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Teubner Studienbücher Chemie Claus Czeslik, Heiko Seemann, Roland Winter
Basiswissen Physikalische Chemie
Teubner Studienbücher Chemie Herausgegeben von Prof. Dr. rer. nat. Christoph Elschenbroich, Marburg Prof. Dr. rer. nat. Dr. h.c. Friedrich Hensel, Marburg Prof. Dr. phil. Henning Hopf, Braunschweig
Die Studienbücher der Reihe Chemie sollen in Form einzelner Bausteine grundlegende und weiterführende Themen aus allen Gebieten der Chemie umfassen. Sie streben nicht die Breite eines Lehrbuchs oder einer umfangreichen Monographie an, sondern sollen den Studenten der Chemie – aber auch den bereits im Berufsleben stehenden Chemiker – kompetent in aktuelle und sich in rascher Entwicklung befindende Gebiete der Chemie einführen. Die Bücher sind zum Gebrauch neben der Vorlesung, aber auch anstelle von Vorlesungen geeignet. Es wird angestrebt, im Laufe der Zeit alle Bereiche der Chemie in derartigen Lehrbüchern vorzustellen. Die Reihe richtet sie auch an Studenten anderer Naturwissenschaften, die an einer exemplarischen Darstellung der Chemie interessiert sind.
Claus Czeslik, Heiko Seemann, Roland Winter
Basiswissen Physikalische Chemie 2., überarbeitete Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Claus Czeslik Geboren 1968 in Oberhausen, Chemiestudium an der Ruhr-Universität Bochum, 1997 Promotion in Physikalischer Chemie an der Universität Dortmund bei Prof. Dr. R. Winter, 1998-1999 Post-Doktorand an der University of Illinois at Urbana-Champaign bei Prof. Dr. J. Jonas, seit 2004 Akademischer Rat am Fachbereich Chemie der Universität Dortmund bei Prof. Dr. R. Winter, 2006 Habilitation in Physikalischer Chemie. Hauptarbeitsgebiete: Biophysikalische Chemie (Chemisch-biologische Grenzflächen, Proteinadsorption) Dr. rer. nat. Heiko Seemann Geboren 1969 in Dortmund, Chemiestudium an der Universität Dortmund, 2000 Promotion in Physikalischer Chemie bei Prof. Dr. R. Winter, 1996-2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Chemie der Universität Dortmund. Prof. Dr. rer. nat. Roland Winter Geboren 1954 in Offenbach/Main, Chemiestudium an der Universität (TH) Karlsruhe, Promotion in Physikalischer Chemie bei Prof. Dr. U. Schindewolf, 1983-1991 wissenschaftlicher Angestellter am Fachbereich Physikalische Chemie der Philipps-Universität Marburg bei Prof. Dr. F. Hensel, 1987-1988 Forschungsaufenthalt an der School of Chemical Sciences in Urbana-Champaign bei Prof. Dr. J. Jonas, 1991 Habilitation in Physikalischer Chemie in Marburg. 1992 Ruf auf eine Professur für Physikalische Chemie an der Ruhr-Universität in Bochum, 1993 Ruf auf einen Lehrstuhl für Physikalische Chemie an der Universität Dortmund. Hauptarbeitsgebiete: Biophysikalische Chemie (Membranbiophysik, Proteinfaltung und -missfaltung, Hochdruckeffekte in der molekularen Biophysik), Struktur und Dynamik von Flüssigkeiten, Hochdruckchemie
1. Auflage 2001 2., überarbeitete Auflage Januar 2007
Alle Rechte vorbehalten © B.G. Teubner Verlag / GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007
Der B.G. Teubner Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.teubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Strauss Offsetdruck, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany
ISBN 978-3-8351-0047-3
Vorwort zur zweiten Auflage Die sehr freundliche Aufnahme, die unser Lehrbuch „Basiswissen Physikalische Chemie" gefunden hat, bestarkte uns, das der ersten Auflage zugrunde liegende Konzept beizubehalten: die klare und straffe mathematische Ableitung und Formulierung der physikalisch-chemischen Grundlagen. Die Stoffauswahl umfasst in etwa die einer sechssemestrigen Ausbildung in Physikalischer Chemie und vermittelt somit das Basiswissen in Physikalischer Chemie in der Bachelor-Ausbildung. Angesichts des riesigen Seitenumfangs vieler traditioneller und auch neuer Lehrbiicher der Physikalischen Chemie soil der auf diese Weise prasentierte Stoff auch das Lernen fiir Priifungen und Klausuren erleichtern. Wir haben an einigen Stellen Korrekturen bzw. Erganzungen vorgenommen, um den Text verstandlicher und folgerichtiger zu gestalten. Wie in der ersten Auflage werden die einzelnen Kapitel nur von wenigen vorgerechneten Ubungsaufgaben begleitet, um den Seitenumfang des Buches nicht zu sprengen. Es gibt umfangreiche Aufgabensammlungen mit Losungsbiichern zur Physikalischen Chemie, so dass wir hierauf verzichten konnten. Dortmund, im November 2006
Die Autoren
Vorwort zur ersten Auflage Das vorliegende Buch soil einen ersten Uberblick iiber die wichtigsten Teilgebiete der Physikalischen Chemie geben und ist insbesondere fiir Studierende der Chemie gedacht. Es ist aber auch fiir Studierende verwandter naturwissenschaftlicher Disziplinen, wie der Physik, Biologie, Pharmazie und Ingenieurswissenschaften, geeignet, die Interesse an physikalisch-chemisclien Fragestellungen haben. Das Buch ist aus einer Vorlesungsreihe der Physikalischen Chemie im Grundstudium entstanden. Die Stoffauswahl wurde dariiberhinaus um einige Themen erweitert, so dass sie einer etwa sechssemestrigen Ausbildung in Physikalischer Chemie entspricht (physikalisch-chemischer Teil des Basisstudiums Chemie-Diplom bzw. Bachelor). Im Basisstudium sollen diejenigen Lehrinhalte vermittelt werden, die fiir alle Chemiestudierenden, unabhangig von der Richtung, die sie im Vertiefungsstudium einschlagen werden, wichtig sind. In der Physikalischen Chemie steht heute insbesondere die molekulare Deutung makroskopischer Eigenschaften der Materie im Mittelpunkt des Interesses. Durch die Entwicklung und Anwendung moderner physikalisch-chemischer Methoden in der Chemie und in verwandten naturwissenschaftlichen Disziplinen, von den Ingenieurwissenschaften bis hin zur Biophysik und Medizin, einerseits, und durch zahlreiche grundlagenwissenschaftliche und technologische Neuentwicklungen andererseits, wird dieses Interesse verstarkt. In einem modernen Basiskurs der Physikalischen Chemie sollte daher die molekulare Sichtweise mit ihren Gebieten der Quantentheorie, Statistik und Spektroskopie eine grofie Rolle spielen. Auch Grenzflachenphanomene sollten aufgrund des zunehmenden Interesses an Oberflacheneffekten hier schon angesprochen werden. In der Physikalischen Chemie spielen quantitative Berechnungen eine wichtige Rolle, so dass, wo immer im Rahmen eines solchen Buches moglich, auf eine klare und straffe mathematische Ableitung und Formulierung der Ergebnisse Wert gelegt wurde. Die einzelnen Kapitel werden von einigen vorgerechneten Ubungsaufgaben begleitet, die die Anwendungsmoglichkeiten der Ergebnisse aufzeigen sollen. Um den Seitenumfang des Buches nicht zu sprengen, und da es zahlreiche Aufgabensammlungen der Physikalischen Chemie mit Losungsbiichern gibt, wurde auf eine zusatzliche Zusammenstellung von Ubungsaufgaben verzichtet. Angesichts des riesigen Seitenumfangs vieler traditioneller Lehrbiicher der Physikalischen Chemie sollte der auf diese Weise vorgest elite St off auch das Lernen fiir Priifungen und Klausuren erleichtern. Fiir eine weitere Vertiefung des Stoffes haben wir im Anhang eine Literaturzusammenstellung angefiigt. Dem Teubner-Verlag, insbesondere Herrn Dr. P. Spuhler, sind wir fiir die freundliche Betreuung und die Geduld dankbar. Dortmund, im September 2001
Die Autoren
Inhaltsverzeichnis Vorwort Liste der wichtigsten Symbole
XI
1
Aggregatzustande 1.1 Ideale Gase 1.1.1 Das ideale Gasgesetz 1.1.2 Gasmischungen 1.1.3 Geschwindigkeiten von Gasteilchen 1.1.4 Effusion 1.1.5 Stofie zwischen Gasteilchen 1.1.6 Fliisse: Diffusion, Viskositat und Warmeleitung Reale Gase 1.2 1.2.1 Zwischenmolekulare Krafte 1.2.2 Virial- und VAN DER WAALS-Gleichung . . . . Fliissigkeiten 1.3 1.3.1 Niedermolekulare Fliissigkeiten 1.3.2 Fliissigkristalle 1.3.3 Losungen von Makromolekiilen 1.4 Kristalline Festkorper
1 1 1 4 6 11 12 14 22 23 25 30 30 32 32 37
Thermo dynamik 2.1 Erster Hauptsatz der Thermodynamik 2.1.1 Begriffe und Definitionen 2.1.2 Formulierung des ersten Hauptsatzes 2.1.3 Innere Energie und Enthalpie 2.1.4 Warmekapazitaten 2.1.5 Adiabatische Prozesse 2.1.6 Thermochemie 2.2 Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik 2.2.1 Einfiihrung der Grofie Entropie 2.2.2 Eigenschaften der Entropie 2.2.3 GiBBS-Energie und HELMHOLTZ-Energie 2.3 Mischungen 2.3.1 Partielle molare Grofien 2.3.2 Das chemische Potential 2.3.3 Mischungsgrofien 2.3.4 Exzessgrofien 2.3.5 Das RAOULTsche Gesetz 2.3.6 Das HENRYsche Gesetz 2.3.7 Kolligative Eigenschaften 2.4 Chemische Gleichgewichte 2.4.1 Gleichgewichtskonstanten 2.4.2 Temperatur- und Druckabhangigkeit von Gleichgewichtskonstanten
41 41 41 42 45 47 48 52 57 57 60 65 70 70 72 75 76 78 80 83 87 88 92
Inhaltsverzeichnis
VIII 2.5
3
5
2.4.3 Ermittlung von Gleichgewichtskonstanten Phasendiagramme 2.5.1 GiBBSsche Phasenregel 2.5.2 Einkomponentensysteme 2.5.3 Zweikomponentensysteme 2.5.4 Klassifikation von Phasenumwandlungen
94 97 97 98 101 110
Aufbau der Materie 3.1 Grenzen der klassischen Physik 3.2 Einfiihrung in die Quantenmechanik 3.3 Mikroskopische Teilchen in Bewegung 3.3.1 Translation 3.3.2 Rotation 3.3.3 Schwingung 3.4 Atome 3.4.1 Das Wasserstoffatom 3.4.2 Der Elektronenspin 3.4.3 Aufbau des Periodensystems der Elemente 3.4.4 Termsymbole fiir Atome 3.5 Molekiile 3.5.1 Die BORN-OPPENHEIMER-Naherung 3.5.2 Der LCAO-Ansatz 3.5.3 Die chemische Bindung 3.5.4 Ab-initio-Molekiilorbital-Rechnungen 3.5.5 Die HuCKEL-MO-Methode 3.6 Photoelektronenspektroskopie
113 113 115 118 118 122 127 130 131 136 138 142 144 144 145 147 151 160 162
Statistische Thermodynamik 4.1 Isolierte Systeme 4.2 Geschlossene Systeme 4.2.1 Thermodynamische Grofien geschlossener Systeme 4.3 Offene Systeme 4.3.1 Thermodynamische Grofien offener Systeme . . . 4.4 Anwendung: Ideale Gase 4.4.1 Thermodynamische Grofien idealer Gase 4.5 Das Aquipartitionstheorem 4.6 Anwendung: Warmekapazitaten kristalhner Festkorper .
165 165 167 170 172 174 176 180 186 187
Oberflachenerscheinungen 5.1 Einleitung 5.2 Die Oberflachenspannung 5.3 Gekriimmte Oberflachen 5.4 Benetzung fester Oberflachen 5.5 Thermodynamische Oberflachengrofien 5.6 Oberflachenerscheinungen von Mischungen 5.6.1 Oberflachenkonzentrationen 5.6.2 Der Spreitungsdruck von Oberflachenfilmen
191 191 192 194 197 198 201 201 204
Inhaltsverzeichnis 5.7
6
7
Gasadsorption an Festkorperoberflachen 5.7.1 Theorien der Gasadsorption 5.7.2 Isostere Adsorptionsenthalpie
IX 206 207 209
Elektrochemi e 6.1 lonentransport in Elektrolytlosungen 6.1.1 Mikroskopische Beschreibung der lonenwanderung im elektrischen Feld 6.1.2 Diffusion in Elektrolytlosungen 6.1.3 FARADAY-Gesetze (Coulombmeter) 6.1.4 Uberfiihrungszahlen 6.1.5 Leitfahigkeit schwacher Elektrolyte 6.2 Thermodynamische Eigenschaften von lonen in Losung 6.3 AktivitatskoefRzienten von Elektrolytlosungen 6.3.1 DEBYE-HUCKEL-Theorie 6.4 Elektrochemische Thermodynamik 6.4.1 Die elektromotorische Kraft 6.4.2 Bestimmung von Standard-Potentialen, AktivitatskoefRzienten und pH-Werten 6.4.3 Diffusionspotentiale 6.4.4 Konzentrationsketten 6.5 Technisch wichtige Zellen (Galvanische Elemente) 6.6 Elektrolyse und Potentiale von Zellen unter Belastung
211 211
Reaktionskinetik 7.1 Grundbegriffe und Messmethoden 7.2 Einfache Geschwindigkeitsgesetze (Formalkinetik) . . . . 7.3 Bestimmung der Geschwindigkeitsgleichung 7.4 Temperaturabhangigkeit der Geschwindigkeitskonstanten 7.5 Komplexe Reaktionen 7.5.1 Reversible Reaktionen . . . . 7.5.2 Parallelreaktionen 1. Ordnung 7.5.3 Folgereaktionen . 7.5.4 Kettenreaktionen 7.5.5 Explosionen . . . 7.5.6 Enzymreaktionen 7.6 Theorien der Elementarreaktionen 7.6.1 Stofitheorie bimolekularer Reaktionen 7.6.2 Theorie des Ubergangszustandes . . 7.6.3 Katalysatoren 7.7 Reaktionen in Losung 7.7.1 Reaktionen zwischen lonen 7.8 Relaxationsverfahren
261 261 264 270 272 274 275 277 278 281 282 283 285 286 287 295 295 298 299
215 218 220 221 225 226 229 231 236 236 244 250 250 254 256
X 8
Inhaltsverzeichnis Molekiilspektroskopie 8.1 Elektrische Eigenschaften der Materie 8.1.1 Messung von elektrischen Dipolmomenten 8.2 Prinzipien der Spektroskopie 8.3 Reine Rotationsspektren 8.3.1 Der unstarre lineare Rotator 8.4 Schwingungsspektroskopie 8.4.1 Rotations-Schwingungsspektren 8.4.2 Schwingungen mehratomiger Molekiile 8.5 RAMAN-Spektroskopie 8.5.1 Rotations-RAMAN-Spektren 8.5.2 Schwingungs-RAMAN-Spektren 5.6 Elektronenschwingungsspektren von Molekiilen 8.6.1 Elektronenschwingungsspektren in der Gasphase 8.6.2 Desaktivierung elektronisch angeregter Zustande 8.7 NMR-Spektroskopie 8.7.1 Grundlagen 8.7.2 Die chemische Verschiebung 8.7.3 Spin-Spin-Wechselwirkung 8.7.4 Chemischer Austausch 8.8 Elektronen-Spin-Resonanz (ESR)
301 301 303 306 310 313 313 314 318 319 321 323 325 326 331 333 333 338 342 345 346
A Literaturauswahl
351
B SI-Einheiten und abgeleitete Groften
355
C Naturkonstanten
357
Liste der wichtigsten Symbole ao a
A As b B
c c Up
Cv D Do De e
E
E^ Epeid •E'kin •E'pot
/ F F F g 9 9e 9N
G h
t H H I
J J
BoHRscher Radius VAN DER WAALS-Parameter Aktivitat HELMHOLTZ-Energie (freie Energie) Oberflache VAN DER WAALS-Parameter zweiter VirialkoefRzient Rotationskonstante magnetische Flussdichte Lichtgeschwindigkeit Konzentration Warmekapazitat bei konstantem Druck Warmekapazitat bei konstantem Volumen DiffusionskoefRzient chemische Dissoziationsenergie spektroskopische Dissoziationsenergie Elementarladung Energie elektromotorische Kraft Extinktion Aktivierungsenergie elektrische Feldstarke kinetische Energie potentielle Energie AktivitatskoefRzient FARADAY-Konstante Kraft FOCK-Operator Erdbeschleunigung Entartungsgrad LANDE-Faktor Kern-^-Faktor GiBBS-Energie (freie Enthalpie) PLANCKsche Konstante h/27r Enthalpie HAMILTON-Funktion HAMILTON-Operator lonisierungsenergie Tragheitsmoment Stromstarke Kernspinquantenzahl Stromdichte Fluss
XII
J k kB K Ka Kc K,g Kp Ksi K, I L m mi nis mj
M n
NA
N P P Pm P(r) Q
Q r
R R
Symbole Gesamt-Drehimpuls-Quantenzahl Rotationsquantenzahl Kopplungskonstante COULOMB-Operator Kraftkonstante Reaktionsgeschwindigkeitskonstante BOLTZMANN-Konstante Austauschoperator Gleichgewichtskonstante mit Aktivitaten Gleichgewichtskonstante mit Konzentrationen ebullioskopische Konstante Gleichgewichtskonstante mit Partialdriicken kryoskopische Konstante Gleichgewichtskonstante mit Stoffmengenbriichen Rotationsquantenzahl Nebenquantenzahl Drehimpuls Gesamt-Bahndrehimpuls-Quantenzahl Masse Molalitat magnetische Quantenzahl magnetische Spinquantenzahl magnetische Kernspinquantenzahl molare Masse Stoffmenge Hauptquantenzahl Translationsquantenzahl AvoGADRO-Konstante Teilchenzahl Druck Linearimpuls elektrische Polarisation Kernspin Molpolarisation radiale Verteilungsfunktion lonenladung Warme Ladungsmenge Abstand Radius Kugelkoordinate Reaktionsgeschwindigkeit Gaskonstante Abstand Radius elektrischer Widerstand
Symbole R{r) s S
t T u U V
V
w X
XQ
y Y z
Z
a
P 7N r 8 e
So BY rj
XIII radiale Wellenfunktion Spinquantenzahl Entropie Spin (Eigendrehimpuls) Gesamt-Spin-Quantenzahl Uberlappungsintegral Zeit Uberfiihrungszahl Temperatur kinetische Energie lonenbeweglichkeit innere Energie Spannung Geschwindigkeit Schwingungsquantenzahl Volumen potentielle Energie Arbeit Zahl der Realisierungsmoglichkeiten Stoffmengenbruch (Molenbruch) Ortskoordinate Anharmonizitatskonstante der Schwingung Ortskoordinate Kugelfunktion Ortskoordinate Molekiilzustandssumme lonenladungszahl Stofizahl Kompressibilitatsfaktor Kernladungszahl Systemzustandssumme thermischer AusdehnungskoefRzient Polarisierbarkeit Spinfunktion SpannungskoefRzient Spinfunktion gyromagnetisches Verhaltnis Grenzflachenkonzentration chemische Verschiebung Teilchenenergie Dielektrizitatskonstante molarer dekadischer ExtinktionskoefRzient elektrische Feldkonstante relative Dielektrizitatszahl ViskositatskoefRzient
XIV
9 OB ^rot ^vib K
f^s KT
A Am A Am ^ jiio
/^ag /^el /^magn /^N /^B ly
0 ^ S TT
n Q G
0 ^ ^ ^ IZ^ CJ
r?
Symbole Uberspannung Kugelkoordinate DEBYE-Temperatur Rotationstemperatur Schwingungstemperatur WarmeleitfahigkeitskoefRzient spezifische Leitfahigkeit adiabatischer KompressibilitatskoefRzient isothermer KompressibilitatskoefRzient mittlere freie Weglange Wellenlange molare lonenleitfahigkeit thermische Wellenlange molare Leitfahigkeit chemisches Potential reduzierte Masse magnetische Feldkonstante Ubergangsdipolmoment elektrisches Dipolmoment magnetisches Moment Kernmagneton BOHRsches Magneton stochiometrischer KoefRzient Frequenz Wellenzahl Reaktionslaufzahl grofikanonische Zustandssumme osmotischer Druck Spreitungsdruck Dichte Stofiquerschnitt Oberflachenspannung Abschirmungskonstante Volumenbruch Kugelkoordinate Fugazitat Atomorbital Halbzellenpotential SLATER-Determinante CouLOMB-Potential Wellenfunktion Molekiilorbital Spinorbital Kreisfrequenz Zahl der Systemzustande gleicher Energie
Symhole {X) X
x°
X* ^oo ^Gl
x^ X' x^ Xm Xi
AX X^
XV Mittelwert Operator Gro£e im Standardzustand Gro£e im Reinzustand Gro£e in unendlicher Verdiinnung Gro£e im Gleichgewicht Gro£e in der festen Phase Gro£e in der fliissigen Phase Gro£e in der Gasphase molare Gro£e partiehe molare Gro£e Groi^endifferenz zwischen zwei Zustanden Exzessgrofie
1
Aggregatzustande
Die meisten Stoffe liegen in einem der drei Aggregatzustande „fest", „flussig" oder „gasformig" vor. In diesem Kapitel liegt der Schwerpunkt auf dem gasformigen Zustand, da wichtige Begriffe wie z. B. Temperatur, Druck oder Diffusion im Fall von Gasen besonders anschaulich atomar interpretiert werden konnen. Zunachst werden ideale Gase besprochen, deren Teilchen untereinander keine Wechselwirkungskrafte zeigen, und deren physikalische Eigenschaften aus elementaren Beziehungen der Mechanik abgeleitet werden konnen. Im zweiten Schritt werden dann Wechselwirkungskrafte zwischen den Teilchen zugelassen, wofiir die zuvor erhaltenen „idealen" Ausdriicke modifiziert werden miissen. Es ergeben sich Beziehungen, die auch die physikalischen Eigenschaften realer Gase mit hinreichender Genauigkeit beschreiben. SchlieJ^lich wird auch der fliissige und der feste Aggregatzustand kurz besprochen, da insbesondere in der fliissigen Phase viele chemische Reaktionen durchgefiihrt werden.
1.1 1.1.1
Ideale Gase Das ideale Gasgesetz
Druck p, Volumen y , Stoffmenge n und Temperatur T idealer Gase lassen sich mit Hilfe des idealen Gasgesetzes beschreiben: pV = nRT
(1.1)
R ist die Gaskonstante mit dem Wert 8,314 J K~^ mol~^. Streng genommen gilt das ideale Gasgesetz nur fiir (fiktive) Gase, deren Teilchen keine Wechselwirkungskrafte untereinander zeigen und keine raumliche Ausdehnung besitzen, also punktformig sind. Die Gasteilchen fliegen durch den Raum und werden an den Gefafiwanden elastisch reflektiert. Allerdings beschreibt das ideale Gasgesetz das Verhalten aller realen Gase, wenn nur der Druck ausreichend klein gehalten wird. Dann konnen namlich Anziehungskrafte zwischen den Gasteilchen und deren Volumen vernachlassigt werden. Tragt man das Produkt pV gegen p in einem Diagramm auf, so ergibt sich fiir ein ideales Gas ein Graf parallel zur Druckachse (mit dem Wert nRT). Reale Gase zeigen dagegen Abweichungen von dieser Parallelen in der Grofienordnung von 1 % bei 1 bar. Zu den Grofien n, p und T sollten die folgenden Anmerkungen beachtet werden. Die Stoffmenge n in Gleichung 1.1 besitzt die Einheit mol (SI-Einheit).^ Die Zahl an Teilchen, die eine Stoffmenge von 1 mol bilden, ist durch eine Definition festgelegt worden, wonach 12 g des KohlenstofFisotops ^^C genau 1 mol Atome enthalten. Wie viele Teilchen das nun genau sind, kann mit verschiedenen Methoden experimentell bestimmt werden. Beispielsweise kann aus dem Volumen und den Gitterkonstanten eines Einkristalls die Zahl an Elementarzellen A^EZ ini Kristall berechnet werden. Mit Hilfe der Masse m des Einkristalls und der molaren Masse MEZ einer Elementarzelle ergibt sich dann die Teilchenzahl pro Mol, die als AvOGADRO-Konstante NA bekannt ist: NA = NEZ^^
= 6,022 • lO'^ mol"^
^SI: Systeme International d'Unites, Internationales Einheitensystem
1
Aggregatzustande
A— Vakuum
•W
Gas ^Hg Abbildung 1.1: Quecksilber-Manometer zur Messung von Gasdriicken. Mit der AvOGADRO-Konstanten kann man die Stoffmenge n in die absolute Teilchenzahl N umrechnen: (1.2)
N = nNA
Ferner steht die Gaskonstante R mit der BOLTZMANN-Konstanten ke iiber NA in Beziehung: kB = ^
= 1,381-10
-23
JK-
NA
Driicke besitzen die Einheit Pa (PASCAL, SI-Einheit), wobei 1 Pa = 1 N m~^ = 1 kg m~^s~^ ist. Haufig sind jedoch in der Literatur auch altere Druckeinheiten, wie mmHg (= Torr), atm und bar, noch gebrauchlich. Es gilt die Umrechnung: 760 mmHg = 1 atm = 1,01325 bar = 1,01325 • 10^ Pa Anschaulich lasst sich diese Umrechnung anhand eines Quecksilber-Manometers verstehen, wie es in Abbildung 1.1 gezeigt ist. Ist der Kolben mit Gas des Drucks 1 atm gefiillt, entpricht dieses einer Steighohe des Quecksilbers von h = 760 mm bei 0 °C. Der Gasdruck p betragt dann in SI-Einheit en: p =
^g/i =13,5955-10^ ^ ' 9 , 8 0 6 6 5 ^m' 0 , 7 6 0 m j^O
=
1,0132(8)-10^ Pa
In dieser Gleichung ist g die Dichte von Quecksilber und g die Erdbeschleunigung. Friiher hat man 1 atm = 1,01325 bar als Standard-Druck gewahlt und viele thermodynamische Tabellenwerte auf diesen Druck bezogen. Heute verwendet man jedoch den Standard-Druck p° = 1 bar = 10^ Pa. Zwischen Druck p und Temperatur T besteht nach dem idealen Gasgesetz eine lineare Beziehung. Je grower die Temperatur ist, desto grower ist auch der Druck des Gases. Umgekehrt kann man hieraus folgern, dass bei einer geniigend kleinen Temperatur der Druck auf den Wert null gesunken ist. In Abbildung 1.2 ist der Druck p als Funktion der Temperatur fiir ein ideales Gas grafisch dargestellt. Eine Extrapolation auf p = 0 liefert den Schnittpunkt des Grafen mit der Temperaturachse bei
1.1 Ideale Gase
-f
-273,15 —^ 0
y
0 \ 273,15
•
^/°C
•
r/K
Abbildung 1.2: Temperaturabhangigkeit des Drucks eines idealen Gases. —273,15 °C. Eine tiefere Temperatur kann prinzipiell nicht erreicht werden, da sonst der Druck negativ wiirde. Die CELSIUS-Skala (Einheit °C) zur Temperaturmessung verwendet zwei Fixpunkte. Der eine ist die Schmelztemperatur von Wasser, das mit Luft gesattigt ist, bei 1 atm, der andere ist die Siedetemperatur von Wasser bei 1 atm. Diese beiden Temperaturen sind mit 0 bzw. 100 °C festgelegt. In der physikalischen Chemie ist jedoch die KELVIN-Skala (Einheit K, SI-Einheit) zur Temperaturangabe iiblich. Zwischen den beiden Temperaturen t? in °C und T in K besteht folgender einfacher Zusammenhang: r / K = t?/°C + 273,15 D. h., die tiefste erreichbare Temperatur von t? = —273,15 °C entspricht T = 0 K. Es ist zu beachten, dass in thermodynamischen Beziehungen, wie z. B. dem idealen Gasgesetz, stets die KELVIN-Temperatur T einzusetzen ist. Beispiel: Das Volumen eines idealen Gases der Stoffmenge n = 1 mol, der Temperatur T = 298,15 K und des Drucks p = 10^ Pa betragt: ,, nRT 1-8,314-298,15 o ^ _ , , ^ ^, , , V = = '——z —m^ = 0,0248 m^ = 24,8 L p 10^ Das Molvolumen betragt Vm = V/n = 24,8 L mol~^ Aus dem idealen Gasgesetz (Gl. 1.1) konnen wichtige Beziehungen abgeleitet werden, indem jeweils eine der drei thermodynamischen Variablenp, V und T konstant gehalten wird. Wenn man den Druck eines Gases festhalt, spricht man von isobaren Bedingungen und man erhalt aus dem idealen Gasgesetz das GAY-LusSACsche Gesetz V (xT. Unter isochoren Bedingungen wird das Volumen konstant gehalten. Hier folgt aus dem idealen Gasgesetz die Beziehung p ocT. Das BOYLE-MARiOTTEsche Gesetz p (xl/V gilt fiir ideale Gase unter isothermen Bedingungen, d. h. bei konstanter Temperatur. Schliefilich soil auch noch der Satz von AvOGADRO genannt werden, der sich ebenfalls sofort aus dem idealen Gasgesetz ergibt: Gleich viele Molekiile verschiedener idealer Gase nehmen bei gleichem Druck und gleicher Temperatur gleiche Volumina ein.
4
1
Aggregatzustande
An dieser Stelle ist es sinnvoll, KoefRzienten zu definieren, die die Anderungen von Volumen und Druck eines beliebigen Stoffes (fest, fliissig oder gasformig) in Abhangigkeit von Temperatur und Druck beschreiben. Diese KoefRzienten sind fiir viele Stoffe bekannt und tabelliert. Sie lauten: isobarer thermischer AusdehnungskoefRzient
-mi SpannungskoefRzient
und isothermer KompressibiHtatskoeffizient
Das Volumen eines Stoffes ist eine Funktion der Variablen Druck und Temperatur. Nach der EuLERschen Kettenformel kann man daher schreiben:
Hieraus lasst sich eine Beziehung zwischen den oben definierten KoefRzienten a, (3 und KT ableiten: a = /3KTP
(1.7)
Diese Gleichung kann man fiir ideale Gase leicht nachpriifen, denn hier gilt a = 1/T, (3 = 1/T und KT = l/p- Wenn zwei KoefRzienten bekannt sind, kann der dritte berechnet werden. Abbildung 1.3 zeigt graRsch den Zusammenhang zwischen den Zustandsvariablen p, Vui und T eines idealen Gases {Vm = V/n ist das Molvolumen). 1.1.2
Gasmischungen
Fiir eine Mischung idealer Gase gilt das DALTONsche Partialdruckgesetz, das besagt, dass der Druck der Mischung gleich der Summe der Partialdriicke der Gaskomponenten i ist: Pges = Pi + P2 + P3 + ' " = ^Pi
(1-8)
i
Der Partialdruck einer Komponente ist derjenige Druck, der gemessen wiirde, wenn diese Komponente alleine vorlage. Fiir jeden Partialdruck kann man das ideale Gasgesetz formulieren: Pi = ni—
(1.9)
1.1 Ideale Gase
A b b i l d u n g 1.3: Dreidimensionale Darstellung des Zusammenhangs zwischen den Zustandsvariablen p, Vm und T eines idealen Gases.
A b b i l d u n g 1.4: Partialdriicke und Gesamtdruck eines Zweikomponentensystems idealer Gase. Definiert man den Stoffmengenbruch (Molenbruch) Xi der Komponente i als Hi
(1.10)
Xi — ''ges
gilt fiir jeden Partialdruck auch RT _ Pi — ^ i ^ g e s
-rr
— ^iPg€
(1.11)
Diese Beziehung wird auch als DALTONsches Partialdruckgesetz bezeichnet. In Abbildung 1.4 sind die Partialdriicke eines Zweikomponentensystems in Abhangigkeit des Stoffmengenbruches einer Komponente grafisch dargestellt. Jeder Partialdruck ist dem zugehorigen Stoffmengenbruch proportional, wahrend der Gesamtdruck unabhangig von der Zusammensetzung der Mischung ist.
6
1
Aggregatzustande
Analog zur Definition der Molmasse eines reinen Stoffs als Quotient von Masse durch Stoffmenge (M = m/n)^ kann man fiir Gasmischungen eine mittlere Molmasse definieren: (M) = ^f^
= ^^^
(1.12)
^ges
/ ^j ^i
Da fiir jede Komponente i rrii = niMi ist, gilt auch (M) =
= 2^a;iMi nges
(1.13)
^
Mit Hilfe von Gleichung 1.12 ergibt sich fiir den Gesamtdruck einer Gasmischung die Beziehung _
RT_rrVsRT
Pges - nges ^
-
^^^
^
U.i4j
in der die Stoffmenge iiber die mittlere Molmasse ausgedriickt ist. 1.1.3
Geschwindigkeiten von Gasteilchen
Die Beobachtungen, dass Gase sich in jedem Volumen gleichmafiig ausbreiten oder einen Druck auf die Wande des Gefafies, in dem sie sich befinden, ausiiben, sprechen fiir eine Bewegung der Gasteilchen im Raum. Durch Kollisionen untereinander sollten sie zudem standig ihre Richtung und Geschwindigkeit andern, so dass sich im Gleichgewicht alle Teilchen regellos bewegen. Ihre Geschwindigkeit kann im Prinzip von null bis zu sehr grofien Werten reichen, es ist aber zu erwarten, dass eine Geschwindigkeit, je nach Temperatur, am haufigsten auftritt. Somit sollte eine Geschwindigkeitsverteilung fiir Gasteilchen vorliegen. In der Tat ist eine solche Verteilung experimentell gefunden und von MAXWELL und BOLTZMANN hergeleitet worden. Die Herleitung der MAXWELL-BOLTZMANN-Geschwindigkeitsverteilungfiir Gase wird im Folgenden kurz skizziert. Die Geschwindigkeit eines Gasteilchens kann als Vektor beschrieben werden, der drei Geschwindigkeitskomponenten entlang der Koordinaten x^ y und z hat: V = {V:,,Vy,Vz)
(1.15)
wobei der Vektorbetrag die Gesamtgeschwindigkeit angibt:
Wahrend die Geschwindigkeit v nur positive Werte annehmen kann, konnen die Komponenten Vx^ Vy und Vz positiv und negativ sein, je nach Flugrichtung des Gasteilchens. Wenn, wie in Abbildung 1.5 gezeigt, Vx einer Verteilung folgt, dann berechnet sich der Bruchteil der Molekiile, die eine Geschwindigkeit zwischen Vx und Vx + dvx aufweisen, zu ^
= fM
d..
(1.17)
1.1 Ideale Gase /vj/m-^s
dN(vJ/N T,>T, >• v^/ms" Abbildung 1.5: Eindimensionale Geschwindigkeitsverteilung von Gasteilchen. f(vx) bezeichnet man als Verteilungsfunktion der Geschwindigkeitskomponente VxEin Flachensegment unter der Kurve von f{vx) der Breite dv^ gibt die Wahrscheinlichkeit an, ein Teilchen mit einer Geschwindigkeit zwischen Vx und Vx-\-dvx zu finden. Da das Teilchen irgendeine Geschwindigkeit zwischen — oo und oo besitzen muss, ist die Summe aller Wahrscheinhchkeiten, d. h. die gesamte Flache unter der Kurve f{vx)^ gleich eins. Im dreidimensionalen Fall betragt der Bruchteil der Molekiile, deren Geschwindigkeitskomponenten zwischen Vx und Vx-\-dVx^ Vy und Vy-\-dVy, Vz und Vz + dvz liegen. dN{v) (1.18) = F'{v) dv = f{vx)f{vy)f{vz) dvx dvy dvz N Die Gesamtwahrscheinlichkeit ist hierbei das Produkt der drei Einzelwahrscheinlichkeiten. Nun sind in Gasen die Flugrichtungen der Teilchen regellos verteilt, so dass die dreidimensionale Verteilungsfunktion nur vom Geschwindigkeitsbetrag abhangt: F'{v) = F' i^^vl+vl+vi)
=
fMf{vy)f{v,)
(1.19)
Diese Gleichung kann erfiillt werden, wenn man fiir die eindimensionalen Geschwindigkeit sverteilungen jeweils einen Ansatz der Form f(vx)
(1.20)
=aexp(-bvl)
formuliert. Die beiden unbekannten Grofien a und b miissen nun ermittelt werden. Wie bereits erwahnt, ist die Flache unter der Kurve von f{vx) auf eins normiert. Diese Bedingung liefert uns den praexponentiellen Faktor a: oo
oo
/ f(vx) dvx = / aexp(-bvl)
a= \l -
dvx = aJ-
=1
(1.21)
IT
Die Unbekannte b ist iiber eine Betrachtung des Gasdruckes p erhaltlich. N Gasteilchen sollen sich, wie in Abbildung 1.6 dargestellt, in einem Wiirfel mit dem Volumen
1
Aggregatzustande
A b b i l d u n g 1.6: Innerhalb eines Gasvolumens der Kantenlange (i;^)^/^r treffen Teilchen auf die Flache A und erzeugen dort die Kraft F. V befinden. Ihre Teilchenzahldichte ist dann N/V. Das Wiirfelvolumen ergibt sich aus der Seitenflache A und der Kantenlange (t'^)^/^r, wobei {v'^y^^ die Wurzel aus der mittleren quadratischen Geschwindigkeit der Teilchen und r ein Zeitintervall ist:
V = A{vY^^r
(1.22)
In der Zeit r treffen insgesamt 1/6 aller A'' Teilchen im Wiirfel auf die Flache A und werden dort elastisch reflektiert. Dabei erteilt jedes Gasteilchen der Masse m der Wand den Impuls 2m(t;^)^/^, denn sein Impuls andert sich von +m(t;^)^/^ nach —m{v^y^^. Fiir den von der Wand aufgenommenen Gesamtimpuls P ergibt sich also ,2.1/2.1^ P = 2m(v^) A{v')2 \ l / 2 .
(1.23)
6V
Die Ableitung dieses Impulses nach der Zeit r ist die Kraft F, die auf die Flache A wirkt. Der Gasdruck p berechnet sich dann zu F
dP/dr
1
, o,N
(1.24)
Dieses ist die Grundgleichung der kinetischen Gastheorie. Sie fiihrt den Druck eines Gases auf die mittlere quadratische Teilchengeschwindigkeit {v'^) und die Massendichte mN/V zuriick. {v'^) ist nach Gleichung 1.16 durch S{vl) gegeben, da die Geschwindigkeitsverteilungen in x-, y- und 2;-Richtung gleich sind. Fiir {vD erhalt man oo
{vD = I
I—
vlfiv,)
dv, = ^^
oo
I
vl expi-bvl)
dv, = ^
(1.25)
Ersetzt man nun in Gleichung 1.24 den Gasdruck p nach dem idealen Gasgesetz durch NkBT/V und {v'^) nach obiger Gleichung durch 3/(2&), so erhalt man b=
m
2kBT
M 2Rr
(1.26)
wobei M die molare Masse der Gasteilchen ist. Die eindimensionale Verteilungsfunktion der Teilchengeschwindigkeiten lautet damit
fiv.) = - ^
exp
(-^]
(1.27)
1.1 Ideale Gase F(v)/m'^s 0,002 \300 °C
0,001 \-
1000 °C
^
V/ms'
Abbildung 1.7: MAXWELL-BoLTZMANN-Geschwindigkeitsverteilung am Beispiel des Stickstoffs. woraus sich nach Gl. 1.19 die dreidimensionale Verteilungsfunktion ergibt: 3/2
-•(")={^)
exp
Mv' - 2RTJ.)
(1.28)
Das Produkt dvxdvydvz, das sich auf kartesische Koordinaten bezieht, kann als ,yolumenelement" des Geschwindigkeitsraums aufgefasst werden, das in Kugelkoordinaten dem Produkt aus „Kugeloberflache" Airv'^ und „Kugelschalendicke" dv entspricht. Der Anteil der Molekiile mit einer Geschwindigkeit zwischen v und v -\- dv betragt dann nach Gleichung 1.18 dN{v) = F(v)dv = ( — — - I N
3/2
exp I -^z^^
I • 47ri;^di;
(1.29)
mit F{v) = F'{v) • 47rt'^. F{v) ist die dreidimensionale MAXWELL-BOLTZMANN-Geschwindigkeitsverteilung. Sie ist in Abbildung 1.7 am Beispiel des Stickstoffs fiir verschiedene Temperaturen zu sehen. Wie aus dieser Abbildung zu erkennen ist, verschiebt sich das Maximum der Geschwindigkeitsverteilung mit zunehmender Temperatur zu grofieren Geschwindigkeit en. Gleichzeitig steigt der Anteil der Teilchen, die eine bestimmte Mindestgeschwindigkeit aufweisen. Aus der MAXWELL-BOLTZMANN-Verteilung ergeben sich drei charakteristische Teilchengeschwindigkeit en: die mittlere quadratische Geschwindigkeit oo
3RT
(i;2)= fv^Fiv)dv = M
(1.30)
die mittlere Geschwindigkeit oo
{v) = / vF{v)dv = J
,
8RT
(1.31)
1
10
Aggregatzustande
Tabelle 1.1: Mittlere Teilchengeschwindigkeiten verschiedener Gase bei T = 298 K. Gas H2 H2O O2 CO2 Hg
{v)/m s ^ 1769 592 444 379 177
und die wahrscheinlichste Geschwindigkeit, bei der F{v) maximal ist, dF{v) = 0 dv ^
'
2RT V M
^
(1.32)
Die drei oben berechneten Geschwindigkeiten stehen in folgender Relation zueinander: {vY^^
:{v):v
= VS: v W ^ : V^ = 1 : 0,92 : 0,82
(1.33)
In Tabelle 1.1 sind fiir einige Gase die mittleren Teilchengeschwindigkeiten (v) aufgelistet. Sie liegen in der Grofienordnung von 500 m s~^ bei T = 298 K. Beispiel: Zur Isotopentrennung von ^^^U und ^^^U kann man sich die unterschiedlichen Molekiilgeschwindigkeiten der gasformigen Verbindungen ^^^UFe und ^^^UFe zunutze machen. Das Verhaltnis dieser Geschwindigkeiten wird nach Gleichung 1.31 durch das Verhaltnis der molaren Massen der Gase bestimmt: (^235)
M 238
(^238)
M235
= 1,0043
Lasst man das Gasgemisch von ^^^UFe und ^^^UFe an einer feinporigen Membran vorbeistromen, treten die leichteren Molekiile schneller durch diese hindurch, so dass das Gasgemisch hinter der Membran mit ^^^UFe angereichert ist. Nach Gleichung 1.24 ist der Gasdruck von der mittleren quadratischen Gasteilchengeschwindigkeit {v'^) abhangig. Je schneller die Teilchen auf eine Gefafiwand treffen, desto grower ist der auf die Gefafiwand iibertragene Impuls und damit der Druck. Die Gleichungen 1.30, 1.31 und 1.32 zeigen, dass auch die Temperatur auf die Geschwindigkeit der Gasteilchen zuriickgefiihrt werden kann. Rechnet man {v'^) in kinetische Energie um, erhalt man mit Hilfe von Gleichung 1.30: 1
3Rr
(Ekin) = 7:m{v^) = -mM
1 3kBT = 2"^-
3
-2^BT
(1.34)
Da die Geschwindigkeitsverteilungen der Komponenten Vx^ Vy und Vz gleich sind, gilt v^ = Svl (Gl. 1.16). Die mittlere kinetische Energie eines Teilchens in einer Dimension,
1.1 Ideale Gase
11
Teilchen Detektor
Ofen rotierende Scheiben mit Schlitzen
Abbildung 1.8: Schematische Darstellung einer Apparatur zur Messung von Gast eilchengeschwindigkeit en. z. B. der a:-Richtung, betragt daher (Ekin,.) = lm{vl)
= ikeT
(1.35)
Die letzten beiden Gleichungen spiegeln das Aquipartitionstheorem wider (Gleichverteilungssatz der Energie): Die mittlere kinetische Energie eines Teilchens betragt fiir jede Dimension |kBT. In Abbildung 1.8 ist schematisch eine Apparatur dargestellt, mit der man experimentell Geschwindigkeiten von Gasteilchen messen kann. Aus einem Ofen lasst man durch eine kleine Offnung einen Teilchenstrahl austreten, der zwei hintereinander angeordnete Scheiben passieren muss, bevor er von einem Detektor registriert wird. Beide Scheiben weisen einen Schhtz auf und drehen sich mit hoher Geschwindigkeit. Da die Schhtze um einen bestimmten Winkel zueinander versetzt sind, muss ein Teilchen genau die richtige Geschwindigkeit besitzen, um durch beide Schhtze hindurch fliegen zu konnen. Aus der Rotationsgeschwindigkeit der Scheiben kann man die Teilchengeschwindigkeit berechnen. Der Winkel, um den die beiden Schhtze versetzt sind, betrage (/> und die Winkelgeschwindigkeit der Scheiben sei oj, Dann muss ein Teilchen in der Zeit
die Strecke / zwischen beiden Scheiben zuriicklegen, um beide Schlitze passieren zu konnen. Die Teilchengeschwindigkeit der vom Detektor registrierten Gasteilchen betragt dann /
luj
^ ~ t~ ~^ Durch Variation von oj kann das Geschwindigkeitsspektrum des Gases ausgemessen werden. 1.1.4
Effusion
Unter Effusion versteht man den Austritt von Gasteilchen aus einem Behalter durch eine sehr kleine Offnung ins Vakuum. Die Zahl der entweichenden Teilchen entspricht
12
1
Aggregatzustande
der Sto£zahl der Teilchen mit einer Wandflache, die die gleiche Gro£e wie die kleine Offnung aufweist. Sie lasst sich wie folgt berechnen: Wenn {vx) die mittlere positive Geschwindigkeit der Teilchen in Richtung der Flache A ist, dann werden diejenigen Teilchen in der Zeit r die Flache A treffen, die sich innerhalb des Volumens {vx)rA befinden. Insgesamt sind das {vx)rAN/V Teilchen. Die Sto£zahl mit der Wand pro Flachen- und Zeiteinheit betragt dann: oo
^Wand
=
N V
/
V3:f{v3:)dv3,
N I M
f
{ Mvl\ ,
(v) ist die mittlere Teilchengeschwindigkeit nach Gleichung 1.31. Die Teilchenzahldichte N/V kann auch iiber den Gasdruck p ausgedriickt werden:
mit RT/M = keT/m. Die Zahl der entweichenden Teilchen ist umgekehrt proportional zur Wurzel aus der Teilchenmasse: ^wand oc 1/y/m (GRAHAMsches Effusionsgesetz). Auf dieser Relation beruht die Methode von KNUDSEN zur Bestimmung der Teilchenmasse oder des Dampfdruckes einer wenig fliichtigen Substanz. 1.1.5
Stofte zwischen Gasteilchen
Zur Untersuchung von Reaktionskinetiken in der Gasphase ist es wichtig, die Zahl der Kollisionen zwischen den Gasteilchen und ihre mittlere freie Weglange zwischen zwei Kollisionen zu kennen. Mit Hilfe der kinetischen Gastheorie ist es moglich, diese Grofien zu berechnen. Ein Stofi zwischen zwei gleichen Teilchen erfolgt, wenn der Abstand der Teilchen gerade der Summe ihrer Radien bzw. dem Durchmesser d eines Teilchens entspricht. Das Volumen, in dem Teilchen 1 mit der Geschwindigkeit (v) in der Zeit r Stofie erleidet, nennt man Kollisionszylinder (Abb. 1.9). Der Kollisionszylinder hat die Querschnittsflache a = 'Kd^
(1.38)
und die Lange {V)T, Sein Volumen betragt also {v)ra, a nennt man Stofiquerschnitt. Wenn N/V die Teilchenzahldichte des Gases ist, sind im Kollisionszylinder {v)raN/V Teilchen enthalten, so dass Teilchen 1 pro Zeiteinheit {v)aN/V Stofie erleidet. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass nur Teilchen 1 in Bewegung ist. Wenn man die Bewegung der anderen Teilchen mit beriicksichtigt, muss die mittlere Geschwindigkeit (v) durch die mittlere Relativgeschwindigkeit V2{v) ersetzt werden. Die Stofizahl Zi
1.1 Ideale Gase
13 wird nicht getroffen wird getroffen Teilchen 1
\2d T
Abbildung 1.9: KollisionszyUnder. Alle Teilchen, deren Mittelpunkt sich innerhalb des Kollisionszylinders befindet, werden von Teilchen 1 getroffen. von Teilchen 1 pro Zeiteinheit lautet damit
(v) a N V
Zi=V2
(1.39)
Nun kollidiert aber nicht nur Teilchen 1 mit anderen Teilchen, sondern alle N Teilchen im Volumen V stolen miteinander. Zur Berechnung der Gesamtstofizahl pro Zeiteinheit muss man daher Zi mit N/V multiplizieren. Damit derselbe Stofi (z. B. von Teilchen 1 mit 2 bzw. von Teilchen 2 mit 1) nicht doppelt gezahlt wird, wird noch der Faktor ^ erganzt. Die Gesamtzahl an Stolen in einem Gas pro Zeit- und Volumeneinheit betragt dann 1 ^
^
1
/V
(1.40)
Die mittlere freie Weglange A eines Gasteilchens ist die Strecke, wahrend der keine Stofie erfolgen. Sie erhalt man, indem der pro Zeiteinheit zuriickgelegte Weg (v) durch die Zahl der pro Zeiteinheit erleideten Stofie Zi geteilt wird: Zi
^/2 CT (N/V)
(1.41)
V2 a (p/keT)
Die mittlere freie Weglange ist also umgekehrt proportional zum Druck. In Tabelle 1.2 sind Stofizahlen und mittlere freie Weglangen fiir verschiedene Gase bei p = 1 bar und T = 298 K aufgelistet. Die mittlere freie Weglange liegt danach in der Grofienordnung von 10~^ m.
Tabelle 1.2: Stofizahlen und mittlere freie Weglangen verschiedener Gase fiir p 1 bar und T = 298 K. Gas H2 He N2 O2
a/nP 2,7-10-1^ 2,1 10-^^ 4,3-10-18 4,0-10-18
{v)/m. s 1 1769 1255 475 444
Zi/s-' 16 • 10^ 9,1 • 10^ 7,0 • 10^ 6,1 • 10^
Zii/m-3s-i
20 • 10^4 11 -1034 8,5 -10^4 7,4-10^4
A/m 11•10-8 14-10-8 6,8-10-8 7,3-10-8
1
14
Aggregatzustande
Tabelle 1.3: Fliisse und deren Ursachen. Fluss Diffusion Viskositat Warmeleitung elektr. Strom
transportierte Gro£e Teilchen Impuls kin. Energie elektr. Ladung
Ursache Konzentrationsgradient Geschwindigkeitsgradient Temperaturgradient Potentialdifferenz
In einer Gasmischung der beiden Gase A und B mit den Teilchenzahldichten NA/V und NB/V muss man bei der Berechnung der mittleren freien Weglange zwischen den verschiedenen Teilchensorten unterscheiden. Man erhalt z. B. fiir die Teilchen der Sorte A eine mittlere freie Weglange von AA
=
(VA) •2l,AA + -Z^l.AB
V2 'i—
dC2 h J^2^—
=
0
_ —
0
(1.45)
dx dx Die Kombination der erhaltenen Gleichungen fiihrt zu dx
0
dx Di
=
D2
(1.46)
Beide Gaskomponenten der Mischung besitzen also den gleichen Diffusionskoeffizienten, man bezeichnet ihn als InterdiffusionskoefRzienten. Eine Diffusion von Teilchen findet so lange statt, bis der Konzentrationsgradient als Ursache der Diffusion abgebaut ist. Es soil daher die zeitliche Anderung der Konzentration wahrend eines Diffusionsprozesses in einem Volumenelement betrachtet werden. Das Volumenelement habe die Grofie V = AAs^ wie in Abbildung 1.10 dargestellt. Durch die Flache A diffundieren am Ort s Teilchen in das Volumenelement hinein und am Ort 5+As treten sie wieder durch eine Flache der Grofie A aus dem Volumenelement heraus. Die zeitliche Anderung der Konzentration im Volumenelement betragt dann: dc -^
A =
y[Jx{s)-Jx{s-^As)]
1
16
Aggregatzustande
c{x,t)
^
X
A b b i l d u n g 1.11: Kurvenverlaufe, die Losungen des 2. FiCKschen Gesetzes darstellen. Aufgetragen ist die Teilchenzahlkonzentration als Funktion des Ortes zu den Zeiten ti und ^2 > ^i(lc{s) dx
dc(5 + As) dx
(1.47)
mit A/V = I/A5. Der Konzentrationsgradient dc/dx am Ort 5 + A s lasst sich schreiben als d_ c{s) + As dc{s) (1.48) dx dx Setzt man diesen Ausdruck in Gleichung 1.47 ein, ergibt sich das 2. FiCKsche Gesetz: dc{s + As) dx
dc _
d^c
di^
d^
(1.49)
Um diese Differentialgleichung losen zu konnen, miissen Randbedingungen festgelegt werden: Wenn sich z. B. zur Zeit ^ = 0 alle N Teilchen bei a: = 0 in der ^2;-Ebene mit der Flache A befinden, lautet die Losung c{x,t) =
N exp 2AV7TDi
^2 \
4DtJ
(1.50)
Die gesamte Flache unter dieser Kurve von x = —00 bis a: = 00 ist hier auf N/A normiert. Man kann diese Losung relativ leicht nachpriifen, indem man die Ableitung nach t und die zweifache Ableitung nach x berechnet und in das 2. FiCKsche Gesetz einsetzt. In Abbildung 1.11 sind zwei Kurvenverlaufe fiir c{x^t) als Funktion des Ortes X zu verschiedenen Zeiten t aufgetragen. Mit fortschreitender Zeit wird das Konzentrationsprofil flacher, wahrend die Flache unter der Konzentrationskurve gleich bleibt. Die Diffusion kann nach Gleichung 1.50 sowohl in positiver als auch in negativer Richtung erfolgen. Fiir den Mittelwert (x) der eindimensionalen Verschiebung gilt 00
{x) = - ^
/ xc{x, t)dx = 0
(1.51)
da ein Integral iiber ein Produkt aus ungerader Funktion (hier x) und gerader Funktion (hier c{x^ t)) in den Grenzen von —00 bis 00 stets null ergibt. Fiir den Mittelwert
1.1 Ideale Gase
17
{x^) der quadratischen eindimensionalen Verschiebung erhalt man OO
{x ) = j
^ I
x^cix,t)dx
= 2Dt
(1.52)
Wenn die Diffusion kugelsymmetrisch in alle drei Raumrichtungen erfolgt, kann man schreiben (P) = (x^) + (y^) + (z^) = 3{x^) = 6Dt
(1.53)
Das erste und zweite FiCKsche Gesetz gilt nicht nur fiir Gase, man kann es auch fiir die Beschreibung der Diffusion von Substanzen, die in Fliissigkeiten gelost oder in Festkorpern eingelagert sind, verwenden. Die Groi^enordnung von D betragt fiir Gase 10~^ cm^ s~^, fiir in Fliissigkeiten geloste Substanzen 10~^ cm^ s~^ und fiir in Festkorpern eingelagerte Substanzen 10~^^ cm^ s~^ bei einigen hundert °C. Nach den makroskopischen Diffusionsvorstellungen ist fiir einen Diffusionsprozess ein makroskopischer Konzentrationsunterschied notwendig. Lasst man den Konzentrationsunterschied gegen Null gehen, bewegen sich die Molekiile jedoch auch aufgrund lokaler thermischer Energieschwankungen, und zwar in vollig regelloser Weise in alle Raumrichtungen. Diese ungerichtete Diffusionsbewegung bezeichnet man als Selbstdiffusion. Bei grofien Molekiilen ist die Selbstdiffusion makroskopisch sichtbar und wird als BROWNsche Molekularbewegung bezeichnet. Der Selbstdiffusionskoefhzient beschreibt die Diffusion von Teilchen in reinen Stoffen, wie man ihn z. B. mit Hilfe radioaktiv markierter Teilchen messen kann. Beispiel: Wie lange dauert es, bis sich ein Stiick Wiirfelzucker in einer Tasse Kaffee ohne Riihren verteilt? Saccharose besitzt in Wasser den Diffusionskoeffizienten D = 0^ 521 • 10~^ cm^ s~^ bei 25 °C. Wir nehmen an, der Zucker befindet sich bereits gelost am Boden der Tasse, und vernachlassigen den Einfluss der Temperatur. Die Zeit, die die Saccharosemolekiile zur Diffusion einer mittleren Strecke benotigen, kann mit Hilfe von Gleichung 1.52 abgeschatzt werden. Fiir eine Strecke von {x^y^'^ = 3 cm erhalt man ^ = 10 Tage. Diffusionsprozesse in Fliissigkeiten sind somit relativ langsam. Zur homogenen Verteilung geloster Substanzen muss man daher riihren. Der Selbstdiffusionskoeffizient idealer Gase kann mit Hilfe der kinetischen Gastheorie auf molekulare Grofien zuriickgefiihrt werden. Wie in Abbildung 1.12 skizziert, sollen am Ort x = 0 von links und von rechts Teilchen durch eine Flache der Grofie A treten. Der Teilchenfluss von beiden Seiten entspricht jeweils der Stofizahl pro Zeitund Flacheneinheit ^wand nach Gleichung 1.36 und ist abhangig von der lokalen Teilchenzahldichte c = N/V. Es werden nur die Teilchen beriicksichtigt, deren Abstand von X = 0 gerade der mittleren freien Weglange A entspricht, die sich also an den Orten x = —\ und x = \ befinden. Der resultierende Teilchenfluss durch die Flache A am Ort x = 0 ergibt sich aus der Differenz der beiden Fliisse von links und von rechts: Jx
=
Jx{~'^) ~
Jx{^)
1
18
^
Aggregatzustande
X
Abbildung 1.12: Von links und von rechts treten Gasteilchen durch eine Flache der Grofie A und erzeugen dort den Gesamtfluss J(—A) — J(A).
=
4 iv) [c(-A) -c(A)]
= i(-)
c(0)-
= 4M
. dc
dx
c(0) + A
dc dx
Ein Vergleich mit dem 1. FiCKschen Gesetz (Gl. 1.43) ergibt fiir den DiffusionskoefRzienten idealer Gase D = ^X{v). In einer genaueren Ableitung von D muss allerdings beriicksichtigt werden, dass Teilchen auch schrag auf die Flache A zufliegen und unterwegs mit anderen Teilchen kollidieren konnen. Dann erhalt man einen etwas kleineren DiffusionskoefRzienten von D =
-X{v)
(1.54)
Viskositat Die Viskositat wollen wir zunachst anhand der Stromung eines Gases oder einer Fliissigkeit in einem Rohr, wie es in Abbildung 1.13 zu sehen ist, einfiihren. Das Rohr soil die Lange L und den Radius R aufweisen, und es soil zwischen den Enden des Rohres eine Druckdifferenz pi — P2 > 0 herrschen, die Ursache fiir die Gas- bzw. Fliissigkeitsstromung ist. In der Mitte des Rohres (r = 0) ist die Fliefigeschwindigkeit V am grofiten, wahrend sie an der Rohr wand (r = R) auf null abgesunken ist. Die Reibungskraft FReib? die zwischen Schichten unterschiedlicher Geschwindigkeiten im Rohr wirkt, ist proportional zum Geschwindigkeitsgradienten dv/dr senkrecht zur Fliefirichtung: ^
, dv ar
(1.55)
7] ist der ViskositatskoefRzient (oder auch KoefRzient der inneren Reibung) mit der SI-Einheit Pa s = N m ' ^ s kg m ^s ^ (friiher wurde die Einheit P (POISE) = 0,1
1.1 Ideale Gase
19
2R
\P2
Abbildung 1.13: Stromt ein Gas oder eine Fliissigkeit durch ein Rohr, bildet sich eine parabolische Geschwindigkeitsverteilung v{r) aus. Pa s verwendet). A = 27rrL ist die zylindrische Flache zwischen zwei unterschiedlich schnellen Gas- bzw. Fliissigkeitsschichten. Der Reibungskraft FReib wirkt eine Kraft aufgrund der Druckdifferenz Ap = pi — P2 entgegen: dv = —Apirr^ dr Diese Gleichung gilt am Radius r. Welche Geschwindigkeit die Teilchen dort haben, erhalten wir durch Integration von dv (nach Trennung der Variablen v und r): 7] • (27rrL)
V
r
h - -m
rdr
-
-^L^^'-^'^
(1.56)
Man erhalt somit ein parabolisches Geschwindigkeitsprofil v{r). In der Zeit r stromt eine einzelne Gas- oder Fliissigkeitsschicht mit dem Umfang 27rr, der Dicke dr und der Stromungsgeschwindigkeit v um die Weglange vr aus dem Rohr her aus. Das ausgetretene Volumen ist dann: dV = (vr) • (27rr) • dr Durch Integration dieser Gleichung iiber alle Radien r ergibt sich fiir den gesamten Volumenstrom V/r das HAGEN-PoiSEUiLLEsche Gesetz: It
V
fdV
=
V_ T
2TTT f vrdr
nApR* SrjL
(1.57)
Mit Hilfe dieser Gleichung kann man die Viskositat von Fliissigkeiten experimentell bestimmen. Gase expandieren im Rohr wegen des Druckabfalls von pi nach p2 und haben einen mittleren Druck (pi +P2)/2. Wird das Volumen V beim Druck pv gemessen, muss das HAGEN-PoiSEUiLLEsche Gesetz um den Faktor {pi -\-P2)/C^Pv) erganzt werden, damit es zur Messung der Viskositat von Gasen herangezogen werden kann.
20
1
Aggregatzustande
So wie der DiffusionskoefRzient D idealer Gase mit Hilfe der kinetischen Gastheorie durch die mittlere freie Weglange und die Teilchengeschwindigkeit ausgedriickt werden kann, lasst sich auch der ViskositatskoefRzient r] idealer Gase als Funktion molekularer Gro£en darstellen. Hierfiir denken wir uns wieder ein Rohr, durch das ein Gas flie£t (Abb. 1.13). Aufgrund des Geschwindigkeitsgradienten di;/dr senkrecht zur Flie£richtung des Gases kommt es zu einem Impulstransport Jr zwischen unterschiedlich schnellen Gasteilchen, wobei die schnelleren Teilchen in der Mitte des Rohres die weiter au£en stromenden beschleunigen. Analog zum 1. FlCKschen Gesetz (Gl. 1.43) kann man formulieren: dv Jr = - » / — (1.58) dr Ein Teilchen am Ort r = ro kann von einem schnelleren Teilchen am Ort r = ro — X den Impuls —m{dv/dr)X erhalten, wobei das Minuszeichen beriicksichtigt, dass der Geschwindigkeitsgradient in Richtung des Impulsiibertrages negativ ist. A bezeichnet die mittlere freie Weglange und m die Teilchenmasse. Gleichzeitig kann das Teilchen am Ort r = VQ aber auch von einem langsameren Teilchen am Ort r = VQ -\- X den negativen Impuls m(dv/dr)X iibertragen bekommen, so dass insgesamt aus der Differenz dieser beiden Impulsiibertrage die Impulsanderung —2m{dv/dr)X resultiert. Die Zahl der Teilchen pro Zeit- und Flacheneinheit, die am Impulstransport beteiligt sind, entspricht der Stofizahl ^wand (Gl- 1.36). Damit ergibt sich fiir den Impulstransport die Beziehung ^
dv^
1, ,N
1,, ,
N
dv
Den GasviskositatskoefRzienten rj erhalt man durch Vergleich mit Gleichung 1.58. Der Faktor | wird wieder durch | ersetzt: 1 N T] = 3 A ( ^ ) m -
(1.59)
Warmeleitung Die mittlere kinetische Energie von Gasteilchen ist nach Gleichung 1.35 direkt mit der Temperatur verkniipft. Liegt innerhalb eines Gases ein Temperaturgradient dT/dx vor, wird dieser abgebaut, indem kinetische Energie von einem Teilchen auf das nachste durch Kollisionen iibertragen wird. Es resultiert ein Fluss kinetischer Energie, dessen Grofie vom Temperaturgradienten und vom WarmeleitfahigkeitskoefRzienten K abhangt: dT Jx = -1^-^
(1.60)
Dies ist das 1. FouRiERsche Gesetz. Ein Ausdruck fiir K, idealer Gase ergibt sich analog zu obiger Ableitung des ViskositatskoefRzienten rj. Ein Teilchen am Ort x = 0 erhalt zum einen den positiven Energieiibertrag —(dE/dx)X von einem energiereicheren Teilchen bei x = —X und zum anderen den negativen Energieiibertrag {dE/dx)X von einem energiearmeren Teilchen bei x = X^ so dass aus der Differenz dieser beiden Energieiibertrage die Energieanderung —2{dE/dx)X pro Teilchen resultiert. Die Zahl
1.1 Ideale Gase
21
der Teilchen pro Zeit- und Flacheneinheit, die am Energietransport beteiligt sind, ergibt sich wieder aus der Sto£zahl ^wand (Gl. 1.36). Man erhalt damit dE^
1, ,N
1^, ,NdE dT
Bei dieser Umformung wurde d£^/da;=(d£^/dT)(dT/da;) gesetzt. Nach Substitution des Faktors | durch | (Begriindung siehe Abschnitt Diffusion) kann somit unter Beriicksichtigung von Gleichung 1.60 folgender Ausdruck fiir den WarmeleitfahigkeitskoefRzienten K, ermittelt werden:
Die Ableitung der Energie von N Teilchen nach der Temperatur bei konstantem Volumen wird auch als Warmekapazitat Cy bezeichnet: d^ jy—— = Cv= nCv,m = rrigesCv Cv,m ist die molare Warmekapazitat, die auf die Stoffmenge bezogen wird, wahrend Cy die spezifische Warmekapazitat darstellt, die pro Masseneinheit angegeben wird. rriges ist die Gesamtmasse der N Teilchen. Zwischen den Transportkoeffizienten D (Gl. 1.54), r] (Gl. 1.59) und AC (Gl. 1.61) idealer Gase bestehen folgende einfache Zusammenhange: T] = ^X{v)my=Dg ^
= lx{y)1h^=Dgcv
(1.62) = vcv
(1.63)
mit g = mN/V = rriges/V als Massendichte. In Tabelle 1.4 sind Viskositatskoeffizienten ry, WarmeleitfahigkeitskoefRzienten K und spezifische Warmekapazitaten cy verschiedener Gase aufgelistet. In der letzten Spalte dieser Tabelle sollte nach Gleichung 1.63 jeweils der Wert eins erhalten werden. Die Abweichungen hiervon zeigen, dass das hier besprochene kinetische Modell fiir Gase auf vereinfachenden Annahmen beruht. Die Transporteigenschaften hangen tatsachlich von der exakten Form des Wechselwirkungspotentials zwischen den Atomen und Molekiilen ab, das durch das hier verwendete Harte-Kugel-Potential nur grob angenahert wird. Abschliefiend soil noch kurz die Temperatur- und Druckabhangigkeit der drei Transportkoeffizienten idealer Gase miteinander verglichen werden. Hierzu werden die mittlere freie Weglange nach Gleichung 1.41 und die mittlere Geschwindigkeit nach Gleichung 1.31 ausgeschrieben:
D = 3i^J5^=konst..T3/V ^y2ap V Trm r? =
1 k e T ISkBT p 1/2 -—^—\ m-—— = k o n s t . - T / 3v^crpV Trm k g T y/2ap keT 3A/2CTPV SV2ap
Trm "^ NknT
1
22
Aggregatzustande
Tabelle 1.4: ViskositatskoefRzienten ry, WarmeleitfahigkeitskoefRzienten K, und spezifische Warmekapazitaten cy verschiedener Gase. Gas
7//Pa s 8,84-10-^ 16,7-10-^ 18,6-10-^ 9,76 • 10-^
H2 N2
He NHs
Av/J m - i s - ^ K - i
Cy/J K - ^ k g - l
0,17 0,024 0,14 0,022
10,0-102 0, 74 • 10^ 3,11102 1,67-102
7///Pa s
n/r]Cv
1,92 1,94 2,42 1,35
7///Pas
i
30
301
20
20 1 bar
10 h 0 0
100
10 0
200
r/K
300
300 K
10 100 /?/bar
Abbildung 1.14: Temperatur- und Druckabhangigkeit des ViskositatskoefRzienten von Argon (nach: K. Stephan, K. Lucas, Viscosity of Dense Fluids, Plenum Press, New York, 1979). In Ansatzen, die iiber das hier verwendete starrelastische Modell (Stofiquerschnitt a = konst.) hinausgehen, wird beriicksichtigt, dass a effektiv von der Temperatur abhangt. Zu beachten ist ferner, dass mit kleiner werdendem Druck die mittlere freie Weglange zunimmt und schliefilich die Gefafidimension erreicht (hierauf beruht die Verwendung von DEWAR-Gefafien, deren doppelte Wande evakuiert sind und daher einen sehr kleinen Warmeiibergang haben). Dann werden r] und K, wegen A = konst. linear vom Druck abhangig. In Abbildung 1.14 wird am Beispiel von Argon die Temperatur- und Druckabhangigkeit des ViskositatskoefRzienten gezeigt. Die ri(T)Kurve zeigt den Verlauf einer Wurzelfunktion, wahrend die r/(p)-Kurve bei kleinen Driicken einen konstanten Wert aufweist. Bei hohen Gasdriicken wird die mittlere freie Weglange mit dem Stofidurchmesser der Gasteilchen vergleichbar, und die gemachten Naherungen sind nicht mehr giiltig. Man beobachtet experimentell ein starkes Anwachsen von rj mit anwachsendem Druck.
1.2
Reale Gase
Das GAY-LusSACsche Gesetz V ocT {p = konst.) sagt voraus, dass das Volumen eines Gases gegen null strebt, wenn die Temperatur immer weiter erniedrigt wird. Diese unrealistische Beschreibung von Gasen griindet in den Annahmen, dass die Gasteilchen punktformig sind und keine Wechselwirkungskrafte untereinander zeigen. Um das reale Verhalten von Gasen, wie u. a. ihre Kondensation zu Fliissigkeiten bei tieferen Temperaturen, wiedergeben zu konnen, miissen diese Annahmen aufgegeben wer-
1.2 Reale Gase
23
+q H
-q CI
I
• I— >
1
M
lineares Dimer
^
A'el
.1 I*
zyklisches Dimer
\JIQX2
^ei,i I
1
Abbildung 1.15: a: In polaren Molekiilen besitzen die Atome Partialladungen -\-q und — g, die ein elektrisches Dipolmoment /lei in Richtung der positiven Ladung erzeugen. b: Lineares und zyklisches Dimer bestehend aus zwei polaren Molekiilen. den. Daher werden im nachsten Abschnitt zunachst die verschiedenen physikalischen Wechselwirkungskrafte zwischen Atomen bzw. Molekiilen besprochen. Anschliefiend wird auf Zustandsgleichungen fiir reale Gase eingegangen. 1.2.1
Zwischenmolekulare Krafte
Zwischen zwei lonen mit den elektrischen Ladungen qi und ^2 wirkt die Kraft F = J - -^
COULOMB-
(1.64)
So ist die elektrische Feldkonstante oder auch Dielektrizitatskonstante des Vakuums, r ist der Abstand zwischen den Ladungen. Ungleichnamige Ladungen ziehen sich an und werden mit entgegengesetzten Vorzeichen gekennzeichnet, so dass sich eine negative COULOMB-Kraft ergibt. Wenn die beiden Ladungen unendlich weit voneinander entfernt sind, ist die potentielle Energie E'pot zwischen diesen Ladungen gleich null. Nahern sie sich auf den Abstand r, erhalt man E,pot = _ [Fdr=-^^^-^ J 47r£o r
(1.65)
Wie die CouLOMB-Kraft ist auch die COULOMB-Energie negativ, wenn eine attraktive Wechselwirkung zwischen den lonen besteht. Die Punktladungen Qi bezeichnet man auch als Monopole. Entgegengesetzte Ladungen vom gleichen Betrag q im Abstand / stellen einen Dipol dar. Das elektrische Dipolmoment jlei hat den Betrag //el = ql
(1.66)
und zeigt in Richtung der positiven Ladung, wie es in Abbildung 1.15a am Beispiel des Chlorwasserstoffmolekiils gezeigt wird. Die potentielle Energie zwischen zwei Dipolen
24
1
Aggregatzustande
ist eine Funktion von drei Winkeln, die die Skalarprodukte (/iei,i/^ei,2), (/^ei,!^) ^^^ (/Jei,2^) bestimmen. Es gilt ^pot
= -JZr'Z3'[
-2
/^el,l/^el,2 )
(1.67)
In einem linearen Dimer aus zwei polaren Molekiilen sind die beiden Dipolvektoren /Iei,i und /Iei,2 parallel zueinander und parallel zum Abstandsvektor f zwischen den Dipolen (Abb. 1.15b). Dann wird der Ausdruck in obiger Klammer zu 2/iei,i/iei,2In einem zyklischen Dimer sind die beiden Dipolvektoren antiparallel zueinander und stehen senkrecht zum Abstandsvektor (Abb. 1.15b). Man erhalt hierfiir den Ausdruck /^ei,i/^ei,2- Konnen zwei polare Molekiile beliebige Orientierungen zueinander einnehmen, wie in Gasen und Fliissigkeiten, muss man die potentielle Energie mitteln. Es resultiert eine schwache anziehende Wechselwirkung: /T?
\
^
/^el,l^el,2
2
Ein unpolares Teilchen besitzt kein Dipolmoment. Es weist jedoch eine Polarisierbarkeit a =—
(1.69)
^Feld
auf, d. h., in ihm kann unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes -Epeid ein Dipolmoment //ei,ind induziert werden. Auch die Annaherung von zwei unpolaren Teilchen, wie z. B. H2, O2 oder Ne, mit den Polarisierbarkeiten a i und 0^2 fiihrt zu einem Energiegewinn. In diesem Fall betragt die potentielle Energie, auch LONDONsche Dispersionsenergie genannt,
/i und I2 sind die lonisierungsenergien der beiden Teilchen. Desweiteren ergibt sich auch fiir die intermolekulare Wechselwirkungsenergie zwischen einem permanenten und einem induzierten Dipol eine r~^-Abhangigkeit. Die anziehenden Wechselwirkungsenergien zwischen ungeladenen Teilchen, mit oder ohne Dipolmoment, besitzen somit alle die Form E'pot oc —r~^. Sie werden unter dem Namen VAN DER WAALS-Energie zusammengefasst. Wenn sich die Teilchen sehr nahe kommen, durchdringen sich ihre Elektronenhiillen, und sie beginnen sich aufgrund des PAULI-Verbots wieder abzustofien. Fiir diese repulsive Wechselwirkungsenergie wird oft der Ansatz E'pot oc -hr~^^ verwendet. Anziehende und abstofiende Beitrage zur potentiellen Energie werden im LENNARD-JONES-Potential beriicksichtigt: ^ p o t = 4£
(?)'^-(?)'
(1.71)
s ist die Tiefe des Potentialminimums bei r = 2^/^ro. Fiir r = ro wird die potentielle Energie null. Je hoher die Temperatur, d. h. je hoher die kinetische Energie, umso
1.2 Reale Gase
25
^pot
pot
2'\
Z-
•^r
0
-•r
-£
Abbildung 1.16: LENNARD-JONES-Potential (links) und Harte-Kugel-Potential (rechts). bedeutsamer ist der repulsive Ast des Wechselwirkungspotentials. Bei tiefen Temperaturen dominieren dagegen die Attraktionskrafte, so dass auch eine Verfliissigung von Gasen moglich wird. Eine einfachere Naherung fiir das Wechselwirkungspotential Epot zweier Teilchen ist das Harte-Kugel-Potential. Es wird angenommen, dass die potentielle Energie unendlich grofi wird, wenn der Abstand r der Teilchen auf den Durchmesser d sinkt: E,pot
M
0 00
fiir r > d fiir r < d
(1.72)
Dieses Potential ist in einigen Fallen ausreichend zur Beschreibung von Fliissigkeiten. In Abbildung 1.16 sind das LENNARD-JONES-Potential und das Harte-Kugel-Potential grafisch dargestellt. Experimentell kann man Informationen iiber Wechselwirkungspotentiale zwischen Teilchen z. B. aus der Streuung von Molekularstrahlen an Molekiilen oder aus den Transporteigenschaften von Molekiilen gewinnen. 1.2.2
Virial- und VAN DER WAALS-Gleichung
Das ideale Gasgesetz gilt nur fiir kleine Driicke. Tragt man den Quotienten Z = pV/nRT, den so genannten Kompressibilitatsfaktor, gegen den Druck p eines Gases in einem Diagramm auf (Abb. 1.17), erkennt man deutliche Abweichungen vom Idealwert eins bei hoheren Driicken. Ursache hierfiir sind die zunehmenden intermolekularen Anziehungskrafte und die nicht mehr vernachlassigbaren Teilchendurchmesser bei kleiner werdenden Abstanden zwischen den Gasteilchen. Unterhalb der so genannten BOYLE-Temperatur durchlauft die Z(p)-Kurve ein Minimum, oberhalb dieser Temperatur ist iiber dem gesamten Druckbereich ein Anstieg zu beobachten. Den Verlauf der Z(p)-Isothermen kann man fiir jedes einzelne Gas im Prinzip exakt wiedergeben, indem man Z als Funktion von p in einer Reihe entwickelt: Z =
pV = l + Bp{T)p + Cp{T)p^ + ,, nRT
(1.73)
Bp(T) und Cp(T) heifien 2. und 3. VirialkoefRzient, die ganze Gleichung nennt man Virialgleichung. Bei gegebenen KoefRzienten ist die Virialgleichung immer nur fiir ein bestimmtes Gas giiltig. Sie beschreibt das Verhalten des Gases jedoch genauer als jede andere Zustandsgleichung. Wir konnen die Virialgleichung alternativ als Funktion von
1
26
Aggregatzustande
z A
1,1 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 [ 0
> p / bar 100 200 300 400 500 ^
Abbildung 1.17: Z(p)-Isothermen des Kohlendioxids bei verschiedenen Temperaturen. Z = pV/nRT ist der Kompressibilitatsfaktor. Die BOYLE-Temperatur des Kohlendioxids liegt bei 430 °C (nach: R. Brdicka, Grundlagen der Physikalischen Chemie, Deutsche! Verlag der Wissensch., Berlin, 1970). 1/Vm schreiben; Vm = V/n ist das Molvolumen des Gases: 7 _ P^m _ . ^ ByjT)
CyjT)
(1.74)
Eine etwas einfachere Zustandsgleichung als die Virialgleichung, die das Verhalten realer Gase dennoch gut beschreibt, ist die VAN DER WAALS-Gleichung: {p + an^/V^){V
- nb) = nRT
(1.75)
a und b sind Stoffkonstanten ahnlich den VirialkoefRzienten. Sie lassen sich ausgehend von einem idealen Gas wie folgt physikalisch interpretieren. Befindet sich ein Gas in einem Gefafi des Volumens V, steht den Gasteilchen aufgrund ihres Eigenvolumens nur ein kleineres Volumen, V — nb, zur Verfiigung, in dem sie sich ausbreiten konnen. b ist das so genannte Covolumen, das sich mit Hilfe der kinetischen Gastheorie auf das vierfache Teilchenvolumen pro Mol zuriickfiihren lasst. Durch die intermolekularen Anziehungskrafte wirkt auf Gasteilchen, die sich in der Nahe der Gefafiwand befinden, eine ins Innere des Gases gerichtete Kraft. Der real gemessene Druck ist somit kleiner als er es im Idealfall ohne Anziehungskrafte ware. Daher wird p um den Wert an?/V'^, den so genannten Binnendruck, zu grofieren Driicken korrigiert. Die VAN DER WAALS-Gleichung kann man auch in Virialform schreiben. Hierfiir losen wir sie nach dem Druck p auf und entwickeln 1/(1 — b/Vuv) in einer TAYLORReihe:^ RT a P RT V^
l-b/V^
RT /
b
V^ b^
a '
1/(1 -x)
=
l-\-x-\-x^-\-...
m
1.2 Reale Gase
27
By I cm-^mol"^ 10 0 -10 -20 -30 200
300
400
-•r/K
A b b i l d u n g 1.18: 2. VirialkoefRzient By von Stickstoff als Funktion der Temperatur. Zu seiner Berechnung wurde das LENNARD-JONES-Potential verwendet.
(1.76)
RT
Ein Vergleich dieser Gleichung mit der Virialgleichung (Gl. 1.74) liefert fiir den 2. VirialkoefRzienten den Ausdruck
Bv.(r, = * - -
(L77)
Bei niedrigen Driicken wird das reale Verhalten eines Gases ausreichend genau beschrieben, wenn man den 3. und hohere VirialkoefRzienten vernachlassigt. Beim Erreichen der BOYLE-Temperatur TB ist das Minimum der Z(p)-Isotherme gerade verschwunden (Abb. 1.17). Dann zeigt das reale Gas iiber einem weiten Druckbereich scheinbar ideales Verhalten, oder anders ausgedriickt, der 2. VirialkoefRzient hat den Wert null: T
Bv{T^) = ^
-
^
(1.78)
Der 2. VirialkoefRzient ist mit den VAN DER WAALS-Parametern a und b verkniipft, deren physikalische Deutung, wie oben erklart, sowohl anziehende als auch abstofiende intermolekulare Wechselwirkungen einschliefit (die abstofienden Wechselwirkungen treten in Form des Eigenvolumens der Teilchen in Erscheinung). Daher ist es mit Hilfe der statistischen Thermodynamik moglich, den 2. VirialkoefRzienten aus dem Paarpotential £'pot(r) des Gases zu berechnen: oo
BV{T) =
^NAI 1 - exp I -
^pot(r)
keT
• 4'Kr^dr
(1.79)
Auf eine Herleitung dieser Gleichung wird hier verzichtet. Fiir die hoheren VirialkoefRzienten ergeben sich kompliziertere Ausdriicke, die Mehrteilchenwechselwirkungsterme enthalten. In Abbildung 1.18 ist der 2. VirialkoefRzient von Stickstoff nach obiger Gleichung berechnet worden. Fiir das Paarpotential wurde hierbei das LENNARDJONES-Potential verwendet (Gl. 1.71). Einige VAN DER WAALS-Isothermen von Kohlendioxid sind in Abbildung 1.19 zu sehen. In dieser Abbildung kennzeichnet der schrafRerte Bereich des p^VDiagramms das Zweiphasengebiet fliissig/gasformig. Das Maximum dieses Zweiphasengebiets nennt man kritischen Punkt; durch den kritischen Punkt verlauft die
1
28
Aggregatzustande
50 °C (iiberkritisch) tKP^> V^ / cm^mol" 100
200
300
400
Abbildung 1.19: p, y-Diagramm des Kohlendioxids. Aufgetragen ist der Druck p gegen das Molvolumen Vm = V/n. Der schrafRerte Bereich stellt das Zweiphasengebiet fliissig/gasformig dar. 1 steht fiir fliissig, g fiir gasformig. KP ist der kritische Punkt. kritische Isotherme. Offensichtlich erfasst die VAN DER WAALS-Gleichung auch die Kondensation eines Gases zu einer Fliissigkeit durch Druckerhohung. Im thermodynamischen Gleichgewicht miissen allerdings im Zweiphasengebiet die VAN DER WAALS-Isothermen durch horizontale Linien ersetzt werden, weil Isothermen eines p, y-Diagramms keine positiven Steigungen haben diirfen. Man wendet hierfiir die so genannte MAXWELL-Konstruktion an, bei der zwei gleich grofie Flachen von horizontaler Linie und VAN DER WAALS-Isotherme eingeschlossen werden. Verfolgt man eine Isotherme unterhalb der kritischen Temperatur in Richtung abnehmenden Volumens, so durchlauft man zunachst das Gasgebiet, dann das Zweiphasengebiet und schhefihch das Fliissigkeitsgebiet. Da Fliissigkeiten weniger kompressibel sind als Gase, steigt der Druck im Fliissigkeitsgebiet mit abnehmenden Volumen sehr viel steiler an als im Gasgebiet. Eine Verringerung des Volumens innerhalb des Zweiphasengebiets fiihrt dagegen wegen der Kondensation zu keiner Druckerhohung. Verbindet man die Extrema der VAN DER WAALS-Isothermen innerhalb des Zweiphasengebiets, erhalt man die so genannte Spinodale. Innerhalb des Zweiphasengebiets kann Gas bzw. Fliissigkeit als allein existierende Phase bis zum Erreichen der Spinodalen metastabil vorliegen. Dieses entspricht der Beobachtung, dass eine Fliissigkeit iiber den Siedepunkt hinaus iiberhitzt und ein Gas unter die Kondensationstemperatur unterkiihlt werden kann. Oberhalb der kritischen Temperatur Tkr von 31 °C verlaufen die VAN DER WAALS-Isothermen des Kohlendioxids nicht mehr durch das Zweiphasengebiet, d. h., das Gas lasst sich nicht mehr verfliissigen. Am kritischen Punkt zeigt die kritische Isotherme einen Sattelpunkt. Hier sind erste und zweite Ableitung des Drucks nach dem Volumen null: P =
nRT _ an^ V - n h ~ ^
dp dV
nRT (V-nb)^
d^p
2nRT {V - nhf
2an^ I ^
ys 6an^ = 0 y4
1.2 Reale Gase
29
Tabelle 1.5: Kritische Parameter und KoefRzienten verschiedener Gase. Gas He H2 N2 C2H6 H20
Tkr/K
Pkr/10^ Pa 2,29 12,0 34,0 48,8 221
5,2 33,2 126,3 305,4 647
Kn,kr/10-^ m^ mol-1 57,8 65,0 90,1 146 57
{nRT],r) / (pkrVkr) 3,27 3,54 3,43 3,56 4,27
Zkr
0,306 0,283 0,292 0,281 0,234
Lost man diese Gleichungen nach Druck, Volumen und Temperatur auf, erhalt man die kritischen Grofien Sa (1.80) Vkr = 3n& Pkr = ^kr = 27&2 '"^ ^'^^ ^"^ 27bR Umgekehrt kann man auch die Stoffkonstanten a und b als Funktion von pkr und Fkr ausdriicken, so dass eine Messung dieser kritischen Grofien die Berechnung von a und b erlaubt (z. B. ist a = 0,1408 m^ Pa m o r ^ und b = S, 913 • 10"^ m^ mol"^ fiir N2). Aus den drei kritischen Grofien pkr, Vkr und Tkr lasst sich ein kritischer Koeffizient berechnen, der fiir alle Gase gleich grofi sein sollte, da die Stoffkonstanten a und b nicht mehr vorkommen:
^
= 5=2,667
(1.81)
Fiir den Kompressibihtatsfaktor ergibt sich damit am kritischen Punkt ein universeller Wert von Z^^ = 3/8 = 0,375. In Tabelle 1.5 sind fiir einige Gase kritische KoefRzienten angegeben. Der aus der VAN DER WAALS-Gleichung ermittelte theoretische Wert bildet eine untere Grenze. Abweichungen von diesem Wert tret en vor allem bei Stoffen auf, die in der fliissigen Phase Assoziate bilden. Es sei angemerkt, dass das ideale Gasgesetz die Berechnung eines kritischen Koeffizienten erst gar nicht zulasst, da ein ideales Gas keinen kritischen Punkt zeigt. Druck, Volumen und Temperatur eines Gases in Einheiten der kritischen Grofien nennt man reduzierte Grofien: Pred =
P Pkr
""-' = Wr
-^red — Tfj" ^kr
(1.82)
Substituiert man mit Hilfe dieser reduzierten Grofien die Variablen p, V und T in der VAN DER WAALS-Gleichung, erhalt man eine reduzierte Zustandsgleichung, die fiir alle realen Gase und Fliissigkeiten giiltig ist, da sie keine Stoffkonstanten mehr enthalt: b r e d + 3 / K ' e d ) ( ^ r e d " 1/3) =
(S/S)T,ed
(1.83)
Zwei Gase mit dem gleichen reduzierten Druck und dem gleichen reduzierten Volumen sollten nach dieser Gleichung auch die gleiche reduzierte Temperatur besitzen. Dieses Theorem der iibereinstimmenden Zustande gilt allerdings nur befriedigend fiir strukturahnliche Molekiile.
1
30
Aggregatzustande
> r Ik Abbildung 1.20: 0,0-Paarverteilungsfunktion von Wasser bei 25 °C. Aufgetragen ist die Wahrscheinlichkeit, zwei Sauerstoffatome im Abstand r anzutreffen (nach: A. H. Narten, W. E. Thiessen, L. Blum, Science 217 (1982) 1033). Eine grobe Regel zur Abschatzung der kritischen Temperatur Tkr ist die GuLDBERG-Regel, Tkr f^ 1,5 • Tig, die eine Abschatzung der kritischen Temperatur aus der Siedetemperatur Tig erlaubt. Die kritische Dichte betragt etwa 1/3 der Dichte der Fliissigkeit am Tripelpunkt. Die VAN DER WAALS-Gleichung hefert i. Allg. keine quantitative Beschreibung des p, y, T-Verhaltens von Gasen. In der Praxis benutzt man daher meist modifizierte kubische Ansatze (z. B. von REDLICH und Kw^ONG oder von P E N G und ROBINSON). Auch zur Beschreibung kondensierter Phasen werden empirische Zustandsgleichungen verwendet (z. B. von T A I T ) . Sie sind im Ingenieurwesen weit verbreitet, beispielsweise fiir fliissiges Wasser und Wasserdampf.
1.3
Fliissigkeiten
1.3.1
Niedermolekulare Fliissigkeiten
Die Struktur von Fliissigkeiten, wie Wasser, Aceton oder Benzol, lasst sich besonders anschaulich mit Hilfe von Paarverteilungsfunktionen wiedergeben. Die Paarverteilungsfunktion g{r) gibt die Wahrscheinlichkeit an, ein Paar von Atomen in einem bestimmten Abstand r anzutreffen, oder anders ausgedriickt, sie entspricht der auf die mittlere Teilchenzahldichte normierten Teilchenzahldichte im Abstand r um ein zentrales Teilchen. In Abbildung 1.20 ist die 0,0-Paarverteilungsfunktion von Wasser dargestellt. Man erkennt deutlich, dass 0,0-Abstande von 2,9 A, 4,5 A und 7 A besonders wahrscheinlich sind bzw. besonders haufig auftreten. Durch Integration der Paarverteilungsfunktion in den Grenzen ri und r2, die Anfang und Ende einer Koordinationsschale festlegen, erhalt man die mittlere Zahl der Nachbaratome Z eines zentralen Atoms: r2
~vj
g(r) • 47rr^dr
(1.84)
1.3 Fliissigkeiten
31
N/V ist die Teilchenzahldichte. Wie experimentell und mittels ComputerSimulationen gefunden wurde, betragt im Wasser fiir jedes 0-Atom die Zahl an nachsten 0-Nachbarn etwa 4,4. Dieses Ergebnis deutet auf eine nahezu tetraedrische Koordination eines zentralen Wassermolekiils durch vier weitere Molekiile hin. Bei 0-0-Abstanden oberhalb von etwa 8 A ist die Struktur des Wassers dagegen regellos. g{r) nimmt hier den Grenzwert eins an, d. h., es treten alle Abstande r zwischen Sauerstoffatomen mit gleicher Haufigkeit auf. So wie beim Wasser ist auch die Struktur anderer Fliissigkeiten durch eine mehr oder weniger stark ausgepragte Nahordnung, jedoch nicht durch eine Fernordnung charakterisiert. Die Nahordnung ist zum einen durch die potentiehe Energie zwischen zwei Fliissigkeitsteilchen, das Paarpotential, bedingt. Einfache Paarpotentiale sind z. B. das LENNARD-JONES-Potential (Gl. 1.71) oder das Harte-KugelPotential (Gl. 1.72). Durch die anziehenden und abstofienden Krafte zwischen den Teilchen werden Abstande zu den nachsten Nachbarn festgelegt, bei denen die potentiehe Energie besonders niedrig ist. Zum anderen bewirken aber auch DipolDipol-Wechselwirkungen (Gl. 1.67) zwischen polaren Molekiilen oder WasserstoffBriickenbindungen, dass sich benachbarte Fliissigkeitsmolekiile in bestimmter Weise zueinander ausrichten. Hier durch entsteht zusatzlich eine Orientierungsnahordnung in der Fliissigkeitsstruktur. Die Wechselwirkungskrafte zwischen den Molekiilen einer Fliissigkeit sind zwar stark genug, um eine Nahordnung zu erzeugen, sie konnen aber die thermischen Molekiilbewegungen nicht vollig verhindern, so dass Fliissigkeiten eine ausgepragte molekulare Dynamik zeigen, die sowohl eine Umorientierung als auch eine translatorische Diffusion der Molekiile einschliefit. Als Konsequenz geht die Fernordnung in der Struktur von Fliissigkeiten verloren, wie dieses anhand der 0,0-Paarverteilungsfunktion des Wassers bereits gezeigt wurde (Abb. 1.20). Damit sich in einer Fliissigkeit ein Teilchen an seinen Nachbarn vorbei bewegen kann, muss es eine gewisse Aktivierungsenergie Eg, besitzen, um die Anziehungskrafte der Nachbarn iiberwinden zu konnen. Nach der statistischen Thermodynamik betragt der Bruchteil der Molekiile, die diese Aktivierungsenergie besitzen, exp(-Ea/kBT). Fiir die Fluiditat einer Fliissigkeit, das ist der Kehrwert der Viskositat ry, kann man daher den folgenden Ansatz formulieren: 1
, / E,\ = konst. • exp — -——
(1.85)
Demnach nimmt die Viskositat von Fliissigkeiten im Gegensatz zu der von Gasen mit steigender Temperatur ab. Der DiffusionskoefRzient D eines Teilchens mit dem Radius R ist mit der Viskositat der umgebenden Fliissigkeit iiber die STOKES-EINSTEINBeziehung verkniipft:
D = P^
(1.86)
Voraussetzungen fiir die Anwendbarkeit dieser Beziehung sind allerdings, dass es sich um kugelformige diffundierende Teilchen handelt, und dass ihre Umgebung homogen erscheint. Daher beschreibt diese Beziehung den Selbstdiffusionskoeffizienten von Fliissigkeiten nur naherungsweise.
32 1.3.2
1
Aggregatzustande
Flussigkr ist alle
Wenn Molekiile eine stark anisotrope Form besitzen, beispielsweise sehr lang oder scheibenformig sind, konnen so genannte Fliissigkristalle entstehen. Sie zeigen in mindestens einer Raumrichtung die ungeordnete Struktur einer Fliissigkeit, aber ebenso in mindestens einer Raumrichtung die fiir Kristalle charakteristische Fernordnung. In smektischen Phasen ordnen sich die Molekiile eines Fliissigkristalls in Schichten an, in nematischen Phasen sind sie parallel zueinander in Faden ausgerichtet und in cholesterischen Phasen bilden sie helikale Strukturen. Fliissigkristalle in einer cholesterischen Phase brechen Licht, dessen Farbe von der Temperatur abhangt, da die Steigung ihrer helikalen Struktur temperaturabhangig ist. Die optisch anisotropen Eigenschaften der nematischen Phase konnen durch elektrische Felder beeinflusst werden. Dieser Effekt bildet die Grundlage fiir die Verwendung von Fliissigkristallen in Fliissigkristallanzeigen (LCD, liquid crystal display). 1.3.3
Losungen von Makromolekiilen
Wenn sich ein Stoff in einer Fliissigkeit, wie Wasser oder Aceton, auf molekularer Ebene fein verteilt, spricht man von einer Losung.^ Der geloste Stoff kann ein Salz (NaCl, MgS04, . . . ) , ein nicht ionischer Feststoff (Saccharose, Cholesterin, . . . ) , eine Fliissigkeit (Methanol, H2SO4, . . . ) oder ein Gas (O2, HCl, . . . ) sein. Besonders in polaren Losungsmitteln konnen einige dieser Stoffe in geladene Teilchen (lonen) dissoziieren; die Eigenschaften dieser Losungen werden im Kapitel 6 besprochen. An dieser Stelle sollen solche Losungen naher betrachtet werden, bei denen die Grofie der gelosten Teilchen Durchmesser von etwa 10 A (10~^ m) bis 1 //m (10~^ m) aufweisen. Es handelt sich dann um so genannte kolloidale Losungen. Kolloide sind haufig Makromolekiile, wie z. B. Proteine, Starke, Polymere oder Kieselgel. Es ist aber auch moglich, dass sich ein Kolloid durch Aggregation vieler kleinerer Molekiile bildet. Werden beispielsweise Seifenmolekiile, wie Natriumsalze langer Fettsauren, in Wasser gelost, lagern sich diese Molekiile zu kugelformigen Kolloiden, so genannten Mizellen, zusammen. Die unpolaren Reste der Seifenmolekiile sind dabei in das Innere des Kolloids gerichtet, die polaren Kopfgruppen der Molekiile befinden sich an der Oberflache des Kolloids und werden vom Wasser hydratisiert. Mittlere Molmassen Wenn sich Makromolekiile durch eine chemische Reaktion bilden (Polymerisation, Polykondensation oder Polyaddition), dann weisen die einzelnen Molekiile unterschiedliche Langen bzw. Massen auf. Will man die Molmasse des Makromolekiils angeben, muss aus den Molekiilmassen ein Mittelwert berechnet werden. Dieses kann auf verschiedene Arten erfolgen. Hat man eine Mischung aus A^i Molekiilen der Masse mi, N2 Molekiilen der Masse m2, Ns Molekiilen der Masse ms, u.s.w. vorliegen, dann kann ein Teilchenzahl-bezogener Mittelwert berechnet werden, indem jede Masse rrii mit der Zahl A^^ gewichtet wird: (mzahi) =
^^^^^^^3^^^^
= (Mzahi)/NA
(1.87)
^Im Prinzip gibt es auch feste und gasformige Losungen. In diesen Fallen ist die Bezeichnung „Losung" aber weniger gebrauchlich.
1.3 Fliissigkeiten
33
Ein Massen-bezogener Mittelwert ergibt sich, wenn jede Molekiilmasse m^ mit der Masse NiUii gewichtet wird: Nimi + N2m2 + Nsuis + . . . Die Bedeutung dieser beiden Mittelwerte liegt in den verschiedenen experimentellen Methoden zur Ermittlung der Molmasse eines Makromolekiils begriindet. Methoden, bei denen das Messsignal zur Teilchenzahl proportional ist, liefern die Teilchenzahlbezogene Molmasse (Mzahi)- Hierunter fallt die Osmometrie (Messung des osmotischen Drucks), die Kryoskopie (Gefrierpunktserniedrigung) und die Ebullioskopie (Siedepunktserhohung). Methoden, bei denen das Messsignal zur Teilchenmasse proportional ist, ermoglichen dagegen die Bestimmung der Massen-bezogenen Molmasse (MMasse)- Zu diesen Verfahren zahlt u. a. die Lichtstreuung. Wie weiter unten gezeigt wird, kann auch iiber Viskositatsmessungen eine mittlere Molmasse (Mvis) ermittelt werden. In diesem Fall gilt: (mvis) - —Ar ^
• /\r ^
•
~ ((Mvis)/NA)
(1.89)
iVimi -h iV2m2 + . . .
a ist ein empirischer Parameter, der von dem Polymer, dem Losungsmittel und der Temperatur abhangig ist. Fiir a = 1 gilt (MMasse) = (-^Vis). Statistische Knauel In Losung nehmen Makromolekiile verschiedene zufallige Konformationen ein. Fiir lineare Makromolekiile kann man den Abstand der beiden Molekiilenden mit Hilfe der so genannten „random walk"-Statistik berechnen. Ein eindimensionaler „random walk" beschreibt die Verschiebung eines Teilchens um n+ Schritte in positive Richtung und um n_ Schritte in negative Richtung. Die Gesamtzahl an Schritten betragt n = n+-hn_
(1.90)
und die resultierende Verschiebung x nach n Schritten, die jeweils die Lange / haben, ist x = (n^-n-)l
(1.91)
Die Binomialverteilung liefert uns die Wahrscheinlichkeit, nach n Schritten das Teilchen am Ort x zu finden: P{x,n) = ^ - ^ ( p + ) - + ( p _ ) -
(1.92)
Hierin sindp+ undp- die Wahrscheinlichkeit en, einen Schritt in positive bzw. negative Richtung zu machen. Sie haben jeweils den Wert 1/2. Lost man die beiden Gleichungen 1.90 und 1.91 nach n+ und n_ auf und setzt die Ergebnisse in die Binomialverteilung ein, erhalt man nach einigen Umformungen:
Ein „random walk" ist nichts anderes als ein Diffusionsprozess. Fiir die eindimensionale Diffusion eines Teilchens hatten wir bereits Gleichung 1.50 als Losung des
34
1
Aggregatzustande
N"^l
Abbildung 1.21: Ein Makromolekiil kann vereinfachend als statistisches Knauel aufgefasst werden. Wenn N die Zahl und / die Lange der Monomere ist, dann haben die beiden Enden des Makromolekiils im Mittel den Abstand ^fNl zueinander. 2. FiCKschen Gesetzes erhalten. Ein Vergleich dieser Losung mit der obigen Beziehung fiihrt zu 2Dt = nP. Mit (x^) = 2Dt (Gl. 1.52) erhalt man fiir die mittlere quadratische Verschiebung in einer Dimension den Ausdruck (x^) = nf
(1.94)
Wenn das Teilchen einen „random walk" in alien drei Raumdimensionen durchfiihrt, macht es A/" = 3n Schritte der Lange /, um die mittlere quadratische Distanz (L^) = {x'^) + {y'^) + {z^) zuriickzulegen. Somit gilt: (L^) = Nf
(1.95)
Diese Gleichung lasst sich nun auf die Konformation eines linearen Makromolekiils iibertragen, wie es in Abbilung 1.21 skizziert ist. Halten wir ein Molekiilende fest und lassen das andere Ende im Losungsmittel diffundieren, so kann man den Abstand der beiden Molekiilenden als (L^)^/^ identifizieren. Ein Makromolekiil ist i. d. R. aus einer gewissen Zahl an identischen Monomeren aufgebaut. Daher scheint es verniinftig, diese Zahl an Monomeren mit N und die Lange eines Monomers mit / gleichzusetzen. Makromolekiile, deren Konformation Gleichung 1.95 geniigt, bezeichnet man als statistisches Knauel. Es sei angemerkt, dass Gleichung 1.95 nur gilt, wenn jedes Molekiilsegment vollig flexibel ist. In der Realitat ist diese Flexibilitat jedoch aufgrund von festen Bindungswinkeln und sterischen Behinderungen zwischen den Segmenten eingeschrankt, so dass das Makromolekiil ein grofieres Volumen einnimmt. Knauelgrofien von Makromolekiilen lassen sich u. a. mit Hilfe der Lichtstreuung experimentell ermitteln. Ultrazentrifugation Kolloidale Teilchen, so auch Biopolymere, konnen hinsichtlich ihrer Masse oder ihres Radius auch mit Hilfe einer Ultrazentrifuge charakterisiert werden. In einer Ultrazentrifuge werden kolloidale Losungen sehr schnell auf einer Kreisbahn gedreht. Auf die Teilchen wirkt dann die Zentrifugalkraft, die sie zu Boden sinken lasst (Sedimentation). Bei konstanter Sinkgeschwindigkeit entspricht die Zentrifugalkraft genau der Reibungskraft, die die Teilchen, hier als kugelformig angenommen, bei der Bewegung durch das Losungsmittel erfahren: rrtiuj^r — rriQUJ^r = dTrr/Rv
(1.96)
1.3 Fliissigkeiten
35
In dieser Gleichung ist mi die Masse eines kolloidalen Teilchens und mo die Masse des Losungsmittels, das vom Teilchen verdrangt wird. Diese ergibt sich aus dem Teilchenvolumen und der Massendichte des Losungsmittels zu VIQQ. OJ ist die Winkelgeschwindigkeit der Rotation, r der Abstand des Teilchens von der Rotationsachse, T] der ViskositatskoefRzient des Losungsmittels, R der Radius des kugelformigen Kolloids und V seine Sinkgeschwindigkeit. SVEDBERG hat fiir das Verhaltnis aus Sinkgeschwindigkeit zu Zentrifugalbeschleunigung den SedimentationskoefRzienten eingefiihrt: s= ^
mi
= ""'
-ViQo
''^'
(1.97)
Wird s fiir ein Kolloid ermittelt, dann kann hieraus entweder seine Molmasse Mi = NAm-i oder sein Radius R berechnet werden. R ist der so genannte hydrodynamische Radius des Teilchens, in den eine eventuell vorhandene Hydrathiille mit eingeht. Durch Integration obiger Gleichung ergibt sich eine einfache Bestimmungsgleichung fiir s, die die Teilchenpositionen ri und r^ zu den Zeiten ti und t^ enthalt {v = dr/dt): t2
s
r2
h' - hi
dr
ti
s
=
^
^
^
(1.98)
Die Position der Teilchen kann mit Hilfe optischer Verfahren verfolgt werden. Fiir viele biologisch wichtige Teilchen liegen die SedimentationskoefRzienten in der Grofienordnung von 10~^^ s. Man gibt deshalb Sedimentationskoeffizienten mit der Einheit IQ-i^
s = 1 S (SVEDBERG)
an.
Der Reibungskoeffizient dTrr/R fiir kugelformige Teilchen kann nach STOKESEiNSTEiN (Gl. 1.86) durch kBT/D ersetzt werden. Damit wird Gleichung 1.97 unabhangig von der Molekiilform, so dass mi bzw. Mi bestimmt werden kann: D ~
kBT
^ ^^^'
Ein direkter Weg zur Bestimmung der Molmasse Mi ist die Methode des Sedimentationsgleichgewichts. Hier zentrifugiert man die Probe bei relativ niedriger Geschwindigkeit, so dass die Sedimentation durch Riickdiffusion ausgeglichen wird. Viskositat von Polymerlosungen Schliefilich soil noch ein Zusammenhang zwischen der Viskositat einer Losung von Makromolekiilen und der Molmasse der Makromolekiile gefunden werden. Nach E I N STEIN gilt fiir kugelformige Teilchen: ^^—^=2,5(/)
(1.100)
In dieser Gleichung ist r] der Viskositatskoeffizient der Polymerlosung, r/o der Viskositat skoeffizient des reinen Losungsmittels und (/> der Volumenanteil, der von den Makromolekiilen in der Losung eingenommen wird. Der Volumenanteil ergibt sich aus
36
1
Aggregatzustande
der Zahl A^i an gelosten Makromolekiilen, dem Volumen Vi eines solchen Molekiils und dem Volumen Vges der Losung: 0 = ^
(1.I0I)
Definiert man das spezifische Volumen eines gelosten Makromolekiils als vi = Vi/rrii und fiihrt die Massenkonzentration c = Niuii/Vges ein, kann man die ElNSTElNsche Gleichung umformen zu 1^^=2,5vi
(1.102)
Die linke Seite dieser Beziehung wird als Viskositatszahl bezeichnet. Aufgrund sterischer Wechselwirkungen zwischen den Molekiilknaueln, die mit steigender Konzentration zunehmen, ist die Viskositatszahl einer Polymerlosung noch eine Funktion der Konzentration. Durch Extrapolation auf die Konzentration null erhalt man die Grenz viskositatszahl: [f]] = l i m "J^^
(1.103)
c^o r]QC
Sie kann z. B. mit einem OSTWALD-Viskosimeter, dessen Prinzip auf dem HAGENPoiSEUiLLEschen Gesetz (Gl. 1.57) beruht, bestimmt werden. Man misst dazu die Zeit, die eine Losung zum Durchlaufen einer Kapillare benotigt. Ein anderer Viskosimetertyp besteht aus zwei konzentrischen Zylindern, zwischen denen sich die zu untersuchende Losung befindet (Rotationsviskosimeter). Es wird der aufiere Zylinder in Rotation versetzt und das auf den inneren Zylinder durch die Losung iibertragene Drehmoment gemessen. Mit Hilfe der „random walk"-Statistik hatten wir bereits fiir ein statistisches Knauel einen Zusammenhang zwischen dem Abstand der Endsegmente und der Zahl N der Segmente abgeleitet (Gl. 1.95). Hiernach sollte der Durchmesser des Knauels proportional zu N^^^ und das Volumen des Knauels daher proportional zu N^/^ sein. Beriicksichtigt man ferner, dass die Molmasse M des Knauels linear mit der Segmentzahl N ansteigt, gilt zudem Vi oc M^/^. Damit ist das spezifische Volumen eines statistischen Knauels von M^/^ abhangig. Unter Beriicksichtigung von Gleichung 1.102 kann man somit bei unendlicher Verdiinnung schreiben: [f]] oc M^/2
(1.104)
Dieses ist das EiNSTEiN-KuHNsche Viskositatsgesetz fiir Losungen idealer statistischer Knauel. Nun nehmen reale Polymermolekiile in verschiedenen Losungsmitteln und bei verschiedenen Temperaturen unterschiedliche Konformationen ein, so dass die obige Gleichung verallgemeinert werden muss. Zur Beschreibung der Grenz viskositatszahl einer realen Polymerlosung verwendet man daher die empirische Gleichung nach STAUDINGER-MARK-HOUWINK: M = i^SMH(Mvis)^
(1.105)
in der KSMB. und a experimentell zu bestimmende Konstanten sind, die fiir jede Molekiilform und fiir jedes Losungsmittel verschiedene Werte besitzen. Haufig werden
1.4 Kristalline Festkorper
37
Tabelle 1.6: Die sieben Kristallsysteme. a, b und c sind die Gitterkonstanten, a, (3 und 7 die Winkel der Elementarzelle. System kubisch tetragonal orthorhombisch rhomboedrisch hexagonal monoklin triklin
Gitterkonstanten a = b= c a = b^c a, b,c a = b= c a = b,c a^b^c a^b^c
Winkel a = ^ = 7 = 90° a = ^ = 7 = 90° a = ^ = 7 = 90° a = y^ = 7
a = ^ = 90°,7 = 120° a = 7 = 90°,^ a, ^ , 7
fiir a Werte zwischen 0,5 und 0,8 gefunden. (Mvis) ist der viskosimetrische Mittelwert der Molmasse nach Gleichung 1.89. Sind die beiden Parameter Ksuu und a fiir eine bestimmte Polymerklasse bekannt, dann kann iiber eine Messung der Viskositat der Polymerlosung die mittlere Molmasse des Polymers bestimmt werden.
1.4
Kristalline Festkorper
In kristallinen Festkorpern sind Atome, Molekiile oder lonen iiber grofie Distanzen regelmafiig angeordnet. Kristalle zeigen daher im Gegensatz zu Fliissigkeiten neben einer Nahordnung auch eine Pernordnung in ihrer Struktur. Kristalle lassen sich mit Hilfe von Gittern darstellen, wobei ein einzelner Gitterpunkt ein Atom oder ein ganzes Molekiil reprasentieren kann, z. B. ein Fe-Atom in einem Fe-Kristall oder ein ProteinMolekiil in einem Protein-Kristall. Ein Kristallgitter ist in alien drei Dimensionen des Raums periodisch aufgebaut; die kleinste Einheit dieser periodischen Struktur nennt man Element arzelle. Je nach Form und Aufbau der Element arzellen unterteilt man alle Kristalle in sieben Kristallsysteme (Tab. 1.6) und in 14 BRAVAIS-Gitter (Abb. 1.22). Die drei Kantenlangen a, b und c einer Elementarzelle nennt man Gitterkonstanten. Die bei weitem wichtigste Methode zur Aufklarung der Struktur von kristallinen Festkorpern ist die RONTGEN-Beugung. Bei der BRAGGschen Methode wird monochromatische RONTGEN-Strahlung durch den Kristall gelenkt. Ein Teil dieser Strahlung wird an den Elektronenhiillen der Atome gebeugt, der Rest passiert den Kristall ohne Richtungsanderung. Man kann sich die Beugung der RONTGEN-Strahlung als Reflexion an Gitterebenen des Kristalls vorstellen, wie es in Abbildung 1.23 skizziert ist. RONTGEN-Wellen treffen unter dem Winkel 0 auf Gitterebenen, die den Abstand d zueinander besitzen. Zwei Wellen, die an benachbarten Gitterebenen reflektiert werden, legen verschiedene Wegstrecken zuriick, die sich um 2x = 2d sin 9 unterscheiden. Konstruktive Interferenz ist nur dann gegeben, wenn diese Wegstreckendifferenz ganzzahligen Vielfachen der RONTGEN-Wellenlange A gleicht: nX = 2d sin 9
(1.106)
mit n = 1,2,3, Diese Beziehung ist die BRAGGsche Gleichung. Je nach Orientierung eines Kristalls zur einfallenden RONTGEN-Strahlung erfolgt die Reflexion der
1
38
Aggregatzustande
kubisch:
tetragonal:
orthorhombisch:
rhomboedrisch:
monoklin:
hexagonal:
triklin:
Abbildung 1.22: Die 14 BRAVAIS-Gitter. Es bedeuten P primitiv, I innenzentriert, F flachenzentriert (alle Seiten) und C flachenzentriert (nur Seiten, die die c-Achse schneiden). Strahlung an verschiedenen Gitterebenen. In Abbildung 1.24 sind drei mogliche Gitterebenen in ein kubisches Kristallgitter eingezeichnet. Der Abstand d zwischen den Gitterebenen steht mit der Gitterkonstanten a in folgender Beziehung:
1=
ly^h^^k^^p (1.107) d h,k,l sind ganze Zahlen; sie sind unter dem Namen MiLLERsche Indizes bekannt. Durch den Schnitt einer Gitterebene mit den drei Achsen einer Elementarzelle wer-
1.4 Kristalline Festkorper
39
.'I" sin 6^= xld Abbildung 1.23: Die Beugung von RONTGEN-Strahlung an den Atomen eines Kristalls erscheint wie eine Reflexion der Strahlung an Gitterebenen des Kristafls. d ist der Abstand der Gitterebenen.
(100)
(110)
(111)
Abbildung 1.24: Gitterebenen in einem kubisch-primitiven Kristallgitter. Zu den Gitterebenen sind jeweils die MiLLERschen Indizes angegeben, die a mit d verkniipfen. den Achsenabschnitte festgelegt. Die MiLLERschen Indizes sind die Kehrwerte der Achsenabschnitte in Einheiten der Gitterkonstanten. Im einfachsten Fall entspricht d genau der Gitterkonstanten a des Kristalls. Dann ist h^k^l = 1,0,0, d. h., die aAchse wird von der Gitterebene bei a (der Gitterkonstanten) geschnitten, die b- und c-Achse werden im Unendlichen (also nie) geschnitten. Es ist somit moglich, die Grofie von Elementarzellen durch Messung der Beugungswinkel von RONTGEN-Strahlung zu ermitteln. In der Praxis verwendet man haufig fest stehende RONTGEN-Rohren als Strahlungsquelle und detektiert gebeugte RONTGEN-Strahlung in Abhangigkeit des Beugungswinkels 20. Diese Geometric setzt voraus, dass eine Gitterebene des zu untersuchenden Kristalls im richtigen Winkel zur einfallenden Strahlung orientiert ist, damit die BRAGGsche Gleichung erfiillt wird. Wenn die Probe pulverformig ist, wird immer ein Teil der Mikrokristallite eine passende Orientierung aufweisen, so dass man in Abhangigkeit vom Beugungswinkel die Reflexe aller Gitterebenen des Kristalls detektieren kann. Beispiel: Lithiumoxid Li20 kristallisiert im kubischen Kristallsystem. Im RONTGEN-Beugungsdiagramm des Li20 werden Reflexe beobachtet, die wie folgt ausgewertet werden konnen: Zunachst wird fiir jeden Reflex der halbe Beugungswinkel 6 ausgemessen und der Wert (2/A) sin^ berechnet. Nach den Gleichungen 1.106 und 1.107 gleicht dieser Wert n/d bzw. ^J{nhY + {nkY + {niy/a. Dann muss zu jedem Reflex eine
40
1
Aggregatzustande
geeignete Kombination der Zahlen n/i, nk und nl gefunden werden, so dass jeweils die gleiche Gitterkonstante a erhalten wird: (2/A) sin 19/A-
nh,nk,nl
0,3756 1,1,1
0,4337 2,0,0
0,6134 2,2,0
0,7193 3,1,1
Aus dieser Aufstellung lasst sich eine Gitterkonstante a von 4,61 A berechnen. Zudem sind die Zahlen nh^nk^ nl einer Kombination entweder alle gerade oder alle ungerade. Es tritt z. B. nicht die Kombination 2,1,0 auf. Man kann zeigen, dass dieser Befund auf ein kubisch-flachenzentriertes Gitter deutet. Kubisch-innenzentrierte Gitter zeigen dagegen nur Reflexe, fiir die die Summe nh -\- nk -\- nl eine gerade Zahl ist, wahrend primitive Gitter alle moglichen Reflexe zeigen. Wenn man Einkristalle einer Substanz zur Verfiigung hat, lassen sich aus den Intensitaten der Beugungsreflexe der Substanz iiber eine Bestimmung der Elektronendichte auch die Positionen der Atome, lonen und Atomgruppen in der Elementarzelle ermitteln (FOURIER-Synthese der Elektronendichte). Neben RONTGEN-Strahlen werden als weitere Sonden fiir Strukturuntersuchungen Neutronen und Elektronen eingesetzt. Auch sie besitzen Wellenlangen, die mit den Gitterkonstanten vergleichbar und damit fiir eine atomare Strukturaufklarung geeignet sind. Im Gegensatz zur RONTGEN-Strahlung werden Neutronen nicht an den Elektronenhiillen, sondern an den Kernen der Atome gestreut, wobei jedes Isotop einen anderen Streuquerschnitt, d. h. eine andere Streufahigkeit, hat. Elektronen als Streusonden tret en wegen ihrer Ladung sowohl mit den Elektronenhiillen als auch mit den Kernen der Atome einer Probe in starke Wechselwirkung. Sie werden bevorzugt zur Strukturuntersuchung von Oberflachen, diinnen Filmen und Gasmolekiilen eingesetzt. Diffusion in kristallinen Festkorpern ist nur moglich, wenn die regelmafiige Anordnung der Teilchen gestort ist. Man unterscheidet zwei wichtige Fehlordnungen. Bei der FRENKEL-Fehlordnung befinden sich einige Teilchen nicht auf ihren regelmafiigen, sondern auf Zwischengitterplatzen, wahrend bei der SCHOTTKY-Fehlordnung einige Gitterplatze nicht besetzt sind. Im letzteren Fall gibt es aus Griinden der Elektroneutralitat gleich viele positive wie negative Gitterleerstellen. Die Diffusion in Festkorpern ist um Grofienordnungen langsamer als die in Fliissigkeiten. Typische Diffusionskoeffizienten fiir die Diffusion in Festkorpern haben die Grofienordnung 10~^^ m^s~^ bei einigen hundert °C.
2
Thermodynamik
Die Thermodynamik ist eine geschlossene Theorie zur Beschreibung von makroskopischen physikalischen Eigenschaften der Materie sowie chemischen und physikalischen Gleichgewichten. Die praktische Bedeutung der Thermodynamik fiir die Chemie hegt in der Moghchkeit, aufgrund von thermischen Messdaten Energieanderungen und damit verkniipfte Gleichgewichtsanderungen bei Phasenumwandlungen und chemischen Reaktionen berechnen und vorhersagen zu konnen.
2.1 2.1.1
Erster Hauptsatz der Thermodynaraik BegrifFe und Definitionen
Die Behandlung der Thermodynamik setzt einige Begriffe und Definitionen voraus, die zunachst geklart werden. System: Ein System ist ein abgegrenzter Teil des Universums. Je nach Art der Begrenzung kann ein System mit der Umgebung Materie und Energie austauschen: • isohertes (abgeschlossenes) System: kein Austausch von Materie oder Energie moghch • geschlossenes System: Austausch von Energie moghch • offenes System: Austausch von Energie und Materie moghch Zustandsgrofie: Eine Zustandsgrofie ist eine messbare Eigenschaft eines Systems. Man unterscheidet zwischen extensiven und intensiven Zustandsgrofien. Extensive Grofien andern sich proportional zu einer Vervielfachung des Systems. Beispiele sind das Volumen V und die Stoffmenge n. Intensive Grofien bleiben bei einer Vervielfachung des Systems unverandert. Zu ihnen zahlen der Druck p, die Temperatur T und alle molaren Grofien Z^ = Z/n, wie das Molvolumen VmZustandsfunktion: Zustandsfunktionen 2;(^i,^2, • • •) werden durch Angabe von unabhangigen Variablen yi: ^2, ••• eindeutig bestimmt. Man kann von Zustandsfunktionen ein tot ales (vollstandiges) Differential dz bilden, das sich als Summe partieller Anderungen von z darstellen lasst:
Die partiellen Differentialquotienten sind selbst wieder nach den unabhangigen Variablen differenzierbar. Es gilt der Satz von SCHWARZ, nach dem die Reihenfolge der Differentiationen vertauschbar ist: _d_ rdz\ dpi \dyjj
_
d^z _ d^z _ _d_ dpidyj dpjdyi dpj
rdz\ \dyij
42
2
Thermodynamik
Es ist damit gleichgiiltig, ob man eine Anderung von z zuerst entlang der yiKoordinate und dann entlang der ^^-Koordinate berechnet oder umgekehrt. Das Integral iiber dz ist unabhangig vom Integrationsweg. Der durch die Zustandsfunktion z beschriebene Zustand eines Systems ist somit unabhangig vom Weg, der eingeschlagen wurde, diesen Zustand zu erreichen. Weiterhin gilt fiir eine Zustandsfunktion z{yi^y2): ''
•
^
(2.3) 2/2
sowie die EuLERsche Kettenformel,
dz\ fdyi\ fdy2 dyijy,\dy2j,\dzjy^ Beispiel: Der Druck p eines VAN DER WAALS-Gases lasst sich als Funktion der Variablen T und V schreiben (Gl. 1.75): , ^ ,,,
riRT
a'n?
Wenn p eine Zustandsfunktion ist, muss der Satz von SCHWARZ gelten: d [dp\ dV \dT)
d [ nR \ dV \V - nbj
nR {V - nhf
d f dp\ dT\dVJ
d f dT\
2ar{^\ V^ J
nRT {V-nhf
nR {V - nhf
p ist also Zustandsfunktion der unabhangigen Variablen T und V. Gleichgewichtszustand: Der Gleichgewichtszustand ist ein Zustand, der sich nach geniigend langer Zeit einstellt. Keine der Zustandsgrofien andert sich dann mehr. Prozess: Ein Prozess ist ein Ubergang von einem Zustand in einen anderen. Dieser kann verschiedenen Bedingungen unterworfen sein, die in Tabelle 2.1 aufgelistet sind. 2.1.2
Formulierung des erst en Hauptsatzes
Der erste Hauptsatz der Thermodynamik wurde von J. R. MAYER und J. P . JOULE aufgestellt. Er lautet: „Die Energie eines isoUerten Systems bleibt konstant/'Die Energie setzt sich dabei aus der kinetischen und potentiellen Energie des gesamten Systems und der inneren Energie zusammen: E = Ekin + ^pot + U
(2.5)
2.1
Erster Hauptsatz der
Thermodynamik
43
Tabelle 2.1: Beim Ubergang von einem Zustand in einen anderen konnen Prozesse unter verschiedenen Bedingungen ablaufen. Prozess isotherm isochor isobar reversibel irreversibel adiabatisch
Bedingung Temperatur konstant Volumen konstant Druck konstant standig im Gleichgewicht nicht immer im Gleichgewicht kein Warmeaustausch mit der Umgebung
£"1^11 + £'pot wird im Folgenden als konstant angesehen. Unter dieser Voraussetzung folgt, dass die innere Energie U eines isoHerten Systems konstant ist. U ist die Energie der Teilchen im System. In einem geschlossenen System kann sich die innere Energie U durch zwei verschiedene Prozesse um AU andern. Zum einen kann das System mit der Umgebung die Warme Q austauschen, zum anderen kann am System oder vom System die Arbeit W verrichtet werden. Dieses fiihrt zu einer anderen oft verwendeten Formulierung des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik: AU = Q + W
(2.6)
Bei infinitesimalen (sehr kleinen) Anderungen schreibt man stattdessen dU = dQ-\- dW
(2.7)
Die innere Energie U ist eine Zustandsfunktion eines Systems. Zwei verschiedene Zustande A und B konnen sich daher um den Wert AU = UB — UA unterscheiden. A symbohsiert eine Differenz. Differentielle Anderungen driickt man bei Zustandsfunktionen mit dem Symbol d aus. Im Gegensatz zur inneren Energie handelt es sich bei der Warme und der Arbeit um keine Zustandsfunktionen. Man kann nicht sagen, ein System „besitzt" die Warme Q oder die Arbeit W. Deshalb ist es falsch, AQ oder AW zu schreiben, da das Symbol A nur verwendet werden darf, wenn eine Differenz bzgl. zweier Zustande berechnet wird. Q und W beschreiben vielmehr, auf welche Weise ein Energieaustausch zwischen System und Umgebung vonstatten geht. Es gibt somit auch keine totalen Differentiale dQ oder dW (Gl. 2.1). Differentielle Betrage dieser Grofien kennzeichnet man mit dem Symbol d. Die wichtigste Form der Arbeit ist die Volumenarbeit, die ein System bei der Expansion an der Umgebung leistet (andere Arbeiten, wie elektrische und Oberflachenarbeit, werden spater betrachtet). Wenn sich beispielsweise ein Gas in einem Zylinder mit einem beweglichen Kolben befindet (Abb. 2.1), dann muss die Kraft F aufgewandt werden, um den Kolben entlang der Strecke dl gegen den aufieren Druck p nach aufien zu driicken. Ist A die Querschnittsflache des Kolbens, dann betragt die Volumenzunahme des Gases dV = Adl und der Druck p = F/A. Fiir die vom System
2
44
Thermodynamik
f
+d/
Abbildung 2.1: Bei der Expansion eines Gases gegen einen au£eren Druck p wird die Volumenarbeit —pdV geleistet, wobei dV die Volumenzunahme des Gases bezeichnet. d/ ist der Kolbenhub. an der Umgebung geleistete Arbeit gilt dW = -Fdl = --r{Adl)
= -pdV
(2.8)
Bei einer Kompression des Gases betragt die Volumenarbeit ebenfalls dW = —pdV. Die Volumenanderung dV ist jetzt jedoch negativ, so dass ein positiver Wert fiir die Arbeit dW resultiert, der eine Erhohung der inneren Energie des Systems zur Folge hat. Allgemein gilt die Konvention, dass thermodynamische Grofien stets auf das System bezogen werden. Eine positive oder negative Anderung einer Zustandsgrofie bewirkt daher eine Zunahme bzw. Abnahme dieser Grofie im System. Entsprechend zeigen positive Werte von Q und W an, dass die innere Energie des Systems zunimmt. Die Expansion eines Gases gegen einen aufieren Druck kann entweder reversibel oder irreversibel verlaufen. Im reversiblen Fall muss zu jedem Zeitpunkt ein Gleichgewicht bestehen zwischen der Kraft, die den Kolben nach aufien driickt, und der Kraft, die der aufiere Druck auf den Kolben ausiibt. Eine solche (fiktive) Expansion verlauft unendlich langsam. Zur Berechnung der Volumenarbeit bei einer reversiblen Expansion muss fiir den aufieren Druck p der innere Druck des Gases im Zylinder eingesetzt werden. Wenn es sich um ein ideales Gas handelt, kann hierfiir das ideale Gasgesetz herangezogen werden:
m = -'^ V Abbildung 2.7: Zustandsanderungen eines idealen Gases, das einen CARNOTschen Kreisprozess durchlauft. Die vom System an der Umgebung verrichtete Arbeit entspricht betragsmafiig der eingeschlossenen Flache. auf und gibt die gewonnene Energie in Form von Arbeit und Warme wieder an die Umgebung ab. Alle Prozesse der CARNOT-Maschine werden reversibel gefiihrt, damit ein Maximum an Arbeit an der Umgebung geleistet wird. Das erhaltene Verhaltnis aus geleisteter Arbeit zur aufgenommenen Warme stellt deshalb einen Grenzwert fiir alle realen Warmekraftmaschinen dar. In Abbildung 2.7 sind die Zustandsanderungen eines idealen Gases, das einen CARNOTschen Kreisprozess durchlauft, in einem p, y-Diagramm eingezeichnet. Von Zustand A nach Zustand B expandiert das ideale Gas bei konstanter Temperatur Ti, d. h., die innere Energie des Gases andert sich hierbei nicht: ^ABU = QAB + WAB = 0. Da die Expansion reversibel sein soil, kann zur Berechnung der Volumenarbeit ^WAB = —pdV verwendet und fiir den aufieren Druck p der Gasdruck nRT/V eingesetzt werden: Q AB
=
(2.57)
-WAI VB
nRTi VB -——dV = -nRTi In -—
WAB VA
V
(2.58)
VA
Die Expansion von B nach C verlauft adiabatisch. Die Anderung der inneren Energie entspricht daher allein der geleisteten Arbeit WBC'QBC
=
0
(2.59)
WBC
=
ABCU
(2.60)
= CV{T2-TI)
Von Zustand C nach Zustand D wird das ideale Gas wieder komprimiert. Da diese Zustandsanderung isotherm bei der Temperatur T2 erfolgt, ist ACDU = 0. QcD
=
-WcD
(2.61)
VD
WcD
=
-I Vc
(2.62) V
Vc
2.2
Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik
59
Die Kompression von D nach A verlauft wie die Expansion von B nach C adiabatisch: QDA
=
0
(2.63)
WDA
=
AnAU = Cv{Ti-T2)
(2.64)
Aus der Adiabatengleichung TV^~^ = konst. erhalt man fiir die beiden adiabatisch gefiihrten Prozesse von B nach C und von D nach A die Beziehungen
TiVj-'
=
T^V^-'
Division dieser beiden Gleichungen fiihrt zu Nun konnen wir eine Bilanz fiir die von der CARNOT-Maschine insgesamt geleistete Arbeit aufstellen: W
=
=
WAB
+
WBC
+ WcD +
WDA
-nRTiln-f+Cy(r2-ri) VA
-nRT2ln^+Cv{T,-T2) Vc
=
-riRTi In -f- - nRTs In - ^ VA
=
VB
-nR{T,-T2)ln^
(2.66) VA
Der Wirkungsgrad des CARNOTschen Kreisprozesses ist das Verhaltnis aus dieser geleisteten Arbeit (sie ist negativ) zur aufgenommenen Warmemenge. Da Warme nur wahrend der Zustandsanderung von A nach B vom System aufgenommen wird, gilt: (JAB
-LI
J-i
Da 0 < T2 < Ti ist, ist der Wirkungsgrad immer kleiner als 1. Es kann also niemals Warme vollstandig in Arbeit umgewandelt werden. Es wird stets eine gewisse Warmemenge (hier QCD) wieder an die Umgebung abgegeben. Der CARNOT-Prozess beschreibt das Maximum an mechanischer Energie (geleisteter Arbeit W)^ das sich durch Nutzung einer vorgegebenen Warmemenge {QAB) aus einem Bad der Temperatur Ti unter Verwendung einer Kiihlsubstanz der Temperatur T2 gewinnen lasst. Der CARNOTsche Wirkungsgrad ist unabhangig von der Kiihlsubstanz und nur eine Funktion von Ti und T2. Die Nutzung von Warme verlangt daher eine moglichst grofie Temperatur differenz. Beim Durchlaufen des CARNOTschen Kreisprozesses (Abb. 2.7) wird die Warmemenge QAB (G1. 2.57) bei der Temperatur Ti und die Warmemenge QCD (G1.
60
2
Thermodynamik
2.61) bei der Temperatur T2 reversibel mit der Umgebung ausgetauscht. Mit Hilfe der Beziehung VA/VB = VD/VC (G1. 2.65) kann man schreiben: . QCD
QAB
-—- + -—^1
^
{^ aQ\
= nRln -— + nRln T ^ = 0
Ty^
(2.68)
^2
^B
.
VA
^.
VD VC
Die Gro£en Qrev/T entsprechen offensichtlich Anderungen einer Zustandsgro£e, da ihre Summe beim Durchlaufen des Kreisprozesses null ist. Diese neue Zustandsgro£e nennt man Entropie S mit A S = ^
bzw.
dS=^^
(2.69)
Wenn die isotherme Expansion des Gases von A nach B nicht reversibel, sondern irreversibel verlauft (vgl. Abb. 2.7 mit Abb. 2.2), dann wird weniger Arbeit an der Umgebung verrichtet und entsprechend weniger Warme aus der Umgebung aufgenommen: QAB.rev
> QAB.IVV
(2.70)
Teilt man diese Ungleichung durch Ti, der Temperatur der isothermen Zustandsanderung von A nach B^ folgt: ^ABS
> ^
^
(2.71)
Diese Beziehung, die fiir jeden irreversiblen Prozess in einem geschlossenen System giiltig ist, bezeichnet man als CLAUSIUS-Ungleichung. Isolierte Systeme konnen keine Warme mit der Umgebung austauschen, so dass hierfiir aus den Gleichungen 2.69 und 2.71 fiir Q = 0 folgt j =0 fiir reversible Prozesse \ > 0 fiir irreversible Prozesse
.
.
Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik beschreibt diese Beziehungen: „Es existiert eine Zustandsgrofie S, die Entropie, die in isolierten Systemen nur zunehmen oder gleichbleiben kann." Betrachtet man das Universum als isoliertes System, dann sind samtliche realen, irreversiblen Prozesse mit einem Anstieg der Entropie des Universums verbunden. KELVIN und CLAUSIUS haben aus dem irreversiblen Anstieg der Entropie gefolgert, dass jegliche Energie im Lauf der Zeit in Warme umgewandelt wird, so dass das Universum einen „Warmetod" sterben wird, bei dem jede mechanische Bewegung zum Erliegen kommt. 2.2.2
Eigenschaften der Entropie
Die Entropie ist eine Zustandsfunktion, deren tot ales Differential als Funktion der Variablen T und V lautet:
2.2
Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik
61
Fiir die partiellen Ableitungen konnen folgende Ausdriicke erhalten werden, wenn man ein ideales Gas betrachtet:
Die Begriindung fiir diese Umformungen wird im nachsten Abschnitt nachgeholt. Einsetzen dieser Beziehungen in das totale Differential dS und anschlie£ende Integration von Zustand 0 nach Zustand 1 liefert:
^
Ti
MT
Vi
^ fdV
AS = Cv J jr+nRJ — To
=
Vo
Cyln^+nRln^
(2.76)
Analog kann das totale Differential der Entropie als Funktion der Variablen T und p geschrieben werden: - (^\ — ^^^
dQ
(2.86)
Isolierte Systeme konnen mit der Umgebung keine Warme austauschen (dQ = 0), daher gilt d5>0
(2.87)
Die Entropie eines isolierten Systems wachst also bei einem irreversiblen Prozess an. Wenn Gleichgewichtsbedingungen herrschen, kommt der Prozess zum Stillstand und die Entropie hat ein Maximum erreicht. Geschlossene Systeme konnen mit der Umgebung Warme und Arbeit austauschen. Nach dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik kann die Warmemenge dQ in der CLAUSIUS-Ungleichung durch dU -\- pdV ersetzt werden (Gl. 2.13), wenn nur Volumenarbeit geleistet wird: d5
>
0
>
dU-\-pdV dU-\-pdV
-TdS
(2.88)
I. d. R. laufen irreversible Prozesse in geschlossenen Systemen unter bestimmten Bedingungen ab, wie z. B. unter konstantem Druck oder bei konstanter Temperatur.
66
2
Thermodynamik
Die obige Ungleichung soil daher diskutiert werden, indem verschiedene thermodynamische Variablen konstant gehalten werden. Bleiben wahrend eines irreversiblen Prozesses Entropie und Volumen unverandert {dS = 0 und dV = 0), folgt aus Ungleichung 2.88 0 > {dU)s,v
(2.89)
Die innere Energie nimmt also ab, bis sie im Gleichgewicht am Ende des irreversiblen Prozesses ein Minimum erreicht hat. Bleiben in einem geschlossenen System dagegen die Gro£en S und p konstant, erhalt man, wenn der Term Vdp zur rechten Seite der Ungleichung 2.88 addiert wird {dS = 0 und dp = 0): 0>dU-\- pdV + Vdp = d{U + pV) = {dH)s,p
(2.90)
Damit strebt bei irreversiblen Prozessen unter isentropischen und isobaren Bedingungen die Enthalpie einem Minimum entgegen. Fiir Prozesse, die bei konstanter Temperatur und konstantem Volumen ablaufen, erhalt man, wenn zur rechten Seite der Ungleichung 2.88 der Term - 5 d r addiert wird (dT = 0 und dV = 0): 0>dU-
TdS - SdT = d{U - TS) = (dA)T,y
(2.91)
Die neu eingefiihrte Grofie nennt man HELMHOLTZ-Energie (oft auch freie Energie genannt): A = U-TS
(2.92)
Schliefilich fiihrt Ungleichung 2.88 bei konstanter Temperatur und konstantem Druck nach Addition von Vdp und - 5 d r (dT = 0 und dp = 0) zu 0
>
dU-\-pdV + Vdp - TdS - SdT = d{U-\-pV - TS)
=
d(H-TS)
= (dG)T,p
(2.93)
Die Grofie G heifit GiBBS-Energie (oder auch freie Enthalpie bzw. englisch free energy)G = H-TS
(2.94)
In einem geschlossenen System nehmen damit die Grofien A und G sowie U und H wahrend eines irreversiblen Prozesses ab, bis sie am Ende des Prozesses im Gleichgewicht ein Minimum erreicht haben. Die Ungleichung 2.93 ist fiir die Chemie von zentraler Bedeutung, da die meisten chemischen Reaktionen bei konstantem Druck und konstanter Temperatur ablaufen. Eine solche chemische Reaktion lauft demnach nur dann spontan ab, wenn sich die GiBBS-Energie G des Systems hierbei verringert. Die Anderung von G betragt dann (T = konst.): AG
=
Gprodukte " GEdukte
=
(H - T5)produkte - (H - T5)Edukte
=
(i^Produkte — -f^Edukte) — 2^(5'produkte — 'S'Edukte)
=
AH - TAS
(2.95)
2.2
Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik
67
Fiir reversible Prozesse kann man den ersten Hauptsatz der Thermodynamik (Gl. 2.7) mit dQ = TdS und dW = —pdV in folgende Gleichung iiberfiihren: dU = TdS-pdV
(2.96)
Die Formulierung dieser Gleichung setzt voraus, dass nur Volumenarbeit vom System geleistet wird. Der Unterschied zwischen dieser Gleichung und der Ungleichung 2.88 besteht darin, dass nun —pdV die reversible Volumenarbeit ist. Dementsprechend gleicht p nun dem inneren Druck des Systems, da bei reversiblen Prozessen ein Gleichgewicht zwischen System und Umgebung herrscht. Da U eine Zustandsfunktion ist, ist dU unabhangig davon, ob eine Zustandsanderung reversibel oder irreversibel erfolgt, d. h., die obige Gleichung ist sowohl fiir reversible als auch fiir irreversible Prozesse giiltig. Bei irreversiblen Prozessen ist allerdings TdS > dQ und —pdV < dW; diese beiden Grofienunterschiede heben sich aber genau auf. Mit Hilfe von Gleichung 2.96 konnen folgende Ausdriicke fiir eine Anderung der Enthalpie H^ der HELMHOLTZ-Energie A und der GiBBS-Energie G erhalten werden: dH
=
dU-\-pdV-\-Vdp=
TdS-\-Vdp
dA
=
dU- TdS - SdT = -SdT - pdV
(2.97) (2.98)
dG = dH-TdS-SdT = -SdT-\-Vdp (2.99) H, A und G nennt man LEGENDRE-Transformierte von U. Die Gleichungen 2.96 bis 2.99 sind unter dem Namen GiBBSsche Fundamentalgleichungen bekannt. In ihnen erscheinen die thermodynamischen Grofien U, H, A und G, die auch thermodynamische Potentiale genannt werden, als Funktionen ihrer so genannten charakteristischen Variablen. Bei einer isothermen Prozessfiihrung entspricht dA der maximalen Volumenarbeit, die vom System geleistet werden kann. Denn es gilt nach Gleichung 2.98: dA = —pdV^ wobei —pdV die reversible und somit maximale Volumenarbeit ist. Dagegen entspricht dG bei einer isothermen und isobaren Prozessfiihrung der maximalen Nichtvolumenarbeit. Wird z. B. elektrische Arbeit dWei geleistet, dann lautet Gleichung 2.96: dU = TdS - pdV -h dWei, und aus Gleichung 2.99 wird dG = dWe\. Schreibt man U, H, A und G als tot ale Differentiale in Abhangigkeit ihrer charakteristischen Variablen, ergeben sich durch Vergleich mit den GiBBSschen Fundamentalgleichungen eine Reihe niitzlicher partieller Ableitungen:
dSjy dU\
os)^^
\dVys „
fdU\
{ov)s'-"
- = (i)-(a^^ (i),- (f).-'
1), ist 7 > 1 und damit die Fugazitat 7p grower als p. Dies ist i. Allg. bei hohen Driicken der Fall. In idealen Gasmischungen wird das chemische Potential fii der Komponente i analog formuliert. fii ist jetzt die partielle molare GiBBS-Energie, die vom Partialdruck Pi der Komponente i abhangt: I2i = 12^+RT In ^
(2.132)
Der Partialdruck ist nach pi = xfpges mit dem Stoffmengenbruch xf in der Gasphase verkniipft. Das fiihrt zu ^. = ^° + RT In ^
+ RT In xf
(2.133)
2.3
Mischungen
75
Die ersten beiden Summanden auf der rechten Seite dieser Gleichung stellen das chemische Potential des Gases i beim Druck pges, d. h. im Reinzustand, dar. Chemische Potentiale fiir Reinstoffe wollen wir mit dem Symbol //* kennzeichnen: fii = fi*^+RTlnxl
(2.134)
Auch fiir fliissige Mischungen schreibt man das chemische Potential einer Komponente i in dieser Form: l^i = l^;-^RTlnx\
(2.135)
Die Gleichungen 2.134 und 2.135 gelten allerdings nur fiir ideale Mischungen bzw. fiir Komponenten in hoher Konzentration. Reale Gas- oder Fliissigkeitsmischungen werden allgemein iiber Aktivitaten af bzw. a\ beschrieben: Ij.
=
//*+Rrinaf
(2.136)
^.
=
fi;-\-RTlna\
(2.137)
Die Aktivitaten lassen sich aus den Stoffmengenbriichen iiber Aktivitatskoeffizienten berechnen: ai = fiXi
(2.138)
Ein AktivitatskoefRzient fi ist konzentrationsabhangig und strebt fiir alle Temperaturen und Driicke gegen 1, wenn xi gegen 1 geht. Aktivitatskoeffizienten lassen sich z. B. aus Messungen der Partialdriicke iiber einer fliissigen Mischung ermitteln (s. Abschnitt 2.3.5). 2.3.3
Mischungsgr often
Eine Mischungsgrofie beschreibt die Anderung einer Zustandsgrofie wahrend des Mischens von Reinstoffen. Es wird also der Mischungsvorgang und nicht die Mischung selbst charakterisiert. Zu Beginn des Mischungsvorgangs werden die Komponenten eines Systems durch die chemischen Potentiale //* erfasst, am Ende gelten die konzentrationsabhangigen Grofien /j^ = /j"^ -\- RTlnxi im Fall idealer Mischungen bzw. jn^ = jn"^ -\- RTlna^ im Fall nicht idealer Mischungen. Die molare Mischungs-GiBBSEnergie einer idealen binaren Mischung lautet somit (mix steht fiir englisch mixing): AmixGm
=
Xifii -h X2fi2 " (^l/^t + ^2/^2) "^
V
Mischung
=
^
^^
V
^
Reinstoffe
Rr(a:ilna:i+a:2lna:2)
(2.139)
Wegen Xi < 1 ist AmixGm < 0. Da ein irreversibler Prozess bei konstanter Temperatur und konstantem Druck stets mit einer Abnahme von G verbunden ist (Ungl. 2.93), erfolgt das Mischen zweier Stoffe spontan.
2
76
Thermodynamik
Abbildung 2.11: Mischungsgroi^en einer idealen binaren Mischung in Abhangigkeit des Stoffmengenbruchs xi = 1 — 2:2. Maximale Mischungsentropie und minimale Mischungs-GiBBS-Energie tritt bei a^i = 0,5 auf. Die negative partielle Ableitung der molaren Mischungs-GiBBS-Energie nach der Temperatur bei konstantem Druck liefert die molare Mischungsentropie (GL 2.103): v-Orn
—
=
dA^i^G mix'-^in dT -R(a:i In xi + X2 In X2)
(2.140)
Ferner kann die molare Mischungsenthalpie nach Gleichung 2.95 aus AmixGm und Amix'S'm berechnet werden: AnaixGn. + TAn^ix^n, = 0
(2.141)
D. h., es treten keine Warmeeffekte beim Mischen auf. Bei idealen Mischungen ist damit allein die Entropiezunahme fiir ein spontanes Vermischen ver ant wort lich, wie z. B. beim spontanen Vermischen zweier idealer Gase. Dies ist nicht der Fall bei nicht idealen Mischungen. Hier bestehen zwischen den Teilchen Wechselwirkungen, so dass auch eine Mischungsenthalpie auftritt. In Abbildung 2.11 sind die Mischungsgrofien AmixGm, Amix'S'm uud Amix-f^m eiucr idcalcu binaren Mischung in ein gemeinsames Diagramm eingezeichnet. Schliefilich lasst sich das molare Mischungsvolumen einer idealen binaren Mischung aus der partiellen Ableitung der molaren Mischungs-GiBBS-Energie nach dem Druck bei konstanter Temperatur ermitteln (Gl. 2.103): y^ = (^^A^ixGm^ dp
^ Q
^2.142)
T
Es tritt somit keine Volumenanderung beim Mischen auf, wenn sich die Komponenten ideal verhalten, da dann keine intermolekularen Wechselwirkungskrafte bestehen. 2.3.4
Exzessgroften
Treten Abweichungen von der Idealitat beim Mischen von Reinstoffen auf, dann milssen alle Mischungsgrofien mit Hilfe der Aktivitaten der Komponenten berechnet wer-
2.3
Mischungen
77
den. Aus der Differenz realer (nicht idealer) Mischungsgro£en zu den entsprechenden idealen Mischungsgro£en ergeben sich die so genannten Exzessgro£en. Nur diese sind i. d. R. von Interesse, da ideale Mischungsgro£en nicht stoffspezifisch sind und somit fiir alle Mischungen den gleichen Beitrag hefern. Definitionsgema£ lautet die molare Exzess-GlBBS-Energie einer binaren Mischung ^m
—
^T{xilnai-\-X2lna2)—RT{xilnxi-\-X2lnx2) real
ideal
(2.143)
Rr(a;iln/i+a;2ln/2)
mit fi = ai/xi als AktivitatskoefRzienten. Die molare Exzessentropie kann wieder aus der negativen partiellen Ableitung von G^ nach der Temperatur berechnet werden. Es ist hierbei zu beriicksichtigen, dass prinzipiell auch die AktivitatskoefRzienten temperaturabhangig sind: QE
5G| dT
_
_
=
-R(a:iln/i -RT
Xi
-\-x2lnf2)
dT
dlnf2 dT
-\- X2
(2.144)
Bei konstanter Temperatur ergibt sich die molare Exzessenthalpie zu (Gl. 2.95) rjE
/oE
=
I rji oE
-RT^
Xi
dT
-\- X2
dlnf2 dT
(2.145)
Das molare Exzessvolumen berechnet sich aus der partiellen Ableitung von G^ nach dem Druck bei konstanter Temperatur: V^
=
=
dG^ dp RT
Xi
dp
-\- X2
dlnf2 dp
(2.146)
In realen Mischungen sind damit alle Exzessgrofien von null verschieden. Als Modell fiir eine reale Mischung kann eine so genannte regulare Mischung dienen. Hier wird die Temperaturabhangigkeit der AktivitatskoefRzienten durch die Beziehungen In/i
=
ln/2
=
X2A.
RT xjA RT
(2.147) (2.148)
78
2
Thermodynamik
beschrieben. A ist eine Konstante, die nicht von Temperatur, Druck und Zusammensetzung abhangen soil. Die Exzessgro£en G^, S^ und H^ lauten nun: Gl
=
Rr(^i|^+^,|^)=A^i^,
(2.149)
S^
=
0
(2.150)
H^
=
AxiX2
(2.151)
Regulare Mischungen zeigen also bzgl. der Mischungsentropie ideales Verhalten. Allgemein findet man dies bei Mischungen von Molekiilen mit ahnlicher Gro£e, Gestalt und Polaritat. Gleichung 2.149 nennt man auch PORTER-Ansatz. A ist ein Mai^ dafiir, um wie viel sich die Wechselwirkungsenergie zwischen ungleichen Molekiilen von der Wechselwirkungsenergie gleicher Molekiile unterscheidet. Im Modell einer athermischen Mischung erscheint die Mischungsenthalpie ideal. Dieses Verhalten findet man beispielsweise bei einer Losung eines Hochpolymers im monomeren Losungsmittel. Im Rahmen der FLORY-HUGGINS-Theorie gilt in diesem Fah: AmixGm
=
RT{xi In (/>! + X2 In (/)2)
(2.152)
Amix^m
=
-R(:^i In (/>! + X2 In (1)2)
(2.153)
=
0
.H^
•^mix-'-^in
(2.154)
Damit ist H^ = 0. (/>! und (/)2 sind die Volumenbriiche der Komponenten 1 und 2 in der Mischung ((/)i = UiVi/Vges)2.3.5
Das RAOULTsche Gesetz
Im thermodynamischen Gleichgewicht befindet sich iiber jeder fiiissigen Phase auch eine dampfformige. Teilchen konnen standig aus dem fiiissigen Zustand in den gasformigen iibergehen und umgekehrt. Insgesamt andern sich die Stoffmengen der beiden Phasen im Mittel jedoch nicht. Aus der Gleichgewichtsbedingung AGm = 0 folgt, dass das chemische Potential der fiiissigen Phase gleich dem der gasformigen ist: //^ = //S
(2.155)
Wenn nun in einem Losungsmittel (1) eine Substanz (2) gelost wird, dann befinden sich beide Fliissigkeitskomponenten 1 und 2 mit den jeweiligen Gaskomponenten 1 und 2 im Gleichgewicht: fi[ = fif
(2.156)
M2 = MI
(2-157)
Verhalt sich die Gasphase ideal, dann ergibt sich fiir die chemischen Potentiale des Losungsmittels (Komponente 1): Hl^ + RT In a[ = //J + RT In ^
(2.158)
2.3
Mischungen
79 Druck
P=Pl+P2
Abbildung 2.12: Dampfdruck einer binaren Mischung als Funktion des Stoffmengenbruchs x\ der Komponente 1 in der fliissigen Phase. Die gestrichelten Linien geben die Dampfdriicke einer idealen Mischung wieder. Die ausgezogenen Linien gelten dagegen fiir eine reale Mischung. Es wird hier angenommen, dass die Aktivitatskoeffizienten f\ und /2 der beiden Komponenten 1 und 2 grower als eins sind, so dass eine positive Abweichung der Dampfdriicke von der Ideahtat gegeben ist (wie z. B. beim System CS2/Aceton). Wendet man diese Gleichung auf das reine Losungsmittel an, folgt (ai = 1 und pi =
Pi): fil^=fil-\-RTln
Pi po
(2.159)
Nach Subtraktion dieser Gleichung von Gleichung 2.158 resultiert die Beziehung: RTlnal
^RTln —
(2.160)
Pi = a[pl = fWipl
(2.161)
Pi
bzw.
Der Dampfdruck einer Mischungskomponente (hier pi) wachst also proportional mit der Aktivitat dieser Komponente in der fliissigen Phase (hier a\) an. Der Proportionalitatsfaktor ist der Dampfdruck im Reinzustand (hier pi). Fiir den Grenzfall x\ —)• 1 (Losungsmittel im starken Uberschuss) strebt der Aktivitatskoeflizient /[ gegen 1, so dass der Dampfdruck des Losungsmittels direkt proportional zum Stoffmengenbruch des Losungsmittels in der fliissigen Phase wird. Dieser Zusammenhang, pi = x\pl^ wird als RAOULTsches Grenzgesetz bezeichnet. Losungen, fiir die das RAOULTsche Grenzgesetz iiber den gesamten Konzentrationsbereich gilt, werden ideale Losungen genannt. In Abbildung 2.12 ist der Dampfdruck einer Mischung p = pi + P2 in Abhangigkeit des Stoffmengenbruchs einer Fliissigkeitskomponente aufgetragen. Es sei angemerkt, dass das DALTONsche Gesetz einen Partialdruck mit dem entsprechenden Stoffmengenbruch in der gasformigen Phase verkniipft: Pi = xfp
2
80
Thermodynamik
Wenn eine Mischung ausschlie£lich gasformig vorliegt, dann ist der Gesamtdruck p konstant. Im Gegensatz hierzu ist der Dampfdruck p einer Fliissigkeitsmischung eine Funktion des Stoffmengenbruchs xf^ was spater bei der Behandlung von Dampfdruckdiagrammen gezeigt wird. Beispiel: Wir betrachten folgende Daten einer Benzol/Toluol-Mischung bei 60 °C: i Benzol Toluol
Pt 1 hPa
A
513 185
0,4 0,6
Pi 1 hPa 205 111
x\ 0,65 0,35
Die Partialdriicke pi sind gemafi dem RAOULTschen Grenzgesetz berechnet worden. Die Summe der beiden Partialdriicke von 316 hPa ist der gesamte Dampfdruck iiber der Mischung. Aus ihm kann mit Hilfe des DALTONschen Partialdruckgesetzes die Zusammensetzung des Dampfes berechnet werden. Man sieht, dass im Gegensatz zur fliissigen Phase der Dampf mit Benzol angereichert ist.
2.3.6
Das HENRYsche Gesetz
Es soil nun untersucht werden, wie der Dampfdruck einer gelosten Substanz (Komponente 2) von der Zusammensetzung einer binaren fliissigen Mischung abhangt. Hierfiir wenden wir Gleichung 2.161 auf diese Komponente an und bilden den Grenzwert kleiner Konzentrationen: lim p2 = lim f2X2P2 = ^ 2 ^ 2
(2.162)
mit K2 als Grenzwert des Produkts /2P2- Diesen Grenzwert nennt man HENRYKonstante. Fiir sehr kleine Konzentrationen (ideal verdiinnte Losungen) ist der Dampfdruck der gelosten Substanz (hier P2) somit proportional zur Stoffmengenkonzentration der gelosten Substanz in der fliissigen Phase (hier x\), was als HENRYsches Grenzgesetz bezeichnet wird: p2 = x\K2. Fiir hohere Konzentrationen muss man das HENRYsche Grenzgesetz mit dem Aktivitatskoeffizienten f^ korrigieren. Das fiihrt zur allgemein giiltigen Beziehung:
P2 = ffx\K2
(2.163)
Der HENRYsche Aktivitatskoeffizient ff^ darf nicht mit dem RAOULTschen Aktivitatskoeffizienten f\ verwechselt werden. / ? ist auf den Zustand sehr kleiner Konzentrationen normiert, denn es gilt ff^ = 1 fiir x\ = 0. Im Gegensatz hierzu ist der RAOULTsche Aktivitatskoeffizient auf den Zustand sehr grower Konzentrationen normiert: fj = 1 fiir x\ = 1, In Abbildung 2.13 ist der reale Dampfdruck einer Komponente einer binaren fliissigen Mischung schematisch dargestellt. Fiir kleine Konzentrationen wird dieser durch das HENRYsche Grenzgesetz beschrieben, fiir grofie Konzentrationen gilt das
2.3
Mischungen
81
Abbildung 2.13: Schematische Darstellung des Dampfdrucks einer Komponente einer realen fliissigen Mischung. Die gestrichelten Linien geben den Dampfdruck wieder, wie er nach dem HENRYschen und dem RAOULTschen Grenzgesetz erwartet wird. RAOULTsche Grenzgesetz. Im mittleren Konzentrationsbereich sind Aktivitatskoeffizienten notwendig, um den realen Dampfdruck aus dem Stoffmengenbruch der Fliissigkeitskomponente zu berechnen. Das HENRYsche Grenzgesetz wurde urspriinglich fiir die Loslichkeit von Gasen in Fliissigkeiten gefunden. Es gilt jedoch allgemein fiir jeden gelosten St off. Beispiel: Die HENRY-Konstante von Sauerstoff im Losungsmittel Wasser betragt KQ^ = 4,40 • 10^ bar bei 298 K. Bei einem Partialdruck des Sauerstoffs in der Luft von po^ = 0 , 2 bar berechnet sich fiir /Q^ ^ 1 der Stoffmengenbruch des Sauerstoffs im Wasser zu J
^02
-
—
^02
^4^5.10-6
Ko,
In 1 kg Wasser, das sind 55,6 mol, lost sich daher die folgende Stoffmenge Sauerstoff: no2 ^02
no2
no2 + ^H20
2,5 • 10"^ mol
^H20 1 - ^ 2
Nach dem idealen Gasgesetz entspricht diese Stoffmenge bei T = 298 K und p = 1 bar einem Gasvolumen von: Vb2 = —
= 6 cm''
Wenn man sich mit der Thermodynamik geloster Stoffe beschaftigt, ist es sinnvoll, ihre chemischen Potentiale nicht auf den Reinzustand zu beziehen, sondern den Zustand unendlicher Verdiinnung als Standardzustand zu wahlen. Fiir die Ableitung
82
2
Thermodynamik
dieses neuen Standardzustandes ist zunachst eine Beziehung zwischen den AktivitatskoefRzienten nach RAOULT und HENRY ZU finden. Nach den Gleichungen 2.161 und 2.163 gilt: Pi
=
flx\p: = fJ'xlK,
fl
= l i ^
(2.164)
Pi
Mit Hilfe dieser Beziehung kann das Standardpotential //* fiir den Reinzustand in das Standardpotential jaf^ fiir unendliche Verdiinnung umgeformt werden: ^.
= fi;-^RTlnfl + RTlnx\
=
/ / * + R r i n ^ + R r i n / f + Rrina:i^ Pi
=
fi^+RTlnff^ + RTlnx\
(2.165)
wobei fif^ = ^ t + RTln(Ki/p*) gesetzt wurde. Eine ideal verdiinnte Losung wird durch / P = 1 definiert. Das HENRYsche Grenzgesetz spielt auch bei der Trennung von Stoffen mit Hilfe von Extraktionsmethoden eine Rolle. Hierbei wird eine im Losungsmittel a geloste Substanz i teilweise in ein anderes Losungsmittel /3 iiberfiihrt, bis eine Gleichgewichtsverteilung zwischen diesen Losungsmitteln erreicht wird (z. B. Br2 in Wasser/Ether). Im Gleichgewicht gilt fiir die chemischen Potentiale der Substanz i in den beiden Losungsmitteln a und /3^ wenn ideales Verhalten angenommen wird {ff^^ = f^ ^ = I):
= /^f
^? fi^^'+RTlnxY
= fi'^^ + RTlnxf
(2.166)
Wenn man diese Gleichung nach den Stoffmengenbriichen auflost, ergibt sich ein konstantes Verhaltnis bei T^p = konst.: til
[n-^
-
fi-
- fi^
^i
if = -^(^Sa^j
»
,, Ki,
(2.175)
-'
Die Siedepunktserhohung (T — T*) eines Losungsmittels durch Zugabe einer zweiten Komponente wird damit durch zwei Faktoren bestimmt. Der erste Faktor enthalt neben der allgemeinen Gaskonstante nur Grofien, die sich auf das reine Losungsmittel beziehen. Er wird als ebullioskopische Konstante K\g abgekiirzt. Der zweite Faktor enthalt die Einwaagen mi und m2 von Losungsmittel und geloster Substanz und die molare Masse M2 der gelosten Substanz. Er ist die Molalitat 11,2/rrii von Komponente 2 im Losungsmittel 1. Durch Messung der Siedepunktserhohung ist es daher moglich, die molare Masse einer Substanz zu bestimmen (Ebullioskopie). Das Losen eines Stoffes in einem Losungsmittel beeinflusst nicht nur die Siedetemperatur, sondern auch die Schmelztemperatur des Losungsmittels. Man beobachtet eine Gefrierpunktserniedrigung, die von der Stoffmenge der gelosten Substanz abhangt. Thermodynamisch wird diese kolligative Eigenschaft vollig analog zur Siedepunktserhohung beschrieben. Die chemischen Potentiale des Losungsmittels (Komponente 1) in der festen und fliissigen Phase sind am Gefrierpunkt gleich grofi. In der fliissigen Phase besitzt das Losungsmittel den Stoffmengenbruch xi^ da diese Phase eine Losung ist. Im festen Zustand soil das Losungsmittel rein vorliegen: li\
=
ii\
^*«
=
//*i-hRrina:i
(2.176)
Die molare Schmelz-GiBBS-Energie des Losungsmittels berechnet sich zu ASIG;;, = ^if - ^if = -RTIUXI
(2.177)
2.3
Mischungen
85
Tabelle 2.2: Kryoskopische und ebullioskopische Konstanten einiger Losungsmittel. Losungsmittel Campher Benzol Wasser
K s i / K kg m o l - i
K i g / K kg m o l - i
40 5,1 1,86
6,09 2,53 0,51
Unter der Annahme, dass die Schmelzenthalpie und die Schmelzentropie des Losungsmittels temperaturunabhangig sind, kann diese Gleichung fiir die Losung und fiir das reine Losungsmittel wie folgt geschrieben werden: (2.178) A3,ff* - T * A , , 5 *
=
0
(2.179)
Nun wird Gleichung 2.178 durch RT und Gleichung 2.179 durch RT* geteilt. Die Differenz dieser neu gewonnenen Ausdriicke lautet: 1 R
= — Ina^i
(2.180)
Schliefilich werden wieder die Naherungen TT"" {m21M2) I {nil I Ml) vorausgesetzt, so dass folgt: R
und
— Ina^i
m^Mi miM2
2^*2
T*-r
1*2
=
Rr*2Mi Asii:^^
m2 miM2
(2.181)
Ksi Ks\ ist die kryoskopische Konstante. Durch Messung der Gefrierpunktserniedrigung (T* — T) ist es nun moghch, bei bekannten Einwaagen mi und 1712 die molare Masse M2 des gelosten Stoffes zu bestimmen (Kryoskopie). Die Methode der Kryoskopie ist genauer als die der Ebullioskopie. Das liegt hauptsachlich daran, dass kryoskopische Konstanten i. Allg. grower sind als ebullioskopische. In Tabelle 2.2 sind von einigen Stoffen die kryoskopischen und ebullioskopischen Konstanten angegeben. Die Osmose ist die dritte kolligative Eigenschaft, die hier besprochen wird. Man beobachtet diesen Effekt, wenn man eine Losung iiber eine halbdurchlassige (semipermeable) Membran mit dem reinen Losungsmittel in Kontakt bringt (Abb. 2.14). Diese Membran muss die Eigenschaft besitzen, dass sie nur das Losungsmittel, nicht aber den gelosten St off hindurchtreten lasst. Anschaulich kann man sich eine halbdurchlassige Membran wie ein Sieb vorstellen, durch dessen Locher nur kleine Molekiile (z. B. Wasser) und nicht grofie Molekiile (z. B. Polymere) passen. Folge ist, dass im Mittel mehr Losungsmittelmolekiile in die Losung iiberwechseln als umgekehrt, da in der Losung die Konzentration der Losungsmittelmolekiile geringer ist als im reinen
2
86
Thermodynamik
P+ TT
Losungsmittel
Losung
semipermeable Wand Abbildung 2.14: Bei der Osmose treten im Mittel mehr Losungsmittelmolekiile in die Losung hinein als aus der Losung heraus. Das Volumen der Losung steigt dann an. Will man das Volumen der Losung konstant halten, muss der osmotische Druck TT aufgewendet werden. Losungsmittel. Die Losung wird verdiinnt, was zu einer Volumenzunahme der Losung fiihrt. Halt man das Volumen der Losung jedoch konstant, steigt der Druck in der Losung an. Diese Druckzunahme bei gleichbleibendem Losungsvolumen wird als osmotischer Druck TT bezeichnet. Thermodynamisch betrachtet steht das reine Losungsmittel beim Druck p mit der Losung beim Druck p + TT im Gleichgewicht. Die chemischen Potentiale des Losungsmittels (Komponente 1) sind dann auf beiden Seiten der Membran gleich grofi:
=
fil{p-\-7T)-\-RTInxi p-\-7r
(2.182) In dieser Umformung wird zunachst die Konzentrationsabhangigkeit des chemischen Potentials und anschliefiend gemafi dG = Vdp fiir T = konst. seine Druckabhangigkeit beriicksichtigt. Unter der Annahme, dass sich das molare Volumen Vm^i des Losungsmittels im Integrationsbereich nicht andert, erhalt man: 0 = y„,,i7r + RTlna:i
(2.183)
Mit Ina^i ?i a^i — 1 = —X2 « —n2/ni und V ^ niVm.i (Volumen der Losung) folgt 7TV = nsRT
(2.184)
Die Osmometrie ist eine weitere Methode, die molare Masse eines Stoffes zu ermitteln. Man wendet sie oft bei Polymeren an. Mit n2 = m^/M^ und durch Einfiihrung der Massenkonzentration c^ = m^/V erhalt man: TT _
RT
C2 ~
M2
(2.185)
2.4
Chemische Gleichgewichte
87
Da diese Gleichung nur fiir geringe Konzentrationen giiltig ist, tragt man 7r/c2 gegen C2 auf und extrapoliert die Kurve auf C2 ^ 0. Aus dem Ordinatenabschnitt RT/M2 kann dann die molare Masse M2 der gelosten Substanz bestimmt werden. Werden m2 = 0,1 g einer Substanz mit einer molaren Masse von M2 = 10 kg mol~^ in nil = 100 g Wasser bei 298 K gelost, kann man einen osmotischen Druck der Losung von 248 Pa erwarten, der genau messbar ist. Im Vergleich dazu betragt die Dampfdruckerniedrigung des Wassers bei 100 °C nur —0,18 Pa, die Siedepunktserhohung nur 5,1 • 10~^ K und die Gefrierpunktserniedrigung nur — 1,9 • 10~^ K. Es ist zu beachten, dass sich die Stoffmenge 712 stets auf die Zahl an Teilchen bezieht, die ggf. nach einer Assoziation oder Dissoziation des Stoffes in Losung tatsachlich vorliegen. 1 mol eines l:l-Elektrolyts wie NaCl dissoziiert in Wasser zu 2 mol lonen, so dass die kolligativen Eigenschaften doppelt so groi^ ausfallen. Im Prinzip kann man aus den kolligativen Eigenschaften einer Losung den Dissoziationsgrad der gelosten Substanz ermitteln. Dies gelingt fiir Elektrolyte jedoch mit Hilfe von Leitfahigkeitsmessungen sehr viel genauer.
2.4
Chemische Gleichgewichte
Wir betrachten eine allgemeine Reaktionsgleichung: |^A|A
+ |^B|B + ... ^
^EE
+
^FF
+ ...
Die Variablen i^i sind die stochiometrischen KoefRzienten der Komponenten i. Fiir die Edukte nehmen sie negative Werte an, daher sind sie auf der linken Seite obiger Reaktionsgleichung in Betragsstriche gesetzt. Eine Reaktionsgleichung kann man auch im mathematischen Sinn als Gleichung auffassen, dann gilt einfach 0 = Y,J'ii
(2.186)
i
Die GiBBS-Energie des Systems aus alien Reaktionskomponenten berechnet sich aus den Stoffmengen und den chemischen Potentialen der Komponenten:
G = J2^H^i
(2-187)
i
fii sind hier die aktuellen chemischen Potentiale zu einem bestimmten Zeitpunkt der Reaktion. Da sich die Konzentrationen aller Komponenten wahrend des Reaktionsablaufs andern, variieren auch die Werte der chemischen Potentiale. Die Grofien Ui geben die aktuellen Stoffmengen an. Wahrend eines vollstandigen Ablaufs der Reaktion von links nach rechts nehmen sie die Werte 0 ^ ^'^ mol im Fall der Produkte und |^'i| mol ^ 0 im Fall der Edukte an. Um den Fortschritt einer Reaktion allgemein angeben zu konnen, hat man die so genannte Reaktionslaufzahl ^ eingefiihrt, deren Wert von 0 (nur Edukte vorhanden) nach 1 mol (nur Produkte vorhanden) lauft. Wenn sich die Stoffmenge einer Komponente um drii geandert hat, dann gilt fiir die Anderung der Reaktionslaufzahl d^ = ^
(2.188)
88
2
Thermodynamik
Die GiBBS-Energie G eines Systems aus Edukten und Produkten ist eine Funktion von ^. Aus der Bedingung dG < 0 (Gl. 2.93) fiir irreversible, spontan ablaufende Prozesse folgt, dass die Edukte nur dann zu Produkten reagieren, wenn die Anderung {dG/d^)T,p negativ ist. Im Minimum der Funktion G(^) gilt {dG/d^)T,p = 0. Hier ist das Gleichgewicht erreicht, so dass die Reaktion nicht weiter fortschreitet. Zur Berechnung der Steigung der Funktion G(^) gehen wir von Gleichung 2.187 aus und beriicksichtigen Gleichung 2.188: dG
=
^
fiidrii = ^ i
dG\
i^ifiid^ i
v^
Diesen Ausdruck konnen wir mit der molaren Reaktions-GiBBS-Energie identifizieren: ArGm =
^
i^ifJ'i-
Produkte
^
Wi\l^i = ^J^U^i
Edukte
(2.190)
i
Das heifit, die Steigung der Kurve G(^) ist identisch mit der molaren Reaktions-GiBBSEnergie. Folglich laufen Reaktionen mit ArGm < 0 von links nach rechts ab, man bezeichnet sie als exergonische Reaktionen. Im Gegensatz hierzu weisen so genannte endergonische Reaktionen eine positive molare Reaktions-GiBBS-Energie auf, so dass sie von rechts nach links fortschreiten. Gilt ArGm = 0, ist das chemische Gleichgewicht erreicht und die Reaktion kommt zum Stillstand. 2.4.1
Gleichgewichtskonstanten
Die molare Reaktions-GiBBS-Energie einer Reaktion, an der nur Gase beteiligt sind, betragt im idealen Fall:
ArGm = J2iyiL^ +
=
RTln^]
ArG^ + R T l n n ( g j
(2.191)
In dieser Umformung wurde die Summe iiber alle chemischen Standard-Potentiale ^ ^ Pili^ als molare Standard-Reaktions-GiBBS-Energie ArG^ bezeichnet. Wenn das Gleichgewicht der Reaktion erreicht ist, wird die molare Reaktions-GiBBS-Energie null, und aus dem Produkt aller Partialdriicke wird die Gleichgewichtskonstante K^: ArG^
=
-RTlnKp
(2.192)
2.4
Chemische Gleichgewichte
89
Die molare Standard-Reaktions-GlBBS-Energie ApG^ berechnet sich aus den chemischen Standard-Potentialen bei p° = 1 bar und ist daher druckunabhangig. Folglich ist auch die Gleichgewichtskonstante Kp druckunabhangig. Fiir Aj-G^ < 0 ist Kp > 1, d. h., das Produkt der Partialdriicke der Produkte ist grower als das der Partialdriicke der Edukte im chemischen Gleichgewicht. Es ist zu beachten, dass in Gleichung 2.191 die Partialdriicke pi noch nicht ihre Gleichgewichtswerte pf^ erreicht haben. Daher ware es falsch, in Gleichung 2.191 anstelle des Quotienten aus den Partialdriicken der Produkte und Edukte die Gleichgewichtskonstante Kp zu verwenden (fiir den Quotienten wird manchmal der Ausdruck Reaktionsquotient verwendet). Der Ubersichtlichkeit halber wird im Folgenden allerdings teilweise auf den Symbolzusatz Gl verzichtet. Gleichung 2.193 stellt eine Form des Massenwirkungsgesetzes dar, das in verschiedene Konzentrationsmafie umgerechnet werden kann. Ersetzt man die Partialdriicke durch Stoffmengenbriiche xf = pi/p^ erhalt man die Gleichgewichtskonstante
''-.=n(f)"=n«r'nfe)"* i
^
^
i
i
i^m
^ ^
Fiihrt man die Stoffmengenkonzentration Ci = rii/V = Pi/RT ein, ergibt sich die Gleichgewichtskonstante Kc:
Die Einfiihrung der Standard-Konzentration c° = 1 mol L~^ dient dazu, Kc dimensionslos werden zu lassen, da man sonst von Kc keinen Logarithmus berechnen kann. Wenn die Stoffmenge bei einer Reaktion unverandert bleibt, ist die Summe aller stochiometrischen KoefRzienten null: ^ ^ Vi = 0. Dann ist Kp = K^ = K^ Fiir reale Gase miissen anstelle der Partialdriicke pi die Fugazitaten (pi = jiPi zur Berechnung der Gleichgewichtskonstanten herangezogen werden: ^^=i[{^y=i[{^yi[(^^r'
(2.196)
Kp
Beispiel: Die Dissoziation von N2O4 wird mit der Gleichgewichtsreaktion N204(g) ^ 2N02(g) beschrieben. Die zugehorigen Gleichgewicht skonstanten als Funktion der Partialdriicke, Stoffmengenbriiche und Stoffmengenkonzentrationen lauten: ^
_ ^N02 J_ ^
PN2O4 P °
90
2
Thermodynamik
^N204
Kr
%02
=
Alle drei Gleichgewichtskonstanten sind dimensionslos. Bisher haben wir nur homogene Gasreaktionen betrachtet. Fiir Reaktionen in fliissiger Phase lassen sich analoge Uberlegungen anstellen. Wenn a\ die Aktivitat einer Fliissigkeitskomponente i ist, dann folgt fiir das chemische Potential dieser Komponente: IJi = lj;-\-RTlna\
(2.197)
und fiir die molare Reaktions-GiBBS-Energie: ArGn, = XG'^ + RTlnl[{a\r
(2.198)
i
wobei ArG^ ^^^ Summe iiber alle chemischen Reinstoffpotentiale J2i ^ilA darstellt. Im Gleichgewicht gilt wegen ArGm = 0: ^^Gl,
= -RT In Ka
(2.199)
In der Chemie ist es oft iiblich, Konzentrationen geloster Stoffe mit der Einheit mol L~^ anzugeben. Findet eine chemische Reaktion in einem Losungsmittel LM statt, das im Uberschuss vorliegt, dann kann man fiir die Stoffmengenbriiche der Reaktionskomponenten i die Naherung ^_Ji^^Ji^^^^ ^ges
(2.201)
^LM
CLM
machen. Ci und CLM sind die Stoffmengenkonzentrationen von Komponente i und Losungsmittel LM. Dann gilt die Umrechnung:
K. = n(.-r=n(f)'n(£)" i^.m ^
V
'
mit c° = 1 mol L~^. In Tabelle 2.3 sind die verschiedenen Standardzustande zur Berechnung der chemischen Potentiale und Gleichgewichtskonstanten zusammengefasst. Heterogene chemische Gleichgewichte, d. h. Reaktionen mit fliissigen und gasformigen Komponenten oder mit festen und gasformigen Komponenten, lassen sich
2.4
Chemische Gleichgewichte
91
Tabelle 2.3: Die Berechnung von Gleichgewichtskonstanten chemischer Reaktionen kann auf der Grundlage verschiedener Standardzustande bzw. KonzentrationsmaJ^e erfolgen. Konzentrationsma£, chemisches Potential Partialdruck, //, = / i ° + R r i n ( p , / p ° ) Fugazitat, //, = / / ° + R r i n ( ( ^ , / p ° )
molare StandardReaktions- G IBB s-Energie ArG^ = E^i/^? = - R r i n i ^ p ArG^ = E^i/^? = - R r i n i ^ ^
St offmengenbruch, /ji = /J* -\- RT In Xi
\G^m = E^il^t
= -^T
In K,
i
Aktivitat, jiii = //* + R T In ai
ArG^ = Ej^iM* = -R2^1n^a i
Molaritat, //i=//°+Rrin(Q/c°)
i
analog zu homogenen Gasreaktionen behandeln, da chemische Potentiale von Fliissigkeiten und Festkorpern nur wenig druckabhangig sind. Beispiel: Das Kalkbrennen wird durch die Reaktionsgleichung CaC03(s) ^ CaO(s) + C02(g) wiedergegeben. Die chemischen Potentiale der Reaktionskomponenten lauten: /^CaCOs
=
/^CaCOs (P) ^ /^CaCOs b ° )
/^CaO
=
/^CaO (p) ^ /^CaO (p" )
Die molare Reaktions-GiBBS-Energie betragt: ArGm
=
/^CaO + /^COs " /^CaCOs
-
/^CaO + /^C02 ~ /^CaCOs + ^ ^ ^^
O
I
O
O
I •D'T'l
Fiir die molare Standard-Reaktions-GiBBS-Energie gilt:
PG\J2
~Z^
2
92 Kp
=
Thermodynamik
PCO2
Die Gleichgewichtskonstante Kp der Reaktion ist damit wie gewohnt aus der molaren Standard-Reaktions-GlBBS-Energie erhaltlich. Allerdings erscheinen im Massenwirkungsgesetz keine festen Komponenten. Kp ist temperaturabhangig, wie die folgende Tabelle zeigt:
T /K 873 1073 1273 1473
2.4.2
Kp
2,39-10-3 0,2217 3,820 28,31
Temperatur- und Druckabhangigkeit von Gleichgewichtskonstanten
Die Gleichgewichtskonstante Kx ist sowohl vom Druck als auch von der Temperatur abhangig. Aus InKx = — (l/RT)ArG^ folgt fiir die Druckabhangigkeit (Ideahtat vorausgesetzt): dlnKx dp
1 RT
(2.203)
RT
dp
^rVm = J2i^i^m,i ^^^ ^^^ uiolarc Rcaktionsvolumen. Es gibt die Anderung des Volumens an, wenn eine Reaktion vollstandig von hnks nach rechts ablauft. 1/^^ ist das molare Volumen der reinen Komponente i. Die Ableitung von InKx nach der Temperatur hefert: dlnKx dT
1 R V
fdjXGUT) dT
(2.204)
RT^
Denn es gilt nach der Produktregel fiir die Ableitung von G/T nach T: fd{G/T)\
1
f ArH^
dG\ dT )
1
G =
-TS-G 2^2
H
(2.205)
= J2i ^i^m i ^^^ ^^^ molarc Reaktionsenthalpie. Gleichung 2.204 nennt man
VAN'T HOFFsche Reaktionsisobare. Sie kann auch wie folgt geschrieben werden
(d(i/r)/dr = -i/r2): d\nKx\
5(1/T)A
R
(2.206)
Misst man Kx bei verschiedenen Temperaturen T und tragt InKx gegen (1/T) in einem Diagramm auf, dann lasst sich aus der Steigung der erhaltenen Geraden die molare Reaktionsenthalpie Ari?^ bestimmen. In Abbildung 2.15 ist hierfiir ein Beispiel zu sehen. Somit gibt es neben der Kalorimetrie eine weitere Methode zur Ermittlung einer Reaktionsenthalpie.
2.4
Chemische Gleichgewichte
93
^T-^ /IQ-^K-^ Abbildung 2.15: Temperaturabhangigkeit der Gleichgewichtskonstanten der Reaktion CO(g) + H2 0(g) -^ C02(g) + H2(g). Aus der Steigung des Graphen ergibt sich eine molare Reaktionsenthalpie von —40 kJ mol~^. Zur Berechnung des Einflusses der Temperatur auf die Gleichgewichtskonstante Kc einer homogenen Gasreaktion gehen wir von Gleichung 2.195 aus. Logarithmierung dieser Gleichung und anschliefiende Ableitung nach der Temperatur bei p = konst. liefert mit Gleichung 2.205: In Kp
=
In Kc-\-^
Rr2
dlnKc dT
In
c^RT
+E?
dlnKc dT
Rr2
(2.207)
Denn es gilt fiir jede gasformige Reaktionskomponente: H^ ^ = U^ ^ + RT. Ar^j^ i^t die molare innere Standard-Reaktionsenergie. Aus den Gleichungen 2.203 und 2.204 kann man ein wichtiges Prinzip ableiten: Eine Verschiebung eines chemischen Gleichgewichtes nach rechts, d. h. eine Vergrofierung von Ini^a^, kann zum einen durch eine Temperaturerhohung erreicht werden, wenn die Reaktion mit einer positiven molaren Reaktionsenthalpie verbunden ist. Andererseits fiihrt eine Druckerhohung zu einer Verschiebung des Gleichgewichts nach rechts, wenn die Reaktion ein negatives molares Reaktionsvolumen aufweist. In beiden Fallen wird die Storung des Gleichgewichts, d. h. die Temperatur- bzw. Druckerhohung, durch die Verschiebung des Gleichgewichtszustandes abgebaut, da die Reaktion mit einer Warmeaufnahme bzw. Volumenabnahme reagiert. Entsprechende Uberlegungen gelt en, wenn die Reaktion exotherm und unter Volumenzunahme verlauft. Dann werden Produkte bei tiefen Temperaturen und niedrigen Driicken bevorzugt gebildet. Dieses Phanomen bezeichnet man als Prinzip vom kleinsten Zwang oder Prinzip von L E CHATELIER.
94
2
Thermodynamik
Beispiel: Die Ammoniaksynthese verlauft nach dem Reaktionsschema: N2(g)+3H2(g)^2NH3(g) Diese Reaktion ist exotherm und verlauft unter Volumenabnahme, daher verschiebt sich das Gleichgewicht mit fallender Temperatur und steigendem Druck nach rechts. Eine hohe Ausbeute an Ammoniak kann man deshalb bei Zimmertemperatur erwarten. Dann ist allerdings die Reaktionsgeschwindigkeit zu gering, so dass man gezwungen ist, Temperaturen um 500 °C anzuwenden. Um die Ausbeute dennoch ausreichend zu gestalten, arbeitet man bei Driicken von 200 bar.
2.4.3
Ermittlung von Gleichgewichtskonstanten
Die experimentelle Bestimmung von Gleichgewichtskonstanten ist i. d. R. eng mit der speziellen Reaktionsgleichung verkniipft. Haufig konnen spektroskopische Methoden dazu dienen, die Konzentration einer Komponente im Reaktionsgemisch zu ermitteln. Bei bekannter Reaktionsgleichung und bekannter Einwaage der Edukte lassen sich hieraus die Konzentrationen der anderen Reaktionskomponenten errechnen. Bei Gasreaktionen ist es moglich, durch Messung des Gesamtdrucks oder der Warmeleitfahigkeit die Gleichgewichtskonstante zu ermitteln. Werden bei einer Reaktion in Losung lonen umgesetzt, kann eine Messung der elektrischen Leitfahigkeit die experimentelle Bestimmung der Gleichgewichtskonstanten erlauben. Messungen der so genannten elektromotorischen Kraft, die wir in einem spateren Kapitel besprechen werden, konnen in einigen Fallen ebenfalls eingesetzt werden. Es ist jedoch stets sicherzustellen, dass das chemische Gleichgewicht durch diese Messvorgange nicht gestort wird und sich als Folge dessen verschiebt. Da bei tiefen Temperaturen chemische Reaktionen langsamer ablaufen, kann eine solche Verschiebung durch ein schnelles Abkiihlen des Reaktionsgemisches oft unterbunden werden. Alternativ konnen Gleichgewichtskonstanten auch auf theoretischem Weg erhalten werden. Mit Hilfe der Gleichung 2.95 erhalt man z. B. fiir die Gleichgewichtskonstante Kp den Ausdruck:
.„K,(T, = - ^ ^ = - ^ ^ . ^ f < 2
,2.m,
mit T
A r i / ^ ( r ) = Ari/^(298 K) + I
ArQ^dT
(2.209)
XS'^{T) = XS'^{298K)+ I A.CpV^
(2.210)
298 K T
298 K
Die genaueste Methode besteht darin, die Temperaturabhangigkeiten der Warmekapazitaten aller Reaktionskomponenten zu bestimmen, um hieraus ArC°ni(T) = J^i^iCp^mA'^) ZU berechnen.
2.4
Chemische Gleichgewichte
95
Weniger genaue Werte fiir Kp{T) erhalt man, wenn man in einer ersten Naherung die Temperaturabhangigkeit der molaren Standard-Reaktionswarmekapazitat Aj-Cp-^ vernachlassigt und den Wert von Aj-Cp-^ fiir 298 K mit Hilfe von Tabellen ermittelt: Ari/^(298 K) + Ar(7°,^(r - 298 K)
In Kp{T)
RT +
Ar5^(298 K) + ArC;,^ ln(r/298 K) R
(2.211)
In manchen Fallen ist es sogar ausreichend, die Temperaturabhangigkeit en von molarer Standard-Reaktionsenthalpie und -entropie zu vernachlassigen und die Werte von Ari:^^(298 K) und Ar5^(298 K) Tabellen zu entnehmen. Man erhalt dann mit ArC° ni = 0 die Naherung lr,Kp{T) =
^^-^m(298 K) ^ Ar5^(298 K) RT R
(2.212)
Beispiel: Fiir das Gleichgewicht (Kohlenmonoxid-Konvertierung) CO(g) + H20(g) ^ C02(g) + H2(g) sind die folgenden molaren Bildungsenthalpien und Entropien fiir 298 K gegeben: i
I'i
CO(g) H20(g) C02(g) H2(g)
-1 -1
+1 +1
Afi?^,, /(kJ mol-i) -110,52 -241,83 -393,51 0
CO
/(J K-imol-1) 197,91 188,72 213,64 130,6
Hieraus berechnet sich die molare Standard-Reaktionsenthalpie zu
XH^
= J2>'i^fH^,^ = -41,16 kJ mol-i i
und die molare Standard-Reaktionsentropie zu A r 5 ^ = E ^ ^ ^ m , . = -42,39 J K-^mol-i i
Nach Gleichung 2.212 betragt die Gleichgewichtskonstante obiger Reaktion dann Kp
=
1,00-10^
fiir 298 K
Kp
=
1
fiir 971 K
Eine hohe Ausbeute erzielt man also bei niedrigen Temperaturen.
2
96
Thermodynamik
Ein genaues Verfahren zur Berechnung von Kp{T) basiert auf der Verwendung von GlAUQUE-Funktionen ^o, die fiir sehr viele Substanzen tabelliert sind. Sie sind mit Methoden der statistischen Thermodynamik berechenbar. GlAUQUE-Funktionen haben die Form: G^^{T)-H^{0) ^0
(2.213)
=
Sie hangen nur wenig von der Temperatur ab, so dass ihre Temperaturabhangigkeit durch Interpolation tabellierter Werte erhalten werden kann. Die molare StandardReaktions-GlBBS-Energie einer Reaktion ist dann: A r G ^ ( r ) = TAr^o + Ari?^(0)
(2.214)
woraus sich ein Ausdruck fiir die Gleichgewichtskonstante ergibt: ln/f, = - l ( A , # o + ^
^
)
(2.215)
H^{0)-WeYte sind ebenfalls Tabellenwerken zu entnehmen. Beispiel: Fiir die Ammoniaksynthese N2(g)+3H2(g)^2NH3(g) soil die Gleichgewichtskonstante Kp bei 500 K berechnet werden. Gegeben sind die folgenden Daten: i
i^i
N2(g) H2(g) NH3(g)
-1 -3 +2
^o,i(500) /(J K - i m o l - i ) -177,5 -116,9 -176,9
/(kJ mol-i) 0 0 -46,19
JJ^,,(298)-JJ^,,(0) /(kJ mol-i) 8,669 8,468 9,92
Aus den fiir 500 K angegebenen GlAUQUE-Funktionen berechnen wir Ar#o(500) = ^i/i#o,i(500) = 174,4 J K - ^ m o r ^ i
Mit Hilfe der Standard-Bildungsenthalpien lasst sich die Standard-Reaktionsenthalpie bei 298 K ermitteln: ArH^{29S) = Y,^i^iH^A^^^)
= -92,38 kJ mol"^
Aus den Werten der letzten Spalte in der Tabelle bestimmen wir die Differenz der Standard-Reaktionsenthalpien bei 298 und 0 K: ArH^{29S) - ArH^{0) = -14,233 kJ mol"^
2.5
Phasendiagramme
97
Die Standard-Reaktionsenthalpie bei 0 K ergibt sich aus den letzten beiden Ergebnissen zu ArH^{0)
=
(-92,38 + 14,233) kJ m o r ^
=
-78,147 kJ m o r ^
Nach Gleichung 2.215 folgt dann fiir die Gleichgewichtskonstante bei 500 K: Kp = 0,11. Fiir die Berechnung chemischer Gleichgewichte stehen heutzutage leistungsstarke Computerprogramme zur Verfiigung.
2.5
Phasendiagramme
2.5.1
GiBBSsche Phasenregel
In einem Phasendiagramm werden in Abhangigkeit von Zustandsgrofien, wie z. B. Druck p, Temperatur T und Stoffmengenbruch xi^ Gebiete eingezeichnet, in denen das System eine einzige stabile Phase ausbildet. Diese Phase ist i. d. R. entweder fest, fliissig oder gasformig. Zwischen diesen Einphasengebieten hegt das System in mehreren Phasen vor. Die GiBBSsche Phasenregel erlaubt uns die Berechnung der Dimension (Punkt, Linie, Flache, . . . ) solcher einphasiger oder mehrphasiger Gebiete in Phasendiagrammen. Zur Ableitung der GiBBSschen Phasenregel geht man von einem System aus, das aus K Komponenten besteht und P Phasen ausbildet. Die Zahl der Grofien oder Freiheitsgrade (T,p,Xi), die in einem solchen System nicht festgelegt sind, ergibt sich zum einem aus den Zusammensetzungen der Phasen. In jeder Phase ist die Summe aller Stoffmengenbriiche gleich eins (a, /3 bezeichnen unterschiedhche Phasen): X^
- p X2
~r • • • ~r Xj^
^
X-^ ~\~ XT
-> T
Abbildung 2.25: Anderungen thermodynamischer Grofien an einem Phaseniibergang erster Ordnung. Tu ist die Umwandlungstemperatur, pu ist der Umwandlungsdruck. einer Triibung der Probe sichtbar (kritische Opaleszenz). Auch die Warmekapazitat Cv steigt stark an, wenn man sich entlang der kritischen Isochore dem kritischen Punkt nahert. Hier findet man die Beziehung: Cv oc
IT-Tkrh
(2.239)
Der kritische Exponent a nimmt den Wert 0,11 an. Kritische Exponenten thermodynamischer Grofien konnen entweder experimentell ermittelt oder mit Hilfe theoretischer Modelle berechnet werden. Hier zeichnet sich das so genannte dreidimensionale IsiNG-Modell durch eine sehr gute Voraussage von experimentellen Daten aus. Fiir Phaseniibergange hoherer Ordnung findet man also andere Temperaturabhangigkeiten thermodynamischer Grofien als bei Phaseniibergangen erster Ordnung.
3 3.1
Aufbau der Materie Grenzen der klassischen Physik
Es gibt eine Reihe von Phanomenen, die sich nicht mit Hilfe der klassischen Physik erklaren lassen. Beispielsweise weist das Licht, das von angeregten At omen und Molekiilen emittiert wird, nur ganz bestimmte Wellenlangen auf. Man findet kein kontinuierHches Emissionsspektrum. Die Wellenlangen A, die von Wasserstoffatomen ausgesandt werden, lassen sich mit Hilfe der RYDBERG-Beziehung angeben: A
=
(3.1)
KH
RH ist die RYDBERG-Konstante fiir Wasserstoff, rii und n2 sind kleine ganze Zahlen. Fiir m = 1 ist n2 = 2 , 3 , — Die hieraus berechenbaren Wellenlangen des Wasserstoff-Emissionsspektrums bezeichnet man als LYMAN-Serie. Daneben gibt es die BALMER-Serie (ni = 2, n2 = 3,4,...), die PASCHEN-Serie (ni = 3, n2 = 4, 5,...), die BRACKETT-Serie (ni = 4, n2 = 5,6,...), die PFUND-Serie (ni = 5, n2 = 6, 7,...) und die HuMPHREYS-Serie (ni = 6, n2 = 7,8,...). Jede dieser emittierten Lichtwellenlangen entspricht einem Ubergang von einem elektronisch angeregten Zustand zu einem energetisch tiefer liegenden Zustand des Wasserstoff atoms. Offenbar konnen Atome und Molekiile nur in ganz bestimmten elektronischen Energiezustanden existieren und nicht beliebige Energiemengen aufnehmen oder abgeben. Ein weiterer experimenteller Befund, der mit Gesetzen der klassischen Physik nicht gedeutet werden kann, ist das Spektrum eines schwarzen Strahlers (Abb. 3.1). Unter einem schwarzen Strahler versteht man einen Gegenstand, der einfallende Strahlung vollig absorbiert und nur Warmestrahlung abgibt. Experimentell realisiert man einen schwarzen Strahler am besten mit einer geschwarzten Hohlkugel, die eine kleine Offnung besitzt. Licht, das durch die Offnung eintritt, wird im Innern der Hohlkugel absorbiert. Durch die Offnung nach aufien gelangt nur noch Warmestrahlung, die allein von der Temperatur der Hohlkugel abhangt. Die Beschreibung des Spektrums eines schwarzen Strahlers gelang PLANCK unter der Annahme, dass elektromagnetische Strahlung nur in Quanten der Energie hiy absorbiert und emittiert I(X) /10^^ Wm-
2000 K
• • A . / jLim
Abbildung 3.1: Elektromagnetische Spektren eines schwarzen Strahlers bei verschiedenen Temperaturen.
114
3 Aufbau der Materie
XQ
'• 'WV\^^
^
Elektron
m^v
Abbildung 3.2: Beim COMPTON-Effekt sto£t ein Photon der Wellenlange AQ mit einem ruhenden Elektron zusammen. Das Photon wird hierbei unter dem Winkel 0 gestreut und erhalt die gro£ere Wehenlange A. Das Elektron nimmt vom Photon den Impuls uieV auf. werden kann. h ist eine Konstante mit dem Wert h = 6,626 • 10~^^ J s und wird PLANCKsche Konstante genannt, ly ist die Frequenz der elektromagnetischen Strahlung. Das PLANCKsche Strahlungsgesetz gibt die Strahlungsleistung eines schwarzen Strahlers pro Flache und Wellenlangenelement an (Einheit W m~^) und lautet: /(A, T) = ^
--_^j-^^^j-^^_^
(3.2)
Hierin ist c die Lichtgeschwindigkeit, A = c/u die Wellenlange der Strahlung, ke die BOLTZMANN-Konstante und T die Temperatur. Ein anderes Phanomen, das u. a. auf eine Energiequantelung elektromagnetischer Strahlung hinweist, stellt der photoelektrische Effekt dar. Bestrahlt man ein Metall mit ultraviolettem Licht, werden Elektronen aus dem Metall freigesetzt. Zur Freisetzung der Elektronen ist eine charakteristische Mindestfrequenz der elektromagnetischen Strahlung erforderlich; es geniigt nicht, die Intensitat energiearmerer Strahlung mit einer kleineren Frequenz zu erhohen. Die Erklarung des photoelektrischen Effekts wurde von EINSTEIN mit der Photonentheorie des Lichts gegeben, wonach das Licht aus Photonen mit Teilchencharakter besteht. Wenn die Photonen die Energie hu besitzen, die grower als die Austrittsarbeit W der Elektronen aus dem Metall ist, dann konnen Elektronen durch Kollision mit den Photonen freigesetzt werden. Die kinetische Energie der Elektronen ist dann der Frequenz der elektromagnetischen Strahlung proportional: ^rriev^ =hiy-W
(3.3)
Hierin ist m© die Masse und v die Geschwindigkeit der Elektronen. Der Welle/Teilchen-Dualismus elektromagnetischer Strahlung zeigt sich auch beim so genannten CoMPTON-Effekt (Abb. 3.2). Hier stofit ein Photon der Wellenlange Ao mit einem ruhenden Elektron der Masse me zusammen. Nach dem Stofi besitzt das Photon eine kleinere Energie, d. h. eine grofiere Wellenlange A, die nur vom Streuwinkel 9 abhangt. Wenn man den Impuls p des Photons aus der Beziehung A = h/p berechnet, ergibt sich folgender Ausdruck fiir die Wellenlangenanderung des Photons: A - A o = — (l-cos6>) rrieC
(3.4)
3.2
Einfuhrung in die Quantenmechanik
115
h/meC fasst man zur COMPTON-Wellenlange Ac zusammen. Die maximale Verschiebung der Wellenlange betragt nach obiger Gleichung 2Ac = 4,86 pm. Dies ist der Fall, wenn das Photon unter einem Winkel von 180° gestreut wird. Die Beugung von RONTGEN-Wellen an Kristallen kann mit Hilfe der BRAGGschen Gleichung beschrieben werden (siehe Gl. 1.106 und Abb. 1.23). 1925 beobachteten DAVISSON und GERMER, dass auch Elektronen wie RONTGEN-Wellen an einem Nickel-Einkristall gebeugt werden und charakteristische Interferenzmuster hervorrufen. Damit wurde zum ersten Mai gezeigt, dass Teilchen auch Wellencharakter aufweisen. Sowohl durch den photoelektrischen Effekt als auch durch den COMPTON-Effekt wird der Teilchencharakter von Wellen deutlich, wahrend die Elektronenbeugung an Kristallen den Wellencharakter von Teilchen aufdeckt. Zusammenfassend kann man daher die wichtige Schlussfolgerung formulieren, dass in atomaren Grofienordnungen die Begriffe Teilchen und Welle ineinander iibergehen (Welle/Teilchen-Dualismus). Zudem deuten Emissionsspektren von Atomen und Molekiilen darauf hin, dass Atome und Molekiile keine beliebigen Energiemengen besitzen, sondern in diskreten Energiezustanden existieren. Auch die Energie monochromatischen Lichts setzt sich aus Energiequanten der Grofie hiy zusammen, wie die Theorien des schwarzen Strahlers und des photoelektrischen Effektes nahelegen.
3.2
Einfuhrung in die Quantenmechanik
Der Welle/Teilchen-Dualismus, der durch eine Reihe von Experimenten belegt werden kann, wurde von DE BROGLIE mit einer einfachen Beziehung wiedergegeben: A= (3.5) P Damit kann jedem beliebigen Teilchen mit dem Impuls p die Wellenlange A zugeordnet werden, die auch als DE BROGLIE-Wellenlange bezeichnet wird. Umgekehrt hat eine Welle mit der Wellenlange A den Impuls p. h ist die PLANCKsche Konstante. Beispiel: Eine Kugel der Masse m = 2 kg, die sich mit einer Geschwindigkeit von v = 1 m s~^ bewegt, besitzt den Impuls p = mv = 2 kg m s~^ und nach Gleichung 3.5 die DE BROGLIE-Wellenlange 3 • 10~^^ m. Ein Elektron mit der viel kleineren Masse von 9,109 • 10~^^ kg, das sich ebenfalls mit der Geschwindigkeit 1 m s~^ fortbewegt, weist dagegen eine entsprechend grofiere DE BROGLIE-Wellenlange von 7-10~^ m auf. Aus diesem Vergleich wird deutlich, dass der Wellencharakter makroskopisch grofier Teilchen vernachlassigbar ist. Der Welle/Teilchen-Duahsmus legt es nahe, den Zustand eines Teilchens, gemeint ist damit sein Impuls und sein Aufenthaltsort, mit Hilfe einer Wellenfunktion ip(x) zu reprasentieren. Die Wellenlange A der Wellenfunktion ist (iber die DE BROGLIE-Beziehung mit dem Impuls Px des Teilchens verkniipft, wahrend aus dem Betragsquadrat der Wellenfunktion |'0(a:)p die Wahrscheinhchkeit berechnet werden kann, das Teilchen am Ort x zu finden.
3
116
Iv^iWP
Aufbau der Materie
|V/2(X)
.,^-\J
-^ x/X -0,5
^ x/X 0,5
Abbildung 3.3: Prinzip der HEiSENBERGschen Unscharferelation. Mit einer einzigen Wellenfunktion ipi(x) = exp(27ria:/A) kann der Impuls, aber nicht der Ort eines Teilchens exakt angegeben werden. Die Wellenfunktion ip2{x) = Zln^i exp(27rina:/A) erlaubt dagegen, das Teilchen am Ort x/X = 0 relativ genau zu lokalisieren. Der Impuls des Teilchens ist jetzt jedoch unscharf. Wenn der Zustand eines Teilchens beispielsweise mit der Wellenfunktion il^iix) = exp(27ria:/A) beschrieben wird, ergibt sich aus der Wellenlange der Funktion der exakte Impuls Px = h/A. Der Aufenthaltsort des Teilchens ist dagegen unbestimmt, da das Betragsquadrat |'0i(a:)p = 1 unabhangig vom Ort ist (Abb. 3.3). Wenn wir dagegen den Ort des Teilchens genau kennen, weist das Betragsquadrat der Wellenfunktion des Teilchens ein scharfes Maximum auf. Eine hierfiir geeignete Funktion -02 (x) kann man aus einer Uberlagerung unendlich vieler Wellenfunktionen konstruieren, die sich in ihrer Wellenlange unterscheiden. In Abbildung 3.3 ist beispielsweise die Summe aus zehn Wellenfunktionen dargestellt, die bereits ein relativ scharfes Maximum liefert. Da jede Wellenfunktion durch eine andere Wellenlange charakterisiert wird, ist nun jedoch der Impuls des Teilchens nicht genau bekannt bzw. unscharf. Das Prinzip, dass Ort x und Impuls Px eines Teilchens nicht gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit ermittelt werden konnen, gibt die HEiSENBERGsche Unscharferelation wieder: AxApx >
(3.6)
h ist eine Abkiirzung fiir h/27r; fiir die Unscharfe einer Grofie a gilt die Beziehung Aa = {{ci^) — (a)^)^/^. Neben Ort und Impuls gibt es weitere so genannte komplementare Observablen, fiir die die HEiSENBERGsche Unscharferelation gilt. So konnen beispielsweise auch Energie und Lebensdauer eines Zustandes nicht gleichzeitig genau ermittelt werden. Komplementare Observablen zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Produkt die gleiche Dimension wie die PLANCKsche Konstante hat. Von SCHRODINGER wurde eine Theorie entwickelt, die auf der Beschreibung eines mikroskopischen Systems mit Hilfe von Wellenfunktionen basiert. In dieser Theorie stellen die Wellenfunktionen Eigenfunktionen dar. Wenn man auf eine Eigenfunktion eine mathematische Operation anwendet, dann erhalt man als Ergebnis immer ein Produkt aus einer Konstanten und der Eigenfunktion. Die mathematische Operation
3.2 Einfuhrung in die Quantenmechanik
117
nennt man auch Operator und die Konstante Eigenwert. Die Theorie von SCHRODINGER ist unter dem Begriff Quantenmechanik bekannt und hat das Ziel, die Eigenwerte eines mikroskopischen Systems zu ermitteln. Zur Bestimmung der Energie E (Eigenwert) eines Teilchens wendet man den Energieoperator H auf die Eigenfunktion ip des Teilchens an: HiP = EiP
(3.7)
Diese Gleichung wird als SCHRODINGER-Gleichung bezeichnet. Der Energieoperator H hei£t HAMILTON-Operator. Er hat im eindimensionalen Fah die Form
m ist die Masse und V{x) die potentielle Energie des Teilchens. Der Operator H beinhaltet also die folgende Rechenvorschrift: Leite xp zweimal nach der Ortskoordinate X ab, multipliziere mit —!i^/2m und addiere das Produkt V{x)xp. Das Ergebnis ist dann das Produkt aus Energie E (Eigenwert) und Eigenfunktion ip. Wenn sich ein Teilchen, dessen Energie ermittelt werden soil, im dreidimensionalen Raum bewegt, muss nach alien drei Ortskoordinaten abgeleitet werden:
t^ / a^
a^
a^ \ ^^^
Die Klammer mit den Ableitungen kiirzt man mit einem speziellen Symbol ab, dem LAPLACE-Operator A. Manchmal verwendet man auch das Quadrat des NABLAOperators V:
- - {U.i) g2
g2
g2
dx^
dy^
dz^
Der Name des HAMILTON-Operators leitet sich von der HAMILTON-Funktion ab, die in der klassischen Physik die Gesamtenergie aus kinetischer und potentieller Energie eines Teilchens angibt: H=^-\-V (3.12) 2m Je nachdem, welchen Eigenwert eines Systems man bestimmen mochte, wird ein anderer Operator auf die Eigenfunktion des Systems angewandt. In Tabelle 3.1 sind die wichtigsten Operatoren der Quantenmechanik zusammen mit den entsprechenden klassischen Ausdriicken aufgefiihrt. Im Allgemeinen sind Eigenfunktionen und Operatoren komplexe Grofien, d. h., sie weisen die Zahl i = V ^ auf. Wir werden sehen, dass zur Beschreibung quantenmechanischer Systeme oftmals Funktionen vom Typ ip(x) = Aexp(27rix/X) = Acos(27ra:/A) + iAsin(27ra:/A)
(3.13)
3
118
Aufbau der Materie
Tabelle 3.1: Die wichtigsten Operatoren der Quantenmechanik. Gro£e Ort Impuls kin. Energie pot. Energie
klass. Ausdruck
Operator
X
X =
Px
% = -\^{dldx) f = -{hy2m){dydx^) V =V
T = pl/2m V
X
herangezogen werden. Hierbei ist zu beachten, dass zur Berechnung des Betragsquadrats solcher Funktionen konjugiert komplexe Funktionen der Form IIJ*{X)
= Aexp{-27rix/X)
= Acos(27ra:/A) - iAsin(27ra:/A)
gebildet werden miissen. Dann erhalt man als Betragsquadrat \iP(x)\^ =iP(x)'iP'(x)=A^
(3.14)
Wenn A und B zwei Operatoren sind, gelten folgende Beziehungen: {A + B)^ ABiP
= ^
A^-\-B^ BAiP
(3.15) (3.16)
Das Kommutativgesetz der Multiplikation gilt fiir zwei Operatoren in der Regel nicht. Man muss daher stets zuerst den inneren und dann den aufieren Operator anwenden. Bei der Ermittlung einer Eigenfunktion -0 eines Teilchens sind verschiedene Voraussetzungen zu beachten: Damit von -0 eine zweite Ableitung existiert, wie sie in der SCHRODINGER-Gleichung vorkommt, muss -0 stetig sein und darf keine Knicke aufweisen. Zudem muss -0 i. Allg. Randbedingungen erfiillen; z. B. muss -0 gegen null streben, wenn die potentielle Energie des Teilchens unendlich grofi wird, damit sich das Teilchen nur da befindet, wo die potentielle Energie niedrig ist. -0 muss auch normierbar sein:
I \^? dr = 1
(3.17)
Volumen
l-^P stellt nach BORN eine Wahrscheinlichkeitsdichte dar. Daher erhalt man aus dem Produkt j-^pdr die Wahrscheinhchkeit, das Teilchen im Volumenelement dr = dxdydz zu finden. Die Integration iiber das gesamte zur Verfiigung stehende Volumen muss eins ergeben, da das Teilchen in diesem Volumen irgendwo anzutreffen ist.
3.3 3.3.1
Mikroskopische Teilchen in Bewegung Translation
Das Modell des Teilchens im Kasten dient zur Berechnung der moglichen Translationsenergien eines mikroskopischen Teilchens, das in einem Kasten eingesperrt ist.
3.3
Mikroskopische Teilchen in Bewegung
119
V
-•X
0
Abbildung 3.4: Verlauf der potentiellen Energie V in Abhangigkeit des Ortes x beim Modell des Teilchens im Kasten. Die Wande des Kastens liegen bei x = 0 und X = a. Innerhalb des Kastens ist V = 0. Wir konnen also beispielsweise die kinetische Energie von Gasteilchen berechnen, die in einem Gefafi eingeschlossen sind. An den Wanden des Kastens, die sich bei x = 0 und X = a befinden sollen, ist die potentielle Energie V unendlich grofi, so dass das Teilchen den Kasten nicht verlassen kann. Im Kasten soil das Teilchen dagegen keine potentielle Energie besitzen (Abb. 3.4). Die SCHRODINGER-Gleichung fiir das Modell des Teilchens im Kasten lautet damit im eindimensionalen Fall 2m dx"^
ip{x) = Etp{x)
(3.18)
Als Operator wird hier der HAMILTON-Operator verwendet (Gl. 3.8), da die Energieeigenwerte des Teilchens berechnet werden sollen. V ist gleich null gesetzt worden. Wellenfunktionen -0, die diese SCHRODINGER-Gleichung erfiillen, miissen die Eigenschaft aufweisen, dass sie die gleiche Form haben wie ihre zweite Ableitung. Solche Funktionen sind z. B. Sinus- und Cosinusfunktionen. Hinzu kommt die erste Randbedingung, dass die Wellenfunktionen an der Kastengrenze x = 0 den Wert null erreichen miissen, da hier die potentielle Energie unendlich ansteigt. Wir konnen damit folgenden Ansatz formulieren: ip(x) = A8m(kx)
(3.19)
Die Konstante k erhalt man aus der zweiten Randbedingung '0(a) = 0 : nTT
(3.20)
a
n ist eine ganze Zahl. Die Konstante A wird aus der Normierungsbedingung (Gl. 3.17) berechnet: a
1
=
fA^sm^{kx)dx
A
=
±A/-
a
= A^^
(3.21)
120
3 Aufbau der Materie
Damit haben wir Wellenfunktionen gefunden, die die Zustande des Teilchens im Kasten beschreiben: ^n(^) = \ / - s i n
—a;
(3.22)
(Funktionen mit A = — A/2/a sind natiirlich auch Losungen der SCHRODINGER-Gleichung.) Die Energieeigenwerte E^, die zu den Eigenfunktionen ipni^) gehoren, werden nun berechnet, indem die Wellenfunktionen in die SCHRODINGER-Gleichung (Gl. 3.18) eingesetzt werden: 2 . /nTT \ 2m dx'^/ t^ [2 . /nTT \ n^TT^ - — - W - s m —x] — 2m \ a \ a J a^
=
^
[2 . /nTT \ En\-sm(—x) \ a \ a J
^ " " 2ma2 - ^ma^ ^^'^^^ Ein Teilchen in einem Kasten kann also nicht beliebige, sondern nur ganz bestimmte Energiewerte haben, die von n, einer so genannten Quantenzahl, abhangen. n kann die Werte 1,2,3,... annehmen. n = 0 ist nicht erlaubt, weil hieraus l-^ol^)!^ = 0 folgt, und somit keine Normierung moglich ist. In Abbildung 3.5 sind fiir das Teilchen im Kasten die Wellenfunktionen tpn(x) und die Wahrscheinlichkeitsdichten j-^^l^)!^ zusammen mit den zugehorigen Energien En in ein Diagramm eingezeichnet. An den Stellen, wo die Wellenfunktionen die a:-Achse schneiden, ist das Teilchen nicht anzutreffen, da hier die Wahrscheinlichkeitsdichten null sind. Mit zunehmender Quantenzahl n nimmt die Zahl dieser Schnittpunkte (Knoten) zu, und die Wahrscheinlichkeitsdichte im Kasten wird gleichformiger. Das Ergebnis der Quantenmechanik geht daher fiir sehr grofie Quantenzahlen in das der klassischen Physik iiber. Dieses Verhalten wird Korrespondenzprinzip genannt. Fiir ein Teilchen, das sich in einem wiirfelformigen Kasten der Lange a befindet, addieren sich die Energiewerte der einzelnen Dimensionen: En.,n,,n. = ^
«
+ «^
+ «z)
(3-24)
Jede dieser Quantenzahlen n^^, riy und riz kann die Werte 1,2,3,... annehmen. Es ist dann moglich, dass es zu einer Energie mehrere Quantenzahl-Kombinationen und damit auch Eigenfunktionen il^n^^uy.n^ gibt. Wie man Tabelle 3.2 entnehmen kann, wird z. B. der Energiewert 6h^/8ma^ durch drei verschiedene Quantenzustande realisiert. Man sagt, dieser Energiezustand ist dreifach entartet. Fiir die Differenz zwischen zwei Energiewerten erhalt man im eindimensionalen Fall den Ausdruck E.^,
- E. = ^ [ ( n + 1)^ - n^] = s ^ [ 2 n + 1]
(3.25)
Auch wenn diese Differenz mit zunehmendem n immer grower wird, bleibt sie jedoch unter normalen Bedingungen extrem klein, so dass sich die Translationsenergie von mikroskopischen Teilchen nahezu kontinuierlich verandern kann.
3.3
Mikroskopische Teilchen in Bewegung
121
En \¥n(^)\'
JAAAA
16
-^-•x
0
-> X
0
Abbildung 3.5: Energien En, Wellenfunktionen tpnix) und Wahrscheinlichkeitsdichten l-^nl^)!^ fur das Modell des Teilchens im Kasten.
Tabelle 3.2: Entartungsgrade der Energiezustande eines Teilchens in einem dreidimensionalen Kasten. Es sind nur die beiden niedrigsten Energieniveaus aufgelistet. Quantenzustand ^x ^y
'^z
1 1 1 1 1 2 1 2 1 2 1 1
Energiewert 3
Entartungsgrad 9 1
6
3
E/{hySma^)
Beispiel: Fiir He-Gas (m = 6,647• 10~^^ kg), das sich in einem Gefafi der Lange a = 10 cm befindet, betragt die Energiedifferenz zwischen den niedrigsten beiden Energiezustanden nach obiger Gleichung 2,477-10"^^ J. Diese Energiedifferenz ist so klein, dass nahezu ein Energiekontinuum vorliegt. In der Regel werden daher Translationsenergien von Gasen klassisch betrachtet. Nach dem Aquipartitionstheorem betragt die mittlere kinetische Energie eines Teilchens in einer Dimension ^keT. Bei einer Temperatur von 298 K sind das 2,058 •
122
3 Aufbau der Materie
10~^^ J, woraus sich nach dem Modell des Teilchens im Kasten eine Quantenzahl von n = 1, 579-10^ fiir obiges Beispiel berechnen lasst. Auch bei dieser gro£en Quantenzahl betragt die Differenz zwischen zwei benachbarten Energieniveaus nur 2,607-10~^^ J. Der Abstand zwischen zwei Knoten der zugehorigen Wehenfunktion betragt a/n = 6,333-10"^^ m. Es hegt somit eine quasikontinuierhche Aufenthaltswahrscheinhchkeit der He-Atome im Gefa£ vor.
3.3.2
Rotation
Die quantenmechanische Betrachtung eines starren Rotators als Modehsystem hefert Ergebnisse, die sowohl fiir die Rotation ganzer Molekiile als auch fiir die Rotation von Elektronen um Atomkerne relevant sind. Wir wollen zunachst die Beschreibung der Rotationsbewegung im Rahmen der klassischen Physik wiederholen. In der klassischen Physik betragt die Geschwindigkeit v eines Teilchens, das sich auf einer Kreisbahn mit dem Radius r bewegt, 27rr V=
= ur
(3.26)
ti ist die Zeit fiir einen Umlauf, oj = 27r/^i ist die Winkelgeschwindigkeit. Fiir die kinetische Energie des Teilchens mit der Masse m erhalt man dann E = Imv^ = Imuj^r^ = hu^ (3.27) 2 2 2 ^ ^ / = rar^ bezeichnet man als Tragheitsmoment. Beim Ubergang von der Translation zur Rotation wird also formal die Masse m durch das Tragheitsmoment / und die Bahngeschwindigkeit v durch die Winkelgeschwindigkeit oj ersetzt. So ist der Drehimpuls L analog zum Bahnimpuls p = mv definiert als L = Iuj
(3.28)
Die Rotationsenergie des kreisenden Teilchens wird oft mit Hilfe des Drehimpulses formuliert: E=Yi
(3-29)
Wenn zwei Teilchen mit den Massen mi und m2 um einen gemeinsamen Schwerpunkt rotieren, wie es bei einem zweiatomigen Molekiil oder bei einem Wasserstoffatom aus Elektron und Proton der Fall ist, geniigt es, stattdessen die Rotation eines einzigen fiktiven Teilchens mit einer so genannten reduzierten Masse // zu betrachten (Abb. 3.6). Rotiert Masse mi im Abstand ri und Masse m2 im Abstand r2 um den gemeinsamen Schwerpunkt, dann ergeben sich aus der Schwerpunktsbedingung m i r i = m2r2
(3.30)
die Beziehungen ri =
m2
mi + m2
r
r2 =
rrii
mi + m2
r
(3.31)
3.3 Mikroskopische Teilchen in Bewegung
123
C^
^
o Abbildung 3.6: Die Beschreibung der Rotation zweier Massen mi und 1712 im Abstand ri und r2 zum gemeinsamen Schwerpunkt kann durch eine Betrachtung einer fiktiven Masse // (reduzierte Masse) im Abstand r = ri + r2 ersetzt werden.
> X
Abbildung 3.7: Definition der Kugelkoordinaten r, ^, (/> im kartesischen Koordinatensystem. Es ist x = rsin^cos(/), y = rsmOsmc/) und z = rcosO. Ein Volumenelement in Kugelkoordinaten am Ort f hat die Form dr — r^ sm0d0d(l)dr. wobei r = ri -\- r2 der Abstand der beiden Massen zueinander ist. Das Tragheitsmoment des Rotators ergibt sich nun zu /
=
mirl + m2r|
=
mi
ml (mi + m 2 )
mim2
-r + m2
2
ml (mi +m2)^
2
(3.32)
mi + m 2 r = fir
Die Rotationsbewegung zweier Teilchen wird damit durch die der reduzierten Masse ^ = 77117712/{mi + m2) substituiert, die im Abstand r = ri + r2 um den Schwerpunkt kreist. Fiir die quantenmechanische Betrachtung der Rotation wird zunachst wieder die SCHRODINGER-Gleichung formuliert: ---A^
= E^
(3.33)
Der Beitrag der potentiellen Energie zum HAMILTON-Operator ist hier null gesetzt worden, well eine Rotation nur kinetische Energie erzeugt. Es erweist sich als vorteilhaft, den LAPLACE-Operator A nicht als Funktion der kartesischen Koordinaten x^ y^ z zu schreiben, sondern Kugelkoordinaten r, ^, (/> zu verwenden, wie sie in Abbildung 3.7 definiert werden. Man erhalt:
A=
2d r dr
d^ dr^
1 r
d^
sin" Od^ +
1
d
.
d_
(3.34)
3
124
Aufbau der Materie
Der LAPLACE-Operator sieht als Funktion von r, 0, (j) zwar sehr kompliziert aus, das Losen der SCHRODINGER-Gleichung fallt aber leichter, da man fiir die gesuchten Wellenfunktionen -0 folgenden Separationsansatz machen kann: (3.35)
^ = R{r)e{e)^{(j))
Dieser Separationsansatz ermoglicht, nur die Bewegung eines Teilchens auf einer Kugeloberflache zu untersuchen, wofiir R = konst. gesetzt wird (starrer Rotator). Unter dieser Voraussetzung ist die Ableitung von -0 nach r gleich null. Mit //r^ = / kann man die SCHRODlNGER-Gleichung wie folgt umwandeln: d^ 21 sin^ d 902 + 1
0
1
d . .d_
0^
=
E0^
d^^
sin" e a(/)2
2IE sm 9 od
od
1 . ^a . ^a©
2IE
0^
sm^e
(3.36)
Im ersten Schritt dieser Umformung wurde mit —21/h'^, im zweiten Schritt mit sin^ 0/0^ multipliziert. Der erste Term in Gleichung 3.36 hangt dann nur von (f) ab, der Rest der Gleichung nur von 9, so dass der (/)-abhangige Term einer Konstanten entspricht, die hier mit —mf bezeichnet werden soil. Als Losungsansatz fiir die Funktion ^ kann man schreiben: ^ = Aexp(imi(t))
(3.37)
Denn es gilt a(/)2
= —nil Aexp(imi(t)) — ~'^i ' ^
(3.38)
Normierung der Wellenfunktion ^ liefert die Konst ante A: 27r
0 27r
=
A^
exp(im/(/))exp(—im/(/)) dcf) 0
A^^27r 1
A = ± 27r
(3.39)
3.3
Mikroskopische Teilchen in Bewegung
125
Mogliche Losungen fiir ^ lauten somit ^ = —= exp(im/(/)) (3.40) v27r Die Wellenfunktionen ^ miissen eine zyklische Randbedingung erfiillen, d. h., sie miissen nach einem Umlauf wieder denselben Wert annehmen:
n^)
^
^ ( 0 + 27r)
exp(im/(/))
=
exp(im/(/)) exp(27rim/)
1 = =
exp(27rim/) cos(27rm/) + isin(27rm/)
(3.41)
Es muss daher mi = 0, ± 1 , ± 2 , . . . gelten. Mit den Wellenfunktionen ^ wird die Rotation in Abhangigkeit des Winkels (/>, d. h. in der a:,^-Ebene, beschrieben. Der zugehorige Drehimpulsvektor steht senkrecht zu dieser Ebene in 2;-Richtung. Die 2;-Komponente Lz des Drehimpulsvektors L und die damit verkniipfte Energie Ez erhalt man aus der SCHRODINGER-Gleichung
Die zweifache Ableitung von ^ nach z^ sind in Richtung der x-^ y- und z-Achse orientiert und einander aquivalent.
136
3 Aufbau der Materie
Bei den fiinf entarteten 3d-Orbitalen geht man ahnlich vor: (3d^2_^2)
=
- ^ [ ( 3 d ^ , ^ 2 ) + (3d^,^_2)]
^V^' {^'-y')^w(-^]
81 v ^ \aj i^^xy)
=
—
V2
=
(Z\^l^ —
XV exD
( ZT
=
- ^ [ ( 3 d „ , = i ) + (3d„,=_i)]
(3d,.)
=
r ^ [ ( 3 d „ , = i ) - (3d„,=_i)]
(3d,2)
=
(3.93)
r-7^[{Sdmi=2) - {Mmi = -2)]
(3d^.)
=
\ ^aj
^'
^
(Z\l'' = —
vz exD
( Zr\
SlV^KaJ y''''^[-^)
^'-''^
(3d^,^o)
- V '
{Sz'-r')
expf-l^^
(3.97)
Die drei neuen Orbitale Sdxy^ Sdxz und 3dyz sind aquivalent und zwischen den Achsen X und y, x und z, sowie ^ und z zu finden. Das 3da.2_^2-Orbital kann durch Drehung um 45° in das 3da;t/-0rbital iiberfiihrt werden. Reelle p- und d-Funktionen werden bei der theoretischen Beschreibung von Molekiilen gegeniiber den komplexen Orbitalen bevorzugt, da sie haufig bereits in Richtung chemischer Bindungen weisen. In Abbildung 3.11 sind die drei reellen 2p-0rbitale und die fiinf reellen 3d-0rbitale dargestellt.
3.4.2
Der Elektronenspin
Die Emissionsspektren von Atomen konnen erst im Detail gedeutet werden, wenn man einem Elektron in einem Atom zusatzlich zum Bahndrehimpuls einen Eigendrehimpuls zuordnet, den man als Spin bezeichnet. Wahrend der Bahndrehimpuls durch die Quantenzahlen / und mi charakterisiert wird, schreibt man dem Spin die Quantenzahlen s und rris zu. Deren mogliche Werte sind ausschliefilich: s
=
\
(3.98)
3.4
Atome
137
Abbildung 3.11: Reelle 2p- und 3d-Orbit ale. Gezeichnet ist jeweils das Volumen, in dem die Wahrscheinlichkeitsdichte ip'^ grower als 10~^/a^ ist {Z = 1).
rris =
- - Oder + -
(3.99)
Der Elektronenspin und dessen 2;-Komponente berechnen sich analog zu den Gleichungen 3.47 und 3.44:
S Sz
= hy^s{s-\-l) = vW^ti
(3.100)
= t m ^ = - X ^ Oder + - t
(3.101)
Zu den Eigenwerten Sz = +(l/2)li und Sz = —(l/2)li gehoren jeweils die Eigenfunktionen a und (3, die als Spinfunktionen bezeichnet werden. Aus einer Spinfunktion und einem Atomorbital (p bildet man fiir ein Elektron ein so genanntes Spinorbital ^, welches das Elektron nicht nur hinsichtlich der Ortskoordinaten r,9,(j) festlegt, sondern auch iiber die Orientierung seines Spins (m^ = +1/2 oder —1/2) Auskunft gibt: ^i = (fia
^2 = (fiP
(3.102)
Die Formulierung von Spinorbitalen ^ entspricht einer einfachen Fassung des PAULIPrinzips, wonach ein Atomorbital (p hochstens von zwei Elektronen besetzt werden
3
138
Aufbau der Materie
kann. Wenn zwei Elektronen dasselbe Orbital besetzen, dann miissen sie sich in ihrer Spinquantenzahl m^ unterscheiden. 3.4.3
Aufbau des Periodensystems der Elemente
Ein Spinorbital ist eine Einelektronenwellenfunktion, die von den Ortskoordinaten r, 0 und (j) abhangt und dem Elektronenspin eine Orientierung zuschreibt. Ein Elektron, das dieses Spinorbital besetzt, ist dann durch die vier Quantenzahlen n, /, mi und nis charakterisiert (zusatzlich hat das Elektron die Spinquantenzahl s, die jedoch fiir alle Elektronen gleich 1/2 ist). Die elektronische Gesamtwellenfunktion eines Atoms mit mehreren Elektronen ist entsprechend eine Funktion der Ortskoordinaten und Spinorientierungen aller Elektronen des Atoms. Die zentrale Anforderung an solche Mehrelektronenwellenfunktionen ist, dass sie sich antisymmetrisch in Bezug auf eine Vertauschung zweier Elektronen verhalten (allgemeine Formulierung des PAULI-Prinzips): ^(l,2,...,n) = -^(2,l,...,n)
(3.103)
Das heifit, wenn beispielsweise dem Elektron 1 die Ortskoordinaten und der Spin des Elektrons 2 zugeordnet werden und umgekehrt, dann muss sich das Vorzeichen der elektronischen Gesamtwellenfunktion des Atoms andern. Wir wollen das PAULIPrinzip hier als Postulat auffassen, obwohl dieses Prinzip aus relativistischen Uberlegungen heraus fiir Teilchen mit halbzahliger Spinquantenzahl {s = 1/2, 3/2, . . . ) abgeleitet werden konnte. Eine mogliche Gesamtwellenfunktion eines Atoms, die automatisch dem PAULI-Prinzip entspricht, lasst sich mit Hilfe einer SLATER-Determinante aus Spinorbitalen ^i berechnen:
Ml) #(l,...,n) = ^ =
^n(l)
^i(2)
^2)
M2)
^i(n)
^2(n)
^n(n)
(3.104)
n ist hier die Zahl der Elektronen im Atom. Jedes Spinorbital ist ein Produkt aus einem Atomorbital und einer Spinfunktion: ^i = (fia, ^2 = ^i(3, ^3 = ^2 > V^ folgt: RT
dp =-
— Aads'S'mdT
P dlnip/p^) dT dHp/p^)
dd/T)
^ads'-'m
^ads-^m
RT
RT2
^ads-^m
-
R
^'-''^
Die isostere Adsorptionsenthalpie Aads^m = H^ — H^ ergibt sich somit aus der Steigung einer Auftragung von ln{p/p°) gegen 1/T bei 9 = konst. Hierfiir misst man die Adsorptionsisothermen fiir verschiedene Temperaturen T. Je hoher die Temperatur, desto flacher die Kurve, d. h., wir brauchen einen hoheren Druck, um eine bestimmte Belegung zu erzielen. Wichtige Anwendungsbeispiele von Adsorptionseffekten sind z. B. die chromatographischen Verfahren. Verschiedene Adsorptive besitzen unterschiedliche Gleichgewichtskonzentrationen in der adsorbierten bzw. gasformigen Phase, d. h., sie werden
210
5
OberEachenerscheinungen
von einem gegebenen Tragermaterial unterschiedlich stark adsorbiert. In der Gaschromatographie wird ein Strom eines inerten Gases mit dem zu trennenden Gemisch beladen und kontinuierlich iiber ein Adsorbens geleitet, wo die Mischungskomponenten adsorbieren. Der stetige Gasstrom hat auch einen desorbierenden Effekt, so dass man auf einer Trennsaule von geeigneter Lange eine raumliche Trennung der Mischungskomponenten erzielt. Beim Verlassen der Trennsaule erreicht man somit eine zeithche Trennung der verschiedenen Mischungskomponenten, die einen Detektor passieren. Neben festen Adsorbensmateriahen finden auch Fliissigkeiten, die auf einem festen Trager aufgebracht sind, haufig Anwendung. Dann werden Verteilungsgleichgewichte fiir die Trennung wichtig.
6
Elektrochemie
Bislang haben wir uns fast ausschlie£lich mit elektrisch neutralen Teilchen (Atomen, Molekiilen) beschaftigt. Beim Losen von Salzen in wassrigen oder nicht wassrigen Losungsmitteln entstehen durch vollstandige oder partielle Dissoziation jedoch geladene Teilchen. Mit dem Auftreten geladener Teilchen tret en neue Phanomene auf, die dem Gebiet der Elektrochemie zugeordnet sind.
6.1
lonentransport in Elektrolytlosungen
Wir betrachten das Losen eines Salzes in Wasser, z. B.: NaCl(s) ^
Na+(aq) + CI" (aq)
Es werden positiv geladene Kationen und negativ geladene Anionen gebildet. Ein Mafi fiir die Loslichkeit eines aus lonen aufgebauten Feststoffes ist das Loslichkeitsprodukt. Die Existenz von lonen in wassriger Losung lasst sich durch Leitfahigkeitsmessungen nachweisen. Hierbei wandern die gebildeten lonen in einem angelegten elektrischen Feld. Uber die Messung des elektrischen Widerstandes, z. B. mit einer WHEATSTONEschen Briickenschaltung, wird die Leitfahigkeit der Salzlosung, die auch Elektrolytlosung genannt wird, bestimmt. In die Elektrolytlosung tauchen zwei elektrisch gut leitende Elektroden, z. B. Pt-Elektroden (Abb. 6.1). Die Leitfahigkeitsmessung erfolgt unter Verwendung von hochfrequentem Wechselstrom im kHz-Bereich, da die Verwendung von Gleichstrom zum Aufbau von Ladungen an den Elektroden (Polarisation) und zur Elektrolyse, d. h. zu chemischen Umsetzungen an den Elektroden, fiihren kann, wodurch die Leitfahigkeitsmessung verfalscht wiirde. Wenn Wechselspannung angelegt wird, kehrt der Strom laufend seine Richtung um, und eine Polarisation an den Elektroden wird vermieden. Fiir den elektrischen Widerstand R = U/I eines homogenen Leiters der Lange / und der Querschnittsflache A gilt: R = Q-\
(6.1)
-o
Abbildung 6.1: In einem angelegten elektrischen Feld wandern die lonen in einer Elektrolytlosung entsprechend ihrer Ladung zur Kathode (Minuspol) bzw. Anode (Pluspol). Fiir Leitfahigkeitsmessungen muss hochfrequente Wechselspannung angelegt werden.
6
212
Elektrochemie
Tabelle 6.1: Spezifischer Widerstand g einiger ausgewahlter Substanzen bei der angegebenen Temperatur (nach: G. Wedler, Lehrbuch der Physikalischen Chemie, 3. Aufl., VCH, Weinheim, 1987; o C. H. Hamann, W. Vielstich, Elektrochemie, 3. Aufl., Wiley-VCH, Weinheim, 1998; * R. C. Weast, M. J. Astle, W. H. Beyer (Hrsg.), CRC Handbook of Chemistry and Physics, 65. Aufl., CRC Press, Boca Raton, Florida, 1984). Substanz Au(s) Cu(s) Hg(l) NaCl (1) H2O (rein) H2O (rein)^ 10-1 M KCl* 10-3 M KCl* 1 M CH3COOH 1,11 • 10-4 M CH3COOH °
T/K 273 273 273 1073 273 298 298 298 291 298
Q/{ft cm) 2,06-10-« l,55-10-« 9,43 10-'5 0,27 6,33-10^ 1,56-10^ 77,6 6808,3 769,2 70289
In unserem Fall ist / der Abstand der Elektroden und A ist deren Querschnittsflache. g ist der spezifische Widerstand mit der SI-Einheit 0 m. Der Quotient l/A wird als Zellkonstante bezeichnet und im Allgemeinen durch Kalibriermessungen mit einer Elektrolytlosung bekannten spezifischen Widerstands (z. B. 0,1 M KCl-Losung) bestimmt. In der Tabelle 6.1 sind Beispiele fiir den spezifischen Widerstand ausgewahlter Substanzen bei den angegebenen Temperaturen aufgefiihrt. Die spezifische Leitfahigkeit K ist der Reziprokwert des spezifischen Widerstandes: _ 1_ '^~ ~g~
/ ^
(6.2)
Die SI-Einheit der spezifischen Leitfahigkeit ist 0~^m~^ = S m~^ (S = Siemens). Die spezifische Leitfahigkeit einer Elektrolytlosung hangt von der Anzahl der Ladungstrager, d. h. der Salzkonzentration, ab. Man definiert daher die molare Leitfahigkeit Am mit der SI-Einheit fl~^ m^mol"^: (6.3)
vim =
c ist die molare Salzkonzentration. Die spezifische Leitfahigkeit der Losung ist weiterhin umso grower, je hoher die Ladung der lonen ist. Daher wird die, meist friiher verwendete, Aquivalentleitfahigkeit yleq definiert, die Mehrfachladungen von lonen mitberiicksichtigt: ^ e q =
— C*
(6.4)
6.1 lonentransport in
Elektrolytlosungen
213
Tabelle 6.2: Grenzleitfahigkeiten verschiedener Anionen und Kationen bei 298 K (nach: R. C. Weast, M. J. Astle, W. H. Beyer (Hrsg.), CRC Handbook of Chemistry and Physics, 65. Aufl., CRC Press, Boca Raton, Florida, 1984). Ion H+ Zn2+ K+ Ag+ Na+
A^ / 0 - 1 cm^mol-i 349,7 105,6 73,5 61,9 50,1
Ion OH-
sor
Br-
ciClO^
A^ / 0 - 1 cm^mol-i 198,0 160,0 78,1 76,3 67,3
c* ist die Aquivalentkonzentration (c* = c • 2;+ • ^+ = c - \z-\ - i^-; z^,Z- sind die vorzeichenbehafteten Ladungszahlen und ^'+, V- die stochiometrischen Koeffizienten von Ration und Anion). Beispielsweise hat eine 0,2 M MgBr2-Losung eine Aquivalentkonzentration von c* = 0,2 • 2 • 1 mol L~^ = 0 , 4 mol L~i. Wir haben mit der Aquivalentleitfahigkeit also eine Grofie, die auf die Konzentration der positiven oder negativen Ladungen bezogen ist. Die Aquivalentleitfahigkeiten sind bei gewohnlichen, vollstandig dissoziierten (starken) Elektrolyten in der Grofienordnung 10^ 0"^ cm^ mol~i. Die molare Leitfahigkeit zeigt trotz der Normierung auf c eine Konzentrationsabhangigkeit. Diese ist auf interionische Wechselwirkungen und die Konzentrationsabhangigkeit der Dissoziation zuriickzufiihren. Fiir starke Elektrolyte mit vollstandiger Dissoziation hat KOHLRAUSCH im Jahre 1900 folgende Abhangigkeit der molaren Leitfahigkeit von der Konzentration festgestellt (KOHLRAUSCHsches Quadratwurzelgesetz):
A^ = A^-k'V^
(6.5)
A'^ ist die molare Grenzleitfahigkeit fiir unendliche Verdiinnung und k eine Konstante. Die molare Grenzleitfahigkeit erhalt man aus einer Auftragung der molaren Leitfahigkeit gegen ^/c und der Extrapolation auf c = 0. Dieses Gesetz besitzt jedoch nur fiir kleine Konzentrationen Giiltigkeit. In ideal verdiinnten Losungen besitzen die einzelnen lonen unabhangig vom Gegenion individuelle Wanderungsgeschwindigkeiten im elektrischen Feld. Damit setzt sich die molare Grenzleitfahigkeit eines Salzes K^+A^~additiv aus den lonengrenzleitfahigkeiten der vorhandenen lonen zusammen (Gesetz der unabhangigen lonenwanderung): A^ = ,y+- A - , + !/_ • A:
(6.6)
A^_^ ist die molare lonengrenzleitfahigkeit des Rations und A^_ die des Anions. In der Tabelle 6.2 sind einige Beispiele fiir die Grenzleitfahigkeit von lonen bei 298 K aufgefiihrt. Die Konzentrationsabhangigkeit der molaren Leitfahigkeit eines typischen starken und eines typischen schwachen Elektrolyten, der unvollstandig dissoziiert, ist in Abbildung 6.2 dargestellt. Nur bei unendlicher Verdiinnung sind die molaren Leit-
6
214
Elektrochemie
120 o S 100 -^^--.~____________NaCl § 80
XH
^
60
^^ 40 20 \
CH3COOH ;
0,0
i
0,2
:
1—
:
0,4
1
0,6
r
1,0
c I mol L
Abbildung 6.2: Konzentrationsabhangigkeit der molaren Leitfahigkeit A^ eines starken (NaCl) und eines schwachen Elektrolyten (CH3COOH). Die molare Grenzleitfahigkeit der Essigsaure betragt 390,57 0~^ cm^ mol~^ (Werte entnommen aus: R. C. Weast, M. J. Astle, W. H. Beyer (Hrsg.), CRC Handbook of Chemistry and Physics^ 65. Aufl., CRC Press, Boca Raton, Florida, 1984 (NaCl); Landolt-Bornstein, Zahlenwerte und Funktionen, 11. Band, 7. Teil, Springer Verlag, Berlin, 1960 (CH3COOH)).
fahigkeiten tatsachlich stoffspezifische Grofien. Allgemein hangen sie von der Stoffkonzentration c und den Konzentrationen aller anderen lonen in der Losung ab. Bei Kenntnis der lonengrenzleitfahigkeiten A^_^ und A^_ kann man die molare Grenzleitfahigkeit nach Gleichung 6.6 berechnen. Die Berechnung der molaren Grenzleitfahigkeit eines Salzes gelingt auch durch Kombination molarer Grenzleitfahigkeiten verschiedener Salze (siehe folgendes Beispiel). Bei einer Elektrolytkonzentration von c = 0,1 M betragt die Abweichung vom Grenzleitfahigkeitsgesetz (Gl. 6.6) bereits etwa 6 %. Beispiel: .l-(NaCl)
=
A-(Na+) + A - ( C r )
=
A-(Na+) + A-(C104-) + A-(K+) + A-(CI") -A-(K+)-A-(C104-)
=
A^ (NaC104) + A^ (KCl) - A^ (KCIO4)
=
(117,4 + 149,8 - 140,8) O-^cm^mol"^
=
126,4 0-^cm^mor^
Aufgrund der Tatsache, dass die spezifische Leitfahigkeit eine einfache Funktion der Konzentration ist {K = cylm), werden Leitfahigkeitsmessungen fiir Konzentrationsbestimmungen in der Analytik eingesetzt. Wie wir spater sehen werden, konnen auch
6.1
lonentransport in Elektrolytlosungen
215
Loslichkeitsprodukte, Gleichgewichtskonstanten, AktivitatskoefRzienten von Elektrolyten und Geschwindigkeitskonstanten bestimmt werden, wenn bei der Reaktion lonen im Spiel sind. 6.1.1
Mikroskopische Beschreibung der lonenwanderung im elektrischen Feld
Wir wenden uns jetzt einer detaillierteren Betrachtung des Ladungstransportes zu. Die lonenbeweglichkeit Uj eines Ions j ist definiert als seine mittlere Geschwindigkeit (Driftgeschwindigkeit) Vj im elektrischen Feld, normiert auf die Feldstarke E^eid = U/l: J
(6.7)
rp
^Feld
Fiir die spezifische Leitfahigkeit einer lonensorte j erhalt man (lonenladung Zj, Elementarladung e und Teilchenzahldichte Nj/V): NKj = -^\zj\euj
(6.8)
Die molare Leitfahigkeit der lonensorte j ist damit folgendermafien mit der Beweglichkeit verkniipft:
F ist die FARADAY-Konstante; sie gibt die Ladung von einem Mol Elektronen an (F = NAe = 96485 C mol~^, C = Coulomb). lonen, die 2;-fach geladen sind, tragen somit 2;-fach zur molar en Leitfahigkeit bei. Durch das angelegte elektrische Feld der Feldstarke ^Feid erfahrt das Ion eine Beschleunigung, welche seiner BROWNschen Molekularbewegung iiberlagert ist. Das Ion driftet in Richtung der entgegengesetzt geladenen Elektrode und erfahrt dabei einen Reibungswiderstand durch das Losungsmittel. Die Reibungskraft wird durch das STOKESsche Gesetz (FReibung = ^TrrjRjVj) naherungsweise beschrieben, die im dynamischen Gleichgewicht der antreibenden Kraft des elektrischen Felds gleichzusetzen ist: -^Reibung
=
-^Feld
dTTTjRjVj =
l^^jle^Feld
(6.10)
7] ist der ViskositatskoefRzient des Losungsmittels, Rj der effektive lonenradius unter Beriicksichtigung der Hydrathiille (hydrodynamischer Radius) und Vj die mittlere Driftgeschwindigkeit des Ions j . Die beiden Krafte wirken in entgegengesetzter Richtung und nach kurzer Zeit erreichen die lonen eine konstante Wanderungsgeschwindigkeit, die sog. Driftgeschwindigkeit. Umformung von Gleichung 6.10 liefert fiir die Beweglichkeit des Ions:
^J = ^
=P ^
(6-11)
6
216
Elektrochemie
Tabelle 6.3: Beweglichkeiten verschiedener lonen in Wasser bei unendlicher Verdiinnung fiir 298 K (berechnet mit Daten fiir A^ nach R. C. Weast, M. J. Astle, W. H. Beyer (Hrsg.), CRC Handbook of Chemistry and Physics, 65. Aufl., CRC Press, Boca Raton, Florida, 1984). Kation H+ Li+ Na+ K+ NH+ Mg2+ Ca2+ Pb2+
uf
1 10-^ m ^ V - i s - i 36,24 4,01 5,19 7,62 7,62 5,50 6,17 7,20
Anion OHF-
cr
NO3-
CIOJ C6H5CO2
sor cor
uf
1 10-8 m^V-i s - i 20,52 5,74 7,91 7,40 6,98 3,36 8,29 7,18
Man sieht, dass die lonenbeweglichkeit iiber die Viskositat (ry) sowohl temperaturund druckabhangig, als auch losungsmittelabhangig ist. Die Beweglichkeit des Ions ist umgekehrt proportional zu seinem hydrodynamischen Radius. Er lasst sich bei bekannter Beweglichkeit aus Gleichung 6.11 bestimmen. In der Tabelle 6.3 sind einige lonenbeweglichkeiten fiir Kationen und Anionen angegeben. Es ist bemerkenswert, dass die Beweglichkeit des Li+-Ions geringer als die des K+-Ions ist. Das Li+-Ion besitzt allerdings aufgrund seines kleineren Radius eine hohere Ladungsdichte und fiihrt somit eine grofiere Hydrathiille mit sich, d. h., der hydrodynamische Radius des Li+-Ions ist grower. Die Hydrathiillen sind jedoch keine stabilen Gebilde. Die H2OMolekiile in der Koordinationssphare tauschen sehr schnell mit den Wassermolekiilen der Volumenphase aus. Beispiel: Fiir das K+-Ion ergibt sich mit der Beweglichkeit u^ — 7,62 • 10~^ cm^V~^s~^ in Wasser bei 298 K in einem elektrischen Feld der Feldstarke -Epeid = 1 V cm~^ eine Driftgeschwindigkeit von Vj = 7,62 • 10~^ cm s~^. Nehmen wir fiir den Durchmesser eines Wassermolekiils etwa 3 • 10~^^ m an, so konnen wir leicht berechnen, dass das K+-Ion ca. 3-10^ Wassermolekiile pro Sekunde passiert. Aus Gleichung 6.11 resultiert die WALDENsche Regel, die besagt, dass das Produkt aus der Beweglichkeit u^ eines Ions bei „unendlicher" Verdiinnung (bzw. aus ^m,i ^^^^ ^m) ^^^ ^ ^ ^ ViskositatskoefRzienten des Losungsmittels konstant ist:
uf-n
' •^' =konst. dnRj
(6.12)
Dies setzt voraus, dass sich der hydrodynamische lonenradius im betrachteten Temperaturintervall nicht andert, so dass die Temperaturabhangigkeit von u'j^ auf die der Viskositat zuriickgefiihrt werden kann. Da die Viskositat von Fliissigkeiten mit
6.1 lonentransport in Elektrolytlosungen H I
217 H I
H I
I
I
H
H H
I I H
0 I H
Abbildung 6.3: Der GROTTHUSS-Mechanismus bedingt die besonders hohe Beweglichkeit der Hydronium- und Hydroxid-Ionen. steigender Temperatur abnimmt [rj oc exp{Ea,/RT)]^ nimmt die lonenleitfahigkeit entsprechend zu. Die STOKESsche Naherung gilt nicht fiir das Hydroxid- und das Hydroniumlon, da hier ein anderer Bewegungsmechanismus vorliegt. In fliissigem Wasser und in Eis sind die Wassermolekiile durch Wasserstoffbriicken-Bindungen miteinander verbunden. Hydroxid- und Hydronium-Ionen werden in Wasser durch einen „StafettenMechanismus" (GROTTHUSS-Mechanismus) besonders beweghch (s. Tab. 6.3 und Abb. 6.3). Bei der H+-Ionenleitung handelt es sich um eine Art Sprungbewegung eines der Protonen eines HsO^-Ions zu einem H20-Molekul in unmittelbarer Nachbarschaft, welches gerade eine giinstige Orientierung besitzt. Dann wird dieses H2O zum H3O+ u. s. w. Es wandern also keine individuellen HsO^-Teilchen. Die hohe Beweglichkeit der Protonen iiber Wasserstoffbriicken lasst vermuten, dass ein quantenmechanisches Tunneln beim Transportprozess beteiligt ist. Der geschwindigkeitsbestimmende Faktor ist die rotatorische Ausrichtung der Wasser-Molekiile. Die Beweglichkeit des Protons ist in fliissigem Wasser ca. 50 mal geringer als in Eis, da im Eis ein perfektes tetrahedrales H-Briickennetzwerk vorliegt. Ein entsprechender Prozess ist fiir die OH~-Leitfahigkeit ver ant wort lich, welche jedoch geringer ist. Qualitative Deutung der lonenleitfahigkeit in Elektrolyten Es stellt sich noch die Frage, wie das Verhalten der molaren Leitfahigkeit starker Elektrolyte, das durch das KOHLRAUSCH-Gesetz beschrieben wird, erklart werden kann. Die theoretische Ableitung nach DEBYE, HtJCKEL und ONSAGER basiert auf zwei qualitativ verstandlichen Effekten als Ursache der Konzentrationsabhangigkeit der lonenleitfahigkeit starker Elektrolyte: 1. Elektrophoretischer Effekt: Positive und negative lonen bewegen sich mit ihren Hydrathiillen im elektrischen Feld in entgegengesetzten Richtungen. Die lonen werden durch die Reibung ihrer Hydrathiillen aneinander gebremst. 2. Relaxationseffekt: Ist das elektrische Feld gleich null, so ist das Ion von einer symmetrischen lonenwolke entgegengesetzter Ladung umgeben. Bei einem angelegten elektrischen Feld wandert das Ion, und es bildet sich aufgrund der Tragheit der lonenwolke eine asymmetrische Ladungswolke aus, wodurch die Drift des Ions gehemmt wird („elektrostatische Bremse", Abb. 6.4).
218
6
Q ®9
(4
Elektrochemie
® ^
Abbildung 6.4: Ein angelegtes elektrisches Feld fiihrt zu einer Verzerrung der symmetrischen Ladungswolke um das Zentralion. Die Drift des Rations zur Kathode nach rechts wird durch eine entgegengesetzt gerichtete, elektrostatische Kraft nach hnks gehemmt. Diese beiden Effekte wirken der Bewegung des Ions durch die Losung entgegen, woraus bei quantitativer Ableitung die y^-Abhangigkeit folgt. Aus der DEBYE-HLFCKELONSAGER-Theorie folgt fiir l:l-Elektrolyte, die vollstandig dissoziieren, bei einer Konzentration kleiner als 0,1 M: .In, = . 1 ^ - (^1 • . 1 ^ + B2)Vc
(6.13)
mit Bi
=
^2
=
3^p2 0,586 • z'^e. 247rsRT
STTT]
V
V irsRT
sRT
Vergleichen wir diese Beziehung mit dem y^c-Gesetz von KOHLRAUSCH, Gleichung 6.5, erkennen wir, dass die Konstante k von dem ViskositatskoefRzienten rj des Losungsmittels, dessen Dielektrizitatskonstante e, der Temperatur T und der Ladungszahl z der lonen abhangt. Fiir die Giiltigkeit der Theorie gibt es experimentelle Hinweise. Wird die Leitfahigkeit bei sehr hoher Frequenz (10^ — 10^ Hz) gemessen, so kommt die Ausbildung der lonenatmosphare der lonenbewegung nicht mehr nach. Damit kann sich keine asymmetrische Ladungswolke mehr ausbilden, der zweite retardierende Effekt auf die lonenwanderung entfallt, und die Leitfahigkeit steigt etwas an (DEBYEFALKENHAGEN-Effekt). Weiterhin nimmt die Leitfahigkeit bei sehr hohem angelegten elektrischen Feld zu, da die lonen so schnell werden, dass sie aus der lonenatmosphare herauslaufen (1. WiEN-Effekt). 6.1.2
Diffusion in Elektrolytlosungen
Wir sahen bisher, dass lonen unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes wandern. Dabei trat die elektrische Feldstarke als treibende Kraft auf. Jetzt betrachten wir den Fall, dass sich ein Ion auch aufgrund lokal unterschiedlicher Konzentrationen bewegt, also die Wanderung eines Stoffes in einem chemischen Potentialgefalle. Das nennen wir Diffusion. Da sich die Konzentrationsunterschiede zum Erreichen des Gleichgewichts ausgleichen, haben wir eine Vorzugsrichtung der Bewegung der Teilchen dahin, wo die Konzentration geringer ist. Wir beschranken uns hier auf die eindimensionale Diffusion
6.1 lonentransport in Elektrolytlosungen
219
in a;-Richtung. Als treibende Kraft wirkt ganz allgemein die thermodynamische Kraft Fth:
{dfij/dx)p^T ist das chemische Potentialgefalle. Es ist negativ in Richtung der Diffusion. Durch Division durch die AvOGADRO-Konstante erhalten wir die Kraft auf das Teilchen j . Fth ist durch das chemische Potential //^ = /i?° + RTlna^ gegeben:
Fiir hinreichend verdiinnte Losungen gilt (aj -^ Xj oc Cj):
keT {dcj_ dx
(6.17)
Cj ist die molare Konzentration des gelosten Stoffes j und c° die StandardKonzentration 1 mol L~^. Das erste FiCKsche Gesetz beschreibt das Diffusionsverhalten in einem solchen Konzentrationsgradienten in a;-Richtung: J. = -Dj^
(6.18)
Jx ist hier der molare Teilchenfluss mit der Einheit mol m~^s~^. Jx ist auch mit der Driftgeschwindigkeit Vj der Teilchen iiber Jx = VjCj
(6.19)
verkniipft. Kombinieren wir die beiden Gleichungen, erhalten wir:
Der Vergleich mit Gleichung 6.17 liefert: Dj = ^
(6.21)
Wenn die treibende Kraft und die Driftgeschwindigkeit des Teilchens bekannt sind, lasst sich der DiffusionskoefRzient berechnen. Der Stofftransport kann allgemein durch Diffusion im Konzentrationsgradienten und Migration (Wanderung im elektrischen Feld) erfolgen. Wenn die treibende Kraft, die auf das Ion wirkt, allein eine elektrische Kraft ist, d. h. Fth = |2:j|e£^Feid und Vj = UjEpeid^ folgt mit Gleichung 6.21 die EiNSTEiN-Beziehung zwischen dem Diffusionskoeffizienten Dj und der lonenbeweglichkeit Uj des Ions j : UjkBT _ UjRT = 7^ '' ~ \zj\e ~ ~\^
D. = :^f^
(6.22)
220
6
Elektrochemie
Beispiel: Wir betrachten eine wassrige NaCl-Losung (c = 0,1 mol L~^) bei 298 K. Die gemessene lonenbeweglichkeit der Na+-Ionen betragt u^^+ = 5,19 • 10~^ m^V~^s~^, und fiir den DiffusionskoefRzienten der Na+-Ionen berechnen wir DNa+ = l^^ * 10~^ m^s~^. Die Wurzel aus der mittleren quadratischen Verschiebung der Na+-Ionen \/{x^) = y/2D^g^+t betragt damit etwa 3 mm in einer Stunde. Die EiNSTElN-Beziehung ermoglicht auch eine Verkniipfung der molaren Grenzleitfahigkeit mit dem DiffusionskoefRzienten des Ions: X^. = \zj\Fu^
D z^F^ =^ ^
(6.23)
Fiir die molare Grenzleitfahigkeit eines Elektrolyten gilt Gleichung 6.6. Setzt man fiir die molare Grenzleitfahigkeit der Anionen und Kationen Gleichung 6.23 ein, erhalt man die NERNST-EiNSTEiN-Beziehung: A^ = ^ ( ^ + 4 ^ + + '^-zlD.)
(6.24)
Somit lassen sich aus Leitfahigkeitsmessungen Diffusionskoeffizienten ermitteln. Wegen der Elektroneutralitat beobachtet man i. Allg. keine Diffusion von Einzelionen (aber: Tracer- oder Selbstdiffusionskoeffizienten von radioaktiven lonen sind bestimmbar, z. B. von ^^Na+ in ^^NaCl). Bei der Diffusion von Salzen miissen wir einen geeigneten Mittelwert der Diffusionskoeffizienten der lonen zur Wiedergabe des gesamten Diffusionskoeffizienten D benutzen. N E R N S T zeigte, dass fiir die Diffusion eines Salzes K^+A^I gilt:
Der treibenden Kraft fiir die Diffusion eines Ions wirkt eine gleich grofie Reibungskraft entgegen, so dass auch Fth = 67rriRjVj gilt. Aus Gleichung 6.21 folgt dann die STOKES-EiNSTEiN-Beziehung, die eine Beziehung zwischen dem Diffusionskoeffizienten des Ions j und dem Viskositatskoeffizienten rj der Losung herstellt: Dj = ^ ^
^
67rr]Rj
(6.26) ^
^
Die Gleichung gilt fiir spharische Teilchen, die nicht zu klein sind. Da keine Abhangigkeit von der Ladung des diffundierenden Teilchens mehr besteht, gilt diese Gleichung auch fiir elektrisch neutrale Molekiile. In Tabelle 6.4 sind einige Diffusionskoeffizienten beispielhaft aufgefiihrt. 6.1.3
FARADAY-Gesetze (Coulombmeter)
Wir wollen auf die Wirkung von Gleichstrom in einer Salzlosung zuriickkommen. Durch Anlegen einer Gleichspannung beobachten wir elektrochemische Auflosungsbzw. Abscheidungsreaktionen an den Elektroden, eine Elektrolyse. Fliefit durch den
6.1
lonentransport in
Elektrolytlosungen
221
Tabelle 6.4: DiffusionskoefRzienten verschiedener Teilchen in verdiinnter wassriger Losungbei 298 K (nach: D. R. Lide (Hrsg.), CRC Handbook of Chemistry and Physics, 76. Aufl., CRC Press, Boca Raton, Florida, 1995). Teilchen Dj 1 10-^ m^s-i
H+ 9,311
Na+ 1,334
K+ 1,957
OH5,273
au£eren Stromkreis einer Elektrolyse-Zelle wahrend der Zeit i der Strom / , so wird dadurch die Ladungsmenge Q transportiert, welche der in der gleichen Zeit zwischen Anode und Kathode ausgetauschten Ladung gleicht. Wird in der Zeit i an einer Elektrode die Masse m an lonen entladen, so entspricht dies einer Stoffmenge von mjM und entsprechend \z\^pjnlM Elektronen. Fiir die ausgetauschte, im Elektrolyten transportierte Ladung Q gilt somit: g = / ^ = | ^ | e N A ^ = N F ^ = NFn
(6.27)
Damit ist also die Menge eines abgeschiedenen oder aufgelosten Stoffes der dabei geflossenen elektrischen Ladung Q — It proportional (erstes FARADAYsches Gesetz). Der Proportionalitatsfaktor ist die FARADAY-Konstante. Fiir It — konst. folgt das zweite FARADAYsche Gesetz:
m2
(6.28)
Die durch gleiche Elektrizitatsmengen abgeschiedenen Massen m\ und m2 verschiedener Stoffe verhalten sich somit wie die durch die Ladungszahlen dividierten molaren Massen. Anwendung finden die FARADAY-Gesetze mit dem Coulombmeter (z. B. Silbercoulombmeter, Knallgascoulombmeter), indem iiber die quantitative Bestimmung des abgeschiedenen Elektrolyseproduktes die geflossene Ladungsmenge oder die Ladungszahl z berechnet werden kann. Andererseits konnen durch die Messung der geflossenen Ladungsmenge auch die Stoffmengen der abgeschiedenen oder aufgelosten Stoffe bestimmt werden. Im folgenden Kapitel wollen wir die FARADAY-Gesetze nutzen, um Uberfiihrungszahlen und damit Einzelionenbeweglichkeiten zu bestimmen. 6.1.4
Uberfiihrungszahlen
Leitfahigkeitsmessungen liefern uns nur Summen molarer lonenleitfahigkeiten oder lonenbeweglichkeiten. Der Ladungstransport in Elektrolytlosungen erfolgt jedoch nicht durch alle lonen gleichermafien. Hier werden wir kennenlernen, wie molare Leitfahigkeiten einzelner lonensorten bestimmt werden konnen. Das Verfahren basiert auf der Bestimmung der sog. Uberfiihrungszahlen. Die Uberfiihrungszahl ^+ des Rations bzw. t- des Anions eines Elektrolyten ist als der Anteil am Gesamtstrom / definiert, der von den Kationen bzw. Anionen transportiert wird: t^^-^
(6.29)
6
222
e
M
Elektrochemie
©
N Weg der Kationen
^
Weg der Anionen
Kathode
' Elektrolyt (HCl(aq))
^ Anode
Ablasshahn Abbildung 6.5: Aufbau der Elektrolysezelle nach HiTTORF zur Bestimmung von Uberfiihrungszahlen. Als Elektroden werden inerte Pt-Elektroden verwendet. Da / = /+ + /_, ist ^+ + ^_ = 1. Fiir den Fall unendlicher Verdiinnung (c -^ 0) gilt wegen Gleichung 6.6: J.OO
^+A;in,+
^+ -
As,
t^ =
i^-\l
(6.30)
Den Zusammenhang mit den lonenbeweglichkeiten erhalt man mit Hilfe der Gleichungen 6.6 und 6.9. Fiir einen symmetrischen Elektrolyten (^+ = V- und z^ = \z-\) erhalt man: +
~
ly+z+Fuf ly^z^Fuf + ly- \z- \Fu?^ ~ uf -\-u?^
^ ~
_ ~
iy-\z-\Fu?^ ly^z^Fu'^ -\-ly-lz-lFu':
J.OO
_ u?^ ~ i^+ii^
(6.31)
(6.32)
Es folgt weiter (Gl. 6.11): (6.33)
In wassrigen Elektrolytlosungen ist f^/f^ somit abhangig vom Verhaltnis der Ladungszahlen und der effektiven lonenradien. Die Uberfiihrungszahlen der Anionen und Kationen sind unabhangig voneinander messbar und somit auch die einzelnen lonenleitfahigkeiten und lonenbeweglichkeiten. Die Bestimmung der Uberfiihrungszahlen erfolgt z. B. mit Hilfe der ElektrolyseMethode nach HiTTORF (Abb. 6.5). Die Elektroden bestehen aus Pt-Blech, der Elektrolyt sei z. B. Salzsaure. Bei der Elektrolyse scheidet sich kathodisch Wasserstoff und anodisch Chlorgas ab:
6.1 lonentransport in
Elektrolytlosungen
223
Tabelle 6.5: Stoffmengenanderungen An von HCl beim Ladungstransport der Menge Q in der HiTTORFschen Elektrolyseapparatur.
Raum Kathodenraum
Stoffmengenanderungei 1 An der lonen Entladung Wanderung Gesamt t+Q/F An+ = -t-Q/F -Q/F -t-Q/F An- = -t-Q/F -t+Q/F An+ = -t+Q/F t-Q/F An- = -t+Q/F -Q/F
Ion H+
ciAnodenraum
H+
ciKathodenraum Anodenraum
Stoffmengenanderung An des Elektrolyten Anna = -t-Q/F A n n a = -UQ/F
Anode:
CI (aq)
iCl2(g) + e-
Kathode:
H+(aq) + e"
|H2(g)
Die Kenntnis der Elektrodenvorgange ist Voraussetzung fiir die Anwendung dieser Methode. Die Stoffmengenanderung an HCl in den beiden Elektrodenraumen beim Ladungstransport der Menge Q, die entsprechend dem 1. FARADAY-Gesetz zur Abscheidung von Kationen bzw. Anionen fiihrt, ist in Tabelle 6.5 aufgefiihrt. Bei Stromfluss stellt man in unterschiedlichem Mafie Konzentrationsanderungen in beiden Elektrodenraumen fest, wenn zu Beginn in beiden Halften der Zelle gleiche Konzentrationen vorlagen. Dies ist auf die unterschiedlichen Beweglichkeiten bzw. Wanderungsgeschwindigkeiten von Anion und Ration unter Beibehaltung der Elektroneutralitat zuriickzufiihren. Die Anderung der Stoffmenge des Elektrolyten ist durch Titration best immbar. Man misst nach einer gewissen Zeit eine Abnahme des Elektrolytgehaltes, z. B. im Anodenraum, und erhalt daraus, wie in Tabelle 6.5 gezeigt, t+. Analog erhalt man t- aus der Abnahme des Elektrolytgehaltes im Kathodenraum. Dabei muss natiirlich t^ -\-t- = 1 gelten. Die Konzentrationsanderungen greifen kontinuierlich in den Raum um die Elektroden hinaus. In hinreichender Entfernung, im Mittelteil der Apparatur, ist die Konzentration unverandert. Die lonenwanderung im elektrischen Feld ist schematisch in Abbildung 6.6 dargestellt. Es sei u^ = 4ii_, so dass 4/5 des Stromes in der Elektrolytlosung durch die Kationenwanderung und 1/5 des Stromes durch die Anionenwanderung bewirkt werden. An der Kathode werden in derselben Zeit genauso viele Kationen entladen (Reduktion) wie Anionen an der Anode (Oxidation) . Eine weitere Methode zur Bestimmung von Uberfiihrungszahlen ist die Methode der „Wandernden Grenzflache". Dabei wird die Verschiebung der Phasengrenze zwischen einer gefarbten und einer ungefarbten Elektrolytlosung (z. B. KMn04 und K2SO4) unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes beobachtet. Die Versuchsanordnung ist in Abbildung 6.7 schematisch gezeigt. Zwischen zwei Elektroden befindet sich auf einer Plexiglasplatte ein Film einer verdiinnten K2S04-Losung. An der Ka-
6
224 Kathodenraum
a)
b)
c)0+ 0+ 0+ 0+ 0+
Mittelraum
e e e e e!' 0 ' ' ' e e e e ei' ' ' ' '
Elektrochemie
Anodenraum
©©©©© ©©©©© ' ' ' ' ' ©©©0 0 0 0 0 01' ' ' ' ' © ©©©©0
© 0 0 © ©i © © ^ © © ©© ©©© ©© ©©© I© © ^ 0 © ©_ ©_ © © © © © © f f i © © © © © © © © © © " ©©©Fq ©©©©o ©©©©e © ©B © ©
'0000 0000 0''' '''''
00000 0'''' ''''' '''''
''' ''' ''' '''
-O -' -O -O -O
Abbildung 6.6: Schematische Darstellung der lonenwanderung im elektrischen Feld. a) Zu Beginn der Elektrolyse. b) Wahrend der Elektrolyse werden 5 mol lonen pro Zeiteinheit entladen, d. h. 5 mol Kationen reduziert und 5 mol Anionen oxidiert. In derselben Zeit miissen aus Elektroneutralitatsgriinden 4 mol Kationen aus dem Mittelraum in den Kathodenraum und 4 mol Kationen aus dem Anodenraum in den Mittelraum wandern. Jewells 1 mol Anionen wandert in derselben Zeit vom Kathoden- in den Mittelraum und vom Mittel- in den Anodenraum. c) Als Result at dieses Vorgangs hat die Elektrolytlosung 5 mol des Elektrolyten verloren, davon 1 mol im Kathodenraum und 4 mol im Anodenraum (nach: G. Wedler, Lehrbuch der Physikalischen Chemie, VCH, Weinheim, 1987).
Grenzflache der KMn04-Losung
Film einer K2S04-Losung
Abbildung 6.7: Methode der „Wandernden Grenzflache" (Moving boundaryMethode). thode ist in der K2S04-Losung etwas KMn04 gelost. Beim Anlegen einer Spannung U wandern Permanganat-Ionen zur Anode. Die Wanderungsgeschwindigkeit V- wird bestimmt, indem die Verschiebung der Farbgrenze mit der Zeit t gemessen wird. Die lonenbeweglichkeit U- wird mit Gleichung 6.7 berechnet. Die Uberfiihrungszahl des Permanganations erhalt man iiber folgende Beziehung:
Hier ist c die molare Konzentration und K, die spezifische Leitfahigkeit der KMn04-
6.1 lonentransport in
Elektrolytlosungen
225
Tabelle 6.6: Uberfiihrungszahlen von Kationen und Anionen verschiedener Salze in 0,01 M Losung bei 298 K (nach: Landolt-Bornstein, Zahlenwerte und Funktionen, II. Band, 7. Teil, Springer Verlag, Berlin, 1960). Elektrolyt HCl LiCl NaCl KCl CaCl2 KBr KI
^+ 0,825 0,329 0,3918 0,496 0,4264 0,4841 0,4884
t0,175 0,671 0,6082 0,504 0,5736 0,5159 0,5116
Losung. Eine weitere Methode zur Bestimmung von Uberfiihrungszahlen werden wir spater kennenlernen (Kap. 6.4.4). Die Uberfiihrungszahlen hangen nur schwach von der Konzentration der Losung ab. Bei etwa c = 0,01 M ist t^ ^ f^ bzw. t- ^ t?^^ so dass mit der molaren Grenzleitfahigkeit A'^ die molaren lonengrenzleitfahigkeiten A^_^ und A^ _ berechnet werden konnen. In der Tabelle 6.6 sind einige Zahlenwerte von ^+ und t- bei 298 K aufgefiihrt. Wie die Tabelle zeigt, hangen die Uberfiihrungszahlen von der Natur des Gegenions ab. 6.1.5
Leitfahigkeit schwacher Elektrolyte
Schwache Elektrolyte sind Substanzen, die in Losung nur unvollstandig ionisiert vorliegen, wie z. B. schwache BR0NSTED-Sauren und -Basen, worunter viele organische Sauren (z. B. Essigsaure) und Basen fallen. Der Verlauf der molaren Leitfahigkeit in Abhangigkeit von der Konzentration ist fiir schwache Elektrolyte deutlich verschieden von dem starker Elektrolyte, fiir die bei hinreichend kleiner Konzentration das KOHLRAUSCHsche Quadratwurzelgesetz gilt (s. Abb. 6.2). Die Leitfahigkeit hangt von der Anzahl der lonen in der Losung ab und vom Dissoziationsgrad a der Substanz. Betrachten wir das Protolysegleichgewicht einer schwachen Saure HA der Ausgangskonzentration c: HA(aq) + H20(l) ^ H30+(aq) + A-(aq) mit CH3O+
CHA
=a'C
= (l-a)
CA-
= a '
C
'C
Damit folgt fiir die Dissoziations- oder Saurekonstante:
Ks =
CH30+ C A CHA
a'^c
(1-a)
(6.35)
226
6
Elektrochemie
Dabei wird die Konzentration des Wassers CHSO als konstant angenommen. Als Beispiel sei hier die Dissoziationskonstante der Essigsaure genannt, die bei 298 K 1, 754 • 10-^ mol L-i betragt. Die molare Leitfahigkeit eines teilweise dissoziierten Stoffes kann durch A^ = a-A'^ ausgedriickt werden. A'^ ist die hypothetische molare Leitfahigkeit bei vollstandiger Dissoziation. Bei geringen Konzentrationen kann A'^ durch die molare Grenzleitfahigkeit ersetzt werden (c ^ 0, a ^ 1) und man erhalt: « = ^
(6-36)
Umformen von Gleichung 6.35 mit Gleichung 6.36 ergibt das OSTWALDsche Verdiinnungsgesetz: Ks = ,
A'^ c /'"^ , ,
(6.37)
Linearisierung dieser Gleichung fiihrt zu:
Das OsTWALDsche Verdiinnungsgesetz beschreibt die beobachtete Konzentrationsabhangigkeit der molaren Leitfahigkeit schwacher Elektrolyte. Wegen des geringen Dissoziationsgrades spielen interionische Wechselwirkungen keine so grofie Rolle fiir ^m(c) wie fiir starke Elektrolyte. Die Auftragung von (ylm)~^ gegen A^c liefert den reziproken Wert der molaren Grenzleitfahigkeit als Ordinatenabschnitt. Damit kann dann mit Gleichung 6.36 der Dissoziationgrad a berechnet werden. Mit steigender Verdiinnung steigt A^ wegen der zunehmenden Dissoziation steil an. Beispiel: Die molare Leitfahigkeit von Essigsaure wurde bei zwei verschiedenen Konzentrationen gemessen, um hieraus den Dissoziationsgrad zu ermitteln: c = 2,0 • 10-2 mol L-i c = 1,1-10-^ mol L-i
6.2
A^ = 11,6 O-^cm^mor^ ylin = 127,7 O-^cm^mol-i
a = 0,032 a = 0,357
Thermodynamische Eigenschaften von lonen in Losung
Viele der Uberlegungen zu thermodynamischen Grofien neutraler Teilchen konnen auf Elektrolytlosungen iibertragen werden. Standard-Bildungs-GiBBS-Energien und Standard-Bildungsenthalpien werden analog zu denen der Neutralteilchen definiert, d. h., es wird die Bildung der Teilchen aus den Elementen in deren Referenzzustanden betrachtet. Wir nehmen als Beispiel: Ag(s) + i CI2 (g) "4? Ag+ (aq) + 0 1 " (aq)
(6.39)
6.2
Thermodynamische Eigenschaften von lonen in Losung XH^
= Afff;j,(Ag+(aq)) + Afff;j,(Cr (aq))
227 (6.40)
Die Standard-Bildungsenthalpien der Edukte, die als reine Elemente vorliegen, sind gleich null. Da die Herstellung einer Salzlosung neben Kationen immer auch Anionen liefert, sind die einzelnen Standard-Bildungsenthalpien der Prozesse Ag(s)
525
Ag+(aq)+e-
iCl2(g) + e -
525
Cl-(aq)
experimentell nicht zuganglich. Um das Problem zu losen, wird folgende fiir alle Temperaturen giiltige Definition getroffen: AfF^(H+(aq))=0
(6.41)
Damit konnen dann alle anderen AfH^-Werte gilt z. B. fiir die Reaktion iH2(g) + iCl2(g) ^ Ar//°
experimentell bestimmt werden. Es
H+(aq) + Cl-(aq)
=
Afff^(H+(aq)) + Af//°(Cl-(aq))
=
Afff^(Cl-(aq))
(6.42)
Hiermit kann dann auch die Standard-Bildungsenthalpie Afi!f^(Ag+(aq)) fiir die Reaktion 6.39 berechnet werden. Fiir die Standard-Bildungs-GiBBS-Energie gilt unabhangig von der Temperatur analog: AfG^(H+(aq)) = 0
(6.43)
womit die Berechnung der Standard-Bildungs-GiBBS-Energie von lonen moglich wird. Fiir Br~(aq) und Cl~(aq) werden z. B. folgende Werte gefunden: AfG^(Br~(aq)) = -104 kJ m o l - \ AfG^(Cl-(aq)) = - 1 3 1 kJ m o l ' ^ Der Unterschied dieser beiden Werte lasst sich im Wesentlichen auf eine unterschiedlich starke Solvatation zuriickfiihren, wie es im Folgenden gezeigt werden soil. Als Ansatz wahlen wir den BORNHABER-Kreisprozess, der in Tabelle 6.7 dargestellt ist. Man erhalt: AfG^(Cl-(aq)) - AfG^(Br-(aq)) = Z - Z'
(6.44)
Die beiden unbekannten Grofien Z und Z' entsprechen allgemein der SolvatationsGiBBS-Energie AgoivG^ der Anionen bzw. im Fall von Wasser als Losungsmittel der Hydratations-GiBBS-Energie AhydG^- Zur naherungsweisen Ermittlung von Z bzw. Z' berechnen wir die Arbeit, die benotigt wird, um ein hypothetisches ungeladenes Teilchen in der Losung und im Vakuum aufzuladen. Das hierbei entstehende Ion sei kugelformig mit dem Radius R und befinde sich in einem Medium mit der Dielektrizitatskonstante s. Wenn die Ladung des Ions q ist, dann gilt fiir das elektrische COULOMB-Potential ^ an der lonenoberflache: ^ = T-^
(6.45)
6
228
Elektrochemie
Tabelle 6.7: Mit Hilfe des BORN-HABER-Kreisprozesses fiir die Reaktion |H2(g) + |X2(g) A H+(aq) + X~(aq) konnen wir die Standard-Bildungs-GlBBS-Energie von Cl~(aq) und Br~(aq) berechnen. ApG^ = AfG^(X~(aq)) ergibt sich aus der Summe der aufgefiihrten Einzelschritte (Zahlenwerte nach: P. W. Atkins, Physical Chemistry, Oxford University Press, Oxford, 1994).
AG;^/ kJ mol-i Dissoziation lonisation Hydratation Dissoziation von X2 ElektronenafRnitat Hydratation
|H2(g)^H(g) H(g)^H+(g) + eH+(g) ^ H+(aq) iX2(g)^X(g) X(g)+e-^X-(g) X-(g)^X-(aq)
X=C1 +203 +1318 Y +106 -349 Z
X=Br +203 +1318 Y +82 -325 Z'
Um die Oberflache des Ions mit der Ladung ze aufzuladen, muss die folgende Arbeit verrichtet werden: ze
ze
Wei
STTSR
(6.46)
Die Dielektrizitatskonstante s kann durch die Dielektrizitatskonstante im Vakuum SQ und die stoffspezifische relative Dielektrizitatszahl s^ ausgedriickt werden: s = SrSoDie molare Solvatations-GiBBS-Energie betragt damit: AsolvG^
=
N A • (Wel,Losung " VFel,Vakuum)
^VN^_^VNA SirSoSrR SirSoR ^VNA
(6.47)
STTSOR
Das Ergebnis in Gleichung 6.47 wird als BORNsche Gleichung bezeichnet. Je kleiner und hoher geladen das Ion ist, desto negativer ist AgoivG^. Setzt man die lonenradien von Cl~ (181 pm) und von Br~ (196 pm) und £r,H20 = 78,54 in die BORNsche Gleichung ein, so erhalt man fiir die Differenz der Standard-Bildungs-GiBBS-Energien einen Wert von —29 kJ mol~^, der gut mit dem experimentell bestimmten Wert von —27 kJ mol~^ iibereinstimmt. Auch wenn man partielle molare Entropien geloster Stoffe in einer Elektrolytlosung bestimmen kann, lassen sich auch hier die Beitrage von Kation und Anion nicht separieren. Man definiert daher fiir die molare Standard-Entropie des H+-Ions in Wasser fiir alle Temperaturen: 5;j,(H+(aq))=0
(6.48)
6.3 AktivitatskoefRzienten
von Elektrolytlosungen
229
Damit konnen dann fiir einzelne lonen Entropiewerte bestimmt werden, z. B. 5^(Cl-(aq)) = +57 J K - i m o l - i , 5^(Mg2+(aq)) = -128 J K - i m o l - i . Kleine, hochgeladene lonen, wie Mg^+, bilden eine starke Solvatationshiille aus, die hoch geordnet ist. Dies hat eine starke Abnahme der Entropie zur Folge. Die Auflosung eines Salzes kann ein exothermer (z. B. NaCl) oder endothermer (z. B. LiCl) Vorgang sein. Wenn die Losungsenthalpie positiv ist, ist die Loslichkeit aufgrund starker Entropiezunahme beim Ubergang vom Festkorper in die fluide Phase oft noch gut. Durch Hydratation der lonen (Aufbau geordneter Hydrathiillen) nimmt die Entropie jedoch in gewissem Ma£e wieder ab. Besonders bei gro£eren lonen kommt es aherdings zu einer Entropiezunahme durch die Eigenstruktur-Aufbrechung des Wassers.
6.3
Aktivitatskoefflzienten von Elektrolytlosungen
Die starke elektrostatische Wechselwirkung zwischen den lonen in Losung hat zur Folge, dass bereits ab lonenkonzentrationen von etwa 10~^ mol kg~^ die Aktivitatskoefflzienten signifikant von 1 abweichen. Fiir das chemische Potential eines Elektrolyten (Komponente 2), gelost in einem Losungsmittel (z. B. H2O, Komponente 1), mit einer ideal verdiinnten Losung als Standardzustand gilt: /^2
=
(^)
=//r+RTlna2
(6.49)
Wir verwenden hier als Konzentrationsmafi die sog. Molalitat 1712 (Stoffmenge Elektrolyt pro Masse Losungsmittel). Der neue Standardzustand entspricht einer hypothetischen Losung der Molalitat m° = 1 mol kg~^, in der sich die lonen ideal verhalten (a2 -^ m2). Das heifit, die Umgebung jedes Ions ist die gleiche wie bei unendlicher Verdiinnung, und es werden nur Wechselwirkungen der Komponente 2 mit dem Losungsmittel beriicksichtigt. Wir konnen formal das chemische Potential eines starken Elektrolyten Kjy_^Ajy_ (Komponente 2) in die chemischen Potentiale der lonensorten zerlegen: //2
=
^+/^+ + i^-l-i-
=
ly^fi^ + ^ - / / ^ + ^ + R r I n ^±^^ + ^ _ R r I n ^^^^
(m°)^++^-
= ^.r+RTln|^l±^y mit:
m+ =1^^-7712
m_ = ^_ • m2
Gemafi Gleichung 6.49 folgt daraus:
(6.50)
230
6
Elektrochemie
wobei a± = f±iy±m2/m'^ die mittlere Aktivitat des Elektrolyten ist. Beispiel: LaCls
i/+ = l i/_=3 i/ = 4 4 = l i . 33 = 27 //Lacia = //g^^cia + 4 R r i n ( / ± 2 7 i / 4 m 2 / m ° )
Da wir nur ein neutrales Salz losen konnen, Losungen also immer elektrisch neutral sind, gibt es keine experimentelle Moglichkeit, Einzelionenaktivitaten bzw. chemische Potentiale der lonen getrennt zu bestimmen. Daher werden die Abweichungen vom idealen Verhalten zu gleichen Teilen beiden lonensorten zugeschrieben, und es wird ein mittlerer AktivitatskoefRzient f± definiert. Er stellt den geometrischen Mittelwert der beiden EinzelionenaktivitatskoefRzienten dar und ist in Tabellenwerken fiir das entsprechende Salz angegeben. Experimentell konnen mittlere Aktivitatskoeffizienten iiber eine Reihe von Methoden bestimmt werden: • aus den kolligativen Eigenschaften der Losung • aus EMK-Messungen (s. spater) • aus der Loslichkeit von Salzen (Ansatz: //gaiz — A^Safz) • indirekt iiber die Bestimmung des AktivitatskoefRzienten / i des Losungsmittels Wasser mit Hilfe der GiBBS-DuHEM-Beziehung (z. B. aus Dampfdruckmessungen, Ansatz: //^^Q = /^' + RTlnp/p^ = fi^l%) • aus der Liquiduskurve des Schmelzdiagramms (Ansatz: //fj^o — f^ii2o) Auf Einzelheiten wollen wir hier nicht eingehen. Das Verhalten des mittleren AktivitatskoefRzienten in Abhangigkeit der Elektrolytkonzentration in Losung ist in Abbildung 6.S dargestellt. Verdiinnte Elektrolytlosungen zeigen eine negative Abweichung von der ideal verdiinnten Losung, d. h. /-t < 1, wahrend bei hoheren Elektrolyt-Konzentrationen oftmals eine positive Abweichung, d. h. /-t > 1, auftritt. Nach dem DEBYE-HtJCKEL-Grenzgesetz (s. nachstes Kapitel) ist lnf± in stark verdiinnten Losungen proportional zu —^fm2. Qualitativ ist das folgendermafien zu verstehen: Um ein Ion aus einer verdiinnten Losung herauszuziehen, ist Arbeit aufzuwenden (/-t < 1), da das Ion durch eine entgegengesetzt geladene lonenwolke angezogen wird. Bei hohen Konzentrationen iiberwiegt die gegenseitige Bedrangnis der lonen und es besteht eine Konkurrenz um die Hydrathiille (/± > !)• Die Konzentrationsabhangigkeit von / ± starker Elektrolyte ist grundsatzlich anders als die von f^ neutraler geloster Teilchen. Fiir solche Stoffe, wie z. B. Zucker, hat dln/2/dm2 fiir m2 ^ 0 einen endlichen positiven Wert.
6.3 AktivitatskoefRzienten
von
Elektrolytlosungen
231
0,4
CaClj
/
0,2 0,0 ^-0,2
"\'*==::!----J^^L._^
"" -0,4
^/_,___KC1
-0,6 -0,8 •
0,0
1/2
1
•
1,0
0,5 /
•
1
1
1,5
i l / 2 1 -1/2
/ mol
kg
Abbildung 6.8: Konzentrationsabhangigkeit des mittleren Aktivitatskoeffizienten starker Elektrolyte in Losung. 6.3.1
DEBYE-HtrCKEL-Theorie
Fiir stark verdiinnte Elektrolytlosungen konnen wir f± naherungsweise berechnen. Die Ableitung wollen wir hier nur skizzieren: Ein Ion in Losung ist im zeit lichen Mitt el von einer entgegengesetzt geladenen lonenwolke umgeben, wobei die Losung insgesamt elektrisch neutral ist. Die potentielle Energie und damit das chemische Potential des Zentralions wird in verdiinnten Losungen durch die elektrostatische Wechselwirkung mit der lonenwolke herabgesetzt. Dieser Effekt entspricht dem Term iyRT\nf± mit /±NA = ^ ^ 4 c , o
(6.60)
J
wobei g = mLsg/l^Lsg die Dichte der Losung ist. Diesen Ausdruck kann man in die Ladungsdichte einsetzen: P, =
^^^^^i
(6.61)
Die Ladungsdichte pj ist iiber die PoiSSON-Gleichung der Elektrostatik mit dem Potential ^i verkniipft: r^ dr \
dr J
s
Setzt man das abgeschirmte COULOMB-Potential (Gl. 6.54) in den linken Teil der Gleichung ein, ergibt sich: 1 d / od^A 1 Zie , , ^ 1 rMrV^Vj=*4S^^P^-^/'-^^ = ^^^
^'-''^
Fiir den rechten Teil der PoiSSON-Gleichung gilt: e
SK^l
Damit folgt fiir die DEBYE-Lange: '•^ = V2Jmo^NAe^
(''''^
Die DEBYE-Lange ist also umso grower, desto geringer die Elektrolytkonzentration ist. Fiir z. B. einen l:l-Elektrolyten betragt die DEBYE-Lange bei einer lonenstarke von / = 10~^ und T = 298 K in wassriger Losung TD = 3 , 0 nm und bei / = 10~^ TD = 0,96 nm. Wir berechnen nun die elektrische Arbeit Web ^^^ das von der lonenwolke umgebene Zentralion am Ort r = 0 von q = 0 auf q = zie aufzuladen, wobei wir nur den auf die lonenatmosphare zuriickzufiihrenden Anteil des Potentials A^^ beriicksichtigen: A ^ = ^ges - ^lon =
TTI
Aire
exp(-r/rD) _ ]. r r
{ioM)
Fiir r ^ 0 erhalt man nach Reihenentwicklung: A^(r = 0) = - - ^ — 47r£rD
(6.67)
234
6
Elektrochemie
Wir berechnen Wei fiir ein Mol lonen:
Wei = NA I A#(r = 0)d^ = - ^ ^ 0
=
-
[ qdq 0
^
(6.68)
Der entsprechende Beitrag fiir beide lonensorten entspricht der gesuchten Stabilisierungsenergie der Zentralionen nach D E B Y E - H U C K E L : ^+Wei,+ + ^-Wei,- = uRTlnf±
(6.69)
Unter Beriicksichtigung der Elektroneutralitatsbedingung (iy^z^-\-iy-Z- = 0) kommen wir mit Gleichung 6.65 nach einigen Umformungen schliefilich zum DEBYE-HLFCKELGrenzgesetz: ln/±
=
-\z^z-\A'y^
(6.70)
A'
=
e3(2m°^NA)'/' 87r(£kBT)3/2
Das Grenzgesetz gilt nur fiir Molalitaten kleiner 0,01 mol kg~^. Fiir H2O der Dichte 0,997 g cm~^ und Sr = 78,54 bei 298 K ergibt sich fiir die Konstante A' der Wert 1,172. Somit gilt fiir verdiinnte wassrige Losungen bei 298 K mit A = A'/In 10: log/± = -\z+z-\Ay^
= -0,b09\z+z-\y^
(6.71)
Nachdem wir nun Gleichung 6.71 als Ergebnis erhalten haben, sollen die Voraussetzungen, die bei der Ableitung der DEBYE-HtJCKEL-Theorie gemacht wurden, nocheinmal zusammengefasst werden: Es werden nur COULOMB-Wechselwirkungen betrachtet, die Dielektrizitatszahl des Losungsmittels gilt auch in lonennahe, das Ion wird als punktformige, nicht polarisierbare Kugel betrachtet, die COULOMBWechselwirkungsenergie ist klein gegen keT, die Herleitung gilt nur fiir starke Elektrolyte, die Wechselwirkungen zwischen den lonen in der lonenwolke und zwischen dem zentralen Ion und dem Losungsmittel werden vernachlassigt, und die Betrachtungsweise der lonen ist rein statisch. Das Ergebnis kann also nur eine Naherungslosung sein. Tabelle 6.S zeigt experimentelle Werte fiir die mittleren AktivitatskoefRzienten zweier Elektrolyte in Abhangigkeit der Elektrolytkonzentration. Abbildung 6.10 zeigt das Ergebnis des DEBYE-HtJCKEL-Grenzgesetzes im Vergleich zu diesen experimentellen Ergebnissen. Die Ubereinstimmung zwischen Theorie und Experiment endet, abhangig vom Typ des Elektrolyten, bei 10~^ bis 10~^ mol Salz pro kg Losungsmittel. Fiir hohere Konzentrationen (0,01 mol kg~^ < m2 < 0,1 mol kg~^) lasst sich ein erweitertes DEBYE-HtJCKEL-Gesetz verwenden:
6.3 AktivitatskoefRzienten
von
Elektrolytlosungen
235
Tabelle 6.8: Mittlere AktivitatskoefRzienten f± von HCl und CaCl2 in Wasser bei 298 K (nach: P. W. Atkins, Physikalische Chemie, VCH, Weinheim 1990). m2/mol kg ^ 0,001 0,005 0,01 0,05 0,1 0,5 1,0 2,0
/±(HC1) 0,996 0,929 0,905 0,830 0,798 0,769 0,811 1,011
/±(CaCl2) 0,888 0,789 0,732 0,584 0,524 0,510 0,725 1,554
Abbildung 6.10: Test des DEBYE-HtJCKEL-Grenzgesetzes fiir verschiedene Elektrolyte K^^A^I : — experimentelle Werte, D.-H.-Grenzgesetz. Die Konstante A ist identisch mit der oben genannten. a ist der lonenradius und B = eA/2m°^NA/(ekBT). Fiir H2O ergibt sich bei 298 K fiir die Konstante B ein Wert von 5 = 3,28 • 10^ m~^. Fiir noch hohere Konzentrationen beobachtet man spezifische Abweichungen, die fiir alle lonen verschieden sind, und die z. B. durch lonLosungsmittel-Wechselwirkungen, lonenassoziation oder Komplexbildung verursacht werden. Beispiel: Die Loslichkeit von AgCl(s) bei 298 K betragt m2 = 1,274-10-^ mol k g - ^ Wie grofi ist TT
die Standard-Reaktions-GiBBS-Energie ArG^ ^^^ Reaktion AgCl(s) -^ Cl~(aq)? Die Gleichgewichtskonstante Ka lasst sich berechnen nach: Ka
=
^Ag+ • ^ c i - _ ^Ag+ • ^ c r O^AgCl
1
= a4
/~\
Ag+(aq) +
236
6
Elektrochemie
m^ Die lonenstarke der Losung ist gegeben als 2 V m°
^
' m° J
=
l f i 2 ! ^ ! ! ! i + (_i)2^:z!!!i) = !!!^ = 1,274.10-^ 2 V m° ^ ^ m'' J m'' und der mittlere AktivitatskoefRzient folgt mit der bekannten lonenstarke aus dem DEBYE-HuCKEL-Grenzgesetz: log/±
f±
=
-0,509|Z+Z_|A/7
=
-0,509|1'(-1)1^1,274-10-^
=
-1,82-10-^
=
0,996
Damit erhalt man: _ 0,996^-(1,274-10-^molkg-^)^ _ ^o ^^" (molkg-i)2 -i,bi-iU ArG°
6.4
=
-RT In Ka
=
-8,3144 J mol"^K"^ • 298 K • ln(l, 61 • 10"^^)
=
55,9kJmor^
Elektrochemische T h e r m o d y n a m i k
Wir besprechen nun die Thermodynamik elektrochemischer Reaktionen, das Zustandekommen und die Messung von Elektrodenpotentialen sowie eine Reihe verschiedener Anwendungen. Auf die Einfiihrung des sog. elektrochemischen Potentials wollen wir in diesem Einfiihrungstext verzichten. 6.4.1
Die elektromotorische Kraft
Heterogene chemische Redoxreaktion konnen in einer elektrochemischen Zelle raumlich getrennt in zwei Elektrodenraumen (Halbzellen) ablaufen. Wir nehmen als Beispiel die Reaktion Zn(s) + Cu^+(aq) ^ Zn2+(aq) + Cu(s)
6.4 Elektrochemische
Thermodynamik
237
e"
Stromfluss
Anode
0
ZnS04Losung
Kathode porose Trennwand
1
_Cu^ Cu CUSO4-
Zn2+
>
Losung
;soi
Abbildung 6.11: Darstellung der Elektrodenvorgange im DANIELL-Element als Beispiel fiir eine galvanische Zelle. Die Kurzschreibweise dieser elektrochemischen Zelle lautet (sog. DANIELL-Element, s. Abb. 6.11): Zn(s) I Zn2+(aq) | Cu2+(aq) | Cu(s) Eine Phasengrenze wird durch einen senkrechten Strich und bei Ausschaltung des direkten Kontaktes der beiden Elektrolytlosungen, z. B. durch eine Salzbriicke, durch zwei senkrechte Striche gekennzeichnet. Die Reaktion der linken Halbzelle ist als Oxidation, die der rechten als Reduktion zu formulieren. Somit steht rechts der Elektronenakzeptor und links der Elektronendonator. Die Elektrodenvorgange sind: linke Halbzelle: Zn(s) -^ Zn^+(aq) + 2e~ rechte Halbzelle: Cu^+(aq) + 2e~ -^ Cu(s)
Oxidation Reduktion
Anode Kathode
Die Elektronen fliefien durch den aufieren Stromkreis von links (negativer Pol) nach rechts (positiver Pol). Im Elektrolyten erfolgt der Stromtransport durch Wanderung positiver lonen zur rechten Elektrode (Kathode) und negativer lonen zur linken Elektrode (Anode). An der Kathode findet die Reduktion statt, an der Anode die Oxidation. Eine porose Trennwand (Glasfritte) oder eine Salzbriicke (s. Kap. 6.4.3) zwischen den beiden Halbzellen ermoglicht den lonentransport, verhindert aber die vollige Vermischung der Elektrolyte. Fiir die zwischen den beiden Halbzellen gemessene Klemmenspannung (Zellenpotential) gilt: U = A(f
= (/^rechts - blinks
(6.73)
^rechts uud (funks siud die Elektrodenpotentiale der beiden Halbzellen. Diese sind nicht einzeln bestimmbar. Wird die Klemmenspannung bei Stromlosigkeit gemessen, erhalten wir die elektromotorische Kraft (EMK) E: E = A(f{I = 0)
(6.74)
Die Bestimmung der EMK kann z. B. mit einem hochohmigen elektronischen Voltmeter oder klassisch mit Hilfe einer Kompensationsschaltung (nach POGGENDORF) erfolgen. Die Messung der Spannung erfolgt hier durch Vergleich mit einer KalibrierEMK, z. B. mit dem WESTON-Normalelement (Abb. 6.12):
6
238
Glaszelle ^
Elektrochemie
• gesattigte CdS04-Losung
CdS04- 8/3 H20(s)
I 1 i
'
1 ,
!
lijiii
Hg2S04/Hg-Paste
1
Cd-Amalgam (ges.) -
Hg(l) Platinkontakte
Abbildung 6.12: Das WESTON-Normalelement kann als Kalibrier-EMK verwendet werden.
0 ist, lauft die Zellreaktion spontan ab, d. h. Aj.G < 0. Fiir £^ < 0 ist Aj.G > 0, und die Zellreaktion kann entsprechend der formulierten Bruttoreaktionsgleichung nicht spontan ablaufen. Die anderen thermodynamischen Reaktionsgrofien ergeben sich aus der Temperatur- bzw. Druckabhangigkeit der EMK:
XH^
= ArG^ + TArSm = -\z\FlE-T(^)
I
(6.78)
Mit Hilfe von Gleichung 6.78 ist eine nicht-kalorimetrische Bestimmung von Reaktionsenthalpien moglich. Wegen Afi!f°(H+(aq)) = 0 (Gl. 6.41) lassen sich daraus dann auch Standard-Bildungsenthalpien von lonen in Losung ermitteln. Voraussetzung fiir die Anwendung der EMK-Methode zur Bestimmung thermodynamischer Reaktionsgrofien ist der Aufbau einer reversiblen elektrochemischen Zelle fiir die entsprechende Reaktion. Wenn wir die Zellreaktion allgemein schreiben als |^A|A + | ^ B | B ^ ^ C C + ^DD
ist molare Reaktions-GiBBS-Energie ArGn,
= ArG^ + R r i n n < ^ i
=
ArG^ + R T l n ^ ^ - ^
(6.80)
"A ^B
Pi ist der stochiometrische KoefRzient der Komponente i. Er ist positiv fiir Produkte und negativ fiir Edukte. Fiir ArGm = 0 wird chemisches Gleichgewicht erreicht, woraus folgt:
ArG^
= -RT\nKa
(6.82)
240
6
Elektrochemie
Die af^ sind die Aktivitaten der Reaktanden i im Gleichgewichtszustand. Mit Gleichung 6.76 folgt aus Gleichung 6.80 die NERNSTsche Gleichung: E
=
^O-^^lnHar
(6.83)
Die Bestimmung der Standard-EMK E° ist wichtig zur Bestimmung von Gleichgewichtskonstanten mit Hilfe elektrochemischer Zellen. Mit den abgeleiteten Beziehungen konnen alle thermodynamischen Gro£en aus Messungen der EMK in Abhangigkeit von p und T bestimmt werden. Eine Schwierigkeit besteht eventuell noch in der Ausschaltung eines auftretenden Diffusionspotentials (s. Kap. 6.4.3). Beispiel: Gegeben sei die folgende Reaktion mit ihrem elektrochemischen Zellaufbau: H2(g) + Hg2Cl2(s) ^ 2Hg(l) + 2HCl(aq) Pt(s) I H2(g) I HCl(aq) | Hg2Cl2(s) | Hg(l) Es fliefien 2 mol Elektronen pro molarem Formelumsatz (z = 2). Gesucht sind die Standard-Reaktions-GiBBS-Energie, -Enthalpie und -Entropie obiger Reaktion bei 298 K. Fiir E ° ( r ) werden folgende Werte experimentell bestimmt: E°(293 K) = 0,2699 V, E°(303 K) = 0,2669 V. Daraus ergibt sich: • =-3
10-*VK-
Aus der Interpolation fiir 298 K folgt £;°(298 K) = 0,2684 V. Dann gilt fiir 298 K: ArG°^
=
-\z\FE°
= - 2 - 96485 C m o r ^ • 0,2684 V
=
-51,79 kJ m o r ^
Ar5^
=
^^[-OTj
ArH^
=
ArG° + TAr5° = - 6 9 kJ mol"^
= - 5 S J K-^mol-i
Im Folgenden werden Halbzellenpotentiale (Elektrodenpotentiale) verschiedener Halbzellen (Elektroden) vorgestellt. Die EMK reversibler Zellen ergibt sich aus der Differenz der Elektrodenpotentiale der beiden Halbzellen. 1. Metallelektroden (Elektroden 1. Art): Halbzelle: Me(s) I Me''+(aq,aMe-+)
6.4 Elektrochemische Thermodynamik
241
Halbzellenreakt ion: Me'^+(aq) + ze~ -^ Me(s) Elektrodenreaktionen werden allgemein als Reduktionsreaktionen geschrieben (Ox + ze" -^ Red). Fiir das reine Metall gilt: Fiir die Elektrolytlosung gilt:
fiue = /^Me /^Me^+ = /^Me^+ "^ ^T In ayiQZ+
Es ist zu beachten, dass der Standardzustand fiir die Metallionen in der Elektrolytlosung der ideal verdiinnte Zustand ist. Die Aktivitaten der reinen Metalle sind gleich eins. Die molare Reaktions-GiBBS-Energie fiir die Elektrodenreaktion ergibt sich damit zu:
=
l^lie-l-^Me^^-^T
In aue^^
(6.85)
Gemafi den Gleichungen 6.80 und 6.83 ergibt sich fiir das Potential einer Me | Me^+-Halbzelle: TiT ^Me|Me-+ = ^Me|Me-+ + O p ^^^Me-+
(6.86)
^Me|Me-+ "
i^'^^)
wobei: |3p
^Me|Me^+ ^^^ ^^^ Standard-Elektrodenpotential der Halbzelle bei p und T und ^Me^+ — 1-
2. Amalgam-Elektroden (enthalten die elektrochemisch aktiven Metalle in Quecksilber gelost) Halbzelle: Me(Hg,aMe) | Me'^+(aq,aMe-+) Halbzellenreakt ion: Me''+(aq) + ze~ -^ Me(Hg) Halbzellenpotential: ^ = V'Me|Me^. + ^ l n ^
(6-88)
6
242
Elektrochemie
Zur 2. Halbzelle H2 (p = 1 bar)
Salzbriicke zur 2. Halbzelle Fritte Pt-Blech
L^^
^ H+raa^
I
(platiniert) Abbildung 6.14: Schematische Darstellung der Wasserstoff-Elektrode. Man sieht, dass die oxidierte Form im Zahler und die reduzierte Form im Nenner des Bruchs erscheint. Beispiele sind die Cd-Amalgam-Elektrode im W E S T O N Normalelement, die Na-Amalgam-Elektrode in der technischen NaCl-Elektrolyse und die Hg-Tropfelektrode in der Polarographie (s. Kap. 6.6). 3. Gaselektroden: Ein wichtiges Beispiel ist die Wasserstoff-Elektrode (Abb. 6.14). Halbzelle: Pt(s)|H2(g,p)|H+(aq,OH+) Halbzellenreakt ion: H+(aq)+e-^iH2(g) Halbzellenpotential: RT
aH+
F
(6.89)
y/mjp^
Per Konvention wird das Standard-Potential der Normal-Wasserstoff-Elektrode {PB.2 = 1 bar und a^+ = 1) fiir jede Temperatur gleich null gesetzt: ^H2|H+
=0
Ein weiteres Beispiel ist die Chlor-Elektrode. Halbzelle: Pt(s)|Cl2(g,p)|Cl-(aq,oc,-) Halbzellenreakt ion: ^Cl2(g)+e-^Cl-(aq)
(6.90)
6.4 Elektrochemische Thermodynamik
243
Halbzellenpotential: ^ = ^ c i - |ci2 + -FT In ^ ^ -
(6.91)
Das Elektrodenpotential (p und das Standard-Elektrodenpotential (/?° beziehen sich auch hier auf die Reduktionsreaktion. 4. Redoxelektroden: Ein in der Losung vorliegendes Redoxgleichgewicht bestimmt hier das Elektrodenpotential, z. B.: Halbzelle: Pt(s) I Fe^+(aq,aFe2+),Fe^+(aq,aFe3+) Halbzellenreakt ion: Fe^+(aq) + e~ ^ Fe^+(aq) Halbzellenpotential: (f = ^Fe2+|Fe3+ + - 5 ^ 1 ^ ' t aFe2+
(6.92)
Fiir geringe Konzentrationen kann die Aktivitat durch die Konzentration (Molalitat) angenahert werden. 5. Elektroden zweiter Art (Metall und schwerlosliches Metallsalz): Ein wichtiges Beispiel ist die Ag-AgCl-Elektrode, ein mit festem AgCl iiberzogener Ag-Draht in einer Chlorid-Ionen-haltigen Losung, z. B. KCl-Losung. Halbzelle: Ag(s)|AgCl(s)|Cl-(aq,aci-) Halbzellenreakt ion: AgCl(s) + e - ^ Ag(s) + Cl-(aq) Mit der Definition des LosHchkeitsproduktes i^L = ctAg+ * ^ci- erhalt man fiir das Elektrodenpotential ^
=
^Ag|Ag+ +
^lnaAg+
=
^Ag|Ag+ + "FT In i^L — ^ In aci^Ag|AgCl|Cl-
(6.93)
6
244
Elektrochemie
Glasrohr Glaszelle KCl-Losung Platinkontakt Hg^Cl^Cs) Hg(l)Abbildung 6.15: Schematische Darstellung der Kalomel-Elelektrode. ^Ag|AgCi|ci- n ™ ^ ^ mi^ ^Ag|Ag+ = O'^'^ge V und i^L = 1,76 • IQ-^^ bei 298 K den Wert +0,2228 V an. Das Gleichgewichtspotential einer Elektrode zweiter Art hangt nach Gleichung 6.93 nur noch von der Losungsaktivitat des Anions des schwerloslichen Salzes ab, die durch Zugabe eines leichtloslichen Salzes mit gleichem Anion (z. B. KCl) gesteuert werden kann. Fiir eine 1 M KCl-Losung erhalt man fiir die Ag|AgCl|Cl~-Elektrode ein Potential von +0,2368 V (bezogen auf die NormalWasserstoff-Elektrode). Ein anderes Beispiel fiir eine Elektrode zweiter Art ist die Kalomelelektrode (s. Abb. 6.15): Halbzelle: Hg(l)|Hg2Cl2(s)|Cl-(aq,aci-) Halbzellenreakt ion: -Hg2Cl2(s) + e - ^ Hg(l) + C r (aq) Halbzellenpotential: RT ^ -
^Hg|Hg2Cl2|Cl-
In aci-
(6.94)
Die Kalomelelektrode wird oft als Referenz-Halbzelle (z. B. mit 1 M oder gesattigter KCl-Losung) verwendet. 6.4.2
Bestimmung von Standard-Potentialen, AktivitatskoefRzienten und pH-Werten
Da es nicht moglich ist, das Potential einer Halbzelle einzeln zu bestimmen, werden alle Halbzellenpotentiale gegen eine Bezugselektrode gemessen, deren Potential bekannt ist. Diese Bezugselektrode ist i. d. R. die Normal-Wasserstoff-Elektrode (NWE;
6.4 Elektrochemische
Thermodynamik
245
H2 (p = 1 bar)
Pt-Blech (platiniert) Bezugselektrode Messelektrode Abbildung 6.16: Die Bestimmung der Halbzellenpotentiale (rechte Halbzelle) erfolgt durch Messung gegen die Normal-Wasserstoff-Elektrode als Bezugselektrode (linke Halbzelle). engl. standard hydrogen electrode, SHE, s. Abb. 6.14): Ein platiniertes Pt-Blech in saurer wassriger Losung der Protonenaktivitat eins wird mit H2 unter einem Druck von 1 bar umspiilt. Das Standard-Elektrodenpotential dieser Normal-WasserstoffElektrode ist definitionsgemafi ^H2|H+ ~ ^ (^^* 6.90). Der Zellaufbau zur Ermittlung eines Standard-Potentials ist schematisch in Abbildung 6.16 fiir ^cu|Cu2+ dargestellt.
Beispiel: Bestimmung von (f° der Ag|AgCl|Cl~-Elektrode mit der Messzelle Pt(s) I H2(g,p = pn I HCl(aq) | AgCl(s) | Ag(s)
^
=
^Ag|AgCi|ci- - ^ I n a c i - - I ^H2|H+ + ^ l n a H + I
-
^Ag|AgCl|Cl-
2RT
lna±, HCl
Hier haben wir a ± 3 c i = y^aH+ * cic\- benutzt (Gl. 6.51). Setzt man a±3ci = ^HCi/^°5 ergibt sich: ^ + - ^
1^ ^ ; ; ^ = ^Ag|AgCi|ci- - - ^
In /±,Hci
/±,HCI
(6.95)
Nach dem DEBYE-HtJCKEL-Grenzgesetz ist In /±,HCI proportional zu \/7 und damit zu V^HCi • Die Messung von E bei verschiedenen, nicht zu grofien HCl-Konzentrationen erlaubt somit die Bestimmung von ^AglAgCilci- ^^^ Ordinatenabschnitt der Auftragung der linken Seite von Gleichung 6.95 gegen y^rnuci (s. Abb. 6.17). Man erhalt hier einen Wert von 0,2223 V. Umgekehrt kann bei Kenntnis des Standard-Potentials
*
6
246 >
0,26
Elektrochemie
•
0,25 : 1 0,24
^ ^ Extrapolations^^ gerade
0,23 0,22 0,21
+
0,20 0,19
_j
0,0
1 1 1
1 1 1 1
0,5
1 1 1 1 1 1
1,0
1 1 1 1
1,5
1
i_
2,0
Abbildung 6.17: Mit Hilfe einer linearen Auftragung nach Gleichung 6.95 wird das Standard-Elektrodenpotential der Ag|AgCl|Cl~-Elektrode aus dem Achsenabschnitt bestimmt. ^AfflAffCilci- ^^^ mittlere AktivitatskoefRzient /±,HCI der Losung bestimmt werden.
Das oben beschriebene Verfahren kann zur Bestimmung der StandardElektrodenpotentiale einer grofien Zahl von Elektroden angewendet werden. Mit den Standard-Potentialen zweier Elektroden einer galvanischen Zelle lasst sich dann die Standard-EMK E° = ^rechts " ^Unks bestimmen. Spannungsreihe der Standard-Elektrodenpotentiale Wie oben erlautert, werden Standard-Elektrodenpotentiale von Halbzellen bestimmt, indem sie gegen die Normal-Wasserstoff-Elektrode Pt(s)|H2(g,PH2 — 1 bar)|H+(aq, aH+ = 1) gemessen werden. Die Standard-Elektrodenpotentiale ^Haibzeiie werden nach steigenden Werten geordnet, wobei die Werte nach der lUPAC-Definition als Reduktionspotentiale definiert sind. Aus dieser elektrochemischen Spannungsreihe lasst sich ableiten, dass die Halbzelle mit grofierem StandardElektrodenpotential („edle" Metalle) bei gleicher lonenaktivitat auf Kosten der Elektrode mit dem geringeren Standard-Elektrodenpotential („unedle" Metalle) spontan reduziert wird. Bei komplizierteren Redox-Elektroden ist das StandardElektrodenpotential auf die Aktivitat eins aller beteiligten lonen bezogen. Fiir biologische Systeme werden Standard-Elektrodenpotentiale bei pH = 7 definiert. In der Tabelle 6.9 sind Standard-Elektrodenpotentiale verschiedener Halbzellen aufgelistet. Beispiel: Bestimme fiir die Zelle Ag(s) | AgCl(s) | HCl(aq) | AgNOslaq) | Ag+(aq) | Ag(s) die Standard-EMK. Wie grofi ist die Anderung der Standard-GiBBS-Energie und die Gleichgewichtskonstante der Zellreaktion Ag+(aq) -h Cl~(aq) ^ AgCl(s)? E°
=
^Ag|Ag+ - ^Ag|AgCl|Cl-
6.4 Elektrochemische
Thermodynamik
247
Tabelle 6.9: Die Spannungsreihe der Standard-Elektrodenpotentiale bei T = 298,15 K und 101,325 kPa (nach: R. C. Weast, M. J. Astle, W. H. Beyer (Hrsg.), CRC Handbook of Chemistry and Physics^ 65. Aufl., CRC Press, Boca Raton, Florida, 1984). Halbzelle Li|Li+ Ba|Ba2+ Na|Na+ A1|A13+ Mn|Mn2+ Zn|Zn2+ Fe|Fe2+ Cd|Cd2+ Sn|Sn2+ Pb|Pb2+ Fe|Fe3+ Pt|H2 |H+ Cu+ |Cu2+
Elektrodenreaktion Li+ + e~ ^ Li Ba2+ + 2e- ^ Ba Na+ + e" ^ Na A13+ + 3e- ^ Al Mn2+ + 2e- ^ Mn Zn2+ + 2e- ^ Zn Fe2+ + 2e- ^ Fe Cd2+ + 2e- ^ Cd Sn2+ + 2e- ^ Sn Pb2+ + 2e- ^ Pb Fe^+ + 3e- ^ Fe 2H+ + 2e- ^ H2 Cu2+ + e - ^ Cu+
Ag|AgCl|Cl-
AgCl + e- ^ Ag + C r
Hg|Hg2Cl2 |C1Cu|Cu2+ Ag|Ag+ F - |F2 |Pt
Hg2Cl2 + 2 e - ^ 2 Hg + 2 ClCu2+ + 2e- ^ Cu Ag+ + e - ^ Ag F2 + 2e- ^ 2 F -
= ArG^
=
v°/v -3,0401 -2,912 -2,71 -1,662 -1,185 -0,7618 -0,447 -0,4030 -0,1375 -0,1262 -0,037 0 +0,153 +0,22233 +0,26808 +0,3419 +0,7996 +2,866
0,7996 V - 0,2223 V = 0,5773 V |z|FE° = - 5 5 , 7 k J m o r ^
Mit Ka = e x p ( - A r G ^ / R r ) = exp^zlFE"/RT) ergibt sich fiir die Gleichgewichtskonstante der Zellreaktion bei 298 K ein Wert von 5,8 • 10^. Die Reaktion lauft also spontan ab und das Gleichgewicht liegt weit auf der Seite der Produkte. pH-Wert-Messung Der pH-Wert einer wassrigen Losung kann auf verschiedene Art und Weise bestimmt werden: 1. Die Wasserstoffelektrode Pt(s) | H2(g,p) | H+(aq,aH+) mit der Halbzellenreaktion H+(aq) + e~ ^ ^H2(g) hat fiir pn^ = p° das Elektrodenpotential ^H.|H+
=
^H.|H++-Erln
248
6 =
Elektrochemie
— lnaH+
=
RTlnlO , , F^P^
=
-0,05913 V p H
(6.96)
mit pH = — logaH+ und T = 298 K. Das Elektrodenpotential der WasserstoffElektrode sinkt um 59 mV, wenn der pH-Wert um 1 steigt. Die Messung erfolgt z. B. mit der Normal-Kalomel-Elektrode als Bezugselektrode: Pt(s) I H2(g,p)| H+(aq) || C l - ( a q , a = 1) | Hg2Cl2(s) | Hg(l) |Hg2Cl2(s) + |H2(g) ^ Hg(l) + H+(aq) + Cl-(aq) ^ = V'H,|Hs.c,,c.--irln^^==
(6.97)
Mit aci- = 1 und pn^ = p° folgt fiir die EMK der Zelle: ^
=
^Hg|Hg2Ci2|ci- -
=
0,26808
^ l n a H +
V + ^ ^ . p H F
2. Chinhydron-Elektrode 0 = < ^ = 0 + 2 H3O+ + 2 e" ^ ^ ^ ^ H O - ^ ^ y OH + 2 H2O
Pt(s) I H2(g,i>) I HCl(aq),C6H402,C6H4(OH)2 | Pt(s)
^Hydrochinon|Chinon
_ —
w
o ^ ^ ] ^ H y d r o c h i n o n l C h i n o n """ 017 ' ^^
RT 0,699V + -—lnaH+
^
^C6H402^H + ^ G^C6H4(OH)2
(6.99)
r
Die Chinhydronelektrode ist vorwiegend in sauren und neutralen Losungen einsetzbar. Im taglichen Gebrauch in Forschung und Technik wird sie, wie auch die Wasserstoffelektrode, durch die einfacher anzuwendende Glaselektrode ersetzt. 3. Glaselektrode Glas ist eine erstarrte Si02-CaO-Na20-Schmelze. Wird die Oberflache in Kontakt
6.4 Elektrochemische
Thermodynamik
249
Q 0
Ag|AgCl|Cr Glasmembran Pufferlosung mit definiertem pH
Abbildung 6.18: Schematischer Aufbau einer Glaselektrode zur pH-Wert-Messung.
mit Wasser gebracht, werden innerhalb einer diinnen Oberflachenschicht die im Si02Netzwerk gebundenen Kationen gegen HsO^-Ionen ausgetauscht. 1st dieser Quellvorgang abgeschlossen (ca. 24 h) und wird das Glas dann in eine protonenhaltige Losung gebracht, so haben die Protonen im Glas eine andere Aktivitat als die in der Losung. Der Effekt kann zur Bestimmung eines unbekannten pH-Wertes herangezogen werden: Eine diinne Glasmembran, die auf beiden Seiten dem beschriebenen Quellvorgang unterworfen wurde, wird als Trennwand zwischen einer Losung mit bekanntem pH-Wert (z. B. Phosphatpuffer) und der Losung mit unbekanntem pH-Wert (pH^;) angeordnet (Abb. 6.18). Aufgrund der Aktivitatsdifferenz der Protonen stellt sich eine Potentialdifferenz A(f = (fs^uQen — ^innen ^iu. Sie wird mit zwei gleichen Ableitungs-Elektroden gemessen (z. B. Ag|AgCl|Cl~-Elektroden): Ag(s)|AgCl(s)|l M o r |pHpuffer|Glasmembran|pH^|l M CI"|AgCl(s)|Ag(s) Die gemessene EMK ist dem pHa^-Wert proportional: E
=
RTlnlO
^
log
aH+,au6en G^H+,i]
RTlnlO {P^x
PH^,
=
pHpuffer
-
RTlnlO
PHpuffer)
E
(6.100)
Eine genauere Betrachtung erfordert noch die Beriicksichtigung des Diffusions- und eines Asymmetriepotentials, welches durch die unterschiedlichen Aktivitaten in den beiden Quellschichten der Elektrode hervorgerufen wird. Die Glaselektrode wird daher mit bekannten pH-Werten kalibriert, z. B. KH2P04/Na2HP04 in 0,1 M NaCl-Losung (pH = 6,865 bei T = 298 K). In der Elektrochemie werden eine Vielzahl solcher ionenselektiven Elektroden zur spezifischen Detektion von lonen in Losung eingesetzt.
250 6.4.3
6
Elektrochemie
DifFusionspotentiale
Durch den direkten Kontakt zweier unterschiedlicher Elektrolyte (iiber eine porose Trennwand) entsteht neben der Phasengrenze Elektrode|Elektrolyt eine weitere Phasengrenze. Dies fiihrt zur Ausbildung eines so genannten Diffusions- oder Fliissigkeitspotentials A(/?Diff- Qualitativ kann dieser Effekt folgenderma£en verstanden werden: Betrachten wir zwei direkt aneinander grenzende, unterschiedlich konzentrierte HClLosungen (mit den Molalitaten m i , 7712). Die Cl~- und H+-Ionen diffundieren aufgrund des Konzentrationsgradienten in den Raum geringerer Konzentration. Da die Protonen schneller diffundieren, entsteht in Diffusionsrichtung vor der Phasengrenze ein Uberschuss negativer, hinter der Phasengrenze ein Uberschuss positiver Ladung und damit insgesamt eine Potentialdifferenz. Das entstehende elektrische Feld wirkt beschleunigend auf die zuriickgebhebenen Cl~- und bremsend auf die H+-Ionen. Im stationaren Zustand ist das Diffusionspotential gerade so grofi, dass beide lonensorten gleich schnell wandern. Elektrochemische Zellen mit Diffusionspotential werden auch als Zellen mit Uberfiihrung bezeichnet. Fiir z. B. gleiche Elektrolyte mit unterschiedlichen molalen Konzentrationen mi bzw. m2 erhalt man als quantitatives Ergebnis: A + - A _ RT ^ mi A(^Diff « - , ^ , • ^=^ In ^ A+-hA_ \z\F m2
/^.^.x 6.101
Das Diffusionspotential verschwindet, wenn fiir die molaren lonenleitfahigkeiten A+ = A_ gilt. Wenn wir uns daran erinnern, dass die Uberfiihrungszahl des K+ ungefahr gleich der des Cl~ ist, wird ersichtlich, weshalb sich eine KCl-Salzbriicke zur Unterdriickung des Diffusionspotentials anbietet. Fiir eine Salzbriicke fiihrt man das Symbol II ein. In Abbildung 6.19 ist eine Zelle mit Salzbriicke schematisch dargestellt. Neben KCl wird auch NH4NO3 verwendet, wenn keine Cl~-Ionen im System vorliegen diirfen. Bisweilen ist es auch moglich, das Diffusionspotential zu verringern, indem beiden angrenzenden Losungen ein indifferenter Elektrolyt, dessen Anionen und Kationen gleiche Beweglichkeiten haben, im Uberschuss zugesetzt wird. Im Wesentlichen wird der Strom dann von diesen lonen transportiert. 6.4.4
Konzentrationsketten
Die Triebkraft fiir die Funktion einer elektrochemischen Zelle kann zum einen eine chemische Reaktion sein, wobei A^G < 0 ist, und zum anderen ein Konzentrationsunterschied in den Halbzellen. Hierbei ist die Zellreaktion der Konzentrationsausgleich zwischen den beiden Halbzellen, das Uberfiihren von lonen der Aktivitat ai in lonen der Aktivitat a2. Wir betrachten einige Beispiele: Elektroden-Konzentrationsketten 1. Zwei Amalgamelektroden mit unterschiedlicher Me-Konzentration: Cd(Hg,ai) I Cd2+(aq) | Cd(Hg,a2) Nach Gleichung 6.SS hat die Halbzelle mit der grofieren Aktivitat der Metallionen bzw. der geringeren Aktivitat des im Hg gelosten Metalls das grofiere Halbzellenpotential.
6.4 Elektrochemische
Thermodynamik
251
®H^Cg)
N
/^
J-
H,(g)
V
konz. KCl(aq) Salzbriicke / A
m HCl (aq, m2i
HCl (aq, m^)\
Glasfritte A b b i l d u n g 6.19: Aufbau einer elektrochemischen Zelle (Konzentrationszelle) unter Verwendung einer Salzbriicke. Fiir a\ > a2 werden in der rechten Halbzelle Cd-Ionen unter Aufnahme von zwei Elektronen zu Cd reduziert, wahrend in der linken Halbzelle Cd zu Cd^+ oxidiert wird. Die Zellenreaktion lautet Cd(Hg,ai)^Cd(Hg,a2) E
=
^rechts " ^lii iks
=
^ e c h t s ; b l i n k s + ^ ^^ ^
T
" ^
^^
^
T
= 0 RT
oi
(6.102)
2. Zwei Gaselektroden mit unterschiedlichem Gasdruck: Pt(s) I H2(g,i>i) I HCl(aq) | H2(g,i>2) | Pt(s) Elektrodenreaktion links: ^H2(g,pi) -^ H+(aq) + e~ Elektrodenreaktion rechts: H+(aq) + e~ ^ |H2(g,P2) Zellenreaktion: ^H2(g,pi) -^ |H2(g,P2)
^ = ^rechts " blinks = TTF ^^ — Zt P2
Die EMK der Zelle ist positiv, wenn p2 < Pi. Elektrolyt-Konzentrationsketten Beispiel: Cu(s) I CuCl2(aq, ai) \\ CuCl2(aq, a2) \ Cu(s)
(6.103)
252
6
Elektrochemie
Elektrodenreaktion links: Cu(s) -^ Cu^+(ai) + 2e~ Elektrodenreaktion rechts: Cu^+(a2) + 2e~ -^ Cu(s) Zellenreaktion: Cu^+(a2) -^ Cu^+(ai) R7^ n E = (/^rechts - blinks = TTF^ 1^ — Zr 0,1
(6.104)
Reizleitung in Nervenzellen Biologische Membranen sind als Barriere zwischen intra- und extrazellularem Raum nur fiir bestimmte lonen und Molekiile durchlassig. Nervenzellenmembranen besitzen eine hohere Durchlassigkeit fiir K+- als fiir Na+- und Cl~-lonen. Die bestehende Potentialdifferenz zwischen den beiden Membranseiten hangt daher hauptsachlich von der Konzentration der K+-lonen innerhalb bzw. aufierhalb der Zelle ab. In der Nervenzelle ist die Konzentration der K+-Ionen etwa um den Faktor 20 grower als aufierhalb der Zelle. Dieser Konzentrationsunterschied wird durch lonenpumpen (Kanalproteine) aufrechterhalten. Fiir die Potentialdifferenz ergibt sich bei 37 °C: A(^ = - ^ In ^JSii£I^ = - 2 6 , 7 mV • In ^ = - 8 0 mV
(6.105)
Im Ruhezustand (Nerv inaktiv) ist die K+-Konzentration in der Zelle hoch und die Potentialdifferenz an der Zellwand betragt etwa —60 mV, die damit nahe der K+Gleichgewichtspotentialdifferenz liegt. Wird die Nervenzelle gereizt, entspricht dies einem elektrischen Impuls, durch den die Membran eine Strukturanderung erfahrt, so dass Na+-lonen nun verstarkt ins Zellinnere gelangen konnen. Die Potentialdifferenz andert sich dadurch von —60 auf -h30 mV. Somit steigt das Membranpotential und die Reizung wird in Form eines Potentialabfalls an die angrenzende Nervenzelle und den Nerv entlang weitergeleitet. Nach der Reizung der Zelle wird der Ruhezustand wieder durch lonenpumpen hergestellt. Beispiele: Als Anwendungsbeispiele von Konzentrationsketten wollen wir die Bestimmung des lonenprodukts von H2O und AgCl behandeln. 1. Fiir die Bestimmung des lonenprodukts des Wassers K^^ = a^+ • O^OH- verwenden wir folgende elektrochemische Zelle: Pt(s)|H2(g,i?°)|0,01 M NaOH||KCl(ges.)||0,01 M HCl|H2(g,i?°)|Pt(s) E
=
^H2|H+(HC1) - ^H2|H+(NaOH)
_
RT
C^H+(HC1)
F
0^H+(NaOH)
_
^
RT
C^H+(HC1) ^OH-(NaOH)
F
Kw
RT
C H + ( H C 1 ) -Mn^+). Zusatzhch laufen noch irreversible Folgereaktionen ab: 2MnOOH(s) ^ Mn203(s) + H20(l) OH-(aq) + NH+(aq) ^ H20(l) + NHslg) Zn2+(aq) + 2NH3(g) + 201"(aq) ^ Zn(NH3)2Cl2(s) Die kathodische Reduktion der Protonen zu Wasserstoff findet wegen der hohen Uberspannung des H2 am Kohlenstoff nicht statt. Nickel-Cadmium-Zelle Die Nickel-Cadmium-Zelle liefert konstante Strome. Eine der Elektroden ist mit Cd(0H)2, die andere mit Ni(0H)2 beschichtet. Als Elektrolyt wird KOH-Losung verwendet. Die Potentialdifferenz betragt ca. 1,3 V. Zelle: Stahl | Ni(0H)2(s) | K0H(aq,21%) | Cd(0H)2(s) | Stahl Anode: Kathode:
2Ni(OH)2(s) -h 20H-(aq) ^ 2NiOOH(s) -h 2H20(1) -h 2eCd(0H)2(s) -h 2e- ^ Cd(s) -h 20H-(aq) Entladen
Summe: Cd(0H)2(s) + 2Ni(OH)2(s) ^
Cd(s) + 2NiOOH(s) + 2H20(1)
Laden
Lithium-Zelle Lithium-Batterien haben eine Zellspannung von etwa 3 V und eine relativ lange Lebensdauer. Ihr liegen z. B. folgende Elektrodenprozesse zugrunde: Anode: Kathode:
Li -^ Li+ -h e~ Mn02 + e" ^ [Mn02]~
Als Elektrolyt wird LiBr oder LiAlCl4 in eine Mischung von Polypropylencarbonat und Dimethoxyethan gegeben. Statt Mn02 konnen auch andere Kathodenmaterialien eingesetzt werden. BrennstofFzellen Als Beispiel betrachten wir die Knallgas-Zelle (BACON-Zelle, Abb. 6.20): Zelle: Anode: Kathode: Summe:
C | H2(g) | KOH(aq) | 02(g) | C H2(g) + 20H-(aq) ^ 2H20(1) -h 2e^ 02(g) + H2 0(l) -h 2e- ^ 20H-(aq) H2(g) + ^02(g) ^ H20(l)
6
256
Elektrochemie
KOH Zellgehause H2
Elektrolytraum
Gasraum porose Elektroden
Abbildung 6.20: Schematische Darstellung einer Knallgas-Zelle (BACON-Zelle). Im Gegensatz zu den herkommlichen Akkumulatoren werden die Reaktanden in Brennstoffzellen kontinuierlich von aufien zugefiihrt. Als Elektrolyt wird hier konzentrierte wassrige KOH bei 200 °C und 20 — 40 bar verwendet. Die Potentialdifferenz betragt etwa 1,2 V und der Wirkungsgrad ist mit 60 — 70% besser als der von Warmekraftmaschinen. Technisch bestehen die Schwierigkeiten eines hohen Innenwiderstandes und der „Vergiftung" des verwendeten Katalysators. Neben H2 konnen auch Kohlenwasserstoffe (z. B. CH4), neben O2 auch Luft und anstelle von KOH auch geschmolzene Salze oder feste Elektrolyte eingesetzt werden.
6.6
Elektrolyse und Potentiale von Zellen unter Belastung
Bisher haben wir im Wesentlichen elektrochemische Gleichgewichte betrachtet, d. h. reversible Prozesse, fiir die E = A(^rev gilt. Wir wollen uns nun noch mit Vorgangen in einer elektrochemischen Zelle bei Stromfluss (gestortem Gleichgewicht) befassen, wobei die Elektrodenreaktionen oftmals nicht mehr reversibel sind. Der Durchgang der Ladungstrager an einer Elektrode fiihrt im Gleichgewicht zu einer Gleichheit von anodischer und kathodischer Stromdichte {j = I/A^ A ist die Oberflache der Elektrode) fiir die an der Elektrode ablaufenden Teilreaktionen (anodische Oxidation, kathodische Reduktion): JAnode = JKathode = jo- jo wird als Austauschstromdichte bezeichnet (z. B. ist jo = 7,9 • 10~^ A cm~^ fiir die Reaktion 2H+(aq) + 2e~ :F^ H2(g) an der Pt-Elektrode). Befindet sich die Reaktion nicht im Gleichgewicht, fliefit ein Nettostrom durch die Elektrode. Dies ist der Fall, wenn man eine der EMK entgegengerichtete Spannung an die Elektroden anlegt (Elektrolyse) oder die EMK der galvanischen Zelle zum Betrieb eines elektrischen Verbrauchers nutzt. Dabei beobachtet man, dass sich das Potential einer Elektrode andert. Die Abweichung vom Gleichgewichtselektrodenpotential (foi wird als Uberspannung 7] bezeichnet: 7]{I) = (f{I) - (fG\
(6.110)
Die Uberspannung ist eine Funktion des Stromes / . Abbildung 6.21 gibt ein Beispiel fiir die Strom-Potential-Charakteristik einer Elektrode. Um die moglichen Ursachen
6.6 Elektrolyse und Potentiale von Zellen unter Belastung
257
j I mA-cm"^ 40.
'2 Cr (aq) -^ Cl2(g) + 2 6" -100 Cl2(g) + 2 e - ^ 2 C r ( a q )
-50 ^/.20.
Abbildung 6.21: Stromdichte-Uberspannungskurve einer chlorumspiilten Elektrode Cl~(aq) | Cl2(g) | Pt(s). Das Gleichgewichtspotential betragt 1,36 V.
Pt-
zu verstehen, betrachten wir den Ablauf einer elektrochemischen Reaktion. Sie kann als Folge von Einzelschritten aufgefasst werden: 1. Diffusion zur Elektrode 2. Reaktion an der Elektrodenoberflache (z. B. Desolvatation) 3. Adsorption an der Elektrodenoberflache 4. Ubergang von Elektronen oder Me^+-Ionen zwischen Adsorbat und Elektrode 5. Desorption von der Elektrodenoberflache 6. Reaktion des desorbierten Stoffes an der Elektrodenoberflache (z. B. Solvatation) 7. Diffusion von der Elektrode in den Elektrolyten Grundsatzlich kann jeder dieser Vorgange gehemmt sein, wobei der langsamste Prozess die Geschwindigkeit der Gesamtreaktion bestimmt. Die Uberspannung r] wird daher als Summe verschiedener Uberspannungsanteile geschrieben:
r]{I) = Y.'^i + IR
(6.111)
Darin ist / R der ohmsche Spannungsabfall im Elektrolyten. Betrachten wir nun die verschiedenen Anteile der Uberspannung: 1. Durchtrittsiiberspannung r/D Die Durchtrittsreaktion Me^+(aq) + ze~ :F^ Me(s) ist hier gehemmt. Das Elektrodengleichgewicht entspricht den gleich schnellen, einander entgegengesetzt gerichteten Ablaufen von kathodischer (Me^+(aq) + ze~ ^ Me(s)) und anodischer (Me(s) :F^ Me^~^(aq) -\- ze~) Teilreaktion (dynamisches Gleichgewicht). Die Aktivierungsenergie fiir die Vorgange kann jedoch grofi sein, da z. B. der Austritt aus dem Metallgitter oder das Ablegen der Solvathiille Energie erfordert. Ein Beispiel ist die Reduktion von H+ zu |H2 (2H+(aq) + 2e~ -^ H2(g)) an Hg. Es handelt sich hierbei um eine so genannte unpolarisierbare Elektrode, da sich das Potential nur wenig mit
6
258
Elektrochemie
0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 0,12 0,14 J / A cm"^ Abbildung 6.22: Uberspannung der H2-Abscheidung an verschiedenen MetallElektroden in Abhangigkeit der Stromdichte j (nach: Landolt-Bornstein, Zahlenwerte und Funktionen^ 11. Band, 7. Teil, Springer Verlag, Berlin, 1960). der Stromstarke andert. Elektroden mit stark stromabhangigen Potentialen werden dagegen leicht polarisierbar genannt. In Abbildung 6.22 ist die Uberspannung fiir die Abscheidung von H2 an einigen Metallelektroden in Abhangigkeit der Stromdichte aufgetragen. rj kann an verschiedenen Met alien sehr negativ sein. Somit ist es moglich, auch unedle Metalle aus einer wassrigen Losung abzuscheiden, deren StandardPotential normalerweise negativer ist als das von H2. Bei der Elektrolyse einer Losung, die verschiedene lonensorten enthalt, scheiden sich mit wachsender Spannung die einzelnen lonensorten nacheinander ab. An der Anode setzt die Oxidation der lonen ein, die am leichtesten oxidiert werden, d. h., deren Potential am kleinsten ist. An der Kathode wird zunachst die edelste lonensorte reduziert, deren Potential am positivsten ist. Somit ergibt sich eine minimale Zersetzungsspannung. 2. Diffusionsiiberspannung r/Diff Bei hohen Stromdichten und schneller Entladung der lonen nimmt die Elektrolytkonzentration an der Elektrode so stark ab, dass die Diffusion der lonen an die Elektrode zum geschwindigkeitsbestimmenden Vorgang wird (Abb. 6.23). Die Kinetik der elektrochemischen Reaktion wird somit durch die Diffusion bestimmt. Als Beispiel betrachten wir die kathodische Abscheidung einer lonensorte (z. B. Me^+) mit der Anfangskonzentration CQ. Ohne Stromfluss ist die Elektrolyt-Konzentration iiberall konstant. Bei Stromfluss sinkt die Konzentration an der Elektrode von CQ auf cs ab, wobei sich das ausbildende Konzentrationsprofil in Elektrodennahe iiber eine Schicht der Dicke (^Nernst (NERNSTsche Diffusionsschicht, (^Nernst ^ 0? 1 mm) in den Elektrolyten erstreckt. Mit steigender Elektrolysezeit wachst die Diffusionsschicht tiefer ins Losungsinnere und der durch die Elektrode fliefiende Strom nimmt welter ab. Fiir die elektrochemische Stromdichte j gilt nach dem ersten FiCKschen Gesetz: J = zFJ = -zFD—dx
^ -zFD-
(6.112) c)Nernst
6.6 Elektrolyse und Potentiale von Zellen unter Belastung
259
'^emst
Abbildung 6.23: Konzentrationsprofil in Elektrodennahe unter Ausbildung der NERNSTschen Diffusionsschicht. Die Elektrolytlosung wird hier geriihrt. Die Stromdichte geht bei zeitlich konstanter Diffusionsschichtdicke mit abnehmender Konzentration cs gegen einen Grenzwert, den Diffusionsgrenzstrom (unter der Voraussetzung, dass die Elektrolytlosung geriihrt wird und dass samtliche ankommenden lonen entladen werden): jGr
= zFD-
co
(6.113)
^Nernst
Die Grenzstromdichte steigt mit wachsender Losungskonzentration linear an. Auf diesem Effekt beruht eine wichtige Analysemethode, die Polarographie (Abb. 6.24). Es handelt sich hier um eine analytische Methode zur Bestimmung der Art und der Konzentration von lonen in einer Elektrolytlosung. Die zu untersuchende Substanz wird an einer Quecksilber-Tropfelektrode abgeschieden. Als Leitsalz wird z. B. KNO3 verwendet, dem die unbekannte Salzlosung zugefiigt wird. Das Leitsalz sorgt fiir den Stromtransport, wahrend die unbekannten Me^+-Ionen durch Diffusion an die Tropf-Elektrode gelangen. Als zweite Elektrode (Bezugselektrode) wird oftmals eine Kalomel-Elektrode verwendet. Der Vorteil des Hg als Elektrodenmaterial liegt in der hohen Uberspannung von Wasserstoff an Hg, so dass dieser nicht abgeschieden wird. Eine Tropf-Elektrode besitzt gegeniiber einer ruhenden Hg-Oberflache einen grofien Vorteil: Die Elektrodenoberflache wird in Form von Hg-Tropfen stetig erneuert, so dass eine Verunreinigung der Quecksilberoberflache vermieden wird. Die Abscheidung von Substanzen kann mit einer Herabsetzung der Uberspannung von Wasserstoff verbunden sein, was zu einer storenden H2-Entwicklung fiihren wiirde. Die Spannung U (Potentialdifferenz) wird iiber ein Potentiometer variiert, wahrend der Strom / gemessen wird. Sobald an der Kathode das Abscheidungspotential des betreffenden Ions erreicht ist, steigt der Strom an. Liegen verschiedene lonensorten vor, erfolgt die Abscheidung gemafi deren Abscheidungspotentialen. Es treten dann im erhaltenen Polarogramm Stufen auf, deren Lage durch die Art des abgeschiedenen Stoffes bestimmt ist und deren Hohe ein Mafi fiir die Konzentration ist. Der leicht oszillierende Stromverlauf entsteht durch das Wachsen und Abfallen der Hg-Tropfen. Mit Hilfe der aus der Auftragung zu bestimmenden Abscheidepotentiale (Halbstufenpotentiale (fi/2) werden die lonen identifiziert, wobei zu beachten ist, dass die Werte von der Vergleichselektrode abhangen. Im Grenzstrombereich gilt die ILKOVIC-Gleichung, mit deren Hilfe auch die lonenladung z bestimmt werden kann: JGrenz = k o u s t . Z V^''^ T^'^
^/D Co
(6.114)
6
260
e
Hg-Tropf-^^ Elektrode
Hg-See
Elektrochemie
Bezugs- Xs
Probenlosung ^^
^4
^g
^^
1,6 2,0
Elektrodenpotential gegen SHE / -V
Abbildung 6.24: Links ist der Versuchsaufbau bei der Polarographie und rechts ein typisches Polarogramm dargestellt. Da auch der Sauerstoff aus der Luft am Hg reduzierbar ist, wird die Losung mit Inert gas (z. B. N2) gespiilt. Darin bezeichnet v die Ausflussgeschwindigkeit des Hg aus der Kapillare und r die Lebensdauer der Hg-Tropfchen. In der polarographischen Praxis werden die gesuchten Konzentrationen CQ selten iiber die ILKOVIC-Gleichung berechnet. Stattdessen werden Kalibrierlosungen zur Konzentrationsbestimmung verwendet. 3. Reaktionsiiberspannung r/R Wenn die Diffusion und die Durchtrittsreaktion schnell ablaufen, kann eine zwischengelagerte chemische Reaktion die Geschwindigkeit der elektrochemischen Reaktion bestimmen (z. B. die Dissoziationsreaktion einer schwachen Saure). 4. Kristallisationsiiberspannung rjKr Die Abscheidung von Metall-Ionen an festen Metallelektroden unterliegt oftmals einer Hemmung. Dieser Effekt ist darauf zuriickzufiihren, dass der Einbau in ein Kristallgitter kinetisch gehemmt sein kann. Nach den in diesem Abschnitt angestellten Uberlegungen ist es auch verstandlich, dass die Zersetzungsspannung, d. h. die Potentialdifferenz, die wir an die Elektroden einer elektrochemischen Zelle anlegen miissen, damit eine elektrochemische Reaktion eintritt, keine unmittelbare theoretische Bedeutung hat. Sie setzt sich zusammen aus der reversiblen Zellspannung, den Uberspannungen an der Anode und Kathode, sowie aus dem durch Strom und Widerstand des Elektrolyten gegebenen Spannungsabfall. So liegt die Zersetzungsspannung einer 1,2 M HCl-Losung, deren Aktivitat gleich eins ist, nicht beim Gleichgewichtswert von 1,36 V, sondern um ca. 0,5 V dariiber.
7
Reaktionskinetik
Die chemische Kinetik beschaftigt sich mit dem Umsatz, der Geschwindigkeitskonstanten, der Reaktionsordnung, der Struktur von Zwischenstufen und dem Mechanismus einer Reaktion. Desweiteren werden die Einfliisse der Konzentrationen der Reaktanden, der Temperatur, des Drucks, des Losungsmittels und die von Katalysatoren und Inhibitoren untersucht. Formal wird die Kinetik in die Bereiche Makrokinetik und Mikrokinetik unterteilt: Makrokinetik: Die Bestimmung der Geschwindigkeitsgesetze und Reaktionsordnung. Ihre Kenntnis ist wichtig fiir die Auslegung industrieller Prozesse. Mikrokinetik: Die Bestimmung des Reaktionsmechanismus und die Erarbeitung eines molekularen Bildes fiir den Ubergangszustand der Reaktion. Als homogene Reaktionskinetik bezeichnet man die Kinetik chemischer Reaktionen, die in homogener Phase ablaufen, als heterogene Reaktionskinetik die Kinetik von Reaktionen, an denen mehrere Phasen beteiligt sind (z. B. Reaktionen auf Katalysatoroberflachen). Wir wollen uns hier im Wesentlichen mit homogenen Reaktionen beschaftigen. Die Reaktionsgeschwindigkeit chemischer Reaktionen erstreckt sich (iber viele Grofienordnungen. Die schnellsten Reaktionen in Losung laufen in Nanosekunden ab und sind oft diffusionskontrolliert. Extrem langsame Prozesse konnen Tage oder langer dauern und sind manchmal mit radiochemischen Methoden verfolgbar (iiber den Zerfall radioaktiver Isotope).
7.1
Grundbegriffe und M e s s m e t h o d e n
Wir gehen von der folgenden allgemeinen chemischen Reaktion aus: I^AIA + I ^ B I B ^ ^ C C + ^DD Die stochiometrischen KoefRzienten der Edukte werden mit Betragsstrichen geschrieben, da sie negative Werte haben. Fiir die Anderungen der Stoffmengen kann man schreiben: riA -n\
_ riB - n^ _ np - ng. _ np - n^ _ ^'B
^A
^c
^'D
Hier ist n^ die Stoffmenge des i-ten Reaktanden, n° die Stoffmenge des i-ten Reaktanden zur Zeit ^ = 0 und ^ die so genannte Reaktionslaufzahl. Aus Gleichung 7.1 folgt fiir den differentiellen Umsatz: ^
= ... = ^
^A
= d^
(7.2)
^D
Die totale Reaktionsgeschwindigkeit lasst sich damit als zeitliche Anderung der Reaktionslaufzahl formulieren: RGtotal = -jT
(7.3)
262
7
Reaktionskinetik
In der Reaktionskinetik bezieht man die Reaktionsgeschwindigkeit noch auf das Volumen V: ^
^ RGtotai ^ 1 ^ ^ 1 djUi/V) V V dt i^i dt
^ ^dQ i^i dt
^ ' '
Gleichung 7.3 definiert die totale Reaktionsgeschwindigkeit RGtotai in der Einheit mol s~^ und Gleichung 7.4 die Reaktionsgeschwindigkeit in der Einheit mol s~^m~^. Fiir jede Reaktion, deren Stochiometrie bekannt ist, kann man so aus jeder Konzentrationsanderung der Reaktanden eine einzige Reaktionsgeschwindigkeit berechnen. Beispiel: Wir betrachten die Zersetzung von lodwasserstoff: 2 HI ^ H2 + I2 1 d^
~ ~
1 dnni
1 dnHs
1 dni2
V~di ~ ~i^i Vdt ~ ~i^ Vdt ~ u^Vdi 1 dcHi _ dcH2 _ dci^ 2 dt ~ dt ~ dt
(7.5) (7.6)
Die stochiometrischen KoefRzienten der Edukte sind negativ und die der Produkte positiv zu nehmen. Somit ergibt sich die Reaktionsgeschwindigkeit zur Zeit t aus der Steigung der Auftragung von CHI (t), 0^2 (t) oder ci^ (t). Wir wollen noch einige Ausdriicke definieren: Elementarreaktion: Eine Reaktion, die in einem Schritt ohne Zwischenstufen ablauft, wird als Elementarreaktion bezeichnet. Die Reaktion erfolgt durch direkte intermolekulare Wechselwirkung der Reaktanden. Reaktionsordnung: Die Geschwindigkeitsgleichung (Geschwindigkeitsgesetz) einer Reaktion lasst sich im Allgemeinen als Produktansatz
r = kiT)c%4cl...
(7.7) 1/2
schreiben. Zum Beispiel gelte: r = k-CA'C^ -CQ- Dabei ist k die von der Temperatur abhangige Geschwindigkeitskonstante der Reaktion. Die experimentell zu bestimmenden Exponenten a, ^5, 7 werden als Teilordnungen beziiglich der Reaktanden A, B, C bezeichnet und n = a-\- ^ -\- ^ heifit die Gesamtordnung der Reaktion oder kurz Reaktionsordnung. Fiir unser Beispiel ist die Reaktion von erster Ordnung in A, von ein halber Ordnung in B und von erster Ordnung in C. Die Gesamtordnung der Reaktion ist die Summe der Teilordnungen, d. h. in diesem Fall 2,5. Die Teilordnungen haben ebenso wie die Reaktionsordnung i. Allg. keinen Bezug zu den stochiometrischen KoefRzienten der Reaktion. Weiterhin kann meist auch kein Zusammenhang mit dem Mechanismus der Reaktion hergestellt werden. Das sei durch folgende Beispiele belegt:
7.1 Grundbegriffe und Messmethoden N 2 0 5 ( g ) ^ 2 N 0 2 ( g ) + |02(g) N 0 2 ( g ) ^ N 0 ( g ) +102(g) H2(g) + Br2(g)^2HBr(g) Styrol -^ Polystyrol
263
r = k'
CN2O5
r = k ' %02 7
r =k
1/2
Reaktion Reaktion Reaktion Reaktion
1. Ordnung 2. Ordnung l | . Ordnung 0. Ordnung
Die Geschwindigkeitskonstante hat in Abhangigkeit von der Reaktionsordnung n die Einheit (mol m~^) ~^s~^ oder (mol L~^) ~^s~^ bzw. M^~^s~^. Molekularitat: Die Molekularitat einer Reaktion gibt die Anzahl der Reaktandenmolekiile an, die an einer Elementarreaktion beteiligt sind. Es werden mono-, bi- und trimolekulare Reaktionen unterschieden. Eine n-molekulare Reaktion ist natiirlich von der Ordnung n, aber nicht jede Reaktion von n-ter Ordnung ist zwangslaufig nmolekular. Dies wird verstandlich, wenn man sich vorstellt, dass eine Reaktion erster, zweiter oder dritter Ordnung aus verschiedenen Elementarreaktionen mit unterschiedlicher Molekularitat zusammengesetzt sein kann. Messmethoden zur Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeit Die Konzentrationen der Reaktionspartner miissen fiir p,T = konst. in Abhangigkeit von der Zeit t gemessen werden. Man unterscheidet folgende Verfahren: 1. Diskontinuierliche Verfahren a) Probenentnahme und Analyse der Probe mit chemischen oder physikalischen Methoden b) Analyse der Reaktionsmischung nach Abbruch der Reaktion (z. B. durch Abschrecken, Verdiinnen, pH-Anderung, Zusatz von Radikalfangern) 2. Kontinuierliche Verfahren Die Anderungen von physikalisch-chemischen Eigenschaften der Reaktionsmischung werden wahrend des Ablaufs der Reaktion in situ verfolgt. Folgende Methoden kommen z. B. zur Anwendung: • Spektroskopische Methoden, wie UV-, IR-, Fluoreszenz-, NMR-, ESRSpektroskopie, Massenspektrometrie • Volumetrische Messungen (T = konst., p = konst.) • Messungen des Drucks (T = konst., V = konst.) bei Gasreaktionen • Elektrische Methoden (Leitfahigkeit, Potentiometrie, Polarographie) • Messung von Brechungsindex, Dielektrizitatszahl • Messung von magnetischen Eigenschaften • Messung der Warmeleitfahigkeit Je nach Geschwindigkeit und Typ der zu untersuchenden Reaktion werden unterschiedliche Mess verfahren eingesetzt. Fiir schnelle Reaktionen kommen z. B. die Stromungsmethode, die „Stopped-flow"-Methode, die Blitzlichtphotolyse, sowie Druckund Temperatursprung-Relaxationsverfahren zum Einsatz. In der „Stopped-flow"Technik, mit deren Hilfe Reaktionen im Millisekundenbereich untersucht werden konnen, werden die aus Kapillaren in eine Mischkammer eintretenden Ausgangsstoffe
7
264
Losung A Mischkammer
ff/MM
Spektroskopische / Analyse
\
J) Spritzen 1
Reaktionskinetik
n
Losung B
/
^
]mMm^y.
1
L/
111>
Kolben
Abbildung 7.1: Schematischer Aufbau einer „Stopped-flow"-Apparatur. turbulent gemischt, wobei Mischzeiten im Millisekundenbereich erzielt werden (Abb. 7.1). Die Stromumg wird dann abgestoppt, wenn der rechte Kolben den Anschlag beriihrt. Die Reaktion kann z. B. spektroskopisch verfolgt werden. In der Blitzlichtphotolyse losen kurze Lichtblitze, die mit Lasern erzeugt werden, eine photochemische Reaktion aus, deren Reaktionsprodukte wieder spektroskopisch in Abhangigkeit der Zeit verfolgt werden konnen (Nobelpreis fiir NORRISH und P O R T E R ) . Weitere Methoden zur Untersuchung schneller chemischer Reaktionen sind Relaxationsverfahren, welche auf die Arbeiten von M. EiGEN zuriickgehen. Die Verfahren beinhalten die Storung eines im Gleichgewicht vorliegenden Systems durch die sehr schnelle Anderung eines aufieren Parameters (z. B. p- oder T-Sprung) und die Messung der Zeit (Relaxationszeit), die benotigt wird, um das neue Gleichgewicht zu erreichen (s. Kap. 7.8).
7.2
Einfache Geschwindigkeitsgesetze (Formalkinetik)
Die Geschwindigkeitsgleichung (Gl. 7.7) stellt mathematisch gesehen eine Differentialgleichung dar. Durch Integration bei vorgegebenen Anfangsbedingungen erhalt man die Konzentration der Reaktionspartner als Funktion der Zeit. Wir betrachten einige Beispiele: Reaktionen 0. Ordnung A -^ Produkte dCA
" d^
^k
At
CA
— C^ — fCt
(7.8)
c\ ist die Anfangskonzentration des Eduktes A. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist unabhangig von der Konzentration der Reaktionsteilnehmer. Das Fortschreiten der Reaktion wird von aufien induziert, wie es z. B. bei photochemischen Reaktionen (Einstrahlung von Licht) oder bei Katalysator-Zusatzen der Fall ist.
7.2 Einfache Geschwindigkeitsgesetze
(Formalkinetik)
1,0
3
^ o. 0,8 \ o < \ 0,6 . \ < ^ 0,4
^ ^
2
o aufgetragen ist.
2/ (8.28)
mit J" = 0,1,2,.. ^j'
-J"
Den spektralen Ubergang beobachtet man bei der Wellenzahl =
AE _ h -(J'' + 1) = 2 5 ( J ' ' + 1) he 47r^/c
(8.29)
Die Auftragung der Intensitat gegen die Wellenzahl ergibt somit ein Spektrum aquidistanter Linien im Abstand von 2B (Abb. S.6). Damit konnen wir aus dem Spektrum B^ daraus / und bei bekannten Atommassen somit r, den Gleichgewichtsabstand der Atome im Molekiil, ermitteln. Der Intensitatsverlauf der Spektrallinien ergibt sich aus der BOLTZMANNVerteilung. Man erhalt fiir das Verhaltnis von Niveau J zu Niveau 0: Nj
= (2 J +
l^Q-^cBJ(J-^l)/kBT
Nj=o
(8.30)
Die Analyse der Gleichung zeigt, dass die Besetzungswahrscheinlichkeit der Rotationsniveaus nach einem etwa linearen Anstieg mit gj = 2 J + 1 ein Maximum bei ^max ^ (kBT/2hc5)^/^ — | durchlauft und danach langsam gegen null geht (Abb. 8.7). Die Intensitat wird aber auch von /lag mitbestimmt. Beispiel: Wo liegen die Wellenzahlen i> der Rotationsiibergange von ^H^^Cl(g), das einen Kernabstand r = 1,275 • 10~^^ m besitzt? Wir berechnen: //
=
mu • mci = 1,6274-10-^^ kg
8
312
Molekiilspektroskopie
Abbildung 8.7: Das Intensitatenverhaltnis der im Spektrum beobachteten Rotationsiibergange ist proportional zur Besetzung der Rotationsniveaus, die durch die BOLTZMANN-Verteilung gegeben ist.
y/ cm"^ Abbildung 8.8: Das Rotationsspektrum von HCl(g). Der Intensitatsverlauf der Spektrallinien spiegelt die BOLTZMANN-Verteilung der Besetzung der Rotationsniveaus wider. I
=
^r^ = 1,6274 • 10"^^ kg • (1,275 • 10"'^ m)
=
2,646-10-^'kg m
i> =
2 5 ( J ' ' + l) = - 4 ^ ( J ' ' + l) = 21,16-(J'' + l ) c m - i
mit J" = 0,1,2,.... Die Ubergange erfolgen im fernen Infrarot (Abb. 8.8). HCl hat aufgrund der kleinen Masse des H-Atoms ein sehr kleines Tragheitsmoment, so dass B und damit i> relativ grofi werden. Bei Molekiilen mit mittleren Atommassen beobachtet man die reinen Rotationsspektren nicht mehr im infraroten Spektralgebiet, sondern im Mikrowellengebiet. Die gleiche Information ist aber auch aus dem experimentell leichter zuganglichen Rotations-Schwingungsspektrum erhaltlich (s. spater).
8.4
Schwingungsspektroskopie
313
Nichtlineare polyatomare Molekiile besitzen drei Haupttragheitsachsen und die Ausdriicke fiir die Rotationsterme sind entsprechend komplizierter. Fiir solche mehratomigen Molekiile ist die Methode der Isotopensubstitution anzuwenden, um alle Gleichgewichtsabstande im Molekiil bestimmen zu konnen. 8.3.1
Der unstarre lineare Rotator
Streng genommen sind die Abstande der Spektrallinien im Rotationsspektrum nicht konstant 2 5 , da die Atome im rotierenden Molekiil Zentrifugalkrafte erfahren. Daraus ergibt sich eine Zentrifugaldehnung der Atomabstande. Durch die VergroJ^erung von r nimmt / zu, so dass die Rotationskonstante und die Energieniveau-Unterschiede im Vergleich zum starren Rotator mit steigendem J kleiner werden. Unter Beriicksichtigung dieses Effekts erhalt man fiir die Rotationsterme des unstarren Rotators: F{J) = % ^ = BJ{J + 1) - DJ^J + If (8.31) nc D = AB^li>l ist die Zentrifugalkonstante. Sie ist umso grower, je schwacher die Bindung ist. Po ist die Wellenzahl der Eigenschwingung des Molekiils. Fiir die beobachtbaren Ubergange ergibt sich: pj'^jn
= F{J') - F{J") = 2B{J" + 1) - 4D{J" + 1)^
(8.32)
Die Rotationslinien riicken mit steigendem J" etwas naher zusammen. Das Verhaltnis D/B liegt im Bereich von 10~^ bis 10~^. Fiir kleine Werte von J" ist D also vernachlassigbar. Die Auswahlregeln bleiben unverandert.
8.4
Schwingungsspektroskopie
Wir betrachten zunachst nur zweiatomige Molekiile. Die Schwingungsbewegung kann naherungsweise mit dem quantenmechanischen Modell des harmonischen Oszillators beschrieben werden. Wir hatten das folgende Ergebnis fiir die Energieeigenwerte der Schwingung erhalten (s. Kap. 3.3.3): ^vib,t;
=hiyo{v-\-^)
mit V = 0,1,2, Hier ist ^o = {l/27T)y^kJJi die Eigenfrequenz der Schwingung, fi die reduzierte Masse des Molekiils und k die Kraftkonstante, die ein Mafi fiir die Starke der chemischen Bindung ist. Die Nullpunktsenergie folgt aus v = 0:
Die Auswahlregeln fiir Schwingungsiibergange ergeben sich aus der Berechnung des Ubergangsdipolmoments. Man erhalt folgende Ergebnisse: 1. Damit ein Molekiil IR-aktiv ist, muss sich sein elektrisches Dipolmoment bei der Schwingung, d. h. beim Prozess der Dehnung bzw. Stauchung der Bindung um die Gleichgewichtslage ^ = 0, andern:
314
8
Molekiilspektroskopie
Homonukleare zweiatomige Molekiile (z. B. H2, CI2) zeigen somit kein Schwingungsabsorptionsspektrum. 2. Fiir zweiatomige Molekiile gilt die Auswahlregel Av = v' — v" = ±1 {-\-l fiir die Absorption, —1 fiir die Emission von Strahlung). Man erhalt aquidistante Energieniveaus: A£^vib
=
Ey' — Ey"
=
hiyo{v'- v") ^ ±hiyo
(8.34)
Die Schwingungsterme sind: G{v) = ^ ^
= Mv +'2)
(S-3^)
i>o = (1/2770)^/^7/^ is^ ^i^ Wellenzahl der Eigenschwingung des Molekiils. Der spektrale Ubergang erfolgt mit At' = 1 somit bei der Wellenzahl j> = G{v') - G{v") = i>o{v' - v") = i>o
(8.36)
Zum Beispiel erhalten wir fiir HCl eine Absorptionslinie im IR-Bereich bei i> = Oo = 2991 cm~^. Hieraus ergibt sich eine Kraftkonstante von k = 516 N m~^ fiir HCl. Aus der BOLTZMANN-Verteilung lassen sich die Besetzungszahlen der einzelnen Schwingungsniveaus berechnen. Bei 300 K ist i. Allg. nur der Schwingungsgrundzustand mit v = 0 besetzt, da A^vib > > keT, so dass meist nur der Ubergang von V = 0 nach v = 1 beobachtet wird. 8.4.1
Rotations-Schwingungsspektren
Wir wollen nun die Schwingungsspektren bei hoherer Auflosung betrachten und wahlen dazu das Gasphasenspektrum von HCl als Beispiel (Abb. 8.9). Rotationen werden bei der Anregung zur Schwingung mit angeregt, da ^vib > -E'rot- Es werden daher viele Linien beobachtet; die Schwingungsbande zeigt eine Rotationsfeinstruktur. Die Rotations-Schwingungsterme sind gegeben durch: T{v, J) = G{v) + F{J) = i>o{v + ^) + BJ{J + 1)
(8.37)
Da wir das Modell des starren Rotators bzw. harmonischen Oszillators zugrunde legen, gelten die Auswahlregeln A J = ± 1 und Av = ± 1 . Die RotationsSchwingungsiibergange erfolgen bei: i> = =
T{v',J')-T{v",J") i>o{v'-v")
+ B[J'{J' + l)-J"{J"
+ l)]
(8.38)
Fiir den Schwingungsiibergang von v" nach v' = v" -\- 1 ergeben sich damit zwei Absorptionszweige um t/o'-
8.4
Schwingungsspektroskopie
315
v'=l
v"=0
P-Zweig Abbildung 8.9: Das Rotations-Schwingungsspektrum von HCl(g) ergibt sich aus den dargestellten Ubergangen fiir A J = + 1 (R-Zweig) und A J = — 1 (P-Zweig). Der Intensitatsverlauf spiegelt die Besetzungszahlen der Rotationsniveaus wider. R-Zweig (R rich), AJ = J' - J" = + 1 :
% = />o + 2B{J" + 1)
P-Zweig (P poor), AJ = J' - J" = - 1 : i>p = i>o - 2BJ" Der Ubergang fiir AJ = J' — J" = 0 (Q-Zweig (Q equal)) ist verboten. Er kommt im Rotations-Schwingungsspektrum 2-atomiger Molekiile nur vor, wenn ungepaarte Elektronen vorhanden sind und der Elektronen-Bahndrehimpuls um die Kernverbindungsachse des Molekiils ungleich null ist (z. B. beim NO). Der Abstand der Linien betragt jeweils 2B (s. Abb. 8.9). Da die Auswahlregeln Ubergange fiir A J = 0 verbieten, fehlt bei i> = i>o die Linie im Spektrum. Die Kraftkonstante ist jedoch bestimmbar, wenn wir i>o aus der Mitte des Spektrums entnehmen. Aus einem RotationsSchwingungsspektrum lassen sich als wichtige molekulare Kenngrofien somit die Kraftkonstante k (aus i>o) und der Gleichgewichtsabstand r© (aus /) ermitteln. Betrachten wir das HCl-Spektrum genauer, erkennen wir, dass die Linien im P-Zweig mit steigendem J" etwas auseinander- und im R-Zweig etwas zusammenriicken (s. Abb. 8.10). Dieser Effekt ist nicht mit der Zentrifugaldehnung zu erklaren, denn dann miissten die Linien im P-Zweig mit steigendem J" zusammenriicken. Er ist auf die Rotations-Schwingungskopplung zuriickzufiihren: B = B{v), Mit zunehmendem v steigen der Gleichgewichtsabstand r© und das Tragheitsmoment / an und
316
8
P-Zweig
3000 R-Zweig
Molekiilspektroskopie
V I cm"^
Abbildung 8.10: Darstellung des Rotations-Schwingungsspektrums von HCl(g) mit erhohter Auflosung. Bei grower Auflosung des Spektrums erkennt man, dass jede Linie aufgespalten ist. Dies ist darauf zuriickzufiihren, dass Chlor in HCl in Form der beiden Isotope ^^Cl und ^^Cl vorkommt.
Abbildung 8.11: Potentialkurve des harmonischen (gestrichelt) und des anharmonischen (durchgezogene starke Linie) Oszillators und die Schwingungsterme G{v) fiir HCl(g). Der abstofiende Potentialast des MORSE-Potentials verlauft viel steiler als der des harmonischen Potentials, da sich die Atome bei der Annaherung aufgrund des PAULI-Prinzips nicht behebig nahe kommen konnen. Das MORSE-Potential gibt auch die Dissoziation des Molekiils bei hoher Anregung richtig wieder.
die Rotationskonstante B nimmt ab. Ursache ist, dass das Potential im realen System bei hoheren Schwingungsanregungen nicht mehr parabelformig ist. Man nennt die Abweichung Anharmonizitat des Potentials. Diese wird mit dem empirischen Potentialansatz von MORSE beriicksichtigt (MoRSE-Potential, s. Abb. 8.11):
V{r)
=
D, 1 - e
-a{r—re)
(8.39)
8.4
SchwinguDgsspektroskopie
317
/ 1 fdW\
jk
De ist die spektroskopische Dissoziationsenergie, die Tiefe des Potentialminimums, und Te der Atomabstand im Minimum der Potentialkurve. Do ist die so genannte chemische Dissoziationsenergie {D^ = Do + |hi/o). Setzen wir das MORSE-Potential in die SCHRODINGER-Gleichung ein, erhalten wir fiir die Schwingungsterme: G{v) = v^{v + I) - v^x^{v + \f
(8.40)
mit V = 0,1, 2 , . . . ,i;max und XQ = hci>e/4De. XQ wird als Anharmonizitatskonstante der Schwingung bezeichnet. i>e ist die hypothetische Schwingungswellenzahl um die Gleichgewichtslage r© des anharmonischen Oszillators. Fiir den Schwingungsgrundzustand gilt: i>o = />e(l — Xe/2). Wir erhalten folgende Ergebnisse: • Der mittlere Abstand der Atome steigt mit steigendem v deutlich an. • Die Spektrallinien konvergieren fiir grofie v. Die Wellenzahl des Schwingungsiibergangs 0 = G(v + 1) — G(v) = i>e — 2i>eXe(v + 1) wird mit steigendem v kleiner. Bei '^max dissoziiert das Molekiil. • Die Anharmonizitat fiihrt zur Aufspaltung der Ubergange 0(1 ^ 0), i>{2 ^ 1), . . . im Spektrum, die beim harmonischen Oszillator alle zusammenfalien. Die hoheren Ubergange sind jedoch erst bei hohen Temperaturen beobachtbar (hot bands). • Aufgrund der nun giiltigen Auswahlregel Av = =bl,zb2,... sind auch Oberschwingungen (2 ^ 0, 3 ^ 0, etc.) moglich, die jedoch nur mit geringer Intensitat im NIR (/> > 3000 cm~^) auftreten. Die Grundschwingungen (1 ^ 0) liegen dagegen i. Allg. im Bereich von 700 - 3000 c m ' ^ Beriicksichtigen wir B = B(v), erhalten wir fiir die Rotations-SchwingungsUbergange von v" = 0, J" nach v' = 1, J ' des anharmonischen Oszillators (mit B' = B{v') = i>e- 2i>eXe + B'f {f + 1) - B"J"{J" + 1)
(8.41)
Fiir den P-Zweig erhalten wir mit A J = — 1: Pp = Pe - 2/>e^e " {B' + B") j " + {B' - B") J"^
>0
(8.42)
/ cm ^ 2850 - 2960 1350 - 1470 3300 3200 - 3600 2500 - 3000 1690 - 1760 3200 - 3500 1030 - 1230 1180-1360
Abbildung 8.13: Schematischer Aufbau eines RAMAN-Spektrometers. Der Laser sendet monochromatische Strahlung aus, die durch die Probe P geschickt wird. Der Spiegel S 1 reflektiert den Laserstrahl und verdoppelt seine Wirkung. Streulicht wird vom Spiegel S 2 durch die Linse L 1 geschickt, die es auf den Eintrittsspalt E des Monochromators fokussiert. Der Kollimatorspiegel K wirft die Strahlung auf das drehbare Gitter G, das fiir eine spektrale Zerlegung sorgt. Von dort wird die Strahlung auf einen zweiten Kollimatorspiegel geschickt, der die Strahlung durch den Austrittsspalt A auf die Linse L 2 lenkt. Diese fokussiert die Streustrahlung auf den Detektor. tes elektrisches Dipolmoment, und es wird Licht mit derselben Frequenz wieder abgestrahlt. 2. RAMAN-Streuung: Neben der Spektrallinie der RAYLEIGH-Streuung treten weitere Linien auf, die sowohl eine grofiere (AntiSTOKESsche Linien) als auch eine kleinere Wellenzahl (STOKESsche Linien) als />L des eingestrahlten Lichts aufweisen. Die Ursache sind inelastische Streuprozesse durch Anregung von Schwingungs- und/oder Rotationsiibergangen. Aus den Wellenzahldifferenzen zu PL lassen sich die Energien bzw. Wellenzahlen i>' der Rotations- bzw. Schwingungsiibergange berechnen.
8.5
RAMAN-Spektroskopie
321
Klassische Erklarung des RAMAN-EfFekts Der ^Feid-Vektor der elektromagnetischen Strahlung induziert im Molekiil ein elektrisches Dipolmoment /iei,ind- Der Dipol strahlt die Energie in Form elektromagnetischer Strahlung der Frequenzen lyj, und lyj, ± v' wieder ab. Das induzierte Dipolmoment hangt iiber die Polarisierbarkeit a des Molekiils mit der elektrischen Feldstarke ^Feid(^) der elektromagnetischen Strahlung zusammen: |/Jei,ind| = OLEYe\d{t) = OiEo sin(27ri/L^)
(8.45)
Fiihrt das Molekiil eine Schwingungs- oder Rotationsbewegung aus, andert sich a mit der Frequenz v': a = ao + A a sin(27ri/'f)
(8.46)
ao ist die Gleichgewichts-Polarisierbarkeit und A a die Polarisierbarkeitsanderung durch Rotation oder Schwingung. Somit gilt mit Gleichung 8.45: |/^ei,ind|
=
ao-E^o sin(27^^'L^) + A a ^ o sin(27^^'L^) sin(27r^'^)
=
aoEo sin(27^^'L^) -h^Aa^o [cos(27r(^L - ^')t) - cos(27r(^L + ^')t)\
(8.47)
wobei wir von dem Additionstheorem sin a-smh = \ [cos (a — h) — cos (a + h)] Gebrauch gemacht haben. Damit ein RAMAN-Spektrum beobachtet wird, muss die Anderung der Polarisierbarkeit A a ungleich null sein. Dann emittiert ein schwingender oder rotierender Dipol elektromagnetische Strahlung mit den Frequenzen: ^'L ^'L - ^' ^'L + ^'
elastische RAYLEIGH-Streuung STOKES-Linie (RAMAN-Linie) AntiSTOKES-Linie (RAMAN-Linie)
Die Intensitat der beobachteten RAMAN-Linien ist proportional zu |/Iei,indP8.5.1
Rotations-RAMAN-Spektren
Voraussetzung fiir die Beobachtung eines Rotations-RAMAN-Spektrums ist eine Anisotropie der Polarisierbarkeit, so dass sich a in Richtung des elektrischen Feldes bei der Rotation andert. Betrachten wir dazu die Abbildung 8.14: Die Streustrahlung wird im Rhythmus der Rotationsfrequenz moduliert. Bei Drehung um 180° entspricht a dem Wert in der 360°-Position. Die Modulationsfrequenz betragt daher v' = 2i/rot5 da sich die Polarisierbarkeit mit doppelt so hoher Frequenz andert wie das Molekiil rotiert. Fiir die Auswahlregeln der Rotationsiibergange im RAMAN-Spektrum erhalten wir als quantenmechanisches Ergebnis fiir den linearen Rotator: A J = 0,=b2
(8.48)
Mit Prot = A^rot/hc = F{J') - F{J") = B[J'{J' - h i ) - J" {J" +1)] erhalten wir somit STOKES-Linien (J' = J'' -h 2) bei: RAYLEIGH-Linien {J' = J") bei: AntiSTOKES-Linien (J' = J" - 2) bei:
^'stokes = i>L - B{AJ" -h 6) %ayieigh = ^L />Antistokes = ^L + B(4:J" - 2)
8
322
a\\
180° I a^
Molekiilspektroskopie
270° T a\\
360
Abbildung 8.14: Anderung der Polarisierbarkeit im Verlauf der Rotation. Die gepunkteten Linien deuten die Polarisierung des Molekiils im elektrischen Feld an. -/=6
-/=3 =/=0 J=\ AJ = +2
AJ = - 2 AB
45. 6B 6B ^—•
• •1 STOKES-Linien
•^
•
_LL
1
^L AntiSTOKES-Linien
Abbildung 8.15: Rotationsiibergange mit A J = 0, ±2 und resultierendes RotationsRAMAN-Spektrum eines linearen Molekiils.
Bei den STOKES-Linien ist J" = 0,1,2,... und bei den AntiSTOKES-Linien ist J" = 2,3,4.... Der Linienabstand ist 4 5 , die erste RAMAN-Linie erscheint jeweils im Abstand 6B zur RAYLEIGH-Linie. Hieraus lasst sich wieder das Tragheitsmoment und daraus die Bindungslange im Molekiil ermitteln. Auch die AntiSTOKES-Linien haben eine relativ hohe Intensitat, da die hoheren J-Zustande merklich besetzt sind. Der Intensitatsverlauf der STOKES- und AntiSTOKES-Linien spiegelt das Besetzungsverhaltnis der Rotationsniveaus wider (Abb. 8.15). Manchmal beobachtet man auch alternierende Intensitatsverlaufe. In diesen Fallen (z. B. beim H2) hat der Kernspin der Atome einen Einfluss auf die Intensitat der Rotationsiibergange. Auf Einzelheiten wollen wir hier nicht eingehen. Da A£'rot/hc klein ist, liegen die Linien nahe an der Erregerfrequenz. Das Erregerlicht muss deshalb streng monochromatisch sein. Wegen der geringen Streuintensitat werden hohe Intensitaten fiir das Erregerlicht notwendig.
8.5
RAMAN-Spektroskopie
323
d. h., es miissen Laser mit hoher Strahlungsdichte eingesetzt werden. 8.5.2
Schwingungs-RAMAN-Spektren
Ein Schwingungs-RAMAN-Ubergang tritt nur auf, wenn sich die Polarisierbarkeit a bei der Dehnung oder Stauchung entlang der Normalkoordinate ^ des Molekiils andert:
Dies ist z. B. bei alien homo- und heteronuklearen zweiatomigen Molekiilen der Fall. Die Auslenkung variiert mit sin(27ri/vib^)- Daraus resultiert ein „Pulsieren" des elektrischen Dipolmoments /Xei,ind ini Rhythmus der Schwingung, und die Streustrahlung wird mit ly' = ^'vib moduliert. Die Quantenmechanik liefert als Auswahlregel fiir den Schwingungs-RAMAN-Effekt in der harmonischen Naherung: Ai; = 0,=bl
(8.50)
Da einem Schwingungsiibergang stets Rotationsiibergange iiberlagert sind, erhalten wir bei hoher Auflosung in der Gasphase Rotations-Schwingungs-RAMANSpektren. Es treten folgende Zweige im Spektrum auf: Av = + 1
STOKES-Linie
^ AJ = 0
At' = - 1
AntiSTOKES-Linie { A J = 0
S — Zweig Q - Zweig O — Zweig S — Zweig Q - Zweig O — Zweig
Die dazugehorigen STOKES-RAMAN-Linien eines zweiatomigen Molekiils in der Naherung des starren Rotators werden damit bei i>s = i>L- ^vib - B{4J" i>o = i>L- i>vih + B{4J"
+ 6) - 2)
beobachtet. Die AntiSTOKES-Linien tauchen nur mit geringer Intensitat auf, da bei Raumtemperatur nur wenige Molekiile im Zustand mit v = 1 sind. Das Spektrum ist in Abbildung 8.16 dargestellt. Hier wird auch ein Q-Zweig beobachtet. Besitzt das Molekiil ein Inversionszentrum (z. B. H2, CO2), sind RAMAN- und IR-Spektroskopie komplementare Methoden. Aus dem Rotations-Schwingungs-RAMAN-Spektrum erhalten wir wieder die Kraftkonstante, nun auch bei homonuklearen Molekiilen, die IR-inaktiv sind, und die Bindungslangen im Molekiil. Als Beispiel fiir ein lineares Molekiil mit Inversionszentrum sei C02(g) mit seinen vier Normalschwingungen (zwei sind energiegleich) genannt. Betrachten wir die symmetrische Valenzschwingung in Abb. 8.17a. Die Raumkoordinate ist entlang der Bindungsachse angeordnet. Die symmetrische Valenzschwingung ist wegen {da/d^)o 7^ 0 RAMAN-aktiv, sie ist aber IR-inaktiv. Bei der asymmetrischen Valenzschwingung (Abb. 8.17b) kompensieren sich bei kleinen Auslenkungen die Anderungen
8
324
Molekiilspektroskopie /'=5 4 3 2
f
T
T
t
t1 f tl 1 1
t
11
It 1i M-^M^
J1 Z1/-+2 Z1J=0 AJ=-2
AJ^+2
AJ=-2
1
1
[| \\[ 1
J5
/"=5
I
• T|
0
ZlJ=+2zlJ=0 ZlJ=-2
4B 4-
12 5
•f
o
Zly = 0 + Kvib
STOKES-Linien: Av = +l
AntiSTOKES-Linien: Av = -1
Abbildung 8.16: Schematische Darstellung des Rotations-Schwingungs-RAMANSpektrums eines linearen Molekiils. Im inneren Teil des Spektrums um die Erregerlinie sind die reinen Rotationsiibergange mit eingezeichnet. der Polarisierbarkeit durch Verkiirzung und Verlangerung der beiden CO-Abstande im Molekiil [(da/d^)o = 0]. Die asymmetrische Valenzschwingung ist daher RAMANinaktiv, sie ist aber IR-aktiv. Die zweifach entartete Deformationsschwingung (Abb. 8.17c) ist ebenfalls RAMAN-inaktiv, aber IR-aktiv. Mit Hilfe von Polarisatoren lasst sich die RAMAN-Streustrahlung auch auf Polarisationseigenschaften untersuchen. Hieraus erhalt man u. a. Informationen iiber die Symmetric der Normalschwingungen. Wenn das Anregungslicht der Energie h^'L einem elektronischen Ubergang im Molekiil nahe kommt, wird die RAMAN-Streuwahrscheinlichkeit grower. Die resultierende Verstarkung des RAMAN-Spektrums wird als Resonanz-RAMAN-EfFekt bezeichnet. Auf diese Weise lassen sich durch gezielte h^'L-Wahl bestimmte Molekiilgruppen in komplexen Molekiilen RAMAN-spektroskopisch untersuchen. Weiterhin wird es moglich, Metallkomplexe in Biomolekiilen (z. B. Eisen in Hamoglobin) zu untersuchen, was mit konventioneller RAMAN-Spektroskopie aufgrund der geringen Konzentrationen meist nicht moglich ist.
8.6 Elektronenschwingungsspektren
von Molekiilen
325
a) symmetrische Valenzschwingung af
an -^
b) asymmetrische Valenzschwingung
(o^^cMo)
(j
(g^^=^
(oMc^^o)
^^
^
11 0
r^) und eine veranderte Kraftkonstante. /\v = v' — v" = ±1 des harmonischen Oszillators gilt hier nicht mehr. Es ist zu beachten, dass die Potentialkurve des elektronisch angeregten Zustandes gegeniiber der des elektronischen Grundzustandes i. d. R. verschoben ist, was einen Einfluss auf die Uberlappung von tpy' mit tpy" hat. Die quantitative Berechnung des Ubergangsdipolmoments fiir elektronische Ubergange liefert bei Zugrundelegung der BORN-OPPENHEIMER-Naherung: Aei^gdr
/^ag
-II =
-0*/ -0*/ flelll^s" i^v" dreidTKe
/ ' 0 * / / / e l ' 0 £ " d r e r / '0*/'0t;//drKe fie
(8.51)
^ / //
Hier sind -0*, und -0^// die Molekiilorbitale des Elektrons, -0*, und -0^;// die Schwingungswellenfunktionen der Kerne, drei und drKern beziehen sich auf die Ortskoordinaten der Elektronen und der Kerne mit dr=dxdydz, Der elektrische Dipolmomentoperator fiei = —e • r*ei = —e • (x, y, z)e\ wirkt nur auf das Elektron. fle'^e" ist der Teil des Ubergangsdipolmoments, der nur die Bewegung des Elektrons in ein anderes Molekiilorbital beriicksichtigt. Sy'y wird als Uberlappungsintegral der Kern-Wellenfunktionen bezeichnet. Die Intensitat der Ubergange ist damit proportional zu 5^/^^//. Die Grofie 5^/^// wird als FRANCK-CONDON-Faktor des Ubergangs {s',v') ^ {e",v") bezeichnet. Die Absorptionsintensitat ist folghch umso grower, je grower die Uberlappung der Schwingungswellenfunktionen im oberen elektronischen Niveau und im elektronischen
328
8
hv
Molekiilspektroskopie
hv
4f angeregter SingulettZustand S^
SingulettGrundzustand SQ
angeregter TriplettZustand T^
Abbildung 8.20: Mogliche Spineinstellungen der Elektronen in Singulett- und Triplett-Zustanden. In Singulett-Zustanden betragt die Spinmultiplizitat 25-h 1 = 1, in Triplett-Zustanden 25-hl = 3. 5 ist die Gesamt-Elektronenspin-Quantenzahl. Ausgehend von den Quantenzahlen m^ = 1/2 oder —1/2 fiir ein Elektron gilt ^ m ^ = 0 und 5 = 0 im Singulett-Zustand, wahrend der Triplett-Zustand durch drei Spineinstellungen mit J2'^s = 1?0? — 1 und damit 5 = 1 charakterisiert ist. Grundzustand ist. Die Bandenintensitat elektronischer Ubergange wird auch in Form der so genannten Oszillatorstarke / angegeben:
/
=
41nlO£o^eC NAe2
/
s(u)du
Bande
=
1,44 • 10"'^ mol L - ' c m s
/
/ s{iy)diy
Bande
Hier ist ly die Frequenz, bei der der Ubergang erfolgt. Die Oszillatorstarke ist auf den Ubergang eines harmonisch gebundenen Elektrons der Ladung — e und Masse m© bezogen und kann aus der Flache unter dem frequenzabhangigen Absorptionssignal s{i') bestimmt werden. Man findet fiir intensive elektronische Ubergange f ^ 1 bzw. ^max ^ 10^ — 10^ M~^cm~^, fiir schwache elektronische Ubergange / < 10~^ bzw. ^max « 10 - 100 M - ^ c m - ^ Die Multiplizitatsregel bzw. Spinauswahlregel verbietet Ubergange, bei denen sich die Gesamt-Elekronenspin-Quantenzahl S andert, d. h., fiir einen elektronischen Ubergang muss AS = 0 gelten. Da die bindenden Molekiilorbitale vieler Molekiile im Grundzustand zweifach besetzt sind, d. h. ^ m ^ = 0 und 5 = 0 (SingulettZustand So), sind aus dem Grundzustand nur Singulett-Ubergange erlaubt, wie z. B. TT-TT*-Ubergange (s. Abb. 8.20). Diese spinerlaubten Ubergange besitzen einen grofien molaren ExtinktionskoefRzienten s in der Grofienordnung von 10^ — 10^ M~^cm~^. Ein direkter Ubergang aus dem Singulettgrundzustand in den ersten angeregten Triplettzustand Ti (5 = 1) ist dagegen spinverboten. Dieses Verbot gilt jedoch nicht streng, besagt aber, dass der Ubergang in diesem Fall mit sehr kleiner Wahrschein-
8.6 Elektronenschwingungsspektren 50 40
von Molekiilen
30 25
20
329
= v' v"=0
& o