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German Pages 242 [244] Year 1995
Heike Trappe Emanzipation oder Zwang? Frauen in der DDR zwischen Beruf, Familie und Sozialpolitik
Heike Trappe
Emanzipation oder Zwang? Frauen in der DDR zwischen Beruf, Familie und Sozialpolitik
Akademie Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Trappe, Heike: Emanzipation oder Zwang? : Frauen in der DDR zwischen Beruf, Familie und Sozialpolitik / Heike Trappe. - Berlin : Akad. Verl., 1995 ISBN 3-05-002808-4
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1995 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Satz: Robert Michaels Druck und Bindung: GAM Media GmbH, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
13
Kapitel 1 Sozialpolitik und individuelles Handeln - Optionen und Restriktionen für die Lebensgestaltung von Frauen
17
1.1 1.2 1.3
Produktions- und Reproduktionsarbeit als Konfliktpotential moderner Industriegesellschaften Sozialpolitik und individuelle Lebensgestaltung Sozialpolitische Interventionsformen in staatssozialistischen Gesellschaften
Kapitel 2 Zwischen Arbeits- und Bevölkerungspolitik - Frauen- und Familienpolitik in der DDR 2.1 2.2 2.3
Periodisierung der Frauen- und Familienpolitik Frauen- und Familienpolitik im Zeitraum von 1945 bis 1989/90 und deren gesellschaftlicher Kontext Frauen- und Familienpolitik in der DDR als Bezugspunkt der Theorie sozialpolitischer Intervention
17 23 27
35 35 46 77
Kapitel 3 Thesen - Forschungsperspektive - Analysestrategien
81
3.1
81
3.2 3.3 3.4
Auswirkungen der Frauen- und Familienpolitik auf die Lebensgestaltung von Frauen - Sechs Thesen Die Perspektive des Lebensverlaufs Datenbasis und Forschungsprojekt Analysestrategien
91 94 98 5
Kapitel 4 Familienentwicklung und Erwerbsbeteiligung im Kohortenvergleich
103
4.1 4.2
Kohortenspezifische Muster der Familienentwicklung Kohortenspezifische Muster der Erwerbsbeteiligung
103 113
Kapitel 5 Handlungsstrategien zur Verbindung von Familie und Beruf im Leben von Frauen
121
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
121 129 143 156 165
Arrangements zur Betreuung der Kinder Unterbrechungen der Erwerbs-bzw. Berufstätigkeit Besondere Arbeitszeitregelungen - Teilzeitarbeit Stellen-und Tätigkeitswechsel Fazit
Kapitel 6 Berufliche Entwicklungen im Ergebnis unterschiedlicher Vereinbarungslösungen 6.1
169
Die Ausgangssituation: Berufseinstiege und deren Veränderung über die Kohorten Berufliche Entwicklungsverläufe von Frauen Fazit
169 179 205
Kapitel 7 Schlußfolgerungen und Ausblick - Beruf und Familie vor und nach 1989
207
Literaturverzeichnis
221
Personenregister
239
6.2 6.3
6
Tabellenverzeichnis
Tabelle
1:
Tabelle 2: Tabelle 3:
Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9:
Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16:
Frauenspezifische arbeits- und sozialpolitische Regelungen und Rahmenbedingungen Die Entwicklung der Wohnbevölkerung in der SBZ/DDR von 1946 bis 1989 Die Entwicklung der weiblichen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter und der Frauenerwerbstätigenquote in der SBZ/DDR von 1946 bis 1989 Lebendgeborene nach der Geborenenfolge von 1952 bis 1989 (in %) Verteilung der Frauen über die Kohorten Anteil von Frauen mit mindestens einer Eheschließung, mindestens einem Kind oder mindestens zwei Kindern (in %) .. Verteilung der Frauen entsprechend der Kinderzahl (in %) sowie durchschnittliche Kinderzahlen Mittleres Alter (Median) bei der ersten Eheschließung, der Geburt des ersten und des zweiten Kindes (in Jahren) Verteilung der Frauen nach unterschiedlichen Zeitanteilen des Zusammenlebens mit einem Partner in der Lebensphase mit kleinen Kindern (in %) Grad der institutionellen Betreuung der Kinder (in %) Personenbezogene Betreuungsarrangements für die Kinder (in %) Struktur der Erwerbsunterbrechungen Anzahl familienbedingter Erwerbsunterbrechungen nach Kohorten Unterbrechungen im Erwerbsverlauf von Frauen (in %) . . . Anteil erwerbstätiger bzw. in Ausbildung befindlicher Frauen vor/nach der ersten Eheschließung (in %) Anteil erwerbstätiger bzw. in Ausbildung befindlicher Frauen vor/nach der Geburt des ersten und zweiten Kindes (in %)
40 47
52 68 95 104 105 107
112 125 126 131 132 135 138
139
Tabelle 17:
Tabelle 18:
Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27:
Tabelle 28: Tabelle 29:
Tabelle 30:
Tabelle 31:
Tabelle 32:
Tabelle 33:
8
Frauen mit zwei Kindern, deren zweites Kind während derselben Erwerbs- bzw. Ausbildungsunterbrechung wie das erste Kind geboren wurde (in %) Anteil erwerbstätiger bzw. in Ausbildung befindlicher Frauen zum Zeitpunkt der Geburt des ersten und zweiten Kindes (in %) Gesamte Erwerbsbeteiligung und Teilzeitanteil Unterschiedliche Arbeitszeitarrangements berufstätiger Frauen (in %) Häufigkeit von Stellen-und Tätigkeitswechseln (in %) Zeitliche Lagerung familienbezogener Stellen- und Tätigkeitswechsel im Lebensverlauf (in %) Verbreitung familienbezogener Stellen- und Tätigkeitswechsel Anteil familienbezogener Stellen- und Tätigkeitswechsel aus manuellen und nichtmanuellen Tätigkeiten (in %) Historische und lebensgeschichtliche Lagerung des Berufseinstiegs Überblick über einige Merkmale der Frauen zu Beginn der Berufstätigkeit (in %) Verteilung der Frauen auf Tätigkeitsfelder mit unterschiedlichem Frauenanteil zum Zeitpunkt des Berufseinstiegs (in %) Anteil von Frauen, bei denen die Familienbildung vor dem Berufseinstieg erfolgte (in %) Stärke des Zusammenhangs zwischen auf der Basis der beruflichen Stellung und auf der Basis des qualifikatorischen Niveaus der Tätigkeit bestimmten beruflichen Aufstiegen Erhöhungen des Qualifikationsniveaus der beruflichen Tätigkeit zwischen dem Berufseinstieg und dem Alter von 35 Jahren sowie Anteil der Frauen ohne Mobilitätsprozesse (in %) Ausmaß der Nichtübereinstimmung zwischen dem Qualifikationsniveau der beruflichen Tätigkeit und dem Ausbildungsniveau (in %) Zusammenhang zwischen einer Verbesserung des qualifikatorischen Niveaus der Tätigkeit und einer zwischen dem Berufseinstieg und dem Alter von 35 Jahren erfolgten beruflichen Qualifizierung Logit-Modell für die Verbesserung des qualifikatorischen Niveaus zwischen dem Beginn der Berufstätigkeit und dem Alter von 35 Jahren (abhängige Variable = Erhöhung der qualifikatorischen Anforderungen der beruflichen Tätigkeit)
142
142 151 152 157 162 163 164 171 172
174 179
183
184
185
186
189
Tabelle 34: Tabelle 35:
Tabelle 36:
Tabelle 37:
Tabelle 38:
Tabelle 39:
Tabelle 40:
Berufliche Qualifizierung zwischen dem Berufseinstieg und dem Alter von 35 Jahren (in %) Verringerungen des Qualifikationsniveaus der beruflichen Tätigkeit von Frauen beim Vergleich zwischen dem Berufseinstieg und dem Alter von 35 Jahren (in %) Zusammenhang zwischen einer Verringerung des qualifikatorischen Niveaus der Tätigkeit und einer unterhalb der formalen Qualifikation liegenden Arbeit im Alter von 35 Jahren Anteil der zu Beginn ihrer Berufstätigkeit und im Alter von 35 Jahren unterhalb ihrer Qualifikation arbeitenden Frauen und Männer (in %) Logit-Modell für die Verschlechterung des qualifikatorischen Niveaus zwischen dem Beginn der Berufstätigkeit und dem Alter von 35 Jahren (abhängige Variable = Verringerung der qualifikatorischen Anforderungen der beruflichen Tätigkeit) Verringerungen des Qualifikationsniveaus der beruflichen Tätigkeit von Frauen - Vergleich zwischen dem Berufseinstieg und dem Alter von 35 Jahren bzw. bezogen auf den gesamten Zeitraum (in %) Zeitliche Lagerung beruflicher Abstiege im Lebensverlauf (in %)
192
195
196
197
200
203 204
9
Abbildungsverzeichnis
Abbildung
1:
Abbildung Abbildung
2: 3:
Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung
7:
Abbildung
8:
Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14:
Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17:
Die Entwicklung der Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen in der DDR von 1955 bis 1989 Entwicklung der Periodenfruchtbarkeit von 1952 bis 1989 Lebensverlauf und historischer Wandel in der ehemaligen DDR - Fragebogenschema Periodisierung der Frauen- und Familienpolitik und lebensgeschichtliche Lagerung der Kohorten Prozentualer Anteil an Übergängen Erwerbstätigenquoten in Relation zum Versorgungsniveau mit Kinderbetreuungseinrichtungen Erwerbstätigenquoten der zwischen 1929 und 1931 geborenen Frauen Betreuungsstrategien der Frauen für ihre Kinder bis zu deren Schuleintritt Dauer familienbedingter Erwerbsunterbrechungen Dauer bis zur Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit/der Ausbildung im Anschluß an die Geburt des ersten Kindes Dauer bis zur Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit/der Ausbildung im Anschluß an die Geburt des zweiten Kindes Anteil der laut Arbeitsvertrag teilzeitarbeitenden Frauen an den weiblichen Arbeitern und Angestellten insgesamt Anteil der teilzeitarbeitenden Frauen an allen berufstätigen Frauen (altersspezifische Teilzeitarbeit) Anteil der teilzeitarbeitenden Frauen an allen berufstätigen Frauen (Teilzeitarbeit in verschiedenen historischen Phasen) Veränderung des Anteils an Teilzeitarbeitenden in Verbindung mit der Geburt des ersten Kindes Veränderung des Anteils an Teilzeitarbeitenden in Verbindung mit der Geburt des zweiten Kindes Struktur der Stellen-und Tätigkeitswechsel
57 66 96 97 109 116 119 128 133 140 141 145 149
150 154 155 161
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Einleitung
Auch mehr als vier Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR sind, außerhalb der Belletristik, befriedigende Deutungen der Lebenswirklichkeit dieses Landes nicht leicht zu finden. Dies betrifft auch die sehr unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Interpretationen des Lebens von Frauen während der 40jährigen Existenz dieses Staates. Sie bewegen sich auf der gesamten Bandbreite zwischen Mythologisierung und Dämonisierung weiblicher Lebensbeziige. Paradoxerweise beziehen sie sich dabei auf die gleichen empirischen Tatbestände, nämlich die hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen und die Selbstverständlichkeit der zeitlichen Parallelität von Beruf und Familie. Während diese den einen als Nachweis des erreichten Niveaus an Gleichberechtigung und Emanzipation gelten (Behrend, 1990; Meyer, 1991b; Bütow und Stecker, 1994), werden sie von anderen als Ausdruck einer rigiden Politik zur möglichst vollständigen Integration von Frauen in die Erwerbsarbeit und als Aufnötigung einer permanenten Doppelbelastung gewertet (Wendt, 1992). Mitunter entsteht auch der Eindruck, als begänne die Geschichte von Frauen in der DDR erst mit der Honeckerschen Sozialpolitik der 1970er und 1980er Jahre. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, daß die Ursachen für spätere Entwicklungen weitaus früher liegen. Die komplexe Frauengeschichte jenseits von Ideologien zu betrachten und die generationsspezifische Verquickung mit den gesellschaftlichen Bedingungen in der DDR herauszuarbeiten, erweist sich als ein schwieriges und mühsames Unterfangen. Meines Erachtens stellt jedoch gerade die Bezugnahme auf den Erfahrungshintergrund und entsprechende Handlungsweisen unterschiedlicher Generationen einen angemessenen Weg dar, um der so oft erhobenen Forderung nach der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit (Habermas, 1992; Hein, 1992), auch bezogen auf die Lebenszusammenhänge von Frauen, nachzukommen. Dabei sollte die vorschnelle Zuordnung von Entwicklungen, die sich in ähnlicher Weise auch in marktwirtschaftlichen Gesellschaften vollzogen haben, zu gleichen Begriffen und Rastern vermieden werden. Das Festhalten an schnell entdeckten Gemeinsamkeiten verbaut die Chance, zu den Hintergründen der jeweiligen Phänomene vorzudringen. Eine derartige Auseinandersetzung mit der eigenen Vorgeschichte scheint jedoch notwendig zu 13
sein, um ein adäquates Bild der widerspruchsvollen Verknüpfung von Frauenbehinderung und -förderung in der DDR zu erhalten und um einen genaueren Eindruck darüber zu gewinnen, welche lebensgeschichtlichen Erfahrungen ostdeutsche Frauen in die gesamtdeutsche Gegenwart und Zukunft einbringen. Die vorliegende Arbeit unternimmt einen Versuch in dieser Richtung. Sie widmet sich der Genese des doppelten Lebensentwurfs von Frauen in der DDR und zeigt Konsequenzen dieser Doppelorientierung für berufliche Entwicklungen von Frauen auf. In diesem Kontext ergeben sich beispielsweise folgende Fragen: In welcher Weise hat sich die Lebensgestaltung von Frauen im Verlauf dieser 40 Jahre verändert? Welche Möglichkeiten und Begrenzungen resultierten aus den sich verändernden gesellschaftlichen und sozialpolitischen Bedingungen? Wie kam es dazu, daß nahezu alle Frauen ständig erwerbstätig waren? Inwiefern konnten sie den Dauerkonflikt zwischen Familie und Beruf lösen? Welche generationsspezifischen Erfahrungen haben Frauen bei der Verbindung von Familie und Beruf gemacht? Wodurch unterschied sich die Lebensrealität von Frauen von den staatlichen Verlautbarungen? Gab es wirklich ein gesellschaftsimmanentes Interesse an der Überwindung tradierter Geschlechterverhältnisse? Haben 40 Jahre Frauenund Familienpolitik Spuren hinterlassen, die Konsequenzen für die Gesellschaftsstruktur des vereinten Deutschland haben? Diese und ähnliche Fragen umreißen den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. In Kapitel 1 werden Familien- und Erwerbsarbeit aus einer industriegesellschaftlichen Perspektive als Lebensbereiche mit tendenziell inkompatiblen und konflikthaften Anforderungsstrukturen beschrieben. Davon ausgehend wird nach möglichen Lösungsformen dieser tendenziellen Unvereinbarkeit und nach staatlichen Interventionsmöglichkeiten gefragt. Unter Bezugnahme auf die Theorie sozialpolitischer Interventionen (vgl. Kaufmann, 1982) wird ein konzeptioneller Rahmen für die Verbindung von institutionellem Bedingungsgefüge und individueller Handlungsebene entwickelt. In welcher Weise sich dieser Bezugsrahmen für die Auseinandersetzung mit der Frauen- und Familienpolitik der DDR eignet, wird in Kapitel 2 gezeigt. Darüber hinaus erfolgt eine Periodisierung dieser Politik und eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Phasen. Die umfassende Kenntnis der sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen für die Lebensgestaltung von Frauen erweist sich als unabdingbare Voraussetzung für das Verständnis der später folgenden Ergebnisdarstellungen der empirischen Analysen. Zugleich wird damit dem schleichenden Vergessen und der eigenen Uminterpretation von Lebensrealitäten in der DDR vorgebeugt 1 .
1
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Es dürfte unbestritten sein, daß die soziologische Auseinandersetzung mit dem Staatssozialismus in der DDR, aufgrund des radikalen Strukturbruchs, mit zunehmender zeitlicher Distanz immer schwieriger wird und daß sie der Gefahr unterliegt, sich auf die Interpretation überlieferter Dokumente zu verengen (Lepsius, 1993a). Ein gewisser zeitlicher Abstand kann jedoch auch dazu befähigen, bestimmte Entwicklungen deutlicher zu sehen und die inzwischen vorliegenden analytischen Darstellungen genauer zu überprüfen.
Kapitel 3 bildet eine Brücke zwischen den in den beiden vorhergehenden Kapiteln aufgezeigten theoretischen Perspektiven und den nachfolgenden empirischen Analysen. Ausgehend von systemspezifischen Besonderheiten der Frauenund Familienpolitik und ihren Auswirkungen auf die Lebensgestaltung von Frauen werden sechs Thesen formuliert, welche die Leitidee der empirischen Analysen beinhalten. Daran schließen sich eine Einführung in die lebensverlaufsbezogene Auseinandersetzung mit der interessierenden Fragestellung sowie eine Beschreibung der Datenbasis und der Analysestrategien an. Die empirischen Analysen, deren Ergebnisse in den folgenden drei Kapiteln dargestellt werden, beziehen sich vorrangig auf Daten, die innerhalb des am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung unter Leitung von Johannes Huinink und Karl Ulrich Mayer durchgeführten Projekts „Lebensverläufe und historischer Wandel in der ehemaligen DDR" erhoben wurden. In Kapitel 4 geht es zunächst darum, einen Überblick über die Relevanz von Familie und Erwerbstätigkeit für das Leben von Frauen verschiedener Geburtsjahrgänge zu vermitteln. Es werden Muster der Familienentwicklung und Erwerbsbeteiligung sowie deren Veränderungen beschrieben. Auf dieser Basis ist es möglich, Schlußfolgerungen über die wechselseitige Beeinflussung beider Lebensbereiche zu ziehen. Der Frage nach den Handlungsstrategien, die Frauen in Auseinandersetzung mit den sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen verfolgt haben, um Familie und Beruf miteinander zu verbinden, wende ich mich in Kapitel 5 zu. Dessen Anliegen besteht darin, den Wandel der individuellen Strategien, mittels derer die konfligierenden Anforderungen in Beruf und Familie aufeinander abgestimmt wurden und damit auch die Etappen, über die sich die doppelte Vergesellschaftung von Frauen vollzog, deutlich zu machen. Als derartige Handlungsstrategien werden Arrangements zur Kinderbetreuung, Erwerbsunterbrechungen, Teilzeitarbeit sowie Stellen- und Tätigkeitswechsel näher untersucht. In Kapitel 6 steht die Beantwortung der Frage nach den Konsequenzen unterschiedlicher Handlungsstrategien zur Verbindung von Familien- und Berufsarbeit auf berufliche Entwicklungsverläufe von Frauen im Mittelpunkt. Im Schlußkapitel, dem Kapitel 7, wird vor dem Hintergrund der empirischen Ergebnisse der Bogen zum Ausgangspunkt der Arbeit geschlossen. Emeut wird die Frage nach dem Verhältnis von Sozialpolitik und individuellen Handlungsstrategien zur Kombination familialer und beruflicher Anforderungen in seinen Auswirkungen auf die Lebensgestaltung von Frauen aufgenommen. Die wichtigsten Ergebnisse der empirischen Analysen werden unter Rückgriff auf die in Kapitel 3 formulierten Thesen zusammengefaßt. Davon ausgehend werden erste Überlegungen zu Chancen und Risiken der Lebensgestaltung ostdeutscher Frauen und speziell zur Verbindung von Familie und Beruf nach der Übertragung des bundesdeutschen Gesellschaftssystems abgeleitet. *
*
*
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Während meiner dreijährigen Arbeit an dieser Dissertation wurde mir umfangreiche Hilfe und Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen zuteil. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Mein besonderer Dank gilt Hildegard Maria Nickel und Karl Ulrich Mayer für ihre kritische und interessierte Betreuung meiner Arbeit. Ebensosehr danke ich Annemette S0rensen, die mir die wichtigsten inhaltlichen und methodologischen Impulse gab. In unzähligen Gesprächen mit ihr erhielt ich wertvolle Anregungen, die den Fortgang meiner Arbeit entscheidend beeinflußt haben. Für hilfreiche Diskussionen und Kommentare möchte ich mich des weiteren bei Anne Goedicke, Johannes Huinink, Uli Pötter, Sabine Schenk und Heike Solga bedanken. Moralische Unterstützung erhielt ich insbesondere von Claire de Galembert und Georgia Fuhrmann. Bei der Datenaufbereitung und -analyse hat mir Ralf Künster kompetent und freundlich geholfen. Petra Spengemann und Kai-Uwe Schmidt haben mit großer Zuverlässigkeit zur Fertigstellung dieses Manuskripts beigetragen. Die redaktionelle Arbeit lag bei Jürgen Baumgarten; Peter Wittek las den Text Korrektur; Robert Michaels im Zentralen Sekretariat des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin, gestaltete den Satz, die Tabellen und Graphiken und stellte die Druckvorlage her.
Heike Trappe Berlin, April 1995
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Kapitel 1
Sozialpolitik und individuelles Handeln Optionen und Restriktionen für die Lebensgestaltung von Frauen
In diesem Kapitel wird der Versuch unternommen, einen konzeptionellen Rahmen zu entwickeln, der die institutionelle Dimension und die individuelle Handlungsebene sinnvoll zueinander in Beziehung setzt. Ausgangspunkt dafür ist die aus einer historischen Perspektive erfolgende Charakterisierung von Familien- und Erwerbsarbeit 1 als Lebensbereiche mit tendenziell inkompatiblen bzw. konfligierenden Anforderungsstrukturen. Dieser historische Exkurs bleibt grob und spiegelt lediglich die Hauptentwicklungsrichtungen wider. Da auch in der DDR ein spezifisches Industrialisierungsmodell verfolgt wurde, dessen Auswirkungen auf die Lebenszusammenhänge von Frauen noch genauer hinterfragt werden (Abschnitt 3.1), wird in der historischen Entwicklung des Verhältnisses von Familien- und Erwerbsarbeit ein geeigneter Einstieg in die Thematik gesehen. Im Hinblick auf die Verbindung von Familien- und Berufsarbeit im Leben von Frauen wird die Frage nach möglichen Lösungsformen der damit verbundenen Konflikte und nach politischen Interventionsmöglichkeiten staatlicher Entscheidungsträger gestellt. In diesem Zusammenhang wird die Anwendbarkeit einer Theorie sozialpolitischer Interventionen unter Berücksichtigung der spezifischen Rahmenbedingungen staatssozialistischer Gesellschaften geprüft.
1.1 Produktions- und Reproduktionsarbeit als Konfliktpotential moderner Industriegesellschaften Mit dem sich im 19. Jahrhundert in Deutschland vollziehenden Übergang zu einer modernen Industriegesellschaft war ein Funktionswandel der Familien und tendenziell eine Veränderung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern verbun-
1
In d i e s e m Kapitel wird d e r Terminus Erwerbsarbeit d e m der Berufsarbeit Uberwiegend vorg e z o g e n . An Stellen, an d e n e n d e n n o c h von Berufsarbeit die R e d e ist, impliziert dies, d a ß damit eine qualifizierte und meistenteils kontinuierliche Erwerbstätigkeit v e r b u n d e n ist.
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den 2 . Während die Familie ihre Funktion als Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft verlor, gewann ihre resozialisierende Funktion (Reproduktionsfunktion) an Bedeutung. Die damit einhergehende Neuaufteilung der Aufgaben zwischen den Geschlechtern gehörte zum Fundament der sich entwickelnden Industriegesellschaft (Beck-Gernsheim, 1991). Die Industrialisierung erforderte zunächst eine Auslagerung jener Funktionen aus den Familien, die Leistungen beinhalteten, die bislang vorrangig von Männern erbracht wurden (Roth, 1990a). Erwerbs- und Hausarbeit wurden zu räumlich, gegenständlich und zeitlich voneinander getrennten Sphären. Die Erziehung der Kinder erfuhr (zunächst im Bürgertum), bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Geringschätzung der Hausarbeit, eine symbolische Aufwertung und wurde zu einer zentralen Aufgabe der Mutter erhoben (Rerrich, 1988). Die Ehefrauen wurden in Abhängigkeit von der sozialen Lage ihrer Männer zu unterschiedlichen Zeiten aus dem Erwerbsbereich ausgegliedert und vorrangig auf die reproduktiven Arbeiten verwiesen (Kaufmann, 1990a; Huinink und Mayer, 1992). Damit war eine relative Homogenisierung der Lebenssituation von Frauen aus ganz unterschiedlichen sozialen Positionen verbunden, die aber bei weitem nicht alle Frauen aus den unteren Schichten erfaßte (Diezinger, 1991). Die Arbeits- und Zuständigkeitsbereiche von Frauen und Männern wurden normativ neu abgesteckt: für die Frau die Sorge um den familialen Alltag und die Hausarbeit, für den Mann der Bereich des Erwerbs und der Öffentlichkeit. Mit der Verfestigung der tendenziellen Neuaufteilung der Arbeiten und Funktionen zwischen Frauen und Männern war eine Trennung zwischen bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Hausarbeit verbunden. „Die zwei aufeinander angewiesenen lebensnotwendigen Bereiche menschlicher Arbeit setzen mit ihrer scharfen Trennung neue Formen geschlechterspezifischer Arbeitsteilung und Verteilung von Lebenschancen sowie eine spezifische Widersprüchlichkeit der persönlichen und gesellschaftlichen Situation von Frauen." (Neef, 1990, S. 28 f.) Die Frauen gerieten in zunehmende Abhängigkeit von der ertragreicheren Erwerbsarbeit der Männer. Spätestens mit der Heirat traten sie mehrheitlich aus dem Erwerbssystem aus 3 . Es mangelte an Lebensoptionen, die ihnen ein vergleichbares Maß an Sicherheit auch unabhängig von der Ehe gewährleistet hätten 4 (Kaufmann, 1990a).
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3 4
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Die in diesem Abschnitt skizzierte historische Entwicklung ist gewissermaßen idealtypisch. Ausgeblendet wird dabei, daß während des gesamten 19. Jahrhunderts in der Landwirtschaft, im Handwerk sowie in der Industrie und im Gewerbe verschiedene Typen der Verbindung von Erwerbssphäre und Familie nebeneinander existierten (vgl. Beer, 1990). Jedoch war die materielle und soziale Existenzsicherung über die Ehe schichtspezifisch begrenzt und nie für alle Frauen möglich (Diezinger, 1991). „Im historischen Prozeß verfestigte sich die Zuschreibung der polaren, sich komplementär ergänzenden Geschlechtscharaktere instrumentell und vertiefte die struktruelle Gegensätzlichkeit von Familien- und Berafswelt. Die weibliche Biographieform der Familienfrau oder Hausfrau etablierte sich. Sie wurde als Normalstatus der verheirateten Frau angesehen. Das Lohnarbeitssystem verstärkte die Trennung von Produktions- und Reproduktionsbereichen und führte zu einer nachhaltigen Aufwertung außerhäuslicher Erwerbstätigkeit." (Brüderl, 1992, S. 15)
Die Trennung von bezahlter Erwerbs- und unbezahlter Hausarbeit als Bestandteile der gesellschaftlich notwendigen Arbeit sowie die Zuweisung der Reproduktionsarbeiten an die Frauen waren und sind eine Voraussetzung für die ökonomische und soziale Entwicklung der Industriegesellschaften. Diese Form der Arbeitsteilung erwies sich unter ökonomischen Effizienzgesichtspunkten bislang als weitgehend funktional für die Sicherung der gesellschaftlichen Reproduktion. Das bedeutet, daß in Gestalt des Familien- und Erwerbsbereichs relativ tragfähige institutionelle Verfestigungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung entstanden sind (Meier, 1992). Die Polarisierung der Gesellschaft in Erwerbsarbeit und Familie korrespondiert mit spezifischen Verortungen von Öffentlichkeit und Privatheit und entsprechenden geschlechtsspezifischen Vergesellschaftungsmustern (Diemer, 1994). Die Scheidung von bezahlter Erwerbs- und unbezahlter Hausarbeit implizierte die Herausbildung unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe. Während die Erwerbsarbeit als eigentliche und damit produktive Arbeit angesehen wurde und wird, erfuhren und erfahren die traditionell im Haushalt und in den Familien verrichteten Arbeiten (Reproduktionsarbeiten) eine nur geringe gesellschaftliche Wertschätzung, werden als ökonomisch minderwertige eingestuft 5 , was auch in der unterschiedlichen sozialen Absicherung beider Bereiche offensichtlich wird. „Die historisch gewachsene, geschlechtliche und hierarchische Arbeitsteilung in der Gesellschaft erzeugt normative, geschlechtsbezogene Zuschreibungen von gesellschaftlichen Arbeitsbereichen. (...) Die mit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen verbundenen normativen Zuschreibungen werden sozialstrukturell und qua Geschlecht unterschiedlich erfahren und verarbeitet." (Meier, Schmid und Winzen, 1991, S. 37 f.)
Erwerbs- und Haus-/Familienarbeit haben ihre jeweils eigene innere Logik, denn sie sind gesellschaftlich in verschiedener Weise organisiert und dennoch aufeinander angewiesen. Während die Erwerbsarbeit eher den Prinzipien der sachlichen Abhängigkeit und Tauschorientierung folgt, stehen im Bereich der familialen Arbeit persönliche Abhängigkeit und Bedürfnisorientierung im Vordergrund. Beide Bereiche beinhalten Tätigkeiten unterschiedlichen Charakters und teilweise gegensätzlicher Handlungsanforderungen. Zur Auseinandersetzung mit widersprüchlichen und konflikthaften Anforderungsstrukturen in beiden Lebensbereichen sind spezifische Kompetenzen, Organisationsformen, Sozialbezie-
5
„Der marktvermittelten Arbeitswelt sowie dem Warentausch wird für die Reproduktion der Gesellschaft eine größere Bedeutung zugemessen als der häuslichen Sphäre, in der Leben generiert und regeneriert wird. Diese politisch-ökonomische Prioritätensetzung entspricht nicht der tatsächlichen Interdependenz, die zwischen der gesellschaftlichen Produktion von Lebensmitteln und der privaten Selbsterhaltung der Menschen besteht." (Becker-Schmidt, 1992, S. 220 f.) Kreckel (1992) verweist als Folge der asymmetrischen Relation von Produktions- und Reproduktionssphäre auf die ungleiche Machtverteilung zwischen Frauen und Männern innerhalb der Familien und innerhalb der Berufsstrukturen, die er als sekundärpatriarchalische Geschlechterhierarchie bezeichnet.
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hungen und entsprechend unterschiedliche Handlungsstrategien erforderlich (Merkel, 1990; Dölling, 1982). Dadurch, daß keiner der beiden Bereiche auf die inhärente Interdependenz eingerichtet und ihre Relation untereinander asymmetrisch ist, können für die Individuen beim Übergang von einem Bereich in den anderen Umstellungsprobleme entstehen. Zur Bestimmung der Beziehung von Familien· und Erwerbsarbeit - in ihrer Verschiedenheit und wechselseitigen Bedingtheit - im Lebenszusammenhang von Frauen eignet sich der Begriff des Spannungsverhältnisses. Er verdeutlicht, daß beide Bereiche unterschiedlichen Regulierungsmechanismen unterliegen. Die daraus ableitbare soziologisch interessante Fragestellung lautet demzufolge: Wie gehen Frauen mit dieser tendenziellen Unvereinbarkeit um? Oder anders formuliert: Wie fügen sie die beiden Lebensbereiche zusammen, die eigentlich strukturell auseinanderstreben? Streckeisen (1991) verweist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf, daß diesem Spannungsverhältnis nicht ausschließlich negative Aspekte innewohnen. Bedürfnisse und Interessen, die in einem Bereich zuwenig Berücksichtigung finden, können mitunter im jeweils anderen befriedigt werden. Dadurch eröffnen sich Räume für komplementäre oder auch kontroverse Erfahrungen 6 . Die gesellschaftliche Praxis in der alten Bundesrepublik und in der DDR hat gezeigt, daß die Einbeziehung der Frauen in die Berufsarbeit nicht automatisch zu einer Verringerung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Erwerbsbereich und in den Familien geführt hat 7 . Die den Frauen zugewiesene Reproduktionsarbeit verblieb weitgehend in ihrem Verantwortungsbereich. Die Berufsarbeit ist zu den Tätigkeiten als Mutter und Hausfrau hinzugekommen. Die dafür gebräuchliche individuelle Widerspiegelungs- und Verarbeitungsweise ist die der Doppelbelastung 8 . Viele berufstätige Frauen mit Kindern er-
6
„Widersprüchlichkeiten, Unvereinbarkeiten und Ungleichzeitigkeiten, denen das komplexe Arbeitsvermögen von Frauen auf den strukturell miteinander verschränkten Ebenen von Berufs- und Reproduktionsarbeit ausgesetzt ist, und die damit verbundenen Heraus- bzw. Anforderungen ermöglichen es Frauen, ihre Kommunikations- und Interaktionserfahrungen aus beiden Sozialisationsbereichen im jeweiligen situativen Kontext zu konstituieren, zu relativieren und zu flexibilisieren, oftmals entsprechend problembelastet." (BöckmannSchewe, Kulke und Röhrig, 1994, S. 43)
7
In der D D R bewirkte die fast vollständige Einbeziehung der Frauen in die Berufsarbeit im wesentlichen eine Ausdehnung der geschlechtsspezifischen Funktionsteilungen auf die Sphäre der gesellschaftlichen Produktion (Dölling, 1991b).
8
Der Terminus ,Doppelbelastung' ist ein gängiger Begriff in der Alltagssprache. Als analytische Kategorie ist er umstritten, da er die Gleichsetzung zweier völlig verschiedener Bereiche der Lebenstätigkeit von Frauen und ihre negative Wertung impliziert. Ich stimme mit Dölling überein, daß dieser Begriff „das Phänomen, das er erfaßt, in seinen Ursachen, inneren Zusammenhängen eher verdeckt als exakt bestimmt" (Dölling, 1991a, S. 197). Aufgrund seiner normativen Implikationen verleitet dieser Begriff zu einer oberflächlichen Auseinandersetzung, denn er reduziert die verschiedenartigen Handlungsanforderungen und Kompetenzen in Familie und Beruf von vornherein und ausschließlich auf den Belastungsaspekt (Müller-Rückert, 1993).
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fahren und empfinden ihre Situation als Dilemma 9 . Sie sehen sich in Familie und Beruf unausweichlichen Anforderungen gegenübergestellt, denen sie trotz aller Anstrengungen nie ganz gerecht werden können (Dölling, 1982). Ihre Kompromißbereitschaft wird auf eine harte Probe gestellt. Ständig werden ihnen Entscheidungen (z.B. hinsichtlich Kinderbetreuung, beruflicher Entwicklungen usw.) abgefordert, die mitunter nicht aufschiebbar sind und die ihnen das Gefühl geben, entweder den Beruf, die Familie oder die eigenen Interessen zu vernachlässigen. Die permanent wiederkehrende Konfrontation mit der Realität hält die Widerspruchserfahrung wach und aktualisiert die Ambivalenz. Diese Situation führt häufig zu Konflikten 10 . Als .Lösungsformen' sind verschiedene Möglichkeiten denkbar: - die dauerhafte Orientierung auf den Beruf oder die Familie; - die zeitweilige Orientierung auf den Beruf oder die Familie; - der Kompromißversuch der Verbindung von Beruf und Familie in der einen oder anderen Form. Die .individuelle Wahl' einer der dargestellten Lösungsformen bzw. deren sequentielle Verbindung hat weitreichende Konsequenzen für die geschlechtsspezifische Prägung der Lebensverläufe (S0rensen, 1990). Die ständige oder temporäre Orientierung auf den Beruf oder die Familie bedeutet zunächst den weitgehenden Verzicht auf den jeweils anderen Lebensbereich mit seinen Implikationen und Abhängigkeiten und damit die Entscheidung für einen eher berufsoder eher familienzentrierten Lebensverlauf. Dieser Entschluß hat aber aufgrund des Eingebundenseins des individuellen Lebens in den jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhang auch Fernwirkungen auf spätere Lebensabschnitte (Mayer, 1989, 1991a), zum Beispiel auf die beruflichen Chancen nach einer längeren familienbedingten Erwerbsunterbrechung. Die synchrone Verbindung von Familie und Beruf ist für die meisten Frauen mit vielfältigen Ambivalenzen und aufwendigen Balanceakten verbunden. Eine wesentliche Ursache dafür besteht im Fortwirken der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung als Konstruktions- und Funktionsprinzip moderner Gesellschaften. Das führt unter anderem dazu, daß die Berufsarbeit heute immer noch eine eher,männliche' Angelegenheit in dem Sinne ist, „daß die Kriterien für Effizienz, Zeitökonomie, Leistungsfähigkeit, berufliches Engagement usw. vom ,Idealtypus' der männlichen Arbeitskraft bestimmt sind" (Dölling, 1991a, S. 177).
9 Den Begriff . D i l e m m a ' v e r w e n d e ich auf individueller E b e n e in ähnlicher Weise wie den des . S p a n n u n g s v e r h ä l t n i s s e s ' im gesellschaftlichen Kontext. . D i l e m m a ' hat laut D u d e n folgende verschiedenartigen B e d e u t u n g e n : Wahl zwischen zwei (gleich u n a n g e n e h m e n ) Dingen, Z w a n g s l a g e , Z w a n g s e n t s c h e i d u n g ( D u d e n „ F r e m d w ö r t e r b u c h " , 1982, S. 186). 10 In d i e s e m Z u s a m m e n h a n g ist Vetter z u z u s t i m m e n , w e n n er schreibt, d a ß derartige D i l e m m a s i t u a t i o n e n , „ s o f e r n sie makrostrukturell verursacht sind, k a u m über individuelles o d e r p a r t n e r s c h a f t l i c h e s Verhalten a u s g e g l i c h e n w e r d e n k ö n n e n " (Vetter, 1992, S. 624).
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Wenn Frauen sich für die gleichzeitige Teilhabe an Beruf und Familie entscheiden, sind sie gewöhnlich mit anderen Problemen konfrontiert als Männer. Vorrangig von Frauen wird die Koordination bzw. Synchronisation von Erwerbs- und Familienarbeit erwartet und auch real geleistet. Ihre doppelte Orientierung zwingt Frauen, sich reflexiv und strategisch mit den an sie gerichteten normativen Erwartungen auseinanderzusetzen. „Die Angleichung der weiblichen Lebenszusammenhänge an diejenigen der Männer, also die Erschließung der Berufssphäre für die Frauen, bewirkt ja noch nicht automatisch eine entsprechende Freistellung der Männer für den familialen Bereich. Der männliche Lebenszusammenhang ist vielmehr aufgrund ökonomischer und politischer Vorgaben auf Berufstätigkeit, ja auf Vollzeiterwerbstätigkeit und nicht selten auf eine Uber die Normalarbeitszeit hinausgehende Disponibilität hin festgeschrieben." (Kaufmann, 1990a, S. 121)
Die Erfahrungen zeigen, daß die beidseitige Annäherung der Lebensverläufe von Frauen und Männern an ein Lebensverlaufsmuster, in dem Familie und Beruf für beide Geschlechter wichtige Komponenten sind, ein Prozeß ist, der offensichtlich ungleichzeitig verläuft und in der Realität auf vielfältige Widerstände stößt (S0rensen, 1990). Frauen sind bislang in weitaus höherem Maße in die bezahlte Berufsarbeit vorgedrungen als Männer in die Hausarbeit. Sie haben neue Rollen übernommen, ohne gleichzeitig die alten aufgegeben zu haben, oder sie haben zumindest deren Sequenz und Dauer verändert" (vgl. Moen, 1989, 1992). Die .individuelle Wahl' eines Auswegs aus dem beschriebenen Dilemma der Frauen hängt von der persönlichen Lebenssituation, von gesellschaftlichen Normen und Leitbildern und in hohem Maße auch von den materiellen gesellschaftlichen Bedingungen ab, innerhalb derer diese Entscheidung getroffen wird. Diese gesellschaftlichen Strukturvorgaben haben einen wesentlichen Anteil daran, ob die Herstellung der Balance zwischen Berufs- und Reproduktionsarbeit den betroffenen Frauen und ihren Partnern als private bzw. individuelle Angelegenheit überlassen bleibt oder ob die mit der Verbindung von Beruf und Familie verbundenen Aufgaben auch im Verantwortungsbereich der Gesellschaft liegen.
11 Brüderl, Deters und Weigandt beschreiben die diesbezügliche Situation für die alte Bundesrepublik in folgender Weise: „Frauen haben sich in ihrer Berufsorientierung an die der Männer auch handlungsleitend angenähert. Männer vollziehen derzeit höchstens einen Einstellungswandel in bezug auf Weiblichkeitsstereotype und angestrebte gleichberechtigte Partnerbeziehungen. Auf der manifesten Handlungsebene äußert sich ihre veränderte Einstellung in einem verstärkten emotionalen Sich-Einlassen. Spätestens jedoch beim Übergang zur Elternschaft manifestiert sich die traditionelle Arbeits- und Rollenverteilung im Familienbereich." (Brüderl, 1992, S. 26) Die männliche Akzeptanz der kontinuierlichen weiblichen Erwerbstätigkeit liegt auf einer vorwiegend abstrakten Ebene und gleicht eher einem akademischen Diskurs (Deters und Weigandt, 1989).
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1.2 Sozialpolitik und individuelle Lebensgestaltung In diesem Abschnitt soll folgende Frage beantwortet werden: Welche politischen Interventionsmöglichkeiten haben staatliche Entscheidungsträger' 2 , um die auf die Verbindung von Familie und Beruf bezogenen Handlungsweisen von Frauen und ihren Partnern entsprechend der gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen beeinflussen zu können? Dazu ist es zunächst erforderlich, generell zu bestimmen, inwieweit die Möglichkeit besteht, mit sozialpolitischen Mitteln Einfluß auf soziale Verhältnisse zu nehmen.
Sozialpolitik als Gegenstand soziologischer Reflexion In der sozialwissenschaftlichen Diskussion besteht ein weitgehender Konsens darüber, daß (sozial)politische Aktivitäten Konsequenzen für die individuelle Lebensgestaltung haben können (vgl. Kaufmann, 1982; Mayer, 1991b). Umstritten ist eher, was unter Sozialpolitik verstanden wird und wie der Zusammenhang zwischen politischen Regelungsmechanismen und möglichen Wirkungen hergestellt wird. Nach Kaufmann (1982, S. 53) orientieren sich fast alle älteren, abstrahierenden Definitionsversuche von Sozialpolitik an der normativen Ausrichtung sozialpolitischer Maßnahmen (z.B. Verwirklichung von Freiheit, Wohlfahrt, sozialer Sicherheit oder Gerechtigkeit) 13 . Damit waren sie so allgemein und auslegbar formuliert, daß erst ihre Konkretisierung Zustimmung bzw. Ablehnung provozieren konnte. Sozialpolitik kann aber auch ausgehend von ihrem Wirkungsfeld bestimmt werden, indem man fragt, auf welche Sachverhalte sie einwirkt bzw. einzuwirken beansprucht. Ihr Wirkungsfeld sind die sozialen Verhältnisse, das heißt die Bedingungen, unter denen die Menschen ihr alltägliches Leben führen. In dieser Sichtweise ist Sozialpolitik als politisch induzierte Intervention in strukturierte soziale
12 Wenn ich im weiteren, auch bezogen auf die DDR, den Terminus .staatliche Entscheidungsträger' gebrauche, meine ich damit sowohl die S E D als auch staatliche Gremien und die Gewerkschaften (FDGB), wobei der S E D im politischen Entscheidungsprozeß die Hauptverantwortung zukam (Pickerd, 1980, S. 104-121). 13 Das gilt auch für die DDR. „Als erster Versuch einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Problem einer sozialistischen Sozialpolitik ist Helga Ulbrichts Habilitationsschrift aus dem Jahre 1965 anzusehen, die allen späteren Ansätzen zugrundeliegt." (Leenen, 1975, S. 2 5 9 ) Sie definiert Sozialpolitik über deren Zielstellung, „die soziale Sicherheit der breiten Masse der Bevölkerung ( . . . ) mit spezifischen Maßnahmen herbeizuführen und auf ein stetig wachsendes, höheres Niveau zu heben ( . . . ) " (Ulbricht, 1965, S. 98 f.).
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Zusammenhänge aufzufassen 14 . Sie kann als kumulativer Prozeß sozialstaatlicher Interventionen verstanden werden, deren Wirksamkeit sich erst im Laufe der Zeit auf größere Bevölkerungsgruppen ausdehnt (Kaufmann, 1990b). In der Politik herrscht die Auffassung vor, daß über eine entsprechende Sozialpolitik auch gesellschaftspolitische Wirkungen erzielt werden könnten. Das gilt, wie noch zu zeigen sein wird, in größerem Maße für die DDR als für die alte Bundesrepublik. Es besteht aber kein kurzschlüssiger Zusammenhang zwischen politischen Maßnahmen und entsprechenden Wirkungen. Die wissenschaftliche Frage nach den tatsächlichen Wirkungen bestimmter Maßnahmen ist von den behaupteten oder tatsächlichen Intentionen gänzlich unabhängig (Kaufmann, 1990c). Eine Wirkungsanalyse politischer Maßnahmen setzt ein Verständnis ihrer Wirkungsweise voraus. Im hier betrachteten Zusammenhang beziehe ich mich auf die von Kaufmann formulierten Elemente einer soziologischen Theorie sozialpolitischer Interventionen (Kaufmann, 1982, S. 49-86). Sie ermöglichen es aufzuzeigen, unter welchen Bedingungen sich die Wahrscheinlichkeit für die Handlungswirksamkeit sozialpolitischer Aktivitäten auf individueller Ebene erhöht. Schließt man sich seiner Herangehensweise an, ist es notwendig, mindestens zwei Annahmen zu machen, die weiterführende theoretische Ableitungen ermöglichen: 1.
Die Intervention des Staates in die Lebenszusammenhänge der Individuen erfolgt gezielt mit den Mitteln staatlicher Politik im Interesse gesetzter staatlicher Z w e c k e (Annahme einer interessengeleiteten Zielorientierung).
2.
Sozialpolitik beinhaltet auch ein unter dem Aspekt der individuellen Wohlfahrt von Zielgruppen legitimiertes Eingreifen (Annahme eines öffentlichen Interesses/Legitimation durch eine kollektive Bedeutsamkeit).
Die analytischen Schwierigkeiten, die mit der Komplexität des sozialpolitischen Zusammenhangs verbunden sind, lassen sich nach Kaufmann dann in den Griff bekommen, wenn man zwei in die neuere Theoriediskussion bereits eingeführte Perspektiven miteinander verknüpft: die politikwissenschaftliche Einsicht in die Mehrstufigkeit politischer Prozesse und die soziologische Differenzierung unterschiedlicher Ebenen der gesellschaftlichen Realität, ihre Konzeptualisierung als Mehrebenenproblem. „Die soziologische Betrachtungsweise muß (...) mehrperspektivisch angelegt sein, das heißt, sie hat Möglichkeiten und Restriktionen aller an einem sozialpolitischen Prozeß beteiligten Akteure mit zu berücksichtigen und gewinnt ihre Erkenntnis gerade aus der Verknüpfung dieser Perspektiven." (Kaufmann, 1982, S. 63) Die soziale Wirklichkeit konstituiert sich auf unterschiedlichen
14 Ein Politikverständnis, für das die Erzielbarkeit politisch erwünschter Wirkungen ein Problem darstellt, findet in zahlreichen Forschungsrichtungen Ausdruck, die ihren Ursprung größtenteils in den U S A haben. Dazu zählen: Policy Sciences, Social-Indicator Movement, Evaluation Research und Implementation Research (Kaufmann, 1982; Windhoff-Heritier, 1987). Aus der deutschen Tradition ist der .Verein für Socialpolitik' anzuführen, dessen Initiator Schmöller seinen Zweck 1872 als den einer handlungsleitenden Interventionswissenschaft bestimmte (Prätorius, 1989; vgl. auch Weber, 1924).
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Ebenen: individuelle Handlungen, soziale Interaktionen, soziale Gruppen, organisierte Einrichtungen, durch Recht institutionalisierte Handlungszusammenhänge, kulturell legitimierte Sinnsphären (Kaufmann u.a., 1992). Die Wirkungsweise politischer Maßnahmen ist nur unter Einbeziehung der für den betrachteten Gegenstandsbereich relevanten Ebenen und deren wechselseitiger Beziehungen zu verstehen. Die Komplexität des sozialpolitischen Zusammenhangs läßt die theoretische Bearbeitung nur auf der Basis von Vereinfachungen zu. Deshalb wird die erste der dargestellten Annahmen dahingehend simplifiziert, daß die staatlichen Interventionen in die sozialen Verhältnisse auf die Erzielung typischer Effekte angelegt sind, daß sich die Vielzahl behaupteter oder tatsächlicher sozialpolitischer Intentionen auf eine überschaubare Zahl kategorialer Effekte reduzieren läßt. Nach K a u f m a n n lassen sich folgende Typen sozialpolitisch anzustrebender Wirkungen (Effekttypen) voneinander unterscheiden: 1. die Verbesserung des rechtlichen Status von Personen; 2. die Verbesserung der Einkommensverhältnisse von Personen; 3. die Verbesserung der materiellen und sozialen Umwelt von Personen; 4. die Verbesserung der Handlungskompetenz von Personen. In deren Kontext handelt es sich um „vier unterschiedliche Voraussetzungen für die Teilhabe an den typischen Formen moderner Bedürfnisbefriedigung, Interessenartikulation und kultureller Orientierung" (Kaufmann, 1982, S. 67). Wenn sich diese Typologie als Ordnungsgesichtspunkt sozialpolitischer Regelungen eignet, kann sie als Ausgangspunkt der Charakterisierung unterschiedlicher Interventionsformen und der Untersuchung ihrer Wirkungsweise dienen. Die hier vorgeschlagene Typologie versucht, den Gesichtspunkt der Verknüpfung von staatlichen Mitteln und beabsichtigten Wirkungen beizubehalten, um auf diese Weise möglichst trennscharfe, das heißt unterschiedlichen Bedingungen und Regelmäßigkeiten gehorchende Typen herauszuarbeiten, die sich in verschiedenen Dimensionen unterscheiden. Die Intervention selbst stellt sich als mehrstufiger Maßnahmenkomplex dar (Kaufmann, 1982).
Sozialpolitische Interventionen und individuelles Handeln Politische Regelungsmechanismen richten sich auf die institutionellen Voraussetzungen und objektiven Chancenstrukturen, unter denen Individuen handeln. Sie setzen Rahmenbedingungen für individuelles Handeln (,Mikro'-Ebene), aus denen im Aggregat wiederum gesellschaftliche Veränderungen (,Makro'-Ebene) resultieren. Politische Maßnahmen erzielen nur über die Reaktionen der betroffenen Individuen Wirkungen 1 5 . Diese sind demzufolge selektiv. Sie lassen sich
15 N e b e n beabsichtigten W i r k u n g e n bzw. NichtWirkungen (z.B. durch unterlassene M a ß n a h m e n ) können auch nichtintendierte N e b e n w i r k u n g e n entstehen, die o f t m a l s von e n o r m e r Bed e u t u n g f ü r die Lebensgestaltung sind (vgl. Huinink, 1994).
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anhand von Indikatoren auf unterschiedlichen Ebenen identifizieren: zum Beispiel familiale Lebensformen und Erwerbsbeteiligung, Lebenslagen, Alltagsbewältigung (Kaufmann u.a., 1992). In bestimmten Lebenslagen mit spezifischen familialen und beruflichen Konstellationen bestehen unterschiedliche Chancen zur Auseinandersetzung mit der Umwelt sowie zur Entwicklung und Durchsetzung von Problemlösungsstrategien. Der Einfluß staatlicher Politik auf die Lebenszusammenhänge individueller Akteure ist um so größer, je geringer die Handlungsspielräume der Adressaten sind. Darüber hinaus sind die Wirkungen politischer Maßnahmen um so eher prognostizierbar, je eingeschränkter die Freiheitsgrade der Adressaten sind und je begrenzter damit das Spektrum ihrer Handlungsalternativen ist (Kaufmann, 1990a). Die Einwirkungsmöglichkeiten staatlicher Politik sind daher auch vom Umfang der Freiheitsgrade der Individuen abhängig 16 (Kaufmann, 1990c). Neben den gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen und den verfügbaren Ressourcen haben die Konsequenzen früherer politischer Entscheidungen Einfluß auf den politischen Handlungsspielraum. Demzufolge werden bereits etablierte sozialpolitische Einrichtungen selbst zum Gegenstand neuer staatlicher Interventionen. Die Kumulation sozialpolitischer Interventionen löst Wechselwirkungen aus (Kaufmann, 1982). Politische Maßnahmen können sich in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Eigenlogik wechselseitig verstärken, blockieren oder neutralisieren 17 . Dysfunktionen ergeben sich dann, wenn Politiken mit unterschiedlicher und inkompatibler Zielrichtung zusammenwirken. Soll das vermieden werden, so müßte seitens der staatlichen Entscheidungsträger gefragt werden, „wie die Summe der relevanten politischen Maßnahmen die biographischen Optionen von Individuen im typischen Falle formt" (Kaufmann, 1990c, S. 393). Im Interesse einer potentiellen Wirksamkeit sozialpolitischer Regelungsmechanismen müßte mittels der auf einen Gegenstandsbereich gerichteten Maßnahmen die Schaffung eines überschaubaren Rahmens für langfristige biographische Perspektiven (z.B. bezogen auf die Familiengründung) intendiert werden. Einmal gewährte Leistungen müßten erhalten bleiben. Damit wäre gewährleistet, daß die Folgen unterschiedlicher Entscheidungen ein Moment der Berechenbarkeit enthalten. Eine erfolgreiche Antizipation der Konsequenzen individuellen Handelns wird durch stabile Rahmenbedingungen erleichtert (Kaufmann, 1990c).
16 Dieser Zusammenhang ist bedeutsam, denn er impliziert, daß in einer Gesellschaft wie der DDR aufgrund der einander wechselseitig ergänzenden Abschottung nach außen und der Kontrolle nach innen die Kopplung zwischen staatlicher Politik und sozialpolitischen Wirkungen enger war als beispielsweise in der alten Bundesrepublik (vgl. Abschnitt 2.3). 17 Aus diesem Grund wird seitens theoretisch ambitionierter Wissenschaftler immer wieder die Forderung nach einer integrierten Analyse sozialpolitischer Einzelmaßnahmen und ihrer Wechselwirkungen erhoben. Mitunter werden politische Maßnahmen auch als .multifunktionale' Einrichtungen begriffen, deren immanente Logik gerade in ihren Mehrfachwirkungen liegt (Landenberger, 1990).
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Die konkrete Form der sozialpolitischen Intervention beeinflußt das Ausmaß der Entscheidungsmöglichkeiten oder Handlungsoptionen (z.B. Begrenzung von Wahlmöglichkeiten vs. Zwang zum Auswählen infolge einer allgemeinen Optionserweiterung). Dementsprechend gestaltet sich das Verhältnis der Individuen zu den Institutionen des öffentlichen Lebens. Institutionen (Hervorhebung; H.T.) werden als steuernde Elemente, Normen und Regeln verstanden, die bestimmte Verhaltensoptionen von Akteuren in Standardsituationen prägen, ermöglichen, einschränken oder erweitern und damit bestimmte Erwartungen wecken. Sie machen Abläufe, Reaktionen, Interaktionen und Routinen partiell vorausrechenbar, da sie nach vereinbarten oder akzeptierten Mustern verlaufen." (Glaeßner, 1991, S. 136) Institutionen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, daß sie strukturierend auf individuelles Handeln einwirken, indem sie Verbindlichkeiten einfordern oder Verpflichtungsbeziehungen fördern. Dadurch werden sie entweder als von individuellem Entscheidungsdruck entlastend oder als Restriktion im Hinblick auf die eigenen Wahlmöglichkeiten empfunden. In den 1950er Jahren dominierte in der Bundesrepublik die von Gehlen und Schelsky formulierte Institutionentheorie, die vor allem den von Entscheidungen entlastenden Charakter der Institutionen hervorhob. In diesem Sinne wurden Institutionen als für alle Gesellschaftsmitglieder gleich verbindliche und ihre Lebensführung umfassend regelnde Einrichtungen begriffen (vgl. Schelsky, 1970). Die Institutionentheorie hat infolge des mit der gesellschaftlichen Entwicklung verbundenen Bedeutungsverlustes gesamtgesellschaftlicher Leitbilder der Lebensführung an Einfluß verloren (Kaufmann, 1990a; Wohlrab-Sahr, 1992a). Sie könnte aber für die Erklärung des Zusammenhangs von individueller Lebensgestaltung und institutionellen Rahmenbedingungen in der DDR auch noch für die 1970er und 1980er Jahren eine größere Relevanz besitzen, wo politische Strukturen, deren subjektive Verarbeitung und ideologischkulturelle Bilder außerordentlich eng miteinander verwoben waren (vgl. Abschnitt 3.1; Diemer, 1994 und insbesondere Lepsius, 1994).
1.3 Sozialpolitische Interventionsformen in staatssozialistischen Gesellschaften In der vorliegenden Untersuchung geht es nicht vorrangig um eine auf die Lebenszusammenhänge von Frauen in der DDR bezogene Wirkungsanalyse von Sozialpolitik. Das Anliegen besteht vielmehr darin, darzustellen, welche Handlungsstrategien Frauen verschiedener Generationen verfolgt haben, um die Verbindung von Familienleben und Erwerbsarbeit zu organisieren, und welche Konsequenzen daraus für ihre beruflichen Entwicklungen resultierten. Es geht also darum, zu verstehen, wie Frauen diesem Spannungsverhältnis auf individueller Ebene begegnet sind. In diesem Kontext ist es wichtig, daß in theoretischer Hinsicht Klarheit über die Relation sozialpolitischer Maßnahmen zu den lebensweltlichen Gegebenheiten von Frauen besteht. 27
Im folgenden wird daher der Versuch unternommen, die umrißhaft dargestellte Theorie sozialpolitischer Intervention auf die eingangs beschriebenen Handlungsdilemmata von Frauen bezüglich der Verknüpfung von Familie und Beruf zu übertragen. Dabei werden die spezifischen Rahmenbedingungen staatssozialistischer Gesellschaften 18 berücksichtigt. Mit Hilfe sozialpolitischer Regelungsmechanismen werden die institutionellen Voraussetzungen und Opportunitätsstrukturen19 für individuelles Handeln beeinflußt. Normative Regelungen der Sozialpolitik setzen durch die Veränderung der Anreizstrukturen Markierungspunkte, die auf private Lebensverhältnisse in Form von Gelegenheiten und Zwängen regulierend einwirken. Durch die Einflußnahme auf individuelle Handlungsmöglichkeiten trägt Sozialpolitik 20 zur Institutionalisierung von Optionen und Restriktionen im Lebensverlauf bei (Langan und Ostner, 1991). Sie eröffnet oder begrenzt Chancen sozialer Teilhabe und sozialen Ausgleichs für Frauen und Männer. Indem Sozialpolitik Art und Umfang der Abhängigkeit zwischen den Geschlechtern sowie der Abhängigkeit vom Staat bzw. Markt beeinflußt, wirkt sie regulierend auf die Geschlechterverhältnisse ein 21 (Ostner, 1993, 1994). In ihrer konkreten Gestalt als Frauen- und Familienpolitik ist sie, bezogen auf die Verbindung von Erwerbsarbeit und Familie, eine wichtige Determinante, der für die Lebensgestaltung in der DDR eine spezifische Bedeutung zukam 22 (vgl. Abschnitt 3.1). Frauen- und familienpolitische Regelungen haben einen wichtigen Anteil daran, ob die Auf-
18 Die Begriffe staatssozialistische und marktwirtschaftliche Gesellschaften sind Annäherungen an die Realität sowie Eigenetikettierungen und sollen hier nicht diskutiert werden. 19 Ich lehne mich hier an eine Begriffsbestimmung von Huinink und Wagner an: „Vielmehr zielt er (der Begriff der Opportunitätsstruktur; H.T.) auf makrostrukturelle Merkmale ab, die Bedingungen für individuell nutzbare Gelegenheiten darstellen" (Huinink und Wagner, 1989, S. 671). 20 Zur Entwicklung der konzeptuellen Vorstellungen über Sozialpolitik in der DDR seien hier folgende Arbeiten beispielhaft erwähnt: Lampert, 1973; Leenen, 1975, 1977; Lampert und Schubert, 1977; Vortmann, 1988; Winkler, 1988. Entsprechend dem sich seit dem Beginn der 1970er Jahre in der DDR durchsetzenden Sprachgebrauch wurde unter Sozialpolitik eine Vielzahl von Aktionsfeldern, wie Familien-, Frauen-, Bevölkerungs-, Wohnungsbaupolitik usw., subsumiert (Winkler, 1988). 21 Schmidt-Waldherr (1993) macht zu Recht darauf aufmerksam, daß sozialpolitische Maßnahmen sich in einer nach Geschlecht differenzierten sozialen Struktur bewegen und daß sie daher auch Auswirkungen auf die Position von Frauen und Männern in der Gesellschaft haben. Die Geschichte sozialpolitischer Regulierungen ließe sich auch als eine der Regulierung des Geschlechterverhältnisses schreiben. 22 Andere Bestimmungsgründe auf gesellschaftlicher Ebene sind beispielsweise die vorgefundenen Wirtschafts- und Berufsstrukturen sowie kulturell oder politisch vermittelte Leitbilder und Normen. Auf individueller Ebene sind vor allem die persönliche Lebenssituation der Frauen und ihre biographischen Ressourcen für die Herausbildung ihrer Handlungsstrategien bedeutsam. Diese vielfältigen, sich wechselseitig beeinflussenden und auf verschiedenen Ebenen wirkenden Determinanten sind eine Ursache für die Schwierigkeiten, mit denen sozialpolitische Wirkungsanalysen konfrontiert sind (Hoffmann und Speigner, 1992).
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lösung des Spannungsverhältnisses zwischen Familien- und Erwerbsarbeit mehr oder weniger konflikthaft verläuft. Das Wirkungsfeld einer solchen Politik bilden generell die Lebens- und Leistungszusammenhänge von Frauen im familialen Bereich und im Bereich der Erwerbsarbeit. Sie sind der Bezugspunkt gesellschaftspolitischer Zielvorstellungen, die in Abhängigkeit vom jeweiligen Gesellschaftssystem dazu tendieren, Frauen entweder auf Beruf oder Familie - mit Ausnahme von besonderen historischen Situationen im allgemeinen auf die Familie - oder auf beide Lebensbereiche gleichzeitig zu verweisen. Letzteres war bei Berücksichtigung von im Vergleich zur alten Bundesrepublik kurzen und zeitlich begrenzten Unterbrechungsphasen der Berufstätigkeit für staatssozialistische Gesellschaften kennzeichnend (Erler, 1990). „Die sozialistischen Länder betrieben eine Politik, die sich zwischen zwei Spannungsfeldern aufrieb. Zum einen galt offensiv das Ziel, die Geburtenraten zu erhalten und zu steigern, zum anderen dasjenige der möglichst umfassenden Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt und ihrer gesellschaftlichen Gleichstellung mit dem Mann." (Erler, 1991, S. 53)
So befand sich auch die Mehrzahl der Frauen in einem zweifachen Spannungsfeld divergierender Anforderungen: einerseits auf der Ebene sich widersprechender Leitbilder, die sich in Rollenanforderungen manifestierten, und andererseits auf der Ebene konfligierender Wert- und Handlungsorientierungen im Berufs- und Familienleben (Diemer, 1989). Durch frauen- und familienpolitische Regelungen wurde seit Beginn der 1970er Jahre ein Konzept unterstützt, das Frauen die Verbindung von Familie und Beruf erleichterte und über lange Lebensphasen die Synchronisation beider Bereiche begünstigte 23 (Mädje und Neusüß, 1992). Dieses
23 In diesem Zusammenhang gab es durchaus länderspezifische Besonderheiten. In Ungarn wurde bereits 1967 ein dreijähriger, teilweise bezahlter Mutterschaftsurlaub eingeführt. Ab 1970 konnten Frauen in der Tschechoslowakei nach der Geburt eines Kindes für ein Jahr eine bezahlte Freistellung beanspruchen, welche später auf drei Jahre verlängert wurde. 1972 folgte Polen mit einer zunächst unbezahlten und ab Anfang der 1980er Jahre relativ niedrig bezahlten Freistellung der Mütter bis zum Ende des dritten bzw. vierten Lebensjahres ihrer Kinder. In Bulgarien war ab 1973 nach der Geburt eines Kindes eine bezahlte Freistellung möglich. Die Sowjetunion bildete das Schlußlicht dieser Entwicklung. Sie gewährte seit dem Beginn der 1980er Jahre eine einjährige, teilweise bezahlte Freistellung der Mütter nach der Geburt eines Kindes, die seit 1990 auf drei Jahre erweitert wurde, wobei nur die Hälfte der Zeit geringfügig bezahlt wurde. Rumänien stellte generell eine Ausnahme dar, denn dort wurde mittels repressiver Maßnahmen, wie einem völligen Abtreibungsverbot (ab 1966) und einem erschwerten Zugang zu Verhütungsmitteln, eine Erhöhung der Geburtenrate angestrebt. Die DDR war das einzige (ehemals sozialistische) Land, das sich an einem Modell orientierte, welches konsequent darauf gerichtet war, Kleinkinder nach den ersten Lebensmonaten bzw. dem .Babyjahr' in der Krippe zu betreuen und die Mütter dadurch für die Berufsarbeit freizusetzen. In den anderen Ländern wurde stärker auf familiale Betreuungsformen zurückgegriffen (vgl. Erler, 1990, 1991; Rudolph u.a., 1991; Vortmann, 1992).
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Konzept blieb weitgehend ohne Alternativen, das heißt, es war in hohem Maße institutionalisiert und vermutlich von starkem Einfluß auf die Lebenszusammenhänge der Frauen. In eher marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaften werden staatlicherseits andere Modelle favorisiert, die sich in Abhängigkeit von den jeweiligen arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen und Konjunkturlagen unterscheiden. In der Bundesrepublik wird - bei genereller Dominanz einer eher auf die, zumindest temporäre, Ausgliederung von Frauen aus dem Erwerbssystem angelegten Sozialpolitik (Maier, 1991a) - das Konzept einer zeitlichen Entkopplung von Phasen einer vorrangigen Konzentration auf den familialen Bereich und solchen, die auf die Teilhabe von Frauen an der Erwerbsarbeit gerichtet sind, sozialpolitisch unterstützt 24 . Die Regelungen zur Verbindung von Beruf und Familie deuten darauf hin, daß „nicht in erster Linie die gleichzeitige ,Doppelexistenz' als berufstätige Mutter gefördert werden soll, sondern die phasenweise Entscheidung zwischen Beruf und Familie oder eine Kombination von vorrangiger Familienorientierung und Teilzeitarbeit" (Berghahn, 1992, S. 89). Im Unterschied zur DDR existierte in der Bundesrepublik für Frauen bislang kein institutionalisiertes Lebensverlaufsmuster, das vom Eintritt in das Erwerbssystem bis zum Übergang ins Rentenalter von der Erwerbsarbeit strukturiert wurde (Kulawik, 1992). Dieses bestand und besteht als gesellschaftliche Norm nur für Männer. Das Steuer- und Rentensystem trägt dazu bei, Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Ehefrauen und ihren Partnern zu generieren, da ihm das Prinzip des männlichen Haupternährers mit einer Vollzeiterwerbstätigen und lebenslang kontinuierlichen Erwerbsbiographie zugrunde liegt (Kirner, 1990; Allmendinger, 1992). Orientierungsschwierigkeiten und Konflikte können sich daraus ergeben, daß die institutionell-normativen Vorgaben, welche die Lebensverläufe der Frauen prägen, in sich nicht kohärent sind. Frauen werden auf zwei Bereiche verwiesen, die mit unterschiedlichen Implikationen für die individuelle Lebensgestaltung verbunden sind: auf den Erwerbsarbeitsbereich zur Gewährleistung eigenständiger materieller Ansprüche und - in Phasen freiwilliger oder erzwungener Nichterwerbstätigkeit - auf die über die Ehe vermittelte ,Mitversorgung' (.abgeleitete' Ansprüche), die wiederum die kontinuierliche Erwerbstätigkeit des Ehepartners voraussetzt (Maier, 1991a). Die Frauen- und Familienpolitik wurde bzw. wird in staatssozialistischen und in eher marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaften dadurch legitimiert, daß sie auf die Verbesserung der Lebenssituation von Frauen und deren Familien zielt. Diese Verbesserung wird in verschiedenen Bereichen (Dimen-
24 Die simultane Verbindung von Familie und Beruf wird im Vergleich zur sequentiellen Verbindung durch die Renten- und Steuerpolitik eher benachteiligt. Durch die weitgehende Unterlassung einer auf Frauen orientierten Arbeitsmarktpolitik (z.B. durch aktive Förderung von Teilzeitarbeit) wird sie zusätzlich erschwert (Bast und Ostner, 1992).
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sionen) angestrebt. Es soll nun überprüft werden, inwieweit sich die von Kaufmann vorgeschlagenen sozialpolitischen Interventionsformen (vgl. Abschnitt „Sozialpolitik als Gegenstand soziologischer Reflexion" unter Abschnitt 1.2) auf die in der DDR realisierte Frauen- und Familienpolitik anwenden lassen. Im DDR-typischen Sprachgebrauch wurde unter Frauen- und Familienpolitik die „Gesamtheit der Maßnahmen, Mittel und Methoden" zur interessengeleiteten Einflußnahme des Staats „auf die Rechtsstellung, die soziale Situation, die Arbeits- und Lebensbedingungen der weiblichen Bevölkerung bzw. spezifischer Frauengruppen" sowie auf die „Bildung und Entwicklung der Familien" verstanden. Diese politische Orientierung sollte mittels „gezielte(r) staatliche(r) und gesellschaftliche(r) Aktivitäten" erfolgen (Winkler, 1987, S. 152-155, 167 und 169 f.). 1. Interventionen
durch die Gestaltung von
Rechtsverhältnissen:
In diesem Zusammenhang sind alle sozialpolitisch relevanten Regelungen zu bedenken, die unmittelbar den Rechtsstatus der Frauen betreffen. Sie sind ein bevorzugtes Instrument staatlichen Eingreifens und beziehen sich auf die Stellung der Frauen in der Gesellschaft (Verfassung), in der Familie (Familienrecht) und im Erwerbsbereich (Arbeitsrecht). Bezogen auf die DDR handelt es sich um den in der Verfassung und im Familiengesetzbuch festgeschriebenen Gleichberechtigungsgrundsatz und um die durch das Arbeitsgesetzbuch und darauf basierende Bestimmungen garantierten frauenspezifischen Schutzrechte und Förderungsregelungen. Es entsprach dem in der DDR vorherrschenden Verständnis, daß neben der formal-juristischen Gleichstellung der Frauen ihre Integration in die Berufsarbeit als Voraussetzung für die Überwindung jeglicher Benachteiligungen angesehen wurde. Zur Sicherung ihrer Berufstätigkeit und Qualifizierung wurden Frauen (insbesondere Müttern) auch Sonderrechte eingeräumt (vgl. Abschnitt 2.2). 2. Ökonomische Interventionen Einkommen:
durch die Beeinflussung der
verfügbaren
In der DDR wurde das Ziel verfolgt, durch gezielte Unterstützungen zur Verringerung der sich aus unterschiedlichen Familiensituationen ergebenden sozialen Unterschiede beizutragen. Durch monetäre Transfers sollte das Lebensniveau der Familien, unabhängig von ihrer Kinderzahl, weitgehend angeglichen werden. Das bedeutete in der Praxis, daß ein hoher Anteil dieser Kosten durch die Gesellschaft übernommen wurde. Ökonomische Interventionen umfaßten die Gesamtheit finanzieller Hilfen, die Frauen und ihren Familien vorrangig in Form direkter Transferzahlungen, Subventionen und Steuererleichterungen gewährt wurden (Pfaff und Roloff, 1990; Vortmann, 1991; Hoffmann und Speigner, 1992). Die dazu erforderlichen Anspruchsberechtigungen waren in hohem Maße formalisiert und die Inanspruchnahme zentralisiert, so daß eine breite Akzeptanz zu verzeich31
nen war. Hinsichtlich dieser Interventionsform deutete sich eine Aufgabenteilung zwischen staatlichen und gesellschaftlichen' Trägern an, da die Betriebe einen Teil der direkten Kosten der Unterstützungsleistungen für Frauen mit Kindern zu tragen hatten (betriebliche Sozialpolitik) 25 . 3. Ökologische Umwelt:
Interventionen
durch die Beeinflussung
der
räumlichen
Diese Interventionsform wirkt durch die Bereitstellung infrastruktureller Einrichtungen auf die Möglichkeiten ihrer Inanspruchnahme ein und zielt auf die allgemeine oder selektive Verbesserung der Zugangschancen. Da in der DDR ein öffentliches Interesse an der Berufstätigkeit von Frauen auch in Phasen der Betreuung kleiner Kinder unterstellt werden kann, zielten die Bemühungen darauf, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu zählten insbesondere der Ausbau eines regional weitverzweigten und preiswerten öffentlichen Kinderbetreuungssystems, die anvisierte Verbesserung des Dienstleistungs- und Verkehrssystems, die Forcierung des Wohnungsbaus usw. Für Gruppen von Frauen, die sich in als problematisch angesehenen Familiensituationen befanden, wurden die Zugangschancen zu bestimmten Einrichtungen und Gütern, wie zum Beispiel Wohnungen, erleichtert. Über Maßnahmen zur Gestaltung der materiellen und sozialen Umwelt von Familien wurde auch versucht, die Bereitschaft zum Leben mit mehreren Kindern zu erhöhen. Die Träger der infrastrukturellen Einrichtungen waren in den meisten Fällen die Städte und Gemeinden sowie Betriebe, so daß für diese Interventionsform ein Zusammenwirken staatlicher Entscheidungsträger und intermediärer Instanzen kennzeichnend war. 4. pädagogische' kompetenzen:
Interventionen
durch die Vermittlung von
Handlungs-
.Pädagogische' Interventionen orientieren auf die Entwicklung spezifischer Handlungskompetenzen. Die Möglichkeiten der direkten Steuerung von Lernprozessen durch staatliche Maßnahmen sind begrenzt und vor allem weitgehend unkontrollierbar, da sie in hohem Maße intervenierenden und situativen Faktoren unterliegen. Der Mitwirkungsbereitschaft der jeweiligen Zielgruppe kommt eine große Bedeutung für die potentielle Wirksamkeit dieser Interventionsform zu. Bezogen auf die Situation von Frauen geht es vorrangig um die meist mit Hilfe von Massenmedien und gesellschaftlichen Einrichtungen erfolgende Vermittlung von
25 Die betriebliche Sozialpolitik, die in einer beachtlichen Spannbreite von Leistungen, die die Betriebe ihren Beschäftigten offerierten, konkrete Ausdrucksformen fand, „war vielleicht das bedeutsamste und unter Systemgesichtspunkten originellste arbeitsgesellschaftliche Merkmal des Realsozialismus" (Kohli, 1994, S. 42).
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Orientierungswissen 26 . Mitunter werden in Gestalt von Leitbildern Ideal- bzw. Normvorstellungen staatlicher Entscheidungsträger transportiert. Sie sollen normierend und strukturierend auf individuelle Lebensentwürfe einwirken. In der DDR waren die propagierten Frauen- und Familienleitbilder in Anpassung an den gesellschaftlichen Wandel Veränderungen unterworfen 27 (vgl. Abschnitt 2.2). In den 1970er und 1980er Jahren dominierte in Übereinstimmung mit den sozialpolitischen Orientierungen das Leitbild der „unbegrenzt belastungsfähige(n) Multifunktionsfrau" (Ochs, 1990, S. 302), „die mit Disziplin und Organisation Familie, Beruf und Politik unter einen Hut bringt" (Penrose, 1990, S. 75) 2 8 . Beklagt wurde von zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, daß dem neuen Frauenleitbild kein neues Männerleitbild folgte. Es existierte keine gesellschaftlich sanktionierte Rollenerwartung an den Mann 29 (vgl. Geißler, 1991; Gysi u.a., 1988; Obertreis, 1986; Bast und Ostner, 1992 und insbesondere Belwe, 1990). Bis auf vereinzelte Appelle „an die fortschrittlichen Männer', sich zu gleichen Teilen wie ihre Frauen an der Hausarbeit zu beteiligen" (Dölling, 1991a, S. 198) und die Berufstätigkeit ihrer Frauen zu akzeptieren, die sich auf die 1950er und 1960er Jahre konzentrierten, gab es staatlicherseits keine Bestrebungen, auf
2 6 Neben diesen F o r m e n darf, bezogen auf die j u n g e n Generationen, die geschlechtsspezifische Sozialisation in den F a m i l i e n und Bildungseinrichtungen nicht vernachlässigt werden. D i e Bildungspolitik der D D R hat zur Desensibilisierung in der Geschlechterfrage massiv beigetragen, und in den meisten Familien haben die Kinder die ungleiche Arbeitsteilung zwischen den Eltern unmittelbar erfahren (Nickel, 1 9 9 1 ) . 27 Ausführliche Auseinandersetzungen
mit dieser T h e m a t i k sind in S c h e e l ,
1985;
Enders,
1 9 8 6 ; M e r k e l , 1 9 9 0 ; Dölling, 1 9 9 0 , 1 9 9 1 a und Diemer, 1 9 9 4 zu finden. 2 8 In diesem Zeitraum nahm eine paradoxe Entwicklung immer konkretere Züge an, die im Kontext der Entwicklung der gesamten G e s e l l s c h a f t ihre eigentliche Bedeutung erfahrt: „In den parteioffiziellen Verlautbarungen werden die P r o b l e m e wesentlich weniger deutlich beim Namen genannt als bis Mitte der sechziger J a h r e . B e z o g e n auf das hier interessierende T h e m a entsteht so eine fast schizophrene Konstellation: Zu dem Zeitpunkt, w o in der Pressepolitik erstmals eine gewisse Ermutigung zu wirklichkeitsgetreuer und problembewußter Darstellung ablesbar ist, wird die Frauenfrage als gelöst bezeichnet. In dem M o m e n t , w o Vorbilder stärker mit menschlichen, also widersprüchlichen Charakterzügen
ausgestattet
werden sollen, beginnt die S E D ein Leitbild von E h e und Familie zu zeichnen, das ganz offensichtlich mit der Realität nicht viel g e m e i n s a m hat und keine Widersprüche mehr aufweist." (Scheel, 1985, S. 125) 2 9 In der neueren Diskussion wird diese Entwicklung auf die ,These vom vaterlosen Patriarc h a t ' zugespitzt. S i e besagt, daß in einer insgesamt patriarchal geprägten Gesellschaft kein Leitbild geschaffen wurde, in dem M ä n n e r sich positiv fühlen und bestimmen konnten. Aufgrund der partiellen wirtschaftlichen Selbständigkeit der Frauen wurde die .Ernährerrolle' der M ä n n e r sukzessive destabilisiert. Es erfolgte aber keine .Neudefinition' in Richtung auf Fürsorge für die F a m i l i e und E n g a g e m e n t im Haushalt (Erler, 1 9 9 0 , 1 9 9 1 ) . A u f diesen für die alltägliche Lebensgestaltung von Familien so bedeutsamen Z u s a m m e n h a n g wird erneut zurückzukommen sein (vgl. Abschnitt 3 . 1 ) .
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Bewußtseinsveränderungen der Männer Einfluß auszuüben 30 . Im Gegensatz dazu wurde versucht, auf Frauen in kontinuierlicher und vehementer Kampagneform einzuwirken (vgl. Abschnitt 2.2). Die reale Wirksamkeit dieser Versuche ist umstritten (Obertreis, 1986). Aus sozialpolitischer Sicht ist Frauen- und Familienförderung „als kombinierte Wirkung rechtlicher, ökonomischer, ökologischer und pädagogischer Maßnahmen zu begreifen" (Kaufmann, 1990a, S. 163). Aus der Sicht der Frauen bedarf es aller vier Teilhabedimensionen, damit Wirkungen erzielt werden, die ihre Lebenssituation spürbar verändern. Aufgrund des Umstandes, daß die Wirksamkeit der pädagogischen' Interventionsform kaum und retrospektiv überhaupt nicht überprüfbar ist, findet diese in den Analysen nur als Hintergrundwissen Berücksichtigung. Ausgehend von den anderen drei Formen ergibt sich die Frage nach ihrer Vermittlung in die Lebenszusammenhänge von Frauen. Im Zusammenhang mit ihrer Darstellung wurde bereits angedeutet, daß sich die zu erwartende Akzeptanz und Inanspruchnahme entsprechender Maßnahmen in Abhängigkeit von deren Trägerschaft, dem Grad der Generalisierung bestimmter Regelungen und dem Grad der Formalisierung der Zugangskriterien unterscheidet. Während sich die rechtliche und die ökonomische Interventionsform durch ein hohes Maß an Zentralisierung auszeichnen, sind bei der durch die ökologische Interventionsform erstrebten Gestaltung der räumlichen Umwelt größere Unterschiede hinsichtlich der Beeinflussung der Opportunitätsstrukturen der Frauen zu erwarten. Die von Kaufmann entwickelte Typologie sozialpolitischer Interventionsformen scheint eine geeignete Basis für die Auseinandersetzung mit der Frauen- und Familienpolitik der DDR zu sein. Inwieweit sich diese Annahme auch unter Berücksichtigung konkret-historischer Entwicklungen aufrechterhalten läßt, wird in Kapitel 2 gezeigt.
30 „Mit anderen Worten: Ob Mann und Frau zu Hause Gleichberechtigung praktizierten, blieb so lange von nachgeordnetem Belang, als beide nach außen hin .funktionierten'. Während der Appell zur häuslichen Arbeitsteilung mehr und mehr zu einer verbalen Pflichtübung verkam, sahen sich die Frauen immer drängender formulierten Ansprüchen ausgesetzt." (Helwig, 1993, S. 12)
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Kapitel 2
Zwischen Arbeits- und Bevölkerungspolitik Frauen- und Familienpolitik in der DDR
U m die Entwicklung der Beziehung von institutionellen Rahmenbedingungen für die Lebensgestaltung von Frauen und ihren individuellen Handlungsstrategien nachvollziehbar und verständlich zu machen, wird in diesem Kapitel auf die sich im historischen Verlauf verändernden Orientierungen der auf Frauen und ihre Familien bezogenen Politik eingegangen. Zunächst wird ein Vorschlag für eine adäquate Periodisierung der Frauen- und Familienpolitik diskutiert. Im Ergebnis dessen werden sechs Phasen mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen bestimmt, die anschließend detailliert beschrieben werden. Die umfassende Kenntnis der spezifischen gesellschaftlichen Gelegenheitsstrukturen ist eine Voraussetzung für die Interpretation der empirischen Analysen in den folgenden Kapiteln. Abschließend werden unter Bezugnahme auf die frauen- und familienpolitischen Entwicklungen in der D D R die Möglichkeiten und Grenzen einer Theorie sozialpolitischer Intervention aufgezeigt.
2.1 Periodisierung der Frauen- und Familienpolitik Periodisierungen von historischen Abläufen werden im allgemeinen vorgenommen, um längere Zeiträume unter dem jeweils interessierenden Aspekt in Phasen zu zerlegen, innerhalb derer bestimmte Entwicklungen deutlicher werden. Meistens sind diese Phasen durch ein für den Forschungsgegenstand relevantes Kriterium und dessen sich im historischen Verlauf verändernde Ausprägungen voneinander abgegrenzt. Periodisierungen haben einen gewissen heuristischen Wert, da sie es gestatten, Zeiträume, die gemeinsame Züge und Tendenzen aufweisen, voneinander zu unterscheiden 1 . Diese Phasen können als Interpretationsrahmen für weiterführende Fragestellungen dienen. 1
Ein aus der Demographie bekanntes Beispiel für die Periodisierung der Bevölkerungsgeschichte ist die Theorie der demographischen Transition. Als Abgrenzungskriterium für die verschiedenen Phasen diente in diesem Zusammenhang das Entwicklungsniveau der Produktivkräfte.
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In diesem Abschnitt soll eine Periodisierung der auf die Beeinflussung der Lebensgestaltung von Frauen in der DDR gerichteten Politik entwickelt werden, die geeignet ist, einen Interpretationsrahmen bzw. ein Interpretationsraster für die empirische Analyse der Lebensverläufe der vier in die Untersuchung einbezogenen Geburtsjahrgänge abzugeben (vgl. Abschnitt 3.3). In der Literatur werden diesbezüglich unterschiedliche Auffassungen vertreten. Die dargestellten Periodisierungen sind vom jeweiligen Zeitpunkt und mitunter auch vom Anlaß abhängig, zu dem sie entwickelt wurden, und werden entscheidend durch das forschungsleitende Interesse mitbestimmt. In der DDR existierte eine scheinbar einem breiten Konsens unterliegende Auffassung über die Phaseneinteilung der historischen Entwicklung insgesamt, die in jedem entsprechenden Lehrbuch zu finden war. Sie ist unter anderem deshalb von Bedeutung, da sich zahlreiche, andere Gegenstandsbereiche betreffende, historische Abhandlungen an dieser offiziellen Auffassung' orientierten (vgl. Winkler, 1989; Arendt, 1982; Schubert, 1980). Entsprechend dieser Position wurden die Vorgeschichte und die Geschichte der DDR in folgende Zeitabschnitte untergliedert: 1. 1945-1949: Antifaschistisch-demokratische Umwälzung; 2. 1949-1960/61: Schaffung der Grundlagen des Sozialismus; 3. 1961-1970: umfassender Aufbau des Sozialismus; 4. 1971-1989/90: Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft/ beginnender Transformationsprozeß der DDR-Gesellschaft/ Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland. „Westliche Periodisierungsversuche der DDR-Geschichte lehnen sich durchweg eng an die offizielle Einteilung in der DDR an, auch wenn sie andere Bezeichnungen wählen. Die offizielle Periodisierung ist durch die Ereignisse weitgehend gerechtfertigt und von daher plausibel." (Wehling, 1988, S. 7) Es existieren aber auch abweichende Auffassungen 2 . Auch bezogen auf eine Periodisierung der Frauen- und Familienpolitik ordnen sich verschiedene Autoren der ,DDR-offiziellen Phaseneinteilung der Geschichte' unter. Dieses Vorgehen wird entweder überhaupt nicht oder damit begründet, daß mit dem Übergang zu einer neuen historischen Phase auch immer neue frauenpolitische Schwerpunktaufgaben entstanden waren (Arendt, 1982; Schubert, 1980). Nach meiner Auffassung stellt es für diesen Politikbereich keine geeignete Ausgangsbasis dar, um einen adäquaten Interpretationsrahmen für gesellschaftliche Entwicklungsprozesse zu gewinnen. Diese Vorgehensweise negiert die jeder Politik innewohnende Eigendynamik und verstellt den Blick für
2
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S o unterschied Meuschel drei Phasen voneinander: Antifaschistischer Stalinismus (1945 bis Mitte der 1950er Jahre), technokratische Reform und Utopie (Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre) und real-existierender Sozialismus (1971 bis Herbst 1989) (Meuschel, 1991). Staritz fügte der,offiziellen Periodisierung' eine weitere Phase hinzu, indem er auch das Jahr 1953 als Zäsur der DDR-Geschichte betrachtete (Staritz, 1985).
eine kritisch-immanente Wirkungsanalyse, da bedeutsame Ereignisse schematisch in einen vorgegebenen Rahmen eingeordnet werden. Es ist dann beispielsweise kaum noch möglich nachzuvollziehen, wie die Politik mit ihren jeweiligen Schwerpunktsetzungen zustande kam, wie Entscheidungsprozesse abliefen und ob sich bestimmte Maßnahmen aus ihren Entstehungszusammenhängen gelöst haben. Um diese Möglichkeiten nicht einzuschränken, soll im folgenden eine Periodisierung der Frauen- und Familienpolitik dargestellt werden, die in besonderem Maße die immanenten Entwicklungsprozesse berücksichtigt 3 . Die für die jeweilige Phase charakteristischen inhaltlichen Schwerpunkte sollen hier nur kurz skizziert werden. Eine ausführliche Darlegung der angestrebten Ziele und der politischen Programmatik sowie der Strategien zu deren Umsetzung erfolgt im nächsten Abschnitt. Die strukturierende Fragestellung, an der sich die historische Darstellung orientiert, ist die nach den jeweiligen Bedingungen für die Verbindung von Berufsarbeit und Familie 4 . Das Ende des Zweiten Weltkriegs markierte den Beginn der ersten Politikphase, die Wirren der unmittelbaren Nachkriegszeit prägten ihren Inhalt. Ein Blick auf die institutionalisierten Regelungen dieser Zeit legt es nahe, ihr Ende 1949 anzusiedeln. Demzufolge umfaßte die erste Phase der Frauen- und Familienpolitik den Zeitraum von 1945 bis 1949 (vgl. Arendt, 1982; Obertreis, 1986; Schubert, 1980). Sie war dadurch gekennzeichnet, daß Ansätze einer .Frauenarbeitspolitik' entwickelt wurden und daß versucht wurde, Frauen durch die Integration in gesellschaftliche Vereinigungen in das öffentliche Leben einzubeziehen und politisch zu beeinflussen. Mit der Verabschiedung der ersten Verfassung der DDR im Jahr 1949, in der die Gleichberechtigung der Geschlechter zum Verfassungsgrundsatz erhoben wurde, wurde die zweite Phase eingeleitet. Sie Schloß den Zeitraum der 1950er Jahre ein. Einige Autorinnen untergliedern diesen Zeitabschnitt tiefer. So setzten Peemüller und Kulke im Jahr 1952 und Obertreis im Jahr 1956 eine weitere Zäsur (Peemüller, 1984; Kulke, 1967; Obertreis, 1986). Es ergibt sich die Frage, ob dies sinnvoll und notwendig ist. Kulke begründete ihre Verfahrensweise damit, daß vor 1952 die beginnende Planung und Lenkung des Arbeitskräfteeinsatzes der Frauen als Haupttendenz der Frauenarbeitspolitik dominierte, während danach die
3
4
Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, wurden zwei Prämissen gesetzt. Erstens: Die zu entwickelnde Periodisierung sollte nicht zu grob sein. Nur eine hinreichend feinmaschige Phaseneinteilung ermöglicht es, bestimmte Entwicklungen zu erkennen und zu verdeutlichen. Zweitens: Die erste Phase beginnt mit dem Jahr 1945, da bereits in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) Grundlagen für die Frauen- und Familienpolitik in der DDR gelegt wurden. Die Deutung jener Zäsuren, die das hier entwickelte Periodisierungsmodell von der gängigen Vier-Phasen-Zeitgeschichte der DDR unterscheiden, könnte insbesondere für frauenund familienpolitisch ambitionierte Historikerinnen und Historiker von Interesse sein.
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Nutzung des vorhandenen Reservoirs an weiblichen Arbeitskräften und die Intensivierung ihrer beruflichen Qualifizierung im Vordergrund standen. Obertreis ging davon aus, daß das Jahr 1956 den Endpunkt einer Phase intensiver familienrechtlicher Diskussionen markierte und daß die Zeit unmittelbar danach durch eine Stagnation frauenpolitischer Bemühungen gekennzeichnet war. Bezogen auf die mich interessierende Fragestellung bezeichnet das Jahr 1958 einen Schnittpunkt. Damals wurde eine neue Frauenoffensive eröffnet, die die verstärkte Einbeziehung von Frauen in den gesellschaftlichen Arbeitsprozeß zum Ziel hatte (Obertreis, 1986). Die zweite Phase der auf Frauen und ihre Familien bezogenen Politik umfaßt daher den Zeitraum von 1949 bis 1957. In dieser Phase ging es vor allem darum, Frauen in den Arbeitsprozeß zu integrieren. Entsprechende Anstrengungen erfolgten mit ökonomischen und ideologischen Mitteln sowie auf organisatorischer Ebene. Die beiden ersten Phasen lassen sich grob der Überschrift .Frauenarbeitspolitik' zuordnen. Mit der Frauenoffensive des Jahres 1958 wurde die dritte Politikphase eingeleitet. Hinsichtlich ihres Endes besteht in der Literatur ein relativ breiter Konsens. Es wird mit dem Jahr 1964 (Enders, 1986; Koch und Knöbel, 1988) oder 1965 (Obertreis, 1986; Penrose, 1990) angegeben. Dieser Zeitpunkt kennzeichnete den Endpunkt eines Prozesses, in dem es seit Gründung der DDR um die Schaffung einer ,neuen sozialistischen Frauengeneration' ging, die ihre Selbstentfaltung vor allem durch den kollektiven Arbeitsvollzug realisieren sollte (Koch und Knöbel, 1988). Der Zeitraum von 1958 bis 1964 wurde durch die Verallgemeinerung der Berufstätigkeit der Frauen geprägt. Innerhalb dieser Zeit erfolgte eine Schwerpunktverlagerung von der Gewinnung weiterer weiblicher Arbeitskräfte auf die berufliche Qualifizierung und Weiterbildung. Auch der bis dahin ausgeklammerte Zusammenhang zwischen der Berufstätigkeit der Frauen und ihrer vorrangigen Zuständigkeit für die Familienarbeit und daraus resultierende Belastungen rückte ab Ende der 1950er Jahre allmählich in das Blickfeld der Frauenarbeitspolitik der SED. Obertreis faßte diese ersten drei Phasen zu einer ersten familienpolitischen Hauptphase zusammen, die in den 1950er Jahren durch die Bemühungen um die Einbeziehung der Frauen in den gesellschaftlichen Produktionsprozeß und in den 1960er Jahren durch die Konzentration auf die Qualifizierung der weiblichen Arbeitskräfte gekennzeichnet war (Obertreis, 1986). Mit der Verabschiedung des Familiengesetzbuches der DDR (1965), in dem erstmalig ein Leitbild der sozialistischen Familie formuliert wurde, begann die vierte Phase der Frauen- und Familienpolitik. Das Familiengesetzbuch bildete die Basis für eine eigenständige Familienpolitik der SED. Über die zeitliche Lagerung dieser Phase besteht in der Literatur eine weitgehende Übereinstimmung. Sie wird überwiegend im Zeitraum von 1965 bis 1971 angesiedelt 5 (Enders,
5
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A b Beginn der 1970er Jahre hatten bevölkerungspolitische Überlegungen ein stärkeres Gewicht, denen in dieser Phase noch keine Bedeutung zukam.
1986; Obertreis, 1986). Ihr Hauptinhalt bestand neben einer weiteren Intensivierung der Bemühungen um die berufliche Qualifizierung der Frauen in der Hervorhebung der Sozialisationsfunktion der Familie und in dem Versuch, das im Familiengesetzbuch formulierte Leitbild in die Realität der DDR-Gesellschaft umzusetzen. Mit der Verschärfung der Widersprüche, die mit der synchronen Teilhabe der Frauen an Beruf und Familie verbunden waren, erfolgte eine allmähliche Abkehr der Frauen- und Familienpolitik von der starken und vorrangigen Orientierung an der Berufstätigkeit der Frau. Mit den sozialpolitischen Maßnahmen des Jahres 1972, die sich in die neu konzipierte Gesellschaftsstrategie einordneten, wurde die fünfte Politikphase eingeleitet, die dadurch gekennzeichnet war, daß bevölkerungspolitische Intentionen zunehmend wichtiger wurden. Die Beeinflussung der Reproduktionsfunktion der Familie wurde zum Mittelpunkt der Bemühungen. Gleichzeitig wirkte die Qualifizierungsoffensive der 1960er Jahre fort. Bis Mitte der 1970er Jahre wurde staatlicherseits ein Modell der Verbindung von Berufstätigkeit und Mutterschaft favorisiert, das auf die tendenzielle Angleichung der Berufsverläufe der Frauen an die der Männer orientierte. Dies implizierte für die ersten Lebensjahre der Kinder eine vorrangige Zuständigkeit öffentlicher Kindereinrichtungen für ihre Betreuung. Diese Phase umfaßte nur einen Zeitraum von vier Jahren (1972-75). Die ab 1976 einsetzenden .Babyjahr'-Regelungen leiteten die sechste und letzte Phase der Frauen- und Familienpolitik ein. Das bisherige Vereinbarkeitskonzept wurde mit der sukzessiven Durchsetzung zeitlich begrenzter Freistellungen nach der Geburt eines Kindes im bisher deutlichsten Maße relativiert. Die einseitig auf Frauen ausgerichteten familien- und bevölkerungspolitischen Schwerpunkte wurden im wesentlichen bis zum Jahr 1989/90 beibehalten. Die letzte Politikphase Schloß daher den vergleichsweise langen Zeitraum von 1976 bis 1989/90 ein. Obertreis bündelte den Zeitraum der letzten drei Phasen zu einer zweiten familienpolitischen Hauptphase, die dadurch charakterisiert war, daß die Familienpolitik als Strukturpolitik an Bedeutung gewann (Obertreis, 1986). Es wurde deutlich, daß die auf die Lebenszusammenhänge von Frauen orientierte Politik niemals vorrangig als Gleichstellungspolitik konzipiert war, sondern daß sie immer auch anderen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen untergeordnet war. Zu Beginn des Jahres 1990 wurden die letzten familienpolitischen Regelungen innerhalb der DDR verabschiedet. Ab Mitte 1990 setzte der Prozeß der Rechtsangleichung ein. Dieser folgte der Logik des Vereinigungsprozesses. Sein kennzeichnendes Merkmal war der Zeitdruck, unter dem sich die Ausdehnung des bundesdeutschen Rechtssystems auf das Territorium der früheren DDR zu vollziehen hatte. Einen differenzierten Überblick über die frauenspezifischen sozialpolitischen Regelungen und Rahmenbedingungen in beiden Ländern vermittelt die Tabelle 1. Frauen- und Familienpolitik spielten im Vereinigungsprozeß insgesamt eine untergeordnete Rolle (vgl. Trappe, 1992).
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Tabelle 1: Frauenspezifische arbeits- und sozialpolitische Regelungen und Rahmenbedingungen DDR
BRD
Grundsätzliches Verfassungsmäßig garantiertes Recht eines jeden auf einen Arbeitsplatz nach freier Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation; Pflicht zur Leistung gesellschaftlich nützlicher Tätigkeit; Recht und Pflicht aller Jugendlichen zum Erlernen eines Berufs: gesetzliche Pflicht des Betriebes zur Weiterbeschäftigung; Betrieb war nach einer von ihm ausgegangenen Auflösung eines Arbeitsvertrags verpflichtet, dem Betroffenen einen Änderungs- oder Überleitungsvertrag über eine zumutbare andere Arbeit anzubieten; eigenständige Entscheidung der Frau über das Fortbestehen einer Schwangerschaft innerhalb der ersten zwölf Wochen (Fristenregelung) I. Schutzrechtliche
Grundgesetzlich garantiertes freies Wahlrecht in Hinblick auf die Ausbildung, den Beruf und den Arbeitsplatz; Möglichkeit der Verpflichtung des Betriebs zur Weiterbeschäftigung nach der Ausbildung; Möglichkeit der Kündigung durch den Arbeitgeber aus betriebs- oder personenbezogenen Gründen, sofern sie nicht sozial ungerechtfertigt ist; erweiterte Indikationsregel, nach der eine Abtreibung in den ersten zwölf Wochen straflos bleibt, wenn Indikationsfeststellung und Beratung absolviert wurden
Regelungen
- weitgehend im Arbeitsgesetzbuch
fixiert
1. Grundsätzliche Fixierung des besonderen Schutzes von Frauen bei der Aufnahme und Ausübung einer beruflichen Tätigkeit
- kein einheitliches Gesetzbuch, Arbeitsrecht als Bestandteil des Privat- oder Zivilrechts 1. Fixierung von Schutzrechten im MutterSchutzgesetz, in der Arbeitszeitordnung usw.
2. Arbeitsschutzbestimmungen für Frauen ent- 2. Beschäftigungsverbote, die mit dem Schutz sprechend ihrer physischen und physiolovon Frauen begründet werden (z.B. im Baugischen Besonderheiten (Tragenormen hauptgewerbe), und Schutzregelungen bei der usw.) bzw. Sonderbestimmungen bei Ausübung beruflicher Tätigkeiten (z.B. Schwanger- und Mutterschaft (Verbot von Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen) sowie Nacht- und Überstundenarbeit für SchwanNormen des Mutterschutzgesetzes für gere und stillende Mütter usw.) schwangere Frauen und stillende Mütter (Verbot von Nacht-, Mehr- und Feiertagsarbeit usw.) - Bestimmungen wirkten sich im allgemeinen nicht benachteiligend aus
- Schutzrechte wirken auch als Einstellungsund Aufstiegshandikap, da ihre Berücksichtigung Nachteile für die Personalkostenkalkulation bringen kann
3. Bestimmungen zum Schutz bei Schwangerschaft und Mutterschaft
40
noch Tabelle 1: Frauenspezifische arbeits- und sozialpolitische Regelungen und Rahmenbedingungen DDR
BRD
-
Schwangerschafts- und Wochenurlaub von - Schwangerschafts- und Wochenurlaub von 6 6 Wochen vor und 20 Wochen nach der EntWochen vor und 8 Wochen nach der Entbinbindung (Vergütung: durchschnittlicher dung (dieser Zeitraum entspricht ab 1994 der Nettoverdienst) EG-Mindestnorm) (Mutterschaftsgeld: in der Regel durchschnittlicher Nettoverdienst)
-
Kündigungsschutz für Schwangere, stillen- - Kündigungsschutz für Schwangere und bis de Mütter, Mütter mit Kindern bis zu 1 Jahr, zum Ablauf von 4 Monaten nach der EntbinMütter/Väter im .Babyjahr' (vgl. 4.) und Aldung sowie in der Regel während des Erzieleinerziehende mit Kindern bis zu 3 Jahren hungsurlaubs (vgl. 4.)
4. Bestimmungen zur Freistellung von der Arbeit und zur Dauer der Arbeitszeit -
bezahlte Freistellung im Anschluß an den - Bundeserziehungsgeld- und -urlaubsgesetz Wochenurlaub (in Ausnahmefällen auch (Anspruch: Mütter und Väter) dem Vater oder der Großmutter des Kindes - 18 Monate Erziehungs.urlaub' für jedes Kind gewährt) - Erziehungsgeld bei Unterbrechung der Er* für das 1. und 2. Kind: 1 Jahr werbstätigkeit oder Reduzierung auf maximal 19 Wochenstunden * ab dem 3. Kind: 18 Monate * für Alleinerziehende: bis zum 3. Lebens- - 600 D M für 6 Monate einkommensunabhänjahr des Kindes, sofern kein Krippenplatz gig, dann einkommensabhängig (Grenze bei 1 zur Verfügung stand (für Verheiratete Kind: 29.400 D M Jahreseinkommen plus unbezahlt) 4.200 D M für jedes weitere Kind, wird nicht auf Sozial-, Arbeitslosenhilfe oder Wohngeld, (Vergütung: 7 0 - 9 0 % des Nettodurchaber auf das Mutterschaftsgeld angerechnet schnittsverdienstes) - Alleinerziehende erhalten für die gesamte Dauer des Erziehungsurlaubs das volle Erziehungsgeld (bis zu einem Jahresnettoeinkommen von 23.700 D M bei 1 Kind plus 4.200 D M für jedes weitere Kind) - ab I.I. 1992: bei Kindern vom Geburtsjahrgang 1992 an können die Eltern 3 Jahre Erziehungsurlaub nehmen, Verlängerung der Bezugsdauer von Erziehungsgeld für Geburten ab 1.1.1993 von 18 auf 24 Monate (ab dem ersten Monat einkommensabhängig)
-
weitreichende Rückkehrrechte auf den vorherigen bzw. einen äquivalenten Arbeitsplatz nach der Freistellungszeit
kein Anspruch nach Rückkehr auf den vorherigen, aber auf einen vergleichbaren Arbeitsplatz spätere Berufsrückkehr wird durch die unzureichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten erschwert (Teilzeitarbeit als verbreitete Strategie)
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noch Tabelle 1: Frauenspezifische arbeits- und sozialpolitische Regelungen und Rahmenbedingungen DDR
BRD
- monatlich ein bezahlter Hausarbeitstag für - länderspezifische Regelungen zum Haushaltsvollbeschäftigte Frauen mit eigenem Haustag, die aufgrund der darin vorgeschriebenen halt, wenn sie verheiratet waren, wenn minArbeitszeiten kaum noch Anwendung finden destens 1 Kind bis zu 18 Jahren oder pflegebedürftige Angehörige im Haushalt lebten oder wenn sie das 40. Lebensjahr vollendet hatten (für Männer nur, wenn sie alleinerziehend waren oder eine pflegebedürftige Ehefrau hatten) - bezahlte Freistellungen zur Pflege erkrank- - bezahlte Freistellung zur Pflege erkrankter ter Kinder bis zum Alter von 14 Jahren (in Kinder in Höhe von mindestens 80 % des Ausnahmefällen auch dem Vater oder andeNettodurchschnittsverdienstes bis zu 5 ren Personen gewährt) Arbeitstagen pro Elternteil und je Kind bis zum Alter von 8 Jahren (Anspruch eines El* 4 Wochen im Jahr bei 1 Kind (für ternteils ist nicht auf den anderen übertragbar) Alleinerziehende) * 6 Wochen im Jahr bei 2 Kindern - ab 1.1.1992: Erhöhung des Anspruchs auf * 8 Wochen im Jahr bei 3 Kindern Krankengeld für jedes Kind bis zum Alter von * 10 Wochen im Jahr bei 4 Kindern 12 Jahren bis zu 10 Arbeitstagen je Kalenderjahr (bei Verheirateten pro Elternteil, bei * 13 Wochen im Jahr bei 5 und mehr Alleinerziehenden bis zu 20 Arbeitstagen Kindern pro Kind) (Vergütung: 70-90 % des Nettodurchschnittsverdienstes) - ab 1.1.1993: bezahlte Freistellung bis zum Alter von 14 Jahren des Kindes - Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit - in Abhängigkeit vom Tarifvertrag wöchentvon 43 3/4 auf 40 Stunden bei vollem Lohnliche Arbeitszeit von 40 Stunden oder weniger ausgleich, wenn mindestens 2 Kinder unter (durchschnittliche Wochenarbeitszeit etwa 16 Jahren im Haushalt lebten bzw. bei Drei38,5 Stunden) schichtarbeit (Zweischichtarbeit: 42 Stunden) 11.
Förderungsregelungen
1. Generell fixierte Verpflichtung der Betriebe und Einrichtungen zur Unterstützung und bezahlten Freistellung von Frauen für Ausund Weiterbildungsmaßnahmen
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1. Diskriminierungsverbot (ohne ausdrückliche Förderungsnormen) bei der Einstellung, Beförderung, Bezahlung, bei einer Weisung oder Kündigung des Arbeitsverhältnisses (im BGB); AFG enthält Förderungsgebot im Hinblick auf die Qualifizierung von Frauen, die nach einer ,Familienphase' wieder ins Erwerbsleben zurückkehren wollen oder müssen
noch Tabelle 1: Frauenspezifische arbeits- und sozialpolitische Regelungen und Rahmenbedingungen DDR
BRD
2. Jährliche Erarbeitung spezieller Frauenförde- 2. Förderungsmöglichkeiten über indirekte Anrungspläne als Bestandteil der Betriebskollekreize für Unternehmen oder Sozialleistungen tivverträge mit genauen Angaben zur Frauen(AFG, kommunale Förderprogramme) qualifizierung (zunehmend formal gehandhabt) 3. Besondere Unterstützungs- und Förderungsregelungen für Studentinnen und Lehrlinge mit Kind III. Finanzielle
Transferleistungen
(vgl. auch I.)
1. Zahlung eines kumulativen monatlichen 1. Kindergeld, das ab dem 2. Kind einkommensKindergeldes in Höhe von (Altersgrenze = abhängig gewährt wird (Altersgrenze = 27 16 Jahre): Jahre, falls solange eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert wird) * 50 Mark beim 1. Kind * 100 Mark beim 2. Kind - bis 30.6.1990: * 150 Mark beim 3. und jedem weiteren * 50 DM beim 1. Kind Kind (ab Anfang 1990 Zuschläge zum * 70-100 DM beim 2. Kind Kindergeld aufgrund der Streichung von * 140-220 DM beim 3. Kind Subventionen); * 140-240 DM ab dem 4. Kind - gestaffelte Steuerfreibeträge für Verheirate- - ab 1.7.1990: Erhöhung des Kindergeldes te und Familien mit Kindern mit vergleichsbeim 2. Kind auf 100-130 DM weise geringen Differenzierungen - ab 1992: * 70 DM beim 1. Kind * 7 0 - 1 3 0 DM beim 2. Kind * 3. und folgende Kinder wie zuvor - ab 1994: * Kindergeld reduziert sich einkommensabhängig ab dem 3. Kind auf 70 DM - außerdem werden im öffentlichen Dienst einkommensabhängig Familienzuschläge gewährt, und in einigen Bundesländern wird ein Landeserziehungs- bzw. Familiengeld gezahlt (z.B. ab 1993 in Sachsen in Höhe von 400 DM) - für Familien, die den Kinderfreibetrag nicht voll ausnutzen können (bis 1989: 2.484 DM/ Kind, ab 1990: 3.024 DM/Kind, ab 1992: 4.104 DM/Kind), wird ein Kindergeldzuschlag in Höhe von bis zu 48 DM (iab 1992: 65 DM) je Kind gezahlt - Alleinerziehenden werden Haushaltsfreibeträge gewährt (5.616 DM), außerdem sind für sie Kinderbetreuungskosten von der Einkommenssteuer absetzbar (Freibetrag in Höhe von 480 DM/Kind)
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noch Tabelle 1: Frauenspezifische arbeits- und sozialpolitische Regelungen und Rahmenbedingungen DDR
BRD
2. Ausbildungsbeihilfen für Schüler der Abiturstufe und Stipendien, die unabhängig vom Einkommen der Eltern gewährt wurden
2. Ausbildungsbeihilfen in Abhängigkeit vom Elterneinkommen und teilweise rückzahlpflichtig; Ausbildungsförderung, Wohngeld und Sozialhilfe sind bedarfsorientierte Trans ferleistungen, die nur bis zu bestimmten Einkommensgrenzen gewährt werden
3. Erhebliche Preis- und Mietsubventionen unter partieller Berücksichtigung der Kinderzahl und der Familiensituation
3. Ehegatten-Splitting; Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für mitversicherte Familienangehörige
4. Zahlung einer einmaligen Geburtenbeihilfe in Höhe von 1.000 Mark bei j e d e m Kind 5. Gewährung eines zinslosen Ehekredits in H ö h e von 7.000 Mark, sofern die Anspruchsvoraussetzungen (z.B. bezüglich des Alters) vorlagen - bei der Geburt von Kindern erfolgte ein entsprechender Krediterlaß * beim 1. Kind: 1.000 Mark * beim 2. Kind: 1.500 Mark * beim 3. Kind: 2.500 Mark - bei der Geburt des 3. Kindes wurde der schon getilgte Differenzbetrag auch nach Ablauf der Tilgungsfrist rückerstattet IV. Infrastrukturelle
Bedingungen
zur außerhäuslichen
Kinderbetreuung
-
Trägerschaft: Städte, Gemeinden, Kirchen und Betriebe (11 % aller Kinderkrippen und -gärten waren Betrieben angeschlossen) - Ganztagsversorgung, preiswertes Essen und kostenlose Unterbringung
-
1. Kinderkrippen für Kinder bis zum Alter von 3 Jahren (Versorgungsquote 1989: 80 %; vorrangige Berücksichtigung der Kinder von Alleinerziehenden)
1. 1986 f ü r 1,6 % aller Kinder im entsprechenden Alter Krippenplätze (vorwiegend für Kinder von Alleinerziehenden reserviert)
2. Kindergärten für Kinder bis zum Schuleintritt (Versorgungsquote 1989: 95 %)
2. 1986 für 62 % aller Kinder im Vorschulalter Kindergartenplätze (für 9 % Plätze in Ganztagskindergärten)
44
differenziertes Trägerschaftsmodell: K o m m u nen, freie und gemeinnützige Träger - mitunter nur halbtags geöffnet, Schließungen während der Hauptferienzeit, höhere Kostenbeteiligung der Eltern
noch Tabelle 1: Frauenspezifische arbeits- und sozialpolitische Regelungen und Rahmenbedingungen DDR
BRD
3. Außerschulische Betreuung für Kinder der 1 .-4. Klasse in Schulhorten (Versorgungsquote 1989: 81 %)
3. 1986 für 4,4 % aller Kinder an Grundschulen Hortplätze (für 3,6 % aller Kinder Ganztagsschulen)
4. Staatliche, betriebliche und schulische Ferienbetreuung Deutschland nach der Wiedervereinigung V.
Übergangsreglungen
Schutzrechtliche
Regelungen
- allgemeines Kündigungsschutzrecht der Bundesrepublik wurde ab 1.7.1990 wirksam (Kündigungsschutzgesetz) - Ersetzung der Arbeitsschutzbestimmungen durch vergleichbare bundesdeutsche Regelungen ab Anfang 1991 - Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen und Verbot der Beschäftigung von Frauen im Bauhauptgewerbe wurden in den neuen Bundesländern nicht in Kraft gesetzt und sind inzwischen auch in den alten Bundesländern entfallen - DDR-Regelungen zum Schwangerschafts- und Wochenurlaub waren noch bis 31.12.1990 in Kraft, galten aber noch für Mütter fort, deren Kinder vor dem 1.1.1991 geboren wurden, ab 1.1.1991: Mutterschutzgesetz - Regelungen zum Kündigungsschutz bei Schwanger- und Mutterschaft galten bis zum 31.12.1990 (gelten fort, sofern das Kind vor dem 31.12.1990 geboren wurde; für Alleinerziehende gilt diese Regelung, wenn das Kind vor dem 1.1.1992 geboren wurde, längstens also bis zum 31.12.1994); im Falle der Stillegung von Betrieben oder Betriebsteilen droht auch besonders geschützten Arbeitskräften eine fristgemäße Kündigung, generell ab 1.1.1991: Mutterschutz· und Bundeserziehungsgeldgesetz - Regelung zum .Babyjahr' war ab 1.1.1991 nur noch in Kraft, sofern das Kind vor dem 31.12.1990 geboren wurde, sonst ab 1.1.1991: Bundeserziehungsgeldgesetz - Regelung, die besagt, daß Mütter, die keinen Krippenplatz bekamen, solange freigestellt wurden (längstens bis zum 3. Lebensjahr des Kindes), gilt ab 1.1.1991 nur dann fort, wenn das Kind vor dem 31.12.1990 geboren wurde und tritt am 31.12.1993 endgültig außer Kraft - Bestimmungen zum Hausarbeitstag galten noch bis Ende 1991 - DDR-Freistellungsregelungen zur Pflege erkrankter Kinder waren noch bis zum 30.6.1991 gültig, ab 1.7.1991: bundesdeutsche Normalregelung - Vereinbarung zur wöchentlichen Normalarbeitszeit galt maximal bis zum 30.6.1991, spätestens ab 1.7.1991: entsprechende tarifvertragliche Vereinbarungen Förderungsregelungen - im Zuge der arbeitsrechtlichen Anpassungen nach dem Staatsvertrag (18.5.1990) wurden alle DDR-Regelungen außer Kraft gesetzt - seit dem 3.10.1990 gilt das AFG der Bundesrepublik mit einigen Besonderheiten des erst am 1.7.1990 in Kraft getretenen AGB der DDR (z.B. hinsichtlich Fortbildung und Umschulung, Kurzarbeit, ABM usw.)
45
noch Tabelle 1: Frauenspezifische arbeits- und sozialpolitische Regelungen und Rahmenbedingungen Deutschland nach der Wiedervereinigung Finanzielle
Transferleistungen
- Geburtenbeihilfe und Ehekredit entfielen ab 1991; zuletzt galt eine Regelung (für Kinder, die bis zum 31.12.1990 geboren wurden), nach der Krediterlässe in folgender Höhe gewährt wurden: * 500 DM beim 1. Kind * 750 DM beim 2. Kind * 1.250 DM beim 3. Kind - ab 1.1.1991: Einführung des gegliederten Systems der Kranken- und Rentenversicherung - ab 1.1.1991: Bundeskindergeldgesetz (Ein-Kind-Familien erhielten bis Ende 1991 65 DM monatlich, danach bundeseinheitlich: 70 DM) - alle Frauen, die zwischen dem 3.10. und dem 31.12.1990 ein Kind bekommen haben, erhalten monatlich eine Mütterunterstützung: * 250 DM für das 1. Kind * 300 DM für das 2. Kind * 350 DM für das 3. und jedes weitere Kind Infrastrukturelle
Bedingungen zur außerhäuslichen
Kinderbetreuung
- gemäß den Bestimmungen des Einigungsvertrags (6.9.1990) beteiligte sich der Bund für eine Übergangszeit bis zum 30.6.1991 an den Kosten der Einrichtungen zur Kindertagesbetreuung; danach müssen die Länder, Kommunen und andere Träger für die Kosten aufkommen; die Kostenbeteiligung der Eltern wurde einkommensabhängig geregelt - im Zusammenhang mit der Neuregelung des Abtreibungsrechts und der Verabschiedung eines neuen „Schwangeren- und Familienhilfegesetzes" (ab 5.8.1992 in Kraft) wurde beschlossen, daß ab 1996 in allen Ländern der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gesichert sein soll (Finanzierung bleibt Ländersache) Quellen: Berghahn und Fritzsche (1991), Berghahn (1992).
2.2 Frauen- und Familienpolitik im Zeitraum von 1945 bis 1989/90 und deren gesellschaftlicher Kontext Die unmittelbare Nachkriegszeit (1945-49) Die Situation in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) war in dieser Zeit durch erhebliche ökonomische und demographische Verwerfungen gekennzeichnet. Sowohl die durch Kriegsschäden, Kriegswirtschaft und Reparationsleistungen gezeichnete Wirtschaft (vgl. Richter, 1991) als auch der Mangel an Männern trugen zur Entstehung einer prekären Arbeitskräftesituation bei. Schon sehr bald wurde die Frauenarbeit zur wirtschaftlichen Überlebensfrage. Im Jahr 1946 lebten
46
Tabelle 2: Die Entwicklung der Wohnbevölkerung in der SBZ/DDR von 1946 bis 1989 Jahr
1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984
Frauenanteil
Weibliche je
Insgesamt
Wohnbevölkerung am Jahresende Weiblich
Männlich
(in %)
100 männliche Personen
18.488.316 19.102.000 19.044.000 18.793.282 18.360.000 18.350.128 18.300.111 18.112.122 18.001.547 17.832.232 17.603.578 17.410.670 17.311.707 17.285.902 17.188.488 17.079.306 17.135.867 17.181.083 17.003.632 17.039.717 17.071.380 17.089.884 17.087.236 17.074.504 17.068.318 17.053.699 17.011.343 16.951.251 16.890.760 16.820.249 16.767.030 16.757.857 16.751.375 16.740.324 16.739.538 16.705.635 16.706.096 16.709.067 16.671.327
10.628.771 10.838.000 10.714.000 10.449.760 10.210.000 10.191.113 10.153.721 10.040.333 9.964.835 9.863.516 9.727.273 9.615.429 9.541.891 9.511.213 9.443.214 9.374.949 9.391.931 9.396.601 9.255.497 9.260.056 9.263.125 9.259.979 9.243.733 9.222.931 9.203.053 9.180.726 9.144.764 9.099.915 9.055.942 9.002.834 8.961.141 8.940.816 8.920.470 8.900.840 8.882.573 8.856.523 8.841.088 8.826.221 8.794.089
7.859.545 8.264.000 8.330.000 8.343.522 8.150.000 8.159.015 8.146.390 8.071.789 8.036.712 7.968.716 7.876.305 7.795.241 7.769.816 7.774.689 7.745.274 7.704.357 7.743.936 7.784.482 7.748.135 7.779.661 7.808.255 7.829.905 7.843.503 7.851.573 7.865.265 7.872.973 7.866.579 7.851.336 7.834.818 7.817.415 7.805.889 7.817.041 7.830.905 7.839.484 7.856.965 7.849.112 7.865.008 7.882.846 7.877.238
57,49 56,74 56,26 55,60 55,61 55,54 55,48 55,43 55,36 55,31 55,26 55,23 55,12 55,02 54,94 54,89 54,81 54,69 54,43 54,34 54,26 54,18 54,10 54,02 53,92 53,83 53,76 53,68 53,61 53,52 53,45 53,35 53,25 53,17 53,06 53,02 52,92 52,82 52,75
135 131 129 125 125 125 125 124 124 124 124 123 123 122 122 122 121 121 119 119 119 118 118 117 117 117 116 116 116 115 115 114 114 114 113 113 112 112 112
47
noch Tabelle 2: Die Entwicklung der Wohnbevölkerung in der SBZ/DDR von 1946 bis 1989 Jahr
1985 1986 1987 1988 1989
Frauenanteil
Weibliche je
Insgesamt
Wohnbevölkerung am Jahresende Weiblich
Männlich
(in %)
100 mannliche Personen
16.655.219 16.639.877 16.661.423 16.674.632 16.433.796
8.765.774 8.736.263 8.726.126 8.701.830 8.560.496
7.889.445 7.903.614 7.935.297 7.972.802 7.873.300
52,63 52,50 52,37 52,19 52,09
111 111 110 109 109
Quelle: Statistisches Amt der DDR (1990), S. 63, 392
auf dem Territorium der SBZ 18,5 Millionen Menschen. 57,5 Prozent der Wohnbevölkerung waren Frauen, das heißt auf 100 Männer entfielen 135 Frauen (vgl. Tab. 2). Besonders stark ausgeprägt war die zahlenmäßige Disproportion in den Altersgruppen zwischen 2 0 und 4 0 Jahren. In diesen Altersgruppen entsprachen 100 Männern zwischen 182 und 229 Frauen (Obertreis, 1986, S. 39). Viele Frauen waren verwitwet oder hatten wegen der ungünstigen zahlenmäßigen Geschlechterrelation auch in ihrem weiteren Leben nur eine geringe Chance zur Gründung oder Neugründung einer eigenen Familie. Außerdem waren die Scheidungszahlen unmittelbar nach dem Krieg hoch, da viele Ehen durch lange Trennungen und damit verbundene Entfremdungserscheinungen zerrüttet waren (Obertreis, 1986, S. 32). Die männliche Bevölkerung war durch den Krieg besonders stark dezimiert. Hinzu kam, daß viele Männer noch nicht aus der Gefangenschaft zurückgekehrt waren bzw. aufgrund von Verletzungen und Behinderungen als Arbeitskräfte nicht mehr voll einsetzbar waren. „Unbestreitbar lastete der Hauptteil der zu leistenden Überlebensarbeit auf den Frauen. Dennoch schlug die augenscheinliche Bedeutung, die sie für die Beseitigung des gröbsten Chaos und am Wiederaufbau hatten, weder in eine angemessene Form der öffentlichen Anerkennung, noch in wachsenden politischen und ökonomischen Einfluß um." (Merkel, 1990, S. 24)
Eine der Folgen der durch Krieg und Reparationsleistungen bedingten ökonomischen Unausgeglichenheit in der SBZ bestand in einer hohen Arbeitslosigkeit 6 bei
6
48
Der Abbau der Arbeitslosigkeit war kein geradlinig verlaufender Prozeß und konnte auch bis 1949 nicht abgeschlossen werden. 1951 waren in der DDR durchschnittlich 243.351 Arbeitssuchende offiziell registriert (Frauenanteil: 74,2 %). Im Jahr 1955 waren es noch 43.634 Personen (Frauenanteil: 79,2 %) (Staatliche Zentralverwaltung für Statistik, 1956). Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit wurde beispielsweise durch den Abschluß der Demontagen, die Währungsreform, die Umsiedlerströme sowie durch die Rückkehr von Kriegsgefangenen und Spätheimkehrern beeinflußt (Winkler, 1989).
Frauen und Männern einerseits (Winkler, 1989, S. 5 3 ) und einem Mangel an Facharbeitern und Arbeitskräften für schwere körperliche Arbeiten andererseits. Die Situation war durch Arbeitslosigkeit trotz offener Stellen (vor allem in .typischen Männerberufen') gekennzeichnet, da insbesondere die qualifikatorischen Voraussetzungen der Frauen nicht dem Arbeitsplatzangebot entsprachen. Hinzu kam, daß viele ,typische Frauenarbeitsplätze', vor allem in derTextilbranche und in der Verwaltung, infolge des Krieges stark dezimiert waren (Dölling, 1991a; Merkel, 1990). Die Frauenpolitik - im eigentlichen Sinne Arbeitspolitik, die sich aufgrund der spezifischen Bedingungen in besonderem Maße an Frauen richtete - konzentrierte sich demzufolge auf die Einbeziehung arbeitsfähiger Frauen in die unmittelbare Produktion und auf die Bewältigung der Probleme der Frauenarbeitslosigkeit 7 . Anknüpfungspunkte für diese Politik bildeten der schon vor und während des Krieges in Deutschland existierende vergleichsweise hohe Frauenbeschäftigungsgrad (Winkler, 1989, S. 5 3 ) und die Gleichstellungskonzeption der S E D , die sich an sozialdemokratische und kommunistische Vorstellungen der Arbeiterbewegung anlehnte. Die Ziele der Frauenpolitik dieser Zeit schlossen sich jedoch partiell aus, und auch die Strategien zu ihrer Umsetzung waren widersprüchlich. Einerseits wurden Maßnahmen in die Wege geleitet, die das Verbot der Beschäftigung von Frauen mit schwerer und gesundheitsschädigender Arbeit beinhalteten 8 , andererseits wurden bestehende Beschäftigungsverbote aufgehoben oder gelockert, um Frauen in bislang vorrangig männertypische Beschäftigungsfelder zu integrieren (Winkler, 1989, S. 6 4 ) . Zur Umsetzung des letzteren Ziels war es notwendig, Vorurteile und traditionelle Vorstellungen von Frauen und Männern über die Berufstätigkeit von Frauen zu verringern und die Frauen entsprechend zu qualifizieren. Nach Dölling (1991 a) galt die Zeit Ende der 1940er Jahre als die
7
Zunächst war e s notwendig, die A r b e i t s k r ä f t e zu e r f a s s e n , da die mit dem Halbjahrplan 1 9 4 8 b e g i n n e n d e Einführung der Planwirtschaft eine L e n k u n g der A r b e i t s k r ä f t e erforderte ( K u l k e , 1 9 6 7 ) . Laut B e f e h l Nr. 3 des Alliierten Kontrollrats vom 1 7 . 1 . 1 9 4 6 hatten alle arbeitsfähigen Frauen und M ä n n e r die Pflicht, sich bei den A r b e i t s ä m t e r n registrieren zu lassen. „Von der Arbeitspflicht a u s g e n o m m e n waren in der S B Z durch S M A D - B e f e h l Nr. 153 v o m 2 9 . 1 1 . 1 9 4 5 Frauen mit S ä u g l i n g e n und Kindern bis zu s e c h s J a h r e n , die nicht von anderen Personen betreut werden k o n n t e n " (Obertreis, 1 9 8 6 , S . 4 0 ) . Verwitwete oder ges c h i e d e n e Frauen, die allein für ihre K i n d e r sorgen mußten, waren in b e s o n d e r e m M a ß e zur S i c h e r u n g ihres A n r e c h t s auf L e b e n s m i t t e l z u t e i l u n g a u f eine E r w e r b s t ä t i g k e i t angewiesen (vgl. S M A D - B e f e h l Nr. 6 5 v o m 1 5 . 9 . 1 9 4 5 Uber den organisierten Arbeitseinsatz und S M A D - B e f e h l Nr. 2 5 8 vom 2 6 . 7 . 1 9 4 6 über die Unterstützung der Frauen, deren M ä n ner v o m K r i e g e nicht h e i m g e k e h r t sind und Unterstützungen für arbeitsunfähige Frauen).
8
V g l . S M A D - B e f e h l Nr. 3 9 Uber das Verbot der B e s c h ä f t i g u n g von Frauen mit schwerer und gesundheitsschädigender Arbeit v o m 1 9 . 2 . 1 9 4 7 . Außerdem wurden Frauen mit zwei oder mehr Kindern unter 15 Jahren bzw. mit Pflegebedürftigen im Haushalt von der Arbeitspflicht befreit (Verordnung Uber die Sicherung und den Schutz der R e c h t e bei Einweisung von Arbeitskräften vom 6 . 7 . 1 9 4 8 , in: Zentralverordnungsblatt Nr. 2 2 ) .
49
einzige Phase in der Vorgeschichte bzw. Geschichte der DDR, in der Frauen von Männern (wegen der Knappheit an Arbeitsplätzen mit geringen Qualifikationsanforderungen) direkt als Konkurrentinnen in der Arbeitswelt erfahren werden konnten. Betriebe wurden aufgefordert, „für Frauen geeignete Arbeitsplätze auch mit Frauen zu besetzen und gegebenenfalls Männer auf nur für Männer geeignete Plätze umzusetzen". Zu ersterem zählten beispielsweise solche Berufe wie Maschinenarbeiterin, Montiererin, Straßenbahnschaffnerin oder Bauhilfsarbeiterin (Trümmerfrau) (Obertreis, 1986, S. 43 f.). Frauen konzentrierten sich nach dem Krieg sehr viel stärker als vorher in den Wirtschaftsbereichen Land- und Forstwirtschaft, Industrie und Handwerk und im Bereich der privaten Dienstleistungen (Winkler, 1989, S. 54). Die Maßnahmen zur Verringerung der Unterschiede in der Entlohnung von Frauen und Männern müssen auch im Zusammenhang mit der forcierten Eingliederung von Frauen in ihnen bislang nahezu verschlossene Tätigkeitsbereiche und mit den dort vorgefundenen komplizierten Arbeitsbedingungen gesehen werden 9 . Bei Frauen selbst vorhandene Vorurteile hinsichtlich ihrer Berufstätigkeit „bestanden sowohl im Glauben, daß ihre Arbeit etwas Vorübergehendes sei und deshalb das Erlernen eines Berufes überflüssig wäre, als auch in ihren traditionell geprägten Vorstellungen über typische Frauenberufe" (Obertreis, 1986, S. 45 f.). Unter Ausnutzung dieser Orientierungen und bedingt durch die spezifischen ökonomischen Probleme der Nachkriegszeit konzentrierten sich die Qualifizierungsbemühungen in dieser Phase auf das Anlernen der Frauen. „Das Anlernverfahren wurde zum dominierenden Faktor der Eingliederung der Frauen in alle industriellen Arbeitsbereiche." (Obertreis, 1986, S. 46) Ergebnisse narrativer Interviews mit Frauen, die in der Nachkriegszeit in der SBZ gelebt haben, verdeutlichen die spezifischen Belastungen, denen diese Frauen ausgesetzt waren: „Die Frauen waren .gewillt', jede Anstrengung auf sich zu nehmen, um ihr Leben, das ihrer Kinder und - falls heimgekehrt - das ihrer Männer aus existentieller Not und Primitivität herauszuführen, eben ,auch vorwärts zu kommen'. Durchzuhalten, sich zu behaupten, aber auch zu disziplinieren - das hatten sie das erste Mal in der Kindheit gelernt und ein solches Verhalten als erwachsene Frauen im Krieg und Nachkrieg erhärtet. Erklärt das nicht auch, warum die Frauen das, was ihnen später, vor allem in der Arbeit im Betrieb zugemutet wurde, trugen, warum sie ,ohne Federlesen' ( . . . ) schwere Arbeit verrichteten - allerdings darauf bedacht, sich ,nicht die Butter vom Brot' nehmen zu lassen?" (Clemens, 1992, S. 69)
9
50
Vgl. S M A D - B e f e h l Nr. 253 über gleiche Entlohnung von Arbeitern und Angestellten für gleiche Arbeitsleistung unabhängig von Geschlecht und Alter vom 17.8.1946 und S M A D Befehl Nr. 2 3 4 v o m 9.10.1947 über Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität und zur weiteren Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiter und Angestellten der Industrie und des Verkehrswesens, der die Abschaffung aller noch bestehenden niedrigeren Lohnsätze für Frauenarbeit beinhaltete.
Neben den Intentionen einer Frauenarbej/spolitik stand die politische Beeinflussung der Frauen durch gesellschaftliche Organisationen, wie die Frauenausschüsse und ab 1947 den Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD), im Mittelpunkt des Interesses der staatlichen Frauenpolitik 10 . Die SED zog diese Frauenorganisationen schon frühzeitig strategisch auf ihre Seite (Gerhard, 1994). Die Familie war für die Politikgestaltung kaum von Bedeutung. Familienpolitik beschränkte sich auf die Durchsetzung humanitärer Maßnahmen. Gleichzeitig muß betont werden, daß die familienrechtliche Entwicklung, die eine veränderte Rechtsstellung der Frauen bewirkte, bereits 1946 begann. In den Länderverfassungen der SBZ waren die gesetzlichen Bestimmungen, die der Gleichberechtigung von Frauen und Männern entgegenstanden und die die Diskriminierung außerehelich geborener Kinder beinhalteten, aufgehoben worden (Obertreis, 1986).
Frauenarbeitspolitik in der Umbruchphase (1949-57) Ein Blick auf die im Jahr 1949 bestehende Situation, wie sie sich durch die vorhandenen Produktionskapazitäten sowie durch die Struktur der Bevölkerung und die der Arbeitskräfte darstellte, erlaubt erste Rückschlüsse auf die nun noch vehementer betriebene Einbeziehung der Frauen in die gesellschaftliche Produktion und deren ökonomische Bedeutung. „Die Ausgangssituation der DDR war gekennzeichnet durch eine beträchtliche kriegsbedingte Zerstörung der Produktionsanlagen, starke Reparationsverpflichtungen und eine ungünstige Industriestruktur. Zusätzlich erschwerend wirkte die Bevölkerungs- und Arbeitskräftestruktur, die in ihren Disproportionen eine Folge der beiden Weltkriege war." (Obertreis, 1986, S. 48)
Am Ende des Jahres 1949 lebten 18,8 Millionen Menschen in der DDR, darunter 10,5 Millionen Frauen (55,6 %). Auf 100 Männer entfielen 125 Frauen (vgl. Tab. 2). Der seit dem Kriegsende zu verzeichnende Rückgang des Frauenüberschusses um etwa ein Drittel war vor allem auf die Rückkehr der Männer aus der Kriegsgefangenschaft zurückzuführen. Die Struktur der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter war ebenfalls durch eine Überrepräsentation von Frauen gekennzeichnet (vgl. Tab. 3). Die Erhöhung des Frauenanteils an den Berufstätigen war zunächst, um die Aufgaben des Neu- bzw. Wiederaufbaus zu bewältigen, eine aus der Bevölkerungs- und Arbeitskräftestruktur resultierende Notwendigkeit (Obertreis, 1986). Die vergleichsweise langsame technologi-
10 Vgl. SMAD-Befehl Nr. 80 zur Genehmigung der Schaffung antifaschistisch-demokratischer Frauenausschüsse bei den Stadtverwaltungen in der SBZ vom 30.10.1945.
51
Tabelle 3: Die Entwicklung der weiblichen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter und der Frauenerwerbstätigenquote in der S B Z / D D R von 1946 bis 1989 Jahr
Wohnbevölkerung im arbeitsfähigen Alter r, .. Insgesamt Weiblich Frauenanteil 6 (in h )
Weibliche Berufstätige · . .. imarbeitsfähigen Alter
Weibliche Lehrlinge
Frauenerwerbstatigenquote
(ohne Lehrlinge)
1946 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981
52
11.660.166 11.973.339 11.781.917 11.734.400 11.698.126 11.580.338 11.521.642 11.402.495 11.202.759 11.004.389 10.880.641 10.763.868 10.542.093 10.295.045 10.210.734 10.144.342 9.932.609 9.916.271 9.907.024 9.884.650 9.879.344 9.870.694 9.881.068 9.886.956 9.892.372 9.915.790 9.959.437 10.046.449 10.165.981 10.295.762 10.427.367 10.515.010 10.580.640 10.620.072
6.868.881 6.646.396 6.528.034 6.463.635 6.424.654 6.333.823 6.271.725 6.181.664 6.044.272 5.912.963 5.811.126 5.722.541 5.580.994 5.432.965 5.366.094 5.312.948 5.152.870 5.127.016 5.100.679 5.073.523 5.049.096 5.025.121 5.010.682 4.998.005 4.981.004 4.972.138 4.977.839 5.014.694 5.081.163 5.156.426 5.228.584 5.261.880 5.256.675 5.243.861
58,91 55,51 55,41 55,08 54,92 54,69 54,43 54,21 53,95 53,73 53,41 53,16 52,94 52,77 52,55 52,37 51,88 51,70 51,49 51,33 51,11 50,91 50,71 50,55 50,35 50,14 49,98 49,92 49,98 50,08 50,14 50,04 49,68 49,38
-
-
-
-
2.730.000
150.000
-
44,12
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
3.244.800
179.800
-
55,40
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
3.237.000
121.000
60,17
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
3.274.000
176.000
-
67,29
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
3.312.100 3.381.100 3.380.000 3.484.200 3.538.600 3.569.700 3.670.400 3.738.800 3.797.000 3.808.900 3.848.400 3.869.600
200.500 201.600 205.900 208.200 200.400 196.200 197.500 212.300 216.700 215.600 212.000 201.100
-
70,10 71,68 71,99 74,26 75,11 75,10 76,12 76,62 76,76 76,48 77,24 77,63
noch Tabelle 3: Die Entwicklung der weiblichen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter und der Frauenerwerbstätigenquote in der SBZ/DDR von 1946 bis 1989 Jahr
W o h n b e v ö l k e r u n g im arbeitsfähigen Alter ,,, .... , ., Insgesamt Weiblich Frauenanteil " ,. _ ,