Theorie und Praxis der Sozialpolitik in der DDR [Reprint 2021 ed.] 9783112576281, 9783112576274


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German Pages 482 [477] Year 1980

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Theorie und Praxis der Sozialpolitik in der DDR [Reprint 2021 ed.]
 9783112576281, 9783112576274

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Theorie und Praxis der Sozialpolitik in der DDR

Autoren D r . ANTON

FILLER

Prof. Dr. sc. C H R I S T I A N G R A F Prof. Dr. sc. A L F R E D K E C K Prof. Dr. habil. O T T O M A R K R A T S C H Prof. Dr. H E R T A K U H R I G Prof Dr.-Ing. U L E L A M M E R T D r . sc. GERHARD

LIPPOLD

Prof. Dr. K U R T L U N G W I T Z Prof. Dr. sc. G Ü N T E R M A N Z Prof. Dr. R O L F M O N T A G D r . sc. GÜNTER

Prof. Dr.

RADKE

JOACHIM

D r . sc. GÜNTER

RITTERSHAUS

SCHMUNK

Prof. Dr. habil. G E R H A R D T I E T Z E Prof. Dr. sc. G U N N A R W I N K L E R Mitautoren an einzelnen

Kapiteln

Dr.-Ing. Horst Adami; Jürgen Boje; Peter Brenner; Dr. Johanna Groß; Dr. habil. Reinhard Gürtler; Dr. Peter Delitz; Dr. Lothar K ü h n ; Gerhard Liebscher; Prof. Dr. Ernst Mader; Dr. Hans Mittelbach; Dr. Rudolf Quapis; Prof. Dr. sc. Joachim Rohde; Dr. Joachim Schindler; Dr. Christa Seidel, Dr. sc. Renate Walter

Theorie und Praxis der Sozialpolitik in der DDR herausgegeben vom Institut für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften der D D R durch Günter Manz und Gunnar Winkler

AKADEMIE-VERLAG • B E R L I N 1979

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag, Berlin 1979 Lizenz-Nr. 202 • 100/36/79 Einband und Schutzumschlag: Peter Schulz Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen • 5417 Bestell-Nr. 753 602 1 (6529) • LSV 0325 Printed in GDR DDR 2 8 - M

Inhaltsverzeichnis

A

Inhalt und Charakteristik der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik . . . 1. 1.1. 1.2.

Inhalt und Aufgaben der Sozialpolitik Sozialpolitik als Bestandteil der einheitlichen Politik der Arbeiterklasse Merkmale der Sozialpolitik im Prozeß der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft Die Prinzipien der sozialistischen Sozialpolitik Sozialpolitik im staatsmonopolistischen Kapitalismus

20 26 35

2.1. 2.2. 2.3. 2.4.

Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft Sozialismus und Wachstum der Produktion Soziale Aspekte des wissenschaftlich-technischen Fortschritts . . . Die weitere Vertiefung des sozialistischen Charakters der Arbeit . . Ökonomische Interessen — Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik

52 53 56 61 79

3. 3.1. 3.2.

Die Gewährleistung der sozialen Grundrechte in der DDR Grundlagen und Inhalt der sozialen Sicherheit Zur Verwirklichung der sozialen Grundrechte in der DDR

83 83 89

1.3. 1.4. 2.

B

9 Ii 12

Der Einfluß der Sozialpolitik auf die Gestaltung sozialer Entwicklungsprozesse

107

4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4.

109 109 112 118

5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4.

Sozialpolitik und Bevölkerungsreproduktion Die Bevölkerung — eine soziale Kategorie Gesellschaftliche Entwicklung und Bevölkerungsreproduktion . . . Zur demographischen Situation in der DDR Die Bevölkerungsreproduktion als Gegenstand der Bevölkerungs- und Sozialpolitik

126

134 Sozialstruktur — soziale Annäherung Der Einfluß der Sozialpolitik auf die Entwicklung der Sozialstruktur 134 Das Wachstum der Arbeiterklasse und ihrer führenden Rolle — wichtigstes Anliegen der Sozialpolitik 146 Einige Aspekte der Bildungs- und Qualifikationsstruktur 155 Die soziale Annäherung der Klassen und Schichten — Grundprozeß der Sozialstruktur 162

6. 6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5.

Sozialistische Lebensweise und Bedürfnisbefriedigung Zur Bestimmung der Lebensweise und zur weiteren Entwicklung der sozialistischen Lebensweise Die Bedürfnisse der Bevölkerung und ihre Befriedigung Das sozialistische Lebensniveau Zusammenhang zwischen Lebensweise und Lebensniveau Volkswirtschaftliche Planung des Lebensniveaus

170 175 185 195 199

7. 7.1. 7.2. 7.3.

Arbeitszeit und arbeitsfreie Zeit Zeitverwendung und Persönlichkeitsentwicklung Das Zeitbudget der Bevölkerung Struktur des Zeitbudgets in der DDR

215 215 219 225

8. 8.1.

Sozialpolitische Aspekte der Einkommenspolitik Das Prinzip der Verteilung nach der Arbeitsleistung als Grundprinzip der Verteilung im Sozialismus Das Arbeitseinkommen als Hauptbestandteil der Einkommen der Bevölkerung Die gesellschaftlichen Fonds als Bestandteil der Einkommen der Bevölkerung Das Realeinkommen als wichtiger Ausdruck für das Lebensniveau im Sozialismus Die Beziehungen zwischen der Entwicklung der Geldeinkommen und ihren Realisierungsbedingungen

234

8.2. 8.3. 8.4. 8.5. 9.

Der Verbrauch von Konsumgütern und Dienstleistungen und die Versorgung der Bevölkerung

9.1.

Der sozialistische Charakter des Verbrauchs von Konsumgütern und Dienstleistungen durch die Bevölkerung Die wirtscliafts- und sozialpolitischen Hauptlinien der Entwicklung des Verbrauchs von Konsumgütern und Dienstleistungen Die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern und Dienstleistungen

9.2. 9.3.

Hauptgebiete 10. 10.1. 10.2. 10.3.

11. 11.1.

Die Lösung der Wohnungsfrage — Kernstück der Sozialpolitik im Zeitraum bis 1990 Der sozialpolitische Inhalt und die Zielstellungen der Wohnungspolitik Das langfristige Wohnungsbauprogramm 1976 bis 1990 Aufgaben der örtlichen Staatsorgane bei der Verbesserung der Wohnbedingungen Das Gesundheits- und Sozialwesen Der Gesundheitsschutz der Bevölkerung als gesellschaftliche Aufgabe

170

234 237 245 253 259 264 264 272 283 295

297 297 303 314 320 320

11.2. 11.3. 11.4.

326 329 339

12.

Die Sozialversicherung

346

12.1. 12.2.

Die Sozialversicherung — Bestandteil des Systems sozialer Sicherheit Die Aufgabenbereiche der Sozialversicherung bei der sozialen Betreuung der Werktätigen und ihrer Familienangehörigen Die Sozialversicherung und die freiwillige Versicherung der Bürger bei der Staatlichen Versicherung der D D R

346

373

13.

Die Entwicklung von Urlaub und Erholung

375

13.1.

Notwendigkeit, Möglichkeiten und Bedingungen für die Entwicklung des Urlaubs und der Erholung Die Entwicklung des Erholungswesens in der D D R Ergebnisse und künftige Probleme bei der Entwicklung der Kapazitäten und Leistungen im Erholungswesen Aufgaben bei der qualitativen Gestaltung der Erholungsbedingungen Aspekte bei der Verteilung und Preisgestaltung touristischer Leistungen

12.3.

13.2. 13.3. 13.4. 13.5.

D

Erhöhung der Qualität und Wirksamkeit medizinischer Arbeit . . . Die Entwicklung des Gesundheits- und Sozialwesens als integrierter Bestandteil sozialpolitischer Prozesse Der Gesundheits- und Arbeitsschutz in den Betrieben

364

375 377 384 388 389

14.

Die sozialen Aspekte der Gestaltung und des Schutzes der natürlichen Umwelt

391

14.1. 14.2.

Die sozialpolitischen Anforderungen an die Gestaltung und den Schutz der natürlichen Umwelt Die sozialpolitischen Aufgaben bei der Umweltgestaltung

391 399

15.

Die Förderung der Familie — Bestandteil der Sozialpolitik der D D R

413

15.1. 15.2. 15.3.

Familie und Gesellschaft Prinzipien sozialistischer Familienpolitik in der D D R Die Sicherung der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft

413 417 421

Leitung und Planung

431

16.

Leitung und Planung der sozialen Entwicklung

433

16.1. 16.2. 16.3.

Erfordernisse und Möglichkeiten der Planung der sozialen Entwicklung Die Planung der Arbeits- und Lebensbedingungen Die Zusammenarbeit von örtlichen Volksvertretungen und Betrieben zur sozialen Entwicklung

433 440

Tabellenverzeichnis

457

Personenregister

460

Sachregister

462

450

7

1.

Inhalt und Aufgaben der Sozialpolitik

Der Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten war und ist au! die E r richtung einer Gesellschaftsformation gerichtet, in der alles zum Wohle des Menschen, für das Glück des Volkes, für die Interessen der Arbeiterklasse und aller Werktätigen geschieht. In der Deutschen Demokratischen Republik konnten insbesondere seit dem V I I I . Parteitag der S E D bedeutende Ergebnisse bei der Erhöhung des materiellen und geistig-kulturellen Lebensniveaus erreicht werden, verbunden mit der weiteren Ausprägung der sozialistischen Lebensweise und der Herausbildung sozialistischer Persönlichkeiten. I m Programm der S E D werden „soziale Sicherheit und stetige Erhöhung des Lebensniveaus für alle Werktätigen und die Herausbildung eines neuen Bewußtseins" als „grundlegende Ergebnisse des sozialistischen Aufbaus" 1 bezeichnet. Diese Politik entspricht dem ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus; sie ist objektiv begründet. „Nur der Sozialismus wird es ermöglichen", schrieb Lenin, „die gesellschaftliche Erzeugung und Verteilung der Güter nach wissenschaftlichen Erwägungen umfassend zu verbreiten und richtig zu meistern, ausgehend davon, wie das Leben aller Werktätigen aufs äußerste erleichtert, wie ihnen ein Leben in Wohlstand ermöglicht werden kann. Nur der Sozialismus kann das verwirklichen. Und wir wissen, daß er das verwirklichen muß . . . " 2 Diesen Erfordernissen wird mit der durch den V I I I . und I X . Parteitag der S E D formulierten Hauptaufgabe in ihrer Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik in schöpferischer Anwendung auf die gegenwärtigen Bedingungen des Aufbaus der entwickelten sozialistischen Gesellschaft Rechnung getragen. „Entsprechend dem ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus besteht die Hauptaufgabe bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der weiteren Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität." 3

1 2

3

Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1976, S. 7. W. I. Lenin, Rede auf dem I. Kongreß der Volkswirtschaftsräte, 26. Mai 1918, in: Werke, Bd. 27, Berlin 1960, S. 408. Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, a. a. O., S. 20. 11

Die Arbeiterklasse ist die erste Klasse in der Menschheitsgeschichte, die im Bündnis mit den anderen Werktätigen in der Lage ist, durch Sturz der Ausbeuterordnung solche gesellschaftlichen Verhältnisse zu schaffen, die den Bedürfnissen und Interessen der Mehrheit der Menschen entsprechen. Die Worte von Marx und Engels werden Wirklichkeit: „An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." 4

1.1.

Sozialpolitik als Bestandteil der Arbeiterklasse

der einheitlichen

Politik

Die marxistisch-leninistische Sozialpolitik ist ein Bereich der praktischen Politik; letztere hat in ihrer Gesamtheit „die politische Tätigkeit der Klassen, ihrer Organisationen und politischen Führungsgremien sowie die von Institutionen und Vereinigungen ebenso wie die Tätigkeit von Staaten, Staatenbündnissen, multilateraler Einrichtungen und Weltsysteme als Kampf um die Durchsetzung der jeweiligen politischen Interessen, Ziele und Programme" 5 zum Inhalt. Die Politik' der Arbeiterklasse als umfassende Gesellschaftspolitik bestimmt unter sozialistischen Bedingungen die politische, ökonomische und soziale Entwicklung auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens. Sie zielt in ihrer Gesamtheit auf die Erhaltung des Friedens als grundlegende Bedingung jeglicher sozialen Entwicklung, auf die weitere Vervollkommnung der sozialistischen Produktionsverhältnisse, das Wachstum der Produktivkräfte, vor allem in Verbindung mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt im Interesse der Menschen und ausgehend von ihren Bedürfnissen. In gleichem Maße, wie die ökonomische, soziale und geistig-kulturelle Entwicklung einander bedingen und miteinander verflochten sind, bedingen sich auch die wesentliche Seiten der gesellschaftlichen Entwicklung reflektierenden Aspekte der Politik wie Wirtschafts- und Sozialpolitik, Kultur- und Bildungspolitik, Außen- und Innenpolitik usw. Die Sozialpolitik ist unter sozialistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen vor allem dadurch charakterisiert, daß sie a) keinen eigenständigen, verselbständigten Teil der Politik darstellt, der andere Seiten „ergänzt" oder „korrigiert" im Interesse einer „harmonischen" Entwicklung. Die Sozialpolitik wird nur wirksam im Wechselverhältnis und in Übereinstimmung mit allen anderen Bereichen der Politik. Sie ist entspre4

6

K.Marx/F.Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke (im folgenden MEW), Bd. 4, Berlin 1974, S. 482. Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie, Berlin 1977, S. 486.

12

chend dem Zusammenhang von ökonomischer und sozialer Entwicklung vor allem mit der Wirtschaftspolitik eng verflochten. Daraus leitet sich auch ab, daß entsprechende sozialpolitische Aktivitäten und Maßnahmen nicht isoliert von anderen Aspekten der Politik, wie z. B. der Wirtschaftspolitik, betrachtet werden können. So hat z. B. die im sozialpolitischen Programm des IX. Parteitages beschlossene Verlängerung des Urlaubs sowohl wirtschaftspolitische, sozialpolitische als auch kultur- und bildungspolitische sowie gesundheitspolitische Aspekte, um nur einige hervorzuheben. b) Aus der Komplexität gesellschaftlicher Entwicklung ergibt sich, daß einerseits sozialpolitische Ziele, wie die Annäherung der Klassen und Schichten durch Minderung vorhandener Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, nicht durch Einzelmaßnahmen auf sozialpolitischem Gebiet verwirklicht werden können, wie anderseits sozialpolitische Maßnahmen, z. B. zur Entwicklung der Geburtenfreudigkeit, zugleich ethische, pädagogische, gesundheitsfördernde und andere Zielstellungen einschließen. Die Sozialpolitik wird über die Gesamtheit der Gestaltung der sozialen Beziehungen und der ihnen zugrunde liegenden materiellen und ideellen Bedingungen wirksam. c) Die Sozialpolitik wird wirksam sowohl über die Veränderungen der materiellen Existenzbedingungen der Klassen, Schichten und sozialen Gruppen als auch über die Veränderungen damit verbundener Verhaltens- und Denkweisen. Sie ist Einheit von praktisch-organisierender und politisch-ideologischer Einflußnahme und hat stets einen materiellen und ideellen Effekt. d) Die Sozialpolitik nimmt über eine komplexe Gestaltung der territorialen und betrieblichen Arbeits- und Lebensbedingungen und eine differenzierte Hebung des Lebensniveaus der Klassen, Schichten und sozialen Gruppen Einfluß auf die Annäherung des sozialen Grundprozesses und die Ausprägung der sozialistischen Lebensweise. Das erfolgt über gezielte Maßnahmen der Anerkennung, Förderung, Betreuung und Unterstützung der Arbeiterklasse und der Klasse der Genossenschaftsbauern, der Intelligenz sowie ausgewählter sozialer Gruppen (z. B. Schichtarbeiter, alleinstehende Werktätige mit Kindern, ältere Bürger). Ihre Spezifik liegt in dieser auf die Veränderung der Gesamtheit der Arbeitsund Lebensbedingungen gerichteten Differenzierung in Abhängigkeit von der erreichten sozialen Lage der einzelnen Klassen, Schichten und sozialen Gruppen sowie deren Stellung im volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß. Marxistisch-leninistische Sozialpolitik ist als Teil der Politik der herrschenden Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten das aktive Handeln der Klassen und Schichten, ihrer Organisationen und Institutionen zur Durchsetzung ihrer sozialen Interessen und Ziele, die auf die Hebung des materiellen und geistigkulturellen Lebensniveaus, auf die weitere Ausprägung der sozialistischen Lebensweise sowie der dem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechenden Sozialstruktur gerichtet sind. Sie beruht unter den Bedingungen der Gestaltung der

13

entwickelten sozialistischen Gesellschaft auf der durch die politische und ökonomische Entwicklung gewährleisteten sozialen Sicherheit. Es hat in der Vergangenheit, in Abhängigkeit vom jeweils erreichten Stand der gesellschaftlichen Entwicklung, eine Reihe Bestimmungen der marxistischleninistischen Sozialpolitik gegeben. 6 Die Spannweite reicht von Sozialpolitik als Beziehung zwischen Staaten, Nationen, Klassen, Schichten und Gruppen, über die Sozialpolitik als sozialpolitisches Programm zur Verbesserung der konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen bis zur Sozialpolitik als Minderung von Härtefällen und Überwindung ungerechtfertigter Unterschiede. In den ersten Definitionen zur marxistisch-leninistischen Sozialpolitik widerspiegelt sich die historische Aufgabenstellung der Gewährleistung und Vervollkommnung der sozialen Sicherheit als Hauptanliegen. „Als Sozialpolitik bezeichnet man im allgemeinen die Gesamtheit der Tätigkeit des Staates oder der Klassen mit ihren Organisationen, die darauf gerichtet ist, im Rahmen der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse der Bevölkerung oder den Angehörigen der jeweiligen Klasse einen möglichst weitgehenden Schutz vor den vielfältigen Wechselfällen des Lebens zu geben. . . . Ziel der Sozialpolitik ist die ständige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, die Erweiterung der sozialen Sicherheit, die Festigung der Solidarität und die Formung des sozialistischen Menschen durch die volle Nutzung aller durch die Gesellschaft und die Entwicklung der Produktivkräfte gegebenen Möglichkeiten." 7 Diese Bestimmung der Sozialpolitik verallgemeinert die Aufgaben, wie sie bereits in den „Grundsätzen und Zielen der SED" 8 sowie in den daraus abge6

Vgl. hierzu G. Thude, Sozialpolitik in beiden deutschen Staaten, Berlin 1965, S. 14 bis 16; H. Ulbricht, Protokoll der Konferenz „Konsumtion und Wirtschaftswachstum" 1967, Teil III, Halle, S. 1 0 - 1 2 ; G. Tietze/F. Rösel, Grundsatzfragen der Sozialpolitik, Bernau 1965, S. 11 (Gewerkschaftshochschule); G. Manz, Zur Entwicklung der sozialistischen Lebensweise und der sozialistischen Arbeits- und Lebensbedingungen, in: Wirtschaftswissenschaft, 2/1971, S. 185; Autorenkollektiv (Ltg. G. Winkler/ G. Tietze/G. Schmunk), Sozialpolitik — Betrieb — Gewerkschaften, Berlin 1972, S. 10—19; Autorenkollektiv (Ltg. G. Schmunk/G. Tietze/G. Winkler), Marxistischleninistische Sozialpolitik, Berlin 1975, S. 15; Autorenkollektiv (Ltg. G. Winkler), Aufgaben und Probleme der Sozialpolitik in der D D R , Thesen, in: Aufgaben und Probleme der Sozialpolitik und Demographie in der DDR, Berlin 1975, S. 11—16 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der D D R , 1974, Nr. 18); J. Bernard, Zum sozialökonomischen Inhalt der gesellschaftlichen Konsumtionsfonds und ihrer Rolle bei der Verwirklichung der Einheit sozialistischer Wirtschafts- und Sozialpolitik im Prozeß der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR, Halle 1976, S. 2 6 2 - 2 6 8 (Dissertation B - unveröffentlicht). 7 G. Thude, Sozialpolitik in beiden deutschen Staaten, a. a. 0 . , S. 14. 8 Grundsätze und Ziele der SED, in: Dokumente der SED, Bd. 1, Berlin 1948, S. 5/10.

14

leiteten „Sozialpolitischen Richtlinien" 9 durch die Partei der Arbeiterklasse im Jahre 1946 formuliert wurden. So wurde in den „Sozialpolitischen Richtlinien" festgestellt: „Die sozialpolitische Arbeit der S E D gliedert sich in folgende Aufgabengebiete: 1. Recht der Arbeit mit dem Ziel der Sicherung der Arbeitskraft, des Rechts auf Arbeit und der Demokratisierung der Wirtschaft. 2. Sozialversicherung mit dem Ziel der Sozialversorgung. 3. Gesundheitsfürsorge mit dem Ziel der Gesundheitssicherung. 4. Sozialfürsorge mit dem Ziel der sozialen Sicherung. 5. Familienfürsorge mit dem Ziel, die Familie als Grundeinheit der Gesellschaft wiederherzustellen. 6. Wohnungsfürsorge mit dem Ziel der Sicherung der Heimstätte. 7. Umsiedler- und Heimkehrerfürsorge mit dem Ziel der restlosen Einfügung in die Heimat." 1 0 In über 250 gestellten Aufgaben bzw. erhobenen Forderungen werden die inhaltlichen Ziele auf den o. a. Gebieten, z. B . hinsichtlich der Löhne und der Arbeitszeit, des Arbeitsschutzes, der Aus- und Fortbildung und der Wirtschaftsdemokratie, präzisiert. Alle entsprachen jedoch dem Anliegen, in Verbindung mit der Sicherung der politischen und ökonomischen Macht, in Verbindung mit der auf dem Volkseigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Steigerung der Produktion und Effektivität zugleich die Bedingungen zu schaffen, die die soziale Sicherheit gewährleisten, ein ständig steigendes materielles und kulturelles Lebensniveau sichern und die allseitige Entwicklung des Menschen ermöglichen. Auf dieser Grundlage der sich entwickelnden politischen und ökonomischen Verhältnisse konnten die damals gestellten Forderungen verwirklicht werden und damit die aus den gegebenen historischen Bedingungen resultierende vorrangige Zielstellung des „Schutzes vor den Wechsel- und Notfällen des Lebens" überwunden werden. Hauptinhalt der Sozialpolitik ist gegenwärtig nicht mehr die Sicherung des Lebensunterhalts bei Beschäftigungslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder im Alter. Die Schaffung ausreichender Arbeitsmöglichkeiten, eine umfassende gesundheitliche Betreuung und materielle Sicherung im Krankheitsfall, zunehmende Verbesserung der Leistungen der Gesellschaft für die älteren Bürger u. v. a. m. sind heute gewährte Grundrechte. Im Mittelpunkt stehen jetzt die stete Hebung des materiellen und geistig-kulturellen Lebensniveaus und die Ausprägung der sozialistischen Lebensweise und damit eine spezifische Einflußnahme auf die soziale gesellschaftliche Entwicklung. Folglich unterscheidet sich auch die begriffliche Bestimmung der Sozialpolitik in der marxistisch-leninistischen Theorie und in der bürgerlichen Sozialwissenschaft sowohl hinsichtlich ihrer Klassenziele, ihrer spezifischen Aufgaben und 9 Sozialpolitische Richtlinien, in: Dokumente der SED, Bd. 1, Berlin 1948, S. 139/148. »o Ebenda, S. 139.

15

der sie einschließenden Teilgebiete. Sie ist keine Fürsorgepolitik — bezogen auf ausgewählte soziale Gruppen —, sondern erfaßt alle Klassen und Schichten in der Gesamtheit ihrer sozialen Beziehungen und Interessen. Es erweist sich in der täglichen Praxis, daß es auf Grund der qualitativen Unterschiede in den politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnissen und Zielen keine systemneutrale Sozialpolitik gibt und geben kann. Versuche allgemeiner Definition wie: Die Sozialpolitik ist die „Gesamtheit der staatlichen und innerbetrieblichen Maßnahmen sowie die Tätigkeit von politischen Parteien, Gewerkschaften und Verbänden zur Lösung gesellschaftlicher und betrieblicher sozialer Probleme, insbesondere zur Milderung oder Beseitigung von Armut und sozialer Existenzunsicherheit sowie zur Gewährleistung der normalen Reproduktion der A r b e i t s k r a f t . . . . Allgemein ergibt sich die Notwendigkeit der Sozialpolitik aus den Reproduktionserfordernissen der Arbeitskraft in einer industriell entwickelten Gesellschaft" 1 1 sind abzulehnen, da sie a) die Notwendigkeit einer Sozialpolitik aus der Entwicklung und dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte ableiten, ohne den bestimmenden Einfluß der herrschenden Produktionsverhältnisse zu berücksichtigen. Sozialpolitische Zielstellungen werden hier nicht aus der Gesamtheit des objektiven Wirkens ökonomischer und sozialer Gesetze abgeleitet, sondern aus einer gesellschaftsneutralen Betrachtung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ohne Beachtung der aus den politischen und ökonomischen Machtverhältnissen resultierenden Unterschiedlichkeit des Verlaufs der sozialen Grundprozesse (Ungleichheit — Gleichheit). b) Die Sozialpolitik wird hier als ein verselbständigter Teilbereich der Politik betrachtet, der unabhängig von anderen Bereichen der Politik (z. B . der Wirtschaftspolitik) darauf gerichtet ist, „Korrekturen" im Interesse der herrschenden Klasse vorzunehmen, und nicht aus der Strategie der zu erreichenden Ziele abgeleitet. c) Die Sozialpolitik wird hier — analog dem bürgerlichen Verständnis von Sozialpolitik — auf die Reproduktionserfordernisse der Arbeitskräfte, d. h. die Verwertungsbedingungen des Kapitals, reduziert, ohne vom humanistischen Grundanliegen unserer sozialistischen Sozialpolitik — Gewährleistung und Vervollkommnung der grundlegenden Menschenrechte, die weit über die Reproduktionserfordernisse der Arbeitskräfte hinausreichen — auszugehen. Die Ziele der Sozialpolitik in der gegenwärtigen Etappe unserer gesellschaftlichen Entwicklung wurden von E . Honecker wie folgt charakterisiert 1 2 : 1. Die Sozialpolitik ist darauf gerichtet, das Leben der Arbeiterklasse und aller Werktätigen, des ganzen Volkes planmäßig weiter zu verbessern. Sie ist durch eine umfassende Breitenwirkung charakterisiert. 11 ökonomisches Lexikon L—Z, Berlin 1967, S. 669. Vgl. E. Honecker, Das Wohl des Volkes ist der Sinn unseres Kampfes, in: Neuer Weg, 6/1977, S. 247/248.

12

16

2. Die Sozialpolitik geht von den wichtigsten Bedürfnissen der Werktätigen aus, orientiert sich an solchen Bedürfnissen, deren Befriedigung von den Werktätigen als vordringlich empfunden wird. In Abhängigkeit von den ökonomischen Möglichkeiten konzentrieren sich sozialpolitische Maßnahmen auf eine hohe soziale Wirksamkeit. 3. Bedeutsamer Schwerpunkt der Sozialpolitik ist die planmäßige Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben, Genossenschaften und anderen Einrichtungen. 4. Die Sozialpolitik ist unmittelbar auf die Unterstützung und Förderung der Familien gerichtet. 5. Die Förderung der Jugend, der Frauen und der Alteren sowie deren Unterstützung sind spezifisches Anliegen der Sozialpolitik. Damit wird die umfassende und spezifische Wirksamkeit der Sozialpolitik hervorgehoben. Die sozialen Verhältnisse sind durch eine Vielzahl von Beziehungen geprägt. Im Kommunismus geht es letztlich um eine Sozialstruktur, die nicht auf der Klassenteilung und den damit gegebenen Unterschieden beruht, sondern um eine Struktur, die auf unterschiedlichen Arbeitskollektiven entsprechend dem Grad der Konzentration und Spezialisierung beruht, die „in der planmäßig organisierten Gemeinwirtschaft, im einheitlichen Rhythmus der gesellschaftlichen Arbeit harmonisch vereinigt" 13 werden. Bereits in der Periode der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft werden dafür durch eine zielgerichtete Sozialpolitik wichtige Bedingungen und Voraussetzungen geschaffen. Ihre umfassende Wirksamkeit kommt vor allem in folgenden charakteristischen Aufgaben zum Ausdruck: 1. Die Sozialpolitik ist auf die Gestaltung sozialer Prozesse gerichtet, d. h. die Entwicklung und Gestaltung der Beziehungen der Werktätigen zueinander als Angehörige der Klassen, Schichten bzw. anderer sozialer Gruppen entsprechend den Erfordernissen der jeweiligen historischen Periode. Die Gestaltung sozialer Prozesse unterscheidet sich entsprechend der Vielfalt und Komplexität gesellschaftlicher Beziehungen nach 14 — Prozessen, die die Höherentwicklung und Annäherung der Klassen und Schichten und der zwischen ihnen vorhandenen Beziehungen bewirken; — Prozessen, die verändernd auf die Beziehungen innerhalb der Klassen und Schichten, zwischen Gruppen und Kollektiven wirken; — Prozessen, die innerhalb der Kollektive, zwischen Kollektiven bzw. Gruppen und den Individuen Veränderungen bewirken. Das betrifft so grundlegende soziale Prozesse wie die im Ergebnis der politischen und ökonomischen Entwicklung sich vollziehende Höherentwicklung 13

14

2

Programm der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, in: Programm und Statut der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Berlin 1961, S. 61. Vgl. Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie, a. a. 0 . , S. 518. Manz/Winkler

17

der Arbeiterklasse, der Klasse der Genossenschaftsbauern, der Intelligenz und der Handwerker und die damit verbundene allmähliche und schrittweise Annäherung der Klassen und Schichten als sozialen Grundprozeß. Das umfaßt die Annäherung in den Arbeits- und Lebensbedingungen, zwischen Stadt und Land ebenso wie die Minderung vorhandener Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher Arbeit sowie in den Verhaltens- und Denkweisen. 2. Die Sozialpolitik ist darauf gerichtet, Einfluß auf die soziale Lage der Klassen, Schichten und Gruppen (Klassenlage) zu nehmen, d. h. ihre Arbeits- und Lebensbedingungen und insbesondere ihr materielles und geistig-kulturelles Lebensniveau zu entwickeln. Die soziale Lage beruht unter sozialistischen Bedingungen auf der politischen und ökonomischen Macht der Arbeiterklasse, der Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, der Gewährleistung sozialer Sicherheit durch die Verwirklichung der grundlegenden Menschenrechte und der Entwicklung einer umfassenden gesellschaftlichen Aktivität und Mitwirkung. Das schließt die weitere Gestaltung der sozialistischen Lebensweise in ihrer Einheit und unter Berücksichtigung der Vielfalt der Bedürfnisse und Interessen der Menschen ein. Die Sozialpolitik ist in organischer Verbindung mit der Wirtschaftspolitik vor allem über die Schaffung der materiell-technischen Basis des Sozialismus sowie des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und die Erhöhung der Effektivität der-Produktion sowie der Produktivität der Arbeit auf die stetige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen und die damit verbundene Erhöhung des Lebensniveaus gerichtet. Die gegenwärtige Sozialpolitik umfaßt im Prozeß der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft Aktivitäten und Maßnahmen zur a) Vervollkommnung des Charakters und Inhalts der Arbeit (Reduzierung körperlich schwerer Arbeit und gesundheitsschädigender Arbeitsbedingungen, Erhöhung des schöpferischen Charakters der Arbeit, Verbesserung des Gesundheits- und Arbeitsschutzes, Entwicklung der Arbeitskultur); b) Lösung der Wohnungsfrage (Neu- und Ausbau von Wohnungen, Schaffung sozialistischer Wohngebiete, Erhöhung des Ausstattungsgrades der Wohnungen) ; c) Erhöhung des Realeinkommens der Werktätigen und ihrer Familien (Erhöhung der Durchschnitts- und Mindestlöhne und Familieneinkommen, Einführung leistungsorientierter Grundlöhne, planmäßige Preispolitik, Erhöhung der Aufwendungen des sozialistischen Staates aus gesellschaftlichen Fonds sowie in den Betrieben für Gesundheit, Bildung, Kultur usw.); d) Verbesserung der Versorgung und Betreuung der Bürger (Verbesserung der Quantität und Qualität der Warenbereitstellung, Ausbau des Dienstleistungswesens, Verbesserung der gesundheitlichen Betreuung durch das Gesundheitswesen, Erhöhung der Leistungen der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten, freiwillige Zusatzrentenversicherung, Ausbau der sozialen

18

Betreuung, insbesondere der Kindereinrichtungen, Erweiterung der Möglichkeiten für kulturelle und sportliche Betreuung und Betätigung); e) Erhöhung der Freizeit und bessere Befriedigung der Erholungsbedürfnisse der Werktätigen (Verkürzung der täglichen Arbeitszeit, Erhöhung des Urlaubs, Reduzierung der Aufwendungen für Hausarbeit, Ausbau des Erholungswesens der Gewerkschaft, der betrieblichen und Naherholung); f) Förderung und Schutz der Frauen und der Jugend (Verbesserung der Arbeitsbedingungen und besonderer Schutz im Arbeitsprozeß, Förderung und Schutz bei Aufnahme der Aus- und Weiterbildung für die berufliche Tätigkeit, Sicherung der Verbindung von Unterricht und produktiver Arbeit bei Jugendlichen, Übertragung von Verantwortung); g) Förderung der Familie und berufstätigen Mütter (Unterstützung junger Ehen, materielle und finanzielle Geburtenbeihilfe, Familienplanung, Erhöhung des Schwangerschafts- und Wochenurlaubs); h) Unterstützung älterer Bürger (Rentenerhöhung, altersadäquater Wohnraum, altersadäquate Arbeitsbedingungen, Volkssolidarität); i) Rehabilitation (Betreuung und Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß); j) Verbesserung des Umweltschutzes (Landschaftsgestaltung und Naturschutzgebiete, Reduzierung umweltstörender Belästigungen, Rekultivierung); k) Vervollkommnung der Leitung und Planung der sozialen Entwicklung (zentrale Planung des Lebensniveaus, Planung der betrieblichen und territorialen Arbeits- und Lebensbedingungen, B K V , Wettbewerbsprogramme); 1) juristischen Sicherung der Sozialpolitik des Staates (Familiengesetz, Jugendgesetz, Zivilrecht usw.). 3. Die Sozialpolitik ist auf die Entwicklung sozialer Aktivitäten gerichtet. Das betrifft insbesondere die — Aktivitäten im Arbeitsbereich zur Erfüllung und Ubererfüllung der in den volkswirtschaftlichen und betrieblichen Plänen gesetzten Ziele; — Aktivitäten im gesellschaftspolitischen Bereich; — Aktivitäten im geistig-kulturellen Bereich. Die Sozialpolitik nimmt sowohl über die Gestaltung entsprechender materieller als auch ideeller Bedingungen Einfluß auf die Entwicklung der sozialen Aktivitäten. Daraus ergibt sich auch, daß die in der Literatur manchmal anzutreffende Einengung der Bestimmung der Sozialpolitik nur auf die Gesamtheit von Maßnahmen, Mitteln und Methoden der Regierung, der Partei und der Gewerkschaften bzw. anderer gesellschaftlicher Organisationen nicht zulässig ist, da die sozialen Aktivitäten der Arbeiterklasse und der mit ihr Verbündeten nicht einbezogen werden. Nicht selten wird in der Praxis eine Identifizierung bzw. Reduzierung der Sozialpolitik auf die zentralen sozialpolitischen Maßnahmen, wie sie z. B. im Ergebnis des IX. Parteitages der S E D beschlossen wurden, vorgenommen. 15 15

2*

Vgl. hierzu Stichwort Sozialpolitik, in: ökonomisches Lexikon, L—Z, a. a. 0 . ; Meyers Neues Lexikon, Bd. 12, S. 658; Lexikon der Wirtschaft, Bd. Arbeit, S. 549.

19

Die Ziele und Aufgaben der Sozialpolitik entsprechen den objektiven Entwicklungsgesetzen unserer Epoche. „Während in den Ländern des Kapitals Inflation und Arbeitslosigkeit anhalten . . ., bringt der Sozialismus seine Vorzüge mehr und mehr zur Geltung, bestimmen soziale Sicherheit und Geborgenheit den Alltag unserer Menschen." 16 Mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik den objektiven Gesetzen zum Durchbruch zu verhelfen, ist ein aktiver Prozeß politischer Tätigkeit, der von den Werktätigen vielseitige Initiativen erfordert. Es müssen von den objektiven Erfordernissen ausgehende politische Entscheidungen auf allen Ebenen getroffen werden, die der Dialektik von wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt entsprechen und die innere Verflechtung zwischen allen Seiten des gesellschaftlichen Lebens, besonders der ökonomischen, geistig-kulturellen und sozialen Prozesse widerspiegeln. 1.2.

Merkmale der Sozialpolitik im Prozeß der der entwickelten sozialistischen Gesellschaft

Gestaltung

In der Sozialpolitik kommt der qualitative Unterschied zwischen den verschiedenen Gesellschaftssystemen unmittelbar zum Ausdruck, werden die Vorzüge des Sozialismus direkt sichtbar und für den einzelnen Bürger spürbar. „Während der Kapitalismus eine unüberbrückbare Kluft zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik konstatieren muß, kann der Sozialismus die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik . . . zu seinem obersten Leitgedanken erheben. Das ist der Kern des gesellschaftlichen Fortschritts unserer Zeit, das ist der Kern der sozialistischen Revolution in der DDR und ihrer Perspektive." 1 7 Bei der Bestimmung des revolutionären Charakters der Sozialpolitik in Verbindung mit der Wirtschaftspolitik sind vor allem folgende Aspekte hervorzuheben : 1. Der revolutionäre Charakter kommt darin zum Ausdruck, daß sich die sozialistische Gesellschaft als erste die Aufgabe stellt und stellen kann, die soziale Entwicklung der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten, d. h. der herrschenden Mehrheit, und die zunehmend bessere Befriedigung ihrer Bedürfnisse zum Ausgangspunkt und Ziel der ökonomischen Entwicklung zu machen. „Der ganze revolutionäre Prozeß in unserer Republik, der Aufbau des Sozialismus und sein kommunistisches Ziel waren und bleiben gerichtet auf die Verwirklichung der Interessen der Mehrheit des Volkes. Das ist die höchste Erfüllung der alten Menschheitsforderung nach Freiheit und Demokratie." 18 Diese Charakterisierung beweist sich in unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik « Dokumente. 9. FDGB-Kongreß, Berlin 1977, S. 70. 17 E. Honecker, Die sozialistische Revolution in der DDR und ihre Perspektiven, Berlin 1977, S. 16. »8 Ebenda, S. 18.

20

— an der Orientierung der wirtschaftlichen Entwicklung an der Dringlichkeit der Bedürfnisse (z. B. Schaffung von Arbeitsplätzen zur Sicherung des Rechts auf Arbeit nach 1945; Wohnungsbauprogramm zur Lösung der Wohnungsfrage als soziale Frage in der Gegenwart); — an der Orientierung der wirtschaftlichen Entwicklung auf eine umfassende Breitenwirkung, die sowohl den Anteil der Klassen und Schichten an der Schaffung des Nationaleinkommens als auch Leistungen für die Gesellschaft außerhalb der Produktion (z. B. Geburt und Erziehung von Kindern) bzw. unter besonderen materiellen und zeitlichen Bedingungen (z. B. Schichtarbeit) berücksichtigt. Das erfordert zugleich, langfristig eine volkswirtschaftliche Struktur zu entwickeln und eine Arbeitsproduktivität zu erreichen, die ihren Maßstab in der Quantität und Qualität der wachsenden Bedürfnisse und ihrer Befriedigung findet. Gerade in letzter Zeit bemühen sich westliche Ideologen um den Nachweis, daß Sozialpolitik in der D D R erst seit dem VIII. Parteitag betrieben wird als — wie sie sagen — offensichtlicher Beweis, daß die wirtschaftliche Entwicklung auch im Sozialismus zu Konflikten, unvorhersehbaren Folgen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, zur Vergrößerung der Wechsel- und Notfälle des Lebens führt. Dabei wird bewußt übersehen, daß gerade im Zeitraum von 1945 bis zum VIII. Parteitag der SED die ökonomische Entwicklung auf die Schaffung der materiellen Grundlagen zur umfassenden Verwirklichung der grundlegenden Menschenrechte gerichtet war. Auf dem IX. Parteitag der SED konnte deshalb die bereits erwähnte Feststellung getroffen werden, daß soziale Sicherheit zu den wesentlichen Errungenschaften der Entwicklung seit 1945 gehört. „Der Sozialismus . . . entwickelt seine Potenzen in Übereinstimmung mit den sozialen Interessen der Massen. Die sozialistischen Produktionsverhältnisse fesseln nicht die Entwicklung der Produktivkräfte, sondern schaffen ihnen breiteste Entfaltungsmöglichkeiten. Jeder Zuwachs an Wirtschaftskraft, jede wissenschaftlich-technische Leistung, jedes Prozent Steigerung der Arbeitsproduktivität findet seinen Umschlag in höherer sozialer Lebensqualität." 1 9 Bereits mit der Übernahme der Macht in die Hände der Arbeiterklasse wurde die Übereinstimmung von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung, ausgehend von den Interessen der Mehrheit der Werktätigen, verwirklicht. Jedoch bedarf es erst eines bestimmten Entwicklungsstandes der Volkswirtschaft, der materiell-technischen Basis, der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, damit sich dieses Verhältnis wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung direkt zum Wesensinhalt der Etappe der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ausprägt. « Ebenda, S. 16.

21

2. Der revolutionäre Charakter kommt darin zum Ausdruck, daß die sozialistische Gesellschaft als erste durch ihre politische und ökonomische Entwicklung soziale Sicherheit gewährleistet und, davon ausgehend, die weitere Minderung vorhandener sozialer Unterschiede und die Annäherung des Lebensniveaus der Klassen und Schichten in Angriff nimmt. Diese Entwicklung vollzieht sich in unmittelbarer Konfrontation mit zunehmender sozialer Differenzierung und Polarisierung in den entwickelten kapitalistischen Ländern. Es ist z. B. noch nicht allzu lange her, als westliche Ideologen begründeten, u. a. mit der Theorie von der Mittelstandsgesellschaft, daß sich der Kapitalismus auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft befinde. Inzwischen haben sich — im Ergebnis der nicht zu übersehenden Folgen der Krise — für einen Teil der Bevölkerung, vor allem für die Arbeiterklasse und Teile des Mittelstandes, solche Theorien von selbst widerlegt. Arbeitslosigkeit, keine Arbeitsplätze für Schulabgänger und Hochschulabsolventen, soziale Unsicherheit, Abbau sozialer Leistungen usw. sprechen für die ungleiche Verteilung der Krisenlasten auf die Klassen und Schichten. Was nimmt es also wunder, wenn man sich bemüht, wachsende soziale Ungleichheit auch in den sozialistischen Ländern zu suchen, um damit von den eigenen inneren Problemen abzulenken. Dabei verweist man auf Unterschiede im Einkommen, resultierend aus dem Leistungsprinzip, auf vorhandene soziale Ungleichheit von Mann und Frau u. a. m., die in der Feststellung gipfeln „ E s ist noch nicht alles so, wie es sein sollte". Dabei wird das Erreichte nicht an den gestellten Aufgaben, an den vorhandenen Möglichkeiten, sondern an einem Ideal von Gleichheit gemessen, das westliche Ideologen für die D D R und die anderen sozialistischen Staaten, als Ausdruck der antikommunistischen Ideologie, zurechtgezimmert haben. Der Marxismus-Leninismus besaß niemals allgemeine Gleichheitsillusionen. Bei der Forderung nach Gleichheit geht es bereits in der kapitalistischen Gesellschaft darum, aus der „gemeinschaftlichen Eigenschaft des Menschseins, jener Gleichheit der Menschen als Menschen, den Anspruch auf gleiche politische resp. soziale Geltung aller Menschen, oder doch wenigstens aller Bürger eines Staats, oder aller Mitglieder einer Gesellschaft abzuleiten". 2 0 Aber selbst die bürgerlichen Gleichheitsforderungen sind unter kapitalistischen Verhältnissen nicht realisierbar. Westliche Soziologen gelangen unter den gegenwärtigen Bedingungen zu der Feststellung, daß der zentrale Stellenwert von Gleichheitszielen darin zum Ausdruck kommt, „daß zum einen nicht so sehr Gleichheit gefordert, als Ungleichheit gerechtfertigt wird. Zum anderen müssen auch Zielsetzungen, die die Struktur und den Grad bestehender Ungleichheiten erhalten oder gar vergrößern wollen, in die Rhetorik von Gleichheitsforderungen verkleidet sein." 2 1 20

51

F. Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring), in: MEW, Bd. 20, Berlin 1962, S. 95/96. K. U. Mayer, Soziale Ungleichheit und Mobilität, in: W. Zapf (Hrsg.), Lebensbedingungen in der Bundesrepublik, Frankfurt a. M.-New York 1977, S. 152.

22

Gerade für den Sozialismus ist charakteristisch, daß Gleichheitsforderungen — als Schritt zum Erreichen der sozialen Gleichheit — stets Forderungen abhängig von den konkreten ökonomischen, politischen, ideologischen und sozialen Bedingungen sind, d. h. unter Beachtung der historischen Bedingungen. Weder Marx, Engels noch Lenin, weder die K P d S U noch die S E D , weder der Vereinigungsparteitag 1946 noch der IX. Parteitag der S E D im Jahre 1976 haben Gleichheitsforderungen unabhängig von den jeweils gegebenen historischen Bedingungen gestellt. Im Programm der S E D heißt es: „Ein historisch gesetzmäßiger, bedeutsamer und langwieriger Prozeß ist die soziale Annäherung der Klassen und Schichten. Dieser Prozeß wird mit der Vervollkommnung der sozialistischen Produktionsverhältnisse, der Höherentwicklung der Produktivkräfte in Stadt und Land, der Vervollkommnung der sozialistischen Demokratie, der Hebung des Bildungsniveaus, mit der Zunahme der geistigen Arbeit im Reproduktionsprozeß und der weiteren Verbesserung der Arbeitsund Lebensbedingungen voranschreiten." 22 Erst in der zweiten Phase der kommunistischen Gesellschaft werden die Klassen, die sie charakterisierenden sozialen Unterschiede und die damit verbundenen sozialen Differenzierungen in der Lebensweise überwunden sein. Aber dieser Prozeß ist in der DDR seit über 30 Jahren im Gange. Beseitigung der Ausbeutung, gleiche Stellung des Menschen zum sozialistischen Eigentum, Überwindung jeglicher Formen der Diskriminierung nach Geschlecht, Rasse und Weltanschauung, aktive Teilnahme aller Bürger an der Leitung und Planung des Staates, wachsende Bildung usw. kennzeichnen diesen Prozeß. Die schrittweise Minderung vorhandener Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, die Annäherung der Arbeits- und Lebensbedingungen zwischen Stadt und Land, die Reduzierung körperlich schwerer Arbeit und die Beseitigung von Arbeitserschwernissen, die immer bessere Gewährleistung der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft sind dazu wichtige Schritte. Die proletarische Forderung nach Gleichheit, d. h. nach Beseitigung der Klassen, ist — darauf wird im Parteiprogramm verwiesen — nicht identisch mit einer Gleichheit der Bedürfnisse und Interessen, einer Gleichheit im Lebensniveau. Gerade die Entwicklung der Individualität des einzelnen Menschen — nicht des Individualismus —, die Entwicklung von Persönlichkeit und Kollektivität führen zu einer stetig zunehmenden Vielfalt der Bedürfnisse und Interessen. Diese Vielfalt ist eine Triebkraft unserer weiteren Entwicklung, ein Faktor zur Entfaltung von Schöpfertum, Initiative und gesellschaftlicher Aktivität. Vorhandene Differenzierungen in den Bedürfnissen und der Lebensweise sind ihrem Charakter und ihren Ursachen nach unterschiedlich. Sie resultieren nicht schlechthin aus der Übernahme bestimmter ökonomischer und sozialer Bedingungen des Kapitalismus, sondern entsprechen dem gegenwärtigen Stand unserer Entwicklung. 22

Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, a. a. O., S. 39. 23

Differenzierungen resultieren z. B. a) aus Unterschieden im Charakter u n d I n h a l t der Arbeit, in betrieblichen Arbeits- u n d Lebensbedingungen, Unterschieden im E i n k o m m e n , U n t e r schieden in der Qualifikation sowie den Denk- u n d Verhaltensweisen; b) aus Unterschieden in den demographischen u n d familiären Bedingungen, die von sozialer B e d e u t u n g sind; c) aus Unterschieden in den territorialen u n d anderen Lebensbedingungen. Der soziale Grundprozeß der A n n ä h e r u n g der Klassen u n d Schichten u n d letztlich des Erreichens der sozialen H o m o g e n i t ä t ist ein zutiefst revolutionärer Prozeß. I h n erkennen heißt tiefere Einsicht in die Wirkungsbedingungen u n d Gesetzmäßigkeiten der Ausprägung der sozialistischen Lebensweise der Klassen u n d Schichten, ihrer zunehmenden Gleichheit u n d Vielfältigkeit gewinnen. 3. Der revolutionäre Charakter der Verbindung von ökonomischem u n d sozialem F o r t s c h r i t t k o m m t in seiner Planmäßigkeit, in der planmäßigen Erhöhung der Wirksamkeit der ökonomischen u n d sozialen Entwicklung zum Ausdruck. Ökonomische u n d soziale Entwicklung sind stets miteinander v e r b u n d e n . Sie führen u n t e r kapitalistischen Bedingungen zur Vertiefung sozialer Ungleichh e i t ; u n t e r sozialistischen Bedingungen fördern sie den Prozeß der Minderung vorhandener sozialer Unterschiede. Durch die Leitung u n d Planung auf allen Ebenen wird gesichert, d a ß gewollte soziale Wirkungen, die erforderliche soziale Entwicklung gewährleistet wird. Diese Planmäßigkeit der sozialen Entwicklung — bei allen Problemen u n d Widersprüchen, die es noch gibt und auf die von der Partei der Arbeiterklasse hingewiesen wird — ist vor allem dadurch gekennzeichnet, d a ß sie — alle Seiten des gesellschaftlichen Lebens u m f a ß t u n d nicht auf die E n t wicklung einzelner ausgewählter Teilbereiche gerichtet ist. Das schließt Arbeitsergebnis u n d Arbeitsprozeß, Arbeitszeit, arbeitsfreie Zeit u n d Freizeit, Arbeitskollektiv u n d Familie, materielle P r o d u k t i o n u n d nichtproduzierende Bereiche ein; — vorausschauende Politik ist, vor allem im Zusammenhang m i t d e m wissenschaftlich-technischen F o r t s c h r i t t , u n d keine Korrekturpolitik zur Minderung sozialer Folgen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Es geht weder u m die forcierte Entwicklung der Ökonomie auf Kosten der Werktätigen noch u m eine von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit u n a b hängige „Verteilung von Nationaleinkommen". Sozialpolitik ist nicht n u r Verteilungspolitik. Auch hierin unterscheidet sich die Auffassung bürgerlicher u n d marxistischer Theoretiker. Die E r h ö h u n g der Planmäßigkeit findet ihren Niederschlag nicht zuletzt in der sozialpolitischen Zielstellung des P r o g r a m m s der S E D u n d den d a r a u s abgeleiteten Aufgaben in den Direktiven zum F ü n f j a h r p l a n u n d den gemeinsamen Beschlüssen der Partei, Regierung u n d Gewerkschaft zur planmäßigen Verbesserung der Arbeits- u n d Lebensbedingungen. 24

4. Der revolutionäre Gehalt der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik kommt in der damit verbundenen neuen Qualität der Zusammenarbeit der sozialistischen Staatengemeinschaft, insbesondere auf ökonomischem Gebiet, zum Ausdruck. Die sozialistische ökonomische Integration bringt — wie Lenin formulierte — zugleich „neue, höhere Formen des menschlichen Zusammenlebens hervor, worin die berechtigten Bedürfnisse und fortschrittlichen Bestrebungen der werktätigen Massen jeder Nationalität zum erstenmal in internationaler Einheit, unter Wegfall der jetzigen nationalen Schranken befriedigt werden". 2 3 Daraus leitet sich ein weiteres Merkmal der Sozialpolitik in der Periode der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft a b : Auf der Grundlage der ökonomischen Integration beschleunigt sich der Prozeß der sozialen Annäherung nicht nur zwischen den Klassen und Schichten eines Landes, sondern auch zwischen den Staaten und Nationen der sozialistischen Gemeinschaft. Das findet seinen Ausdruck, ausgehend von den im Prinzip ähnlich formulierten Hauptaufgaben, in dem allmählichen Angleichen des sozialistischen Lebensniveaus und damit einer wesentlichen Voraussetzung der sozialistischen Lebensweise, in der auf der Grundlage gemeinsamer ökonomischer Aufgaben sich vollziehenden sozialen Annäherung, in der weiteren Ausprägung des Verantwortungsbewußtseins der Werktätigen für die Gesamtentwicklung der Gemeinschaft sozialistischer Länder. 5. Die organische Verbindung von ökonomischem und sozialem Fortschritt hat zugleich unmittelbaren Einfluß auf den revolutionären Weltprozeß. Wenn Lenin auf der X . Gesamtrussischen Konferenz der K P R (B) feststellte: „Unsere Haupteinwirkung auf die internationale Revolution üben wir jetzt durch unsere Wirtschaftspolitik aus" 2 4 , so gilt heute: Die Haupteinwirkung auf die internationale Entwicklung wird — begründet auf der Friedenspolitik der U d S S R und der ganzen sozialistischen Gemeinschaft — heute über die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik ausgeübt. 2 5 Gerade die an den sozialen Erfordernissen orientierte Wirtschaftspolitik, die in der Wirtschaftskraft begründeten sozialpolitischen Maßnahmen — anstelle von Arbeitslosigkeit und Abbau sozialer Leistungen im Kapitalismus — werden in zunehmendem Maße zum Anziehungspunkt für die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten in allen Ländern. Das findet seine Widerspiegelung sowohl in den Zielen und Aufgaben, wie sie sich in den sozialpolitischen ProgramW. I. Lenin, Lage und Aufgaben der sozialistischen Internationale, in: Werke, Bd. 21, Berlin 1960, S. 26. 24 W. I. Lenin, X. Gesamtrussische Konferenz der KPR (B), in: Werke, Bd. 32, Berlin 1961, S. 458. 25 Vgl. hierzu K. Hartmann, Die Hauptaufgabe — Kern der sozialistischen Revolution, in: Zu einigen Problemen der Leninschen Theorie der sozialistischen Revolution, Berlin 1977, S. 17 (Schriftenreihe Parteihochschule „Karl Marx").

23

25

men der Gewerkschaften und fortschrittlichen Arbeiterparteien niederschlagen, als auch in zunehmenden Angriffen auf die Sozialpolitik der sozialistischen Länder. 2 6

1.3.

Die Prinzipien der sozialistischen Sozialpolitik27

Aus den theoretischen Erkenntnissen des Marxismus-Leninismus und der gesellschaftlichen Praxis beim Aufbau einer von der Arbeiterklasse geführten Sozialpolitik leiten sich Prinzipien der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik ab. Sie verallgemeinern die charakteristischen Seiten und Wesenszüge der Sozialpolitik, umfassen objektive Notwendigkeiten und Möglichkeiten zur Realisierung der sozialistischen Sozialpolitik und bilden in diesem Sinne Leitlinien für die sozialpolitische Tätigkeit. Sie bringen zugleich die prinzipiellen Unterschiede zwischen der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik und bürgerlichen, sozialreformistischen sowie revisionistischen Theorien und Praktiken zum Ausdruck. Sie heben die wichtigsten Wesenszüge sozialistischer Sozialpolitik hervor, die sich in der Leitung und Planung von Staat und Wirtschaft, in den sozialpolitischen Aktivitäten auf allen Ebenen widerspiegeln.

1.3.1.

Parteilichkeit und Wissenschaftlichkeit

Die Sozialpolitik in der Deutschen Demokratischen Republik und ihre Realisierung auf allen Ebenen dient den Interessen der herrschenden Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten und ordnet sozialpolitische Aufgaben in die Gesamtpolitik ein. Eine klassenindifferente Sozialpolitik gibt es nicht. Die Sozialpolitik zielt auf eine umfassende gesellschaftliche Wirkung ab. Die umfassende Breite der Wirkung unserer Sozialpolitik ist charakterisiert — durch die Verbesserung des Lebens der Arbeiterklasse, der Klasse der Genossenschaftsbauern, der Intelligenz sowie der anderen werktätigen Schichten; — durch die Verbesserung des Lebens aller Bürger, unabhängig von Alter, Geschlecht, gesellschaftlicher Stellung, Weltanschauung sowie Familienstand. Die Parteilichkeit findet ihren Ausdruck darin, daß bei der Realisierung der einheitlichen Sozialpolitik von den durch die herrschende Arbeiterklasse be26

27

Vgl. hierzu W. R. Leenen, Sozialpolitik in der DDR, in: Deutschlandarchiv, 3/1975, S. 254ff.; P. Mitscherling, Auf dem Wege zu einer sozialistischen Sozialpolitik?, in: Sozialpolitik nach 1945 Bonn-Bad Godesberg 1977, S. 81ff.; W.-R. Leenen, Zur Frage der Wachstumsorientierung der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik in der DDR, Berlin (West) 1977. Vgl. Autorenkollektiv (Ltg. G. Schmuiik / G. Tietze / G. Winkler), Marxistischleninistische Sozialpolitik, a. a. 0 . , S. 21—33 sowie Autorenkollektiv (Ltg. G Winkler/ G. Tietze/G. Schmunk), Sozialpolitik — Betrieb — Gewerkschaften, a. a. 0 . , S. 20 bis 28.

26

stimmten gesellschaftlichen Gesamtinteressen ausgegangen und als Ziel über die Minderung vorhandener Unterschiede in den Arbeits- und Lebensbedingungen der Klassen und Schichten schließlich die soziale Homogenität im Kommunismus angestrebt wird. Diese Parteilichkeit in der sozialpolitischen Arbeit widerspiegelt sich konsequent in den Beschlüssen der Partei der Arbeiterklasse sowie in den gemeinsamen Beschlüssen von Partei, Regierung und Gewerkschaften. Die Sozialpolitik der Partei der Arbeiterklasse, des sozialistischen Staates und der Gewerkschaften ist stets Einheit von theoretischer und praktischorganisierender Tätigkeit. Ihr wissenschaftliches Fundament bildet der Marxismus-Leninismus in der Einheit all seiner Bestandteile. Der Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und das mit ihm zu verwirklichende Sozialprogramm zum Wohle aller Bürger erfordert eine immer tiefere wissenschaftliche Begründung unserer Sozialpolitik durch die marxistisch-leninistische Theorie. Aufbauend auf der marxistisch-leninistischen Philosophie, der politischen Ökonomie, dem Wissenschaftlichen Kommunismus werden vor allem die Erkenntnisse solcher Disziplinen wie der Soziologie, der Demographie, der Arbeitswissenschaften und der Rechtstheorie genutzt. Die Wissenschaftlichkeit der Sozialpolitik beruht auf der Kenntnis sozialer Gesetze und Gesetzmäßigkeiten, ihrer Wirkungsbedingungen und ihres Wirkungsmechanismus. Das Aufdecken und die Darstellung des Wesens und der Erfordernisse sozialer Gesetze und Gesetzmäßigkeiten sind Bestandteil der Sozialpolitik als Einheit von theoretischer und praktisch-organisatorischer Tätigkeit. Die wissenschaftliche Begründung der zu lösenden sozialpolitischen Aufgaben ist Voraussetzung dafür, daß die Sozialpolitik zugleich den objektiven Erfordernissen der gesellschaftlichen Entwicklung entspricht und daß Subjektivismus und Oberflächlichkeit vermieden werden.

1.3.2.

Verbindung von wissenschaftlich-technischer und sozialer Entwicklung

Die Entwicklung von Wissenschaft und Technik und deren Anwendung in der Produktion ist nicht nur ein technischer, sondern zugleich ein sozialer und ökonomischer Prozeß. So wie einerseits die Marxsche Feststellung gilt, daß unter kapitalistischen Bedingungen die Freisetzung der Arbeiter, die mit der Technik entstehenden Widersprüche und Antagonismen nicht aus der Maschinerie resultieren, sondern aus ihrer kapitalistischen Anwendung, 28 gilt anderseits, daß die soziale Entwicklung im Sozialismus nicht allein aus der Technik resultiert, sondern aus der organischen Verbindung der Vorzüge des Sozialismus mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt. 28 Vgl. K. Marx, Das Kapital, Erster Band, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1974, S. 464/465.

27

Lenin wies in seinem Artikel „Ein großer Sieg der Technik" vor allem auf folgende Aspekte hin: — Die Technik und ihr rationeller Einsatz ist eine wichtige Voraussetzung zur Erzeugung von mehr und qualitativ verbesserten Gebrauchswerten, zur Erhöhung der Effektivität und Arbeitsproduktivität und ist damit unmittelbar mit einer Verbesserung der Lebenslage der Arbeiterklasse und aller Werktätigen verbunden. — Die Technik schafft bessere Arbeitsbedingungen, verwandelt die . . . „schmutzigen, häßlichen Werkstätten in saubere, helle, menschenwürdige Laboratorien . . ," 2 9 — Die Technik schafft zugleich neue Bedingungen für eine sinn- und kulturvolle Freizeitgestaltung und die Verringerung der Hausarbeit. In der wissenschaftlich-technischen Entwicklung widerspiegelt sich der Charakter der jeweiligen Produktionsverhältnisse. Im Sozialismus bestimmen die sozialpolitischen Anforderungen Inhalt und Ziel des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Die Entwicklung von Wissenschaft und Technik, der Persönlichkeit sowie der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten ist ein einheitlicher, planmäßig organisierter Prozeß. Die Ergebnisse der wissenschaftlich-technischen Entwicklung führen im Sozialismus für die Arbeiter und alle Werktätigen zur stetigen Verbesserung der Lebensbedingungen. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt vervollkommnet die soziale Sicherheit, fördert Qualifikation und Bildung, schafft ein inhaltsreiches Leben. Im Gegensatz dazu ist die kapitalistische Anwendung der modernen Technik mit zunehmender Arbeitslosigkeit und Inflation, mit Mangel an Lehrstellen und Lehrberufen, dem Rückgang der Qualifikation und der Verarmung des geistigen Inhalts des Lebens verbunden. Diese Tatsachen widerlegen bürgerliche und revisionistische Auffassungen, daß die Ergebnisse der wissenschaftlich-technischen Revolution „systemneutral" und politisch wertfrei seien. Dazu steht nicht im Gegensatz, daß der wissenschaftlich-technische Fortschritt im Sozialismus nicht automatisch zu gesellschaftlichen Veränderungen und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen führt, sondern bewußt in die Ziele der gesellschaftlichen Entwicklung eingeordnet werden muß. 1.3.3.

Einheitlichkeit und Differenziertheit

In der zielgerichteten Beeinflussung der sozialen Beziehungen der Klassen, Schichten und Gruppen im Gesamtinteresse der sozialistischen Gesellschaft liegt — wie bereits erläutert — das hauptsächliche Tätigkeitsfeld der marxistischleninistischen Sozialpolitik als Bestandteil der einheitlichen Politik des Arbeiterund-Bauern-Staates. » W. I. Lenin, Ein großer Sieg der Technik, in: Werke, Bd. 19, Berlin 1965, S. 43.

28

Es geht dabei letztlich um soziale Beziehungen, die auf der Grundlage der Beseitigung der Ausbeutung und der gleichen Stellung zu den Produktionsmitteln dazu beitragen, die dem Sozialismus gemäße Sozialstruktur weiter auszuprägen und in der sozialistischen Lebensweise schließlich soziale Homogenität zu erreichen. Diesen allgemeinen Kriterien sind alle sozialpolitischen Aktivitäten und Maßnahmen unterzuordnen. Dies betrifft besonders die Arbeits- und Lebensbedingungen, auf die unterschiedliche Faktoren einwirken, die von anderen Bereichen der Politik, besonders der Wirtschaftspolitik, ausgehen und unterschiedliche Auswirkungen haben. Die Sozialpolitik setzt wichtige Aspekte bei den insgesamt zu treffenden Entscheidungen bei der Entwicklung der Lebensbedingungen überhaupt und der Arbeits- und Lebensbedingungen speziell sowie der damit verbundenen Erhöhung des Lebensniveaus. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bürger differieren auch unter sozialistischen Bedingungen z. B. nach — den unmittelbaren Arbeitsbedingungen (körperliche, geistige und zeitliche Beanspruchung), — den Wohn- und Wohnumweltbedingungen, — den natürlichen, territorial bedingten Umweltbedingungen, — der materiell-technischen und besonders sozialen Infrastruktur, — dem Familieneinkommen und dem Pro-Kopf-Einkommen, — der Inanspruchnahme unentgeltlicher Leistungen. Die Sozialpolitik trägt über eine entsprechende Differenzierung und Zielgerichtetheit dazu bei, die allgemeinen Lebensbedingungen aller Bürger zu verbessern und vorhandene Unterschiede zu mindern. Das setzt zugleich eine zielgerichtete Politik gegenüber einzelnen Klassen, Schichten und sozialen Gruppen voraus (Arbeiterklasse, Genossenschaftsbauern, berufstätige Mütter, Familien mit mehreren Kindern, ältere Bürger, Rehabilitanden usw.). Die differenzierte Anerkennung der Leistungen bestimmter Gruppen von Werktätigen für die Gesellschaft liegt im Interesse der gesamten Gesellschaft. Die Sozialpolitik muß je nach der gesellschaftlichen Bedeutung und den gesellschaftlichen Möglichkeiten die notwendigen Bedingungen schaffen, damit die schöpferischen Kräfte und Fähigkeiten der Werktätigen als entscheidender Vorzug der sozialistischen Gesellschaft gleichermaßen entwickelt werden. Die Beachtung der Einheitlichkeit und Differenziertheit der Sozialpolitik geht von der grundlegenden Übereinstimmung der gesellschaftlichen Erfordernisse mit den Interessen der Klassen, Schichten und sozialen Gruppen sowie den individuellen Interessen aus und ist auf die ständige Realisierung der Interessenübereinstimmung gerichtet. Die Dialektik der Interessenübereinstimmung ist als wesentliche Triebkraft der sozialistischen Gesellschaft gleichzeitig ein wichtiges Kriterium marxistisch-leninistischer Sozialpolitik. Es ermöglicht und erfordert, daß sich die 29

Klassen und Schichten auch mit den Gesamtinteressen auf sozialem Gebiet identifizieren und sie in der Gewährleistung der gesellschaftlichen Interessen auch ihre eigenen Interessen verwirklicht sehen. Dazu ist es erforderlich, die Bedürfnis- und Interessenstruktur ständig zu analysieren. In Einklang mit den gesellschaftlichen Erfordernissen, insbesondere durch aktive politischideologische Einflußnahme, sind die Bedürfnisse und Interessen der Werktätigen langfristig im Sinne der sozialistischen Lebensweise zu formen und zu stimulieren. 1.3.4.

Organische Verbindung von Verteilung und aus gesellschaftlichen Fonds

nach der

Arbeitsleistung

Bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft gewinnt die konsequente Verwirklichung des Prinzips „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung" weiter an Bedeutung und „setzt neue Triebkräfte für den ökonomischen und sozialen Fortschritt frei" 30 . Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist eine Form der sozialen Gleichheit, die bereits der Sozialismus als erste Phase • der kommunistischen Gesellschaftsformation gewährleisten kann und muß. Die Verteilung der für die Hebung des materiellen und geistig-kulturellen Lebensniveaus zur Verfügung stehenden Mittel erfolgt in zwei Grundformen: — als Arbeitsvergütung nach dem Prinzip der Verteilung nach Arbeitsleistung; — als Verteilung aus gesellschaftlichen Fonds unabhängig oder bedingt abhängig von der Arbeitsleistung des einzelnen. Dabei ist weder die Verteilung nach Arbeitsleistung ein „Muttermal" der kapitalistischen Verteilungsverhältnisse noch erfolgt die Verwendung der gesellschaftlichen Fonds bereits nach kommunistischen Verteilungsprinzipien, d. h. nach den Bedürfnissen. Die Anwendung und Vervollkommnung beider Formen entspricht dem erreichten Stand der Entwicklung der sozialistischen Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte. Nur durch die organische Verbindung beider Formen wird dem Grundanliegen „Jeder nach seinen Fähigkeiten (was die Entwicklung der Fähigkeiten einschließt), jedem nach seiner Leistung" Rechnung getragen, als „Grundprinzip der Organisation des ökonomischen und sozialen Lebens". Sowohl die Verteilung nach der Arbeitsleistung als auch die Verteilung der gesellschaftlichen Fonds ist auf die zunehmende Befriedigung materieller und geistiger Bedürfnisse gerichtet. Hauptform der Verteilung ist die Verteilung nach der Arbeitsleistung. Sie kann und wird jedoch nur in dem Maße wirksam, wie Elemente der Ungleichheit, die nicht aus der Arbeitsleistung resultieren (Familiengröße) bzw. gleiche Entwicklungsbedingungen aller einengen würden (Bildung, gesundheitliche 30

Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, a. a. O., S. 20.

30

Betreuung), durch die Verteilung aus gesellschaftlichen Fonds gemindert werden. Ihre Einbeziehung in das Lohnsystem würde die Wirksamkeit des Prinzips der Verteilung nach Arbeitsleistung zumindest stark einschränken. Insofern ist die immer umfangreichere und wirksamere Verteilung aus gesellschaftlichen Fonds eine Bedingung für die volle Entfaltung des Prinzips der Verteilung nach Arbeitsleistung. Die Erhöhung der gesellschaftlichen Fonds erfolgt planmäßig in Abhängigkeit vom wachsenden materiellen Reichtum der Gesellschaft und ist in zunehmendem Maße „zur gemeinschaftlichen Befriedigung von Bedürfnissen bestimmt . . ." 31 „Dieser Teil wächst von vornherein bedeutend im Vergleich zur jetzigen (der kapitalistischen — d. V.) Gesellschaft und nimmt im selben Maß(e) zu, wie die neue Gesellschaft sich entwickelt." 32 Durch die organische Verbindung der Verteilung nach der Arbeitsleistung mit der Befriedigung der Bedürfnisse mittels gesellschaftlicher Fonds wird es in zunehmendem Maße „allen Gesellschaftsmitgliedern erlaubt, ihre Fähigkeiten möglichst allseitig auszubilden, zu erhalten und auszuüben". 3 3 1.3.5.

Solidarität

als klassenmäßig

bestimmtes

Verhalten

Die Solidarität im Sozialismus ist der Ausdruck neuer Denk- und Verhaltensnormen. Entstanden im Klassenkampf gegen das Kapital, ist die solidarische Hilfe und Aktivität auf der festen Grundlage der sozialistischen Produktionsverhältnisse und der daraus resultierenden Gleichberechtigung der Bürger zur ständigen Handlungsmaxime geworden. Solidarität im Sozialismus bedeutet — Achtung und Anerkennung gesellschaftlicher Erfordernisse bei Realisierung persönlicher Interessen; — Tätigsein für die Gesellschaft, für die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten sowie für sich selbst. Die Sozialpolitik zum Wohle des Menschen kann und darf nicht auf materielle und finanzielle Maßnahmen seitens des Staates begrenzt werden, sondern sie schließt die Solidarität im Sinne der Verantwortung des einzelnen für die Entwicklung aller und der Verantwortung aller für den einzelnen ein. Dabei geht es auch in der solidarischen Hilfe nicht nur um materielle und finanzielle Unterstützung, sondern zugleich um das Ratsuchen und Ratgeben zur Lösung persönlicher und sozialpolitischer Probleme sowie um die Vermittlung der Einsicht in die eigene Vorsorge. Solidarität „muß sich als Verhaltensprinzip im Alltag stets aufs neue best K. Marx, Kritik des Gothaer Programms, in: MEW, Bd. 19, Berlin 1973, S. 19. 32 33

Ebenda. F. Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring), in: MEW, Bd. 20, a. a. 0 . , S. 186.

31

währen und die Leistungen des sozialistischen Staates für den Menschen im persönlichen Miteinander, in kameradschaftlicher Hilfe und gegenseitiger Unterstützung ergänzen". 34

1.3.6.

Rationalität und Effektivität

Das Gesetz der Ökonomie der Zeit wirkt auch bei Maßnahmen im Bereich der Sozialpolitik. Die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen muß mit einem rationellen Einsatz ökonomischer Mittel verbunden sein. Auch für sozialpolitische Entscheidungen gilt, daß nur verbraucht werden kann, was vorher bedarfsgerecht produziert wurde. Dabei ist zugleich zu beachten, daß einerseits einmal beschlossene sozialpolitische Maßnahmen immer wieder reproduziert werden müssen und damit einen ständigen Leistungsanspruch an die sozialistische Wirtschaft bedeuten, wie anderseits mit den zur Verfügung stehenden Mitteln ein Höchstmaß an sozialer Entwicklung, ausgehend von den Bedürfnissen der Klassen, Schichten und sozialen Gruppen, erreicht werden muß. Durch die effektive Beeinflussung des Arbeits- und Leistungsvermögens mittels sozialpolitischer Maßnahmen wird es möglich, unter Berücksichtigung der Aufwendungen und der Realisierungszeit den gesellschaftlichen Nutzeffekt der Sozialpolitik zu erhöhen. Rationalität und Effektivität in der sozialistischen Sozialpolitik haben in Übereinstimmung mit der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft einen hohen Grad an spezifischer und differenzierter sozialpolitischer Zielsetzung zum Inhalt. Das erfordert die Anwendung von Kennziffern zur exakten Planung sozialpolitischer Maßnahmen und von Elementen der wirtschaftlichen Rechnungsführung in den sozial-kulturellen Einrichtungen. Dadurch wird es möglich, die lang- und mittelfristig geplante Gestaltung sozialer Bedingungen besser abzurechnen und die zu erreichenden Ergebnisse im voraus gründlicher zu bestimmen. Über den Weg einer Qualifizierung sozial-kultureller Aufgaben und Maßnahmen wird letztlich die Beherrschung sozialer Prozesse erreicht, so daß dieses Prinzip zum unabdingbaren Bestandteil der wissenschaftlichen Führungs- und Leitungstätigkeit auf sozialpolitischem Gebiet werden muß.

1.3.7.

Zentrale staatliche Leitung und Planung Erhöhung der Eigenverantwortlichkeit

in Grundfragen

und

Der demokratische Zentralismus als grundlegendes Organisations- und Leitungsprinzip durchdringt alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und wird 34

W. Lamberz, Solidarität in unserer Zeit — Erfahrungen und Aufgaben bei der Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED, Berlin 1972, S. 5 (Hrsg. Zentralausschuß der Volkssolidarität).

32

auch in der Sozialpolitik wirksam. Die Führungsentscheidungen in Gestalt von Beschlüssen, Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften bestimmen, ausgehend von der Analyse der objektiven Erfordernisse, die Aufgaben der Sozialpolitik. Es ist erforderlich, sozialpolitische Entscheidungsfelder zentral festzulegen, durch eigenverantwortliche Entscheidungen auf betrieblicher und territorialer Ebene zu spezifizieren und durch die Entfaltung der Eigenverantwortlichkeit im Betrieb und Territorium höchste Effektivität sozialpolitischen Wirkens zu erzielen. Aufgaben zentraler Staatsorgane sind dabei auf dem Gebiet der Sozialpolitik: — Begründung der objektiven Bedürfnisentwicklung und der Erhöhung des Lebensniveaus sowie der Schaffung weiterer Bedingungen für die Gestaltung der Lebensweise; — Festlegung der Grundrichtung der Sozialpolitik in den Betrieben und Territorien durch den Erlaß von Gesetzen, Verordnungen und Weisungen sowie Vorgaben innerhalb der zentralen staatlichen Planung; — Einflußnahme auf andere Bereiche der sozialistischen Politik aus sozialpolitischer Sicht, beispielsweise auf die Kommunalpolitik, die Einkommenspolitik usw. ; — Förderung sozialer Gruppen, deren besondere Stellung in der Gesellschaft zusätzliche Unterstützung findet (berufstätige Mütter, kinderreiche Familien, Jugendliche) ; — grundsätzliche Sicherung (Mindestgrenze) des Konsumtionsniveaus solcher Gruppen, die infolge spezifischer Bedingungen oder infolge ihrer Stellung in der Gesellschaft ihre Arbeits- und Lebensbedingungen nur bedingt beeinflussen können (Invaliden, Altersrentner, Schwerbeschädigte); — Grundsatzentscheidungen hinsichtlich des Gesundheits- und Arbeitsschutzes, der sozialen Betreuung im Krankheitsfall, bei Mutterschaft, bei Arbeitsunfall und bei der Gestaltung von Freizeit und Erholung. Die Eigenverantwortung der Kombinate und Betriebe auf sozialpolitischem Gebiet umfaßt entsprechend den spezifischen Reproduktionsbedingungen auf der Grundlage der zentralen Gesetze, Verordnungen, Weisungen und Vorgaben : — die Verwirklichung der sozialen Grundrechte (Recht auf Arbeit, Freizeit und Erholung usw.); — die Bestimmung der mittel- und kurzfristigen Aufgaben zur Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen auf der Grundlage von Analysen sowie prognostischer Einschätzungen ; — die Ausarbeitung von längerfristigen Konzeptionen und jährlicher Betriebspläne zur Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen; — die rationelle Organisation der sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Betreuung ; — die Schaffung von Arbeitsbedingungen entsprechend den spezifischen Bedürfnissen besonders zu fördernder Gruppen, wie Schonarbeitsplätze für Schwangere, geschützte Arbeitsplätze für Rehabilitanden usw.; S Manz/Winkler

33

— die Überwindung ungerechtfertigter Unterschiede in den Betreuungsbedingungen zwischen Bereichen und Beschäftigtengruppen zur Erzielung eines gleichwertigen Reproduktionseffekts z. B. für Schichtarbeiter, Arbeiten unter erschwerten Bedingungen usw.; — die Eigenerwirtschaftung und den effektiven Einsatz der Mittel zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen; — die Entwicklung sozialistischer Beziehungen in den Arbeitskollektiven und zwischen Kollektiven und Leitern im Zusammenhang mit dem sozialistischen Wettbewerb. Die Sozialpolitik im Territorium ist die Gesamtheit von Maßnahmen zur Förderung und Entwicklung der Lebensbedingungen der Bürger, die im Territorium arbeiten bzw. wohnen. Sie befaßt sich mit den sozialen Gruppen der Wohnbevölkerung entsprechend der territorialen Gliederung und jenem Teil ihrer Reproduktion, — der vom Effekt her besser am Wohnort erfolgt (z. B. Kinderbetreuung, Einkauf von Industriewaren, Freizeitgestaltung); — bei dem im Interesse aller Bürger die sozialen Einrichtungen günstiger territorial stationiert sind und durch das örtliche Staatsorgan einheitlich geleitet werden (z. B. Dienstleistungsbetriebe, Gesundheitseinrichtungen); — bei dem vom Standpunkt der natürlichen Ressourcen soziale Einrichtungen und Mittel territorial erschlossen werden müssen (z.B.Naherholung); — der nur durch planmäßige Gestaltung der Reproduktion des Menschen in allen Lebensbereichen gewährleistet werden kann (z. B. Freizeitgestaltung und Erholung). Mit der erhöhten Verantwortung der Betriebe und staatlichen Organe in den Territorien für ihren Reproduktionsprozeß verbinden sich die strikte Wahrung der Plandisziplin, der sozialistischen Gesetzlichkeit und die verantwortungsbewußte rechtliche Ausgestaltung der sozialen Fragen in den Arbeitsund Lebensbedingungen in ihrem Bereich. Darin bestehen wichtige Garantien für die Realisierung der marxistisch-leninistischen Sozialpolitik. Konkret wird die Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Stadt oder Gemeinde durch Vereinbarungen organisiert. Vor allem die Gewerkschaften als umfassende Klassenorganisation der Arbeiterklasse und Interessenvertreter der Arbeiter, Angestellten und Angehörigen der Intelligenz nehmen unmittelbar Einfluß auf die Verwirklichung der Sozialpolitik. Die Gewerkschaften werden in der Interessenvertretung auf sozialpolitischem Gebiet in drei Richtungen wirksam: a) durch die Mitwirkung bei der Verwirklichung der Sozialpolitik der zentralen und örtlichen Organe der Staatsmacht, der Betriebe und Kombinate und anderer gesellschaftlicher Organisationen sowie b) durch ihre aktive Teilnahme und Einflußnahme auf die planmäßige soziale Entwicklung mittels des sozialistischen Wettbewerbs und der Förderung des Solidaritätsgedankens; 34

c) durch eigenverantwortliche Lösung sozialpolitischer Aufgaben bei Leitung, Planung und Verwaltung der Sozialversicherung der Arbeiter Angestellten, im Feriendienst der Gewerkschaften sowie zur Kontrolle betrieblichen Arbeitsschutzes mit Hilfe der Arbeitsschutzinspektionen FDGB.

1.4.

Sozialpolitik im staatsmonopolistischen

1.4.1.

Die soziale Frage und ihre Ausprägung

der und des des

Kapitalismus im

Kapitalismus

Die entscheidende sozialökonomische Grundsituation, die den Klassencharakter, die Ziele und Möglichkeiten der Sozialpolitik im Imperialismus bestimmt, ist der Antagonismus von Kapital und Arbeit. Er besteht seinem Klassenwesen nach unverändert fort, und damit hat sich auch am Klassencharakter der sozialen Frage im Kapitalismus nichts geändert. Gerade in den letzten Jahren wurde, so z. B. in der B R D unter Führung der CDU, die Forderung nach einem Funktionswandel der Sozialpolitik erhoben. Dabei wird versucht nachzuweisen, — daß soziale Sicherheit und sozialer Friede gesichert seien, — daß soziale Probleme nicht klassenbedingt sind, denn „kein Bürger in der Bundesrepublik Deutschland ist heute deshalb arm, weil er Arbeiter i s t . . . Die Überbetonung des Konflikts zwischen Kapital und Arbeit hat häufig die Probleme der wirklich Schwachen und Bedürftigen in unserer Gesellschaft verdeckt." 35 — daß die wirklichen sozialen Konflikte zwischen sozialen Randgruppen, zwischen „Starken und Schwachen, Nichterwerbsfähigen und Erwerbsfähigen, Nichtorganisierten und Organisierten" 36 bestehen. Nach wie vor gilt jedoch, daß die soziale Frage im Kapitalismus durch die gesellschaftliche Stellung der arbeitenden Klasse als ausgebeutete Hauptproduktivkraft und kämpfende Klasse bestimmt wird. Der Klassenantagonismus von Kapital und Arbeit, von Arbeiterklasse und Bourgeoisie prägt als ihr Hauptinhalt auch alle anderen sozialen Beziehungen und Verhältnisse dieser Gesellschaft, so die Rolle und Stellung der Frau, die Familienbeziehungen, die Stellung der Älteren und der Jugendlichen in der Gesellschaft, die Beziehungen zwischen Stadt und Land, zwischen geistiger und körperlicher Arbeit. Die sozialen Existenzprobleme der Arbeiterklasse ergeben sich aus ihrer Stellung als produzierender, aber vom Besitz und der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ausgeschlossener Klasse, die ihre Arbeitskraft verkaufen und um ihre Bezahlung zum Wert kämpfen muß und in ihrer gesamten individuellen und sozialen Entwicklung den Profitinteressen des Kapitals unterworfen ist. Den grundsätz36 36



H. Geißler, Neue Soziale Frage, in: Soziale Sicherheit (Köln), 2/1976, S. 33. Ebenda.

35

liehen Zusammenhang und diesen tiefen Klasseninhalt der sozialen Frage sucht die Bourgeoisie seit Bestehen der organisierten Arbeiterbewegung zu leugnen. Durch die Reduzierung der sozialen Frage auf Teilprobleme der materiellen Existenzsicherheit der Arbeiterklasse und deren partielle Lösung unter dem ständigen Druck der Arbeiterbewegung versucht sie, den Eindruck der Wandelbarkeit des Kapitalismus und der Lösbarkeit seiner sozialen Probleme zu erwecken. So werden einerseits die Erfolge, die die Arbeiterklasse in den Grenzen des kapitalistischen Systems erringen konnte, um ihre soziale Lage zu verbessern, anderseits aber auch die sich aus der sozialen Polarisierung ergebenden Erscheinungen der Einbeziehung breiterer Kreise der Werktätigen und der Mittelschichten in Maßnahmen der sozialen Sicherung von bürgerlichen Ideologen genutzt, um die Behauptung zu verbreiten, die Klassenfrage sei im heutigen Kapitalismus gelöst, und deshalb kämen der Sozialpolitik neue Aufgaben zu. So erklärte der ehemalige Generalsekretär der CDU, K.-H. Biedenkopf, unmittelbar vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1974/75: „Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts, die eine reine Arbeiterfrage und mithin in der Tat eine Klassenfrage war, hat in unserer Gesellschaft, in der 85 Prozent der Erwerbstätigen Arbeitnehmer sind, ihren Klassencharakter verloren . . . Die soziale Frage des 19. Jahrhunderts ist in allen westlichen Ländern dem Prinzip und — jedenfalls in der Bundesrepublik — auch der Sache nach gelöst." 37 Diese Behauptung ist zugleich Grundlage der neokonservativen Konzeption der „neuen sozialen Frage" als eines Versuchs, den sich verschärfenden Klassenantagonismus durch seine Auflösung in soziale Probleme gesellschaftlicher „Randgruppen" zu verschleiern und sozialpolitische Positionen der Arbeiterklasse und ihrer Gewerkschaften zu untergraben und verstärkt Krisenlasten auf sie abzuwälzen. Durchgängig werden als Beweis für Behauptungen der Überwindung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit folgende sozialökonomische und sozialpolitische Standardargumente angeführt: — Die Löhne und der Lebensstandard der Arbeiter haben sich seit der Zeit von Marx gewaltig erhöht. — Die Arbeitszeit wurde je Tag und Jahr wesentlich verkürzt. — Die soziale Sicherung der Arbeiter und ihrer Familien gegen die Folgen von Krankheit, Invalidität, Alter und Arbeitslosigkeit ist umfassender geworden. — Die Qualifikation der Arbeiter ist gestiegen, die Arbeitsbedingungen sind wesentlich besser geworden. Dabei kann einerseits festgestellt werden, daß die Arbeiterklasse sich in den führenden kapitalistischen Ländern z. T. beachtliche Ergebnisse auf einzelnen Teilgebieten der sozialen Sicherung erkämpfen konnte, nicht zuletzt auch in Verbindung mit dem Erstarken und der Vorbildwirkung des realen Sozialismus. Aber auch diese Erfolge ändern nichts an der Tatsache, daß die Arbeiter37 K.-H. Biedenkopf, Fortschritt in Freiheit, München 1974, S. 92 und 104.

36

klasse u n t e r d e n v e r g l e i c h b a r schlechtesten Arbeits- u n d L e b e n s b e d i n g u n g e n l e b t . Der s t e l l v e r t r e t e n d e Vorsitzende des D G B stellt d a z u z. B. f e s t : „ E n t gegen d e n Thesen v o n d e r nivellierten Mittelstandsgesellschaft zieht sich noch i m m e r ein d u r c h g ä n g i g r o t e r F a d e n von u n t e r s c h i e d l i c h e n B i l d u n g s c h a n c e n ü b e r u n t e r s c h i e d l i c h e A u s b i l d u n g s c h a n c e n zu u n t e r s c h i e d l i c h e n E i n k o m m e n u n d gleichzeitig d a m i t unterschiedlichen Möglichkeiten d e r S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g u n d S e l b s t g e s t a l t u n g in d e r Arbeitswelt. Unterschiedliche G e s u n d h e i t s c h a n c e n korrelieren d a m i t (einschließlich einer unterschiedlichen F r ü h i n v a l i d i t ä t ) , u n d dies s e t z t sich f o r t bis h i n zu einer unterschiedlichen L e b e n s e r w a r t u n g . Die G r u n d s c h i c h t e n u n s e r e r B e v ö l k e r u n g , insbesondere A r b e i t e r , sind bei all diesen F r a g e n die a m s t ä r k s t e n benachteiligte G r u p p e , so d a ß die F o r m e l : geringere B i l d u n g — geringeres E i n k o m m e n — schlechtere G e s u n d h e i t — f r ü h e r e r T o d — i m m e r noch s t i m m t . I m G e g e n s a t z z u m Gerede v o n einer n e u e n sozialen F r a g e , die angeblich a u ß e r h a l b d e r Arbeitswelt angesiedelt sein soll, bleibt festzustellen, d a ß in d e n eben e r w ä h n t e n F a k t e n a u c h h e u t e n o c h der wesentliche Teil der sozialen F r a g e b e g r ü n d e t liegt. Sie ist n i c h t n e u zu stellen, sondern a n ihrer Lösung m u ß h a r t u n d kontinuierlich — wie schon in der Vergangenheit auch — gearbeitet werden."38 Anderseits darf a u c h n i c h t übersehen w e r d e n , d a ß die sozialen Erfolge der A r b e i t e r d e r k a p i t a l i s t i s c h e n L ä n d e r n u r in d e m Maße u n d in d e n Grenzen möglich waren, wie sie f ü r die weitere E r h a l t u n g u n d A u s g e s t a l t u n g d e r kapitalistischen P r o d u k t i o n s - u n d A u s b e u t u n g s v e r h ä l t n i s s e n o t w e n d i g u n d a k z e p t a b e l w a r e n . Das M o n o p o l k a p i t a l h a t sich — historisch b e t r a c h t e t — i m m e r n u r solche sozialpolitischen Zugeständnisse a b r i n g e n lassen, die sich als politische u n d ökonomische V o r a u s s e t z u n g e n der K a p i t a l v e r w e r t u n g u n t e r n e u e n B e d i n g u n g e n der P r o d u k t i v k r a f t e n t w i c k l u n g u n d des i n t e r n a t i o n a l e n K r ä f t e verhältnisses als u n b e d i n g t n o t w e n d i g erwiesen. I n d e n k o n k r e t e n Erschein u n g s f o r m e n u n d A u s w i r k u n g e n des kapitalistischen A u s b e u t u n g s s y s t e m s u n d d a m i t in d e n F o r m e n u n d M e t h o d e n der imperialistischen Sozialpolitik h a b e n sich zweifellos W a n d l u n g e n vollzogen — n i c h t s aber h a t sich a m C h a r a k t e r g e ä n d e r t . D e r K a p i t a l i s m u s h a t seit j e h e r die Lage b e s t i m m t e r G r u p p e n der W e r k t ä t i g e n besonders v e r s c h ä r f t . Das w a r e n u n d sind Folgen des kapitalistischen A k k u m u lationsgesetzes. U n t e r der W i r k u n g der v e r s c h ä r f t e n allgemeinen Krise h a b e n sich diese E r s c h e i n u n g e n sogar weiter v e r s t ä r k t . E s spricht n i c h t f ü r die soziale Leistungsfähigkeit dieser O r d n u n g , d a ß sie t r o t z des v o n der Arbeiterklasse geschaffenen materiellen R e i c h t u m s selbst e k l a t a n t e soziale N o t s t ä n d e , A r m u t u n d E l e n d n i c h t beseitigen k o n n t e . I m Gegenteil, es ist A u s d r u c k des Niedergangs einer historischen ü b e r l e b t e n O r d n u n g , in der Ü b e r f l u ß auf d e r einen Seite Mangel auf d e m Gegenpol h e r v o r b r i n g t . Noch weniger a b e r ist a u s solchen E r s c h e i n u n g e n a b z u l e i t e n , d a ß die „alte soziale F r a g e " gelöst sei. 38

G. Muhr, Sozialpolitik der Nachkriegszeit — Betrachtungen aus der Sicht des DGB, in: Sozialpolitik nach 1945, Bonn-Bad Godesberg 1977, S. 484/485. 37

Die Lage der Arbeiterklasse und anderer wichtiger Schichten ist insgesamt durch soziale Unsicherheit und den Angriff auf erreichte soziale Sicherungen charakterisiert. Wenige Fakten mögen das belegen: Hauptfeld sozialpolitischer Aktivitäten der Arbeiterklasse ist die Gewährleistung des Rechts auf Arbeit. In seiner Regierungserklärung vom 28.10.1969 stellte W. Brandt fest, daß die Bundesregierung darauf achten wird, daß Rationalisierung und Automatisierung nicht zu Lasten der Arbeiter gehen, sondern den sozialen Fortschritt fördern. Wirtschaftsund Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik werden auch bei notwendigen Umstrukturierungen sichere Arbeitsplätze gewährleisten. Die Entwicklung der vergangenen Jahre in den führenden kapitalistischen Ländern beweist das Gegenteil. Im Ergebnis der sich vollziehenden kapitalistischen Rationalisierung und einer an den Profitinteressen orientierten Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts wurde in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Arbeitsplätzen wegrationalisiert. So gingen allein im Zeitraum 1970 bis 1976 in der Industrie der B R D von 100 Arbeitsplätzen verloren (vgl. Tabelle 1): Tabelle 1 R ü c k g a n g der Arbeitsplätze in der Industrie der B R D im Zeitraum von 1970 bis 1976 Industriezweige und -bereiche

Arbeitsplätze

Chemie Straßenfahrzeugbau Eisenschaffende Industrie Maschinenbau Elektrotechnik Feinmechanik/Optik Nahrungs- und Genußmittel Druckereien EBM-Waren Baugewerbe Bergbau Gummi/Asbest Steine/Erden Eisen- und Stahlgießereien Textil, Bekleidung

6 7 10 12 14 15 15 17 18 20 21 21 25 25 29

Quelle:

Die Wirtschaft, 6/1977, S . 28.

Damit ist zwangsläufig eine enorme Beschleunigung der Arbeitslosigkeit in allen führenden kapitalistischen Ländern verbunden (vgl. Tabelle 2). Inzwischen wurde auch versucht, durch eine Neuinterpretation der Vollbeschäftigung den Nachweis zu erbringen, daß diese Arbeitslosenzahlen im wesentlichen Ausdruck der erreichten Vollbeschäftigung sind. Noch 1960 wurde 38

Tabelle 2 Arbeitslosenquote in den imperialistischen Ländern Jahr

USA

Japan

BRD

Großbritannien

Frankreich

Italien

1967 1970 1975 1977 1978 (I. Quart.)

3,8 4,9 8,5 7,1 6,8

1,1 1,1 1,9 2,0 2,5

2,1 0,7 4,7 4,5 5,2

2,4 2,6 4,4 6,3 6,5

1,0 1,3 4,4 5,8 6,3

3,5 3,2 5,9 7,2 7,1

Quelle: Main Economic Indicators (Hrsg. OECD), Paris, lfd. bei einer Arbeitslosenquote von 3 % von Vollbeschäftigung gesprochen, 1965 waren es 4 % , und 1976 berechtigten 5 bis 5,25 % Arbeitslose immer noch dazu, von Vollbeschäftigung zu sprechen. 39 Die steigenden offiziellen Arbeitslosenzahlen werden begleitet von einer Zunahme der verdeckten Arbeitslosigkeit sowie von strukturellen Wandlungen innerhalb der Arbeitslosigkeit, d. h. vor allem der überdurchschnittlichen Zunahme bei Jugendlichen, Frauen und Absolventen von Hoch- und Fachschulen (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3 Arbeitslose in der BRD (in 1000) 1972

1975

1977

Offizielle Arbeitslose „stille Reserve" Umschüler Abgewanderte Ausländer

246 144 96

1074 480 130 135

1030 656 76 410

Summe

486

1819

2172

-

Quelle: G. Hantsch, Massenarbeitslosigkeit — Ergebnis monopolkapitalistischer Profitwirtschaft, in: Marxistische Blätter, Frankfurt a. M., 2/78, S- 14. Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit wirkt sich dabei keineswegs nur auf die unmittelbare Lage der Betroffenen aus, sondern führt — wie bürgerliche Soziologen nachweisen — zu sozialer Unsicherheit, die sich in den familiären Beziehungen, in der Geburtenentwicklung, im Gesundheitszustand, d. h. in der Gesamtheit der Lebensumstände, niederschlägt. 39

Vgl. J. Kuczynski, Vorbereitung auf die nächste Krise, in: Horizont, 33/1976, S. 24.

39

Neben der Entwicklung der Arbeitslosigkeit, ist es vor allem das Feld der sozialen Sicherung der älteren Bürger, welches den Großangriffen staatlicher Sozialpolitik ausgesetzt ist. Es wäre zu oberflächlich, bei einer Analyse der Renten — z. B. in der BRD — ausschließlich von Durchschnittszahlen auszugehen. Charakteristisch ist a) eine starke Differenzierung der Renten zwischen Arbeitern und Angestellten. So betrug im Juli 1976 die durchschnittliche Rentenhöhe für Arbeiter nur etwa 60% der Angestelltenrenten; b) eine geschlechtsspezifische Schichtung der Renten, die vor allem Frauen in den untersten Rentengruppen erfaßt. Fast die Hälfte (45,8%) aller Frauen bezieht nach dem Rentenanpassungsbericht 1977 eine Rente unter 300,— DM, die nach Berechnungen westdeutscher Soziologen weit unter dem Existenzminimum liegt; c) daß der Anteil des Staates an der Finanzierung der Renten immer weiter zurückgeht (vgl. Tabelle 4). In zunehmendem Maße wird die Finanzierung der Altersrenten auf die Arbeiterschaft abgeschoben; Tabelle

4

Zuschuß zur Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten aus dem Bundeshaushalt Jahr

in Mrd. DM

in °/0 der Ausgaben der Rentenversicherung

1961 1965 1970 1971 1972 1973 1974 1975

4,6 6,2 7,3 7,9 10,0 8,5 11,7 11,2

23,9 21,8 15,4 14,7 16,2 11,9 14,0 11,7

Quelle: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Frankfurt a. M., 11/1976, S. 634.

d) daß sich die Steigerung der Renten langsamer vollzieht als die Entwicklung der Preise, so daß sich die Lebenslage der Mehrheit der älteren Bürger verschlechtert. Die Zahl der Beispiele ließe sich erweitern auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, der Bildung, der Arbeitsbedingungen, der Einkommensdifferenzierung usw. Sie beweisen letztlich nur, daß die aus dem Grundwiderspruch von Kapital und Arbeit resultierende soziale Unsicherheit nicht beseitigt wurde und nicht beseitigt werden kann. Das heißt nicht, daß sich keine Veränderungen vollziehen werden. Die stürmische Entwicklung der Produktivkräfte und die Intensivierung der Ausbeutung, das Erstarken der sozialistischen Staatengemeinschaft, der 40

Ü b e r g a n g zur zweiten u n d d r i t t e n E t a p p e der allgemeinen Krise d e s K a p i t a l i s m u s u n d d e r m i t alldem v e r b u n d e n e endgültige u n d u m f a s s e n d e U b e r g a n g des K a p i t a l i s m u s in sein s t a a t s m o n o p o l i s t i s c h e s S t a d i u m geben d e r sozialen F r a g e in d e r G e g e n w a r t einen q u a l i t a t i v n e u e n Stellenwert. Das kapitalistische A u s b e u t u n g s s y s t e m h a t sich e r w e i t e r t u n d v e r t i e f t . Die Arbeiterklasse ist die z a h l e n m ä ß i g s t ä r k s t e Klasse d e r h o c h e n t w i c k e l t e n kapitalistischen L ä n d e r . So b e t r u g der Anteil der „ A b h ä n g i g e n " a n den E r w e r b s t ä t i g e n (in % ) (vgl. Tabelle 5 ) : Tabelle 5 Anteil der Arbeiterklasse an den Erwerbstätigen in kapitalistischen Ländern (in %) Großbritannien USA Kanada Australien BRD Schweiz Frankreich Italien Schweden

80 89 85 83 81 81 72 65 65

Quelle: Klassen-und Sozialstruktur der 13RD 1950-1970, Teil II, Frankfurt a. M. 1973, S. 661.

Sie ist in allen W i r t s c h a f t s b e r e i c h e n als a u s g e b e u t e t e L o h n a r b e i t e r k l a s s e vert r e t e n , d a s A u s b e u t u n g s s y s t e m e r f a ß t in z u n e h m e n d e m Maße a u c h soziale G r u p pen a u ß e r h a l b d e r Arbeiterklasse, insbesondere große G r u p p e n der Intelligenz. Die A u s b e u t u n g im P r o d u k t i o n s p r o z e ß u n d ü b e r die s t a a t s m o n o p o l i s t i s c h e U m verteilung e r f a ß t die gewaltige Mehrheit der B e v ö l k e r u n g . Das h e i ß t , die soziale Polarisierung h a t sich e n o r m v e r s t ä r k t . Die E x i s t e n z g r u n d l a g e n d e r Mittelschicht e n sind in z u n e h m e n d e m Maße g e f ä h r d e t . U n t e r d e m D r u c k d e r Arbeiterklasse w a r e n U n t e r n e h m e r u n d S t a a t d a h e r gezwungen, die F e l d e r ihrer sozialpolitischen A k t i v i t ä t e n a u s z u w e i t e n u n d differenzierter zu g e s t a l t e n . A u c h u m f a s s e n d e u n d Sich beschleunigende s t r u k t u r e l l e V e r ä n d e r u n g e n i n n e r h a l b d e r Arbeiterklasse sind A u s g a n g s p u n k t u n d Ziel sozialpolitischer A k t i v i t ä t e n des S t a a t e s u n d d e r Monopole. Gleichzeitig gehen v o n d e r schnellen E n t w i c k l u n g d e r P r o d u k t i v k r ä f t e u n t e r der W i r k u n g d e r wissenschaftlich-technischen R e v o l u t i o n q u a l i t a t i v n e u e A n f o r d e r u n g e n a n die A r b e i t s k r ä f t e aus. E s e n t s t e h e n n e u e B i l d u n g s b e d ü r f n i s s e , v e r ä n d e r t e Technologien f ü h r e n zu n e u e n F o r m e n der I n t e n s i v i e r u n g der Ausb e u t u n g u n d v e r s t ä r k e n die physische u n d vor allem die nervliche u n d psychische B e l a s t u n g vieler A r b e i t e r u n d Angestellter. So e r w e i t e r n sich o b j e k t i v die U m k r e i s e d e r n o t w e n d i g e n B e d ü r f n i s s e u n d der A n f o r d e r u n g e n der Arbeiterklasse a n die gesellschaftlichen Leistungen zur R e p r o d u k t i o n der A r b e i t s k r a f t u n d zwingen S t a a t u n d Monopole im Interesse ihrer H e r r s c h a f t s s i c h e r u n g zur R e a k t i o n .

41

Dabei zeigt sich, daß sich nicht nur die Felder sozialpolitischer Auseinandersetzung schlechthin ausweiten, sondern daß die infolge der raschen Produktivkraftentwicklung akut gewordenen Anforderungen auf dem Gebiet der Sozialpolitik zunehmend auf die durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse gezogenen Schranken stießen: Sie lassen sich nur unter relativ großen Schwierigkeiten kapitalistisch verwerten. Im Zusammenhang damit erhält der sozialpolitische Kampf der Arbeiterklasse neue Dimensionen, indem der Kampf um die Reproduktion der Ware Arbeitskraft und der Zwang zum Kampf um die Aufhebung des Warencharakters der Arbeitskraft sich miteinander verflechten. 1.4.2.

Zum Wesen der Sozialpolitik

im

Kapitalismus

Kapitalistische Sozialpolitik ist ihrem Wesen nach ein Herrschaftsinstrument der Bourgeoisie, ihr Inhalt wird von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und ihrem antagonistischen Charakter bestimmt. Sie dient, in enger Verflechtung mit anderen Bereichen imperialistischer Politik, auf spezifische Weise der umfassenden Absicherung der Verwertungsbedingungen des Kapitals. Staatsmonopolistische Sozialpolitik ist daher primär keineswegs eine „Schutzpolitik" für die Not- und Wechselfälle des Lebens wie Alter, Krankheit, Invalidität. Denn auch der partielle Ausgleich besonders gravierender sozialer Unterschiede und sozialer Notstände und Gebrechen, die aus dem Wesen der kapitalistischen Ausbeuterordnung resultieren, ist nicht Ziel, sondern — entsprechend dem Grundgesetz des Kapitalismus — lediglich Mittel dieser Politik. Gegenstand staatsmonopolistischer Sozialpolitik ist die Regulierung der sozialen Beziehungen und Verhältnisse, insbesondere der antagonistischen Beziehungen zwischen Bourgeoisie und Proletariat als den bestimmenden, alle übrigen Verhältnisse beeinflussenden Beziehungen. Sie zielt damit sowohl auf die Sicherung der sozialökonomischen Bedingungen für die Funktionsfähigkeit des monopolistischen Reproduktionsprozesses als auch auf die politische Stabilisierung der staatsmonopolistischen Herrschaft durch die Kanalisierung von Klassenwidersprüchen. In den vergangenen Jahren häufen sich die Bestrebungen bürgerlicher Politiker und Ideologen, im Zusammenhang mit der Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus den Standort bürgerlicher Sozialpolitik und ihren künftigen Aktionsradius neu zu bestimmen. Die Vorstellungen sind je nach politischem Standort unterschiedlich. So suchen konservative Sozialpolitiker und "Wissenschaftler im Staat und seinem Regulierungsmechanismus, in einem Zuviel an staatlicher Regulierungstätigkeit auf der einen Seite und einer angeblich verantwortungslosen, die Wirtschaft über Gebühr belastenden sozialen Begehrlichkeit der Arbeiter auf der anderen die Ursachen für krisenhafte sozialpolitische Zuspitzungen. Daraus werden Forderungen nach einer mehr oder weniger starken Beschränkung der materiellen Sozialleistungen des Staates und der anderen Regulierungsfunktionen des Staates im sozialen Bereich abgeleitet — so ist die 42

„Sicherung eines Existenzminimums durch ein Grundeinkommen" nach den Vorstellungen des USA-Soziologen Milton Friedman das einzig akzeptable Sozialprogramm. 4 0 Sozialreformistische Politiker und Ideologen sehen die Ursachen für diese Prozesse in Unzulänglichkeiten des staatlichen Regulierungsinstrumentariums, in angeblich weltweiten Krisenprozessen, in der Inhumanität wissenschaftlich-technischen Fortschritts an sich und möchten Sozialpolitik als Mittel der Systemstabilisierung, vor allem auch in bezug auf die wachsenden Anforderungen der wissenschaftlich-technischen Revolution und der Auseinandersetzung mit dem Sozialismus und seiner Sozialpolitik effektiver machen. Insgesamt stehen die heutigen Aussagen bürgerlicher Ideologie in einem starken Kontrast zu früheren überschwenglich-optimistischen Feststellungen hinsichtlich der sozialen Bewältigungsmöglichkeiten wissenschaftlich-technischcn Fortschritts, der Regulierbarkeit ökonomischer und sozialer Prozesse. Verschlissen oder zumindest arg lädiert sind auch ideologische Leitbilder, die den Kapitalismus als „Wohlstandsgesellschaft", als „Überfluß"- und „Wegwerfgesellschaft" vorzustellen suchten. Es wäre jedoch falsch, wollte man aus diesen Reflexionen bürgerlicher Sozialpolitik, aus den Divergenzen zwischen einzelnen Strömungen bürgerlicher Ideologie und aus der eingeleiteten sozialen Demontage einen Bedeutungsverlust der Sozialpolitik oder staatlichen Sozialleistungen als wichtige Bestandteile der Systemsicherung ableiten. Die Bourgeoisie ist heute in besonderem Maße — und vielfach nicht ohne Erfolg — bemüht, das Klassenwesen ihrer Politik im allgemeinen und das ihrer Sozialpolitik im besonderen zu verschleiern und Sozialpolitik nicht nur schlechthin als klassenneutrale bzw. die „Pluralität der Interessen" berücksichtigende Politik erscheinen zu lassen, sondern darüber hinaus als eine Politik glaubhaft zu machen, die vor allem die Interessen und Bedürfnisse der Werktätigen berücksichtigt und die Lösung ihrer sozialen Probleme zum Ziel hat. Dem stehen die Realitäten in den kapitalistischen Ländern gegenüber. H. 0 . Vetter, Vorsitzender des DGB, stellt bei einer Analyse der gewerkschaftlichen Aufgaben auf sozialpolitischem Gebiet fest, daß die vorhandenen gleichen Rechte noch nicht gleiche soziale Chancen bedeuten, sondern daß diese ungleich verteilt sind. 4 1 Als Beweis dafür werden genannt: a) Einkommenspolitik — Trotz der erreichten Einkommensentwicklung hat „sich die Einkommensrelation im Verhältnis zu den Selbständigen für die Arbeitnehmer verschlechtert... Der Anteil der Arbeitereinkommen am gesamten Volkseinkommen ist gesunken." 4 2 In Auseinandersetzung mit dem Begriff der Wohlstandsgesellschaft stellt Vetter fest: „Arbeitnehmer, die bestimmte KonsumleitB. Badura/P. Gross, Sozialpolitische Perspektiven, München 1976, S. 114 f. Vgl. H. 0. Vetter, Aufgaben der Gewerkschaften in dieser Gesellschaft, in: Sozialpolitik - Ziele und Wege, Köln 1974, S. 435. « Ebenda. 40

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bilder erfüllen wollen, müssen dies nach wie vor durch erheblichen Verzicht auf anderen Bereichen erkaufen. Entweder kann man sich beispielsweise eine Urlaubsreise gönnen oder man leistet sich einen für sich und seine Kinder angemessenen Wohnstandard. Im übrigen sei in Erinnerung gerufen, daß ein Drittel der abhängig Beschäftigten im Urlaub aus finanziellen Gründen nicht verreisen kann." 4 3 b) Situation am Arbeitsplatz — Im Gegensatz zur öffentlichen Diskussion haben sich die Arbeitsbedingungen weiter verschlechtert. „Perfektere maschinelle Ausrüstung, Abbau von zeitraubenden Arbeitsgängen, raschere Aufeinanderfolge der Arbeitsabläufe, Einschränkung von Stillständen und Wartezeiten, gesteigerte Bandgeschwindigkeiten, erhöhtes Arbeitstempo." 44 Im Ergebnis dieser Entwicklung steht die B R D an zweiter Stelle in der westeuropäischen Statistik der Arbeitsunfälle. c) Bildung — Nur 1 2 , 5 % der Studierenden sind Arbeiterkinder. „Bis in die Gegenwart hinein haben sich im Bildungswesen Klassenschranken erhalten. Weiterführende Bildung ist nach wie v o r . . . ein Privileg für die oberen Schichten." 4 5 d) Verschlechterung der Lage einzelner sozialer Gruppen der Arbeiterklasse — Das betrifft insbesondere die Frauen, die Jugendlichen und ausländische Arbeitskräfte. Zusammenfassend stellt Vetter fest: „Durch die Forderung nach Qualität des Lebens können wir uns als Gewerkschaften nicht den Blick für die Quantität des Lebensnotwendigen verstellen lassen." 46 Darunter ist zu verstehen: Sicherheit des Arbeitsplatzes, Mitbestimmung, Kampf gegen Dequalifizierung, Schutz für ältere Bürger, Milderung der Arbeitshetze und anderes mehr. Unter dem Druck der tatsächlichen Entwicklung muß die Gewerkschaftsführung in der B R D feststellen: „Wer jedoch die privatwirtschaftliche Wirtschaftsordnung im Prinzip bejaht, ist verpflichtet, zugleich die Grenzen ihrer Wirksamkeit zu sehen. Die Unternehmensleitung muß Gewinne erwirtschaften. Sie entscheidet nach dem Maßstab der privaten Kosten-Nutzen-Kalkulation." 47 Auf der sozialökonomischen Basis des Privateigentums an den Produktionsmitteln beruhen demzufolge auch Inhalt und Wesen der imperialistischen Sozialpolitik, die sich durch folgende Hauptkennzeichen charakterisieren läßt: — Imperialistische Sozialpolitik dient zuerst und vor allem der umfassenden Absicherung der Verwertungsbedingungen des Monopolkapitals. Sie zielt sowohl auf die Sicherung der sozialökonomischen Bedingungen für die Funktionsfähigkeit des Reproduktionsprozesses als auch auf die politische Stabilisierung der staatsmonopolistischen Herrschaft. Sie ist heute in ihren hauptsächlichen Zielsetzungen Ausdruck und Element der tiefen Widersprüche der ökonomischen Basis und der Verschärfung ökonomischer und sozialer Krisenerscheinungen, der « ** « « «

44

Ebenda, Ebenda. Ebenda, Ebenda, Ebenda,

S. 436. S. 438. S. 445. S. 440.

U n f ä h i g k e i t des k a p i t a l i s t i s c h e n Systems, d e n R e p r o d u k t i o n s p r o z e ß der Gesells c h a f t als E i n h e i t u n d als V e r f l e c h t u n g ökonomischer u n d sozialer Prozesse i m Interesse d e r W e r k t ä t i g e n zu vollziehen. — Die imperialistische Sozialpolitik wird v o m sozialen G r u n d w i d e r s p r u c h des K a p i t a l i s m u s sowie v o n Interessengegensätzen zwischen Bourgeoisie u n d Mittelschichten u n d i n n e r h a l b der Bourgeoisie b e s t i m m t u n d soll m i t ihren Mitteln auf die Kanalisierung dieser W i d e r s p r ü c h e h i n a r b e i t e n . D u r c h ein b r e i t g e f ä c h e r t e s S y s t e m v o n M a ß n a h m e n soll der imperialistische S t a a t vor allem auf die Beziehungen zwischen Arbeiterklasse u n d Bourgeoisie regulierend einwirken, b e s t i m m t e F o r d e r u n g e n d e r Arbeiterklasse je n a c h K l a s s e n k a m p f s i t u a t i o n u n t e r l a u f e n bzw. d u r c h Teilzugeständnisse u m f u n k t i o n i e r e n . Mit der z u n e h m e n d e n I n t e r n a t i o n a l i s i e r u n g der P r o d u k t i o n u n d der A u s b e u t u n g wird die Sozialpolitik a u c h zu einem Feld i n t e r n a t i o n a l e r K l a s s e n a u s e i n a n d e r s e t z u n g e n . — Imperialistische Sozialpolitik wird h e u t e m e h r d e n n je b e e i n f l u ß t v o n der historischen H e r a u s f o r d e r u n g d u r c h den realen Sozialismus. A u c h m i t sozialpolitischen Mitteln u n d M e t h o d e n u n d der F ö r d e r u n g des A n t i k o m m u n i s m u s v e r s u c h t die h e r r s c h e n d e Klasse den E i n f l u ß des Sozialismus auf die A r b e i t e r a b z u b l o c k e n , w e n n möglich sogar in den Sozialismus h i n e i n z u w i r k e n u n d so den gesellschaftlichen F o r t s c h r i t t a u f z u h a l t e n . 1.4.3.

Die staatsmonopolistische

Regulierung

sozialer

Prozesse

„Die E n t w i c k l u n g des s t a a t s m o n o p o l i s t i s c h e n K a p i t a l i s m u s l ä ß t u n v e r m e i d l i c h eine Lage e n t s t e h e n , in d e r a u c h die soziale S p h ä r e z u m G e g e n s t a n d der s t a a t lichen Regulierung w i r d . " 4 8 Das b e d e u t e t , d a ß die R e p r o d u k t i o n des K a p i t a l s ohne s t ä n d i g e u m f a s s e n d e E i n g r i f f e in die Regulierung der sozialen u n d Klassenbeziehungen n i c h t gesichert ist. Imperialistische Sozialpolitik e r h ä l t d u r c h diese eigenständige u n d w a c h s e n d e Rolle des S t a a t e s bei d e r Regulierung d e r sozialen S p h ä r e gleichsam einen n e u e n Stellenwert im R a h m e n d e r imperialistischen Polit i k der S y s t e m s i c h e r u n g u n d -Stabilisierung. D a b e i geschieht die R e g u l i e r u n g der sozialen u n d Klassenbeziehungen des S t a a t e s e r g ä n z e n d u n d modifizierend zu den p r i v a t k a p i t a l i s t i s c h e n Regulierungsprozessen. 4 9 Der K l a s s e n c h a r a k t e r , d a s soziale Wesen der s t a a t s m o n o p o l i s t i s c h e n Gesells c h a f t s o r d n u n g t r i t t f ü r die Masse d e r Arbeiter u n d Angestellten m i t t e l b a r — u n d weitgehend verschleiert — ü b e r die Sozialpolitik des imperialistischen S t a a t e s u n d der Monopole in E r s c h e i n u n g . Die k o n k r e t e n sozialen E r f a h r u n g e n , die sie auf diesem Gebiet s a m m e l n , b e s t i m m e n wesentlich ihre H a l t u n g z u m S t a a t , zu 48

49

Die Leninsche Imperialismustheorie und die Gegenwart — Wesen, Krisenerscheinungen und Anpassungstendenzen der staatlichen Regulierung, in: IPW-Berichte, 12/ 1977, S. 16. Das Zusammenwirken staatlicher und privatkapitalistischer Regulierung sozialer Beziehungen ist in der marxistischen Forschung bisher noch wenig untersucht.

45

den bestehenden Herrschaftsverhältnissen und zum Klassenkampf. Das erklärt zum Teil auch die Zählebigkeit der bürgerlichen Wohlfahrtsstaats-Ideologie. Reformistische Strömungen in der Arbeiterklasse haben in den beträchtlich ausgeweiteten sozialpolitischen Aktivitäten des Staates vielfach ihren materiellen Ausgangspunkt. Da imperialistische Sozialpolitik jedoch im Grunde nur an Folgen und Symptomen der antagonistischen Beziehungen von Kapital und Arbeit ansetzt, muß sie hinsichtlich der Lösung grundlegender sozialer Prozesse, wie es z. B. das Problem der sozialen Unsicherheit im Kapitalismus darstellt, stets in den Kreis relativer Wirkungslosigkeit, eines nachträglichen Agierens, Überpuderns der durch die „soziale Marktwirtschaft" geschlagenen Wunden gebannt bleiben. Hinzu kommt, daß die Durchsetzung gesamtkapitalistischer Interessen ständig von kapitalistischen Einzelinteressen, Interessen unmittelbarer Kapitalverwertung durchkreuzt und überlagert wird. 1.4.3.1.

Hauptaktionsfelder

Imperialistische Sozialpolitik vereint ununterscheidbar organisierende, gestaltende, disziplinierende manipulative und auch repressive Elemente der Herrschaftssicherung in sich.50 Dabei hängt die Art der Kombination dieser Elemente der Sozialpolitik von den konkreten Verwertungsbedingungen und der Klassenkampfsituation ab. Die Funktionen imperialistischer Sozialpolitik, einschließlich der damit verbundenen sozialintegrativen Leitbilder und apologetischen Deutungen, werden im neuen 1976 verabschiedeten Sozialgesetzbuch der BRD wie folgt umrissen: „Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gestalten. Es soll dazu beitragen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine freigewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen."51 Es zeigt sich in diesen und ähnlichen bourgeoisen Deutungen imperialistischer Sozialpolitik neben den angedeuteten Aktionsfeldern vor allem im Widerspruch Zu Recht betont M. Premßler m. E., bezugnehmend auf das kapitalistische Arbeitsrecht, die Einheit der angeführten Elemente imperialistischer Sozialpolitik, und er setzt sich dabei mit solchen Auffassungen auseinander, die die imperialistische Sozialpolitik allein auf die Gewährimg materieller Zugeständnisse an die Werktätigen beschränken möchten. (Vgl. M. Premßler, Arbeiterrechte in der B R D , Berlin 1975, S. 16/22.) 51 Sozialgesetzbuch, Bd. 1, Allgemeiner Teil, Köln 1976, § 1 ( 1 ) .

50

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zwischen dem formulierten Ausspruch, persönlichkeitsfördernde Politik betreiben zu wollen, und der kapitalistischen Realität der Ausbeutung und sozialen Unsicherheit die ganze Tiefe sozialpolitischer Widersprüche und die Richtung staatsmonopolistischer Manipulierungs- und Anpassungsversuche auf diesem Feld. Imperialistische Sozialpolitik richtet sich — auf die Entwicklung und Reproduktion der Arbeitskraft in der für den kapitalistischen Reproduktionsprozeß benötigten Quantität und Qualität einschließlich der dazu notwendigen Verhaltensweisen; — auf die Entwicklung und Durchsetzung einer Sozialstruktur, wie sie für die Kapitalverwertung notwendig ist; — auf eine Kanalisierung sozialer Konflikte und die Regulierung der Klassenauseinandersetzungen mit dem Ziel ihrer Niederhaltung bzw. der Verhinderung ihres Anwachsens; — auf die im kapitalistischen Gesamtinteresse angestrebte Korrektur extremer Formen des Mißbrauchs ökonomischer Macht durch das Monopolkapital und die Verwertbarkeit der Arbeitskraft beeinträchtigende Arbeits-, Reproduktions- und Ausbeutungsbedingungen; — auf die Verhinderung bzw. Abschwächung des Einflusses des Sozialismus auf die Forderungen der Arbeiter bzw. darauf, in die sozialistischen Länder hineinzuwirken und den Anschein einer sozialpolitischen Überlegenheit des Kapitalismus zu erwecken. Für die konkrete Entwicklung der BRD zeichnen sich vor allem folgende eng miteinander verzahnte Aktionsfelder imperialistischer Sozialpolitik ab 5 2 : (die Ausprägung dieser Felder ist abhängig von politisch-ökonomischen Bedingungen und ist daher auch national verschieden) — Beeinflussung der Rahmenbedingungen der produktiven Konsumtion, d. h. der Ausbeutung der Arbeitskraft im Wege sozial-gesetzgeberischer Maßnahmen; — Abschwächung der Auswirkungen sozialer Unsicherheit bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Dequalifizierung; — Sicherung von Bedingungen zur Herstellung, Entfaltung, Erhaltung und Wiederherstellung der Arbeitskraft insbesondere durch staatliche Umverteilungsmaßnahmen und soziale Dienstleistungen; — Eindämmung von sozialen Folgen offensichtlicher Gebrechen der kapitalistischen Gesellschaft wie Pauperismus, Obdachlosigkeit, Drogensucht, Kriminalität usw.; — Schaffung von Systemen materieller und ideeller Bindung und Erzeugung entsprechender sozialintegrativer Manipulierungstechniken und Konzeptionen. 82

Vgl. H. Jung, Zur „Sozialfunktion" des bürgerlichen Staates der BRD, in: Marxistische Blätter, (Frankfurt a. M.) 1/1977, S. 20.

47

1.4.3.2.

Sozialpolitische

Umcerteilungsprozesse

Die sozialpolitischen Aktivitäten des Monopolkapitals schlagen zu einem Teil in Sozialausgaben für konsumtive und investive Zwecke nieder bzw. werden durch diese Leistungen in Gang gesetzt oder tangiert. Mit Hilfe des staatlichen Steuersystems — einschließlich der Gebühren und Abgaben — werden heute in den entwickelten kapitalistischen Ländern Summen in den Händen des Staates zentralisiert, die 30 bis 5 0 % des jährlichen Nationaleinkommens entsprechen. 53 Eine Analyse der klassenmäßigen Quellen von der klassenmäßigen Verwendung dieser zentralisierten Nationaleinkommensteile zeigte, daß der Hauptteil davon dem Einkommen der Arbeiter und Angestellten wie der anderen Werktätigen entstammt, seiner Zweckbestimmung nach jedoch der politischen, ökonomischen und sozialen Strategie der mit dem imperialistischen Staat verflochtenen Monopole dient. Berechnungen der letzten 25 Jahre für die BRD ergeben, daß der tatsächlich für die Reproduktion der Arbeitskraft verwendete Teil der durch Lohnabzüge beim Staat zentralisierten Mittel in den letzten 15 Jahren rapide zurückgegangen ist. Wuchsen die staatlichen Einnahmen an Lohnsteuern, indirekten Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen von 1950 bis 1975 um mehr als das 15fache, sank ihr Anteil an den staatlichen Einnahmen (staatliche Aufwendungen für „soziale Sicherung", Gesundheit, Sport, Erholung, für das Schulwesen) von 50,5% im Jahre 1950 auf 46,4% im Jahre 1960 bzw. auf 34,7% im Jahre 1970, auf 31,6% im Jahre 1975.54 Dieser Trend, der die marxistische These belegt, daß sich unter den Bedingungen des umfassend entwickelten staatsmonopolistischen Kapitalismus die AusTabelle 6 Durchschnittliche Lohnabzüge in der B R D (in % des Bruttolohns bzw. -gehalts) Jahr

Abzüge insgesamt

davon Lohnsteuer

SV-Beiträge*

Nettolohn bzw. -gehalt

1950 1955 1960 1965 1970 1975 1979**

12,5 14,1 15,8 17,0 22,6 27,4 32,6

4,6 6,3 6,4 7,8 11,9 15,1 19,2

7,9 1,8 9,4 9,2 10,7 12,3 13,4

87,5 85,9 84,2 83,0 77,4 72,6 67,4

* Nur Arbeiterbeiträge, ohne Unternehmeranteil * * geschätzt Quelle: Sozialbericht 1976, Bonn, S. 198. 53 54

Vgl. R. Gutermuth, Ausbeutung in der BRD, Berlin 1976, S. 185. Vgl. H. Tammer, Wachsender Ausbeutungsgrad der Arbeiter und Angestellten in der BRD, in: IPW-Berichte, 6/1977, S. 18.

48

beutung über die staatsmonopolistischen Umverteilungsprozesse weiter vertieft, schließt zugleich vielschichtige soziale Umverteilungsprozesse innerhalb der Arbeiterklasse ein. Ende der 60er Jahre umfaßte die Gruppe, die überwiegend aus Sozialleistungen ihren Lebensunterhalt bestritt, mit nahezu 14 Millionen etwa 2 3 % der Wohnbevölkerung der B R D . Die größte Gruppe waren mit über 10 Millionen die Altersrentner. Die Anzahl der jeweils Kranken machte 3,9 Millionen Personen aus. 6 5 % der Familien mit 4 und mehr Kindern waren größtenteils auf Sozialleistungen angewiesen. Zugleich werden über die Steuerpolitik die Masse der Erwerbstätigen in dieser oder jener Weise von Umverteilungsprozessen erfaßt, gleiches gilt auch für die Pflichtversicherungen. Nach einer Untersuchung von BRD-Wissenschaftlern über die Wirkungen sozialer Umverteilungsprozesse konnten Ende der 60er Jahre Differenzierungen der Bruttoeinkommen privater Haushalte der B R D durch Umverteilungsmechanismen um zirka 3 0 % verringert werden. Außerdem hätten 25% der Bundesbürger — nach den Definitionen des Bundessozialhilfegesetzes — in Armut leben müssen, hätte es diese sozialpolitischen Umverteilungsprozesse nicht gegeben. 55 Die Angaben vermitteln zwar nur punktuelle Einsichten in den Wirkungsmechanismus staatlicher Sozialleistungen, sie verdeutlichen jedoch in bestimmter Weise den Zusammenhang von Verschärfung der Ausbeutung und sozialpolitischen Zugeständnissen, von wachsender sozialer Polarisierung und einem partiellen und stark eingeschränkten „sozialen Ausgleich" als einer Form sozialer Regulierung des imperialistischen Staates und seiner Sozialpolitik. Die noch vor nicht allzu langer Zeit von konservativen und reformistischen Sozialstaatskonzeptionen angebotenen Entwürfe zur Lösung der anstehenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die einen sicheren Arbeitsplatz, Preisstabilität, größere Entfaltungsmöglichkeiten für die Werktätigen versprachen, erweisen sich als nicht realisierbar. Mit Losungen von den „Grenzen des Sozialstaates", der „ausufernden Soziallast", dem verantwortungslosen „Anspruchsdenken" der Werktätigen ist das Monopolkapital mit Beginn der 70er Jahre zum Angriff auf die von der Arbeiterklasse erkämpften sozialen Errungenschaften angetreten. Der Unternehmerdachverband, BDA, verlangt in seiner „Denkschrift zur sozialen Sicherung" unumwunden die Beseitigung der „Politik der einseitig kollektiven Absicherung aller Lebensrisiken", die von einem „überzogenen Solidaritätsbegriff" ausgehe, und fordert statt dessen eine verstärkte Eigenbeteiligung der Versicherten an den Krankheitskosten und die verstärkte Reprivatisierung öffentlicher Sozialleistungen. 56 56

H.-J. Krupp/W. Glatzer (Hrsg.), Umverteilung im Sozialstaat. Empirische Einkommensanalysen für die DDR, Frankfurt a. M.-New York 1978, S. 24ff. Soziale Sicherheit unter veränderten wirtschaftlichen Bedingungen (Hrsg. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände), Köln 1975, S. 9.

4 Manz/Winkler

49

Die krisenhafte Zuspitzung ä u ß e r t sich vor allem in folgenden sozialen Prozessen : Erstens entwickelt sich der gesellschaftliche Reichtum strukturell verzerrt u n d disproportional. Dadurch bleiben vor allem jene Bereiche zurück, die f ü r die Profitproduktion u n d die u n m i t t e l b a r e Kapitalverwertung von sekundärer Bedeutung sind, wie z. B. das Bildungswesen, das Gesundheitswesen, die Umweltu n d Stadtentwicklung, die soziale I n f r a s t r u k t u r im Ganzen. Es geht hierbei insbesondere u m denjenigen Teil der Reproduktionsbedingungen der Arbeitskraft, der seiner N a t u r nach nur noch von der Gesellschaft geschaffen u n d gesellschaftlich genutzt werden kann. Die völlig unzureichende q u a n t i t a t i v e u n d qualitative Orientierung der gesellschaftlichen Aufwendungen an den Bedürfnissen der Arbeiterklasse, ihre U n t e r o r d n u n g u n t e r das P r o f i t m o t i v wirkt dahin, d a ß wesentliche Seiten der Reproduktion der Ware A r b e i t s k r a f t nicht mehr entsprechend gesichert sind. Sicherlich ist vor allem in den 60er J a h r e n in den entwickelten kapitalistischen Ländern u n t e r dem Einfluß sozial-reformistischer Politik auch eine teilweise bedeutende q u a n t i t a t i v e Entwicklung bestimmter Seiten der gesellschaftlichen Konsumtion erfolgt. Jedoch wurden d a m i t strukturelle Disproportionen nicht beseitigt, im Gegenteil. Ein wachsender Teil gesellschaftlicher Konsumtionsbedingungen wurde zum Tummelplatz des Kapitals, der Bank- u n d Immobilienmonopole, der Pharmazie-, Freizeit- u n d Medienindustrie. Vor allem unterliegen auch die öffentlichen Einrichtungen bildender und geistig-kultureller N a t u r in ihrer inhaltlichen Gestaltung u n d gesellschaftlichen Zielfunktion in erster Linie dem P r i m a t der Kapitalverwertung u n d Systemerhaltung. Als u n t r e n n b a r e r Bestandteil des staatsmonopolistischen Systems der geistigen Manipulierung und Verhaltenssteuerung geraten sie daher — auch wenn sie bestimmte Bildungsinhalte vermitteln — beständig in Konflikt zu den Klassenbedürfnissen der Arbeiterklasse. Zweitens vertieft sich die soziale Polarisierung, u n d die soziale Ungleichheit v e r s t ä r k t sich. Es ist die Kehrseite des raschen Zentralisationsprozesses des Kapitals, der vor allem auch seit den 70er J a h r e n mit staatlicher U n t e r s t ü t z u n g forciert wird. Mit zunehmender Einbeziehung des Staates in den Reproduktionsprozeß werden immer mehr alle nichtkapitalistischen Schichten e r f a ß t , die Mehrheit der noch existierenden einfachen Warenproduzenten u n d auch der Intelligenz proletarisiert. In dem Maße, in welchem sich f ü r die Arbeiterklasse die ungerechte Einkommensverteilung vertieft u n d sie auf Veränderungen d r ä n g t , versuchen bürgerliche Ideologen einerseits, die Einkommenspolarisierung u n d ihre sozialen Wirkungen zu bagatellisieren, als eine zufällige Erscheinung hinzustellen u n d die H o f f n u n g zu nähren, diese Entwicklung könne ebenso einmal in ihr Gegenteil u m schlagen. Anderseits aber wird erklärt, d a ß die im Kapitalismus zunehmende Einkommensdisparität zwischen den beiden antagonistischen Grundklassen sanktioniert u n d langfristig abgesichert werden müsse, weil sie Voraussetzung f ü r

50

I n v e s t i t i o n e n , f ü r w i r t s c h a f t l i c h e s W a c h s t u m u n d sichere A r b e i t s p l ä t z e sei, eine d e m a g o g i s c h e B e h a u p t u n g , m i t der die Bourgeoisie v e r s u c h t , m i t Hilfe d e r Arbeitslosigkeit D r u c k auf die sozialen F o r d e r u n g e n d e r Arbeiter a u s z u ü b e n u n d K r i s e n l a s t e n auf sie a b z u w ä l z e n . Drittens v e r t i e f t sich d e r W i d e r s p r u c h zwischen d e n w a c h s e n d e n u n d n e u a r t i g e n A n f o r d e r u n g e n an den A r b e i t e r im P r o d u k t i o n s p r o z e ß u n d seiner a u s g e b e u t e t e n , u n t e r d r ü c k t e n Stellung in B e t r i e b u n d Gesellschaft, zwischen d e m w a c h s e n d e n wissenschaftlich-technischen P o t e n t i a l u n d der gleichzeitig w a c h s e n d e n E n t f r e m d u n g des A r b e i t e r s i m Arbeitsprozeß. Die sich allmählich d u r c h s e t z e n d e V e r w a n d l u n g der P r o d u k t i o n in technologisch a n g e w a n d t e W i s s e n s c h a f t h a t die N o t w e n d i g k e i t neuer I n h a l t e u n d F o r m e n der betrieblichen u n d gesellschaftlichen A r b e i t s t e i l u n g u n d K o m b i n a t i o n h e r v o r g e b r a c h t . W a s die m o d e r n e I n d u s t r i e in w a c h s e n d e m U m f a n g b e n ö t i g t , ist eine Arbeiterklasse, die im u m f a s s e n d e n Sinne disponibel ist u n d die ihr S c h ö p f e r t u m inner- u n d a u ß e r h a l b des P r o d u k t i o n s prozesses im Interesse d e r eigenen Klasse u n d des gesellschaftlichen F o r t s c h r i t t s nutzbar machen kann. Viertens schließlich h a t die E x i s t e n z u n s i c h e r h e i t im K a p i t a l i s m u s n e u e Dimensionen a n g e n o m m e n . Die U n t e r o r d n u n g d e r E r f o r d e r n i s s e der vergesells c h a f t e t e n P r o d u k t i o n u n t e r die V e r w e r t u n g s z w ä n g e des Monopolkapitals, ihre A u s r i c h t u n g o f t n u r a m u n m i t t e l b a r e n P r o f i t i n t e r e s s e v e r s c h ä r f t die sich e n t wickelnden sozialen P r o b l e m e u n d v e r t i e f t die soziale Unsicherheit der A r b e i t e r klasse auf neue Weise. Die E n t w i c k l u n g d e r letzten J a h r e b e s t ä t i g t m i t besonderer D e u t l i c h k e i t die F e s t s t e l l u n g v o n Friedrich Engels, d a ß „die O r g a n i s a t i o n der Arbeiter, ihr stets w a c h s e n d e r W i d e r s t a n d . . . d e m Wachstum des Elends möglicherweise einen gewissen D a m m entgegensetzen (wird). W a s a b e r sicher w ä c h s t , ist die Unsicherheit der Existenz."57 57

F. Engels, Zur Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs 1891, in: MEW, Bd. 22, Berlin 1970, S. 231.

51

2.

Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft

Die Art und Weise der gesellschaftlichen Produktion bestimmt in starkem Maße die Gestaltung des individuellen und gesellschaftlichen Lebens in seinen vielfältigen Formen. Dies bedeutet, wie und unter welchen Bedingungen die Menschen produzieren, was sie produzieren, wie das von ihnen Produzierte verteilt und vom einzelnen und von der Gesellschaft genutzt oder konsumiert wird. Die Basis für die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrer Gesamtheit ist die Entwicklung der sozialistischen Volkswirtschaft. Ausgehend von dieser fundamentalen Erkenntnis des Marxismus-Leninismus, besteht im Sozialismus vom ersten Tage seiner Entstehung an immer eine Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Im Sozialismus gibt es keine Entwicklung der Wirtschaft als Selbstzweck oder um hoher Profite wegen. Aber die inhaltlichen Schwerpunkte dieser Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik sind in den einzelnen Entwicklungsetappen unterschiedlich. In der Übergangsperiode liegt das Schwergewicht naturgemäß auf der planmäßigen Umwandlung der vorsozialistischen Eigentumsverhältnisse in sozialistische, d. h., die damals vorhandenen Kräfte und Ressourcen mußten vor allem auf die Überwindung der kapitalistischen Ordnung und für die Schaffung der materiell-technischen Basis des Sozialismus eingesetzt werden. In der entwickelten sozialistischen Gesellschaft erhält die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik dagegen neue Schwerpunkte und Dimensionen. Sie steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der strategischen Orientierung auf die Realisierung der Hauptaufgabe und damit der Gestaltung der Bedingungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus. Das Wesen der entwickelten sozialistischen Gesellschaft wird im Programm der SED durch zehn Merkmale charakterisiert. 1 Als wesentliches Merkmal oder Kriterium der entwickelten sozialistischen Gesellschaft wurde die Hauptaufgabe gekennzeichnet. Kurt Hager hob in seiner Rede auf der Konferenz der Gesellschaftswissenschaftler der DDR im November 1976 den Gedanken hervor, „daß der innere Zusammenhang der Merkmale der entwickelten sozialistischen Gesellschaft nicht nur von ihren Wechselbeziehungen, sondern vor allem vom Sinn des Sozialismus 1

Vgl. Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1976, S. 19/22.

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bestimmt wird" 2 und daß demzufolge alle anderen, nachfolgend formulierten Merkmale der entwickelten sozialistischen Gesellschaft notwendige Bedingungen sind, um dem Sinn des Sozialismus auf ständig höherer Stufe gerecht zu werden. Die Hauptaufgabe ist somit wesentliches Kriterium der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, das alle anderen Merkmale der entwickelten sozialistischen Gesellschaft beeinflußt. Die Hauptaufgabe bringt die Einheit von Wirtschaftsund Sozialpolitik in der Etappe der entwickelten sozialistischen Gesellschaft zum Ausdruck. Das erreichte Wirtschaftspotential, über das die entwickelte sozialistische Gesellschaft nunmehr verfügt, der Entwicklungsstand der sozialistischen Produktionsverhältnisse und das gewachsene sozialistische Bewußtsein ermöglichen es, die eigentlichen Ziele des Sozialismus, den Werktätigen einen hohen und wachsenden Lebensstandard bei sozialer Sicherheit auf ansteigendem Niveau zu gewährleisten, die allseitige Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten zu fördern und den Prozeß der schrittweisen Annäherung zwischen den Klassen, Schichten und anderen sozialen Gruppen sowie zwischen den Nationen zu sichern. Diese Ziele des Sozialismus prägen unmittelbar den Inhalt der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik hat demzufolge mehrere Aspekte. Folgende sind hervorzuheben: 1. Der unmittelbare Zusammenhang, der zwischen dem quantitativen und qualitativen Wachstum der Produktion einerseits und den gesellschaftlichen Zielen des Sozialismus anderseits besteht; 2. die Erhöhung der ökonomischen und sozialen Wirksamkeit des wissenschaftlich-technischen-Fortschritts; 3. die Höherentwicklung der sozialistischen Produktionsverhältnisse — vor allem durch Ausprägung des sozialistischen Charakters der Arbeit; 4. die Förderung der Interessen und Triebkräfte in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. 2.1.

Sozialismus

und Wachstum der

Produktion

Zweifellos müssen für die Realisierung der Ziele des Sozialismus enorme materielle Voraussetzungen geschaffen werden. Das kontinuierliche Wachstum der Produktion ist eine wesentliche Voraussetzung für die Realisierung der Hauptaufgabe. Seit langem besteht in der DDR eine stabile Zuwachsrate des Nationaleinkommens in der Größe von etwas über 5 % jährlich. Ständiges Wachstum wird auch künftig beibehalten werden, davon zeugt u. a. auch der Fünfjahrplan 1976 bis 1980. Das geplante Wachstum des produzierten Nationaleinkommens auf 127,9% entspricht einer jährlichen Zuwachsrate von 5%. Das bedeutet, daß über einen 2

K. Hager, Der IX. Parteitag und die Gesellschaftswissenschaften, Berlin 1976, S. 13. 53

Zeitraum von 15 J a h r e n eine konstante Zuwachsrate des Nationaleinkommens gewährleistet wurde und wird. Die Anforderungen der Gesellschaft an die Produktion als materielle Grundlage für die Sicherung und Erweiterung der sozialen Errungenschaften nehmen in der überschaubaren Perspektive nicht ab, sondern sie steigern sich eher, weil jeder Schritt bei der Verwirklichung sozialpolitischer Programme in bestimmter Weise mit einer Erhöhung der Produktion verbunden ist. Die Notwendigkeit zum Wachstum der Produktion und ihrer Effektivität ergibt sich aus sozialpolitischer Sicht aus den Anforderungen, — die mit dem steigenden Verbrauch an Konsumgütern und Dienstleistungen zusammenhängen, — die mit den wachsenden Investitionen in der nichtproduzierenden Sphäre für die Entwicklung von Wissenschaft und Bildung, Gesundheitswesen, Wohnungswesen, Kultur etc. in Verbindung stehen, — an die Effektivitätssteigerungen, die durch die geplante Verkürzung der Arbeitszeit erfolgen, — die aus der effektiven Entwicklung der arbeitsfreien Zeit entstehen, z. B . durch Verlagerung von Tätigkeiten der Hausarbeit in die Sphäre der Produktion oder Dienstleistungen, — die sich aus der systematischen Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Produktion selbst ableiten, — die sich aus dem Umwelt- und Landschaftsschutz ergeben. Aus diesen Anforderungen ist der enge Zusammenhang zwischen Produktionsentwicklung und Sozialpolitik unverkennbar. Aber man muß gleich hinzufügen, daß es weder ein automatischer noch ein linearer Zusammenhang ist. Der planmäßigen Realisierung der sozialpolitischen Zielsetzung muß eine entsprechende Entwicklung des Produktionswachstums gegenüberstehen bei entsprechenden Zuwachsraten des Nationaleinkommens. Die strategische Orientierung auf die Hauptaufgabe in der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik ist vielmehr mit einer bedeutenden Umgruppierung der Kräfte und vor allem mit dem Prozeß der Intensivierung und der höheren Effektivität des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses verbunden. In dieser Feststellung liegt die eigentliche Spezifik dieses Zusammenhangs. Würde man die hohen sozialpolitischen Ziele durch eine zusätzliche Steigerung des Produktionswachstums erreichen wollen, dann müßte ein Teil der Ressourcen für die unmittelbaren Konsumtionsziele eingesetzt werden, d. h., es müßte möglicherweise die Akkumulationsrate, u. a. die R a t e der produktiven Akkumulationen, auf Kosten der Konsumtionsfonds erhöht werden. Um die hohen sozialpolitischen Ziele bei konstanter Wachstumsrate der Produktion erreichen zu können, müssen neue Effektivitätsmaßstäbe gesetzt werden, die z. T. aus der genannten Umgruppierung der Kräfte und dem forcierten wissenschaftlich-technischen Fortschritt gewonnen werden. Das erfordert neue Maßstäbe, die an die Materialökonomie gesetzt werden, ebenso wie langfristige Struk-

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turveränderungen, die von den sich ändernden Bedürfnissen auf die Konsumgüterproduktion wirken. Das betrifft aber auch neue Anforderungen an die Qualität der Produktion. So wird z. B . der Umfang und der Grad der Bedürfnisbefriedigung neben anderen Faktoren auch am Grad der Ausstattung mit langlebigen Konsumgütern gemessen. Dieser ist aber nicht nur von der Menge der produzierten Konsumgüter abhängig, sondern auch von ihrer zuverlässigen Lebensdauer. J e kürzer ihre Lebensdauer, um so größer ist der Anteil von Konsumgütern an der Gesamtproduktion, der für den Ersatz der ausscheidenden Konsumgüter verwendet werden muß. E s ist in diesem Zusammenhang der Begriff des ökonomischen Verschleißes der Konsumtionsmittel in die wirtschaftswissenschaftliche Literatur eingeführt worden. Dieser Begriff galt bislang nur für Arbeitsmittel. Nach Karl Marx liegen dem ökonomischen Verschleiß der Arbeitsmittel bekanntlich zwei Ursachen zugrunde: Erstens der technische Verschleiß, der naturgemäß mit der Nutzung der Arbeitsmittel verbunden ist, und zweitens der moralische Verschleiß, der eintritt, wenn sich die Herstellung der Arbeitsmittel verbilligt oder neue Arbeitsmittel mit höheren Gebrauchseigenschaften auftreten. Diese Begriffe muß man auch auf die langlebigen Konsumgüter anwenden, und zwar unter beiden Gesichtspunkten, unter dem Aspekt des technischen und des moralischen Verschleißes. In bezug auf den moralischen Verschleiß muß man eine Besonderheit der Konsumgüter hervorheben, die mit den technischen und den Modeeinflüssen zusammenhängt. Materielle Güter mit hohen Gebrauchswerteigenschaften werden beschleunigt ausgesondert, wenn auf dem Markt Substitute mit einigen anderen Parametern erscheinen. In den hochentwickelten kapitalistischen Ländern, in denen die kapitalistischen Großunternehmen an einem schnellen Umschlag der Konsumgüter im eigenen Profitinteresse interessiert sind, wird ein moralischer Verschleiß teilweise bewußt manipuliert. Wenn man in der D D R von der Hauptaufgabe ausgeht, dann steht die Strategie eines schnellen moralischen Verschleißes der Konsumgüter im Widerspruch zum grundlegenden Ziel des Sozialismus, denn die Zunahme des mit einer mehr oder weniger ungerechtfertigten Aussonderung von Konsumgütern verbundenen „Verschwendungsbereiches" bedeutet eine Verschiebung der allgemeinen Bedürfnisbefriedigung in der Zeit. Dies sagt nichts gegen einen Ersatz technischer Konsumgüter durch solche mit spürbar höheren Gebrauchswerteigenschaften. Die Lebensdauer der Konsumgüter wird natürlich auch durch ihren technischen Verschleiß bestimmt. Deshalb gewinnt die Erhöhung der Qualität der Erzeugnisse eine so außerordentlich große Bedeutung. Wenn es gelänge, die Nutzungsdauer der Güter auf 10 J a h r e zu erhöhen, dann würden nur jeweils 1 0 % der jährlichen Produktion für den Ersatz dieser Güter erforderlich sein. Schließlich wird die Lebensdauer wesentlich auch und zunehmend durch den Geräteservice und das Reparaturwesen beeinflußt. Das betrifft die Entwicklung der Dienstleistungen, der Infrastruktur überhaupt. Man kann allgemein sagen, daß ein Zurückbleiben auf dem Gebiet der Infrastruktur einen zusätzlichen

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Druck auf die Produktion ausübt und die Lebensdauer der Konsumgüter verringert. Die Lösung der Hauptaufgabe erfordert somit steigende Investitionen in diesem Bereich. E s sei deshalb in bezug auf den ersten Aspekt der Einheit von Wirtschaftsund Sozialpolitik, den Zusammenhang zwischen Produktionswachstum und Sozialpolitik, noch einmal betont, daß eine vereinfachte bipolare Betrachtungsweise dem Problem nicht gerecht würde. Nicht Produktionswachstum schlechthin und auch nicht ein übermäßig beschleunigtes Wachstum der Produktion hilft unter den konkreten Entwicklungsbedingungen der D D R die Hauptaufgabe lösen, sondern die beständige Sicherung der Einheit von Wirtschaftsund Sozialpolitik in allen ihren vielfältigen konkreten Formen, wobei der Erhöhung der Effektivität der Nutzung der vorhandenen Mittel wachsende Bedeutung zukommt. 2.2.

Soziale

Aspekte

des wissenschaftlich-technischen

Fortschritts

Die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft schafft mit dem auf dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt beruhenden Wachstum der ökonomischen Leistungsfähigkeit der sozialistischen Wirtschaft neue Bedingungen und Möglichkeiten, den ökonomischen Fortschritt in einem bisher nicht gekannten Maße für die Beschleunigung der Entwicklung der Klassen, Schichten, der anderen sozialen Gruppen sowie der sozialistischen Persönlichkeit zu nutzen. Dem entspricht die Forderung des I X . Parteitages der S E D nach weiterer Erhöhung der ökonomischen und sozialen Wirksamkeit des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. 3 Einer der wesentlichen Vorzüge des Sozialismus besteht gerade in der Möglichkeit, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt im Interesse der im Programm der S E D langfristig festgelegten sozialen Entwicklung zu nutzen und damit zugleich neue Triebkräfte für den wirtschaftlichen Fortschritt freizusetzen. Mit der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts wird unmittelbar Einfluß auf die wesentlichen sozialen Grundprozesse unserer gesellschaftlichen Entwicklung genommen: 1. Die Entwicklung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts sichert — bei voller Nutzung der Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen — ein stabiles Wirtschaftswachstum als wesentliche Voraussetzung für die stetige Hebung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus. Die mit dem planmäßigen dynamischen Wachstum der Produktivkräfte verbundene weitere Vertiefung der Intensivierung und Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ermöglichen eine hohe Arbeitsproduk3

Vgl. Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den IX. Parteitag der SED, Berlin 1976, S. 72/76.

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tivität und Effektivität, eine solche wirtschaftliche Entwicklung, die eine solide Grundlage bildet für die Durchführung des sozialpolitischen Programms und die damit verbundene weitere Vervollkommnung der sozialen Sicherheit als wichtige Grundlage der wirklichen Freiheit des Menschen. Das erfordert, — den wissenschaftlich-technischen Fortschritt im Interesse der Höherentwicklung der Klassen und Schichten und ihrer sozialen Annäherung, im Interesse der arbeitenden Menschen und aller Bürger, der Vervollkommnung ihrer gesellschaftlichen Stellung und Beziehungen, ihrer schöpferischen Rolle im Arbeits- und Lebensprozeß, der Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu entwickeln ; — die Ziele und Richtungen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts aus den wachsenden Bedürfnissen der Werktätigen im umfassenden Sinne abzuleiten; — das Wirkungsfeld des wissenschaftlich-technischen Fortschritts auf alle Lebensbereiche, d. h. auf den Arbeitsprozeß ebenso wie auf die Nichtarbeitssphäre auszudehnen. 2. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt sichert vor allem über die weitere Stärkung der materiell-technischen Basis des Sozialismus eine langfristig orientierte, den Erfordernissen der entwickelten sozialistischen Gesellschaft entsprechende ökonomische und soziale Entwicklung und schafft somit zugleich grundlegende Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus. 4 Umfang und Struktur der materiell-technischen Basis der Produktion sowie der materiell-technischen Ausstattung der nichtproduzierenden Bereiche bestimmen maßgeblich die Möglichkeiten einer den wachsenden Bedürfnissen der Werktätigen entsprechenden Struktur und Q u a l i t ä t an Konsumgütern und Dienstleistungen sowie Möglichkeiten der sozialen, kulturellen und sportlichen Betreuung bzw. Betätigung. Die mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu erreichende höhere Effektivität und Veränderung der Struktur der Produktion werden immer konsequenter aus dem Ziel der sozialistischen Produktion, der immer besseren Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse, abgeleitet. 3. Mit der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ist unmittelbar die weitere Ausprägung des sozialistischen Charakters der Arbeit, insbesondere ihres Inhalts, und sind die damit gegebenen Möglichkeiten zur Überwindung wesentlicher Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher, manueller und mechanisierter, gelernter und an- bzw. ungelernter, einfacher und komplizierter, körperlich schwerer und leichter, monotoner und abwechslungsreicher, unter erschwerenden und normalen Bedingungen geleisteter Ar* Vgl. G. Mittag, Der Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft 1976—1980. Der weitere Ausbau der materiell-technischen Basis, Berlin 1977, S. 8.

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beit sowie in den Arbeits- u n d Lebensbedingungen zwischen S t a d t u n d Land verbunden. Dabei gilt von vornherein, d a ß der wissenschaftlich-technische Fortschritt bei gesichertem Recht auf Arbeit weder durch Reduzierung von Arbeitsplätzen zur Arbeitslosigkeit, zur Nichteinstellung von Jugendlichen oder Hochu n d Fachschulkadern noch zu steigenden Unfall- u n d Invalidisierungsziffern f ü h r t , sondern m i t einer E r h ö h u n g der Sicherheit a m Arbeitsplatz, mit der Vervollkommnung der qualitativen Seite des Rechts auf Arbeit verbunden ist. Die sozialen Anforderungen an die Gestaltung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts charakterisieren insgesamt die grundsätzlichen Unterschiede der Zielstellung und ihre Umsetzung u n t e r kapitalistischen u n d sozialistischen Bedingungen u n d bringen die Vorzüge des Sozialismus unmittelbar zum Ausdruck. 1. Der wissenschaftlich-technische F o r t s c h r i t t ist auf die Ausgestaltung aller Seiten des gesellschaftlichen Lebens und nicht auf die Entwicklung einzelner, ausgewählter Teilbereiche gerichtet. Diese komplexe Orientierung findet u. a. in folgendem ihren A u s d r u c k : a) Der wissenschaftlich-technische F o r t s c h r i t t ist sowohl auf die E r h ö h u n g der E f f e k t i v i t ä t der Produktion, eine steigende P r o d u k t e n m e n g e , eine dem Bedarf entsprechende S t r u k t u r u n d Q u a l i t ä t der Produktion als auch auf die Verbesserung der materiellen Arbeitsbedingungen gerichtet. E r ist aus der Sicht der Bedürfnisse der Werktätigen sowohl auf Veränderungen hinsichtlich der Arbeitsergebnisse als auch des Arbeitsprozesses bezogen. b) Der wissenschaftlich-technische F o r t s c h r i t t wirkt verändernd auf den U m f a n g u n d die rationelle N u t z u n g von Arbeits- u n d arbeitsfreier Zeit. Das findet seinen Ausdruck — in den mit steigendem W i r t s c h a f t s w a c h s t u m verbundenen Möglichkeiten zur Reduzierung der Arbeitszeit (schrittweise Verkürzung der täglichen Arbeitszeit auf 40 S t u n d e n pro Woche, Verlängerung des Urlaubs, Ausdehnung bezahlter Freistellung, z. B. f ü r Schwangerschaft, Hausarbeitstage u. a.); — in der Mehrung der Freizeit durch Reduzierung der Hausarbeitszeit bzw. des individuellen Aufwands f ü r die Betreuung u n d Versorgung von Familienangehörigen ; — in der persönlichkeitsfördernden N u t z u n g der Freizeit durch Sicherung entsprechender materieller Bedingungen f ü r eine schöpferische Selbstbetätigung. c) Der wissenschaftlich-technische F o r t s c h r i t t s c h a f f t durch die E r h ö h u n g der E f f e k t i v i t ä t in der P r o d u k t i o n günstige Bedingungen f ü r den weiteren Ausbau der nichtmateriellen Bereiche der P r o d u k t i o n (z. B. Dienstleistungen, Gesundheits- u n d Sozialwesen u. a.) u n d deren wissenschaftlich-technische Ausstattung. 2. F ü r die organische Verbindung von wissenschaftlich-technischem u n d sozialem F o r t s c h r i t t ist deren planmäßige und vorausschauende Sicherung cha-

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rakteristisch. Sie ist keine Korrekturpolitik zur Beseitigung „sozialer Folgen" des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt ist auf die kontinuierliche und stabile Verbesserung der Gesamtheit der Arbeits- und Lebensbedingungen gerichtet und unterliegt nicht, wie unter kapitalistischen Bedingungen, der zeitweilig forcierten Entwicklung einzelner Seiten bei gleichzeitigem Abbau erreichter sozialer Leistungen. Dabei gilt selbstverständlich auch unter sozialistischen Bedingungen, daß der Spielraum sozialpolitischer Entscheidungen in hohem Maße von der erreichten ökonomischen Effektivität bestimmt wird. Das erfordert: a) sowohl die Kenntnis der Bedürfnisse, insbesondere der, die von der Masse der Werktätigen als vordringlich empfunden werden — dem entspricht z. B. die Orientierung auf das Wohnungsbauprogramm —, als auch die Kenntnis des erreichten Standes der Bedürfnisbefriedigung, z. B. — nach Klassen und Schichten der sozialen Differenziertheit innerhalb der sozialen Gruppen; — nach Einkommensgruppen der Familien; — nach Familiengrößen; — nach territorialen Bedingungen. Zugleich sind die sich aus der weiteren wissenschaftlich-technischen Entwicklung ergebenden Veränderungen im Charakter und Inhalt der Arbeit und sich daraus ableitenden Veränderungen in der Bedürfnisstruktur der Werktätigen und ihrer Familien zu analysieren; b) die langfristige Bestimmung zu erreichender sozialer Veränderungen und die Erarbeitung von Varianten, die mit hoher Zielsicherheit zu den gewollten und gewünschten Wirkungen führen. Sozialpolitische Maßnahmen, die im Ergebnis bzw. in Verbindung und Ergänzung mit der wissenschaftlich-technischen Entwicklung wirksam werden, sind nicht (oder kaum) korrigierbar. Einmal getroffene Entscheidungen müssen ständig materiell und finanziell gesichert werden, d. h. stellen einen ständigen Leistungsanspruch an die sozialistische Wirtschaft dar. Insbesondere in den letzten Jahren wurde mit der Vervollkommnung der Ordnung der Planung der Volkswirtschaft sowie der Rahmenrichtlinie für die Planung der Betriebe und Kombinate eine qualitative Verbesserung der betrieblichen Arbeits- und Lebensbedingungen im Zusammenhang mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt erreicht, die es schrittweise in den kommenden Jahren weiter auszubauen gilt. Das betrifft auch die Verbesserung der analytischen und konzeptionellen Grundlagen der Planung. 3. Es gibt unter sozialistischen Bedingungen keinen antagonistischen Widerspruch zwischen ökonomischer Effektivität und sozialer Wirksamkeit. Die eindeutige Orientierung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts auf die stetige Verbesserung der ökonomischen Effektivität schafft wesentliche materielle und finanzielle Voraussetzungen zur Realisierung umfangreicher sozialpolitischer Maßnahmen, wie sie in den vergangenen und nächsten Jahren weiter realisiert wurden bzw. werden. Ein auf Kosten der Arbeitsbedin59

gangen, steigender Arbeitsintensität oder zusätzlicher Arbeitsbeanspruchungen erzielter ökonomischer Nutzen bedeutet letztlich — auf die Dauer gesehen — ökonomische Verluste, da die Einstellung zur Arbeit, die Denk- und Verhaltensweisen, die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft maßgeblich von den Arbeitsbedingungen der Werktätigen beeinflußt werden. Soziale Veränderungen sind langfristig orientierte, sich über mehrere Planperioden ausdehnende Prozesse. Daraus ergibt sich, daß auch für die einzelnen Maßnahmen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts unterschieden werden muß zwischen — den unmittelbaren Wirkungen, die sie auf die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der mit der neuen Technik arbeitenden Menschen haben; — den unmittelbaren Wirkungen, die sie über steigende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auf die Möglichkeiten des sozialistischen Staates erzielen, das materielle und geistig-kulturelle Lebensniveau zu erhöhen; — den langfristigen Wirkungen, die sie auf die Veränderung der Sozialstruktur, die Ausprägung der sozialistischen Lebensweise, die Persönlichkeitsentwicklung der Bürger unserer Republik ausüben. Das zwingt einerseits dazu, vereinfachte Vorstellungen zu überwinden, nach denen jede Maßnahme meßbar wäre hinsichtlich ihrer direkten Wirkung auf die Persönlichkeitsentwicklung und weitere Ausprägung der sozialistischen Lebensweise. Das zwingt aber anderseits dazu, in der Leitungstätigkeit von grundsätzlichen Zielen und Erfordernissen der sozialen Entwicklung auszugehen und die anzustrebenden Wirkungen nicht ausschließlich aus kurzfristig zu erreichenden Veränderungen und Effekten zu betrachten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Möglichkeiten zur Erhöhung der sozialen Wirksamkeit von Wissenschaft und Technik einerseits untrennbar mit der ökonomischen Entwicklung, mit den sie bewirkenden Gesetzen und Gesetzmäßigkeiten verbunden sind, aber anderseits nicht allein aus ökonomischer Sicht zu finden, sondern gleichermaßen in der politisch-ideologischen Entwicklung, in den Einstellungen der Werktätigen, im System von Leitung und Planung u. a. zu suchen sind. Wenn zum Teil Entscheidungen über den Einsatz von Wissenschaft und Technik getroffen werden, bei denen die mögliche soziale Wirksamkeit nicht im erforderlichen Maße berücksichtigt wurde, so liegt das nicht zuletzt an bisher z. T. noch nicht ausreichenden und praktikabel handhabbaren Methoden und Instrumentarien zur Bestimmung der sozialen Wirksamkeit beim Einsatz und bei der Nutzung neuer Technik und Technologien in den Betrieben und Kombinaten. Unter den Bedingungen der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft sind sozialer und wissenschaftlich-technischer Fortschritt eng verbunden. Ziele und Zweck des wissenschaftlich-technischen Fortschritts leiten sich aus dem Grundanliegen unserer gesellschaftlichen Entwicklung ab und sind ihr Ergebnis.

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2.3.

Die weitere Vertiefung des sozialistischen Charakters der Arbeit

2.3.1.

Vervollkommnung Erfordernis

des

Charakters

der

Arbeit



grundlegendes

Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik ist unmittelbar mit der Höherentwicklung der sozialistischen Produktionsverhältnisse — vor allem mit den Veränderungen im sozialistischen Charakter der Arbeit — verbunden. Mit der Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten und dem Aufbau des Sozialismus wurden die objektiven Voraussetzungen für die Herausbildung des sozialistischen Charakters der Arbeit geschaffen. „Indem sich die Gesellschaft zur Herrin der sämtlichen Produktionsmittel macht, um sie gesellschaftlich planmäßig zu verwenden, vernichtet sie die bisherige Knechtung der Menschen unter ihre eignen Produktionsmittel . . . An ihre Stelle muß eine Organisation der Produktion treten, in der einerseits kein einzelner seinen Anteil an der produktiven Arbeit, dieser Naturbedingung der menschlichen Existenz, auf andre abwälzen kann; in der andrerseits die produktive Arbeit statt Mittel der Knechtung, Mittel der Befreiung der Menschen wird, indem sie jedem einzelnen die Gelegenheit bietet, seine sämtlichen Fähigkeiten, körperliche wie geistige, nach allen Richtungen hin auszubilden und zu betätigen . . ." 5 Mancher möchte das Entwicklungsniveau der sozialistischen Lebensweise an der Masse der Konsumgüter pro Kopf der Bevölkerung messen. Natürlich gehört ein hoher Lebensstandard zum Ziel des Sozialismus, asketische Erwägungen sind dem Sozialismus fremd. Aber allein die Vermehrung der Konsumgüter schafft keine grundlegenden Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus. Die bloße Anhäufung von Konsumgütern führt nicht automatisch zu einer sozialistischen Lebensweise. Man kann das am negativen Beispiel demonstrieren: In einigen hochentwickelten kapitalistischen Ländern ist der Pro-Kopf-Verbrauch an Konsumgütern im allgemeinen Durchschnitt nicht niedrig. Aber in der BRD gibt es nun schon einige Jahre rd. eine Million Arbeitslose, und es lassen sich selbst nach BRD-Prognosen noch keine Anzeichen für eine baldige Änderung dieser Situation erkennen. In anderen kapitalistischen Ländern ist das Arbeitslosenproblem gar noch gravierender. Seit Jahren herrscht eine inflationäre Entwicklung, und die Lebenshaltungskosten steigen beständig. Hier erhalten solche Werte wie soziale Sicherheit und garantiertes Recht auf Arbeit und Berufsausbildung, die in den sozialistischen Staaten längst zur Selbstverständlichkeit geworden sind, einen neuen Stellenwert. 5

F. Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring), in: MEW, Bd. 20, Berlin 1975, S. 273/274.

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In einer Studie, die von einem französischen Forscherkollektiv und von Arbeitern, die einer Massenentlassung ausgesetzt waren, angefertigt wurde, werden die langfristigen traumatischen Wirkungen von Massenentlassungen behandelt. Zu der Beziehung zwischen Beschäftigung und Freiheit heißt es: „Gerade die Sicherheit des Arbeitsplatzes gestattet einem, seine Vorhaben zu verwirklichen. Der Kumpel verliert ein wenig von seiner Freiheit: Er ist gezwungen zur Fabrik zu gehen . . . Aber Freiheit bedeutet für einen Arbeiter auch, jeden Tag zur Arbeit gehen zu können, sein Haus bauen, seinen Garten haben, seine Kinder aufziehen zu können." 6 Moynot schreibt dazu: „Das Trauma, das die Studie nachweist, läßt sich tatsächlich als Bewußtwerden des Gegensatzes zwischen der kapitalistischen Auffassung von der Arbeit (,der Unternehmer meint, der Arbeiter erwarte von seiner Arbeit nur eine Sache: den Lohn') und der folgenden Auffassung der Arbeiter zusammenfassen: ,Die Arbeit ist heilig'. ,Ohne Arbeit fühlt man sich nicht vollständig'. ,Wenn du entlassen bist, fühlst du dich schuldig, auch wenn du nichts dafür kannst.' " 7 Die genannte Studie bezieht sich auf eine Massenentlassung aus einer Fabrik im Jahre 1963. Heute ist die Arbeitslosigkeit für Millionen Menschen eine Dauererscheinung. Ihre traumatische Wirkung hat sich vervielfacht, ist ein soziales Problem ersten Ranges geworden, eben weil es bei der Arbeit selbst unter kapitalistischen Bedingungen nicht nur um Gelderwerb geht (obwohl dieser unerläßlich), sondern um elementare Beziehungen zwischen den Menschen in der Gesellschaft. Dagegen sind soziale Sicherheit, insbesondere garantiertes Recht auf Arbeit und Bildung, elementare Voraussetzungen für die sozialistische Lebensweise. W. I. Lenin hat bekanntlich bereits Anfang 1902 zu dem Programmentwurf der SDAPR, den Plechanov ausgearbeitet hatte, auf die Formulierung — „die planmäßige Organisation des gesellschaftlichen Produktionsprozesses zur Befriedigung der Bedürfnisse sowohl der gesamten Gesellschaft als auch ihrer einzelnen Mitglieder" — bemerkt: „Das genügt n i c h t . . . Es wäre genauer, wenn man sagte . . ., nicht nur zur Befriedigung der Bedürfnisse der Mitglieder, sondern zur Sicherung der höchsten Wohlfahrt und der freien allseitigen Entwicklung aller Mitglieder der Gesellschaft." 8 Die Entwicklung der Produktion von Bedarfsgütern ist somit nur ein Entwicklungsmoment, insofern sie materielle Voraussetzungen für die Höherentwicklung des Menschen bildet. Aber die Bedürfnisse werden nicht nur in der Konsumtionssphäre befriedigt, sondern auch in der Produktionssphäre selbst. Gerade die soziale Entwicklung der Klassen, Schichten und anderen Gruppen, der Prozeß ihrer Annäherung und die damit verbundene Entwicklung sozia6

J.-P. Terrail / J.-L. Moynot, Produktion der Bedürfnisse und Bedürfnisse der Produktion, Berlin 1976, S. 42. ' Ebenda. 8 W. I. Lenin, Bemerkungen zum zweiten Programmentwurf Plechanows, in: Werke, Bd. 6, Berlin 1959, S. 40.

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listischer Persönlichkeiten vollziehen sich vor allem im Arbeitsprozeß und finden ihren Niederschlag in den Veränderungen des sozialistischen Charakters der Arbeit. Die Rolle des Arbeitsprozesses und der Beziehungen, die sich dabei zwischen den Menschen gestalten, für die Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten wird nicht immer in seiner vollen Tragweite erkannt. In einer interessanten sowjetischen Publikation wird zunächst zu Recht festgestellt, daß „die Lebenstätigkeit der Menschen . . . allmählich auf(hört), ein Anhängsel des Produktionsprozesses zu sein. Zwar bleibt die Produktion die Grundlage für die Existenz der Gesellschaft, doch zu ihrem Endziel wird die Schaffung von Bedingungen für die allseitige Entwicklung der Persönlichkeit." 9 Doch dann wird die folgende These apostrophiert, die zu mißverständlichen Deutungen führen kann: „Die Entwicklung der Persönlichkeit wird zu einer der wichtigsten objektiven Funktionen der Lebenstätigkeit außerhalb der Produktion." 1 0 Gewiß gehört die Vermehrung der arbeitsfreien Zeit zu den erklärten Zielen des Sozialismus. Doch darf man daraus nicht schließen, daß die Entwicklung der Persönlichkeit vor allem außerhalb der Produktion erfolgen würde. Schließlich ist es eine Tatsache, daß der Gegensatz zwischen Arbeitszeit und arbeitsfreier Zeit, der für die kapitalistischen Verhältnisse so typisch ist, im Sozialismus — wenn auch nicht völlig aufgehoben — so doch einen völlig anderen Charakter erhält. 1 1 Ausgangspunkt bleibt, daß „die Arbeit die wichtigste Sphäre des gesellschaftlichen Lebens ist", wie es im Programm der Partei heißt. Die Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten vollzieht sich vor allem im Prozeß der Arbeit. Hier erwirbt und entfaltet der Mensch einen Großteil seiner Fähigkeiten und Schöpferkraft, ein Teil der Bildungsprozesse ist unmittelbar mit der Produktion verbunden, hier findet der Werktätige gesellschaftliche Anerkennung, im Arbeitskollektiv prägen sich die wesentlichen gesellschaftlichen Charaktereigenschaften, und im kollektiven Zusammenwirken beeinflußt er aktiv die Veränderung der konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen im Betrieb und im Territorium. In der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ist der Charakter der Arbeit jedoch auch geprägt durch das Bestehen von einer Reihe wesentlicher sozialökonomischer Unterschiede in der Arbeit, Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, Unterschiede in den konkreten Arbeitsbedingungen u. a. m. Eine Haupttendenz der weiteren Veränderungen im gesellschaftlichen ChaL . A. G o r d o n / E . W. K l o p o w / T . B. Petrow, Die Entwicklung des Alltags der sowjetischen Arbeiter (Rückblick und Ausblick), in: Sowjetwissenschaft, Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, 12/1976, S. 1277. 10 E b e n d a . 1 1 Vgl. K . M a r x , Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 1974, S. 595/ 596. 9

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rakter der Arbeit in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ist deshalb die allmähliche Abschwächung und Überwindung der wesentlichen Unterschiede und die zunehmende Gleichheit. Auf dieses große gesellschaftliche Ziel ist die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik gerichtet. Die Veränderungen im Charakter der Arbeit vollziehen sich vor allem in vier Richtungen: Erstens in Richtung von Veränderungen, die vorwiegend von der Entwicklung der Technik und Technologie der Produktion sowie von der Vertiefung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ausgehen. Zweitens in Richtung von Veränderungen, die sich aus der Verbesserung der materiellen und zeitlichen Arbeitsbedingungen ergeben. Drittens in Richtung von Veränderungen, die mit dem steigenden Bildungsniveau und der beständigen Höherqualifizierung der Werktätigen verbunden sind. Viertens in Richtung von Veränderungen, die mit der zunehmenden aktiven Teilnahme der Werktätigen an der Leitung und Planung, dem sozialistischen Wettbewerb und der Entfaltung der sozialistischen Demokratie im Betrieb und im Territorium zusammenhängen. 2.3.2.

Der Einfluß

von Technik

und

Technologie

Bei den Veränderungen im Charakter der Arbeit, die vorwiegend von der Entwicklung der Technik und Technologie der Produktion und von der Vertiefung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ausgehen, sind die folgenden besonders hervorzuheben. Erstens ist mit der zunehmenden Vergesellschaftung der Produktion, vor allem mit der Konzentration und Zentralisation der Produktion, das Wachstum der Produzentenkollektive verbunden. Mehr als zwei Drittel aller Arbeiter und Angestellten der Industrie sind in Betrieben tätig, die eine Beschäftigtenzahl von mehr als 1000 Arbeiter und Angestellte haben. Ähnliche Tendenzen sind auch in anderen Bereichen der Volkswirtschaft zu beobachten. Aber auch die Klein- und Mittelbetriebe, die ihre Bedeutung durchaus behalten werden, sind vor allem durch die Kombinate, die Erzeugnisgruppenarbeit und andere Formen der gesellschaftlichen Organisation der Produktion in diesen allgemeinen Vergesellschaftungsprozeß einbezogen. Es ist offenkundig, daß sich die Beziehungen zwischen den Werktätigen in einem Großbetrieb anders gestalten als in einem manufakturmäßig betriebenen Kleinbetrieb. Nach Lenin bedeutet Vergesellschaftung der Arbeit, „ . . . daß sich der gesellschaftliche Zusammenhang zwischen den Produzenten mehr und mehr festigt, die Produzenten sich zu einem Ganzen zusammenschließen".12 Mit der wachsenden Größe 12

W. I. Lenin, Was sind die „Volksfreunde" und wie kämpfen sie gegen die Sozialdemokraten?, in: Werke, Bd. 1, Berlin 1968, S. 169.

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der Produzentenkollektive vervielfachen sich die Beziehungen der kameradschaftlichen Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe, der Kollektivität und der planmäßigen Organisation der Arbeit, sie werden mannigfaltiger, reichhaltiger und zunehmend gesellschaftsbezogener. Die Entwicklung von großen Produzentenkollektiven als Folge der wachsenden Vergesellschaftung der Produktion durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt ist eine wesentliche Grundlage für die volle Entfaltung des sozialistischen Charakters der Arbeit. Zweitens erhöht sich mit der ständigen technologischen Erneuerung der Produktion zugleich beständig die Ausstattung der Arbeit mit Produktionsfonds. Der durchschnittliche Grundmittelbestand je Beschäftigten hat sich im Verlaufe der letzten 15 Jahre mehr als verdoppelt und betrug 1978 in den produzierenden Bereichen der Volkswirtschaft der D D R 67357 Mark, darunter in der Industrie der D D R 87291 Mark, und in der Land- und Forstwirtschaft 61634 Mark. 13 Dabei ist eine Tendenz zur schnelleren Konzentration der Produktionsmittel in großen Produktionseinheiten unverkennbar. Mit der zunehmenden Fondsausstattung der Arbeit, die die Funktionen der Produzenten im Arbeitsprozeß beeinflußt, erhöht sich zugleich der Anteil der komplexen Mechanisierung und Automatisierung an der Gesamtheit der Fertigungsprozesse. Drittens führt die Intensivierung der Produktion zugleich zur allmählichen Minderung vorhandener Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher Tätigkeit, zur Anreicherung der Arbeitsinhalte und Förderung der schöpferisch-geistigen Merkmale im unmittelbaren Arbeitsprozeß. Von besonderer Bedeutung ist auch die systematische Verringerung des Anteils der körperlich schweren und unqualifizierten Arbeit. Für den Zeitraum 1976 bis 1980 ist vorgesehen, jährlich in der Industrie und im Bauwesen mindestens 180000 Arbeitsplätze mit Hilfe von Maßnahmen der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation um- bzw. neuzugestalten. Ausdrücklich wird festgelegt: „In Verbindung mit der weiteren Gestaltung der leistungs- und persönlichkeitsfördernden Arbeitsbedingungen sind durch Umbzw. Neugestaltung der Arbeitsplätze noch vorhandene schwere körperliche und monotone Arbeitsverrichtungen zielstrebig zu verringern sowie gesundheitsschädigende Umwelteinflüsse an Arbeitsplätzen zu beseitigen." 14 Aus dieser Zielsetzung ergeben sich für die technische und technologische Entwicklung folgende Aufgaben: a) Bereits im Stadium der Forschung und Entwicklung, der Projektierung sowie der Konstruktion sind die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß mit der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts die Sicherheit vor Arbeitsunfällen steigt, der Lärm verringert, körperliche Arbeit erleichtert und weitere Verbesserungen der materiellen Arbeitsbedingungen erreicht werden. b) Die Wirksamkeit der Grundfonds ist durch die Erhöhung ihrer Nutzungs13 Statistisches Jahrbuch der DDR 1979, Berlin 1979, S. 81. Gesetz über den Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der D D R 1 9 7 6 - 1 9 8 0 , in: Gesetzblatt der DDR, Teill, Nr. 46/1976, S. 523.

14

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Manz/Winkler

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zeit zu vergrößern. Dazu tragen die höhere Schichtauslastung, effektive Instandhaltungsarbeiten und der Einsatz wartungsarmer Maschinen und Anlagen bei. c) Die Erhöhung der Materialökonomie ist mit der Verbesserung der Arbeitsumwelt zu verbinden, indem die Zahl der Arbeitsplätze abnimmt, an denen die Werktätigen Staub, Gasen, Feuchtigkeit, hohen Temperaturen usw. ausgesetzt sind. d) Technik und Technologie sind bei der Verwirklichung einer wissenschaftlichen Arbeitsorganisation von besonderer Bedeutung. Durch sie kann ein höherer Nutzungsgrad der Arbeitszeit und ein kontinuierlicher Arbeitsablauf gewährleistet werden. Schließlich vollzieht sich, viertens, in der gegenwärtigen Entwicklungsetappe zunehmend auch ein Ausgleich der technisch-ökonomischen Unterschiede zwischen den Betrieben, j a sogar zwischen den Zweigen und Bereichen der Volkswirtschaft, der für die allmähliche Überwindung der wesentlichen Unterschiede im Charakter der Arbeit von besonderer Bedeutung ist. Der beschleunigte wissenschaftlichtechnische Fortschritt erfaßt gleichermaßen alle Bereiche des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses. Das zeigt sich deutlich an der Ausbreitung der industriellen Produktionsmethoden auf die anderen Bereiche der Volkswirtschaft, zum Beispiel auf das Bauwesen, die Landwirtschaft, das Verkehrswesen, den Handel, ja selbst zum Teil in der wissenschaftlichen Forschung, wo die Grundfondsausstattung der wissenschaftlichen Mitarbeiter in den naturwissenschaftlichen Instituten die der Beschäftigten der meisten Industriezweige bereits übersteigt. Die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts durch die Intensivierung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses führt in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft zu einer Tendenz der Herausbildung einer einheitlichen technologischen Basis der Volkswirtschaft, deren Wesensmerkmale die komplexe Mechanisierung und Automatisierung der Produktionsprozesse und ein geschlossenes Informationssystem auf der Grundlage der elektronischen Datenverarbeitung sind. Die Herausbildung und Entwicklung einer technologisch einheitlichen materiell-technischen Basis der Volkswirtschaft im entwickelten Sozialismus fördert die beständige Annäherung im Charakter der Arbeit zwischen den verschiedenen Bereichen der Volkswirtschaft, besonders auch zwischen Industrie und Landwirtschaft. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt verstärkt zugleich den Einfluß der Forschung und Entwicklung sowie der technologischen Produktionsvorbereitung auf die Gestaltung der betrieblichen Arbeitsbedingungen. In diesen Bereichen wird mit der Vorbereitung, Planung und Realisierung von Rationalisierungsprojekten weitgehend über die künftigen materiellen, zeitlichen und sozialen Bedingungen der Arbeit entschieden. Die Möglichkeiten für nachträgliche Änderung der Arbeitsbedingungen im Fertigungsprozeß werden immer geringer bzw. sehr kosten- und zeitaufwendig.

66

2.3.3.

Die weitere bedingungen

Verbesserung

der materiellen

und zeitlichen

Arbeits-

Die Vervollkommnung des sozialistischen Charakters der Arbeit zeigt sich in hohem Maße in der Gestaltung sozialistischer Arbeitsbedingungen. Auf Grundlage der sozialistischen Produktionsverhältnisse bilden sich die sozialistischen Arbeitsbedingungen heraus. Sie sind die objektive Voraussetzung und Begleitbedingung des sozialistischen Arbeitsprozesses und werden in Ubereinstimmung von persönlichen, kollektiven und gesellschaftlichen Interessen von allen Werktätigen bewußt schöpferisch und planmäßig optimal gestaltet. Dabei kommt den Gewerkschaften eine besondere Rolle zu. Die sozialistischen Arbeitsbedingungen dienen der ständig besseren Befriedigung der materiellen und geistig-kulturellen Bedürfnisse der Werktätigen im Bereich der Arbeit und wirken produktivitätsfördernd. Für die kapitalistische Produktionsweise ist typisch, daß selbst bei zunehmender Massenarbeitslosigkeit eine immer intensivere Arbeit gefordert wird, die sich in wachsenden Unfällen und steigender Arbeitsinvalidität nachweisen läßt, und daß, obwohl in einer Reihe von Betrieben intensive Kurzarbeit geleistet wird, andere Betriebe Überstundenarbeit organisieren. Die Wirkungen verbesserter Arbeitsbedingungen werden durch diese Arbeitshetze aufgehoben und oft genug werden Möglichkeiten, Arbeitsbedingungen zu verbessern, nicht genutzt. In den sozialistischen Betrieben der DDR werden die Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen nicht nur dann durchgeführt, wenn ein ökonomischer Nutzen zu erwarten ist. Sie werden auch dann vervollkommnet, wenn dadurch Gesundheit und Wohlbefinden, die zwischenmenschlichen Beziehungen im Betrieb sowie der Persönlichkeit dienendes Verhalten gefördert werden. Sozialistische Arbeitsbedingungen bewirken erstens, wenn sie den Anforderungen wissenschaftlicher Arbeitsorganisation und Arbeitskultur entsprechen, eine Erhöhung des sozialistischen Lebensniveaus. Zweitens führen sie zu höherer Arbeitsproduktivität, zur Produktionssteigerung, zu höherer Effektivität der gesellschaftlichen Arbeit. Sie sind eine wesentliche Voraussetzung, um das Ziel der sozialistischen Produktion, das Lebensniveau weiter zu erhöhen, zu sichern. „Da der Arbeiter den größten Teil seines Lebens im Produktionsprozeß zubringt, so sind die Bedingungen des Produktionsprozesses zum großen Teil Bedingungen seines aktiven Lebensprozesses, seine Lebensbedingungen . . ." 1 5 Im Bereich der gegenständlichen Arbeitsbedingungen sind vom Aspekt der Bedürfnisbefriedigung und der Erhöhung der Effektivität folgende Beispiele zu nennen (vgl. Abbildung 1): — Verbesserung der Sauerstoffzufuhr, da sowohl für den Arbeiter zum Atmen als auch für die Stoffumwandlung und Energieerzeugung ausreichend Luft erforderlich ist; « K. Marx, Das Kapital, Dritter Band, in: MEW, Bd. 25, Berlin 1964, S. 96. 5*

67

— Schutz der Arbeitskräfte, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstände vor Witterungseinflüssen durch geeignete Gebäude; — Gestaltung der Maschinen und Werkzeuge im Sinne einer natürlichen Körperhaltung des sie Bedienenden und damit im Interesse des Gesundheitsbedürfnisses des Werktätigen; — Gestaltung der Maschinen, Werkzeuge, Gebäude entsprechend den Erfordernissen der Produktionsästhetik, wodurch geistig-kulturelle Bedürfnisse befriedigt werden. Durch die Verbesserung der materiellen und zeitlichen Arbeitsbedingungen verändern sich zugleich die Bedürfnisse der Werktätigen, und es wächst ihr Fonds an arbeitsfreier Zeit. Als Beispiel seien genannt: — Sinken des Joule- (Kalorien) und Fettbedarfs, steigender Anteil des Eiweißes; — veränderter Bedarf an spezifischer Arbeits- und Berufsbekleidung; — neue Wechselbeziehungen zwischen allgemeiner und fachlicher Bildung; — wachsende Bedürfnisse nach Sport, Erholung, vorbeugendem Gesundheitsschutz; — steigende Kulturbedürfnisse in der Freizeit, Ausgleich einseitiger körperlicher oder geistiger Arbeit durch Freizeittätigkeiten entgegengesetzten Charakters; — wachsende Anforderungen an den Berufsverkehr. Durch die Wirtschafts- und Sozialpolitik ist zu sichern, daß sich die Vervollkommnung im Charakter und Inhalt der Arbeit vor allem in folgenden Richtungen vollzieht, was sich insbesondere bei der weiteren Gestaltung der Arbeitsbedingungen zeigt: a) Die zeitlichen Arbeitsbedingungen führen in Einklang mit dem Entwicklungstempo der Arbeitsproduktivität zur Verringerung der täglichen Arbeitszeit und zur differenzierten Verlängerung des Erholungsurlaubs. Dadurch wird arbeitsfreie und Freizeit gewonnen, die für sinnvolle und interessante Tätigkeiten zur Verfügung steht. b) Der Anteil einfacher, unqualifizierter Tätigkeit ist zu verringern. Das betrifft vor allem Arbeitsprozesse der Montage, der Lagerwirtschaft, des Transports. Gegenwärtig sind etwa ein Drittel der Produktionsarbeiten noch nicht mechanisiert. Der Anteil manueller Tätigkeiten ist besonders in den Hilfs- und Nebenprozessen noch hoch. 16 Es geht um „die Erhöhung des Anforderungsniveaus zur vollen Nutzung und zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten der Werktätigen, bei der gleichzeitig Kooperation und Kommunikation innerhalb und zwischen den Arbeitskollektiven vervollkommnet werden". 17 Es bildet sich eine neue Verbindung von körperlicher und geistiger Arbeit heraus, bei der der Anteil geistiger Tätigkeiten immer mehr den bestimmenden Platz einnimmt, wobei die körperliche Arbeit die geistige ergänzt und die geistige Arbeit die körperliche bereichert. Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den I X . Parteitag, a. a. 0 . , S. 21. " Ebenda, S. 23. 16

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c) Auf den verschiedenen Stufen der Mechanisierung und Automatisierung geht es bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen vor allem um folgende Aspekte: — Körperlich schwere und gesundheitsgefährdende Arbeiten können weitgehend beseitigt werden. Verhindert werden muß, daß körperliche Erschwernisse bei der Bedienung von Maschinen in Gestalt einseitiger Beanspruchung usw. auftreten. Vor allem durch das wissenschaftliche Arbeitsstudium und die Arbeitsgestaltung, durch die Ausarbeitung von Anforderungsbildern, durch Typarbeitsplätze usw. können diese Erscheinungen von vornherein vermieden werden. Sie sind keine unabänderliche Folgeerscheinung der Mechanisierung und Automatisierung. Dabei muß auch dem allgemeinen Bewegungsmangel, wie er in hochmechanisierten und automatisierten Prozessen auftreten kann, entgegengewirkt werden. Die Entwicklung verschiedenster Formen des Ausgleichs während der Arbeit, in den Pausen und in der Freizeit gewinnt an Bedeutung. — Unterschiedlich ist das Verhältnis zwischen körperlicher und geistig-nervlicher Beanspruchung. Innerhalb des Bereiches der Kontrolle von Hand ist eine Zunahme der geistig-nervlichen Beanspruchung, der Geschicklichkeitsanforderungen, der Verantwortung zu verzeichnen. Im Bereich der mechanischen Kontrolle dagegen werden die körperlichen Anstrengungen, die Geschicklichkeitsanforderungen und die Unfallgefährdungen geringer. In den Bereichen der veränderlichen Kontrolle durch Reaktion der Maschine auf Signale bzw. auf die Arbeitsausführung beginnt die geistig-nervliche Beanspruchung geringer zu werden und fällt schließlich dort weg, wo die Maschine dem Arbeiter alle wesentlichen Reaktionen auf veränderliche Arbeitssituationen abnimmt. Diesen unterschiedlichen Bedingungen wird bei der Gestaltung sozialistischer Arbeitsbedingungen entsprochen. Die Verschiebung zur geistig-nervlichen Belastung steht in Abhängigkeit von der Funktionszuverlässigkeit der Maschine bzw. Anlage. Hohe Störanfälligkeit führt in der Regel zu starker nervlicher Belastung. — Besondere Probleme ergeben sich bei manueller Bedienung innerhalb eines mechanisierten und automatisierten Systems. Trotz Mechanisierung aller hauptsächlichen operativen Arbeitsgänge kann durch manuelle Rudimente die körperliche Anstrengung ansteigen, weil sie der hohen Arbeitsgeschwindigkeit der vorund nachgelagerten Mechanismen angepaßt werden muß. Neben Ausgleichsmaßnahmen, regelmäßigem Arbeitsplatzwechsel usw. gilt es, die Mechanisierung solcher Tätigkeiten, insbesondere des Transports, durchzusetzen. Überforderungen im geistig-nervlichen Bereich können auch bei einförmigen Überwachungsfunktionen auftreten. Es gibt Möglichkeiten,, diese Anforderungen durch Einbeziehung schöpferischer Arbeitselemente in die Überwachungszeit (z. B. durch gewisse Aufbereitung von Meßwerten) zu erleichtern. d) Eine soziale und gesundheitsfördernde Zielstellung der Gestaltung der Arbeitsbedingungen besteht in der Einschränkung und Überwindung von Arbeitserschwernissen und gesundheitsschädigenden Auswirkungen der Produktion. Im Zusammenhang mit der Dauer des Arbeitstages vermindern überhöhte 69

physische und psycho-nervale Beanspruchungen zeitweilig oder dauernd die Leistungsfähigkeit des menschlichen Organismus. Unfälle, Invalidität und Berufserkrankungen sind negative Wirkungen mangelhafter Arbeitsbedingungen für den Menschen. Durch den zeitweiligen, teilweisen oder dauernden Verlust der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen sie unmittelbar die Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen und führen darüber hinaus zu ökonomischen Verlusten. Die gezielte Einflußnahme auf das Unfallgeschehen trug in der D D R dazu bei, die Unfallquote wesentlich zu senken (vgl. Tabelle 7). Tabelle 7 Meldepflichtige Arbeitsunfälle je 1000 Beschäftigte 1952 1960 1970 1974

56,6 48,6 40,8 34,6

1975 1976 1977 1978

33,0 32,6 31,1 31,3

Dem steht zum Teil eine unterschiedliche Tendenz bei Berufserkrankungen und im Krankenstand der Betriebe gegenüber. Gerade die differenzierte Entwicklung zwischen Berufserkrankungen, z. B . bei Silikose und Lärm, macht deutlich: — Durch Konzentration der wissenschaftlich-technischen Arbeiten im Bereich des Bergbaus sowie im Gesundheitswesen auf die Bekämpfung der Silikose konnten Lösungen gefunden werden, die mit der Einführung neuer Technik und Technologien zum Sinken negativer Auswirkungen führten. — Durch Konzentration der staatlichen und betrieblichen Leitungstätigkeit unter Einbeziehung der gesellschaftlichen Organisationen konnte planmäßig und systematisch eine Reduzierung von Arbeitserschwernissen mit gesundheitsschädigenden Einflüssen, vor allem im Bereich des Bergbaus, erreicht werden. So liegt z. B . auch die durchschnittliche Unfallquote im Bergbau mit 15,5 Arbeitsunfällen/1000 Beschäftigte weit unter dem Durchschnitt. Unterschiedliche Entwicklungen zeigen sich auch im Krankenstand. Vor allem in solchen Gruppen bzw. Bereichen tritt eine negative Abweichung vom Durchschnitt auf, wo in den vergangenen Jahren auf Grund der ökonomischen Möglichkeiten relativ geringe Veränderungen in der Technik und Technologie eintraten; wo eine nicht ausreichende Vorbereitung auf den Einsatz an moderner Technik erfolgte; wo berufliche und häusliche Belastung nicht kompensiert werden konnten. Darüber hinaus kann eine aber noch nicht ausreichende technische Basis im Bereich des Gesundheitswesens z. B . zur Verlängerung der Diagnosezeiten und damit zur Verlängerung der Krankheitsdauer führen.

70

Arbeitserschwernisse sind in der Mehrzahl der Fälle mit Leistungseinschränkungen verbunden und erfordern ständige zusätzliche finanzielle Aufwendungen, für die kein ökonomischer und nur ein bedingter sozialer Effekt eintritt (Erschwerniszuschläge beseitigen keine Erschwernisse). Umfang und Intensität der Arbeitsbeanspruchung werden durch den Zustand der arbeitshygienischen Bedingungen beeinflußt. Diese schließen ein: Arbeitsenergieaufwand (Arbeitskalorienumsatz), statische Beanspruchung (Zwangshaltung, -bewegung), toxische Stoffe, nichttoxische gesundheitsschädliche Stäube (Quarz, Asbest und andere), Lärm, Vibration, Arbeitsraumklima, ionisierende Strahlung, Mikrowellen, Beleuchtung, psychische Beanspruchung, Belästigung durch Schlamm, Nässe, Öle, Fette, üble Gerüche oder ekelerregende Substanzen, Tragen von Körperschutzmitteln. „Unser Ziel ist es, bis 1980 die Arbeitssicherheit weiter spürbar zu erhöhen sowie die Zahl der Werktätigen, die unter erschwerten Bedingungen arbeiten, um 25 bis 30 Prozent zu vermindern." 18 e) Der wissenschaftlich-technische Fortschritt führt zu einer weiteren Teilung und Kombination der Arbeit. Dies ist im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen mit zwei Tendenzen verbunden: — Die Aufteilung von vorher komplexen Arbeitsfunktionen in einzelne spezialisierte und in diesem Zusammenhang die Aufgliederung bisher im wesentlichen einheitlicher Arbeitsbedingungen in unterschiedliche. — Die durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt hervorgerufene Aufteilung der Arbeitsfunktionen wird durch die arbeitsorganisatorische Zusammenfassung und Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen nach den Anforderungen der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation kombiniert. Dadurch wird gesichert, daß die Arbeitsbedingungen der verschiedenen Beschäftigtengruppen (Einrichter, operative Arbeiter usw.) optimal gestaltet werden. Dazu gehören: der Einsatz an mehreren Arbeitsplätzen bei entsprechender Mehrfachqualifikation, eine Erleichterung der körperlichen Arbeit und Schaffung arbeitssicherer, gesundheitsfördernder Arbeitsbedingungen, eine Anreicherung der Arbeitsprozesse mit Elementen schöpferischer Tätigkeit, Vermeidung von Monotonie und einseitiger Beanspruchung, eine rechtzeitige Qualifizierung der Arbeitskräfte, eine sinnvolle Kombination von vorbereitender und ausführender Tätigkeit in der Arbeit der Werktätigen, insbesondere durch die Verbindung von Bedienund Kontrollfunktionen mit Aufgaben der Instandhaltung, Wartung und Pflege. 19 1« Dokumente. 9. FDGB-Kongreß, Berlin 1977, S. 36. 19 Vgl. Hauptwege zur Steigerung der Arbeitsproduktivität für die weitere Erhöhung des materiellen und geistig-kulturellen Lebensniveaus (Arbeitsmaterial zur Wirtschaftswissenschaftlichen Konferenz der DDR vom 21./22. 4. 1978). Berlin 1979, (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften der DDR, Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Räte, 1978, Nr. W 8).

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steigt und dies zu einem wesentlichen Merkmal des qualitativen Wachstums und der sozialen Annäherung der Klassen und Schichten geworden ist. Alles deutet darauf hin, daß das Bildungs- und Qualifikationsniveau in der Sozialstrukturentwicklung einen zentralen Platz einnimmt 2 8 . Seine dynamische Entwicklung ist Ausdruck der Wirkungen eines ganzen Komplexes grundlegender Entwicklungsbedingungen. Die erreichten Fortschritte wie auch die noch bestehenden Unterschiede im Bildungs- und Qualifikationsniveau haben ihre objektiven Quellen im Entwicklungsstand der Produktivkräfte, in dem ihnen entsprechenden Niveau der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und der realen Beschaffenheit der konkreten Arbeitsinhalte. Insofern sind Unterschiede im Bildungs- und Qualifikationsniveau Ausdruck sozialer Unterschiede, aber nicht deren entscheidende bzw. alleinige Ursache. Das ist für den Einfluß der Sozialpolitik auf die Entwicklung der Bildungs- und Qualifikationsstruktur sehr bedeutungsvoll und weist erneut auf die untrennbare Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik hin. Die Förderung von Qualifikation und Bildung muß stets im Zusammenhang mit den Veränderungen stehen, die der wissenschaftlich-technische Fortschritt in der Arbeitstätigkeit der Menschen bewirkt, und die Werktätigen befähigen, ihrer historischen Rolle als Subjekt dieses Fortschritts immer besser gerecht zu werden. Einem wachsenden Grad an Gleichheit und der Minderung noch vorhandener Unterschiede im Bildungs- und Qualifikationsniveau der Werktätigen liegt vor allem die planmäßige Umgestaltung der Arbeitsbedingungen der Menschen zugrunde, d. h. die allmähliche Beseitigung von Arbeitsbedingungen, die nur eine geringe Qualifikation erfordern, und die Mehrung von Arbeitstätigkeiten, die höhere Anforderungen an die Bildung, die Qualifikation, das Können und die Fähigkeiten der Werktätigen stellen. F ü r die Sozialpolitik ist die Entwicklung der Bildungs- und Qualifikationsstruktur aus mehreren Gründen ein wichtiges Objekt. — Wachsendes Niveau der Allgemeinbildung und der Qualifikation bilden eine unabdingbare Voraussetzung für die allmähliche Uberwindung wesentlicher Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher Arbeit. — Erhöhung des Bildungs- und Qualifikationsniveaus ist grundlegende Voraussetzung für die weitere Entfaltung des Schöpfertums der Arbeiterklasse. Die für den Sozialismus charakteristische Aufhebung der Trennung zwischen Wissenschaft und Produktion erfordert die Überwindung der historisch entstandenen Trennung von Produzenten und Wissenschaft. Immer breitere Teile der Arbeiterklasse, darunter vor allem die Industriearbeiter, eignen sich die neuesten Errungenschaften in Wissenschaft und Technik an, führen sie in die Produktion ein und nehmen aktiven Anteil an ihrer weiteren Entwicklung und Vervollkommnung. — Die sich aus der gesellschaftlichen Entwicklung objektiv ergebenden Erfordernisse an Bildung und Qualifikation finden ihren Ausdruck in einer zu28

Vgl. K. Hager, Die entwickelte sozialistische Gesellschaft. Aufgaben der Gesellschaftswissenschaften nach dem V I I I . Parteitag der SED, Berlin 1971, S. 16.

158

nehmenden subjektiven Bereitschaft der Werktätigen, sich weiterzubilden und zu qualifizieren. Gerade hier wird die Rolle der Sozialpolitik besonders deutlich, weil alle Maßnahmen beispielsweise zur Verringerung der Arbeitszeit, zur Erleichterung der Lage der berufstätigen Frau, zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen durch materielle oder finanzielle Maßnahmen, zur Unterstützung bestimmter sozialer Gruppen, zur Verbesserung der Dienstleistungen u. a. m. in dieser oder jener Weise Einfluß auf das Qualifizierungsverhalten der Werktätigen haben. Hieraus erwachsen immer neue Triebkräfte für das Streben nach weiterer Erhöhung von Bildung und Qualifikation. Die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft wirft eine Reihe neuer Probleme der weiteren Entwicklung der Bildungs- und Qualifikationsstruktur auf. Die vorhandene Qualifikationsstruktur beruht auf der gegenwärtigen Struktur der objektiven Anforderungen, die die Arbeitsprozesse an die menschliche Arbeitskraft stellen. Das heißt, die Unterschiede im Qualifikationsniveau, die Existenz verschiedener Qualifikationsgruppen beruhen auf der differenzierten Ausprägung der jeweils konkreten Arbeitsbedingungen, die ihrerseits letztlich Ausdruck des Entwicklungsstandes der Produktivkräfte und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung sind. Analysen in den letzten Jahren führen u. a. zu folgenden Erkenntnissen: — Die Existenz von Arbeitsprozessen mit relativ geringen Anforderungen an die Qualifikation neben solchen mit relativ hohen Anforderungen bewirken die Existenz unterschiedlicher Qualifikationsgruppen; neben dem Facharbeiter gibt es z. B. noch Teilfacharbeiter, angelernte oder ungelernte Arbeiter. — In der Regel ist niedrige Qualifikation kombiniert mit schwerer körperlicher Arbeit, während Arbeitsprozesse, die höhere Anforderungen an die Qualifikation stellen, meist durch leichtere Arbeit gekennzeichnet sind. — Meistens verbindet sich niedrige Qualifikation und schwere körperliche Arbeit mit geringen geistigen Anforderungen, während höhere Qualifikation und leichtere Arbeit mehr Anforderungen an anspruchsvolle geistige Arbeit stellen. — Qualifikationsunterschiede sind gegenwärtig noch mit dem Problem der Gleichberechtigung von Männern und Frauen verbunden. Bei allen Fortschritten ist festzustellen, daß die Arbeitsplätze mit geringen Anforderungen an die Qualifikation oft von Frauen besetzt sind. Die Erhöhung der Qualifikation der berufstätigen Frauen ist eine Aufgabe von erstrangiger politischer Bedeutung. 1975 waren von den 1,2 Mio Werktätigen, die an der Weiterbildung im Prozeß der Arbeit teilnahmen, 36,2% Frauen. Der Anteil der Facharbeiter an den Produktionsarbeiterinnen erhöhte sich von 1971 bis Ende 1976 von 26 auf 45%. Der Anteil der Frauen an den Fachschulkadern erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 37,8 auf 46,5%. Der Anteil der Frauen und Mädchen an den Neuerern hat sich 1977 auf 23% 2 9 erhöht. » Statistisches Jahrbuch der DDR 1978, a. a. 0., S. 103.

159

— Entsprechend dem jeweils erreichten Entwicklungsstand bestehen Qualifikationsunterschiede auch zwischen den verschiedenen Industriezweigen. Das gilt auch für die Proportion zwischen dem Qualifikationsniveau von Männern und Frauen. Der Hauptweg der weiteren Entwicklung der Qualifikationsstruktur der Arbeiterklasse und des schrittweisen Abbaus vor allem der niedrigen Qualifikationsgruppen ist die Entwicklung der Produktivkräfte und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung mit der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Das bedeutet, daß die Zahl der eine niedrige Qualifikation erfordernden Arbeitsplätze systematisch verringert wird, neue Arbeitsplätze von vornherein so entwickelt werden, daß sie höhere Anforderungen an die Qualifikation und ihre praktische Nutzung stellen und vorhandene Arbeitsplätze in dieser Richtung umgestaltet werden. Das ist ein Prozeß von langer Dauer, der, wie die Direktiven zur Entwicklung der Volkswirtschaft jeweils festlegen, planmäßig, den realen Möglichkeiten entsprechend, verwirklicht wird. Ein wichtiges Kennzeichen dieses Wandlungsprozesses ist das Anwachsen der Gruppe der Facharbeiter; sie werden sich immer mehr zur entscheidenden Qualifikationsgruppe der Arbeiterklasse und der Klasse der Genossenschaftsbauern der entwickelten sozialistischen Gesellschaft entwickeln. Dagegen wird die Gruppe der Angelernten und Ungelernten verschwinden. Vor allem ist dieser Prozeß zeitlich für die letztere Gruppe abzusehen, weil die jungen Generationen bereits mit abgeschlossener Facharbeiterqualifikation bzw. einem Beruf in den Arbeitsprozeß eintreten. Für absehbare Zeiträume wird die Gruppe der Facharbeiter die entscheidende Gruppe sein, wenngleich sich auch der Anteil von Fach- und Hochschulabsolventen systematisch erhöhen wird. Diese strategische Linie stellt hohe Anforderungen an die Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Forschung und an die Gestaltung und Konstruktion von Arbeitsplätzen, deren technische Ausstattung und Technologie eine hohe Qualifikation von den Arbeitern verlangt und der Entfaltung ihrer Persönlichkeit, ihrer schöpferischen Fähigkeiten, ihres Wissens und Könnens Raum gibt. Zugleich sind hohe Anforderungen an die Weiterbildung der Werktätigen und vor allem an die Ausbildung der jungen Arbeiter, des Nachwuchses der Arbeiterklasse, gestellt. Uber das Ausmaß dieses Prozesses geben folgende Angaben Auskunft. In den Jahren 1971 bis 1976 erwarben über den Weg der Erwachsenenqualifizierung etwa 440000 Werktätige einen Facharbeiterabschluß, darunter waren ca. 60% Frauen. In der sozialistischen Industrie verringerte sich der Anteil der Werktätigen ohne abgeschlossene Berufsausbildung von 32,6% (1971) auf 25,8% im Jahre 1975. Der Hauptweg der Weiterbildung ist die Qualifizierung im Prozeß der Arbeit; so stellten sich 88,9% der hieran Beteiligten 1975 das Ziel, sich für ihre Aufgaben im Zusammenhang mit der sozialistischen Intensivierung weiterzubilden. Zugleich vollzieht sich die Qualifizierung auch auf vielfältigen anderen Wegen. So nahmen z. B. seit 1971 fast 2 Mio Werktätige an der Volkshochschule teil, erwarben dabei zum Teil den

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Abschluß der 10. Klasse oder Teilabschlüsse auf bestimmten Fachgebieten. An den Veranstaltungen der Kammer der Technik beteiligten sich jährlich mehr als 7 5 0 0 0 0 Menschen und erweitern hier ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen. 3 0 Besondere Auflnerksamkeit widmen die S E D , die Regierung der D D R und der F D G B der Ausbildung der jungen Generation. Die bisher erreichten Ergebnisse sind ein festes Fundament für die Lösung der zukünftigen Aufgaben auf diesem Gebiet. Erich Honecker sagte: „Wir stellen mit großer Genugtuung fest, daß die Jugend, die durch die Schulen unseres Arbeiter-und-BauernStaates gegangen ist, nicht nur der Politik, der Wissenschaft und Technik und der Kultur aufgeschlossen gegenübersteht, sondern im wahrsten Sinne des Wortes für das Leben gerüstet ist. Diese Jugend weiß, daß im Sozialismus das Lernen einen Sinn hat, weil in unserer aufstrebenden Welt Wissen und Begabungen zum Nutzen des einzelnen und der Gesellschaft zu ihrer vollen Entfaltung kommen." 3 1 Im Mittelpunkt steht die Ausbildung des Facharbeiters mit einem hohen, soliden beruflichen Wissen und Können, der zu schöpferischer Arbeit befähigt ist; des Facharbeiters, dessen persönliches Handeln, dessen Überzeugungen und Verhaltensweisen von einem fundierten marxistisch-leninistischen Weltbild geleitet sind und der nach hohen kommunistischen Idealen strebt; des Facharbeiters, der als glühender Patriot seines sozialistischen Vaterlandes fühlt, denkt und handelt und als proletarischer Internationalist ein fester Freund der U d S S R ist; des Facharbeiters, der seinen Beruf liebt und alle seine Fähigkeiten zum Wohle der sozialistischen Gesellschaft entfaltet und einsetzt. Die fachliche Ausbildung der jungen Generation ist eng verbunden mit der weiteren Erhöhung der Allgemeinbildung, insbesondere der weltanschaulichen. Ausgehend von den Anforderungen, die an die jungen Facharbeiter gestellt sind, treten dabei vor allem folgende Probleme in den Mittelpunkt der erzieherischen Arbeit: — Es soll insbesondere die sozialistische Einstellung zur Arbeit vervollkommnet werden, die sich zur kommunistischen Einstellung zur Arbeit wandeln wird; das ist das Kernstück der sozialistischen Lebensweise und das wichtigste Merkmal der sozialistischen Persönlichkeit, zu deren Entfaltung die jungen Arbeiter einen schöpferischen Beitrag leisten werden. — E s soll die Erkenntnis von der entscheidenden Rolle des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß gewonnen und das Bewußtsein geschaffen werden, daß Wissenschaft und Technik im 30 Der FDGB und seine Arbeit zwischen dem 8. und 9. Kongreß. Fakten und Zahlen, Berlin 1977, S. 68. 31 E. Honecker, Die sozialistische Revolution in der DDR und ihre Perspektiven. Aus der Rede des Generalsekretärs des Zentralkomitees der SED auf der propagandistischen Großveranstaltung zur Eröffnung des Parteilehrjahres 1977/78 in Dresden am 26. September 1977, Berlin 1977, S. 40. 11 Manz/Winkler

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Sozialismus der sozialen Sicherheit, dem sozialen Fortschritt und dem steigenden Lebensniveau des Volkes dienen. — Es soll die Erkenntnis errungen werden, daß das Bewährungsfeld der jungen Arbeiter ihre aktive Teilnahme am Kampf der Arbeiterklasse um die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und den Übergang zum Kommunismus ist. — Es soll das Verantwortungsbewußtsein entwickelt werden, das sich aus der aktiven Rolle der Facharbeiter als soziale Hauptgruppe für die Ausprägung des Profils der Arbeiterklasse und der Klasse der Genossenschaftsbauern ergibt. In der DDR wurde ein Schulsystem entwickelt, das auf ein hohes Maß sozialer Gerechtigkeit gerichtet und ein wichtiges Element der sozialen Annäherung der Klassen und Schichten ist. Im Ergebnis der hohen Allgemeinbildung und Qualifikation wachsen auch die Ansprüche an eine schöpferische, abwechslungsreiche und interessante Arbeit, vervielfachen sich die Bedürfnisse nach einer noch entwickelten Arbeitskultur, nach Raum für schöpferische Initiative und Aktivität, nach vielgestaltigen sozialen Beziehungen und einer sinnvollen, erlebnisreichen Freizeitgestaltung. Vor allem steigt mit dem Bildungsniveau auch das reale Bedürfnis nach weiterer umfassender Erhöhung der Bildung und Qualifikation. Die hier in Gang gesetzten und sich erweiternden Prozesse weisen nachdrücklich auf die Erfordernisse hin, die an die Entwicklung der Produktivkräfte, an die Vervollkommnung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, an die Weiterentwicklung der Arbeitsbedingungen in der materiellen Produktion und an die Einheit von wissenschaftlich-technischem und sozialem Fortschritt insgesamt gestellt sind. Das anwachsende Bildungs- und Qualifikationsniveau bewirkt neue Erfordernisse an die weitere Überwindung der wesentlichen Unterschiede zwischen körperlicher und geistiger Arbeit, setzt aber zugleich auch die realen Triebkräfte, Einstellungen und Fähigkeiten frei, diese Erfordernisse zu realisieren.

5.4.

Die soziale Annäherung der Sozialstruktur

der Klassen und Schichten — Grundprozeß

Auf der Grundlage der sozialistischen Eigentums- und Machtverhältnisse entsteht und entfaltet sich die Gesetzmäßigkeit der sozialen Annäherung der Klassen und Schichten, erhält das Bündnis der Arbeiterklasse mit der Klasse der Genossenschaftsbauern und der Intelligenz eine neue historische Qualität, wird die wachsende politisch-moralische Einheit der Klassen und Schichten zur bestimmenden Tendenz. Das qualitative Wachstum der Arbeiterklasse geht einher mit der zunehmenden Herausbildung des sozialistischen Profils der Klasse der Genossenschaftsbauern, der Intelligenz und auch anderer sozialer Schichten und Gruppen. Die soziale Annäherung der Klassen und Schichten vollzieht sich im Pro-

162

zeß der weiteren Entwicklung, Vervollkommnung und rationellen Nutzung der Produktivkräfte unserer Gesellschaft, ihrer materiell-technischen Basis auf der Grundlage des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, im Prozeß der Verwirklichung der ökonomischen Aufgaben, der Einheit von Wirtschaf tsund Sozialpolitik und der Entfaltung der sozialistischen Demokratie. Die soziale Annäherung der Klassen und Schichten geht in dem Maße voran, in dem die gesellschaftlichen Aufgaben gelöst werden und sich in diesem Prozeß die Merkmale des sozialistischen Charakters der Klassen und Schichten immer stärker ausprägen. Dabei vertiefen sich die Gemeinsamkeiten zwischen den Klassen und Schichten, und es werden jene objektiven materiellen Voraussetzungen geschaffen, die die Überwindung sozialer Unterschiede bewirken. Die Sozialpolitik der SED übt einen aktiven Einfluß auf diese Prozesse aus. Das läßt sich auch an einzelnen sozialpolitischen Maßnahmen deutlich erkennen, die sich beispielsweise an Bevölkerungsgruppen wenden, ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Klassen und Schichten. Das betrifft z. B. die Förderung von Bildung, Qualifikation und Erziehung, die Unterstützung der materiellen Lage junger Eheleute und kinderreicher Familien, die Wohnungspolitik, das Gesundheitswesen u. a. Auf bestimmten Gebieten der sozialistischen Lebensweise sind historisch gewachsene Unterschiede heute bereits in spürbarem Maße abgebaut oder beseitigt, gestalten sich die Lebensbedingungen ähnlicher, haben die Gemeinsamkeiten bereits einen relativ hohen Stand erreicht; es ist auf solchen Gebieten ein bestimmtes Maß sozialer Gleichheit durchgesetzt worden, das im Interesse der Gewährleistung des Fortschritts unserer Gesellschaft liegt. Das Bündnis der beiden Grundklassen unserer Gesellschaft und die ständige Erweiterung und Festigung ihrer Gemeinsamkeiten entwickelt sich unter der einheitlichen politischen Führung durch die Partei der Arbeiterklasse, auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Weltanschauung und Ideologie. Die Klasse der Genossenschaftsbauern ist eine sozialistische Klasse, die sich im Ergebnis der Politik der SED und des gemeinsamen Kampfes um den gesellschaftlichen Fortschritt herausgebildet hat. Als genossenschaftlicher sozialistischer Eigentümer und Produzent nimmt die Klasse der Genossenschaftsbauern ihre hohe Verantwortung für die Verwirklichung der Hauptaufgabe wahr, versorgt sie die Bevölkerung mit hochwertigen Nahrungsgütern und die Volkswirtschaft mit wichtigen Rohstoffen. Im Prozeß der Realisierung dieser Aufgaben und Verantwortung bildet sich das soziale Profil der Klasse der Genossenschaftsbauern als sozialistische Klasse weiter aus, erweitert sich das Bündnis mit der Arbeiterklasse und vollzieht sich die soziale Annäherung beider Klassen. Ein wichtiges Kriterium hierfür ist das wachsende Bildungs- und Qualifikationsniveau der Genossenschaftsbauern. Der ungebildete Bauer, den die herrschende Junkerkaste früher mit dem Satz verspottete, daß vor dem Pflug zwei und hinter dem Pflug ein Ochse gingen, ist aus unserem Dorf verschwun-

163

den. Mit der Erhöhung des Bildungs- und Qualifikationsniveaus der Genossenschaftsbauern ist die Entfaltung neuer Eigenschaften verbunden, die dem Wesen der sozialistischen Produktionsverhältnisse entsprechen und die auch für die Arbeiterklasse typisch sind: Kollektivismus, Organisiertheit und Diszipliniertheit, schöpferische Aktivität und Initiative in der Arbeit, bei der Leitung und Planung der genossenschaftlichen Arbeit und der gesellschaftlichen Angelegenheiten, Neuerertum, das Streben nach Erweiterung des Wissens und der Fähigkeiten, sozialistisch zu arbeiten, zu lernen und zu leben. Gesellschaftliches Verantwortungsbewußtsein, Solidarität und eine enge, freundschaftliche und unerschütterliche Beziehung zur Arbeiterklasse charakterisieren die Klasse der Genossenschaftsbauern. Diese Entwicklung ist nicht zu trennen von der Vervollkommnung der Produktivkräfte und sozialistischen Produktionsverhältnisse auf dem Lande. Wie in der sozialistischen Industrie und für das Wachstum der Arbeiterklasse liegt der Schlüssel der weiteren Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion und der Klasse der Genossenschaftsbauern in der konsequenten Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, in der Intensivierung der pflanzlichen und tierischen Produktion, vor allem durch die Einführung industriemäßiger Produktionsmethoden. Unter Führung der Arbeiterklasse und mit ihrer umfassenden Unterstützung vollzieht die Klasse der Genossenschaftsbauern eine gewaltige Umwälzung der gesamten materiell-technischen Produktionsbedingungen, die von großer historischer Bedeutung ist (vgl. Tabelle 34). 1976 wurde das gesamte Getreide (100%) in der D D R mit Großmaschinen geerntet, 9 6 , 6 % der Kartoffeln und 9 9 , 3 % der Zuckerrüben. 32 Große Fortschritte vollziehen sich bei der Chemisierung der landwirtschaftlichen ProTabelle 34 Maschinenbestand der sozialistischen Landwirtschaft* Jahr

Traktoren

Lastkraftwagen

Anhänger für Traktoren u. LKW

Mähdrescher

1960 1965 1970 1975 1978

70566 124259 148865 139982 139512

9312 13115 27186 42518 47861

80027 169875 232646 233536 239913

6409 15409 17911 11235 13192

* Einschließlich Verarbeitungs-, Reparatur- und Baubetriebe der sozialistischen Landwirtschaft Quelle: Statistisches Jahrbuch der DDR 1979, Berlin 1979, S. 166. 32 Statistisches Jahrbuch der D D R 1977, Berlin 1977, S. 185.

164

duktion, insbesondere bei der Versorgung mit mineralischen Düngemitteln, Pflanzenschutzmitteln u. a. Damit erhält auch die soziale Annäherung von Arbeiterklasse und Klasse der Genossenschaftsbauern neue Impulse und neue Züge. Das Zusammenwirken beider Klassen in der Sphäre der Produktion wird unmittelbarer, die Arbeitstätigkeiten werden ähnlicher, und damit wird auch ein intensiverer Erfahrungsaustausch möglich. Die agrochemischen Zentren (1978 gab es 257 ACZ mit 25692 ständig Berufstätigen 33 ) und Kreisbetriebe für Landtechnik entwickeln sich als Zentren der Arbeiterklasse auf dem Lande, die einen wachsenden Anteil an der landwirtschaftlichen Produktion haben. Immer stärker finden die Produktionserfahrungen der Genossenschaftsbauern zugleich auch Eingang in die Entwicklung neuer technischer Geräte, Maschinen und Anlagen, entfaltet sich eine wahrhaft schöpferische Neuerertätigkeit zwischen den Angehörigen beider Klassen. Erich Honecker wies auf die Bedeutsamkeit dieses Prozesses hin, als er feststellte: „Diese engere Zusammenarbeit von Genossenschaftsbauern und Arbeitern der Landwirtschaft mit den Werktätigen der anderen Bereiche der Volkswirtschaft, die direkt oder indirekt an der Nahrungsgüterproduktion beteiligt sind, kurzum, der sich herausbildende volkswirtschaftliche Agrar-Industrie-Komplex, ist ein Ausdruck der höheren Form des Bündnisses zwischen Arbeitern und Genossenschaftsbauern, das sich bei der Lösung der vor uns liegenden Aufgaben aufs neue bewähren wird." 34 Der Prozeß der sozialen Annäherung umfaßt auch die Entwicklung der Lebensweise der Klasse der Genossenschaftsbauern, der durch das Vorbild der Arbeiterklasse geprägt wird. Die Klasse der Genossenschaftsbauern wird immer mehr eine körperlich und geistig produzierende Klasse, deren Beitrag zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft an der Seite der Arbeiterklasse ständig größer wird. Die Führung der Arbeiterklasse befähigt — ganz im Gegensatz zu diffamierenden, antikommunistischen Behauptungen und Prophezeiungen bürgerlicher Ideologen — die Klasse der Genossenschaftsbauern zu diesem Entwicklungsprozeß. Die Realität unseres Lebens widerlegt die Behauptung, daß die soziale Annäherung nur eine Art Umschreibung dafür sei, daß die Herrschaft der Arbeiterklasse lediglich ein neuer Typ von „Eliteherrschaft" sei. Die soziale Annäherung der beiden Grundklassen vollzieht sich, weil und indem sich beide Klassen höherentwickeln, jede ihren eigenständigen, schöpferischen Beitrag zum sozialen Fortschritt leistet und sich infolgedessen allmählich, historisch gesehen, die Gemeinsamkeiten mehren und soziale Unterschiede zwischen ihnen verschwinden. In engem Zusammenhang mit der sozialen Annäherung von Arbeiterklasse und Klasse der Genossenschaftsbauern steht das Problem der Beziehungen von Stadt und Land. Das sind keine identischen Probleme, wenngleich vor 33 Statistisches Jahrbuch der DDR 1979, a. a. 0., S. 167. M E. Honecker, Reden und Aufsätze, Bd. 3, Berlin 1976, S. 491, 492.

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allem die Beziehungen der beiden Grundklassen auch das soziale Wesen der Beziehung von Stadt und Land ausmachen. Die territoriale Gliederung der Sozialstruktur ist nicht derart, daß „Land" gleichzusetzen ist mit Klasse der Genossenschaftsbauern. In Wirklichkeit leben auf dem Lande die Genossenschaftsbauern, erhebliche Teile der Arbeiterklasse, sozialistische Intelligenz und andere werktätige Schichten und soziale Gruppen. Die Gestaltung der Beziehungen zwischen Stadt und Land betrifft folglich in dieser oder jener * Weise stets die Sozialstruktur insgesamt. Verbesserungen der Lebensbedingungen auf dem Lande bedeuten zugleich auch eine Verbesserung der Lage bestimmter Teile der Arbeiterklasse. Unsere sozialistische Gesellschaft hat große Leistungen bei der Überwindung der historisch in den Klassengesellschaften gewachsenen wesentlichen Unterschiede zwischen Stadt und Land erreicht. — Völlig beseitigt ist der Antagonismus zwischen Stadt und Land; das Land ist nicht mehr das Ausbeutungsobjekt der Stadt, der Antagonismus ist aus den Beziehungen zwischen den in Städten und auf dem Lande lebenden Bevölkerungsgruppen verschwunden. Sie werden grundlegend geprägt durch die engen, freundschaftlichen Beziehungen zwischen Arbeiterklasse und Klasse der Genossenschaftsbauern, die das feste Fundament der wachsenden politisch-moralischen Einheit aller Klassen und Schichten und anderen sozialen Gruppen bilden. — Mit der Beseitigung des Gegensatzes sind die wesentlichen Unterschiede zwischen Stadt und Land noch nicht überwunden, die im Entwicklungsniveau der Produktivkräfte, im wissenschaftlich-technischen Niveau, im Vergesellschaftungsgrad der Produktion, in der gesamten Lebensweise historisch entstanden waren. Wesentliche Unterschiede existieren in der vor dem Sozialismus entstandenen Zersplitterung der Siedlungsstruktur, im Verkehrswesen, Wohnungswesen und auf anderen Gebieten. Die realen Auswirkungen sozialer Unterschiede wie auch ihre Wirkungsbedingungen sind durch die Wirtschaftsund Sozialpolitik z. T. bedeutend eingeengt worden und werden weiter gemindert. — Ein wesentlicher Ausdruck des historischen Fortschritts in den Beziehungen zwischen Stadt und Land ist die Durchsetzung des einheitlichen sozialistischen Bildungswesens. — Wesentliche Lebensbedingungen auf dem Lande werden denen der Stadt immer ähnlicher, so die Versorgung und das Netz der Versorgungseinrichtungen, das Verkehrswesen, die Dienstleistungen und die materiellen Bedingungen für eine kulturvolle Lebensweise, für eine sinnvolle Gestaltung der Freizeit, für Sport. Große Bedeutung haben das Wohnungsbauprogramm und die Siedlungspolitik der Partei für die weitere Überwindung wesentlicher Unterschiede zwischen Stadt und Land. Eine große und zunehmende Bedeutung in der Entwicklung der sozialen Struktur der sozialistischen Gesellschaft hat die sozialistische Intelligenz, das

166

Bündnis und die soziale Annäherung von Arbeiterklasse und Intelligenz. 35 Es liegt im Wesen der sozialistischen Gesellschaft begründet, daß sie den Gegensatz und die Trennung von Wissenschaft und Produktion aufhebt, die Wissenschaft zu einer unmittelbaren Produktivkraft erhebt und sie direkt in den Dienst der Verwirklichung der historischen Mission der Arbeiterklasse stellt. Entsprechend dem Sinn des Sozialismus und der Verwirklichung der Hauptaufgabe wächst die Rolle der Wissenschaft für die Entwicklung von Technik, Kultur, Bildung, des Gesundheitswesens, für die Beherrschung der gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse und alle anderen Gebiete des gesellschaftlichen Lebens schnell und umfassend an. Die Partei der Arbeiterklasse widmet der Ausbildung und Tätigkeit der sozialistischen Intelligenz, die mit der revolutionären Arbeiterklasse eng verbunden und ihr treu ergeben ist, größte Aufmerksamkeit. Im Ergebnis der Politik der Partei ist der Anteil der sozialistischen Intelligenz in der sozialen Struktur unserer Gesellschaft ständig gewachsen. Betrug er 1955 an den Berufstätigen etwa 4%, so 1976 bereits ca. 10%. Die Intelligenz ist damit die anteilmäßig zweitstärkste soziale Gruppe in der DDR. Sie rekrutiert sich überwiegend aus der Arbeiterklasse und der Klasse der Genossenschaftsbauern und ist ihrem sozialen Profil nach eine sozialistische Schicht, die unter Führung der Arbeiterklasse einen hervorragenden Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt leistet. „Für ihre soziale Zusammensetzung ist charakteristisch", heißt es im Programm der SED, „daß sie vor allem aus der Arbeiterklasse und der Klasse der Genossenschaftsbauern hervorgeht. Durch ihre Herkunft und Tätigkeit ist die Intelligenz in der sozialistischen Gesellschaft mit allen anderen Werktätigen unlösbar verbunden." 36 Diese unlösbare Verbindung, die es der Intelligenz ermöglicht, einen wachsenden Beitrag zur Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft zu leisten, beruht auf dem festen Fundament der gleichen Stellung zum sozialistischen Volkseigentum und zum sozialistischen Staat. Zwischen der Intelligenz und der Arbeiterklasse gibt es in dieser Hinsicht keine wesentlichen Unterschiede mehr. Zugleich entwickelt sich die Intelligenz auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus, die sie auch politisch-ideologisch untrennbar mit der führenden Arbeiterklasse verbindet. Die Sicherung der ständigen Reproduktion der Intelligenz insbesondere aus der Arbeiterklasse ist und bleibt eine grundlegende Aufgabe der Sozial- und Bildungspolitik der Partei. Soziale Unterschiede zwischen Arbeiterklasse und Intelligenz bestehen heute vor allem noch hinsichtlich ihres unterschiedlichen Platzes und ihrer unterschiedlichen Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und Unterschieden im Inhalt der Arbeit. Die Intelligenz leistet eine vorwiegend geistige Tätigkeit, die eine entsprechende Hoch- bzw. Fachschulbildung voraussetzt. Die soziale Schicht der Intelligenz umfaßt zahlreiche Gruppen, die sich ihrerseits 35 36

Siehe auch: Arbeiterklasse — Intelligenz — Studenten, Berlin 1976. Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, a. a. 0 . , S. 38, 39.

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durch ihre Beziehung zum materiellen Produktionsprozeß sowie durch die konkrete Ausprägung ihrer Lebensbedingungen und Lebensweise unterscheiden, deren komplexe Analyse eine unabdingbare Voraussetzung der Sozialpolitik ist. Die Arbeiterklasse entwickelt eine enge Zusammenarbeit mit allen Gruppen der Intelligenz, befähigt sie auf ihren Spezialgebieten, wie beispielsweise der Medizin, der Kunst, Wissenschaft und Technik, zu einem eigenständigen Beitrag zur Verwirklichung der Politik der Partei und hilft ihnen, ihr sozialistisches Profil immer deutlicher auszuprägen. In diesem Prozeß der schöpferischen Zusammenarbeit nähern sich Arbeiterklasse und Intelligenz einander in einem langen Zeitraum an. Das ist ein vielseitiger Prozeß, dessen wichtigste Aspekte und Formen sind: — die enge Gemeinschaftsarbeit zur Intensivierung der sozialistischen Produktion, zur Entwicklung neuer Technik und technologischer Verfahren und zur Durchsetzung der WAO, in deren Ergebnis die ökonomische und soziale Effektivität erhöht werden; dieser Prozeß ist mit der Schaffung von Arbeitsbedingungen verbunden, die die Arbeit leichter machen, den Arbeits- und Gesundheitsschutz verstärken und die geistigen Anforderungen der Arbeitstätigkeit erhöhen; — das gemeinsame Ringen um den wissenschaftlich-tcchnischen Fortschritt, die Verbreitung der sozialistischen Ideologie und Kultur, in dem sich ein wachsender Teil der Arbeiter, insbesondere der hochqualifizierten Facharbeiter, die neuen Erkenntnisse der Wissenschaft und Technik aneignet und von der wissenschaftlich-technischen Intelligenz die Fähigkeit lernt, schöpferisch zu arbeiten, neues Wissen anzueignen und es praktisch, schöpferisch anzuwenden. Dieser Aspekt der engen Zusammenarbeit fördert die politisch-ideologische Entwicklung, festigt die weltanschauliche Gemeinsamkeit und befähigt Arbeiter und Angehörige der Intelligenz immer besser, die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Arbeit zu verstehen und zum Leitmotiv praktischen Handelns zu machen. Immer größere Teile der Arbeiter werden durch dieses gemeinschaftliche Wirken angeregt, sich weiterzubilden und zu qualifizieren und zugleich ihr geistig-kulturelles Niveau zu heben; — die enge Verbindung der Angehörigen der wissenschaftlich-technischen Intelligenz mit der materiellen Produktion, mit den praktischen Fertigkeiten und Erfahrungen der Arbeiter im Prozeß gemeinsamer Arbeit. Sie erkennen die realen Arbeitsbedingungen deutlicher, woraus neue Impulse für die schöpferische Arbeit erwachsen. Zugleich wird der Intelligenz das Leben der Produktionsarbeiter vertrauter, werden im gemeinsamen Kampf um die Lösung der Aufgaben auch die Gemeinsamkeiten im Leben, in den Lebensgewohnheiten, im Denken und Handeln weiter ausgeprägt; — im Ergebnis der vorgenannten Prozesse entwickeln sich Produktionsbedingungen, wo Arbeiter hochqualifizierte Tätigkeiten in der materiellen Produktion ausüben, die das Ausbildungsniveau eines Ingenieurs oder Technikers erfordern, und wo Angehörige der wissenschaftlich-technischen Intelligenz

168

unmittelbar komplizierte materielle Produktionsprozesse durchführen. Mit der weiteren Mechanisierung und Automatisierung wird sich der Typ des Werktätigen in immer größerem Umfang herausbilden, der in seiner Tätigkeit wesentliche Merkmale der Arbeiterklasse und der Intelligenz vereinigt und in dessen Lebensbedingungen und -weise das Gemeinsame überwiegen und die wesentlichen Unterschiede überwunden sein werden; — wesentliche Aspekte der Annäherung von Arbeiterklasse und Intelligenz sind das wachsende Bildungs- und Qualifikationsniveau aller Teile der Arbeiterklasse, insbesondere der Industriearbeiter, und die Teilnahme an den Planungs- und Leitungsprozessen, an der Verwirklichung der gesellschaftlichen Angelegenheiten und am geistig-kulturellen Leben der Gesellschaft. Das gilt auch sinngemäß für die Annäherung von Genossenschaftsbauern und Intelligenz. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik unterstützen und fördern die soziale Annäherung der Klassen und Schichten, den Prozeß des Wachstums ihrer Gemeinsamkeiten und der allmählichen, schrittweisen Überwindung der sozialen Unterschiede, vor allem zwischen körperlicher und geistiger Arbeit und zwischen Stadt und Land. In diesem Prozeß sind auch die anderen sozialen Schichten, die Handwerker und Gewerbetreibenden einbezogen, denen die sozialistische Gesellschaft günstige Möglichkeiten bietet, „ . . . ihre Kräfte und Fähigkeiten im Interesse der Gesellschaft anzuwenden, am Aufbau der neuen Gesellschaft aktiv mitzuwirken und eine entsprechende Vergütung für ihre Arbeit zu erhalten. Von den Handwerkern und Gewerbetreibenden wird insbesondere ein wichtiger Beitrag zur Sicherung und Erweiterung der Dienstleistungen für die Bevölkerung erwartet." 3 7 In der sozialen Annäherung ist die Arbeiterklasse die führende Kraft, die den Inhalt, die historische Richtung, das Tempo dieses Prozesses bestimmt. Sie befähigt alle Klassen und Schichten zu einem aktiven Beitrag zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und zur schließlichen Herausbildung der klassenlosen Gesellschaft. Dieser historische Prozeß umfaßt die Entwicklung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, die Produktion, Lebensweise und Kultur, Bildung, Ideologie usw., wobei die entscheidende materielle Grundlage der Annäherung die sozialistische Produktion ist, die ständig bessere Durchsetzung der Gesetze der Ökonomie der Zeit und der ständigen Steigerung der Arbeitsproduktivität auf der Grundlage des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. In diesem Prozeß verändern sich Platz und Rolle der Klassen und Schichten in der gesellschaftlichen Produktion, vervollkommnet sich der Charakter der Arbeit, nähern sie sich einander an. Unter Beibehaltung der technologischen Arbeitsteilung und bestimmter Unterschiede zwischen körperlicher und geistiger Arbeit sowie zwischen Stadt und Land, verschwinden allmählich die Bedingungen für die sozialen Unterschiede, werden die sozialen Unterschiede aufgehoben, die heute noch existieren. 37 Ebenda, S. 39.

169

6.

Sozialistische Lebensweise und Bedürfnisbefriedigung

6.1.

Zur Bestimmung der sozialistischen

der Lebensweise Lebensweise

und zur weiteren

Entwicklung

Marx und Engels haben in ihren Werken aui die Komplexität der Lebensweise verwiesen, wobei sie zur Darstellung der Prozesse unterschiedliche Termini verwandten. Sie unterstrichen, daß sich die Lebensweise unter dem Einfluß der gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrer Gesamtheit und der Produktionsweise als wesensbestimmend herausbildet. In ihren Arbeiten gingen die Klassiker des Marxismus-Leninismus vor allem auf die Charakterisierung der Klassenlage der Arbeiterklasse ein und analysierten die Faktoren dieser Lage. Diese Faktoren bestimmen wesentliche Seiten der Lebensweise und beeinflussen sie. Jede Lebensweise ist Ausdruck der Art und Weise, in der die Menschen ihr Leben mit all seinen gesellschaftlichen Beziehungen gestalten. Jede Lebensweise ist an Klassen, Schichten und Bevölkerungsgruppen gebunden und wird durch die historische Entwicklung eines Landes in ihren spezifischen Zügen beeinflußt. Da jede Lebensweise Klassencharakter trägt, kann es z. B. im Kapitalismus keine für das ganze Volk einheitliche Lebensweise geben. Im Gegensatz dazu bildet sich im Sozialismus unter der zielgerichteten Gesamtpolitik des Staates allmählich die einheitliche sozialistische Lebensweise heraus. Sie ist Ausdruck der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, wobei in der DDR dieser Prozeß der Herausbildung einer einheitlichen Lebensweise des Volkes allmählich fortschreitet. Im Kapitalismus ist die Lebensweise der herrschenden Klassen auf der Ausbeutung der Werktätigen gegründet und dem Wesen nach der Lebensweise der Arbeiterklasse entgegengesetzt. Dabei versuchen die herrschenden Klassen, ihre Lebensweise als die allgemeingültige zu manipulieren und kleinbürgerliche Verhaltensweisen zu stimulieren. Bei der Kennzeichnung der Lebensweise jeder Klasse oder Schicht müssen alle Aspekte der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse erforscht werden. Dazu gehören die Produktionsverhältnisse, die Ideologie, die Moral, das Verhältnis zum Staat, die Beziehungen im Betrieb, in der Familie, im Wohnhaus. Auch die Arbeitsbedingungen, die soziale Lage (einschl. der von F. Engels erwähnten körperlichen und geistigen Lage), die geistig-kulturellen Bedingungen müssen analysiert werden. Ein klassisches Beispiel für eine derartige Untersuchung ist die Arbeit von Friedrich Engels „Die Lage der arbeitenden Klasse in England", in der Engels die Gesamtheit der politischen, ökonomischen, mo170

raiischen, ideologischen u n d juristischen Verhältnisse b e t r a c h t e t . Die B e g r ü n der des M a r x i s m u s weisen d e n engen Z u s a m m e n h a n g zwischen d e n o b j e k t i v e n E x i s t e n z b e d i n g u n g e n d e r W e r k t ä t i g e n u n d d e n Verhaltens- u n d Denkweisen d e r Arbeiterklasse u n d d e r w e r k t ä t i g e n B a u e r n n a c h . Sie zeigten die f ü r die Lage c h a r a k t e r i s t i s c h e n F a k t o r e n auf. Diese F a k t o r e n sind a u c h bei d e r U n t e r s u c h u n g d e r Lebensweise zu b e a c h t e n . Bei d e r D a r l e g u n g des Lebens der W e r k t ä t i g e n in d e r e n t w i c k e l t e n sozialistischen Gesellschaft u n d d e r H e r a u s b i l d u n g der sozialistischen Lebensweise m ü s s e n d e m n a c h die m a t e r i e l l e n ' u n d politisch-ideologischen L e b e n s b e d i n g u n g e n u n t e r s u c h t w e r d e n . Auf Basis dieser n e u e n L e b e n s b e d i n g u n g e n bildet sich eine in ihren H a u p t z ü g e n einheitliche Lebensweise h e r a u s . Die n e u e sozialistische Lebensweise k n ü p f t dabei a u c h an b e s t i m m t e Seiten d e r proletarischen Lebensweise der progressiven marxistisch-leninistischen K r ä f t e des Prol e t a r i a t s in d e r kapitalistischen Gesellschaft an, wie S o l i d a r i t ä t , r e v o l u t i o n ä r e n E l a n , Disziplin, A n e i g n u n g d e r marxistisch-leninistischen Ideologie. T y p i s c h f ü r die H e r a u s b i l d u n g der sozialistischen Lebensweise ist, d a ß kein I n t e r e s s e n g e g e n s a t z zwischen d e n sozialen G r u p p e n d e r B e v ö l k e r u n g b e s t e h t u n d d a ß wesentliche soziale U n t e r s c h i e d e allmählich v e r s c h w i n d e n . E s h a n d e l t sich also u m eine Lebensweise, „worin die freie E n t w i c k l u n g eines jeden die B e d i n g u n g f ü r die freie E n t w i c k l u n g aller i s t " . 1 In d e n l e t z t e n J a h r e n w u r d e eine Reihe von Definitionen e r a r b e i t e t , u m die sozialistische Lebensweise zu kennzeichnen. Schon v o r J a h r e n w u r d e definiert, d a ß die sozialistische Lebensweise A u s d r u c k der A r t u n d Weise ist, in der die von d e r Arbeiterklasse u n d ihrer P a r t e i g e f ü h r t e n W e r k t ä t i g e n ihr L e b e n m i t all den gesellschaftlichen Beziehungen gestalten. 2 I m P r o g r a m m d e r S E D von 1976 wird festgestellt, „ d a ß sich die für die entwickelte sozialistische Gesellschaft charakteristische Art und Weise des gesellschaftlichen Lehens und individuellen Verhaltens in allen Lebensbereichen i m m e r m e h r a u s p r ä g t " . „Die sozialistische Lebensweise ist in d e r sozialistischen P r o d u k t i o n s w e i s e b e g r ü n d e t u n d schließt die stetige H e b u n g des materiellen u n d geistigen L e b e n s n i v e a u s e i n . " 3 In der f l S S R wird meistens folgende Definition b e n u t z t : „Die Lebensweise ist eine historisch b e s t i m m t e F o r m , in der die Gesellschaft ihre E x i s t e n z reprod u z i e r t u n d e n t f a l t e t . Sie ist d a h e r ein K o m p l e x d e r L e b e n s ä u ß e r u n g e n u n d der T ä t i g k e i t , mittels welcher die Menschen ihre B e d ü r f n i s s e befriedigen, die materiellen B e d i n g u n g e n ihrer E x i s t e n z n u t z e n u n d d a b e i in wechselseitige gesellschaftliche Beziehungen t r e t e n im R a h m e n d e r Verhältnisse, die f ü r die gegebene ökonomische Gesellschaftsformation t y p i s c h sind." 4 1 2

3 i

F. Engels, Grundsätze des Kommunismus, in: MEW, Bd. 4, Berlin 1970, S. 375. Autorenkollektiv, Das materielle und kulturelle Lebensniveau des Volkes und seine volkswirtschaftliche Planung, Berlin 1975, S. 44/45. Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1976, S. 53. Autorenkollektiv (unter Ltg. von G. Manz), Lebensweise und Lebensniveau im Sozialismus, Berlin 1977, S. 11, Fußnote 5.

171

In anderen Beiträgen wird zur Lebensweise gesagt, daß sie „konzentrierter Ausdruck der ökonomischen, sozialen, politischen lind geistigen Verhältnisse, die in einer Gesellschaft herrschen," ist. 5 In der sowjetischen Literatur wird die Lebensweise u. a. bezeichnet als „die Gesamtheit der Formen der Lebenstätigkeit der Menschen in untrennbarer Einheit mit den Bedingungen der sozialistischen Wirklichkeit" 6 . Ungeachtet dieser Vielfalt der Definitionen gibt es wesentliche Übereinstimmung der Grundtendenzen. Folgende allgemeine Gesichtspunkte für die Lebensweise und darüber hinaus die sozialistische sind deutlich erkennbar: — Die Lebensweise einer Klasse oder Schicht wird ihrem Wesen nach von der Gesellschaftsformation bestimmt. Die Produktionsweise ist die entscheidende Grundlage für die Herausbildung der Lebensweise einer Klasse. — Die Lebensweise existiert immer als Lebensweise einer Klasse. Erst im entwickelten Sozialismus kann sich eine einheitliche sozialistische Lebensweise herausbilden. — Die Menschen äußern ihr Leben stets als gesellschaftliche Verhältnisse. Bei allen Lebensäußerungen hat die Tätigkeit in der Produktion das Primat. — Historische Entwicklungsprozesse, geographische Bedingungen wirken auf die Lebensweise ein, so daß nationale Unterschiede bei gleichem gesellschaftlichem Inhalt zu sehen sind. — Die sozialistische Lebensweise ist nicht einfach die Summe der individuellen Lebensformen; sie ist Äußerung des gesellschaftlichen Bewußtseins und der neuen Qualität sozialer Beziehungen. — Die Tätigkeiten des Menschen in der Produktion nebst der Gestaltung sozialer Beziehungen im Arbeitsprozeß gehören zur sozialistischen Lebensweise und fördern die Persönlichkeitsentwicklung entscheidend. — Die sozialistische Lebensweise ist die charakteristische Art und Weise des individuellen Verhaltens und der Herstellung gesellschaftlicher Beziehungen in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. — Die sozialistische Lebensweise entsteht als Lebensweise der Arbeiterklasse unter Führung der Partei der Arbeiterklasse. Sie beruht auf den sozialistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen. Sie entwickelt sich zu einer einheitlichen sozialistischen Lebensweise. — Die sozialistische Lebensweise ist geprägt von gesellschaftlich nützlicher Arbeit und aktiver Teilnahme an der Leitung und Planung gesellschaftlicher Aufgaben. Wesensfremd sind ihr Handlungen wie Egoismus, Raffgier, Spießertum. — Die ständige Erhöhung des Lebensniveaus ist für die weitere Gestaltung der sozialistischen Lebensweise erforderlich. 5

H. Koziolek, Probleme der sozialistischen Lebensweise und Intensivierung, in: Wirtschaftswissenschaft, 11/1975, S. 1601. ® F. Fedoseev, Teoreticeskie problemy razvitogo socializma i kommunisticeskogo stroitel'stva, in: Kommunist, 15/1976, S. 53.

172

Die Kennzeichnung der Lebensweise, insbesondere der sozialistischen Lebensweise, läßt erkennen, daß eine Reihe unterschiedlicher Ebenen und Aspekte bestehen. Eine gewisse Vereinfachung läßt folgende Zusammenhänge sichtbar werden: 1. Grundlagen der Lebensweise: 2. Faktoren der Lebensweise:

3. Merkmale der Lebensweise: (Bestandteile, Komponenten) 4. Erscheinungsweise der Lebensweise:

Produktionsweise, Staat und Recht, gesellschaftliches Bewußtsein; Produktionsverhältnisse, gesellschaftliche Verhältnisse, Moralnormen, Nationalreichtum, geistige Kultur, Lebensniveau als ökonomische Voraussetzung, Lage der Klasse, geographische Einflüsse; Verhalten, Denken, Emotionen, konkrete Herstellung sozialer Beziehungen, Tätigkeiten, Lebensäußerungen, Art und Weise der gesamten Bedürfnisbefriedigung, Gewohnheiten auf Basis Traditionen; Lebensstil, Lebensart des Individuums und bestimmter sozialer Gruppen

Der in der bürgerlichen, vor allem sozialdemokratischen Literatur oft verwandte Begriff der „Lebensqualität" ist als politischer Slogan entstanden. Er kennzeichnet: — das wachsende Unbehagen über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die soziale Differenzierung zu Lasten der Werktätigen und über die Millionen Arbeitslosen, — die steigende Umweltverschmutzung und -Vergiftung, auch der Weltmeere, durch übernationale Monopole, — die Diskriminierung der weiblichen Beschäftigten und der kinderreichen Familien, — die Bildungs- und Kulturmisere, — die wachsende Kriminalität, die viele kapitalistische Millionenstädte selbst am Tage „unsicher macht", — die Manipulierung breiter Massen durch Milliardenaufwendungen für Reklame und angesichts der Hungersnot in unterentwickelten kapitalistischen Staaten. Unter diesen Bedingungen tritt die Frage nach dem Sinn des Lebens bei vielen Werktätigen immer mehr in den Vordergrund. Hinzu kommt, daß als Folge der Wirtschaftskrise größere Widersprüche bei der Manipulierung vieler Menschen zum Erwerb von Konsumgütern und Dienstleistungen auftreten. Auch der Slogan der Lebensqualität wird deshalb unterschiedlich intensiv benutzt. Er wird sowohl hochgespielt als auch kaum erwähnt, wenn andere Begriffe oder laut verkündete futurologische Gesichtspunkte dies zweckmäßig machen. 173

Die Forderung nach einer besseren Lebensqualität im Kapitalismus, speziell in den Ländern des staatsmonopolistischen Kapitalismus, entspricht objektiven Prozessen. Für die Sozialdemokratie ist damit insbesondere der Versuch verbunden, das System mittels Reformen zu „verbessern", u m somit das Leben der Werktätigen zu „verändern". Selbstverständlich ist jede Verbesserung der Lage der Werktätigen ein Erfolg, der meistens hart erkämpft werden muß. Vom Wesen her läßt sich die Qualität des Lebens im Kapitalismus nicht grundlegend verbessern. Wenn man diesen Begriff sachlich betrachtet, so ist festzustellen, daß jede Lebensweise eine bestimmte Qualität einschließt. Dieser qualitative Aspekt ist im Verhalten, in den sozialen Beziehungen, in der Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung, in den Tätigkeiten nachzuweisen. Die sozialistische Lebensweise ist geprägt von einer hohen Qualität des Lebens, die mit der der kapitalistischen Gesellschaft nicht vergleichbar ist. Bestimmte ähnliche Merkmale bei der proletarischen Lebensweise progressiver Kräfte der Werktätigen im staatsmonopolistischen Kapitalismus und bei der sozialistischen Lebensweise sind vorhanden, wenn es um politische und ideologische Aufgaben der Arbeiterklasse geht. Sozialistische Lebensweise und Persönlichkeitsentwicklung bedingen einander. Die sozialistische Persönlichkeit handelt entsprechend den Prinzipien der sozialistischen Lebensweise. Sie setzt mit ihrem Auftreten, ihren Lebensäußerungen, ihrem Verhalten die sozialistische Lebensweise durch. Die sozialistische Lebensweise verwirklicht sich also über die sich entwickelnde sozialistische Persönlichkeit, die sich durch schöpferisches Arbeiten, Hilfsbereitschaft, Solidarität, aktive gesellschaftliche Tätigkeit, Interesse an Kultur und Bildung u. a. m. auszeichnet, d. h., hierin zeigt sich ihre Auswirkung. Diese konkrete Persönlichkeitsentwicklung läßt sich z. T. in Richtzahlen, auch Normen ausdrücken. Darüber wurde schon wiederholt diskutiert. Solche Richtgrößen oder Anforderungen betreffen sowohl die Arbeit im Betrieb, also im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß, als auch das Leben, die Tätigkeiten in der Familie, in der Hausgemeinschaft und außerhalb des Wohngebietes. Derartige Festlegungen finden bereits ihren Niederschlag in den Wettbewerbsprogrammen. Dort werden Zielsetzungen für die Disziplin, das Verhalten, für die Qualität der Arbeit, Patenschaften, geistig-kulturelles Leben gestellt. Hier gibt es demnach eine direkte Verbindung zwischen Richtgrößen der Lebensweise und Persönlichkeitsentwicklung. Diese Seite steht mit dem Plan in engem Zusammenhang, ohne direkt Planbestandteil zu sein. Ihre Wirkung zeigt sich im Zusammenhang mit dem Wettbewerb, mit dem Prozeß der Leitung und Planung volkswirtschaftlicher Aufgaben. Die Tätigkeiten als Ausdruck der sozialistischen Lebensweise lassen sich vom Standpunkt der Zeitverwendung über das Zeitbudget der Bevölkerung erfassen. Das Zeitbudget bietet wertvolle Aussagen zum Verhältnis von Arbeitszeit und arbeitsfreier Zeit und Freizeit. Es analysiert die Zeitverwendung 174

bei Männern und Frauen, bei Beschäftigten und Nichtberufstätigen, bei Verheirateten und Unverheirateten, bei Frauen mit Kindern und Frauen ohne Kinder usw. Dennoch gibt es für die Planung Grenzen, denn die Arbeitsverteilung in der Familie und der Gewinn von mehr Freizeit für die Frauen und Mütter läßt sich nicht einfach planen. Hier sind die ideologische Erziehung von Kindheit an und die Vorbildwirkung in der Familie bestimmend. Auch die Verwendung der Freizeit ist nicht unmittelbar durch Planaufgaben durchzusetzen. Es gilt Bedürfnisse zu wecken, die einer nützlichen und sinnvollen Verwendung der Freizeit dienen. Diese Stimulierung bestimmter Freizeittätigkeiten hängt sehr stark von den Bedingungen der sozialen Infrastruktur ab. Insofern wird über die Planung der sozialen und auch der materielltechnischen Infrastruktur unmittelbar und wirksam auf die Bedürfnisentwicklung und -befriedigung eingewirkt. Dieses Schaffen von Bedingungen trifft auf viele Bereiche der sozialistischen Lebensweise zu. Bei der Zeitverwendung wird dieses besonders deutlich, weil es hierbei um konkrete, meßbare Größenordnungen geht. Das Hauptproblem liegt zur Zeit darin, von den Vorstellungen, ' Richtgrößen, Normen der Herausbildung der sozialistischen Lebensweise zu Normativen für die Volkswirtschaftsplanung zu kommen. Diese Normative bieten die Möglichkeit, die Bedingungen planmäßig zu gestalten, die der Herausbildung der sozialistischen Lebensweise dienen. Eine direkte Planung der Lebensweise im Sozialismus ist bisher nur in relativ engen Grenzen möglich; dagegen kann über die Gestaltung entsprechender Bedingungen Einfluß auf die Entwicklung der Lebensweise genommen werden. Zu den nächsten Aufgaben, gerade für die territoriale Planung, gehört die Erarbeitung vielfältiger Normative — eine Reihe wichtiger Normative liegt bekanntlich vor —, von denen die Gestaltung der sozialen Infrastruktur abgeleitet werden kann. Dazu sind Mindest- und Maximal Varianten notwendig.

6.2.

Die Bedürfnisse der Bevölkerung und ihre Befriedigung

Eine begründete sozialpolitische Zielstellung hängt immer vom erreichten ökonomischen Niveau und den wirtschaftlichen Potenzen (einschl. Ressourcen) ab. Eine stabile Wirtschaftsentwicklung schafft die Basis für die Befriedigung der individuellen und unmittelbar gesellschaftlichen Bedürfnisse und damit für Maßnahmen, die zur planmäßigen Bedürfnisbefriedigung führen. Eine hohe Effektivität der gesellschaftlichen Produktion wird immer mehr zur Hauptbasis bei der Lösung sozialer Aufgaben.

175

6.2.1.

Die gesetzmäßige Entwicklung Bedürfnisse der Bevölkerung

der ökonomisch

determinierten

Die Bedürfnisse der Bevölkerung entstehen im Prozeß der objektiven Auseinandersetzung des Menschen mit seiner natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt. Diese Auseinandersetzung bezieht sich auf alle Lebensbereiche des Menschen, wobei die entscheidenden Wirkungen vom Arbeitsprozeß und den gesellschaftlichen Verhältnissen, unter denen der Arbeitsprozeß und alle weiteren Lebensprozesse stattfinden, ausgehen. Diese ständige und aktive Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt und ihre immer bewußtere Beherrschung durch ihn führen zu wechselseitigen Veränderungen der Menschen einerseits und der Umweltbedingungen andererseits. Im Ergebnis dessen entstehen nicht nur die Bedürfnisse, sondern die vorhandenen wachsen und verändern sich. Die Herausbildung der Bedürfnisse, ihre Entwicklung und Veränderung ist ein objektiver Prozeß. Die hauptsächlichen Faktoren, die die gesetzmäßige Entwicklung der Bedürfnisse der Bevölkerung bestimmen, sind die Produktionsverhältnisse, die Produktivkräfte, die Gesamtheit des politischen und ideologischen Überbaus sowie die bestehenden Bedingungen und das Niveau der Bedürfnisbefriedigung. Lenin kam, gestützt auf Aussagen von Marx, durch die Analyse dieser Faktoren bei der Entwicklung des Kapitalismus in Rußland zu der Erkenntnis, daß die Bedürfnisse gesetzmäßig anwachsen. 7 Die gesetzmäßige Entwicklung der Bedürfnisse führt unter sozialistischen Bedingungen vor allem zu einem — schnellen Anwachsen der Bedürfnisse der Bevölkerung, — zur wachsenden Universalität und Komplexität einerseits, Vielfalt und Differenziertheit der Bedürfnisse anderseits, — zur Ausprägung des sozialistischen Charakters der Bedürfnisse entsprechend der Entwicklung der sozialistischen Lebensweise. Diese Entwicklungsprozesse verlaufen sehr differenziert, d. h., daß eine Vielzahl von Einzeltendenzen wirksam ist, Bedürfnisse sich teils schneller, teils langsamer entwickeln, verschiedene Bedürfnisse absterben und neue Bedürfnisse entstehen. Der objektive Charakter der Bedürfnisse ist für die Gestaltung ihrer Befriedigung von entscheidender Bedeutung. Da den Bedürfnissen der Menschen stets das Verlangen zu ihrer Befriedigung immanent ist, dieses durch objektive Faktoren bestimmt wird, gehen von den Bedürfnissen bestimmte objektive Erfordernisse an die Befriedigung aus. Sie kann also nicht willkürlich erfolgen, sondern muß stets die Bedürfnisse in ihrem Auftreten und in ihrer Entwicklung berücksichtigen. 7

Vgl. W. I. Lenin, Zur sogenannten Frage der Märkte, in: Werke, Bd. 1, Berlin 1968, S. 98.

176

Die Ursachen des Vorauseilens sind im besonderen Charakter der Bedürfnisse als Subjekt-Objekt-Dialektik begründet. Durch die relative Selbständigkeit des Bewußtseins ist es möglich, Aussagen über künftige Prozesse zu machen, bereits Bedürfnisse herauszubilden, ohne daß die Mittel zu ihrer Befriedigung schon produziert sind oder andere gesellschaftliche Bedingungen zur Befriedigung der Bedürfnisse geschaffen sein müssen. Das Auftreten der Eigenschaft des Vorauseilens sowie seine Grundrichtung sind ebenfalls gesellschaftlich determiniert und objektiv. Die vorauseilenden Bedürfnisse entspringen aus dem gegenwärtigen Stand der Produktion, des Austausches, des Verbrauchs und des Überbaus, in ihnen wirken aber bereits sich abzeichnende oder zukünftig mögliche Veränderungen dieser Einflüsse. Das Vorauseilen der Bedürfnisse ist sehr differenziert. Es erhebt nicht unbedingt den Anspruch, daß die Bedürfnisse sofort befriedigt werden müssen, es löst aber die Impulse für eine rasche Entwicklung der Produktion der betreffenden Güter und Dienstleistungen aus. In einem bestimmten Zeitraum sind jeweils vorauseilende Bedürfnisse mit hoher, mittlerer und relativ niedriger Dringlichkeit hinsichtlich der zu schaffenden Mittel zu ihrer Befriedigung zu unterscheiden. Das hängt davon ab, wie schnell bzw. in welchem Ausmaß neue Bedürfnisse zu notwendigen Bedürfnissen werden. Hinsichtlich der gesellschaftlichen Anerkennung der Bedürfnisse ergibt sich aus dem ständigen gesetzmäßigen und differenzierten Vorauseilen, daß die Bedürfnisse nur in dem Umfang, in der Struktur und Qualität befriedigt werden können, wie die volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen geschaffen sind, d. h., die gesellschaftliche Anerkennung der Bedürfnisse ist ein ständiger und notwendiger Prozeß zur Lösung des Widerspruchs zwischen den vorauseilenden Bedürfnissen der Bevölkerung und den Möglichkeiten ihrer Befriedigung. Die Bedürfnisse haben nicht nur solche charakteristischen Eigenschaften wie ihre objektive Bestimmtheit und das Vorauseilen, sondern die Bedürfnisse der Menschen verhalten sich im Prozeß der Befriedigung unterschiedlich. Die Ursache dafür besteht letztlich darin, daß die Bedürfnisse vor allem aus den gesellschaftlichen Verhältnissen erwachsen. Karl Marx charakterisierte diese Erscheinung als relative Natur der Bedürfnisse. Er schrieb: „Unsre Bedürfnisse und Genüsse entspringen aus der Gesellschaft; wir messen sie daher an der Gesellschaft; wir messen sie nicht an den Gegenständen ihrer Befriedigung. Weil sie gesellschaftlicher Natur sind, sind sie relativer Natur." 8 Die Bedürfnisse der Bevölkerung durchlaufen in ihrer Entwicklung, insbesondere in ihrer Wachstumsphase, verschiedene Stadien, im allgemeinen ein Entwicklungsstadium und ein notwendiges Stadium. In ihrem Entwicklungsstadium sind die Bedürfnisse im allgemeinen noch nicht genau fixiert, sie umfassen mehr bestimmte Vorstellungen, eilen den volkswirtschaftlichen 8 K. Marx, Lohnarbeit und Kapital, in: MEW, Bd. 6, Berlin 1959, S. 412. 12 Manz/Winkler

177

Möglichkeiten noch weit voraus und sind für den Hauptteil der Bevölkerung noch nicht so dringlich. Mit der stetigen Verbreitung und Ausprägung des Bedürfnisses und der einsetzenden Befriedigung z. B. durch konkrete Konsumgüter und Dienstleistungen wächst das Entwicklungstempo der Bedürfnisse und erhält zunehmend Massencharakter. Ihre Befriedigung wird immer akuter oder dringlicher. Das Bedürfnis wird zu einem ökonomischen Ausgangspunkt oder Faktor. 9 Dieses Stadium der Entwicklung der Bedürfnisse wird als notwendige Phase, die Bedürfnisse als notwendige Bedürfnisse bezeichnet. Hierbei treten wesentliche sozialpolitische Anforderungen mit auf. Das notwendige Bedürfnis bringt das in einer Gesellschaft, Klasse oder Schickt sich historisch herausgebildete gesellschaftlich durchschnittliche Bedürfnis zum Ausdruck.

Die notwendigen Bedürfnisse charakterisieren also einen ganz bestimmten Grad ihrer Dringlichkeit; sie zeigen an, daß die Zeit herangereift ist, durch wirtschaftsund sozialpolitische Zielsetzungen die Bedürfnisse in dem sich herausgebildeten Ausmaß zu befriedigen. Zu einem solchen notwendigen Bedürfnis war z. B. in der DDR das Bedürfnis nach Wohnen herangereift. Das Bedürfnis nach Wohnen ist kein neues Bedürfnis, sondern so alt wie die Menschheit selbst. In seiner geschichtlichen Entwicklung hat es bereits verschiedene, der jeweiligen historischen Etappe entsprechende notwendige Stadien durchlaufen. Gegenwärtig ist es charakterisiert als Bedürfnis nach einer dem durchschnittlichen Komfort entsprechenden Wohnung (moderne Heizung, sanitäre Einrichtungen), die mit dem Wohngebäude in den Ansprüchen der Bevölkerung genügenden komplexen Wohngebieten integriert ist. In einem bestimmten Zeitraum bestehen jeweils verschiedene Stadien der Bedürfnisentwicklung nebeneinander. Ein großer Teil der Bedürfnisse der Bevölkerung sind Bedürfnisse mit ständiger hoher Dringlichkeit. Das sind vor allem diejenigen Bedürfnisse, die überwiegend mit der physischen Existenz des Menschen verbunden sind, den bestehenden objektiven Reproduktionserfordernissen des Menschen in einer ganz konkreten historischen Entwicklungsetappe entsprechen und deren Befriedigung im allgemeinen als selbstverständlich betrachtet wird. Daneben bestehen neu auftretende notwendige Bedürfnisse, die aus neuen Reproduktionserfordernissen erwachsen, und künftige Bedürfnisse. Das Erkennen insbesondere der neu auftretenden notwendigen Bedürfnisse ist sehr wichtig, um die richtigen Schwerpunkte im Prozeß der gesellschaftlichen Anerkennung der Bedürfnisse zu setzen. Die gesellschaftliche Anerkennung der Bedürfnisse muß zunächst das bisher erreichte Niveau der Bedürfnisbefriedigung in Umfang und Struktur gewährleisten. Damit ist bereits Richtung und Ausmaß der gesellschaftlichen Anerkennung im wesentlichen vorherbestimmt. 9

Vgl. auch K. K. Waltuch, Entwicklungsproportionen und Befriedigung der Bedürfnisse, Berlin 1972, S. 15.

178

6.2.2.

Der Prozeß

der gesellschaftlichen

Anerkennung

der

Bedürfnisse

Ausgehend vom Entwicklungsprozeß der Bedürfnisse, ist die Zielsetzung ihrer Anerkennung festzulegen, wobei Umfang und Richtung dieser gesellschaftlichen Anerkennung wesentlich von den vorhandenen Möglichkeiten bestimmt werden. Wie diese Möglichkeiten beschaffen sind oder entwickelt werden können, davon hängt wiederum das Ausmaß und die Lösung des Widerspruchs zwischen den wachsenden Bedürfnissen und den vorhandenen Möglichkeiten ihrer Befriedigung ab. Zu den politisch-gesellschaftlichen Möglichkeiten gehören der Reifegrad der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, der Charakter der Arbeit, die Beziehungen der Menschen in und außerhalb der sozialistischen Produktion, das Bildungsund Kulturniveau der Werktätigen, die Ausprägung sozialistischer Verhaltensweisen, Rechtsnormen, Moralnormen und Gewohnheiten. Die ökonomisch/ gesellschaftlichen Möglichkeiten umfassen den Entwicklungsstand der sozialistischen Volkswirtschaft und der Produktivkräfte, das jährlich geschaffene volkswirtschaftliche Gesamtprodukt, den Nationalreichtum, Umfang und Struktur der volkswirtschaftlichen Ressourcen u. a. Der Prozeß der gesellschaftlichen Anerkennung dient der Gestaltung der Bedürfnisbefriedigung, er darf aber keineswegs so verstanden werden, daß auf der einen Seite die Bedürfnisse existieren und sich entwickeln und auf der anderen Seite diesen die Möglichkeiten gegenüberstehen und damit die Grenzen der Befriedigung abgesteckt sind, denn — erstens werden die Bedürfnisse selbst ständig von den politischen und ökonomischen Bedingungen bestimmt und — zweitens sind die Voraussetzungen der Bedürfnisbefriedigung in der sozialistischen Gesellschaft im Sinne der Bedürfnisentwicklung durchaus veränderbar. Dieser Anerkennungsprozeß umfaßt alle menschlichen Bedürfnisse, d. h. alle Lebensprozesse des Menschen. Geht man von diesen Lebensprozessen aus, dann ist etwas vereinfacht eine entsprechende Gruppierung der Bedürfnisse der Bevölkerung vorhanden: 1. Soziale Bedürfnisse (z. B. Arbeit, zwischenmenschliche Kontakte) 2. Biologisch-physiologische Bedürfnisse (z. B. Schlaf, Hygiene) 3. Politisch-ideologisch bedingte Bedürfnisse (z. B. gesellschaftliche Tätigkeiten) 4. ökonomisch bedingte Bedürfnisse (z. B. Arbeitsbedingungen, Konsumgüter, Dienstleistungen) Natürlich sind diese Bedürfnisgruppen miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig.10 Insbesondere die ökonomisch bedingten Bedürfnisse sind hinsichtlich der Bedürfnisbefriedigung mit nahezu allen anderen Bedürfnissen verflochten (vgl. Abbildung 3). Es bestehen auch andere Gruppierungsmöglichkeiten wie materielle, geistig-kulturelle sowie soziale Bedürfnisse oder produktive und nichtproduktive u. a. m. 42*

179

Abb. 3 Die gesellschaftlichen Bedürfnisse (vereinfacht) * Sie werden auch als gesamtgesellschaftliche Bedürfnisse oder allgemein gesellschaftliche Bedürfnisse bezeichnet. Hier als konsumtive verstanden. * * Geistig-kulturelle Bedürfnisse sind zu einem großen Teil dieser Gruppe zuzurechnen. Die Befriedigung der individuellen Bedürfnisse der Bevölkerung hängt weitgehend vom Prozeß der gesellschaftlichen Anerkennung ab. Diese Anerkennung umfaßt auch gesellschaftliche Normen, darunter juristisch fixierte (z. B. Verfassung der D D R , gesetzliche Bestimmungen), in denen auch die sozialen Grundrechte garantiert werden; moralische Normen, die das Zusammenleben der Menschen betreffen, und die Gestaltung der räumlichen Existenzbedingungen. Die Sozialpolitik ist mit der Anerkennung der Bedürfnisse in ihrer Gesamtheit verbunden, was besonders auf die weitere Gestaltung der sozialistischen Lebensweise wirkt.

180

Unter sozialpolitischem Aspekt spielen außer den politisch-ideologischen und ökonomischen auch die sozialen Bedürfnisse eine spezifische Rolle. Sie sind Ausdruck der Herstellung sozialer Beziehungen zwischen den Menschen und zwischen Kollektiven. In ihnen zeigen sich die bereits erläuterten Verhältnisse der Kollegialität, gegenseitigen Unterstützung, Solidarität. Sie hängen eng mit den politisch-moralischen Bedürfnissen zusammen, die vor allem der Bewußtseinsbildung, der Förderung gesellschaftlicher Aktivitäten, der Erhöhung des Bildungsniveaus dienen. In den folgenden Ausführungen wird der Anerkennungsprozeß nur auf den ökonomischen Bereich bezogen und in Verbindung mit der Erhöhung des Lebensniveaus dargestellt. Dieser planmäßige Prozeß der Bedürfnisbefriedigung, der auf der gesellschaftlichen Anerkennung der Bedürfnisse beruht, verläuft stufenförmig und ist Bestandteil der einheitlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die erste Stufe ist die Erforschung der objektiven Entwicklungstendenzen der Bedürfnisse und der Produktion für einen längeren Vorhersagezeitraum als Vorbereitung der Anerkennung. Die Erforschung der individuellen Bedürfnisse der Bevölkerung umfaßt im wesentlichen — die Ermittlung des derzeitig bekannten oder einschätzbaren Ausmaßes der Bedürfnisse (künftige Bedürfnisse) nach Bedürfniskomplexen — die Ermittlung der auf ökonomische Mittel und Bedingungen gerichteten Bedürfnisse wie nach Konsumgütern und Dienstleistungen, der räumlichen und zeitlichen Bedingungen usw. Die Erforschung der volkswirtschaftlichen Möglichkeiten umfaßt im wesentlichen — die Entwicklung von Wissenschaft und Technik und des Auftretens neuer Konsumgüter oder Nutzensmöglichkeiten von Dienstleistungen und anderen Bedingungen (Umwelt, materielle Arbeitsbedingungen), — Analyse der Kapazitätsentwicklung der Volkswirtschaft nach Bereichen und Erzeugnisgruppen, — Analyse der volkswirtschaftlichen Ressourcen, — die Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration. Die erste Stufe wird dabei vor allem einen langfristigen Planungszeitraum (15 bis 20 Jahre) betreffen, aber in Entscheidungen zum nächstfolgenden Fünfjahrplan münden müssen. Das setzt voraus, daß in dieser Phase Bedürfnisse und Aufkommen quantitativ und qualitativ in den Grobstrukturen bilanziert sind und die wichtigsten volkswirtschaftlichen Proportionen berechnet werden. Durch die Erforschung der Bedürfnisse einerseits und der Produktionsentwicklung anderseits sind die von den Bedürfnissen ausgehenden Anforderungen an die sozialistische Volkswirtschaft bekannt. Es wird aber auch sichtbar, welche Wirkungen von den Produktionsbedingungen auf die Entwicklung und bewußte Beeinflussung der Bedürfnisse ausgehen. Entsprechend dem ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus muß die Grund181

richtung der Produktionsentwicklung mit den Bedürfnissen in Einklang stehen. Das ist desto eher möglich, je weiter der Planungszeitraum gefaßt wird. Die erste Stufe der gesellschaftlichen Anerkennung entscheidet daher vor allem über sozialpolitische Schwerpunkte der Bedürfnisbefriedigung in einem längeren Zeitraum. Die zweite Stufe des gesellschaftlichen Anerkennungsprozesses umfaßt die Bestimmung des notwendigen Bedürfnisses durch die Analyse aller Faktoren über Umfang und Struktur der Bedürfnisbefriedigung für den langfristigen und den Fünfjahrplanzeitraum. Ausgangspunkt ist wiederum die Erforschung der Bedürfnisse, wobei der Konkretheitsgrad und die Zuverlässigkeit der Aussagen entsprechend höher sind. Das trifft auch auf die Analyse der volkswirtschaftlichen Möglichkeiten zu. Für die zweite Stufe ist charakteristisch, daß die beschränkenden Faktoren der Bedürfnisbefriedigung insbesondere durch die Produktionsentwicklung und die Sicherung des einmal erreichten Niveaus der Bedürfnisbefriedigung stärker hervortreten. Im einzelnen müssen folgende Aussagen erarbeitet werden: — Umfang und Struktur der Bedürfnisse der Bevölkerung, Ermittlung der vorrangigen Bedürfnisse für den Zeitraum von fünf Jahren, — Entwicklung der sozialistischen Volkswirtschaft insgesamt und nach Erzeugnisgruppen einschließlich der Erfordernisse der Sicherung wichtiger volkswirtschaftlicher Proportionen, — Erfordernisse des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung, — sozialpolitische Erwägungen zur Sicherung einer notwendigen Bedürfnisbefriedigung für alle Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft, — Vorstellungen über die Durchsetzung einer sozialistischen Bedürfnisbefriedigung (Inhalt, Formen), — Vorstellungen über die Entwicklung der Klassen und Schichten der sozialistischen Gesellschaft, — Entwicklung des Nationaleinkommens und des Umfangs der einsetzbaren gesellschaftlichen Fonds, — demographische und territoriale Anforderungen an die Bedürfnisbefriedigung u. a. Zwischen diesen verschiedenen Ausgangspunkten und Zielgrößen findet ein komplizierter iterativer Bilanzierungsprozeß statt, der die wirtschaftspolitischen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung einschätzt. Diese Phase betrifft einmal in materieller Hinsicht die Bestimmung der wichtigsten volkswirtschaftlichen Proportionen, insbesondere die Verwendung des Nationaleinkommens in Akkumulations- und Konsumtionsmittel und Umfang und Struktur des volkswirtschaftlichen Endproduktes sowie die Grundrichtungen der Bedürfnisbefriedigung im Fünfjahrplanzeitraum, darunter — die materielle Sicherung der Bedürfnisbefriedigung in Umfang und Struktur (entsprechend den Bestandteilen des sozialistischen Lebensniveaus),

182

— konzeptionelle Vorstellungen über die Durchsetzung einer bestimmten Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung, des Verhältnisses von Konsumgütern und Dienstleistungen bei verschiedenen Bedürfniskomplexen sowie — die Grundrichtungen der Distribution, insbesondere das Verhältnis zwischen Arbeitseinkommen und den Einkommen aus gesellschaftlichen Fonds. Die dritte Stufe leitet die unmittelbare gesellschaftliche Anerkennung der Bedürfnisse, also die konkrete Gestaltung der Bedürfnisbefriedigung, ein. Sie umfaßt die gesamte materielle und finanzielle Sicherung der geplanten Bedürfnisbefriedigung in Gestalt der Festlegung der Planziele. In erster Linie geht es hier um die Gewährleistung der Bedürfnisbefriedigung mit Konsumgütern und Dienstleistungen, der individuellen Konsumtion, aber auch die Gestaltung der materiellen und zeitlichen Arbeitsbedingungen und die der Umweltbedingungen. Die Bedürfnisbefriedigung mit Konsumgütern und Dienstleistungen wird vorbereitet, indem zunächst Konsumgüter und Dienstleistungen entsprechend den in den Stufen eins und zwei ablaufenden Prozessen in der erforderlichen Höhe und Struktur bereitgestellt werden. Sie wird ferner dadurch gesichert, daß durch die ablaufenden Distributionsprozesse die Bevölkerung in die Lage versetzt wird, in Form von individuellen Geldfonds und gesellschaftlichen Fonds, Konsumgüter und Dienstleistungen zu kaufen oder unentgeltlich zu erhalten und in Anspruch zu nehmen. Die individuellen Geldfonds, die für den Kauf von Konsumgütern und Dienstleistungen zur Verfügung stehen, bilden den Kauffonds der Bevölkerung. Aus dem Kauffonds, dem Umfang und der Struktur der Bedürfnisse sowie den Preisen und Tarifen entsteht der Bedarf der Bevölkerung. Der Bedarf der Bevölkerung umfaßt den durch individuelle Geldfonds sowie durch Preise und Tarife bestimmten Umfang der Befriedigung der Bedürfnisse nach Konsumgütern und Dienstleistungen. Der Bedarf der Bevölkerung tritt auf dem Markt als kaufkräftige Nachfrage in Erscheinung. Dieser Teil der gesellschaftlichen Anerkennung der Bedürfnisse vollzieht sich unter Einschaltung von Zirkulationsprozessen und erfordert die Beherrschung des Gesetzes der planmäßigen Ubereinstimmung von Angebot und Nachfrage im Sozialismus. Der Bedarf beruht vor allem auf jenen Geldmitteln, die die Bevölkerung in Abhängigkeit ihrer Arbeitsleistung erhält. Seine Deckung ist damit eine Wirkungsbedingung des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung. Der Bedarf ist eine ökonomische Kategorie der Warenproduktion und an die Existenz des Marktes gebunden. Die Befriedigung des Bedarfs der Bevölkerung ist damit ein wesentlicher Faktor für — die Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung, — den reibungslosen Ablauf des volkswirtschaftlichen Realisierungsprozesses, — die Durchsetzung wichtiger ökonomischer Gesetze wie des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung u. a. m. Die vierte Stufe des Anerkennungsprozesses ist die Phase der Realisierung, d. h. die endgültige Bedürfnisbefriedigung.

183

Die gesellschaftliche Anerkennung der Bedürfnisse über den Bedarf der Bevölkerung und seine Befriedigung erfordert daher einen ganzen Komplex aufeinander abgestimmter wirtschaftlicher Anstrengungen. Darunter fallen vor allem eine exakte Bedarfsforschung, die Bilanzierung von Warenfonds und Kauffonds, die Gestaltung der Beziehungen zwischen Handel/Dienstleistungswirtschaft und Produktion (u. a. Kooperation, Vertragsgesetz) und die Sicherung einer reibungslosen Handelstätigkeit. Erst, wenn der Kunde ein seinem Bedarf entsprechendes Konsumgut (oder Dienstleistung) vorfindet, kaufen und nutzen kann, ist dieser Prozeß der gesellschaftlichen Anerkennung der Bedürfnisse vollzogen. Der Bedarf der Bevölkerung ist damit eine entscheidende Ausgangsgröße für die Planung und Bilanzierung der Produktion von Konsumtionsmitteln. Neben der Vermittlung der individuellen Konsumtion durch individuelle Geldfonds erhält die Bevölkerung Konsumgüter und Dienstleistungen unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Dieser Teil der individuellen Konsumtion wird vollständig aus gesellschaftlichen Fonds finanziert. Die gesellschaftliche Anerkennung der Bedürfnisse erfolgt hier ohne die Einschaltung von Marktprozessen. Ausschlaggebend für die Gewährung der unentgeltlichen Mittel der Bedürfnisbefriedigung sind sozialpolitische Erwägungen; die Verteilung geschieht relativ unabhängig vom Quantum und der Qualität der geleisteten Arbeit, sie hat aber auf die volle Durchsetzung des sozialistischen Leistungsprinzips bedeutende Auswirkungen. Die gesellschaftliche Anerkennung der Bedürfnisse ist dann vollzogen, wenn die Bevölkerung den betreffenden Kreis an Bedürfnissen entsprechend den gesetzlichen Grundlagen und historisch gewachsenen Normen unter zeitlich und territorial günstigen Bedingungen in guter Qualität befriedigen kann. Anerkennung der Bedürfnisse und Bedürfnisbefriedigung stimmen im wesentlichen überein, sind aber nicht identisch. Die materiellen Anforderungen an die Volkswirtschaft sind ebenfalls eine wichtige Ausgangsgröße für die Planung und Bilanzierung der Produktion von Konsumtionsmitteln. Sie gehen in den volkswirtschaftlichen Gesamtbedarf ein, der die Gesamtheit der Arbeitsmittel, Arbeitsgegenstände, Konsumgüter und Dienstleistungen umfaßt, die von der Gesellschaft für die erweiterte Reproduktion, für die individuelle und unmittelbar gesellschaftliche Konsumtion sowie für die Außenwirtschaft innerhalb eines bestimmten Zeitraums benötigt werden. Die dritte und vierte Stufe der gesellschaftlichen Anerkennung umfassen ferner die konkrete Gestaltung der übrigen Bestandteile des sozialistischen Lebensniveaus, wie die Gestaltung der Arbeits- und Umweltbedingungen in ihrer Wirkkung auf den Menschen.

184

6.3.

Das sozialistische

Lebensniveau

6.3.1.

Der Inhalt des sozialistischen

Lebensniveaus

Im Lebensniveau (Lebensstandard) zeigen sich Umfang und Qualität der Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung durch die Wirtschaftstätigkeit der Gesellschaft, d. h. durch die Volkswirtschaft. Inhaltlich umfaßt das Lebensniveau in der sozialistischen Gesellschaft: — die Wirkung der materiellen Arbeitsbedingungen auf den Werktätigen, die zeitlichen Arbeitsbedingungen; die soziale und kulturelle Betreuung im Betrieb (theoretisch individuelle Konsumtion im Arbeitsbereich); — die Dauer und Nutzung der arbeitsfreien Zeit und darunter der Freizeit; — die Wirkung der natürlichen und der gebauten Umwelt auf den Menschen; — die individuelle Konsumtion als Verbrauch und Gebrauch von Konsumgütern und Inanspruchnahme von Dienstleistungen (einschließlich der Wohnungen). Diese Konsumtion wird einmal durch Geldeinkommen und das bestehende Preisund Tarifniveau vermittelt, zum anderen unentgeltlich gewährt oder teilweise bezahlt (Zuschüsse). Hierbei spielen die gesellschaftlichen Fonds des Staatshaushaltes, der Betriebe usw. die vermittelnde Rolle. Gerade durch die sozialkulturellen Bereiche werden die meisten Leistungen unentgeltlich oder teilweise bezahlt der Bevölkerung gewährt. Im Zusammenhang mit den genannten Bestandteilen des sozialistischen Lebensniveaus zeigt diese Kategorie: — die Struktur und Dynamik der Befriedigung ökonomisch bedingter Bedürfnisse, — die Einheit von Quantität und Qualität der Befriedigung in Abhängigkeit vom ökonomischen Niveau der gesamten Volkswirtschaft, — die Bestandteile des Lebensniveaus in ihrer ökonomischen Verflechtung und außerökonomischen Beeinflussung, — das Lebensniveau als unmittelbaren Bestandteil der Volkswirtschaftsplanung (einschließlich Territorial- und Betriebsplanung) mit exakt statistisch abrechenbaren Größen. — die Ermittlung des Grades der Bedürfnisbefriedigung als Verhältnis zwischen dem befriedigten und dem gesellschaftlich notwendigen Bedürfnis. Das sozialistische Lebensniveau ist eine ökonomische Kategorie. Sie ist eine entscheidende ökonomische Voraussetzung und damit unter dem Aspekt der Bedürfnisbefriedigung auch in bestimmtem Maße Bestandteil für die Gestaltung der sozialistischen Lebensweise. Wie jede ökonomische Kategorie muß das Lebensniveau mit seinen sozialökonomischen Auswirkungen und Wechselwirkungen untersucht und angewandt werden. Es ist sozial determiniert und trägt Prozeßcharakter. Die ökonomischen Gesetze tragen dem Erfordernis der ständigen Erhöhung des Lebensniveaus Rechnung. Diese Kennzeichnung schließt ein, daß es eine Reihe von Grenzbereichen gibt,

185

die sich insbesondere bei der geistig-kulturellen Bedürfnisbefriedigung zeigen, aber auch bei der Befriedigung solcher Bedürfnisse wie dem nach Gesundheit. Hier wirken außerökonomische Prozesse auf die Bedürfnisbefriedigung ein. Diese Prozesse, die die Bedürfnisbefriedigung mit bestimmen, entstehen z. B. auch auf der Basis spezifischer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse oder aus den geistig-kulturellen Prozessen des gesellschaftlichen Bewußtseins. Ihre Wirksamkeit, das heißt die Bedürfnisbefriedigung, wird im wesentlichen in Gestalt von Dienstleistungen, das heißt mittels der Ökonomie, gewährleistet. Hierin zeigt sich die Verflechtung mit der Ökonomie. Umfang und Qualität dieser Dienstleistungen sind Bestandteile des Lebensniveaus. Grundfonds, Material und Arbeitskräfte spielen letztlich eine entscheidende Rolle, wenn es um das Niveau dieser Bedürfnisbefriedigung geht. Mit der wachsenden Bedeutung dieser sozial-kulturellen Bereiche gewinnt auch ihre Ökonomik immer größeres Gewicht. Bei der Bedürfnisbefriedigung im Sinne des Lebensniveaus zeigen sich jeweils stärker materielle 11 oder geistig-kulturelle Gesichtspunkte und Seiten. Dies besagt jedoch nicht, daß das Lebensniveau mit seinen materiellen und geistig-kulturellen Seiten und Aspekten keine komplexe ökonomische Kategorie wäre. Gerade die Einheit und Durchdringung beider Aspekte ist für das sozialistische Lebensniveau wesentlich. Die materiellen Prozesse sind nicht von den geistig-kulturellen zu trennen. Beredter Ausdruck dafür sind die kulturellen Seiten der Arbeitsbedingungen, die Wohnkultur, die Ästhetik bei der Bekleidung usw. Kulturelle Bedürfnisse werden durch materielle Güter vermittelt, z. B . durch Fernsehgeräte, Radios, Plattenspieler, Schallplatten, Tonbänder, Bücher usw. Auf die Vermittlung von kulturellen und Bildungsleistungen durch Dienste wurde schon hingewiesen. Bei spezifischen Betrachtungen ist es selbstverständlich berechtigt, die materielle oder die geistig-kulturelle Seite besonders hervorzuheben und zu charakterisieren. Auch eine Unterscheidung zwischen Lebensniveau und Lebensstandard, wie sie teilweise in den bürgerlichen Sozialwissenschaften üblich ist, läßt sich nicht rechtfertigen. In der bürgerlichen Literatur wird das Lebensniveau als gegebene Größe (Darstellung des Zustandes) und der Lebensstandard als Zielgröße (perspektivische Annahme oder Forderung) bezeichnet. Eine ökonomische Kategorie des Sozialismus schließt stets die Charakterisierung des erreichten Standes und die dynamische Entwicklung ein. Beides bildet eine Einheit. Dies wird bei der vom V I I I . Parteitag der S E D beschlossenen Hauptaufgabe und dem damit verbundenen sozialpolitischen Programm sowie in den Beschlüssen des I X . Parteitages und den weiteren sozialpolitischen Festlegungen deutlich sichtbar. Analyse des erreichten Standes und sozialpolitische Zielstellung bedingen einander. Eines ist ohne das andere nicht denkbar. Die Begriffe „Lebensniveau" und „Lebensstandard" werden deshalb auch synonym verwendet. 11

Wenn von materiellem Lebensniveau gesprochen wird, so wird fast immer die individuelle Konsumtion gemeint.

186

Bei der Entwicklung des sozialistischen Lebensniveaus, insbesondere der Konsumtion, ist eine Reihe von Aspekten zu beachten: 1. Es ist ein allgemeines Gesetz, das auf der wachsenden Arbeitsteilung und der Produktionsentwicklung beruht, von Marx und Engels angedeutet und von Lenin in seiner Schrift „Zur sogenannten Frage der Märkte" formuliert wurde, daß die Bedürfnisse (hier nach Konsumgütern und Dienstleistungen) ständig wachsen. Das führt dazu, daß ein gesetzmäßiges Vorauseilen der Bedürfnisse gegenüber den Möglichkeiten ihrer Befriedigung besteht. 2. In der sozialistischen Gesellschaftsordnung erhält die Bedürfnisentwicklung zusätzlich Impulse durch die allseitige Persönlichkeitsentwicklung und die Herausbildung der sozialistischen Lebensweise. Diese neu entstehenden Bedürfnisse tragen vor allem sozialen, politischen und ideologischen Charakter; sie wirken auf die ökonomischen Bedürfnisse ein und differenzieren die ökonomischen Bedürfnisse in ihrer Vielfalt. Im Sozialismus entwickeln sich folglich die Bedürfnisse durch die Entwicklung der Produktivkräfte, durch die sich vervollkommnenden Produktionsverhältnisse und durch den ideologischen Überbau. Gerade bei der Entwicklung geistig-kultureller Bedürfnisse ist dieser Prozeß deutlich zu erkennen. 3. Dieser Prozeß der Bedürfnisentstehung und -entwicklung wird durch den international wirksam werdenden technisch-wissenschaftlichen Fortschritt und die in früher nicht bekanntem Ausmaß bestehenden Mittel der Massenkommunikation noch vertieft und beeinflußt. Eine reale Einschätzung der Bedürfnisentwicklung in der sozialistischen Gesellschaft beruht auf der Erkenntnis der erwähnten objektiven Prozesse und Gesetzmäßigkeiten. Rationelle oder effektive Bedürfnisbefriedigung bedeutet, unterschiedliche Lösungswege zu finden, die vorhandenen Potenzen zweckmäßig einzusetzen und jegliche Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen zu vermeiden. Eine kapitalistische Wegwerfideologie, das heißt die Produktion schnell verschleißender minderwertiger Erzeugnisse und die Manipulierung der Konsumenten, sich aus Prestigegründen schnell vom Konsumgut zu trennen, hat mit sozialistischer Bedürfnisbefriedigung nichts zu tun. Dem Verbrauch oder Gebrauch qualitativ hochwertiger Konsumgüter liegen Normative zugrunde, die sowohl den materiellen Verschleiß als auch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Dies besagt nichts gegen eine modisch orientierte Produktion, zum Beispiel bei Schuhen und Textilien. Bei der Betrachtung des Lebensniveaus wird meistens die Konsumtion der Bevölkerung in den Mittelpunkt gestellt. Wenn auch die Versorgung mit Konsumgütern und Dienstleistungen auf Basis der Geldeinkommen und des Preisniveaus von großer Bedeutung ist, zur Zeit für große Teile der Bevölkerung als am wichtigsten erscheint, so darf z. B. die Rolle der Arbeitszeit, der Arbeitsbedingungen, nicht geringer eingeschätzt werden. Der Verbrauch von Konsumgütern und Dienstleistungen, die durch die arbeitsteilig organisierte gesellschaftliche Arbeit geschaffen werden, dient der Befriedi187

gung vorwiegend ökonomisch und physiologisch bedingter Bedürfnisse und soll zur Formierung der Persönlichkeit beitragen. Auch politisch-ideologische Bedürfnisse werden durch Konsumgüter befriedigt; z. B. das Bedürfnis nach Information durch den Kauf einer Tageszeitung. Bei der Konsumtion der Bevölkerung ist zunächst davon auszugehen, daß es gleichgültig ist, ob die Konsumgüter und Dienstleistungen von der Bevölkerung selbst bezahlt oder zum Teil bezahlt oder unentgeltlich in Anspruch genommen werden. Für die Messung des Verbrauchsniveaus ist die wirkliche Realisierung von alleiniger Bedeutung. Die Konsumtion wird aber immer — von den Naturaleinkommen sei hier abgesehen — durch finanzielle Prozesse in Geldform vermittelt. Deshalb wird oft das Konsumtionsniveau als Höhe der Geldeinkommen bestimmt. Das ist zu einseitig und ist für die Konsumtion der Bevölkerung in der sozialistischen Gesellschaft unzureichend, und zwar aus verschiedenen Gründen: — Die Geldeinkommen (Arbeitseinkommen und andere Geldeinkommen) sind ein Anspruch auf den Kauf von Waren. Das erfordert ein bedarfsgerechtes Angebot an Konsumgütern und Dienstleistungen; — durch die Preispolitik wird das Verbrauchsniveau beeinflußt und mittels stabiler Preise, insbesondere für Grundnahrungsmittel, und bei den Mieten der Verbrauch gefördert oder bei anderen Erzeugnissen begrenzt; — viele Dienstleistungen werden unentgeltlich zur Verfügung gestellt (auch Konsumgüter wie Medikamente, Arbeitsschutzbekleidung usw.), so daß die individuelle Konsumtion um diese Leistungen erhöht werden muß. Außerdem wird durch die unentgeltlichen Leistungen, die durch gesellschaftliche Fonds finanziert werden, auf die Struktur der individuell bezahlten Konsumtion spürbar eingewirkt ; — die Leistungen aus gesellschaftlichen Fonds müssen bewertet werden, um sie der individuellen Konsumtion zurechnen zu können. Eine Ermittlung der Kostenpreise für unentgeltliche Leistungen ist möglich und beim Stand der Dinge auch zweckmäßig. Die wirkliche Leistung wird aber nur annähernd erfaßt. Für die sozialistische Konsumtion und die Beeinflussung des Konsumverhaltens als einer Seite der Lebensweise spielen die gesellschaftlichen Fonds eine wachsende Rolle. Ihre spezifische Aufgabe besteht in folgendem: — Verringerung und Minderung sozialer Unterschiede, wie sie dem Sozialismus noch immanent sind; — Unterstützung von Familien mit Kindern, von älteren Bürgern und bestimmten sozialen Gruppen; — Förderung einer dem Sozialismus adäquaten Bevölkerungsentwicklung; — Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und der Gestaltung der sozialistischen Lebensweise; — Gewährleistung zur Inanspruchnahme von bestimmten Konsumgütern und Dienstleistungen für alle Bürger in gleichem Maße; — Übereinstimmung mit dem Leistungsprinzip und Förderung dieses Prinzips. Für die Konsumtion der Bevölkerung ist typisch, daß sie sich in Einklang mit der

188

Distribution entwickelt und aktiv auf die Produktion zurückwirkt. Ungeachtet des Primats der Produktion sind Distribution, Warenzirkulation und Konsumtion gleichberechtigte Phasen des volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesses. 6.3.2.

Der Klassencharakter

des

Lebensniveaus

Das Lebensniveau der Bevölkerung zeigt sich in einer Reihe von Kennziffern, die die verschiedenen Bestandteile des Lebensniveaus darstellen. E s handelt sich dabei um Durchschnittsgrößen, die zur Bestimmung volkswirtschaftlicher Proportionen notwendig sind. Aber bereits für konkrete sozial- und wirtschaftspolitische Entscheidungen reicht das nicht aus. Schon Karl Marx wies darauf hin, daß die „Bevölkerung . . . eine Abstraktion" bleibt, „wenn ich z. B. die Klassen, aus denen sie besteht, weglasse" 1 2 . Es ist demnach erforderlich, das Lebensniveau der Klassen, Schichten, sozialen Gruppen näher zu untersuchen und bei allen Maßnahmen die Auswirkungen auf diese Bevölkerungsgruppen zu beachten. Außerdem richten sich bestimmte sozialpolitische Zielsetzungen auf bestimmte soziale Gruppen, insbesondere auf die Arbeiterklasse. Auch bei der Arbeiterklasse müssen detaillierte Untersuchungen vorgenommen werden, z. B. für Arbeiter bestimmter Zweige, Angestellte, Angehörige der Intelligenz in diesen Zweigen, außerdem nach Haushaltstypen, Einkommensgruppen der Haushalte u. a. m. Eine weitere Aufgabe besteht darin, das Lebensniveau der einen Klasse oder Gruppe mit dem der anderen zu vergleichen, um zu sozialpolitischen Schlußfolgerungen zu gelangen. Wird das Lebensniveau einer Klasse für sich betrachtet, so handelt es sich um das absolute Lebensniveau. Wird dieses in Beziehung zum Lebensniveau einer anderen Klasse oder Schicht gesetzt, so ergibt sich das relative Lebensniveau. In der sozialistischen Gesellschaft ist es möglich, das Lebensniveau der gesamten Bevölkerung zu bestimmen. In der kapitalistischen Gesellschaft wäre dies eine grobe Verzerrung, weil das Lebensniveau der Arbeiterklasse z. B . nicht mit dem der Angehörigen des Finanzkapitals zusammengefaßt werden kann. Die bürgerliche Statistik faßt oft genug unterschiedliche Größen zusammen, so daß auch bei Ausweis einzelner Schichten oder Gruppen keine klare Aussage vorhanden ist. Im Vergleich zu kapitalistischen Staaten lassen sich nur Tendenzen in der Konsumtion oder in der Zeitverwendung erkennen, wenn man zwischen Familien gleicher Klassenzugehörigkeit und Beschäftigung sowie gleicher Haushaltsgröße vergleicht. E s geht also hierbei nur um begrenzte Ausschnitte aus dem Lebensniveau, die sich im Prinzip auf die individuell bezahlte Konsumtion beschränken. Bei einem Vergleich des Lebensniveaus innerhalb des gleichen Systems ergeben sich viele Schwierigkeiten daraus, daß man eine Vielzahl von Kennziffern benötigt, um das Lebensniveau erfassen zu können. Es hat wenig Sinn, das gesamte Lebensniveau in einer Kennziffer (z. B . in Zeiteinheiten) zu erfassen. Auch das Realeinkommen spiegelt nur bestimmte Seiten des Verbrauchs wider. 12

K. Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, in: MEW, Bd. 13, Berlin 1961, S. 631.

189

Es ist deshalb auch nicht möglich, das Lebensniveau zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung zu vergleichen. Bei Staaten gleicher Gesellschaftsordnung ist es bisher noch nicht gelungen, einen exakten Vergleich des gesamten Lebensniveaus herbeizuführen. Positive Ergebnisse liegen im RGW beim Vergleich der Konsumtion der Bevölkerung vor. Ausgehend von Konsumtionsfonds des Nationaleinkommens, wurden auswertbare Ergebnisse erzielt, indem der Verbrauch des einen Landes mit den Preisen des Vergleichslandes bewertet wird. 6.3.3.

Anforderung

an Kennziffern

zur Charakteristik

des

Lebensniveaus

Um den Umfang, die Qualität und den Grad der im Lebensniveau charakterisierten Bedürfnisbefriedigung analysieren, darstellen und planen zu können, ist eine umfangreiche kennziffernmäßige Erfassung der Bestandteile des Lebensniveaus erforderlich. Diese Kennziffern müssen einer Reihe von Anforderungen gerecht werden: — Darlegung der Hauptseiten der Bestandteile des Lebensniveaus, — Erfassung der volkswirtschaftlichen Grundlagen und Faktoren für die Entwicklung des Lebensniveaus, — Ermittlung der Effektivität sozialpolitischer Maßnahmen und des Lebensniveaus hinsichtlich der Gestaltung der Lebensweise und der Persönlichkeitsentwicklung, — Erfassung des Lebensniveaus nach Bedürfniskomplexen und nach Bestandteilen, — Durchschnittskennziffern für die Bevölkerung insgesamt und für Bevölkerungsgruppen, Haushaltstypen, Territorien, Einkommensgruppen, — international (im RGW) vergleichbaren Kennziffern. Ein voll diesen Ansprüchen genügendes Kennziffernsystem existiert in der DDR noch nicht. Zur Zeit ist die primärstatistische Basis der Lebensstandardstatistik relativ schmal. Ihr Kernstück sind die repräsentativen Erhebungen der Haushaltsbudgets (Wirtschaftsrechnungen) der Familienhaushalte. Sie werden durch Einkommenserhebungen (Mikrozensus) und Befragungen über die Ausstattung mit langlebigen Konsumgütern ergänzt. Neu hinzugekommen ist seit 1974 die Ermittlung der Zeitverwendung (Zeitbudgeterhebung durch die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik), wobei seit 1965 bereits von anderen Institutionen Zeitbudgeterhebungen gemacht wurden. Die anderen zur Widerspiegelung des Lebensniveaus ausgenutzten Daten stammen aus anderen Teilgebieten der Statistik. Sie besitzen sekundärstatistischen Charakter. Es handelt sich um zwei Gruppen von Kennziffern. Die erste Gruppe umfaßt Kennziffern, die wesentliche Seiten des Lebensniveaus charakterisieren, aber im Rahmen der Bau-, Arbeits- und Finanzstatistik erfaßt werden: — Wohnungsbau und Wohnverhältnisse,

190

— Arbeitsbedingungen der Werktätigen, — Ausgaben des Staatshaushaltes für die sozial-kulturellen Bereiche. Die zweite Gruppe umfaßt Kennziffern, die bestimmte Grundlagen, Auswirkungen und Zusammenhänge des Lebensniveaus kennzeichnen. Sie werden im Rahmen der Bevölkerungs-, Arbeitskräfte-, Preis-, Handels-, Finanzstatistik und in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ermittelt: — Nationalreichtum, darunter in den Haushalten der Bürger, — Höhe und Struktur des Nationaleinkommens, darunter des Konsumtionsfonds und der nichtproduktiven Akkumulation, — Bevölkerungsentwicklung und -struktur, — Beschäftigtenzahl, — Höhe und Struktur der Geldeinnahmen und -ausgaben der Bevölkerung, — Entwicklung der Einzelhandelspreise und Lebenshaltungskosten, — Realeinkommen der Bevölkerung (nur Gesamtgröße), — Warenumsatz, Versorgung mit wichtigen Erzeugnissen. Der Aufbau des Kennziffernsystems muß von solchen Daten ausgehen, die nicht Kennziffern des Lebensniveaus sind, von denen aber das Niveau der Bedürfnisbefriedigung abhängt: 1. Materielle Grundlagen für die Entwicklung des Lebensniveaus Nationalreichtum, gesellschaftliches Gesamtprodukt, Grundfonds nach Zweigen, Nationaleinkommen, Konsumtionsfonds. 2. Auswirkungen und Zusammenhänge des Lebensniveaus Bevölkerung, Beschäftigte, Qualifikationsniveau, Arbeitsproduktivität, Umweltbedingungen . An sie schließen sich Kennziffern des Lebensniveaus an: 1. Umfang und Qualität der Bedürfnisse: Verbrauchsnormative, hygienische Normen, arbeitshygienische Normen, Normative der infrastrukturellen Ausstattung, Normen der Verwendung finanzieller Fonds, Umweltnormen. 2. Komplexe Kennziffern des Lebensniveaus: Realeinkommen, Geldeinnahmen und -ausgaben, Natural verbrauch, Pro-KopfVerbrauch, Ausstattungsgrad, Zeitbudget, Warenumsatz des Einzelhandels, Reallohnindex, Preisentwicklung, Lebenshaltungskosten, Verwendung gesellschaftlicher Fonds, Arbeitszeit, Niveau der materiellen Arbeitsbedingungen, Effekte der Lebensniveaus. 3. Gruppierungen nach Bedürfniskomplexen 6.3.4.

Allgemeine Tendenzen in der Entwicklung des Lebensniveaus entwickelten sozialistischen Gesellschaft

in der

1. Die Erhöhung des Lebensniveaus steht mit der Gestaltung der sozialistischen Lebensweise und dem persönlichen Verhalten des Menschen in Wechselwirkung. Der Entwicklung des Lebensniveaus und seiner Bestandteile liegen eine Reihe

191

objektiver Gesetzmäßigkeiten zugrunde, die sich aus der Höherentwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse ergeben. Für die sozialistische Gesellschaft gilt der Grundsatz, daß mit der Erhöhung des Lebensniveaus, was einen höheren Wohlstand des Volkes einschließt, die Entfaltung der Persönlichkeit gefördert wird. Die Erhöhung des Lebensniveaus ist demnach mit der Reproduktion des Menschen und der Gestaltung der sozialistischen Lebensweise eng verbunden. Das Verhalten des Menschen besonders in der Konsumtionssphäre und bei der Zeitverwendung steht mit dieser objektiven Tendenz nicht immer in Einklang. Durch die stetige Vervollkommnung der ökonomischen Bedingungen in Produktion und Infrastruktur und die Erziehung des Menschen werden vorhandene Widersprüche, langfristig gesehen, allmählich überwunden. Aus dieser allgemeinen Tendenz ergeben sich eine Reihe objektiv begründeter Anforderungen, die auf die Planung des volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesses starken Einfluß besitzen. Sie gelten sowohl für den Bereich der gesellschaftlichen Arbeit als auch für die anderen Lebensbereiche des Menschen. 2. Die ständige Verbesserung der materiellen Arbeitsbedingungen, die Verkürzung der Arbeitszeit und Verlängerung des Jahresurlaubs werden immer mehr zur entscheidenden Voraussetzung für die Erhöhung der Produktion und die umfassende Reproduktion der menschlichen Arbeitskraft. Durch Verbesserung der sozialen und kulturellen Betreuung der Werktätigen im Betrieb wird der Leistungswillen gefördert. Die Verbesserung der materiellen Arbeitsbedingungen, d. h. die Beseitigung von erschwerten Arbeitsbedingungen, von Lärm, Staub, Hitze usw., ein guter Arbeitsschutz, eine freundliche Umgebung des Arbeitsplatzes sowie die planmäßige Verkürzung der gesetzlichen Arbeitszeit führen zu höherer Arbeitsproduktivität, sinkenden Kosten, Beseitigung von Ausfallzeiten und Fluktuation, fördern die Arbeitsfreude und Leistungsbereitschaft. Hierzu gehört gleichfalls die verbesserte Betreuung und Versorgung im Betrieb und durch betriebliche Einrichtungen. 3. Die Verbesserung der Umweltbedingungen dient der vollen Reproduktion des Menschen und schafft entscheidende Voraussetzungen für die Gesundheit der gesamten Bevölkerung. Die Umwelt als räumliche Existenzbedingung des Menschen gewinnt immer größeren Einfluß auf den Menschen. Insbesondere mit dem Wohnungsbauprogramm, den Anforderungen an die Nah- und Urlaubserholung, wachsen die Aufgaben bei der Umweltgestaltung. Hinzu kommt, daß durch die schnelle industrielle Entwicklung und den früheren Raubbau des Kapitalismus an den Naturressourcen die natürliche Umwelt regeneriert werden muß. Die Intensivierung der Produktion, die neuen Wohnzentren, die wachsende Motorisierung erfordern umfassende Maßnahmen für den Schutz der Umwelt und damit auch für die Gesundheit des Menschen. Nur die sozialistische Gesellschaft kann diese Probleme effektiv lösen. 4. Die Struktur des Konsumgüterwarenfonds verändert sich als Folge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und wachsender Geldeinkommen. Hochwertige technische und modische Erzeugnisse bestimmen einen immer größeren

192

Anteil an den Geldausgaben für Konsumgüter und spezifische Dienstleistungen. Dem Charakter der sozialistischen Gesellschaft gemäß wachsen in schnellem Maße die geistig-kulturellen Bedürfnisse und damit die Anforderungen an entsprechende Konsumgüter und Dienstleistungen. In der Entwicklung der individuellen Konsumtion werden schon seit über 100 Jahren von bürgerlichen Statistikern und Sozialwissenschaftlern Tendenzen beobachtet, hinter denen objektive Prozesse stehen. Wenn auch diese Tendenzen primär für die kapitalistische Gesellschaft gelten, so setzen sich doch einige auch im Sozialismus durch, weil sie auf physiologischen und allgemeinen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten beruhen. Eindeutig ist, daß mit wachsenden Bedürfnissen, höherem Bildungsniveau und steigenden Geldeinkommen — die Ausgabenquote für die Ernährung sinkt, — bei sinkender Quote der Anteil für Nahrungsmittel tierischen Ursprungs steigt und pflanzlichen Ursprungs sinkt (außer Obst und Gemüse), — die Ausgabenquote für kulturelle Zwecke steigt, — bis zu einer gewissen Einkommenshöhe die Ausgabenquote für Kleidung, Genußmittel, Getränke steigt, um dann meist gleichzubleiben. Für den Kapitalismus ist typisch, daß mit steigenden Einkommen und in Abhängigkeit von der sozialen Stellung die Ausgabenquote für Mieten steigt. In den Ländern des staatsmonopolistischen Kapitalismus sind 15 bis 20% Anteil der Miete an den Ausgaben „normal". Durch eine sozialpolitisch fundierte Preisgestaltung wird in der DDR aktiv Einfluß auf die Ausgabenstruktur genommen und der Verbrauch in bestimmtem Umfang beeinflußt. Die objektiven Verbrauchstendenzen werden dadurch in sich etwas verändert. Durch die schnelle Entwicklung der geistig-kulturellen Bedürfnisse als typischen Ausdruck der entwickelten sozialistischen Gesellschaft wachsen die Anforderungen an die Konsumgüterproduktion und besonders an die sozial-kulturellen Bereiche. Bildung und Kultur, Sport und Erholung durchdringen alle Seiten des menschlichen Lebens, auch der Zeitfonds wird in stärkerem Maße für Tätigkeiten, die mit einem gesunden und kulturvollen Leben zusammenhängen, in Anspruch genommen. 5. Die Rolle der gesellschaftlichen Fonds und der durch sie vermittelten Leistungen wächst. An die sozial-kulturellen Bereiche werden quantitativ und qualitativ höhere Anforderungen gestellt. Aus den gesellschaftlichen Fonds 1 3 werden sowohl Geldeinkommen gewährt als auch unentgeltliche Leistungen vermittelt. Diese unentgeltlich gewährten Leistungen, vor allem der Einrichtungen der sozial-kulturellen Bereiche — im Realeinkommen als indirekte Einkommen bezeichnet — besitzen eine große sozial13

13

Gesellschaftliche Fonds werden vor allem durch den sozialistischen Staat, aber auch durch die Betriebe und Einrichtungen sowie durch die Organisationen (Parteien, F D G B , D S F , Volkssolidarität, F D J , die Kirche u. a. m.) zur Verfügung gestellt. Manz/Winkler

193

politische Bedeutung. Sie bieten allen Bürgern gleiche Möglichkeiten, unterstützen bestimmte soziale Gruppen der Bevölkerung und fördern die weitere Gestaltung der sozialistischen Lebensweise. Die gesellschaftlichen Fonds des Staates betrugen 1977 für sozial-kulturelle Leistungen mehr als 31 Mrd. Mark. Volkswirtschaftlich gesehen, verändern sich also die Relationen zwischen dem Verbrauch an Konsumgütern und der Inanspruchnahme von Dienstleistungen, vor allem der sozial-kulturellen Bereiche. Dies findet auch seinen Ausdruck darin, daß seit 1971 die gesellschaftlichen Fonds schneller gestiegen sind als die Arbeitseinkommen und bis 1980 weiterhin schneller steigen. Die genannten Gesetzmäßigkeiten in der Entwicklung des sozialistischen Lebensniveaus stehen mit den Auswirkungen oder Effekten, die sich aus einem erhöhten Lebensniveau ergeben, in enger Beziehung. Dabei ist zu sehen, daß die sozialistische Gesellschaft positive Effekte fördern und negative einschränken muß. Letzteres ist oft sehr schwierig, wenn man an die bereits erwähnte „ungesunde Lebensweise" mancher Menschen denkt, auch ein gewisses Prestigedenken ist vereinzelt anzutreffen. Insgesamt jedoch führt die Erhöhung des sozialistischen Lebensniveaus zu einer die gesellschaftliche Gesamtentwicklung unterstützenden Effektivität. Diese Effektivität ist einerseits Ausdruck des erreichten Lebensniveaus, anderseits geht sie über das Lebensniveau hinaus, weil damit umfassendere gesellschaftliche Prozesse berührt werden. Es handelt sich bei der Effektivität des Lebensniveaus um Auswirkungen vorwiegend ökonomischer Prozesse, die in den Rahmen der gesellschaftlichen Entwicklung eingebettet sind. Welche Zielgrößen gelten für die Ermittlung der Effektivität des sozialistischen Lebensniveaus: 1. Das Lebensniveau ist wesentliche Voraussetzung für die Herausbildung und Gestaltung der sozialistischen Lebensweise. Dieser Zusammenhang ist schwer quantifizierbar. 2. Durch die Befriedigung der materiellen und geistig-kulturellen Bedürfnisse im Rahmen des Lebensniveaus wird die sozialistische Persönlichkeitsformierung unterstützt und die aktive Mitarbeit des einzelnen bei der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens stimuliert. 3. Die ständige Verbesserung der Arbeitsbedingungen verbessert die Reproduktionsbedingungen und erhöht die Leistungsbereitschaft der Werktätigen. Sie zeigt sich in der Verringerung von Arbeitsplätzen, an denen unter erschwerten Bedingungen gearbeitet wird, an der Senkung der Arbeitsunfälle, Verringerung von Berufskrankheiten, Senkung des Krankenstandes, an guten hygienischen Bedingungen im Betrieb sowie in einer umfassenden sozialen und kulturellen Betreuung der Werktätigen. 4. Die effektive Gestaltung der Umwelt führt zur Verbesserung der natürlichen Umweltbedingungen und einer Siedlungs- und sozialen Infrastruktur, die die Wege- und Wartezeiten verringert und die Leistungen der sozial-kulturellen Einrichtungen erhöht. 194

5. Durch das Angebot an Konsumgütern und Dienstleistungen soll der Haushalt von hauswirtschaftlichen Tätigkeiten entlastet und die Hausarbeit erleichtert werden. Vor allem die werktätige Frau soll dadurch mehr Freizeit gewinnen. Außerdem sind für die Tätigkeiten in der Freizeit Impulse für eine sinnvolle Verwendung zu geben. 6. Der Wirkungsgrad des Einsatzes gesellschaftlicher Fonds dient der unmittelbaren Erhöhung des Bildurigs- und Kulturniveaus und der Erhaltung der Gesundheit der Bevölkerung. Das Verhältnis von Aufwand und Nutzen ist normativ vorzugeben. 7. Das Bildungsniveau zeigt sich im hohen Allgemeinwissen und in der fachlichen Qualifikation. Berufliche Weiterbildung während der Arbeitszeit und der Freizeit dient der allseitigen Entwicklung der Fähigkeiten der Werktätigen. 8. Das Kulturniveau ist Ausdruck der Teilnahme am kulturellen Leben, der kulturellen Selbstbetätigung, der aktiven Teilnahme am Sport und der sinnvollen Nutzung der Freizeit für die geistig-kulturelle Bedürfnisbefriedigung. 9. Die Verbesserung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung, die Senkung des Krankenstandes der Werktätigen und die Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung führen zu einem wachsenden Arbeitskräftepotential und zu wachsender Schaffensfreude. 10. Die Lösung des Wohnungsproblems als soziale Frage spielt für die demographische Entwicklung, die Kindererziehung und die Freizeittätigkeiten eine mitentscheidende Rolle. Zweckmäßige technische Lösungen und moderne Haushaltstechnik führen zur Rationalisierung der Hausarbeit. 11. Eine gesunde Lebensweise vom Standpunkt der richtigen Zusammensetzung der Nahrung, eines nicht gesundheitsschädigenden Verbrauchs an Genußmitteln, fördert die Gesunderhaltung und senkt den Krankenstand. Diese Kennzeichen der Effektivität des Lebensniveaus zeigen die Richtung an, in der mittels Normativen die weitere Erhöhung des sozialistischen Lebensniveaus planmäßig gestaltet werden muß. Die komplexe Aussage über das erreichte Niveau und die sozial- sowie wirtschaftspolitischen Zielsetzungen erfordert umfangreiche Analysen und Untersuchungen.

6.4.

Zusammenhang

zwischen Lebensweise und

Lebensniveau

Das sozialistische Lebensniveau entwickelt sich in Wechselwirkung mit den wachsenden Bedürfnissen der Bevölkerung, wobei diese durch die unmittelbare Wirtschaftstätigkeit befriedigt werden. Allgemein ausgedrückt zeigt sich dies im höheren Wohlstand der Bevölkerung. In dieser Hinsicht ist das Lebensniveau nicht schematisch ein Bestandteil der Lebensweise. Es ist zwar mit der Herausbildung der sozialistischen Lebensweise verbunden, entwickelt sich aber selbständig. Über die Art und Weise der Befriedigung der Bedürfnisse sind Lebensweise und Lebensniveau miteinander verbunden, wobei seitens 13*

195

des Lebensniveaus vor allem die vielen konsumtiven Bedürfnisse und Anforderungen an die Arbeits- und Umweltbedingungen in Betracht kommen. Über die Entwicklung des Lebensniveaus wird demnach auf die Lebensweise eingewirkt, wie anderseits die sozialistische Lebensweise die Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung und demnach auch die Befriedigung vielfältiger individueller Bedürfnisse, wie sie sich im Lebensniveau zeigen, aktiv beeinflußt. Darüber hinaus verläuft dieser Prozeß widersprüchlich. Die Erhöhung des Wohlstands bedeutet nicht zugleich immer die Vertiefung der sozialistischen Lebensweise. Unter sozialistischen Bedingungen ist es möglich und notwendig, beide Kategorien in den Prozeß von Leitung und Planung voll einzubeziehen und sie im Interesse der gesellschaftlichen Entwicklung zu gestalten. Typische Beispiele für vorhandene sozialpolitische Probleme sind die „gesunde Lebensweise" als Ausdruck der Bedürfnisbefriedigung mit Nahrungsund Genußmitteln sowie die Tätigkeiten, die der psychischen und physischen Reproduktion des Menschen dienen. In der Praxis ist mit dem wachsenden Genuß von Tabakwaren und alkoholischen Getränken zu rechnen, der Fettund Zuckerverbrauch vieler Werktätiger ist nach wie vor zu hoch; eine „ungesunde" Ernährung fördert — das gilt natürlich nicht nur für die DDRBevölkerung — Erkrankungen, Frühinvalidität, körperliches und geistiges Unbehagen. Die reale Bedürfnisentwicklung und -befriedigung muß aber in den Plänen berücksichtigt werden; mit administrativen Auflagen ist nicht viel zu erreichen. Kombinierte Zielsetzungen werden — wie erste Erfahrungen zeigen — langfristig Veränderungen mit sich bringen können. Das gilt für die Gesundheitserziehung im Zusammenhang mit dem Angebot beispielsweise an kalorienarmen, aber gut schmeckenden Erzeugnissen, mit Reihenuntersuchungen, mit der Schulbildung, mit der Verbraucheraufklärung durch Werbung usw. Die Befriedigung des Erholungsbedürfnisses gerade zum Wochenende erfordert außerdem weitergehendere gastronomische Aufgabenstellungen im Hotel-, Motel- und Gaststättenwesen. Eine sinnvolle Verwendung der Freizeit wird dann angeregt, wenn die entsprechenden Bedürfnisse geweckt und vorhandene gut befriedigt werden können. Diese Aufgabe beginnt in der Schule durch Bildung von Arbeitsgemeinschaften, Zirkeln usw., die bei den Kindern außerhalb der Schulzeit Interessen wecken. Bei den Jugendlichen wird diese Freizeitgestaltung noch dringlicher. Nur durch ein komplex gestaltetes und sinnvoll abgestimmtes System zur Ausübung von Tätigkeiten (Sportanlagen, Schwimmhallen, Klubs, Veranstaltungen aller Art) wird die Bedürfnisbefriedigung in eine der sozialistischen Lebensweise voll entsprechende Richtung gelenkt. Die engere Zusammenarbeit zwischen den Betrieben und den örtlichen Organen der Staatsmacht spielt in dieser Hinsicht eine wesentliche Rolle. Die Erfahrungen bei der Leitung und Planung sozialer Prozesse im Territorium und im Betrieb zeigen, daß die Verbindung zwischen Lebensweise und Lebensniveau durch zielgerichtete Maßnahmen und langfristig konzipierte Aufgabenstellungen erreicht werden kann. 196

Letztlich geht es darum, durch die immer bessere Bedürfnisbefriedigung als Ausdruck eines steigenden sozialistischen Lebensniveaus den Anforderungen der Persönlichkeitsentwicklung als eines gesellschaftlichen Ziels immer besser zu entsprechen (vgl. Abbildung 4). Das sozialistische Lebensniveau könnte unter folgendem Aspekt als Bestandteil der sozialistischen Lebensweise angesehen werden, wobei der selbständige Inhalt beider Kategorien nicht verwischt werden darf. 1. Jede Lebenstätigkeit, Lebensäußerung ist mit der Befriedigung von Bedürfnissen verbunden. Dabei spielen die Konsumtion der Bevölkerung und andere ökonomisch bedingte Formen der Bedürfnisbefriedigung, zum Beispiel in der Gestaltung der Arbeits- und Umweltbedingungen, eine große und wachsende Rolle. Die Art und Weise dieser Bedürfnisbefriedigung ist gleichzeitig Teil der Lebensweise. Die weitere Ausprägung der sozialistischen Lebensweise wird durch die für den Sozialismus typische Art und Weise der Befriedigung der Bedürfnisse durch die Volkswirtschaft gefördert. 2. Die sozialistische Lebensweise prägt über Denk- und Verhaltensweisen im Bewußtsein der Menschen eine neue Einstellung zum Lebensniveau. So langfristig dieser Prozeß auch ist, er ist in den sozialistischen Staaten nachweisbar. Es entwickelt sich — wenn auch zum Teil widersprüchlich — ein vernünftiges Verhalten, eine sachliche Einstellung zur Konsumtion, woraus sich eine andere Zielsetzung der Bedürfnisbefriedigung ergibt. Uber die Erhöhung des Wohlstandes werden im Sozialismus Wege zur Gestaltung der sozialistischen Lebensweise gebahnt. Richtiger und deutlicher wird dieser komplizierte Prozeß, wenn man den Aspekt des Lebensniveaus als ökonomische Voraussetzung oder Bedingung für die weitere Gestaltung des Lebensweise sieht: 1. Die stetige Erhöhung des Lebensniveaus bedeutet bessere Bedürfnisbefriedigung. Dadurch wird die unmittelbare Beteiligung des Werktätigen an seinen Arbeitsergebnissen sichtbar und seine Leistungsbereitschaft erhöht. Dies wiederum fördert seine Einstellung zur Arbeit und zur Gesellschaft. 2. Zum Lebensniveau gehören eine Reihe von Hauptbestandteilen, die verschiedene Seiten der Bedürfnisbefriedigung erfassen. Mit der weiteren Verbesserung der zeitlichen und materiellen Arbeitsbedingungen sowie der natürlichen und räumlich-gebauten Umwelt werden positive Wirkungen in der Bedürfnisbefriedigung erzielt. Es verbessern sich die Reproduktionsbedingungen für den Menschen und seine Arbeitskraft. Er gewinnt weitere Befriedigung in der Arbeit und hat Zeit und Interesse für Tätigkeiten, die seiner Entwicklung dienen. 3. Durch die Erhöhung des Lebensniveaus, insbesondere in Gestalt unentgeltlicher Leistungen der sozial-kulturellen Bereiche und ihrer Einrichtungen, wird der Gesundheitszustand verbessert, das Kulturniveau erhöht, die Qualifizierung gesteigert und anderes mehr. Die Persönlichkeitsentwicklung wird dadurch positiv beeinflußt. Die weitere Verbesserung insbesondere der terri197

Sozialistische Gesellschaftsordnung

Bevölkerung und ihre Reproduktion

Lebensniveau

Produktionsweise

sozialistische l—.gesellschaftliche Lebensweise Beziehungen und ^ — . V e r h a l t e n und Denken PersönlichArt und Weise keitsent— » d e r Bedürfniswicklung befriedigung —.Tätigkeiten

»Wirkung der Arbeitsbedingungen — Wirkung der Umwelt bedingungen ^—individuelle Konsumtion '—Arbeitszeit und arbeitsfreie Zeit

Wirkung auf • Klassenstruktur • Verhältnis Stadt — Land • Verhältnis körperlicher zu geistiger Arbeit • gesellschaftliches Bewußtsein

Anforderungen an

Produktion und nichtproduzierende Bereiche vermittelt durch Distribution: Geldeinkommen

und

unentgeltliches aus gesellschaftlichen Fonds

Abb. 4 Vereinfachte Darstellung der Beziehungen zwischen Lebensweise und Lebensniveau

torialen Infrastruktur schafft bessere Bedingungen für Dienstleistungen, die unmittelbar dem Menschen und seiner allseitigen Entwicklung dienen. 4. Die individuelle Konsumtion schafft günstige Voraussetzungen sowohl für das allgemeine Wohlbefinden als auch für den Gewinn von wirklicher Freizeit. Dieser Prozeß verläuft nicht gleichmäßig, sein Ziel ist jedoch eindeutig. Hierin zeigt sich auch ein prinzipieller Unterschied zur individuellen Konsumtion im Kapitalismus. Der höhere Ausstattungsgrad der Wohnungen, der Garten, das Auto sind im Sozialismus kein Statussymbol, sondern sollen dazu dienen, Zeit für sinnvolle interessante Tätigkeiten, auch Hobbys, zu gewinnen. In den letzten zehn Jahren haben Arbeitszeitverkürzungen und Verringerung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten zu einem Anwachsen der Freizeit und zu einem spürbaren Zuwachs an Zeit für den Nachtschlaf geführt. Vom Standpunkt der Gesunderhaltung ist dies sehr positiv. Die genannten Gesichtspunkte müssen nun ihren konkreten Niederschlag in der weiteren Vervollkommnung der Lebensstandardplanung finden, weil damit wesentlicher Einfluß auf die Lebensweise genommen wird.

6. 5.

Volkswirtschaftliche

6. 5. 1.

Ziel der Planung des

Planung des

Lebensniveaus

Lebensniveaus

Die Lebensstandardplanung muß den wichtigsten Bedürfnissen der Arbeiterklasse und der großen Mehrheit der Werktätigen entsprechen, ihr Vertrauen und ihre Aktivität bei der weiteren allseitigen Stärkung der DDR in hohem Maße beeinflussen.14 Grundlage der Ausarbeitung der Fünfjahr- und der Jahrespläne sind die im Programm der SED charakterisierten langfristigen Ziele der weiteren Erhöhung des materiellen und geistig-kulturellen Lebensniveaus und der allseitigen Entfaltung der Persönlichkeit.15 Die Planung muß die daraus abzuleitenden Anforderungen an die stetige und dynamische Erhöhung der Leistungskraft der Volkswirtschaft, insbesondere ihrer Produktivitäts- und Effektivitätssteigerung, ermitteln, die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten zur Realisierung dieser Ziele bestimmen und die Schrittfolge sowie das Ausmaß ihrer Verwirklichung für die einzelnen Fünfjahr- und Jahrespläne festlegen. Die ökonomische Politik der Partei und der Regierung wird von der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik bestimmt. Das findet in den sozialpolitischen Programmen und den spürbaren Ergebnissen der bisherigen Realisierung seinen deutlichen Ausdruck. Aus der wachsenden Verschmelzung der 14 15

E . Honecker, Zur Durchführung der Parteiwahlen 1975/76, Berlin 1975, S. 20. Vgl. Zu den Prinzipien der Planung, Volkswirtschaftsplanung, Lehrbuch, Berlin 1975, S. 2 9 - 4 4 .

199

persönlichen und der gesellschaftlichen Interessen zu einer Einheit, die eine entscheidende Triebkraft beim Aufbau des Sozialismus bedeutet, leiten sich zugleich qualitativ neue Anforderungen an das Niveau der Planung der Volkswirtschaft ab und dabei vor allem auch an die Planung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus. Mit dem im neuen Programm der SED formulierten Ziel, „in der Deutschen Demokratischen Republik weiterhin die entwickelte sozialistische Gesellschaft zu gestalten und so grundlegende Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus zu schaffen" 16 , wird die Verbindung zwischen der Planung des Lebensniveaus und der aktiven Gestaltung der sozialistischen Lebensweise immer enger. Die Planung des Lebensniveaus ist bereits gegenwärtig ein wesentlicher Bestandteil der Leitung und Planung sozialer Prozesse, insbesondere solcher, die in direktem Zusammenhang mit der Realisierung der sozialpolitischen Programme des VIII. und IX. Parteitages standen und stehen. Mit der Planung des Lebensniveaus werden sowohl wirtschaftsals auch sozialpolitische Zielsetzungen als Einheit verwirklicht. Sozialpolitische Festlegungen für Klassen, Schichten und soziale Gruppen werden durch die planmäßigen Maßnahmen der Erhöhung des Lebensniveaus wirksam. Dabei zeigt sich ein enges Zusammenwirken distributiver und konsumtiver Prozesse. Die Befriedigung materieller und geistig-kultureller Bedürfnisse muß im Einklang mit einkommenspolitischen Festlegungen stehen. Weiterhin sind die sich beeinflussenden Wirkungen in der Planung der Bestandteile des Lebensniveaus zu beachten und mögliche Rang- und Reihenfolgen festzuleg'en. Außerdem ist die territoriale Entwicklung zu berücksichtigen. Noch vorhandene Unterschiede zwischen und innerhalb der Bezirke und Kreise der DDR müssen ausgeglichen werden. Insgesamt sind also distributive und konsumtive, soziale und territoriale Anforderungen und Auswirkungen in die Planung des Lebensniveaus einzubezielien. Die Verpflichtung der Planungsorgane, die Entwicklung der Bedürfnisse und des Bedarfs der Bevölkerung zum maßgeblichen Ausgangspunkt ihrer gesamten Tätigkeit werden zu lassen, führte in den Jahren 1971 bis 1975 zu einer komplexeren und qualitativ anspruchsvolleren Ausarbeitung der entsprechenden Planungsunterlagen. In der Ordnung der Planung der Volkswirtschaft der DDR 1976 bis 1980 ist festgelegt, daß mit der Planung des Lebensniveaus die Entwicklung der Konsumtion materieller Güter und Dienstleistungen, die Entstehung und die Verwendung des Realeinkommens sowie der Geldeinnahmen und -ausgaben der Bevölkerung, die Arbeits- und Lebensbedingungen in den Betrieben, Kombinaten und Einrichtungen, die Dauer der Arbeitszeit und des Urlaubs zu erfassen sind. Zur unmittelbaren Planung des Lebensniveaus zählen zur Zeit weiterhin die Komplexe Wohnungsbau, die Wohnungswirtschaft, das Bildungswesen und die Kultur, die gesundheitliche 16

Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, a. a. O., S. 9.

200

und soziale Betreuung und Versorgung, die Entwicklung von Körperkultur und Sport sowie die Entwicklung des Erholungswesens und des Tourismus. 17 Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, wurde nicht nur das Instrumentarium der Planung des Lebensniveaus vervollkommnet. Es entstanden und entstehen vor allem höhere Anforderungen an die Ausarbeitung analytisch-prognostischer Studien und Analysen zu ausgewählten Problemen. Im Unterschied zu Plänen, die für einen Zweig oder Bereich die Gesamtentwicklung bestimmen, wird die Erhöhung des Lebensniveaus durch unterschiedliche Aufgabenstellungen und im Rahmen von Planauflagen für viele Zweige und Bereiche gewährleistet. Insofern besteht kein komplexer Planteil „Lebensniveau". Die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern wird über die Planauflagen für den Binnenhandel geregelt. Planauflagen für die Entwicklung bezahlter Dienstleistungen werden durch die Räte der Bezirke und Kreise erteilt; die Lohnentwicklung ist mit den Arbeitskräfteplänen verbunden; die sozial-kulturellen Bereiche erhalten Leistungskennziffern über die Räte der Bezirke und Kreise in Abstimmung mit den jeweiligen Ministerien; die betriebliche Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen obliegt den Zweigen, Kombinaten und Betrieben, hier gibt es besondere zentrale Vorgaben; für den Umweltschutz existiert ein eigener Plantcil, spezielle Aufgaben für die Umweltgestaltung und den Schutz der Umwelt sind außerdem in den Plänen der Zweige und Betriebe enthalten. Für eine Reihe wichtiger sozialpolitischer Zielstellungen, die sich aus dem sozialpolitischen Programm ergeben, werden konkrete Maßnahmen und spezielle Aufgaben im Rahmen der Lebensstandardplanung festgelegt. Die genannten Gesichtspunkte müssen nun ihren konkreten Niederschlag in der weiteren Vervollkommnung der Lebensstandardplanung finden, weil damit wesentlicher Einfluß auf die Lebensweise gewonnen wird. Diese planmäßig zu sichernde Anerkennung der Bedürfnisse ist ein sehr komplexer Prozeß. Die Erhöhung des Lebensniveaus durchdringt viele Zweige und Bereiche der Volkswirtschaft, so daß seine Entwicklung mit vielen Plankennziffern und Planteilen verbunden ist. Die Planung des sozialistischen Lebensniveaus der Bevölkerung umfaßt insgesamt wesentliche volkswirtschaftliche Proportionen, analytisch-prognostische Studien, komplexe Bilanzen und Modelle, spezifische Aufgaben für Zweige, Bereiche und Betriebe sowie Kennziffern, die in ihrer konkreten Zielsetzung in den staatlichen Aufgaben und Auflagen für die Ministerien und örtlichen Staatsorgane enthalten sind oder speziellen Entscheidungen vorbehalten bleiben. 18 17

18

Vgl. Anordnung über die Ordnung der Planung der Volkswirtschaft der D D R 1976 bis 1980 vom 20. November 1974 (Gesetzblatt der D D R , Sonderdruck Nr. 775a, S. 183). Vgl. ebenda.

201

Nach dem gegenwärtigen Stand werden in der Praxis durch die Planung des Lebensniveaus erfaßt: — Verbrauch von Konsumgütern und Dienstleistungen, — Entstehung und Verwendung des Realeinkommens, — Geldeinnahmen und -ausgaben der Bevölkerung, — betriebliche Arbeits- und Lebensbedingungen, — Arbeitszeit und Urlaubsdauer, — komplexer Wohnungsbau und Wohnungswirtschaft, — Bildungswesen und Kultur, — gesundheitliche und soziale Betreuung, — Körperkultur und Sport, — Erholungswesen und Tourismus. Geht man von den Bestandteilen des Lebensniveaus aus, so ist noch hinzuzufügen, daß die Zeitverwendung bisher nur analytisch verarbeitet und bei der Festlegung staatlicher Aufgaben mit herangezogen wird. Die materiellen Arbeitsbedingungen sind sowohl im Plan der Verbesserung der betrieblichen Arbeits- und Lebensbedingungen als auch in anderen betrieblichen Plänen enthalten. Dieser betriebliche Planteil steht jedoch mit den staatlichen Aufgaben und Auflagen nur mittelbar in Verbindung. Für die Zukunft ist gerade hier eine weitere Vervollkommnung der Planung vorgesehen. Es geht hierbei um die zweigliche Vorgabe von Eckkennziffern, die für die Industriebetriebe verbindlich sein könnten. Darüber hinaus sind zukünftig auch andere Zweige und Bereiche der Volkswirtschaft in ein einheitliches System der Planung der betrieblichen Arbeits- und Lebensbedingungen einzubeziehen. Hinsichtlich der volkswirtschaftlichen Verflechtungen werden im gegenwärtigen Planungsprozeß folgende Proportionen, die die Entwicklung des Lebensniveaus bestimmen und Grundlage der Kennziffern sind, ermittelt: — Anteil des Konsumtionsfonds am Nationaleinkommen und Aufgliederung auf individuelle und gesellschaftliche (Materialverbrauch des Staates, der Organisationen, der sozial-kulturellen Bereiche u. a.) Konsumtion; — Struktur des Konsumtionsfonds nach Erzeugnisgruppen; — Anteil der Investitionen im nichtproduzierenden Bereich (Wohnungsbau, Schulen, Krankenhäuser, Sportstätten, Erholungszentren, Kulturstätten u. a.) am Akkumulationsfonds (wird als nichtproduktive Akkumulation bezeichnet und ist politökonomisch Konsumtionsfonds); — Zweig- und Territorialstruktur dieser Investitionen; — Verhältnis zwischen individuell bezahlter Konsumtion (von der Bevölkerung zu bezahlende Konsumgüter und Dienstleistungen) zu den unentgeltlich gewährten Leistungen (Güter und Dienste); — Verhältnis zwischen Arbeitsleistung und Arbeitseinkommen; — Verhältnis zwischen Arbeitseinkommen (Geldeinnahmen aus Berufstätigkeit) und Geldeinkommen aus gesellschaftlichen Fonds; — Verhältnis zwischen Geldeinnahmen, Geldausgaben und Geldakkumulation.

202

Wie aus vorstehenden Relationen und den entsprechenden Kennziffern hervorgeht, konzentrieren sich in der Praxis der Planung die zentralen Aufgaben vorwiegend auf die Konsumtion der Bevölkerung und die damit zusammenhängenden einkommenspolitischen Fragen. Bei der Planung der sozial-kulturellen Bereiche und sozial-kultureller Leistungen wird im Prinzip nicht die jeweilige konkrete Leistung, die der Bürger in Anspruch nehmen kann, d. h., es wird ihm die Möglichkeit dazu geboten, geplant, sondern die konkreten Bedingungen (Grundfonds, Material, Arbeitskräfte, Haushaltsmittel) für die Hervorbringung und Inanspruchnahme der Leistung. Dies zeigt sich beispielsweise in solchen Kennziffern wie Schaffung von Kapazitäten nebst Instandhaltung, Plätze in Schulen und Hochschulen, Kindergartenplätze, Bettenplätze in Heimen, Betten in Krankenhäusern, Besatz an Ärzten, Campingplätze, Freibäder, Hotelplätze, Sendestunden des Rundfunks und des Fernsehens. Hinter den gesamten Proportionen und Zielsetzungen, wie sie auch aus der Planungsordnung erkennbar sind, stehen die Bedürfnisse der Bevölkerung der DDR. Durch die volkswirtschaftliche Planung können diese Bedürfnisse effektiv und zielgerichtet befriedigt werden. Die bürgerliche Ansicht, daß erst über den Markt Bedürfnisse gesteuert werden könnten, bedeutet nichts anderes, als durch Manipulierung des Menschen im Interesse der großen Monopole Profit zu machen, gleichgültig, ob es sich um notwendige oder gar deformierte, suggerierte Bedürfnisse handelt. Natürlich kann durch den Plan nicht jedes Detail festgelegt werden. Insbesondere durch das Vertragssystem als Bestandteil der Planung und durch eine gemeinsame operative Tätigkeit des Handels, der Produzenten und der örtlichen Staatsorgane bei der Plandurchführung werden die Planauflagen im Sinne der erforderlichen Bedürfnisbefriedigung und darin eingeschlossen der Bedarfsdeckung wirksam. Mit der Bedürfnisbefriedigung nebst Bedarfsdeckung werden die Interessen der Bevölkerung unmittelbar betroffen. Es zeigen sich dabei eine Reihe von Besonderheiten gegenüber anderen Planteilen und Planauflagen. Was ist als Besonderheit anzusehen? 1. Die Bedürfnisse der Bevölkerung entwickeln sich auf der Grundlage des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und der Vervollkommnung der sozialistischen Produktionsverhältnisse sehr schnell und vielgestaltig. 2. Die Struktur der Konsumenten verändert sich nach Geschlecht, Alter, Beruf, Lebensgewohnheiten, oft abhängig vom Territorium, von den Familienverhältnissen. 3. Die Haushaltseinkommen erhöhen sich ständig, wobei die Einkommensverhältnisse differenziert sind. Hinzu kommt, daß sowohl direkte als auch indirekte Einkommen absolut wachsen, aber in unterschiedlicher Relation und in Abhängigkeit von der sozialpolitischen Zielsetzung. 4. Der Konsument hat die Möglichkeit der Wahl: — zwischen den Sortimenten bei Konsumgütern,

203

— zwischen bestimmten Konsumgütern oder zwischen Konsumgütern und Dienstleistungen, — der vorläufigen Zurückstellung des Kaufwunsches, — zwischen Kauf auf Teilzahlungskredit oder Barkauf, — der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Kauf und Sparen, — der Wahl des Kaufortes und des Handelsorgans. Durch eine exakte Bedarfs- und Marktforschung werden die Voraussetzungen geschaffen, daß im Plan volumen- und strukturmäßig richtige Größenordnungen festgelegt werden können. Eine weitere Besonderheit ist, daß bestimmte Zielsetzungen direkt als Realisierungsgröße geplant werden, während für andere in Form von Leistungskennziffern die Bedingungen geplant werden, die eine Inanspruchnahme von Dienstleistungen und Konsumgütern durch die Bevölkerung ermöglichen. Beides ist eng verflochten und betrifft sowohl die zentrale als auch die örtliche und betriebliche Ebene. Wie in der gesamten Volkswirtschaftsplanung ist auch in der Lebensstandardplanung eine wachsende Integration zwischen lang- und mittelfristiger Planung festzustellen. Sie geht einher mit der Gewährleistung immer vollkommnerer Übereinstimmung zwischen den Jahresabschnitten des Fünfjahrplanes und den Jahresvolkswirtschaftsplänen. Die letztere Übereinstimmung zeigt sich methodisch in der Ordnung der Planung für 1976 bis 1980.

6.5.2.

Das gegenwärtige niveaus

Kennziffernsystem

der

Planung

des

Lebens-

Die Ordnung der Planung legt fest, daß mit dem Fünfjahrplan wahrzunehmen ist — die inhaltliche und zeitliche Präzisierung und Detaillierung der Zielstellungen des langfristigen Planes unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Plandurchführung, der Bedürfnisentwicklung und neuer wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse, — die Sicherung der volkswirtschaftlichen, zweiglichen und territorialen Verflechtungen des Reproduktionsprozesses durch die Bilanzierung der erforderlichen Aufwendungen und der realen Möglichkeiten im Fünfjahrplanzeitraum, — die Koordinierung nach Jahresabschnitten. Die sich aus dem langfristigen Plan und den sozialpolitischen Programmen ergebenden Aufgaben fließen sowohl in konkrete Maßnahmen zur Erhöhung des Lebensniveaus als auch in die Pläne verschiedener Ministerien sowie der Räte der Bezirke ein. Bestandteil des Fünfjahrplanes und der Jahrespläne sind hinsichtlich der Entwicklung des Lebensniveaus folgende volkswirtschaftliche Aufgabenstellungen, die in vielen Plänen ihren konkreten, kennziffernmäßigen Niederschlag finden: 204

1. Entwicklung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens und Arbeitszeitfonds; 2. die Entwicklung der Gesamtgeldeinnahmen und -ausgaben der Bevölkerung (Arbeitseinkommen und Geldeinkommen aus gesellschaftlichen Fonds); 3. die Produktion von Konsumgütern für die Bevölkerung; 4. der Warenfonds des Einzelhandels für den Verkauf an die Bevölkerung; 5. die entgeltlichen Dienstleistungen und Reparaturen für die Bevölkerung; 6. der komplexe Wohnungsbau und die Leistungen der WohnungsWirtschaft; 7. Leistungen der Betriebe und Einrichtungen des Bildungswesens, des Gesundheits- und Sozialwesens, der Kultur (einschl. Rundfunk und Fernsehen), der Körperkultur, des Sports, des Erholungswesens und Tourismus auf Basis entsprechender gesellschaftlicher Fonds. Bestimmte auch das Lebensniveau berührende Aufgaben werden — wie schon erläutert — außerdem in der Planung des Umweltschutzes und in anderen Planteilen festgelegt. Ähnlich der Begründung des langfristigen Plans sind der Erarbeitung des Fünfjahrplanes Konzeptionen und Studien zugrunde zu legen: — Materialien und Zielsetzungen des langfristigen Planes, — analytisch-prognostische Studien und Analysen zu ausgewählten Problemen der sozialökonomischen Entwicklung (Bedürfnisentwicklung nach Komplexen, Verbrauchsnormative, Bevölkerungsentwicklung, Wohnbedingungen, Studien über junge Ehen, Familien mit Kindern und ältere Bürger, Haushaltseinkommensentwicklung und Verbrauchsentwicklung in den. Familienhaushalten, Geldakkumulationsentwicklung, Arbeitszeitentwicklung, Zeitbudgets von Arbeitern und Angestellten, Entwicklung des Erholungswesens, des Tourismus, des Sports, Entwicklung des geistig-kulturellen Lebens, Vervollkommnung der gesundheitlichen und sozialen Betreuung, Entwicklung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes). An Hand der ermittelten Proportionen und entsprechend der sozial-politischen Zielstellung erhalten die Ministerien und Räte der Bezirke Planauflagen, die unmittelbar auf die Erhöhung des Lebensniveaus wirken. Diese Kennziffern werden gemeinsam mit diesen Organen durch die Staatliche Plankommission erarbeitet. Ausgehend von den konkreten Kennziffern (Planauflagen der Ministerien und Räte), läßt sich folgende (nicht vollständige) Gruppierung vornehmen: 1. Zur Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern — Einzelhandelsumsatz (einschließlich Gaststätten) — Warenfonds für die Versorgung durch den Handel (aus Konsumgüterproduktion und Importen) — Ausstattungsgrad mit langlebigen technischen Konsumgütern je 1000 Haushalte — Warenfonds für Großverbraucher — Gemeinschaftsverpflegung, darunter Teilnahme am Werkküchenessen — Energielieferungen (Elektroenergie, Stadtgas, Erdgas, Fernwärme)

205

2. Zur Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen — Personenbeförderungsleistungen des öffentlichen Verkehrs — Kfz-Instandhaltung — Reparaturleistungen an technischen Konsumgütern — Fertigwäsche für die Bevölkerung — Chemisch-Reinigungsleistungen — hauswirtschaftliche und stadtwirtschaftliche Dienstleistungen 3. Zur Wohnungswirtschaft und -ausstattung — Baureparaturen an Wohngebäuden — Fernsprechanschlüsse je 100 Einwohner — Neubau und Modernisierung von Wohnungen — Neubau und Erhaltung von Einrichtungen für die Versorgung und Betreuung der Bevölkerung — durchschnittliche Wohnungsgröße je Neubauwohnung 4. Zum Gesundheits- und Sozialwesen — Anzahl der Heilkuren, der prophylaktischen Kuren — Plätze in Feierabend- und Pflegeheimen je 10000 Bürger im Rentenalter — Anzahl der Ärzte und Zahnärzte je 10000 Einwohner — Betten in Krankenhäusern — Plätze in Kinderkrippen und Heimen — ambulante und stationäre Betreuung 5. Für Kultur, Rundfunk und Fernsehen — Buchbestand in staatlich allgemeinbildenden- und Gewerkschaftsbibliotheken und Benutzer der Bibliotheken — Anzahl der produzierten Schallplatten — Plätze und Besucher in staatlichen Kultur- und Klubhäusern — Sendestunden des Rundfunks und Fernsehens — Verlagsproduktion und Filmherstellung 6. Für das Bildungswesen — Entwicklung der Vorschulerziehung — Entwicklung der Anzahl der Schüler und Anzahl der Schüler je Klasse — Entwicklung des Netzes der Volksbildungseinrichtungen und Unterrichtsräume — Unterrichtsmittel und Schulbücher — Anzahl der Schulabgänger und Absolventen — Entwicklung der Berufsausbildung — Entwicklung der Leistungen des Hoch- und Fachschulwesens — Entwicklung der Forschung und der Publikationen 7. Für Körperkultur, Sport, Erholung — Leistungen des FDGB-Feriendienstes, des Reisebüros und anderer Einrichtungen — Erholungsaufenthalte des FDGB-Feriendienstes, in Betriebsheimen — Anzahl der Hallenschwimmbäder 206

— Leistungen örtlich geleiteter Einrichtungen des Erholungswesens und des Tourismus — Einrichtungen der Kinder- und Jugenderholung — Interhotels und HO-Hotels 8. F ü r den Umweltschutz — Reinhaltung des Wassers und der L u f t — Minderung des Lärms — Nutzbarmachung und Beseitigung von Abprodukten der Industrie und Verwertung von Siedlungsabfällen — Wiederurbarmachung von Bodenflächen 9. Für die Arbeitsbedingungen — Veränderung der Arbeitszeit (Zentraler Plan) — Entwicklung der Arbeitseinkommen — Verbesserung der materiellen Arbeitsbedingungen (in betrieblichen Plänen) Mittels dieser Vielzahl von Kennziffern sowie zentraler Maßnahmen und Beschlüsse wird die Entwicklung des Lebensniveaus in Einklang mit der volkswirtschaftlichen Gesamtentwicklung gesteuert. F ü r die jeweiligen Bereiche werden auch staatliche Aufgaben für Investitionen, Kosten, Arbeitskräfte, Lohnfonds, Kapazitäten, finanzielle Fonds, wissenschaftlich-technische Aufgaben erteilt. 6.5.3.

Bilanzen

für die Planung

der

Konsumtion

Kennziffern und Bilanzen bilden ein einheitliches System, das sich schrittweise mit der Entwicklung der Planung des Lebensniveaus herausgebildet und vertieft hat, wie überhaupt die Planung kein starres System ist, sondern entsprechend dem gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungsstand ergänzt und vervollkommnet wird. Bei jeder volkswirtschaftlichen Bedarfseinschätzung — insbesondere für lang- und mittelfristige Planungszeiträume — ist die Entwicklung der Geldeinnahmen, ihrer Faktoren und ihrer Struktur einer der wesentlichen Ausgangspunkte. In der Volkswirtschaftsplanung dient dazu die Bilanz der Geldeinnahmen und -ausgaben der Bevölkerung. Sie hat sich seit drei Jahrzehnten bewährt, wurde ständig vervollkommnet und zählt heute zu den wichtigsten volkswirtschaftlichen Bilanzen. Ihre genaue Kenntnis, die ihrer Bedeutung und ihrer Grenzen, sind für das Verständnis der Konsumtions- und Lebensstandardplanung unumgänglich. 1 9 19

Die volle Nomenklatur der Geldeinnahmen und -ausgaben der Bevölkerung ist in der „Ordnung der Planung der Volkswirtschaft 1976—1980" enthalten (vgl. „Anordnung über die Ordnung der Planung der Volkswirtschaft der DDR 1976 bis 1980" vom 20. November 1974, a. a. 0., S. 275).

207

Die Bilanzierung

der Geldströme

und der

Warenfonds

Die Bilanz der Geldeinnahmen und -ausgaben wird als zentrale Geldbilanz von der Staatlichen Plankommission als Bestandteil des Fünfjahrplans und der Jahrespläne erarbeitet und dient als Grundlage für die Ausarbeitung der Geldbilanz in den Bezirken. In gleicher Weise werden am Ende der Planzeiträume Abrechnungsbilanzen erarbeitet (vgl. Tabelle 35).

Tabelle 35 Prinzipschema der Bilanz der Geldeinnahmen und -ausgaben der Bevölkerung Geldeinnahmen

Geldausgaben

Bruttogeldeinnahmen der Bevölkerung aus Berufstätigkeit: Arbeiter und Angestellte LPG-Mitglieder

Bruttogeidausgaben •/• Gesetzliche Abgaben Steuern aus Berufstätigkeit Pflichtbeiträge zur SVK

Handwerker in PGH Einzelhandwerker und Gewerbetreibende Kommissionshändler Freiberuflich Tätige + Geldeinnahmen aus gesellschaftlichen Fonds nach Bereichen Gesundheits- und Sozialwesen darunter Renten, Krankengeld, Kindergeld Volksbildung und Kultur darunter Stipendien Banken, Sparkassen, Versicherungen darunter Zinsen, Kredite von Betrieben und Organisationen + Sonstige Geldeinnahmen

Nettogeidausgaben •/• sonstige Steuern und Versicherungen (Haftpflicht, Kasko, Lebensversicherung, Hausratversicherung, FZR) •/• sonstige Ausgaben (Beiträge, Spenden, Zinsen, Gebühren) •/• Geldakkumulation (Spareinlagenzuwachs, Erhöhung Bargeldbestände)

Geldeinnahmen insgesamt

Kauffonds = Kauf von Konsumgütern (Waren) Kauf von Dienstleistungen

Geldausgaben insgesamt

Im Mittelpunkt der Einkommensbilanzierung stehen die Einkommen aus der Berufstätigkeit. Die Geldbilanz geht von den Bruttogeldeinnahmen (oder Bruttoeinkommen) der Bevölkerung aus; sie unterscheidet sich in dieser Hinsicht von der Bilanz des Realeinkommens, die von den Nettogeldeinkommen ausgeht.

208

Die Bruttogeldeinnahmen werden unterschieden nach — Einkommen aus Berufstätigkeit (Arbeitseinkommen), das heißt Lohn, Gehalt, Prämie, Jahresendprämie; — Geldeinnahmen aus gesellschaftlichen Fonds, unterteilt nach den Bereichen, die diese Geldmittel zur Verfügung stellen; — sonstige Geldeinnahmen. Von großer Bedeutung ist, daß die Einkommen sozialökonomisch untergliedert werden nach Arbeitseinkommen der Arbeiter und Angestellten, der LPG-Mitglieder, der Genossenschaftshandwerker sowie Einkommen aus Berufstätigkeit der Einzelhandwerker, der Kommissionshändler und der übrigen Bevölkerungsgruppen. Hieraus läßt sich der Anteil der einzelnen Klassen und Schichten an den gesamten Geldeinkommen ersehen. In der Geldbilanz werden die gesetzlichen Abzüge genau ermittelt. Es handelt sich um die Steuern aus Berufstätigkeit und die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung. Die verbleibenden Geldausgaben, die in der Summe mit den Nettogeldeinnahmen identisch sind, werden untergliedert in — Ausgaben für den Kauf von Konsumgütern, — Ausgaben für die Bezahlung von Dienstleistungen, — Erhöhung der Sparguthaben 20 und der Bargeldbestände, — Ausgaben für sonstige Steuern und für Versicherungen, — Rückzahlung von Krediten und Bezahlung von Zinsen, — Bezahlung von Beiträgen, Gebühren, Spenden. Für die Sicherung einer planmäßigen, stabilen Versorgung und die Gewährleistung einer proportionalen Entwicklung der Konsumgüter produzierenden Betriebe sind die Ausgaben für Konsumgüter — in der Bilanz Warenkäufe genannt — und für Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Spareinlagenzuwachs die entscheidende Ausgangsgröße der weiteren Planung. Es handelt sich hierbei um die Geldmittel, die dem Bedarf der Bevölkerung zugrunde liegen und die der Vermittlung der Bedürfnisbefriedigung dienen. Da es sich hierbei um relativ hochaggregierte Größen handelt, können nur Grundproportionen auf dieser Basis ermittelt werden. Dies gilt besonders für die bereits behandelte Proportion zwischen Kauffonds und Warenfonds. Hinsichtlich der Funktion und der Bedeutung der Geldbilanz im volkswirtschaftlichen Bilanzsystem ist festzustellen: 1. Sie ist ein wichtiges Instrument zur Darstellung der Einkommenspolitik. 2. Die Geldbilanz ist das einzige Instrument zur Bestimmung der Kauffonds der Bevölkerung und auf dieser Basis der Ausgaben für Warenkäufe und für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen. Der Warenumsatzplan des Einzelhandels und die zur Versorgung der Bevölkerung erforderlichen Waren20

14

Die Erhöhung der Sparguthaben durch die Zinsen ist in den Geldeinkommen enthalten. Menz/Winkler

209

fonds werden in Einklang mit der in der Geldbilanz erkennbaren Einkommensund Ausgabenentwicklung bestimmt. 3. Sie erfaßt die Entwicklung der direkten Geldeinkommen und macht dabei die Relationen innerhalb der Arbeitseinkommen sowie zwischen Arbeitseinkommen und Geldeinkommen aus gesellschaftlichen Fonds sichtbar. Sie ist damit eine wichtige Grundlage für sozialpolitische Analysen und Zielsetzungen. 4. Die Geldbilanz als Abrechnungsbilanz zeigt die Geldbewegung bei der Bevölkerung, und zwar hinsichtlich der Grobstruktur der Einnahmen und der Ausgaben unter Berücksichtigung der Spareinlagenentwicklung. Sie läßt dadurch die planmäßige proportionale Entwicklung und auch aufgetretene disproportionale Realisierungsbedingungen erkennen. Der Warenfonds umfaßt die Gesamtheit der für die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung notwendigen Konsumgüter in einem bestimmten Zeitraum. Dies betrifft — wie schon erläutert — alle Konsumgüter, die durch den Einzelhandel verkauft werden sollen, die Sicherung der Arbeiterversorgung, der Schul- und Kinderspeisung (Kinderkrippen, Kindergärten), die Speisenproduktion des öffentlichen Gaststättennetzes und den Verkauf der Gaststätten sowie die notwendigen Fonds zur Versorgung von Großverbrauchern mit Nahrungs- und Genußmitteln (Werkküchen, Ferienheime, Krankenhäuser u. a. m.). Durch die Konsumgüterbilanzen ist volkswirtschaftlich die Übereinstimmung zwischen dem Bedarf der Bevölkerung und den Aufkommen herzustellen. Das schließt die Sicherung eines in Umfang, Sortiment, Qualität und Zeit entsprechenden Aufkommens aus Produktion und Import sowie eine ökonomisch effektive Verwendung der Güter ein. Diese Bilanzen sind vor allem auf die Ermittlung des konkreten Bedarfs der Bevölkerung und dessen Deckung ausgerichtet. Sie sind also kein passives Instrument statistischen Inhalts. Mit ihrer Hilfe wird ein bedarfsgerechter Warenfonds bestimmt. Die Bilanzierung hängt deshalb eng mit den volkswirtschaftlichen Analysen, den Entwicklungsperspektiven des langfristigen Plans und den Ergebnissen der Markt- und Bedarfsforschung zusammen. Die zentralen Konsumgüterbilanzen — wobei in Staatsplanbilanzen und Ministeriumsbilanzen unterschieden wird — werden durch Sortiments- und Einzelerzeugnisbilanzen ergänzt und detailliert. Diese Bilanzen bilden die Grundlage für die Warenfondsbilanzen des Konsumgüterbinnenhandels (vgl. Tabelle 36). Durch das Vertragssystem zwischen Handel und Produktion werden die konkreten Bezugsbedingungen und genauen Sortimentsbestimmungen festgelegt. Die Bilanzen sind demnach Voraussetzung und Bedingung für die konkrete Wirtschaftstätigkeit, ihre Realisierung geschieht mittels der Verträge zwischen Lieferer und Bezieher. Hierbei werden die Einflüsse des Marktes, soweit sie durch die Bilanzierung nicht voll erfaßt werden konnten, berücksichtigt und ausgewertet. Bereits bei der Erarbeitung der Plan vorschlage in den Betrieben werden längerfristige Wirtschaftsverträge abgeschlossen, die

210

Tabelle

36

Schema einer Warenfondsbilanz (nach Warengruppen in Einzelhandelsverkaufspreisen) Aufkommen

Verwendung

Umsatz 1. Anfangsbestand ( + / % Veränderung) 1. 1.1. Großhandel (nach Handelsformen) 1.1. Warenumsatz des Einzelhandels 1.2. Einzelhandel (staatlich, genossen1.2. Warenumsatz der Großverbraucher schaftlich, privat) 1.3. Sonstiger Warenumsatz 2. Neuzugang 2. Sonstige Verwendung 2.1. beim Großhandel 2.1. Handelsrisiko (z. B . Preisnachlässe 2.2. beim Einzelhandel durch Direktin eigener Verantwortung des Handels) bezug beim Produzenten, Lieferung 2.2. Verluste (Schwund, Bruch) durch Produktionsmittelhandel, 2.3. Preismaßnahmen handwerklicher Einzelhandel (Fleischer, Bäcker u. a.) 3. Sonstiger Zugang 3. Endbestand 3.1. Werterhöhung durch Verarbeitung 3.1. Großhandel und Gaststättenproduktion 3.2. Einzelhandel 3.2. Übriges 4. Verfügbarer Warenfonds 4. Verwendeter Warenfonds insgesamt (Es handelt sich hierbei um das Gesamtaufkommen eines Konsumgutes)

eine wichtige Grundlage für die Begründung der Planziele bedeuten. Durch spezifizierte Verträge werden nach Bestätigung des Planes diese längerfristigen Verträge präzisiert und ergänzt. Diese Verträge bilden die Grundlage für die Liefer- und Bezugspläne der Betriebe der Industrie, der Landwirtschaft und des Handels.

Die Bilanzierung

des

Gesamtverbrauchs

Die bisherigen Aussagen über die Planung der Versorgung und damit wesentlicher Seiten des Lebensniveaus betrafen die individuell bezahlte Konsumtion, d. h. den Kauf von Konsumgütern und Dienstleistungen durch die Bevölkerung. Die gesamten direkten und indirekten Einkommen und der gesamte Verbrauch werden in der Bilanz der Entstehung und Verwendung des Realeinkommens erfaßt. 14*

211

i. Die Realeinkommensbilanz spiegelt sowohl konsumtive als auch distributive Prozesse wider und wird nach sozialökonomischen Gesichtspunkten gegliedert. In der Realeinkommensbilanz wird zunächst erfaßt, wie das Gesamteinkommen entsteht. Dem entspricht der prinzipielle Aufbau der Bilanz des Realeinkommens der Bevölkerung. Die Verwendungsseite zeigt, — in welchem Umfang die Bevölkerung ihre Nettogeldeinnahmen für den Kauf von Konsumgütern und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen verausgeben wird (Planbilanz), beziehungsweise verausgabt hat (Berichtsbilanz), — wie hoch sich der Naturalverbrauch auf Grund von Deputaten, Eigenverbrauch in der Landwirtschaft usw. beläuft, — in welchem Maße die Bevölkerung unentgeltlich Dienstleistungen in Anspruch genommen hat, zum Beispiel Dienstleistungen des Gesundheitswesens, — wie sich die Spareinlagen der Bevölkerung entwickeln und welche übrigen Geldausgaben bei der Bevölkerung anfallen, beispielsweise Spenden und Beiträge. Tabelle 37 Prinzipschema der Bilanz der Entstehung und Verwendung des Realeinkommens (Gesamtverbrauch und nichtverbrauchswirksame Ausgaben) * Entstehung

Verwendung

Nettoarbeitseinkommen 1. insgesamt 1.1. 1.1. Nettogeldeinkommen aus Berufstätigkeit (entsprechende Geldbilanz) 1.1.1. 1.2. Naturaleinnahmen aus Berufs1.1.2. tätigkeit, z. B. Deputate 1.2. 2. Einkommen aus gesellschaftlichen Fonds in Geldform (entsprechende 1.3. Geldbilanz) Einkommen aus gesellschaftlichen 3. Fonds in Naturalform (indirektes 1.3.1. Einkommen) 1.3.2. 2 + 3 Einkommen aus gesellschaftlichen 2. Fonds insgesamt 4. Verfügbares Realeinkommen 2.1. 1.

2.2. 3.

Verbrauchswirksame Realeinkommen Bezahlter Verbrauch der Bevölkerung Konsumgüterkäufe Käufe von Dienstleistungen Naturalverbrauch aus Naturalverteilung Unentgeltliche Dienstleistungen und Konsumgüter für die Bevölkerung nach Bereichen Konsumgüterverbrauch Unentgeltliche Dienstleistungen Nichtverbrauchswirksames Realeinkommen Geldakkumulation (entsprechende Geldbilanz) sonstige Ausgaben (entsprechende Geldbilanz) Realeinkommen insgesamt

* Die Preis- und Tarifentwicklung wird berücksichtigt

212

Mit der Realeinkommensbilanz wird demnach die über das Geldeinkommen (beziehungsweise über die Geldausgaben) der Bevölkerung realisierte Konsumtion mit der unentgeltlichen Konsumtion aus gesellschaftlichen Fonds zusammengeführt. Der Bilanzierung des Realeinkommens liegen politische und ökonomische Leitlinien, wichtige volkswirtschaftliche Proportionen und Hauptkennziffern Quellen und Verwendung der gesellschaftlichen Fonds

Staatshaushalt und Sozialversicherung

Betriebe

Organisationen

i

Geld form (direkte Einkommen) Staatshaush.

Natu raiform (indirekte Einkommen) Betriebe

Organisationen

44— Renten — Teilrenten - Geld— Stipen- — Unterstütprämien dien zungen — soziale - Kinfür soziale ZuwenderZwecke dungen geld - Zu— Ehren— Kranschüsse renten kenbei geld Qualifizierungen

Staatshaush. -

Betriebe

i 4Bil- Zuschüsse dungs-, f. BeGesundtriebsheits- u. essen, SozialErholungswesen wesen, Qualifizierung, Wohnungsbau, betriebl. Gesundheitswesen, Kultur, Sport — Arbeitskleidung — Sachprämien

Organisationen

i

— Buchprämien — Kultur - Erholungswesen - Verpflegung für ältere Bürger — Sportbekleidung

Abb. 5 Struktur der gesellschaftlichen Fonds

213

über die Entwicklung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes zugrunde, die sich in der Bilanz widerspiegeln müssen. 2. In der Realeinkommensbilanz werden dann sowohl der persönliche Konsumgüterverbrauch als auch die Inanspruchnahme der Dienstleistungen durch die Bevölkerung ermittelt. Beide Bestandteile der individuellen Konsumtion spiegeln sich in dieser Bilanz wider. Um den Gesamtumfang der Bevölkerungskonsumtion ausweisen zu können, ist es notwendig, den Geldausdruck durchgängig anzuwenden. Zum Konsumgüterverbrauch rechnen dabei sowohl die Konsumgüterkäufe der Bevölkerung als auch die Zuwendungen an Konsumgütern, die den Bevölkerungsverbrauch zwar vergrößern, aber nicht gegen Entgelt erworben werden. Die aus dem sogenannten Naturalverbrauch stammenden Einkommen müssen nach Endverbraucherpreisen (EVP) bewertet und damit in Geldeinheiten umgerechnet werden. Alle unentgeltlich gewährten Dienstleistungen werden ebenfalls erfaßt. Die aus gesellschaftlichen Fonds gewährten oder durch sie vermittelten unentgeltlichen Leistungen sind also Bestandteile des Realeinkommens. Dabei ist zu beachten, daß aus gesellschaftlichen Fonds sowohl Geldeinkommen als auch indirekte Einkommen (Leistungen in Naturalform) gewährt werden (vgl. Tabelle 37 und Abbildung 5). 3. Die Realeinkommensbilanz hat sich in die volkswirtschaftliche Bilanzierung einzugliedern. Sie steht nicht losgelöst neben weiteren volkswirtschaftlich wichtigen Bilanzen wie der Verflechtungsbilanz des gesellschaftlichen Gesamtprodukts, der Finanzbilanz der Volkswirtschaft u. a. Sie ist vielmehr ein Teil des volkswirtschaftlichen Bilanzsystems und muß sich in dieses sinnvoll einordnen. Auf diese Weise besteht zwischen der Realeinkommensbilanz und wichtigen Bilanzen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ein enger kennziffernmäßiger Zusammenhang.

214

7.

Arbeitszeit und arbeitsfreie Zeit

7.1.

Zeitverwendung

und

Persönlichkeitsentwicklung

Eine wesentliche Seite des Einflusses der Sozialpolitik auf die Erhöhung des sozialistischen Lebensniveaus besteht in der planmäßigen Vergrößerung der arbeitsfreien Zeit und ihrer sinnvollen Nutzung für die allseitige Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten. Bereits durch die Klassiker des MarxismusLeninismus wurde darauf hingewiesen, daß bei gesellschaftlicher Produktion und Durchsetzung des Gesetzes der Ökonomie der Zeit — einerseits der Umfang der Arbeitszeit an den Bedürfnissen der Werktätigen gemessen wird, das heißt von dem angestrebten Lebensniveau abhängt, — anderseits die steigende Arbeitsproduktivität dazu führen wird, daß die arbeitsfreie Zeit und dabei insbesonders die Freizeit aller Werktätigen wächst. Die generelle Aufgabenstellung der Sozialpolitik besteht hinsichtlich der Dialektik von Arbeitszeit und arbeitsfreier Zeit darin, mit Hilfe sozialpolitischer Maßnahmen die volle Nutzung der Arbeitszeit zu unterstützen, Überstundenarbeit zu vermeiden oder zu vermindern, eine schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse der Werktätigen zu gewährleisten, Bedingungen für die Erhöhung des Anteils der Freizeit an der arbeitsfreien Zeit zu schaffen und eine sinnvolle Nutzung der Freizeit für die Persönlichkeitsentwicklung anzuregen. Der Freizeit kommt bei der Persönlichkeitsentwicklung eine bedeutsame Rolle zu. Die Freizeit wird von den Werktätigen für verschiedene Zwecke genutzt. 1 Dazu gehören die persönliche Bildung und Qualifizierung, gesellschaftliche Tätigkeiten, der Besuch von Kultur- und Sportveranstaltungen sowie kulturellen Einrichtungen, die künstlerische Selbstbetätigung, die Pflege von Hobbys, die aktive sportliche Betätigung, der Empfang von Fernseh- und Rundfunksendungen, das Anhören von Schallplatten, das Lesen von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen, die Erholung (ohne besondere Tätigkeiten), die Teilnahme an geselligen Zusammenkünften und anderes. 2 Unter diesen Tätigkei1

2

Über den Inhalt des Begriffs noch nicht abgeschlossen. Vgl. Freizeitbegriff, in: Lebensweise Vgl. Definitionen für Planung, 1975, S. 139.

„Freizeit" ist der wissenschaftliche Meinungsstreit P. Förster, Überlegungen zu einem marxistischen — Kultur — Persönlichkeit, Berlin 1975, S. 82—86. Rechnungsführung und Statistik, Teil 5, Berlin

215

ten befinden sich viele, die für die allseitige Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten von besonderer B e d e u t u n g sind. Zu ihnen gehören insbesondere: — die aktive Teilnahme an der Leitung und L ö s u n g gesellschaftlicher Aufgaben (oft kurz als gesellschaftliche Tätigkeit oder gesellschaftliche Arbeit bezeichnet), — die Aneignung eines hohen Niveaus der Bildung, — die Entwicklung und Befriedigung vielseitiger geistig-kultureller Interessen und Bedürfnisse, — eine gesunde Lebensführung, Körperkultur und S p o r t . 3 Die E n t f a l t u n g dieser Tätigkeiten besitzt für die Lösung der H a u p t a u f g a b e bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft außerordentliche B e d e u t u n g , da sie nicht nur zur Verwirklichung des Zieles der H a u p t aufgabe, sondern zugleich zur Entwicklung der Mittel zu ihrer L ö s u n g beitragen. Dieser A s p e k t ist bereits von Marx und Engels herausgearbeitet worden, von denen die Tätigkeiten in der Freizeit stets als besonders wichtiger Teil der disponiblen Zeit 4 der Gesellschaft und jedes ihrer Mitglieder gekennzeichnet worden sind. Beispielsweise stellte Marx f e s t : „ T i m e of labour5, auch wenn der Tauschwert aufgehoben, bleibt immer die schaffende S u b s t a n z des Reicht u m s und das Maß der Kost, die seine Produktion erheischt. Aber free time, disposable time6, ist der Reichtum selbst — teils zum Genuß der Produkte, teils zur free activity 7 , die nicht wie die labour 8 durch den Zwang eines äußren 3 4

5 6 7 8

Vgl. Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1976, S. 53—55. Die disponible Zeit ist die „ . . . Zeit, die nicht durch unmittelbar produktive Arbeit absorbiert wird" (K. Marx, Theorien über den Mehrwert, in: MEW, Dritter Teil, Bd. 26, 3, Berlin 1968, S. 252); es ist Zeit „ . . . außer der notwendigen Arbeitszeit" (K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 595). Die gesamte Zeit aller Mitglieder der Gesellschaft teilt sich deshalb in notwendige Arbeitszeit in der Produktion und disponible Zeit auf (vgl. K. Marx, Das Kapital, Erster Band, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1962, S. 534). Die disponible Zeit setzt sich aus der Mehrarbeitszeit und der arbeitsfreien Zeit der in der materiellen Produktion arbeitenden Werktätigen und ihrer nichtberufstätigen Familienmitglieder sowie der Arbeitszeit und arbeitsfreien Zeit der nicht in der materiellen Produktion tätigen Bevölkerung zusammen. Als Bestandteile der disponiblen Zeit werden speziell die Zeit für die Mahlzeiten (das Essen), für den Schlaf, für das Wachstum, die Entwicklung und Gesunderhaltung des Körpers, für menschliche Bildung, geistige Entwicklung (geistige Tätigkeit), für die Erfüllung sozialer Funktionen, geselligen Verkehr, für körperliche Bewegung in freier Natur, den Genuß der Natur, von freier Luft und Sonnenlicht, für das freie Spiel der physischen und geistigen Lebenskräfte genannt (vgl. F. Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England, in: MEW, Bd. 2, Berlin 1957, S. 347; K. Marx, Das Kapital, Erster Band, in: MEW, Bd. 23, a. a. 0 . , S. 280). Gleichbedeutende Bezeichnungen für die disponible Zeit sind freigewordene Zeit und freie Zeit. Arbeitszeit. Freie Zeit, disponible Zeit. Freien Tätigkeit. Arbeit.

216

Zwecks bestimmt ist, der erfüllt werden muß, dessen Erfüllung Naturnotwendigkeit oder soziale Pflicht, wie man will. Es versteht sich von selbst, daß die time of labour 9 selbst, dadurch, daß sie auf ein normales Maß beschränkt, ferner nicht mehr für einen andren, sondern für mich selbst geschieht, zusammen mit der Aufhebung der sozialen Gegensätze zwischen master and men 10 etc., als wirklich soziale Arbeit, endlich als Basis der disposable time 11 einen ganz andren, freiem Charakter erhält, und daß die time of labour12 eines man 13 , der zugleich der man of disposable time 14 ist, viel höhere Qualität besitzen muß als die des Arbeitstiers." 1 5 Durch die Nutzung der Freizeit zur allseitigen Entwicklung des sozialistischen Menschen entwickeln sich zugleich die für seine Tätigkeit im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß nutzbaren Kräfte und Fähigkeiten. Ihre Anwendung führt zu höherer Arbeitsproduktivität und Effektivität, wodurch die Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum, steigende Konsumtion und Verkürzung der Arbeitszeit geschaffen werden. Die Grundlage dafür, daß die Freizeit sich in dialektischer Einheit mit der Arbeitszeit zum Maß des Reichtums entwickelt, ist die mit der Schaffung sozialistischer Produktionsverhältnisse vollzogene Aufhebung des Gegensatzes zwischen notwendiger Arbeitszeit und disponibler Zeit, zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Unter sozialistischen Produktionsverhältnissen sind die Werktätigen zugleich Eigentümer und Produzenten im gesellschaftlich organisierten Arbeitsprozeß. Die Arbeitszeit ist die Zeitdauer, in der die Werktätigen im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß wirken. Sie dient, wie Marx schrieb, als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der gesellschaftlichen Arbeit und damit zugleich am individuell konsumierbaren Teil des gesellschaftlichen Produkts. 1 8 Gleichzeitig kommt ihm auch das Mehrprodukt als Mitglied der sozialistischen Gesellschaft zugute. Es ist also auch der antagonistische Gegensatz zwischerf notwendigem und Mehrprodukt im Sozialismus verschwunden. Zugleich ist die Grundlage für den wesentlichen Gegensatz von Arbeitszeit und Freizeit beseitigt. Damit nähern sich beide Zeitkategorien auch inhaltlich an. Die sozialistische Gesellschaft legt beispielsweise fest, daß einige Tätigkeiten, die sich dereinst fast ausschließlich in der arbeitsfreien Zeit vollzogen, in bestimmtem Umfang innerhalb der gesetzlichen Arbeitszeit ausgeführt werden Arbeitszeit. Herrn und Knechten. 11 Disponiblen Zeit. 12 Arbeitszeit. 13 Menschen. 14 Mensch, der disponible Zeit hat. 15 K. Marx, Theorien über den Mehrwert, Dritter Teil, in: MEW, Bd. 26, 3, a. a. 0., S. 253; vgl. auch F. Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring), in: MEW, Bd. 20, Berlin 1962, S. 273. " Vgl. K. Marx, Das Kapital, Erster Band, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1974, S. 93. 8

10

217

dürfen, beispielsweise die Teilnahme an Lehrgängen zur politischen und fachlichen Weiterbildung, die Wahrnehmung bestimmter staatlicher und gesellschaftlicher Funktionen, die Pflege erkrankter Kinder und die Erledigung eines Teils der Hausarbeit (Hausarbeitstag). Umgekehrt hört das Nachdenken über Probleme der Berufsarbeit nicht beim Verlassen des Betriebes auf. Das zeigen beispielsweise die Arbeit an Neuerervorschlägen oder die Qualifizierung in der Freizeit. Nicht zuletzt nähern sich Arbeitszeit und Freizeit inhaltlich dadurch immer mehr, daß insbesondere für den Produktionsarbeiter schöpferische Betätigung sowohl in der Arbeitszeit als auch in der Freizeit und anderen Teilen der arbeitsfreien Zeit möglich wird. Im Kapitalismus ist der Gegensatz von Arbeitszeit und Freizeit eine Erscheinungsform des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit. Der Lohnarbeiter ist gezwungen, seine Arbeitskraft für einen bestimmten Zeitraum, die Arbeitszeit, an den Kapitalisten zu verkaufen. Diese Zeit erscheint ihm als Abzug von seiner Lebenszeit, weil das Ergebnis seiner Arbeitstätigkeit nicht ihm gehört. „Er rechnet die Arbeit nicht selbst in sein Leben ein, sie ist vielmehr ein Opfer seines Lebens. . . . Das Leben fängt da für ihn an, wo diese Tätigkeit aufhört, am Tisch, auf der Wirtshausbank, im Bett." 1 7 Für den Kapitalisten besteht der Gebrauchswert der Arbeitskraft darin, daß er sie für einen längeren Zeitraum nutzen kann, als Zeit zur Produktion der für die Erhaltung der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel benötigt wird. Die Vergrößerung der vom Kapital unentgeltlich angeeigneten Mehrarbeitszeit erfolgt dadurch, daß unter anderem die absolute Arbeitszeit (bei gesetzlich oder tarifvertraglich festgelegtem Arbeitstag durch Überstundenarbeit) verlängert und die notwendige Arbeitszeit durch steigende Arbeitsproduktivität verringert wird. Die durch Steigerung der Arbeitsproduktivität wachsende disponible Zeit wird tendenziell in Mehrarbeitszeit verwandelt statt in Freizeit für den Lohnarbeiter. Der Kampf der Arbeiterklasse geht demgegenüber dahin, die Mehrarbeitszeit bei steigendem Konsumtionsniveau in arbeitsfreie Zeit und insbesonders Freizeit zu verwandeln. Unter kapitalistischen Produktionsbedingungen ist für die Arbeiterklasse „die Beschränkung des Arbeitstages . . . eine Vorbedingung, ohne welche alle anderen Bestrebungen nach Verbesserung und Emanzipation scheitern müssen. Sie ist erheischt, um die Gesundheit und körperliche Energie der Arbeiterklasse, d. h. der großen Masse einer jeden Nation, wiederherzustellen und ihr die Möglichkeit geistiger Entwicklung, gesellschaftlichen Verkehrs und sozialer und politischer Tätigkeit zu sichern." 18 Durch die Erfolge der Arbeiterklasse in diesem Kampf kann im Kapitalismus der Gegensatz zwischen Arbeitszeit und Freizeit nicht beseitigt werden. « K. Marx, Lohnarbeit und Kapital, in: M E W , Bd. 6, Berlin 1973, S. 400. 18 K. Marx, Instruktionen für die Delegierten des Provisorischen Zentralrats zu den einzelnen Fragen, in: M E W , Bd. 16, Berlin 1973, S. 192.

218

E s geht vielmehr d a r u m , wie Lenin erläuterte, die Arbeiterklasse v o r körperlicher u n d sittlicher D e g r a d a t i o n zu bewahren u n d ihre F ä h i g k e i t z u m K a m p f f ü r ihre B e f r e i u n g zu erhöhen. 1 9 E r s t die B e s e i t i g u n g von A u s b e u t u n g u n d U n t e r d r ü c k u n g h e b t den G e g e n s a t z zwischen Arbeitszeit u n d Freizeit auf.

7.2.

Das Zeitbudget der

Bevölkerung

F ü r die gezielte, planmäßige Erweiterung der Freizeit ist es notwendig, die S t r u k t u r des Z e i t b u d g e t s der B e v ö l k e r u n g zu analysieren u n d die in d e r gebundenen Zeit vorhandenen Zeitreserven zu erschließen u n d die a u f t r e t e n d e n Zeitverluste zu verringern u n d zu beseitigen (vgl. A b b i l d u n g 6).

Das Zeitbudget der Bevölkerung umfaßt die Gesamtheit der Tätigkeiten, ausgedrückt in Stunden und Minuten, für mindestens 1 Tag bis zur gesamten Lebenszeit der Menschen. T y p i s c h sind bei Zeitbudgeterhebungen W o c h e n z e i t b u d g e t s . Die Zeitverwendung ist somit ein b e s t i m m t e r A u s d r u c k des individuellen L e bensstils u n d im gesellschaftlichen Durchschnitt der Lebensweise der K l a s s e n , Schichten u n d B e v ö l k e r u n g s g r u p p e n . Die gebundene Zeit ist ein Teil des Zeitbudgets, zu d e m die folgenden T ä t i g keitsgruppen g e h ö r e n : a) die Arbeitszeit, zu der bei B e r u f s t ä t i g e n die hauptberufliche Arbeitszeit, die bezahlten A r b e i t s p a u s e n , die Qualifizierung während der Arbeitszeit u n d die Zeit der A u s ü b u n g nebenberuflicher T ä t i g k e i t e n sowie bei Schülern, L e h r lingen u n d S t u d e n t e n die Teilnahme a m Unterricht und die E r l e d i g u n g d e r Hausaufgaben zählen; b) die a r b e i t s g e b u n d e n e Zeit, zu der die Zeit für Waschen, Umziehen u n d dergleichen im Z u s a m m e n h a n g m i t der T ä t i g k e i t im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß, die unbezahlten A r b e i t s p a u s e n und die Wegezeiten zwischen B e t r i e b und Wohnung gerechnet w e r d e n ; c) der Z e i t a u f w a n d f ü r hauswirtschaftliche T ä t i g k e i t e n (Zubereitung der Mahlzeiten, Geschirrspülen u n d dergleichen, R e i n i g u n g , Pflege u n d R e p a r a t u r der Wäsche u n d B e k l e i d u n g , Reinigung u n d P f l e g e der Wohnung, Heizen, R e p a r a turen, G a r t e n a r b e i t , Tierpflege und die L ö s u n g sonstiger A u f g a b e n im H a u s h a l t ) und für andere T ä t i g k e i t e n zur Vorbereitung der individuellen K o n s u m t i o n ( E i n k ä u f e u n d die K o n t a k t a u f n a h m e zu Dienstleistungseinrichtungen u n d Verwaltungsstellen); d) der Z e i t a u f w a n d f ü r Tätigkeiten zur Pflege, B e t r e u u n g und B e s c h ä f t i g u n g der Kinder u n d zur B e t r e u u n g anderer E r w a c h s e n e r ; e) der Z e i t a u f w a n d für Tätigkeiten zur B e f r i e d i g u n g vorwiegend physiologisch bedingter B e d ü r f n i s s e , wozu insbesondere die E i n n a h m e der Mahlzeiten (außer 19

Vgl. W. I. Lenin, Materialien zur Ausarbeitung des Programms der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands, in: Werke, B d . 6, Berlin 1959, S. 16—17.

219

Abb. 6 Das Zeitbudget der Bevölkerung Quelle: Definitionen für Planung, Rechnungsführung und Statistik, Teil 5, Berlin 1975, S. 138 f.

220

in den Arbeitspausen), die Körper- und Gesundheitspflege und der Schlaf gezählt werden.20 Die gebundene Zeit umfaßt damit alle Tätigkeitsgruppen des Zeitbudgets mit Ausnahme der Tätigkeiten in der Freizeit. Die sozialpolitische Einflußnahme auf die Entwicklung der gebundenen Zeit erfolgt hauptsächlich auf zwei Wegen: der Verkürzung der Arbeitszeit und der Verringerung der übrigen gebundenen Zeit. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik der SED verfolgt dabei langfristig folgende Ziele: „In Abhängigkeit vom Entwicklungstempo der Arbeitsproduktivität erstrebt die Partei die weitere differenzierte Verlängerung des Erholungsurlaubs sowie den schrittweisen Übergang zur 40-Stunden-Woche durch Verkürzung der täglichen Arbeitszeit bei Beibehaltung der 5-Tage-Woche. Gleichzeitig wird die Freizeit durch rationelle Organisation von Dienst- und Versorgungsleistungen erweitert." 21 Die Verkürzung der Arbeitszeit bewirkt eine Vergrößerung des zeitlichen Gesamtumfangs der außerhalb des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses ausgeübten Tätigkeiten, der als „arbeitsfreie Zeit" bezeichnet wird. Die Verringerung der übrigen gebundenen Zeit (gebundene Zeit minus Arbeitszeit) führt dagegen zu einer Strukturveränderung der arbeitsfreien Zeit zugunsten der Freizeit. Arbeitszeitverkürzungen verlängern infolgedessen die Freizeit nur in dem Maße, wie die durch sie geschaffene arbeitsfreie Zeit nicht für Tätigkeiten in der übrigen gebundenen Zeit verwendet wird. Die rationelle Gestaltung und Verkürzung der übrigen gebundenen Zeit ist deshalb außer der Verkürzung der Arbeitszeit die Voraussetzung für die Erweiterung der Freizeit. 7.2.1.

Die

Arbeitszeit

Für den Sozialismus ist die Verkürzung der Arbeitszeit eine soziale und ökonomische Gesetzmäßigkeit. Sie ist ein wichtiges Kennzeichen steigenden Lebensniveaus und erfolgt ohne Lohnminderung sowie sozialpolitisch differenziert. Die Hauptformen der Verkürzung der jährlichen, monatlichen, wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit sind die Verlängerung des bezahlten Erholungsurlaubs, die Ausdehnung des einen monatlichen Hausarbeitstag gewährt erhaltenden Personenkreises, die Verringerung der Zahl der Arbeitstage und Arbeitsstunden in der Woche und die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit. Welche Form für die Verkürzung der Arbeitszeit gewählt wird, ist hauptsächlich von den differenzierten Erholungsbedürfnissen und den unterschiedlich stark ausgeprägten touristischen Bedürfnissen der Werktätigen abhängig, für deren Befriedigung eine längere zusammenhängende arbeitsfreie Zeit erforderlich ist. Werktätige mit körperlich 20

21

Vgl. Definitionen für Planung, Rechnungsführung und Statistik, Teil 5, a. a. O., S. 138-139. Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, a. a. O., S. 25.

221

schwerer Arbeit haben vorwiegend das Bedürfnis nach einer Verkürzung der täglichen Arbeitszeit, während die stärker geistig-nerval beanspruchten Werktätigen zur Erholung vor allen Dingen einer längeren zusammenhängenden arbeitsfreien Zeit bedürfen. Mit der Zurückdrängung der körperlich schweren Arbeit, den schnell wachsenden geistig-kulturellen Bedürfnissen und der Entwicklung der freundschaftlichen Beziehungen zu den Völkern der sozialistischen Bruderländer gewinnt daher die Verlängerung des Erholungsurlaubs bei gleichzeitiger Verkürzung der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit in der Tendenz zunehmend an Bedeutung, wie sich das in den Beschlüssen der Partei, der Regierung und des Bundesvorstandes des F D G B in den vergangenen Jahren widerspiegelt. Marx hat den Arbeitstag als die natürliche Maßeinheit für die Funktion der Arbeitskraft 2 2 und die Verkürzung des Arbeitstages als die Grundbedingung 2 3 für die freie, allseitige Entwicklung des Menschen gekennzeichnet. Zum Schutz der Arbeitskraft der Werktätigen sind in der D D R 10 Arbeitsstunden als Höchstgrenze für die täglich zu leistende Arbeitszeit festgelegt. 2 4 Der durchschnittliche gesetzliche Arbeitstag ist jedoch geringer und wird planmäßig schrittweise verkürzt. Gegenwärtig beträgt die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit 8 3 / 4 Stunden. Schichtarbeiter haben in der Regel eine unter 8 % Stunden betragende tägliche Arbeitszeit. Mütter mit 2 und mehr Kindern arbeiten in der Regel 8 Stunden täglich. Mit dem schrittweisen Ubergang zur 40-StundenArbeitswoche werden zunehmend mehr und schließlich alle Werktätigen einen achtstündigen Arbeitstag haben. Die wöchentliche Arbeitszeit ist viele Jahrzehnte lang traditionell durch den Rhythmus von 6 Arbeitstagen und einem arbeitsfreien Tag, der in der Regel der Sonntag war, bestimmt worden. Eine der sozialpolitisch bedeutsamsten Maßnahmen war der schrittweise Übergang zur 5-Tage-Arbeitswoche. Der Wegfall eines Arbeitstages in der Woche verringert die arbeitsgebundene Zeit, da ein Sechstel der Arbeitswegezeit und ein Teil der Zeit für unbezahlte Arbeitspausen und der sonstigen Anwesenheitszeit im Betrieb nicht mehr aufgewandt werden müssen. Das arbeitsfreie Wochenende verlängert sich auf zwei Tage, so daß jede Woche eine längere zusammenhängende arbeitsfreie Zeit gewährleistet wird. Dadurch verbessern sich die zeitlichen Bedingungen für die physische Reproduktion der Arbeitskraft, die Pflege, Betreuung und Erziehung der Kinder und insbesondere zur allseitigen Entwicklung der Persönlichkeit der Werktätigen in der Freizeit. Eine Besonderheit der Arbeitszeitregelung in der D D R ist die monatliche Ge22 Vgl. K. Marx, Das Kapital, Zweiter Band, in: MEW, Bd. 24, Berlin 1963, S. 157. » Vgl. K. Marx, Das Kapital, Dritter Band, in: MEW, Bd. 25, Berlin 1964, S. 828. 24 Vgl. Arbeitsgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. Juni 1977 (Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 18, S. 185), Berlin 1977, S. 45, § 163, Abs. 2. 222

Währung eines zusätzlichen arbeitsfreien Tages an vollbeschäftigte verheiratete Frauen mit eigenem Haushalt sowie alleinstehende Frauen mit Kindern unter 18 Jahren und alleinstehende vollbeschäftigte Frauen über 40 Jahre mit einem eigenen Haushalt. Die jährliche Arbeitszeit wird außer durch die auf die tägliche, wöchentliche und monatliche Arbeitszeit einwirkenden Faktoren durch die Dauer des Erholungsurlaubs und die Zahl der gesetzlichen Feiertage bestimmt. Von den werktätigen Frauen vereinbart ein nicht geringer Teil auf Grund besonderer familiärer Verpflichtungen eine Arbeitszeit, die kürzer als die gesetzliche Arbeitszeit ist. Die Zahl der teilzeitbeschäftigten Frauen kann in dem Maße verringert werden, wie durch gesellschaftliche Einrichtungen der Umfang ihrer familiären Verpflichtungen verringert wird. Auch Alters- und Invalidenrentner können auf ihren Wunsch arbeitsvertraglich eine kürzere Arbeitszeit vereinbaren. Von der gesetzlich festgelegten und arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit ist die tatsächliche Arbeitszeit zu unterscheiden. Bei vollbeschäftigten Berufstätigen unterscheidet sich die tatsächliche Arbeitszeit durch die Ausfallzeiten und Überstundenarbeit von der gesetzlichen Arbeitszeit. Bei Teilzeitbeschäftigten rufen Ausfallzeiten Abweichungen der tatsächlichen Arbeitszeit von der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit hervor. Eng verbunden mit der Verkürzung der Arbeitszeit ist die Zurückdrängung von Überstundenarbeit. Dies erfolgt durch Maßnahmen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation. Dazu wird die Ausnutzung der Arbeitszeit analysiert, um die Ursachen von Überstunden aufzudecken und zu vermeiden, daß Überstunden bei gleichzeitigem Arbeitszeitausfall durch Warte- und Stillstandszeiten geleistet werden müssen. Im Arbeitsgesetzbuch der DDR ist festgelegt, daß Überstundenarbeit nur in Ausnahmefällen und mit Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung angeordnet werden darf (§ 172 Abs. 1). Desweiteren ist geregelt, daß ein Werktätiger an zwei aufeinanderfolgenden Tagen nicht mehr als 4, jährlich nicht mehr als 120 Überstunden leisten darf, soweit nicht im Rahmenkollektivvertrag für einzelne Bereiche andere Regelungen getroffen wurden. Ausgenommen sind Überstunden in Notfällen (§ 174 Abs. 1). Als Notfälle können nur Katastrophen, Verkehrs- und Betriebsstörungen sowie abzuwendende oder zu beseitigende unmittelbare Gefahren betrachtet werden (§ 172 Abs. 2 Buchstabe a). Für Jugendliche von 16 bis 18 Jahren sind für zwei aufeinanderfolgende Tage nicht mehr als 2, jährlich nicht mehr als 60 Überstunden zulässig (§ 174 Abs. 2). Für Jugendliche unter 16 Jahren und Lehrlinge ist Überstundenarbeit verboten (§ 175 Abs. 1). Mit diesen Festlegungen soll vorbeugend auf den Schutz und die Erhaltung der Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Werktätigen eingewirkt und ihnen die Zeit für die Erfüllung ihrer sozialen Verpflichtungen in der arbeitsfreien Zeit und die Entwicklung ihrer Persönlichkeit in der Freizeit gewährleistet werden. 223

7.2.2.

Erweiterung der Freizeit

Wesentlich für die Erweiterung der Freizeit ist die Gestaltung der arbeitsfreien Zeit. Die Verkürzung der Arbeitszeit muß zur Vergrößerung der Freizeit führen, was voraussetzt, daß arbeitsgebundene Zeiten, Zeiten für hauswirtschaftliche Tätigkeiten und zum Teil auch Zeiten für die Pflege und Betreuung der Kinder sich nicht erhöhen. Die Freizeit kann ohne Verkürzung der Arbeitszeit vor allem durch eine Verringerung der genannten Zeitbestandteile erreicht werden, indem Zeitverluste vermieden und Zeitreserven erschlossen werden. Die Sozialpolitik nimmt Einfluß darauf, daß durch Verringerung von Zeitverlusten und die Erschließung von Zeitreserven die Struktur der arbeitsfreien Zeit zugunsten der Freizeit verändert wird. Zeitverluste treten ein, wenn die Ausführung einer Tätigkeit unterbrochen oder der Übergang zur nächsten Tätigkeit verzögert wird und die dadurch entstehenden Wartezeiten nicht für andere sinnvolle Tätigkeiten genutzt werden können. Den Charakter von Zeitverlusten haben auch die Zeitaufwendungen für Tätigkeiten, die sich als nutzlos oder überflüssig erweisen. Zeitreserven sind noch nicht genutzte Möglichkeiten zur Verringerung des für die Ausführung von Tätigkeiten notwendigen Zeitaufwandes. Zur Verringerung von Zeitverlusten können vor allem die Einrichtungen des öffentlichen Personenverkehrs, des Handels, des Dienstleistungswesens und des ambulanten Gesundheitswesens einen wichtigen Beitrag leisten. Zeitverluste im Personenverkehr können durch die Staffelung des Arbeitsbeginns und -Schlusses bzw. der Schichtwechselzeiten 25 der Betriebe, die Anpassung der Fahrpläne an die Spitzenzeiten des Berufsverkehrs, der Einkäufe im Handel, der Benutzung von Verkehrsmitteln für die Naherholung usw. und die Einhaltung der Fahrpläne eingeschränkt werden. Handel und Dienstleistungseinrichtungen können durch Anpassung des Arbeitskräfteeinsatzes an die Spitzenzeiten der Einkäufe und der Inanspruchnahme von Dienstleistungen und durch die Sicherung eines bedarfsgerechten, ausreichenden und kontinuierlichen Angebots, das unnütze Wege erspart, wesentlich zur Verringerung von Zeitverlusten für die Bevölkerung beitragen. In den ambulanten Gesundheitseinrichtungen haben sich Bestellsysteme als Mittel zur Verringerung der Wartezeiten für die Patienten bewährt. Zeitreserven können vor allem durch die Verwendung von Konsumgütern mit zeitsparenden Eigenschaften, die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, den Einsatz leistungsfähigerer Verkehrsmittel und eine optimale Standortverteilung erschlossen werden. Zu den Konsumgütern mit zeitsparenden Eigenschaften gehören vor allem: — automatisierte Haushaltsgeräte, die ohne Aufsicht fungieren und sich nach Ablauf eines vorgegebenen Programms selbsttätig abschalten; 25

Einheitliche Schichtwechselzeiten können aber auch in Gebieten, in denen vor allem Busverkehr besteht, zu einer rationellen Auslastung der Verkehrsmittel führen.

224

— Kühlmöbel, die Einkäufe für mehrere Tage gestatten und der Aufbewahrung von größeren Mengen mit Küchenmaschinen hergestellten und nicht sofort verbrauchten Speisen dienen; — Wasch- und Reinigungsmittel zur Reinigung und Pflege der Wäsche, der Wohnung und Wohnungseinrichtung, durch die Arbeitsgänge zeitlich verkürzt werden oder wegfallen; — Konsumgüter mit geringem Pflegeaufwand (z. B. Fußbodenbeläge, knitterarme oder bügelfreie Textilien); — Lebensmittel mit hohem Verarbeitungsgrad (z. B. halbfertige, garfertige und vorgegarte Lebensmittel). Erhebliche Zeiteinsparungen für die Bevölkerung können vor allem durch die Inanspruchnahme folgender Dienstleistungsarten erzielt werden: — Gemeinschaftsverpflegung, Gaststätten; — Wäschereidienstleistungen, Leistungen der chemischen Reinigung; — Kinderkrippen und Kindergärten; — Bestellsystem in Handelseinrichtungen. Die Wegezeiten können durch den Einsatz schnellerer und sicherer Verkehrsmittel, die Erhöhung der Durchlaßfähigkeit der Verkehrswege, ein ausreichendes Angebot von Parkmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe der Einrichtung und nicht zuletzt durch kürzere Wegstrecken als Folge günstiger Standortwahl für die Arbeitsstätten der Werktätigen, die Handels-, Dienstleistungs-, Gesundheits-, Kultur- und Bildungseinrichtungen, die Wohnhäuser u. a. verringert werden. Die Verringerung von Zeitverlusten und die Erschließung von Zeitreserven tragen in dialektischer Einheit mit der Verringerung der Arbeitszeit dazu bei, die Struktur der arbeitsfreien Zeit zu verbessern. Diese sozialpolitisch bedeutsamen Maßnahmen schaffen zugleich wesentliche Voraussetzungen zur Einbeziehung bisher nicht berufstätiger Frauen und dabei insbesondere der Mütter mehrerer Kinder in den gesellschaftlichen Arbeitsprozeß und für die Einschränkung des Umfangs der Teilzeitarbeit. Davon werden die einzelnen Bestandteile der arbeitsfreien Zeit in unterschiedlichem Maße beeinflußt.

7.3.

Struktur des Zeitbudgets in der DDR

Der Umfang der arbeitsgebundenen Zeit betrug 1974 bei den berufstätigen Arbeitern und Angestellten pro Arbeitstag 2,53 Stunden, wovon auf Pausen 0,82 Stunden, auf Umziehen, Waschen und dergleichen 0,20 Stunden und auf den Arbeitsweg 1,51 Stunden entfielen. Diese Zeitaufwendungen fallen jeden Arbeitstag an. Verringert sich die Zahl der Arbeitstage in der Woche, geht auch die Dauer der arbeitsgebundenen Zeit zurück. Entsprechend verringerte sich mit dem Übergang zur Fünf-Tage-Arbeitswoche der Umfang der arbeitsgebundenen Zeit. Das wird sichtbar, wenn die an Sonnabenden ermittelten Zeitbudgets von berufstätigen Arbeitern und Angestellten in den Jahren 1966 und 1972 miteinander verglichen 15 Manz/Winkler

225

werden. 1966 war erst jede zweite Woche eine Fünf-Tage-Arbeitswoche. Der Zeitbudgeterhebung von 1966 zufolge war daher auch für 39,9% der berufstätigen Arbeiter und Angestellten der Sonnabend ein Arbeitstag. 1972 betrug dieser Anteil dagegen nur noch 29,0%. Bei diesen Arbeitern und Angestellten handelt es sich vor allem um Beschäftigte im Handel, im Gaststättenwesen, im Verkehrswesen, in der Volksbildung und in Industriebetrieben, die auch sonnabends und sonntags arbeiten. Ihre arbeitsgebundene Zeit betrug 1966 sonnabends 1,45 Stunden, im Jahre 1972 infolge Verringerung der unbezahlten Arbeitspausen und der Wegezeiten dagegen nur noch 1,04 Stunden. Da der Anteil der Arbeiter und Angestellten, die am Sonnabend arbeiten, sich verringerte, Verminderte sich die durchschnittliche arbeitsgebundene Zeit je Berufstätigen noch stärker. Sie sank von 0,56 Stunden 1966 auf 0,30 Stunden 1972. Der Übergang zur Fünf-TageArbeitswoche brachte also eine erhebliche Ersparnis an arbeitsgebundener Zeit. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Anteil der vollbeschäftigten Frauen sowie bei den teilzeitbeschäftigten Frauen die durchschnittliche Dauer der Arbeitszeit erhöht. Die arbeitsgebundene Zeit der vollbeschäftigten Frauen ist um 2 / 3 und die der teilzeitbeschäftigten Frauen mit über dreißig Wochenstunden um die Hälfte länger als die der teilzeitbeschäftigten Frauen mit weniger als 30 Stunden Arbeitszeit pro Woche (vgl. Tabelle 38). Die durchschnittliche arbeitsTabelle 38 Dauer der arbeitsgebundenen Zeit der Arbeiter und Angestellten in der DDR 1974 pro Person und Tag im Wochendurchschnitt in Stunden und Zehntelstunden Arbeiter und Angestellte

arbeitsgebundene Zeit insgesamt

davon unbezahlte Arbeitspausen

Umziehen, Waschen und dgl.

Arbeitswegezeit

Berufstätige insgesamt davon: Männer Frauen darunter Frauen in Familienhaushalten — vollbeschäftigt — teilbeschäftigt über 30 Stunden unter 30 Stunden Nichtberufstätige insgesamt davon: Männer Frauen Berufstätige und Nichtberufstätige zusammen

0,97 1,13 0,82

0,31 0,34 0,28

0,08 0,17 0,05

0,58 0,67 0,49

0,74 0,88

0,26 0,30

0,05 0,05

0,43 0,53

0,80 0,53 0,58 1,06 0,40

0,27 0,12 0,11 0,20 0,07

0,05 0,03 0,03 0,06 0,02

0,48 0,38 0,44 0,80 0,31

0,75

0,25

0,05

0,45

Quelle: Autorenkollektiv, Lebensweise und Lebensniveau im Sozialismus, Berlin 1977, S. 145. 226

gebundene Zeit der Frauen hat sich deshalb mit der Verlängerung ihrer durchschnittlichen Arbeitszeit auch vergrößert. Sie ist dennoch kürzer als die arbeitsgebundene Zeit der Männer. Das Ansteigen der arbeitsgebundenen Zeit der Frauen hat für die Gesamtheit der Arbeiter und Angestellten zur Folge, daß sie im Durchschnitt die durch die Fünf-Tage-Arbeitswoche erzielten Zeiteinsparungen wieder aufgehoben hat. 1974 lag die arbeitsgebundene Zeit insgesamt sogar etwas über dem 1966 ermittelten Zeitaufwand (vgl. Tabelle 39). Eine der wichtigsten Voraussetzungen für den steigenden Umfang der Berufstätigkeit der Frauen ist die Verringerung des Zeitaufwandes für hauswirtschaftliche Tätigkeiten und andere Tätigkeiten zur Vorbereitung der individuellen Konsumtion (nachfolgend kurz Hausarbeitszeit genannt). Wie aus Tabelle 39 hervorgeht, ist die Hausarbeitszeit für Männer und Frauen zusammen im Zeitraum von 1966 bis 1974 von 4,3 auf 3,5 Stunden pro Person und Tag zurückgegangen. Bei den Frauen trat ein Rückgang um 1,69 Stunden ein, während sich die Dauer Tabelle 39 Struktur des Zeitbudgets der Klassen und Schichten der Bevölkerung der DDR in Stunden und Zehntelstunden pro Person und Tag Erfaßte Personen und Tätigkeitshauptgruppen

Arbeiter und Angestellte 1966 1

Genossen- Intelligenz Genossen- sonstige schaftsschaftsbauern handwerker

1972

1974

1972

1972

2

3

4

5

6

7

451

99

146

2049 3073 6614 319 Erfaßte Personen Stunden pro Person und Tag im Wochendurchschnitt 4,4 Arbeitszeit 5,3 5,1 5,6 arbeitsgebundene Zeit 0,9 0,9 0,7 1,0 Zeitaufwand für — hauswirtschaftl. Tätigkeiten 4,3 4,4, 3,5 4,8 — Pflege, Betreuung u. Erziehung der Kinder usw. 0,4 0,8 0,6 0,4 — für die Befriedigung vorwiegend physiologisch bedingter 10,2 9,3 Bedürfnisse 9,8 9,3 Freizeit 3,5 3,8 3,8 3,1 Zeitbudget insgesamt

24

24

24

24

1972

1972

6,3 1,2

5,2 0,9

5,4 0,7

3,1

4,5

4,3

0,6

0,8

0,4

9,2 3,6

9,5 3,2

9,8 3,6

24

24

24

Quelle: Ebenda, S. 147. 15*

227

der Hausarbeitszeit der Männer um 0,1 Stunden verlängerte. Diese insgesamt positive Entwicklung hat die Unterschiede im Zeitaufwand für die Hausarbeit zwischen den Männern und Frauen etwas verringert. Dennoch entfällt auf die Frau mit 4,57 Stunden pro Tag immer noch mehr als doppelt so viel Hausarbeitszeit wie auf die Männer, die 2,13 Stunden täglich Hausarbeit leisten. Tabelle 40 Struktur des Zeitaufwandes für hauswirtschaftliche Tätigkeiten und andere Tätigkeiten der Personen im arbeitsfähigen Alter in Arbeiterund Angestelltenhaushalten der D D R Tätigkeitsgruppen des Zeitbudgets

1966

1970

1972

1974

1,6

1,1

1,1

0,9

anfertigung v o n Wäsche und Kleidung 0,8

0,6

1,0

0,6

Zubereitung v o n Mahlzeiten (einschl. Geschirrspülen u. ä.) Reinigung, Pflege, Reparatur, NeuReinigung, Pflege, Reparatur der Wohnung

0,9

0,9

0,9

0,9

Gartenarbeit und Tierpflege

0,2

0,6

0,6

0,5

leistungseinrichtungen

0,7

0,4

0,1

0,5 0,2

0,4

sonstige Hausarbeiten

0,4

0,2

zusammen

4,3

3,9

4,4

3,5

Einkaufen, Aufsuchen v o n Dienst-

Quelle: Ebenda, S. 147.

Wie aus Tabelle 40 hervorgeht, ist die Entwicklung der einzelnen Arbeiten der Hausarbeit unterschiedlich verlaufen. Der Zeitaufwand für die Zubereitung der Mahlzeiten, für Einkäufe und für das Aufsuchen von Dienstleistungseinrichtungen ist kontinuierlich zurückgegangen. In der Tendenz ist auch der Zeitaufwand für die Reinigung, Pflege, Reparatur und Neuanfertigung von Wäsche und Kleidung gesunken. Der Zeitaufwand für die Reinigung und Pflege der Wohnung sowie Wohnungsreparaturen ist unverändert geblieben, während der zeitliche Umfang der Gartenarbeit, Tierpflege und sonstigen Hausarbeiten zugenommen hat. Der Zeitaufwand für die Pflege, Betreuung und Erziehung der Kinder sowie die Betreuung anderer Personen (vgl. Tabelle 39) hat sich aus verschiedenen Gründen kontinuierlich verringert. Er betrug 1966 insgesamt 0,83 Stunden, und ging bis 1974 auf 0,38 Stunden pro Person und Tag zurück. Davon wurden 1974 für Kinder 0,36 Stunden und für andere Personen 0,02 Stunden aufgewendet. Eine Ursache für das Sinken des Zeitaufwandes ist die Verringerung des Anteils der Kinder an der Bevölkerung der D D R . Für alle Klassen und Schichten der Bevölkerung wurde ermittelt, 26 daß auf die Kinder unter 15 Jahren 1966 23,3 und 1974 21,8% der Bevölkerung entfielen. 26 Vgl. Statistisches Jahrbuch der D D R 1975, Berlin 1975, S. 391 und 400.

228

Die Zahl der insgesamt zu betreuenden Kinder ist also zurückgegangen, so daß unter gleichbleibenden Umständen auch der Zeitaufwand für ihre Pflege, Betreuung und Erziehung geringer werden muß. Da die Zahl der zu betreuenden Kinder unter 6 Jahren zurückgegangen ist, sank der Zeitaufwand für ihre Pflege, Betreuung und Erziehung beträchtlich. Eine andere Ursache ist die erhebliche Vergrößerung der Zahl der in Kinderkrippen und -gärten betreuten Kinder. Von 1000 Kindern unter 6 Jahren wurden 1966 39,1% und 1974 72,7% in Kinderkrippen und -gärten betreut.27 In dem Grade, wie die Betreuung der Kinder von gesellschaftlichen Einrichtungen übernommen wird, sinkt in den Haushalten der Zeitaufwand für die Kinder. 1972 wurde ermittelt, daß für die Kinder die folgenden Zeitaufwendungen auftraten, wenn in gesellschaftlichen Einrichtungen von den Kindern unter 6 Jahren anteilig betreut wurden: Prozent

Stunden

0 bis 33,3 bis 50,0 bis 66,6

4,3 4.0 3,9 2,5 2.1

100

Der insgesamt sinkende Zeitaufwand für die Pflege, Betreuung und Erziehung der Kinder hat auch für die Frauen zu einer gewissen Entlastung ihres Zeitbudgets geführt. Wie aus Tabelle 41 hervorgeht, wenden die Frauen jedoch auch nach den Ergebnissen der Zeitbudgeterhebung 1974 das Dreifache und mehr des Zeitaufwandes der Männer für Kinder und andere Erwachsene auf. Für die Befriedigung vorwiegend physiologisch bedingter Bedürfnisse werden von den Arbeitern und Angestellten 9 bis über 10 Stunden täglich verwendet (siehe Tabelle 39). Davon entfallen rund 8 Stunden auf Schlaf, etwas mehr als 1 Stunde auf die Einnahme der Mahlzeiten und knapp 1 Stunde auf die Körperund Gesundheitspflege. Die Größe des Zeitaufwandes ist relativ stabil und variiert nur etwas in Abhängigkeit vom Grad der Berufstätigkeit. So wendeten 1974 beispielsweise die in Familienhaushalten lebenden weiblichen Arbeiter und Angestellten täglich für die Befriedigung ihrer vorwiegend physiologisch bedingten Bedürfnisse folgende Zeiten (in Stunden pro Person) auf: nicht berufstätig 11,10 teilzeitbeschäftigt — unter 30 Stunden wöchentlich 10,35 — über 30 Stunden wöchentlich 10,08 — vollbeschäftigt 10,07 Im Durchschnitt aller weiblichen Arbeiter und Angestellten ergibt sich ein » Vgl. ebenda, S. 30, 31, 389 und 390. 229

Tabelle

41

Zeitaufwand für die Pflege, Betreuung und Erziehung der Kinder sowie die Betreuung anderer Personen in Arbeiterund Angestelltenhaushalten der D D R 1974 Tätigkeitsgruppe und Haushaltstyp

Stunden pro Person und Tag insgesamt davon Männer 1

Zeitaufwand für die Pflege, Betreuung und Erziehung der Kinder alle Haushalte Familienhaushalte ohne Kinder mit 1 Kind mit 2 Kindern mit 3 und mehr Kindern Zeitaufwand für die Betreuung anderer Personen - alle Haushalte - Familienhaushalte Zeitaufwand insgesamt - alle Haushalte - Familienhaushalte

2

Frauen 3

0,37 0,44 0,07 0,47 0,67 0,77

0,17 0,20 0,02 0,22 0,28 0,33

0,53 0,68 0,10 0,70 1,07 1,22

0,03 0,02

0,02 0,02

0,03 0,02

0,40 0,47

0,18 0,22

0,57 0,72

Quelle: Ebenda, S. 149.

Zeitaufwand von 10,28 Stunden pro Person und Tag. Da die männlichen Arbeiter und Angestellten fast durchweg vollbeschäftigt sind, gleicht ihr durchschnittlicher Zeitaufwand mit 10,03 Stunden fast dem der vollbeschäftigten Frauen. Seit 1966 hat sich die Freizeitdauer nur wenig verändert. Die Freizeit der Frauen nahm etwas zu, während die der Männer etwas abnahm. Hierin zeigt sich auch, daß bestehende Gewohnheiten und Einstellungen sich nur langsam umgestalten.. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist jedoch noch immer erheblich. Infolge ihrer starken häuslichen Belastung haben die weiblichen Arbeiter und Angestellten täglich eine Stunde weniger Freizeit als ihre männlichen Kollegen. Diese Tatsache führt dazu, daß es keine Freizeittätigkeit gibt, für die von den Frauen mehr Zeit als von den Männern aufgewendet wird. Für Erholung (ohne besondere Tätigkeiten), für Spaziergänge, für religiöse und sonstige Betätigungen wenden Männer und Frauen gleich viel Zeit auf, für alle anderen Freizeittätigkeiten haben die Männer mehr Zeit als die Frauen (vgl. Tabelle 42). Die Männer wenden mehr als doppelt so viel Zeit für gesellschaftliche Aktivi230

Tabelle 42 Ausgewählte Freizeittätigkeiten von männlichen und weiblichen Arbeitern und Angestellten in der DDR 1974 Tätigkeitsgruppe

Stunden pro Tag und pro Person Arbeiter davon und Angestellte insgesamt Männer 1

Gesellschaftliche Tätigkeit 0,23 Weiterbildung und Qualifizierung* 0,08 Besuch von Kulturveranstaltungen und kulturellen Einrichtungen 0,20 Künstlerische Selbstbetätigung und Hobbys 0,07 Aktive Sportausübung 0,10 Spaziergänge 0,38 Besuch von Sportveranstaltungen 0,08 Empfang von Fernseh- und Rundfunksendungen 1,43 Anhören von Schallplatten und Tonbändern 0,03 Lesen von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen 0,32 Erholungszeit ohne besondere Tätigkeiten 0,18 Teilnahme an geselligen Zusammenkün ften 0,38 Sonstige Freizeittätigkeiten (Gespräche, Briefe schreiben u. a.) 0,32

2

Frauen 3

0,32

0,15

0,10

0,07

0,22

0,18

0,08 0,15 0,38

0,03 0,05 0,38

0,05

0,02

1,67

1,23

0,05

0,02

0,38

0,25

0,18

0,18

0,40

0,37

0,32

0,32

* Etwa der gleiche Umfang an Bildungszeit liegt innerhalb der Arbeitszeit Quelle: Vgl. ebenda, S. 150.

231

täten wie die Frauen auf. Für Weiterbildung und Qualifizierung ist ihr Zeitaufwand um mehr als ein Drittel höher. Auf kulturellem Gebiet können die Männer täglich je 0,4—0,5 Stunden mehr für den Besuch von Kulturveranstaltungen usw., die künstlerische Selbstbetätigung und Hobbies aufwenden. Am stärksten differiert der Zeitaufwand für die Nutzung von Massenmedien. Fernsehen und Rundfunkhören nimmt 0,44 Stunden, Schallplatten- und Tonbandhören 0,03 und Lesen von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen 0,13 Stunden mehr als bei den Frauen in Anspruch. Für die aktive Sportausübung wenden die Männer dreimal so viel Zeit wie die Frauen auf. Etwas größer ist auch der Zeitaufwand für gesellige Zusammenkünfte. Unter sozialistischen Produktionsverhältnissen gewinnt die Freizeit einen neuen Inhalt. Sie ist der Arbeitszeit nicht mehr entgegengesetzt, sondern — ein notwendiges Ergebnis der immer rationeller im Interesse aller Werktätigen genutzten Arbeitszeit, die mit steigender Produktivität weiter verkürzt werden kann, — ein wesentlicher Faktor, um durch die allseitige Persönlichkeitsentwicklung bei sinnvoller Nutzung der Freizeit auf eine weitere Steigerung der Produktivität zurückzuwirken. „Die Ersparung von Arbeitszeit gleich Vermehren der freien Zeit", betrachtete Marx als „Zeit für die volle Entwicklung des Individuums, die selbst wieder als die größte Produktivkraft zurückwirkt auf die Produktivkraft der Arbeit". 2 8 E s muß das besondere Anliegen der Sozialpolitik sein, nicht nur auf die Schaffung von Freizeit, sondern auch auf ihre sinnvolle Nutzung einzuwirken. Wichtige Hinweise darauf, wie die Freizeit ihrem Inhalt nach zu gestalten sei, gab bereits Karl Marx. Er betrachtete die Freizeit als Zeit, „die sowohl Mußezeit als Zeit für höhre Tätigkeit ist". 2 9 In seiner Auseinandersetzung mit dem maßlosen Raubbau an der Arbeitskraft im Kapitalismus, wo „der Arbeiter seinen ganzen Lebenstag durch nichts ist außer Arbeitskraft, daß daher alle seine disponible Zeit von Natur und Rechts wegen Arbeitszeit ist, also der Selbstverwertung des Kapitals angehört" 3 0 , erwähnt Marx: „Zeit zu menschlicher Bildung, zu geistiger Entwicklung, zur Erfüllung sozialer Funktionen, zu geselligem Verkehr, zum freien Spiel der physischen und geistigen Lebenskräfte, selbst die Feierzeit des Sonntags — und wäre es im Lande der Sabbatheiligen — reiner Firlefanz!" 3 1 Diese Ausführungen geben zugleich mit der schonungslosen Kritik an den kapitalistischen Produktionsverhältnissen wesentliche Hinweise für die Nutzung der Freizeit im Sozialismus. Sie zeigen, daß die Freizeit wesentliche Funktionen der Persönlichkeitsentwicklung zu erfüllen hat, die uns im Sozialismus voll erK. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 1974, S. 599. 29 Ebenda, S. 599. 30 K. Marx, Das Kapital, Erster Band, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1974, S. 280. 3 1 Ebenda. 28

232

schlössen werden können und die mit zunehmender Vervollkommnung der sozialistischen Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnen. Eine wesentliche Aufgabe staatlicher und gesellschaftlicher Organe, besonders der Gewerkschaften, besteht darin, die sich neu entwickelnden Freizeitbedürfnisse der Werktätigen systematisch zu fördern, auf eine sinnvolle Gestaltung der Freizeit zur allseitigen Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten stärker zu orientieren und die notwendigen Bedingungen für die Realisierung des sozialen Grundrechts auf Freizeit und Erholung zu schaffen. 3 2 32

Vgl. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968 in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1974, Berlin 1974, S. 31, Art. 34.

233

8.

Sozialpolitische Aspekte der Einkommenspolitik

8.1.

Das Prinzip der Verteilung nach der Arbeitsleistung prinzip der Verteilung im Sozialismus

als Grund•

Mit der konsequenten Verwirklichung des Prinzips „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung" wird das Streben nach ehrlicher, gesellschaftlich nützlicher Arbeit, nach Bildung und Wahrnehmung von Verantwortung gefördert. Die Verteilung nach der Arbeitsleistung trägt dazu bei, den notwendigen wirtschaftlichen Leistungsanstieg zu gewährleisten. Sie läßt Gleichmacherei, Nivellierung, Gleichheit im Einkommen, unabhängig von der erbrachten Leistung, nicht zu. Dadurch werden zugleich für die Ausprägung der sozialistischen Lebensweise, für das planmäßige Wachstum der Produktion und der Effektivität neue Triebkräfte für den ökonomischen und sozialen Fortschritt freigesetzt. Das Leistungsprinzip zur vollen Wirkung zu bringen ist kein einmaliger Akt, sondern eine ständige, mit der weiteren Ausgestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und ihrer Lebensweise unmittelbar verbundene Notwendigkeit. Sie ist vor allem darauf gerichtet, die gesellschaftlichen Bedingungen zur Entwicklung und Nutzung der Fähigkeiten des Menschen zu qualifizieren, beginnend bei der Förderung des Interesses an hoher Leistung und Qualifikation bis zur dementsprechenden Gestaltung der Arbeitsanforderungen und Arbeitsplätze sowie der leistungsgerechten Entlohnung. Die Vervollkommnung der Anwendung des Leistungsprinzips, der weitere Ausbau des Systems der sozialen Sicherheit und das auf dieser Grundlage steigende Lebensniveau werden so zugleich immer mehr selbst zum Wachstumsfaktor der Volkswirtschaft. Das Prinzip der Verteilung nach der Arbeitsleistung ist somit nicht nur eine Form der Verteilung, sondern ein Grundprinzip des gesellschaftlichen Lebens im Sozialismus. Die objektiv erforderliche Verteilung nach der Arbeitsleistung ist ein entscheidender Vorzug des Sozialismus, weil Ergebnisse fremder Arbeit nicht angeeignet werden können, weil Anerkennung und Würde des Menschen in der Gesellschaft vor allem durch das von ihm erbrachte Arbeitsergebnis bestimmt werden. Die Ausnutzung des objektiv wirkenden Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung ist mit der „strengste^n) Kontrolle seitens der Gesellschaft und seitens des Staates über das Maß der Arbeit und das Maß der Konsumtion" 1 verbunden. l W. I. Lenin, Staat und Revolution, in: Werke, Bd. 25, Berlin 1960, S. 484.

234

Enge Beziehungen bestehen in der sozialistischen Gesellschaft zwischen dem stetigen Wachstum des Nationaleinkommens als der materiellen Grundlage für die immer bessere Befriedigung der Bedürfnisse und der Erhöhung der Arbeitseinkommen. Dieses Verhältnis wird bestimmt — wie K. Marx in der „Kritik des Gothaer Programms" feststellte — von dem Teil der Akkumulation, der für die Ausdehnung der Produktion notwendig ist, und von den erforderlichen Reservenfonds für die Volkswirtschaft. Diese Abzüge, schrieb Marx, sind eine ökonomische Notwendigkeit, und ihre Größe ist zu bestimmen nach den vorhandenen Mitteln und Kräften, aber sie sind in keiner Weise aus der Gerechtigkeit erklärbar. Von dem danach verbleibenden Teil des Nationaleinkommens, der für die Konsumtion bestimmend ist, geht „bevor es zur individuellen Teilung kommt, . . . wieder ab: Erstens: die allgemeinen, nicht direkt zur Produktion gehörigen Verwaltungskosten . . . zweitens: was zur gemeinschaftlichen Befriedigung von Bedürfnissen bestimmt ist, wie Schulen, Gesundheitsvorrichtungen etc. . . . drittens: Fonds für Arbeitsunfähige etc. . . ." 2 Erst jetzt kommen wir — so setzte Marx seine Analyse des Verteilungsprozesses fort — an den Teil der Konsumtionsmittel, der unter die individuellen Produzenten verteilt wird. Demgemäß erhält der einzelne Produzent — nach den Abzügen — exakt zurück, was er der Gesellschaft gibt, obgleich das, was dem Produzenten in seiner Eigenschaft als Privatindividuum entgeht, ihm direkt oder indirekt in seiner Eigenschaft als Gesellschaftsmitglied zugute kommt. Die Gleichheit der Verteilung besteht darin, daß am gleichen Maßstab, der Arbeit, gemessen wird. Trotz dieses Fortschritts erkennt dieses gleiche Recht — wie schon Marx feststellte — stillschweigend die ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit als natürliche Privilegien an. Es ist daher ein Recht der Ungleichheit seinem Inhalt nach, wie alles Recht. Es betrachtet die ungleichen Individuen nur von einer bestimmten Seite, im gegebenen Fall nur als Arbeiter. Aber ein Arbeiter ist verheiratet, der andere nicht, einer hat mehr Kinder als der andere etc. Zusammenfassend kommt Marx zu der Feststellung: „Bei gleicher Arbeitsleistung und daher gleichem Anteil an dem gesellschaftlichen Konsumtionsfonds erhält also der eine faktisch mehr als der andre, ist der eine reicher als der andre etc. Um alle diese Mißstände zu vermeiden, müßte das Recht, statt gleich, vielmehr ungleich sein. Aber diese Mißstände sind unvermeidbar in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft . . . " 3 Um die gesellschaftlichen Ursachen für eine unterschiedliche Leistungsfähigkeit des einzelnen auf bestimmten Gebieten einzuschränken, war die grundlegende Umgestaltung des Bildungssystems notwendig. Sie zielte darauf ab, durch die Beseitigung der Bildungsprivilegien der besitzenden Klassen jedem unabhängig 2

K. Marx/F. Engels, Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei (Kritik des Gothaer Programms), in: MEW, Bd. 19, Berlin 1973, S. 19. 3 Ebenda, S. 21.

235

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von seiner sozialen Lage die Möglichkeit zu geben, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln. Heute bestehen — vor allem für die junge Generation — die gleichen Chancen und realen Bedingungen für alle, ein hohes Bildungsniveau zu erreichen, dadurch die individuelle Begabung nutzbringend auszuprägen und im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß anzuwenden. Das gilt gleichermaßen für die Schulbildung wie für die Qualifizierung der bereits Berufstätigen. Das nur in der sozialistischen Gesellschaft verwirklichte Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" beseitigt die heute noch für alle kapitalistischen Länder charakteristische Diskriminierung der Arbeitsleistung der Frau. Die überwiegende Zahl der Frauen haben im Sozialismus auf der Grundlage der Verteilung nach der Arbeitsleistung nicht nur unmittelbaren Anteil an der Verteilung der Konsumtionsmittel, ihr Einkommen macht sie nicht nur weitgehend unabhängig von dem des Mannes, sondern es hat einen bereits hohen und weiter wachsenden Anteil am Haushalts- und Familieneinkommen. Dadurch haben sich die von K. Marx erwähnten Unterschiede zwischen verheirateten und nicht verheirateten Arbeitern (oder Arbeiterinnen) in der sozialistischen Gesellschaft wesentlich verringert. Aufgehoben sind sie noch nicht. Vor allem bei solchen Frauen, deren Schulbildung vor der Ausprägung des sozialistischen Bildungssystems abgeschlossen war, bestehen Unterschiede im Vergleich zum Qualifikationsniveau der Männer und somit auch im Niveau der Arbeitseinkommen. Ungleiche Einkommen bei gleicher Arbeitsleistung werden zwischen den Zweigen und Bereichen der Volkswirtschaft realisiert. Dies beruht auf ihrer unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Bedeutung und zum Teil auch auf unterschiedlichen materiellen Arbeitsbedingungen. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik verbindet die Verwirklichung des Leistungsprinzips mit der Minderung sozialer Unterschiede. 4 Dadurch werden günstige Bedingungen für die volle Entfaltung der Persönlichkeit geschaffen, die zugleich die weitere Ausgestaltung der sozialistischen Lebensweise fördern. In Übereinstimmung mit der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik ist die Einkommenspolitik darauf gerichtet, das Arbeitseinkommen der Werktätigen gemäß ihrer Leistung zu mehren.

8.2.

Das Arbeitseinkommen Bevölkerung

als Hauptbestandteil

8.2.1.

Die Entwicklung

Arbeitseinkommens

des

der Einkommen

der

Die Entwicklung des Arbeitseinkommens wird in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Leistungsstimulierung und in Abhängigkeit von den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten, den geplanten Produktivitäts- und Effektivitäts4

Vgl. Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1976, S. 23.

237

zielen entsprechend festgelegt. Die Konsumtion erhöht sich im Sozialismus hauptsächlich über das Arbeitseinkommen, insbesondere den Arbeitslohn. Der Arbeitslohn ist das wichtigste Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts der Werktätigen und zur Erhöhung ihres Lebensstandards. Er hat deshalb zusammen mit den Zuwendungen aus den Fonds der gesellschaftlichen Konsumtion den größten Einfluß auf das Lebensniveau der Werktätigen. Neben dem Arbeitslohn ist auch die Prämie immer mehr zu einem wichtigen Element der ständigen Verbesserung der Lebensbedingungen der Werktätigen geworden. Der Anteil der Prämie am Arbeitseinkommen der Werktätigen in den materiellen Bereichen der Volkswirtschaft ist in den letzten Jahren spürbar gewachsen. Die Jahresendprämie, die in diesen Bereichen zur Hauptform der Prämiierung geworden ist, hat einen durchschnittlichen Anteil von 8 % des Arbeitseinkommens erreicht. Dabei haben sich jedoch auch nicht durch Leistungen begründete Unterschiede in der Höhe des Prämienfonds der Betriebe und Einrichtungen sowie in den durchschnittlichen Prämienbeträgen pro Beschäftigten entwickelt, die schrittweise überwunden werden. Ein Grundanliegen der Einkommenspolitik war die allmähliche Erhöhung des staatlichen Mindestlohnes. Der Mindestlohn wurde 1967 von 220,— M auf 300,— M, 1971 auf 350,— M und 1976 auf 400,— M erhöht, wobei jeweils die angrenzenden unteren Einkommen ebenfalls differenziert angehoben wurden. In diesem Zusammenhang wurden auch die Lohngruppen 1 und 2 abgeschafft und damit die bis dahin allgemein übliche Anzahl der Lohngruppen von 8 auf 6 reduziert, wovon im Prinzip nunmehr die Lohngruppe 3 für ungelernte und die Lohngruppe 4 für angelernte Tätigkeiten vorgesehen sind, während die Lohngruppen 5—8 für Facharbeitertätigkeiten mit entsprechenden Qualifikationsanforderungen gelten. Die Minderung sozialer Unterschiede innerhalb der Arbeiterklasse wird jedoch nicht nur vom Lohn her angestrebt; sie muß durch die Schaffung entsprechender materieller Arbeitsbedingungen auch vom Standpunkt des Leistungsprinzips begründet werden. Alle Maßnahmen sind darauf zu richten, das sozialistische Leistungsprinzip bei gleichzeitiger Minderung sozialer Unterschiede in der Entlohnung durchzusetzen und zu sichern, daß alle Werktätigen in den verschiedenen Bereichen der Volkswirtschaft entsprechend ihren Leistungen an der Verteilung des wachsenden Nationaleinkommens teilhaben. Der erreichte Stand der gesellschaftlichen Entwicklung sowie die hohen Anforderungen an die Leistungskraft der Volkswirtschaft zur weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft stellen neue Aufgaben für die Durchsetzung des Leistungsprinzips in allen Bereichen der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens. In diesem Sinne ist im Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands die Aufgabe gestellt, die Einkommenspolitik in Übereinstimmung mit der Entwicklung der Volkswirtschaft darauf zu richten, das Arbeitseinkommen der Werktätigen gemäß ihrer Leistung zu mehren und das Leistungsprinzip als Grundprinzip der Verteilung im Sozialismus konsequent 238

durchzusetzen. Damit k o m m t der Einkommenspolitik bei der Erfüllung der H a u p t a u f g a b e und der F o r t f ü h r u n g des sozialistischen Programms wachsende Bedeutung zu.

8.2.2.

Die leistungsorientierte

Lohnpolitik,

ihre Aufgaben

und

Ziele

Die leistungsorientierte Lohnpolitik ist das H a u p t i n s t r u m e n t des sozialistischen Staates zur Verwirklichung des Leistungsprinzips in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft unter den konkreten Entwicklungsbedingungen der D D R . Sie ist als fester Bestandteil der Hauptaufgabe vor allem darauf gerichtet, die Initiative der Arbeiter und aller anderen Werktätigen, ihren Fleiß und ihre Schöpferkraft zu fördern und sie materiell und moralisch an der Intensivierung der gesellschaftlichen Produktion als dem Hauptweg der wirtschaftlichen Entwicklung u n d an hohen Arbeitsleistungen f ü r die Gesellschaft zu interessieren. Ihre wichtigsten Aufgaben und Ziele bestehen darin, — den Arbeitslohn der Werktätigen unmittelbar mit der Entwicklung ihrer Arbeitsleistungen zu verknüpfen und zu sichern, daß in Abhängigkeit von der Entwicklung der Volkswirtschaft der Lohn dort wächst, wo unter rationell gestalteten Produktions- und Arbeitsprozessen auf der Grundlage exakter Leistungsmaßstäbe nachweisbar höhere Leistungen erreicht werden, — die Interessen der Werktätigen auf die Schwerpunkte der Intensivierung, auf hohe Wachstumsraten der Arbeitsproduktivität, eine wesentliche Verbesserung der Materialökonomie, auf hohe Qualität der Arbeitsausführung und der Erzeugnisse, die effektivere Nutzung der Produktionsfonds sowie des vorhandenen Arbeitsvermögens zu richten, — zu sichern, daß sich der Anteil der Arbeiterklasse an der Verteilung des Nationaleinkommens entsprechend ihrer wachsenden Leistung, Rolle u n d Verantwortung weiter erhöht, — dazu beizutragen, daß durch höhere Leistungen der Werktätigen die Wirtschaftskraft des Staates kontinuierlich erhöht u n d weitere Voraussetzungen zur F o r t f ü h r u n g des sozialpolitischen Programms sowie zur schrittweisen Minderung sozialer Unterschiede geschaffen werden. Damit entspricht die leistungsorientierte Lohnpolitik sowohl den gesellschaftlichen Erfordernissen zur kontinuierlichen Stärkung unserer Republik als auch den unmittelbaren Interessen der Arbeiter und aller Werktätigen. Die Verbindung mit der Intensivierung und die unmittelbare Abhängigkeit der Lohnentwicklung von steigenden Leistungen steht in voller Übereinstimmung mit der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der Hauptweg zur Durchsetzung der leistungsorientierten Lohnpolitik in den Betrieben der Industrie und des Bauwesens sowie anderer materieller Bereiche der Volkswirtschaft unter den konkreten Bedingungen der nächsten J a h r e ist die Einführung von Grundlöhnen in Verbindung mit der wissenschaftlichen Arbeits239

Organisation für die Produktionsarbeiter sowie die leistungsabhängige Erhöhung der Gehälter für Meister- Hoch- und Fachschulkader. Entsprechend dem „Gemeinsamen Beschluß des Zentralkomitees der SED, des Bundesvorstandes des FDGB und des Ministerrates der DDR über die weitere planmäßige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen im Zeitraum 1976 bis 1980" vom 27. Mai 1976 wurden im Verlaufe des Fünfjahrplanes bis 1980 für 1,5 Millionen Produktionsarbeiter Grundlöhne angewandt und in diesem Zusammenhang in den entsprechenden Betrieben schrittweise die Gehälter der Meister, Hoch- und Fachschulkader in Abhängigkeit von wachsenden Leistungen erhöht. Auf diese Weise wird das gemeinsame Interesse der Arbeiter, Meister und Wissenschaftler, Ingenieure und Ökonomen an der Intensivierung des Reproduktionsprozesses durch die Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts sowie an der Erhöhung der Effektivität gefördert und der Leistungsanstieg in der Produktion bei wachsender Qualität der Erzeugnisse stimuliert. Mit der Einführung der Grundlöhne wird zugleich die Neuordnung des Tarifsystems eingeleitet. Die Grundlöhne erfüllen die wichtigsten Funktionen der Tariflöhne zur Stimulierung von Qualifikation, Verantwortung und Leistung. Die Notwendigkeit, mit der schrittweisen Einführung von Grundlöhnen zu beginnen und nicht unmittelbar zu neuen Lohntarifen überzugehen, ergibt sich vor allem aus dem derzeitigen System der Lohnbesteuerung. Dadurch, daß die staatlichen Grundlohnsätze etwa 60 bis 8 0 % über den bisherigen Tariflöhnen liegen, erhöht sich der in den zurückliegenden Jahren ständig gesunkene Anteil des Tariflohnes am Gesamtlohn der Arbeiter wieder auf durchschnittlich 70 bis 90%. Die damit geschaffene höhere Bezugsbasis für die Berechnung des Lohnes nach der Erfüllung der Arbeitsnormen und anderen Leistungskennzahlen mobilisiert — wie die Erfahrungen zeigen — bei den Arbeitern bedeutende Initiativen zu Leistungssteigerungen, zur Erhöhung der Produktivität und Effektivität der Arbeit. Die bisher erreichten Ergebnisse und gewonnenen Erfahrungen besagen, daß sich mit der Einführung von Grundlöhnen für Produktionsarbeiter und leistungsabhängiger Erhöhung der Gehälter für Meister, Hoch- und Fachschulkader eine neue Qualität der Anwendung des sozialistischen Leistungsprinzips entwickelt. Das zeigt sich vor allem in folgendem: — Die Voraussetzung für höhere Löhne müssen höhere Leistungen für die Gesellschaft sein, denn wir können nur das verbrauchen, was vorher erwirtschaftet wurde. Diese höheren Leistungen müssen unter aktiver Mitwirkung der Werktätigen organisiert werden. Von den einzelnen Arbeitsplätzen und Produktionsabschnitten her muß der Zusammenhang zwischen der Schaffung besserer Arbeitsbedingungen und Leistungsvoraussetzungen, höheren Leistungen und höherem Lohn hergestellt werden. Es geht im Kern also um die Leitung der Initiative der Werktätigen für die weitere Intensivierung der Produktion, die durch materielle Interessiertheit wirksam gefördert wird. 240

— Neu ist das schrittweise Vorgehen nach Betrieben wie auch innerhalb der Betriebe bei diesen Maßnahmen der leistungsorientierten Lohnpolitik. Das schrittweise Vorgehen ermöglicht, die Voraussetzungen zur Erzielung höherer Leistungen — Analysen der Produktions- und Arbeitsprozesse, Aufdeckung von Leistungsreserven, Neufestlegung der Arbeitsnormen und Leistungskennzahlen, Klassifizierung der Arbeitsaufgaben, Festlegung neuer Lohnformen — gemeinsam mit den Werktätigen planmäßig zu organisieren, Kräfte und Mittel konzentriert einzusetzen und den Prozeß zu beherrschen. — Die Einführung von Grundlöhnen für die Arbeiter und neuer Tarifgrundlagen für die Meister, Hoch- und Fachschulkader ist sinnvoll in den Planungsprozeß eingeordnet. Mit der Übergabe der Planaufgaben werden die betreffenden Betriebe beauftragt, diese Aufgaben vorzubereiten. Damit wird die materielle Interessiertheit der Betriebskollektive bereits in der Phase der Planausarbeitung für hohe Leistungsziele zur Wirkung gebracht. Mit dem Planentwurf wird vor dem übergeordneten Leiter der Nachweis über die Vorbereitungen geführt, die Zielsetzung für die Leistungs- und Lohnentwicklung wird zur Entscheidung vorgelegt. Das ermöglicht es, die materiellen Voraussetzungen für Leistungssteigerungen rechtzeitig zu bilanzieren. Mit der Erfüllung der übernommenen Planaufgaben werden die Lohnmaßnahmen realisiert. — Die Arbeiter, Meister, Hoch- und Fachschulkader werden von Anfang an in die Vorbereitung der Maßnahmen einbezogen. Das ist eine Grundforderung an die Leitungstätigkeit. Die Betriebsdirektoren sind für die Leitung dieser Arbeiten verantwortlich. Die Erfahrungen besagen, cfaß die Werktätigen das Vorgehen bei der konsequenten Anwendung des Leistungsprinzips begrüßen und eine große Aktivität für die Erhöhung der Produktivität und Effektivität der Arbeit entwickeln. Sie wirken mit bei der Aufdeckung von Leistungsreserven, bei der Realisierung von Maßnahmen der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation, besonders auch bei der Festlegung technisch begründeter Arbeitsnormen und anderer Leistungskennzahlen sowie bei der Auswahl und Gestaltung ökonomisch zweckmäßiger Lohnformen. Die bisherigen Erfahrungen bestätigen überzeugend die Richtigkeit und Lebensverbundenheit der leistungsorientierten Lohnpolitik. Das kommt besonders auch in guten ökonomischen Ergebnissen der großen Mehrzahl der dafür bisher bestätigten Betriebe, in der Erfüllung und Überbietung der Produktionspläne, der Übererfüllung der Zielstellungen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur Senkung der Selbstkosten zum Ausdruck. Das Arbeitseinkommen der Werktätigen soll sich vor allem über die Löhne entwickeln, das prozentuale Wachstum der Prämien soll das der Löhne nicht übersteigen. Die Mittel des Prämienfonds sind ebenfalls wirksamer zur Stimulierung hoher Leistungen bei der Intensivierung und Rationalisierung einzusetzen. Die Jahresendprämien, die inzwischen in vielen Betrieben die Höhe eines Monatslohnes erreicht haben, sollen auf dieses Niveau eingestellt bleiben. Die übrigen Mittel des Prämienfonds sind wirksamer für Zielprämien bzw. 16 Manz/Winkler

241

operative Prämien im sozialistischen Wettbewerb, insbesondere für hohe Leistungen zur Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen

Fortschritts, bei

der Rationalisierung, Verbesserung der Qualität der Erzeugnisse, der Materialökonomie u. a. einzusetzen. Die Verwirklichung

einer leistungsorientierten

Lohnpolitik

im

Sinne des

Programms der S E D ist ein Anliegen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Die ihr zugrunde liegenden Prinzipien werden in den kommenden Jahren schrittweise auch in anderen Bereichen, besonders der materiellen Produktion, entsprechend den jeweiligen Bedingungen Anwendung finden.

8.2.3.

Soziale

Differenzierung

der

Arbeitseinkommen

Die Durchsetzung des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung erfordert, Unterschiede in den Arbeitsleistungen durch unterschiedlich hohe Arbeitseinkommen zu entgelten. Dabei geht es vor allem darum, gleichartige und ungleichartige Arbeiten, Arbeiten mit unterschiedlichem Charakter sowie die Bedeutung der Zweige und Bereiche und der Arbeitsbedingungen einerseits und die Verantwortung, die Qualifikation und Erfahrung der Werktätigen andererseits zu berücksichtigen und effektiv mit der materiellen Stimulierung zu verbinden. Die schrittweise Angleichung dieser Faktoren bewirkt langfristig eine Verringerung der Differenzierung der Arbeitseinkommen. Unterstützt wird sie durch die Festlegung staatlich garantierter Mindestlöhne für vollbeschäftigte Arbeiter und Angestellte, die in den sozialpolitischen Maßnahmen der Partei, der Regierung und der Gewerkschaften in gewissen Abständen neu bestimmt werden. Sie führen dazu, daß sich die Arbeitseinkommen mit niedrigem Niveau relativ schneller entwickeln als die Arbeitseinkommen mit hohem Niveau und daß das Verhältnis zwischen dem Mindestlohn und dem Durchschnittslohn mindestens gleichbleibt bzw. sich verringert (vgl. Tabelle 44) Tabelle 44 Verhältnis zwischen dem durchschnittlichen Arbeitseinkommen der Arbeiter und Angestellten in volkseigenen Betrieben nach dem Mindestlohn im Einführungsjahr des Mindestlohnes Jahr

Mindestlohn 0 Arbeitseinkommen

Verhältnis Mindestlohn zum 0 Arbeitseinkommen

1964

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1 : 2,8 1 : 2,2

350,- M 400,- M

792,- M 897,- M

1 : 2,3 1 : 2,2

1967 1971 1975

Quelle: Statistisches Jahrbuch der D D R 1979, S. 106.

242

Der staatlich festgelegte Mindestlohn garantiert den Werktätigen bei voller Berufstätigkeit ein bestimmtes Konsumtionsniveau. Es muß so bemessen sein, daß der Anreiz zur Leistungs- und Qualifikationsentwicklung der Werktätigen nicht beeinträchtigt wird. Die Politik der Partei ist deswegen vor allem darauf konzentriert, .die Entwicklung der Fähigkeiten, die Qualifikation der Werktätigen mit niedrigem Lohnniveau besonders zu fördern und den Anteil der Mindestlohnempfänger zu verringern. Der Prozeß der Differenzierung der Arbeitseinkommen verläuft widersprüchlich. Wenn auch bei der kontinuierlichen Erhöhung der durchschnittlichen Arbeitseinkommen über längere Zeiträume eine Verringerung der Differenzierung der Arbeitseinkommen gesetzmäßig ist, kann zeitweise dieser Prozeß stagnieren und sich die Differenzierung sogar vergrößern. Entscheidend dafür sind die konkrete wirtschaftspolitische Lage und die sich daraus ergebenden Erfordernisse der Leistungsentwicklung. Da die materielle Stimulierung eine Differenzierung der Arbeitseinkommen voraussetzt, kann zur Leistungsstimulierung eine zeitweilige Vergrößerung der Differenzierung notwendig sein. Hierbei ist stets der Prozeß als Ganzes zu verstehen, der Veränderungen der Unterschiede in der Höhe der Arbeitseinkommen zwischen volkswirtschaftlichen Bereichen, Zweigen und Betrieben, zwischen Qualifikationsstufen, Verantwortlichkeitsebenen und Erfahrungen einschließt und voraussetzt. Die Arbeitseinkommen sind Hauptbestandteil der Einkommen der Familie. Sie bestimmen demzufolge auch wesentlich das Konsumtionsniveau der Familienmitglieder. Ihr Anteil beträgt über 90% am Haushaltseinkommen in Arbeiter- und Angestelltenhaushalten. Im Zeitraum von 1960 bis 1977 sind rd. 97% des Zuwachses des Haushaltseinkommens in Arbeiter- und Angestelltenhaushalten auf diesen Faktor zurückzuführen. Die Entwicklung der Arbeitseinkommen als Bestandteil der Haushaltseinkommen in Arbeiter- und Angestelltenhaushalten ist Ergebnis der Entwicklung der durchschnittlichen Arbeitseinkommen und des Anteils der Berufstätigen an den arbeitsfähigen Haushaltsmitgliedern. Letzterer Faktor ist besonders gekennzeichnet durch die zunehmende Teilnahme der Ehefrau am Arbeitsprozeß und durch den Anteil der vollbeschäftigten Ehefrauen. So nahm die Teilnahme der Ehefrauen am Arbeitsprozeß allein im Zeitraum von 1965 bis 1970 von rd. 70% auf 80% zu, während sich gleichzeitig der Anteil der vollbeschäftigten Ehefrauen von rd. 48% auf 52% entwickelte. 5 Die Bedeutung dieser Faktoren für die Entwicklung der Haushaltseinkommen der Arbeiter und Angestellten läßt sich besonders durch die Gegenüberstellung des Zuwachses am Arbeitseinkommen und der zunehmenden Teilnahme der Ehefrauen am Arbeitsprozeß ermessen. So wuchs das durchschnittliche Arbeitseinkommen der Arbeiter- und Angestelltenhaushalte von 1964 bis 1970 auf 126,8%, während der Anteil der berufstätigen Ehefrauen im gleichen Zeitß Vgl. Statistisches Jahrbuch der DDR 1971, Berlin 1971, S. 351/352. 16*

243

räum auf 121,8% stieg. Hervorzuheben ist weiterhin, daß die Teilnahme der Ehefrauen in den Haushalten mit mehreren Kindern schneller stieg als im Durchschnitt, so daß auch die Einkommen dieser Haushalte davon positiv beeinflußt wurden. Damit verbunden ist eine Annäherung des Konsumtionsniveaus der Haushalte mit mehreren Kindern an das durchschnittliche Niveau. Die besonders geförderte Entwicklung gesellschaftlicher Voraussetzungen wie der Bau von Kinderkrippen, -gärten und Schulhortplätzen unterstützt diesen Prozeß wirkungsvoll. Bedeutungsvoll sind auch die Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung von Müttern mit 2 und mehr Kindern unter 16 Jahren auf 40 Stunden wöchentlich bei voller Lohnzahlung. Dadurch konnte der Anteil der vollbeschäftigten Ehefrauen weiter erhöht werden. Einschließlich Maßnahmen wie die Erhöhung des Kindergeldes und für die Förderung von Familien mit mehreren Kindern konnte eine schnellere Entwicklung der Haushaltseinkommen in Haushalten mit Kindern erreicht werden (vgl. Tabelle 45). Darüber hinaus besitzen ältere Beschäftigte einen besonderen Kündigungsschutz und haben Anspruch auf einen altersadäquaten Arbeitsplatz. Als Vergleichswert für das Konsumtionsniveau in unterschiedlichen Haushaltsgrößen kann annähernd das Pro-Kopf-Nettoeinkommen der Haushalte gelten. Es sinkt in der Regel mit zunehmender Haushaltsgröße, was vor allem auf den Anteil der Nichtberufstätigen zurückzuführen ist, der sich mit zunehmender Haushaltsgröße erhöht. Die durch die Zahl der Kinder verursachten Unterschiede im Konsumtionsniveau der Familien werden in dem Maße schrittweise eingeschränkt, Tabelle 45 Durchschnittliches monatliches Haushaltsnettoeinkommen in Arbeiter- und Angestelltenhaushalten (in Mark, monatlich)

Haushalte insgesamt 1-PersonenHaushalte 2-PersonenHaushalte 3-PersonenHaushalte 4-PersonenHaushalte Haushalte mit 5 und mehr Personen Quelle:

244

1960

1965

1970

1972

1974

1976

1977

758

843

1031

1126

1253

1343

1451

417

451

535

590

655

713

765

665

765

928

1014

1118

1194

1310

839

929

1121

1217

1339

1442

1551

913

1000

1209

1302

1440

1556

1670

992

1037

1287

1400

1583

1746

1891

Statistisches Jahrbüch der DDR 1979, Berlin 1979, S. 272.

wie diese Aufwendungen von der Gesellschaft übernommen werden.6 Damit wird die Differenzierung zwischen den Haushaltsgrößen jedoch nicht aufgehoben.

8.3.

Die gesellschaftlichen Fonds als Bestandteil der Einkommen der Bevölkerung

8.3.1.

Die gesellschaftlichen Fonds im System der sozialen Sicherheit

Es ist Ausdruck der Fürsorge der sozialistischen Gesellschaft für die Entwicklung aller Seiten des gesellschaftlichen Lebens, daß die Arbeitseinkommen der Werktätigen auf der Basis des Leistungsprinzips ständig ansteigen und ein noch schneller wachsender Teil der Realeinkommen in Form gesellschaftlicher Fonds für soziale Erfordernisse eingesetzt wird. Der wachsende Umfang der gesellschaftlichen Fonds wird wesentlich bestimmt von den höheren Anforderungen an die Bildung, Qualifikation und Leistungsfähigkeit der Werktätigen; er ist Ausdruck der sich erhöhenden Aufwendungen für die Reproduktion der Arbeitskraft sowie für die Erfordernisse, die sich aus der sozialen und kulturellen Betreuung der nichtarbeitsfähigen Mitglieder der Gesellschaft ergeben. Der Anteil des einzelnen an den Einkommen aus gesellschaftlichen Fonds ist nicht bzw. nicht unmittelbar wie beim Arbeitseinkommen abhängig von der persönlichen Arbeitsleistung; sie bestehen aus Geldeinnahmen bzw. unentgeltlichen bzw. zu Vorzugsbedingungen gewährten kulturell-sozialen Leistungen, die bekanntlich aus Mitteln des Staates, der Betriebe und gesellschaftlicher Organisationen finanziert werden (vgl. Tabelle 46). Die Geldeinnahmen aus gesellschaftlichen Fonds dienen einmal der sozialen Sicherstellung der Mitglieder der Gesellschaft, die ständig oder zeitweilig aus gesellschaftlich anerkannten Gründen nicht am Arbeitsprozeß teilnehmen können, wie z. B . Rentner, Kranke, Invaliden, und zum anderen realisiert damit die Gesellschaft bei Familien mit Kindern ihren Anteil an den materiellen Aufwendungen und Leistungen, die mit der Geburt, Betreuung und Erziehung der Kinder verbunden sind. Gegenwärtig ist das Arbeitseinkommen der Werktätigen durch „Umverteilung" innerhalb des Haushalts noch die wichtigste Quelle für den Unterhalt der zur Familie gehörenden Kinder. Das hat zur Folge, daß die effektiven Konsumtionsmöglichkeiten der Werktätigen nicht nur von der Höhe der für die erbrachte Arbeitsleistung erzielten Arbeitseinkommen, sondern auch von der Zahl der zur Familie gehörenden Kinder bestimmt wird. Dadurch kommt die Wirkung des Leistungsprinzips nicht voll zur Geltung, weil bei sonst glcich6

Vgl. Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, a. a. 0., S. 25. 245

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der Direktive des IX. Parteitages der SED zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR in den Jahren 1976 bis 1980 festgelegt: „Das Realeinkommen pro Kopf der Bevölkerung, d. h. die Nettoarbeitseinkommen und die Einkommen aus gesellschaftlichen Fonds für die Verbesserung der materiellen und geistig-kulturellen Lebensbedingungen der Bevölkerung soll 1980 gegenüber 1975 auf 121 bis 123% erhöht werden." 23 Dabei wird eingeschätzt, daß sich die Entwicklungsrichtungen, wie sie sich historisch herausgebildet haben, auch künftig fortsetzen, werden. Das ergibt sich vor allem aus der weiteren Verwirklichung des sozialpolitischen Programms, insbesondere der weiteren vorrangigen Entwicklung des Wohnungsbauprogramms, den schneller wachsenden Zuwendungen aus gesellschaftlichen Fonds sowie aus der Verwirklichung beschlossener sozialpolitischer Maßnahmen. Die Übersicht zeigt, daß auf der Grundlage eines höheren verfügbaren Realeinkommens der gesamten Bevölkerung der bezahlte Verbrauch im Anteil am Realeinkommen zurückgeht, während der unbezahlte Verbrauch im Anteil steigt. Während sich die Inanspruchnahme von Leistungen insgesamt im Zeitraum 1960 bis 1977 auf etwa das 2,5fache erhöhte, stiegen die unbezahlt in Anspruch genommenen Leistungen auf das 3,2fache. Die bezahlten Leistungen erhöhten sich auf das l,9fache. Im absoluten Niveau sind die unbezahlten Leistungen gegenüber den bezahlten Leistungen mehr als doppelt so hoch. Besonders diese Feststellung unterstreicht, daß es zu eng ist, die Befriedigung des steigenden Bedarfs unserer Bevölkerung auf dem Gebiet der Leistungen nur an den Leistungsarten zu messen, die von der Bevölkerung bezahlt werden, wie z. B. der Verkehrsleistungen, der Leistungen des Post- und Fernmeldewesens, der Wäschereien usw. Einen zunehmenden Einfluß üben solche Leistungsarten aus, die insbesondere für die weitere Gestaltung der sozialistischen Lebensweise von Bedeutung sind, wie z. B. die Leistungen auf dem Gebiet der Kultur, des Sports, des Erholungswesens, der Bildung, der gesundheitlichen und sozialen Betreuung bis hin zu den Leistungen der Wohnungswirtschaft. Diese Leistungen, die wichtige Elemente des wachsenden Lebensstandards und der Sozialpolitik umfassen, dürfen bei der Wertung der Befriedigung des Leistungsangebots für die Bevölkerung auch bei einem Vergleich mit kapitalistischen Ländern, in denen vor allem die höheren Preise und Tarife das Leistungsvolumen wesentlich beeinflussen, nicht unberücksichtigt bleiben. Es wird eingeschätzt, daß mit der weiteren Ausprägung der sozialistischen Lebensweise die unentgeltliche Inanspruchnahme von Leistungen weiterhin schneller wachsen und damit einen zunehmenden Einfluß auf die Realisierungsbedingungen der Einkommen der Bevölkerung ausüben wird. 23 Direktive des IX. Parteitages der SED zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR in den Jahren 1976-1980, a. a. 0., S. 22.

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273

Konsumgütern und Dienstleistungen mit immer höheren und erweiterten Gebrauchseigenschaften, während die sozialistische Lebensweise ihrerseits Forderungen hinsichtlich einer hohen Qualität an die individuelle Konsumtion stellt. Im Sozialismus hat der Gebrauchswert das Primat vor dem Wert. Die immer bessere Befriedigung der Bedürfnisse durch Konsumgüter und Dienstleistungen ergibt sich daher nicht nur aus dem wertmäßigen Wachstum des Nationaleinkommens und seines Konsumtionsfonds oder aus der steigenden Konsumtionsrate, sondern vor allem aus der bedarfsgerechten Struktur und der Qualität der wachsenden Gebrauchswertmenge des Nationaleinkommens und seines Konsumtionsfonds. Die Partei der Arbeiterklasse orientiert auf eine qualitäts-, sortiments- und zeitgerechte Produktion von Konsumgütern. „Bei der Entwicklung der Konsumgüterproduktion haben wir im Auge, daß es sowohl um die Menge an Erzeugnissen geht als auch um die Gebrauchseigenschaften, also um die Einheit von Menge und Qualität." 7 Es sind damit dieQualität der Konsumgüter und ihre Gebrauchstüchtigkeit zu erhöhen, die technischen Parameter einzuhalten und zu verbessern, die Reparaturanfälligkeit zu vermindern, die Formgestaltung sowie die Attraktivität und modische Gestaltung zu vervollkommnen. Die Befriedigung des Bedarfs an Dienstleistungen in hoher Qualität wird vor allem durch die Konzentration und Spezialisierung bei intensiver Nutzung der vorhandenen Grundfonds, durch die Schaffung komplexer Annahmestellen, durch die Erhöhung der Qualifikation der Mitarbeiter und durch die Beseitigung der Niveauunterschiede zwischen Stadt und Land erreicht. Das quantitative Wachstum des Verbrauchs beruht einmal auf dem zunehmenden Umfang und der Vielfalt der zu befriedigenden Bedürfnisse mittels Konsumgütern und Dienstleistungen, zum anderen aber auch auf den Veränderungen im Verbrauchszyklus bei Konsumgütern. Im Zusammenhang mit dem wachsenden Tempo des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und der Erhöhung des Lebensniveaus zeichnet sich die Tendenz ab, daß sich die Periodizität des Verbrauchszyklus der langlebigen Konsumgüter verringert. Das trifft insbesondere auf Konsumgüter zu, bei denen eine schnelle Entwicklung der technischen Gebrauchseigenschaften vor sich geht (Nutzungsmöglichkeiten, Bedienungskomfort) oder die in modischer und ästhetischer Hinsicht nicht mehr den wachsenden Ansprüchen genügen (Teile von Wohnungseinrichtungen). Die Konsumgüterbestände werden in kürzer werdenden Zeiträumen von der Bevölkerung ersetzt, wobei der aperiodische Verschleiß zum periodischen Verschleiß und dieser wiederum zum häufigen Verschleiß hin tendiert. Das führt im Prinzip zum Ersatz langlebiger Konsumgüter in stets kürzeren Intervallen, es erhöht sich das Tempo des Umschlages der Konsumgüterbestände, und die Zweitausstattung gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die Bestimmung von Verbrauchsnormativen unter Berücksichtigung des 7

E. Honecker, Bericht des ZK der SED an den IX. Parteitag, a. a. 0 . , S. 54.

274

physischen, aber vor allem des moralischen Verschleißes ist eines der kompliziertesten Probleme der sozialistischen Konsumtion. Objektiv unterliegen auch im Sozialismus die Konsumgüter einem physischen und moralischen Verschleiß. Eine andere Auffassung wäre gleichbedeutend mit der Negierung des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts und der Entwicklung der Bedürfnisse der Bevölkerung. Gleichzeitig grenzt sich aber die individuelle Konsumtion im Sozialismus prinzipiell v o m Wesen der kapitalistischen „ Konsumgesellschaft" ab, wo durch einen extremen physischen und übersteigerten moralischen Verschleiß die Konsumgüter sehr schnell veralten, ohne daß durch ihren Ersatz eine Verbesserung der Bedürfnisbefriedigung eintritt. Das quantitative Wachstum der individuellen Konsumtion wird weiter durch die demographische Entwicklung der Bevölkerung bestimmt. Das quantitative Wachstum des Verbrauchs muß zugleich ein Wachstum des Verbrauchs je Kopf der Bevölkerung sein. Erst das gewährleistet die tatsächliche Steigerung des Verbrauchs an Konsumgütern und Dienstleistungen, obgleich dies in der D D R auf Grund der Bevölkerungsentwicklung als zweitrangig betrachtet werden kann. b) Der Verbrauch von Konsumgütern und Dienstleistungen verläuft differenziert zwischen den sozialen Gruppen. Ein spezifischer Aspekt des stetigen qualitativen und quantitativen Wachstums des Verbrauchs besteht darin, daß in der gegenwärtigen Etappe der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsordnung das Wachstum des Verbrauchs auf der Grundlage eines allgemein steigenden Verbrauchs innerhalb und zwischen den sozialen Gruppen differenziert verläuft. Diese objektiv bedingte Differenzierung im Wachstum des Verbrauchs spiegelt sich in der individuellen Konsumtion unterschiedlicher sozialer Gruppen wider. Es bestehen Unterschiede in der Verbrauchsentwicklung zwischen Arbeiter- und Angestelltenhaushalten, Haushalten von LPG-Mitgliedern und Rentnerhaushalten. Werden die Haushalte weiter nach Einkommens-Größengruppen oder Haushalts-Größengruppen untergliedert, so zeigen sich ebenfalls Unterschiede in Entwicklung und Struktur des Verbrauchs. Die wesentlichste Ursache für das differenzierte Wachstum des Verbrauchs liegt in den unterschiedlichen Nettogeldeinkommen als Folge des Wirkens des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung und in der unterschiedlichen Kinderzahl der Haushalte begründet. Darüber hinaus fördert die sozialistische Lebensweise auf der Grundlage eines für alle Bürger steigenden Konsumtionsvolumens die Differenzierung des Verbrauchs. Die sozialistische Lebensweise ist ihrem Wesen nach eine einheitliche Lebensweise, die von der Arbeiterklasse geprägt wird. Die sinnvolle Nutzung und Gestaltung der Freizeit entspricht demnach dem Bestreben der gesamten Bevölkerung. Das schließt aber nicht aus, daß sich dieses generelle Bestreben in vielfältigen Formen ausdrückt. Die individuelle Konsumtion im Sozialismus ist keine uniforme Konsumtion, sondern läßt im Gegenteil viele Wege eines differenzierten, individuell unterschiedlichen Konsumgüter- und Dienstleistungsverbrauchs zu. Je weiter sich die Freizeit ausdehnt und das Bildungsniveau der 18*

275

Menschen erhöht, u m so größer wird der Spielraum für die Herausbildung spezifischer Bedürfnisse nach Konsumgütern und Dienstleistungen. J e größer d a s Realeinkommen pro Kopf und pro H a u s h a l t wird, u m so größer wird gleichzeitig die Möglichkeit, diese spezifischen Bedürfnisse auch zu befriedigen. c) Das stetige Wachstum des Verbrauchs von Konsumgütern und Dienstleistungen schließt das Wachstum des persönlichen und gesellschaftlichen Eigentums an Konsumtionsmitteln ein. Die Entwicklung des Verbrauchs von Konsumgütern und Dienstleistungen im Sozialismus ist eng mit d e m Anwachsen des E i g e n t u m s der Gesellschaft und ihrer Bürger an Konsumtionsmitteln als Bestandteil des Nationalreichtums verbunden. Durch d a s stetige Anwachsen des Konsumtionsfonds des Nationaleinkommens u n d der wachsenden nichtproduktiven Akkumulation tritt d a s Eigentum auf: — als Teil des Nationalreichtums, der als persönliches E i g e n t u m der Bevölkerung an Konsumgütern besteht, — als Teil des Nationalreichtums, der in F o r m der gesellschaftlichen Grundfonds im nichtproduzierenden Teil der Volkswirtschaft existiert. Aus dem Konsumtionsfonds des Nationaleinkommens werden der Bevölkerung K o n s u m g ü t e r mit unterschiedlichen zeitlichen Verwendungszyklen zugeführt. Ein Teil dieser Konsumgüter, wie z. B . Nahrungsmittel, werden von der Bevölkerung nach dem E r w e r b sofort verbraucht. Mit der Entwicklung des Lebensniveaus bildet sich zugleich ein hohes u n d ständig weiter wachsendes A u s s t a t t u n g s n i v e a u mit langlebigen Konsumgütern bei der Bevölkerung heraus (vgl. Tabelle 53 und 54). Diese A u s s t a t t u n g s b e s t ä n d e haben eine wesentliche B e d e u t u n g für die Bedürfnisbefriedigung. Bereits d a s Vorhandensein dieser K o n s u m g ü t e r mit ihrer sofortigen Verfügungsbereitschaft wirkt als Potenz für die Bedürfnisbefriedigung. Die in mehreren J a h r e n aus dem Konsumtionsfonds entstehende A u s s t a t t u n g ist in wachsendem Maße eine Grundlage dafür, daß d a s Niveau der Bedürfnisbefriedigung in den einzelnen J a h r e n höher liegt, als es den Möglichkeiten der Zuführung aus d e m jährlichen Konsumtionsfonds entspricht. E s ist d a v o n auszugehen, daß sich die durchschnittliche Zahl der langlebigen Haushaltsgeräte pro H a u s h a l t von 7 Geräten 1975 auf etwa 12 bis 15 Geräte zuzüglich der elektroakustischen u n d optischen Geräte bis zum J a h r e 1990 erhöhen wird. D a s gesellschaftliche E i g e n t u m an Konsumtionsmitteln besteht vorwiegend in F o r m der gesellschaftlichen Grundfonds im nichtproduzierenden Bereich zur Ausübung der Dienstleistungen auf den Gebieten der Bildung, der K u l t u r , des Gesundheits- u n d Erholungswesens und des S p o r t s . Mit d e m W a c h s t u m und der Verbesserung der qualitativen S t r u k t u r dieser Grundfonds ergibt sich gleichlaufend die Möglichkeit, die individuelle Konsumtion in F o r m von personenbezogenen Dienstleistungen bei der Bevölkerung zu erweitern. D a z u ist es erforderlich, daß die gesellschaftlichen Grundfonds schneller als d a s persönliche E i g e n t u m wachsen. 276

Tabelle 53 Bestand ausgewählter industrieller Konsumgüter in der D D R je 100 Haushalte Erzeugnis

Jahr

Personenkraftwagen Rundfunkempfänger * Fernsehempfänger* El. HH-Kühlschränke El. HH-Waschmaschinen

1960

1970

1975

1976

1978

3,2 89,9 16,7 6,1 6,2

15,6 91,9 69,1 56,4 53,6

26,2 96,3 81,6 84,7 73,0

28,8 96,9 83,6 89,7 75,7

34,1 98,2 86,5 98,6 78,8

* Empfangsgenehmigungen. Der tatsächliche Bestand ist erheblich höher. Quelle: Statistisches Jahrbuch der D D R 1979, S. 276. Tabelle 54 Bestand ausgewählter industrieller Konsumgüter in Arbeiter- und Angestelltenhaushalten der D D R nach Anschaffungsperioden (in °/0) Erzeugnis

Zeitraum

PKW Fernsehempfänger El. H H- Kühlschränke El. HH-Waschmaschinen

vor 1960

1960-1965

1966-1969

1970-1975

1976-1978

0,4 1,2 3 1,3

3,1 14,3 18,1 15,4

8,2 15,2 22,9 19,2

46,1 42,1 41,7 41,2

42,2 27,2 16,0 22,9

Quelle: Statistisches Jahrbuch der D D R 1979, Berlin 1979, S. 276.

9.2.2.

Die Entwicklung und

der Verbrauchsstrukturen

bei

Konsumgütern

Dienstleistungen

Die Entwicklung des Verbrauchsverhältnisses zwischen Konsumgütern u n d Dienstleistungen im Sozialismus beruht auf einem der Erfüllung der H a u p t aufgabe dienenden, ausgewogenen Verhältnis der Verbrauchsanteile von Konsumgütern und Dienstleistungen. Im einzelnen zeigt sich das in folgenden speziellen Entwicklungstendenzen: a) Der Konsumgüterverbrauch nimmt auch zukünftig den überwiegenden Anteil an der individuellen Konsumtion ein. Das Gewicht des Konsumgüterverbrauchs innerhalb der individuellen Konsumtion zeigt sich im Anteil von 6 2 , 1 % im Jahre 1978 an der gesamten individuellen Konsumtion in Arbeiter- und Angestelltenhaushalten der D D R (vgl. Tabelle 52). Der Einzelhandelsumsatz als Hauptform der Realisierung der

277

Konsumgüter wuchs von 1960 bis 1970 um etwa 19 Mrd. M, aber allein in den Jahren 1970 bis 1975 betrug seine Steigerung rd. 18 Mrd. M und erreichte damit im Jahre 1975 eine Höhe von 82 Mrd. M. Bei einer möglichen Steigerung auf etwa 1 2 0 % gegenüber 1975 könnte er 1980 fast 100 Mrd. M betragen und sich damit gegenüber 1964 mehr als verdoppeln (vgl. Tabelle 55). In wichtigen Positionen wächst der Konsumgüterverbrauch schneller als die Inanspruchnahme von Dienstleistungen. Die Entwicklungsdynamik der Position „Sonstige Industriewaren" betrug 1978 zu 1960 in Arbeiter- und Angestelltenhaushalten 298 gegenüber 220 bei Dienstleistungen insgesamt, wobei solche Positionen wie Möbel, Foto, Kino, Optik und elektrotechnische Erzeugnisse eine noch höhere Dynamik aufweisen. b) Die Inanspruchnahme von Dienstleistungen entwickelt sich tendenziell im schnelleren Tempo als der Verbrauch von Konsumgütern. Dienstleistungen sind ein an Umfang und Bedeutung zunehmendes Ergebnis und zugleich Erfordernis der Vergesellschaftung der Arbeit. J e höher der Grad der Vergesellschaftung der Arbeit und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ist und je größer die Anforderungen an die erweiterte Reproduktion der Arbeitskraft und die Herausbildung der Persönlichkeit des Menschen sind, um so bedeutender wird die Stellung der bezahlten und unentgeltlich gewährten Dienstleistungen im Komplex der Befriedigung der Bedürfnisse, so daß ihr Anteil an der individuellen Konsumtion wächst. Die wachsende Bedeutung der Dienstleistungen für die weitere Erhöhung des Lebensniveaus in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft spiegelt sich in den Dokumenten der Partei der Arbeiterklasse wider. Es wird davon ausgegangen, daß die wachsenden Bedürfnisse der Arbeiterklasse und ihre immer bessere Befriedigung eine schnelle Entwicklung der Dienstleistungen verlangen. Die statistische Analyse der Anteile und der Entwicklungsdynamik des Verbrauchs von Dienstleistungen zeigt, daß in Arbeiter- und Angestelltenhaushalten die Dienstleistungen von 1960 bis 1978 von 2 9 , 8 % auf 3 7 , 9 % der Gesamtkonsumtion gestiegen sind und daß die Entwicklungsdynamik von 1960 zu 1978 mit 281 wesentlich höher war als bei Konsumgütern mit 220 (Tabelle 52). Diese dynamische Entwicklung wird vor allem durch die Konsumtion von Dienstleistungen der Bildung und Kultur (1978:1960 = 380), durch Leistungen aus betrieblichen Fonds (1978:1960 = 361) und vor allem durch den sozialistischen Wohnungsbau erreicht (1978:1960 = 600). c) Die Wechselbeziehungen und Verflechtungen im Verbrauch von Konsumgütern und Dienstleistungen werden enger und vielgestaltiger. Die Mittel für die Befriedigung der individuellen konsumtiven Bedürfnisse, d. h. Konsumgüter und Dienstleistungen, sind im Prozeß der Bedürfnisbefriedigung eng miteinander verbunden, da die individuellen Bedürfnisse der Menschen vorrangig in enger Wechselwirkung des Verbrauchs von Konsumgütern und Dienstleistungen befriedigt werden. Diese Wechselbeziehungen

278

und ihre strukturelle Entwicklung werden vor allem von der Effektivität der Konsumtion der Bevölkerung und der Effektivität der Volkswirtschaft bestimmt. Effektiv heißt in diesem Zusammenhang, daß sich diese Verflechtungen auf die Ausgestaltung der sozialistischen Lebensweise richten. E s geht also im Grunde genommen darum, daß im Interesse der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen in der sozialistischen Gesellschaft Konsumgüter und Dienstleistungen so zusammenwirken und sich ergänzen, daß die besten Bedingungen für die Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten und ihrer Lebensweise geschaffen werden. Aus den sich hieraus ableitenden wirtschaftsund sozialpolitischen Entscheidungen ergeben sich wesentliche Anforderungen an die Strukturentwicklung in der Volkswirtschaft. Dabei sind die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten zu berücksichtigen, die nur schrittweise Strukturveränderungen auf diesem Gebiet gestatten. Die beiden Grundtypen des Zusammenhangs zwischen Konsumgüter- und Dienstleistungsverbrauch sind Substitutions- und Kombinationsbeziehungen. Bei den Substitutionsbeziehungen handelt es sich um die gegenseitige Austauschbarkeit von Konsumgütern und Dienstleistungen im Prozeß der Bedürfnisbefriedigung. Bei den einzelnen Bedürfnisarten bestehen vielfach umfangreiche Substitutionsmöglichkeiten, indem die Befriedigung eines Bedürfnisses sowohl durch ein Konsumgut als auch durch eine Dienstleistung möglich ist. Typische Beispiele hierfür sind die Austauschbarkeit zwischen dem Verbrauch von Waschmaschinen durch die Bevölkerung und der Inanspruchnahme von Dienstleistungen der Textilreinigung, oder die Austauschbarkeit zwischen Fahrzeugen im Eigentum der Bevölkerung und den Dienstleistungen des öffentlichen Verkehrswesens. Tatsächlich aber sind Substitutionsbeziehungen oft wesentlich komplizierter, da in der Regel Teilsubstitutionen auftreten. Substitutionsprozesse zugunsten der Dienstleistungen können modifiziert werden, wenn durch die Produktion Konsumgüter mit neuen Gebrauchseigenschaften entwickelt werden. Dieser Prozeß ist auf dem Gebiet der Textilreinigung typisch. Die Inanspruchnahme von Dienstleistungen konzentriert sich hier auf bestimmte Teile der Bekleidung und Haushaltswäsche, und zwar auf solche, deren Reinigung im Haushalt besonders zeit- und kraftaufwendig ist. E s kann eingeschätzt werden, daß sich etwa 8 0 % der Haushaltswäsche für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen eignen. Die Substitution hat wesentlichen Einfluß auf die im Vergleich zum Konsumgüterverbrauch schnellere Entwicklung der Dienstleistungen. Gemeinsam mit dem gesetzmäßigen Wachstum solcher Dienstleistungen, die nicht durch Konsumgüter ersetzt werden können und die im gesellschaftlichen Interesse zur Herausbildung der sozialistischen Lebensweise vorrangig entwickelt werden wie Dienstleistungen auf dem Gebiet der Bildung, Kultur, des Gesundheits- und Sozialwesens, werden in wachsendem Maße bestimmte Tätigkeiten in der Hauswirtschaft und der damit verbundene Verbrauch von Konsumgütern durch Dienstleistungen ersetzt. 279

Die K o m b i n a t i o n s b e z i e h u n g e n u m f a s s e n die gegenseitige Verflechtung im V e r b r a u c h von K o n s u m g ü t e r n u n d Dienstleistungen im Prozeß der B e dürfnisbefriedigung. Die K o m b i n a t i o n s b e z i e h u n g e n beinhalten andere ökonomische Z u s a m m e n h ä n g e als die S u b s t i t u t i o n s b e z i e h u n g e n . D e r Verbrauch von K o n s u m g ü t e r n ist zu großen Teilen m i t der I n a n s p r u c h n a h m e von Dienstleistungen u n m i t t e l b a r v e r b u n d e n . D a s ergibt sich d a r a u s , d a ß b e s t i m m t e Dienstleistungen entweder V o r a u s s e t z u n g oder F o l g e des K o n s u m g ü t e r v e r brauchs sind, oder d a ß der Verbrauch b e s t i m m t e r K o n s u m g ü t e r und Dienstleistungen nur in ihrer engen Verbindung zur B e d ü r f n i s b e f r i e d i g u n g f ü h r t , z. B . beim V e r b r a u c h von N a h r u n g s g ü t e r n im G a s t s t ä t t e n w e s e n . D a r a u s folgt, daß d a s W a c h s e n des K o n s u m g ü t e r v e r b r a u c h s u n m i t t e l b a r e Auswirkungen auf die E n t w i c k l u n g b e s t i m m t e r Dienstleistungen h a t . Dies spiegelt sich in den wesentlichsten Kombinationsbeziehungen w i d e r : — Dienstleistungen als Voraussetzung des Konsumgüterverbrauchs. D a s sind vor allem Dienstleistungen zur Vorbereitung u n d D u r c h f ü h r u n g des K o n s u m g ü t e r k a u f s . Diese Dienstleistungen sind eng m i t d e m K o n s u m g ü t e r b i n n e n handel v e r b u n d e n . Zu ihnen gehören K u n d e n d i e n s t e wie Lieferung von Konsumgütern, Montage u n d Aufstellen von K o n s u m g ü t e r n u. a. Mit d e m wachsenden K o n s u m g ü t e r v e r b r a u c h gewinnen diese Dienstleistungen a n B e d e u t u n g . Sie dienen vor — Dienstleistungen als Folge des Konsumgüterverbrauchs, allem der Wiederherstellung der G e b r a u c h s f ä h i g k e i t der im E i g e n t u m der B e v ö l k e r u n g befindlichen K o n s u m g ü t e r wie W a r t u n g , Pflege u n d R e p a r a t u r leistungen. Auf die E n t w i c k l u n g dieser Dienstleistungen gehen v o m K o n s u m g ü t e r v e r b r a u c h unterschiedliche Wirkungen aus. Zunächst wirkt der wachsende K o n s u m g ü t e r v e r b r a u c h fördernd auf die E n t w i c k l u n g dieser Dienstleistungen. Anderseits führen solche Gebrauchseigenschaften wie Pflegeleichtigkeit und W a r t u n g s a r m u t wie auch andere E i n f l ü s s e zur Verringerung des gesellschaftlichen B e d a r f s an diesen Dienstleistungen. E s ist volkswirtschaftlich effektiv, durch neue G e b r a u c h s e i g e n s c h a f t e n der K o n s u m g ü t e r den B e d a r f an Folgedienstleistungen einzuschränken. Gleichzeitig werden a b e r beträchtliche Anstrengungen u n t e r n o m m e n , u m den bestehenden B e d a r f an solchen Dienstleistungen voll befriedigen zu können. D a s W a c h s t u m des V e r b r a u c h s von K o n s u m g ü t e r n u n d Dienstleistungen schließt S t r u k t u r v e r ä n d e r u n g e n innerhalb u n d zwischen den einzelnen G r u p pen u n d Arten von K o n s u m g ü t e r n und Dienstleistungen ein. I m einzelnen entwickeln sich diese V e r b r a u c h s s t r u k t u r e n unterschiedlich. d) Es verändert sich das Verbrauchsverhältnis zwischen Nahrungsund Genußmitteln einerseits und Industriewaren andererseits zugunsten der Industriewaren. Bei einem absoluten W a c h s t u m des V e r b r a u c h s von N a h r u n g s - und Genußmitteln ist ein relatives Sinken dieses Verbrauchs im Vergleich zu den Industriewaren festzustellen. D a s entspricht d e m Wesen der sozialistischen Konsumtion, wonach vor allem Industriewaren eine entscheidende Rolle bei d e r

280

Schaffung von mehr Freizeit durch Verringerung der Hausarbeitszeit und bei der sinnvollen Gestaltung der Freizeit spielen. Bei der Entwicklung des Nahrungs- und Genußmittelverbrauchs liegt der Schwerpunkt vor allem in der Erhöhung der Qualität der Produkte sowie in Strukturverschiebungen. Die Entwicklungsdynamik des Verbrauchs in Arbeiter- und Angestelltenhaushalten in den Jahren 1978 zu 1960 betrug für Konsumgüter insgesamt 195. Während die Dynamik für Nahrungs- und Genußmittel in diesem Zeitraum bei 162 lag, betrug sie für Schuhe, Textilien und Bekleidung 189 und für sonstige Indtlstriewaren 298 (vgl. Tabelle 52). Dieser Trend wird sich grundsätzlich fortsetzen; und zwar in Abhängigkeit von der differenzierten Bereitstellung hochwertiger Industriewaren sowie neuartiger Nahrungs- und Genußmittel mit einem hohen Veredlungsgrad. Die Tendenz des sich verändernden Verbrauchsverhältnisses zwischen Nahrungs- und Genußmitteln zu Industriewaren spiegelt sich logisch in den Strukturverschiebungen des Einzelhandelsumsatzes zugunsten der Industriewaren wider. Während dieses Verhältnis 1960 etwa 55:45 betrug, kann für das J a h r 1980 mit einer etwas ausgeglichneren Relation gerechnet werden. e) Innerhalb der Nahrungsmittel treten Verschiebungen zugunsten von Nahrungsmitteln mit einem hohen Effekt hinsichtlich einer gesunden Lebensweise und zur Einschränkung von Hausarbeit ein. Im Bedürfniskomplex Ernährung bestehen die Erfordernisse der gesunden Lebensweise z. T. in einer quantitativen Reduzierung des Verbrauchs bestimmter Nahrungsgüter wie Nährmittel oder Butter und in einer qualitativen Veränderung der Ernährungsstruktur zugunsten eines steigenden Verbrauchs von Obst, Gemüse und bestimmten Molkereierzcugnissen. Im täglichen Leben ist aber immer noch ein weiteres Ansteigen solcher Genußmittel zu verzeichnen, die einer gesunden Lebensweise zuwiderlaufen, wie beispielsweise Zigaretten und Spirituosen. Generell wächst das Bedürfnis nach einem erhöhten Verarbeitungsgrad der Nahrungsgüter, um Hausarbeitszeit einsparen zu können. Aus all dem ergeben sich sowohl Anforderungen an die Veränderung der Ernährungsweise der Bevölkerung, vor allem aber auch Anforderungen an das Gaststättenwesen, an die Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung und Anforderungen an die Land- und Nahrungsgüterwirtschaft hinsichtlich veränderter Ernährungswerte und der Herstellung von gebrauchsfertigen Nahrungsgütern. f) Innerhalb der Industriewaren treten Verschiebungen zugunsten von Industriewaren zur Befriedigung geistig-kultureller Bedürfnisse, des Wohnens und der Bationalisierung der Hausarbeit ein. Die Wesensmerkmale der individuellen Konsumtion im Sozialismus, sowohl direkt zur Herausbildung der sozialistischen Lebensweise beizutragen als auch Voraussetzungen für die Entwicklung der Lebensweise zu schaffen, zeigen sich folgerichtig in den Strukturverschiebungen des Verbrauchs an Industriewaren, besonders der „Sonstigen Industriewaren". 281

Über 1 0 % des Konsumgüterverbrauchs dienen direkt und unmittelbar der Befriedigung geistig-kultureller Bedürfnisse, z. B. Bücher, Schallplatten, elektroakustische Geräte u. a. Die Entwicklungsdynamik des Verbrauchs 1978 zu 1960 bei „Sonstigen Industriewaren" — also der Konsumgüter, welche vorrangig der kulturvollen Gestaltung der Freizeit und der Rationalisierung der Hauswirtschaft dienen — lag mit 298 wesentlich über der Dynamik bei Konsumgütern insgesamt mit 220. Die ständig weiter wachsende Bedeutung des Verbrauchs von „Sonstigen Industriewaren" spiegelt sich in den Beschlüssen des I X . Parteitages der S E D wider, indem sich die Produktion von elektronischen und elektrotechnischen Konsumgütern durch Neu- und Weiterentwicklungen bis 1980 wesentlich erhöhen wird, die Möbelproduktion ebenfalls kontinuierlich steigt und die Produktion von Haushaltskühlschränken, Waschmaschinen, Herden u. a. sich in schnellem Tempo weiterentwickelt. g) Innerhalb der Dienstleistungen wachsen die personenbezogenen schneller als die sachbezogenen Dienstleistungen. Bei einer allgemein progressiven Entwicklung der Dienstleistungen ist das Wachstum innerhalb der Dienstleistungen differenziert. Jede Dienstleistungsart unterliegt eigenen Entwicklungstendenzen, die über längere Zeiträume zu berücksichtigen sind. Grundsätzlich ist festzustellen, daß die Entwicklungsdynamik bei Dienstleistungen vor allem auf das Wachstum solcher für die sozialistische Lebensweise typischen Bereiche wie Volksbildung und Kultur, betriebliche Leistungen für die kulturelle und soziale Betreuung der Werktätigen sowie Wohnungsbau und -erhaltung zurückzuführen ist. Es entspricht den Zielen der sozialistischen Gesellschaft, daß auch künftig die Leistungen des Bildungswesens, der Kultur, des Sports, des Erholungswesens sowie des Gesundheitswesens vorrangig entwickelt werden. Die Inanspruchnahme von Dienstleistungen der Bereiche Volksbildung und Kultur betrug (ohne Stipendien) in Arbeiter- und Angestelltenhaushalten 1960 = 8 , 8 % und 1978 1 5 , 1 % der gesamten individuellen Konsumtion. Volksbildung und Kultur weisen auch mit 380 die zweithöchste Entwicklungsdynamik aller Dienstleistungen im Vergleich des Jahres 1978 zu 1960 auf. Die Auswirkungen des Wohnungsbauprogramms als der größten sozialpolitischen Aufgabe bis 1990 spiegeln sich deutlich in der höchsten Entwicklungsdynamik aller Verbrauchspositionen mit 600 im Jahre 1978 gegenüber 1960 wider (vgl. Tabelle 52). Die Entwicklung der sachbezogenen Dienstleistungen, die sich vor allem auf die im Eigentum der Bevölkerung befindlichen Konsumgüter beziehen, ist sehr eng mit der Entwicklung von Umfang und Qualität der Konsumgüter verbunden und davon abhängig. Diese Dienstleistungen wachsen ebenfalls absolut, gehen aber in ihrem Anteil an den Dienstleistungen insgesamt relativ zurück. Dieser Trend spiegelt sich in der Position „bezahlte Dienstleistungen" in den Arbeiter- und Angestelltenhaushalten wider, deren Anteil an der indi282

viduellen Konsumtion sich von 12,5% 1960 auf 10,8% 1978 verringerte, gleichzeitig aber einen beträchtlichen absoluten Zuwachs der Leistungen brachte (vgl. Tabelle 56 und 57). In enger Wechselwirkung mit der Verbesserung der Qualität der Konsumgüter hinsichtlich Funktionstüchtigkeit, Wartungsarmut und Pflegeleichtigkeit werden die bisher erreichten Fortschritte auf dem Gebiet der sachbezogenen Dienstleistungen systematisch ausgebaut, so wie dies in den Beschlüssen des IX. Parteitages der SED zum Ausdruck kommt, indem die Leistungen der Textilreinigung und die Leistungen für Wartung und Reparaturen weiterhin gesteigert werden.

9.3.

Die Versorgung leistungen

der Bevölkerung

mit

Konsumgütern

und

Dienst-

Eine wesentliche Seite des sozialpolitischen Programms der SED ist die Sicherung eines hohen Niveaus der Versorgung der Bevölkerung als Voraussetzung ihrer Konsumtion. Die Versorgung umfaßt die Bereitstellung und Vermittlung von Konsumgütern und Dienstleistungen zur Befriedigung individueller Bedürfnisse der Bevölkerung. Die Versorgung der Bevölkerung ist eine weitreichende Aufgabe, sowohl hinsichtlich ihrer Bestandteile als auch hinsichtlich der an der Versorgung beteiligten Organe und Institutionen. Die Versorgung umfaßt nicht nur die Vermittlung von Konsumgütern durch den Binnenhandel, sondern gleichermaßen die Bereitstellung von Dienstleistungen durch die vielfältigsten Dienstleistungsinstitutionen bis hin zu den Leistungen des Gesundheitswesens. An der Versorgung ist eine Vielzahl von Volkswirtschaftszweigen, Institutionen und gesellschaftlichen Organen beteiligt. Bestmögliche und bedürfnis- sowie bedarfsgerechte Versorgung ist also keine spezielle Aufgabe eines Wirtschaftszweiges, sondern gemeinsames Anliegen von Konsumgüterindustrie, Binnen- und Außenhandel, Landwirtschaft, Verkehrswesen, örtlicher Versorgungswirtschaft einschließlich Handwerk und Dienstleistungsinstitutionen. Die Sicherung einer vorbildlichen Versorgung erfordert folglich das sinnvolle Zusammenwirken und die Verantwortung aller an der Herstellung und Realisierung von Konsumgütern und Dienstleistungen beteiligten Bereiche und Zweige der Volkswirtschaft. Zwischen den Bereichen und Zweigen, welche die Versorgung vorbereiten, wie Produktion, Verkehrswesen und Außenhandel, sowie den Zweigen, welche die Versorgung unmittelbar vollziehen, wie Binnenhandel, Gaststättenwesen und örtliche Versorgungswirtschaft, bestehen spezifische Unterschiede. Die Letztgenannten tragen eine ganz besondere Verantwortung für eine bedarfsgerechte Versorgung, denn sie treten unmittelbar mit der Bevölkerung in Verbindung. Dieser direkte Kontakt verleiht ihrer Arbeit eine hohe politische Wirksamkeit und Verantwortung.

283

9.3.1.

Die Leitung und Planung Organe der Staatsmacht

der

Versorgung

durch

die

örtlichen

Die hohe sozialpolitische Bedeutung der Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern und Dienstleistungen einerseits sowie die Notwendigkeit der Koordinierung der verschiedenen an der Versorgung beteiligten Institutionen anderseits, bestimmen die besondere Verantwortung der örtlichen Organe der Staatsmacht für die Leitung und Planung der Versorgung. Mit dem Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der DDR wurden hierzu die entsprechenden Aufgaben, Rechte und Pflichten festgelegt.8 Die Arbeiterversorgung in den industriellen Zentren der Arbeiterklasse und in den Betrieben ist ein besonderer Schwerpunkt der Versorgung. Hierfür tragen neben den örtlichen Organen der Staatsmacht der Werkleiter und die Gewerkschaftsleitungen in den Betrieben eine hohe Verantwortung. Zur straffen Leitung und Planung der Versorgung durch die Organe der Staatsmacht dient die territoriale und betriebliche Planung der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie die Versorgungsplanung. Sie ist ein fester Bestandteil der jährlichen Volkswirtschaftsplanung. Zentral wird durch die Organe des Ministerrats der DDR der Versorgungsplan für die DDR und durch die Räte der Bezirke der bezirkliche Versorgungsplan ausgearbeitet. „Der Bezirkstag und der Rat des Bezirkes sind für die Versorgung mit Konsumgütern auf der Grundlage des Volkswirtschaftsplanes verantwortlich. Sie haben im Zusammenwirken mit den Räten der Kreise im Bezirksversorgungsplan Aufgaben zur Sicherung des planmäßigen Aufkommens und der Warenbereitstellung bei Konsumgütern, einschließlich Baustoffe sowie grundlegende Anforderungen an die Handelstätigkeit, Dienst- und Reparaturleistungen sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeiterversorgung, der Schul- und Kinderspeisung festzulegen."9 Damit kommt bei der staatlichen Leitung und Planung der Versorgun den Staatsorganen in den Bezirken eine besondere Verantwortung zu. Der Versorgungsplan ist die verbindliche Grundlage für die Industrie, die Land- und Nahrungsgüterwirtschaft, den Konsumgüterbinnenhandel und die Dienstleistungsinstitutionen zur Sicherung einer stabilen Versorgung der Bevölkerung. Er dient zugleich als Kontrollinstrument für die zentralen und örtlichen Staatsorgane. Die Leiter der entsprechenden Betriebe sind verpflichtet, regelmäßig vor den bezirklichen Staatsorganen Rechenschaft über die Erfüllung der ihnen übertragenen Versorgungsaufgaben abzulegen. Die Nomenklatur des Versorgungsplanes umfaßt bei Konsumgütern ca. 200 Positionen. Dazu gehören alle wichtigen Nahrungs- und Genußmittel soGesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe, Gesetzblatt der D D R , Teil I, 32/1973, S. 313ff., vor allem die §§ 25, 39, 51, 60. 9 Ebenda, § 39, Abs. 1.

8

284

wie für die Versorgung besonders wichtige Warengruppen und Einzelpositionen bei Industriewaren. Entsprechend diesen Positionen werden, ausgehend vom Bedarf der Bevölkerung, die Mengen festgelegt, die im jeweiligen Zeitraum gemäß den Produktions- und Importmöglichkeiten für die Versorgung der Bevölkerung bereitgestellt werden. Mit den bezirklichen Versorgungsplänen erfolgt zugleich eine Differenzierung der Warenfonds auf die Bezirke entsprechend der Größe und Struktur des einzelnen Bezirkes, wobei als Schwerpunkt die Zentren der Arbeiterklasse und die politische und volkswirtschaftliche Aufgabenstellung bestimmter Territorien (z. B. Hauptstadt der DDR Berlin oder Zentren des Tourismus) besondere Berücksichtigung finden. 9.3.2.

Die Versorgung mit Konsumgütern handel

durch den

Konsumgüterbinnen-

Der Konsumgüterbinnenhandel ist der Hauptträger des volkswirtschaftlichen Warenumschlages. Etwa 6 0 % des Bruttoumsatzes und ca. 9 5 % des Nettoumsatzes der Konsumgüterzirkulation entfallen auf den Konsumgüterbinnenhandel (vgl. Tabelle 55). Er trägt auf Grund seiner spezifischen Stellung im volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozeß als Mittler zwischen der Produktion und den Konsumenten eine ganz besondere Verantwortung für die Gewährleistung einer bedarfsgerechten und stabilen Versorgung mit Konsumgütern. Die Bedeutung und Verantwortung des Konsumgüterbinnenhandels bei der Versorgung zeigt sich grundsätzlich in folgenden Aufgaben: — Er trägt zur Erhöhung des sozialistischen Lebensniveaus im weitesten Sinne bei, indem er Konsumgüter für eine sinnvolle Freizeitgestaltung in ständig höherem Umfang (quantitativ und qualitativ) anbietet; Konsumgüter verkauft, die der Erleichterung der Hausarbeit und der Senkung des Zeitaufwandes für die Hausarbeit dienen; die Einkaufszeiten durch die Einführung moderner Verkaufsformen (z. B. Selbstbedienung) reduziert und damit den Anteil der Freizeit an der arbeitsfreien Zeit erhöht; durch niveauvolle Handelstätigkeit den kulturellen Ansprüchen der Menschen im Sozialismus entspricht. — Er ist durch den unmittelbaren Kontakt zur Bevölkerung ein politischer „Wettermacher". Er macht die Erfolge in Industrie, Außenhandel und Landwirtschaft gegenüber der Bevölkerung sichtbar und ist damit das „Schaufenster der Volkswirtschaft". Durch ein den Wünschen der Werktätigen entsprechendes Warenangebot trägt der Konsumgüterbinnenhandel wesentlich zur Stimulierung der Arbeitsleistung bei. Die spezifische Funktion des Konsumgüterbinnenhandels in der erweiterten sozialistischen Reproduktion besteht darin, Produktion und Konsumtion planmäßig so miteinander zu verbinden, daß der gesellschaftliche Bedarf an Konsumgütern nach Menge, Sortiments- und Preisstruktur, Qualität, Ort und Zeit kontinuierlich und mit minimalem Aufwand gedeckt wird.

285

Im Programm der S E D wird der politische Rang, den die Qualität der Konsumgüterversorgung einnimmt, unmißverständlich umrissen. „Durch enge Zusammenarbeit von Produktions- und Handelsbetrieben sind solche Konsumgüter zu produzieren und der Bevölkerung anzubieten, die in ihren Gebrauchseigenschaften und der modischen Gestaltung dem Bedarf der Bevölgerung entsprechen." 10 Dabei geht es erstens um die Sicherung der stabilen Versorgung mit Waren des allgemeinen Bedarfs. Hier sind alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Konsumgüter, die für das tägliche Leben benötigt werden, in vollem Sortiment, in guter Qualität, in allen Preisgruppen und zum gewünschten Zeitpunkt am richtigen Ort zur Verfügung stehen. Zweitens ist aber auch das Angebot von Konsumgütern des gehobenen Bedarfs so zu verbessern, daß es den ständig wachsenden qualitativen Ansprüchen der Verbraucher in Einklang mit den wachsenden Einkommen gerecht wird. Dem wird durch den schrittweisen Ausbau des Netzes der Exquisit- und Delikat-Verkaufsstellen entsprochen. Das stetige Wachstum des Einzelhandelsumsatzes (vgl. Tabelle 55) erfordert zugleich die Beschleunigung des Warenumschlages bei der Verkürzung der Umschlagszeit der Waren auf ihrem Weg von der Produktion zum Verbraucher. Erich Honecker stellte dazu fest: „Aber es gilt zugleich auch, Schlußfolgerungen in der gesamten Leitung und Organisation der Handelstätigkeit zu ziehen. Oberster Grundsatz dabei ist, daß die Warenwege vom Erzeuger zum Verbraucher kürzer werden. Dazu sind die Direktbeziehungen weiter auszubauen und überhaupt mit größerer Beweglichkeit solche Handelsformen zu schaffen, die am besten und auf rationelle Weise dem Käufer dienlich sind." 1 1 Die drei Grundformen der Warenversorgung, — Kundendirektbelieferung durch die Produktion, — Direktbezug des Einzelhandels von der Produktion, — Warenbezug des Einzelhandels vom Großhandel, müssen sinnvoll miteinander verknüpft und variantenreich entsprechend der Spezifik der zu handelnden Konsumgüter im Dienste der Kunden und im Interesse einer hohen Rationalität der Versorgungstätigkeit angewendet werden. Vor dem Konsumgüterbinnenhandel steht wie in allen Zweigen der Volkswirtschaft die Aufgabe, die Intensivierung der Handelstätigkeit als Hauptweg der Leistungssteigerung zu vertiefen und den wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu beschleunigen. 10 11

Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, a. a. 0 . , S. 29. E. Honecker, Bericht des ZK der S E D an den I X . Parteitag, a. a. 0., S. 55.

286

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287

9.3.3.

Die Versorgung einrichtungen

mit

Dienstleislungen

durch die

Dienstleistungs-

Die Spezifik der Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen ergibt sich daraus, daß die Erzeugung und die Inanspruchnahme — also die Konsumtion — von Dienstleistungen in der Regel einen einheitlichen, geschlossenen Prozeß darstellen. Im Gegensatz zu den Konsumgütern, bei denen die Warenbewegung von den Erzeugerinstitutionen bis zum Verbraucher von ausschlaggebender Bedeutung für deren Realisierung als Ware ist, entfällt die materiell-stoffliche Bewegung der Dienstleistungen. Die bedarfsgerechte Versorgung mit Dienstleistungen ist damit kein erstrangiges Problem der Warenbewegung wie bei Konsumgütern, sondern das einer richtigen Kapazitäts- und Standortverteilung der Dienstleistungseinrichtungen. Auf dem Gebiet der Versorgung mit Dienstleistungen existiert aus den genannten Gründen auch kein institutionell verselbständigter „Handel", wie der Konsumgüterbinnenhandel bei Konsumgütern. Dienstleistungen werden sowohl von Einrichtungen der Industrie, des Handels, des Handwerks sowie von gesonderten Dienstleistungsbetrieben angeboten, die den Abteilungen Örtliche Versorgungswirtschaft (ÖVW) der örtlichen Räte unterstehen. Entscheidend für die Zuordnung von Dienstleistungsbetrieben zum Bereich der Industrie oder des Handels sind Zweckmäßigkeitsgründe. So ist z. B. gegenwärtig das gesamte Hotelwesen dem Binnenhandel angeschlossen, da hier enge Beziehungen zum Gaststättenwesen bestehen, welches Teil des Binnenhandels ist. Tabelle 56 Dienstleistungen für die Bevölkerung der industriellen und Selbstbedienungswäschereien in der D D R Jahr

kg pro Kopf

darunter Fertigwäsche kg pro Kopf

1965 1970 1975 1978

11,2 10,1 11,5 12,8

5,3 6,5 9,7 11,7

Quelle: Statistisches Jahrbuch der D D R 1979, S. 282.

288

Tabelle 57 Ausgewählte Reparaturleistungen für die Bevölkerung der DDR (in Mio M) Jahr

Kraftfahrzeuginstandsetzung und -pflege

elektrische Haus- Waschmaschinen, halts- und KüKühlschränke, chengeräte Gasgeräte

Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräte

1972 1975 1976 1978

644 758 797 964

49 56 61 71

229 275 301 356

101 138 153 179

Quelle-. Statistisches Jahrbuch der DDR 1979, S. 281. Es ist Anliegen der sozialistischen Gesellschaft, durch eine entsprechende Entwicklung der Dienstleistungen eine Konsumtionsentwicklung zu fördern, die den Erfordernissen der sozialistischen Lebensweise und der Formung sozialistischer Persönlichkeiten gerecht wird. So orientieren die Beschlüsse des V I I I . und I X . Parteitages der S E D auf eine planmäßige qualitative und quantitative Weiterentwicklung der hauswirtschaftlichen und persönlichen Dienstleistungen (vgl. Tabelle 56 und 57). Das bedeutet, diese Leistungen für die Bevölkerung so zu gestalten, daß sie entsprechend dem Bedarf in guter Qualität, bei kurzen Liefer- und Wartezeiten, mit modernem Kundendienst und zu stabilen Preisen realisiert werden. Der Ausbau der Dienstleistungssphäre zu einem leistungsfähigen Bereich der gesellschaftlichen Produktion muß planmäßig fortgesetzt werden.

9.3.4.

Die

sozialpolitischen

Aufgaben

der

Arbeiterversorgung

und

der

Gemeinschaftsverpflegung Einen Schwerpunkt innerhalb der Versorgung der Bevölkerung bildet die Arbeiterversorgung. Ihre ständige weitere Verbesserung ist ein Erfordernis der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Als Bestandteil der Arbeits- und Lebensbedingungen im Betrieb umfaßt die Arbeiterversorgung das Angebot von Speisen und Getränken (einschließlich Gemeinschaftsverpflegung), von anderen Konsumgütern und von Dienstleistungen innerhalb oder in unmittelbarer Umgebung des Betriebes. Im weitesten Sinne kann die Versorgung in den Arbeiterwohnzentren und unter volkswirtschaftlichem Aspekt auch die Schwerpunktversorgung bestimmter Gebiete (z. B . Leuna, Merseburg u. a.) der Arbeiterversorgung zugeordnet werden. Im einzelnen hat die Arbeiterversorgung folgende Aufgaben zu erfüllen: — Sicherung der Möglichkeit der Einnahme einer ernährungsphysiologisch vollwertigen warmen Hauptmahlzeit im Betrieb für die Früh-, Spät- und 19

Manz/Winkler

289

Nachtschicht, die auf die jeweilige Arbeitsbeanspruchung abgestimmt ist (Gemeinschaftsverpflegung), — Gewährleistung einer Zwischenverpflegung in der Nähe des Arbeitsplatzes durch ein Angebot an Obst, Vor- und Nachspeisen, Imbiß, Erfrischungsgetränken in den Pausen während aller Schichten, — Verkauf von Waren des täglichen Bedarfs, — Anfertigung von küchen- und garfertigen Speisen oder Speisenkomponenten für Betriebsangehörige durch die Werkküche oder den Einzelhandel, — Versorgung der Betriebsangehörigen bei betrieblichen Veranstaltungen, Feiern und Brigadezusammenkünften, — Annahme und Ausführung hauswirtschaftlicher Dienstleistungen und Reparaturen, — Ermöglichung der Inanspruchnahme personenbezogener Dienstleistungen wie Frisör, Kosmetik, Sauna, aber auch des Gesundheitswesens, der Kultur und des Sports, — Unterbringung und Betreuung der Kinder von Betriebsangehörigen in Kinderkrippen und Kindergärten sowie der schulpflichtigen Kinder in der Ferienzeit in Kinderferienlagern, — Zurverfügungstellung von Urlaubsplätzen, besonders für unter erschwerten Bedingungen arbeitende Werktätige und für Schichtarbeiter, — Sicherung eines mit der Arbeitszeit abgestimmten Berufsverkehrs, besonders für Schichtarbeiter, — Betreuung der Arbeiterveteranen und Rentner. Die Grenzen zwischen der mit dem Arbeitsprozeß verbundenen sozialen Betreuung der Werktätigen (Umkleideräume, Duschkabinen usw.) und der Arbeiterversorgung sind dabei oftmals fließend. Diese vielfältigen Aufgaben zeigen, daß die Arbeiterversorgung wesentlich mehr umfaßt als die Gemeinschaftsverpflegung der Werktätigen. Allerdings steht auch heute noch die Gemeinschaftsverpflegung infolge ihrer Bedeutung für die Erhaltung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit sowie der Einsparung an Hausarbeit und Gewinnung von Freizeit in der Rangfolge an erster Stelle (vgl. Tabelle 58). Unser sozialistischer Staat trägt dem Rechnung, indem er die Betriebe im Arbeitsgesetzbuch und in der Verordnung über die V E B , Kombinate und VVB 1 2 gesetzlich verpflichtet, die Gemeinschaftsverpflegung und die Zwischenverpflegung zu sichern. Die Schichtversorgung gewinnt dabei mit zunehmender Intensivierung der Produktion eine immer größere Bedeutung. 12

Arbeitsgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. J u n i 1977 (Gesetzblatt der D D R , Teil I, Nr. 18, S. 185), Berlin 1977, S. 58f., § 228, sowie Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und VVB vom 28. 3. 1973 (Gesetzblatt der D D R , Teil I, 15/1973), i. d. F. der ÄndVO vom 27. 8. 1973, (Gesetzblatt der D D R , T e i l l , Berlin 39/1973), S. 405 ff., §20.

290

Tabelle 58 Entwicklung der Teilnahme an der betrieblichen Gemeinschaftsverpflegung Jahr

1970 1974 1977

Essenteilnehmer

Versorgungsgrad

alle Betriebe

Betriebe mit eigener Küche

alle Betriebe

Betriebe mit eigener Kfiche

in Mio Pers.

in Mio Pers.

in %

im 0 aller in %

in der Nachtschicht in %

2,3 2,9 3,6

1,6

1,8

32.6 39,8 50.7

58,3 60,4 65,1

26,9 39,7 57,3

1,9

Quelle: Eigene Berechnungen und Schätzungen (für 1970 und 1974 ohne Land- und Forstwirtschaft, insg. ohne Ministerium des Innern, Ministerium für Nationale Verteidigung) Die vielseitigen A u f g a b e n der A r b e i t e r v e r s o r g u n g e r f o r d e r n , ihre weitere V e r b e s s e r u n g in e n g e m Z u s a m m e n w i r k e n v o n B e t r i e b u n d örtlicher Volksv e r t r e t u n g u ü d i h r e m R a t zu realisieren. F ü r die A r b e i t e r v e r s o r g u n g sind d a her die Betriebe u n d örtlichen V o l k s v e r t r e t u n g e n u n d ihre R ä t e g e m e i n s a m v e r a n t w o r t l i c h , b e s o n d e r s was die Versorgung m i t K o n s u m g ü t e r n u n d Dienstleistungen sowie d a s W e r k k ü c h e n e s s e n b e t r i f f t . D u r c h die gesetzlich v e r a n k e r t e P f l i c h t z u r Z u s a m m e n a r b e i t ist die V o r a u s s e t z u n g gegeben, die M a ß n a h m e n zur Verbesserung d e r A r b e i t e r v e r s o r g u n g p l a n m ä ß i g m i t d e n M a ß n a h m e n d e r örtlichen V o l k s v e r t r e t u n g e n zu koordinieren. 1 3 Die B e t r i e b e stellen z u r Verbesserung ihrer A r b e i t e r v e r s o r g u n g u m f a n g r e i c h e Mittel z u r V e r f ü g u n g , d e r e n V e r w e n d u n g der F i n a n z p l a n der B e t r i e b e detailliert ausweist. Die M a ß n a h m e n u n d materiellen Zielstellungen e n t h ä l t der P l a n teil „Arbeits- u n d L e b e n s b e d i n g u n g e n " der B e t r i e b e . Die örtliche Volksvert r e t u n g ist jedoch f e d e r f ü h r e n d f ü r die weitere Verbesserung der A r b e i t s - u n d L e b e n s b e d i n g u n g e n auf i h r e m T e r r i t o r i u m u n d v e r a n t w o r t l i c h f ü r die Ausa r b e i t u n g von P e r s p e k t i v k o n z e p t i o n e n u n d territorialen R a t i o n a l i s i e r u n g s k o n zeptionen. Die B e t r i e b e h a b e n die P f l i c h t , an der A u s a r b e i t u n g dieser K o n z e p t i o n e n k o n s t r u k t i v m i t z u w i r k e n u n d sich m i t ihren M a ß n a h m e n u n d E i n r i c h t u n g e n b e w u ß t in die E n t w i c k l u n g der Arbeits- u n d L e b e n s b e d i n g u n g e n im T e r r i t o 13 Vgl. Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der Deutschen Demokratischen Republik (Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 32/1973), insbesondere die §§ 4, Abs. 2; § 25, Abs. 1; § 39, Abs. 1; § 51, Abs. 3; § 59, Abs. 2; sowie Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und VVB vom 28. 3. 1973, in: Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 15/1973 und der ÄnderungsVO vom 27. 8. 1973 (Gesetzblatt der DDR, Teil I, 39, 1973), insbesondere §§ 5, Abs. 1; § 10, Abs. 3; § 20. 19*

291

rium einzuordnen. Das führt zu einer immer enger werdenden Verflechtung der betrieblichen und territorialen Interessen. Zugleich wächst die Mitverantwortung der Betriebe für die territoriale Entwicklung, was sich in der Praxis in vielfältigen Formen der Zusammenarbeit zwischen Betrieben und kommunalen Einrichtungen, Handels- und Dienstleistungsbetrieben sowie zwischen verschiedenen Betrieben ausdrückt. Für die weitere Verbesserung nahezu aller Aufgabenbereiche der Arbeiterversorgung hat sich der konzentrierte und zentralisierte Einsatz von finanziellen Mitteln und Kapazitäten verschiedener Betriebe, Institutionen und Einrichtungen im Rahmen von Kooperationsgemeinschaften, Interessengemeinschaften u. ä. als vorteilhaft und rationell, sowohl für die Betriebe als auch für das Territorium, erwiesen. Dazu gehört auch die gemeinsame Nutzung und höhere Auslastung bestehender Kapazitäten. Das ermöglicht, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt auch für die Arbeiterversorgung stärker zu nutzen. Finanzielle Mittel und Kapazitäten können dadurch eingespart und für andere Vorhaben zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen eingesetzt werden. Im Vordergrund sämtlicher Maßnahmen steht immer die Verbesserung der Gesamtheit der Arbeitsund Lebensbedingungen aller Betriebe, Institutionen und Einrichtungen im Territorium. Die Herausbildung neuer Methoden der Leitung und Planung sozialökonomischer Prozesse wird dadurch gefördert. Besonders vorangeschritten sind die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Gemeinschaftsverpflegung, wo sie bis zum relativ selbständigen Zweckverband reichen. Erfolge auf diesem Gebiet werden besonders dort erreicht, wo der örtliche Staatsapparat auf der Grundlage der gesetzlichen Regelungen eng mit den Betrieben zusammenarbeitet, zielstrebig und komplex die Entwicklung der Arbeiterversorgung koordiniert und beeinflußt. Gerade für die kleineren Betriebe, Institutionen und Genossenschaften, die in der Regel über keine eigenen Werkküchen verfügen, trägt der örtliche Rat eine besondere Verantwortung für die Sicherung des Angebotes einer vollwertigen, warmen Hauptmahlzeit. Der Schichtversorgung ist besondere Aufmerksamkeit hinsichtlich des Angebots einer vollwertigen, nach ernährungsphysiologischen Grundsätzen zubereiteten, warmen Hauptmahlzeit zu widmen. Sie ist für die Gesunderhaltung und Reproduktion der Arbeitskraft sowie die Erhaltung der Leistungsfähigkeit von besonderer Bedeutung. Die Speisen sollten daher in der Nachtschicht von ausgezeichneter Qualität, eiweiß- und vitaminreich sowie leicht verdaulich sein. Eine spezielle Problematik ist die Baustellenversorgung, die Versorgung von Montagearbeitern sowie von Werktätigen in der Land- und Forstwirtschaft. Hier sind spezifische Formen der Arbeiterversorgung in gemeinsamer Verantwortung des örtlichen Rates und der Bau-, Landwirtschafts- und Forstwirtschaftsbetriebe notwendig. Eine immer größere Bedeutung gewinnen die personenbezogenen Dienst292

leistungen, besonders des Gesundheitswesens und des Berufsverkehrs. Der weitere Ausbau der betrieblichen Einrichtungen des Gesundheitswesens gewährleistet nicht nur eine schnelle Hilfe bei Unfällen, sondern verringert Wegeund Wartezeiten der Werktätigen ebenso wie die Ausfallzeiten in der Produktion. Darüber hinaus hat das Gesundheitswesen wesentliche Aufgaben in der unmittelbar mit dem Arbeitsprozeß verbundenen sozialen Betreuung der Werktätigen zu lösen (Reihenuntersuchungen, Dispensairebetreuung, Arbeitsplatzhygiene usw.); die Grenzen zur Arbeiterversorgung sind auch hier fließend. Ein spezielles sozialpolitisches Problem ist die Sicherung eines Berufsverkehrs, der den Bedürfnissen der Werktätigen entspricht, die darauf angewiesen sind. Die Betriebe und die örtlichen Räte unternehmen hier große Anstrengungen, um dafür günstige Bedingungen zu schaffen. Die hohen Tarifstützungen für den Berufsverkehr sind nur eine Seite. Von wesentlich größerer Bedeutung ist die Verringerung der Wege- und Wartezeiten durch Verkürzung der Fahrzeiten und einen gut mit den Betrieben abgestimmten Fahrplan und günstig gelegene Haltestellen. Durch eine Staffelung der Arbeitszeiten der Betriebe sollten Verkehrsspitzen im Berufsverkehr abgebaut und die verfügbaren Kapazitäten besser ausgenutzt werden. In vielen Städten und Kreisen wurden diese Möglichkeiten bereits genutzt. Die weitere Verbesserung des Berufsverkehrs ist eine ständige Aufgabe der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Räte, der Verkehrsbetriebe und der Betriebe und Institutionen. Im Zusammenhang mit dem ständig steigenden Lebensniveau der Bevölkerung wachsen auch die Anforderungen der Werktätigen an den Berufsverkehr. Erhöhung der Sicherheit, Bequemlichkeit und Komfort treten immer mehr in den Vordergrund. Die Erhöhung der Kapazitäten für den Berufsverkehr muß deshalb auch diese Anforderungen berücksichtigen. Schließlich muß in enger Zusammenarbeit aller Beteiligten der verkehrstechnische Anschluß von Neubaugebieten gesichert werden. Zur Zeiteinsparung und rationellen Zeitnutzung führen auch Dienstleistungen, wie Frisör, Sauna und Kosmetik, besonders, wenn sie gut mit der Arbeitszeit abgestimmt sind. Dagegen ist es zweckmäßig, sachbezogene Dienstleistungen, wie Wäschereileistungen, chemische Reinigung, Annahme von sonstigen sachbezogenen Dienstleistungen und Reparaturen, im Zuge der territorialen Rationalisierung stärker in die Wohngebiete zu verlagern. Das ist zeit- und kraftsparender als das Mitnehmen von Dingen in den Betrieb. Die Öffnungszeiten dieser Dienstleistungseinrichtungen müssen so gelegt werden, daß sie vor oder nach der Arbeitszeit aufgesucht werden können. Insgesamt trägt die Arbeiterversorgung entscheidend zur Realisierung der vom V I I I . und I X . Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands beschlossenen sozialpolitischen Maßnahmen bei. Mit ihrer weiteren Verbesserung werden die Bedingungen für die Ausprägung der sozialistischen Lebensweise immer günstiger.

293

10.

Die L ö s u n g der W o h n u n g s f r a g e — K e r n s t ü c k der Sozialpolitik i m Z e i t r a u m bis 1 9 9 0

10.1.

Der sozialpolitische Inhalt und die Zielstellungen der Wohnungspolitik

10.1.1.

Die Wohnungsfrage — eine Grundfrage sozialistischer Gesellschaftsentwicklung

Bei der Verwirklichung der großen Ziele des Sozialismus nimmt die Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem einen hervorragenden Platz ein. Dies widerspiegelt sich sehr deutlich in der Tatsache, daß das Wohnungsbauprogramm heute das Kernstück des auf dem V I I I . Parteitag zur Erfüllung der Hauptaufgabe beschlossenen sozialpolitischen Programms ist. In seinem Schlußwort auf der 6. Baukonferenz sagte E . Honecker dazu: „Nachdem es uns gelungen ist, die Ernährung des Volkes zuverlässig zu sichern und sich eine niveauvolle Konsumgüterproduktion entwickelt, ist der Bau von Wohnungen noch ein Gebiet, auf dem die weitaus umfangreichsten gesellschaftlichen Anstrengungen erforderlich sind." 1 Seit jeher ist der revolutionäre Kampf der Arbeiterklasse um die politische und ökonomische Macht verbunden worden mit dem Kampf um die ständige Verbesserung der Lebensbedingungen aller Werktätigen. Die Klassiker des Marxismus-Leninismus haben sich mehrfach mit den Wechselbeziehungen von sozialer Revolution und Lösung der Wohnungsfrage befaßt und auf ihre Bedeutung hingewiesen. Die Wohnung gehört neben der Nahrung und Kleidung zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Sie ist eine der ersten Voraussetzungen menschlicher Existenz, die es ihm erst ermöglichte, „Geschichte machen zu können". 2 Die wirkliche Befreiung des Menschen, das heißt die Freisetzung aller seiner schöpferischen Kräfte, besteht also auch darin, Wohnbedingungen zu schaffen, die über die Befriedigung physischer Bedürfnisse hinaus die Entfaltung der Persönlichkeit und die Entwicklung sozialer Beziehungen fördern. Bereits Engels wendet sich in seiner Schrift „Zur Wohnungsfrage" vor allem gegen jegliche bürgerliche Theorien, daß die Wohnungsfrage für die Arbeiterklasse bereits im Kapitalismus gelöst werden könne. E r wies nach, daß dies immer an den Gesetzen des Kapitalismus scheiterte, daß die Lösung der Wohnungsfrage von der sozialen Frage abhängt und nicht umgekehrt, „ . . : nicht die Lösung der Wohnungsfrage löst zugleich die soziale Frage, sondern E. Honecker, Unsere ganze Politik dient dem Wohl der Arbeiterklasse und aller Werktätigen. Schlußwort auf der 6. Baukonferenz, Berlin 1975, S. 11. 2 K. Marx/F. Engels, Die deutsche Ideologie, in: MEW, Bd. 3, Berlin 1958, S. 28. 1

297

e r s t . . . durch die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise wird zugleich die Lösung der Wohnungsfrage möglich gemacht". 3 Ausgehend von der Erkenntnis Engels', daß „der Kern sowohl der großbürgerlichen wie der kleinbürgerlichen Lösung der ,Wohnungsfrage' . . . das Eigentum des Arbeiters an seiner Wohnung" 4 ist, wird eine sozialistische Wohnungspolitik immer darauf gerichtet sein müssen, einen möglichst hohen Anteil gesellschaftlichen Eigentums an Wohnungen zu schaffen. Lenin greift diesen Gedanken auf und führt ihn weiter, wenn er einige Monate vor der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution schreibt: „Jedoch kann nur die Abschaffung des Privateigentums am Grund und Boden und der B a u billiger und hygienischer Wohnungen die Wohnungsfrage lösen." 5 Die Bedeutung, die er dem Wohnungsproblem zumißt, kommt darin zum Ausdruck, daß er ihm in seinem Parteiprogramm einen speziellen Abschnitt widmet. Lenin sieht es als eine entscheidende Aufgabe der Partei an, sich „ . . . mit allen Kräften einzusetzen für eine Verbesserung der Wohnverhältnisse der werktätigen Massen, für die Überwindung der zu engen Besiedlung sowie der gesundheitswidrigen Zustände in den alten Stadtvierteln, für den Abriß nicht benutzbarer sowie den Umbau alter und die Errichtung neuer, den neuen Lebensbedingungen der Arbeiter entsprechender Wohnstätten, für eine rationelle Ansiedlung der Werktätigen . . ," 6 Diese vor 60 Jahren formulierten Sätze weisen bis heute, sowohl hinsichtlich ihrer Zielstellung als auch in den vorgesehenen Maßnahmen, den Weg zur Lösung der Wohnungsfrage der Arbeiterklasse als soziales Prbblem. Dabei mißt Lenin bereits in den frühen Jahren des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft der Einheit und Wechselwirkung von Wohnung und gesellschaftlichem Bereich zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen, zur Persönlichkeitsentwicklung und zur Befreiung der Frau entscheidende Bedeutung bei. Aufbauend auf den revolutionären Traditionen des Kampfes der Arbeiterklasse um ihre soziale Befreiung, orientierte die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands in der D D R von Beginn an auf die Schaffung menschenwürdiger Wohnbedingungen und deren ständige Verbesserung. Ihren bisherigen Höhepunkt fand diese Politik auf dem V I I I . Parteitag der S E D mit der Beschlußfassung zum langfristigen Wohnungsbauprogramm 7 für den Zeitraum 1976 3 F. Engels, Zur Wohnungsfrage, in: MEW, Bd. 18, Berlin 1962, S. 243. F. Engels, Vorwort zur 2. Auflage „Zur Wohnungsfrage", in: MEW, Bd. 21, Berlin 1962, S. 329. 6 W. I. Lenin, Materialien zur Revision des Parteiprogramms, in: Werke, Bd. 24, Berlin 1959, S. 478. 6 Programm der Kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewiki), angenommen vom VIII. Parteitag der KPR(B) 1919, in: W. I. Lenin, Über das Parteiprogramm, Berlin 1976, S. 503. 7 Vgl. E. Honecker, Unsere ganze Politik dient dem Wohl der Arbeiterklasse und aller Werktätigen, a. a. O. 4

298

bis 1990. Mit der schrittweisen Verwirklichung dieses Programms erfüllt sich ein alter Traum des Proletariats. Schon mit seinen ersten Vorstellungen über die neue, von Ausbeutung befreite Gesellschaft hat das Proletariat stets auch Gedanken über sozialistische Siedlungen mit zweckmäßigen, ausreichenden und gesunden Wohnstätten verbunden. 10.1.2.

Grundsätze der Wohnungspolitik

in der DDR

Die Wohnungspolitik ist ein wesentlicher Bestandteil der Sozialpolitik des sozialistischen Staates. Wohnbedürfnisse auf sozialistische Weise zu befriedigen und sozialistische Wohnverhältnisse zu schaffen, heißt gleichermaßen auch, gesellschaftliche Bedingungen zu gestalten. Die Verbesserung der Wohnbedingungen ist mit allen wesentlichen Lebensbereichen der Werktätigen eng verbunden. Arbeit und Erholung, Ehe und Familie, Kultur und Bildung, Gesundheit und Ernährung, Kindererziehung und Fürsorge im Alter, Schule und Arbeitsstätte stehen in einem solchen untrennbaren Zusammenhang zum Wohnen, daß dadurch das gesamte materielle und kulturelle Lebensniveau der Werktätigen wesentlich mitbestimmt wird. Das Wohnen ist eine wichtige Bedingung zur Reproduktion der Arbeitskraft. Nicht nur die Wohnung selbst, sondern auch das Wohngebiet mit seinen Handels-, Kultur-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, mit seinen Sportanlagen und Grünflächen sowie die engen Beziehungen zu den städtischen Zentren und Naherholungsgebieten sind wesentliche Elemente der Wohnbedingungen und des Wohnmilieus. Die sozialistische Wohnungspolitik muß also solche gesellschaftlichen Bedingungen schaffen und solche Bedürfnisse bewußt erziehen, die die sozialistische Kollektivität in Familie und Gesellschaft fördern und zur Persönlichkeitsentwicklung, vor allem auch der Frauen und Mütter, durch sinnvolle Lebensund Freizeitgestaltung und damit zur Herausbildung der sozialistischen Lebensweise beitragen. Die Verwirklichung dieser zutiefst humanistischen Zielstellungen bedarf großer Anstrengungen der sozialistischen Gesellschaft, um schrittweise die überkommenen Wohnbedingungen und Wohnformen vorsozialistischer Gesellschaftsordnungen zu überwinden. Das erfordert die Entwicklung spezifisch sozialistischer Aneignungsformen im Bereich der Wohnungsversorgung. Merkmale dafür sind: „— Die Wohnung ist Bestandteil des . . . gesellschaftlichen Konsumtionsfonds: das heißt, den größten Teil der Kosten für den Bau und die Unterhaltung der Wohnungen übernimmt der sozialistische Staat. — . . . Für die Verteilung und Bewirtschaftung der Wohnungen sind in erster Linie soziale Gesichtspunkte entscheidend. Die Wohnungsnutzung ist zu wesentlichen Teilen — wenn auch unterschiedlich in Alt- und Neubauten — eine Sozialleistung des sozialistischen Staates. 299.

— Die Wohnungsnutzung hat im Sozialismus den Charakter, ein ,ganz gewöhnliches Warengeschäft' 8 zu sein, verloren. Die Miete ist nicht mehr nur ein äquivalentes Entgelt für die Wohnungsnutzung, sondern ein wesentlicher Beitrag des Mieters für die Unterhaltung des gesellschaftlichen Wohnungsfonds. Daraus entstehen für den Mieter große Verpflichtungen, zur Instandhaltung und pfleglichen Behandlung der Wohnung beizutragen . . .". 9 Diese im letzten Gedanken getroffene sozialökonomische Charakterisierung der Wohnungsnutzung als eine Form der individuellen Beteiligung der einzelnen Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft an der Verteilung der gesellschaftlichen Konsumtionsfonds hat nicht nur theoretische Bedeutung, sondern führt zu ganz konkreten praktischen Auswirkungen. Dazu gehören u. a. die Gestaltung der Mietpreise, die Kredit- und Zinspolitik beim individuellen und genossenschaftlichen Wohnungsbau, die rechtliche Sicherung des Bodennutzungsrechts, die zukünftige Ausgestaltung des Nutzungs- und Eigentumsrechts an Wohnungen und Eigenheimen sowie die Grundsätze der Bewirtschaftung des volkseigenen und genossenschaftlichen Wohnungsfonds durch die Betriebe der Kommunalen Wohnungsverwaltung und die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften. Zu den wichtigsten Prinzipien der Wohnungspolitik in der D D R gehören die über Jahrzehnte hinweg niedrigen und stabilen Mieten, die im Durchschnitt etwa 3 bis 5 % des Familieneinkommens ausmachen. Das konsequente Einhalten der Grundsätze der Preispolitik hat dazu geführt, daß mit wachsendem Einkommen der Bevölkerung der Anteil für Wohnungsmieten ständig gesunken ist. Da jedoch auf Grund der weiteren Gebrauchswerterhöhung der Wohnungen und der immer komplizierter werdenden Standorte sich die Aufwendungen für die Errichtung, die Erhaltung und Modernisierung der Wohnungen weiter erhöhen werden, muß der S t a a t einen zunehmenden Teil der tatsächlich entstehenden Kosten tragen. Unter den Bedingungen kapitalistischer Boden- und Mietpreispolitik werden diese Belastungen immer wieder auf die Bevölkerung abgewälzt. Abgesehen von dem hohen Anteil an Eigentumswohnungen, bei denen der Bewohner ohnehin voll verantwortlich ist für die Erhaltungs- und Nutzungskosten der Wohnung, sind z. B. in der B R D die Mietpreise ständig angestiegen und betragen heute durchschnittlich 15—20% des Einkommens 1 0 . Sozialistische Wohnverhältnisse zu gestalten, kann natürlich nicht nur eine Aufgabe des Staates allein sein. Hier gewinnt die praktische Anwendung sozialistischer Demokratie in Form einer breiten und aktiven Teilnahme der Bürger bei der Schaffung, Erhaltung und Verwaltung der Wohnstätten zunehmend an Bedeutung. Dieser Grundsatz sozialistischer Wohnungspolitik Vgl. F. Engels, Zur Wohnungsfrage, in: MEW, Bd. 18, a. a. O., S. 216. L. Penig, Der komplexe Wohnungsbau als staatliche Aufgabe, Berlin 1973, S. 12 » Bauwelt 42/43 (68), November 1977, Berlin (West). 8 9

300

in der D D R bietet vielfältige Möglichkeiten der Realisierung. Sie reichen von der Selbstbeteiligung der Bürger in den Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften u n d beim Eigenheimbau, über H a u s - und Wohngebietsgemeinschaften bis zu den großen materiellen Leistungen, die seinerzeit im Nationalen A u f b a u w e r k und heute im Wettbewerb „Schöner unsere S t ä d t e und Gemeinden — mach m i t " von der Bevölkerung erbracht werden. S o verwirklicht sich in der Wohnungspolitik eine grundlegende Maxime sozialistischer Gesellschaftspolitik, nämlich die bestehenden Wohnverhältnisse schrittweise und langfristig für die Menschen mit den Menschen umzugestalten. 10.1.3.

Die Wohnungsbaupolitik

nach dem V I I I . Parteitag

der

SED

Der V I I I . P a r t e i t a g der S E D h a t mit seinen Beschlüssen zum langfristigen W o h n u n g s b a u p r o g r a m m als d e m Kernstück des sozialpolitischen P r o g r a m m s d a s historisch zu nennende Ziel gesetzt, die Wohnungsfrage in der D D R als soziales Problem bis 1990 zu lösen. E . Honecker formulierte den Grundgedanken auf folgende Weise: „ D i e zielstrebige Verwirklichung unseres sozialpolitischen P r o g r a m m s verbinden wir mit der ständigen Ausgestaltung der sozialistischen Lebensweise und darüber hinaus mit dem Blick auf die Horizonte des K o m m u n i s m u s . Dem W o h n u n g s b a u p r o g r a m m gebührt auch gerade deswegen ein g a n z entscheidender Platz, weil mit dem B a u von Wohnungen u n d dazu gehörigen gesellschaftlichen Einrichtungen, mit d e m S t ä d t e b a u u n d der Gestaltung von Siedlungen über Grundfragen der materiellen B a s i s für die sozialistische Lebensweise entschieden wird." 1 1 Ausgehend von den Beschlüssen des V I I I . und I X . Parteitages, können die gesellschaftspolitischen Zielstellungen für die Entwicklung des komplexen Wohnungsbaus in folgenden Punkten zusammengefaßt werden 1 2 : — E s gilt, allen Familien eine modernen Ansprüchen genügende Wohnung zur Verfügung zu stellen und vor allem die Wohnverhältnisse der Arbeiterklasse, der Genossenschaftsbauern und der kinderreichen Familien entscheidend zu verbessern. Gleichzeitig sollen aber auch die jungen E h e p a a r e und die älteren Bürger verstärkt in den Genuß der verbesserten Wohnbedingungen kommen. — E s entspricht dem grundlegenden sozialen Prozeß der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, die historisch entstandenen sozialen und territorialen Unterschiede in den Wohnverhältnissen Schritt u m Schritt abzubauen. — In den S t ä d t e n und Dörfern sind Wohnverhältnisse zu schaffen, die den Stolz der Werktätigen auf ihre sozialistische H e i m a t festigen und die Entwick11

12

E. Honecker, Unsere ganze Politik dient dem Wohl der Arbeiterklasse und aller Werktätigen. Schlußwort auf der 6. Baukonferenz, a. a. 0 . Vgl. W. Junker, Das Wohnungsbauprogramm der D D R für die Jahre 1976 bis 1990, 10. Tagung des ZK der SED, Berlin 1973, S. 15f.

301

lung der sozialistischen Lebensweise fördern. Dazu gehört, die Wohngebiete zweckmäßig mit gesellschaftlichen Einrichtungen auszustatten, die dazu beitragen, das Leben der Menschen — besonders der werktätigen Frauen — zu erleichtern, ihnen mehr Freizeit für Erholung und Bildung zu schaffen. Gute und moderne Wohnungen, ein angenehmes Wohnmilieu und kulturvolle gesellschaftliche Einrichtungen bilden heute eine entscheidende Voraussetzung für ein glückliches Familienleben, für aktives Handeln in der sozialistischen Arbeit und für eine vielfältige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Darüber hinaus besteht ein wichtiger sozialpolitischer Aspekt des Wohnungsbauprogramms auch darin, mit der Förderung der kinderreichen Familien und jungen Ehen den Wunsch nach Kindern zu bestärken und noch günstigere Möglichkeiten für ihre Erziehung und gesunde Entwicklung zu schaffen. Die seit 1971 eingeleiteten wichtigen Schritte zur Verbesserung der Wohnbedingungen machen zugleich den engen Zusammenhang der politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen deutlich. Mit den sozialpolitischen Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnbedingungen wird das Ziel verfolgt, den Anteil der Arbeiter und Angestellten sowie der Familien mit drei und mehr Kindern als Bewohner von Neubauwohnungen zu erhöhen. Damit ist anzustreben, daß sich die soziale Struktur in den Neubauwohngebieten der sozialökonomischen Zusammensetzung der Gesamtbevölkerung der DDR weitgehend annähert. Die Mietpreise und Heizungsentgelte in den Neubauwohnungen, in denen die Mieten nach dem Prinzip der Kostendeckung festgesetzt waren, wurden für Familien mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von weniger als 2000,— M gesenkt. Außerdem werden durch Bereitstellung zusätzlicher Kreditmittel junge Eheleute bei der Beschaffung von Wohnraum und bei der Erstausstattung ihrer Wohnung unterstützt. Der Ministerrat faßte eine Anzahl von Beschlüssen zur Sicherung der einheitlichen Leitung und Planung des komplexen Wohnungsbaus, die vor allem die langfristige territoriale Einordnung der Investitionen im Hinblick auf die Übereinstimmung der Standortverteilung der Industrie und Landwirtschaft mit der Bevölkerungsentwicklung gewährleisten sollen. Als Bindeglied zwischen der langfristigen Standortplanung der Investitionen der Volkswirtschaft und der territorialen Wohnungsbauplanung wirken beispielsweise die langfristigen Konzeptionen der Grundfondsreproduktion für den komplexen Wohnungsbau, die von allen Bezirken für einen Zeitraum von 15 Jahren ausgearbeitet wurden. Zusammen mit den Generalbebauungsplänen und Generalverkehrsplänen bilden sie die Grundlage für die langfristige Entwicklung der Städte und Siedlungsschwerpunkte sowie für die Planung des komplexen Wohnungsbaus im Republikmaßstab. Zur besseren Versorgung der Bevölkerung mit Baureparaturen wurden Maßnahmen festgelegt, die insbesondere die Verantwortung des kreisgeleiteten Bauwesens für eine stabile Versorgung mit Baumaterialien und den konzentrierten Einsatz der örtlichen Kapazitäten gestärkt haben. Die Gewährleistung der

302

Baureparaturleistungen entsprechend dem natürlichen Verschleiß und dem schrittweisen Abbau des angestauten Nachholebedarfs kann nur auf dem Weg der weiteren Industrialisierung der Baureparaturen und der planmäßigen Nutzung der Bürgerinitiative erfolgen. Schließlich ist seit dem V I I I . Parteitag ein umfangreiches Programm zur Förderung des individuellen Wohnungsbaus eingeleitet worden. Damit konnten vor allem in den Mittel- und Kleinstädten sowie in den ländlichen Siedlungen, in denen keine größeren Standorte des komplexen Wohnungsneubaus vorgesehen sind, erhebliche Reserven erschlossen werden. Viele Arbeiterfamilien, junge Ehepaare und kinderreiche Familien haben seither diese Möglichkeiten genutzt und mit aktiver Unterstützung der Familienmitglieder und der Betriebe ihre Wohnbedingungen entscheidend verbessert. Der Eigenheimbau ist in den letzten Jahren zu einem festen Bestandteil des komplexen Wohnungsbaus geworden. So dokumentieren sich in den vielfältigen Beschlüssen und eingeleiteten Maßnahmen von Partei und Regierung die konsequente Verwirklichung des sozialpolitischen Programms mit seinem Kernstück, dem Wohnungsbauprogramm, und die großen Erfolge, die in den 70er Jahren bei der umfassenden Verbesserung der Wohnverhältnisse für die Bevölkerung erreicht werden konnten.

10.2.

Das langfristige

Wohnungsbauprogramm

10.2.1.

Stand und Ausgangsbedingungen

in den

1976 bis 1990 Wohnverhältnissen

Die sozialpolitische Begründung der Ziele zur Lösung der Wohnungsfrage in der D D R wird vor allem von den wachsenden Anforderungen der Bevölkerung an moderne Wohnbedingungen, aber auch in starkem Maße von dem Zustand der Wohnungssubstanz bestimmt, wie er infolge der kapitalistischen Ausbeuterverhältnisse und des vom Faschismus entfesselten zweiten Weltkrieges überliefert wurde. Die Wohnbausubstanz der Großstädte war durch den Krieg zu mehr als 5 0 % zerstört. Insgesamt wurden auf dem Gebiet der D D R durch den faschistischen Krieg etwa 620000 Wohnungen total und weitere 200000 Wohnungen teilweise zerstört, wobei noch hinzukommt, daß in dem verbleibenden Wohnungsbestand viele Menschen zusätzlich Aufnahme und Unterkunft finden mußten. Der Wohnungsbau begann deshalb mit der Instandsetzung kriegszerstörten Wohnraumes. Von 1949 bis 1978 wurden in der D D R über 2 Millionen Wohnungen neu gebaut und modernisiert, d. h. annähernd ein Drittel des gesamten Wohnungsbestandes. Damit konnten bereits für mehr als 6 Millionen Bürger unseres Landes die Wohnbedingungen entscheidend verbessert werden. Allein seit dem V I I I . Parteitag der S E D wurden mehr als 1100000 Wohnungen neu gebaut, modernisiert, um- oder ausgebaut.

303

Obwohl in den zurückliegenden 30 Jahren bedeutende Leistungen im komplexen Wohnungsbau vollbracht wurden, müssen noch weitere große Anstrengungen unternommen werden, um den wachsenden Ansprüchen gerecht werden zu können. Ende 1977 betrug der Wohnungsfonds etwa 6,6 Millionen Wohnungen. Mit etwa 390 Wohnungen je 1000 Einwohner erreicht die D D R einen international gesehen sehr hohen Bestand. Jedoch muß dabei beachtet werden, daß zwischen den Nord- und Südbezirken der D D R sowie zwischen den Groß-, Mittel- und Kleinstädten und Dörfern große Unterschiede im Versorgungsgrad mit Wohnungen bestehen. So beträgt z. B. der Wohnungsbestand je 1000 Einwohner im Bezirk Karl-Marx-Stadt 421 Wohnungen, in den Bezirken Neubrandenburg und Rostock jedoch nur 353 bzw. 351 Wohnungen. 13 Die Anzahl der Wohnungsuchenden in vielen Städten ist auch darauf zurückzuführen, daß eine große Anzahl von Wohnungen den wachsenden Anforderungen der Bevölkerung an die Qualität nicht mehr genügen kann. Die Qualität des Wohnungsbestandes in der DDR ist trotz der vielerorts entstandenen Neubauwohngebiete noch durch folgende Mängel gekennzeichnet: — hohe Überalterung des Wohnungsbestandes (Durchschnittsalter etwa 55 Jahre) und ein nicht zufriedenstellender allgemeiner baulicher Zustand (auf Grund des hohen Nachholebedarfs an Baureparaturleistungen), — unzureichende sanitär- und heizungstechnische Ausstattung vieler Wohnungen (etwa die Hälfte aller Wohnungen besitzen eine Innentoilette und ein Bad, etwa ein Sechstel eine moderne Heizung), — ungenügende Ubereinstimmung von Wohnungsgrößenstruktur und Haushaltsgrößenstruktur (etwa 46% 1" und 2-Raum-Wohnungen, jedoch nur etwa 19% 4- und 5-Raum-Wohnungen). Gerade hinsichtlich dieser qualitativen Merkmale bestehen zwischen der vor dem zweiten Weltkrieg entstandenen Altbauwohnsubstanz und den seit Gründung der D D R errichteten Neubauwohnungen gravierende Unterschiede, die sich in folgender Kurzformel zusammenfassen lassen: Altbauwohnungen sind im allgemeinen recht groß, oft unterdurchschnittlich belegt, entsprechen jedoch in ihrem baulichen Zustand, in ihrer sanitär- und heizungstechnischen Ausstattung meist nicht mehr den modernen Anforderungen; Neubauwohnungen sind sanitär- und heizungstechnisch gut ausgestattet, wobei eine schrittweise Vergrößerung der durchschnittlichen Wohnflächen angestrebt wird, um alle modernen Wohnbedürfnisse ausreichend befriedigen zu können. Diese Unterschiede werden noch deutlicher, wenn die Ausstattung der Altbzw. Neubauwohngebiete mit gesellschaftlichen Einrichtungen in die Betrachtung einbezogen wird. Hier zeigt sich, daß die Altbaugebiete in den meisten Fällen einen Mangel an Schulkapazität, an Kindereinrichtungen, an Gesundheitseinrichtungen sowie an Spiel- und Sportflächen aufweisen, während kleine Läden, Handwerk und Dienstleistung sowie Gaststätten oft vorhanden sind. 13 Statistisches Jahrbuch der D D R 1978, Berlin 1978.

304

In den Neubaugebieten der 50er und 60er Jahre hingegen werden diese letzteren Einrichtungen vielfach vermißt. Mit Schule, Kindereinrichtungen, Kaufhalle und Ambulatorium, mit ausreichend Freiflächen ist jedoch fast jedes dieser Gebiete ausgestattet. Durch das umfangreiche Schul- und Kaufhallenbauprogramm der letzten Jahre wurden die Bedingungen vor allem in den innerstädtischen Altbaugebieten der Großstädte stark verbessert. Dennoch gibt es gerade in diesen Städten einige aus der Zeit des Kapitalismus übernommene Arbeiterviertel, wie Berlin-Prenzlauer Berg, Leipzig-Ostvorstadt, KarlMarx-Stadt/Brühl u. a., in denen sich die genannten Rückstände und Mängel in den Wohnbedingungen konzentrieren und überlagern. Insbesondere in den letzten Jahren wurden große Anstrengungen unternommen, um vielfältige und kulturvolle gesellschaftliche Einrichtungen in den Wohngebieten zu errichten. So entstanden außer Schulen, Kindereinrichtungen, Ambulatorien und großen Kaufhallen mit einem reichhaltigen Warensortiment in den größeren Neubaugebieten auch Klubgaststätten, Jugendclubs, Dienstleistungseinrichtungen mit Post, Friseur, Annahmestellen und Spezialläden. Heute besuchen etwa 9 0 % aller Kinder der entsprechenden Altersgruppe in der D D R einen Kindergarten. Der Versorgungsgrad mit Kinderkrippenplätzen für Kinder von 0 bis 3 Jahren beträgt mehr als 6 0 % . Damit rangiert die D D R im internationalen Vergleich weit an der Spitze. Für die älteren Bürger sind in den letzten Jahren in verstärktem Maße Feierabendheime mit Pflegeplätzen gebaut worden. Wenn man berücksichtigt, daß diese Personen bei ihrer Aufnahme in ein Feierabendheim oftmals eine größere Wohnung frei machen, so wird deutlich, daß neben dem sozialen Aspekt gerade auf diesem Gebiet in den Städten und Gemeinden noch große Reserven vorhanden sind, um die Wohnbedingungen schnell zu verbessern. Von großer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die jüngsten gesetzlichen Regelungen, nach denen die Feierabendheime für die kulturelle Betreuung aller älteren Bürger des jeweiligen Wohngebietes verantwortlich sind. Große Aufmerksamkeit wird auch darauf gelenkt, mehr altersadäquaten Wohnraum zu schaffen, um den Bürgern ein selbständiges Wohnen bis ins hohe Alter zu ermöglichen. Im Rahmen des Wohnungsbauprogramms soll mehr als ein Drittel des jetzigen Wohnungsbestandes der D D R modernisiert oder durch Neubauten ersetzt werden. Die Gründe dafür liegen entweder im unzureichenden baulichen Zustand der Wohngebäude, in der ungenügenden sanitärtechnischen Ausstattung der Wohnungen, in der nicht ausreichenden Versorgung mit bestimmten gesellschaftlichen Einrichtungen oder in mangelhaften sonstigen Umweltbedingungen, wie unzureichende Besonnung und Belichtung, störende Lärmbelastung durch Produktion oder Verkehr u. ä. In den Altbauwohngebieten, wo sich mehrere dieser Faktoren überlagern, muß eine tiefgreifende Rekonstruktion und Modernisierung durchgeführt werden. In diesen Fällen wird es sich nicht vermeiden lassen, schlechte Substanz zu 20

Manz/Winkler

305

entfernen und teilweise durch Neubauten zu ersetzen. Die Schätzungen gehen dahin, daß sich bei etwa 1,2 Millionen Altbauwohnungen eine Modernisierung mit dem Ziel einer Nutzung über weitere Jahrzehnte durchaus volkswirtschaftlich rentabel vornehmen läßt. Die Aufgaben zur Verbesserung der Wohnbedingungen, die aus der dargestellten gegenwärtigen Situation abgeleitet werden müssen, sind also vielfältiger Natur, die von der Instandsetzung und Modernisierung der Wohnungen und gesellschaftlichen Einrichtungen bis zum E r s a t z erheblicher Teile der Wohnsubstanz und zum Neubau großer Wohngebiete reichen. 10/2.2.

Ziele und Aufgaben

im Wohnungsbau

bis 1990

Das langfristige Wohnungsbauprogramm sieht vor, daß im Zeitraum von 1976 bis 1990 insgesamt 2,8 bis 3,0 Millionen Wohnungen neu gebaut oder modernisiert werden. Für die Verwirklichung dieses umfangreichsten Wohnungsbauprogramms in der Geschichte der D D R stellt der S t a a t große finanzielle und materielle Mittel zur Verfügung. Der I X . Parteitag hat in dem Programm der S E D dazu folgende Zielstellung formuliert: „Auf der Grundlage langfristiger Pläne soll der Wohnungsbau so mit der Rekonstruktion und Erneuerung von Wohngebieten sowie mit der Erhaltung von Wohngebäuden verbunden werden, daß die historisch entstandenen kulturellen Werte und progressiven Züge in der Struktur und im Antlitz der Städte soweit als möglich bewahrt und immer günstigere Voraussetzungen für die weitere Entwicklung der sozialistischen Lebensweise geschaffen werden." 1 4 Die Erfüllung der gestellten Aufgaben erfolgt schrittweise und planmäßig im Rahmen der komplexen volkswirtschaftlichen Planung. So sollen im Zeitraum des Fünfjahrplanes 1976 bis 1980 der Bevölkerung rund 550000 Neubauwohnungen und 200000 modernisierte Wohnungen übergeben werden. Das bedeutet eine unmittelbare Verbesserung der Wohnbedingungen für mehr als 2 Millionen Bürger innerhalb von 5 Jahren. Die übererfüllten Pläne in den ersten Jahren dieses Fünfjahrplanzeitraumes lassen erwarten, daß die hochgesteckten Ziele auch erreicht werden. Damit werden 1980 etwa 4 0 % der Bevölkerung der D D R in Wohnungen leben, die nach 1945 neu gebaut oder modernisiert worden sind. Die Versorgung mit Wohnungen wird sich zu diesem Zeitpunkt weiter verbessert und der Anteil der sanitär- und heizungstechnisch modern ausgestatteten Wohnungen wird sich weiter erhöht haben. Viele neue gesellschaftliche Einrichtungen werden an die Bevölkerung übergeben worden sein. Gegenüber dem Ausgangsjahr des langfristigen Wohnungsbauprogramms wird sich 1980 eine wesentlich günstigere Situation in den Wohnbedingungen darbieten (vgl. Tabelle 59). 14

Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1976, S. 23.

306

Tabelle 59 Fertiggestellte Wohnungen Jahr

Insgesamt

darunter Neubau

1949 1960 1970 1975 1978

29825 80489 76088 140793 167899

Modernisierung

_

_

71857 65786 95976 111909

8632 10302 44817 55890

Quelle: Statistisches Jahrbuch der DDR 1979, Berlin 1979, S. 143 Die 80er J a h r e stellen an die Verwirklichung des Wohnungsbauprogramms eine Reihe von veränderten Anforderungen und Aufgaben, die sich aus der Tatsache ergeben, daß bis 1985 in fast allen Städten und Gemeinden der D D R die Zielstellung erfüllt sein wird, daß jede Familie ihre eigene Wohnung besitzt. Damit wird das Schwergewicht der Verbesserung der Wohnbedingungen von der Erweiterung der Quantität auf die Verbesserung der Qualität der Wohnsubstanz verlagert. Es steht nicht mehr der möglichst hohe absolute Zuwachs an Wohnungen im Mittelpunkt der Anstrengungen, sondern die Modernisierung erhaltenswerter Wohnungen und der Ersatz schlechter Wohngebäude durch Neubauten. Der Bestimmung der Anteile der einzelnen Reproduktionsformen der Wohnsubstanz am Gesamtprogramm des komplexen Wohnungsbaus ist deshalb verstärkte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Während im Fünfjahrplan 1976 bis 1980 das Verhältnis von zu modernisierenden Wohnungen zu Neubauwohnungen etwa 28 : 72 1 5 beträgt, wird es sich im Zeitraum nach 1980 voraussichtlich weiter zugunsten der Modernisierungsmaßnahmen verändern. Dank der gewaltigen Steigerung der Produktion von Neubauwohnungen sowie der Modernisierung von bestehenden Wohngebäuden wird der Bevölkerung der D D R 1990 ein Wohnungsfonds zur Verfügung stehen, der von der Anzahl der Wohnungen, der Größenstruktur der Wohnungen und der Wohnflächenquote je Einwohner im Durchschnitt des ganzen Landes als gut bezeichnet werden kann und die Befriedigung der quantitativen Wohnbedürfnisse in der Regel gewährleistet. Unter Nutzung aller Möglichkeiten können auch die qualitativen Bedingungen der Gesamtwohnsubstanz in entscheidendem Maße verbessert werden, vor allen Dingen durch die wesentliche Erhöhung der Anzahl der mit Innentoilette und Bad bzw. Dusche sowie mit moderner Heizung ausgestatteten Wohnungen 15

H. J. Kluge, Zur Vorbereitung des Wohnungsbauprogramms der 80er Jahre und der Umgestaltung innerstädtischer Altbaugebiete, in: Architektur der DDR, 3/1978, S. 132.

20*

307

Tabelle 60 A u s s t a t t u n g v o n Neubauwohnungen (in °/ 0 ) Ausstattung

1960

1965

1970

1975

1978-

Warmwasser Zentralheizung Bad/Dusche B a l k o n bzw. L o g g i a

17,5 8,9 99,1 37,0

77,3 42,1 99,6 52,0

98,8 73,8 99,3 69,0

99,2 89,5 100,0 72,0

100,0 94,8 100,0 -

Quelle: Statistisches J a h r b u c h der D D R 1979, Berlin 1979, S . 145

(vgl. Tabelle 60). Die Versorgung mit gesellschaftlichen Einrichtungen wird weiter verbessert werden. In den bestehenden Wohngebieten kommt es darauf an, die vorhandenen Einrichtungen intensiver zu nutzen und neue rationelle Lösungen einzuführen. Dies alles heißt nicht, daß nicht in manchen Städten und Dörfern auch zu diesem Zeitpunkt noch Probleme in der Versorgung mit Wohnraum auftreten werden — auf dem Boden bereits befriedigter Bedürfnisse entstehen gesetzmäßig neue Anforderungen —, aber es läßt sich heute bereits mit Gewißheit einschätzen, daß die Wohnungsfrage als soziales Problem im Jahre 1990 in der DDR aufgehört hat zu existieren. Sowohl die Standortpolitik für den komplexen Wohnungsbau als auch die technische Politik für die Wohnungsbauindustrie muß auf die möglichst schnelle und effektive Erfüllung dieser politischen, sozialen und ökonomischen Zielstellungen ausgerichtet werden. Vorrangig kommt es darauf an, die Wohnbedingungen in der Hauptstadt der DDR Berlin und in anderen Zentren der Arbeiterklasse zu verbessern. Dazu zählen die Bezirksstädte sowie weitere etwa 130 Schwerpunktstädte. Auf diese Städte, in denen sich die materielle Produktion konzentriert und in denen etwa 50% der Bevölkerung der DDR leben, werden im Zeitraum bis 1990 mehr als zwei Drittel aller Wohnungsneubau- und Modernisierungsmaßnahmen konzentriert. Neben vielen kleinen Wohngebieten entstehen vor allem in den Randbereichen der Großstädte, wie z. B. in Berlin-Marzahn, Leipzig-Grünau, KarlMarx-Stadt „Fritz Heckert" oder in Schwerin „Großer Dreesch", große Neubauwohngebiete für mehrere zehntausend Einwohner. Die komplexe Modernisierung und Rekonstruktion wird insbesondere auf die um die Jahrhundertwende gebauten Arbeiterwohngebiete und auf meist historisch wertvolle Altstadtbereiche konzentriert. In den letzten Jahren ist es bereits in vielen Städten gelungen, auf dem Wege der Modernisierung ganze Straßenzüge zu beliebten Zentren des gesellschaftlichen Lebens umzugestalten. So entstanden städtebaulich und architektonisch attraktive Fußgängerbereiche, wie die Kröpeliner Straße in Rostock, die Klement-Gottwald-Straße in Halle, der Anger in Erfurt sowie weitere, in Wismar, Weimar, Zeitz, Görlitz, Potsdam und anderen Städten. Überhaupt wird in den 80er Jahren die Rekonstruktion größerer zusammenhängender innerstädtischer Gebiete an Bedeutung gewinnen. Vor allem geht es 308

darum, die sanitärtechnische, physische und hygienische, aber auch die soziale Qualität der alten Wohngebiete zu verbessern und damit die Wohn- und Arbeitsbedingungen auf eine höhere Stufe zu heben. Diese umfangreichen Maßnahnlen, die sowohl Instandsetzung und Modernisierung als auch den Neubau von Wohngebäuden und gesellschaftlichen Einrichtungen umfassen, werden zusammen mit den entstehenden großen Neubaukomplexen dazu führen, daß sich die städtebauliche Struktur und das architektonische Erscheinungsbild vieler Städte tiefgreifend verändern werden. Dies wiederum stellt hohe Anforderungen an die Wissenschaft und an die Verantwortung der örtlichen Staatsorgane, die langfristige Entwicklung der Städte komplex und kontinuierlich zu planen und zu steuern. Der mehrgeschossige Wohnungsbau mit 4 oder 5 Geschossen ist gegenwärtig die Hauptwohnform und wird es auch bleiben. Vielgeschossige Wohngebäude mit 8 bis 10 Geschossen und Wohnhochhäuser Werden in erster Linie in den Großstädten zur Vervollkommnung der städtebaulich-architektonischen Komposition errichtet werden. In den kleineren Städten und auf dem Lande gewinnt der Eigenheimbau für die Verbesserung der Wohnbedingungen wachsende Bedeutung. E s ist zu erwarten, daß die Position, die er sich in den 70er Jahren mit einem durchschnittlichen Anteil von etwa 10% am gesamten Wohnungsneubau errungen hat, in den 80er Jahren weiter ausgebaut wird. Große Aufmerksamkeit wird von den Architekten und Projektanten auch auf die Weiterentwicklung der Wohnungsgrundrisse in den Typenwohngebäuden gelegt. Insbesondere die Wohnungsbauserie 70 bietet gute Voraussetzungen, um solche Ziele zu realisieren, wie — die schrittweise Vergrößerung der durchschnittlichen Wohnfläche je Wohnung zugunsten von mehr Abstellraum und eines Eßplatzes in der Küche — die räumliche Trennung von Bad und WC in größeren Wohnungen — die Anordnung einer geräumigen Loggia oder eines Balkons für möglichst viele Wohnungen — die Verbesserung des Lärmschutzes und der Wärmedämmung — die verstärkte Anwendung von pflegearmen verbesserten Ausbaukonstruktionen und -materialien — die Schaffung von zusätzlichen räumlichen Möglichkeiten innerhalb des Wohngebäudes für gemeinschaftliche Aktivitäten der Bewohner. Diese quantitativen und qualitativen Verbesserungen werden Schritt für Schritt auf der Grundlage der jeweils geltenden staatlichen Normative verwirklicht werden. So wurden beispielsweise für den Fünfjahrplan 1976 bis 1980 vorgegeben: — das staatliche Gesamtnormativ für eine Wohnungseinheit einschließlich der anteiligen Aufwendungen für die Erschließung und die Gemeinschaftseinrichtungen der Wohngebiete mit durchschnittlich 58000,— M und — eine durchschnittliche Wohnfläche je Wohnung von 58 Quadratmeter. 1 6 16

Direktive des IX. Parteitages der SED zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR in den Jahren 1976-1980, Berlin 1976, S. 100. 309

So, wie diese Ziffern eine wesentliche Steigerung gegenüber dem Zeitraum 1971 bis 1975 darstellen, können auch für die 80er Jahre weitere Verbesserungen erwartet werden. Das gestattet günstigere Grundrißlösungen in den Wohnungen und erlaubt, eine größere Anzahl von Drei- und Vierraumwohnungen zu bauen. Der vorgegebene Wohnungsgrößenverteilerschlüssel muß bei der Planung von neuen Wohngebieten so flexibel gehandhabt werden können, daß er den spezifischen örtlichen Bedingungen und der eingeschätzten Haushaltsgrößenstrukturentwicklung weitgehend angepaßt werden kann. Unter Berücksichtigung der vorhandenen Wohnsubstanz sowie der Tendenz zur Verringerung der durchschnittlichen Haushaltsgröße kann auf diesem Wege auch eine Reduzierung der durchschnittlichen Wohnungsbelegung erreicht werden, was in entscheidendem Maße zur Verbesserung der allgemeinen Wohnbedingungen beitragen wird. 10.2.3.

Gestaltung

der sozialistischen

WohnumweÜ

Für die immer bessere Befriedigung der materiellen und geistig-kulturellen Bedürfnisse und für die ständige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen erweist sich die weitere Gestaltung einer sozialistischen Wohnumwelt als immer bedeutsamer. Es ist nicht nur die Wohnung, in der sich die Herausbildung und Weiterentwicklung der Persönlichkeit und sozialistischer Familienbeziehungen in entscheidendem Maße vollziehen, sondern es ist auch mehr und mehr das Wohngebiet mit seinen Einrichtungen und Anlagen in engem Zusammenwirken mit den anderen Teilen der Stadt, das auf die Gestaltung der sozialen und kulturellen Beziehungen der Menschen Einfluß nimmt. Die Wohnqualität hängt vor allem ab von „— der Qualität der Wohnung, ihrer Ausstattung, Größe und Lage, — der Ausstattung des Wohngebietes mit gesellschaftlichen Einrichtungen zur Bildung und Erziehung, Versorgung und Dienstleistung, zur gesundheitlichen Betreuung und kulturellen Betätigung, — der verkehrstechnischen Erschließung und der Einordnung des ruhenden Verkehrs, — dem Angebot an Freiräumen, die entsprechend den Anforderungen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, insbesondere der Kinder und Jugendlichen, für Freizeittätigkeiten geeignet sind, — der architektonischen Gestaltung und städtebaulichen Komposition, — der Wirkung der Umweltfaktoren, wie Luft, Lärm, Mikroklima, — den Beziehungen des Wohngebietes zu den anderen Teilen der Stadt, insbesondere zu den Arbeitsstätten, zu den zentralen gesellschaftlichen Einrichtungen und zu den Gebieten der Naherholung."17 17

Thesen zur 31. Plenartagung der Bauakademie der DDR, in: Architektur der DDR, 5/1975.

310

Zur Verbesserung der Wohnbedingungen gehört auch — außer der Erhöhung der Qualität der Wohnung selbst —, in den Wohngebieten für ein vielfältiges Wohnungssortiment entsprechend den sich immer mehr differenzierenden Bedürfnissen der einzelnen Bevölkerungsgruppen zu sorgen. Um eine kontinuierliche und qualitativ hochwertige Versorgung und Betreuung der Bevölkerung im Wohngebiet zu gewährleisten, werden die Wohngebiete nach einem abgestuften, differenzierten System mit gesellschaftlichen Einrichtungen ausgestattet. Die Ausstattung der Wohngebiete mit Versorgungseinrichtungen geht davon aus, in zumutbarer Entfernung zur Wohnung Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf, komplexe Dienstleistungsannahmestellen sowie in angemessenem Umfang gastronomische Einrichtungen zu schaffen. Bei der Ausstattung der Wohngebiete mit Schulen wird große Aufmerksamkeit darauf gerichtet, den Kindern beste Lernbedingungen zu geben, die sportliche Erziehung zu fördern und die Freizeit entsprechend den unterschiedlichen Interessen und Neigungen sinnvoll zu gestalten. Besondere Bedeutung haben im Zusammenhang mit der vollen Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frau die Einrichtungen für die gesellschaftliche Erziehung und Betreuung der Vorschulkinder, das heißt die Kinderkrippen und Kindergärten. Daneben bestehen in Abhängigkeit vom konkreten örtlichen Bedarf spezielle Einrichtungen, wie Wochenkrippen sowie Einrichtungen für die Betreuung der Kinder in bestimmten Jahreszeiten, zum Beispiel in den Schulferien. Im Bereich des Sozial- und Gesundheitswesens werden zur ständigen prophylaktischen und therapeutischen Betreuung der Einwohner staatliche Einrichtungen der medizinischen Versorgung gebaut (Ambulatorien bzw. Polikliniken sowie Apotheken). Zur Förderung kultureller Aktivitäten und sozialer Kommunikation werden vor allem in größeren Wohngebieten entsprechende Einrichtungen, wie Klubräume, Bibliotheken sowie Möglichkeiten für die Einrichtung eines Jugendklubs, einer Diskothek u. ä. geschaffen. Für die älteren Bürger werden in enger Verbindung zu den Einrichtungen der Kultur und Erholung Feierabendheime oder altersadäquate Wohnungen errichtet. Während die Kinderkrippen und Kindergärten den Wohngruppen möglichst nah zugeordnet werden, erfolgt bei den gesellschaftlichen Einrichtungen zur Versorgung und Betreuung der Einwohner eine sinnvolle Konzentration innerhalb der Wohnkomplexe. Für größere Wohngebiete werden über die genannten Einrichtungen zur täglichen Versorgung hinaus weitere gesellschaftliche Einrichtungen geschaffen, die nicht täglich, sondern periodisch (wöchentlich, monatlich) aufgesucht werden. Bei der städtebaulichen Planung und beim Aufbau großer Wohngebiete hat sich folgendes System, gesellschaftlicher Zentren bewährt: — Zentren für 4000 bis 20000 Einwohner, mit der komplexen Ausstattung an Einrichtungen für den täglichen Bedarf (Erreichbarkeit zu Fuß maximal 10 Minuten), 311

— Zentren für 20000 bis 60000 Einwohner, zusätzlich mit Einrichtungen für den periodischen Bedarf (Erreichbarkeit zu Fuß maximal 20 Minuten), — Zentren für über 60000 Einwohner, mit einer komplexen Ausstattung an Einrichtungen des täglichen und periodischen Bedarfs sowie einzelner Einrichtungen für den aperiodischen Bedarf (Erreichbarkeit maximal 30 Minuten). Entsprechend den vorgegebenen finanziellen Aufwandsnormativen werden innerhalb des komplexen Wohnungsbaus etwa 60% der Mittel für den Bau von Wohngebäuden und etwa 18% für den Bau gesellschaftlicher Einrichtungen aufgewendet. Weitere 22% entfallen auf die Verkehrs- und stadttechnische Erschließung sowie die Freiflächengestaltung in den Wohngebieten. Im Wohngebiet verbringen die Menschen im allgemeinen den größten Teil ihrer arbeitsfreien Zeit. Für Kinder, Jugendliche und ältere Bürger ist das Wohngebiet sogar der dominierende Aufenthaltsort während des ganzen Tages. Das Milieu eines Wohngebietes hat somit entscheidende Bedeutung für das Wohlbefinden der Bürger und insbesondere für die Ausprägung der Persönlichkeit junger Menschen. Bei der städtebaulich-architektonischen Gestaltung von Wohngebieten kommt es darum vor allem darauf an, unter den Bedingungen des industriellen Wohnungsbaus differenzierte, abwechslungsreich und interessant gestaltete städtebauliche Räume herauszubilden, die den menschlichen Maßstab wahren. Besonders in den Hauptkommunikationsbereichen der Neubauwohngebiete (gesellschaftliche Zentren, Hauptfußgängerverbindungen, Wohngebietsparke u. ä.) sollte eine wirkungsvolle architektonische Gestaltung der Gebäude und Anlagen mit der niveauvollen Ausgestaltung der Freiräume unter Einbeziehung von Werken der bildenden Kunst verbunden werden. Bei Wahrung des grundsätzlichen Primats des Fußgängers gegenüber dem Kraftfahrzeug ist anzustreben, die störenden Umwelteinflüsse, wie Lärm und Luftverschmutzung, von den Wohn- und Freizeitbereichen sowie von den gesellschaftlichen Einrichtungen weitgehend fernzuhalten. Als wichtig für ein gutes Mikroklima erweisen sich eine reichhaltige Vegetation sowie ausreichende Besonnung und Belichtung der Gebäude und Freiflächen entsprechend den städtebauhygienischen Forderungen und unter Beachtung der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten. Die Bewohner der Neubauwohngebiete sollen alle Möglichkeiten erhalten, die Stadt als Ganzes zu erleben und ihre vielfältigen funktionellen und ästhetischkulturellen Werte zu nutzen. Das verlangt, die Wohngebiete von Anfang an so in die Stadtstruktur einzugliedern, daß sich für die Bewohner günstige Weg-ZeitBeziehungen zum Stadtzentrum und zu den wichtigsten Arbeitsstättengebieten ergeben und zugleich optimale stadthygienische Bedingungen für das Wohnen entstehen. Die harmonische Einbeziehung der Landschaft sowie der vorhandenen und auszubauenden gesamtstädtischen Grünverbindungen in die Planung der Neubauwohngebiete erhält dabei im Hinblick auf die wachsenden Freizeitbedürfnisse der Werktätigen eine zunehmende Bedeutung. Im Unterschied zu Neubauwohngebieten, die in der Mehrzahl der Fälle auf

312

unerschlossenem Gelände am Rande der Städte errichtet werden, stellt die Modernisierung und Rekonstruktion von Altbauwohngebieten einen Eingriff in eine bestehende, historisch gewachsene, lebendige Substanz dar. Viele der Wohnungen, die aus der kapitalistischen Zeit und z. T. noch aus dem Mittelalter stammen, werden bei weitem nicht mehr den Bedürfnissen der Familien in einer sozialistischen Gesellschaft gerecht. Zu den dringenden Aufgaben gehört deshalb, vor allem die alten innerstädtischen Wohngebiete in den Großstädten der DDR umfassend zu rekonstruieren, in denen die Arbeiterklasse stark vertreten ist und wo sie große Traditionen hat. Über Jahrzehnte haben sich in diesen Gebieten soziale Strukturen und Beziehungen aufgebaut, die in den verschiedenen Ebenen, wie z. B. Hausgemeinschaften oder Wohngebietsorganisationen, meist gut funktionieren und die in wesentlichem Maße das soziale Klima und Wohnmilieu mitbestimmen. Darum sollte bei allen Umgestaltungsmaßnahmen angestrebt werden, diese Beziehungen weitgehend zu erhalten, wenn auch eine Zielstellung darin besteht, die Besonderheiten in der sozialdemographischen Struktur dieser Gebiete (z. B. höherer Anteil älterer Bürger, geringerer Anteil Kinder) schrittweise zu überwinden. Veränderungen sollten mit großer Sorgfalt geplant und nur langfristig vorgenommen werden. Das Anliegen besteht darin, diese Wohngebiete nicht niederzureißen, sondern ihnen ein neues, würdiges, der sozialistischen Lebensweise entsprechendes Antlitz zu geben. Dabei kommt es darauf an, die engen und düsteren Hinterhöfe planmäßig zu beseitigen sowie die Belichtungs- und Besonnungsverhältnisse wesentlich zu verbessern. Die Grünanlagen sind zu erweitern, um vor allem den Kindern Spiel- und Sportmöglichkeiten und den älteren Bürgern Plätze für Erholung und Ruhe bereitzustellen. Gleichzeitig sind moderne Kaufhallen, Dienstleistungseinrichtungen, Ambulatorien, Kindergärten und -krippen in die Neugestaltung einzubeziehen, damit auch in diesen Gebieten ein hoher Versorgungsgrad mit Gemeinschaftseinrichtungen erreicht wird. Allgemein kann eingeschätzt werden, daß mit der Modernisierung von Wohnungen und der Rekonstruktion der alten Gebiete Wohnbedingungen geschaffen werden können, die in ihrer Qualität insgesamt den Anforderungen weitgehend entsprechen. Während sich einige Kennziffern und Parameter, z. B. der Städtebauhygiene und des ruhenden Verkehrs, nicht voll erreichen lassen, weisen Altbaugebiete auf Grund ihrer Lage meist eine gute Erschließung durch den öffentlichen Personennahverkehr auf. In vielen Fällen können sogar die gesellschaftlichen Einrichtungen des Stadtzentrums zu Fuß erreicht werden. Ein besonderes Fluidum erhalten die Altbaugebiete oft durch die vorhandenen kleinen Geschäfte und Einrichtungen oder durch historisch wertvolle Gebäude. Gerade eine gelungene Verbindung von Alt und Neu setzt städtebaulich-architektonische Akzente, die eine hohe ästhetisch-kulturelle Wirkung haben. Sowohl die Maßnahmen des Wohnungsneubaus, der Rekonstruktion und Modernisierung der Wohngebiete als auch die weitere Ausgestaltung der Stadt313

Zentren und die baulichen Maßnahmen in den Industrie- und Arbeitsstättengebieten führen in vielen Städten zu tiefgreifenden Veränderungen in der städtebaulichen Struktur und im architektonischen Erscheinungsbild. Schrittweise werden Mängel und Disproportionen der kapitalistischen Zeit überwunden und die baulich-räumliche Umwelt den gesellschaftlichen Verhältnissen des Sozialismus und den Anforderungen der sich entwickelnden Produktivkräfte angepaßt. Dieser Prozeß der weiteren Umformung der Städte als der wirtschaftlichsten und kulturreichsten Form menschlicher Siedlungen verläuft in der DDR auf der Grundlage langfristiger Planungen — z. B. der Generalbebauungsplanung und Generalverkehrsplanung — planmäßig und kontinuierlich.

10.3.

Aufgaben der örtlichen Staatsorgane bei der Verbesserung der Wohnbedingungen

10.3.1.

Förderung des genossenschaftlichen

und individuellen

Wohnungsbaus

Eine wichtige Rolle für die Mobilisierung der Bevölkerungsinitiative zur Verbesserung der Wohnbedingungen spielen die Anteile des genossenschaftlichen und individuellen Wohnungsbaus am geplanten Gesamtvolumen des Wohnungsbaus. Den genossenschaftlichen Wohnungsbau besonders in den industriellen Zentren zu verstärken heißt, vor allem für Arbeiterfamilien bessere Wohnbedingungen zu schaffen und dazu beizutragen, daß sich Stammbelegschaften in volkseigenen Betrieben herausbilden und in genossenschaftlichen Siedlungen die sozialen Beziehungen enger und kameradschaftlicher gestalten. Es ist kein Geheimnis, daß die genossenschaftlichen Wohngebäude und ihre unmittelbare Umgebung in der Regel durch den persönlichen Einsatz der Genossenschaftler sehr gut instand gehalten und gepflegt werden. Von 1954 bis 1975 wurde mehr als ein Drittel aller Neubauten durch Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften, deren Hauptträger vor allem volkseigene Betriebe und Kombinate sind, errichtet. Im Fünfjahrplanzeitraum 1976 bis 1980 soll dieser Anteil auf etwa 45% erhöht werden. Mit der weiteren Förderung der AWG wird erreicht, daß — die Wohnbedürfnisse schneller befriedigt werden können, — durch die Arbeitsleistungen wesentliche Baukapazitäten freigesetzt werden, — der Staat ca. 15% der Baukosten nicht zu kreditieren braucht und diese Mittel für andere volkswirtschaftliche und sozialpolitische Aufgaben bereitstellen kann, — durch die Mitwirkung der Mitglieder die Verwaltung, Bewirtschaftung und Erhaltung der Bausubstanz mit einer hohen Effektivität erfolgt, — in den AWG die sozialistische Hilfe weiter ausgeprägt wird, die sozialistische Demokratie sich entwickelt und neue Verhaltensweisen herausgebildet werden. Das verpflichtet die Trägerbetriebe, die staatlichen Organe und die Gewerkschaften, ihren Einfluß in den AWG zu verstärken und die Verbindung zwischen 314

Betrieben und AWG enger zu gestalten. Die Zusammenarbeit ist vorrangig darauf zu richten, die AWG politisch-ideologisch bei der Entwicklung des genossenschaftlichen Lebens zu unterstützen und gemeinsame Maßnahmen zum Neu- und Ausbau von Wohnungen und zur Werterhaltung festzulegen. Die Aufgaben der Betriebe und der Werktätigen sind als Verpflichtungen in den Betriebskollektivvertrag aufzunehmen. Zugleich ist in den Betrieben bei der Durchführung der gewerkschaftlichen Mitgliederversammlungen den Mitgliedern und Vorständen der AWG mehr als bisher Gelegenheit zu geben, über ihre Arbeit, ihre Erfolge und ihre Vorstellungen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zu sprechen. Die AWG arbeiten nach einem für verbindlich erklärten Musterstatut. 18 Höchstes Organ ist die Mitgliederversammlung, die den Vorstand und die Revisionskommission wählt. Mitglied können die Werktätigen werden, die das Statut anerkennen und die Pflichten eines Genossenschaftsmitgliedes übernehmen. Die Zuweisung einer Wohnung erfolgt im allgemeinen innerhalb von drei Jahren nach Eintritt in die AWG. Die Wohnungsverteilung wird nach den Grundsätzen des Leistungsprinzips, nach Dringlichkeit, nach Dauer der Mitgliedschaft und nach Erfüllung der Verpflichtungen des Mitgliedes gegenüber der AWG vorgenommen. In den letzten Jahren ist besonders der Zusammenschluß von Wohnungsbaugenossenschaften zu leistungsfähigen größeren Einheiten unter territorialen Gesichtspunkten vorangetrieben worden. Das ist deshalb vorteilhaft, weil so für den Tausch, das Umsetzen, die Verteilung, die Bewirtschaftung, die Erhaltung und Verwaltung genossenschaftlicher Wohnungen eine größere Anzahl von Wohnungen zur Verfügung stehen und die Zusammenarbeit zwischen den Vorständen der AWG, den Gewerkschaften und den Ausschüssen der Nationalen Front wirksamer gestaltet werden kann. Zunehmende Bedeutung erlangt auch der individuelle Wohnungsbau. In den letzten Jahren wurden im Durchschnitt mehr als 10% des gesamten Wohnungsneubaus als Eigenheime errichtet. Die Erweiterung des individuellen Wohnungsbaus und seine umfassende Förderung durch Regierung, örtliche Staatsorgane, Genossenschaften und Betriebe verfolgen vor allem das Ziel, — iin Rahmen der Pläne der Bezirke und Kreise neben dem staatlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbau weitere Reserven zur Verbesserung der Wohnbedingungen zu erschließen, — besonders auf diese Art den spezifischen Bedürfnissen von Arbeitern und Genossenschaftsbauern und von Familien mit mehreren Kindern Rechnung zu tragen, — einen wachsenden Teil des Wohnungsbaus in Bauformen durchzuführen, die besonders geeignet sind, die eigene Beteiligung der Bürger an der Baudurchführung und an den finanziellen Aufwendungen zu ermöglichen, — die Wohnbedingungen der Werktätigen in Städten und Gemeinden, in 48

Vgl. Musterstatut für Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften, Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 12, 1973, S. 112 ff.

315

denen der Bau größerer Wohnkomplexe in den nächsten Jahren noch nicht vorgesehen ist, auf diese Weise schon heute weitmöglichst zu verbessern. 19 Durch die Betriebsgewerkschaftsleitungen und die Kreisvorstände des FDGB ist in engem Zusammenwirken mit den Kommissionen für Eigenheimbau bei den örtlichen Staatsorganen besonders darauf hinzuwirken, daß die Auswahl der Bewerber entsprechend den in der Förderungsverordnung festgelegten Richtlinien und unter Beachtung der wohnungspolitischen und sozialen Aspekte erfolgt. Da angestrebt wird, daß die Bauleistungen in überwiegendem Maße durch die betreffenden Bürger selbst erbracht werden, ist die Einflußnahme auch darauf zu richten, daß die Werktätigen, die eine Baugenehmigung erhalten haben, dabei auf wirksame Weise unterstützt werden. Die unmittelbare tatkräftige Hilfe der Betriebe zur Realisierung der Bauleistungen sollte mit der Übernahme von Zinsund Tilgungsleistungen verbunden werden. Das erfordert, alle Möglichkeiten auszunutzen, Mitglieder der Gewerkschaftsgruppen oder auch größere Kollektive dafür zu gewinnen, sich zur wirksamen Unterstützung jener Kollegen ihres Kollektivs zu verpflichten, die ein Eigenheim bauen.

10.3.2.

Wohnraumversorgung

und

Wohnraumlenkung

Wesentliche Ziele sozialistischer Wohnungspolitik werden in der DDR über die staatliche Wohnraumlenkung durchgesetzt. Ausgehend von dem Recht auf Wohnraum, das jedem Bürger von der Verfassung der DDR zugesichert wird, richtet sich die Verteilung des Wohnraumes vor allem darauf, daß — die Wohnbedingungen der Arbeiterklasse, insbesondere in den Zentren der Industrie, vorrangig zu verbessern sind, — der Wohnungsbedarf kinderreicher Familien abzudecken ist, — jungen Ehepaaren entsprechender Wohnraum zur Verfügung zu stellen ist, — ältere Bürger und Körperbehinderte durch Bereitstellung adäquaten Wohnraums zu unterstützen sind, — Wohnungsuchende, deren Ansprüche sich auf anderweitige gesetzliche Regelungen stützen, bevorzugt mit Wohnraum zu versorgen sind. 20 Für die Wohnraumversorgung und die entsprechende Lenkung und Vergabe des Wohnraumes im Sinne der angeführten Gesichtspunkte sind in erster Linie die örtlichen Räte verantwortlich. Zu diesem Zweck arbeiten sie unter Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte und an Hand von Analysen über Wohnungsbedarf und Wohnungsbestand die Grundrichtung der Wohnungslenkung entsprechend den örtlichen Bedingungen aus, treffen Festlegungen für die Wohnungs19

20

Vgl. Verordnung über die Förderung des Baus von Eigenheimen (Gesetzblatt der D D R , Teil I I , Nr. 80, 1971, S. 709ff.). Vgl. Autorenkollektiv (Ltg. G. Schmunk/G. Tielze/G. Winkler), Marxistischleninistische Sozialpolitik, Berlin 1975, S. 143.

316

vergäbe (Dringlichkeitsmerkmale, Wohnungsgröße usw.) und legen sie der Volksvertretung zur Beschlußfassung vor. Die Beschlüsse der Volksvertretungen bilden die Grundlage für die auf diesem Gebiet tätigen Organe, Kommissionen und Aktivs. Als Fachorgane der Räte organisieren besonders die Abteilungen Wohnungswesen bzw. Wohnungswirtschaft die Durchsetzung dieser Festlegungen. In den Wohngebieten arbeiten ehrenamtliche Wohnungskommissionen, die insbesondere bei der Vergabe und besseren Nutzung des vorhandenen Wohnraums mitwirken. Sie unterstützen die Fachorgane der örtlichen Räte durch Beurteilungen, Vorschläge, Wohnungsbegehungen und stehen der Bevölkerung zur Beratung zur Verfügung. Eine sehr wichtige Aufgabe sehen die Wohnungskommissionen in der Vermittlung von Wohnungstauschen. Da besonders ältere Bürger in der Regel über unterbelegten Wohnraum verfügen, können durch einen organisierten Tausch oft innerhalb eines Wohngebietes die Wohnbedingungen mehrerer Familien verbessert werden. Außerdem werden durch den verstärkten Bau von Feierabendheimen und speziellen Altenwohnheimen die Voraussetzungen geschaffen, um den verfügbaren Wohnraum effektiver zu nutzen. In den Betrieben und Kombinaten gibt es darüber hinaus Wohnungskommissionen der jeweiligen Gewerkschaftsleitungen. Ihre Aufgabe besteht darin, dabei mitzuwirken, daß die Wohnbedingungen der Werktätigen des Betriebes entsprechend den gesetzlichen Ansprüchen und unter Berücksichtigung der fachlichen und gesellschaftlichen Leistungen in Abhängigkeit von den betrieblichen Möglichkeiten verbessert werden. Durch die Stellungnahme des Gewerkschaftskollektivs zum Antrag des Wohnungsuchenden wird die Mitwirkung der Werktätigen bei der Vergabe von Wohnraum gesichert. Mit der immer besseren Befriedigung des quantitativen Wohnungsbedarfs werden sich zukünftig auch die Aufgaben der zuständigen örtlichen Staatsorgane sowie der gebietlichen und betrieblichen Wohnungskommissionen verändern. Es wird nicht mehr nur darauf ankommen, den Familien überhaupt eine Wohnung zur Verfügung zu stellen, sondern die Wohnungssuchenden werden in zunehmendem Maße solche Haushalte sein, die in eine sanitär- und heizungstechnisch besser ausgestattete Wohnung ziehen möchten. Die Aufgabe, die Wohnbedingungen der Bevölkerung qualitativ zu verbessern, wird mehr und mehr in den Vordergrund treten.

10.3.3.

Entfaltung einer breiten

Bevölkerungsinitiative

Alle Bürger haben das Recht, bei der umfassenden Verbesserung der Wohnbedingungen mitzuwirken. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte besagen, daß die Bürger sich schon immer — und nicht nur bei dem privaten Wohnungsbestand — aktiv für die Verschönerung der Umwelt, für die Erhaltung und Modernisierung der Wohnungen eingesetzt und große materielle Leistungen erbracht haben. Die 317

Räte der Städte, Stadtbezirke und Gemeinden sind verpflichtet, die Voraussetzungen für eine breite Mitarbeit der Bevölkerung zu schaffen. Sie arbeiten dabei eng mit den Ausschüssen der Nationalen Front, mit anderen ehrenamtlichen Gremien sowie mit Organen des Freien Deutschen Gewerkschaftsbuiides zusammen. Insbesondere nach dem V I I I . Parteitag der S E D hat die Initiative der Bürger im Wettbewerb „Schöner unsere Städte und Gemeinden — Mach mit!" einen großen Aufschwung genommen. Da das Wohnungsbauprogramm unmittelbar auf die Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Werktätigen gerichtet ist, wird hier die sichtbare Interessenübereinstimmung zwischen einzelnem und Gesellschaft zur Triebkraft für die Entfaltung einer schöpferischen Aktivität und hohen Einsatzbereitschaft der Bürger. Sechs Grundaufgaben zur Verbesserung des Wohnens bestimmen im „Machmit"-Wettbewerb das gemeinsame Handeln der Bürger und Hausgemeinschaften mit den staatlichen Organen, den V E B KWV und den AWG: „1. Im Vordergrund aller Initiativen sollte die Mithilfe der Bürger bei der Erhaltung, Instandsetzung, Modernisierung und Verschönerung der vorhandenen baulichen Substanz . . . stehen . . . 2. Das schnelle und spürbare Verbessern der Wohn- und Lebensbedingungen erfordert, die vorhandenen Mittel wirksamer zu nutzen und die Bürgerinitiative darauf zu lenken, durch Um- und Ausbau zusätzliche Wohnungen, Unterrichtsräume, Kindereinrichtungen und Räume für die Freizeitgestaltung und -erholung zu schaffen. 3. Wir wollen, daß alle geeigneten Möglichkeiten erschlossen werden, damit die Bürger, die Betriebe und gesellschaftlichen Einrichtungen durch größere Eigenleistungen . . . helfen und sich besonders die Errichtung von Eigenheimen angelegen sein lassen. 4. Erstrebenswert ist die Tätigkeit der Bevölkerung bei der Anlage und Pflege von Grünflächen, einschließlich der Haus- und Vorgärten, der gesellschaftlich genutzten Freiflächen sowie von Straßen und Fußwegen. 5. In enger Zusammenarbeit mit dem F D G B sollte verstärkt auch die Gestaltung und Pflege der unmittelbaren Betriebsumgebung in unseren Wettbewerb einbezogen werden. 6. Schließlich geht es um die zusätzliche Erschließung von Bau- und Ausbaumaterialien sowie eine weitgehende Rückgewinnung von Baumaterialien aus dem Abriß von Gebäuden." 21 Vor allen Dingen in jenen Städten und Dörfern, in denen ein hoher Bestand an privaten Wohngebäuden existiert und komplexe staatliche Modernisierungsmaßnahmen in den nächsten Jahren nicht vorgesehen sind, kommt es darauf an, eine sachkundige Beratung der Bürger zu gewährleisten sowie die Bereitstellung von Reparaturmaterialien und -kapazitäten zu verstärken. Gut be21

A. Norden, Miteinander und Füreinander, Berlin 1972, S. 19/20.

318

w ä h r t h a b e n sich die in den W o h n g e b i e t e n eingerichteten R e p a r a t u r s t ü t z p u n k t e , in d e n e n den B ü r g e r n u n d H a u s g e m e i n s c h a f t e n n i c h t n u r ein u m f a n g reiches S o r t i m e n t a n W e r k z e u g e n z u m Ausleihen a n g e b o t e n wird, sondern wo a u c h in b e g r e n z t e r A n z a h l b e s t i m m t e E r s a t z t e i l e z u r V e r f ü g u n g s t e h e n u n d wo u n t e r U m s t ä n d e n Anleitung f ü r R e p a r a t u r e n gegeben w e r d e n k a n n . Dieses S y s t e m sollte weiter a u s g e b a u t werden u n d die R e p a r a t u r d i e n s t e d e r V E B K o m m u n a l e n W o h n u n g s v e r w a l t u n g u n d der A W G ergänzen. 2 2 A u c h in d e n A W G werden erweiterte F o r m e n d e r Mithilfe d e r Genossens c h a f t l e r e r p r o b t u n d schon weitgehend p r a k t i z i e r t . Sie sind z. B . d a r a u f ger i c h t e t , den A u s b a u zu beschleunigen u n d die I n n e n g e s t a l t u n g d e r W o h n u n g d u r c h die Ü b e r n a h m e v o n Maler- u n d T a p e z i e r a r b e i t e n w e i t g e h e n d d e n zuk ü n f t i g e n Mietern selbst zu überlassen. H e r v o r r a g e n d e L e i s t u n g e n werden von d e n Bürgern bei d e r E r r i c h t u n g d e r v o n J a h r zu J a h r steigenden Zahl a n Eigenheimen e r b r a c h t . I m m e r m e h r B ü r ger schließen sich zu I n t e r e s s e n g e m e i n s c h a f t e n z u s a m m e n u n d e r h a l t e n m a t e rielle U n t e r s t ü t z u n g d u r c h die Betriebe d e r I n d u s t r i e u n d L a n d w i r t s c h a f t . E i n e der wesentlichen Schlußfolgerungen aus den bisherigen E r f a h r u n g e n ist, d a ß es n i c h t n u r darauf a n k o m m t , die B e v ö l k e r u n g s i n i t i a t i v e zu organisieren, sondern d a ß die freiwilligen Bevölkerungsleistungen zu einer engen Koo p e r a t i o n m i t d e n b a u a u s f ü h r e n d e n B e t r i e b e n g e f ü h r t werden m ü s s e n . Die Z u s a m m e n f ü h r u n g aller dieser A n s t r e n g u n g e n der B e v ö l k e r u n g , d e r s t a a t lichen u n d gesellschaftlichen Organe sowie der W e r k t ä t i g e n des B a u w e s e n s u n d a n d e r e r Zweige der V o l k s w i r t s c h a f t ist die sichere G e w ä h r d a f ü r , d a ß d a s W o h n u n g s b a u p r o g r a m m als d a s K e r n s t ü c k des sozialpolitischen P r o g r a m m s von P a r t e i u n d R e g i e r u n g der D D R z u m W o h l e des einzelnen u n d der g a n z e n Gesellschaft in h o h e r Q u a l i t ä t erfüllt werden wird. 22

Vgl. E. Honecker, Die Aufgaben der Partei bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des IX. Parteitages der SED, Berlin 1978, S. 58/59.

319

11.

Das Gesundheits- und Sozialwesen

11.1.

Der Gesundheitsschutz gabe

der

Bevölkerung

als gesellschaftliche

Auf-

Das Wertvollste, was die Menschen besitzen, ist ihre Gesundheit, die Leistungsfähigkeit und das körperliche und geistige Wohlergehen bis in das hohe Alter. Ein langes Leben in geistiger Frische, aktiv für sich, die Familie und die Gesellschaft tätig, in steter Achtung durch die Mitbürger arbeitend und lebend, entspricht dem Sinn des Sozialismus. Ein guter Gesundheitszustand des Volkes und eine lange Lebenserwartung dienen dem gesellschaftlichen Reichtum und der Lebensweise (vgl. Tabelle 61). Tabelle 61 Mittlere Lebenserwartung bei Geburt Jahr

1952 1974 1977

Geschlecht männlich 63,90 68,89 69,01

weiblich 67,96 74,41 74,87

Quelle: Statistisches Jahrbuch der DDR 1979, Berlin 1979, S. 372.

In den 30 Jahren Deutsche Demokratische Republik wurden beachtliche Schritte getan und ein Gesundheitsschutz aufgebaut, der in der Welt mit zu den führenden gehört. Das vollzog sich in Übereinstimmung mit der gesellschaftlichen Entwicklung der DDR (vgl. Tabelle 62). Die Klassiker des Marxismus-Leninismus deckten den gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen den Fragen des Gesundheitsschutzes und der Produktionsweise sowie der darauf beruhenden ökonomischen und politischen Struktur der Gesellschaft auf. Zumindest zwei grundlegende Aspekte ergeben sich aus diesem Zusammenhang: — Erst die gesellschaftlichen Grundlagen und Voraussetzungen, die im Prozeß des revolutionären sozialistischen Aufbaus geschaffen wurden, ermöglichen und erfordern es, den Gesundheitsschutz als eine gesellschaftliche Aufgabe zu entwickeln. Gerade im sozialistischen Gesundheitsschutz zeigt sich der enge 320

Tabelle 62 Gesamtaufwendungen des Staatshaushaltes für das Gesundheits- und Sozialwesen (ohne Renten und Sozialversicherung) im Verhältnis zum produzierten Nationaleinkommen 1

2

Jahr

Nationaleinkommen in Mrd. Mark

1950 1970 1975 1976 1977 1978

27,3 109,5 142,4 147,5 155,2 161,1

3 Aufwendungen für °/ 0 Sp. 3 : 2 Gesundheits- und Sozialwesen in Mrd. Mark 1,4 5,9 7,9 8,3 8,6 8,9

5,1 5,4 5,5 5,6 5,5 5,5

Quelle: Statistisches Jahrbuch der DDR 1979, Berlin 1979, S. 13 und 250. Zusammenhang zwischen allen Merkmalen der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, zwischen ökonomischem und sozialem Fortschritt. 1 — Der Gesundheitsschutz setzt sich nicht im Selbstlauf durch. E r kann nur uneingeschränkt realisiert werden, wenn die neuen gesellschaftlichen Grundlagen allseitig bewußt gemacht und für seine Vervollkommnung zielstrebig durch den S t a a t und auch durch die Werktätigen selbst genutzt werden. 2 Unter den Bedingungen der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ist der sozialistische Gesundheitsschutz eine nach wissenschaftlich fundierten Grundsätzen zu leitende und zu planende Teilfunktion der sozialistischen Gesellschaft. E r umfaßt eine Gesamtheit von politischen, ökonomischen und kulturell-erzieherischen, sozialen und medizinischen Maßnahmen, die auf die Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit, Leistungsfähigkeit und das körperliche und geistige Wohlbefinden in allen Lebensabschnitten gerichtet sind. Zu einem vollzieht sich diese Aufgabe des Gesundheitsschutzes bei der Gestaltung hygienischer Arbeits- und Lebensbedingungen sowie Verhaltensweisen des Menschen, um in allen Zweigen, Bereichen der Volkswirtschaft, staatlichen und gesellschaftlichen Organen — Schadfaktoren, die Leben und Gesundheit bedrohen, zu beseitigen und ihre voraussehbare Entstehung zu verhüten, — die Wirkung (zur Zeit noch) unvermeidbarer, gesundheitsbelastender Faktoren und Bedingungen vom Menschen fernzuhalten oder auf ein die Gesundheit nicht schädigendes Maß herabzusetzen, 4 2

Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1976, S. 26 und 41. W. Hering, Gesundheitspolitik — untrennbarer Bestandteil der Gesamtpolitik, in: Neuer Weg, 1/1975, S. 7.

21 Manz/Winkler

321

— immer bessere Arbeits- und Lebensbedingungen sowie Verhaltensweisen zur Förderung von Gesundheit, Leistungsfähigkeit für jeden Menschen zu schaffen. Zum anderen dient der Verwirklichung des Gesundheitsschutzes das komplexe System der medizinischen Betreuung. Es ist die Gesamtheit prophylaktischer, therapeutischer und metaphylaktischer Maßnahmen, die auf der Grundlage einer exakten Diagnostik in arbeitsteiligen, nach Indikationsbereichen abgestuften und miteinander abgestimmten Aktivitäten zielgerichtet am Menschen zur Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung seiner Gesundheit vollzogen werden. Da beide gesellschaftlichen Wirkungsrichtungen des Gesundheitsschutzes — die Diskussion hierzu ist noch nicht abgeschlossen — in einem Verhältnis des wechselseitigen Zusammenhangs und der gegenseitigen Bedingtheit stehen, bedarf es der planmäßigen und bewußten Ausnutzung der gesellschaftlichen Grundlagen und damit der Vorzüge und Triebkräfte des Gesundheitsschutzes im Sozialismus. Der Schutz und die Hebung der Gesundheit des Volkes in der D D R haben die These Lenins zur Grundlage, daß vor allem der Staat die Verantwortung für den Gesundheitszustand des Volkes tragen muß, daß nur der Übergang der Staatsmacht in die Hände der Werktätigen die Bedingungen für Maßnahmen des Gesundheitsschutzes schafft, die mit der planmäßigen und proportionalen Gestaltung aller Bereiche der Gesellschaft in Übereinstimmung stehen und dadurch ihre Wirksamkeit erhalten. Die sozialistische Staatsmacht in der DDR besitzt deshalb für die Verwirklichung der Gesundheitspolitik der S E D prinzipielle Bedeutung. Das der gesamten politischen Organisation der sozialistischen Gesellschaft und ihrem Staat zugrunde liegende Prinzip des demokratischen Zentralismus ist auch das Grundprinzip für die Aufgaben und die Organisation des Gesundheitsschutzes. Die staatlichen Organe aller Leitungsebenen (vom Ministerrat bis zu den örtlichen Volksvertretungen in den Bezirken, Kreisen, Städten und Gemeinden) realisieren präzise und abgestimmte Aufgaben zur Entwicklung des Gesundheitsschutzes. 3 Vor allem mit Hilfe des sozialistischen Rechts, das Ausdruck der politischen Macht der Arbeiterklasse ist, werden die gesundheitspolitischen Beschlüsse der S E D in rechtlich verbindlichen staatlichen Festlegungen realisiert. Der Artikel 35 der Verfassung der DDR verbrieft jedem Bürger der D D R das Grundrecht auf Schutz seiner Gesundheit und Arbeitskraft und legt zugleich umfassende Garantien zu seiner Verwirklichung fest (wie z. B. die planmäßige Verbesserung der Arbeits* und Lebensbedingungen, die umfassende Sozialpolitik und unentgelt3

Vgl. dazu insbesondere § 7 Abs. 2 des Gesetzes über den Ministerrat der D D R vom 16. Oktober 1972 (Gesetzblatt der D D R , Teil I Nr. 16, S. 253) und §§ 2 Abs. 3, 33, 47 und 67 des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der D D R vom 12. Juli 1973 (Gesetzblatt der D D R , Teil I Nr. 32, S. 313).

322

liehe Gewährung von ärztlicher Hilfe, Arzneimitteln und anderen medizinischen Sachleistungen). Die staatliche Ordnung auf dem Gebiete des Gesundheitsschutzes erstreckt sich auch auf solche wichtigen Bereiche, wie z. B. folgende: — Die Leitung der medizinischen Wissenschaft, durch die sowohl die Forschung als auch die Anwendung der Forschungsergebnisse ganz auf das Wohl des Volkes ausgerichtet werden. Wirksame Formen staatlicher Kontrolle sichern dies. Im Auftrag des Ministerrates der D D R trägt der Minister für Gesundheitswesen hierfür eine besondere Verantwortung. Er ist im Rahmen der Gesamtentwicklung von Wissenschaft und Technik für die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft und die einheitliche Leitung und Planung der medizinischen Forschung verantwortlich. In der DDR gibt es keinerlei gesellschaftliche Bedingungen für eine profitorientierte Beeinflussung der medizinischen Forschung wie in kapitalistischen Staaten. — Die staatliche Regelung und Überwachung des Verkehrs mit Arzneimitteln, Gesundheitspflegemitteln, Impfstoffen, medizintechnischen Erzeugnissen usw. Durch eine international als vorbildlich anerkannte Gesetzgebung ist die in kapitalistischen Staaten verbreitete Unsicherheit und die Gefahr gesundheitlicher Schädigungen der Bevölkerung im Profitinteresse der Monopole ausgeschlossen. Sozialistischer Gesundheitsschutz ist seinem Wesen nach keine den Bürgern als passiven Empfängern gewährte Wohltat. Immer mehr bestimmen die Bürger die Aufgaben des Gesundheitsschutzes und ihre Realisierung mit. Das manifestiert sich vor allem in der Arbeit der demokratisch gewählten und rechenschaftspflichtigen Volksvertretungen und den zahlreichen Formen der Einbeziehung der Bürger. Hervorgehoben werden muß auch die entscheidende Mitbestimmung des FDGB, der umfassenden Klassenorganisation der Werktätigen, auf dem Gebiete des Gesundheitsschutzes. Der FDGB ü b t durch seine Arbeitsschutzinspektionen die Kontrolle über den Gesundheits- und Arbeitsschutz in den Betrieben aus und leitet die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten. 4 Weitere gesellschaftliche Massenorganisationen wie z. B. das Deutsche Rote Kreuz der DDR, die Volkssolidarität, die Jugendorganisationen (in ihnen vor allem die Gruppen Junger Sanitäter) machen im Zusammenwirken mit den staatlichen Organen und Gesundheitseinrichtungen die Initiative und tatkräftige Hilfe zehntausender Bürger bei der Lösung der Aufgaben des Gesundheitsschutzes organisiert wirksam. Die gesellschaftlichen Grundlagen des Gesundheitsschutzes in der D D R schließen stets aber auch — resultierend aus der Einheit von Rechten und Pflichten — 4

Vgl. Arbeitsgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. Juli 1977 (Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 18, S. 185) Berlin 1977, insbesondere §§ 8, 274 und 293.

21*

323

die persönliche Verpflichtung ein, die Verwirklichung der Gesundheitspolitik durch eigene Leistungen zu unterstützen, sich selbst gesund und leistungsfähig zu halten. W. I. Lenin wies wiederholt und energisch darauf hin, seine Gesundheit als gleichsam gesellschaftliches Eigentum zu bewahren und nicht zu vergeuden. Bekenntnis und Bereitschaft zur sozialistischen Lebensweise bedeuten daher auch persönliches Engagement für die Förderung gesunder Lebensführung und Gesundheitserziehung. Aus den gesellschaftlichen Grundlagen des Sozialismus, die den Gesundheitsschutz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung determinieren, sind die Prinzipien abgeleitet, die den Klassencharakter des sozialistischen Gesundheitsschutzes als historisch-soziale Errungenschaft des werktätigen Volkes bestimmen und ihn von allen Bestrebungen und Maßnahmen des bürgerlichen Gesundheitswesens und von der bürgerlichen Gesundheitspolitik abgrenzen. Diese von W. I. Lenin begründeten Grundprinzipien des sozialistischen Gesundheitsschutzes bestehen in — der Orientierung auf die Prophylaxe, — seinem staatlichen Charakter, — seiner Einheitlichkeit und Planmäßigkeit, — der unentgeltlichen Inanspruchnahme und allgemeinen Zugänglichkeit qualifizierter medizinischer Hilfe, — der Einheit von Theorie und Praxis, — der breiten Anwendung der Errungenschaften von Wissenschaft und Technik in den Einrichtungen des Gesundheitswesens sowie — der Teilnahme der Öffentlichkeit und weiter Kreise der Werktätigen. 5 Diese Prinzipien waren und sind die feste Grundlage und Richtschnur für die planmäßige Vervollkommnung des Gesundheitsschutzes in der DDR. Dem erreichten Stand unserer gesellschaftlichen Verhältnisse entsprechend, fanden sie insbesondere in den gemeinsamen Beschlüssen des Politbüros des ZK der S E D , des Ministerrates der DDR und des Bundesvorstandes des F D G B vom 25. September 1973 über weitere Maßnahmen zur Durchführung des sozialpolitischen Programms des VIII. Parteitages der S E D und vom 27. Mai 1976 über die weitere planmäßige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen im Zeitraum 1976—1980 unmittelbar Ausdruck. Keinen der Grundsätze, die den sozialistischen Gesundheitsschutz kennzeichnen, kann das bürgerliche Gesundheitswesen zum Wohle der Masse des Volkes zum Ziel erklären oder praktisch verwirklichen. Das resultiert gesetzmäßig aus der durch die kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse gegebenen Bedingtheit der bürgerlichen Gesundheitspolitik und des bürgerlichen Gesundheitswesens. Das System des bürgerlichen Gesundheitswesens ist nicht imstande, den 5

Vgl. W. B. Petrowski, Das sozialistische Gesundheitswesen in der U d S S R , Berlin 1972, S. 11.

324

Schaden zu kompensieren, den das kapitalistische System der Gesundheit der Arbeiter z u f ü g t . Das wird n i c h t n u r durch die ständig zunehmende Zahl der Arbeitsunfälle in den kapitalistischen L ä n d e r n u n d die Existenz von Maßnahmen betriebsgesundheitlicher Betreuung nachgewiesen, die völlig d e m profitorientierten Ausbeutungsprozeß unterworfen u n d daher praktisch wirkungslos sind. Die sich verschärfende Krisensituation f ü h r t zwangsläufig die Masse des Volkes in soziale Unsicherheit u n d Bedrohung, die direkt u n d indirekt das Wohlbefinden u n d die Gesundheit der Menschen beeinträchtigen. Angst u m Arbeit u n d E i n k o m m e n zwingen viele Arbeitende dazu, auf Maßnahmen zur Wiederherstellung bzw. Festigung der Gesundheit (durch stationäre B e h a n d l u n g , Kuren u . a.) zu verzichten. Die auf der kapitalistischen Produktionsweise beruhende Gesellschafts- u n d Lebensweise in ihrer Gesamtheit ist Quelle u n d Nährboden f ü r m a s s e n h a f t e , die Gesundheit der Menschen negativ beeinflussende gesellschaftliche Bedingungen. Die kapitalistische Gesellschaft t r e i b t vor allem auch die jungen Menschen zu Verhaltensweisen u n d Lebensgewohnheiten, die nicht n u r der Gesundheit abträglich sind, sondern darüber hinaus der geistigen u n d moralischen Entwicklung der Menschen großen Schaden zufügen. Perspektivlosigkeit u n d Massenarbeitslosigkeit, Alkoholismus, Drogen- u n d Rauschgiftsucht, die Kriminalitätslawine u n d der maßlose Egoismus, der die Kinderfeindlichkeit u n d das Beiseiteschieben alter u n d hilfsbedürftiger Menschen einschließt, 6 sind Kennzeichen dieser allen Belangen des Gesundheitsschutzes zutiefst widersprechenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Die herrschende Monopolbourgeoisie versucht, die Verantwortung f ü r die Gesundheit auf die werktätige Bevölkerung, letztlich auf das Individuum selbst, abzuwälzen. Die bürgerlichen Verfassungen erwähnen ein G r u n d r e c h t auf Schutz der Gesundheit f ü r den Bürger in der überwiegenden Mehrzahl nicht 7 u n d sprechen sich d a m i t von der staatlich-rechtlichen Verantwortung frei, dieses G r u n d r e c h t zum Inhalt ihrer Staatspolitik zu machen. D a m i t können die Gesetzmäßigkeiten kapitalistischen Profitstrebens u n g e h e m m t auch auf dem Gebiete des Gesundheitsschutzes wirken. Der n u r unzureichend d u r c h soziale Einrichtungen, wie Sozialversicherungen, u n t e r s t ü t z t e Bürger ist im wesentlichen auf seine Mittel zur I n a n s p r u c h n a h m e gesundheitlicher B e t r e u u n g angewiesen. Sozialabbau (wie durch die jüngste Sozialgesetzgebung in der B R D ) u n d unsichere Arbeitseinkommen verschlechtern diese Möglichkeiten des einzelnen ständig. Ohne durchgreifenden rechtlichen Schutz ist er wachsenden Kosten f ü r ärztliche Hilfe im stationären u n d a m b u l a n t e n Be6

1

L. Mecklinger, in: VI. Nationale Konferenz für Gesundheitserziehung „Jugend und Gesundheit" 13. und 14. April 1977 in Dresden, hg. vom Nationalen Komitee für Gesundheitserziehung der DDR, S. 8. Health Aspects of Human Rights, With Special Reference to Developments in Biology and Medicin, World Health Organisation, Geneva 1976, S. 7.

325

reich ebenso ausgeliefert wie der profitorientierten Arzneimittelunsicherheit, für die die Monopole verantwortlich sind. Gegenüber der jeder demokratischen Beeinflussung von außen unzugänglichen bürgerlichen Gesundheitsverwaltung, gegenüber den in mächtigen Standesorganisationen zusammengeschlossenen privaten Ärzten und gegenüber den Konzernen der Pharmazieindustrie wie auch den privatwirtschaftlichen Krankenhausträgern gibt es auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaftsordnung kaum eine Chance, eine auf das Wohl und die Gesundheit des Volkes orientierte Gesundheitspolitik zu realisieren. Selbst in den die Ausnahme bildenden Staaten mit einem staatlichen Gesundheitswesen (z. B. Schweden, Großbritannien) wirkt der kapitalistische Profitmechanismus und läßt diese von der Arbeiterklasse erkämpften Errungenschaften nur bedingt wirksam werden.

11.2.

Erhöhung der Qualität und Wirksamkeit

medizinischer

Arbeit

Im Bericht des Zentralkomitees des ZK der SED an den IX. Parteitag wurde hervorgehoben: „Die wichtigste Aufgabe des Gesundheitswesens in den kommenden Jahren besteht darin, die Qualität und Wirksamkeit medizinischer Arbeit beim Vorbeugen, Erkennen, Behandeln von Krankheiten und in der Nachsorge weiterhin zu erhöhen. Im Mittelpunkt steht dabei die Bekämpfung der Herz-Kreislauf-Krankheiten, des Krebses, der Grippe und das weitere Zurückdrängen der Berufskrankheiten. Das ist in erster Linie ein hoher Anspruch an die Wissenschaftler sowie an das Wissen und Können der Ärzte." 8 Höhere Qualität und Wirksamkeit der Arbeit sind gesellschaftliche Grundforderungen geworden, die für alle gesellschaftlichen Bereiche gleichermaßen gelten. Wir gehen davon aus, daß die Qualität medizinischer Arbeit immer in die Grundqualitäten des Lebens im Sozialismus eingeordnet ist. Die Qualität der medizinischen Arbeit ist einerseits abhängig von den gesellschaftlichen Voraussetzungen, Maßstäben und Wertvorstellungen über das Leben von Menschen, den personellen, materiellen und finanziellen Bedingungen, die für die Arbeit des Gesundheitswesens durch die Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse geschaffen werden. Anderseits nimmt das sozialistische Gesundheitswesen der Deutschen Demokratischen Republik wachsenden Einfluß auf die Entwicklung der volkswirtschaftlichen Leistungskraft, die Persönlichkeitsentwicklung unserer Bürger und die weitere Ausprägung der sozialistischen Lebensweise. Im Qualitätsbegriff der medizinischen Arbeit (Betreuung) widerspiegeln sich vor allem Bedürfnisse und Erwartungen der Bürger nach 8

Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den IX. Parteitag der SED, Berichterstatter: E. Honecker, Berlin 1976, S. 107.

326

— Vervollkommnung der Vorsorge vor Krankheiten u n d deren Komplikationen, schneller u n d möglichst komplikationsloser Wiederherstellung d e r Gesundheit, V e r h ü t u n g von Invalidität, vor allem F r ü h i n v a l i d i t ä t u n d vermeidbaren Unfällen, von vorzeitigen Todesfällen; — E r h a l t u n g der körperlichen u n d geistigen Leistungsfähigkeit, Gesundheit und des sozialen Wohlbefindens bis ins hohe Lebensalter; — Gewährleistung einer allgemeinen Zugänglichkeit eines hohen Niveaus (wissenschaftlich, technisch-organisatorisch, fachlich, pflegerisch, sozial usw.) der medizinischen Betreuung, unabhängig von Zeit u n d Ort u n d E i n k o m m e n der P a t i e n t e n ; — breiter Anwendung neuer u n d bewährter sowie international u n d national a n e r k a n n t e r wissenschaftlicher Erkenntnisse in der medizinischen Praxis. Die Diskussion über Kriterien, Kennziffern u n d eine Methodik zur Beurteilung von Q u a l i t ä t in der medizinischen Betreuung ist noch bei weitem nicht abgeschlossen. Einigkeit besteht zumindest darin, d a ß die Q u a l i t ä t der medizinischen Betreuung von einer Vielzahl von außen auf das Gesundheitswesen und einer Vielzahl im Innern des Gesundheitswesens selbst wirkenden objektiven u n d subjektiven Faktoren, die von der Gesellschaft u n d einzelnen getragen werden, abhängig ist. Ihre V e r k n ü p f u n g u n d W e r t u n g nach Bezugsebenen ist das noch nicht hinreichend bewältigte Problem. Die Beurteilung ist zumindest u n t e r folgenden fünf Aspekten möglich 9 : Aus der Sicht — des betreuten Bürgers u n d seiner Angehörigen u n d Bekannten, — des die Betreuung Ausübenden, — der die Betreuung leitenden, organisierenden u n d überwachenden Leitungsorgane auf den verschiedenen Leitungsebenen, — der örtlichen u n d zentralen Partei- u n d Staatsorgane u n d nicht zuletzt — aus der Sicht des internationalen Vergleichs. Beispielsweise k ö n n t e n f ü r die Beurteilung von Q u a l i t ä t folgende Kriterien g e n a n n t werden: — Kriterien, die den Gesundheitszustand der Bevölkerung, sein Niveau u n d seine Entwicklung beschreiben. Das können Kennziffern u n d Aussagen über die Arbeitsunfähigkeit, mittlere Lebenserwartung bei Geburt, die Morbidität, die allgemeine Mortalität u n d die Invalidität sein. Die auf solche Kriterien wirkenden E i n f l u ß f a k t o r e n sind vordergründig gesellschaftlich komplexer N a t u r u n d nicht n u r durch medizinische Arbeit zu beeinflussen. — Kriterien, die f ü r Teilgebiete abgrenzbar u n d a n n ä h e r n d meß- oder beschreibbar sind (z. B. Infektionsschutz, Kinder- u n d Jugendgesundheitsschutz) u n d d a m i t f ü r Leistungen innerhalb des Gesundheitswesens Aussagen zur Q u a lität medizinischer Arbeit ermöglichen können. Dazu k a n n m a n zum Beispiel die Anstrengungen der medizinischen Wissenschaft u n d Praxis zur S e n k u n g 9

Nach einem unveröffentlichten Arbeitsmaterial von H. Otto.

327

der krankheitsspezifischen Mortalität sowie zur Bekämpfung von infektiösen Erkrankungen (Tuberkulose, Poliomyelitis, Tetanuserkrankungen, Diphtherie, Mumps, Scharlach, Virushepatitis usw.), die Wirkung verschiedener Impfprogramme rechnen. — Bestimmte Qualitätseinschätzungen sind möglich mit Hilfe solcher Kennziffern wie: a) hinsichtlich der Wirkung auf den Gesundheitszustand wie z. B . Neuerkrankungsziffern (z. B. bei Infektionskrankheiten), krankheitsspezifische Invalidität, krankheits-, alters- und berufsspezifische Arbeitsunfähigkeit, b) hinsichtlich der medizinischen Tätigkeit der Gesundheitseinrichtungen wie z. B. Anteil der in Frühstadien erfaßten Krankheiten, die medizinisch und sozial begründete Verweildauer in stationären Einrichtungen, speziell die prä- und postoperative Verweildauer, die Rezidivquote, die Komplikationshäufigkeit, die Diagnoseübereinstimmung (Einweisungs- und klinische Diagnose und Sektionsdiagnose, die jeweils auf vergleichbare Krankheits-, Alters- und Geschlechtsgruppen bezogen werden müssen); c) zur qualitativen Beurteilung der Tätigkeit im medizinischen und wirtschaftlichen Versorgungsbereich der Gesundheitseinrichtungen. Hier können solche spezifischen Kennziffern wie z. B. Qualitätskennziffern der Speisen- und Wäscheversorgung, Niveaukennzahlen der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation, vergleichende finanzielle Werte usw. herangezogen werden. Außer den genannten, an Standards, Normativen, Richtwerten mehr oder weniger objektivierbaren Kriterien müssen notwendigerweise bei Qualitätseinschätzungen solche subjektiven, quantitativ oft und meistens kaum umfassend darstellbaren Kriterien wie die Patientenzufriedenheit, die wesentlich vom Arzt-Mitarbeiter-Patient-Verhältnis beeinflußt wird, berücksichtigt werden. Insofern bringen auch eine hohe Lebensfreude und Leistungsfähigkeit sowie das subjektive Sicherheitsgefühl in bezug auf die gegebenen Möglichkeiten der medizinischen Betreuung die Qualität des Wirksamwerdens unseres Gesundheitswesens (einschließlich der Gesundheitsaufklärung und -erziehung) zum Ausdruck. Die Effektivität der Arbeit muß indessen im Gesundheitswesen immer im Dienste von höherer Qualität und Wirksamkeit medizinischer Arbeit stehen. Die wachsenden Kapazitäten, personellen, materiellen und finanziellen Mittel, der höhere Aufwand der Gesellschaft für die Gesunderhaltung der Bürger sind Mittel zum Zweck. Ihre effektivste Verwendung ist einzig und allein auf die planmäßigen Aufgaben des Gesundheitswesens und seiner Einrichtungen zum Wohl der Patienten und für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Mitarbeiter des Gesundheitswesens gerichtet.

328

Damit wirken alle Anstrengungen zur höheren Qualität und Wirksamkeit medizinischer Arbeit, für einen effektiveren Umgang mit Kapazitäten, Fonds und Leistungen des Gesundheitswesens auf die Qualität und Effektivität der Volkswirtschaft insgesamt ein. Sie entsprechen der Einheit von Wirtschaftsund Sozialpolitik, denn gesunde und leistungsfähige Menschen, gesundheitsfördernde Arbeits- und Lebensbedingungen sind eine elementare Grundlage stabilen ökonomischen Wachstums und sozialer Homogenität gesellschaftlicher Entwicklung. Je höher der Anteil des Gesundheitswesens bei der Senkung des Krankenstandes, der Frühsterblichkeit, der Invalidität, der immer besseren Annäherung zwischen Leistungs- und Lebensalter ist, um so größere Wirkung hat es für die Stärkung und Entwicklung der volkswirtschaftlichen Leistungskraft.

11.3.

Die Entwicklung des Gesundheits- und Sozialwesens Bestandteil sozialpolitischer Prozesse

als

integrierter

Das Gesundheits- und Sozialwesen ist eng mit den sich im Sozialismus vollziehenden sozialpolitischen Prozessen verbunden. In seiner langfristig stabilen Entwicklung erkennen wir deutlich die konsequente Verwirklichung sozialpolitischer Prinzipien der Partei der Arbeiterklasse, des Staates und der Gewerkschaften. Die Entwicklungsrichtungen im Gesundheits- und Sozialwesen lassen sich unter diesen Aspekten etwa wie folgt charakterisieren, ohne daß eine Vollständigkeit erreicht werden kann: Erstens: Die wachsenden Bedürfnisse der Bürger nach Erhaltung, Förderung und Wiederherstellung der Gesundheit prägen im Sozialismus in zunehmendem Maße die Ziele und Ausgangspunkte der Leitung, Planung und Organisation der medizinischen Betreuung. Dem dient die für alle Bürger bei uns allgemein zugängliche, unentgeltliche ambulante und stationäre medizinische Hilfe in der Stadt und auf dem Lande, im Wohngebiet und im Betrieb. Es wird ein steter Kampf um höhere Qualität und Wirksamkeit medizinischer Arbeit, um schnelle medizinische Hilfe auf der Basis fortgeschrittener Wissenschaft und Technik im Dienste der Patienten und ihrer Gesundheit geführt. In der Arbeit des Gesundheitswesens von den gesellschaftlichen Erfordernissen und Bedürfnissen der Bevölkerung ausgehend, heißt mindestens folgendes: — Minimierung der allgemeinen vorzeitigen Sterblichkeit, der Kinder- und Säuglingssterblichkeit im besonderen; — Sicherung der natürlichen Reproduktion der Bevölkerung durch gesellschaftliche Unterstützung der Ehen und Familien mit Kindern; — ständig bessere Anpassung des Leistungsalters an das Lebensalter;

329

— volle Entfaltung der Lebensfreude der Menschen und wachsende Unterstützung durch die Gesellschaft im Falle von Krankheit, vorübergehender Arbeitsunfähigkeit, Invalidität und Alter; — maximal möglicher Einfluß auf die psychische und physische Leistungsentwicklung der Arbeitskraft des gesunden Menschen sowohl im Arbeitsprozeß als auch in allen Bereichen des Lebens; — volle oder teilweise Wiedereingliederung des erkrankten Menschen in den Arbeitsprozeß und nicht zuletzt — Entwicklung des Leistungspotentials des Gesundheitswesens selbst. Kennzeichnend für die Entwicklung des Gesundheitswesens in der D D R sind auch die neuen Arzt-Patienten-Beziehungen, die nur auf der Grundlage der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse entstehen konnten. Für jeden spürbar ist, daß das Gesundheitswesen des Sozialismus kein profitorientierter Wirtschaftszweig ist, wie es die Bürger vieler imperialistischer Staaten bei den Gesundheitsdiensten ihrer Länder kennen. Entscheidend für die medizinische Behandlung im Sozialismus ist das Bedürfnis nach und die Notwendigkeit an medizinischer Betreuung. Das erfordert natürlich auch, entsprechende Rangund Reihenfolgen in der Befriedigung der Bedürfnisse nach medizinischer Betreuung zu bestimmen, die immer einhergehen mit einer Analyse des erreichten Standes und der am dringlichsten zu lösenden Aufgaben. Ausgehend von der Direktive des I X . Parteitages der S E D zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der D D R in den Jahren 1976 bis 1980 10 , wurde auf der Konferenz der Kreisärzte der D D R vom Minister für Gesundheitswesen für den Zeitraum bis 1980 folgende Orientierung gegeben: „— Der entscheidende Anteil der Kräfte und Mittel ist auf den weiteren Ausbau der ambulanten und stationär-medizinischen Grundbetreuung zu konzentrieren. Im Vordergrund steht dabei die vorrangige personelle Stärkung der chirurgisch-operativen Fachgebiete. Der erreichte Stand in der allgemeinund kinderärztlichen Betreuung der Bevölkerung ist zu halten. In allen anderen medizinischen Fachgebieten werden spürbare Fortschritte herbeigeführt und bestehende Disproportionen verringert. — Das Niveau der spezialisierten medizinischen Betreuung wird durch Komplettierung bestehender Einrichtungen und deren volle Nutzung erhöht und der Umfang spezialisierter Kapazitäten durch Neuschaffung weiterer leistungsfähiger Abteilungen in ausgewählten Krankenhäusern schrittweise erweitert. — Die hochspezialisierte medizinische Betreuung wird personell verstärkt und ihre materiell-technische Ausrüstung komplettiert. Auf ausgewählten Aufgabengebieten ist deren Umfang begrenzt zu erweitern. — Die soziale und medizinische Betreuung der Veteranen der Arbeit und die 10

Vgl. hierzu Direktive des IX. Parteitages der SED zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR in den Jahren 1976-1980, Berlin 1976, S. 109/ 110.

330

Fürsorge für geschädigte Bürger wird anknüpfend an die guten Ergebnisse seit dem VIII. Parteitag in noch schnellerem Tempo ausgebaut. — Der Einfluß auf die Hygiene und die gesundheitsfördernde Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen in den Betrieben und Wohngebieten ist zu verstärken. — Die Leistungsfähigkeit und Qualität der medizinischen Forschung zur Aufklärung von Ursachen und Bedingungen für Krankheit und Gesundheit wird schrittweise erhöht. Besonders gefördert und gestärkt werden entsprechend dem Parteiprogramm personell solche Forschungsrichtungen, die das Tempo des medizinischen Fortschritts entscheidend beeinflussen sowie Disziplinen, die das theoretische Fundament der Medizin in besonderem Maße bilden. — Die Voraussetzungen für die Aus- und Weiterbildung der Ärzte und Schwestern werden weiter vervollkommnet und ausgebaut und das wissenschaftliche Leben wird in allen Einrichtungen verstärkt gefördert." 1 1 Um die Bedürfnisse der Bürger entsprechend den Möglichkeiten immer besser zu befriedigen, werden auch die Formen der Organisation der medizinischen Betreuung ständig weiterentwickelt. Höhere Qualität und Wirksamkeit medizinischer Betreuung im Interesse abgestimmter prophylaktischer, diagnostischer, therapeutischer sowie metaphylaktischer Maßnahmen erfordert ein nahtloses Zusammenwirken zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen. Der durch die wissenschaftliche Entwicklung bedingte Spezialisierungsprozeß in der Medizin führt immer mehr zur Notwendigkeit eines aufeinander abgestimmten Miteinanders, zum objektiven Erfordernis nach Gemeinschaftsarbeit zwischen Ärzten gleicher und verschiedener Fachrichtungen mit entsprechender Nutzung der vorhandenen Ausrüstungen sowie Informationsmöglichkeiten. Die kollegiale, vertrauensvolle Zusammenarbeit ist Voraussetzung für die Wahrnehmung der gemeinsamen Verantwortung gegenüber dem zu betreuenden Bürger. Dazu gehören regelmäßige Beratungen zu Fragen des Zusammenwirkens im Fachgebiet und interdisziplinär, die Verständigung über Diagnostik- und Therapiemethoden sowie über gesammelte Erfahrungen. In diesem Sinne ist auch die schrittweise Einbeziehung der Dispensaire- und Beratungsstellen in Polikliniken zu verstehen. Der Realisierung nach erstrebenswerter Einheit von Krankenhaus und Poliklinik, wo der gemeinsame Standort bzw. die räumliche Nähe und die gemeinsame Nutzung diagnostischer und therapeutischer Kapazitäten im Interesse einer optimalen Betreuung sinnvoll sind, wird hohe Aufmerksamkeit geschenkt. Damit in Notfallsituationen zu jeder Zeit und an jedem Ort die erforderliche medizinische Hilfe schnell verfügbar ist, wurde in den letzten Jahren die „Schnelle Medizinische Hilfe" eingerichtet. Sie gewährleistet medizinische Hilfeleistungen für Verletzte und Akuterkrankte unmittelbar am Ereignisort sowie während des Transports bis zur Aufnahme in eine stationäre Einrichtung des Gesundheitswesens. 11

Vgl. Zeitschrift „humanitas", 4/1976, S. 1-8.

331

Zweitens: Der immer enger werdende Zusammenhang zwischen dem ökonomischen und dem sozialen Fortschritt im Sozialismus erweitert die personellen und materiell-technischen Grundlagen des Gesundheits- und Sozialwesens. Es läßt sich heute feststellen, daß im Gesundheits- und Sozialwesen der D D R mit der Verwirklichung des laufenden Fünfjahrplanes eine personelle und materiell-technische Basis des Gesundheits- und Sozialwesens entstanden ist, die im Vergleich mit den Ausgangsbedingungen bei der Gründung der Republik teilweise um ein vielfaches höher ist. So ist damit zu rechnen, daß im Jahre 1980 fast 200000 mehr Arbeitskräfte im Gesundheits- und Sozialwesen tätig sein werden als im Jahre 1960. Die Zahl der Arbeitskräfte im Gesundheitsund Sozialwesen hat sich bedeutend schneller erhöht als die Gesamtbeschäftigtenzahl in der Volkswirtschaft (vgl. Tabelle 63). Tabelle

63

E n t w i c k l u n g der A r b e i t s k r ä f t e im Gesundheits- und Sozialwesen (in 1000 P e r s o n e n ) 1970 1971 1972 1973

359,6 369,4 380,9 391,2

1974 1975 1976 1977

406,1 420,3 439,4 448,8

Quelle: Z u s a m m e n g e s t e l l t a u s den S t a t i s t i s c h e n J a h r b ü c h e r n der D D R Berlin 1971-1978.

1971—1978,

Damit war es auch möglich, den ärztlichen und zahnärztlichen Versorgungsgrad weiter zu verbessern, wie es aus der Tabelle 64 ersichtlich ist. Tabelle

64

Ärztlicher bzw. z a h n ä r z t l i c h e r V e r s o r g u n g s g r a d Jahr

Einwohner je Arzt

Einwohner je Zahnarzt

1955 1960 1970 1976 1977

1429 1181

2661 2702 2321 2070 2009

Quelle:

J a h r b u c h d e s G e s u n d h e i t s w e s e n s der D D R , B e r l i n 1978, S . 3 3 1 .

626 523 528

Gegenüber der vergangenen Fünfjahrplanperiode stellt der Staatshaushalt im Laufe des Fünfjahrplanes 1976—80 mehr als das Doppelte an Investitionen zur Verfügung. Dadurch wird es möglich sein, die materiell-technische Basis durch den Bau neuer moderner Krankenhäuser, Polikliniken und Ambulatorien 332

bedeutend zu erweitern. 2000 ärztliche und zahnärztliche Arbeitsplätze, 35 000 bis 55000 Plätze in Kinderkrippen, 2500—3000 Plätze in Feierabendheimen und Pflegestationen werden u. a. geschaffen (vgl. Tabelle 65). Tabelle 65 Ambulante Einrichtungen (Auswahl) Art der Einrichtung

1950

184 Polikliniken Ambulatorien 575 — Staatliche Arztpraxen Staatliche Zahnarztpraxen -

1976

1977

1978

534 947 1622 998

536 970 1638 992

546 977 1650 1002

Quelle: Statistisches Jahrbuch der DDR 1979, Berlin 1979, S. 332.

Aufgrund wachsender personeller und materiell-technischer Voraussetzungen konnte der Leistungsumfang der stationären und ambulanten Einrichtungen ständig erhöht werden. Heute entfallen auf 10000 der Bevölkerung 108 Betten in Krankenhäusern. In den staatlichen Einrichtungen für ambulante Behandlung wurden im Jahre 1976 148,9 Millionen Konsultationen gegenüber 85,3 Millionen im Jahre 1965 durchgeführt. Im Durchschnitt nahm im Jahre 1976 ein Bürger der D D R 9mal ambulante Einrichtungen in Anspruch. Drittens: Die Vorsorge vor Krankheit prägt sich als ein Wesenselement der medizinischen Betreuung der D D R immer stärker aus. Dieses Merkmal sozialistischen Gesundheitsschutzes zeigt sich bei uns deutlich in den wachsenden Anstrengungen auf dem Gebiete des Kinder- und Jugendgesundheitsschutzes, in Tauglichkeits- und Überwachungsuntersuchungen, in umfangreichen und gezielten Reihenuntersuchungen, in einer leistungsfähigen Impfprophylaxe, in der komplexen Betreuung der Bürger im höheren Lebensalter und in vielen anderen Elementen der aktiven Krankheitsvorbeugung. So war es möglich, gefährliche Infektionskrankheiten entweder vollständig zu beseitigen oder bedeutend zu reduzieren (vgl. Tabelle 66). Die hohen Anstrengungen in der prophylaktischen Arbeit des Gesundheitswesens verbunden mit gesellschaftlichen Anstrengungen auch anderer Bereiche ermöglichten es uns, die Säuglingssterblichkeit bedeutend zu reduzieren (vgl. Tabelle 67). Das sozialistische Gesundheitswesen sieht die gesamte medizinische Wissenschaft primär als präventive Medizin an, welche die bedeutende und ursprüngliche Aufgabe hat, auch das Lebens- und Arbeitsmilieu und die Bedingungen in diesem zu sichern, damit die gesamte Gesellschaft und ein jeder Angehörige dieser Gesellschaft gesund und nützlich leben kann. Bemerkenswerte Erfolge hat das Gesundheitswesen der D D R im Gesundheitsschutz von Mutter und Kind erreicht. In unserer Republik wurde ein 333

Tabelle 66 Entwicklung ausgewählter Infektionskrankheiten Erkrankung

Erkrankungen je 10000 Bevölkerung Jahre 1955 1976

Poliomyelitis Diphtherie Hepatitis infectiosa Masern Scharlach Tuberkulose

(1965) (1954)

0,5 4,6 9,7 32,7 21,2 28,8

— -

3,8 2,2 19,9 3,4

Quelle: Das Gesundheitswesen der DDR 1977, Berlin 1977, S. 43 u. 31. Tabelle 67 Säuglingssterblichkeit nach Geschlecht (1. Lebensjahr je 1000 Lebendgeborene)

männlich weiblich

1955

1960

1970

1975

1977

54,2 42,9

43,6 33,9

20,5 16,4

18,1 13,7

15,4 11,2

Quelle: Statistisches Jahrbuch der DDR 1979, Berlin 1979, S. 370. dichtes Netz von Schwangerenberatungsstellen geschaffen. Ihnen wurde die systematische Betreuung aller werdenden Mütter übertragen. Ihre Aufgabe ist es, neben der medizinischen Betreuung auch auf die sozialen Bedingungen Einfluß zu nehmen. Der regelmäßige Besuch der Schwangerenberatungsstellen während der Schwangerschaft wurde zur Selbstverständlichkeit. Besondere Aufmerksamkeit wird den berufstätigen Schwangeren geschenkt, um gegebenenfalls ungünstige Arbeitsbedingungen sowie durch Summierung von Berufsarbeit und familiäre Belastungen hervorgerufene Überforderungen auszuschalten. Von Anfang an wurde in der D D R im Bemühen um die Durchsetzung prophylaktischer Prinzipien die klinische Geburtshilfe gefördert. Der Anteil der Entbindungen in Kliniken an der Gesamtzahl der Entbindungen betrug bereits im Jahre 1970 mehr als 9 9 % . In der D D R bestehen zahlreiche Beratungsstellen für den Jugendgesundheitsschutz, die der Erhaltung und Förderung der Gesundheit der Kinder und Jugendlichen vom 4. bis zum 18. Lebensjahr dienen. Ihre Aufgaben bestehen in Reihen- und Gruppenuntersuchungen, in Einzeluntersuchungen mit spezieller Zielsetzung, in Überwachungsuntersuchungen gefährdeter Kinder und Jugendlicher sowie in der Durchführung des Impfprogramms. Die Gesundheitserziehung sowie die Einflußnahme auf gesundheitsfördernde Umwelt-

334

bedingungen im Elternhaus, in der Schule und in der Feriengestaltung gehören ebenfalls zu den Aufgaben der Beratungsstellen. Reihenuntersuchungen werden insbesondere in den Schuljahren durchgeführt, in denen erhöhte oder spezifische pädagogische Anforderungen bestehen. Im Mittelpunkt der gesetzlichen Regelungen zur Verhütung von Infektionskrankheiten steht der Impfkalender, nach dem sich die generellen immunprophylaktischen Maßnahmen auf das Kindesalter (Vorschul- u. Schulalter) konzentrieren. Alle Impfungen sind unentgeltlich sowie gesetzlich vorgeschrieben (Pflichtimpfungen werden in einem Impfausweis dokumentiert). Viertens: Das Gesundheits- und Sozialwesen hat einen wachsenden Einfluß auf die Ausprägung sozialistischer Arbeits- und Verhaltensweisen. Den Zusammenhang zwischen Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebensweise hob Erich Honecker wie folgt hervor: „— Das Streben nach Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebensfreude bis ins hohe Alter wird immer mehr zum Bestandteil einer von der ganzen Gesellschaft getragenen, vom sozialistischen Staat geförderten und vom Bürger selbst mitgestalteten Lebensweise." 12 Worin zeigt sich das unter anderem? — Der bestimmende Bereich für Leistungsfähigkeit und Gesundheit ist der Arbeitsprozeß. In ihm werden nicht nur die entscheidenden ökonomischen und sozialen Voraussetzungen für die Gesunderhaltung und Steigerung der Leistungsfähigkeit geschaffen, sondern er wirkt auf Grund seiner persönlichkeitsfördernden Wirkung wesentlich auf den Lebensstil des einzelnen und damit auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit ein. Deshalb wird bei der Verbesserung des Gesundheitsschutzes der Werktätigen der Funktion des Betriebsgesundheitswesens besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Das Betriebsgesundheitswesen in der D D R basiert auf der prophylaktischen Orientierung des gesamten Gesundheitsschutzes. Die betriebsärztliche Betreuung der Werktätigen vollzieht sich in zwei Hauptrichtungen: a) in der direkten Einflußnahme auf den Gesundheitszustand der Werktätigen unter Wahrung der Einheit von Prophylaxe, Diagnostik, Therapie, Metaphylaxe und Rehabilitation sowie b) in der Einflußnahme auf die Gestaltung hygienischer und gesundheitsfördernder Arbeits- und Lebensbedingungen im Betrieb. Mit dem Betriebsgesundheitswesen werden die Arbeitsinhalte wesentlich beeinflußt und der neue Charakter der Arbeit zur vollen Entfaltung gebracht. — Die Gesundheitserziehung trägt dazu bei, durch bildende, erzieherische und praktische Maßnahmen die Werktätigen zu befähigen, die Bedeutung gesundheitsfördernder Maßnahmen zu erkennen und bei ihrer Durchsetzung aktiv und bewußt mitzuwirken. 12

Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den IX. Parteitag der SED, Berichterstatter: E. Honecker, a. a. 0., S. 79.

335

— Indem das Gesundheits- und Sozialwesen der Reproduktion der Gesundheit und Leistungsfähigkeit dient, vermag es einen bedeutenden Beitrag zur Steigerung des materiellen und geistig-kulturellen Lebensniveaus der Bevölkerung und für die Art und Weise der Befriedigung der wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse zu leisten. Die sozialistische Lebensweise ist mit der Entwicklung solcher Menschen verbunden, die, ohne „Gesundheitsapostel" zu sein, nach Stabilität im Gesundheitszustand als wesentlichen Inhalt ihres Lebens streben. Fünftens: Es wächst der Beitrag des Gesundheits- und Sozialwesens zur Förderung von Familie, Ehe und zur immer besseren Übereinstimmung der Rolle der Frau im Arbeitsprozeß und als Mutter. In dieser Rolle des Gesundheits- und Sozialwesens kommt ein weiteres soziales Wesensmerkmal zum sozialistischen Gesundheitswesen zum Ausdruck. Auf eine Reihe von Fragen wurde vorstehend bereits eingegangen. Unter den vielen Leistungen und Maßnahmen in dieser Richtung sollen hier noch weiterhin genannt werden: Krippen und Heime für Kinder bis zu 3 Jahren sind Einrichtungen des Gesundheitswesens, die es unseren werktätigen Müttern erlauben, ihre Kinder wohlgeborgen unterzubringen. Die Krippen sind entweder Tages- oder Wochenkrippen, so daß die Kinder nur am Tag während der Arbeitszeit oder während der Arbeitswoche in der Krippe, in der übrigen Zeit von der Mutter bzw. von der Familie betreut werden. In Dauerheimen finden Säuglinge und Kleinstkinder Aufnahme, die aus familiären oder sozialen Gründen vorübergehend oder ständig nicht in ihren Familien betreut werden können. Die Anzahl der in diesen Einrichtungen zu betreuenden Kinder ist in den letzten Jahren ständig gesunken (vgl. Tabelle 68). Tabelle 68 Plätze in Kinderkrippen und Dauerheimen Jahr

in Kinderkrippen

in Dauerheimen

1955 1960 1970 1975 1978

50171 81495 166700 234941 261050

9217 10913 7519 5743 4627

Quelle-. Statistisches Jahrbuch der DDR 1979, Berlin 1979, S. 336. Sechstens: Die medizinische Betreuung der Landbevölkerung hat sich der der städtischen Bevölkerung immer weiter angenähert. Die Beseitigung der Rückständigkeit des Gesundheitswesens auf dem Lande als ein Ergebnis der kapitalistischen Entwicklung ist in der D D R von Anfang an in Angriff genommen worden. Damit wurde ein wesentlicher sozialer Prozeß in unserer gesell-

336

schaftlichen Entwicklung durch die Anstrengungen der Landmedizin beeinflußt. Die LPG-Bauern genießen heute die gleichen Rechte in der Gesunderhaltung wie die Arbeiterklasse. Das Netz der Gesundheitseinrichtungen auf dem Lande wurde ständig erhöht, was auswahlsweise durch die Entwicklung der Landambulatorien und Gemeindeschwesternstationen verdeutlicht werden soll (vgl. Tabelle 69). Tabelle 69 Landambulatorien und Gemeindeschwesternstationen Jahr

Landambulatorien

Gemeindeschwesternstationen

1950 1970 1976 1978

136 378 398 409

2620 4717 5146 5199

Quelle: Statistisches J a h r b u c h der D D R 1979, Berlin 1979, S. 332.

Auch in der sozialistischen Landwirtschaft haben sich die Vorteile des Betriebsgesundheitswesens durchgesetzt und es werden hier weitere Anstrengungen gemacht. Siebentens: Die medizinische und soziale Betreuung für die Bürger im höheren Lebensalter ist ein stetes Grundanliegen unseres Gesundheits- und Sozialwesens. Auf dem IX. Parteitag der S E D sagte Erich Honecker: „Dabei verlieren wir nicht aus dem Auge, daß die Deutsche Demokratische Republik das Werk von vielen Generationen ist. An ihrer Entwicklung haben unsere älteren Mitbürger einen großen Anteil. Sie verdienen die besondere Fürsorge unserer sozialistischen Gesellschaft." 13 In unserer Republik sind die Grundsätze und Maßnahmen zur ständigen Verbesserung der medizinischen, sozialen und kulturellen Betreuung der Bürger im höheren Lebensalter und zur Förderung ihrer stärkeren Einbeziehung in das gesellschaftliche Leben fester Bestandteil der Sozialpolitik. Ihre Verwirklichung erfolgt durch angepaßte Gestaltung des Arbeitsplatzes, durch altersadäquaten Wohnraum, verbesserte medizinische Betreuung u. v. a. m. Die Plätze in Einrichtungen des Sozialwesens entwickelten sich in der D D R wie folgt (vgl. Tabelle 70). Das Gesetz über den Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der D D R 1976-80 sieht vor, 30000 Plätze in Heimen und 12000 Plätze in Rentnerwohnhäusern neu zu schaffen. 13

22

Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den I X . Parteitag der S E D , a. a. 0 . , S. 46/47. Manz/Winkler

337

Tabelle 70 Plätze in Einrichtungen des Sozialwesens und in Wohnheimen Jahr

in

1955 1976 1977

Feierabendheimen

Wohnheimen

Pflegeheimen

47948 43111 44451

3409 8686 9791

24114 64484 66015

Quelle: Jahrbuch des Gesundheitswesens der D D R , Berlin 1978, S. 232 ff.

Die Fürsorge für die älteren Bürger ist eine wichtige Verpflichtung nicht nur der Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens, sondern auch der gesellschaftlichen Organisationen. Vor allem die Volkssolidarität trägt dazu bei, durch organisierte Hauswirtschaftspflege und die Versorgung mit warmem Mittagessen allen bedürftigen Bürgern deren Selbständigkeit so lange wie möglich zu erhalten. Von 1971 bis 1976 erhöhte sich die Zahl der geleisteten Hauswirtschaftspflegestunden um fast 18 Mio Stunden auf 25,5 Mio Stunden. Der Pflege- und Sozialdienst des Deutschen Roten Kreuzes der DDR, die Nachbarschaftshilfe und die Veranstaltungen in den Klubs und Treffpunkten der Volkssolidarität haben dazu beigetragen, auch den älteren Bürgern im Wohngebiet ein wachsendes Gefühl der Sicherheit und Umsorgtheit zu geben. Achtens: Die humanistische Funktion des sozialistischen Gesundheitswesens verdeutlicht sich immer mehr in der wachsenden Fürsorge für Geschädigte und in der medizinischen und sozialen Rehabilitation. Im Bericht des Zentralkomitees an den I X . Parteitag der S E D heißt es: „Unser Anliegen ist es, die Fürsorge für behinderte Menschen zu verbessern und die materiellen Voraussetzungen dafür rascher auszubauen, von der medizinischen und sozialen Betreuung über die Pflegeheime bis hin zum geschützten Arbeitsplatz und den Erholungsmöglichkeiten. Diese Bürger haben ein Recht auf weitgehende Einbeziehung in unser gesellschaftliches Leben." 1 4 In dem auf dem IX. Parteitag der S E D beschlossenen Programm der Partei der Arbeiterklasse wird hervorgehoben, daß die Eingliederung physisch und psychisch geschädigter Bürger in das gesellschaftliche Leben vor allem durch geeignete Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, durch komplexe Maßnahmen der Rehabilitation sowie durch medizinische und soziale Betreuung gefördert wird. Gerade die Betreuung und Erziehung physisch und psychisch geschädigter Kinder und Jugendlicher erfordert von den örtlichen Räten viel Initiative und große Anstrengungen, um alle in den Territorien vorhandenen Möglichkeiten auszuschöpfen. In Verwirklichung des Gemeinsamen Beschlusses des ZK der S E D , des Bundesvorstandes des F D G B und des Ministerrates vom " Ebenda, S. 107.

338

27. Mai 1976 würde die Verordnung über die weitere Verbesserung der gesellschaftlichen Unterstützung schwerst- und schwergeschädigter Kinder vom 29. Juli 1976 erlassen. 15 Die Erfassung und Dispensairebetreuung geschädigter Kinder und Jugendlicher wurde in den letzten Jahren weiter verbessert. Im J a h r e 1976 wurden von den orthopädischen Beratungsstellen 4 1 9 0 0 0 Kinder und Jugendliche mit Körperbehinderungen und von den psychiatrischen Beratungsstellen 151000 Kinder und Jugendliche mit geistigen Störungen betreut bzw. bei drohenden Schäden beobachtet. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Früherfassung der Kinder, da sie bessere Rehabilitationserfolge garantiert. Für geistig schwerbehinderte Kinder, die nicht schulbildungsfähig, aber förderungsfähig sind, standen 1976 10452 Plätze in Förderungseinrichtungen zur Verfügung. Im Schuljahr 1975/76 wurden in 588 Sonderschulen und 63 Sonderschulklassen insgesamt 8 7 5 3 6 Schüler betreut, für die auf diese Weise das Recht auf Bildung verwirklicht wird. Das in der Verfassung der D D R garantierte Recht auf Arbeit konnte in zunehmendem Maße auch für Schwerstgeschädigte realisiert werden. Die Anordnung zur Sicherung des Rechts auf Arbeit für Rehabilitanden vom 26. August 1969 definiert die geschützte Arbeit als eine von physisch schwerst- oder psychisch schwergeschädigten Menschen in einem besonders ausgestalteten Arbeitsrechtsverhältnis unter spezifischen Bedingungen ausgeübte Tätigkeit. Im Jahre 1976 standen 2 3 5 3 Arbeitsplätze in geschützten Werkstätten des Gesundheits- und Sozialwesens und 4057 Arbeitsplätze in geschützten Abteilungen von Betrieben zur Verfügung. 15677 Behinderte arbeiteten auf geschützten Einzelarbeitsplätzen. Die Ferien- und Erholungsmöglichkeiten für geschädigte Menschen und ihre Familien wurden verbessert; ebenso die Wohnbedingungen für schwerstbehinderte Bürger, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Für sie alle wurden damit wesentliche Voraussetzungen zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und zu einem sinnerfüllten Leben geschaffen.

11.4.

Der Gesundheits- und Arbeitsschutz in den

Betrieben

Sozialistische Arbeitsbedingungen und der Gesundheitsschutz und Arbeitsschutz sind wichtige Bestandteile der Bedürfnisse und Interessen der Arbeiterklasse, weil gesundheitserhaltende, unfallfreie sozialistische Arbeitsbedingungen eine wichtige Seite im Leben der Arbeiter und ihrer Familien sowie fester Bestandteil ihrer neuen Lebensweise und Persönlichkeitsentwicklung sind. Auf dem I X . Parteitag der S E D wurde hervorgehoben: „Die Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ist vor allem mit der Verhütung von Arbeitsunfällen sowie mit der Lärm- und Schadstoffbekämpfung zu ver« Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 33/1976, S. 411. 22*

339

binden . . . . Der Gesundheits- und Arbeitsschutz in den Betrieben ist weiter durchzusetzen, damit schrittweise gesundheitsgefährdende und körperlich schwere Arbeit eingeschränkt sowie arbeitssichere und erschwernisfreie Arbeitsmittel und Arbeitsverfahren entwickelt werden. Mit der weiteren Mechanisierung der Transport-, Umschlag- und Lagerprozesse sind die Unfallgefahren zurückzudrängen. Die gesetzlichen Tragenormen für Frauen und Jugendliche sind sowohl durch die arbeitsschutzgerechte Gestaltung der Transporttechnologien als auch durch entsprechende Verpackungsgrößen und -gewichte, vor allem im Handel und Dienstleistungsbereich, konsequent einzuhalten und anzuwenden." 16 Es heißt weiterhin: „Die Organe der Hygiene- und Arbeitshygieneinspektion haben ihre Arbeit insbesondere auf die Zurückdrängung von Infektionskrankheiten sowie berufsbedingten Erkrankungen zu konzentrieren und ihre Beratung und Kontrolle über die Einhaltung hygienischer und arbeitshygienischer Normative zu verstärken." 17 Damit wurde deutlich, daß der Gesundheits- und Arbeitsschutz der Werktätigen ein gesamtgesellschaftliches Anliegen ist und ihm bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft umfassende Aufgaben gestellt sind. In Verwirklichung der Beschlüsse des I X . Parteitages wurden deshalb auch die Ziele, Aufgaben und Verantwortungen für den Gesundheitsund Arbeitsschutz weiter präzisiert. Das fand vor allem seinen Niederschlag im sozialpolitischen Programm von Partei, Staat und Gewerkschaften, im Arbeitsgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik und der Verordnung über das Betriebsgesundheitswesen und die Arbeitshygieneinspektion. Nach dem Arbeitsgesetzbuch ist jeder Betrieb verpflichtet, so heißt es im Kapitel 10, den Schutz der Gesundheit und der Arbeitskraft der Werktätigen vor allem durch die Gestaltung und Erhaltung sicherer, erschwernisfreier sowie die Gesundheit und Leistungsfähigkeit fördernder Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Die Betriebsleiter und die leitenden Mitarbeiter sind verpflichtet, die Erfordernisse des Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie Brandschutzes als Bestandteil der Leitung und Planung des Reproduktionsprozesses zu verwirklichen. Dabei haben sie die aktive Mitwirkung der Werktätigen zu fördern, die ein wachsendes Interesse an der Vervollkommnung des Gesundheitsund Arbeitsschutzes haben. So waren zum Beispiel im Jahre 1976 241356 Arbeitsschutzobleute als Mitglieder des F D G B ehrenamtlich tätig. Über 100000 Arbeitsschutzfunktionäre arbeiten in den Betriebs- und Abteilungsgewerkschaftsleitungen und ihren Arbeitsschutzkommissionen. Umfassend entwickelte sich die gewerkschaftliche Kontrolle über die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen. Der Einfluß der Arbeiterklasse bei der weiteren Verbesserung des Arbeitsschutzes hat sich ständig erhöht. Den betrieblichen GewerkschaftsDirektive des I X . Parteitages der S E D zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der D D R in den Jahren 1976 bis 1980, Berlin 1976, S. 99. 17 Ebenda, S. 109/110.

16

340

leitungen, den ehrenamtlichen Arbeitsschutzinspektoren, den Arbeitsschutzkommissionen und den Arbeitsschutzobleuten ist heute das Recht übertragen, Arbeitsmittel, Arbeitsverfahren und Arbeitsstätten zur Verwirklichung des Gesundheits- und Arbeitsschutzes zu überprüfen. Sie können Ermittlungen und Untersuchungen über Ursachen von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten, sonstigen arbeitsbedingten Erkrankungen und Arbeitserschwernissen durchführen und die Beseitigung von Mängeln fordern. Weiterhin sind sie berechtigt, zu Projekten für neue oder zu rekonstruierende Arbeitsmittel und Arbeitsstätten Erläuterungen zu verlangen, Stellung zu nehmen, die Gewährleistung des Gesundheits- und Arbeitsschutzes zu fordern und Vorschläge zu einer weiteren Verbesserung zu unterbreiten. Die Vervollkommnung des Gesundheits- und Arbeitsschutzes in den Betrieben verlangt, Arbeitsmittel, Arbeitsverfahren und Arbeitsstätten so zu entwickeln, zu projektieren, zu konstruieren, herzustellen, zu errichten, in Betrieb zu nehmen, zu unterhalten und instand zu setzen, daß die geforderte Arbeitssicherheit gewährleistet ist. Das bedingt eine zielstrebige Leitungs- und Planungstätigkeit aller beteiligten betrieblichen und staatlichen Organe, die enge Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft. Gefahrlose, erschwernisfreie und gesunderhaltende Arbeitsbedingungen können eine außerordentlich produktivitätsfördernde Wirkung haben. Sie sind daher Gegenstand der sozialistischen Rationalisierung und der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation, Bestandteil des sozialistischen Wettbewerbes, der Neuerertätigkeit und der MMM-Bewegung. In den Betrieben sind zur Wahrnehmung von Aufgaben auf dem Gebiet des Gesundheits- und Arbeitsschutzes Sicherheitsinspektoren einzusetzen oder Sicherheitsinspektionen bzw. andere Organe zu bilden, die den Betriebsleiter bei der Erfüllung seiner Aufgaben im Gesundheitsund Arbeitsschutz unterstützen und ihm direkt unterstellt sind. Den Werktätigen sind durch den Betrieb die erforderlichen Körperschutzmittel kostenlos zur Verfügung zu stellen. Der Betrieb hat die ständige Verwendungsfähigkeit und den bestimmungsgemäßen Einsatz der Körperschutzmittel zu sichern. Um den Gesundheits- und Arbeitsschutz in hoher Verantwortung und guter Qualität durchführen zu können, werden den Werktätigen durch die Betriebe die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt. Die leitenden Mitarbeiter sind zur Durchsetzung des Gesundheits- und Arbeitsschutzes sowie Brandschutzes und zur Förderung der gesunden Lebensweise in ihren Verantwortungsbereichen zu befähigen. Ihre ständige Weiterbildung ist zu gewährleisten. Der Gesundheitsschutz der Werktätigen ist heute als ein Ergebnis der dauerhaft stabilen Entwicklung auf diesem Gebiet nunmehr umfassend geregelt: — In der Verfassung der DDR und im Arbeitsgesetzbuch sind die Grundsätze verankert. — Die Arbeitsschutzverordnung (ASVO vom 1. 1. 1978) regelt die Aufgaben der Betriebe und wirtschaftsleitenden Organe auf diesem Gebiet. 341

— Die Verordnung über das Betriebsgesundheitswesen und die Arbeitshygieneinspektion (Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 4/1978) regelt die Aufgaben, Rechte und Pflichten des Gesundheitswesens beim Gesundheitsschutz der Werktätigen. Im Rahmen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes in den Betrieben haben das Betriebsgesundheitswesen und die Arbeitshygieneinspektion als staatliches Inspektionsorgan eine besonders hohe Verantwortung zu tragen. Mit der Entwicklung des Betriebsgesundheitswesens wurde in der Deutschen Demokratischen Republik in Nutzung der großen Erfahrungen der U d S S R die medizinische Betreuung näher an die Produktionsstätten gebracht. Die gesundheitspolitische Orientierung bestand von Anfang an darin, den Arbeitern unmittelbar in ihrem Arbeitsbereich eine bevorzugte, qualifizierte ärztliche Betreuung zu gewähren, weil sie besonderen Gesundheitsgefährdungen ausgesetzt sind und ihnen in der kapitalistischen Ordnung die Errungenschaften der Medizin größtenteils vorenthalten wurden. Der Befehl Nr. 234 der damaligen SMAD wurde zur Geburtsurkunde unseres Betriebsgesundheitswesens. Seitdem hat sich die betriebsärztliche Betreuung der Werktätigen ständig vervollkommnet, ist fester Bestandteil des Gesundheitsschutzes und der medizinischen Betreuung für die Gesamtbevölkerung. Derzeitig werden 65% aller Werktätigen betriebsärztlich betreut. Überdies wurden etwa 1,6 Millionen Werktätige in Klein- und Mittelbetrieben der Industrie und Landwirtschaft arbeitsmedizinisch betreut. Anfang 1978 gab es in der DDR mehr als 3700 Einrichtungen des Betriebsgesundheitswesens, darunter 112 Betriebspolikliniken, 306 Betriebsambulatorien und 2084 Arztsanitätsstellen. Jährlich werden rund 1200 Investitions- und Rationalisierungsvorhaben arbeitshygienisch begutachtet. Das Betriebsgesundheitswesen ist heute weit mehr als eine in den Betrieb verlagerte ambulante medizinische Betreuung. Es ist eine spezifische Institution des staatlichen Gesundheitswesens, die von den Erfordernissen ausgeht, unmittelbar in den Arbeitsstätten Einfluß auf die Verhütung von Krankheiten und die zielgerichtete Zurückdrängung von Gesundheitsgefährdungen im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozeß zu nehmen. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt, verbunden mit der Intensivierung, der Automatisierung und Mechanisierung der Arbeit, stellt neue Anforderungen an den Gesundheitszustand der Werktätigen. Alles das verlangt von der Wissenschaft und Praxis besondere Aufmerksamkeit für die Verhütung schädlicher Einwirkungen der Produktion auf den Organismus des Menschen, die Suche nach neuen Formen zu ihrer Vorbeugung und zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Werktätigen. Arbeitsmedizinische Forschung und Praxis, hygienisch-epidemiologische wie auch klinische Arbeit erhalten neue Aufgaben. Das Betriebsgesundheitswesen verwirklicht damit seine Aufgaben in der Einheil von Prophylaxe, Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe mit dem wachsenden Gewicht der Prophylaxe. Die Organisation des Betriebsgesundheitswesens in den sozialistischen Ländern ist nach der Resolution der 16. Konferenz der Minister für Gesundheitswesen durch folgende Grundsätze charakterisiert: 342

„• Systematische Kontrolle der Einhaltung der arbeitshygienischen Normen und Arbeitsschutzbestimmungen in den Betrieben; • Untersuchung der Ursachen des allgemeinen und arbeitsbedingten Krankenstandes, der Unfälle und der Invalidität, Ausarbeitung und Durchführung von Maßnahmen zur gesundheitsfördernden Gestaltung der Arbeitsbedingungen und Senkung des Krankenstandes sowie zur Verhütung von Unfällen und Invalidität gemeinsam m i t den staatlichen Leitungen, den Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Organisationen; • Organisation und Durchführung prophylaktischer Untersuchungen; • Dispensairebetreuung bestimmter gesunder und kranker Personengruppen und ständige Erweiterung des Umfangs der Dispensairebetreuung, Ausarbeitung und Durchführung therapeutischer und gesundheitsfördernder Maßnahmen im Prozeß der Dispensairebetreuung; • Sicherung einer hochqualifizierten spezialisierten medizinischen Betreuung der Arbeiter und deren Heranführung an den Arbeitsplatz; • Durchführung komplexer Maßnahmen für die Rehabilitation von Kranken und Invaliden; • Anleitung der Hygieneaktive der Betriebe und Durchführung einer breit angelegten Gesundheitserziehung." 1 8 Wichtige inhaltliche Vorhaben bis 1980, die zur Erhöhung der Qualität der betriebsärztlichen Betreuung führen, sind in dem Maßnahmeplan für die Durchführung der Aufgaben bei der weiteren Gestaltung des Gesundheitswesens bis 1980 enthalten. Darin heißt es: „Der Gesundheitsschutz der Werktätigen, insbesondere der Produktionsarbeiter, ist mit den vorhandenen Kräften weiter qualitativ zu vervollkommnen. Dazu ist erforderlich, — die betriebsärztliche Betreuung stärker auf Produktionsarbeiter, Arbeiter im Schichtbetrieb und Arbeiter, die noch unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen oder schwer körperlich tätig sind, zu konzentrieren; — die Berufskrankheiten weiter zurückzudrängen, ihre Diagnostik, Behandlung und Begutachtung zu verbessern und bis 1980 an den Medizinischen Bereichen der Universitäten Greifswald und Halle sowie in den Bezirken Frankfurt (Oder), Karl-Marx-Stadt und Suhl interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaften für Berufspathologie zu schaffen; — die arbeitsmedizinischen Einstellungs- und Überwachungsuntersuchungen in einzelnen Industriezweigen und Betrieben verschiedener Größen in den J a h r e n 1976 bis 1978 für ausgewählte Gruppen von Werktätigen weiter zu qualifizieren und die gewonnenen Erfahrungen bis 1980 zu verallgemeinern; 18

Die Aufgaben des Betriebsgesundheitswesens in den sozialistischen Ländern. Resolution der XVI. Konferenz der Minister für Gesundheitswesen, in: humanitas, 21/1975, S. 6.

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— als B e i t r a g zur Verbesserung der arbeitshygienischen Bedingungen entsprechend den gesetzlichen Regelungen die Einflußnahme der Arbeitshygieneinspektionen durch gezielte B e r a t u n g u n d Kontrolle von rund 4000 Investitionsund Rationalisierungsvorhaben, beginnend bei der Projektvorbereitung, zu erhöhen." 1 9 Diese A u f g a b e n zu erfüllen und auf der Grundlage der Verordnung über d a s Betriebsgesundheitswesen und die Arbeitshygieneinspektion den Gesundheitsschutz der Arbeiterklasse und aller Werktätigen wirksamer zu gestalten, ist ein bedeutender gesellschaftlicher A u f t r a g , der dem humanistischen Anliegen unseres sozialistischen Arbeiter-und-Bauern-Staates entspricht. In der Deutschen Demokratischen Republik ist die Tätigkeit des Betriebsgesundheitswesens und der Arbeitshygieneinspektionen durch eine Verordnung vom 11. 1. 1978 (Gesetzblatt der D D R , Teil I, Nr. 4) geregelt. Die Einrichtungen des Betriebsgesundheitswesens und der Arbeitshygieneinspektion bilden bei der Verwirklichung des Gesundheitsschutzes der Werktätigen eine Einheit. Dabei wird davon ausgegangen, daß das Gesundheitswesen zwei wichtige Möglichkeiten der Einflußnahme auf den Gesundheitszustand der Werktätigen hat. Dies sind in ihrer Einheit — die komplexe betriebsärztliche Betreuung der Werktätigen in den Betrieben und — die Mitwirkung bei der Verbesserung der materiellen Arbeitsbedingungen. E s sorgen sich mehr als 2100 haupt- und 1800 nebenberuflich tätige Betriebsärzte u m rund 5,3 Millionen Werktätige. J e d e r 10. Beschäftigte in unserer Republik wurde im J a h r e 1976 bereits prophylaktisch oder im Dispensaire betreut. Die Zahl der F a c h ä r z t e für Arbeitshygiene h a t sich ständig erhöht. Sie werden von etwa 4 5 0 0 0 0 Arbeitsschutzobleuten und Bevollmächtigten für Sozialversicherung der Gewerkschaften nachhaltig unterstützt. Die ehrenamtlichen K r ä f t e sind gemeinsam mit den Ärzten verantwortlich für den Gesundheits- und Arbeitsschutz in der gesamten Volkswirtschaft. Gerade im Betriebsgesundheitswesen besteht eine interdisziplinäre enge Zusammenarbeit. Arzte, Werkleiter, Arbeiter, Techniker, Arbeitsschutzinspektoren and ehrenamtlich tätige Gewerkschaftsfunktionäre sorgen sich u m eine rationelle physiologische, hygienische und technisch sichere Gestaltung der Arbeit und ihrer Bedingungen. Der Erfolg der gemeinsamen Bemühungen von Ärzten, Arbeitsschutzfachleuten, Gewerkschafts- und Wirtschaftsfunktionären sowie Forschern und Praktikern aus verschiedensten Disziplinen drückt sich z. B . darin aus, d a ß im Zeitraum 1971—1976 für etwa 3 0 % aller Produktionsarbeiter die körperlich schwere Arbeit vermindert werden konnte. E s wurden in den letzten J a h r e n einige 100000 Arbeitsplätze in der Industrie und im Bauwesen neu- oder umgestaltet, die Unfallhäufigkeit wurde gesenkt, die betriebsärztlichen Vorsorgeuntei suchungen erhöht. 19

H. Kreibich, P. Hybsier, Den gewachsenen Aufgaben angepaßt eine neue Etappe des Gesundheitsschutzes der Werktätigen in der DDR, in: humanitas, 14/1978.

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Die Arbeitsmedizin, insbesondere die Arbeitshygiene, steht an der Nahtstelle zwischen Gesundheitswesen und Produktion. Entwicklung und Aufgaben des Betriebsgesundheitswesens und das fachliche Profil der Betriebsärzte stehen deshalb naturgemäß in einem engen Zusammenhang. Mit dem Betriebsarzt entstand in unmittelbarem Kontakt zu den werktätigen Menschen ein neuer Typ des Arztes: ein Arzt, wie ihn die sozialistische Gesellschaft braucht, der seine Patienten in gesunden und kranken Tagen auf hohem Niveau medizinisch behandelt, der ihren gesundheitlichen Zustand unter Berücksichtigung der Umweltfaktoren, besonders der Arbeitsumwelt, überwacht und der auf der Grundlage seiner arbeitshygienischen Kenntnisse und Erfahrungen begründete Vorschläge zur Verhütung von Krankheiten und zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen unterbreitet. In ihren Bemühungen, die vielfältigen Aufgaben zu erfüllen, wurden die Mitarbeiter des Betriebsgesundheitswesens angeleitet und unterstützt durch die Arbeitshygieneinspektion der Räte der Bezirke und Kreise. Diese sind für die Anleitung und Kontrolle bei der Verwirklichung der Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Arbeitshygiene und der arbeitsmedizinischen Betreuung in allen gesellschaftlichen Bereichen verantwortlich. Die Arbeitshygieneinspektionen werden im Gesundheitsschutz der Werktätigen weiterhin wirksam durch die fachliche Beratung und durch die Kontrolle der Betriebe und wirtschaftsleitenden Organe bei der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie bei der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen, Grundsätze und Normative auf dem Gebiet der Arbeitshygiene.

345

12.

Die Sozialversicherung

12.1.

Die Sozialversicherung

12.1.1.

Die Sozialversicherung rung in der DDR

— Bestandteil

des Systems sozialer

des FDGB — Kernstück

der

Sicherheit

Sozialversiche-

Die sozialistische Sozialversicherung ist eine bedeutende politische wie auch soziale Errungenschaft der Arbeiterklasse und aller Werktätigen in der DDR. Sie ist Mittel und untrennbarer Bestandteil der Sozialpolitik des sozialistischen Staates, die dieser auf der Basis gleicher Klasseninteressen mit dem Ziel der immer besseren Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen des Volkes realisiert. Auf dem 9. Kongreß des FDGB stellte der Vorsitzende des Bundesvorstandes, Gen. Harry Tisch, im Bericht an den Kongreß fest: „Die von den Gewerkschaften geleitete Sozialversicherung gehört zu den großen politischen Errungenschaften der Werktätigen unseres Landes. Vor dreißig Jahren geschaffen, ist sie heute wichtiger Garant der sozialen Sicherheit für die Arbeiter und Angestellten in der DDR." 1 Die Sozialversicherung beruht auf den sozialistischen Produktionsverhältnissen und entwickelt sich in der DDR kontinuierlich — unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei und der Gewerkschaften, — frei von Antagonismen und damit krisen- und störungsfrei, — in prinzipieller Übereinstimmung von gesellschaftlichen Erfordernissen und persönlichen Interessen, — im Rahmen der zentralen staatlichen Leitung und Planung als Teil der sozialpolitischen Maßnahmen der Gesellschaft, — in Abhängigkeit und in Übereinstimmung mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung und insbesondere der des Nationaleinkommens. Die Partei der Arbeiterklasse und die Gewerkschaften haben von Beginn der gesellschaftlichen Umgestaltung an der Entwicklung der Sozialversicherung große Aufmerksamkeit geschenkt. Sie konnten dabei die reichen Erfahrungen der Sowjetunion nutzen, welche uneigennützig zur Verfügung gestellt worden sind. Gestützt auf die jahrzehntelangen Forderungen der Arbeiterklasse und ihrer Gewerkschaften nach einheitlichen Versicherungsträgern und realer Selbstverwaltung, wurde bereits im Aufruf des vorbereitenden Ausschusses zur Gründung des FDGB am 15. 6. 1945 die Aufgabe gestellt, beim Wiederaufbau der Wirtschaft und der Sozialversicherung mitzuarbeiten und das demokratische 1

Bericht des Bundesvorstandes des FDGB an den 9. FDGB-Kongreß, Berichterstatter: H. Tisch, in: Dokumente. 9. FDGB-Kongreß, Berlin 1977, S. 3 3 / 3 4 .

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Mitbestimmungsrecht der Arbeiter und Angestellten zu sichern. Auf dem Vereinigungsparteitag am 21. 4. 1946 legte die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands in ihren Grundsätzen und Zielen den Aufbau einer einheitlichen Sozialversicherung unter Einbeziehung aller Werktätigen fest, und die am 30. Dezember 1946 durch die SED beschlossenen „Sozialpolitischen Richtlinien" enthielten das Programm für den Aufbau einer wirklichen Arbeiterversicherung. Dieses Programm wurde in den Folgejahren zielstrebig verwirklicht. Mit dem Erlaß des Befehles 28 der SMAD vom 28. Januar 1947 über die Einführung eines einheitlichen Systems von Maßnahmen zur „Verbesserung der Sozialversicherung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands" wurden dafür die gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Der Befehl 28 ist die Geburtsurkunde der Sozialversicherung der DDR. Mit der Gründung der DDR wurden die Aufgaben der Sozialversicherung im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der Grundrechte der Bürger verfassungsrechtlich geregelt. In der gegenwärtig gültigen Fassung der Verfassung der DDR ist der Inhalt mehrerer Artikel für die Sozialversicherung von elementarer Bedeutung. Das in der Verfassung angeführte soziale Versicherungssystem wird durch die Sozialversicherung in der DDR verkörpert, deren Kernstück die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten ist. Hierzu wird im Artikel 45 Absatz 3 ausgeführt: „Die Gewerkschaften leiten die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten auf der Grundlage der Selbstverwaltung der Versicherten. Sic nehmen an der umfassenden materiellen und finanziellen Versorgung und Betreuung der Bürger bei Krankheit, Arbeitsunfall, Invalidität und im Alter teil." 2 Dieser entscheidende Schritt zur Neugestaltung der Sozialversicherung der DDR wurde im Jahre 1956 vollzogen. Die Regierung der DDR entsprach der Forderung des 4. FDGB-Kongresses, den gewählten Organen der Gewerkschaften die gesamte politische, organisatorische und finanzielle Leitung der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten zu übertragen. Damit wurde die Sozialversicherung des FDGB zum Kernstück der Sozialversicherung in der DDR. Von ihr werden heute rund 14 Millionen Bürger betreut, das sind etwa 85% der Bevölkerung der DDR. Die Mitglieder sozialistischer Produktionsgenossenschaften, Handwerker und selbständige Erwerbstätige werden von der Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung der DDR betreut. Auf der Grundlage der Verfassung erfolgt im neuen Gesetzbuch der Arbeit der DDR eine Definition der Aufgabenkreise der Sozialversicherung, die deren gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungsstand in der DDR reflektiert und gleichzeitig die Zielrichtung ihrer weiteren Entwicklung bestimmt. „Die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten ist ein wichtiger 2

Verfassung der DDR vom 6. 4. 1968 in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der DDR vom 7. 10. 1974, Berlin 1974, S. 32, 33, 38.

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Bestandteil sozialistischer Sozialpolitik. Sie gewährt als Pflicht- und freiwillige Versicherung Sach- und Geldleistungen bei Krankheit, Arbeitsunfall, Mutterschaft sowie Rentenleistungen bei Invalidität, Arbeitsunfall, im Alter und für Hinterbliebene mit dem Ziel, die Werktätigen, Rentner und deren Familienangehörige umfassend sozial zu betreuen." 3 In einem Beschluß des Präsidiums des Bundesvorstandes des F D G B über die Grundsätze der Leitung der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten durch die Gewerkschaften 4 werden u. a. auch die Aufgaben der Sozialversicherungen im einzelnen fixiert. Das sind: 1. Förderung von sozialistischen Denk- und Verhaltensweisen der Werktätigen, besonders des verantwortungsbewußten Verhaltens zu ihrer Sozialversicherung sowie der Unterstützung der Gesundheitsaufklärung und -erziehung; 2. Sicherung der Leistungsgewährung bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit, Arbeitsunfall und Berufskrankheit sowie der sozialen Betreuung der betroffenen Werktätigen, der Förderung von Maßnahmen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes und zur Senkung des Kranken- und Unfallstandes; 3. Gewährung von Leistungen im Falle der Mutterschaft und Förderung der sozialen und medizinischen Betreuung von Mutter und Kind; 4. Gewährung von Kuren unter Berücksichtigung sozialer und medizinischer Erfordernisse zur Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Werktätigen; 5. Sicherung von Rentenleistungen im Alter, bei Invalidität, Arbeitsunfällen und gleichgestellten Unfällen sowie bei Berufskrankheiten, Förderung von Maßnahmen der Rehabilitation, Unterstützung der sozialen Betreuung der Veteranen; 6. Gewährung einer unentgeltlichen medizinischen Versorgung in Einrichtungen des Gesundheitswesens; 7. Gewährleistung der Versorgung der Versicherten mit Arzneien sowie Heilund Hilfsmitteln und die Förderung des Verantwortungsbewußtseins der Werktätigen zum sparsamen und pfleglichen Umgang mit diesen Mitteln. Die Sozialversicherung ist Teil der Sozialpolitik des sozialistischen Staates und damit Teil der Maßnahmen der Gesellschaft, die Hauptaufgabe durchzusetzen. Deren beständige Fortsetzung auf höherem Niveau schließt die Kontinuität in der Entwicklung der Sozialversicherung und die Verbesserung ihrer Gestaltung und Leistungen in den Planungszeiträumen 1976 bis 1985 ein. Die Sozialversicherungspolitik in der DDR ist auf die Erhaltung bzw. Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der Werktätigen und die Herausbildung einer so3

4

Arbeitsgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. J u n i 1977 (Gesetzblatt der D D R , Teil I, Nr. 18, S. 185), Berlin 1977. Vgl. Grundsätze der Leitung der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten durch die Gewerkschaften, Beschluß des Präsidiums des Bundesvorstandes des F D G B vom 14. April 1978, in: Sozialversicherung —Arbeitsschutz, 4/1978, Zeitschrift des F D G B , 24. Jahrgang.

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zialistischen Lebensweise und sozialistischer Persönlichkeiten gerichtet. Sie fördert die umfassende Reproduktion der Menschen und nimmt Einfluß auf die Sicherung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens. Die Sozialversicherungspolitik orientiert auf und unterstützt die Motivierung der Werktätigen zu hohen Arbeitsleistungen, die Erhöhung der Effektivität der gesellschaftlichen Arbeit und die Freisetzung von Triebkräften für die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Es gehört zu ihren Zielen, die sozialen Unterschiede der Klassen und Schichten planmäßig zu mindern und die Herausbildung und Festigung der politisch-moralischen Einheit des Volkes zu fördern. Ihr Anliegen besteht schließlich darin, das Gesetz der Verteilung nach der Arbeitsleistung noch wirksamer durchzusetzen. Wesentliche Aufgaben erfüllt die Sozialversicherung über die Finanzierung sozialer, gesellschaftlich bestimmter Prozesse. Ein charakteristisches Merkmal der sozialistischen Sozialversicherung ist jedoch, daß durch sie in ständig steigendem Maße aktiv Einfluß auf die soziale Betreuung der Bürger ausgeübt wird. So z. B. auf — die Betreuung der erkrankten Werktätigen und ihre Unterstützung bei der Wahrnehmung der Möglichkeiten zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit; — die rechtzeitige Bereitstellung von Heil- und Hilfsmitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Bürger; — die Einhaltung ärztlicher Behandlungsvorschriften und die zweckgebundene Verwendung der Heil- und Hilfsmittel; — die Vergabe von Kurplätzen vor allem an Schichtarbeiter, Frauen mit mehreren Kindern und an Werktätige, die unter erschwerten Bedingungen arbeiten; — die Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in den Betrieben; — die Senkung des Kranken- und Unfallstandes und die Vergabe von Schonarbeitsplätzen in den Betrieben; — eine Verbesserung der Betreuung der Bürger im hohen Alter, und zwar in Gemeinschaftsarbeit mit den zuständigen staatlichen Organen und gesellschaftlichen Organisationen; — die Unterstützung der Eingliederung physisch und psychisch geschädigter Bürger in das gesellschaftliche Leben durch Schaffung geeigneter Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Diese spezifischen Betreuungsaufgaben einer sozialistischen Sozialversicherung schaffen wesentliche Voraussetzungen, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen zu verbessern und dadurch deren Lebensniveau zu heben. Besonders eine aktive soziale Betreuung der Versicherten ist das Kriterium für eine höhere Qualität der Arbeit der Sozialversicherung. 5 Die Gestaltung und Entwicklung der Sozialversicherung in der D D R vollzieht sich in einem dynamischen Prozeß. Im Sinne der gesellschaftlichen strategischen Orientierung geht es um die immer umfassendere Befriedigung der Bedürfnisse Vgl . G. Thude/H. Püschel, ABC der Sozialversicherung, Berlin 1976, S. 6. 349

der Versicherten. A u s g a n g s p u n k t dieser E i n s c h ä t z u n g u n d Zielstellung ist d e r erreichte E n t w i c k l u n g s s t a n d . So sind die Leistungen der Sozialversicherung in d e r D D R g e g e n w ä r t i g z w a r im P r i n z i p u m f a s s e n d gestaltet, in b e s t i m m t e n F ä l l e n sind sie j e d o c h n i c h t n u r a n die B e d ü r f n i s s e der W e r k t ä t i g e n g e b u n d e n , s o n d e r n a u c h a n die historisch b e g r e n z t e n Möglichkeiten ihrer B e f r i e d i g u n g . D a r a u s ergibt sich f ü r die Gesellschaft die V e r p f l i c h t u n g , in d e r Z u k u n f t ihre W i r k s a m k e i t zu erhöhen. E n t s p r e c h e n d d e m in den einzelnen A u f g a b e n b e r e i c h e n e r r e i c h t e n N i v e a u ist die E n t w i c k l u n g p l a n m ä ß i g differenziert zu g e s t a l t e n . F ü r die G e s t a l t u n g d e r Sozialversicherung, ihres W i r k u n g s b e r e i c h e s , i h r e r Organisation u n d L e i t u n g h a t Lenin g r u n d s ä t z l i c h e G e d a n k e n in A u s e i n a n d e r setzungen m i t Vorstellungen d e r im K a p i t a l i s m u s h e r r s c h e n d e n Klasse a u s g e a r b e i t e t , die auch f ü r die Sozialversicherung i m Sozialismus v o n e l e m e n t a r e r B e d e u t u n g sind u n d wesentliche A n r e g u n g e n f ü r ihre A u s n u t z u n g d u r c h die sozialistische Gesellschaft v e r m i t t e l n . Lenin e n t w i c k e l t e folgende G r u n d s ä t z e f ü r d e n A u f b a u einer Arbeiterversicher u n g : ,,a) sie m u ß die A r b e i t e r sicherstellen f ü r alle Fälle des Verlustes d e r A r b e i t s f ä h i g k e i t (Unfall, K r a n k h e i t , Alter, I n v a l i d i t ä t ; f ü r A r b e i t e r i n n e n a u ß e r d e m S c h w a n g e r s c h a f t u n d G e b u r t ; Versorgung v o n W i t w e n u n d Waisen n a c h d e m Tod des E r n ä h r e r s ) oder f ü r den Fall, d a ß sie infolge v o n Arbeitslosigkeit des Lohnes verlustig g e h e n ; b) die Versicherung m u ß alle in L o h n a r b e i t s t e h e n d e n Personen u n d ihre Familien u m f a s s e n ; c) alle Versicherten m ü s s e n e n t s c h ä d i g t werden n a c h d e m P r i n z i p der V e r g ü t u n g des vollen Lohnes, wobei alle A u s g a b e n f ü r die Versicherten auf die U n t e r n e h m e r u n d d e n S t a a t entfallen m ü s s e n ; d) alle Arten v o n Versicherung müssen von einheitlichen Versicherungsorganisationen v e r w a l t e t werden, die n a c h territorialem T y p u n d auf d e m P r i n z i p der völligen S e l b s t v e r w a l t u n g d u r c h die Versicherten a u f z u b a u e n s i n d . " 6 I m Sozialismus h a b e n die Arbeiterklasse, ihre marxistisch-leninistische P a r t e i u n d ihre G e w e r k s c h a f t e n der Sozialversicherung die aus d e m K a p i t a l i s m u s result i e r e n d e n , ihren A n t a g o n i s m u s p r ä g e n d e n Züge g e n o m m e n , die positiven ü b e r n o m m e n u n d e n t s p r e c h e n d den sich v e r ä n d e r n d e n gesellschaftlichen Verhältnissen u m g e s t a l t e t u n d weiterentwickelt. G r u n d s ä t z l i c h w u r d e n d a b e i die H a u p t r i c h t u n g e n u n d Generallinien der Leninschen Versicherungsprinzipien a u c h f ü r die sozialistische Gesellschaft b e r ü c k sichtigt. I h r e A n w e n d u n g u n d A u s n u t z u n g erfolgt jedoch in d e n L ä n d e r n d e r sozialistischen S t a a t e n g e m e i n s c h a f t modifiziert, je n a c h d e n teilweise u n t e r schiedlichen k o n k r e t - h i s t o r i s c h e n B e d i n g u n g e n . Besonders spielen d a b e i d e r ökonomische E n t w i c k l u n g s s t a n d des L a n d e s , die gesellschaftlichen Verteilungss t r u k t u r e n u n d traditionell gewachsenen E r f a h r u n g e n d e r Arbeiterklasse m i t ihrer Sozialversicherung eine Rolle. A u c h in d e r D D R werden die L e n i n s c h e n Versicherungsprinzipien bei d e r Aus6

W. I. Lenin, VI. (Prager) Gesamtrussische Konferenz der SDADR, Januar 1912, in: Werke, Bd. 17, Berlin 1963, S. 467 bis 468.

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nutzung, Gestaltung und Entwicklung einer sozialistischen Sozialversicherung unter Beachtung der jeweiligen historischen, insbesondere politischen und ökonomischen Entwicklungsbedingungen schöpferisch zugrunde gelegt. Es werden dabei auch die Hinweise von Marx, die von Bedeutung für die Gestaltung der Sozialversicherung sind und die er im Zusammenhang mit der Kritik des Gothaer Programms äußerte, beachtet. 7 Die Überlegungen von Marx und Lenin finden ihren Niederschlag in den Grundsätzen, nach denen die Arbeiterklasse, ihre marxistisch-leninistische Partei und Gewerkschaften die Sozialversicherungspolitik durchsetzen. In ihnen zeigen sich die wesentlichsten Seiten, Zusammenhänge und Abhängigkeiten der Sozialversicherung unter Berücksichtigung der erreichten gesellschaftlichen Entwicklungsetappe. Sie berücksichtigen die historisch gewachsenen gesellschaftlichen Erfordernisse und individuellen Interessen und beinhalten das Streben, deren ständige Übereinstimmung zu sichern. Sie sind vor allem geprägt durch die allgemeinen Grundsätze, von denen sich der sozialistische Staat bei der Realisierung der Sozialpolitik leiten läßt. Solche Grundsätze der Gestaltung der Sozialversicherung werden in nachfolgenden Zusammenhängen und Grundlinien sichtbar, von denen sich die Partei und die Gewerkschaften in der gegenwärtigen Etappe — der Gestaltung des entwickelten Sozialismus und der Schaffung der grundlegenden Voraussetzungen des allmählichen Übergangs zum Kommunismus — leiten lassen. 1. Die Sozialversicherung wird als Teil der Sozialpolitik des sozialistischen Staates in untrennbarem, wechselseitigem Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik der Gesellschaft gestaltet. 2. Die Sozialversicherung wird in dialektischer Wechselwirkung von gesellschaftlicher Verpflichtung und individueller Verantwortung für die Befriedigung von Sicherungsbedürfnissen der Bürger realisiert und ständig vervollkommnet. 3. Die Sozialversicherung wird als ein einheitliches soziales System zur Durchführung spezifischer Aufgaben bei der umfassenderen Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen gestaltet und zur Förderung der wachsenden politisch-moralischen Einheit des Volkes eingesetzt. 4. Die Sozialversicherung wird auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus organisiert, indem über die zentrale Leitung und Planung Grundfragen geregelt und bestimmt werden, die in der Eigenverantwortung der Organe in den Betrieben und Genossenschaften durchgesetzt werden. 5. Der Sozialversicherungsfonds wird planmäßig als Einheit von gesellschaftlichen Distributions- und Konsumtionsfonds und Teil des Sicherungsfonds der Gesellschaft gestaltet und entwickelt. 7

Vgl. K. Marx, Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei (Kritik des Gothaer Programms), in: MEW, Bd. 19, Berlin 1973, S. 19.

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12.1.2. Die Sozialversicherung

und die

Wirtschaftspolitik

Unter den Bedingungen des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln entstehen völlig neue Merkmale einer sozialistischen Sozialversicherung: Ihre Tätigkeit ist auf das Wohlbefinden der Menschen, die Erhaltung und Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit, die Hebung des Lebensniveaus, die Förderung der sozialistischen Lebensweise der Werktätigen, auf die Herausbildung einer für den Sozialismus erforderlichen Sozial- und Bevölkerungsstruktur, auf die Entwicklung der sozialen Beziehungen und die Herausbildung sozialistischer Persönlichkeiten gerichtet. Die Entwicklung der Sozialversicherung vollzieht sich auf der Grundlage des Gesetzes der planmäßigen, proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft störungs- und krisenfrei. Die Kontinuität und Stabilität dieser Prozesse sind Ausdruck der im Sozialismus erstmals existierenden allgemeinen sozialen Sicherheit der Werktätigen. Die bestimmende Triebkraft der Entwicklung der Sozialversicherung ist nicht mehr der Klassenkampf zwischen Arbeiterklasse und der durch den imperialistischen Staat vertretenen Monopolbourgeoisie, die sich im Kapitalismus in einem unlösbaren Interessengegensatz gegenüberstehen. Triebkraft für die ständige Vervollkommnung der Sozialversicherung im Sozialismus ist nach Überwindung der Antagonismen auch auf diesem sozialpolitischen Gebiet die wachsende Übereinstimmung von gesellschaftlichen Erfordernissen und individuellen Interessen bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Die Sozialversicherung ist als ein weitgehend aufeinander abgestimmtes System einheitlich gestaltet, und es existieren keine diskriminierenden Unterschiede zwischen den Versicherten. Sie bietet den Werktätigen nicht schlechthin Schutz gegen bestimmte Wechselfälle des Lebens, sondern es ist ihr Ziel, immer besser die Teilnahme der alten Generation und Kranker an der Entwicklung des allgemeinen Lebensniveaus der Bevölkerung zu sichern. Auf der Grundlage der sozialistischen Produktionsverhältnisse entfaltet sich in der Sozialversicherung die gegenseitige Hilfe und kameradschaftliche Zusammenarbeit. Der Gedanke der Solidarität gewinnt an Bedeutung, die Solidarität selbst erhält eine neue Qualität. Auch für die Solidarität, die in und mit der Sozialversicherung geübt wird, hat dieser Entwicklungsprozeß Konsequenzen. Existieren Elemente der Solidarität in der Klassengesellschaft des Kapitalismus lediglich innerhalb des Versichertenkollektivs, und zwar abgeleitet aus der Solidarität der Arbeiterklasse, so wird diese Grenze in der sozialistischen Gesellschaft durch die Beseitigung der Antagonismen gesprengt, und die mit der Sozialversicherung zusammenhängende Solidarität wird nun uneingeschränkt innerhalb der gesamten Gesellschaft realisiert, sie wird zur Sache des ganzen Volkes. Die Entwicklung des Nationaleinkommens steckt den Rahmen ab, inner-

352

halb dessen die Sozialversicherungsfonds planmäßig gestaltet werden können. Ihre Planung ist so aus der grundlegenden gesellschaftlichen Entscheidung über die Verteilung des Zuwachses an Nationaleinkommen abgeleitet, in welche die Entscheidung über die Entwicklung der Sozialversicherungsfonds einzuordnen ist. Insgesamt vollzog sich die Entwicklung des Sozialversicherungsfonds seit Gründung der DDR im wesentlichen proportional zur Entwicklung des Nationaleinkommens. Bei der Planung der Sozialversicherungsfonds und der Einschätzung der Effektivität der sich in ihr reflektierenden Prozesse muß gesehen werden, daß Partei und Regierung auch im Fünfjahrplanzeitraum 1976 bis 1980 in der DDR eine planmäßige Preispolitik durchführen. Eine solche Politik gewährleistet, daß sämtliche einkommenbildenden Maßnahmen im Prinzip das Lebensniveau der Versicherten, insbesondere der Rentner, positiv beeinflussen. Es sind im Sozialismus immer die planmäßig durch die Gesellschaft programmierten sozialpolitischen Maßnahmen, die direkt oder indirekt die Entwicklung der Sozialversicherungsfonds bestimmen. Hier wirkt kein Automatismus, sondern es ist die Planmäßigkeit, welche die Daseinsweise auch der Sozialversicherungsfonds im Sozialismus bestimmt. Ein starkes Wirtschaftswachstum und hohe Effektivität der gesellschaftlichen Arbeit ermöglichen der sozialistischen Gesellschaft ihre o o Entwicklung und ständige Verbesserung: Die Entwicklung des Haushalts der Sozialversicherung (vgl. Tabelle 71) ist von folgenden Tendenzen gekennzeichnet: Erstens ist der Anteil der Ausgaben der Sozialversicherung am produzierten Nationaleinkommen in der DDR in den Jahren seit 1960 weitgehend konstant geblieben. In den Jahren nach dem VIII. Parteitag der SED stieg er leicht an. Zweitens lagen die jährTabelle 71 Die Entwicklung des Haushaltes der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten 1960-1978

1960 1965 1970 1975 1976 1978

Einnahmen Mio M

Ausgaben Mio M

Staatszuschuß Mio M

6737,4 7015,6 7950,2 10147,4 10557,9 12498,0

8032,7 9546,7 12187,0 17617,3 18497,6 22351,6

1295,3 2531,1 4236,8 7469,9 7939,7 9853,6

Quelle: „Statistischer und finanzieller Bericht über die Entwicklung der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten der Deutschen Demokratischen Republik in den Jahren 1975 und 1976". Jahresbericht der Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten 1978. 23 Manz/Winkler

353

liehen Steigerungsraten für die Ausgaben der Sozialversicherung im Durchschnitt höher als die des produzierten Nationaleinkommens. Und drittens haben sich die Ausgaben der Sozialversicherung seit 1960 fast verdreifacht. Für die Träger der Sozialversicherung besteht die Verpflichtung, die ständig steigenden Mittel mit hoher Effektivität einzusetzen, und die Versicherten sind zu einem verantwortungsbewußten Verhalten zu den Leistungen der Sozialversicherung anzuregen. 12.1.3. Die Sozialversicherung

als Pflicht- und freiwillige

Versicherung

Die Sozialversicherung in der DDR entwickelt sich immer mehr von einer reinen Pflichtversicherung zu einer Pflicht- und freiwilligen Versicherung. Als Pflichtversicherung ist die Sozialversicherung für Werktätige ab einem bestimmten Einkommen durch Gesetz obligatorisch vorgeschrieben. Das versicherungspflichtige monatliche Bruttoeinkommen ist auf 600,— Mark begrenzt. Werktätige, deren Einkommen diese Beitragsbemessungsgrenze übersteigen, können der freiwilligen Zusatzrentenversicherung beitreten und sich damit einen Anspruch auf Zusatzrente, Zusatzhinterbliebenenrente und höhere Leistungen bei längerer vorübergehender Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit sowie bei Mutterschaft sichern. Bei der Einführung einer freiwilligen Sozialversicherung und deren entscheidender qualitativer Verbesserung im Jahre 1971 spielen soziale und ökonomische Aspekte eine Rolle. So z. B.: — das historisch gewachsene Niveau und die sich herausgebildeten Strukturen der Arbeitseinkommen der Werktätigen, — die im Rahmen der sozialpolitischen Programme der Partei festgelegten Prinzipien der Verteilung des Zuwachses des Nationaleinkommens, also vor allem Fragen der Preis- und Lohnpolitik in der DDR, — die Beziehungen der Werktätigen zu ihrer gewerkschaftlich geleiteten Sozialversicherung und das Verständnis der Gesellschaft bei der Gestaltung des entwickelten Sozialismus in der DDR, eine ständige Wechselwirkung von gesellschaftlicher Verpflichtung und individueller Verantwortung bei der Befriedigung bestimmter Vorsorgebedürfnisse der Bürger wirksam werden zu lassen und vorhandene Tendenzen des Wirkens der Versicherungsmethode zu nutzen und auszubauen. Die freiwillige Zusatzrentenversicherung ist sowohl organisatorisch als auch in ihrer inhaltlichen Gestaltung stark an die Pflichtversicherung angelehnt. Das zeigt sich vornehmlich darin, daß die Versicherungsträger die gleichen wie die der Pflichtversicherung sind. Die Betriebe zahlen den gleichen Beitragsanteil wie der Versicherte. Es erfolgt keine besondere Fondsbildung nach dem Anwartschaftsverfahren, und der sozialistische Staat beteiligt sich an der Finanzierung der Zusatzleistungen. Ebenso wie bei der Pflichtversicherung garantiert der Staat über den 354

S t a a t s h a u s h a l t die jederzeitige Erfüllbarkeit der Leistungen aus der freiwilligen Zusatzrentenversicherung. D a s bedeutet, daß keine langfristige Fondsbildung notwendig ist, Beiträge u n d Leistungen der freiwilligen Zusatzrentenversicherung bilden zusammen mit denen der Pflichtversicherung den einheitlichen Sozialversicherungshaushalt. Der Beitragseinzug erfolgt genauso wie in der Pflichtversicherung und der Versicherungsfall in der Pflichtversicherung löst gleichzeitig entsprechende Leistungen in der freiwilligen Zusatzrentenversicherung aus. E n d e 1976 waren von ca. 4 Mio Beitrittsberechtigten ca. 2,8 Mio Werktätige der freiwilligen Zusatzrentenversicherung beigetreten. 8 Mit der Einführung der freiwilligen Zusatzrentenversicherung wurde eine bedeutende E n t scheidung für die künftige Rentengestaltung in der D D R getroffen. 9 S o werden die Rentenleistungen aus der Pflichtversicherung für Werktätige mit höherem Einkommen immer mehr den Charakter einer Grundsicherung annehmen. Die Verbesserung der Relationen zwischen Rente und Arbeitseinkommen liegt auch in der individuellen Verantwortung des Bürgers. Vom sozialistischen S t a a t wird die Möglichkeit einer zusätzlichen Sicherung über die Gestaltung und d a s Angebot einer entsprechenden Versicherungsform geboten: Die in der Sozialversicherung der D D R wirkenden Elemente der Versicherungsmethode werden genutzt und intensiviert. In Abhängigkeit von der Entscheidung des Bürgers erhöht die Gesellschaft ihren Anteil an der Finanzierung der Sicherung für Alter, Invalidität und vorübergehender Arbeitsunfähigkeit. Die Entwicklung der Sozialversicherung vollzieht sich sowohl über Maßnahmen der Ausgestaltung u n d Verbesserung im Rahmen der Pflicht- und auch der freiwilligen Versicherung. 1 0 In der Einheit von Pflicht- und freiwilliger Sozialversicherung wirkt die Dialektik von im Sozialismus existierender gesellschaftlicher Verpflichtung für soziale Sicherheit der Werktätigen und deren individueller Verantwortung zur Leistung eines eigenen Beitrages dazu. Dabei ist die Einsicht der Werktätigen für die zusätzliche Vorsorge auf der B a s i s einer individuellen freiwilligen Entscheidung unterschiedlich entwickelt. So fällt der Gesellschaft neben der S c h a f f u n g von Möglichkeiten der zusätzlichen Sicherung die A u f g a b e zu, aufklärend und überzeugend auf die Bürger einzuwirken, mit d e m Ziel, diese für die eingeräumten Möglichkeiten zu gewinnen. Die F ü h r u n g dieses Auf-

Vgl. F. Rösel, Leistungen der Sozialversicherung zum Wohle aller, in: Einheit 3/77, S. 373. 9 Vgl. Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den I X . Parteitag der SED, Berichterstatter: E. Honecker, Berlin 1976, S. 36. 10 Vgl. Gemeinsamer Beschluß des ZK der SED, des Bundesvorstandes des F D G B und des Ministerrates der D D R über die weitere planmäßige Verbesserung der Arbeitsund Lebensbedingungen der Werktätigen im Zeitraum 1976—1980 vom 27. 5. 1976, in: Neues Deutschland vom 29./30. 5. 1976. 8

23*

355

klärungs- und Überzeugungsprozesses ist eine ständige Aufgabe und Angelegenheit aller Leiter und gesellschaftlichen Kräfte in den Betrieben, Institutionen und Genossenschaften.

12.1.4. Die Einheitlichkeit

der

Sozialversicherung

Typisch für den Sozialismus ist die planmäßige Herstellung und kontinuierliche Festigung der Einheitlichkeit der Sozialversicherung unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei. Damit wird auch die im Kapitalismus auf diesem gesellschaftlichen Gebiet existierende Anarchie und Konkurrenz überwunden und durch Beziehungen der gegenseitigen Hilfe und kameradschaftlichen Zusammenarbeit ersetzt. Die Einheitlichkeit der sozialistischen Sozialversicherung realisiert sich in zwei Richtungen: Erstens sind in die Sozialversicherung der D D R alle Werktätigen mit ihren Familienangehörigen einbezogen. Das ist Ausdruck und Ergebnis der Uberwindung der im Kapitalismus sich vollziehenden und vertiefenden Prozesse der Spaltung der Arbeiterklasse, der Bündnispolitik der Arbeiterklasse und der Interessenübereinstimmung aller Klassen und Schichten in der D D R . Zweitens sind in der Sozialversicherung der D D R alle Zweige der Sozialversicherung zu einem weitgehend harmonischen, in sich geschlossenen System vereinigt. Durch die Schaffung sozialistischer Produktionsverhältnisse wurden die Bedingungen für das Wirken des Gesetzes der Anarchie und Konkurrenz in der D D R aufgehoben, und damit verbunden entstand die Basis, auf der die Arbeiterklasse die für die kapitalistische Sozialversicherung typische Zersplitterung und Konkurrenz planmäßig überwinden konnte. Das staatliche sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln ist gesamtgesellschaftliches unteilbares Eigentum. Es bildet die Grundlage für die Notwendigkeit und Möglichkeit der planmäßigen Organisierung der sozialistischen Sozialversicherung in einem einheitlichen System. In der gewerkschaftlich geleiteten Sozialversicherung der D D R sind die Angehörigen der Arbeiterklasse nach prinzipiell gleichen Grundsätzen erfaßt und integriert. Die unterschiedliche Erfassung von Arbeitern, Angestellten und Beamten, die bei bestimmten Personenkreisen auch von der Höhe des Einkommens abhängig gemacht wird, ist überwunden worden. Damit wird der Sozialversicherung der Boden für die aus dem gesellschaftlichen System des Kapitalismus resultierenden Züge des Opportunismus entzogen, der durch die herrschenden Monopole mit Hilfe der Gesetzgebung des imperialistischen Staates bewußt in sie hineingetragen worden ist. Verbunden mit der Beseitigung der politischen Spaltung der Arbeiterklasse ist die Überwindung der Spaltung der Sozialversicherung im Sozialismus. Die planmäßige Organisierung und Gestaltung der Sozialversicherung hat 356

im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Bündnispolitik der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei eine große Bedeutung. Die ursprüngliche Einbeziehung der werktätigen Bauern in die Sozialversicherung der DDR und die dann entstandene Sozialversicherung der Klasse der Genossenschaftsbauern, die in der Übergangsperiode zu vergünstigten Bedingungen Versicherungsschutz erhielten, hat den Prozeß der revolutionären Umgestaltung auf dem Lande unterstützt und gefördert. Für die Arbeiterklasse war es genauso eine Bündnispflicht, auch die anderen werktätigen Schichten in die Sozialversicherung der DDR zu integrieren und auf diese Weise deren Weg zum Sozialismus zu fördern. Auch auf diesem Gebiet erfolgt planmäßig die Einordnung der Sozialversicherung in die gesamtgesellschaftliche Zielstellung durch die Arbeiterklasse, und zwar ausgehend davon, daß die sozialistische Gesellschaft den Handwerkern und Gewerbetreibenden günstige Möglichkeiten bietet, ihre Kräfte und Fähigkeiten im Interesse der Gesellschaft anzuwenden und am Aufbau der neuen Gesellschaft aktiv mitzuwirken. 11 Jetzt sind in der Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung der DDR alle Mitglieder sozialistischer Produktionsgenossenschaften, Handwerker und selbständig Erwerbstätige erfaßt. Dieser Versichertenkreis und ihre Familienangehörigen partizipieren in gleicher Weise wie die Arbeiterklasse an den sozialpolitischen Maßnahmen der Gesellschaft. Damit wird ein wesentlicher Teil der sozialpolitischen Aufgaben des sozialistischen Staates gegenüber der Klasse der Genossenschaftsbauern und den anderen werktätigen Schichten verwirklicht. Es wird für sie ein eigener Sozialversicherungsfonds gebildet, der wie der der Arbeiterklasse Bestandteil des zentralen Staatshaushaltes der DDR ist und dessen Finanzierung nicht allein den Versicherten obliegt. In Realisierung der im Sozialismus existierenden Gesamtverantwortung der Gesellschaft für die soziale Sicherstellung aller Klassen und Schichten wird in hohem Maße dieser Sozialversicherungsfonds aus Mitteln des Staatshaushalts finanziert. In der Sozialversicherung der DDR sind alle Zweige, also die Renten-, Kranken-, Unfall- und Mutterschaftsversicherung vereinigt. Eine Arbeitslosenversicherung existiert nicht mehr, da die gesellschaftlichen Bedingungen der Arbeitslosigkeit und deren soziale Folgen durch die Schaffung des sozialistischen Eigentums an den Produktionsmitteln beseitigt worden sind. Das aus dem Wirken des Gesetzes der Anarchie und Konkurrenz im Kapitalismus resultierende isolierte Nebeneinander und die teilweise ausgeprägte Gegensätzlichkeit der Sozialversicherungsträger ist aufgehoben. Der Werktätige ist nicht mehr Mitglied in mehreren Sozialversicherungsanstalten, sondern wird in der DDR durch einen Versicherungsträger in allen Versicherungsfällen betreut. Die Konkurrenz innerhalb der einzelnen Versicherungszweige 11

Vgl. Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1976, S. 39. 357

wurde beseitigt und das Beitrags- und Leistungssystem insgesamt vereinheitlicht. So wird eine umfassende Koordinierung aller sozialpolitischen Maßnahmen des Staates, eine höhere Rechtssicherheit, eine umfassende aktive Betreuung der Versicherten für alle Versicherungsfälle durch einen Versicherungsträger möglich, der Verwaltungsaufwand günstig beeinflußt und der Solidaritätsgedanke auf ein höheres Niveau gehoben. 12.1.5. Die Sozialversicherung

und der demokratische

Zentralismus

Die Partei der Arbeiterklasse, die Gewerkschaften und die Regierung beschließen in der DDR die Grundsätze der Gestaltung und die Aufgaben der Sozialversicherung. Auf der Grundlage dieser Beschlüsse regelt der sozialistische Staat das Sozialversicherungssystem durch Rechtsvorschriften. Diese Maßnahmen der zentralen Leitung und Planung beziehen sich vor allem auf die Organisierung, Planung und Leitung der Sozialversicherung, den versicherten Personenkreis, die Gestaltung der Rechtsverhältnisse, die Höhe des Sozialversicherungsfonds und die Formen der demokratischen Mitwirkung der Werktätigen. Im Programm der S E D heißt es: „Bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft wächst die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei sowie die Bedeutung der Gewerkschaften in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens." 1 2 Die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten ist wichtiger Bestandteil gewerkschaftlicher Interessenvertretung der Werktätigen. Die im Kapitalismus formal existierende Selbstverwaltung der tatsächlich in den Händen des imperialistischen Staates liegenden Sozialversicherung wurde in der DDR durch die reale Selbstverwaltung auf der Grundlage der sozialistischen Eigentumsverhältnisse und der Ubereinstimmung der Interessen von Gesellschaft und Individuum ersetzt. In der gewerkschaftlich geleiteten Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten wird die Selbstverwaltung über die Anwendung der Prinzipien des demokratischen Zentralismus durchgesetzt. Ihre Leitung erfolgt auf der Grundlage der Beschlüsse der Parteitage der SED, der sozialpolitischen Programme der Partei und der entsprechenden sozialpolitischen Maßnahmen der Partei, Gewerkschaft und Regierung, der Beschlüsse von FDGB-Kongressen und anderer gewerkschaftlicher Dokumente, der Verfassung der DDR und von Staatsorganen erlassener Rechtsvorschriften. Im Zusammenhang mit der Realisierung der Sozialversicherung haben die Gewerkschaftsorgane in den Betrieben wichtige Aufgaben zu lösen. So führt 12 Ebenda, S. 37.

358

die Betriebsgewerkschaftsleitung die Aufgaben auf dem Gebiet der Sozialversicherung durch. Sie löst diese Aufgaben mit Hilfe des Rates für Sozialversicherung, der in den Gewerkschaftsgruppen gewählten Bevollmächtigten für Sozialversicherung und der Kurkommission. 13 Die Eigenverantwortung der Gewerkschaftsleitung in den Betrieben und Institutionen realisiert sich auf der Grundlage von zentralen staatlichen Rechtsvorschriften und Weisungen sowie Richtlinien des Bundesvorstandes des FDGB. Im Rahmen der hier festgelegten und übertragenen Kompetenzen wird in den Betrieben die Sozialversicherung durchgesetzt. Die Verbindung von zentraler Leitung und Planung in Grundfragen durch die Vorstände des FDGB, insbesondere des Bundesvorstandes des FDGB, mit der Eigenverantwortung der betrieblichen Gewerkschaftsorgane in der Leitung der Realisierung der Prozesse ist die spezifische Erscheinungsform der Selbstverwaltung der Sozialversicherung durch die Arbeiterklasse im Sozialismus. Eine besondere Form der demokratischen Mitwirkung der Versicherten bei der Leitung und Kontrolle der Sozialversicherung in der DDR ist die Arbeit der Beschwerdekommissionen für Sozialversicherung. 14 Sie sind gewählte Organe des FDGB, arbeiten auf Kreis-, Bezirks- und zentraler Ebene und sind wichtiger Bestandteil der Selbstverwaltung der Versicherten. Für die Leitung, Planung und Kontrolle der Geschäftstätigkeit der Sozialversicherung arbeiten beim Bundesvorstand des F D G B und bei den Bezirks- und Kreisvorständen Verwaltungen der Sozialversicherung. Sie sind Organe dieser Vorstände des FDGB. Gleichzeitig sind die Kreisverwaltungen den Bezirksverwaltungen und diese wiederum der Verwaltung des Bundesvorstandes unterstellt. Sie organisieren u. a. die Planung, verwalten dieFondsderSozialversicherungrationell und sparsam und bestimmen die Methoden der Finanzbeziehungen unter Beachtung der einheitlichen Anwendung von Rechnungsführung und Statistik. Für die Klasse der Genossenschaftsbauern und die nicht im F D G B organisierten Schichten wird in der DDR die Sozialversicherung von der Staatlichen Versicherung der DDR getragen. 15 Auch dieser Sozialversicherungsträger arbeitet auf der Grundlage der Beschlüsse der Parteitage der S E D und deren sozialpolitischer Programme und der Verfassung der D D R und der von den Staatsorganen erlassenen Rechtsvorschriften. 13

14

15

Vgl. Arbeitsgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. Juni 1977 (Gesetzblatt der D D R , Teil I, Nr. 18, S. 185), Berlin 1977. Vgl. Richtlinie des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik und des Bundesvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes über die Wahl, Aufgaben und Arbeitsweise der Beschwerdekommissionen für Sozialversicheruung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (Gesetzblatt der D D R , Teil I, Nr. 8 vom 17. März 1979). Vgl. Verordnung über die Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung der D D R vom 8. 12. 1977 (Gesetzblatt der D D R , Teil, I Nr. 1/1978).

359

Die von der Staatlichen Versicherung der DDR getragene Sozialversicherung gewährt ihren Versicherten im Grunde die gleichen Sach- und Geldleistungen, wie sie die Angehörigen der Arbeiterklasse erhalten. Sie verwirklicht damit das verfassungsmäßig verankerte Recht dieser Personenkreise auf materielle Sicherheit bei Krankheit, Arbeitsunfall, Invalidität, im Alter und bei Mutterschaft. Bei der Durchsetzung der Sozialversicherung stützt sich die Staatliche Versicherung auf die demokratische Mitwirkung der bei ihr bestehenden Beiräte, Beschwerdekommissionen und Kurkommissionen. Diese Institutionen tragen wesentlich dazu bei, die aktive Mitgestaltung der Versicherten bei der Entwicklung ihrer Sozialversicherung zu gewährleisten. Weiterhin sind jetzt alle sozialistischen Produktionsgenossenschaften und kooperativen Einrichtungen der Landwirtschaft mit mindestens 30 Mitgliedern zur Berechnung, Gewährung bzw. Genehmigung von Sach- und Geldleistungen an ihre Mitglieder und deren Familienangehörigen verpflichtet. Damit wird eine bessere und schneller wirksam werdende Betreuung der Versicherten möglich, und die Genossenschaften können effektiver auf die Verbesserung des Gesundheits- und Arbeitsschutzes Einfluß nehmen. 12.1.6. Die Sozialversicherung Sicherungsfonds

als

gesellschaftlicher

Distributions-

und

Die Sozialversicherung realisiert wesentliche Aufgaben als Verteilungsinstrument der sozialistischen Gesellschaft. Mit ihrem Einsatz erfolgt die Vermittlung zwischen Produktion und materieller Versorgung der Werktätigen im Krankheitsfalle, bei Mutterschaft, im Alter und bei Invalidität. Auf der Basis der sozialistischen Ware-Geld-Beziehungen existieren Sozialversicherungsfonds und -beziehungen. Sie erscheinen als Geldfonds und Geldbeziehungen der Gesellschaft, die durch den sozialistischen Staat zur Erfüllung seiner Funktionen bei der Leitung und Planung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses planmäßig gestaltet und eingesetzt werden. Im Sozialismus werden wesentliche Teile des Nationaleinkommens über die Sozialversicherungsfonds umverteilt, die so Bestandteil der sozialistischen Distributionsverhältnisse sind. Die Wirkung der Sozialversicherung bleibt im Sozialismus jedoch nicht schlechthin auf Prozesse der Distribution beschränkt, vielmehr sind diese gleichzeitig der Ausgangspunkt von Einflüssen zur Erhöhung der Effektivität sowohl der Produktion als auch der Konsumtion. Die Quelle der Bildung der Sozialversicherungsfonds ist das in der Gesellschaft produzierte Nationaleinkommen. Dabei werden im Sozialismus sowohl Teile des notwendigen als auch des Mehrprodukts umverteilt. Erscheinungsformen dieses Vorganges sind die verschiedenen Finanzierungsquellen der Sozialversichcrungsfonds in der DDR. Das sind die Zuschüsse aus dem Staatshaushalt, Beiträge der Betriebe und Beiträge der Versicherten.

360

Unabhängig von seinen unterschiedlichen Finanzierungsquellen ist der Sozialversicherungsfonds im Sozialismus in seiner Gesamtheit ein staatlicher Fonds. Die Grundsätze seiner Bildung und Verteilung werden planmäßig durch den sozialistischen Staat mit Hilfe von Rechtsnormen festgelegt, sein Einsatz ist in gesamtstaatliche sozialpolitische Maßnahmen eingeordnet und gebunden an die strategischen sozial- und finanzpolitischen Ziele der Gesellschaft, die vom ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus bestimmt werden und sich in der Hauptaufgabe in ihrer Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik reflektieren. Ein Wesensmerkmal der Sozialversicherung der DDR ist der ständig an Bedeutung und Volumen steigende Staatszuschuß, mit dem sichtbar wird, daß in wachsendem Maße die Sozialvcrsicherungsfonds aus gesamtgesellschaftlichen Mitteln finanziert werden und die Befriedigung der Bedürfnisse der Werktätigen bei Krankheit, Alter und Mutterschaft zur Sache der gesamten Gesellschaft geworden ist (vgl. Tabelle 72). Mit den Zuschüssen zum Sozialversicherungsfonds realisiert der sozialistische Staat die Garantie der jederzeitigen Erfüllbarkeit der Leistungen unabhängig von der Entwicklung der Beitragseinnahmen. Mit der Verteilung des Sozialversicherungsfonds fließen an die Bevölkerung direkte und indirekte Einkommen, die dann in der Phase der Konsumtion realisiert werden. Er ist somit in seiner Gesamtheit eine spezielle Form gesellschaftlicher Konsumtionsfonds und wird als sozialistisches Verteilungsverhältnis zum Instrument der sozialen Betreuung der Werktätigen in den von Partei, Gewerkschaft und Regierung festgelegten und abgegrenzten Aufgabenbereichen. Die Teilnahme des Bürgers an der Bildung des Sozialversicherungsfonds über die eigene und bzw. oder die Beitragszahlung der Betriebe bzw. Genossenschaften begründet im Prinzip die entscheidende Voraussetzung für die potentielle Teilnahme an seiner Verteilung. Diese Form der Teilnahme an der Bildung des Sozialversicherungsfonds enthebt die Werktätigen der Notwendigkeit, in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation durch andere Formen der individuellen Reservebildung vorzusorgen. Sie müssen also zur Sicherung einer kontinuierlichen Entwicklung ihres Lebensniveaus gegen bestimmte Wechselfälle des Lebens, für welche die Sozialversicherung Versicherungsschutz gewährt, keine individuellen Rücklagen bilden. Insofern ist der Sozialversicherungsfonds auch gleichzeitig Bestandteil des Sicherungsfonds der sozialistischen Gesellschaft. Von seiner Zweckbestimmtheit her werden mit seinem Einsatz den Werktätigen Sicherheit und soziale Geborgenheit vermittelt. Als sozialistisches Verteilungsverhältnis wird der Sozialversicherungsfonds in Beziehung zum grundlegenden Gesetz der Verteilung im Sozialismus, dem Gesetz der Verteilung nach der Arbeitsleistung, realisiert. 361

Bei der Gestaltung der Grundsätze für die Verteilung des Sozialversicherungsfonds werden gewissermaßen zwei Grundlinien wirksam, die planmäßig durchgesetzt und weiterentwickelt werden: — Realisierung von Verteilungsprozessen, bei deren Fixierung die vor dem Versicherungsfall geleistete Arbeit der Versicherten quantitativ und qualitativ die Leistungen aus dem Sozialversicherungsfonds festsetzt. Das individuelle Einkommen aus der Arbeitstätigkeit bestimmt so vor allem mehr oder weniger intensiv die Krankengeld-, Renten- und Mutterschaftsleistungen aus dem Sozialversicherungsfonds. Die hier differenziert wirkenden Faktoren werden gleichzeitig durch Leistungskomponenten ergänzt, die an sozialen Kriterien orientiert sind und die wiederum eine ausgleichende Wirkung ausüben. Unter bestimmten Bedingungen ist die Versicherungsmethode eine spezifische Form, mit der Erfordernisse des Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung planmäßig berücksichtigt werden können. Sie ermöglicht im Sozialismus in Abhängigkeit von den lohn- und steuerpolitischen Grundsätzen der Gesellschaft und den existierenden Einkommensstrukturen eine sinnvolle Verbindung von gesellschaftlichen Erfordernissen und individuellen Interessen. In der DDR wird die Versiclierungsmethode bei der Gestaltung bestimmter Leistungskomplexe planmäßig integriert. Sie spielt insbesondere eine Rolle bei der Realisierung der freiwilligen Zusatzrentenversicherung. — Realisierung von Verteilungsprozessen, die im wesentlichen unabhängig von der individuellen Arbeitsleistung der Versicherten gestaltet sind. Dabei handelt es sich im Prinzip um die Sach- und Dienstleistungen, die aus dem Sozialversicherungsfonds finanziert werden. In den Jahren zwischen dem 8. und 9. FDGB-Kongreß (1972-1977) wurden über 25 Leistungen und Leistungskomplexe der Sozialversicherung erhöht, vervollkommnet oder neu eingeführt. 16 Die bestimmende Komponente für die Planung des Sozialversicherungsfonds sind die Ausgaben der Sozialversicherung, da mit ihnen die sozialistische Gesellschaft wesentliche Teile sozialpolitischer Zielsetzungen realisiert und sie planmäßig Voraussetzungen für die immer bessere Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse vieler Bürger schaffen. Die Planung der Ausgaben genießt deshalb in einer sozialistischen Sozialversicherung auch die Priorität gegenüber der Planung ihrer Einnahmen. Diese Prämisse ist ein Ausdruck des qualitativ veränderten Wesens der sozialistischen Sozialversicherung gegenüber der kapitalistischen Sozialversicherung, in der die entscheidende Komponente die Entwicklung ihrer Einnahmen ist, die im Prinzip durch die Versicherten selbst aufgebracht werden und welche die Entwicklung der Ausgaben bestimmen. 16

Vgl. Bericht des Bundesvorstandes des FDGB an den 9. FDGB-Kongreß, Berichterstatter : H. Tisch, a. a. 0., S. 34.

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