem UVPG766. Demnach muss das Enteignungsgesetz bei solchen nach UVPG planfeststellungsbedürftigen Rohrleitungsvorhaben767 nicht das Erfordernis einer Gesamtabwägung vor­ sehen. Unabhängig davon ist das Erfordernis einer Gesamtabwägung auch in an­ deren Fällen nicht ausdrücklich im Enteignungsgesetz festzuschreiben: In der Gesamtabwägung sollen „alle[r] Gemeinwohlgesichtspunkte und widerstrei­ tenden Interessen unter Prüfung auch der Erforderlichkeit des Vorhabens“768 bzw. „alle[r] für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange“769 verglei­ chend gewichtet und gewürdigt werden. Die Gesamtabwägung ist demnach 763  BVerfGE 74, 264 (293 f.); 134, 242 (298 f. Rn. 188 f.); BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 33 f.); Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 57 ff. (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 ab­ gedruckt); vgl. zur „Gesetzesverantwortung“ Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 348. Zur enteignungsrechtlichen Gesamtabwägung im Rahmen der Angemessenheit vgl. außerdem Kapitel E. V. 764  BVerfGE 74, 264 (293  f.); 134, 242 (307 Rn. 210; 308 Rn. 212); BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 33). 765  BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 33). 766  BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 33) mit Verweis auf die gesetzlich vorgese­ hene Planfeststellungsbedürftigkeit eines Rohrleitungsvorhabens durch § 20 UVPG i. V. m. Nr. 19.3 der Anlage 1 zum UVPG, die im Rahmen der planfeststellungsrecht­ lichen Abwägung auch eine solche Gesamtabwägung umfasse; a. A. offenbar noch BVerfG NVwZ 2009, 1283 (1285) und VGH BaWü NVwZ-RR 2011, 143 (147), wonach die „spezifisch enteignungsrechtliche Gesamtabwägung aller Gemeinwohlge­ sichtspunkte […] nicht mit einer planerischen Abwägung gleichzusetzen“ sei. 767  Die Rohrleitungsvorhaben, für die im Rahmen projektbezogener Enteignungs­ gesetze enteignet werden soll, bedürfen regelmäßig eines Planfeststellungsverfahrens nach UVPG, vgl. § 1 NRWRohrlG (§ 20 Abs. 1 i. V. m. Nr. 19.3 der Anl. 1 zum UVPG) und Art. 1 Abs. 1 S. 1 BayRohrlEnteigG (§ 20 Abs. 1 UVPG i. V. m. Nr. 19.4.2 der Anl. 1 zum UVPG). Vgl. auch BW LT-Drs. 14/5171, S. 8 für die Planfeststel­ lungsbedürftigkeit des BWEthylRohrlG nach § 20 UVPG. 768  BVerfGE 74, 264 (293 f.). 769  BVerfGE 134, 242 (336 f. Rn. 281 f.; 346 Rn. 303; 349 Rn. 313; 350 Rn. 316 f.).

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Bestandteil der Angemessenheitsprüfung im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit770. Mit der Angemessenheitsprüfung soll einerseits die Grenze der Zumutbarkeit unter Würdigung der Eingriffsschwere und der den Eingriff rechtfertigenden Gründe gewahrt werden771. Andererseits werden mit der Angemessenheitsprüfung regelmäßig nicht nur die subjektiven Wir­ kungen für den Betroffenen ins Verhältnis zum Nutzen für die Allgemeinheit gesetzt. In die Abwägung können vielmehr weitere Güter – in mehrpoligen Verhältnissen etwa die Interessen Dritter772 oder andere öffentliche Be­ lange773 unter Betrachtung auch der Folgewirkungen – einbezogen werden774. Zu würdigen sind insbesondere auch „die für das jeweilige Interesse erheb­ lichen Bedingungen und Auswirkungen der Eingriffsregelung in ihrem Zusammenwirken“775. Es wird also eine „Gesamtbewertung“776 vorgenom­ men. Die Stufe der Angemessenheit sieht demnach auch im Rahmen der üblichen Grundrechtsprüfung eine allumfassende Prüfung des Für und Wider eines Eingriffs vor. Die geforderte Gesamtabwägung ist deshalb inhaltlich schon in der Prüfung der Angemessenheit bzw. dem Grundsatz der Verhält­ nismäßigkeit angelegt777. Dieser Grundsatz folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG778. Ihm kommt Verfassungsrang zu779, sodass er be­ reits ohne ausdrückliche Regelung gilt. Vor diesem Hintergrund muss das Erfordernis einer Gesamtabwägung nicht (zusätzlich) gesetzlich benannt

770  BVerfGE 134, 242 (298 Rn. 186 ff.); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 57 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt); Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 697; Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 664 f.; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 164a; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht (Fn. 43), S. 244. 771  BVerfGE 90, 145 (173); 83, 1 (19); 81, 70 (92); 67, 157 (178), 30, 292 (316); unter diesem Aspekt wird die Angemessenheit als Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne auch als Übermaßverbot bezeichnet. 772  Hierzu Jarass (Fn. 690), Art. 20 Rn. 121a unter Verweis auf BVerfGE 115, 205 (233 f.). 773  BVerwG NVwZ 1983, 2459 (2459  f.); H. D.  Jarass, in: ders./Pieroth, GG (Fn. 16), Vorb. vor Art. 1 Rn. 46; Stüer, Bergbau (Fn. 659), S. 268; Leisner, Bestands­ garantie (Fn. 486), S. 557, 562. 774  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 665; A. Nußberger, in: Sachs, GG (Fn. 16), Art. 3 Rn. 22: „Gesamtabwägung zur Angemessenheit des Verhältnisses zwischen Zielen, Gründen und Wirkungen“; M. Gentz, Zur Verhältnismäßigkeit von Grundrechtsein­ griffen, in: NJW 1968, S. 1600 (1604 f.). 775  BVerfGE 92, 277 (327). 776  Sachs (Fn. 689), Art. 20 Rn. 154 (Zitat); Jagst, Enteignung (Fn. 5), S. 260; ähnlich Badura, Staatsrecht (Fn. 529), Kap. C Rn. 28 („Gesamtabwägung“). 777  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 665. 778  BVerfGE 121, 317 (354); 108, 129 (136); 76, 256 (359); 69, 1 (35). 779  BVerfGE 61, 126 (134).



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze135

werden. Jedenfalls sind Enteignungsgesetze ohne ausdrückliche Regelung zur Gesamtabwägung dahingehend verfassungskonform auszulegen780. Das Erfordernis der enteignungsrechtlichen Gesamtabwägung muss da­ nach zwar nicht zwingend in das Enteignungsgesetz aufgenommen werden, bleibt aber gleichwohl als solches im Prüfungsrahmen der Enteignungszuläs­ sigkeit zu beachten. Wenn der Gesetzgeber die Gesamtabwägung nicht selbst vornimmt, sondern diese der Enteignungsbehörde überlässt781, hat er bei all­ gemein formulierten Gemeinwohlzielen für die Gemeinwohlaktualisierung Anhaltspunkte für die Bewertung der widerstreitenden Interessen im Rahmen der enteignungsbehördlichen Abwägung in das Gesetz aufzunehmen782, um im Sinne der Wesentlichkeitslehre inhaltliche Entscheidungsmacht nicht in zu starkem Maße auf die Exekutive zu verlagern. Das Erfordernis dieses Regelungselementes ist damit abhängig von der Bestimmtheit der jeweils aufgenommenen Gemeinwohlziele und vice versa783. gg) Entschädigungsregelung Schließlich muss der Gesetzgeber gem. Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG eine Rege­ lung über Art und Ausmaß der Entschädigung in das Enteignungsgesetz aufnehmen. Die Entschädigungsregelung, deren warnende Funktion784 auch im Hinblick auf haushalterische Gesichtspunkte relevant ist785, ist „wesent­ lich“, weil sie finanzielle Folgewirkungen für den Staat zum Gegenstand hat, damit die Budgethoheit des Parlamentes berührt786 und diese gleichsam si­ 780  Vgl. Kühne, Fragen (Fn. 362), S. 324; zur Frage, auf welcher Stufe im Verhält­ nis Gesetzgeber – Enteignungsbehörde die Gesamtabwägung jeweils vorzunehmen ist, vgl. Kapitel E. V. 781  Dies ist regelmäßig bei Administrativenteignungen aller Art der Fall. 782  BVerfGE 74, 264 (293); Dietlein/Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 70; insofern verkennen Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 57 und Hoops, Schutz (Fn. 8), S. 1499 f., dass sich die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Anhaltspunkte im Rahmen der Gesamtabwägung auf die Gemeinwohlaktualisierung und damit auf das in die Gewichtung einzustellende Gemeinwohlziel im konkreten Fall beziehen; vgl. für das hier vertretene Verständnis hinsichtlich der geforderten Anhaltspunkte Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 170. 783  Hierzu sogleich unter Kapitel E. III. 3. b). 784  BVerfGE 4, 219 (235); 46, 268 (287). 785  Der Staat soll sich vorab fragen, in welchem Maße die öffentlichen Haushalte infolge der aus einer (zulässigen) Enteignung resultierenden Entschädigungspflichten belastet werden; vgl. Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 670; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 125; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 139; Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 260. 786  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 617; zu finanziellen Auswirkungen für den Staat als Kriterium für Wesentlichkeit vgl. Kapitel E. III. 2. a).

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

cherstellt787. Daneben gewährleistet die Junktimklausel das im Rahmen von Art. 14 Abs. 3 GG geforderte geordnete Verfahren788. b) Regelungsgestaltung in Enteignungsgesetzen Wenn die Anforderungen an die Dichte der gesetzlichen Niederlegung mit der Intensität des Grundrechtseingriffs steigt789, ist angesichts des Charakters der Enteignung als schwerwiegender, gravierender Grundrechtseingriff790 eine präzise Normierung angezeigt, die „höchsten Ansprüchen“ genügen muss791. Dem gegenüber wird im Schrifttum teilweise verlangt, keine über­ spannten Anforderungen an die gesetzliche Normierung zu stellen792. Letzt­ lich ergeben sich weder aus dem einen noch aus dem anderen messbare Größen für die Ausgestaltung der oben skizzierten Regelungselemente. Als Prämisse steht eingedenk der Wesentlichkeitslehre aber fest, dass die Nor­ mierung zumindest so bestimmt sein muss, „daß die Entscheidung über die Zulässigkeit der Enteignung insoweit nicht in die Hand der Verwaltung gege­ ben wird“793. Der Gesetzgeber muss hinreichend bestimmt festlegen, zu welchem Zweck, unter welchen Voraussetzungen und für welche Vorhaben enteignet werden darf“794. Dieses Erfordernis bedarf weitergehender Ein­ grenzung. Alle Regelungselemente unterliegen jeweils spezifischen Be­ stimmtheitsanforderungen. Hinsichtlich ihrer gesetzlichen Bestimmtheit be­ dingen sie sich teilweise gegenseitig.

787  Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 125 („Kompetenzsicherungszweck“); Papier/ Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 670 („Haushaltspolitische Parlamentsprärogative“). 788  BVerfGE 46, 268 (286 f.). 789  Hierzu oben Kapitel E. III. 2. b). 790  BVerfGE 134, 242 (291 Rn. 168); Gramlich, Enteignung (Fn. 95), S. 275. 791  Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 200. 792  Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 158; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2269; Ehlers, Eigentumsschutz (Fn. 79), S. 240, allerdings mit Verweis auf die sonst bestehende Nähe zur Einzelfallgesetzgebung. Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG gilt indes im Rahmen des Art. 14 Abs. 3 GG gar nicht, vgl. BVerfG 24, 367 (396 f.) und oben Kapitel B. III. 1. 793  BVerfGE 74, 264 (286; Zitat); 134, 242 (294 Rn. 177); BVerfG NVwZ 2017, 399 (400 Rn. 23); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 36 f. (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt). 794  BVerfGE 134, 242 (293 Rn. 174) unter Verweis auf E 74, 264 (285); 56, 249 (261) sowie E 24, 367 (403).



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze137

aa) Interdependenz von Gemeinwohlziel und Vorhaben Das angestrebte Gemeinwohlziel und die Vorhabenausführung bestimmen zusammen den Enteignungszweck795. Dabei stehen Gemeinwohlziel und Vorhaben in Bestimmtheits- bzw. Konkretisierungsrelation. Die nähere Um­ schreibung des einen umgrenzt gleichzeitig den Inhalt des anderen. Vor dem Hintergrund der Wesentlichkeitslehre ist dies nur folgerichtig: Für die hinrei­ chende gesetzliche Bestimmtheit genügt danach die Auslegungsfähigkeit des verwendeten Normbegriffes796. Regelmäßig werden erst mit der Präzisierung des Vorhabens die mit seiner Realisierung prognostizierten Wirkungen als angestrebte Gemeinwohlziele deutlich797. Wenn sich das Gemeinwohlziel eindeutig bereits aus der gesetzlichen Vorhabenkonkretisierung erkennen lässt, kann die ausdrückliche Nennung des Gemeinwohlziels u. U. sogar voll­ ständig entbehrlich sein798. Gleichzeitig können bestimmte Gemeinwohlziele ggf. nur durch eine bestimmte Art von Vorhaben erreicht werden. Die beiden Regelungselemente lassen sich also über das jeweils andere auslegen und bedingen sich unter Konkretisierungsaspekten gegenseitig. In projektbezogenen Enteignungsgesetzen rückt schon dem Namen nach das Projekt, also das Vorhaben, in den Vordergrund. In diesen Gesetzen wird sich das Gemeinwohlziel gewöhnlich erst durch das in den Gesetzen bzw. den Gesetzesmaterialien näher beschriebene Vorhaben hinreichend abgrenzen lassen799. Gleiches gilt für Fälle der Legalenteignung bzw. der Legalent­ eignung im Gewande der Legalplanung, die schon aufgrund ihrer unmittelba­ ren Vollzugswirkungen für das konkrete Enteignungsverfahren800 das Vorha­ ben eindeutig zuordenbar beschreiben müssen801. In enteignungsrechtlichen Fach­gesetzen lassen sich sowohl vorhaben-802 als auch gemeinwohlzielzen­

795  Hierzu

oben Kapitel E. I. 2. oben Fn. 721. 797  Z. B. der konkrete Bezug der angestrebten Wirtschaftsförderung, vgl. hierzu unten Kapitel E. III. 3. b) bb) (1). 798  BVerfGE 134, 242 (294 Rn. 176); Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 170. 799  So kann beispielsweise das Gemeinwohlziel „Transportsicherheit“, dazu unter Kapitel E. III. 3. b) bb) (3), nicht für sich selbst stehen. Dieses Gemeinwohlziel kann nur aufgrund der Verbindung mit dem begünstigten Vorhaben den verfassungsrecht­ lichen Konkretisierungsanforderungen genügen. 800  Hierzu oben Kapitel B. III. 1. 801  Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 170. 802  Vgl. etwa § 22 Abs. 1 i. V. m. § 18 Abs. 1 AEG, der den Bau und den Ausbau von Betriebsanlagen der Eisenbahn sowie deren Unterhaltung, also das Vorhaben, fokussiert. Auch im Rahmen von § 45 EnWG wird erst durch den Bezug auf die be­ günstigten Vorhaben gem. §§ 43 und 43b EnWG deutlich, welche spezifischen Zwe­ cke der Energieversorgung gefördert werden. 796  Vgl.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

trierte803 Formulierungen beobachten. Allgemeine Enteignungsgesetze stellen teilweise maßgeblich die Gemeinwohlziele in den Vordergrund und lassen das Vorhaben im Ungefähren804, teilweise wird stärker die Art des Vorhabens betont805, teilweise zeichnen sich Gemengelagen ab806. bb) Gemeinwohlziel Der Gesetzgeber muss das Gemeinwohlziel konkretisieren. Er darf sich dabei zunächst nicht darauf beschränken, schlicht den Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG zu wiederholen und die Enteignung für ein „dem Wohle der Allgemeinheit“ bzw. „dem öffentlichen Wohl dienendes“ Vorhaben für zuläs­ sig zu erklären. Ansonsten wäre die Verwaltung frei darin, zu entscheiden, was dem Gemeinwohl dienlich sein soll und was nicht. Die Zulässigkeit der Enteignung läge vollständig in ihren Händen. Zudem bestünden erhebliche Bedenken im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit bzw. die Berechenbarkeit der Enteignungsnorm für den betroffenen Adressaten. In Rechtsprechung und Literatur besteht folgerichtig Einigkeit über die Unzulässigkeit einer solchen Formulierung807. Darauf gestützte Enteignungen sind verfassungswidrig. Es zeigt sich, dass viele allgemeine Landesenteignungsgesetze Enteig­ nungsermächtigungen beinhalten, die diesen verfassungsrechtlichen Mindest­ voraussetzungen nicht genügen808. Auch ein projektspezifisches Enteig­ nungsgesetz, welches nur feststellt, dass ein bestimmtes Rohrleitungsvorha­ ben dem Wohl der Allgemeinheit dient, kann nicht als Rechtsgrundlage für eine Enteignung herangezogen werden, wenn sich nicht zumindest mittels Auslegung erkennen lässt, welches konkrete Gemeinwohlziel verfolgt wird.

803  Z. B.

§ 28 Abs. 1 S. 1 LuftVG: „Zwecke der Zivilluftfahrt“. etwa § 2 Abs. 1 Nr. 2 EEG NW u. § 2 Abs. 1 EntGBbg. 805  Etwa § 2 Nr. 1 SächsEntEG. 806  Etwa § 2 Abs. 1 Nr. 1 LEntG MV u. § 2 Nr. 2 EnteigG LSA. 807  BVerfGE 134, 242 (294 Rn. 177; 302 Rn. 198); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 626; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 158; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 134; Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 170; Gramlich, Realförderung (Fn. 730), S. 34; ders., Enteignung (Fn. 95), S. 275; Uerpmann-Wittzack, Interesse (Fn. 375), S. 148; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 131, 133; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 62; Riedel, Eigentum (Fn. 16), Brugger, Enteignung (Fn. 404), S. 200; Obermayer, Ent­ eignungsrecht (Fn. 377), S. 211; mit Zweifeln Bryde (Fn. 84), Art. 14 Rn. 88; a. A., allerdings beschränkt auf „extreme Ausnahmefälle“, Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 60, 290. 808  Auf Grundlage von § 1 Abs. 1 c) EnteigG BR, § 2 Nr. 1 EnteigG NEG, § 2 S. 1 EnteigG HA, § 3 Nr. 1 HEG, § 2 Nr. 1 LEnteigG, § 1 SächsEntEG oder § 1 ­EnteigG SH kann damit nicht enteignet werden. 804  Vgl.



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze139

Bedenken bestehen auch hinsichtlich der häufig in Allgemeinen Enteig­ nungsgesetzen anzutreffenden Listen mit Beispielen von Gemeinwohlbelan­ gen, die mit den enteignungsbegünstigten Vorhaben gefördert werden sollen. Dabei wird der oben benannte Allgemeinplatz erweitert um Listen mit bereits konkretisierten Gemeinwohlzielen, jeweils eingeleitet durch „insbesondere“809. Bei strenger Orientierung am Wortlaut zeigt dieses Adverb an, dass der Ge­ setzgeber der Exekutive hiermit nur verschiedene Vorschläge unterbreitet, für welche Gemeinwohlziele enteignet werden kann, es der Verwaltung aber freistellt, auch zur Verfolgung anderer Ziele zu enteignen. Zu Recht werden diese Beispiellisten daher kritisch gesehen810. Wenn sich nicht bereits aus den Gesetzesmaterialien anderes ergibt, bietet sich eine Lösung über eine verfassungskonforme Auslegung solcher Regelungen an. Danach sind ent­ sprechende Beispiellisten als abschließend zu verstehen811. In seinem Beschluss vom 23. August 2010812 konzentriert sich der Verwal­ tungsgerichtshof Baden-Württemberg nicht auf einen einzelnen der im BWEthylRohrlG genannten Enteignungszwecke, sondern führt aus, dass die dort aufgeführten Enteignungszwecke813 „jedenfalls bei einer Gesamtschau“ eine Enteignung rechtfertigten814. Zum einen ist damit die verfassungsrecht­ liche Vereinbarkeit der gesetzgeberischen Wertentscheidung über das Ge­ meinwohl als Ergebnis einer bilanzierenden Abwägung815 angesprochen. Ausgehend von den vorangehenden Bemerkungen des Gerichts zum Erfor­ dernis hinreichender Bestimmtheit der konkreten Allgemeinwohlbelange im­ pliziert diese gerichtliche Aussage zum anderen, dass der Bestimmtheit der Enteignungszwecke jedenfalls bei einer Gesamtbetrachtung genüge getan ist. Die jeweils verfolgten Gemeinwohlziele müssen jedoch für sich schon aus­ reichend bestimmt sein. Eine Gesamtbetrachtung kann über dieses Erforder­ nis nicht hinweghelfen und kann die mangelnde Konkretisierung einzelner Gemeinwohlbelange nicht etwa heilen. Ließe man eine „Gesamtschau“ auf die Enteignungszwecke zu, stünde für die Exekutive nicht fest, zu welchen Zwecken die Enteignung in concreto vorgenommen werden darf. Diejenigen

809  Art. 1 Abs. 1 S. 2 BayEG, § 2 Nr. 2 LEntG BW, § 2 Nr. 2 EnteigG LSA, § 2 Abs. 1 ThürEG. 810  Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 113; Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 616; Ehlers, Eigentumsschutz (Fn. 79), S. 240 in Fn. 153; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2269; Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 200; Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1670 mit Differenzierung; a. A. Brugger, Enteignung (Fn. 404), S. 65. 811  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 616; a. A. Brugger, Enteignung (Fn. 404), S. 65. 812  VGH BaWü NVwZ-RR 2011, 143–150. 813  Hierzu im Einzelnen unter Kapitel C. II. 5. d). 814  VGH BaWü NVwZ-RR 2011, 143 (146). 815  Hierzu oben Kapitel E. II. 1. c) ee).

140

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Gemeinwohlziele, die die Enteignung rechtfertigen sollen, müssen einzeln hinreichend bestimmt sein. Im Übrigen ist für die Konkretisierung einzelner Gemeinwohlbelange die Beziehung von Entziehungszweck zu Gemeinwohlziel816 von Bedeutung. Wird ohne weitere Zwischenschritte allein durch die Enteignungsmaßnahme das Gemeinwohlziel erfüllt, bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundes­ verfassungsgerichts lediglich einer präzisen Beschreibung des Enteignungs­ ziels, wenn daraus zugleich das verfolgte Gemeinwohlziel entnommen wer­ den kann817. Bei Vorhaben des Rohrleitungsbaus wird von dieser Erleichte­ rung an die Bestimmtheitsanforderungen allerdings kein Gebrauch gemacht werden können: Zwischen der Inanspruchnahme von Eigentumspositionen und der Realisierung des Gemeinwohlziels liegt als notwendiger Zwischen­ schritt immer die Errichtung und der Betrieb einer Rohrleitung. In Verbin­ dung mit Rohrleitungsvorhaben sind keine Konstellationen ersichtlich, unter denen bereits durch die Enteignungsmaßnahme allein das angestrebte Ge­ meinwohlziel erreicht wird. (1) Beispiel Wirtschaftsförderung Dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit wird dann nicht genüge ge­ tan, wenn lediglich eine nicht näher eingegrenzte allgemeine „Wirtschaftsför­ derung“ als Gemeinwohlziel in das Enteignungsgesetz aufgenommen wird818. Der zu fördernde Wirtschaftssektor muss näher konturiert werden. Dabei können sich die angestrebten positiven wirtschaftlichen Folgen auch aus den Gesetzesmaterialien ergeben. Der Gesetzesanwender muss zumindest durch Auslegung ermitteln können, in welchem Maß das durch die Enteignung er­ möglichte Vorhaben welcher Wirtschaftseinheit zugutekommen soll. Eingegrenzt werden muss zunächst der jeweilige Wirtschaftszweig. Es bietet sich zu diesem Zwecke an, auf die Qualifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes (WZ 2008) zurückzugreifen und zu fordern, den Wirtschaftszweig zumindest bis zur Ebene der sog. Abteilungen abzu­ grenzen. Eine Bestimmung anhand der Klassifikation der Wirtschaftszweige bietet den Vorteil, dass jedes Element nur zu einer Kategorie der Klassifika­ tion eingeordnet werden kann819 und die Einordnung unter die WZ 2008 in­ 816  Zur

Abgrenzung der Begriffe Kapitel E. I. 2. 242 (293 f. Rn. 176). 818  Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 107 f. und Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 113, aber unter dem Fokus auf Grenzen der gesetzgeberischen Einschätzungspräro­ gative bei der Auswahl von Gemeinwohlzielen, vgl. schon oben Fn. 443. 819  Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Klassifikation der Wirtschaftszweige mit Er­ läuterungen, 2008, S. 7. 817  BVerfGE 134,



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze141

sofern eine trennscharfe und transparente Konkretisierung gewährleistet. Im Rahmen des NRWRohrlG NRW wurde die Wirtschaftsförderung im Speziel­ len auf die Chemieindustrie und das kunststoffverarbeitende Gewerbe bezo­ gen, vgl. § 2 Nr. 1 NRWRohrlG NRW. Diese Eingrenzung entspricht der hier geforderten Spezifizierung820. Gleiches gilt für die Vorschriften des BWEtyhl­ RohrlG und des BayRohrlEnteigG, welche die (Petro-)Chemie als zu för­ dernden Wirtschaftszweig aufgreifen821. Eine derartige Eingrenzung genügt hinsichtlich der Wirtschaftstätigkeit den verfassungsrechtlichen Bestimmt­ heitsanforderungen822. Daneben muss die zu fördernde Wirtschaftsstruktur auch in lokaler Hin­ sicht präzisiert werden. Diese Präzisierung wird regelmäßig von der Reich­ weite der gesetzgeberisch prognostizierten Vorhabenwirkungen abhängen und also in Interdependenz mit der Vorhabenkonkretisierung vorzunehmen sein823. Die angesprochenen projektspezifischen Enteignungsgesetze bezie­ hen sich in diesem Zusammenhang auf die Ebene des jeweiligen Bundeslan­ des. Bei den in Rede stehenden Rohrleitungsvorhaben mit jeweils landeswei­ ter Bedeutung für den entsprechenden Wirtschaftssektor genügt im Rahmen der projektspezifischen Enteignungsgesetze (Administrativenteignungen) nach hier vertretener Auffassung eine derartige Eingrenzung.

820  Die „Chemieindustrie“ und die „Kunststoffverarbeitung“ sind unter WZ 2008 Kode Abteilung 20 („Herstellung von chemischen Erzeugnissen“) zu fassen. 821  § 1 Abs. 2 Nr. 1 BWEthylRohrlG, Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayRohrlEnteigG. 822  Noch großzügiger Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1506; a. A. Muckel, Ei­ gentumsgarantie (Fn. 63), S. 184; ders., Rohrleitungs-Enteignungsgesetz (Fn. 193), S. 226 f. Das hieße gleichwohl, dass sich die im BBergG anzutreffende Formulierung „Verbesserung der Wirtschaftsstruktur“ (§ 79 Abs. 1 BBergG) zwar über den Anwen­ dungsbereich des BBergG näher eingrenzen lässt, daraus aber die konkrete Art des Gewinnungsbetriebes entsprechend den Abteilungen nach WZ 2008 Kode 05-08 (Kohlenbergbau, Gewinnung von Erdöl und Erdgas, Erzbergbau, Gewinnung von Steinen und Erden, sonstiger Bergbau) nicht eindeutig hervorgeht. Insofern verblei­ ben an der Bestimmtheit dieser Formulierung im Rahmen des BBergG zumindest Zweifel, vgl. dazu BVerfGE 134, 242 (305 Rn. 204) sowie U. Karpen, Grundeigen­ tum und Bergbaurechte nach dem Bundesberggesetz vom 13.8.1980, in: AöR 106 (1981), S. 15 (32 f.) und Leisner, Bestandsgarantie (Fn. 486), S. 561; vgl. zudem ­Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 221 f., der sich mit dem bereits am 31.12.1977 außer Kraft getretenen Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlen­ bergbaus und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete (Kohlegesetz) vom 18.5.1968, BGBl. I 1968, S. 365, auseinandersetzt, welches in § 33 Abs. 1 Nr. 1 die „Wirtschafts­ struktur der Steinkohlenbergbaugebiete“ als „Enteignungszweck“ fokussiert. 823  Hierzu oben Kapitel E. III. 3. b) aa).

142

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

(2) Beispiel Arbeitsplätze Im Rahmen enteignungsrechtlicher Diskussionen werden Arbeitsplätze zuweilen als „goldenes Kalb“824 bzw. „heilige Kuh“825 abgekanzelt. Diese Bewertung wird der Bedeutung von Arbeitsplätzen für die ökonomische Wohlfahrt und ihren sozialpolitischen Wirkungen nicht gerecht826. Arbeits­ plätze als Gemeinwohlziel, sei es der Arbeitsplatzerhalt oder die angestrebte Schaffung von Arbeitsplätzen, hängen eng zusammen mit der oben angespro­ chenen Wirtschaftsförderung. Bei näherer Betrachtung sind sie als wichtigs­ ter Aspekt der Beschäftigungsstruktur de facto eine Kennzahl für die Bestim­ mung wirtschaftlicher Stärke827. Die Konkretisierung dieses Gemeinwohlziels ist vor diesem Hintergrund mit der Bestimmung des Wirtschaftszweiges verbunden828. Ist dieser hinreichend abgegrenzt, kann damit auch auf die Reichweite von positiven Auswirkungen auf die Beschäftigungsstruktur ge­ schlossen werden. Möchte der Gesetzgeber die Enteignung zum Zwecke der Erhaltung bzw. der Sicherung von Arbeitsplätzen zulassen, muss er sich zur Dimension näher verhalten. Eine konkrete Anzahl muss er dabei im Gesetz nicht festschreiben829. Für die konkrete enteignungsrechtliche Abwägung der Enteignungsbehörde ist er aber dazu angehalten, aufzuzeigen830, unter wel­ chen Voraussetzungen und in welcher Größenordnung831 die Sicherung bzw. der Erhalt von Arbeitsplätzen in Zusammenhang mit dem begünstigten Vor­ haben prognostiziert wird. Zwar ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, 824  C. Lenz, Der Airbus-Baustopp – Wann darf für Arbeitsplätze enteignet wer­ den?, in: NJW 2005, S. 257 (259). 825  Leisner, Bestandsgarantie (Fn. 486), S. 561. 826  Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 135 in Fn. 96 unter Verweis auf Frenzel, Inte­ resse (Fn. 96), S. 125. Letzterer weist auf den gewachsenen historischen Hintergrund der Bedeutung dieses Gemeinwohlziels, insbesondere auf „sozial unerträglich[n] Fol­ gen“ infolge von Arbeitsplatzverlusten während der Wirtschaftskrise in der Weimarer Republik, hin. Vgl. weiter Farke, Bedeutung (Fn. 402), S. 14 f. zum Einfluss von Wirtschaftsunternehmen als „Faktor gesellschaftlicher Integration“. 827  Vgl. Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 173. 828  Zur Interdependenz von Wirtschaftsförderung und Beschäftigungsstand Weides/ Jahnz, Rechtsfragen (Fn. 377), S. 927. 829  Dazu schon Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 64; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 130 f. in Fn. 220; auch Ogorek, Eigentum (Fn. 8), S. 472 beanstandet das Gemeinwohlziel „Sicherung von Arbeitsplätzen“ hinsichtlich seiner Bestimmtheit nicht. 830  Entweder im Gesetz selbst oder im Rahmen der Gesetzesmaterialien, die ent­ sprechend auszulegen sind; vgl. für die Präzisierung des Gemeinwohlziels „Sicherung von Arbeitsplätzen“ in § 2 Nr. 1 NRWRohrlG die Ausführungen des Gesetzgebers in NRW LT-Drs. 14/909, S. 6 f. zu der Größenordnung der betroffenen Arbeitsplätze auch unter Betrachtung mittelbarer Folgewirkungen. 831  Prall, Abgrenzung (Fn. 484), S. 189.



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze143

dass der Gesetzgeber nicht dazu verpflichtet ist, seine Gemeinwohlentschei­ dung zu begründen oder ihren Entstehungsprozess zu dokumentieren832. Ohne eine nähere Eingrenzung der Arbeitsplatzsicherung oder -förderung kann die Exekutive im einzelnen Fall aber keine Enteignungsentscheidung treffen, weil nicht klar ist, mit welchem Gewicht dieses Gemeinwohlziel in ihre Abwägung einzustellen ist. Der Enteignungsbehörde bliebe die Möglich­ keit der Enteignung schon dann, wenn auch nur ein Arbeitsplatz gesichert werden könnte833. Dass ein solches Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu­ lässig sein kann, liegt auf der Hand. (3) Beispiel Transportsicherheit In Zusammenhang mit Rohrleitungsvorhaben kann zudem der Gemein­ wohlbelang der Transportsicherheit eine bedeutsame Rolle spielen. Das Bun­ desverfassungsgericht hat das Gemeinwohlziel „Verbesserung der Transport­ sicherheit“ hinsichtlich seines Gewichts834 und der gesetzlichen Konkretisie­ rung835 ausreichen lassen. Mit der parallelen Umschreibung des Verlaufs der Rohrleitung836 lässt sich für die Enteignungsbehörde eindeutig erkennen, in­ wiefern und auf welcher Strecke sich im Hinblick auf das durchzuleitende Medium (im Fall des BWEthylRohrlG Ethylen) ein Rohrleitungstransport si­ cherer837 darstellt als ein Transport auf dem Seeweg, auf der Schiene oder auf der Straße. Im Fall des BWEthylRohrlG konnte zudem über die Gesetzesma­ terialien darauf geschlossen werden, welche Risiken mit dem Rohrleitungs­ 832  Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 201 m. w. N.; Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 170; d. h., der Gesetzgeber muss zwar nicht begründen, warum er einen bestimm­ ten Belang als Gemeinwohlziel einstuft. Zugrundeliegende Prognosen müssen aber auf offensichtliche Fehlsamkeit überprüfbar bleiben, vgl. Kapitel E. II. 1. b) cc). 833  Vgl. zu dieser Befürchtung in ähnlichem Kontext Zimmer, Flurbereinigung (Fn. 518), S. 1006. In diesem Fall bestünden schon hinsichtlich des abstrakten Ge­ meinwohlgewichts im Rahmen der typisierenden bilanzierenden Abwägung, hierzu Kapitel E. II. 1. c) ee), ganz erhebliche Zweifel. Insofern gehen Gemeinwohlintensität und Gemeinwohlkonkretisierung Hand in Hand. Regelmäßig wäre die Enteignungs­ maßnahme auch nicht verhältnismäßig. 834  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 Rn. 40–42); zur gesetzgeberischen Bilanzie­ rung unter Kapitel E. II. 1. d) cc). 835  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 f. Rn. 43 f.); für eine hinreichende Konkreti­ sierung ebenfalls BayVGH, Urteil vom 23.5.2019, 22 B 17/1299, juris, Rn. 25. 836  Zum Zusammenspiel unter Kapitel E. III. 3. b) aa). 837  Als Sicherheitsrisiken, die mit dem Rohrleitungstransport eingedämmt werden können, nennt das Bundesverfassungsgericht die narkotisierende, erstickende, hoch­ entzündliche Wirkung des Gases sowie die Eigenschaft, mit Luft explosionsfähige Gemische zu bilden. Zudem sei eine Rohrleitung gegenüber Witterungseinflüssen, Gefährdungen durch Verkehrsteilnehmer und allgemeines menschliches Fehlverhalten unempfindlicher, vgl. BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 Rn. 40).

144

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

vorhaben konkret eingedämmt werden können838. Das Gemeinwohlziel ist damit aus verfassungsrechtlicher Perspektive gesetzlich hinreichend bestimmt. (4) Negativbeispiele Eine unzureichende Konkretisierung des Gemeinwohlziels wird anzuneh­ men sein, wenn Enteignungen etwa „zur Förderung wirtschaftlich wichtiger Rohrleitungsvorhaben“839 für zulässig erklärt werden. Höchstens dann, wenn sich aus einer parallelen Vorhabenbeschreibung gleichzeitig ergibt, welches Vorhaben konkret als wirtschaftlich wichtig eingestuft wird und die wirt­ schaftliche Relevanz über die das Vorhaben betreffende Industrie, den Betrei­ ber oder das Medium näher eingegrenzt wird, kann in der Zusammenschau noch von einer hinreichenden Bestimmtheit ausgegangen werden. Dies wird nur im Fall von projektbezogenen Enteignungsgesetzen möglich sein. In all­ gemeinen Enteignungsgesetzen oder enteignungsrechtlichen Fachgesetzen ist das oben skizzierte Gemeinwohlziel hingegen regelmäßig nicht hinreichend bestimmt. Gleiches dürfte im Hinblick auf das bereits genannte Gemein­ wohlziel „Verbesserung der Transportsicherheit“ außerhalb von projektspezi­ fischen Fachgesetzen gelten840. In allen diesen Fällen bliebe der Exekutive ein zu großer Spielraum im Rahmen der Bewertung der Gemeinwohlbelange. Die Entscheidung, welche konkreten Belange dem Gemeinwohl zugeordnet werden und welche nicht, würde in den genannten Fällen nicht durch den Gesetzgeber getroffen. cc) Vorhaben Neben dem Gemeinwohlziel ist unter dem Gesichtspunkt hinreichender Bestimmtheit auch das durch die Enteignung begünstigte Vorhaben näher einzugrenzen, sofern nicht schon angesichts des angestrebten Gemeinwohl­ ziels erkennbar ist, dass nur ganz bestimmte Vorhaben einer spezifischen Art infrage kommen. Um die Enteignungszulässigkeit nicht in die Hand der Verwaltung zu geben, muss das Vorhaben im Gesetz zumindest „seiner Art nach“ benannt werden841. Alles weitere hängt von der jeweiligen Präzisie­ rung des verfolgten Gemeinwohlziels ab. 838  BW

LT-Drs. 14/5171, S. 13. ähnlich Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 200 in Fn. 205: „Für wichtige wirtschaftliche Unternehmungen ist die Enteignung zulässig“. 840  Insofern wird nochmals die gegenseitige Abhängigkeit von Gemeinwohlziel und Vorhaben in Zusammenhang mit Bestimmtheitserfordernissen deutlich, vgl. hierzu unter Kapitel E. III. 3. b) aa). 841  BVerfGE 134, 242 (294 Rn. 176) mit Verweis auf E 24, 367 (406); 56, 249 (261) und E 74, 264 (285). 839  Vgl.



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze145

Bei projektbezogenen Enteignungsgesetzen auf dem Gebiet des Rohrlei­ tungsbaus hat das Bundesverfassungsgericht die hinreichende Bestimmtheit angesichts eines Vorhabens bejaht, bei dem sich aus dem Gesetz und den zugrundeliegenden Gesetzesmaterialien das Medium, der Start- und End­ punkt der Rohrleitung, die Länge der Rohrleitung, der Bauherr und der Be­ treiber der Rohrleitung ergaben842. Jedenfalls im Rahmen von Administrati­ venteignungen können weitergehende Angaben nicht verlangt werden. Mit einer solchen Beschreibung gibt der Gesetzgeber das begünstigte Projekt eindeutig vor. Die gesetzgeberische Vorgabe auch des konkreten Trassenver­ laufes kann nur im Rahmen einer Legalenteignung gefordert werden. Das Enteignungsgesetz muss daneben auch keine weiterführenden technischen Grunddaten die Rohrleitung betreffend aufnehmen843. Im Rahmen einer Enteignung nach dem Energiewirtschaftsgesetz werden die begünstigten Vorhaben über § 45 Abs. 1 i. V. m. § 43 u. § 43b EnWG eingegrenzt844. In Zusammenspiel mit dem hinter dem Enteignungsregime des Energiewirtschaftsgesetzes stehenden Gemeinwohlbelang „Zwecke der (öffentlichen) Energieversorgung“ sind die in Betracht kommenden Vorhaben (bestimmte Hochspannungs- und Versorgungsleitungen) hinreichend konkre­ tisiert. Eine weitere räumliche Eingrenzung ist aufgrund des überregionalen Bezugs der in § 43 Abs. 1 EnWG angeführten (Bedarfs-)Vorhaben nicht er­ forderlich845. Soll für Rohrleitungsvorhaben eine Enteignung aufgrund allge­ meiner landesrechtlicher Enteignungsgesetze durchgeführt werden846, beste­ hen diesseitig Zweifel, ob die zugrundeliegenden Vorschriften den verfas­ 842  BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 32) zum NRWRohrlG; BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1175 f.) hält schon Start- und Endpunkt sowie das Medium für ausreichend. 843  BVerwG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 32); anders aber OVG NRW, Beschluss vom 28.8.2014, 20 A 1923/11, juris, Rn. 334 (insoweit nicht in ZUR 2015, 179–182 abgedruckt), mit dem Argument, die Transportleistung bedinge die angestrebten Fol­ gewirkungen (d. h. Gemeinwohlziele) der Vorhabenrealisierung. Im Fall des NRW­ RohrlG waren die Folgewirkungen hinsichtlich der Förderung der Wirtschaftsstruktur und dem Erhalt bzw. der Schaffung von Arbeitsplätzen schon für sich hinreichend bestimmt aufgezeigt, vgl. oben Kapitel E. III. 3. b) bb) (1) und (2). Sie bedurften insofern keiner Auslegung oder Begrenzung über die Vorhabenkonkretisierung. 844  Vgl. hierzu schon Kapitel C. I. 3. a) und b). 845  Im Fall des NRWRohrlG resultierte die genaue räumliche Abgrenzung insbe­ sondere aus dem Umstand, dass hiermit gleichzeitig die gesetzgeberseitig zum Ge­ meinwohlziel erhobene Wirtschaftsförderung umgrenzt werden musste. Anders als eine allgemeine Wirtschaftsförderung ist die öffentliche Energieversorgung aber selbst hinreichend konkret; im Hinblick auf die Vorgängerregelung § 11 Abs. 1 EnWG haben Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht die Bestimmtheit in­ soweit nicht beanstandet, vgl. BVerfGE 66, 248 (256 ff.) u. BVerwG NJW 2003, 230 (232). 846  So sehen etwa Art. 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 BayEG, § 2 Abs. 1 Nr. 2 d) EEG NRW, § 2 Nr. 1 h) SächsEntEG oder § 2 Abs. 1 Nr. 2 g) ThürEG die Enteignung für „Trans­

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

sungsrechtlichen Konkretisierungsanforderungen genügen. Wenn diese Ent­ eignungsgesetze gleichzeitig nur vorsehen, dass die Enteignung „dem Wohl der Allgemeinheit“ dienen muss, bleibt der Enteignungsbehörde auf Grund­ lage der verwendeten Formulierungen ein zu großer inhaltlicher Entschei­ dungsspielraum. So bleibt letztlich offen, welches Medium in der Rohrleitung geführt werden soll, in welchem Wirtschaftsbereich die Leitung eingesetzt werden soll und welche Interessen hinter der Durchleitung des Mediums stehen. Die Vorhabenkonkretisierung vermag an dieser Stelle deshalb nicht das konturlose „Wohl der Allgemeinheit“ auszufüllen. dd) Gestaltung der sonstigen Regelungsmaterie In Zusammenhang mit dem Zugriffsobjekt847 kommen bei Enteignungen für Rohrleitungsvorhaben von vornherein allein Grundstücke in Betracht, die für die Realisierung des jeweiligen Vorhabens benötigt werden. Wenn also eine solche Enteignung in Rede steht, ergibt sich die erforderliche Berechen­ barkeit für den Normadressaten damit bereits aus dem Kontext des geregelten Lebensbereiches848. Deshalb ist bei projektbezogenen Enteignungsgesetzen bzw. Fachgesetzen – anders als bei allgemeinen Enteignungsgesetzen849 – eine ausdrückliche Benennung des Zugriffsobjektes regelmäßig entbehrlich. Auch im Übrigen stellt aber Grundeigentum typischerweise das Zugriffs­ objekt dar850. Es bedingt hier wieder die Vorhabenkonkretisierung die hinrei­ chende Bestimmtheit des Zugriffsobjektes. Bei der Gestaltung sonstiger materieller Voraussetzungen ist der Gesetzge­ ber gehalten, diese zumindest auslegungsfähig niederzulegen. Die in projekt­ bezogenen Enteignungsgesetzen anzutreffende Voraussetzung des „nachweis­ lich[en] ernsthaft[en]“ Bemühens um einen freihändigen Erwerb851 wirft vor diesem Hintergrund insbesondere hinsichtlich des offenen Begriffes der Ernsthaftigkeit Fragen auf. Wenn aus den Gesetzesmaterialien aber hervor­ geht, dass der Gesetzgeber darunter wenigstens das Stattfinden von Erwerbs­ portleitungen“ bzw. „Rohrleitungen zum Transport von Rohstoffen oder Produkten in großen Mengen oder mit gefährlichen Eigenschaften“ vor. 847  Hierzu unter Kapitel E. III. 3. a) bb). 848  Vgl. BVerfGE 65, 1 (54); 62, 169 (183 f.); BVerwG NVwZ 1991, 987 (989). 849  Auch bei allgemeinen Enteignungsgesetzen könnte sich das fokussierte Zu­ griffsobjekt allerdings aus den Gesetzesmaterialien ergeben. Eine konkrete Benen­ nung wäre dann ebenso obsolet. 850  Badura (Fn. 44), § 10 Rn. 90. 851  § 4 Abs. 1 S. 2 NRWRohrlG; § 3 S. 2 Nr. 1 BWEthylRohrlG; Art. 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BayRohrlEnteigG; das Bemühen ergibt sich nicht schon aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit, vgl. Fn. 1139.



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze147

verhandlungen versteht852, stellt sich der Begriff als auslegungsfähig und also hinreichend bestimmt dar. Die Benennung des Zugriffsmittels, also die konkrete Erklärung darüber, dass gerade enteignet werden kann853, findet sich bei allgemeinen sowie teilweise bei projektspezifischen Enteignungsgesetzen854 bereits in ihren (voll­ständigen) Namen wieder. Auch im Übrigen wird diese Voraussetzung regelmäßig gewahrt855. Hinsichtlich des als „wesentlich“ identifizierten Anknüpfungspunktes für die nachhaltige Sicherstellung des Gemeinwohlbezugs856 wird dessen kon­ krete Ausgestaltung in entscheidendem Maße von dem jeweils abzusichern­ den Risiko determiniert857. Was (ab)gesichert werden muss, bedingt, mit welchen Mitteln gesichert werden kann858. Jedenfalls muss die dauerhafte Sicherung selbst nicht unmittelbar kraft Wirkung des Enteignungsgesetzes vollzogen werden. Hiervon geht auch das Bundesverfassungsgericht aus, wenn es das Sicherungserfordernis in seiner jüngeren Rechtsprechung nicht allein durch „gesetzliche Verpflichtungen gegenüber anderen Privaten oder der Allgemeinheit“859, sondern ggf. auch „durch geeignete und effektive Zu­ lassungs-, Überwachungs- und Eingriffsrechte einer Behörde“860 als erfüllt ansieht861. Die Anforderungen an das Enteignungsgesetz sind in diesem Zu­ sammenhang letztlich abhängig von der gesetzgeberischen Prognose über das 852  NRW

S. 7.

LT-Drs. 14/909, S. 8, BW LT-Drs. 14/5171, S. 16, Bay LT-Drs. 15/10316,

853  Zu etwaigen mangelhaften Formulierungen in diesem Kontext schon oben Fn. 750. 854  So das „Gesetz über die Enteignung für die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Münchsmünster und der Landesgrenze zu Baden-Würt­ temberg bei Nördlingen (Bayerisches Rohrleitungs-Enteignungsgesetz – BayRohrlEnt­ eigG)“ vom 10.6.2008, GVBl. 2008, S. 310 (Hervorhebung nicht i. O., L. C.). 855  Vgl. z. B. § 3 Abs. 1 S. 1 NRWRohrlG, § 2 Abs. 1 S. 1 BWEthylRohrlG, § 45 Abs. 1 EnWG, § 22 Abs. 1 S. 1 AEG, § 19 Abs. 1 S. 2 FStrG. 856  Hierzu Kapitel E. III. 3. a) ee). 857  Hierzu unter Kapitel E. IV. 858  Und damit u. a. auch die Frage, ob und welche Sicherungsvorkehrungen das Enteignungsgesetz selbst treffen muss. 859  BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 27); BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 181). 860  BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 27; 402 Rn. 37); BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 181). 861  Für ein solches Verständnis der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtspre­ chung ebenfalls Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 171; für die Möglichkeit der Sicherung auch außerhalb des Enteignungsgesetzes Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 691 und Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 135; a.  A. Bryde (Fn. 84), Art. 14 Rn. 82; Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1665; wohl auch BVerfGE 74, 264 (286).

148

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Zusammenwirken zwischen Vorhaben und Gemeinwohlziel sowie über die dabei abzusichernden Risiken862. Wie bereits dargestellt863, werden etwaig in das Enteignungsgesetz aufzu­ nehmende Vorgaben für die Gesamtabwägung bedingt durch die Bestimmt­ heit der jeweils angestrebten Gemeinwohlziele. Bei projektbezogenen Ent­ eignungsgesetzen sind Vorhaben und die damit verfolgten Gemeinwohlziele regelmäßig derart konkret, dass zusätzliche Vorhaben für die Abwägung nicht notwendig sind. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei derartigen Gesetzen die Gesamtabwägung schon vor­ weggenommen hat864. Eine eigene Gesamtabwägung wird der Gesetzgeber nur im Rahmen von Legalenteignungen bzw. Legalenteignungen im Gewande der Legalplanung vornehmen können865. Je abstrakter das Enteignungsgesetz formuliert, desto eher und umfassender müssen Anhaltspunkte für die Be­ wertung der widerstreitenden Interessen in das Gesetz aufgenommen werden. Der Regelung über Art und Ausmaß der Entschädigung muss die Entschä­ digungsart866 sowie die Bewertungsgrundlagen und ein allgemeiner Maßstab für die Bemessung der Entschädigung entnommen werden können, um den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen gerecht zu werden867. Dabei ist der Gesetzgeber frei darin, hinsichtlich der Entschädigungsregelung auf andere Gesetze zu verweisen, die ihrerseits den vorgenannten Erforder­ nissen des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG genügen müssen868. Bedeutung haben in diesem Kontext insbesondere die allgemeinen Enteignungsgesetze auf Lan­ desebene. Zur Entschädigungsregelung gehört daneben die Benennung des Entschädigungsverpflichteten. Ausgehend vom Charakter der Entschädigung

862  Hierzu

unter Kapitel E. IV. Kapitel E. III. 3. a) ff). 864  So aber Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 169 unter Würdigung der Tatsa­ che, dass diese Gesetze regelmäßig ausdrücklich feststellen, dass das Vorhaben dem Wohle der Allgemeinheit dient. Die von Dietlein argumentativ herangezogene Fest­ stellung des Gemeinwohlbegriffs als Ergebnis einer bilanzierenden Abwägung ist losgelöst von der im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmenden Gesamtabwägung, hierzu bereits Kapitel E. II. 1. c) ee) (1). 865  Vgl. BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 34). 866  D. h. die Frage, ob Entschädigung in Geld oder anderen Werten wie Wertpapie­ ren, bestimmten Rechten oder Ersatzland bestehen soll, vgl. hierzu BVerfGE 24, 367 (419); Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 95; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 169; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 27 Rn. 68. 867  BVerfGE 24, 367 (419); Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 443; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 126. 868  Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 676; Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 92; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 443; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 127; vgl. weiter Holznagel, Entschädigung (Fn. 136), S. 851 für § 45 Abs. 1 und 2 EnWG. 863  Vgl.



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze149

als Wertausgleich869, der sich an der entzogenen Substanz orientiert870, muss in Würdigung des dahinterstehenden Gedankens des gerechten Interessenaus­ gleichs (Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG) derjenige zum Ausgleich verpflichtet sein, dem der entzogene Bestand im Rahmen der Enteignung spiegelbildlich zu­ wächst. Insbesondere bei privatbegünstigenden Enteignungen darf der private Unternehmer durch die Enteignung wirtschaftlich nicht besser gestellt wer­ den, als hätte er das Grundstück freihändig erworben871. Entschädigungsver­ pflichteter ist deshalb der Enteignungsbegünstigte872. c) Einheitliche enteignungsrechtliche Bestimmtheitsanforderungen Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts müssen „bei Enteignun­ gen zugunsten Privater, die nur mittelbar dem gemeinen Wohl dienen, […] erhöhte Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit der gesetzlichen Enteignungsregeln“ gestellt werden873. Das Bundesverfassungsgericht scheint diese erhöhten Bestimmtheitsanforderungen nach seiner recht eindeutigen Formulierung auf privatbegünstigende Enteignungen im weiteren Sinne zu beziehen874. In der Literatur wird die Forderung des Bundesverfassungsge­ 869  D. h., nicht als Schadensersatz; siehe hierzu Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 666, 668; Froese, Entschädigung (Fn. 662), S. 257. 870  Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 27 Rn. 67. 871  Ähnlich Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 272. 872  Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 139; Axer (Fn. 435), Art. 14 Rn. 125; Maurer/ Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 27 Rn. 74; Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 462; Froese, Entschädigung (Fn. 662), S. 265; Erbguth, Entschädigungsansprüche (Fn. 34), S. 203; vgl. auch Steinberg/Lubberger, Aufopferung (Fn. 16), S. 198, die auf den Ursprung dieses Prinzips in § 7 S. 1 PrEG hinweisen. Bei privatbegünstigenden Enteignungen für Rohrleitungsvorhaben ist der private Begünstigte also Entschädi­ gungsverpflichteter, vgl. Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 270. Nach diesseitiger Auffassung ist Enteignungsbegünstigter allein Derjenige, dem die entzo­ gene Rechtsposition in Zusammenhang mit der Enteignung unmittelbar zukommt, vgl. oben Kapitel B. IV. Eine parallele Entschädigungsverpflichtung von begünstig­ tem privatem Unternehmer und einem Hoheitsträger ist danach ausgeschlossen; a. A. zu Letzterem Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 139; Steinberg/Lubberger, Aufopferung (Fn. 16), S. 199. 873  BVerfGE 134, 242 (295 Rn. 180); BVerfG NVwZ 2017, 399 (400 Rn. 19; 401 Rn. 26) [Zitat]; vgl. daneben BVerfGE 74, 264 (286); BVerfG WM 2009, 422 (424). 874  An anderer Stelle werden allerdings privatbegünstigende Enteignungen gene­ rell fokussiert, vgl. BVerfGE 134, 242 (295 Rn. 178) und BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 24): „Die Enteignung zu Gunsten Privater stellt allerdings besondere Anfor­ derungen an die Bestimmung des verfolgten Zieles“; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 37 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt); zu den verschiedenen Fallgruppen pri­ vatbegünstigender Enteignungen siehe Kapitel B. IV.

150

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

richts weitgehend übernommen875, wenn sie auch teilweise auf alle Spiel­ arten der privatbegünstigenden Enteignung bezogen wird876. Dem gegenüber sind Enteignungen zugunsten Privater hinsichtlich der hinreichenden Bestimmtheit von Enteignungsregelungen gesetzlich im Aus­ gangspunkt aber richtigerweise nicht anders zu behandeln als konventionelle Enteignungen zugunsten des Staates. Aus ihrer Einordnung als privatbegüns­ tigend erwachsen keine erhöhten Bestimmtheitsanforderungen877: Zunächst ergibt sich aus dem Bestimmtheitsgrundsatz selbst kein solches Erfordernis. Die hinreichende Bestimmtheit einer Rechtsnorm soll sicherstellen, dass die Norm für ihre Adressaten, Bürger und gesetzesausführende Verwaltung bere­ chenbar ist bzw. die aus ihr resultierenden Folgen für sie vorhersehbar sind, damit ihr Verhalten auf die Norm ausgerichtet werden kann878. Zudem soll das Bestimmtheitsgebot eine Gerichtskontrolle ermöglichen879. Vor diesem Hintergrund sind erhöhte Bestimmtheitsanforderungen an privatbegünsti­ gende Enteignungen nicht einzusehen. Aus der bloßen Tatsache, dass ein Privater begünstigt wird, ergibt sich für die Berechenbarkeit der Enteig­ nungsfolgen nichts. Unter Aspekten der Voraussehbarkeit bzw. der Verhal­ tensanpassung an die Norm macht es weder für den Enteignungsbetroffenen noch für die ausführende Verwaltung einen Unterschied, wem die entzogene Rechtsposition im Rahmen der Enteignung zuwächst. Die notwendige Ein­ deutigkeit der Enteignungsregeln ist kein Unikum privatbegünstigender Ent­ eignungen. Der gesetzgeberische Auftrag, „unzweideutig zu regeln, ob und 875  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 646; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 684; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 435; Hofmann (Fn. 44), Art. 14 Rn. 75; Badura (Fn. 44), § 10 Rn. 62; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht (Fn. 43), S. 244; wohl auch Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1505 und Heuser, Enteignung (Fn. 61), S.  278; a. A. Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1666 f. et passim; Papier, Anmer­ kung (Fn. 61), S. 620, der allerdings bereits eine Konkretisierungslast des Gesetzge­ bers verneint; Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 268 in Fn. 70; Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 211; Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 131 in Fn. 77 lässt die Frage offen. 876  Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 87; Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 253 f.; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2279; Hermes, Energieversorgung (Fn. 8), S. 68; Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 183 f.; ders., Rohrleitungs-Enteignungsgesetz (Fn. 193), S. 226; ähnlich Antoni (Fn. 23), Art. 14 Rn. 15: „Zusätzliche Anforderun­ gen an das Enteignungsgesetz“. 877  Vgl. Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), passim; Voßkuhle, Kompensations­ prinzip (Fn. 61), S. 268 in Fn. 70; Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 211. 878  BVerfGE 134, 141 (184 Rn. 126); 128, 282 (317); 110, 33 (53); B. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG (Fn. 9) Art. 20 VII (2006), Rn. 58; Sommermann (Fn. 699), Art. 20 Rn. 289; Schulze-Fielitz (Fn. 689), Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 129; Huster/Rux (Fn. 692), Art. 20 Rn. 182; vgl. zudem bereits Kapitel E. III. 1. a). 879  BVerfGE 110, 33 (53); Sachs (Fn. 689), Art. 20 Rn. 126; Kotzur (Fn. 689), Art. 20 Rn. 148.



III. Formelle Anforderungen an Enteignungsgesetze151

für welche Vorhaben eine [solche] Enteignung statthaft sein soll“880, muss für alle Enteignungsformen Geltung beanspruchen können881 – unabhängig von der Frage des jeweiligen Enteignungsbegünstigten. Dass die Zulässigkeit der Enteignung nicht in die Hände der Verwaltung gegeben werden darf882, folgt aus der Wesentlichkeitslehre883 und gilt für alle Enteignungen884. Daneben können auch aus dem Schutzzweck der Eigentumsgarantie keine erhöhten Anforderungen an die Bestimmtheit von Enteignungsregelungen bei privatbegünstigenden Enteignungen abgeleitet werden. Hinsichtlich der im Rahmen der Enteignung betroffenen Eigentumsposition ergeben sich für die Berechenbarkeit der Bestandsbetroffenheit885 keine Unterschiede. Der Be­ stand wird jeweils in gleichem Maße berührt. Insbesondere führt auch die Anwendung der Wesentlichkeitslehre zu keinem anderen Ergebnis. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur angeführt, die „(Grundrechts-)Wesent­ lichkeit“ erreiche bei privatbegünstigenden Enteignungen „ein gesteigertes Maß“886. Eingedenk der Überlegungen zu den Kriterien für Wesentlichkeit887 stellt sich der Grundrechtseingriff für den Enteignungsbetroffenen aber nicht deshalb intensiver dar, weil von der Enteignung ein privates Rechtssubjekt begünstigt wird888. Insofern muss die Frage nach Wesentlichkeit identisch beantwortet werden. Für die Annahme gesteigerter Bestimmtheitsanforderungen wird darüber hinaus angeführt, der Gemeinwohlzweck ergebe sich bei bestimmten privat­ begünstigenden Enteignungen nicht bereits aus dem Unternehmensgegen­ stand889. Dieser Feststellung soll nicht widersprochen werden. Das Gemein­ wohlziel muss in diesen Fällen deshalb umso detaillierter umschrieben wer­ 880  So im nachfolgenden Satz der oben angeführten Wendung des Bundesverfas­ sungsgerichts, BVerfGE 134, 242 (295 Rn. 180); BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 26). 881  A. A. Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 641; Hermes, Energieversorgung (Fn. 8), S. 68. 882  BVerfGE 74, 264 (286); vgl. daneben E 134, 242 (294 Rn. 177). 883  Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel E. III. 1. b). 884  A. A. offenbar Hermes, Energieversorgung (Fn. 8), S. 68: „Speziell bei Enteig­ nungen zugunsten Privater“ (Hervorhebung nicht i. O., L. C.). 885  Bestandsschutz als Gehalt der Eigentumsgarantie; vgl. zum Schutzzweck schon oben Kapitel E. II. 3. a) bb). 886  Hermes, Energieversorgung (Fn. 8), S. 68. 887  Hierzu Kapitel E. III. 2. 888  Vgl. bereits unter Kapitel E. II. 3. a) bb) a. E. die Ausführungen zu dem Gedan­ ken, dass Enteignungen zugunsten der öffentlichen Hand möglicherweise eine andere Akzeptanz zukommen mag, andere Rechtswirkungen aber verneint werden müssen. 889  Vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht (Fn. 43), S. 244; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 27 Rn. 61.

152

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

den, je weniger es sich bereits aus der Vorhabenbeschreibung ableiten lässt. Hierbei handelt es sich aber um eine Frage des Zusammenspiels zwischen Vorhaben und Gemeinwohlziel890 und nicht um eine Frage der Enteignungs­ begünstigung. Dies gilt vor allem angesichts der Tatsache, dass allen Enteig­ nungen, auch konventionellen, hinsichtlich des Gemeinwohlziels ein Mittel­ barkeitsmoment anhaftet – neben dem bloßen Eigentumsübergang als unmit­ telbarer Folge des Enteignungsvorgangs ist regelmäßig891 die Realisierung eines weiteren Zwischenschrittes notwendig892. Weiterhin wird vorgebracht, dass bei privatbegünstigenden Enteignungen die Gefahr des Missbrauchs zulasten der betroffenen Eigentümer bestehe893, ein Argument, dass üblicherweise in Zusammenhang mit der Diskussion um die Sicherung des Gemeinwohlbezugs anzutreffen ist894. Inwiefern allerdings gerade die Enteignungen zugunsten privater Begünstigter einem erhöhten Missbrauchsrisiko anheimfallen, bleibt unklar895. Auch öffentliche Verwal­ tungsträger sind nicht kraft ihrer Rechtsnatur vor Zweckmissbrauch ge­ schützt896. Hiervon zeugt gerade eine der Leitentscheidungen des Bundes­ verfassungsgerichts zu privatbegünstigenden Enteignungen, BVerfGE 56, 249 (Gondelbahn)897. Der Gedanke an einen Formenmissbrauch drängt sich auf898. Die typischerweise historisch begründete und damit aus heutiger Sicht zufällige bzw. von anderen als enteignungsrechtlichen Erwägungen be­ 890  Zur

Interdependenz dieser beiden Komponenten unter Kapitel E. III. 3. b) aa). einem möglichen Ausnahmefall (Enteignung eines Baudenkmals zur Be­ standserhaltung) vgl. bereits Fn. 385. 892  Hierzu, allerdings im Rahmen der Diskussion um die Sicherung von Enteig­ nungszwecken, Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 131 mit verschiedenen Beispielen. Vgl. außerdem Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 198, nach welcher derjenige Teil der (privaten) Unternehmenstätigkeit, auf den sich der gesetzlich festgeschrie­ bene Enteignungszweck bezieht, mit der gesetzlichen Festschreibung genauso unmit­ telbar auf das Gemeinwohl gerichtet sei, als wäre der Geschäftsgegenstand selbst auf dieses gerichtet. 893  Etwa Battis (Fn. 377), § 87 Rn. 2a; ähnlich Muckel, Rohrleitungs-Enteignungs­ gesetz (Fn. 193), S. 226. 894  Hierzu unter Kapitel E. IV. 895  Vgl. Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 130 f.; Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1669. 896  Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588; Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 130 f.; vgl. weiter schon oben Kapitel E. II. 1. c) dd). 897  Siehe zu diesem Judikat Kapitel D. I. Der Fall der Gondelbahn veranschaulicht vielmehr die Beteiligung eines öffentlichen Verwaltungsträgers (der Stadt Bad Dürk­ heim) an der Durchsetzung eines fragwürdigen Gemeinwohlziels (touristische Zwe­ cke), vgl. hierzu ausführlich Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 130. 898  Vgl. dazu schon Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (295). 891  Zu



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs153

stimmte Formenwahl899 hat nach alldem auf die Beantwortung der Frage nach hinreichender Bestimmtheit keinen Einfluss. Insofern mag das Be­ stimmtheitserfordernis bei privatbegünstigenden Enteignungen zwar regel­ mäßig oder typischerweise „besondere Bedeutung“900 haben. Andere oder gar strengere Anforderungen ergeben sich daraus indes nicht. Die Rechtsfigur der Enteignung zugunsten Privater bietet jedenfalls in diesem Kontext keine weiterführenden Erkenntnisse.

IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs Der nach den vorstehenden Maßstäben konkretisierte Gemeinwohlbezug muss dauerhaft sichergestellt sein. Diese Notwendigkeit ist in Rechtspre­ chung und Literatur geklärt901. Gleichwohl ist umstritten, wie der Staat seiner Gemeinwohlverantwortung hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Gemeinwohl­ bezugs hinreichend gerecht wird, namentlich, welche Risiken er durch die Auferlegung welcher Pflichten auf den Enteignungsbegünstigten absichern muss. Davon abhängig ist die Auswahl und die Ausgestaltung der Mittel, derer der Staat sich zur Absicherung bedienen kann. 1. Erfordernis eines dauerhaften Gemeinwohlbezugs Das Erfordernis eines dauerhaften Gemeinwohlbezugs, das für konventio­ nelle Enteignungen sowie für privatbegünstigende Enteignungen Geltung beansprucht902, gründet in der Finalität der Enteignung: Die Zulässigkeit der Enteignung ist abhängig von ihrem Zweck, nämlich dem Wohle der Allge­ meinheit. Infolge dieses finalen Moments können die entfalteten Enteig­ nungswirkungen nur so lange Bestand haben, wie auch der Enteignungs­ zweck besteht903. Nur soweit und solange das Gemeinwohlziel verfolgt wird, 899  Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1667 mit Verweis auf die Rechtsnatur von Bauernverbänden als Körperschaften des öffentlichen Rechts; vgl. außerdem Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 209. 900  Jagst, Enteignung (Fn. 5), S. 194. 901  Nachweise bereits in Fn. 759. 902  BVerfG WM 2009, 422 (424): „auch für solche enteignungsbegünstigte Unter­ nehmen (Hervorhebung nicht i. O., L. C.); vgl. zudem Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 210. 903  So schon Stummer, Zweckbindung (Fn. 581), S. 18 m. w. N. aus dem älteren Schrifttum; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 196 f.; ähnlich Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 128; vgl. auch Dietlein/Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 77 sowie Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 201, 211 f.; ähnlich Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1505; zweifelhaft erscheint die Herleitung der Dauerhaftigkeit über den

154

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

ist die Enteignung gerechtfertigt904. Ohne dauerhaften Gemeinwohlbezug liefe der von Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG intendierte Schutz leer, da die (ebenfalls dauerhafte) Enteignung nachträglich ihres Zweckes beraubt würde905. Das Gemeinwohlziel stellt den einzig legitimen Grund für eine Enteignung dar906. Wenn das Gemeinwohlziel durch die Enteignung nicht erreicht wird oder es nicht (mehr907) verfolgt wird, ist die Enteignung nicht geeignet bzw. nicht (mehr) erforderlich i. S. d. Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes908. Insofern ist das Allgemeinwohl nicht bloß entscheidendes Zulässigkeitskriterium, son­ dern zugleich „Gültigkeitsbedingung“909. Für die verfassungsrechtliche Zu­ lässigkeit einer Enteignung ist deshalb vorab sicherzustellen, dass der Ge­ meinwohlbezug über den Zeitpunkt der Enteignung hinaus910 dauerhaft911 anhält.

Begriff des öffentlichen Interesses bei Stengel, Grundstücksenteignung (Fn. 21), S. 48. 904  BVerfGE 38, 175 (180 f.); 97, 89 (97); Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 436; Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 457; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 118; Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 211; ähnlich Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 162; vgl. auch Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 186; ders., Rohrleitungs-Enteignungsge­ setz (Fn. 193), S. 229; Regenfus, Vorgaben (Fn. 573), S. 140. 905  Stummer, Zweckbindung (Fn. 581), S. 19; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 197 („inhaltsleere[n] Scheinanforderungen“); vgl. daneben Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 118: Nachträgliche Sinnlosigkeit des Eigentumsopfers infolge der Abkehr vom Enteignungszweck. 906  Vgl. schon Fn. 534 und 572 sowie Kapitel E. II. 2. b). 907  Dies gilt jedenfalls bis zur vollständigen Erfüllung des Gemeinwohlziels, vgl. hierzu Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 214 f. 908  Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 116; ähnlich v. Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 429; der dogmatische Anknüpfungspunkt der Dauerhaftigkeit ist mithin vor allem abhängig davon, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Bestandteil der Gemein­ wohlprüfung aufgefasst wird, hierzu unter Kapitel E. II. 1. c) ee) (1), oder – wie hier vertreten – eine Ergänzung dieser Prüfung darstellt. 909  Schack, Enteignung (Fn.  23), S. 589; ähnlich Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 436: „latent fortwirkende Garantiewirkung“. 910  Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 132. 911  D. h., regelmäßig im Ausgangspunkt ohne zeitliche Begrenzung, so Stengel, Grundstücksenteignung (Fn. 21), S. 51; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 231 und Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 164; vgl. aber auch Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 691 sowie Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 212 ff., welche die Dauer als Pro­ blem der Verhältnismäßigkeitsprüfung verortet.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs155

2. Gemeinwohlverantwortung und Sicherungsauftrag Der Staat ist auf das Gemeinwohl verpflichtet912. Ihn trifft die (Letzt-) Verantwortung für das Gemeinwohl913. Dies gilt auch im Rahmen einer Ent­ eignung. Der Staat914 ist Adressat der Vorgaben des Art. 14 Abs. 3 GG915, sodass er seiner Gemeinwohlverantwortung dann gerecht wird, wenn er eine dauerhafte Gemeinwohlbindung der Enteignung sicherstellt. Wenn zugunsten des Staates enteignet werden soll, ergeben sich hinsichtlich des dauerhaften Gemeinwohlbezugs vor diesem Hintergrund keine Schwierigkeiten: Der Ge­ meinwohlbezug öffentlicher Institutionen ergibt sich außer im Falle einer Privatisierung bereits ex officio916 und bleibt auch nach der Enteignung be­ stehen917, sodass es in diesem Fall hinsichtlich der Dauerhaftigkeit der Ge­ meinwohlbindung keiner weitergehenden Sicherungen bedarf918. Handelt es sich bei dem Enteignungsbegünstigten um ein privates Rechts­ subjekt, ergibt sich der Gemeinwohlbezug demgegenüber nicht schon aus der Rechtsnatur des Begünstigten selbst919. Der Staat als Gemeinwohlverant­ wortlicher muss deshalb Sorge dafür tragen, dass auch bei einem privaten Enteignungsbegünstigten der Gemeinwohlbezug dauerhaft gewährleistet ist und bleibt920. Im Rahmen einer solchen Enteignung liegt die enteignete 912  H. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 235 m. w. N. 913  Isensee, Konkretisierung (Fn. 501), S. 108  f.; ders. (Fn. 389), § 71 Rn. 114, 121, 123; Link, Staatszwecke (Fn. 593), S. 19; Burgi, Privatisierung (Fn. 497), S. 28, 52; Heintzen, Gemeinwohlverantwortung (Fn. 603), S. 238. 914  Eine Enteignung kann nur hoheitlich vom Staat ausgehen, BVerfGE 14, 263 (277). 915  Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 198; Burgi, Privatisierung (Fn. 497), S. 354; dies gilt nicht zuletzt aufgrund der Bindung aller staatlichen Gewalt an die Grundrechte gem. Art. 1 Abs. 3 GG, vgl. hierzu Hufen, Staatsrecht II (Fn. 79), § 7 Rn. 1 ff. 916  Bullinger, Enteignung (Fn.  85), S.  457; Stengel, Grundstücksenteignung (Fn. 21), S. 48; Link, Staatszwecke (Fn. 593), S. 19, 22; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S.  128 f.; Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 189, 191, 193; Hermes, Energieversor­ gung (Fn. 8), S. 69 e contrario; vgl. auch Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 268; ähnlich Gramlich, Enteignung (Fn. 95), S. 276. 917  Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 134. 918  Bullinger, Enteignung (Fn.  85), S. 477; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 162; Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 279. 919  Bell, Enteignung (Fn. 377), S. 370; Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 211; Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 189, 191. 920  BVerfGE 134, 242 (290 Rn. 166; 295 Rn. 179); 74, 264 (285 f.); Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 476 f.; Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 127 f.; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 195 ff.; Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 186 f.; ders., Rohrleitungs-Enteignungsgesetz (Fn. 193), S. 228 f.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 268; Hermes, Infrastrukturverantwortung (Fn. 132), S. 375, 444; Riedel,

156

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Rechtsposition als Bezugspunkt des Gemeinwohls nicht in den Händen des Staates, sondern wächst dem privaten Rechtssubjekt zu. Etwaige staatliche Sicherungsmaßnahmen müssen sich demnach auf die Sphäre des privaten Enteignungsbegünstigten beziehen. Hierauf bezieht sich folglich der aus sei­ ner Gemeinwohlverantwortung resultierende Sicherungsauftrag des Staa­ tes921. 3. Risikoabwehr als Inhalt des Sicherungsauftrags Die Ausrichtung des staatlichen Sicherungsauftrages ist zuallererst ab­ hängig davon, welche Gefahren bzw. Risiken im Hinblick auf den Gemein­ wohlbezug überhaupt bestehen. Nur wenn feststeht, welchen Gefahren ent­ gegengewirkt bzw. welches Risiko abgesichert werden muss, können auch der ­Inhalt möglicher Gegenmaßnahmen922 und deren Modalitäten bestimmt wer­den923. Die Sicherung des Gemeinwohlbezugs stellt sich somit als Pro­ gramm der Risikoabwehr dar. a) Risiken für den Gemeinwohlbezug Im Hinblick auf den Gemeinwohlbezug lassen sich drei spezifische Risi­ ken identifizieren, die unter die Oberbegriffe Subsumptionsrisiko, Gemein­ wohlzielprognoserisiko und Verhaltensrisiko gefasst werden können: Im Rahmen einer Administrativenteignung ist es zunächst möglich, dass die Enteignungsbehörde unter Berufung auf die jeweilige Ermächtigungs­ grundlage ein Vorhaben oder ein Gemeinwohlziel entgegen der gesetzgeberi­ schen Intention falsch zuordnet und also die Enteignungsvoraussetzungen fehlerhaft annimmt. Dann würde für ein Vorhaben enteignet, welches das Eigentum (Fn. 16), S. 212; Jarass, Vorwirkung (Fn. 41), S. 1332; Battis/Otto, Enteig­ nung (Fn. 41), S. 1505; Wunderlich, Rechtsprechung (Fn. 404), S. 96 f.; K.-A. Sellmann, Die gemeinnützige Planfeststellung zugunsten Privater, in: DVBl. 1987, S. 223 (226); Pielow (Fn. 129), § 45 Rn. 8. 921  Die Letztverantwortung für das Gemeinwohl selbst kann der Staat indes nicht abgeben, sie ist „schlechthin unprivatisierbar“, s. Isensee (Fn. 377), § 73 Rn. 72. 922  Also die materielle Beschaffenheit des Sicherungsobjektes, namentlich verhal­ tens- oder erfolgsbezogener Vorgaben zur Sicherung des Gemeinwohlbezugs. Hiervon wiederum ist die Regelungstechnik abhängig, dazu unter Kapitel E. IV. 4. 923  Vgl. A. Klafki, Risiko und Recht, 2017, S. 34 sowie I. Appel/S. Mielke, Strate­ gien der Risikoregulierung, 2014, S. 80 f., 102 m. w. N., welche für die Risikopräven­ tion die Arbeitsschritte der Risikoerkennung, der Risikobewertung und des Risikoma­ nagements vorschlagen. Dieser Struktur soll hier gefolgt werden. Vgl. auch A. Scherzberg, Risiko als Rechtsproblem, in: VerwArch. 84 (1993), S. 484 (499 f.) und Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 124 mit ähnlicher Prüfungsstruktur.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs157

Gemeinwohlziel de facto gar nicht fördert924. Von vornherein ist dann schon die Tatbestandsvoraussetzung „zum Wohle“925 nicht gegeben. Ebenso verhält es sich bei einer Legalenteignung, sollte der Gesetzgeber unter Überschrei­ tung der Grenzen seiner Einschätzungsprärogative ein Gemeinwohlziel fest­ legen, welches den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen926 nicht genügt. In diesen Fällen unterläuft dem Staat im Zeitpunkt seiner Enteig­ nungsentscheidung also ein Fehler bei der Subsumption des Sachverhaltes unter den einfachgesetzlichen bzw. verfassungsrechtlichen Enteignungstat­ bestand. Das Risiko solcher Fälle lässt sich deshalb als Subsumptionsrisiko beschreiben. Sodann ist es möglich, dass das Vorhaben wie vom Gesetzgeber bzw. der Enteignungsbehörde vorhergesehen ausgeführt wird, seine gemeinwohlbezo­ genen Wirkungen sich aber entgegen der vertretbaren927 staatlichen Prognose nicht wie prognostiziert entfalten und das Gemeinwohl im Ergebnis nicht oder nicht wie eigentlich beabsichtigt gefördert wird. Das kann etwa der Fall sein, wenn mit dem Vorhaben bestimmte wirtschaftliche Folgewirkungen928 erwartet werden, die dann tatsächlich nicht eintreten. Unter Einbeziehung dieses Risikos in die gewählte Terminologie929 liegt hierin das eigentliche Gemeinwohlzielprognoserisiko. Schließlich kann es sein, dass der Enteignungsbegünstigte, schuldhaft oder unverschuldet, aufgrund in- oder externer Umstände, nicht wie staatlich pro­ gnostiziert mit der enteigneten Rechtsposition verfährt, insbesondere das enteignungsbegünstigte Vorhaben gar nicht, nicht hinreichend lange oder anders ausführt. Auch hier wird im Ergebnis das Gemeinwohlziel nicht er­ reicht, das spezifische Risiko liegt aber vorgelagert in der Verhaltensbreite des Enteignungsbegünstigten. Insofern beschreibt diese Fallgruppe das Ver­ haltensrisiko930.

auch Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 124. Kapitel E. II. 2. a); zugleich fehlt es dann an der Eignung i. S. d. Ver­ hältnismäßigkeitsgrundsatzes. 926  Hierzu Kapitel E. II. 1. b) und c). 927  Bei einer unvertretbaren Prognose liegt schon ein Fehler der staatlichen Aus­ gangsentscheidung vor; vgl. zu dieser Grenze des gesetzgeberischen Gestaltungsspiel­ raums Kapitel E. II. 1. b) cc). 928  Z. B. die Ansiedlung von Unternehmen in einem bestimmten Gebiet, die Sen­ kung der regionalen Arbeitslosenquote etc. 929  Vgl. Kapitel E. I. 2. 930  Vgl. zu den abzuwehrenden Risiken insgesamt Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 124 ff., der noch abstrakter nur zwischen Subsumtion und Prognose differenziert; vgl. auch Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 166 mit anderer Kategorisierung. Zum Verhaltensrisiko vgl. auch BVerfG NVwZ 2017, 399 (403 Rn. 38): Gesetzgeberische 924  So

925  Hierzu

158

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

b) Risikobewertung Die unter a) identifizierten Risiken sind im Hinblick auf mögliche staat­ liche Sicherungs- bzw. Präventionsmaßnahmen dahingehend zu bewerten, inwieweit das Risikopotential hingenommen werden soll931 oder weiteres Handeln erforderlich ist932. In die Bewertung der Risiken für den Gemein­ wohlbezug fließt im Hinblick auf ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ein, ob sich in ihnen ein enteignungsspezifisches Risiko aktualisiert, insbesondere, ob die private Rechtsnatur des Enteignungsbegünstigten das jeweilige Risiko beein­ flusst. Dahinter steht die Frage, ob sich gerade aus der Einbettung in den Enteignungskontext besondere Risiken ergeben. Im Hinblick auf das der Ri­ sikobewertung folgende Maßnahmenprogramm933 können in Anlehnung an das allgemeine Ziel der traditionellen Gefahrenabwehr934 staatliche Maßnah­ men umso eher ergriffen werden, je höher sich die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos für den Gemeinwohlbezug darstellt935. aa) Subsumptionsrisiko Im Hinblick auf das Subsumptionsrisiko ist zunächst festzustellen, dass das Risiko, einen Sachverhalt zu Unrecht unter einen Tatbestand zu subsu­ mieren, jeder staatlichen Entscheidung innewohnt936. Subsumptionsfehler sind keine Eigenart von Enteignungsentscheidungen. Das allgemeine Sub­ sumptionsrisiko wird also weder durch seinen enteignungsspezifischen Zu­ sammenhang erhöht noch durch die Person des Enteignungsbegünstigten beeinflusst. Erst recht kann dieses Risiko nicht durch Einwirkung auf die Erkenntnis über „mögliche Fehlverwendungen der durch die Enteignung erlangten Positionen“. 931  Zu dem in diesem Zusammenhang geläufigen Begriff des hinnehmbaren Rest­ risikos als normativ-wertende Entscheidung vgl. R. Wahl/I. Appel, Prävention und Vorsorge: Von der Staatsaufgabe zur rechtlichen Ausgestaltung, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1 (89 f.). 932  Zu diesem Ziel der Risikobewertung Klafki, Risiko (Fn. 923), S. 38; vgl. auch Appel/Mielke, Strategien (Fn. 923), S. 78, 103 f. sowie A. Scherzberg, Risikosteue­ rung durch Verwaltungsrecht: Ermöglichung oder Begrenzung von Innovationen?, in: VVDStRL 63 (2004), S. 214 (230). 933  Hierzu im Folgenden unter Kapitel E. IV. 3. c). 934  Scherzberg, Risiko (Fn. 923), S. 484, 490; Klafki, Risiko (Fn. 923), S. 12 ff. mit verschiedenen Differenzierungen zwischen Risiko und Gefahr im Einzelnen; vgl. hierzu ferner A. Silveira Marques, Der Rechtsstaat der Risikovorsorge, 2017, S. 58 ff., 135 sowie (für das Umweltrecht) A. Reich, Gefahr – Risiko – Restrisiko, 1989, S.  75 ff. 935  Klafki, Risiko (Fn. 923), S. 41. 936  Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 124.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs159

Sphäre des privaten Enteignungsbegünstigten minimiert werden937, sodass das Subsumptionsrisiko im Hinblick auf das Sicherungsprogramm keine wei­ tere Beachtung finden muss938. bb) Gemeinwohlzielprognoserisiko Das Gemeinwohlzielprognoserisiko kennzeichnet zwar jeden Enteignungs­ tatbestand bereits von vornherein939, ist aber hinsichtlich der Prognose als Abschätzung zukünftiger Geschehen kein enteignungsspezifisches Alleinstel­ lungsmerkmal – Prognoserisiken treten bei einer Vielzahl staatlicher Ent­ scheidungen auf940. Vor diesem Hintergrund lässt auch die Rechtsform des Enteignungsbegünstigten keine generellen Schlüsse auf eine besondere Ein­ trittswahrscheinlichkeit zu. Für private Enteignungsbegünstigte werden vom Bundesverfassungsgericht erhöhte Sicherungsvorkehrungen verlangt941. Da­ hinter steckt die Befürchtung, in diesen Fällen stehe das Gemeinwohl unab­ hängig von dem potentiellen Verhalten des Enteignungsbegünstigten schon deshalb weiter vom ihm entfernt, weil das Gemeinwohl nur mittelbare Folge, nicht aber unmittelbarer Gegenstand der Unternehmenstätigkeit sei942. Dies erhöhe insgesamt das Risiko solcher Enteignungen. Allerdings bewirkt ge­ rade die gesetzgeberische Konkretisierung des Gemeinwohlziels943, dass zu­ mindest derjenige Teil der Unternehmenstätigkeit, hinsichtlich dessen die Enteignung für zulässig erklärt wird, kraft gesetzlicher Wirkung unmittelbar 937  Insofern würde es schon an der Eignung einer entsprechenden Sicherungsmaß­ nahmen mangeln. 938  In diesem Sinne wohl auch BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 36): „Inwieweit mit dieser Nutzung das mit der Enteignung verfolgte Gemeinwohlziel erreicht wird, ist keine Frage der Sicherung des Enteignungszwecks, sondern ist im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter dem Aspekt der Eignung gerichtlicher Über­ prüfung zugänglich“; ähnlich bereits Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1672. 939  Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1673. 940  Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 125; J. Ziekow, Kommentar zum Verwal­ tungsverfahrensgesetz, 4. Aufl. 2020, § 40 Rn. 19; K. Schönenbroicher, in: T. Mann/ C. Sennekamp/M. Uechtritz (Hrsg.), Großkommentar zum Verwaltungsverfahrensge­ setz, 2. Aufl. 2019, § 40 Rn. 127 ff. mit weiteren Beispielen; vgl. außerdem schon Kapitel E. II. 1. b) cc). 941  BVerfGE 74, 264 (286); BVerfG WM 2009, 422 (422); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 37, 47 (inso­ weit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt). 942  Vgl. BVerfGE 74, 264 (286); vgl. hierzu Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S.  191 f.; Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 183; unklar bleibt bei der Argumen­ tation des Bundesverfassungsgerichts mit dem Kriterium der Mittelbarkeit, ob dieses Kriterium für alle Formen der privatbegünstigenden Enteignung anzunehmen ist, vgl. hierzu Hermes, Energieversorgung (Fn. 8), S. 69 ff. 943  Hierzu Kapitel E. II. 1. a).

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

dem Gemeinwohl dient944. Dann liegt in dem Gemeinwohlbezug auch kein bloßer „Reflex“945 der Unternehmenstätigkeit; vielmehr ist diese infolge der gesetzgeberischen Einstufung direkt auf das Gemeinwohl gerichtet. Beson­ ders plakativ wird dieser Zusammenhang in projektspezifischen Enteignun­ gen, wenn statuiert wird, die Errichtung und der Betrieb einer bestimmten Rohrleitungsanlage dienten dem Wohl der Allgemeinheit946. Der auf die im Gesetz näher bestimmte Rohrleitungsanlage bezogene Unternehmensgegen­ stand dient dann unmittelbar dem Gemeinwohl. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass ohnehin jeder Enteignung, konventio­ nellen und privatbegünstigenden, über die bloße Güterbeschaffung hinaus regelmäßig ein Mittelbarkeitsmoment eigen ist947, was überhaupt gegen die Einstufung von Enteignungen in die Kategorien mittelbar/unmittelbar ge­ meinwohldienlich spricht948. Der Vorwurf der Mittelbarkeit kann jedenfalls kein erhöhtes Gemeinwohlzielprognoserisiko für privatbegünstigende Enteig­ nungen begründen, welches über das auch bei anderen Entscheidungen übli­ che Prognoserisiko hinausgeht949. Dennoch kann dieses Risiko – anders als das Subsumptionsrisiko – durch Einwirkung auf die Sphäre des Enteignungs­ begünstigten beeinflusst werden und bleibt somit für die Ausgestaltung des Vorsorgeprogramms zu berücksichtigen. cc) Verhaltensrisiko Das Verhaltensrisiko bietet im Hinblick auf die Sicherung von Enteig­ nungszwecken das größte Diskussionspotential. Zunächst ist auch dieses Ri­ siko prognostisch geprägt, indes nicht enteignungsspezifisch; insoweit gelten 944  Zu diesem Gedanken bereits Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 198; in eine ähnliche Richtung lässt sich auch die Aussage in BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1176 Rn. 47) deuten, die Rohrleitung diene „dem vom Gesetzgeber unter anderem zuge­ schriebenen Zweck der Transportsicherheit und mithin dem Gemeinwohl“. 945  So aber die Befürchtung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 74, 264 (286). 946  § 1 S. 1 NRWRohrlG, Art. 1 S. 1 BayRohrlEnteigG, § 1 S. 1 BWEthylRohrlG. 947  Anschaulich Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 131 und bereits oben Kapitel E. III. 3. c); dieser Gedanke klingt schon an in BVerfGE 134, 242 (293 f. Rn. 176; 296 Rn. 183); vgl. ferner Manssen, Privatrechtsgestaltung (Fn. 571), S. 271. 948  Die skalierende Sicherungsformel des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 181), die ohne die Verwendung dieser Kategorien aus­ kommt, trägt dem Rechnung; mit Kritik an der Differenzierung zwischen mittelbar und unmittelbar ebenso Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1665 f. 949  Im Übrigen weist Hermes, Infrastrukturverantwortung (Fn. 132), S. 24 m. w. N. darauf hin, dass auch ein erheblicher öffentlicher Unternehmensanteil „keinen beson­ deren Einfluß auf eine besonders gemeinwohlverpflichtete Geschäftspolitik der Un­ ternehmen hat.“



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs161

die gleichen Ausführungen wie zum Gemeinwohlzielprognoserisiko. In Zu­ sammenhang mit dem Verhaltensrisiko werden vor allem Einwände erhoben, die aufzeigen sollen, dass gerade privaten Enteignungsbegünstigten beson­ dere Gefährdungslagen hinsichtlich des Umgangs mit dem enteigneten Gut zuzuordnen sind. An erster Stelle steht hierbei der Vorwurf, Enteignungen zugunsten Priva­ ter seien generell „in erhöhtem Maße der Gefahr des Mißbrauchs zu Lasten des Schwächeren ausgesetzt“950. Worin hingegen die generellen Missbrauchs­ gefahren gesehen werden, wird nicht deutlich. Schon im Rahmen der Prüfung einheitlicher Bestimmtheitsanforderungen für privatbegünstigende und kon­ ventionelle Enteignungen wurde gezeigt, dass auch Enteignungen zugunsten öffentlicher Institutionen vor Zweckmissbrauch nicht gefeit sind951. Zudem ist der Missbrauch einer Enteignung zu rein privatnützigen Zwecken schon von vornherein dadurch ausgeschlossen, dass in diesen Fällen der verfas­ sungsrechtliche Gemeinwohlbegriff nicht erfüllt wäre952. Eng verwandt mit dieser generellen Befürchtung eines missbräuchlichen Einsatzes des Enteig­ nungsinstitutes ist der Einwand, ein privater Begünstigter könne nach erfolg­ ter Enteignung die weitere gemeinwohlbezogene Verwendung des enteigne­ ten Gutes aufgeben und nur noch privatautonom seine eigenen Interessen verfolgen953. Diesem Einwand liegt das verfehlte Verständnis zugrunde, dass sich öffentliche und private Interessen zwangsläufig in einem Widerstreit befinden müssen. Dass dies nicht der Fall ist, eine möglichst privatwirt­ schaftliche Ausrichtung regelmäßig sogar förderliche Wirkungen für das Gemeinwohl hat, wurde bereits an verschiedener Stelle erörtert954. Es gibt deshalb keinen Anlass dazu, von einem erhöhten Missbrauchsrisiko in Bezug auf das prognostizierte Verhalten des Begünstigten mit dem enteigneten Gut auszugehen.

950  BVerfGE 74, 264 (285); vgl. zudem Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 121; ders., Gemeinwohlbindung (Fn. 430), S. 125; Battis (Fn. 377), § 87 Rn. 2a. 951  Hierzu Kapitel E. III. 3. c); a. A. Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 280. 952  Vgl. Kapitel E. II. 1. b) bb); danach unterfällt dieses generelle Missbrauchsri­ siko dem nicht im Vorsorgeprogramm zu berücksichtigenden Subsumptionsrisiko. 953  Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 183, 188; ähnlich Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 121; Pielow (Fn. 101), § 45 Rn. 8; Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 268; Uerpmann-Wittzack, Interesse (Fn. 375), S. 119; Bell, Enteignung (Fn. 377), S. 370; Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1505; Gramlich, Enteignung (Fn. 95), S. 276; vgl. auch Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 457: „Von der Affinität zum Privatwirtschaftlichen bis zum Abgleiten ins Privatwirtschaftliche ist es nur ein kleiner Schritt.“ 954  Siehe Kapitel E. II. 1. c) dd), Kapitel E. II. 2. b) und Kapitel E. II. 3. a); vgl. in diesem Zusammenhang ausführlich Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 120 ff., dort unter dem Begriff „Egoismusargument“.

162

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Ein höheres Risiko im Hinblick auf die Einstellung der gemeinwohldien­ lichen Nutzung wird schließlich mit dem Insolvenzrisiko privater Enteig­ nungsbegünstigter begründet: Die öffentliche Hand werde auch bei defizitärer Geschäftslage die Gemeinwohlnutzung weiterführen, der private Begünstigte hingegen werde sich in diesem Fall vom Gemeinwohl abwenden, um nicht in Konkurs zu gehen955. Dieses Argument ist bei genauerer Betrachtung eine Spielart des oben geschilderten Missbrauchseinwands. Es zielt darauf, dem Enteignungsbegünstigten ein Verhalten vorzuwerfen, das sich an privatwirt­ schaftlichen Motiven orientiert. Gerade ein solches Verhalten wird aber für die Gemeinwohldienlichkeit regelmäßig vorausgesetzt und staatlicherseits gewünscht. Insofern stellt dieses Argument ein unzulässiges venire contra factum proprium dar. Eine Erhöhung des Verhaltensrisikos kann daraus nicht abgeleitet werden. Es verbleibt insofern ein übliches Prognoserisiko. dd) Zwischenergebnis Während das Subsumptionsrisiko für die Frage von weiteren Sicherungs­ maßnahmen keine Bedeutung hat, muss den unter bb) und cc) untersuchten Risiken mit weiteren Maßnahmen begegnet werden. Gemeinwohlzielprog­ noserisiko und Verhaltensrisiko enthalten ein „allgemeines“ Prognoserisiko, dem keine enteignungsspezifischen Besonderheiten beigemessen werden können, insbesondere nicht hinsichtlich der Begünstigung eines privaten Un­ ternehmens. Das Programm der Sicherungsmaßnahmen muss deshalb nach allgemeinen Direktiven entworfen werden. c) Sicherungsprogramm als Programm der Risikoabwehr Mit dem der Risikobewertung folgenden Risikomanagement wird geprüft, wie mit Gemeinwohlzielprognoserisiko und Verhaltensrisiko umgegangen werden soll956. Für das Programm möglicher Maßnahmen zur Risikoabwehr müssen die bestehenden Handlungsoptionen aufgezeigt und bewertet wer­ den957. Eine Rollte spielt die Kausalität zwischen den möglichen Handlungs­ instrumenten und den damit abgedeckten Folgen für die Risikominimie­

955  Gramlich,

Enteignung (Fn. 95), S. 276. Klafki, Risiko (Fn. 923), S. 40 f.; vgl. auch Scherzberg, Risikosteuerung (Fn. 932), S. 245, der im Risikomanagement (bei Scherzberg „Risikosteuerung“) zwi­ schen Risikoreduktion (für hinreichend bekannte Risiken) und Risikoprävention (für unbekannte oder nur vermutete Risiken) unterscheidet. Folgt man Scherzbergs Mo­ dell, dürfte hier die Risikoreduktion näherliegen. 957  Klafki, Risiko (Fn. 923), S. 40. 956  Vgl.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs163

rung958. Die Abwehrmaßnahmen müssen einem rationalen Konzept folgen959. Auch Maßnahmen zur Risikoabwehr müssen dem Grundsatz der Verhältnis­ mäßigkeit genügen960. aa) Handlungsoptionen: Erfolgs- oder verhaltensorientierte Maßnahmen? Möchte der Staat die identifizierten Prognoserisiken senken, kann er dies über eine fachgerechte Prognosedurchführung961 auf eigener Seite hinaus nur tun, indem er dem privaten Enteignungsbegünstigten Risikolasten oktroyiert. In diesem Zusammenhang bestehen zwei mögliche Ansätze zur Risikomini­ mierung. Zum einen können Sicherungsmaßnahmen darauf abzielen, das Gemeinwohlziel im Sinne eines Erfolges festzuschreiben und den Enteig­ nungsbegünstigten auf das Erreichen dieses Zielzustandes zu verpflichten962. Mit dieser ersten Handlungsoption wären Gemeinwohlzielprognoserisiko und Verhaltensrisiko gleichermaßen abgedeckt. Zum anderen kann der Umgang des Begünstigten mit der enteigneten Rechtsposition im Sinne der Vorgabe eines Handlungsrahmens vorgeschrie­ ben werden963. Damit wäre das Verhaltensrisiko abgedeckt, hinsichtlich des 958  Appel/Mielke,

Strategien (Fn. 923), S. 80. Risikosteuerung (Fn. 932), S. 249. 960  Appel/Mielke, Strategien (Fn. 923), S. 109 ff.; Wahl/Appel, Prävention (Fn. 931), S.  203 ff.; Scherzberg, Risiko (Fn. 923), S. 511; ders., Risikosteuerung (Fn. 932), S. 250. 961  Also die Einbeziehung naheliegender Erkenntnismittel für die Informationsge­ winnung und die Verwendung einer geeigneten Methode, vgl. BVerfG NVwZ 2008, 1229 (1231); BVerfG NVwZ 1993, 666 (670). 962  BVerfGE 74, 264 (286); vgl. zudem BayVGH, Urteil vom 10.5.1996, 20 A 95.40001, juris, Rn. 54; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 196 f., vgl. allerdings auch S. 277; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 185; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 146; Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 132; Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 201; Jarass, Vorwirkung (Fn. 41), S. 1332; Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1505; Heuser, Ent­ eignung (Fn. 61), S. 281; wohl auch Pielow (Fn. 101), § 45 Rn. 8 und Holznagel, Entschädigung (Fn. 136), S. 850; unklar Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 189 f.: Einerseits sei es notwendig, „den Gemeinwohlzweck unmittelbar durchsetzen zu kön­ nen“ (S. 190), andererseits komme es auf die „dauernde gemeinnützige Verwendung des enteigneten Gegenstandes“ an (S. 189). 963  BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 181); BVerfG NVwZ 2017, 399 (401 Rn. 27; 402 Rn. 36); wohl auch VGH BaWü NVwZ-RR 2011, 143 (146); VG München, Urteil der 16. Kammer vom 31.5.2011, M 16 K 11.161, juris, Rn. 29 f.; Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 644, 648; Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 477; Breuer, Anmerkung (Fn. 23), S. 975; Bahls, Ausgangslagen (Fn. 455), S. 452; Sellmann, Planfeststellung (Fn. 920), S. 226; Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S. 268 f.; Hermes, Ener­ gieversorgung (Fn. 8), S. 70 f.; Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 170 f.; Zimmer, 959  Scherzberg,

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Gemeinwohlprognoserisikos bestünde auf den ersten Blick964 noch Unge­ wissheit. In diesem Zusammenhang werden erste und zweite Handlungsop­ tion in den Darlegungen von Rechtsprechung und Literatur weitgehend als kategorisch behandelt, d. h. in dem Sinne, dass ausschließlich die jeweils vertretene Option überhaupt in Betracht zu ziehen sei. Nachfolgend soll ge­ zeigt werden, dass weder die eine noch die andere Handlungsoption Anspruch auf Allgemeingültigkeit hat, sondern vielmehr ein einzelfallbezogener Um­ gang mit den vorzunehmenden Abwehrmaßnahmen vorzugswürdig erscheint. bb) Bewertung der Handlungsoptionen Soll die Auferlegung von Risikolasten nach Maßgabe des Abschnitts aa) einer rechtlichen Bewertung unterzogen werden, gerät zunächst die Frage in den Fokus, wie die Rechtsbeziehung zwischen Staat und Enteignungsbegüns­ tigtem dogmatisch einzuordnen ist. Dies spielte insbesondere dann eine Rolle, wenn diese Rechtsbeziehung an bestimmte weitere Zulässigkeitsvor­ aussetzungen geknüpft wäre. Zudem ist relevant, ob der Enteignungsbegüns­ tigte in diesem Kontext als Grundrechtsträger zu behandeln und also mög­ liche Abwehrmaßnahmen an den Grundrechten zu messen sind. (1) S  tatus des Enteignungsbegünstigten: Indienstnahme oder Rechtsverhältnis sui generis? Bei der Enteignung zugunsten Privater liegt eine Situation vor, in welcher der begünstigte Private mit seinem Vorhaben aufgrund des Gemeinwohlbe­ zugs der Enteignung in den Interessen- und Funktionskreis der öffentlichen Aufgabenerfüllung eingebettet ist965. Angesichts dessen gehen Teile des Schrifttums davon aus, dass der Status des Enteignungsbegünstigten dem eines Beliehenen966 bzw. eines Indienstgenommenen967 entspreche. Andere Flurbereinigung (Fn. 518), S. 1008; ebenso wohl Regenfus, Vorgaben (Fn. 573), S. 140 in Fn. 663 und L. Gramlich, „Sonst gehen die Lichter aus“ – Rechtsfragen des Ausbaus von Hochspannungsnetzen im Lichte des Verfassungsrechts, in: LKV 2008, S. 530 (536) sowie ders., Enteignung (Fn. 95), S. 276; Layer, Principien (Fn. 1), S.  286 f.; differenziert Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 132 et passim; unklar BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 37 u. 47 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt), dazu schon un­ ter Kapitel D. VI.; OVG NRW ZUR 2015, 179 (182) lässt die Frage offen. 964  Zur Bewertung der Handlungsoptionen im Lichte der betroffenen Grundrechte und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes siehe sogleich. 965  Vgl. schon Stummer, Zweckbindung (Fn. 581), S. 201. 966  Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 462 f., 469, 472; wohl auch BVerfGE 14, 263 (277); vgl. auch Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 170 u. 227: Beleihung möglich, aber nicht konstituierendes Merkmal der Enteignungsbegünstigung.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs165

beschreiben das Rechtsverhältnis ausgehend von der enteigneten Rechtsposi­ tion und gehen von einer öffentlichen Widmung der enteigneten Sache968 bzw. von einer „Indienstnahme“ der entzogenen Position969 oder von einer staatlichen Subvention970 aus. Vereinzelt wird vertreten, zulässiger privater Enteignungsbegünstigter könne nur ein nach Art. 15 GG sozialisiertes Unter­ nehmen sein971. Gegen einen Beleihungscharakter ist schon einzuwenden, dass der Enteig­ nungsbegünstigte im Rahmen der Enteignung nicht mit hoheitlichen Befug­ nissen972 ausgestattet wird973. Selbst wenn, vorwiegend in älteren Schriften, noch von der „Verleihung des Enteignungsrechts“974 gesprochen wird, ändert dies nichts an der Tatsache, dass der Enteignungsakt vom Staat ausgeht975 und alle Hoheitsgewalt bei diesem verbleibt. Diejenigen Literaturstimmen, die bei der enteigneten Rechtsposition selbst ansetzen, verkennen, dass der Enteignungsbegünstigte – vorbehaltlich zusätz­ licher Regelungen im Gesetz oder im Enteignungsbeschluss – im Zuge der Enteignung zunächst einmal vollwertiges, unbeschränktes Eigentum erwirbt976, 967  Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 126 unter Bezugnahme des von Hans Peter Ipsen geprägten Begriffes der Indienstnahme, s. H. P. Ipsen, Gesetzliche Indienst­ nahme Privater für Verwaltungsaufgaben, in: H. Jahrreiß u. a. (Hrsg.), Um Recht und Gerechtigkeit. Festgabe für Erich Kaufmann zu seinem 70. Geburtstag, 1950, S. 141 ff.; a. A. Sondervotum Böhmer, BVerfGE 56, 266 (288); offen für Beleihung oder Indienstnahme Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 74. 968  Vertreten insbesondere im älteren Schrifttum, vgl. Layer, Principien (Fn. 1), S. 655; M. Grünhut, Das Enteignungsrecht, 1873, S. 80. 969  Also nicht einer Indienstnahme des Begünstigten, vgl. Ehlers, Eigentumsschutz (Fn. 79), S. 236, 239; dazu Manssen, Privatrechtsgestaltung (Fn. 571), S. 271 und ­K.-D. Drüen, Die Indienstnahme Privater für den Vollzug von Steuergesetzen, 2012, S. 45; vgl. ferner Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 418 und Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 107. 970  Dieser Gedanke wird angerissen bei Stummer, Zweckbindung (Fn. 581), S. 203. In Betracht käme eine Subvention in Gestalt der „Realförderung“ eines Privaten, vgl. hierzu H. P. Ipsen, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1985, S. 124. 971  Gramlich, Enteignung (Fn. 95), S. 276  f. („Sozialisierungsartikel als Enteig­ nungsschranke“); ihm folgt Wunderlich, Rechtsprechung (Fn. 404), S. 97. 972  Zu diesem Merkmal der Beleihung Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 23 Rn. 58; Heintzen, Gemeinwohlverantwortung (Fn. 603), S. 240 f.; Wolff/ Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II (Fn. 496), § 90 Rn. 1; L. Gramlich, Öffent­ liches Wirtschaftsrecht, 2007, S. 59. 973  Dieser Einwand schon bei Stummer, Zweckbindung (Fn. 581), S. 202 f. 974  So etwa Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 462 et passim. 975  Vgl. BVerfGE 14, 263 (277). 976  Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 202, 241; vgl. auch Stengel, Grund­ stücksenteignung (Fn. 21), S. 49 unter Hinweis auf die Wertung aus § 925 Abs. 2 BGB; s. ferner VG München, Urteil der 24. Kammer vom 7.4.2005, M 24 K 04.5817,

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

welches unter Beachtung der Sozialbindung im eigenverantwortlichen priva­ ten Interesse genutzt werden kann977. Eine Vergleichbarkeit der Enteignungsbegünstigung mit einer Subvention erscheint zwar deshalb als möglich, weil sowohl privatbegünstigende Enteig­ nung als auch Subvention Instrumente des Gewährleistungsstaates darstel­ len978. Zudem sollen Subventionen den Begünstigten ebenso zu einem ge­ meinwohldienlichen Verhalten veranlassen979. Allerdings ist die Enteignungs­ begünstigung gerade deshalb keine Subvention, weil sie als ultima ratio980 nur dann eingesetzt werden darf, wenn alle anderen staatlichen Förderinstru­ mente ausgeschöpft sind981. Die Einordnung der Begünstigung als Subven­ tion würde dem Charakter einer Enteignung deshalb nicht entsprechen982. Ferner kann nicht gefordert werden, dass zulässige Sicherung nur die So­ zialisierung nach Art. 15 GG und deshalb zulässiger privater Enteignungsbe­ günstigter nur ein sozialisiertes Unternehmen sein könne. Eine solche Forde­ rung geht an aller bisherigen Verfassungspraxis vorbei und verkennt zudem die bereits erörterten Vorteile privatwirtschaftlichen Verhaltens im Hinblick auf die Verwirklichung öffentlicher Interessen983. Das Wesen der Sozialisie­ rung ist nicht auf den Tatbestand der Enteignungsbegünstigung übertrag­ bar984, eine Begründung dieser Forderung bleibt Gramlich folgerichtig schul­ dig985. juris, Rn. 51; U. Battis, in: ders./Krautzberger/Löhr, BauGB (Fn. 377), § 112 Rn. 5. Das bedeutet, eine Beschränkung der enteigneten Rechtsposition ergibt sich jedenfalls nicht aus Art. 14 Abs. 3 GG selbst; a. A. wohl Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 124. 977  BVerfGE 50, 290 (339). 978  Vgl. H. Schulze-Fielitz, Aussprache und Schlussworte zu dem Thema „Beteili­ gung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwor­ tung“ unter dem zweiten Beratungsgegenstand „Öffentliche Gemeinwohlverantwor­ tung im Wandel“, in: VVDStRL 62 (2003), S. 336 (341); ähnlich Schmidbauer, Ent­ eignung (Fn. 5), S. 218, 273. 979  J. Kühling, in: D. Ehlers/M. Fehling/H. Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwal­ tungsrecht, Bd. 1, 4. Aufl. 2019, § 30 Rn. 3. 980  BVerfGE 24, 367 (405); 45, 297 (307); Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 156; Antoni (Fn. 23), Art. 14 Rn. 15. 981  Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 108. 982  Insofern ist eine Enteignung zugunsten Privater auch nicht darauf gerichtet, „ein technisches Marktversagen zu kompensieren“, so aber P. M. Huber/S. Unger, in: F. Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 4 Rn. 371 zum Ziel von Subventionen. Auch an der Eigenschaft des Staates als Subventionsgeber bestünden im Hinblick auf den Eigentumsverlust bei dem Enteignungsbetroffenen Bedenken, hierzu Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 17 Rn. 7. 983  Siehe hierzu Kapitel E. II. 3. 984  Vgl. zur Bedeutung des Art. 15 GG in der Verfassungswirklichkeit W. Durner, in: Maunz/Dürig, GG (Fn. 9), Art. 15 (2019), Rn. 1 ff.; J. Wieland, in: Dreier, GG I (Fn. 16), Art. 15 Rn. 18 ff.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs167

Vor diesem Hintergrund scheint die Indienstnahme986 zwar diejenige der vorgeschlagenen Rechtsfiguren zu sein, welche dem Verhältnis zwischen Staat und privatem Enteignungsbegünstigtem am nächsten kommt987 – indes verbleiben Zweifel an einer solchen Einordnung988. Ob nun allerdings für die zu untersuchende Situation von einer Indienstnahme oder – wie eher anzu­ nehmen – von einem Rechtsverhältnis sui generis auszugehen ist, ist für die Bewertungsmaßstäbe im Ergebnis ohne Belang: Die schon von Ipsen betonte 985  Gramlich, Enteignung (Fn. 95), S. 276 f.; dazu Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 163. 986  Vgl. zum Begriff, zu den Erscheinungsformen und zur Abgrenzung der In­ dienstnahme bzw. der „Inpflichtnahme“ M. Uibeleisen, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Inpflichtnahme Privater, 2006, S. 21 ff.; M. Jani, Die partielle verwal­ tungsrechtliche Inpflichtnahme Privater zu Handlungs- und Leistungspflicht, 1992, S.  27 ff. et passim; D. Plewa, Die Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme Privater für Verwaltungsaufgaben am Beispiel des Gesetzes über Mindestvorräte an Erdöl­ erzeugnissen vom 09.09.1965 in der Fassung vom 04.09.1975, 1978, S. 4 ff.; Wolff/ Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II (Fn. 496), § 91 Rn. 48 ff. 987  So im Ausgangspunkt Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 126 ff. 988  Ipsen nimmt für die Indienstnahme an, dass dem Privaten solche Aufgaben überantwortet werden, die sonst der Staat selbst hätte erledigen müssen, vgl. Ipsen, Indienstnahme (Fn. 967), S. 151, 157, 159, so auch das spätere Verständnis von E.  Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts Allgemeiner Teil, 10. Aufl. 1972, S. 179, wohl auch von R. Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 9), Art. 12 (2006), Rn. 163 und Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II (Fn. 496), § 91 Rn. 48 sowie aus der jüngeren Literatur von J. Lennartz, Verfassungsrechtliche Grenzen der Indienst­ nahme Privater, in: DÖV 2019, S. 434 (434). Ein solches Verständnis stünde im Wi­ derspruch zu Gemeinwohlbelangen, die sich nicht aus originären Staatsaufgaben oder Verwaltungsaufgaben, siehe Kapitel E. II. 1. c) cc), ergeben, z. B. die Erhöhung der Transportsicherheit oder die Schaffung von Arbeitsplätzen; kritisch zum Verständnis als „Überbürdung“ solcher Aufgaben allerdings Drüen, Indienstnahme (Fn. 969), S. 29 ff. Darüber hinaus wird für Aufgaben, „bei denen die Förderung öffentlicher Interessen eine – teils zwangsläufige – Folge der Wahrnehmung privater Interessen darstellt“, eine Indienstnahme abgelehnt, vgl. Plewa, Verfassungsmäßigkeit (Fn. 986), S. 5; ebenso Uibeleisen, Grenzen (Fn. 986), S. 74 ff. Dies hieße wiederum, eine In­ dienstnahme nur für die Übertragung solcher Tätigkeiten anzunehmen, die über die bloße Durchführung des Vorhabens hinausgehen. Dann aber würde man den Enteig­ nungsbegünstigten in seiner Rechtsstellung je nach Einzelfall uneinheitlich behan­ deln. Schließlich scheint auch der geistige Vater der Indienstnahme selbst nicht davon auszugehen, dass in dem Verhältnis zum Enteignungsbegünstigten eine solche liegt: Jedenfalls erwähnt Ipsen dieses Rechtsinstitut in seinem (enteignungsrechtlichen) Bericht auf der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Göttingen nur kurze Zeit nach seiner grundlegenden Schrift zur Indienstnahme lediglich beiläufig in anderem Zusammenhang, vgl. Ipsen, Enteignung (Fn. 84), S. 139 in Fn. 55 et passim. Für ei­ nen vollständigen Verzicht auf das Institut der Indienstnahme spricht sich M. Burgi, Privatisierung, in: Isensee/Kirchhof, HStR IV3 (Fn. 377), § 75 Rn. 23 in Fn. 99 aus. Insgesamt gebieten es die bestehenden Zweifel daher, eher von einem Rechtsverhält­ nis sui generis auszugehen; kritisch zu einer solchen Vorgehensweise aber Drüen, Indienstnahme (Fn. 969), S. 98.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Heterogenität der von einer Indienstnahme erfassten Fälle989 führt dazu, dass ihre Zulässigkeit nicht einheitlich behandelt werden kann, vielmehr in jedem Einzelfall auf „die Art der übertragenen Aufgaben“ abzustellen ist990. Ange­ sichts dessen können auch aus der Feststellung, es handele sich bei dem Verhältnis zu dem Enteignungsbegünstigten um eine Indienstnahme, keine allgemeinen Maßstäbe für ihre Zulässigkeit abgeleitet werden991. Unter Aus­ schluss einer Beleihung992 bleibt jedenfalls festzuhalten, dass der private Begünstigte auch nach der Enteignung Grundrechtsträger bleibt993 und staat­ liches Einwirken auf seine Sphäre deshalb anhand der Grundrechte und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen ist994. Dabei gewährleisten Geeignetheits- und Erforderlichkeits- sowie Angemessenheitsprüfung eine effektive995, aber möglichst wenig grundrechtsintensive Risikoabwehr. (2) Eingriffe in den Schutzbereich und Ungleichbehandlung Überantwortet der Staat Tätigkeiten oder Pflichten an Private, ist diese „lästige“ Inanspruchnahme an den Grundrechten zu messen (status negati­ vus)996. In Betracht kommen hier Eingriffe in die Schutzbereiche von Eigen­

989  Ipsen, Indienstnahme (Fn. 967), S. 145 ff., 149; BVerfGE 30, 292 (311); dazu Drüen, Indienstnahme (Fn. 969), S. 96; vgl. außerdem Hansen, Indienstnahme (Fn. 499), S. 89 ff. und Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II (Fn. 496), § 91 Rn.  52 f. 990  BVerfGE 30, 292 (311). 991  Drüen, Indienstnahme (Fn. 969), S. 97: Indienstnahmebegriff „deskriptiv-empi­ rischer Natur“; A.  Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, in: VVDStRL 62 (2003), S. 266 (300 in Fn. 139): „keine dogmatischen Konsequenzen“. 992  Hierzu siehe bereits Fn. 972–975. 993  So im Ergebnis auch Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 211; Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 205. 994  Dies gilt unabhängig davon, ob man die dogmatische Figur der Indienstnahme annimmt oder nicht, vgl. G. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Stark, GG I (Fn. 12), Art. 12 Rn. 202; zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf alle Felder staatlicher Beschränkung von Rechten Einzelner F. Ossenbühl, Maßhalten mit dem Übermaßverbot, in: P. Badura/R. Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfas­ sungslebens. Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, 1993, S. 151 (153); vgl. ferner zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch hinsichtlich der Siche­ rung Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 70. 995  Vgl. zum Begriff der Effektivität als den „Grad der Zielerreichung“ im Um­ gang mit Risiken umfassend Klafki, Risiko (Fn. 923), S. 50 ff. 996  Hufen, Staatsrecht II (Fn. 79), § 5 Rn. 4; Ossenbühl, Erfüllung (Fn. 499), S. 175; unter der Prämisse einer Indienstnahme ebenso Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 126; vgl. auch Scholz (Fn. 988), Art. 12 Rn. 149.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs169

tumsfreiheit, Berufsfreiheit und allgemeiner Handlungsfreiheit997. Zudem wird der allgemeine Gleichheitssatz in Gestalt des Grundsatzes der bürger­ lichen und sozialen Lastengleichheit tangiert998. Die Rechtsposition, die dem Begünstigten im Rahmen der Enteignung zuwächst, unterfällt als vermögenswertes Recht dem sachlichen Schutz­ bereich der Eigentumsgarantie999. Der Schutzbereich der Eigentumsfreiheit wird eröffnet, wenn dem Privaten ein bestimmter Umgang mit dieser Rechts­ position aufgegeben werden soll1000. Geschieht dies bereits über ein Enteig­ nungsgesetz in abstrakt-genereller Weise1001, liegt in einer solchen Regelung eine Inhalts- und Schrankenbestimmung1002 gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, mit welcher der Gesetzgeber die Sozialbindung bestimmt1003. Eine Enteignung gem. Art. 14 Abs. 3 GG scheidet mangels Eigentumsentziehung1004 aus. Zu­ dem könnte man einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeüb­ ten Gewerbebetrieb1005 bedenken, welches allerdings das Bundesverfassungs­ gericht im Rahmen von Art. 14 GG bislang nicht ausdrücklich anerkannt

997  Vgl. Ossenbühl, Erfüllung (Fn. 499), S. 181; F. E. Schnapp, Die Indienstnahme der Apotheker für das „Rabattgeschäft“ durch das Beitragssatz-Sicherungsgesetz, in: ApoR 2003, S. 87 (87 f.); für Art. 12 GG vgl. Scholz (Fn. 988), Art. 12 Rn. 149. 998  Scholz (Fn. 988), Art. 12 Rn. 163; Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 126 f.; vgl. ferner Schnapp, Indienstnahme (Fn. 997), S. 91 f. 999  BVerfGE 131, 66 (79); 112, 93 (107); Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 212. 1000  Dann ist die Nutzung der eigentumsrechtlichen Position nach eigenen Vorstel­ lungen betroffen, BVerfGE 143, 246 (327 Rn. 228); 110, 141 (173); 101, 54 (75); 98, 17 (35); vgl. zudem P. Axer, Eigentumsschutz für wirtschaftliche Betätigung, in: O. Depenheuer u. a. (Hrsg.), Nomos und Ethos. Hommage an Josef Isensee zu seinem 65. Geburtstag von seinen Schülern, 2002, S. 121 (131). 1001  Über Art. 1 S. 2 Nr. 3 BayRohrlEnteigG und § 3 S. 2 Nr. 3 BWEthylRohrlG wird die Enteignung etwa von einer Verpflichtung des Enteignungsbegünstigten zu einem zweckentsprechenden Betreiben der Rohrleitung in einem öffentlich-recht­ lichen Vertrag abhängig gemacht. Damit wird bereits abstrakt für mögliche Enteig­ nungsbegünstigte der Inhalt des Eigentums für die Zukunft bestimmt, vgl. BVerfGE 72, 66 (76); 58, 137 (144 f.). Vgl. für solche Nutzungsvorgaben auch Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 600. 1002  Zur Eigenart von Inhalts- und Schrankenbestimmungen vgl. Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 415 ff., 600; Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 33; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 90. 1003  BVerfGE 56, 249 (260); 20, 351 (356); Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 98 f.; zum einheitlichen Gesetzesvorbehalt vgl. Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 416; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 58; Axer (Fn. 435), Art. 14 Rn. 14. 1004  Zum Enteignungsbegriff vgl. Kapitel B. I. 1005  Hierzu Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 200; Axer, Eigentumsschutz (Fn. 1000), S. 131 ff.; allerdings ist zweifelhaft, ob bei der Nutzungsbeschränkung von Grundstücken der Schutz des Gewerbebetriebs als Gesamtheit des Mittelbestan­ des überhaupt über den ohnehin gegebenen Eigentumsschutz hinausginge.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

hat1006. Eine mögliche Verpflichtung betreffend das Erreichen eines bestimm­ ten (wirtschaftlichen) Erfolges berührt die Eigentumsgarantie über die be­ schriebene Nutzungsregelung hinaus dagegen nicht1007. Die Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG, die auch eine „Unternehmerfreiheit“ und hier u. a. das Marktverhalten eines Unternehmens erfasst1008, wird sach­ lich auf Ebene der Berufsausübung tangiert, geht es um die Vorgabe eines Handlungskorridors im Zusammenhang mit der Durchführung des enteig­ nungsbegünstigten Vorhabens. Mit einer entsprechenden Bestimmung wird die Art und Weise der unternehmerischen Betätigung direkt ausgestaltet und damit in die Berufsfreiheit eingegriffen, sodass es auf eine objektiv berufs­ regelnde Tendenz1009 nicht ankommt. Gleiches gilt für die Vorgabe, einen konkreten Erfolg1010 zu erreichen. Die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG ist subsidiär und gelangt nicht zur Anwendung1011. Schließlich wird mit der Verpflichtung zu einem bestimmten Handeln bzw. einer staatlich veranlassten Zielvorgabe der allgemeine Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG berührt. Im Rahmen der staatlichen Marktregulierung (tertium comparationis) wird das Unternehmen, zugunsten dessen die Enteig­ nung vorgenommen wird (differentia specifica) mit der hoheitlichen Heran­ ziehung zu bestimmten Tätigkeiten unterschiedlich behandelt als andere Un­ ternehmen des gleichen Wirtschaftssektors (genus proximum), die solchen Zwängen nicht unterworfen werden. Damit liegt eine staatlich veranlasste Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vor1012.

1006  BVerfGE 143, 246 (331 f. Rn. 240); 105, 252 (277); BVerfG NVwZ 2009, 1426 (1428). 1007  Hier liegt ein Eingriff in die Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG näher, dazu so­ gleich. Im Hinblick auf die Nutzungsvorgabe lässt sich kein Schwerpunkt des Ein­ griffs, hierzu BVerfGE 121, 317 (345), bestimmen, sodass Art. 14 GG und Art. 12 GG insofern in Idealkonkurrenz stehen, vgl. H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG (Fn. 16), Art. 12 Rn. 3. 1008  BVerfGE 50, 290 (363 f.); J. Wieland, in: Dreier, GG I (Fn. 16), Art. 12 Rn. 53, 70. 1009  Zu diesem Kriterium BVerfGE 128, 1 (82); 111, 191 (213); 98, 218 (258). 1010  Etwa die Schaffung einer bestimmten Anzahl von Arbeitsplätzen, die Errei­ chung eines bestimmten Umsatzes oder Gewinns. 1011  U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG (Fn. 9), Art. 2 Abs. 1 (2001), Rn. 21; P. Kunig/J. A. Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG I (Fn. 16), Art. 2 Rn. 156; H. Dreier, in: ders., GG I (Fn. 16), Art. 2 Abs. 1 Rn. 28. 1012  Vgl. BVerfGE 42, 64 (72); H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, GG (Fn. 16), Art. 3 Rn.  10 f.; Hufen, Staatsrecht II (Fn. 79), § 39 Rn. 5, 12.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs171

(3) V  erfassungsrechtliche Rechtfertigung, insbesondere Verhältnismäßigkeitsprüfung Für die Überantwortung verwendungs- oder erfolgsbezogener Pflichten auf den privaten Unternehmer müssten solche Eingriffe in die verschiedenen Grundrechte bzw. die festgestellte Ungleichbehandlung auch gerechtfertigt sein. Eine Inhalts- und Schrankenbestimmung gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG bedarf jedenfalls einer formell-gesetzlichen Ermächtigung1013, wenn auch die Möglichkeit besteht, sie aufgrund einer solchen (hinreichend bestimmten) Ermächtigung im Rahmen anderer materieller Rechtsnormen, etwa Rechts­ verordnung oder Satzung, vorzunehmen1014. Der Eingriff in die Berufsfreiheit unterliegt dem einfachen Gesetzesvorbehalt gem. Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG. Sowohl bei handlungs- als auch bei erfolgsorientierten Vorgaben für den Enteignungsbegünstigten ist in Zusammenhang mit ihrer Rechtfertigung1015 eine Beeinträchtigung auf Ebene der Berufsausübung zu berücksichtigen. Im Rahmen der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung erscheint jedenfalls angesichts der gleichzeitigen möglichen Betroffenheit zweier Freiheitsrechte in Anwendung der Wesentlichkeitslehre1016 eine gesetzliche Grundlage eben­ falls notwendig1017. Die Vorbehalte bedingen neben der Wesentlichkeit des dauerhaften Gemeinwohlbezugs das Erfordernis einer gesetzlichen Grund­ lage für diesen1018. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung erfolgt im Speziellen anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Mittel zum angestrebten Zweck, dem bestimmenden Kontrollelement für das Maß zulässiger Grundrechtsbe­ schränkungen1019. Nach diesem Grundsatz muss der Grundrechtseingriff „einem legitimen Zweck“ dienen „und als Mittel zu diesem Zweck geeignet,

1013  Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 224; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 103. 1014  Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 34 f. 1015  Zur sogenannten Stufenlehre des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung vgl. BVerfGE 71, 162 (172 f.); 39, 334 (369 f.); 25, 1 (11 f.); Wieland (Fn. 1008), Art. 12 Rn. 92 ff. 1016  Hierzu Kapitel E. III. 1. b). 1017  Vgl. F. Wollenschläger, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I (Fn. 12), Art. 3 Rn. 163 für „belastungsintensive Ungleichbehandlungen“. 1018  Dazu schon Kapitel E. III. 3. a) ee) sowie unten Kapitel E. IV. 4. 1019  C. Hillgruber, Grundrechtsschranken, in: J.  Isensee/P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 201 Rn. 51; B. Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in: P. Badura/ H. Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Zweiter Band, Klä­ rung und Fortbildung des Verfassungsrechts, 2001, S. 445 (445); Badura, Staatsrecht (Fn. 529), Kap. C Rn. 28; Ossenbühl, Maßhalten (Fn. 994), S. 153 ff.

172

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

erforderlich und angemessen“1020, bzw. verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Ausdruck des Rechtsstaatsprin­ zips1021 soll gewährleisten, dass der Betroffene nicht über Gebühr1022 in An­ spruch genommen wird und ihm der Eingriff angesichts der bezweckten öf­ fentlichen Interessen zumutbar ist1023. Im Hinblick auf die Ungleichbehand­ lung scheidet eine auf das Willkürverbot beschränkte verfassungsrechtliche Prüfung aus1024. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit erfolgt infolgedessen für Eigentumsfreiheit, Berufsfreiheit und den allgemeinen Gleichheitssatz1025 kombiniert, um solche Wertungsfragen, die für alle Grundrechte gleich zu beantworten sind, gebündelt darzustellen. (a) Legitimer Zweck: Risikoabwehr als Sicherung des Gemeinwohlbezugs Im Hinblick auf die Eigentums- und die Berufsfreiheit müsste der Eingriff einen legitimen Zweck verfolgen. Dies ist im Ausgangspunkt jedes Gemein­ wohlziel1026. Im Zusammenhang mit einer möglichen Inhalts- und Schran­ 1020  BVerfGE 118,

(345).

168 (193) unter Verweis auf E 109, 279 (335 ff.); 115, 320

1021  BVerfGE 19, 342 (348 f.); Hufen, Staatsrecht II (Fn. 79), § 9 Rn. 15; a.  A. Schlink, Grundsatz (Fn. 1019), S. 447. 1022  In diesem Zusammenhang wird zuweilen auch der Begriff „Übermaßverbot“ verwendet, hierzu Schlink, Grundsatz (Fn. 1019), S. 462 f. 1023  Badura, Staatsrecht (Fn. 529), Kap. C Rn. 28. 1024  Insofern ist zwar festzustellen, dass der Enteignungsbegünstigte das Differen­ zierungskriterium durch schlichten Verzicht auf eine Enteignung zu seinen Gunsten beeinflussen kann und deshalb eine reine Willkürprüfung angenommen werden könnte, vgl. hierzu BVerfGE 138, 136 (180 f. Rn. 122); 133, 1 (22 Rn. 66). Allerdings sind zugleich zwei Freiheitsrechte betroffen, woraus wiederum ein strengerer Prüfungsmaß­ stab resultiert, vgl. BVerfGE 145, 249 (298 Rn. 97); 129, 49 (69). Insgesamt erscheint deshalb eine Prüfung nach der „neuen Formel“ – hier auch unter dem Aspekt einer gebündelten Darstellung übergreifender Grundrechtsprobleme – sachgerecht. 1025  Im Folgenden wird die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung – wenn auch der Gleichheitssatz nicht als Abwehrrecht einzustufen ist – in Würdigung der Ent­ wicklung von „Willkürformel“ zu „neuer Formel“ im Ausgangspunkt unter Orientie­ rung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geprüft; vgl. hierzu C.  Scharfenstein, Die Prüfung von Gleichheitsrechten, in: Ad Legendum 2020, S. 67 (69 f.); M. Sachs/C. Jasper, Der allgemeine Gleichheitssatz. Das Eingriffsmodell zu Art. 3 I GG als Abwehr­ recht, in: JuS 2016, S. 769 (772 f.); Hufen, Staatsrecht II (Fn. 79), § 39 Rn. 15 ff. Von einer „Orientierung“ am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geht auch das Bundesverfas­ sungsgericht aus, BVerfGE 148, 147 (184 Rn. 94); 139, 285 (309 Rn. 70); vgl. inso­ fern M. Albers, Gleichheit und Verhältnismäßigkeit, in: JuS 2008, S. 945 (947) und Nußberger (Fn. 774), Art. 3 Rn. 18 ff. für etwaige Modifikationserfordernisse. Kritisch zu solcher Parallelisierung W. Heun, in: Dreier, GG I (Fn. 16), Art. 3 Rn. 28 ff. 1026  Hillgruber (Fn. 1019), § 201 Rn. 52, 54; Hufen, Staatsrecht II (Fn. 79), § 9 Rn. 19.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs173

kenbestimmung äußert sich dieser Bezug ohnehin bereits in der Verpflichtung des Eigentumsgebrauchs auf das Gemeinwohl gem. Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG. Hierin liegt der maßgebliche Orientierungspunkt (aber auch die maßgebliche Grenze) einer Inhalts- und Schrankenbestimmung1027. Auch für den Eingriff in die Berufsfreiheit auf Ebene der Berufsausübung genügen nach der Recht­ sprechung des Bundesverfassungsgerichts „ausreichende Gründe des Ge­ meinwohls“1028. Mit der Inanspruchnahme des Enteignungsbegünstigten sol­ len bestimmte Risiken abgewehrt werden, um damit den Gemeinwohlbezug der Enteignung dauerhaft sicherzustellen. Darin liegt ein legitimer Zweck, unabhängig davon, ob verhaltens- oder erfolgsorientiert gesichert werden soll. Gleiches gilt für die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung, für die grundsätzlich jede sachlich vertretbare Erwägung als Differenzierungsziel herangezogen werden kann1029. Mit der Enteignungsbegünstigung wird auch ein verfassungsrechtlich legitimes Differenzierungskriterium herangezogen, insbesondere wird kein unzulässiges Kriterium nach Art. 3 Abs. 2 oder Abs. 3 GG verwendet. (b) Geeignetheit: Beherrschbarkeit von Gemeinwohlzielen Die Prüfung der Eignung betrifft im Rahmen der Eingriffe in die Freiheits­ rechte die Frage, ob das legitime Ziel mit dem Eingriff gefördert werden kann1030. Hierbei genügt die Möglichkeit, dass das Ziel erreicht wird1031. Insofern hat auch die Bestimmung geeigneter Mittel einen prognostischen Charakter1032. Sie wird verfassungsrechtlich nach Sachgerechtigkeit und Ver­ tretbarkeit beurteilt, der Gesetzgeber hat hinsichtlich der Eignung einer Maß­ nahme also eine Einschätzungsprärogative1033. Vor diesem Hintergrund kommt dem gesetzgeberischen Prognosespielraum, der auch bei der Eignung von Sicherungsmaßnahmen angenommen wird1034, eine tragende Bedeutung zu: Der Gesetzgeber kann also ggf. vertretbar davon ausgehen, dass schon eine verwendungs- bzw. verhaltensbezogene Verpflichtung des privaten Be­ günstigten ausreicht, um neben dem Verhaltensrisiko auch das Gemeinwohl­ 1027  BVerfGE 143, 246 (324 Rn. 218); 126, 331 (360); Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 422. 1028  BVerfGE 125, 260 (360); 121, 317 (346); 110, 141 (157). 1029  Vgl. BVerfGE 103, 242 (258); 94, 241 (260). 1030  Hillgruber (Fn. 1019), § 201 Rn. 61 f.; Hufen, Staatsrecht II (Fn. 79), § 9 Rn. 20. 1031  BVerfGE 126, 112 (144); 117, 163 (188 f.). 1032  BVerfGE 113, 167 (234); Schlink, Grundsatz (Fn. 1019), S. 456. 1033  BVerfGE 30, 250 (263); Hufen, Staatsrecht II (Fn. 79), § 9 Rn. 20; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, S. 777 f. 1034  Vgl. BVerfGE 134, 242 (307 Rn. 208 f.).

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

zielprognoserisiko adäquat abzudecken. Zwar dürfte das Gemeinwohlziel­ prognoserisiko mit der Verpflichtung auf einen bestimmten Erfolg auf den ersten Blick in stärkerem Maße reduziert werden können, als verpflichtete man den Enteignungsbegünstigten auf ein Verhalten bzw. eine konkrete Ver­ wendung der enteigneten Rechtsposition. Die Geeignetheit einer Maßnahme fordert aber im Rahmen der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative nicht die beste Lösung, sondern lediglich einen fördernden Beitrag1035. Für Enteignungen verlangt das Grundgesetz deshalb auch „keine maximale und umfassende Sicherung des Enteignungszwecks“1036. Der gesetzgeberische Prognosespielraum ist aber jedenfalls dann über­ schritten, wenn das angestrebte Ziel durch die vorgesehenen Maßnahmen bei objektiver Betrachtung nicht gefördert werden kann1037. Dies betrifft im Hinblick auf die zu untersuchende Differenzierung zwischen verhaltens- und erfolgsbezogenen Pflichten solche Ziele, die der Enteignungsbegünstigte un­ ter keinerlei Umständen beherrschen kann1038. So folgt schon aus der Natur mancher Gemeinwohlziele, dass eine erfolgsbezogene Verpflichtung aus­ scheidet und überhaupt nur verhaltens- bzw. verwendungsbezogene Maßnah­ men in Betracht gezogen werden können. Anschaulich wird dies etwa anhand des Gemeinwohlziels der Förderung gutnachbarschaftlicher Beziehungen1039. Dieses Ziel kann allein von dem Enteignungsbegünstigten nicht erreicht werden, geht es doch um einen kon­ kreten politischen Erfolg. Der Enteignungsbegünstigte mag einen Teil zu diesem Erfolg beitragen können, hat aber auf den tatsächlichen Erfolgseintritt keinen beherrschbaren Einfluss. Deshalb scheiden bei einem solchen Ge­ meinwohlziel erfolgsbezogene Sicherungsverpflichtungen schon aufgrund mangelnder Eignung aus. Gleiches gilt für Gemeinwohlziele, die von einem 1035  BVerfGE 113, 167 (234); 67, 157 (175); Sachs (Fn. 689), Art. 20 Rn. 150; Jarass (Fn. 690), Art. 20 Rn. 118; Hufen, Staatsrecht II (Fn. 79), § 9 Rn. 20; Gentz, Verhältnismäßigkeit (Fn. 774), S. 1603; W. Kluth, Das Übermaßverbot, in: JA 1999, S. 606 (609). Auch für Art. 3 Abs. 1 GG wird nicht die „zweckmäßigste […] Lösung“ verlangt, vgl. BVerfGE 110, 412 (436) m. w. N. 1036  BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 37); vgl. auch Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 212 sowie Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 199, 206, 208. 1037  BGH NJW 2014, 696 (697 Rn.  14); Jarass (Fn. 690), Art. 20 Rn. 118; B. Pieroth, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Verwaltungsrecht, in: M. Kment (Hrsg.), Das Zusammenwirken von deutschem und europäischem Öffentlichen Recht. Festschrift für Hans D. Jarass zum 70. Geburtstag, 2015, S. 587 (590) mit Verweis auf die Kodifikation dieses Prinzips u. a. in § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG. 1038  VGH BaWü NVwZ-RR 2011, 143 (147); a. A. OVG NRW, Beschluss vom 28.8.2014, 20 A 1923/11, juris, Rn. 235 (insoweit nicht in ZUR 2015, 179–182 abge­ druckt). 1039  BVerwGE 117, 138 (141); siehe hierzu bereits Kapitel E. II. 1. d) aa); vgl. in diesem Zusammenhang auch Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 119.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs175

nicht unmittelbar beherrschbaren Verhalten Dritter abhängen1040. Einer Un­ gleichbehandlung durch die Überantwortung einer erfolgsbezogenen Pflicht würde in diesen Fällen von vornherein die erforderliche „Begründungs­ rationalität“1041 fehlen. Die Eignung der Maßnahmen zur Risikoabwehr ist danach abhängig von der Beherrschbarkeit der Gemeinwohlziele durch den Enteignungsbegünstigten. (c) Erforderlichkeit: Vertrauensvorschuss? Der Grundsatz der Erforderlichkeit gewährleistet, dass das mildeste unter allen gleich geeigneten Mitteln zur Verfolgung des angestrebten Zweckes genutzt wird und nicht etwa weniger einschneidendere Maßnahmen zur Ver­ fügung stehen1042. Auch hinsichtlich der Erforderlichkeit von Sicherungs­ maßnahmen hat der Gesetzgeber einen Beurteilungs- und Prognosespiel­ raum1043. Wenn der Gesetzgeber nach den unter (b) getroffenen Feststellun­ gen davon ausgeht, dass eine verhaltensbezogene Verpflichtung geeignet ist, den Gemeinwohlbezug in ausreichendem Maße zu gewährleisten, darf er nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit nicht auf eine erfolgsorientierte Festlegung ausweichen. Im Kontext der Erforderlichkeit von Sicherungsmaßnahmen gerät zudem der ursprünglich vom Bundesverwaltungsgericht in die Sicherungsdiskussion eingebrachte Gedanke eines sogenannten Vertrauensvorschusses in das Blickfeld1044. Diese Argumentationsfigur betrifft die Frage, ob über die Vor­ habenausführung hinausgehende Sicherungen deshalb nicht erforderlich sind, weil schon die große Wirtschaftskraft des begünstigten Privaten eine ausrei­ chende Gewähr dafür bietet, dass bestimmte Gemeinwohlziele durch die plankonforme Ausführung des Vorhabens und seinen dauerhaften Betrieb tatsächlich erreicht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Gewäh­ 1040  Z. B. die Ansiedlung und Investitionen dritter Unternehmen in einer bestimm­ ten Region, vgl. hierzu VGH BaWü NVwZ-RR 2011, 143 (147) und Neupert, Siche­ rung (Fn. 294), S. 131. 1041  Hierzu Nußberger (Fn.  774), Art.  3 Rn.  19 f. m. w. N. 1042  BVerfGE 110, 141 (164); 92, 262 (273); 90, 145 (172); Pieroth, Grundsatz (Fn. 1037), S. 590; für Art. 3 Abs. 1 GG vgl. BVerfGE 103, 225 (235 ff.); 91, 389, (403 f.). 1043  Vgl. BVerfGE 145, 20 (37 Rn. 24; 80 Rn. 153); 115, 276 (309); 102, 197 (218) und nochmals BVerfGE 134, 242 (307 Rn. 208 f.) mit eignungs- und erforder­ lichkeitsrelevanten Ausführungen; Schlink, Grundsatz (Fn. 1019), S. 456 ff.; Ossenbühl, Maßhalten (Fn. 994), S. 158. 1044  BVerwGE 71, 108 (129 f.); hier indes noch nicht unter dem Begriff des „Ver­ trauensvorschusses“, den erst das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 74, 264 (295 f.) eingeführt hat.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

rung eines Vertrauensvorschusses in seinem Boxberg-Urteil zunächst als grundsätzlich möglich erachtet, allerdings gefordert, dieser „müßte ein­ schließlich der dazu notwendigen Voraussetzungen zumindest gesetzlich vorgesehen sein“1045. Während das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die grundsätzliche Möglichkeit des Vertrauensvorschus­ ses unter Berufung auf diese Rechtsprechung noch bejahte1046, wird sie neu­ erdings vom Bundesverfassungsgericht wieder verneint1047. Die gesetzgeberische Möglichkeit der Gewährung eines Vertrauensvor­ schusses ist indes Konsequenz seines bereits skizzierten Einschätzungs- und Prognosespielraums. Der Gesetzgeber kann bei bestimmten Gemeinwohlzie­ len1048 vertretbar davon ausgehen, dass – sofern die Vorhabenausführung gesichert ist – die Wirtschaftskraft eines Unternehmens ausreichende Gewähr dafür bietet, dass der Bezug zu diesen Gemeinwohlzielen dauerhaft be­ steht1049. Vor allem darf nicht verkannt werden, dass der private Begünstigte in der Regel vorhabenbedingt erhebliche Investitionen tätigt. Eine Amortisa­ tion wird regelmäßig nur mittels der geplanten Vorhabenausführung möglich sein, ausgehend von welcher der Gesetzgeber die Realisierung eines konkre­ tisierten Gemeinwohlziels prognostiziert. In Anwendung der Wesentlichkeitslehre müsste sich die Gewährung des Vertrauensvorschusses aber, so auch die Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts in Sachen Boxberg1050, im Gesetz wiederfinden: Die Entschei­ dung über die Zulässigkeit der Enteignung und also auch die Entscheidung über die Sicherung ihres Gemeinwohlbezugs1051 muss in seiner Hand bleiben und darf nicht der Verwaltung überlassen werden. Hiervon ist bei allgemei­ nen und fachspezifischen Enteignungsgesetzen nur dann auszugehen, wenn 1045  BVerfGE 74, 264 (295 f.); mit Zustimmung Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1667, 1673; Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 117 f.; Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 193; Dietlein/Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 78 f. 1046  OVG NRW, Beschluss vom 28.8.2014, 20 A 1923/11, juris, Rn. 395 f. (inso­ weit nicht in ZUR 2015, 179–182 abgedruckt). 1047  BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 37 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt). Aller­ dings wird an dieser Stelle – insofern verfehlt, s. Fn. 1045 – u. a. auf BVerfGE 74, 264 (295 f.) Bezug genommen. 1048  Dies betrifft typischerweise solche Gemeinwohlziele, die aus dem Verhalten des Enteignungsbegünstigten am Wirtschaftsmarkt resultieren, etwa die Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur/-kraft, hierzu Gerhardt, Besonderheiten (Fn. 90), S. 1667. 1049  Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 169; zur Würdigung der „Bonität“ im Hinblick auf die Sicherungszuverlässigkeit vgl. auch Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 209 f. 1050  BVerfGE 74, 254 (295 f.). 1051  Hierzu schon Kapitel E. III. 3. b) dd).



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs177

im Gesetz konkrete gesetzliche Anforderungen1052 aufgestellt werden, die potentielle Enteignungsbegünstigte erfüllen müssen, um in den Genuss eines Vertrauensvorschusses zu kommen. Bei projektbezogenen Enteignungsgesetzen allerdings ergibt sich typi­ scherweise schon aus den Gesetzesmaterialien, welches konkrete private Unternehmen im Rahmen der Enteignung begünstigt werden soll1053. Wenn auch das jeweilige Unternehmen im Gesetzestext selbst nicht genannt wird, ist dem Wesentlichkeitserfordernis angesichts der dann vorliegenden „Aus­ legungsfähigkeit“1054 Genüge getan: Soweit Sicherungsvorkehrungen, die über die Vorhabenausführung hinausgehen, im Gesetz fehlen, ist angesichts des insoweit bereits verdichteten Unternehmensbezugs konkludent auf einen gesetzgeberisch eingeräumten Vertrauensvorschuss zu schließen1055. (d) Angemessenheit: Verantwortung des Enteignungsbegünstigten? Schließlich müsste die Überantwortung bestimmter Handlungs- oder Er­ folgspflichten angemessen sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts ist dies dann der Fall, „wenn bei der Gesamtabwägung zwi­ schen der Schwere des Eingriffs, dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird“1056. Für eine Ungleichbehandlung gilt bei der Prüfung der Angemes­ senheit ein paralleler Maßstab; hier kommt es darauf an, dass die Ungleich­ behandlung in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel so­ wie dem Ausmaß und Grad seiner Erreichung steht1057. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung sind die betroffenen Rechtsgüter auf beiden Seiten, insbesondere das Ausmaß der Eingriffe bzw. der Ungleich­ 1052  Z. B. hinsichtlich eines zu erfüllenden Mindestumsatzes oder anderer wirt­ schaftlicher Kennzahlen. 1053  Vgl. etwa für das BayRohrlEnteigG Bay LT-Drs. 15/10316, S. 1: EPS Ethylen Pipeline Süd GmbH & Co. KG; für das NRWRohrlG NRW LT-Drs. 14/909, S. 5: Bayer MaterialScience AG. 1054  Zum Kriterium der „Auslegungsfähigkeit“ in Zusammenhang mit der Wesent­ lichkeitslehre siehe Kapitel E. III. 2. b). 1055  So auch Dietlein/Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 79 ff., indes noch großzügiger als hier: Keine „weitergehende[n] Anforderungen an den Gesetzes­ wortlaut oder die Gesetzesbegründung“ (Hervorhebung nicht i.  O., L. C.); a.  A. OVG NRW, Beschluss vom 28.8.2014, 20 A 1923/11, juris, Rn. 397 ff. (insoweit nicht in ZUR 2015, 179–182 abgedruckt); Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 193 f.; ders., Rohrleitungs-Enteignungsgesetz (Fn. 193), S. 230 f. 1056  BVerfGE 141, 82 (100 f. Rn. 53); 126, 112 (152 f.); 83, 1 (19). 1057  BVerfGE 138, 136 (197 Rn. 156; Zitat); 113, 167 (260); H. D. Jarass, Losver­ fahren und Grundrechte, in: NVwZ 2017, S. 273 (278 f.).

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

behandlung in den Blick zu nehmen. Sodann sind die Belange gegeneinander abzuwägen1058. Auf der einen Seite steht zunächst die Sicherung des Ge­ meinwohlbezugs. Angesichts der überragenden Bedeutung für die Rechtferti­ gung einer Enteignung als schwerwiegendem Grundrechtseingriff kommt dieser Sicherung im Ausgangspunkt eine erhöhte Stellung zu. Auf der ande­ ren Seite des Enteignungsbegünstigten müssen die festgestellten Grundrechts­ eingriffe sowie die Ungleichbehandlung berücksichtigt werden: Hinsichtlich des Eingriffes in die Eigentumsfreiheit ist zu bemerken, dass die im Rahmen der Enteignung erlangte Rechtsposition nicht auf eine eigene Leistung bzw. Kapitalaufwand des Enteignungsbegünstigten zurückgeht, son­ dern allein aus der staatlich veranlassten Enteignung resultiert. Insoweit ist ein besonderes Schutzniveau nicht anzunehmen1059. Außerdem führt die Enteignung zu einer erhöhten Sozialbindung der erworbenen Rechtsposition gem. Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG1060, d. h., den privaten Enteignungsbegünstigten trifft eine gesteigerte Verantwortung für den gemeinwohldienlichen Umgang mit der erhaltenen Rechtsposition. Die gesetzgeberische Eingriffsbefugnis reicht deshalb weiter1061. Vor diesem Hintergrund unterliegen verwendungs­ bezogene Verpflichtungen einer geringen Rechtfertigungsschwelle. Eine Ab­ wägung mit der angestrebten Gemeinwohlbezugssicherung dürfte hier regel­ mäßig zu ihren Gunsten ausfallen. Der Eingriff in die Berufsfreiheit erfolgt auf Ebene der Berufsausübung, welche im Rahmen der Stufenlehre das geringste Schutzniveau aufweist1062. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass dem Gesetzgeber bei derartigen Regelungen durch das Grundgesetz „ein erhebliches Maß an Frei­ heit“ belassen wird1063. Dies gilt gerade bei solchen Eingriffen, bei denen dem Betroffenen Verpflichtungen auferlegt werden, denen er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit sowieso nachkommen würde1064 bzw. die sich an seine ohnehin bestehe Berufstätigkeit anlehnen1065. In diesen Fällen wird 1058  Vgl. zu einer solchen abgestuften Prüfung im Rahmen der Angemessenheit Pieroth, Grundsatz (Fn. 1037), S. 596. 1059  Vgl. zu diesem Kriterium BVerfGE 50, 290 (340); 14, 288 (293); 1, 264 (277 f.); Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 106; Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 44. 1060  Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 198: „immanente[n] Schwäche“; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 124; ähnlich Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 202 und ­H.-J. Papier, Durchleitungen und Eigentum, in: BB 1997, S. 1213 (1216). 1061  BVerfGE 143, 246 (324 Rn. 218); 40, 290 (340 f.); vgl. auch E 95, 64 (84 f.); Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 106; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 231; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 426. 1062  Hierzu schon Fn. 1015. 1063  BVerfGE 109, 64 (85); 77, 308 (322); 7, 377 (405 f.). 1064  BVerfGE 68, 155 (172). 1065  BVerfGE 22, 380 (385); vgl. ergänzend E 30, 292 (324).



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs179

eine Rechtfertigung regelmäßig zu bejahen sein. Das bedeutet für die vorlie­ gende Untersuchung, dass hinsichtlich verhaltens- bzw. verwendungsbezoge­ ner Pflichten, die sich an einer bestimmten Vorhabenausführung orientieren, im Rahmen der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Berufsfreiheit wenig Bedenken bestehen1066. Das Abwägungspendel tendiert in diesem Zusam­ menhang also wieder zu Lasten des betroffenen Grundrechts. Anderes gilt, soweit die Verpflichtung des privaten Enteignungsbegünstig­ ten über die ohnehin bestehende Berufstätigkeit, hier die Vorhabenausfüh­ rung, hinausgehen soll. Der Eingriff nimmt dann ein stärkeres Ausmaß an, weil der Private zu konkreten beruflichen Tätigkeiten bzw. Erfolgen ver­ pflichtet wird, die er im Rahmen seiner üblichen Berufsausübung zumindest nicht zwangsläufig anstreben würde1067. Vor allem eine erfolgsorientierte Aufbürdung, die etwa das Erreichen bestimmter wirtschaftlicher Kennzahlen umfassen könnte, stellt sich dabei als tiefgreifende Belastung der Berufsaus­ übungsfreiheit dar, selbst wenn bei Großunternehmen – um solche handelt es sich typischerweise bei den Enteignungsbegünstigten – eher Einschränkun­ gen möglich sein sollten1068. Das Bundesverfassungsgericht fordert für die Rechtfertigung solcher Eingriffe eine „Verantwortungsbeziehung“1069 bzw. eine „hinreichende Sach- und Verantwortungsnähe“1070 zwischen dem betrof­ fenen Privaten und der aufgebürdeten Belastung. Eine besondere Verantwor­ tung des Enteignungsbegünstigten ist in diesem Kontext allerdings nicht zwingend zu bejahen: In Anlehnung an den aus dem Strafrecht bekannten Gedanken der Ingerenz könnte sich eine besondere Verantwortungsbeziehung1071 zunächst aus einem risikoreichen Vorverhalten oder aus einer Prädisposition in der Person des Enteignungsbegünstigten ergeben. Hat der Enteignungsbegünstigte aufgrund eigenen Verhaltens, etwa bestimmter Zusagen, die gesetzgeberische Prognose in eine bestimmte Richtung beeinflusst, scheint es deshalb gerechtfertigt, ihm hinsichtlich dieses Prognoseanteils rechtliche Verpflichtungen zuzumuten1072. auch Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 127. verlangt namentlich Schnapp, Indienstnahme (Fn. 997), S. 88 für sol­ che Fälle über die für Eingriffe auf Ebene der Berufsausübung geforderten ausrei­ chenden Gründe des Gemeinwohls hinaus ein „besonderes Gemeinwohlinteresse“, welches aber hier ohnehin gegeben ist, vgl. oben zur erhöhten Stellung der Gemein­ wohlbezugssicherung. 1068  So jedenfalls BVerfGE 50, 290 (364 f.); Jarass (Fn. 1007), Art. 12 Rn. 45. 1069  BVerfGE 109, 64 (88); 85, 226 (236); 81, 156 (198); 77, 308 (337). 1070  BVerfGE 125, 260 (362); 114, 196 (246); 95, 173 (187); vgl. hierzu ferner Manssen (Fn. 994), Art. 12 Rn. 202 und Schnapp, Indienstnahme (Fn. 997), S. 88. 1071  Insofern liegt eine Parallele zur Garantenstellung nahe, welche ebenfalls eine rechtliche Verantwortlichkeit, nämlich für Unterlassungsdelikte, konstituiert. 1072  Wie hier Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 134. 1066  So

1067  Insofern

180

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Im Hinblick auf in der Person des Enteignungsbegünstigten liegende Risiken wurde dagegen bereits festgestellt, dass die abzusichernden Risiken infolge der Privatbegünstigung nicht über das Maß eines üblichen Prognoserisikos hinaus erhöht werden1073. Zudem hat Neupert aufgezeigt, dass auch im Übri­ gen eine tragfähige Verantwortungsbeziehung jedenfalls nicht ohne Weiteres angenommen werden kann. Nach seinen überzeugenden Ausführungen kann sie dabei weder aus individuellen Vorteilen des Enteignungsbegünstigten, noch aus der allgemeinen gesellschaftlichen Verantwortung von Wirtschafts­ unternehmen1074, noch aus einer moralethischen Verantwortlichkeit, noch aus dem Aspekt der Freiwilligkeit abgeleitet werden1075. Danach kann die Auf­ bürdung des Erreichens eines Zustandes, der über die Ausführung des Vorha­ bens hinausgeht, vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit allenfalls in beson­ deren Einzelfällen angezeigt sein. Die vorzunehmende Abwägung hängt also von dem jeweils angestrebten Gemeinwohlziel und der Frage ab, ob sich für das sichere Erreichen des Gemeinwohlziels eine besondere Verantwortungs­ beziehung des Enteignungsbegünstigten begründen lässt1076. Im Hinblick auf die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung verlangt das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Angemessenheit „auch für das Maß der Differenzierung einen inneren Zusammenhang zwischen den vorge­ fundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Ge­ wicht erweist“1077. Für diesen inneren Zusammenhang spielen wieder die­ jenigen Aspekte einer möglichen Verantwortungsbeziehung zwischen dem Enteignungsbegünstigten1078 und der hoheitlichen Aufbürdung bestimmter Tätigkeiten1079 eine Rolle, die schon im Rahmen der Prüfung der Berufsfrei­ heit angeführt wurden. Hält sich die Aufbürdung von Pflichten in den Gren­ zen der bloßen Vorhabenausführung, ist dieser innere Zusammenhang ohne Weiteres zu bejahen. Anders verhält es sich – wie auch bei der Berufsfrei­ heit – mit einer erfolgs-/zustandsorientierten Zuweisung, die darüber hinaus­ 1073  Hierzu

Kapitel E. IV. 3. b). ebenfalls Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 204 f. 1075  Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 127 ff. m. w. N. 1076  Am ehesten könnte eine solche Verantwortungsbeziehung noch aus dem As­ pekt einer Zusage bzw. freiwilligen Verpflichtung des Enteignungsbegünstigten im Vorfeld der Enteignung begründet werden; auf die dabei u. a. zu bedenkenden Prob­ leme eines Gegenseitigkeitsverhältnisses zwischen Staat und Enteignungsbegünstig­ ten weist allerdings zu Recht Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 129 f. hin. 1077  BVerfGE 133, 1 (13 Rn. 44); 132, 372 (388 Rn. 45); 129, 49 (68 f.) [Hervorhe­ bung nicht i. O., L. C.]; ganz ähnlich E 124, 199 (220); 93, 386 (401); vgl. hierzu auch P. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, GG (Fn. 9), Art. 3 Abs. 1 (2015), Rn. 397; S. Boysen, in: v. Münch/Kunig, GG I (Fn. 16), Art. 3 Rn. 55; Jarass, Losverfahren (Fn. 1057), S. 279. 1078  Enteignungsbegünstigung insofern als „vorgefundene Verschiedenheit“. 1079  Aufbürdung bestimmter Tätigkeiten insofern als „differenzierende Regelung“. 1074  Kritisch



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs181

geht. Unter Anwendung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist hierbei ein innerer Zusammenhang angesichts einer jedenfalls nicht allge­ mein anzunehmenden Verantwortungsbeziehung und damit eine Rechtferti­ gung der Ungleichbehandlung nicht von vornherein gegeben1080. (4) Zwischenergebnis: Einzelfallabhängiges Sicherungsprogramm Vorangestellt ist für die Bewertung der unter aa) dargestellten Handlungs­ optionen zu beachten, dass es sich bei der Einwirkung auf die Sphäre des Enteignungsbegünstigten regelmäßig um Grundrechtseingriffe handelt. Ihre Rechtfertigung ist abhängig von dem jeweils angestrebten Gemeinwohlziel und davon, welche Maßnahmen zur Risikoabwehr der Gesetzgeber im Rah­ men seines Prognosespielraums für geeignet und erforderlich hält. Der Ge­ setzgeber muss dabei die Beherrschbarkeit des Gemeinwohlziels durch den Enteignungsbegünstigten berücksichtigten und ist frei darin, dem Begünstig­ ten im Hinblick auf bestimmte Gemeinwohlziele einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. In der Sache kommen verhaltens- oder erfolgsbezogene Maß­ nahmen in Betracht. Verhaltensbezogene Maßnahmen stellen sich in der Re­ gel als verhältnismäßig dar, die Verpflichtung zur Vorhabenausführung im Korridor gesetzgeberseitig als gemeinwohldienlich prognostizierter Hand­ lungsweisen wird üblicherweise gefordert werden können. Sicherungsmaß­ nahmen, die darüber hinausgehen sollen, insbesondere solche Maßnahmen, die einen bestimmten Zustand oder einen Erfolg fokussieren, unterliegen ei­ ner deutlich erhöhten Rechtfertigungsschwelle. Diese wird nur in Sonderfäl­ len erreicht werden, nämlich dann, wenn hierfür eine besondere Verantwor­ tungsbeziehung des Enteignungsbegünstigten begründet werden kann. Somit hängt es auch von dem jeweiligen Einzelfall ab, welcher Seite das Gemein­ wohlzielprognoserisiko oktroyiert werden kann. 4. Sicherungsmittel und formelle Anforderungen Für die Sicherung nach Maßgabe der möglichen Handlungsoptionen ste­ hen dem Gesetzgeber eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung. In Be­ 1080  So im Ergebnis auch B. Börner, Gefährdungshaftung für Pipelines aus Vertrag zugunsten Dritter, in: BayVBl. 1976, S. 645 (646 f.), der allerdings schon einen sach­ lichen Grund verneint; a. A. wohl Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 205, nach welchem das Eigentumsopfer des Enteignungsbetroffenen die Ungleichbehandlung in jedem Fall rechtfertige. Allerdings kann aus dem Eigentumsopfer eines Dritten nicht ein „innerer Zusammenhang“ zwischen dem Enteignungsbegünstigtem und seiner Belastung konstruiert werden. Bei einem solchen Vorgehen würden die jeweiligen Beziehungen im Dreiecksverhältnis Staat – Enteigneter – Enteignungsbegünstigter unzulässig vermengt, hierzu Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 127 in Fn. 58.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

tracht kommen (nicht abschließend) der Anspruch auf Rückübereignung, Verpflichtungen unmittelbar durch ein Gesetz, eine Satzung oder eine Ver­ ordnung, Verwaltungsakt samt Nebenbestimmungen oder vertragliche Ver­ pflichtungen. Die Auswahl der Sicherungsinstrumente ist abhängig von dem jeweils abgesteckten Rahmen des Sicherungsprogramms1081. Es ist dem Ge­ setzgeber vorbehalten, das hierzu passende Sicherungsinstrument auszuwäh­ len und vorzugeben (dazu unter a]). Die verschiedenen Sicherungsmittel wurden insbesondere in der Literatur bereits umfangreich diskutiert1082. Deshalb sollen an dieser Stelle lediglich exemplarisch zwei Sicherungs­ mittel, Rückübereignung und Vertrag, näher beleuchtet werden (dazu unter b] und c]): Die Qualität des Rückübereignungsanspruches im Hinblick auf seine hinreichende Sicherungszuverlässigkeit ist in Rechtsprechung und Literatur nach wie vor umstritten, das Sicherungsmittel des Vertrages spielt gerade bei dem jüngeren Phänomen projektspezifischer Enteignungsgesetze immer wie­ der eine Rolle. a) Gesetzliche Sicherungsgrundlage Eingedenk der Wesentlichkeit des dauerhaften Gemeinwohlbezugs1083 und der dargestellten Gesetzesvorbehalte hinsichtlich der Eingriffe in Grundrechte des Enteignungsbegünstigten1084 ist für die Sicherung ein gesetzlicher ­Anknüpfungspunkt erforderlich1085. Zum einen kann das Enteignungsgesetz selbst die Sicherung statuieren, etwa mittels einer bestimmten Verpflichtung des Begünstigten oder der Einrichtung von Überwachungsrechten. Wird die­ ser Weg gewählt, muss das Gesetz den Anforderungen des Gebotes hinrei­ chender Bestimmtheit genügen und präzise Vorgaben zur Sicherung tref­ fen1086. 1081  Siehe

hierzu Kapitel E. IV. 3. c). umfassend zu den denkbaren Sicherungsinstrumenten Schmidbauer, Ent­ eignung (Fn. 5), S. 238 ff.; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 177 ff.; Bauer, Kongru­ enz (Fn. 5), S. 145 ff.; Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 128 ff. 1083  Siehe Kapitel E. III. 3. a) ee). 1084  Siehe Kapitel E. IV. 3. c) bb) (3). 1085  BVerfGE 74, 264 (296); 134, 242 (296 Rn. 181); a. A. Schmidbauer, Enteig­ nung (Fn. 5), S. 68; mit Zweifeln auch Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 61), S.  269 f. 1086  Vgl. z. B. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BayRohrlEnteigG; § 4 Abs. 1 S. 2 NRW­ RohrlG zu Verpflichtungen unmittelbar durch das Enteignungsgesetz (Zulässigkeits­ voraussetzung der Glaubhaftmachung der Vorhabendurchführung zum vorgesehenen Zweck innerhalb angemessener Frist). Diese Verpflichtung genügt dem Gebot hinrei­ chender Bestimmtheit; das gilt auch hinsichtlich der Modalitäten einer Glaubhaftma­ chung, die dem (öffentlichen) Recht schon aus anderen Zusammenhängen bekannt sind, vgl. etwa § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO. 1082  Vgl.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs183

Zum anderen kann das Enteignungsgesetz lediglich das Sicherungsinstru­ mentarium vorgegeben1087, dessen Ausführung in der Folge noch von weite­ ren Schritten abhängig ist. Bei letzterem Vorgehen ist die hinreichende Be­ stimmtheit der Regelung schwieriger zu definieren. Ausgehend von dem Charakter des (dauerhaften) Gemeinwohlbezugs als Zulässigkeitsvorausset­ zung der Enteignung1088 ist auch in diesem Zusammenhang entscheidender Maßstab, „daß die Entscheidung über die Zulässigkeit der Enteignung inso­ weit nicht in die Hand der Verwaltung gegeben wird“1089. Danach muss der Gesetzgeber nach Maßgabe seines Sicherungsprogramms zumindest verdeut­ lichen, was überhaupt gesichert werden soll1090. Zudem ist er gehalten, auch die Instrumente vorzugeben, die er zu diesem Zweck für geeignet hält1091. Tut er dies nicht, gibt der Gesetzgeber die Entscheidung über die hinrei­ chende Gewährleistung des dauerhaften Gemeinwohlbezugs aus der Hand. Wie konkret die Vorgaben für das jeweils ins Auge gefasste Sicherungs­ instrument allerdings gefasst sein müssen, ist nicht pauschal zu beantworten und eine Frage des jeweiligen Einzelfalls: Das Bundesverfassungsgericht fordert für die Sicherung „umso genauere[r] und detailliertere[r] Vorgaben, je weniger schon der Geschäftsgegenstand des privaten Unternehmens, zu dessen Gunsten die Enteignung erfolgt, darauf ausgerichtet ist, dem gemeinen Wohl zu dienen“1092. In diesem Zusammen­ hang sind Parallelen zu der bereits im Rahmen der Regelungsgestaltung in Enteignungsgesetzen beschriebenen Interdependenz von Gemeinwohlziel und Vorhaben1093 zu erkennen: Wenn sich die Gemeinwohldienlichkeit und damit der Bezugspunkt der Sicherung schon aus dem Vorhaben erkennen lässt, kann die Sicherungsregelung ggf. weiter gefasst sein. Dies mag im Ausgangspunkt solche Unternehmen betreffen, deren Geschäftsgegenstand 1087  Dies betrifft etwa die Vorgabe, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen dem Enteignungsbegünstigten und einem Bundesland mit einem bestimmten Inhalt zu schließen, vgl. z. B. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BayRohrlEnteigG. Zudem könnte das Enteignungsgesetz z. B. vorsehen, dass im Enteignungsbeschluss konkrete Eingriffs­ rechte bestimmt werden müssen. 1088  Siehe Kapitel E. IV. 1. 1089  BVerfGE 74, 264 (286; Zitat); 134, 242 (294 Rn. 177); BVerfG NVwZ 2017, 399 (400 Rn. 23); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 36 f. (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt) sowie bereits oben unter Kapitel E. III. 3. b). 1090  Nach den Ausführungen unter Kapitel E. IV. 3. c) steht mit der Konkretisie­ rung des Enteignungszwecks nicht bereits das Sicherungsziel fest; so aber Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 69. 1091  Das Enteignungsgesetz kann sich also nicht darauf beschränken, dass etwa schlicht normiert wird: „Die Durchführung des Vorhabens muss gesichert sein“. 1092  BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 181); BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 37). 1093  Siehe hierzu Kapitel E. III. 3. b) aa).

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

der Daseinsvorsorge nahesteht, muss aber auch für diverser aufgestellte Un­ ternehmen gelten, bei denen die infrage kommende gemeinwohldienliche Nutzung eines bestimmten Vorhabens gesetzgeberseitig bereits eingegrenzt wurde1094. Zugleich kann häufig bereits aus der gesetzgeberischen Auswahl der Sicherungsinstrumente auf den Charakter des Sicherungsziels geschlos­ sen werden und vice versa1095. Wenn sich der Gemeinwohlbezug eines Vor­ habens hingegen nicht derart von vornherein greifen lässt, sind detailliertere Vorgaben zu Gemeinwohlbezug, Sicherung und geeigneten Sicherungsmitteln notwendig. b) Anspruch auf Rückübereignung Der Anspruch auf Rückübereignung ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG1096. Er ist Folge des bereits erörterten Prinzips1097, dass eine Enteignung nur so lange ihre Legitimation behalten kann, wie auch ihr Gemeinwohlbe­ zug reicht. Der Anspruch auf Rückübereignung gewährleistet vor diesem Hintergrund, dass der Enteignungsbetroffene seine Rechtsposition zurücker­ hält, sofern diese für den Gemeinwohlbezug nicht (mehr) verwendet wird. Er besteht so lange, „bis die enteignete Sache dem ihr zugedachten Zweck dauerhaft zugeführt und damit das Ziel der Enteignung nachhaltig erreicht worden ist“1098, soll aber ausgeschlossen sein, wenn die Wiederherstellung 1094  Dies trifft zu auf die projektspezifischen Enteignungsgesetze für Rohrleitungs­ vorhaben; vgl. zu der in diesen Fällen gegebenen „unmittelbaren“ Gemeinwohldien­ lichkeit des jeweiligen Ausschnittes der Unternehmenstätigkeit bereits unter Kapi­ tel E. IV. 3. b) bb) in Fn. 944. 1095  So ergeben etwa Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse nur Sinn bei einer verhaltens-/verwendungsbezogenen Sicherung. 1096  BVerfGE 38, 175 (181); 97, 89 (89, 96 ff.); BVerfG NVwZ 2000, 792 (793); BVerwG NJW 1990, 2399 (2399); BVerwG NJW 1994, 1749 (1749); Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 116, 698; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 88, 436 f., 440; Jarass (Fn. 16), Rn. 88; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 165; Antoni (Fn. 23), Art. 14 Rn. 19; Badura (Fn. 44), § 10 Rn. 63; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2284; Heuser, Enteignung (Fn. 61), S. 281; Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S.  202 f.; Erbguth, Entschädigungsansprüche (Fn. 34), S. 203; Regenfus, Vorgaben (Fn. 573), S. 139 f.; D. Ehlers/J.-P. Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO (Fn. 669), § 40 (2015), Rn. 516; Ehlers, Eigentumsschutz (Fn. 79), S. 214 in Fn. 7; weitere Nachweise des älteren Schrifttums bei Bullinger, Enteignung (Fn. 85), S. 469 in Fn.  59 f. Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 124 leitet den Anspruch aus Art. 14 Abs. 2 GG ab, Leisner (Fn. 16), § 173 Rn. 223 sieht die Grundlage in Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG. A. A. zum verfassungsrechtlichen Rückübereignungsanspruch noch BVerwG NJW 1968, 810 (811). 1097  Hierzu unter Kapitel E. IV. 1. 1098  BVerwG NJW 1994, 1749 (1749); Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 438; differenziert Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2285.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs185

der ursprünglichen eigentumsrechtlichen Zuordnung rechtlich oder tatsäch­ lich nicht oder nur unter unzumutbaren Umständen möglich ist1099. Es handelt sich hierbei aber nicht um eine Rückenteignung, auch wenn dies an vielen Stellen zu lesen ist1100. Vielmehr wird die nicht mehr legiti­ mierte Enteignung rückabgewickelt, sodass es sich richtigerweise um eine Rückübereignung handelt1101. Die Rückabwicklung selbst erfolgt anders als eine Enteignung nicht zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben1102, sondern dient allein den Interessen des ursprünglichen Eigentümers. Sie ist Ausdruck des fortwirkenden Bestandsschutzes und rührt aus dem Gedanken der Folgenbeseitigung her1103, ist also auf die Wiederherstellung des Zustan­ des vor der Enteignung gerichtet. Würde man die Rückübertragung als Ent­ eignung begreifen, würden Entschädigungspflichten des ursprünglichen Ei­ gentümers ausgelöst, die sich an dem Wert des „rückenteigneten“ Grund­ stücks orientierten. Damit würden aber auch Aufwendungen des Enteig­ nungsbegünstigten berücksichtigt, die dieser im Vertrauen auf den Fortbestand seiner Position auf das Grundstück gemacht hat. Dies entspricht nicht dem Charakter einer Folgenbeseitigung als der Herstellung des status quo ante. Zudem würde mit einem solchen Verständnis das Institut der Rückübereig­ nung nicht seine volle Funktion als über der Enteignung schwebendes „Damoklesschwert“1104 entfalten können, weil wertsteigernde Investitionen des Enteignungsbegünstigten im Zuge der Entschädigung entlohnt werden müssten. Die Rückübereignung ist deshalb keine Enteignung i. S. d. Art. 14 Abs. 3 GG. Auch wenn deshalb das Erfordernis des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG nicht für den Rückübereignungstatbestand greift, ist in Würdigung der Erläu­ terungen unter a) eine gesetzliche Grundlage für das Rückerwerbsrecht not­ 1099  Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2285; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 441. 1100  Vgl. nur BVerfGE 97, 89 (89), Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 179  ff.; Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588; Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 171. 1101  BVerfGE 38, 175 (183); BGH NJW 1980, 1571 (1571); Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 440; U. Battis, in: ders./Krautzberger/Löhr, BauGB (Fn. 377), § 102 Rn. 1; wohl auch Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 203; a. A. hinsichtlich privatbegünstigender Enteignungen Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2284 sowie Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 283 f., 291. 1102  Zum Enteignungsbegriff vgl. Kapitel B. I. 1103  BGH NJW 1998, 222 (224); Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 698 u. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2286; vgl. zudem bereits Layer, Princi­ pien (Fn. 1), S. 433: Aufhebung der „bereits eingetretenen Wirkungen der Enteig­ nung“. 1104  Hierzu Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588; Jackisch, Zulässig­ keit (Fn. 5), S. 181; zur Sicherungsqualität des Anspruches auf Rückübereignung siehe im Folgenden.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

wendig1105. Das Enteignungsgesetz kann den Anspruch des Enteigneten selbst statuieren. Es kann aber etwa auch die Verwaltung dazu ermächtigen, den Enteignungsbeschluss mit einer dem Rückerwerbsrecht entsprechenden Nebenbestimmung gem. § 36 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 VwVfG zu versehen. Dem Anspruch auf Rückübereignung wird teilweise die Qualität zuverläs­ siger Sicherung abgesprochen1106. Vorgetragen wird, der Anspruch könne nur von dem Enteignungsbetroffenen, nicht aber vom Staat geltend gemacht werden1107. Zudem gelte der Anspruch auf Rückübereignung auch für Ent­ eignungen zugunsten der öffentlichen Hand, er sei deshalb kein spezifisches Sicherungsinstrument für privatbegünstigende Enteignungen1108. Diese Ein­ wände führen aber nicht zur Sicherungsuntauglichkeit der Rückübereignung: Bei der Sicherung geht es darum, bestimmte Risiken abzuwehren1109. Die Drohkulisse1110, die der Anspruch auf Rückübereignung für den Enteignungs­ begünstigten errichtet, entfaltet ihre Folgen für die Risikoabwehr unabhängig von der Person des Anspruchinhabers. Der Enteignungsbegünstigte hat jeder­ 1105  So im Ergebnis auch Pommer, Bahnreform (Fn.  574), S. 206; Wieland (Fn.  16), Art.  14 Rn.  124, allerdings mit zumindest diskutablem Verweis auf BVerfGE 97, 89 (97); wohl auch Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 345; a. A. Jarass (Fn. 16), Rn. 88; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 165; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 180; Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 129 in Fn. 350; unklar Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2284 f.: Zum einen sieht er eine „Pflicht des Gesetzge­ bers […], gesetzliche[n] Voraussetzungen für eine mögliche Rückenteignung […] zu schaffen“ (S. 2284), zum anderen könne die Rückübereignung „auch dort geltend gemacht werden […], wo einfachgesetzliche Regelungen fehlen“ (S. 2285). Unab­ hängig davon wird die Rückübereignung in vielen Fachgesetzen sowie allgemeinen Enteignungsgesetzen auf Landesebene ohnehin aufgegriffen, vgl. z. B. § 102 BauGB, § 42 EEG NW, Art. 16 BayEG, § 40 EnteigG LSA, § 47 HEG. Insofern hält der Anspruch auf Rückübereignung auch in andere Enteignungsgesetze, insbesondere projektspezifische, Einzug, welche regelmäßig auf diese allgemeinen Normen zur Rückübereignung verweisen, vgl. z. B. § 4 Abs. 4, § 5 NRWRohrlG, § 5 BWEthyl­ RohrlG. 1106  Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 181; Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 129; Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 190  f.; ders., Rohrleitung-Enteignungsgesetz (Fn. 193), S. 230; Hoops, Schutz (Fn. 8), S. 1499; Zimmer, Flurbereinigung (Fn. 518), S. 1009; nur unter Berücksichtigung des einfachrechtlichen Anspruches aus § 5 NRWRohrlG OVG NRW ZUR 2015, 179 (182); a. A. BVerfG, Beschluss der 1. Kam­ mer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 6, 8, 47 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt); Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 171; Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 133 f.; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 145; Pommer, Bahnreform (Fn. 574), S. 204. 1107  Frenzel, Interesse (Fn.  96), S.  129; Zimmer, Flurbereinigung (Fn.  518), S. 1009; Muckel, Eigentumsgarantie (Fn. 63), S. 190 f. 1108  Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 181. 1109  Vgl. oben Kapitel E. IV. 3. 1110  Schmidt-Aßmann, Bemerkungen (Fn. 61), S. 1588: „Damoklesschwert“.



IV. Nachhaltigkeit des Gemeinwohlbezugs187

zeit vor Augen, dass die enteignete Rechtsposition, sollte sie nicht wie vom Gesetzgeber als gemeinwohldienlich eingestuft verwendet werden, an den Enteignungsbetroffenen zurückfällt. Möchte er getätigte Investitionen nicht verlieren, muss er die gemeinwohlkonforme Nutzung aufnehmen und dauer­ haft fortführen. Insofern schafft die drohende Rückübereignung einen äußerst wirksamen Anreiz für den Enteignungsbegünstigten, die enteignete Rechts­ position gemeinwohldienlich zu nutzen1111 und minimiert deshalb die identi­ fizierten Risiken. Im Übrigen ist nicht davon auszugehen, dass der private Enteignungsbe­ troffene weniger energisch gegen eine Zweckverfehlung vorgehen wird als hoheitliche Institutionen – in Anbetracht der persönlichen Betroffenheit dürfte eher das Gegenteil anzunehmen sein. Dass der Anspruch der Rück­ übereignung auch bei Enteignungen zugunsten der öffentlichen Hand besteht, kann nach dem Vorstehenden nicht gegen die Sicherungsqualität dieses Insti­ tutes sprechen. Der Gesetzgeber kann das Sicherungsinstrument der Rück­ übereignung also vorsehen, um eine von ihm als gemeinwohldienlich identi­ fizierte Verwendung der enteigneten Rechtsposition zu forcieren und damit erkannte Risiken abzuwehren. c) Vertragliche Sicherungsverpflichtung Zuweilen wird eine Absicherung der Risiken mittels eines öffentlichrechtlichen Vertrages diskutiert1112. Dieses Instrument kommt häufig im Rahmen projektspezifischer Enteignungsgesetze zum Einsatz1113. Allerdings sind in diesem Zusammenhang Unterschiede zu beobachten, was die gesetz­ geberischen Vorgaben hinsichtlich eines solchen Vertrages betrifft. Die Vor­ schriften des BayRohrlEnteigG und des BWEthylRohrlG geben für den Vertragsinhalt vor, dass der Enteignungsbegünstigte sich zur Errichtung, zum zweckentsprechenden Betrieb, zur Erhaltung in einem betriebssicheren Zu­ stand und zur Gewährleistung eines diskriminierungsfreien Zugangs zur An­ lage verpflichten muss und Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen werden müssen1114. Demgegenüber sind dem HHWerkflEnteigG neben der zu regeln­ 1111  Hoops, Schutz (Fn. 8), S. 1499; Neupert, Sicherung (Fn. 294), S. 133; Stummer, Zweckbindung (Fn. 581), S. 194 f. 1112  Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 162 ff.; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 186 ff.; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 263 ff.; Frenzel, Interesse (Fn. 96), S. 129. 1113  Vgl. § 4  HHWerkflEnteigG; Art. 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BayRohrlEnteigG; § 3 S. 2 Nr. 3 BWEthylRohrlG. 1114  BVerfG DVBl. 2017, 1174 (1176 Rn. 47) und VGH BaWü NVwZ-RR 2011, 143 (146) halten das für ausreichend; a. A. Muckel, Rohrleitungs-Enteignungsgesetz (Fn. 193), S. 229 f.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

den Materie noch detailliertere Vertragsmodalitäten1115 zu entnehmen. Für die Bewertung des HHWerkflEnteigG ist allerdings die zugrundeliegende Sonderkonstellation zu beachten. Unmittelbare Enteignungsbegünstige war die Freie und Hansestadt Hamburg1116, welche die enteigneten Flächen wie­ derum an einen privaten Dritten, hier Airbus, zum Betreiben des Flughafens vermietete, ohne sie aber an diesen zu übereignen. Insofern liegt hier schon nicht die mit anderen projektspezifischen Enteignungsgesetzen vergleichbare Bewertungssituation einer privatbegünstigenden Enteignung vor1117. Im Übrigen werden die gesetzlichen Vorgaben für einen öffentlich-recht­ lichen Vertrag davon abhängen, welches Sicherungsobjekt vom Gesetzgeber ins Auge gefasst wurde. Geht es um die gemeinwohldienliche Verwendung der enteigneten Rechtsposition, wird es ausreichen, wenn der Gesetzgeber deutlich macht, welcher konkreten Nutzung der Gesetzgeber die Gemein­ wohldienlichkeit zuschreibt und dass eben jene Nutzung mittels der Ver­ pflichtung des Enteignungsbegünstigten in einem öffentlich-rechtlichen Ver­ trag abzusichern ist1118. Die Vorgabe der Aufnahme von Sanktionsmöglich­ keiten in den Vertrag gewährleistet den notwendigen Anreiz für den Enteig­ nungsbegünstigten, nicht vertragsbrüchig zu werden. Gegenüber dem Anspruch auf Rückübereignung bietet eine vertragliche Absicherung den Vorteil, dass die Akzeptanz des Enteignungsbegünstigten und seine Bereit­ schaft, die als gemeinwohldienlich eingestufte Nutzung aufzunehmen und fortzuführen, noch stärker ausfallen dürfte1119.

1115  Etwa eine jährliche Nachweispflicht hinsichtlich der „Erfüllung des Enteig­ nungszwecks“, § 4 Abs. 2 S. 3 HHWerkflEnteigG, oder ein bedingtes Übereignungs­ verbot an Dritte, § 4 Abs. 3 HHWerkflEnteigG. 1116  Siehe § 2 S. 3 HHWerkflEnteigG. 1117  Siehe hierzu Kapitel B. IV. Vgl. zur Konstellation des HHWerkflEnteigG auch Battis/Otto, Enteignung (Fn. 41), S. 1507: „allenfalls mittelbar privatnützige[n] Ent­ eignung“. Siehe zu einer vergleichbaren Konstellation BVerfG NJW 1999, 2659 (2660), wo der Charakter als privatbegünstigende Enteignung ebenso verneint wird. Anders Muckel, Rohrleitungs-Enteignungsgesetz (Fn. 193), S. 229 f., der die Vor­ schriften über den öffentlich-rechtlichen Vertrag nach § 4 HHWerkflEnteigG als Mus­ terbeispiel für andere privatbegünstigende Enteignungen heranzieht; ähnlich Ogorek, Eigentum (Fn. 8), S. 472 in Fn. 90, der die Sonderkonstellation gleichfalls zu über­ sehen scheint. 1118  Ähnlich Dietlein/Riedel, Allgemeinwohlerfordernis (Fn. 83), S. 77. 1119  Dazu schon Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 265; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 163.



V. Enteignungsrechtliche Verhältnismäßigkeit189

V. Enteignungsrechtliche Verhältnismäßigkeit Die Enteignung ist nur zulässig zum Wohle der Allgemeinheit. Über dieses Erfordernis hinaus1120 muss sie als erheblicher Grundrechtseingriff auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen1121. Diese Voraussetzung gilt für eine gesetzliche Grundlage ebenso wie für einen behördlichen Enteignungs­ akt1122. Im Ansatz kann legitimer Zweck jeder Enteignung nur ein nach den erläuterten verfassungsrechtlichen Maßstäben abgegrenztes1123 Gemeinwohl­ ziel sein1124. Fast immer dient der Enteignungsakt selbst nicht unmittelbar dem Allgemeinwohl, sondern ermöglicht die Realisierung eines Vorhabens, das wiederum auf das Gemeinwohl gerichtet ist1125. Dieser Stufenbeziehung muss bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung getragen werden1126: Im Rahmen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit ist deshalb sowohl das Verhältnis der konkreten Enteignungsmaßnahme zur Vorhabenrealisierung als auch die Relation der Vorhabenausführung zur Ver­ wirklichung des Gemeinwohlziels zu berücksichtigen. 1. Geeignetheit: Förderung von Vorhaben und Gemeinwohlziel Für die Prüfung der Geeignetheit einer Enteignung ergibt sich daraus zu­ nächst, dass die Enteignungsmaßnahme geeignet sein muss, die Realisierung 1120  Vgl.

Kapitel E. II. 1. c) ee) (1). 367 (404); 45, 297 (335); 53, 336 (349); 56, 249 (264); 74, 264 (286); Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 694 ff.; Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 607, 625 ff.; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 144 ff.; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn.  431 f.; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 131; Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn.  256 ff.; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 621 ff.; Rittstieg (Fn. 16), Art. 14 Rn. 218; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 164 f.; Axer (Fn. 435), Art. 14 Rn. 119; Antoni (Fn. 23), Art. 14 Rn. 13; Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 89 ff.; ders., Eigentumsgarantie (Fn. 23), S. 472; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2279 ff.; Badura (Fn. 44), § 10 Rn. 63; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht (Fn. 43), S. 244; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 27 Rn. 59; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht II (Fn. 496), § 71 Rn. 52; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 91. 1122  Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 694; Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 256; Axer (Fn. 435), Art. 14 Rn. 119; Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 345 f.; zu dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und seinen vier Prüfungsstufen Legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit s. schon oben Kapitel E. IV. 3. c) bb) (3). 1123  Hierzu Kapitel E. II. 1. 1124  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 629. 1125  Vgl. hierzu BVerfGE 134, 242 (293 f. Rn. 176; 296 Rn. 183); Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 257; Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 169. 1126  Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 346 ff.; Michl, Eigentumsschutz (Fn. 23), S. 433. 1121  BVerfGE 24,

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

des Vorhabens zu fördern; zudem muss das Vorhaben seinerseits geeignet sein, das Gemeinwohlziel zu fördern1127. Insoweit zeigen sich Überschnei­ dungen zu dem im Übrigen gesondert zu prüfenden Gemeinwohlbezug1128. Die Geeignetheit der Enteignung wird indes regelmäßig keine Probleme aufwerfen1129. Hinsichtlich der (zweistufigen) Eignung der Enteignung zur Förderung des Enteignungszwecks1130 hat der Gesetzgeber einen Prognose­ spielraum, d. h., auch hier genügt die Möglichkeit der Zweckerreichung1131. Ob der Zweck auch „tatsächlich“ gefördert wird, die Förderung also in concreto eintritt, ist keine ex ante zu beurteilende Frage der Geeignetheit1132, sondern kann im Rahmen eines etwaigen Rückübereignungsanspruches1133 zu berücksichtigen sein1134. 2. Erforderlichkeit: Unverzichtbarkeit der Maßnahme und Gebotenheit des Vorhabens Der Charakter der Enteignung als ultima ratio1135 ist vor allem im Rahmen der Erforderlichkeit und der Angemessenheit zu berücksichtigen. Der Grund­ satz der Erforderlichkeit verlangt von der Enteignung, dass sie das mildeste Mittel zur Verfolgung des angestrebten Zweckes ist1136. Auch die Erforder­ lichkeit ist aus zwei Perspektiven zu betrachten: Im Verhältnis der Enteig­ 1127  Michl,

Eigentumsschutz (Fn. 23), S. 433. Kapitel E. II. 2. 1129  Plakativ statt vieler BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 182); vgl. zudem v. Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 429. 1130  Zur Abgrenzung von Enteignungszweck und Gemeinwohlziel vgl. Kapitel E. I. 2. 1131  Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 220; Schmidbauer, Enteignung (Fn. 5), S. 148 f.; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 194; Jarass, Vorwirkung (Fn. 41), S. 1333 m. w. N.; zu dem Prognosespielraum des Gesetzgebers im Rahmen der Eignungsprüfung schon oben Fn. 1031–1034. Gleiches gilt für die Entscheidung der Enteignungsbehörde, vgl. Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 83, 92. 1132  So aber Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 651 u. Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 694 sowie Jagst, Enteignung (Fn. 5), S. 245, jeweils unter Verweis auf Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 90. Der dortige Verweis auf BVerwG NVwZ 2002, 1119 (1120) überzeugt ebenfalls nicht. 1133  Siehe Kapitel E. IV. 4. b). 1134  Missverständlich insofern Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 130. 1135  BVerfGE 24, 367 (405); 45, 297 (307); Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 146; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 621, 626; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 92; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht (Fn. 43), S. 244. 1136  Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 131; Dietlein, in: Stern, Staats­ recht IV/1 (Fn. 18), S. 2280; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 92; Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 216; Jarass, Vorwirkung (Fn. 41), S. 1333; v.  Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 429. 1128  Siehe



V. Enteignungsrechtliche Verhältnismäßigkeit191

nungsmaßnahme zur Vorhabenrealisierung gilt zunächst ein strenger Maß­ stab. Es darf „keine andere rechtlich und wirtschaftlich vertretbare Lösung“ geben als die Enteignung1137. Der konkrete Enteignungsakt muss sich in dieser Beziehung als „unverzichtbar“ für das Vorhaben erweisen1138. Dieses Erfordernis kommt auf verschieden Ebenen zum Tragen: Es bewirkt zu­ nächst, dass ein (zumutbarer) freihändiger Erwerb der enteigneten Rechtspo­ sition ausgeschlossen sein muss1139. Zudem darf das Vorhaben nicht ebenso gut auf Grundstücken realisierbar sein, die bereits im Eigentum des Enteig­ nungsbegünstigten stehen1140 oder die von öffentlicher Hand oder anderen Privaten freiwillig bereitgestellt werden1141. Darüber hinaus muss die Enteignung auch in ihrem Umfang unumgänglich sein, d. h., die Einräumung einer Dienstbarkeit, obligatorischer Rechte oder eine Teilenteignung sind bei gleicher Eignung der Vollenteignung vorzuzie­ hen1142. Obligatorische Beschränkungen des Eigentums sind wiederum ein 1137  BVerfGE 24, 367 (405); 45, 297 (322); BVerfG NVwZ 2003, 726 (727); BVerfG NVwZ 2009, 1283 (1286). 1138  BVerfGE 134, 242 (296 Rn. 183); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 653; Papier/ Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 694; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 164; Masing, Enteig­ nungen (Fn. 96), S. 348. 1139  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 654 f.; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 695; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 432; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 131; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 146; Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 258; Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 90; Axer (Fn. 435), Art. 14 Rn. 119; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 164; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2280; Badura (Fn. 44), § 10 Rn. 63; v.  Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 429; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 27 Rn. 59; Jagst, Enteignung (Fn. 5), S. 246. Teilweise wird weiterführend der tatsächliche Erwerbsversuch als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Enteignung benannt, vgl. Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 626; Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S.  196 f.; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht (Fn. 43), S. 244: „Verhandlungsge­ bot“. Allerdings kann sich aus dem für staatliche Maßnahmen geltenden Grundsatz der Erforderlichkeit nach diesseitiger Auffassung nicht ein für private Dritte geltendes Gebot positiven Handelns ergeben. Möchte der Gesetzgeber konkrete Erwerbsversu­ che zur Voraussetzung der Enteignungszulässigkeit machen, muss er diese im Gesetz vorsehen, hierzu schon Kapitel E. III. 3. a) bb) und 3. b) dd). 1140  Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 695; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 432; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 131; Wieland (Fn. 16), Art. 14 Rn. 146; Axer (Fn. 435), Art. 14 Rn. 119; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2280; Badura (Fn. 44), § 10 Rn. 63. 1141  BVerfGE 134, 242 (296 f. Rn. 183); Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 348. 1142  Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 656; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 696; Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 432; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 131; Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 258; Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 90; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 146; Badura (Fn. 44), § 10 Rn. 63; Ossenbühl/Cornils, Staats­ haftungsrecht (Fn. 43), S. 244; Maurer/Waldhoff, Verwaltungsrecht (Fn. 18), § 27 Rn. 59; v.  Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 429; Jagst, Enteignung (Fn. 5), S. 246; Bauer, Kongruenz (Fn. 5), S. 93.

192

E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

milderes Mittel als eine dingliche Belastung1143. Eine Verzichtbarkeit der Maßnahme für das Vorhaben kann dann anzunehmen sein, wenn der Nutzen, den der einzelne Eingriffsakt mit sich bringt, das Gesamtprojekt lediglich peripher betrifft1144. Die skizzierten verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Erforderlichkeit einer Enteignung erhalten häufig eine (nicht zwingend notwendige) einfach­ gesetzliche Verankerung in den verschiedenen Enteignungsgesetzen1145. Am häufigsten ist hier – soweit möglich – die Beschränkung auf eine Grund­ stücksbelastung anzutreffen1146. Demgegenüber stellt aber die Administrati­ venteignung i. S. d. Erforderlichkeitsgrundsatzes kein milderes Mittel als die Legalenteignung dar1147. Auch die Enteignung zugunsten der öffentlichen Hand ist kein milderes Mittel als eine privatbegünstigende Enteignung1148. Im Rahmen der zweiten Stufe der Erforderlichkeit, also der Beziehung zwischen Vorhaben und Gemeinwohlziel, verlangt das Bundesverfassungs­ gericht keine Unverzichtbarkeit. Hier genügt es, dass das Vorhaben zum Gemeinwohl „vernünftigerweise geboten“ ist1149. Diese Formel sieht sich der Kritik ausgesetzt, hiermit werde keine „effektive Schranke für den Enteig­ nungseingriff“ errichtet1150. Zudem würden Geeignetheits- und Erforderlich­ keitsprüfung inhaltlich miteinander vermengt1151. Würde allerdings wie auf der ersten Stufe Unverzichtbarkeit verlangt, käme das einem weitgehenden Enteignungsverbot gleich1152. Denn es werden regelmäßig weitere vergleich­ bare Vorhabenalternativen bestehen, die dem angestrebten Gemeinwohlziel dienen1153. Ferner ist eine Vermischung der verschiedenen Prüfungsstufen 1143  Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 696; Bryde/Wallrabenstein (Fn. 16), Art. 14 Rn. 131. 1144  Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 348; Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 653. 1145  Vgl. z. B. § 87 Abs. 2 u. § 92 BauGB, § 3 Abs. 1 S. 2 NRWRohrlG; Art. 2 Abs. 1 S. 3 BayRohrlEnteigG. 1146  Für die allgemeinen Enteignungsgesetze auf Landesebene vgl. statt vieler § 7 Abs. 1 S. 2 EEG NW; Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayEG. 1147  Vgl. hierzu ausführlich bereits Kapitel B. III. 3. b); a. A. Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 656; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1 (Fn. 18), S. 2280. 1148  Zum insofern gleich betroffenen Bestandsinteresse des Eigentümers siehe schon Kapitel E. II. 3. a) bb); wie hier Jackisch, Zulässigkeit (Fn. 5), S. 197 f. 1149  BVerfGE 134, 242 (297 Rn. 184); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ers­ ten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 56 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt). 1150  Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 694. 1151  Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 694. 1152  BVerfGE 134, 242 (297 Rn. 184); Becker (Fn. 16), Art. 14 Rn. 259; Dietlein, Entwicklungen (Fn. 16), S. 169. 1153  Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 346: „praktisch nie alternativlos“; Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 657; vgl. daneben BVerfGE 134, 242 (297 Rn. 184): „Dass die



V. Enteignungsrechtliche Verhältnismäßigkeit193

des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht anzunehmen: Die „Gebotenheit“ einer Maßnahme ist ein Aspekt ihrer Notwendigkeit, nicht ihrer Eignung. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Vorhaben dann „vernünfti­ gerweise geboten“ sein soll, wenn es „einen substantiellen Beitrag zur Errei­ chung des Gemeinwohlziels“ leisten kann1154. Es kommt hier auf die Qualität des Beitrages, also auf das Maß der Eignung an („substantiell“), nicht auf die Feststellung der prinzipiellen Eignung als der schlichten Förderlichkeit der Maßnahme. Zuzugeben ist freilich, dass undeutlich bleibt, wann ein Beitrag als substantiell zu qualifizieren ist. Ausgehend vom Wortlaut der bundesver­ fassungsgerichtlichen Entscheidung wird man in diesem Zusammenhang zu­ mindest verlangen müssen, dass der jeweilige Beitrag den Gehalt des ange­ strebten Gemeinwohlziels ausmachen muss bzw. den Grundstock für das zu fördernde Gemeinwohlziel bildet. 3. Angemessenheit, insbesondere Gesamtabwägung Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Enteignung mündet schließlich im Rahmen der Angemessenheit in eine Abwägung der beiderseitig betroffe­ nen Rechtsgüter und Interessen. Die Enteignung ist unzulässig, wenn der Gesamtschaden des Eingriffs sich als disproportional zur Gemeinwohldien­ lichkeit darstellt1155. Wieder sind zwei Stufen abzuschichten1156: Auf der ersten Stufe ist zu fragen, ob das Eingriffsgewicht für den betrof­ fenen Eigentümer außer Verhältnis zu dem Nutzen für das angestrebte Vor­ haben steht1157. Zwar ist hierbei zu beachten, dass die Enteignung einen schwerwiegendem Grundrechtseingriff darstellt, deren belastende Folgen mit hohem Gewicht in die Abwägung einzustellen sind1158. Allerdings werden gerade im Zusammenhang mit Rohrleitungsvorhaben häufig persönlich be­ schränkte Dienstbarkeiten ausreichen, denen im Vergleich zur Vollenteignung ein vermindertes Eingriffsgewicht zukommt. Auch im Übrigen wird dem Enteignung zum Wohl der Allgemeinheit auf den Sonderfall eines für das in Rede stehende Gemeinwohlziel einzig möglichen Vorhabens reduziert werden sollte, kann der Regelung des Enteignungsrechts im Grundgesetz nicht entnommen werden.“ 1154  So BVerfGE 134, 242 (297 Rn. 184; 343 Rn. 299). 1155  Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 697. 1156  BVerfGE 134, 242 (298 Rn. 186 ff.); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 660; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 164a. 1157  BVerfGE 134, 242 (298 Rn. 187); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 661. 1158  Jarass (Fn. 16), Art. 14 Rn. 51; vgl. außerdem Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 662, der allerdings die Frage der Angemessenheit mit der gesetzgeberischen Kon­ kretisierung des Gemeinwohls, insbesondere seines grundsätzlich als enteignungswür­ dig eingestuften Gewichts, hierzu schon Kapitel E. II. 1. c), vermengt.

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E. Verfassungsrechtliche Voraussetzungen der Enteignung

Gesamtvorhaben angesichts dessen relativen1159 Übergewichts regelmäßig wenig entgegenzusetzen sein1160. In den Blick zu nehmen ist jeweils die konkret betroffene enteignungsrechtliche Position. Dabei ist der Belastung von zum Wohnen genutztem Eigentum aufgrund der gleichzeitigen Beein­ trächtigung auch sozialer Beziehungen ein höheres Gewicht beizumessen1161, als würden sonstige Flächen, etwa landwirtschaftlich genutzte1162, bean­ sprucht. Die Entschädigung hingegen folgt erst einer rechtmäßigen Enteig­ nung nach und ist deshalb nicht im Rahmen der Angemessenheit zu berück­ sichtigen1163. Auf zweiter Stufe ist das gesamte Projekt hinsichtlich seiner Gesamtfolgen und seines Nutzens für das Gemeinwohl in den Blick zu nehmen. Im Rah­ men einer vom Bundesverfassungsgericht so genannten umfassenden Ge­ samtabwägung1164 ist der vorhabenbedingte Gesamtschaden der vorhabenbe­ dingten Förderung des Gemeinwohlziels gegenüberzustellen. Hierbei spielt insbesondere eine Rolle, welches Maß der Förderbeitrag des Vorhabens auf­ weist1165: Je stärker der Förderbeitrag für das Gemeinwohl, desto eher kann die Eingriffsschwelle überwunden werden1166. Auf der anderen Seite sind nicht wie auf der ersten Stufe nur die Eingriffsfolgen des einzelnen Betroffe­ nen in die Abwägung einzubeziehen; vielmehr ist die eingriffsbedingte Ge­ samtbeeinträchtigung zu berücksichtigen, d. h. alle betroffenen privaten und öffentlichen Interessen1167. Das bedeutet, es sind zusätzlich die betroffenen

1159  Im Verhältnis der einzelnen Enteignungsmaßnahme zum Gesamtprojekt, also unter Ausblendung der Gesamtfolgen und unter Fokussierung nur des einzelnen Ein­ griffsaktes, wird sich das Gesamtprojekt typischerweise als gewichtiger behaupten. 1160  Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 348. 1161  BVerfGE 134, 242 (291 Rn. 269); Jarass (Fn. 16), Rn. 91; Wendt (Fn. 16), Art. 14 Rn. 160a; ähnlich v. Brünneck, Wohl (Fn. 397), S. 429. 1162  Jarass, Vorwirkung (Fn. 41), S. 1333. 1163  BVerfGE 134, 242 (298 Rn. 187) unter Verweis auf E 24, 367 (401); 38, 175 (185); Dederer (Fn. 12), Art. 14 Rn. 662; Papier/Shirvani (Fn. 9), Art. 14 Rn. 697; Berkemann (Fn. 16), Art. 14 Rn. 628; Jarass (Fn. 16), Rn. 91; a. A. Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 216 f. 1164  BVerfGE 134, 242 (289 f. Rn. 159 u. 166; 298 Rn. 188); BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 33 f.); BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 57 f. (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt); mit der Gesamtabwägung werden nur scheinbar besondere Anforderun­ gen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung statuiert. Die Voraussetzungen ergeben sich bereits aus dem Grundgesetz, hierzu schon Kapitel E. III. 3. a) ff). 1165  BVerfGE 134, 242 (298 Rn. 188). 1166  Siehe schon Kapitel E. II. 2. a). 1167  BVerfGE 134, 242 (299 Rn. 188); BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 33); Riedel, Eigentum (Fn. 16), S. 216; Hoops, Schutz (Fn. 8), S. 1498.



V. Enteignungsrechtliche Verhältnismäßigkeit195

eigentumsrechtlichen Positionen anderer Privater1168 sowie weitere übergrei­ fende, der Enteignung entgegenstehende öffentliche Belange in die Ge­ samtabwägung einzubeziehen1169. Das Bundesverfassungsgericht nennt in diesem Kontext beispielhaft die Belange „des Landschaftsschutzes, des Denkmalschutzes, der Wasserwirtschaft, der Raumordnung oder des Städte­ baus, der Gewinnung des Bodenschatzes“1170 oder des Naturschutzes1171. Im Ausgangspunkt zu beachten ist aber stets „die gesetzgeberische Entscheidung zugunsten der grundsätzlichen Enteignungswürdigkeit des verfolgten gemei­ nen Wohls“1172. Die Gesamtabwägung als „Kernstück“1173 der enteignungs­ rechtlichen Zulassung ist auf der Ebene vorzunehmen, auf der die konkrete Enteignung de facto zugelassen wird1174. Das bedeutet zugleich, dass der Gesetzgeber nur im Falle einer Legalenteignung – ggf. im Gewande der ­Legalplanung1175 – dazu aufgerufen ist, die Gesamtabwägung selbst anzustel­ len1176. In allen anderen Fällen ist die Gesamtabwägung im Rahmen der be­ hördlichen Zulassung vorzunehmen1177.

1168  Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 347: Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit dürfe „nicht in ein divide et impera münden“, in dem einzelne Gegeninteressen ge­ bündelten Vorhabeninteressen gegenübergestellt werden. 1169  Michl, Eigentumsschutz (Fn. 23), S. 433; Masing, Enteignungen (Fn. 96), S. 347. 1170  BVerfGE 134, 242 (309 Rn. 216; 316 Rn. 232), d. h., ein Enteignungsbetroffe­ ner kann sich zur Verteidigung auch auf nicht per se drittschützende Belange berufen. 1171  BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 63 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt). 1172  BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 60 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt) unter Verweis auf BVerfGE 134, 242 (298 f. Rn. 188). 1173  BVerfGE 134, 242 (308 Rn. 212). 1174  Dies betrifft einzelne behördliche Enteignungsmaßnahmen sowie Rechtsakte mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung, z. B. Planfeststellungsbeschlüsse oder plan­ ersetzende formelle Investitionsmaßnahmegesetze, hierzu Fn. 39, welche die Zuläs­ sigkeit der Enteignung bereits dem Grunde nach bindend feststellen. Ferner ist in diesem Zusammenhang die Legalenteignung zu nennen. 1175  Vgl. hierzu bereits Kapitel B. III. 1. 1176  BVerfG NVwZ 2017, 399 (402 Rn. 34); Depenheuer/Froese (Fn. 12), Art. 14 Rn. 435 in Fn. 102; zu ggf. in das Enteignungsgesetz aufzunehmenden Anhaltspunk­ ten für die Bewertung der gegenläufigen Interessen in der Gesamtabwägung vgl. Kapitel E. III. 3. a) ff) u. E. III. 3. b) dd). 1177  Vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.1.2017, 1 BvR 2297/10, juris, Rn. 58 (insoweit nicht in DVBl. 2017, 1174–1176 abgedruckt).

F. Zusammenfassung in Thesen Zu Kapitel B.: 1. Die Enteignung ist auf eine vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver, durch die Eigentumsgarantie gewährleisteter Rechts­ positionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet. Die Rechtmäßigkeit ist kein konstitutives Tatbestandsmerkmal der Enteignung. Der vielfach als konstitutives Merkmal einer Enteignung geforderte Güterbe­ schaffungsvorgang ist bei der Enteignung für Rohrleitungsvorhaben typi­ scherweise gegeben (Kapitel B. I., II.). Für die Realisierung von Rohrlei­ tungsvorhaben reicht regelmäßig eine Enteignung mittels der Einräumung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit aus (Kapitel B. II.). 2.  Legalenteignung ist die Enteignung unmittelbar durch ein Parlaments­ gesetz. Administrativenteignung ist die Enteignung aufgrund gesetzlicher Ermächtigung. Projekt- bzw. vorhabenspezifische Enteignungsgesetze sind eine Spielform der Administrativenteignung. Ein Vorrangverhältnis zwischen Legalenteignung und Administrativenteignung ist abzulehnen (Kapitel B. III.). 3. Bei der sogenannten Enteignung zugunsten Privater wird Eigentum zwangsweise von einem Privaten auf den anderen übertragen. Enteignungs­ begünstigter ist derjenige, dem die enteignete Rechtsposition ohne weiteren Durchgangs- oder Zwischenerwerb unmittelbar zukommt (Kapitel B. IV.). Zu Kapitel C.: 4. Bei der Enteignung nach § 45 Abs. 1 EnWG handelt es sich um eine Administrativenteignung, die sich regelmäßig als Enteignung zugunsten Pri­ vater darstellt. Die Energieversorgung ist ein Gemeinwohlbelang von größter Bedeutung (Kapitel C. I.). Bei der Enteignung nach den Vorschriften des EnWG geraten Gasversorgungsleitungen in den Fokus, die der Versorgung anderer dienen. Rohrleitungen zum Transport von Fernwärme, Mineralöl oder Rohöl fallen nicht in den Anwendungsbereich des EnWG. Die Erforder­ lichkeit der Enteignung ist zweistufig abzuschichten. Auf der ersten Stufe steht die Prüfung der Frage nach energiewirtschaftlichem Bedarf des Vorha­ bens. Auf der zweiten Stufe steht die Prüfung der Erforderlichkeit der kon­



F. Zusammenfassung in Thesen197

kreten Enteignungsmaßnahme nach den bekannten Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Kapitel C. I.). 5.  Enteignungen für Rohrleitungsvorhaben sind im Bereich der konkurrie­ renden Gesetzgebung zu verorten. Der Bundesgesetzgeber hat von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nur in überschaubarem Maße Gebrauch gemacht (Kapitel C. II. 1.). Allgemeine Enteignungsgesetze sind subsidiär anzuwen­ den (Kapitel C. II. 2., 3.). Beispiele für projektbezogene Enteignungsgesetze auf dem Gebiet des Rohrleitungsbaus sind das MERO-Gesetz, das NRW­ RohrlG, das BayRohrlEnteigG oder das BWEthylRohrlG (Kapitel C. II. 4., 5.). Zu Kapitel D.: 6. Die bundesverfassungsgerichtlichen Maßstäbe an privatbegünstigende Enteignungen werden deutlich in den Judikaten zur Bad Dürkheimer Gondel­ bahn (BVerfGE 56, 249), zum Energiewirtschaftsgesetz (BVerfGE 66, 248), zum Prüfgelände Boxberg (BVerfGE 74, 264) sowie zum Tagebauvorhaben Garzweiler (BVerfGE 134, 242). In jüngerer Zeit haben die Kammerbe­ schlüsse zum NRWRohrlG sowie zum BWEthylRohrlG die Maßstäbe kon­ kretisiert, aber verbleibende Unsicherheiten erkennen lassen (Kapitel D. I.– VII.). 7. Die Enteignung zugunsten Privater ist nach der bundesverfassungsge­ richtlichen Rechtsprechung zulässig, unterliegt aber besonderen Vorausset­ zungen. Das Bundesverfassungsgericht verlangt erhöhte Anforderungen an die gesetzliche Bestimmung von Vorhaben und Gemeinwohlziel sowie den dauerhaften Gemeinwohlbezug. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Enteignung darf nicht in die Hände der Verwaltung gegeben werden (Kapi­ tel D. I.–VII.). 8. Objekt der Absicherung des dauerhaften Gemeinwohlbezugs ist nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine gemeinwohl­ orientierte Verwendung der enteigneten Rechtsposition, kein bestimmter Zielzustand. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Rechtsprechung inso­ fern vereinheitlicht und zusammengeführt (Kapitel D. VII. 4.). Die Erforder­ lichkeits- und Angemessenheitsprüfung schichtet das Bundesverfassungsge­ richt in zwei Stufen ab. Im Rahmen der Angemessenheit ist eine Gesamtab­ wägung vorzunehmen (Kapitel D. VII. 5.).

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F. Zusammenfassung in Thesen

Zu Kapitel E.: 9.  Die Begriffe des Allgemeinwohls und des öffentlichen Interesses wer­ den in Rechtsprechung und Literatur weitgehend synonym verwendet. Ent­ eignungszweck ist die eigentumsrechtliche Zuweisung eines Gegenstandes zur Durchführung eines konkreten Vorhabens, welches dem Wohl der Allge­ meinheit dient. Das Gemeinwohlziel ist finaler Ausschnitt des Enteignungs­ zwecks. Der Entziehungszweck meint den Vorgang der Güterbeschaffung zur Vorhabenrealisierung (Kapitel E. I.). 10. Der Inhalt des Allgemeinwohls wird durch das Grundgesetz nicht vorgegeben, sondern ist durch den parlamentarischen Gesetzgeber zu konkre­ tisieren (Kapitel E. II. 1. a]). Justiziabel wird das Wohl der Allgemeinheit erst anhand von Negativkriterien. Rein privatnützige und fiskalische Interes­ sen, vom Grundgesetz missbilligte Ziele, eine offensichtlich unzutreffende gesetzgeberische Beurteilung und die Rechtswidrigkeit des begünstigten Vorhabens schließen das Gemeinwohl aus (Kapitel E. II. 1. b]). 11.  Das angestrebte Gemeinwohlziel muss ein spezifisches Gewicht auf­ weisen. Im Rahmen einer Enteignung sind an dieses strengere Anforderungen zu stellen als im Rahmen der Ausgestaltung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG. Einen Gemeinwohlbelang können nicht allein Staatsauf­ gaben, sondern alle öffentlichen Aufgaben abbilden (Kapitel E. II. 1. c]). Entgegen der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gelten hin­ sichtlich des spezifischen Gewichts des angestrebten Gemeinwohlziels bei privatbegünstigenden Enteignungen keine anderen Anforderungen als bei Enteignungen zugunsten der öffentlichen Hand (Kapitel E. II. 1. c] dd]). 12.  Das Gemeinwohl ist letztlich das Ergebnis einer bilanzierenden Abwä­ gung. Dem angestrebten Belang muss typisierend und abstrakt der Vorrang gegenüber den enteignungsbetroffenen öffentlichen und privaten Belangen zukommen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit trägt nicht zur Ermittlung des Inhalts des Gemeinwohls bei. Das Bundesverfassungsgericht überprüft das konkretisierte Gemeinwohlziel auf seine verfassungsrechtliche Vertret­ barkeit (Kapitel E. II. 1. c] ee]). 13. Die Enteignung muss das Allgemeinwohl fördern, diesem dienlich sein. Es können zugleich andere Ziele oder Interessen verfolgt werden. Für die Rechtfertigung der Enteignung relevant ist exklusiv das Gemeinwohlziel (Kapitel E. II. 2. a], b]). 14.  Destinatäre des Gemeinwohls sind auf nationaler Ebene die im natio­ nalen Staatsverband lebenden Personen. Auf Landesebene bezieht sich das Gemeinwohl auf das Gebiet des jeweiligen Bundeslandes. Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten führt dazu, dass bei der Gemeinwohlkonkreti­



F. Zusammenfassung in Thesen199

sierung gleichwohl die Bundesinteressen und die Interessen der übrigen Bundesländer zu berücksichtigen sind (Kapitel E. II. 2. c]). In Würdigung der europäischen Integration können zugleich gesamteuropäische Gemein­ wohlziele und Gemeinwohlziele anderer europäischer Staaten eine Enteig­ nung auf deutschem Boden rechtfertigen (Kapitel E. II. 2. c]). 15. Die Enteignung zugunsten Privater ist auch unter Berücksichtigung des Schutzzweckes der Eigentumsgarantie verfassungsrechtlich nicht ausge­ schlossen. Sie stellt sich vielmehr als historischer Normalfall dar (Kapitel E. II. 3. a]). Ein privates Unternehmen hat aber keinen Anspruch auf die Durch­ führung bestimmter enteignungsrechtlicher behördlicher Maßnahmen oder gesetzgeberisches Tätigwerden (Kapitel E. II. 3. b]). 16. Aus dem Vorbehalt des Gesetzes, dem Bestimmtheitsgebot und der Wesentlichkeitslehre, die sich gegenseitig verschränken und einander ausfül­ len, folgen Konkretisierungsanforderungen an Enteignungsgesetze (Kapi­ tel E. III. 1.). Zum Regelungsstoff der Enteignungsgesetze gehören Gemein­ wohlziel und Vorhaben, das Zugriffsobjekt, die Erklärung über das Zugriffs­ mittel, die Sicherung des Gemeinwohlbezugs sowie die Entschädigungsrege­ lung. Das enteignungsrechtliche Verfahren und die Gesamtabwägung müssen nicht zwangsläufig in dem jeweiligen Enteignungsgesetz selbst geregelt werden (Kapitel E. III. 3. a]). 17. Hinsichtlich der Regelungsgestaltung bedingen sich Gemeinwohlziel und Vorhaben gegenseitig. Eine Formulierung, die lediglich den Wortlaut von Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG wiederholt, ist unzulässig. Gleiches gilt für Bei­ spiellisten, die aber regelmäßig verfassungskonform ausgelegt werden kön­ nen. Die angestrebten Gemeinwohlziele müssen ferner einzeln konkretisiert werden, eine Gesamtbetrachtung genügt den verfassungsrechtlichen Anforde­ rungen nicht (Kapitel E. III. 3. b]). 18. Wird als Gemeinwohlziel die Förderung und Verbesserung der Wirt­ schaftsstruktur fokussiert, muss der jeweilige Wirtschaftszweig näher einge­ grenzt werden. Sollen insbesondere Arbeitsplätze gesichert oder gefördert werden, ist eine konkrete Anzahl nicht im Gesetz festzuschreiben, der Ge­ setzgeber muss sich aber näher zur angestrebten Dimension der Förderung verhalten. Dem Gemeinwohlziel der Erhöhung der Transportsicherheit, wel­ ches vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde, wird bei Rohrleitungs­ vorhaben auch zukünftig eine tragende Rolle zukommen (Kapitel E. III. 3. b]). Das Vorhaben muss zumindest seiner Art nach benannt werden. Die Abgrenzung eines konkreten Trassenverlaufs ist nur im Rahmen einer Legal­ enteignung zu fordern (Kapitel E. III. 3. b]). Die dauerhafte Sicherung des Gemeinwohlbezugs muss nicht zwingend unmittelbar kraft des Enteignungs­ gesetzes vollzogen werden (Kapitel E. III. 3. b]).

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F. Zusammenfassung in Thesen

19. Entgegen der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gelten für privatbegünstigende Enteignungen und Enteignungen zugunsten der öf­ fentlichen Hand die gleichen Bestimmtheitsanforderungen an Enteignungsge­ setze (Kapitel E. III. 3. c]). 20.  Da die Enteignung nur solange ihre Legitimation behalten kann, wie sie dem Wohle der Allgemeinheit dient, ist ihr Gemeinwohlbezug dauerhaft sicherzustellen (Kapitel E. IV. 1.). Der Staat trägt die Letztverantwortung für das Gemeinwohl. Um seiner Verantwortung bei privatbegünstigenden Enteig­ nungen gerecht zu werden, muss er mit Sicherungsmaßnahmen auf die Sphäre des privaten Enteignungsbegünstigten einwirken (Kapitel E. IV. 2.). Die Sicherungsmaßnahmen stellen sich in der Sache als Risikoabwehr dar. Risiken für den Gemeinwohlbezug sind das Subsumptionsrisiko, das Ge­ meinwohlzielprognoserisiko und das Verhaltensrisiko (Kapitel E. IV. 3. a]). 21.  Das Subsumptionsrisiko kann nicht durch Einwirkung auf die Sphäre des privaten Enteignungsbegünstigten minimiert werden. Gemeinwohlziel­ prognoserisiko und Verhaltensrisiko beinhalten übliche Prognoserisiken, die bei vielen staatlichen Entscheidungen auftreten. Sie sind nicht spezifisch enteignungsrechtlich geprägt, die private Rechtsnatur des Enteignungsbe­ günstigten ist für die identifizierten Risiken irrelevant (Kapitel E. IV. 3. b]). 22.  Zur Sicherung kommen erfolgs- und verhaltensorientierte Maßnahmen in Betracht. Der Enteignungsbegünstigte ist Grundrechtsträger. Die Auferle­ gung bestimmter Pflichten stellt sich als Eingriff in die Eigentumsfreiheit und die Berufsfreiheit sowie als Ungleichbehandlung dar (Kapitel E. IV. 3. c]). 23. Das Sicherungsprogramm ist insgesamt abhängig vom Einzelfall und der gesetzgeberischen Prognose über Eignung und Erforderlichkeit be­ stimmter Sicherungsmaßnahmen. Berücksichtigt werden muss die Beherrsch­ barkeit des Gemeinwohlziels durch den Enteignungsbegünstigten. Vorgese­ hen werden kann ein Vertrauensvorschuss. Zustandsorientierte Maßnahmen unterliegen einer erhöhten Rechtfertigungsschwelle. Entscheidend ist eine Verantwortungsbeziehung (Kapitel E. IV. 3. c]). 24. Dem Gesetzgeber stehen eine Reihe von Sicherungsmaßnahmen zur Verfügung, er muss das passende Instrument auswählen. Für die Sicherung ist ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt erforderlich. Die Rückübereignung ist ein taugliches Sicherungsinstrument (Kapitel E. IV. 4. a], b]). 25.  Die Enteignung muss insgesamt dem Grundsatz der Verhältnismäßig­ keit genügen. Insbesondere ist eine enteignungsrechtliche Gesamtabwägung vorzunehmen. Diese kann nur im Fall der Legalenteignung vom Gesetzgeber selbst angestellt werden (Kapitel E. V.).

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Sachwortverzeichnis (All)gemeinwohl  70, 75, 78 ff., 112, 154 –– Beherrschbarkeit  173 ff. –– Europäisches Gemeinwohl  108 ff. –– Gemeinwohlbezug  104 f., 153 –– Gemeinwohlintensität  87, 92, 95 –– Konkretisierung  80 ff., 121 ff. –– Sicherung  71, 132, 153 ff. –– Sicherungsmittel  181 ff. –– Überprüfungskompetenz  84, 87 Arbeitsplätze  49, 57, 66, 91, 101, 142 BayRohrlEnteigG  49, 103, 111, 147 Bestimmtheitsgrundsatz  122, 149 f. Bilanzierung  99 f., 143 Boxberg  25, 56 ff., 71, 176 Bundestreue  108, 110 f. BWEthylRohrlG  50, 67 Daseinsvorsorge  31, 34, 54, 56, 58, 63, 69, 184 Destinatar  47, 106 ff. Dienstbarkeit  18 ff., 52 f., 100, 191 Einschätzungsprärogative  70, 103, 110, 140, 157, 174 Energieversorgung  34, 55, 70, 145 Energiewirtschaftsgesetz  22, 33 ff., 55 Enteignung  13, 15 ff. –– Administrativenteignung  22 ff., 34, 141, 145, 156, 192 –– Enteignung zugunsten Privater  29 ff., 35, 69, 75 ff. –– Legalenteignung  21 ff., 131, 137, 145, 148, 195 –– Teilenteignung  191  Enteignungsbegünstigter  31, 35, 112 ff.

–– Status des Enteignungsbegünstigten  164 ff. –– Verantwortung  177, 181 Enteignungsentschädigung  17, 117, 135, 148 f., 185, 194 Enteignungsgesetz  22 ff., 33, 42 ff. –– Projektbezogenes Enteignungsgesetz  46 ff., 88, 100, 137, 144 f., 177, 197 Enteignungsverfahren  21, 23, 33, 42, 119, 130 f. Enteignungszweck  30, 44, 58, 65, 77 f. EUGAL  109, 111 Europäische Union  47, 109 f. Garzweiler  60 ff., 71–73 Gebotenheit  39, 64, 190, 192 f. Gemeinwohlverantwortung  153, 155 Gesamtabwägung  74, 133, 193 Gesetzesvorbehalt  58, 81, 122, 127 f., 132, 171, 182 Gesetzmäßigkeit  53, 81 f., 123 Gondelbahn  52 ff., 97, 152 HHWerkflEnteigG  23, 187 f. Historie  115 Inhalts- und Schrankenbestimmung  15, 169, 171 Junktimklausel  83, 121, 130, 136 Legalplanung  21, 23, 25, 67, 148, 195 MERO-Gesetz  46, 101, 108, 111 NRWRohrlG  48, 65 Öffentliches Interesse  57, 75f., 92, 96, 105

218 Sachwortverzeichnis Privateigentum  88 Rückübereignung  48, 69, 182, 184 ff.

Überwachungsrechte  63, 147, 182, 184 Ultima ratio  45, 166, 190

Sozialbindung der Enteignung  87, 93, 113, 166, 169, 178 Staatsaufgabe  54, 94, 167

Verhältnismäßigkeit  74, 98, 171, 189 ff. Vertragliche Sicherungsverpflichtung  50, 69, 73, 182, 187 ff. Vertrauensvorschuss  59, 175 f.

Transportsicherheit  50, 68, 70 f., 102 f., 143

Wesentlichkeitslehre  81, 124 Wirtschaftsförderung  86, 137, 140, 142