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German Pages 344 Year 1954
S. M. L I P A T O W
PHYSIKALISCHE DER
CHEMIE
KOLLOIDE
S. M. L I P A T O W
PHYSIKALISCHE CHEMIE DER KOLLOIDE
MIT 103 A B B I L D U N G E N IM T E X T
1953
A K A D E M I E - V E R L A G
• BERLIN
J l n n a T O B , C . M . • KBHKO-XHMHH
KOJIJIOHAOB
Erschienen im Staatsverlag für ehem. Literatur der UdSSR 1948 Übersetzt aas dem Russischen von Edgar Scheltz Wissenschaftliche Redaktion: Dr. habil. M. Ulmann, Institut für Ernährungsforschung, Potsdam-Rehbrücke, und Dr. Bernard Kabot, Ober-Assistent am II. Ohemischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin
Die Herausgabe dieses Werkes wurde gefördert vom Kulturfonds der Deutschen Demokratischen Republik
Erschienen im Akademie-Verlag Berlin W 8, Mohrenstraße 39 Lizenz Nr. 202-100/62/52 Copyright 1952 by Akademie-Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Gesamtherstellung: VEB Leipziger Druckhaus (111/18/203) Bestell- und Verlags-Nr. 5093 Printed in Germany
VORWORT Die Entwicklung der Wissenschaft von den Kolloiden wird in den letzten Jahren durch eine deutlich erkennbare Verschiebung zur tieferen physikalischchemischen Begründung ihrer Grundlagen charakterisiert. Dieses bezieht sich nicht nur auf den Hauptabschnitt, auf die Chemie und die Physik der Oberflächenerscheinungen, sondern auch auf eine Reihe anderer Abschnitte, die eine erstrangige Bedeutung für ein tieferes Verständnis des Mechanismus der verschiedenen kolloiden Prozesse haben, z. B. der Bildung kolloider Teilchen, der Koagulation von Solen und deren Stabilität, sowie der thixotropen Erscheinungen, die eine große Rolle in der modernen Technologie spielen. Die außerordentlich schnelle Entwicklung der Industrie plastischer Massen, sowohl im Auslande wie auch besonders in der Sowjetunion, hat einen wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung der Lehre von den lyophilen Kolloiden und der Chemie hochmolekularer Verbindungen ausgeübt, die sich mehr und mehr zu einem gemeinsamen Gebiet der Wissenschaft von den Kolloiden vereinen, der physikalischen Chemie hochmolekularer Verbindungen. Dieser Zweig der Wissenschaft hat in dtjn letzten Jahren eine derart wesentliche physikalisch-chemische und besonders thermodynamische Begründung erhalten, daß man von einer gänzlich neuen Etappe ihrer Entwicklung sprechen kann. Solcherart gewinnt das Gebiet der lyophilen Kolloide neben der praktischen auch eine wichtige theoretische Bedeutung, die ihm eine entsprechende Stelle in den Lehrbüchern über die Kolloide sichert. Bei der Zusammenstellung des Lehrbuches für Kolloidchemie (oder genauer für die physikalische Chemie der Kolloide) entstand natürlicherweise die Frage über die Auswahl des Stoffes. Die Kolloidchemie soll eigentlich die chemische Ausbildung der Studierenden abschließen. Tatsächlich jedoch besteht zwischen dem Inhalt eines Lehrgangs über physikalische Chemie und dem über Kolloidchemie eine große Lücke, da die Lehre von den Kolloiden öfters nur als eine Reihenfolge von empirischen Gesetzmäßigkeiten und Tatsachen gebracht wird. Eine Darstellung dieser Art entspricht jedoch nicht dem tatsächlichen Stand dieser Wissenschaft. Aus diesem Grunde hat der Verfasser einen anderen Weg gewählt. Er hat auf die Darstellung einer Reihe einzelner, meist empirischer Beobachtungen und Tatsachen verzichtet und sich bemüht, nach Möglichkeit ausführlich die Grundrichtung und die Theorie der Lehre von den Kolloiden zu beleuchten und hierbei Methoden der mathematischen Analyse in weiterem Maße zu benutzen, als es bisher geschehen ist. Aus demselben Grunde ist die
VI
Vorwort
Lehre von den lyophilen Kolloiden und den hochmolekularen Verbindungen etwas ausführlicher entsprechend den neuzeitlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen behandelt. Diese Art der Darstellung ist nach einer eingehenden Besprechung des Lehrprogramms und der Methode der Darstellung des Materials mit dem Akademiemitglied P. A. REBENDER gewählt worden, wobei das Lehrprogramm von den Kolloiden unter der Redaktion des letzteren zusammengestellt Wurde, und mit wenigen Ausnahmen als Grundlage für das vorliegende Buch diente. Für dieses Buch hat der Verfasser in der Hauptsache Originalarbeiten benutzt und mathematische Schlußfolgerungen so gebracht, wie sie von den Verfassern gegeben worden sind; hierbei wurden zwecks Vereinheitlichung nur die Buchstaben in den Formeln geändert; in einigen Fällen sind Zwischenberechnungen gegeben, die zu demselben Endergebnis führen, die jedoch in der Regel in den Arbeiten der Verfasser fehlten. In einigen Fällen wird eine Gleichung auf zwei Wegen abgeleitet, kinetisch und thermodynamisch; manchmal werden Theorien dargelegt, die nicht ganz frei von Widersprüchen sind, die jedoch einen einfacheren bzw. vorläufig einzigen Weg zur Lösung dieser oder jener Frage darstellen. In diesen Fällen ist die Lösung in Petitschrift gegeben und für Studierende gedacht, die sich tiefer mit diesen ersten und vorläufig einzigen Versuchen zur Lösung der Fragen befassen wollen. Nach Herausgabe der „Anleitung für praktische Arbeiten in der Kolloidchemie" von Dr. PUTILOWA, hat es der Verfasser für überflüssig erachtet, bei Einzelheiten der experimentellen Untersuchung der Kolloide zu verweilen. Der Verfasser war bemüht, möglichst ausführlich die Rolle der russischen Forscher bei der Durcharbeitung der Grundprobleme der Lehre von den Kolloiden aufzuzeigen, wobei die Entwicklung dieses Gebietes in der Sowjetunion nach der Großen Oktoberrevolution begann und heute so große Erfolge erzielt hat, daß die Arbeiten russischer Autoren jetzt einen wichtigen Platz in der chemischen Weltliteratur einnehmen. Abschließend gibt der Verfasser seinem tiefempfundenen Dank Ausdruck gegenüber den Rezensenten, den Akademiemitgliedern P. A . REBUTDER und A. W. DUMANSKI, für die aufmerksame Durchsicht des Manuskriptes, sowie für eine Reihe von gemachten Bemerkungen.
INHALTSÜBERSICHT Seite
Vorwort
V
K a p i t e l l . G R U N D B E G R I F F E D E R L E H R E VON D E N KOLLOIDEN
1
1. Definition und Bedeutung der Lehre von den Kolloiden 2. Die Grundnomenklatur. Zwei Perioden in der Entwicklung der Lehre von den Kolloiden 3. Dispersionsgrade u n d Systematik disperser Systeme 4. Eigenart des Gebietes der kolloiden Dispersion
I 3 5 10
K a p i t e l n . OPTISCHE EIGENSCHAFTEN KOLLOIDER SYSTEME
13
Der TraDAT.T,-Effekt und seine Bedeutung Das TUtramikroskop und die Bestimmung der Teilehengröße Nephelometrische Messungen Absorption des Lichtes und Farbigkeit Form der Teilchen und optische Eigenschaften kolloider Systeme
13 15 18 19 20
1. 2. 3. 4. 5.
Kapitel i n . MOLEKULAR-KINETISCHE E I G E N S C H A F T E N D E R SOLE . . . .
24
1. Gasdruck und osmotischer Druck
24
2. Zusammenhang zwischen dem osmotischen Druck und der Diffusion a) Theorie der Diffusion b) Bestimmung des Diffusionskoeffizienten c) Berechnung des Molekular- bzw. des Micellargewichts .
27 27 30 32
3. Osmotischer Druck der Kolloide a) Einleitung ' b) Bestimmung des osmotischen Druckes und der Teilchengröße c) Abweichungen von den Gesetzen f ü r ideale Gase d) Verteilung der Elektrolyte bei der Osmose. Die DOITNAK-Theorie
34 34 37 38 40
4. Die BROWNsche Molekularbewegung a) Die Bedeutung der BEOWIR sehen Molekularbewegung b) Theorie der fortschreitenden BBowNschen Molekularbewegung
43 43 45
c) Die BEOWUsohe Drehbewegung
46
d) Experimentelle Prüfung der Theorie der BROWNschen Molekularbewegung .
47
5. Die Fluktuationstheorie
48
6. Barometrische Formel und kinetische Stabilität a) Begriff der kinetischen Stabilität b) Die Folgerung aus dem barometrischen Gesetz c) Experimentelle Überprüfung und Bedingungen der Anwendung des barometrischen Gesetzes
51 51 52 53
VIII
Inhaltsübersicht Seite
7. Sedimentation a) Allgemeine Bemerkungen b) Methode STOKES c) Metbode O D É N d) Zentrifugenmethode 8. Viskosität kolloider Systeme a) Viskosität und Volumen der dispersen Phase b) Methoden der Viskositätsbestimmung o) Viskosität und innere Struktur der Kolloide d) Einfluß fremder Stoffe auf die Viskosität der Kolloide e) Viskosität und Teilchengröße . .
55 55 56 56 58 60 60 65 67 75 77
Kapitel IV. OBERFLÄCHENERSCHEINüNGEN UND ADSORPTION
80
1. Oberflächenenergie und Molekularkräfte 80 2. Oberflächenspannung und Benetzungsvermögen 83 3. Methoden zur Bestimmung der Oberflächenspannung 86 a) Kapillare Steighöhenmethode 86 b) Methode des größten Bläschendruckes 86 4. Die Gesamtoberflächenenergie einer Flüssigkeit 87 5. Oberflächenspannung von Lösungen und Adsorption 89 6. Oberflächenaktive Stoffe und ihr Aufbau 92 7. Das Prinzip der Unabhängigkeit der Oberflächenwirkung 98 8. Oberflächenfilme 102 9. Die Zustandsgieichung der Adsorptionsschicht 104 10. Einfluß der Temperatur auf die Adsorptionsschichten 107 11. Grenzflächenspannung fest—flüssig u n d j Löslichkeit 109 12. Molekularkinetische Theorie der Adsorption. Adsorption auf der Grenze fest—flüssig (Gas) 111 13. Elektrische Erscheinungen in den Oberflächenschichten 121 14. Benetzungswärme und Adsorptionswärme 122 15. Kinetik der Adsorption 126 16. Adsorption und Gasschutz 129 17. Aktivkohle als Katalysator 133 18. Chemische Reaktionen auf festen Oberflächen 134 19. Emulsionen und Schäume 139 Kapitel V. BILDUNG VON KOLLOIDEN. METHODEN UND REINIGUNG VON SOLEN Einleitung Bildung einer neuen Phase Bedingungen zur Gewinnung von Solen Methoden zur Herstellung kolloider Lösungen . a) Die Kondensationsmethode b) Die Dispergierungsmethode c) Die Peptisationsmethode d) Methoden zur Herstellung von Aerosolen 5. Dispergierung fester Körper
ZUR
GEWINNUNG 144
1. 2. 3. 4.
•
144 145 150 154 154 156 158 158 159
Inhaltsübersicht
IX Seite
6. Methoden zur Reinigung kolloider Lösungen a) Dialyse und Elektrodialyse b) Ultrafiltration
162 162 163
Kapitel VI. D I E THEORIE DES AUFBAUES VON KOLLOIDEN TEILCHEN (MICELLEN) 167 1. 2. 3. 4.
Übersicht der Arbeiten Moderne Theorien über den Aufbau der Micellen Anwendung der chemischen Theorie in komplizierten Fällen Die Rolle des Stabilisators
167 168 170 173
Kapitel VII. ELEKTROCHEMIE DER KOLLOIDE
175
1. Elektrophorese und Endosmose 175 2. Theorie der elektrokinetischen Erscheinungen . . 176 3. Experimentelle Überprüfung der Theorie der elektromagnetiscben Erscheinungen 180 4. Theorie der diffusen elektrischen Schicht 182 5. -Leitfähigkeit von Solen 187 Kapitel VIII. KOAGULATION UND STABILITÄT DER KOLLOIDE 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Allgemeine Vorstellungen über die Koagulation Verschiedene Ansichten über die Koagulation und ihre Weiterentwicklung . . . Kinetik der schnellen Koagulation Kinetik der langsamen Koagulation Koagulation polydisperser Systeme Allgemeine Theorien der Koagulation Thixotropie und Koazervation Schutz.und Astabilisierung von Kolloiden, Emulsionen und Suspensionen . . . Stabilität lyophober Systeme . . .
Kapitel I X . GRUNDEIGENSCHAFTEN POLYMERE
D E R LYOPHILEN
KOLLOIDE UND
1. Die Grundeigenschaften lyophiler Kolloide 2. Hochpolymere Verbindungen und die durch sie gebildeten lyophilen Systeme . . a) Bildung von Polymeren und ihre Eigenschaften. Ansichten von H. S T A U D I N G E R b) Teilchenstruktur lyophiler Kolloide. Die Ansichten von M E Y E R und M A R K und ihre weitere Entwicklung 3. Form der Ketten hochpolymerer Stoffe Kapitel X. WASSERAUFNAHME UND QUELLUNG VON GALLERTEN . . . . 1. Wasseraufnahme von Gallerten 2. Das Quellen der Gallerten . . a) Einleitung . b) Die Theorie der Quellung und ihre Thermodynamik c) Die Theorie der zweiten Quellungsstufe d) Die Rolle der Peptisation bei der Quellung . e) Adsorptionserscheinungen in Gallerten f) Die Bodenkörperregel und die Begrenzung ihrer Anwendung g) Die Quellung lyophiler Kolloide bei Gegenwart von Elektrolyten. Die Theorie v o n PROEKTEB-WYLSON
192 192 193 195 199 203 206 208 215 218 225 225 226 226 230 238 246 246 249 249 251 258 260 261 262 263
X
Inhaltsübersicht
Seite
Kapitel X I . LÖSUNG UND PEPTISATION LYOPHILER KOLLOIDE 1. 2. 3. 4. 5. 6.
269
Charakterisierung verschiedener Lösungsarten Abhängigkeit der Löslichkeit von der Temperatur Bedingungen zur Bildung von Aggregaten und Peptisation lyophiler Kolloide . Thermodynamische Eigenschaften der Lösungen von Polymeren Die Viskosität der Lösungen bochpolymerer Stoffe Einfluß von Elektrolyten auf die Hydratation und die Stabilität der lyophilen Kolloide a) Ansichten von P A U L I und L O E B . Der isoelektrische und der isoione Punkt der Proteine B ) Ansichten von K R U Y T '
Kapitel XII. BILDUNG UND EIGENSCHAFTEN VON GALLERTEN
. . . . .
269 270 275 280 286 291 291 297
301
1. Gallertisierung von Solen 301 a) Untersuchung der Erscheinung des Übergangs eines Sols in eine Gallerte . 301 b) Die Gallertisierung8theorie 310 2. Synärese 315 3. Hysterese beim Übergang eines Sols in eine Gallerte 321 Sachverzeichnis
327
KAPITEL I
GRUNDBEGRIFFE DER LEHRE TON DEN KOLLOIDEN 1. Definition und Bedeutung der Lehre von den Kolloiden Bekanntlich hat E N G E L S die Physik vorwiegend als die Mechanik der Moleküle und die Chemie als die Physik der Atome definiert, dabei unterstreichend, daß solche Definitionen „durchaus nicht das gesamte Gebiet der modernen Chemie und Physik umfassen". Indem er die Chemie als die Physik der Atome bezeichnete, hat E N G E L S besonders die Unmöglichkeit unterstrichen, die Chemie nur als eine Mechanik der Atome anzusehen, denn in der Chemie operieren wir nicht nur mit der Quantität, sondern auch mit der Qualität, während die Mechanik nur mit der Quantität operiert. Die Lehre von den Kolloiden ist von diesem Standpunkt aus nicht nur Chemie, sondern vereinigt in sich zwei Gebiete der Wissenschaften: die Physik der Kolloide, also die Mechanik der Moleküle und ihrer Aggregate, und die Chemie der Kolloide, also ihrem Wesen nach die Physik der Atome, mit einigen Einschränkungen, die infolge der besonderen Lage dieser Atome in der Oberflächenschicht des Aggregats nötig sind. Aus dem Dargelegten ergibt sich, daß die Physik der Kolloide sich mit dem Studium der Eigenschaften kolloider Systeme, z. B. der Diffusion und dem osmotischen Druck befaßt, die sich zugleich mit den Änderungen der Zahl und der Größe der Teilchen ununterbrochen ändern, während die Kolloidchemie die Reaktionen auf den Grenzflächen studiert sowie die qualitativen Besonderheiten kolloider Lösungen feststellt, die diese von den echten Lösungen unterscheiden. Die Lehre von den Kolloiden erscheint als ein selbständiges Kapitel der physikalischen Chemie, wie auch die Elektrochemie, die Photochemie u. a. m., und wenn in allen höheren Lehranstalten die Kolloidchemie in einem besonderen Kursus zusammengefaßt ist, so hat es seinen guten Grund. Der Hauptgrund liegt in der außerordentlich großen Bedeutung der Kolloide für die neuzeitliche Industrie. Tatsächlich ist es schwer, gegenwärtig einen Industriezweig zu nennen, der nicht in größerem oder geringerem Umfange die Grundlagen dieser Lehre oder ihre Forschungsmethoden benutzt. Solche Industriezweige, wie die Gummi-, Textil-, Kunstfaserindustrie, Industrie der plastischen Massen, Leder-, Leim-, Nahrungsmittel-, Sprengstoffindustrie u. a. m., haben im wesentlichen mit Kolloiden zu tun (Kautschuk, Baumwolle, Wolle, Natur- und Kunstseide, Leder, Leim, Eiweiß, Kohlehydrate usw.). Deshalb sind die Methoden der Gewinnung
Grundbegriffe der Lehre von den Kolloiden
2
und der Vergütung dieser Stoffe auf den Gesetzen der Lehre von den Kolloiden aufgebaut. In einer Reihe von Industriezweigen, z. B. in der metallurgischen Industrie, den Gerbereien, der ' Seifenherstellung, der pharmazeutischen Industrie, den Erdölraffinerien und anderen sind die einzelnen Methoden der Wissenschaft von den Kolloiden in breitem Umfang eingeführt worden. Aus diesem Grunde kann die Frage nach der Beherrschung der neuzeitlichen Technik verschiedener Industrien nicht ernsthaft ohne Beherrschung der Wissenschaft von den Kolloiden gestellt werden. Kein anderes Gebiet wissenschaftlicher Kenntnisse weist so viele Monographien auf, die den wissenschaftlichen Problemen der technischen Vervollkommnung verschiedener Produktionsprozesse gewidmet sind, wie die Lehre von den Kolloiden. Die wichtigsten dieser Monographien sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Autor
Gebiet
SOKOLOW Michailow Margarttow
Lederindustrie . . Gummiindustrie
.
Nahrungsmittelindustrie .
Dogatkxn Shukow Dumanski
Eiweiß
Kuchakenxo Kulman Nasarow Talmud
Färberei u. Textilindustrie
P a u l i u. Valk6
Lipatow Valk6
Erzaufbereitung
Presskow Rebender
Photographie
RABINOWITSCH
Kunstfaserindustrie . . .
Nikitot Lipatow Karge* 1 RogowinJ
Plastische Massen
. . .
Kobeko
Titel
Physikalische Chemie des Kollagen Kolloidchemie der Tannide Physikalische Chemie des Kautschuks und des Gummis Physik und Chemie des Kautschuks einige Originalarbeiten Kolloide in der Nahrungsmittelindustrie Kolloide in der Zuckerindustrie Kolloide im Bäckergewerbe Kolloidchemie der Stärke Physikalische Chemie der Eiweißstoffe Kolloidchemie der Eiweißkörper Kolloidchemische Grundlagen des Färbens Kolloidchemische Grundlagen der Textiltechnologie einige Originalarbeiten Physikalische Chemie der Flotation Wissenschaftliche Grundlagen der Photographie Kolloide Löstingen und Celluloseäther Hochpolymere Verbindungen einige Originalarbeiten Physikalisch-chemische Eigenschaften der Dielektrika
Diese noch lange nicht vollständige Tabelle zeigt genügend, wie eng die theoretischen Fragen aus dem Gebiet der Kolloide mit aktuellen Problemen der Industrie verflochten sind.
Die Grundnomenklatur. Zwei Perioden in der Entwicklung der Lehre von den Kolloiden
3
2. Die Grundnomenklatur. Zwei Perioden in der Entwicklung der Lehre von den Kolloiden Die Lehre von den Kolloiden, die ihre stärkste Entwicklung in den letzten 25 bis 30 Jahren erreicht hat, kam in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf, als die ersten systematischen Untersuchungen des englischen Chemikers GRAHAM erschienen. Die Arbeiten von GRAHAM können in zwei selbständige Abschnitte aufgeteilt werden. Zum ersten Abschnitt seiner Arbeiten gehören die Untersuchungen über die Diffusion von in Wasser gelösten Stoffen. Der zweite Abschnitt seiner Arbeiten behandelt die Methoden der Gewinnung kolloider Lösungen. GRAHAM fand, daß alle Stoffe nach ihrer Diffusionsfähigkeit in zwei Gruppen eingeteilt werden können: 1. leicht diffundierende Stoffe (Zucker, Kochsalz u. a.) und 2. schwer diffundierende Stoffe (Eiweiß, Karamel usw.). Die Ergebnisse der Untersuchungen von GRAHAM zeigt Tabelle 1. Tabelle 1. D i f f u s i o n v e r s c h i e d e n e r Benennung der Stoffe
Salzsäure Kochsalz Zucker Magnesiumsulfat Hühnereiweiß Karamel
Stoffe
Diffusionsdauer in relativen Einheiten
1,00 1,33 7,00 7,00 99.00 48,00
Bei der Durchsicht dieser Zahlen bemerkte GRAHAM, daß zur Gruppe der leicht diffundierenden Stoffe diejenigen gehören, die unter normalen Bedingungen gut kristallisieren, während zur Gruppe der langsam diffundierenden Stoffe die Stoffe mit nichtkristallinischem Bau gehören, die beim Verdampfen viskose, wenig bewegliche Systeme bilden. Bei der Betrachtung dieser beiden Gruppen von Stoffen nach den Diffusionsmerkmalen erkannte GRAHAM in ihnen die Vertreter zweier gänzlich verschiedener Welten, der Welt der Kristalloide und der Welt der Kolloide. Entsprechend den Vorstellungen von GRAHAM ist jede physikalische und chemische Eigenschaft in jeder dieser Klassen in charakteristischer Art modifiziert. Es sind gleichsam verschiedene Welten der Materie, und sie sind Anlaß zur entsprechenden Aufteilung der Chemie. Eine zweite wichtige, der Diffusion nahestehende Eigenschaft, die die Kolloide von den Kristalloiden unterscheidet, und die gleichfalls von GRAHAM entdeckt wurde, ist die Unfähigkeit der kolloiden Lösungen, verschiedene animalische oder vegetabilische Membranen zu durchdringen. Da diese Erscheinung außer wissenschaftlichem Interesse auch eine große praktische Bedeutung als eine der einfachsten Arten der Untersuchung kolloider Systeme hat, soll die Methode von GRAHAM genauer beschrieben werden.
4
Grundbegriffe der Lehre von den Kolloiden
Wir nehmen einen breiten Glaszylinder 1 (Abb. 1) und befestigen am unteren Ende desselben eine halbdurchlässige Membrane 2, Pergamentpapier oder Kollodiumhaut. Jetzt füllen wir den Zylinder mit einer Mischung von Karamel mit Kochsalz und stellen den Zylinder in ein großes Gefäß 3 mit Wasser. Nach einiger Zeit können wir einwandfrei feststellen, daß KochMischung ron salz durch die Membrane in das den Zylinder -1 Karamel und —J umgebende Wasser übergetreten ist, während Kochsalz
Karamel nicht durch die Membrane insWasser übergehen kann, wie lange wir den Versuch Wasser auch ausdehnen. Diese Methode, von G R A H A M Dialyse genannt, gibt die Möglichkeit, nicht Abb. 1. Dialysator nach G r a h a m : I inneres Gefäß (Zylinder); 2 halbdurchlässige Memnur ein Kolloid von einem Kristalloid zu unbrane 3 äußeres G e f ä ß terscheiden, sondern auch, was besonders wichtig ist, reine Kolloidlösungen zu gewinnen und Mischungen von Kristalloiden und Kolloiden in ihre Bestandteile aufzuteilen. I n der Kunstfaserindustrie wird die Methode von G R A H A M in weitem Maße zur Reinigung merzerisierter Lauge von den beigemischten Zerfallsprodukten der Cellulose, deren Teilchen nach ihrer Größe sich den Kolloidteilchen nähern, angewendet. Auf diese Art gelingt es, das kostspielige NaOH zu regenerieren. Bei der Untersuchung von Tanniden in der Lederindustrie ermöglicht es die Dialysenmethode, die Aufteilung derselben in zwei Fraktionen durchzuführen: 1. Fraktion von niedrigem Molekulargewicht, die durch die Poren des Dialysators hindurchdringen kann, und 2. Fraktion von hohem Molekulargewicht, die im Dialysator verbleibt. Für die Theorie des Gerbens hat eine solche Fraktionierung eine große Bedeutung, da hierdurch der Einfluß d er Teilchengröße auf die gerbende Wirkung der Tannidegeklärt werden kann.
Was den zweiten Abschnitt der Arbeiten G R A H A M S betrifft, in denen die Methoden der Herstellung kolloider Lösungen dargelegt werden, so ist G R A H A M auf Grund dieser Arbeiten zu dem Schluß gekommen, daß viele Stoffe, die als unlöslich angesehen wurden, unter geeigneten Bedingungen in einen löslichen Zustand überführt werden können, wobei diese Lösungen sich auf Grund äußerer Anzeichen oft durch nichts von gewöhnlichen echten Lösungen unterscheiden. So z. B. hat G R A H A M Lösungen von Silicium- und Wolframsäuren, Hydraten von Eisenoxyd und Aluminiumoxyd und eine Reihe anderer Stoffe erhalten. Äußerlich scheinen diese Lösungen vollkommen durchsichtig und homogen zu sein, nach ihrer Diffusionsfähigkeit jedoch und nach der Dialyse gehören sie zur Gruppe derjenigen Stoffe, die von G R A H A M Kolloide genannt wurden. Zum Unterschied von echten Lösungen hat G R A H A M diese kolloiden Lösungen S o l e genannt. Da eine kolloide Lösung nicht nur in Wasser, sondern auch in anderen Lösungsmitteln erreicht werden kann, z. B. in Alkohol oder Äther, so pflegt man allgemein kolloide Lösungen verkürzt nach der Art des Lösungsmittels zu benennen. So nennt man kolloide Lösungen in Wasser — Hydrosole, in Alkohol — Alkohosole, in Äther — Ätherosole usw. Die Arbeiten von GRAHAM, die eine neue, bisher nicht untersuchte Welt von Stoffen erschlossen, erweckten ein weitreichendes Interesse zu ihrer Unter-
Dispersionsgrade und Systematik disperser Systeme
5
suchung. Im Gegensatz zu den damals in der Wissenschaft herrschenden Ansichten von GRAHAM, der in den Kolloiden eine besondere Welt von Stoffen sah, und die seine Nachfolger dazu führten, nach diesen neuen Stoffen zu suchen, ging die russische Wissenschaft von den Kolloiden den Weg der Feststellung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten. So hat schon 1869 BORSCHTSCHOW in einer sehr gründlichen Arbeit die Diffusionsgeschwindigkeit von Kolloiden untersucht und im Gegensatz zu GRAHAM nicht nur die Betrachtung dieser Systeme als Mehrphasensysteme entwickelt, sondern hat sich auch für eine kristalline Struktur der kolloiden Teilchen ausgesprochen. In der Arbeit von BORSCHTSCHOW ist erstmalig festgestellt worden, daß zwischen der Teilchengröße verschiedener Kolloide und ihrer Diffusionsgeschwindigkeit eine reziproke Abhängigkeit besteht. Seine Nachfolger jedoch sind diesen Weg nicht gegangen. Der Einfluß der Ansichten GRAHAMS war so groß, daß etwa 40 Jahre erforderlich waren (1865 bis 1904), um die ganze Inhaltslosigkeit seiner Klassifikation und die Begrenztheit seiner Vorstellungen zu zeigen und zu beweisen. Dieses ist um so mehr verwunderlich, als es sowohl GRAHAM wie auch besonders seinen Nachfolgern gelungen war, nicht nur Stoffe, die in der Natur vorwiegend im amorphen Zustand vorkommen, sondern auch eine Reihe von Stoffen mit einer klar ausgeprägten kristallinen Struktur, wie A1 2 0 3 , Si0 2 , Fe 2 0 3 und andere in kolloidem Zustand zu erhalten. Wesentlich später als BORSCHTSCHOW hat ZSIGMONDY gleichfalls den kristallinen Aufbau der von ihm aus Gold hergestellten Sole bemerkt. Er hat jedoch daraus keine genügend klaren Schlüsse über den Bau kolloider Teilchen im ganzen gezogen. Es waren 40 Jahre ununterbrochener Arbeit erforderlich^ um den Boden zur Überprüfung der Ansichten GRAHAMS vorzubereiten, bis dann endlich der russische Gelehrte VON WEIMARN die richtigen Vorstellungen schaffen konnte, die die Ansichten GRAHAMS endgültig zerschlugen. An mehr als 200 verschiedenen Objekten zeigte VON WEIMARN, daß ein beliebiger Stoff sowohl als Kristalloid als auch als Kolloid erhalten werden kann. Kolloide und Kristalloide sind demzufolge nicht verschiedene Klassen von Stoffen, sondern zwei verschiedene Formen eines und desselben Stoffes, aus dem jede dieser Formen durch entsprechende Lenkung des Prozesses gewonnen werden kann. Der kolloide und der kristalline Zustand sind der gemeinsame Besitz der Materie, dies ist das Resultat der fünfjährigen Arbeit VON WEIMARNS. Seit dieser Zeit hatte die Lehre von den Kolloiden die Möglichkeit einer fruchtbaren Entwicklung. Während die Forscher in der ersten Periode der Entwicklung der Wissenschaft von den Kolloiden sich die Hauptaufgabe stellten, Stoffe mit kolloiden Eigenschaften zu suchen und ihre qualitative Charakteristik festzustellen, ist in der zweiten Periode die Notwendigkeit der Erforschung der gemeinsamen Kennzeichen der Systeme von Teilchen aller möglichen Größenklassen das Hauptproblem gewesen. 3. Dispersionsgrade und Systematik disperser Systeme Wir haben gefunden, daß kolloide Lösungen - Sole - sich von den echten Lösungen durch die Langsamkeit der Diffusion unterscheiden und die Unfähigkeit, verschiedene tierische und pflanzliche Membranen zu durchdringen. Es er-
6
Grundbegriffe der Lehre von den Kolloiden
hebt sich die Frage, wodurch sich solch ein Verhalten dieser Lösungen erklären läßt. Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns einerseits daran erinnern, was wir unter Diffusion verstehen, andererseits aber klären, was eine Membran des Dialysators darstellt. Es ist bekannt, daß bei der Lösung irgendeines Stoffes, z. B. von 'NaCl in Wasser, eine Aufspaltung von NaCl in Moleküle und Ionen vor sieh geht, die sich in beständiger und ungeordneter Bewegung befinden, d. h., daß die Ionen und Moleküle einen bestimmten Vorrat an kinetischer Energie aufweisen. Wenn man über die Lösung eine Schicht reinen Wassers gießt, wird die gleichmäßige Verteilung der Energie an den beiden Seiten der Verteilungsgrenze gestört, und die Teilchen des gelösten Stoffes werden bestrebt sein, in das reine Wasser überzugehen, um ihre Konzentration auszugleichen. Die Geschwindigkeit dieser Bewegung (Diffusionsgeschwindigkeit) hängt in erster Linie von der Größe der Teilchen ab: je kleiner die Teilchen, um so beweglicher sind sie im allgemeinen, und um so schneller werden sie in die darüberliegende Wasserschicht übergehen, und umgekehrt, je größer die Teilchen, um so langsamer werden sie sich bewegen. Auf Grund solcher einfachen Überlegungen, mit denen wir uns vorläufig bescheiden wollen, können wir sagen, daß der Unterschied zwischen kolloiden und kristallinen Lösungen in der Größe der Teilchen besteht und daß kolloide Lösungen größere Teilchen aufweisen als Lösungen von Kristalloiden. Zu einem vollkommen analogen Schluß kommen wir auch bei der Betrachtung der Eigenschaften der Membranen. Was ist die Membran des Dialysators? Annähernd bezeichnet ist sie dasselbe wie ein gewöhnliches Filter, d. h. ein Sieb mit außerordentlich kleinen Öffnungen, die mit Hilfe der derzeitigen optischen Geräte nicht zu sehen sind. Wenn Kristalloide frei durch diese Poren dringen, so beweist es, daß diese Poren größer oder annähernd gleich groß sind wie die Moleküle des Kristalloids; wenn Kolloide nicht durch diese Poren dringen können, so bedeutet das, daß die Poren wesentlich kleiner sind als die kolloiden Teilchen. So ist uns jetzt der grundlegende Unterschied zwischen Kolloiden und Kristalloiden klargeworden. Derselbe besteht im Unterschied in der Größe der Teilchen. Oben ist jedoch gesagt worden, daß wir ein und denselben Stoff sowohl in Form eines Kristalloids als auch in Form eines Kolloids erhalten können; deswegen werden wir unsere Schlüsse durch den Zusatz vervollständiget müssen, daß in kolloiden Lösungen als Teilchen nicht die Moleküle des aufgelösten Stoffes auftreten, sondern Aggregate derselben, d. h. Gruppen von Molekülen, die miteinander verbunden sind. Die Anzahl der Moleküle in solchen Aggregaten kann durchaus verschieden sein. Man kann kolloide Lösungen mit Teilchen erhalten, deren Größe nahe der Größe der Moleküle liegt; man kann umgekehrt auch Moleküle erhalten, deren Teilchen so groß sind, daß man dieselben mit einem gewöhnlichen Mikroskop sehen kann. Hier nähern wir uns der Klärung einer sehr wesentlichen Charakteristik kolloider Systeme. Bei einer Lösung von Kochsalz in Wasser sagen wir, daß diese Lösung einphasig ist. Wir bezeichnen als echte Lösungen flüssige, einphasige Mischungen,
Dispersionsgrade und Systematik disperser Systeme
7
deren Eigenschaften in einem beliebigen Punkt des Systems die gleichen sind. Zu dieser Ansicht kommen wir hauptsächlich deshalb, weil in diesem Falle der Unterschied in der Größe der Moleküle des gelösten Stoffes und der Moleküle des Lösungsmittels außerordentlich gering ist. Wenn wir zur Betrachtung kolloider Lösungen übergehen, können wir diesen Unterschied nicht mehr unberücksichtigt lassen. In kolloiden Lösungen ist der Unterschied zwischen den Molekülen des Lösungsmediums und den kolloiden Teilchen so wesentlich, daß man die Möglichkeit hat, vom Vorhandensein einer physikalischen, realen Grenzoberfläche zu sprechen. Da jedoch dieser letzte Umstand ein Merkmal der Mehrphasigkeit eines Systems ist, werden wir in erster Linie die kolloiden Systeme als Mehrphasensysteme bezeichnen. Die Größe dieser Grenzoberfläche bestimmt sehr viele Eigenschaften der Kolloide und ist eine Funktion der Größe der Teilchen. Deshalb sind einige Forscher der Meinung, daß die Größe der kolloiden Teilchen das ursächliche Charakteristikum kolloider Systeme darstellt. In der Kolloidchemie spricht man nicht von der absoluten Oberfläche kolloider Teilchen, sondern von ihrer spezifischen Oberfläche, d. h. von dem Verhältnis der Oberfläche der Teilchen zu ihrem Volumen: Oberfläche Volumen
s v
0
'
Genau so wird in der Physik vom spezifischen Gewicht eines Stoffes gesprochen. Die spezifische Fläche eines Teilchens ist demzufolge eine Größe, die den Spaltungsgrad des gegebenen Systems charakterisiert, dieser wird meist als Dispersionsgrad bezeichnet. Wir betonen noch einmal: Der Dispersionsgrad ist nur eines der hauptsächlichen charakteristischen Merkmale des kolloiden Zustandes, und viele Eigenschaften dieser Systeme sind Funktionen ihres Dispersionsgrades. Wir wollen jetzt sehen, welche Dispersionsgrade die kolloiden Lösungen haben und wie sich diese beim progressiven Aufspalten der Teilchen äußern. Stellen wir uns ein Teilchen in der Form eines Würfels mit der Kantenlänge von 1 cm vor. Auf Grund des eben Gesagten kann man für die spezifische Oberfläche dieses Würfels folgende Gleichung aufstellen: _
s _
6Z2 _
6
° ~ T ~ ~W — T '
s
wobei l die Kantenlänge des Würfels ist. Wenn wir diesen Würfel so aufspalten, daß wir Würfel einer Kantenlänge von 0,1 cm erhalten, so haben wir eine spezifische Oberfläche von 60 cm - 1 . Wenn wir jedoch den Würfel so spalten,daß jeder Würfel eine Kantenlänge von 0,01 cm besitzt, so erhalten wir eine spezifische Oberfläche von 600 cm - 1 , usw. Tabelle 2 zeigt, wie sich die spezifische Oberfläche eines Teilchens, das in Würfelform gedacht ist, bei der progressiven Teilung desselben ändert, und wie sich hierbei die Gesamtoberfläche des ganzen Systems ändert. 2
Lipatow, Physikalische Chemie
8
Grundbegriffe der Lehre von den Kolloiden
Tabelle 2. Änderung der Oberflächengröße beim S p a l t e n von würfelförmigen Teilchen Anzahl der bei der Teilung entstehenden Würfel
Kantenlänge des Würfels in cm
i i i i i i i i
1 103 10« 10" 1012
1 0 — 1 (1 m m ) 10-2(0,1 mm) K T 3 (0,01 m m ) 10-4 (l
.
.
Gesamtoberfläche
.
fi)
6 cm2 60 „ 600 „ 6000 „ 6 m2 60 „
10IS 1018 1021
1 0 - « (0,1/«) 1 0 - « (0,01 n) 1 0 - 7 (1 mfi)
600 6000
„ „
Spezifische Oberfläche (Dispersionsgrad) cm—1 6 6 - 101 6 - 102 6 - 103 6 - 104 6 • 10« 6 - 10« 6 - 10 7
Gienau so können wir eine analoge Tabelle für kugelförmige Teilchen aufstellen: ^ s ^ 4nr2 ^ 3 S
° ~ T ~
4/3 rcr3
—
T "
Systeme mit Teilchengrößen von 0,1 ¡j, bis 1 m« bezeichnen wir als kolloide Systeme; mit der Verringerung der Größe der Teilchen, d. h. mit der Erhöhung des Dispersionsgrades nähern wir uns den Molekülen; mit der Verminderung des Dispersionsgrades kommen wir zu gröberen Gebilden. Auf Grund der Angaben der Tabelle 2 ist ersichtlich, daß die kolloiden Systeme durch eine besonders stark entwickelte Oberfläche charakterisiert sind. Es ist unbedingt zu beachten, daß sowohl die kolloiden Teilchen oder, wie man sagt, die disperse Phase, als auch das Medium, in dem sie sich befinden und das als Dispersionsmedium bezeichnet wird, den drei Aggregatzuständen fest (/), flüssig (fl) oder gasförmig (g) entsprechen können. Wenn wir mit dem ersten Buchstaben das Dispersionsmedium und mit dem zweiten Buchstaben die disperse Phase bezeichnen, so können alle möglichen Kombinationen in folgende 9 Gruppen gebracht werden: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
fl + g = fl -f- fl = /Z + / = / + g = f -j- fl = / + / = g + 9 = 8. g + fl = 9. g + / =
Schaum Emulsion von Öl in Wasser Suspension von Ton in Wasser Einschluß von Gasen in festen Körpern, z . B . Bimsstein Einschluß von Flüssigkeiten in Mineralien feste Einschlüsse in Mineralien, gefärbtes Glas unbekannt Nebel Rauch
Von allen in dieser Klassifikation kolloider Systeme aufgezeigten Fällen sind die 2. und 3. Gruppe am besten erforscht worden, und wir werden im vorliegenden Werk unser Hauptaugenmerk diesen zwei Gruppen zuwenden. Es ist jedoch zu bemerken, daß außer der angeführten Klassifikation nach dem Aggregatzustand auch noch eine Klassifikation nach dem Dispersionsgrad besteht. Als Berechtigung für eine solche Klassifizierung dient die Ansicht, nach
9
Dispersionsgrade und Systematik disperser Systeme
der die Kolloidchemie auch diejenigen Systeme in den Kreis ihrer Untersuchungen einschließen soll, deren Teilchen in ihren Abmessungen die kolloiden Teilchen übertreffen. In diesem Zusammenhang spricht man nach einem Vorschlag von VON W E I M A K N über disperse Systeme im allgemeinen, während man die Lehre von den Kolloiden mit Dispersoidologie bezeichnet. W i r wollen auch diese K l a s s i f i k a t i o n kurz b e t r a c h t e n , um so mehr, da aus ihr S c h l ü s s e gezogen wurden, auf die n ä h e r eingegangen werden muß. Vorhin haben wir gesehen, daß bei dem progressiven Spalten des Würfels sich kein krasser Übergang von kolloiden zu molekularen Systemen ergibt, sondern, im Gegenteil, daß dieser Übergang kontinuierlich vor sich geht. Gerade diese Kontinuierlichkeit des Übergangs veranlaßte verschiedene Forscher, den Weg der künstlichen Teilung aller Stoffe in drei Gruppen nach ihrem Dispersionsgrad zu beschreiten: 1. echte Lösungen mit molekularem Dispersionsgrad (Disperside) 2. kolloide Lösungen (Dispersoide) und zuletzt 3. grobe Systeme - Suspensionen (Dispersionen). Die Klassifikation nach dem Dispersionsgrad zeigt Tabelle 3. Tabelle 3. Klassifizierung Gruppen
I. Gruppe — Disperside II. Gruppe — Dispersoide III. Gruppe — Dispersionen
zerteilter
S y s t e m e n a c h dem Disperaionsgrad s 0
6 • 107 und größer 6 • 106 — 6 • 10' < 6 - 10 5
Dispersionsgrad Radius der Teilchen
1 m/Jt u. kleiner 0,1 ¡1— 1 m/j, > 0 , 1 ft
Auf Grund dieser Klassifikation entstand die Vorstellung von Kolloiden als Systemen, die eine Zwischenstelle zwischen den echten Lösungen einerseits und den groben Suspensionen (oder Emulsionen) andererseits einnehmen, mit allen sich daraus ergebenden Folgerungen betreffs der Eigenschaften dieser Systeme. Eine dieser Folgerungen betraf die Anerkennung einer prinzipiellen Identität der Kolloide und der echten Lösungen, deren sämtliche Eigenschaften vom Dispersionsgrad bestimmt und von diesem theoretisch abgeleitet werden können. Eine solche mechanische Auffassung der Frage der Kolloide besteht in der Wissenschaft auch heute noch und besitzt viele Anhänger, jedoch begegnete sie früher und noch jetzt verschiedenen Einwendungen. Besonders bemerkt werden muß das Aufkommen chemischer Theorien, deren wichtigste Vertreter P E S S K O W , D U M AN S K I und D T T C L A U X waren. Diese Theorien haben in der letzten Zeit eine sehr breite experimentelle Grundlage erhalten. Das Wesen dieser Theorien führt zur Ansage, daß der Dispersionsgrad als einziges und alles erklärendes Kennzeichen des Systems abgelehnt und zusätzlich dazu angenommen wird, daß spezifische, chemische Eigenheiten solcher Systeme eine fast noch größere, wesentlichere Bedeutung haben, wobei diese spezifischen Eigenheiten nicht zum chemischen Bestände der Grundmasse der Teilchen gehören, sondern durch bestimmte Bindungen zwischen den Teilchen und dem diese umgebenden Medium 2*
10
Grundbegriffe der Lehre von den Kolloiden
bestimmt sind. Wenn man den Inhalt dieser beiden Richtungen zusammenfassen will, kann man folgendes sagen: Die m e c h a n i s c h e Theorie vereinfacht bis zum äußersten das Problem des kolloiden Zustandes, indem hierbei alle Sole und Suspensionen als Systeme angesehen werden, die qualitativ identisch sind und sich voneinander nur durch die Größe der Teilchen unterscheiden; zugleich sieht die mechanische Theorie und kann gar nicht anders sehen - die Teilchen isoliert und überhaupt nicht mit dem Medium verbunden, in dem sie sich befinden. Die chemische Theorie dagegen betrachtet die Größe der Teilchen als ein zweitrangiges Merkmal, bezeichnet das Zusammenwirken der Teilchen mit dem diese umgebenden Medium als einen wesentlicheren Faktor und versucht aus diesem Zusammenwirken alle Besonderheiten der Kolloide abzuleiten. Im Zusammenhang hiermit erhält der Begriff des Kolloids selbst einen anderen Sinn und wird grundsätzlich als verschieden, zumindest von den Suspensionen, angesehen. Wir wollen vor allem zwei Umstände vermerken: 1. Man muß zugeben, daß die seinerzeit sich abzeichnenden und auch heute noch existierenden zwei Theorien nur versehentlich und infolge eines Mißverständnisses als zwei selbständige und voneinander getrennte Richtungen angesehen werden können. Eigentlich sind sie als verschiedene Seiten eines gemeinsamen Merkmals der Kolloide anzusehen, die, wenn man sie in ihrem gegenseitigen Zusammenhang nimmt, uns eine genauere und realere Vorstellung über die Kolloide vermitteln. 2. Eine Theorie der Kolloide, die frei von Widersprüchen ist, kann nur aus dem tatsächlichen Wesen des Prozesses der Bildung der kolloiden Phase und der Stabilität derselben abgeleitet und aufgebaut werden, mit Berücksichtigung des gesamten Komplexes der Eigenschaften, die den Kolloiden gemäß sind. Die mechanische Theorie von OSTWALD ist auf der Hypothese von der Verbindung aller Eigenschaften der Kolloide mit dem Dispersionsgrad allein aufgebaut und ist demzufolge nicht ein Ergebnis der tatsächlichen Gegebenheiten, sondern einer vorausgesetzten Annahme über die bevorzugte Stellung der Teilchengröße gegenüber anderen Eigenschaften. Es ist jedoch zu erwähnen, daß dank der Peststellung quantitativer Zusammenhänge zwischen Kolloiden und echten Lösungen die absolute metaphysische Gegensätzlichkeit zwischen ihnen, die von der Wissenschaft auf einer früheren Entwicklungsstufe derselben angenommen wurde, nicht mehr existiert. Zweifellos ist die Feststellung der Gemeinsamkeit quantitativer Gesetzmäßigkeiten, die in der Möglichkeit der Anwendung von molekular-kinetischen Vorstellungen bei zerteilten Systemen mit verschiedenen Dispersionsgraden ihren Ausdruck gefunden hat, ein Schritt vorwärts. 4. Eigenart des Gebietes der kolloiden Dispersion Wir wollen jetzt zeigen, daß man beim Übergang von Molekülen zu Teilchen eines kolloiden Dispersionsgrades auch auf rein qualitative Unterschiede stößt. Qualitative Unterschiede beobachten wir bei den Erscheinungen der Lichtstreuung, besonders deutlich jedoch erkennen wir dieselben bei den Farben- und
Eigenart des Gebietes der kolloiden Dispersion
II
Oberflächeneigenschaften kolloider Systeme. Es ist bekannt, daß kolloide Metalle, Sulfide usw. sogar bei sehr geringen Konzentrationen eine so starke Färbung ergeben, daß diese in ihrer Intensität die Färbung von Farbstoffen, öfters sogar in wesentlichem Maße überschreitet. Wenn wir beispielsweise die Farbintensität des Fuchsins als Einheit annehmen, so ist die Farbintensität des As 2 S 3 -Sols (derselben Konzentration wie die Fuchsinlösung) durch die Zahl 20 wiederzugeben und die von kolloidem Gold sogar durch die Zahl 400. Vielleicht jedoch ändert sich diese Färbung auch kontinuierlich wie die vorher untersuchten Eigenschaften mit dem Dispersionsgrad des Systems? Diese Frage können wir verneinend beantworten. Wenn man die Intensität des Goldsols in Abhängigkeit von der Teilchengröße untersucht, so wird man die größte Intensität gerade im Gebiet der kolloidalen Dispersion finden. Analog ändern sich auch die Eigenschaften, die mit der Oberfläche der dispersen Phase verbunden sind. E N G E L S schrieb seinerzeit, daß sich das Molekül schon qualitativ von der Masse unterscheidet, zu der es gehört. Er wies darauf hin, daß das Mplekül unabhängig von der Masse Bewegungen ausführen kann, während die Masse sich scheinbar im Ruhestand befindet. So ist die Masse, die zwar nur aus Molekülen besteht, ihrem Wesen nach von diesen verschieden. Demzufolge weist auch ein Molekül, das getrennt von anderen Molekülen betrachtet wird, und diesen Fall haben wir bei den echten Lösungen, andere Eigenschaften auf als Moleküle, die miteinander zu einem kolloiden Teilchen verbunden sind, wobei dieser Unterschied nicht nur in den oben erwähnten optischen Eigenschaften, sondern auch in den Oberflächeneigenschaften zum Ausdruck kommt. Eine Gruppe von miteinander verbundenen Molekülen bildet ein System, bei dem eine mikroskopische Oberfläche vorhanden ist und das eine bestimmte Oberflächenspannung aufweist, eine Oberflächenenergie. Die Wirkung der Oberflächenenergie auf physikalische und chemische Eigenschaften der Stoffe kann man auch sehr anschaulich an folgenden Beispielen sehen. Aus der Physik ist bekannt, daß die Dampfspannung einer Flüssigkeit von der Form ihrer Oberfläche abhängig ist. Die Dampfspannung einer Flüssigkeit ist bei konvexer Oberfläche (mit genügend kleinem Krümmungsradius) größer und bei konkaver Oberfläche kleiner als bei einer ebenen Oberfläche. Wenn man die Dampfspannung des Wassers bei einer ebenen Oberfläche mit p bezeichnet und auf der Oberfläche eines Wassertropfens mit p', so ist: bei einem Radius des Tropfens von 1 mm p' — p = 0,0003 mm WS „ „ „ „ ,, „ 0,01mm p' — p = 0,03 mm WS Bei Beachtung des Zusammenhanges der Dampfspannung mit dem Schmelzpunkt sehen wir, daß bei Erhöhung des Dispersionsgrades auch der Schmelzpunkt sinkt (Tabelle 4). Tabelle4. E i n f l u ß des D i s p e r s i o n s g r a d e s auf d e n S c h m e l z p u n k t v o n S a l o l Durchmesser der Teilchen In p
Schmelzpunkt in °C . . . .
32
16
12
10
8
41,5
41
40
39
38
12
Grundbegriffe der Lehre von den Kolloiden
Weiter ist auf Grund von Arbeiten, über die wir weiter unten sprechen werden, eine Abhängigkeit zwischen der Dampfspannung und der Löslichkeit festgestellt worden. Auf Grund dieser Abhängigkeit läßt sich die Schlußfolgerung ziehen, daß kleinere Teilchen (bis zu einer bestimmten Grenze) eine größere Löslichkeit aufweisen werden als größere Teilchen (Tabelle 5). Tabelle5. E i n f l u ß des Dispersionsgrades Stoff
CaS04.
.
BaS04
.
HgO. . .
auf die L ö s l i c h k e i t
Durchmesser der Teilchen ft
Löslichkeit Millimol/Liter
2 0,3 1,8 0,1 grobkörnig feinkörnig
15,33 18,20 2,29 4,15 50 150
Zum gleichen Schluß kommt man durch die Arbeiten von Van t ' H o f f , der gezeigt hat, daß eine instabile, einen großen Vorrat an freier Energie besitzende Modifikation eine größere Dampfspannung und auch eine größere Löslichkeit aufweist als eine stabile Modifikation (hochdisperse Teilchen haben einen größeren Vorrat an freier Energie). Die Teilchengröße beeinflußt auch die chemischen Eigenschaften der Stoffe. Mit der Erhöhung der Dispersion wird z. B. die Bindung des Kristallwassers geschwächt: Ein Mikrokristall von A1 2 0 3 • 3 H 2 0 gibt das Wasser bei 200° ab, während ein hochdisperser Niederschlag das Wasser bei 100° verliert; reines grobdisperses Gold löst sich nicht in HCl, während Gold in Kolloidform eine solche Löslichkeit aufweist; fein zerkleinerter Schwefel gibt keine bemerkbare Reaktion mit Silbersalzen, während kolloider Schwefel Silbersulfid bildet usw. Die angeführten Beispiele genügen, um zu zeigen, daß das Gesetz des Überganges einer Quantität in eine Qualität auch hier seine Bedeutung in vollem Umfange behält. Deswegen erlaubt alles Dargelegte den Schluß, daß Moleküle und deren Aggregate (Teilchen von kolloidem Dispersionsgrad) sich sowohl durch gemeinsame als auch durch verschiedene Eigenschaften charakterisieren lassen. Die Gemeinsamkeit der Eigenschaften zeigt sich darin, daß sich beide Systeme in molekular-kinetischer Hinsicht gleich verhalten; der Unterschied dagegen besteht darin, daß in den Kolloiden neue qualitative Eigenschaften erscheinen (Oberflächeneigenschaften), die ein einfaches Molekül nicht besitzt. Es muß jedoch bemerkt werden, daß auch diese qualitativen Eigenschaften nur einen bestimmten Dispersionsgrad charakterisieren und keine Möglichkeit geben, eine Unterscheidung zwischen einer kolloiden Lösung und einer Suspension gleichen Dispersionsgrades durchzuführen. Anders ausgedrückt, sind die hier untersuchten quantitativen und die damit verbundenen qualitativen Eigenschaften sowohl Solen als auch Suspensionen gemeinsam. Der bestimmende Faktor in ihnen ist die Größe der Teilchen. Weiter unten werden wir die Besonderheiten herausstellen, durch die sich Sole grundsätzlich von Suspensionen gleichen Dispersionsgrades unterscheiden.
KAPITEL
II
OPTISCHE EIGENSCHAFTEN KOLLOIDER SYSTEME 1. Der TYNDALL-Effekt und seine Bedeutung Im Jahre 1869 stellte TV-HT>AT,T, fest, daß bei Durchgang eines einfallenden Strahlenbündels durch eine kolloide Lösung die Bildung eines leuchtenden Kegels zu beobachten ist. Diese Erscheinung wurde zu Ehren ihres Entdeckers mit TYNDALL-Effekt bezeichnet. Anfangs hatte man angenommen, daß nur kolloide Systeme diese Eigenschaften besitzen. Nachher jedoch wurde gefunden, daß der TTODALT,-Effekt bei allen dispersen Systemen zu beobachten ist, bei denen der Dispersionsgrad gleich oder größer als der kolloide Dispersionsgrad ist. Untersuchen wir, was mit einem parallelen Strahlenbündel geschieht, das auf die Oberfläche irgendeines Teilchens fällt. Falls die linearen Abmessungen des Teilchens im Verhältnis zu der Wellenlänge des auffallenden Lichtes relativ groß sind, wird eine Reflexion des Lichtes nach den Gesetzen der Physik zu beobachten sein. Bei einer ideal glatten Oberfläche werden die reflektierten Strahlen parallel zueinander verlaufen, bei einer gewöhnlichen, d. h. rauhen Oberfläche jedoch werden sie unter verschiedenen Winkeln reflektiert werden. Von dieser Lichtstreuung, der Reflexion, muß man jedoch die Lichtstreuung unterscheiden, die beobachtet wird, wenn die Wellenlänge des einfallenden Lichtes im Vergleich zu den linearen Abmessungen der lichtstreuenden Teilchen groß ist. In diesem Falle wird eine Beugung der Lichtwelle beobachtet, ein Umgehen des der Welle im Wege stehenden Teilchens. Diese Lichtstreuung ist die Ursache des TYNDALL-Effekts. Das Phänomen der Lichtstreuung ist von RÄYLEIGH untersucht worden, der eine Formel aufstellte, die die Gesamtmenge (unabhängig von der Richtung) der Lichtenergie I , welche durch die Volumeneinheit des Systems mit der Teilchenkonzentration v zerstreut ist, dem Volumen des Teilchens v, der Wellenlänge / , der Schwingungsamplitude des einfallenden Strahles A und dem Brechungskoeffizienten des Dispersionsmediums w2 sowie der dispersen Phase n1 verbindet: I (1) Aus dieser Gleichung ist ersichtlich, daß die Menge der Streuungsenergie proportional der Teilchenkonzentration, dem Quadrat des Teilchenvolumens und umgekehrt proportional der "vierten Potenz der Wellenlänge des einfallenden Lichtes ist.
Optische Eigenschaften kolloider Systeme
14
Hieraus ergibt sich, daß je kürzer die Wellenlänge des einfallendes Lichtes ist, um so größer die Streuung sein 'wird. Falls also auf ein Teilchen weißes Licht fällt, werden die blauen und violetten Strahlen der größten Streuung unterworfen sein. Wenn also durch ein kolloides System entsprechenden Dispersionsgrades ein. weißer Strahl geleitet wird, so wird die Lösung im durchfallenden Licht rötlich und bei seitlichem, reflektiertem Licht hellblau gefärbt sein. Dieses läßt sich bei den Solen von Mastix und Schwefel gut beobachten. ^2 n2 \
(
'
0
\ = k, kann man der Formel von R A Y X E I G H (1) folgendes
Aussehen geben: v Da die Anzahl der Teilchen v proportional der Gewichtskonzentration 0 ist, und das Volumen der Teilchen, falls man diese als kugelförmig ansieht, v = 4/3 jrr 3 ist, hat man ' c v — —]T > VÖ wobei mit ö die Dichte des Stoffes bezeichnet ist. Setzt man diesen Ausdruck in die vorherige Gleichung ein, so erhält man: , 1 =
,
CJ!
"'TÖW
4 , =
's
ER 3
~öY'
Bei Bezeichnung aller konstanten Größen durch k' erhalten wir daher I — k' er3.
(2)
Die Menge der zerstreuten Energie, die proportional dem Ausdruck I n\-n\ \a U? + 2w| / ist, erscheint als Multiplikator in der Gleichung (1). Hieraus folgt, daß, falls n i — n2> dieser Multiplikator sich in Null verwandelt und demzufolge 7 = 0 ist, d. h. es wird sich keine Lichtstreuung (TyNDAii-Effekt) ergeben. Deshalb erhebt sich die natürliche Frage, ob der TYUDALL-Effekt auch bei absolut reinen Flüssigkeiten und Gasen beobachtet wird. Scheinbar dürfte in diesen Fällen der TropAT,T,-Effekt nicht auftreten. Praktische Messungen bei diesen Systemen zeigen jedoch, daß auch doit eine Opaleszenz beobachtet wird. Diese Erscheinung wurde von E I N S T E I N , K E E S O M U. a. durch Fluktuationen, d. h. Schwankungen in der Dichte, erklärt. Näheres über solche Fluktuationen wird weiter unten gebracht werden. Nach den Angaben von M E C K L E N B U R G ist die Formel von R A Y L E I G H bei Teilchen mit einem Radius von gj 47 mu anwendbar. Bei Teilchen von geringerem Dispersionsgrad kann diese Formel nicht angewandt werden, denn in diesem Falle treten andere Gesetze, und zwar Gesetze der Reflexion in Kraft. Bei höheren Dispersionsgraden werden keine Vorbehalte gemacht. Demzufolge muß ein TYNDALL-*Effekt zu beobachten sein, was auch tatsächlich
Das Ultramikroskop und die Bestimmung der Teilchengröße
15
bei Systemen mit molekularen Dispersionsgraden der Fall ist (bei entsprechenden Wellenlängen). Die meisten Fälle von Opaleszenz beziehen sich jedoch auf kolloide Systeme. Deshalb kann man die TYNDALL-Methode mit Sicherheit zur Bestimmung der Zugehörigkeit eines gegebenen Systems zu den kolloiden Systemen anwenden. Der Erfolg einer solchen Bestimmung erhöht sich, wenn man die Opaleszenzerscheinungen von den Fluoreszenzerscheinungen unterscheiden kann. Fluoreszenz weisen Systeme mit molekularen Dispersionsgraden auf. Äußerlich unterscheiden sich beide Erscheinungen nicht voneinander, jedoch besteht zwischen ihnen ein wesentlicher Unterschied. Während bei der Opaleszenz im zerstreuten Licht keine neuen Wellenlängen auftreten, sondern nur dieselben, wie sie sich im einfallenden Licht vorfinden, wird bei der Fluoreszenz das Erscheinen von neuen Wellenlängen beobachtet. Die Fluoreszenz ist bedingt durch eine innermolekulare Absorption des Lichtes und charakterisiert deshalb als eine differenzierende Erscheinung einen gegebenen individuellen Stoff. Durch diese Eigenschaft kann man praktisch eine opaleszierende von einer fluoreszierenden Lösung unterscheiden. Bei der Lichtstreuung wird der einfallende Strahl polarisiert. Die Menge des polarisierten Lichtes hängt von der Art des Stoffes der streuenden Teilchen, deren Konzentration, Größe und Form ab und ist nicht gleich in verschiedenen Richtungen. Die größte Polarisation wird senkrecht zum einfallenden Strahl beobachtet. Auf Grund des Charakters der Polarisation kann man über den Dispersions grad urteilen und, worauf S T O O T hinweist, auch über die Form der Teilchen. Die Formel von R A Y L E I G H ist nur bei Teilchen anwendbar, die den elektrischen Strom nicht leiten. Bei Metallsolen kompliziert sich die Erscheinung der Lichtstreuung. Nach der Formel von R A Y L E I G H muß sich die Lichtstreuung bei Vergrößerung der Wellenlänge des einfallenden Lichtes verringern; bei Metallen wird jedoch ein anderes Bild beobachtet. Die Kurve der Lichtstreuung geht durch ein Maximum, dessen Lage nicht vom Dispersionsgrad abhängt, sondern von der Wellenlänge und den Eigenschaften des Metalls. Diese Erscheinungen sind von MIE untersucht worden, der festgestellt hat, daß mit Erhöhung des Dispersionsgrades das Maximum der Lichtstreuung sich in Richtung der langen Wellen verschiebt. MIE hat eine Formel aufgestellt, die die Lichtstreuung bei allen Dispersionsgraden erfaßt. 2. Das Ultramikroskop und die Bestimmung der Teilchengröße Der TYNDALL-Effekt ist von S Z I G M O N D Y im Jahre 1903 zum Bau eines Instruments ausgenutzt worden, das von ihm Ultramikroskop genannt wurde. Wie aus der Optik bekannt, ist es mit modernen Mikroskopen möglich, Teilchen mit einem Radius bis zu 200 m/t zu sehen. Dieses ist die Grenze des Auflösungsvermögens eines Mikroskops. Teilchen kleinerer Abmessungen, also auch kolloide Teilchen, sind im Mikroskop nicht sichtbar, weshalb kolloide Lösungen unter dem Mikroskop vollkommen homogen erscheinen.
16
Optische Eigenschaften kolloider Systeme
Das Ultramikroskop macht Teilchen mit einem Radius von 5 bis 50 m/i sichtbar. Das Prinzip des Ultramikroskops besteht darin, daß ein System nicht, wie gewöhnlich, in durchfallendem, sondern in seitlichem, reflektiertem Licht betrachtet wird. Das heißt, man beobachtet in diesem Falle unter dem Mikroskop den TYNDALL-Effekt. Hierbei leuchten die Teilchen infolge Beugung des Licht-
Abb. 2. Kolloide Teilchen im ÜltramikrosKop
strahles, und bei genügender Intensität desselben und entsprechender Konzentration der Teilchen kann man diese als leuchtende Punkte auf gemeinsamem dunklem Hintergrunde beobachten (Abb. 2). Das Schema des Ultramikroskops ist nicht kompliziert (Abb. 3). Für das Ultramikroskop wird eine starke Lichtquelle benötigt, wofür man eine Bogenlampe (Lichtbogen) verwendet, die ein Strahlenbündel durch die Öffnung im Schirm 2 wirft. Die Konzentrierung dieses Lichtes in der relativ kleinen KüvetteJ, die die kolloide Lösung enthält, wird durch entsprechende Linsen 4 und 5 und die Blendeö' erreicht. Die Teilchen werden mit Hilfe des Mikroskops 7 beobachtet. Das Ultramikroskop bietet nicht die Möglichkeit, Größe und Form der TeilAbb. 3. Schema des Ultramikroskops: 1 Lichtquelle; 2Öffnung im Schirm; .3Küvette; 4 und 5Linsen zum chen unmittelbar zu sehen, sondern es Konzentrieren der Lichtstrahlen; 6 Blende; 7 Beob- läßt sich nur das Vorhandensein von achtungsmikroskop Teilchen und deren Bewegung beobachten. Jedoch bei Anwendung einiger Hilfsmittel kann man mit Hilfe des Ultramikroskops auch die Größe der Teilchen bestimmen. Um diese Bestimmung durchzuführen, muß man drei Größen kennen: 7, Poise r, cm
Trichlorbenzol
Nitrobenzol
Methylalkohol
Essigsäureäthylester
Aceton
0,0236 1,69 • l O - 8
0,0218 1,80 • IQ" 8
0,0016 2,10 • IQ" 8
0,0047 2,46 • IQ" 8
0,00336 2,56 • IQ" 8
30
Molekular-kinetische E i g e n s c h a f t e n der Sole
Wenn man Wasser als Lösungsmittel verwendet und die Diffusion bei normaler Temperatur (18°) mißt, so nimmt die Gleichung (5) folgende einfache Form an: RT 1 2,13 • 1 0 D = cm2/sec. N 6ji rjr 1 3
b) Bestimmung des Diffusionskoeffizienten. Wenn man annimmt, daß die Gesamthöhe der Flüssigkeitsschicht gleich h ist, die Höhe der Lösungsschicht gleich h0, die Anfangskonzentration der Lösung c 0 , die Endkonzentration c, die Zeit t, so kann man die Menge des gelösten Stoffes in den verschiedenen Schichten des Lösungsmittels nach folgender Formel nach S T E F A N finden: K , n co V 1 • n n h 0 nn% c = c„ + 2 — > T - sin —7—— cos — e "h n n=1 ha h h
hin* Dt h*
Die Kompliziertheit dieser Formel macht sie unhandlich für praktische Berechnungen. Daher ist es bequemer, die Berechnungen so durchzuführen, daß die Anfangshöhe 10 cm3 der Lösungsschicht ein Viertel der Gesamthöhe beträgt, d. h. es ist zweckmäßig, die Lösung und die Flüssigkeit darüber in vier gleiche Teile einzuteilen, wobei jeder dieser Teile die gleiche Höhe hat wie die Lösungsschicht. Dann ist h = 4ä 0 , und für den vorliegenden Fall können die Berechnungen nach speziellen Tabellen durchgeführt werden. -1 Wenden wir uns jetzt zur experimentellen Prüfung dieser Formel bei kolloiden Lösungen. Am verbreitetsten infolge ihrer Einfachheit und LosungGenauigkeit ist die Methode zur Bestimmung des Diffusionskoeffizienten D, die 1905 von L.W. Ö H O L M vorgeschlagen wurde. In einen zylindrischen TrichQuecksilber ter 1 (Abb. 8), auf dessen Boden eine Quecksilberschicht gegossen wird, um eine glatte und gerade Oberfläche zu erhalten, wird eine mit einem Hahn 3 versehene Pipette 2 von 10 cm3 gestellt. Das Ende A b b . 8. Diffusiometer nach ÜHOLU. der Pipette soll etwas in das Quecksilber ein1 zylindrischer Trichter; 2 P i p e t t e ; 3 Pipettenhahn; 4 Trichter; 5 Trichtauchen. Durch den Trichter 4 wird in das Gefäß terhahn genau 30 cm3 Wasser eingegossen und vermittels Hahn 5 das Quecksilber so weit gesenkt, daß die Spitze der Pipette frei wird und der Zwischenraum zwischen dem Quecksilberspiegel und der Pipettenspitze nicht größer ist als 1,5 mm. Dann wird der Hahn 3 der Pipette geöffnet und vorsichtig und langsam (in etwa 40 bis 60 Minuten) aus der Pipette die Lösung des zu untersuchenden Stoffes, mit der die Pipette vor dem Eintauchen in das Quecksilber gefüllt war, abgelassen. Bei sorgfältigem Vorgehen entsteht eine scharfe Grenze zwischen dem Wasser und der Lösung.
A
4
Das Gerät bleibt in einem Raum mit konstanter Temperatur 24 Stunden oder länger stehen, je nach dem Verlauf des Diffusionsprozesses. Nach Beendi-
Zusammenhang zwischen dem osmotischen Druck und der Diffusion
31
gung des Versuches wird durch den Hahn 5 zuerst das Quecksilber, dann die entstandenen Lösungen in Portionen zu je 10 om3 abgelassen, was sehr langsam geschehen muß (in etwa 40 Minuten). Bei dieser Aufteilung erhalten wir vier Lösungen verschiedener Konzentration, die man analysiert und so umrechnet, daß die Gesamtkonzentration derselben die Summe 10000 erreicht. Zur Feststellung des Diffusionskoeffizienten aus den erhaltenen Werten wird eine besondere Tabelle verwendet, die von S T E F A N und K A W A L K I aufgestellt worden ist und die hier in verkürzter Form gegeben wird (Tabelle 7). Tabelle 7. N a c h STEFAN und KAWALKI zur Berechnung des D i f f u s i o n s k o e f f i z i e n t e n
A"
X
~ iDt
I
II
III
IV
0,0400 0,0676 0,0900 0,1156 0,1600 0,2704 0,4096
2587 2914 3233 3576 4086 5001 5746
2535 2671 2799 2934 3097 3236 3166
2466 2329 2194 2048 1816 1350 935
2114 2085 1772 1440 996 412 156
x
~
A>
I
II
III
6157 6666 6945 7184 7950 7794 8039
3054 2849 2706 2566 2241 2124 1920
710 459 338 246 108 78 38
im
0,5184 0,7056 0,8464 1,0000 1,4400 1,8884 2,0736
IV
76 24 11 4 — — -
Die Benutzung dieser Tabelle ist sehr einfach". Nachdem die im Konzentrations versuch der vier Schichten erhaltenen Werte auf 10000 umgerechnet sind, wird die Konzentration einer jeden Schicht in einer der vier Spalten (I bis I V ) aufgesucht, während die erste Spalte die entsprechende Größe x bringt, die mit D durch die Gleichung ^ x =
TDt
verbunden ist, wobei h die Höhe jeder Schicht im Gefäß 1 (in cm), t die Zeit in Tagen (je 24 Stunden) und D der Diffusionskoeffizient in cm2/24 Stdn. sind. Nach Erhalt der Größen x, h und t wird D berechnet. Bei Einfügung des für D gefundenen Wertes in die Gleichung ( 5 ) von E I N S T E I N kann r bestimmt werden. Tabelle 8. D i f f u s i o n v o n A t a k a m i t (CuCla • 3CuO • 3 H 2 0 ) in W a s s e r Schichten
I
.
n . TT! TV
Konzentration der Schichten (n. Tab. 7)
X
om»/24 stdn.
8100 1850 50
2,298 2,284 1,998
0,015 0,015 0,017
-
-
D
-
In Tabelle 8 sind die Werte für die Diffusion von Atakamit in Wasser gegeben (c — 2 g/1, h = 1,125 cm, t = 9 Tage; Versuchstemperatur 20°). Zur Bestimmung des Diffusionskoeffizienten D kann auch ein etwas anderer Weg gewählt werden.
32
Molekular-kinetische Eigenschaften der Sole
Aus dem zweiten Diffusionsgesetz nach FICK folgt, daß zwischen der Geschwindigkeit der Konzentrationsänderung und dem Konzentrationsgradienten eine funktionale Abhängigkeit besteht: ( W )
A =
( W )
D
T
'
Die Integrierung dieser Gleichung gibt c = Ae hier ist
A =
_
h'
'
s\Dnt '
wobei m die Gesamtmenge des diffundierenden Stoffes und s die Grenzfläche der Schichten bedeuten. Wenn ct und c2 die Konzentrationen des Stoffes entsprechend den Höhen \ und h2 sind, so ist h\
c1 = Ae
AI
und
iJDt
c2 = A e
iDt
•
woraus folgt
_ iDt c -2- = e ci So läßt sich durch Bestimmung der Konzentration in zwei Höhen der Wert D berechnen. c) Berechnung des Molekular- bzw. des Micellargewichts. Die Formel von EINSTEIN hat eine besondere Bedeutung dadurch erlangt, daß es sich als möglich erwiesen hat, sie zur Bestimmung des Molekular- oder, richtiger, des Micellargewichts eines Kolloids6 zu verwenden. Da das Volumen des einzelnen kolloiden Teilchens (wenn man es sich kugelförmig denkt) ist, und sein Gewicht
v = ^ sr r3 , „„ p = f 71 r3 o
beträgt, wobei 8 das spezifische Gewicht des Stoffes bedeutet, ist es tatsächlich so, daß, um zum Molgewicht zu kommen, die Größe p mit der AvoGADßoschen Zahl N zu multiplizieren ist; demzufolge ist das Molekulargewicht des Stoffes M = f ji r3dN. Auf diese Weise kann man, nachdem experimentell die Größe D bestimmt und r berechnet sind, das „Molekulargewicht" eines Stoffes finden. Wir sprechen vom „Molekulargewicht" bedingt, weil schon früher gezeigt wurde, daß, da die kolloiden Teilchen Molekülaggregate sind, die häufig Micellen genannt werden, es zweckmäßiger ist vom Micellargewicht zu sprechen. Die angeführte Formel erlaubt außerdem die Bestimmung des Aggregationsfaktors, einer Größe die zeigt, um wieviel mal das Micellargewicht MB größer ist als das Molekulargewicht M T des gegebenen Stoffes: a
=
MH Mt
.
Die Bestimmung von a hat nur dann einen Sinn, wenn das tatsächliche Molekulargewicht des gegebenen Stoffes bekannt ist.
Zusammenhang zwischen dem osmotischen Druck und der Diffusion
33
Wir wollen folgende Werte für Cellulose in Kupferoxydammoniaklösung anführen (Tabelle 9). Wenn nach der oben erwähnten Gleichung der Wert M für Cellulose berechnet wird, erhalten wir die Zahl 190000, die das Molekulargewicht eines Glucoserestes C6H10O5 etwa 600 mal übersteigt. Die Bedeutung dieser Feststellung wird im Abschnitt über die lyophilen Kolloide behandelt werden. Tabelle9. Diffusion von Cellulose in eine Lösung von Cu(NH3)4S04 (Diffusionsdauer 3—4Tage; Versuchstemperatur 10,7°) Schichten
T II . III . TV
Konzentration der Schichten (n. Tab. 7)
D cm'/24 Stdn.
6994 3075 754 177
0,021 0,020 0,020 0,023
52 48 48 49
0,021 im Mittel
49
10000
r
• 10—8 cm
So erlaubt die Diffusionsmethode die Feststellung der Größe kolloider Teilchen, ihres Micellargewichtes, sowie die ungefähre Charakterisierung ihres Aggregationsgrades. In der Praxis wird an Stelle der Methode von ÖHOLM oft die Verfolgung der Diffusion in eine Gelatinegallerte angewendet. Vor der Anwendung dieser Methode muß jedoch gewarnt werden, da zwischen der Gelatine und dem in sie diffundierenden Stoff öfters eine chemische Reaktion beobachtet wird, die den normalen Verlauf der Diffusion stark verschleiert. Für den Diffusionskoeffizienten einiger Farbstoffe in Wasser und Gelatine sind z. B. Werte erhalten worden (Tabelle 10), die zeigen, daß die Unterschiede zwischen den Diffusionskoeffizienten in Wasser und in Gelatine sehr groß sind. Deshalb ist die Methode der Diffusion in Gelatine mit viel Vorsicht anzuwenden, und der mit Hilfe dieser Methode erhaltene Wert D ist dauernd mit den Werten zu vergleichen, die bei der Arbeit mit Wasser festgestellt werden. Völlig analog dem untersuchten Fall der Diffusion von Farbstoffen in Gelatine verläuft auch die Diffusion von Tanniden in Gelatine und auch in Kollagen. Auf diesen Fall einer Diffusion trifft man beim Gerben von Leder. Bei der Beschreibung der Methode der Dialyse ist schon bemerkt worden, daß man Tannide in zwei Fraktionen teilen kann: 1. eine Fraktion von geringerem Molekulargewicht, die durch die Poren des Dialysators geht, und 2. eine Fraktion hohen Molekulargewichts, die im Dialysator bleibt. Beide Fraktionen besitzen auch ein verschiedenes Diffusionsvermögen. Beim Gerben dringt die erste Fraktion in die Gelatinegallerte und in das Leder, während die zweite Fraktion sich hauptsächlich auf der Oberfläche der Gallerte absetzt. Da hier gleichzeitig mit der Diffusion auch ein chemischer Prozeß vor sich geht, verläuft die Erscheinung komplizierter: Das sich auf der Oberfläche ablagernde Tannid verbindet sich fest mit dem Stoff des Leders, und bei genügender Konzentration kann auf der Oberfläche ein sogenanntes Übergerben auftreten, d- h. das geschmeidige Leder wird brüchig. Die Erfahrung zeigt, daß die Diffusion der Tannide bei Änderung des p H des Mediums sowie bei Zusatz verschiedener Lösungen verschieden verläuft. Essigsäure z. B., die größere Teilchen der Tannide dispergiert, ermöglicht eine gleichmäßigere Verteilung des
Molekular-kinetische Eigenschaften der Sole
34
Tannids in der Gallerte. Hierdurch kann man durch Wechseln der Eigenschaften des Mediums den Diffusionsprozeß in die nötige Richtung lenken. Tabelle 10. D i f f u s i o n s k o e f f i z i e n t e n D (in Wasser und Gelatine) D, cm'/24 h
Farbstoff
in Waaser
in 5 %iger Gelatine
0,468 0,398
0,]48 0,016
Kongorot Kristallviolett
Was die Theorie der Diffusion und die Methode der Bestimmung des Diffusionskoeffizienten betrifft, so werden sie mit Erfolg bei der Lösung einer Reihe von technologischen Fragen angewandt. So z. B. ist die außerordentlich wichtige Frage der Änderung der Celluloseteilchen im Prozeß der Bearbeitung von Cellulosefasern untersucht worden. Durch vorsichtiges Nitrieren solcher Fasern (ohne die Größe der Celluloseteilchen zu verändern) und durch Lösung der erhaltenen Produkte in Aceton wurden die Diffusionskoeffizienten der Cellulose bestimmt, wobei es sich zeigte, daß nicht nur ehemische Behandlung (z. B. Mercerisation), sondern auch einfaches mechanisches Reiben der Fasern eine Verringerung der Teilchengrößemit sich bringt.
3. Osmotischer Druck der Kolloide a) Einleitung. I m Abschnitt über die molekularkinetischen Eigenschaften d e r Sole ist gezeigt worden, daß die Höhe des osmotischen Druckes verdünnter Lösungen durch die Gleichung V =
— 4^-1*1(1
~
ausgedrückt werden kann, wobei N 2 der „molekulare Teil" der kolloiden Phase in der Lösung ist. Andererseits folgt aus der Theorie verdünnter Lösungen, daß äquimolekulare Lösungen beliebiger Stoffe, die aus den gleichen Gewichtsmengen eines und desselben Lösungsmittels hergestellt werden, gleiche Werte des osmotischen Druckes der Dampfspannungserniedrigung, der Siedepunktserhöhung und der Gefrier punktserniedrigung zeigen. Demzufolge besteht zwischen dem osmotischen Druck, der Dampfspannung, dem Siede- und dem Gefrierpunkt strenge mathematische Abhängigkeit. So kann z. B. der Zusammenhang zwischen der Senkung A T der Gefriertemperatur einer wäßrigen Lösung und dem osmotischen Druck derselben p durch die Gleichung =
Am
22,4 . ~L8fT m
ausgedrückt werden, wobei 22,4 der Druck in Atmosphären des nicht dissoziierten Stoffes normaler Konzentration ist, d. h. 1 Mol auf 11, und 1,86 die sogenannte kryoskopische Konstante des Wassers. Analoge einfache Zusammenhänge liegen zwischen der Dampfspannung der Lösung und der Siedepunktserhöhung vor. Aus dem Gesagten geht hervor, daß, sofern man den Siedepunkt oder den Gefrierpunkt oder die Senkung der Dampfspannung der Lösung kennt, man den osmotischen Druck berechnen kann.
Osmotischer Druck der Kolloide
35
In der praktischen Arbeit mit Kolloiden werden solche indirekten Bestimmungsmethoden in der Regel nicht angewandt, weil bei Temperaturänderungen der kolloiden Lösungen die Teilchengröße sich wesentlich ändern kann, wodurch sich auch die kinetischen Eigenschaften ändern. Außerdem sind die Änderungen des Gefrierpunktes und des osmotischen Druckes bei kolloiden Lösungen oft so gering, daß man sie experimentell nicht feststellen kann. So z. B. enthält 1 1 eines Goldsoles mit einem Radius der Teilchen von 2t»/i und einer Konzentration von 1 g/1 50 mm3 Gold, während das Volumen des einzelnen Teilchens etwa 50 my? beträgt. In einem Liter dieses Sols sind also 1018 Teilchen enthalten. Da man ein Sol mit 6,023 • 1023 Teilchen im Liter als normal bezeichnet, wird das von uns betrachtete Sol eine Normalität von 2 • 1 0 - 6 haben. Die Gefrierpunktserniedrigung dieses Sols wird 0,000004° C betragen. Nur bei einer Gruppe von Kolloiden können diese Methoden voll angewandt werden. Wir denken dabei an die sogenannten kolloiden Elektrolyte, d. h. Stoffe, die sich in Wässer lösen und in zwei Ionen dissoziieren, wobei eines der Ionen sich in seinen Abmessungen der Größe kolloider Teilchen nähert. Zu diesen Stoffen gehören viele Farbstoffe, die ein zusammengesetztes organisches Ion haben, Seifen (Salze höherer Fettsäuren) u. a. m. Jedoch beobachtet man auch bei dieser Gruppe von Kolloiden zwischen den Resultaten der direkten und der indirekten Bestimmung des osmotischen Druckes Unterschiede. Für Kongorot, das durch Dialyse gut gereinigt wurde, hat BOGOJAWLENSKI mit der kryoskopischen Methode Werte erhalten (Tabelle 11), aus denen ersichtlich ist, daß die Größen des Molekulargewichts zweimal kleiner sind, als sie dem wahren Molekulargewicht für Kongorot entsprechen, was, falls man die Dissoziation des Farbstoffes berücksichtigt, auch der Theorie entspricht. Wenn man jedoch den osmotischen Druck von Kongorot durch eine direkte Methode bestimmt, so werden, wie eine Reihe von Forschern gezeigt hat, für M Werte erhalten, die dem richtigen Molekulargewicht entsprechen, während sie nach der Theorie zweimal kleiner sein sollten. Eine Erklärung für diese Anomalie ist bis jetzt nicht gefunden worden. Auf Grund des oben Gesagten bestimmt man die Größe des osmotischen Druckes von kolloiden Lösungen auf direktem Wege, jedoch auch bei diesen Methoden ergeben sich des öfteren Schwierigkeiten. Man muß berücksichtigen, daß es zwei Arten kolloider Systeme gibt: lyophobe Systeme, bei denen die Verbindung zwischen der Dispersionsphase und dem Dispersionsmedium nur eine sehr schwache ist, und lyophile Systeme, bei denen diese Verbindung deutlich hervortritt. Diese zwei Gruppen von Kolloiden verhalten sich durchaus verschieden gegenüber einer Reihe von Erscheinungen, besonders aber beim osmotischen Druck .Deshalb sollen diese Gruppen im folgenden einzeln betrachtet werden. Tabelle 11. Molekulargewicht v o n K o n g o r o t , b e s t i m m t nach der k r y o s k o p i s c h e n Methode Konzentration g/1
äT °C
M (Molekulargewicht)
0,4412 0,8824
0,021 0,043
382 373
M (Mittel)
|
377,5
M (theoret.)
900,0
36
Molekular-kinetische Eigenschaften, der Sole
Infolge ihrer geringen Stabilität können lyphobe Kolloide selten in genügend hohen Konzentrationen hergestellt werden. Deswegen ist es nicht verwunderlich, wenn man bei Versuchen für den osmotischen Druck sehr kleine Werte erhält und sich der osmotische Druck öfters überhaupt nicht beobachten läßt. Beim Goldsol, dessen maximale Konzenträtion c gleich 0,500% ist und bei dem der Radius der Teilchen r = 0,5 • 1 0 - 5 cm, sowie das spezifische Gewicht 8 = 19,2 beträgt, wird die Anzahl der Teilchen in 1 cm3 —
3
c
4 Tir3ö
betragen. Da uns alle Werte bekannt sind, so können wir dieselben in die Gleichung einsetzen und erhalten _ ,„,. ° n = 5 • 1011. Andererseits ist die Anzahl der Moleküle eines idealen Gases in 1 cm3 bei einem Druck von 760 mm Quecksilbersäule und einer Temperatur von 0 ° gleich nn
—
N 22,4-1000
6,023-10® = 2,69 • 10 19 22400
(N — AvoGADKosche Zahl = 6,023 10 23 ). Da der osmotische Druck nicht von der Teilchengröße abhängt, sondern proportional der Teilchenzahl ist, besteht zwischen dem osmotischen Druck p eines Sols und dem Druck p0, z. B. eines Gases, die Beziehung V_ r,.. Po ~ »._ >
P — Po-
Wenn wir hier die oben gefundenen Werte n und n0 einsetzen, erhalten wir 5 • 10u = 14 • 1 0 " 6 mm Hg-Säule, 2,69 • 1019
p = 760-
d. h. der Wert p ist in diesem Falle so klein, daß man ihn praktisch nicht bestimmen kann. Jedoch ist eine Reihe von Untersuchungen lyophober Sole bekannt, bei denen es gelungen ist, Solteilchen größerer Dispersion und höher konzentrierte Lösungen zu erhalten. DUCLATTX hat z. B . den osmotischen Druck von Eisen(III) hydroxydsolen ermittelt und durchaus meßbare Größen für den osmotischen Druck erhalten (Tabelle 12). Eisen(III)-hydroxyd zeigt Tabelle 12. Osmotischer Druck v o n Fe(OH) 3 -Solen einen beträchtlichen osmoKonzentration Osmotischer Brack tischen Druck, der nicht der Verhältnis des Sols in cm p/c Wasser-Säule Gleichung für ideale Lösungen eli entspricht: Das Verhältnis p/c 0,8 1,08 0,73 ist nicht konstant, sondern 2,04 2,8 1,38 5,6 3,05 1,83 wächst erheblich mit Erhö5,35 12,5 2,31 hung der Konzentration. 22,6 8,86 2,55 Genauere Untersuchungen sind bei lyophilen Systemen durchgeführt worden, die man infolge ihrer guten Löslichkeit in höheren Konzentrationen gewinnen kann.
37
Osmotischer Druck der Kolloide
b) Bestimmung des osmotischen Druckes und der Teilchengröße. Vor dem Übergang zur Besprechung der experimentellen Resultate dieser Untersuchungen wollen wir einige Worte über die Methoden zur Bestimmung des osmotischen Druckes sagen. I n der Praxis werden Apparate verschiedenster Konstruktion verwendet. Aus der großen Zahl von Methoden zur Bestimmung des osmotischen Druckes werden wir eine Kompensationsmethode6 beschreiben, die es gestattet, Messungen schnell durchzuführen, ohne das Eintreten des Gleichgewichts im System abzuwarten. •p Als osmotische Zelle 1 (Abb. 9) S wird das erweiterte Ende des Kapillarrohres 2 verwendet, an das die halbdurchlässige Membrane 3 aus -5 Kollodium befestigt wird. Das Volumen dieser Zelle hat keine Bedeutung, jedoch beträgt es gewöhnlich 10 bis 30 cm3. Das Kapillarrohr Is! mit einem Durchmesser von etwa Abb. 9. Kompensations-Osmometer. 1 Osmotische Zelle 1,5 mm wird mit Hilfe eines Gummi- (erweitertes Ende der Kapillare); 2 Kapillarrohr; 3 halbdurchlässige Membrane aus Kollodium; i Aspirator; rohres mit dem Aspirator 4 und dem S Manometer ; 6 Thermostat ; 7 oberes Gefäß des Aspirators. Manometer 5 verbunden. Die ganze Zelle wird in einen Thermostaten 6, in dem eine gleichmäßige Temperatur unterhalten wird, versenkt. Beim Heben des oberen Gefäßes 7 des Aspirators 4 wird in der Zelle 1 ein Gegendruck geschaffen, dessen Größe durch das Manometer 5 registriert wird und durch den sich die Geschwindigkeit des Steigens der Flüssigkeit im Kapillarrohr 2 verringert. Wenn der geschaffene Gegendruck p dem osmotischen Druck p0 gleich ist, hört die Bewegung im Kapillarrohr auf. Diese Bewegung wird mit Hilfe eines optischen Geräts beobachtet. Wenn p> p0, sinkt die Flüssigkeit im Kapillarrohr, wenn jedoch p Pol
C
> Pol
B
sein. Diese „Regel des Polaritätsausgleichs", die von P. R E H B I N D E R aufgestellt wurde, stimmt mit den Versuchen gut überein. Wir wollen den Adsorptionsprozeß quantitativ 7 untersuchen. Schon vorher ist gezeigt worden, daß die Arbeit der Vergrößerung der Oberfläche gleich ads ist. Wenn sich die Konzentration des gelösten Stoffes in der Oberflächenschicht erhöht, so erhöht sich die gesamte Oberflächenenergie um f i d m t , wo u das chemische Potential des gelösten Stoffes und dms der Überschuß des Stoffes an der Oberfläche ist. Die Erhöhung der Gesamtenergie d U kann durch die Gleichung 6
d U
=
ads
-f-
¡xdmt
ads
— m
oder d(U
— ¡ims)
=
e
d/j
ermittelt werden. Da d(U — f i m e ) ein Gesamtdifferential darstellt, ist / da
\ _
[ d p js
In dieser Gleichung ist die Größe
¡dm, \
ds
\ jp'
= G gleich dem Überschuß des ge-
Oberflächenspannung von Lösungen und Adsorption
91
lösten Stoffes, bezogen auf 1 cm 2 der Oberfläche. Demzufolge ist
hier ist dfl= haben wir:
de R T —,
du wo c die Konzentration der Lösung angibt. Endgültig ^
c da ~RT ' ~dc
=
do BTdlnc
~
'
,j* ^
I n dieser Form ist die Gleichung von G I B B S nur bei idealen Lösungen anzuwenden. Bei konzentrierten oder verdünnten, nicht idealen Lösungen ist an Stelle der Konzentration die Aktivität a zu nehmen, die aus der Gleichung ermittelt wird. Dann ist G =
ß = fj0 + R T Ina a BT
da da
da RTd\na
Wenn R in erg je Grad ausgedrückt wird, so wird G in Mol je cm 2 der Oberfläche ausgedrückt (R = 1,987 cal/Grad • g • Mol = 8,315 • 107 erg/Grad • g • Mol). Bei Verwendung der Gleichung von G I B B S kann man die Größe der Adsorption auf Grund der Änderung des Wertes für die Oberflächenspannung in Abhängigkeit von der Konzentration ermitteln. Falls ein gelöster Stoff die Oberflächenspannung einer Flüssigkeit erniedrigt, d. h., falls < 0 ist, so ist G positiv. I n diesem Falle spricht man von einer positiven Adsorption und bezeichnet den gelösten Stoff als oberflächenaktiv. Wenn jedoch ein gelöster Stoff die Oberflächenspannung erhöht, so ist die Adsorption negativ, und der gelöste Stoff wird als oberflächeninaktiv bezeichnet. Wir wollen einige experimentelle Werte betrachten. Ist die Konzentration eines gelösten Stoffes in der Lösung gleich cv Mol je Liter und die Konzentration eines Stoffes in der Oberflächenschicht gleich c,, so ist, falls ö die Dicke der Oberflächenschicht bezeichnet, das Volumen derselben je 1 cm 2 der Oberfläche gleich d cm 3 . Die Masse des gelösten Stoffes, die in je 1 cm 2 der Oberfläche enthalten ist, ist gleich m
' =
1M>8-
Wenn die Masse des gelösten Stoffes in der Lösung desselben Volumens (c)
für Konzentrationen, die nahe der Sätti-
gungsgrenze der Oberfläche liegen, graphisch ermitteln. Das Resultat der Berechnung gibt für (?„, einen sehr nahen Wert: 5,7 • 10~ 1 0 Mol/cm 2 . Selbstverständlich ist die Methode von A. FRUMKIN nur bei schwerlöslichen Stoffen anzuwenden, wenn die Lösung als ideal angesehen werden kann. 6. Oberflächenaktive Stoffe und ihr Aufbau Systematische Untersuchungen über die Oberflächenaktivität verschiedener organischer Flüssigkeiten sind von W. D. HABKINS9 sowie gleichzeitig auch von J . LANGMUIR10 durchgeführt worden. Auf Grund der Resultate ihrer Arbeiten kann man alle Flüssigkeiten zwei Gruppen zuordnen. 1. Flüssigkeiten mit symmetrisch aufgebauten Molekülen (Pentan, Benzol usw.). Die Moleküle derselben haben an ihren beiden Enden gleiche Kohlenwasserstoffgruppen, deshalb ist ihr Verhalten auf der Grenzfläche unabhängig von ihrer Lage. In bezug auf die Oberfläche des Wassers 3ind diese Flüssigkeiten oberflächeninaktiv und benetzen dessen Oberfläche meist nicht. 2. Flüssigkeiten, bei denen die Moleküle nicht symmetrisch gebaut sind (Alkohole, Säuren u. a.). Die Moleküle dieser Flüssigkeiten haben Bezirke, die sich ihrem Charakter nach stark von dem sonstigen Aufbau der Moleküle unter-
Oberflächenaktive Stoffe und ihr Aufbau
93
scheiden, und ihr Verhalten an der Oberfläche wird davon abhängen, mit welchen Bezirken diese Moleküle der Oberfläche zugewandt sind. Es ist bekannt, daß Einführung von Gruppen, wie OH, NH 2 , COOH, N0 2 , CHO, C1 u. a. in das Molekül des Kohlenwasserstoffes die Löslichkeit der organischen Verbindung in Wasser erhöht. Da das Wasser aus polaren Molekülen besteht und eine hohe Dielektrizitätskonstante aufweist, ist es leicht einzusehen, daß die Fähigkeit des Nitrobenzols, im Gegensatz zu Benzol, auf der Oberfläche des Wassers auseinanderzufließen, durch das Vorhandensein der gegenüber Wasser aktiven N0 2 -Gruppe im Molekül des Nitrobenzols erklärt werden kann (Abb. 39). Solche Gruppen werden als polar bezeichnet. Stoffe, die polare Gruppen enthalten, haben meist die Fähigkeit, die Oberflächenspannung des Wassers stark zu senken, und erscheinen als oberflächenaktiv. Solche Moleküle können auch als diphil bezeichnet werden, da sie Abb. 39. Orientierung der Moleküle aus zwei Teilen verschiedener Aktivität bestehen: von Nitrobenzol auf der Oberfläche von Wasser Ihre polaren Gruppen sind zu gegenseitiger Einwirkung mit gleichfalls polaren Gruppen anderer Flüssigkeiten fähig, während die unpolaren Kohlenwasserstoffenden aktiv zu gleichen flüssigen Kohlenwasserstoffen oder Kohlenwasserstoffgruppen von deren Molekülen sind. Wenn wir die Oberflächenspannung an der Grenzfläche Wasser-Äthylalkohol messen, finden wir, daß diese sehr nahe bei Null liegt, was ^ die völlige Mischbarkeit dieser Flüssig^ keiten charakterisiert. Man muß jedoch HCOOH berücksichtigen, daß erstens die Kohlenwasserstoffgruppe C 2 H 5 der Moleküle in ^ Wasser praktisch mit diesem keine Verbindung eingeht und „trocken" bleibt, ^ und zweitens, daß wir auf der Grenzfläche LI
W a s s e r - L u f t eine größere Konzentration von C 2 H S OH-Molekülen haben als innerhalb der Lösung, d. h. daß hier eine Ad35 0,3 0,k 0,5 C Sorption vorliegt. MI LH MOL/ L Wenn man die Oberflächenspannung von Lösungen gleicher molarer Konzen- Abb. 40. Isothermen der Oberflächenspannung von Säurelösungen tration einer homologen Reihe untersucht, z. B. von HCOOH, CH 3 COOH, C 2 H 6 COOH usw., so zeigt sich, daß die Oberflächenspannung des Wassers um so mehr erniedrigt wird, je länger die Kohlenwasserstoffkette der gegebenen Säure ist, d. h. anders ausgedrückt, daß die Oberflächenaktivität in eine homologe Reihe mit der Erhöhung des Molekulargewichts wächst (Abb. 4 0 ) . Diese Regel ist von J . DUCLAUX11 und J . T R A U B E 1 2 aufgestellt worden und hat den Namen des letzteren erhalten (TRAUBESche Regel).
Oberflächenerscheinungen und Adsorption
94
Wenn die Adsorption nicht groß ist, so ist die Änderung der Oberflächenspannung Aa = ! = ^ ( 1 — ff) ¡1. Die Geschwindigkeit der „Verdampfung" der Moleküle von der Oberfläche v2 wird proportional der besetzten Oberfläche sein: v2 =
k2a.
Beim Gleichgewicht werden die Geschwindigkeiten v1 und v2 gleich sein: «i = «2 und (1 — a)fi — k2a. Wenn man den Koeffizienten fc0 = 1kK2 r einführt, läßt sich hieraus die Oberfläche er, die die Adsorptionsgröße bestimmt, durch die Gleichung k2 + kx ¡1
1 + k0 (i
K
ausdrücken. Dieses ist nun die eigentliche Adsorptionsgleichung von Laitomotb. Die Gleichung von Lanqmuir kann man durch Einführung von Werten, die leichter einer experimentellen Bestimmung zugänglich sind, umgestalten. Wenn wir mit x die Menge der Gramm-Moleküle eines Stoffes bezeichnen, der von 1 cm 2 der Oberfläche adsorbiert wird, mit N0 die Anzahl der aktiven Punkte auf dieser Oberfläche und mit N die AvoGADBOsche Zahl, so ist (13) = Trfcr* = Andererseits ist der Wert ¡1 proportional dem Gasdruck p oder der Konzentration c des gelösten Stoffes: [i = h'c = k"p. (14)
Wenn wir in der Gleichung (13) a durch seinen Wert in der Gleichung (12) ersetzen und die Gleichung (14) berücksichtigen, erhalten wir: _ Nü k0 k'c _ N0 ka k" p' X ~ N ' 1 + k0k' c ~ N ' 1 + £„ k" p ' Bei Einführung einer neuen Konstanten k, die gleich der Resultierenden der Konstanten k0k' und k0k" ist, erhalten wir _ N0 kc N A+kc x =
N0 N
oder
kp 1 + kp kp
X X
- °°T+kp'
Molekularkinetische Theorie der Adsorption
119
wo N Wenn wir die aufgeschriebene Gleichung der Isotherme durch x x dividieren und die Gleichung (13) berücksichtigen, finden wir, daß und
kp = k0fi , k0 = k ]/2n MRT
(15)
ist. Wenn die Menge eines Gases, das von der Oberfläche s adsorbiert wurde, in mm 3 ausgedrückt wird, so ist Nn 4,46 • 10- 8 xa N ~ s wo 4,46 • 10~ 8 die Anzahl der Moleküle ist, die unter Normalbedingungen in 1 mm 3 des Gases enthalten sind. Hieraus erhalten wir 27 • 1016 xa ATo = Wenn wir in (15) die Werte für Ä = 8,3 • 107 einsetzen, erhalten wir k0 = 22 600 k
WT.
Der Wert k0 wurde von Langmotr als die „relative Lebensdauer" eines Moleküls auf der Oberfläche bezeichnet. Resultate von Berechnungen von k0 u n d N0 sind in Tabelle 43 gegeben. t>4. _von N at geben u jTabelle43.. Adsorption von Die irr Werte die , „. ^ Gasen a 6 , . _ „ , auf Glas (bei einer Temperatur von 90° C) Anzahl aktiver Punkte auf der jVO Oberfläche fester Körper an. UnGas Mol/cm* sec ter Verwendung dieser Werte 0,085 • 1015 95000 läßt sich die Stärke der adsor- CO 70000 0,151 • 101S Ar bierten Schicht ermitteln. 0,108 • 1016 97000 Wenn man die Heterogenität O, . CH„ 0,288 • 1016 55000 der Oberfläche und die verschie- N . 0,174 • 1015 101000 t dene Aktivität der Elementarräume auf der Oberfläche in der Art wie oben angegeben berücksichtigt, so kann man die Gleichung von Langmuxr als für jeden Elementarraum einzeln anwendbar betrachten. Deswegen wird der Wert x für die gesamte heterogene Oberfläche wie die Summe der Werte von x für die einzelnen Elementarräume bestimmt: •r-,
ke 1 -+- k c
Im Gegensatz zu den Gleichungen von Gibbs und F r e u n d l i c h beschreibt die Gleichung von Langmtjie die gesamte Adsorptionskurve. Aus ihr folgt, daß eine Grenze der Adsorption vorhanden ist. I n der Tat, wenn der Wert c beim Anwachsen zum Unendlichen strebt, k a n n man schreiben: lim x = •9 Lipatow, Physikalische Chemie
=
120
Oberflächenerscheinungen und Adsorption
wobei x x der Grenzwert der Adsorption ist. Jetzt erhält die Gleichung von ihre endgültige Form:
LANGMUIR
(16)
Diese Gleichung ist von einer Reihe von Autoren überprüft und als vollkommen zufriedenstellend befunden worden. Aus der großen Zahl der Messungen in dieser Richtung wollen wir die von H. v. EITLER 34 betrachten, der die Adsorption von Silberionen auf der Oberfläche einer gut polierten Goldplatte untersucht hat (s = 0,05296 cm2). Die Resultate seiner Messungen bringt Tabelle 44. Da die Oberfläche des Goldplättchens genau ausgemessen und die Grenz adsorption mit Hilfe der GleiTabelle 44. Ads orption von Ag-Ionen chung von LANGMUIR berechnet auf der Oberfläche eines Goldplättchens w e r d e n kann, so sind c
X
g/100 cm*
mg-Aquiy/g
X mg-Äquiv/mm'
s=
n^x^N,
wo s die Oberfläche des Plättchens und r der Radius des 0,18 0,032 4,08 adsorbierten Ions sind. 0,26 8,95 0,046 0,27 0,047 17,90 Wenn man annimmt, daß die zu bestimmende Größe 8 der tatsächlichen Oberfläche der festen Phase und der Wert der vollen Bedeckung dieser Oberfläche durch Silberionen entspricht, so kann aus der erwähnten Gleichung, in der alle Größen außer r bekannt sind, diese unbekannte Größe ermittelt werden. EULER hat auf Grund seiner Messungen für Silberionen den Wert r —1,7- 10~8cm ermittelt; andere Methoden geben einen ähnlichen Wert: r = 2,03 • 10-8 cm, was als eine gute Bestätigung der Richtigkeit der Theorie dienen kann. LANGMUIR prüfte seine Theorie durch Untersuchungen der Adsorption verschiedener Gase auf der Oberfläche von Plättchen aus Glas, Quarz und anderen Stoffen. Bei Anwendung einer großen Zahl solcher Plättchen gelang es, eine große Adsorptionsfläche zu schaffen. So ergaben beispielsweise 200 Deckgläschen eine Fläche von 3000 cm2, auf welcher man zur Durchführung von genauen Messungen eine genügende Gasmenge adsorbieren konnte. Wenn man annimmt, daß der Abstand zwischen den Atomen auf der Oberfläche 3 • 10~8cm beträgt, kann man leicht feststellen, daß die Fläche, die ein jedes Atom einnimmt, 9 • 1016 cm2 beträgt, wobei die Anzahl der Atome, die auf 1 cm2 der Oberfläche kommen, eine Zahl von der Ordnung 1015 ergibt, was mit den Werten übereinstimmt, die für die Anzahl der Elementarräume ermittelt worden sind. LANGMUIR hat für die von ihm untersuchten Gase die Anzahl der Moleküle ermittelt, die eine monomolekulare Adsorptionsschicht bilden. Die Resultate seiner Berechnungen gibt Tabelle 45, in der die Anzahl der Moleküle, die auf 1 cm2 unter den gegebenen Bedingungen kommen, mit N' bezeichnet wird und mit N0 die Anzahl der Moleküle, die auf dieser Fläche Platz haben. Der Wert a in dieser Tabelle bedeutet das Verhältnis der Anzahl der adsorbierten Moleküle zu der Anzahl der Moleküle bei dem Grenzwert der Adsorp2,74
0,13
0,023
Elektrische Erscheinungen in den Oberflächenschichten
121
II «
tion, der einem vollkommenen Bedecken der Oberfläche des Adsorbens entspricht. Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß C02 die beste und 0 2 die schlechteste Adsorptionsfähigkeit besitTabelle45. W e r t e der Überprüfung zen. Die Versuchsresultate der Theorie von Langmpxe einer Reihe anderer Forscher ergeben gleichfalls die N ' Moleküle Gas Je 1 cm" Richtigkeit der Vorstellungen von L a n g m u i r über den 0,61 • 10 co 2 . 0,41 monomolekularen Charak- c h 4 . 0,63 • 10 0,17 0,66 • 10 0,13 ter der Adsorptionsschicht. CO . 0,67 • 10 Nt . . 0,08 Aus der Gleichung von 0 , . . 0,77 • 10 0,03 l s
16
16
16
1S
L a s g m u x r (16) folgt, wie
wir gesehen haben, daß es eine Grenze der Adsorption gibt, die von der Gleichung von Gibbs (4) nicht berücksichtigt wird. Bei der gemeinsamen Lösung beider Gleichungen erhalten wir: ,,
c -
-
da
ke
- j f r " d 7 ~
x
°°
Hieraus k
d A o
=
R T a
A a
=
Ä T ^ l n ^
und integriert
x
X
. IC c
+
i + jfcc • de
kc).
Die erhaltene Gleichung ist nichts anderes als die schon oben betrachtete, von Schischkowski experimentell ermittelte Gleichung (5). 13. Elektrische Erscheinungen in den Oberflächenschichten Es ist bekannt, daß sich auf der Grenzfläche zweier Phasen ein Potentialsprung ausbildet. Kenbik hat gezeigt, daß kleine Mengen gelösten Stoffes auf einen solchen Sprung stark einwirken. Hieraus ergibt sich, daß die Bildung einer Adsorptionsschicht auf der Grenzfläche auch auf die Höhe dieses Potentials Einfluß haben muß. Genaue Untersuchungen von Frumkxn haben das Vorhandensein eines Zusammenhanges zwischen der Adsorption der Moleküle und dem elektrischen Effekt voll und ganz bestätigt. Es ist festgestellt worden, daß oberflächeninaktive Stoffe den Potentialsprung wenig beeinflussen, während oberflächenaktive Stoffe die Differenz der Potentiale um einige Dezivolt ändern. Das Entstehen solcher Potentialsprünge, die durch die Bildung einer Adsorptionsschicht hervorgerufen werden, sind durch die Orientierung von Molekülen des organischen Stoffes, die Dipole aufweisen, in der Oberflächenschicht zu erklären; hierbei bilden die entgegengesetzten Ladungen dieser Dipole eine elektrische Doppelschicht. Hieraus folgt, daß sowohl die Höhe des Potentialsprunges als auch sein Vorzeichen von dem Aufbau des polaren Teiles des adsorbierten Moleküls abhängig sein werden. Fkumkest hat eine sehr elegante Methode zur Untersuchung der Adsorptionsschichten unlöslicher Stoffe ausgearbeitet. Das Wesentliche dieser Methode besteht in einem feinen Platindraht, der über einer 9*
122
Oberflächenerscheinungen und Adsorption
Wasseroberfläche befestigt ist und mit einem radikoaktiven Stoff bedeckt und mit einem Elektrometer verbunden ist. Die Gegenwart des radioaktiven Stoffes verursacht eine Ionisierung der Luft zwischen dem Wasser und dem Draht und macht diese leitend. Als zweite Elektrode dient ein Kalomel-Halbelement, das mit dem Wasser in Verbindung steht. Wenn man auf das Wasser oberflächenaktive Stoffe aufbringt, läßt sich mit Hilfe des Elektrometers die Änderung der Differenz der Potentiale A V messen. Nach der Gleichung von Helmholtz ist AV =
47rn/x,
wo n die Oberflächenkonzentration und (i die vertikale Komponente des Dipolmoments ist. Die Gleichung von Gibbs kann man in folgender Form schreiben:
Nach diesen beiden Gleichungen kann man fi errechnen: _ AVda ^ 4 ndfi Fkumkin hat gezeigt, daß für eine homologe Reihe die Größe A V nicht von der Länge der Kette abhängig ist. Für n-Öl-, n-Valerian- und n-Capronsäure wurde A V = 350 mV erhalten. Weiterhin ist für eine Ölsäurelösung die aus der Adsorption berechnete Größe 4 nn = 3,79 • 101B und der Wert AV = 350 mV = 1,16 • 10~ 3 elektrostatische Einheiten, woraus fi = 305 • 1 0 - 1 9 . Nehmen wir gemäß dem oben Dargelegten an, daß der Wert ¡i durch eine Doppelschicht bedingt wird, deren Stärke gleich • HN0 2 + HCl.
Summarisch verläuft diese Reaktion wie eine hydrolytische: CCI3N02 + 2 H 2 0 • C0 2 + 3 HCl + HN0 2 Die Eigenschaften von Aktivkohle kann man auch für die Synthese neuer Stoffe ausnutzen. Bei einer Temperatur unter 100° verwandelt Kohle z. B. eine Mischung von Chlor und Äthylen in Dichloräthan in einer Ausbeute bis zu 80%, und bei einer Temperatur von 300° tritt vollständige Chlorierung des Äthylens unter Bildung von Hexachloräthan ein. Bei Chlorierung eines Naturgases, bestehend aus einer Mischung von 84,7% Methan, 9,4% Äthan und 3% Propan, erhält man: CH3C1, CH2C12, CHCI3, CC14; C2H6C1, C2H4C12, C2H3C13, C2H2C14, C2HC15; C6H5C1, 0 - , m - und p-C6H4Cl2, 1, 2, 3 - , 1, 2, 4 - , 1, 3, 5-C 6 H 3 Cl 3 . Mit CuCl2 imprägnierte Kohle bildet bei Durchgang einer Mischung von C02, NH a und H„0 Ameisensäure.
134
Oberflächenerscheinungen und Adsorption
So sehen wir, daß das Problem der Aktivierung von Kohle durchaus aussichtsreich ist, wobei eine weitere Arbeit auf diesem Gebiet unzweifelhaft neue, für Theorie und Praxis interessante Resultate erbringen wird. IS. Chemische Reaktionen auf festen Oberflächen Es ist sehr schwer, eine genaue Grenze zwischen der Adsorption und chemischen Einflüssen zu ziehen. Es sei darauf hingewiesen, daß L A N G M U I E seine Adsorptionstheorie als eine chemische Theorie bezeichnet hat. Es gibt Fälle, wo die zu beobachtenden Vorgänge ganz deutlich als chemische Reaktion zu erkennen sind. In einer Reihe von Fällen läßt sich auch die Stöchiometrie des Prozesses erkennen. Fe(OH) 3 , Cr(OH)3 u. a. in Pulverform nehmen leicht Säuren auf und adsorbieren Alkali überhaupt nicht. Si0 2 , Mn0 2 , Cellulose u. a. m. in Pulverform dagegen adsorbieren Alkali und reagieren nicht mit Säuren. Die Alkalifunktion der ersten und die Säürefunktionen der anderen Stoffe bestimmen den Charakter der selektiven Adsorption. Feste Körper mit amphoterem Charakter, Al(OH)3, Wolle usw., adsorbieren sowohl Säuren als auch Alkali. Bei Einbringen solcher Stoffe in neutrale Lösungen von Salzen zeigt sich gleichfalls deutlich die Selektivität der Adsorption. Mn0 2 z. B. adsorbiert aus einer Lösung von KCl nur KOH; die bis zur Adsorption neutrale Lösung wird sauer. In Fällen, wo die Reaktion nur oberflächlich vor sich geht, ist eine Stöchiometrie aus rein praktischen Gründen schwer festzustellen, jedoch gibt es eine Reihe von Fällen, wo die Reaktion nicht nur auf der Oberfläche, sondern in der ganzen Masse der festen Phase vor sich geht. In diesen Fällen gelingt es auf analytischem Wege die Stöchiometrie des Prozesses aufzuzeigen, obgleich er äußerlich nach der Gleichung von F R E U N D L I C H verläuft. Hierher gehört der weiter unten beschriebene Fall der Reaktion von Nitroalizarin mit Salzen. Infolge der großen Bedeutung solcher Reaktionen wollen wir diese gesondert betrachten. ROBERTSON42 hat in seiner Arbeit „Einige kritische Bemerkungen zur Adsorptionstheorie" darauf hingewiesen, daß die Gleichung x — ßcn nichts anderes ist, als der Ausdruck für das Massenwirkungsgesetz. Nehmen wir an, wir haben eine Reaktion zwischen einem festen Stoff A und einem gelösten Stoff B, wobei wir als Resultat der Reaktion einen neuen Stoff AB erhalten. Nehmen wir weiterhin an, daß bei der Reaktion n1 Moleküle des Stoffes A und « 2 Moleküle des Stoffes B teilnehmen und daß sich na Moleküle des neuen Stoffes A B bilden, d.h. n, A +ti,i
J:
n3AB.
Wenn die Konzentration der festen Phase mit cT, die des gelösten Stoffes B mit c (beim Gleichgewicht) und die Konzentration der sich bildenden Verbindung AB mit x bezeichnet werden, so erhalten wir nach dem Massenwirkungsgesetz: n n c"t 2 c > = k > x"'
oder
cnJ — x = —c K
.
Da wir hier bei der üblichen Axt von Adsorptionsversuchen einen Überschuß an fester Phase haben, so kann die quantitative Änderung derselben bei der chemischen Reaktion
Chemische Reaktionen auf festen Oberflächen
135
vernachlässigt werden und das Verhältnis C"t T
kann der Konstante ß angeglichen werden, und dann ist
1 x = ßc wo 1 [n das Verhältnis von n.Jn 3 ist, d. h. wir erhalten die Gleichung von F R E U N D L I C H , die aus dem Massenwirkungsgesetz abgeleitet ist. Der Vorzug der Schlußfolgerung von R O B E R T S O N gegenüber der Schlußfolgerung von F R E U N D L I C H besteht in folgendem: 1. Die Schlußfolgerung von R O B E R T S O N verneint die Universalität der Formel und begrenzt ihre Tauglichkeit auf Versuche mit der Konstanz des Wertes ß. 2. Die Schlußfolgerung von R O B E R T S O N ist mehr theoretisch. Wenn R O B E R T S O N im gegebenen Falle die Konzentration der festen Phase als konstant annimmt, so zeigt er in seinen folgenden Ausführungen, daß neben der Klasse heterogener chemischer Reaktionen, bei denen die Masse der festen Phase konstant ist, eine nicht weniger verbreitete Klasse heterogener Reaktionen vorhanden ist, wo die feste Phase eine variable Größe darstellt. I m Anschluß an die Arbeit von R O B E R T S O N erschienen eine Reihe von Arbeiten, die die chemischen Ansichten bei den aufgezeigten Fällen von Sorption verteidigen. Die ersten Arbeiten in dieser Richtung betrafen die einfachsten Fälle, bei denen die Sorption als eine Hydrolysereaktion oder eine Additionsreaktion angesehen werden kann.
Die Hydrolysengleichung kann angewandt werden: Bei der Sorption von Arsensäure
durch Eisenoxydhydratgel
(REICHLEB); bei der Sorption von
Alkali durch Stärke (RAKOWSKI43) ; bei der Sorption von Säuren durch Anilinschwarz ( S T A D N I K O W 1 4 ) USW. Wir wollen diese Fälle untersuchen. Nehmen wir eine Reaktion zwischen der Säure AH und der Base MeOH an, deren Endprodukt MeA hydrolytisch gespalten werden kann: MeA + H 2 0 i : AH + MeOH. Wenn wir den Überschuß der festen Phase (z. B. des Gels) AH mit m bezeichnen, können wir ihn in mg-Äquivalenten ausdrücken;
wo E das chemische Äquivalent bezeichnet. Im Augenblick des Gleichgewichts haben sich x mg-Äquivalente des Stoffes MeA gebildet; es sind demzufolge x mg-Äquivalente des Stoffes AH in Reaktion getreten und Ne — x des Stoffes nachgeblieben (die Gleichgewichtskonzentration des Stoffes MeOH ist gleich c). Nach dem Hydrolysengesetz haben wir: x k — ~ (Ne — x)c
Bei Anwendung dieser Formel für den Fall der Sorption von Alkali durch Stärke hat R A K O W S K I die in Tabelle 54 gebrachten Werte erhalten. S T A D N I K O W hat für die Sorption von Säuren durch Anilinschwarz die gleichen Resultate erhalten, zu denen R. W I L L S T A T T E R auf dem gewöhnlichen analytischen Wege gekommen ist. 10
Lipatow, p h y s i k a l i s c h e Chemie
Oberflächenerscheinungen und Adsorption
136
Diese Tatsache sowie die Möglichkeit, aus der Sorption das chemische Äquivalent des Gels zu ermitteln, sind genügende Beweise für die Fruchtbarkeit dieser Theorie. Tabelle 54. Ü b e r p r ü f u n g Die Hydrolysentheorie umfaßte jedoch der H y d r o l y s e n g l e i c h u n g bei nur einen begrenzten Kreis von ErscheiS t ä r k e (nach RAKOWSKI) nungen, und zwar die Adsorption entweder Einwaage 10 g Lösungsvolumen 100 cm 3 von Säuren oder von Basen durch Sorbentien entgegengesetzter Funktion. Verbreik X c tete Fälle einer auswählenden (selektiven) Hydrolyse mg-Aquiv./g g/100 cm Adsorption erklärte sie nicht. Solche kom0,0856 0,038 0,02 plizierteren Fälle sind vom Verfasser 45 bei 0,035 0,1610 0,04 der Reaktion Nitroalizarin + Ba(CH 3 COO) 2 0,2592 0,033 0,05 untersucht worden, die nach der Gleichung 0,5416 0,034 0,16 3
R N 0 2 ( 0 H ) 2 + Ba(CH 3 COO) 2 i R N 0 2 0 2 B a + 2CH3COOH verläuft und dadurch interessant ist, daß sie alle äußeren Merkmale der Sorptionserscheinungen aufweist und bis heute zu diesen gezählt wird. Fälle von selektiver Sorption kann man immer als einen Fall von chemischer Verteilung ansehen. In der beschriebenen Reaktion des (sauren) Nitroalizarins adsorbiert dieses aus dem Salz nur die Base, während die Essigsäure in der Lösung zurückbleibt. Das Massenwirkungsgesetz führt in diesem Fall zu einer komplizierten Gleichung: ,
3?
da bei dieser Reaktion sich ausscheidende CH3COOH berücksichtigt werden muß (die sich in der Menge x bildet, die äquivalent der Bildung des neuen Stoffes ist). Der Wert (Tabelle 55) des chemischen Äquivalents von Nitroalizarin aus dem Versuch beträgt 125 (theoretischer Wert 142). Wir machen darauf aufmerksam, daß alle Gleichungen, die aus der chemischen Theorie abgeleitet werden, in eine Form gebracht werden können, die den Grenzwert berücksichtigt: ^ x =
N .
1 +
kc
wobei c im Falle einer Hydrolyse gleich der Endkonzentration und im Falle eines Austausches gleich
ist. Die Gleichung zeigt, daß bei hohen Werten c
die Größe Ne der Grenzwert für x ist: lim
x =
N . —
k
=
N„
Was die Kontinuität des Prozesses betrifft, so widersprechen die chemischen Vorstellungen diesem nicht, und der Verfasser hat speziell bewiesen, daß in jedem Punkt der ununterbrochenen Kurve sich Verbindungen von konstanter Zusammensetzung bilden, jedoch in Konzentrationen, die den Bedingungen des Gleichgewichts entsprechen.
Chemische Reaktionen auf festen Oberflächen
137
Aus Tabelle 55 sehen wir, daß k eine konstante Bedeutung behält, obgleich die Menge des adsorbierten B a in Abhängigkeit von der Konzentration der Lösung von Ba(CH3COO)2 in weiten Grenzen variiert, d. h. es scheint so, als ob wir die äußerlichen Kennzeichen einer Sorption hätten. Wenn wir jedoch die hierbei gebildeten Verbindungen nehmen und Tabelle 55. A d s o r p t i o n v o n die Menge des nach der Sorption in freiem Bariumacetat Zustande übriggebliebene Nitroalizarin bedurch Nitroalizarin stimmen, so finden wir, daß die Mengen für e X die Sorption des Ba, die gleich x sind, und k g/100 c m ' mg-Äquiv./g die Mengen, die durch Nitroalizarin gebunden sind, sich in einem äquivalenten Verhältnis 0,2872 1,7449 0,184 0,8244 0,1996 0,191 befinden, d. h. bei richtiger quantitativer 0,1374 0,3710 0,181 Berechnung haben die gebildeten Verbin0,1264 0,0790 0,180 dungen eine konstante Zusammensetzung. Deswegen widerspricht die Kontinuität des Prozesses nicht der gleichmäßigen Zusammensetzung der sich bildenden Verbindungen. Die Kontinuität selbst besteht aus einzelnen unterbrochenen Sprüngen, die die Bildung eines neuen Stoffes charakterisieren. So können viele Tatsachen für den Fall der Reaktion von festen und gelösten Stoffen mit Hilfe rein chemischer Vorstellungen erklärt werden. K. F . HERZFELD46 hat gezeigt, daß man zwei Fälle heterogener Reaktionen unterscheiden muß: 1. Der heterogene Fall. Als Resultat einer chemischen Reaktion bildet sich ein kristallines Produkt unter Austausch früherer Micellen durch neue. In diesem Falle beginnt die Reaktion gemäß der Phasenregel nur bei einer genau bestimmten Konzentration und wird danach bis zum völligen Verschwinden einer der festen Phasen fortschreiten. 2. Der homogene Fall, bei dem die Umwandlung der Micellen oder Moleküle in andere kontinuierlich unter Bildung von gemischten Kristallen vor sich geht. Dieser Fall ist identisch mit der oben untersuchten Reaktion zwischen Nitroalizarin und einem Salz, und nach HERZFELD wird dieser Fall dem Massenwirkungsgesetz einer homogenen Reaktion folgen. Der letzte Fall kommt in der Praxis am häufigsten vor. Solche Prozesse, wie die Mercerisation von Cellulose (die Reaktion mit NaOH), die Bildung von Farblacken (z. B. mit Nitroalizarin), Reaktionen von Kollagen mit Säuren, Reaktionen von Kollagen mit Chromsalzen u. s. f. können chemisch am richtigsten erklärt und am besten erläutert werden. Wir wollen die Frage stellen, inwiefern die untersuchten Fälle eines chemischen Gleichgewichts die Versuchsergebnisse erklären und welcherart ihre reale Bedeutung ist. Wir haben gesehen, daß ein chemischer Prozeß, der mit der Bildung eines neuen Stoffes endet, auf zweierlei Art verlaufen kann: 1. Er kann sich mit der Oberflächenschicht der festen Phase begnügen. Dann werden begrenzte stöchiometrische Verhältnisse nur für denjenigen Teil der Moleküle des gesamten Komplexes in Frage kommen, der zur Oberflächenschicht gehört. Beispielsweise kann die Reaktion von Fe(OH) 3 mit HCl als eine Reaktion 10«
138
Oberflächenerscheinungen und Adsorption
dieses Typs angesehen werden. Wenn wir den ursprünglichen Kern [Fe(OH)3], der an der chemischen Umwandlung nicht teilnimmt, in Klammern setzen, so kann man sich den Prozeß schematisch auf folgende Art vorstellen: [F^OÜ]« x Fe 2 0 3 + 6 x HCl ^ [Fe 2 0 3 ] n 2 z FeCl3 + 3 x H 2 0. So verläuft er auch in Wirklichkeit. In einem solchen Falle kann unter geeigneten Bedingungen eine Peptisation auftreten, d. h. ein Übergang vom Gel in ein Sol. Nur bei Berücksichtigung der Oberflächenschicht der Moleküle können wir stöchiometrische Verhältnisse erwarten. 2. Der chemische Prozeß geht in der gesamten Masse der festen Phase vor sich, oder anders gesagt, er verläuft so, als ob die feste Phase bis zu den Molekülen aufgelöst wäre. Dieser Fall wird am häufigsten bei Gallerten beobachtet, z. B. bei Gelatine oder Cellulose, die deswegen als molekulare Gitter anzusehen sind, in denen die Moleküle durch Kräfte geringerer Intensität verbunden sind. In diesem Fall können wir richtige stöchiometrische Verhältnisse erwarten und auf Grund der Versuchswerte die Molekular- bzw. Äquivalentgewichte komplizierter organischer Stoffe ermitteln.In der Literatur ist eine Reihe von Tatsachen aufgeführt, die diese Annahme wahrscheinlich machen 47,48 . P B O K T E K und W I L S O N sind bei der Untersuchung der Reaktion zwischen Gelatine und HCl zu der Schlußfolgerung gekommen, daß sich hierbei eine neue chemische Verbindung, das Glutinchlorid, bildet. In der Tat haben wir: gl • NH a + HCl Z gl • NH3C1. Wenn wir mit (Ne — x), c und x die Konzentrationsstufen der entsprechenden Verbindungen bezeichnen und das Massenwirkungsgesetz anwenden, finden wir, daß kc k^N, — x)c— k2x und x = N„ 1 ist.
Im Grenzfall ist x = Ne und gibt diejenige Menge von HCl an, die die gewonnene Einwaage bis zur Bildung eines normalen Salzes absättigt. Hieraus kann leicht das Molekulargewi cht ermittelt werden. Nach P B O K T E R beträgt das Molekulargewicht der Gelatine 839, was einer Verbindung C 3 5 H 5 7 0 1 3 N n entspricht und nahe dem von P A A L kryoskopisch ermittelten Wert M = 900 liegt. Der Fall einer Reaktion von Cellulose und NaOH liegt analog. Er gibt die Möglichkeit, das chemische Molekulargewicht der Cellulose gleich 162 zu ermitteln. Außer diesen sind Fälle bekannt, wo auch nicht quellfähige Gele als Molekülgitter angesehen werden können. Solch ein Fall ist von S T A D N I K O W bei Anilinschwarz und Säuren untersucht worden. Der Prozeß der Chromgerbung kann gleichfalls auf Grund der oben erörterten Theorie erklärt werden. Es ist bekannt, daß bei Gerbung mit Chromsalzen vom Kollagen nur die Base des Chromsalzes aufgenommen wird, während die Säure quantitativ in der Lösung verbleibt. Dieser Fall einer selektiven Adsorption
Emulsionen und Schäume
139
kann chemisch durch Bildung einer komplizierten Verbindung eines Chromkollagenats erklärt werden. Die chemische Theorie ermöglicht es, Wege zur zweckmäßigen Lenkung einer solchen Gerbung zu wählen. Wenn wir die Reaktion als Schema 3 RNH 2 COOH + CrA3 £ (RNH 2 COO) 3 Cr + 3 HA schreiben, finden wir, daß sich im Endergebnis freie Säure HA ausscheidet. Hieraus folgt, daß, wenn wir die Säure aus der Wirkungssphäre entfernen (durch Neutralisation, z. B. mit Soda), wir dadurch Bedingungen schaffen, die für den Verlauf der Reaktion im Sinne einer Bildung von Chromkollagenat günstig sind. Ein Einführen der Säure in das System jedoch wird die Gerbung bremsen. Der Prozeß der Mercerisation — die erste Stufe des Viscoseprozesses zur Gewinnung von Kunstseide und Kunstleder — kann am besten verstanden werden, wenn man ihn als eine hydrolytische Reaktion betrachtet: C 6 H 9 0 4 (OH) + NaOH í C 6 H g 0 4 (ONa) + H 2 0 . Die Hydrolysengleichung, die oben angeführt wurde, gibt bei Anwendung in diesem Falle die Möglichkeit, das chemische Äquivalent der Cellulose mit
C6 H O5
g°
,
d. h. zu 54 zu ermitteln, wobei als Endprodukt der Reaktion eine Alkalicellulose der Zusammensetzung C 6 H 7 0 2 (ONa)3 entsteht. N. N. SCHOBYGINA hat durch Einwirkenlassen von metallischem Natrium auf Cellulose eine solche Verbindung erhalten.
19. Emulsionen und Schäume49 Wenn auf der Grenzfläche zweier nicht mischbarer Flüssigkeiten, wie Benzol und Wasser oder ö l und Wasser, eine LANGMUmsche Adsorptionsschicht vorhanden ist, so wird Schütteln solcher Flüssigkeiten zur Bildung einer Emulsion führen. Es ist verständlich, daß beim Schütteln und bei der Tropfenbildung aus solchen Flüssigkeiten, z. B. aus Benzol, und der sich dadurch ergebenden wesentlichen Vergrößerung der Oberfläche zur Bildung einer der Sättigung nahen Adsorptionsschicht auf der Oberfläche der Tropfen eine genügende Menge eines oberflächenaktiven Stoffes hinzugeführt werden muß. Solche oberflächenaktiven Stoffe sind Emulgatoren. Jedes gegebene Flüssigkeitspaar kann zweierlei Arten von Emulsionen bilden in Abhängigkeit davon, welche von den Flüssigkeiten die disperse Phase abgibt und welche als das Dispersionsmedium erscheint (z. B. eine Emulsion der ersten Flüssigkeit in der zweiten und eine Emulsion der zweiten Flüssigkeit in der ersten). Als Stabilisatoren können verschiedene Stoffe verwendet werden. In natürlichen Emulsionen, z. B. in Milch oder Latex (Milchsaft von Kautschukpflanzen), erscheint das Eiweiß als Emulgator. Zur künstlichen Herstellung von Emulsionen wird sehr oft Eiweiß, Gummiarabikum oder Seife verwendet, die starke emulgierende Eigenschaften aufweisen. Als Stabilisatoren kann man auch feste pulverförmige Stoffe verwenden; in diesem Falle beruht die Emulgierung auf der Benetzung eines festen Körpers. So kann man Lampenruß zur Herstellung
140
Oberflächenerscheinungen und Adsorption
Stabiler Emulsionen von Wasser in Öl verwenden und zeigen, daß der pulverförmige Ruß vom ö l viel leichter benetzt wird als vom Wasser. Bei Vorliegen eines guten Stabilisators ist es möglich, hochkonzentrierte Emulsionen herzustellen, und offensichtlich gibt es keine Grenzen für die Menge der dispersen Phase, die sich in emulgiertem Zustand befinden kann. So hat P I C K E B I N G die Möglichkeit, eine 99 % ige Emulsion von Paraffin in Wasser herzustellen, aufgezeigt. Man sollte eigentlich erwarten, daß in diesem Falle die Grenze der Emulgierbarkeit durch eine vollständige Berührung der sphärischen Tröpfchen der emulgierten Flüssigkeit gegeben ist. Wenn die disperse Phase aus kleinen undeformierbaren Kügelchen bestehen würde, so wäre die Grenze der Emulgierbarkeit durch das Volumenverhältnis der dispersen Phase zum Dispersionsmedium bestimmt. Da die Versuche von P I C K E R I N G dieses verneinen, muß man eine leichte Deformation der Öltröpfchen annehmen, die bei genügend großer Anzahl derselben an den Berührungsstellen abflachen. In diesem Falle verwandelt sich das Dispersionsmedium in einen dünnen Film, der die Oberfläche der sich bildenden „Polyeder" bedeckt. Die Stabilität von Emulsionen wird durch viele Faktoren bestimmt, von denen als wichtigste folgende zu nennen sind: 1. das Vorliegen eines Stabilisators, der fähig ist, die Oberflächenspannung an der Grenzfläche zweier Flüssigkeiten wesentlich zu erniedrigen; 2. der Grad der Bedeckung der Oberfläche des Tropfens durch eine Adsorptionsschicht. Eine Emulsion von maximaler Stabilität bildet sich bei Vorliegen einer gesättigten Oberfläche; 3. die mechanische Festigkeit der Adsorptionsschicht. Wir wollen diese Faktoren näher betrachten. Es ist gezeigt worden, daß bei Anwendung einer Reihe von Fettsäuren als Emulgatoren eine beständigere Emulsion bei Säuren mit Tabelle56. Abhängigkeit der S t a b i l i t ä t von einer langen KohlenwasserEmulsionen von der Anzahl der Kohlenstoffstoffkette erhalten wird. a t o m e im R a d i k a l Tabelle 56 illustriert das Gesagte (A a bedeutet die A T2 > Tz) verschiebt das Maximum der Verteilungskurve nach links. Die schraffierte Fläche charakterisiert die optimale Zone der Keimbildung. Außer der Temperatur haben auch Beimischungen fremder Stoffe einen wesentlichen Einfluß auf die Geschwindigkeit der Kristallisation. FREUNDLICH
149
Bildung einer neuen Phase
hat den Einfluß von Brenzkatechin auf die Kristallisationsgeschwindigkeit von Benzophenon untersucht. Die von ihm erhaltenen Resultate bringt Tabelle 59. H . F R E U N D L I C H 3 nimmt an, daß Brenzkatechin auf der Oberfläche der Benzophenonteilchen adsorbiert wird, wodurch das Wachsen von Kristallen verhindert wird. Diese Annahme hat er durch die Anwendung der Adsorptionsformel v =
ßc1n
bestätigt, wo v die Adsorptionsgeschwindigkeit bedeutet und ß = 0,2884 und — = 0,4645 sind. n
'
Die nach dieser Formel ermittelten Werte für v sind in der letzten Spalte der Tabelle 59 verzeichnet. Tabelle 59. E i n f l u ß v o n B r e n z k a t e c h i n auf d i e K r i s t a l l i s a t i o n s geschwindigkeit von Benzophenon Anzahl der Mole von Brenzkatechin auf 100 Mole Benzophenon
0,25 1,00 2,00 4,00 8,00
Kristallisationsgeschwindigkeit in mm/Min. beob
ber
50,0 43,5 36,5 26,1 13,4
50,5 42,3 30,8 26,8 14,0
Sehr interessante Resultate hat H . M A R K 4 erhalten, der den Einfluß des Farbstoffes Chinolingelb auf die Kristallisationsgeschwindigkeit von Kaliumsulfat untersucht hat. Analog wie beim Brenzkatechin hängt die hindernde Wirkung des Farbstoffes von seiner Konzentration in der Lösung ab und hat demzufolge den Charakter einer Adsorption. Unter dem Einfluß von Beimischungen jedoch ändern sich nicht nur Kristallisationsgeschwindigkeit, sondern auch der Prozeß des Kantenwachstums. So wirkt beispielsweise die Gegenwart einer geringen Menge von Methylenblau auf die Struktur von AgClKristallen ein; wenn kein Methylenblau vorhanden ist, haben die AgCl-Kristalle eine regelmäßige und bei Gegenwart von Methylenblau eine unregelmäßige Form. Die angeführten Beispiele genügen vollständig, um den außerordentlich großen Einfluß von Beimengungen auf den Prozeß der Kondensation kolloider Teilchen zu verstehen. Die ersten systematischen Untersuchungen der Synthese kolloider Teilchen sind von v. W E I M A B N durchgeführt worden. Es muß bemerkt werden, daß- v. WEIMARN 5 , beim Nachweis der Umkehrbarkeit des Übergangs des kolloiden in den kristalloiden Zustand den Kondensationsprozeß als einen Kristallisationsprozeß und die kolloiden Teilchen als amikroskopische Kristalle angesehen hat. Das, was als amorpher Zustand bezeichnet wird, ist nach v. W E I M A R N ein kristalliner, teilweise desorientierter Zustand. Nehmen wir z. B. einen Kristall und legen ihn ins Wasser. Die den Kristall umgebenden Wassermoleküle, die sich in ununterbrochener Bewegung befinden, werden fortwährend gegen die Oberfläche des Kristalls
150
Bildung von Kolloiden
stoßen, diese Oberfläche bombardieren und hierdurch eine gewisse Unordnung in die Oberflächenschicht hineinbringen. Wenn wir einen Kristall mit großen Abmessungen haben, so ist die Dicke seiner Oberflächenschicht verschwindend gering im Vergleich zur gesamten Größe des Kristalls, deshalb wird die Desorientierung in der Oberflächenschicht des Kristalls sich fast gar nicht auf die Anisotropie des Kristalls auswirken. Wenn wir jedoch einen sehr kleinen Kristall nehmen, d. h. einen Kristall, bei dem die Dicke der Oberflächenschicht meßbar im Vergleich zur Größe des Kristalls ist, so wird als Ergebnis der Bombardierung dieser Oberfläche durch die Moleküle des Lösungsmittels eine Desorientierung der Moleküle in der Oberflächenschicht erfolgen, die zu einem fast vollkommenen Verlust der kristallinen Struktur des betreffenden Stoffes führen wird, d. h. der Stoff wird als amorph erscheinen. 3. Bedingungen zur Gewinnung von Solen Wenn wir eine bei Zimmertemperatur gesättigte Lösung haben, beispielsweise von NaCl, so können wir durch Abkühlung Bedingungen schaffen, die für die Ausscheidung von NaCl aus der Lösung in festem Zustand, d. h. zur Kristallisation desselben günstig sind. Eine solche Kristallisation geht nicht plötzlich vor sich, d. h. es bilden sich nicht sofort mikroskopische Kristalle, sondern die sich bildenden Kristalle wachsen allmählich und werden größer, wobei sie auch das Stadium kolloider Dispersion durchlaufen. Demzufolge haben wir zu einem bestimmten Zeitpunkt auch ein System: Gesättigte NaCl-Lösung -> NaCl-Kristalle von kolloiden Abmessungen. Es braucht nicht unterstrichen zu werden, daß der Kristallisationsprozeß nicht bei der Bildung von Kristallen kolloider Dispersion stehenbleibt, sondern weitergeht. Deswegen teilen v. W E I M A R N 5 und, unabhängig von ihm, T A M M A N N , den Kondensationsprozeß in zwei Abschnitte: 1. Bildung von Keimen und 2. Wachstum der Keime. 1. Die Geschwindigkeit des Prozesses im ersten Abschnitt wird nach v. WEIMARN durch eine Gleichung ausgedrückt, die der Gleichung von VOLMER analog ist:
wo k eine Konstante, Q die Konzentration der übersättigten Lösung und L die Löslichkeit des Stoffes sind. Demzufolge ist(Q — L) der Überschuß des Stoffes, der sich in Form von Kristallen ausscheiden kann. Diese Geschwindigkeit setzt sich aus den Geschwindigkeiten zweier entgegengesetzter Prozesse zusammen: 1. der Geschwindigkeit des Ausscheidungsprozesses des festen Stoffes aus der Lösung; die Intensität dieses Prozesses wird durch die Größe Q — L charakterisiert ( K o n d e n s a t i o n s d r u c k ) ; 2. der Geschwindigkeit des Lösungsprozesses, der Reaktion des sich ausscheidenden Stoffes mit dem Lösungsmittel; die Intensität dieses Prozesses wird durch die Größe L bestimmt, die den Widerstand der Ausscheidung des festen Stoffes aus der Lösung charakterisiert ( K o n d e n s a t i o n s w i d e r s t a n d ) . Mit Vergrößerung von v1 ver-
B e d i n g u n g e n zur Gewinnung v o n Solen
151
größert sich progressiv auch die Anzahl der Kondensationspunkte, und bei einem sehr großen Wert von vl beginnt der Aggregations-Kristallisationsprozeß, der zur Vereinigung der kleinen Kristalle zu großen Kristallen führt. Die Grundbedingung zur Bildung eines Sols besteht also nach v. W E I M A H N darin, daß der Wert eine Größenordnung haben soll, bei der eine gleichmäßige und möglichst schnelle Bildung von kleinen Kristallen gewährleistet wird, da nur in diesem Falle ein Wachsen der vorhandenen kleinen Kristalle vermieden werden kann. Wenn jedoch der Wert vl klein sein wird, so werden die sich bildenden Kristalle als Kristallisationszentrum dienen, an denen sich das gelöste NaCl absetzen und die Abmessungen derselben vergrößern wird. 2. Die Geschwindigkeit des zweiten Prozesses, des Prozesses des Keimwachstums wird durch die Gleichung
ausgedrückt, wo D der Diffusionskoeffizient, s die Oberfläche des Kristalls und d der Diffusionsweg bedeuten. Bei Bildung von Kolloiden muß dieser Prozeß nach Möglichkeit gebremst werden. Wenn also im System eine schnelle Ausscheidung der gesamten Menge Q — L des Stoffes vor sich geht, werden wir ein System kolloider Dispersion erhalten. Wenn jedoch die Ausscheidung langsam vor sich geht, so wird sich ein gewisser Teil der Menge Q — L in Form von Keimen ausscheiden, die dann als Zentrum für die Ausscheidung der restlichen Menge Q — L des Stoffes dienen werden. Der Wert ^ ^ = g kann als die spezifische Übersättigung bezeichnet werden. Wenn der Wert L groß ist, wird eine Teilung der Phasen mit einer großen Anzahl von Keimstellen vor sich gehen, wobei die Entfernung zwischen diesen Zentren klein sein wird, und als Ergebnis werden wir ein Gel mit einer Gitterstruktur erhalten; wenn jedoch L klein ist, so wird bei einem großen Wert von g die Bildung hochdisperser Teilchen eintreten und es wird sich ein Sol bilden. Die sorgfältigen Untersuchungen von v. W E I M A R N über die Reaktion der Bildung von BaS0 4 -Solen gemäß MnS0 4 + B a (SCN)2 - > B a S 0 4 + Mn(SCN)a haben die in Tabelle 60 gebrachten Resultate ergeben. Tabelle 60 zeigt, daß die Bildung einer kolloiden Lösung bei Werten von g von 8 bis 25 möglich ist, wenn die Konzentration der reagierenden Stoffe gering ist. Folglich muß eine Senkung der echten Löslichkeit die Bildung eines Sols begünstigen. Tatsächlich gelingt es bei Verwendung von Lösungen der Ausgangsreagenzien in einer Mischung von Alkohol und Wasser ein durchsichtiges stabiles BaS0 4 -Sol zu erhalten, dessen Löslichkeit in einer Mischung von Alkohol und Wasser wesentlich geringer ist als in Wasser. Bei hohen Werten von g werden, wie aus Tabelle 60 ersichtlich, entweder Kristalle oder konzentrierte Gele erhalten. Das oben Gesagte genügt jedoch nicht, um die Gründe der Unmöglichkeit der Gewinnung von kolloiden NaCl-Lösungen in Wasser durch Kondensation der Moleküle desselben zu erklären. Dieser Umstand veranlaßte v. W E I M A R N , 11
Lipatow, Physikalische Chemie
152
Bildung von Kolloiden
von Anfang an seine Gleichung durch Einführung einer Reihe rein empirischer Momente zu vervollständigen: vt —
j-
z Aj k2 k3 ...
wo ku k2 ... Werte sind, die die Kompliziertheit der Zusammensetzung des Stoffes charakterisieren, und z die Viskosität des Systems ist. Da der Kondensationsprozeß, beispielsweise die Bildung von kolloidem BaS0 4 , von v. W E I M A B N auf chemischen Wege durch die Reaktion CoS0 4 + Ba(SCN)2
BaS0 4 + Co(SCN)2
durchgeführt wurde, so müssen kv k2... die Fähigkeit vonBaS0 4 charakterisieren, in der Lösung zu assoziieren, eine Fähigkeit, die sich parallel mit dem Anwachsen des Wertes Q — L erhöht. Jedoch auch das hat sich als ungenügend erwiesen: Es ergab sich die eindeutige Tatsache, daß eine sehr kleine Löslichkeit (ein sehr kleiner Wert von L) des ausgeschiedenen Stoffes die notwendige und wesentliche Grundbedingung ist, bei welcher man selbstverständlich bei Berücksichtigung alles oben Gesagten eine kolloide Lösung herstellen kann. Man muß jedoch fragen: ,,Kann man eine kolloide Lösung von BaS0 4 herstellen, wenn man nicht vom chemischen Austausch ausgeht, sondern von der übersättigten Lösung von BaS0 4 und bei Einhaltung aller Bedingungen, die nach der Theorie von v. W E T M A R N für den Kondensationsprozeß nötig sind?" Auf diesem Wege eine kolloide Lösung herzustellen ist nicht möglich, jedoch kann man ein System erhalten, in dem das BaS0 4 einen kolloiden Dispersionsgrad besitzt. Daß jedoch beides nicht ein und dasselbe ist, wird weiter unten gezeigt werden. Oben ist schon gesagt worden, daß die erste Bedingung zur Bildung eines Sols nur den quantitativen Faktor behandelt, den Dispersionsgrad, und daß in dieser Bedingung die qualitative Seite des Prozesses fast vollkommen ignoriert wird. Zur Bildung eines Kolloids muß die zweite Bedingung des Prozesses beachtet werden, die darin besteht, daß zwischen dem Teilchen und dem Lösungsmittel eine Reaktion vor sich gehen muß. Bei BaS0 4 als einem Stoff, der praktisch keine Affinität zum Lösungsmittel aufweist, ist diese Reaktion sehr schwach ausgedrückt, weshalb man diesen Stoff nicht in kolloidgelöstem Zustande erhalten kann. Es ist zu bemerken, daß die zweite Bedingung gleichfalls fordert, daß die Löslichkeit des Stoffes gering sein soll. Die praktische Verwirklichung dieser Bedingung führt dazu, daß die K o n d e n s a t i o n auf c h e m i s c h e m W e g e bei Ü b e r s c h u ß e i n e s der S t o f f e , die an der B i l d u n g des K o l l o i d s t e i l n e h m e n , d u r c h g e f ü h r t wird, also bei einem Überschuß entweder vonCoS0 4 oder von Ba(SCN) 2 (im Falle einer Synthese von BaS0 4 nach der oben angeführten Reaktion); beim Zusammengießen äquivalenter Mengen der reagierenden Stoffe wird die Lebensdauer des Sols begrenzt sein (Tabelle 60). Die zweite Bedingung fordert also einen Überschuß des Stoffes, der mit dem kolloiden Teilchen ein gemeinsames Ion hat. Anfangs hatte v. W E I M A K N angenommen, daß dieses gemeinsame Ion nötig sei, um die Löslichkeit des Stoffes, aus dem die kolloide Phase entsteht, zu senken, später jedoch hat
Bedingungen zur Gewinnung von Solen
153
Tabelle60. B i l d u n g v o n BaS0 4 verschiedener D i s p e r s i o n s g r a d e Konzentration von Ba(SCN), und MnSO« in g-Äquiv.
Q-
L
y
Q-L L
Charakterisierung des Systems
0,00005 bis 0,00014
0 bis 0,0006
Obis 3
Sedimentation im.Laufe eines Jahres nicht eingetreten
0,00014 bis 0,0017
0,006 bis 0,0096
3 bis 48
Bei g = 8 langsames Absetzen; bei g — 25 bildet sich eine Suspension, die in einem Zeitraum von einigen Stunden bis mehreren Monaten Makrokristalle bildet.
0,0017 bis 0,75
0,0096 bis 4,38
48 bis 21900
Bei g = 48 Sedimentation im Laufe einiger Sekunden; bei g = 21900 Bildung großer Kristalle ; bei Zwischenwerten von g augenblickliche Bildung eines kristallinen Niederschlages
0,75 bis 3
4,38 bis 17,51
21900 bis 87500
Augenblickliche Bildung eines amorphen Niederschlages
3 bis 7
17,51 bis 40,9
87500 bis 204500
Bildung eines durchsichtigen Gels
er auf die kompliziertere Rolle dieses gemeinsamen Ions hingewiesen. Sein erster Hinweis stimmt vollkommen mit den Forderungen der analytischen Chemie überein, die sich eine genau umgekehrte Aufgabe stellt und verwirklicht: Die vollkommene Abscheidung eines festen Stoffes aus einer Lösung. Der Unterschied im Ziel und die qualitative Gemeinsamkeit der Forderungen der analytischen und der Kolloidchemie werden durch den Versuch selbst erklärt. Tabelle 62 gibt Werte für die Löslichkeit von CaS0 4 in (NH 4 ) 2 S0 4 (Abb. 53), und Tabelle 63 Werte für die Löslichkeit von AgCl in BaCl 2 . Aus Tabelle 62 ist ersichtlich, daß bei Erhöhung der (NH 4 ) 2 S0 4 -Konzentration die Löslichkeit von CaS0 4 zuerst abfällt (analytiKonzentration von (NH^SO^ sche Bedingung) und sich dann infolge der Bil- Abb. 53. LSslichkeit von CaS0 4 bei Gegenwart von (Nil,),SO, dung von Komplexen erhöht (Bedingung der kolloiden Synthese); daher muß ein Sol mit einem gemeinsamen Ion unbedingt dabei sein, um die Löslichkeit des Kolloids zu erhöhen. . Der Versuch zeigt also die Notwendigkeit des Vorliegens einer dritten Komponente im System; die Aufgabe der Theorie ist, hierzu eine Erklärung zu geben. Es muß bemerkt werden, daß diese Lage sowohl für die Methode der Kondensation als auch für die Methode der Dispergierung gemeinsam ist, unabhängig von der Verschiedenheit in der Anlage und Durchführung dieser Methoden. 11*
Bildung von Kolloiden
154
Tabelle 61. Z u s a m m e n h ä n g e z w i s c h e n der L ö s l i c h k e i t e i n e s S t o f f e s u n d der S t a b i l i t ä t d e s aus d i e s e m e r h a l t e n e n S o l s Benennung des Stoffes
BaS0 4 AgCl AgJ
Löslichkeit mg/1
Lebensdauer des Sols
2,29 • 10—4 1,52 • 10—6 3,53 • 10—7
Minuten Stunden Wochen
Tabelle 62. L ö s l i c h k e i t v o n CaS0 4 in (NH 4 ) 2 S0 4 bei 25° Konzentration von (NHOtSOt g/1
Löslichkeit von CaSO, g/1
Konzentration von (NH,).SO, g/1-
Löslichkeit von Ca SO, g/1
0,000 0,128 0,821 3,287
2,08 2,06 1,81 1,54
6,575 13,150 84,900 339,600
1,44 1,45 2,33 4,50
Tabelle 63. L ö s l i c h k e i t v o n AgCl i n BaCl2 Konzentration vou BaClg
Löslichkeit von AgCl
g/1
g/1
1,248 1,610 2,676 3,260
186•10-6 339 • 1 0 - 6 1274 • 1 0 - 6 2366 • 1 0 - 6
Die Dispergierungsmethode besteht also nach dem oben Gesagten nicht nur in einer Zerkleinerung eines grobdispersen Niederschlages, sondern wird zum großen Teil auch auf chemischem Wege verwirklicht. Nachdem wir die Bedingungen der Kondensation von Molekülen bis zu kolloiden Teilchen betrachtet haben, wollen wir jetzt zu Untersuchungen grundsätzlicher Methoden zur Herstellung disperser Systeme an Hand von Beispielen übergehen. 4. Methoden zur Herstellung kolloider Lösungen 6 a) Die Kondensationsmethode. Diese Methode kann auf verschiedenen Wegen realisiert werden. Wir haben davon schon zwei Möglichkeiten untersucht: 1. die Bildung übersättigter Systeme durch Abkühlung, oder 2. durch Einführung irgendwelcher Stoffe, die die Löslichkeit des betreffenden Stoffes in Wasser vermindern. Wir haben jedoch gesehen, daß diese Methoden nicht zur Bildung von Solen führen. Die grundlegenden Methoden, die zur Gewinnung von Kolloiden angewandt werden, sind rein chemischer Natur. Reduktion. Wenn man Wasserstoffsuperoxyd zu einer Lösung von Goldchlorwasserstoffsäure hinzufügt, erfolgt Reduktion von HAUC14 bis zum metallischen Gold, und zwar nach der Gleichung 2 HAUC14 + 3 H 2 0 2 - > 2 A u + 8 H C l + 3 0 2 .
Methoden zur Herstellung kolloider Lösungen
155
Hierbei bildet sich ein Goldsol. Genaue Untersuchungen dieser Reaktion sind von NAUMOW durchgeführt worden. Oxydation. Bei Oxydation von Schwefelwasserstoffwasser durch Salpetersäure kann man eine kolloide Schwefellösung erhalten: 2 H2S + 0 2 - ^ 2 S +
2H20.
S. O D E N hat die Herstellung von Schwefelsolen genau untersucht, indem er Schwefelwasserstoff durch S 0 2 nach der Reaktion 2 H„S + SO, ^ 3 S + 2 H „ 0 oxydierte. Diese Reaktion verläuft nicht genau nach der angegebenen Gleichung, da sich als Resultat der Oxydation verschiedene Thionsäuren bilden. Beim Durchleiten von H 2 S durch S0 2 -Lösungen verschiedener Konzentration fand S. O D E N , daß Abweichungen von dieser Reaktion meistens bei hohen Konzentrationen von S 0 2 zu bemerken sind, wenn nur ein geringer Teil von H 2 S zu Schwefel oxydiert wird. Wenn man beispielsweise eine 1,8 n-Lösung von S 0 2 nimmt, so bilden sich bei 100 cm 3 der Lösung etwa 8 g Schwefel, während bei einer 0,225 nS0 2 -Lösung der Schwefel praktisch quantitativ ausgeschieden wird: E s werden 16,98 g S erhalten, an Stelle von 17,3 g nach der Gleichung. S. O D E N fand, daß Kolloidschwefel hauptsächlich in konzentrierten Lösungen entsteht; in verdünnten Lösungen scheidet sich der sich bildende Schwefel als Niederschlag ab. Offensichtlich haben die sich in konzentrierten Lösungen bildenden Thionsäuren einen wesentlichen Einfluß auf die Bildung von Schwefel in kolloider Form. Doppelter Umsatz. Eine am häufigsten anzutreffende Reaktion zur Bildung einer kolloiden Phase. E s ist beispielsweise sehr leicht, kolloides Bariumsulfat durch doppelten Umsatz zu erhalten, indem man von Bariumrhodanid und Kaliumsulfat ausgeht: Ba(SCN) 2 + K 2 S 0 4
B a S 0 4 + 2 KSCN .
Ein Arsentrisulfid-Sol kann man erhalten, wenn man H 2 S durch Lösungen von A s 2 0 3 verschiedener Konzentration hindurchleitet. Hierbei werden Sole verschiedener Trübungsgrade erhalten, wobei in konzentrierten Lösungen Sole mit Teilchen größerer Abmessungen entstehen. Zwischen der Teilchengröße und der Konzentration der Ausgangslösung von A s 2 0 3 besteht, wie Untersuchungen gezeigt haben, ein sehr wesentlicher Zusammenhang. So hat man bei einer 10~ 2 n-As 2 0 3 -Konzentration Teilchen mit einem Radius von 39 m^ erhalten, und bei einer 1 0 - 4 n-Konzentration hatten die Teilchen einen Radius von 11 xa.pL. E s ist zu bemerken, daß dieses nicht allgemein gültig ist. So haben wir bei Bildung von BaS0 4 -Teilchen nach der oben angegebenen Reaktion ein umgekehrtes Bild: I n konzentrierten Lösungen bilden sich kleinere Teilchen als in verdünnten Lösungen. Eine der wahrscheinlichsten Erklärungen dieser Erscheinung besteht in der Annahme verschiedener Zusammenhänge zwischen der Bildungsgeschwindigkeit von Keimen und deren Wachstumsgeschwindigkeit. Die Bildungsreaktion von B a S 0 4 verläuft sehr schnell und die Anzahl der Keime
156
Bildung von Kolloiden
die sich während des kurzen Zeitabschnittes bilden, ist sehr groß. Deswegen ist diese Geschwindigkeit erheblich größer als die Wachstumsgeschwindigkeit der Keime. Bei As2S3 jedoch ist die Wachstumsgeschwindigkeit der Keime groß im Vergleich zur Bildungsgeschwindigkeit. Hydrolyse kann öfters zur Herstellung von sehr vielen kolloiden Lösungen mit Erfolg angewandt werden. Eine kolloide Lösung von Fe(OH) 3 kann man leicht erhalten, wenn man etwas FeCl3 in siedendes Wasser einträgt. Es bildet sich ein rotbraunes Sol nach der Gleichung FeCl3 + 3 H 2 0 Z Fe(OH)3 + 3 HCl. Sehr leicht kann man kolloide Lösungen aus Hydraten von Schwermetalloxyden herstellen, indem man eine Hydrolyse ihrer Salze vermittels Dialyse hervorruft und beschleunigt. So haben wir bei der Hydrolyse von Al(CH3COO)3: Al(CH3COO)3 + 3 H 2 0 Z Al(OH)3 + 3 CH3COOH. Es ist leicht zu verstehen, daß wenn man eine Lösung von Aluminiumacetat in einen Dialysator gießt und diesen in ein Gefäß mit fließendem Wasser stellt, durch die Membrane des Dialysators in der Hauptsache die H- und CH3COOIonen diffundieren werden, während Al(OH)3 sich im Dialysator als Sol ansammeln wird. Es ist notwendig zu bemerken, daß, bei allen beschriebenen Beispielen nur die erste Bedingung der Kondensationsmethode und zwar die Kondensation der Moleküle des Stoffes bis zur Bildung von Aggregaten verwirklicht wird. Um den Kondensationsprozeß im richtigen Augenblick zu stoppen, d. h. in dem Augenblick, in welchem die Teilchen kolloide Abmessungen angenommen haben, werden entsprechende Bedingungen ausgewählt, z. B. durch die Konzentration der reagierenden Stoffe, und, was besonders wichtig ist, durch einen Überschuß einer der Komponenten. So wird die Reaktion der Bildung von Bariumsulfat bei einem Überschuß von CoS0 4 oder Ba(SCN)2 durchgeführt usw. Bei Gewinnung kolloider Lösungen durch Hydrolyse mit Hilfe eines Dialysators wird die Hydrolyse nie bis zu Ende geführt, sondern dann abgestoppt, wenn z. B. Al(CH3COO)3 nicht ganz aufgelöst, sondern zum Teil in der Lösung verblieben ist, usw. Die Nichteinhaltung dieser Bedingung führt zur vollständigen Aggregation der Moleküle bis zu Teilchen makroskopischer Abmessungen und zum Ausfallen eines Niederschlages. Die Rolle dieser dritten Komponente, die das Wachsen der sich bildenden Keime verhindert, wird weiter unten geklärt werden. Jetzt gehen wir zur Behandlung von Spaltungs- bzw. Dispergierungsmethodenüber. b) Die Dispergierungsmethode. Wie aus dem oben Gesagten ersichtlich ist, besteht diese Methode darin, daß ein grobdisperses System in einen hochdispersen Zustand übergeführt wird. Also ist die erste Bedingung der Dispergierung das Vorliegen eines kondensierten Systems mit einem niedrigeren Dispersionsgrad als derjenige, der erhalten werden soll. Offensichtlich ist die mechanische Dispergierung eines festen Körpers, beispielsweise eines Kristalls, von einer wesentlichen Vergrößerung der Oberfläche begleitet. Gleichzeitig hiermit wird ein Abkühlen des Systems beobachtet. In
Methoden zur Herateilung kolloider Lösungen
157
diesem Falle wird die Verbindung zwischen der gesamten und der freien Energie durch die Gleichung
bestimmt, wo U die Arbeit ist, die beim Zerkleinern des Kristalls zur Bildung von 1 cm2einer neuen Oberfläche verwendet wird. Aus der Gleichung ist ersichtlich, daß ein mechanisches Spalten zur Bildung eines Systems führt, das einen Überschuß an freier Oberflächenenergie aufweist. Deswegen kann ein mechanisches Spalten nicht zur Bildung eines stabilen Systems führen, und zur Gewinnung eines solchen Systems muß dieser Überschuß z. B. durch Adsorption kompensiert werden. Im gegenteiligen Falle werden die gespaltenen Teilchen bei Berührung aggregieren und den Überschuß an freier Energie vermindern. Also muß man, wie auch bei der Methode der Kondensation, solche Bedingungen der Dispergierung schaffen, bei denen der Aggregationsprozeß der gespaltenen Teilchen unterbrochen oder gebremst wird. Unter den verschiedenen Dispergierungsmethoden verdienen folgende eine besondere Beachtung: 1. teilweise Lösung grober Aggregate, 2. mechanische Spaltung und 3. Emulgierung. Als Beispiel für die erste Methode kann die Herstellung einer kolloiden Lösung von Al(OH)3 oder von Si0 2 durch Schütteln trockener, fein zerkleinerter Pulver dieser Stoffe mit einer verdünnten Alkalilösung dienen. Im ersten Falle geht zwischen Al(OH)s und NaOH eine chemische Reaktion unter Bildung von Al(ONa)3 vor sich, welche diejenige dritte Komponente bildet, von der wir schon weiter oben bei der Untersuchung der Kondensationsmethode gesprochen haben. Ganz analog verlaufen die Bildung einer kolloiden Lösung von SiOa und andere Fälle. Eine mechanische Spaltung bei Abwesenheit einer dritten Komponente führt nicht zur Bildung von Systemen kolloider, sondern stets zu einer wesentlich niedrigeren Dispersion. Im Beisein bestimmter Stoffe jedoch geht die Bildung kolloider Systeme nach der oben besprochenen Art vor sich. Die letzte Methode endlich, die Methode der Emulgierung, erscheint als Beispiel der Gewinnung kolloider Systeme mit einer flüssigen dispersen Phase, d. h. eines Systems der Art flüssig-flüssig. Zur Gewinnung einer Emulsion von Benzol in Wasser genügt es beispielsweise, wenn man Benzol und Wasser (zwei nicht mischbare Flüssigkeiten) im Beisein von Seife zusammenschüttelt, um eine äußerlich homogene milchige Flüssigkeit zu erhalten. Die Seife spielt hier die Rolle der dritten Komponente. So kommen wir zur folgenden grundlegenden Schlußfolgerung: Zur Herstellung kolloider Systeme genügender Stabilität muß man den Prozeß der Bildung der kolloiden Phase bei einem genügenden Überschuß von einem der Stoffe durchführen, die an der Bildung der kolloiden Phase teilnehmen.
158
Bildung von Kolloiden
c) Die Peptisationsmethode. Außer den erwähnten Methoden zur Herstellung von Solen wollen wir kurz die Methode der Peptisation betrachten. Der Unterschied dieser Methode gegenüber der Dispergierungsmethode besteht darin, daß bei der Dispergierung der Stabilisator mit den groben Teilchen reagiert und diese bis zu Teilchen eines kolloiden Dispersionsgrades aufspaltet. Bei der Peptisation entfällt dieser Prozeß der Aufspaltung. Wir haben eine disperse Phase mit Teilchen kolloiden Dispersionsgrades, und die ganze Aufgabe besteht nur darin, daß ein Stabilisator gefunden wird (in diesem Falle spricht man von einem Peptisator), der auf der Oberfläche der Teilchen adsorbiert wird und diese in ein Sol überführt, ohne den Dispersionsgrad der Teilchen zu ändern. Viele frisch gefällten Gele, z. B. von Fe(OH) 3 , Al(OH) 3 , AgCl und andere, enthalten Teilchen kolloiden Dispersionsgrades. Zur Bildung eines Sols muß man nur zu einem solchen Gel eine geringe Menge eines Peptisators hinzufügen. So führt z. B. der Zusatz einer FeClg-Lösung zum Fe(OH) 3 -Gel zur Bildung eines Sols; analog bildet sich ein Sol bei Zusatz einer AgNO a -Lösung zum AgCl-Gel. Die Peptisation kann auch durch oberflächenaktive Stoffe verwirklicht werden. So kann das Fe(OH) 3 Gel leicht durch Natriumoleat peptisiert werden. Zahlreiche Fälle von Peptisation sind von der Schule von D U M A N S K I , der auf eine Reihe von komplizierten Erscheinungen bei der Peptisation hingewiesen hat, genau untersucht worden. So ist gezeigt worden, daß ein Fe(OH) 3 -Gel durch Zucker praktisch nicht peptisiert wird, während dieses Gel in ein Sol übergeht, wenn man eine Lösung von Zucker und Alkali nimmt. An Stelle von Zucker kann man mehrwertige Alkohole, Oxysäuren und andere Stoffe nehmen. d) Methoden zur Herstellung von Aerosolen. Unter den verschiedenen kolloiden Systemen nehmen die Aerosole eine besondere Stelle ein. Es sind dieses Systeme, in denen als Dispersionsmedium ein Gas (in den meisten Fällen Luft) und als disperse Phase feste oder flüssige Stoffe mit einem hohen Dispersionsgrad erscheinen. Es ist klar, daß Aerosole auch Einkomponentensysteme sein können. Solche Systeme sind beispielsweise Nebel, die aus Wassertropfen in Wasserdampf bestehen. Solche Systeme haben jedoch keine große Bedeutung. Die Methoden zur Herstellung von Aerosolen sind verschiedene, jedoch lassen sie sich auf die schon oben untersuchten zwei Methoden, die Dispergierung und die Kondensation zurückführen. Die Dispergierung wird auf mechanischem Wege verwirklicht, z. B. durch Zerkleinerung fester Körper in Mühlen, Verspritzen von Flüssigkeiten oder Zerstörung fester oder flüssiger Körper durch Explosion. Die Kondensation wird durch Abkühlung von erhitztem Dampf verwirklicht, wobei sich die Kondensation beschleunigt, wenn im System Teilchen von Staub oder Rauch vorhanden sind, die als Kondensationszentren dienen können. Meist entstehen hierbei stabile Wolken und Nebel, während bei Fehlen von Kondensationszentren eine Übersättigung des Dampfes bei Abkühlung zur Bildung großer Tropfen führen kann, die nicht stabil sind. Als einfachstes Beispiel zur Bildung von Aerosolen kann die Sublimation von Ammoniumchlorid (NH4C1) oder die Gewinnung desselben aus N H 3 und HCl dienen. Eine besonders wichtige Rolle bei der Herstellung von Aerosolen spielt die Teilchengröße, durch die in wesentlichem Maße die Stabilität der Sole, d. h. die Sedimentations-
Dispergierung fester Körper
159
geschwindigkeit im Gasraum bestimmt wird. Wenn beispielsweise Teilchen mit einem Tropfenradius von 10 - 2 cm mit einer Geschwindigkeit von 4,3 m/h fallen, so fallen Teilchen mit einem Tropfenradius von 1 0 - 4 cm mit einer Geschwindigkeit von 43 cm/h. Hierbei ist selbstverständlich auch das spezifische Gewicht der dispersen Phase von wesentlicher Bedeutung. Infolge der geringen Viskosität des Dispersionsmediums befinden sich die Teilchen des Aerosols in intensiver BBOWNscher Bewegung, was gute Bedingungen für ein Zusammenstoßen und für eine. Aggregation zu größeren Teilchen sichert. Wenn ein Aerosol aus flüssigen Tropfen besteht, so kann es nicht nur infolge Aggregation, sondern auch infolge von Verdampfung der Tropfen zerstört werden. Ein wichtiger Faktor, der die Stabilität von Aerosolen erhöht, ist die Bildung einer elektrischen Ladung auf der Oberfläche der Teilchen. Die Beweglichkeit von geladenen Staub- oder Rauchteilchen erreicht in vielen Fällen nur einige Tausendstel mm in der Sekunde. Die außerordentlich große Bedeutung der Aerosole in der Technik (Bildung von Rauch und Staub in den Fabriken) und für die Verteidigung (Bildung von Tarnungsnebel) bedingt die Notwendigkeit der Ausarbeitung nicht nur von Methoden zur Herstellung hochdisperser Sole und Erhöhung ihrer Stabilität, sondern auch von Methoden zu ihrer Zerstörung. Unter den verschiedenen Methoden zur Zerstörung von Aerosolen ist die Anwendung eines wechselnden elektrischen Feldes, von Schallwellen hoher Frequenz usw. anzuführen. GIBBS beschreibt in seinem bekannten Werk „Aerosole" einen Fall, wo in kleinen Wolken und Nebeln die Zerstörung von Aerosolen durch Herabwerfen von feinem elektrisch geladenen Sand gelungen ist. In modernen Gasmasken wird ein Rauchfilter aus verschiedenen faserigen Stoffen verwendet, das die Teilchen des Aerosols zurückhält. 5. Dispergierung fester Körper Die untersuchten Fälle der Bildung von Kolloiden beruhen auf der Einwirkung einer dritten Komponente auf die Oberfläche der Teilchen der dispersen Phase, die man ganz allgemein als Adsorptionswirkung betrachten kann. Dieses kann dadurch bewieset! werden, daß die verschiedensten Stoffe, die gegenüber der Oberfläche der Teilchen aktiv sind, diese stabilisieren können. So lassen sich Suspensionen in genügendem Maße durch Einführung von oberflächenaktiven Stoffen stabilisieren, wobei in einigen Fällen nicht nur eine Adsorption des stabilisierenden Zusatzes auf der Oberfläche der Teilchen, sondern auch deren Dispergierung beobachtet wird. Solche Effekte sind von einer Reihe von Forschern beobachtet worden, z. B. von H . FBEUNDLICH 7 ' 8 , P. VON WEIMABN 9 und anderen. VON WEIMARN hat 1 9 1 2 eine neue Methode zur Herstellung von hochdispersen Systemen vorgeschlagen, und zwar durch Mischung von festen Körpern in Pulverform mit Lösungen verschiedener Stoffe, beispielsweise Zucker, sowie durch deren anschließendes mechanisches Verreiben in Mühlen. Diese Methode ist durch PLAFSSON, den Erfinder der sogenannten Kolloidmühle, vervollkommnet worden. Der zu dispergierende feste Stoff wird mit der Lösung
Bildung von Kolloiden
160
irgendeines Stoffes vermischt und dann zerkleinert. Die Zerkleinerung geschieht vermittels zweier sich in entgegengesetzter Richtung drehender Scheiben. Teilchen kolloider Abmessungen bilden sich bei einer Umdrehungsgeschwindigkeit von 30 m/sec. Nähere Untersuchungen auf diesem Gebiet sind von R e h b l n d e r 1 0 durchgeführt worden, der den Effekt der Erleich-
i
terung der Dispergierung verschiedener fester Stoffe durch Zusatz von geringen Mengen adsorbierender Stoffe untersucht h a t . Nach R e h b i n d e b bilden sich die AdsorptionsV/////////A V//////////Z schichten in diesen Fällen nicht n u r auf der V I I Oberfläche der Körper, sondern auch auf ihren inneren Oberflächen, die sich infolge des Vorliegens einer großen Anzahl von Mikro\ — rissen ergeben. Dieser E f f e k t wird als adsorptive Senkung der Festigkeit bezeichnet, wobei Abb. 54. Kolloidmühle unter der Festigkeit H die Dispergierungsarbeit A je Flächeneinheit s der sich neu bildenden Teilungsfläche verstanden wird:
J
dA rr , dF , tl = iW k -5— = «ff12 ds ds wo a l a die spezifische freie Oberflächenenergie auf der Grenze fester Körper — Medium, und k der Koeffizient der Nichtumkehrbarkeit des Dispergierungsprozesses bedeuten. R e h b i n d e k h a t gezeigt, daß, wenn der Zerkleinerungsprozeß eines festen Körpers im Beisein eines adsorbierenden Zusatzes durchgeführt wird, die Dispergierungsarbeit in einer Reihe von Fällen sich um das 5- bis lOfache vermindert. Der Ablauf einer solchen Dispergierung besteht in folgendem: Der adsorbierende Stoff r u f t eine Senkung der freien Oberflächenenergie hervor als Resultat des Eindringens sowohl der Moleküle desselben als auch der Moleküle der die betreffende Oberfläche benetzenden Flüssigkeit in die Mikrospalten. Die Resultate der Untersuchungen von R e h b i n d e b sind in Abb. 55 in Form von Kurven gebracht, welche die Senkung der Festigkeit von Calcitkristallen bei Gegenwart verschiedener Stoffe wie Citronensäure, Glucose, Amylalkohol u n d Zucker aufzeigen. Diese Kurven haben den Charakter von Adsorptionsisothermen und geben bei einer bestimmten Konzentration Konzentration mit aktivem Zusatz der Zusätze, z. B. von Glucose oder CitroAbb. 55. Einfluß aktiver Zusätze auf die nensäure, den Sättigungsgrad der Adsorprelative Festigkeit von Calcit
,.
, . , ,
r
,.
1
.
rl
tionsschicht an. I n diesen Fallen beeinflußt eine weitere Erhöhung der Konzentration des aktiven Zusatzes die Verminderung der Festigkeit nicht mehr.
Dispergierung fester Körper
161
So rufen adsorbierende Zusätze eine spaltende Wirkung hervor, deren Effekt nach B. DEBJAGIN11 folgendermaßen erklärt werden kann. Die Theorie von LANGMUIB über die Bildung einer monomolekularen Schicht bei der Adsorption gibt noch keinen Grund zu der Annahme, daß Molekularkräfte beliebiger Art in allen Fällen eine Wirkungssphäre haben, die dem Durchmesser eines Moleküls gleich ist. LONDON hat bekanntlich gezeigt, daß die sogenannten Dispersionskräfte einen großen Wirkungsradius haben und umgekehrt proportional der siebenfachen Entfernung abnehmen. Außerdem hängen sie nicht von der Gegenwart irgendwelcher anderer Atome oder Moleküle ab und haben daher die Fähigkeit sich zu sättigen oder abzuschirmen. D E B J A G I N hat experimentell den Effekt des Auseinanderbewegens von Plättchen (aus Glimmer, Quarz usw.) unter dem Einfluß einer Flüssigkeit oder einer Lösung entdeckt, die zwischen diese Plättchen eingebracht wird. Der Effekt hat sich als so groß erwiesen, daß der Autor selbst zugeben mußte, daß sogar die Dispersionskräfte keine so weitreichende Wirkung haben können. D E B J A G I N fand, daß Flüssigkeiten die Fähigkeit besitzen, Plättchen um 1 ¡x auseinanderzusperren. Da eine Schicht dieser Dicke besondere elastische Eigenschaften aufweist, so ist anzunehmen, daß eine Flüssigkeitsschicht von 1 u, die zwischen zwei Flächen eingeschlossen ist, schon nicht mehr die Eigenschaft einer Phase aufweist. Wenn zwischen zwei in eine Flüssigkeit versenkte Plättchen eine planparallele Schicht großer Dicke besteht, so wird die freie Energie U0 des Systems durch die Summe der Größen der freien Volumen- und Oberflächenenergie eindeutig bestimmt, d. h. ü0 =2> Ev — 2
da bei vollkommenem Herausdrücken der Schicht (A = 0) der Phase 3 zwischen
162
Bildung von Kolloiden
den Phasen 1 und 2 eine Grenzfläche 1, 2 mit einer Oberflächenenergie ) ben werden sich zur Kathode bewegen, wähj — — — — — —— rend die negativen Ladungen zur Anode ' _ _ _ _ _ _ _ wandern. Die Bewegung der ersteren wird, '—" ^^ wie gesagt, infolge der festen Bindung u / v mit der inneren Oberfläche des Kapillarl rohres erschwert sein; deswegen werden sich die negativen Ladungen zusammen mit der Flüssigkeit bewegen. Die Geschwindigkeit der Bewegung der Flüssigkeit wird abhängig sein von der angewandten Potentialdifferenz und der Viskosität des Mediums. Wenn E die Differenz der Potentiale auf 1 cm Rohrlänge bei einem Radius r, und e die Ladung einer Oberflächeneinheit ist, so wird die elektrische Kraft .F, die auf eine Oberflächeneinheit wirkt, gleich „ _ e F = e E sein. Diese Kraft muß auch gleich der Reibungskraft / sein, die von der Viskosität der sich bewegenden Flüssigkeit abhängig ist: n
i
du
Nehmen wir an, daß in gegebenem Falle die Bewegungsgeschwindigkeit der Flüssigkeit sich von Null (an der Wand) bis zur Größe ¡i (in der Entfernung d von dieser Wand) ändert; da diese Entfernung sehr klein ist, kann m a n - ^ = ^ setzen. Demzufolge ist Und
« = — .
(2)
Die elektrische Doppelschicht kann man als einen flachen Kondensator ansehen, der sich in einer Flüssigkeit mit der Dielektrizitätskonstanten D befindet. Das Potential desselben
L k . Mit Hilfe solcher chemischen Vorstellungen k a n n man auch die oben angeführte Valenzregel sehr gut erklären, nach der mit einer Erhöhung der Valenz des koagulierenden Ions sich seine Sedimentationsfähigkeit erhöht. Es ist in der Tat bekannt, daß die Salze schwerer Metalle weniger dissoziiert sind als die Salze Tabelle 71. A b h ä n g i g k e i t d e s Diss o z i a t i o n s g r a d e s der E l e k t r o l y t e v o n ihrer V a l e n z Elektrolyt
KCl KNO3 Na 2 S0 4 ZnCl2
. . . . . . . .
Valenz
Dissoziationsgrad
1 1 2 2
0,75 0,62 0,45 0,49
Tabelle 72. A b h ä n g i g k e i t der koagulierenden K r a f t v o n der Valenz des Elektrolyten Elektrolyt
KCl BaCl2 A1C13 AUC14
. . . .
Valenz
Koagulations-8 zahl in g/cm
1 2 3 4
18 0,2 0,0022 0,0014
von Leichtmetallen, wobei mit der Erhöhung der Valenz der Dissoziationsgrad sinkt (Tabelle 71). Ein vollständig analoges Verhalten ist auch bei kolloiden Teilchen zu erwarten, bei denen, wie auch bei Elektrolyten, das Löslichkeitsprodukt um so kleiner sein muß, je höher die Valenz des fällenden Ions ist (Tabelle 72).
Kinetik der schnellen Koagulation
195
Demnach erfolgt beim Zusatz eines Elektrolyten zu Goldteilchen eine Austauschaktion [Au] n R"H" 2 + BaCl2 -> [Au] n R"Ba" + 2HCl, wobei sich als Ergebnis der Reaktion erstens die Oberflächen der Teilchen mit einer weniger ionisierten Schicht bedecken und zweitens sich ein neuer Elektrolyt bildet, der diese Ionisation noch mehr erniedrigt. Die hier untersuchte chemische Theorie, die seinerzeit von DTTCLATTX entwickelt wurde, erklärt den komplizierten Mechanismus der Koagulation jedoch nicht vollständig. Es ist nämlich so, daß auf der Grundlage dieser Theorien zwischen der Koagulation und der Adsorption eine Parallele beobachtet werden müßte, während der Versuch dieses nicht bestätigt — das Ende einer Austauschadsorption oder Reaktion wird bei äquivalenten Mengen von Ionen verschiedener Valenz beobachtet, fällt jedoch nicht mit der vollständigen Koagulation zusammen. Diese tritt ein, wie RABÜTOWITSCH 3 gezeigt hat, bei Einführung eines Überschusses an Elektrolyt, der um so größer sein muß, je niedriger die Valenz des Kations ist. Also schließt die Koagulation zwei Abschnitte ein: 1. die Austauschreaktion, die wie jede andere Ionenreaktion verläuft und die bei äquivalenten Mengen der Salze schnell zu Ende geht, und 2. die eigentliche Koagulation, die zeitlich verläuft und solche Verhältnisse bei den zugesetzten Elektrolyten verlangt, wie es der Regel von HABDY-SCHULZ entspricht. Außer durch die dargestellten Theorien versuchte man die Koagulation auch zu erklären, indem man von rein physikalischen Vorstellungen ausging, wonach alle Änderungen des Zustandes von Solen auf eine Änderung der Eigenschaften und der Struktur der elektrischen Doppelschicht zurückzuführen sind — bei Gegenwart von Elektrolyten ergibt sich ein Zusammendrücken dieser Schicht und eine Änderung seiner Elastizitätseigenschaften. Sowohl die physikalische als auch die chemische Theorie widersprechen einander nicht, denn im Endergebnis erklären sie die Koagulation durch elektrische Erscheinungen. Die chemische Theorie jedoch bringt mehr Klarheit in den Mechanismus der Änderungen der elektrischen Doppelschicht, denn sie verbindet diese Änderungen mit dem Verlauf der chemischen Reaktionen auf der Oberfläche der Teilchen, wobei sich im Ergebnis neue ionogene Komplexe bilden, die eine andere Dissoziation und andere Eigenschaften der elektrischen Doppelschicht aufweisen.
3. Kinetik der schnellen Koagulation Wie schon oben gesagt wurde, verläuft die eigentliche Koagulation zeitlich. Hierzu muß hinzugefügt werden, daß die Koagulationsgeschwindigkeit sich nicht in weitem Maße ändern kann in Abhängigkeit von der Konzentration des hinzugefügten Elektrolyten. Wenn man zu einem roten Goldsol eine NaCl-Lösung hinzufügt, so ist ein Übergang der Färbung des Sols von Rot über Violett nach Blau zu beobachten. Die Geschwindigkeit eines solchen Überganges hängt von der Konzentration an NaCl ab, wobei man in einigen Fällen mit genügender Deutlichkeit das Gebiet der sogenannten langsamen Koagulation vom Gebiet
Koagulation und Stabilität der Kolloide
196
der schnellen Koagulation unterscheiden kann, wie es aus Tabelle 73 für ein Goldsol zu ersehen ist. Nach den Vorstellungen von S m o l t j c h o w s k i 4 tritt ein Zusammenkleben der Teilchen dann ein, wenn die Entfernung zwischen ihnen gleich dem Radius der Wirkungssphäre der AnziehungsTabelle 73. Zwei A b s c h n i t t e der Koagulakräfte der Teilchen wird. Bezeicht i o n s g e s c h w i n d i g k e i t eines A u - S o l s durch nen wir mit R den Radius der den E l e k t r o l y t e n NaCl Wirkungssphäre der Anziehungskräfte und mit r den Radius der KoagulationsgeschwindigKonzentration von NaCl Teilchen. Die Wahrscheinlichkeit w Millimol/Lit.er sec dafür, daß ein Teilchen in die WirGebiet der kungssphäre eines anderen, un150 5 10 12 langsamen beweglichen Teilchens gerät, wird Koagulation durch die Gleichung der B b o w n 20 7,2] Gebiet der schen Bewegung bestimmt: 50 7,0 100 300
7,0 7,5
. schnellen Koagulation
w = 4
jtDR,
wo D die Diffusionskonstante bedeutet. Bezeichnen wir mit n 0 die Anfangszahl der Teilchen und mit % die Anzahl der Teilchen nach dem Zeitabschnitt t, dann ist nx =
n0e-i"DRn»t,
und die Änderung der Zahl der Teilchen beträgt inx
= — 4:7tDRn0n1dt.
(1)
Mit Berücksichtigung einer allmählichen Verringerung der Zahl der Teilchen kann man im rechten Teil der Gleichung (1) n0 als gleich nx annehmen. Dann ist n\
-ijiDRdt.
Beim Integrieren dieser Gleichung erhalten wir _ 1
w0 1 + 4nDRn0t
n0 i
'
+
wo r die sogenannte „Koagulationszeit" gleich ^
j)Rn
Da das Teilchen, das wir als unbeweglich angenommen hatten, sich gleichfalls in beständiger und unregelmäßiger Bewegung befindet, so ist zur Berechnung der relativen Bewegungen der Wert D zu verdoppeln. Dann ist "1
1 + 8 n DR n01
2t ' T
(In diesem Falle sollte man an Stelle des Koeffizienten D besser D1 + D2 nehmen, da jedoch die Teilchen als gleichartig angenommen werden, ist D r = Z>2 und A + D2 = 2 D.)
197
Kinetik der schnellen Koagulation
Zu dieser Schlußfolgerung kann man auch auf anderem Wege kommen. Die gemeinsame Anzahl der Teilchen verringert sich nach dem Reaktionsgesetz zweiter Ordnung d£ n 2
dt was durch Integrieren zur Gleichung lr oder 2
n
- t t{ \£n =
1 + k2 n0 t
führt, wo n0 die Anzahl der Teilchen, die vor der Koagulation vorhanden waren, eine Konstante und t die Zeit bedeuten. Nach der Theorie der BEOWN sehen Bewegung folgt, daß k2 = 4:jtDB
(2)
ist, wo D der Diffusionskoeffizient und R die Entfernung sind, bis auf die sich zwei Teilchen nähern müssen, damit ein Zusammenstoßen und eine Aggregation statthaben kann. Es muß bemerkt werden, daß man bei der Koagulation im Sol Teilchen verschiedenen Dispersionsgrades zu unterscheiden hat. Das rote Goldsol enthält primäre Teilchen, die kompakte Metallteilchen darstellen. Beim Zusammenstoßen miteinander aggregieren diese primären Teilchen zu Teilchen größerer Abmessungen — zu sekundären, tertiären usw. Teilchen, wobei diese Aggregation zum Teilchenkomplexen führt, deren Verbindung wesentlich schwächer ist als die Verbindung der Moleküle im primären Teilchen. Daher ist auch die Entfernung der Teilchen voneinander in einem solchen Aggregat wesentlich größer. Anders gesagt, kann man folglich ein sekundäres Teilchen nicht als kompakt, vollständig mit Materie angefüllt ansehen. Die Änderung der Gesamtzahl der Teilchen 2 j n > der primären Teilchen i> der sekundären Teilchen n2 usw. ist in Abb. 67 gezeigt, wo auf der Ordinate die H n relativen Werte für die Zahl der Teilchen und auf der Abszisse das Vern0 hältnis s der Werte der experimentell zu bestimmenden Zeitabschnitte t zu der sogenannten „Koagulationszeit" aufgetragen sind. Als die „Koagulationszeit" bezeichnet man den Zeitabschnitt, in dem die Gesamtzahl der Teilchen sich um die Hälfte vermindert: 2 > =
= 1 + k2n0t
i
i. '
woraus wir, wenn man die Gleichung (2) berücksichtigt, erhalten.
t
= 1T^- = - T - 4 P — k2n0 DR n0
(3)
Theoretisch ist für die Zeit t die Anzahl der im Sol verbliebenen primären Teilchen gleich n = (4) 7T+rc„M2 '
198
Koagulation und Stabilität der Kolloide
die Anzahl der sekundären Teilchen '»
und allgemein
(l +
k^tf
' nm = H ( T + W F Die in Abb. 67 gebrachten Kurven zeigen den Bestand von primären, sekundären usw. Teilchen (n0, nv n2, . . . nm) im Sol zu verschiedenen Zeitpunkten vom Beginn der Koagulation. Eine Überprüfung der Koagulationstheorie von M . v. SMOLUOWSKI ergibt folgendes: Wie schon oben gezeigt wurde (Gleichung 3), ist 1
_
deshalb erhalten wir aus der Gleichung (4) t V« ' l'+v) woraus
.i®. _ l n
Abb. 67. Änderung der Anzahl der Teilchen Falls man ultramikroskopisch das Verhältnis (nacdh MZvUSMiucHowsmflati0n d e r Anfangskonzentration von n0 zur Anzahl der Teilchen nj, die im Sol in verschiedenen
Wätaen
Zeitabschnitten t verbleiben, bestimmt, läßt sich die Größe - j - ermitteln. Tabelle 74 zeigt die Übereinstimmung obiger Gleichung mit den experimentellen Ergebnissen. Die Koagulationsgeschwindigkeit hängt als ein kinetischer Prozeß in starkem Maße von den Temperaturbedingungen ab. Aus der Theorie der BEOWitschen Bewegung ist bekannt, daß kT D = 6?t jj r ist, wo k die BOLTZMANN sehe Konstante ist. Wenn der Wert von D aus dieser Gleichung in die Formel k2 = 4:7zDR eingesetzt wird, erhalten wir 2
3??
r 'T . I n dieser Gleichung hängt nur die Größe — in starkem Maße von der Temperatur ab, deshalb kann man sie in folgender Form umschreiben: T k„ — A-2 —— , wo A 2 eine Konstante ist.
Kinetik der langsamen Koagulation
199
Diese Gleichung ist ebenfalls durch den Versuch bestätigt worden. Die oben angeführten Überlegungen erlauben es, auch den Wert B zu bestimmen, d. h. die Entfernung, bei der die Teilchen aufeinanderwirken. In der Tat haben wir — = 4jt DBna
.
Wenn wir hier an Stelle von D den Wert aus der Diffusionsgleichung von E I N S T E I N einsetzen, erhalten wir: r
woraus folgt
r
2
* *
3
r/r
Nn
Der Versuch zeigt, daß die Wirkungssphäre des Teilchens ungefähr doppelt so groß ist wie der Radius des Teilchens, d. h. die Entfernung R, auf die sich die Zentren der Teilchen nähern müssen, damit eine Aggregation vor sich geht, ist im Mittel gleich dem Durchmesser des Teilchens (dem doppelten Radius). Auf diese Entfernung gibt sich auch die Wirkung der molekularen Attraktionskräfte zu erkennen. Früher ist gezeigt worden, daß T a b f 6 ^ Ergebnisse einer Überprüfung der Theorie von M. v. SMOLUCHOWSK.1 ° man den Koagulationsprozeß in l zwei Gebiete aufteilen kann, das sec « ! gel 7l\ ber r Gebiet der schnellen und das Ge10 0,89 0,93 0,0490 biet der langsamen Koagulation. 20 0,52 0,54 0,0475 Die Geschwindigkeit der schnel0,29 0,25 40 0,0403 len Koagulation hängt nicht von der Natur und der Konzentration des Elektrolyten ab, während die Geschwindigkeit der langsamen Koagulation von diesen Faktoren abhängig ist. In einem frisch zubereiteten Sol oder in einem Sol, das keine Elektrolyte enthält, sind abstoßende Kräfte wirksam, die das Zusammenkleben der Teilchen untereinander erschweren. Diese Kräfte sind durch das Vorhandensein einer Ionensphäre um den Kern der kolloiden Teilchen bedingt, d. h. sie werden durch den Wert des ^-Potentials bestimmt. Wir haben gesehen, daß sich die Ionensphäre in der Lösung um eine bestimmte Größe verbreitet, wobei sie bei Gegenwart von Elektrolyten zusammengedrückt wird, um dann eine kritische Größe zu erreichen, bei der eine Koagulation möglich ist. 4. Kinetik der langsamen Koagulation Die Theorie der langsamen Koagulation ist gleichfalls von v. SMOLTTCHOWSKI gegeben worden. Einleitend muß bemerkt werden, daß die Koagulation als ein deutlich ausgeprägter autokatalytischer Prozeß erscheint, der zuerst langsam, dann schneller verläuft und dann wieder langsamer wird. Einen außerordentlich großen Einfluß auf die Koagulation hat das Rühren des Sols. Abb. 68 zeigt zwei 14
Lipatow, Physikalische Chemie
200
Koagulation und Stabilität der Kolloide
Kurven, die die Koagulation eines CuO-Sols beim Rühren (Kurve 1) und ohne Rühren (Kurve 2) charakterisieren. Wir sehen, daß beim Rühren ein schnelleres Sinken der Konzentration des Sols zu beobachten ist, wobei die erhaltene Kurve nach der Gleichung der schnellen Koagulation berechnet werden kann. Nach v. S M O L U C H O W S K I wird die Geschwindigkeit k s der langsamen Koagulation durch folgende Gleichung beschrieben:
kg = 4 : j t D R qp , wo cp der Anteil der effektiven gegenseitigen Wirkung der Teilchen ist, der zeigt, daß nicht jedes Zusammenstoßen der Teilchen miteinander zum Zusammenkleben derselben führt (im Gegensatz zur schnellen Koagulation). Die Größe
und demzufolge proportional der Koagulationsgeschwindigkeit ks: k'cp
£
k"
=
k,,
wo k" der Proportionalitätsboeffizient ist. Um die Verbindung zwischen der kritischen Geschwindigkeit vk und der Konzentration des Elektrolyten c zu Tabelle 75. Koagulation eines As2Ss-Sols durch verschiedene Elektrolyt» V Millimol/l
Elektrolyt
Elektrolyt
51,0 49,5 50,0 65,5 42,0 31,0 2,5 0,42 0,11
NaCl KCl KNO 3 KsS04 •NH4CI HCl Anilinchlorid . Morphinchlorid . . Fuchsinchlorid . .
MgCl2 CaCl2 BaCl2 A1C13 v , AI 2 (S0 4 ) 3 Ce(N0 3 ) 3
Y Millimol/l
0,72 0,65 0,69 0,09 0,096 0,08
finden, kann man annehmen, daß die kritische Geschwindigkeit proportional dem elektrokinetischen Potential der Teilchen sein muß. Dann ist f =
kavk
=
k
0
\ n ^ ,
wo ka, k0 und a Konstanten sind. Nach Bestimmung von vk und Einsetzen in die Gleichung (6) kann ks ermittelt werden. An Kupferoxyd-Solen ist die Richtigkeit der Theorie von F R E U N D L I C H bestätigt worden. Da der Einfluß der Elektrolyte auf die Geschwindigkeit der Tabelle 70. Adsorptionsfähigkeit der Ionen von Koagulat o r e n bei der K o a g u l a t i o n eines A s 2 S 3 - S o l s * Konzentration c von As,0, Millimol/l
Adsorptionsfähigkeit
der
NH,C1
Morphinchlorid
Fuchsinchlorid
125 250 500 750
5 7 9 9
10 22 41 52
46 70
Elektrolyte
— —
langsamen Koagulation sehr charakteristisch ist, wollen wir einige Versuchsergebnisse betrachten. In einer Reihe von Versuchen wurde die Konzentration y der Elektrolyte gemessen, die nach einer bestimmten Zeit einen gleichen Koagulationswert ergeben haben. Diese Werte der Konzentration bringt Tabelle 75. Aus den Tabellen 75 und 76 ist ersichtlich, daß nicht nur die Valenz (Tabelle 75), sondern auch die Adsorptionsfähigkeit der Ionen (Tabelle 76) einen 14«
202
Koagulation und Stabilität der Kolloide
starken Einfluß auf die Größe des Wertes von y hat. Dieses tritt besonders bei Elektrolyten wie Morphinchlorid, Fuchsinchlorid und Anilinchlorid hervor, die als einwertige Elektrolyte eine so hohe Adsorptionsfähigkeit durch die Teilchen des As 2 S 3 -Sols aufweisen, daß sie sich den dreiwertigen Ionen nähern. Der klar ausgedrückte Einfluß der Valenz des koagulierenden Ions erfordert die Annahme einer gleichzeitigen Verringerung des ^-Potentials, die gleichfalls der Valenz proportional ist. Resultate, die dieses bestätigen, lassen sich aus der Abb. 69 ablesen, wo auf der AbTabelle 77. A n w e n d b a r k e i t der Regel von szisse die Größe c — die KonzenTRAUBE bei der K o a g u l a t i o n tration des hinzugefügten Elektrol y t e n — und auf der Ordinate die cn c Elektrolyt CN+L Mol/1 Werte des ^-Potentials aufgetragen sind, dessen Senkung wie auch die 2,66 NH 3 Koagulation sich in ÜbereinstimC 2 H 5 NH 2 11,6 0,23 mung mit der Valenz ( 1 , 2 , 3 , 4 ) der (C2H6)2NH 0,0206 11,2 0,00223 9,2 (C2H5)3N koagulierenden Ionen befinden. Offensichtlich tritt die langsame Koagulation nur dann ein, wenn das C-Potential der Teilchen eine gewisse kritische Größe erreicht, und bei der schnellen Koagulation, wenn das f-Potential bis auf Null sinkt. Sehr interessante Messungen sind von F R U M K I N 6 durchgeführt worden, der gezeigt hat, daß auf der Grenze zwischen Lösung und Luft das %m
Tabelle 78. K o a g u l a t i o n eines A s 2 S 3 Sols durch verschiedene E l e k t r o l y t e Yn
Elektrolyt
NH4CL C2H6NH3C1 (C2H5)2NH2CL (C2HT)3NHCL (C2H6)4NC1
. . . . . .
. . . .
. . . .
Millimol/1
Yn+l
42 15,2 10 2,8 0,89
1,9 1,8 3,5 3,1
^-Potential für so starke ElekW c MWimol/l trolyte wie Chloräthylamin und andere sich in Überein9. Einfluß der Valenz des koagulierenden Ions auf das stimmung mit der Regel von elektrokinetische Potential T R A U B E ändert. Die Werte der Tabelle 77 zeigen, daß die Regel von T R A U B E auch für starke 15 20
25
30
35
Elektrolyte bestätigt wird, jedoch der Wert von
°n sich als kleiner erweist »+i als der Wert, der bei der Untersuchung der Adsorptionsprozesse gefunden wurde. c
Tabelle 78 gibt Werte, die F R U M K I N 5 für die Koagulation eines As 2 S 3 -Sols erhalten hat. Wir sehen, daß die Regel von T R A U B E für die eigentliche Koagulation sich im allgemeinen als a n w e n d b a r erweist.
Koagulation polydisperser Systeme
203
5 . K o a g u l a t i o n polydisperser S y s t e m e Wie wir gesehen haben, geht die Theorie v o n v . SMOLUCHOWSKI v o n der Annahme der Existenz eines monodispersen Sols aus. Praktisch trifft dieses sehr selten ein, lyophobe Sole sind in der Regel polydispers. A n Goldsolen wurde eine merkwürdige Erscheinung beobachtet: Bei der Bildung v o n Flocken verschwanden beim Goldsol die Amikronen sehr schnell, obgleich sich die Anzahl der Submikronen i m S y s t e m nicht vergrößerte. Diese Erscheinung kann m a n erklären, wenn m a n annimmt, daß in diesem Falle keine Bildung neuer Submikronen aus den Amikronen vor sich geht, sondern daß diese sich auf größere Teilchen absetzen. N i c h t ausgeschlossen ist das Verschwinden der Amikronen auch infolge ihrer größeren Löslichkeit und dem Fehlen eines Gleichgewichts in solchen Systemen. Hieraus kann m a n die Schlußfolgerung ziehen, daß die Submikronen die Keime der Koagulation darstellen. Auf Grund dieser Annahme h a t M Ü L L E S die Theorie der Koagulation polydisperser Sole entwickelt, die mit genügender Genauigkeit durch d e n Versuch bestätigt wird. M Ü L L E R setzt voraus, daß alle Teilchen kugelförmig sind und daß jedes Zusammenstoßen der Teilchen erfolgreich ist. Der Unterschied zu der Theorie von S M O L U C H O W S K I besteht nur darin, daß das kolloide System als polydispers angesehen wird, mit Teilchen des Typs 1,2,3,..., Nehmen wir an, daß die Zahl der Teilchen vom Typ i gleich v( in 1 cm 3 ist. Wenn wir ein Teilchen vom Typ k nehmen, so wird nach den Überlegungen von v. SMOLTJCHOWSKI die Zahl der Teilchen i, die auf das Teilchen k im Zeitabschnitt dt koagulieren, durch die Gleichung dnik = 2 wih vidt bestimmt, wo wik die Wahrscheinlichkeit des Zusammenstoßes des i-ten Teilchens mit dem k-ten Teilchen ist. Der Wert für kugelförmige Teilchen kann durch die Gleichung w ik = 2 a R i k A i ausgedrückt werden, wobei Rfl der Wirkungsradius der Koagulation des i-ten und des fc-ten Teilchens ist, der diejenige Entfernung bestimmt, auf die die Zentren beider Teilchen sich nähern müssen, um zu koagulieren; Dik ist die Diffusionskonstante des i-ten Teilchens im Verhältnis zum fc-ten Teilchen, gleich der Summe der Diffusionskonstanten der einzelnen Teilchen; Dik = D, — D t . Wenn der Radius des i-ten Teilchens mit rt bezeichnet wird, so ist nach E I N S T E I N „ _ D1 _ kT ' N 6jtj?ri ' R wo k = - y - die BoLTZMANNsche Konstante ist. Wenn man die gegenseitige Wirkung der gleichen Teilchen aufeinander betrachtet, so ist Wi i = 2 71 Ra 2 Di, und da Ri( proportional zu rf wächst, so ist 2 kT Rh wu 3 T) n Der Wert w hängt nicht von der Größe der Teilchen ab, sondern nur von ihrer Konzentration. Bei kleinen Unterschieden zwischen den Teilchen i und k wird sich wik wenig von w unterscheiden; wenn jedoch dieser Unterschied groß ist, so wird w ik nicht für alle Zusammenstöße gleich sein. Im letzteren Falle wird 2 kT
Rik
/ 1 ,
1\
204
Koagulation und Stabilität der Kolloide
sein, wobei y i k der Paktor ist, der den Unterschied in der Größe der Teilchen charakterisiert. Nach den Versuchen von W E S T G R E N ist Rh = 2 n, deshalb kann man auch t(
rt = R{k setzen. Dann erhalten wir für ytt:
r j • n 4— n Der Wert y (h charakterisiert die Möglichkeit des Zusammenstoßes zweier Teilchen verschiedener Größe, er ist eine Funktion des Verhältnisses ihrer Radien. Nehmen wir an, daß sich in 1 cm 3 n0 kleine Teilchen mit dem Radius r befinden und N0 große Teilchen mit dem Radius Jt; und setzen wir ym
(u + ru)±nrk
=
\ ^
und
n0
—=VR,
r
dann ist der Faktor der Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes solcher zweier Arten von Teilchen gleich (1 + Vx)* ysr = 4FÄ Wenn man große Micellen als Komplexe k kleiner Teilchen i betrachtet, so kann man für die Anzahl der Teilchen, diejäich aus kleinen Teilchen gebildet haben, eine Differentialgleichung zusammenstellen, mit Berücksichtigung der Anzahl der sich bildenden und der verschwindenden Teilchen im Zeitabschnitt dt. Bei Anwendung der Überlegungen von v. SMOLUCIIOWSKI, kann man ein Schema für eine unendliche Zahl von Gleichungen aufstellen: k 1 dv, ~ °° = — Vi £ vt — y Vx £ vi dt ~ "
1 2w 1 ~2w
dv3 ~dt~
00
1 ~
~2
VA
V
*
VL)
~
"
3
F
" ~
V
"
'
Wenn man der Einfachheit halber annimmt, daß
und
ZI "i = Z v die Gesamtzahl der kleinen Teilchen i oo S vt = £ N die Gesamtzahl der großen Teilchen
ist, und unter der Annahme, daß 2y — 1 = X ist, erhält m a n n a c h Formel Nn X n„ E v =•
MÜLLER
die endgültige
die ein sehr starkes Absinken von ¿7 v zeigt, also der Anzahl der kleinen Teilchen im Verhältnis zu ihrer Gesamtmenge in dem Zeitabschnitt t. Da 2 Vs ist, so kann für große Verhältnisse der Radien A' =
2VS Vs 7m
angenommen werden. Dann ist
Koagulation polydisperser Systeme
205
Aus Gründen der Anschaulichkeit geben wir hier eine Aufzählung aller Größen, die in diese Gleichung eingehen: Z v Gesamtzahl der kleinen Teilchen zum Zeitpunkt t ; N0 Anfangszahl der großen Teilchen; n0 Anfangszahl der kleinen Teilchen;
AT
Vn = - — das Verhältnis der Anfangszahlen der Teilchen; B
VxT =
das Verhältnis der Radien der Teilchen beider Arten im Ausgangskolloid;
4jcD8i\,
0
• die Koagulationszeit der großen Teilchen (hier ist 8 der Wirkungsradius der Anziehungskräfte).
Wenn man einen einfachen Fall betrachtet, wo die Anfangszahl der großen Teilchen N0 gleich ist der Anfangszahl der kleinen Teilchen n0 und das VerF„ = 1 ist, so ist
hältnis n— n
N0
2>-
h
2
h i )
Wenn sich im Kolloid nur kleine Teilchen n befinden würden, wäre diese Zahl nach der Theorie von v. SMOLUCHOWSKI
2 v
=
n„
N„
1 + Bei Gegenüberstellung beider Ausdrücke kommen wir zu der Schlußfolgerung, daß nach der Theorie von M Ü L L E R bei einer Erhöhung von t eine wesentliche Verringerung der Zahl der kleinen Teilchen vor sich geht, da das Verhältnis Z v
verschwindend klein wird. Demzu2> folge verschwinden die kleinen Teilchen bei Vorhandensein großer Teilchen schneller, als bei deren Fehlen. Abb. 70 zeigt die nach der Gleichung errechneten Kurven. Auf der Abszisse ist die i
Koagulationskurven polydiaperser (nach HtüLKR)
Zeit T = ~jp aufgetragen und auf der Ordinate die Größe j.
Z v n9
, die die Anzahl
der kleinen Teilchen in % von der Ausgangszahl angibt; die gestrichelte Kurve gibt die Werte für £ v und die ausgezogenen Kurven die Werte von v für VR = 10, 20 und 100. Wenn diese Größen bekannt sind, so gibt die Lösung aller
206
Koagulation und Stabilität der Kolloide
,=
Differentialgleichungen für v1:
wo l = 2 r - l
und
^
2A
rn =
ist. n0 Bei der weiteren Entwicklung dieser Theorie hat es sich erwiesen, daß Teilchen von Blättchenform mit derselben Geschwindigkeit koagulieren wie kugelförmige Teilchen; Teilchen von Stäbchenform koagulieren jedoch schneller als Teilchen von Kugelform, genau so wie ein polydisperses Sol schneller koaguliert als ein monodisperses. Eine allgemeinere Theorie der Koagulation polydisperser Systeme ist in der Dissertation von Todes (1945) entwickelt worden. 6. Allgemeine Theorien der Koagulation Oben haben wir gesehen, daß die Theorien der Kinetik der Koagulation diese Erscheinung betrachten, nachdem der Kern des kolloiden Teilchens seinen Stabilisator verloren hat. Welcher Art das Schicksal dieses Stabilisators ist, in welcher Art der Stabilisator mit den Ionen des Koagulators reagiert, darauf geben sie keine Antwort. Oben ist schon darauf hingewiesen worden, daß beim Zusatz eines Elektrolyten nicht nur eine Koagulation und ein Entladen der Teilchen, sondern auch eine Adsorption der Ionen des Koagulators erfolgt. Es ist ein sehr reichhaltiges Versuchsmaterial vorhanden, das den Zusammenhang zwischen der Adsorption und der Koagulation aufzeigt. Schon im Jahre 1897 haben Lindnek und Pikton gezeigt, daß negativ geladene As2S3-Teilchen selektiv Ba" aus BaCl2 binden, wobei das Ba-Ion durch ein anderes Kation ersetzt werden kann. Duclatjx hat gezeigt, daß bei der Koagulation eines Fe(OH)3-Sols das Sediment das S0 4 -Ion aus Na 2 S0 4 selektiv bindet, was durch die Annahme des Vorliegens einer chemischen Reaktion zwischen dem Stabilisator und dem Koagulator erklärt wurde nach der Reaktion: 2[Fe 2 0 3 ] n FeCl 3 + 3Na a S0 4 [Fe 2 0 3 ] 2 n Fe 2 (S0 4 ) 3 + 6NaCl. Freundlich nimmt jedoch an, daß das beobachtete Verschwinden der Ionen des Koagulators nicht die Folge einer chemischen Reaktion, sondern der Adsorption ist, da die Menge der Ionen des Elektrolyten, die durch das Koagulat gebunden werden, von der Konzentration des Elektrolyten anhängig ist, entsprechend der Gleichung x \x =\ß
c» ,
wo x die Anzahl der durch das Koagulat gebundenen Ionen und c die Endkonzentration des Elektrolyten sind. Bei Durcharbeitung dieser Frage hat Fbetod lich gezeigt, daß die Koagulationszahlen verschiedener Elektrolyte gleichen Erniedrigungen des ^-Potentials entsprechen. Außerdem ist von ihm die Annahme zugelassen worden, daß die Adsorption von Ionen verschiedener Valenz durch
Allgemeine Theorien der Koagulation
207
eine und dieselbe Isotherme ausgedrückt wird. Die Theorie von F R E U N D L I C H hat jedoch einer experimentellen Überprüfung nicht standgehalten, obgleich die Vorstellung eines Zusammenhangs zwischen der Koagulation und der Adsorption sich als richtig erwiesen hat. Vielfache Untersuchungen von R A B m o w i T S C H 3 haben gezeigt, daß der Prozeß der Koagulation komplizierter ist und mindestens aus zwei Stufen besteht: 1. Austauschadsorption von Ionen, die augenblicklich verläuft und bei As 2 S 3 bei äquivalenten Mengen der verschiedenen Kationen endet, und 2. die eigentliche Koagulation, die zeitlich verläuft und bei einem Überschuß an Elektrolyt beobachtet wird. Also entspricht die Austauschadsorption nicht der vollen Koagulation des Sols, sondern ist nur das erste Stadium dieses Prozesses. Weitere Untersuchungen von K A R G I N 6 haben jedoch gezeigt, daß eine strenge Äquivalenz auch im ersten Stadium der Aus- Tabelle 79. K o a g u l a t i o n eines As 2 S 3 - S o l s tauschadsorption nicht vorhanden ist. Adsorption des Säuregehalt des Koagulierender Kations Ultrafiltrats Elektrolyt So sind für ein As 2 S 3 -Sol folgende Mol /g Mol/Liter Resultate erhalten worden, die in BaCI2 9,6 • 10- 4 10,1 • i o - 4 Tabelle 79 gebracht werden. CaCl2 7,7 • 10- 4 8,8 • 10- 4 Aus diesen Werten folgt, daß die MgCl2 . . . 6,5 • 10- 4 9,8 • 10- 4 Adsorption nur für Ba-Ionen äquivalent verläuft. Die Untersuchung des Ultrafiltrats hat gezeigt, daß ein As 2 S 3 -Sol eine wesentliche Menge einer starken Arsen säure enthält, die mit den genannten Salzen schwerlösliche Sedimente geben kann. Hiervon kann man sich leicht überzeugen, wenn man die genannten Salze dem Ultrafiltrat zusetzt. Hieraus folgt, daß als Stabilisator für das As2S3-Sol nicht H 2 S erscheint, wie es früher angenommen wurde, sondern die Arsensäure. Noch deutlicher tritt das alles bei V 2 0 6 -Solen hervor, die im Ultrafiltrat lösliche Vanadiumsäuren enthalten. Die Werte der Tabelle 80 zeigen die Meßergebnisse mit V 2 O s . Hier tritt die Nichtäquivalenz der Adsorption noch deutlicher hervor, die zeigt, daß die Zusammensetzung der intermicellaren Flüssigkeit in den Koagulationsprozessen eine wichtige Rolle spielt. Der zugesetzte Elektrolyt tritt mit der intermicellaren Flüssigkeit in Reaktion, infolgedessen bilden sich unlösliche Sedimente. Als Resultat ergibt sich eine Desorption der Ionen des Stabilisators, was auch im Endresultat zur Koagulation führt. So muß den chemischen Reaktionen im Prozeß der Koagulation eine sehr wichtige, in einigen Fällen sogar eine entscheidende Rolle eingeräumt werden. Aus dem Gesagten ist außerdem klar, daß die grundlegenden Schwierigkeiten, die sich bei dem Aufbau einer Theorie der Koagulation ergeben, in dem Fehlen genügend genauer Untersuchungen der Zusammensetzung der intermicellaren Flüssigkeit und demzufolge auch der Natur des Stabilisators selbst bestehen. Andererseits wird in den letzten, sorgfältig durchgeführten Arbeiten von K R E S T I N S K A J A 7 eine Reihe neuer Gesetzmäßigkeiten festgestellt, bei denen wir kurz verweilen wollen. K B E S T I N S K A J A bestätigt nicht die obengenannten Resultate, und bei der Untersuchung der Koagulation von Fe(OH)3-, Al(OH)3-, Si0 2 -Solen hat sie in allen Fällen eine äquivalente Adsorption beobachtet. Es ist interessant zu vermerken, daß K R E S T I N S K A J A in ihren letzten Untersuchungen zeigt, daß positiv geladene
208
Koagulation und Stabilität der Kolloide
Teilchen des Sols nur Anionen und negativ geladene Teilchen nur Kationen adsorbieren. Die molekulare Adsorption des Koagulators, die von vielen Forschern angenommen wird, wird nur in den seltenen Fällen beobachtet, bei denen das Ion des Elektrolyten mit gleichem Vorzeichen wie das kolloide Teilchen eine Verwandtschaft zu dessen Kristallgitter aufweist. Neben der Adsorptionstlieorie der Koagulation wurde auch eine andere rein elektrostatische Theorie entwickelt. Wir haben nicht die Möglichkeit, sie hier einigermaßen ausführlich darzulegen und vermerken nur, daß sie als grundlegende Annahme eine Änderung der Dicke der diffusen Schicht unter dem Einfluß von Elektrolyten zuläßt und hierbei die Adsorption vollkommen ignoriert. Die Kompliziertheit des KoTabelle 80. agulationsprozesses erlaubt es nicht, diese K o a g u l a t i o n eines V s 0 5 - S o l s Frage endgültig zugunsten dieser oder Säuregehalt des Adsorption des jener Theorie zu entscheiden. In einzelnen Koagulierender Ultrafiltrats Kations Elektrolyt Fällen sind rein chemische Reaktionen Mol /Liter Mol/g auf der Oberfläche möglich, in anderen 1 4 BaClj. . . . 10,4 • 1012,9 • 10Fällen findet ein adsorptives ZusamCaC]2 . . . . 6,6 • 10- 4 12,6 • 10- 4 menwirken statt, und endlich sind Fälle MgCl, . . . 3,7 • lO-4 12,5 • 10- 4 möglich, wo die Koagulation in der Hauptsache auf Rechnung des Zusammendrückens der diffusen Schicht vor sich geht. Im letzteren Falle, wie schon oben gesagt, muß eine vollständige Wiederherstellungsmöglichkeit des Sols nach Entfernung der Ionen des Koagulators zu beobachten sein, z. B. durch Dialyse. Er muß bemerkt werden, daß man bei der Ausarbeitung einer allgemeinen Theorie der Koagulation nicht die Sole in dispersen Medien mit einer kleinen Dielektrizitätskonstanten ignorieren kann, z. B. von CuCla in Benzol, wo die elektrostatischen Faktoren keine entscheidende Bedeutung haben können.
7. Thixotropie8 und Koazeryation Nach den Ansichten von PESSKOW 9 ist es zweckmäßig, den Prozeß der Koagulation als aus zwei Abschnitten bestehend anzusehen: 1. der verdeckten Koagulation, wenn unter dem Einfluß einer kleinen Menge zugefügter Elektrolyte eine Vergrößerung der Teilchengröße vor sich geht, das Sol jedoch seine Stabilität behält, und 2. der sichtbaren Koagulation, wenn der Prozeß zu Ende geht und das System sich in zwei Phasen aufteilt. Dieser zweite Fall ist von uns oben eingehend behandelt worden. Wenn zu einem konzentrierten Fe(OH)3Sol eine kleine Menge Elektrolyt hinzugefügt wird, so tritt eine verdeckte Koagulation ein, die mit der Zeit von selbst in eine sichtbare Koagulation übergeht. Dieser Übergang wird jedoch nicht von einer Bildung eines Sediments begleitet, sondern ist ein isotherm umkehrbares Verwandeln des Sols in ein Gel —• das Sol erhöht zeitlich seine Viskosität und verwandelt sich in ein kompaktes Gel nicht nur ohne ein sichtbares Aufteilen in zwei Phasen, sondern auch so, daß ein einfaches Schütteln des sich bildenden Gels es wieder in den ursprünglichen Aufbau eines Sols zurückführt. Diese Operation kann mehrfach wiederholt werden ohne bemerkbare Änderungen der Eigenschaften sowohl des Sols als
Thixotropie und Koazervation
209
auch des Gels. Diese Erscheinung, die als T h i x o t r o p i e bezeichnet wird, beansprucht ein starkes Interesse. Sie ist eingehend an Solen des Minerals Bentonit folgender Zusammensetzung untersucht worden: 39,2% S i 0 2 , 0,11% A1 2 0 3 , 0,15% F e 2 0 3 , 15,1% CaO, 19,2% MgO, 22,7% Wasser. Anzeichen der Thixotropie wurden bei einem Bentonit-Sol dann beobachtet, wenn die Entfernung zwischen den Teilchen 2000 Ä betrug. EinTabelle 81. zelne Untersuchungen dieser Sole verschieEinfluß oder Konzentration dener Konzentration haben gezeigt, daß des Sols auf die Thixotropie Lösungen, die weniger als 1,4% Bentonit enthalten, im Laufe von 2 Sekunden isotrop Konzentration des Zelt Sola werden; inkonzentrierterenLösungen hat sich 0/ t /o die Doppelbrechung für einen längeren Zeit1,4 2 sec. abschnitt r erhalten (Tabelle 81). 15 12 „ E s ist festgestellt worden, daß diese Um1,57 40 „ 1,80 80 Stunden wandlung in der Hauptsache darin besteht, daß zuerst die fortschreitende und dann die drehende Bewegung der Teilchen zum Stillstand kommt. Diese Untersuchungen haben auch gezeigt, daß ein stäbchenförmiger Bau der Teilchen nicht unbedingt für das Erscheinen thixotroper Eigenschaften nötig ist. Bentonit-Sole haben die Form von flachen Plättchen oder Scheiben, und die Erscheinung der Thixotropie ist bei ihnen sehr deutlich ausgedrückt. Zum Auftreten thixotroper Eigenschaften ist offensichtlich das Vorliegen von Bezirken auf der Oberfläche der Teilchen nötig, die frei von Ionen oder Molekülen des Stabilisators sind. Diese hydrophoben Bezirke, die über ein freies Kraftfeld verfügen, bedingen nun die notwendige Verbindung der Teilchen miteinander, die zur Verwandlung des Sols in ein Gel führt. Die „entblößten" Punkte auf der Oberfläche der Teilchen haben also keine abstoßende Wirkung, die sie beim Vorhandensein einer Ionensphäre aufweisen würden. Das Vorliegen von Anziehungskräften zwischen den Teilchen auf eine Entfernung von 2000 Ä führt zu der Schlußfolgerung über das Vorhandensein von Kräften mit einer größeren Wirkungssphäre, als sie die VAN D E R W A A S schen Kräfte aufweisen, die, wie bekannt, bei einer Entfernung, die etwas größer ist als der Durchmesser der Moleküle, bis auf Null sinken. Abb. 71 zeigt Kurven, die das Verhältnis zwischen den im Sol existierenden Kräften der Anziehung und der Abstoßung wiedergeben. Die Kurven 1,2, 3, 4 zeigen den Charakter der Änderung der abstoßenden Kräfte als Funktion der Entfernung zwischen den Solteilchen bei verschiedenen Stufen der Stabilisation dieser
210
Koagulation und Stabilität der Kolloide
Teilchen. Kurve 5 gibt ein gleiches Bild der Änderung der Anziehungskräfte. Die gestrichelten Kurven 1', 2', 3' und 4' geben den summarischen Effekt der Wirkung der Anziehungs- und der abstoßenden Kräfte. Wenn bei diesen Kurven ein Minimum vorhanden ist, so existiert ein Gleichgewichtszustand, in dem beide Arten der Kräfte sich kompensieren. Auf Abb. 71 zeigen die Kurven 1' und 2' kein Minimum — diese Fälle entsprechen einer guten Stabilisierung der Solteilchen; die Kurven 3' und 4' weisen ein deutlich erkennbares Minimum auf. Die Kurve 3' charakterisiert das Vorhandensein eines thixotropen Sols; in diesem Falle ist die Entfernung zwischen den Teilchen gleich 0,5 • 10~ 4 cm und demzufolge so groß, daß eine Flüssigkeitsschicht zwischen den Teilchen vorhanden ist. Die Kurve 4' charakterisiert die eigentliche Koagulation. Hier wird das Minimum bei einem sehr kleinen Abstand zwischen den Teilchen beobachtet, bei welchem ein Zusammenkleben möglich ist. Die Bewertung der Energie der gegenseitigen Einwirkung der Teilchen eines thixotropen Sols ist von großem Interesse. An die Bestimmung ihrer Größe kann man mit Hilfe folgender angenäherten Überlegungen herangehen, die von LAJiGMTJm10 angeführt werden. Stellen wir uns Bentonitteilchen in Form von negativ geladenen leitenden Scheiben vor, die in einem kubischen Gitter mit zentrierten Kanten gelagert sind*. I n der wäßrigen Phase liegt eine entsprechende Anzahl positiver Ionen vor. Da jedes Teilchen zwölf Nachbarn hat, die von ihm in gleichem Abstand gelagert sind, so folgt nach den Gesetzen der Symmetrie, daß die potentielle Energie der leitenden Scheibe minimal sein wird, wenn die Achse der Scheibe parallel einer der drei Achsen des kubischen Gitters ist. Die auf der Scheibe induzierten Ladungen zwingen diese, sich wie ein Octopol zu verhalten. Die energetische Barriere, die beim Übergang der Scheibe aus einem Gleichgewichtszustand in den anderen überwunden werden muß, wird prop —) anwachsen, wo d der Durchmesser der Scheibe und r der Abstand zwischen den Mittelpunkten der reagierenden Scheiben ist. Die Potenz P kann gleich 10 und mehr sein. Bei niedrigen Konzentrationen, wenn die Teilchen voneinander entfernt sind und keine Gitter bilden, fehlt die energetische Barriere und die Teilchen können sich frei drehen, wobei diese Drehung nach der Gleichung k Q2 _ Tt 3 4 nrj r berechnet werden kann, wo 0 der mittlere Verschiebungswinkel für die Zeitspanne t, k die Boltzmajstn sehe Konstante, r] die Viskosität des Lösungsmittels und r der effektive Radius des Teilchens sind. Nach der Sedimentationsgeschwindigkeit ist der effektive Radius für Bentonitteilchen mit 2,25 • 1 0 - 5 cm ermittelt worden. Dann ist t = 0,04 62. Oben ist schon gezeigt worden, daß bei einer Konzentration des Bentonits unter 1,4% die Orientierungseffekte im Sol *) In einem einfachen kubischen Gitter ist ein jedes Atom (in den Spitzen der Ecken) von acht anderen Atomen umgeben. Ein kubisches Gitter mit zentrierten Kanten wird charakterisiert durch das Vorhandensein von einem zusätzlichen Atom im Zentrum einer jeden Kante, so daß ein jedes Atom von zwölf Nachbaratomen umgeben ist.
Thixotropie und Koazervation
211
im Laufe kleiner Bruchteile von Sekunden verschwinden. Bei höheren Konzentrationen jedoch wird die energetische Barriere genügend hoch, um einer freien Drehung der Teilchen Widerstand zu leisten. In diesem Falle werden die Achsen der Scheiben, die den drei Achsen des Gitters parallel sind, um gewisse Gleichgewichtslagen schwanken und manchmal die energetische Barriere überspringen und in andere Gleichgewichtslagen mit der Relaxationszeit r kommen. Diese Zeit kann durch folgenden Ausdruck wiedergegeben werden: T =
A RJ E
K T
,
wobei X die Größe der energetischen Barriere und A eine Konstante sind. Wenn der Einfluß der Temperatur auf einige Eigenschaften des Sols bekannt ist, kann X ermittelt werden. Für ein Bentonit-Sol, dessen Konzentration 1,4% beträgt, betrug die Zeit des Verschwindens der Anisotropie bei 20 0 220 sec und bei 4 0 0 nur 50 sec. Eine solch starke Erhöhung der Geschwindigkeit des Verschwindens der Anisotropie mit der Erhöhung der Temperatur entspricht der Aktivierungsenergie von 6,3 kcal/Mol oder einer energetischen Barriere von 0,274 V ; da jedoch bei Erhöhung der Temperatur um 2 0 ° die Viskosität des Lösungsmittels (des Wassers) von 0,01793 auf 0,00657 fällt, was 4,3 kcal/Mol oder 0,187 V entspricht, so beträgt die energetische Barriere der Drehung 2 kcal/Mol oder 0,087 V. Die Größe X ändert sich umgekehrt proportional der Potenz P des Abstandes zwischen den Teilchen r, d. h. X = kr~ p, woraus man P ermitteln kann. Die energetische Barriere wächst mit der Erhöhung der Konzentration des Sols (sie ist proportional der Konzentration in der Potenz P/3). Die so bestimmten Relaxationswerte r für BentonitSole verschiedener Konzentration sind in Tabelle 82. Relaxationswerte Tabelle 82 gegeben. für B'entonit-Sole verschiedener Konzentration Die Teilung eines Sols in zwei Phasen tritt bei einer Konzentration von 2 % ein. Konzentration Relaxation des Bentonits in Viele Fälle einer Aufteilung kolloider % Systeme sind von D e Jong ausführlich unter0,03 1,2 sucht worden. Wenn man zu einer Gelatine0,05 1,3 lösung bei einem bestimmten p H -Wert einen 0,087 1,4 Elektrolyten zusetzt, so unterteilt sich das Sol 0,13 1,5 0,21 in zwei Schichten, von denen eine konzen1,6 triert (Koazervat) und die andere verdünnt ist. Eine gleiche Erscheinung wird beim Zusammenmischen von Gelatine- und Gummiarabikumsolen beobachtet. Diese Erscheinung, die als Koazervation bezeichnet wird, hat in der Biologie sowie für verschiedene Industriezweige eine große Bedeutung. Eine genaue Erklärung für diese Erscheinung ist bisher nicht gefunden worden. Da die Koazervate 80 bis 90% Flüssigkeit enthalten, ist die Annahme gemacht worden, daß zwischen den Teilchen fernwirkende Kräfte vorhanden sind. Lakgmuie, nimmt an, daß die Idee von der Existenz fernwirkender Kräfte wenig wahrscheinlich ist, jedoch einen interessanten Versuch möglich macht, die Frage der Stabilität vom Standpunkt D e b y e s und H ü c h e l s zu betrachten.
212
Koagulation, und Stabilität der Kolloide
Nehmen wir eine kolloide Lösung, in der große Teilchen mit einer positiven Ladung ¿,e vorhanden sind, während in der umgebenden Flüssigkeit negative Gegenionen mit einer Ladung z2e vorhanden sind (hier sind z2 die Valenz des Kations bzw. Anions, e die Ladung des Elektrons). Stellen wir diese Lösung in einen Behälter mit einer Zwischenwand, die für Wasser durchlässig und für die Micellen undurchlässig ist. Falls elektrostatische Wirkungskräfte nicht vorhanden sind, so ist der Druck der Teilchen auf die Zwischenwand gleich ? = («! + «t) k T ,
(7)
wo % die Konzentration der Micellen, « 2 die Konzentration der Ionen, k die Boi.i zMAnnsche Konstante, T die Temperatur bedeuten. Da die Gesamtladung gleich Null ist, so ist Zi = »» 2 2
und demzufolge
(8)
p=(l + ^jntkT.
(9)
Diese Kraft ist durch die thermische Bewegung der Teilchen bedingt. Es muß außerdem vermerkt werden, daß, wenn im System Coulomb sehe Kräfte wirksam sind, diese bestrebt sind, die Größe des Gitters zu verringern, was u. a. daraus zu sehen ist, daß im NaCl-Kristall der Abstand zwischen den benachbarten Na-und Cl-Ionen geringer ist als zwischen den benachbarten Na-Ionen. Die Energie des Kristallgitters, bezogen auf ein Ion, kann durch folgende Gleichung wiedergegeben werden: E
=
-
b
z
x
s
(
1
0
)
wo 6 die Konstante, die den Typus des Gitters charakterisiert u n d a die Gitterkonstante sind. Aus der Gleichung (10) folgt, daß eine Verringerung von a eine unbegrenzte Verringerung von!? nach sich zieht, und daß ein stabiles Gleichgewicht nur beim Vorhandensein von abstoßenden Kräften im Gitter möglich ist, die nicht CouxoMBscher Herkunft sind. Diese Gleichung ist anwendbar bei kolloiden Systemen, bei denen das Vorliegen von Micellen und einfachen Ionen mit verschiedenen Vorzeichen zu einem Dominieren der Anziehungskräfte und der Abtrennung der festen Phase führt, d. h. zur Koazervation. Die oben angeführte Gleichung läßt die Beständigkeit der Ladung der Teilchen unabhängig von dem Abstand zwischen ihnen zu. Wenn man annimmt, daß die Ladung der Micellen sich mit der Erhöhung der Konzentration des Kolloids verringert, so kann die potentielle Energie mit der Erhöhung der Konzentration wachsen, und bei einer bestimmten Höhe der Konzentration des Kolloids werden die Micellen stabil sein. Dieses kann dann beobachtet werden, wenn sich Zj • z2 schneller verringert als a. Wenn die Micellen sich so stark nähern, daß sich ihre Ionensphären decken, so wird das C-Potential gleichbleiben, die Ladungen der Teilchen werden sich jedoch verringern. Mit Hilfe einer für die Ionen durchlässigen Membrane, die man einem Druck unterwerfen kann, wollen wir die kolloide Lösung in Micellen und in Gegenionen aufteilen. Nehmen wir an, daß in der Lösung, die keine Micellen enthält, positive und negative Ionen in einer Konzentration n0 vorhanden sind. Wenn sich diese Ionen in einem genügend großen Abstand von den Micellen befinden, so kann die Konzentration der negativen Ionen in der Nähe der Oberfläche der Micellen nach der Gleichung von Boltzmakn gefunden werden: 7 n„ =
n0 e*
T
=
n
v
e ,
(11)
wobei V das Potential der Micellen ist. Die Konzentration der positiven Ionen finden wir gleichfalls nach der Gleichung: r_ nk
= n0 e
k T
= n
0
e - ° .
(12)
Wir wollen Kolloide betrachten, für die e » 1 ist, deren ^-Potential wesentlich größer ist als kT (0,025 V bei Zimmertemperatur); nur bei diesen Systemen wird ein Aufteilen in zwei
Thixotropie und Koazervation
213
Phasen beobachtet. In der Nähe der Oberfläche der Micelle, falls E größer als 2 ist, kann man die Konzentration der positiven Ionen nach den Gleichungen (11) und (12) vernachlässigen im Vergleich zu der Konzentration der negativen Ionen, da die letzteren eine feste Schicht bilden, die die Micelle umgibt. In einem Abstand von der Oberfläche, bei dem das Potential kleiner als 0,04 V wird, sind sowohl positive als auch negative Ionen vorhanden, und demzufolge kann man die Eigenschaften der verdünnten Phase auf der Grundlage der allgemeinen Bedingungen der Theorie von Debye und HÜcxel betrachten. Wir wollen die Bedingungen untersuchen, die in der konzentrierten Phase existieren, die sich im Gleichgewicht mit der verdünnten Phase befindet. Das Potential der Teilchen V in beiden Phasen muß gleich sein; demzufolge wird auch die Grenzkonzentration «i der negativen Ionen in der Nähe der Oberfläche dieser Teilchen in beiden Phasen ebenfalls gleich sein. Wenn die Teilchen in der konzentrierten Phase sich in wesentlichem Maße einander nähern, so verringert sich die Ladung ungefähr proportional dem Volumen des Lösungsmittels, das in der festen Phase eingeschlossen ist. Bei einer sehr hohen Konzentration der Micellen erhält die gesamte Phase ein Potential, das nahe bei V liegt, und die Ladungen auf den Teilchen und im Lösungsmittel werden sehr klein. In diesem Falle kann man sie bei der Berechnung des Druckes p1 nach der Gleichung F p1 = n1kT = n0kTe'* T vernachlässigen. So ermöglicht diese Theorie die Berechnung des Druckes, der in der kondensierten Phase bei Erhöhung der Konzentration auftreten kann. Wir wollen jetzt kurz die Bedingungen untersuchen, unter denen die beiden Phasen entstehen. Nach der Theorie von Debye und Hückel beträgt der osmotische Druck p in P der Lösung eines Elektrolyten 1.5 F ¡A = (13) p i i i c wo X der sogenannte DEBYE-Radius ist : 1.0 i f DkT 1 / A= IP / £ 'Dt 4 71 e2 27 («4 A) 1/ \ 1/ Bei Ausschaltung von X aus diesen beiden Gleichungen 0.5 V n \ erhalten wir // \ t \ = k T E n \ { ^ ) ' \ E M f . (14) v i Y \ \
In dieser Gleichung gibt das erste Glied den Druck aller 0 "j 2 3/7 Ionen in einer idealen Lösung bei Fehlen einer Reaktion Abb. 72 .zwischen ihnen; das zweite Glied berücksichtigt die elektrischen Kräfte der Reaktion zwischen ihnen. Mit Hilfe dieser Gleichung kann man die vorher angeführten Gleichungen (7) und (9) abändern unter Berücksichtigung der Reaktion zwischen den Ionen. Wenn man aus der Gleichung (14) « a mit Hilfe der Gleichung (8) ausschaltet, erhalten wir an Stelle der Gleichung (9) folgenden Ausdruck:
Diese Gleichung läßt sich in folgende Form bringen: p = 3« — 2 « i . Abb. 72 zeigt die Kurve OBCDEF, die nach dieser Gleichung berechnet worden ist. Die Gerade OA entspricht dem ersten Glied der Gleichung (13), d. h. dem Gesetz für ideale Gase; die Kurve OBG wird erhalten als Resultat der Einwirkung elektrischer Kräfte. Der Wert p . dp erreicht sein Maximum bei dn •• 0, wenn n = 1 und p = 1 ist. Demzufolge wird die Größe p bei einem bestimmten Wert n > 1 ein Minimum aufweisen. Wenn die Teilchen sich berühren,
Koagulation und Stabilität der Kolloide
214
wird sich p bis auf einen großen Wert erhöhen. Die Kurve DEF wird durch die abstoßenden Kräfte zwischen den Teilchen bestimmt, da bei hohen Werten von n^ sich die Größe von s^ verringert. Die Kurve GD charakterisiert das Gebiet der Instabilität; wenn also die Kurve ein Maximum aufweist, so sind alle Bedingungen zur Bildung zweier Phasen in den Punkten B und E gegeben. Der maximale Wert von p ergibt sich aus der Gleichung (14), wenn _
4 (DkT)3 JT^zl z\ (z x + z2)
ist. Für eine wässerige Lösung mit einer Temperatur von 20 die c g/em3 Stoff mit einem Molekulargewicht M enthält, kann die Größe Mj durch c ausgedrückt werden: c = 6,15 • 10- 3
M
l
z f z ^ + zj)
Tabelle 83 gibt die Konzentrationen von c in g/cm3 für Protein- und Bentonit-Sole, bei denen ein maximaler osmotischer Druck erreicht wird. Tabelle 83. Abhängigkeit zwischen der K o n z e n t r a t i o n von P r o t e i n - und Bentonit-Solen (c) und der K o n z e n t r a t i o n des E l e k t r o l y t e n (c,), der die Koazervation hervorruft Lösung
Protein Bentonit
M
«i
z>
g/cm*
c
c«
35000 35000 10»
4 6 133
1 1 1
0,67 0,14 0,02
0,19 0,085 2 • 10-4
Die aufgezeigten Konzentrationen sind Grenzwerte, bei deren Überschreitung ein Aufteilen des Systems in zwei Phasen beobachtet wird. Die Vorstellungen von Langmüer lassen also das Vorliegen einer solchen Coulomb sehen Reaktion zwischen den Micellen und den Gegenionen zu, die zu einem Überschuß der Anziehungskräfte führt. Diese Anziehungskräfte werden durch die thermische Bewegung der Teilchen, die in Form von abstoßenden Kräften wirkt, kompensiert. Wenn der Wert p bei Erhöhung der Konzentration seinen maximalen Wert erreicht, vollzieht sich eine Aufteilung des Sols in zwei Phasen (Koazervation). Der Einfluß der Elektrolyte fördert dieses Aufspalten, d. h. anders gesagt, er verringert die Konzentration des Sols, bei dem der osmotische Druck seine maximale Größe hat. Dieses kann in folgender Form gezeigt werden. Wenn sich in der Lösung außer den kolloiden Teilchen n 3 positive Ionen mit einer Ladung z3e sowie nA negative Ionen mit einer Ladung z4e befinden, so ist analog der Gleichung (8) Wg Za — - ilj z 4 . Wenn wir diese Größen in die Gleichung (13) einsetzen, können wir den Druck durch % und n 3 ausdrücken; wenn wir jedoch die partielle Resultante von p nach nx nehmen und diese gleich Null setzen, so erhalten wir die Möglichkeit, die Konzentration des Sols zu errechnen, die nach Abb. 70 dem Maximum entspricht: 1 4 (Dh T1»3 "i »i + + n 3 z3 (*3 + z4) = j = 2,79 • 10« Die Konzentration des Elektrolyten c„ die zur Senkung von n1 bis auf Null nötig ist, wird dann durch den Ausdruck C = 6 l5
' ' z ? z l z 3 ( z 3 + z4) bestimmt. Die letzte Spalte der Tabelle 83 gibt diese Werte unter der Voraussetzung, daß die Ionen des zugesetzten Salzes einwertig sind (za = z4 = 1). Falls z3 = z4 = 2 ist, wird die für die
Schutz und Astabilisierung von Kolloiden, Emulsionen'und Suspensionen
215
Koazervation benötigte Konzentration des Salzes nur ein Viertel betragen. Die Gleichung gibt ein genügend richtiges Bild des Verhaltens der Sole. Das Aufspalten der Sole in zwei flüssige Phasen ist oft die Folge einer Elektrodialyse. Wenn man aus dem System eine genügend große Menge des Elektrolyten entfernt, unterteilen sich Lösungen vieler Eiweißstoffe in eine Flüssigkeit, die nur Eiweißspuren enthält, und in eine konzentrierte Schicht, in der die Hauptmasse des Eiweißes vorliegt.
8. Schutz und Astabilisierung yon Kolloiden, Emulsionen und Suspensionen Schon im Jahre 1897 hat L O T T E B M O S E R gezeigt, daß ein Zusatz einer geringen Menge eines lyophilen zu einem lyophoben Sol die Stabilität des letzteren in bezug auf Elektrolyte wesentlich erhöht. Genaue Untersuchungen auf diesem Gebiet sind von Z S I G M O N D Y durchgeführt worden, der die Schutzwirkung von Lyophilen durch ihre Adsorption auf der Oberfläche der Teilchen der lyophoben Sole erklärt hat. Eine solche Annahme führt dazu, daß 1. das geschützte Sol die Eigenschaften des auf seiner Oberfläche befindlichen Kolloids annimmt, und 2. daß für den Schutz eine geringe, jedoch genau bestimmte Menge des lyophilen Sols nötig ist. Z S I G M O N D Y hatte angenommen, daß diese Menge durch die Anzahl der Teilchen des lyophilen Stoffes bestimmt wird, die die Oberfläche des lyophoben Kerns zu bedecken imstande sind, deswegen wirkt ein weiterer Zusatz des Schutzkolloids nicht auf die Stabilität des lyophoben Sols. Verschiedene lyophile Sole zeigen eine verschiedene schützende Wirkung, wobei diese auch von den Eigenschaften der lyophoben Sole abhängig ist. Z S I G M O N D Y hat eine praktische Maßeinheit vorgeschlagen, die die Schutzwirkung der verschiedenen lyophilen Kolloide im Verhältnis zum Goldsol charakterisiert. Diese Einheit hat er als die G o l d z a h l bezeichnet, die in mg diejenige minimale Menge des lyophilen Kolloids bezeichnet, die zugesetzt werden muß, um 10 cm 3 Goldsol einer Konzentration von 0,0006 % T a b e l l e 8?-. , ] R e l a t i , v e Schutzwirkung ver. schiedener l y o p h i l e r K o l l o i d e vor der Koagulation bei Zusatz 3 Goldzahl Rubinzahl von 1 cm einer 10% igen NaClKolloid mg mg Lösung zu schützen. Tabelle 84 0,008 2,500 zeigt die relative Schutzwirkung Gelatine 0,010 0,400 verschiedener lyophiler Kolloide Natriumcaseinat . . 0,050 0,800 Hämoglobin . . . . auf ein Goldsol der oben erwähn- Albumin 0,150 2,000 ten Konzentration. Stärke 25,000 20,000 Die Goldzahl hat jedoch einen durchaus bedingten Wert, und beim Vergleich der Schutzwirkung derselben lyophilen Stoffe an anderen Solen erhalten wir nicht nur andere Zahlen, die die Schutzwirkung charakterisieren, sondern auch eine andere Anordnung der lyophilen Stoffe nach ihrer schützenden Fähigkeit. Wo. O S T W A L D hat an Stelle der Goldzahl eine andere Einheit — die R u b i n z a h l — vorgeschlagen, die der Goldzahl entspricht und nur mit Hilfe einer 0,001 %igen Lösung von Kongorot erhalten wird. Solche Rubinzahlen sind auch in Tabelle 84 angeführt, sie zeigen eine andere Reihenfolge der Schutzkolloide. Im Verhalten zum Kongorotsol weist die bessere Schutzwirkung nicht Gelatine 15
lipatow, Physikalische Chemie
216
Koagulation und Stabilität der Kolloide
auf, sondern das Natriumcaseinat. Die Schutzwirkung lyophiler Kolloide im Verhältnis zu den lyophoben Kolloiden ist von großem praktischem Interesse, denn dadurch wird es möglich, lyophobe Sole von sehr hoher Stabilität herzustellen, sowie diese durch Eindampfen in festem Zustande zu erhalten. Im letzteren Falle findet schon bei einer einfachen Berührung des festen Kolloids mit Wasser die Bildung einer kolloiden Lösung statt. Auf die Anwendung von Schutzkolloiden gründet sich die Herstellung verschiedener medizinischer Präparate, z. B. von Protargol, Collargol, die Silbersole sind, die durch Protalbinbzw. Lysalbinsäure oder durch deren Salze geschützt sind. Hierzu gehören auch Quecksilber-, Wismut- und andere Salze, die eine therapeutische Wirkung aufweisen. Eine genauere Untersuchung der Schutzerscheinungen hat jedoch gezeigt, daß am Anfang bei Zusatz einer unwesentlichen Menge eines Schutzkolloids, die für den Schutz nicht genügend groß ist, eine entgegengesetzte Erscheinung auftritt, die Astabilisation. Bei der Untersuchung der Wanderungsgeschwindigkeit von FE(OH) 3 -Teilchen hat. F R E U N D L I C H gezeigt, daß anfangs beim Zusatz einer geringen Menge von Gelatine eine Verringerung der Ladung der Teilchen des lyophoben Sols erfolgt, um dann nach Zusatz der Gelatine in einer für den Schutz genügenden Menge erneut anzuwachsen, ohne jedoch die ursprüngliche Höhe zu erreichen. Der Mechanismus der Astabilisation geht laut F R E U N D L I C H auf die Reaktion zweier gegensätzlich geladenen Kolloide zurück, wobei als Resultat sogar eine Koagulation der Sole auftreten kann. Wenn das tatsächlich nicht beobachtet wird, so nur deshalb, weil parallel mit einer solchen elektrostatischen Reaktion der gegensätzlich geladenen Teilchen eine Adsorption der lyophilen Teilchen vor sich geht, die die Stabilität des Sols erhöht. Wenn man eine solche Erklärung akzeptiert, könnte man denken, daß die Astabilisation fehlen wird, wenn beide Kolloide Ladungen mit gleichen Vorzeichen haben. In der Tat ist es gelungen, zu zeigen, daß basische Goldsole von Gelatine nicht astabilisiert werden, während bei sauren Solen diese Astabilisation in vollem Maße eintritt. Bei der genaueren Untersuchung dieser Frage hat P E S S K O W 9 gezeigt, daß die Astabilisation negativ geladener As 2 S 3 - und CdS-Sole durch Gelatine auch im basischen Medium eintritt, d. h. bei negativer Ladung der Gelatineteilchen. Deswegen meint PESSKOW, daß der Schutz auf die Adsorption der Teilchen des lyophilen Sols durch das lyophobe Sol zurückzuführen ist. Hierbei erfolgt bei dem lyophoben Teilchen ein Austausch des Ionenstabilisators gegen einen molekularen Stabilisator, als welcher die Gelatineteilchen anzusprechen sind, deren Stabilität nicht nur durch die Ladung bestimmt wird. Die Astabilisation tritt jedoch nach der Meinung von P E S S K O W nur dann ein, wenn man das Schutzkolloid in einer Konzentration nimmt, die für die Stabilisation lyophober Teilchen ungenügend ist, doch genügend zur Reaktion mit den Ionen des Stabilisators und zum Entfernen dieser Ionen von der Oberfläche der lyophoben Teilchen. In der Erscheinung des Schutzes ist noch eine Unklarheit vorhanden. Wir haben gesehen, daß zum Schutz eine sehr geringe Menge eines lyophilen Kolloids benötigt wird. Wenn man annimmt, daß das lyophile Sol die Oberfläche der
Schutz und Astabiüsierung von Kolloiden, Emulsionen und Suspensionen
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lyophoben Teilchen vollkommen bedeckt und der Schutz auf den Austausch des Ionenstabilisators gegen einen molekularen Stabilisator zurückzuführen ist, so müssen wir beim lyophilen Stoff das Vorhandensein einer Anzahl von Teilchen hohen Dispersionsgrades annehmen, die genügt, um mit dem Ionenstabilisator zu reagieren und hierdurch diesen von der Oberfläche des lyophoben Kerns zu entfernen und u m auf der frei werdenden Oberfläche der Teilchen des lyophoben Stoffes adsorbiert zu werden. Die Richtigkeit dieser Annahme ist jedoch wenig wahrscheinlich. Es ist bekannt, daß es zwei Formen von Gelatine gibt: 1. a-Gelatine, löslich in Wasser bei Zimmertemperatur und aus hochdispersen Teilchen bestehend, und 2. ß-Gelatine, nicht löslich in Wasser bei der erwähnten Temperatur und aus Teilchen größerer Abmessungen bestehend als die der a-Form. I m Gegensatz zur a-Form ist die ß-Form fähig, von selbst aus einem Sol in ein Gel überzugehen. Der Verfasser und seine Mitarbeiter 1 1 h a b e n die Schutzwirkung beider Formen sowohl bei Solen als auch bei Suspensionen untersucht und gezeigt, daß die jS-Form eine höhere stabilisierende Wirkung besitzt. L I P A T O W u n d ABKEST haben gezeigt, daß das oben erwähnte Abtrennen des Ionenstabilisators nicht unbedingt nötig ist und in den meisten Fällen nicht beobachtet wird. Der lyophobe K e r n ist nur zum geringen Teil vom Ionenstabilisator bedeckt; er weist einen beträchtlichen Teil a n freier Oberfläche auf, auf der d a n n die Teilchen des Schutzkolloids lagern. Bei einer solchen Unabhängigkeit in der Adsorption beider Stabilisatoren f ü h r t die Erscheinung des Schutzes zu einer zusätzlichen Bedeckung der Oberfläche des lyophoben Kerns. Bei Suspensionen sind analoge Fälle von L J U T T N beobachtet worden. Die oben betrachteten Erscheinungen des Schutzes lyophober Teilchen sind eigentlich Einzelfälle der Gesamterscheinung der Stabilisation. Die Schutz.kolloide sind demzufolge Stabilisatoren. Sie haben bei der Herstellung von stabilen Emulsionen und Suspensionen eine weite Verwendung gefunden. Der Mechanismus der Stabilisation wird auch hier auf die Bildung einer orientierten Adsorptionsschicht aus den Molekülen des Stabilisators zurückgeführt. Bei einer solchen Stabilisation ist jedoch noch eine wichtige Besonderheit vorhanden. R E H B I N D E R und seine Mitarbeiter haben gezeigt, daß die beste stabilisierende Fähigkeit von denjenigen Schutzkolloiden oder überhaupt oberflächenaktiven Stoffen gezeigt wird, die imstande sind, mechanisch feste Oberflächenfilme zu bilden. Bei der Stabilisation von Benzolemulsionen in Wasser durch Salze höherer Fettsäuren haften diese mit ihren Kohlenwasserstoffenden an der Oberfläche der Benzoltropfen, während die polaren Gruppen zum Wasser gerichtet sind, wodurch die Aktivität der Emulsion in bezug auf das Dispersionsmedium gewährleistet wird. Die orientierten Kohlenwasserstoffketten treten hierbei in der Oberflächenschicht in Reaktion und bilden festere, gelartige, manchmal kristalline Filme. Diese Filme weisen eine große Zerreißfestigkeit auf. Eine solche hohe mechanische Festigkeit k a n n auf folgende einfache Art festgestellt werden. Wenn m a n in eine reine Flüssigkeit einen a n einem Faden befestigten Schwimmer versenkt, so wird beim Drehen des Fadens der Schwimmer die Drehbewegung mitmachen. I n Lösungen von oberflächenaktiven Stoffen macht der 15*
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Koagulation und Stabilität der Kolloide
Schwimmer die Drehbewegung nicht sofort mit, sondern erst, nachdem der Faden um einen bestimmten Winkel gedreht worden ist. In diesem Falle muß man an den Schwimmer eine gewisse Kraft ansetzen, die zur Zerstörung des Films nötig ist. Die Bildung fester Oberflächenfilme wird besonders deutlich bei Sättigung der Adsorptionsschicht beobachtet.
9. Stabilität lyophober Systeme Oben ist schon gezeigt worden, daß eine dritte Komponente deshalb eingeführt wird, um das Wachsen der kleinen Kristalle zu hemmen. Außerdem muß man auch die Teilchen vor dem Zusammenkleben miteinander bewahren, d. h. eine Aggregation verhindern, die zur Vergrößerung der Teilchen und letzten Endes zum Ausfallen der dispersen Phase aus der Losung führt. Deshalb erfüllt die dritte Komponente auch die Rolle eines Schutzes der Teilchen vor der Aggregation, d. h. teilt den Teilchen eine aggregative Stabilität mit*). Worin besteht nun die Theorie der aggretativen Stabilität ? Wir wollen zuerst einzelne Abschnitte in der Entwicklung dieser Frage betrachten. Bis heute sind in den Lehrbüchern über Kolloidchemie folgende Erklärungen für die Stabilität von lyophoben Kolloiden zu finden: Da die Teilchen auf ihrer Oberfläche eine elektrische Ladung tragen und da sich gleichgeladene Teilchen abstoßen, so können sie sich nicht verbinden, zu größeren Abmessungen aggregieren. Eine solche Erklärung ist wenig überzeugend, denn hierbei wird vollkommen außer acht gelassen, daß von keiner freien Ladung auf der Oberfläche der Teilchen die Rede sein kann, denn der ionogene Komplex besteht, wie auch die Ionen, aus zwei Teilen, und das kolloide System verhält sich im Ganzen als ein elektrorieutrales System. Hieraus kann jedoch keine Schlußfolgerung darüber gezogen werden, ob die Ladung des Teilchens sich nicht auf die Stabilität desselben auswirkt. Habdi hat als erster den wesentlichen Einfluß der Ladung auf die Stabilität des kolloiden Systems unterstrichen. An Albuminsolen hat er gezeigt, daß dieser Stoff nur dann stabil ist, wenn er in Gegenwart von Lauge oder Säure, die den Teilchen dieses Sols eine größere Ladung vermitteln, dispergiert wird. Ein stabilisierender Einfluß der Ladung ist von ihm auch bei anderen Solen festgestellt worden, z. B. bei Mastix-, Fe203-, Cr203-Solen, wobei Teilchen dieser Sole, nachdem sie ihre Ladung verloren haben, leicht aus der Lösung sedimentieren und die Fähigkeit verlieren, sich im elektrischen Feld zu bewegen. Anders ist Bredig an die Frage der Stabilität herangegangen. Nach seiner Meinung ist die Stabilität eines kolloiden Systems durch die Oberflächenspannung der Teilchen bedingt, wobei die Oberflächenspannung funktionell mit dem elektrischen Potential verbunden ist. Da nach der Theorie von Helmholtz-Lipmas die Oberflächenspannung eine maximale Bedeutung gewinnt, wenn das Potential auf der Grenze zwischen einem festen Körper und einer Flüssigkeit gleich Null ist, so ist auch der Zusammenhang derselben mit der Stabilität der Teilchen verständlich, denn je größer die Oberflächenspannung, um so klarer ist die Tendenz zum Zusammenhaften der Teilchen ausgedrückt, also zur Aggregation zu großen Komplexen. Die Ansichten von Bredig werden von Perrin bestritten, der die Existenz nicht nur einer positiven, sondern auch einer negativen Oberflächenspannung annimmt. Beim Zusammenstoßen der Teilchen miteinander als Ergebnis der BROWuschen Bewegung aggregieren diese, und wenn das System stabil ist, so ist die Existenz eines solchen Aggregats auf eine sehr kurze Zeitspanne begrenzt, bis es wieder in Teilchen der ursprünglichen Abmessungen zerfällt. Ein solcher Zerfall ist nur bei einer negativen Oberflächenspannung möglich. Oben ist gesagt worden, daß bei Vergrößerung der Abmessungen der Teilchen sich die Oberflächenspannung verringert. Man kann annehmen, daß bei einem gewissen kritischen Radius der Teilchen diese gleich Null sein wird. Wenn man mit p die Dichte der *) Ein sehr gut passender Ausdruck, der von N. P. Pesskow eingeführt wurde.
Stabilität lyophober Systeme
219
Ladung, mit r den Radius der Teilchen, mit d die Dicke der doppelten Schicht bezeichnet, so wird die bei der Vergrößerung ausgeschiedene elektrische Energie e durch folgende Gleichung wiedergegeben:
Bei Vergrößerung des Radius wird dieser Ausdruck den Grenzwert
haben. Wenn jedoch r sehr klein ist, kann die Abhängigkeit dieser elektrischen Energie vom Radius nicht festgestellt werden, da die Oberflächendichte gleichfalls vom Radius abhängt. Die elektrischen Kräfte sind immer bestrebt, die Oberfläche zu vergrößern. Im Gegensatz zu den Haftkräften a, die die Teilchen verbinden, wirken die elektrischen Kräfte auf die Teilchen trennend. Deswegen kann man die Oberflächenspannung a = a — e für große Teilchen als Stabilitätsmoment bezeichnen; die Stabilität fällt, wenn a > 0 ist, d. h. wenn sogar bei großen Teilchen a größer ist als c. In einer Reihe anderer Theorien, die zur Erklärung der Stabilität vorgeschlagen wurden, und die wir hier nicht erwähnen, sowie in den oben erläuterten Theorien sind die Autoren an diese komplizierte Frage etwas einseitig herangegangen. Außerdem sind diese Theorien vorgeschlagen worden, als von einer doppelten Diffusionsschicht noch nichts bekannt war. •
Gegenwärtig nehmen wir an, daß der ionogene Komplex auf der Oberfläche der Teilchen eine diffuse Schicht bildet, die elastische Eigenschaften aufweist. Die Elastizität dieser Schicht ist nun die Ursache, die ein Berühren der Teilchen miteinander bei deren Zusammenstoßen verhindert. Bei der Untersuchung des Problems der Koagulation sowie der Erscheinung der Thixotropie und der Koazervation haben wir gesehen, daß das Problem der Stabilität, das auf elektrostatischen Voraussetzungen aufgebaut ist, einen richtigen Weg zur Lösung dieser Frage weist. Ein radikaler Verfechter einer solchen Theorie von der rein qualitativen Seite war KRUYT. Bei Gegenüberstellung der Eigenschaften lyophober und lyophiler Kolloide ist K R U Y T zu der Schlußfolgerung gekommen, daß bei lyophoben Kolloiden nur ein Stabilisationsfaktor, die elektrische Ladung, vorhanden ist, während das lyophile Kolloid zwei solcher Faktoren hat, die Ladung und die Hydratation. Die Frage über die Stabilität lyophiler Kolloide wird gesondert betrachtet werden, hier wollen wir nur vermerken, daß eine solche Gegenüberstellung von lyophoben und lyophilen Kollöiden wohl kaum richtig sein wird. Dieses könnte akzeptiert werden, wenn man annehmen könnte, daß neutrale Moleküle stärker hydratisiert sind als Ionen und man deshalb die Hydratation derselben vernachlässigen könnte. Dabei geben aber die Untersuchungen, die bei der Hydratation einfacher Stoffe durchgeführt wurden, keine Grundlage zugunsten einer solchen Annahme. Tatsächlich bildet das Ion bei einem Abstand r von seinem Zentrum ein Feld von der K r a f t
wobei e die Ladung des Ions ist. Wenn man für H 2 0 D = 81 und c = 4,80 • 1 0 - 1 0 absolute elektrostatische Einheiten annimmt, so ist bei einem Abstand r — 10~ 7 cm vom Zentrum des Ions ein Feld von 600 absoluten elektrostatischen Einheiten
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Koagulation und Stabilität der Kolloide
vorhanden, oder 180000 V je 1 cm. Für verdünnte KCl-Lösungen wird die Abhängigkeit der Dielektrizitätskonstanten Ds der Lösung von der Konzentration durch folgende Gleichung. D —D(\—yc) ausgedrückt, wobei y eine Konstante, die für das betreffende Lösungsmittel und das Salz charakteristisch ist, und c die Konzentration sind. Die Berechnung zeigt, daß bei y = 6,9 die Konzentration der Ionen in einer 0,0001 Mol-Lösung eine Senkung von D um 0,7% hervorruft. Bei dieser Konzentration enthält das System n = 12 • 1017 Ionen in 1 cm 3 . Aus der Gleichung
kann die Größe a, also die Sättigungssphäre des Ions ermittelt werden. Diese erweist sich gleich 11 • 10~ 8 cm, d. h. entspricht einer Hülle aus vier monomolekularen Wasserschichten. Für eine Zuckerlösung beträgt dieser Wert a =z 3 • 1 0 - 8 cm, d. h. er gleicht einer monomolekularen Schicht. Wenn man auch das Ungenaue dieser Berechnung berücksichtigt, muß gesagt werden, daß die Hydratation der Ionen trotzdem mehr eine Hydratation der Moleküle ist und daß man diesen Faktor bei der Untersuchung der Stabilitätstheorie nicht übergehen kann. Bei dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse ist es richtiger zu sagen, daß die Stabilität lyophober Sole durch die Hydratation der Ionen des Stabilisators bedingt ist, und eine jede Verminderung der Dissoziation (Zusammendrücken der diffusen Schicht) eine Verringerung der Hydratation und demzufolge auch der Stabilität nach sich ziehen muß. Gegenwärtig geben uns unsere Kenntnisse über das Gebiet des ¿"-Potentials die Möglichkeit, eine Stabilitätstheorie aufzubauen, indem wir als Grundlage hierzu gerade diese, mit der Hydratation verbundene Größe nehmen. Ein solches Schema kann keinen Widerspruch hervorrufen, solange wir es mit geladenen Teilchen zu tun haben. E s existieren jedoch kolloide Systeme, deren Teilchen keine Ladung aufweisen und die trotzdem stabil bleiben. In diesem Falle kann man nicht von elastischen Eigenschaften der diffusen elektrischen Schicht sprechen. E s soll jedoch hieraus nicht geschlossen werden, daß die Teilchen in diesem isoelektrischen Zustand keinen aktiven Teil der dritten Komponente aufweisen. Die ganze Sache beruht nur auf der Änderung der Eigenschaften dieses aktiven Teils, und zwar auf dem Fehlen der Dissoziation derselben in Ionen. Wir können die Frage der Stabilität so betrachten, wie wir es tun, wenn wir von echten Lösungen sprechen. In bezug auf echte Lösungen haben wir zwar nie die Frage nach der Stabilität gestellt, denn die Stabilität eines Systems mit molekularem Dispersionsgrad schien ohne weiteres gegeben. Die einzige Erklärung für diese Stabilität, die wir beim gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse geben konnten, bestand in dem Zugeständnis des Vorliegens einer bestimmten Affinität zwischen den gelösten Molekülen und den Molekülen des Lösungsmittels, die zur Bildung von Solvaten führte. Anders gesagt, ist die Energie der Reaktion zwischen ihnen genügend groß, um die Wirkung der Attraktionskräfte zwischen den Molekülen des gelösten Stoffes zu paralysieren. Das Vorhandensein einer Solvathülle auf der „Oberfläche" des Ions oder des Moleküls jedoch zwingt
Stabilität lyophober Systeme
221
uns zur Anerkennung des Fehlens einer Grenzfläche, der Merkmale der Heterogenität, da es klar ist, daß die Oberfläche eines solchen Solvats Eigenschaften aufweisen wird, die den Eigenschaften der Moleküle des Lösungsmittels ähnlich sein werden. Diese Überlegungen nehmen wir gegenwärtig auch für die kolloiden Teilchen an. Der ionogene Komplex auf der Oberfläche der Teilchen besitzt eine große Affinität zum Lösungsmittel, und die Ionen dieser Verbindung werden hydratisiert sein, ebenso wie die Ionen in echten Lösungen. Wie primitiv dieser Standpunkt auch ist, nehmen wir ihn gegenwärtig trotzdem im Sinne eines angenäherten Schemas an. Eine unbezweifelte Tatsache ist das Vorliegen eines ionogenen Komplexes oder überhaupt eines Solvatisators auf der Oberfläche der Teilchen, der dem kolloiden Teilchen die Eigenschaften seiner Moleküle mitteilt. Von dieser Tatsache ausgehend, können wir auch qualitativ die Stabilität der Teilchen begründen, unabhängig davon, wie in der Zukunft der physikalische Inhalt der Stabilitätstheorie sein wird. Nehmen wir an, daß die Bildung des Stabilisators auf der Oberfläche des Teilchens durch die S
Gleichun
MA + MBt- AM MB
ausgedrückt wird, wo AM ein kolloides Teilchen, oder richtiger, dessen Oberflächenmoleküle bezeichnet. Wenn wir die aktive Oberfläche des Teilchens mit s, die Menge der sich bildenden Verbindung mit x und die Menge des verbliebenen Stoffes MB mit c bezeichnen, erhalten wir im Gleichgewicht woraus sich
k (s — x) c = x, ] cr x= s, , , X + kc
ergibt, d. h. nichts anderes als die Gleichung von Langmuir, die aus dem Gesetz der aktiven Massen abgeleitet ist. Diese Gleichung zeigt, daß als Grenze für x eine vollkommene Sättigung der Oberflächenschicht des Teilchens erscheinen wird, die durch die Verbindung lim x = a gebildet wurde. c-»-« Hieraus kann man zwei völlig sichere Schlußfolgerungen ziehen: 1. die Stabilität eines kolloiden Teilchens ist gleich Null, wenn x gleich Null ist, d. h. wenn auf der Oberfläche des Teilchens der Solvatisator nicht vorhanden ist; 2. das Teilchen wird eine maximale Stabilität dann aufweisen, wenn x gleich s ist, d. h. wenn die Oberfläche des Teilchens vollkommen mit den Ionen oder den Molekülen des Solvatisators gesättigt ist. Auf Grund des oben Gesagten können wir von einem Stabilitätsgrad unseres Systems sprechen: x B = T' der durch das Verhältnis des bedeckten Teils der Oberfläche zur gesamten Oberfläche des Teilchens ausgedrückt wird. Bei Änderung von x von 0 bis s ändert sich der Wert B von 0 bis 1, und die maximale Stabilität wird der Bedingung entsprechen.
B=
s
1
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Koagulation und Stabilität der Kolloide
Die hier betrachtete Stabilitätstheorie verbindet die Stabilität des Teilchens nicht mit seiner Ladung, sondern nur mit der Sättigung der Oberfläche des Teilchens durch den Solvatisator. Es ist zu erwähnen, daß von diesem Standpunkt aus ein lyophobes System wie auch eine Emulsion in einem thermodynamisch stabilen Zustand erhalten werden kann, wenn die Oberfläche des Kerns mit dem Stabilisator bedeckt ist. I n dieser Hinsicht muß man sich mit L A N G M U I R vollkommen einverstanden erklären, der unterstreicht, daß die Moleküle des Stabilisators sich „tatsächlich auf der Grenzfläche in einem solchen Überschuß sammeln können, daß die Interphasen-Oberflächenspannung bis auf Null sinkt, wobei ein thermodynamisch stabiles System entsteht, in dem die Tropfen nicht die Neigung zu koaleszieren aufweisen" 12 . Diese Theorie steht in voller Übereinstimmung mit dem gesamten vorliegenden Versuchsmaterial. D U C L A U X , P A U L I un^ ihre Schule haben in dieser Hinsicht sehr reichhaltiges Versuchsmaterial angesammelt, das wir jetzt kurz betrachten wollen. Wir wissen schon, daß die Herstellung einer kolloiden Lösung mit Hilfe der Dialyse (Membranhydrolyse) nur in dem Falle möglich ist, wenn die Dialyse nicht zu Ende geführt wird, d. h. wenn in der Lösung noch ein Teil des normalen Elektrolyten verbleibt. Nehmen wir an, daß auf diese Art und Weise ein Sol von maximaler Stabilität hergestellt wurde, d. h. ein Sol, bei dem die Oberfläche der Teilchen vollkommen mit einer Schicht des Solvatisators bedeckt ist. Wenn man ein solches Sol einer weiteren Dialyse unterwirft, werden wir die Micellen zerstören, indem wir den Solvatisator zwingen, in die äußere Flüssigkeit überzugehen, und die Gesamtmenge davon, die auf die Oberfläche eines Teilchens kommt, wird sich allmählich verringern. Teilweise wird diese Zerstörung auch deshalb vor sich gehen, weil sich die neutralen Teile des Solvatisators ionisieren werden, da sich der ionisierte Teil allmählich aufspalten und neue kolloide Teilchen bilden wird. Parallel zu einer solchen Veränderung wird die ganze Zeit eine Senkung der Stabilität des Sols vor sich gehen. Tabelle 85 gibt Werte, die für Sole von Eisenoxydhydraten erhalten hat. So ist die oben untersuchte Stabilitätstheorie eine durchaus Menge des Elektrolyten lür Zusammensetzung der ein Sedimentieren des Sols allgemeine Theorie, die durch Micellen experimentelle Resultate ihre [Fe 2 0 3 ] M FeCl 3 0,3 volle Bestätigung findet. [Fe 2 0 3 ]„FeCl 3 0,05 Nach Untersuchung der Frage [Fe.OJ.oFeClj 0,01 über die Stabilität der Sole in [Fe203]I50FeCl3 0,005 [Fe2O3]400FeCl3 0,001 bezug auf die Aggregation können wir nicht an der Frage der Verbindung derselben mit der kinetischen Stabilität vorbeigehen. Diese zwei Arten der Stabilität sind ihrem Wesen nach gegensätzlich, jedoch gibt dieser Unterschied in keiner Weise eine Begründung dazu, sie unabhängig voneinander zu untersuchen. Es ist nicht ganz richtig, wenn man von der kinetischen Stabilität getrennt und unabhängig von der aggregativen Stabilität spricht, da zwischen DTJCLAUX
Tabelle 85. S t a b i l i t ä t v o n E i s e n o x y d h y d r a t - S o l e n (nach DUCLAUX)
Stabilität lyophober Systeme
223
diesen gegensätzlichen Arten der Stabilität ein durchaus bestimmter und klarer Zusammenhang besteht. Die kinetische Stabilität, als deren Maß das Gesetz der Verteilung der Teilchen in der Masse der Lösung n — n0e
kT
dient und die sich in der B R O W N sehen Bewegung manifestiert, kann sowohl als ein Faktor der Stabilität als auch als ein Faktor der Koagulation dienen. Die Sedimentationsgeschwindigkeit der Teilchen hängt tatsächlich von deren Größe ab. Für Tonsuspensionen ist festgestellt worden, daß Teilchen mit einem Durchmesser von 1 ji auf den Boden eines Gefäßes von 10 cm Höhe sich im Laufe eines Tages absetzen, während Teilchen mit einem Durchmesser von 0,25 fx dazu 23 Tage, Teilchen mit einem Durchmesser von 0,1 ¡x schon 487 Tage und Teilchen mit einem Durchmesser von 0,01 p sogar 134 Jahre benötigen. Also besitzen die kolloiden Teilchen eine sehr hohe kinetische Stabilität. Ein Sediment aus Eisenoxydhydrat jedoch, das bis zu den Molekülen aufgespalten ist, wird bei Fehlen der dritten Komponente keine kinetische Stabilität aufweisen, da es aggregativ nicht stabil ist. Ein grobes Pulver jedoch desselben Stoffes wird bei Vorhandensein der dritten Komponente kinetisch instabil sein, obgleich alle aggregativen Tendenzen in ihm paralysiert sind. Als führend erweist sich die aggregative Stabilität. Demzufolge können wir ein solches System als stabil bezeichnen, das Eigenschaften aufweist, die sowohl eine kinetische als auch eine aggregative Stabilität ihrer Teilchen gewährleisten. Die oben betrachteten Vorstellungen über die Stabilität lyophober Sole haben einen rein qualitativen Charakter. DERJAGIN und L A N D A U " haben, indem sie die Theorie der starken Elektrolyte von D E B Y E - H Ü C K E L benutzten, diese Frage von der quantitativen Seite untersucht und eine mathematische Theorie der Stabilität lyophober Systeme aufgebaut. Nach den Schlußfolgerungen von D E E J A G I N und L A N D A U kann die Stabilität mit Hilfe folgender Gleichung bewertet werden: m
1 _ ~ T^
~ b //M ~ " '' VD3(k
A —
nq>'.
Wenn man annimmt, daß das Teilchen (das Molekül) die Form eines Zylinders mit einer Basis tct1 und einer Länge h hat, so ist
=
xr2h.
Da in der polymerhomologen Reihe M als die variable Größe erscheint, kann man die Länge der Kette des Moleküls als proportional dem Molekulargewicht annehmen : h — h M. Wenn man den Begriff der spezifischen Viskosität »?»= >7 — 1 einführt, der die Erhöhung der Viskosität der Lösung bezogen auf die Viskosität des Lösungsmittels darstellt, und wenn man in die Gleichung von E I N S T E I N an Stelle von q> die erhaltenen Werte einsetzt, bekommen wir: rjs = 2,5 n r 2 h . c
Da rj = -jjr ist, wo c die Gewichtskonzentration und M das Molekulargewicht bedeuten, erhalten wir bei Austausch von c und h durch die Werte derselben in der angeführten Gleichung: u — 2OK w o k' , 5 :tr2k.21
M M
M = k'
c,
Hochpolymere Verbindungen und die durch sie gebildeten lyophilen Systeme
229
Wie aus dieser Schlußfolgerung ersichtlich ist, gelingt es nicht, auf diesem Wege den Zusammenhang der Viskosität mit der Größe M festzustellen. Gleichzeitig jedoch sprechen die experimentellen Resultate überzeugend von dem Vorhandensein einer Abhängigkeit zwischen der Viskosität und dem Polymerisationsgrad, die unzweifelhaft auch in mathematischer Form ausgedrückt werden kann. Hierzu nimmt S T A T T D I N G E R an, daß die langen Ketten sich so drehen, wie es auf Abb. 73 gezeigt ist. Dann muß man als Volumen cp' nicht das Volumen des Zylinders nehmen, sondern den Drehkörper des Zylinders in dessen Achse, die sich mit der Achse des Zylinders deckt und die den Zylinder halbiert. Die Basis dieses Drehkörpers wird 7t
betragen, und die Höhe wird 2 r sein.
In diesem Falle haben wir für die spezifische Viskosität: rj, = 2,5ra7r||-) 2 2r oder oder
_ 2,5 cniPM2 ~ IM 4M kMcM. Ps =
2r — • T "
Demzufolge hat S T A U D D T O E B die mathematische VerAbb.73.Dreh9Chemaeines bindung zwischen der Viskosität und dem Molekulargewicht hochpoiymeren Moleküls ° , . , (nach STAUDINGER) nur durch einen Kunstkniff geschaffen, der nichts Gemeinsames mit einer theoretischen Untersuchung des Problems hat. Dieser Teil der Theorie von STAUDDTOEB ist von einer Reihe von Forschern kritisiert worden. BÜCHNER und SAMWULL versuchten, die Theorie von STAUDINGER bei der Untersuchung von Acetylcellulose anzuwenden. Die Resultate ihrer „ M Messungen sind in Tabelle 87 gegeben. Die genannten Forscher kommen zu der Schlußfolgerung, daß zwischen der Viskosität und dem Molekulargewicht keine Zusammenhänge vorhanden sind. Zu analogen Schlußfolgerungen sind H E S S , SAKURADA, OSTWAI.D, MARK, K R Ä M E R U. a. gekommen. Von diesen Arbeiten verdienen die von K R Ü M E R , M A R K und M E Y E R besondere Beachtung, und wir wollen sie hier genauer betrachten. K R Ä M E R hat einige hochmolekulare Verbindungen künstlich hergestellt und die Abhängigkeit der molekularen Konstante ku vom Molekulargewicht M untersucht. Die Resultate seiner Messungen, die in 0 10000 20000 30000 m Abb. 74 wiedergegeben sind, sprechen für sich selbst: Abb. 74. Abhängigkeit der MolekularkM ändert seinen Wert in sehr weitem Rahmen und konstante h M vom Molekulargewicht bildet ein Minimum. Wenn man also die Größe k u als des Polymeren konstant annimmt, so wird sich das Molekulargewicht im Gegensatz zu der Gleichung von STAUDINGER ändern. Sehr sorgfältige Messungen von M A R K haben gezeigt, daß die Konstante lcM für verschiedene Stoffe insehr weitem Rahmen schwankt: Polystyrol 2,2 bis 3,5 Polyäthylenoxyde 1,7 bis 3,4 Kautschuk 2,6 bis 3,4 Acetylcellulose 8,4 bis 12,8 Das größte Interesse in dieser Richtung erwecken die relativ neueren Untersuchungen von M E Y E R über die Viskosität von Paraffinen. Unter sehr genauen Bedingungen hat M E Y E R
Lyophile Kolloide und Polymere
230
die Viskosität von Paraffinen mit einem bestimmten Molekulargewicht ermittelt und die Änderung der Konstante kM berechnet. Die Resultate seiner Messungen bringt Tabelle 88. Wie aus Tabelle 88 ersichtlich, ändert sich die Molekularkonstante in sehr weitem Maße bei relativ geringen Änderungen des Molekulargewichts. In seiner Arbeit weist MEYER auch darauf hin, daß STAUDINGER für eine Polystyrolfraktion M = 135000 ermittelt hat, während SINGER für dieselbe Fraktion nach der Methode der Ultrazentrifugierung einen 2,5-fachen Tabelle 87. E r g e b n i s s e d e r Überprüfung der Gleichung von STATJDIKGER f ü r Acetylcellulose Bezeichnung
Molekulargewicht Viskosität
Fraktion A t
33 500 2,26
Fraktion B,
Fraktion B ,
35 700 3,59
bei 0°
bei 20°
bei 40°
35 900 7,04
33 200 5,24
36 200 5,01
Wert erhalten hat. Alles Gesagte gibt MEYER das Recht, die Schlußfolgerung zu ziehen, daß das Viskositätsgesetz von STAUDINGER nicht einmal als empirisches Gesetz akzeptiert werden kann. In letzter Zeit hat sich auch STAUDINGER selbst von vielen seiner Ansichten losgesagt.
b) Teilchenstruktur lyophiler Kolloide. Die Ansichten von M E Y E R und M A R K 4 und ihre weitere Entwicklung. H. S T A U D I N G E R , der den Aufbau der Teilchen hochmolekularer VerTabelle88. R e s u l t a t e d e r U n t e r s u c h u n g e n von MEYER bindungen mit Hilfe der an n o r m a l e n P a r a f f i n e n Viskositätsmethode (0,886%ige Lösungen in CCl4 bei t = 20,0°) festzustellen versuchte, Paraffine M hM -W 1. • 10' war gezwungen, die Begrenztheit dieser Me240,3 190 79 ^17-^36 thode sowie das Fehlen 254,3 208 82 ^18^38 C19H40 268,3 227 85 eines eindeutigen Zu282,3 255 92 C 2 OH 4 2 sammenhangs zwischen 310,3 289 94 C22H46 dem Molekulargewicht 366,4 373 105 C26H54 und der Viskosität anC3LH 70 478,5 520 119 zuerkennen. Dieses ist auch verständlich. Hochmolekulare Verbindungen bestehen aus diphilen Molekülen, die sowohl mit ihrem polaren als auch mit dem unpolaren Teil reagieren können und fähig sind, sowohl in festem als auch in gelöstem Zustand Aggregate zu bilden. Diese erscheinen in einer Reihe von Fällen als eine Phase in einem heterogenen Zweiphasensystem. Alles dieses spricht dafür, daß solche Stoffe wie Cellulose und deren Ester, Eiweißstoffe und Kautschuk in einer Reihe von Fällen komplizierte Systeme mit neuen, spezifischen Eigenschaften bilden. Geschichtlich hat es sich so ergeben, daß das erste Untersuchungsobjekt die Cellulose war. Mit ihr wollen wir auch bei der Untersuchung der Teilchenstruktur beginnen. Die nachfolgenden Untersuchungen von STATTDINGER haben in der Tat gezeigt, daß in einer Reihe von Fällen die Ketten der hochpolymeren Stoffe sich als verzweigt erwiesen, recht lange Seitenketten aufweisen (z. B. Stärke, Glykogen u. a.) und sich die Bestimmung des Molekulargewichts mit der Viskositäts-
Hochpolymere Verbindungen und die durch sie gebildeten lyophilen Systeme
231
methode als unmöglich erweist. Tabelle 89 gibt die Werte r/Jc für Cellulose, Stärke und Glykogen bei verschiedenen Polymerisationsgraden. Der kleine Wert von k M bei Stärke (Lösung in Formamid) im Vergleich zur Cellulose (in einer ammoniakalischen Kupferlösung) spricht von einer starken Verästelung der Ketten bei Stärke. Dieses bezieht sich in noch stärkerem Maße auf Glykogen, für das die Viskosit ä t überhaupt nicht vom Polymerisationsgrad abhängig ist. Zu dieser letzten Schlußfolgerung kommt jetzt, eine immer größere Zahl von Forschern. Das ist dadurch zu erklären, daß die Gleichung von S T A U D I N G E E nur dann tauglich ist, wenn die Ketten starre, sich nicht biegende Stäbchen darstellen, denn nur unter dieser Bedingung kann man von einer direkten Proportionalität zwischen der Viskosität und dem Molekulargewicht sprechen. Tatsächlich jedoch erweist Tabelle 89. W e r t e v o n 17,/c für Cellulose, S t ä r k e u n d G l y k o g e n bei v e r s c h i e d e n e n P o l y m e r i s a t i o n s g r a d e n Polymerisationsgrad
Cellulose k M = 5 • 10-«
Stärke Jrjr = 0,63 • 10-«
Glykogen
400 1700 5000
32,4 137,0 405,0
4,1 17,3 51,0
1,4 1,4 1,4
sich die Form der Ketten als relativ leicht veränderlich in Abhängigkeit von den Bedingungen (Temperatur, Natur des Lösungsmittels), was auch auf die Viskosit ä t von Einfluß ist. I n dieser Hinsicht sind die letzten Arbeiten von M A K K , H U G G I N S U. a. interessant. Die Cellulose wurde lange Zeit als ein amorpher Stoff angesehen, und nur die röntgenographischen Arbeiten einer Reihe von Forschern haben die kristalline Struktur aufgedeckt. Diese Untersuchungen haben gezeigt, daß die Kristalle der Cellulose zum rhombischen System gehören mit einem Verhältnis der kristallographischen Achsen von 6,14 Ä X 6,14 Ä x 5,55 Ä, und daß die Abmessungen eines Cellulosekristalls 7,9 Ä x 8,4 Ä X 10,3 Ä betragen. Hieraus erhalten wir das Volumen des Kristalls: v = 684 • 10~ 24 cm 3 . Da jedoch V
nM 1 ~ I T ~N
ist, wo wobei n die Anzahl der Glucosereste in der Hauptvalenzkette angibt, die das Cellulosemolekül darstellt, und m die Anzahl der Cellulosemoleküle, die durch Zusatzvalenzen zu Micellen verbunden sind. Ausgehend davon, daß 1. sich die Cellulose aufspaltet und bis zu 60% in Cellobiose umwandelt, die ihrerseits wieder zurück in Cellulose verwandelt werden kann, 2. dig Cellulose bei Säurehydrolyse zerfällt, wobei als Endprodukt des Zerfalls Glucose erscheint, 3. die elementaren Kristalle der 16»
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Lyophile Kolloide und Polymere
Cellulose räumliche Abmessungen von 10,3 Ä x 7,9 Ä X 8,7 Ä haben, 4. die Glucosereste in Richtung der Faserachse sich zu Cellulose verbinden mit einer Wiederholungsperiode von 10,3 Ä, und 5. die Diffusionsexperimente und die Breite der Interferenzstreifen Größen von etwa 1500 bis 2000 Glucoseresten in der Micelle ergeben, kommen M E Y E R und M A R K ZU der Schlußfolgerung, daß der Wert n, der eine Vorstellung über die Menge der Glucosereste im Molekül gibt, gleich 30 bis 50 ist. Der Wert m jedoch, der die Anzahl der Ketten der Hauptvalenz, die zu einer Micelle verbunden sind, anzeigt, ist gleich 40 bis 60. Also können wir das oben angeführte Schema jetzt folgendermaßen konkretisieren: [(C8H10O6)30_60]40_60. Gegenwärtig sind diese Werte überholt und die Mehrzahl der Forscher ist der Meinung, daß die Ketten viel länger sind als es M E Y E R angenommen hatte. G O L O W A nimmt auf Grund ihrer Messungen an, daß das Molekulargewicht der Cellulose 1000 Glucoseresten entspricht. Hieraus folgt, daß die Kette der Hauptvalenzen eine große Festigkeit gegenüber allen äußeren Einwirkungen zeigen muß, d. h. der Zerfall der Kette in einzelne Glieder kann nur im Resultat einer energischen chemischen Einwirkung erfolgen. Diese Widerstandsfähigkeit der Ketten ergibt sich auch aus den mechanischen Eigenschaften, deren wichtigste die hohe Zerreißfestigkeit der Cellulose ist. Untersuchungen haben gezeigt, daß dieser Zerreißwiderstand von der Länge der Ketten und von ihrer Orientierung abhängig ist. Nach den vorhandenen Unterlagen beträgt der Querschnitt der Kette etwa 25 Ä2. Demzufolge besteht eine Faser mit einem Querschnitt von 1 mm2 ungefähr aus 4 • 1012 parallel gelagerten Hauptvalenzketten. Um die Arbeit zu berechnen, die zum Zerreißen einer solchen Faser nötig ist, müssen wir uns daran erinnern, daß die Arbeit zur Trennung einer Hauptvalenzbindung 70000 cal/Mol (oder 3 • 1012 erg) beträgt. Es ist bekannt, daß die gegenseitige Anziehungskraft der Atome mit der Vergrößerung ihres Abstandes sehr rasch abnimmt und die Wirkungsenergie im Abstand von 5 bis 6 Ä etwa 1 cal beträgt. Wenn man diese Größe als äquivalent der Weglänge annimmt, um den die Atome zu entfernen sind, um die Hauptvalenzkette zu zerreißen, und wenn man die auf diesem Wege wirkende Kraft als konstant annimmt, so kann man die Kraft berechnen, die zum Zerreißen einer Hauptvalenzkette nötig ist. Diese Kraft ist gleich 10 ~10 kg. 1 mm2 jedoch enthält 4 • 1012 Hauptvalenzketten, also wird die Festigkeit einer solchen Faser 400 kg/mm2 erreichen. Dieser Wert ist natürlich sehr hoch. Was die zusätzlichen Bindungen betrifft, so besitzen nach M E Y E R auch sie eine gewisse Festigkeit. Dieses geht schon daraus hervor, daß die Cellulose, die in ihrem Bestände eine wesentliche Menge an OH-Gruppen besitzt und deshalb eine gute Löslichkeit in Wasser aufweisen muß, tatsächlich diese Eigenschaft nicht aufweist. Dieser Umstand gibt die Möglichkeit zu der Schlußfolgerung, daß die zusätzliche Bindung durch die starke Anziehung der OH-Gruppen bedingt ist und durch Austausch dieser Gruppen durch andere, mehr lyophile Gruppen geschwächt werden kann.
Hochpolymere Verbindungen und die durch sie gebildeten lyophilen Systeme
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Die dargelegte Theorie von M E Y E R und MARK wurde auch auf andere hochmolekulare natürliche Verbindungen ausgedehnt, z. B. auf Kollagen, Gelatine, Kautschuk, Stärke u. a. Wir wollen die Theorie von M E Y E R in bezug auf die erwähnten Objekte betrachten. Die Substanz der Haut und der Sehnen, das Kollagen, gibt, wie auch die Cellulose, ein Röntgenogramm der Faser mit einer Wiederholungsperiode in Richtung der Faserachse von 8 , 4 Á . G E R N G B O S S 2 und K A T Z haben in einer Reihe von Arbeiten gezeigt, daß der Übergang Kollagen-»- Gelatine kein chemischer Zerfallsprozeß ist, wie es früher angenommen wurde, d. h. bei der Verarbeitung von Kollagen auf Gelatine geht kein Zerreißen der Hauptvalenzketten vor sich. Demzufolge wird der Unterschied in den Eigenschaften dieser beiden Stoffe durch den Zerfall, die Auflockerung der Micelle des Kollagens und Desorientierung der einzelnen Ketten bedingt. Dieses folgt daraus, daß die Gelatine in gewöhnlichem Zustand zwei amorphe Ringe zeigt, bei einer Spannung jedoch ein Röntgenogramm ergibt, das identisch mit dem des Kollagens ist (Abb. 76). Interessant ist, daß eine Erhöhung der Temperatur ein Zusammenziehen des Kollagens in Richtung :NH2 der Achse und einen Verlust der kristallinen Struktur hervorruft (Orientierung der Ketten). Hierbei zeigt das Kollagen •cool eine dem Kautschuk analoge Elastizität. Dieses Zusammenziehen ist mit einer vollkommenen Änderung der Lage der •NH, Hauptvalenzketten verbunden. Also können die Proteinketten in Abhängigkeit von den Bedingungen sowohl in gestrecktem als auch in gebogenem (gerolltem) Zustand existieren. Eine solche Änderung der IÑH2 Form der Proteinkette kann auch aus anderen Überlev gungen gefolgert werden. Aus der chemischen Analyse der •cool Zerfallsprodukte eines Proteins ist bekannt, daß Proteine * Ketten darstellen, die freie Amino- und Carboxvlgruppen tragen, die in einem bestimmten Abstand voneinander \NH, gelagert sind. Diese Gruppen sind einer starken Ionisation fähig, besonders bei Gegenwart von Säuren und Laugen. Im Abb. 76. Eiweißmolekül, a in isoelektrischen Punkt bilden solche Ketten ein bewegliches Bauiem (basischem) Medium; b am Ionensystem, in dem einzelne entgegengesetzt geladene Ionen isoelektrischen T u n k t COO' und NH3' einer starken Anziehung zueinander unterworfen sind und ein Verkürzen der Kette hervorrufen (Abb. 76b). In saurem oder basischem Medium findet infolge des Auftretens stärkerer elektrischer Ladungen bei den einzelnen Gruppen ein Strecken der Kette (Abb. 76 a) statt. Untersuchungen haben in der Tat gezeigt, daß Eiweißketten in saurem oder basischem Medium sich auf Wasser ausbreiten und einen Film von 7 Á Dicke bilden, in dem die Eiweißketten in ihrer gesamten Länge liegen und mit der lyophilen, also der Amino- oder Carboxylgruppe zum Wasser gerichtet sind. Am isoelektrischen Punkt beobachtet man eine Bildung von Spiralen. Die Frage nach der Struktur von Gallerten wird jedoch durch die dargelegten Vorstellungen nicht gelöst. In diesem Falle ist auch die chemische Homogenität der Gallerten durchaus wesentlich. In letzter Zeit erscheinen immer mehr und mehr Arbeiten, die zur Schlußfolgerung führen, daß hochmolekulare natürliche Stoffe ein Gemisch von Produkten verschiedenen Polymerisationsgrades ein und derselben polymerhomologen Reihe darstellen. A. M. MICHAILOW hat seinerzeit mit Hilfe der Dialyse Tannin in zwei Fraktionen mit verschiedenem „Molekulargewicht" aufgeteilt. L I F A T O W und, unabhängig von ihm, P E S S K O W haben einige Fraktionen aus einer Gelatinelösung gewonnen, indem sie die Ausfällung mit Hilfe von Alkohol durchführten. S A P O S H M K O W u. a. haben einige Fraktionen aus Acetylund Nitrocellulose erhalten, indem sie die Ausfällung derselben mit Wasser durchführten usw. Die erwähnten Untersuchungen zeigen, daß die Anzahl der Fraktionen in solchen Stoffen anscheinend sehr groß ist. Wenn es aber so ist, so erhebt sich die Frage über die gegenseitigen Verhältnisse dieserFraktionenzueinander, d.h. ob sie unabhängig voneinander existieren oder
Í Voo;'
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Lyophile Kolloide und Polymere
ob zwischen den erwähnten Fraktionen irgendeine bestimmte Wirkung beobachtet wird. Diese Frage werden wir in einem der nächsten Kapitel ausführlich behandeln.
Die kurz dargelegte Theorie von M E Y E R und M A K E erlaubt es, wie wir weiter unten sehen werden, viele Reaktionen zufriedenstellend zu erklären, die bei hochmolekularen Verbindungen vorkommen, wie z. B. bei Cellulose, Kollagen, Gelatine, Stärke usw. Es muß nur erwähnt werden, daß anscheinend die Mehrzahl der Stoffe, die den oben erwähnten analog sind, nicht nur eine Kettenstruktur haben, sondern auch aus Aggregaten bestehen. Die chemische Aktivität solcher Aggregate ist nach Meinung von M E Y E B und M A R K durch das Vorliegen von polaren Gruppen wie NH 2 , COOH, OH u. a. auf der Oberfläche bedingt, deren zusätzliche Valenzen auch das Kraftfeld, d. h. die nötigen Bedingungen zum Ablauf chemischer Reaktionen bilden. Die Existenz der erwähnten Stoffe in Form von Aggregaten gibt die Möglichkeit, alle Fälle einer chemischen Reaktion solcher Stoffe in zwei Gruppen aufzuteilen : 1. Oberflächenreaktionen und 2. permutoide (molekulare) Reaktionen. Die erste Art der Reaktion wird dann beobachtet, wenn der reagierende Stoff nur in die Zwischenräume zwischen die Aggregate eindringt und dort mit den aktiven Gruppen (NH 2 , COOH, OH u. a.) reagiert, die sich auf der Oberfläche befinden. Bei solchen Reaktionen ändert sich die Lage der Banden im Röntgenogramm nicht, die Ketten behalten ihre Lage unverändert bei. Dieses wird besonders deutlich bei der Reaktion von Cellulose mit verdünnten (nicht über 4 %) Lösungen von NaOH beobachtet. Die zweite Art der Reaktion wird dann beobachtet, wenn der reagierende Stoff in das Aggregat eindringt und mit den einzelnen Hauptvalenzketten, den Molekülen, reagiert. Bei einer solchen Reaktion ändert sich in der Regel die Lage der Ketten. Im oben angeführten Falle der Einwirkung von Cellulose und Ätznatron haben wir ein Beispiel einer solchen Reaktion bei einer Konzentration des NaOH von über 4 % . An der erwähnten Reaktion kann man sehr anschaulich den Übergang einer Art der Reaktion in eine andere beobachten : Die Kurve des Reaktionsvei'laufes zeigt einen scharfen Knick. Zu den gleichen permutoiden Reaktionen zählen wir auch die Reaktion von Kollagen und Gelatine mit Salzsäure. In einer überwältigenden Zahl von Fällen verlaufen die Reaktionen nach dem Gesetz der aktiven Massen der homogenen Reaktionen, obgleich der komplizierte Verlauf derselben, der mit einer reichlichen Aufnahme von Lösungsmitteln vor sich geht, manchmal das Bild verwirrt und eine allseitige Analyse erfordert (d. h. die Berücksichtigung der parallel verlaufenden Prozesse). Die Theorie von M E Y E R und M A R K hat ebenso wie die Theorie von STAUeine wesentliche Evolution durchgemacht. Es muß bemerkt werden, daß in der Literatur Hinweise anzutreffen sind, nach denen M E Y E R und M A R K die Existenz von Aggregaten nur mit parallel angeordneten Ketten anerkannt hätten. Tatsächlich jedoch ist es nicht so, denn unter einem Aggregat verstanden M E Y E R und M A R K immer eine Gruppe von Ketten, die miteinander durch die DINGER
Hochpolymere Verbindungen und die durch sie gebildeten lyophilen Systeme
237
sehen Kräfte verbunden waren. Es wird angenommen, daß sich die Lage der Ketten in den Micellen in Abhängigkeit von der vorherigen Bearbeitung des Stoffes, der Natur des Lösungsmittels und anderer Faktoren 5 in weitem Maße verändern kann. GERNGROSS6 hat ihre Anschauungen auch auf die Struktur der Proteine ausgedehnt und ließ die Annahme über die Existenz von Aggregaten vom „Fransen"-Typ zu, d. h. solcher, bei denen nur eine örtliche Parallelität der Ketten zu beobachten ist (Abb. 77). Neue Ansichten in dieser Frage sind später von ROGOWIN entwickelt worden. Wenn die Arbeiten von ROGOWIN U. a. 7 neue Ansichten über die Struktur der Aggregate gebracht haben, so haben die letzten Arbeiten von R E H B I N D E R und seiner Schule ( T R A P E S N I K O W 8 , SHIGATSCH 9 , M A R G A R I T O W 1 0 ) neue Untersuchungsmethoden betreffend der Struktur hochmolekularer Verbindungen gebracht, die nicht nur teilweise den Aufbau der Teilchen von Aggregaten in gelöstem Zustand bestätigen, sondern auch erlauben, tiefer in den Charakter der einzelnen Fraktionen einzudringen. Diese Methoden gründen sich auf die Untersuchung der Oberflächenadsorptionsschichten kolloider Systeme. T R A P E S N I K O W hat bei der Untersuchung der mechanischen Eigenschaften des „zweidimensionalen" Kautschuks gezeigt, daß der Film des natürlichen Kautschuks eine Dicke von 400 bis 500 Ä besitzt, was entsprechend röntgenographischen Untersuchungen der Länge der Kette im Aggregat zugeschrieben werden kann. Die Untersuchung der Fraktionen hat gezeigt, daß die hochviskose Fraktion des Kautschuks eine Filmdicke von 700 Ä ergibt, während eine Fraktion niedriger Viskosität eine Dicke von 150 Ä aufweist, was gleichfalls „Fransen-Typ" als ein überzeugender Beweis für die Existenz von Aggregaten in Lösungen und Gallerten betrachtet werden kann. Dieses ist auch deshalb besonders interessant, weil es MARGARITOW gelungen ist, die Adsorptionsisothermen für Fettsäuren auf der Oberfläche von Kautschukaggregaten aufzunehmen. Wenn man hierzu die letzten Arbeiten von MARK11 sowie eine Reihe thermodynamischer Arbeiten von M E Y E R 1 2 und LIPATOW betrachtet, über die wir weiter unten sprechen werden, so kann der Prozeß der Bildung von Aggregaten als vollkommen real bei der Mehrzahl der hochmolekularen Verbindungen angesehen werden. In der letzten Zeit sind besondere Erfolge bei der Untersuchung von Proteinen errungen worden, wobei viele Proteine in kristalliner Form erhalten werden konnten. Ohne die Möglichkeit zu haben, diese Arbeiten genau darzulegen, die den Proteinen gewidmet sind, wollen wir kurz das von D E R W I S C I I J A N vorgeschlagene Modell der Proteine betrachten. Dieser meint, daß ein Proteinteilchen aus zweidimensionalen plattenförmigen Schichten von Aminosäuren besteht, von denen jede an einer Seite hydrophobe und an der anderen Seite hydrophile Gruppen aufweist. Beide Schichten verbinden sich miteinander durch ihre hydrophoben Gruppen. Bei der Reaktion solcher Teilchen mit Wasser werden sie zerstört, da die polaren Gruppen hydratisiert und blockiert werden und eine Bindung nur durch unpolare Bezirke verwirklicht wird. VAU D E R W A A L S
238
Lyophile Kolloide und Polymere
Es ist interessant zu bemerken, daß die Mehrzahl der Autoren der letzten Zeit die Rolle der unpolaren Bezirke als sehr wesentlich bei der Bildung von Aggregaten anseheii. Deswegen sind Versuche unternommen worden, das Verhältnis der polaren und der unpolaren Gruppen in Proteinen zu bestimmen. D E R W I S C H J A N findet, daß das Verhältnis der polaren Gruppen zu den Kohlenwasser stoffgruppen bei den einzelnen Proteinen stark variiert. Für Zein z. B. ist dieses Verhältnis gleich 0 , 5 und für Gliadin gleich 2 . B R E S S L E R und TALMUD, die ein sehr interessantes Modell der Proteine entwickelt haben, weisen darauf hin, daß 0,05 bis 0,5 aller Seitenketten aus Kohlenwasserstoffketten bestehen. Wesentlich ist auch zu bemerken, daß die Anwendung des Elektronenmikroskops das Vorliegen verschiedener Anteile bestimmter Größe in verschiedenen Stoffen bestätigt hat, der sogenannten Fibrillen. So haben die Messungen von GALL bei Kollagen das Vorliegen von Bezirken in einer Größe von 520 bis 900 Ä dargelegt, und bei Cellulose wurden Fibrillen einer Länge von 400 Ä und darüber beobachtet. Die Arbeiten von KARGIN13 haben gezeigt, daß Cellulose und einige andere Polymere eine amorphe Struktur haben. MICHAXLOW hat gezeigt, daß man bei Akzeptierung dieser Annahme die Ketten beim Dehnen orientieren und ein festes Gewebe erhalten kann. In der letzten Zeit haben K O B E K O und ALEKSANDROW eine interessante Analogie zwischen hochpolymeren Stoffen und Glas aufgezeigt. Nach ihren Ansichten befinden sich die hochpolymeren Stoffe in einem glasartigen Zustand, wobei sie in Übereinstimmung mit den neuzeitlichen Ansichten zur Erklärung verschiedener Eigenschaften der hochpolymeren Stoffe das Modell von G E R N GROSS heranziehen, nachdem sie dieses zweckentsprechend weiterentwickelt haben. 3. Die Form der Ketten hochpolymerer Stoffe In den letzten Jahren haben die Vorstellungen eine besondere Bedeutung erhalten, nach denen die langen Ketten der hochpolymeren Stoffe als biegsame Gebilde betrachtet werden, die unter dem Einfluß dieser oder jener Einwirkung imstande sind, in wesentlichem Maße ihre Form zu ändern. Die Vorstellungen von biegsamen Ketten sind, im Gegensatz zu den Vorstellungen von STATTDINGER, der die Ketten als starre Stäbchen betrachtet hat, von einer Reihe von Forschern entwickelt worden. Diese Vorstellung gründet sich auf die Eigenschaft einzelner Atomgruppen, sich um ihre Bindungen zu drehen. Sie ist seinerzeit von VAN 'T H O F F ausgesprochen worden, der bei durch eine einfache Bindung verbundenen Atomgruppen die Fähigkeit zuließ, sich um die sie verbindende Achse zu drehen, sowie eine Einstellung auf die wahrscheinlichsten energetischen Lagen bei diesem Drehen, die eine besonders beständige (fixierte) Lage dieser Gruppen ausschloß. Im Äthanmolekül (C2H8) z. B. zeigen die Methylgruppen eine Drehung im Verhältnis zueinander. Dieses kann dadurch bewiesen werden, daß das symmetrische Dichloräthan keine Isomeren besitzt. Wenn die Verbindung C—C starr wäre, so
Die Form der Ketten hochpolymerer Stoffe
239
wäre die Bildung von Isomeren möglich infolge der verschiedenen Lage der Chloratome in den Methylgruppen in bezug aufeinander. Einen Beweis der Drehung der einzelnen Gruppen bann man aus spektroskopischen Angaben, aus der Untersuchung der Dipolmomente, der Wärmekapazität usw. erhalten. Die letztere Methode ist von E U C K E N und seinen Mitarbeitern benutzt worden, deren Berechnungen und Messungen auf eine unbegrenzt freie Drehbarkeit der einzelnen Gruppen hinweisen. Es muß bemerkt werden, daß bei Temperaturerniedrigung die unbegrenzte Drehbarkeit in eine begrenzte übergeht. Dipolmomente geben gleichfalls die Möglichkeit, die Konfiguration der Moleküle zu verstehen. Die Frage wird besonders interessant bei der Untersuchung von biegsamen Molekülen, d. h. von solchen, deren Moment sich infolge der Drehung der Atomgruppen auf der Linie der einfachen Bindungen ändern kann. Wir wollen das Dichloräthan untersuchen, das man durch folgende zwei Formeln wiedergeben kann: H H
H
xl/C1
C1
\l/H
c
1
H
H
I
II
Wenn man annimmt, daß die untere Gruppe CH2C1 unbeweglich sei, dann kann die obere Gruppe die Lagen I bzw. I I einnehmen. In der Lage I sind die Chloratome unmittelbar übereinander gelagert, in der Lage I I sind diese Atome maximal voneinander entfernt. In der Lage I, der cis-Lage, kann das Dipolmoment wesentlich sein, während es in der Lage I I gleich Null sein wird. Beim para-substituierten Benzol, also z. B. p-C6H4Cl2, p-C6H4(CH3)3, ist das Dipolmoment tatsächlich gleich Null. Es gibt jedoch Verbindungen analogen Typs, bei denen ein wesentliches Dipolmoment festgestellt wurde. So z. B. 1,74 bei p-C6H4(OCH3)2 und 2,35 bei C6H4(CHO)2. Dieses wird dadurch erklärt, daß beim ersten Typ der Moleküle das resultierende Dipolmoment auf einer Geraden liegt, während bei der zweiten Gruppe dieses nicht der Fall ist:
c-c/°
c-o.
\CH3
\H
Daher ist bei der zweiten Gruppe eine Drehung solcher unsymmetrischer Gruppen bei einer einfachen Bindung mit einem Ring ohne Änderung des Valenzwinkels möglich. Eine solche Drehung führt zu verschiedenen Konfigurationen der Moleküle. Für ein Molekül von Dimethylhydrochinonäther kann man beliebig eine der beiden Formen annehmen:
ch3/0\^/0xCH3
von denen I polar und I I unpolar ist.
II
3
Lyophile Kolloide und Polymere
240
In einer Reihe von Arbeiten ist gezeigt worden, daß die günstigste Lage bei solchen biegsamen Molekülen einem Minimum an potentieller Energie und demzufolge auch einem minimalen Dipolmoment entsprechen wird. Die Größe der Abweichung der Moleküle von dieser Lage wird von zwei Einflüssen abhängig sein: 1. Von dem intermolekularen Potential des Moments und 2. von der Energie der Wärmebewegung. Wenn das Potential die Energie der Wärmebewegung wesentlich übertrifft, so wird das Molekül in der Lage verbleiben, die dem Minimum des Dipolmoments entspricht, und im Falle eines symmetrischen Moleküls dem Nullmoment. Im entgegengesetzten Falle werden alle möglichen Lagen des Moleküls gleich wahrscheinlich sein. Nehmen wir an, daß beim Dichloräthan C1—CH2—CH2—C1 das Moment einer jeden Gruppe, d. h. der einfachen Verbindung gleich (JL sein wird, dann ist das minimale Moment gleich Null, das maximale gleich 1,89 fi und das mittlere Moment für eine vollkommen freie Drehung 1 / 2 ^ . Bezeichnen wir mit E das Potential und mit U die Energie der Wärmebewegung, dann sind drei Fälle möglich: 1. E » XJ; u = 0 und der Temperaturkoeffizient r = 0; 2. E ^ U; 0 < n < 1 / 2 ^ ; r — endlich; 3. E cU\
¡j, =
r = 0.
Wenn der Abstand zwischen den Momenten gleich d ist, so ist E =
d3
wo fa und ¡i2 die Dipolmomente und XJ = IcT = 4 - 1 0 - 1 4 erg sind. Die BerechkT nungen zeigen, daß, falls E < -jg- ist, das Potential nicht merkbar auf die Freiheit der Drehung einwirken und das Moment den mittleren statistischen Wert ]/ 2/¿j haben wird. Für den zweiten Fall, der oben gegeben wurde, haben wir: oder
4.10-11 = - 3^ d d3 = 0,25 • 10~ 2 2
und
( 1 0 _ 138 > 2 d d = 3 • 1 0 " 8 cm,
was einem doppelten Abstand zwischen zwei verbundenen Atomen im organischen Molekül entspricht. Falls also die Dipole nahe beieinander liegen, so wird zwischen ihnen eine Wirkung zu beobachten sein und das Moment kann einen Wert haben, der niedriger ist als der statistische Wert. Im Dimethylhydrochinonäther ist der Abstand zwischen zwei Dipolen gleich 6 Ä, also gleich der Länge des Querschnitts eines Benzolringes. Demzufolge wird das Potential als eine kleine Größe nicht merkbar auf die Drehbarkeit einwirken. In einer Carboxylgruppe dagegen haben wir die Nähe der hochpolaren C = 0 - G r u p p e zur beweglichen OH-Gruppe und ein so hohes Potential 10 k T), daß die Drehung bei einer Temperatur von etwa 20000° vollkommen frei werden könnte. Diese Überlegungen können auch für hochpolymere Stoffe entwickelt werden.
Die Form der Ketten hochpolymerer Stoffe
241
Die langen Ketten der hochpolymeren Stoffe bestehen aus einzelnen Gliedern, die eine gewisse Beweglichkeit aufweisen. Die Drehung solcher Glieder in bezug aufeinander, z. B . um die C—C-Bindung, ist im allgemeinen Falle nicht frei und mit einer Änderung der potentiellen Energie verbunden. Bei einer Drehung eines Gliedes der Kohlenwasserstoffkette (Abb. 78) in bezug auf die übrigen Teile und der sich dadurch ergebenden Änderung des Winkels a ändert sich der Abstand zwischen den Atomen C 1; C 2 , C3 nicht, jedoch der Abstand zwischen den Atomen C^ und C 4 , und dieses führt dazu, daß bei verschiedenen Winkeina die Ketten sich energetisch als nicht äquivalent erweisen. Wenn eine lange Kette polare oder stark polarisierende Gruppen sowie Seitengruppen großer Abmessungen aufweist, so ändern sich infolge des Einflusses dieser Gruppen die Bedingungen der Drehung wesentlich. In diesem Falle wird die Kette starrer, da potentielle Barrieren entstehen, die bei der Drehung überwunden werden müssen. Wir wollen einen Fall betrachten, bei dem die potentielle Barriere, die die Drehung begrenzt, gleich E — 7?180o = E(r ist. Die Wärmebewegung führt zu Schwankungen der Kettenglieder im Verhältnis zu einigen Gleichgewichtslagen. Wenn wir bei zwei Temperaturen die Bedingungen E
180°
kT1>
>
kT,>E0 E180°
E,i
haben, wo k die BoLTZMANNsche Konstante ist, so wird bei der Temperatur T 2 die potentielle Barriere in der Kette infolge der Wärmebewegung überwunden werden C/ und die Drehung der .Glieder wird frei. Bei der Tempe78. Drehung eines einratur T1 werden Drehungsschwankungen vorhanden sein Abb. zelnen Gliedes einer Kohlenund der mittleren Energie der Wärmebewegung wird wasserstoffkette in bezug auf die anderen Glieder ein bestimmter Ablenkungswinkel a entsprechen. Wenn die Wärmebewegung fehlen würde, so würde das Makromolekül eine Form mit einer geringsten potentiellen Energie einnehmen und der Winkel In ~ und TAS0 eine negative Bedeutung an; bei großen Werten von i jedoch * p wird RT I n — > — A H und TA S zu einer positiven Größe.Bei Temperaturen, bei denen ein „Schmelzen" der Gallerte beobachtet wird (eine Schwächung der Bindung zwischen den Ketten), wird es meist Fälle geben, wo .„ AtlS AS: T Schm ist, was alles oben Gesagte gut bestätigt 14 . d) Die Rolle der Peptisation bei der Quellung. Eine genauere Untersuchung der Quellungskurven sowie der Viskositätskurven als Funktionen der löslichen Fraktion in der äußeren Flüssigkeit gibt einen Hinweis über die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins eines neuen, zusätzlichen Effekts15, der durch die Peptisation bedingt ist. Das Vorliegen dieses Effekts ist leicht aus der Tatsache der temperaturmäßigen Nichtumkehrbarkeit der Quellung festzustellen. Schon oben wurde erwähnt, daß das Quellen in Abhängigkeit von der Temperatur durch folgende Gleichung ausgedrückt wird: dV< d¥>°'
n
Bei Erhöhung der Temperatur der Gallerte überwinden wir die Kräfte der unpolaren Bindung, wobei die Quellung stark ansteigt. Für Gelatinegallerten vergrößert sich bei Temperaturerhöhung um 10° der Volumeneffekt nach WißDEMAitN um etwa das Doppelte. Es ist offensichtlich, daß, wenn ein System unter Wärmeverbrauch C' von einem kleineren Volumen % auf ein größeres Volumen t)2 übergegangen ist, d. h. + C' ist, wir bei einer Abkühlung des Systems einen reversiblen Prozeß beobachten müßten: v1*-vi
+
C.
Der Versuch bestätigt dieses jedoch nicht; der Prozeß erweist sich als nicht vollkommen reversibel, da nach der Abkühlung der Gallerte ihr Volumen größer ist als ursprünglich. Man kann dieses nur dadurch erklären, daß bei Wärmezufuhr in das System diese für zwei Prozesse verwendet wird: 1. Zur Überwindung der Bindungsenergie der unpolaren Gruppen der Aggregate und 2. zur teilweisen Zerstörung der am schwächsten aufgebauten Aggregate. Dieser letztere Prozeß führt zur Erhöhung der Menge der Desaggregationsprodukte im System, was auch durch unmittelbares Fraktionieren des Systems bestätigt wird. Das Vorhandensein eines Desaggregationsprozesses, der gleichzeitig mit dem Überwinden der Bindungen der unpolaren Gruppen verläuft, führt dazu, daß die sich bildenden Produkte der Desaggregation auf der Oberfläche der Aggregate adsorbiert werden und eine Annäherung derselben bis zum ursprünglichen Zustand infolge Verringerung der Anzahl der freien unpolaren Punkte, die die Bindung der Aggregate miteinander bedingen, verhindern.
261
Das Quellen der Gallerten
Analog den Fraktionen wirken auch Elektrolyte. Besonders anschaulich kann dieses bei Agar-Agar gezeigt werden, das wesentliche Mengen an Elektrolyten enthält. Für Agar-Agar ist eine starke Erniedrigung der Quellung festgestellt worden, z. B . bei der Dialyse. Noch bequemer ist der Einfluß zu untersuchen, den geringe Mengen von Elektrolyten mit Kationen mit verschiedenen Vorzeichen auf die Quellung ausüben, wie es von SCHULMANN 1 8 durchgeführt wurde. Die Versuche dieses Forschers zeigen, daß die Kationen sich hierbei in eine Reihe nach steigender Valenz ordnen: K, Na < Ba, Ca < AI, Cr. Bekannt sind analoge Messungen der Viskosität von Agar-Agar-Solen von K R U Y T (siehe oben). Die Viskosität fällt um so mehr, je höher die Valenz der Kationen ist, was sich vollkommen mit der Theorie von v. SMOLUCHOWSKI deckt: r, = 1 + 2,5/(6) • p i l m entspricht. Außerordentlich interessant ist es, unter diesen Bedingungen den Einfluß der Temperatur auf das Quellen zu untersuchen. Der Versuch zeigt, daß der Sedimentationseffekt sich um so krasser auswirkt, je höher die Temperatur ist. Diese Tatsache stimmt damit überein, was schon weiter oben gesagt worden ist, daß bei Erhöhung der Temperatur eine Desaggregation vor sich geht und ein Ansammeln löslicher Fraktionen nach außen, was die Werte c und p noch mehr erhöht, d. h. es wird folgende Bedingung erfüllt: 2>auß >
Pinn •
Einfacher steht es mit der Abhängigkeit der Quellung vom Flüssigkeitsvolumen. Der Versuch zeigt, daß sich die Quellung mit Erhöhung des Flüssigkeitsvolumens v erhöht. In diesem Falle ändert sich nur die Konzentration der löslichen Fraktion in höherem Maße, was (im Vergleich mit dem vorherigen Fall) der entgegengesetzten Bedingung entspricht: Pauß
—~ werden wir negative Abweichungen haben, und die beiz rechnete Löslichkeit wird größer sein als die ideale. Bei der Löslichkeit von Flüssigkeiten haben wir: ¿In — Po AT
H - H , BT* '
wo pQ die Dampfspannung der reinen Flüssigkeit, H0 deren Verdampfungswärme, p die Dampfspannung dieser Flüssigkeit in Mischung mit einer anderen und H die Verdampfungswärme der Flüssigkeit aus der Mischung bedeuten. Im Falle einer idealen Mischung ist p = p0 N, wo N die Löslichkeit ist. Da die Konzentration der gegebenen Flüssigkeit nicht von der Temperatur abhängig ist, so ist H — H0 und der gesamte Ausdruck gleich Null, d. h. im Unterschied zu festen Körpern wird die Bildung einer idealen Mischung aus Flüssigkeiten nicht von einem Wärmeeffekt begleitet. Wenn die Abweichungen vom RAOULT P
sehen Gesetz positiv sind, so ist — = N, und die Löslichkeit ist geringer als die ideale Löslichkeit. Wenn demzufolge bei einer bestimmten Temperatur, z. B. in der kritischen Lösungszone, die Lösung dem RAOULT sehen Gesetz gehorcht, so geht die Vermischung der flüssigen Komponenten ohne einen Wärmeeffekt vor sich, und bei einer Vermischung eines festen Körpers mit einer Flüssigkeit wird dieser Effekt gleich der Schmelzwärme des festen Körpers sein. Bei Flüssigkeiten werden die positiven Abweichungen vom RAOULT sehen Gesetz gewöhnlich von einer Wärmeaufnahme begleitet (H — H°) > 0; bei festen Körpern ist der Wärmeeffekt (H — H°) > -Hschm > d. h. er ist größer als die Schmelzwärme; bei negativen Abweichungen entsprechend: ( H - H » ) < 0
und
(H — H")
AH sein. Analog verhalten sich Farbstoffe, Seifen, Paraffine, für die dieses zweite Gebiet als ein Gebiet der Bildung von Aggregaten betrachtet wird, da die Löslichkeit anomal hoch ist.
Wenn man den Wärmeeffekt der Lösung hochpolymerer Stoffe in einem breiten Temperaturintervall untersucht, so ergibt sich, daß viele hochpolymere Stoffe einen scharf ausgeprägten Wärmeeffekt der Lösung aufweisen, unabhängig davon, ¡ob sich dieser Stoff von selbst Qcallq auflöst oder ob die vollkommene Lösung nur im kritischen Gebiet auftritt. Unter30 suchungen, die im Laboratorium des Gelatine Verfassers bei der Lösung von Gelatine 20 v in Wasser und Agar-Agar in Wasser, von Nitrocellulose in Methylalkohol ( M E E B S O N ) 10 Nitrocellulose In und Polyvinylchlorid in Nitrobenzol Methylalkohol und Pyridin ( A C H M E D O W ) durchgeführt wurden, zeigen in allen Fällen eine deut0 liche Wärmeaufnahme (Abb. 84), die 10 20 30 0 60 701 °C offensichtlich die Schmelzwärme dieser Po Ichlorid Stoffe charakterisiert. Uns scheint, daß eine große Wärmeaufnahme bei der Löin Nitrobenzol \ \ in Pyridin sung von Nitrocellulose in Methylalkohol -20 \ bei Erhöhung der Temperatur darauf Abb. 84 hinweist, daß der bei Zimmertemperatur . ,
,
.
.
T
..
-
Wärmeeffekt der Lösung hochpolymerer 'Stoffe
von sich aus verlaufende Losungsprozeß nicht echt ist, sondern eine Peptisation darstellt, bei der in der Lösung genügend stabile Aggregate von Nitrocelluloseketten vorhanden sind. Zugunsten dieser Auffassung sprechen auch die hohen Temperaturkoeffizienten der Viskosität und des osmotischen Druckes dieser Lösungen (siehe weiter unten). Die bei der Lösung aufgenommene Wärme charakterisiert zweifellos die Bindungsenergie der einzelnen Ketten miteinander. Diese Bindungen werden sogleich nach Abkühlung der Lösung unter den kritischen Lösungspunkt unter Wärmeabgabe wiederhergestellt. Berechnungen der Bindungsenergie, die von uns für verschiedene hochpolymere Stoffe durchgeführt wurden, ergaben Werte von 104 bis 105 cal/Mol. B B E S S L E B und TALMUD haben theoretische Berechnungen für Globuline durchgeführt, in der Annahme, daß die Bindung zwischen den Ketten nur durch die Kohlenwasserstoffgruppen verwirklicht werden, wobei sie für die Bindungsenergie dieselbe Größe von etwa 500000 cal/Mol erhielten. Man kann diese Größen offensichtlich als den tatsächlichen Werten nahestehend annehmen. K A R G I N dagegen ist der Meinung, daß die Bindungsenergie von Ketten hochpolymerer Stoffe nahe bei Null liegt, was seinen Vorstellungen über diese Stoffe als Flüssigkeiten entspricht. Bewiesen wird dieses dadurch, daß die Verdünnungswärmen nahe Null liegen und die Lösungswärme eines hochpolymeren Stoffes
274
Lösung und Peptisation lyophiler Kolloide
in seiner eigenen hochkonzentrierten Lösung dieselbe ist wie in einer reinen Flüssigkeit. I n diesen Ergebnissen liegt jedoch nichts Unerwartetes. Wir h a b e n schon den Prozeß der Hydratation untersucht. Wir wollen ihn jetzt von einer anderen Seite betrachten. Wenn auf der Abszisse der Wert i und auf der Ordinate die Wärmeeffekte Q aufgetragen werden, so erhalten wir eine Kurve mit einem deutlich ausgeprägten Grenzwert (Abb. 85). Dieses bedeutet, daß das Gel imstande ist, eine genau bestimmte Menge der Flüssigkeit aufzunehmen. Eine weitere Flüssigkeitszugabe gibt d a n n keine Erhöhung des Wärmeeffekts mehr. Nach Abb. 85 k a n n m a n die Konzentration der Gele berechnen, die sich bei der Wasserzugabe einstellt. F ü r Gelatine haben wir ein unge
X
Wenn wir in den hier gewonnenen Ausdruck den Wert a = n1k einsetzen, erhalten wir Aus dieser Gleichung folgt, daß die Neigung der Moleküle zur Bildung von Aggregaten durch den Wert k bestimmt wird, und daß bei großen Werten von k das System aggregiert sein wird, da der Nenner in diesem Falle klein ist. Der Wert k wird seinerseits'durch die Löslichkeit der Moleküle in irgendeiner Flüssigkeit bestimmt oder, genauer, durch die Stufe der Bedeckung von den Molekülen des Lösungsmittels. Wenn das gesamte Molekül des sich lösenden Stoffes durch Moleküle des Lösungsmittels bedeckt ist, wird k sehr klein sein, was auf das Fehlen eines Bildungsprozesses von Aggregaten im System hinweist. Wesentlich einfacher ist H a b t l e y 6 an diese Frage herangetreten. Er betrachtet den Bildungsprozeß von Aggregaten als eine Kondensation von Molekülen unter Bildung eines monodispersen Systems: und dann ist
nxk — n~ x
und
k =
—. nx
Sowohl in diesem als auch in jenem Falle charakterisiert der Wert k die Fähigkeit der echten Systeme zur Aggregatbildung. Solche aggregierten Systeme zeigen klar ausgedrückte positive Abweichungen vom R a o t j l t sehen Gesetz und folgen in erster Näherung der Gleichung Pi
= N. 1
eßM,
wo p1 und pi die partiellen Dampfdrucke der ersten Komponente in Mischung mit der zweiten Komponente bzw. der Dampfdruck der reinen Flüssigkeit, und N2 die molaren Anteile beider Komponenten und ß die Größe der Abweichung von dem Zustand einer idealen Lösung bedeuten. Die Aufteilung eines solchen Systems in zwei Phasen wäre durchaus möglich, wenn im System nicht ein Stabilisator vorhanden wäre, der auf der Oberfläche der Teilchen adsorbiert wird und die weitere Aggregation verhindern würde. Die Rolle eines solchen Stabilisators können sowohl hochdisperse Fraktionen der kolloiden Phase erfüllen als auch andere Stoffe, die aktiv gegenüber der Grenzfläche sind. Deswegen ist die Bildung solcher Lösungen nicht nur durch Kondensation möglich
Bedingungen zur Bildung von Aggregaten und Peptisation lyophiler Kolloide
277
(Lösung oberhalb der kritischen Temperatur und Abkühlung), sondern auch durch Peptisation mit oberflächenaktiven Stoffen. Ein solcher Lösungsprozeß verläuft von selbst. Da die oberflächenaktiven Stoffe die kritische Lösungstemperatur wesentlich senken, kann man in vielen Fällen die auf diesem Wege erhaltenen Lösungen irrtümlich als echte Lösungen ansehen, deren kritische Bildungstemperatur niedriger liegt als die normale (Zimmer-) Temperatur. Typische Beispiele einer solchen Peptisation geben Gelatine, Agar-Agar u. a. Gelatine löst sich nicht von selbst bei Zimmertemperatur. Wenn sie bei 40° gelöst wird, bleibt sie jedoch bei nachfolgender Abkühlung in „überkühltem" Zustand. SHIGATSCH hat gezeigt, daß Alkohole eine stark peptisierende Wirkung auf Gelatine ausüben, wobei Butylalkohol stärker wirkt als Propylbzw. Äthylalkohol. Eine gute Fraktionierung der Gelatine, die Elektrodialyse, das Vorhandensein eines Desolvatisators (z. B. Alkohol), führt zur Gewinnung von Gelatineteilchen, die keinen Stabilisator aufweisen und deshalb bei 40° umkehrbar löslich sind. OSTWALD hat gezeigt, daß eine gute Elektrodialyse sowie die Schaffung isoelektrischer Bedingungen zu einem raschen Verlauf der Synärese der Gelatine führen. KARGIN® stellte fest, daß bei einer längeren Elektrodialyse der Gelatine die löslichen Fraktionen Abb. 8 6 abgeschieden werden. LIPATOW7 hat gezeigt, daß eine, sorgfältige Fraktionierung der Gelatine oder der Zusatz von kleinen Mengen Alkohol, die die Solvatschicht von der Oberfläche entfernen, zur Bildung von Lösungen, die eine schnelle Synärese zeigen, führt. Es genügt jedoch in allen diesen Fällen, einen Stabilisator einzuführen, um den Lösungsprozeß der Gelatine nichtumkehrbar zu gestalten. Im ersten Falle haben wir: Synärese v der Gallerte + v1 HaO
7
"
Gequollene Gallerte v der Gallerte + vl H 2 0
?
Gallerte (4)
Sol (2)
f\
^
Im zweiten Falle:
/ Strukturiertes Sol (3)
^
Quellung -*• Sol -»• strukturiertes Sol
Dieses sind Systeme, bei denen die positiven Abweichungen vom RAOTXLT sehen Gesetz sehr groß sind, so daß sich zwei „Flüssigkeiten" oft bei gewöhnlicher Temperatur teilweise mischen und zwei Schichten bilden. Der Einfluß der Temperatur ist in solchen Systemen sehr groß und deutlich hervortretend (Abb. 86). Wen» die Temperatur gesenkt wird, so vermindert sich
278
Lösung und Peptisation lyophiler Kolloide
die gegenseitige Löslichkeit, und es ergeben sich Kurven, die den Kurven van DEB Waals' ähnlich sind. Im Falle einer Temperaturerniedrigung wird sich der Abstand zwischen A und G vergrößern; bei einer Temperaturerhöhung jedoch wird das System zu einem idealen Zustand streben, der Abstand zwischen A und G wird sich verringern, und zuletzt, bei einer bestimmten sogenannten kritischen Temperatur, werden die Punkte A und G zusammenfallen und hierdurch eine vollständige Mischbarkeit beider Flüssigkeiten charakterisieren. Die kritische Temperatur ist demzufolge ein sehr guter Indikator der „Affinität" von sehr wenig miteinander reagierenden Flüssigkeiten. Es ist tatsächlich so: Je höher die kritische Lösungstemperatur ist, eine um so geringere Aktivität zeigen die Komponenten der Lösung zueinander, und um so mehr muß unter bestimmten Bedingungen die Tendenz zur Assoziation und Aggregation, zur Aufteilung eines Systems in zwei Phasen ausgeprägt sein. Außerdem kann man sagen, daß wir oberhalb des kritischen Punktes ein Einphasensystem haben, das um so näher einer idealen Lösung steht, je höher die Temperatur ist. Unterhalb des kritischen Punktes haben wir ein Zweiphasensystem, sogar dann, wenn aus irgendwelchen Gründen eine Aufteilung des Systems nicht erfolgt ist. Solcher Fälle gibt es bei hochmolekularen Verbindungen sehr viele, z. B.: in den Systemen Agar-Agar—Wasser, Gelatine—Wasser, Nitrocellulose—Benzylalkohol usw. Wie K o n o w a l o w gezeigt hat, bilden sich in analogen Fällen unterhalb des kritischen Punktes zweiphasige „Lösungen", die thermodynamisch instabil sind und sich zeitlich von selbst ändern. Man kann viele Beispiele einer Bildung thermodynamisch instabiler Systeme anführen, die nicht nur ein wissenschaftliches, sondern auch ein praktisches Interesse besitzen. Nitrocellulose z. B. löst sich nicht von selbst in einer Mischung von Aceton und Toluol. Wenn man jedoch eine Lösung von Nitrocellulose in Aceton nimmt und dazu Toluol hinzumischt, so erfolgt kein Ausfallen eines Niederschlages. Ein solches System kann zeitlich von selbst eintretende Änderungen erleiden; wenn es jedoch stabilisiert ist, bleibt es lange Zeit stabil. Offensichtlich ist es zweckmäßig, ein solches System als thermodynamisch stabil zu bezeichnen, dessen Bildung mit einer Verringerung der freien Energie vor sich geht. Wenn in der Gleichung — AF =
RTlnK
der Wert K —• die Gleichgewichtskonstante — einen großen Wert hat, so hat AF ein negatives Vorzeichen, und das System wird thermodynamisch stabil sein. Langmutr 11 nimmt an, daß ein System, unabhängig von seiner Herstellungsmethode, thermodynamisch stabil sein kann. Indem er auf Grund seines Unabhängigkeitsprinzips der Oberflächenwirkung die Orientierung der Moleküle auf den Grenzflächen zweier Phasen untersucht, kommt L a n g m u i k zu der Ansicht, daß solche Moleküle sich tatsächlich auf der Grenzfläche in einem solchen Überschuß ansammeln können, daß die Interphasen-Oberflächenanziehung bis auf Null sinkt, wobei sich ein thermodynamisch stabiles System bildet, in dem die Tropfen keine Neigung zum Koaleszieren zeigen.
Bedingungen zur Bildung von Aggregaten und Peptisation lyophiler Kolloide
279
Die Frage darüber, ob hochpolymere Verbindungen echte oder kolloide Lösungen bilden, wurde mehrfach in der Literatur 7 behandelt, jedoch ist keine endgültige Lösung gegeben worden, da wir es mit Systemen zu tun haben, die außerordentlich empfindlich gegen Einflüsse verschiedener Art sind: Druck, Temperatur, Änderung der Natur des Lösungsmittels, Gegenwart fremder Stoffe. Seife bildet in Wasser z. B. eine kolloide Lösung und in Alkohol eine echte Lösung; Gelatine bildet in Wasser eine kolloide Lösung und in HCl eine echte Lösung usw. Es scheint, daß man zu der besten Lösung dieser Frage durch Klärung der Anwendbarkeit der Phasenregel bei solchen Systemen kommt: F == C + 2 - P , wo F die Anzahl der Freiheitsgrade, C die Anzahl der Komponenten und P die Anzahl der Phasen bedeuten. Versuche zur Anwendung der Phasenregel bei lyophilen Systemen sind von einer Reihe von Forschern — S Ö E E N S E N 8 , M C B A I N 9 , 10 BRÖNSTEDT3, KABGIN u. a. m. — unternommen worden, die sieh mit der Untersuchung der Schichtenbildung bei lyophilen Systemen unter dem Einfluß von Elektrolyten oder einfach als Resultat einer Abkühlung eines Systems befaßt haben, das über den kritischen Punkt hinaus erwärmt wurde, bei der eine vollkommene Mischung vor sich ging. Wir wollen einige Beispiele betrachten. Albumin kann aus einer Lösung durch (NH 4 ) 2 S0 4 ausgefällt werden. Offensichtlich müssen wir als Resultat der Ausfällung ein Gleichgewicht zwischen dem Niederschlag und dem in der Lösung verbliebenen Albumin annehmen. In unserem Falle ist P — 2, C = 3 [Albumin, Wasser und (NH 4 ) 2 S0 4 ], folglich ist die Anzahl der Freiheitsgrade gleich 3. Wenn man drei Veränderliche konstant hält: Druck, Temperatur und (NH 4 ) 2 S0 4 Konzentration, so wird der Zustand des Systems vollkommen eindeutig bestimmt sein, und die Konzentration des Albumins in der Lösung findet man eindeutig und unabhängig von der Ausgangskonzentration. Tatsächlich jedoch bildet sich beim Ausfällen des Albumins aus einer 2 % igen Lösung über dem Niederschlag eine Lösung einer Konzentration von 0,76%, und beim Ausfällen aus einer 8,4% igen Lösung findet man eine Konzentration von 1%. Ein anderes Beispiel: Es ist bekannt, daß die Gelatine sich in Wasser bei einer Temperatur über 40° vollkommen auflöst. Wenn man eine solche Lösung bis auf 20° abkühlt, so wird unter bestimmten Bedingungen (isoelektrischer Zustand, Fehlen von Peptisatoren) eine Aufteilung der Lösung in zwei Phasen stattfinden. Hier haben wir P = 2, C = 2 und demzufolge F = 2, d. h. die Gelatinelösung über dem Niederschlag muß eine konstante Konzentration aufweisen, wenn der Druck und die Temperatur konstant sind. In Wirklichkeit ist es jedoch nicht so. Erklärt wird dieses dadurch, daß das Albumin, die Gelatine und viele andere Stoffe kolloide Lösungen bilden, in denen die Oberflächenenergie eine sehr wichtige Rolle spielt, während von der Phasenregel diese Energie nicht berücksichtigt wird. Das Vorliegen einer geringen Menge eines oberflächenaktiven Stoffes (der sich im Resultat einer Thermolyse, z. B. der Gelatine, beim Erwärmen bilden kann) im System ruft eine Adsorption hervor, und das Gleichgewicht im System 19
Lipatow, Physikalische Chemie
280
Lösung und Peptisation lyophiler Kolloide
ist gestört. In diesem Falle bewahrheitet sich, wie wir schon gesehen haben, die Bodenkörperregel. Somit ist die Frage darüber, ob hochpolymere Stoffe nur kolloide oder nur echte Lösungen bilden, nicht richtig gestellt. In Abhängigkeit von den Bedingungen können sie sowohl kolloide als auch echte Lösungen geben. Die Untersuchung der individuellen Besonderheiten dieser Lösungen ist eine Aufgabe, die gleich wichtig sowohl für die Wissenschaft als auch für die Industrie ist.
4. Thermodynamische Eigenschaften der Lösungen von Polymeren7 Die Verringerung der freien Energie im osmotischen Prozeß, als eines isothermen und umkehrbaren Prozesses, wird durch die allgemeine Gleichung: F
= Q+Ti§-
d)
ausgedrückt, wo Q die Verringerung der allgemeinen Energie bei der Temperatur T bedeutet. Andererseits jedoch ist — F = pAv , wo p der osmotische Druck und Av die durch den osmotischen Prozeß hervorgerufene Vergrößerung des Volumens (wenn man zur Lösung 1 Mol des Lösungsmittels zusetzt) sind. Der Wert Q kann als die Verdünnungswärme angesehen werden. Dann ist =
(2)
Wenn jedoch Q gleich Null ist, so ist P
A v = T ^ P - ,
(3)
Als Resultat der Integration der Gleichung (3) erhalten wir ViÄVi _ Tx ~
PjAv2 T2 '
Wenn Q nicht gleich Null ist, jedoch von der Temperatur nicht abhängt, erhalten wir nach der Integration der Gleichung (2) Pi A v1 - Q __ Vi A "2 - Q Tx Tt ' Wenn folglich die Verdünnungswärme eine wesentliche Größe darstellt, die sich nicht vernachlässigen läßt, kann der osmotische Druck nicht nach der Gleichung von Clapeykon berechnet werden. Wenn die Verdünnungswärme negativ ist (was beim Zerfall der Aggregate der Fall ist), so ist der beobachtete osmotische Druck geringer als der ideale und das berechnete Molekulargewicht größer als das wirkliche. Da Q meist eine verschwindend kleine Größe darstellt und von der Temperatur abhängig ist, muß man den Temperaturkoeffizienten für Q kennen. Für echte Lösungen hat E v a n folgende Gleichung vorgeschlagen: =
(C0 -
-
(1
+
Thermodynamische Eigenschaften der Lösungen von Polymeren
281
wo m die Menge des Stoffes und C0 und Cl die spezifischen Wärmekapazitäten des Lösungsmittels bzw. der Lösung sind. Aus dem Gesagten ist ersichtlich, wie wichtig die Untersuchungen über den Temperaturkoeffizienten des osmotischen Druckes sind, und es ist verständlich, daß wir bei Temperaturen über der kritischen Lösungstemperatur eine ideale Lösung haben, da unter diesen Bedingungen Q gleich Null ist. In Berücksichtigung dessen, daß
ist, können wir die Gleichung (1) umschreiben: AFl = AEX - TASl.
(5)
Demzufolge kann man aus den osmotischen Werten alle thermodynamischen Größen berechnen. Da — AFl = p V = RT ln(l -
Nt)
ist, wo V das Molekularvolumen des Lösungsmittels bezeichnet, kann man aus der Gleichung (4) die Änderung der Entropie AS l berechnen und aus der Gleichung (5) die Größe AH 1 , den Wärmeinhalt. Die thermodynamischen Eigenschaften der Lösungen von Polymeren sind zuerst von Schulz 12 untersucht worden und besonders genau von K. H. Meyeb 13 . Dieser hat auf Grund des korrigierten Molekulargewichtes für eine große Anzahl von Systemen aus der Gleichung ASid = - Ä l n ( l - ¿V2) die Verdünnungsentropie berechnet. Aus der Gleichung (4) hat Meyeb den Versuchswert der Verdünnungsentropie A ¿Vers berechnet und gezeigt, daß A $vers ^ d. h. die Zusammensetzung der Phasen ist unsymmetrisch, und wenn das Lösungsmittel im hochpolymeren Stoff gut löslich ist, auch bei großen Werten von k, so löst sich der hochpolymere Stoff in der Flüssigkeit nur in der Nähe des kritischen Punktes. Dieses zeigt erneut, daß unterhalb des kritischen Punktes die Lösung zweiphasig, demzufolge thermodynamisch instabil sein kann, und von sich selbst aus zu zeitlichen Veränderungen fähig ist — zur Gallertisierung und zur Synärese.
308
Bildung und Eigenschaften von Gallerten
Wir wollen jetzt die wichtigsten Faktoren untersuchen, die auf die Gallertisierung von Einfluß sind, und betrachten hierzu einen einfachen, sozusagen einen idealen Fall, wo der Gallertisierungsprozeß im Endergebnis nur durch die Einwirkung von Attraktionskräften zwischen den Teilchen bedingt wird, die chemisch keinen zeitlichen Änderungen unterworfen sind. Gallertisierung und Konzentration. Wenn man, wie wir es weiter oben getan haben, die Gallertisierung als einen Attraktionsprozeß betrachtet, so ist es offensichtlich, daß die Abstände zwischen den einzelnen Teilchen eine dominierende Rolle spielen müssen. Da jedoch der Tabelle 120. A b h ä n g i g k e i t der GallerAbstand l zwischen den Teilchen von t i s i e r u n g s g e s c h w i n d i g k e i t des Gerader Konzentration abhängt, so ist es nins v o n der K o n z e n t r a t i o n klar, daß die Gallertisierung eines herKonzentration des gestellten Sols um so schneller verRelative GallertisieGeranins rungsgeschwindigkeit laufen wird, je höher die Konzentration % des Sols ist. Diese Schlußfolgerung 0,25 19 steht in voller Übereinstimmung mit 0,50 7 den Versuchsergebnissen, die für ganz 1 1,00 2,00 verschiedene Objekte erhalten wurden. — Tabelle 120 gibt Werte der Abhängigkeit der Gallertisierungsgeschwindigkeit des Geranins von seiner Konzentration. Die Gallertisierungsgeschwindigkeit kann demzufolge durch eine einfache kinetische Gleichung ausgedrückt werden: dl_
«Gali = dt
wo l der Abstand zwischen den Teilchen ist. Gallertisierung und Temperatur. Bei Betrachtung des Gesetzes von PoiSETJILLE ist festgestellt worden, daß die lyophilen Kolloide bei Temperaturerhöhung diesem Gesetz folTabelle 121. Gallertisierungs- lind Schmelzgen, da infolge der Wärmebet e m p e r a t u r e n für G e l a t i n e wegung der Moleküle oder der Teilchen diese die Verbindung Konzentration der GallertisierungsSchmelztemperatur temperatur Gelatine miteinander verlieren. Dieses •c •c g/1 bezieht sich auch auf die Gal50 17,8 26,1 lertisierung : Mit Erhöhung der 100 21,0 29,6 Temperatur wird die Ge150 23,5 29,4 schwindigkeit derselben stark gesenkt, und umgekehrt, bei Senkung der Temperatur erhöht sich die Gallertisierungsgeschwindigkeit. Der Einfluß der Temperatur ist auch in einer anderen Beziehung interessant. Es ist bekannt, daß für ein bestimmtes Sol und für eine bestimmte Konzentration eine genau bestimmte Temperatur existiert, bei der das Sol in eine Gallerte übergeht, und daß weiterhin eine bestimmte Temperatur existiert, bei der das Schmelzen der Gallerte und der Übergang in ein Sol beobachtet wird. Solche Werte für Gelatine bringt Tabelle 121.
Gallertisierung von Solen
309
Wie aus Tabelle 121 ersichtlich, stimmen die Gallertisierungs- und die Schmelztemperaturen nicht überein. Dieses ist dadurch zu erklären, daß sich bei Temperaturerhöhung niedrigmolekulare Fraktionen bilden, die die Teilchen stabilisieren und deren Reaktion miteinander schwächen. Gallertisierung und elektrische Ladung der Teilchen. Die zwischen den Teilchen wirksamen Attraktionskräfte können nur dann vollkommen in Erscheinung treten, wenn die Teilchen durch nichts an einer Verbindung miteinander gestört Tabelle 122. E i n f l u ß v o n Z u s ä t z e n auf die G a l l e r t i s i e r u n g von G l u t i n werden. Das Vorliegen einer elektrischen (5 g Glutin + 10 g Zusätze in 10 cm 3 ) diffusen Doppelschicht verhindert oft die Verbindung der Teilchen. Wenn die TeilGallertisierungsAnion geschwindigkeit chen stark geladen sind, ist die Intensität Min. der Attraktionskräfte geschwächt und eine Sulfat 30 Gallertisierung wird überhaupt nicht zuCitrat 32 stande kommen. Wenn die Teilchen jedoch Tartrat 35 keine Ladung aufweisen, treten die Attrak- Acetat 40 tionskräfte voll in Erscheinung, und die GallertisierungsgesChwindigkeit erhöht sich. In dazwischen gelagerten Fällen ist diese Geschwindigkeit das Resultat des Verhältnisses (des Gleichgewichts) zwischen diesen zwei erwähnten Kräften. Gallertisierung und fremde Elektrolyte. Der Einfluß von Elektrolyten ist so kompliziert und so spezifisch, daß eine Analyse dieser Erscheinung und die Aufstellung von Gesetzmäßigkeiten allgemeinen Charakters stark erschwert ist. Man kann mit Sicherheit nur eines sagen: Wenn der in das System eingeführte Elektrolyt mit den kolloiden Teilchen nicht chemisch reagiert, werden sich die letzteren infolge einer Änderung der Größe der diffusen elektrischen Schicht und ihrer elastischen Eigenschaften schneller verbinden, als wenn der Elektrolyt fehlt. Dieses bezieht sich auf solche Konzentrationen von Elektrolyten, deren Wirkung sich auf die ionogene Hülle des Teilchens beschränkt. Eine weitere Erhöhung der Salzmenge kann zu einer Aussalzung führen, wenn die Verbindung zwischen den Teilchen und dem Dispersionsmedium infolge Änderung der Zusammensetzung und der Eigenschaften des letzteren gestört wird und die Teilchen diese Bindung verlieren, aggregieren und in Form von gelatineähnlichen durchsichtigen Flocken ausfallen. Tabelle 122 bringt Werte für die Gelatinierungsgeschwindigkeit von Glutin bei Gegenwart verschiedener Anionen. LEWITES15 erklärt die Wirkung der Salze folgendermaßen. E r betrachtet die Gallertisierung als einen Prozeß, der der Kristallisation analog ist. Deswegen werden die Faktoren, die die Kristallisation beschleunigen oder verlangsamen, auch auf die Gallertisierung analog einwirken. Kolloide Lösungen gallertisieren z. B. um so langsamer, je leichter sich das Kolloid im betreffenden Lösungsmittel auflöst, und umgekehrt. Was die Wirkung der Salze betrifft, so wirken Kristalloide, die die Löslichkeit des betreffenden Kolloids erhöhen, verlangsamend auf die Gallertisierung. Ebenso wird der Einfluß der Temperatur erklärt, die nicht nur die gegenseitige Verbindung zwischen
310
Bildung und Eigenschaften von Gallerten
den Teilchen zu stören vermag, wie es weiter oben gezeigt wurde, sondern auch die echte Löslichkeit des kolloiden Stoffes stark ändern kann. b) Die Gallertisierungstheorie. Nachdem wir uns kurz mit den verschiedenen zeitlichen Änderungen der lyophilen Kolloide bekannt gemacht haben, wollen wir jetzt die Gallertisierungstheorien betrachten. Zu erwähnen ist die Theorie von DE JONG16. Bei der theoretischen Interpretation der Resultate der experimentellen Untersuchungen bei Viskosesolen, die zeitlich unter Abspaltung von hydrophilen Gruppen zerfallen, hat DE JONG die Annahme gemacht, daß eine Gallertisierung dann beobachtet wird, wenn in der Oberfläche der die Teilchen umgebenden Solvathülle zeitweilige Verschiebungen eintreten, die die Oberfläche der Teilchen freigeben und die es deshalb möglich machen, daß diese an den von den Solvathüllen nicht geschützten Stellen zusammenhaften. Die Teilchen verfließen miteinander, ihre Solvathülle fließt zu einer gemeinsamen Hülle zusammen und die Gesamtsolvatation kann der früheren entsprechen (Abb. 96). Man kann sich mit dieser Theorie kaum einverstanden erklären, schon deshalb nicht, weil erstens als Grundlage Untersuchungen an Objekten dienten, die sich zeitlich nicht umkehrbar ändern, und zweitens keine NotwenAbb. 96. Das Zusammenfließen digkeit besteht, das Vorliegen zeitweiliger Verschiebunder Solvathüllen der Teilchen , ri i . i • -i , i rn -i i i i beim Zusammenhalten gen m der Solvatschicht des Teilchens anzunehmen, da das Lösungsmittel, wie schon oben gesagt wurde, sich nur auf bestimmten Bezirken des Teilchens befindet. Dieses ist offensichtlich von KRTJYT17 angenommen worden, der in seinem Buch eine geänderte Theorie von DE JONG bringt. Jedoch auch seine Interpretation ist nicht frei von Widersprüchen. K R U Y T hat Schwierigkeiten bei der Erklärung des Temperatureinflusses auf die Gallertisierung und nimmt deswegen an, daß eine Temperaturänderung eine entsprechende Änderung in der Anzahl der hydrophilen Bezirke hervorruft, ohne auf die Hydratation im allgemeinen einzuwirken. Es ist möglich, daß in den Molekülen des Teilchens eine reversible Reaktion vor sich geht I
I
—C—OH —G\ |
| > 0 +
—c—OH
I
«
—er
H20,
I
ß
wobei die Alkoholgruppen der a-Modifikation hydrophiler sind als die Äthergruppen der /S-Modifikation. Abgesehen davon, daß eine Hydrophobisierung der Teilchen eine Dehydratation zur Folge haben muß, ist die Annahme von K B U Y T deshalb überflüssig, weil die Erhöhung der Gallertisierungsgeschwindigkeit bei einer Temperatursenkung vollständig durch eine Verminderung der Beweglichkeit der Teilchen erklärt wird, wodurch eine Erhöhung des Kraftfeldes der Attraktionskräfte, oder was dasselbe ist, eine Festigung der inneren Struktur eintritt.
Gallertisierung von Solen
•Sil
Anders gehen KUHN18; PESSKOW19 U. a. an die Gallertisierungsfrage heran, die den Prozeß der Gallertisierung als eine Strukturänderung und eine Desolvatation der Teilchen betrachten. Sie gingen von der Annahme einer sphärischen Form der Teilchen und dem Vorliegen einer gleichmäßigen Solvathülle um jedes Teilchen aus. Von diesem Standpunkt aus muß man annehmen, daß der Grund für die Gallertisierung der Sole eine Desolvatation der Teilchen ist. Anders ist eine Gallertisierung nicht vorstellbar. Als erstes wollen wir bemerken, daß es nicht richtig ist, die Teilchen hochpolymerer Verbindungen als kugelförmig anzusehen, da dieses nicht nur den neuesten Vorstellungen auf diesem Gebiet widerspricht, sondern auch den allgemein bekannten Vorstellungen über den Aufbau organischer Moleküle, von denen LAITOMUIR, HARKINS U. a. ausgingen.
Weiter wollen wir klären, inwiefern die Annahme von der zeitlichen Desolvatation der Teilchen richtig ist. Wir wollen von der Vorstellung über die Analogie zwischen der Gallertisierung und der Kristallisation ausgehen. Die Richtigkeit dieser Annahme ist durch die ultramikroskopischen Untersuchungen von FISCHER und die röntgenographischen Untersuchungen von HARMADARJAN und
MARKOW bewiesen worden. Wir haben wiederholt unterstrichen, daß die Gallertisierung keine Desolvatation darstellt und daß kein Grund zu dieser Annahme vorliegt. Experimentell ist dieses von uns an einem künstlichen System, an Geranin-Solen, bestätigt worden. Um die Schlußfolgerungen aus dieser Arbeit auch auf Sole hochpolymerer Verbindungen auszudehnen, wollen wir uns den Untersuchungen anderer Verfasser zuwenden. THE SVEDBERG20 hat den Übergang eines Sols in eine Gallerte kontraktometrisch untersucht und hierbei keine Änderungen im Verhalten dieser Systeme festgestellt. Hieraus hat er den Schluß über die Beständigkeit des Hydratationsgrades der Teilchen gezogen. Die Untersuchungen von FREUNDLICH13 über die Thixotropie der Gelatine zeigen, daß ein Sol, das sich bis zur Gallertisierung geändert hat, durch mechanische Einwirkung seine Ausgangseigenschaften wieder erhalten kann. Es ist überflüssig, die Unwahrscheinlichkeit der Erneuerung der Hydratation der Gallerte unter dem Einfluß einer Durchmischung oder Schütteins zu unterstreichen, was wir annehmen müßten, wenn wir die erläuterten Standpunkte akzeptieren sollten. Einfache theoretische Überlegungen zeigen gleichfalls die Unhaltbarkeit der Ansichten von KUHN und PESSKOW. In der Tat bedeutet der zeitliche Verlauf des Desolvatationsprozesses nichts anderes als eine Änderung der chemischen Natur der Teilchen selbst, die die Gallerte bilden (dieses geht auch aus der oben angeführten Annahme von RRUYT hervor). Wir müßten voraussetzen, daß zeitlich ein chemischer Prozeß abläuft, der zum Verschwinden der lyophilen Gruppen der Moleküle führt, aus denen die Teilchen aufgebaut sind. Diese Annahme ist jedoch, wie wir gesehen haben, nur für solche Systeme richtig, wie. Stärke, Viskose und andere, d. h. sie kann an einer begrenzten Anzahl von Objekten bestätigt werden und ist nicht allgemein gültig. Wenn man jedoch annimmt, daß im Gallertisierungsprozeß des Sols eine Änderung der „allgemeinen Solvatation" vor sich geht, so entstehen noch größere Schwierigkeiten: Die 21
Lipatow, Physikalische Chemie
312
Bildung und Eigenschaften von Gallerten
Micellen zerfallen nicht im Prozeß der Alterung, sondern sie verbinden sich miteinander, so daß sich die „allgemeine Solvatation" nur vergrößern kann, weil ein kompliziertes Teilchen eine größere Menge des Lösungsmittels bindet. Demzufolge ist die Gallertisierung ein molekularer Prozeß der Annäherung und der Verbindung von solvatisierten Teilchen. Eine Desolvatation kann diese Erscheinung im Sinne eines sekundären Prozesses begleiten, wenn irreversible Änderungen des Systems beobachtet werden 21 . Wir wollen jetzt zur Klärung der Bedingungen übergehen, bei denen eine Alterung der Sole hochpolymerer Verbindungen möglich ist. Vor allem wollen wir erwähnen, daß der Übergang vom Sol zur Gallerte einen Prozeß darstellt, der auf den Verlust der aggregativen Stabilität des Systems hinweist. Die Alterung ist jedoch nicht unbedingt eine Aggregation mit Vergrößerung der Teilchen. Diese Aggregation kann das System als Ganzes berühren. Nicht immer kann der Übergang eines Sols in eine Gallerte mit dem Koagulationsprozeß bei den lyophoben Kolloiden gleichgesetzt werden. Wenn bei dieser Gruppe von Stoffen die Koagulation unbedingt mit einer Senkung des Dispersionsgrades verbunden ist, so kann in dem von uns untersuchten Fall der Dispersionsgrad unverändert bleiben. Dieses kann man folgendermaßen formulieren: Bei verdünnten Solen ist der Alterungsprozeß mit einer Senkung des Dispersionsgrades verbunden, bei konzentrierten Solen bleibt die Teilchengröße unverändert. Dieses ist durch die Untersuchungen von Zsigmondy und, wie wir gesehen haben, auch durch die Untersuchungen von Krischnamttrty bestätigt worden. Wenn die Gallertisierung trotzdem mit einer Störung der Stabilität des Systems verbunden ist, so muß man die Bedingungen der Stabilisierung bzw. Astabilisierung solcher Systeme untersuchen. Es muß noch auf eine Seite des Gallertisierungsprozesses hingewiesen werden, die bisher nicht beachtet worden ist. Wir haben schon unterstrichen, daß hochpolymere Verbindungen aus einer Mischung verschiedener Fraktionen bestehen. In dieser Mischung gibt es Fraktionen, die keine Löslichkeit aufweisen, und Fraktionen, die gut löslich sind, wobei diese letzteren in ihren chemischen Eigenschaften Fraktionen gleichen, die sich unter gewöhnlichen Bedingungen nicht auflösen. Anders ausgedrückt, ist die lösliche Fraktion aus Molekülen und die nicht lösliche aus Aggregaten aufgebaut; beide Fraktionen können miteinander reagieren (adsorptionsmäßig). Dieses führt jedoch dazu, Abb 97 daß die leicht lösliche Fraktion, nach Adsorption auf der Oberfläche der Micellen, deren Oberfläche lyophilisiert und ihr eine größere Stabilität verleiht. Die Gallertisierung eines konzentrierten Acetylcellulosesols z. B. geht in 24 Stunden vor sich, während die von löslichen Fraktionen befreite Acetylcellulose unter denselben Bedingungen sofort gallertisiert. Dasselbe wird auch bei Gelatine beobachtet. Offensichtlich wird die lösliche Fraktion von der Oberfläche der Aggregate adsorbiert und orientiert sich mit ihren lyophilen Gruppen zu den lyophilen Gruppen der Moleküle der Oberflächenschicht des Aggregats, die lyophilen Gruppen der löslichen Fraktion sind also zum Lösungsmittel gerichtet. Das Vorliegen lyophiler Gruppen, sowohl solcher, die zum Aggregat selbst gehören, als auch solcher, die von der adsorbierten Fraktion kommen, führen dazu, daß die Anziehung
Gallertisierung von Solen
313
der Kerne der Teilchen, wenn nicht vollkommen, dann doch teilweise geschwächt wird. Wenn man berücksichtigt, daß diese lyophilen Gruppen (in der Abb. 97 sind sie mit a bezeichnet) solvatisiert und dynamisch mit dem Lösungsmittel verbunden sind, so können wir sagen, daß ein solches Teilchen keine oder nur sehr schwache Tendenz zur Alterung und zur Gallertisierung haben wird, da ein Teil der Kohlenwasserstoffkette immer noch frei bleibt (in der Abb. 97 ist er mit b bezeichnet). Ein Zusammenstoßen zweier Aggregate mit solchen Teilchen Tabelle 123. Der E i n f l u ß der löslichen F r a k t i o n auf die G a l l e r t i s i e r u n g s g e s c h w i n d i g k e i t eines 2 % i g e n G e l a t i n e s o l s Menge der zugesetzten l % i g e n Lösung der Fraktion mit niedrigem Micellargewicht cm3
Menge des zugesetzten ItjO
Gallertisierungsdauer
cm 3
Min.
4
16,0
101
2
18,0
87
1
19,0
79
0,5
19,5
75
0,0
20,0
70
wird eine Aggregation herbeiführen können. Nicht geschützte Teilchen werden sich leicht verbinden und eine Gallertisierung hervorrufen. Daher ist es klar, daß der Sättigungsgrad der Oberfläche eines Aggregats durch die lösliche Fraktion 22 als Stabilitätsmaßstab anzunehmen ist. Wenn die Ketten löslicher Fraktionen oder anderer Stoffe, die durch diese Ketten adsorbiert werden können, frei sind, wird ein Gallertisierungsprozeß bis zur Aufteilung des Systems in zwei Phasen vor sich gehen. In letzter Zeit hat KaHgin 23 gezeigt, daß eine sorgfältige Säuberung der Gelatine von Beimischungen ihre reversible Abtrennung Tabelle 124. Der E i n f l u ß der löslichen F r a k t i o n e n auf die K o a g u l a t i o n von G e l a t i n e s o l e n Lfd. Nr. der Versuche
1 2 3 4 5
6
Menge der Fraktion mit niedrigem Micellargewicht in Zeitpunkt der Erscheinung einer Trübung 20 cm" einer 2 % igen Lösung g
0,040 0,030 0,020 0,010 0,005 0,000
nicht eingetreten nach 58 Stunden 14 Stunden 5 Stunden 2 Stunden sofort eingetreten
Gewicht des Niederschlages g
0,1072 0,1650 0,1816 0,1882 0,2280 0,2660
aus einer Lösung, die sie bei erhöhter Temperatur bildet, bewirkt. Wenn man in die Lösung einer solchen Gelatine oberflächenaktive Stoffe einbringt, so wird, wie P u t j i l o w a 2 4 gezeigt hat, eine Adsorption, die das Kraftfeld der Teilchen verringert, stattfinden, und die Gallertisierungsgeschwindigkeit wird sinken (Tabelle 123). Besonders klar erscheint dieser Einfluß bei der Untersuchung der Koagulation von Gelatine mit Alkohol (Tabelle 124). Aus den angeführten Tabellen ist ersichtlich, daß die Gallertisierung und die Koagulierung von Gelatinesolen vom Gehalt an Fraktionen mit niedrigem Micellargewicht im System abhängig sind. Wenn eine gut lösliche Fraktion auf der Oberfläche der Aggregate adsorbiert ist, so wird sie sich offensichtlich auf den lyophile^ Gruppen mit ihren eigenen lyophilen Gruppen orientieren. Dieses wird dazu führen, daß 1. die Anzahl der lyophilen Gruppen auf der Oberfläche wachsen und sich die dynamische Bindung mit dem Lösungsmittel vergrößern wird, 2. die C—C-Ketten ersetzt werden durch Moleküle der Fraktion mit niedrigem Micellargewicht und demzufolge sich das Attraktionsfeld verringern wird. 21*
Bildung und Eigenschaften von Gallerten
314
Der A d s o r p t i o n s t y p der Bindung der Moleküle der löslichen Fraktion führt dazu, daß bei Verringerung ihrer Konzentration in der Lösung die Anzahl der durch das Aggregat adsorbierten Moleküle gleichfalls verringert wird und bei einem bestimmten Gehalt derselben auf der Oberfläche die stabilisierende Wirkung solcher Moleküle vollkommen vernichtet werden kann. Besonders gut kann man den Einfluß des Gehalts verschiedener Fraktionen im Sol beim Gallertisieren beobachten, wenn man die Gallertisierungswärme der Gelatine in reinem Wasser und in Gegenwart löslicher Fraktionen untersucht, deren stabilisierender Einfluß weiter oben aufgezeigt wurde. Zur Untersuchung dieser Frage hat sich der Verfasser einer thermoelektrischen Methode bedient. Das Schema einer Anordnung zur Untersuchung der Gallertisierungswärme mit der thermoelektrischen Methode bringt Abb. 98, wo 1 ein Kolben mit Wasser, 2 ein Kolben mit dem Sol ist. In beide Kolben, die sich in einem Thermostaten befinden, werden die Abb. 98. Schema einer Anordnung zur Enden eines Kupfer-Konstantan-Thermoelements einUntersuchung der Gallertisierung mit Hilfe einer thermoelektrischen Methode geführt. Da das eine Ende des Thermoelements sich im Kolben mit dem reinen Lösungsmittel befindet und das andere Ende im Kolben mit dem gallertisierenden Sol, entsteht eine elektrische Kraft, die mit Hilfe eines empfindlichen Galvanometers 3 registriert wird. Ohne viel Zahlenmaterial anzuführen, begnügen wir uns mit der graphischen Darstellung, die Abb. 99 bringt, wo 1 die Kurve der Temperaturerhöhung (A T) in der Zeit (t) der Gallertisierung der nichtlöslichen Fraktion und 2 die gleiche Kurve für die nichtlöslichen im Beisein der löslichen Fraktion bedeuten. Wenn wir die Kurven 1 und 2 vergleichen, sehen wir, daß die Gallertisierungswärme der nichtlöslichen Fraktion der Gelatine sieh bei Gegenwart der löslichen Fraktion merklich senkt. Dieses ist durch die stabilisierende Wirkung der löslichen Fraktionen zu erklären, die durch die Oberfläche der Aggregate adsorbiert werden. Sehr interessante Untersuchungen sind von Leipunkskij 2 6 durchgeführt worden, der den Einfluß des Druckes auf die Gallertisierung von Gelatinesolen untersuöht hat. Die Resultate seiner Messungen für ein 1 % iges Gelatinesol bei 12° bringt die Tabelle 125. Der Einfluß des Druckes auf die Gallertisierung kann dadurch erklärt werden, daß die Stabilität kolloider Abb. 99. Kurven der Gallertisierungswärme. 1 unlösliche Fraktion ohne Systeme stark abhängig von der Gegenwart von adsorZusatz; 2 unlösliche Fraktion mit Zubierenden Stoffen auf der Oberfläche der Teilchen ist. satz einer löslichen Fraktion Unter dem Einfluß von Druck kann eine Änderung des Zustandes der Adsorptionsschicht eintreten. Bezeichnen wir mit Fa, Va, na und Nadas thermodynamische Potential, das Molvolumen, die Konzentration und die Anzahl der Mole in der Tabelle 125. Der E i n f l u ß des Druckes auf die eines 1 %igen Gelatinesols 1c
Anfangsviskosität sec
11,5 11,5 11,5
Gallertisierung
Druck
Zeitdauer
V
at
min
Endviskosität see
JL Va
1 1000 2000
45 40 40
13 27 35
1,0 2,0 2,5
Synärese
315
Adsorptionsschicht, und mit Fv, Vp, np und Nd dieselben Größen in einer Lösung, dann kann man die Konzentrationsänderung der adsorbierten Moleküle bei einer Druckänderung durch folgende Gleichung ausdrücken: dn„ T p ~
VP — Vg Na_ dFa AT
*
Na
oder, da -rp- vd ist; 3. eine Gallerte bildet sich nicht, oder wenn sie sich bildet, kann sie die zu ihrer Sättigung nötige Menge des Lösungsmittels aufnehmen, wenn < vd ist. Diese Fälle werden in Abb. 100 gezeigt. Auf Grund der oben angeführten Überlegungen kann man die Konzentration der Gallerte berechnen, bei der keine Synärese auftreten wird. Wenn man mit c den prozentualen Gehalt des festen Stoffes in der Gallerte bezeichnet, so kann man aus dem Verhältnis ,,„ = A' c die Menge des Lösungsmittels bestimmen, die auf 1 g des festen Stoffes kommt. Dann gibt das Verhältnis a> Vd A
~
c
~~
die Solvatationszahl S. Da eine Synärese nicht eintritt, wenn vd = vE ist, so ist A' _ A
vz _ vd _ g c
c
Wenn der Wert vd bekannt ist (dieser wird z. B. aus der Bestimmung des Volumens der Gallerte gefunden, die bei der Synärese ausgeschieden wurde),
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Bildung und Eigenschaften von Gallerten
dann kann c bestimmt werden, d. h. die Konzentration der Gallerte, bei der die Synärese nicht eintritt (das spezifische Gewicht der Gallerte wird mit 1 angenommen). Für den in Tabelle 121 untersuchten Fall ist S = 73. Demzufolge wird die Synärese bei der Konzentration c
-
73
_
73
-
M 7
nicht eintreten, was sich gut mit dem in der Tabelle gegebenen Wert deckt. Wie viele Berechnungen des Verfassers an Geranin- und Gelatinesolen gezeigt haben, kann die Zahl S aus den Messungen der Viskosität oder des osmotischen Druckes bestimmt werden. Eine volle Übereinstimmung zwischen SByn, und S0Bm kann man natürlich schwer erwarten; jedoch weist das vorliegende Material auf eine genügend gute Übereinstimmung zwischen diesen Größen hin. Hieraus folgt, daß die Solvatationszahlen Sayn, Svis]i und Sosm nicht nur der rein chemischen, sondern auch der osmotischen Solvatation entsprechen, deswegen ist die Größenordnung derselben gleich, was auch durch die Versuche bestätigt wird. Man kann annehmen, daß $ s y n größer sein muß als Ä'vIak und S 0 ! m , da die Zwischenräume zwischen den verbundenen Micellen mit dem Lösungsmittel gefüllt bleiben. Man muß jedoch unbedingt folgendes bemerken. Die Unabhängigkeit der Größe 8ayn von der Konzentration der Gallerte weist darauf hin, daß die Menge des kapillar gebundenen Lösungsmittels offensichtlich gering ist, und die Teilchen eine Annäherung erreicht haben, bei der das Lösungsmittel so fest fixiert wird, daß seine Dampfspannung sinkt. Zugunsten einer genügenden Festigkeit der Bindung spricht auch das Vorhandensein des Punktes a auf der Kurve (siehe Abb. 100), bei der die Synärese nicht eintritt (vd = vs). Wenn in der ausgeschiedenen Gallerte freies Lösungsmittel vorhanden wäre, so könnten wir bei einer Konzentrationserhöhung der Gallerte bis zu einem Wert, der größer ist, als es dem Punkt a entspricht, eine Neuverteilung des Lösungsmittels und demzufolge eine Senkung des Wertes SByn beim Überschreiten der durch Punkt a bezeichneten Grenzkonzentration erwarten. Der Versuch zeigt, daß Gallerten aus nichtelastischen Stoffen, z. B. aus Geranin, zerstört werden, oder aber bei elastischen Stoffen, wie der Gelatine, eine neue Menge des Lösungsmittels aufnehmen, um ihre Solvatation bis zum Wert Sayn zu erhöhen. Bei der Erklärung der Synärese muß man diese Tatsache immer im Auge behalten. Theoretische Überlegungen in der Frage der Synärese sind auch von NOBTHBOP und KUNITZ 2 7 angestellt worden. Wir wollen ihre Theorien wegen ihres großen Interesses und der Gemeinsamkeit einiger Schlußfolgerungen mit den oben gegebenen untersuchen. NOETHBOP und KUNITZ nehmen an, daß die Synärese ein der Quellung entgegengesetzter Prozeß ist. Sie nehmen an, daß Gallerten, die über 10% Trockensubstanz enthalten, quellen, während solche mit unter 10% sich zusammenziehen und Wasser abgeben (eine Gallerte mit 10% Trockensubstanz zieht sich nicht zusammen und quillt auch nicht). Wie bekannt, erklären diese Forscher das Quellen der Gallerten mit dem osmotischen Druck, der von der löslichen Fraktion entwickelt wird. Die Synärese wird durch
Synärese
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die elastischen Kräfte des Aggregats bedingt, die gleichsam als Gegendruck zu den osmotischen Kräften auftreten. Abkühlung einer Gelatinelösung ruft eine Gallertisierung hervor. Hierbei geht die lösliche Fraktion in eine nichtlösliche über, und die Kräfte, die das Aggregat auseinandergezogen haben, verringern sich oder verschwinden sogar vollkommen; es geht ein Zusammenrücken und eine Ausscheidung des osmotisch aufgenommenen Wassers vor sich. Der osmotische Druck der flüssige Phase und die elastischen Kräfte im Aggregat, d. h. die Kräfte, die bestrebt sind, das Volumen der Gallerte zu verändern, wirken gegen den elastischen Widerstand der Gallerte als Ganzes. Also ist die Quellung oder die Synärese von drei Kräften abhängig, und beim Gleichgewicht haben wir:
wo p0 der osmotische Druck der flüssigen Phase, pM der Druck, der durch die Kräfte des Aggregats bedingt ist, k der Elastizitätsmodul, vv das Volumen der Gallerte im Gleichgewicht (Endvolumen) und vgaI1 das Volumen der Gallerte bei der Gallertisierung sind. N O B T H B O P und K U N I T Z haben gefunden, daß diese Gleichung in folgender Form geschrieben werden kann: 1330 .. — 140 = p0 - pM • Vp
Wenn vp — Volumen einer 10%igen Gallerte, dann ist p0 — pM = 0 (es ist weder eine Quellung noch eine Zusammenziehung vorhanden); wenn vp < Volumen einer 10%igen Gallerte, dann ist p0 > pM (Quellung); wenn vp > Volumen einer 10%igen Gallerte, dann ist p0 < pM (Synärese). Die hier dargelegte Theorie von NOBTHBOP und K U N I T Z begegnete einer Reihe von Einwänden. Wir wollen die hauptsächlichsten davon erwähnen. NOBTHBOP und Kuurrz nehmen an, daß ein Zusammendrücken der Gallerte das Ergebnis der Umwandlung einer löslichen Fraktion in eine nichtlösliche ist; hierbei muß eine Desolvatation der Aggregate eintreten, da das osmotisch gebundene Lösungsmittel frei wird. Dieses ist jedoch schon deshalb wenig wahrscheinlich, weil sowohl die Quellung als auch die Synärese bei gewöhnlicher Temperatur vor sich gehen können, und es besteht keine Veranlassung, diese Umwandlung anzunehmen. Außerdem stimmen die Hydratationszahlen für Gelatine SB7n,