206 46 169MB
German Pages 598 [601] Year 1980
Einführung in die physikalische Chemie und Kristallchemie der Halbleiter
B. F. ORMONT
Einführung in die physikalische Chemie und Kristallchemie der Halbleiter Bearbeitet und herausgegeben von
Dr.-Ing. M A N F R E D L I S E C Dresden und D r . rer. n a t . DIETRICH THESS
Dresden
Mit 319 Abbildungen
und 60
A K A D E M I E - V E R L A G
1979
•
Tabellen
B E R L I N
© Verlag Hochschule, Moskau, 1973 BBeftCHHC' B (j)H3HqeCKyiO XHMHK) H KpHCTaJMOXITMWIO n O J i y n p O B O A H H K O B "
Übersetzt von D R . - I N G . M A N F R E D L I S E C , D R . - I N G . P E T E R H O P E und D I P L . - I N G . H E R M A N N ADAM Bearbeitet und herausgegeben von D R . - I N G . M A N F R E D L I S E C und D R . R E R . NAT. D I E T R I C H T H E S S
Erschienen im Akademie-Verlag, DDR -108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Lektor: Fritz Schulz © der deutschsprachigen Ausgabe Akademie-Verlag Berlin 1979 Lizenznummer: 202 • 100/547/79 Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim Gorki", 74 Altenburg Einband und Schutzumschlag: Hartwich Hoeftmann Bestellnummer: 762 189 1 (6272) • LSV 1275 Printed in GDR DDR 8 8 , - M
Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe
Der Fortschritt der Mikroelektronik wird entscheidend durch die reproduzierbare Beherrschung immer höherer Integrationsgrade bestimmt. Komplexe Schaltungen bis zu einhunderttausend Bauelementen auf weniger als 50 mm 2 Fläche und mit einer Dicke der aktiven Gebiete von einigen Mikrometern sind in Produktion, Integrationsgrade von mehr als 1 Million Bauelemente in Vorbereitung. Die reproduzierbare, kostengünstige Produktion solcher komplexer Schaltkreise mit ständig steigender Zuverlässigkeit ist nur möglich bei entsprechender Beherrschung der halbleiterspezifischen werkstoffwissenschaftlichen Probleme. Der Autor des in der UdSSR erschienenen Buches war selbst Physikochemiker, hervorragender Wissenschaftler und Pädagoge und hat in der UdSSR wesentlich zur Entwicklung des Verständnisses und der Qualifikation der in der Bauelementeindustrie tätigen Entwickler auf werkstoffwissenschaftlichem Gebiet beigetragen. Anliegen des Buches ist es, dem Bauelementeentwickler und -technologen die Grundlagen der Kristallchemie und der chemischen Thermodynamik in spezieller Anwendung auf die Halbleitertechnik nahezubringen: — Er kann damit qualifiziertere Anforderungen an die Zulieferindustrie, insbesondere an die chemische Industrie stellen. Übertriebene Forderungen führen zu überhöhtem Investaufwand in der Chemie und zu überhöhten Materialkosten, ungenügende Forderungen dagegen zu Ausbeuteverlusten in der Bauelementeproduktion. — Die Bauelementeherstellung, die letzten Endes auf die gezielte Materialbeeinflussung (Dotierung, Schichtabscheidung, Ätzung usw.) in Mikrobereichen durch Festkörperund Gasphasen-Festkörper-, sowie Flüssigphasen-Festkörperreaktionen zurückzuführen ist, kann bei bewußter Nutzung der physikochemischen Gesetzmäßigkeit mit höherer Reproduzierbarkeit und damit Ausbeute gestaltet werden. — Die Zuverlässigkeit von Bauelementen kann aus der Sicht der chemischen Kinetik auf technologisch beeinflußbare Größen zurückgeführt und damit gezielt erhöht werden. Wenn dieses Buch die an der Entwicklung der Bauelemente beteiligten Elektroniker, Ingenieure und Technologen anregt, in ihrer Arbeit diese Prinzipien zur Grundlage zu machen und zur Fachliteratur zu greifen, hat es seinen Zweck erfüllt. Dr. Dietrich Theß
Inhalt
Einleitung
1
Literatur
5
I.
7
Elemente der Symmetrietheorie der Kristalle
7 § 1. Chemische Systeme, Komponenten und Phasen, Aggregatzustände § 2. Der kristalline Zustand des Stoffes. Das Gesetz über die Konstanz der Kristallwinkel 9 § 3. Die Symmetrie der äußeren F o r m , der Struktur, des physikalischen Prozesses. Der kristallographische P u n k t 12 § 4. Operationen u n d Symmetrieelemente . 13 16 § 5. Inversions- u n d Drehspiegelachsen § 6. Die skalaren- u n d Vektoreigenschaften. Das Gesetz der Anisotropie 22 § 7. Symmetrieklassen, P u n k t g r u p p e n , Systeme. Die Kristallklassen 23 § *8. Einfache Kristallformen 26 § 9. Die stereographische Projektion 34 § 10. Ableitungsschema der möglichen kristallographischen Symmetrieklassen 37 §11. Das Parametergesetz 55 § 12. Gesetz der Anisotropie und die Forderungen an die Orientierung bezüglich der Kristallachsen von aus einem Einkristall geschnittenen Scheiben 59 § 13. Die Kristallform und ihre Symmetrieklasse 60 62 § 14. Raumgitter. Translation. Translationsgruppen § 15. Komplizierte Raumgitter, Zähligkeit komplizierter Elementarzellen 68 § 16. Die 14 BRAVAisschen .Gitter 71 § 17. Die Wirkung der Translation auf die Symmetrieelemente. Die Koordinaten der P u n k t e und der Linien in der Elementarzelle 72 79 § 18. Berechnung der Abstände und Volumen in R a u m g i t t e r n § 19. Die Symmetrie der Elementarzelle 83 § 20. Die H a u p t t y p e n der R a u m g i t t e r 83 § 21. Nah- und Fernordnung. Formen der Koordinationssphären in Kristallgittern 88 § 22. Die H a u p t t y p e n der kubischen Struktur 93 § 23. Die H a u p t t y p e n der hexagonalen Struktur 96 § 24. Koordinationszahl und Packungsdichte. Zahl der Teilchen in der Elementarzelle . . . 98 § 25. Insel-, Ketten- und Schichtenstrukturen und stöchiometrische Zusammensetzung der Koordinationssphären 102 Literatur II.
104
Realkristalle, physikalisch-chemische Analyse, physikalische Methoden der Phasenanalyse 105
§ 1. Defekte (Störstellen) des Kristallgitters § 2. Punktförmige Defekte (Defekte I. Ordnung)
105 105
VIII § § § §
3. 4. 5. 6.
§ § § §
7. 8. 9. 10.
§ 11. § 12. § 13. § 14. § 15. § 16. § 17. § 18. § 19. § 20. § 21. § 22. § 23. § 24. § 25. § 26. § 27. § 28. § 29. § 30. § 31. § 32. § 33. § 34. § 35. § 36.
Inhalt Makroskopische Defekte (Defekte I I . Ordnung) Atomspektren. Das MosELEYsche Gesetz. Das PAULI-Prinzip. Die HuNTsche Regel Physikalisch-chemische Phasenanalyse Die Methode der Röntgenphasenanalyse von Pulvern. Die WuLFFsche-BRAGGsche Gleichung Die Aufbereitung der Proben für die Phasenanalyse Quellen von Röntgenstrahlen Einige Details der Röntgenaufnahmen Der Übergang von den experimentell ermittelten Werten 0 zu den Werten der Ebenenabstände dMi. Die Spektralverteilung der Röntgenstrahlen Die Methoden der Monochromatisierung der Röntgenstrahlen. Die Beseitigung der jS-Komponente und der stetigen Strahlung Die fluoreszente Eigenstrahlung des Stoffes Die Registrierung und Indizierung der Reflexe. Die möglichen Reflexe für verschiedene kubische Strukturen Die Zahl der Linien auf dem Röntgendiagramm Die Auswertung der Phasenstruktur und die Indizierung der Ebenenabstände, die Bestimmung der Identitätsperioden Spezielle Indizierungsmethoden für Röntgendiagramme Die Auswahl der Strahlung für die exakte Bestimmung der Identitätsperioden . . . Einige Besonderheiten der Präzisionsanalyse Die Phasenanalyse von binären (oder von Dreier-) Systemen, Strich-Diagramme . . . Der Charakter der Röntgendiagramme für verschiedene Fälle von Zustandsdiagrammen. Das WBOABDsche Gesetz Die Röntgenphasenanalyse als Bestimmungsmethode der chemischen Zusammensetzung Die Untersuchung der Formen und der Breiten der Linien eines Röntgendiagramms für die Beurteilung des Zustandes des Kristallgitters und der Kristallgrößen . . . . Experimentelle Methoden der exakten Registrierung der Intensität der Reflexe . . . Die Gleichung für die Intensität der Reflexe von Pulverröntgendiagrammen . . . . Die Streuung der Röntgenstrahlen durch den Stoff. Die Streuung durch das quasifreie Elektron " Quantenmechanische Modelle des Atomaufbaus Die Streuung der Röntgenstrahlen an den Atomen der Elemente Die Streuung der Röntgenstrahlen durch das primitive Kristallgitter Strukturamplituden der Röntgenreflexe komplizierter Kristallgitter mit gleichartigen Atomen Strukturamplituden der Reflexe komplizierter Gitter mit verschiedenen Atomen . . . Einige allgemeine Schlußfolgerungen über die Entstehung von Reflexen von komplizierten Gittern. Die Benutzung der Elemente der Theorie der komplexen Zahlen . . . Die Berechnung des Strukturfaktors der Intensität Einige spezifische Möglichkeiten der Elektronenbeugung Die neutronographische Analyse des Phasenaufbaus Einige experimentelle Ergebnisse neutronographischer Untersuchungen Die neutronographische Charakterisierung von Magnetstrukturen
109 114 119 133 137 138 139 143 145 146 147 149 . 152 153 158 160 161 161 166 166 170 171 175 176 178 180 181 185 187 190 194 195 198 200
Literatur
205
III.
Grundlagen der chemischen Thermodynamik
208
§ § § §
Einleitung Das thermodynamische System Thermodynamische Funktionen. Innere Energie. Enthalpie Die Zustandsgieichungen idealer und realer Gase
208 209 211 213
1. 2. 3. 4.
Inhalt § 5. Wärmekapazität der festen Phasen und ihr Zusammenhang mit den Änderungen der inneren Energie und der Enthalpie bei Fehlen von Phasenumwandlungen § 6. Der I . Hauptsatz der Thermodynamik § 7. Die Gesetze der Thermochemie als Folgerungen aus dem I. Hauptsatz der Thermodynamik § 8. Reaktionswärmeeffekte § 9. Der I. Hauptsatz der Thermodynamik und das Einsteinsche Gesetz (Äquivalenz von Masse und Energie) § 10. Die Thermochemie § 11. Kalometrische Methode zur Bestimmung der Wärmeeffekte einer Reaktion § 12. Das KiBCHHOirsche Gesetz § 13. Bestimmung der Enthalpie einer Phasenumwandlung erster Ordnung § 14. Richtung einer chemischen Reaktion. Prinzip von BERTHELOT. Massenwirkungsgesetz. Gleichgewichtskonstante. Prinzip von LE CHATELIER. Über Fluktuationen . . § 15. Experimentelle Werte der Temperaturabhängigkeit der Gleichgewichtskonstanten in Reaktionen verschiedenen Typs §16.
D a s V e r t e i l u n g s g e s e t z ( N E R N S T , SILOV, CHLOPIN) .
§ 17. Das Phasengesetz (GIBBS) § 18. Freie Energie einer Reaktion. Entropie. I I . Hauptsatz der Thermodynamik § 1 9 . Abhängigkeit der freien Energie einer Reaktion von der Temperatur. GIBBS-HELMHOLTZsche Gleichung. Die Ableitungen § 20. I I . Hauptsatz der Theromdynamik (NERNSTsches Wärmetheorem und PLANOKsches Postulat) § 21. Phasenumwandlungen erster Ordnung aus der Sicht des I I . Hauptsatzes der Thermodynamik unter Berücksichtigung der Schlußfolgerungen aus dem I I I . Hauptsatz § 22. Chemisches Potential. Phasenumwandlungen erster Ordnung aus der Sicht des chemischen Potentials § 2 3 . Das Prinzip von B E R T H E L O T und das Prinzip der dichten Packungen aus der Sicht der Theorie der Phasenumwandlungen erster Ordnung. Verwischte Phasenumwandlungen zweiter Ordnung § 24. Gleichgewichtskonstanten und freie normale (Standard-) Reaktionsenergien § 25. Berechnung der Gleichgewichtskonstanten aus Reaktionsenthalpie und -entropie . . . § 26. Phasenumwandlungen ersten Grades im Einkomponentensystem aus der Sicht des KoNOVALOv-GiBBSschen Gesetzes § 27. Fester und flüssiger Aggregatzustand aus der Sicht des GlBBS-CuRiEschen Prinzips und des WuLFFschen Gesetzes § 28. Phasenumwandlungen zweiter Ordnung § 29. Abhängigkeit der Gleichgewichtskonstanten von der Temperatur. Gleichungen der Reaktionsisobare und der Reaktionsisochore. CLAUsrus-CLAPEYRONsche Gleichung als Sonderfall der Gleichung einer Isobare § 30. Über eine Näherungsberechnung der Gleichgewichtskonstanten und der thermodynamischen Funktionen
IX
215 222 223 224 224 225 227 229 231 232 236 238
239 241 250 254 256 257
258 259 262 263 266 267
269 274
Literatur
276
IV.
Energetik des Kristallgitters
277
§ § § § § § §
Molekül- und Koordinationsgitter Über die Entwicklung der Theorie der chemischen Bindung Entstehung der Ansichten zur Natur der chemischen Bindung in Kristallen Über die wellenmechanischen Theorien der chemischen Bindung Über einige Vorstellungen der Quantenstatistik und der Bändertheorie des Festkörpers Die Vorstellungen über den fc-Raum Bildung der Metalle, Halbleiter und Dielektrika aus der Sicht der Bändertheorie . .
277 278 283 286 291 294 295
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
X § § § §
Inhalt 8. 9. 10. Ii.
Störstellenhalbleiter E l e k t r o n e g a t i v i t ä t u n d Anteil des Ionenzustandes a n der Bindung Berechnung der energetischen Festigkeit des Ionengitters Verhältnis der Ionenradien u n d K r i s t a l l s t r u k t u r
300 302 304 308
§ 12. D i e G l e i c h u n g e n v o n A. F . KAPUSTINSKI
314
§ 13. Ionisierungspotentiale u n d Anwendungsgrenzen der Ionentheorie f ü r die Berechnung der Festigkeit der Bindungen § 14. Polarisierbarkeit u n d Polarisation § 15. Polarisation u n d E i n s c h r ä n k u n g der I o n e n b i n d u n g . Dispersionskräfte § 16. Atomradien § 1 7 . Über Versuche zur I n t e r p r e t a t i o n der S t r u k t u r t y p e n u n d der Grenzen der gegenseitigen Löslichkeit der Elemente bei der Bildung von Substitutionsmischkristallen, ausgehend von den Größen u n d dem Verhältnis der A t o m r a d i e n § 18. Über die Rolle der E l e k t r o n e n k o n z e n t r a t i o n bei der Bildung von y-Phasen m i t ungewöhnlicher chemischer Zusammensetzung § 19. Bändertheorie u n d K r i s t a l l s t r u k t u r § 20. Über die Unmöglichkeit der A n w e n d u n g der BoRNschen Gitterenergie zur I n t e r pretation der mechanischen, elektrophysikalischen u n d anderen Eigenschaften von Verbindungen, die nicht auf I o n e n b i n d u n g basieren § 21. Über das Fehlen einer direkten Korrelation zwischen den Eigenschaften einer Verbindung u n d dem R e a k t i o n s w ä r m e e f f e k t oder der freien Energie ihrer Bildung aus element a r e n Stoffen § 22. Die Atomisierungsenergie (Q) der festen P h a s e eines elementaren Stoffes u n d einer chemischen Verbindung § 23. Die moderne I n t e r p r e t a t i o n des BoEN-GABERschen Kreisprozesses . . . . . . . . . § 24. Berechnung der Bildungsenthalpie mit Hilfe der Atomisierungsenergie
315 315 318 321
321 325 327
328
329 329 331 332
Literatur
334
V.
336
§
Kristallsymmetrie u n d S y m m e t r i e des physikalischen Prozesses 1. E i n f ü h r u n g
A) § § § § § § § B)
Einfluß 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
336
der Kristallklasse
auf die Möglichkeit
der Entstehung
bestimmter
Eigenschaften
337
Charakteristische Gruppen kristallografischer Kristallklassen Gruppe A : Zentrosymmetrische Kristalle Gruppe B: Kristallklasse u n d Piezoelektrizität Gruppe G: Kristallklasse u n d Pyroelektrizität. Kristallklasse u n d Segnetoelektrizität Doppelbrechung u n d Polarisation des Lichtes durch Kristalle Kristallklasse u n d optische A k t i v i t ä t . D r e h u n g der Polarisationsebene d u r c h Kristalle Z u s a m m e n g e f a ß t e Tabelle der charakteristischen Gruppen der Kristallklassen . . . .
337 339 339 341 343 346 351
Abhängigkeit
351
der Kristalleigenschaften
von der Richtung
§ 9. Einfluß der Kristallklassen auf die R i c h t u n g s a b h ä n g i g k e i t der Vektoreigenschaften § 10. Z u s a m m e n h a n g zwischen skalaren u n d Vektoreigenschaften, V e k t o r f u n k t i o n e n der Energie § 11. Grundlagen der physiko-chemischen Mechanik. Ü b e r den Z u s a m m e n h a n g zwischen der Gitterenergie, der spezifischen Oberflächenenergie, der Mikrohärte u n d der Festigkeit von Ionenkristallen § 12. Berechnung der spezifischen gesamten u n d spezifischen freien Oberflächenenergie von A t o m g i t t e r n . Thermodynamische H ä r t e s k a l a § 13. Spezifische gesamte u n d spezifische freie Oberflächenenergie u n d Mikrohärte einiger Halbleiter v o m T y p AIHBV u. a § 14. Kristallspaltflächen
351 352
353 357 359 360
§ 15. § 16. § 17. §18. C)
Inhalt
XI
Deformation plastischer Kristalle durch Gleitung Symmetrie von Wärmeprozessen in Kristallen. NEUMANNsches Prinzip LAUBsche Symmetriegruppen. FRiEnELsches Gesetz Die Symmetrie eines Prozesses ist niedriger als die Symmetrie des inneren Kristallbaus Die Symmetrie eines physikalischen Prozesses und einer Eigenschaft als Ergebnis der Superposition der Kristallsymmetrie und der Feldsymmetrie. Einige Begriffe der Tensoranalysis
361 363 364 365
366
§ 19. Einige Begriffe der Tensoranalysis. Tensoren nullter und erster Stufe § 20. Eigenwerte der Eigenschaften und charakteristische Oberflächen § 21. Einige allgemeine mit der elektrischen Polarisation in Zusammenhang stehende Vektorabhängigkeiten § 22. Über den Pölarisationsmechanismus von Dielektrika mit Koordinations- oder Translationsstruktur. Domänen § 23. Mechanismus des segnetoelektrischen Effektes § 24. Phasenumwandlungen des Bariumtitanates § 25. Über den Mechanismus des piezoelektrischen Effektes
373 375 379 382
Literatur
383
VI.
Chemische und Diffusionskinetik
§ § § §
1. 2. 3. 4.
§
5.
§ § § § § §
6. 7. 8. 9. 10. 11.
Die Reaktionsordnung Monomolekulare Reaktionen Bimolekulare und trimolekulare Reaktionen Stufenregel. Aktivierungsenergie Der Einfluß der Temperatur auf die Reaktionsgeschwindigkeit. Die Regel. Die ARRHENiussche Gleichung Reaktionsgeschwindigkeit und chemische Affinität Kinetik der Diffusionsprozesse Die Ficitschen Gesetze. Die NERKST-NoYES-ßRU^KERsehe Gleichung Die Lösung einiger praktischer Aufgaben Temperaturabhängigkeit der Diffusionskoeffizienten Konzentrationsabhängigkeit der Diffusionskoeffizienten
366 369 371
385
(
385 386 388 390 VAN'T
HoFFache 392 394 395 396 400 404 406
§ 12. D e r KIRKENDALL-Effekt
407
§ 13. Diffusion „bergauf" § 14. Mechanismus des Diffusionsprozesses § 15. Kontinuierliche Untersuchung der Dotierungskinetik einer festen Phase aus der Gasphase § 16. Probleme der chemischen Kinetik bei der Erhöhung der Zuverlässigkeit von Halbleiterbauelementen
408 409
Literatur
411 413 416
V I I . Grundlagen der Thermodynamik der Phasen und Verbindungen variabler Zusammensetzung und der statistischen Thermodynamik der Kristalldefekte 417 § 1. Einführung. Grundlegende stöchiometrische Gesetze der Chemie. Verbindungen variabler Zusammensetzung in der physiko-ehemischen Analyse § 2. Über den Stand der Thermodynamik der Phasen variabler Zusammensetzung fester Lösungen § 3 . Über die Klassifizierung von Mischkristallen nach W A G N E R § 4. Partielle molare, relative partielle molare, relative integrale molare Größen thermodynamischer Funktionen § 5. Über die Anwendung der Werte GM zur Charakterisierung der Bildungsprozesse idealer (darunter auch idealer fester) Lösungen
417 421 423
423 427
Inhalt
XII
§ 6. Über die statistische Interpretation der Entropie. Konfigurationsentropie § 7. Einige allgemeine Probleme der Physik aus der Sicht der BoLTZMAKNschen Theorie. . § 8. Über die statistische Interpretation des Prozesses der Bildung von Kristalldefekten auf der Grundlage der BoLTZMANNschen Gleichung § 9. Ideale und reale Dampfdrücke der Komponenten einer Legierung § 10. Integrale molare thermodynamische Funktionen (Parameter) heterogener Systeme § 11. Form der G M -Kurven in binären heterogenen Systemen. Thermodynamisches Kriterium der Stabilität der Phasen § 12. Stabile Phasenzustände in mehrphasigen Zweikomponentensystemen § 13. Abhängigkeit der Form des Zustandsdiagrammes von der Anzahl, der Form und der relativen Lage der G M -Kurven der einzelnen Phasen § 14. Abhängigkeit der Breite des Homogenitätsbereiches von der Temperatur § 15. Über die Möglichkeit allmählicher Phasenumwandlungen im festen Zustand § 16. Über allgemeine Forderungen an die Thermodynamik der Verbindungen variabler Zusammensetzung § 17. Über einige Besonderheiten der Untersuchung von Verbindungen variabler Zusammensetzung mit breitem Homogenitätsbereich
428 432 433 434 435 436 440 440 442 444 448 449
§ 18. Über die Abhängigkeit der Identitätsperiode von TiO, VO und VN von ihrer Zusammensetzung 451 § 19. Schreibweise der Reaktionsgleichungen und Auswahl der thermodynamischen Untersuchungsmethode von Verbindungen variabler Zusammensetzung. Gleichung von EASTMAN
452
§ 20. §21. § 22. § 23. § 24.
Thermodynamische Funktionen des Zirkoniumnitrides Thermodynamische Funktionen des Tantalkarbides Untersuchung thermodynamischer Funktionen des Zirkoniumkarbides Thermodynamische Funktionen des Hafniumoxykarbides Neue Formen der Zustandsdiagramme von Verbindungen variabler Zusammensetzung mit breitem Homogenitätsbereich. Zweiseitige und einseitige Phasen . . . . § 25. Maximale Konzentration der thermischen ScHOTTKY-Leerstellen als Funktion des gesättigten Dampfdruckes der elementaren Stoffe § 26. Über die maximalen Konzentrationen der thermischen Leerstellen in binären Verbindungen
454 456 457 459
467
Literatur
473
461 462
V I I I . Einige spezielle Fragen der physikalischen Chemie der Halbleiter und Reinststoffe . . 475 § 1. Elektronen-Löcher-Gleichgewicht in Halbleitern und dessen Analogie zum chemischen Gleichgewicht (zum Beispiel in der Reaktion der Ionendissoziation des Wassers) § 2. Die Temperaturabhängigkeit des Elektronen-Löcher-Produktes der Halbleiter und deren Analogie zur Temperaturabhängigkeit des Ionenproduktes des Wassers § 3. Die Temperaturabhängigkeit der Leitfähigkeit der Halbleiter und deren Zusammenhang mit der Aktivierungsenergie § 4. FERMi-Niveau. Elektrochemisches Potential § 5. Zusammenhang zwischen Atomisierungsenergie oder spezifischer Gesamtoberflächenenergie und der Breite der verbotenen Zone § 6. Über die Berechnung der Breite der verbotenen Zone der Elektronen-Kern-Analoga des Germaniums . . § 7. Berechnung der Breite des verbotenen Bandes AE nach der empirischen Formel von BUBE
§ 8. Thermische und optische Breite des verbotenen Bandes. Abhängigkeit des von Druck und Temperatur § 9. Die Bildung von Substitionsstrukturen in Halbleitern
475 477 480 482 485 491 495
AE-Wertes 496 503
Inhalt
XIII
§ 10. Kristallchemische Formeln realer fester Phasen und unter Berücksichtigung der Forderungen der physikalischen Chemie der Halbleiter formulierte Reaktionsgleichungen 504 §11. Halbleiter mit Divisionsstruktur und deren Eigenschaften
507
§ 12. Halbleiter mit Substitutions- und Divisionsstruktur
509
§ 13. Halbleiter mit Subtraktionsstruktur. Die Abhängigkeit lg P = /(lg a)
511
§ 14. Bleisulfid und der thermodynamische Elektronen-Löcher-Übergang
512
§ 15. Methodik der Synthese von Halbleitern und Dielektrika unter den Bedingungen bivarianter Gleichgewichte 514 § 16. Leerstellenmechanismus und seine Bedeutung f ü r die Erklärung der Beeinflussung von"Halbleitereigenschaften durch die thermodynamischen Synthesebedingungen. . . 515 § 17. Anwendung des Massenwirkungsgesetzes auf die Berechnung der Konzentration ladungsbehafteter Störstellen 519 § 18. Uber die Abhängigkeit der Halbleitereigenschaften von der Leerstellenkonzentration in Subtraktionsstrukturen. Ein neuer Inhalt der Halbleiter-Zustandsdiagramme. K a d miumsulfid ' 522 § 19. Die Unveränderlichkeit der durch Präzisionsaufnahme ermittelten Identitätsperiode und Betrachtungen über das Fehlen des Homogenitätsbereiches einer Phase . . . . 527 § 20. Über den Einfluß des Sauerstoffs auf die Eigenschaften der Sulfide § 21. Der Einfluß sehr geringer Kadmiumoxidzusätze auf die Eigenschaften des Kadmiumsulfids § 22. Über die Superposition von Subtraktions- u n d Zwischengitterstrukturen oder Subtraktions-, Substitutions- und Divisionsstrukturen und die daraus resultierenden Eigenschaften von Halbleitern § 23. Ursachen f ü r die Entstehung einseitiger oder zweiseitiger m-halbleitender oder phalbleitender Phasen § 24. Über die Wechselwirkung punktförmiger und ausgedehnter Defekte §25. Zustandsdiagramme von Halbleitersystemen § 26. Reinststoffe; Reinheitsklassen. Umgang mit Reinststoffen f ü r die Halbleiterelektronik § 27. Einige Forderungen an die Produktion höchstreiner Halbleiter und Materialien f ü r die Halbleitertechnik § 28. Über die technischen Forderungen und Bestellungen f ü r Reinstmaterialien und über die Arbeit mit ihnen § 29. Über die Anwendung einiger Prinzipien der genetischen Systematik bei der Gewinnung höchstreiner Halbleiter und anderer Materialien § 30. Feinstreinigung von Halbleitern und anderen Stoffen auf der Basis des Verteilungskoeffizienten § 31. Methoden zur Ausnutzung der Größen des Verteilungskoeffizienten f ü r die Feinstreinigung. „ E f f e k t i v e r Verteilungskoeffizient" § 32. Feinstreinigung durch Verdampfung § 33. Züchtung von Halbleiter-Einkristallen aus der Schmelze § 34. Einkristallzüchtung aus der Lösung § 35. Einkristallzüchtung aus dem Dampf
558 563 565 571 573
A)
Einkristallzüchtung
574
B)
Einkristallzüchtung aus Oasen unter den Bedingungen der Synthese des Kristallmaterials außerhalb dessen Wachstumsvolumens in einer gleichzeitig ablaufenden chemischen Reaktion. Typ Gill 581
Literatur
aus dem Dampf eines Stoffes mit der Grundzusammensetzung.
Typ Gl
528 528
531 535 537 541 543 545 546 547 551
582
Einleitung
D a s Interesse an den elektrophysikalischen Eigenschaften der Stoffe t r a t erst mit dem X V I I I . J a h r h u n d e r t in Erscheinung u n d verstärkte sich besonders am Endes des X I X . J a h r h u n d e r t s mit der Entdeckung der Möglichkeit der Übertragung der elektrischen Energie über große E n t fernungen. I m Ergebnis der Untersuchungen wurde eine Gruppe von Stoffen gefunden, die den elektrischen Strom im Vergleich zu Metallen sehr schlecht und im Vergleich zu den Dielektrika sehr g u t leiten. Die spezifische elektrische Leitfähigkeit der Metalle liegt bei 105 O h m - 1 c m - 1 und höher, die der Dielektrika bei 10~10 O h m - 1 c m - 1 u n d niedriger [1]. Stoffe mit der dazwischen liegenden spezifischen elektrischen Leitfähigkeit von 105 bis 10~10 O h m - 1 c m - 1 werden Halbleiter genannt, waren natürlich als Materialien f ü r die elektrische Stromübertragung und auch f ü r Isolationszwecke ungeeignet und erweckten kein großes Interesse in der Elektrotechnik. Die elementaren Halbleiter Selen, Tellur und Silizium waren schon seit Anfang des X I X . J a h r hunderts b e k a n n t , Germanium u n d Siliziumkarbid — seit E n d e desselben. Einige von ihnen f a n d e n zunächst in der Technik f ü r Zwecke, die nicht auf den halbleitenden elektrophysikalischen Eigenschaften beruhten, Anwendung. Zum Beispiel wurden Selen zum Bleichen und Färben von Glas, Siliziumkarbid als hervorragendes Schleifmittel bei der Werkzeugherstellung verwendet. E r s t seit 1920 wurde Selen u n d seit 1926 wurde Cuprit (Cu 2 0) als Halbleiter f ü r die Herstellung von Stromgleichrichtern verwandt. I m J a h r e 1923 publizierte S C H O T T K Y die Theorie der trockenen Gleichrichter. Obwohl die Erscheinung der Thermoelektrizität der Metalle und die SEEBECK-Reihe seit 1822 bekannt waren (wobei in dieser Reihe auch Stoffe enthalten sind, die sich später als Halbleiter herausstellten), wies erst 1 9 2 9 A . F . J O F F E als" erster auf die besondere Perspektive der E r h ö h u n g des Wirkungsgrades eines Thermoelektrogenerators aus Halbleitern hin. So begann sich seit 1930 die Bedeutung der Halbleiter f ü r die Elektrotechnik abzuzeichnen. Die steigende Produktion von Fotowiderständen, Fotoelementen, Thermistoren, Stromgleichrichtern, Varistoren, Thermoelektrogeneratoren und schließlich die Erfindung des Transistors (1947) trugen dazu bei, daß die Halbleiterelektronik ihren gebührenden Platz in der Radioelektronik, Fernwirktechnik, Rechentechnik, im Elektrolokbau, in der Atomenergetik, Raketentechnik und bei der Erforschung des Kosmos einnehmen konnte. Die Halbleiterphysik s t ü t z t sich gegenwärtig auf umfangreiche experimentelle und theoretische Grundlagen. Bei ihrer Entwicklung spielten sowjetische Wissenschaftler, A. F . J O F F E und andere hervorragende Forscher, eine große Rolle. Dagegen entwickelte sich die physikalische Chemie der Halbleiter wesentlich später. Spezifische Besonderheiten der Halbleiter sind nur bei hohem Reinheitsgrad und definierter P h a s e n s t r u k t u r erkennbar und reproduzierbar nachzuweisen. Das war in der Regel in den früheren J a h r e n nicht gewährleistet. E r s t in den letzten 20 J a h r e n entwickelten sich in mehreren Ländern die physikochemischen Untersuchungen hochreiner Stoffe und Halbleiter. E s ist zu erwarten, daß in den nächsten J a h r e n auf dieser wissenschaftlichen Grundlage eine Halbleiterwerkstoffkunde entstehen wird.
2
Einleitung
Vor der modernen physikalischen Chemie stehen neue Aufgaben, die eine schöpferische Änderung des theoretischen Herangehens und der experimentellen Untersuchungsmethoden erfordern und die Schaffung der physikalischen Halbleiterchemie bewirken. Diese Notwendigkeit wird durch eine Reihe spezifischer Eigenschaften der Halbleiter (Abb. 0.1.) hervorgerufen: 20001000
i 0,5
1,0
500 Ü00
i
i
1,5 2,0
i 2,5
300T°K
i ^ 3,01000/T'K
Abb. 0.1. Änderung der elektrischen Leitfähigkeit eines Metalls (1) eines Halbleiter (2) und eines Dielektrikums (3) in Abhängigkeit von der Temperatur (Schema)
1. Hohe Empfindlichkeit ihrer elektrischen Eigenschaften gegenüber: a) Verunreinigungen; speziell wird die elektrische Leitfähigkeit eines reinen („Eigen-") Halbleiters und eines Störstellenhalbleiters (s. Kap. VIII.), [5] unterschieden; b) Temperaturänderungen; der Temperaturkoeffizient ihrer elektrischen Leitfähigkeit ist positiv (im Unterschied zu den Metallen); c) Einwirkung des Lichtes und allgemein verschiedener Strahlungen; d) kleinster Änderungen der Zusammensetzung von Verbindungen (zum Beispiel binärer Verbindungen vom Typ AB1_V) in den Bereichen der allerkleinsten Homogenitätsgebiete (der allerkleinsten y-Werte), mit der Bildung oder dem Verschwinden nicht besetzter Gitterplätze — Leerstellen, die mit der Ladung in Zusammenhang stehen. 2. Erhebliche Thermo-EMK und die Fähigkeit zur Stromgleichrichtung. Fremdstoffe und, im Falle von Verbindungen veränderlicher Zusammensetzung, geringste Änderungen der Grundzusammensetzung in den Grenzen des Homogenitätsbereiches (zum Beispiel von AB bis wobei y = 0 — 0,01 und sogar bis 0,001) können die elektrische Leitfähigkeit des Halbleiters um 8—10 Zehnerpotenzen verschieben. Nach der modernen Festkörpertheorie nimmt ein Teil der Valenzelektronen aktiv am Prozeß der Leitfähigkeit teil, die bei Vorhandensein einer Sorte von Ladungsträgern durch die Gleichung a = nefx
Einleitung
3
beschrieben wird, wobei a — die spezifische Leitfähigkeit, e — die Ladung des Elektrons, (i — die Beweglichkeit ist, unter der man die mittlere Geschwindigkeit der Fortbewegung der Ladungsträger (cm/s) bei einer Feldstärke von 1 V/cm versteht, d. h., die Maßeinheit der Beweglichkeit ist cm2/Vs. B e i M e t a l l e n trägt jedes Atom mit mindestens einem Elektron zur Leitfähigkeit bei, d. h., die Konzentration der Leitungselektronen beträgt ~ 1022—1023 je cm 3 . Die Erhöhung der Temperatur, die n nicht wesentlich ändert, verringert fi infolge der Streuung der Leitungselektronen durch das Gitter; die elektrische Leitfähigkeit nimmt mit der Temperatur ab. B e i H a l b l e i t e r n ist im Bereich der Zimmertemperatur die Konzentration der Ladungsträger n um einige Zehnerpotenzen niedriger als bei Metallen und wächst sehr stark mit der Temperatur. Im Vergleich dazu ist die Verringerung der Ladungsträgerbeweglichkeit mit steigender Temperatur gering. Die elektrische Leitfähigkeit ist bei Zimmertemperatur groß genug, um eine Vielzahl aktiver elektronischer Bauelemente auf Halbleiterbasis realisieren zu können. B e i den D i e l e k t r i k a ist die Konzentration der Leitungselektronen bei Zimmertemperatur um viele Zehnerpotenzen niedriger als bei Metallen. Obwohl mit der Temperatur die Konzentration der Leitungselektronen schnell wächst, ist die elektrische Leitfähigkeit im mäßig hohen Temperaturbereich noch sehr klein. Dielektrika sind deshalb in diesen Temperaturbereichen ein wichtiger Werkstoff für die Realisierung passiver Bauelemente. Die Notwendigkeit der Erweiterung des Arbeitsbereiches elektrischer und elektronischer Geräte zu höheren Temperaturen läßt eine steigende Bedeutung dielektrischer Materialien erwarten. Einen besonderen Platz nehmen die Piezo- und Ferroelektrika in der Technik ein (siehe Kap. V.). Wie bekannt, ist einer der wichtigsten Abschnitte der physikalischen Chemie und der Kristallchemie die Theorie des chemischen Aufbaus der Kristalle. Realstruktur, Kristallgittertyp, Art der Strukturdefekte und Charakter der chemischen Bindungen des Halbleiters bestimmen seine Eigenschaften. Chemische Verbindungen können im Kristallzustand eine veränderliche Zusammensetzung besitzen. Auf sie erstreckt sich nicht das Gesetz der konstanten Zusammensetzung und die wichtigste Schlußfolgerung aus ihm: wo und wie die Verbindung auch gebildet worden ist, ihre Zusammensetzung und Eigenschaften sind immer die gleichen. In Abhängigkeit von den Bedingungen der Bildung können sich die Zusammensetzung und die Eigenschaften der Kristalle chemischer Verbindungen ändern. Die elektrophysikalischen Eigenschaften der Halbleiter sind weitaus empfindlicher in bezug auf Änderungen der Zusammensetzung als die elektrophysikalischen Eigenschaften der Metalle. Für die reproduzierbare Herstellung von Halbleitern ist es unerläßlich, die Prinzipien und Methoden der chemischen Thermodynamik, einer der fundamentalen Abschnitte der physikalischen Chemie, gezielt zu nutzen. Die Kenntnis der Zusammenhänge zwischen der Festigkeit der chemischen Bindungen einerseits und den mechanischen und elektrophysikalischen Eigenschaften des Halbleiters andererseits, sind eine wichtige Voraussetzung für die Synthese von Halbleitern mit vorgegebenen Eigenschaften und für die Voraussage ihrer Eigenschaften als Funktion der Zusammensetzung. Schon lange besteht in der Technik die Notwendigkeit der Verringerung des Gewichtes und des Volumens elektronischer Geräte durch die Einführung der Mikroelektronik. 2
Ormont
4
Einleitung
In diesem Zusammenhang erhält das Studium der Grenzflächen- und Oberflächeneigenschaften der Halbleiter, ihr Aufbau, die Thermodynamik und die Kinetik der Wechselwirkung mit der Umgebungsatmosphäre und auch der elektrophysikalischen Eigenschaften eine besondere Bedeutung, da es die theoretische Grundlage für die entscheidenden technologischen Prozesse der Halbleitertechnik bildet. Die Kinetik atomarer Wechselwirkung an der Grenze zweier Phasen (feste Phase — Flüssigkeit oder feste Phase — Gas) und im Volumen (Diffusionsgeschwindigkeit der Atome des Festkörpers und der Fremdatome) sind die wichtigsten Kriterien der Produktionsprozesse bei der Synthese und der Legierung von Halbleitern, bei der Bildung von p-w-Übergängen usw. Die chemische Kinetik der Halbleiter fordert als wichtiger selbständiger Abschnitt der physikalischen Chemie die besondere Aufmerksamkeit der Spezialisten der Halbleiterelektronik. Beim stürmischen Wachsen der Halbleiterelektronik und ihrer technischen Anwendungen entstehen täglich neue technische, oft dringende und sehr wichtige Aufgaben, für deren Lösung neue oder schon bekannte Halbleitermaterialien, die jedoch nach völlig anderen technischen Forderungen hergestellt wurden, verwendet werden müssen. Die Praxis zeigt, daß die Produktion beim Einführen neuer Bauelementetypen oft schwankt — gelungene Serien werden durch Produktionseinbrüche unterbrochen. Im einfacheren Fall lassen sich Inhomogenitäten im Halbleiterausgangsmaterial als Ursache für Bauelementeausfälle diagnostizieren. In diesem Fall kann man vom Hersteller des Ausgangsmaterials eine bestimmte Qualität fordern. Aber es kommt vor, daß solche einfachen Beziehungen nicht festgestellt werden können, da tiefgründigere physikochemische Ursachen vorliegen. Wenn diese außerhalb der Sachkenntnis des Personals liegen, kann sich die Produktion nicht normal entwickeln. Im anderen Fall wurde durch hohen Aufwand die Produktion stabilisiert, gute Bauelemente fallen mit der notwendigen Fertigungsausbeute an. Aber bei der Lagerung werden die Eigenschaften der Bauelemente schlechter, die Bauelemente werden sogar unbrauchbar. Die Ursache für diese Parameterdrift der Bauelemente ist der Niehtgleichgewichtszustand dieses Bauelements als kompliziertes chemisches System. Der Kampf mit der Parameterdrift hat einigen Firmen der USA viele Millionen Dollar gekostet. Die Realität dieser Gefahr ist vom Standpunkt des Physiko-Chemikers groß: Im Halbleiter eines Bauelementes wird eine ungleichmäßige Verteilung der Fremdstoffe geschaffen (zum Beispiel gibt es in einem Transistor ein Kollektor-, ein Emitter- und ein Basisgebiet). Folglich stellt es schon von den Ausgangsbedingungen nach thermodynamischen Gesichtspunkten kein Gleichgewichtssystem dar, das außerdem noch mit einer Umgebungsatmosphäre (Gasmedium) reagieren kann. Die Produktion von Halbleiterbauelementen ist somit die Gesamtheit von technologischen Prozessen, die Systeme, die sich nicht im Gleichgewichtszustand befinden, schafft. Von diesen und anderen Faktoren, die allgemein im Rahmen der chemischen Kinetik und der Diffusionstechnik erfaßt werden, hängt somit nicht nur die Qualität der Arbeit ab, sondern auch selbst die Möglichkeit der Existenz des Halbleiterbauelements. Probleme dieser Art gehören zur Theorie des Gleichgewichts und der Kinetik, zur Theorie des chemischeri Aufbaus von Festkörpern usw., d. h. auch zu den Problemen der physikalischen Chemie. Gerade deshalb, unabhängig vom Gebiet der Halbleitertechnik, müssen die Ingenieure die Wechselbeziehungen zwischen den Eigenschaften des Halb-
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Einleitung
leiters und den oben angeführten strukturellen, thermodynamischen und kinetischen Faktoren kennen. Anderseits kann ein Chemietechnologe, der mit der Halbleiterphysik und mit den Grundlagen der Elektronik nicht vertraut ist, nicht an der Schaffung effektiver Materialien für die Halbleitertechnik teilnehmen. Die technischen Forderungen an derart hochreine und teure Materialien müssen gemeinsam mit einem Physiker, der die physikalische Chemie genügend beherrscht, erarbeitet werden. Die Behandlung der physikalisch-chemischen Aspekte in den Vorlesungen für Halbleiterphysik ist offenbar unzureichend. Sie begnügt sich in der Regel mit der Charakterisierung der Materialien, erschöpfende Fragen der chemischen Theorie und der Methoden der Herstellung und der Kontrolle der Qualität der Materialien bleiben unberührt oder werden einseitig und manchmal auch nicht korrekt behandelt. In der periodischen Literatur zur Halbleiterphysik weiden auf einem außerordentlich hohen Niveau die elektrophysikalischen und andere physikalischen Eigenschaften der Halbleiterphasen dargelegt, wesentlich schlechter wird die Phase charakterisiert, zu der die Eigenschaft gehört. Manchmal werden sogar die Begriffe „Festkörper" und „Feste Phase" nicht unterschieden. In einer Reihe von Fällen wir die Phasenanalyse ungenügend oder gar nicht durchgeführt. Als Folge davon und aus anderen Fehlern gegenüber den Forderungen der physikalischen Chemie und der Kristallchemie der Halbleiter entstehen sowohl bei wissenschaftlichen Untersuchungen als auch in der Industrie nicht reproduzierbare Ergebnisse, und bestenfalls wird ein Vorwand für ihre falsche Auslegung gegeben. Siehe [1, 2]. Es besteht kein Zweifel, daß das Herangehen an die Probleme der Halbleitertechnik sowohl von den physikalischen als auch von den physikalisch-chemischen Positionen, die Verallgemeinerung dieser häufig verschiedenen Konzeptionen, Methoden und Schlußfolgerungen der Entwicklung der wissenschaftlichen Grundlagen der Halbleitertechnik einen neuen Impuls geben. Literatur [ 1 ] H . X E H H E Ä H flp.: Il0Jiynp0B0ÄHHKH. H J I , 1 9 6 2 , CTp. 5 H CJI. [ 2 ] B . . OPMOHT: O 3HaHeHHII (|)H3MHeCK0ii XHMHH JJJIH pa3BHTHH nOJiynpOBOHHHKOBOÜ BiieKTpOHHKH. « P a ß H o a J i e K T p o H H K a » , BMN. 8 H 9 , 1 9 6 0 , CTp. 3 .
[3] T. fl. Byp^yH, H. B. KAJIAUIHHKOB, JI. P. CH. M., «Bbicman uiKOJia», 1964.
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dargestellt.
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Berechnung der Abstände und Volumen in Raumgittern
79
Die Geraden (ccOO); (Ch/0); (00z) fallen mit den Achsen a,b,c zusammen; den I-, A-, B-, C- und .F-Zellen entsprechen die Koordinaten der Punkte /:
(000'{i{);
^(000'i°{);
C: (000, — — 0|; \ 2 2 /
£:
(000'°{{)'
F: ¡000, 0 — —, — 0 —, — — oV \ 2 2 2 2 2 2 /
Zur Vereinfachung der Schreibweise werden manchmal nur die Koordinaten eines Punktes angegeben, und mit dem Zeichen Q versehen. Zum Beispiel gilt für die Lage der Punkte in der i'-flächenzentrierten Zelle: (ooo,oii,o).
§ 1$. Berechnung der Abstände und Yolumen in Baumgittern Die Abstände zwischen zwei Punkten im Raumgitter können durch den Radiusvektor, s. Gleichung (1.4), charakterisiert werden: r 0 = mra + mb + jnc.
(1.6)
Wenn man für den Nullpunkt einen identischen Punkt (Gitterpunkt) ausgewählt hat und m, n und p ganze Zahlen sind, so bestimmt die Gleichung (1.6) die Lage der anderen identischen Punkte; sind m, n und p echte Brüche, so bestimmt die Gleichung (1.6) die Lage der Punkte im Inneren der-Elementarzelle. Für die Bestimmung des absoluten Betrages des Abstandes vom Punkt (000) zu einem beliebigen (mnp) im Inneren der Elementarzelle muß man den Vektor r 0 mit sich selbst skalar multiplizieren und erhält eine Funktion r 0 2 = f(mnp) in quadratischer Form, wobei a, b und c skalare Größen der entsprechenden Vektoren (Identitätsperioden) sind: r 0 2 = m2a2
n2b2 -f- p2c2 + 2npbc cos x + 2mpac cos ß + 2mnab cos y.
(1.7)
Mit der Erhöhung der Symmetrie des Gitters vereinfacht sich die Formel (1.7). Für das rhombische System (¡x = ß = y = 90°, cos « = cos ß cos y = 0) ergibt sich: r 0 2 = rrt2a2 + n2b2 + p2c2. (1.8) Für das kubische System (a = b = c, oc = ß — y — 90°) gilt: r02 = a2(m2 + n2 +
p2),
r0 = a im2 + n2 + p2.
(1.9)
Die quadratische Funktion (1.7) charakterisiert das System des Raumgitters. Die Gleichung (1.9) ist ein Spezialfall der bekannten Gleichung der analytischen Geometrie H = Vfc, — ^a)2 + (Vi ~ Vi? + (Zi - z2)2
(1.10)
80
Elemente der Symmetrietheorie der Kristalle
für den Raum im kartesischen Koordinatensystem, wobei: x1ylzl — die Koordinaten des ersten Punktes, x2y2z2, die Koordinaten des zweiten Punktes sind; die Gleichung (X. 10) geht bei x2 = y2 = z2 = 0 für die Punkte (000) und = ma, ¡h = na, z1 = pa in die Gleichung (T.9) über. Sie hat auch unter Berücksichtigung der Gleichung (1.8) für tetragonale und rhombische Strukturen Gültigkeit. So ist zum Beispiel für die Punkte tarzelle
( — — — J und P 2 (000) in der kubischen Elemen\2 2 2 /
Dieser Abstand ist gleich der Hälfte der Raumdiagonale des Würfels. Für die Punkte P ^ / 4 1/2 3/4) und P 2 ( l / 4 1/2 1/2) ist
In der Kristallchemie und in der Röntgenanalyse ist es üblich, die Ebenenabstände als Funktion von (hkl) auszudrücken. Für eine ausführlichere Behandlung dieser sehr wichtigen Frage müssen wir die Prinzipien der Indizierung der Ebenen des Kristallgitters kennenlernen. Weiter oben (siehe I. § 11.) machten wir uns mit den Prinzipien der Indizierung der Flächen bekannt und wissen, daß zum Beispiel die Fläche (100) oder (110) parallel zur Achse c verläuft. Aber bei der Untersuchung des Kristallaufbaus müssen wir nicht die Kristallflächen bestimmen, sondern die Ebenen des Kristallgitters. Neben den Ebenen (100) haben wir es mit den Ebenen (200), (300) usw. zu tun; neben den Ebenen (110), mit den Ebenen (220), (330) usw., neben den Ebenen (111), mit den Ebenen (222), (333) usw. Wie verlaufen diese Ebenen, und wie unterscheidet man die Abstände zwischen den Ebenen? Beginnen wir mit den Ebenen, die parallel zur Achse c verlaufen. (Der entsprechende Index ist 1 = 0.) Durch das Schneiden der Ebene, die durch die Translationsvektoren
Berechnung der Abstände und Volumen in Raumgittern
81
ra und rb gebildet wird, hinterlassen sie Schnittspuren, die für einige Ebenen auf der Abb. 1.59. gezeigt werden. Formulieren wir die allgemeine Regel: Die Werte der Idizes werden von der Zahl der Ebenen bestimmt, die durch den entsprechenden Translationsvektor von einem Gitterpunkt bis zum nächsten identischen geschnitten werden.
Wie diese einfache Regel anzuwenden ist, geht aus Abb. 1.59. hervor (siehe I. § 11.). Dieser Abschnitt ist auch für das richtige Verständnis der Schlußfolgerungen aus der WuLFF-BRAGGschen Gleichung wichtig (siehe Kap. II.). Offensichtlich ist, daß der Ebenenabstand d{hkl) zweimal größer ist als der Abstand d^hihii) usw. Folglich ist der Abstand d(W0) zweimal größer als der Abstand di200) und viermal größer als der Abstand d(400). Jetzt betrachten wir eine Ebene, die alle drei Achsen schneidet (Abb. 1.60) mit dem Symbol (214).
Abb. 1.60. Die größten Abstände dhlc! in kubischen P-, I- und ^-Gittern
Im Falle des kubischen Systems ist der Ebenenabstand, gemessen in den Einheiten der Identitätsperiode a, als Funktion von (hkl) durch die Gleichung dm» i =
h2 + k2 + l2
(1.11)
oder dM = — = ? = = - ß = \h2 + k2 + l2 )lm gegeben. Zum Beispiel ist *no — a -"'220 — yg
a_ ]/2
t-ß ^ j
=
«j/2
d. h.
2 ¿220 — 0,5d no .
(1.12)
82
Elemente der Symmetrietheorie der Kristalle
Aus Gleichung (1.8) und (1.12) kann man eine wichtige Schlußfolgerung ziehen: Mit der Vergrößerung von m = h? + k2 + l2 verringert sich der Abstand zwischen den Ebenen. In Abb. 1.61. sind die Ebenenabstände in den kubischen P-, I- und P-Gittem dargestellt. Aus der Abbildung ist zu sehen, daß im Falle des P-Gitters d100 der größte
ad
m
=2^"
2
h Abb. 1.61.
Abstand ist. Auf der Grundlage der Formel (1.12) müßte dieser Ebenenabstand auch der größte reale für das raumzentrierte /-Gitter und für das flächenzentrierte P-Gitter sein. Jedoch geht aus Abb. 1.61. hervor, daß dies nicht ganz zutrifft. Im Falle des IGitters sind im Zentrum der Elementarzelle Atome vorhanden, d. h. parallel zu den Ebenen (100) verlaufen die Ebenen (200). Der Abstand zwischen ihnen ist gleich a/2. Dies folgt aus Gleichung (1.12). Somit ist im vorliegenden Fall d110 der größte Abstand. Im Falle des P-Gitters liegen die Atome nicht nur in der Ebene (200), sondern auch in der Ebene (220). In diesem Fall ist dln der größte reale Abstand, daraus folgt d200 und noch kleiner ist d220. Natürlich folgt dies auch aus Gleichung (1.12).
Haupttypen der Raumgitter
83
§ 19. Die Symmetrie der Elementarzelle Die Symmetrie der Elementarzelle wird durch folgende Faktoren bestimmt: a) durch durch b) durch zelle ; c) durch d) durch
die Metrik der Elementarzelle (d. h. durch die Achsenabschnitte a, b, c und die Winkel », ß, y);. die Lage der Schwerpunkte der Gitterpunkte (der Teilchen) in der Elementardie Eigensymmetrie der Punkte; die Orientierung zu den Achsen der Elementarzellen.
O Na
o Na OCN
CT)CN Abb. 1.62: Einfluß der Eigensymmetrie und der Orientierung der CN~-Gruppen auf die Struktur und auf die Symmetrieart NaCN a ) rhombisch (Niedertemperatur-), gezeigt werden die großen Ellipaoidachsen der CN -Tonen; B) kubisch, Symmetrieart TK\ c) kubisch, Symmetrieart Oh
Zum Beispiel orientieren sich bei den Zyaniden des Typs NaCN die hantelartigenzigarrenartigen CN-Gruppen rechtwinklig zur Achse c, so daß a =j= 6 4= c> . OPMOHT: X H M H H H c T p o e m i e M a T e p H H . O H T M XHM. JIHT-PM,
1934.
[12] C6. «AKaneMMH HayK CCCP. K K)6HjieftH0My MeHAeneeBCKOMy ci>e3Ay B 03HaMeH0BaHne 100-jieTHeti roaoBmHHbi co a h h pomfleHHH fl- M. MeHg,ejieeBa», rocxHMH3flaT, 1934. [13] H . H . IUAIPPAHOBCKHÜ: JIGKI^HH no KpHCTaKJiorpaijiHH. MS«. 2. «Bbicman uiKOJia», 1968. [ 1 4 ] E . I . R A S H B A , V . A . ROMANOV, I . I . B O I K O , I . P . 2 H A D K O : P h y s . S t a t u S o l i d i , 1 6 , 5 1 , 1 9 6 6 .
[15] W. KLEBER: E i n f ü h r u n g in die Kristallographie. 10. Auflage. V E B Verlag Technik, Berlin, 1969. [ 1 6 ] H . T . I H C T A K O B : J K N ^ K N E KPHCTAJIJIBI. « H a y n a » ,
1966.
II. Realkristalle, physikalisch-chemische Analyse, physikalische Methoden der Phasenanalyse
§ I. Defekte (Störstellen) des Kristallgitters Nach der Vorstellung über die Fernordnung, die aus der Symmetrietheorie hervorgeht u n d einen Idealkristall charakterisiert, erstreckt sich in allen drei Richtungen der dreidimensionalen Translationsgruppe eine unendliche Gesamtheit identischer Punkte, die sich voneinander in Abständen befinden, die in Identitätsperioden gemessen werden. Aber im Realkristall werden Störungen dieses idealisierten Bildes beobachtet, die in der Literatur als Defekte, als Baufehler oder einfach als Störungen bezeichnet werden (siehe [1, 5, 7]). Die Störungen des Idealbildes des Raumgitters, bedingt durch die thermischen Schwingungen der Atome (Moleküle, Ionen) um ihre Schwerpunkte, gehören nicht zu den hier betrachteten Defekten. Solche Art von Wärmebewegungen sollen hier in erster Näherung vernachlässigt werden. Früher wurden auch solche Störungen vernachlässigt, die mit dem inneren Atomkernaufbau zusammenhängen, wie zum Beispiel abwechselnd nacheinander folgende Isotopen ein und desselben Elementes im Gitter. Heute kann man mit Hilfe der neutronographischen Methode solche Art von Störungen berücksichtigen, und man kann auch die durch die verschiedenen Spinzustände der Atome hervorgerufenen Besonderheiten unterscheiden (siehe II. § 36.).
Gleichzeitig k a n n die Wärmebewegung der Atome oder die mechanische u n d die optische Einwirkung auf ein Kristallgitter zur Bildung von Störungen im Gitter führen, die nicht nur theoretisch von Interesse, sondern auch f ü r die Praxis wichtig sind, zum Beispiel bei der Verschiebung der Atome aus den Gitterplätzen auf die Zwischengitterplätze oder a n die Oberfläche usw. Derartige Störungen wirken sich sehr stark auf die Kristalleigenschaften aus, manchmal wesentlich stärker als die Änderung der chemischen Zusammensetzung oder des Strukturtyps. Die Bildung von Störstellenstrukturen wird in der chemischen Thermodynamik, in der Theorie des Kristallgitters u n d in der chemischen Kinetik untersucht. In'diesem Kapitel behandeln wir nur ein geometrisches Verteilungsmodell von Störstellen. Es werden zwei Arten von Kristallbaufehlern unterschieden: punktförmige (nach unserer Terminologie Baufehler I . Ordnung), die ein bis zwei Strukturgitter- oder Zwischengitterplätze erfassen u n d makroskopische (ausgedehnte) (nach unserer Terminologie Baufehler II. Ordnung), Versetzungen, Risse und Mikrovakuolen, Besonders sind Oberflächendefekte zu betrachten (siehe [1, 7, 8, 15]).
§ 2. Punktförmige Defekte (Defekte I. Ordnung) Dazu gehören: a) unbesetzte Gitterplätze — Leerstellen; b") Atome, Moleküle oder Ionen, die sich nicht auf ihren Positionen, sondern auf Gitterplätzen eines anderen Untergitters oder auf Zwischengitterplätzen befinden; c) Fremdatome — Fremdstoffe
106
Realkristalle. Physikalisch-chemische Analyse. Methoden der Phasenanalyse
sowohl auf Gitterplätzen als auch auf Zwischengitterplätzen. Danach behandeln wir einige Strukturtypen von Realkristallen und die mit ihnen "zusammenhängenden Defekte des Kristallgitters. Leerstellen: In der Literatur werden Leerstellen oft mit dem Buchstaben V bezeichnet. Wir bezeichnen die Leerstellen mit quadratischen Klammern [ ]. a) Durch die Wärmebewegung der Kristallatome werden in steigender Konzentration bei Temperaturerhöhung Leerstellen erzeugt. Hierbei bilden sich poröse Strukturen (Strukturen nach S C H O T T K Y ) : Aus einem Teil der Gitterplätze eines idealen Kristallgitters eines einfachen Stoffes, zum Beispiel des Kupfers (Abb. II.l.), bewegen sich die Atome an die Kristalloberfläche und lassen Leerstellen (Abb. II.2.a), sogenannte thermische Lerestellen, zurück.
Abb. II.l.
Schema eines idealen Kristallgitters 1) Atom; 2) Zwischengitterplatz
Strukturen nach S C H O T T K Y können auch bei Verbindungen, zum Beispiel bei binären Verbindungen (AB), entstehen. So ist bei TiO (Strukturtyp des NaCl) die pykonmetrische Dichte um 15% kleiner als die röntgenographische Dichte a x . Diese Erscheinung wird in der Literatur [14, 15] dadurch erklärt, daß sowohl im Untergitter des Titans als auch im Untergitter des Sauerstoffs 15% der Gitterplätze unbesetzt sind, d. h. es sind 15% doppelte Leerstellen vorhanden. Die realen Verhältnisse sind jedoch durch das Vorhandensein von Versetzungen und Mikrovakuolen viel komplizierter (siehe [6], S. 462; [18, 19]). b) Leerstellen entstehen als Folge der Nichtübereinstimmung des Strukturtypes des Gitters mit der chemischen Zusammensetzung der komplizierten Verbindung. Hierbei bilden sich Strukturen der Division (Abb. II.2.6). Wenn in einem der Untergitter einer Verbindung konstanter Zusammensetzung die Zahl der Gitterplätze größer als die Zahl der Atome in der Verbindungsformel ist, so entstehen Strukturen der Division. Bei der Wechselwirkung von 2 AgJ + HgJ 2 bildet sich die Verbindung «Ag 2 HgJ 4 und kristallisiert im Gittertyp des Sphalerits (Abb. 1.70.h). Alle vier Gitterplätze der Elementarzelle des Schwefeluntergitters sind durch Jodatome besetzt, und auf die vier Gitter des Zinkuntergitters kommen nur 3 Metallatome: 2 Ag + 1 Hg, die auf die vier Plätze statistisch verteilt sind. In diesem Untergitter sind folglich 25% Leerstellen. Es wird angenommen, daß die Verbindungen konstanter Zusammensetzung in Wechselwirkung stehen. Außerdem ist AgJ eine Struktur veränderlicher Zusammensetzung, und die Struktur der Division wird durch die Struktur der Subtraktion überlagert. Strukturen solcher Strukturen ist eng damit verbunden, daß die hauptsächlichen stöchiometrischen Gesetze der Chemie, das Gesetz der Konstanz der Zusammensetzung, das Gesetz der einfachen und teil-
107
P u n k t f ö r m i g e Defekte
baren Verhältnisse u. a., wie in den letzten J a h r z e h n t e n [20] gezeigt wurde, nur Gültigkeit bei der Bildung von Molekülen u n d Molekularkristallen besitzen. (Es wurde zum Beispiel festgestellt, d a ß die Zusammensetzung des Dampfes des PC14,2 wirklich aus einem Gemisch zweier Stoffe 0,8 PC13 + 1,2 PC15 besteht.) Diese Gesetze verlieren in der Regel ihre Gültigkeit bei der Bildung von Kristallen mit Koordinationsgittern. Es entstehen Verbindungen mit veränderlicher Zusammensetzung. Schon D. I . M E N D E L E J E W k a n n t e die Existenz solcher Verbindungen u n d n a n n t e sie unbestimmte Verbindungen, im Unterschied zu bestimmten Verbindungen, die sich dem stöchiometrischen Gesetz der Chemie unterordnen. E r zählte zu den unbestimmten Verbindungen Metall-
kcu(Zn)
©
Cu,Zn
QZn(Cu) f )
Abb. 11.2. Strukturschemen von Realkristallen mit punktförmigen Störstellen a) Strukturen nach SCHOTTKY; ö) Strukturen der Division; c) Strukturen durch Subtraktion; d) Strukturen nach SCHOTTKY u n d durch Subtraktion; e) Strukturen durch Verschiebung (Strukturen nach FKENKEL) ; /) Strukturen der gegenseitigen Substitution; g) Strukturen der Substitution durch Störstoffe; A) Einlagerungsstrukturen; 1) Atome; 2) Metallatome, statistisch verteilt auf das gesamte XJntergitter, 3) Atome von Störstoffen, 4) Leerstellen in den Gitterpunkten, Ä) Zwischengitterpunkte, 6 und 7) Leerstellen nach SCHOTTKY und der Subtraktion
108
Realkristalle. Physikalisch-chemische Analyse. Methoden der Phasenanalyse
legierungen, Glas u. a. und zu den bestimmten Oxide, Hybride, Nitride usw. Im M E N D E L E J E W s c h e n Periodensystem der Elemente werden die Zusammensetzungen von Oxiden und anderen Verbindungen angegeben, die sich sprunghaft beim Übergang von Gruppe zur Gruppe ändern. Die stöchiometrischen Indizes in den Formeln entsprechen der Gruppennummer. In Übereinstimmung mit dem Gesagten, bilden sich zum Beispiel die Verbindungen NaCl, MgCl2, A1C13, SiCl 4 , PC15 usw. Heute wissen wir, daß der größte Teil der Hybride, Oxide, Chalkogenide, Nitride, Karbide, Silizide und anderer Verbindungen veränderlicher Zusammensetzung ist. Zum Beispiel hat TiO in Wirklichkeit die Zusammensetzung TiO 0 , 7 0 _ l 3 0 . Das bedeutet, daß die vorliegende Phase des Strukturtyps NaCl ein Homogenitätsgebiet (zerfällt nicht in andere Phasen) in einem breiten Bereich der Zusammensetzungen 1 von TiO 0 7 0 bis TiO, 3 besitzt. Titankarbid, TiC hat in Wirklichkeit eine Zusammensetzung von TiC 0 , 60 bis TiC. Zum Beispiel kann man im Falle des Karbids TiC 0 7 2 in erster Näherung annehmen, daß das Titanuntergitter vollkommen besetzt ist, sich jedoch im Kohlenstoffuntergitter bei der betreffenden Zusammensetzung an Stelle der Atome 2 8 % Leerstellen c [ ] befinden. Richtiger wäre es anzunehmen, daß es in beiden Untergittern Leerstellen gibt, jedoch sind es im Untergitter C 2 8 % mehr, d. h. es entstehen poröse Strukturen und Strukturen der Subtraktion. Wie wir sahen, entsteht bei stöchiometrischer Zusammensetzung von TiO eine poröse Struktur (eine Struktur nach SCHOTTKY). Offensichtlich ist, daß sich zum Beispiel in den Bereichen der Zusammensetzungen von TiO 0 i 7 0 bis TiO die poröse Struktur und die Struktur der Subtraktion überlagern (Abb. II.2.d). Neben den punktförmigen Störstellen entstehen auch makroskopische Störstellen (Mikrovakuolen). Defekte, die durch Verschiebung der Atome aus ihrer Gitterpunktlage entstehen: a) Strukturen der Verschiebung (Strukturen nach FRENKEL) (Abb. II.2.e): Solch einen Typ von Defekten hat schon vor langer Zeit JA. I. FRENKEL erkannt: die Atome verschieben sich aus den Gitterplätzen [ ] in die Zwischengitterplätze ( ). Wir bezeichnen das folgendermaßen ([8], S. 10): [ 4 ] + ( ) = [ ] + (^4). Ein ähnlicher Prozeß ist auch in Kristallen von Verbindungen möglich. Defekte nach FRENKEL entstehen im Vergleich zu Defekten nach SCHOTTKY mit größerem Aufwand. Ihre Bildung wird dadurch erschwert, daß in den meisten Strukturen der Durchmesser eines Zwischengitterplatzes wesentlich kleiner als der eines Gitterplatzes ist und immer mehr abnimmt, je größer die Koordinationszahl wird, d. h. je dichter die Packung ist. In dichten kubischen und hexagonalen Packungen kann das Atom entweder in oktaedrische oder in tetraedrische Zwischengitterplätze hineingelangen, deren Zahl im ersten Fall gleich der Zahl der Gitterplätze, im zweiten Fall zweimal größer als die Zahl der Gitterplätze ist (siehe Abb. 1.65.). Oktaedrische Zwischengitterplätze befinden sich in den Kantenmitten, tetraedrische in den Oktantenzentren der Elementarzelle. Der Atomdurchmesser ist gleich der halben Flächendiagonale^ d. h. DÄ = — — = 0,707a, wobei a — die Identitäts2 periode ist. Der Durchmesser eines oktaedrischen Zwischengitterplatzes Kap. IV. § 11.) ist gleich Doz = 1
2 a
~
(siehe
= (l _ 0,707) a = 0,293a, d. h. mehr
N a c h verschiedenen Angaben sind die Homogenitätsgrenzen für TiO sehr verschieden. S. [49],
Makroskopische Defekte
109
als um die Hälfte kleiner als der Ätomdurchmesser. Der Durchmesser eines tetraa ]/3 a l/2 edrischen Zwischengitterplatzes ist DTZ = — — = 0,159a, d. h. noch kleiner. 2 2 Volumenfaktoren sind nicht die einzigen, die berücksichtigt werden müssen. Eine wichtige Rolle spielt die Gitterenergie und der Charakter der chemischen Bindung (siehe auch Kap. IV.). b) Substitutionsstrukturen1 (Abb. II.2./): Diese Art von Strukturen ist ein Beispiel für die wichtigen Fälle von Phasenumwandlungen (Umwandlung II. Ordnung, siehe [2] und Kap. I I I . § 28.). Die Legierung CuZn kristallisiert im Strukturtyp von Zäsiümchlorid (kubisch-raumzentriert). Bei niedrigen Temperaturen sind die Zink- und Kupfer-Untergitter getrennt, d. h., die Kupferatome besetzen das eine Untergitter, die Zinkatome das andere Untergitter (Abb. II.2.//). Mit der Temperaturerhöhung beginnen die Atome des Kupfers und die Atome des Zinks sich gegenseitig zu substituieren (sich auszutauschen): immer mehr Atome aus dem Kupferuntergitter gelangen ins Zinkuntergitter und umgekehrt (Abb. 11.2,/jj). Zum Schluß verteilen sich bei genügend hohen Temperaturen beide Atomarten gleichmäßig über beide Untergitter (Abb. n . 2 ./„,). Defekte durch Fremdstoffe: a) Substitutionsmischkristalle (Abb. II.2.g): Gelangen Fremdstoffe (zum Beispiel Selenatome) ins Gitter des Kadmiumsulfids, wo sie sich im Schwefeluntergitter anordnen, kann dies zur Bildung von Strukturen zweier Typen führen: zu Substitutionsmischkristallen und zu Mischkristallen der Subtraktionssubstitution. Angenommen es reagieren CdSj-^ ]„ + «CdSe^-f ]y- und bilden eine feste Lösung Cd 1+0 S 1 _jSe 1 _ s /[ Jy+ay1 (Hier sind 1 — y und 1 — y' — echte Brüche, deren Wert fast gleich eins ist.) Durch Tempern des Kadmiumsulfids bei verschiedenen Selendampfdrücken kann man in das Sulfid Selen einlagern, was zur Bildung von Sulfoselenid führt: CdS,_,[ ]j, + zSe = CdS1_„Se2[ ] v - z . Wenn die Konzentration des Selens viel kleiner als die des Schwefels ist, so kann man das Selen als Fremdstoff betrachten. b) Einlagerungsstrukturen (Einlagerungsmischkristalle, Mischkristalle I I . Ordnung) (Abb. I1.2.A): In einigen Fällen gelangen Fremdstoffe auf Zwischengitterplätze und bilden Strukturen der Einlagerung oder Mischkristalle der Einlagerung (Mischkristalle II. Ordnung). Zum Beispiel bilden Lithium und Kupfer im Germanium solche Mischkristalle. Wenn der Durchmesser der Fremdatome genügend klein ist und keine merkliche Vergrößerung hervorruft, so ist die Bildung von Einlagerungsmischkristallen durch eine wesentliche Erhöhung der pyknometrischen Dichte bei nur unmerklicher Erhöhung der röntgenographischen Dichte gekennzeichnet. § 3. Makroskopische Defekte (Defekte II. Ordnung) Die Vorstellungen über Versetzungen wurden von T a y l o r , Obvan und anderen im Jahre 1930 entwickelt. In der Literatur ist die Definition des Begriffs der Versetzungen widersprüchlich ([1, 4, 7, 8]). 1
Terminus des Autors.
110
Realkristalle. Physikalisch-chemische Analyse. Methoden der Phasenanalyse
Als Versetzungen werden wir ein Gebiet von Gitterdefekten bezeichnen, das längs einer Linie verläuft (Versetzungslinie). Stufenversetzung: Stellen wir uns einen Kristall mit Koordinationsgitter vor, der gedanklich längs der Fläche ABC auf der Linie AB (Abb. II.3.a) zerschnitten ist. Die atomaren Halbnetzebenen, die übereinander liegen, werden mit gleichen Nummern versehen: 1 und 1, 2 und 2 usw. Durch Anlegen einer Kraft, die durch den Sehiebevektor (BUBGEBS-Vektor) rechtwinklig zu AD bestimmt wird, erfolgt eine Verschiebung der Atome, die in der Ebene BGDA liegen (Gleitebene) so, daß jedes Atom längs der Translation BA um eine Identitätsperiode in den benachbarten Gitterplatz gebracht wird. So verschieben sich auch alle darüberliegenden Atome. Jetzt ordnen sich die Atome
Abb. II.3. Randversetzung a) Ausgangszustand zu Beginn der K r a f t e i n w i r k u n g (nach dem BuRGERS-Vektor); b) Verschiebung der 1 — 4 Halbflächen m i t der Bildung der R a n d v e r s e t z u n g ; c) Randversetzung; d ) Wechselwirkung der Randversetzung m i t den A t o m e n der Störstellen (schraffiertes Gebiet — Spannungszustand des Gitters); e) Wechselwirkung der Randversetzung mit der Bildung von Mikrokavernen /) Erweiterung der letzten durch Leerstellenanlagerung O — A t o m im Gitterplatz, • — Störstellenatom, [ ] — Leerstelle im Gitterplatz, — Leerstelle in der fehlenden H a l b ebene, 1 Zeichen für die Versetzung, W// Spannungsgebiet A — Schnitt, B — BüRGERS-Vektor, C — Mikrolücke
der oberen Halbebene 1 über die Atome der unteren Halbebene 2, die Atome der oberen Halbebene 2 über die Atome der unteren 3 usw. (Abb. II.3.6, c). Die letzte obere Halbebene 4 vor dem Schnittrand AD erscheint wie „hängend" im Gitter: Unter ihr befinden sich keine weiteren Halbebenen (Abb. II.3.c). Der Ausgang der Versetzung AD ist mit dem Zeichen J_ markiert. Solche Versetzungen heißen Stufen- oder Linearversetzungen und werden oft wie lineare Defekte behandelt. Ausgehend davon, daß die Ausdehnung des Defektes rechtwinklig zur Versetzungslinie einige Atomdurchmesser nicht übersteigt, gibt T. W. READ [7] die Definition: „Eine Versetzung ist ein linearer Baufehler, der im Kristallinneren eine Grenzzone der Verschiebung bildet." Eine solch weit verbreitete Definition erscheint uns nicht korrekt.
Makroskopische Defekte
111
Es ist nicht schwer zu sehen, daß die Linie AD, rechtwinklig zum BURGERS-Vektor, die Ausdehnung des Defektes bei weitem nicht begrenzt. Über ihr liegen die Atome der oberen Halbebene, als wären sie in den Kristall hineingezwängt, wobei im Kristall eine Kraft entsteht, welche mit der Kraft vergleichbar ist, die einen Keil, der in einen Holzscheit hineingeschlagen wurde, wieder heraustreibt. Die Atome beider Netzebenen, die an den Raum unter der Linie AD angrenzen, befinden sich in größeren Abständen voneinander, und die fehlende Ebene, auf Abb. II.3.C punktiert gezeigt, ist der geometrische Ort der Punkte, die auf benachbarte Atome anziehende Wirkung ausüben. Wenn sich diese fehlende Halbebene mit Atomen auffüllt, verschwindet die Versetzung, und damit verschwindet auch der Spannungszustand des Gitters längs der Versetzung AD (Abb. II.3.d). Das trapezförmige Gebiet dieses makroskopischen Baufehlers ist anisotrop, die Punkte über und unter der Linie AD sind physikalisch verschiedenartig. Das Versetzungsgebiet kann von punktförmigen Defekten (von der KOTTRELL-Wolke) umgeben sein und reagiert aktiv mit ihnen und mit Leerstellen (Abb. II.3.e) bei der Bildung von Mikrovakuolen (Abb. II.3./).
Abb. II.4. Schraubenversetzung
So gestattet das physikalische Bild einer Stufenversetzung nicht, sie als linearen Defekt zu betrachten (siehe Kap. VIII.). Schraubenversetzungen: Stellen wir uns einen Kristall vor, der längs einer Ebene bis zur Linie AD wie im vorhergehenden Fall zerschnitten ist. Jetzt legen wir die Kraft nicht rechtwinklig zu AD sondern parallel zu AD an, so daß im Ergebnis die Atome auch um eine Identitätsperiode (Abb. II.4.) so verschoben werden, daß die Atome der Netzebene 1 zu den Atomen der Netzebene 2, die Atome der Netzebene 2 zu den Atomen der Netzebene 3 usw. angehoben werden. Dann ähnelt jede Netzebene einer Wendeltreppe oder einem Bohrer und die Versetzungslinie AD ihrer yertikalen Befestigung. Offensichtlich ist auch in diesem Fall die Versetzungslinie AD nur die Achse eines bohrerähnlichen Gebietes von Defekten. Risse, Mosaiks, Mikrovakuolen: Defekte in Form von Rissen (Abb. II.5.a) entstehen als Ergebnis verschiedener Orientierung zweier angrenzender Mikrokristallteile; Mosaiks (Abb. II.5.6) entstehen durch statistisch ungeordnete Orientierung unter beliebigen, oft unter sehr kleinen Winkeln einzelner einkristalliner Körner. Beim Wachsen aus der Schmelze, aus dem Dampf und in anderen Fällen entstehen (müssen jedoch nicht unbedingt entstehen) zwischen den Körnern unbesetzte Hohlräume, Mikrovakuolen. (Im Falle ihres Ausbleibens sind an den Korngrenzen ge-
112
Realkristalle. Physikalisch-chemische Analyse. Methoden der Phasenanalyse
wohnlich punktförmige Defekte vorhanden.) Mikrovakuolen (Abb. II.5.c) können offen (äußere) und geschlossen (innere) sein. Die ersten treten mit der äußeren Kristallumgebung in Verbindung, die zweiten nicht. Durch die Bestimmung der röntgenographischen Dichte a x (siehe I. § 24.) findet man ohne Schwierigkeit das theoretische Formelvolumen (F. 0.)x [das Volumen, das auf die Summe der Molgewichte aller Atome, die in die Verbindungsformel eingehen entfällt: (F. G,)] F. ff. (F. G.)x = — So zum Beispiel ist für TiO (F. G.)x = 10,88 cm 3 .
(H.1)
F. ff. = 47,90 + 16,00 = 63,90 g, ax = 5,87 g/cm 3 ,
b Abb. II.5. Bisse (a), Mosaiks (6), Mikrokavernen (c)
Die Bestimmung der pyknometrischen Dichte von Pulvern: Die Bestimmung der pyknometrischen Dichte von Pulvern auf der Grundlage des A ß C H i M E D E S s c h e n Gesetzes besteht in der Ermittlung des Gewichtsunterschiedes des Körpers an der Luft und in der pyknometrischen Flüssigkeit. Wenn der Körper kompakt ist und weder äußere noch innere Poren, Risse usw. enthält, so wird die Bestimmung der pyknometrischen Dichte mit Hilfe der gewöhnlichen pyknometrischen Methode durchgeführt: Die pyknometrische Flüssigkeit wird in ein Gefäß gegossen, in dem sich der zu bestimmende Körper befindet. Im Falle von Pulvern, die eine Vielzahl von äußeren und inneren Poren an den Stücken aufweisen, ist diese verbreitete Methodik nicht anwendbar. Wenn man die pyknometrische Flüssigkeit auf solch ein Pulver an Luft gießt, so füllt sie die äußeren Poren und Risse nicht aus, da diese durch Luft besetzt sind. Um dies zu vermeiden, wurde früher (und bedauerlicherweise auch manchmal noch heute) das Pulver in die Flüssigkeit geschüttet und stundenlang gekocht, damit sich die Luftbläschen von den Kapillarwänden des Pulvers lösen. Trotz des großen Zeitaufwandes ist kein zuverlässiges Ergebnis zu erreichen. Die vollkommene Entfernung
Makroskopische Defekte
113
der Luft hängt von der Form der Kapillaren ab. Hierauf wurde besondere Aufmerksamkeit in [21] gelegt. In [19] und [21] wurde die Vakuummethode für die Bestimmung der pyknometrischen Dichte vorgeschlagen (Abb. II.6. und II.7.). Die Ampulle mit der pyknometrischen Flüssigkeit besitzt ein dünnwandiges Ende, das nach der Absaugung der Luft aus dem Gerät mit Hilfe einer magnetischen Schlageinrichtung zerschlagen wird. Die Flüssigkeit gelangt über einen Glasfilter und über den Trichter in das Pyknometer mit dem Pulver und kann frei in die Poren, die keine Luft
114
Realkristalle. Physikalisch-chemische Analyse. Methoden der Phasenanalyse
enthalten, eindringen. Auf Abb. II.7. wird ein Gerät gezeigt, das in der Arbeit [19] vereinfacht wurde. An Stelle der magnetischen Schlageinrichtung wird das Ampullenende mit einer Glasschleife über eine Vakuumabdichtung zerbrochen. Im Falle der Benutzung von leichtflüchtigen pyknometrischen Flüssigkeiten wird das Pyknometer vor dem Einfüllen der Flüssigkeit gekühlt. Bei der Bestimmung der pyknometrischen Dichte desselben Stoffes (zum Beispiel des TiO in Form von Pulver) ohne Vakuumierung des Pyknometers bis zur Füllung mit der Flüssigkeit, zum Beispiel mit 'Alkohol, stellen wir fest, daß die unmittelbare pyknometrische Dichte (angenommen als Beispiel a x = 4,04 g/sm 3 ) wesentlich kleiner als die röntgenographische Dichte infolge der inneren und auch äußeren Poren (der größte Teil der letzten war mit Luft gefüllt, Alkohol konnte nicht in sie eindringen) ist. Durch die Bestimmung von (F. G.)„* finden wir, daß (J0.),* = ^
1. Im Falle von F e gilt 7 F e i f a — = 0,968 Ä; 1 2
7 FeiT« — = 0,970 Ä, ' 2
= sin 83° 44', Reflex (400),
O Qßß —— sin 6xl = — 1/16 = 0,994 3,900 ' Q 0170 sin 0„ = — 16 = 0,996 = sin 84° 52', 2 3,900 '
Reflex (400). Die Multiplikation mit dem folgenden zulässigen Wert ]/19 ergibt sin 0 > 1. Im Falle von Co gilt CoK a — = 0,89445 Ä; 1 2
CoK. — = 0,8964 Ä, ' 2
= sin 88° 13', Reflex (331), v '
sin 6 a = ' A QQOA
sin 0„ = •
3,900
0 , 8 9 4 4 5
3,900
V l 9 = 0,99952 '
l/l9 > 1,0, Reflex (331)
Auslöschung. Im Falle von Cu gilt CuK„ — = 0,77025 Ä; 2
Cu Ka — = 0,77217 Ä, ! 2
= sin 75° 22', Reflex v (422), )> sin 0 aa =
sin 0, = 1
0
' 1 7 0 2 5 1/24 = 0,96756 3,900 '
0 77217 = 0,970 = sin 75° 56', 3 9 0 0 l/24 '
Reflex (422). Der folgende Reflex (333) (511) ist nicht möglich (sin 0 > 1). Aus diesen Berechnungen geht hervor, daß die CuüT,,^-Strahlung für die Präzisionsaufnahme unserer Phase nicht geeignet ist. Die beste, wie es aussieht, wäre CoK a l -
160
Realkristalle. Physikalisch-chemische Analyse. Methoden der Phasenanalyse
Strahlung. Aber in der Praxis einen so großen Winkel (88° 13') zu realisieren ist unmöglich. Deshalb erweist sich die FeKa-Strahlung mit 83° 44' und 84° 50' als die beste. Manchmal kommt es vor, daß die «-Strahlung zur Erreichung des Gebietes der Präzision durch die /S-Strahlung ersetzt werden muß. § 18. Einige Besonderheiten der Präzisionsanalyse Eine der Fehlerquellen der Röntgenanalyse ist die ungenaue Bestimmung des Kammerradius. Für die Überprüfung des Wertes des Kammerradius wird das zu untersuchende Präparat mit einem Standardstoff (zum Beispiel NaCl oder AI usw.) vermischt, dessen Identitätsperiode mit einer Genauigkeit bis zu 0,0001 Ä bestimmt ist. Bei den Berechnungen ist zu berücksichtigen, in welchen Einheiten a und c ausgedrückt sind — in Ä oder in k X ; hierbei ist zu berücksichtigen daß 1 kX = 1,00202 Ä ist. Da der Film in Abhängigkeit von den Bedingungen der Entwicklung und Trocknung eine Maße ändert, ist es beim Vergleich der Identitätsperioden und der Ebenenabstände
sehr zweckmäßig, die Röntgendiagramme aller zu vergleichenden Proben auf ein und demselben Film herzustellen. Hierdurch wurde zum Beispiel der Spezialaufbau von Kammern für die Reziprokaufnahmen usw. hervorgerufen. Bei den Aufnahmen nach der asymmetrischen Methode [31] wird eine spezielle Justiereinrichtung vom Typ eines Goniometerkopfes für die Zentrierung der Probe verwandt. Die Kammer wird in einem Ultrathermostaten untergebracht. Die Ausmessung des Abstandes 210 wird durch die Verwendung dünner Proben bei der Aufnahme und durch die Ausnutzung von Komparatoren oder Mikrophotometern erleichtert. Die Bestimmung der Perioden wird nach den letzten Linien durchgeführt, d. h. nach den aufgespaltenen Dubletts «j und L > 8-10~ 3 cm
8 • iO" 3 > L > 4 • 10cm
4 • IO
3
> L > 10"
Wi \ HüHüü *
Relativ geringe Zahl großer Flecke
Viel unordentlich Die Linien sind su unter- Die Linien sind schon verstreute Flecke. scheiden, es werden jedoch deutlich ausgeprägt. Die Linien sind nicht zu Es ist zu beobachten, noch einzelne Flecke unterscheiden oder kaum daß sie aus sich überhervorgehoben bemerkbar pappenden Flecken bilden. B) Kristallite mit optimalen Abmessungen (IO - 3 ... 10~5 cm, : 110
200
211
220
10 6 ...10 S Ä)
310 Scharfe Linien, aufgespaltenes Dublett (310)
a. Fe geglüht L — IO"4 cm
C) Kristallite mit Abmessungen von 10 - 5 bis 10 - 6 cm ( « 10 3 ...10 2 Ä) 200 311 111 220 222
400
420
511 Das Dublett im Bereich großer Winkel ist schlecht aufgespalten. Die Linien im Bereich der mittleren Winkel sind noch sehr scharf.
L > IO-5 cm
L > 10~5 cm deformierte Probe
Das sich nicht im Gleichgewichtszustand befindliche deformierte Gitter f ü h r t zur Verwaschung der Linien. Das Dublett (233, 511) ist nicht aufgespalten. Die Linien sind stark verbreitert, im Bereich des Dubletts (333, 511) befindet sich ein Fleck.
L > IO-6 cm
D) Subkristalliner Zustand
168
Realkristalle. Physikalisch-chemische Analyse. Methoden der Phasenanalyse
einzuteilen: A (L > K H cm = 105 A), B (10- 3 cm > L > 10" 5 cm = 103 Ä), C (10-« cm > L > 3 • 10- 7 cm = 30 A), D {L < 3 • Kh 7 cm). Die Pulver der Gruppe A sind im wesentlichen Einkristalle, und die Pulvermethode ist für sie wenig geeignet. Gewöhnlich bilden sich die Kreisbögen in diesem Fall aus einzelnen Punkten auf dem Pulverdiagramm. Für die Bestimmung der Kristallmaße ist es zweckmäßig, in diesem Fall die Aufnahme ohne Drehung der Probe durchzuführen. ' Durch die Aufnahme ohne Drehung auf einer ebenen Kassette (um einen vollen Ring zu erhalten) beobachtet man ungefähr das in Tab. II.5. gezeigte Bild: eine kleine Zahl von Punkten. Die Pulver der Gruppe B (feiner) gehören in bezug auf die Größe der Körnung zu den optimalen und liefern ausgeprägte, scharfe Linien. Die Pulver der Gruppe C zeigen mehr oder weniger breite Linien. Die Pulver der Gruppe D mit Kristallgrößen kleiner 30 Ä sind am stärksten dispers und ergeben Beugungsmaxima, die im allgemeinen Untergrund verschwimmen. Wir sehen, daß die Untersuchung der Breite und des Zustandes der Linien viele wertvolle Hinweise über die Größe der Kristalle geben kann. Charakteristisch sind für den Gleichgewichtszustand des Gitters bei optimaler Kristallgröße sehr feine Linien im Gebiet kleiner und mittlerer Winkel und ein ausgeprägtes wenig verwaschenes Dublett unter großem Winkel (Röntgendiagramm des «-Fe, kubisch-raumzentriertes Gitter). Die Verbreiterung im Gebiet der Abmessungen von 1000 bis 100 A kann qualitativ interpretiert werden. Die Scherrersche Gleichung: Die Bestimmung der Kristallgröße nach der Linienbreite eines Röntgendiagramms kann durch die S c H E R R E R s c h e Formel geschehen: AB =
K X E
L cos 0
,
(11.25)
wobei AB = B — B0 der Zuwachs der Linienbreite, B die gemessene Linienbreite, B0 die Linienbreite für Kristalle mit optimalen Abmessungen (etwa 104 Ä), X die Wellenlänge der Röntgenstrahlung, L die lineare Größe der Kristalle (gemittelt) und K eine Größe annähernd 1 ist. In einigen Lehrbüchern wird sie mit 0,94 angenommen. Wenn 6 = 20° ist, so ist cos 0 = 0,94. Bei 0 = 85° ist cos 0 = 0,087, d. h. lOmal kleiner. Nehmen wir für die minimal feststellbare Verbreiterung von AB = 0,1 mm, für R = 60 mm, für A(CuiQ = 1,54 A und für K = 0,94 an. Aus (11.25) folgt, daß auf ein und demselben Röntgendiagramm die Linienverbreiterung im Gebiet um 85° etwa lOmal größer als im Gebiet um 20° ist. Weiterhin findet man durch das Einsetzen dieser Angaben in Gleichung (11.25), daß eine merkliche Verbreiterung mit L 103 Ä beginnt : ¿max =
1,54 60 __ 9QQ Ä. 0,1
Wenn man annimmt, daß als maximale Linienbreite trotzt der Verwaschenheit der Linie 3 mm1 gemessen werden kann, findet man für Lmin 30 A. Im allgemeinen Fall gilt 20X 70° (Reflex 422). In der Abb. I I 37.6 sind die Reflexe von sehr dispersem Palladium (L ^ 200 Ä) zu sehen. Alle Maxima sind breit und niedrig, das Dublett 422 spaltet sich nicht auf. In Abb. 11.27 werden die Reflexe von Germanium gezeigt. I n Abb. II.27.a wird die Aufnahme einer Probe mit L = 104—105 Ä gezeigt. Die Maxima sind scharf, hoch und fein. Bei 50—60° ist eine leichte Aufspaltung der Dubletts bemerkbar. I n Abb. I I 27.b wird eine stark zerriebene Probe gezeigt. Der Unterschied der Reflexe 533 und beson-
170
Realkristalle. Physikalisch-chemische Analyse. Methoden der Phasenanalyse
ders der Reflexe 551 beider Röntgendiffraktogramme ist sehr gut zu beobachten. In Abb. II.27.6 sind die Maxima sehr viel niedriger und breiter, und die Aufspaltung des Dubletts 551 ist schlecht erkennbar. Das Problem der Intensität der Reflexe hat zwei Aspekte: die exakte Messung der Intensität und ihre Berechnung aus den Atom- und Gittercharakteristiken. Beginnen wir mit dem ersten.
Abb. 11.37.
Röntgendifraktogramm des Pd «.)£ « 10' A;
b) L
K
2 • 10! Ä
§ 23. Experimentelle Methoden der exakten Registrierung der Intensität der Reflexe Für die Untersuchung von speziellen Details, im besonderen von Gitterstörungen, vom Grad des Ordnungszustandes in ihnen, der exakten Untersuchung von Mischkristallen und anderen Problemen der Phasenanalyse, wird die exakte Registrierung der Intensitäten der Reflexe notwendig. Am einfachsten wird dies durch die Methode der Röntgendiffraktogramme erreicht, wobei Zählrohre zur Indikation verwendet werden (Siehe Abb. 11.27. und 11.37.). Die Registrierung der Intensitäten von Röntgendiagrammen auf Fotofilmen erfolgt mit einem Fotometer. In vielen Lehrbüchern (siehe zum Beipsiel [51]) werden Röntgendiagrammnormale verschiedener Stoffe mit der Angabe der Netzebenenabstände in der Reihenfolge der Verringerung und der Angabe der Intensitäten nach der Hunderterskala angegeben. Hierbei wird die Intensität der stärksten Linie als 100 angenommen. Auf Initiative von BKAGG wurde ein Katalog von Röntgendiagrammnormalen angelegt; die Exemplare dieses Katalogs befinden sich in den größeren Instituten verschiedener Länder.
Gleichung für die Intensität der Reflexe von Pulverröntgendiagrammen
171
§ 24. Die Gleichung für die Intensität der Reflexe von Pulverröntgendiagrammen Die Theorie charakterisiert die Intensität der Reflexe (hkl) in bezug auf die Intensität des Einfallstrahls mit Hilfe der Gleichung — = Kp(0) — der Winkelfaktor: Er spiegelt den Einfluß des BRAGOSchen Winkels 0 wider. • m _ i ± i s i » .
,11.27,
sin 2 0 cos 0
Der Zähler dieses Bruches entspricht dem Einfluß der Polarisation auf die Intensität des Reflexes. Die Größe ^ ~t" 0 0 8 ^
tritt schon lange in der Theorie der Streuung
2 der Röntgenstrahlen auf (siehe THOMSONsche Gleichung, nächster Paragraph). In der Gleichung (11.27) geht die 2 aus dem Nenner in die Konstante K ein. l / s i n 2 0 c o s 0 — der Lorenzfaktor: Dieser Faktor bringt den gesamten Winkelfaktor in eine Form, die einem sehr wichtigen experimentellen F a k t entspricht. Im Pulverröntgendiagramm vergrößern sich die Durchmesser der Konen der Reflexe zu mittleren Winkeln sehr stark, wobei sich die Krümmung der Linien bis zu 20 = 90° (Abb. 11.38.) verringert, was zu einer starken Verminderung der Schwärzung der Linien führt, und die sich danach aufs neue zu Winkeln von 20 = 180° verengen. Auf eine Linienlängeneinheit entfällt eine große Intensität. Die Werte des Winkelfaktors als Funktion des Winkels 0 ergeben eine Kurve mit einem Minimum im Bereich 0 = 49° (Abb. 11.39. und Tab. II.6.) für Pulverdiagramme. Tabelle II.6. Werte des Winkelfaktors 0°
0(0)
0°
0(6)
0°
0(6)
1 2 3 5 8 10
6560 1640 727 260 100 63,4
16 25 35 40 45 49
23,5 8,73 4,123 3,26 2,83 2,73
55 60 65 70 76 80
2,90 3,33 4,07 5,25 7,81 11,2
0° 85 86 87 88 . 88,5 89
0(6)
22,8 28,05 38,1 57,2 76,4 115
172
Realkristalle. Physikalisch-chemische Analyse. Methoden der Phasenanalyse
Wir sehen, daß die Werte des Winkelfaktors bei 0 = 49° minimal sind und außerordentlich stark in Richtung kleiner Winkel und stark in Richtung großer Winkel wachsen.
/
\\
/
\
K(©))iiT(i§)))i ^ ^466.11.38. Einfluß des Winkels 0 auf den Durchmesser der Ringe eines Pulver-Röntgendiagramms
A(0) — Absorptionsfaktor:1 A(6) = /(0, ßt), d. h. er ist eine Funktion des Wertes des Winkels 0 und des linearen Absorptionskoeffizienten fit oder des Massenabsorptionskoeffizienten ¡im, wobei fim = ¡Ulla, wobei g die Dichte ist. Maßeinheit fit — cm -1 . Maßeinheit fim — cm-1 • Grad-1 • cm3 = cm2 • Grad-1. Der Massenkoeffizient hängt von derZusammensetzung (von der Ordnungsnummer) der Probe und von der Wellenlänge ab. ¿(0) = 4 - = o
exP
(-w).
In der Abb. 11.39. ist die Funktion F(d) und schematisch die Funktion A(6) angegeben. Zu bemerken ist, daß einige Autoren mit fi den Massenkoeffizienten der Absorption und mit fia den linearen Koeffizienten bezeichnen.
1
Nicht verwechseln mit dem A b s o r p t i o n s k o e f f i z i e n t e n : J e k l e i n e r die Absorption der Röntgenstrahlen durch die Probe ist, desto g r ö ß e r ist der Absorptionsfaktor und somit auch die Intensität des Reflexes.
Gleichung für die Intensität der Reflexe von Pulverröntgendiagrammen
173
Behandeln wir Abb. 11.40. Im Bereich kleiner Winkel 0, wenn die Phase schwach absorbiert, wird die Linienbreite fast nicht durch die Absorption beschnitten, deshalb sind die Ränder der Linien zur Linienmitte symmetrisch. Wenn die Probe stark absorbiert, so wird ein großer Teil der Linien als Folge der Absorption durch die Probe von der Seite abgeschnitten, die zu kleinen Winkeln 0 zeigen. Nur der Linienrand, der zu großen Winkeln zeigt, bleibt erhalten, da er vom Reflex der Oberflächenschichten der
^466.11.40. Einfluß der Absorbtion der Probe auf die Lage und auf die Breite der Linien. Im Gebiet der Kleinwinkelstreuung werden bei starker Absorption die Intensitätsmaxima ins Gebiet größerer Winkel verschoben
Probe gebildet wird. Im Ergebnis wird die Linie schon wegen des „Beschneidens" des Innenrandes viel schmaler, und folglich verschiebt sich auch ihr Zentrum. Der Außenrand verbleibt am Platz. In solchen Fällen schließt sie Messung von 210 nach dem Außenrand den Effekt des „Abschneidens" der Linienteile durch die Absorption der Probe aus. Im Bereich großer Winkel geht der Strahl nicht durch die Tiefe der Probe, sondern wird von der Oberfläche reflektiert. Sogar stark absorbierende Proben ändern kaum die geometrische Form der Linien und ihre Intensität. Jetzt ist verständlich, daß der Absorptionsfaktor in Richtung großer Winkel 0 wächst und dabei um so stärker, je größer der Absorptionskoeffizient der Probe ist. Temperaturfaktor (Temperaturfaktor der Intensität, Debeyescher Faktor): Eine sehr große-Rolle spielt nicht nur bei der Berechnung der Intensität, sondern auch in der allgemeinen Theorie des Kristallgitters der Temperaturfaktor D. D = exp ( - 2 M )
(11.28)
Der Wert D ergibt sich aus den Gleichungen (11.29 bis 11.31). Die Atome schwingen um ihre Gleichgewichtslage. Die mittlere quadratische Verschiebung des w-ten Atoms in bezug auf den w-ten Gitterpunkt ü ändert sich sehr langsam im Verhältnis zur
174
Realkristalle. Physikalisch-chemische Analyse. Methoden der Phasenanalyse
Frequenz der Röntgenstrahlung, jedoch sehr schnell im Verhältnis zur Zeit der Intensitätsmessung. Als Ergebnis erhält man bei der beobachteten Intensität eine statistische mittlere Intensität:, Mit der Erhöhung der Körpertemperatur und der Amplitude der Atomwellen besitzen die reflektierten Strahlen nicht mehr die gleiche Phase, was zur Verringerung der Intensität der Reflexe führt. Hierbei verhält sich die beobachtete Intensität IT zur Intensität Ic, die ohne Temperatureinfluß berechnet wurde, wie = exp ( — 2 M ) — D(6), 1c wobei 2M = — jt2 3
I2
(11.29)
y?
ist. Aus (11.29) geht hervor: Je größer der Winkel 0 ist, desto größer wird der Temperaturfaktor und dies bedeutet, daß für die Reflexe mit großen (M?)-Werten und mit kleinen Netzebenenabständen die Intensitätsverringerung mit der Temperatur stärker ausgeprägt ist. Diese wichtige Schlußfolgerung kann ergänzt werden. Aus der WuLFF-BRAGGschen Gleichung folgt, daß
X
=
2d
=
und
A2
(11.30) 4) Reflex 1 1 0 : Zwischen den Netzebenen {110} entstehen bei der Bildung von J - G i t t e m aus P-Gittern keine Zwischenebenen. Die Atome A" entfallen auf die gleichen Netzebenen wie die Atome A'. Der Reflex 110 verstärkt sich.
i*U0 = Z UA'fA") /-Gitter,
P-Gitter
finden sich die Ebenen des zweiten Untergitters in einem Abstand von 0 , 5 d n i , was einer Gangdifferenz der Strahlen von 0,52 entspricht, d. h., die Reflexe der ersten und zweiten Ebene {111} sind in der Phase entgegengesetzt. Als Ergebnis erhält man Fin = E UA') ~ E UA») = 0 •
(H.40)
Der Reflex ist nicht möglich. Reflex 200: Zwischen den Ebenen {200} gibt es keine Zwischenebenen. Die Atomamplituden summieren sich. FU
= E(fA')
+ E(tA»)-
(11.41)
Der Reflex 200 ist möglich. Die Reflexe 220 und 222 sind aus dem gleichen Grund möglich. Kubisch-flächenzentriertes Gitter. Strukturtyp des Kupfers: Reflex 100 (Abb. 11.48.«): Wie für den Fall des /-Gitters, *T„0 = 2 ; (/, cp £ ^ gg i-j © ü P3 g
o o
o
'S S-I 4) ÖD
o OJ
o M T = j CrdT-, AETi^TJCvdT. (III.6) 0 Ti Hierbei ist Cv die molare W ä r m e k a p a z i t ä t oder Molwärme bei k o n s t a n t e m Volumen. Cy = (8E/8T)y, J / m o l grd.
216
Grundlagen der chemischen Thermodynamik
Offensichtlich ist
T
ET = E0 + AE0^T = E0 + J Cr dT. o
(III.7)
Bekanntlich werden in der Physik in gleichem Maße die Begriffe spezifische Wärmekapazität (Energie, die für die Erwärmung eines Gramms eines Stoffes um 1 grd bei gegebener Temperatur erforderlich ist) und molare Wärmekapazität (Energiemenge, die für die Erwärmung eines Moles eines Stoffes um i grd bei gegebener Temperatur erforderlich ist) angewendet. In der chemischen Thermodynamik (in der die Berechnungen auf Basis der Gleichungen chemischer Reaktionen durchgeführt werden und somit sofort zu Molmassen führen), verwendet man molare Wärmekapazitäten (Mol wärmen).
Die Erhöhung der inneren Energie AE gemäß Gleichung (III.6) wird wirksam: u) als Schwingungsenergie des Kristallgitters durch Vergrößerung der Amplitude der Atomschwingungen; b) für die Erhöhung der inneren Energie der Elektronen; c) für die Erhöhung der Rotationsenergie von Atomgruppen u. a. Im Falle von Molekülgittern erhöht sich auch die innere Energie der Moleküle (Rotations-, Schwingungsund Elektronenenergie). Ein analoger Mechanismus ist für die Erhöhung der Enthalpie der Phase 1 verantwortlich (bei konstantem Druck): T
T2
AH0^T = jCPdT;
AHT^Ti = j CPdT.
o
r,
(III.8)
CP ist die Molwärme bei konstantem Druck:
Offensichtlich ist T
Ht = H0 + AH0^t = H0 + j CP dT. (III.9) o In einem aus mehreren ineinander unlöslichen Phasen bestehenden System, z. B. A + B + G, ist bei Fehlen von Phasenübergängen und chemischen Reaktionen die Veränderung der inneren Energie (und Enthalpie) gleich der Summe der Veränderungen der inneren Energie (entsprechend Enthalpie) aller Phasen: Z
Hierbei ist z. B. z 1
AE =
AEÄ
+ AEB
H =
AHA
+ AHB
T
+ +
AEC AHC
... ...
usw. usw.
T
= J (Cp, Ä + Cp,B + Cp,c) dT = j Z C 0 0 1;
Bei Fehlen von Phasenumwandlungen
(III. 10)
P
dT,
(III.ll)
Wärmekapazität der festen Phasen
217
beim Übergang von T1 zu T 2 £
AHTc+Tt
= J £ CP AT. T,
(111.12)
Molare Wärmekapazität fester Phasen: Wir h a b e n hier nicht die Möglichkeit, die bek a n n t e n Theorien der W ä r m e k a p a z i t ä t einander gegenüberzustellen u n d beschränken u n s auf einige Bemerkungen. E i n wichtiger Meilenstein, der der Präzisierung der Größen der Atomgewichte u n d E n t d e c k u n g des MENDELEJEVschen Gesetzes diente, war die DuLONG-PETiTsche-Regel, nach der die Molwärme einfacher fester Stoffe bei R a u m t e m p e r a t u r gleich 6,4 cal • g r d - 1 • m o l - 1 ist. Die Schwankungen der Molwärme verschiedener Stoffe liegen, mit einigen Ausnahmen, im Bereich 6,0—6,4 cal • g r d - 1 • mol - 1 . Die Quantentheorie der W ä r m e k a p a z i t ä t g e s t a t t e t e eine Berechnung der Mol wärmen. Hierbei wurde gezeigt, d a ß f ü r verschiedene Temperaturbereiche verschiedene Gleichungen gelten; bei R a u m t e m p e r a t u r gilt f ü r die Molwärme einfacher fester Stoffe z. B. die LiNDEMANNsche Gleichung, aus der f ü r 1 Mol folgt
(IIL13)
= ( i f )r =
Somit ist Cv = 5,96 cal • g r d - 1 • m o l - 1 = 24,94 J • g r d - 1 • m o l - 1 (R ist die universelle Gaskonstante). I m Unterschied zu einatomigen Gasen (Cr = 3R/2) besitzen die Atome fester Stoffe außer der kinetischen Energie eine potentielle Energie u n d in beiden Fällen 3 Freiheitsgrade. Dies f ü h r t zu Cv = 3 R . G e m ä ß der empirischen Formel von NEBNST ist CP = Cv + 0 , 0 2 1 8 C P 2 T / T S . Vereinfacht wird a n g e n o m m e n CP = Cv + 0,0214C 2 y — . Ts
( I I I . 14)
Die Temperaturabhängigkeit der W ä r m e k a p a z i t ä t besitzt wesentliche Besonderheiten. Wie a u s dem I I I . H a u p t s a t z der T h e r m o d y n a m i k folgt (III. § 20.), ist in Nähe des absoluten Nullpunktes die W ä r m e k a p a z i t ä t gleich Null. I m Bereich von 0 bis 3 . . . 5 ° K k a n n ihre Größe vernachlässigt werden. Von 5 bis 2 5 ° K entspricht ihre Abhängigkeit der DEBYEschen F u n k t i o n u n d demgemäß der DEBYEschen Gleichung (III.17). Charakteristische Temperatur: Der Temperaturverlauf von Molwärmen bei höheren T e m p e r a t u r e n ist in Abb. I I I . 3 . a dargestellt. Die K u r v e n verschiedener Stoffe sind einander ähnlich, sind aber nicht identisch. W i r d jedem Stoff eine eigene T e m p e r a t u r skala zugeordnet, k ö n n e n die K u r v e n zu einer z u s a m m e n g e f ü h r t werden. Voraussetzung dabei ist, d a ß jedem Stoff eine charakteristische T e m p e r a t u r 6 = ßv = hvk grd zugeordn e t wird, wobei v die Frequenz der Atomschwingungen im Gitter, h die PLANOKsche K o n s t a n t e u n d k die BoLTZMANN-Konstante ist. Die F r e q u e n z v k a n n z. B. mit Hilfe der Formel von F . A. LINDEMANN berechnet w e r d e n : V = 2 , 8 - 10 1 2 1 / — F R ,
y
AV2/3'
(III.15)
218
Grundlagen der chemischen Thermodynamik
Ts ist die Schmelztemperatur, A das Atomgewicht und V das Molvolumen. Da ß = hjk = 4,80 • 10"11 s • grd ist, können wir gleich die Formel für 0 schreiben: 0 = ßv = 4,8 • 10" u • 2,8 • 1012 1 / — - = 134,4 1 / — . |/ AVVi 11 AV2la
(111.16)
Als Beispiel soll die charakteristische Temperatur von Blei berechnet werden. Ts = 600°K; A = 207,2; V = 207,2/11,3 = 18,33 cm 3 ; V2'3 = 6,95. Hieraus ergibt sich 0 Pb = 134,4 y0,146 = 134,4 • 0,645 = 87°. In Tab. U L I . sind die charakteristischen Temperaturen einer Reihe von Stoffen aufgeführt. a
• 4g-
eAI . o Pb. •oMg_ o Bi _ «Cd • Si . • Graphit o Diamant
b Abb. 111.3. Verlauf der Wärmekapazitäten Cv a) verschiedener elementarer Stoffe in Abhängigkeit von T°K (Silizium, insbesondere C3raphit und Diamant weichen von der Di'LONG-PETiTschen Regel ab); b) Abhängigkeit der Wärmekapazität fester Stoffe von T/d (die Werte für verschiedene elementare Stoffe, darunter auch Diamant, liegen auf einer Kurve)
219
W ä r m e k a p a z i t ä t der festen Phasen
Tabelle III.l. Charakteristische Temperaturen einiger Stoffe Stoff
6, °K
Stoff
0, °K
Stoff
0, °K
Wasserstoff Deuterium Natrium Kalium Kupfer Silber Gold Beryllium Magnesium Kalzium Strontium Zink Kadmium Quecksilber Aluminium Gallium Indium
105 97 150 100 315 215 170 900-1000 290-320 230 170 220-250 155-172 96 390 125 100
Thallium Lanthan Diamant Germanium Zinn Blei Titan Zirkonium Hafnium Wismut Tantal Chrom Molybdän Wolfram Rhenium Eisen Osmium
93-100 150 1860 290 260 88 350 280 213 100 245 485 380 310 300 430 250
Kobalt Iridium Nickel Palladium Platin Helium Neon Argon Krypton Xenon NaCl KCl KBr AgCl AgBr CaF 2 FeS 2 (Pyrit)
410 285 400 275 230 25-85 64 80 63 55 281 227 177 183 144 474 645
Die funktionellen Abhängigkeiten der Molwärmen aller Stoffe von der relativen absoluten Temperatur jedes Stoffes T/6, Cr = f(T/6) sind identisch (Abb. TIT.3.6). Verschiedene Abschnitte der Kurven werden durch verschiedene Gleichungen beschrieben. Bereich von 5 bis 30 °K. Debyesche Gleichung: Für diesen Temperaturbereich stellt die folgende Gleichung eine gute Näherung dar, die als DEBYEsche Gleichung bekannt ist Cy = i Zum Beispiel beträgt für Kupfer bei T = 14,5 °K CVexp = 0,040 und CVber = 0,041; für T = 17,2 °K ist CVexp = 0,069 und Cvber = 0,069 cal/grd • mol = 0,289 J/grd • mol. Bereich von 30 bis 300 °K (und höher). Gleichungen von A. Einstein und F. A. Lindemann-W. Nernst". In diesem Bereich gelten außer für Diamant, Silizium und Bor die Gleichungen von E I N S T E I N und N E R N S T - L I N D E M A N N . Gemäß E I N S T E I N ist e Cv =
ßv_ Ißv 2 T \ rp I
it. v [ e T - l )
e =
mit e als Basis des natürlichen Logarithmus.
3jR
m
( ±
v '
( I I L 19)
220
Grundlagen der chemischen Thermodynamik
N E R N S T und L I N D E M A N N schlugen eine Verbesserung der EiNSTEiNschen Gleichung vor, die bessere Ergebnisse liefert. In ihrer Gleichung ist Cv das arithmetische Mittel zweier Glieder:
\T )
Cv = — Ä 9
H \9. ( « ' - l)
e2T
\ 2T) Ñ {e*r - l)
(III.19)
Berechnen wir den Wert der Molwärme C v von Blei bei 77 °K (Temperatur des flüssigen Stickstoffs, bei der oft die Eigenschaften von Halbleitern und Metallen untersucht werden) nach der Gleichung von N E R N S T - L I N D E M A N N :
Cv =
3 • 1,988
= 2,982
87 / 87 \ 2 e " \ 77 / \9. / 87 \2 (e" — l)
3,09 • 1,277 4,3681
jt_ / 87 \» ' \ 154 ) 07 V\9t / _87_ \clä4 _ l j
e 54
1,79 • 0,319 = 2,982(0,90 + 0,915) = 5,41 cal/grd • mol. 0,624 (III.20)
Den Wert CP finden wir mit Hilfe der Formel (111.14): 2 CpP = CvV +\ 0,0214CV — = 5,41 -T + 0,0214 • 29,27 — v ' 6 0 0
= 5,41 + 0,08 = 5,49 cal/grd • mol. Nach den Tabellen von M E E T I N G beträgt C P Pb = 5,73 cal/grd • mol bei 80 °K. Die 77 Größe des Integrals J CP dT läßt sich leicht durch Berechnung einer Reihe von Molo wärmen bei verschiedenen Temperaturen ermitteln. Nach den Tabellen von M E E T I N G 80
beträgt die Größe des Integrals J CPdT für Blei 313, für Silizium 30,9 cal/mol. Von 0°K o "bis Raumtemperatur ist das Integral für Blei gleich 1656 und für Silizium 759 cal/mol. Die Energie der Wärmebewegung ist somit in diesen Temperaturbereichen sehr klein und beträgt Teile von Prozenten der Bindungsenergie (siehe Kap. IV. und VIII.). Die Gleichungen von E I N S T E I N und N E R N S T - L I N D E M A N N lassen sich übersichtlicher gestalten. Für Lehrzwecke erscheint es uns sinnvoll, das Verhältnis 6/T durch « zu ersetzen. Die NERNST-LiNDEMANNSche Gleichung nimmt dann folgende Form an:
Cv =
3R
erof (e" - l) 2
"(0,5a)2
+ (e0,5'Aß muß sich die Enthalpie des Systems um die Differenz fiT(ß) — HT{a) erhöhen: T T ¿Htw
= Hm
= AH0 + f (CP(ß) - CPW) dT = AH0 + IACP o o
dT,
(111.31)
wobei A H f ^ ß i eine positive Größe ist, da die Enthalpie der Hochtemperaturphase ß gemäß dem I I . Hauptsatz der Thermodynamik größer als die Enthalpie der «-Phase ist (siehe I I I . § 21.). Hier muß, streng genommen, eine geringfügige Korrektur betreffs
Kalorimetrische Methode zur Bestimmung der Wärmeeffekte einer Reaktion
227
Fi der Arbeit ± F P DV eingeführt werden, hervorgerufen von Volumenschwankungen v, der tx- und /5-Phasen infolge vorhandener Volumendefekte (siehe II. § 2. und II. § 3.). In Zusammenhang mit Abb. III.5. muß auf einen sehr wichtigen Umstand hingewiesen werden. Auf der Abbildung kann auf Grund des III. Hauptsatzes der Thermodynamik die Kurve nicht mehr genau dargestellt werden (absoluter Nullpunkt der Temperatur ist nicht erreichbar, siehe III. § 20.). H
J X — c
J
AH-Hß-H*
1 1 I 0 100 200TU 300 K Sprung AH beider Temperatur der Phasenummndlung b
a
Abb. 111.5. Phasenumwandlungen erster Ordnung Aa — Aß usw. auf einem PT-Diagramm (a) und Entstehung der Wärmeeffekte der Umwandlung (6)
Die Betrachtung dieser prinzipiellen und praktisch wichtigen Frage aus der Sicht des I I I . Hauptsatzes der Thermodynamik erfolgt in I I I . § 20. Im Falle der chemischen Reaktion A-\-B = C-\-D± AHT° bei einer Temperatur T °K ist die Reaktionsenthalpie offensichtlich darin begründet, daß AHT
— (AHCW_+T)
+
AHM^T))
— (AHMQ^T)
+
AHBW^T))
ist, d. h. die Differenz zwischen den Summen der Enthalpien der Reaktionsprodukte und der Ausgangskomponenten, die im allgemeinen Fall einander nicht gleich sind. § 1 1 . Kalometrische Methode zur Bestimmung der Wärmeeffekte einer Reaktion Diese Methode beruht auf der Verwendung von Kalorimetern verschiedener Typen. Ihre wichtigsten Bestandteile sind eine kalorimetrische Bombe und ein Thermostat [5, 1]. Eine kalorimetrische Bombe stellt ein Stahlgefäß dar, das von innen durch eine Schicht aus Platin oder aus spezieller Emaille geschützt ist. Das Volumen des Gefäßes schwankt zwischen einigen Kubikmillimetern und 1 — 1,5 l. In der Bombe wird (bei konstantem Volumen) entweder die interessierende Reaktion durchgeführt, z. B. die Reaktion A + B = AB, oder eine andere, die die Berechnung von A E ' ^ für den uns interessierenden Prozeß gestattet. Als solch eine indirekte Reaktion wird oft die Verbrennung der Substanz AB in Sauerstoff bei einem Druck bis zu 30 atm gewählt. Die Substanz AB wird durch elektrischen Strom entzündet. Die dabei zugeführte Energie ist exakt zu berücksichtigen. 16
Ormont
228
Grundlagen der chemischen Thermodynamik
Sind die Wärmeeffekte bei der Verbrennung von A, B und AB bekannt, so kann über das HESSsche Gesetz AET für die Reaktion der Bildung von AB aus A und B leicht errechnet werden. Die molare Reaktionsenergie Qv der Reaktion A + B = AB ist gleich der molaren Reaktionsenergie Qr bei der Verbrennung in Sauerstoff von A B minus der molaren Reaktionsenergie Qv" der Verbrennung in Sauerstoff von AB (mit Bildung der gleichen Phasen). A. + Bfi + IV, 0, = + £0i-a + Qv' - AB. + 1V202 = AOa + BOt,. + Qv" Aa
+
Bß
— ABa
=
Q'v 2 9 8 —
Qv.298
Hieraus folgt -A* "1"
=
ABa -(- Qv
298
ÖF,298"
Die zur Zündung vorbereitete Bombe befindet sich in einem isothermischen (oder adiabatischen) Thermostat, dessen Temperatur konstant gehalten werden kann. Durch Messung der Temperaturänderung AT in der Bombe nach Zündung einer Eichsubstanz erfolgt die Messung von AT der Bombe während der Reaktion. Dadurch ist die Berechnung der bei der Zündung der zu untersuchenden Substanz frei werdenden Energiemenge leicht möglich. Die gemessenen Werte der Reaktionswärmen werden von 30 atm auf 1 atm umgerechnet und somit Qv,i9g = —AE%9S der Reaktion bestimmt. Danach erfolgt die Berechnung von AH\9%. Betrachten wir einige praktische Aspekte der Anwendung des HESSschen Gesetzes. Nehmen wir an, daß in unserem System eine isotherme chemische Reaktion durchgeführt wird, bei der durch Wärmeaustausch Qv cal frei wird; die Reaktionskomponenten und Reaktionsprodukte sind kondensiert, sie sind z. B. feste Phasen: C (s) + Si (s) = CSi (s). Vi In diesem Fall ist die Volumenänderung unbedeutend, die Arbeit J P dV kann vernachlässigt werden und QP,r = QV.T = —AHT = —AET. V3 Ist ein Teil oder sind alle Reaktionskomponenten und Reaktionsprodukte Gase, und ändert sich die Anzahl der Mole des Gases infolge der Reaktion nicht, wie z. B. H 2 (g) + C1 (g) = 2 HCl (g), d. h. die Summe der Mole der gasförmigen Reaktionsprodukte und Reaktionskomponenten ist A j r w = 2 - (1 + 1) = 0, so ist in diesem Fall Qp,298
=
Qv,298
=
^^298
=
^¿¿298 .
Wenn sich jedoch während der Reaktion die Anzahl der Mole des Gases ändert, z. B. Ni (s) + 4CO (g) = Ni(C0) 4 (l), bei A £ n = —4, so ist AH = AE -f-A £ nRT. Die Synthese von Nickelkarbonyl ist eine exotherme Reaktion. Für diesen Prozeß ist AE29S = —186,6 kJ. Für die Berechnung von AH\9% muß eine Korrektur betreffs der Kompressionsenergie des Systems infolge
KiBCHHOFFsches Gesetz der Kondensation von 4 Mol Gas n R T = - 4 • 8,3147 • 298 = - 9 9 1 1 densationsenergie durch das System die Reaktionsenergie erhöht). Somit
229
eingeführt werden. Bei 298 °K ist diese gleich • J = - 9 , 9 1 1 k J (minus deshalb, weil diese Konan den Thermostaten abgegeben wird und damit ist
AH\9% = - 1 8 6 , 6 - 9,91 = - 1 9 6 , 5 1 k J . Da in Nachschlagewerken die Enthalpieänderung und die der inneren Energie tabellarisch enthalten ist, werden wir in den weiteren Beispielen hauptsächlich die Werte A H t ° benutzen. Das ÜESSsche Gesetz gestattet durch Kombination mehrerer Gleichungen die Bestimmung von AHT° für beliebige Reaktionen. Bestimmen wir AH\98 der Reaktion C (Graphit) + H a O (Dampf) = CO (g) + H 2 (g). Ausgehend vom HESSschen Gesetz ist (links und rechts Verringerung um 1/2 0 2 ig)) H 2 0 (Dampf) = H 2 (Dampf) + 1/2 0 2 (g) + C (Graphit) + 1/2 0 2 (gr) CO (gr)
AH%S = 241,84 k J + AH°29S = - 1 1 0 , 5 4 k J
C (Graphit) + H 2 0 (Dampf) = H 2 (G) + CO (gr)
AH°29S
= 131,30 k J
Die Reaktion ist endotherm. § 12. Das Kirchhoffsche Gesetz Das KiECHHOFFsche Gesetz bestimmt die Temperaturabhängigkeit der Reaktionsenthalpie AHT (oder AET). Betrachten wir einen Kreisprozeß (Abb. III.6.). Bei der Temperatur T l überführen wir das System direkt aus dem Zustand er. in den Zustand d und finden dabei den Wert AHTI. Danach überführen wir das System aus dem Zustand a in den Zustand d auf einem anderen Wege: zuerst erwärmen wir von T 1 auf T 2 , d. h. überführen wir es in r* den Zustand durch Zuführung von + J . Anschließend führen wir die Au r, Reaktion durch und überführen das System aus b in c. Die Enthalpieänderung beträgt Zum Schluß kühlen wir die Reaktionsprodukte bis auf T1 ab und überführen das System in den Endzustand d. Zu diesem Zweck muß sein Wärmevorrat um r2 / ^Pproa ^ J verringert werden. (Hierbei wird angenommen,daß Aggregat- u n d P h a s e n -
b
J £ Cp „ dT
Tt
zustand des Systems sich nicht verändern.) Aus Abb. III.6. folgt, daß AHTi
und
AHTt +
=
F Z
CPAML
T,
T*
AHTI = AHTi + J ( Z