Physikalische Methoden in der organischen Chemie: Teil 1 [Reprint 2019 ed.] 9783111604862, 9783111229676


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German Pages 119 [152] Year 1962

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Allgemeine Zusammenhänge zwischen Meßwerten und Molekülkonstanten
3. Konstitutionsermittlung (Strukturelemente des Moleküls)
4. Stereochemie
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Physikalische Methoden in der organischen Chemie: Teil 1 [Reprint 2019 ed.]
 9783111604862, 9783111229676

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S A M M L U N G

G Ö S C H E N

B A N D

44

P H Y S I K A L I S C H E METHODEN IN DER ORGANISCHEN E R S T E R

CHEMIE

T E I L

VOI1

DR.- I N G . G Ü N T E R

K R E S Z E

a. o. Professor an der Technischen Hochschule München

W A L T E R

DE

G R U Y T E R

&

CO.

vormals G. J . Göschen'sehe Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp. BERLIN

1962

Ich danke herzlich Herrn Prof. Dr.-Ing. H . Luther, Clausthal-Zellerfeld, für seinen Rat und seine viele Hilfe bei der Zusammenstellung des Manuskriptes, ihm und Herrn Dr. G. Bergmann, Dortmund-Aplerbeck, für die eingehende und kritische Durchsicht des Inhalts, meiner Frau für ihre Unterstützung bei allen Phasen der Bearbeitung.

© Copyright 1962 b y W a l t e r de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung / J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung / Georg Reimer / K a r l J. Trübner / V e i t & Comp., Berlin W 30. — Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten. — Archiv-Nr. 7762626 — Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co. — Printed in Germany.

Inhalt des 1. Bandes 1. Einleitung 2. Allgemeine Zusammenhänge Molekülkonstanten

5 zwischen

Meßwerten und •

20. 21. 22. 23.

Molekülmodelle Refraktometrie Polarimetrie Absorptionsspektrometrie 230. Allgemeines . 231. Mikrowellenspektren 232. IR-Spetren 233. Sichtbare und UY-Spektren 24. Ramaneffekt 25. Dckametrie 26. Einteilung der Anwendungen

3. Konstitutionsermittlung 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37.

Allgemeines Anwendungen der Molekülspektroskopie Bestätigung der Konstitution durch Molrefraktionsmessungen Aussagen über die Bindungsarten aus Messungen der diamagnetischen Suszeptibilität Anwendungen von Dlpolmomentmessungen bei der Gruppenanalysc Konstitutionsermittlung mit Hilfe der Spektroskopie im Sichtbaren und Ultraviolett Anwendung polarographischer Messungen bei Konstitutionsermittlungen Anwendung von Messungen der kernmagnetischen Resonanz bei Konstitutionsermittlungen

4. Stereochcmie 40. 41. 42. 43.

8 8 10 11 12 12 14 15 19 19 20 21

24 24 25 33 36 37 39 46 50

55

Allgemeines 55 Symmetrie des Gesamtmoleküls 57 Räumliche Anordnung um ein Atom 71 Stereochemie an einer Einfachbindung und in einer Kette von Einfachbindungen 74 430. Allgemeines 74 431. Freie Drehbarkeit 75 432. Rotationsisomeric 76 44. Stereochcmie an Mehrfachbindungen 82 45. Stereochemie von Cyclohexanderivaten und -analogen 92 46. Konfigurationsbestimmungen 108

1

4

Inhaltsverzeichnis

Inhalt des 2. Bandes 5. L a d u n g s v e r t e i l u n g , B i n d u n g s e i g e n s c h a f t e n 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59.

Ionencharakter Radikalcharakter Neutrale Moleküle: Allgemeines über Substitucntencffekte . . . Induktive Effekte Konjugationseffekte von C = C-Mehrfachbindungen Konjugationseffekte in aromatischen und heterocyclischen Systemen Mesomerie-Effekte Gleichungen für Substituenteneffekte Sterische Hinderung der Mesomerie Hyperkonjugation

6. Q u a l i t a t i v e A n a l y s e 60. 61. 62. 63. 64. 65.

Allgemeines Trennverfahren Nachweis einer einzelnen Substanz Gruppennachweis Identifizierung Reinheitsprüfung, Nachweis von Verunreinigungen

7. Q u a n t i t a t i v e A n a l y s e

5 6 10 14 17 24 27 38 46 54 63 65 65 66 68 76 77 77 81

70. Allgemeines 81 71. Quantitative Analyse durch Absorptionsspcktrornetrie: Grundlagen 82 72. Quantitative Analyse durch Absorptionsspektrometrie: Beispiele 98 73. Andere physikalische Methoden der quantitativen Analyse . . . 114 74. Mehrkomponentenanalyse 119 75. Analyse im reagierenden System 126 Tabellen

131

Z u s a m m e n s t e l l u n g der i m B u c h b e s c h r i e b e n e n A n w e n d u n g s b e i s p i e l e f ü r die e i n z e l n e n M e t h o d e n 156 Bibliographie

156

T a b eilen V e r z e i c h n i s

162

Sachregister

163

1. Einleitung Physikalische Methoden im weiten Sinne des Wortes wendet der Chemiker bei allen seinen Arbeiten a n : bei der Darstellung u n d Isolierung von Verbindungen, bei Umsetzungen, bei der Identifizierung u n d der Konstitutionsaufklärung, beim qualitativen Nachweis u n d bei der q u a n t i t a t i v e n Bestimmung. Ein großer Teil dieser Arbeitsverfahren gehört zur täglichen Laboratoriumspraxis u n d wird nicht mehr als spezielle „physikalische M e t h o d e " a u f g e f a ß t : Erhitzen, Kühlen, Schmelzen, Destillieren u n d anderes. Bei der Analyse, bei der K o n s t i t u t i o n s a u f k l ä r u n g (Festlegung der A t o m v e r k n ü p f u n gen u n d der Stereochemie) sowie bei der E r m i t t l u n g der E l e k t r o n e n s t r u k t u r sind jedoch als physikalische Forschungshilfsmittel eine Reihe von Methoden abzugrenzen, die in der letzten Zeit neben den chemischen Verfahren große Bedeut u n g gewonnen haben. Einige ihrer Anwendungsmöglichkeiten bei organischen Verbindungen sollen im R a h m e n des vorliegenden Buches zusammengestellt werden. Dem U m f a n g entsprechend k a n n dabei n u r eine k n a p p e E i n f ü h r u n g mit wenigen Beispielen gegeben werden. Die F r a g e n lauten hier: Wie k a n n mit Hilfe physikalischer Methoden eine bestimmte Aussage über die Konstitution oder darüber hinaus über die F e i n s t r u k t u r organischer Moleküle erhalten werden, oder: Was k a n n m a n über die A r t u n d die Konzentration von Substanzen in einem Gemisch m i t Hilfe dieser Methoden aussagen ? D a h e r ist das Ordnungsprinzip in diesem Buch stets die Aussage u n d nicht die Methode. An physikalischen V e r f a h r e n

6

Einleitung

werden diejenigen behandelt, die in einem organisch-chemischen Laboratorium leicht zugänglich sind oder es sein sollten und die relativ schnell die gewünschte Aussage liefern. Das sind Refraktometrie, Absorptionsspektromeme im Infrarot, Sichtbaren und Ultraviolett, kern- und elektronenmagnetische Resonanz, Polarimetrie, Dekametrie, Messung der magnetischen Suszeptibilität, pH-Messung und Polarographie. Nicht behandelt werden folgende, an sich wesentliche Verfahren bei der Strukturaufklärung: Röntgenstrahlen-, Elektronen- und Neutronenbeugung sowie die — auch analytisch wichtige — Massenspektroskopie; nur kurz eingegangen wird auf die Mikrowellenspektroskopie und andere Methoden, die den oben genannten Bedingungen in einer oder der anderen Beziehung nicht ganz entsprechen. Voraussetzungen dafür, daß überhaupt eine physikalische Meßmethode zu Aussagen über die Struktur einer chemischen Verbindung oder über ihre Gegenwart in einem Gemisch angewendet werden kann, sind: Der Meßwert, der für eine große Anzahl von Molekülen bestimmt wird, muß in einfacher Weise mit einer charakteristischen Molekülkonstanten zusammenhängen. Bei der Anwendung in der quantitativen Analyse muß zusätzlich noch eine einfache Beziehung zwischen der Zahl der Moleküle in der Volumeneinheit, also der Konzentration, und der Größe des Meßwertes bestehen. Diese Voraussetzungen sind bei den oben genannten Methoden im Prinzip erfüllt. Die Art des Zusammenhangs von Meßwert und Molekülkonstanten und die Art dieser Molekülkonstanten ist bei den einzelnen Methoden charakteristisch verschieden. Diese Verschiedenheit erklärt einmal, weshalb die einzelnen Methoden unterschiedliche Anwendung bei der Strukturaufklärung und Analyse organischer Verbindungen finden, zum anderen, warum die Kombination verschiedener Methoden zu einer besseren Strukturbeschreibung bzw. zu einer eingehenderen Analyse verhilft. Zur Beschreibung jeder einzelnen Methode gehören die Antworten auf folgende Fragen: — Wie gewinnt man den Meßwert? (Schilderung der Meßmethodik und der Apparatur),

Einleitung

7

— wie führt man den Meßwert auf die Charakteristika des Einzelmoleküls zurück ? (Schilderung der Theorie, die der Methode zugrunde liegt), und — wie kann man die Methode in der organischen Chemie einsetzen ? (Schilderung der Anwendungsmöglichkeiten). In diesem Buch sollen vor allem an Hand von Beispielen einige Anwendungsmöglichkeiten der Methoden gezeigt werden. Grundlagen, Meßmethodik und Apparaturen werden jeweils nur soweit geschildert, wie ihre Beschreibung zum Verständnis der Anwendbarkeit und ihrer Grenzen notwendig ist. Eingehend sind die Grundlagen in dem Buch von W. Schulze, „Molekülbau, theoretische Grundlagen und Methoden zur Strukturermittlung" (Slg. Göschen Nr. 786) beschrieben, auf Monographien für die einzelnen Verfahren ist in der Bibliographie am Schluß des Buches hingewiesen. — Die Auswahl der Beispiele kann notwendigerweise nur willkürlich sein; gemäß dem Ordnungsprinzip des Buches soll bei jedem Problem jeweils ein Beispiel für die Methoden gegeben werden, die zur Lösung beitragen können.

2. Allgemeine Zusammenhänge zwischen Meßwerten und Molekülkonstanten 20. Molckttlmodelle Das Molekülmodell, das hier zugrunde gelegt wird, ist das folgende: Das Molekül ist ein System von elektrischen Ladungen und Massen. Die (positiv geladenen) Atomkerne der Atome, die das Molekül bilden, enthalten den Hauptteil der Masse; die (negativ geladenen) Elektronen vermitteln entweder die Bindung zwischen den Kernen oder gehören einem der Kerne allein an. Bei der homöopolaren Bindung sind die Bindungselektronen anteilig an beiden Kernen, je nach Bindungsordnung sind an einer solchen Bindung 2, 4 oder 6 Elektronen beteiligt; je nach Art der Bindung ist die Verteilung der Elektronenladungen in dem Gebiet um die beiden miteinander verbundenen Kerne herum verschieden — anders ausgedrückt, die Wahrscheinlichkeit, ein Elektron in einem bestimmten Punkt in der Nähe der Kerne anzutreffen, ist ein Bindungscharakteristikum, das im Prinzip bestimmt werden kann. Die gesamte Ladungsverteilung in einem Molekül kann symmetrisch (die Schwerpunkte der positiven und negativen Ladungen in dem Molekül fallen dann zusammen) oder asymmetrisch sein; im letzten Fall stellt das Gesamtmolekül einen elektrischen Dipol mit dem Moment ¡x dar. Die Größe von (i hängt ab vom Aufbau des Moleküls: Jede Bindung zwischen zwei verschiedenartigen Atomen entspricht einem elektrischen Dipol. Die Größe und Richtung ihres Partialdipolmoments ist bestimmt durch die Ladungsverteilung und wird etwas beeinflußt durch die Nachbaratome und -bindüngen. Das Gesamtdipolmoment eines Moleküls, das experimentell bestimmtwerden kann,setzt sich aus den einzelnen Partialdipolmomenten durch Vektoraddition zusammen. Ist die Wechselwirkung der Bindungen untereinander stark, so hat diese

Molekülmodelle

9

Additivität allerdings nur formale Bedeutung: Die Partialmomente einer bestimmten Bindung variieren dann von Verbindung zu Verbindung. Unter dem Einfluß äußerer elektrischer Felder kann sich die Ladungsverteilung in dem Molekül verändern: Die Ladungen werden gegeneinander verschoben; Dipolmoleküle richten sich zusätzlich im Feld aus. Die Ladungsverschiebung (,,Molekülpolarisation") ist besonders stark für die Elektronen; die „Elektronenpolarisation" trägt zum Gesamteffekt wesentlich stärker bei als die „Atompolarisation". Durch diese Verschiebung der Ladungen gegeneinander wird eine vorhandene Symmetrie der Ladungsverteilung gestört bzw. das Ausmaß einer Asymmetrie verändert — es wird ein zusätzliches Dipolmoment fit induziert. Die Größe von ¡j,i ist proportional der Stärke des äußeren Feldes. Der Proportionalitätsfaktor x, die Polarisierbarheit (an sich eine komplex zusammengesetzte Größe), ist ein Maß für die Verschiebbarkeit der Ladungen; er stellt eine weitere wesentliche Molekülkonstante dar. Den elektrischen Kenngrößen des Moleküls können magnetische Charakteristika an die Seite gestellt werden. Jedes Elektron und eine ganze Reihe von Atomkernen drehen sich um die eigene Achse, sie besitzen einen von Null verschiedenen „Spin". Damit gekoppelt ist das Auftreten eines magnetischen Momentes ¡im, das f ü r Elektronen 10 3 mal größer ist als für Atomkerne. Im allgemeinen heben sich die richtungsabhängigen magnetischen Momente der Elektronen in organischen Moleküle auf, das resultierende magnetische Moment ist 0 (die sehr viel kleineren Kernmomente können dabei vernachlässigt werden). In diesem Fall wird durch ein äußeres Magnetfeldin den Molekülen lediglich ein magnetisches Moment induziert; die Maßzahl für die Wechselwirkung ist die diamagnetische Suszeptibilität %

Aus Messungen der Dielektrizitätskonstanten, des Brechungsindices und der Dichte von Gasen, Flüssigkeiten oder Lösungen ist also das molekulare Dipolmoment ¡i errechenbar. Die Dimension von ¡i ist [elektrostatische Einheiten • cm], 10- 1 8 est E • cm = 1 Debye (1 D). Die übrigen in diesem Buch behandelten elektrischen Meßverfahren beruhen darauf, daß die Moleküle des Stoffes, der untersucht wird, entweder in geladene Teilchen, Ionen, zerfallen, die dann durch ihr Vermögen zum Stromtransport (Leitfähigkeitsmessungen) bzw. elektrochemisch (pH-Messungen) nachgewiesen werden können; oder dadurch, daß sie Elektronen aufnehmen oder abgeben können (Polarographie). Diese Methoden und auch die magnetischen sollen im Zusammenhang mit ihrer Anwendung geschildert werden. 26. Einteilung der Anwendungen

Die Struktur eines organischen Moleküls kann in verschiedener Weise beschrieben werden. Man kann einmal fragen: — Wie sind die Atome und Atomgruppierungen, die das Molekül aufbauen, miteinander v e r k n ü p f t ? Verbuche zur Beantwortung dieser Frage stellen die Konstitutionsermittlung im klassischen Sinne dar, sie erlauben die Aufstellung einer Strukturformel für die Verbindung.

22 Zusammenhänge zwischen Meßwerten und Molekülkonstanten Weiter f ü h r t die zweite Frage: — Welche Lagen im R a u m nehmen die Atomkerne zueinander ein? Verlangt werden liier Aussagen über die Stereochemie der Moleküle, über geometrische Isomerie, Konfiguration, Konformation usw. An die Stelle der Formel t r i t t damit das Molekülmodell. Die eingehendste Beschreibung schließlich wird gefordert durch die F r a g e : — Wie ist die Elektronenverteilung im Molekül? Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen den einzelnen Bindungen und welche charakteristischen Eigenschaften (Anregungsenergien, Reaktionsfähigkeiten) ergeben sich hieraus ? Angaben dieser Art geben eine Vorstellung von der Molekülstruktur, soweit sie zur Zeit erkennbar ist. Physikalische Methoden werden zur Gewinnung von Antworten auf alle drei Fragengruppen benutzt. Dabei kann man in zweierlei Weise vorgehen: Wenn b e k a n n t ist, welcher Vorgang im Molekül bei der Messung der betreffenden Eigenschaft abläuft, dann ist meist auf Grund einer Theorie eine R ü c k f ü h r u n g des Meßwertes auf Charakteristika der Moleküls t r u k t u r möglich. Ist das nicht der Fall, so m u ß versucht werden, aus einer großen Zahl von Messungen empirische Regeln abzuleiten, die Konstitutionseigentümlichkeiten u n d Meßwerte verknüpfen. Bei der Anwendung zur Konstitutionsermittlung müssen diese Regeln dann extrapoliert werden. Dies ist durchweg bei denjenigen Eigenschaften der Fall, die auf der Wechselwirkung der Moleküle beruhen ( K o h ä s i o n s e i g e n s c h a f t e n ) , wie Dichte, Molvolumen, Siedepunkt, Viskosität, Oberflächenspannung/Parachor. I m folgenden wird vor allem die erste Möglichkeit zum Rückschluß benutzt, die Anwendung von Messungen der Kohäsionseigenschaften zur S t r u k t u r a u f k l ä r u n g wird nicht behandelt. F ü r viele physikalische Eigenschaften organischer Verbindungen ist noch eine andere Einteilung möglich: — Der Meßwert k a n n sich entweder in irgendeiner Weise aus den Beiträgen sämtlicher Bindungen bzw. Gruppen im Molekül zusammensetzen, oder er k a n n spezifisch f ü r eine bestimmte Gruppierung sein. I m ersten Fall k a n n die Meß-

Einteilung der Anwendungen

23

große z. B. die algebraische Summe der einzelnen Beiträge sein (Molrefraktion, Moldispersion, diamagnetische Suszeptibilität), oder auch in komplizierter Weise von ihnen abhängen. Von den besprochenen Methoden ist hier das Dipolmoment zu nennen, das die Vektorsumme der einzelnen Bildungsmomente darstellt, falls keine spezifischen Wechselwirkungen im Molekül auftreten. Bei dieser Abhängigkeit ist ein Meßwert 0 bei komplexen organischen Molekülen relativ selten oder unmöglich. Theoretische Voraussetzungen für das Auftreten solcher Additivität sind kurz in Abschnitt 52 geschildert. Ist der Meßwert kennzeichnend für bestimmte Gruppierungen im Molekül, dann gibt ein positiver Ausfall des Experiments einen Hinweis auf das Auftreten dieser speziellen Gruppierungen im Molekül, umgekehrt spricht das Fehlen eines endlichen Meßwertes für die Abwesenheit dieser Gruppierungen. Die wichtigste Eigenschaft dieser Art ist die Absorption im Sichtbaren oder im Ultraviolett, die Verbindungen mit ungesättigten oder polaren Gruppen (meist in Konjugation zueinander) zeigen. Hier ist das Auftreten der Eigenschaft gekoppelt mit dem Vorhandensein bestimmter Bindungstypen im Molekül; in anderen Fällen ist es zurückzuführen primär auf die Gegenwart bestimmter Atomkerne im Molekül (Kernquadrupolspektren, kernmagnetische Resonanz), auf das Auftreten von elektrischen Ladungen (elektrische Leitfähigkeit), ungekoppelten Elektronen (Paramagnetismus, paramagnetische Resonanz), auf eine bestimmte Dissymmetrie des Moleküls (optische Aktivität) oder auf die Gegenwart von Atomgruppen mit charakteristischem chemischen Verhalten (Säure-Basen-Verhalten, Polarographie). Die Variationsbreite der Meßwerte ist im allgemeinen beschränkt. Infolgedessen ist der einzelne Meßwert bei allen physikalischen Eigenschaften immer mehr oder woniger vieldeutig. Daher geben Messungen einer einzigen Eigenschaft einer komplexen organischen Verbindung immer nur Hinweise auf die Molekularstruktur, die einer Bestätigung bedürfen. Diese Bestätigung können — neben chemischen — auch physikalische Methoden liefern; dazu ist die Messung

24

Konstitutionsermittlung

von möglichst vielen voneinander unabhängigen Eigenschaften und der Vergleich mit den Resultaten bei Verbindungen notwendig, deren Aufbau bekannt und der vermuteten Struktur ähnlich ist. Im folgenden soll daher auch auf die Anwendungsgrenzen der Methoden und auf die Gültigkeit ihrer Aussagen bei der Lösung der Einzelprobleme hingewiesen werden. 3. Konstitutionsermittlung (Strukturelemente des Moleküls) 30. Allgemeines Im allgemeinen sind von einer organischen Verbindung, deren Konstitution ermittelt werden soll und die nicht makromolekular ist, das Molekulargewicht und die Summenformel bekannt oder verhältnismäßig einfach zu bestimmen. Die erste Aufgabe der Strukturaufklärung ist dann die Festlegung der „Atomverknüpfung", die Beantwortung der Frage, welche Atome im Molekül durch Hauptvalenzen miteinander verbunden sind. Dazu gehören folgende Teilprobleme: Wie sieht das C-Atomgerüst des Moleküls aus ? Welche Bindungsarten kommen im Molekül vor, welche funktionellen Gruppen sind als Substituenten nachzuweisen ? Wie stehen die einzelnen Substituenten zueinander, welches der möglichen Stellungsisomeren liegt vor? Gerüst und funktionelle Gruppen bilden die Strukturelemente des Moleküls. Darstellungsweise und chemisches Verhalten einer Substanz geben meist viele Hinweise darauf, welche Strukturelemente in den Molekülen vorliegen; durch physikalische Methoden können die Aussagen bestätigt oder berichtigt, erweitert und verfeinert werden. Aber auch, wenn gar nichts über die Konstitution eines Stoffes bekannt ist, können mittels dieser Methoden Anhaltspunkte darüber gewonnen werden, welche Atomgruppierungen im Molekül auftreten und welche nicht.

Allgemeines — Anwendungen der Molekülspektroskopie

25

Voraussetzung f ü r solche einfache Strukturanalyse ist, daß die einzelnen Strukturelemente im Molekül unabhängig voneinander im Meßwert in Erscheinung treten und sich nicht gegenseitig beeinflussen, wie dies z. B. bei Konjugation von Mehrfachbindungen, bei A n h ä u f u n g sperriger Gruppen oder bei Ringspannung der Fall ist. Solche spezifischen Wechselwirkungen verändern bei den „additiven" Eigenschaften die Gruppenbeiträge und modifizieren bei den nur f ü r spezielle Gruppierungen charakteristischen Eigenschaften die Größe des Meßwertes stark. Bei der Konstitutionsermittlung wird m a n diese Wechselwirkungen meist von vornherein berücksichtigen und als Strukturelemente solche Molekülteile wählen, innerhalb deren zwar Wechselwirkung herrscht, die jedoch von den anderen Teilen des Moleküls „isoliert" sind. In praxi bedeutet das z. B., daß Systeme von konjugierten Mehrfachbindungen, wie C = C - C = C , C = C - C - 0 oder aromatische Ringsysteme, in ihrer ganzen Ausdehnung als eine einzige Gruppe behandelt werden. Die andere Möglichkeit ist die folgende: Das Molekül wird als ungestörtes System ohne Wechselwirkung zwischen den Gruppen betrachtet u n d aus der Differenz zwischen dem beobachteten und dem „ungestörten" Wert gerade auf diese Wechselwirkung zurückgeschlossen. 81. Anwendungen der Molekülspektroskopie 310. In Abschnitt 232 war bereits kurz geschildert worden, in welcher Weise die IR-Absorption u n d die R a m a n streuung einer Verbindung mit der Anregung von Schwingungen der Atomkerne in den Molekülen im Zusammenhang steht. Als charakteristische Molekülkonstanten, die aus den Molekülspektren gewonnen werden können, sind danach im Prinzip die K r a f t k o n s t a n t e n anzusehen. Die Anwendung der Molekülspektren bei der Konstitutionsermittlung zur Feststellung von Strukturelementen beruht nun zwar meist auf empirischen Regeln, die aus den Spektren einer Vielzahl ähnlicher Verbindungen gewonnen worden sind. In manchen Fällen sind diese Regeln jedoch auf Aussagen über die Abhängigkeit der K r a f t k o n s t a n t e n von der Bindungsart zu-

26

Konstitutionsermittlung

rückzuführen, die experimentell bei einfachen Molekülen gewonnen worden sind. 311. Nachstehend sind solche Aussagen zusammengestellt : a) In erster Näherung sind die (Valenz-)Kraftkonstanten analoger Bindungen in verschiedenen (ähnlichen) Molekülen gleich groß. Beispiel: Valenzkraftkonstante der C—H-Bindung (in 105 dyn • cm -1 ): CH4 5,0 C2H6 4,8 C3H8 4,75 n-C4H10 4,75 tert.-C4H10 4,56 C 6 H 5 CH 2 -H 5,10 H—CH=0 4,3 CHC13 4,96 b) Die Kraftkonstanten ähnlicher Bindungen, z. B. von H—X-Bindungen, sind charakteristisch von der speziellen Bindungsart, im Beispiel also von der Natur von X, abhängig. Beispiel: Yalenzkraftkonstanten der X—H-Bindung in Verbindungen XH n : CH4 5,0 NH 3 6,38 OH2 7,76; 7,66 (FH) 8,833. c) Die Kraftkonstanten sind abhängig von der Bindungsordnung; in erster Näherung verhalten sich die Werte von Einfach-, Doppel- und Dreifachbindungen -wie 1 : 2 : 3 . Beispiel: CC-Valenzkraftkonstanten: H 3 C - C H 3 4,50 H 2 C=CH 2 9,57 H f e C H 15,72. d) Kraftkonstanten und auch Schwingungsfrequenzen werden in ihrer Größe etwas beeinflußt durch die Elektronenstruktur in der Umgebung der Bindung, für die sie gelten. Beispiel: CH-Valenzkraftkonstanten: C4H10 4,75 H 2 C=CH 2 5,0 5 : C6H6 5,10 HC=CH 6,0 Falls eine vollständige Zuordnung der beobachteten IRBanden und Ramanlinien und damit eine Gewinnung von Kraftkonstanten möglich ist, liefert sie also sehr eingehende Aussagen über die Art der im Molekül vorkommenden Bindungen.

Anwendungen der Molekülspektroskopie

27

312. Aber auch dann, wenn eine vollständige Zuordnung nicht möglich ist, kann auf die Gegenwart von speziellen Gruppierungen Z in einem Molekül RZ aus den beobachteten Banden bzw. Linien zurückgeschlossen werden, falls deren Lage, relativ unabhängig von der A r t von R, vornehmlich durch die S t r u k t u r von Z bestimmt ist. Solche Schlüsselfrequenzen sind n u n nach der Theorie der Spektren f ü r Moleküle R—Z zu erwarten, in denen die Gruppe Z, allein betrachtet, Eigenschwingungen besitzt, die sich in ihrer Lage deutlich von denen des isolierten Molekülrestes R unterscheiden. Diese Bedingung ist vor allem in 2 Fällen erfüllt: — Die Massen der Atome in der Gruppe Z unterscheiden sich stark voneinander bzw. von denen des Restes R (notwendiger Massenunterschied nach unten 50%, nach oben 100%). — Die Valenzkraftlconstante einer Bindung im Molekül unterscheidet sich deutlich von den übrigen (notwendiger Unterschied zur Ausbildung konstanter Gruppenfrequenzen etwa 25%). In der organischen Chemie sind Gruppenfrequenzen infolge von Massenunterschieden vor allem bei Gruppen zu erwarten, die X—H-Bindungen enthalten; hier liegen die Valenzschwingungen — je nach der Art des X - A t o m s — zwischen 3700 u n d 2500 c m - 1 , die Deformationsschwingungen zwischen 1650 u n d 1200 c m - 1 . Charakteristische Frequenzen sind auch f ü r Gruppen zu erwarten, in denen mehrere H-Atome an ein Zentralatom X gebunden sind. Hier sind f ü r die isolierte XH 2 -Gruppe 3 Grundschwingungsarten möglich: / H*

/ H

*

>

/ V

Ni symmetrische (»>„) asymmetrische (i>„s) Spreizschwingung ( C1 > N0 2 > COOH > 0CiI 3 > F ; die Sperrigkeit der einzelnen Gruppen bzw. Atome nimmt in ungefähr der gleichen Folge ab. 0 Kri'S/.c, Physika], Hi'tbodcii/1

82

Stereochemie

d) Bei Molekülen, in denen Torsionsschwingungen einzelner Gruppen um eine zentrale Bindung auftreten, liefert auch das Mikrowellenspektrum Aussagen über die Rotationsbehinderung: Die Frequenz der Torsionsschwingung ist klein, diese Bewegung kann daher leicht durch thermische Stöße angeregt werden; bei einem beträchtlichen Teil der Moleküle sind bei Zimmertemperatur diese Torsionsschwingungen bereits angeregt: Für diese Moleküle sind die Bindungslängen und damit auch die Trägheitsmomente etwas anders als für Moleküle im Ruhezustand. Daher liegen für sie auch die Rotationslinien bei einer anderen Frequenz: Jede Linie im Mikrowellenspektrum ist daher von Satelliten (je 1 für jeden Torsionsschwingungsanregungszustand) begleitet. So zeigt CH 3 —SiF 3 (J. Sheridan u. W. Gordy, J. ehem. Physics 4. 19 [1951] 965) Doppellinien für den Übergang J = 3 Aus der relativen Intensität von Haupt- und Satellitenlinie kann die Potentialschwelle 7 0 , die die Rotationsbehinderung bewirkt, abgeschätzt werden, für CH 3 —SiF 3 folgt so 7 0 ~ 1200 cal/Mol. Wie hier bei Äthan- und Diphenylderivaten zur Aufklärung der Stereochemie an C—C-Einfachbindungen, können physikalische Methoden in analoger Weise auch bei Butadienderivaten zur Bestimmung der Konfiguration an der zentralen C—C-Bindung (s-cis oder s-trans) "V

44. Stercochemie an Mehrfachbindungcn

Freie Rotation in einer Atomkette stellt den einen Grenzfall des sterischen Baues organischer Moleküle dar, völlige (oder fast völlige) Starrheit den anderen. Diese ist verwirklicht, bei Mehrfachlrindungssystemen und an aromatischen Hingen. Nach dem im Abschnitt 41 geschilderten Verfahren zur Bestimmung der Molekülsymmetrie kann bewiesen werden, daß alle Bindungen, die von zwei durch eine Doppelbindung verknüpften Atomen der 1. Periode ausgehen, in

Stereochemie an Mehrfachbindungen

83

einer Ebene liegen, und daß die freien Valenzen an einer C = Coder C = N-Dreifachbindung eine Gerade mit dieser bilden. Im Normalfall verändern die Substituenten an solchen Mehrfachbindungen ihre Lage nicht, die Aktivierungsenergie zur ü m l a g e r u n g ist viel höher als bei ßotationsisomeren. Polysubstituierte Verbindungen mit oder = Doppelbindungen können deshalb in zwei stereoisomeren Molekülformen auftreten (von Stellungsisomeren abgesehen):

/

c = c

Z t 4= Z 2

\

Z3 * Z4

X2

X4 X2 X3 bei Z j = Z 3 : cis-Form trans-Form X X l\ /X3 l\

x2

x2 beiZ! anti-Form

x3

= H: syn-Form

Die Anwendung physikalischer Methoden zur Entscheidung darüber, welche der möglichen Molekülformen vorliegen, erfolgt nun nach denselben Grundsätzen, wie sie in den vorstehenden Abschnitten geschildert wurden. Wegen der hohen Umlagerungsenergie sind jedoch bei den Stereoisomeren an Doppelbindungen die Meßwerte der einzelnen Eigenschaften fast stets temperaturunabhängig. 441. Bei der Bestimmung der Stereochemie von Äthylenverbindungen und N-Analogen durch Dipolmomentmessungen werden die gemessenen Momente // mit dem durch Vektoraddition der C—Xi-Partialmomente f ü r die beiden Isomeren errechneten verglichen. Im Spezialfall cis-trans-Isomerer mit gleichen Substituenten X1 und Z 3 sowie X2 u n d X 4 i s t ¡i f ü r die trans-Form 0, f ü r die cis-Form endlich, was z. B. bei den Dihalogenäthylenen oder bei 2.3-Dichlorbuten-(2) erfüllt ist. Abweichungen der beobachteten und der berechneten Werte f ü r /¿(eis) können auf Wechselwirkung zwischen nichtge6

Stereochemie

84

bundenen Atomen zurückgeführt werden. Die Grenzen der Anwendbarkeit, denen die Strukturbestimmung durch ¡iMessungen unterliegt, sind die der Additivität der Partialmomente der C—X-Gruppen: Bei starren Gruppen X« sind die /¿-Werte eindeutig auch bei komplexen Molekülen. Beispiel (L. E. Sutton u. T. W. I. Taylor, J . ehem. Soc. [London] 1931. 2190):

NJL

IL^-" x

c / II ir

=

x

/

ju = 6.6 D

Sind dagegen die Substituenten Ketten, die noch polare Gruppen tragen, so wird der Meßwert vieldeutig und schwer auswertbar. Bei einfacheren disubstituierten Verbindungen wird in der Regel die cis-Verbindung das höhere Moment als die trans-Verbindung zeigen. Dies gilt jedoch nicht in allen Fällen, z. B. bei l-Chlorpropen-(l): CH3. \ -H )c=c< W \ XC1 Ii = 1,97 D

C H 3 X \ / ,01 > = < W H 1,71 D

(N. B. Hannay u. C. P. Smyth, J. Amer. ehem. Soc. 68 [19461 1005). Große Starrheit des gesamten Molekülgerüstes und das Fehlen spezifischer Wechselwirkung sind daher Voraussetzungen für die Gewinnung sicherer Aussagen über die Stereochemie ungesättigter Systeme aus Dipolmomentmessungen.

Stereochemie an Mehrfachbindungen

85

M2. A u c h die Infrarot- u n d RamanspeMren e i n f a c h e r u n g e sättigter Verbindungen erlauben theoretisch begründete A u s s a g e n ü b e r deren S t e r e o c h e m i e : Wie bei den R q t a t i o n s i s o m e r e n ist die M o l e k ü l s y m m e t r i e der Stereoisonieren verschieden — bei V e r b i n d u n g e n der F o r m XYG = CYX h a t die cis-Form die S y m m e t r i e C2h, die t r a n s - F o r m C2v — d a r a u s ergeben sich a n d e r e G r u n d s c h w i n g u n g e n u n d A u s w a h l r e g e l n , ein Vergleich v o n R a m a n - u n d I n f r a r o t s p e k t r e n e r l a u b t die K o n f i g u r a t i o n s z u o r d n u n g . So sind bei den V e r b i n d u n g e n cisXYG = CYX alle 12 G r u n d s c h w i n g u n g e n R a m a n - a k t i v , 10 I R - a k t i v , bei den V e r b i n d u n g e n t r a n s - A T C = CYX sind je 6 S c h w i n g u n g e n R a m a n - bzw. I R - a k t i v , wegen der G e g e n w a r t eines S y m m e t r i e z e n t r u m s im Molekül ist ein gleichzeitiges A u f t r e t e n einer S c h w i n g u n g in beiden S p e k t r e n ausgeschlossen (vgl. A b s c h n i t t 412). Bei den k o m p l i z i e r t e r e n V e r b i n d u n g e n erfolgt d i e B e s t i m m u n g der S t e r e o c h e m i e an der D o p p e l b i n d u n g auf G r u n d empirischer B a n d e n z u o r d n u n g e n . W ä h r e n d bei tri- u n d t e t r a s u b s t i t u i e r t e n Olefinen r e l a t i v wenig M a t e r i a l ü b e r die U n t e r s c h e i d b a r k e i t v o n Stereoisomeren vorliegt, sind K o n f i g u r a t i o n s b e s t i m m u n g e n r e c h t sicher möglich bei d i s u b s t i t u i e r t e n Ä t h y l e n e n . I m Ramanspeldrum ist hier die L a g e d e r v ( C = C) B a n d e c h a r a k t e r i s t i s c h , die im I R - S p e k t r u m wegen i h r e r v o n V e r b i n d u n g zu V e r b i n d u n g s t a r k wechselnden I n t e n s i t ä t weniger allgemein z u r U n t e r s c h e i d u n g der Stereoisomeren geeign e t ist. Diese v(C = G) liegt f ü r cis-Olefine bei 1652—1662, f ü r t r a n s - O l e f i n e bei 1668—1678 c m - 1 , p o l a r e G r u p p e n a n der D o p p e l b i n d u n g v e r m i n d e r n , F l u o r s u b s t i t u t i o n e r h ö h t die Frequenz. I m Infrarotspektrum t r i t t bei allen t r a n s - X C i f = GH. YV e r b i n d u n g e n eine m i t t e l s t a r k e bis s t a r k e c h a r a k t e r i s t i s c h e B a n d e bei 965—990 c m - 1 auf ( n i c h t e b e n e C H - D e f o r m a t i o n s schwingung, y ( C H ) , die bei den cis-Verbindungen g a r n i c h t v o r h a n d e n ist oder n u r geringe I n t e n s i t ä t b e s i t z t . Diese B a n d e ist a u c h bei k o m p l e x e n S y s t e m e n (z. B . J 2 2 - E r g o s t e n 973 cm" 1 in CS 2 ) e r k e n n b a r . D e r sichere N a c h w e i s cis-ständiger D o p p e l b i n d u n g e n ist schwieriger, der n i c h t e b e n e n C H - D e -

86

Stcrcochcmio

formationsschwingung ist hier oft eine mittelstarke Bande bei C90 c m - 1 zuzuordnen, die in ihrer Lage jedoch in weiten (irenzen variieren kann. Auch bei konjugierten I'olyenen sind die eis-trans-lsomeren mit Hilfe von IR-Spektren unterscheidbar, hier sind vor allem Carotinoide und Diphenylpolyene untersucht. Die y(CH)-Banden der trans-Verbindungen liegen normal bei 945—1000 c m - 1 , treten daneben cis-disubstituierte Doppelbindungen auf, so wird außerdem eine etwas längerwellige (niedrigerfrequente) Bande beobachtet (vgl. Abschnitt 543). Für die cis-Konfiguration selbst charakteristisch ist in diesem Falle starke Absorption bei 770—780 c m - 1 . Am besten verwendbar — außer bei einfachen Verbindungen — sind danach die Schwingungsspektren zur Erkennung von eis- und vor allem trans-Isomeren der disubstituierten Äthylene. bei Unter443. Die Anwendung der UV-Spektroskopie suchungen der Stereochemie ungesättigter Verbindungen beruht auf folgenden Grundlagen: Genau wie bei den IR-Spektren gelten auch für die UV-Spektren Auswalilregeln: sind Symmetrieelemente in einem Molekül vorhanden, so kann die Wahrscheinlichkeit, daß bestimmte Absorptionen auftreten, gleich Null werden — die betreffende Bande ist verboten. So sind beim Butadien an sich 2 Elektronenübergänge möglich, denen Banden bei 210 mju und 175 m/i entsprechen. Für die s-trans-Form des Moleküls ist der 2. Übergang verboten, für die s-cis-Form nicht; da sowohl s-cis- als auch s-trans-Form des Moleküls vorhanden sind, treten auch im UV-Spektrum beide Banden auf. Falls jedoch, wie an Doppelbindungen, die Konfiguration festgelegt ist, entspricht das Spektrum dem nach den Auswahlregeln geforderten. Dies trifft zu bei Polyenen. Haben alle Doppelbindungen eines konjugierten Systems trans-Konfiguration, so tritt nur e i n e intensive, langwellige Bande bzw. Bandengruppe auf, beim Lycopin z. B.bei460m^i (Nebenmaxima bei 445 u. 500). Beim cis-Lycopin mit zentraler cis-Doppelbindung ist die Intensität dieser Banden vermindert, dafür tritt bei

Stereochemie an Mehrfachbindungen

87

362 m/u eine neue Bande („cis-peak") auf, die in der all-transVerbindung fehlt, all-trans Lycopin kann danach mit dem s-trans-Butadien verglichen werden, auch hier ist der 2. Übergang (dem die Bande bei 360 m/u zuzuordnen ist) verboten; in der zentral-cis-Verbindung t r i t t sie (in Analogie zum s-cisButadien) auf. Bei nicht-zentralen cis-Doppelbindungen ist die Änderung nicht so groß, der E f f e k t auf das UY-Spektrum daher geringer. Grundsätzlich kann also in konjugierten Systemen aus der UV-Absorption auf die Gegenwart von (vor allem zentralen) cis-Doppelbindungen geschlossen werden. Allgemeiner ist eine Strukturzuordnung durch Vergleich der Bandenextinktionen möglich: In chromophoren Systemen mit cis-Anordnung u m eine Doppelbindung sind die Substituenten einander näher als in den entsprechenden transVerbindungen, durch ihre direkte Wechselwirkung miteinander wird die Wechselwirkung über die Doppelbindung hinweg daher in jenen sterisch stärker gehindert sein als in diesen. D a m i t v e r k n ü p f t ist (Näheres vgl. Abschnitt 584) eine Verkleinerung der Anregungswahrscheinlichkeit bei der UVAbsorption, also eine geringere E x t i n k t i o n der Bande. Allgemein gilt: cis-Verbindungen zeigen schwächere (meist etwas verschobene) Absorptionsbanden als die entsprechenden trans-Verbindungen. Beispiele: eis

trans

Stilben A m a x 280[m//],el0500 A m a x 295 [m^J,«29000 Zimtsäure 280 13600 295 27000 Benzalacetophenon 289 8900 298 24000 Bei Azobenzol gilt dies nur f ü r die K - B a n d e : 7f-Bande Ä-Bande

324 438

15000 1100

319 445

19500 300

Eine Konfigurationszuordnung aus den Intensitäten entsprechender Banden ist auch bei komplexen Verbindungen möglich, falls die Isomeren verglichen werden können. 4M. Oben war aus der verschieden starken Wechselwirkung von nicht aneinander gebundenen Gruppen in eis- bzw.

88

Stereochemie

trans-Doppelbindungssystemen auf verschiedene Absorptionseigenschaften geschlossen worden. Diese Wechselwirkung bestimmt aber auch andere physikalische Eigenschaften der Stoffe, so daß auch aus ihnen auf den sterischen Bau von Molekülen geschlossen werden kann. An erster Stelle ist hier die Auswertung von Dissoziationskonstanten KÄ organischer Säuren zu nennen. Allgemein wird als IiA-Wert einer Säure BH die Gleichgewichtskonstante der „prototropen Reaktion" (S = Lösungsmittelmolekül) BH + S ;

- ß(-> + SIl(+>;

X Ä. = — — — L (BH)

C29) ( '

in verdünnter Lösung definiert. Die bei Einsetzen der Konzentrationen anstelle der Aktivitäten in (29) gewonnenen „scheinbaren" Dissoziationskonstanten entsprechen bei kleinen Säurekonzentrationen und schwachen Elektrolyten, wie es die organischen Säuren und Basen fast ausnahmslos sind, im Zahlenwert in guter Näherung den „wahren", thermodynamischen Konstanten. Die KÄ-Werte sind stark vom Lösungsmittelsystem abhängig; bei allen Aussagen über Konstitution oder Molekularstruktur aus ihnen müssen daher Vergleiche mit Verbindungen bekannter Struktur in dem gleichen Lösungsmittelsystem vorgenommen werden, die Absolutwerte sagen — außer der Tatsache, daß die Substanz als Säure oder Base reagiert, nichts Näheres darüber aus. Meist werden Wasser oder wasserhaltige Lösungsmittel benutzt, als Kation ist dann das H 3 0 ( + ) - I o n anzunehmen. Die Bestimmung der Konzentration an B ( - \ H 3 0 ( + > bzw. B H erfolgt oft spektrophotometrisch (BH, B ( _ ) ) , konduktometrisch (B ( _ ) , H 3 0 < + ) ) oderpotentiometrisch ( H 3 0 ( + ) ) . In Analogie zum pH-Wert ( = — l o g [ H 3 0 ( + ) ] ) wird dabei als p K Ä - W e r t definiert:

Stereochemie an Mehrfachbindungen pKÄ = - log Jf 4 = log W , =

89

- log [if 3 0 ( + ) ] (30)

[BEI g

Jn^]

+

pH

Diese pKa~Werte werden im allgemeinen bei den Vergleichen benutzt. In unserem speziellen Fall, der Untersuchung der Stereoisomerie an Doppelbindungen, b e r u h t die Anwendung der pK ¿-Werte auf folgender Erfahrungstatsache: Die Lage des Dissoziationsgleichgewichtes von Carbonsäuron wird davon beeinflußt, ob ein (meist elektronegativer) Substit u e n t in eis- oder in trans-Stellung zur Carboxylgruppe s t e h t : eis

trans

CH 3 CH=CH—COOIi pKÄ = 4,44 4,69 C1CH=CH—COOK 3,32* 3,65* C 0 H 5 CH=CH—COOH 3,88 4,44 C 6 H 5 CH=C(CH 3 )—COOH 4,98* 5,98* (Werte mit * in 40%ig. Aceton, die anderen in Wasser) Allgemein sind die trans-Säuren schwächer als die cis-Säuren. Besonders stark sind die Wechselwirkungen zwischen zwei an eine Doppelbindung cis-ständig gebundenen Carboxylgruppen. Dies wirkt sich vor allem auch auf das Verhältnis der Dissoziationskonstanten bzw. auf die Differenz A der pKWerte der 1. u n d 2. Stufe aus, so bei den Äthylen-1.2dicarbonsäuren: Fumarsäure (trans) pK-ß,21 pK2 4,48 ApK 1,27 Maleinsäure (eis) 2,37 6,31 3,94 Die Größe vonZl pK ist ein Maß f ü r die Stärke der innermolekularen Wechselwirkung, ein Vergleich läßt eine Entscheidung zwischen eis- u n d trans-Konfiguration zu. 445. Auch das polarographische Verhalten von cis-transIsomeren kann verschieden sein. Dabei können mehrere Phänomene a u f t r e t e n : die Reduktion der beiden Isomeren kann unterschiedlichen Mechanismen folgen, dann ist die

Stereochemie

90

Zahl und Lage der Stufen, die Stufenhöhe und die pH-Abhängigkeit verschieden; weiterhin können sich bei gleicher Reduktionsart die Halbstufenpotentiale der beiden Isomeren unterscheiden. So sind die Polarograinrne von eis- und trans-Dibenzoyl-äthylen bei niedrigem p H deutlich unterscheidbar: pH =

1,3 eis

trans

Halbstuf enpotential*) . . . .

0,34

0,16

Stufenhöhe**) .

3,9

3,8

eis 0,51; 1,58 3,7; 0,5

7,2 trans 0,48; 1,5 3,9; 1,2

eis

11,3 trans

0,66; 0,63; 1,57 1,69 3,6; (1,4; 3,5)***) 1,9

*) Gegen n-Kalomelelektrode. »«) fiA für C = 10~3[Mol/Liter]. ***) Partielle Zersetzung.

(R. Pasternak, Helv. chim. Acta 31 [1948] 753). Ähnliche Unterschiede finden sich auch bei eis- und trans3-[p-Brombenzoyl]-3-methylacrylsäure und ihren Derivaten (S. Wawzonek u. a., J. Amer. ehem. Soc. 67 [1945] 1300). Es sind aber andere Fälle bekannt, bei denen die Isomeren keine Unterschiede im polarographischen Verhalten zeigen; eine sichere Konstitutionsbestimmung mit Hilfe der Polarographie allein scheint nicht möglich zu sein. 446. Auch auf die Größe der Molrefraktion hat die in cisund trans-Verbindungen unterschiedliche Wechselwirkung nicht aneinander gebundener Gruppen Einfluß. Als Regel gilt — vor allem bei Verbindungen der Form XCH = CHX —, daß cis-Verbindüngen eine kleinere Molrefraktion besitzen als trans-Verbindungen: C1CH=CHC1 BrCH=CHBr C2H5OOCCH=CHCOOC2H5 . . . . jedoch z. B. CH3CH=CC1C00C2H5

eis

trans

20,25 25,64 42,55

20,56 "26,16 43,05

36,49

36,45

Stereochemie an Mehrfachbindungen

91

Diese und andere halbempirische Regeln, die auf der Verschiedenheit der Kohäsionskräfte in Stereoisomeren beruhen, sind weniger sicher als die, die auf Unterschiede in der Molekülsymmetrie zurückgeführt werden können. 447. Kernmagnetische Resonanzspektren können zur Unterscheidung von cis-trans-Isomeren benutzt werden, wenn beide Isomeren untersucht werden können: Infolge der in beiden Formen verschiedenartigen Abschirmung durch die weiter entfernten Substituenten (vgl. Abschnitt 371) treten Differenzen in den chemischen Verschiebungen auf, die allerdings in Größe und Richtung von der Art dieser Substituenten X abhängen; z. B. bei Verbindungen XHC=CHX: X = T

*cis -

trans =

=

CH3

C1

Br

-0,03

-0,08

C00CH 3

-0,38

+ 0,525

Wegen dieser verschieden starken Abschirmung über mehrere Bindungen hinweg zeigen auch die (zu einer Gruppe X) eis- und trans-ständigen Protonen in Propenen C H 3 — C X = C H 2 in vielen Fällen verschiedene r-Werte: X = T T

cis trans

COOCH3

CONH2

C6H5

C1

Br

OCOCIL

3,96 4,51

4,24 4,63

4,72 4,98

4,92 4,92

4,67 4,47

5,38 5,38

Die Unterschiede ermöglichen eine Erkennung von cis-transIsomeren z . B . b e i x . /^-ungesättigten Säurederivaten auch bei trisubstituierter Doppelbindung:

o.u3X /

CH3X / Jl

:C=ü(

XJOOCH,

CH3X und II7

H /COOCH,

\:ir;)

CH 3X und

)/

)c=o< )c=c(

X

COOCII;

/CH 3 NXIOCH.

Allgemein ist der r-Wert des /5-Protons in dem Isomeren, in dem es cis-ständig zu einer COOR-Gruppe steht, um 0,5 bis

Stereochemie

92

0,9 Einheiten kleiner. (L. M. Jackman, R. H. Wiley, J . ehem. Soc. [London] 1960, 2881, 2886.) Die Stereochemie an der C=C-Doppelbindung läßt sich aber in den genannten Beispielen auch noch anders mit Hilfe von Kernresonanzmessungen bestimmen: Die Substituenten an dieser Bindung schirmen auch die Protonen in den ^-ständigen Methylgruppen je nach ihrer Stellung verschieden stark ab, so gilt für Verbindungen vom Typ CH3S

>=
(i% an diäquatorialer Form in den beiden Zuständen. Bei polysubstituierten Cyclohexanen ist der Energieunterschied zwischen den beiden Konstellationen meist so groß, daß für jedes Stellungs- bzw. Stereoisomere nur e i n e Konstellation, im allgemeinen die mit den meisten e-ständigen Gruppen, verwirklicht ist. Die Momente der Isomeren sind dabei additiv errechenbar bei Annahme starrer Orientierung der Gruppen zueinander. Dipolmomentmessungen geben daher einen Hinweis, welche der Formen vorliegt. Beispiel: Hexachlorcyclohexane ( o = Cl) a

ß

aeeeee ot f^ecto 2 ' 1 6 i" ber . ' 3,2

aeea-ee ß

°- 34 0

y 2>84

4,6

ö 2>24

3,2

e

°' 43 0

Stereochemie

96

(E. L . Lind, M. E . H o b b s , Soc. 72 [1950] 4474).

R . M. Gross,

J. Amer.

ehem.

Die b e o b a c h t e t e n M o m e n t e sind bei den I s o m e r e n m i t größeren ^ - W e r t e n durchweg b e d e u t e n d kleiner als die ber e c h n e t e n ; dies k a n n darauf z u r ü c k g e f ü h r t werden, d a ß die Cl-Atome sich gegenseitig a b s t o ß e n u n d d a d u r c h Abweichungen von der normalen A n o r d n u n g der B i n d u n g e n (Verdrillungen) u m die C-Atome hervorgerufen werden. Die Hexachlorcyclohexane sind zugleich a u c h ein Beispiel f ü r die erfolgreiche A n w e n d u n g v e r s c h i e d e n e r physikalischer Methoden bei einem stereochemischen P r o b l e m : 0 . Bastiansen, 0 . Ellefsen u n d 0 . Hassel (Acta ehem. scand. 3 [1949] 918) h a b e n die K o n f o r m a t i o n dieser V e r b i n d u n g e n m i t Hilfe von E l e k t r o n e n b e u g u n g s u n t e r s u c h u n g e n aufgeklärt, H . L u t h e r u. a. (Z. N a t u r f o r s c h . 5 a [1950] 34) h a b e n ramanspektroskopisch, R. Mecke u n d R . M u t t e r (Z. Elekt r o c h e m . 58 [1954] 1) IR-spektroskopisch dieses P r o b l e m bearbeitet. Wechselwirkungen nicht a n e i n a n d e r g e b u n d e n e r G r u p pen, wie sie im letzten Beispiel die q u a n t i t a t i v e A u s w e r t u n g der /¿-Werte hinderten, m a c h e n sich besonders bei s t a r k polaren u n d großen G r u p p e n als S u b s t i t u e n t e n b e m e r k b a r ; so liegen bei den I n o s i t h e x a a c e t a t e n die b e o b a c h t e t e n Dipolmom e n t e zwar in der e r w a r t e t e n Folge — n u r ä q u a t o r i a l e Gruppen < eine axiale G r u p p e < zwei axiale G r u p p e n ; ein numerischer Vergleich m i t berechneten W e r t e n ist wegen der eingeschränkten R o t a t i o n u m die C—O-Bindungen jedoch nicht möglich. (C.L. u. S. J . A n g y a l , J . ehem. Soc. [London] 1952,695.) Dipolmoment des Hexaacetats von Scylloinosit Mesoinosit rac.-Inosit Epiinosit

Konformation

eee aee aae aea

eee eee eee eee

¡j, [D]

2,3 2,8

3.0 4.1

Stereochemie von Cyclohexanderivaten und -analogen

97

In besonderen Fällen können Cyclohexanderivate außer in der Sesselform auch z. T. in der Bootsform a u f t r e t e n , der Gehalt an dieser F o r m l ä ß t sich aus dem Dipolmoment abschätzen. Beispiel: Cyclohexandion-(1.4) h a t ein endliches Dipolmoment von 1,3 D (C. G. u. R. J . W. Le Fevre, J . ehem. Soc. [London] 1935, 1696). Die Sesselform sollte unpolar sein, der gemessene W e r t spricht flir die Gegenwart von e t w a 1 0 % Bootsform. Diese F o r m — oder „Zwischenform e n " — können auch in kondensierten Ringsystemen verwirklicht sein: F ü r die Isomeren Androstan-3.17-dion u n d Ätiocholan-3.17-dion wurden die Momente 3,1 bzw. 3,5 D (vgl. H . R . Nale u. R . B. Turner, J . Amer. Soc. 75 [1953] 4063) b e s t i m m t . Setzt m a n Sesselkonfiguration in allen Sechsringen voraus ( F o r m A bzw. B), so bilden die polaren C = 0 - G r u p p e n in beiden Isomeren einen Winkel von 118° untereinander, das Moment sollte f ü r beide 3,04 D betragen.

CH3

A

CH3 a

H

7 K r e s z e , Physika!. Mcthodcn/1

98

Stereochemie

Die Differenz zwischen dem beobachteten und berechneten Dipolmoment bei Ätiocholan-3.17-dion liegt außerhalb der Fehlergrenzen; die Autoren vermuten, daß die Verbindung als (Gleichgewichts-)Gemisch mehrerer Molekülformen vorliegt. Am wahrscheinlichsten ist dabei, daß außer Form B auch Form C (berechnetes Moment 5,28 D) mit Bootskonformation (zu etwa 15% in Benzollösung) auftritt. 452. Bei einfach gebauten Substitutionsprodukten des Cyclohexans ist — genau so wie bei Rotationsisomeren oder bei Stereoisomeren an Doppelbindungen — eine Unterscheidung zwischen den Isomeren, den Konformationen und den Ringformen aus den Molekülspektren auf Grund der verschiedenen Symmetrie der einzelnen Molekülarten möglich und auch durchgeführt worden. Bei komplizierter gebauten Verbindungen sind Aussagen über die Stereochemie dagegen meist nur auf Grund semi-empirischer Zuordnungen möglich, für die im folgenden Beispiele gebracht werden. Die Stärke der Wechselwirkung nicht aneinander gebundener Gruppen, die als Substituenten am Cyclohexanring stehen, ist vom Abstand dieser Gruppen voneinander abhängig. Bewirkt die Wechselwirkung eine Änderung in der Lage der Schwingungsfrequenzen der Gruppen, so kann umgekehrt aus der Größe und Art der Änderung auf den Abstand der Gruppen — und damit auf die Konformation — zurückgeschlossen werden. Dies ist vor allem möglich bei Hydroxylverbindungen, bei denen die Wechselwirkung mit Iieteroatomen in dem gleichen Molekül oder in anderen Molekülen durch Vermittlung der Protonen der 0—IiGruppe, durch H-Brückenbindung, erfolgt. Die v (OH)-Bande solcher H-Brücken-gebundenen OH-Gruppen liegt niedrigerfrequent als die „freier" OH-Gruppen. Die OH-Gruppen in Cyclohexandiolen können nun untereinander sowohl zwischenmolekular als auch innermolekular H-Brücken ausbilden, im ersten Fall ist die Intensität der durch diese Assoziation nach niedrigeren Frequenzen verschobenen r(OH) von der Konzentration des Diols abhängig, im letzten Fall nicht. Eine intramolekulare H-Bindung ist andererseits

Stereochemie von Cyclohexanderivaten und -analogen

99

nur möglich, wenn der Abstand der beiden Hydroxylgruppen im Molekül kurz ist ( < 3,3 Ä); tritt also bei einem Cyclohexandiol eine k o n z e n t r a t i o n s u n a b h ä n g i g e v(OH) assoziierter Hydroxylgruppen auf, so können für diese Verbindung Konformationen mit einem OH-O-Abstand d l > 3,3 Ä ausgeschlossen werden. Beispiel: trans-Cyclohexandiol-(l,2) hat in der a.a-Form ein d von 3,3 Ä, in der e.e-Form d = 2,34 Ä, diese Form liegt nach dem IR-Spektrum vor: es tritt eine konzentrationsunabhängige, niedrigfrequente r(OU) auf. Bei cis-Cyclohexandiol-(l,3) andererseits kann aus der Unabhängigkeit der — niedrigfrequenten — i>(OH) von der Konzentration auf a.a-Konformation geschlossen werden (d für die a.aForm 1,64 A ; für e.e > 3,3 A) (L. P . Kuhn, J . Amer. ehem. Soc. 74 [1952] 2492). — Bei den Cyclohexandiolen ist auch noch eine andere Art der Auswertung der j*(OH) möglich: Diole mit innermolekularer H-Bindung zeigen neben der y(OH) des gebundenen OH auch eine Bande der freien Hydroxylgruppe:

also z w e i OH-Banden; Verbindungen mit nur zwischenmolekularer Assoziation zeigen nur eine Bande. Der Abstand Av beider Banden (in c m - 1 ) kann empirisch zu d (in cm) in Beziehung gesetzt werden (L. P . Kuhn, 1. c.):

Die Anwendung dieser Regel bei Naturstoffen zeigt folgendes Beispiel: Von den beiden möglichen Konformationen des Pseudotropins T

100

Stereochemie H,C H,C

•OH H erklärt nur die erste das Auftreten einer innermolekularer HBrückenbindung, wie sie im IR-Spektrum nachweisbar ist. Allerdings ist die Gültigkeit dieser Regel beschränkt, wie die aller Verfahren, die auf der Wechselwirkung nicht aneinander gebundener Atome beruhen: S. Julia u. a. (Helv. chim. Acta 43 [1960] 1623) stellten bei kondensierten bicyclischen Diolen fest, daß obige Gleichung nicht allgemein gültig ist, sondern auch der 0 — H - - - 0 - W i n k e l bei der Berechnung der Av-Werte berücksichtigt werden muß. Auf Grund der Wechselwirkung zwischen nicht aneinander gebundenen Gruppen kann auch bei a-Halogencyclohexanonen (und darüber hinaus allgemein bei a-Halogenketonen) die Konformation bestimmt werden: liegen die Valenzrichtungen der C = 0 - und der C-Halogen-Bindung nahezu in einer Ebene (bei Cyclohexanonderivaten ist dann das Halogen in e-Stellung), so ist die j>(C=0)-Bande nach höheren Frequenzen verschoben, bei den Bromiden um 13—25cm - 1 ; liegen die beiden Valenzrichtungen windschief zueinander (Halogen in a-Stellung), so ist die Frequenzverschiebung gering (Av «a 5 cm - 1 ). Beispiel: r ( C = 0 ) von Cyclohexanon 1712 [cm - 1 ], 4.4-Dimethylcyclohexanon 1712, 2-Bromcyclohexanon 1716 (Br a), 2-Brom-4.4-dimethylcyclohexanon 1728 (Br e), (alle Werte in CCl 4 -Lösung). Diese Regel erlaubt die Konformationsfestlegung auch bei a-Bromketosteroiden; so werden z. B. folgende (CO)-Werte (in c m - 1 ) bei 3-/?-Acetoxycholestan-6-onen beobachtet:

Stereoohemie von Cyclohexanderivaten und -analogen

101

unsubstituiert

p(C=0)

Av

1711



(E. J . Corey, J . Amer. ehem. Soc. 76 [1954] 175). Auch bei anderen a-Halogenketonen kann aus der Verschiebung./! v der r(CO) gegenüber der der unsubstituierten Verbindung auf die sterische Anordnung und ihre Beweglichkeit in der Nachbarschaft der Carbonylgruppe zurückgeschlossen werden. So betragen bei a-Halogencyclopentanonen, deren Fünfring starr in ein bicyclisches System eingebaut ist, diezl»'-Werte 14 (Br) bzw. 18—19 c m " 1 (Cl), bei den nicht starren Stammsubstanzen jedoch nur 8 bzw. 13 (in CC14): Hier ist durch Ringverdrillung eine Lage mit geringerer Wechselwirkung zwischen Halogenatom und Ketogruppe (und damit auch geringerer Frequnzverschiebung) möglich. Auch andere empirische Regeln über die Lage von I R Banden beruhen auf der unterschiedlichen Wechselwirkung nicht aneinander gebundener Gruppen in den verschiedenen Konformationen, vielleicht aber auch teilweise auf einem

102

Stereochemie

Energieunterschied in den Bindungen Ring-C-Atom — Substituent in e- bzw. a-Stellung. — Hier seien nur zwei solche Regeln erwähnt: Bei Hydroxysteroide liegt die r(C—0) für Verbindungen mit OH in e-Stellung nahe 1040 c m - 1 , für solche mit OH ina-Stellung bei 1000 c m - 1 . Die Bande bei 1230 cm --1 , die für die Estergruppierung der Acetate dieser Verbingen charakteristisch ist, hat bei den e-Derivaten einfache, bei den a-Derivaten komplizierte Form. Diese Regel gilt auch bei den einfachen Dekalolen. — Bei Acetaten von Hexosen, die in der Pyranform (C 1-Form) vorliegen, können die beiden Konformationen an der Intensität der Banden bei 1160 und 1125 c m - 1 unterschieden werden (H. S. Isbell u. Mitarbeiter, J. Res. Nat. Bureau of Standards 59 [1957] 41). Ist das glykosidische Acetat in a-Stellung gebunden, so tritt die 1160 cm _ 1 -Bande mittelstark auf, die 1125 cm _ 1 -Bande schwach; bei e-ständigem Glykosidacetat ist die 1160 c m - 1 Bande schwach, die 1125 cm _ 1 -Bande mittelstark. — Die Gültigkeit solcher Regeln ist beschränkt auf die Verbindungsklassen, bei denen ähnliche Wechselwirkungen zwischen den nicht aneinander gebundenen Gruppen angenommen werden können. 453. Messungen der Protonenresonanz können bei Konformationsuntersuchungen von Cyclohexanen und Analogen vor allem deswegen benutzt werden, weil die Kopplung der Kernspins (vgl. Abschnitt 372) für e- bzw. a-ständige HAtome verschieden stark ist: Zwei a-ständige H-Atome an benachbarten C-Atomen koppeln am stärksten. Aus diesem Grunde ist die Hyperfeinstruktur der entsprechenden Resonanzen — oder, falls diese nicht aufgelöst ist, die Breite der Signale — f ü r beide möglichen Konformationen verschieden. So zeigen eis- (OH-Gruppe in a-Stellung, H-Atom am C^) also in e) und trans-4-tert.-Butylcyclohexanol (OH-Gruppe in e, H-Atom am C^) also in a), bei denen die sperrige tert.-Butylgruppe aus energetischen Gründen in e-Stellung stehen muß, die Konformationen also festgelegt sind, folgende Signale für die Resonanz der C—H-Protonen (R. U. Lemieux u. a., J. Amer. ehem. Soc. 80 [1958] 6098):

103

Stereochemie von Cyclohexanderivaten und -analogen 262—274 Hz 233—262 Hz

tert.-Butyl-H-Atome, H-Atome der Ring-CH 2 -Gruppen und des H-Atoms am C(4), 160 H-Atom am Cq) (Frequenzdifferenzen zur Resonanz des CHCl 3 -Protons). Dieses letzte Signal hat nun für das eis- und das trans-Isomere verschiedene Breite, diese ist größer (die Kopplung mit den benachbarten H-Atomen also stärker) bei der transVerbindung mit dem a-ständigen 1-H-Atom: 22 gegen 7 Hz. Auch die Acetate zeigen die gleiche Abhängigkeit der Protonenresonanzsignale von der Stellung des H-Atoms am C(1). Eine Anwendung dieser Methode ist z. B . bei der Konformationsanalyse der Pentaacetate von Aldopyranosen möglich: Hier ist das Signal des 1-H-Atoms (das j a als einziges an einem C-Atom sitzt, von dem 2 C—O-Bindungen ausgehen), leicht zu isolieren, Lage und Breite dieses Signals (Dublett) sind j e nach Konformation verschieden (Ac = CH 3 CO):

AcO

,OAc H

H /?-D-Glucose la—H, 2a—H v = 69 Av= 8

/S-D-Mannose la—H, 2e—H 63,5 3 .0

AcO

H AcO

OAc OAc

a-D-Glucose le—H, 2a—H 51 3,2

«-D-Mannose le—H, 2e—H 52 Hz 3 Hz

Stereochemie

104

Die Kernresonanz hat den Vorteil, auch bei komplizierten Molekülen eindeutige Hinweise auf die Konformationen zu geben, falls Vergleichsmöglichkeiten bestehen. 454. Die Spaltbarkeit in optische Antipoden beweist bei einfachen Cyclohexanderivaten den sterischen Aufbau. Von Verbindungen der Formel C 6 H 10 X 2 z. B. sind spaltbar die trans-1.2-(ee^±a.a) und trans-1.3-Isomeren ( e a ^ a e ) , bei der cis-1.2-Verbindung geht bei Einstellung des Konstellationsgleichgewichts der eine optische Antipode in den anderen über, eine Spaltung ist daher nicht durchführbar, die cis-1.3-, eis- und trans-1.4-Isomeren besitzen Symmetrieebenen im Molekül und sind daher unspaltbar. Bei komplexeren alicyclischen Verbindungen, die optischaktiv sind, ist der Vergleich der Drehwerte eine wesentliche Hilfe bei der Konformationszuordnung. Da hier meist Verbindungen mit mehreren asymmetrischen Zentren vorliegen und die Untersuchung der Stereochemie die Feststellung der Konfiguration an diesen Zentren einschließt, sollen die Anwendungen von Drehwertmessungen in diesem Fall in Abschnitt 461 besprochen werden. 455. Wie bei Stereoisomeren an Doppelbindungen, sind auch bei Cyclohexancarbonsäuren Aussagen über die Stereochemie aus den Dissoziationskonstanten möglich. Dabei ist zunächst das Konformationsgleichgewicht zu berücksichtigen: Bei der Carbonsäure (BTI) wie bei deren Anion (B - ) kann die Gruppe äquatorial (e) oder axial (a) stehen; für das Gleichgewicht gilt (BH)e ^

(BH)a;

Gleichgewichtskonstante

(B~)e (B~)a ; Gleichgewichtskonstante K^ In jeder der beiden Konformationen stellt sich nun — unter Vermittlung des Lösungsmittels S — das Dissoziationsgleichgewicht ein: (BH)e + S (BH)a+

(B~)e + SH+ ;

KeA

S — (£")„+ SH+ ; JE«

Stereochemie von Cyclohexaderivaten und -analogen Dann ist aus der Größe der beobachteten konstanten K,

105

Dissoziations-

. {[(B-)J + [ ( B - ) J } • [ g g + 1

E

auf die Lage des Konformationsgleichgewichts zurückzuschließen, falls die Dissoziationskonstanten der ,,reinen" Konformationen KeÄ bzw. KaÄ bekannt sind und als allgemein gültig angesehen werden: I(

Kn

K*

=

(

—kÄ)

K

= K

a

Ä

/

( K - K )

K / K°a

K. D. Stobow (J. Amer. ehem. Soc. 81 [1959] 5806) nimmt als K"a- bzw. Ä^-Wert die Dissoziationskonstanten der trans(COOH in e-Stellung) bzw. der eis- (COOH in a-Stellung) 4-tert.-Butylcyclohexancarbonsäure: pKeA in 66% Dimethylformamid-34% Wasser 7,79, pKaÄ 8,23. Mit diesen Werten ergibt sich für Cyclohexancarbonsäure selbst (pK 7,82) ein K%e-Wert von 0,12 ± 0,08 und ein X f - W e r t von 0,029: in beiden Fällen ist also die e-Form im Konstellationsgleichgewicht begünstigt. — P. F. Sommer, V. P. Aryaund W. Simon (Tetrahedron Letters 1960, Nr. 20, S. 18) führen die geringere Acidität einer a-ständigen Carboxylgruppe (im Vergleich zu einer e-ständigen) auf eine Hinderung der Solvatation des Anions im ersten Fall zurück. Das Ausmaß dieser Hinderung wird bei polycyclischen Verbindungen mit festgelegter Konstellation bestimmt durch die Anzahl n der a.a-Wechselwirkungsmöglichkeiten mit 3-ständigen H-Atomen sowie durch das Auftreten (b = 1) oder Nichtauftreten (b = 0) einer a-Methylgruppe oder «-ständigen Ringverknüpfung; daher gilt auch empirisch für den pK*-Wert (in 80% Methylcellosolve/20 %Wasser): pK* = 7,44 + 0,25 n + 0,22 b Danach ergeben sich f ü r eis- (n = 2, b = 1) und trans-

106

Stereochemie

(n = 4, b = 1) Dekalin-9-carbonsäure die p Z * - W e r t e von 8,16 bzw. 8,66, beobachtet werden 8,17 und 8,58. Es ist also möglich, aus p K-Werten auf die Lage des Konformationsgleichgewichts oder bei festgelegter Konformation auf die Stellung der Carboxylgruppe zurückzuschließen. Bei den Cyclohexandicarbonsäuren treten zu den Unterschieden in der Acidität, die durch verschiedene Konstellation der Carboxylgruppe bedingt sind, diejenigen, die durch den verschieden großen Abstand der Gruppen in der cisbzw. trans-Form verursacht werden. Wie bei den «.^-ungesättigten Dicarbonsäuren (Abschnitt 444) sind dabei wieder die Unterschiede der pK-Werte der 1. und 2. Dissoziationsstufe bzw. das Verhältnis K , / K 2 der entsprechenden Dissoziationskonstanten charakteristisch f ü r die Stereoisomerie: Dissoziationskonstanten der Cyclohexandicarbonsäuren (nach R. Kuhn und A. Wassermann, Helv. chim. Acta 11. [1928] 50) Stellung

Konformation Kx • 105 K2 • 105 KJK2*)

cis-1.2trans-1.2cis-1.3trans-1.3cis-1.4trans-1.4*) In Wasser.

e.a e.e e.e

a.a a.a e.a e.a

4,56 6,60 7,95 4,9 3,63 6,6

0,0182 0,116 0,347 0,186 0,162 0,38

267 56 23 26 22 17

K

i/K a **) 885 85 38 83 36 31

**) In 50% Methanol—Wasser.

Bei denjenigen Isomeren, bei denen zwei nicht identische Konformationen (e.e a.a) im Gleichgewicht stehen, wird bei der Dissoziation des Monoanions diejenige F o r m des Dianions ausgebildet, bei der die beiden COO~-Gruppen sich am wenigsten stark beeinflussen können. Dabei t r i t t bei der 1.2-Form anscheinend sogar Umklappen in die energetisch ungünstige a.a-Konformation ein. Das K 1 /K 2 -Verhältnis ist in allen Fällen wegen dieser Ausweichmöglichkeit k l e i n e r als bei den Isomeren mit zwei identischen Kon-

Stereochemie von Cyclohexaderivaten und -analogen

107

forinationen (e.a). Die elektrostatische Wechselwirkung zwischen den COO " -Gruppen sollte sich in Lösungsmitteln niedrigerer Dielektrizitätskonstante stärker auswirken, die oben mit angegebenen KJKg-Werte in 50%igem Methanol zeigen, daß dies bei den 1.2- und 1.3-Isomeren zutrifft. Der Vergleich der Dissoziationskonstante und der KJ/KJ-Werte gibt danach Aussagen über die Stereoisomerie auch bei Cyclohexancarbonsäuren. 456. Auch mit Hilfe von polarographischen Daten ist in manchen Fällen eine Konformationsanalyse durchführbar. So unterscheiden sich die Halbstufenpotentiale von cisund trans-2-Chlor-4-tert.-butylcyclohexanon deutlich: das cis-Isomere, bei dem — wegen der bevorzugten e-Stellung der tert.-Butylgruppe — auch das 2-ständige C1 in e-Stellung stehen muß, zeigt E 1 / 2 = —1.57 V (gegen die gesättigte Kalomelelektrode), das trans-Isomere (C1 in a-Stellung) EJ / 2 = —1,42 V. Entsprechende Unterschiede treten auch bei den analogen Fluorverbindungen auf (— 2,08 bzw. —1,85 V). Das Verfahren scheint besonders bei der Festlegung der Stereochemie in starren, kondensierten Alicyclen günstig zu sein; Verbindungen, bei denen ein echtes (schnell eingestelltes!) Konformationsgleichgewicht vorliegt, werden in der leichter reagierenden Form reduziert, z. B. 2-Chlorcyclohexanon: E 1 / 2 = —1,40 V (A. M. Wilson, N. L. Allinger, J. Amer. ehem. Soc. 83 [1961] 1999). 457. Empirisch sind Regeln gefunden, die den Zusammenhang von sterischem Bau und Kohäsionseigenschaften bei Cyclohexanderivaten beschreiben. Im Grunde beruhen diese Regeln auf der unterschiedlich großen Fähigkeit der Substituenten, Feldwirkungen auszuüben (vgl. A b s c h n i t t e ) . Die wichtigste Regel ist wohl die von Auwers-Skita, die unter Berücksichtigung der heutigen Kenntnisse vom Bau der Cyclohexanderivate in der Form ausgesprochen werden kann: Isomere disubstituierter Cyclohexane, bei denen die Ausbildung einer e.e-Form möglich ist, haben im allgemeinen einen niedrigeren Siedepunkt, eine niedrigere

108

Stereochemie

Dichte und einen niedrigeren Brechungsindex, jedoch eine höhere Molekularrefraktion als die anderen Formen. Die Regel muß bei längeren Ketten als Substituenten wegen der einsetzenden Rotation versagen. 46. Konfigurationsbcstimmungen

460. Mehrfach substituierte Cyclohexanderivate besitzen meist zwei oder mehr Asymmetriezentren. In einem solchen Fall ist ein Ziel stereochemischer Untersuchungen, die Konfiguration an allen diesen Zentren festzustellen. Vorzugsweise sind zur Konfigurationsbestimmung chemische Methoden geeignet, vor allem der Abbau zu Produkten mit nur einem Asymmetriezentrum, dessen Konfiguration bekannt ist. Physikalische Methoden können hier meist nur Hinweise geben, eine Konfigurationszuordnung erlauben sie nur in Einzelfällen. Die Methodik hierzu ist auch bei offenkettigen Systemen mit mehreren Asymmetriezentren anwendbar, bei Cyclohexanderivaten jedoch besonders oft angewandt worden und soll daher erst jetzt besprochen werden. Unterschiedliche Meßwerte für die Stereoisomeren mit verschiedener Konfiguration an den einzelnen Asymmetriezentren, die nicht optische Antipoden sind (Diastereomere), werden bei den meisten Eigenschaften beobachtet. Grundlage für die Auswertung solcher Meßwerte ist bei einfachen Molekülen, daß die Symmetrie der einzelnen Diastereomeren verschieden ist, bei komplex aufgebauten Verbindungen, daß die Wechselwirkungen zwischen nicht aneinander gebundenen Atomen in den einzelnen Isomeren unterschiedlich groß sind, daß z. B. die innermolekulare Rotation verschieden stark behindert ist. Bei den folgenden Beispielen ist der Sonderfall zweier Asymmetriezentren an benachbarten Atomen behandelt. Hier sind allgemein 4 optische Isomere möglich, die 2 Paare von Antipoden bilden. Sind jeweils 2 der an die beiden Zentren gebundenen Gruppen ( R 1 und Rv bzw. R2 und R2') identisch oder ähnlich, so unterscheidet man die beiden möglichen Racemate durch die Benennungen:

Konfigurationsbestimmungen

erythro (mesoid)

109

threo (racemoid)

Sind alle Substituenten an den beiden Zentren paarweise gleich (Ä 1 = R1', R2 = R2', R3 = Ä 4 ), so wird das erythroIsomere als meso-, das threo-Isomere als racem-Form bezeichnet. 461. Die Anwendung von Messungen der optischen Aktivität zur Bestimmung der Konfiguration bei solchen Verbindungen beruht allgemein auf der Regel von der optischen Superposition. Dieses Prinzip sagt folgendes aus: In einer Verbindung, die mehr als ein Asymmetriezentrum enthält, addieren sich die Beiträge der einzelnen Zentren zum Drehwert des Gesamtmoleküls. Wegen der spezifischen Wechselwirkung der einzelnen Gruppen untereinander gilt die Regel fast nie quantitativ, in Differenzform und als Erweiterung des Verschiebungssatzes (vgl. Abschnitt 422) angewendet, gibt sie jedoch wesentliche Hinweise auf die Konfiguration an den einzelnen Asymmetriezentren eines komplexen Moleküls. Das Verfahren kann dabei allgemein wie folgt beschrieben werden: das

Stereochemie

110

Molekül 1 enthält die Asymmetriezentren X und Y mit den Beiträgen A und B. Die Diastereomeren II (andere Konfiguration an X) und III (andere Konfiguration an Y, Antipode zu II) seien bekannt, ebenso die Verbindungen I', II' und III', die aus I, II bzw. III durch eine kleine chemische Änderung an X im Sinn des Verschiebungssatzes hervorgehen. Z+ — Y+ x - — Y+ X+ — Y~ I II III [M] = + A + B —A+B + A—B X'+ — Y+

r

[M\ = + A' + B

X'~ — Y+ iv —A'+B

X'+ — Y~ iiv + A' — B

Setzen sich die Molekularrotationen in der angegebenen Weise additiv zusammen, dann sollte gelten: [Mi] — [Mm]

= [Ml'] — [Mm']

=25

[Mi] + [Mn]

=[MI']

=2 B

+ [Mii']

Die Differenzen bzw. die Summen der Drehwerte sind danach unabhängig von der speziellen Verbindungsgruppe, die X enthält, dies sollte für alle Derivate mit Y erfüllt sein. Da andererseits dann [Ml] — [Mn] = 2A, [Ml'] — [Mll'] = 2A' sein sollte, ist prinzipiell die Gewinnung von Inkrementen für bestimmte Gruppierungen (mit X bzw. X') möglich, die den Einfluß chemischer Änderungen auf den Drehwert eines Grundgerüstes beschreiben. Sind die Zentren weit voneinander entfernt und tritt keine spezielle Wechselwirkung zwischen ihnen auf, so gilt die Regel von der optischen Superposition wenigstens angenähert, wie das Beispiel der (—)-3 (l), 6 (D)-Dimethyltetrakosansäure zeigt (St. Ställberg-Stenhagen, Ark. Kemi 2 [1950] 431):

Konfigurationsbestimmungen COOH 1

CH 2

1

CH3—C—H

COOH

COOH

CH 2

CH 2

1

|

CH 2

CH 2

CH 3

j

1 1

CII 2

(CH 2 ) 17

111

1

1

_ ~

CH3—C—H

j

CH A

j

I 1

CH 2

1

CH3—C—H

i 1

(CH 2 ) 1 7

L-(-)

CH 3

[M] 2 5 in Chloroform

L-(+)

bei B461A — 15,6° bei 4047 Ä —32,9»

+1,1° + 2,4°

C| H ,2

H—C—CH3

i 1

(CH 2 ) 1 6

CH, ber.

beob.

— 16,7° — 18,2° —35,3° —37,6»

E s ist also auf diese Weise eine Aussage über die Relativkonfiguration an den einzelnen Asymmetriezentren und, falls bei den Vergleichsverbindungen die absolute Konfiguration bekannt ist, auch über diese möglich. Bei Verbindungen, bei denen direkte Wechselwirkung (Vicinal-Wirkung) der Gruppen an den verschiedenen Zentren auftritt, versagt die Regel meist. Hier ist, besonders in offenkettigen Systemen mit freier Rotation und damit beliebiger Lage der Asymmetriezentren zueinander, im Sinn des Verschiebungssatzes allein das Vorzeichen der Rotationsdifferenzen charakteristisch, die Größe variiert stark von Verbindung zu Verbindung. Im Spezialfall zweier benachbarter Asymmetriezentren mit paarweise gleichen Substituenten kann trotzdem eine sichere Konfigurationszuordnung für die meso- bzw. racemF o r m auf Grund ihrer verschiedenen Symmetrie getroffen werden: Bei den meso-Isomeren sind folgende rotationsisomere, energiebegünstigte Formen möglich.

Stereochemie

112

R1

R3

Die erste (in den meisten Fällen stabilste) Konformation besitzt ein Symmetriezentrum; daher kann das Isomere einer Verbindung, das der meso-Form entspricht, nicht in optische Antipoden gespalten werden. F ü r die Racem-Form existiert kein Rotationsisomeres mit analoger Symmetrie; hier ist also eine Spaltung möglich. Umgekehrt ist das Isomere einer Verbindung R1R2RaC — CRsR2RV bei dem optische Antipoden dargestellt werden können, als racem-Form zu bezeichnen. Bei komplizierter aufgebauten Molekülen mit 2 benachbarten Asymmetriezentren bleibt das „mesoide" bzw. „racemoide" Verhalten in gewissem Umfang in manchen Fällen erhalten: die optischen Drehungen der Antipoden der threoReihe sind, absolut genommen, dann größer als die der erythro-Reihe. Beispiel (D. J . Cram u. J . D. Knight, J . Amer. ehem. Soc. 74 [1952] 5835): Drehwerte von Verbindungen C oHe I CH,—C I i C6H5

X I C—OH« C2H5

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