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German Pages 426 Year 2018
Einführung in das japanische Strafrecht Strafrecht auf der Basis der japanischen Sozialstruktur
Von
Keiichi Yamanaka
Duncker & Humblot · Berlin
KEIICHI YAMANAKA
Einführung in das japanische Strafrecht
Einführung in das japanische Strafrecht Strafrecht auf der Basis der japanischen Sozialstruktur
Von
Keiichi Yamanaka
Duncker & Humblot · Berlin
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Vorwort Vorwort
Das erste moderne Strafrecht in Japan ist 1882 in Kraft getreten. Dabei hat der französische Rechtsgelehrte Gustave Émile Boissonade de Fontarabie, der von der japanischen Regierung angestellt wurde, einen großen Einfluss auf den Strafgesetzesentwurf ausgeübt. Seit 1873 hat er in der Rechtsschule des Justizministeriums eine Vorlesung über das französische Recht, darunter auch das Strafrecht, gehalten. Er war, wie sein Lehrer, Elzéar Ortolan, ein Vertreter der neoklassischen Schule. Manche von Boissonades japanischen Schülern haben nach dem Studium in der Rechtsschule des Ministeriums noch in Frankreich Rechtswissenschaft studiert. Danach, um die Jahrhundertwende, hat Asataro Okada seit 1897 bei Franz von Liszt in Halle die moderne Schule des Strafrechts erforscht, und Shigema Oba, der nachher einer der Repräsentanten der damaligen klassischen Schule wurde, widmete sich seit 1905 bei Karl Birkmeyer in München der Erforschung der klassischen Schule. Dabei hat Okada das japanische StGB ins Deutsche übersetzt und Oba seine Dissertation auf Deutsch verfasst. Bis in diese Zeit orientierte sich die japanische Strafrechtswissenschaft hauptsächlich an den europäischen Rechtssystemen. Schon seit der ersten Rezeption der europäischen Rechtssysteme haben manche japanischen Juristen aber versucht, das zu rezipierende oder rezipierte Rechtssystem im Lichte der damaligen japanischen gesellschaftlichen oder staatlichen Situationen wenigstens auszuwählen oder auch zu interpretieren. Dabei hat der „Kontextwechsel“ bei der Rezeption oder Auslegung eine wichtige Rolle für das Verwurzeln des rezipierten Rechtssystems in der Gesellschaft gespielt. Außerdem finden sich schon in dieser früheren Zeit Bemühungen, auch die japanischen Rechtskenntnisse nach außen zu tragen. Seither, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, sind verschiedene japanische Strafrechtswissenschaftler zu Forschungsaufenthalten nach Deutschland gekommen, obwohl der Austausch am Anfang meistens einseitig auf den Import europäischer Fachkenntnisse gerichtet war. Seit den 1960er Jahren haben auch viele deutsche Strafrechtswissenschaftler Japan besucht. Die Symposien zwischen Deutschland und Japan finden seit dem Symposium der Alexander von Humboldt-Stiftung im Jahre 1973, an dem auch neun japanische Humboldtianer teilnahmen, und seit dem Symposium in Köln von 1988 immer häufiger statt. Dadurch ist auch die japanische Strafrechtswissenschaft auf Deutsch präsentiert worden. Inzwischen gibt es sogar eine fast unübersichtliche Zahl von Werken, die sich in deutscher Sprache dem japanischen Strafrecht widmen. Es fehlt jedoch noch eine Einführung in das japanische Strafrecht, die den Lesern einen Überblick über das japanische Strafrecht geben kann. Dabei darf die Darstel-
Vorwort
6
lung des Strafrechtssystems nicht, wie bei normalen Lehrbüchern des Strafrechts, rechtstheoretisch und systematisch sein. Vielmehr müssen die entstandenen Gesetze, die ausgewählten Auslegungen und gerichtlichen Entscheidungen auf der Basis der Sozialstruktur und des kulturellen Hintergrundes erklärt werden. Für Europäer oder andere Ausländer ist es für das Verständnis besser, wenn die strafrechtliche Gesetzgebung, Dogmatik oder auch die Entscheidungen so erklärt werden, dass erkennbar wird, wie sie auf der Basis der japanischen gesellschaftlichen oder kulturellen Eigentümlichkeit konzipiert sind. Diese Einführung ist daher so geschrieben, dass die Leser den Unterschied zwischen dem deutschen und japanischen Strafrecht klar erfassen können. Da davon ausgegangen wird, dass die meisten Leser des Japanischen nicht mächtig sind, wird auf japanische Quellenangaben, soweit möglich, verzichtet. Schließlich ist zu betonen, dass dieses Buch mit der Hilfe von vielen Freunden, Bekannten und Lektoren zustande gekommen ist. Zuerst gilt meine Dankbarkeit aus meinem tiefsten Herzen meinem Freund, Professor Dr. Dr. h. c. Jan C. Joerden an der Europa-Universität in Frankfurt (Oder), der mich bei der Fertigstellung des Manuskripts und der Publikation tatkräftig unterstützt und keine Mühe gescheut hat. Der Anlass zu diesem Vorhaben war eine Bewerbung bei der Alexander von Humboldt-Stiftung für ein Projekt, welches den deutschen Lesern die japanische Strafrechtswissenschaft näher bringen soll. Die Humboldt-Stiftung hat mir den Reimar Lüst-Preis verliehen und damit konnte ich seit 2014 insgesamt für ein Jahr an unterschiedlichen Orten in Deutschland für das Projekt arbeiten. Bei Professor Dr. Gerhard Werle in Berlin, bei Professor Dr. h. c. Jörg-Martin Jehle in Göttingen und bei Professor Dr. Dres. h. c. Ulfrid Neumann in Frankfurt am Main möchte ich mich für die freundlichen Betreuungen bei meinen Forschungsaufenthalten in dieser Zeit herzlich bedanken. Für die sprachliche Verbesserungsarbeit gilt mein besonderer Dank Herrn Peter Stanglow, der am Lehrstuhl von Professor Joerden tätig war. Zudem möchte ich Herrn Robert Brockhaus, der aktuell als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professor Joerden tätig ist, ganz besonders für die vollständige Überarbeitung des Buches danken. Die beiden haben mir nicht nur geholfen, mein Deutsch zu verbessern, sondern mir auch verschiedene Ratschläge hinsichtlich der Darstellung des Inhalts gegeben und als deutsche Leser den Bedarf an genaueren Erklärungen aufgezeigt. Das Korrekturlesen der Druckfahnen hat Frau Florina M. Polutta, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Professor Joerden, übernommen; dafür danke ich ihr herzlich. Das Sachregister hat dankenswerterweise Frau Monique Vollbrecht bearbeitet. Ich danke auch meinem langjährigen Freund, Herrn PD Dr. Joerg Brammsen in Bayreuth, für seine sprachlichen Verbesserungen einiger Abschnitte und auch für unser langjähriges unermüdliches Gespräch über die verschiedenen Themen der Strafrechtsdogmatik herzlich. Herrn Dr. Florian R. Simon, Geschäftsführer des Verlags Duncker & Humblot in Berlin, danke ich schließlich herzlich für die Übernahme der Publikation dieses Buches. Osaka, den 5. April 2018
Keiichi Yamanaka
Inhaltsübersicht
A.
Grundkonzept des japanischen Strafrechts u nd der japanischen Strafrechts wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
B.
Geschichte des modernen japanischen Strafrechts .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
C.
Funktion des Strafrechts und der Bestrafung in der japanischen Gesellschaft . . . 61
D.
Verwirklichung des Strafrechts und deren Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
E.
Sanktionssystem in Japan .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
F.
Gegenwärtige Tendenzen der Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
G.
Sinn und Funktion des Gesetzlichkeitsprinzips .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
H.
Straftatsystem und Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
I.
Unterlassung, Kausalität und Zurechnung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
J. Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 K.
Vorsatz und Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
L. Fahrlässigkeitsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 M. Schuldlehre (Schuldfähigkeit und Zumutbarkeit) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 N. Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 O.
Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
P.
Schutz von Leib und Leben .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
Q.
Freiheits-, Ehr- und Geschäftsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
R. Vermögensschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 S.
Schutz der sozialen Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
T. Staatsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
A.
Grundkonzept des japanischen Strafrechts und der japanischen Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Stellung des japanischen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Ein kontinentales Rechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Das alte StGB von 1880 und das geltende StGB von 1907 . . . . . . . . . . . . 30 II. Demokratisierung und Liberalisierung des geltenden StGB von 1907 . . . . . 31 1. Kontinuität und Teilreform des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Das StGB unter der neuen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Umfassende Reformversuche .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 c) Entwurf des reformierten Strafrechts von 1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Die Interpretation des StGB – Liberalismus und Konservativismus .. 32 3. Gültigkeit des StGB innerhalb der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Die Verfassungsmäßigkeit von Strafrecht und Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Beispiel einer vom OGH für verfassungswidrig erklärten Vorschrift 33 4. Unterschiede zwischen dem japanischen und dem deutschen Straf gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Formulierung der Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 aa) Besonderer Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 bb) Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Kernstrafrecht und Nebenstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 c) Kommunale Verordnungen mit Strafvorschriften .. . . . . . . . . . . . . . . . . 37 d) Keine Unterscheidung zwischen Vergehen und Verbrechen .. . . . . . . 37 e) Kein Ordnungswidrigkeitengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 f) Sanktionensystem .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 aa) Einspuriges Sanktionensystem .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 bb) Strafarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 cc) Sanktionen für Schuldunfähige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 III. Strafrechtsreformen im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Reform von 2001 (Reform im Bereich von Zahlungskarten und Verkehrsunfällen) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Reform von 2003 (Einführung des passiven Personalitätsprinzips) . . . 42 3. Reform von 2004 (Revision der Strafrahmen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4. Reform von 2005 (Neue Regelung der Straftaten zu Menschenhandel usw.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 5. Reform von 2007 (Einführung der Geldstrafe beim Diebstahl usw.) .. 44
Inhaltsverzeichnis
10
IV. Strafrechtsreform seit 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. 2. 3. 4.
Änderung der Verjährungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Reform des Computer- und Internetstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Reform der Vorschriften zur Strafaussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Das „Gesetz zur Bestrafung von gefährlichen Autofahrten mit Todesoder Körperverletzungsfolge“ von 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 5. Die neueste Strafrechtsreform und der zukünftige Reformplan .. . . . . . 45 a) Reform der Sexualdelikte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Geplante Einführung der einheitlichen Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . 46
B.
Geschichte des modernen japanischen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I. Modernisierung des japanischen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Die geschichtliche Bedeutung der Meiji-Restauration . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. StGB-Reformen zum Zweck der Restauration am Anfang der MeijiÄra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Das alte StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Kritik am alten StGB und Reformbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Reformversuche .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Entwicklung der Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Schüler Boissonades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Die am Strafzweck der Abschreckung orientierte moderne Schule . 51 c) Die Vorläufer der modernen Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 d) Etablierung der modernen Schule .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 e) Klassische Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 III. Entwicklung der modernen Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Strafrechtswissenschaft vor und während des Zweiten Weltkrieges .. 54 2. Strafrechtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Demokratisierung und Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Die Vorkriegsgeneration und ihre Nachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 c) Eine neue Generation in der Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Strafrechtswissenschaft ab 1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Debatte um die Strafrechtsreform .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Neue Entwicklung der Strafrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 aa) Praxisorientierte Strafrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 bb) Vertiefung der dogmatischen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4. Strafrechtswissenschaft der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Fehlende Dynamik in der Debatte um die Strafrechtsdogmatik . . . . 58 b) Suche nach einem neuen Paradigma der Strafrechtswissenschaft .. 59
C.
Funktion des Strafrechts und der Bestrafung in der japanischen Gesellschaft 61 I. Strafrechtsnormen als Verhaltensnormen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Inhaltsverzeichnis
11
1. Verletzung der Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Strafrechtsnorm und Sozialnorm .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Verwaltungsnormen oder „Soft Laws“ als Verhaltensnormen . . . . . . . . 62 II. Schutzfunktion des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Rechtsgüterschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Schutz der öffentlichen Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Der Strafgrund der Gefährdung von Rechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Effektivierung des Rechtsgüterschutzes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Abstrakte Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Vorverlagerung der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 III. Garantiefunktion des Strafrechts .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Magna Charta des Verbrechers .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Das Attentat auf den russischen Kronprinzen und die damalige Gesetzeslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Sogenannte Otsu-Affäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Hintergrund und Folge der Affäre .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 c) Reichsgerichtspräsident vs. Justizminister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Allgemeine Tendenzen der Justiz vor dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . 68 IV. Funktion der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Strafzwecke .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Vergeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3. Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Disziplinierte Lebensführung im Strafvollzug .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Entstehung der Zuchthäuser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 c) Zunahme der Kriminalität nach der Restauration .. . . . . . . . . . . . . . . . . 71 d) Die Kettenhügel von Hokkaido . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 e) Die weitere Entwicklung des Resozialisierungsgedankens . . . . . . . . 72 f) Resozialisierung im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4. Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Negative Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Positive Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 c) Wiederherstellung des Vertrauens in die Rechtsordnung .. . . . . . . . . . 74 D.
Verwirklichung des Strafrechts und deren Akteure .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I. Juristenausbildung und akademische Laufbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Ausbildung und Ansehen der Jura-Professoren .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Deutschland: Juristen als Jura-Professoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Die Regel in Japan: Jura-Professoren ohne Staatsexamen . . . . . . . . . 76 c) Die Ausnahme in Japan: Juristen als Jura-Professoren .. . . . . . . . . . . . 77 d) Das Ansehen der Jura-Professoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Law School und Reform der Juristenausbildung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
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Inhaltsverzeichnis a) Gründung der Law School .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Staatsexamen: Das Tor zum Volljuristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Ist das Law School-System erfolgreich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Krise des Law School-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Ursachen der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Verschiedene Außenansichten auf die japanische Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Bürokratische Justiz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Gründung des japanischen Justizsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Entwicklung des Justizsystems nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . 83 c) Justizpassivität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Ein „Paradies“ für die japanische Staatsanwaltschaft? . . . . . . . . . . . . . . . 86 III. Grundriss der Justizorgane in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Das gesetzliche System der japanischen Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 IV. Grundstruktur des japanischen Strafprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Grundprinzipien der geltenden StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Zweck und Grundsätze des Strafprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Entwicklung der Gesetzgebung im Strafprozessrecht .. . . . . . . . . . . . . 89 c) Prozesszweck und -struktur .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Zwei Modelle der Ermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Freiwillige Ermittlung und Zwangsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 c) Festnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 aa) Normale Festnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Festnahme bei Betreffen auf frischer Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 cc) Notfestnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 d) Verfahren nach der Festnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 e) Untersuchungshaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 f) Durchsuchung und Beschlagnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3. Klageerhebung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Anklagemonopol und Einheitlichkeit der Staatsanwaltschaft . . . . . . 94 b) Opportunitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 c) Anklageschrift und Verhinderung von Vorverurteilungen .. . . . . . . . . 96 4. Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Die Grundsätze des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Beweisaufnahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5. Saiban’in Saiban (Schöffengericht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Einführung von Saiban’in Saiban . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Zuständigkeit des Schöffengerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 c) Stellung, Befugnisse und Pflichten der Schöffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
Inhaltsverzeichnis E.
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Sanktionssystem in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Einspuriges System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Todesstrafe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Vollstreckung der Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Gesellschaftliche Einstellung zur Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Freiheitsstrafe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Arten der Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Strafanstaltsgesetz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Statistische Angaben zum Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Anzahl der Strafanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Neue Strafanstalten durch Public-private-Partnership .. . . . . . . 104 cc) Situation des Vollzuges in Strafanstalten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 d) Behandlung der Strafgefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4. Geldstrafe und Geldbuße .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 II. Sanktionen gegenüber Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Jugendgesetz und Jugendkriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Das Verfahren bei Straftaten und Verfehlungen Jugendlicher . . . . . . . . 110 a) Straftaten von Jugendlichen, die 14 Jahre alt oder älter sind . . . . . . . 110 b) Verfehlungen von Jugendlichen und Taten von gefährdeten Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Der Ablauf des Verfahrens vor dem Familiengericht . . . . . . . . . . . . . . 110 3. Die Entscheidung des Familiengerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 III. Besserungshilfe in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Zweck der Besserungshilfe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Organe der Besserungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3. Vorläufige Entlassung und Bewährung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Vorläufige Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Bewährung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
F.
Gegenwärtige Tendenzen der Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 I. Verhaltensnorm und Sanktionsnorm in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 II. Kriminalitätsrate und Aufklärungsrate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Bekannt gewordene Straftaten und Aufklärungsrate . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Vergleich mit Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 III. Soziale Ausgrenzung und Kriminalität in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Sozialer Wandel und Phänomenologie der Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Hintergrund der Änderung der Sozialstruktur in Japan . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Ende des Wirtschaftswachstums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Arbeitsverhältnisse .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
Inhaltsverzeichnis
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c) Bevölkerungsstruktur hinsichtlich des Alters .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 d) Kriminalität auf Grund von Ausländerhass .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Kindesmisshandlung als Folge sozialer Ausgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Das Gesetz zur Bekämpfung von Kindesmisshandlungen von 2000 124 b) Gegenwärtige Situation .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4. Mobbing in der Schule als erste soziale Ausgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . 125 5. Jugendkriminalität als Folge sozialer Ausgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Gewalttätigkeiten in der Familie: der Kanagawa-MetallschlägerMordfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Innere Ausgrenzung der Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Kriminalität der jungen Generationen in Bezug auf das Internet . . . 127 aa) Gruppengewalt nach Mobbing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 bb) Drohung nach dem Ende einer Beziehung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 6. Alte Menschen als Opfer der sozialen Ausgrenzung .. . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Enkelbetrug .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Mordfälle bei der Betreuung von Großeltern durch den betreuenden Sohn oder die Tochter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Vermehrte Kriminalität von alten Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 IV. Organisierte Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. 2. 3. 4. 5.
Von den Yakuza zu den Boryokudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Boryokudan-Bekämpfungs-Gesetz (BBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Traditionelle Finanzierungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Finanzierung unter dem Deckmantel der Legalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Initiative zur sozialen Ausgrenzung der Boryokudan . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) „Not bricht Eisen“ (Rache der Boryokudan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Soziale Ausgrenzung der Boryokudan durch die Justiz . . . . . . . . . . . . 134
G. Sinn und Funktion des Gesetzlichkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I. Das Gesetzlichkeitsprinzip und die daraus abgeleiteten Grundsätze .. . . . . . 136 1. Keine Vorschriften zum Gesetzlichkeitsprinzip im geltenden StGB .. 136 2. Abgeleitete Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 II. „Elastische Auslegung“ als Interpretationstechnik der Juristen? . . . . . . . . . . 137 1. Die Unterscheidung zwischen Analogie und erweiterter Auslegung .. 137 2. Gesetzlichkeitsprinzip und teleologische Betrachtungsweise . . . . . . . . . 137 3. Elektrizitätsdiebstahl-Fall .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4. Bestrafung von Fahrlässigkeitsdelikten ohne klare Strafvorschrift . . . 138 5. Digitalisierte Urkunde? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 III. Rückwirkungsverbot .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. § 39 der Verfassung und § 6 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Auslegung von „Strafe“ in § 6 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 IV. Blanketttatbestände und Zeitgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
Inhaltsverzeichnis
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1. Gesetzliche Bevollmächtigungen zu Verordnungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Zeitgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 V. Änderung der Ergänzungsnormund Änderung oder Abschaffung der Strafandrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Abschaffung der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Wandel der Rechtsprechung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 VI. Gesetzlichkeitsprinzip im Lichte der Verfassung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Bestimmtheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Der Grundsatz der materiell gerechten Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 H.
Straftatsystem und Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Straftatsystem der japanischen Strafrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Dreistufiges Straftatsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Tatbestandsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3. Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 4. Finale Handlungslehre und Straftatsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 5. Handlungs- oder Erfolgsunwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 6. Verstoß gegen Verhaltensnorm und Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 149 7. Tatbestandsvorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 II. Objektivismus und Subjektivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Perspektivenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Unwissenschaftliche Gegensätze .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3. Objektivismus und Subjektivismus als einfach zu handhabender Gegensatz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 III. Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Gesetzliche geregelte Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Allgemeines Rechtfertigungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 IV. Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Schuld als Element der dritten Stufe des Straftatsystems . . . . . . . . . . . . . 153 2. Willensfreiheit als Grundlage der Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. Weiche Willensfreiheit oder relativer Determinismus . . . . . . . . . . . . . . . . 153 4. Willensfreiheit als Fiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 V. Strafwürdiges Unrecht und strafbedürftige Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . 155 1. Die Lehre vom strafwürdigen Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Theoretische Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Der Ein-Cent-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 c) Die Tendenz zur Ablehnung der Theorie in der Rechtsprechung . . . 156 d) Eine besondere Fallkonstellation: geringfügige Normüberschreitungen bei verfassungsmäßigen Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Die Lehre von der strafbedürftigen Verantwortlichkeit .. . . . . . . . . . . . . . 158
Inhaltsverzeichnis
16
I.
Unterlassung, Kausalität und Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 I. Probleme des objektiven Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Juristische Personen als Handlungssubjekt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Unterlassungsdelikte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Keine Vorschrift für unechte Unterlassungsdelikte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Unterlassungsdelikte und Straftataufbau .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Garantenstellung und Garantenpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 4. Theorie der materiellen Rechtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 IV. Kausalität und Bedingungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. 2. 3. 4.
Die Bedingungstheorie und ihre Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Hypothetische Kausalverläufe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Alternative Kausalität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung und die epidemiologische Kausalität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 5. Theorien zur Einschränkung der Bedingungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 V. Adäquanztheorie und objektive Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 1. Adäquanztheorie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Die Adäquanztheorie als Theorie zur Beschränkung des Kausal zusammenhangs .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Beurteilungsbasis der Adäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Subjektive Theorie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 bb) Objektive Theorie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 cc) Vermittelnde Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 c) Adäquanz im weiteren und engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Die Lehre von der objektiven Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Vorgeschichte der Zurechnungslehre .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Einführung der Lehre in die japanische Strafrechtswissenschaft . . . 172 c) Der Gesichtspunkt der „Gefahrrealisierung“ in der Rechtsprechung 173 d) Weitere Fälle zum Begriff der „Gefahrrealisierung“ aus der Recht sprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 aa) Nacht-Tauchgang-Fall .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 bb) Flucht-auf-die-Autobahn-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 e) Gefahrrealisierung als objektive Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 f) Selbstgefährdung des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Dirt-Trial-Fall .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 bb) Kugelfisch-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 J. Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 I. Allgemeine Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Systematischer Sinn der Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
Inhaltsverzeichnis
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3. Irrtum über Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Notwehr .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Gesetzliche Regelung und Grundgedanke der Notwehr . . . . . . . . . . . . . . 181 a) § 36 StGB .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Auslegung der „unerlässlichen Handlung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 c) Historische Entwicklung der Auslegung der „Angemessenheit“ der Verteidigungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Voraussetzungen der Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Der „unmittelbar drohende“ und „unberechtigte“ Angriff . . . . . . . . . 183 aa) Der „unmittelbar drohende“ Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Der „unberechtigte“ Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Um ein eigenes oder ein fremdes Recht zu schützen . . . . . . . . . . . . . . 185 aa) Geschützte Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 bb) Verteidigungswille .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 cc) Inhalt des Verteidigungswillens .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 c) Unerlässliche Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Notwehrexzess .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Typen des Notwehrexzesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 b) Grund der milderen Bestrafung beim Notwehrexzess . . . . . . . . . . . . . 188 c) Neuere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 d) Notwehrexzess bei Putativnotwehr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4. Drittwirkung der Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Fall, in dem die Notwehr zu Eingriffen in Rechtsgüter Dritter führt 190 b) Fall, in dem der Angreifer Sachen eines Dritten als Angriffsmittel verwendet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Fall, in dem der Verteidiger Sachen eines Dritten als Verteidigungsmittel verwendet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Sinn des Notstandes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Rechtsnatur des Notstandes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 b) Verschiedene Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Solidaritätsprinzip? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Voraussetzungen des Notstandes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib, Freiheit oder Vermögen . . . 193 b) Notstandshandlung: eine zur Abwehr der gegenwärtigen Gefahr unerlässliche Handlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Rettungswille .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 d) Interessenabwägung: Der aus der Notstandshandlung entstehende Schaden überschreitet das Maß des abzuwendenden Schadens nicht 195 IV. Sonstige Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Der allgemeine Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
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Inhaltsverzeichnis a) Sinn des § 35 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 b) Handlung auf Grund eines Gesetzes oder einer Verordnung . . . . . . . 197 c) Handlungen in Ausübung eines berechtigten Geschäfts . . . . . . . . . . . 197 2. Sonstige übergesetzliche Rechtfertigungsgründe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
K. Vorsatz und Irrtum .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Einordnung des Vorsatzes in den Straftataufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Drei Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Vorsatz und Unrechtsbewusstsein .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Definition des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Elemente des Vorsatzes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Arten des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 c) Theorien über den Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3. Das intellektuelle Vorsatzelement: Kenntnis der Tatumstände .. . . . . . . 201 II. Irrtumslehre .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Zwei Arten des Irrtums: Tatsachenirrtum und Rechtsirrtum . . . . . . . . . 203 2. Irrtum über konkrete Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Rechtlich relevante konkrete Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) aberratio ictus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 aa) Abstrahierungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Ein-Vorsatz-Theorie und Mehrfachvorsatz-Theorie . . . . . . . . . . 205 cc) Konkretisierungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) error in persona vel in objecto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 d) Abgrenzung zwischen aberratio ictus und error in persona . . . . . . . . 206 3. Irrtum über abstrakte Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Grundsatz: Ausschluss des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Irrtum bei teilidentischen Tatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 aa) Formale Teilidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 bb) Materielle Teilidentität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 cc) Irrtum über Tatbestände ohne gemeinsame Elemente . . . . . . . . 209 4. Irrtum über den Kausalverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Definition .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Vorsatzausschluss beim Irrtum über den Kausalverlauf? .. . . . . . . . . . 210 c) Dolus generalis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 aa) Problematik der Fallkonstellation und Lösung durch die Lehre vom „dolus generalis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Lösung in der japanischen Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 cc) Lösungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 dd) Eigene Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 d) Vorzeitiger Erfolgseintritt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Inhaltsverzeichnis
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aa) Chloroform-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Bewertung des Beschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 III. Unrechtsbewusstsein und Verbotsirrtum .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 1. Die Bedeutung des Unrechtsbewusstseins .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Die Theorien über das Unrechtsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Entbehrlichkeitstheorie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Strenge Vorsatztheorie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 c) Eingeschränkte Vorsatztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 d) Schuldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 3. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 4. Unterscheidung zwischen Tatsachenirrtum und Verbotsirrtum .. . . . . . 219 a) Der Sinn der Unterscheidung beider Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 b) Das Spektrum der Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 L. Fahrlässigkeitsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 I. Fahrlässigkeitsdelikte im japanischen StGB .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Definition .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Arten der Fahrlässigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Täterschaft und Teilnahme bei den Fahrlässigkeitsdelikten .. . . . . . . . . . 222 II. Fahrlässigkeitstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Das Wesen der Fahrlässigkeitsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Lehrmeinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 a) Klassische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 b) Neue Fahrlässigkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 c) Modifizierte klassische Theorie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 d) Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 III. Entwicklung der Fahrlässigkeitsdogmatik in der Rechtsprechung . . . . . . . . . 225 1. Verkehrsunfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Behandlungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3. Aufsichtsfahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 IV. Katastrophen und Unglücksfälle bei Unternehmen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1. Morinaga-Trockenmilch-Vergiftungs-Fall .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. Minamata-Krankheitsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 3. AIDS-Skandal-Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) AIDS-Skandal in Japan .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Grünes-Kreuz-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Teikyo-Universitäts-Fall .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 d) Gesundheitsministeriums-Fall .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 M. Schuldlehre (Schuldfähigkeit und Zumutbarkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 I. Schuldlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Inhaltsverzeichnis
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1. Sinn und Funktion der Schuld .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Zumutbarkeitstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Verschiedene Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Strafbedürftige Schuld .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 II. Schuldunfähigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. 2. 3. 4.
Begriff der Schuldfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Einordnung der Schuldfähigkeit in den Schuldbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . 236 „Geistesgestörtheit“ und „geistige Minderbefähigung“ .. . . . . . . . . . . . . . 236 Feststellung der Schuldfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Rechtliche Beurteilung des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Fachkenntnis des Begutachters als Beurteilungsbasis . . . . . . . . . . . . . 238 5. Entscheidungen zu Geistesgestörtheit und geistiger Minderbefähigung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 III. Actio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. Koinzidenzprinzip und actio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Zwei Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3. Theorie der mittelbaren Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 4. Modifizierungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 5. Eigene Theorie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 IV. Sukzessive Schuldunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Problemstellung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Problemlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 N. Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 I. Grundlagen der Versuchsstrafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Strafbarkeit des Versuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Strafgrund des Versuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 II. Der Anfang der Tatausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Theorien zum Anfang der Tatausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a) Subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 b) Objektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 c) Gemischte Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 d) Eigene Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Rechtsprechung zum Anfang der Tatausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 III. Untauglicher Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Begriff und Strafbarkeit des untauglichen Versuchs .. . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Unterscheidung zwischen untauglichem und fehlgeschlagenem Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Absolute und relative Untauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 b) Theorien zum untauglichen Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 c) Eigene Meinung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Inhaltsverzeichnis
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d) Rechtsprechung zum untauglichen Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 IV. Rücktritt vom Versuch .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Grund und Zweck des Rücktritts vom Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 3. Die Anforderungen an den Rücktritt vom Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Rücktrittshandlung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 aa) Horizontwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 bb) Theorien zur Rücktrittshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (1) Subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (2) Modifizierte subjektive Theorie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (3) Objektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (4) Gemischt objektiv-subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (5) Zweite objektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 cc) Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 dd) Positive Erfolgshinderung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 4. Aus eigenem Willen (Freiwilligkeitsbegriff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Objektiv-subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 c) Objektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 d) Normativ-subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 e) Theorie der irrationalen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 5. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 O.
Täterschaft und Teilnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 I. Theoretische Grundlagen der Beteiligung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Vorschriften über die Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Teilnahmetatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Modifizierter und ausgeweiteter Tatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 4. Agent provocateur als Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 II. Täterbegriff .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 1. Begründung der Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Verschiedene Theorien zum Täterbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 a) Subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 b) Objektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Tatherrschaftslehre .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3. Mittelbare Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 III. Mittäterschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. 2. 3. 4.
Grundstruktur der Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Voraussetzungen der Mittäterschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Tatgemeinschaftstheorie und Straftatgemeinschaftstheorien . . . . . . . . . 274 Fahrlässige Mittäterschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
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Inhaltsverzeichnis 5. Komplott-Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 a) Grundgedanke der Lehre der Komplott-Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . 276 b) Theorie des Subjekts des gemeinsamen Willens .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 c) Theorie der quasi-mittelbaren Täterschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 d) Gegenwärtige Situation .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 e) Rechtsprechung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 IV. Grundstruktur der Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1. Akzessorietät der Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Die einzelnen Akzessorietätsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 a) Akzessorietät von der Tatausführung durch den Täter . . . . . . . . . . . . . 280 b) Akzessorietät vom Delikt der Haupttat .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 aa) Theorie der Abhängigkeit vom Delikt der Haupttat . . . . . . . . . . 281 bb) Theorie der Unabhängigkeit vom Delikt der Haupttat . . . . . . . . 282 c) Akzessorietät von der Strafbarkeit der Haupttat (Strafgrund der Teilnahme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 d) Akzessorietät von Merkmalen im Straftataufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 3. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 V. Anstiftung und Beihilfe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 1. Sinn der Anstiftung und Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Sinn der Anstiftung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 b) Sinn der Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 2. Beihilfe durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 a) Kindesmisshandlungsfall in Hokkaido . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 b) Kindesmisshandlungsfall in Osaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 c) Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 3. Beihilfe durch neutrale Handlungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Entscheidungen zur Beihilfe durch neutrale Handlungen . . . . . . . . . . 291 b) Winny-Fall .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 4. Kausalität der Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 a) Ein eigener Kausalitätsbegriff für die Beihilfe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 b) Itabashi-Juwelier-Tötungsfall .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 c) Derselbe Kausalbegriff wie bei der Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 VI. Sonderprobleme der Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 1. Teilnahme und Sonderdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 a) Echte und unechte Sonderdelikte und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 b) § 65 Abs. 1 und 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 c) Herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 d) Unrechtsteilnahmetheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 e) „Solidarität“ bei Unrechtsqualifikation und „Abtrennung“ bei Schuldqualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
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f) Reine Verursachungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 2. Abstandnahme vom Versuch bei der Beteiligung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 a) Entscheidungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 b) Abstandnahme vor dem Anfang der Tatausführung .. . . . . . . . . . . . . . . 298 P.
Schutz von Leib und Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 I. System des Besonderen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 1. Dreiteilung der Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 2. Begrenzte Darstellung des BT in dieser Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 II. Tötungsdelikte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Tatbestände der Tötungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 2. Anforderungen der Tötungsdelikte (§ 199 StGB) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 a) Beginn des Menschseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 b) Endzeitpunkt des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 c) Tod des Neugeborenen nach der Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 d) Mittelbare Täterschaft durch Irrtumsherrschaft .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 3. Teilnahme an einer Selbsttötung (§ 202 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 a) Tötung mit Einwilligung und Teilnahme an einer Selbsttötung . . . . 304 b) Strafgrund der Teilnahme an der Selbsttötung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 c) Willensinhalt der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 d) Sterbehilfe .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 III. Gewalttaten und Körperverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 1. Körperverletzungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 2. Gewalttaten- und Körperverletzungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 a) Gewalttat (§ 208 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 b) Körperverletzung (§ 204 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 aa) Posttraumatische Belastungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 bb) Körperverletzungen zu Lasten des ungeborenen Kindes? . . . . 311 3. Gefahrfahrt mit Todes- und/oder Körperverletzungserfolg . . . . . . . . . . . 312 4. Körperverletzung mit Todesfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 5. Fahrlässige Tötung und Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 6. Aufstachelung am Tatort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 7. Sonderregel bei Körperverletzungen durch mehrere Täter .. . . . . . . . . . . 314 8. Versammlung mit vorbereitender Bewaffnung und Zusammenrottung 315 IV. Abtreibung und Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 1. Abtreibung und Schwangerschaftsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Abtreibung und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Verschiedene Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 2. Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 a) Aussetzungstatbestände .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 b) Rechtsgut und abstrakte Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Inhaltsverzeichnis
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Q. Freiheits-, Ehr- und Geschäftsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 I. Die hier zu erwähnenden Straftaten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 II. Freiheitsberaubung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 1. Freiheitsberaubung (Festnahme und Einsperrung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 a) Struktur der Freiheitsberaubungsdelikte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 b) Bewusstsein der Freiheitsberaubung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 c) Festnahme und Einsperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 d) Einwilligung des Verletzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 2. Bedrohung und Nötigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 a) Die Struktur der Bedrohung und Nötigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 b) Bedrohungstatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 c) Nötigungstatbestand .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 III. Menschenraub, Entführung und Menschenhandel .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 1. Die Kennzeichnung von Menschenraub und Entführung . . . . . . . . . . . . . 320 2. Die Delikte des Menschenraubes und der Entführung .. . . . . . . . . . . . . . . 321 3. Menschenhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 IV. Straftaten, die die sexuelle Freiheit verletzen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 1. Rechtsgut 2. Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 3. Alter des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 4. Abschaffung der Eigenschaft der Vergewaltigung als Sonderdelikt .. . 323 5. Vergewaltigung in der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 6. Erzwingungsgleiche unzüchtige Handlungen oder Geschlechtsverkehr usw. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 V. Hausfriedensbruch .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 1. Grundzüge des Hausfriedensbruchs .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 2. Tatbestand und Rechtsgut des Hausfriedensbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 a) Tatbestand des Hausfriedensbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 b) Rechtsgut des Hausfriedensbruches .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 3. Tendenzen der neuen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 VI. Geheimnisverrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1. Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 2. Tatbestandsmerkmale VII. Ehrverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 1. 2. 3. 4.
Straftaten gegen die Ehre und den Kredit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Aufdeckung unwahrer Tatsache? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Ehrbegriff und Rechtsgut der Ehrverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Abstraktes Gefährdungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 a) Dauerdelikt? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 b) Öffentlichkeitsbegriff .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
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5. Strafausschließung oder Rechtfertigung durch „Wahrheitsbeweis“ . . . 331 a) Öffentliches Interesse und Gemeinwohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 b) Eigentümlichkeit des § 230 a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 6. Ehrverletzung gegenüber Verstorbenen und Beleidigung .. . . . . . . . . . . . 332 a) Ehrverletzung gegenüber Verstorbenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 b) Beleidigung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 VIII. Kreditverletzung und Geschäftsstörung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 1. Straftaten gegen Kredit und Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 2. Kreditverletzung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 3. Geschäftsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 a) Geschäftstätigkeitsbegriff und Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 b) Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 c) Verhältnis zwischen Geschäftstätigkeit und Amtsausübung .. . . . . . . 334 4. Geschäftsstörung durch Computersabotage usw. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Reformzweck der Geschäftsstörung durch Computersabotage .. . . . 335 b) Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 R. Vermögensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 I. Die Grundlagen der Vermögensdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 1. Vermögensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Das System der Vermögensdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 a) Mehrere Einteilungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 b) Vermögenswerte Sache und vermögenswertes Iinteresse . . . . . . . . . . 337 c) Gewahrsamsbegriff .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 d) Begünstigung/Hehlerei und Sachbeschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 3. Der Schadensbegriff beim Sachbetrug und Interessenbetrug . . . . . . . . . 339 4. Die Rechtsgüter der Vermögensdelikte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 a) Theorie des friedlichen Gewahrsams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 b) Die Abwandlung der Gewahrsamstheorie in der Rechtsprechung .. 340 aa) Betrug bei Besitzverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 bb) Rücknahme der Sache durch den Eigentümer . . . . . . . . . . . . . . . . 340 5. Die Eigenständigkeit des Gewahrsams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 a) Unterschied von Besitz im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 b) Typologie der tatsächlichen Sachherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 c) Der Gewahrsamsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 aa) Nur natürliche oder auch juristische Person? . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 bb) Verstorbenengewahrsam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 cc) Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 6. Zueignungsabsicht a) Definitionen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 b) Gebrauchsanmaßung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
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Inhaltsverzeichnis c) Abgrenzung zwischen Diebstahl und Sachbeschädigung . . . . . . . . . . 344 II. Diebstahl und Raub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 1. Diebstahl und Verletzung und Besetzung unbeweglicher Sachen .. . . . 344 a) Wegnahme beweglicher oder unbeweglicher Sachen . . . . . . . . . . . . . . 344 b) Sonderregel für Straftaten unter Verwandten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 2. Raub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 a) Raub im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 b) Raub (§ 236 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 aa) Gewaltausübung oder Bedrohung als Raubmittel . . . . . . . . . . . . 346 bb) Vermögenswertes Interesse (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 cc) Verlagerung des vermögenswerten Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . 346 dd) Gewaltausübung nach dem Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 c) Nachträglicher Raub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 aa) Beteiligung an nachträglichem Diebstahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 bb) Anwendung des § 65 StGB .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 d) Raub durch Versetzung in Bewusstlosigkeit (§ 239 StGB) .. . . . . . . . 348 e) Raub mit Körperverletzungs- oder Todesfolge (§ 240 StGB) . . . . . . 348 f) Vergewaltigung und Raub sowie Vorbereitung zum Raub . . . . . . . . . 349 III. Betrug und Erpressung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 1. Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 a) Sinn des Betrugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 b) Kollektivgüter als Rechtsgut des Betrugs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 c) Betrugshandlung (Täuschung, Irrtum und Verfügung) .. . . . . . . . . . . . 351 aa) Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 bb) Neuere Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 cc) Unberechtigte Verwendung von Kreditkarten . . . . . . . . . . . . . . . . 353 d) Verfügungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 e) Vermögensschädigung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 2. Erpressung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 IV. Unterschlagung und Untreue .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 1. Grundzüge beider Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 2. Straftaten der Unterschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 a) Das Wesen der Unterschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 b) Tatbestandsmerkmale der Unterschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 aa) Besitz oder Gewahrsam .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 bb) Gewahrsam oder Besitz am Geld auf dem eigenen Konto? . . . 357 cc) Gewahrsam oder Besitz an irrtümlich überwiesenem Geld? . 357 3. Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 a) Das Wesen der Untreue .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 b) Unterscheidung zwischen Unterschlagung und Untreue . . . . . . . . . . . 358
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c) Subjektive Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 S.
Schutz der sozialen Sicherheit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 I. Gefährdung der Sozialrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 1. Klassifizierung der Sozialrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 2. Verschiedene Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 II. Brandstiftung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 1. Grundstruktur und Klassifikation der Brandstiftungsdelikte .. . . . . . . . 361 2. Grundkategorien der Brandstiftungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 a) Theorien über das „in Brand setzen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 b) „In Brand setzen“ eines schwer brennenden Gebäudes . . . . . . . . . . . . 362 c) Einheitlichkeit des Gebäudes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 3. § 108, § 109, § 110 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 a) Brandstiftung an einem zur Zeit der Tat als Wohnung dienenden Gebäude (§ 108 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 b) Brandstiftung an einem zur Zeit der Tat nicht als Wohnung dienenden Gebäude (§ 109 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 c) Brandstiftung an anderen Sachen als Gebäuden (§ 110 StGB) . . . . . 365 III. Die Fälschungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 1. Verschiedene Fälschungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 2. Rechtsgüter und Varianten der Fälschungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 3. Die Grundkategorien der Urkundenfälschung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 a) Die Funktion der Urkunde und ihr strafrechtlicher Schutz . . . . . . . . . 367 b) Formalismus und Materialismus bei der Gesetzgebung .. . . . . . . . . . . 367 c) Definition der Urkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 aa) Lesbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 bb) Der Ausdruck des Ausstellers auf der Urkunde . . . . . . . . . . . . . . 369 cc) Urkundeneigenschaft der Fotokopie? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 dd) Begriff des „Ausstellers“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 IV. Sexualdelikte, die das gemeinschaftliche Zusammenleben gefährden . . . . . 371 1. § 174, § 175 und § 184 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 2. Unzüchtige Handlungen in der Öffentlichkeit (§ 174 StGB) . . . . . . . . . . 371 3. Verbreitung oder öffentliche Ausstellung einer unzüchtigen Sache (§ 175 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 4. Doppelehe (§ 184 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
T. Staatsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 I. Grundlage der Delikte gegen den Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 II. Straftaten gegen das öffentliche Amt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 1. Strafnormen zum Schutz der öffentlichen Amtsausübung . . . . . . . . . . . . 373 2. Straftaten, die die Amtsausübung stören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
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a) Tatbestandsmerkmale der Amtsausübungsstörung .. . . . . . . . . . . . . . . . 374 b) Rechtmäßigkeit der Amtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 c) Begriff der Gewaltausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 3. Amtsnötigung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 III. Straftaten gegen die Rechtspflege .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 1.
Verbergen oder Verstecken des Täters .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 a) Die Anforderungen bezüglich der verborgenen oder verdeckten Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 b) Verbergen und Verstecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 c) Verstecken der bereits festgenommenen Person? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 2. Vernichtung usw. von Beweismitteln .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 a) Definition der Begriffe in § 104 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 b) Aufgenommenes Protokoll als Beweismittel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 c) „Beteiligung“ des Täters an der Beweisvernichtung in seinem eigenen Fall? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 d) Sonderregel für die Straftaten zu Gunsten von Verwandten (§ 105 StGB) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 IV. Bestechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 1. Kategorien und Rechtsgut der Bestechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 a) Verschiedene Typen der Bestechungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 b) Rechtsgut der Bestechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 2. Begriff der amtlichen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 a) Amtliche Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 b) Inhalt der Handlung, die mit der amtlichen Tätigkeit in einem engen Zusammenhang steht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 3. Begriff der „Bestechung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 a) Sinn des Bestechungsgutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 b) Förmliches Geschenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 4. Tathandlungen der einzelnen Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 I. Kurztitel in den japanischen Nachweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 II. Repräsentative Lehrbücher zu AT und BT des Strafrechts in Japan . . . . . . . 384 III. In deutscher Sprache verfasste weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
A. Grundkonzept des japanischen Strafrechts und der japanischen Strafrechtswissenschaft I. Stellung des japanischen Strafrechts 1. Ein kontinentales Rechtssystem Wenn man die Strafrechtssysteme der modernen Staaten grob klassifiziert, lassen sich das anglo-amerikanische, das kontinentaleuropäische und das russisch-chinesische System unterscheiden. Bei der Einführung eines modernen Strafrechts Ende des 19. Jahrhunderts hat Japan zunächst das französische Strafrecht übernommen. Japan benötigte ein modernes Rechtssystem, um nach außen den Anschein eines modernen Rechtsstaates zu erwecken. Für diesen Zweck schien das „case law“ nicht geeignet zu sein, weil es anders als ein geschriebenes Strafgesetzbuch ausländischen Staaten nicht als „Gesetz“ präsentiert werden konnte. Aus diesem Grund entschied sich Japan für das kontinentaleuropäische Strafrechtssystem. Dieses lässt sich heute weiter unterteilen in das deutsche und das französische System. Bis zur Spätzeit des 19. Jahrhunderts haben sich diese beiden Systeme parallel entwickelt. Der code pénal von 1810 hat z. B. auf die Gesetzgebung in Bayern und Preußen und auf die deutsche Strafrechtslehre Einfluss ausgeübt1. Aber im 20. Jahrhundert hat sich in Deutschland das dreistufige Verbrechenssystem entwickelt, indem vor allem die Tatbestandslehre in der deutschen Strafrechtswissenschaft begründet wurde2. Im französischen System blieb es bei der „Drei- oder Vierelementelehre“, die vier Elemente als Bestandteile des Verbrechens ansieht: (1) elément légal, (2) matériel, (3) moral, und auch noch (4) injuste3. Dieses Verbrechenssystem bildet auch die Basis des heutigen russisch-chinesischen Strafrechtssystems4, 1 Vgl. Christian Brandt, Die Entstehung des code pénal von 1810 und sein Einfluss auf die Strafgesetzgebung der deutschen Partikularstaaten des 19. Jahrhunderts am Beispiel Bayerns und Preußens, 2002. Aus Sicht der französischen Strafrechtswissenschaft habe die deutsche Lehre nichts Nützliches zur französischen Lehre beigetragen; vgl. Kai Ambos, Zur Entwicklung der französischen Strafrechtslehre – Bemerkungen aus deutscher Sicht, ZStW 120 (2008), S. 183. 2 Vgl. Yamanaka, Die gegenwärtige Bedeutung der Entstehung der modernen Verbrechenslehre in Deutschland, Horitsu Jiho Bd. 84, H. 1, S. 22 ff. 3 Vgl. Kai Ambos, ZStW 120 (2008), S. 182 ff. Die Elemente-Lehre in der französischen Verbrechenslehre stammt schon aus dem 18. Jahrhundert. 4 In der heutigen chinesischen Straftatlehre macht sich allmählich der Einfluss der deutschen Lehre bemerkbar. Man diskutiert schon über die Einführung des dreistufigen
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A. Grundkonzept des japanischen Strafrechts
durch die kommunistische Strafrechtswissenschaft erweitert um das Element der „Gesellschaftsgefährlichkeit“. 2. Das alte StGB von 1880 und das geltende StGB von 1907 Das erste moderne japanische Strafgesetzbuch ist im Jahre 1880 verkündet worden und 1882 in Kraft getreten. Dieses StGB ist unter dem Einfluss französischen Strafrechts und französischer Strafrechtswissenschaft zustande gekommen, da es aus der Feder eines Franzosen namens Gustave Émile Boissonade de Fontarabie (1825 – 1910), der zur damaligen neoklassischen Schule gehörte, stammt5. In den 1890er Jahren begann Japan, sich dem deutschen Strafrechtssystem zuzuwenden, weil die damalige Regierung im deutschen Rechtssystem ein Modell für das StGB eines spätentwickelten kapitalistischen Reichs gefunden zu haben glaubte. 1907 wurde in Japan ein neues StGB6 verkündet, das 1908 in Kraft trat. Die Gesetzgebung wurde dabei von der „modernen Schule“, der damals vorherrschenden Lehre in der deutschen Strafrechtswissenschaft, beeinflusst. In der Folgezeit hat die deutschen Strafrechtlehre (sowohl in Form der modernen als auch der klassischen Schule) maßgeblichen Einfluss auf die japanische Strafrechtswissenschaft genommen.
Verbrechensaufbaus in China. Vgl. Chou, Meikai/Kin Kougyoku, Der Streit um das Straftatsystem in China, Horitsu Jiho, 2012, H.1, S. 44 ff. 5 Boissonade, der Assistenzprofessor an der Universität Paris war, wurde 1873 von der japanischen Regierung als Berater für das Justizministerium nach Japan eingeladen. Er entwarf nicht nur das StGB, sondern auch ein BGB, das aber nie verabschiedet wurde. Zur Strafgesetzgebungsarbeit von Boissonade vgl. Yasusuke Okubo, Nippon Kindaiho no Chichi – Boissonade (Der Vater der modernen japanischen Gesetze – Boissonade), 1977, S. 112 ff. 6 Übersetzungen dieses StGB ins Deutsche: Strafgesetzbuch für das Kaiserlich Japanische Reich vom 23. April 1907 / übers. von Shigema Oba – Guttentag, Berlin, 1908 – (Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung Bd. 23); Das abgeänderte japanische Strafgesetzbuch vom 10. August 1953 / übers. von Kinsaku Saito; Haruo Nishihara – de Gruyter, 1954. – XII, 37 S. (Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung Bd. 65). Zum japanischen StGB vgl. Kinsaku Saito, Das japanische Strafrecht, in: Mezger/Schönke/Jescheck (Hrsg.), Das ausländische Strafrecht der Gegenwart, Bd. 1, 1955, S. 213 ff.
II. Demokratisierung und Liberalisierung des geltenden StGB von 1907
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II. Demokratisierung und Liberalisierung des geltenden StGB von 1907 1. Kontinuität und Teilreform des StGB a) Das StGB unter der neuen Verfassung Das 1908 in Kraft getretene StGB gilt auch noch heute. Dies wirft die Frage auf, ob dieses StGB aus heutiger Sicht nicht überholt ist, schon weil es immer noch auf den damaligen Auffassungen vom Strafrecht basiert. Das japanische StGB hat bis jetzt nur wenige Teilreformen erfahren. Die wichtigste Reform wurde 1947 nach Inkrafttreten der „Verfassung des japanischen Staates“ durchgeführt, um das StGB an die neue Verfassung anzupassen, die sich an Demokratie (§ 1 Verf.), Liberalismus, dem Respekt vor den individuellen Rechten (§ 11, § 13 Verf.), Frieden und dem Verzicht auf Krieg (§ 9 Verf.) orientierte. Dabei wurden nicht nur politische Tatbestände, die unvereinbar mit der Demokratie waren, z. B. die Majestätsbeleidigung (§§ 73 – 76 StGB) gestrichen, sondern z. B. auch der Tatbestand des Ehebruchs (§ 183 StGB), nach dem damals nur die Frau bestraft wurde. Das heißt: Der Ehebruch ist seit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung kein Verbrechen mehr, obwohl er zivilrechtlich noch eine unerlaubte Handlung (§ 709 BGB) und einen Scheidungsgrund (§ 770 Abs. 1 BGB) darstellt. b) Umfassende Reformversuche Versuche einer umfassenden Reform des gesamten StGB sind bis heute nicht gelungen. Derartige Reformversuche gab es schon vor dem Zweiten Weltkrieg. 1926 hat das Gesetzgebungsberatungskomitee ein „Programm der Strafrechtsreform“ erarbeitet. Der „Vorbereitungsentwurf des reformierten Strafrechts“ wurde in zwei Teilen, dem Allgemeinen Teil 1931 und dem Besonderen Teil 1940, veröffentlicht. Im März 1940 wurde der „Vorläufige Entwurf des Reformierten Strafrechts“7, in dem beide Teile vereinigt wurden, fertiggestellt. Dieser Entwurf orientierte sich, unter dem Einfluss des damaligen Regimes, am Nationalismus und am Gedanken der Sozialverteidigung8. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1956 ein neuer Reformversuch gestartet. Im Justizministerium wurde eine „Sitzung zur Vorbereitung der Strafrechtsreform“ abgehalten; ihr Vorsitzender war Seiichiro Ono, der nach dem Zweiten Weltkrieg nach zeitweiligem Ausschluss 7 Vgl. Hiromasa Hayashi, Kaisei Keiho Karian Seiritsu Katei no Kenkyu (Studien zum Entstehungsverlauf des vorläufigen Entwurfes des reformierten Strafrechts), 2003. Über den Text des BT vgl. S. 503 ff. 8 „Sozialverteidigung“ ist die Übersetzung von „défense sociale“ und war die Hauptaufgabe des Strafrechts nach der damaligen an der modernen Schule orientierten Strafrechtsanschauung. Bekannt ist der Begriff aus dem Buch „La défense sociale nouvelle“ des französischen Juristen, Marc Ancel (1902 – 1990).
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von öffentlichen Ämtern „Sonderberater des Justizministeriums“ geworden war. Beim Komitee für Gesetzgebungsberatung wurde während der Beratung des Stellungnahmeersuchens des Justizministers ein „Sonderkomitee für das Strafrecht“ gebildet, um einen neuen Entwurf zu erarbeiten. Im Dezember 1961 wurde der „Vorentwurf eines reformierten Strafrechts“ veröffentlicht. Alsdann verlangte der Justizminister im Mai 1963, über die Notwendigkeit der Strafrechtsreform zu beraten. c) Entwurf des reformierten Strafrechts von 1974 Im Dezember 1974 wurde der „Entwurf des reformierten Strafrechts“ vom Komitee für Gesetzgebungsberatung beschlossen. Es sollte der bisher letzte – gescheiterte – Versuch einer vollständigen Reform werden. Damit sind alle Versuche einer umfassenden Strafrechtsreform gescheitert. Die Gründe für die Ablehnung des Reformentwurfs von 1974 waren sein zu moralbezogener Inhalt, eine umfangreiche Kriminalisierung bisher nicht strafbarer Verhaltensweisen, zu schwere Strafen und die Einführung von Maßregeln als Sanktion. Das geltende StGB war zudem im Vergleich zum Reformentwurf moralisch neutraler und politisch liberaler. 2. Die Interpretation des StGB – Liberalismus und Konservativismus Weil das StGB in seinen Tatbeständen einen breiten Spielraum für die Wortlautauslegung lässt, ist die Rolle der wissenschaftlichen Lehre relativ groß. Bei der Auslegung spielt das Gedankensystem des Auslegenden neben dessen Verständnis des Strafrechtssystems eine wichtige Rolle. Nach politischer Ausrichtung lassen sich die Gedankensysteme grob zweiteilen in die Auffassung der „eher Linken“ und die der „eher Rechten“. Diese Positionen genau zu beschreiben, ist schwer. Eine schlichte Gegenüberstellung von „Liberalismus“ und „Konservatismus“ ist hier nicht ganz richtig. Ihre Ausprägung in der japanischen Strafrechtswissenschaft findet diese Gegenüberstellung in der Konfrontation zwischen der „Erfolgsunwert-Schule“ und der „Handlungsunwert-Schule“. Sie entspricht auch der Gegenüberstellung von „Objektivismus“ und „Subjektivismus“. Diese Zusammenhänge galten aber für die Strafrechtswissenschaft in Japan vielleicht noch bis zu 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Inzwischen ist die Situation noch komplizierter geworden. Die Gegenüberstellung von Subjektivismus und Objektivismus scheint als Mittel der wissenschaftlichen Analyse jedenfalls heutzutage weder präzise noch fruchtbar zu sein9.
9
Ausführlicher dazu vgl. Abschnitte H., I. und E., II.
II. Demokratisierung und Liberalisierung des geltenden StGB von 1907
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3. Gültigkeit des StGB innerhalb der Verfassung a) Die Verfassungsmäßigkeit von Strafrecht und Strafrechtswissenschaft Selbstverständlich müssen sich sowohl die Strafgesetze als auch die sich mit ihnen beschäftigenden wissenschaftlichen Lehren in die Ordnung der „Verfassung“ einfügen, die im japanischen Rechtssystem das höchste Recht ist (§ 98 Verf.). Gesetze, die verfassungswidrig sind, sind ungültig und können durch die Gerichte aufgehoben werden (§ 81 Verf.). Wissenschaftliche Lehren, die inhaltlich verfassungswidrig sind, haben keine Gültigkeit. Insoweit sind das Strafrecht und die Strafrechtswissenschaft gegenüber den Verhältnissen vor dem Zweiten Weltkrieg liberalisiert und demokratisiert. Es ist heutzutage klar, dass die Aufgabe des Strafrechts nicht in der Erhaltung der obrigkeitlichen Ordnung oder der Wahrung der Moral, sondern im Rechtsgüterschutz liegt. b) Beispiel einer vom OGH für verfassungswidrig erklärten Vorschrift Ein klassisches Beispiel für die gerichtliche Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift des StGB ist die „Aszendententötung“ (§ 200 StGB a. F.)10. Bei einer Aszendententötung wurde der Täter schwerer bestraft als bei einer „normalen“ Tötung: Wer also einen direkten Vorfahren getötet hatte, wurde damals zum Tode oder mit „zeitlich unbegrenzter“ (lebenslänglicher11) Zuchthausstrafe bestraft, während eine „normale“ Tötung eine „Zuchthausstrafe nicht unter 3 Jahre“ vorsah. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mehrmals in gerichtlichen Verfahren bestritten. Der Oberste Gerichtshof 12 hat sie im Jahre 1973 endgültig für verfassungswidrig erklärt, und zwar wegen der Schwere der angedrohten Strafe. Danach hat der Gesetzgeber jedoch für mehr als 20 Jahre die Vorschrift unangetastet gelassen, obwohl sie mit dem Urteil des OGH juristisch sinnlos geworden war. Im Jahre 1995 hat der Gesetzgeber, statt das Strafmaß zu reduzieren, die Vorschrift endlich aus dem StGB gestrichen. Dabei wurden auch andere Tatbestände gestrichen, die für die gegen Aszendenten gerichteten Taten eine Strafschärfung vorsahen. Dies betraf die Körperverletzung mit Todesfolge (§ 205 Abs. 2 StGB), die Aussetzung des Aszendenten (§ 218 Abs. 2 StGB) und das Festhalten oder Einsperren des Aszendenten (§ 220 Abs. 2 StGB, mit Todesfolge § 221 StGB). Bemerkenswert ist dabei, 10 Aszendententötung bedeutet die Tötung eines Verwandten in aufsteigender Linie (vgl. in Deutschland etwa § 179 PrStGB). Zur Abschaffung des Tatbestandes der Aszendententötung vgl. Yamanaka, Geschichte und Gegenwart der japanischen Strafrechtswissenschaft, S. 269 ff. 11 Lebenslänglich bedeutete damals eine Freiheitsstrafe von mindestens 15 Jahren, denn die „zeitlich begrenzte“ Freiheitsstrafe betrug maximal 15 Jahre. 12 Urteil des OGH v. 4. 4. 1973, Keishu Bd. 27, H. 3, S. 265.
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A. Grundkonzept des japanischen Strafrechts
dass der OGH zuvor mehrmals die Vorschrift über die Körperverletzung eines Aszendenten für verfassungsgemäß erklärt hatte. 4. Unterschiede zwischen dem japanischen und dem deutschen Strafgesetzbuch a) Formulierung der Tatbestände aa) Besonderer Teil Die Tatbestände im japanischen StGB sind im Allgemeinen sehr einfach und abstrakt formuliert. So gibt es z. B. als Tötungsdelikt nur einen einzigen Tatbestand: „Wer einen anderen getötet hat, wird mit dem Tode, lebenslänglichem Zuchthaus oder Zuchthaus nicht unter 5 Jahren bestraft“ (§ 199 StGB). Daneben gibt es lediglich einen weiteren Tatbestand, der die Beteiligung an einer Selbsttötung erfasst (§ 201 StGB). Es wird nicht mehr zwischen Mord und Totschlag unterschieden, anders als im alten StGB von 1880, das vom französischen StGB beeinflusst worden ist. Zu den Tatbeständen des Mordes gehörten dort die geplante Tötung (§ 292 StGB 1880) und die Tötung unter Verwendung eines Giftes (§ 293 StGB 1880). Unter Totschlag wurde in § 294 StGB 1880 eine vorsätzliche Tötung verstanden. Verschiedene Tötungsarten wurden aber schwerer als ein normaler Totschlag bestraft, beispielsweise eine brutale Tötung, die zu einer Verstümmelung des Leichnams führt (§ 295 StGB 1880) oder die Tötung zur Verdeckung anderer Straftaten (§ 296 StGB 1880). Diese feinen Unterscheidungen sind im gegenwärtigen StGB verschwunden. Der Grund dafür liegt im Einfluss des „Täterstrafrechts“. Das alte StGB von 1880 beruhte auf der klassischen Schule, für die eine genaue Tatbeschreibung wegen des Gesetzlichkeitsprinzips wichtig war. Boissonade, der Entwurfsverfasser des StGB, war ein Schüler von Elzéar Ortolan (1802 – 1873), einem Repräsentanten der Neoklassik in Frankreich. Dagegen ist das gegenwärtige StGB durch den Gedanken der modernen Schule geprägt, dass die „Tat“ im Vergleich zur „Gefährlichkeit des Tätercharakters“ weniger wichtig sei. Für die Besserung des Täters sei es günstiger, wenn Tatbestände und Strafrahmen weit gefasst sind und damit einen weiten Raum für die individuelle Strafzumessung lassen. Dementsprechend finden sich im japanischen StGB deutlich weniger Tatbestände als im deutschen StGB. Das japanische StGB besteht aus insgesamt nur 264 Paragraphen, wenn man einmal von gestrichenen und nachträglich hinzugefügten Vorschriften absieht. Dagegen finden sich im deutschen StGB 358 Paragraphen, wiederum ohne Berücksichtigung nachträglicher Änderungen. Im japanischen StGB finden sich im Gegensatz zum deutschen StGB auch nur grundlegende Straftatbestände. Als Beispiel sei das sogenannte „Stalking“ ge-
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nannt, das in Japan durch ein besonderes Gesetz13 verboten wird. § 13 Abs. 1 des Gesetzes lautet wie folgt: „Wer eine Nachstellungshandlung begangen hat, wird mit Zuchthaus bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 500.000 Yen bestraft“. Das Polizeipräsidium kann auf Wunsch des Opfers den Täter verwarnen. Wenn dieser dem Opfer trotzdem weiter nachstellt, kann das Sicherheitskomitee der Präfektur14 einen Verbotsbefehl erlassen. Wenn der Täter diesen verletzt, indem er eine Nachstellungshandlung begeht, wird er mit Zuchthaus bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 500.000 Yen bestraft (§ 14)15. Dagegen wird in Deutschland nach § 238 StGB die „Nachstellung“ mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft16. bb) Allgemeiner Teil Die zuvor dargestellten Unterschiede zwischen deutschem und japanischem StGB finden sich nicht nur im Besonderen Teil der beiden Strafgesetzbücher, sondern auch im Allgemeinen Teil. Betrachtet man nur den absoluten Umfang des Allgemeinen Teils, gibt es zwischen beiden Gesetzbüchern keinen großen Unterschied. Im deutschen StGB umfasst der AT die Vorschriften bis einschließlich § 79 b, während der AT des japanischen StGB mit § 72 endet. Ein etwas anderes Bild ergibt sich, wenn man nur die Vorschriften betrachtet, die die allgemeinen Merkmale der Straftat behandeln und gewissermaßen den Kern der strafrechtlichen Dogmatik bilden. Im deutschen AT sind dies die Vorschriften des zweiten Abschnitts, der mit „Die Tat“ betitelt ist, mit insgesamt 25 Paragraphen (§ 13 bis § 37). Im japanischen StGB besteht dieser Kern aus den Vorschriften § 35 bis § 44 (7. Abschnitt: Straftatenausschluss, Strafbefreiung und Strafmilderung; 8. Abschnitt: Versuch) und § 60 bis § 65 (11. Abschnitt: Beteiligung), also insgesamt nur aus 16 Paragraphen. Im japanischen StGB beruht die „Auslegung“ nicht so sehr auf dem Gesetzestext, sondern vor allem auf theoretischen Hypothesen. Der Spielraum bei der Auslegung scheint deswegen im japanischen StGB im Vergleich zum deutschen ziemlich groß zu sein. 13 „Gesetz zur Regelung der Nachstellungstat usw.“ (Gesetz Nr. 81 v. 24. 5. 2000). § 13 Abs. 2 legt fest, dass dieses Delikt ein Antragsdelikt ist. Als Qualifizierungstatbestand bestimmt § 14 Abs. 1: „Wer die Nachstellungstat verbotswidrig begangen hat, wird mit Zuchthaus bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu einer Million Yen bestraft“. Abs. 2: „Wenn die Nachstellungstat begangen wurde, indem der Täter verbotswidrig eine Verfolgungshandlung usw. vorgenommen hat, gilt der vorangehende Absatz entsprechend“. 14 Die Sicherheitskomitees der Präfekturen sind beim Gouverneur angesiedelt und dienen der demokratischen Kontrolle der Polizei in der Präfektur. 15 Wenn der Täter nur das Verbot verletzt, wird er nach § 15 mit einer Geldstrafe bis zu 500.000 Yen bestraft. 16 Zum Tatbestand des Stalkings vgl. Matthias Krüger (Hrsg.), Stalking als Straftatbestand, 2013.
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b) Kernstrafrecht und Nebenstrafrecht Weil die Tatbestände des japanischen StGB nur die wichtigsten Verbrechen erfassen, finden sich viele Straftatbestände in Nebenstrafgesetzen. Die Nebenstrafgesetze im weiteren Sinne lassen sich unterteilen in das Nebenstrafrecht im engeren Sinne und das Verwaltungsstrafrecht. Ersteres beinhaltet Gesetze, deren Hauptzweck in der Bildung von Straftatbeständen und der daraus resultierenden Bestrafung liegt. Dazu werden vor allem die politischen Strafgesetze wie das „Gesetz zur Verhinderung von Aktivitäten zu schweren Gewalttaten“17 (1952) gezählt, aber auch die geltende „Strafverordnung zur Sprengstoff-Kon trolle“ (1884). Das „Gesetz zur Bestrafung von die menschliche Gesundheit beeinträchtigenden Umweltschädigungen“ (1970, Gesetz-Nr. 142)18 gehört ebenfalls zu diesem Nebenstrafrecht im engeren Sinne. Das „Verwaltungsstrafrecht“ besteht aus Gesetzen, die hauptsächlich verwaltungsrechtliche Zwecke verfolgen, aber ebenfalls Straftatbestände beinhalten, die den verwaltungsrechtlichen Zweck mit einer Strafandrohung flankieren. Diese Tatbestände erfassen periphere Gebiete des Strafrechts. Zum Verwaltungsstrafrecht gehören z. B. das „Straßenverkehrsgesetz“ (1960) und das „Gesetz zur Lebensmittelhygiene“ (1947). Insgesamt gibt es unübersichtlich viele Gesetze in Japan, die Straftaten und Strafe regeln. Das japanische Kernstrafrecht kennt keine Bestrafung einer juristischen Person. Im Nebenstrafrecht kann dagegen auch eine juristische Person bestraft werden, sofern dies im anzuwendenden Nebenstrafgesetz geregelt ist. Dabei wird normalerweise nicht nur die betreffende juristische Person, sondern auch der für sie handelnde Angestellte bestraft. Man bezeichnet dieses System als „ParalleleBestrafungs-Regelung“19. So wird z. B. beim oben genannten Gesetz über Straftaten gegen die Umwelt20 sowohl der Täter als auch die juristische Person bestraft, wenn der Täter die in diesem Gesetz (§ 2, § 3) erfassten Straftaten in Bezug auf die Geschäfte der juristischen Person begangen hat (§ 4)21. 17 In englischer Sprache: „Subversive Activities Prevention Act“. Der Zweck des Gesetzes ist in dessen § 1 geregelt. Danach dient es dazu, Maßnahmen gegen verbotene gewalttätige Vereinigungen zu regeln und dadurch zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit beizutragen. Das Gesetz geht davon aus, dass die Gefahr besteht, dass die Vereinigung bestimmte Straftaten begehen wird oder sie bereits begangen hat, z. B. werden die Straftaten Hochverrat (§ 77 StGB), Aufstachelung zu ausländischen Bedrohungen (§ 81 StGB) oder Unterstützung ausländischer Bedrohung (§ 82 StGB) oder deren Anstiftung usw. vorausgesetzt (die relevanten Straftatbestände sind in § 4 des Gesetzes genannt). 18 Das Gesetz ist am 1. Juli 1971 in Kraft getreten. Es wird im Folgenden kurz als „Gesetz über Straftaten gegen die Umwelt“ bezeichnet. 19 Vgl. Yamanaka, Parallele Bestrafung von juristischen und natürlichen Personen, in: Zeitschrift für japanisches Recht 2002, Heft 14, S. 191 ff. (in: Risikogesellschaft, S. 78 ff.). 20 Bei der „Parallele-Bestrafungs-Regelung“ ist noch Abschnitt J., I. zu erwähnen.
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c) Kommunale Verordnungen mit Strafvorschriften
Der deutschen Rechtsordnung fremd ist die in Japan vorhandene Befugnis der Gemeinden (also der Präfekturen und Städte)22, strafbewehrte Verordnungen zu erlassen. § 94 der japanischen Verfassung lautet: „Die Gemeinde kann im Rahmen des Gesetzes kommunale Verordnungen erlassen“. Das Gemeindegesetz (1947, Gesetz-Nr. 67) führt hinsichtlich der Ermächtigung zum Erlass von Strafvorschriften aus: „Die Gemeinde kann in einer kommunalen Verordnung die folgenden Strafsanktionen gegen Verordnungswidrigkeiten festlegen, soweit die Verordnung kein Gesetz verletzt.“ (§ 14 Abs. 3 des Gemeindegesetzes). Mögliche Sanktionen sind Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe bis zu 2 Jahren, Geldstrafe bis zu einer Million Yen, Haft23 oder Geldbuße. Diese Vorschrift des Gemeindegesetzes wurde vom OGH für verfassungsgemäß erklärt, weil die Befugnis der Gemeinden zur Setzung von Strafnormen eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage im Gesetz finde.24 Auch die herrschende Meinung unterstützt diese Auffassung, weil sich der Landtag aus Abgeordneten konstituiert, die von der Bevölkerung gewählt wurden; damit sei die demokratische Legitimation, die das Gesetzlichkeitsprinzip garantiert, gesichert. d) Keine Unterscheidung zwischen Vergehen und Verbrechen Im japanischen StGB gibt es keine Differenzierung zwischen „Vergehen“ und „Verbrechen“. § 12 des deutschen StGB definiert: „Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind“ (Abs. 1). „Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind“ (Abs. 2). Die Unterscheidung zwischen beiden wirkt sich sowohl im materiellen als auch im formellen Strafrecht aus. So ist z. B. der Versuch eines Verbrechens immer strafbar, der eines Vergehens nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung (§ 23 Abs. 1 dStGB). Ferner ist der Versuch der Beteiligung, also die versuchte Anstiftung nur bei einem Verbrechen strafbar (§ 30 Abs. 1 dStGB). Im Strafprozessrecht findet sich etwa die Regelung, dass die Staatsanwaltschaft, wenn das 21 Es gibt auch eine sog. „Trilaterale-Bestrafung“, z. B. beim „Steuergesetz für juristische Personen“ (1965, Gesetz-Nr. 34). Hier wird zusätzlich noch der Repräsentant der juristischen Person bestraft (§ 163). 22 Der Begriff „Kommune“ wird hier als Oberbegriff für Präfektur, Stadt und Dorf verwendet, die in Japan für den Erlass von Verordnungen zuständig sind. 23 Haft ist eine kurze Freiheitsstrafe, die von mindestens einem Tag bis zu 20 Tagen (nicht einschließlich) dauert (§ 16 StGB). 24 Vgl. z. B. das Urteil des OGH vom 6. 11. 1971, Keishu Bd. 28, H. 9, S. 393. Die umfassende Bevollmächtigung im Gemeindegesetz (§ 14 Abs. 3) ist nur deshalb erlaubt, weil die Verordnungen in einem parlamentarischen Verfahren zustande gekommen sind und damit das Prinzip der Gewaltenteilung gewahrt ist.
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A. Grundkonzept des japanischen Strafrechts
Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand hat, unter bestimmten Bedingungen „mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen“ kann (§ 153 dStPO). § 153 a dStPO regelt für Vergehen das Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen. e) Kein Ordnungswidrigkeitengesetz In Deutschland gibt es seit 1968 ein „Gesetz über Ordnungswidrigkeiten“ (OWiG). Japan hat kein solches Gesetz25. Allerdings gibt es im japanischen Strafrecht Regelungen, die zumindest teilweise mit dem deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht vergleichbar sind. Wie bereits zuvor kurz erwähnt, kennt das japanische Rechtssystem als Sanktion auch die „Geldbuße“ (Karyo), die in der Regel nicht durch ein Gericht, sondern durch eine Verwaltungsbehörde auferlegt wird 26. Für Bagatelldelikte gibt es Sonderverfahren. So kann vor dem Amtsgericht ein „vereinfachtes Verfahren“ durchgeführt werden, wenn der Angeklagte dagegen keinen Einwand vorbringt. Eine parallele Zuständigkeit von Amtsgericht und Landgericht besteht, wenn im Gesetz eine Geldstrafe bis zu einer Million Yen als mögliche Strafe vorgesehen ist. Das Amtsgericht kann einen Strafbefehl aussprechen. In Deutschland enthält das OWiG nicht nur wie das StGB einen Allgemeinen Teil, sondern darüber hinaus auch Verfahrensregeln. Ein Verfahren läuft in etwa wie folgt ab: Die Verwaltungsbehörde ahndet ein rechtswidriges Verhalten mit einem „Bußgeldbescheid“ (§ 65 OWiG). Wenn der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegt (§ 67 OWiG), entscheidet das Amtsgericht (§ 68 OWiG). Ist der Einspruch zulässig, prüft die Verwaltungsbehörde, ob sie den Bußgeldbescheid aufrechterhält oder zurücknimmt (§ 69 Abs. 2 OWiG).
25 Das alte StGB enthielt die Vorschriften für die sogenannten „Übertretungen“ (4. Buch: §§ 425 ff.). Die Strafen für die Übertretungen waren Haftstrafe von drei bis zu zehn Tagen oder Geldbuße von mindestens einem Yen bis zu einem Yen 95 Sen (§ 425). Für die Übertretungsfälle war das Ordnungsgericht (Chian-Saibansho) zuständig (§§ 49 ff. Chizaiho = StrVerfG). Für die Hauptverhandlung bei Übertretungen gab es Sonderverfahren (§§ 321 ff. StrVerfG). Das Strafverfahrensgesetz (StrVerfG) galt bis 1890. Die aktuell geltende StPO ist seit 1948 in Kraft. 26 Problematisch bei der Übersetzung des Wortes „Karyo“ ist, dass es zwei verschiedene Schriftzeichen mit unterschiedlichen Bedeutungen gibt, die aber gleich ausgesprochen werden. Eine in § 9 StGB geregelte Strafe ist „Karyo“, was ich als „Geldbuße“ übersetzt habe (vgl. unten f) aa) und bb)). Aber das „Karyo“, das wie hier die verwaltungsrechtliche Sanktion meint, entspricht eigentlich der „Geldbuße“ im Sinne des deutschen Rechts. Da es keine unterschiedliche Übersetzung der beiden Worte gibt, habe ich für beide die gleiche Übersetzung verwendet. Um beide zu unterscheiden, wird in diesem Buch das Wort nur im ersten Sinne, d. h. als „Geldbuße“, verwendet, es sei denn, es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Wort in der anderen Bedeutung zu verstehen ist.
II. Demokratisierung und Liberalisierung des geltenden StGB von 1907
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f) Sanktionensystem aa) Einspuriges Sanktionensystem Ein großer Unterschied zwischen deutschem und japanischem Strafrecht lässt sich beim Sanktionensystem feststellen. Im japanischen Strafrecht findet man als Sanktion nur die Strafe, keine Maßregeln der Besserung und Sicherung. Dem japanischen StGB liegt also ein einspuriges Sanktionensystem zugrunde. Allerdings ist der Katalog möglicher Strafarten umfangreicher als im deutschen Strafrecht; zudem gibt es außerhalb des japanischen StGB Sanktionen, die einer Strafe ähneln. Zu nennen ist vor allem die Geldbuße (Karyo), die auch im BGB oder im Gesellschaftsgesetz zu finden ist. Sie stellt aber – anders als im deutschen Recht – durchaus eine Art von Strafe dar. Keine Strafe, einer solchen aber ähnlich, ist das „Zurechtweisungsgeld“ (Kachokin), das im Antimonopolgesetz in modellhafter Weise geregelt ist. Wenn Unternehmen ein Kartell bilden, wird ihnen ein solches „Zurechtweisungsgeld“ auferlegt. Dies geschieht beispielsweise, indem die „Fair Trade Kommission“ dem Unternehmen den Befehl erteilt, als Zurechtweisungsgeld einen Betrag in Höhe von einem Zehntel des innerhalb von drei Jahren getätigten Umsatzes an die Staatskasse zu zahlen. Für die Strafgerichte ist die Strafe, wegen des Fehlens von Maßregeln, das einzige Mittel zur Sanktionierung. Wahrscheinlich führt das einspurige Sanktionensystem zu einer Überbeanspruchung der Aufgabe der „Strafe“. Im Allgemeinen wird die „Strafe“ als Sanktion in Japan breit angewendet, um der Begehung von Bagatelldelikten ohne klare Verletzung von Individualrechtsgütern vorzubeugen. Die Einschränkung der durch das Prinzip des Rechtsgüterschutzes entfalteten Schutzfunktion des Strafrechts ist beim Verwaltungsstrafrecht oder bei den städtischen Verordnungen problematischer als beim Kernstrafrecht. Nimmt man den ultima-ratio-Charakter des Strafrechts ernst, ist die Verhängung von „Strafe“ fragwürdig, wenn sie nur dazu dient, die Zweckerfüllung der Nebenstrafgesetze zu unterstützen. bb) Strafarten Das japanische Strafgesetzbuch kennt folgende Strafarten: Todesstrafe, Zuchthausstrafe, Gefängnisstrafe, Geldstrafe, Haftstrafe und Geldbuße (§ 9 StGB). Die Todesstrafe wird innerhalb der Strafanstalt durch Erhängen vollstreckt (§ 11 Abs. 1 StGB). Bei der Zuchthausstrafe wird zwischen unbefristeter und befristeter Zuchthausstrafe (von einem Monat bis zu 20 Jahren) differenziert (§ 12 Abs. 1 StGB). Bei Verbüßung einer Zuchthausstrafe wird dem Delinquenten eine bestimmte Arbeit auferlegt (§ 12 Abs. 2 StGB). Auch die Gefängnisstrafe wird in unbefristete und befristete Gefängnisstrafe (von einem Monat bis zu 20 Jahren) eingeteilt (§ 13 StGB). Die Geldstrafe beträgt mehr als 10.000 Yen (§ 15 StGB). Die Haftstrafe
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A. Grundkonzept des japanischen Strafrechts
reicht von einem Tag bis zu 30 Tagen und wird in der Strafanstalt vollstreckt (§ 16 StGB). Die Geldbuße beträgt zwischen 1.000 und 10.000 Yen (§ 17 StGB). cc) Sanktionen für Schuldunfähige Da das japanische StGB keine Maßregeln kennt, stellt sich die Frage nach der Behandlung Schuldunfähiger. Eigentlich gehört diese Frage im japanischen Rechtssystem nicht zum Strafrecht, sondern zum Verwaltungsrecht. Früher gab es nur das „Gesetz zur psychischen Gesundheit und Wohlfahrt der psychisch Gestörten“27 (Gesetz-Nr. 123, 1950). Nach § 29 dieses Gesetzes kann der Gouverneur jemanden zwangsweise in ein Krankenhaus einweisen, wenn die Befürchtung besteht, der Betreffende könne wegen seiner psychischen Störung sich selbst verletzen oder einen anderen schädigen. Dazu bedarf es Gutachten von mindestens zwei Psychiatern (§ 29 Abs. 2). Der Staatsanwalt muss dem Gouverneur unverzüglich Bericht erstatten, wenn er gegen einen Verdächtigen oder Angeklagten, der psychisch krank ist oder von dem dies vermutet wird, keine Anklage erhoben hat, oder sich die psychische Erkrankung erst nach der Rechtskraft eines Urteils herausstellt, es sei denn, dass er hinsichtlich dieser Person selbst einen Antrag nach § 33 Abs. 128 des unten genauer behandelten „Gesetzes zur medizinische Beobachtung“ auf Unterbringung in einem Krankenhaus gestellt hat (§ 24 Abs. 1). Auch in sonstigen Fällen muss er dem Gouverneur sofort Bericht erstatten über die (bestehende oder vermutete) psychische Störung des Beschuldigten, des Angeklagten oder anderer Personen die unter medizinischer Beobachtung stehen, wenn dies besonders notwendig ist29 (§ 24 Abs. 2). Die Unterbringungsmaßnahme muss vom Gouverneur aufgehoben werden, wenn festgestellt wird, dass auch ohne weitere Fortsetzung der Unterbringung nicht zu befürchten ist, dass die betreffende Person sich wegen ihrer psychischen Störung selbst verletzen oder einen anderen schädigen könnte (§ 29 c). Im Jahre 2003 wurde das „Gesetz zur medizinischen Behandlung und Beobachtung derjenigen, die im schuldunfähigen Zustand eine schwere Schädigungshandlung gegen andere begangen haben“30 eingeführt. Der Zweck dieses 27 Der Name des Gesetzes wurde zweimal geändert: Am Anfang hieß es „Gesetz zur psychischen Hygiene“. 1987 erfolgte die Umbenennung in „Gesetz zur psychischen Gesundheit“. Seit 1995 trägt es den heutigen Namen. 28 Der Staatsanwalt muss dazu beim Landgericht den Antrag stellen, eine Entscheidung nach § 42 Abs. 1 über die Unterbringung im Krankenhaus zu treffen. 29 Der Passus „Wenn dies besonders notwendig ist“, meint den Fall, in dem die angemessene medizinische Behandlung und Schutzmaßnahme erforderlich wird, bevor die Staatsanwaltschaft deshalb von der Anklage absieht bzw. bevor die diesbezügliche gerichtliche Entscheidung rechtskräftig geworden ist. 30 Gesetz-Nr. 110 v. 16. 7. 2003. Das Gesetz wird im Folgenden kurz als „Gesetz zur medizinischen Beobachtung“ bezeichnet. Zu diesem Gesetz vgl. Yuri Yamanaka, Das Gesetz
III. Strafrechtsreformen im 21. Jahrhundert
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Gesetzes besteht darin, „die Verbesserung des Krankheitszustandes [des Täters] zu bewirken und damit einer Wiederholung gleichartiger Taten vorzubeugen, seine Resozialisierung durch Verfahren geeigneter Behandlung zu fördern und dadurch eine ununterbrochene und geeignete medizinische Behandlung sowie die für ihre Durchführung notwendige Beobachtung und Führung zu ermöglichen“ (§ 1). Der Kreis der Taten, bei denen dieses Gesetz zur Anwendung kommen kann, ist begrenzt (§ 2). Es muss sich um eine der folgenden Taten handeln: (1) Brandstiftung an Häusern oder Gebäuden oder fremden Sachen, oder deren Versuch (§ 108 bis § 110 oder § 112), (2) Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung (erzwungene unzüchtige Handlungen, erzwungener Geschlechtsverkehr usw., oder deren Versuch (§ 176 bis § 179), (3) Tötung, deren Vorbereitung oder Versuch (§ 199, § 201 oder § 203), (4) Körperverletzung (§ 204), (5) Raub, „nachträglicher Raub“ (entspricht dem deutschen „räuberischen Diebstahl“), oder deren Versuch (§ 236, § 238 oder § 243). Begrenzt ist auch der Kreis der Personen, auf den dieses Gesetz Anwendung findet: Erstens muss bei der Entscheidung gegen die Anklage festgestellt werden, dass die Person, die die Tat begangen hat, schuldunfähig (Geistige Störung: § 39 Abs. 1) oder vermindert schuldfähig (Geistige Minderbefähigung: § 39 Abs. 2) ist. Zweitens muss bei dieser Person durch rechtskräftige Entscheidung die Schuldunfähigkeit festgestellt worden sein oder die Person muss wegen verminderter Schuldfähigkeit bereits eine Strafmilderung bekommen haben.
III. Strafrechtsreformen im 21. Jahrhundert 1. Reform von 2001 (Reform im Bereich von Zahlungskarten und Verkehrsunfällen) Seit der Jahrhundertwende werden häufiger Teilreformen des StGB durchgeführt31. 2001 wurde „Abschnitt 18 a: Straftaten bezüglich der elektromagnetizur Medizinischen Beobachtung, in: Jehle/Lipp/Yamanaka (Hrsg.), Rezeption und Reform im japanischen und deutschen Recht, 2008, S. 237 ff.; dies., Maßnahmen bei psychisch kranken Straftätern: ein Vergleich zwischen Deutschland und Japan, 2008, S. 27 ff.; dies., Maßnahmen gegenüber psychisch kranken Tätern in Japan, in: Joerden/Szwarc/Ünver (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Rechtsphilosophie – Ein fruchtbares Spannungsverhältnis, Poznań 2014, S. 401 ff. 31 Vgl. Yamanaka, Strafrechtsreformen seit 2000 in Japan: Ein Überblick, in: Jan C. Joerden/Andrzej J. Szwarc (Hrsg. im Zusammenwirken mit: Zbigniew Ćwiąkalski, Joanna Długosz, Włodzimierz Wróbel, Keiichi Yamanaka, Yener Ünver), Strafrechtlicher Reformbedarf. Materialien einer deutsch-japanisch-polnisch-türkischen Tagung im Jahre 2015 in Rzeszów und Kraków (Polen), Wydawnictwo Nauka i Innowacje, Poznań 2016, S. 13 ff.
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A. Grundkonzept des japanischen Strafrechts
schen Aufzeichnungen von Zahlungskarten“ neu eingeführt. Der Zweck dieser neuen Vorschriften liegt im Schutz des sozialen Vertrauens auf das Bezahlungssystem. Neu geschaffen bzw. gefasst wurden folgende Tatbestände: Die unerlaubte Herstellung von Zahlungskarten, die unberechtigt hergestellte elektromagnetische Aufzeichnungen enthalten (§ 163a Abs. 1), das Zur-Verfügung-Stellen entsprechender Zahlungskarten (§ 163 a Abs. 2), die Übertragung entsprechender Karten (§ 163 a Abs. 3), ihre Leihe (§ 163 a Abs. 3), ihr Importieren (§ 163 a Abs. 3) oder ihr Besitz (§ 163 b) sowie die Vorbereitung ihrer unberechtigten Herstellung (§ 163 c) und der Versuch des § 163 a und des § 163 c Abs. 1 (§ 163 d).32 In demselben Jahr wurde als 27. Abschnitt „Körperverletzung: Gefährliche Fahrten mit Todes- oder Körperverletzungsfolge“ der § 208 a in das japanische Strafgesetzbuch eingeführt. Diese neue Vorschrift wurde aber 2013 wieder aus dem StGB gestrichen und in ein Sondergesetz verschoben; vgl. dazu unten unter A. IV.4. 2. Reform von 2003 (Einführung des passiven Personalitätsprinzips) Im Jahre 2003 wurde als neue Vorschrift das „passive Personalitätsprinzip“ (§ 3a StGB) eingeführt, um den Fällen, in denen Japaner im Ausland Opfer einer Gewalttat wie Tötung, Körperverletzung, Vergewaltigung oder Raub usw. geworden sind, mit dem japanischen StGB begegnen zu können. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es die Vorschrift des § 3 Abs. 2 StGB, nach der das StGB auf im Ausland von Ausländern gegen Japaner verübte Straftaten Anwendung fand, soweit die betreffende Straftat in den einzelnen Nummern des Abs. 1 genannt wurde. Dieser Absatz wurde 1947 gestrichen, vielleicht wegen seines imperialistischen Gehalts. Der Anlass für die Gesetzgebung zur Einführung des passiven Personalitätsprinzips war der sog. „Tajima-Fall“. Am 7. April 2002 wurden auf einem unter panamaischer Flagge fahrenden Tanker, der einem japanischen Unternehmen gehörte, auf offenem Meer zwei japanische Seeleute durch zwei Philippiner getötet. Das japanische StGB ließ sich auf diesen Fall nicht anwenden, da eine entsprechende Vorschrift fehlte33.
32 § 163 c Abs. 1 bestraft das „Sich-Verschaffen“ von Informationen aus elektromagnetischen Aufzeichnungen, die zum Zweck der unerlaubten Herstellung elektromagnetischer Aufzeichnungen von Zahlungskarten (§ 163 a) verwendet werden sollen. Der Versuch ist nur bei Abs. 1 strafbar. Nicht strafbar ist dagegen der Versuch bei Abs. 2 oder 3, die die Aufbewahrung von Informationen aus wie in § 163 a Abs. 1 in unerlaubter Weise hergestellten elektromagnetischen Aufzeichnungen mit der Absicht des Sich-Verschaffens (Abs. 2) und die Vorbereitung von Geräten oder Stoffen mit dem im Abs. 1 beschriebenen Zweck (Abs. 3) erfassen. 33 Ein Gericht (Jury) in Panama hat am 18. Mai 2005 die beiden Philippiner freigesprochen.
III. Strafrechtsreformen im 21. Jahrhundert
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3. Reform von 2004 (Revision der Strafrahmen) 2004 wurde die „Reform zur Revision des Strafrahmens bei ruchlosen und schwerwiegenden Verbrechen“ durchgeführt. Dabei ist eine beachtenswerte Erhöhung der Strafrahmen zu konstatieren. So wurde die Obergrenze der zeitlichen Freiheitsstrafe (Zuchthaus und Gefängnis) zum 1. Januar 2005 von 15 auf 20 Jahre angehoben (§ 12 Abs. 1), für Fälle, in denen strafmodifizierende Umstände (Schärfungen und Milderungen) zu berücksichtigen sind, sogar von 20 auf 30 Jahre. Und auch der untere Strafrahmen der mit Zuchthaus bedrohten Tötungsdelikte wurde von bisher „nicht unter drei Jahre“ auf „nicht unter fünf Jahre“ angehoben (§ 199). Damit wurde die Strafaussetzung nur noch bei Berücksichtigung besonderer Umstände möglich. Auch wurde die Verjährungsfrist (§ 250 StPO) neu geregelt, so dass mit Todesstrafe bedrohte Taten nunmehr erst nach 25, statt wie bisher nach 15 Jahren verjähren. Der Strafrahmen der Körperverletzung wurde von „bis zu 10 Jahre“ auf „bis zu 15 Jahre“ erhöht, die Geldstrafe wurde auf „bis zu 500.000 Yen“ erhöht und die Möglichkeit einer Geldbuße gestrichen. Der Strafrahmen der Körperverletzung mit Todesfolge wurde von „zeitlich begrenzter Zuchthausstrafe“ von „nicht unter zwei Jahren“ auf „nicht unter drei Jahren“ erhöht. Auch der Strafrahmen bei einer obszönen Handlung und bei Notzucht wurde erhöht und ein Tatbestand der Gruppennotzucht neu geschaffen (§ 178 a). Was aber den Strafrahmen des Raubes mit Todes- oder Körperverletzungsfolge betrifft, so wurde dieser von „Zuchthausstrafe nicht unter sieben Jahren“ auf „Zuchthausstrafe nicht unter sechs Jahren“ reduziert. Der Grund dafür ist, dass eine Strafaussetzung nunmehr nur noch bis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren möglich ist (§ 25). Wenn aber beim Raub mit Körperverletzungsfolge, dessen Tatbestand manchmal schon mit einer leichten fahrlässigen Körperverletzung erfüllt werden kann, eine Strafe von nicht unter sieben Jahren die Untergrenze des Strafrahmens bildet, ist die Verhängung einer Strafe von nur drei Jahren auch dann ausgeschlossen, wenn die Strafe unter Anwendung des § 66 wegen der Berücksichtigung besonderer Umstände34 gemindert wurde. 4. Reform von 2005 (Neue Regelung der Straftaten zu Menschenhandel usw.) Das „Gesetz zur Teilreform des StGB usw.“ von 2005 brachte neben einer Ausweitung des Strafrahmens des Festnahme- und Einsperrungsdeliktes (§ 220) auch eine Reform der Entführungs- und Verschleppungsdelikte sowie neue Strafvorschriften zum Menschenhandel. Das Gesetz beinhaltet neben den genannten strafrechtlichen Änderungen auch eine Reform des „Gesetzes zur Kontrolle der Ein- und Ausreise und zur Asylfeststellung“. 34 § 66 schreibt vor: „Wenn bei der Straftat zu berücksichtigende Umstände für eine Milderung vorliegen, kann die Strafe nach Ermessen gemindert werden“.
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A. Grundkonzept des japanischen Strafrechts
5. Reform von 2007 (Einführung der Geldstrafe beim Diebstahl usw.) Am 8. Mai 2007 wurde das „Gesetz zur Teilreform des StGB und der StPO“ (Gesetz Nr. 36) erlassen. Beim Diebstahl und bei der Verhinderung der Amtsausübung wurde die Möglichkeit der „Geldstrafe“ neu eingefügt. Dadurch ist auch der Weg zu einer schnellen Erledigung durch einen Strafbefehl eröffnet worden.
IV. Strafrechtsreform seit 2010 1. Änderung der Verjährungsfristen Mit dem „Gesetz zur Teilreform des StGB und der StPO“ (Gesetz Nr. 26) von 2011 wurden Straftaten, die mit der Todesstrafe bedroht sind, von der Verjährung ausgenommen (§ 31 StGB). Die Verjährungsfrist, nach deren Ablauf eine Strafe nicht mehr vollstreckt werden darf (Vollstreckungsverjährung), wurde geändert (§ 32). Auf Grund des Ausschlusses der Verjährung für mit Todesstrafe bedrohte Straftaten wurde die für die Verjährung der lebenslänglichen Freiheitsstrafen erforderliche Frist auf 30 Jahre (§ 32 Nr. 1) festgelegt. Für die mit Zuchthaus und Gefängnis nicht unter 10 Jahren bedrohten Straftaten gilt nun eine Verjährungsfrist von 20 Jahren. Bei Zuchthaus- und Gefängnisstrafen von (einschließlich) drei Jahren bis 10 Jahren gilt nun eine Verjährungsfrist von 10 Jahren und bei Zuchthaus- und Gefängnisstrafen bis zu drei Jahren eine Frist von fünf Jahren. Bei Geldstrafe wurde eine Frist von drei Jahren und bei Haft, Geldbuße und Einziehung von einem Jahr festgelegt (§ 32). 2. Reform des Computer- und Internetstrafrechts Im Jahre 2012 wurde das „Gesetz zur Strafrechtsteilreform hinsichtlich der Bekämpfung der High-Tech-Kriminalität im Bereich der Datenverarbeitung“ eingeführt35. Durch diese Reform wurden Tatbestände für „Straftaten, die durch rechtswidrige Anweisung hergestellte elektromagnetische Aufzeichnungen betreffen“ (19. Abschnitt a; § 186 a und § 186 b) neu geschaffen. Weiterhin wurde bei dieser Reform der Tatbestand der Verbreitung von obszönen Schriften usw. (§ 175) weiter gefasst. Dadurch ist auch die Verbreitung einer obszönen elektromagnetischen Aufzeichnung strafbar geworden. Der Versuch der Geschäftsstörung durch die Beschädigung eines Datenverarbeitungsgerätes usw. (§ 234 a Abs. 2) 35 Die Arbeit an diesem Gesetz wurde schon 2003 anlässlich der auch von Japan unterzeichneten „Konvention über Cyberkriminalität“ (Convention on Cybercrime) des Europarats durch das Komitee für Gesetzgebungsberatung aufgenommen. Ein Reformentwurf wurde 2005 dem Parlament vorgelegt, aber nicht beschlossen. 2012 wurde der Entwurf dem Parlament erneut vorgelegt und diesmal angenommen. Die Reform wurde als „Reform des Cyber-Strafrechts“ bezeichnet.
IV. Strafrechtsreform seit 2010
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wurde neu geschaffen. Schließlich wurden die Tatbestände der Zwangsvollstreckungsvereitelung geändert und erweitert. Der Strafrahmen wurde erhöht (§§ 96, 96 c, 96 e) und es wurden neue Qualifikationstatbestände geschaffen (§ 96 d, § 3 Abs.1 Nr. 4 ff. des Gesetzes zur Bestrafung der organisierten Kriminalität). 3. Reform der Vorschriften zur Strafaussetzung 2013 wurde durch das „Gesetz zur Teilreform des StGB“ und das „Gesetz zur Aussetzung eines Teils der Strafe desjenigen, der eine Straftat zum Zwecke des Drogenkonsums begangen hat“, § 25 StGB reformiert: Die Aussetzung der gesamten Strafe (Abs. 1) und die Bewährungsaufsicht während der Strafaussetzung (Abs. 2) wurden neu geregelt. Es wurden neue Strafvorschriften (§ 27 a bis § 27 e StGB) eingefügt, darunter eine Vorschrift für die Aussetzung eines Teils der Strafe (§ 27 a StGB). Ferner wurde der Inhalt des § 29 StGB, der den Widerruf der vorläufigen Entlassung betrifft, völlig geändert. 4. Das „Gesetz zur Bestrafung von gefährlichen Autofahrten mit Todes- oder Körperverletzungsfolge“ von 2013 Im Jahre 2013 wurde das „Gesetz zur Bestrafung von gefährlichen Autofahrten mit Todes- oder Körperverletzungsfolge“ verkündet, im Mai 2014 ist es in Kraft getreten. Dadurch wurden die Vorschriften bezüglich der „Gefährlichen Autofahrt mit Todes- oder Körperverletzungsfolge“ (§ 208 a) und der „Fahrlässigen Tötung oder Körperverletzung durch Autofahrten“ (§ 211 Abs. 2) aus dem StGB herausgenommen. Dieses Sondergesetz hat den Zweck, neue Strafvorschriften für die Fälle zu schaffen, in denen der Täter bei anderen durch eine „bösartige“ und gefährliche Autofahrt den Tod oder eine Körperverletzung verursacht. Die Vorschrift der „Fahrlässigen Tötung oder Körperverletzung durch Autofahrten“ wurde in dieses Gesetz verschoben und ein Qualifikationstatbestand für „Fahren ohne Führerschein“ hinzugefügt36. 5. Die neueste Strafrechtsreform und der zukünftige Reformplan a) Reform der Sexualdelikte Am 9. Oktober 2015 hat der Justizminister das „Beratschlagungsgesuch Nr. 101 betreffend die Teilreform des StGB zur Bekämpfung der Sexualdelikte“ an das Beratungskomitee für Gesetzgebung gerichtet. Das Komitee hat sich entschieden, die weitere Beratung an das „Sonderkomitee für Strafrecht“ zu überweisen. Am 2. November 2015 fand seine erste Sitzung statt. Die Überprüfung erstreckt sich 36 Vgl.
Yamanaka, in: Strafrechtlicher Reformbedarf, S. 13 ff., 33 f.
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A. Grundkonzept des japanischen Strafrechts
auf sieben Punkte: (1) Die Reform des Vergewaltigungsdeliktes. Die Beschränkung auf männliche Tatsubjekte soll aufgehoben werden, sodass z. B. künftig auch Frauen eine Vergewaltigung begehen können. Außerdem soll die Tathandlung künftig nicht mehr auf den Beischlaf beschränkt sein, wodurch auch geschlechtsverkehrsähnlichen Handlungen wie das Einschieben des männlichen Gliedes in den After oder den Mund anderer vom Tatbestand erfasst werden würde. (2) Ausdehnung des § 178 Abs. 2 auch auf geschlechtsverkehrsähnliche Taten. (3) Die Schaffung neuer Strafvorschriften für erzwungene unzüchtige Handlungen oder erzwungenen Geschlechtsverkehr (u. a.) mit unter 18 Jahre alten Opfern unter Ausnutzung einer Obhutsfunktion. (4) Die Streichung der Vorschriften über die Antragsdelikte (§ 180) und die Änderung des § 22937. (5) Die Streichung der Straftaten der Gruppenvergewaltigung (§ 178 a) und dieser Taten mit Todes- oder Körperverletzungsfolge (§ 181 Abs. 3, (6). Die Verschärfung der Strafrahmen bei erzwungenen unzüchtigen Handlungen oder der Vergewaltigung mit Todes- oder Köperverletzungsfolge (§ 181 Abs. 1 und 2). (7) Die Reform des Raubes mit Vergewaltigung und Todesfolge (§ 241) und dessen Versuch (§ 243). Ausführlich dazu vgl. Abschnitt Q dieses Buches. Die Reform wurde im Jahre 2017 vollendet. Die neuen Vorschriften (Gesetz-Nr. 72) wurden am 23. Juni 2017 öffentlich bekanntgemacht und sind am 13. Juli 2017 in Kraft getreten. b) Geplante Einführung der einheitlichen Freiheitsstrafe Am 23. Januar 2017 wurde in einer Zeitung38 berichtet, dass das Justizministerium plant, das Strafsystem zu reformieren. Den Kernpunkt der Reform wird die Vereinheitlichung der Gefängnis- und Zuchthausstrafe bilden. Der Schwerpunkt der Strafe soll auf der Wiedereingliederung in die Gesellschaft liegen. Den Anlass zu dieser Reform bildete die Diskussion über die Absenkung des Erwachsenenalters (u. a. im Wahlrecht) von 20 Jahren auf 18 Jahre. Im Anschluss daran wurde diskutiert, ob das Erwachsenenstrafrecht bereits bei 18-Jährigen angewendet werden sollte. Die jungen Gefangenen werden durch die Zuchthausstrafe der Möglichkeit beraubt, sich zu resozialisieren, da sie in der Haft arbeiten müssen und die Programme zur Reintegration dadurch verdrängt werden. Daneben will das Justizministerium auch die Einführung der „Aussetzung des Urteilsspruchs“ ins Strafgesetz aufnehmen. Damit kann die Strafe für einen bestimmten Zeitraum zur Bewährung ausgesetzt werden, damit das Gericht beurteilen kann, ob sich der Angeklagte in der Freiheit bewährt hat oder in die Strafanstalt aufgenommen werden muss. Das Beratungskomitee für Gesetzgebung wurde bereits im Februar 2017 vom Justizminister mit der Erörterung dieser Problematik beauftragt. 37 Neben § 229 verbleiben noch die Antragsdelikte gem. §§ 224, 227 Abs. 1 und deren Versuchsstrafbarkeit. 38 Asahi-Zeitung vom 23. Januar 2017.
B. Geschichte des modernen japanischen Strafrechts I. Modernisierung des japanischen Strafrechts 1. Die geschichtliche Bedeutung der Meiji-Restauration Im Jahre 1867 kam es in Japan zu einem Machtwechsel, der letztlich zu einer Abschaffung des seit 1192 fast ununterbrochen bestehenden Shogunats1 führte. Obwohl das Kaisertum in Japan niemals abgeschafft worden ist, waren die Shogune bis zu diesem Zeitpunkt die tatsächlichen Machthaber. Auch wenn dieser Machtwechsel eigentlich eine Revolution darstellt, wird er in Japan als „Meiji-Restauration“ bezeichnet, weil mit ihm die Macht des Tennos (Kaiser) restauriert wurde. In Japan werden geschichtliche Zeitabschnitte schon seit Langem als „Ären“ bezeichnet, die auch alle einen Eigennamen haben. Dieser Name wird geändert, wenn der Tenno wechselt, daher entspricht eine Ära dem Herrschaftszeitraum eines Tennos. Der Name der Ära knüpft an die Regierungsdevise des Tennos an, wird dann aber posthum auch auf den Tenno selbst angewendet. Die neue Ära „Meiji“ wurde am 23. Oktober 1868 verkündet. Bei Beginn der Restauration saß der 16-jährige Tenno Mutsuhito, dessen posthumer Name „Meiji“ lautet, auf dem Thron 2, die „Meiji-Ära“ endete mit seinem Tod. Die Meiji-Regierung hat am Anfang versucht, sich hinsichtlich des Staatsaufbaus an den alten chinesischen bzw. japanischen Rechtssystemen zu orientieren. 2. StGB-Reformen zum Zweck der Restauration am Anfang der Meiji-Ära 1868, im ersten Jahr der Meiji-Ära, trat die Verordnung „Karikeiritsu“ (Vorläufige Strafverordnung) in Kraft.3 Diese Verordnung löste die bis dahin geltende 1 Der Tenno (Kaiser) begann 1192, sein Herrschaftsrecht einer Klasse von Samurai (Rittern) zu übertragen. Das Machtzentrum, also die Regierung, der Herrschaft durch die Samurai-Klasse wurde als „Shogunat“ (auf Japanisch „Bakufu“) bezeichnet. 2 Die Meiji-Ära begann 1868 und endete 1912, sie dauerte also 45 Jahre. Dann folgten von 1912 bis 1926 die Taisho-Ära und von 1926 bis 1989 die Showa-Ära, deren 64 Jahre die längste Regierungszeit eines Tennos überhaupt darstellen. Im Jahr 1989 begann die Heisei-Ära, die mittlerweile (2018) schon 30 Jahre andauert. Der Tenno will Ende April 2019 dem Thron entsagen. Damit endet dann die Heisei-Ära . 3 Vgl. zur Strafrechtsgeschichte nach der Meiji-Zeit, etwa Yamanaka, Die Entwicklung der Strafrechtsdogmatik in Japan, in: Yamanaka, Geschichte und Gegenwart, S. 3 ff.. Zur Strafrechtsgeschichte seit der Meiji-Ära (auf Japanisch) vgl. Saeki/Kbayashi, Keihogakushi (Geschichte der Strafrechtswissenschaft), in: Nobushige Ukai u. a. (Hrsg.), Koza Nihon
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B. Geschichte des modernen japanischen Strafrechts
klassische Strafverordnung aus der Zeit des Shogunats ab.4 Wie damals üblich, wurde die Verordnung nicht verkündet.5 Im dritten Jahr der Meiji-Ära, 1870, wurde das „Shinritsu Koryo“ (Programm der Neuen Strafverordnung) erlassen, das ebenfalls nicht verkündet wurde. Diese Verordnung brachte den Geist der Restauration zum Ausdruck. Sie erlaubte u.a. eine analoge Anwendung von Strafvorschriften. 1873 wurden die ergänzenden Verordnungen von Shinritsu Koryo unter dem Namen „Kaitei Riturei“ (Revidierte Strafverordnung) zusammengefasst. Sie trat als Ergänzung neben dem Shinritsu Koryo in Kraft. Die Strafnormen wurden nun zum ersten Mal in Paragraphen eingeteilt, während sie bis dahin ohne Nummerierung nebeneinander geschrieben wurden. Als Strafen finden sich nur Todesstrafe, Zuchthausstrafe und Vermögensstrafe. Die bis dato vorhandenen Strafarten Peitschenschläge, Stockschläge, Zwangsarbeit (auf einer Insel) und Verbannung verschwanden. 3. Das alte StGB Ein langjähriges Ziel der damaligen Regierung war die Abschaffung der Exterritorialität ausländischer Staatsangehöriger6, die dazu geführt hatte, dass dem japanischen Staat in vielen Fällen die Strafgewalt fehlte.7 Um dieses Ziel Kindaiho Hattatsushi (Vorlesungsreihe: Entwicklungsgeschichte des japanischen modernen Rechts), Bd. 11, 1967, S. 207 ff.; Hitoshi Otsuka, Keiho niokeru Shinkyuryoha no Riron (Die Lehre der klassischen und modernen Schule im Strafrecht), 1957; Kikkawa u. a. (Hrsg.), Keiho Rironshi no Sogoteki Kenkyu (Gesammelte Studien zur strafrechtlichen Dogmengeschichte), 1994; Ken Naito, Keiho Rironshi no Shiteki Tenkai (Die historische Entwicklung der Strafrechtsdogmatik), 2007. 4 „Osadamegaki Hyakkajo“ (etwa: „Hundert Strafvorschriften“) entstanden 1742 in der Edo-Zeit (1603 – 1867) als erster Teil des zweibändigen Werkes „Kujikata Osadamegaki“. Der zweite Band ist eine Sammlung strafrechtlicher Entscheidungen. 5 Vgl. Kichisaburo Nakamura, Keiho (Strafrecht), in: Ukai/Fukushima/Kawashima/ Tsuji (Hrsg.), Nippon Kindaiho Hattatsushi (Geschichtliche Entwicklung des modernen Rechts in Japan) Bd. 9, 1960, S. 5, S. 33. Eine Strafvorschrift wurde damals nicht als Verhaltensnorm, sondern als bloße Sanktionsnorm verstanden, die sich nur an Richter oder Beamte richtete. Ein Sprichwort aus der Edo-Zeit lautete: Eine Regel muss „nicht verkündet werden, nur sich anwenden lassen“. 6 Die Exterritorialität ausländischer Staatsangehöriger in Japan war eine Folge der sogenannten „ungleichen Verträge“. Damit bezeichnet man eine Reihe von Verträgen, die zwischen westlichen Großmächten und Japan bzw. anderen ostasiatischen Staaten geschlossen wurden und für die ostasiatischen Staaten erhebliche Souveränitätsbeschränkungen ohne nennenswerte Gegenleistungen zur Folge hatte. Der erste ungleiche Vertrag wurde 1854 durch das Edo-Shogunat mit den Vereinigten Staaten als „Convention of Peace and Amity between the United States of America and the Empire of Japan“ abgeschlossen. 1858 folgte der, ebenfalls mit den USA abgeschlossene, ungleiche Handelsvertrag „Treaty of Amity and Commerce“. 7 Bekannt wurde der Entenjagdfall des Prinzen Heinrich von Preußen (1862 – 1929) im Jahre 1880 in Suita, Osaka. Vgl. dazu Yamanaka, Der Jagdzwischenfall des Prinzen Hein-
I. Modernisierung des japanischen Strafrechts
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zu erreichen, brauchte die Regierung ein modernes Rechtssystem, auf das die europäischen Länder vertrauen konnten. Dies machte eine Europäisierung und Modernisierung des Strafrechts unvermeidbar. Auf Grund dieser politischen Motivation begann das Justizministerium 1875 mit der Arbeit an einem Strafgesetzbuch. Dabei diente der französische code pénal als Modell. Im Jahre 1876 wurde der „Ausschuss für die Herausgabe des Strafgesetzbuches“ eingerichtet. Der aus Paris berufene Rechtslehrer, Gustave Émile Boissonade (1825 – 1910), der schon im November 1873 in Japan war, wurde zum Mitglied des Ausschusses ernannt. Für seinen Entwurf des japanischen StGB nahm Boissonade den „Code Napoleon“ als Vorbild, berücksichtigte aber auch andere europäische Strafgesetzbücher. Schon im November 1874 stellte Boissonade seinen Entwurf fertig. Seitens der Regierung wurde das „Beratungsamt für den Strafrechtsentwurf“ (Keiho Soan Shinsa Kyoku) gegründet. Dort wurde Boissonades Entwurf nach Diskussion mit japanischen Fachleuten modifiziert. 1880 wurde der Entwurf dem Senat zur Beratung zugeleitet. Am 17. Juli 1880 wurde das erste moderne japanische Strafgesetzbuch verkündet und trat am 1. Januar 1882 in Kraft. Heute wird es das „alte StGB“ genannt. Es ist nicht schwierig, sich vorzustellen, dass die Handhabung des „europäischen“ StGB den damaligen Gesetzesanwendern, die diesbezüglich keine fachliche Ausbildung erhielten, Schwierigkeiten bereitete und zu Verwirrungen führte8. Das alte StGB war ein Beispiel für eine misslungene Rezeption eines ausländischen Rechtssystems aufgrund eines nicht ausreichenden Kontextwechsels bei der Gesetzgebung9.
rich von Preußen während seines Japanbesuchs im Jahre 1880, Hogaku Ronshu Bd. 67, H. 1 (2017), S. 45 ff. (auf Japanisch); die Veröffentlichung einer kurzen Version dieses Aufsatzes in deutscher Sprache wird voraussichtlich in der Festschrift für Rudolf Rengier, C. H. Beck, 2018, S. 511 ff., erfolgen; Rolf-Harald Wippich, Prinz Heinrichs Japan-Aufenthalt 1879/80 (Jagdzwischenfall von Suita), in: Beck/Gründer/Pietschmann/Ptak (Hrsg.), Überseegeschichte, 1999, S. 267 ff. Zur damaligen Darstellung vgl. Adolf Langguth, Prinz Heinrich von Preußen, 1829, S. 176 ff. Über die Geschichte der Vertragsrevidierungen von damals, besonders über die Konsulargerichtsbarkeit und den Revidierungsprozess der Jagdverordnungen vgl. Tomoko Morita, Kaikoku to Chigaihoken (Öffnung des Landes und Exterritorialität), 2005, S. 18 ff. Zur Entwicklung der „Regelungen zur Jagd“ nach der Meiji-Zeit vgl. Taiji Oyanagi, Wagakuni no Shuryo Hosei (Gesetzliche Regelungen zur Jagd in Japan), 2015, S. 236 ff. (in japanischer Sprache). 8 Dazu vgl. Juro Iwatani, Meiji Nippon no Hokaishaku to Houritsuka (Gesetzesauslegung und Juristen in der Zeit Meiji-Japans), 2012, S. 139 ff.; Yoshihiro Misaka, Kindai Nippon no Shihosho to Saibankan (Justizministerium und Richter im modernen Japan), 2014, S. 173 ff. Auch in 20. Jahrhundert gab es in der japanischen Justiz ein Nachwuchsproblem wegen der „alten und verbrauchten Richter“, die über keine europäische juristische Ausbildung verfügten. 9 Yamanaka, Kontext- und Paradigmenwechsel bei Rechtsrezeption und -fortbildung mit den Beispielen der japanischen Strafrechtswissenschaft, in: Emil Pływaczewski (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Strafrechts und der Kriminologie, 2017, S. 252 ff.
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II. Kritik am alten StGB und Reformbedarf 1. Reformversuche Schon bald nach seinem Inkrafttreten war das alte StGB heftiger Kritik ausgesetzt, nicht zuletzt, weil die Kriminalität zu dieser Zeit erheblich anstieg. Die sozialen Änderungen dieser Zeit führten zu verschiedenen Konflikten. So wurde beispielsweise im Zuge der Meiji-Restauration schrittweise der Kriegerstand der Samurais abgeschafft und eine moderne, westlich orientierte Armee aufgebaut. Bei den nunmehr arbeitslos gewordenen ehemaligen Samurais staute sich Unzufriedenheit an, die sich an mehreren Orten durch Aufruhr und Rebellion entlud. Man dachte weithin, dass das StGB, das sich am französischen Strafrecht orientierte, nicht zur Situation in Japan passte, da Frankreich mit der Revolution und der anschließenden Liberalisierung und Demokratisierung eine ganz andere Entwicklungsgeschichte durchlaufen hatte als Japan. Wegen des nicht ausreichenden Kontextwechsels ist dieses Gesetz an der gesellschaftlichen Realität gescheitert. Erforderlich war ein StGB, das geeignet war, die Kriminalität effektiv zu bekämpfen. In diese Zeit fiel auch der Versuch, eine kaiserliche japanische Verfassung zu entwerfen. Der Verfassungsentwurf nahm sich die preußische Verfassung als Beispiel. Hiermit begann auch die Rezeption des deutschen Rechts durch das japanische. Die Reformversuche auf dem Gebiet des Strafrechts begannen in etwa in den 1890er Jahren. Der erste Reformentwurf von 1891 ist noch durch die französische Strafrechtswissenschaft geprägt. Der zweite Entwurf, der veröffentlicht wurde und nunmehr die unter Juristen und in der Gesellschaft verbreiteten Auffassungen berücksichtigte, wurde 1901 zum 15. Reichstag vorgelegt. Dieser Entwurf ist vom deutschen StGB von 1871 beeinflusst worden. Im Jahre 1902 wurde dem 16. Reichstag der „Entwurf zur Strafrechtsreform“10 vorgelegt. Es handelte sich dabei um den dritten Entwurf, der den zweiten Entwurf in einigen Punkten verbesserte. Die Beratungen dieser drei Entwürfe im Reichstag wurden alle nicht abgeschlossen. Nach dem Abschluss der Beratung des vierten Entwurfs von 1903 ist schließlich im Jahre 1907 aus dem fünften Entwurf durch den 23. Reichstag das geltende StGB hervorgegangen11. Das neue StGB wurde zwar maßgeblich vom deutschen Strafrecht beeinflusst, insgesamt präsentierte sich das neue StGB jedoch als eine eigene Mischung der 10 Der Entwurf ist in Kuratomi/Hiranuma/Hanai (Hrsg.), Keiho Enkaku Soran („Allgemeine Oberaufsicht des Strafrechts“), Nippon Rippo Shiryo Zenshu, Bekkan 2 (Vollständige Sammlung zur Gesetzgebung in Japan, Sonderausgabe 2., 1990), zusammengestellt. Zum zweiten Entwurf von 1902 vgl. Uchida/Yamabi/Yoshii (Hrsg.), „Keiho 1-I“ (StGB: 40. Meiji-Ära) 1-I, (Vollständige Sammlung zur Gesetzgebung in Japan, Bd. 20 – 1), 1999. 11 Vgl. Saeki, Chihiro/Kobayashi, Yoshinobu, Geschichte der Strafrechtswissenschaft, in: Nipon Kindaiho Hattatsushi (Entwicklungsgeschichte des japanischen modernen Rechts), Bd. 11, 1967, 207 ff.
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damaligen verschiedenen europäischen StGB. Es enthielt etwa Vorschriften, die in den damaligen deutschen Gesetzgebungen nicht zu finden waren: Z. B. gibt es im deutschen StGB keinen Rechtfertigungsgrund der „berechtigten Handlung wegen einer Handlungsausführung in Ausübung eines berechtigten Geschäfts“ (§ 35 StGB). Im deutschen StGB gibt es auch keine § 54 StGB entsprechende Vorschrift. Nach § 54 StGB stehen mehrere Straftaten in Idealkonkurrenz zueinander, wenn sie bezüglich des Tatmittels oder der Wirkung der Tat zusammenhängen. 2. Entwicklung der Strafrechtswissenschaft a) Schüler Boissonades Die Strafrechtswissenschaft in Japan begann in der innerhalb des Justizministeriums eingerichteten Schule „Meihoryo“ (was in etwa „Rechtsaufklärungs-Internat“ bedeutet), an der Boissonade seit April 1875 nicht nur französisches Strafrecht, sondern auch Bürgerliches Recht und Handelsrecht gelehrt hat. Boissonade stand unter dem Einfluss des französischen Strafrechtlers Ortoran, der zur neoklassischen Schule gehörte. Boissonade lehrte neoklassische (oder gemischte) Straftheorien, die den Vergeltungsgedanken mit dem Utilitarismus kombinierten. Bekannte Schüler Boissonades waren Kozo Miyagi (1847 – 1905), der zwischen 1876 und 1880 in Frankreich studiert hatte, Shoichi Inoue (1850 – 1936), der von 1875 bis 1881 ebenfalls in Frankreich studiert hatte und dort auch promoviert wurde, und Toyozo Takagi (1852 – 1918), der ab 1886 vier Jahre in Deutschland studiert hatte12. Die Schüler Boissonades unterrichteten an der Rechtsakademie des Justizministeriums, der Nachfolgeinstitution der „Meihoryo“, und verbreiteten dort die Auffassungen der neoklassischen Schule. b) Die am Strafzweck der Abschreckung orientierte moderne Schule Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war in Japan die moderne Schule vorherrschend. Diese war zunächst sehr stark auf den Gedanken der Sozialverteidigung ausgerichtet und sah das Strafrecht als ein Mittel zur Erhaltung von Sicherheit und gesellschaftlicher Ordnung an. Charakteristisch für die Theorie dieser modernen Schule war die Befürwortung harter Strafen und Zuchtmittel zur Abschreckung potentieller Täter. Im Bereich der Verbrechenslehre betonte sie die subjektive Seite der Tat. Repräsentative Vertreter dieses Teils der modernen Schule waren Masaakira Tomii (1858 – 1935) und Renzo Koga (1858 – 1942). 12 Diese Schüler waren Hörer der Vorlesung an der Rechtsschule beim Justizministerium. Zu den Strafrechtslehren der damaligen Strafrechtswissenschaftler vgl. jeweils einen Aufsatz, in: Kikkawa u. a. (Hrsg.), a .a. O., Gesammelte Studien zur strafrechtlichen Dogmengeschichte, S. 1 ff., 23 ff., 51 ff.
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Tomii studierte von 1877 bis 1883 an der Universität Lyon und wurde dort im Bereich des römischen Rechts und des Zivilrechts promoviert. Er besuchte die Strafrechtsvorlesungen von Jean René Garraud (1849 – 1930), der in Lyon mit dem Kriminologen Alexandre Lacassagne (1843 – 1924) die moderne Schule in Frankreich begründet hat. Die in Europa innerhalb der modernen Schule zu findende Ausrichtung auf den Gedanken der „Besserung“ des Täters hatte zunächst keinen nennenswerten Einfluss auf die japanischen Vertreter der modernen Schule. Dies gilt insbesondere auch für Koga, obwohl ihm die in Europa vertretenen Auffassungen bekannt waren13. c) Die Vorläufer der modernen Schule In Japan wurden die Gedanken der europäischen Schule, so wie sie in Europa vertreten wurden, um 1900 von Kanzaburo Katsumoto14 (1861 – 1923) und Asataro Okada (1868 – 1936) übernommen. Katsumoto, der von 1899 bis 1902 hauptsächlich bei Cesare Lombroso (1836 – 1909) in Italien forschte, hat aber nicht nur die moderne Schule und deren Theorie der Sozialverteidigung in Japan vorgestellt, sondern auch eine genaue Dogmatik entwickelt, die mehr an der objektiven Theorie ausgerichtet war. Okada, der von 1897 bis 1900 bei Franz von Liszt (1851 – 1919) in Halle forschte und der den „Vorentwurf für das japanische kaiserliche Strafgesetzbuch“ ins Deutsche übersetzt hat15, entwickelte seine Strafrechtstheorie auf Grund der Evolutionstheorie bzw. Sozialevolutionstheorie, die damals in Europa in Mode war16. d) Etablierung der modernen Schule Die wissenschaftliche Grundlegung der modernen Schule erfolgte durch Eiichi Makino (1878 – 1970), der schon 1907 Assistenzprofessor an der Kaiserlichen Universität Tokyo war und sich von 1910 bis 1913 in Europa aufhielt. Auch er machte die Sozialevolutionstheorie zur Grundlage seiner Strafrechtstheorie. Nach seiner Lehre von der Rechtsentwicklung durchläuft der Staat verschiedene Entwicklungsstadien, vom Polizeistaat über den Rechtsstaat zum Kulturstaat. Dementsprechend ändert sich auch die Strafe von der Vergeltungsstrafe 13 Er war seit 1889 etwa ein Jahr zu Forschungszwecken in Frankreich und Deutschland. 14 Naka/Yamanaka, Der strafrechtliche Gedanke von Kanzaburo Katsumoto, in: Kikkawa u. a. (Hrsg.), Gesammelte Studien zur strafrechtlichen Dogmengeschichte, S. 140 ff. (in japanischer Sprache). 15 Die Übersetzung wurde 1899 in Berlin veröffentlicht. 16 Außerdem wurde Okada 1906 zur Untersuchung der Rechtsreform nach China berufen und fertigte dort für die zu dieser Zeit herrschende Qing-Dynastie einen Strafgesetzentwurf an.
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zur Zweck- oder Erziehungsstrafe. Diese Lehren und die Auffassungen der Freirechtsbewegung, unter deren Einfluss Makino stand, führten dazu, dass er das Gesetzlichkeitsprinzip ablehnte und eine unbeschränkte analoge Anwendung von Strafvorschriften für zulässig hielt. Er vertrat den Satz: „Die Auslegung ist unbegrenzt“. Mit der Betonung der subjektiven Tatseite war er maßgeblich an der Entwicklung einer subjektivistischen Strafrechtstheorie beteiligt. Neben Makino wurde seit den 1920er Jahren noch ein anderer Vertreter der modernen Schule aktiv: Hidenaga Miyamoto (1882 – 1944), der zur modernen Schule zählte, obwohl seine Straftatlehre auf einer eigenen subjektivistischen Konzeption basierte. Er vertrat die Erziehungsstrafe, aber auch das Prinzip einer zurückhaltenden Strafe17. Unter dem Einfluss von Karl Binding (1841 – 1920) unterschied er zwischen Strafgesetzen und Normen, wobei in seinem Straftatsystem die Normwidrigkeit vor der Strafgesetzwidrigkeit, also der Tatbestandsmäßigkeit, zu prüfen ist18. e) Klassische Schule Ein repräsentativer Vertreter der klassischen Schule war Shigema Oba (1869 – 1920)19, der sich von 1905 bis 1908 in Deutschland aufhielt und bei Karl von Birkmeyer (1847 – 1920) in München geforscht hat. Er hat seine Dissertation „Unverbesserliche Verbrecher und ihre Behandlung“ (Berlin, 1908) auf Deutsch veröffentlicht20. Oba hat den in Deutschland bestehenden Schulenstreit den japanischen Strafrechtswissenschaftlern vorgestellt. Nach ihm lag der Strafzweck in der Erhaltung der Autorität des Strafrechts und des Vertrauens darauf. Es gab noch einen pragmatischen Klassiker, Shinguma Motoji (1876 – 1947)21, der das Konzept einer relativen Vergeltungsstrafe vertrat. Über den Zweck der 17 Dieser Gedanke bildet die Grundlage der Lehre vom strafwürdigen Unrecht, die später (vgl. Abschnitt H., V., 1.) noch behandelt wird. 18 So wie Miyamoto das Verbrechenssystem von Binding mit der Unterscheidung von Normwidrigkeit und Strafgesetzwidrigkeit in sein System übernommen hat, hat Sigetsugu Suzuki (*1937) im Grunde das Verbrechenssystem von Miyamoto übernommen. Zu dem Streit zwischen Suzuki und mir vgl. Yamanaka, Funktion und Struktur der Straftatlehre, S. 79 ff. und 114 ff. 19 Oba war erst als Richter tätig, für kurze Zeit auch als Richter am Reichsgericht (1913 – 1914). Nach seinem Rücktritt von diesem Amt wurde er Professor an der Chuo Universität in Tokyo und war auch als Rechtsanwalt tätig. Er hat vor allem Lehrbücher zum Strafrecht, sowohl zum AT als auch zum BT in jeweils mehreren Bänden als auch Werke zur Kriminalpolitik („Grundprobleme der modernen Kriminalpolitik“, 1909), veröffentlicht. 20 Ein bemerkenswertes Detail ist, dass er in der deutschen Sprache erstmals den Begriff „Dunkelziffer“ verwendet hat. Vgl. Kaiser, Kriminologie (UTB), § 22, Dunkelfeld der Kriminalität (Oba, in seiner Dissertation, S. 28). 21 Motoji wurde 1905 zum Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Tokyo ernannt. 1908 veröffentlichte er die „Lehre vom reformierten Strafrecht“. Seine späteren Lehrbücher
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Strafe schrieb er, dass er in der Vergeltung liege und sie ihrerseits die Kriminalprävention bezwecke. Er vertrat daher eine relative Straftheorie, die als eine zwischen der klassischen und der modernen Schule vermittelnde Theorie einzuordnen ist. Seine Strafrechtstheorie war objektivistisch, d. h. auf die Tat bezogen. Er wird als moderner Strafrechtswissenschaftler bezeichnet, der auf Grund seiner praktischen Erfahrung einen vermittelnden Weg zwischen klassischer und moderner Schule einschlug.
III. Entwicklung der modernen Strafrechtswissenschaft 1. Strafrechtswissenschaft vor und während des Zweiten Weltkrieges Seit den 1930er Jahren ist auch in der Strafrechtswissenschaft der ideologische Gegensatz zwischen Liberalismus und Konservatismus bemerkbar, am deutlichsten wohl bei der Beurteilung der Machtbefugnisse des Staates und der Frage, ob diese zu erweitern oder zu begrenzen seien. Makino und sein Schüler Kameji Kimura (1897 – 1972) bezogen auf der Seite der modernen Schule Stellung für die Staatsmacht. Schon seit den 1920er Jahren hat ein Vertreter der klassischen Schule eine wichtige Rolle gespielt, der unter dem Einfluss marxistischer Gedanken eine liberalere Strafrechtstheorie entwickelt hat: Yukitoki Takigawa (1891 – 1962). Er kritisierte Makinos Auffassung zur Erziehungsstrafe und verteidigte das Gesetzlichkeitsprinzip. Takigawa vertrat zeitweilig eine marxistische Theorie22. Für ihn diente die Lehre von der Sozialverteidigung nur der Unterstützung des Kapitalismus. Er kritisierte somit die Gesetze zur Verteidigung der staatlichen Ordnung. Für seine Strafrechtstheorie war das Gleichgewicht zwischen Verbrechen und Strafe wichtig. Er vertrat deswegen als Strafzweck die Vergeltung, allerdings beeinflusst von Feuerbachs Strafrechtslehre. Innerhalb der klassischen Schule hat Seiichiro Ono (1891 – 1986) als Befürworter einer starken Staatsmacht eine wichtige Rolle gespielt23. Er hielt sich zu Forschungszwecken von 1919 bis 1920 in Paris auf und anschließend bis 1922 in Berlin. An der Berliner Universität kam er vermutlich mit der später zu seinem (AT und BT) „Lehre vom japanischen Strafrecht“ wurden in über 40 Auflagen publiziert. Zudem wurde er 1915 zum Richter am Reichsgericht (RG) und 1927 zum Direktor der Strafrechtsabteilung im Justizministerium ernannt. 1936 wurde er Generalstaatsanwalt und schließlich 1939 zum Präsidenten des RG ernannt. 22 Sein Lehrbuch des Strafrechts wurde 1933 durch das Innenministerium mit einem Verkaufsverbot belegt. Er wurde trotz des Widerstandes der juristischen Fakultät durch das Kultusministerium suspendiert. Man bezeichnete diesen Musterfall einer Unterdrückung der Gedankenfreiheit als „Takigawa-Fall“. 23 Vgl. Koichi Miyazawa, Die Strafrechtstheorie von Seiichiro Ono, in: Kikkawa u. a. (Hrsg.), Gesammelte Studien zur strafrechtlichen Dogmengeschichte, S. 475 ff.
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Hauptthema gewordenen Tatbestandslehre in Kontakt24. Er sah auf der Grundlage seiner Auffassung von moralischer Schuld den Zweck des Strafrechts in der Verwirklichung der Moral. Er verfasste zu Kriegszeiten sowohl eine „Einführung in das japanische Strafrecht“ (1941) als auch die „Selbstbewusste Entwicklung der japanischen Rechtstheorie“ (1942), die beide einen nationalistischen Strafrechtsgedanken vertraten. Nach seiner Rechtstheorie war das Strafrecht ein Instrument zur Verwirklichung der japanischen Staatsmoral, die auf der ewigen Herrschaft des Tennos beruhte. Das Verbrechen verstand er als staatsmoralwidrige Handlung. Ono vertrat auch nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Grundlage des Buddhismus eine Schuldauffassung, die die Strafe als Vergeltung ansieht, durch die die Bürger moralisch erzogen werden sollen. Nach einem kurzzeitigen Ausschluss vom öffentlichen Amt eines Professors nach Kriegsende (1949) wurde er schon 1952 zu einem Mitglied des Gesetzgebungskomitees ernannt. Er war lange als Sonderberater des Justizministeriums tätig und hat für dieses die Arbeiten zur Strafrechtsform geleitet. Seine Arbeiten zur Tatbestandslehre und zu den Ehrverletzungsdelikten beeinflussen die Strafrechtswissenschaft noch heute25. 2. Strafrechtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg a) Demokratisierung und Liberalisierung Nach dem Kriegsende wurde das politische System völlig verändert. Während der Besatzungszeit wurde vor allem auf Betreiben der USA eine Demokratisierung und Liberalisierung des japanischen Staates vorgenommen. 1947 trat eine neue Verfassung in Kraft. Demokratie und Liberalisierung sollten alle Bereiche in Japan erfassen. b) Die Vorkriegsgeneration und ihre Nachfolger In dem Bereich der materiellen Strafrechtswissenschaft war gerade in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die neue Generation wissenschaftlich noch nicht ausgereift. Die Vorkriegsgeneration unterrichtete weiter an den Universitäten. An der Universität Tokyo wurde allerdings Ono durch Shigemitsu Dando (1913 – 2012) ersetzt, der zum repräsentativen Vertreter der klassischen Schule wurde. Er vertrat eine „Persönlichkeitschuldtheorie“, die Tatschuld und Persönlichkeitsbildungsschuld kombinierte. Seine Lehre stand unter dem Einfluss von Edmund Mezger (1883–l962)26 und dessen Auffassung von einer Lebensfüh24
Miyazawa, a .a. O., S. 483. Hauptwerke waren „Ehrenschutz im Strafrecht“ (1933) und „Die Lehre vom Straftatbestand“ (1953). 26 Vgl. Gerit Thulfaut, Kriminalpolitik und Strafrechtslehre bei Edmund Mezger (1883 – 1962), 2000, S. 1 ff.; Muñoz Conde, Francisco, Edmund Mezger – Beiträge zu 25 Seine
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rungsschuld und von Paul Bockelmann (1908 – 1987), der auf eine Lebensentscheidungsschuld abstellte. Dando ist später Richter am OGH geworden. An der Universität Kyoto lehrte Takigawa weiter und vertrat dabei seine besondere Theorie innerhalb der klassischen Schule. Seine klassische Lehre war damals ein Modell für die Strafrechtswissenschaft des Liberalismus. Die moderne Schule, wie sie durch Makino und Kimura repräsentiert wurde, verschwand. Kimura übernahm erstaunlicherweise in seinem Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des Strafrechts seit 1959 die finale Handlungslehre. Die klassische Schule in der Erscheinungsform, wie sie durch Ono repräsentiert wurde, also mit der Verbindung zwischen Autorität und Moral, ist schon in den 60er Jahren nicht mehr vertreten worden. Der Schulenstreit im strengen Sinne war damit beendet. Im Bereich der Strafe vertraten alle Anhänger der klassischen Schule auch den Strafzweck der Spezialprävention. c) Eine neue Generation in der Strafrechtswissenschaft Allmählich wuchs eine neue Generation von Strafrechtswissenschaftlern heran. Dazu gehörten insbesondere Ryuichi Hirano (1920 – 2004) an der Universität Tokyo, Yasuharu Hiraba (1917 – 2002) an der Universität Kyoto sowie Hitoshi Otsuka (*1923) und Taira Fukuda (*1923). Hirano hat sich zu Beginn seiner Forschungen auf den Strafprozess konzentriert. Seine frühen Aufsätze wurden ebenfalls durch die finale Handlungslehre beeinflusst. Nach einem Aufenthalt in den USA entwickelte er als dogmatische Methode eine funktionalistische Betrachtungsweise des Strafrechts. Er betonte die Wichtigkeit von Kriminalpolitik und empirischer Forschung für die Strafrechtsdogmatik. Seine Theorie hatte großen Einfluss auf die japanische Strafrechtswissenschaft der 70er Jahre. Durch Hirano wurde der Gegensatz zwischen klassischer und moderner Schule in der funktionalistischen Betrachtungsweise aufgehoben. Er vertrat, trotz seiner kriminalpolitischen Orientierung in der Verbrechenslehre, eine objektivistische Theorie. Als Straftheorie stand er eher dem Resozialisierungsgedanken nahe, insofern ähnelte sein Funktionalismus der Lehre von Franz von Liszt27. Er bevorzugte das „Problemdenken“ gegenüber dem „Systemdenken“. Das brachte Vor- und Nachteile: Einerseits ließen sich damit die verschiedenen Probleme mit konkreten Kriterien in angemessener Weise lösen. Andererseits hat er es vernachlässigt, die Lösungen verschiedener Probleme in ein umfassendes System einzuordnen.
einem Juristenleben. Aus dem Spanischen von Moritz Vormbaum (= Juristische Zeitgeschichte, Abteilung 4, Leben und Werk, 10), 2007. 27 Mittlerweile ähnelt seine Theorie derjenigen von Claus Roxin. Vgl. Yamanaka, Ryuichi Hiranos Strafrechtslehre, in: Journal der Juristischen Zeitgeschichte Jg. 4, H. 1, 2010, S. 1 ff. (Yamanaka, Geschichte und Gegenwart, S. 37 ff.).
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Neben Kimura zeigten sich auch Hiraba und Fukuda fasziniert von der finalen Handlungslehre, nachdem sie nach Kriegsende begonnen hatten, sich mit der neuen Literatur in Deutschland auseinanderzusetzen und dabei auf diese neue Lehre gestoßen waren. Ihre Kenntnisse der finalen Handlungslehre haben ebenfalls großen Einfluss auf die Straftatlehre gehabt, z. B. bei der Vorsatztheorie oder der Irrtumslehre28. Vor allem ist dadurch die Auseinandersetzung zwischen Objektivisten und Subjektivisten bei der Unrechtslehre zu einem Brennpunkt des neuen Schulenstreites geworden. Otsuka hat hauptsächlich die Lehre von seinem Lehrer Dando übernommen. Sein Lehrbuch „Aufriss des Strafrechts AT und BT“ (Erste Auflage 1974) wurde damals zu einem Standardwerk. 3. Strafrechtswissenschaft ab 1970 In den 1970er Jahren wurde die Problematik der Strafrechtsreform deutlich erkennbar. Der „Entwurf des reformierten Strafrechts“ von 1974 wurde seitens der Wissenschaft und von Rechtsanwälten zumeist heftig kritisiert. a) Debatte um die Strafrechtsreform Die Wissenschaftler wendeten sich gegen den Reformentwurf, weil er kriminalpolitisch rückständig war, einige Tatbestände zu moralbetont waren und er insgesamt auf Verschärfungen der Strafen und Ausweitungen der Strafbarkeit durch neue bzw. weiter gefasste Straftatbestände zielte. Hirano und Hiraba sammelten junge Wissenschaftler, um einen Alternativ-Entwurf zu verfassen29. Der Reformversuch des Justizministeriums ist somit gescheitert. b) Neue Entwicklung der Strafrechtsdogmatik Bis in die 1970er Jahre haben die Strafrechtswissenschaftler, die erst nach dem Kriegsende wissenschaftlich tätig wurden, jeweils in ihrem Bereich die grundlegenden wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlicht. aa) Praxisorientierte Strafrechtswissenschaft Unter anderem entwickelte Hideo Fujiki (1932 – 1977) ausgehend von einem praxisorientierten Blickwinkel die Lehre vom strafwürdigen Unrecht. Er hat in seinem relativ kurzen Leben aus dieser Perspektive viel veröffentlicht, so etwa 28 Vgl. die in deutscher Sprache geschriebenen Aufsätze von Fukuda. Fukuda, Vorsatz und Fahrlässigkeit – Eine Studie zum personalen Unrecht, in: ZStW 71, Heft 1, S. 38 ff.; ders., Problem des Irrtums über Rechtfertigungsgründe, in: JZ 1958, S. 143 ff. 29 Zu den Ergebnissen der Arbeit dieser Gruppe vgl. Hiraba/Hirano (Hrsg.), Keiho Kaisei no Kenkyu (Studien zur Strafrechtsreform), Bd. 1 (1972) u. 2 (1973).
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zum Wirtschaftsstrafrecht und Umweltstrafrecht, aber auch zur Fahrlässigkeitsdogmatik und zur Begründung der Mittäterschaft beim Komplott. bb) Vertiefung der dogmatischen Forschung Darüber hinaus sind noch weitere Autoren zu nennen, so etwa Yoshikatsu Naka (1922 – 1993) mit seiner Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen und seiner Teilnahmelehre, die er von seinem Lehrer Shigemasa Ueda (1905 – 1987) übernommen hat. Naka hat einen auch von deutschen Strafrechtswissenschaftlern beachteten Aufsatz über „Die Appellfunktion des Tatbestandsvorsatzes“30 in der JZ veröffentlicht. Haruo Nishihara (*1928) hat mit seiner Lehre zur unmittelbaren Täterschaft und im Bereich der Fahrlässigkeitsdogmatik zur wissenschaftlichen Entwicklung beigetragen. Chihiro Saeki (1908 – 2006) hat schon in der Vorkriegszeit die wesentlichen Teile seiner Lehre entwickelt. Er hat vor allem zur Lehre vom strafwürdigen Unrecht und zur Zumutbarkeitstheorie beigetragen. Das Fachgebiet von Kenichi Nakayama (1927 – 2011) war eigentlich das russische Recht, er hat aber auch zur Entwicklung der Strafrechtstheorie beigetragen.31 Er kann als Nachfolger von Takigawa angesehen werden, da er versucht hat, Takigawas objektive Theorie in der Strafrechtsdogmatik durchzusetzen. 4. Strafrechtswissenschaft der Gegenwart a) Fehlende Dynamik in der Debatte um die Strafrechtsdogmatik Das 21. Jahrhundert brachte keine Klärung der Streitpunkte in der Strafrechtswissenschaft. Die vorhandenen Gegensätze sind im Gegenteil viel komplizierter geworden: Der Gegensatz zwischen klassischer und moderner Schule ist seit langem verschwunden. Früher gab es immer mehrere wissenschaftliche Gegenüberstellungen. Z. B. wandte sich Ono als Vertreter der klassischen Schule gegen Makino als Vertreter der modernen Schule. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich Hiraba oder Fukuda mit der finalen Handlungslehre gegen die traditionelle Dogmatik gestellt. Gegen Dando hat Hirano mit seiner funktionellen Betrachtungsweise eine neue Perspektive angeboten. Fujiki hat mit seinem praxisorientierten Standpunkt die bisherigen Theorien rekonstruiert. Nakayama verteidigte durch seine objektivistische Lehre seinen liberalen Standpunkt. Heutzutage fehlt es schon an Paradigmenwechseln. Mir scheint, dass sich die einzelnen Wissenschaftler mehr oder weniger damit beschäftigen, vorhandene „Nischen“ und Lücken innerhalb der Lehre ihrer jeweiligen Lehrer zu ergänzen. 30
JZ 1961, S. 210 ff. Zu seiner Gedankengeschichte des Strafrechts vgl. Yamanaka, Ein Studium zu den Gedanken des Strafrechtsdogmatikers Kenichi Nakayama, in: Hanzai to Keibatsu Nr. 22, 2013, S. 48 ff. 31
III. Entwicklung der modernen Strafrechtswissenschaft
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Die Schüler versuchen, die Lehre ihres Lehrers zu verfeinern und auch immer auf weitere – neue oder bislang nicht betrachtete – Fallkonstellationen anzuwenden. In der Tat ist der Einfluss insbesondere von Hirano und Nakayama auf die jüngeren Wissenschaftler immer noch sehr stark. Wenn man die Übernahme der Theorien der Lehrer durch ihre Schüler beobachtet, so entstehen auch heute in den verschiedenen Themenbereichen mehr oder weniger dieselben oben beschriebenen Übernahme-Erscheinungen32. Man hat heutzutage das Instrumentarium für eine angemessene Analyse strafrechtlicher Gedanken verloren. Der naive Liberalismus wie auch die sozialistische Utopie haben ihre Rolle als Wegweiser verloren. Man kann in der heutigen Risikogesellschaft auf keine optimistische prästabilierte Harmonie vertrauen. Was das Straftatsystem anbelangt, muss man schon auf den optimistischen Glauben daran verzichten, dass der Objektivismus Rechtssicherheit garantiert und die Gegenüberstellung zwischen Handlungsunwert- und Erfolgsunwertlehre ein klares Kriterium der dogmatischen Analyse bildet. b) Suche nach einem neuen Paradigma der Strafrechtswissenschaft Die Gedanken der positiven Generalprävention oder der „wiederaufbauenden Justiz“ (restorative justice)33 haben die Paradigmen der bisherigen Theorien ergänzt, brachten aber noch keinen Paradigmenwechsel34. Zwar ist z. B. die von Günther Jakobs (*1937) vertretene funktionalistische Lehre in Japan nicht unbekannt und scheint auch teilweise übernommen worden zu sein35, das System von Jakobs wurde jedoch noch nicht systematisch in die eigene „japanische“ Strafrechtsdogmatik integriert. Auch die Auffassung von Wolfgang Frisch (*1943) über die Straftat als „Missachtung des Rechts“36 hat noch keine Rolle als Wegweiser gespielt.
32 Vgl. Duttge/Tadaki, Aktuelle Entwicklungslinien des japanischen Strafrechts im 21. Jahrhundert, ZStW Bd. 127 (2015), S. 225 ff. 33 Hier sind zwei in japanischer Sprache geschriebene Monographien zu nennen: Norio Takahashi, Suche nach der restaurativen Justiz, Seibundo-Verlag, 2003; Toshio Yoshida, Restaurative Gerechtigkeit in der Kriminaljustiz, Seibundo-Verlag, 2006. 34 Vgl. Yamanaka, a .a. O., in: Emil Pływaczewski (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Strafrechts und der Kriminologie, 2017, S. 252 ff. 35 Folgende Werke von Jakobs wurden in Übersetzungen veröffentlicht: Rechtszwang und Personalität, übersetzt von Kawaguchi/Iijima, Universitätsverlag Kansai, 2012; Staatliche Strafe – Bedeutung und Zweck, übersetzt von Kawaguchi/Iijima, Universitätsverlag Kansai, 2013; Matsumiya (Hrsg. u. Übersetzung), Sammelband von Jakobs, Bd. 1 (Grundlage der Straftatlehre), Seibundo-Verlag, 2014, S. 23 ff. 36 Frisch, Straftheorie, Straftat und Strafzumessung im gesamten Strafrechtssystem, in: FS Beulke, 2015, 103 ff.; Cancio Meliá, Überlegung zu Wolfgang Frischs Beiträgen zur Unrechtsdogmatik, in: Freund/Murmann (Hrsg.), Siebzig Jahre Wolfgang Frisch, 2014, S. 103 ff.
B. Geschichte des modernen japanischen Strafrechts
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Als Methode der Strafrechtsdogmatik scheint mir grundsätzlich der Zweckrationalismus noch richtig zu sein37. Aber der „Zweck“ sollte nicht nur auf „Kriminalitätsprävention“ reduziert werden, sondern gleichzeitig auch die Verwirklichung anderer gesellschaftlicher Werte wie Menschenrechte oder Liberalismus umfassen. Daher kann sich auch die Kriminalitätsbekämpfung nicht darauf beschränken, die Ursachen der Kriminalität empirisch zu untersuchen und eine effektive Politik für ihre Bekämpfung zu verfolgen. Das Strafrecht in der gegenwärtigen Risikogesellschaft ist deshalb unter Berücksichtigung effektiver Kriminalitätsbekämpfung zu konzipieren, um es für die Verwirklichung der wichtigen normativen Werte nutzbar zu machen. Dieser „normsystematische Funktionalismus“38 ist anders als der Systemfunktionalismus von Jakobs39. Er sieht die Aufgabe des Strafrechts nicht in der Erhaltung des Vertrauens in die Rechtsordnung, sondern in erster Linie in der Bewahrung der Rechtsgüter40. Auf dieser Basis ist es für das Strafrecht auch wichtig, die verschiedenen verfassungsrechtlich relevanten normativen Werte zu verwirklichen.
37 Vgl.
Roxin, Stafrecht AT, Bd. 1, 4. Aufl., 2006, S. 205 ff. Yamanaka, AT, S. 138 ff.; Yamanaka, Hanzairon no Kino to Kozo (Funktion und Struktur der Straftatlehre), 2010, S. 11 ff., 39 ff., 74. 39 Zur Lehre von Jakobs neuerdings Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, 2012, S. 13 ff. Als ein Beispiel unter vielen für die Kritik an der Feindstrafrechtskonzeption von Jakobs, vgl. Schünemann, Die deutsche Strafrechtswissenschaft nach der Jahrtausendwende, GA 2001, S. 205 ff.; ders., Feindstrafrecht ist kein Strafrecht!, in: Thomas Vormbaum (Hrsg.), Kritik des Feindstrafrechts, 2009, S. 11 ff. 40 Neuerdings betont Schünemann erneut die Wichtigkeit des Rechtsgüterschutzes als Aufgabe des Strafrechts. Vgl. ders., Sinn und Zweck der Strafe – eine unendliche Geschichte?, in: Rechtsstaatliches Strafen (FS Yamanaka), 2017, S. 501 ff., 507 ff. 38
C. Funktion des Strafrechts und der Bestrafung in der japanischen Gesellschaft I. Strafrechtsnormen als Verhaltensnormen? Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach (1775 – 1833) hat in seiner „Theorie des psychologischen Zwangs“ die Normen des Strafgesetzbuchs zum ersten Mal als Verhaltensnorm angesehen. Als Verhaltensnorm muss die Norm dem Bürger vorher bekannt sein. Der Satz: „nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege“ spielt vor allem bei diesem Normverständnis eine wichtige Rolle. 1. Verletzung der Verhaltensnorm Das Gesetzlichkeitsprinzip besagt, dass die Sanktionsnorm nur dann Anwendung findet, wenn das von ihr erfasste Verbrechen und die dafür zu verhängende Strafe vor der Tat durch Gesetz geregelt sind. In diesem Sinne garantiert das Strafrecht die grundsätzliche Handlungsfreiheit des Bürgers, wenn seine Handlung gegen kein Gesetz verstößt. Wenn das StGB die einzig existierenden Verhaltensnormen enthielte, wäre jedes Verhalten erlaubt, das nicht gegen diese Verhaltensnormen verstößt. Es gibt aber außerhalb der Strafgesetze eine Vielzahl von Verhaltensnormen ohne Kriminalsanktion1. Daher sind die Bürger auch dann nicht völlig frei, wenn sie nicht gegen Strafgesetze verstoßen. Mit anderen Worten gibt es einen Spielraum, in dem potenzielle Täter mit anderen Verhaltensnormen dazu angehalten werden, die durch die Strafnormen verbotenen Handlungen zu unterlassen bzw. die gebotenen Handlungen zu begehen. 2. Strafrechtsnorm und Sozialnorm Auch derjenige, der das StGB nicht kennt, weiß von den zugrundeliegenden Verhaltensnormen und befolgt sie. Zu nennen sind insbesondere die Sozialnormen, die inoffizielle und ungeschriebene Verhaltensnormen darstellen. Die Strafgesetzbücher vor oder zu Beginn der Meiji-Ära enthielten nur Sanktionsnormen, die Beamten und Richtern bekannt waren 2. Mit dem Inkrafttreten 1 Vgl. Yamanaka, Einige Bemerkungen zu den Verhaltensnormen in der liberalen Präventionsgesellschaft, in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Rechtsphilosophie – Ein fruchtbares Spannungsverhältnis, 2014, S. 213 ff. 2 Vgl. Kichisaburo Nakamura, a .a. O., Nippon Kindaiho Hattatsushi (Geschichtliche Entwicklung des modernen Rechts in Japan) Bd. 9, 1960, S. 5.
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C. Funktion des Strafrechts und der Bestrafung in der japanischen Gesellschaft
des alten StGB von 1880 und dem StGB von 1907 wurden den Bürgern die Verhaltens- und Sanktionsnormen verkündet. Diese Strafgesetzbücher haben für den Bürger aber nur dann eine wichtige Rolle gespielt, wenn dieser ein Verbrechen begehen wollte und durch die Sanktionsnormen schon vor der Tat wissen konnte, mit welcher Art von Strafe und mit welcher Strafhöhe er zu rechnen hat. Als Quelle von Verhaltensnormen dienten die Strafgesetzbücher im alltäglichen Leben des normalen Bürgers dagegen kaum. Die Strafrechtsgesetzgebung war aber für die Europäisierung Japans wichtig, weil Japan den europäischen Mächten seine Modernisierung demonstrieren musste, um die „ungleichen Verträge“ zu revidieren. Das StGB diente als Fassade der Modernisierung. In Japan scheinen nach der Meiji-Ära die Verhaltensnormen fast immer den Sozialnormen der Gemeinschaft entsprochen zu haben. Ob die Bürger den Inhalt des modernen StGB überhaupt gekannt haben, ist fraglich. Die Bürger verhielten sich entsprechend den damaligen Sozialnormen. Die meisten von ihnen lebten unabhängig vom StGB in einer Gemeinschaft mit ausgeprägtem Gehorsam gegenüber den Sozialnormen. In der Gemeinschaft war die familiäre oder nachbarschaftliche Bindung sehr stark und die Sozialkontrolle in einem kleinen Dorf war eine viel effektivere Kriminalitätsvorbeugung als das StGB. Inzwischen konzentriert sich die japanische Bevölkerung größtenteils auf Großstädte, wodurch die nachbarschaftliche Bindung verloren ging. Diese wurde vor allem durch die Gemeinschaft innerhalb der Unternehmen ersetzt, in denen die Angestellten meistens lebenslängliche Dienstverhältnisse hatten. Nach 1990 sind auch diese Verhältnisse allmählich verschwunden. 3. Verwaltungsnormen oder „Soft Laws“ als Verhaltensnormen Heutzutage spielen im Sozialleben die Verwaltungsgesetze oder „Soft Laws“ in den speziellen Rechtsgebieten eine wichtige Rolle als Verhaltensnormen. Bei den Fahrlässigkeitsdelikten beispielsweise enthalten diese Normen die für die Bürger wesentlichen Regelungen, weil die Fahrlässigkeitstatbestände des StGB als Verhaltensnormen inhaltlich fast nichts Konkretes enthalten3. Die Verwaltungsgesetze gestalten die Sozialsysteme. Das Strafrecht soll nur auf die wichtigen Rechtsgüterverletzungen mit Strafe reagieren. Bei den Verwaltungsgesetzen kommt es manchmal zu Vollzugsdefiziten, wenn die für den Vollzug zuständige Behörde die Befolgung der Verhaltensnorm nicht hinreichend sicherstellt. Manchmal werden Verwaltungsgesetze auch deswegen nicht befolgt, weil es keine flankierende Strafsanktion gibt. In Japan besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen der geschriebenen Norm und ihrer tatsächlichen Beachtung. Oft ist die geschriebene Norm unrealistisch 3 Dazu vgl. Yamanaka, a .a. O., in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Strafechtsdogmatik und Rechtsphilosophie, S. 213 ff.
II. Schutzfunktion des Strafrechts
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und ihre Einhaltung sogar gefährlich. Wenn auf einer gut ausgebauten und wenig befahrenen Autobahn eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h besteht, fahren fast alle Fahrer mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h. Man kann nicht verstehen, warum man auf dieser Strecke so langsam fahren muss. Es gibt keinen überzeugenden Grund, die Norm zu befolgen4. Eine vernünftige Begründung und ein konsequenter Vollzug sind die Voraussetzungen der Normgeltung, an denen es in Japan manchmal fehlt. Auch die besonderen Verhaltensnormen einzelner Teile der Gesellschaft wie etwa Unternehmen oder Vereinigungen wie der Ärztekammer, sind teilweise effektiv, weil deren Mitglieder sich vor Sanktionen fürchten, die ihnen bei einem Verstoß gegen eine Verhaltensnorm drohen. Besonders gefürchtet ist die Sanktion des Ausschlusses aus der „Teilgesellschaft“, gerade wenn es um „Teilgesellschaften“ geht, die eng mit dem Beruf zusammenhängen. Wie bereits erwähnt, werden die den abweichenden Verhaltensweisen vorbeugenden Präventionskräfte der Sozialnormen in Japan immer schwächer. In den Großstädten verschwinden die nachbarschaftlichen Verbindungen und auch der Einfluss der familiären Verbindungen wird immer kleiner, da sich die sog. Kernfamilie (die aus den Eltern und den Kindern besteht) immer weiter als vorherrschendes Familienmodell durchsetzt. In Japan ist die Entwicklung einer neuen individualistischen, liberalen und trotzdem solidarischen Bürgermoral unterblieben.
II. Schutzfunktion des Strafrechts 1. Rechtsgüterschutz Die Aufgabe des Strafrechts liegt im Schutz von Rechtsgütern. Die geschützten Rechtsgüter werden von der Wissenschaft heute in der Regel in drei Gruppen eingeteilt: individuelle, soziale und staatliche Rechtsgüter. Die Einordnung und die Reihenfolge der Straftaten im geltenden StGB lässt dagegen vermuten, dass das StGB noch von einer Zweiteilung in individuelle und öffentliche, d. h. soziale und staatliche, Rechtsgüter ausgeht. 2. Schutz der öffentlichen Rechtsgüter Unter den Rechtsgütern werfen die sozialen Rechtsgüter die meisten Fragen auf. Die Auffassung davon, was schutzwürdige soziale Rechtsgüter sind, ändert sich mit dem sozialen Wandel. Gut erkennbar ist dies bei der Verbreitung von Pornographie oder bei öffentlicher Unzucht, die die öffentliche Ordnung oder die 4 Vgl. Yamanaka, Das Spannungsverhältnis im Bereich des Strafrechts, in: Gottwald (Hrsg.), Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, 2009, S. 27 ff.
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C. Funktion des Strafrechts und der Bestrafung in der japanischen Gesellschaft
guten Sitten der Gesellschaft gefährden. Die Voraussetzung einer öffentlichen Unzucht besteht darin, die Handlung „öffentlich” zu begehen (§ 174). „Öffentlichkeit“ besagt, die Handlung vor mehreren oder einer unbestimmten Anzahl von Menschen zu begehen. Auch wenn alle Anwesenden in die Vornahme der unzüchtigen Handlung eingewilligt haben, ist diese trotzdem tatbestandsmäßig und nicht gerechtfertigt, weil eine Einwilligung bei Straftaten gegen soziale Rechtsgüter unwirksam ist5. Wenn das „soziale“ Rechtsgut aus einer Sammlung der individuellen Rechtsgüter bestehen würde, würde eine Einwilligung aller Verletzten die Rechtsgutsverletzung rechtfertigen. Wenn man dagegen die Ansicht vertritt, dass die Einwilligung zur Rechtsgutsverletzung auf Grund der Eigenschaft des Sozialrechtsgutes unwirksam ist, würde der Tatbestand des § 174 nicht dem Schutz sozialer Rechtsgüter, sondern der Bewahrung der Moral oder der guten Sitten dienen. Dies gilt auch für die „öffentliche Ausstellung“ oder „Verbreitung“ von Pornographie usw. (§ 175). Im japanischen StGB gibt es keine Vorschriften über Inzest, Ehebruch6 oder auch Homosexualität. Bei sexuellen Delikten zwischen Individuen scheint es oftmals nur um das Problem einer wirksamen Einwilligung zu gehen. Vor allem bei der sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung ist es heutzutage klar, dass das geschützte Rechtsgut die „sexuelle Integrität“ oder die „sexuelle Selbstbestimmung“ des Individuums ist. Bei sexuellen Handlungen an Kindern unter 13 Jahren ist z. B. das Rechtsgut der sexuellen Integrität7 betroffen (§ 176 S. 2, 177 S. 2). Heute scheint es von zentraler Bedeutung zu sein, ob das „Selbstbestimmungsrecht“ bei den fraglichen sexuellen Handlungen gewahrt worden ist. In der nicht völlig liberalisierten Gesellschaft ist es wichtig, ob die sexuellen Beziehungen tatsächlich freiwillig eingegangen wurden. Wenn jedoch zwischen Täter und Opfer ein Machtgefälle besteht, wie etwa zwischen Betreuer und dem minderjährigen Betreuten, kann die Freiwilligkeit der Einwilligung äußerst fraglich sein, vor allem wenn der Betreuer seinen Einfluss auf den Minderjährigen ausnutzt. Das Justizministerium hat zu dieser Frage neuerdings ein Gesetzgebungsverfahren initiiert, mit dem Ziel, die Sexualdelikte zu reformieren8. 5 Vgl.
Yamanaka, BT, S. 689. StGB gab es den Straftatbestand des „Ehebruchs“ (§183 StGB), der 1947 gestrichen wurde. Der Tatbestand war wegen eines Verstoßes gegen die Gleichheit von Mann und Frau vor dem Gesetz (§ 14 Verf.) verfassungswidrig, da nach ihm nur die an einem Ehebruch beteiligten Frauen bestraft worden sind. 7 Vgl. Yamanaka, BT, S. 162 ff. Zum Begriff der sexuellen Integrität vgl. 5. Abschnitt des schweizerischen StGB (Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität) und 10. Abschnitt des österreichischen StGB (Strafbare Handlungen gegen sexuelle Integrität und Selbstbestimmung). Vgl. auch Yamanaka, Zu den Rechtsgütern sexueller Nötigung und des sexuellen Missbrauchs, in: Kenshu Nr. 817, (2016), S. 3 ff. 8 Zu den reformierten und neu geschaffenen Sexualdelikten vgl. Abschnitt Q., IV. 6 Im
II. Schutzfunktion des Strafrechts
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3. Der Strafgrund der Gefährdung von Rechtsgütern a) Effektivierung des Rechtsgüterschutzes Die Schutzfunktion des Strafrechts bedeutet, dass das Strafrecht dem Schutz der Rechtsgüter vor Verletzungen dient. Also müsste ein Straftatbestand eigentlich die Verletzung eines Rechtsgutes voraussetzen. Aber gerade bei den sozialen Rechtsgütern ist die Feststellung einer Verletzung schwer. Deswegen verwendet man hier meistens Gefährdungsdelikte, häufig in Form von „abstrakten Gefährdungsdelikten“, um einen effektiven Rechtsgüterschutz zu gewährleisten. Bei wichtigen individuellen Rechtsgütern wird die Strafbarkeit auch auf den Versuch oder die Vorbereitung ausgedehnt. Bei diesen Tatbeständen wird auch die Form von (konkreten oder abstrakten) Gefährdungsdelikten verwendet. b) Abstrakte Gefährdungsdelikte Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten ist es nicht erforderlich, dass eine konkrete Gefahrensituation entsteht. Wenn man bestimmte Handlungen ausführt, die geeignet sind, eine konkrete Gefahr zu verursachen, wird schon dies als Eintritt der Gefahrensituation angesehen. Dies erklärt, warum die Einwilligung aller Anwesenden die unzüchtige Handlung des Täters nicht rechtfertigt. Es ist klar, dass die Verwendung von abstrakten Gefährdungsdelikten die Schutzfunktion des Strafrechts verstärkt. Es ist viel effektiver, die Tat schon im Stadium des Eintritts der Gefahr unter Strafe zu stellen, als den Erfolgseintritt abzuwarten. Die Ausweitung der Strafbarkeit durch abstrakte Gefährdungsdelikte birgt jedoch die Gefahr, dem Grundsatz des Rechtsgüterschutzes zu widersprechen. c) Vorverlagerung der Strafbarkeit Auf dem Gebiet des Nebenstrafrechts lässt sich häufig eine Vorverlagerung der Strafbarkeit finden. Die Pönalisierung abstrakter Gefährdungsdelikte ist sogar die Hauptaufgabe des Nebenstrafrechts in Japan, da dadurch die Schutzfunktion des Strafrechts ergänzt und verstärkt wird. Im Kernstrafrecht muss die Strafbewehrung die ultima ratio des Rechtsgüterschutzes sein. Aber das Nebenstrafrecht und die Verwaltungsgesetze funktionieren als Mittel der Kriminalitätsvorbeugung besser als das Kernstrafrecht, denn hier wird bereits der Gefahrentstehung vorgebeugt. Fraglich ist aber sowohl, ob die Kriminalstrafe die angemessene Sanktion bei einer Verletzung eines Nebenstrafgesetzes darstellt, als auch, ob es mit dem „harm principle“ (Schadensprinzip)9 vereinbar ist, wenn schon bei Vornahme einer lediglich gefährlichen Handlung eine Strafe verhängt wird.
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Damit ist das „harm principle“ von John Stuart Mill gemeint.
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III. Garantiefunktion des Strafrechts 1. Magna Charta des Verbrechers „Das Strafgesetz ist die Magna Charta des Verbrechers“10 (Franz von Liszt), d. h. das Strafrecht schützt auch die Rechte des Täters. Der Richter darf eine Tat, die nicht von einem gesetzlichen Tatbestand erfasst wird, nicht bestrafen. Er darf auch keine höhere oder andersartige Strafe als die im Strafgesetz angedrohte verhängen. Auf das Gesetzlichkeitsprinzip gehe ich ausführlich in Abschnitt G ein. Deswegen beschränke ich mich hier einerseits auf ein Beispiel, das für die Garantiefunktion des Strafrechts in der japanischen Rechtsgeschichte eine wichtige Rolle gespielt hat, und andererseits auf einige Anmerkungen zur japanischen Rechtsprechung und deren fragwürdiger Praxis der Gesetzesauslegung. 2. Das Attentat auf den russischen Kronprinzen und die damalige Gesetzeslage a) Sogenannte Otsu-Affäre Die sog. Otsu-Affäre11 ist ein Fall, bei dem aus heutiger Sicht vor allem der Aspekt der Unabhängigkeit der Justiz in Japan vor etwa 127 Jahren interessiert, da die damalige Regierung Druck auf das Reichsgericht ausgeübt hat, das für den Fall zuständig war. Der Fall stellt sich zusammenfassend so dar: Der russische Kronprinz Nicolai (1868 – 1918), der später als Nicolai II der letzte russische Zar wurde, legte 1891 auf einer Schiffsreise nach Wladiwostok, wo er den ersten Spatenstich zum Bau der Transsibirischen Eisenbahn vornehmen sollte, einen Zwischenstopp in Japan ein. Bei einem Ausflug nach Kyoto zum Biwa-See in der Präfektur Shiga wurde der Kronprinz am 11. Mai 1891 in der Stadt Otsu von dem Polizisten Sanzo Tsuda (1855 – 1891) mit einem Säbel angegriffen und an der Schläfe verletzt12. Das damalige StGB beinhaltete die Vorschrift „Delikte gegen die kaiserliche Familie“ (§ 116). Diese lautete: „Wer dem Tenno (Kaiser), dem Kronprinz oder der Kaiserin Schaden zuzufügen versucht, wird zum Tode verurteilt“. Die Frage kam auf, ob der Begriff „Kronprinz“ auch den russischen Kronprinzen umfasste. Im Entwurf 10
Liszt, Strafrechtliche Vorträge und Aufsätze, 1905, Bd. 2, S. 75 ff. (80). Ausführlich dazu Yamanaka, Staatsraison versus Rechtsstaat. Zur verfassungshistorischen Bedeutung der Otsu-Affäre, in: Strafrechtsdogmatik, S. 12 ff. 12 Der Polizist glaubte, dass der Kronprinz die Eroberung Japans beabsichtigte und dass sein Besuch in Japan Spionagezwecken diente. Es gibt auch eine Vermutung, dass die disziplinarische Bestrafung der Polizisten beim Jagdzwischenfall des Prinzen Heinrich von Preußen von 1880 auf den Täter der Otsu-Affäre, der damals schon Polizist war, Einfluss gehabt haben könnte. 11
III. Garantiefunktion des Strafrechts
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dieser Vorschrift wurde nicht einfach der Begriff „Tenno“ verwendet, sondern der Begriff „japanischer Tenno“. Im Laufe der Beratungen des Entwurfes wurde eine Streichung des Wortes „japanisch“ beschlossen. Begründet wurde dies damit, dass das Wort „japanisch“ hier überflüssig sei, da sich der Begriff „Tenno“ nur auf den japanischen Kaiser beziehe, der insofern einzigartig in der Welt ist. Aber die Regierung behauptete in der zu diesem Fall entstandenen Auseinandersetzung mit dem Reichsgericht, dass „Tenno“ allgemein Kaiser bedeute und ohne eine Begrenzung auf den „japanischen“ Tenno auf alle in der Welt vorhandenen Kaiser anwendbar sei. In diesem Fall hätte man natürlich auch Nicolai als „Kronprinz“ im Sinne der Vorschrift ansehen müssen. Wenn man die Begriffe allerdings teleologisch auslegt, scheint die erste Interpretation richtig zu sein, denn die Vorschrift bezweckte nicht den Schutz diplomatischer Rechtsgüter, sondern nur den Schutz der „japanischen“ kaiserlichen Familie. b) Hintergrund und Folge der Affäre Der Hintergrund dieses Streites um die Anwendung der Strafvorschrift (§ 116) lag in der Besorgnis, der Fall würde zu Streitigkeiten mit der russischen Regierung führen, die eine harte Strafe gegenüber dem Attentäter verlangen würde. In Japan verbreitete sich damals das Gerücht, dass Russland die Eroberung Japans plante. Der Bau der Transsibirischen Eisenbahn sei als ein Zeichen für Russlands militärisches Vorhaben zu deuten. Eine Streitigkeit über die Bestrafung des Attentäters könne so zu einem Krieg mit Russland führen. Ein anderer Grund, warum die japanische Regierung einen Streit mit der russischen vermeiden wollte, war der langgehegte Wunsch der Regierung zu einer Reform der „ungleichen Verträge“, vor allem zu einer Abschaffung der Exterritorialität ausländischer Staatsangehöriger. Das Erreichen dieses Zieles wollte die japanische Regierung nicht durch Auseinandersetzungen mit mächtigen Ländern gefährden. c) Reichsgerichtspräsident vs. Justizminister Der Justizminister, Akiyoshi Yamada (1844 – 1892), verlangte, dass das Reichsgericht § 116 StGB, die Vorschrift über die „Delikte gegen die kaiserliche Familie“, auf den Otsu-Fall anwenden solle. § 116 StGB kennt als Rechtsfolge nur die Todesstrafe. Da die Vorschrift als Unternehmensdelikt ausgebildet ist, gilt dies auch für den hier vorliegenden Versuch. Demgegenüber war der Reichsgerichtspräsident, Korekata (Iken) Kojima (1837 – 1908), der Auffassung, dass die Tat von Tsuda nur als Mordversuch zu werten sei. Als Rechtsfolge wäre dann nur lebenslängliche Zuchthausstrafe in Betracht gekommen, weil beim Versuch eine Strafmilderung obligatorisch war. Der Präsident des Reichsgerichts überzeugte die anderen für den Fall zuständigen Richter von der Nichtanwendbarkeit des § 116 StGB. Das Reichsgericht verurteilte den Täter daher nur wegen versuchten
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Mordes und verhängte eine lebenslängliche Zuchthausstrafe. Bei der Otsu-Affäre hat das Reichsgericht somit durch seine Auslegung dem Attentäter das Leben gerettet. Für Tsuda entfaltete das StGB tatsächlich seine Garantiefunktion und funktionierte als Magna Charta. Für die Regierung erwies sich der Wortlaut des StGB als unüberwindbare Schranke. 3. Allgemeine Tendenzen der Justiz vor dem Zweiten Weltkrieg Jedoch ist die Otsu-Affäre vielleicht der einzige Leuchtturm in der Geschichte der richterlichen Unabhängigkeit unter der „Groß-Japanischen Imperialen Verfassung“ von 1889. Diese Verfassung beinhaltete nur zwei Vorschriften über die Justiz. § 57 Abs. 1 bestimmte: „Die Justizgewalt wird durch Gerichte im Namen des Tennos nach dem Gesetz ausgeübt“. § 58 Abs. 2 der Verfassung regelte die Standesgarantie der Richter: „Ein Richter darf aus seinem Amt nicht entlassen werden, es sei denn, dass dies durch einen strafrechtlichen Rechtsspruch oder durch eine disziplinarische Maßnahme geschieht“. In der Verfassung fehlte aber eine Klausel, die die Unabhängigkeit der Justiz garantiert hätte, wie z. B. § 76 Abs. 3 der geltenden Verfassung. Das Reichsgericht hat, grob gesagt, durch Nutzung weiter Spielräume bei der Gesetzesauslegung Zusammenstöße mit der Exekutive sorgfältig vermieden. Durch diese Auslegungspraxis, die manchmal zu sehr fragwürdigen Ergebnissen führte, bestand aus Sicht der Regierung praktisch kaum die Notwendigkeit einer Strafrechtsreform. Die Tendenz, einen Zusammenstoß mit der Regierung zu vermeiden, dauerte auch unter der neuen „Japanischen Verfassung“ von 1947 an, obwohl in dieser eindeutig die Gewaltenteilung garantiert wird. Auch der OGH hatte die – als „Justizpassivität“ bezeichnete – Tendenz, mit einer raffinierten Auslegungstechnik Entscheidungen zu vermeiden, die ungünstig für die Regierung gewesen wären.
IV. Funktion der Strafe 1. Strafzwecke Das Strafgesetz als Verhaltensnorm und die Verwirklichung der Strafe durch seine Anwendung erfüllt unterschiedliche Funktionen. Nach Feuerbachs „Theorie des psychologischen Zwangs“ erfolgt die Abschreckung des Bürgers vor der Begehung von Straftaten nicht durch die Veröffentlichung der Strafvollstreckung, sondern durch die Veröffentlichung des Strafgesetzes und die darin enthaltene Strafandrohung. Aber auch der Strafvollstreckung kommt, insbesondere aus spezialpräventiven Gründen, eine genuine Funktion zu. Welchem Zweck die Strafe dient oder dienen soll, ist in der Rechtswissenschaft bis heute umstritten. Diese Frage hat einen lang andauernden Schulenstreit in der
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Strafrechtswissenschaft verursacht. Vorherrschend sind heute Auffassungen, die nicht auf einen einzelnen Zweck der Strafe abstellen, sondern auf eine Kombination verschiedener Zwecke. In der Tat scheint es so zu sein, dass jeder der „klassischen“ Strafzwecke im Verlauf der Strafrechtsanwendung wichtig ist. Nach der Stufentheorie der Strafe sind aber die verschiedenen Funktionen der Strafe in den verschieden Stufen der Anwendung des Strafgesetzes von unterschiedlicher Wichtigkeit. Bei der Gesetzgebung, also der Verkündigung des Strafgesetzes und der damit einhergehenden Androhung der Strafe im StGB, steht die generalpräventive Funktion der Strafe im Vordergrund. Bei der Verurteilung des Täters, also der Verhängung der Strafe, muss das Gericht alle Funktionen der Strafe mitberücksichtigen: Vergeltung, Spezialprävention, sowie negative und positive Generalprävention. Beim Vollzug der Strafe ist die Spezialprävention in dem vom Gericht gesetzten Zeitrahmen die wichtigste Funktion der Strafe. Die Vergeltung stellt wahrscheinlich nur eine Rahmenbedingung für alle Strafzwecke dar. Sie sollte keine Funktion als Strafzweck haben, sondern die Funktion, die Strafe zu begrenzen. 2. Vergeltung Der überwiegende Teil der japanischen Bevölkerung wird wahrscheinlich den wesentlichen Zweck der Strafe in der Vergeltung sehen. Insbesondere bei Tötungs- oder Sexualdelikten tritt die Vergeltungsidee stark in Erscheinung. Ein Ausdruck des Vergeltungsgedankens ist es auch, wenn gefordert wird, dass dem Täter mindestens so viel Leid wie dem Opfer zugefügt werden solle. Im Fernsehen ist häufig zu sehen, wie Hinterbliebene eines Tötungsopfers die denkbar härteste Bestrafung des Täters fordern. Es macht fast den Eindruck, als wäre das Verlangen nach Vergeltung eine moralische Pflicht der Opferfamilie. Wenn z. B. der Vater eines Tötungsopfers öffentlich verkündete, dass er es gutheißen würde, wenn sich der Täter nach Verbüßung der Strafe wieder in die Gesellschaft integriert, würde er dafür im Internet heftig kritisiert werden. Der Täter sei schließlich ein Unmensch, dies könne der Vater doch nicht ignorieren. Um dieser Kritik zu entgehen, wäre der Vater gezwungen, vor laufender Kamera Vergeltung für die Tat einzufordern. Eine vereinzelte Ausnahme war der Fall eines Mannes, dessen Frau ein Opfer des von der Aum-Sekte mit Sarin verübten Giftgasanschlags in der Tokyoter U-Bahn geworden war. Nachdem sie nach langer Zeit, in der sie das Bewusstsein nicht wiedererlangt hatte, gestorben war, verkündete ihr Mann: „Ich wünsche keine Vergeltung“. Er war am Anfang der polizeilichen Ermittlungen selber der Verbreitung von Sarin verdächtigt worden. Sozialpsychologisch gesehen wird das Verlangen nach Vergeltung wahrscheinlich von Ressentiments unterstützt. Die heutige japanische Gesellschaft scheint mit Ressentiments geradezu überflutet zu sein. Durch das Kriegsende sind die
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Menschen von vielen deprimierenden Umständen befreit worden. Gleichzeitig prägte aber damals die Not derart das alltägliche Leben, dass es vor allem wichtig war, den jeweils nächsten Tag zu überstehen. Für Ressentiments blieb da keine Zeit. Nach dem Ende der Nachkriegszeit begann die Zeit des Wirschaftswachstums. Solange das Wirtschaftswachstum anhielt, setzten die Bürger Hoffnung in ihre Zukunft. Diese Situation dauerte noch bis in die 1980er Jahren an. Nach dem Ende des Wirtschaftswachstums breitete sich in der Gesellschaft eine eher depressive Stimmung aus. Verbrecher wurden nicht mehr als mitleiderregende arme Menschen, sondern als Feinde der Gesellschaft wahrgenommen. Das Mitgefühl lag nicht mehr bei dem Täter, der ein Opfer der schicksalhaften staatlichen Politik war, sondern bei den normalen Bürgern, die Opfer der Kriminalität werden konnten, obwohl sie Abstand zu ihr hielten. Die alte gute Gemeinschaft und auch die vertraute Familie sind zusammengebrochen. Die Fremden sind in der modernen Gesellschaft zu Feinden geworden, die man nicht versteht und von denen man nicht verstanden wird. Dies macht es auch einfacher, im Konfliktfall auf Vergeltung zu setzen. Auch deswegen wird der Vergeltungsgedanke von vielen Menschen in der gegenwärtigen Gesellschaft akzeptiert. 3. Resozialisierung a) Disziplinierte Lebensführung im Strafvollzug Wenn man eine Strafanstalt in Japan besucht, bemerkt man zuerst ihre eigenartige Atmosphäre. Das Verhalten der Menschen dort – Insassen wie Personal – erinnert an das Verhalten innerhalb des Militärs oder der Polizei. Vielleicht muss man sich so eine weitgehend automatisierte Fabrik in der Zukunft vorstellen, in der die verbleibenden Menschen schweigend und ausdruckslos vor sich hin arbeiten. Auch wenn der letzte Vergleich wohl etwas übertrieben ist, scheinen „Ordnung und Disziplin“ wie im preußischen Staat in den japanischen Strafanstalten noch lebendig zu sein. Ordnung und Disziplin wurden früher in Japan als erstes und wichtiges Ziel der Erziehung angesehen. Die Resozialisierung in der Strafanstalt beginnt mit der „disziplinierten Lebensführung“ und endet mit der Ausbildung eines „gehorsamen Menschen“. Die Resozialisierung erfolgt in einer von der realen Gesellschaft sehr abweichenden Atmosphäre. Daraus ergibt sich, dass auch bei der Resozialisierung in Japan vom Vergeltungsgedanken nicht abgesehen werden kann. b) Entstehung der Zuchthäuser Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurden in Japan lediglich Vergeltung und Generalprävention als Strafzweck angesehen. Es gab keine Freiheitsstrafe, die Unterbringung in einer Anstalt diente nur der Untersuchungshaft. Das erste Bei-
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spiel für die Verfolgung des Resozialisierungsgedankens findet sich in der Gründung des Arbeitshauses (Ninsoku Yoseba)13 in Edo (Tokyo) im Jahre 1790, nicht nur für Täter von Bagatelldelikten, sondern auch für Entlassene von Zwangsarbeit, Arbeitslose oder Obdachlose auf der Insel Ishikawajima. Dort wurden den Insassen die Technik der Papierherstellung oder die Fertigkeiten eines Zimmermanns, Tischlers oder Lackierers beigebracht, um deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen. Im Arbeitshaus wurden etwa 500 bis 600 Menschen untergebracht. Bei den Obdachlosen handelte es sich um Menschen, die vor der Armut aus ihrer Heimat in die Großstadt geflohen waren, um dort Arbeit zu finden. Die Idee zur Einrichtung des Arbeitshauses entsprach der Kriminal- und Sozialpolitik der Zeit. Die Gründung dieses Arbeitshauses findet eine Parallele in der Gründung der ersten Zuchthäuser in Europa gegen Ende des 16. Jahrhunderts. In Europa wurden die ersten Zuchthäuser nach herrschender Meinung in Amsterdam errichtet, 1595 als „Tuchthuis“ für Männer und 1597 als „Spinnhuis“ für Frauen14. Diese Zuchthäuser hatten auch den Charakter eines Arbeitshauses, nicht nur für Kriminelle, sondern auch für Arbeits- oder Obdachlose. In den europäischen Großstädten war die Wirtschaft durch den Handel mit Ostindien stark gewachsen. Es war erforderlich, neue Produktionsstätten zu errichten, um die luxuriösen Materialien wie etwa Seide oder Edelmetalle zu verkaufsfähigen Waren zu verarbeiten15. Das Motiv der Errichtung von Arbeitshäusern lag neben der Spezialprävention auch in der Ausnutzung der Arbeitskraft der Strafgefangenen. c) Zunahme der Kriminalität nach der Restauration Der Resozialisierungsgedanke verlor jedoch mit dem Beginn der Meiji-Zeit ab 1868 an Bedeutung. Auch wegen der Änderung der Staatsform durch die Meiji-Restauration haben sich die sozialen Verhältnisse vollkommen verändert. Die Sicherheit und Stabilität des alltäglichen Lebens geriet ins Wanken. Die Kriminalität stieg erheblich an. Seit den 1870er Jahren kam es öfter zu Aufständen und Erhebungen durch die mit der neuen Regierung unzufriedenen Samurais, 13 Vgl.
Ninsoku Yosebasi Kenshokai (Hrsg.), Ninsoku Yoseba-Shi (Geschichte der Ninsoku Yoseba – Ursprung der Freiheitsstrafe und Sicherungsmaßnahme in Japan), 1974. 14 Vgl. Yamanaka, Entwicklung der Rechtsstellung der Strafgefangenen in Deutschland, Hogaku Ronso Bd. 95, H. 5 (1974), S. 50 ff.; Bd. 96, H. 1 (1974), S. 46 ff.; ders., in: Kindai Keiho no Shitekitenkai (Geschichtliche Entwicklung des modernen Strafrechts), 2017, S. 101 ff. 15 Die Entwicklung der lokalen Märkte in den Dörfern, auf denen die Bauer ihre überschüssigen Produkte verkauften, begann allmählich, die großen Manufakturen in den Großstädten, zu denen auch die Arbeitshäuser gehörten, zu übertreffen. Das war die Ursache, warum die Anzahl der Arbeits- bzw. Zuchthäuser nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) zurückgegangen ist.
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C. Funktion des Strafrechts und der Bestrafung in der japanischen Gesellschaft
die ihrer Privilegien beraubt wurden. Der größte Aufruhr war die sog. „Rebellion von Südwesten“ (Seinan no Eki) im Jahre 1877 in Kagoshima auf der Insel Kyushu durch Takamori Saigo (1828 – 1877), der auf der Seite der neuen Regierung beim Machtwechsel eine große Rolle gespielt hat. Die Regierung hat diese Kriminellen, einschließlich der rebellierenden Samurais, als Strafgefangene zur Verbüßung einer Zuchthausstrafe auf die nördliche Insel Hokkaido, die damals noch nicht entwickelt war, geschickt, nicht um sie zu resozialisieren, sondern um sie als Arbeitskräfte auszunutzen. d) Die Kettenhügel von Hokkaido Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auf Hokkaido in vielen kleinen Hügeln entlang der Hauptstraße von Sapporo nach Kitamizawa menschliche Knochen entdeckt, die an Ketten gebunden waren16. Es handelte sich um die Knochen von Strafgefangenen, die beim Straßenbau vor mehr als einhundert Jahren als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Die Arbeitskraft der Strafgefangenen wurde für die Entwicklung Hokkaidos ausgenutzt. Eine genaue Statistik gibt es dazu nicht. Die Anzahl der als Zwangsarbeiter eingesetzten Strafgefangenen wird aber auf etwa 1.000 geschätzt. Von diesen sollen mehr als 200 bei der Arbeit gestorben sein. Die Leichname wurden jeweils zu zweit mit einer Kette verbunden und neben der Straße begraben. Ein höherer Beamter namens Kentaro Kaneko (1853 – 1942), der später am Verfassungsentwurf als zentrale Figur mitgearbeitet hat, formulierte nach einer Besichtigung Hokkaidos einen Vorschlag zur Entwicklung der Insel. Er führte drei Vorteile der Verbringung von Strafgefangenen nach Hokkaido auf: Erstens diene dies der Sicherheit der Hauptinsel Japans (Honshu). Zweitens werde Hokkaido damit entwickelt. Drittens sei es finanziell vorteilhafter, wenn die Strafgefangenen bei der Arbeit durch Erschöpfung stürben, weil es dann unnötig würde, sie weiter zu ernähren. e) Die weitere Entwicklung des Resozialisierungsgedankens Auf der anderen Seite sprossen auch in Hokkaido nach einiger Zeit Resozialisierungsgedanken. Ein Mann namens Kosuke Tomeoka (1864 – 1934)17 trat 1891 im Gefängnis von Sorachi die Stelle eines christlichen Gefängnisgeistlichen an. Tomeoka hatte zwischen 1884 und 1897 in den USA das amerikanische Gefängniswesen untersucht und bei einigen Strafanstalten ein Praktikum absolviert. Nach seiner Rückkehr nach Tokyo gründete er im Jahre 1899 eine Besserungsanstalt und 1914 in Hokkaido die noch heute bestehende „Hokkaido-Familienschule 16 Ein Historiker für Heimatkunde hat über diese Entdeckung ein Buch geschrieben: Yoshitaka Koike, Kusarizuka (Kettenhügel), 1973, S. 12 ff. 17 Vgl. Yoshio Takase, Ichiro Hakuto niitaru Tomeoka Kosuke no Shogai (Das Leben von Kosuke Tomeoka) (Iwanami Shinsho), 1982.
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für Jugendliche“. Er war damit der Vorreiter der Sozialfürsorge in Japan. Außer ihm haben sich noch andere Christen mit der Sozialreformarbeit, vor allem mit der Resozialisierung von Strafgefangenen beschäftigt, in Hokkaido, Tokyo und Yokohama.18 Sie hatten maßgeblichen Einfluss auf eine bessere Behandlung von Strafgefangenen und deren Resozialisierung nach ihrer Entlassung. f) Resozialisierung im 21. Jahrhundert Seit Anfang des 21. Jahrhunderts scheint die politische Lage, die zum sog. Neoliberalismus tendierte, auch zu einer Vernachlässigung der Sozialpolitik geführt zu haben. Die Stabilität der Gesellschaft, die in der Regel durch das lebenslängliche Arbeitsverhältnis unterstützt wurde, ist inzwischen zusammengebrochen. Aus Gründen der Effektivität wird der Wettbewerb innerhalb des sozialen Systems gefördert. Die Gesellschaft hat die Gelassenheit und Geduld verloren, die nötig ist, um sich um die sozial Schwächeren zu kümmern. In einer solchen Gesellschaft ist es wichtig, bei den Bürgern wieder den philanthropischen Geist zu erwecken. Aber noch besser erscheint es, die Effektivität und die Sozialkosten der Strafe zu betonen: Die Resozialisierung der Strafgefangenen zielt auf ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Es bringt der Gesellschaft nichts, wenn der Staat das Strafsystem nur zur Vergeltung erhält. Eine umfassende Resozialisierung stärkt auf lange Sicht die Gesellschaft. Dabei scheint aber eine Unterstützung durch „Disziplin und Ordnung“, die in der Wirklichkeit in den japanischen Strafanstalten immer noch oft praktiziert wird, nicht hilfreich zu sein. Die Rolle des Strafvollzugs in den Strafanstalten sollte in der Förderung einer selbstbestimmten Resozialisation bestehen. 4. Generalprävention a) Negative Generalprävention Die negative Generalprävention war vor der Meiji-Zeit ein Hauptzweck der Strafe. Wie im Mittelalter in Europa erfolgte auch in Japan die meist brutale Strafvollstreckung vor öffentlichem Publikum. Für die Edo-Zeit wird diese Strafvollstreckung als „Migorashi“ bezeichnet. „Migorashi“ ist ein zusammengesetztes Wort aus „Zeigen“ (Mi-seru) und „Züchtigen“ (Korashi-meru). Durch die öffentliche Bestrafung sollten Bürger von der Begehung von Verbrechen abgeschreckt werden.
18
Z. B. Taneaki Hara (1853 – 1942), Shirosuke Arima (1864 – 1934).
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C. Funktion des Strafrechts und der Bestrafung in der japanischen Gesellschaft
b) Positive Generalprävention Im Gegensatz zur negativen findet die positive Generalprävention den Strafzweck nicht in der Abschreckung, sondern in der Wiederherstellung des gesellschaftlichen Vertrauens in das Rechtssystem. Zur Erläuterung ist hier ein Beispiel zu nennen: Früh am Morgen des 27. Mai 1997 wurde vor dem Tor des Haupteingangs einer Mittelschule in Kobe der abgetrennte Kopf eines 11-jährigen Kindes entdeckt. In einen vom Mund bis zum Ohr reichenden Schnitt war ein Bekennerschreiben gesteckt worden. Über diesen Fall wurde wegen seiner Brutalität und Abnormität ausführlich in den Massenmedien berichtet. Später wurde noch ein weiteres Bekennerschreiben an eine Zeitung gesandt. Am 28. Juni 1997 nahm die Polizei den Täter fest: Es handelte sich um einen 14-jährigen Mittelschüler. Es wurde herausgefunden, dass der Täter bereits am 10. Februar und am 16. März, also vor der Tat, ein Kind getötet und zwei weitere verletzt hatte19. Nachdem über diesen Fall berichtet worden war, mussten in dem betreffenden Viertel in Kobe alle Schulkinder in Gruppen oder in Begleitung der Eltern zur Schule kommen. Nach dem Unterricht mussten alle Schüler sofort nach Hause zurückkehren und niemand durfte auf dem Spielplatz bleiben. Wegen der Möglichkeit weiterer Taten verbreitete sich in den umliegenden Wohnorten ein Gefühl von Unsicherheit und Spannung. Die Bewohner begannen einander zu misstrauen. Polizei und Sicherheitskräfte verloren ihre Vertrauenswürdigkeit. Die Festnahme des Täters und die Aufklärung des Falls löste die Unruhe in der Bevölkerung auf und sie fühlte sich wieder sicher. Das gegenseitige Misstrauen unter den Bewohnern wurde beseitigt. Der Polizei wurde wieder Vertrauen entgegengebracht, gleichzeitig wurde auch das Vertrauen in das Strafrechtssystem wiederhergestellt. Die positive Generalprävention hat hier gut funktioniert. c) Wiederherstellung des Vertrauens in die Rechtsordnung Am Kobe-Fall lässt sich aber auch zeigen, dass die positive Generalprävention Probleme aufwerfen kann. Erstens wäre das Vertrauen in die Rechtsordnung auch dann wiederhergestellt worden, wenn die Polizei einen anderen Verdächtigen zu Unrecht als Täter festgenommen und eine Verurteilung erreicht hätte. Die Funktion der positiven Generalprävention der Strafe würde in ähnlicher Weise erfüllt, jedenfalls solange sich die Tat nicht wiederholt. Zweitens erschöpft sich die posi19 Nach Verbüßung seiner Strafe in der Jugendstrafanstalt wurde er entlassen und lebt nun anonym in der Gesellschaft. Er verfasste ein Buch über diesen Fall, das im Juni 2015 unter dem Titel „Zekka“ (was ungefähr „Abgeschnittene Gedichte“ bedeutet) veröffentlicht wurde. Als Name des Autors wurde „Ehemaliger Jugendlicher A“ angegeben. Diese Veröffentlichung verursachte eine breite Diskussion.
IV. Funktion der Strafe
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tive Generalprävention in der Wiederherstellung des Rechts durch die Bestrafung und lässt dabei das Subjekt des Bestraften völlig außer acht, weshalb sich die Theorie aus seiner Sicht als bloße Vergeltung darstellt. Die positive Generalprävention muss aber eigentlich auch für den Strafgefangenen 20 gelten, d. h. auch der Bestrafte muss darauf vertrauen können, wieder in die Gesellschaft integriert zu werden, wenn die verletzte Rechtsordnung wiederhergestellt werden soll. Die Bestrafung muss also die Funktion haben, das Vertrauen in die Rechtsordnung auch für den Strafgefangenen wiederherzustellen. Der Staat muss die freiwillige Initiative des Straftäters zu dessen eigener Resozialisierung fördern und unterstützen.
20 Weil die positive Generalprävention an sich nicht den Zweck hat, dem Gefangenen im Strafvollzug bei der Resozialisierung zu helfen.
D. Verwirklichung des Strafrechts und deren Akteure I. Juristenausbildung und akademische Laufbahn 1. Ausbildung und Ansehen der Jura-Professoren a) Deutschland: Juristen als Jura-Professoren In Deutschland ist einheitliche Voraussetzung für die Qualifikation als Volljurist das Bestehen des ersten und des zweiten Staatsexamens. Für eine Professur im Bereich Jura wird in der Regel als Voraussetzung ebenfalls das Bestehen der beiden Staatsexamen verlangt. Das Ablegen des zweiten Staatsexamens ist dabei allerdings keine notwendige Voraussetzung. Nach dem Bestehen des ersten Staatsexamens kann man in Deutschland promovieren. Wenn man eine akademische Karriere anstrebt, sucht man sich dazu eine Assistentenstelle an einer Universität. Die Promotion sollte einschließlich des Rigorosums bzw. der Disputation mit mindestens „sehr gut“ (magna cum laude) bewertet werden. Um Professor zu werden, muss man anschließend eine Habilitationsschrift verfassen. Nach der Habilitation beginnt die Suche nach einer Stelle an einer Universität. b) Die Regel in Japan: Jura-Professoren ohne Staatsexamen In Japan sind die Verhältnisse anders1. Wenn man vor Einführung des Law School-Systems im Jahr 2004 Volljurist werden wollte, musste man zunächst das (zweite2) Staatsexamen bestehen. Nach dem Referendariat3 musste man, und das gilt noch heute, eine an der Rechtspraxis orientierte Prüfung bestehen. Anders als beim (ersten) Staatsexamen lag und liegt der Anteil der bestandenen Prüfungen bei weit über 90 Prozent. Das Bestehen des (zweiten) Staatsexamens war hinge-
1 Zum
Ausbildungssystem für Juristen in Japan vgl. Haley, The Spirit of Japanese Law, 1998, S. 40 ff. 2 Die Qualifikation zu diesem Staatsexamen war das erste Staatsexamen, das man aber zuletzt durch ein Studium von etwa vier Semestern an einem College ersetzen konnte: Wenn man also an einer beliebigen Fakultät einer Universität ein sog. „Studium Generale“ von in der Regel zwei Jahren absolviert hatte, war dies ausreichend. Ein Studium an der juristischen Fakultät war dabei keine Voraussetzung. Deswegen wurde nur das zweite Staatsexamen im Allgemeinen als „Das“ Staatsexamen für Juristen anerkannt. 3 Vgl. dazu Junko Yamanaka, Die Praxisausbildung im Referendariat, in: Yamanaka/ Schorkopf/Jehle (Hrsg.), Präventive Tendenzen in Staat und Gesellschaft zwischen Sicherheit und Freiheit, 2014, S. 239 ff.
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gen keine Voraussetzung für die Berufung auf eine Professorenstelle. Das gilt auch noch nach der Einführung des Law School-Systems. Wer Jura-Professor werden will, studiert Jura an einer juristischen Fakultät und absolviert dann normalerweise noch Magister- und Doktorandenkurse4. Eine Promotion war und ist immer noch keine Voraussetzung, um eine Stelle an einer Universität zu finden. Der Zweck der Doktorandenkurse bestand zwar – und besteht teilweise noch heute – darin, später zu promovieren, aber es war ganz selten, dass der Doktorand nach einem dreijährigen Doktorandenkurs den Doktortitel erhielt. Damit auch die ausländischen Studenten nach dreijähriger Immatrikulierung an einer japanischen Universität den Doktortitel erwerben können, hat das Kultusministerium die Universitäten angewiesen, das eigentliche Ziel der Doktorandenkurse, also das tatsächliche Erreichen der Doktorwürde, zu verwirklichen. Danach hat sich die Situation einigermaßen verbessert. Heutzutage können die Doktoranden nach dem Absolvieren der Doktorandenkurse den Doktortitel relativ schnell erlangen. Um einen Arbeitsplatz an der Universität zu bekommen, muss man aber während der Doktorandenzeit einen oder zwei gute Aufsätze schreiben. Wer Glück hat, findet eine Stelle als „Dozent“ an der Universität. Dabei ist die Beziehung zu dem leitenden Professor des Doktorandenkurses wichtig5. Die Beziehung ist an den renommierten Universitäten besonders ausgeprägt. In der Regel kann der Dozent nach zwei oder drei Jahren eine Stelle als „Junior-Professor“ an derselben Universität erhalten, wenn er noch zwei oder drei Aufsätze veröffentlicht. Nach etwa fünf Jahren kann er, wenn er noch weitere Aufsätze oder eine Monographie veröffentlicht hat, „ordentlicher Professor“ werden. Danach promovieren manche Professoren noch; doch haben vermutlich mindestens 80 Prozent der Professoren keine Doktorwürde. Als ordentlicher Professor kann man normalerweise bis zur Emeritierung sein Gehalt als Professor bekommen, auch ohne weitere Veröffentlichungen. Es gab und gibt zwar einige Professoren, die auch das Staatsexamen bestanden haben, aber dies geschah und geschieht eher selten. c) Die Ausnahme in Japan: Juristen als Jura-Professoren Es gab und gibt allerdings Universitäten, an denen das Bestehen des Staatsexamens mit guten Noten in der Regel eine Voraussetzung für eine Assistentenstelle 4
Diese Kurse sind jedoch keine notwendigen Voraussetzungen für eine Professur. werden die Stellen an der Universität heute öffentlich ausgeschrieben. Die Fakultät jeder Universität hat ein Komitee für personale Angelegenheiten. Der Professor kann bei diesem Komitee einen Vorschlag für die Besetzung der Stelle abgeben, deshalb spielt die Beziehung des Doktoranden zu dem Professor eine wichtige Rolle. Der Vorschlag des Professors kann freilich von dem Komitee für personale Angelegenheiten mit Stimmenmehrheit abgelehnt werden. Aber der Vorschlag des Professors spielt eine wichtige Rolle bei der Berufung. 5 Freilich
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D. Verwirklichung des Strafrechts und deren Akteure
war, wie etwa die Universität Tokyo oder teilweise auch die Universität Kyoto. Die Professoren der Universität Tokyo genießen Autorität, weil sie während des Studiums gute Noten erzielt haben, das Studium mit sehr guten Noten absolviert haben und das Staatsexamen noch während des Studiums mit guten Noten bestanden haben6. Unter diesen hervorragenden Studenten wählt der Professor einen Studenten kurz vor der Absolvierung des (zweiten) Staatsexamens als Assistenten aus. Dieser Student schreibt dann einen sog. „Assistentenaufsatz“. Mit diesem Aufsatz kann er in der Regel nach drei Jahren Junior-Professor an der Universität Tokyo oder an einer anderen Universität werden. An der Universität Kyoto gestaltet sich der Ablauf teilweise ähnlich. d) Das Ansehen der Jura-Professoren Die Mehrzahl der Jura-Professoren haben nur die Doktorandenkurse absolviert und sind keine Juristen. Auch deswegen scheinen die Praktiker manchmal kein sonderliches Vertrauen in die Jura-Professoren zu haben. Zudem ist die absolute Zahl der Jura-Professoren wesentlich größer als die Zahl der Richter und Staatsanwälte. Das scheint auch eine Ursache dafür zu sein, dass die in der Praxis tätigen Juristen einen besseren Ruf als die Professoren genießen. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es nur eine sehr geringe Anzahl juristischer Fakultäten. Wahrscheinlich wurde den Professoren auch deshalb im Allgemeinen eine größere Hochachtung entgegengebracht als heute. Damals konnte man bereits Rechtsanwalt werden, wenn man das Studium an einer juristischen Fakultät abgeschlossen hatte. Die Professoren hatten dagegen fast alle Erfahrung als Richter oder in anderen juristischen Berufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfreuten sich die juristischen Fakultäten einer steigenden Beliebtheit, von der Universitätsseite aus aufgrund der im Vergleich zu technischen oder medizinischen Fakultäten geringeren Betriebskosten, bei den Studenten wegen der leicht zu absolvierenden Studiengänge, die einem zudem günstige Berufsaussichten eröffneten.
6 Es gibt die Anekdote von den sog. „drei Kronen“ eines Professors der Universität Tokyo. Dieser hatte die Aufnahmeprüfung an der Universität als Nr. 1 der Rangliste bestanden, das Staatsexamen während seines Studiums als Nr. 1 abgelegt und als Nr. 1 die juristische Fakultät absolviert. In Japan ist die Absolvierung des Jurastudiums an der Universität vom Bestehen des (ersten) Staatsexamens, anders als in Deutschland, zu unterscheiden.
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2. Law School und Reform der Juristenausbildung a) Gründung der Law School Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat das „Beratungskomitee für die Justizsystemreform“ (Shiho Seido Shingikai) seine „Beratungen“ zur Justizreform veröffentlicht7. Ein Hauptthema war dabei die Reform der Juristenausbildung. Den Vorschlägen des Komitees folgend wurde im Jahr 2004 das Law School-System in Japan eingeführt.8 Japan hat nach dem Zweiten Weltkrieg das sog. „System der einheitlichen Juristenausbildung“ aufgenommen. Das Staatsexamen ist zu einer einheitlichen Eingangspforte für alle Volljuristen, also Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, geworden. Seit dem Ende des letzten Jahrhunderts wird erwartet, dass die Anzahl der Juristen notwendigerweise steigen muss, weil die Regierungspolitik seitdem auf Deregulierung gerichtet ist, um die Verstärkung der internationalen und inländischen Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen zu verwirklichen. Ein wirksames Mittel war die Unternehmensvereinigung oder Unternehmensübernahme, z. B. mergers and acquisitions (M&A). Im M&A-Bereich gibt es viele Aufgaben und dementsprechend auch Stellen für Juristen. Mit diesem Bedürfnis nach juristischen Fachkräften ist zudem eine Vielzahl großer Kanzleien entstanden. Zudem muss wie bei Ärzten der Zugang zur Rechtsberatung allen Kreisen der Gesellschaft offenstehen, um den Rechtsstaat in Japan zu verwirklichen. b) Staatsexamen: Das Tor zum Volljuristen Die Ausbildung an den juristischen Fakultäten hatte bisher mit dem (zweiten) Staatsexamen meistens nichts zu tun. Die Studenten, die auch das zweite Examen machen wollten, bereiteten sich in der Regel schon während des Studiums auf das Staatsexamen vor, legten dieses aber erst vier oder fünf Jahre nach dem Universitätsabschluss ab. Es gab viele Repetitorien, die die Vorbereitung der Bewerber unterstützten. Das Examen war eine „einmalige Chance“ pro Jahr. Das Law School-System bot eine Alternative zu dieser einmaligen Prüfung, die in der Regel nur eine „Momentaufnahme“ der juristischen Fähigkeiten der Bewerber darstellt. Das Studium an einer Law School entspricht in etwa dem Magisterstudium an den Fakultäten. Das Law School-System will die Juristen7 Beratung: „Das Justizsystem, das Japan im 21. Jahrhundert unterstützt“ vom 12. 6. 2001. 8 Vgl. Yamanaka, Juristenausbildung in Japan, – Law School japanischer Art, in: Jehle/Lipp/Yamanaka (Hrsg.), Rezeption und Reform im japanischen und deutschen Recht, 2008, S. 249 ff.; James Maxeiner/Keiichi Yamanaka, The New Japanese Law Schools: Putting the Professional into Legal Education, in: Pacific Rim Law & Policy Journal, Vol. 13, No. 2, University of Washington, 2004, S. 303 ff.
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auswahl durch die „dauerhafte“ Ausbildung an der Law School erreichen, wobei nicht die examenstechnische Paukerei, sondern die Aneignung der juristischen Denkweise im Mittelpunkt stehen soll. Um die Law School zu absolvieren und die Qualifikation für das Staatsexamen zu erlangen, muss man die Law School in der Regel zwei oder drei Jahre9 besuchen. Erst danach kann man das Staatsexamen ablegen. Bei Einführung der Law Schools wurde propagiert, dass 70 bis 80 Prozent der Law School Studenten Volljuristen werden könnten. In Wirklichkeit waren es dann höchstens 30 Prozent. Von den ursprünglich 74 in Japan errichteten Law Schools existierten 2015 nur noch 54. Die Zahl aller an japanischen Law Schools immatrikulierten Studenten lag 2015 bei etwa 6.00010. Die Studiengebühr beträgt bei staatlichen Law Schools etwa 7.000 Euro pro Jahr. Zudem ist eine einmalige Immatrikulationsgebühr von etwa 2.400 Euro zu entrichten. Die Studiengebühren der privaten Law Schools reichen von etwa 12.000 Euro bis zu 18.000 Euro pro Jahr. Die Immatrikulationsgebühr beträgt dort etwa 2.300 bis 2.800 Euro. Meistens müssen die Studenten einen Studienkredit aufnehmen. Wenn sie anfangen, als Rechtsanwälte in einer Kanzlei zu arbeiten, sind sie in der Regel hoch verschuldet und müssen zigtausende Euro zurückzahlen (z. B. 80.000 Euro). Wer Professor werden will, muss anschließend oder nach dem Referendariat noch drei Jahre lang Doktorandenkurse besuchen, ohne ein Gehalt zu beziehen. Die Risiken des Weges hin zu einer Professur stehen daher außer Verhältnis zur Attraktivität des Berufes. Wenn ein Student im März das Studium an einer Law School abschließt und im Mai das Staatsexamen ablegt, werden ihm im September die Ergebnisse mitgeteilt. Wenn er das Staatsexamen bestanden hat, muss er sich ab Ende November für ein Jahr der praktischen Ausbildung im Referendariat unterziehen11. Während dieser Zeit bekam der Referendar bis zum Jahr 2011 ein Gehalt (monatlich etwa 200.000 Yen). Seitdem wird kein Gehalt mehr ausgezahlt. Die Regierung hat nun aber das Gerichtsgesetz reformiert und 2017 für Referendare das sogenannte „Versorgungsgeld“ eingeführt, das monatlich 135.000 Yen (etwa 1.100 Euro) beträgt. Diese Reform der Juristenausbildung hätte auch die Ausbildung der Wissenschaftler beeinflussen können, da diejenigen, die das Staatsexamen bestehen,
9 Wenn ein Kandidat für die Law School-Immatrikulation schon Grundkenntnisse in Jura hat, kann er die zweijährige Ausbildung absolvieren, ansonsten muss er drei Jahre lang studieren. Ob er die bloß zweijährige Ausbildung absolvieren darf, wird jeweils mit der Aufnahmeprüfung der betreffenden Law School bestimmt. 10 Die Gesamtzahl derjenigen, die bestehen, soll in Zukunft bei jährlich 1.500 liegen; dies hat das Komitee im Juni 2015 beschlossen. 11 Ausführlich über das Referendariat in Japan Junko Yamanaka, Die Praxisausbildung im Referendariat, in: Yamanaka/ Schorkopf/Jehle (Hrsg.), a .a. O., S. 265 ff.
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danach eine akademische Laufbahn einschlagen könnten12. Somit könnte die Distanz zwischen beiden Ausbildungswegen etwas verringert werden. Tatsächlich wollen aber nur wenige Studenten der Law Schools nach ihrem Abschluss eine akademische Bahn einschlagen. Nach der Errichtung der Law Schools wurden immer mehr Professoren berufen, die gleichzeitig als Rechtsanwalt, Richter oder Staatsanwalt praktizieren oder die nach ihrer Pensionierung berufen worden sind. Es ist prinzipiell auch nicht ausgeschlossen, dass ein Jura-Professor, der kein Staatsexamen bestanden hat, zum Richter ernannt wird oder neben der Professur auch als Rechtsanwalt13 arbeiten kann. Dieser Fall ist aber eher die Ausnahme. Es ist vor allem selten als Professor zum Richter ernannt zu werden. Umgekehrt beginnen einige Praktiker nach ihrer Pensionierung noch an der Law School zu arbeiten. Wenn man es etwas übertrieben ausdrückt, scheint das Law School-System einen zweiten Arbeitsplatz für die pensionierten Richter und Staatsanwälte aufgebaut zu haben. Auch nach der Gründung der Law Schools bleibt also die Spaltung zwischen Wissenschaftler und Praktiker bestehen. 3. Ist das Law School-System erfolgreich? a) Krise des Law School-Systems Einige Jura-Professoren äußern mittlerweile, dass das Law School-System schon fast gescheitert sei14. Als Ursachen werden genannt: Der Besuch einer Law School ist für die Studenten mit erheblichem Aufwand an Zeit und Geld verbunden. Die Suche nach Arbeitsplätzen als Rechtsanwalt in einer Kanzlei ist auch nicht leicht, und die Zukunftsaussichten sind ebenfalls nicht optimal. Es gibt mittlerweile viele gute Studenten, die auch ohne Law School das Staatsexamen ablegen, weil es inzwischen einen bequemen und schnellen Umweg zum Staatsexamen gibt. Dieser besteht in dem „Vorbereitungsexamen“ (Yobishiken), das 2011 eingeführt wurde und durch dessen Bestehen jeder ohne Absolvierung der Law School die Zulassung zum Staatsexamen erhalten kann. Das „Vorbereitungsexamen“ ist nicht auf Kandidaten beschränkt, die einen einkommensschwachen familiären Hintergrund haben, weshalb viele Studenten, und zwar vor allem sehr gute und
12 Dazu vgl. Takaaki Matsumiya, Studienplan im Gebiet des Strafrechts und Wissenschaftlerausbildung in der Ära von Law Schools, Hanzai to Keibatsu Nr. 24, S. 69 ff. (in japanischer Sprache). 13 Wenn man als Juraprofessor an einer juristischen Fakultät einer Universität oder seit der Gründung der Law Schools an einer Law School arbeitet, kann man als Rechtsanwalt zugelassen werden, wenn die Rechtsanwaltskammer dies erlaubt. 14 Vgl. Mitsuru Iijima, Das Juristenausbildungssystem Japans in der Krise: Wie geht es mit der sog. Law School weiter? in: Yamanaka/Schorkopf/Jehle (Hrsg.), a .a. O., S. 251 ff.
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junge Fakultätsstudenten15 (teilweise erst 20 Jahre alt) das Vorbereitungsexamen als „gebührenfreie Autobahn“ zur Qualifikation für das Staatsexamen nutzen. So kann ein Kandidat schnell und mit wenigen Kosten das Staatsexamen ablegen, allerdings nur, wenn er sehr gut ist. Im Jahr 2011 haben 6.477 Kandidaten das Vorbereitungsexamen abgelegt und 116 davon bestanden. Die Anzahl sowohl der zur Prüfung angetretenen als auch der erfolgreichen Kandidaten steigt seitdem kontinuierlich. Im Jahre 2014 sind es schon 10.347 Bewerber, von denen 356 (oder 3,4 %) bestehen. Die Gesamtzahl derjenigen, die das Staatsexamen bestehen, beträgt seit 2008 ungefähr 2.000 pro Jahr, 2014 ist sie aber auf 1.810 gesunken. 2015 haben dann 1.850 Personen das Staatsexamen bestanden. 2016 ist die Zahl auf 1.583 Bestehende unter 6.899 Kandidaten gesunken. Damit haben etwa 23 % das Examen bestanden. Im Jahr 2016 haben insgesamt 7.215 Kandidaten eine Law School absolviert. Unter den Kandidaten für das Staatsexamen waren im selben Jahr 395 Personen, die zuvor das Vorbereitungsexamen abgelegt hatten. Von diesen haben 235 Personen das Staatsexamen bestanden, was die größte Erfolgsquote unter allen Bewerbern überhaupt darstellt (61,5 %). Im Jahre 2015 bewarben sich 9.351 Studenten für einen der insgesamt 3.169 Plätze an 54 Law Schools. Die Bewerbungen führten insgesamt nur zu 2.021 Immatrikulationen. Von den 54 Law Schools konnten 23 ihre Studienplätze nicht vollständig belegen. b) Ursachen der Krise Diese Resultate kommen nicht von ungefähr, sondern sind das notwendige Ergebnis einer falschen Politik. Die Institution des Vorbereitungsexamens wurde eigentlich für arme Studenten konzipiert, für die eine Immatrikulation an einer Law School finanziell schwierig ist. Tatsächlich gibt es aber keine Zulassungsbeschränkung hinsichtlich des Einkommens. So nutzen vor allem die exzellenten reichen Studenten der renommierten Universitäten diese „Schnellbahn“. Die großen Kanzleien sehen diese Studenten als erstklassige Neujuristen an und rekrutieren sie vorrangig und zu guten Bedingungen. Die miserable Situation der Law Schools hat auch an renommierten Universitäten Einfluss auf die Bewerbungen für die juristischen Fakultäten. Wegen des Aufwands an Zeit und Kosten und der verschlechterten beruflichen Aussichten hat die Attraktivität der juristischen Fakultät für die Gymnasiasten im Vergleich zu den anderen Fakultäten abgenommen.
15 Damit sind Studenten gemeint, die gerade an einer juristischen Fakultät und nicht an einer Law School studieren.
II. Verschiedene Außenansichten auf die japanische Justiz
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II. Verschiedene Außenansichten auf die japanische Justiz 1. Bürokratische Justiz16? a) Gründung des japanischen Justizsystems Wenn man die Justiz in Japan mit einem Stichwort charakterisieren will, bietet sich vielleicht der Begriff der „bürokratischen Justiz“ an. Durch einen Blick auf die geschichtliche Entwicklung des japanischen Justizsystems werden die Grundzüge des japanischen Gerichtssystems verständlich. Zum Zweck des Aufbaus eines modernen Staates war in der Meiji-Zeit die Machtzentralisierung eine Hauptmethode. Die Justiz bildete dabei keine Ausnahme. Die „Einheitlichkeit und Gleichartigkeit“17 der Justiz war von Anfang an die leitende Idee des Justizaufbaus18. Das Gerichtsverfassungsgesetz von 189019, das das gleichnamige deutsche Gesetz von 1877 rezipierte, ist auf das hierarchische System der Justizverwaltung ausgerichtet. Der Justizminister erhielt durch dieses Gesetz auf dem Gebiet der Justizverwaltung eine zentrale Machtposition, um die Bürokratisierung der Justiz zu fördern. b) Entwicklung des Justizsystems nach dem Zweiten Weltkrieg Was die Justiz und das Gerichtssystem nach dem Zweiten Weltkrieg anbelangt, so scheint man der Verfassung zufolge eine demokratische und liberalistische Vorstellung des Justizwesens entwickelt zu haben. „Jeder Richter übt sein Amt nach seinem Gewissen unabhängig aus, und ist nur an diese Verfassung und die Gesetze gebunden“ (§ 76 Abs. 3). In Wirklichkeit stehen die Richter stark unter der „unsichtbaren“ Kontrolle des OGH. In den Personalangelegenheiten der Richterschaft entscheidet das Generalgeschäftsamt des OGH (Saikosai Jimusokyoku). Hinsichtlich der Justizverwaltung lautet die Regelung des Gerichtsgesetzes: „Die Geschäftsführung der Justizverwaltung erfolgt durch die Richterkonferenz des
16 „Bürokratische Justiz“ bedeutet die bürokratische Herrschaft über Richter und Staatsanwälte. 17 So die Selbstdarstellung des OGH vom 8. 12. 1999: „OGH: Die Reform des Justizsystems – Gedanken über das Justizsystem im 21. Jahrhundert.“ Der OGH nennt als grundlegende Eigenschaft der japanischen Justiz auch noch „Akkuratesse und Wahrheitssuche“. Vgl. http://www.courts.go.jp/about/kaikaku_sihou_21. 18 Vgl. Misaka, a .a. O., Justizministerium und Richter im modernen Japan, 2014, S. 3 ff., S. 173 ff. 19 Vgl. Mannosuke Yamaoka/Otto Kerry (Mitübersetzer), Das Gerichtsverfassungsgesetz und die Strafprozeßordnung von Japan (Sammlung Außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung), Berlin 1912.
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OGH20 und der Präsident des OGH verwaltet sie“ (§ 12 Abs. 1 GerichtsG). „An dem OGH wird das Generalgeschäftsamt errichtet, um die allgemeinen Angelegenheiten zu erledigen“ (§ 13 GerichtsG). Die Hypertrophie dieses Amtes führt dazu, dass dieses keine assistierende Funktion hat, sondern Hauptfigur der Gerichtsverwaltung ist, die die Art und Weise der Prozessführung, den Inhalt der Entscheidungen und die amtlichen und alltäglichen Tätigkeiten der Richter leitet und in diesen Angelegenheiten interveniert21. Ein amerikanischer Forscher hat ein Buch über die japanische Justiz mit dem Titel „Die namenlose und gesichtslose Justiz“22 veröffentlicht und darin die extreme Einheitlichkeit der japanischen Justiz beschrieben. Er betont die Wichtigkeit der Gleichheit der Ergebnisse, der Konstruktion und auch der logischen Struktur in der japanischen Rechtsprechung23. Die Individualität von Richtern soll unterdrückt werden. Nicht nur die politische Tätigkeit der Richter24, sondern auch deren gesellschaftliche Aktivitäten werden eingeschränkt, wie z. B. die Mitgliedschaft in Vereinen zur Vogelbeobachtung25. Das Personalsystem der Richter in Japan26 manifestiert den Gehorsam gegenüber dem schweigenden Druck von oben. Der obligatorische Stellenwechsel von Richtern nach jeweils drei Jahren dient auch der Verhinderung von abweichenden und auffälligen Urteilen. Mark Ramseyer und Eric Rasmusen haben auf verschiedenen Datenbasen analysiert, welche Merkmale maßgeblichen Einfluss auf die Beförderung eines Richters haben 27. Daraus ergibt sich, dass ein Richter, der schnell Kariere machen will, im Idealfall sein Studium an den Universitäten von Tokyo oder Kyoto absolviert hat, ziemlich jung das Staatsexamen bestanden hat, seine Fälle schnell erledigen kann und an vielen verschiedenen Stellen innerhalb der 20 Mitglieder der Konferenz sind alle Richter, ihr Vorsitzender ist der Präsident des OGH (§ 13 Abs. 2 GerichtsG). 21 Vgl. Nippon Bengoshi Rengokai (Japan Federation of Bar Associations = Japanischer Anwaltsverband) (Hrsg.), Saiko Saibansho (OGH), 1980, S. 163 f. 22 Daniel H. Foote, Namo, Kaomonai Shiho (Die namenlose und gesichtslose Justiz) (übersetzt von Masayuki Tarumaya in die japanische Sprache), 2007. 23 Foote, a .a. O., S. 22. 24 Das Gerichtsgesetz verbietet politische Aktivitäten von Richtern (§ 52 Nr. 1). 25 Foote, a .a. O., S. 27. Ein Grenzfall in Bezug auf die Meinungsfreiheit eines Richters wurde anhand einer Twitter-Meldung eines Richters am Obergericht Tokyo diskutiert. Fraglich war, ob der Inhalt der Meldung noch von der Meinungsfreiheit des Richters erfasst wurde. Der Richter hatte im Zeitraum April 2014 bis März 2016 private Fotos veröffentlicht. Auf einer der Aufnahmen war der Richter nur mit einer Unterhose bekleidet. Das OG hat keine Disziplinarmaßnahme gegen diese Verhaltensweise eingeleitet, sondern eine Warnung nach den Regelungen der Amtsführung für Untergerichte erteilt (vgl. Asahi-Zeitung vom 19. 8. 2016). 26 Vgl. auch Haley, The Spirit of Japanese Law, 1998, S. 93 ff. 27 Ramseyer/Rasmusen, Measuring Judicial Independence: The Political Economy of Judging in Japan 22, 2003.
II. Verschiedene Außenansichten auf die japanische Justiz
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Gerichtsverwaltung oder des Generalgeschäftsamtes tätig gewesen ist28. Die Besetzung des OGH erfolgt gewohnheitsmäßig so, dass die 15 Richter proportional nach ihren vorherigen Berufen gewählt werden: sechs Richter, zwei Staatsanwälte, vier Rechtsanwälte, zwei Verwaltungsbeamte und ein Rechtswissenschaftler. c) Justizpassivität Ein weiteres Merkmal des OGH in Japan lässt sich als „Justizpassivität“ bezeichnen.29 Nach der japanischen Verfassung ist die Justiz ein Teil der geteilten Staatsgewalt. Der OGH ist das zentrale Organ der Justizgewalt (§ 76 Abs. 1 Verf.). Trotzdem ist der OGH hinsichtlich der Gestaltung von Staatspolitik durchgehend sehr passiv. Der OGH ist der Entscheidung „politischer Fragen“ (political questions) mit der Begründung ausgewichen, es handele sich um Regierungsakte („acte de gouvernement“)30. Die Entscheidung in den Fällen, in denen der OGH die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen oder Verfügungen zu überprüfen hatte, kam er überwiegend zu dem Ergebnis, diese seien „verfassungsgemäß“. Es gab bisher nur insgesamt neun Entscheidungen des OGH, in denen er die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes festgestellt hat. In zehn Entscheidungen wurden Verfügungen für verfassungswidrig erklärt. Es finden sich in den Entscheidungen auch nur wenige „Mindermeinungen“31. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts hat sich die Haltung des OGH etwas geändert32. Die japanischen Gerichte sind aber insgesamt ein für die Bürger kaum nutzbares Instrument, da die Verfahren lange dauern und die Verfahrenskosten hoch
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Foote, a .a. O., S. 133 f. Watanabe, Die Analyse der gegenwärtigen Lage der OGH-Entscheidungen, in: Ichikawa/Okubo/Saito/Watanabe (Hrsg.), Nippon no Saiko Saibansho (OGH in Japan), 2015, S. 2 ff. 30 Vgl. den Sunagawa-Fall (Beschluss des OGH v. 25. 12. 1963, Keishu Bd. 13, H. 13, S. 3225). Da der Vertrag über eine Sicherheitsgarantie hochpolitischer Natur sei, gehöre eine Entscheidung über dessen Verfassungsmäßigkeit nicht zur Zuständigkeit des Gerichts, das eine rein justizielle Aufgabe habe. 31 Die Richter des OGH können ihre Meinung bei der Entscheidung und ihren Gründen in unterschiedlicher Form äußern. Die Meinung kann (1) die „Senatsmeinung“ sein, die die Mehrheit bildet, (2) „die ergänzende Meinung“, die die Mehrheitsmeinung noch in begleitenden Aspekten oder vorsichtshalber erläuternd ergänzt, (3) die „Meinung“, die im Ergebnis die Senatsmeinung teilt, sie aber anders begründet, und schließlich (4) die „Gegenmeinung“, die sich gegen das Ergebnis der Senatsmeinung ausspricht. 32 Es gibt seit dem Jahr 2000 vier Entscheidungen des OGH, die ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt haben. Auch das Vertreten von Mindermeinungen hat sich erheblich vermehrt. Vgl. Watanabe, a .a. O., in: Ichikawa/Okubo/Saito/Watanabe (Hrsg.), OGH in Japan, S. 15 f., 17. 29 Vgl.
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sind. Dies gilt sowohl für Zivil- als auch für Strafgerichte. Das Gericht scheint für die Bürger „ein stolzes einsames Königtum“33 zu sein. 2. Ein „Paradies“ für die japanische Staatsanwaltschaft? Die japanische Staatsanwaltschaft scheint (wie auch die Polizei34) nach Ansicht amerikanischer Forscher35 ein „Paradies“ zu sein. David T. Johnson führt zur Begründung „geringe Kriminalität“, eine geringe Belastung mit Fällen, das milde politische Milieu36 und die Nichtexistenz der Jury an. Er verneint die These der „institutionellen Unfähigkeit“, die als Begründung für die chronische Verspätung bei der Erledigung der Fälle durch die Staatsanwaltschaft vertreten wird. Nach dieser von John Haley (*1942) vertretenen These leidet das japanische Strafjustizsystem an der gleichen „relativen institutionellen Unfähigkeit“ wie das zivilrechtliche System37. Ob das stimmt, ist sehr fraglich. In der japanischen Bürokratie muss man auf der unteren Ebene hart arbeiten. Johnsons Charakterisierung als „Paradies“ trifft vielleicht auf die Staatsanwälte der oberen Ebenen der Pyramide im System der Staatsanwaltschaft zu. Die extreme bürokratische Einheitlichkeit der Staatsanwaltschaft in Japan bringt eine starke Stellung ihres Amtes auch im Gerichtssaal mit sich. In der Tat bedeutet Klageerhebung in der Regel auch Verurteilung. Die Verurteilungsquote liegt bei den angeklagten Fällen bei 99,9 %. Es wird gesagt, dass „der Staatsanwalt den Richter beherrscht“38. Der „wohlwollende Paternalismus“ der Staatsanwälte39, die den Angeklagten nicht nur anklagen, sondern sich um seine Resozialisierung kümmern40, wird auch daraus verständlich. In der japanischen Strafjustiz werden meistens nicht nur die Straftat an sich, sondern auch deren nähere und weitere Umstände wie die zugrunde liegende Motivation des Täters, die ggf. erfolgte Opferentschädigung, das familiäre Umfeld, der Grad der Reue usw. untersucht und festzustellen versucht. Diese Justiz wurde von Koya Matsuo (1928 – 2017) als „Präzisionsjustiz“ (Seimit33 Asahishinbun/Shuzaihan (Hrsg.), Koko no Okoku (Stolzes einsames Königtum – das Gericht), 1991. 34 David H. Baley, Force of Order. Policing Modern Japan, 1991. 35 David T. Johnson, The Japanese way of Justice: Prosecuting Crime in Japan, 2002, S. 1. 36 Anders als in den USA, wo die leitenden Staatsanwälte (chief prosecuter) direkt durch das Volk gewählt werden, werden sie in Japan vom Justizministerium ernannt und sind deswegen gegenüber der Politik relativ autonom. 37 John O. Haley, Authority without Power. Law and the Japanese Paradox, 1991, S. 123. 38 Johnson, a .a. O., S. 65. 39 Foote, The Benevolent Paternalism of Japanese Criminal Justice, California Law Review 80, No. 2, (1992), S. 317 ff. Vgl. auch Haley, The Spirit of Japanese Law, S. 68 ff. 40 Johnson, a .a. O., S. 101 ff.
III. Grundriss der Justizorgane in Japan
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su Shiho) bezeichnet41. Sie steht im Gegensatz zur „rough justice“ in den USA. Fraglich ist, ob diese – gute oder schlechte – Tradition im Zeitalter des Schöffengerichts erhalten bleibt.
III. Grundriss der Justizorgane in Japan 1. Das gesetzliche System der japanischen Justiz Die japanische Verfassung nimmt eine Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative vor (§§ 41, 65, 76 Abs. 1 Verf.). Die Judikative wird durch den Obersten Gerichtshof (OGH) und die unteren Gerichte gebildet. Alle Richter sollen ihr Amt nach ihrem Gewissen und unabhängig ausüben. Sie sind nur an die Verfassung und die Gesetze gebunden (§ 76 Abs. 3 Verf.). Sondergerichte dürfen nicht eingerichtet werden42 (§ 76 Abs. 2 Verf.). Regelungen zum Obersten Gerichtshof und den Untergerichten finden sich im „Gerichtsgesetz“ (1947, Gesetz-Nr. 59). Im Allgemeinen gibt es in Japan in Zivil- und Strafsachen drei Instanzen. Die Gerichte unter dem Obersten Gerichtshof sind die Obergerichte (OG), Landgerichte (LG), Familiengerichte und Amtsgerichte43 (Kan-i Saibansho) (§ 2 Abs. 1 des Gerichtsgesetzes). In jeder der insgesamt 47 Präfekturen Japans gibt es mindestens ein Landgericht, in manchen Präfekturen auch in mehreren Städten44. In Japan gibt es insgesamt acht Obergerichte. Die 47 Präfekturen sind in acht Provinzen eingeteilt. Jede Provinz hat ein Obergericht. Als Staatsanwaltschaften gibt es die Oberste, Ober-, Land- und Amtsstaatsanwaltschaft (§ 1 Abs. 2 StAnwG). Das Staatsanwaltschaftsgesetz (1947, Nr. 61) regelt, dass die Staatsanwaltschaften entsprechend den Gerichten gebildet werden (§ 2 Abs. 1 StAnwG). 2. Staatsanwaltschaft Die Staatsanwaltschaft ist das Staatsorgan, das die Bewahrung der Rechtsordnung zur Aufgabe hat. Nach dem StAnwG haben die Staatsanwaltschaften „folgende Angelegenheiten zu übernehmen: bei Strafsachen die öffentliche Klage zu erheben, vom Richter eine gerechte Rechtsanwendung zu verlangen, den Vollzug 41 Koya Matsuo, Keijisoshoho no Riron to Jitsumu (Die Theorie und Praxis des Strafverfahrensrechts), 1980, S. 7. 42 Als Beispiele für Sondergerichte werden Verwaltungsgericht oder Militärgericht genannt. 43 In Japan werden die Landgerichte und auch die Obergerichte daher als „Untergerichte“ bezeichnet. 44 Z. B. gibt es in der Präfektur Hokkaido, die ziemlich groß ist, vier Landgerichte: Sapporo, Hakodate, Asahikawa und Kushiro.
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des Gerichtsverfahrens zu beaufsichtigen, und auch in Bezug auf andere Angelegenheiten, die zur Befugnis des Gerichts gehören, wenn es amtlich notwendig ist, das Gericht um eine Stellungnahme zu ersuchen oder dem Gericht die Meinung der Staatsanwaltschaft zu übermitteln und als Repräsentant des Gemeinwohls die Aufgaben zu erfüllen, die nach den anderen Gesetzen zu ihrer Zuständigkeit gehören“ (§ 4 StAnwG). „Die Staatsanwaltschaft kann bei allen Straftaten ermitteln“ (§ 6 StAnwG). Die Staatsanwaltschaft vertritt als Partei den Staat. Aber sie hat auch die „objektive Pflicht“, im Interesse des Angeklagten zu wirken.
IV. Grundstruktur des japanischen Strafprozesses 1. Grundprinzipien der geltenden StPO a) Zweck und Grundsätze des Strafprozesses Der Zweck des Strafprozessrechts liegt in der Verwirklichung des Strafrechts. Die wichtigsten Prinzipien des Strafverfahrens, insbesondere bezüglich der Rechte des Angeklagten, werden schon in der Verfassung geregelt, weil im Strafverfahrensrecht vor dem Zweiten Weltkrieg die Rechte der Angeklagten oder Beschuldigten nicht ausreichend geregelt waren. So garantiert die Verfassung in § 31 den „due process“ (etwa „ordentliches“ bzw. „rechtsstaatliches“ Verfahren): „Niemand darf seines Lebens oder seiner Freiheit beraubt oder sonst bestraft werden, es sei denn, dass es durch ein gesetzlich bestimmtes Verfahren erfolgt“. Die StPO (Gesetz-Nr. 131, 1948) ist das wichtigste Strafverfahrensgesetz. „Dieses Gesetz hat den Zweck, bei einer Strafsache den wahren Sachverhalt unter Erhaltung des Gemeinwohls und der individuellen Grundrechte zu klären und die Strafrechtsordnung fair und schnell zu verwirklichen“ (§ 1 StPO). Diese Vorschrift beinhaltet den Grundsatz des fairen Verfahrens, den Grundsatz der materiellen Wahrheit und den Grundsatz der Beschleunigung. Der letzte Grundsatz findet sich in § 37 Abs. 145 der Verfassung. Nicht nur aus Besorgnis um mögliche Beweismittelverluste bei langer Verfahrensdauer, sondern auch wegen der angestrebten General- und Spezialprävention ist die schnelle Erledigung der Strafsache eine wichtige Aufgabe des Verfahrens46. In einer Entscheidung des OGH aus dem Jahr 1972 wurde eine Einstellung des Verfahrens durch Strafbefreiung wegen der Verletzung des Rechts auf ein schnelles Verfahren ausgesprochen47. 45 „Der Angeklagte hat in allen Strafverfahren das Recht, ein schnelles und öffentliches Gerichtsverfahren durch ein unparteiliches Gericht zu erhalten“ (§ 37 Abs. 1 Verf.). 46 Shigetsugu Suzuki, Keijisoshoho (Strafverfahrensrecht), 1990, S. 20 f. 47 Urteil des OGH v. 20. 12. 1972, Keishu Bd. 26, H. 10, S. 631 (sog. Takada-Fall). Bis zu dieser Entscheidung hat die Rechtsprechung die Vorschrift nur als eine Empfehlung behandelt.
IV. Grundstruktur des japanischen Strafprozesses
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Als Verfahrensstruktur sieht das japanische Strafprozessrecht grundsätzlich das Parteiverfahren vor. Auf der anderen Seite hat es jedoch auch den Ermittlungsgrundsatz (Prinzip der materiellen Wahrheit) anerkannt. b) Entwicklung der Gesetzgebung im Strafprozessrecht Nach der Meiji-Restauration wurden die Staatsorgane reformiert. Im Jahr 1869 wurden das „Strafjustizministerium“ (Gyobusho) und die Sicherheitspolizei (Danjodai) eingerichtet. Allerdings wurden sie bereits zwei Jahre später wieder abgeschafft und durch das neu eingerichtete „Justizministerium“ ersetzt48. Im Jahre 1872 wurde die erste Staatsanwaltschaft eingerichtet und drei Jahre später das Reichsgericht. Die Staatsanwaltschaft hatte damals noch kein Anklagemonopol, aber auf der anderen Seite die Kontrollbefugnis über die Richter, weil die Gerichte unter der Aufsicht und Führung des Justizministers standen. Die erste moderne Staatsanwaltschaft wurde durch das „Strafverfahrensgesetz“ (Chizaiho) von 1880 eingeführt49. Das Gesetz ist 1882 in Kraft getreten. Der Entwurf dieser ersten japanischen StPO, die unter dem französischen Einfluss entstand, stammte von Boissonade. Nunmehr galt das Prinzip des staatlichen Monopols der Klageerhebung durch die Staatsanwaltschaft: das Offizialprinzip. Als erste Instanzen wurden Verbrechensgerichte, Vergehensgerichte und Polizeivergehensgerichte errichtet. Aber das Gesetz verursachte von Anfang an Probleme bei seiner Anwendung. Als Berufungsgericht gab es das Appellationsgericht und das Reichsgericht. Bei Verbrechen wurde eine Voruntersuchung durch Richter vorausgesetzt, die darüber entschied, ob der Fall zur Hauptverhandlung kam. 1890 wurde eine neue „Strafprozessordnung“ (später „Meiji-Keijisoshoho“ genannt) erlassen. Ein Anlass für die Gesetzgebung war, dass ein Teil der Vorschriften des Strafverfahrensgesetzes von 1880 ins neue Gerichtsverfassungsgesetz verschoben worden war. Dieses Gerichtsverfassungsgesetz wurde von einem Deutschen namens Otto Rudolf50 nach Inkrafttreten der Verfassung von 1889
48 Shinpei Eto hat sich damals um die Justizreform bemüht und ist 1872 der erste Justizminister geworden. Vgl. dazu Masaaki Kikuyama, Meiji Kokka no Keisei to Sihoseido (Gestaltung des Meiji-Staates und das Justizsystem) 1993, S. 145 ff. 49 Zur Analyse der geschichtlichen Entwicklung der modernen japanischen StPO vgl. Fusaki Odanaka, Keijisoshouho no rekisiteki Bunseki (Geschichtliche Analyse der StPO), 1976, S. 6 ff. 50 Otto Rudolf ist 1883 nach einer Empfehlung Otto von Bismarcks (1815 – 1898) nach Japan gekommen. Hirobumi Ito (1841 – 1909), der die Meiji-Verfassung entworfen hat und 1885 der erste Premierminister in Japan wurde, hatte vergeblich Lorenz von Stein (1815 – 1890) eingeladen, an seiner statt kam Rudolf, um Vorlesungen an der Universität Tokyo zu halten. Vgl. Tokyo Daigaku Hyakunenshi: Bukyokushi (Hundertjährige Geschichte der Universität Tokyo. Abteilungsgeschichte), 1986, S. 35.
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entworfen. In ihren Grundzügen entsprach die neue Strafprozessordnung dem Strafverfahrensgesetz von 1880. Erst 1922 ist eine Strafprozessordnung unter dem Einfluss des deutschen Rechts in Kraft getreten (heute sog. Taisho-Keijisoshoho51). Dieses Gesetz ist hauptsächlich nach dem Modell der deutschen StPO von 1877 bzw. dem Entwurf von 1920 gestaltet worden. In diesem Gesetz lässt sich eine liberalistische Tendenz finden. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist am 10. 7. 1948 die bis heute geltende StPO (Keijisoshoho) auf der Basis des kontinentalen Rechtssystems nach dem Modell des amerikanischen Rechts verkündet worden. Als leitende Prinzipien blieb wie im deutschen Recht der Ermittlungsgrundsatz bestehen, daneben traten das Prinzip des Parteiverfahrens und das Akkusationsprinzip nach dem amerikanischen Vorbild. Die neue StPO zeichnet sich inhaltlich durch den Respekt vor Menschenrechten und formell durch die Stärkung des Parteiverfahrens aus. c) Prozesszweck und -struktur Hinsichtlich des Prozesszwecks gilt der „Grundsatz der materiellen Wahrheit“. Die Prozessstruktur wird vom Parteiverfahren und dem Akkusationsprinzip geprägt. Die nach dem Zweiten Weltkrieg zustande gekommene StPO steht nicht nur unter dem Einfluss des amerikanischen Prozesses, sondern auch – der Rezeptionstradition vor dem Zweiten Weltkrieg entsprechend – unter dem des deutschen Strafverfahrens. 2. Ermittlungsverfahren Das Ermittlungsverfahren beginnt, wenn die Ermittlungsorgane, also Staatsanwälte, Staatsanwaltschaftssekretäre (Kensatsu Jimukan) und Beamte der justiziellen Polizeidienste, den Verdacht haben, dass irgendeine Straftat begangen wurde. Genauer gesagt, beginnt die Ermittlung dann, „wenn ein Beamter der justiziellen Polizeidienste52 in Betracht zieht, dass eine Straftat vorliegen könnte“ (§ 189 Abs. 2 StPO) oder, wenn der Staatsanwalt eine Ermittlung als „notwendig ansieht“ (§ 191 Abs. 1 StPO). Ermittlungen sind „notwendig“, wenn Maßnahmen getroffen werden müssen, um den Täter zu finden, festzunehmen und eine Anklage zu erheben und durchzusetzen.
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Denn diese StPO wurde im 11. Jahr der Taisho-Ära verkündet. Der Begriff „Beamter der justiziellen Polizeidienste“ wird nur in der StPO verwendet. Er ist eine Sammelbezeichnung für alle Ermittlungsorgane, die Ermittlungsbefugnisse haben, wie Polizisten, Marinesicherheitsbeamte, Drogenkontrollbeamte usw. 52
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a) Zwei Modelle der Ermittlung Was die Grundperspektive der Ermittlung anbelangt, so gibt es zwei grundlegende Modelle: die Inquisitionsermittlung oder die Akkusationsermittlung53. Das erste auf dem Inquisitionsprozess basierende Modell sieht die Ermittlungen als eigenes Verfahren zur Vernehmung des Beschuldigten oder auch zur Feststellung des Sachverhalts an und erlaubt damit verbundene Zwangsmaßnahmen. Die Vertreter dieser Auffassung argumentieren so: § 198 Abs. 1 S. 2 StPO regelt die Vernehmungsduldungspflicht des Beschuldigten während der Festnahme und Haft54, daher seien die Ermittlungsorgane auch zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen55 befugt (§ 199 Abs. 1, § 218 StPO). Der Beschuldigte wird als bloßes Ermittlungsobjekt betrachtet. Das andere Modell basiert auf dem Akkusationsprozess und sieht die Ermittlungen als Vorbereitung der Hauptverhandlung an. Die mit den Ermittlungen verbundenen Zwangsmaßnahmen seien daher eine Angelegenheit des Gerichts zur Vorbereitung seiner zukünftigen Entscheidung. Im Gegensatz zum ersten Modell wird der Beschuldigte hierbei als ein Subjekt auf der Gegenseite des Prozesses angesehen. b) Freiwillige Ermittlung und Zwangsermittlung Beim Ermittlungsverfahren dürfen die Ermittlungsorgane die notwendigen Untersuchungen vornehmen (§ 197 StPO). Wird die Ermittlung mit Zwangsmaßnahmen durchgeführt, wird sie als „Zwangsermittlung“ bezeichnet, eine Ermittlung ohne Zwangsmaßnahmen dagegen als „freiwillige Ermittlung“. Das geltende Recht geht vom „Grundsatz der Bevorzugung der freiwilligen Ermittlung“ aus: „Eine Zwangsmaßnahme darf nicht durchgeführt werden, es sei denn, dass eine gesetzliche Sonderbestimmung vorhanden ist“ (§ 197 Abs. 1 S. 2 StPO). Dadurch wird auch das „Gesetzlichkeitsprinzip der Zwangsmaßnahme“ festgelegt: Für eine Zwangsermittlung brauchen die Ermittlungsorgane stets einen richterlichen Befehl (§ 199, § 218 StPO). Es gibt drei Kategorien von Zwangsmaßnahmen bei der Ermittlung: (1) Körperliche Sicherung (z. B. Ladung, Vorführung, Festnahme, Untersuchungshaft), (2) Sicherstellung vom Beweismitteln (z. B. Durchsuchung, Beschlagnahme, Vor53
Hirano, Keijisoshoho (Strafverfahrensrecht), 1958, S. 83 ff. Vorschrift regelt diese Pflicht so: Der Beschuldigte darf sein Erscheinen verweigern; das gilt nicht während seiner Festnahme oder Haft. 55 „Zwangsmaßnahme“ in § 197 Abs. 1 StPO bedeutet nicht unbedingt den Einsatz physischer Kraft, sondern allgemein alle Mittel zur Willensbeugung und die Maßnahmen, die ohne eine Sondervorschrift eine unerlaubte Handlung (gegen den Körper, die Wohnung, das Vermögen usw.) darstellen würden und darauf abzielen den Ermittlungszweck zwangsweise zu verwirklichen (Beschluss des OGH v. 16. 3. 1976, Keishu Bd. 30, H. 2, S. 187). 54 Die
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legungsbefehl), (3) Sicherung vom Beweismaterialien (d. h. Sammlung von Informationen, z. B. Augenschein56, Verhör, Begutachtung). c) Festnahme Festnahme meint eine kurze Freiheitsentziehung des Beschuldigten als eine Maßnahme, die als Vorstufe der Untersuchungshaft durchgeführt wird. Die Verfassung regelt, dass die Festnahme in der Regel nur mit Haftbefehl erlaubt ist (§ 33). Den auf frischer Tat betroffenen Täter darf allerdings jedermann festnehmen. Daneben kennt die StPO noch die Festnahme im Notfall (§ 210 StPO), für die auch kein Haftbefehl nötig ist. aa) Normale Festnahme Sie erfolgt auf Grund eines Haftbefehls. Bestimmte Polizisten oder Staatsanwälte können einen solchen bei einem Richter beantragen (§ 199 Abs. 1 StPO). Dabei muss ein hinreichender Grund für den Verdacht, der Beschuldigte habe die Tat begangen, vorhanden sein (§ 199 Abs. 2 StPO). Falls die Notwendigkeit einer Festnahme nicht klar ist, darf der Richter keinen Haftbefehl erlassen. bb) Festnahme bei Betreffen auf frischer Tat Jeder kann den auf frischer Tat betroffenen Täter ohne Haftbefehl festnehmen (§ 213 StPO, § 33 Verf.). Auf frischer Tat betroffen ist derjenige, der noch bei der Tatausführung oder unmittelbar danach angetroffen wird (§ 212 Abs. 1 StPO). Die StPO kennt noch die Festnahme bei einer quasi-frischen Tat, bei der ebenfalls eine Festnahme ohne Haftbefehl möglich ist (§ 212 Abs. 2 StPO): „Jemand wird als auf frischer Tat betroffen angesehen, soweit ein (äußerlich) klar erkennbarer zeitlicher Zusammenhang zur Tat besteht; dies ist der Fall: (1) Wenn er ohne zeitlichen Abstand nach seiner Tat57 als Täter verfolgt wird, (2) Wenn er die Beute der Straftat oder eine Mordwaffe58 oder sonstige Sachen besitzt, die ersichtlich bei der Straftat verwendet worden sind, (3) Wenn sein Körper oder seine Kleidung auffällige Spuren der Straftat aufweist, (4) Wenn er fliehen will, obwohl er angerufen wird.“ 56 Die wörtlich als „Erweisung“ zu übersetzende Zwangsmaßnahme zielt darauf ab, bezüglich eines Orts, einer Sache oder einer Person deren Gestalt und Zustand unter Anwendung der fünf Sinne zu erkennen. 57 „Ohne zeitlichen Abstand nach seiner Tat“ wird bei der „quasi-frischen Tat“ etwas weiter und zeitlich länger verstanden als „unmittelbar nach der Tatausführung“ bei der „frischen Tat“ (§ 212 Abs. 1). Die Lehrmeinung verlangt eine restriktive Auslegung des Begriffs des „zeitlichen Abstandes“. 58 „Mordwaffe“ bedeutet hier nicht zwangsläufig eine zum Mord eingesetzte Waffe, sondern allgemeiner eine Waffe, die für die Straftat verwendet wurde.
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cc) Notfestnahme Wenn erstens die begangene Straftat schwer59 ist, zweitens hinreichender Verdacht60 besteht und drittens ein Notfall vorliegt, wenn also schnell gehandelt werden muss und ein richterlicher Haftbefehl aktuell nicht beantragt werden kann, dürfen die Ermittlungsorgane den Beschuldigten auch ohne Haftbefehl festnehmen. In diesem Fall können sie den Verdächtigen festnehmen, wobei sie ihm mitteilen müssen, welcher Straftat er verdächtigt wird. Anschließend muss unmittelbar ein richterlicher Haftbefehl beantragt werden (§ 210 StPO). d) Verfahren nach der Festnahme Nach der Festnahme muss der Beschuldigte zur Polizei, Landesstaatsanwaltschaft oder Amtsstaatsanwaltschaft gebracht werden (§§ 214, 215, 216 StPO). Dem Festgenommene muss durch einen Polizisten eines bestimmten Dienstgrades, der ihn nach der Festnahme in Empfang nimmt oder der ihn selber festgenommen hat, unmittelbar mitgeteilt werden, welcher Straftat er verdächtig ist, ihn fragen, ob er einen Verteidiger hat, ihn – wenn er keinen hat – darüber belehren, dass er das Recht auf einen Verteidiger hat, und ihm schließlich die Gelegenheit zur mündlichen Stellungnahme geben (§§ 216, 203 Abs. 1, 2 StPO). Wenn die Polizei es für notwendig hält, dass der Festgenommene noch in Haft bleibt, muss sie innerhalb von 48 Stunden das Verfahren beginnen und ihn mit Urkunden und Beweismitteln der Staatsanwaltschaft zuführen (§ 203 Abs. 1, 3 StPO). Wenn auch der Staatsanwalt die Fortdauer der Haft für notwendig hält, muss er innerhalb von 48 Stunden seit dem Empfang des Beschuldigten und innerhalb von 72 Stunden seit der Festnahme des Beschuldigten Untersuchungshaft beantragen oder die öffentliche Klage erheben. Ansonsten muss er ihn unmittelbar entlassen (§ 205 StPO). e) Untersuchungshaft Die Untersuchungshaft hat den Zweck, eine Flucht des Beschuldigten oder Angeklagten oder die Vernichtung von Beweisen durch diesen zu verhindern (§ 60 Abs. 1, § 207 Abs. 1 StPO). Voraussetzungen der Untersuchungshaft sind ein „hinreichender Grund für die Untersuchungshaft“ und die „Notwendigkeit der Untersuchungshaft“. Für einen hinreichenden Haftgrund ist es erforderlich, dass der Täter hinreichend verdächtig ist, die Straftat begangen zu haben. Für die Bejahung der „Notwendigkeit“ muss dann noch eine der folgenden drei Fallgruppen 59 Eine Straftat ist in diesem Zusammenhang „schwer“, wenn die obere Grenze ihres Strafrahmens Todesstrafe, Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren ist. 60 „Hinreichender Verdacht“ in § 210 StPO ist gegenüber dem „adäquaten Verdacht“ (§ 60 StGB) der intensivere Verdachtsg rad.
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vorliegen: (1) der Täter hat keine feste Anschrift, (2) es besteht der hinreichende Verdacht, dass der Täter Beweise vernichten will, oder (3) es besteht der hinreichende Verdacht, dass der Täter fliehen will. Die Haft ist auf zehn Tage seit dem Tag der Antragstellung (§ 208 Abs. 1 StPO) befristet. Der Richter kann diese Frist auf Antrag der Staatsanwaltschaft verlängern, wenn die Fortdauer der Haft unvermeidlich erscheint. Die Fristverlängerung darf insgesamt 10 Tage nicht überschreiten (§ 208 Abs. 2 StPO)61. f) Durchsuchung und Beschlagnahme Die Verfassung ordnet an: „Ausgenommen im Fall des § 33 (Festnahme) darf niemand hinsichtlich seiner Wohnung, Akten und Habseligkeiten einem Eindringen (in den eigenen Herrschaftsbereich), einer Durchsuchung oder Beschlagnahme unterworfen werden, es sei denn, ein richterlicher Befehl62 ist vorhanden, in dem die betreffende Sache, der zu durchsuchende Ort oder die zu beschlagnahmende Sache genau beschrieben werden“ (§ 35 Abs. 1 Verf.). Staatsanwälte, Staatsanwaltssekretäre oder justizielle Polizisten können mit einem solchen richterlichen Befehl eine Durchsuchung oder Beschlagnahme durchführen (§ 218 Abs. 1, 4 StPO). Der Richter weist den Antrag zurück, wenn eine Voraussetzung für den Befehl nicht erfüllt ist. Ausnahmsweise kann die Durchsuchung oder Beschlagnahme ohne richterlichen Befehl durchgeführt werden, wenn sie am Ort der Festnahme des Beschuldigten benötigt wird (§ 220 Abs. 1, Nr. 2 StPO). 3. Klageerhebung a) Anklagemonopol und Einheitlichkeit der Staatsanwaltschaft § 247 StPO lautet: „Die öffentliche Klageerhebung führt die Staatsanwaltschaft durch“. Der Vorschrift lässt sich neben der Entscheidung für den „Anklageprozess“ auch der „Grundsatz der Strafverfolgung durch den Staat“ und das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft entnehmen. In Japan ist der „Grundsatz der einheitlichen Staatsanwaltschaft“ wichtig. Das System der Staatsanwaltschaft ist eine einheitliche Hierarchie mit dem Generalstaatsanwalt als Spitze. Die jeweils Übergeordneten haben die Befugnis zur Führung und Kontrolle der jeweils Untergeordneten (§§ 7 – 10 StAnwG). Die Staatsanwaltschaft ist letzten Endes dem Justizminister untergeordnet. Der Justizminister kann aber nur den Gene61 Bei bestimmten Straftaten wie Rebellion (§ 77 StGB) kann die Frist noch um fünf Tage verlängert werden (§ 208 a StPO). 62 Es gibt einen Streit über den Charakter des „richterlichen Befehls“: Die herrschende Meinung interpretiert ihn als „Erlaubnisbrief“. Nach der Mindermeinung, die die Ermittlung vom Standpunkt des Modells der Akkusationsermittlung erklärt, wird er als „Befehl“ verstanden.
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ralstaatsanwalt führen (§ 14 StAnwG). Während das Verhältnis zwischen Justizministerium und Generalstaatsanwaltschaft relativ unabhängig ist, ist das Verhältnis innerhalb der Staatsanwaltschaft meines Erachtens zu strikt und zu streng hierarchisch. Der stets betonte Einheitsgedanke, der individuelle Freiheiten stark einschränkt, ist oft nicht hilfreich, sondern fördert vielmehr häufig Mängel der bürokratischen Ordnung zutage. b) Opportunitätsprinzip Die japanische StPO verfolgt nicht das „Legalitätsprinzip“, sondern das „Opportunitätsprinzip“. Auch bei hinreichendem Tatverdacht und Vorliegen der Prozessvoraussetzungen kann die Staatsanwaltschaft nach ihrem Ermessen auf eine Klageerhebung verzichten63. „Die Staatsanwaltschaft muss keine Anklage erheben, wenn eine Strafverfolgung nach Charakter, Lebensalter und Lebensverhältnissen des Täters, der Schwere der Straftat oder den Tatumständen sowie den Umständen nach der Straftat nicht erforderlich ist“ (§ 248 StPO). Problematisch am Opportunitätsprinzip ist, dass die Staatsanwaltschaft allein über die Klageerhebung wegen einer bestimmten Straftat entscheiden kann. Deswegen ist eine Kontroll-Institution geschaffen worden. Das „Gesetz zum Staatsanwaltschaftsberatungskomitee“ (StAnwBerKomG von 1948) beschreibt sein Ziel wie folgt: Das Komitee wird errichtet, um durch die Berücksichtigung der Volksmeinung die Richtigkeit der Durchführung des Klageerhebungsrechts zu gewährleisten (§ 1 Abs. 1 StAnwBerKomG). Das Komitee berät bei unterbliebener Klageerhebung durch die Staatsanwaltschaft, ob diese Entscheidung rechtens war oder nicht. Bis 2004 hatte diese Entscheidung für die Klageerhebung keine rechtliche Bindungskraft. Nach der Gesetzesreform von 2004 ist, wenn die Staatsanwaltschaft nach einer ersten Entscheidung des Komitees für eine Klageerhebung gleichwohl keine Klage erhoben hat, eine zweite Entscheidung des Komitees für eine Klageerhebung rechtlich verbindlich. Damit ist die Klage erzwungen. Dabei wird ein Rechtsanwalt durch ein Gericht als Ankläger benannt (§ 41 h StAnwBerKomG).
63
Der sog. „deal“ war bisher nicht anerkannt. Am 24. Mai 2016 wurde die StPO teilweise reformiert. Dabei wurde der Abschnitt 4, mit dem Titel „Verständigung bezüglich der Kooperation zur Beweiserhebung und Strafverfolgung“ in die StPO (§ 350 a ff.) eingefügt. Dieser Abschnitt soll im Juni 2018 in Kraft treten. Durch die Einfügung dieser Vorschriften ist die Verständigung zwischen Staatsanwalt und Beschuldigtem oder Angeklagtem im Strafprozessrecht zum ersten Mal normiert. Inhalt und Gegenstand der Verständigung drücken den Charakter der Vorschriften als Kronzeugenregelung aus. Denn die wesentliche Voraussetzung der Verständigung ist die Aussage bei der Vernehmung nicht hinsichtlich einer eigenen, sondern einer bestimmten „fremden Tat“. Auf Grund der Aussage usw. von Beschuldigten oder Angeklagten kann der Staatsanwalt keine Anklage erheben oder die Anklage widerrufen usw. (§ 350 a).
96
D. Verwirklichung des Strafrechts und deren Akteure
c) Anklageschrift und Verhinderung von Vorverurteilungen Der Staatsanwalt muss die Klage durch Einreichen einer Anklageschrift beim zuständigen Gericht erheben (§ 256 Abs. 1 StPO). Die Anklageschrift muss folgende Informationen beinhalten (§ 256 Abs. 2 StPO): (1) den Namen des Angeklagten bzw. – wenn dieser nicht bekannt ist – die Umstände, die eine genaue Bestimmung der Person des Angeklagten ermöglichen, (2) die angeklagte Straftat und (3) die Bezeichnung des Straftatbestandes. „Der Anklageschrift dürfen keine Akten oder sonstige Materialien beigelegt werden, die die Besorgnis begründen, beim Gericht eine Vorverurteilung bezüglich des Falls entstehen zu lassen; der Inhalt dieser Akten oder sonstigen Materialien darf auch nicht zitiert werden“ (§ 256 Abs. 6 StPO). Dieser Grundsatz wird als „Grundsatz der Singularität der Anklageschrift“ bezeichnet. Der Zweck dieses Grundsatzes liegt darin, dass eine Vorverurteilung durch den Richter vor der Beweisaufnahme vermieden werden soll. Die Anklageschrift hat nur den Sinn, die Straftat von Seiten der Staatsanwaltschaft zu behaupten. In der alten StPO wurden, wie im deutschen Strafverfahren64, nach dem Grundsatz der materiellen Wahrheit alle Ermittlungsakten und Beweismittel bei der Klageerhebung dem Gericht vorgelegt. Nach der geltenden StPO wird es nach dem Parteigrundsatz als wichtiger angesehen, die Bildung von Vorverurteilungen zu verhindern. So wird z. B. die Tatsache, dass der Angeklagte wegen Betruges vorbestraft ist, nicht in eine Anklageschrift eines Betrugsfalls aufgenommen, da andernfalls die Gefahr bestünde, beim Gericht könne eine Vorverurteilung gegen den Angeklagten entstehen.65 4. Hauptverfahren Nach der Klageerhebung findet in der Regel die Hauptverhandlung statt. Die Hauptverhandlung besteht der Reihenfolge nach aus dem Eingangsaussageverfahren, der Beweisaufnahme, der Schlussbemerkung und dem Entscheidungsspruch. Der Vorsitzende fragt den Angeklagten zuerst nach seiner Identität. Dann liest der Staatsanwalt die Anklageschrift vor, da das Gericht sein Urteil nur auf mündlich vorgetragene Materialien stützen darf (§ 291 Abs. 1 StPO). Der Vorsitzende muss den Angeklagten alsdann über sein Schweigerecht und seine sonstigen Rechte belehren. a) Die Grundsätze des Hauptverfahrens Die Grundsätze der Hauptverhandlung sind der Grundsatz der Öffentlichkeit, der Grundsatz der Mündlichkeit und der Grundsatz der Unmittelbarkeit. Die Re64 Vgl. § 200 Abs. 1 dStPO. „In ihr sind ferner die Beweismittel, das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, und der Verteidiger anzugeben“. 65 Urteil des OGH v. 5. 3. 1957, Keishu Bd. 6, H. 3, S. 351.
IV. Grundstruktur des japanischen Strafprozesses
97
gelung in der Verfassung lautet: „Die Verhandlung und die Entscheidung sollen in einem öffentlich zugänglichen Gerichtssaal stattfinden“ (§ 82 Abs. 1). Den Bürgern wird das Recht auf Anwesenheit bei Verhandlungen und Entscheidungen garantiert. Das Mündlichkeitsprinzip steht dem Urkundenprinzip gegenüber. Es besagt, dass das Urteil nur auf mündlich vorgetragene Materialien gegründet werden darf (§ 43 Abs. 1 Verf.). Die Beweisaufnahme der Urkunden wird mit der Verlesung durchgeführt (§ 305 StPO). Der Grundsatz der Unmittelbarkeit besagt, dass das Gericht nur auf der Grundlage unmittelbar gewonnener Beweise zu seinem Urteil gelangen darf. Das bedeutet, dass bei der Hauptverhandlung eine Entscheidung nur mit den durch das Gericht unmittelbar im Gerichtssaal erhobenen Beweisen erreicht werden kann. b) Beweisaufnahmeverfahren Das Beweisaufnahmeverfahren läuft ungefähr so ab: (1) Eingangsaussage. Zuerst muss der Staatsanwalt die Tatsache darstellen, die nunmehr durch den Beweis nachgewiesen werden soll (§ 296 StPO). Auch hier darf der Staatsanwalt nicht auf die zur Vermeidung von Vorverurteilungen ausgeschlossenen Materialien zu sprechen kommen (§ 296 S. 2 StPO). (2) Beweisaufnahme. Zunächst muss ein Antrag auf Beweisaufnahme durch eine Partei gestellt werden. Die StPO folgt dem Parteigrundsatz, deswegen muss der Staatsanwalt, der Angeklagte oder dessen Verteidiger die Beweisaufnahme beantragen (§ 298 Abs. 1). Allerdings kann das Gericht, wenn nötig, nach dem Ermittlungsgrundsatz auch von Amts wegen eine Beweisaufnahme durchführen (Abs. 2). Die Entscheidung für oder gegen den Antrag auf Beweisaufnahme erfolgt durch einen „Beschluss“ (Beweisbeschluss). Für die Beweisaufnahme kommen in Frage: Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, Befragung des Angeklagten66, Verlesen der Beweisurkunden (§ 35 Abs. 1 StPO) und Präsentation des übrigen Beweismaterials. (3) Schlussworte. Wenn alle Beweisaufnahmen beendet sind, werden die Schlussvorträge der Parteien zur zusammenfassenden Bewertung des Falles gehalten. Der Staatsanwalt trägt dabei über die Strafzumessung vor, was man als „Strafforderung“ bezeichnet. 5. Saiban’in Saiban (Schöffengericht) a) Einführung von Saiban’in Saiban 2001 wurde das „Hauptquartier für die Förderung der Reform des Justizsystems“ im damaligen Kabinett eingerichtet. Darin wurde ein Reformvorschlag erarbeitet, dessen Kern darin bestand, ein System zur „Beteiligung der Bürger 66 Die „Vernehmung“ eines Angeklagten ist wegen seines Schweigerechtes (§ 38 Abs. 1 Verf. und § 311 Abs. 1 StPO) nicht erlaubt.
98
D. Verwirklichung des Strafrechts und deren Akteure
an der Strafjustiz“ zu schaffen. Am 28. Mai 2004 ist das „Gesetz betreffend der Strafverfahren, an denen Schöffen beteiligt sind“ (SchöffenG, 2004, Gesetz-Nr. 63) veröffentlicht worden. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes am 21. Mai 2009 wurde das Schöffengericht in Japan eingeführt67. Der Zweck der Einführung dieses Institutes lag darin, das Verständnis der Bürger von der Justiz zu fördern und ihr Vertrauen in die Justiz zu stärken (§ 1 SchöffenG). Eine Beteiligung der Bürger an Strafverfahren war aber bereits schon einmal eingeführt worden, und zwar in Form des Jury-Systems. Das Jurygesetz (1923, Gesetz-Nr. 50)68 ist am 1. 10. 1928 in Kraft getreten und wurde am 1. 4. 1943 durch das „Gesetz zur Außerkraftsetzung des Jurygesetzes“ aufgehoben69. b) Zuständigkeit des Schöffengerichts Die Zuständigkeit des Schöffengerichts ist auf folgende Fälle beschränkt (§ 2 Abs. 1 SchöffenG): (1) Fälle, in denen die Straftaten mit Todesstrafe, unbefristetem Zuchthaus oder Gefängnis bedroht sind, (2) Fälle, die in § 26 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtsgesetzes genannt sind (gesetzliches Kollegialgericht70) und (3) Fälle, in denen es um Straftaten geht, bei denen der Tod des Opfers durch vorsätzliches Handeln verursacht worden ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 SchöffenG). Wenn Umstände vorliegen, nach denen eine Gefahr für Leben, Leib oder Vermögen des Schöffen besteht, wird der Fall aus dem Zuständigkeitsbereich des Schöffengerichts herausgenommen (§ 3 SchöffenG). Der Spruchkörper besteht in der Regel aus drei Richtern und sechs Laien (§ 2 Abs. 2 SchöffenG), kann aber in Fällen, in denen die Tatfrage nicht bestritten wird, aus einem Richter und vier Laien bestehen (§ 2 Abs. 2 S. 2 ff. SchöffenG). Innerhalb des Spruchkörpers haben Richter und Laien dieselben Befugnisse bei Tatsachenfeststellung, Gesetzesanwendung und Strafzumessung. 67 Dazu ausführlicher Makoto Ida, Laienbeteiligung im Strafverfahren: die letzte Hoffnung auf Rettung des japanischen Strafprozesses? in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Strafrechtlicher Reformbedarf, Materialien einer deutsch-japanisch-polnisch-türkischen Tagung im Jahre 2015 in Rzeszόw und Krakau (Polen), Wydawnistwo Nauka i Innowacje, Poznań 2016, S. 241 ff. 68 Schwurgerichtsordnung vom 18. April 1923 (Übersetzt von Hyoichiro Kusano/ Tadao Sugiura/Fritz Bartelt), in: Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher Nr. 44, 1927, S. 1 ff. 69 Der Hauptgrund der Aufhebung lag darin, dass dieses System für den Angeklagten nicht sonderlich vorteilhaft war, weil er gegen eine Verurteilung keine Berufung einlegen konnte. 70 Das Gerichtsgesetz hat die Fälle gesetzlich geregelt, in denen das LG die Sache als Kollegialgericht, das aus drei Richtern besteht, behandeln muss (§ 26 Abs. 2 StPO). Sonst urteilt der Einzelrichter. Das OG wird im Gerichtsgesetz in der Regel als Kollegialgericht behandelt, in manchen Fällen besteht der Spruchkörper aus fünf Richtern (§ 18 Abs. 1 u. 2 StPO).
IV. Grundstruktur des japanischen Strafprozesses
99
c) Stellung, Befugnisse und Pflichten der Schöffen Ein Schöffe übt sein Amt unabhängig aus (§ 8 SchöffenG). Er soll „sein Amt nach Gesetz und Verordnung fair und ehrlich ausüben“ (§ 9 Abs. 1 SchöffenG). Die Auswahl der Schöffen wird unter denjenigen getroffen, die das aktive Wahlrecht für das Unterhaus besitzen (§ 13 SchöffenG). Bei der Beratung des Falles muss der Schöffe seine Meinung äußern (§ 66 Abs. 2 SchöffenG). Bei der Abstimmung über die Entscheidung des Schöffengerichts entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen aller Mitglieder des Spruchkörpers, also Richter und Schöffen (§ 67 Abs. 1 SchöffenG). Schöffen dürfen auch nach Beendigung ihrer Amtszeit weder die Einzelheiten der Abstimmung noch sonstige Geheimnisse, die ihnen bei der Amtsausübung bekannt geworden sind, verraten. Verstöße dagegen werden mit Zuchthausstrafe bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 500.000 Yen bestraft (§ 108 SchöffenG). Dieser Tatbestand wird häufig als zu streng gegenüber den Schöffen kritisiert. Manchmal dauert die Hauptverhandlung sehr lang, die bisher längste Verhandlung erstreckte sich über 140 Tage. Derart lange Verhandlungen stellen eine erhebliche Last für die Schöffen dar. Deshalb wurde 2015 eine neue Vorschrift eingeführt, die Schöffen bei „erheblich langen“ Verhandlungen entlastet.
E. Sanktionssystem in Japan I. Strafe 1. Einspuriges System Das geltende japanische StGB enthält folgende Regelung der Strafarten: „Todes-, Zuchthaus-, Gefängnis-, Geldstrafe, Haft und Geldbuße sind Hauptstrafen. Einziehung ist Nebenstrafe“ (§ 9). Das japanische StGB kennt keine Maßregeln, stellt also ein sog. einspuriges Sanktionssystem dar. In anderen Gesetzen lassen sich Maßregeln finden, wie die „Schutzmaßregel“ für Jugendliche in § 24 des Jugendgesetzes (1948, Gesetz-Nr. 168) oder die „Pflegemaßnahmen“ (Hodoshobun) für abgeurteilte Prostituierte nach § 17 des Prostitutions-Verhütungsgesetzes1 (1956, Gesetz-Nr. 118). 2. Todesstrafe a) Vollstreckung der Todesstrafe „Die Todesstrafe wird in einer Strafanstalt durch Erhängen vollstreckt“ (§ 11 Abs. 1). Mit „Strafanstalt“ ist hier die Anstalt für Untersuchungshaft gemeint. Absatz 2 lautet: „Der zur Todesstrafe Verurteilte wird bis zu deren Vollstreckung in einer Strafanstalt interniert“. Das heißt, diese Internierung ist keine Form der Freiheitsstrafe, sondern nur eine Freiheitentziehung während der Wartezeit im Hinblick auf die Strafvollstreckung. Die Todesstrafe wird in einem Raum in der Untersuchungshaftanstalt vollstreckt. Die Vollstreckung der Todesstrafe wird auf Befehl des Justizministers durchgeführt (§ 475 StPO). Am Vormittag des betreffenden Tages werden fünf Mitglieder des Personals in die Anstalt gerufen. Sie müssen sich räumlich getrennt vom Delinquenten nebeneinander aufstellen, in einem anderen Zimmer oder auf dem Korridor. Auf ein Signal hin müssen sie gleichzeitig je einen von fünf Knöpfen drücken, von denen nur einer mit der 1 In dem in Tokyo errichteten Frauen-Pflegehaus (Fujin-Hodoin) waren innerhalb der letzten zehn Jahre nur drei Personen gleichzeitig inhaftiert. Zu Beginn (1958) wurden drei Frauen-Pflegehäuser in Tokyo, Osaka und Fukuoka eingerichtet. Zurzeit ist das Frauen-Pflegehaus in Tokyo das einzige seiner Art. Seit 1990 werden nur noch eine bis vier Frauen pro Jahr in das Haus aufgenommen. Seit den 2010er Jahren sank die Zahl weiter, so wurde in den Jahren 2011, 2012 und 2014 jeweils nur eine Frau aufgenommen (Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 48). Die Obergrenze der Unterbringungsfrist beträgt sechs Monate (§ 18 Prostitutions-Verhütungsgesetz).
I. Strafe
101
Falltür verbunden ist, auf der sich der zum Tode Verurteilte befindet. Um seinen Hals wird ein Seil gewunden. Beim Drücken des betreffenden Knopfes öffnet sich die Falltür unter dem Verurteilten und er stürzt in die darunterliegende Etage. Dort warten Arzt und Staatsanwalt. Der Arzt untersucht den Verurteilten und bestätigt seinen Tod. b) Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe Der OGH hat schon früh in einer Entscheidung2 die Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe bestätigt. Die Verfassung verbietet eine „grausame Strafe“ (§ 36). Nach der Entscheidung des OGH ist eine „grausame Strafe“ eine solche, die unnötige seelische und körperliche Schmerzen beinhaltet und vom humanistischen Standpunkt aus als grausam zu beurteilen ist. Dies sei bei der Todesstrafe nicht der Fall. c) Gesellschaftliche Einstellung zur Todesstrafe Wie sich aus der nachfolgenden Tabelle ergibt, erreichte 1975 die Anzahl der Befürworter der Todesstrafe ihren geringsten Stand. Nach kontinuierlichem Anstieg waren im Jahr 2009 sogar 85,6 % der Bevölkerung für die Todesstrafe. Die zweite Tafel zeigt die Anzahl der Verurteilungen zur Todesstrafe. Tabelle 1 Ergebnisse der Umfragen zur Todesstrafe durch das Kabinettsamt (1956 – 2009)3 Datum der Umfrage
2
Für Erhaltung
Für Abschaffung
Unentschieden
04. 1956
65,0 %
18,0 %
17,0 %
06. 1967
70,0 %
16,0 %
13,5 %
05. 1975
56,9 %
20,7 %
22,5 %
07. 1980
62,3 %
14,3 %
23,4 %
06. 1989
66,5 %
15,7 %
17,8 %
06. 1994
73,8 %
13,6 %
12,6 %
09. 1999
79,3 %
8,8 %
11,9 %
12. 2004
81,4 %
6,0 %
12,5 %
12. 2009
85,6 %
5,7 %
8,6 %
Urteil des OGH v. 30. 6. 1948, Keishu Bd. 2, H.7, S. 777.
3 http://www.moj.go.jp/content/000053168.
E. Sanktionssystem in Japan
102
Tabelle 2 Überblick über die Anzahl der Verurteilungen zur Todesstrafe in erster Instanz von 2004 bis 2015 Jahr
04
05
06
07
08
09
10
11
12
13
14
15
Gesamtzahl
14
13
13
14
5
9
4
10
3
5
2
4
Tötung
9
11
2
10
3
5
3
3
2
2
–
2
Raub mit Todesfolge
5
2
11
4
2
4
1
7
1
3
2
2
Aus: Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 40.
3. Freiheitsstrafe a) Arten der Freiheitsstrafe Freiheitsstrafe wird als Zuchthausstrafe oder Gefängnisstrafe4 verhängt. Der Unterschied zwischen beiden liegt in der Ausgestaltung der Strafe: Bei einer Zuchthausstrafe wird der Strafgefangene „in einer Strafanstalt untergebracht und geht dort einer geregelten Arbeit nach“ (§ 12 Abs. 2). Bei einer Gefängnisstrafe ist der Gefangene dagegen nicht zur Arbeit verpflichtet. Beide Arten der Freiheitsstrafen treten in den Formen einer zeitlich unbegrenzten und einer zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe auf (§ 12 Abs. 1 und § 13 Abs. 1). Die Höchstdauer der zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe betrug früher fünfzehn Jahre. Durch die Strafrechtsreform von 2004 wurde die obere Grenze des Strafrahmens der zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe auf 20 Jahre heraufgesetzt (§ 12 Abs. 1 u. § 13 Abs. 1). Bei Berücksichtigung aller qualifizierenden Umstände ergibt sich sogar eine obere Grenze des Strafrahmens von bis zu 30 Jahren (§ 14 Abs. 1). Zur Begründung der Heraufsetzung der oberen Grenze des Strafrahmens wird mit der gestiegenen Lebenserwartung der Strafgefangenen argumentiert. Vergleicht man die jetzige durchschnittliche Lebenserwartung mit der durchschnittlichen Lebenserwartung am Anfang des 20. Jahrhunderts und setzt sie mit der Höchstfreiheitsstrafe ins Verhältnis, so entsprechen 15 Jahre damals etwa 20 Jahren heute. Wenn ein 30-Jähriger damals mit einer Zuchthausstrafe von 15 Jahre bestraft wurde, hatte er nach Verbüßung der Strafe nur noch etwa 10 bis 15 Jahre Lebenszeit vor sich. Heute dagegen kann er mit einer verbleibenden Lebenszeit von 25 bis 30 Jahren rechnen, auch wenn er 20 Jahre in der Strafanstalt verbringen musste. 4 Historisch wurde die Gefängnisstrafe eigentlich als die ehrenhaftere Strafe angesehen, die bei leichteren Straftaten wie Fahrlässigkeitsdelikten oder bei politischen Verbrechen verhängt wurde. Im geltenden StGB werden Hochverrat (§ 78), Beihilfe zum Hochverrat (§ 79), Verletzung des Neutralitätsbefehls während eines Krieges (§ 94), Amtsmissbrauch durch Beamte (§ 193) und Amtsmissbrauch durch Sonderbeamte (§ 194) usw. jeweils mit Gefängnisstrafe bedroht. Neuerdings plant das Justizministerium, die Differenzierung zwischen Gefängnis und Zuchthaus abzuschaffen.
I. Strafe
103
b) Strafanstaltsgesetz Das alte Gefängnisgesetz (Kangokuho) ist gleichzeitig mit dem noch heute geltenden StGB im Jahre 1908 in Kraft getreten und hat bis 2006 gegolten5. Der Grund, warum dieses alte Gesetz bis in die Gegenwart in Kraft geblieben ist, liegt darin, dass es nur den formellen Rahmen der Strafanstaltsverwaltung geregelt hat und das materielle Strafvollzugsrecht in anderen Verordnungen wie der „Verordnung für einen progressiven Strafvollzug“ (1933) oder der „Verordnung für die Einführung des Gefängnisgesetzes“ von 1908 geregelt war. Es gab seit langem Reformbedarf, denn das Gefängnisgesetz, das – wie gesagt – ein bloßes Anstaltsverwaltungsgesetz war, entsprach schon nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr den modernen Gedanken der Resozialisierung und der Rechtsstaatlichkeit des Verhältnisses zwischen Staat und Gefangenen. Es gab schon vor, aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg einige erfolglose Reformversuche. Die Reform des Gefängnisgesetzes wurde trotzdem lange nicht verwirklicht. Die materiellen Regelungen zur Behandlung der Gefangenen sind durch die Änderungen anderer Gesetze, durch untergeordnete Verordnungen oder durch Ministerialerlasse vielfach geändert und dadurch den modernen Tendenzen und Anforderungen angepasst worden. Im Jahre 1976 hat der Justizminister beantragt, dass sich das Gesetzgebungskomitee mit der Beratung über die Notwendigkeit einer Reform des Gefängnisgesetzes befasst. Am 25. 11. 1980 hat das Komitee dem Justizminister einen „Grundriss der Kernpunkte der Reform des Gefängnisgesetzes“ übergeben. Der „Entwurf des Strafanstaltsgesetzes“ wurde mehrmals vergeblich dem Parlament vorgelegt. Ein neuer Anlauf zu einer Gefängnisreform ist nach langer Zäsur erst in diesem Jahrhundert wieder unternommen worden. Anlass waren der Tod eines Gefangenen, der durch Strafanstaltsbeamte 2001 in der Strafanstalt von Nagoya verursacht wurde und große Aufregung in der Gesellschaft hervorrief, sowie weitere Missbrauchsfälle6. Das Justizministerium hat aus diesem Anlass ein „Komitee für eine 5 Übersetzung von „Strafvollzugsgesetz vom 28. März 1908“ (Übersetzt von Toshita Tokiwa/Werner Gentz), (Sammlung Außerdeutscher Strafgesetze Nr. 44), 1927, S. 23 ff. Zur Strafvollzugsgeschichte im modernen Japan vgl. Seiji Ozawa, Gyokei no Kindaika (Modernisierung des Strafvollzugs), 2014, S. 3 ff. 6 Es gab in den Jahren 2001 und 2002 drei Fälle von Gewaltausübung in der Strafanstalt von Nagoya: Beim ersten, dem sog. Wasser-Abfluss-Fall vom 14. 12. 2001 haben Wächter, darunter einer in einer Führungsposition, einen nackten Gefangenen in einer Schutzzelle zu Tode gebracht, indem sie durch einen Wasserstrahl eines Abflusses, der auf den After des Gefangenen gerichtet war, dessen Mastdarm verletzten. Die Angeklagten wurden am 4. 11. 2005 durch das LG Nagoya als Täter oder Gehilfe wegen „Amtsmissbrauch durch einen Sonderbeamten mit Todesfolge“ (§ 196 StGB) verurteilt (Urteil des LG Nagoya v. 4. 11. 2005, LEX/DB). Die beiden anderen Fälle waren der sog. Lederhandfessel-Fall vom 27. 5. 2002, der durch zwei Wächter begangen wurde, und ein Fall vom 25. 9. 2002, der durch fünf Wächter als Züchtigung gegenüber einem Strafgefangenen begangen wurde.
104
E. Sanktionssystem in Japan
Strafvollzugsreform“ geschaffen, das aus privaten Fachleuten bestand, um einen Reformvorschlag für den Strafvollzug zu entwickeln. Das Komitee übergab dem Justizministerium am 22. 12. 2003 einen „Vorschlag des Komitees zum Strafvollzug“. Dadurch wurde die Reform des Gefängnisgesetzes eingeleitet. Die Reform erfolgte in zwei Stufen: Zuerst wurde das „Gesetz betreffend die Strafanstalten und die Behandlung der Strafgefangenen usw. “ (2005, Gesetz-Nr. 50) veröffentlicht. Dabei sind die Regelungen zu den Untersuchungsgefangenen und zu den zum Tode Verurteilten im Gefängnisgesetz verblieben. Gleiches gilt für die Regelungen zum sog. Ersatz-Gefängnis (Daiyo-Kangoku), bei dem es sich um eine Haftzelle (Ryuchijo) im Polizeipräsidium handelt. Diese Zellen sind eigentlich für kurzzeitige Festnahmen bestimmt, wurden aber lange auch für die Durchführung der Untersuchungshaft genutzt. Die Frage, ob das Ersatz-Gefängnis abgeschafft werden muss, war wegen der Gefahr einer Verletzung der Menschenrechte eine wichtige Problematik der Reform. In der zweiten Stufe der Reform wurde am 2. 6. 2006 das „Gesetz betreffend die Strafanstalten für die Internierung und die Behandlung des Inhaftierten usw.“ (Strafinternierungsanstaltsgesetz, kurz StrIntAnstG, Gesetz-Nr. 58) verkündet7, das eine reformierte Fassung des Gesetzes von 2005 mit einem geänderten Titel darstellt. Damit wurde auch das Gefängnisgesetz vollständig abgeschafft. c) Statistische Angaben zum Strafvollzug aa) Anzahl der Strafanstalten Zunächst soll ein Überblick über die Situation des Strafvollzugs in den letzten Jahren gegeben werden: 2016 gab es in Japan 77 Strafanstalten für Erwachsene, darunter vier „Zentren für die Förderung der Resozialisierung“, sieben Jugendstrafanstalten und acht Inhaftierungshäuser für die Untersuchungshaft. Dazu kommen noch acht Zweigstellen der Strafanstalten und 103 Zweigstellen der Inhaftierungshäuser. bb) Neue Strafanstalten durch Public-private-Partnership Die „Zentren für die Förderung der Resozialisierung“ sind nach dem „Gesetz zur Förderung der Instandsetzung öffentlicher Anstalten durch die Verwendung privater Finanzierung“ (1999, Gesetz-Nr. 117) errichtet worden. Diese Strafanstalten werden im Wege der „Private Finance Initiative“ (PFI) betrieben, Vgl. Yamanaka, a .a. O., Strafrechtsreform seit 2000, in: Joerden/Szwarc (Hrsg.), Strafrechtlicher Reformbedarf, 2016, S. 13 ff., bes. S. 26 f. 7 Vgl. Hayashi, Makoto/Kitamura, Atsushi/Natori, Toshiya, Chikujo Kaisetsu Keiji Shuyoshisetsu Ho (Kommentar zum Strafinternierungsanstaltsgesetz), Revidierte Aufl. 2013, S. 3 ff.
I. Strafe
105
eine Art der Kooperation zwischen Behörden und Privatunternehmen (sog. Public-private-Partnership). Eines der insgesamt vier Zentren ist das „Zentrum zur Förderung der Resozialisierung“ in Mine in der Präfektur Yamaguchi8, das 2007 fertiggestellt wurde und eine Aufnahmekapazität von 1.300 Insassen hat9. Dort wird der Schwerpunkt des Strafvollzuges auf Resozialisierung gelegt. Die Lebensgestaltung ist in dieser Strafanstalt freier als in einer normalen Strafanstalt. Die Gefangenen werden nicht als „Strafgefangene“, sondern als „Auszubildende des Zentrums“ bezeichnet. Etwa 95 % der Gefangenen wird vorläufig und vorzeitig entlassen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass nur die Gefangenen aufgenommen werden, die zur Resozialisierung geeignet scheinen. Gleichwohl zeichnet sich die Strafanstalt auch durch ein sehr modernes und aufwendiges Sicherheits- und Kontrollsystem aus. Das Fehlen von Betonmauern wird durch die Einführung eines elektronischen Überwachungssystems unter Verwendung von Berührungssensoren, Infrarotkameras und dergleichen mehr als ausgeglichen. cc) Situation des Vollzuges in Strafanstalten Am Ende des Jahres 2015 waren in Japan insgesamt 58.497 Personen in Strafanstalten inhaftiert.10 Ausgehend von der Anzahl von 81.255 Personen im Jahr 2006 ist für jedes Jahr eine Abnahme der Zahl zu verzeichnen (vgl. dazu das unten abgedruckte Diagramm). Die Belegungsrate, also das Verhältnis der tatsächlich Inhaftierten zur Kapazität der Anstalten betrug Ende 2015 65,1 %. Von den Strafgefangenen waren 72,4 % rechtskräftig verurteilt. Die Anzahl der 2015 neu aufgenommenen Strafgefangenen betrug 21.458 Personen, darunter überwiegend Zuchthausgefangene (99,6 %)11. Unter allen Strafgefangenen waren 2.124 weiblich. Die Rate der neu aufgenommenen Strafgefangenen pro 100.000 Einwohner lag bei 16,9 Personen (bei weiblichen: 3,3). Die von den Strafgefangenen am häufigsten begangene Straftat ist der Diebstahl, bei Männern (32,1 %) wie auch bei Frauen (42,1 %). Danach folgen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (bei Männern 26,6 %, bei Frauen 39,0 %). Die Strafzeit (Dauer der verhängten Strafe) ist zumeist geringer als drei Jahre. Die unten abgedruckte Tabelle schlüsselt dies näher auf 12. Die Aussetzungsrate beträgt bei befristeter Zuchthausstrafe 58,9 % 8 Weitere dieser Zentren finden sich in Kiregawa (Aufnahmekapazität: 2.000 Insassen), Harima (1.000 Insassen) und Shimane-Asahi (2.000 Insassen). 9 Am Stichtag des 11. 12. 2015 waren dort 761 Personen inhaftiert, 377 männliche und 384 weibliche Personen. 10 Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 48. Die Rate der Strafgefangenen pro 100.000 Einwohner lag am 31. Dezember 2015 bei „46.0“. 11 Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 52. 12 2014 betrug die Gesamtzahl aller Insassen, einschließlich der Untersuchungshäftlinge, 60.486, davon waren 52.860 Personen Strafgefangene. 2015 lag die Gesamtzahl bei 58.497 und die Zahl der Strafgefangenen bei 51.175.
E. Sanktionssystem in Japan
106
120.000 100.000 80.000 60.000 40.000 20.000
1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013 2016
-
Gesamtanzahl der Insassen
Anzahl der Strafgefangenen
Abb. 1 Verlauf der Insassen- und Strafgefangenenanzahl in Strafanstalten Aus: Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 48.
Tabelle 3 Strafzeiten (in Prozent) für die 2015 in Strafanstalten einsitzenden Personen nach Geschlecht Geschlecht/ Strafzeit
bis zu 1 Jahr
bis zu 2 Jahre
bis zu 3 Jahre
bis zu 5 Jahre
mehr als 5 Jahre
Männer (19,342)
20,6
36,6
24,3
13,3
5,3
Frauen ( 2,116)
21,2
45,8
21,7
7,0
4,2
Aus: Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 52. Die Zahlen in den Klammern sind die absoluten Zahlen.
und bei befristeter Gefängnisstrafe 97,7 %13. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass die Strafzumessung in Japan durchschnittlich nicht sehr streng ist. d) Behandlung der Strafgefangenen In den Strafanstalten werden Personen mit unterschiedlicher Rechtsstellung, d. h. zu Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe verurteilte Strafgefangene, Festgenommene, Untersuchungshäftlinge im Sinne der StPO oder auch die zum Tode 13
Tabelle in: Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 38.
I. Strafe
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Verurteilten, aufgenommen (§ 3 StrIntAnstG). Die Inhaftierten werden je nach Geschlecht und Rechtsstellung gesondert behandelt (§ 4). Unter dem alten Gefängnisgesetz herrschte das sog. „Prinzip der Geheimhaltung des Strafvollzuges“, so dass die Gesellschaft kaum Kenntnis von den Verhältnissen in den Strafanstalten hatte. Dies scheint auch die Hauptursache der genannten Fälle von Misshandlungen durch Strafvollzugsbeamte zu sein. Deswegen hat das neue Gesetz ein „Komitee für die Aufsicht der Strafanstalten“ (Keiji Shisetsu Kansatsu Iinkai) eingerichtet (§ 7), um Außenstehenden den Strafanstaltsbetrieb verständlich zu machen. Was die Behandlung der Gefangenen in der Strafanstalt anbelangt, so hat das neue Gesetz erstmalig den Zweck der Strafe festgelegt, woran es im Gefängnisgesetz fehlte: „Die Behandlung des Strafgefangenen ist mit dem Zweck durchzuführen, bei diesem einen Resozialisierungswillen hervorzurufen und ihm die Fähigkeit zur Anpassung an das Sozialleben zu vermitteln, indem sie, der Veranlagung und der Umwelt der einzelnen Person entsprechend, an ihr Selbstbewusstsein appelliert“ (§ 30). In der Forderung nach einer Behandlung, die den Veranlagungen und der individuellen Umwelt des Strafgefangenen entspricht, liegt der „Grundsatz der Besserungsbehandlung“, der seinerseits das „Prinzip der individuellen Behandlung“ (§ 84 Abs. 3) umfasst. Die „Besserungsbehandlung“ ist zu verstehen als die Behandlung, die notwendig ist, um den Strafgefangenen dazu zu bringen, seine Schuld für die Straftat einzusehen, seinen Körper und seinen Geist gesund zu erhalten und ihm die Kenntnisse und Verhaltensweisen zu vermitteln, die nötig sind, um sich der Lebensweise in der Gesellschaft anpassen zu können (§ 103 Abs. 1). Die Besserungsbehandlung ist auf der Grundlage der „Richtlinie für die Behandlung“ durchzuführen, die den Leitfaden für die Durchführung der Besserungsbehandlung darstellt und deren Ziel, Inhalt und Methode sich nach dem jeweiligen Gefangenen bestimmt (§ 84 Abs. 2). Als Inhalt der Behandlung werden nicht nur „Arbeit“, sondern auch „Besserungsleitung“ (Kaizen Shido, die nur auf die Resozialisierung gerichtet ist) (§ 103) und „Lehrgangsleitung“ (Kyoka Shido, die der schulischen Weiterbildung dient) (§ 104) gesetzlich geregelt14. 4. Geldstrafe und Geldbuße Geldstrafe und Geldbuße sind Strafen, bei denen es darum geht, eine bestimmte Summe Geldes vom Verurteilten einzuziehen. Der Unterschied zwischen beiden Strafen liegt nur darin, dass die Geldstrafe zumindest 10.000 Yen (§ 15 StGB) 14 Der Leiter der Strafanstalt soll die notwendigen Maßnahmen zur Leitung des Strafgefangenen ergreifen, um ihm seine Schuld bewusst zu machen, seine körperliche und seelische Gesundheit zu fördern und um Kenntnisse und Lebensweisheiten zu vermitteln, die zur Anpassung im Sozialleben erforderlich sind (§ 103 Abs. 1). Er soll Strafgefangene, die an der Besserung und Resozialisierung mangels fundamentaler Kenntnisse des Soziallebens gehindert sind, in einem dem Schulunterricht entsprechenden Lehrgang leiten (§ 104 Abs. 1).
108
E. Sanktionssystem in Japan
und Geldbuße zumindest 1.000 Yen, aber weniger als 10.000 Yen beträgt (§ 17 StGB). Eine Bemessung nach Tagessätzen wie im deutschen Strafrecht erfolgt nicht. Es gibt aber eine Vorschrift über eine der Ersatzfreiheitsstrafe im deutschen Strafrecht vergleichbare „Inhaftierung im Arbeitshaus“ für diejenigen, die Geldstrafe oder Geldbuße nicht bezahlen können: „Derjenige, der eine Geldstrafe nicht voll bezahlen kann, wird von einem Tag bis zu zwei Jahren in einem Arbeitshaus inhaftiert“ (§ 18 StGB Abs. 1). Absatz 2 regelt: „Derjenige, der eine Geldbuße nicht voll bezahlen kann, wird von einem bis zu dreißig Tagen in einem Arbeitshaus inhaftiert“. Die Gesamtdauer der Inhaftierung in einem Arbeitshaus darf drei Jahre nicht überschreiten (§ 18 Abs. 3 StGB). Das Arbeitshaus ist der Strafanstalt beigeordnet (§ 287 Abs. 1 StrIntAnstG). Eine Geldstrafe wurde im Rahmen eines normalen Verfahrens in erster Instanz15 im Jahr 2014 in insgesamt 2.480 Fällen ausgesprochen. Das häufigste Delikt ist dabei Diebstahl (644 Fälle)16. Eine Geldbuße wurde 2014 in nur vier Fällen ausgesprochen.
II. Sanktionen gegenüber Jugendlichen 1. Jugendgesetz und Jugendkriminalität Das Jugendgesetz (JG, 1949, Gesetz-Nr. 168) wurde am 15. 7. 1948 verkündet und ist am 1. 1. 1949 in Kraft getreten. Der Zweck dieses Gesetzes liegt sowohl darin, die „gesunde“ Ausbildung des Jugendlichen anzustreben und eine Schutzmaßnahme zur Besserung des Charakters des delinquenten Jugendlichen sowie zur Gestaltung seiner Lebensverhältnisse zu treffen, als auch darin, in den strafrechtlichen Fällen Sondermaßnahmen gegen die Jugendlichen zu treffen17 (§ 1 JG). Das Jugendgesetz verfolgt in hohem Maße den Zweck des Schutzes und der Ausbildung der Jugendlichen. In Japan hat das Justizsystem für Jugendliche, das hauptsächlich beim Familiengericht angesiedelt ist, nicht nur eine Justiz-, sondern auch eine Wohlfahrtsfunktion18. Ein Jugendlicher ist nach diesem Gesetz eine Person, die noch nicht das Alter von 20 Jahren erreicht hat (§ 2 Abs. 1 JG). Die umfassende Zuständigkeit des 15 Dazu kommen die im Wege des Strafbefehls verhängten Geldstrafen (284.168 Fälle) und Geldbußen (2.236 Fälle). 16 Weißbuch der Kriminalität von 2015, S. 50. 17 Der „delinquente Jugendliche“ im ersten Satz des § 1 des Jugendgesetzes meint alle Jugendlichen, die Straftaten oder Verfehlungen begangen haben, und auch diejenigen, von denen die Gefahr der zukünftigen Begehung von Straftaten oder Verfehlungen ausgeht. – Sondermaßnahmen gegenüber Jugendlichen sind Sanktionen, die nicht im StGB geregelt sind (z. B. eine Schutzmaßregel). 18 Das Jugendgesetz wurde seit 2000 viermal (in den Jahren 2000, 2007, 2008 und 2014) reformiert. Dabei wurde das Verhältnis zwischen Justiz- und Wohlfahrtsfunktion modifiziert.
II. Sanktionen gegenüber Jugendlichen
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350000 300000 250000 200000 150000 100000 50000
2014
2011
2008
2005
2002
1999
1996
1993
1991
1988
1985
1982
1979
1976
1973
1970
1967
1964
1961
1958
1955
1952
1949
1946
0
Anzahl der als Täter ermielten Jugendlichen bei Straaten des StGB Anzahl der als Täter ermielten Jugendlichen bei Straaten des allgemeinen Strafrechts
Abb. 2 Anzahl der als Täter ermittelten Jugendlichen bei Straftaten des StGB und des allgemeinen Strafrechts Erstellt nach Daten (CD-ROM 3 – 3) im Weißbuch der Kriminalität 2016, S. 98 und 99
Familiengerichts (Katei Saibansho) für Jugendliche ergibt sich aus § 3 Abs. 1 JG: „Die folgenden Jugendlichen unterliegen den Entscheidungen des Familiengerichts. (1) der Jugendliche, der eine Straftat begangen hat (Hanzai Shonen), (2) der noch nicht 14 Jahre alte Jugendliche, der eine Strafvorschrift „berührt“ hat19 (Shokuho Shonen), (3) der Jugendliche, bei dem angesichts seines Charakters oder seiner Lebensumstände die Gefahr besteht, dass er in Zukunft eine Straftat begeht oder, als Schuldloser eine Tat begeht, die eine Strafvorschrift berührt, wobei aber besondere Umstände vorliegen müssen (Guhan Shonen)“. Ein derartiger besonderer Umstand liegt etwa vor, wenn der Jugendliche die Neigung hat, nicht unter der gerechten Kontrolle eines Pflegers stehen zu wollen (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 a), oder ohne triftigen Grund nicht zuhause wohnt (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 b). Die Zuständigkeit des Familiengerichts umfasst auch den über 14-jährigen Jugendlichen, der ohne Schuld (§ 41 StGB) einen Straftatbestand erfüllt hat. Die Graphik zeigt die Entwicklung der Straftaten von Jugendlichen. Die durchgezogene Linie zeigt die Anzahl der als Jugendliche ermittelten Täter, die im StGB geregelte Straftaten begangen haben (65.950 im Jahre 2015), und die gepunktete Linie zeigt die Anzahl der Jugendlichen, die seit 1966 Straftaten des allgemeinen Strafrechts begangen haben (48.680 im Jahre 2015). 19 Der Begriff der „Berührung“ wird deswegen verwendet, weil die Tat eines noch nicht 14-jährgen Jugendlichen wegen dessen fehlender Schuldfähigkeit keine „Straftat“ ist. Das Gesetz verwendet den Begriff „Berührung“ anstelle des Begriffs „Verletzung“.
E. Sanktionssystem in Japan
110
2. Das Verfahren bei Straftaten und Verfehlungen Jugendlicher a) Straftaten von Jugendlichen, die 14 Jahre alt oder älter sind Wenn die Ermittlungsorgane eine von Jugendlichen begangene Straftat aufgeklärt haben, schicken sie den Fall an das Familiengericht, wenn die begangene Straftat lediglich mit Geldstrafe oder Geldbuße bedroht ist,20 ansonsten an die Staatsanwaltschaft. In letzterem Fall überweist die Staatsanwaltschaft die Akten zum Familiengericht, wenn sie nach der Ermittlung den „Verdacht einer Straftat“ als „gegeben“ festgestellt hat oder einen Grund, aus dem eine Entscheidung des Jugendgerichts notwendig ist, als „vorhanden“ ansieht. b) Verfehlungen von Jugendlichen und Taten von gefährdeten Jugendlichen Wenn die Polizei nach ihrer Ermittlung zu dem Ergebnis kommt, dass ein noch nicht 14 Jahre alter Jugendlicher einer Verfehlung21 verdächtig ist oder dass bei einem solchen Jugendlichen die Gefahr besteht, dass er in Zukunft eine Straftat oder eine Verfehlung begehen wird, muss sie den Fall an den Präsidenten der Jugend-Beratungsstelle (Jido Sodansho) überweisen (§ 6d JG). Der Präsident der Jugend-Beratungsstelle oder der Gouverneur der Präfektur leitet den Fall, wenn er über ihn von der Polizei oder anderen Stellen benachrichtigt worden ist, an das Familiengericht, wenn er es für angemessen hält, den Fall vom Familiengericht beurteilen zu lassen (§ 6e JG). In schwerwiegenden Fällen, in denen bestimmte Strafvorschriften berührt werden, muss er den Fall in der Regel zum Familiengericht überweisen (§ 6d Abs. 1 JG). Wer22 Kenntnis davon erhält, dass bei einem Jugendlichen, der die Straftat oder Verfehlung begangen hat, die Gefahr besteht, dass er in Zukunft eine Straftat oder eine Verfehlung begehen wird, muss diese Tatsache dem Familiengericht mitteilen (§ 6, § 3 Abs. 1 JG). c) Der Ablauf des Verfahrens vor dem Familiengericht Das Familiengericht muss den Fall untersuchen, wenn ihn die Staatsanwaltschaft oder sonstige Stellen an das Familiengericht geleitet haben. Das Gericht kann die notwendigen Untersuchungen von einem „untersuchenden Familiengerichtshelfer“23 (Kateisaibansho Chosakan) durchführen lassen. Das Familiengericht muss vor der Anordnung der Maßnahme der Beobachtung (Kango Sochi) 20
Kenji Takeuchi, Shonenho Kogi (Vorlesung zum Jugendgesetz), 2015, S. 2 ff. einer „Verfehlung“ soll hier die oben genannte „Tat, die eine Strafvorschrift berührt“ verstanden werden. 22 „Wer“ bedeutet hier Jedermann. 23 Dieser „Familiengerichtshelfer“ ist vergleichbar mit dem „Jugendgerichtshelfer“ im deutschen JGG. Die „Jugendger ichtshilfe“ wird von den Jugendämtern ausgeübt (§ 38 Abs. 1 dJGG), ihre Aufgaben regelt § 38 Abs. 2 dJGG. 21 Unter
II. Sanktionen gegenüber Jugendlichen
111
den Jugendlichen zur „Begutachtungsstelle von Jugendlichen“ (Shonen Kanbetsusho) schicken, wenn es für die Entscheidung notwendig ist (§ 17 Abs. 1 JG). Die Begutachtungsstelle von Jugendlichen bringt den zu ihr geschickten Jugendlichen zum Zweck der Beobachtung und zu dessen Schutz (Kango) unter. Das Familiengericht untersucht dessen Persönlichkeit (also seine Lebensführung, seinen Lebenslauf, seine Veranlagungen und seine Umgebung usw.) mit Hilfe der Fachkenntnisse seiner Helfer aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Pädagogik oder Soziologie, die den Jugendlichen begutachten (§ 9 JG, § 20 Abs. 2 BJG). Im Jahre 2014 ist ein neues „Gesetz betreffend der Begutachtungsstelle von Jugendlichen“ (BJG, Gesetz-Nr. 59) zustande gekommen. Davor fanden sich hinsichtlich dieser Begutachtungsstelle nur einige Paragraphen im „Jugendhausgesetz“ (Shoneninho, 1948, Gesetz-Nr. 169)24. Das Familiengericht entscheidet auf Grund des Untersuchungsergebnisses darüber, ob die Verhandlung (Shinpan) begonnen wird oder nicht (§ 19 Abs. 1, § 21 JG). Der Jugendliche oder sein „Beschützer“25 können mit Genehmigung des Familiengerichts einen Rechtsanwalt als „Beistand“ (Tsukisoinin) hinzuziehen (§ 10 Abs. 1 JG). Bei bestimmten schweren Fällen, in denen beispielsweise der Jugendliche das Opfer vorsätzlich getötet hat oder Straftaten begangen hat, die mit Todesstrafe, mit unbefristeter oder mindestens zweijähriger Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe bedroht sind, kann das Familiengericht den Staatsanwalt auffordern, an der Verhandlung teilzunehmen (§ 22a JG). Das Familiengericht muss in diesem Fall einen Rechtsanwalt als Beistand 26 auswählen (§ 22b JG). Das Familiengericht kann eine sog. „Bewährungsbeobachtung“ (Shiken Kansatsu) des Jugendlichen anordnen, die durch den untersuchenden Mitarbeiter des Familiengerichts in angemessener Frist durchgeführt wird. Die „Bewähr ungsbeobachtung“ stellt ein vorbereitendes Stadium dar, in dem der Jugendliche geprüft wird, um über die weitergehende Schutz-Beobachtung (Hogo Kansatsu) zu entscheiden27 (§ 25 Abs. 1 JG). 24 Dieses Gesetz ist 2014 durch ein neues, gleichbezeichnetes Gesetz (Gesetz-Nr. 58) ersetzt worden. 25 Beschützer ist eigentlich derjenige, der die gesetzliche Pflicht zum Schutz und zur Ausbildung des jeweiligen Jugendlichen innehat; in der Regel die Eltern. 26 Seit dem 18. 6. 2014 wurden diese Fälle, in denen die Beteiligung des Staatsanwalts und die Wahl eines Beistandes obligatorisch sind, reformiert und ausgedehnt. Zur Reform des Jugendgesetzes im Jahre 2014 vgl. Kiyotaka Kunogi, Das Gesetz zur Teilreform des Jugendgesetzes, Keijiho Journal, Nr. 41 (2014), S. 99 ff.; Ryosuke Higuchi, Reform der Jugendstrafe, Keijiho Journal Nr. 42 (2014), S. 111 ff.; Hiroko Goto, Die Ausdehnung des Institutes von staatlichem Beistand und die Beteiligung des Staatsanwalts, Keijiho journal, Nr. 41 (2104), S. 105 ff. 27 Die Bewährungs-Beobachtung meint, dass der untersuchende Mitarbeiter den Jugendlichen eine bestimmte Zeit lang beobachtet, um dann über das Ob und die Art der Schutzmaßregel zu entscheiden.
112
E. Sanktionssystem in Japan
Die Verhandlung findet grundsätzlich „nichtöffentlich“ statt (§ 22 Abs. 2 JG). Das Familiengericht muss am Ende des Falls, über den verhandelt wird, eine Entscheidung über die Anordnung einer Schutzmaßregel (Hogo Shobun) treffen (§ 24 Abs. 1 JG). Möglicher Inhalt einer solchen Schutzmaßregel ist 1) die Anordnung von Schutzmaßnahmen durch die Bewährungsstelle, 2) die Unterbringung in einer „Anstalt zur Unterstützung der Selbstständigkeit von Kindern“ oder einer „Anstalt für Kinderpflege“ oder 3) die Unterbringung in einem Jugendhaus (Shonen-in) (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 – 3 JG). 3. Die Entscheidung des Familiengerichts Das Familiengericht ordnet keine Maßnahme an, wenn nach dem Ergebnis der Verhandlung eine Schutzmaßregel unmöglich oder unnötig ist. Wenn das Familiengericht in den Fällen, in denen das Strafgesetz die Verhängung einer Todes-, Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe vorsieht, eine strafrechtliche Maßnahme für angemessen hält, muss es den Fall zur Staatsanwaltschaft schicken (§ 20 Abs. 1 JG). In Fällen, in denen die Straftat vorsätzlich begangen wurde und den Tod des Opfers verursacht hat, muss der Fall in der Regel zur Staatsanwaltschaft geschickt werden, wenn der Jugendliche im Tatzeitpunkt 16 Jahre oder älter ist (§ 20 Abs. 2 JG). Das nennt man den „umgekehrten Verweisungsfall“28 (Gyakuso-Jiken). Das Jugendhaus ist eine Anstalt, in der Jugendliche zur Besserung und Erziehung untergebracht werden.29 Die Unterbringung ist in der Regel bis zum 20. Lebensjahr des Jugendlichen befristet. Die Unterbringung kann höchstens bis zum 26. Lebensjahr verlängert werden (§ 56 Abs. 2 JG). Was die Strafe gegenüber Jugendlichen anbelangt, so gilt Folgendes: „Gegenüber demjenigen, der bei der Straftat noch keine 18 Jahre alt ist, ist statt der Todesstrafe, die unbefristete Freiheitsstrafe auszusprechen“ (§ 51 Abs. 1 JG). Das Jugendgesetz erkennt die „unbestimmte Freiheitsstrafe“30 an. Die Voraussetzung für den Strafausspruch der unbestimmten Freiheitsstrafe31 ist, dass der Jugendliche nach dem Erwachsenenstrafrecht zu mindestens drei Jahren Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe verurteilt werden würde. Dabei muss die Strafe inner28 Eigentlich muss die Polizei, wie oben schon erklärt wurde, den Fall des Jugendlichen an den Präsidenten der Jugend-Beratungsstelle „schicken“ (§ 6e JG). Bei den oben genannten Fällen muss das Familiengericht diese „in umgekehrter Weise“ zur Staatsanwaltschaft „schicken“ (§ 20 Abs. 1 JG). 29 In ganz Japan gibt es 55 Jugendhäuser. 30 Das japanische JG wurde 2014 reformiert (2014, Gesetz-Nr. 23) und dabei wurde das Höchstmaß der unbestimmten Freiheitsstrafe hinaufgesetzt. 31 Es gibt vier Arten der unbestimmten Freiheitsstrafe: entweder wird nur eine Straf untergrenze, oder nur eine Strafobergrenze, oder eine Strafuntergrenze und eine Straf obergrenze oder überhaupt keine Begrenzung festgelegt. In Japan gibt es nur die dritte Art, also die Kombination aus Strafunter- und Strafobergrenze.
III. Besserungshilfe in der Gesellschaft
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halb des Strafrahmens liegen, der durch das Höchstmaß der Strafe und die Mindestgrenze der Strafe begrenzt wird. Allerdings darf das Mindestmaß niemals 5 Jahre überschreiten (§ 52 Abs. 1 JG) und das Höchstmaß der Strafe darf 10 Jahre nicht überschreiten (§ 52 Abs. 2 JG)32.
III. Besserungshilfe in der Gesellschaft 1. Zweck der Besserungshilfe Das „Gesetz zur Besserungshilfe“ (= BhG, Kosei Hogoho, 2007, Gesetz-Nr. 88) beschreibt in § 1 seinen Zweck wie folgt: „Dieses Gesetz hat (erstens) den Zweck, der Wiederholung einer Straftat oder Verfehlung vorzubeugen, indem demjenigen, der die Straftat oder die Verfehlung begangen hat, eine geeignete Behandlung zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft angeboten wird, zudem den Zweck, diese Personen dauerhaft als gute Mitglieder der Gesellschaft zu etablieren und bei ihrer Besserung und Resozialisierung zu helfen, außerdem (zweitens) den Zweck, die Möglichkeiten von Begnadigungen und verschiedene Aktivitäten zur Kriminalitätsprävention usw. sinnvoll zu gebrauchen und zu fördern, und schließlich (drittens) den Zweck, dadurch die Gesellschaft zu schützen und das Wohl des Individuums und das Gemeinwohl zu fördern“. Die Besserungshilfe ist, kurz gesagt, die gesellschaftsbezogene Behandlung derjenigen, die Straftaten oder Verfehlungen begangen haben. 2. Organe der Besserungshilfe Organe der Besserungshilfe sind das „Zentralberatungskomitee für die Besserungshilfe“ beim Justizministerium (§ 4 Abs. 1 BhG) und acht „Lokalberatungskomitees für Besserungshilfe“, deren räumliche Zuständigkeitsbereiche denen der acht Obergerichte in Japan entsprechen. Außerdem gibt es „Bewährungsämter“ (Hogokansatsusho), deren Zuständigkeitsbereiche denen der Landgerichte entsprechen. Das Zentralberatungskomitee und die Lokalberatungskomitees haben die Befugnis, dem Justizminister einzelne Begnadigungen vorzuschlagen (§ 4 Abs. 2 BhG). Das Lokalberatungskomitee für Besserungshilfe hat die Befugnis, über die vorläufige Entlassung aus einer Strafanstalt nach Antrag des Direktors der Strafanstalt zu entscheiden (§ 16 Abs. 1, § 33 BhG). Das Bewährungsamt hat die Aufgabe, die Bewährung zu überwachen (§ 29 Abs. 1 BhG). Zu diesem 32 Im deutschen JGG ist die Dauer der Jugendstrafe in der Regel auf bis zu 5 Jahre beschränkt. „Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so ist das Höchstmaß zehn Jahre. Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten nicht“ (§ 18 dJGG). Im japanischen JG ist das Höchstmaß der Strafe für Jugendliche demnach viel höher.
114
E. Sanktionssystem in Japan
Zweck gibt es beim Büro des Lokalberatungskomitees und beim Bewährungsamt „Bewährungsbeamte“ (Hogokansatsukan). Zu den Aufgaben des Bewährungsamtes gehören u. a. die „Leitung und Kontrolle“ (Shido Kantoku) und „Pflege und Hilfe“ (Hodo Engo) (§ 49 BhG) der Verurteilten während der Bewährung. Wenn der leitende Bewährungsbeamte es für die angemessene Durchführung der „Leitung und Kontrolle“ für erforderlich hält, kann er zudem eine „Richtlinie zur Lebensführung oder Verhaltensweise zur Besserung der betreffenden Personen“ planen (§ 56 Abs. 1 BhG). Der „Bewährungshelfer“ (Hogoshi)33 hat die Aufgabe, dem Bewährungsbeamten zu helfen; er steht unter der Leitung und Kontrolle des Lokalberatungskomitees (§ 32 BhG). Das „Bewährungshelfergesetz“ (BwähG, 1950, Gesetz-Nr. 204) regelt deren Aufgaben, Benennung und Tätigkeiten usw. 3. Vorläufige Entlassung und Bewährung a) Vorläufige Entlassung Im japanischen StGB ist die „vorläufige Entlassung“ wie folgt geregelt: „Wenn der zu Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe Verurteilte aufrichtige Reue zeigt, kann er bei einer zeitlich begrenzten Strafe nach Ablauf eines Drittels der Strafdauer, bei einer zeitlich unbegrenzten Strafe nach Ablauf von zehn Jahren durch Verfügung der Verwaltungsbehörde aus der Strafanstalt vorläufig entlassen werden“ (§ 28 StGB). Der Zweck der vorläufigen Entlassung liegt darin, die Wiederholung der Straftat zu verhindern (Prävention), sowie die Besserung des Täters und auch dessen reibungslose Resozialisierung zu fördern, indem Strafgefangenen, bei denen eine Besserung und Resozialisierung erwartet wird, vor Ablauf der Strafzeit der Rest der Strafe vorläufig, d. h. auf Bewährung, erlassen wird. Unter allen im Jahre 2015 entlassenen Strafgefangenen (23.523 Personen) wurden 13.570 Personen vorläufig entlassen und 9.953 Personen endgültig entlassen. Die Rate der vorläufig Entlassenen beträgt somit 57,7 %34. Bei Berücksichtigung der bereits verbüßten Strafen ergeben sich andere Raten. Beschränkt man die Betrachtung auf Insassen, die zu einer Strafe von mehr als 10 Jahren verurteilt worden sind, ergibt sich folgendes Bild: 74,5 % der vorläufig entlassenen Insassen haben mehr als 90 % ihrer Strafe verbüßt, 22,9 % zwischen 80 % und 90 % und 2,5 % zwischen 70 % und 80 %. Es gibt praktisch keine Fälle, in denen ein vorläufig Entlassener weniger als 70% seiner Strafe verbüßt hat35.
33 Der Bewährungshelfer ist der freiwillige Helfer, der vom Justizminister beauftragt ist (§ 3 BwähG). Der Bewährungshelfer bekommt für seine Tätigkeit kein Gehalt (§ 11 Abs. 1 BwähG). 34 Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 65. 35 Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 66.
III. Besserungshilfe in der Gesellschaft
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b) Bewährung Eine Bewährung kommt bei folgenden Personen in Betracht: (1) Jugendliche nach einer Entscheidung des Familiengerichts, (2) Jugendliche bei einer vorläufigen Entlassung aus dem Jugendhaus, (3) Personen, die auf Bewährung vorläufig entlassen werden, (4) Personen, bei denen die Strafe auf Bewährung ausgesetzt wird, und (5) Frauen nach einer vorläufigen Entlassung aus dem Frauenpflegehaus (Fujin Hodoin) auf Bewährung. Die genannten Personen müssen während ihrer Bewährungszeit Aufgaben und Weisungen erfüllen. Wenn sie diese verletzen, kann die vorläufige Entlassung usw. widerrufen werden. Die Anzahl der Personen, denen Bewährung gewährt wurde, betrug im Jahr 2015 bei vorläufigen Entlassungen 5.184 Personen und bei Aussetzung der Strafe 10.731 Personen. Bei den vorläufigen Entlassungen sind die zugrundeliegenden Straftaten in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit bei männlichen Personen: Diebstahl, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und Betrug; bei weiblichen Personen: Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, Diebstahl und Betrug. In den Fällen der Aussetzung der Strafe ist die Reihenfolge hingegen: Diebstahl, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und Körperverletzung36.
36
Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 69.
F. Gegenwärtige Tendenzen der Kriminalität I. Verhaltensnorm und Sanktionsnorm in Japan Die Idee, dass Strafrechtsnormen auch als Verhaltensnormen verstanden werden können, ist nicht sonderlich alt. Für eine theoretische Fundierung dieser Idee musste man in Europa bis zur Feuerbachschen „Theorie des psychologischen Zwangs“ Anfang des 19. Jahrhunderts warten. Auch Karl Binding (1841 – 1920) hat noch am Ende des 19. Jahrhunderts zwischen Normwidrigkeit und Strafgesetzwidrigkeit unterschieden1. Die Geltung der Verhaltensnormen werde nicht durch deren strafrechtliche, sondern durch verschiedene gesellschaftliche Sanktionen gesichert. In der japanischen Gesellschaft wurden die Normen jedenfalls bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in erster Linie nicht wegen der staatlichen Strafe, sondern wegen der sozialen Sanktionen befolgt. Die Normbefolgung ohne Bestrafung kann als Merkmal der traditionellen japanischen Gesellschaft angesehen werden. Verallgemeinert gesagt ist „Autorität ohne Macht“2 das Schlüsselwort zur Erklärung des Rätsels der relativ geringen Kriminalitätsrate in Japan. Bislang ist diese zumeist durch den starken Gruppenbezug der Japaner erklärt worden3. Die Zugehörigkeit der Japaner zu verschiedenen Gruppen, etwa Familien-, Berufs- oder Nachbarschaftsgruppen, scheint abweichende gesellschaftliche Verhaltensweisen verhindert zu haben. Die informelle Sozialkontrolle ist in Japan stark genug gewesen, um die Kriminalitätsrate niedrig zu halten. Die Modernisierung des Lebens der Japaner in den Großstädten hat deren Bewohner von der informellen Sozialkontrolle der engen Dörfer befreit. Im 21. Jahrhundert löst sich die gesellschaftliche Struktur Japans allmählich auf. Trotzdem bleibt die Kriminalitätsrate in Japan, verglichen mit der anderer entwickelter Länder, niedrig. Dafür gibt es viele Erklärungsversuche mit geographischen, geschichtlichen, kulturellen, philosophischen, politischen, wirtschaftlichen, volkspsychologischen, oder auch zweckrationalen Ansätzen4. Keine dieser Erklärungen scheint indes wirklich überzeugend zu sein. 1 Karl Binding, Normen und ihre Übertretung, Bd. 1, Normen und Strafgesetze, 1922, S. 3 ff. 2 Vgl. Haley, Authority without Power, S. 169. 3 Kühne/Miyazawa, Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung in Japan: Versuch einer soziokulturell-kriminologischen Analyse, 2. Aufl., 1991, S. 60 ff. 4 Zur Vermeidungstendenz des Japaners am Beispiel des Zivilprozesses als Streitigkeitslösung vgl. Foote (Übersetzt von Masayuki Tamaruya), Saiban to Shakai (Prozess und Gesellschaft), 2006, (in japanischer Sprache), S. 155 ff.
II. Kriminalitätsrate und Aufklärungsrate
117
II. Kriminalitätsrate und Aufklärungsrate 1. Bekannt gewordene Straftaten und Aufklärungsrate Die Anzahl der bekanntgewordenen „Straftaten beim StGB“5 war 2002 am größten (3.693.928 Fälle), danach ist sie allmählich geringer geworden. 2014 wurden 1.762.912 Fälle erfasst6 (vgl. Grafik unten). Die wesentliche Ursache für diese Verringerung war die Abnahme der Anzahl der bekanntgewordenen Diebstähle7. Die Anzahl der festgestellten Täter der „Straftaten beim StGB“ überschritt 1998 die Millionengrenze und erreichte 2004 ihren Höchstwert mit 1.289.416 erfassten Personen. 2013 betrug sie 884.5408. Die Aufklärungsrate betrug 2001 bei „Straftaten beim StGB“ 38,8 % und bei „allgemeinen Straftaten“ 19,8 %. 2014 betrug sie bei „Straftaten beim StGB“ 52,3 % und bei „allgemeinen Straftaten“ 30,6 %9. Die folgende Graphik zeigt die Entwicklung der Anzahl der festgestellten Täter von bekanntgewordenen und aufgeklärten (ermittelten) Straftaten, zum einen „beim StGB“, zum anderen bei Straftaten des allgemeinen Strafrechts.
5 Nach dem Weißbuch der Kriminalität von 2016 (S. i) wird die Anzahl der bekanntgewordenen oder aufgeklärten (ermittelten) Straftaten meistens wie folgt kategorisiert: (1) „Straftaten beim StGB“ bedeutet Straftaten des StGB, die im Nebenstrafrecht geregelte „Gefahrfahrt“ mit Todes- und Körperverletzungsfolge und das sonstige Nebenstrafrecht im engen Sinne. Sonst wird auch der Begriff (2) „Straftaten bei Nebenstrafgesetzen“ benutzt, der nur Straftaten des Nebenstrafrechts außerhalb des in (1) genannten Bereichs erfasst. Er umfasst auch Verletzungen von Kommunalverordnungen. Bis 2015 wurde auch die Kategorie der „allgemeinen Straftaten“ verwendet. Damit waren alle Straftaten des StGB ohne Erfassung fahrlässiger Tötungen und Körperverletzungen mittels Kraftfahrzeugen gemeint. Aber seit 2016 wird diese Kategorie nicht mehr verwendet, weil die „Gefahrfahrt“ mit Todes- oder Körperverletzungsfolge und die fahrlässigen Tötungen und Körperverletzungen mittels Kraftfahrzeugen nicht mehr im StGB, sondern in einem Nebenstrafgesetz geregelt sind. Der Grund für diese Differenzierung liegt darin, dass sich das gesamte Bild der Kriminalitätsstatistik im Kernstrafrechtsbereich erheblich ändern würde, wenn die häufig begangenen Straftaten der „Gefahrfahrt“ mit Todes- oder Körperverletzungsfolge nicht aufgeführt würden. 6 Hier wurde das „Weißbuch der Kriminalität von 2015“ benutzt, weil seit 2016 die Kategorien der „Straftaten beim StGB“ und der „allgemeinen Straftaten“ inhaltlich geändert wurden. Nebenbei gesagt, ist die höchste Anzahl der bekanntgewordenen „Straftaten beim StGB“ von 2002 nach dem Weißbuch der Kriminalität von 2016 nicht „3.693.928“ (Weißbuch der Kriminalität von 2015, S. 3), sondern 2.854.061 (S. 3). 7 Weißbuch der Kriminalität von 2015, S. 3. 8 Weißbuch der Kriminalität von 2015, S. 6. 9 Weißbuch der Kriminalität von 2015, S. 8.
F. Gegenwärtige Tendenzen der Kriminalität
118 4000000 3500000 3000000 2500000 2000000 1500000 1000000 500000
Bekannt. StGB Bekannt. Allg. StGB
0
Aufgekl. StGB Aufgekl. Allg. StGB
Abb. 3 Anzahl der bekanntgewordenen und aufgeklärten Straftaten Aus: Weißbuch der Kriminalität von 2015, S. 3
2. Vergleich mit Deutschland Ein Vergleich dieser Zahlen mit den entsprechenden Zahlen für Deutschland zeigt zunächst, dass es in Deutschland viel mehr erfasste Fälle als in Japan gibt. So stehen für das Jahr 2013 5.961.662 Fälle bekannt gewordener Straftaten in Deutschland10 1.314.483 Fällen in Japan gegenüber. Auch im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist die Anzahl der Straftaten in Japan deutlich niedriger als in Deutschland. Die Aufklärungsrate war im Jahre 2013 in Deutschland (54,5 %)11 ebenfalls höher als die in Japan (30,0 %). Tabelle 4 Bekanntgewordene Straftaten (absolute Zahlen) 2008
2009
2010
2011
2012
2013
Japan
1.827.184
1.714.326
1.604.538
1.503.135
1.403.639
1.314.483
Deutschland
6.114.128
6.054.330
5.933.278
5.990.679
5.997.040
5.961.662
Weißbuch der Kriminalität von 2015, S. 38 10 Vgl.
Jörg-Martin Jehle, Strafrechtspflege in Deutschland, 2015, S. 11, 14. der Kriminalität von 2015, S. 35. Nach Jehle (a .a. O., S. 14) beträgt sie
11 Weißbuch
55 %.
III. Soziale Ausgrenzung und Kriminalität in Japan
119
Tabelle 5 Aufgeklärte Straftaten (in Prozent) 2008
2009
2010
2011
2012
2013
Japan
31,4
31,8
31,0
30,8
31,2
30,0
Deutschland
54,8
55,6
56,0
54,7
54,4
54,5
Weißbuch der Kriminalität von 2015, S. 38
III. Soziale Ausgrenzung und Kriminalität in Japan 1. Sozialer Wandel und Phänomenologie der Kriminalität Für das Verständnis der Entwicklung der Kriminalität in Japan dürfte wichtiger als die Kenntnisnahme der Statistik der Straftaten und Aufklärungsraten sein, dass man die Charakteristika der Kriminalität in der gegenwärtigen japanischen Gesellschaft im Lichte der jüngeren Änderungen der sozialen Struktur in Japan betrachtet. Freilich ermöglicht eine solche Betrachtung kein theoretisch fundiertes und umfassendes Verständnis der Hintergründe der Kriminalität in Japan. Trotzdem scheint diese Vorgehensweise brauchbar, um einen zutreffenden Eindruck von den Tendenzen auf dem Gebiet der Kriminalität zu erhalten. Bezüglich der Ursachen für die Begehung von Straftaten ist das zentrale Schlüsselwort das der „sozialen Ausgrenzung“. Meinem Eindruck nach ist der japanischen Gesellschaft von heute die „alte und gute Bindung“ verloren gegangen und der „Unterschied zwischen den Schichten“ („Kakusa“ auf Japanisch) in der Gesellschaft12 auffällig groß geworden. 2. Hintergrund der Änderung der Sozialstruktur in Japan a) Ende des Wirtschaftswachstums Das japanische Wirtschaftswachstum nach dem Zweiten Weltkrieg kann in der Tat als „Wunder“ bezeichnet werden. Ezra Vogel13 hat das japanische Wirtschaftssystem hoch geschätzt. Er hat die Grundlage des japanischen Wachstums in dem starken Willen zum Lernen und in einer Kultur des Bücherlesens ge12 Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg keine großen sozialen Unterschiede. Fast alle Bürger konnten zumindest eine Arbeit finden. Aber seit den 90er Jahren hat sich die gesellschaftliche Struktur geändert. Für Jugendliche, die aus Familien stammen, in denen es nur Teilzeitarbeitsverhältnisse gibt, ist es schwierig, eine gute Ausbildung zu bekommen. Mittlerweile beginnen sich die sozialen Unterschiede allmählich zu verfestigen. Die Vererbung von Armut oder Wohlstand ist jedenfalls auffällig. 13 Bis in die 80er Jahre wurde Japans Produktion von Ezra Vogel als „Nummer Eins“ bezeichnet (vgl. Ezra F. Vogel, „Japan as Number One – Lessons for America“, 1979).
120
F. Gegenwärtige Tendenzen der Kriminalität
sehen. Dieses Wunder begann schon Ende der 1980er Jahre zu verschwinden. Die Entwicklung Japans wurde durch das sog. „Begleitschutzsystem“ bestimmt. Metaphorisch hieß es damals, der Export würde von einer Flotte des MITI14 eskortiert. Also mussten die japanischen Unternehmen beim Export nicht mit ihrer eigenen Konkurrenzfähigkeit den Wettbewerb mit ausländischen Unternehmen bestehen, sondern wurden immer vom MITI, also von der japanischen Regierung, beschützt. Am Ende der 80er Jahre wurde bemerkt, dass das japanische System in verschiedenen Bereichen durch große Verschwendung geprägt war. Das damalige Motto war: „Alle Japaner müssen gleich glücklich sein“. Vielleicht lässt sich die damalige Denkweise als „Sozialismus japanischer Art“ bezeichnen. Diese für alle etwas glücklichere Situation ohne Berücksichtigung von Kosten und Effektivität endete mit den 80er Jahren. Seit den 90er Jahren hat Japan vergeblich versucht, eine sogenannte „Strukturreform“ durchzusetzen. Das System, das in Japan aufgebaut worden war, war eines, das nur in Zeiten der Hochkonjunktur funktionierte. Eine „soziale Ausgrenzung“ ist danach in gewisser Weise notwendig geworden. b) Arbeitsverhältnisse Bis in die 90er Jahre war in Japan ein Beförderungssystem sehr verbreitet, das man „Nenko-Joretsu-System“ nennt (System der Beförderung nach Länge der Arbeitsjahre bis zur Pension). Es ist – oder zumindest war – das typische Beförderungssystem in Japan. Voraussetzung dieses Systems ist das Prinzip der lebenslangen Anstellung. Wenn man eine Stelle in einer Firma oder in einem Büro hat, wird man also in der Regel nie entlassen. Wenn man lange in demselben Unternehmen arbeitet, bekommt man jährlich eine bessere Position und mehr Gehalt. Dabei werden manchmal Begabung oder Einsatz der Angestellten nicht richtig bewertet. Dieses System ist seit einiger Zeit nicht mehr haltbar. Viele junge Leute, die die Universität absolviert haben, finden keine Stelle mehr als sogenannte ordentliche Angestellte. Ihre Anzahl ist seit 1992 allmählich gestiegen und hat 2015 19,62 Millionen erreicht, im Vergleich zu den 32,78 Millionen ordentlich Angestellten. Die Rate der außerordentlich Angestellten beträgt somit mittlerweile 37,4 %. Sie bekommen weniger Gehalt als die ordentlich Angestellten und müssen unter schlechteren Arbeitsbedingungen arbeiten. Sie können zudem jederzeit entlassen werden. Die Teilung zwischen ordentlichen und außerordentlichen Angestellten bedeutet schon eine Spaltung der sozialen Schichten. Im Allgemeinen sind die Arbeits14
Ministerium für Internationalen Handel und Industrie.
III. Soziale Ausgrenzung und Kriminalität in Japan
121
Tabelle 6 Geburtenzahl und TFR zwischen 1947 und 2015 Jahr
Anzahl der Geburten
TFR
1947
2.678.792
4,54
1950
2.337.507
3,65
1960
1.606.041
2,00
1970
1.934.239
2,13
1980
1.576.889
1,75
1990
1.221.585
1,54
2000
1.190.547
1,36
2005
1.062.530
1,26
2010
1.071.304
1,39
2011
1.050.806
1,39
2012
1.037.231
1,41
2013
1.029.816
1,43
2014
1.003.532
1,42
2015
1.005.656
1,46
bedingungen in Japan sowohl für die oberen Schichten als auch für die unteren Schichten unvorstellbar schlecht. Die Leute, die zu den oberen Schichten gehören, müssen an Wochentagen lange arbeiten und haben fast kein Familienleben. Sie kommen am Abend sehr spät, manchmal gegen 23 Uhr, nach Hause zurück und müssen morgens sehr früh, z. B. gegen 7 Uhr, ihre Wohnung wieder verlassen. Im familiären Leben scheinen die Arbeiter oder Angestellten in Japan sozial ausgegrenzt zu sein. Dies führt manchmal zum Zusammenbruch der Familie15. Diese Situation beeinflusst auch die Ausbildung der Kinder. c) Bevölkerungsstruktur hinsichtlich des Alters Charakteristisch für die Entwicklung der Altersstruktur in Japan ist der Rückgang der Anzahl der Jugendlichen (bis 15 Jahre) und die Zunahme der Anzahl der Alten (über 65 Jahre). Ein Hauptgrund für diese Entwicklung ist die Verschlech15 Die Scheidungsrate war 2002 am höchsten (0,23 %). Danach hat sie abgenommen (2014: 0,18 %). Das bedeutet nicht, dass die Scheidungen im Verhältnis zu Eheschließungen abgenommen haben. Die Anzahl der Eheschließungen hat an sich ziemlich abgenommen. Schon deswegen hat sich der Nenner (Eheschließungen) der Scheidungen verringert. 2014 betrug die Zahl der Eheschließungen in Japan insgesamt 649.000 (Heiratsrate: 0,52 %). Die Heiratsrate gibt die Eheschließungen einer bestimmten Population in einem Jahr an. Z. B. die Rate 0,10 % bedeutet, dass eine Ehe unter 1.000 Personen geschlossen wurde.
122
F. Gegenwärtige Tendenzen der Kriminalität
terung der Arbeitsbedingungen vor allem für junge Leute. Manche jungen Leute können nicht heiraten, weil sie wegen ihrer unsicheren Arbeitsplatzsituation keinen Lebensplan entwerfen können. Frauen müssen nach ihrer Verheiratung regelmäßig weiterarbeiten, auch unter schlechten Bedingungen; nicht zum Zweck der sozialen Teilhabe, sondern um das Familienleben finanziell zu unterstützen. Wenn sie dann Kinder bekommen, können sie nicht mehr weiterarbeiten, da es nicht genügend Kindergärten oder andere Betreuungseinrichtungen gibt. Die Gesamtzahl der Geburten beträgt weniger als die Hälfte der Zahl unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Am niedrigsten war die Gesamtzahl im Jahr 2014 bei 1.003.532 (vgl. Tabelle 6). Die Fertilitätsrate (Total Fertility Rate, abgekürzt TFR)16 war 2005 mit 1,26 am niedrigsten. d) Kriminalität auf Grund von Ausländerhass Die Diskriminierung gegenüber Koreanern oder Chinesen, die bis zum Zweiten Weltkrieg sehr häufig stattfand, hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem seit den 80er Jahren, deutlich verringert. Infolge der steigenden Bedrohung durch nordkoreanische Raketen hat sich in Japan eine Abneigung gegenüber Nordkorea verbreitet, die zu einer ablehnenden Atmosphäre gegenüber den in Japan wohnenden Nordkoreanern führte. Nachdem die Regierung Abe, die eine deutliche „Rechtstendenz“ zeigt, an die Macht gekommen war, hat sich zudem auch das politische Verhältnis zwischen Japan und Südkorea bzw. China verschlechtert. Seitdem ist das Phantom der Vergangenheit wieder deutlicher zu Tage getreten. Die Politik beeinflusst auch die Verhaltensweisen von Japanern gegenüber Ausländern. In diesem Bereich sind neue Formen von Kriminalität bemerkenswert. Auf Grund der Streitigkeiten um den Besitz der Liancourt-Felsen (auf Japanisch „Takeshima“), die zwischen Südkorea und Japan im Japanischen Meer liegen, haben sich Fälle von „Hassreden“17 in Japan vermehrt. In den letzten zehn Jahren ist das Verhältnis beider Länder eigentlich nicht schlecht gewesen. Der Kulturaustausch hat sich rasch entwickelt, vor allem durch koreanische Fernsehserien, die Japaner gerne anschauen. Viele Japaner reisen nach Korea, um die Drehorte der Fernsehserien zu besichtigen. Aber seitdem der ehemalige Präsident Koreas die umstrittenen Inseln besucht hat und Premierminister Abe in Japan angekündigt hat, den Standpunkt Japans hinsichtlich der während des Zweiten Weltkriegs durch japanisches Militär mehr oder weniger zur Prostitution gezwungenen Frauen und jungen Mädchen aus Korea und anderen asiatischen Län16 Die durchschnittliche Anzahl von Kindern, die eine Frau in ihrem Leben gebären würde, wenn ihre Fertilität im Alter von 15 bis 49 Jahren immer der altersspezifischen Fertilitätsrate entspräche. 17 Übersetzung des vor allem in den Vereinigten Staaten mehr oder weniger fest umrissenen Begriffs „Hate Speech“.
III. Soziale Ausgrenzung und Kriminalität in Japan
123
dern zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren, ist die Beziehung vor allem auf politischer Ebene schlecht geworden. In einem Stadtviertel in Tokyo, das als koreanisches Viertel bekannt und bei Japanern sehr beliebt ist, wurde mit Lautsprechern verkündet: „Wir töten die Koreaner“ oder „Geht zurück nach Korea“. Es gab aber auch Gegendemonstrationen von Japanern, die gegen diese Hassreden gerichtet waren. Am 3. Juni 2016 ist das „Gesetz zur Bekämpfung von Hate-Speeches“ (Gesetz Nr. 68) in Kraft getreten. Das Gesetz hat den Zweck, ungerechte diskriminierende Äußerungen oder andere Verhaltensweisen gegen Personen, die nicht aus Japan stammen, zu verhindern. Das Gesetz enthält jedoch keine Strafvorschriften zur „Hasskriminalität“18, auch nicht in Nebenstrafgesetzen. Die Anwendung der Straftatbestände wegen Ehrverletzungen oder Beleidigungen ist wegen der Unbestimmtheit des betroffenen Personenkreises oft schwierig. Es gibt aber gerichtliche Urteile in Zivilsachen, durch die Hassreden für rechtswidrig erklärt wurden. So hat eine Gruppe in Kyoto Hassreden gegen eine koreanische Schule initiiert, indem sie im Umfeld der Schule verbreitete, dass die Schule einen Park unrechtmäßig besetze. „Die Kinder werden durch Verbrecher erzogen“, hieß es, oder „geht zur Halbinsel zurück“ usw. Die Schule hat von den neun Mitgliedern dieser Gruppe vor Gericht Schadensersatz verlangt. Das LG Kyoto19 hat der Klägerin Schadensersatz wegen Geschäftsstörung und Ehrverletzung in Höhe von etwa 12 Millionen Yen zugesprochen und Hassreden20 mit Lautsprechern auf der Straße verboten. Die Hate-Speech der Aktivisten erfüllte den Tatbestand der „Rassendiskriminierung“ im Sinne des § 1 Abs. 1 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination). Gegen den Schulleiter, der den Park besetzt hatte, wurde wegen Verstößen gegen das „Stadtpark-Gesetz“ ein Strafbefehl in Höhe von etwa eintausend Euro erlassen. In strafrechtlicher Hinsicht wurde er wegen Beleidigung (§ 231 StGB) und Geschäftsstörung durch Machtdemonstration (§ 234 StGB) verurteilt21. Dennoch haben sich insgesamt die individuellen und privaten Beziehungen zwischen Koreanern und Japanern sowie zwischen Chinesen und Japanern größ18 Übersetzung des in den Vereinigten Staaten weitverbreiteten Begriffs „Hate C rime“, der dort allerdings im juristischen Sprachgebrauch zunehmend durch den Begriff „Bias Crime“ (Vorurteilsverbrechen) ersetzt wird. 19 (Erste Instanz) Urteil des LG Kyoto v. 7. 10. 2013, Hanrei Jiho Nr. 2208, S. 74; (Zweite Instanz) Urteil des OG Osaka v. 8. 7. 2014, Hanrei Jiho Nr. 2232, S. 34. Der OGH hat weitergehende Ansprüche der Klägerin abgelehnt (Beschluss des OGH v. 9. 12. 2014, LEX/DB). 20 Am 15. Januar 2016 hat der Kongress der Stadt Osaka eine „Stadtverordnung“ für die Regelung von „Hate Speeches“ beschlossen, zum ersten Mal in Japan. 21 Beschluss des OGH v. 23. 2. 2012, LEX/DB; (Erste Instanz) Urteil des LG Kyotov. 21. 4. 2011, LEX/DB; (Zweite Instanz) Urteil des OG Osaka v. 28. 10. 2011, LEX/DB.
124
F. Gegenwärtige Tendenzen der Kriminalität
tenteils nicht verschlechtert. Die dargestellte soziale Ausgrenzung wird vor allem durch fanatische Politiker, Journalisten und Teile der Bevölkerung befördert. 3. Kindesmisshandlung als Folge sozialer Ausgrenzung a) Das Gesetz zur Bekämpfung von Kindesmisshandlungen von 2000 Aus verschiedenen Gründen haben Kindesmisshandlungen in der Familie zugenommen und die öffentliche Wahrnehmung ist, u. a. durch eine vermehrte Berichterstattung, gestiegen. Japanische Familien sind heutzutage in der Regel Kleinfamilien, bestehend aus den Eltern und den Kindern. Großväter und -mütter, die früher ein Faktor in der Prävention familiärer Misshandlung waren, wohnen heute in der Regel nicht mehr mit der Familie zusammen. Deswegen ist niemand da, der eine Misshandlung verhindern kann. Die sozialen Systeme der Prävention von Kindesmisshandlung sind unterentwickelt. Im Jahre 2000 ist das „Gesetz zur Bekämpfung der Kindesmisshandlung usw.“ in Kraft getreten. Das Gesetz verbietet in § 3 die Kindesmisshandlung: „Niemand darf Kinder misshandeln“. Eine Strafandrohung enthält das Gesetz allerdings nicht. Das Gesetz definiert den „Kindesmissbrauch“ in § 2. Danach bedeutet „Kindesmissbrauch“, dass der zum Schutz von Kindern Verpflichtete gegenüber einem zu beschützenden Kind unter 18 Jahren eine der folgenden Verhaltensweisen an den Tag legt: (1) Ausübung von Gewalttaten, die dem Köper des Kindes Wunden zufügen oder die Gefahr einer solchen Verletzung verursachen, (2) Vornahme obszöner Handlungen an Kindern oder Vornehmenlassen solcher Handlungen durch Kinder, (3) unzureichende Ernährung oder lang andauernde Vernachlässigung von Kindern, die die normale Entwicklung des Körpers und der Psyche der Kinder erheblich beeinträchtigen; das Tolerieren der oben unter (1) oder (2) oder unter (4) geschilderten Verhaltensweisen durch den Mitbewohner22; sowie der in erheblicher Weise unterlassene Schutz der Kinder, (4) erheblich verletzende Äußerungen oder erheblich ablehnende Verhaltensweisen gegen Kinder; Gewalttaten gegen Ehepartner in der Familie, in der die Kinder leben; sonstige Äußerungen oder Verhaltensweisen, die bei den Kindern ein erhebliches psychisches Trauma verursachen können. Das Gesetz enthält also vier Kategorien von Kindesmisshandlung: (1) Körperliche Misshandlung, (2) Sexuelle Misshandlung, (3) Vernachlässigung und (4) Psychische Misshandlung. 22 Damit werden insbesondere Fälle erfasst, in denen zugezogene Stiefeltern die Kinder des leiblichen Elternteils misshandeln.
III. Soziale Ausgrenzung und Kriminalität in Japan
125
b) Gegenwärtige Situation Es gibt in Japan überall sog. „Beratungsstellen für Kinder“. Diese übernehmen die Beratungen in Fällen von Kindermissbrauch. Die Statistik für das Jahr 2013 zeigt 73.765 Fälle, eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr (2012 etwa 66.800 Fälle) um 10,6%. Seit dem Beginn der statistischen Untersuchung im Jahr 1990 ist die Zahl kontinuierlich angestiegen. Die Anzahl der Fälle und die familiäre Stellung der registrierten Täter von Kindesmissbrauch kann folgender Tafel entnommen werden: Tabelle 7 Täter von Kindesmissbrauch Täter
alle Delikte
Tötung
Körperverletzung
Körperverletzung mit Todesfolge
Gewalttat
Gesamtzahl der Fälle
811
42
362
14
239
Männliche Täter insgesamt
614
7
269
10
190
Leiblicher Vater
336
7
147
7
128
Pflege- oder Stiefvater
152
–
66
2
27
Nichtehelicher Lebens gefährte der Mutter
99
–
47
–
26
Sonstiger Mann
27
–
9
1
9
Weibliche Täter insgesamt
197
35
93
4
49
Leibliche Mutter
180
34
82
4
47
Pflege- oder Stiefmutter
6
–
5
–
1
Nichteheliche Lebens gefährtin des Vaters
4
–
3
–
–
Sonstige Frau
7
1
3
–
1
Aus: Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 285.
Hinter diesen Missbrauchsfällen verbirgt sich oft die Armut eines jungen Ehepaars ohne ausreichende Arbeitsplätze. 4. Mobbing in der Schule als erste soziale Ausgrenzung „Mobbing“ in der Schule ist eine psychische Beeinträchtigung von Schulkindern, die einem psychischen oder physischen Angriff von Klassenkameraden, zu denen sie in einer Beziehung stehen, ausgesetzt sind. Es gibt in Japan ein „Gesetz zur Förderung der Bekämpfung und Prävention von Mobbing“.23 In § 2 Abs. 1 23
Gesetz Nr. 71, vom 28. 06. 2013.
126
F. Gegenwärtige Tendenzen der Kriminalität
enthält es eine Definition, die der soeben genannten ähnelt. Dort heißt es noch zusätzlich: „erfasst werden auch Taten, die durch das Internet begangen wurden.“ 5. Jugendkriminalität als Folge sozialer Ausgrenzung a) Gewalttätigkeiten in der Familie: der Kanagawa-Metallschläger-Mordfall Die Anzahl der Fälle von Gewalttätigkeiten in der Familie hat sich 2012 im Vergleich zum Vorjahr erhöht. Bei häuslicher Gewalt („domestic violence“) gibt es verschiedene Fallgruppen: Der Mann übt Gewalt gegen die Frau oder die Kinder aus, oder ein Sohn übt Gewalt gegen seine Mutter oder seinen Vater aus. Hier beziehe ich mich nur auf die Gewalttätigkeiten von Kindern gegenüber ihren Eltern. Diese Fallgruppe ist schon seit Langem auffällig. Ein bekannter Fall ist der sog. Kanagawa-Metallschläger-Mordfall aus dem Jahr 1980. Am 29. November 1980 tötete ein junger Mann (im Alter von 20 Jahren), der mehrmals an der Aufnahmeprüfung der Universität gescheitert war, seinen Vater und seine Mutter mit einem Baseballschläger aus Metall. Dieser Fall ist als eine Tragödie in einer Elitefamilie bekannt geworden. Der Vater war ein hochrangiger Angestellter in einer großen Handelsfirma, der die renommierte Universität Tokyo absolviert hatte. Der Bruder des Täters hatte auch eine bekannte Universität absolviert. Der Junge war am Anfang in der Schule gut, konnte aber keinen Abschluss in einem guten Gymnasium erlangen. Der Täter hat sich in der elitären Familie isoliert gefühlt. Das Schulsystem und die familiäre Erziehung scheint seine soziale Ausgrenzung verursacht zu haben. b) Innere Ausgrenzung der Jugendlichen Einige brutale Mordfälle in Japan wurden durch Kinder oder Jugendliche, die an Autismus oder anderen Entwicklungsstörungen leiden, begangen. Eine 19-jährige Studentin hat im Dezember 2014 in Nagoya eine alte Frau mit einem Beil verletzt und mittels eines Halstuchs erwürgt, weil sie – wie sie später aussagte – „seit Langem einen Menschen töten wollte“. Vorzeichen dieses brutalen Falls waren mehrere relativ geringfügige Taten, die diese Jugendliche zuvor begangen hatte. Hier ist auch noch der Sasebo-Schulkameradin-Mordfall zu nennen, der sich am 26. Juli 2014 in Sasebo in der Präfektur Nagasaki ereignet hat. Vielleicht hat auch dieser Fall einen familiären Hintergrund. Eine 15-jährige Gymnasiastin hat in ihrer Wohnung eine Klassenkameradin brutal getötet. Sie hat dieser zuerst mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen und anschließend das Opfer mit einer Schnur erdrosselt. Danach hat sie eine Hand des Opfers mit einer Säge abgeschnitten und dem Mädchen den Bauch aufgeschlitzt. Die beiden Gymnasiastinnen hatten zuvor nicht gestritten. Die Täterin hat gegenüber der Polizei
III. Soziale Ausgrenzung und Kriminalität in Japan
127
gestanden: „Ich wolle einmal einen Menschen töten und in das Innere des Körpers hineinschauen“. Den Hammer und die Säge hatte sie einige Tage vor der Tat gekauft. Die Täterin hatte geplant, das Opfer zu sich einzuladen, um es zu töten. Sie hatte bereits als Schulkind mehrmals Kleintiere und auch Katzen seziert. Ihr Vater ist ein reicher und bekannter Rechtsanwalt. Ihre im Dezember des Vorjahres an einer Krankheit gestorbene Mutter hatte die Universität Tokyo besucht und war in der Stadt Sasebo ein Mitglied des Ausbildungskomitees gewesen. Der Vater hatte im Jahr der Tat erneut geheiratet, eine junge Frau. Im März hatte das Mädchen ihren Vater mehrmals mit einem Schläger geschlagen, wodurch dieser mehrere Zähne verloren hatte. Seit April wohnte das Mädchen allein in der Wohnung ihres Vaters. Sie hatte immer sehr gute Noten in der Schule bekommen und wollte später Staatsanwältin werden und ihrem Vater und ihrem Bruder, der auch Rechtsanwalt werden wollte, im Gerichtssaal gegenüberstehen. Es ist noch nicht geklärt, was genau die Ursachen dieser Tat waren. Vielleicht beeinflusste ihr familiäres oder schulisches Umfeld die Schülerin negativ in ihrer Persönlichkeitsbildung. Die Ausgrenzung entstand wohl auch innerlich. Die Gymnasiastin wurde am. 13. 7. 2015 durch das Familiengericht ins medizinische Jugendhaus (Iryo Shonen-In) eingewiesen.24 c) Kriminalität der jungen Generationen in Bezug auf das Internet aa) Gruppengewalt nach Mobbing Soziale Ausgrenzung entsteht auch in der neuen Internetgesellschaft. Fast alle Jugendlichen besitzen heute Smartphones. Ohne Smartphone können sie keine Freundschaften schließen, da sie keine Zeit haben, immer zusammen zu sein. Heutzutage müssen Schüler nicht einige wenige enge Freunde, sondern je nach der Phase ihres Lebens, verschiedene und große Freundeskreise haben. Dieses Bild entspricht genau dem bei Erwachsenen im Berufsleben. Die Jugendlichen haben oft nur „lose“ Freundschaftsverhältnisse, weil sie häufig nur noch digital kommunizieren und sich nicht mehr real oder direkt treffen. In der SmartphoneZeit ist vor allem die sofortige kurze Korrespondenz für die Freundschaft sehr wichtig. In Japan heißt es, dass man isoliert und ausgegrenzt ist, wenn man keine sofortige Antwort auf eingehende Mails über LINE oder Facebook gibt. Deswegen muss man immer sein Smartphone dabeihaben und sich sofort zurückmelden, auch wenn die Antwort nur aus einem „schön“ oder „gut“ besteht. Andernfalls wird man „gemobbt“. Das Mobbing entwickelt sich manchmal zu Gruppen-Gewalttätigkeiten mit Körperverletzungen gegen das Mobbing-Opfer. 24 Der Vater hat nach der Festnahme seiner Tochter am 15. Oktober 2014 Suizid begangen.
128
F. Gegenwärtige Tendenzen der Kriminalität
bb) Drohung nach dem Ende einer Beziehung Derzeit häufen sich Fälle, in denen Männer nach einem Beziehungsende der vorigen Partnerin drohen, was wahrscheinlich als eine Art von „Nachstellung“ (Stalking) einzustufen ist. Ein typischer Fall: Ein Mann und eine Frau lernen sich über eine sogenannte „Treffpunkt-Site“ kennen und beginnen ein Verhältnis miteinander. Während der Beziehung sagt der Mann zu der Frau, dass er gerne Fotos von ihren Brüsten hätte, worauf sie ihm derartige Fotos per Mail schickt. Nach dem Ende der Beziehung droht er ihr damit, dass er die Fotos im Internet veröffentlicht, wenn sie nicht noch einmal mit ihm zusammenkommt. 6. Alte Menschen als Opfer der sozialen Ausgrenzung Alte Menschen werden häufig Opfer von Kriminalität, vor allem dann, wenn sie allein wohnen. Sie werden aber manchmal auch zu Tätern. Beides entsteht als Folge sozialer Ausgrenzung. a) Enkelbetrug Heutzutage nimmt die Anzahl der sog. „Kleinfamilie“, bestehend aus Vater, Mutter und einem Kind, stark zu. Die Großeltern wohnen oft auf dem Lande, manchmal auch nur ein Großelternteil allein. Deren Söhne und Töchter haben ihre eigenen Familien in den großen Städten und besuchen sie selten. Auch Großeltern in großen Städten wohnen oft allein. Schon seit zehn Jahren vermehrt sich der sog. „Enkelbetrug“ oder „Enkeltrick“. Ein Mann ruft beispielsweise eine alte Frau an, die allein wohnt, und sagt zu ihr: „Großmutter, ich bin’s, dein Enkel. Ich habe in meiner Firma einen Fehler gemacht und dabei Geld der Firma verloren. Wenn ich es aber in einigen Tagen der Firma zurückgebe, wird es kein Problem geben und ich kann dort weiterarbeiten. Kannst Du mir das Geld überweisen?“ Oder er sagt: „Ich schicke jemanden zu Dir, um das Geld abzuholen“, weil die Banken heutzutage sehr vorsichtig sind und Gegenmaßnahmen getroffen haben. Dieser Anruf kommt manchmal über das Internet aus China. Es ist deswegen schwer, den Anrufer zu bestimmen. Dieser Betrug wird meistens von organisierten weit verzweigten Gruppen begangen. Dabei sind die Tatbeiträge auf unterschiedliche Täter verteilt und manchmal weiß nicht einmal der Geldempfänger etwas von dem kriminellen Vorhaben der Hintermänner.
III. Soziale Ausgrenzung und Kriminalität in Japan
129
b) Mordfälle bei der Betreuung von Großeltern durch den betreuenden Sohn oder die Tochter Die durchschnittliche Lebenserwartung von Japanern beträgt mittlerweile nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern mehr als 80 Jahre. Oft müssen sich Ehefrauen oder Ehemänner um ihren betreuungsbedürftigen Ehepartner kümmern, obwohl sie selbst schon über 90 Jahre alt sind. Auch wenn sie eigene Kinder haben, können die Kinder ihre Eltern regelmäßig nicht ausreichend betreuen. Die meisten Großeltern haben zwei Kinder, von denen manchmal eines nicht verheiratet und selbst schon älter als 60 oder sogar 70 Jahre ist. Diese Kinder müssen dann oft ihre über 80 oder 90 Jahre alten Eltern betreuen. Man nennt diese Situation „Pflege der Alten durch Alte“ (Ro-Ro-Kaigo). Irgendwann gelangt dann der alte Betreuer ans Ende seiner Kräfte. Er fühlt sich hilflos, müde und hoffnungslos. Die Mutter sagt beispielsweise: „Ich möchte ohne deine Hilfe nicht mehr leben“. Oder der Vater erkrankt an Alzheimer und sagt zur betreuenden Tochter: „Ich kenne Sie gar nicht. Ich bin Ihnen aber sehr dankbar. Obwohl Sie ganz fremd sind, sind Sie so nett zu mir“. Es gibt viele Fälle, in denen ein alter Partner den anderen bzw. der Sohn oder die Tochter den Vater oder die Mutter wegen ihrer Müdigkeit oder Hilflosigkeit tötet und dann Selbstmord begeht. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen der alte Sohn den noch älteren Vater misshandelt. Es gibt nicht genügend soziale Hilfs einrichtungen wie Altersheime oder Tagespflege-Systeme. Alte Menschen sind sozial ausgegrenzt. c) Vermehrte Kriminalität von alten Menschen In Japan waren am 15. 9. 2016 etwa 34 Millionen Menschen 65 Jahre oder älter, dies entspricht einem Anteil an der Gesamtpopulation von 27,3 %. Nach dem Weißbuch der Kriminalität von 2017 lag 2016 die Anzahl der als Straftäter ermittelten alten Menschen bei 46.977. Das sind 20,8 % der insgesamt ermittelten Straftäter. Das ist etwa das Vierfache der Zahl von 1997. Bei 57,8 % dieser Straftaten handelt es sich um Ladendiebstähle, bei 14,5 % um andere Formen des Diebstahls. Zum Vergleich: Betrachtet man nicht nur die alten, sondern alle Täter, beträgt der Anteil des Ladendiebstahls an der Gesamtzahl der Straftaten 31,4 % und der des sonstigen Diebstahl 20,4 %. Insbesondere bei weiblichen älteren Tätern ist der Anteil des Diebstahls extrem hoch: Er beträgt 92,6 % der von weiblichen älteren Tätern begangenen Straftaten, darunter der Ladendiebstahl mit 81,2 %. Aber auch bei anderen Straftaten wie Tötung, Körperverletzung oder Raub steigt die Anzahl der ermittelten älteren Täter25. 25 Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 182. Die Zahl der ermittelten alten Täter von Körperverletzungen und Gewalttätigkeiten betrug 2016 bereits 5.523.
F. Gegenwärtige Tendenzen der Kriminalität
130
Tabelle 8 Prozentualer Anteil einzelner Delikte an den Straftaten aller ermittelter Täter und an den von alten Menschen begangenen Straftaten Delikt
Ladendiebstahl
Diebstahl GewaltUnteraußer Laden tat schlagung diebstahl
Betrug
sonstige Delikte
alle Täter
31,4
20,4
19,9
9,9
4,4
14,1
alte Menschen
57,8
14,5
11,6
7,5
1,7
6,9
Aus: Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 182.
Die Altersstruktur der Insassen von Strafanstalten stellte sich 2016 wie folgt dar: Von den männlichen Gefangenen waren 14,9 % in den Zwanzigern, 23,4 % in den Dreißigern, 27,0 % in den Vierzigern, 24,1% in den Fünfzigern bis einschließlich des 64. Lebensjahres und 10,3 % der Insassen waren 65 Jahre alt oder älter. Bei den weiblichen Gefangenen waren 10,4 % in den Zwanzigern, 22,2 % in den Dreißigern, 30,4 % in den Vierzigern, 21,8 % in den Fünfzigern bis einschließlich des 64. Lebensjahres und 15,0 % der Inhaftierten waren 65 Jahre alt oder älter. Bei weiblichen Gefangenen ist der Anteil alter Menschen höher als bei männlichen.26 Die Anzahl der Inhaftierungen alter Menschen hat sich in den letzten zwanzig Jahren jährlich erhöht. Im Jahre 2016 war sie vier- bis fünfmal so hoch wie im Jahr 1996. Damit erhalten die Strafanstalten partiell den Charakter von Altersheimen. Am 26. Januar 2016 berichtet das Justizministerium sogar, dass bei 13,8 % der Insassen (1.300 Personen), die älter als sechzig sind, vermutet wird, sie seien dement27.
IV. Organisierte Kriminalität 1. Von den Yakuza zu den Boryokudan Mit dem Begriff „Yakuza“28 werden kriminelle Organisationen in Japan bezeichnet. Bis zu den 60er Jahren bildeten Yakuza eine Antithese zur ordentli26
Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 51.
27 http://www.moj.go.jp/kyousei1/kyousei08_00062.html 28 Das Wort „Yakuza“ bedeutet eigentlich „unnützliche“ oder „wertlose“ Dinge. Etymologisch kommt das Wort aus dem Bereich der Glücksspiele: Bei einem bestimmten japanischen Kartenspiel ist die Kombination von Karten mit den Werten „Acht“ („Ya“), „Neun“ („Ku“) und „Drei“ („Za“) (das von „San“ durch „liaison“ verändert worden ist) die schlechtmöglichste Kombination, denn die addierten Kartenwerte ergeben zwanzig, welche die schlechteste Zahl des Spiels ist. Das Wort ist eine allgemeine Bezeichnung derjenigen, die nicht von einem richtigen Beruf, sondern – im Rahmen einer Vereinigung – von illegalen Tätigkeiten leben.
IV. Organisierte Kriminalität
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chen Gesellschaft. Mehrmals wurden Filme über Yakuza gedreht, die als Helden und „Outlaws“ gegen die etablierte Herrschaftsordnung eintreten und sich für das Volk einsetzen. Seit den 1970er Jahren werden sie nicht mehr als Helden angesehen, sondern ihre Gruppierungen bloß als gewalttätige kriminelle Banden eingeordnet. Die Yakuza werden somit in der Gegenwart als „Boryokudan“ (im ursprünglichen Sinn: gewalttätige Vereinigung) bezeichnet. Die Bildung einer kriminellen Vereinigung an sich ist in Japan nicht strafbar. Die Polizei erfasst die Organisationen, ihre Mitglieder oder Bosse, Einkommen oder finanzielle Quellen ausführlich. Es gibt derzeit 21 Verbände, die von der Polizei aufgrund des Boryodukan-Bekämpfungs-Gesetzes registriert wurden; diese registrierten Verbände werden „Shitei Boryodukan“ genannt.29 Die drei größten dieser Verbände – Yamaguchi-Gumi30, Inagawa-Kai und Sumiyoshi-Kai – haben inzwischen ca. 14.700 Mitglieder, was etwa 73 % der gesamten Mitglieder der Boryokudans entspricht31. 2. Boryokudan-Bekämpfungs-Gesetz (BBG) Das „Gesetz betreffend die Bekämpfung der rechtswidrigen Taten durch Mitglieder der Boryokudan“ (Boryokudan-Bekämpfungs-Gesetz bzw. BBG) wurde als Gesetz Nr. 77 am 15. März 1991 verkündet und trat am 1. März 1992 in Kraft. Das Gesetz wurde inzwischen mehrmals reformiert. Wichtig war die Reform von 2012 (Gesetz-Nr. 53), die die Regelungen in verschiedenen Bereichen verschärfte. Was ist unter dem Begriff „Boryokudan“ zu verstehen? Das Gesetz definiert Boryokudan in § 3 als eine „Vereinigung, die die Gefahr begründet, ihre Mitglieder bei kollektiven bzw. gewöhnlichen Gewalttaten zu unterstützen“. Ein wesentliches Merkmal des Gesetzes besteht darin, dass es kein Nebenstrafgesetz, sondern ein Verwaltungsgesetz ist. 29 § 3 des Boryokudan-Bekämpfungs-Gesetzes regelt, dass das Komitee für öffentliche Sicherheit in der jeweiligen Präfektur die Vereinigungen, die eine Gefahr begründen, indem sie ihre Mitglieder bei kollektiven bzw. gewöhnlichen Gewalttaten unterstützen, als registrierte Verbände (Shitei Boryokudan) bestimmt. Wenn die Mitglieder dieser registrierten Verbände den Tatbestand eines „illegalen Verlangens“ (Das Gesetz regelt 27 Tatbestände eines „illegalen Verlangens“ in § 9 Nr. 1 bis 27, z. B. das Verlangen von Geschenken oder von Vermögenswerten [die keine Sachen sind] als Schweigegeld oder Schutzgeld in ihrer Einflusssphäre usw.) gegenüber den Bürgern erfüllen, indem sie ihre Macht als gewalttätige Gruppe nutzen, kann das oben genannte Komitee die Beendigung solcher Taten und erforderliche Maßnahmen befehlen (§ 9 ff.). Die Verletzung dieses Befehls wird mit Zuchthaus (z. B. bis zu 3 Jahre) oder mit Geldstrafe (z. B. 5 Millionen Yen) bestraft (§ 46 ff.). 30 Yamaguchi-gumi hat sich am 27. August 2015 als Folge des Machtstreites in Yamaguchi-gumi und Kobe-Yamaguchi-gumi aufgespaltet. Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppierungen, bei denen auch Mitglieder erschossen wurden, dauern noch an. 31 Weißbuch der Kriminalität von 2016, S. 158.
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F. Gegenwärtige Tendenzen der Kriminalität
Das Ziel des Gesetzes wird in § 1 bestimmt: „Dieses Gesetz hat den Zweck, die Sicherheit und den Frieden des bürgerlichen Lebens zu gewährleisten und damit die Freiheit und die Rechte der Bürger zu schützen. Es bestimmt die erforderlichen Regelungen in Bezug auf die unrechtmäßige Einforderung von Geld, Sachen usw. durch Boryokudan-Mitglieder. Ferner sind die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um Gefahren für das bürgerliche Leben durch Streitigkeiten zwischen verfeindeten Boryokudan-Vereinigungen abzuwenden. Um Schaden durch Handlungen der Boryokudan vorzubeugen, sind zivile gemeinnützige Vereinigungen zu unterstützen.“ Das Gesetz zeigt allmählich Wirkung. Die Tätigkeiten der Boryokudan-Mitglieder sind durch die strenge Anwendung des Gesetzes stark eingegrenzt. Dabei haben die „Präfekturenverordnungen für die Ausgrenzung der Boryokudans“, die bis 2011 in allen Präfekturen in Japan in Kraft getreten sind, das Gesetz unterstützt. Die Anzahl der Mitglieder hat sich allmählich reduziert. 2015 ist die Anzahl der gesamten Mitglieder etwa auf die Hälfte im Vergleich zu 2006 geschrumpft. Man kann anhand der folgenden Abbildung 5 die Verringerung der Mitgliederzahl und die Vergrößerung der Quasi-Mitgliederzahl nachvollziehen32. 3. Traditionelle Finanzierungsmethoden Die traditionellen Finanzierungsmethoden sind der Drogenhandel mit Amphetaminen und vergleichbaren Substanzen, Glücksspiele, Wettmanipulationen und Schutzgelderpressungen. Sie machen mehr als 50 % des gesamten Einkommens der Boryokudan aus33: Unter Androhung von Gewalt verlangen die Boryokudan Gelder von Geschäftsinhabern in ihren Einflussgebieten, den sogenannten „Nawabari“34. Diese Einnahmen werden als „Mikajimeryo“ (Platzgeld) bezeichnet. Schutzgelder werden auch von Gaststättenbetrieben, Spielhallen und Budenbesitzern (fliegenden Händlern) verlangt. Durch stillschweigende Drohungen und Machtdemonstrationen erhalten sie zudem ungerechtfertigte Geldspenden und verkaufen oder verleihen Waren zu extrem überhöhten Preisen. So bringt ihnen der Verkauf künstlicher Blumen für die Innenausstattungen von Gaststätten das 32 Die Graphik wurde auf der Grundlage von Daten aus einer Tabelle in „Weißbuch der Kriminalität von 2016“, S. 158 erstellt. – Ein „Quasi-Mitglied“ ist derjenige, der ohne selbst Mitglied eines Boryokudans zu sein, Beziehungen zu einem Boryokudan unterhält und Dritten mit gewalttätigen Taten durch den Boryokudan drohen kann (z. B. um Schutzgeld zu erpressen) oder der den Betrieb des Boryokudans unterstützt, indem er etwa Geldmittel bereitstellt oder Waffen liefert. 33 Vgl. Iishiba, a. a. O., S. 118. 34 Wörtlich übersetzt „die Absperrung des Platzes mit einem Seil“, d. h. also der Machtbereich einer Gruppe.
IV. Organisierte Kriminalität
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2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 0 Quasi-Mitgliederzahl
Mitgliederzahl
Gesamtzahl
Abb. 5 Anzahl der Boryokudan-Mitglieder zwischen 2006 und 2015
sogenannte „Yojinboryo“ (Schutzgeld i. e. S.)35 ein. Es umfasst auch die Leihe feuchter Handtücher („Oshibori“) an Gaststätten für deren Gäste. Die Boryokudan finanzieren sich außerdem durch Beiträge ihrer Mitglieder und untergeordneter Vereine. Die Gelder werden von den unteren Schichten zur Führungsspitze geleitet und „Jonokin“ (Zollabgabe) genannt36. 4. Finanzierung unter dem Deckmantel der Legalität Die Boryokudan dehnen mittlerweile ihre Aktivitäten auf den Immobilienhandel, auf Geldgeschäfte und Geschäfte mit Bauunternehmen aus. Dazu gründen und betreiben sie Unternehmen oder stehen mit führenden Personen von Unternehmen in enger Verbindung. Diese Personen werden „Unternehmensbrüder“ („Kigyoshatei“) genannt. Sie sind an der Erhaltung oder dem erfolgreichen Wirken der Organisation interessiert und setzen sich aktiv für die Boryokudan ein, z. B. finanzieren sie die Banden.
35 „Mikajimeryo“ und „Yojinboryo“ lassen sich begrifflich nicht klar unterscheiden. Für das Wort: „Mikajime“ gibt es unterschiedliche etymologische Erklärungen. Nach einer von ihnen kommt das Wort von „Termin der Bezahlung dieses Geldes: am dritten jeden Monats“. „Yojinbo“ bedeutet „Leibwache“, „Ryo“ bedeutet „Kost“. 36 Die Polizei hat 2015 die führenden Mitglieder eines Boryokudans (Kudo-Kai) in Kita-Kyushu wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung festgenommen. Diese Festgenommenen hatten die Zollabgabe (Jonokin) zu persönlichen Zwecken verwendet, ohne dem Finanzamt diese Einnahmen zu melden. Das war der erste Versuch der Polizei, wegen der Hinterziehung der Zollabgabe Boryokudanmitglieder in Führungspositionen zu verfolgen.
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F. Gegenwärtige Tendenzen der Kriminalität
5. Initiative zur sozialen Ausgrenzung der Boryokudan a) „Not bricht Eisen“ (Rache der Boryokudan) Eine von der Polizei initiierte Aktion zur sozialen Ausgrenzung der Boryokudan durch normale Bürger war einerseits durchaus erfolgreich, denn die gegen die Boryokudan gerichtete Bewegung verbreitete sich dadurch unter Geschäftsleuten und auch unter normalen Bürgern, wodurch die Tätigkeiten der Boryokudan in der Gesellschaft erschwert werden. Andererseits provozierte sie die Rache der Boryokudan. So wurde z. B. ein Geschäft, dessen Inhaber sich weigerte, weiterhin Schutzgeld zu bezahlen, durch Mitglieder der Boryokudan beschädigt und der Inhaber wurde bedroht. In der Vergangenheit waren direkte Gewalttätigkeiten gegen normale Bürger kaum verbreitet, haben aber mittlerweile in Städten wie Kokura auf der Insel Kyushu stark zugenommen. Die Boryokudan sind in die Enge getrieben. Beim größten Boryokudan-Verband, „Yamaguchi-Gumi“, kam es 2015 zu einer Abspaltung, was zu blutigen Auseinandersetzungen führte. b) Soziale Ausgrenzung der Boryokudan durch die Justiz Diese soziale Ausgrenzung der Boryokudan lässt sich auch in der gerichtlichen Praxis erkennen: Ansatzpunkt dafür ist die ziemlich weite Auslegung des Betrugstatbestands durch die japanische Justiz37. Vor kurzem hat die Rechtsprechung zwei Angeklagte wegen Sachbetrugs (§ 246 Abs. 1 StGB) verurteilt, die in einer Bank zwar unter ihrem Name ein Konto eröffnet hatten, das Konto aber einem anderen übergeben wollten (Kontoeröffnungsfall), und die eine Bordkarte für einen Auslandsflug auf ihren Namen gebucht, aber an Dritte weitergegeben haben (Bordkartenfall). In beiden Fällen hatten die Täter nämlich das Kontobuch und die Geldkarte bzw. die Bordkarte, also jeweils „Sachen“ bekommen. Die zur Verurteilung führenden Überlegungen gelten gleichermaßen auch für eine Kontoeröffnung oder den Abschluss eines Wohnungsmietvertrags durch Boryokudan-Mitglieder oder auch für den Beitritt zu einem Golf-Club, wenn die Mitglieder ihre Zugehörigkeit zum Boryokudan bei Vertragsschluss nicht offengelegt haben38. 37 Vgl. unten Abschnitt R., III., 1., c), bb) und auch noch Yamanaka, Einige Bemerkungen zum Verhältnis zwischen „Eigentums-“ und „Vermögensdelikten“ anhand der Entscheidungen in der japanischen Judikatur, in ZIS 5/2012, S. 253 ff. Vgl. auch Junko Yamanaka, Zur Anwendungsgrenze des Betruges in Japan anhand der Fälle über die Boryokudan-Ausschließung, in: Joerden/Schmoller (Hrsg.), FS Yamanaka, S. 371 ff. Über die Anwendungssituation des Betruges in den letzten Jahren durch den OGH vgl. Takaaki Matsumiya, Erklärungen von den wissenschaftlichen Mitarbeitern (Strafrecht), in: Ichikawa/Okubo/Saito/Watanabe (Hrsg.), OGH in Japan, S. 277. 38 Urteil des LG Kobe v. 28. 5. 2008, LEX/DB; Urteil des LG Kyoto v. 25. 3. 2014, LEX/DB; Urteil des OGH v. 28. 3. 2014, Keishu Bd. 68, H. 3, S. 582 (Verurteilt); (Erste
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Die Rechtsprechung ist inzwischen der Meinung, dass die Verheimlichung der Tatsache, dass man Mitglied eines Boryokudan ist, beim Kontoeröffnungs-, Golfklubmitgliedschafts- oder Flugbeförderungsvertrag dann den Betrug konstituiert, wenn der Handelnde diese Tatsache trotz einer diesbezüglichen klaren Anfrage verschwiegen hat39. Dadurch ist es grundsätzlich schwierig geworden, als Mitglied der Organisation zu leben. Die soziale Ausgrenzung wird somit auch durch die Justiz unterstützt.
Instanz) Urteil des LG Nagoya v. 12. 4. 2012, Keishu Bd. 68, H. 3, S. 674; (Zweite Instanz) Urteil des OG Nagano vom 23. 4. 2013, Keishu Bd. 68, H. 3, S. 686; Urteil v. 28. 3. 2014, Saibanshu Keiji Nr. 313, S. 329 (Freigesprochen); (Erste Instanz) Urteil des LG Miyazaki v. 21. 5. 2012, Keishu Bd. 68, H. 3, S. 628; (Zweite Instanz) Urteil des OG Fukuoka v. 6. 12. 2012, Keshu Bd. 68, H. 3, S. 636.; Beschluss des OGH v. 7. 4. 2014, Keishu Bd. 68, H. 4, S. 715. 39 Diese Anwendung des Betrugstatbestandes zum Zwecke der Ausgrenzung der Boryokudans führte zur Festnahme des Bosses der größten gewalttätigen Gruppe. Am 6. Juni 2017 wurde der Boss der Kobe-Yamaguchigumi-Gruppe wegen des Verdachts des Betruges festgenommen. Er hatte sich von einer Bekannten in ihrem Namen ein Handy kaufen lassen.
G. Sinn und Funktion des Gesetzlichkeitsprinzips I. Das Gesetzlichkeitsprinzip und die daraus abgeleiteten Grundsätze 1. Keine Vorschriften zum Gesetzlichkeitsprinzip im geltenden StGB § 2 des alten StGB von 1880, welches das erste moderne StGB war, das von den europäischen Rechtsgedanken beeinflusst wurde, enthielt eine Regelung des Gesetzlichkeitsprinzips: „Eine Tat, für die im Gesetz keine Strafvorschrift vorhanden ist, kann nicht bestraft werden“. Diese Regelung stand im Gegensatz zu den zuvor geltenden Strafgesetzen, die eine analoge Anwendung von Strafvorschriften erlaubten. Das geltende StGB von 1907 beinhaltet keine dem alten § 2 StGB entsprechende Vorschrift. Dies bedeutet nicht, dass das geltende StGB das Gesetzlichkeitsprinzip verneint. Dieses ist schon in der Meiji-Verfassung von 1889, die vor dem geltenden StGB in Kraft getreten ist, geregelt: „Die japanischen Untertanen sollen ohne gesetzliche Regelung weder Festnahme bzw. Haft noch Verfahren oder Bestrafung unterzogen werden“. Wenn man heute das japanische Rechtssystem nach dem Gesetzlichkeitsprinzip durchsucht, wird man in § 31 der Verfassung von 1947 fündig: „Niemand darf seines Leben oder seiner Freiheit beraubt oder sonst bestraft werden, es sei denn, dass dies durch ein gesetzlich bestimmtes Verfahren erfolgt“. § 31 der Verfassung scheint seinem Wortlaut nach eine rein prozessuale Klausel (due process1) zu sein, ist aber auch als Vorschrift des Gesetzlichkeitsprinzip im materiellrechtlichen Sinn zu verstehen. Dass das geltende StGB keine ausdrückliche Regelung des Gesetzlichkeitsprinzips kennt, hat mithin keinen Einfluss auf dessen Beachtung bei der Auslegung des geltenden StGB. Das Gesetzlichkeitsprinzip, das ein konkreter Ausdruck des Rechtsstaatlichkeitsgedankens ist, basiert auf zwei wichtigen politischen Grundsätzen: Liberalismus und Demokratie. 2. Abgeleitete Grundsätze Aus dem Gesetzlichkeitsprinzip2 lassen sich weitere Grundsätze ableiten: Ausschaltung des Gewohnheitsstrafrechts, Verbot der Rückwirkung, Verbot der 1 Vgl. der 5. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von 1791, der u. a. garantiert, dass niemand ohne rechtsstaatliches Verfahren (due process of law) verurteilt wird. 2 Vgl. Yamanaka, Das Gesetzlichkeitsprinzip im japanischen Strafrecht, in: Strafrechtsdogmatik, S. 33 ff.
II. „Elastische Auslegung“ als Interpretationstechnik der Juristen?
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Analogie, Bestimmtheitsprinzip. Dazu kommt noch der „Grundsatz der materiell gerechten Bestrafung“3, mit dem die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes geprüft werden kann. Dieser Grundsatz bezieht sich eher auf inhaltliche Anforderungen, die das Gesetzlichkeitsprinzip stellt. Man kann ihn daher als „sub stantielles Gesetzlichkeitsprinzip“ bezeichnen. Das Verbot der Rückwirkung des Gesetzes findet sich in § 6 StGB. Die Verfassung enthält außer der allgemeinen Vorschrift zum Gesetzlichkeitsprinzip in § 31 auch eine Regelung des Rückwirkungsverbots (§ 39 Verf.).
II. „Elastische Auslegung“ als Interpretationstechnik der Juristen? 1. Die Unterscheidung zwischen Analogie und erweiterter Auslegung Analogien sind bei der Gesetzesauslegung verboten, sofern sie sich zu Lasten des Angeklagten auswirken. Die Grenze der Auslegung liegt zwischen der (unzulässigen) Analogie und der (zulässigen) erweiternden Auslegung. Man findet sie im „möglichen Wortsinn“ eines Begriffs. In japanischen Einführungen in die Strafrechtswissenschaft wird öfters folgendes Beispiel benutzt: An einer alten und baufälligen Brücke über einen Fluss stand früher eine Tafel. Auf dieser stand geschrieben: „Ein Mensch mit Wagen oder Pferd darf die Brücke nicht überqueren“. Darf man nun die Brücke mit einem Esel überqueren? Der „Esel“ lässt sich zoologisch noch als „Pferd“ verstehen, eine „Kuh“ kann hingegen nicht als „Pferd“ bezeichnet werden. Wenn die Benutzung der Brücke mit „Wagen“ oder „Pferd“ gesetzlich verboten ist, dann darf man sie auch nicht mit einem „Esel“ überqueren, wohl aber mit einer „Kuh“. Auch die weitest denkbare Auslegung des Begriffs „Pferd“ umfasst nicht eine „Kuh“. „Kuh“ liegt außerhalb des möglichen Wortsinns von „Pferd“. Wenn man jemanden bestraft, der die Brücke mit einer Kuh überquert, liegt also eine analoge Anwendung des Überquerungsverbots vor. 2. Gesetzlichkeitsprinzip und teleologische Betrachtungsweise Die Schlussfolgerung, dass das Überqueren der Brücke mit einer Kuh zulässig ist, dürften viele „normale“ Bürger für falsch halten. Wenn man bei der Auslegung des Verbots dessen Zweck mitberücksichtigt, kommt man wahrscheinlich zu einem anderen Ergebnis. Der Zweck des Verbots liegt darin, zu vermeiden, die alte und baufällige Brücke dadurch zum Einsturz zu bringen, dass man diese zu Pferd oder mit schwerem Wagen überquert. Diese Gefahr ist aber gleichermaßen gegeben, wenn man die Brücke mit einer Kuh betritt. Deswegen muss man zu dem Ergebnis kommen, dass auch das Überqueren der Brücke mit einer Kuh verboten ist. Diese Denkweise bezeichnet man als „teleologische Betrachtungs3 Vgl.
Yamanaka, a .a. O., S. 43 ff.
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G. Sinn und Funktion des Gesetzlichkeitsprinzips
weise“. Das aus dem Gesetzlichkeitsprinzip abgeleitete Analogieverbot setzt der teleologischen Betrachtung enge Grenzen. Wenn man das Gesetz auf etwas anwendet, das außerhalb des möglichen Wortsinns des Gesetzes liegt, handelt es sich schon um eine unzulässige Analogie. 3. Elektrizitätsdiebstahl-Fall Aus der japanischen Judikatur ist der Elektrizitätsdiebstahl-Fall von 1903 bekannt. Das alte StGB hat im Diebstahlstatbestand (§ 366) als Tatobjekt eine „in fremdem Eigentum stehende Sache“ bestimmt. In dem genannten Fall hat der Täter die elektrische Leitung eines anderen ohne dessen Einwilligung an die Stromversorgung des eigenen Hauses angebunden und daraus Strom entnommen. Das RG hat das Vorliegen eines Diebstahls bejaht4. Nach seiner Auffassung ist für die Definition des Begriffs „Sache“ nicht die Körperlichkeit maßgebend, sondern der Umstand, dass man den Gegenstand speichern oder transportieren kann. Im geltenden StGB gibt es in § 245 eine Sonderregelung für Elektrizität: „Bezüglich der in diesem Abschnitt erwähnten Straftaten ist die Elektrizität als eine vermögenswerte Sache anzusehen“. Das heißt aber auch, dass andere Energieträger wie Wasserkraft oder Hitze nicht als Sachen anzusehen sind. Das japanische BGB regelt die Definition der „Sache“ in § 85: „Sachen im Sinne des Gesetzes sind körperliche Gegenstände“. 4. Bestrafung von Fahrlässigkeitsdelikten ohne klare Strafvorschrift Problematisch ist auch die Auslegung des § 38 Abs. 1 StGB: „Eine Handlung, bei welcher der Wille, eine Straftat zu begehen, fehlt, ist nicht strafbar. Das gilt jedoch nicht, wenn eine besondere Vorschrift eine abweichende Bestimmung enthält“. Diese Vorschrift gilt nicht nur für die Fahrlässigkeitsdelikte im BT, sondern auch für die Nebenstrafgesetze (§ 8 StGB)5. § 8 Satz 2 StGB regelt die ausnahmsweise Bestrafung der Fahrlässigkeitsdelikte. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Auslegung des Begriffs der „besonderen Vorschrift“. Nach einer naiven Auslegung kann unter „Sonderregel“ ein Gesetz verstanden werden, das vom Parlament erlassen worden ist (§ 41, § 59 Abs. 1 Verf.), oder eine Verordnung, die durch die Verwaltung geschaffen worden ist. Notwendig ist nach dieser Auffassung jedenfalls eine Sonderregelung, in der klar und ausdrücklich nieder4 Urteil des RG v. 21. 5. 1903, Keiroku Bd. 9, S. 874. Dagegen hat das RG in Deutschland (RG 29, 111; 32, 165) eine Subsumtion von elektrischem Strom unter den Begriff „Sache” abgelehnt. Danach wurde § 248 c (Entziehung elektrischer Energie) ins deutsche StGB eingeführt. 5 Nach § 8 werden die Vorschriften des AT des StGB auch auf die Tatbestände in den Nebenstrafgesetzen angewandt, es sei denn, dass es eine abweichende besondere Vorschrift gibt.
II. „Elastische Auslegung“ als Interpretationstechnik der Juristen?
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gelegt worden ist, dass eine fahrlässige Tat auch strafbar ist. Aber es gibt noch zwei andere Auffassungen zu dieser Frage. Nach der ersten Ansicht ist es für die Strafbarkeit einer Fahrlässigkeitstat ausreichend, wenn in der Vorschrift zwar nicht die Formulierung „wer durch Fahrlässigkeit irgendeinen Tatbestandserfolg verursacht hat“ verwendet wird, aber die Vorschrift eine synonyme Formulierung enthält, sodass eine Bestrafung wegen Fahrlässigkeit mit dem Wortlaut der Norm zu vereinbaren ist, z. B. wenn die Vorschrift die Formulierungen „wer aus Unachtsamkeit den Erfolg verursacht hat“ oder den Erfolg „nachlässig verursacht hat“ enthält. Zweitens wird auch die Auffassung vertreten, dass die Strafbarkeit der fahrlässigen Tat vom Zweck des Gesetzes her interpretiert werden kann. Dazu ein Beispiel aus der Rechtsprechung6: Durch unsorgfältiges Handeln einer Schiffsbesatzung ist beim Betanken des Schiffes Heizöl ins Meer gelangt. Das „Gesetz zur Prävention der Meeresverschmutzung durch Schweröl“ enthält keine ausdrückliche Regelung der Bestrafung der fahrlässigen Tat. § 5 Abs. 1 des Gesetzes lautet: „Von einem Schiff darf im folgenden Meeresgebiet kein Öl ins Meer gelangen“. § 36 des Gesetzes enthält die dazu gehörende Strafandrohung. Der OGH7 hat eine Auslegung des § 38 Abs. 1 StGB durch das OG bestätigt, nach der eine bestimmte Strafvorschrift als „besondere Vorschrift“ gilt, wenn sie so interpretiert werden kann, dass sie nach ihrem Sinn und Zweck oder nach dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften auch die fahrlässige Tat bestrafen soll. Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Auslegung das Vorliegen einer „besonderen Vorschrift“ i. S. d. § 8 S. 2 StGB überzeugend erklärt. 5. Digitalisierte Urkunde? Ein weiteres Beispiel aus einer der neueren Entscheidungen des OGH zum „Urkunden“-Begriff: Ein Bankangestellter hatte auf einer leeren Bankkarte Daten eines Kunden eingegeben und damit den elektromagnetischen Teil der Karte gefälscht. Fraglich ist aber, ob die digitale Aufzeichnung auf der Karte eine Urkunde darstellt. Eine Urkunde ist eine „lesbare“ Sache, auf der ein menschlicher Wille oder menschliche Vorstellungen durch Schriftzeichen oder in Chiffren ausgedrückt werden8. Die digitale Aufzeichnung ist an sich nicht lesbar. Aber die Rechtsprechung hat mit folgender Begründung die digitalisierte Aufzeichnung als „lesbare Sache“ angesehen: Wenn man die aufgezeichneten Daten auf Papier 6 Vgl. dazu Yamanaka, Spannungsverhältnis im Bereich des Strafrechts, in: Gottwald (Hrsg.), Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, 2009, S. 35 f.; ders., Geschichte und Gegenwart, S. 255 f. 7 Urteil des OGH v. 2. 4. 1982, Keishu B4, S. 503; Urteil des OG Tokyo v. 20. 9. 1979, Hanrei Times 404, 151 (Zweite Instanz). 8 Vgl. unten Abschnitt S., III., 3., c), aa).
140
G. Sinn und Funktion des Gesetzlichkeitsprinzips
ausdruckt und die elektromagnetischen Daten und das ausgedruckte Papier als einheitliche Urkunde ansieht, ist diese Urkunde doch lesbar. Deswegen sind elektromagnetische Daten wie auf einer Bankkarte eine Urkunde9. Der Gesetzgeber hat später für solche Fälle den neuen Tatbestand des § 161 a Abs. 1 StGB geschaffen, der wie folgt lautet: „Wer in der Absicht, Verrichtungen10 anderer in die Irre zu führen, elektromagnetische Aufzeichnungen bezüglich von Rechten bzw. Verpflichtungen oder von Tatsachenbeweisen herstellt, die zu diesen Verrichtungen verwendet werden sollen, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bis zu fünfhunderttausend Yen bestraft“. Aus diesem Grund benötigt man den oben beschriebenen Auslegungs-Kunstgriff des OGH nicht mehr, der ganz offensichtlich nur dazu diente, eine vorhandene Gesetzeslücke zu schließen. Unter Praktikern herrscht Einigkeit, dass es wichtig sei, veraltete, unbrauchbar gewordene oder zu starre Gesetz flexibel auslegen zu können. Dazu diene die „bewährte Technik der flexiblen Gesetzesanwendung“. Für die Richter sei es zu einer wichtigen Aufgabe geworden, die Versäumnisse des Parlaments auszubügeln. Dieses Beispiel zeigt die Verzerrung des Verhältnisses zwischen Gesetzgebung und Justiz, die aus der Stagnation der Gesetzgebung resultiert. Es entsteht ein fragwürdiges Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Justiz: Während die Legislative in einer passiven Haltung verharrt und die Gesetze nicht an die aktuellen Verhältnisse anpasst, werden die bestehenden Vorschriften von den Gerichten durch fast über den Wortlaut hinausgehende Auslegungen den aktuellen Problemen angepasst, sodass der Richter in die Rolle des Gesetzgebers schlüpft. Wenn die Gesetzgebung sofort auf neue Erscheinungen reagiert, kann die Justiz im Einzelfall bedenkenlos wegen der Unanwendbarkeit einer Vorschrift freisprechen. Umgekehrt gilt: Wenn die Justiz im Einzelfall wegen der Unanwendbarkeit einer Vorschrift freispricht, muss der Gesetzgeber das Gesetz schnell reformieren. Sollten der Gesetzgeber oder die Justiz ihre Praxis in diesem Zusammenspiel wesentlich ändern, wird das bisherige System kollabieren.
III. Rückwirkungsverbot 1. § 39 der Verfassung und § 6 StGB Wenn der Sinn des Gesetzlichkeitsprinzips darin liegt, dass das StGB als Verhaltensnorm den Tatbestand und die Strafe vor der Tat des Täters bekanntmacht, muss die Bestrafung einer Tat, die vor Begehung der Tat durch das Gesetz nicht 9
Beschluss des OGH v. 24. 11. 1983, Keishu Bd. 37, H. 9, S. 1538. Beispiele von „Verrichtungen“ werden Einträge in Aktiendepots, Informationen auf Chipkarten etc. genannt. 10 Als
III. Rückwirkungsverbot
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angedroht wurde, ausgeschlossen sein. Wenn der Strafrahmen für eine bereits bei ihrer Begehung strafbare Tat nach Begehung der Tat nach oben hin erweitert wird, darf die Tat nicht mit der erschwerten Strafe bestraft werden. § 39 der Verfassung lautet: „Niemand darf für eine Tat, die zur Zeit ihrer Begehung rechtmäßig war, zur Rechenschaft gezogen werden“. § 6 StGB normiert Folgendes: „Ist die Strafe durch ein nach der Begehung einer Straftat in Kraft getretenes Gesetz geändert worden, so wird das mildere Gesetz angewandt“. Nach der Vorschrift muss die „Strafe“ geändert werden, damit das mildere Gesetz zur Anwendung kommt. 2. Auslegung von „Strafe“ in § 6 StGB Der Text von § 6 StGB muss in folgendem Kontext verstanden werden: Wenn ein Tatbestand geändert wird, so wird zwangsläufig auch hinsichtlich der Taten, die bis zu der Änderung von diesem Tatbestand nicht erfasst worden sind, die „Strafe“ geändert; so wird z. B. die bisherige „Geschäftsstörung“ (§ 233, 234 StGB) nun vom Tatbestand der „Störung der Amtsausübung“ (§ 95 StGB) umfasst, womit zugleich die „Strafe“ für diese Tat geändert wurde. Damit wird klar, dass die Änderung eines Tatbestandes im Strafgesetz immer auch eine „Änderung der Strafe“ ist. Liegt aber auch eine Änderung der „Strafe“ vor, wenn durch eine Änderung eines anderen (außerstrafrechtlichen) Gesetzes der Inhalt des strafrechtlichen Tatbestandes verändert wird? Um ein Beispiel aus der Rechtsprechung zu nennen, sei auf die Tötung einer Frau durch das Kind ihres Mannes hingewiesen. Das damalige BGB hat im alten § 728 eine „Verwandtschaft in aufsteigender gerader Linie“ zwischen der Ehefrau und den Kindern des Ehemannes, die aus einer früheren Beziehung hervorgegangen sind, anerkannt. Nachdem das Kind seine Stiefmutter getötet hatte, ist das BGB während der Verhandlung dahingehend geändert worden, dass zwischen Kind und Frau in der eben genannten Konstellation keine Verwandtschaft in aufsteigender gerader Linie mehr vorliegt. Die Rechtsprechung hat hier eine „Änderung der Strafe“ verneint, weil nur das japanische BGB, das kein Strafgesetz ist, geändert wurde. Daher müsse auf diesen Fall das alte BGB, das im Zeitpunkt der Tatbegehung galt, angewandt werden11. Richtigerweise hätte hier aber eine „Änderung der Strafe“ gem. § 6 StGB bejaht werden müssen, weil die Änderung des BGB auch den Bereich des strafbaren Verhaltens beeinflusst hat, sodass der Täter nicht hätte bestraft werden dürfen.
11
Urteil des OGH v. 25. 12 1952, Keishu Bd. 6, H. 12, S. 1142.
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G. Sinn und Funktion des Gesetzlichkeitsprinzips
IV. Blanketttatbestände und Zeitgesetz 1. Gesetzliche Bevollmächtigungen zu Verordnungen? Das Gesetzlichkeitsprinzip verlangt für die Bildung von Straftatbeständen als Norm ein „Gesetz“. Verordnungen, Verwaltungsverfügungen oder auch Präfektur- oder Gemeinde-Verordnungen (Jorei) können keine Straftatbestände enthalten. Die Gesetze werden vom Parlament erlassen, das aus Abgeordneten besteht, die von der Bevölkerung gewählt wurden. Hinter dem Gesetzlichkeitsprinzip steht also das Demokratieprinzip. § 73 der Verfassung regelt neben dem allgemeinen Verwaltungsgeschäft in Nr. 1 bis Nr. 6 auch spezielle Befugnisse des Kabinetts. Nr. 6 gibt die Ermächtigung, „Verordnungen zu erlassen, um die Vorschriften der Verfassung und die Gesetze durchzusetzen. Eine Verordnung kann jedoch keine Strafvorschrift enthalten, es sei denn, dass eine Ermächtigung durch ein Gesetz vorhanden ist“. In der Tat gibt es viele Nebenstrafgesetze, die die inhaltliche Konkretisierung einzelner Tatbestandsmerkmale Verordnungen überlassen haben. Nehmen wir einmal an, ein Strafgesetz lautete wie folgt: „Wer bestimmtes Obst unter dem für dieses bestimmten Preis verkauft, wird … bestraft“. Welche Arten von Obst dem Tatbestand unterfallen, ist in der Verordnung genau und konkret geregelt, wie z. B. Äpfel, Orangen oder Birnen usw. Würde der gesetzliche Tatbestand konkret den Namen des dem Tatbestand unterfallenden Obstes benennen, wäre es sehr umständlich, bei jeder Preisänderung dieses Obstes das Gesetz durch das Parlament zu ändern. Wenn das Gesetz dagegen hinsichtlich des „bestimmten Obstes“ auf eine Verordnung verweist, lässt sich diese als Ergänzungsnorm leicht entsprechend der Beurteilung der Verwaltungsbehörde ändern. Bei einem sog. „Zeitgesetz“, das von vornherein nur eine bestimmte Geltungszeit hat, wird diese Gesetzgebungstechnik oft verwendet. Diese Gesetzgebungstechnik scheint mir auch in den aufgezeigten Grenzen innerhalb der „Bevollmächtigung des Gesetzes“ zu bleiben. 2. Zeitgesetz Wenn ein Gesetz von vornherein eine zeitliche Geltungsgrenze hat, so wird das Gesetz gegen Ende dieser Frist von niemandem mehr befolgt, weil im Zeitpunkt der Aburteilung die Geltungsfrist überschritten ist. Wenn man die Strategie der Verfahrensverschleppung verfolgt, kann man die Entscheidung des Gerichts leicht manipulieren. Deswegen findet sich in manchen Strafgesetzen die folgende unscharfe Zusatzklausel, die in etwa so übersetzt werden kann: Was die Strafvorschriften in diesem Gesetz anbelangt, so wird die Bestrafung „nach der bisherigen Praxis angewendet“. Damit ist gemeint, dass das Gesetz an sich außer Kraft getreten ist, die während seiner Geltung begangenen Taten aber über die
V. Änderung der Ergänzungsnorm
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Zusatzklausel noch bestraft werden können. Das deutsche StGB löst das Problem über eine allgemeine Nachwirkungsvorschrift. § 2 Abs. 4 des deutschen StGB regelt die „zeitliche Geltung“ folgendermaßen: „Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt“. Im japanischen StGB gibt es keine derartige Vorschrift. Die sog. „Zeitgesetztheorie“ geht davon aus, dass Strafvorschriften in Zeitgesetzen immer, also ohne Sondervorschriften, eine Rückwirkung entfalten. Begründet wird dies damit, dass nach der Auslegung das Zeitgesetz immer eine „Nachwirkung“ haben muss, um die Wirksamkeit des Gesetzes zu gewährleisten. Denn das Problem stellt sich bei jedem Zeitgesetz. Andererseits gibt es auch eine differenzierende Theorie, die nach dem Grund des Ablaufs von Gesetzgeltungsfristen unterscheidet. Nach dieser sog. „Motivationstheorie“ lässt sich keine Nachwirkung bejahen, wenn die Geltungsfrist des Gesetzes wegen einer Bewertungsänderung durch den Gesetzgeber ablaufen würde; erfolgt der Geltungsablauf aufgrund einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, wird eine Nachwirkung bejaht.
V. Änderung der Ergänzungsnormund Änderung oder Abschaffung der Strafandrohung 1. Abschaffung der Strafe § 337 StPO regelt die Fälle einer „Befreiung von der Anklage“12. Abs. 2 nennt als einen Fall einer solchen „Befreiung“, dass „die Strafe nach einem Gesetz oder einer Verordnung, das oder die nach der Tat erlassen wurde, abgeschafft worden ist“. Wenn nach der Änderung der Strafandrohung keine Strafe mehr verhängt werden kann, muss der Angeklagte also von der Anklage „befreit“ werden. 2. Wandel der Rechtsprechung Wie schon oben dargestellt wurde, gibt es einen Streit um den Fall der Abschaffung einer Verordnung, die als Ergänzungsnorm eines Blankettstrafgesetzes fungierte. Betrachtet man die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, erkennt man, dass es in dieser Zeit zu einem Wandel der Rechtsprechung kam. In einem Fall verletzte der Täter § 3 des „Gesetzes zur Kontrolle des Warenpreises“ durch den 12 Was die Rechtsnatur der Befreiung von der Anklage betrifft, so hat sie prozessual den Sinn einer Verurteilung. Der materialrechtliche Sinn dieses Instituts besteht darin, dass zwar eine tatbestandsmäßge, rechtswidrige und schuldhafte Strattat vorliegt, aber ein Strafbarkeitsausschließungsgrund begründet wird.
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G. Sinn und Funktion des Gesetzlichkeitsprinzips
Verkauf von Äpfeln, die durch einen ministeriellen Erlass nun von dem Gesetz erfasst wurden; anschließend wurde die Preisfestsetzung aufgehoben, indem der Erlass abgeschafft wurde. Der OGH ist der „Zeitgesetztheorie“, trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Regelung, gefolgt, hat die normative Nachwirkung bejaht und den Täter verurteilt13. Nach dem Urteil ist die Abschaffung der Preisfestsetzung „keine unmittelbare Abschaffung der Strafe“. Das „Gesetz zur Kontrolle des Warenpreises“ habe den Charakter eines Zeitgesetzes. Die Abschaffung der Preisfestsetzung beruhe nicht darauf, dass sich die Rechtsüberzeugung durchgesetzt habe, derartige Handlung nicht mehr als Straftat zu bestrafen. Die „Strafbarkeit“ der Verletzungshandlung bestehe nach der Abschaffung der Preisfestsetzung unverändert fort. Auch hier kann man den Gedanken der Motivationstheorie erkennen. Anders urteilte der OGH in einem Fall der Verletzung eines durch das damalige Zollgesetz (§ 104) ausgesprochenen Embargos. Die für die Erfüllung des Straftatbestands maßgebliche Bestimmung des Begriffs „Ausland“ erfolgte entsprechend einer im Zollgesetz enthaltenen Ermächtigung durch eine Verordnung der Regierung. Der Angeklagte wollte Güter auf die Insel Amami-Oshima exportieren, die damals durch die genannte Verordnung als Ausland angesehen wurde. Vor der richterlichen Entscheidung ist die Verordnung dahingehend geändert worden, dass Amami-Oshima nicht mehr als Ausland anzusehen ist. Der OGH hat den Angeklagten von der Anklage befreit14. Nach dem Urteil sei die angeklagte Tat „keine Straftat mehr und dadurch fehlt es an der Strafbarkeit der Tat“. Deswegen sei dieser Fall als ein Fall der „Abschaffung der Strafe“ zu behandeln.
VI. Gesetzlichkeitsprinzip im Lichte der Verfassung 1. Bestimmtheitsprinzip Wenn das StGB eine Sammlung von Verhaltensnormen ist, scheint es klar zu sein, dass ihr Inhalt, durch den die Strafvorschriften ein bestimmtes Verhalten verbieten, vorher (d. h. vor dem betreffenden Verhalten) für die Bürger bekannt sein sollte. Wenn die Beschreibung der verbotenen Handlung vage, „zu umfangreich15“, mehrdeutig oder unbestimmt ist, ist es fast so, als wenn es keine Strafvorschrift gäbe. Daher gibt es den „Bestimmtheitsgrundsatz“: nullum crimen, nulla poena sine lege certa. Wenn der Bestimmtheitsgrundsatz nicht befolgt wird, verliert der Bürger die Voraussehbarkeit der Folgen seiner Handlungen und damit auch seine Handlungsfreiheit. Zudem wird den Ermittlungsorganen und den Gerichten die Möglichkeit einer willkürlichen Auslegung oder Anwendung des 13
Urteil des OGH v. 11. 10. 1950, Keishu Bd. 4, H. 10, S. 1972. Urteil des OHG v. 9. 10. 1957, Keishu Bd. 11, H. 10, S. 2497. 15 Vgl. „Doctrine of Void for Vagueness and Overbreadth“ im amerikanischen Recht. 14
VI. Gesetzlichkeitsprinzip im Lichte der Verfassung
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Gesetzes gegeben. § 31 der Verfassung ist daher so zu interpretieren, dass jemand nur bestraft werden kann, wenn dies durch ein gesetzlich „klar“ bestimmtes Verfahren geschieht. Als Beispiele sind zwei Fälle zu nennen: ein Fall betrifft die „Stadtverordnung für öffentliche Sicherheit“ der Stadt Tokushima16 und ein anderer Fall die „Präfekturenverordnung zum Schutz und zur Pflege der Jugendlichen der Präfektur Fukuoka“17. Nebenbei gesagt ist die Normierung eines Straftatbestandes in einer Stadt- oder Gemeindeverordnung erlaubt, wenn eine gesetzliche Ermächtigung dazu vorhanden ist. Das „Gesetz zur Autonomie der Gemeinden“ (1947, Gesetz-Nr. 67) regelt, dass die Gemeinden allgemein18 in ihre Verordnungen Vorschriften aufnehmen können, nach denen derjenige, der die Verordnung verletzt, mit einer Zuchthausstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft werden kann (§ 14 Abs. 3). Im ersten der genannten Fälle ging es um die Bestimmtheit der Formulierung „Einhalten der Verkehrsordnung“ (§ 3 Nr. 3 der Stadtverordnung) bei einer Demonstration auf der Straße. Der OGH hat die Vorschrift restriktiv ausgelegt. Nach ihm sei die Formulierung „Handlung, die eine besondere Störung der Verkehrsordnung hervorbringt“ so auszulegen, dass nur die Störungen erfasst werden, die über die mit einer Demonstration normalerweise verbundenen Störungen der Verkehrsordnung hinausgehen. Bei einer solchen Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift nicht unbestimmt und insoweit verfassungskonform. Diese Art der Auslegung wird „verfassungskonforme begrenzende Auslegung“ genannt. Beim zweiten der genannten Fälle ging es um die Bestimmtheit des Verbots der „anstößigen Handlung“ in § 10 Abs. 1 der Gemeindeverordnung. Der Angeklagte hatte an einer 16-jährigen Gymnasiastin in einem Hotel eine sexuelle Handlung vorgenommen. Der OGH hat auch hier eine verfassungskonforme begrenzende Auslegung vorgenommen. Eine „anstößige Handlung“ ist nicht jede sexuelle Handlung an Jugendlichen, sondern nur „der Geschlechtsverkehr oder eine sonstige ähnliche sexuelle Handlung“, die unter Ausnutzung der geistigen und körperlichen Unreife und mit unrechten Mitteln, wie Verführung, Drohung, Täuschung oder In-Verlegenheit-Bringen usw. vorgenommen wird, oder eine sexuelle Handlung, die nur so verstanden werden kann, dass das Opfer nur als Objekt der Befriedigung der sexuellen Begierde des Täters behandelt wird. Nach der Auffassung des OGH ist der Begriff einer so ausgelegten „anstößigen Handlung“ nicht unbestimmt.
16
Urteil des OGH v. 10. 9. 1975, Keishu Bd. 29, H. 8, S. 489. Urteil des OGH v. 23. 10. 1985, Keishu Bd. 36, H. 6, S. 413. 18 Es ist nicht erforderlich, dass das Gesetz eine konkrete Ermächtigung zur Verordnung für die einzelnen Fälle bestimmt. Durch § 14 Abs. 3 des „Gesetzes zur Autonomie der Gemeinden“ dürfen die Gemeinden ohne konkrete Ermächtigung eine Verordnung mit Strafvorschriften erlassen. 17
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G. Sinn und Funktion des Gesetzlichkeitsprinzips
2. Der Grundsatz der materiell gerechten Bestrafung Der Grundsatz der materiell gerechten Bestrafung entspricht der Theorie des „substantive due process“ in den USA. § 31 der japanischen Verfassung regelt nicht nur das prozessrechtliche, sondern auch das materiellrechtliche „due process“. Wenn eine Strafvorschrift in irgendeiner Hinsicht nicht mit der Verfassung übereinstimmt, ist sie verfassungswidrig. Dabei lassen sich mehrere Fallgruppen unterscheiden: Die erste Fallgruppe umfasst Strafvorschriften, deren Verfassungswidrigkeit sich nicht aus § 31, sondern aus anderen Vorschriften der Verfassung ergibt. Wenn der Gesetzgeber z. B. eine Strafvorschrift normiert, die die Gleichheit zwischen Mann und Frau vor dem Recht (§ 14 Verf.) verletzt, ist der Straftatbestand ohne Anwendung des § 31 verfassungswidrig. Die zweite Fallgruppe umfasst die Strafvorschriften, deren Verfassungswidrigkeit sich aus § 31 ergibt. Ein solcher Fall läge beispielsweise vor, wenn der Gesetzgeber den Krankheitszustand eines Menschen als Straftat in einen Tatbestand aufnehmen würde. Dies würde den strafrechtlichen Grundsatz des „Tatprinzips19“ verletzen. Verfassungsrechtlich problematisch ist es auch, wenn der Gesetzgeber einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Geschwistern mit Strafe bewehrt; hier wegen des Grundsatzes des Rechtsgüterschutzes. Eine dritte Fallgruppe betrifft die Verletzung des § 31 der Verfassung durch eine bestimmte Auslegung gesetzlicher Vorschriften. So hatte der OGH vor einigen Jahren zu entscheiden, ob § 102 Abs. 1 des „Gesetzes der staatlichen Beamten“, der „politische Handlungen“ von Beamten verbietet, eventuell verfassungswidrig ist20. Bei dem zugrundeliegenden Fall ging es um einen Beamten, der – unabhängig von seinem Amt – Publikationen einer politischen Partei in Hausbriefkästen an einem Feiertag einwarf. Es handelte sich dabei um Werbebroschüren einer Partei. Der OGH hat die Tatbestandsmäßigkeit dieser Handlung bejaht, weil das Verteilen der Druckwerke eine substantielle Gefahr begründe, die politische Neutralität der Amtsführung des Beamten könne verletzt werden. § 102 Abs. 1 des „Gesetzes der staatlichen Beamten“ sei verfassungskonform so auszulegen, dass das Verbot politischer Handlungen nur für diejenigen Handlungen gilt, die dazu geeignet sind, das Rechtsgut der politischen Neutralität zu verletzen. Nach der Ansicht des OGH begründete das Verteilen der Werbebroschüren durch den Angeklagten eine derartige Gefahr. Die Strafvorschrift widerspreche weder § 21 Abs. 1 (Meinungsfreiheit) noch § 31 (substantive due process) der Verfassung.
19 Das Prinzip bedeutet: „Nicht der Täter, sondern die Tat ist strafbar“. Ein Beispiel: Auch wenn eine an sich strafbare Tat vorliegt, darf der Täter gegebenenfalls wegen einer Krankheit nicht bestraft werden. 20 Urteil des OGH v. 7. 12. 2012, Keishu Bd. 66, H. 12, S. 1337.
H. Straftatsystem und Allgemeiner Teil I. Straftatsystem der japanischen Strafrechtsdogmatik 1. Dreistufiges Straftatsystem In der japanischen Strafrechtswissenschaft wird, wie in der deutschen, in der Regel vom dreistufigen Deliktsaufbau (oder besser: dem dreistufigen Aufbau der Straftat) ausgegangen. Nur selten wird die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen vertreten, die den zweistufigen Aufbau der Straftat für richtig hält. Der Grund, warum das dreistufige Straftatsystem herrschend ist, liegt vielleicht darin, dass man die dreistufige Denkweise (mit ihrer Aneinanderreihung einzelner Prüfungsschritte auf jeder Stufe) als für die Prüfung der Strafbarkeit besser geeignet angesehen hat. Dass der zweistufige Aufbau eine logisch und systematisch bessere Lösung der Irrtumsproblematik bietet1, tritt demgegenüber in den Hintergrund. 2. Tatbestandsbegriff Die Kategorie des „Tatbestandes“ wurde schon vor dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland durch Takigawa und Ono, der die „Lehre von der Straftatbestands erfüllung“ (1928) veröffentlicht hat, eingeführt. Seitdem ist der Tatbestand in die erste Ebene des Aufbaus der Straftat eingeordnet. Dass der Tatbestand in der Regel aus objektiven Elementen besteht, war zu dieser Zeit allgemein anerkannt. Fraglich war, ob die Tatbestandserfüllung als normativ neutral oder als in der Regel rechtswidrig zu beurteilen ist. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass die Tatbestandsmäßigkeit ein formelles typologisches Attribut der unrechten Handlung ist. Heute wird der Tatbestand nicht als neutral, sondern als ein Typus der unrechten Handlung angesehen. Nur wenn ein Rechtfertigungsgrund eingreift, wird die Vermutung der Rechtswidrigkeit der Handlung widerlegt. 3. Handlungslehre Auch in Japan wurde früher heftig darüber gestritten, ob man beim Straftatsystem mit der Handlungslehre oder mit der Tatbestandslehre anfangen sollte. Dies ist heute nicht mehr der wichtigste Streitpunkt. Da die Handlungslehre keine 1 Naka, Bankin Sakugoriron no Mondaiten (Problematik der neueren Irrtumslehre), 1958, S. 3 ff. begründete die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen aus der Perspektive der richtigen Einordnung des Irrtums über Rechtfertigungsgründe. Diese Lehre ist eine selten vertretene Mindermeinung (repräsentativ Naka, AT, S. 57).
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H. Straftatsystem und Allgemeiner Teil
Widerspiegelung der sachlogischen Struktur des Straftatsystems mehr zeigt, beruht das Straftatsystem nicht auf der Handlungslehre. Ob die Handlungslehre vor der Tatbestandslehre oder als ein Tatbestandsmerkmal eingeordnet wird, erlaubt keinen Schluss auf eine kategorische oder teleologische Betrachtungsweise des Straftatsystems. Vielmehr muss sich das Straftatsystem an der Kriminalpolitik orientieren, damit das System nicht im Widerspruch zur Natur der Sache steht. 4. Finale Handlungslehre und Straftatsystem In den 1960er Jahren wurde die finale Handlungslehre von Hans Welzel (1904 – 1977) von einigen Strafrechtlern auch in die japanische Strafrechtswissenschaft eingeführt. Taira Fukuda, der der wichtigste Finalist in Japan war, hospitierte 1956 bei Welzel in Bonn. 1962 wurde Welzels Buch „Das neue Bild des Strafrechtssystems“ aus dem Jahr 1951 durch Fukuda und Hitoshi Otsuka ins Japanische übersetzt. Fukuda veröffentlichte 1964 seine Monographie „Finale Handlungslehre und Straftatlehre“. Die finale Handlungslehre an sich hat nicht sehr viele Unterstützer gefunden, aber ihre Straftatlehre hat einen großen Einfluss auf die Strafrechtsdogmatik in Japan ausgeübt. Die Straftatlehre der damaligen Zeit stand in Japan noch unter dem Einfluss der vor dem Zweiten Weltkrieg vorherrschenden Lehre, dabei sind etwa Ernst von Beling (1866 – 1932), M. E. Mayer (1875 – 1923) oder Edmund Mezger (1883 – 1962) zu nennen. Subjektive Merkmale wie Vorsatz oder Absicht wurden in der Regel noch auf der Schuld ebene platziert. Mezger hat zwar die „subjektiven Unrechtsmerkmale“ auf der Unrechtsebene eingeordnet. Der Unrechtsbegriff wurde aber auf der Basis der grundsätzlich objektiven und dazu noch ergänzend subjektiven Elemente kon struiert. Durch die von der finalen Handlungslehre angestoßene Entwicklung der Strafrechtsdogmatik geriet die objektive Unrechtslehre, die den Schwerpunkt auf den Erfolgsunwertgedanken gelegt hatte, ins Wanken. 5. Handlungs- oder Erfolgsunwert Nachdem die finale Handlungslehre die subjektiven Elemente der Handlung schon am Anfang des Aufbaus der Straftat berücksichtigte, hat sich allmählich die Auffassung durchgesetzt, dass Vorsatz oder Fahrlässigkeit schon der Tatbestandsebene zugeordnet werden können. Seitdem ist der Streit um Handlungsunwert und Erfolgsunwert in der Strafrechtsdogmatik nicht nur die Achse der theoretischen, sondern auch der ideologischen Gegenüberstellung geworden. Die eigentliche Frage war, ob das Unrecht eher in der Handlung und ihrem subjektiven Teil liegt, oder in der durch die Handlung verursachten Wirkung auf die Gesellschaft. Diese Gegenüberstellung zwischen Handlungs- und Erfolgsunwertslehre wurde nach der 1960er Jahren ein zentrales Kriterium für die Bildung strafrechtlicher Lehren und für kriminalpolitische Entscheidungen.
I. Straftatsystem der japanischen Strafrechtsdogmatik
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6. Verstoß gegen Verhaltensnorm und Rechtswidrigkeit Gegenwärtig lässt sich der Streit um Handlungsunwert und Erfolgsunwert in der Diskussion der Normtheorie nur vereinzelt in Aufsätzen finden, in denen es vor allem um Aufgabe und Rolle von Verhaltens- und Sanktionsnormen geht. In Deutschland wird die Auffassung vertreten, dass die Verhaltensnorm eine solche sein muss, die sich an den einsichts- und steuerungsfähigen Personen ausrichten muss, die die Norm zu befolgen haben. Deswegen ist nach dieser Theorie für die Verhaltensnormverletzung nicht nur Vorsatz und Fahrlässigkeit, sondern auch Schuldfähigkeit zu verlangen. Der Erfolg und die objektive Zurechnung gehören dagegen nicht zum Tatbestand der Verletzung einer Verhaltensnorm, sondern zur Sanktionsnorm. Man kann hier auf das Straftatsystem von Wolfgang Frisch (*1943) und Georg Freund (*1956) verweisen 2. Zunächst muss die Verhaltensnorm nicht als reine „Bestimmungsnorm“, sondern als Bestimmungsnorm, die eine „Bewertungsnorm“ voraussetzt, verstanden werden. Auf der Ebene der Rechtswidrigkeit ist die Verhaltensnorm bereits verletzt, wenn man gegen die Bewertungsnorm verstößt. Auf der Schuldebene geht es nur um eine Sanktionsnormerfüllung. Wer die Bewertungsnorm verletzt, handelt bereits der Bestimmungsnorm zuwider. Die Schuld des Täters ist vor allem für die Anwendung der Sanktionsnorm wichtig. Die Bewertungsnorm kann sich nur auf menschliches Verhalten beziehen. Eine Bewertungsnormverletzung entsteht, wenn das Verhalten entweder irgendein Strafgesetz verletzt oder bei den Delikten ohne Versuchsbestrafung zumindest objektiv die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung verursacht (in Japan ist etwa der Versuch der Sachbeschädigung nicht strafbar, stellt aber die Verletzung einer Bewertungsnorm dar). Wenn z. B. ein Kraftfahrer gegen eine strafbewehrte Vorschrift der Straßenverkehrsordnung verstößt und dabei einen anderen Verkehrsteilnehmer fahrlässig tödlich verletzt, verhält er sich nicht nur normwidrig hinsichtlich der StVO, sondern verursacht auch die „Gefahr einer Rechtsgutsverletzung“, die sich in diesem Fall sogar verwirklicht. Hinsichtlich der fahrlässigen Tötung ist es für eine Normverletzung nicht ausreichend, dass der Fahrer nur gegen die Verkehrsordnung verstößt. Auf der anderen Seite spielt seine persönliche Fähigkeit zur Voraussehbarkeit oder Vermeidbarkeit des Erfolges für die Frage der Verletzung einer Verhaltensnorm auf der Ebene der Rechtswidrigkeit keine Rolle. Für die Rechtswidrigkeit reicht die Verletzung der Bewertungsnorm aus. Die Normtheorie beim Straftatsystem ist wie oben dargestellt zu verstehen, sodass zwischen Bestimmungsnorm und vorgelagerter Bewertungsnorm zu unterscheiden ist. Daher ist der in Japan vorherrschenden Orientierung an einer objektivistischen Normtheorie grundsätzlich zuzustimmen. 2 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988, S. 33 ff.; Freund, Strafrecht AT, 2. Aufl., 2009, S. 31 ff.
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H. Straftatsystem und Allgemeiner Teil
7. Tatbestandsvorsatz Der Vorsatz ist trotz der objektivistischen Tendenz auch in Japan heutzutage nach herrschender Meinung in den Tatbestand einzuordnen. Nach der klassischen Straftatlehre bestanden Tatbestand und Unrecht aus objektiven Merkmalen, alle subjektiven Merkmale wie auch der Vorsatz wurden auf der Schuldebene angesiedelt. Die Theorien, die die Einordnung des Vorsatzes in den Tatbestand bejahen, erkennen allerdings zumeist auch den Vorsatz auf der Schuldebene an, teilweise unter der Bezeichnung „Vorsatz als Schuld“ oder „Schuldvorsatz“. Diese Theo rien behaupten, dass der Vorsatz seinen Hauptsitz auf der Ebene der Schuld habe. Eine Mindermeinung vertritt die sog. eingeschränkte „Schuldtheorie“, nach der der Vorsatz nur auf der Tatbestandsebene einzuordnen ist. Wenn man die „Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen“ vertritt, ist die Annahme eines Schuldvorsatzes überflüssig. Der Irrtum über die rechtfertigenden Umstände wie etwa im Fall der Putativnotwehr ist dann nur eine Frage des Tatbestandsvorsatzes.
II. Objektivismus und Subjektivismus 1. Perspektivenwechsel In Japan haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem schwindenden Einfluss der modernen Schule die Ansatzpunkte für eine Gegenüberstellung der verschiedenen Lehren allmählich verändert. Die Vertreter der modernen Schule wie Makino und Kimura haben keine Nachfolger gefunden, obwohl sie viele Schüler hatten. Die Liberalisierung und Demokratisierung der japanischen Nachkriegsgesellschaft widersprach dem optimistischen Sozialverteidigungsgedanken der modernen Schule, der eine weitgehende Intervention des Staates in die Tätersphäre erlaubte. Aber auch die klassische Schule hat sich geändert und ihre Aussagen relativiert. Sie erkannte nun auch die Resozialisierung als einen Strafzweck an. 2. Unwissenschaftliche Gegensätze Den neuen Ausgangspunkt der Gegenüberstellung bildete, kurz gesagt, die Einstellung „Für“ oder „Gegen“ die Staatsmacht. Man kann diese Gegenüberstellung aus der politischen Perspektive auch als Gegenüberstellung von Konservatismus und Liberalismus ansehen. Bei genauerem Hinsehen lassen sich die „liberalistischen“ Ansätze nach japanischem Verständnis in zwei Gruppen aufteilen: Es gibt zum einen den Liberalismus, hinter dem das kommunistische Ziel der Revolution stand,3 und den Liberalismus, der unter der neuen Verfassung die 3 Die Linke in Japan sympathisierte mit dem Kommunismus, solange er sich gegen die etablierten Konservativen richtete. Die linksorientierten Strafrechtswissenschaftler waren jedoch keine Linksradikalen, die sofort eine Revolution ermöglichen wollten, sondern meistens nur liberalistisch eingestellt.
III. Rechtfertigungsgründe
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Reste der autokratischen Institute oder Gedanken beseitigen wollte. Die Vertreter der ersten Auffassung bildeten eine relativ große Gruppe, die faktisch über die Berufung der Professoren an den Universitäten herrschen konnte. Auf das Ziel einer sozialistischen Revolution scheint diese Gruppe seit den 1990er Jahren verzichtet zu haben und stellt nur noch ein an wechselseitiger Unterstützung orientiertes Netzwerk dar, das sich über die jeweiligen Universitäten spannt. Die zweite Gruppe ist, soweit es ihre eigene Struktur betrifft, auch nicht sonderlich „liberal“. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe resultiert zumeist aus einem Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler, das allerdings seinerseits zumeist nicht durch Liberalismus geprägt ist4, oder daraus, dass man eine bestimmte Universität absolviert hat. Für die Berufung auf die freien Plätze der Universitäten wurde die Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen zu einem wichtigen Kriterium. 3. Objektivismus und Subjektivismus als einfach zu handhabender Gegensatz Die beiden zuvor behandelten Gruppen weisen jedoch bei der Strafrechtsdogmatik ein klares Unterscheidungsmerkmal auf: Den Gegensatz zwischen Objektivismus und Subjektivismus (mit dessen Tendenz zur Begrenzung der Strafbarkeit). Weil die Schulenbildung in Japan hauptsächlich aufgrund der vertretenen Ideologie und der bestehenden Lehrer-Schüler-Verhältnisse zustande kommt, wird eine Theorie immer innerhalb des Rahmens einer bestimmten Schule vertreten und nur selten werden neue grundlegende Theorien entwickelt. Wird eine neue Theorie vertreten, bleibt sie eine Mindermeinung und verschwindet – wenn ihr Hauptvertreter nur wenige Schüler hat – innerhalb von 20 Jahren. Die Gegenüberstellung von Objektivismus und Subjektivismus, oder Erfolgs- und Handlungsunwert bildet ein sehr grobes und einfaches Kriterium, um die modernen Lösungen der komplizierten Probleme genauer zu analysieren. Das Kriterium kann daher geradezu als Bett des Prokrustes bezeichnet werden.
III. Rechtfertigungsgründe 1. Gesetzliche geregelte Rechtfertigungsgründe Im japanischen StGB gibt es nur drei Paragraphen, die sich mit Rechtfertigungsgründen befassen: gesetzliche oder verordnungsgemäße gerechte oder ge4 Damit ist gemeint, dass das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler meistens nicht liberal war, was auch heute noch der Regelfall zu sein scheint. Dass der Schüler eine ähnliche Theorie vertritt, hat für beide Seiten Vorteile. Der Lehrer kann seine Theorie weiterverbreiten, der Schüler kann unter der Obhut seines Lehrers einen Platz an einer Universität finden und auf Kosten seiner wissenschaftlichen Originalität unter dem Schutz der Gruppe bleiben.
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H. Straftatsystem und Allgemeiner Teil
schäftliche Handlungen (§ 35), Notwehr (§ 36) und Notstand (§ 37). Der Text des § 35 ist sehr abstrakt und unbestimmt: Die im „Gesetz“ oder in der „Verordnung“ zugrundliegende Handlung oder die in dem „berechtigten Geschäft“ ausgeübte Handlung beschreibt einen bloß formalen Rahmen der zu rechtfertigenden Handlungen. Der erste der beiden Ausdrücke ist nahezu synonym zum Begriff der „gerechtfertigten Handlung“. Der zweite Begriff wird sehr weit verstanden. Die dort genannten „Geschäfte“ sind die menschlichen „Angelegenheiten, die auf Grund der sozialen Stellung dauernd und wiederholt ausgeführt werden“. Dadurch ist es entscheidend, dass das „Geschäft“ „berechtigt“ ist. Damit ist aber auch der zweite Ausdruck nahezu synonym zum Begriff der „gerechtfertigten Handlung“. Aus diesem Grund wird die Auffassung vertreten, dass § 35 eine allgemeine Regelung der Rechtfertigungsgründe sei, der alle Rechtfertigungsgründe außer § 36 und § 37 unterfallen. Die Gegenmeinung vertritt die Lehre vom übergesetzlichen Unrechtsausschließungsgrund. Nach dieser Theorie gehören Selbsthilfe, Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung, Pflichtenkollision usw. allesamt zu den übergesetzlichen Unrechtsausschließungsgründen. 2. Allgemeines Rechtfertigungsprinzip Was den allgemeinen Grund der strafrechtlichen Rechtfertigung anbetrifft, ist heute die Interessenabwägungslehre vorherrschend. Die frühere Zwecktheorie wird heute als Sozialadäquanztheorie vertreten. Meiner Meinung nach ist das Straftatsystem so aufzubauen, dass das Tatgeschehen stufenweise aus verschiedenen Aspekten geprüft wird. In dieser Hinsicht ist die Interessenabwägungstheorie vorzugswürdig: Auf der Tatbestandsebene wird eine Handlungstypologie aufgebaut, die sich an Rechtsgütern ausrichtet. Auf dieser Ebene ist es entscheidend, dass die Taten die typologischen Tatbestandsmerkmale erfüllt haben. Auf der Ebene der Rechtfertigung ist dagegen zu prüfen, ob die tatbestandsmäßige Handlung aus Aspekten entgegengesetzter Interessen gegebenenfalls im Lichte der Verfassung doch rechtmäßig ist. Schließlich ist auf der dritten Ebene, der Schuld, zu prüfen, ob der Täter nach Beurteilung seiner Verantwortlichkeit mit einer Strafe belegt werden kann. Die Interessenabwägungslehre passt zu der oben schematisierten Konzeption. Die Bedeutung der Unterscheidung zwischen dem Tatbestand und dem Rechtfertigungsgrund liegt darin, dass damit der Wertgegensatz der verschiedenen Normen auf den verschiedenen Ebenen ausbalanciert werden kann. Wenn man z. B. den Körper eines Angreifers, der einen töten will, verletzt, um den Angriff abzuwehren, erfüllt man zwar den Tatbestand der Körperverletzung, aber gleichzeitig rettet man sein eigenes Leben. Auf der Ebene der Rechtfertigung sind die zusammenstoßenden Interessen abzuwägen5. In diesem Fall überwiegt das Interesse am Schutz des Lebens das Interesse der verletzten körperlichen Integrität.
IV. Schuld
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IV. Schuld
1. Schuld als Element der dritten Stufe des Straftatsystems Die Schuld ist kein Element der Verletzung der Verhaltensnorm. Die Normwidrigkeit lässt sich auch bei fehlender Schuld des Täters bejahen. Die Schuld ist in diesem Sinne nur für die Sanktion, also die Strafe, von Bedeutung. Schuld ist als „Vorwerfbarkeit“ der Tat zu verstehen. Zu prüfen ist die individuelle Verantwortlichkeit des Täters. Fehlt es an der Schuldfähigkeit oder an der Zumutbarkeit des rechtmäßigen Verhaltens, schließt dies eine Sanktion aus. 2. Willensfreiheit als Grundlage der Schuld Fraglich ist, ob die Vorwerfbarkeit der Tat die Willensfreiheit des Täters voraussetzt. Dabei steht nicht nur die Willensfreiheit eines bestimmten „Täters“ in Frage, umstritten ist schon, ob die Menschen überhaupt Willensfreiheit besitzen. Diese Frage wird schon seit langem in Philosophie und Strafrechtswissenschaft als Gegensatz von „Determinismus“ und „Indeterminismus“ erörtert. Dieser Gegensatz war der Ausgangspunkt des Streites zwischen der klassischen und der modernen Schule. Für die moderne Schule ist die Straftat ein Ergebnis des durch Biologie und Umwelt bedingten Charakters des Täters. Die menschliche Handlung ist eine Wirkung, die kausal auf die Anlagen und die Umwelt des Menschen als Ursache zurückzuführen ist. Also haben Menschen nach dieser Auffassung keine Willensfreiheit. Für die Sanktion wird die Willensfreiheit des Täters nicht benötigt, denn die Sanktion hat nur die Funktion, korrigierend auf den Charakter des Straftäters einzuwirken, nicht aber, ihm seine Entscheidung vorzuwerfen, da er ohnehin nicht freiwillig handeln kann. Dagegen ist nach der klassischen Schule die Willensfreiheit eine Voraussetzung des Tatvorwurfs. Die Schuld des Täters lässt sich deswegen bejahen, weil dieser selbst sich freiwillig für die Tat entschieden hat. Das „Andershandelnkönnen“ begründet die Willensfreiheit. Auch die „moralische“ klassische Auffassung wie die buddhistische Schuldtheorie von Ono, die Sühne als Vergeltung verlangt, setzt Willensfreiheit voraus. Aber Schuld sollte in der modernen Strafrechtslehre Schuld im Sinne des „Rechts“ sein. 3. Weiche Willensfreiheit oder relativer Determinismus Inzwischen haben sich in der Diskussion die beiden Seiten angenähert. Es wird nicht mehr erörtert, ob Willensfreiheit überhaupt vorhanden ist, sondern ob der Wille relativ frei ist. In Japan wurde von Hirano die „Theorie des weichen Determinismus“ oder auch des „relativen Determinismus“ entwickelt. Nach 5 Auch bei der Notwehr ist der Gedanke der Interessenabwägung nicht ganz verzichtbar, denn in Fällen eines krassen Missverhältnisses oder bei einem Notwehrexzess ist der Täter nicht gerechtfertigt.
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H. Straftatsystem und Allgemeiner Teil
Hirano sind Determinismus und Willensfreiheit nicht widersprüchlich. Menschlicher Wille befolge das (Natur-)Gesetz und werde von ihm determiniert. Aber auf der anderen Seite sei der menschliche Wille ein Moment, das bestimmt, was in der Zukunft geschehen wird. Deswegen wird diese Theorie als Lehre von der „weichen Willensfreiheit“ bezeichnet. Nach Hiranos sog. „charakterologischer Schuldtheorie“ ist die Gefahr für die zukünftige Begehung von Straftaten bei Personen höher, die von einer außerordentlichen (d. h. Kriminalität begünstigenden) Umwelt umgeben sind, wenn die konkreten Handlungen als notwendige Ergebnisse der gegenseitigen Wirkungen zwischen der Persönlichkeit und der Umwelt entstehen6. In der Regel wiege die Schuld schwerer, wenn die Tat der Persönlichkeit entspricht, mit anderen Worten, wenn die Tat mit den persönlichen Zügen des Täters, seiner normativen Prägung im Einklang steht7. Nach dieser Theorie ist es für die Lehre von der weichen Willensfreiheit wichtiger, wodurch der menschliche Wille determiniert, aber nicht, ob er überhaupt determiniert wird. Im Strafrecht bedeute die Freiheit, dass der menschliche Wille durch den gesellschaftlichen Vorwurf in Gestalt der Strafe determiniert werden kann. Die Strafe sei nichts Anderes als eine neue (kausale) „Bedingung“, damit der Täter in der Zukunft unter denselben Umständen nicht erneut eine Straftat begeht, indem man die Gesetzlichkeit ausnutzt, die dem menschlichen Wille immanent ist8. Für Welzel ist eine finale Handlung auf der anderen Seite eine Überdeterminierung des Kausalgeschehens durch den Willen. Die Willensfreiheit sei die Freiheit zu sinnmäßigem Handeln9. Japanische Finalisten, etwa Fukuda, betrachteten wie Welzel die Schichten der Determination: Über der Schicht der kausalen Determination gibt es noch die Determination des Sinnes oder des Wertes. 4. Willensfreiheit als Fiktion Weit verbreitet in Deutschland ist inzwischen der Agnostizismus, nach dessen Auffassung wir Willensfreiheit erkenntnistheoretisch nicht erkennen und vernünftig beweisen können. Daraus soll sich ergeben, dass die Willensfreiheit eine „Fiktion“ ist. Als Erster hat Eduard Kohlrausch (1874 – 1948) die Willensfreiheit als „staatsnotwendige Fiktion“ angesehen. In der Gegenwart hat Claus Roxin (*1931) sie als „normative Setzung“ bezeichnet10, durch die die Schutzfunktion und gleichzeitig die Garantiefunktion des Strafrechts besser zu verwirklichen sind. Durch die Anerkennung der Willensfreiheit lässt sich besser begründen, 6
Hirano, Keiho no Kiso (Grund des Strafrechts), 1966, S. 28. Hirano, Keiho no Kiso (Grund des Strafrechts), 1966, S. 29. 8 Hirano, Keiho no Kiso (Grund des Strafrechts), 1966, S. 40. 9 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., 1969, S. 148. 10 Roxin, Strafrecht AT, 4. Aufl., Bd. 1, § 19, Rn. 41. 7
V. Strafwürdiges Unrecht und strafbedürftige Verantwortlichkeit
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dass die präventive soziale Kontrolle durch strafrechtliche Verhaltensnormen überhaupt funktioniert. In Japan vertrat Naka eine solche Fiktionstheorie. Wirft man einen Blick zurück auf die Entwicklung der modernen Gesellschaft und ihr Rechtssystem, zeigt sich, dass diese auf Fiktionen aufgebaut wurde. Letztlich sind im BGB, aber auch in der Verfassung, Rechtsfiguren wie Rechtsfähigkeit der Bürger, Vertragsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz oder auch freie Entfaltung der Persönlichkeit alle Fiktionen, um die Gesellschaft reibungslos funktionieren zu lassen. Als Rechtsidee wird seit dem 20. Jahrhundert nahezu durchgehend die freie Entscheidung der Person vorausgesetzt, obwohl eine solche in der Wirklichkeit nicht immer vorliegt. Wenn allerdings eine freie Entscheidung überhaupt unmöglich wäre, wären die meisten Institutionen wie „Selbstbestimmungsrecht“ oder „Freiwilligkeit“ in den verschiedenen Rechtsbereichen bedeutungslos.
V. Strafwürdiges Unrecht und strafbedürftige Verantwortlichkeit 1. Die Lehre vom strafwürdigen Unrecht a) Theoretische Grundlage Die von Hidenaga Miyamoto vertretene „Lehre vom strafwürdigen Unrecht“11 hat die Unterscheidung zwischen Normwidrigkeit und Strafgesetzwidrigkeit aufgegriffen. Sie hat als Unrecht nicht nur die Normwidrigkeit, sondern auch die Strafgesetzwidrigkeit (als Sanktionsnormerfüllung) in Betracht gezogen12. Bei der Sanktionsnorm muss die Normerfüllung auch die Sanktion mitberücksichtigen. Die Sanktionsnormerfüllung wird also durch den Zweck und die Bedeutung der Sanktion definiert und begrenzt. Es scheint deswegen so zu sein, dass Miyamotos Gedanken zur „Zurückhaltung des Strafrechts“ in dieser Theorie, die die Strafgesetzwidrigkeit als Sanktionsnorm betrachtet, einen Ausdruck gefunden hat. b) Der Ein-Cent-Fall Die „Lehre vom strafwürdigen Unrecht“ ist schon vor dem Zweiten Weltkrieg von der Wissenschaft begründet worden13. Den Anlass dazu gab ein Urteil des 11
Über den Begriff in der deutschen Strafrechtswissenschaft vgl. Hans-Ludwig Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss. Studien zur Rechtswidrigkeit als Straftatmerkmal und zur Funktion der Rechtfertigungsgründe im Strafrecht. 1983. 12 Miyamoto wurde bei seinem Deliktsaufbau von der Normentheorie Karl Bindings beeinflusst. Für ihn ist die Normwidrigkeit die erste Voraussetzung der Straftat – die aus heutiger Perspektive als Rechtswidrigkeit verzeichnet werden könnte – und die zweite Voraussetzung die Strafgesetzwidrigkeit als Sanktionsnorm – die man wiederum aus heutiger Sicht als Tatbestandsmäßigkeit verstehen würde. 13 Hidenaga Miyamoto, Kihantekihyoka to kabatsutekihyoka (Normative und strafwürdige Bewertung), in: FS Makino, 1938, S. 11; Chihiro Saeki, Ihosei no Riron (Die Lehre von der Rechtswidrigkeit), 1974, S. 1 ff., 16 ff.
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H. Straftatsystem und Allgemeiner Teil
RG aus dem Jahr 1910. Dem sog. Ein-Cent-Fall (Ichirin-Fall)14 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Tabakpflanzer hatte 3 Gramm Tabakblätter (Preis: ein Cent), die an die Regierung abgeliefert werden sollten, für sich verbraucht. Er wurde wegen des Delikts der „unterlassenen Ablieferung“ in § 48 Abs. 1 des Gesetzes gegen Tabak-Verkaufsmonopole angeklagt. Das RG hat den Angeklagten freigesprochen. Insofern eine Verletzung des Rechtsgutes, zu dessen Schutz die Tat strafbewehrt ist, nicht feststellbar ist, sei es nicht erforderlich, dieser Tat mit der Sanktion der Strafe zu begegnen. Solch geringfügige Gesetzesverletzungen, die das Leben des Bürgers nicht beeinträchtigen, nicht zu bestrafen, entspreche dem „Geist der Gesetzgebung“ und dem „Prinzip der Auslegungsmethode“. c) Die Tendenz zur Ablehnung der Theorie in der Rechtsprechung In der Rechtsprechung nach dem Zweiten Weltkrieg finden sich weitere Fälle, in denen „strafwürdiges Unrecht“ verneint wurde: Ein Hotelbetreiber, der nicht zu einem Tabaklieferanten ernannt worden war, hat in seinem Hotel in einem Kurort im Gebirge, in dessen Gebiet kein Tabakladen vorhanden war, für seine Hotelgäste Tabak gekauft und ihnen gegen Bezahlung ausgehändigt. Nach dem Gesetz gegen Tabak-Verkaufsmonopole war demjenigen, der kein Tabaklieferant ist, der Verkauf von Tabak verboten (Delikt des Tabakverkaufs und der Vorbereitung des Verkaufs). Der OGH hat ihn mit dem Argument, dass eine solche Tat im sozialen Gemeinleben erlaubt sein sollte, freigesprochen15. Aber seit den 1980er Jahren werden solche Überlegungen in der Rechtsprechung nicht mehr gerne angestellt. In einem Fall aus dem Jahr 1986 hat der OGH die Anwendung der Theorie vom strafwürdigen Unrecht abgelehnt. Ein Betriebs inhaber hatte einem Angestellten befohlen, von einer öffentlichen Telefonzelle aus einen Telefonapparat in seinem Betrieb anzurufen, der mit einem Gerät namens „Magic Phone“ verbunden war. Dieses Gerät bewirkte, dass bei einem Anruf aus einer Telefonzelle eingeworfene Geldstücke ausgegeben wurden, in diesem Fall ein 10 Yen Stück (etwa 8 Cent). Der Betriebsinhaber wurde wegen Geschäftsstörung durch List (§ 233) und Störung der Nachrichtenübermittlung (§ 21 des alten „Gesetzes über kabelgebundene elektronische Kommunikation“) angeklagt. Die erste Instanz hat ein strafwürdiges Unrecht verneint. Die zweite Instanz hat den Angeklagten aufgrund der Überlegung verurteilt, dass die betreffenden Straftaten Gefährdungsdelikte seien und es keiner „Störungsfolgen“ bedürfe. Der OGH hat das Urteil der zweiten Instanz bestätigt, indem er die Rechtswidrigkeit der Tat bejaht hat16. Danach hat sich in der Rechtsprechung die Tendenz noch verstärkt, die Anwendung der Lehre vom strafwürdigen Unrecht 14
Urteil des RG v. 11. 10. 1910, Keiroku Bd. 16, S. 1620. Urteil des OGH 28. 3. 1957, Keishu Bd. 11, H. 3, S. 1275 (Naganuma-Kurort-Fall). 16 Beschluss des OGH v. 24. 6. 1986, Keishu Bd. 40, H. 4, S. 242. 15
V. Strafwürdiges Unrecht und strafbedürftige Verantwortlichkeit
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abzulehnen. Das LG Kobe17 ist 2006 in einem Fall, in dem der Täter 2 Yen (etwa 1,6 Cent) aus dem Opferkasten eines Tempels gestohlen hatte, davon ausgegangen, dass strafwürdiges Unrecht begangen worden sei. Man dürfe nicht nur dem gestohlenen Betrag Aufmerksamkeit schenken, sondern müsse auch den Grad der Rechtsgutsverletzung und die Gefährlichkeit der Tat beachten. Betrachte man den Fall aus der Sicht der gesamten Rechtsordnung, lasse sich das Vorliegen eines Unrechts, dem mit Strafe begegnet werden muss, nicht verneinen. d) Eine besondere Fallkonstellation: geringfügige Normüberschreitungen bei verfassungsmäßigen Aktivitäten Der OGH hat in jüngerer Zeit18 ein Urteil des OG19 bestätigt, das ein Urteil des LG20, in dem dieses das strafwürdige Unrecht der betreffenden Tat verneint hatte, aufgehoben hatte. Dem Urteil des LG Tokyo lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die beiden Angeklagten hatten auf einem Grundstück der Selbstverteidigungskräfte21 Flyer in die Postkästen der Wohnungen eingeworfen. Darauf war abgedruckt: „Gegen die Entsendung der Selbstverteidigungskräfte in den Irak“. Die beiden Täter wurden wegen Hausfriedensbruchs (§ 130) angeklagt. Das LG Tokyo (Zweigstelle Hachioji) hat die Tatbestandsmäßigkeit zwar bejaht, aber das strafwürdige Unrecht verneint. Es könne Fälle geben, in denen die tatbestandsmäßige Handlung unter Berücksichtigung der Billigkeit der Motivation, die zur Tat geführt hat, der Adäquanz der Verhaltensweise, dem Grad des Schadens, der im Ergebnis verursacht wurde, und sonstiger Umstände vom Standpunkt der gesamten Rechtsordnung aus kein Unrecht darstellt, das für eine Bestrafung ausreichend ist, und somit keine Straftat vorliegt. Die Verletzung der Rechtsgüter der Bewohner und des Verwalters, die die Angeklagten auf dem Grundstück des Quartiers verursacht haben, sei äußerst gering gewesen. Der Einwurf der Flyer durch die Angeklagten sei ein Glied in der Kette der politischen Aktivitäten gewesen, die durch die Verfassung garantiert würden und die eine Basis der Demokratie bildeten. Dieser Fall ist ein typisches Beispiel aus einer Fallgruppe, bei der eine geringfügige Normüberschreitung bei Kundgabe politischer Meinungen, die durch die Verfassung garantiert wird, noch außerhalb des Bereichs strafwürdigen Unrechts bleibt. 17
Urteil des LG Kobe v. 14. 3. 2006 LEX/DB. Urteil des OGH v. 11. 4. 2008, Keishu Bd. 62, H. 5, S. 1217. 19 Urteil des OG Tokyo v. 9. 12. 2005, Hanrei Jiho 1949, 169. 20 Urteil des LG Tokyo, Zweigstelle Hachioji, v. 16. 12. 2004, Hanrei Jiho 1892, 150. 21 § 9 der japanischen Verfassung verbietet, alle Militärkräfte wie Armee, Marine oder Luftwaffe zu betreiben. Man legt diese Vorschrift aber so aus, dass sie das Selbstverteidigungsrecht nicht ausschließt. Deswegen wird es als verfassungsmäßig interpretiert, dass Japan „Selbstverteidigungskräfte“ als Streitkräfte betreibt, auch wenn sie dabei über Boden-, See- und Luftstreitkräfte verfügen. 18
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H. Straftatsystem und Allgemeiner Teil
2. Die Lehre von der strafbedürftigen Verantwortlichkeit So wie die „Lehre vom strafwürdigem Unrecht“ wird in Japan nicht selten auch die „Lehre von der strafbedürftigen Verantwortlichkeit“22 vertreten: Wenn der Täter keine Möglichkeit hat, sich normgemäß zu verhalten, wird seine Schuld ausgeschlossen. Deswegen handelt derjenige, dem die Schuldfähigkeit oder das (aktuelle und potentielle) Unrechtsbewusstsein fehlt, nicht schuldhaft. Wenn der Täter dagegen noch die Möglichkeit hat, normgemäß zu handeln, und gleichwohl seine Tat so bewertet werden kann, dass eine Bestrafung als Sanktion der Tat nicht notwendig ist, fehlt es an seiner strafbedürftigen Verantwortlichkeit. Der Grund für den Ausschluss der strafbedürftigen Verantwortlichkeit liegt darin, dass die Schuldmerkmale eigentlich als Voraussetzung für die Sanktionsnorm konzipiert werden müssen, d. h. die Schuldmerkmale sich an der Strafe und ihren Zwecken zu orientieren haben. Die Schuld ist die Grundlage und obere Grenze der Strafe. Deshalb muss die Schuld der Strafe entsprechen. Diese Schuld, die von der Strafe her teleologisch definiert wird, ist als „strafbedürftige Schuld“ zu bezeichnen. Bei der Bestimmung der strafbedürftigen Verantwortlichkeit ist zu berücksichtigen, was der Staat dem Bürger zumuten kann, es geht also darum, ob es dem Täter zuzumuten ist, sich rechtmäßig zu verhalten. Dem Täter wird vom Staat eine rechtmäßige Handlung zugemutet. Auf der Seite des Subjekts des „Zumutens“, also auf der Seite des Staates, muss ein Grund bestehen, der es erlaubt, dem Täter die Handlung (oder das Unterlassen) zuzumuten. Wenn der Staat z. B. keine Politik der Armutsbekämpfung verfolgt, kann er dem Täter die Vermeidung des Diebstahls wegen Armut nicht zumuten. Die strafbedürftige Schuld ist also der Bindungsbegriff, der sich aus der Schuld des Täters, aber auch aus dem gesamten Staatswesen konstituiert. Der Entschuldigungsgrund fehlender Zumutbarkeit ist also in Wahrheit als ein Fall fehlender strafbedürftiger Verantwortlichkeit einzuordnen. Die „Lehre von der strafbedürftigen Verantwortlichkeit“ spielt nicht nur für den Ausschluss strafbedürftiger Verantwortlichkeit eine Rolle, sondern auch für deren Verringerung. Zu nennen ist z. B. die Sonderregelung für das Delikt „Vernichtung von Beweisgegenständen durch Verwandte“ (§ 105 StGB); danach kann der Verwandte, der zu Gunsten des Täters Beweisgegenstände vernichtet, von der Strafe befreit werden. Grund dafür ist die Verringerung der „strafbedürftigen Verantwortlichkeit“ wegen des bestehenden Verwandtschaftsverhältnisses23. 22 Die Lehre von der (strafbedürftigen) Verantwortlichkeit in Deutschland wurde von Claus Roxin entwickelt. Vgl. Roxin, Strafrecht AT, Bd. 1, 4. Aufl. 2006, § 19, A, Rn. 1 ff., Rn. 36 ff.; ders., Die präventive Bestrafungsnotwendigkeit als Voraussetzung strafrechtlicher Verantwortlichkeit, in: FS Yamanaka, S. 467 ff. 23 Bei § 105 sind alle Voraussetzungen der Straftat (Tatbestandsmäßigkeit, Unrecht und Schuld) erfüllt. Deswegen fehlt es nicht an der Schuld. Nur von der Strafe ist der Täter zu befreien.
I. Unterlassung, Kausalität und Zurechnung I. Probleme des objektiven Tatbestandes In diesem Abschnitt sollen die wichtigsten deliktsübergreifenden objektiven Tatbestandsmerkmale erörtert werden. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale wie Vorsatz und Absicht werden dann in Abschnitt K behandelt. Zu den objektiven Tatbestandsmerkmalen, die grundsätzlich bei einer Vielzahl von Delikten, wenn nicht gar bei allen, relevant werden, gehören beispielsweise Handlungssubjekt, Handlung, Tatumstände, Erfolg, Kausalität und Zurechnung. Im japanischen StGB gibt es keine diese Merkmale definierenden Vorschriften. Auch die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Deliktsarten (Erfolgs- und Tätigkeitsdelikte, Verletzungs- und Gefährdungsdelikte, Zustands- und Dauerdelikte usw.) werden in der Regel auf der Tatbestandsebene getroffen. Hier bestehen allerdings kaum nennenswerte Unterschiede zwischen japanischem und deutschem Recht1. Im Folgenden sollen nur die Probleme aufgegriffen werden, die in beiden Rechtsordnungen unterschiedlich behandelt werden.
II. Juristische Personen als Handlungssubjekt Im StGB fehlt eine Regelung der Strafbarkeit juristischer Personen. Der in Tatbeständen verwendete Wortlaut „derjenige“ oder „wer“ wird nur als „natürliche Person“, also „Mensch“ ausgelegt. Im Nebenstrafrecht sind dagegen viele Tatbestände zu finden, die Vorschriften für die Bestrafung juristischer Personen beinhalten. Diese Tatbestände betreffen nicht ausschließlich die Bestrafung juristischer Personen, sondern die „parallele“ Bestrafung natürlicher und juristischer Personen. Derartige Regelungen finden sich vor allem im Verwaltungsstrafrecht2. Bei den Parallelbestrafungsregelungen wird meistens neben dem Täter als „Angestellter“ auch der „Betriebsinhaber“ bestraft3. Der Betriebsinhaber kann dabei 1 In den japanischen Lehrbüchern unterscheidet man allerdings zwischen „Materialdelikten“ und „Formaldelikten“. Ein „Materialdelikt“ zeichnet sich dadurch aus, dass bei der Ausprägung seines Tatbestandes mehr oder weniger die Rechtsgutsverletzung bzw. -gefährdung berücksichtigt wird. „Formaldelikte“ sind Delikte, bei deren Tatbestandsbildung keine Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung berücksichtigt worden ist. 2 Zur Parallelbestrafung von juristischen und natürlichen Personen vgl. Yamanaka, Die Parallelbestrafung von juristischen und natürlichen Personen, in: Zeitschrift für japanisches Recht, 2002, Heft 14, S. 191 ff.; ders., in: Risikogesellschaft, S. 78 ff. 3 Vgl. dazu Yamanaka, Bestrafung von juristischen und natürlichen Personen, in: Zeitschrift für japanisches Recht 2002, Heft 14, S. 191 ff.; ders., in: Risikogesellschaft,
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I. Unterlassung, Kausalität und Zurechnung
eine natürliche Person wie auch eine juristische Person sein. In der japanischen Strafrechtswissenschaft gab es schon vor dem Zweiten Weltkrieg eine Lehrmeinung, die die „Straftatfähigkeit“ von juristischen Personen bejahte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Meinung auch durch die klassische Schule unterstützt, die zuvor das Vorliegen einer (bei einer juristischen Person ausgeschlossenen) „moralischen Schuld“ als unentbehrlich für die Bejahung strafrechtlicher Verantwortlichkeit hielt. Heutzutage ist die Meinung, nach der die Straftatfähigkeit der juristischen Personen bejaht wird, vorherrschend. Der Schwerpunkt der Diskussion zur Bestrafung von juristischen Personen liegt heute in der Frage, warum der Betriebsinhaber, also gegebenenfalls eine juristische Person, die Verantwortung für die Taten seiner Angestellten tragen soll. Die herrschende Meinung vertritt die „Theorie von der vermuteten Fahrlässigkeit“4, die die Verantwortlichkeit der juristischen Person damit begründet, dass sie vermutlich die Pflicht zur Kontrolle des Verhaltens der Angestellten verletzt hat. Auch der OGH hat die Verantwortlichkeit der juristischen Person mit der Theorie von der vermuteten Fahrlässigkeit begründet5.
III. Unterlassungsdelikte 1. Keine Vorschrift für unechte Unterlassungsdelikte Das japanische Strafrecht differenziert zwischen echten und unechten Unterlassungsdelikten. Die ersteren haben eigene Tatbestände wie § 133 Satz 2 StGB (Unterlassen des Verlassens einer fremden Wohnung) oder § 218 Halbsatz 2 StGB (Versäumen des lebensnotwendigen Schutzes für einen Schutzbedürftigen). Die letzteren sind dagegen durch Unterlassen begangene Begehungsdelikte. Das japanische StGB hat für diese Delikte keine dem § 13 des deutschen StGB entsprechende Vorschrift. Das japanische StGB kennt auch keine Straftaten wie „Unterlassene Hilfeleistung“ in § 323 c dStGB, deren Rechtsgut das Allgemeininteresse an solidarischer Schadensabwehr ist.
S. 78 ff.; ders., Umweltkatastrophen, Massenprozesse und rechtlicher Schutz in Japan, Strafrechtsdogmatik, S. 60 ff., bes. S. 73 ff. Es gibt auch Vorschriften für eine sog. „trilaterale“ Bestrafung“, nach denen neben Angestellten und Betriebsinhaber auch ein Organ der juristischen Person, also z. B. deren Repräsentant bestraft wird, so etwa § 163 des „Juristische-Personen-Steuergesetzes“ (1965, Gesetz-Nr. 34) oder §§ 95, 95 a des Antimonopolgesetzes. 4 Yamanaka, a .a. O., Zeitschrift für japanisches Recht, 2002, Heft 14, S. 197; ders., Risikogesellschaft, 84. 5 Urteil des OGH v. 26. 3. 1965, Keishu Bd. 19, H. 2, S. 83.
III. Unterlassungsdelikte
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2. Unterlassungsdelikte und Straftataufbau Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden die Probleme der Unterlassungsdelikte vor allem bei der „Kausalität der Unterlassung“ gesehen6. Damals wurde die Tatbestandsmäßigkeit der Unterlassung ohne Rücksicht auf die Pflichtwidrigkeit des Handelns schon bejaht, wenn die Kausalität für den Erfolg bejaht wurde. Der Bereich, in dem eine Kausalität bejaht wurde, war ziemlich weit. Deswegen hat Dando damals folgende Auffassung vertreten: Normalerweise (d. h. bei den Begehungsdelikten) ist zunächst die Tatbestandsmäßigkeit zu prüfen, anschließend die Rechtswidrigkeit7. Aber bei den Unterlassungsdelikten muss die Prüfung der Rechtswidrigkeit vor der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit erfolgen. Denn bei den Unterlassungsdelikten kann die Tatbestandsmäßigkeit nicht bestimmt werden, solange die Pflichtverletzung, die normalerweise auf der Ebene der Rechtswidrigkeit eingeordnet wird, nicht festgestellt wird. Damals ging Dando davon aus, dass die Rechtswidrigkeit in der Regel schon dann vorhanden ist, wenn die Pflichtwidrigkeit der Unterlassung festgestellt wird, weil er damals den Begriff der Garantenstellung auf der Tatbestandsebene nicht kannte. 3. Garantenstellung und Garantenpflicht Der Begriff der „Garantenstellung“, der durch Johannes Nagler (1876 – 1951) geprägt worden ist, ist Anfang der 1970er Jahren in Japan eingeführt worden und hat sich anschließend verbreitet, bis dann das Erfordernis einer Garantenstellung bei unechten Unterlassungsdelikten auch in Japan der herrschenden Meinung entsprach. Der Fokus der Diskussion über die Unterlassungsdogmatik lag damals auf dem Grund und dem Inhalt der Handlungspflicht. Die leitende Idee dabei war die „Gleichwertigkeit“ mit den Begehungsdelikten. Es ist bis heute allerdings nicht klar, wie sich die Kategorie der Gleichwertigkeit in die Unterlassungsdogmatik einordnen lässt. Als Tatbestandsmerkmal ist sie wohl zu vage und unbestimmt. Deswegen ist es besser, wenn man sie als Auslegungsrichtlinie ansieht. Die Konkretisierung dieser Richtlinie findet sich hauptsächlich in den Theorien zu den Entstehungsgründen der Garantenpflicht. Hinsichtlich der Entstehungsgründe der Garantenpflicht war lange Zeit die Theorie der formellen Rechtspflicht vorherrschend, seit den 1980er Jahren ist aber die sog. Theorie der materiellen Rechtspflicht herrschende Meinung. Die 6 Vgl. Yamanaka, Entwicklung und Ausblick der Unterlassungsdogmatik in der japanischen Strafrechtswissenschaft, in: Das erste deutsch-japanisch-polnische Strafrechtskolloquium der Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung, 1998, S. 109 ff., 110; Yuri Yamanaka, Das unechte Unterlassungsdelikt in Japan, in: Ünver/Joerden/Szwarc/Yamanaka, K. (Hrsg.), Probleme des Allgemeinen Teils des Strafrechts aus rechtsvergleichender Perspektive, Ankara, 2015, S. 29 ff. 7 Dando, AT, 3. Aufl., S. 147.
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I. Unterlassung, Kausalität und Zurechnung
erstgenannte Theorie unterscheidet die Entstehungsgründe formell nach den Rechtsquellen: Gesetz, Vertrag und sittliche Vernunft (auf Japanisch: Jori). Der Begriff der sittlichen Vernunft ist nicht in allen Einzelheiten geklärt, er wird als generalklauselartiger Oberbegriff verstanden, wobei er im Wesentlichen die Fälle der Ingerenz erfasst. Nicht geklärt wurde, in welchen Fällen das Gesetz eine Garantenpflicht begründet. So gibt es eine Anzeigepflicht, wenn ein Kraftfahrer einen Unfall mit Körperverletzung verursacht. Verletzt er diese Pflicht, wird da rin noch keine Verletzung seiner Garantenpflicht gesehen. Ebenfalls schwierig ist der Versuch, die Gesetze danach zu unterscheiden, ob das Gesetz den Zweck hat, das Leben oder andere Rechtsgüter des Opfers zu schützen. 4. Theorie der materiellen Rechtspflicht In Japan zeigte sich die Tendenz, eine materielle Begründung der Rechtspflichten nicht in der sozialen Kommunikation, sondern in den tatsächlichen Verhältnissen, die dem Unterlassen zugrunde liegen, zu suchen. Zum Beispiel hat die soziologische Begründung von Otto/Brammsen8, nach der die Garantenpflichten auf gegenseitigen Erwartungen innerhalb der Gesellschaft beruhen, keine Anhänger in Japan gefunden. Als Vertreter der Theorie der materiellen Rechtspflicht lassen sich in Japan drei Auffassungen nennen: die Ingerenztheorie (Yoshihiro Hidaka, *1948), die Theorie der tatsächlichen Übernahme (Shozo Horiuchi, *1942) und die Theorie, wonach eine vorangegangene Handlung die Rechtsgutsverletzung verursacht hat. An der ersten Theorie wird kritisiert, dass sie zu eng für den zu erfassenden Strafbarkeitsbereich ist, weil es viele Fälle gibt, in denen das Unterlassen auch ohne Ingerenz strafbar ist. Nach der Theorie der tatsächlichen Übernahme9 muss der Unterlassende zunächst Handlungen zur Bewahrung des gefährdeten Rechtsgutes vorgenommen haben. In diesem Fall entsteht ein konkretes Abhängigkeitsverhältnis zwischen Unterlassen und Erfolg. Wenn der Unterlassende die Bewahrung des betreffenden Rechtsgutes tatsächlich übernimmt, hat er die Handlungspflicht zur Erfolgsvermeidung. Die Theorie der Herrschaft über den Kausalverlauf ist in der Unterlassungsdogmatik heutzutage herrschend. Nach dieser Theorie ist es erforderlich, dass der 8 Otto/Brammsen, Die Grundlagen der strafrechtlichen Haftung des Garanten wegen Unterlassens, Jura 1985, S. 530 ff., 592 ff., 646 ff.; Otto, Grundkurs Strafrecht, 7. Aufl., 2004, S. 163 ff.; Brammsen, Die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenpflichten, 1986, S. 52 ff., 69 ff. 9 Diese Theorie wird auch unter der Bezeichnung Theorie der „konkreten Abhängigkeit“ vertreten, nach Jürgen Welp (1936 – 2014). Vgl. dazu Jürgen Welp, Vorangegangenes Tun als Grundlage einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung, 1968, S. 178 ff., bes. S. 181.
III. Unterlassungsdelikte
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Täter den Kausalverlauf konkret und wirklich beherrscht, wenn das Unterlassen wertungsmäßig einem Tun gleichgestellt werden soll. Voraussetzungen hierfür sind entweder die auf eigenem Willen beruhende tatsächliche „exklusive Herrschaft“ über den Kausalverlauf oder ein Geschehen innerhalb des Herrschaftsbereichs des Täters, auf das sich sein Wille nicht erstreckt10. Aber die Begriffe der „exklusiven Herrschaft“ oder auch der „Herrschaft“ über den Kausalverlauf“11 bleiben unklar. Wäre „Kausalverlauf“ hier gleichbedeutend mit „Grund des Erfolgs“, entspräche diese Theorie in wesentlichen Punkten der Theorie Schünemanns (*1944)12. Schünemann vertritt nicht, dass die Herrschaft über den Kausalverlauf erreicht werden muss, sondern die Herrschaft über den Grund des Erfolgs: Also handelt es sich bei ihm hauptsächlich um die Herrschaft über die Gefahrenquelle zum Erfolgseintritt. Die japanische Theorie verlangt die unmittelbare Herrschaft über den Kausalverlauf zum Erfolg, was Schünemann nicht voraussetzt13. Der Unterlassende beherrscht beim Unterlassen keinen Kausalverlauf, weil er keine natürliche Ursache für den Erfolg gesetzt hat. Er kann den Kausalverlauf, den er nicht verursacht hat, nicht beherrschen. Deswegen ist eine „Herrschaft“ über den Kausalverlauf wie bei einem Begehungsdelikt unmöglich. Man kann den schon in Gang gesetzten Kausalverlauf beherrschen, der Unterlassende hat jedoch nur eine „potenzielle Herrschaft“14 über den Kausalverlauf, weil erst seine mögliche positive Intervention in den Kausalverlauf eingreifen würde. Warum diese Herrschaft eine „exklusive“ sein muss oder für die Unterlassungsstrafbarkeit ausreichend ist, wird ebenfalls nicht klar. Wenn ein Kind im Begriff ist, in einem Teich zu ertrinken, und ein (dem Kind fremder) Spaziergänger allein vorbeikommt, ist er dann „exklusiver“ Herrscher über den Kausalverlauf? Wenn nun zufällig zwei Spaziergänger am Teich vorbeikommen, wäre dann keiner von beiden Herrscher15? 10 Noriyuki Nishida, Fusakuihanron (Die Lehre von den Unterlassungsdelikten), in: Keiho Riron no gendaiteki Tenkai I (Moderne Entwicklung der Strafrechtslehre, Bd. 1), 1988, S. 68 ff., vor allem S. 89 ff. Es ist jedoch nicht klar, was das Kriterium für diese Differenzierung ist und warum z. B. das Eltern-Kind-Verhältnis als ein Fall der „auf eigenem Willen“ beruhenden „exklusiven Herrschaft“ angesehen wird. 11 Nishida, a .a. O., S. 90; ders., AT, 2. Aufl., 2010, S. 125 ff. 12 Bernd Schünemann, Grund und Grenzen der unechten Unterlassungsdelikte, 1971, vor allem S. 236 ff. 13 Für Schünemann ist „ein für den konkreten Kausalverlauf aktuell wesentliches Merkmal“ der Grund des Erfolges. Der Grund des Erfolges ist danach die Beschaffenheit der für den zum Erfolg führenden Kausalverlauf unentbehrlichen Gegenstände (vgl. Schünemann, a .a. O., S. 241). 14 Vgl. Yamanaka, Abgrenzung von Beihilfe und Mittäterschaft bei Unterlassungsdelikten, in: FS Schünemann, S. 568. 15 Nishida meint, dass ein unterlassender Vater, der sein im See ertrinkendes Kind nicht rettet, keine exklusive Herrschaft hat, wenn er sich nicht allein, sondern mit einem
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I. Unterlassung, Kausalität und Zurechnung
IV. Kausalität und Bedingungstheorie In der japanischen Strafrechtsdogmatik verwendet man den Begriff der „Kausalität“ nicht nur im naturwissenschaftlichen Sinne, sondern auch im Sinne von strafrechtlicher Zurechnung. Oft wird der Begriff undifferenziert in den beiden Bedeutungen benutzt. Hier wird der Begriff der „Kausalität“ nur im Sinne der Bedingungstheorie16 verwendet. Alle anderen Theorien sind mehr oder weniger nur Theorien zur Begrenzung der Reichweite der Kausalität. 1. Die Bedingungstheorie und ihre Probleme Nach dem Zweiten Weltkrieg löste die „Theorie des adäquaten Kausalzusammenhangs“, also die Adäquanztheorie, die Bedingungstheorie als herrschende Meinung ab. Es gab allerdings auch nach dem Zweiten Weltkrieg die Auffassung (Takigawa), nach der die Bedingungstheorie genüge und die Adäquanztheorie nicht erforderlich sei, weil der Vorsatz auf der Schuldebene dieselbe Funktion wie die Adäquanztheorie erfülle17. Bei den Fahrlässigkeitsdelikten gilt die Bedingungstheorie noch, weil die weitgehende Kausalität durch den Vorhersehbarkeitsbegriff später eingeschränkt wird. Aber der Vorsatzbegriff hat keine die Kausalität einschränkende Funktion. Bei den Vorsatzdelikten bezieht sich der Vorsatz nur auf die Gefahr des abstrakten Erfolgs zum Zeitpunkt der Tatbegehung, wie folgendes Beispiel zeigt. Wenn der Täter das Opfer vorsätzlich mit einem Messer in den Bauch sticht, wird der Tötungsvorsatz nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Opfer danach im Krankenhaus durch einen Arzt getötet würde. Es kann nicht verneint werden, dass der Täter im Zeitpunkt der Tatbegehung Tötungsvorsatz hatte. Bei diesem Beispiel geht es um die Frage, ob die Tat vollendet ist oder nur versucht wurde. Dies ist aber keine Frage des Vorsatzes, sondern eine der Kausalität zwischen der Tat und dem Erfolg. Als Kausaltheorie ist die Bedingungstheorie im Allgemeinen anerkannt. Nur gibt es Einschränkungsbedarf, weil ein alleiniges Abstellen auf den Bedingungszusammenhang der Tat den Bereich des strafbaren Handelns zu weit fasst. Problematisch bei der Bedingungstheorie sind zwei Punkte: Ob die conditio-sine-qua-non-Formel zur Feststellung der Kausalität nützlich ist und welche Kriterien für die Beschränkung der Kausalität geeignet sind. anderen zur Rettung fähigen Spaziergänger am Ufer des Sees befindet (Nishida, a .a. O., S. 92.). 16 Die Bedingungstheorie geht auf Maximilian v. Buri (1825 – 1902) zurück. Vgl. ders., Ueber Causalität und deren Verantwortung, 1873. 17 In Deutschland hat Hans Joachim Hirsch (1929 – 2011) später auch diese Theorie vertreten. Vgl. Hirsch, Zur Lehre von der objektiven Zurechnung, in: Strafrechtliche Probleme, Bd. 2, 2009, S. 209 ff. Beim Erbonkelfall lässt sich so auch erklären, dass es am Tötungsvorsatz fehlt, obwohl es schon an der Gefahrschaffung mangelt.
IV. Kausalität und Bedingungstheorie
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2. Hypothetische Kausalverläufe In Japan begann in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eine Diskussion über das Thema der „hypothetischen Kausalverläufe“18. Ausgangspunkt der Diskussion sind dabei Fälle, bei denen der hypothetische Kausalverlauf bei der Anwendung der conditio-Formel zum gleichen Erfolg wie der tatsächlich geschehene Kausalverlauf geführt hätte, eine Verneinung der Kausalität jedoch nicht sachgerecht erscheint. Diskutiert wurde, wie man in solchen Fällen die Verneinung der Kausalität vermeiden kann. Dabei wurden die gleichen Schulfälle wie in Deutschland diskutiert, etwa der sog. Todesschuss-Fall oder der Exekutions-Fall. Im Todesschuss-Fall erschießt der Täter einen Mann, der gerade im Begriff ist, in ein Flugzeug einzusteigen. Nach dem Start stürzt das Flugzeug ab, wobei alle Passagiere und die Besatzung ums Leben kommen. Wenn der Täter das Opfer nicht erschossen hätte, wäre das Opfer wegen des Absturzes des Flugzeuges gestorben. Nach der conditio-Formel müsste an sich die Kausalität zwischen Schuss und Tod des Opfers verneint werden. Man löst diese Fälle, indem man auf den Erfolg „in seiner konkreten Gestalt“ abstellt. In ihrer konkreten Gestalt sind aber der Tod des Opfers in der Realität (durch das Erschießen) und dessen hypothetischer Tod (durch den Flugzeugabsturz) durchaus unterschiedlich. Dieser Fall ist also ein Beispiel dafür, dass der Erfolg „konkret“ definiert werden muss19. Durch das Abstellen auf den „konkreten Erfolg“ lassen sich indes nicht alle problematischen Fälle lösen. Als Beispiel sei der sog. Exekutions-Fall genannt: Bei der Hinrichtung eines Mörders stößt der Vater des Opfers den Henker beiseite und legt selbst den Schalter zum Einschalten des elektrischen Stuhls um. Wenn der Vater ihn nicht weggestoßen hätte, hätte der Henker im gleichen Zeitpunkt den Schalter umgelegt. In diesem Fall sind realer und hypothetischer Erfolg in ihrer konkreten Gestalt (Ort, Zeit, Vorgehensweise) gleich. Hier behilft man sich aber mit einer weiteren Regel: Bedingungen, die nicht verwirklicht worden sind, werden nicht berücksichtigt. In unserem Beispiel ist dies das Einschalten des elektrischen Stuhls durch den Henker. Da das nicht verwirklichte Einschalten nicht berücksichtigt werden darf, wäre der Erfolg entfallen, wenn der Vater den Schalter nicht umgelegt hätte. 3. Alternative Kausalität Der im Zusammenhang mit hypothetischen Kausalverläufen wohl schwierigste Fall ist der der alternativen Kausalität (auch als „alternative Konkurrenz“ 18 Vgl. Yamanaka, Keiho niokeru Ingkankei to Kizoku (Kausalität und Zurechnung im Strafrecht), 1984, vor allem S. 17 ff. 19 Fraglich ist natürlich, bis zu welchem Grad die Erfolgskonkretisierug angemessen ist.
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bezeichnet): A und B geben jeweils unabhängig von der Tat des anderen in die Kaffeetasse des C ein Gift in tödlicher Dosis. Denkt man die Handlung des A hinweg, wäre C durch das Gift des B gestorben. Das Gleiche gilt auch für B. Deswegen müsste man die Kausalität für beide Personen verneinen, wenn man annimmt, dass die Verdoppelung der Giftdosis den Eintritt des Todes von C nicht beschleunigt hat. Eine Bejahung der Kausalität in Fällen alternativer Kausalität scheint der conditio-Formel zu widersprechen, weil diese eine „notwendige“ Bedingung voraussetzt. Zur alternativen Kausalität wurden (und werden) auch in Japan verschiedene Theorien vertreten20. Doch lässt sich das Problem der alternativen Kausalität meiner Meinung nach nur dadurch lösen, dass man eine Tatsache dann als kausal ansieht, wenn sie eine „hinreichende Mindestbedingung“ für den Erfolg darstellt (Puppe, *1941)21. Die herrschende Meinung in Japan geht nicht so weit. Sie scheint aber die alternative Kausalität als einen Fall „mehrfacher Kausalität“ anzusehen,22 d. h. für einen Erfolg das Vorliegen mehrerer voneinander unabhängiger Ursachen anzuerkennen. In Lehrbüchern (z. B. Oya, Maeda) wird teilweise immer noch die Meinung vertreten, dass man das Problem lösen könne, indem beide Bedingungen, also die Taten von A und B, kumulativ hinweggedacht werden. Dann wäre der Erfolg nicht eingetreten. Diese Meinung vernachlässigt völlig, dass man bei der Anwendung der conditio-Formel nicht einfach mehrere Bedingungen ohne Grund zusammen hinwegdenken kann 23. Als Grund kann auch nicht gelten, dass beide Taten zusammen als nur eine Ursache des Erfolges anzusehen seien, denn diese Denkweise beruht auf einem bloßen Zirkelschluss. Andernfalls könnte man völlig beliebig alle möglichen Bedingungen zusammen hinwegdenken. Damit wären aber alle denkbaren Bedingungen kausal für den Erfolg. Wenn z. B. A den C nicht erschossen hätte und X nicht die Zeitung gelesen hätte, dann wäre C nicht gestorben. Also wäre das Lesen der Zeitung durch X eine Ursache des Todes von C. 20 Machino vertrat eine ähnliche Theorie wie die Vermeidbarkeitstheorie von Kahrs (Kahrs, Das Vermeidbarkeitsprinzip und die conditio-sine-qua-non-Formel im Strafrecht, 1968), Machino, Ingakankeiron (Die Lehre von der Kausalität), in: Gendai Keiho Koza (Serie Strafrecht), Bd. 1 1977, S. 317. Diese Lehre war später in einem bestimmten Kreis sehr verbreitet. Vgl. auch Yamaguchi, Ingakankeiron (Die Lehre von der Kausalität), in: Keihoriron no Gendaiteki Tenkai (Gegenwärtige Entwicklung der Strafrechtslehre), Bd. 1, 1988, S. 43, vor allem S. 48 ff. 21 Vgl. zuletzt Ingeborg Puppe, Alternative Kausalität und notwendige Bedingung, ZIS 2012, S. 267 – 270. 22 Dazu vgl. Yamanaka, a .a. O., Kausalität und Zurechnung im Strafrecht, 1984, S. 250 ff., 271 f. 23 Wenn sich beispielsweise A und B verabreden, den C mit jeweils tödlichen Mengen von Gift zu töten. Bei diesem Fall gibt es einen „Grund“, die beiden Handlungen hinwegzudenken, weil sie wegen der Verabredung (des gegenseitigen psychischen Kausalzusammenhanges) jeweils eine Bedingung der anderen sind.
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4. Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung und die epidemiologische Kausalität Die conditio-Formel ist nicht in der Lage, Kausalzusammenhänge zu ermitteln. Sie ist, wie gesagt, bloß ein Mittel, die Kausalität zu bestätigen. Ob ein Kausalzusammenhang zwischen aufeinander folgenden Ereignissen vorhanden ist, lässt sich nur durch die Anwendung der „Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung“ (Engisch) nachweisen. Es gab in den 1970er Jahren in Japan einige Fälle, in denen ein Zusammenhang im Sinne einer „gesetzmäßigen Bedingung“ nicht bewiesen werden konnte24. So war in Fällen von Umweltkatastrophen die genaue Todesursache des Opfers manchmal unbekannt. Ein typisches Beispiel dafür ist der Schadensersatzprozess des sog. „Itai-Itai-Krankheits-Falls“25. Es gab verschiedene Hypothesen über die Ursachen der Itai-Itai-Krankheit. Dass die Krankheit im Kausalzusammenhang mit der Verunreinigung eines Flusses mit Cadmium stand, war naturwissenschaftlich noch nicht bewiesen. Das hier wirkende „Kausalgesetz“ war unklar. Der Kausalzusammenhang wird auch nicht klarer, wenn man hier die conditio-sine-qua-non-Formel anwendet. Die Strafrechtswissenschaft sieht sich bei Fällen dieser Art mit der Frage konfrontiert, wie man die Kausalität zwischen der Tat und dem tatbestandlichen Erfolg, also der Körperverletzung oder dem Tod des Menschen, feststellen kann, wenn die Ursache des Erfolges wissenschaftlich noch unklar ist. Die Kausalität setzt normalerweise den (natur-)gesetzlichen Zusammenhang zwischen den als Ursache und Wirkung in Betracht gezogenen Tatsachen voraus, d. h. es müssen die pathologischen Mechanismen einer Krankheit geklärt sein, wenn ein Geschehen zur Ursache für einen Erfolg erklärt werden soll. Bei den Umweltschädigungsfällen war es – wie der Minamata-Krankheits-Fall26 zeigt – äußerst schwierig, solche Mechanismen nachzuweisen. Der „epidemiologische Kausalbegriff“ bejaht einen Kausalzusammenhang schon dann, wenn ein solcher trotz der ungeklärten Mechanismen wegen der Vielzahl passender Fälle wahrscheinlich ist27. 24 Die Umweltverschmutzungsfälle ereigneten sich schon seit Ende der 50er Jahre. Aber durch die Zivilprozesse stellte sich die Kausalitätsfrage erst seit den 70er Jahren. 25 Urteil des LG Toyama v. 30. 6. 1971, Kaminshu Bd. 22, H. 5 – 6, S. 1. Die Itai-ItaiKrankheit (wörtlich „Weh-Weh-“ oder „Aua-Aua-Krankheit“) erhielt ihren Namen, da die Patienten dieser Krankheit unter starken Schmerzen litten und oftmals „Itai-Itai“ schrien. Vgl. dazu Yamanaka, Umweltkatastrophen, Massenprozesse und rechtlicher Ökologieschutz in Japan, in: Strafrechtsdogmatik, S. 62. 26 Die Minamata-Krankheit ist eine der Itai-Itai-Krankheit vergleichbare Krankheit, die auf einer Vergiftung mit Quecksilber beruht. Sie ist benannt nach der japanischen Stadt Minamata, in deren Umgebung sie in den 1950er Jahren erstmals auftrat. 27 Zum Streitstand diese Theorien betreffend in Deutschland (Statistische und probabilitische Kausalitätsmodelle) vgl. z. B. Roxin, Strafrecht AT, Bd. 1, 4. Aufl., § 11, A, IV, Rn. 35 ff.
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Es gab zwar Streit darüber, ob dieser Kausalbegriff, der im Zivilprozess wegen Tötung oder Körperverletzung durch Umweltverschmutzung entwickelt worden war, auch im Strafprozess mit dessen strengen Beweisregeln angewendet werden kann. Wenn man jedoch keinen wissenschaftlich vernünftigen Einwand gegen die makro-statistische Regelmäßigkeit erheben kann, sollte die Kausalität zwischen vorausgehender Tatsache und nachfolgendem Ergebnis bejaht werden. 5. Theorien zur Einschränkung der Bedingungstheorie Zunächst ist die Theorie der „Unterbrechung des Kausalzusammenhangs“ zu erwähnen. In der Rechtsprechung wurde früher häufiger der Begriff der „Unterbrechung“ des Kausalzusammenhangs verwendet. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Rechtsprechung auf der Bedingungstheorie beruht. Die Rechtsprechung verwendete auch den Ausdruck: „Es braucht keine einzige Ursache zu sein.“ Dieser Ausdruck deutet darauf hin, dass die Rechtsprechung hier die sog. „individualisierende Kausalitätstheorie“ aufgreift. Im Schrifttum wird die Theorie von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs abgelehnt, weil es bei der Kausalität nur zwei Möglichkeit gibt: Entweder Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein. Dass Kausalität zwar vorhanden, aber unterbrochen ist, ist ausgeschlossen. Auch die „individualisierende Kausalitätstheorie“ hat in Japan keine Unterstützung gefunden, weil sie dem Grundgedanken der Bedingungstheorie, dass alle Bedingungen gleichwertig für den Erfolg sind, widerspricht. – Weitere Theorien zur Einschränkung der Bedingungstheorie werden im nachfolgenden Kapitel V. besprochen.
V. Adäquanztheorie und objektive Zurechnung 1. Adäquanztheorie a) Die Adäquanztheorie als Theorie zur Beschränkung des Kausalzusammenhangs Von allen Theorien zur Beschränkung der Kausalität hat nur die Adäquanztheorie im Schrifttum breite Unterstützung gefunden. Die Adäquanztheorie wurde von dem Psychologen und Physiologen Johannes von Kries (1853 – 1928) als Wahrscheinlichkeitstheorie begründet28. Er hat ein Beispiel gebildet, um die Theorie zu erläutern: Wenn man den Schwerpunkt eines Würfels vom Mittelpunkt aus 28 von Kries, Die Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Eine logische Untersuchung, 2. Aufl., 1927, 85; ders., Ueber den Begriff der objectiven Möglichkeit und einige Anwendungen desselben, Vierteljahreszeitschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 12, 1888, S. 179 ff.; vgl. Yamanaka, Keiho niokeru Kyakkanteki Kizoku no Riron (Die Lehre von der objektiven Zurechnung im Strafrecht), 1997, S. 108 ff.
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etwas in Richtung der „Eins“ verschiebt, dann vergrößert sich die Wahrscheinlichkeit, beim Würfeln eine „Sechs“ zu bekommen. Bei einem adäquaten Kausalzusammenhang muss durch die Tat die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts erhöht werden. Kries benutzte ein weiteres schönes Beispiel: Wenn ein Kutscher von der vorgesehenen Fahrtroute abweicht und während dieses Umwegs ein Passagier durch einen Blitzschlag getötet wird, war sein Abweichen vom Weg nicht adäquat kausal für den Tod des Passagiers, weil es die Wahrscheinlichkeit zum Erfolgseintritt nicht erhöht hat. b) Beurteilungsbasis der Adäquanz Inzwischen wird die Adäquanztheorie so verstanden, dass der Kausalzusammenhang dann adäquat ist, wenn es zwischen Tat und Erfolg eine empirische Regularität gibt. Viel diskutiert wurde die Beurteilungsbasis der Adäquanz. Dazu gibt es drei Theorien: aa) Subjektive Theorie Nach der subjektiven Theorie bildet die subjektive Vorhersehbarkeit die Beurteilungsbasis, also die Tatsachen, die der Täter kennt oder kennen könnte. Wenn z. B. der Täter sein Opfer leicht auf den Schädel schlägt und das Opfer nur deswegen daran stirbt, weil sein Schädel – etwa durch eine Vorverletzung oder von Geburt an – besonders empfindlich ist, liegt ein adäquater Kausalzusammenhang nur vor, wenn der Täter bei Begehung der Tat die Tatsache der besonderen Empfindlichkeit des Schädels kennt oder erkennen konnte. Ist dies nicht der Fall, ist der Schlag auf den Kopf keine adäquate Ursache des Todes. bb) Objektive Theorie Nach der objektiven Theorie29 muss zwischen den in Betracht kommenden Tatsachen differenziert werden. Die schon bei Begehung der Tat vorliegenden Tatsachen gehören ohne weiteres zur Beurteilungsbasis, die sich erst nach der Tat ergebenen Tatsachen nur dann, wenn sie objektiv voraussehbar waren. Der bei der subjektiven Theorie genannte Beispielsfall muss nach der objektiven Theorie so gelöst werden, dass die Tatsache der besonderen Empfindlichkeit des Opferschädels in die Beurteilungsbasis aufgenommen wird, da diese Tatsache schon bei Begehung der Tat vorlag. Wenn aber z. B. der Täter den Körper des Opfers verletzt und dieses dann durch einen Behandlungsfehler im Krankenhaus stirbt, ist nach dieser Theorie die erst nach Begehung der Tat eingetretene Tatsache des Behandlungsfehlers nur dann zu berücksichtigen, wenn der Behandlungsfehler objektiv vorhersehbar war. 29
Diese Theorie ist zwar eine Mindermeinung, hat aber einige bedeutende Unterstützer.
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cc) Vermittelnde Theorie Die vermittelnde Theorie30 berücksichtigt als Beurteilungsbasis alle Tatsachen, die der Täter kennt oder die er kennen oder vorhersehen konnte, und alle Tatsachen, die ein durchschnittlicher Mensch kennt oder vorhersehen kann. Nach dieser Theorie ist der Beispielsfall mit dem empfindlichen Schädel so zu lösen, dass die Tatsache der besonderen Empfindlichkeit des Schädels nicht zu berücksichtigen ist, da sie für einen durchschnittlichen Menschen (und für den Täter) im Allgemeinen nicht erkennbar ist. Sollte die Tatsache aber für den Täter erkennbar gewesen sein (etwa, weil er Arzt des Opfers ist), wäre sie zu berücksichtigen. Im Beispielsfall mit dem Behandlungsfehler wäre die Tatsache des Behandlungsfehlers zu berücksichtigen, wenn sie für einen durchschnittlichen Menschen vorhersehbar war. Ist dies der Fall, ändert sich – jedenfalls hinsichtlich der Kausalität – nichts daran, wenn die Tatsache speziell für den Täter nicht vorhersehbar war. c) Adäquanz im weiteren und engeren Sinne In den 1970er Jahren wurde die Unterscheidung von Adäquanz im weiteren Sinne und Adäquanz im engeren Sinne von Karl Engisch31 (1899 – 1990) in Japan vorgestellt und eingeführt: Handlungsgefahr und Gefahrverwirklichung. Mit der ersteren ist eine Adäquanz der gefährlichen Handlung zum abstrakten Erfolgseintritt aus einer ex-ante-Perspektive gemeint. Mit der letzteren ist die adäquate Verwirklichung der Gefahr in einem konkreten Erfolgseintritt gemeint, d. h. die Adäquanz der konkreten Kausalverläufe. Diese ist aus einer ex-post-Perspektive zu beurteilen. In Japan wurde diese neue Betrachtungsweise der Adäquanz in der Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang damals intensiv diskutiert. Dabei trat eine Auffassung dafür ein, sich der Lehre von der objektiven Zurechnung anzuschließen, die damals in Deutschland entstand. Nach dieser Meinung entspricht die Unterscheidung zwischen Adäquanz im weiteren und im engeren Sinne dem Unterschied zwischen Schaffung des unerlaubten Risikos und Verwirklichung des geschaffenen Risikos in der Lehre von der objektiven Zurechnung. Gleichzeitig kritisierte sie die Adäquanztheorie als Oberbegriff der beiden Kategorien und die Diskussion über die Beurteilungsbasis der Adäquanztheorie. Die Beschränkung der Basis führe vor allem bei den nach der Tat eingetretenen Umständen zu irrationalen Ergebnissen, denn obwohl die unvorhersehbaren Umstände nicht als Basis der Beurteilung berücksichtigt werden, könne es dennoch 30
Diese Theorie ist die herrschende Meinung in Japan. Engisch, Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, Tübingen 1931, S. 55 ff. Diese Differenzierung geht allerdings zurück auf die Analyse von Max Ludwig Müller, aus: Die Bedeutung des Kausalzusammenhangs im Straf- und Schadensersatzrecht, 1912, S. 58. Vgl. Yamanaka, a .a. O., (Die Lehre von der objektiven Zurechnung im Strafrecht), S. 310 ff. 31
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möglich sein, dass eine zuerst geschaffene Gefahr als „verwirklicht“ angesehen werde, dazu ein Beispielsfall: Der Täter stößt das Opfer mit Tötungsabsicht vom Dach eines 50-stöckigen Hochhauses hinunter. Unten auf der Straße gibt ein Polizist bei der Verfolgung eines Räubers einen Warnschuss in die Luft ab. Die Kugel trifft das herabfallende Opfer und tötet es. In diesem Fall ist der Schuss des Polizisten nicht vorhersehbar gewesen und wird deswegen in der Beurteilungsbasis nicht berücksichtigt. Dann könnte die Gefahrverwirklichung verneint werden, weil es unmöglich ist, dass das Opfer durch den Treffer einer Kugel sterben würde, weil dieser Treffer von der Beurteilungsbasis ausgeschlossen worden ist. Oder es könnte auch so sein, dass man ohne Rücksicht auf den Schuss zum Ergebnis des Todes des Opfers kommt, weil das Opfer sowieso wegen des Absturzes auf der Straße gestorben wäre, wenn man den Erfolg nicht sehr konkret definiert. Also spielt es keine Rolle, ob man den Treffer der Kugel als Beurteilungsbasis aufnimmt oder nicht32. Nach dieser Auffassung sind hinsichtlich der Gefahrverwirklichung alle tatsächlich gegebenen Umstände in die Beurteilungsbasis einzubeziehen. Wenn dies aber richtig wäre, ließe sich die daraus ergebende Theorie nicht mehr sinnvoll als Adäquanztheorie bezeichnen, weil ein Wesenszug der Adäquanztheorie darin besteht, dass die Beurteilungsbasis irgendwie beschränkt werden muss. Dieser Meinung wurde vorgeworfen, dass sie die „Rückkehr zur Bedingungstheorie“ darstelle, weil bei einer ex-post-Betrachtung alles bereits Geschehene zwangsläufig sei33. Die Vertreter dieser Meinung haben sich gegen diesen Vorwurf mit dem Argument verteidigt, dass die Beurteilung der Kausalverläufe nach keiner tatsächlichen Kette des Geschehens sucht, sondern nach normativ wichtigen Kriterien durchgeführt werden muss34. Als diese Kriterien lassen sich nennen z. B. die Intensität (also die Unmittelbarkeit oder Mittelbarkeit) der Gefahr und der dazwischengetretenen Umstände und/oder ob eine Selbstgefährdung des Opfers vorliegt usw. Wenn die dazwischengetretene vorsätzliche Handlung eines Dritten z. B. in der bereits sehr hohen tödlichen Gefahrsituation der ersten Tatbegehung interveniert, ist ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen Ersthandlung und Erfolg noch zu bejahen. Beim unten noch zu erörternden Osaka-Südhafen-Fall (OGH-Urteil vom 199035) befindet sich das Opfer durch die Schläge des Ersttäters schon in einer kritischen Todesgefahr. Deswegen spielen die späteren vorsätzlichen Schläge durch den Dritten keine Rolle zur Verneinung des adäquaten Kau32
Zu diesem Fall vgl. Yamanaka, a .a. O. (Kausalität und Zurechnung), S. 232. Kritik wird damit begründet, dass die vorherige „Gefahr“ bei einer ex post Betrachtung der jeweiligen Umstände zwangsläufig gegeben ist oder nicht, je nachdem, ob der Erfolg eingetreten ist oder nicht. 34 Yamanaka, a .a. O. (Die Lehre von der objektiven Zurechnung im Strafrecht), 1997, S. 98 ff., 487 ff. 35 Beschluss des OGH v. 20. 11. 1990, Keishu Bd. 44, H. 8, S. 837. 33 Die
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salzusammenhanges. Aber dieser Gedankengang ist eher in die Lehre von der objektiven Zurechnung einzuordnen. 2. Die Lehre von der objektiven Zurechnung a) Vorgeschichte der Zurechnungslehre In Deutschland bildete sich – anknüpfend an den alten Begriff der „imputatio“ – von verschiedenen Ausgangspunkten her die Lehre von der objektiven Zurechnung36 aus. Wichtige Impulse haben die Lehre von der normgemäßen Gefahr von M. L. Müller37, die Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang im österreichischen Zivilrecht, die schon oben erwähnte Analyse der Handlungsgefahr und Gefahrverwirklichung in der Adäquanztheorie von Karl Engisch, die Zurechnungslehre von Karl Larenz38 (1903 – 1993) und die Lehre von der objektiven Zurechnung von Richard Honig39 (1890 – 1981) gegeben. Die moderne Lehre von der objektiven Zurechnung hat Claus Roxin (*1931) in den 1960er Jahren neu begründet. b) Einführung der Lehre in die japanische Strafrechtswissenschaft Die Lehre von der objektiven Zurechnung wurde in Japan in den 1970er Jahre eingeführt. Seiji Saito (1932 – 2010) hat die Lehre von Roxin40 übernommen. Da zunächst nur die Ausprägung der Lehre in Deutschland genau vorgestellt wurde, ist die Lehre von der objektiven Zurechnung als eine neue deutsche Tendenz angesehen worden. Damals wurde die Meinung vertreten, dass die Rechtswissenschaft in Deutschland eine solche neue Theorie benötige, weil dort noch die Bedingungstheorie herrschende Lehre sei. In Japan, wo die Adäquanztheorie herrschende Lehre ist, sei eine neue Theorie unnötig.
36 Ausführlich
zur Dogmengeschichte der Zurechnungslehre vgl. Yamanaka, a .a. O. (Die Lehre von der objektiven Zurechnung im Strafrecht), 1997, S. 280 ff. 37 Max Ludwig Müller, Die Bedeutung des Kausalzusammenhangs im Straf- und Schadensersatzrecht, 1912, S. 29 ff. 38 Karl Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927, bes. S. 60 ff. 39 Richard Honig, Kausalität und objektive Zurechnung, Festgabe für Reinhard Frank, 1930, S. 174 ff. 40 Claus Roxin, Gedanken zur Problematik der Zurechnung im Strafrecht, in: FS Richard Honig, S. 133 ff.; ders., Zum Schutzzweck der Norm bei fahrlässigen Delikten, in: FS Wilhelm Gallas, 1973, S. 241 ff.
V. Adäquanztheorie und objektive Zurechnung
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c) Der Gesichtspunkt der „Gefahrrealisierung“ in der Rechtsprechung In den 1990er Jahren hatte sich die Situation geändert. Der OGH hat im Jahre 1967 im sog. „Amerikanischen Soldatenflucht-Fall“41 zum ersten Mal die Adäquanztheorie verwendet, danach tauchte die Adäquanztheorie in der Rechtsprechung des OGH aber niemals wieder auf, obwohl dazu Gelegenheit bestanden hätte. 1988 hat der OGH in einem Urteil im sog. „Judo-Knochen-Wiederhersteller-Fall“42 den Begriff der „Handlungsgefahr“ benutzt. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des OGH hat in seiner Entscheidungsbesprechung die Meinung geäußert, dass das Gericht damit die „Gefahrrealisierung“ als ein Kriterium des Kausalzusammenhangs gemeint hat43. 1990 hat der OGH sich mit dem sog. „Osaka-Südhafen-Fall“ (oder Holzlager-Fall) beschäftigt, in dem ein Dritter nach der Handlung des Täters und vor dem Tod des Opfers intervenierte. Der Täter hatte gegenüber dem Opfer in der Präfektur Mie Gewalt ausgeübt. Anschließend wurde das noch lebende Opfer durch den Täter mit dem Wagen zum Südhafen von Osaka transportiert. Im Holzlager am Hafen hat der Täter das Opfer liegen lassen. Möglicherweise hat jemand danach auf den Kopf des Opfers eingeschlagen und den Tod des Opfers damit beschleunigt. Der OGH44 hat die „Kausalität“ zwischen den Schlägen des Täters in der Präfektur Mie und dem Tod des Opfers bejaht. „Falls die Körperverletzung als Todesursache des Opfers durch die Gewalttaten des Täters 41 Urteil des OGH v. 24.10. 1967, Keishu Bd. 21. H. 8, S. 1116. Der Sachverhalt war folgender: Ein Auto, das von einem amerikanischen Soldaten fahrlässig gesteuert wurde, prallte auf einen Mann, der dabei auf das Dach des Autos aufsprang, ohne dass dies der Fahrer bemerkte. Nach einer Weiterfahrt von etwa 4 km bemerkte der Mitfahrer den Mann und zog diesen auf den Asphalt hinunter. Das Opfer ist infolge einer Gehirnblutung verstorben. Das Urteil hat im Ergebnis das Vorhandensein des adäquaten Kausalzusammenhanges in diesem Fall verneint. Vgl. Yamanaka, Geschichte und Gegenwart, S. 149 f. 42 Beschluss des OGH v. 11. 5. 1988, Keishu Bd. 42, H. 5, S. 802. Ein Chiropraktiker hatte einen Kranken, der wegen einer Erkältung hohes Fieber hatte, mit einer falschen Methode ohne ärztlichen Kontrolle behandelt, wodurch der Patient verstarb. Der Angeklagte wurde wegen fahrlässiger Tötung bei einer Geschäftstätigkeit (§ 211 StGB) verurteilt. Der OGH hat die „Kausalität“ zwischen einer solcher Behandlung und dem Tod wie folgt begründet: Der Tat des Angeklagten war diejenige Gefahr immanent, die die Krankheit des Opfers verstärken und im Endeffekt sogar den Todeserfolg herbeiführen konnte. Vgl Yamanaka, Die Lehre von der Gefahrrealisierung in der japanischen Judikatur, in: Pływa czewski (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Strafrechts und der Kriminologie, 2014, S. 243 f. 43 Zur Entwicklung des Gefahrrealisierungsgedankens in der japanischen Judikatur mit weiteren Entscheidungen vgl. ausführlicher Yamanaka, Die Lehre von der Gefahrrealisierung in der japanischen Judikatur, in: Emil Pływaczewski (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Strafrechts und der Kriminologie, Bd. 6, 2014, S. 242 ff.; s. auch ders., Die Lehre von der objektiven Zurechnung in der japanischen Strafrechtswissenschaft, in: Geschichte und Gegenwart, S. 147 ff. 44 Beschluss des OGH v. 20. 11. 1990, Keishu Bd. 42, H. 5, S. 807.
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hervorgerufen wurde, lässt sich die Kausalität auch dann bejahen, wenn die Todeszeit eventuell dadurch (d. h. durch die zweiten Schläge) vorverlegt worden wäre“. Wenn man auf diesen Fall die Adäquanztheorie anwenden würde, wäre es fraglich, ob der adäquate Kausalzusammenhang bejaht werden könnte, weil bei der Gewalttat in der Präfektur Mie die eventuell vorsätzlichen tödlichen Schläge eines Dritten im Südhafen von Osaka für einen Durchschnittsmenschen nicht vorhersehbar waren. Die Fallstruktur ähnelt dem oben besprochenen Beispielsfall, in dem das Opfer von einem Hochhaus hinuntergestoßen wird. Die Vorhersehbarkeit der dazwischengetretenen Umstände, seien sie auch vorsätzlich oder fahrlässig hervorgerufen, spielt für die Erfolgszurechnung keine Rolle. Wenn der dazwischengetretene Dritte den Körper des am Boden liegenden Opfers um einen Meter verschiebt, damit das Blut etwas schneller aus dem Körper strömt, hat dies für die Erfolgszurechnung beim Täter keinen Einfluss. Die durch den Ersttäter verursachte Gefahr ist so groß, dass der Erfolg auch ohne die intervenierenden Umstände sehr zeitnah verwirklicht worden wäre. In einem solchen Fall wird der Erfolg zur Tat zugerechnet, unabhängig von der Vorhersehbarkeit des dazwischentretenden Verhaltens des Dritten. Diese Denkweise ist der Adäquanztheorie fremd. Die Anhänger der Lehre von der objektiven Zurechnung haben die Ähnlichkeit der Denkweise des OGH mit ihrer Auffassung betont. In den folgenden Jahren wurde die Lehre von der objektiven Zurechnung in der japanischen Strafrechtswissenschaft allmählich heimisch45. Der Einfluss der Entscheidungen des OGH auf die Wissenschaft war ziemlich groß. Dabei stellt die Auslegung des Begriffs der „Gefahrrealisierung“ den Mittelpunkt eines Meinungsstreits dar, da auch die Anhänger der Adäquanztheorie nach Engisch diesen Begriff benutzen46. d) Weitere Fälle zum Begriff der „Gefahrrealisierung“ aus der Rechtsprechung Seit dem „Judo-Knochen-Wiederhersteller-Fall“ und dem „Osaka-Südhafen-Fall“ hat der OGH einige weitere Entscheidungen gefällt, die sich mit dem Begriff der „Gefahr“ beschäftigt haben und in denen nicht die Terminologie der Adäquanztheorie verwendet worden ist. Zu nennen sind hier folgende Fälle:
45 Auslöser der Verbreitung der Lehre in Japan waren meine Schriften (vgl. vor allem Yamanaka, a .a. O., Die Lehre von der objektiven Zurechnung im Strafrecht) und die Entwicklung der Rechtsprechung des OGH. 46 Vgl. Yamanaka, in: Geschichte und Gegenwart, S. 147 ff.; ders., a .a. O., in: Aktuelle Probleme des Strafrechts und der Kriminologie, S. 242 ff.
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aa) Nacht-Tauchgang-Fall Der Sachverhalt dieses Falls aus dem Jahre 1992 stellt sich wie folgt dar: Der Angeklagte, ein Tauchlehrer, führte in einer Nacht, in der das Meer sehr stürmisch war, mit Hilfe von drei Helfern eine nächtliche Tauchübung unter Einsatz von Druckluftflaschen für sechs Personen durch, zu denen auch das Opfer gehörte. Der Angeklagte ging dabei (ohne zuvor besondere Anweisungen zur schlechten Wetterlage zu geben) in der Annahme voran, dass die anderen ihm folgen würden. Die zurückgebliebenen Helfer ordneten gegenüber den Teilnehmern die Fortbewegung unter Wasser an, weil sie eine Fortbewegung an der Meeresoberfläche wegen des starken Windes und der hohen Wellen für unmöglich hielten. Ein Übungsteilnehmer geriet in Panik, ließ die Luft aus seiner Druckluftflasche entweichen und starb. Der OGH47 beurteilte diesen Fall folgendermaßen: Der Angeklagte habe gegenüber „der Gefahr für das Opfer, unter Wasser seine Atemluft zu verbrauchen, keine angemessenen Maßnahmen getroffen, die den Erfolg des Ertrinkens hätten ausschließen können. Die Mangelhaftigkeit der Verhaltensweise der Übungshelfer, die (ebenfalls) Personen zurückgelassen haben, lasse sich zwar nicht verneinen. Dies ist jedoch durch das Verhalten des Angeklagten veranlasst worden. Es ist daher kein Grund ersichtlich, den Kausalzusammenhang zwischen der Handlung des Angeklagten und dem Tod des Opfers nicht zu bejahen“. In dieser und den zuvor besprochenen Entscheidungen hat der OGH keine Begriffe verwendet, die auf die Adäquanztheorie hingedeutet hätten. Vielmehr verwendete er die Begriffe „Gefahr“ bzw. „Veranlassung“, was vermuten lässt, dass den Entscheidungen zumindest ansatzweise die Gedanken der Lehre von der objektiven Zurechnung zugrunde liegen. In der schon angesprochenen Erläuterung durch den wissenschaftlichen Mitarbeiter48 wurde ausgeführt, dass der OGH auch im „Nacht-Tauchgang-Fall“ den Schwerpunkt auf die „Realisierung der Gefahr“ gelegt habe. bb) Flucht-auf-die-Autobahn-Fall Dem sog. „Flucht-auf-die-Autobahn-Fall“ des OGH aus dem Jahre 200349 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Dem Opfer wurde von vier Männern zunächst in einem Park und dann in einer Wohnung über einen längeren Zeitraum hinweg wiederholt Gewalt zugefügt. Das Opfer hatte dann eine Chance zur Flucht gefunden und auch genutzt. Aufgrund seiner starken Angst, von seinen Peinigern 47
Beschluss des OGH v. 17. 12. 1992, Keishu Bd.46, H. 9, S. 683. Hiromichi Inoue, Erörterungen zur Rechtsprechung des OGH im Jahre 2003 (Strafsache) (Saikosai Keiji Hanrei Kaisetsu), S. 223. 49 Beschluss des OGH v. 16. 7. 2003, Keishu Bd. 57, H. 7, S. 950. 48
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I. Unterlassung, Kausalität und Zurechnung
gefunden zu werden und dann erneut Gewalt zu erleiden, hat es nach zehnminütiger panischer Flucht eine 800 Meter von der Wohnung entfernt liegende Autobahn betreten, um etwaige Verfolger abzuschütteln. Dabei prallte das Opfer mit einem Wagen zusammen, wurde vom nachkommenden Wagen überfahren und starb anschließend. Der Fall wurde in der ersten Instanz vom LG Nagano, Zweigstelle Matsumoto50, wie folgt beurteilt: Dass das Opfer auf der Autobahn verunglückt ist, sei ein Ereignis, das bei der Gewaltausübung in Park und Wohnung „außerhalb des Vorhersehbaren“ lag. Es lasse sich nicht sagen, dass sich mit dem Tod des Opfers die durch die Gewaltausübung in Park und Wohnung geschaffene „Gefahr“ in anderer Form „realisiert“ habe. Die „Kausalität“ sei entgegen der Auffassung des Staatsanwaltes zu verneinen. Bei dieser Entscheidung der ersten Instanz ging es also um die Frage der Kausalität, innerhalb der die „Voraussehbarkeit“ als ein Beurteilungskriterium eingeordnet wurde. Es bestehen nach diesem Urteil zwei Beurteilungskriterien für Kausalität: „Gefahrrealisierung“ und „Vorhersehbarkeit“. Dagegen hat die zweite Instanz nur ein Kriterium verwendet, die „Vorhersehbarkeit“. Als Ergebnis hat sie die Kausalität bejaht, das Urteil der ersten Instanz aufgehoben und die Angeklagten verurteilt. Der OGH hat in seinem Beschluss von 2003 die Verurteilung der zweiten Instanz aufrechtgehalten. Auch er hat die „Kausalität“ zwischen den Gewalttaten der Angeklagten und dem Tod des Opfers bejaht. Die Begründung stützt sich auf folgende Überlegungen: Die Flucht des Opfers auf die Autobahn ist zwar ein „erheblich gefährliches Verhalten“, das an sich als „bewusste Selbstgefährdung“ einzustufen wäre. Es steht aber fest, dass von den Angeklagten gegen das Opfer lange, heftige und beharrliche Gewalttaten verübt wurden, wodurch dieses in einen Zustand extremer Angst geriet. Es lässt sich feststellen, dass sich das Opfer bei seiner rasenden Flucht spontan dazu entschieden hat, auf die Autobahn zu laufen. Dieses Verhalten sei keine in besonderem Maße unnatürliche und inadäquate Methode der Flucht vor den Gewalttaten der Angeklagten. Die Auswahl des Fluchtwegs durch das Opfer beruht auf dem psychologischen und physischen Einfluss der Gewalttaten und der Verfolgung durch die Angeklagten. Das Opfer hat dieses unnatürliche Verhalten in seiner verzweifelten Suche nach einem vor Verfolgung sicheren Ort ausgeführt. Dieser Fall ist so zu bewerten, dass die Flucht auf die Autobahn und damit der Tod des Opfers durch die Gewalttaten der Angeklagten „veranlasst“ wurden. Das bedeutet, dass die Zurechnung dadurch nicht unterbrochen wird.
50 Urteil des LG Nagano, Zweigstelle Matsumoto, v. 10. 4. 2002, Keishu Bd. 57, H. 7, S. 973.
V. Adäquanztheorie und objektive Zurechnung
177
e) Gefahrrealisierung als objektive Zurechnung Meiner Meinung nach ist der in der Rechtsprechung zu findende Gedanke der „Realisierung der Gefahr“ nach der Lehre von der objektiven Zurechnung zu interpretieren. Über die Bedeutung des Begriffs der „Gefahr” hat der OGH freilich nichts ausgeführt. Aber er lässt sich so auslegen, dass er darunter eine ex post betrachtet „geschaffene Gefahr“ im Sinne der „Gefahrschaffung“ nach der Lehre von der objektiven Zurechnung versteht. In Deutschland wird unter „Gefahrschaffung“ nur die „Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr“ verstanden. Es ist jedoch unklar, was bei Vorsatzdelikten unter „rechtlich missbilligt“ zu verstehen ist. Normalerweise ist der Begriff so auszulegen, dass er „Tatausführung“ bedeutet, weil die Tatausführung eine bestimmte Gefahr für den Eintritt des Erfolgs verlangt und daher häufig schon selbst „rechtlich verboten“ und sogar strafbar ist. Bei Fahrlässigkeitsdelikten ist „rechtliche Missbilligung“ im Sinne von „Pflichtverletzung“ auszulegen. Aber es ist unklar, ob diese Pflichtverletzung z. B. auch nur in der Verletzung der Straßenverkehrsordnung liegen kann oder die Verletzung einer strafrechtlichen Sorgfaltspflicht bei den Fahrlässigkeitsdelikten meint51. Der OGH benutzt manchmal auch den Begriff der „Fahrlässigkeit“ im Sinne von „Gefahrschaffung“, was sich in der häufigen Verwendung des folgenden Satzes zeigt: „Dadurch ist klar, dass die ‚Kausalität zwischen Fahrlässigkeit und dem Erfolg‘ vorhanden ist“. f) Selbstgefährdung des Opfers Von den typisierten Fällen in der Lehre von der objektiven Zurechnung sind vor allem diejenigen bemerkenswert, bei denen eine Selbstgefährdung des Opfers zwischen Handlung und Erfolg tritt. Nur zwei Fälle sollen hier betrachtet werden: Der „Dirt-Trial-Fall“52 und der „Kugelfisch-Fall“53. aa) Dirt-Trial-Fall Der Name dieses Falles leitet sich von der Bezeichnung eines bestimmten Stadions ab, in dem u. a. auch Autorennen stattfinden. Bei einem Übungsrennen 51 Die Unterscheidung zwischen verwaltungsrechtlicher und strafrechtlicher Pflichtwidrigkeit begründet, dass die erste nur dann zur letzten erhöht werden kann, wenn die erste gleichzeitig die „Gefahrschaffung“ zum Erfolg darstellt. Dies ist nicht der Fall, wenn die erste Pflichtwidrigkeit eine Kreuzungsüberquerung während einer „Rot“ anzeigenden Ampel ist, die noch keinen Unfall im Kreuzungsbereich, sondern erst bei der weiteren Fahrt außerhalb des Kreuzungsbereichs verursacht. 52 Urteil des LG Chiba v. 13. 12. 1995, Hanrei Jiho 1565, 144. 53 Urteil des LG Kyoto v. 26. 5. 1978, Hanrei Jiho 905, 126; Urteil des OG Osaka v. 23. 3. 1979, Hanrei Jiho 934, 135; Beschluss des OGH 18. 4. 1980, Keishu Bd. 34, H. 3, S. 149. Vgl. auch Yamanaka, in: Geschichte und Gegenwart, S. 164.
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I. Unterlassung, Kausalität und Zurechnung
kam der Angeklagte in einer scharfen Kurve von der Fahrbahn ab und prallte mit seinem Fahrzeug gegen den Schutzzaun der Bahn. Dadurch ist sein Fahrlehrer, der auf dem Beifahrersitz saß und seine Fahrweise kontrollierte, zu Tode gekommen. Der Fahrer wurde wegen fahrlässiger Tötung des Beifahrers angeklagt. Das LG hat ihn freigesprochen: Der Tod des Opfers sei zwar durch die Fahrweise des Angeklagten verursacht worden. Dadurch habe sich aber nur die vom mitgefahrenen Opfer übernommene Gefahr realisiert. Deswegen fehle es der Fahrweise des Angeklagten nicht an „Sozialadäquanz“. Die Sozialadäquanz der Fahrt des Angeklagten schließe das Unrecht der Tat aus. Diese Entscheidung ist interessant, weil sie auch auf die „Realisierung der vom mitgefahrenen Opfer übernommenen Gefahr“ abstellt. Problematisch ist aber, dass sie mit der Sozialadäquanz als Rechtfertigungsgrund das Unrecht verneint hat. Das LG hätte vielmehr wegen der Selbstgefährdung die Realisierung einer vom Täter begründeten Gefahr, also die objektive Zurechnung, verneinen müssen. bb) Kugelfisch-Fall Die nächste Entscheidung ist auch in Deutschland bekannt geworden, wohl wegen des Interesses an der in Japan zu findenden Gewohnheit des Verzehrs von Kugelfischen: Ein berühmter Kabuki-Schauspieler, Mitsugoro Bando54, hat in einem Restaurant vom Koch verlangt, die Leber eines Kugelfisches serviert zu bekommen. Ihm war dabei bewusst, dass die Leber des Kugelfisches im nicht oder falsch zubereiteten Zustand giftig ist. Er hat sie trotzdem bestellt, weil die mit bestimmten Zutaten zubereitete Leber trotz etlicher Fälle von Zungenlähmungen für Feinschmecker eine Köstlichkeit ist. Der Verteidiger des angeklagten Kochs hat den rechtlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Servieren des Kugelfisches und dem Tod des Opfers verneint. Weil das Opfer die Kugelfischleber trotz Kenntnis ihrer Giftigkeit bewusst gegessen habe, falle der Tod des Opfers in dessen eigene Verantwortlichkeit. Das Gericht hat sich gegen dieses Argument gewendet: Da in diesem Fall das Opfer ja Gast in einem Restaurant war, durfte es selbstverständlich darauf vertrauen, dass das servierte Essen so zubereitet worden ist, dass ein sicherer Verzehr möglich ist. Zu Recht habe die Vorinstanz für den Angeklagten, der eine Lizenz der Präfektur Kyoto für die Zubereitung von Kugelfischen hatte, die Vorhersehbarkeit der Vergiftung bejaht. Wenn man die Giftigkeit des Kugel54 „Kabuki“ ist das traditionelle bürgerliche Theater der Edo-Zeit, das auch heutzutage noch viele Anhänger hat. In einer Kabuki-Familie wird der Name eines Darstellers von Generation zu Generation weitergegeben. Das Opfer dieses Falls war der achte „Mitsugoro“ (1906 – 1975) aus der Kabuki-Familie „Bando“. Er war bekannt als Liebhaber des Kugelfisches.
V. Adäquanztheorie und objektive Zurechnung
179
fisches, die Regeln über dessen Behandlung, die entsprechende Ausbildung des Angeklagten, sowie die sonstigen Umstände des Falles berücksichtigt, konnte der Angeklagte die Möglichkeit einer Vergiftung nicht ausschließen. Ein Vergleich mit früheren Entscheidungen betreffend die Vergiftung mit Kugelfischgift zeigt einen Wandel der Rechtsprechung. Bis zu diesem Fall wurde in ähnlichen Fällen die Vorhersehbarkeit verneint55. Aber inzwischen war bekannt geworden, dass es gefährlich ist, den Gästen die Leber des Kugelfischs zu servieren. Aus diesem Grund hat auch die Stadt Kyoto das Servieren von gefährlichen Teilen des Kugelfischs verboten. Der Koch muss also etwa das Verlangen des Kunden nach der Zubereitung einer Kugelfischleber verweigern. In Japan ist Beihilfe zur vorsätzlichen Selbsttötung und auch deren Versuch strafbar (§§ 202, 203 StGB). Wenn das Opfer nicht in vollem Bewusstsein seines Todes nur in die tödliche Gefährlichkeit eingewilligt hat, wird der Gehilfe nicht von seiner Verantwortung wegen der fahrlässigen Tötung befreit. Da die Beihilfe zur bewussten Selbsttötung strafbar ist, macht sich auch der Koch, trotz der Einwilligung des Opfers in die tödliche Gefahr, wegen fahrlässiger Tötung strafbar.
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Vgl. z. B. Urteil des OG Osaka v. 16. 6. 1970, Hanrei Jiho 613, 101.
J. Rechtfertigungsgründe I. Allgemeine Rechtfertigungsgründe 1. Systematischer Sinn der Rechtfertigungsgründe Der Tatbestand ist ein Typus des Unrechts. Die Handlung, die diesem Typus unterfällt, ist grundsätzlich rechtswidrig. Nur ausnahmsweise ist die grundsätzlich rechtswidrige Handlung gerechtfertigt, wenn ein Gegeninteresse dieses grundsätzliche Unrecht überwiegt. In diesem Sinne ist die Ebene der Rechtfertigung ein Bereich, in dem ein durch einen Tatbestand geschützter Wert mit einem anderen Wert, der durch die Verfassung garantiert wird, kollidiert. Hier gilt der „Grundsatz des überwiegenden Interesses“. Die Handlung des Täters, die in der Situation eines Interessenwiderspruchs oder eines normativen Wertewiderspruchs begangen wird, sollte vom Standpunkt der gesamten Rechtsordnung aus regulierend bewertet werden, um ein widerspruchsfreies Rechtssystem zu erreichen. 2. Interessenabwägung Dieser Regulierungsgrundsatz ist vereinfacht gesagt der „Grundsatz der Interessenabwägung“. Innerhalb dieses Grundsatzes lassen sich noch verschiedene Grundsätze für jeden Rechtfertigungsgrund unterscheiden. So gelten z. B. für die Notwehr die Grundsätze „des individuellen Schutzes“ und „der Rechtsbewährung“1 und für den Notstand eventuell auch der des „Solidaritätsprinzips“. Die Beurteilung der Rechtswidrigkeit muss in allen Rechtsgebieten einheitlich sein. Die Auffassung, die die „Relativität der Rechtswidrigkeit“2 bejaht, leidet an unerträglichen Wertungswidersprüchen. Im Endeffekt sollte die Tat unter Zugrundelegung der verfassungsrechtlichen Wertungen einheitlich beurteilt werden. Es ist jedoch gut vertretbar, das eigene Bewertungskriterium des Unrechts auf der Basis der „Einheit der Rechtswidrigkeit“ vom Standpunkt des Strafrechts aus weiterzuentwickeln: In Japan geschieht dies durch die „Lehre vom strafwürdigen Unrecht“. Nach dieser Lehre, soll nur „strafwürdiges Unrecht“ bestraft werden, bei fehlender Strafwürdigkeit ist eine Bestrafung demnach ausgeschlossen. Bei dieser Beurteilung wird allerdings an der „Rechtswidrigkeit“ der Tat festgehalten. 1 Vgl.
Yamanaka, Grenzen der Notwehr, S. 28 ff. wird diese Theorie häufiger vertreten. Vgl. Masahide Maeda, Kabatsuteki Ihoseiron no Kenkyu (Studien zur Lehre vom strafwürdigen Unrecht), 1982, S. 339 ff. 2 Neuerdings
II. Notwehr
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3. Irrtum über Rechtfertigungsgründe Wenn der Täter irrtümlich an das Vorliegen der Voraussetzungen eines Recht fertigungsgrundes geglaubt hat (Erlaubnistatbestandsirrtum), ist der Vorsatz nach der in Japan herrschenden Meinung ausgeschlossen. Bei Putativnotwehr, Putativnotstand oder einem Irrtum über das Vorliegen einer wirksamen Einwil ligung fehlt deswegen der Vorsatz. Diese Auffassung wird als „Vorsatztheorie“ bezeichnet3. Wie unten noch ausführlich erörtert wird, vertritt die als „Schuld theorie“ bezeichnete Mindermeinung eine andere Auffassung. Die Schuldtheorie lässt sich in strenge und eingeschränkte Schuldtheorie einteilen: Der strengen Schuldtheorie zufolge wird bei einem Irrtum über das Vorliegen der Vorausset zungen eines Rechtfertigungsgrundes nicht der Vorsatz, sondern nur die Schuld ausgeschlossen. Die Vorsatztheorie muss jedoch entsprechend der systemati schen Einordnung des Vorsatzes in den Aufbau der Straftat zu einem anderen Ergebnis kommen. Nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen wird dabei der Tatbestandsvorsatz ausgeschlossen. Nach der Theorie, die einen Schuldvorsatz anerkennt, schließt ein Erlaubnistatbestandsirrtum den Vorsatz als Schuldmerkmal aus.
II. Notwehr 1. Gesetzliche Regelung und Grundgedanke der Notwehr a) § 36 StGB Die Notwehr ist in § 36 Abs. 1 StGB geregelt: „Eine Handlung, die unerlässlich ist, um ein eigenes oder ein fremdes Recht gegen einen unmittelbar drohenden4 und unberechtigten Angriff zu schützen, ist nicht strafbar“. „Nicht strafbar“ be deutet in diesem Kontext „gerechtfertigt“. 3 Der Unterschied zwischen der Vorsatz- und der Schuldtheorie liegt eigentlich in der Einordnung der „Möglichkeit des Unrechtsbewusstseins“ (d. h. Möglichkeit der Unrechts einsicht oder: potentielles Unrechtsbewusstsein) auf der Vorsatz- oder der Schuldebene. Nach der strengen Schuldtheorie sollte die Möglichkeit des Unrechtsbewusstseins und auch der Irrtum über Rechtfertigungsgründe auf der Ebene der Schuld eingeordnet werden und nach der eingeschränkten Schuldtheorie nur die Möglichkeit des Unrechtsbewusst seins auf der Schuldebene. 4 Die Formulierung „unmittelbar drohende“ ist hier nur eine Übersetzung des japani schen Wortes „kyuhaku“. Ein „unmittelbar drohender“ Angriff ist zunächst einmal ein „gegenwärtiger“ Eingriff. Beim Notstand wird der Ausdruck „gegenwärtige Gefahr“ ver wendet. Die Bedeutung ist in beiden Fällen fast identisch. Bei der Auslegung des „unmit telbar drohenden Angriffs“ muss aber berücksichtigt werden, dass die Rechtsprechung ihn verneint, wenn der Verteidiger eine „positive Angriffsabsicht“ hat, d. h. es ihm nicht in erster Linie um die Verteidigung, sondern vor allem darum geht, selbst anzugreifen. Diese Auslegung der Rechtsprechung ist aber meiner Ansicht nach nicht richtig. Vgl. unten 2. a) aa).
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J. Rechtfertigungsgründe
b) Auslegung der „unerlässlichen Handlung“ Die Vorschrift über die Notwehr wurde jedoch in Japan, vor allem von der Rechtsprechung, lange so ausgelegt, als ob die Verteidigung kein „Recht“ des Angegriffenen wäre, sondern sich nur „entschuldigend“ auswirken würde: Die Notwehr wurde also für einen „Entschuldigungsgrund“ gehalten. Der Grundsatz „das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“ scheint für das japanische StGB nicht gegolten zu haben. Im Gegensatz dazu wurde vor dem Zweiten Weltkrieg die „unerlässliche“ Verteidigungshandlung jedoch so verstanden, dass die Verteidigung „erforderlich“ sein muss, aber nicht „angemessen“ zu sein braucht. Dementsprechend galt der Grundsatz „das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“ vor dem Zweiten Weltkrieg also schon. c) Historische Entwicklung der Auslegung der „Angemessenheit“ der Verteidigungshandlung Nachdem in Deutschland mit dem „Amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs“ von 1925 in § 21 S. 2 der Wortlaut „in einer den Umständen angemessenen Weise“ aufgenommen wurde5, hat das „provisorische Beratungskomitee für Gesetzgebung“ in § 23 des „Programms zur Strafrechtsreform“ (Keiho Kaisei no Koryo) von 1926 in Japan versucht, die „Erforderlichkeit“ der Verteidigungshandlung durch das Merkmal der „Angemessenheit“ zu ersetzen. Das war der erste Versuch in Japan, bei einer Verteidigungshandlung deren „Angemessenheit“ zu verlangen6. Bereits in einer Entscheidung des RG vom 28. 5. 1925 wurde argumentiert, dass die Verteidigung „in der nach den Umständen angemessenen Weise“ durchgeführt werden müsse7. In der Wissenschaft hat Makino8 bei der Einführung des Begriffs der „Angemessenheit“ in die Auslegung der „Unerlässlichkeit“ in § 36 StGB eine wichtige Rolle gespielt. Er hat in seinem Aufsatz über „Die Probleme der Strafrechtsreform“ von 1932 betont, dass die Notwehr als ein Rechtfertigungsgrund bloß eine „Anwendung einer allgemeinen Idee hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Tat“ ist. Die Notwehr untersteht auch den allgemeinen Grundsätzen der „öffentlichen Ordnung“ und der „guten Sitten“. Makino hat bei seiner Auslegung der Notwehrklausel nicht bei der Auslegung des Begriffs der „Unerlässlichkeit“ angesetzt, sondern als allgemeine Auslegungsrichtlinie die „Angemessenheit“ in die Auslegung der 5
Dazu vgl. Yamanaka, a .a. O., Grenzen der Notwehr, S. 18 ff. Yamanaka, Seitoboei no Genkai (Grenzen der Notwehr), 1985, S. 251. Dieses Programm war unter dem Einfluss sowohl des Schweizerischen (§ 32) als auch des Österreichischen (§ 22 Abs. 2) Entwurfs zur Strafrechtsreform zustande gekommen. 7 Urteil des RG vom 28. 5. 1925, RG-Hanrei Shui Bd. 1, Strafsache S. 53. 8 Eiichi Makino, Die Probleme der Strafrechtsreform (7), in: Keisatsu Kenkyu Bd. 3, H. 5 (1932), S. 43 ff. 6 Vgl.
II. Notwehr
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Verteidigungshandlung eingeführt9. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Interpretation zur herrschenden Meinung geworden, nach der sich die Voraussetzung der „Angemessenheit“ der Notwehrhandlung aus der Auslegung des Begriffs der „Unerlässlichkeit“ ergibt. Diese Auslegung entsprach der die Notwehrbefugnis einschränkenden Tendenz in der Rechtsprechung. Die einschränkende Tendenz lässt sich in Fällen wechselseitiger Angriffe und Verteidigungen häufiger beobachten. Bei derartigen Auseinandersetzungen, in der Regel in Gestalt von Handgemengen, wird die Anwendung der Notwehrklausel schon von Anfang an ausgeschlossen, weil hierbei der „Grundsatz der Beide-Bestrafung bei Auseinandersetzungen“10 gilt. Da dieser Grundsatz nicht analytisch ist und die Notwehr bei seiner Anwendung mit einer zu groben Faustregel verneint wird, war es notwendig, die Grundlagen der Notwehr zu überdenken. In den 80er Jahren habe ich versucht, ausgehend von den zwei Grundgedanken des „Individualschutzes“ und der „Rechtsbewährung“ und unter Berücksichtigung der Forschung in Deutschland die „Grenzen der Notwehr“ neu zu rekonstruieren11. 2. Voraussetzungen der Notwehr a) Der „unmittelbar drohende“ und „unberechtigte“ Angriff aa) Der „unmittelbar drohende“ Angriff Mit „unmittelbar drohend“ wird eine Situation gekennzeichnet, die in zeitlicher Nähe zu einer möglichen Rechtsgutsverletzung steht, also unmittelbar in die Rechtsgutsverletzung umschlagen kann, oder eine Situation, in der schon eine Rechtsgutsverletzung eingetreten ist und diese noch andauert. Die Rechtsgutsverletzung dauert bis zur (materiellen) Beendigung der Tat an, die bei Dauerdelikten, aber auch bei vielen Zustandsdelikten nicht mit der (formellen) Vollendung der 9 Makino nennt ein Beispiel: In dem Fall, in dem ein Junge Obst aus einem Obstgarten stehlen will, ist es nicht erlaubt, dass der Besitzer des Gartens ihn mit einer Pistole erschießt. 10 Dieser Grundsatz taucht schon 1526 in einer damaligen Verordnung eines Daimyo (Fürst) auf. Seither war er ein allgemeiner wichtiger Grundsatz der Justiz in der mittelalterlichen Samurai-Zeit (bis 1867). Vgl. Katsuyuki Shimizu, Kenka Ryoseibai no Tanjo (Geburt der Beide-Bestrafung bei Auseinandersetzungen), 2006, S. 4. Zu diesem Grundsatz ausführlicher Yamanaka, Zur Entwicklung der Notwehrlehre in der japanischen Judikatur. Der Streit um den Fall der selbst herbeigeführten Notwehrlage, in: Freund/Murmann/ Bloy/Perron (Hrsg.), Grundlagen und Dogmatik des gesamten Strafrechtssystems (FS Wolfgang Frisch), 2013, S. 511 ff. 11 Die Situation in Deutschland stand im Gegensatz zu der in Japan. In Deutschland musste die Notwehr sozialethisch eingeschränkt werden, während in Japan die Notwehr über den Gedanken der Rechtsbewährung erweitert werden musste. Vgl. auch Yamanaka, a .a. O., Grenzen der Notwehr, S. 6, S. 10, S. 294 ff.
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J. Rechtfertigungsgründe
Tat zusammenfällt. Deswegen handelt das Opfer eines Diebstahls in Notwehr, wenn es den mit der erbeuteten Sache fliehenden Täter festnimmt. Nach der gegenwärtigen Rechtsprechung12 steht der Annahme eines unmittelbaren Drohens nicht entgegen, dass das Opfer den Angriff des Täters „erwartet“ hat. Die frühere Rechtsprechung hat in diesem Fall das unmittelbare Drohen verneint13. Allerdings hat der Angegriffene nach zutreffender Ansicht, die sich später auch in der Rechtsprechung durchsetzte, keine Pflicht, eine erwartete Verletzung z. B. durch Flucht zu vermeiden14. Der Begriff des unmittelbaren Drohens ist objektiv zu verstehen. Die Rechtsprechung macht davon jedoch eine wichtige Ausnahme, wenn der Angegriffene bei der Verteidigungshandlung seinerseits einen „Willen zum positiven Angriff“ hat. Der OGH hatte einen Fall zu entscheiden, in dem eine Gruppe radikaler Studenten einen Angriff einer anderen Gruppe nicht nur erwartete, sondern darüber hinaus die Absicht hatte, bei dieser Gelegenheit die attackierenden Studenten ihrerseits mit Holz, Helmen und Plakaten anzugreifen. Der OGH hat die Notwendigkeit der Verteidigung verneint, wenn der Angegriffene selbst einen Willen zum positiven Angriff hat: „Die Voraussetzung des unmittelbaren Drohens ist nicht mehr erfüllt, wenn der Angegriffene nicht nur die erwartete Verletzung verhindert hat, sondern wenn er mit dem zuvor gebildeten Willen, durch Ausnutzung dieser Gelegenheit positiv den Angreifer anzugreifen, gehandelt hat“15. Fraglich ist, ob das objektive Drohen mit dem Hinweis auf ein subjektives Element beim Angegriffenen verneint werden kann. bb) Der „unberechtigte“ Angriff Was die Voraussetzung anbelangt, dass der Angriff „unberechtigt“ sein muss, wird diese synonym zu einem „rechtswidrigen“ Angriff verstanden. In Frage steht der Gegenstand des Rechtswidrigkeitsurteils. Es geht dabei um Erfolgs- und/ oder Handlungsunwert. Meiner Ansicht nach ist nicht nur die Handlung, sondern auch der durch die Handlung verursachte Zustand (oder Erfolg) Gegenstand des Rechtswidrigkeitsurteils. Ein rechtswidriger Zustand spielt aber nur dann eine wichtige Rolle, wenn die Handlung eines Menschen objektiv zugerechnet werden kann. Dies lässt sich daraus ableiten, dass die „Verletzung“ durch eine menschliche Handlung verursacht werden muss. Deswegen ist der Angriff eines Hundes gegen einen Menschen nur dann „unberechtigt“, wenn er von einem Menschen schuldhaft verursacht worden ist. 12
Urteil des OGH v. 16. 11. 1971, Keishu Bd. 25, H. 8, S. 996. des OGH v. 17. 11. 1949, Keishu Bd. 3, H. 11, S. 1801; Urteil des OGH v. 25. 10. 1955, Keishu Bd. 9, H. 11, S. 2295. 14 Beschluss des OGH v. 21. 7. 1977, Keishu Bd. 31, H. 4, S. 747. 15 Vgl. den in der vorigen Fußnote zitierten Beschluss. 13 Urteil
II. Notwehr
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b) Um ein eigenes oder ein fremdes Recht zu schützen aa) Geschützte Rechte Die Verteidigungshandlung muss zu dem Zweck, „ein eigenes oder ein fremdes Recht“ zu schützen, durchgeführt werden. Der Begriff „Recht“ umfasst hier alle geschützten Rechtsgüter und beinhaltet Leben, Körper, Freiheit, Vermögen, Ehre usw. Eine gesetzliche Kennzeichnung als subjektives „Recht“ ist nicht erforderlich. „Keuschheit“ wird als Teil der sexuellen „Freiheit“ angesehen. Für die Fallkonstellation des Schutzes des „Vermögens“ in Notwehr gibt es aus jüngerer Zeit ein Urteil des OGH. Der Angeklagte hatte einen anderen geschlagen, um zu verhindern, dass dieser ein Schild an die Wand des von dem Angeklagten angemieteten Gebäudes anbringt. Der OGH hat die Handlung des Angeklagten als Verteidigung gegen eine dringende und unberechtigte Verletzung des „Mietrechts“, der „Geschäftstätigkeit“ und der „Ehre“ angesehen16. Hier stehen sich das Rechtsgut des menschlichen Körpers und die Rechtsgüter des Vermögens, der Geschäftstätigkeit und der Ehre, die in diesem konkreten Fall im Vergleich mit dem Rechtsgut des menschlichen Körpers als geringwertiger anzusehen sind, gegenüber17. Nach dem Urteil des OGH kann also eine geringfügige Gewalttätigkeit gegen den menschlichen Körper zum Schutz des Vermögens erlaubt sein. Erlaubt ist auch Notwehr für andere („zum Schutz fremder Rechte“); dies bezeichnet man als „Nothilfe“. Es besteht aber ein Meinungsstreit darüber, ob die Notwehr durch Privatpersonen zum Schutz staatlicher Rechtsgüter erlaubt ist. Es geht dabei darum, ob Staatsnothilfe als Notwehr im Sinne des § 36 StGB angesehen werden kann. Es gibt Theorien, die dies verneinen, oder nur einschränkend bejahen. Die Rechtsprechung bejaht die Frage in Ausnahmefällen18. bb) Verteidigungswille Über die Erforderlichkeit eines „Verteidigungswillens“ wird gestritten: In Wissenschaft und Praxis bildet die „Unentbehrlichkeitstheorie“ die herrschende Meinung19. Sie geht von der Unentbehrlichkeit subjektiver Unrechtsmerkmale aus und setzt zur Rechtfertigung durch Notwehr einen Verteidigungswillen voraus. Ihr steht die „Entbehrlichkeitstheorie“ gegenüber. Sie ist der Auffassung, dass 16
Beschluss des OGH v. 16. 7. 2009, Keishu Bd. 63, H. 6, S. 711. Im alten StGB von 1880 war die Notwehrklausel im BT, im Kapitel der Delikte gegen Leben und Körper von Menschen geregelt (§ 314). Buch 3 (Delikte gegen Körper und Vermögen), Kapitel 1 (Delikte gegen den Körper), Abschnitt 3 (Strafbarkeitsbefreiung und Straftatausschließung bei Tötungen und Körperverletzungen). 18 Urteil des OGH v. 18. 8. 1949, Keishu Bd. 3, H. 9, S. 1465. 19 Urteil des RG v. 7. 12. 1936, Keishu Bd. 15, S. 1561; Urteil des OGH v. 16. 11.1971, Keishu Bd. 25, H. 8, S. 996. 17
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J. Rechtfertigungsgründe
sich die Formulierung „um … zu schützen“ nicht auf einen subjektiven Willen, sondern auf einen objektiven Kausalzusammenhang bezieht. Nach dieser Theorie kann Notwehr auch dann vorliegen, wenn der Verteidiger keinen Verteidigungswillen hat. Diese Fallkonstellation wird als „Zufallswehr“ (Guzenboei) bezeichnet. Die Entbehrlichkeitstheorie argumentiert u. a. damit, dass auch bei den Fahrlässigkeitsdelikten die Möglichkeit einer Notwehr bejaht wird, obwohl hier ein Verteidigungswille nicht denkbar ist20. Nach der Unentbehrlichkeitstheorie hingegen führt die „Zufallswehr“ nicht zu einer Rechtfertigung durch Notwehr. Wenn z. B. A ohne Kenntnis von der Notsituation des C in genau dem Augenblick mit Tötungsvorsatz auf B schießt, in dem B im Begriff ist, mit Tötungsvorsatz auf C zu schießen, wird C durch den tödlichen Schuss des A gerettet. Dies führt nach der Unentbehrlichkeitstheorie nicht zu einer Rechtfertigung und A hat sich wegen der Tötung des B strafbar gemacht. Dagegen wird seine Tat nach der Entbehrlichkeitstheorie durch Notwehr gerechtfertigt, weil er den C im Ergebnis gerettet hat. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Vertreter der Entbehrlichkeitstheorie teilweise der Auffassung sind, dass die Tat wenigstens als Versuch bestraft werden muss. Nach dieser Theorie rechtfertigt die Notwehr zwar den vom Täter verursachten Todeserfolg, nicht aber dessen Handlung. Das bestehende Handlungsunrecht kann wegen Versuchs bestraft werden, da der Versuch den Eintritt des Erfolgsunrechts nicht voraussetzt. Dieselbe Denkweise lässt sich auch bei der Unentbehrlichkeitstheorie finden 21. cc) Inhalt des Verteidigungswillens Der Verteidigungswille ist eigentlich der Wille, sein eigenes oder ein fremdes Recht vor einem unberechtigten Angriff zu schützen. Hinsichtlich des Inhalts des Verteidigungswillens stehen sich zwei grundsätzliche Meinungen gegenüber: die „Absichtstheorie“ und die „Kenntnistheorie“. Die erstgenannte Theorie bejaht den Verteidigungswillen nur, wenn der Angegriffene mit Verteidigungsabsicht handelte oder die Verteidigung zumindest das leitende Motiv der Verteidigungshandlung war. Die andere Meinung sieht es dagegen als ausreichend an, wenn der Verteidiger in Kenntnis der Notwehrsituation gehandelt hat oder mit dem Willen handelt, Maßnahmen gegen den dringenden und unberechtigten Angriff 20 Vgl. Hirano, Strafrecht AT, S. 243. Als Entscheidung vgl. Urteil des OG Osaka v. 16. 3. 2012, Hanrei Times 1404, 352. Bei diesem Fall hatte der Angreifer die Türklinke des Kraftfahrzeugs des Angeklagten ergriffen und lief neben dem fahrenden Wagen her. Der den Wagen steuernde Angeklagte versuchte, den Angreifer zu Fall zu bringen, und verursachte dabei fahrlässig dessen Tod. Das OG hat den Fahrer wegen der hier vorliegenden Notwehr freigesprochen. Seine durch hohe Gefährlichkeit gekennzeichnete Tat hielt sich im Rahmen der „Adäquanz“, wodurch die Verteidigung noch als „notwendig“ und nicht als Exzess angesehen wurde. 21 Vgl. Naka, AT, 1980, S. 136.
II. Notwehr
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zu ergreifen. Fraglich war auch, ob neben dem Verteidigungswillen auch noch andere Motive vorhanden sein dürfen, wie z. B. ein Angriffswille oder blinde Wut. Die Rechtsprechung des RG hat den Verteidigungswillen als (reine) Verteidigungsabsicht verstanden. Vor dem Zweiten Weltkrieg hat das RG bei einem Angeklagten, der bei seiner Gegenwehr „in blinder Wut“ gehandelt hat, keinen Verteidigungswillen, also auch keine Notwehr anerkannt22. Der OGH ist dieser Meinung zunächst gefolgt: Wenn der Verteidiger „aus alltäglichem Gram, explosionsartig und unverzüglich“ zum Gegenangriff übergegangen ist, hat der OGH Notwehr verneint23. Später hat der OGH aber die Kenntnistheorie vertreten: Er meinte, die Notwehrregelung sei nicht so auszulegen, dass es schon dann an einem Verteidigungswillen fehle, wenn der Verteidiger den Gegenangriff in blinder Wut durchführe oder dabei vollkommen außer sich sei.24 Im Jahre 1975 hat der OGH ein grundsätzliches Urteil zu dieser Problematik gefällt. Darin führt er aus: „Eine Handlung, bei der Verteidigungs- und Angriffswille nebeneinander bestehen, schließt den Verteidigungswillen nicht aus“25. Die Rechtsprechung hat sich damit klar von der Auffassung verabschiedet, dass der Verteidig ungswille nur bei einer Verteidigungsabsicht gegeben ist. In einer anderen Entscheidung hat der OGH ein Unterscheidungskriterium für den Verteidigungswillen entwickelt: Das subjektive Rechtfertigungselement sei auch dann erfüllt, wenn neben dem Verteidigungswillen ein Angriffswille besteht26. Hier ist noch einmal darauf aufmerksam zu machen, dass die Rechtsprechung begonnen hat, die Lösung der Problematik nicht mehr beim „Verteidigungswillen“, sondern bei dem „unmittelbaren Drohen“ zu suchen. c) Unerlässliche Handlung Eine „unerlässliche Handlung“ ist nach herrschender Meinung als „erforderliche“ und „angemessene“ Handlung zu verstehen. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde, wie dargestellt, für die „Unerlässlichkeit“ der Verteidigungshandlung nur auf deren Erforderlichkeit abgestellt. Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung meint, dass die Handlung zur Abwehr des Angriffs geeignet ist und den minimalen Eingriff in die Rechtsgüter des Angreifers darstellt. Die Rechtsprechung versteht die Geeignetheit und Minimalität hingegen so, dass sie nicht zur Erforderlichkeit, sondern zur Angemessenheit gehören27. Die Unterscheidung zwischen Erforderlichkeit und Angemessenheit ist schwierig. Die „Erforderlichkeit“ 22
Urteil des RG v. 7. 12. 1936, Keishu Bd. 15, S. 1561. Beschluss des OGH v. 24. 2. 1957, Keishu Bd. 12, H. 2, S. 297. 24 Urteil des OGH v. 16. 11. 1971, Keishu Bd. 25, H. 8, S. 996. 25 Urteil des OGH v. 28. 11. 1975, Keishu Bd. 29, H. 10, S. 983. 26 Urteil des OGH v. 12. 9. 1985, Keishu Bd. 39, H. 6, S. 275. 27 Urteil des OGH v. 4. 12. 1969, Keishu Bd. 23, H. 12, S. 1573. 23
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J. Rechtfertigungsgründe
ist so zu verstehen, dass die Verteidigungshandlung eine notwendige Bedingung für die Abwehr des Angriffs ist. Dagegen betrifft die „Angemessenheit“ die Verhältnismäßigkeit zwischen Angriff und Verteidigung. Dies kann an einem Beispiel erläutert werden: Wenn der Eigentümer eines Obstgartens kein anderes Mittel zum Schutz eines seiner Äpfel vor Diebstahl hat, als den Obstdieb mit dem Gewehr anzuschießen und dabei am Körper schwer zu verletzen, ist seine Tat „erforderlich“. Aber sie ist nicht „angemessen“, weil hier die einander entgegenstehenden Interessen außer Verhältnis stehen. 3. Notwehrexzess a) Typen des Notwehrexzesses Der Notwehrexzess ist eine Verteidigungshandlung, die das Maß der Abwehr überschreitet. Die diesbezügliche Regelung des § 36 Abs. 2 StGB lautet: „Bei Vornahme einer das Maß der Abwehr überschreitenden Handlung kann nach den Umständen des Falles die Strafe gemildert oder der Täter von Strafe befreit werden“. Nach herrschender Meinung kann das Überschreiten hinsichtlich der Erforderlichkeit und/oder der Angemessenheit erfolgen. Man unterscheidet zwischen intensivem und extensivem Notwehrexzess. Zur erstgenannten, auch als „qualitativer (intensiver) Notwehrexzess“ bezeichneten Fallgruppe gehört z. B. der Fall, in dem der Angegriffene ein Verteidigungsmittel wählt, das über das Maß der Erforderlichkeit hinaus in die Rechtgüter des Angreifers eingreift. Zur zweiten, auch als „quantitativer (extensiver) Notwehrexzess“ bezeichneten Fallgruppe gehört in Japan z. B. der Fall, in dem der Verteidiger seine Verteidigungshandlungen auch nach Beendigung des Angriffs noch fortführt. Nach der Rechtsprechung des OGH ist ein Notwehrexzess zu bejahen, wenn der Angegriffene, dem eine Schere vor den Hals gehalten wird, den Angriff durch einen Schlag mit einem Beil abwehrt und anschließend aus erheblicher Furcht, Bestürzung oder Erregung dem Angreifer weitere Schläge mit dem Beil versetzt28. b) Grund der milderen Bestrafung beim Notwehrexzess Hinsichtlich des Grundes für die Strafbefreiung oder Strafmilderung, die der in einem Notwehrexzess Handelnde erhalten kann, werden grundsätzlich zwei Meinungen vertreten: die „Theorie der Unrechtsverringerung“ und die „Theorie der Schuldverringerung“. Die erstere stellt darauf ab, dass beim Notwehrexzess das Unrecht der Tat geringer ist als bei einer entsprechenden Tat ohne vorhergehenden Angriff. Die „Theorie der Schuldverringerung“ argumentiert so: Wer durch einen anderen plötzlich und unerwartet attackiert wird, gerät in einen Zustand des Schocks, der Furcht, des Schreckens, der Verwirrtheit oder auch des 28
Urteil des OGH v. 5. 2. 1959, Keishu Bd. 13, H. 1, S. 1.
II. Notwehr
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Entsetzens usw. Wenn er in dieser Situation eine Notwehrhandlung vornimmt, muss seine Verantwortlichkeit nach dem Grundsatz der Unzumutbarkeit oder beschränkten Vorwerfbarkeit verringert werden. In der Praxis werden beide Auffassungen oft vermischt. Dabei wird berücksichtigt, dass der im Exzess Handelnde sowohl das eigene bzw. fremde Interesse schützt als auch im Zustand von Furcht usw. gehandelt hat. c) Neuere Rechtsprechung Beim quantitativen Notwehrexzess hat sich die Rechtsprechung seit einiger Zeit mit einer neuen problematischen Fallkonstellation zu beschäftigen: Es geht um Fälle, bei denen der Verteidiger nach seiner ersten Verteidigungshandlung, die innerhalb der Grenzen der Notwehr bleibt, aber einen qualifizierten Erfolg, also z. B. die Körperverletzung verursacht, eine zweite Verteidigungshandlung vornimmt, die einen quantitativen Exzess darstellt. Folgende Fälle sind zu nennen: Der Angeklagte hat in einem Zimmer den Angreifer auf einen klappbaren Tisch geworfen (erste Handlung) und mit der Faust mehrmals geschlagen (weitere Handlungen). Verletzt wurde der Angreifer nur durch die weiteren Handlungen. Der OGH hat die erste und die weiteren Handlungen wegen des engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs als eine „einheitliche Tat“ angesehen und einen Notwehrexzess bejaht29. In einem anderen Fall hat der Angeklagte den Angreifer, der ihn schlagen wollte, seinerseits ins Gesicht geschlagen. Zudem hat er einen Aluminiumaschenbecher auf ihn geworfen (erster Handlungskomplex). Der Angreifer ging daraufhin zu Boden und blieb reglos liegen. Der Angeklagte hat anschließend weiter auf den Bauch und andere Köperteile des Angreifers eingeschlagen (zweiter Handlungskomplex). Der Angreifer ist später gestorben. Todesursache war aber nur der erste Handlungskomplex. Die erste Instanz hat Körperverletzung mit Todesfolge im Notwehrexzess bejaht. Die zweite Instanz hat die Handlungen des ersten Handlungskomplexes als durch Notwehr gerechtfertigt angesehen und die Handlungen des zweiten Handlungskomplexes als nicht gerechtfertigte Körperverletzung ohne Notwehrexzess eingestuft. Der OGH hat die Entscheidung der zweiten Instanz mit folgender Argumentation bestätigt30: Zwischen dem ersten und dem zweiten Handlungskomplex gibt es eine Zäsur. „Es ist nicht angemessen, die unterschiedlichen Handlungen einheitlich zu behandeln und einen Notwehrexzess zu bejahen“. Der Grund dafür liegt darin, dass der Angreifer während des zweiten Handlungskomplexes keine Möglichkeit mehr hatte, den Angriff fortzusetzen. Der Angeklagte hat hier nur mit Angriffswillen gehandelt. Durch den Wegfall des Verteidigungswillens haben die beiden Handlungskomplexe einen evident unterschiedlichen Charakter. 29 30
Beschluss des OGH v. 24. 2. 2009, Keishu Bd. 63, H. 2, S. 1. Beschluss des OGH v. 25. 6. 2008, Keishu Bd. 62, H. 6, S. 1859.
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J. Rechtfertigungsgründe
d) Notwehrexzess bei Putativnotwehr? Da § 36 Abs. 2 StGB den ersten Absatz des Paragraphen voraussetzt, ist Abs. 2 so zu verstehen, dass die „Vornahme einer das Maß der Abwehr überschreitenden Handlung“ gegen einen real existierenden „unmittelbar drohenden und unberechtigten Eingriff“ gerichtet sein muss. Es ist jedoch umstritten, ob auch bei einem „Putativnotwehrexzess“ die Strafe gemildert oder der Täter von der Strafe befreit werden darf. In Frage steht dabei eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 2 StGB. Nach der „Theorie der Unrechtsverringerung“ liegt der Grund für die Unrechtsverringerung bei der übermäßigen Notwehr in der Existenz des rechtswidrigen Angriffs. Bei der Putativnotwehr gibt es aber keinen Angriff. Es besteht deswegen kein Grund für eine Strafminderung oder Strafbefreiung. Nach der „Theorie der Schuldverringerung“ liegt der Grund für die Schuldverringerung bei der übermäßigen Notwehr in Affekten wie Schock, Furcht, Schrecken, Verwirrung oder Entsetzen. Also liegt der Grund in der psychischen, also subjektiven Verfassung des Verteidigers, die dazu führt, dass die Zumutbarkeit des richtigen Verhaltens verringert wird. Dafür spielt aber die reale, also objektive Existenz des rechtswidrigen Angriffs fast keine Rolle. Es muss daher möglich sein, auch bei einem Putativnotwehrexzess durch eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 2 die Strafe zu mindern oder den Täter von der Strafe zu befreien. 4. Drittwirkung der Notwehr Die Problematik der Drittwirkung der Notwehr stellt sich in folgenden Fallkonstellationen: (1) der Fall, in dem die Notwehr zu Eingriffen in Rechtsgüter Dritter führt, (2) der Fall, in dem der Angreifer Sachen eines Dritten als Angriffsmittel verwendet und (3) der Fall, in dem der Verteidiger Sachen eines Dritten als Verteidigungsmittel verwendet. a) Fall, in dem die Notwehr zu Eingriffen in Rechtsgüter Dritter führt Umstritten ist die Falllösung, wenn z. B. der Verteidiger auf den Angreifer mit Verteidigungsabsicht einen Schuss aus einer Pistole abgefeuert hat, die Kugel aber nicht den Angreifer, sondern einen unbeteiligten Dritten tödlich getroffen hat. Es werden hier vier Theorien vertreten: Nach der „Notwehrtheorie“ hat der Verteidiger die Verteidigungshandlung mit Notwehrabsicht vorgenommen. Die eigentlich berechtigte Verteidigungshandlung hat aber den Tod des Dritten verursacht. Gegenüber dem Dritten ist diese Handlung keineswegs als Notwehr anzusehen, da durch sie das Erfolgsunrecht in Gestalt des Todes des Dritten eingetreten ist. Die „Theorie der Quasi-Putativnotwehr“ sieht diesen Fall als „eine Art der Putativnotwehr“31 an, weswegen der Vorsatz ausgeschlossen wird. Die Rechtsgutsbeeinträch31 Urteil des OG Osaka v. 4. 9. 2002, Hanrei Times 114, 293. Diese Theorie bewertet den Sachverhalt so, dass der Verteidiger mit seinem gegen den Angreifer gerichteten Ver-
II. Notwehr
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tigung trat bei einem Dritten ein, der keinen unberechtigten Eingriff vorgenommen hatte. Deswegen ähnelt die Fallkonstellation der Putativnotwehr. In unserem Beispielsfall lässt sich natürlich eine fährlässige Tötung nicht verneinen. Nach der „Notstandstheorie“ gilt die Verteidigungshandlung für den Dritten als Notstand, weil der Täter in einer gegenwärtigen Gefahrenlage die Gefahr auf den Dritten abgewälzt hat. Aber diese Theorie wird dafür kritisiert, dass sie die Struktur des Notstandes nicht beachtet. Die „Abwehrhandlung“ des Verteidigers ist keine taugliche „Notstandshandlung“. Eine solche muss zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr geeignet sein. Der Verteidiger kann aber die ihm vom Angreifer drohende Gefahr durch seine Handlung nicht abwehren, indem er den Dritten erschießt. Die „Theorie des fehlenden Ausschlusses der Strafbarkeit“ ist der Meinung, dass die Verteidigungshandlung weder als Notwehr noch als Notstand anzusehen sei. Da der Tod des Dritten fahrlässig verursacht wurde und eine fahrlässige Tötung strafbar ist, hat sich der Verteidiger wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht. b) Fall, in dem der Angreifer Sachen eines Dritten als Angriffsmittel verwendet Wenn der A mit einem im Eigentum des B stehenden Schwert den X angreifen wollte und X dieses Schwert bei der Verteidigung (mit Verteidigungsabsicht) zerstört hat, ist es unstreitig, dass X gegenüber A in Notwehr gehandelt hat. Fraglich ist aber, ob er sich gegenüber B auf Notwehr oder Notstand berufen kann. Bei diesem Fall hat der unbeteiligte B keinen rechtswidrigen Angriff auf A oder X unternommen; das ihm gehörende Schwert wurde lediglich von A als Angriffsmittel benutzt. Aber die herrschende Meinung bejaht bei dieser Fallkonstellation eine Rechtfertigung der Zerstörung des Schwertes aus Notwehr, weil X mit dem Schwert des B angegriffen wurde. Da A den X angegriffen hat, kann X gegen A Notwehr üben. Es ist nicht ersichtlich, wie X in dieser Situation gegen A Notwehr üben könnte, ohne dabei auch gegen das Schwert des B vorzugehen. Man kann in einer solchen Gefahrenlage vom Angegriffenen keine genauere Differenzierung verlangen. c) Fall, in dem der Verteidiger Sachen eines Dritten als Verteidigungsmittel verwendet Wenn sich X im oben dargestellten Fall gegen den Angriff des A mit einem Golfschläger des C verteidigt hat und dabei den Golfschläger zerstört hat, wird die Verteidigungshandlung des X gegenüber C nach fast einhelliger Meinung aus Notstand gerechtfertigt. teidigungswillen den Dritten angreift, der keinen Angriff begangen hat. Deswegen sei der Sachverhalt mit der Putativnotwehr vergleichbar, wenn man den Fall aus der Sicht des Dritten betrachtet. Nach der in Japan herrschenden Abstrahierungstheorie handelt der Täter zwar mit Tatbestandsvorsatz, aber es entfällt der Schuldvorsatz.
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J. Rechtfertigungsgründe
III. Notstand 1. Sinn des Notstandes a) Rechtsnatur des Notstandes § 37 Abs. 1 Satz 1 StGB lautet: „Eine Handlung, die unerlässlich32 ist, um eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib, Freiheit oder Vermögen33 von sich oder einem anderen abzuwenden, ist nur insofern nicht strafbar, als der aus der Handlung entstehende Schaden das Maß des abzuwendenden Schadens nicht überschreitet“. Weil das japanische StGB immer nur den Wortlaut „nicht strafbar“ verwendet, wird die Klärung der Frage, ob hier ein Rechtfertigungsgrund oder aber ein Schuldausschließungsgrund vorliegt, der Lehre überlassen. Anders als bei der Notwehr ist beim Notstand wirklich umstritten, was „nicht strafbar“ bedeutet und wie der Notstand einzuordnen ist. Die herrschende Meinung sieht den Notstand als Rechtfertigungsgrund an. Beachtenswert ist aber auch die Differenzierungstheorie, die ihn teilweise als Rechtfertigungs-, teilweise aber auch als Schuldausschließungsgrund ansieht. b) Verschiedene Theorien Nach der herrschenden „Rechtfertigungstheorie“ ist die Notstandshandlung gerechtfertigt und nicht nur entschuldigt. Als Grund dafür wird zuvorderst genannt, dass durch Notstand auch fremdnützige Eingriffe gerechtfertigt werden können. Wenn der Notstand ein Schuldausschließungsgrund wäre, würde ein Ausschluss der Schuld bei Eingriffen zum Schutz fremder Rechtsgüter voraussetzen, dass es dem Täter unzumutbar gewesen ist, sich rechtmäßig zu verhalten, d. h. den Eingriff zu unterlassen34. Dies ist bei einem Täter, der sich nicht selbst in einer Gefahrensituation befunden hat, kaum denkbar. Auch die Interessenabwägungsklausel wäre unnötig, wenn der Notstand ein Schuldausschließungsgrund wäre. Nach der „Schuldausschließungstheorie“ ist die Notstandshandlung zwar rechtswidrig, weil sie in ein geschütztes Rechtsgut eines Dritten eingreift. Aber die Handlung ist wegen der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens nicht 32 Der Wortlaut der „Unerlässlichkeit“ ist derselbe wie bei der Notwehr (§ 36). Die Auslegung dieses Wortes ist fast dieselbe, aber ein großer Unterschied liegt darin, dass beim Notstand die „Subsidiarität“ der Notstandshandlung gegeben sein muss, d. h. es ist für die „unerlässliche“ Handlung erforderlich, dass ein anderes Mittel für die Vermeidung der gegenwärtigen Gefahr nicht vorhanden ist. 33 Zu beachten ist, dass sich „eigen oder fremd“ auf alle genannten Rechtsgüter bezieht, was in der deutschen Sprache nur schwer wiederzugeben ist. 34 Im japanischen StGB ist der entschuldigende Notstand, anders als in Deutschland (§ 35 dStGB), nicht auf eine Gefahr für „einen Angehörigen oder eine andere ihm nahestehende Person“ beschränkt.
III. Notstand
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schuldhaft. Gegen diese Meinung wird vorgebracht, dass die geringfügige Verletzung von Rechtsgütern auch dann nur entschuldigt, nicht aber gerechtfertigt wäre, wenn der aus dem Notstandseingriff entstehende Schaden nach der Interessenabwägung erheblich geringer als der durch die gegenwärtige Gefahr drohende Schaden ist. Wenn ein Mann etwa zum Zweck, eine gegenwärtige Gefahr für sein Leben abzuwenden, den Zaun des Nachbarhauses beschädigt, scheint es absurd zu sein, wenn nur seine Schuld ausgeschlossen würde. Demnach sprechen die besseren Argumente für die „Rechtfertigungstheorie“. Insgesamt scheint aber die „Differenzier ungstheorie“ vorzugswürdig zu sein35. Das Gesetz erlaubt eine Rechtfertigung durch Notstand bis hin zur Gleichwertigkeit zwischen dem geschützten und dem beeinträchtigten Rechtsgut. Es ist aber nicht sachgerecht, dass nach der Rechtfertigungsstheorie bei Gleichwertigkeit der Rechtsgüter der Notstandseingriff gerechtfertigt wird, weil das beeinträchtigte Recht das durch den Eingriff geschützte Recht nicht überwiegt. Deswegen muss zwischen rechtfertigenden und schuldausschließenden Notstandssituationen differenziert werden. Wenn z. B. der A den B tötet, um eine ihm oder einem anderen drohende Lebensgefahr abzuwenden, kommt es lediglich zum Schuldausschluss. c) Solidaritätsprinzip? Eine neuere Auffassung will den rechtfertigenden Notstand mit dem „Solidaritätsprinzip“ begründen36. In Japan steht eine eingehende Auseinandersetzung mit diesem Prinzip noch aus37. Ob dieses Prinzip zu neuen dogmatischen Ergebnissen führen kann, ist daher noch offen. 2. Voraussetzungen des Notstandes a) Gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib, Freiheit oder Vermögen Bei der Notwehr wird das geschützte Rechtsgut ganz allgemein als „Recht“ bezeichnet, womit zumindest alle Individualrechtsgüter erfasst werden. Dagegen werden beim Notstand die geschützten Rechtsgüter (Leben, Leib, Freiheit, Ver35 Im
deutschen StGB finden sich zwei Paragraphen: rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) und entschuldigender Notstand (§ 35 StGB). Die Differenzierungstheorie entspricht grundsätzlich der deutschen Auffassung von dieser Zweiteilung des Notstandes, obwohl sie nicht von dem Unterscheidungskriterium des wesentlichen Überwiegens des geschützten Interesses ausgeht. 36 Zum Solidaritätsprinzip vgl. vor allem Neumann, Die rechtsethische Begründung des rechtfertigenden Notstands, in: Hirsch/Neumann/Seelmann (Hrsg.), Solidarität im Strafrecht, 2013, S. 158 ff.; Seelmann, Ideengeschichte des Solidaritätsbegriffs im Strafrecht, a .a. O., S. 35 ff.; s. auch schon Renzikowski, Notstand und Notwehr, 1994, S. 197 ff. 37 Vgl. Yamanaka, Über die internen Interessenkollisionen bei der Sterbehilfe, Kindai Hogaku Bd. 62, H. 3 – 4, (2015), S. 265 ff.
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J. Rechtfertigungsgründe
mögen) ausdrücklich genannt. Diese Aufzählung scheint die anderen Rechtsgüter nicht einzuschließen. Allerdings legt die überwiegende Meinung den Notstand bezüglich der geschützten Rechtsgüter wie bei der Notwehr aus, sodass zumindest alle Individualrechtsgüter erfasst werden. Dies Vorgehen erscheint zulässig, weil die ausdehnende Auslegung und selbst die analoge Anwendung für die Strafbefreiung unproblematisch ist. Die „gegenwärtige Gefahr“ umfasst den Zustand der Verletzung wie auch den der Gefährdung der genannten Rechtsgüter. Ein solcher Zustand muss objektiv vorliegen. Der Ursprung der Gefahr ist irrelevant, es kann sich um Naturereignisse, Katastrophen, menschliches oder tierisches Verhalten oder Sozialnöte usw. handeln. Menschliches Verhalten muss dabei nicht rechtswidrig sein. Das Verhalten bzw. die aus ihm resultierende Gefahr darf aber nicht duldungspflichtig sein, wie dies z. B. beim Strafvollzug der Fall ist. Umstritten ist, ob im Fall der Notstandshilfe für eine anderen die Notstandshandlung auch gegen dessen Willen vorgenommen werden darf. Nach herrschender Meinung ist es nicht erforderlich, den Inhaber des fremden Rechtes zu fragen, ob dieser mit der Notstandshilfe einverstanden ist, weil der Notstand ein Recht fertig ungsgrund ist. Die Notstandshandlung darf aber nicht begangen werden, wenn der andere erkennbar auf den Schutz seines Rechtsgutes verzichtet hat. b) Notstandshandlung: eine zur Abwehr der gegenwärtigen Gefahr unerlässliche Handlung Es sind zwei Arten von Notstandshandlungen zu unterscheiden: Beim sogenannten „Defensivnotstand“ richtet sich die Abwehr gegen den Angreifer,38 beim sogenannten „Aggressivnotstand“ gegen einen unbeteiligten Dritten. Die erste Art von Notstandshandlungen dient zur Abwehr unberechtigter Eingriffe durch andere Menschen oder durch deren Tiere, bei denen es am Unrecht fehlt. Eine „unerlässliche“ Handlung, d. h. eine zur Abwehr der gegenwärtigen Gefahr notwendige Handlung, liegt nach herrschender Meinung nur dann vor, wenn die fragliche Handlung das einzige Mittel zum Schutz des gefährdeten Rechtsguts darstellt und ein anderes milderes Mittel nicht vorhanden ist. Nach der Rechtsprechung muss die Notstandshandlung in einer Situation vorgenommen werden, „in der kein anderer Weg als die Verletzung eines fremden Rechtsgutes vorhanden ist“39. Die maßgeblichen Gesichtspunkte für die Bejahung einer „unerlässlichen Handlung“ sind deren „Erforderlichkeit“ und – anders als bei der Notwehr – die „fehlende Ausweichmöglichkeit“. Der Gesetzgeber verwendet beim Notstand 38 „Angreifer“ ist hier in einem sehr weiten Sinn zu verstehen. Der Begriff erfasst auch Tiere, die keinen „Angriff“ im Sinne der Notwehr ausführen können, da dort ein menschliches Verhalten vorausgesetzt wird. Ein menschlicher „Angriff“ im Sinne der Notwehr kann aber vorliegen, wenn etwa ein Hundehalter seinen Hund auf eine andere Person hetzt. 39 Urteil des RG v. 27. 9. 1933, Keishu Bd. 12, S. 1654.
III. Notstand
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wie bei der Notwehr den Begriff „unerlässliche Handlung“40. Er wird jedoch bei Notstand und bei Notwehr unterschiedlich ausgelegt. Da der Rechtsbewährungsgrundsatz für den Notstand nicht gilt, sollte die „Subsidiarität“ als Auslegungsrichtlinie bei der unerlässlichen Handlung gelten. Die Erforderlichkeit der Abwehr ist wie bei der Notwehr nur gegeben, wenn das mildeste geeignete Mittel eingesetzt wird. Beim Notstand ist es aber auch noch notwendig, dass es kein anderes milderes Mittel für die Abwendung der gegenwärtigen Gefahr als die konkrete Notstandshandlung gibt. Die Anforderung der „fehlenden Ausweichmöglichkeit“ wird auch mit folgendem Argument begründet: Vor allem beim aggressiven Notstand ist das Opfer ein Dritter, der nichts Unrechtes getan hat. Deswegen darf derjenige, der in die gegenwärtige Gefahr geraten ist, nur dann die Notstandshandlung vornehmen, wenn er diese Gefahr nicht anders als durch die Verletzung eines fremden Rechtsgutes abwehren kann. c) Rettungswille In Japan ist wie bei der Notwehr auch beim Notstand umstritten, ob ein subjektives Rechtfertigungselement notwendig ist, der im Notstand Handelnde also „Rettungswillen“ haben muss. Die herrschende Meinung bejaht dies. d) Interessenabwägung: Der aus der Notstandshandlung entstehende Schaden überschreitet das Maß des abzuwendenden Schadens nicht Wie bereits oben dargestellt, ist nach der Differenzierungstheorie die Notstandshandlung gerechtfertigt, wenn der aus der Notstandshandlung entstehende Schaden kleiner als der abzuwendende Schaden ist41, weil das durch die Notstandshandlung geschützte Interesse das durch die Notstandshandlung verletzte Interesse überwiegt. Wenn die beiden widerstreitenden Interessen gleichwertig sind, ist die Notstandshandlung nicht gerechtfertigt, weil das geschützte Interesse das verletzte Interesse nicht überwiegt. In diesem Fall ist die Notstandshandlung nur entschuldigt. Was die Faktoren anbelangt, die abgewogen werden sollen, scheinen die Interessen nach den Strafrahmen für die einschlägigen Straftaten bemessen zu werden. Weil der Strafrahmen aber auch unter Berücksichtigung der Modalitäten der Straftaten bestimmt wird, ist er kein klares Kriterium. Unklar ist auch, wie folgende jeweilige Faktoren abgewogen werden können: Ob das Rechtsgut abstrakt 40
„yamu wo ezuni shita koi“. gesagt, ist ein „wesentliches Überwiegen“ beim japanischen Notstand nicht erforderlich (§ 36 Abs. 1). 41 Wie
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J. Rechtfertigungsgründe
oder konkret gefährdet wird, ob es sich um einen persönlichen Wert oder einen Sachwert handelt, oder inwieweit der Grad der Dringlichkeit bei der konkreten Rechtsgutsgefährdung zu berücksichtigen ist.
IV. Sonstige Rechtfertigungsgründe 1. Der allgemeine Rechtfertigungsgrund a) Sinn des § 35 StGB § 35 StGB lautet: „Eine Handlung, die aufgrund eines Gesetzes oder einer Verordnung oder in Ausübung eines berechtigten Geschäfts ausgeführt wird, ist nicht strafbar“. Bei grober Einteilung enthält § 35 StGB zwei Gründe der Rechtfertigung: Zum einen die Rechtfertigung „aufgrund eines Gesetzes oder einer Verordnung“, zum anderen die Rechtfertigung aufgrund eines „berechtigten Geschäfts“. Der erste Grund drückt wegen der Einheitlichkeit des Rechtssystems eine Selbstverständlichkeit aus. Eine Handlung, die auf Grund eines Gesetzes oder einer Verordnung vorgenommen wird, ist auch nicht aus strafrechtlicher Perspektive rechtswidrig. Der zweite Grund stellt dagegen eine Besonderheit des japanischen Strafrechts dar, die nur in wenigen Strafrechtsordnungen auf der Welt zu finden ist. Der Gedanke, dass das „berechtigte Geschäft“ eine rechtfertigende Wirkung hat, kommt aus der Berufsrechtstheorie, die in Deutschland schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschwunden ist42. Warum dieser Rechtfertigungsgrund ins japanische StGB von 1907 aufgenommen worden ist, wird auch durch die Beratungen des damaligen parlamentarischen Sonderkomitees nicht klar43. Weil es schon theoretisch nicht klar ist, aus welchem Grund ein berechtigtes Geschäft rechtfertigend wirken soll, ist die Interpretation dieser Vorschrift nicht einheitlich. So wird z. B. der Begriff des „Geschäfts“ im StGB sehr weit ausgelegt, obwohl darunter eigentlich die menschlichen Angelegenheiten verstanden werden, die auf Grund einer sozialen Stellung dauerhaft und wiederholt durchgeführt werden. Beim § 35 StGB sei der Begriff so auszulegen, dass er tatsächlich keine begrenzende Wirkung hat. Damit kann die Vorschrift so interpretiert werden, als wäre der Begriff „Geschäft“ gar nicht enthalten: Eine Handlung, die berechtigt 42 Saku Machino, Die Geschäftshandlung als Unrechtsausschließungsgrund, in: FS Dando, Bd. 1, 1983, S. 201. Nur das schweizerische StGB von 1937 hatte in seinem Art. 32 eine ähnliche Vorschrift: „Die Tat, die das Gesetz oder eine Amts- oder Berufspflicht gebietet, oder die das Gesetz für erlaubt oder straflos erklärt, ist kein Verbrechen oder Vergehen.“ Die Vorschrift wurde reformiert, im geltenden schweizerischen StGB findet sich kein Bezug auf eine „Berufspflicht“ mehr: „Wer handelt, wie es das Gesetz gebietet oder erlaubt, verhält sich rechtmäßig, auch wenn die Tat nach diesem oder einem anderen Gesetz mit Strafe bedroht ist.“ (Art. 14 schw. StGB). 43 Machino, a .a. O., S. 202.
IV. Sonstige Rechtfertigungsgründe
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ausgeführt wird, ist nicht strafbar. Also ist § 35 StGB als allgemeiner Grundsatz der Rechtfertigungsgründe zu verstehen. b) Handlung auf Grund eines Gesetzes oder einer Verordnung Eine „Handlung auf Grund eines Gesetzes oder einer Verordnung“ kann eine Handlung sein, die von Amts wegen vorgenommen wird, die als Recht oder Pflicht ausgestaltet ist, oder die unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist. Dabei sind verschiedene Fallgruppen zu unterscheiden: Erstens Amtshandlungen von Beamten wie z. B. der Vollzug einer Strafe, die Festnahme eines Verdächtigen oder die Obduktion eines Leichnams für den Augenscheinsbeweis. Zweitens rechtlich erlaubte Handlungen von Privatpersonen, z. B. eine Festnahme durch eine Privatperson, Züchtigungen zum Erziehungszweck oder Arbeitskampfmaßnahmen. Drittens Handlungen, die eigentlich aufgrund einer Interessenabwägung oder aus Sicht der Sozialethik gerechtfertigt werden, die aber aus gesetzestechnischen Gründen z. B. nur in einem bestimmten beschränkten Bereich für rechtmäßig erklärt werden, so z. B. der Schwangerschaftsabbruch (§ 14 Gesetz zum Schutz des Mutterleibes) oder die Organtransplantation (§ 6 Gesetz betreffend die Organtransplantation). Viertens Handlungen, die eigentlich sozialschädlich sind, aber aus politischen Gründen gesetzlich erlaubt sind, so z. B. Wetten bei Pferderennen, die durch staatliche Einrichtungen betrieben werden (Gesetz betreffend Pferderennen) oder der Verkauf von Lottoscheinen durch öffentliche Einrichtungen, der eigentlich tatbestandsmäßig ist (§§ 185, 187 StGB). c) Handlungen in Ausübung eines berechtigten Geschäfts Als Beispiele für diese Fallgruppe sind zu nennen: ärztliche Eingriffe, Informationsbeschaffung durch Journalisten oder auch die Verteidigungstätigkeit von Rechtsanwälten. Da – wie dargestellt – der Grund, warum Tätigkeiten bei berechtigten Geschäften gerechtfertigt sind, nicht klar ist, scheint es nicht zu genügen, einfach nur auf § 35 StGB zu verweisen, um z. B. die Rechtfertigung eines ärztlichen Eingriffs zu begründen. Man muss immer auf den Grundgedanken des Rechtfertigungsgrundes zurückkommen, um die Rechtfertigung substanziell begründen zu können. Hier ist vor allem der ärztliche Heileingriff als wichtigstes Beispiel näher zu erörtern44. Bei der Frage, ob ein ärztlicher Eingriff den Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt, stehen sich einander widersprechende Theorien gegenüber. 44 Vgl. Yamanaka, Ärztliches Ermessen und Aufklärungspflicht in der japanischen Judikatur – Vom Fürsorgeprinzip zur Patientenautonomie, in: Yamanaka/Jehle/Schorkopf (Hrsg.), Präventive Tendenzen in Staat und Gesellschaft zwischen Sicherheit und Freiheit, 2014, S. 119 ff.; ders., Ijikeiho Gairon (Allgemeine Lehre vom Medizinstrafrecht) (auf Japanisch), Bd. 1, 2014, S. 119 ff.
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J. Rechtfertigungsgründe
Die in Japan herrschende Meinung sieht einen nicht unerheblichen ärztlichen Eingriff als tatbestandsmäßig an, weswegen er gerechtfertigt werden muss. Für das Strafrecht ist nur der ärztliche Heilbehandlungseingriff, der den Körperverletzungstatbestand erfüllt, relevant. Bei leichten Körperverletzungen schließt die Einwilligung schon den Tatbestand aus. Das ist bei schwereren Körperverletzungen nicht der Fall; dort schließt die Einwilligung den Tatbestand nicht aus. Auf der Rechtswidrigkeitsebene müssen bei schweren Körperverletzungen daher neben der Einwilligung weitere Voraussetzungen geprüft werden, zu denen vor allem die Durchführung des Eingriffs nach den Regeln der ärztlichen Kunst und die medizinische Indikation gehören. Die erste Voraussetzung einer Rechtfertigung eines ärztlichen Eingriffs ist das Vorliegen einer Heilbehandlung mit Einwilligung des Patienten. Eine Heilbehandlung ist eine ärztliche Maßnahme, die gegenüber dem Körper der Patienten zum Heilungszweck durchgeführt wird. Die eigenmächtige Heilbehandlung ist in der Regel rechtswidrig. Die Einwilligung setzt ihrerseits eine wirksame ärztliche Aufklärung voraus. Eine Rechtfertigung verlangt zweitens das Vorhandensein einer medizinischen Indikation und drittens die Durchführung der Heilbehandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst (lege artis). 2. Sonstige übergesetzliche Rechtfertigungsgründe In Japan werden auch noch einige weitere Rechtfertigungsgründe diskutiert. Wenn diese nicht unter § 35 StGB subsumiert werden können, erfolgt deren Anerkennung als „übergesetzliche Rechtfertigungsgründe“. Pflichtenkollision, Selbsthilfe, Einwilligung und auch die mutmaßliche Einwilligung sind Beispiele für diese Fallgruppe. Einige Theorien ordnen auch die Sterbehilfe oder Euthanasie, d. h. die Hilfe zu einem menschenwürdigen Tod von Patienten, die an der Schwelle des Todes stehen, in diese Gruppe ein. Aber es ist fraglich, ob bei einer Sterbehilfe schon das Unrecht der Tat ausgeschlossen werden kann. Hier kann wohl letztlich nur die strafwürdige Verantwortung ausgeschlossen sein, weil das StGB auch die Beihilfe zur Selbsttötung (§ 203 StGB) bestraft45.
45 Vgl. Yamanaka, Überlegungen zum Strafgrund des § 202 jap. StGB auf Grund der jüngsten Diskussion über die Teilnahme an der Selbsttötung in Deutschland, in: Strafrechtswissenschaft in der neuen Zeit (FS Professor Takayuki Shiibashi), Shinzansha-Verlag, Tokyo 2016, S. 95 ff.
K. Vorsatz und Irrtum I. Vorsatz 1. Einordnung des Vorsatzes in den Straftataufbau a) Drei Theorien In der japanischen Strafrechtswissenschaft werden drei verschiedene Theorien zur Einordnung des Vorsatzes in den Straftataufbau vertreten: Erstens wird die objektivistische, klassische Lehre vertreten, nach der subjektive Merkmale nicht zum Tatbestand oder Unrecht gehören. Diese Auffassung ordnet den Vorsatz einfach in die Schuldebene ein. Problematisch ist bei dieser Auffassung, dass sich auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit vorsätzliche und fahrlässige Tat nicht unterscheiden lassen. Die zweite Auffassung, nach der der Vorsatz sowohl zum Tatbestand als auch zur Schuld gehört, ist die in Japan herrschende Meinung. Die dritte Auffassung, die den Vorsatz ausschließlich in den Tatbestand einordnet, wird vor allem von der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen vertreten, in Japan eine absolute Mindermeinung. Es gibt aber auch Vertreter dieser Auffassung, die keine negativen Tatbestandsmerkmale anerkennen. Dies ist auch meine Auffassung. Beim Aufbau der Straftat ist zwischen Tatbestand und Rechtfertigungsgrund zu unterscheiden. Betrachtet man die Straftat wie ein Haus, befinden sich Tatbestand und Rechtfertigungsgrund auf unterschiedlichen Etagen. Der Vorsatz verbindet aber beide Etagen, wie ein Treppenhaus, das sich über mehrere Etagen erstreckt. Erkenntnisgegenstand des Tatbestandsvorsatzes sind also nicht nur die Tatbestandsmerkmale, sondern auch die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe. Der Tatbestandsvorsatz reicht also bis zur „Etage“ der Rechtfertigungsgründe. b) Vorsatz und Unrechtsbewusstsein Ebenfalls Gegenstand eines Theorienstreits ist die Frage, ob der Vorsatz auch das (tatsächliche oder potentielle) Unrechtsbewusstsein beinhaltet. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen „Vorsatztheorie“ und „Schuldtheorie“. Der Unterschied zwischen beiden Theorien zeigt sich vor allem bei der Frage, ob ein Irrtum über rechtfertigende Umstände den subjektiven Tatbestand ausschließt oder nur die Schuld. Die beiden Theorien haben jeweils zwei Varianten: eine sog. „strenge“ und eine sog. „eingeschränkte“, wobei vor allem die eingeschränkte Schuldtheorie noch weitere Untervarianten aufweist. Die strenge Vorsatztheorie sieht das Unrechtsbewusstsein als einen Teil des Vorsatzes an. Der Vorsatz wiederum
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gehört nach dieser Auffassung (ausschließlich) zur Schuld. Die eingeschränkte Vorsatztheorie siedelt die „Möglichkeit der Unrechtseinsicht“ als Vorsatz auf der Ebene der Schuld an. Die Schuldtheorie hingegen ordnet die „Möglichkeit der Unrechtseinsicht1 nicht dem „Vorsatz“, sondern der „Schuld“ zu. Die beiden Varianten der Schuldtheorie unterscheiden sich in der Beantwortung der Frage, ob der Vorsatz hinsichtlich der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes zum Tatbestand gehört oder die Nicht-Erkennbarkeit der rechtfertigenden Umstände nur einen Schuldausschließungsgrund darstellt. Nach der eingeschränkten Schuldtheorie ist also z. B. bei der Putativnotwehr (Irrtum über das Unrecht) der Vorsatz ausgeschlossen. Dagegen wird der Vorsatz nach der strengen Schuldtheorie bejaht und nur die Schuld ausgeschlossen. Die strenge Schuldtheorie wird zumeist von Anhängern der finalen Handlungslehre vertreten, weil diese keinen „Schuldvorsatz“ braucht. Wenn man den Vorsatz wie die Finalisten als einen den Kausalverlauf vorausschauend steuernden Verwirklichungswillen versteht, braucht man das Unrechtsbew usstsein oder die Möglichkeit der Unrechtseinsicht nicht als Bestandteil des Vorsatzes. 2. Definition des Vorsatzes a) Elemente des Vorsatzes § 38 StGB regelt: „Eine Handlung, bei der es an dem Willen, eine Straftat zu begehen, fehlt, ist nicht strafbar. Das gilt jedoch nicht, wenn durch Gesetz eine abweichende Regelung getroffen wird“. Der psychische Umstand „Wille, eine Straftat zu begehen“ drückt den Vorsatz aus. Vorsatz ist das Erkennen und Wollen der Verwirklichung des Unrechtstatbestandes. Er setzt nicht nur die Kenntnis der den Tatbestand verwirklichenden Tatsachen, sondern auch den Willen voraus, das tatbestandliche Unrecht der Straftat durch eine eigene Handlung steuernd zu verwirklichen. Der Vorsatz besteht somit sowohl aus einem intellektuellen als auch aus einem voluntativen Element. Der Vorsatz muss auf der anderen Seite die Tatsachen soweit erfassen, dass ein Unrechtsbewusstsein hervorgerufen werden kann. Dem Tatbestandsvorsatz kommt daher eine gewisse „Appellfunktion“2 zu, indem die Erkenntnis der unrechtsbegründenden Tatsachen den Anstoß zum Bewusstsein des Unrechts gibt. b) Arten des Vorsatzes In der japanischen Strafrechtswissenschaft umfasst der Vorsatz sowohl den dolus determinatus als auch den dolus indeterminatus. Unter dem Oberbegriff 1 Vgl. 2
Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 157 ff. Naka, Die Appellfunktion des Tatbestandsvorsatzes, JZ 1961, S. 210.
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des dolus indeterminatus werden dolus eventualis, dolus alternativus und dolus generalis diskutiert. Der dolus eventualis ist eine anerkannte Art des Vorsatzes. Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit werden verschiedene Lehrmeinungen vertreten. c) Theorien über den Vorsatz Bei einer groben Differenzierung lassen sich im Wesentlichen vier Auffassungen zum Vorsatzbegriff ausmachen: Die Wahrscheinlichkeitstheorie, die Einwilligungstheorie (oder Billigungstheorie)3, die Motivationstheorie und die Theorie des Verwirklichungswillens. Die Wahrscheinlichkeitstheorie behauptet, für den Vorsatz sei es erforderlich, dass der Täter den Erfolgseintritt nicht nur für möglich, sondern darüber hinaus für wahrscheinlich hält. Ein eigenständiges voluntatives Element ist nach dieser Auffassung nicht erforderlich. Dagegen vertritt die Einwilligungstheorie, dass die Voraussicht des Erfolgs durch den Täter für die Bejahung des Vorsatzes nicht genügt, der Täter muss zudem in den Erfolgseintritt eingewilligt oder ihn in Kauf genommen haben. Sie ist in Japan die herrschende Meinung in Lehre und Rechtsprechung. Die Bedeutung der Einwilligungstheorie liegt darin, dass sie den Vorsatz verneint, wenn der Täter hofft oder sich vorstellt, dass der Erfolg nicht eintreten werde. Die dritte Theorie, die Motivationstheorie, will die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit dadurch treffen, wie stark die Voraussicht des Erfolgseintritts den Prozess zur Motivation der Tat beeinflusst hat. Falls der Täter erkennt, dass bei der Vornahme der ins Auge gefassten Handlung der Erfolg eintreten würde, muss diese Erkenntnis zur Motivation zur Vermeidung des Erfolgs führen. Geschieht dies nicht, wird dem Täter Vorsatzschuld vorgeworfen. Wenn man den Vorsatz nur als Tatbestandsvorsatz versteht, geht es nicht um die Motivation als Inhalt des Vorsatzes. Vielmehr muss der Vorsatz als Wille zur Steuerung des Geschehens durch das Vorhersehen des Kausalverlaufs verstanden werden. In diesem Sinne ist die Theorie des Verwirklichungswillens grundsätzlich zu unterstützen. Der Vorsatz ist der Wille, auf Grundlage der Voraussicht des Kausalverlaufs bis zum Erfolgseintritt das geeignete Mittel dazu einzusetzen, den intendierten Erfolg zu verwirklichen und nicht intendierte Erfolge zu vermeiden. 3. Das intellektuelle Vorsatzelement: Kenntnis der Tatumstände Erforderlich für den Vorsatz ist die konkrete Kenntnis der Umstände, die das tatbestandliche Unrecht begründen. Um zu erkennen, dass ein Umstand eine Tatbestandsvoraussetzung erfüllt, muss der Täter nicht die zur Umschreibung 3 Vgl.
Roxin, Strafrecht AT, Bd. 1, §12 A, Rn. 36 f.
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dieser Voraussetzung verwendeten Rechtsbegriffe kennen. Er muss lediglich die unrechtsbegründende Bedeutung der Tatumstände erkennen. Daher genügt es, wenn der Täter einen Tatumstand unter einen den Rechtsbegriffen sinngemäß entsprechenden alltäglichen Sprachgebrauch subsumiert. Das Vorliegen „elektromagnetischer Aufzeichnungen“ wird z. B. erkannt, wenn der Täter weiß, dass auf der Sache, auf die sich die Tat bezieht, etwa eine Floppy-Disk, eine CD, eine SD-Karte oder ein USB-Stick, Daten in digitaler Form gespeichert sind. Er braucht nicht zu wissen, dass diese Aufzeichnungen durch den Begriff der „elektromagnetischen Aufzeichnungen“ erfasst werden, er braucht diesen Begriff nicht einmal zu kennen. Es genügt, wenn der Täter bei Begehung der Tat weiß, dass er einen Datenträger mit gespeicherten Daten vor sich hat. Unschädlich für die Bejahung des Vorsatzes ist es, wenn der der Tätervorstellung zugrundeliegende Begriff der Alltagssprache das Tatbestandsmerkmal nur vage und ungenau wiedergibt. Wenn der Täter Kokain importiert und dabei weiß, dass es sich dabei um „ein weißes Pulver, dessen Konsum zu einer Sucht erkrankung führt“ handelt, ist dies genügend, um den Vorsatz zum Import von Opium zu bejahen.4 Wenn man den Vogel eines anderen aus seinem Käfig befreit und fliegen lässt, wird die Tat in Japan als Sachbeschädigung (§ 261 StGB) verfolgt. Dass der Vogel (nach japanischem Recht) eine Sache ist, weiß jeder. Dass die Befreiung des Vogels aus dem Käfig als „Beschädigung“ verstanden wird, dürfte hingegen einem Großteil der Bevölkerung unbekannt sein. Es genügt aber, wenn der Täter weiß, dass der Besitzer den Vogel nicht mehr nutzen oder sich an ihm erfreuen kann. Wenn der Täter im oben angesprochenen Fall des Kokainimportes das weiße Pulver sicher als „Kokain“ erkennt, schließt dies den Vorsatz zum Import von „Weckaminen“ aus. „Weckamine“ werden durch das „Gesetz zur Kontrolle von Amphetaminen“, erfasst und nicht wie „Kokain“ durch das „Gesetz zur Kontrolle von Opium“. In diesem Fall ist die Vorstellung, dass es sich bei dem eingeführten Gut um „ein weißes Pulver, dessen Konsum zu einer Suchterkrankung führt“ handelt, nicht ausreichend, weil der Täter die Möglichkeit, das weiße Pulver könne ein Weckamin sein, seiner Vorstellung nach verneint. Wenn das Bewusstsein des Täters also „ein klares und unwiderrufliches negatives Urteil hinsichtlich der Subsumtion eines Tatbestandsmerkmals beinhaltet“, fehlt es bezüglich dieses Tatbestandsmerkmals am Vorsatz. Ein Beispiel5: Der jugendliche Angeklagte besaß einen Verdünner, der die Substanz Toluol enthielt. Er hatte die Absicht, diesen Verdünner zu inhalieren („Schnüffeln“), um so eine Rauschwirkung zu erzeugen. Ein solches Verhalten verletzt § 24 b des „Gesetzes zur Kontrolle von gefährlichen Arzneimitteln und Sprengstoffen“, der den Besitz eines toluolhaltigen Verdünners zum Zweck der Inhalation verbietet. Der Ange4 5
Kokain wird durch das „Gesetz zur Kontrolle von Opium“ erfasst. Urteil des LG Tokyo v. 19. 12. 1991, Hanrei Times 795, 269.
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klagte hatte Erfahrung mit Verdünnern. Er wusste daher, dass der Besitz eines Verdünners, der kein Toluol enthält, nicht strafbar ist. Aus diesem Grund hat er normalerweise einen Verdünner der Firma A gekauft, bei dem auf der Büchse die Inschrift „Enthält kein Toluol“ zu finden ist. Weil es diesen Verdünner an dem fraglichen Tag in dem vom Angeklagten aufgesuchten Laden nicht gab, hat der Angeklagte einen Verdünner der Firma B gekauft. Dieser war gekennzeichnet als „Ware mit Vorkehrungen gegen Verdünner-Missbrauch“. Tatsächlich enthielt der Verdünner gleichwohl Toluol. Das Urteil hat den Vorsatz des Angeklagten verneint, da ihm die Kenntnis der Erfüllung des Merkmals „Verdünner mit Toluol“ fehlte, weil er geglaubt hatte, einen „Verdünner ohne Toluol“ zu erwerben.
II. Irrtumslehre 1. Zwei Arten des Irrtums: Tatsachenirrtum und Rechtsirrtum Es gibt zwei Arten von Irrtümern: Tatsachenirrtümer (Irrtum über Tatsachen) und Rechtsirrtümer (Irrtum über die Rechtswidrigkeit und Verbotsirrtum). Beim Tatsachenirrtum besteht eine Diskrepanz zwischen einer objektiven Tatsache und der subjektiven Tätervorstellung. Innerhalb des Tatsachenirrtums lässt sich weiter zwischen einem Irrtum über Tatbestandsvoraussetzungen und einem Irrtum über rechtfertigende Umstände differenzieren. Eine andere Differenzierung unterscheidet zwischen einem Irrtum über eine konkrete Tatsache und einem Irrtum über eine abstrakte Tatsache. Bei einem Irrtum über konkrete Tatsachen irrt sich der Täter über eine Tatsache, die für die Erfüllung eines bestimmten Tatbestands relevant ist, nicht aber über den Tatbestand selbst. Er verkennt beispielsweise bei der Abgabe eines Schusses, dass er durch diesen Schuss zwar einen Menschen töten wird, aber tatsächlich tötet er einen anderen Menschen.6 Bei einem Irrtum über abstrakte Tatsachen kommt noch dazu, dass die Umstände, die sich der Täter irrig vorstellt, ihrerseits einen anderen Tatbestand erfüllen würden, wenn sie nur vorlägen. So etwa, wenn im zuvor genannten Beispielsfall der Täter davon ausgeht, dass er mit dem Schuss einen in fremdem Eigentum stehenden Hund töten wird, in Wirklichkeit aber einen Menschen tötet. Beim Rechtsirrtum besteht eine Diskrepanz zwischen der objektiven Bewertung der Rechtswidrigkeit durch die Rechtsordnung und der subjektiven Bewertung des Täters. Wenn sich der Tatsachenirrtum auf eine rechtlich relevante Tatsache bezieht, wird der Vorsatz ausgeschlossen. Wenn ein Rechtsirrtum vorliegt und dieser Irrtum nicht außergewöhnlich ist, wird, je nachdem welcher Auffassung gefolgt wird, der Vorsatz (Vorsatztheorie) oder die Schuld (Schuldtheorie) ausgeschlossen.
6 Es geht hierbei nicht um die Frage, ob es sich um einen error in persona oder eine aberratio ictus handelt.
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2. Irrtum über konkrete Tatsachen a) Rechtlich relevante konkrete Tatsachen Nicht jeder Irrtum über eine im Zusammenhang mit der Tat stehende Tatsache begründet einen zum Vorsatzausschluss führenden Irrtum über eine konkrete Tatsache. Nur der Irrtum über eine rechtlich bedeutsame Tatsache schließt den Vorsatz aus. Welche Tatsachen rechtlich bedeutsam sind, hängt von den Tatbeständen ab. Dass z. B. das Opfer zwölf Jahre alt ist, spielt für die Erfüllung des Tötungstatbestandes keine Rolle, wohl aber beim Tatbestand der Vergewaltigung, da bei Opfern, die unter dreizehn Jahre alt sind, die Ausübung von Gewalt für die Tatbestandsmäßigkeit nicht erforderlich ist (§ 177 Satz 2 StGB). Wenn der Täter also glaubt, das tatsächlich zwölfjährige Opfer, mit dem er eine sexuelle Beziehung hat, sei bereits vierzehn Jahre alt, hat er keinen Vorsatz bezüglich einer Vergewaltigung. Die Relevanz des Tatsachenirrtums hängt also von der Bewertung durch den Tatbestand ab. Von den Irrtümern über konkrete Tatsachen haben vor allem zwei Fallgruppen von Irrtümern über das Handlungsobjekt Beachtung gefunden: der error in objecto vel in persona und die aberratio ictus. b) aberratio ictus Bei der aberratio ictus irrt sich der Täter X über den zum Erfolg führenden Kausalverlauf. Der Erfolgt tritt bei einem anderen als dem vom Täter anvisierten Tatobjekt ein. Ein Beispiel: X beabsichtigt, A zu töten. Er schießt auf den A, doch die Kugel verfehlt ihr Ziel und trifft den B tödlich. Die rechtliche Bewertung dieser Fallkonstellation ist umstritten, hier stehen sich zwei Theorien gegenüber: aa) Abstrahierungstheorie Die „Abstrahierungstheorie“ sieht darin, dass der Täter eine konkrete Person in seine Vorstellung von der Tat aufgenommen hat (in unserem Beispiel A), einen Vorsatz bezüglich des abstrakten Begriffs der „Person“. Da B in unserem Beispiel eine „Person“ ist, ist der Vorsatz des X, eine Person zu töten, verwirklicht. Diese Theorie begründet ihre These mit dem Gesetzestext, in dem geschrieben steht: „Wer eine andere (Person) tötet …“. X wollte eine (bestimmte) Person töten und er hat eine (andere) Person getötet. Es besteht kein normativer Unterschied zwischen den Personen A und B. Deswegen wird der X wegen vorsätzlicher Tötung des B bestraft. Die Abstrahierungstheorie ist die herrschende Meinung7. Sie tritt in zwei Varianten auf, die „Ein-Vorsatz-Theorie“ und „Mehrfachvorsatz-Theorie“ genannt werden. 7 Vgl. Dando, AT, S. 298; Fukuda, AT, S. 117; Otsuka, AT, S. 189; Oya, AT, S. 168; Maeda, AT, S. 273.
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bb) Ein-Vorsatz-Theorie und Mehrfachvorsatz-Theorie Ein Beispiel: X hatte vor, eine Frau A zu töten. Dazu nahm er ein Schwert und stieß es der A in den Rücken, wodurch diese starb. Aber das Schwert hat auch das kleine Baby B, das von A umarmt wurde und das der X nicht bemerkt hatte, getroffen, wodurch auch B starb. Das RG hat X wegen vorsätzlicher Tötung von A und B bestraft8. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat auch der OGH diese Theorie übernommen: X hatte vor, einen Polizisten A mit einem umgebauten Bolzenschussgerät zu töten, um einen Raub zu begehen. Das Geschoss traf zwar den Bauch des A, verletzte allerdings auch den Fußgänger B. Der OGH hat X wegen zwei versuchter Tötungen und einem Raub (§ 240 StGB) bestraft9 (Idealkonkurrenz). Die von der Rechtsprechung vertretene Ansicht wird demnach als Mehrfachvorsatz-Theorie bezeichnet. Die Problematik dieser Theorie liegt darin, dass sie zwei Vorsätze annimmt, obwohl der Täter bei Begehung der Tat nur den Vorsatz hat, eine Person zu töten. Die Ein-Vorsatz-Theorie ist wahrscheinlich die herrschende Meinung im Schrifttum. Wenn X auf den A geschossen hat, um ihn zu töten, die Kugel aber den B tödlich getroffen hat, wird der X wegen vorsätzlicher Tötung des B bestraft. Bezüglich der Tötung des A fehlt es an einem Vorsatz, da dieser gewissermaßen durch die Tötung des B „verbraucht“ ist. In den oben genannten Fällen aus der Rechtsprechung lässt sich ebenfalls jeweils nur ein Vorsatz bezüglich A bejahen. Hinsichtlich B bleibt nur eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung (beim Fall mit dem Baby) bzw. wegen fahrlässiger Körperverletzung (beim Fall mit dem Polizisten). Der Täter hatte den Vorsatz, A zu töten. Wenn A stirbt, wurde sein Vorsatz verwirklicht. In Bezug auf B ist daher kein Vorsatz mehr vorhanden. Schwierig ist bei dieser Theorie die Lösung des folgenden Falles: X will A mit einer Pistole töten. Die Kugel trifft zuerst den A und anschließend den B. Der A ist nur schwer verletzt, während B gestorben ist. Einige Vertreter der Ein-Vorsatz-Theorie behaupten, in diesem Fall müsse der X wegen vollendeter vorsätzlicher Tötung des B und fahrlässiger Körperverletzung des A bestraft werden, da sich der Vorsatz des X, eine Person zu töten, verwirklicht habe, wenn B, der ja auch eine Person ist, stirbt10. Wenn bei diesem Fall allerdings der schwer verletzte A später auch sterben würde, müsse X wegen vollendeter Tötung des A und fahrlässiger Tötung des B bestraft werden.
8
Urteil des RG v. 30. 8. 1919, Keishu Bd. 12, S. 1445. Urteil des OGH v. 28. 7. 1978, Keishu Bd. 32, H. 5, S. 1068. 10 Vgl. Otsuka, AT, S. 192; Sakuma, AT, S. 130. 9
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cc) Konkretisierungstheorie Nach der „Konkretisierungstheorie“ wird der Täter bei der aberratio ictus wegen einer vorsätzlichen und einer fahrlässigen Tat bestraft. Wenn X den A mit einem Pistolenschuss töten wollte, die Kugel aber den B tödlich getroffen hat, wird der X wegen versuchter Tötung des A und fahrlässiger Tötung des B in Idealkonkurrenz bestraft. Die Konkretisierungstheorie ist in Japan, anders als in Deutschland, eine Mindermeinung11. Wenn man den Vorsatz als Verwirklichungswillen versteht, gibt es im Fall der aberratio ictus nur einen konkreten Vorsatz bezüglich der anvisierten Person bzw. des anvisierten Objektes, in unserem Beispielsfall also den Vorsatz, den A zu töten. Das Verhalten des X ist auf die Verwirklichung des Vorsatzes, den A zu töten, gerichtet und in diese Richtung will er den Kausalverlauf steuern. c) error in persona vel in objecto Beispielhaft für einen error in persona ist folgender Fall: Der Täter X will den B töten. Als er in der Dämmerung den A bemerkt, hält er diesen irrtümlich für B und erschießt ihn, in dem festen Glauben, den B zu töten. Bei diesem Fall kommen die verschiedenen Theorien zum Irrtum zu einem übereinstimmenden Ergebnis. Auch die Konkretisierungstheorie bejaht hier den Vorsatz des X, den A zu töten. Wenn X seine Tötungshandlung gegen den vor ihm stehenden Mann richtet, hat er den Vorsatz, diesen Mann zu töten. Nach der Konkretisierungstheorie ist entscheidend, auf welches Tatobjekt sich der Vorsatz des Täters bei der Verwirklichung der Tat richtet. Hinsichtlich der von X angestrebten Tötung des B, der bei der Begehung der Tat überhaupt nicht anwesend war, liegt ein untauglicher, nicht strafbarer Versuch vor. d) Abgrenzung zwischen aberratio ictus und error in persona Wenn sich Täter und Tatobjekt direkt gegenüberstehen, scheint das Unterscheidungskriterium klar zu sein: Wenn der Erfolg bei der vom Täter gezielt angegriffenen Person eintritt, liegt ein error in persona vor, auch wenn der Täter diese Person zuvor mit einer anderen verwechselt hat. Wenn der Erfolg dagegen bei einer anderen als der vom Täter gezielt angegriffenen Person eintritt, weil der tatsächliche Kausalverlauf von dem vom Täter geplanten abweicht, liegt eine aberratio ictus vor. Wenn aber der vom Täter gesteuerte Kausalverlauf zum anvisierten Erfolg führt, hat sich der Vorsatz verwirklicht. In diesem Fall kommt eine aberratio ictus nicht in Betracht.
11 Vgl. Hirano, AT, S. 175; Naka, AT, S: 116; Yamaguchi, AT, S. 204; Yamanaka, AT, S. 339.
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Schwieriger zu beurteilen sind die Fälle, in denen der Täter das Opfer nicht unmittelbar im Auge hat. Ein Beispielsfall: Der Täter will einen Politiker töten und bringt in der Nacht an dessen Wagen, mit dem der Politiker allmorgendlich ins Büro fährt, eine Bombe an, die beim Starten des Fahrzeugs explodieren soll. Wegen einer plötzlich bei dem Politiker aufgetretenen Krankheit will dessen Frau mit dem Wagen einen Arzt holen. Als sie den Motor starten will, explodiert die Bombe und die Frau stirbt. Die Lösung des Falles hängt wohl davon ab, welche Auffassung man zum zeitlichen Beginn der Tatausführung vertritt. Nach der Theorie, die den Tatbeginn auf die letzte eigene Handlung des Täters und bei der Anstiftung auf die letzte Anstiftungshandlung legt, ist wohl von einer aberratio ictus auszugehen. Betrachtet man das Geschehen aber vom Standpunkt des Beginns der konkreten Gefahrsituation aus, liegt ein error in persona vor. Zu diesem Zeitpunkt sitzt die Frau des Politikers schon auf dem Fahrersitz. Der Täter irrt sich nur darüber, dass die Person, die auf dem Fahrersitz sitzt, nicht der Politiker ist, weswegen ein error in persona vorliegt. Aber auch wenn man schon auf den Beginn der Tatausführung abstellt, lässt sich ein error in persona begründen. Denn das Mittel des Täters zur Tötung ist das Anbringen der Bombe an dem Wagen des Politikers. Der Täter geht davon aus, dass sein Mittel die Person töten wird, die sich auf den Fahrersitz setzen und den Motor starten wird. Dies ist auch das, was tatsächlich geschieht. Deswegen liegt hier keine aberratio ictus, sondern – weil der Täter glaubt, dass diese Person der Politiker sei – nur ein unbeachtlicher error in persona vor. Problematisch und umstritten sind auch Fälle wie der in Deutschland vieldiskutierte Rose-Rosahl-Fall, bei denen ein zur Tat angestifteter Täter einem error in persona unterliegt: X stiftet Y an, den A zu töten. Y verwechselt aber B mit A. Er sieht den vermeintlichen A und erschießt diesen. In Wirklichkeit ist B der Getötete. Dass Y sich hier in einem error in persona befindet, ist unproblematisch. Fraglich ist aber, wie sich das auf den Anstifter X auswirkt. Wenn man bei X eine aberratio ictus annimmt, sollte der Fall so gelöst werden, dass X nur wegen fahrlässiger Tötung bestraft wird. Zur Verdeutlichung nehmen wir einmal an, dass sich A bei Begehung der Tat nicht in Japan befindet, sondern auf einer Reise durch die USA. Zwar wollte der Y den A töten. Aber man kann den in den USA weilenden A nicht mit einem in Japan abgegebenen Schuss töten, so dass hier allenfalls ein strafloser untauglicher Versuch vorliegt. Bei der aberratio ictus richtet sich der Vorsatz nur gegen die Person, auf die gezielt wurde, hier also auf A. Hinsichtlich B besteht kein Vorsatz des X. Der Y hat seine Tat nur gegenüber B ausgeführt, nicht gegenüber A. Die Verantwortlichkeit des X hängt aber von der Tatausführung des Y ab. Wegen des Akzessorietätsprinzips wird der X ohne eine Tatausführung des Y nicht wegen Anstiftung bestraft. Deswegen lässt sich der X nur wegen fahrlässiger Tötung gegen B bestrafen.
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Der Irrtum des X wird jedoch im Gegenteil nicht als aberratio ictus, sondern als error in persona angesehen, denn X hat geglaubt, die von Y erschossene Person sei A und nicht B. Er unterlag nach dieser Betrachtung einem Irrtum über die Identität des Tatopfers. In diesem Fall wird X wegen Anstiftung zur vorsätzlichen Tötung bestraft12. 3. Irrtum über abstrakte Tatsachen a) Grundsatz: Ausschluss des Vorsatzes Wie schon oben kurz dargestellt, liegt diese Art von Irrtum vor, wenn der Täter einen Umstand nicht kennt, der für die Erfüllung des verwirklichten Tatbestandes relevant ist, gleichzeitig aber Umstände annimmt, die einen anderen Tatbestand erfüllen würden, wenn sie nur vorlägen. Ein Beispiel: Der Täter will einen bestimmten großen weißen Hund töten. Er erschießt aber tatsächlich einen Menschen in einem weißen Mantel, weil er diesen irrtümlich für den Hund gehalten hat. Er hat mit dem Vorsatz, einen Hund zu töten, in Wirklichkeit einen Menschen getötet. Die vorsätzliche Tötung des Hundes ist eine Sachbeschädigung (§ 261 StGB), die eines Menschen eine Tötung (§ 199 StGB). Es handelt sich also um zwei unterschiedliche Tatbestände. In einem solchen Fall muss der Vorsatz bezüglich des tatsächlich verwirklichten Erfolgs verneint werden. Also wird der Täter hier wegen fahrlässiger Tötung (§ 210 StGB) bestraft. Die ebenfalls vorliegende versuchte Sachbeschädigung ist nach japanischem Strafrecht nicht strafbar. Früher wurde auch eine andere Auffassung vertreten. Heute ist jedoch die sog. Rechtsbewertungstheorie allgemeine Meinung: Bei dem dargestellten Irrtum über abstrakte Tatsachen ist der Vorsatz bezüglich des verwirklichten Erfolges ausgeschlossen. Dies ist der Grundsatz. Eine Ausprägung dieses Prinzips ist in § 38 Abs. 2 StGB geregelt: „Wenn der Täter bei Begehung der Straftat von Umständen, die ein schwereres Delikt erfüllen, keine Kenntnis hatte, so kann er nicht auf Grund dieser Umstände schwerer bestraft werden“. b) Irrtum bei teilidentischen Tatbeständen aa) Formale Teilidentität Eine Ausnahme von dem zuvor genannten Grundsatz findet sich vor allem bei Tatbeständen, die aufeinander aufbauen und daher in Teilen identisch sind. Wenn sich der Irrtum auf den identischen Teil bezieht, lässt sich der Vorsatz nicht ausschließen. Wenn die beiden Tatbestände im formallogischen Verhältnis der Subordination stehen13, ist es ziemlich klar, dass der Vorsatz für den subordinierten 12 Von einer aberratio ictus gehen in diesem Fall Nishida, S. 231 und Asada, AT, S. 457 aus; von einem error in persona Yamanaka, AT, S. 349.
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Tatbestand nicht ausgeschlossen ist. Das gilt insbesondere für die Tatbestände, die im Verhältnis der Spezialität stehen, wie etwa Unterschlagung (§ 252 StGB) und Unterschlagung bei Geschäftstätigkeiten (§ 253 StGB). Die letztgenannte stellt nur einen qualifizierten Tatbestand der erstgenannten dar. Wenn der Täter mit Unterschlagungsvorsatz eine Unterschlagung bei einer Geschäftstätigkeit begangen hat, ohne diese Tätigkeit als Geschäftstätigkeit zu erkennen, wird er nach § 38 Abs. 2 StGB wegen der einfachen Unterschlagung bestraft. Der Täter wird aber auch dann nur wegen einfacher Unterschlagung bestraft, wenn er irrig davon ausging, die Unterschlagung bei einer Geschäftstätigkeit begangen zu haben, die Tätigkeit aber tatsächlich keine Geschäftstätigkeit darstellte. Eine besondere Vorschrift dafür gibt es allerdings im AT nicht. 13
bb) Materielle Teilidentität Die japanische Strafrechtslehre sieht das Verhältnis von teilidentischen Tatbeständen nicht nur bei Tatbeständen, die im formallogischen Verhältnis der Subordination stehen, sondern kennt auch „materiell teilidentische Tatbestände“, z. B. Betrug (§ 246 StGB) und Erpressung, Diebstahl und Unterschlagung von verlorenen Sachen (§ 254 StGB). Dies mag zunächst überraschen, zeichnen sich diese Tatbestände doch dadurch aus, dass sie formallogisch im Verhältnis der Heterogenität stehen, d. h. ein Fall des einen ist nie ein Fall des anderen. Die Teilidentität zwischen diesen Tatbeständen gründet sich auf die Gemeinsamkeit der Rechtsgüter und die Ähnlichkeit der Tatmodalitäten. So ist z. B. bei Betrug und Erpressung für beide Tatbestände das Vermögen das geschützte Rechtsgut, bei beiden Tatbeständen tritt eine Vermögensminderung des Opfers durch dessen Verfügung oder sonstige Handlung ein und bei beiden Tatbeständen liegt bei der Handlung des Opfers ein Willensmangel vor. cc) Irrtum über Tatbestände ohne gemeinsame Elemente Wenn die beiden Handlungsobjekte keine Gemeinsamkeiten haben, ist es jedoch problematisch, ob die genannten Kriterien ausreichend dafür sind, den Vorsatz bezüglich des einen Objekts auf das andere zu übertragen. Wenn der Täter z. B. mit dem Vorsatz, Kokain zu importieren, irrtümlich Weckamine, deren Import schwerer als der Import von Kokain bestraft wird, importiert, kann man ihn dann wegen vorsätzlichen Imports von Kokain bestrafen, indem man § 38 Abs. 2 StGB anwendet?14 Der Import von Kokain und der von Weckami13 Subordination bedeutet, dass ein Begriff einem anderen untergeordnet ist (z. B. „Löwe“ und „Raubtier“), d. h. jeder Fall des Unterbegriffs ist zugleich zwingend ein Fall des Oberbegriffs. 14 Vgl. Beschluss des OGH v. 27. 3. 1979, Keishu Bd. 33, H. 2, S. 140; Beschluss des OGH v. 9. 6. 1986, Keishu Bd. 40, H. 4, S. 269.
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nen schützen das gleiche Rechtsgut und haben ähnliche Tatmodalitäten. Wenn man einen Oberbegriff zu beiden Begriffe sucht, lässt dieser sich vielleicht in „gesundheitsschädliche und suchterzeugende Droge“ finden. Bei diesem Fall ist eine dementsprechende Tätervorstellung jedoch nicht ausreichend, weil der Täter ausschließlich von einem Import von Kokain ausging und die Möglichkeit des Imports von Weckaminen ausgeschlossen hat. Wenn man zudem die beiden Stoffe in ihrer chemischen Struktur betrachtet, zeigt sich, dass sie zu völlig verschiedenen Stoffgruppen gehören. Der Oberbegriff zu beiden Begriffen lässt sich jedoch in den Tatbestandsmerkmalen der beiden Straftaten nicht finden. 4. Irrtum über den Kausalverlauf a) Definition Wenn man den Begriff des „Irrtums über den Kausalverlauf“ hört, kann man sich darunter zwei unterschiedliche Fallgruppen vorstellen. Erstens gibt es die Fälle, in denen die Tatausführung auf fehlerhaften Kenntnissen des Täters über die kausalen Gesetzmäßigkeiten beruht. Ein Beispielsfall dafür wäre, dass der Täter einem anderen Zucker verabreicht, in der Annahme, er könne den anderen dadurch töten. Derartige Fälle sind als untauglicher Versuch einzuordnen und sollen hier nicht weiter behandelt werden. Bei der zweiten Fallgruppe geht es um Fälle, bei denen der Kausalverlauf nach Vornahme der Tathandlung in anderer Weise als vom Täter vorausgesehen abläuft. In diesem Sinne ist auch die aberratio ictus eine Art des Irrtums über den Kausalverlauf. Hier soll es aber nur um die Fälle gehen, bei denen der Täter sich nicht über die Art des Erfolges oder das Tatobjekt irrt, sondern nur über den Kausalverlauf zwischen der Handlung und dem Erfolg. Ein Beispiel dafür ist etwa: Der Täter will das Opfer durch Ertrinken töten, indem er es von einer Brücke ins Wasser stößt. Tatsächlich schlägt das Opfer mit seinem Kopf auf einen Brückenpfeiler und stirbt daran. b) Vorsatzausschluss beim Irrtum über den Kausalverlauf? Überlegungen zur Frage, ob und wann ein Irrtum über den Kausalverlauf den Vorsatz ausschließt, müssen damit beginnen, zu klären, in welchem Maße der Täter den Kausalverlauf bis zum Erfolgseintritt kennen muss. Dabei ist es klar, dass der Täter diesen nicht in allen Einzelheiten erkennen muss. Wichtigstes Element des Kausalverlaufs ist dessen Endpunkt, der Erfolgseintritt, ihn muss der Täter zwingend voraussehen. Wenn der Täter das Opfer mit einem Messer erstechen will, ist es nicht so wichtig, dass der ausgeführte Messerstich abweichend von der Vorstellung des Täters nicht zum sofortigen Tod des Opfers führt, sondern dieser erst infolge einer durch den Stich verursachten Blutvergiftung im Krankenhaus eintritt. In Japan wird für die Bejahung des Vorsatzes nur die Kenntnis der wesentlichen Züge des Kausalverlaufs verlangt.
II. Irrtumslehre
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Um ein Kriterium für die wesentlichen Züge des Kausalverlaufs zu gewinnen, wird oft auf die Theorie des adäquaten Kausalzusammenhangs zurückgegriffen. Nach dieser Theorie ist ein Irrtum über den Kausalverlauf nicht erheblich, wenn sowohl der dazwischentretende, d. h. der zu einer Abweichung des Kausalverlaufs führende, Umstand als auch der daraus resultierende Erfolgseintritt in vorhersehbarer Weise innerhalb des adäquat kausalen Bereiches liegen. Wenn es also an einem adäquaten Kausalzusammenhang zwischen Tat und Erfolgseintritt fehlt, muss der Vorsatz nach dieser Theorie verneint werden. In diesem Fall soll keine vollendete Straftat, sondern lediglich ein Versuch vorliegen. Man bemerkt jedoch bei dieser Lösung sofort, dass hier ein logisches Problem auftaucht: Fehlt es an einem adäquaten Kausalzusammenhang, ist nicht erst der Vorsatz, sondern bereits die Erfüllung des objektiven Tatbestands zu verneinen. Es kann daher auch nicht, durch Bejahung eines „Erfolgsvorsatzes“ die Versuchstrafbarkeit bejaht werden15. Deswegen ist das Problem des Irrtums über den Kausalverlaufs ein „Scheinproblem“. Natürlich ist es logisch denkbar, dass ein adäquater Kausalzusammenhang vorhanden ist, aber vom Täter nicht erkannt wird. Aber in diesem Fall fehlt es an einem Vollendungsvorsatz, weil der Täter etwas erreichen wollte, von dem allgemein geglaubt wird, dass es auf die vom Täter gewählte Weise nicht erreicht werden kann. Wenn der Täter z. B. glaubt, dass das Opfer stirbt, wenn er dessen Daumen mit einer Nadel verletzt, wird der Vollendungsvorsatz des Täters und sogar sein Versuchsvorsatz, wenn es einen solchen überhaupt gibt, verneint. c) Dolus generalis aa) Problematik der Fallkonstellation und Lösung durch die Lehre vom „dolus generalis“ Ein typisches Beispiel für eine Fallkonstellation, die heute weitgehend im Zusammenhang mit dem Begriff des „dolus generalis“ diskutiert wird, ist der Fall, in dem der Täter mit Tötungsvorsatz mit einem Hammer mehrmals auf einen anderen eingeschlagen hat. Gemäß seiner Planung warf der Täter anschließend den vermeintlichen Leichnam ins Wasser. Tatsächlich ist das Opfer dann erst im Wasser durch Ertrinken gestorben. Die erste, mit Tötungsvorsatz vorgenommene Handlung hat an sich keinen Tötungserfolg mit sich gebracht. Den Todeserfolg objektiv verursacht hat erst die zweite Handlung, die subjektiv nur die Aussetzung eines Leichnams (§ 191 StGB) darstellt. Diese Art von dolus-generalis-Fall16 stellt eine Kombination einer vorsätzlichen (erster Akt) und einer fahrlässigen 15 Vgl. Yamanaka, Von dem Irrtum über den Kausalverlauf und der Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs, in: Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 160 ff. 16 Yamanaka, Ein Beitrag zum Problem des sog. „dolus generalis“, in: Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 181 ff.
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K. Vorsatz und Irrtum
Tat (zweiter Akt) dar. Weber, der sich Mitte des 19. Jahrhunderts um eine Lösung dieses Falles bemühte, hat bei diesem Fall zwischen zwei speziellen Vorsätzen, die sich jeweils auf eine der beiden Handlungen beziehen, und einem generellen Vorsatz, der beide Handlungen überbrückt, unterschieden17. Wegen diesem von Weber postulierten „generellen Vorsatz“ bezeichnet man diese Fallkonstellation noch heute als dolus-generalis-Fall, obwohl seine Lösung über den „dolus generalis“ seit langem abgelehnt wird. In der japanischen Strafrechtswissenschaft nennt man diese Fallkonstellation einen „Weberschen Fall von dolus generalis“, um sie von den nicht umstrittenen Fällen eines „dolus generalis“ zu unterscheiden. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn sich die Handlung des Täters gegen mehrere unbestimmte Personen richtet, etwa wenn der Täter eine Bombe mit Zeitzünder in einem Bahnhofsschließfach deponiert. Auch bei diesem Fall handelt es sich um einen Irrtum über den Kausalverlauf, da der Täter den Kausalzusammenhang zwischen seiner Handlung und dem bei einer bestimmten Person eingetretenen Erfolg nicht kennt. Daher entscheidet man auch diesen Fall nach dem Kriterium, ob der Irrtum innerhalb einer adäquaten Abweichung bleibt. bb) Lösung in der japanischen Judikatur Aus der Rechtsprechung18 ist ein Beispiel zu nennen: Der Täter hat mit bedingtem Tötungsvorsatz seine Hand kräftig gegen den Hals seiner Frau geschlagen, wodurch diese bewusstlos wurde. Der Täter hat sie dann mit seinem Wagen zu einem Fluss transportiert und dort ins Wasser geworfen. Dabei hat er geglaubt, die Frau bereits mit dem ersten Schlag getötet zu haben. Die Frau ist aber erst in dem Fluss ertrunken. Bei diesem Fall hat das LG eine Vollendung der Tat wie folgt begründet: Da der Täter „geglaubt hat, dass das Opfer gestorben sei, ist die Erwartung gerechtfertigt, der Täter werde das Opfer in einen Wald oder an einen Sandstrand bringen oder ins Wasser werfen, um die Entdeckung der Tat zu verhindern. Dass ein solcher Verlauf für den Täter voraussehbar war, kann als selbstverständlich angesehen werden“. Hier hat das LG als Ergebnis den „strafrechtlichen Kausalzusammenhang“, also den adäquaten Kausalzusammenhang verneint und damit das Problem zu Recht auf der Ebene der objektiven Zurechnung gelöst. Die herrschende Meinung verneint bei diesem Fall wohl den Tötungsvorsatz. Genauer gesagt, wird der Vorsatz als „Vollendungsvorsatz“ verneint, weil es absurd wäre, wenn der Tötungsvorsatz insgesamt verneint würde und nur eine fahrlässige Tötung angenommen würde. Aber der beim Versuch vorliegende Vorsatz beschränkt sich nicht auf den Versuchsbereich, sondern reicht bis zum vorgestellten objektiven Erfolgseintritt; er ist also ein sog. „überschießendes subjektives Merkmal“. 17 Vgl. von Weber, Ueber die verschiedenen Arten des Dolus, in: Archiv des Criminalrechts Bd. 7, 1825, S. 549 ff.; vgl. dazu Yamanaka, Strafrechtsdogmatik in der japanischen Risikogesellschaft, S. 183 ff. 18 Urteil des LG Sapporo v. 28. 3. 2002, LEX/DB.
II. Irrtumslehre
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cc) Lösungen im Schrifttum In der japanischen Strafrechtswissenschaft werden verschiedene Theorien zur Lösung der Weberschen Fälle des dolus generalis vertreten: Früher wurde eine Theorie vertreten, die das Vorliegen einer einheitlichen Tat mit einem dolus generalis bejahte19. Die heutige herrschende Meinung ist die Theorie des Irrtums über den Kausalverlauf. Diese Theorie wurde schon oben kritisiert. Als eine Variante der Theorie des Irrtums über den Kausalverlauf ist die Theorie zu nennen, die diese mit der Theorie des dolus generalis kombiniert. Nach dieser Kombinationstheorie „sind die erste und die zweite Tat des Täters als eine Tat, die mit einem Vorsatz begangen wurde, zu bewerten“, wenn der Irrtum über den Kausalverlauf nicht wesentlich ist. Diese Theorie sieht im Ergebnis die Taten, die vom Vorsatz des ersten Aktes umfasst werden, als einheitliche Tat an. Wenn der Vorsatz also bei einer solchen einheitlichen Tat wenigstens in einem Teil der Tat vorliegt, erstreckt er sich nach dieser Theorie auf die gesamte Tat. Weiterhin gibt es eine Theorie, die von einer Kombination aus Versuch und Fahrlässigkeitsdelikt ausgeht. Der Ausgangspunkt dieser Theorie ist, dass bei den fraglichen dolus-generalis-Fällen keine einheitliche Tat vorliegt und es nicht möglich ist, die Theorie des Irrtums über den Kausalverlauf auf diese Fallkonstellation anzuwenden. Diese Theorie vertritt ohne Grund, dass die eigene zweite fahrlässige Tat ein dazwischentretender Umstand sei. dd) Eigene Lösung Meiner Auffassung nach liegt die richtige Lösung dieser Fälle in der Anwendung der Lehre von der objektiven Zurechnung. Es muss geprüft werden, ob durch den ersten Akt objektiv eine Gefahr geschaffen wurde, die sich im zweiten Akt verwirklicht hat. Dabei spielt der Motivationszusammenhang des Täters zum zweiten Akt, ob ihn z. B. der Täter schon von Anfang an geplant hat, eine Rolle. d) Vorzeitiger Erfolgseintritt Ebenfalls problematisch ist der gegenüber dem zuvor besprochenen Fall umgekehrte Fall, in dem der Täter mit dem ersten Akt unvorsätzlich den Erfolgseintritt verursacht hat, obwohl er den Erfolg erst mit seinem zweiten Akt verwirklichen wollte20. Als Beispiel kann ein Fall des OGH genannt werden, der sog. Chloroform-Fall21. 19
Tadashi Uematsu, AT, S. 260. dieser Fallgruppe gehören auch die Fälle, in denen der Täter plant, seine Tat durch mehrere Tathandlungen herbeizuführen, der Erfolg aber tatsächlich bereits eintritt, bevor er den von ihm vorgesehenen letzten Teilakt realisiert. Dazu vgl. Kurt Schmoller, Ratenweiser Giftmord mit vorzeitigem Todeseintritt, in: FS Yamanaka, S. 197 ff. 21 Beschluss des OGH v. 22. 3. 2004, Keishu Bd. 58, H. 3, S. 187. 20 Zu
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aa) Chloroform-Fall Die Angeklagte A wollte ihren Mann unter Vortäuschung eines Unfalls töten, um an die Leistung aus dessen Lebensversicherung zu gelangen. Mit der Tötung beauftragte sie B, der den Auftrag seinerseits an drei weitere Personen weitergab. Diese drei haben gemäß ihrem zuvor verabredeten Plan ein mit einer großen Menge Chloroform durchtränktes Handtuch an die Nase des Opfers gedrückt und dieses damit bewusstlos gemacht. Das Opfer hätte bereits dadurch sterben können. Die drei haben das Opfer dann zum 2 km entfernt liegenden Hafen transportiert und dann B angerufen. Alle vier haben anschließend das Opfer in dessen Wagen platziert und diesen vom Kai ins Wasser gestoßen. Ob der Täter durch die erste Handlung (Chloroform) oder durch die zweite Handlung (ins Wasser Stoßen) starb, war jedoch nicht nachweisbar. Was feststand war, dass die Angeklagten davon ausgingen, dass das Opfer durch die erste Handlung noch nicht gestorben war. Daher musste in dubio pro reo unterstellt werden, dass das Opfer bereits durch die erste Handlung getötet wurde, denn wenn es erst durch die zweite Handlung gestorben wäre, hätte eine vollendete vorsätzliche Tötung unproblematisch vorgelegen. Der OGH ging im Ergebnis von einer vorsätzlich vollendeten Tötung aus, indem er das gesamte Geschehen als eine einheitliche vom Tötungsvorsatz umfasste Tötungshandlung ansah. Wenn man den ersten Akt objektiv betrachte, lasse sich erkennen, dass die Gefahr, dass diese Handlung zum Tode des A führen könnte, ziemlich hoch gewesen sei. Es habe keine besonderen Umstände gegeben, die die weitere Ausführung des Plans hätten verhindern können, wenn der erste Akt erwartungsgemäß abgelaufen wäre, d. h. das Opfer nur bewusstlos geworden wäre. Zwischen beiden Akten habe daher eine enge zeitliche und örtliche Verbindung bestanden. Dementsprechend meinte der OGH: „Der erste Akt war unentbehrlich, um den zweiten Akt einfach und sicher durchführen zu können“. Wenn man den Fall unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte aus der Perspektive des Beginns der Ausführung des Plans betrachte, lasse sich eine objektive Lebensgefahr für das Opfer schon zu diesem Zeitpunkt erkennen. Deswegen sei es angemessen, wenn der Beginn des Tötungsdelikts schon im Beginn der Tatausführung gesehen werde. Die Täter hätten von der Betäubung des Opfers mit Chloroform bis hin zum Hineinstoßen des Wagens ins Meer „eine Serie von Tötungshandlungen“ vorgenommen. Unerheblich sei es, dass entgegen ihrer Planung der Erfolg möglicherweise schon durch die erste Handlung eingetreten sei und das Opfer schon vor Vornahme der zweiten Handlung gestorben sei. Daher sei auch bei der ersten, zum Erfolg führenden Handlung der Tötungsvorsatz zu bejahen.
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bb) Bewertung des Beschlusses Der OGH hat die Tatausführung des Tötungsdeliktes als „eine Serie von Tötungshandlungen“ angesehen. Tatausführung kann aber nur der erste Akt sein, weil nach dem Tod des Opfers vorgenommene Handlungen objektiv gesehen keine Tatausführung mehr darstellen können. Dass die Täter den Tod des Opfers nicht bemerkt haben, ist dafür unerheblich. Der Grundgedanke des Beschlusses entspricht der oben dargestellten Kombinationstheorie. Es gibt keinen überzeugenden Grund dafür, die beiden Akte als einen einheitlichen anzusehen. Wenn der erste Akt schon als Handlung im Ausführungsstadium der Tötung anzusehen wäre, dann hinge es von der objektiven Zurechnung ab, ob wegen Vollendung oder Versuch bestraft wird. Wenn der erste Akt noch als Handlung im Vorbereitungsstadium angesehen wird, dann würde der Täter wegen Tötungsvorbereitung (§ 201) und fahrlässiger Tötung (§ 205) in Tateinheit bestraft werden.
III. Unrechtsbewusstsein und Verbotsirrtum 1. Die Bedeutung des Unrechtsbewusstseins Das Unrechtsbewusstsein ist das Bewusstsein des Täters, dass seine Tat Unrecht ist. Ob dieses Bewusstsein für das Vorliegen einer Straftat notwendig ist, wird unterschiedlich beurteilt. Das Problem des Unrechtsbewusstseins wird dabei vom Problem des Verbotsirrtums aus diskutiert. Der Verbotsirrtum stellt gewissermaßen die Kehrseite des Unrechtsbewusstseins dar, weil der Täter hier irrig annimmt, dass seine Tat nicht rechtswidrig, also kein Unrecht sei. § 38 Abs. 3 S. 1 des japanischen StGB enthält folgende Regelung: „Auch wenn der Täter das Gesetz nicht kennt, ist der Wille, eine Straftat zu begehen, dadurch nicht ausgeschlossen“. Die Auslegung dieser Vorschrift ist zwischen den verschiedenen Lehrmeinungen umstritten. Die Haupttendenz in der älteren Rechtsprechung war, dass das Unrechtsbewusstsein für die Straftat nicht notwendig ist. Nach dieser Interpretation lässt sich § 38 Abs. 3 StGB so verstehen, dass der Vorsatz nicht schon dann ausgeschlossen wird, wenn der Täter ohne Unrechtsbewusstsein handelt. Deswegen kann eine Straftat auch bei fehlendem Unrechtsbewusstsein des Täters bejaht werden. Die neuere Rechtsprechung und die herrschende Meinung in der Wissenschaft legen die Vorschrift so aus, dass das Unrechtsbewusstsein (oder wenigstens das potentielle Unrechtsbewusstsein) für die Straftat irgendwie notwendig ist. 2. Die Theorien über das Unrechtsbewusstsein Die Hauptpunkte der Streitigkeit liegen in der Frage, ob das Unrechtsbewusstsein ein Merkmal der „Schuld“ oder des „Vorsatzes“ ist, und in der Frage, ob das
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Unrechtsbewusstsein „real“ bzw. „aktuell“ vorhanden sein muss oder das „potentielle“ Unrechtsbewusstsein, d. h. die Möglichkeit für den Täter, Einsicht in das Unrecht der Tat zu gewinnen, ausreichend ist. Durch die verschiedenen Kombinationen in den Antworten auf diese Hauptfragen lassen sich folgende Theorien unterscheiden: a) Entbehrlichkeitstheorie Diese von der Rechtsprechung vor dem Zweiten Weltkrieg vertretene Meinung22 folgt dem alten Sprichwort „ignorantia juris nocet“. Dieser Gedanken stammt aus der alten autoritären Rechtsanschauung, nach der die Untertanen das Gesetz nicht zu kennen brauchen, sondern ihm nur folgen müssen. Diese Theorie passt nicht zu einem modernen demokratischen Staat. Neuerdings wird eine Variante dieser Entbehrlichkeitstheorie vertreten, nach der sich der „materielle Vorsatz“ auf das Unrechtsbewusstsein erstrecken muss23. Nach dieser Lehre ist der Vorsatz nicht formell als „Kenntnis des die Straftat begründenden Sachverhalts“ zu verstehen, sondern materiell als „Kenntnis des der Straftat zugrundeliegenden Sachverhalts, der den Vorsatzvorwurf ermöglicht“. Inhalt des Vorsatzes ist die „Kenntnis des Sachverhalts, aus dem im Allgemeinen die Rechtswidrigkeit des einschlägigen Verhaltens erkennbar wird“. Wenn dem gefolgt wird, dann schließt der Vorsatz hinsichtlich der maßgeblichen Tatsachen die Möglichkeit des Unrechtsbewusstseins ein. Die Möglichkeit des Unrechtsbewusstseins muss daher nicht mehr gesondert geprüft werden. Als Kritik gegen diese Theorie lässt sich vorbringen, dass sie die Appellfunktion des Tatbestandvorsatzes und die Möglichkeit des Unrechtsbew usstseins miteinander vermengt. Die sog. Appellfunktion des Vorsatzes ist letztlich nur die durch den Tatbestandsvorsatz begründete Vermutung des Vorliegens des Unrechtsbewusstseins. Wenn z. B. ein Autofahrer erkennt, dass die Ampel vor ihm rot ist, und trotzdem die Kreuzung mit seinem Auto überquert, führt dies zu der Vermutung, er habe mit Unrechtsbewusstsein gehandelt. Ist der Autofahrer aber ein Ausländer, der aus einem Land kommt, nach dessen Verkehrsordnung eine rote Ampel nur empfehlenden Charakter hat, und der in Japan mit einem internationalen Führerschein fährt, ist ein Unrechtsbewusstsein zu verneinen. Wenn dieser Autofahrer dazu noch dahingehend falsch informiert worden ist, dass die japanische Verkehrsordnung mit der in seinem Land nahezu identisch sei, dann dürfte auch die Möglichkeit des Unrechtsbewusstseins nicht gegeben sein. Das hat mit dem Tatbestandsvorsatz oder dessen Appellfunktion nichts zu tun. 22 Urteil des RG v. 25. 4. 1924, Keishu Bd. 3, S. 364 usw. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist auch der OGH eine Zeitlang dieser Meinung gefolgt (Urteil des OGH 14. 7. 1946, Keishu Bd. 2, H. 8, S. 889; Urteil des OGH v. 30. 1. 1951, Keishu Bd. 5, H. 2, S. 374). 23 Masahide Maeda, AT, 5. Aufl., 2011, S. 238, 243 ff.
III. Unrechtsbewusstsein und Verbotsirrtum
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b) Strenge Vorsatztheorie Diese Theorie sieht das Unrechtsbewusstsein als ein Merkmal des Vorsatzes an. Nach dieser Theorie ist für den Vorsatz das reale (aktuelle) Unrechtsbewusstsein notwendig. Ein Verbotsirrtum schließt den Vorsatz aus. In diesem Fall lässt sich eine Fahrlässigkeitstat bejahen, wenn die fahrlässige Begehung strafbar ist. Nach dieser Theorie hat § 38 Abs. 3 StGB nur mittelbar mit dem „Unrechtsbewusstsein“ zu tun. Mit „Gesetz“ ist in § 38 Abs. 3 StGB nur der „Gesetzestext“, nicht das „Recht“ insgesamt gemeint. Deswegen regelt § 38 Abs. 3 StGB nach dieser Auffassung nur, dass ein Subsumtionsirrtum (oder die Unkenntnis des Gesetzes) den Vorsatz nicht ausschließen kann. Diese Theorie kann aber nicht erklären, warum nach § 38 Abs. 3 S. 2 StGB die Strafe nach den Umständen gemildert werden kann. c) Eingeschränkte Vorsatztheorie Nach dieser Theorie setzt der Vorsatz nicht notwendig das reale („aktuelle“) Unrechtsbewusstsein voraus, sondern es genügt, wenn das potentielle Unrechtsbewusstsein vorhanden ist. Demnach schließt ein Verbotsirrtum nicht immer den Vorsatz aus, sondern nur dann, wenn er unvermeidbar war. Diese Theorie wurde vor allem in Verbindung mit der „Persönlichkeitsschuldtheorie“ von Dando24 vertreten. Das Wesen der Vorsatzschuld liege in der „unmittelbaren Normwidrigkeit der Verhaltensweisen, die der Persönlichkeit entspringt“25, nicht in dem „Willen zur bewussten Verletzung einer Norm“. § 38 Abs. 3 StGB ist nach dieser Auffassung so zu verstehen, dass das Entstehen des Vorsatzes verhindert wird, wenn der Täter den „Gesetzestext“ nicht kennt. Die Kritik gegen diese Theorie richtet sich dagegen, dass Dando den Vorsatz mit Fahrlässigkeitselementen vermischt. Die „Möglichkeit des Erkennens“ (Fahrlässigkeit) und das „Erkennen der Möglichkeit“ (Vorsatz) sind widersprüchliche Elemente, die nicht in einem Merkmal zusammengefasst werden können. d) Schuldtheorie Die Schuldtheorie ist der Meinung, dass das potentielle Unrechtsbewusstsein ein Schuldelement ist, das vom Vorsatz getrennt ist. Deswegen soll ein Irrtum über das Verbotensein nicht den Vorsatz ausschließen, sondern allenfalls die Schuld. Beiden Varianten der Schuldtheorie, der „strengen“ wie auch der „eingeschränkten“, ist jedenfalls gemeinsam, dass das fehlende Unrechtsbewusstsein 24
Dando, AT, S. 316 ff. der Irrtum etwa aus einer gegenüber Normen unsorgfältigen Persönlichkeit des Täters entsteht, könnte er nach der Persönlichkeitstheorie von Dando schon als schuldhaft vorgeworfen werden. Dando, AT, S. 316 f. 25 Wenn
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nur dann die Schuld ausschließt, wenn der Verbotsirrtum für den Täter unvermeidbar war. Die „strenge Schuldtheorie“ sieht auch den Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes als Verbotsirrtum an. Die „eingeschränkte Schuldtheorie“ sieht einen solchen Irrtum dagegen als Tatsachenirrtum an. Nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen ist dieser Irrtum ein Tatbestandsirrtum, der den Tatbestandsvorsatz ausschließt. Nach der Lehre, die einen Schuldvorsatz bejaht, schließt der Irrtum über rechtfertigende Umstände den Vorsatz auf der Ebene der Schuld aus. Da der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes aber unbestreitbar ein Irrtum über „Tatsachen“ und ein „Verbotsirrtum“ ein Irrtum über die „Bewertung“ von Tatsachen ist, ist die eingeschränkte Theorie zu unterstützen. 3. Rechtsprechung Die Rechtsprechung des RG folgte in der Frage der Bedeutung des Unrechtsbewusstseins für das Vorliegen einer Straftat überwiegend der Entbehrlichkeitstheorie. Aber es gab schon damals einige Entscheidungen, in denen der Vorsatz verneint wurde, wenn es einen „adäquaten Grund“ für den Verbotsirrtum gab. Diese Tendenz setzte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Untergerichten fort. Etwa gegen Ende der 1970er Jahre scheint der OGH die Auffassung vertreten zu haben, dass ein auf einem „adäquaten Grund“ beruhender Verbots irrtum das Zustandekommen einer Straftat verhindert26. Allerdings findet sich in der Rechtsprechung des OGH seitdem keine Entscheidung mehr, in der klar ausgesprochen wird, dass es eines „adäquaten Grundes“ für den Verbotsirrtum bedarf, um die Straftat zu verneinen 27. Hier ist auf einen Beschluss des OGH von 1987 einzugehen, den sog. „Hundert-Yen-Schein-Imitations-Fall“:28 Die Angeklagten A und B haben sog. „Servus-Karten“ (Gutscheinkarten) hergestellt, die zum Zweck der Werbung für ein Restaurant verteilt werden sollten. Die Vorderseite dieser Karten ähnelte einem Hundert-Yen-Schein, auf der Rückseite war der Werbetext abgedruckt. Die Angeklagten haben durch den Druck dieser Karten objektiv gegen das „Gesetz gegen die Nachahmung von Geld und Wertpapieren“29 (1895, Gesetz-Nr. 28) verstoßen, das die Herstellung von Sachen verbietet, „deren Aussehen, leicht mit Geld (usw.) 26 Urteil des OGH v. 29. 6. 1978, Keishu Bd. 32, H. 4, S. 967; Beschluss des OGH v. 16. 7. 1987, Keishu Bd. 41, H. 5, S. 237. 27 Beschluss des OGH v. 27. 2. 2006, Keishu Bd. 60, H. 2, S. 253. 28 Vgl. oben den zitierten Beschluss des OGH v. 16. 7. 1987, Keishu Bd. 41, H. 5, S. 237. 29 Der Unterschied zwischen „Geldfälschung“ (§ 148 Abs. 1 StGB) und „Nachahmung“ (§ 1 „Nachahmungs-Kontrollgesetz) liegt vor allem darin, dass bei der letzten nicht „die mit dem echten Geld zu verkennenden Sache“, sondern „die mit dem echten Geld leicht zu
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zu verwechseln ist“. Die Angeklagten haben einen ihnen bekannten Polizisten um Rat gefragt, ob die Herstellung der Servus-Karten gesetzlich problemlos sei. Obwohl ihnen der Polizist den Rat gegeben hat, die Scheine etwas größer zu machen oder mit dem Schriftzug „Muster“ zu versehen, haben sie diese Maßnahme nicht getroffen und die Scheine in ihrer ursprünglich geplanten Form gedruckt. Nach dem Beschluss des OGH hatte das Fehlen des Unrechtsbewusstseins in diesem Fall keinen „adäquaten Grund“. 4. Unterscheidung zwischen Tatsachenirrtum und Verbotsirrtum a) Der Sinn der Unterscheidung beider Irrtümer Tatsachenirrtümer, zu denen (außer nach Ansicht der strengen Schuldtheorie) auch Erlaubnistatbestandsirrtümer gehören, schließen den Vorsatz aus. Dagegen schließen Verbotsirrtümer ihn nur dann aus, wenn sie unvermeidbar sind. Dies wird auch durch die alte Rechtsregel „Error juris nocet, error facti non nocet“ ausgedrückt. Deswegen ist es wichtig, beide Irrtümer im konkreten Fall klar unterscheiden zu können. Eine solche Unterscheidung wird dadurch erschwert, dass es zwischen natürlichen Tatsachen und normativer Bewertung verschiedene Zwischenzonen gibt. b) Das Spektrum der Irrtümer Das Spektrum der Irrtümer erstreckt sich von (1) den natürlichen Tatsachen über (2) deren soziale Bedeutung (normative Tatsachen) und (3) normative Bewertung bis zu (4) den rechtlichen Begriffen (Gesetzessubsumtion): Beim Irrtum über eine natürliche Tatsache besteht eine einfache Diskrepanz zwischen objektiver Tatsache und subjektiv wahrgenommener Tatsache. Beispielsweise gehört die Verwechselung von „Hund“ und „Mensch“ zu diesem Irrtum. Bei einem Irrtum über die soziale Bedeutung fehlt dem Täter das Verständnis des sozialen Sinns von Sachen oder Institutionen. Wenn ein Mann aus einem von jeder höheren Kultur isolierten primitiven Dorf zum ersten Mal ein Ölgemälde mit dem Motiv einer Sandwüste sieht, versteht er es nicht als künstlerische Imita tion der Sandwüste, sondern sieht bloß einen mit Farbe bemalten Gegenstand. Er kann den sozialen Sinn der Sache nicht verstehen. Eine „unzüchtige Schrift, Abbildung“ oder „sonstige Sache“, die nach § 175 StGB Gegenstand des Verbotes der Pornographie ist, muss auch mit „Kenntnis ihres sozialen Sinnes“ wahrgenommen werden. Deswegen ist eine pornographische Schrift, die auf Arabisch verwechselnde ähnliche Sache“ hergestellt werden muss. Bei der „Nachahmung“ bedarf es zudem keiner Gebrauchsabsicht.
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geschrieben wurde, für denjenigen, der kein Arabisch versteht, keine „unzüchtige Schrift“. Zum Irrtum über normative Tatsachen gehören Tatbestandsmerkmale wie „fremd” (z. B. beim Diebstahl, § 235 StGB), „Beamter“ (§ 95 StGB) oder „Geschäft ohne Erlaubnis“ (§ 8 Abs. 1 Gesetz über öffentliche Badeanstalten) usw. Der Irrtum über die normative Bewertung ist der Irrtum des Täters über die Bewertung seiner Tat als rechtswidrig, er entspricht deswegen dem Verbotsirrtum. Folgende Irrtümer gehören zu dieser Kategorie: (1) Der Irrtum über das Vorhandensein einer Verbotsnorm, bei dem der Täter z. B. nicht weiß, dass es einen Straftatbestand gibt, der sein Verhalten verbietet. (2) Der Irrtum über das Vorhandensein der Erlaubnisnorm, bei dem der Täter z. B. irrig annimmt, dass es einen Rechtfertigungsgrund gibt, der sein Verhalten erlaubt. (3) Der Irrtum über die Gültigkeit der Norm, bei dem der Täter an die Ungültigkeit einer gültigen Verbortsnorm (oder an die Gültigkeit einer ungültigen Erlaubnisnorm) glaubt. Der Irrtum über einen rechtlichen Begriff liegt vor, wenn der Täter trotz eines vorhandenen Verständnisses des sozialen Sinns des Gesetzestextes über dessen sprachliche Bedeutung irrt. Etwa, wenn der Täter einen fremden Vogel aus dessen Käfig befreit und fliegen lässt und seine Handlung dabei als unerlaubte Befreiung eines fremden Tieres versteht, ohne sich das Vorliegen einer „Sachbeschädigung“ (§ 261 StGB) vorgestellt zu haben. Dieser Irrtum ist daher nur ein Subsumtionsirrtum. Bei diesem Irrtum wird meistens weder der Vorsatz noch die Schuld ausgeschlossen. Bei einem Irrtum über einen rechtlichen Begriff kann der Vorsatz oder die Schuld ausgeschlossen sein.
L. Fahrlässigkeitsdogmatik I. Fahrlässigkeitsdelikte im japanischen StGB 1. Definition § 38 StGB lautet: „Eine Handlung, bei der es am Willen, eine Straftat zu begehen, mangelt, ist nicht strafbar. Das gilt jedoch nicht, wenn das Gesetz in einer besonderen Vorschrift eine abweichende Regelung trifft“. Mit abweichenden Regelungen sind die Fahrlässigkeitsdelikte gemeint, bei denen der Wille, eine Straftat zu begehen, fehlt. Nur bei den wichtigsten Vorsatzdelikten des StGB gibt es auch ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt, in den Nebenstrafgesetzen finden sich weitere Fahrlässigkeitsdelikte. Das Strafgesetzbuch kennt bezüglich der Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit drei Fahrlässigkeitsdelikte: einfache fahrlässige Tötung (§ 210 StGB) und einfache fahrlässige Körperverletzung (§ 209 StGB), fahrlässige Tötung oder Körperverletzung bei Geschäftstätigkeit1 (§ 211 S. 1 StGB) und schwere fahrlässige Tötung oder Körperverletzung (§ 211 S. 2 StGB). „Schwere Fahrlässigkeit“ (culpa lata) ist als Verletzung einer „hohen Sorgfaltspflicht“ zu verstehen. Aus welchem Grund eine Fahrlässigkeitstat bei Geschäftstätigkeit schwerer bestraft werden soll, ist umstritten: Eine Theorie vertritt, dass demjenigen, der eine Geschäftstätigkeit ausübt, hohe Sorgfaltspflichten auferlegt werden. Nach einer anderen Theorie wiegt der Handlungsunwert einer Tat während der Ausübung einer Geschäftstätigkeit schwerer. Eine Geschäftstätigkeit wird ausgelegt als eine menschliche Tätigkeit, die durch jemanden in einer bestimmten gesellschaftlichen Stellung dauernd und/ oder wiederholt ausgeführt wird. Der Begriff der „Geschäftstätigkeit“ wird dabei sehr weit verstanden. „Fahrlässigkeit bei Geschäftstätigkeit“ wird beispielsweise bejaht, wenn ein Student, der mit seinem Auto zur Universität fährt, um dort eine Vorlesung zu besuchen, auf dem Weg einen anderen Verkehrsteilnehmer tödlich verletzt. 2. Arten der Fahrlässigkeit Bei der Fahrlässigkeit lässt sich zwischen „bewusster Fahrlässigkeit“ und „unbewusster Fahrlässigkeit“ differenzieren. Bei „bewusster Fahrlässigkeit“ erkennt der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts, während es bei der „unbewussten 1 § 211 S. 1 StGB regelt: „Wer mangels der erforderlichen Sorgfalt bei einer Geschäftstätigkeit den Tod oder die Körperverletzung eines anderen verursacht“, wird bestraft.
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Fahrlässigkeit“ an dieser Erkenntnis fehlt. Bei der unbewussten Fahrlässigkeit fehlt es nach herrschender Meinung an einer Billigung des Erfolgs oder an dessen Inkaufnahme. Meiner Meinung nach fehlt es hier anders als beim dolus eventualis am Verwirklichungswillen hinsichtlich des Erfolgs. 3. Täterschaft und Teilnahme bei den Fahrlässigkeitsdelikten Hinsichtlich der Frage nach der Beteiligung mehrerer wird von der herrschenden Meinung in Japan bei Fahrlässigkeitsdelikten nur die Möglichkeit einer „fahrlässigen Mittäterschaft“ bejaht. Die Möglichkeit einer fahrlässigen Anstiftung oder Beihilfe wird im Allgemeinen verneint. Es gibt aber eine Mindermeinung, die die Strafbarkeit einer fahrlässigen Teilnahme bejaht. Diese Auffassung ist aber abzulehnen. Da das StGB in § 38 Abs. 1 die Regelung trifft, dass auch eine täterschaftliche Begehung einer Fahrlässigkeitstat nur ausnahmsweise strafbar ist, ist für deren Bestrafung eine Sondervorschrift erforderlich. Dies muss dann erst recht für die Teilnahme an einer Fahrlässigkeitstat gelten. Eine Vorschrift, die die Teilnahme an einer Fahrlässigkeitstat unter Straft stellt, ist aber nicht vorhanden. Wenn das Fahrlässigkeitsmerkmal, unabhängig davon, auf welcher Ebene im Straftatsaufbau es eingeordnet wird, in Betracht kommt, sollte schon auf der Tatbestandsebene der Anfang der „Tatausführung“ geprüft werden.2 Als Anfang der Tatausführung muss bei den Fahrlässigkeitsdelikten der Zeitpunkt des substanziellen, unerlaubten Schaffens einer Gefahr des Erfolgseintritts angesehen werden. Anders als bei Vorsatzdelikten braucht es für die Bejahung der „Täterschaft“ bei Fahrlässigkeitsdelikten keine „Tatherrschaft“. Deswegen ist bei einem fahrlässigen Täter dessen Täterschaft nicht zu verneinen, wenn „normative Hindernisse“ zwischen Tat und Erfolgseintritt treten. Dies gilt vor allem für eine fahrlässige (oder eventuell sogar vorsätzliche) Tat eines Dritten, die zwischen die fahrlässige Tat des Täters und den Erfolgseintritt tritt. Der fahrlässig Handelnde ist solange als Täter anzusehen, wie die objektive Zurechnung nicht verneint wird. Wenn z. B. ein Koch unter Verstoß gegen Sorgfaltspflichten ein giftiges Essen zubereitet und eine Kellnerin dieses sorgfaltspflichtwidrig – etwa, indem sie deutliche Anzeichen der Giftigkeit des Essens ignoriert – den Gästen serviert, haben beide – falls Gäste an dem Essen sterben – eine fahrlässige Tötung begangen.
2 Es ist auch ersichtlich, weshalb die Fahrlässigkeit nach der klassischen Fahrlässigkeitstheorie erst auf der Schuldebene auftaucht. Weil die Handlung, die in der Schuldebene als fahrlässig bewertet wird, schon tatbestandsmäßig sein muss.
II. Fahrlässigkeitstheorien
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II. Fahrlässigkeitstheorien 1. Das Wesen der Fahrlässigkeitsdelikte Das Wesen der Fahrlässigkeit liegt in der Sorgfaltspflichtwidrigkeit. Eine Sorgfaltspflicht kann unter zwei Aspekten betrachtet werden: als Pflicht, einen Erfolg vorauszusehen, und als Pflicht, einen Erfolg zu vermeiden. Zu klären ist, was der Entstehungsgrund dieser Pflichten ist. 2. Lehrmeinungen Die Fahrlässigkeit wurde früher auf der Schuldebene eingeordnet (sog. klassische Fahrlässigkeitstheorie). Auch heute gibt es noch mehrere Anhänger dieser Lehre, bei denen es sich meistens um Objektivisten handelt. Die herrschende Meinung vertritt die sog. neue Fahrlässigkeitslehre, nach der die speziellen Merkmale des Fahrlässigkeitsdeliktes bereits auf der Tatbestandsebene zu prüfen sind. Eine Variante dieser Auffassung ist die seit den 1970er Jahren vertretene „Besorgnistheorie“, nach der eine nur unbestimmte und vage Besorgnis des Täters hinsichtlich des möglichen Erfolgseintritts als für die Voraussehbarkeit genügend angesehen wird und die damit die Voraussehbarkeit in einem deutlich weiteren Sinn als andere Theorien versteht. a) Klassische Theorie Das Problem der klassischen Theorie liegt darin, dass sie bei Fahrlässigkeitsdelikten lediglich Handlung, Erfolg und Kausalität als Tatbestandsmerkmale anerkennt. Ob überhaupt Fahrlässigkeit vorliegt, wird nur auf der Schuldebene anhand des schwer zu beurteilenden Kriteriums der individuellen Sorgfaltswidrigkeit geprüft. Bei der Beurteilung der Kausalität wird die Bedingungstheorie oder die Adäquanztheorie, die einen adäquaten Kausalzusammenhang ziemlich weitgehend bejaht, vertreten. Bis zur Ebene der Rechtswidrigkeit ist daher die Reichweite der fahrlässigen Delikte sehr groß. b) Neue Fahrlässigkeitstheorie Die neue Fahrlässigkeitstheorie prüft schon auf der Ebene des Tatbestandes, ob Fahrlässigkeit vorliegt. Parallel zum Vorsatzbegriff wurde die Fahrlässigkeit zunächst auf der Schuldebene eingeordnet. Aber nachdem die Finalisten den Tatbestandsvorsatz anerkannt hatten, wurde auch die Fahrlässigkeit auf der Ebene des Tatbestandes platziert. Der Gedanke des erlaubten Risikos führte zur Verneinung der Rechtswidrigkeit der fahrlässigen Tat. Die Kriterien der Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit werden nach den Fähigkeiten eines durchschnittlichen Menschen beurteilt. Anfangs wurde diese objektive Sorgfaltspflicht der Rechts-
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widrigkeitsebene zugeordnet; wenn der Täter diese Pflicht einhält, handelt er demnach nicht rechtswidrig. Inzwischen wird die objektive Sorgfaltspflicht allerdings dem Tatbestand zugeordnet. Demzufolge ist bereits der Tatbestand nicht erfüllt, wenn der Täter die objektive Sorgfaltspflicht einhält. Innerhalb der neuen Fahrlässigkeitstheorie nimmt die „Besorgnistheorie“ eine Sonderstellung ein. Nach dieser Theorie ist bei den Fahrlässigkeitsdelikten die Erfolgsvermeidungspflicht wichtiger als die Erfolgsvoraussichtspflicht. Wie schon erwähnt, reicht es nach dieser Auffassung hinsichtlich der Vorhersehbarkeit aus, wenn der Täter eine auch nur vage Besorgnis hinsichtlich der Möglichkeit des Erfolgseintritts hat3. Sie zielt auch darauf ab, die Fahrlässigkeitshaftung führender Persönlichkeiten in Verwaltung und Industrie sicherzustellen. Die Vorhersehbarkeit des Erfolges ist demgegenüber weniger wichtig. Sie ist für die Besorgnistheorie4 lediglich ein wichtiges Indiz dafür, welche konkreten Maßnahmen vom Täter im Rahmen der Erfolgsvermeidungspflicht verlangt werden können. Ausgangspunkt für die Entwicklung der „Besorgnistheorie“ waren die Entscheidungen zum Morinaga-Trockenmilch-Fall5. Später ist die Rechtsprechung dieser Theorie aber nicht mehr gefolgt. Auch in der Wissenschaft findet sie kaum noch Anhänger. c) Modifizierte klassische Theorie Die zentrale dogmatische Aufgabe der Fahrlässigkeitslehre scheint mir dar in zu liegen, eine Tatbestandslehre der Fahrlässigkeitsdelikte zu entwickeln. Die modifizierte klassische Fahrlässigkeitslehre versucht, diesen Weg zu beschreiten. Sie ordnet den Fahrlässigkeitsbegriff zwar auf der Ebene der Schuld ein, schränkt aber die fahrlässige tatbestandsmäßige Handlung auf die „substanzielle und unerlaubte Handlung“6 ein. Eine tiefergehende Argumentation findet sich bei dieser Lehre nicht, so dass offen ist, wie ihrer Auffassung nach das Fahrlässigkeitssystem im Einzelnen aufzubauen ist.
3 Nach der Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Wissenschaft müssen „die Grundzüge des Kausalverlaufs“ zum Erfolg vorhersehbar sein. 4 Diese Theorie wurde von Hideo Fujiki (Fujiki, AT, S. 233 ff.) begründet. Über diese Theorie näher Yamanaka, Die Entwicklung der japanischen Fahrlässigkeitsdogmatik im Lichte des sozialen Wandels, in: ZStW 102 (1990), S. 352 ff.; auch in: ders., Strafrechtsdogmatik, S. 214 ff. bes. S. 220 ff. 5 Zu diesem Fall vgl. weiter unten unter IV. 1. 6 Der Autor, Hirano, sieht die „substanzielle und unerlaubte Gefahr“ als gleichbedeutend mit der objektiven Voraussehbarkeit an. Vgl. Hirano, FS für Inoue, S. 298. Meiner Meinung nach hat diese Auffassung im Endeffekt die Eigentümlichkeit, dass der Kern der Fahrlässigkeit andere Kriterien des Tatbestandes, insbesondere die objektive Zurechnung, ersetzt.
III. Entwicklung der Fahrlässigkeitsdogmatik in der Rechtsprechung
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d) Eigene Auffassung Meine Lehre steht auf der gleichen Grundlage wie die modifizierte klassische Theorie. Aber meiner Auffassung nach sollte die Einschränkung der tatbestandsmäßigen Handlung über die Lehre von der objektiven Zurechnung erfolgen. Der „substanziellen und unerlaubten Gefahr“ der modifizierten klassischen Theorie entspricht die „rechtlich missbilligte unerlaubte Risikoschaffung“ der Lehre von der objektiven Zurechnung. Dazu sollte noch der Gesichtspunkt der „Risikoverwirklichung“ herangezogen werden. Die Lehre von der objektiven Zurechnung lässt sich also durch den objektiven Fahrlässigkeitsbegriff ersetzen7. Der Fahrlässigkeitsbegriff mit der Erfolgsvoraussichts- und Erfolgsvermeidungspflicht als Kernpunkte bleibt auf der Ebene der Schuld eingeordnet. Hier geht es um die individuelle Sorgfaltsfähigkeit.
III. Entwicklung der Fahrlässigkeitsdogmatik in der Rechtsprechung Die Dogmatik zu den Fahrlässigkeitsdelikten entwickelte sich in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem durch die juristische Aufarbeitung aufgetretener Katastrophen und Unglücksfälle8. Die verschiedenen Typen von Katastrophen und Unglücksfällen entsprechen den Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft. Wenn man die Unfälle nach ihren charakteristischen Zügen differenziert, lässt sich die Epoche dreiteilen: Auf die Ära der Eisenbahnunfälle folgte die Ära der Straßenverkehrsunfälle und die Ära der Katastrophen in den Großstädten (dazu gehören auch Brandkatastrophen), der Lebensmittelvergiftungs- und Umweltkatastrophen9. Zu nennen sind hier vor allem die Fälle, die auf mangelhafte Produkte, insbesondere Arzneimittel und Lebensmittel, zurückzuführen sind. Diese können in ganz verschiedenen Fallkonstellationen auftreten, wie etwa die unterlassene Rücknahme von mangelhaften Produkten oder die mangelhafte Herstellung durch Organisationsfehler.
7 Ausführlich
dazu vgl. Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 228 ff. Vgl. auch Roxin, Strafrecht, AT, Bd. 1, 4. Aufl., § 24, Rn. 10. 8 Yamanaka, Kurzer Rückblick zu den Fahrlässigkeitsdelikten anhand der Rechtsprechung in Japan, in: Gunnar Duttge/Makoto Tadaki (Hrsg.), 2015, S. 25 ff.; ders., Betrachtungen zur Fahrlässigkeitsbestrafung anhand der Diskussionen in Japan, in: Lothar Philipps/ Rainhard Bengez (Hrsg.), Beweis und Metrik (FS Roland Wittmann), 2016, S. 69 ff. 9 In Japan haben die Eisenbahnunfälle und Straßenverkehrsunfälle seit Anfang der 1960er Jahre zugenommen. Seit den 1970er Jahren ereigneten sich einige Brand-, Gas explosions-, Lebensmittelvergiftungs- oder Umweltkatastrophenfälle. Die Ursachen scheinen eine billigere Bauweise oder Umweltverschmutzungen wegen des drastischen und allzu schnellen Wirtschaftswachst ums nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen zu sein.
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L. Fahrlässigkeitsdogmatik
1. Verkehrsunfälle Eine Herausforderung für die Fahrlässigkeitsdogmatik in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg war die steigende Anzahl von Verkehrsunfällen in den 1960er Jahren. Als der Autoverkehr noch nicht so dicht und schnell war, wurden dem Verursacher eines Verkehrsunfalls – selbst wenn man das Geschehen vom heutigen Standpunkt aus betrachtet – winzige Unachtsamkeiten vorgeworfen. Wer z. B. einen Fußgänger am Straßenrand gehen oder stehen sah, durfte nur in Schrittgeschwindigkeit an diesem vorbeifahren. In der weiteren Entwicklung des Autoverkehrs ist diese Verhaltensnorm zu einem Hindernis für den schnellen und reibungslosen Verkehr geworden. Aus dieser Situation heraus entstand der Gedanke des „erlaubten Risikos“. Wenn die bisherigen Kriterien für Fahrlässigkeit weiter verwendet worden wären, hätten viele Fahrer schwer bestraft werden müssen. In der Praxis gab es vermehrt Entscheidungen, in denen durch Anwendung des „Vertrauensprinzips“ die Fahrlässigkeit verneint wurde. Nach dem Vertrauensgrundsatz trifft einen Fahrer, der auf die verkehrsrichtige Verhaltensweise der anderen Verkehrsteilnehmer vertraut, kein Fahrlässigkeitsvorwurf, wenn die Körperverletzungs- oder Tötungsfolge durch das unangemessene Verhalten des Opfers verursacht worden ist. Der OGH hat 1966 durch die erstmalige Anwendung des Vertrauensgrundsatzes in einem Fall, in dem ein betrunkener Fahrgast vom Bahnsteig gefallen war, die Verantwortlichkeit eines Bahnhofsangestellten verneint10. Etwa sechs Monate später hat der OGH das Prinzip auf einen Verkehrsunfall angewendet11. Bei diesem Fall ist der Fahrer A, der an einer Kreuzung nach rechts abbiegen wollte, mit seinem Fahrzeug auf einen Motorradfahrer B, der den Wagen des A verkehrswidrig rechts überholen wollte, aufgeprallt, wodurch B verletzt wurde. 2. Behandlungsfehler Der Vertrauensgrundsatz wurde dann auch auf Fehler des behandelnden Teams bei medizinischen Behandlungen12 angewandt. Als Beispiel kann der Hokkaido-Uniklinik-Fall13 genannt werden, dessen Sachverhalt sich vereinfacht wie folgt darstellt: Bei der Operation eines Kleinkinds benutzte der operierende Arzt ein elektronisches Skalpell. Der Anschluss des Skalpells an das Stromnetz oblag einer Krankenschwester. Beim Anschluss verwechselte die Krankenschwester 10
Urteil des OGH v. 14. 6. 1966, Keishu Bd. 20, H. 5, S. 449. Urteil des OGH v. 20. 12. 1966, Keishu Bd. 20, H. 10, S. 1212. 12 Zu Behandlungsfehlern aus der Sicht der Aufklärungspflichten vgl. Yamanaka, Ärztliches Ermessen und Aufklärungspflicht in der japanischen Judikatur, in: Keiichi Yamanaka/Jörg Jehle/Frank Schorkopf (Hrsg.), Präventive Tendenzen in Staat und Gesellschaft zwischen Sicherheit und Freiheit, 2014, S. 119 ff. 13 Urteil des OG Sapporo v. 18. 3. 1976, Kokeishu Bd. 29, H. 1, S. 78. Vgl. Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 229 ff. 11
IV. Katastrophen und Unglücksfälle bei Unternehmen
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Plus- und Minuspol, wodurch es zu Verbrennungen am Bein des Kleinkindes kam. Die Krankenschwester und der Arzt wurden wegen fahrlässiger Körperverletzung bei Geschäftstätigkeit angeklagt. Das OG bejahte die Anwendung des Vertrauensgrundsatzes und verneinte eine Aufsichtsfahrlässigkeit des Arztes. Der operierende Arzt habe keine Aufsichtsposition hinsichtlich der anderen Mitglieder des Teams. Er müsse sich auf seine Aufgabe als Operateur konzentrieren. 3. Aufsichtsfahrlässigkeit Wenn mehrere Personen sich kooperativ mit einer gemeinsamen Aufgabe beschäftigen, muss die Fahrlässigkeit je nach der Rolle, die die Beteiligten in der Organisation gespielt haben, bestimmt werden. In einer Organisation werden Aufgaben meistens abgestuft nach der Stellung der Beteiligten in der Organisation verteilt. A hat z. B. eine unmittelbare Zuständigkeit für die Ausführung einer bestimmten Aufgabe, aber B muss als Vorgesetzter des A die Erfüllung der Aufgabe anweisen, kontrollieren und, wenn nötig, korrigierend eingreifen. Wenn B diese Aufgabe vernachlässigt und dadurch z. B. ein Todeserfolg bei einem anderen eintritt, begeht er eine fahrlässige Tötung. Diese Fahrlässigkeit wird als „Aufsichtsfahrlässigkeit“ bezeichnet. Sie entspricht im Charakter der Teilnahme bei den Vorsatzdelikten.
IV. Katastrophen und Unglücksfälle bei Unternehmen Im Folgenden werden die wichtigsten Entscheidungen zu den Fahrlässigkeitsdelikten bezüglich Katastrophen und Unglücksfällen bei Unternehmen dargestellt14. 1. Morinaga-Trockenmilch-Vergiftungs-Fall Der erste große Fall einer Lebensmittelvergiftung nach dem Zweiten Weltkrieg in Japan war der Morinaga-Trockenmilch-Vergiftungs-Fall15, bei dem die Morinaga Molkerei AG in ihrer Fabrik in der Präfektur Tokushima im Jahre 1955 arsenhaltiges Trockenmilchpulver produziert hatte, das bei einer Vielzahl von Säuglingen den Tod oder eine Körperverletzung verursachte16. Das Arsen war in 14 Vgl. meine Aufsätze über Fahrlässigkeitsdelikte: Yamanaka, a .a. O., in: Duttge/ Tadaki (Hrsg.), S. 25 ff.; ders., Katastrophen und Fahrlässigkeitsdelikte – Strafrechtliche Organisationshaftung, in: Rengier (Hrsg.), Die Rolle des Rechts bei der Bewältigung von Katastrophen: anhand der Rechtsprechung in Japan, S. 115 ff. 15 Urteil des LG Tokushima v. 28. 11. 1973, Keijisaiban Geppo Bd. 5, H. 11, S. 1473. Erste Instanz: LG Tokushima v. 25. 10. 1963; Zweite Instanz: OLG Takamatsu v. 31. 3. 1966; Revisionsinstanz: OGH v. 27. 2. 1969. 16 Dazu vgl. schon Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 220 ff.; ders. auch in: ZStW 102, S. 352 ff.
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das Trockenmilchpulver gelangt, weil eine Zulieferfirma anstelle des sonst üblichen Stabilisators für das Trockenmilchpulver (sog. „zweites Phosphorsäure soda“) irrtümlich ein arsenhaltiges Präparat geliefert hatte. Die Säuglinge litten unter Durchfall, Erbrechen und Fieber und bekamen dicke Bäuche und eine schwarze Haut. Die Anzahl der Opfer erreichte in ganz Japan 11.891, darunter 113 Tote und 11.778 Verletzte. Der Fabrikchef und der Produktionsleiter wurden wegen fahrlässiger Tötung bei Geschäftstätigkeit angeklagt. Nach einer Zurückverweisung durch den OGH hat die erste Instanz, das LG Tokushima, den Produktionsleiter wegen fahrlässiger Tötung bei Geschäftstätigkeit (§ 211 StGB) verurteilt, indem sie die sog. „Besorgnistheorie“17 anwandte und die Anwendung des Vertrauensgrundsatzes auf das Verhältnis zwischen der Morinaga Molkerei AG und der Zulieferfirma, die den arsenhaltigen Stabilisator geliefert hatte, ablehnte. Der Produktionsleiter habe zwar nicht direkt fahrlässig gehandelt, habe aber seine Aufsichtspflicht fahrlässig verletzt. Das LG Tokushima verurteilte schließlich den Produktionsleiter und sprach den Fabrikchef frei. In dem Urteil wurde die Vorhersehbarkeit des Erfolgs wie folgt bejaht: „Für die Vorhersehbarkeit des Erfolgs ist es ausreichend, dass man dem Täter vernünftigerweise eine Pflicht zur Erfolgsverhinderung auferlegen kann. Man braucht nicht den konkreten Kausalverlauf vorhersehen zu können, sondern es genügt eine Besorgnis derart, dass man eine bestimmte Gefahr zwar nicht genau vorhersehen, aber auch nicht absolut ausschließen kann“. Zum Vertrauensgrundsatz führte das Gericht aus, dass dessen Anwendung unter Betriebskollegen durchaus denkbar sei. Es sei jedoch nicht erlaubt, mit Hilfe jenes Grundsatzes die Verantwortung auf den Verbraucher abzuwälzen und ihn auf seinem Schaden sitzenzulassen. Das Urteil hat die Fahrlässigkeit des Fabrikchefs mit folgender Begründung verneint: Der Fabrikchef hatte nach den Ausführungen des Gerichts keine technische Ausbildung. Deswegen sei er zum einen nicht selbst verpflichtet, das übliche zweite Phosphorsäuresoda als Stabilisator zu bestellen sowie die gelieferten Stoffe einer chemischen Prüfung zu unterziehen. Er habe zum anderen auch nicht die Pflicht, einem untergeordneten Angestellten diese Pflichten zu übertragen. 2. Minamata-Krankheitsfall Unter den Umweltverschmutzungsfällen ist der „Minamata-Krankheitsfall“18 auch strafrechtlich sehr bekannt geworden. Die Minamata-Krankheit ist wahrscheinlich die bekannteste und schlimmste Krankheit, die durch Umwelt17
Zu dieser Theorie vgl. auch Yamanaka, a .a. O., S. 220. Urteil des LG Kumamoto v. 22. 5. 1982, Keigetsu 11, 3, 168; Urteil des OG Fukuoka v. 6. 9. 1982, Kokeishu Bd. 35, H. 2, S. 85; Beschluss des OGH v. 29. 2. 1988, Keishu Bd. 42, H. 2, S. 314. 18
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verschmutzung verursacht wurde19. In der 1960er Jahren fanden in Japan viele Zivilprozesse statt, in denen Opfer bzw. ihre Familien Schadensersatzansprüche wegen Todesfällen oder Gesundheitsschäden geltend machten. Der Minamata-Krankheitsfall ist allerdings der einzige, der auch als Strafsache verhandelt wurde. Die Minamata-Krankheit ist eine Vergiftung des zentralen Nervensystems; sie entsteht durch den Verzehr von Fischen und Meeresfrüchten, die mit einer Methylquecksilber-Verbindung verseucht sind. Im Minamata-Krankheitsfall entstand das Methylquecksilberchlorid als Nebenprodukt in der AcetaldehydVerarbeitungsanlage der Chisso-Minamata-Fabrik und wurde mit den Fabrikabwässern in die Gewässer der Minamata-Region abgelassen. In der Chisso-Mina mata-Fabrik wurde Acetaldehyd schon seit 1932 produziert und bis Mai 1968 in die Flüsse eingeleitet. Schon 1953 wurden die ersten Fälle einer Krankheit des zentralen Nervensystems mit ungeklärter Ursache bekannt. Mehrere Einwohner im Gebiet der Flussmündungen in die Minamata-Bucht starben. Erst 1976 hat der Landesstaatsanwalt von Kumamoto Anklage gegen den ehemaligen ChissoDirektor und ehemaligen Fabrikchef von Minamata wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung bei Geschäftstätigkeit in sechs Fällen und wegen fahrlässiger Körperverletzung bei Geschäftstätigkeit in einem Fall erhoben. Zwei der Opfer waren im Zeitpunkt der Tatausführung noch Embryos20. Für die Dogmatik des Fahrlässigkeitsdelikts ist das Urteil des OG Fukuoka bemerkenswert: Es unterscheidet zwischen „Fahrlässigkeitsdelikten struktureller Natur“ und „Fahrlässigkeitsdelikten zufälliger Natur“21. Bei ersteren sind 19 Urteil des OGH v. 29. 2. 1988; dazu vgl. Yamanaka, Umweltkatastrophen und T heorie der Aufsichtsfahrlässigkeit in der neuen japanischen Judikatur, in: ders., Strafrechtsdogmatik in der japanischen Risikogesellschaft, S. 236 ff., 252 ff. 20 Bei dem Minamata-Krankheitsfall ging es auch um die Bestrafung des Täters wegen einer Körperverletzung gegenüber einem Fötus, der später lebend geboren wurde, und um die Verjährung. (Wichtig war, nebenbei gesagt, auch der schon oben – Abschnitt I., IV., 4. – erwähnte „epidemiologische Kausalbegriff“). Anders als in Deutschland hat das Gericht den Tatbestand der Körperverletzung (§ 204 StGB) auf den Fötus, der im Mutterleib verletzt, aber danach lebendig geboren wurde, angewandt. Hierbei war fraglich, ob das Handlungsobjekt schon im Zeitpunkt der Tatausführung, also beim Bewirken der Verletzung des Fötus, vorhanden gewesen sein muss. Die erste Instanz hat diese Frage verneint. Die zweite Instanz hat die Problematik dadurch gelöst, dass sie die Tatausführung bis zum Geburtszeitpunkt hat andauern lassen. Sie führte dazu als Begründung an: Als Zeitpunkt der Geburt wird in der japanischen Strafrechtswissenschaft der Zeitpunkt angesehen, zu dem ein Körperteil des Fötus den Mutterleib verlassen hat. Zu diesem Zeitpunkt sind Mutter und Neugeborenes aber noch durch die Nabelschnur verbunden, so dass die schädlichen Stoffe noch das Neugeborene, das dann unstreitig schon Mensch ist, erreichen. Dadurch liegt die Verletzung des Körpers eines Menschen vor. Die Revisionsinstanz hat dies im Ergebnis bestätigt, aber anders begründet: Das Handlungsobjekt sei bei der Tatausführung der Mutterleib der Schwangeren, also eines Menschen, gewesen, wovon ein Teil später zu einem anderen Menschen geworden sei. 21 Ausführlicher zu dieser Kategorie vgl. Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 215 ff.
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die Entscheidungen und Weisungen des Führungsstabs für die Fahrlässigkeitsbegründung von entscheidender Bedeutung. Das dauerhafte Ablassen des verschmutzten Abwassers in den Fluss geschah durch die entsprechende Weisung an die untergeordneten Angestellten fast automatisch. Diese Begründung stützt sich nicht mehr auf den Gedanken der „Aufsichtsfahrlässigkeit“, sondern auf den der „Leitungsfahrlässigkeit“22. Die Hauptfigur des Geschehens war nicht der, der die Weisung ausgeführt hat, sondern derjenige, der die Weisung gegeben hat. Hierin könnte man meiner Ansicht nach sogar schon einen gedanklichen Ansatz für eine Art von „Organisationsfahrlässigkeit“ sehen23. 3. AIDS-Skandal-Fälle a) AIDS-Skandal in Japan Von den AIDS-Skandal-Fällen, die viele Opfer mit sich gebracht haben, kam es lediglich in drei Fällen, bei denen es sich jeweils nur um zwei Opfer gehandelt hat, zu einer strafrechtlichen Anklage24. Zwischen 1983 und 1985 infizierten sich in Japan mehr als 1.800 Personen, hauptsächlich Bluter oder Leberkranke, mit HIV, weil sie HIV-kontaminierte, nicht sterilisierte („inaktivierte“) Blutprodukte erhalten hatten. Von den Infizierten starben mehr als 500 Personen an AIDS. Trotz der Entwicklung und Genehmigung des „Hitzeinaktivierungsverfahrens“ in den USA wurden in Japan noch mehr als zwei Jahre lang nichtsterilisierte Blutprodukte (Christmassin) verkauft und verwendet. Dadurch wurde das Ausmaß der Ansteckung mit AIDS erheblich vergrößert. Insgesamt geht es um drei Prozesse gegen fünf Angeklagte. Es handelt sich erstens um die Entscheidung im „Grünes-Kreuz-Fall“25, zweitens um die im „Teikyo-Universitäts-Fall“26 und drittens um die im „Gesundheitsministeriums-Fall“27. Im ersten Fall waren der Präsident, der Vizepräsident und der Haupt22
Anders übersetzt: „Verwaltungsfahrlässigkeit“. Yamanaka, Katastrophen und Fahrlässigkeitsdelikte – Strafrechtliche Organisationshaftung, in: Rengier (Hrsg.), Die Rolle des Rechts bei der Bewältigung von Katastrophen, S. 115 ff. 24 Yamanaka, Die Bilanz des AIDS-Skandals in Japan – Strafrechtliche Haftung wegen der Produktion und ärztlichen Verschreibung von AIDS-kontaminierten Blutprodukten und wegen Aufsichtspflichtverletzungen, in: Rengier/Yamanaka (Hrsg.), Die gegenwärtigen Aufgaben des Rechts in sich ändernden Sozialsystemen, S. 147 ff. 25 Die Grünes-Kreuz AG produzierte und verkaufte seit 1964 das Arzneimittel. Erste Instanz: Urteil des LG Osaka v. 24. Februar 2000, Hanrei Jiho 1728, 163; zweite Instanz: Urteil des OG Osaka v. 21. August 2002, Hanrei Jiho 1804, 146. 26 Urteil des LG Tokyo v. 28. März 2001, Hanrei Jiho 1763, 17. 27 Erste Instanz: Urteil des LG Tokyo v. 28. September 2001, Hanrei Jiho 1799, 21; zweite Instanz: Urteil des OG Tokyo v. 25. März 2005, Keishu Bd. 2, H. 4, S. 1187; dritte Instanz: Beschluss des OGH v. 3. März 2008, Keishu Bd. 62, H. 4, S. 567. 23
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geschäftsführer der Grünes Kreuz AG angeklagt, im zweiten Fall der Vizerektor der Teikyo Universität und im dritten Fall ein Abteilungsleiter im Gesundheitsministerium. Im ersten Fall wurden die Angeklagten verurteilt, im zweiten gab es einen Freispruch und beim dritten Fall eine teilweise Verurteilung. b) Grünes-Kreuz-Fall Im „Grünes-Kreuz-Fall“ wurde die Vorhersehbarkeit der HIV-Ansteckung durch das nicht erhitzte Blutprodukt für den Angeklagten Vizepräsidenten, der eine „Qualifikation als Arzt“ hatte und der der „höchste Verantwortungsträger für den Bereich der Information“ war, bejaht, weil er die erhöhte Gefahr von Ansteckungen wegen seiner beruflichen Aufgaben hätte erkennen können, wenn er weiter Informationen über AIDS gesammelt und diese berücksichtigt hätte. Auch der Präsident und der Gewerbeabteilungschef hätten die Gefahr einer HIV-Ansteckung durch „Christmassin“ erkennen können, wenn sie die im Unternehmen vorhandenen Berichte oder Akten darüber gelesen hätten. Der Präsident und der Hauptgeschäftsführer waren keine Fachleute für das Thema AIDS. Deswegen handelt es sich beim „Grünes-Kreuz-Fall“ nicht um die Frage einer individuellen Aufsichtsfahrlässigkeit, sondern darum, welche Personen die Entscheidung zu verantworten haben. Die drei Angeklagten standen nicht in einem Unterordnungsverhältnis zueinander, ihr Verhältnis ähnelte vielmehr dem von Mittätern. Sorgfaltswidrig war ihre Entscheidung zum Verkauf des fraglichen Blutprodukts, weil sie im Besitz neuer Informationen über dessen Gefährlichkeit waren. c) Teikyo-Universitäts-Fall Angeklagter im Teikyo-Universitäts-Fall war Professor Dr. A, der Direktor der Abteilung für innere Krankheiten und zugleich Vizerektor der Teikyo Universität war. Dem Opfer, das Bluter war, wurden an der Teikyo-Universitätsklinik nicht sterilisierte Blutverdichtungsprodukte verabreicht. Da die Produkte HIV-kontaminiert waren, erkrankte das Opfer später an AIDS, woran es auch starb. Die für die Bejahung einer fahrlässigen Tötung entscheidende Frage war, ob der Tod des Patienten vorhersehbar und vermeidbar war. Nach den Feststellungen des Urteils war die Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts zwar vorhanden, aber nur zu einem geringen Grad. Entscheidend für diesen Fall sei, ob auf der Grundlage dieses Vorhersehbarkeitsgrades das Bestehen einer Erfolgsvermeidungspflicht zu bejahen ist. Bei Beantwortung dieser Frage muss darauf abgestellt werden, wie ein normaler Facharzt für die Bluterkrankheit sich verhalten würde, wenn er anstelle des Angeklagten hätte handeln müssen. Nach dem Urteil sei nicht davon auszugehen, dass ein normaler Facharzt anstelle des Angeklagten die Behandlung mit den kontaminierten Blutprodukten abgebrochen hätte, denn er wäre nicht davon ausgegangen, dass die Risiken der Behandlung ihren Nutzen überwiegen. Da-
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her sei auch dem Angeklagten die Weiterbehandlung nicht vorzuwerfen. Es ließ sich deswegen nicht beurteilen, ob die Handlung des Angeklagten der Verletzung der Erfolgsvermeidungspflicht entsprach. Im Ergebnis hat das Gericht somit eine fahrlässige Tötung bei Geschäftstätigkeit verneint. d) Gesundheitsministeriums-Fall Im Gesundheitsministeriums-Fall wurde der zuständige Abteilungsleiter des Gesundheitsministeriums wegen fahrlässiger Verletzung der Pflicht zur Gefahrenverhütung verurteilt. Dabei stellte der OGH fest, „dass nicht nur die konkrete Pflicht besteht, solche Maßnahme zu treffen, die arzneimittelrechtlich zur Verhütung solcher Gefahren notwendig und genügend sind, vielmehr sind auch für diejenigen, die mit der pharmazeutischen Verwaltung in Bezug auf die Produktion, Verwendung bzw. Feststellung der Sicherheit des nicht erhitzten Blutprodukts betraut sind, strafrechtliche Sorgfaltspflichten entstanden, die sie als die für die Verhütung der mit dem Arzneimittel entstehenden Gefahr zuständigen Personen haben sollten.“ Nach dem OGH hat das Gesundheitsministerium zwar „eine sekundäre und vormundschaftliche Stellung inne“28. Das Arzneimittel wurde vom Staat trotz seiner Gefährlichkeit genehmigt. Die Genehmigung sorgte dafür, dass sich die konkrete Gefahr für Leib und Leben verwirklichen konnte, da sie zu einem unbesonnenen Verkauf oder einer unbesonnenen Verwendung führte.
28
Zitat aus der Begründung des Beschlusses.
M. Schuldlehre (Schuldfähigkeit und Zumutbarkeit) I. Schuldlehre 1. Sinn und Funktion der Schuld Die Schuld ist eine Bewertung der tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Tat unter dem Gesichtspunkt ihrer Vorwerfbarkeit und unter Berücksichtigung ihrer Strafbedürftigkeit. Die Schuld ist die „Vorwerfbarkeit“ der Tat. Nur die vorwerfbare Tat ist strafbar. Diese normative Schuldauffassung ist herrschende Meinung in Japan. Bis heute unklar bleibt aber der Inhalt der Vorwerfbarkeit. Wann und mit welchem Kriterium man eine Tat als „vorwerfbar“ bezeichnen kann, muss noch geklärt werden. Die Schuld hat formell gesehen zwei Funktionen: Sie ist erstens die Grundlage der Strafe. Schlagwortartig gesagt: Ohne Schuld keine Strafe. Die Schuld ist zweitens auch die Grenze der Strafe: Die Strafe darf die Schuld nicht überschreiten. Die herrschende Meinung in Japan geht bezüglich des Vorwerfbarkeitsbegriffs davon aus, dass der Kernpunkt der Schuld in der „Zumutbarkeit des rechtmäßigen Handelns“ liegt. Der materielle Inhalt der Schuld liegt dieser „Zumutbarkeitslehre“ zufolge im „Anders-Handeln-Können“. Der sog. „normative Schuldbegriff“ ist anstelle des psychologischen Schuldbegriffs zur herrschenden Meinung geworden. Zur Schuld zählen damit nicht nur die „normale“ geistige Beschaffenheit des Täters, sondern auch die „normale“ Beschaffenheit der Umstände, unter welchen der Täter handelt. Dabei spielt der Zumutbarkeitsbegriff die zentrale Rolle. Der Lehre von Berthold Freudenthal (1872 – 1929)1 folgend hat die japanische Lehre die Unzumutbarkeit als allgemeinen und „übergesetzlichen“ Schuldausschließungsgrund angesehen2. Das Kriterium für den Ausschluss der Schuld ist, ob dem Täter nach seinen Fähigkeiten (oder nach den Fähigkeiten eines durchschnittlichen Menschen) zugemutet werden konnte, sich rechtmäßig zu verhalten. Die Zumutbarkeit ist nach dem Zweiten Weltkrieg in Japan zum Kernbegriff der Schuldlehre geworden, obwohl sie in Deutschland diese Stellung verloren hat.
1
Freudenthal, Schuld und Vorwurf im geltenden Strafrecht, 1922. Saeki, AT, S. 291.
2 Vgl.
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M. Schuldlehre (Schuldfähigkeit und Zumutbarkeit)
2. Zumutbarkeitstheorien a) Verschiedene Theorien Innerhalb der Zumutbarkeitslehre lassen sich drei Theorien zum Beurteilungsmaßstab der Zumutbarkeit unterscheiden: die des „objektiven“, die des „subjektiven“ und die des „staatlichen“ Maßstabes. Die Theorie des objektiven Maßstabs beurteilt die Zumutbarkeit nach den Fähigkeiten eines durchschnittlichen Menschen. Wenn ein rechtmäßiges Verhalten einem durchschnittlichen Menschen nicht zumutbar ist, handelt er zwar rechtswidrig, aber ohne Schuld. Die Theorie des subjektiven Maßstabs stellt dagegen auf den Täter selbst ab. Wenn das rechtmäßige Verhalten dem Täter nicht zumutbar ist, handelt er ohne Schuld. Die Theorie des „staatlichen“ Maßstabes vertritt, dass bei der Suche nach einem Beurteilungskriterium für die Zumutbarkeit nicht nur auf denjenigen abgestellt wird, dem etwas „zugemutet“ wird, sondern auch derjenige berücksichtigt werden muss, der „zumutet“. Der Zumutende ist der Staat. Also sollte die „Zumutbarkeit“ nach der Relation zwischen Staat und Täter beurteilt werden. Soweit es den Täter betrifft, wendet diese Auffassung die Theorie des subjektiven Maßstabs an. b) Strafbedürftige Schuld Meiner Ansicht nach hat die letzte Theorie Recht. Die Zumutbarkeit lässt sich danach bestimmen, wie weit die Rechtsordnung vom Täter ein normgemäßes Verhalten verlangen kann. Außerdem gilt dieser Gedanke nicht nur für den Fall der Anormalität der äußerlichen Umstände, sondern auch für den Fall, dass der Täter aus individuellen Gründen von der Strafnorm nicht angesprochen wird3. Die Norm verlangt von den Bürgern das normativ richtige Verhalten in konkreten Situationen. Dabei berücksichtigt die Norm jedoch auch die verschiedenen Umstände, die zur Tat und zur Gefahr des Erfolgseintritts beigetragen haben. Wenn der Staat keine effektiven Gegenmaßnahmen gegen die gefährlichen Taten vorgenommen hat, dürfe er nicht den gesamten Tatvorwurf auf den Täter abwälzen. Der Staat muss eigentlich die Aufgabe erfüllen, effektive Maßnahmen zur Prävention von Straftaten zu ergreifen. Zwar hat der Täter in den meisten Fällen freiwillig die Tat durchgeführt, doch hat der Staat wegen der mangelnden Präventionsmaßnahmen auch etwas zur Begehung der Tat beigetragen. Wenn ein Fahrer z. B. einen Fußgänger bei dessen Überqueren der Fahrbahn überfährt und dadurch tötet, hat nicht nur der Täter, sondern auch der Staat etwas zum Erfolgseintritt beigetragen, indem er an der fraglichen Stelle keine Ampel aufgestellt hat. Die Schuld des Täters muss immer auf der Grundlage des Verhältnisses 3 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, 4. Aufl., § 19 Rn. 36 ff. Um die Schuld eines Täters zu bejahen, muss er bei der Tat seiner geistigen und seelischen Verfassung nach für den Anruf der Norm zugänglich gewesen sein, wenn ihm die „Entscheidungsmöglichkeit zu norm-orientiertem Verhalten“ physisch (noch) möglich war.
II. Schuldunfähigkeit
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zwischen der staatlichen Aufgabe und der Tat des Täters bestimmt werden. Wenn eine Mutter Hilfe vom Staat verlangt hat, geeignete Hilfe aber ausgeblieben ist, sollte ihr ein Mundraub, den sie zur Rettung ihres verhungernden Säuglings in einem Lebensmittelladen begangen hat, nicht übermäßig vorgeworfen werden, auch wenn die Tat nicht durch Notstand gerechtfertigt wird. Bei diesem Fall geht es nicht um die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Täters oder um einen Mangel an anderen subjektiven Schuldmerkmalen, sondern um die Unzumutbarkeit der rechtmäßigen Handlung aufgrund der äußeren Umstände der Tat. Deswegen handelt es sich hier nicht um einen „Schuldausschließungsgrund“, sondern um einen „Ausschließungsgrund der strafbedürftigen Schuld“, nach der Terminologie Roxins um einen „Verantwortungsausschließungsgrund“. Die Rechtsordnung muss bei bestimmten Tatumständen aus kriminalpolitischen Gründen auf eine Bestrafung verzichten, weil sie die Bestrafung als zwecklos ansieht, eine Bestrafung zum „Misstrauen gegen die Rechtsordnung“ führen würde oder sie die volle Verantwortlichkeit für die Tat nicht allein dem Täter aufbürden darf.
II. Schuldunfähigkeit 1. Begriff der Schuldfähigkeit Das StGB regelt die Schuldfähigkeit wie folgt: „Die Handlung eines Geistesgestörten ist nicht strafbar. Bei der Handlung eines geistig Minderbefähigten wird die Strafe gemindert“ (§ 39). Die Handlung eines „Geistesgestörten“ ist als Tat eines Schuldunfähigen zu verstehen und die eines „Minderbefähigten“ als Tat eines vermindert Schuldfähigen. § 41 StGB regelt ergänzend: „Die Tat desjenigen, der das vierzehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, ist nicht strafbar“. Die Schuldfähigkeit ist die biologische und psychologische Fähigkeit, schuldhaft zu handeln. Schuldunfähig ist also, wem diese Fähigkeit fehlt. Wenn der Täter keine Einsichtsfähigkeit hat, seine Tat als rechtswidrig zu beurteilen, oder keine Steuerungsfähigkeit, nach dieser Einsicht seine Handlung zu steuern, ist er schuldunfähig. Die Schuldfähigkeit ist deswegen eigentlich die „Fähigkeit, nach der Norm zu handeln“, nicht die bloße „Strafempfänglichkeit“ wie bei der modernen Schule, nach der für die Strafe keine Schuld vorausgesetzt wird. Zugleich ist sie eine Voraussetzung der Bestrafung. Sie muss die Strafbedürftigkeit begründen. Deswegen muss sie als die Fähigkeit konzipiert sein, bei der nur gerade durch die Bestrafung der Strafzweck zu verwirklichen ist4. Schuldfähigkeit bedeutet daher auch, dass der Täter in der Lage ist, den Strafzweck durch die Annahme der Bestrafung zu verwirklichen. ist.
4
Damit ist gemeint, dass die Schuldfähigkeit keine Voraussetzung für die Maßnahmen
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M. Schuldlehre (Schuldfähigkeit und Zumutbarkeit)
2. Einordnung der Schuldfähigkeit in den Schuldbegriff Was die Einordnung der Schuldfähigkeit in den Schuldbegriff anbelangt, so stehen sich zwei Theorien gegenüber: Die Theorie der „Schuldvoraussetzung“, nach der die Schuldfähigkeit im Deliktsaufbau vor den anderen Schuldelementen wie Vorsatz oder der Möglichkeit des Unrechtsbewusstseins einzuordnen ist, und die Theorie des „Schuldelements“, nach der die Schuldfähigkeit als eigenständiges Schuldelement neben die anderen Schuldelemente tritt. Die Theorie des Schuldelements könnte zu folgenden Ergebnissen führen: Sie beurteilt erstens die Schuldfähigkeit in Beziehung auf die einzelne, konkrete Tat. Zweitens sieht sie das psychische Moment als zentrales Beurteilungskriterium an. Drittens wird die Schuldfähigkeit je nach der Art der Straftat relativiert und die sog. Teilbarkeit der Schuldfähigkeit bejaht. Die Beurteilung der Schuldfähigkeit soll viertens erst nach der Prüfung des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit durchgeführt werden. Dagegen könnte die Theorie der Schuldvoraussetzung zu folgenden Ergebnissen führen: Die Schuldfähigkeit ist erstens als eine allgemeine Fähigkeit des Täters zu verstehen, die von der einzelnen Tat unabhängig ist. Zweitens legt diese Meinung hinsichtlich des Beurteilungskriteriums der Schuldfähigkeit ihren Schwerpunkt auf die biologischen Elemente. Drittens wird die Teilbarkeit der Schuldfähigkeit verneint. Die Beurteilung der Schuldfähigkeit geht, viertens, der Prüfung des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit voran. Außerdem erfolgt die Beurteilung der Schuldfähigkeit bei der Theorie des Schuldelements nach der psychologischen Methode5, weil es bei ihr um die Schuld der einzelnen Tat geht. Dagegen verwendet die Theorie der Schuldvoraussetzung die biologische Methode, weil es bei ihr um eine allgemeine Fähigkeit der betroffenen Person geht. Wenn die Schuldfähigkeit für die einzelne Tat beurteilt werden sollte, scheint die Theorie des Schuldelements eher zweckrational zu sein. 3. „Geistesgestörtheit“ und „geistige Minderbefähigung“ Die Begriffe der „Geistesgestörtheit“ und der „Geistigen Minderbefähigung“ in § 39 StGB6 werden durch eine Entscheidung des RG wie folgt definiert: „Geistesgestörtheit (Abs. 1) ist der Zustand, in dem es auf Grund der Geistesstörung an der Fähigkeit fehlt, das Recht und das Unrecht oder das Gute und das Böse 5 Für die Definition der Schuldfähigkeit gibt es zwei Methoden: die psychologische und die biologische Methode. Die Erstere legt den Schwerpunkt bei der Bestimmung der Schuldfähigkeit auf den psychologischen Zustand des Täters bei der Tat. Dagegen legt die Letztere den Schwerpunkt auf die biologischen Eigenschaften des Täters. Danach wird beurteilt, ob er z. B. geisteskrank ist oder nicht. 6 S. § 39 StGB, „Die Handlung eines Geistesgestörten ist nicht strafbar. Bei der Handlung eines geistig Minderbefähigten wird die Strafe gemindert“. Die Worte „Geistesgestörter“ und der „geistig Minderbefähigter“ sind altmodische japanische Begriffe.
II. Schuldunfähigkeit
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einzusehen und/oder nach dieser Einsicht zu handeln“7. Die „Geistige Minderbefähigung“ (Abs. 2) ist der „Zustand, in dem die Fähigkeit dazu erheblich reduziert ist“. Heute werden als wissenschaftliche Terminologie die „Schuldfähigkeit“ und die „verminderte Schuldfähigkeit“ verwendet. Die Geistesgestörtheit besteht aus zwei Elementen; einer geistigen Störung und dem Fehlen der Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Das erste ist das biologische Element: Das Vorhandensein einer krankhaften seelischen Störung. Das zweite ist das psychologische Element: Es besteht aus Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit. Wenn die Definition der Geistesgestörtheit auf die krankhafte Störung des Geistes abstellt, wird diese Definition als die „biologische Methode“ bezeichnet. Wenn die Definition hingegen auf die fehlende Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit abstellt, wird sie als die „psychologische Methode“ bezeichnet. Die hier verwendete Definition, die auf beide Gesichtspunkte abstellt, wird als gemischte biologisch-psychologische Methode bezeichnet. Auch § 20 des deutschen StGB hat die gemischte Methode zugrunde gelegt. Wenn der Richter die Schuldunfähigkeit feststellen will, muss er positiv feststellen, ob bei der Begehung der Tat eine seelische Störung vorhanden war und ob der Täter die für die Willensgestaltung benötigte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit hatte. Die gemischte Methode ist vorzugswürdig, weil die Schwere der seelischen Störung und ihre Bedeutung für die konkrete Tat damit besser geprüft werden können. Wenn die Feststellung nur durch die biologische Methode erfolgen würde, könnte sich ergeben, dass eine Schuldunfähigkeit vorliegt, auch wenn die seelische Störung keinen Einfluss auf die konkrete Tat hatte. 4. Feststellung der Schuldfähigkeit a) Rechtliche Beurteilung des Richters Der Schuldfähigkeitsbegriff ist ein Rechtsbegriff. Deswegen entscheidet über die Feststellung, ob die Schuldfähigkeit beim Täter vorhanden ist, der Richter. Der Richter ist nicht an die Beurteilung durch einen etwaigen Gutachter gebunden. Deswegen ist die gerichtliche Anerkennung eines Gutachtens als Beweis auch dem rationalen Ermessen des Gerichts überlassen. Nach Auffassung des OGH8 entscheidet das Gericht nicht nur über die Beurteilung des psychologischen Elements, sondern gleichermaßen und ohne Bindung an ein Gutachten über die seelische Störung als biologisches Element: „Die Feststellung, ob ein Zustand des Täters eine Geistesgestörtheit oder eine geistige Minderbefähigung darstellt, ist eine rechtliche Beurteilung. Sie sollte ausschließlich vom Gericht entschieden 7 8
Urteil des RG v. 3. 12. 1931, Keishu Bd. 10, S. 682. Beschluss des OGH v. 13. 9. 1983, Hanrei Jiho 1100, 156.
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M. Schuldlehre (Schuldfähigkeit und Zumutbarkeit)
werden“. Der OGH9 hat später nochmals den Rechtsbeurteilungscharakter der Feststellung der Schuldfähigkeit betont. In der Entscheidungsbegründung hat der OGH weiterhin ausgeführt: „Wenn der Zustand, in dem sich der Angeklagte bei Begehung der Tat befand, berücksichtigt wird, etwa hinsichtlich seines Krankheitsbildes, der Lebensverhältnisse vor der Tat, der Motivation und der Art und Weise der Tat usw., erweist sich die Feststellung der vorigen Instanz als richtig, dass der Angeklagte sich bei der Tat wegen des Einflusses von Schizophrenie in einem Zustand der Geistesminderung befand.“ b) Fachkenntnis des Begutachters als Beurteilungsbasis Die Wissenschaft hat auf die in den vorgenannten Entscheidungen zu erkennende Tendenz zur „Normativierung des Schuldbegriffs“ hingewiesen10. Der OGH hat jedoch vor nicht allzu langer Zeit eine Entscheidung getroffen, die dieser Tendenz entgegen steht11. Der Sachverhalt stellt sich wie folgt dar: Der Angeklagte, der wegen Schizophrenie optische und akustische Halluzinationen hatte, hat gegenüber dem Opfer Gewalt ausgeübt, weil er sich von diesem geneckt und gequält fühlte. Durch die Gewalteinwirkung ist das Opfer gestorben. Dem Gericht lagen mehrere Begutachtungen des Täters vor. Die erste Instanz hatte Geistesgestörtheit bejaht, die zweite lediglich geistige Minderbefähigung. Das Revisionsgericht hat den Fall an das Ausgangsgericht zurückverwiesen. In Auseinandersetzung mit dem Beschluss von 1983 führt der OGH wie folgt aus: „Falls die Meinung des Psychiaters als Fachmann jedoch in der Form der Begutachtung usw. den Beweis bildet, ist seine Meinung über das Vorliegen und den Grad einer seelischen Störung als biologisches Element und über das Vorliegen und den Grad ihrer Einflüsse auf das biologische Element dann hinreichend zu respektieren, wenn man berücksichtigt, dass diese Diagnose zur eigentlichen Aufgabe der klinischen psychiatrischen Medizin gehört, es sei denn, dass Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, die Meinung des Gutachters nicht zu übernehmen, wie z. B. in Fällen, in denen die Fairness oder die fachlichen Fähigkeiten des Gutachters in Frage gestellt werden, oder die dem Gutachten zugrundeliegenden Voraussetzungen als problematisch angesehen werden.“ Dieser Beschluss hat die bisherige Rechtsprechung nicht geändert. Die Argumentation ist so zu verstehen, dass die Schuld im Endeffekt durch den Richter beurteilt werden sollte, auch wenn er von der empirischen wissenschaftlichen Beurteilung des Fachmanns als Beurteilungsbasis ausgehen soll und es eines vernünftigen Grundes bedarf, dieser Meinung nicht zu folgen. Im Jahre 2009 hat der OGH sich nochmals mit diesem Problem beschäftigt12 und nochmals 9
Beschluss des OGH v. 3. 7. 1984, Keishu Bd. 38, H. 8, S. 2783. Maeda, AT, S. 420. 11 Urteil des OGH v. 25. 4. 2008, Keishu Bd. 62, H. 5, S. 1559. 12 Beschluss des OGH v. 8. 12. 2009, Keishu Bd. 63, H. 11, S. 2829. 10 Vgl.
II. Schuldunfähigkeit
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den Charakter des Schuldbegriffs als Rechtsbegriff betont: Der Beschluss hat insbesondere bestätigt, dass die Aufnahme und/oder Bewertung eines Gutachtens zur Beurteilung durch den Richter gehört, wobei vernünftige Gründe vorhanden sein müssen, wenn ein Richter das Gutachten eines Fachmanns nicht in seine Entscheidungsfindung aufnehmen will. 5. Entscheidungen zu Geistesgestörtheit und geistiger Minderbefähigung Bei einer schweren Schizophrenie, die durch Halluzinationen oder Wahn beherrscht wird, wird im Allgemeinen eine Geistesgestörtheit anerkannt. In einem Fall, in dem der Täter mit einem Kochmesser die vier Mitglieder der Nachbarsfamilie töten wollte, es aber beim Versuch geblieben ist, wurde der Täter wegen Geistesgestörtheit freigesprochen. Beim Täter hatte sich eine vorhandene Schizo phrenie verschlechtert und Halluzinationen und Wahnvorstellungen hervorgerufen. Der Täter argwöhnte, von den Nachbarn verunglimpft und verleumdet zu werden13. In einem Fall, in dem der Täter wegen einer paranoiden Schizophrenie durch die akustische Halluzination eines „Teufelsbefehls“ unmittelbar beherrscht und überwiegend davon beeinflusst wurde, wurde ebenfalls der Zustand der Geistesgestörtheit bejaht14, desgleichen in einem Fall fortgeschrittener katatonischer Schizophrenie15. In anderen Fällen von Schizophrenie wurde geistige Minderbefähigung festgestellt. Bei einer endogenen Depression hat das LG Saitama16 die Schuldfähigkeit verneint. Bei einer bipolaren Störung, früher als manischdepressive Erkrankung bezeichnet, wurde der Zustand geistiger Minderbefähigung in einem Fall bejaht, in dem der Täter den Kapitän eines Flugzeugs im Cockpit mit einem Messer getötet hat17. Bei Schwachsinn wird meistens keine Schuldunfähigkeit, sondern nur verminderte Schuldfähigkeit anerkannt18. Was die Fälle anbelangt, die aufgrund der Einnahme von Amphetaminen und anderen Stimulanzien begangen wurden, so geht die Beurteilung der Gerichte auseinander und reicht von Freispruch bis zur Bejahung der vollen Schuldfähigkeit. In einem Fall, in dem der Täter wegen Halluzinationen und Wahnvorstellungen aufgrund einer Geistesstörung durch Einnahme von Amphetaminen seine Ex-Frau erdrosselt und getötet hat, wurde eine verminderte Schuldfähigkeit zwar bejaht, 13
Urteil des LG Osaka v. 26. 5. 2008, LEX/DB. Urteil des OLG Osaka v. 24. 6. 2008, LEX/DB. 15 Urteil des OLG Fukuoka, Zweigstelle Naha, v. 25. 11. 2004, Kokei Sokuhoshu 2004, S. 154. 16 Urteil des LG Saitama v. 10. 12. 2004, LEX/DB. 17 Urteil des LG Tokyo v. 23. 3. 2005, Hanrei Times 1182, 129. 18 Urteil des LG Shizuoka, Zweigstelle Hamamatsu, v. 9. 7. 1965, Kakeishu Bd. 7, H. 7, S. 1426: Urteil des OLG Osaka v. 28. 3. 1978, Hanrei Times 364, 298. 14
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M. Schuldlehre (Schuldfähigkeit und Zumutbarkeit)
das Gericht19 führte aber noch aus: „Der Täter hat sich selbst zur Einnahme der Weckamine entschlossen, deswegen lässt sich sein anschließender Zustand keineswegs so bewerten wie bei einer Krankheit, etwa einer Schizophrenie.“
III. Actio libera in causa 1. Koinzidenzprinzip und actio libera in causa Die Schuldfähigkeit muss bei der Ausführung der Tat vorhanden sein. Dieses Prinzip wird als „Koinzidenzprinzip“, also als Prinzip der Koinzidenz zwischen Schuld und Tatausführung bezeichnet20. Wenn der Täter bei der Tatausführung nicht schuldfähig ist, ist die Tat nicht strafbar. Wie ist aber die Strafbarkeit zu beurteilen, wenn der Täter vor der Tatausführung noch schuldfähig war und den Zustand seiner vor der Tatausführung eingetretenen Schuldunfähigkeit ausnutzt, um einer Bestrafung zu entgehen? Man stelle sich z. B. einen Mann vor, der einen bestimmten Feind mit einem Messer erstechen will und vor dem Beginn der Tat ausführung so viel Alkohol trinkt, bis er in den Zustand der Schuldunfähigkeit gelangt. Wenn dieser Mann danach wie geplant seinen Feind tötet, ist er zwar bei der Tatausführung schuldunfähig, aber bei der Verursachung der Schuldunfähigkeit schuldfähig. Die Frage ist, ob der Täter auf Grund einer schuldhaften Verursachung der Schuldunfähigkeit, also wegen des Prinzips der „actio libera in causa“, bestraft werden kann. 2. Zwei Lösungsansätze In Japan gibt es zwei Ansätze zur Lösung dieser Frage: Der Regel-Ansatz (Tatbestandsmodell) und der Modifizierungs-Ansatz (Ausnahmemodell). Der erste Ansatz sieht in der Verursachung der Schuldunfähigkeit schon die Ausführung der späteren Tat. Dadurch ist dem Prinzip, dass die Schuldfähigkeit bei der Tat ausführung, also im oben genannten Fall beim Trinken des Alkohols, vorhanden sein muss, Genüge getan. Der zweite Ansatz sieht die Tatausführung (nur) in der unmittelbaren Handlung, also im Messerstich. Nach der ersten Auffassung wird die tatbestandsmäßige Handlung sehr weit ausgedehnt. Nach der zweiten Auffassung beschränkt sie sich auf den Bereich der unmittelbaren Gefahrschaffung und widerspricht so dem Koinzidenzprinzip. Hier handelt es sich um einen Konflikt zwischen dem Schuldprinzip und dem strengen Tatausführungsbegriff. 19
Urteil des LG Kyoto v. 18. 7. 2012, LEX/DB. Yamanaka, Strafrechtliche Erfassung in rauschbedingter Schuldunfähigkeit begangener Straftaten, in: Das dritte deutsch-japanisch-polnische Strafrechtskolloquium der Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung, 2006, Andrzej J. Szwarc (Hrsg.), Wydawnictwo Poznańskie, S. 61 ff. 20
III. Actio libera in causa
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3. Theorie der mittelbaren Täterschaft Nach dieser Theorie nutzt der Täter seine Tat, die er im Zustand der selbstverursachten Schuldunfähigkeit begangen hat, wie ein mittelbarer Täter aus und verursacht damit den Erfolg. Der Tatbeginn liegt auch hier in der Verursachung der Schuldunfähigkeit, also dem Trinken des Alkohols. Das Koinzidenzprinzip ist damit erfüllt. Nach dieser Theorie besteht der Unterschied zum Normalfall des mittelbaren Täters nur darin, dass der mittelbare Täter einen anderen als Werkzeug zur Erfolgsverwirklichung benutzt, während der Täter im vorliegenden Fall sich selbst bzw. seine eigene Tat während seiner Schuldunfähigkeit als Werkzeug benutzt. Der Hauptvertreter dieser Theorie ist jedoch selbst skeptisch, dass die Handlung des Trinkens von Alkohol dem Tatbestands-Typus der Tötung entspricht. Vor allem scheint es ihm „auch nach den allgemeinen sozialen Vorstellungen erheblich ungerecht“ zu sein, wenn der Täter trotz Alkoholkonsums und Tötungsabsicht den anderen im Ergebnis nicht getötet haben soll21. Nach dieser Theorie lässt sich bei vorsätzlichen Delikten eine Strafbarkeit aufgrund der actio libera in causa nicht bejahen. Diese Theorie hat in dem Fall Schwierigkeiten, in dem der Täter den Zustand seiner Geistesminderung ausnutzt. Was die Lösung dieses Problems anbelangt, werden innerhalb dieser Theorie verschiedene Meinungen vertreten: Nach einer Auffassung ist es nur schwerlich möglich, in einem Fall, in dem der Täter seinen Zustand der verminderten Schuldfähigkeit ausnutzt, mittelbare Täterschaft zu bejahen. Denn es ist zweifelhaft, zu behaupten, dass die während seiner verminderten Schuldfähigkeit begangene Tat als Handlung eines Werkzeugs anzusehen ist22. Nach der anderen Auffassung ist der Täter, der seinen Zustand der geistigen Minderbefähigung während der Tat ausnutzen will, voll strafbar, weil seine Tat, im Beispielsfall in Gestalt des Messerstichs, als unmittelbare Täterschaft einzuordnen ist23. Der materielle Grund, warum diese Theorie in diesem Fall eine uneingeschränkte Strafbarkeit bejaht, liegt darin, dass sie bei einem tödlichen fahrlässigen Verkehrsunfall durch einen betrunkenen Fahrer, der vor der Fahrt viel Alkohol genossen hat und nachher einen anderen totgefahren hat, den Fahrer nicht straffrei ausgehen lassen will. 4. Modifizierungstheorie Der Ausgangspunkt der Modifizierungstheorie war Skepsis gegenüber dem „absoluten Gebot des Koinzidenzprinzips“: „Es scheint völlig gerechtfertigt zu sein, dass man auf der einen Seite angesichts des Willens und Verhaltens des Tä21 Dando, Der selbst herbeigeführte Zustand der Geistesstörung, in: Uematsu-K anreki (FS Uematsu, Buch für das Recht), 1971, S. 232. 22 Dando, AT, S. 162. 23 Otsuka, AT, S. 168.
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ters noch während des Vorhandenseins der Schuldfähigkeit vor der Tatbegehung die Vorwerfbarkeit der Tat bejaht und auf der anderen Seite die Tatausführung des einschlägigen Deliktes im Verhalten während der Schuldunfähigkeit sieht“24. Aber diese bahnbrechende Meinung hatte keine theoretische Begründung. Für sie wurden jedoch mehrere Begründungsversuche entwickelt: So gibt es erstens die Lehre von der Beherrschbarkeit der Tat zum Zeitpunkt der Verursachung der Schuldunfähigkeit25. Der Täter hat danach im noch schuldfähigen Zustand die Herrschaft darüber, ob er die Tatausführung im schuldunfähigen Zustand begehen will oder kann. Er besitzt durch sein Normbewusstsein noch eine Hemmung oder zumindest die Möglichkeit einer Hemmung, die Tat zu begehen. Wenn diese Begründung richtig wäre, könnte man mit der Schuldfähigkeit im Vorbereitungsstadium die Verantwortlichkeit bei der Tatbegehung begründen. Wenn der Täter bei der Tötungsvorbereitung schuldfähig ist, kann er für die Tat der Tötung auch ohne Schuldfähigkeit verantwortlich gemacht werden, weil er mit der im Vorbereitungsstadium vorhandenen Tötungsabsicht die spätere Tötungshandlung „beherrscht“. Gegen diese Meinung lässt sich argumentieren, dass eine tatsächliche oder potentielle Hemmung bei der Verursachung der Schuldunfähigkeit nicht die Schuld bei der Tatbegehung begründen kann. Ein zweiter Begründungsversuch für die genannte Auffassung stützt sich auf die Annahme, dass die Schuldfähigkeit bei der abschließenden Willensentscheidung zur späteren Tatausführung im Zeitpunkt des Handlungsbeginns insofern entscheidend ist, als diese Willens entscheidung über die gesamte Handlung des Täters bis hin zur Tat, die zum Erfolgseintritt führt, umgesetzt wird 26. Der Hintergrund dieser Theorie besteht darin, dass die Beurteilung der Schuldhaftigkeit in dem Vorwurf einer „Willens entscheidung“ gegen die Einhaltung der Strafnorm liegt. Daraus ergibt sich, dass die Schuldfähigkeit nur zum Zeitpunkt der Willensentscheidung notwendig ist. Allerdings muss diese Willensentscheidung während der gesamten „Handlung“, die auch die Tatausführung umfasst, vorhanden sein. Diese Lehre gehört auch zur Modifizierungstheorie, die es als ausreichend ansieht, dass die Schuldfähigkeit nur zu Beginn der einheitlichen „Handlung“ vorhanden ist, auch wenn sie bei der späteren Tatausführung fehlt. 5. Eigene Theorie Meiner Meinung nach ist dieses Problem mit einem neuen Verständnis des Begriffs des Tatbeginns zu lösen. Der Anfang der Tatausführung lässt sich mit 24
Chihiro Saeki, Ihosei no Riron (Theorien von der Rechtswidrigkeit), S. 322. Yoshikatsu Naka, Actio libera in causa, in: Kansai University Hogaku Ronshu (Festschrift zum 70jährigen Bestehen der Kabsai Universität, 1955, S. 159 ff., 161. 26 Haruo Nishihara, Hanzai Jikkoukoi Ron (Theorie der Straftatausführung), 1998, S. 156 ff. 25
IV. Sukzessive Schuldunfähigkeit
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einer zeitlich zweidimensionalen Betrachtung erklären 27: Die Tatausführung muss in der Regel in der für den Erfolgseintritt kausalen körperlichen Bewegung als Handlung gesucht werden. Diese Handlung muss eine wenigstens abstrakte Gefahr für den Erfolgseintritt schaffen, was ex ante zu beurteilen ist. Sie stellt die „potenzielle“ Tatausführung dar. Im Fall der actio libera in causa ist eigent lich die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangene Tat die „potenzielle Tat ausführung“. Diese potenzielle Tatausführung wird nachträglich zur „aktuellen Tatausführung“, wenn sich die Gefahr zum Erfolgseintritt konkretisiert. Diese Tatausführung muss, ex post betrachtet, die „konkrete Gefahr“ für den Erfolg geschaffen haben, wenn der Täter den Tatbestand im Zustand der Schuldunfähig keit verwirklicht hat. Wenn diese zwei Anforderungen bejaht werden, wird das Koinzidenzprinzip auch im Fall der actio libera in causa beachtet, weil der Täter zu Beginn dieser erweiterten, einheitlichen Tatausführung noch schuldfähig war. Doch gilt diese Argumentation nicht für den Fall, in dem der Täter die Tat im Zu stand der verminderten Schuldfähigkeit ausführt, weil die Ausdehnung der Tat ausführung bis zur zeitlich zurückliegenden Entscheidung zur Tat auf Grund der noch bestehenden Entscheidungsmöglichkeit wegen noch vorhandener Schuldfä higkeit bei der eigentlichen Tatausführung unmöglich ist.
IV. Sukzessive Schuldunfähigkeit 1. Problemstellung Hier geht es um die Frage, wie die Fälle behandelt werden sollten, in denen der Täter noch während seiner Tatausführung in den Zustand der Schuldunfä higkeit oder verminderten Schuldfähigkeit geraten ist. Diese Fälle unterscheiden sich von den Fällen der actio libera in causa in dem Punkt, dass sich die Tat schon auf der Stufe des Beginns der Tatausführung befindet, wenn der Täter in den Zustand der Schuldunfähigkeit bzw. verminderten Schuldfähigkeit gerät. Ein ty pisches Beispiel aus der deutschen Rechtsprechung ist der sog. „Blutrauschfall“28, in dem der Täter in einen schuldunfähigen Zustand geraten ist, während er mit einem Hammer wiederholt auf sein Opfer eingeschlagen hat. Aus der japanischen Rechtsprechung kann folgender Fall als ein Beispiel dienen: Nachdem der Täter begonnen hatte, Alkohol zu konsumieren, ist es zu Streitigkeiten mit seiner Frau gekommen. Im betrunkenen Zustand hat er seine Frau aus Wut über einen länge ren Zeitraum hin mehrmals geschlagen. Als er der Frau schließlich eine tödliche Körperverletzung zufügte, befand er sich im Zustand der verminderten Schuld
27 Vgl.
272.
28
Yamanaka, Strafrechtsdogmatik in der japanischen Risikogesellschaft, S. 27 f.,
BGHSt 7, 325.
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M. Schuldlehre (Schuldfähigkeit und Zumutbarkeit)
fähigkeit. Das LG Nagasaki29 hat eine Minderung der Vorwerfbarkeit gegenüber dem Täter verneint und ihn als einen schuldfähigen Täter verurteilt. 2. Problemlösung Zu diesem Problem werden drei Lösungsansätze vertreten: Nach dem ersten Ansatz sind die Fälle durch die Anwendung der Grundsätze zur actio libera in causa zu lösen. Diese Lösung wird von den Vertretern der Ausnahme-Modelle befürwortet. Wenn der wesentliche Teil der Tatausführung, z. B. ein letaler Stich, im Zustand der Schuldunfähigkeit ausgeführt wird, ist der Fall als Ausnahme zu bewerten. D. h. ausnahmsweise ist die Schuldfähigkeit nach der actio libera in causa nicht erforderlich. Nach dem zweiten Ansatz erstreckt sich die Schuldfähigkeit, wenn die Tatausführung vor und nach dem Eintritt der Schuldunfähigkeit als eine „einheitliche Tat“ angesehen werden kann, auch auf die spätere Tatausführung. Der dritte Ansatz behandelt diesen Fall als ein Problem des Irrtums über den Kausalverlauf oder als ein Problem der objektiven Zurechnung30. Die Rechtsprechung hat mehrmals Fälle zu entscheiden gehabt, in denen ein Autofahrer nach Alkoholgenuss in den Zustand verminderter Schuldfähigkeit gelangt ist und in diesem Zustand eine fahrlässige Tötung begangen hat. Das LG Osaka31 hat als Anfang der Tatausführung der fahrlässigen Tötung den Zeitpunkt angesehen, in dem der Täter noch schuldfähig war. Nach der Rechtsprechung der unteren Gerichte32 soll § 39 Abs. 2 StGB auch bei Vorsatzfällen auf die Tat insofern nicht angewandt werden, als der Täter zum Zeitpunkt des Beginns der Tatausführung die volle Schuldfähigkeit hatte. Das gilt vor allem für die Fälle, in denen die spätere Tat als eine „natürliche fortdauernde Entwicklung der Tatausführung“33 anzusehen ist und die Herbeiführung des Zustands der verminderten Schuldfähigkeit auch als ein selbst herbeigeführter Erfolg angesehen werden kann34. 29
Urteil des LG Nagasaki v. 14. 1. 1992, Hanrei Jiho, 1415, 142. der Theorie, nach der es keiner selbstständigen Figur des Irrtums über den Kausalverlauf bedarf, sollte dieser Fall mit der Lehre von der objektiven Zurechnung gelöst werden. Vgl. dazu meinen Aufsatz „Vom Irrtum über den Kausalverlauf und die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs“, in: Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 160 ff. – Zur Frage des actio libera in causa-Falls vgl. Yamanaka, Geschichte und Gegenwart, S. 129 ff., 140 ff. 31 Urteil des LG Osaka v. 6. 9. 1968, Hanrei Times 229, 324. 32 Urteil des LG Tokyo v. 6. 11. 1978, Hanrei Jiho 913, 123 (erstinstanzliche Entscheidung des unten zitierten Urteils vom 15. 5. 1979). 33 Das gilt nicht für zweiaktige Delikte, wie etwa Raub. Über den Fall des nachträglichen Raubs gem. § 238 StGB (wie räuberischer Diebstahl im § 252 dStGB) vgl. das Urteil des LG Sapporo v. 23. 4. 1990, Hanrei Times 737, 242. 34 Urteil des OG Tokyo v. 15. 5. 1979, Hanrei Jiho 937, 123 (zweite Instanz des oben zitierten Urteils vom 6. 11. 1968). 30 Nach
N. Versuch I. Grundlagen der Versuchsstrafbarkeit 1. Strafbarkeit des Versuchs Im japanischen StGB finden sich folgende Regelungen zur Strafbarkeit des Versuchs: „Wer die Ausführung einer Straftat angefangen, aber nicht vollendet hat, dessen Strafe kann gemildert werden“ (§ 43 Abs. 1). Und: „Die Strafbarkeit des Versuches wird für jedes Delikt in dem betreffenden Paragraphen besonders bestimmt“ (§ 44). Der Versuch ist das Stadium der Straftat zwischen Tatbeginn und Vollendung. Nur bei wichtigen Delikten ist der Versuch strafbar. In der Versuchstheorie in Japan ist der Versuch kategorisch zweigeteilt, je nachdem, ob er wegen eines Hindernisses nicht eingetreten ist, oder der Täter den Erfolgseintritt freiwillig vermieden hat. Der erste Versuch lässt sich als „fehlgeschlagener Versuch“1 bezeichnen. In der zweiten Konstellation liegt ein „Rücktritt vom Versuch“ vor. Der Versuchstatbestand ist eine „erweiterte Form des Tatbestandes“, mit der die Strafbarkeit des Vollendungstatbestandes um eine Vorstufe erweitert wird. Gelangt die Tat nicht über das Versuchsstadium hinaus, kann der Richter die Strafe mildern. Den Rücktritt vom Versuch regelt § 43 Abs. 2 StGB wie folgt: „Jedoch ist die Strafe zu mildern oder von Strafe zu befreien, wenn der Täter aus eigenem Willen 1 In Deutschland zeichnet sich der fehlgeschlagene Versuch dadurch aus, dass der Täter subjektiv davon ausgeht, dass er den Erfolg mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr (ohne zeitliche Zäsur) herbeiführen kann. In Japan kann der „Versuch durch Hindernis“ (§ 43 S. 1 StGB) als fehlgeschlagener Versuch verstanden werden (wobei auch der objektive Fehlschlag erfasst wird). Er ist aus der französischen Kategorie sowohl des „délit manqué“, als auch des „délit tentativ“ entstanden. Im japanischen alten StGB, das unter dem Einfluss des französischen code pénal stand, wurde der Versuch in § 112 StGB von 1880 als das Unterbleiben des Erfolgseintritts wegen des „unerwarteten Hindernisses oder Irrtums“ definiert. Wörtlich enthielt § 112 StGB a. F. folgende Regelung: „Wenn der Täter eine Straftat begehen wollte und schon mit der Tat begonnen hat, wird seine Strafe, wenn die Tat durch ein vom Täter unerwartetes Hindernis oder durch seinen Irrtum nicht vollendet wird, einen Grad oder zwei Grade gegenüber der Strafe für eine vollendete Tat gemildert“. Dieser „Versuch wegen eines Hindernisses“ lässt sich in Japan als „fehlgeschlagener Versuch“ übersetzen, weil der Rücktritt beim fehlgeschlagenen Versuch nicht mehr möglich ist. Abgesehen davon, ob der Versuchsbegriff von § 43 S. 1 des geltenden StGB auch den S. 2 (Rücktritt vom Versuch) umfasst, wird in Japan zwischen dem „im Ergebnis fehlgeschlagenen Versuch“ und dem freiwilligen „Rücktritt vom Versuch“ differenziert. Siehe auch unten Fn. 31.
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N. Versuch
von der Straftat zurücktritt.“ Bei einem Rücktritt vom Versuch muss der Richter die Strafe obligatorisch mildern oder den Täter davon befreien. Über den Zweck oder Grund des Rücktritts vom Versuch gibt es – grob gesagt – zwei Theorien: Die „Rechtstheorie“ und die „kriminalpolitische Theorie“. Der nicht fehlgeschlagene Versuch wird in Japan in den „unbeendeten Versuch“ und den „beendeten Versuch“ unterteilt2. Praktische Auswirkungen hat diese kategoriale Differenzierung jedoch nur beim Rücktritt vom Versuch. Ein Rücktritt ist sowohl vom unbeendeten Versuch als auch vom beendeten Versuch möglich. Der Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch wurde früher die Unterscheidung zwischen den für einen Rücktritt jeweils erforderlichen Verhaltensweisen gegenübergestellt: Ein aktives, den Erfolg verhinderndes „Tun“ beim beendeten Versuch und ein „Unterlassen“ der weiteren Erfolgsverursachung beim unbeendeten Versuch. Heutzutage ist dieses Kriterium nicht schon eine kategoriale Unterscheidung der Versuchsstufen, sondern eine Unterscheidung der für die Verhinderung des Erfolgseintritts erforderlichen Verhaltensweise des Täters, entweder durch Tun oder durch Unterlassen3. Wenn der Täter schon durch Unterlassen der weiteren Tat den Erfolgseintritt verhindern kann, ist der Versuch noch unbeendet, wenn er den Erfolgseintritt hingegen nur durch ein Tun verhindern kann, liegt bereits ein beendeter Versuch vor. Wenn der Täter z. B. auf jemanden vorsätzlich mit einem Revolver, dessen Trommel sechs Kugeln fasst, einen Schuss abgibt und dadurch eine leichte Körperverletzung verursacht, verhindert er den Erfolgseintritt in Gestalt des Todes durch das bloße Unterlassen weiterer Schüsse, obwohl die Handlungsmöglichkeit zur Abgabe weiterer Schüsse bestand. In diesem Fall ist der Versuch also unbeendet. 2. Strafgrund des Versuchs Was den Strafgrund des Versuches anbetrifft, so standen sich früher die objektive und die subjektive Versuchslehre gegenüber. Diese Gegenüberstellung geht auf den Gegensatz zwischen klassischer und moderner Schule zurück. Die moderne Schule sah den Strafgrund des Versuchs in der subjektiven Seite der Tat, also im Willen des Täters. Für die klassische Schule war dagegen die objektive Seite der Tat, also die Gefährlichkeit der Handlung, ausschlaggebend. Heutzutage gibt es die typische moderne Schule nicht mehr. Herrschend ist die gemischte Theorie. Gleichwohl setzt sich beim Problem des Strafgrundes des Versuchs der Gegensatz zwischen objektiver und subjektiver Theorie in einer neuen Form fort, im Gegensatz zwischen Erfolgsunwertstheorie und Handlungsunwertstheorie. 2 Sie
net.
werden auch als „Tatbeginnsversuch“ und „tatausgeführter Versuch“ bezeich-
3 In Deutschland wird diese Perspektivänderung als „Horizontwechsel“ bezeichnet. Vgl. unten IV. 3. a) aa).
II. Der Anfang der Tatausführung
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Dieser Gegensatz wird häufig als Unterschied zwischen ideologisch unterschiedlichen Strafrechtsanschauungen eingeordnet. Er hat aber Auswirkungen auf viele strafrechtliche Problemfelder wie Versuchsbeginn, Strafbarkeit des untauglichen Versuchs oder auch Rechtfertigungsgründe. Allgemein gesagt wird der Strafgrund des Versuchs in Japan eher in der objektiven Gefährlichkeit der Tat gesucht. Das japanische StGB hat keine dem § 23 Abs. 3 des deutschen StGB entsprechende Vorschrift, die eine Strafbarkeit des untauglichen Versuchs begründet.
II. Der Anfang der Tatausführung 1. Theorien zum Anfang der Tatausführung Der Anfang der Ausführung ist, formell gesagt, der unmittelbare Beginn der tatbestandsmäßigen Handlung. Er ist maßgeblich für die Abgrenzung zwischen der nur in Ausnahmefällen strafbaren Vorbereitung und dem weitaus häufiger strafbaren Versuch. Hinsichtlich des Anfangs der Tatausführung lässt sich zwischen drei Auffassungen differenzieren: der subjektiven, der objektiven und der gemischten Theorie. a) Subjektive Theorie Die subjektive Theorie, die auf der Grundlage der Anschauungen der modernen Schule vertreten wurde, sah das Wesen des Verbrechens in der Gefährlichkeit des Täterwillens. Sie suchte daher den Anfang der Ausführung im Zeitpunkt des „äußerlichen Ausdrucks des verbrecherischen Willens“ des Täters4, z. B. in einem „sprunghaften Hervortreten des verbrecherischen Willens“5. Aber es ist schwierig, dieses Kriterium objektiv anzuwenden und klar zu beurteilen, ob es erfüllt ist. b) Objektive Theorie Die objektive Theorie ist die heute herrschende Meinung. Es gibt zwei Erscheinungsformen der objektiven Theorie: Die formell-objektive Theorie und die materiell-objektive Theorie. Für die erstgenannte Theorie ist entscheidend, ob die Handlung des Täters den Tatbestand mit Ausnahme des Tatbestandserfolgs ganz oder wenigstens teilweise erfüllt hat. Diese Theorie geht davon aus, dass der Anfang der Tatausführung im Beginn der tatbestandsmäßigen Handlung, also z. B. dem Beginn der „Tötungshandlung“ beim Tötungsdelikt, zu sehen ist. Für 4 5
Makino, AT, Bd. 1, S. 359; Kimura, AT, S. 255. Miyamoto, AT, 1935, S. 179.
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N. Versuch
die materiell-objektive Theorie ist das Entstehen der Gefahr des Erfolgseintritts maßgeblich. An der formell-objektiven Theorie wird kritisiert, dass ihr eine materielle Definition der Tatbestandsmäßigkeit fehlt und ihre Grundaussage damit eine bloße Tautologie ist: „Der Beginn der Tötungsausführung ist der Beginn der Tötungshandlung“. Des Weiteren wird vertreten, dass die Beschränkung auf die tatbestandsmäßige Handlung den Bereich strafbarer Versuche zu eng fasst. Deswegen erweitern manche Vertreter dieser Theorie diesen Bereich etwas und schließen auch „die dem Tatbestand naheliegenden Handlungen“ ein6. In der Rechtsprechung gibt es eine Reihe von Entscheidungen, die auf der Einbeziehung der „naheliegenden Handlungen“ beruhen7. Die materiell-objektive Theorie bestimmt den Anfang der Tatausführung über die materielle Gefahr einer Rechtsgutsverletzung. Was dabei unter „materieller Gefahr“ zu verstehen ist, ist aber umstritten. Nach der „Theorie der realen Gefahr“ wird das Vorliegen der Gefahr einer Rechtsgutsverletzung vom ex-ante-Standpunkt aus auf der Basis der durch den Täter erkannten und der von einem durchschnittlichen Menschen erkennbaren Umstände beurteilt. Daher macht sich der Täter schon wegen eines Tötungsversuches strafbar, wenn er vergiftete Pralinen bei der Post mit dem Ziel aufgegeben hat, den Empfänger der Sendung zu töten. Nach der „Theorie der objektiven Gefahr“ macht sich der Täter dagegen erst dann wegen eines Tötungsversuches strafbar, wenn das Gift den Bereich des Opfers erreicht, wenn dieses also die Pralinen erhalten hat. Die Theorie der objektiven Gefahr vertritt, dass von einem Beginn der Tatausführung erst dann gesprochen werden kann, wenn die Gefahr für das Rechtsgut tatsächlich entstanden ist. Sie berücksichtigt damit die Umstände, die nach der Vornahme der eigentlichen Tathandlung entstanden oder erkennbar geworden sind. Der Begriff der „Gefahr“ beschreibt nach dieser Theorie einen „Gefahrenzustand“, der durch die Tat verursacht wurde, während er nach der Theorie der realen Gefahr eine „Gefahrenprognose“ beinhaltet. c) Gemischte Theorie Nach der gemischten Theorie soll der Anfang der Tatausführung unter Berücksichtigung sowohl der subjektiven Seite der Tat als auch der objektiven Gefahr der Rechtsgutsverletzung bestimmt werden. Innerhalb dieser Theorie werden zwei Auffassungen vertreten: Die „subjektiv-objektive Theorie“ und die „einzeln-objektive Theorie“8. Nach der ersten Auffassung fängt die Tatausführung an, wenn der verbrecherische Wille nach der auf Grund der gesamten 6
Uematsu, AT, S. 315: Urteil des OGH v. 7. 4. 1948 Keishu Bd. 2, H. 4, S. 399; Urteil des OG v. 27. 12. 1954, Kokeishu Bd. 7, H. 12, S. 1785. 8 Sinngemäß kann diese Theorie als „deliktsspezifisch-objektive Theorie“ übersetzt werden. 7
II. Der Anfang der Tatausführung
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subjektiven Vorstellungen und Absichten des Täters durchgeführten Beurteilung klar zum Ausdruck kommt und eine unmittelbare Gefahr für das Tatbestandsobjekt entsteht9. Diese Theorie berücksichtigt bei der Festlegung des Anfangs der Tatausführung sowohl den subjektiven Willen des Täters als auch die objektive unmittelbare Gefahr für das Tatbestandsobjekt. Nach dieser Theorie wird das Kriterium des verbrecherischen Willens in der früheren Phase des Versuchs angewendet und auch das Kriterium der objektiven Gefahr erfüllt keine hinreichende Einschränkungsfunktion, da sie den Beginn der Tatausführung bereits sehr früh bejaht. Die „einzelne-objektive Theorie“ sieht den Anfang der Ausführung in dem Zeitpunkt, in dem nach dem Täterplan eine dringende Gefahr der Rechtsgutsverletzung eintritt. Diese Theorie will den Zeitpunkt je nach Delikt gesondert bestimmen, wodurch sie zu ihrem Namen gekommen ist.10 Die Kritik an dieser Theorie wendet sich vor allem dagegen, dass sie den Täterplan als Grundlage der Bejahung einer Gefahr verwendet. Nach dieser Theorie ist es nicht denkbar, dass bei den Fahrlässigkeitsdelikten auch ein Anfang der Ausführung vorhanden ist, da bei den Fahrlässigkeitsdelikten ja gerade kein Tatplan bezüglich des Fahrlässigkeitsdeliktes vorliegt. d) Eigene Theorie Der Ausgangspunkt meiner eigenen Theorie liegt in der Auffassung, dass die Beurteilung der Gefahr zweidimensional durchgeführt werden sollte. Der Begriff des Anfangs der Tatausführung konstituiert sich aus der „Handlungsgefahr“, die aus der ex-ante-Perspektive beurteilt werden muss, und der aus der ex-post-Perspektive zu beurteilenden „Erfolgsgefahr“. Die Handlungsgefahr ergibt sich aus der „potentiellen Tatausführung“, die dann später, nach der Beurteilung ex post, als die „Tatausführung“, die die konkrete Gefahr der Rechtsgutsverletzung verursacht hat, bezeichnet werden kann. Der Gegenstand der Handlungsgefahr ist das menschliche äußere Verhalten, das zur Rechtsgutsverletzung führt. Wenn der Täter die Handlungsgefahr schafft, kann die Handlung eine potenzielle Tatausführung gestalten. Wenn der Täter also, um das oben genannte Beispiel aufzugreifen, die vergifteten Pralinen bei der Post aufgibt, begründet seine Handlung schon, ex-ante gesehen, die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung. Deswegen ist sie schon ein potentieller Anfang der Tatausführung, die aber noch nicht den Versuchsbeginn markiert. Wenn die vergifteten Pralinen den Bereich des Opfers erreichen, also eine reale Gefahr entsteht, wandelt sich der potentielle Anfang der Tatausführung rückwirkend zur wirklichen Tatausführung. Wenn die vergifteten 9
Kimura, AT, S. 345. Nishihara, AT, S. 282; ders., Kansetsu Seihan no Riron (Die Lehre der mittelbaren Täterschaft), 1962, S. 149 ff.; Nomura, Strafrecht AT, S. 331 ff.; Kawabata, AT, S. 481 ff.; Shinji Saito, Strafrecht AT, 6. Aufl., 2008, S. 216 ff. 10
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N. Versuch
Pralinen dagegen auf dem Postweg verloren gehen, hat sich die Handlungsgefahr nicht realisiert, die potentielle Tatausführung wird nicht zu einer tatsächlichen. Ich nenne dies „die Theorie der nachträglichen rückwirkenden Bewertung“11. 2. Rechtsprechung zum Anfang der Tatausführung Die Rechtsprechung hat vor dem Zweiten Weltkrieg die formell-objektive Theorie vertreten, wobei deren Bereich etwas erweitert wurde12. Aber sie hat schon damals beim Diebstahl nicht nur die tatbestandsmäßige Handlung, sondern auch „die sich der tatbestandsmäßigen Handlung anschließende Handlung“ als Tataus führung anerkannt13. Beim Diebstahl wurde der Anfang der Tatausführung in der „Ausforschungshandlung“ gesehen. Nach der Rechtsprechung des RG wird als Tatausführung bereits anerkannt, wenn sich der Täter mit der Absicht zur Begehung eines Diebstahls an den Tatort begibt und beginnt, ihn auszuforschen. Materiell gesehen, hat sich die Rechtsprechung damit der gemischten Theorie zugewandt14. Diese Meinung scheint auch nach dem Zweiten Weltkrieg vom OGH übernommen worden zu sein. Bei einer Brandstiftung ist der Anfang der Tatausführung im Beginn des „Feuerlegens“ zu suchen. Soll der Brand über eine als Anzünder verwendete Sache gelegt werden, etwa mittels einer ölgetränkten Zeitung, ist schon das Anzünden dieser Sache der Beginn der Tatausführung. Wenn man Benzin in einem geschlossenen Raum verteilt, um das Gebäude in Brand zu setzen, ist schon das Ausgießen des Benzins der Beginn des „Feuerlegens“15. Bei einer Vergewaltigung ist der Anfang der Vergewaltigungshandlung schon im Verschleppen des Opfers in einen Lastkraftwagen an einem abgelegenen Ort zu sehen, wenn der Täter geplant hat, das Opfer damit an einen anderen Ort zu transportieren und dort nach dem Verlassen des Fahrzeugs zu vergewaltigen16. Dagegen hat der Täter 11 Yamanaka, Zum Beginn der Tatausführung im japanischen Strafrecht in: Hirsch/ Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, 1989, S. 101 ff., S. 111 f. 12 Vgl. Hitoshi Otsuka, Sogo Hanrei Kenkyu Sosho: Keiho (Forschungsschriften für die gesamten Entscheidungen, Strafrecht), Bd. 3, S. 6 ff.: Urteil des RG v. 21. 12. 1903, Keiroku Bd. 9, S. 1905; Urteil des RG v. 1. 11. 1929, Keishu Bd. 8, S. 557. 13 Urteil des RG v. 11. 10. 1917, Keiroku Bd. 23, S. 1078; Urteil des RG v. 19. 10. 1934, Keishu Bd. 13, S. 1473. 14 Vgl. Nomura, Shin Hanrei Kommentar (Der neue Kommentar der Rechtsprechung) (hrsg. v. Otsuka/Kawabata), Bd. 3, 1996, S. 3. 15 Urteil des LG Shizuoka v. 1. 9. 1964, Kakeishu Bd 6, H. 910, S. 1005; Urteil des LG Yokohama v. 20. 7. 1983, Hanrei Jiho 1108, 138. Das Verteilen eines Öls mit geringer Flüchtigkeit wurde dagegen nicht als Beginn der Ausführung der Brandstiftung angesehen (Urteil des LG Chiba v. 25. 5. 2004, Hanrei times 1188, 347). 16 Urteil des OGH v. 28. 7. 1970, Keishu Bd. 24, H. 7, S. 585.
III. Untauglicher Versuch
251
noch nicht mit der Vergewaltigungshandlung begonnen, wenn er das Opfer aus der Eingangshalle von dessen Apartment in sein eigenes Fahrzeug verschleppt17. Denn diese Gewalttat begründet als Mittel zur Verwirklichung des Vergewaltigungsplans noch keine objektive Gefahr, weil der Tatort in einem Wohngebiet liegt, in dem der Täter seinen Tatplan nicht mit der erforderlichen Sicherheit verwirklichen kann, da mit dem Einschreiten Dritter zu rechnen ist. Bei Distanzdelikten wie der Vergiftung wird der Anfang der Tatausführung tendenziell dann bejaht, wenn beispielsweise das Gift den Bereich des Opfers erreicht. Hier folgt die Rechtsprechung18 eher der objektiven Theorie. In einem Fall, in dem der Täter giftigen Saft in einem Beutel auf einen Weg gelegt hatte, der zu einem Bauernhaus führte, hat das LG noch keinen Beginn der Tatausführung bejaht19, weil es noch keine unmittelbare Gefahr einer Rechtsgutsverletzung gab.
III. Untauglicher Versuch 1. Begriff und Strafbarkeit des untauglichen Versuchs Der untaugliche Versuch ist nach der herrschenden Meinung in Japan nicht strafbar. Es gibt keine Vorschrift, die die Strafbarkeit oder Straflosigkeit des untauglichen Versuchs ausdrücklich anordnet20. Die Straffreiheit wird vielmehr mit einer Auslegung des § 43 StGB begründet: Die „Ausführung einer Straftat“ muss begonnen haben, um als Versuch bestraft werden zu können. Nach der formell-objektiven Theorie entspricht beispielsweise ein untauglicher Versuch einer Tötung nicht dem „Typus der Tötungshandlung“. Nach der materiell-objektiven Theorie ist eine Handlung, die nicht zu einer objektiven Gefahr führt, keine Tatausführung. Wenn der Täter aus Aberglauben versucht, einen anderen durch einen Fluch zu töten, stellt seine Tat in Japan einen untauglichen Versuch dar. Der untaugliche Versuch lässt sich in drei Fallgruppen differenzieren, bei denen eine Untauglichkeit des Mittels, des Handlungsobjekts oder des Handlungssubjekts vorliegt. Als Fall der Untauglichkeit des Mittels lässt sich eine versuchte Tötung durch einen Schuss mit einer ungeladenen Pistole nennen. Ein Beispiel für die Untauglichkeit des Objekts ist der Tötungsversuch durch einen Schuss auf einen Leichnam. Eine Untauglichkeit des Subjekts kommt in Fällen von Sonderdelikten in Betracht, etwa wenn jemand, der sich irrtümlich für einen Beamten hält, Bestechungsgelder an17
Urteil des OG Hiroshima v. 23. 3. 2004, LEX/DB. Urteil des RG v. 16. 11. 1918, Keiroku Bd. 24, S. 1352. 19 Urteil des LG Utsunomiya v. 9. 12. 1965, Kakeishu Bd. 7, H. 12, S. 2189. 20 § 23 Abs. 3 des deutschen StGB lautet: „Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, dass der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern.“ 18
252
N. Versuch
nimmt. Dem Täter fehlt es hier für die Verwirklichung eines Bestechungsdeliktes an der Sonderqualifikation „Beamter“. Allerdings wurde der Fall der Untauglichkeit des Subjekts manchmal als Fall eines „Mangels am Tatbestand“ behandelt21. Heutzutage wird diese Theorie des Mangels am Tatbestand in Japan abgelehnt22. Wenn man den untauglichen Versuch auf die Fälle des fehlenden Erfolgseintritts beschränkt, umfasst er die Untauglichkeit des Subjekts nicht. Der untaugliche Versuch ist von einem „Wahndelikt“ zu unterscheiden. Während der untaugliche Versuch ein Fall des „umgekehrten Tatsachenirrtums“ ist, ist das Wahndelikt ein Fall des „umgekehrten Verbotsirrtums“. Wahndelikte sind niemals strafbar, weil es schon keinen Straftatbestand für das betreffende Verhalten gibt. 2. Unterscheidung zwischen untauglichem und fehlgeschlagenem Versuch a) Absolute und relative Untauglichkeit Die wichtigste Aufgabe der Diskussion des untauglichen Versuchs ist die Unterscheidung zwischen dem nicht strafbaren untauglichen Versuch und dem strafbaren Versuch. Früher gab es die sog. „alte objektive Theorie“, die zwischen der „absoluten Untauglichkeit“ und der „relativen Untauglichkeit“ differenzierte23. Beim absolut untauglichen Versuch sollte die Strafbarkeit, anders als beim relativ untauglichen Versuch, verneint werden. Als „absolut untauglich“ wurde ein Fall des Versuchs angesehen, in dem keine objektive Gefahr des Erfolgseintritts vorlag. Als „relativ untauglich“ wurden Versuchsfälle angesehen, bei denen nur auf Grund der besonderen Umstände des einschlägigen Falls keine objektive Gefahr eintrat. Danach ist z. B. der Fall, in dem der Täter einen – von ihm nicht als solcher erkannten – Leichnam töten will, ein absolut untauglicher Versuch, während der Fall, in dem der Täter einen anderen mit einem zufällig ungeladenen Revolver töten will, ein strafbarer Versuch ist. b) Theorien zum untauglichen Versuch Zum untauglichen Versuch werden folgende Auffassungen vertreten: Die subjektive Theorie, die abstrakte Gefährdungstheorie, die konkrete Gefährdungstheorie und die objektive Gefährdungstheorie. Nach der subjektiven Theorie, die auf der Grundlage der modernen Schule beruht, ist der Versuch strafbar, wenn der Täter seinen auf die Begehung einer 21 Vgl.
Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., 1969, S. 193 f. Otsuka, a .a. O., S. 251; Fukuda, a .a. O., S. 244; Yamanaka, a .a. O., S. 783. 23 Kanzaburo Katsumoto, a .a. O., S. 177 ff.; Shigema Oba, a .a. O., Bd.2, S. 850 ff. – Bei relativer Untauglichkeit ist die Tat nach dieser Theorie strafbar. 22 Vgl.
III. Untauglicher Versuch
253
Straftat gerichteten Willen „in die Tat umgesetzt“ hat. Sie sieht den Strafgrund des Versuchs in der vom verbrecherischen Willen ausgehenden Gefahr. Nach dieser Theorie ist der untaugliche Versuch in der Regel strafbar, eine Ausnahme wird lediglich beim „abergläubischen Versuch“ gemacht. Die Gefahr wird nach dieser Theorie auf der Grundlage der Tätervorstellungen beurteilt. Deswegen liegt ein strafbarer Versuch vor, wenn der Täter das Opfer ein Stück Zucker einnehmen lässt und dabei glaubt, dass das Opfer durch die Einnahme des Zuckers sterben wird. Nach der Theorie der abstrakten Gefahr wird die Gefahr im Zeitpunkt der Tat zwar auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände beurteilt, die Beurteilung selbst erfolgt aber, anders als bei der subjektiven Theorie, aus der Sicht eines objektiven Dritten, den man sich dabei als durchschnittlichen Beobachter vorstellen muss. Wenn danach eine Gefahr des Erfolgseintrittes zu bejahen ist, liegt ein strafbarer Versuch vor. Ist eine solche Gefahr zu verneinen, liegt ein untauglicher Versuch vor. Falls der Täter nach dieser Theorie im zuvor genannten Beispiel geglaubt hat, dass der von ihm verabreichte Zucker eine tödliche Wirkung hat, liegt ein untauglicher Versuch vor, z. B. wenn der Täter infolge einer Verwechselung glaubt, dass es sich bei dem Zucker um Zyankali handelt. Die in Japan herrschende Meinung ist die „Theorie der konkreten Gefahr“, nach der die Gefahr für den Erfolgseintritt auf der Basis der von einem durchschnittlichen Beobachter erkennbaren und der vom Täter besonders erkannten Umstände aus der Sicht eines objektiven Dritten konkret beurteilt werden soll. In dem Beispiel, in dem der Täter Zucker irrtümlich für Zyankali hält und versucht, damit einen Menschen zu töten, ist die konkrete Gefahr der Tat auf der Basis der für einen durchschnittlichen Beobachter erkennbaren Umstände zu beurteilen. Wenn der vermeintliche Zucker sich in einem Gefäß befindet, auf den ein Zettel mit der Aufschrift „Zyankali“ geklebt ist, wird der durchschnittliche Beobachter damit rechnen, dass sich in dem Gefäß Zyankali befindet. In diesem Fall liegt ein strafbarer Tötungsversuch vor. Nach dieser Theorie erfolgt die Beurteilung der Gefahr immer im Zeitpunkt der Tatausführung. Fraglich ist dabei, ob die Entstehung der „konkreten Gefahrensituation“ als objektiver Umstand eine Rolle spielt. Wenn der Täter z. B. auf ein Bett, in dem niemand liegt, mit einer Pistole Schüsse abgibt, um den vermeintlich dort Schlafenden zu töten, scheint keine konkrete Gefahrensituation entstanden zu sein. Nach der „Theorie der objektiven Gefahr“ ist die Gefahr für den Erfolgseintritt auf der Basis aller im Zeitpunkt der Tat vorhandenen objektiven Umstände vom Standpunkt eines rationalen durchschnittlichen Beobachters zu beurteilen. Als Beurteilungsbasis spielen nach dieser Theorie die vom Täter besonders erkannten Umstände keine Rolle. Sie werden wegen der objektiven Betrachtungsweise immer umfasst. An dieser Theorie wird kritisiert, dass nach ihr jeder Versuch letztlich als untauglicher Versuch endet, weil sich ex post betrachtet kein notwendiger
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N. Versuch
Kausalablauf ergeben konnte, wenn alle vorhandenen Umständen als Beurteilungsbasis mitberücksichtigt werden. Alle Versuche konnten schon von Anfang an notwendigerweise nicht zum Erfolg führen. Aus diesem Grund entstanden die modifizierten Theorien der objektiven Gefahr. Eine solche modifizierte Theorie ist die „Theorie der hypothetischen Tatsache“24. Diese Theorie fragt zuerst danach, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Tatsache, die in der Wirklichkeit nicht vorlag, hypothetisch hätte vorliegen können. Wenn das Vorliegen dieser Tatsache ausreichend wahrscheinlich war, kann man nach dieser Theorie diese Tatsache als Beurteilungsbasis mitberücksichtigen. Im oben dargestellten Beispielsfall der Schüsse auf das leere Bett fragt diese Theorie beispielsweise danach, ob das Opfer nur zufällig nicht in diesem Bett lag oder nicht. Wenn das Opfer zufällig in dieser Nacht in einem anderen Zimmer geschlafen hat, ist eine Gefahr zu bejahen und es liegt ein strafbarer Versuch vor. Wenn das Opfer schon einen Monat vor der Tat in die USA umgezogen ist, ist die Tat ein untauglicher Versuch. c) Eigene Meinung Meiner Meinung nach lässt sich die bei der Problematik des Anfangs der Tat ausführung dargestellte „Theorie der zweidimensionalen Gefahrenprognose“ auch auf den untauglichen Versuch anwenden, d. h. die Gefahr sollte sowohl vom Standpunkt ex ante als auch vom Standpunkt ex post aus beurteilt werden. Die erste Beurteilung betrifft die „Gefahrbegründung“, die zweite dagegen das Entstehen der „konkreten Gefahrensituation“. Die erste Beurteilung scheint im Wesentlichen der Beurteilung nach der „Theorie der konkreten Gefahr“ zu entsprechen. Deswegen lässt sich eine „Gefahr“ verneinen, wenn der Täter statt auf einen Menschen auf eine Kleiderpuppe zielt, da ein rationaler durchschnittlicher Beobachter normalerweise nicht eine Kleiderpuppe mit einem Menschen verwechselt. Die konkrete Gefahrensituation bei der zweiten Gefahrenprognose ist eine „Situation, in der die objektive Wahrscheinlichkeit für den zeitnahen Erfolgseintritt hoch ist“, wenn die gesamten Umstände, d. h. die vor der Tatausführung vorhandenen und die nach der Tatausführung entstandenen, bei der Beurteilung berücksichtigt worden sind. d) Rechtsprechung zum untauglichen Versuch In der älteren Rechtsprechung finden sich nicht wenige Entscheidungen, die der Unterscheidung zwischen der absoluten und der relativen Untauglichkeit folgen 25 und vor allem in den unteren Instanzen auch die Theorie der konkreten 24 Atsushi Yamaguchi, Kikenhan no Kenkyu (Studien zu den Gefährdungsdelikten), 1982, S. 165 ff. Diese (vorläufige) Bezeichnung der Theorie stammt von mir. Vgl. Yamanaka, Keiho Soron (Strafrecht AT), 2. Aufl., 2008, S. 735. 25 Urteil des OGH v. 31. 8. 1950, Keishu Bd. 4, H. 9, S. 1593.
IV. Rücktritt vom Versuch
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Gefahr vertreten26. Es gibt nur wenige Entscheidungen, in denen ein untauglicher Versuch bejaht wurde. In einem Fall, in dem der Täter Schwefelpulver in einen Kochtopf getan hatte, um einen anderen Mann damit tödlich zu vergiften, hat das RG den Täter nicht wegen des Versuchs der Tötung, sondern nur wegen Körperverletzung verurteilt27, weil die Tötung mit einem solchen Mittel „absolut untauglich” gewesen sei. In einer Entscheidung nach dem Zweiten Weltkrieg hat das OG Tokio einen strafbaren Tötungsversuch in einem Fall verneint, in dem der Täter mit einer Handgranate einen anderen töten wollte. Die Handgranate, die wahrscheinlich lange in der Erde gelegen hatte, ist nicht explodiert, weil der Zündmechanismus mittlerweile unbrauchbar geworden war28. Nicht wenige Entscheidungen verneinen dagegen das Vorliegen eines untauglichen Versuchs. Das OG Hiroshima hat sogar in einem Fall, bei dem der Täter in Tötungsabsicht ein Schwert in einen Leichnam einer kurz zuvor erschossenen Person stieß, einen untauglichen Versuch verneint, weil bei einer objektiven Betrachtung ex ante die Gefahr bestand, mit dem Schwert getötet zu werden 29. Denn ein durchschnittlicher Beobachter würde nach der Theorie der konkreten Gefahr davon ausgehen, dass das gerade verstorbene Opfer noch lebte. Auch beim sog. „Lufteinspritzungsfall“ hat der OGH einen untauglichen Tötungsversuch verneint30. Der Täter hatte hier zum Zweck des Betrugs gegenüber der Lebensversicherung Luft in einer Menge von 30 bis 40 cm3 in die Armvene des Opfers eingespritzt. Tödlich wäre eine Menge von 70 bis 300 cm3 gewesen. Der OGH hat eine Todesgefahr mit der Begründung bejaht, eine solche könne nicht „absolut ausgeschlossen“ werden.
IV. Rücktritt vom Versuch 1. Gesetzliche Regelung Nach § 43 Satz 2 StGB muss der Richter bei einem Rücktritt vom Versuch den Täter von der Strafe befreien oder die Strafe mildern. Ein Rücktritt vom Versuch liegt nach dieser Vorschrift vor, „wenn der Täter aus eigenem Willen von der Ausführung zurücktritt“. Alle anderen Versuche werden als „fehlgeschlagener Versuch“ bezeichnet, ein Begriff, der auf das alte StGB zurückgeht31. Das alte japanische StGB kannte keinen „Rücktritt vom Versuch“. 26 Urteil des OG Tokio v. 14. 8. 1951, Kokeitoku Bd. 21, H. 11, S. 1919; Urteil des OG Hiroshima v. 10. 7. 1961, Kokeishu Bd. 14, H. 5, S. 310. 27 Urteil des RG v. 10. 9. 1917, Keiroku Bd. 23, S. 999. 28 Urteil des OG Tokio v. 16. 6. 1954, Tokokei Jiho Bd. 5, H. 6, S. 236. 29 Urteil des OG Hiroshima v. 10. 7. 1961, Kokeishu Bd. 14, H. 5, S. 310. 30 Urteil des OGH v. 23. 3. 1962, Keishu Bd. 16, H. 3, S. 305. 31 Boissonade hat zwischen „tentativ“ (unbeendeter Versuch) und „délit manqué“ (beendeter Versuch) unterschieden. Nach Boissonade war beim délit manqué noch der Rück-
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2. Grund und Zweck des Rücktritts vom Versuch Es gibt, grob differenziert, zwei Theorien: Die „kriminalpolitische Theorie“ und die „Rechtstheorie“32. In Deutschland sind diese Theorien schon veraltet und werden heute kaum noch vertreten33. Die Rechtstheorie jedoch wird in Japan gegenwärtig noch vertreten. Der Begriff „Rechtstheorie“ wird dabei als eine gemeinsame Bezeichnung für eine „Unrechts- und Schuldtheorie“ verwendet. Im japanischen StGB ist die Rechtsfolge des Rücktritts vom Versuch nicht zwingend die Strafbefreiung, es kommt auch eine bloße Strafmilderung in Betracht. Aus diesem Grund handelt es sich hier bei der „Unrechts- und Schuldtheorie“ um Theorien zur Unrechts- bzw. Schuldverringerung. Die „kriminalpolitische Theorie“ eignet sich als Strafbefreiungs- und Strafzumessungstheorie, weil sie sich unabhängig von den Straftatelementen nur auf die Strafe bezieht. Die „Strafzwecktheorie“ und die „Prämientheorie“ werden in Japan meistens innerhalb der „Rechtstheorie“ vertreten. Die Gegenüberstellung von „kriminalpolitischer Theorie“ und „Rechtstheorie“ findet jedoch bloß auf der Ebene der theoretischen Analyse statt. In der Wirklichkeit werden beide Theorien als zwei Perspektiven des Rechtscharakters des Rücktritts zu einer Theorie synthetisiert34. Die kriminalpolitische Theorie stellt dabei den „Zweck“, die Rechtstheorie dagegen den „Grund“ der Strafbefreiung oder -minderung dar. Relativ neu ist die „Theorie des Gefährdungserlöschens“35. Nach dieser Theorie erlischt die Gefahr der Erfolgsvollendung durch die Rücktrittshandlung des Täters nachträglich, weil diese Handlung als „Tatbestand“ verlangt, dass der tritt möglich. Goldschmidt versteht délit manqué als den Versuch, bei dem kein Rücktritt möglich ist (Goldschmidt, Die Lehre vom unbeendigten und beendigten Versuch, 1897, S. 21). Aber die damaligen Strafrechtler in Japan haben „délit manqué“ als „beendeter Versuch, bei dem ein Rücktritt möglich ist“ ausgelegt. Wenn man deswegen wie in Deutschland unter einem „fehlgeschlagenen Versuch“ einen Versuch versteht, bei dem ein Rücktritt von Anfang an ausgeschlossen ist, dann kann der Begriff nicht als „délit manqué“, sondern muss eher im Sinne eines „Versuchs wegen eines Hindernisses“ verstanden werden. Vgl. dazu Yamanaka, Chushimisui no Kenkyu (Studien zum Rücktritt vom Versuch), 2001, S. 109 ff., 191 ff., 213. 32 Zur Lehre vom Rücktritt vom Versuch vgl. Yamanaka, Betrachtungen zum Rücktritt vom Versuch anhand der Diskussion in Japan, ZStW 98, S. 761 ff. (Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 274 ff.); ders., Betrachtungen über den Strafbefreiungsgrund des Rücktritts vom Versuch, in: FS Roxin, 2001, S. 773 ff. (Yamanaka, a .a. O., S. 301 ff.). 33 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, 5. Aufl., 1996, S. 538; Roxin, Strafrecht, 2003, AT Bd. 2, § 30 Rn. 11 ff. 34 Vgl. z. B. Otsuka, AT, 4. Aufl., 2008, S. 257 f. Der Autor vertritt auch eine synthetische Theorie bei der Unrechts- und Schuldverringerungstheorie. 35 Atsushi Yamaguchi, Mondai Tankyu Keihou Soron (Problemerforschung im Allgemeinen Teil des Strafrechts) 1998, S. 224. Zur Kritik vgl. Yamanaka, a .a. O., Studien zum Rücktritt vom Versuch, S. 54 ff., 59 ff., S. 311.
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Täter die Gefahr von dem Rechtsgut wegbewegt, also eine gegenüber dem bisherigen Verhalten „umgekehrte Richtung“ einschlägt. Diese Theorie erschien zunächst eine Modifizierung der in Deutschland vertretenen „Theorie der zurechenbaren Gefährdungsumkehr“36 zu sein, die den Rücktritt vom Versuch als Strafbefreiungsgrund aufgrund der Erfüllung des „Umkehrtatbestandes“ versteht. Der Autor hat die „Theorie des Gefährdungserlöschens“ allerdings in die „Unrechtsverringerungstheorie“ eingeordnet37, nachdem er durch seine Kritiker auf die Ähnlichkeit zur Lehre der Gefährdungsumkehr hingewiesen wurde38. Meiner Ansicht nach ist der Rücktritt vom Versuch als „Grund der Verringerung der strafbedürftigen Schuld“ zu bezeichnen. Die strafwürdige Schuld des Täters wird durch seine Rückkehr in die Legalität verringert. Durch die Befolgung der „Empfehlungsnorm“, die dem Täter, der durch die Tatausführung ins Unrecht geraten ist, mit dem Inaussichtstellen einer Strafminderung oder gar Strafbefreiung zur Rückkehr bewegen will, wird die Verantwortlichkeit verringert39. Dadurch, dass man den Rücktritt vom Versuch als Verantwortlichkeits verringerungsgrund einordnet, können die „kriminalpolitische Theorie“ und die „Rechtstheorie“ systematisch widerspruchsfrei integriert werden. 3. Die Anforderungen an den Rücktritt vom Versuch § 43 S. 2 StGB nennt zwei wichtige Anforderungen, die an einen strafbefreienden oder -mildernden Rücktritt zu stellen sind: Der Täter muss erstens von der Ausführung der Tat „zurücktreten“ und dies muss zweitens aus „eigenem Willen“ geschehen. Dazu kommen noch weitere Anforderungen: Der Rücktritt muss drittens zum Ausbleiben des Erfolgseintritts führen, weil der Rücktritt nur „vom Versuch“ und nicht von der Vollendung möglich ist. a) Rücktrittshandlung aa) Horizontwechsel Welche Anforderungen an die Rücktrittshandlung zu stellen sind, hängt davon ab, ob es sich um einen Rücktritt vom unbeendeten Versuch oder um einen Rücktritt vom beendeten Versuch handelt. Bei einem unbeendeten Versuch reicht für einen Rücktritt vom Versuch das bloße Unterlassen der weiteren Tatausführung aus. Bei einem beendeten Versuch ist dagegen für einen Rücktritt ein positives 36 Jäger, Der Rücktritt vom Versuch als zurechenbare Gefährdungsumkehr, 1996, S. 65, 126 ff. 37 Yamaguchi, AT, S. 279. 38 Yamanaka, a .a. O., S. 59 ff. 39 Yamanaka, a .a. O., S. 310 ff.
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Tun des Täters erforderlich, das den Erfolgseintritt verhindert. Das Stadium, in dem sich der Versuch befindet, bestimmt so, ob es eines Unterlassens oder eines Tuns bedarf, um den Rücktritt vom Versuch feststellen zu können. Eine kopernikanische Wende in der Dogmatik des Rücktritts stellt die im Jahre 1952 publizierte Theorie von Hirano40 dar. Hirano verfolgte einen neuen Ansatz: Er stellte die Frage, welche Verhaltensweise bei der Rücktrittshandlung notwendig ist, um den Erfolgseintritt zu verhindern. Leider wurde diese Theorie von Hirano innerhalb der „gemischten Theorie“, nach der subjektive und objektive Seiten der Rücktrittshandlung zu berücksichtigen sind, entwickelt. Deswegen konnte er zwei Fragen nicht differenziert genug beantworten, erstens, ob nach den objektiven Umständen des Einzelfalls ein Unterlassen ausreicht, um den Erfolgseintritt zu vermeiden oder dazu ein Tun erforderlich ist, und zweitens, ob die Verhaltensweise den subjektiven Umständen nach auch wirklich als „Rücktrittshandlung“ verstanden werden kann41. Wenn das Opfer z. B. mit der ersten Kugel vom Täter ganz leicht verletzt ist, aber der Täter nicht weiß, dass die Trommel seines Revolvers noch einige Kugeln enthält, sollte die erste Frage so beantwortet werden, dass es nur des Unterlassens des weiteren Verletzungsakts bedarf, um den Kausalverlauf zum Erfolgseintritt zu beenden. Die Antwort auf die zweite Frage lautet aber, dass sein Unterlassen wegen der fehlenden Kenntnis der restlichen Kugeln in seinem Revolver keine Rücktrittshandlung ist. bb) Theorien zur Rücktrittshandlung Hinsichtlich der Frage nach der für die Rücktrittshandlung erforderlichen Verhaltensweise gibt es eine Vielzahl verschiedener Theorien: Zu nennen sind hier die subjektive Theorie, die modifizierte subjektive Theorie, die objektive Theorie, die gemischt objektiv-subjektive Theorie und die zweite objektive Theorie. (1) Subjektive Theorie Die subjektive Theorie beurteilt die Frage, ob der Täter die Fortsetzung der Tatausführung aufgibt, nach dem Tatplan des Täters. Wenn er z. B. das Opfer nach seinem Tatplan mit einer mit sechs Kugeln geladenen Mehrladepistole töten 40 Hirano, Chushihan (Rücktritt vom Versuch), Keijiho Koza, Bd. 2, 1952, S. 409 ff. Die bisherigen Theorien gingen von der Differenzierung zwischen dem unbeendeten und dem beendeten Versuch aus, um die Anforderungen an die strafbefreiende Rücktrittshandlung zu begründen. 41 Wenn z. B. der Zurücktretende trotz objektiv vorhandener Rücktrittsmöglichkeit irrtümlich von einem Fehlschlag ausgeht und von der weiteren Tatausführung ablässt, besteht zwar die tatsächliche Möglichkeit, die Tat weiter auszuführen, weshalb ein Unterlassen der weiteren Tatausführung eigentlich für den Rücktritt ausreichen würde. Da er aber ohne Rücktrittswillen die weitere Ausführung unterließ, ist er nicht strafbefreiend zurückgetreten.
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will, dauert die Tatausführung bis zur Erschöpfung des Magazins fort. Nach der subjektiven Theorie ist der Verzicht des Täters auf die weitere Tatausführung die Rücktrittshandlung. Deswegen ist es für den Rücktritt ausreichend, wenn der Täter vor Abschuss der letzten Kugel die Abgabe weiterer Schüsse aufgibt. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Täter den Abschuss der zweiten Kugel aufgibt, nachdem die erste Kugel das Opfer getroffen und bei diesem eine schwere Verletzung verursacht hat. (2) Modifizierte subjektive Theorie Die modifizierte subjektive Theorie versucht, für die zuletzt beschriebene Fallkonstellation eine bessere Lösung zu finden. Wenn die Gefahr für den Erfolgseintritt durch die schon begangene Tat verursacht worden ist, soll unabhängig vom Täterplan bereits ein beendeter Versuch vorliegen, der ein positives Tun als Rücktrittshandlung verlangt. Der subjektiven Theorie stellt sich aber noch ein weiteres Problem, das auch durch die Modifikation nicht gelöst wird: Wenn der Täter den Plan hat, das Opfer mit „einem“ Schuss aus seiner mit sechs Kugeln geladenen Mehrladepistole zu erschießen, kann er nach der Abgabe des ersten Schusses nicht mehr vom Versuch zurücktreten, indem er auf die Abgabe weiterer Schüsse verzichtet. (3) Objektive Theorie Nach der objektiven Theorie liegt nach Beendigung der ersten Tatausführung schon ein beendeter Versuch vor, von dem der Täter nicht mehr durch Aufgabe der weiteren Tatausführung zurücktreten kann. Wenn der Täter z. B. einen Schuss auf das Opfer abgibt, der dieses aber verfehlt, liegt schon ein fehlgeschlagener Versuch vor. Problematisch bei dieser Auffassung ist, dass es auch dann keine Möglichkeit zum Rücktritt vom Versuch mehr gibt, wenn das Opfer durch die erste Tatausführung eine schwere Körperverletzung erleidet und der Täter das Opfer ins Krankenhaus bringt, um es zu retten. (4) Gemischt objektiv-subjektive Theorie Die gemischt objektiv-subjektive Theorie sieht die Tatausführung als eine „gesamte Struktur von subjektiven und objektiven Elementen“ an und wendet diese Betrachtungsweise auch auf die Beendigung der Tatausführung an. Die erforderliche Rücktrittshandlung sollte unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven Elemente bestimmt werden42. Nach dieser Theorie liegt z. B. ein Rücktritt vom Versuch vor, wenn der Täter die Abgabe weiterer Schüsse aufgibt,
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nachdem der erste Schuss das Opfer verfehlt und der Täter dabei die Möglichkeit der Abgabe weiterer Schüsse erkannt hat. (5) Zweite objektive Theorie Nach der sog. „zweiten objektiven Theorie“ liegt ein unbeendeter Versuch vor, wenn der Täter den Erfolg bereits dadurch verhindert, dass er nicht weiter handelt, ein beendeter Versuch liegt demgegenüber vor, wenn der Täter zur Erfolgsabwendung aktiv in den Kausalverlauf eingreift. Das Unterscheidungskriterium dieser Ansicht besteht also darin, ob ein zwangsläufig zum Erfolg führender Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde oder nicht. Aber wenn man dieser Auffassung folgt, ist der Versuch solange nicht beendet, wie der Erfolg nicht entstehen kann. Wenn der Täter z. B. mit einem Revolver, der nur noch eine Kugel enthält, auf einen Mann schießt und ihn nicht trifft, wäre der Versuch noch nicht beendet, weil noch kein zum Erfolg führender Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde, denn die Kugel hat das anvisierte Opfer verfehlt. Das Unterscheidungskriterium dieser Auffassung ist daher fragwürdig. Es sollte vielmehr nur als Kriterium verwendet werden, um zu bestimmen, ob ein bloßes Unterlassen oder ein positives Tun für die Vermeidung des Erfolgseintritts notwendig war. cc) Eigene Auffassung Richtig wäre, zwischen dem Kriterium für die Unterscheidung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch und dem Kriterium für die erforderliche Rücktrittshandlung zu differenzieren. Zuerst ist die Art und Weise der Rücktrittshandlung zu bestimmen. Dafür braucht man nur das objektive Kriterium der notwendigen Verhaltensweise, die den Kausalverlaufes unterbricht, der zum Erfolgseintritt führen würde. Dann ist zu prüfen, ob nicht nur die objektive Seite der Rücktrittshandlung, sondern auch ihre subjektive Seite (Rücktrittswille) erfüllt ist. Wenn der Täter das Opfer mit sechs Pistolenschüssen töten will, muss er, wenn die erste Kugel ihr Ziel verfehlt, für den Rücktritt nur das weitere Tun unterlassen. Für die Beurteilung dafür, ob dieses Unterlassen eine „Rücktrittshandlung“ ist, ist auch die subjektive Seite des Täters zu berücksichtigen. Wenn er ohne Kenntnis davon, dass sich im Magazin der Pistole noch fünf Kugeln befinden, die weitere Tatausführung aufgibt, ist seine Handlung keine Rücktrittshandlung, weil ihm der Wille zum Rücktritt fehlt. Wenn der Täter irrtümlich glaubt, die von der ersten Kugel beim Opfer verursachte Verletzung sei bereits tödlich, hat er keinen Rücktrittswillen, wenn er die Tatausführung wegen seines Irrtums nicht weiter fortsetzt. Freilich ist auch noch erforderlich, dass eine Verhinderung der Tat durch die objektive Rücktrittshandlung noch möglich wäre. Dies ist ausgeschlossen, wenn die Tat auch ohne die Rücktrittshandlung nicht vollendet wür-
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de. Ist es dem Täter nicht möglich, die Tat zur Vollendung zu bringen, da z. B. die Pistole von Anfang an nur eine Kugel enthielt, ist eine Rücktrittshandlung schon objektiv unmöglich. dd) Positive Erfolgshinderung Für die Fälle, in denen für einen wirksamen Rücktritt eine positive, auf die Verhinderung des Erfolgs gerichtete Handlung erforderlich ist, verlangt die herrschende Meinung für den Rücktritt im Allgemeinen vom Täter ein „ernsthaftes Bemühen“ um die Erfolgsverhinderung. Darin unterscheidet sie sich vom deutschen StGB, das ein solches Bemühen nur dann verlangt, wenn die Tat „ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird“ (§ 24 Abs. 2). In Japan wird das „ernsthafte Bemühen“ auch für den Normalfall gefordert, bei dem die positive Rücktrittshandlung für das Ausbleiben des Erfolges kausal ist. Dabei werden strenge Anforderungen gestellt43, insbesondere wenn der Täter einem Dritten, etwa einem Arzt oder Polizisten, die abschließenden Rettungsakte überlässt. So hat z. B. in einem Fall, in dem das Opfer gerettet wurde, weil der Täter nach Aufforderung durch das Opfer einen Notarzt gerufen hatte, das Gericht ein ernsthaftes Bemühen des Täters verneint, weil der Grad des Bemühens des Täters dem Grad der zur Erfolgsverhinderung erforderlichen Handlung nicht entsprach. D. h. im konkreten Fall hätte der Täter die erfolgsverhindernden Handlungen vornehmen müssen, die vom Arzt ausgeführt wurden44. Wenn man andere Entscheidungen zu dieser Art von Rücktrittsfällen mitberücksichtigt, hätte er das Opfer zum Krankenhaus begleiten müssen, um seine Bemühung als „ernsthaft“ zu bewerten45. Da die Rücktrittsvorschrift eigentlich kein „moralisches“ Bemühen voraussetzen sollte, scheint diese Auslegung die Voraussetzungen des Rücktrittsprivilegs zu überspannen. Es sollte ausreichen, wenn die Rücktrittshandlung eine „Handlung ist, die den Erfolgseintritt verhindern kann“46. 43 Diese Auslegung entspricht der Bestleistungstheorie in Deutschland. Vgl. dazu Roxin, Strafrecht, AT, Bd. 2, § 30, Rn. 220. 44 Urteil des LG Osaka v. 21. 6. 1984, Hanrei Times 537, 256. 45 Nach einer Entscheidung hat der Täter sein „ernstes Bemühen“ erwiesen, wenn er das Opfer mit dem Rettungspersonal in den Krankenwagen transportiert, sich bei der Polizei als Täter vorgestellt hat und sich festnehmen lässt (Urteil des OG Fukuoka v. 6. 3. 1986, Kokeishu Bd. 39, H. 1, S. 1). Wenn der Täter zwar das Opfer zum Krankenhaus begleitet, aber zum Arzt sagt, dass das Opfer durch einen anderen Unbekannten erstochen wurde, lehnte das Gericht ein „ernstes Bemühen“ ab (Urteil des OG Osaka v. 17. 10. 1969, Hanrei Times Nr. 244, S. 290). 46 Vgl. Yamanaka, Strafrecht, AT, S. 814 ff. Diese Theorie lässt sich vielleicht in der Mitte zwischen der Chanceneröffnungstheorie und der Bestleistungstheorie in Deutschland einordnen.
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4. Aus eigenem Willen (Freiwilligkeitsbegriff) Auch hinsichtlich der Auslegung des Merkmals „aus eigenem Willen“, also der „Freiwilligkeit“ gibt es verschiedene Meinungen. Zu nennen sind die subjektive Theorie, die objektive Theorie, die objektiv-subjektive Theorie und die normativ-subjektive Theorie. a) Subjektive Theorie Innerhalb der subjektiven Theorie lassen sich zwei Auffassungen unterscheiden: Die ältere subjektive Theorie betrachtet den Rücktritt unter dem Gesichtspunkt des psychologischen Motives. Wenn der Entschluss zum Rücktritt wegen eines der Tatbegehung entgegenstehenden äußeren Hindernisses gefasst wurde, verneint diese Theorie eine autonome Entscheidung und sieht den Entschluss als „unfreiwilligen Willen“ an47. Diese Theorie wird dafür kritisiert, dass nach ihr jede Aufgabe der Tatausführung, die durch das Erkennen von irgendwelchen äußeren Umständen verursacht wurde, als unfreiwillig zu bewerten ist. Wenn der Täter z. B. vom Tötungsversuch zurücktritt, nachdem und weil er erkennt, dass das Gesicht des Opfers dem seiner Mutter ähnelt, erfolgt dieser Rücktritt nach der älteren subjektiven Theorie unfreiwillig, da er seine Tat wegen des Einflusses dieser Erkenntnis aufgegeben hat. Die heute vertretene subjektive Theorie unterscheidet zwischen dem freiwilligen und unfreiwilligen Rücktritt danach, ob die erlangte Kenntnis von dem äußeren Hindernis einen zwingenden Einfluss auf die Motivation des Täters hatte. Als Beurteilungskriterium wird die Frank’sche Formel verwendet. Danach ist der Rücktritt freiwillig, wenn der Täter sich sagt: ich will nicht mehr zum Ziel kommen, selbst wenn ich es könnte, dagegen tritt er unfreiwillig zurück, wenn er sich sagt: ich kann nicht mehr zum Ziel kommen, selbst wenn ich wollte. Die Anwendung dieser Formel scheint jedoch nicht zu eindeutigen Ergebnissen zu führen, weil es unklar ist, ob der in der Formel verwendete Begriff „kann“ hier die „physische“ oder aber die „psychische“ Möglichkeit bedeutet und ob der Begriff „will“ den entweder „realistischen“ oder „bloß hypothetischen“ psychischen Zustand meint: Wenn beim Täter Mitleid für das Opfer entsteht und er sich sagt; „ich kann das Opfer nicht töten“, ist damit die Möglichkeit eines freiwilligen Rücktritts ausgeschlossen? Kann sich der Täter, der nach Versuchsbeginn, also nach der Abgabe eines ersten Schusses, irrtümlich davon ausgeht, das Opfer schon mit dem ersten Schuss getötet zu haben, die Frage stellen, ob er das Ziel noch erreichen „will“, obwohl das Opfer nach seiner Vorstellung schon gestorben ist? Fraglich ist auch, ob das „Ziel“ konkret oder einigermaßen abstrakt zu bestimmen ist. Wenn der Täter einen Diebstahl geplant hat, weil er unbedingt 500.000 Yen braucht, im aufgebrochenen Tresor aber nur 47 Shigema Oba, Keiho Soron (Strafrecht, AT) Bd. 2, 1917, S. 810; Seiichiro Ono, Keiho Kogi Soron (Vorlesung des Strafrechts, AT) (Ergänzende Aufl.) 1950, S. 186.
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50.000 Yen findet und daraufhin das Geld dort liegen lässt, fragt es sich, ob er sein Ziel nicht oder aber doch teilweise hätte erreichen können, indem er die 50.000 Yen gestohlen hätte? b) Objektiv-subjektive Theorie Es gibt noch eine modifizierte subjektive Theorie, die auf der Grundlage der Tätervorstellungen den Prozess seiner psychischen Beweggründe zum Rücktritt objektiv beurteilt48. In dem Fall, in dem der Täter bei einem Einbruchsdiebstahl von einem 10-jährigen Kind entdeckt wird, ist sein Unterlassen der Fortsetzung des Diebstahls auf Grund seiner Vorstellung von der Entdeckung zu beurteilen; wenn ein Durchschnittstäter die weitere Ausführung der Tat wegen der Entdeckung aufgegeben hätte, ist der Rücktritt unfreiwillig erfolgt. Wegen dieser Beurteilungsstruktur wird diese Theorie als „objektiv-subjektive Theorie“ bezeichnet. Diese Theorie kann jedoch die aufgezeigten Probleme der subjektiven Theorie auch nicht lösen. c) Objektive Theorie Nach der objektiven Theorie kommt es für die Freiwilligkeit des Rücktritts darauf an, ob der Umstand, der das Motiv zum Rücktritt bildet, nach allgemeiner Auffassung als Hindernis für die Vollendung der Tat anzusehen ist. Dies ist zu bejahen, wenn der Umstand nach den in der Gesellschaft anerkannten und verbreiteten Ansichten einen zwingenden Einfluss auf den Täter zu einem Rücktritt vom Versuch ausübt. Wenn z. B. ein Taschendieb seine Tat aufgibt, weil sich in der Nähe ein Polizist befindet, stellt dieser Umstand ein zwingendes Hindernis für die Fortsetzung der Tatausführung dar. Deswegen erfolgt die Tataufgabe hier nicht aus eigenem Willen. d) Normativ-subjektive Theorie Einen normativen Freiwilligkeitsbegriff vertritt in Japan die „normativ-subjektive Theorie“49. Diese Theorie sieht den Rücktritt aus „eigenem Willen“ als Rücktritt von einem den Unwert der Tat ausdrückenden Willen im weiterem Sinne an50: Dafür kommen Gefühle wie Reue, Bußfertigkeit, Mitleid, Verzeihung, Gewissensbisse oder innere Einkehr in Frage. An dieser Theorie wird kritisiert, dass sie Freiwilligkeit mit Moralität vermengt. Die Freiwilligkeit setze keine Sitt48 Tatsuo Kagawa, Chushi Misui no Hoteki Seikaku (Rechtliche Natur des Rücktritts vom Versuch), 1963, S. 103; Fukuda, AT, S. 234; Otsuka, AT, S. 260. 49 Sie kann auch als „begrenzt subjektive Theorie“ bezeichnet werden. 50 Hidenaga Miyamoto, AT, S. 184; Chihiro Saeki, AT, S. 323; Naka, AT, S. 213; Uchida, AT, S. 272.
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lichkeit der Motive voraus. Eine dies nicht beachtende Meinung widerspreche dem Subsidiaritätsprinzip51, nach dem die Aufgabe des Strafrechts nicht in dem Schutz der Moral liegt und das Strafrecht als Ultima Ratio der Kriminalitätsvorbeugung dienen sollte. e) Theorie der irrationalen Entscheidung Meiner Meinung nach ist die Freiwilligkeit entsprechend der Theorie von Roxin nach dem Kriterium der „Verbrechervernunft“52 zu beurteilen. Der Täter hat auf der Grundlage seiner Wertanschauungen einen bewussten vernünftigen (rationalen) Entschluss zur Tatausführung gefasst. Wenn er trotzdem den von ihm konzipierten Verwirklichungswillen aufgibt, ist zu fragen, ob es auf der Grundlage seiner Wertanschauungen einen rationalen Grund dafür gab. Wenn das Opfer z. B. nach der Gewaltausübung des Täters zu dem Vergewaltigungstäter gesagt hätte: „ich würde nachher in einem Hotel mit dem Beischlaf mit Ihnen einverstanden sein“, ist die Aufgabe in dieser Situation, utilitaristisch gesehen, „rational“. Wenn der Täter plötzlich Mitleid mit dem Opfer empfindet, weil es seiner verstorben Mutter ähnelt, und die Tat deshalb nicht weiterführt, gibt er aufgrund einer nach den Maßstäben der „Verbrechervernunft“ irrationalen Entscheidung die Tat auf. Bei diesem Fall fehlt es ihm an der vollen Verantwortlichkeit für die Tat. Weil der Täter seinen festen Willen zum Verbrechen vor Erfolgseintritt widerrufen hat, ist die strafbedürftige Schuld verringert. Ich nenne diese Auffassung die „Theorie der irrationalen Entscheidung“. 5. Rechtsprechung Die Rechtsprechung vertrat in der Regel die objektive Theorie. Wenn der Umstand, der zum Verzicht auf die weitere Tatausführung führte, kein objektiv vorhandenes Hindernis für die weitere Tatausführung darstellt, bejaht die Rechtsprechung die Freiwilligkeit des Rücktritts53. Aber es gibt inzwischen viele Entscheidungen, die der normativ-subjektiven Theorie folgen: In den Fällen, in denen der Täter aus Mitleid oder Reue die Tat aufgibt, wurde die Freiwilligkeit bejaht54. Deswegen lässt sich sagen, dass die Rechtsprechung in den Fällen, in denen die 51 Hirano, Hanzairon no Shomondai Soron (Bd. 1) (Probleme der Straftatlehre, AT, Bd. 1), 1981, S. 154. 52 Roxin, Über den Rücktritt vom unbeendeten Versuch, in: FS Heinitz, 1972, S. 251 ff.; ders., Strafrecht AT, Bd. 2, 2003, § 30 Rn. 383 ff. 53 Urteil des OGH v. 9. 7. 1949, Keishu Bd. 3, H. 8, S. 1174; Urteil des OGH v. 10. 9. 1957, Keishu Bd. 11, H. 9, S. 2202. 54 Urteil des OG Fukuoka v. 20. 7. 1960, Kakeishu Bd. 2, H. 7=8, S. 994; Urteil des OG Tokyo v. 16. 7. 1987, Hanrei Jiho 1247, 140; Urteil des OG Fukuoka v. 6. 3. 1986, Kokeishu Bd. 39, H. 1, S. 1.
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Reue des Täters erwiesen ist, der normativ-subjektiven Theorie folgt, in den sonstigen Fällen allerdings der objektiven Theorie. Unter den Entscheidungen, die der objektiven Theorie folgen, gibt es Entscheidungen, die bei der Beurteilung des „objektiven“ Hindernisses auch berücksichtigen, ob ein „normaler“ Täter die Tat regelmäßig aufgegeben hätte. Gefragt wird, ob ein Täter, der den Anfang der Tatausführung erreicht und einen „endgültigen und festen Tötungswillen“ hat, die Tat in der Regel fortgesetzt hätte55. Wenn er die Tat trotzdem aufgibt, lässt sich dort kein typisches Hindernis zur weiteren Tatdurchsetzung finden. Daraus ergibt sich, dass die Rechtsprechung teilweise ein der „Verbrechervernunft“ ähnelndes Kriterium anwendet.
55 Vgl. oben den zitierten Urteil des OG Tokyo v. 16. 7. 1987; auch Urteil des LG Urawa v. 27. 2. 1992, Hanrei Times 795, 263.
O. Täterschaft und Teilnahme I. Theoretische Grundlagen der Beteiligung 1. Vorschriften über die Beteiligung Das japanische StGB unterscheidet wie das deutsche zwischen Täterschaft und Teilnahme und verwendet nicht das System des „Einheitstäters“ wie etwa in Österreich (§ 12 öStGB)1. Im japanischen StGB wird das System der Beteiligung hauptsächlich durch drei Vorschriften gebildet. Zur Strafbarkeit des „Alleintäters“ gibt es im Allgemeinen Teil des StGB keine Vorschrift. Die „Mittäterschaft“ wird in § 60 geregelt: „Wenn mehr als zwei Personen gemeinsam Straftaten ausführen, wird jeder von ihnen als Täter angesehen“. Was die „Anstiftung“ anbetrifft, findet sich in § 61 Abs. 1 die Regelung: „Wer einen anderen anstiftet und dadurch eine Straftat begehen lässt, ist gleich dem Täter zu bestrafen.“ Hinsichtlich der „Beihilfe“ schreibt § 62 Abs. 1 vor: „Wer einem Täter Hilfe leistet, ist Gehilfe.“ Die Strafe für Beihilfe wird gegenüber der Strafe für eine täterschaftliche Begehung gemindert (§ 63). 2. Teilnahmetatbestand Aus der Vorschrift über die Mittäterschaft (§ 60) ergibt sich das Kernmerkmal des Täterbegriffs: Die „Ausführung“ bzw. „Begehung“ der Straftat. Dagegen muss der Anstifter einen anderen zu einer Straftat „anstiften“ und der Gehilfe muss dem Täter bei einer Straftat „Hilfe leisten“. Anstiftung und Beihilfe setzen die Ausführung der Straftat durch den Täter voraus, der Täter muss also die tatbestandsmäßige Handlung vornehmen. Das bedeutet, dass Anstifter und Gehilfen selber keinen Tatbestand im Besonderen Teil unmittelbar erfüllen können. Sie erfüllen jedoch einen besonderen Teilnahmetatbestand, dessen Charakter noch erklärt werden muss. 3. Modifizierter und ausgeweiteter Tatbestand Zum Charakter des Teilnahmetatbestands werden in Japan zwei Auffassungen vertreten. Der Teilnahmetatbestand muss nach der ersten Theorie ein „modifi1 „Nicht nur der unmittelbare Täter begeht die strafbare Handlung, sondern auch jeder, der einen anderen dazu bestimmt, sie auszuführen, oder der sonst zu ihrer Ausführung beiträgt“. Vgl. auch das italienische (§ 110), dänische (§ 23) oder brasilianische (§ 25 ff.) StGB.
I. Theoretische Grundlagen der Beteiligung
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zierter Tatbestand“ sein. Dieser Tatbestand ist für den Teilnehmer ein anderer als der Tatbestand für den Täter, der als „Grundtatbestand“ bezeichnet werden kann. Die Handlung des Teilnehmers orientiert sich an dem Beginn der Tatausführung durch den Täter. Die Verwirklichung des Teilnahmetatbestands endet eigentlich mit der Begehung der Tat durch den Täter. Grundsätzlich ist aber die Strafbarkeit der Teilnahme abhängig von der Strafbarkeit des Täters. Nach anderer Auffassung ist der Teilnahmetatbestand ein gegenüber dem Grundtatbestand „ausgeweiteter Tatbestand“, d. h. die Verwirklichung des ausgeweiteten Tatbestands setzt sich bis zur Erfüllung des Grundtatbestands fort. Der Teilnehmer hat durch seine Handlung auch die Erfüllung des Grundtatbestands verursacht. Seine Handlung ist aber keine (grund-)tatbestandsmäßige Handlung.
Modifizierter Tatbestand
Teilnahme
Täterschaft
Ausgeweiteter Tatbestand
Teilnahme
Täterschaft
Abb. 6 Modifizierter und ausgeweiteter Tatbestand
Inhalt des modifizierten Tatbestandes soll sein, dass der Teilnehmer den Täter den Grundtatbestand (Haupttat) begehen „lässt“. Dagegen wird der „ausgeweitete Tatbestand“ von seinen Verfechtern so verstanden, dass der Teilnehmer von seinem Standpunkt aus den Grundtatbestand „verursacht“. Wenn der Anstifter, der z. B. den Betriebsherrn eines Lagers zu einer Unterschlagung anstiftet, selbst nicht die Stellung eines Betriebsherrn des Lagers hat, sondern nur ein Freund des Betriebsherrn ist, erfüllt nach der Theorie des ausgeweiteten Tatbestandes der Täter den Tatbestand der Unterschlagung bei Geschäftstätigkeit (§ 253 StGB), während der Anstifter eine „einfachen Unterschlagung“ (§ 252 Abs. 1 StGB) „verursacht“ hat. Nach der Theorie des ausgeweiteten Tatbestandes stellt die „Anstiftung“ die ausgeweitete Tatbestandshandlung dar, die bis zum Tätererfolg reicht. Nach der Theorie des modifizierten Tatbestandes erfüllt der Täter im vorgenannten Beispiel den Straftatbestand der Unterschlagung bei Geschäftstätigkeit und der Anstifter den der Anstiftung zu diesem Tatbestand. Tatbegehung und Anstiftung betreffen in der Regel immer denselben Tatbestand, weil der Strafgrund darin liegt, dass der Anstifter den Täter den Grundtatbestand begehen „lässt“. Nach dieser Theorie endet eigentlich die Teilnahmehandlung mit dem Tatbeginn des Täters. Lediglich die Strafbarkeit hängt von der des Täters ab. 4. Agent provocateur als Beispiel Dieser theoretische Unterschied lässt sich z. B. verdeutlichen, indem die Reichweite des Teilnahmetatbestands beim Auftreten eines „agent provocateur“ dargestellt wird: Polizist A beauftragt Attentäter B damit, den C, der auch Polizist
O. Täterschaft und Teilnahme
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ist, zu töten. A will den C aber nicht töten, sondern nur den B wegen des Tötungsversuches festnehmen. Die Haupttat soll nicht über das Versuchsstadium hinausgehen. Tatsächlich gelingt es dem A, den B vor seiner Ausführung der Tötungshandlung festzunehmen. Bei dieser Fallkonstellation hängt die Lösung des Falles davon ab, wie groß die Reichweite des objektiven Tatbestands ist: Nach der Theorie des modifizierten Tatbestands reicht der Teilnahmetatbestand bis zum Beginn der tatbestandsmäßigen Tatausführung des Täters. Daher bezieht sich der Vorsatz auch nur auf diesen Zeitraum. Nach der Theorie des ausgeweiteten Tatbestands reicht der objektive Tatbestand der Teilnahme bis zur Rechtsgutsverletzung, also zur Vollendung der Haupttat. Aus diesem Grund bezieht sich der Vorsatz auch auf den gesamten Zeitraum bis zur Tatbegehung.
Theorie des modifizierten Tatbestandes
Theorie des ausgeweiteten Tatbestandes
obj. TB
obj. TB
Anstiftung
Haupttat
Vorsatz
Anstiftung
Vorsatz
Abb. 7 Theorien des modifizierten und ausgeweiteten Tatbestands
Wenn man diese Annahmen auf den Fall des „agent provocateur“ überträgt, ergibt sich folgendes Ergebnis: Nach der Theorie des modifizierten Tatbestandes muss der Vorsatz des A parallel zum objektiven Tatbestand der Teilnahme nur bis zum Beginn der Haupttat reichen. A hat im Beispielsfall Tötungsvorsatz, weil er B zur Tatausführung anstiftet und er dabei den Vorsatz der Anstiftung zur Tötung hat. Der A wird wegen Anstiftung zum Tötungsversuch bestraft2. Nach der Theorie des ausgeweiteten Tatbestands3 muss der Vorsatz des A parallel zum objektiven Tatbestand bis zur Vollendung der Haupttat reichen. Der A hat hier keinen Vorsatz zur Vollendung der Tötung des C, weil er dessen Tod nicht gewollt hat. A hat sich also nach dieser Auffassung im vorliegenden Beispielsfall nicht strafbar gemacht. Schließlich muss aber auch einer weiteren Auffassung Aufmerksamkeit geschenkt werden, nach der der Vorsatz beim Versuch ein Gefährdungsvorsatz sei. Nach dieser Theorie genügt es für den Vorsatz beim agent provocateur, wenn sich A eine Gefährdung des Lebens des C vorgestellt und diese in Kauf genommen hat4. 2 Dando, AT, S. 406; Otsuka, AT, S. 311. Manche Autoren unterstützen dieses Ergebnis, obwohl sie sich zur Theorie des ausgeweiteten Tatbestands bekannt haben. Vgl. Oya, AT, S. 435; Kawabata, AT, S. 590. 3 Kimura, AT, S. 415; Shigemasa Ueda, AT, S. 184; Saeki, AT, S. 340; Naka, AT, S. 256; Nakayama, AT, S. 473. 4 Hirano, AT, S. 350.
II. Täterbegriff
269
II. Täterbegriff 1. Begründung der Täterschaft Die Theorie des ausgeweiteten Teilnahmetatbestandes vertritt den „restriktiven Täterbegriff“. Der Teilnehmer verursacht den Grundtatbestand, ohne selbst Täter zu sein. Zum Täterbegriff werden die subjektive Theorie, die objektive Theorie und die Tatherrschaftslehre vertreten. 2. Verschiedene Theorien zum Täterbegriff a) Subjektive Theorie Die subjektive Theorie setzt den „extensiven Täterbegriff“ voraus, nach dem alle Personen, die eine Ursache für den Erfolg der Straftat gesetzt haben, grundsätzlich Täter sind. Weil eine objektive Unterscheidung zwischen Täter und Teilnehmer auf dieser Grundlage kaum möglich ist, sucht diese Theorie das Unterscheidungskriterium in der subjektiven Seite der Tat. Täter soll derjenige sein, der einen Täterwillen (animus auctoris) hat und Teilnehmer derjenige, der einen Teilnehmerwillen (animus socii) hat. Die subjektive Theorie wird in Japan von der Rechtsprechung vertreten. Kriterium für das Vorliegen eines Täter- bzw. Teilnehmerwillens soll dabei sein, ob die Tat im eigenen Interesse oder im Interesse anderer Personen durchführt wird. Die subjektive Theorie eignet sich gut zur Lösung von Komplott-Fällen, weil nach ihr eine Person, die selbst keinen Teil der Tat ausgeführt hat, dennoch Mittäter sein kann. Die Rechtsprechung in Japan vermeidet allerdings extreme Ergebnisse wie beim Badewannenfall5 oder beim Staschinsky-Fall6 in Deutschland. Die von ihr vertretene „subjektive Theorie“ setzt stillschweigend auch die objektive Tatausführung voraus. Beim Badewannenfall oder beim Staschinsky-Fall wäre die Täterschaft des unmittelbar Handelnden nach der japanischen subjektiven Theorie selbstverständlich. Der Begriff des Täterwillens ist nur erforderlich, um die objektive Tatausführung zu erweitern. In diesem Sinne muss diese Theorie daher als „gemischt objektiv-subjektive Theorie“ bezeichnet werden. b) Objektive Theorie Die objektive Theorie korrespondiert mit den Lehren zum Anfang der Tatausführung. Täter ist, wer die Tat ausführt. Es gibt die formell-objektive und die materiell-objektive Theorie. Die erstgenannte7 vermag kein theoretisch fundiertes 5
RGSt 74, 84 BGHSt 18, 87. 7 Vertreter sind Dando, AT, S. 373; Otsuka, AT, S. 281; Kawabata, AT, S. 535. 6
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O. Täterschaft und Teilnahme
Kriterium für die Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme zu benennen. Die zweitgenannte Theorie ist grundsätzlich richtig. Es ist allerdings nicht ausreichend, nur „die Schaffung einer konkreten Gefahr des Erfolgseintritts“ als Kriterium zu berücksichtigen, weil man damit keinen Teilnehmer ausschließen kann. c) Tatherrschaftslehre Nach der Tatherrschaftslehre ist der Täter derjenige, der die Tat beherrscht, d. h. den tatbestandsmäßigen Geschehensablauf in der Hand hält und darüber entscheidet, ob und wie die Tat ausgeführt wird. Die Tatherrschaftslehre entwickelte sich aus der Lehre von der „finalen Tatherrschaft“8, die auch in Japan von Finalisten unterstützt wird9. Es gibt in Japan die Meinung, nach der die Tatherrschaftslehre auf der finalen Handlungslehre basiert10. Aber diese Auffassung verwechselt die Dogmengeschichte und die gegenwärtige theoretische Situation. Anders als in Deutschland ist die Tatherrschaftslehre in Japan nicht die herrschende Meinung11. An ihr wird kritisiert, dass ihre Vertreter keinen einheitlichen Begriff der Tatherrschaft verwendeten und es der Lehre im Einzelnen erheblich an Klarheit fehle12. Um den Inhalt des Tatherrschaftsbegriffs genauer zu bestimmen, müssen unter der leitenden Idee der Tatherrschaft bestimmten Kriterien für einzelne Fallgruppen entwickelt werden. Die leitende Idee der Tatherrschaft sollte sein, dass der Täter das gesamte Geschehen bis zum Eintritt der Gefahr für das betreffende Rechtsgut ohne Dazwischentreten frei handelnder Dritter beherrscht, d. h. dass niemand aufgrund einer „eigenen freien Entscheidung“ in die Tatausführung eingreift. Ein solches Dazwischentreten stellt ein „normatives Hindernis“ für die Annahme der Tatherrschaft dar. 3. Mittelbare Täterschaft Die mittelbare Täterschaft ist eine Form der Täterschaft, bei der der Täter die Straftat verwirklicht, indem er vorsätzlich einen anderen veranlasst, die tatbestandsmäßige Handlung vorzunehmen und den anderen damit gewissermaßen als „Werkzeug“ benutzt. Die mittelbare Täterschaft ist ebenso Täterschaft wie die unmittelbare Täterschaft. Deswegen muss auch der unmittelbare Täter Tatherrschaft haben, also den Geschehensablauf in der Hand halten. Fraglich ist, wann 8
Hans Welzel, Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 (1939), S. 539 ff. Fukuda, AT, S. 248. 10 Kawabata, AT, S. 534 f. 11 Vgl. Roxin, Strafrecht, AT, Bd. 2, § 25 Rn. 13 ff., Rn. 27 ff.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, 5. Aufl., 1996, S. 652. 12 Otsuka, AT, S. 265. 9
II. Täterbegriff
271
dies bei der mittelbaren Täterschaft der Fall ist. Das Kriterium hierfür ist, wie oben gesagt, dass die Mittelsperson kein „normatives Hindernis“ bildet. (a) Wenn die Mittelsperson ein Kind13 ist, ist der Hintermann mittelbarer Täter, weil ein Kind kein normatives Hindernis bildet. (b) Wenn der Hintermann der Mittelsperson diese zu einer geringeren Straftat anstiftet, obwohl er heimlich die Verwirklichung einer schwerer wiegenden Straftat beabsichtigt, ist streitig, ob der Hintermann mittelbarer Täter oder nur Anstifter ist. Als Beispiel kann der Fall genannt werden, in dem der Hintermann die Mittelsperson dazu anstiftet, einem anderen eine angeblich nur Schmerzen und Krämpfe verursachende Substanz zu verabreichen, die aber, wie der Hintermann, nicht aber die Mittelsperson weiß, in der vom Hintermann an die Mittelsperson ausgehändigten Menge tödlich wirkt. Nach der herrschenden Meinung ist der Hintermann als mittelbarer Täter der Tötung anzusehen. Nach der zutreffenden Mindermeinung (Theorie der Unabhängigkeit der Teilnahme vom Delikt der Haupttat) ist der Hintermann hier Anstifter einer Tötung, während die Mittelsperson als Täter einer Körperverletzung bestraft werden muss. Der Vorsatz der Mittelsperson hinsichtlich der Körperverletzung begründet für die Strafbarkeit des Hintermanns ein normatives Hindernis. (c) Wenn der Hintermann die strafwürdige fahrlässige Tat der Mittelsperson benutzt, um einen anderen zu töten, ist die Mittelsperson wegen fahrlässiger Tötung zu bestrafen, während der Hintermann wegen Anstiftung zur vorsätzlichen Tötung bestraft werden muss. Wenn er dagegen eine – in Japan nicht strafbare – fahrlässige Sachbeschädigung der Mittelsperson bewirkt, ist der Hintermann mittelbarer Täter der Sachbeschädigung, weil die Mittelsperson keine strafwürdige14 fahrlässige Sachbeschädigung begangen hat. (d) Wenn der Hintermann die nicht fahrlässige Tat der Mittelsperson benutzt, um einen anderen zu töten, ist der Hintermann mittelbarer Täter der vorsätzlichen Tötung. (e) Wenn der Hintermann ein qualifikationsloses doloses Werkzeug benutzt, ist wiederum streitig, ob er als Anstifter oder mittelbarer Täter zu bestrafen ist. Wenn z. B. ein Beamter eine Mittelsperson, die kein Beamter ist, dazu benutzt, Bestechungsgelder anzunehmen, ist die Mittelsperson nach der hier vertrete13 Ein Kind kann etwa ab einem Alter von 10 bis 12 Jahren normativ beurteilen, ob es die Tat begehen soll oder nicht. Es ist nicht erforderlich, dass es schuldfähig ist (ab einem Alter von 14 Jahren, s. § 41). 14 Der Täter hat zwar die fremde Sache sorgfaltswidrig zerstört, allerdings bezieht sich diese Fahrlässigkeit normativ gesehen auf keine strafwürdige Handlung. Denn es gibt keinen fahrlässigen Sachbeschädigungstatbestand. Das fahrlässige Handeln der Mittelsperson bildet für den Hintermann kein ausreichendes normatives Hindernis.
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O. Täterschaft und Teilnahme
nen Auffassung Gehilfe der Bestechungsannahme und der Beamte Anstifter dazu. Nach herrschender Meinung ist dagegen der Beamte mittelbarer Täter der Bestechungsannahme. Hinsichtlich der Bestrafung der Mittelsperson bejaht auch die herrschende Meinung eine Strafbarkeit wegen Beihilfe. § 65 StGB regelt: „Wer an einer Straftat beteiligt ist, deren Strafbarkeit durch die persönliche Stellung des Täters bedingt ist, wird als Beteiligter bestraft, auch wenn er keine solche persönliche Stellung hat“. Die Mittelsperson hat sich an der Straftat des Beamten beteiligt, ob diese nun Haupttat oder Beteiligung ist. Nach herrschender Meinung ist die Mittelsperson also wegen Beihilfe zur Bestechungsannahme, nach der hier vertretenen Meinung dagegen wegen Beihilfe zur Bestechungsbeihilfe zu bestrafen15. (f) Wenn der Hintermann eine gerechtfertigte Handlung der Mittelsperson bewirkt, ist der Hintermann normalerweise weder Anstifter noch mittelbarer Täter. Wenn er z. B. die Mittelsperson dazu veranlasst, Notwehr zu üben, wird er nicht als Anstifter bestraft, weil es an der limitierten Akzessorietät fehlt. Wenn der Hintermann den Angreifer provoziert hat, um zu erreichen, dass der Angreifer durch die Notwehr des Angegriffenen getötet wird, ist der Hintermann – wenn dies tatsächlich wie geplant geschieht – wegen Anstiftung zur Tötung zu bestrafen. Der Anstifter hat den Angreifer (Täter) zu dem rechtswidrigen Angriff angestiftet. Da der Angreifer mit dem Angriff eine objektiv und subjektiv tatbestandsmäßige Tat begangen hat, war er kein Werkzeug des Hintermanns. Damit liegt ein normatives Hindernis vor, weswegen der Hintermann kein mittelbarer Täter ist16. Der Anstifter unterliegt hierbei übrigens keinem Irrtum, weil er den Tod des Angegriffenen gewollt hat.
15 An dieser Theorie wird kritisiert, dass sie eine „Teilnahme ohne Täterschaft“ bejaht. Die Mindermeinung behauptet, dass die Mittelsperson im tatsächlichen Sinne Täter sei. Aber das scheint zu weit zu gehen. Man könnte § 65 so interpretieren, dass der Teilnehmer an einer „Straftat“ beteiligt ist und nicht an einer „Haupttat“. Beihilfe ist auch eine Straftat. Deswegen ist § 65 auch auf diesen Fall anwendbar. 16 Freilich entsteht dabei der Irrtum beim Angreifer (Opfer), denn er ging nicht davon aus, getötet zu werden. Der Angreifer beabsichtigte, den „Verteidiger“ zu töten, aber tatsächlich wurde der Angreifer selbst getötet. Er müsste wegen des Tötungsversuchs bestraft werden, wenn er nicht gestorben wäre. Der Anstifter soll aber wegen Anstiftung zur Tötungsvollendung bestraft werden. Ob die Handlung des „Verteidigers“, der hier nicht Täter (der angestifteten Haupttat ist) zur Tötung des Angreifers ist, gerechtfertigt wird oder nicht, spielt keine Rolle.
III. Mittäterschaft
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III. Mittäterschaft 1. Grundstruktur der Mittäterschaft Zur Mittäterschaft werden grundsätzlich zwei Auffassungen vertreten: Die „Straftatgemeinschaftstheorie“ und die „Tatgemeinschaftstheorie“17. Nach der Straftatgemeinschaftstheorie bedeutet Mittäterschaft, dass die Beteiligten eine bestimmte Straftat gemeinsam begehen. Die Mittäterschaft ist also dadurch gekennzeichnet, dass eine von mehreren begangene Straftat vorliegt. Deswegen muss von den Beteiligten in der Regel dieselbe Straftat begangen werden. Daher wäre es z. B. an sich ausgeschlossen, dass A und B mittäterschaftlich eine Tat begehen, die sich für A als Diebstahl und für B als Raub darstellt. Nach der Tatgemeinschaftstheorie bedeutet Mittäterschaft, dass die Beteiligten jeweils eigene Straftaten begehen, die aber gemeinsam ausgeführt werden, sich also gegenseitig kausal beeinflussen. Die Mittäterschaft ist demnach dadurch gekennzeichnet, dass mehrere von mehreren Tätern gemeinsam begangene Straftaten vorliegen. Nach dieser Theorie können die verwirklichten Straftaten unterschied lich sein. So können z. B. A einen Diebstahl und B einen Raub gemeinsam begehen. Nach der Straftatgemeinschaftstheorie ist eine gemeinsame Begehung unterschiedlicher Straftaten nur dann möglich, wenn die eine Straftat begrifflich in der anderen Straftat eingeschlossen ist. Im dargestellten Beispiel ist also nur der Diebstahl in Mittäterschaft begangen. Nach der Tatgemeinschaftstheorie gibt es keine solchen Schwierigkeiten. Solange zwischen beiden Straftaten der wechselseitige kausale Einfluss vorhanden ist, sind die Straftaten problemlos in Mittäterschaft begangen. Straftatgemeinschaftstheorie
Tatgemeinschaftstheorie
A Raub (oder)
A
B Diebstahl
B
Diebstahl Raub
Abb. 8 Straftat- und Tatgemeinschaftstheorie
2. Voraussetzungen der Mittäterschaft Mittäter, ist „jeder, der gemeinsam mit anderen Personen Straftaten18 ausführt“ (§ 60 StGB). Mittäterschaft bedeutet, dass jeder Beteiligte auch für die Straftaten, 17 Vgl. Yamanaka, Gedanken zum Akzessorietätsprinzip – Plädoyer für eine japanische Mindermeinung –, in: Strafrechtsdogmatik, S. 320 ff. 18 Hier wurde für die Übersetzung des Wortes „Hanzai“ der Plural „Straftaten“ verwendet. Das japanische Wort macht an sich keinen Unterschied zwischen Singular und
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O. Täterschaft und Teilnahme
die von den anderen Beteiligten begangen worden sind, verantwortlich ist. Voraussetzungen der Mittäterschaft sind in der Regel die „Gemeinsamkeit der Tatbegehung“ und des „Tatwillens“. Jeder muss einen Teil der Tat ausführen, aber nicht alle Tatbestandsvoraussetzungen selbst verwirklichen. Das gesamte Geschehen lässt sich durch das arbeitsteilige Mitwirken aller Mittäter verwirklichen. Es ist ausreichend, dass jeder nur einen Teil der verteilten Rollen übernimmt. Im Ergebnis ist jeder als Mittäter für alle begangenen Straftaten verantwortlich. Dieses Prinzip ist als „Prinzip der Tätigkeitszurechnung“ zu bezeichnen. 3. Tatgemeinschaftstheorie und Straftatgemeinschaftstheorien Wie bereits dargestellt, stehen sich hinsichtlich der in § 60 StGB genannten „Gemeinsamkeit der Straftaten“ Straftatgemeinschaftstheorie und Tatgemeinschaftstheorie gegenüber. Die Straftatgemeinschaftstheorie interpretiert den Wortlaut der Vorschrift unzutreffend, indem sie von einer einzelnen einheitlichen Straftat ausgeht. Nach der Tatgemeinschaftstheorie ist, wenn A mit Tötungsvorsatz und B mit Körperverletzungsvorsatz gemeinsam den C tödlich attackieren, A wegen Tötung und B wegen Körperverletzung (mit Todesfolge) als Mittäter zu bestrafen. Für die Straftatgemeinschaftstheorie stellt sich in diesem Fall das Problem, ob A und B als Mittäter wegen Tötung oder wegen Körperverletzung bestraft werden sollten. Es gibt dazu zwei Auffassungen: Die „Theorie der vollen Straftatgemeinschaft“, die hier ein gemeinsam begangenes Tötungsdelikt bejaht, und die „Theorie der teilweisen Straftatgemeinschaft“, die hier ein mittäterschaftlich begangenes Körperverletzungsdelikt annimmt. Aber auch bei Anwendung der ersten Theorie darf die Strafe für B wegen § 38 Abs. 2 StGB nicht schwerer als die Strafe für eine Körperverletzung ausfallen. Nach der letzten Theorie sind A und B wegen mittäterschaftlich begangener Körperverletzung zu bestrafen, doch muss A darüber hinaus noch wegen der Tötung bestraft werden. Nach der Tatgemeinschaftstheorie ist eine Mittäterschaft bei unterschiedlichen Straftaten solange möglich, wie es bei den einschlägigen Tatbeständen eine Gemeinsamkeit der Tatbestandsmerkmale gibt. Beide Mittäter müssen die Tat teilweise ausführen. Deswegen ist beispielsweise eine Mittäterschaft bei Urkundenfälschung und Brandstiftung unmöglich. Die Theorie der vollen Straftatgemeinschaft19 kann schon ihre Grundannahmen in der Praxis nicht durchsetzen. § 38 Abs. 2 StGB verbietet schon vor der Anwendung des § 60 StGB die theoretische Konstruktion einer schwereren Straftat Plural. Will man speziell auf die Mehrzahl abstellen, muss dies gesondert ausgedrückt werden. Entsprechend den zuvor dargestellten Auffassungen zur Mittäterschaft ist streitig, ob das Wort „Hanzai“ hier als Einzahl oder als Mehrzahl auszulegen ist. 19 Sie weist Parallelen zur „Theorie der Akzessorietät vom Delikt der Haupttat“ bei der Teilnahme im engen Sinne auf. Vgl. unten IV. 2. b).
III. Mittäterschaft
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(z. B. Raub) für denjenigen, der keinen entsprechenden Vorsatz hat (z. B. derjenige, der nur Vorsatz bezüglich eines Diebstahls hat). Dem B kann im obigen Beispielsfall die Tötung nicht als „seine“ Straftat vorgeworfen werden. Dieser Auffassung ist früher auch die Rechtsprechung gefolgt: Der OGH hat im Jahre 1948 einen Fall entschieden, in dem der Angeklagte A geglaubt hat, dass er mit B einen Diebstahl in einem fremden Haus begehen werde, während B in Wirklichkeit einen Raub geplant hat. Dies ist dem A verborgen geblieben, weil er während der Begehung der Tat außerhalb des Gebäudes Wache hielt. Das Gericht hat den A unter Anwendung des § 38 Abs. 2 StGB wegen Diebstahls bestraft20. Es gab damals einen Streit über die Frage, ob das Gericht die volle Straftatgemeinschaftstheorie vertreten hat. Aber in der Praxis ist diese Entscheidung so verstanden worden. Im Jahre 1960 hat der OGH in einem Fall, in dem A mit Erpressungsvorsatz den X zu einem Park geführt hat, wo B dann mit Raubvorsatz Gewalt gegen X ausgeübt hat, für beide Täter einen mittäterschaftlich begangenen Raub bejaht. Zwar hat das Gericht für A wegen § 38 Abs. 2 StGB nur den Strafrahmen der Erpressung angewandt21. Die Trennung von Straftat und Strafe ist jedoch fragwürdig. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1979 hat der OGH auf die Anwendung der Theorie der vollen Straftatgemeinschaft verzichtet: Die Täter haben einen Polizisten geschlagen und dadurch seinen Tod verursacht. Von den insgesamt sieben Tätern haben sechs nur Körperverletzungsvorsatz, einer jedoch Tötungsvorsatz gehabt. Der OGH hat folgendermaßen argumentiert: „Für die sechs Täter, die keinen Tötungsvorsatz hatten, ist eine Mittäterschaft hinsichtlich einer Körperverletzung mit Todesfolge zu bejahen, soweit sich der Tatbestand des Tötungsdeliktes und der Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge decken“. Der OGH hat damit die Theorie der vollen Straftatgemeinschaft verneint. Er scheint seitdem die Theorie der teilweisen Straftatgemeinschaft zu vertreten22.
20
Urteil des OGH v. 1. 5. 1948, Keishu Bd. 2, H. 3, S. 435. Urteil des OGH v. 29. 9. 1960, Saibanshukei, S. 135, 503. 22 Vgl. auch den Beschluss des OGH v. 4. 7. 2005, Keishu Bd. 59, H. 6, S. 403 (sog. Shaktipat-Fall). Der Sohn eines Schwerkranken hat diesen auf Anweisung des Gurus einer Sekte aus dem Krankenhaus herausgeholt, um seinen Vater in einem Hotelzimmer von dem Guru behandeln zu lassen. Diese „Behandlung“ bestand darin, dass der Guru mit seiner Hand nur leicht an den Kopf des Patienten tippte. Das Verlassen des Krankenhauses hatte den Tod des Vaters zur Folge. Der OGH hat den Guru wegen mittäterschaftlicher Tötung durch Unterlassen verurteilt, während der Sohn schon in den vorhergehenden Instanzen wegen mittäterschaftlicher Aussetzung mit Todesfolge verurteilt worden war. Der OGH hat die Mittäterschaft des Gurus nur soweit bejaht, als sich Tötung durch Unterlassen (durch den Guru) und Aussetzung mit Todesfolge (durch den Sohn, der keinen Tötungsvorsatz hatte) decken. Es lässt sich daher vermuten, dass der OGH der „Theorie der teilweisen Straftatgemeinschaft“ (vgl. oben III. 3.) folgt. 21
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O. Täterschaft und Teilnahme
4. Fahrlässige Mittäterschaft Die Möglichkeit einer fahrlässigen Mittäterschaft wird von der herrschenden Meinung in der Wissenschaft und auch in der Praxis seit langem bejaht. Voraussetzungen einer Mittäterschaft sind auch bei Fahrlässigkeitsdelikten die „Gemeinsamkeit der Tatausführung“ und die „Gemeinsamkeit des Tat(ausführungs) willens“. Letzterer ist bei Fahrlässigkeitsdelikten problematisch, weil der fahr lässige Täter unbewusst bezüglich des Erfolges handelt. Unter dem gemeinsamen „Tatausführungswillen“ wurde früher der gemeinsame „Vorsatz“ verstanden, ein solcher fehlt freilich bei den Fahrlässigkeitsdelikten. Deswegen wurde eine „fahrlässige Mittäterschaft“ von der Straftatgemeinschaftstheorie zunächst abgelehnt, weil nach ihr das Wesen der Fahrlässigkeitsdelikte in der unbewussten Begehung der Tat gesehen werden kann. Nach der Tatgemeinschaftstheorie ist eine fahrlässige Mittäterschaft möglich, weil auch bei fahrlässigen Delikten ein gemeinsames Erkennen der gemeinsamen Tatausführungen möglich ist. In der Rechtsprechung wurde die fahrlässige Mittäterschaft schon im Jahre 1953 durch den OGH bejaht, in einem Fall, in dem zwei Täter versehentlich „Methylalkohol“ verkauft haben. Nachdem die Fahrlässigkeit nach der modernen Fahrlässigkeitstheorie von der Schuldebene auf die Tatbestandsebene verschoben worden ist, ist die fahrlässige Mittäterschaft auch seitens der Straftatgemeinschaftstheorie bejaht worden, weil die objektiv pflichtwidrige Tat gemeinsam begangen werden kann. Dies ist z. B. der Fall, wenn zwei Bauarbeiter gemeinsam sorgfaltswidrig ein Brett vom Dach des zu bauenden Gebäudes herunterwerfen und dieses einen dritten Arbeiter am Kopf trifft. 5. Komplott-Mittäterschaft a) Grundgedanke der Lehre der Komplott-Mittäterschaft Die von der japanischen Praxis entwickelte Lehre der Komplott-Mittäterschaft23 beruht auf dem Gedanken, dass eine Mittäterschaft auch dann bejaht werden muss, wenn nach einem Komplott wenigstens einer der Verschwörer die Tat auch ausgeführt hat. Wenn sich also A und B verschworen haben, gemeinsam eine Straftat zu begehen, und dann nur der A die geplante Tat ausführt, sind nach dieser Lehre beide Mittäter. Hier werden die Anforderungen an die „gemeinsamen Ausführ ung“ gelockert. Diese Theorie hat den Zweck, den Hintermann der 23 Yamanaka, Moderne Erscheinungsformen der Tatbeteiligung mehrerer unter besonderer Berücksichtigung von organisierter Kriminalität wie auch krimineller Aktivitäten von Organisationen, – Komplott-Mittäterschaft als Mittel zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität im japanischen Strafrecht? In: Albin Eser/Keiichi Yamanaka (Hrsg.) Einflüsse deutschen Strafrechts auf Polen und Japan, 2001, S. 127 ff. (Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 337 ff., 350 f.)
III. Mittäterschaft
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Tat, also den Rädelsführer, der die Tat nicht unmittelbar begangen hat, sondern einen „kleinen Fisch“ als unmittelbaren Täter ausgenutzt hat, den Täter hinter dem unmittelbaren Täter, nicht als Anstifter, sondern als Mittäter, schwer zu bestrafen, weil er beim Zustandekommen der Straftat die wichtigste Rolle überhaupt gespielt hat. Die Zentralfigur einer Organisation (z. B. der Bandenchef), die die Initiative bei der Entwicklung des Tatplans ergriffen hatte, den unmittelbaren Tätern Anweisungen gibt und die Tatausführung kontrolliert, soll nicht bloß Anstifter, sondern Mittäter sein.24 b) Theorie des Subjekts des gemeinsamen Willens Die Lehre der Komplott-Mittäterschaft geht schon auf die Rechtsprechung des RG vor dem Zweiten Weltkrieg zurück 25. Ausgangspunkt ist ein Urteil des RG aus dem Jahre 193626, in dem eine „Theorie des Subjekts des gemeinsamen Willens“ eingeführt wurde. Wenn mindestens zwei Personen sich das gemeinsame Ziel setzen, eine bestimmte Straftat zu begehen, werden nach dieser Theorie diese beiden Personen durch die gemeinsame Zielsetzung „eine Seele und ein Körper“ und es wird ein „Subjekt des gemeinsamen Willens“ gebildet. Wenn einer der an der Vereinbarung Beteiligten dann die Tat ausführt, dann ist die Tat nach dieser Theorie das Werk des „Subjekts des gemeinsamen Willens“. Da aber dieses Subjekt ein als Rechtsfigur ausgedachtes künstliches Dasein ist, tragen diejenigen Individuen die Schuld, die das Subjekt des gemeinsamen Willens bilden 27. c) Theorie der quasi-mittelbaren Täterschaft Eine epochale Entscheidung zur Komplott-Mittäterschaft hat der OGH nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Fall getroffen, in dem sich mehrere Täter durch verschiedene aufeinanderfolgende Verabredungen zur Körperverletzung eines Polizisten, der nachher an seiner Verletzung gestorben ist, verschworen haben.28 Nach dem Urteil29 „findet sich kein adäquater Grund dafür, dass ein Unterschied zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit normaler Mittäterschaftsfälle besteht, 24 In Deutschland wird der ähnliche Gedanke nicht in der Mittäterschaftslehre, sondern in der Lehre von der mittelbaren Täterschaft entwickelt und als „Willensherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate“ bezeichnet. Vgl. dazu Roxin, Strafrecht AT, Bd. 2, § 25, Rn. 105 ff. 25 Urteil des RG v. 6. 10. 1911, Keiroku Bd. 17, S. 1618. 26 Urteil des RG v. 28. 5. 1936, Keishu Bd. 15, S. 715. 27 Vgl. Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 350. 28 Eine Verschwörung können die Mittäter mit verschiedenen Methoden bewerkstelligen: bei einer Zusammenkunft, schriftlich, von Person zu Person, der Reihenfolge nach oder auch erst am Tatort. 29 Urteil des OGH v. 28. 5. 1958, Keishu Bd. 12, H. 8, S. 1718 (Nerimafall-Urteil).
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O. Täterschaft und Teilnahme
denn in diesen Fällen nutzen sich die Mittäter gegenseitig als Mittel zu eigenen Zwecken aus, und dies sei auch der Fall, wenn einzelne Mittäter, wie in den Komplottfällen, nicht unmittelbar an der Tatausführung, sondern nur am Tatplan, beteiligt waren. Dieses Urteil ist aus mehreren Gründen wichtig. Zum einen, weil es das „Komplott“ als eine „Tatsache, die die Straftat bildet“ angesehen hat, die daher Gegenstand der „strengen Beweisführung“ ist30. Zum anderen, weil dieses Urteil eine andere Begründung als die oben genannte Theorie des Subjekts des gemeinsamen Willens für die Komplott-Mittäterschaft gegeben hat: Die Theorie der quasi-mittelbaren Täterschaft, die auch durch einen damals einflussreichen Autor31 unterstützt wurde. d) Gegenwärtige Situation Inzwischen ist die Lehre der „Komplott-Mittäterschaft“ schon seit langem nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Wissenschaft die herrschende Meinung. In der Kriminalitätsstatistik ist die Anstiftung heutzutage kaum noch zu finden, da Anstifter normalerweise als Komplott-Mittäter bestraft werden. Für die Begründung der Bestrafung der Komplott-Mittäterschaft ist es nicht notwendig, die „Theorie des Subjekts des gemeinsamen Willens“ oder die „Theorie der quasi-mittelbaren Täterschaft“ zu verwenden. Die Rechtsprechung verwendet zur Unterscheidung von Mittäterschaft und Beihilfe oftmals die subjektive Theorie und fragt danach, ob der Täter die Straftat als „eigene“ oder als „fremde“ Tat geplant hat32. Als weiteres Kriterium für die Unterscheidung zur Beihilfe stellt die Praxis teilweise darauf ab, ob der Beteiligte eine „wichtige Rolle“ im Kreis der Verschworenen gespielt hat. Beide Kriterien sind jedoch sehr flexibel und unklar, weil dabei zumeist Gesinnungsmerkmale wie die Motivation, die Stärke des Verwirklichungswillens oder auch das eigene Interesse, etwa aufgrund der Verteilung der Erträge aus der begangenen Straftat, berücksichtigt werden. Heutzutage wird die Komplott-Mittäterschaft dadurch begründet, dass die am Komplott Beteiligten, die an der Ausführung der Tat nicht teilgenommen haben, die Tat materiell gesehen mit begangen haben. Als theoretische Grundlagen werden die „Theorie der Tatherrschaft“, die „Theorie der überwiegenden
30 Früher wurde der Beweis zur konkreten Tatausführung und zum Vorhandensein des Komplotts als ausreichend angesehen, um einen Nicht-Ausführenden als Mittäter zu bestrafen. Es reichte aus, wenn der Staatsanwalt z. B. in der Anklageschrift, ohne ein konkretes Datum der Verschwörung zu nennen, behauptete, dass sich der Angeklagte vor der Ausführung mit anderen zur Tat verschworen habe, ohne die genaueren Umstände darzulegen. 31 Hideo Fujiki, Komplott-Mittäterschaft, in: Kabatuteki Ihosei no Riron (Theorie der strafwürdigen Unrechts), 1967, S. 311. 32 Vgl. vor allem Urteil des OGH v. 16. 7. 1982, Keishu Bd. h. 6, S. 695.
IV. Grundstruktur der Teilnahme
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Herrschaft“33, oder aber auch die „Theorie der materiellen Täterschaft34 oder die „Theorie der quasi-Mittäterschaft“35 herangezogen. e) Rechtsprechung Der OGH hat auch in Fällen von illegalem Waffenbesitz die Theorie der Komplott-Mittäterschaft verwendet, erstmalig im sog. „SWAT-Leibwächter-Pistolenbesitz-Fall“36: Der Boss einer organisierten Bande (Boryokudan) ist mit seinen Gefolgsleuten einschließlich fünf Leibwächtern in insgesamt sechs Wagen zu einem Restaurant gefahren. Der Gangsterboss selbst fuhr mit seinem Sekretär im dritten Wagen, im vierten Wagen fuhren seine Leibwächter. Bei einer polizeilichen Kontrolle wurde festgestellt, dass die Leibwächter im Besitz von Pistolen waren. Der Gangsterboss wurde wegen Mittäterschaft am illegalen Besitz der Pistolen37 angeklagt, obwohl er selber keine Pistole besessen hat. Der Boss hat seinen Gefolgsleuten den Besitz von Pistolen weder schriftlich noch mündlich befohlen und ihnen gegenüber auch nicht angedeutet, dass er von seinen Leibwächtern erwarte, dass diese in Besitz von Pistolen seien. Das Gericht hat gleichwohl diesbezüglich eine „stillschweigende gegenseitige Verständigung“ bejaht. Wenn man die Stellung des Gangsterbosses in der Bande und die daraus resultierende Befehlsgewalt berücksichtigt, kann man sagen, dass der Gangsterboss – materiell gesehen – seine Gefolgsleute die Schusswaffen „hat besitzen lassen“. In einem ähnlichen Fall hat der OGH später dieses Ergebnis nochmals bestätigt38.
IV. Grundstruktur der Teilnahme 1. Akzessorietät der Teilnahme Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges standen sich in der Frage der Akzessorietät der Teilnahme moderne und klassische Schule gegenüber. Die moderne Schule vertrat die Auffassung der Unabhängigkeit der Teilnahme von der Täterstraftat, während die klassische Schule die Akzessorietät der Teilnahme bejahte. Die entscheidenden Unterschiede zwischen beiden Theorien lagen darin, dass nach der Akzessorietätstheorie Anstiftung und Beihilfe solange nicht strafbar waren, als der Täter noch nicht mit der Ausführung der Tat begonnen hatte, und 33
Otsuka, Hanzairon no Kihonmondai (Grundprobleme der Straftatlehre), S. 341. Hirano, AT, S. 398 ff.; Yamaguchi, AT, S. 323. 35 Noriyuki Nishida, Über die Komplott-Mittäterschaft, in: FS Hirano, Bd. 1, S. 375. 36 Beschluss des OGH v. 1. 5. 2003, Keishu Bd. 57, H. 5, S. 507. 37 Strafbar nach § 3 des „Gesetzes zur Kontrolle des unerlaubten Besitzes von Schusswaffen und Schwertern usw.“ (1958, Gesetz-Nr. 6). 38 Beschluss des OGH v. 29. 11. 2005, Shukei 288, 543. 34
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dass Täter und Teilnehmer dieselbe Straftat begehen. In der Gegenwart wird die Unabhängigkeitstheorie nicht mehr vertreten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Verhältnis zwischen Teilnahme und Täterstraftat ausf ührlicher analysiert und die Fragestellung differenziert39. Nun wurde erstens gefragt, ob für die Annahme einer Teilnahme die Straftat des Täters zur Ausführung gelangt sein muss, zweitens, ob die Straftat des Teilnehmers vom Delikt der Haupttat abhängig ist, und drittens, ob die Strafbarkeit des Teilnehmers von der Strafbarkeit des Täters abhängig ist. Die Beantwortung dieser Fragen hängt vom Strafgrund der Teilnahme ab. Wenn der Strafgrund der Teilnahme vom Unrecht der Tat oder der Schuld des Täters40 ausgeht, spielen diese bei der Feststellung des Unrechts der Teilnahme eine wichtige Rolle. Ausgehend von der Beantwortung dieser Fragen lässt sich zwischen verschiedenen Ansichten differenzieren, die im Folgenden dargestellt werden41. 2. Die einzelnen Akzessorietätsprinzipien a) Akzessorietät von der Tatausführung durch den Täter Die erste der drei oben gestellten Fragen, ob für eine Teilnahme die Straftat des Täters zur Ausführung gelangt sein muss, wird heute grundsätzlich bejaht. Wenn die Anstiftung des Täters durch den Anstifter nicht zur Ausführung der Tat durch den Täter führt, ist der Anstifter nicht strafbar42. Dieser Grundsatz gilt für alle Tatbestände des StGB. Es gibt jedoch eine Ausnahme im Nebenstrafrecht, in § 38 des „Gesetzes zur Verhinderung von Aktivitäten zu schweren Gewalttaten“ (Hakai Katsudo Boshiho) 43.
39 Shigemasa Ueda, Kyohanron jono Shomondai (Probleme in der Beteiligungslehre), 1985, S. 1 ff. 40 Die extreme Akzessorietät, die für die Strafbarkeit des Teilnehmers die schuldhafte Handlung des Täters verlangt, ist nach der herrschenden Meinung und Rechtsprechung nicht nötig. 41 Vgl. Shigemasa Ueda, Kyohan no Kihonmondai (Grundprobleme der Teilnahme) 1952, S. 163 ff. 42 Dieses Prinzip gilt im deutschen StGB nicht, das die Strafbarkeit der versuchten Anstiftung gesetzlich bestimmt: § 30 (Versuch der Beteiligung) regelt: „(1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, wird nach den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft“. 43 Gesetz-Nr. 240 vom 21. 7. 1952 (vgl. Abschnitt A., II., 4., b). § 38 dieses Gesetzes bestraft die Anstiftung zu Straftaten nach § 77, § 81 oder § 82 StGB, bei denen es nicht zu einer Tatausführung durch den Täter kommt. Wenn der Täter diese Taten begeht, sind die Vorschriften über die Anstiftung anwendbar (§ 41).
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b) Akzessorietät vom Delikt der Haupttat Hierbei geht es um die Frage, ob die dem Täter und die dem Teilnehmer vorgeworfene Straftat grundsätzlich dieselbe sein muss. Die Antwort auf diese Frage hängt vom Verständnis des Wesens der Teilnahme ab, also davon, was den Tatbestand der Teilnahme ausmacht. Versteht man den Tatbestand der Teilnahme als „modifizierten Tatbestand“ im oben dargestellten Sinne, liegt der Schwerpunkt der Teilnahme in ihrem Beitrag zum Entstehen der Haupttat des Täters. D. h., dass etwa bei der Anstiftung der Anstifter auf den Täter einwirkt, damit dieser die Haupttat begeht. Deswegen muss die dem Anstifter vorgeworfene Tat nicht dieselbe wie die Haupttat sein (1. Theorie der Abhängigkeit vom Delikt der Haupttat). Versteht man dagegen den Tatbestand der Teilnahme als „ausgeweiteten Tatbestand“ im oben dargestellten Sinne, bedeutet Teilnahme etwa bei Anstiftung, dass der Teilnehmer die Verwirklichung des Grundtatbestands (mit-)„verursacht“ hat, wenn auch nicht durch seine eigene Tatausführung (2. Theorie der Unabhängigkeit vom Delikt der Haupttat). Der Gegensatz zwischen beiden Auffassungen entspricht strukturell dem Gegensatz zwischen Straftatgemeinschafts- und Tatgemeinschaftstheorie bei der Mittäterschaft. Daraus ergibt sich, dass die genannten theoretischen Gegensätze zwar unterschiedliche Gegenstände betreffen („horizontal“ auf der Ebene der Täter und „vertikal“ zwischen den Ebenen von Tätern und Teilnehmern), aber hinsichtlich der zugrundeliegenden Denkweise parallel sind. Die oben beschriebenen Theorien sollen an folgenden, oben schon kurz geschilderten, Beispielen dargestellt werden: (Beispiel 1): A (Geschäftsherr) stiftet den B (einfacher Besitzer) zu einer Unterschlagung an. Für A ist die Straftat eigentlich eine geschäftsbezogene Unterschlagung (gU) (§ 253), die schwerer als eine einfache Unterschlagung (eU) bestraft wird. Für B ist die Straftat eigentlich eine einfache Unterschlagung (§ 252). (Beispiel 2): B stiftet den A zu einer Unterschlagung (§ 252) an.
aa) Theorie der Abhängigkeit vom Delikt der Haupttat Wegen welcher Straftat der Anstifter bestraft wird, hängt vom Delikt der Haupttat ab. (Beispiel 1) A wird theoretisch wegen der Anstiftung zur eU bestraft, weil Haupttäter (B) nur eine eU begangen hat. Denn nach dieser Theorie trägt der A die Verantwortung für das Begehen-Lassen der Straftat des B.
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Bei diesem theoretischen Ergebnis bleibt es nicht, denn nach § 65 Abs. 2 (vgl. unten VI., 1.) wird A wegen Anstiftung zu gU bestraft. Für diese Theorie ist Abs. 2 eine Ausnahme-Vorschrift. (Beispiel 2) B wird theoretisch wegen der Anstiftung zu gU bestraft, weil der A die gU begangen und B zu dieser Straftat anstiftet hat. Wegen § 65 Abs. 2 wird A allerdings wegen Anstiftung zur eU bestraft. Für diese Theorie ist Abs. 2 wieder eine Ausnahme-Vorschrift.
bb) Theorie der Unabhängigkeit vom Delikt der Haupttat Wegen welcher Straftat der Anstifter bestraft wird, hängt nicht vom Delikt der Haupttat ab, sondern wegen welcher Straftat er zu verurteilen wäre, wenn er die Tat selbst ausgeführt hätte. (Beispiel 1) A wird sowohl theoretisch als auch praktisch (d. h. ohne Anwendung der Ausnahmeregel des § 65 Abs. 2) wegen der Anstiftung zur gU bestraft, weil sich seine Anstiftungshandlung auf eine gU richtete, auch wenn er den B nur zu einer eU angestiftet hat. (Beispiel 2) B wird sowohl theoretisch als auch praktisch wegen eU bestraft, weil der B als Nicht-Geschäftsherr nur eine Anstiftung zu einer einfachen Unterschlagung begehen kann.
Der wesentliche Unterschied beider Theorien lässt sich durch folgende Differenzierung verdeutlichen: Bei der Theorie der Abhängigkeit vom Delikt der Haupttat ist es wichtig, dass der Anstifter (oder Gehilfe) die Haupttat des Täters begehen lässt. Deswegen sind die zugrunde liegenden Delikte beim Haupttäter und beim Teilnehmer immer identisch (solidarisch). Nach der Theorie der Unabhängigkeit von der Art der Haupttat hat der Anstifter sein eigenes Delikt nur durch das Delikt der Haupttat verursacht. Deshalb sind die Delikte des Anstifters und des Haupttäters immer isoliert und unabhängig voneinander zu betrachten. c) Akzessorietät von der Strafbarkeit der Haupttat (Strafgrund der Teilnahme) Die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die Strafbarkeit des Teilnehmers von der Strafbarkeit des Täters abhängig ist, setzt die Klärung der Frage voraus, worin der Strafgrund der Teilnahme44 liegt. Die grundlegenden Auffassungen zu dieser Frage waren die Theorie der „Strafbarkeitsentlehnung“ und die der „Eigenstrafbarkeit“45. Die erstere Theorie wird heutzutage nicht mehr vertreten. Aufbauend auf der Theorie der Eigenstrafbarkeit stehen sich heute grundsätzlich 44 Grundlegend hierzu Yoshihisa Okoshi, Kyouno shobatsu Konkyo (Strafgrund der Teilnahme), 1981. 45 Shigemasa Ueda, AT, S. 158.
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die „Verursachungstheorie“ und die „Schuld- bzw. Unrechtsteilnahmetheorie“ gegenüber. Die erstere ist herrschende Meinung, die letzteren sind einflussreiche Mindermeinungen. Nach der Verursachungstheorie basiert die Strafbarkeit des Teilnehmers auf dessen eigener Verursachung des Taterfolges, während nach der Schuld- und der Unrechtsteilnahmetheorie die Strafbarkeit des Teilnehmers auf der Strafbarkeit des Täters basiert. Eine praktische Bedeutung des Theorienstreits liegt in der Reichweite des Teilnahmetatbestandes. Für die Schuld- und die Unrechtsteilnahmetheorie erstreckt sich der Teilnahmetatbestand nur bis zum Anfang der Tatausführung durch den Täter (entspricht also dem Modell des modifizierten Tatbestandes). Dagegen wird nach der Verursachungstheorie der Teilnahmetatbestand bis zur Verursachung des Taterfolgs ausgeweitet (entspricht also dem Modell des ausgeweiteten Tatbestandes). So gesehen ist auch die Akzessorietät von der Strafbarkeit der Haupttat mit der Frage des modifizierten Tatbestandes oder des ausgeweiteten Tatbestandes identisch und auch mit der Frage, ob die Teilnahme abhängig oder unabhängig vom Delikt der Haupttat ist. Heutzutage findet die Schuldteilnahmetheorie fast keine Unterstützung mehr, weil die „Theorie der limitierten Akzessorietät“ die überwiegend herrschende Meinung ist und auch von der Rechtsprechung vertreten wird46. Nach dieser Theorie setzt die Teilnahme das Unrecht der Haupttat voraus, nicht aber deren Schuld. Deswegen entspricht diese Theorie der „Unrechtsteilnahmetheorie“. Die „Theorie der limitierten Akzessorietät“ setzt in der Regel nicht nur das Unrecht der Haupttat, sondern wie in Deutschland auch den „Vorsatz“ voraus. Eine Mindermeinung in Japan verneint diese Voraussetzung. Zudem wird manchmal wird auch die Theorie der „minimalen“ Akzessorietät vertreten47. Die Teilnahme ist aber immer abhängig von der Haupttat. Auch die Verursachungstheorie wird in drei Erscheinungsformen vertreten: als reine, als vermischte und als modifizierte Verursachungstheorie. Der Unterschied zwischen erst- und letztgenannter Theorie liegt bei der Frage, ob die Rechtswidrigkeit der Teilnahme vom Unrecht der Haupttat abhängt. Die reine Verursachungstheorie verneint dies. Für die modifizierte Verursachungstheorie wird dagegen das Unrecht der Teilnahme durch das Unrecht der Haupttat bestimmt. Deswegen unterscheidet sich diese Theorie in den Ergebnissen nicht von der Unrechtsteilnahmetheorie. In Japan ist aber die „gemischte Verursachungs46 Die „extreme“ Akzessorietät, bei der die Teilnahme auch von der Schuld der Haupttat abhängig ist, entsprach vor dem Zweiten Weltkrieg der herrschenden Meinung, wird aber heutzutage schon nicht mehr vertreten. 47 Minoru Oya, AT, S. 407. Er vertritt eine vermittelnde Theorie zwischen der minimalen und limitierten Akzessorietät. Nach ihm besteht Akzessorietät nicht nur hinsichtlich der Tatbestandsmäßigkeit der Täterhandlung, sondern auch hinsichtlich der „Rechtsgutsverletzung“. Da das Erfassen der Rechtsgutsverletzung aber den Zweck des Tatbestandes darstellt, ist sie immer im Tatbestand enthalten. So auch Maeda, AT, S. 468.
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theorie“48, nach der nicht nur die Verursachung der Haupttat, sondern auch eine eigene Rechtsgutsverletzung durch die Teilnahmehandlung bejaht wird, die herrschende Meinung49. Die Auffassungen zur Grundstruktur der Teilnahme finden ihre Entsprechung in den oben dargestellten Auffassungen zur Grundstruktur der Mittäterschaft. Die oben dargestellte Straftatgemeinschaftstheorie ähnelt der Unrechtsteilnahmetheorie, die Tatgemeinschaftstheorie der Verursachungstheorie. d) Akzessorietät von Merkmalen im Straftataufbau Hirano hat später den drei zuvor behandelten Akzessorietätsprinzipien noch die „Akzessorietät von Merkmalen im Straftataufbau“ hinzugefügt50. 3. Eigene Stellungnahme Meiner Meinung nach ist die Akzessorietät zur Tatausführung durch den Täter eine unabdingbare Voraussetzung der Teilnahme. Eine Akzessorietät zum Delikt der Haupttat ist jedoch keine Voraussetzung der Teilnahme, da m. E. der Strafgrund der Teilnahme nicht allein in der Verursachung der Tatbegehung durch den Täter liegt, sondern auch in der Verwirklichung einer eigenen Rechtsgutsverletzung. Der Unterschied zur gemischten Verursachungstheorie liegt darin, dass der „Vorsatz“ des Haupttäters – anders als in Deutschland (§§ 26 u. 27 dStGB) – keine Voraussetzung der Teilnahme ist. Die Haupttat muss nur tatbestandsmäßig – teilnahmefähig ist also auch der fahrlässig verwirklichte Tatbestand – und rechtswidrig sein. Deswegen ist eine Teilnahme nicht ausgeschlossen, wenn der Täter fahrlässig und der Teilnehmer vorsätzlich handelt. Wenn der Hintermann vorsätzlich den Täter, der dann nur fahrlässig handelt, zu einer Tötung anstiftet, ist der Hintermann Anstifter zu einer vorsätzlichen Tötung, obwohl der Täter nur eine fahrlässige Tötung begangen hat. Wenn der Anstifter mit der dem Täter nicht bekannten Absicht der Tötung des Opfers dem Täter das tödliche Gift mit der Lüge, das Gift sei nur für eine Körperverletzung ausreichend, aushändigt, ist, wenn das Opfer zu Tode gekommen ist, der Täter wegen einer Körperverletzung
48 Man kann diese Theorie als „akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie“ bezeichnen. Der Strafgrund der Teilnahme liegt nach dieser Theorie im „Rechtsgutsangriff durch akzessorische Verursachung“. Vgl. Roxin, Strafrecht, AT, Bd. 2, § 26, Rn. 26 ff., 31. 49 Yamaguchi, AT, S. 300; Oya, AT, S. 399. 50 Hirano hat als erster in Japan diese Akzessorietät als „Akzessorietät von Merkmalen“ (Yoso Juzokusei) bezeichnet. Damit wollte er die Frage stellen, welche Merkmale der Straftat des Täters (Tatbestandsmäßigkeit, Unrecht oder Schuld) notwendig sind, um eine Teilnahme bejahen zu können. Im Allgemeinen wird in Japan dieser Ausdruck in dieser Form verwendet.
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mit Todesfolge und der Anstifter wegen Anstiftung zur Tötung zu bestrafen. Diese Theorie lässt sich in die modifizierte Verursachungstheorie einordnen. Die reine Verursachungstheorie setzt teilweise die „Akzessorietät zur Tatausführung durch den Täter“ voraus. Sie setzt aber keine grundtatbestandsmäßige Handlung des Täters, sondern nur eine objektiv rechtswidrige Handlung von ihm voraus51. Als Beispiel wird von einigen Vertretern dieser Theorie folgende Fallkonstellation herangezogen: A fordert B auf, einen unter Strom stehenden Draht anzufassen, um diesen durch einen elektrischen Schlag zu töten. B, der keine Ahnung davon hat, dass der Draht unter Strom steht, berührt diesen und stirbt. Nach der reinen Verursachungstheorie ist A Anstifter einer Tötung und kein mittelbarer Täter, weil B sich objektiv rechtswidrig verhalten hat52. Wenn man diesem Gedanken folgte, wäre der Arzt Anstifter, wenn er einer Krankenschwester die Verbreitung persönlicher Informationen über Patienten befohlen hat und diese dabei fahrlässig geglaubt hat, dass diese Informationen kein „Geheimnis“ der Patienten darstellen (§ 134 StGB)53. Dieser Meinung lässt sich daher nicht folgen.
V. Anstiftung und Beihilfe 1. Sinn der Anstiftung und Beihilfe Anstiftung und Beihilfe sind die Beteiligung im engeren Sinne. Die Anstiftung ist die Straftat, durch die man das Unrecht der Tat durch einen anderen begehen lässt. Die Beihilfe ist die Hilfeleistung für den Täter. Je nach den oben erklärten Modellen des Teilnahmetatbestandes54 ist der Sinn von Anstiftung und Beihilfe verschieden: Nach dem Modell des modifizierten Tatbestandes (also z. B. der Theorie der Unrechtsteilnahme) liegt der Sinn des „Begehen-Lassens“ darin, dass der Anstifter den Täter zu seiner Haupttat veranlasst. Nach dem Modell des 51 Saeki, Kyohan Riron no Genryu (Herkunft der Teilnahmelehre), 1987, S. 69 f. Diese Theorie verneint die „minimale Akzessorietät“. Andere Vertreter dieser Theorie der reinen Verursachung folgen nicht diesem Ergebnis. Vgl. Shigemasa Ueda, Grundprobleme der Teilnahme, S. 81.; zur Teilnahmelehre von Saeki vgl. Yamanaka, Teilnahmelehre, in: Hanzai to Keibatsu Nr. 18 (2008), S. 79 ff. 52 Anders als im deutschen Recht ist eine Selbsttötung nach japanischem Recht objektiv rechtswidrig. Vgl. Yamanaka, Der Strafgrund der Suizidbeteiligung im japanischen StGB, FS für Ulfrid Neumann, 2017, S. 1253 ff. 53 § 134 StGB regelt den vorsätzlichen „Geheimnisverrat“ durch einen Arzt, aber nicht den Geheimnisverrat durch eine Krankenschwester. Der vorsätzliche oder auch fahrlässige Verrat eines Geheimnisses durch eine Krankenschwester ist an sich nicht strafbar. Die Handlung ist aber nach dieser Meinung „objektiv rechtswidrig“. Deswegen ist der Arzt Anstifter, nicht mittelbarer Täter. 54 Vgl. oben I. 3. Die Gegenüberstellung beider Modelle gilt auch für die Gegenüberstellung der „Theorie der Abhängigkeit vom Delikt der Haupttat“ und der „Theorie der Unabhängigkeit vom Delikt der Haupttat“. Dazu vgl. oben IV. 2.
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O. Täterschaft und Teilnahme
ausgeweiteten Tatbestands (also der Verursachungstheorie) muss der Anstifter durch den Täter sein eigenes Unrecht verursachen. Dasselbe gilt auch für die Beihilfe: Die Hilfeleistung für den Täter muss nach dem Modell des modifizierten Tatbestandes nur die Erleichterung zur Tatausführung des Haupttäters bedeuten. Nach dem Modell des ausgeweiteten Tatbestandes muss der Gehilfe sein eigenes Unrecht durch den Haupttäter verwirklichen. a) Sinn der Anstiftung Eine Anstiftung ist diejenige Handlung, die geeignet ist, bei einem anderen den Entschluss hervorzurufen, eine bestimmte Straftat zu begehen. Zudem sollte auch die Anstiftung zu einer sorgfaltspflichtwidrigen Handlung, also zu einem Fahrlässigkeitsdelikt, möglich sein. Derjenige, der sich schon entschlossen hat, eine Straftat zu begehen, kann nicht mehr (jedenfalls nicht zu demselben Delikt) angestiftet werden (omnimodo facturus). Der omnimodo facturus hat bereits den Willen gefasst, auf eine bestimmte Art und Weise eine konkrete Straftat auszuführen. In diesem Zusammenhang ist ein Beschluss des OGH55 interessant: Der Angeklagte A ist der repräsentative Direktor einer Aktiengesellschaft. Er hat zu Gunsten der AG Steuern hinterzogen. Dazu beauftragte er seinen Bekannten B mit einer Beweisfälschung bei der Untersuchung durch das Steueramt. B hat den Beweis gefälscht. Er hat jedoch ferner dem A eine neue Methode der konkreten Beweisfälschung vorgeschlagen. Der Verteidiger des A behauptet, dass A den B nicht angestiftet hat, weil der B durch A keinen neuen Täterwillen gefasst habe. Der OGH bejahte die Anstiftung wie folgt: Der Wille des B wurde durch die Anstiftung des A festgelegt. „… weil sich der Wille des B zur Ausführung der Tat unabhängig vom Vorhaben des A nicht gebildet hätte“. Was die mittelbare Anstiftung anbelangt, so regelt § 61 Abs. 2: Derjenige, „der den Anstifter anstiftet“, wird wegen „Anstiftung“ (Abs. 1) bestraft. Fraglich ist, ob die Kettenanstiftung ohne explizite Regel im StGB strafbar wäre. Nach der modifizierten Tatbestandstheorie ist die Anstiftung durch Anstiftung erst durch die Vorschrift des § 61 Abs. 2 strafbar geworden. § 61 Abs. 1 regele nur die „Anstiftung zur Täterschaft“, nicht auch die Anstiftung zur Anstiftung. Erst durch § 61 Abs. 2 sei die Strafbarkeit der mittelbaren Anstiftung geschaffen worden. Dagegen sieht die Theorie des ausgeweiteten Tatbestandes es so, dass die mittelbare Anstiftung auch ohne § 61 Abs. 2 schon theoretisch strafbar wäre, weil der ausgeweitete Tatbestand im Endeffekt auf den Erfolgseintritt der Haupttat orientiert ist. Nach dieser Theorie wird die sog. Kettenteilnahme deswegen als Teilnahme an der Haupttat bestraft. Bei der Beihilfe gibt es aber keine mit § 61 Abs. 2 vergleichbare Vorschrift. Nach der modifizierten Tatbestandstheorie ist 55
Beschluss des OGH v. 21. 11. 2006, Keishu Bd. h. 9, S. 770.
V. Anstiftung und Beihilfe
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die Beihilfe der Beihilfe daher mangels entsprechender Vorschrift nicht strafbar. Nach der Theorie des ausgeweiteten Tatbestandes ist sie dagegen strafbar. b) Sinn der Beihilfe Die Beihilfe ist die Hilfeleistung für den Täter. Der Gehilfe ist derjenige, der die Ausführung des Täters, der sich schon zur Begehung entschlossen hat, erleichtert oder fördert. Bei der Beihilfe-Handlung gibt es objektive und subjektive Merkmale. Die Beihilfe-Handlung ist die Handlung, die die Ausführung der Haupttat erleichtert oder fördert56. Im weiteren Sinne reicht sie von der Erleichterung der Haupttat bis zur Verursachung des Haupttaterfolgs. In Rechtsprechung57 und Lehre58 wird die Meinung vertreten, dass die Beihilfe kein unentbehrlicher Beitrag für die Ausführung der Haupttat zu sein braucht. Die Beihilfe kann durch physische oder auch nur psychologische Beiträge verwirklicht werden. Was den Zeitpunkt der Beihilfe anbelangt, so ist sie vor und während der Ausführung der Haupttat möglich. Problematisch ist, ob die Beihilfe nach der Vollendung der Tatausführung des Täters bis zum Erfolgseintritt möglich ist. Anders als in Deutschland59 wird die Frage in Japan in der Regel60 verneint. Die Beihilfe muss spätestens vor der Beendigung der Tatausführung der Haupttat geleistet werden. Bei den Zustandsdelikten ist jedoch die Beihilfe ausnahmsweise auch nach der Vollendung möglich. Die einseitige Beihilfe, d. h. ohne, dass der Täter den Gehilfenbeitrag bemerkt, ist nach der herrschenden Meinung und in der Praxis61 möglich. 2. Beihilfe durch Unterlassen Die Frage, ob Beihilfe zur positiven Tatausführung durch Unterlassen möglich ist, wurde in Japan insbesondere anhand des „Kindesmisshandlungsfalls“ viel diskutiert62.
56
Urteil des OGH v. 1. 10. 1949, Keishu Bd. 3, H. 10, S. 1629. Urteil des RG v. 9. 7. 1913, Keiroku Bd. 19, S. 771; Urteil des RG v. 19. 2. 1929, Keishu Bd. 8, S. 84. 58 Otsuka, AT, S. 320; Oya, AT, S. 442; Kawabata, AT, S. 596. 59 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, Bd. 2, 2003, § 26, Rn. 257 ff., S. 220 ff. Die Beihilfe ist bis zur materiellen Beendigung möglich. 60 Vgl. die Gegenmeinung Kimura, AT, S. 421. 61 Urteil des RG v. 22. 1. 1924, Keishu Bd. 3, S. 921; Urteil des LG Tokyo v. 27. 7. 1988, Hanrei Jiho 1300, 153. 62 Vgl. dazu Yamanaka, Abgrenzung von Beihilfe und Mittäterschaft bei Unterlassungsdelikten, in: FS Schünemann, 2014, S. 561 ff. 57
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O. Täterschaft und Teilnahme
a) Kindesmisshandlungsfall in Hokkaido Die Angeklagte wohnte zusammen mit ihren Kindern A und B sowie mit einem Mann X zusammen. Der X züchtigte die beiden Kinder regelmäßig mit Gewalt. An einem Tag ging die Angeklagte davon aus, es wäre möglich, dass der X wie immer den B misshandeln würde. Trotzdem bereitete sie in der Küche das Abendessen vor. Der X begann tatsächlich damit, B zu misshandeln. Er schlug den Kopf des B fünfmal mit seiner Faust. B fiel dann plötzlich mit einem kurzen Schmerzensschrei auf den Rücken, wurde bewusstlos und verstarb später. Die Angeklagte war damals schwanger. Das LG Kushiro hat 199963 bei der Prüfung der Beihilfe der Angeklagten die Handlungsmöglichkeit der Angeklagten verneint. Nach der Ansicht des LG war es zwar nicht ausgeschlossen, dass ein physisches Einschreiten der Angeklagten die Gewalttaten des X verhindert hätte. Aber „es wäre für die Angeklagte sehr schwer gewesen, die Gewalttaten des X durch eigene Gewaltanwendungen zu verhindern. Man darf ihre Unterlassung daher nicht mit einer Körperverletzung mit Todesfolge durch Tun gleichsetzen.“ Die zweite Instanz, das OG Sapporo64, hat demgegenüber die Möglichkeit zur Erfolgsvermeidung durch einen Rettungsakt der Angeklagten bejaht. Wenn sich die Angeklagte neben den X gestellt hätte, dann hätte dies bereits einen psychischen Druck erzeugt, der X möglicherweise dazu bewegt hätte, die Misshandlungen zu beenden. Deswegen wäre es möglich gewesen, die von X bewirkte Misshandlung, durch ein Tun zu verhindern. Es sei hinreichend wahrscheinlich, dass schon mit dem Mittel bloßer Überredung der X an der Misshandlung hätte gehindert werden können. Die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der Gesundheit des Embryos sei niedrig gewesen. Somit lasse sich nicht feststellen, dass die Angeklagte sich insoweit in einer so erheblich schwierigen Lage befand, dass sie die Misshandlung des X nur mit Gewalt hätte abwenden können. Die beiden Entscheidungen setzen voraus, dass das Unterlassen der Angeklagten eine Beihilfe ist, weil die Misshandlung des B durch ein aktives Tun des X unmittelbar verursacht wurde. Wenn sich die Angeklagte mit X zur Misshandlung verständigt hätte, wäre auch Mittäterschaft denkbar, weil die beiden dann je durch ein Tun und ein Unterlassen die Tatausführungen begangen hätten. Das Urteil des LG und das des OG unterscheiden sich nur in der Art und Weise der notwendigen Rettungshandlung. Die Frage ist noch, warum die Garantenstellung der Angeklagten zum Rechtsgüterschutz für das Leben ihres Kindes keine Täterschaft durch Unterlassen begründet, was im Folgenden erörtert wird.
63 64
Urteil des LG Kushiro v. 12. 2. 1999, Hanrei Jiho 1675, 148. Urteil des OG Sapporo v. 16. 3. 2000, Hanrei Jiho 1711, 170.
V. Anstiftung und Beihilfe
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b) Kindesmisshandlungsfall in Osaka Auf der anderen Seite gibt es Entscheidungen, in denen eine Mittäterschaft zwischen Tun und Unterlassen bejaht wurde. Hierzu ist insbesondere das Urteil des OG Osaka v. 2001 zu nennen.65 In diesem Fall hat die Angeklagte, die die Mutter des Mädchens A war, zuerst das Mädchen A mit ihrem Mann X viele Male misshandelt und es dann vorsätzlich getötet, indem sie das Kind verhungern ließ. Später hat die Angeklagte auch noch ihre zweite Tochter B misshandelt und zu Tode kommen lassen. Am Tag der Tat schloss die Angeklagte das Mädchen B in die Arme und stellte sich vor einen niedrigen tischähnlichen Heizungsapparat. Sie hob B bis zur Höhe ihrer Schultern, sah sich nach ihrem Mann X um, der sich auf den Boden gelegt hatte und sagte zu ihm: „Ich weiß nicht, wie es weitergehen wird, wenn du mich nicht abhältst“. Der X warf der Angeklagten einen Blick zu und bemerkte, dass seine Frau die Absicht hatte, B auf die Holzverkleidung des Heizungsapparats zu werfen. Der X drehte sich daraufhin nur schweigend um. Als sie dieses Verhalten des X sah, schleuderte sie schließlich die B auf die Holzverkleidung. Der Kopf der B schlug kräftig auf das Holz, was dazu führte, dass B später im Krankenhaus verstarb. Das OG hat direkten Vorsatz zum Mord bejaht und die Angeklagte wegen mittäterschaftlichen Mordes verurteilt. Nach dem Urteil hat der X keine Maßnahme zur Hinderung der Tat der Angeklagten unternommen und sein Gesicht weggedreht. Durch dieses Verhalten des X habe sich die Angeklagte entschlossen, B auf die Holzdecke zu werfen. Unser Interesse liegt dabei nicht auf dem aktiven Tun der Angeklagten, sondern auf dem Unterlassen des X, der den Schlag der Angeklagten gegen B nicht verhinderte. Im Urteil wurde nicht festgestellt, ob das Verhalten des X ein Tun oder ein Unterlassen ist. Die Angeklagte und X hatten B schon seit längerer Zeit nicht mehr gefüttert und den Hungertod der B in Kauf genommen. Der X hatte zuvor das Gesicht der B aus Ärger so heftig geschlagen, dass dadurch Hämatome auf ihrem Gesicht entstanden. Das OG hat die „Theorie der Komplott-Mittäterschaft“66 im Allgemeinen anerkannt. Soweit das OG dieser Theorie folgt, ist es möglich, Mittäterschaft zu bejahen, ohne danach zu fragen, ob der Tatbeitrag in einem Tun oder einem Unterlassen bestand. Problematisch ist bei diesem Fall, ob es einen Unterschied bei der objektiven Seite des Falles zum Fall vom OG Sapporo gibt. Wenn die gegenseitige Verständigung zwischen den Beteiligten, von denen einer sich als ein Garant im Verhältnis zu dem Kind durch Unterlassen an den Straftaten beteiligt hat, vorhanden wäre, 65
Urteil des OG Osaka v. 21. 6. 2001, Hanrei Times 1085, 292. vgl. Yamanaka, Erscheinungsformen der Tatbeteiligung mehrerer unter besonderer Berücksichtigung von organisierter Kriminalität wie auch krimineller Aktivitäten von Organisationen, in: Eser/Yamanaka (Hrsg.), Einflüsse deutschen Strafrechts auf Polen und Japan, 2001, S. 127 ff. 66 Dazu
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O. Täterschaft und Teilnahme
schiene es theoretisch möglich zu sein, dass man die Tat objektiv gesehen entweder als Beihilfe durch Unterlassen oder als Komplott-Mittäterschaft ansieht. In einer Entscheidung wird dieses Problem diskutiert und die Feststellung eines Unterlassungsdelikts bevorzugt. Die Angeklagte hatte dem anderen Täter vorgespiegelt, dass sie vergewaltigt worden sei, und sie verabredete mit dem anderen Täter, den angeblichen Vergewaltiger zu töten. Dazu führte sie das Opfer an den Ort, an dem die Gefahr bestand, dass der andere Täter das Opfer töten werde, was dann auch geschah und von der Angeklagten nicht verhindert wurde. Das Gericht hat eine Verhinderungspflicht der Angeklagten auf Grund von Ingerenz bejaht und eine mittäterschaftliche Tötung durch Unterlassen angenommen und die (theoretisch mögliche) Komplott-Mittäterschaft nicht erwähnt67. Es besteht hier aber auch die Möglichkeit, von einer Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen auszugehen. c) Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe durch Unterlassen Bei der Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe in der oben beschriebenen Konstellation spielt die Überlegung eine Rolle, ob die beiden an sich noch keine Täterschaft begründenden Tatbeiträge des Unterlassenden dann eine Mittäterschaft bilden können, wenn man beide Momente addiert68. Das Unterlassen während der Tatausführung und die aktive Teilnahmehandlung vor der Tatausführung durch den Begehungstäter haben die Tatausführung des Begehungstäters verursacht. Damit begründete das Unterlassen insgesamt betrachtet die Mittäterschaft. Bei der Mittäterschaft funktioniert eigentlich das „Prinzip der Tätigkeitsanrechnung“69. Nicht das bloße Unterlassen, sondern auch der positive Beitrag des Unterlassenden zur Begehung durch den Mittäter muss die Gefahrensituation für das Opfer mit schaffen. Dies zeigen in der japanischen Judikatur z. B. die Kindesmisshandlungsfälle: Wenn die Mutter eines Kindes gegenüber der tödlichen Misshandlung ihres Kindes durch ihren Mitbewohner in einem Zimmer, in dem sie sich auch aufhält, nichts unternommen hat, aber sie davor zusammen mit ihrem Mitbewohner ihr Kind misshandelt hat, oder sie seine Gewalttaten dadurch gefördert hat, dass sie das Kind gefesselt oder es in das Tatortzimmer hineingezogen hat, oder auch dann, wenn sie das Kind nicht gefüttert oder auf andere Weise die Körperkräfte des Kindes geschwächt hat, damit die Misshandlung effektiver wird, ist sie als Mittäterin anzusehen. Sie muss die konkrete Gefahrensituation für das Kind mit schaffen, damit ihre Gesamttat als „Mittatherrschaft“, d. h. als Mittäterschaft, bewertet werden kann70. 67
Urteil des OG Tokyo v. 6. 10. 2008, Hanrei Times 139, S. 292. Yamanaka, a .a. O., in: FS Schünemann, 2014, S. 572 ff. 69 Vgl. Torsten Buser, Zurechnungsfragen beim mittäterschaftlichen Versuch, 1998, S. 39. 70 Vgl. auch Yamanaka, Täterschaft und Teilnahme bei den Unterlassungsdelikten, in: FS Kawabata, 2014, S. 663 ff. 68 Vgl.
V. Anstiftung und Beihilfe
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3. Beihilfe durch neutrale Handlungen a) Entscheidungen zur Beihilfe durch neutrale Handlungen In Japan wird das Thema der „Beihilfe durch neutrale Handlungen“71 seit etwa 2006 diskutiert. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn der Gehilfe trotz des Wissens von der geplanten Ausführung der Haupttat, eine unterstützende alltägliche Geschäftstätigkeit durchgeführt hat. Dabei ging es etwa um einen Fall der Beihilfe zur strafbaren Vermittlung der Prostitution (§ 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Bekämpfung der Prostitution und § 62 Abs. 2 StGB), in dem der Inhaber einer Druckerei Reklame-Blätter für ein Hotel druckte, mit denen das Hotel damit warb, den Hotelgästen Prostituierte zu vermitteln72. Der Verteidiger behauptete dabei, dass der Druck der Reklame-Blätter als eine berechtigte oder geschäftliche Handlung (§ 35) ausgeführt würde. Das OG hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Vermittlung der Prostitution verurteilt. In einem ähnlichen Fall hat der OGH im Jahre 2011 den Hersteller und Verkäufer des Computerprogramms „Winny“, das als Mittel für Straftaten verwendet werden kann, vom Vorwurf der Beihilfe freigesprochen. b) Winny-Fall Das Programm namens „Winny“73 hat die Funktion, bestimmte Festplattendaten, z. B. für Filme oder Spielesoftware, automatisch und anonym zu senden und zu empfangen. Somit ist „Winny“ ein System, in dem einzelne Computer und der Zentralserver eines Netzwerks nicht in einem Subordinationsverhältnis, sondern in einem Gleichordnungsverhältnis zueinander stehen. Der Angeklagte hatte „Winny“ programmiert und auf seiner Homepage veröffentlicht und so für andere Internet-Nutzer die Möglichkeit eines ungehinderten Zugriffs auf fremden Dateien geschaffen. Diese Software zu erstellen und im Internet anzubieten, ist in Japan an sich nicht strafbar. Die Frage war, ob sich der Angeklagte wegen der Beihilfe zur Verletzung des Urhebergesetzes (UG) wegen 71 Yamanaka, Die Strafbarkeit der Beihilfe durch neutrale Handlungen, Hogaku Ronshu Bd. 56, H. 1 (2006), S. 34 ff.; ders., Objektive Zurechnung bei neutralen Beihilfehandlungen – Betrachtungen anhand der japanischen Diskussion –, in: FS Jakobs, 2007, S. 767 ff. 72 Urteil des OG Tokyo v. 10. 12. 1990, Hanrei Times 752, 246. 73 Urteil des LG Kyoto v. 13. 12. 200, Hanrei Times 1229, 105; Urteil des OG Osaka v. 8. 10. 2009, Keishu Bd. 65, H. 9, S. 1635; Beschluss des OGH v. 19 12. 2011, Keishu Bd. 65, H. 9, S. 1380. Vgl. Yamanaka, Einige Bemerkungen zum „Winnyfall“; die Strafbarkeit des Anbietens der Tausch-Software in Internet, in: Pływaczewski (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Strafrechts und der Kriminologie, 2012, S. 805. In diesem Aufsatz wurde der Beschluss des OGH noch nicht überprüft, weil er erst nach der Abgabe des Manuskripts veröffentlicht wurde.
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O. Täterschaft und Teilnahme
des Deliktes eines Eingriffs in öffentliche Übertragungen (§ 119 Nr. 1 a. F., § 23 Abs. 1 UG) strafbar gemacht hatte. Zwei Täter haben diese Software heruntergeladen, installiert und einem unbestimmten Personenkreis über das Internet illegal verschiedene Computerspiele und Filme ohne Einverständnisse der Urheber oder von anderen berechtigten Personen automatisch zugesandt. Nach dem Urteil des LG wurde der Angeklagte wegen Beihilfe in den beiden Fällen verurteilt. Das OG hat ihn demgegenüber freigesprochen. Der Angeklagte habe „Winny“ zwar im Internet veröffentlicht und dabei die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der Verletzung des Urheberrechts erkannt und in Kauf genommen. Aber er habe „Winny“ wertneutral zum Download angeboten und die Software nicht hauptsächlich zu dem Zweck angeboten, das Urhebergesetz zu verletzen. Der OGH hat das Urteil des OG bestätigt und den Vorsatz zur Beihilfe zu Urheberrechtsverletzungen verneint. Es sei schwierig festzustellen, dass der Angeklagte erkannt und in Kauf genommen habe, dass die überwiegende Zahl der Nutzer die Software zu Urheberrechtsverletzungen verwenden werde. 4. Kausalität der Beihilfe a) Ein eigener Kausalitätsbegriff für die Beihilfe? Was die Diskussion über das Problem der „Kausalität der Beihilfe“74 anbelangt, so werden verschiedene Theorien vertreten: Von dem Standpunkt der Unrechtsteilnahme75 reicht es aus, wenn die Kausalität vorhanden ist, die die Ausführung befördert. Diese Auffassung ist vergleichbar mit der Förder- oder Verstärkerkausalität, von der die Rechtsprechung in Deutschland ausgeht. Auch vom Standpunkt der Verursachungstheorie aus wird diese Theorie unterstützt. Diese Theorie geht davon aus, dass die Bedingungstheorie bei der Beihilfe modifiziert werden muss76: Es muss kein notwendiger Ursachenzusammenhang zwischen Gehilfenbeitrag und Erfolg bestehen, sondern es genügt, wenn die Handlung den Erfolg befördert hat. Diese Auffassung77 basiert teilweise auf dem Begriff der „Zufluss- oder Verstärkerkausalität“ von Class78. Aber es ist meiner Meinung nach nicht nötig, die normale Bedingungstheorie zu modifizieren, wenn man der konkreten Erfolgsanschauung folgt79. 74 Vgl. Yamanaka, Keiho niokeru Ingakankei to Kizoku (Kausalität und Zurechnung im Strafrecht), 1984, S. 93 ff., vor allem zur Auffassung von Class vgl. S. 197 ff. 75 Otsuka, AT, S. 324; Oya, AT, S. 446; Kawabata, AT, S. 599. 76 In Deutschland wird diese Theorie als „Erfolgsförderungstheorie“ bezeichnet. Vgl. Roxin, a .a. O., Bd. 2, § 26 Rn. 184. 77 Nishida, Strafrecht AT, 2006, S. 321 f. 78 Class, Die Kausalität der Beihilfe, FS Stock, 1966, S. 115 ff., 125 ff. Vgl. Nishida, Kausalität der Beihilfe, in: Hogaku Seminar Nr. 322, S. 24 ff.
V. Anstiftung und Beihilfe
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b) Itabashi-Juwelier-Tötungsfall
Hier ist insbesondere eine Entscheidung des OG Tokyo aus dem Jahre 1990 von Bedeutung, der sog. „Itabashi-Juwelier-Tötungsfall“80. Der Täter B wollte den X zum Zwecke des Raubes in einem Keller erschießen. Der Angeklagte A wusste davon und hatte den Kellerraum vorbereitet, indem er die Lüftungsschächte mit Klebeband und Dämmmaterial ausstopfte, um zu verhindern, dass Geräusche beim Erschießen des X nach außen dringen. Allerdings änderte B, der nichts von der Vorbereitungshandlung des A wusste, seinen Tatplan spontan und erschoss den X bereits in einem Fahrzeug. Die erste Instanz hat die Kausalität der Beihilfe des Angeklagten bejaht. Der Gehilfenbeitrag des A habe das Risiko für das Leben des Opfers, das nach dem Plan des B an dem Tag getötet wurde, erhöht. Deswegen „fehlt es nicht an der notwendigen Kausalität der Beihilfe“. Dagegen hat die zweite Instanz die Kausalität verneint. Die Handlung des A sei für die wirkliche Raubausführung des B gar nicht nützlich gewesen. „Wenn man trotzdem die Beihilfe bejahen wollte, müsste man es so verstehen, dass es ausreicht, den B geistig zu ermutigen, oder die Absicht des B aufrecht zu erhalten bzw. zu verstärken“. „Es lässt sich nicht feststellen, dass der B in diesem Fall von der Handlung des A etwas bemerkt hatte“. Aus diesem Grund hat das OG die Kausalität der Beihilfe von A verneint. Wenn für die „Risikoerhöhung“ im Sinne dieses Urteils eine ex ante Beurteilung maßgeblich wäre, müsste es die Risikoerhöhung bejaht haben, weil ex ante die Klebe-Handlung die Chance für den Täter erhöht hätte, das Opfer mit der Pistole im Keller zu erschießen. c) Derselbe Kausalbegriff wie bei der Täterschaft Wenn die Kausalität zwischen Beihilfehandlung und Haupttaterfolg als Strafgrund der Beihilfe notwendig ist, muss die Handlung zunächst kausal im Sinne der Bedingungstheorie sein. Die Erleichterung, Beförderung oder Verstärkung der Kausalität widersprechen nicht der normalen Bedingungstheorie, weil das spätere einigermaßen konkrete Geschehen entfallen würde, wenn das vorzeitige Geschehen hinweg gedacht würde. Weil zudem auch die objektive Zurechnung zwischen Beihilfehandlung und Haupttaterfolg nötig ist, muss sich die recht-
79 Nach der konkreten Erfolgsanschauung ist der Erfolg mit Beihilfe und ohne Beihilfe konkret gesehen anders. Z. B. falls der Tod des Opfers etwas später eingetreten wäre, wenn der Gehilfe dem Täter kein schärferes Messer ausgehändigt hätte. Bei diesem Fall lässt sich die Kausalität nach der Bedingungstheorie bejahen. 80 Urteil des OG Tokyo v. 21. 2. 1990, Tokokei Jiho Bd. 41, H. 1=4, S. 7. Weil sich dieser Fall im Bezirk „Itabashi“ in Tokio ereignete, wurde der Fall als „Itabashi-Juwelier-Tötungs-Fall“ bezeichnet.
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O. Täterschaft und Teilnahme
lich missbilligte Gefahr auch im Erfolg realisiert haben. Dabei ist vor allem die Risikoerhöhung als nachträgliche Beurteilung81 nützlich.
VI. Sonderprobleme der Beteiligung 1. Teilnahme und Sonderdelikte a) Echte und unechte Sonderdelikte und Teilnahme Sonderdelikte sind die Delikte, die eine bestimmte Subjektqualität des Täters für die Strafbarkeit oder eine Strafschärfung bzw. -milderung voraussetzen. Die Rechtsprechung in Japan hat den Begriff der Subjektqualität wie folgt definiert: Sie „meint nicht nur den Unterschied zwischen Männern und Frauen, oder Inländern und Ausländern, bestimmte Beziehungen oder Verwandtschaften, eine Qualifikation als Beamter, sondern auch eine besondere Stellung oder einen besonderen Zustand, die eine die Straftat betreffende persönliche Beziehungen darstellen“82. Bei den Sonderdelikten lassen sich die echten und die unechten Sonderdelikte differenzieren. Die ersteren sind die Delikte, die nur die Personen, die die Subjektqualität haben, begehen können. Die letzteren sind die Delikte, wegen denen die Personen, die die Subjektqualität haben, schwerer oder milderer bestraft werden. Z. B. ist Bestechung nur durch Beamte und Vergewaltigung nur durch Männer strafbar, womit es sich um echte Sonderdelikte handelt. Als Beispiele für die zweite Kategorie ist die Unterschlagung bei Geschäftstätigkeiten (§ 253) im Vergleich zur einfachen Unterschlagung (§ 252) zu nennen. b) § 65 Abs. 1 und 2 StGB Die Beteiligung an Sonderdelikten ist in § 65 Abs. 1 und 2 wie folgt geregelt: „Wer an der Straftat beteiligt ist, deren Strafbarkeit von der persönlichen Stellung des Täters abhängt, wird als Beteiligter bestraft, auch wenn er selbst diese Stellung nicht innehat“ (Abs. 1). „Wenn die Schwere der Strafe wegen der persönlichen Stellung des Täters unterschiedlich bewertet wird, so wird derjenige, der diese persönliche Stellung nicht innehat, mit der normalen Strafe bestraft“ (Abs. 2). Der Absatz 1 scheint „Solidarität“ auf der Ebene der „Straftatakzessorietät“ zu zeigen, obwohl eine andere Auslegung nicht ausgeschlossen ist. Der Absatz 2 zeigt dagegen die „Abtrennung“ der Straftatarten zwischen den Beteiligten, also die Unabhängigkeit der Straftatarten der Beteiligten. Möglicherweise kann die Bedeutung der beiden Absätze durch eine einheitliche theoretische Erklärung dargelegt werden. 81 Diese Risikoerhöhung ist nicht aus einer ex ante (ursprünglich vgl. Schaffstein, Risikoerhöhung als objektives Zurechnungsprinzip im Strafrecht, in: FS Honig, 1970, S. 169 ff.), sondern aus einer ex post Betrachtung zu gewinnen. 82 Urteil des OGH v. 19. 9. 1952, Keishu Bd. 6, H. 8, S. 1083.
VI. Sonderprobleme der Beteiligung
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c) Herrschende Meinung Die herrschende Meinung interpretiert den § 65 Abs. 1 als die Vorschrift über die echten Sonderdelikte und die „Solidarität“ der Straftaten zwischen den Beteiligten. Der § 65 Abs. 2 regele die unechten Sonderdelikte und die „Abtrennung“ der Straftaten zwischen den Beteiligten. Bei der Mittäterschaft gründet sich diese Auffassung auf die modifizierte oder gemischte Verursachungstheorie. d) Unrechtsteilnahmetheorie Die Unrechtsteilnahmetheorie geht davon aus, dass Abs. 1 das Akzessorietätsprinzip regelt. Bei der Beteiligung gelte das Prinzip der Straftatakzessorietät unabhängig von den echten oder unechten Sonderdelikten. Der Abs. 2 regele dagegen, dass bei den unechten Sonderdelikten die „normale Strafe“ gelte. Nach Abs. 2 müsse die Straftat, die durch eine Person, die die in Abs. 1 bezeichnete Subjektqualität hat, begangen wird, mit der „Strafe für den normalen Fall“ bestraft werden. Wenn z. B. ein Freund des Täters, der der Besitzer eines Lagergeschäfts ist, ihn zu einer Unterschlagung anstiftet, ist seine Straftat zuerst nach Abs. 1 als Anstiftung zur geschäftsbezogenen Unterschlagung (§ 253) anzusehen. Dann müsse noch der Abs. 2 angewendet werden. Der Anstifter wird dann trotz seiner „Straftat“ der geschäftsbezogenen Unterschlagung (§ 253) nur wegen einer einfachen Unterschlagung (§ 252) bestraft. An dieser Theorie wird kritisiert, dass sie Straftat und Strafe unnötig vermische. e) „Solidarität“ bei Unrechtsqualifikation und „Abtrennung“ bei Schuldqualifikation Es gibt noch die Theorie, nach der § 65 Abs. 1 und Abs. 2 nicht nur die Delikte erfassen, bei denen die Subjektqualität ein Merkmal des Unrechtstatbestandes ist, sondern auch die Delikte, bei denen die Subjektqualität den Charakter einer Schuldqualifikation hat. Der Abs. 1 regele die „Solidarität“ für die Subjektqualität als Unrechtselement. Der Abs. 2 regele dagegen die „Abtrennung“ für die Subjektqualität als Schuldelement. Das obige Beispiel müsste demnach so gelöst werden, dass die Straftat der einfachen Unterschlagung (§ 252) auf Grund der Anwendung des Abs. 2 zustande kommt, weil die geschäftsbezogene Unterschlagung (§ 253) zu den Delikten gehört, bei denen die Subjektqualität ein Schuldelement ist. Gegen diese Theorie wird eingewendet, dass die Einordnung der Straftat als unrechts- oder schuldqualifiziertes Delikt unklar ist. f) Reine Verursachungstheorie Nach der reinen Verursachungstheorie regelt der Abs. 1 den Tatbestand, der durch das Subjekt eingeschränkt wurde, die Norm wird also zuerst auf denjenigen, der die Qualifikation hat, bei den echten Sonderdelikten gerichtet. Aber
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O. Täterschaft und Teilnahme
auch derjenige, der keine Qualifikation hat, wird wegen seiner Verursachung des Tatbestandes, der durch einen unmittelbar Handelnden begangen wurde, bestraft. Deswegen sind die Straftaten zwischen dem Täter und den Beteiligten immer „solidarisch“, also die beiden verursachen die gleichen Delikte: D. h., wenn z. B. eine Privatperson den Beamten zur Bestechungsannahme anstiftet, wird der Anstifter wegen der Anstiftung zur Bestechungsannahme bestraft. Der Anstifter kann zwar den Tatbestand nicht selber begangen haben, aber er kann als Anstifter den Tatbestandserfolg verursachen. Der Abs. 2 beschränkt dagegen die Person als Gegenstand der Norm (je für Täter oder Beteiligte) auf die Personen, die jeweils die Subjektqualität hat83. D. h., die Norm gilt jeweils für den Täter oder Teilnehmer entsprechend seiner Subjektqualität getrennt. Also sollte bei den unechten Sonderdelikten der Absatz 2 angewandt werden. Wenn z. B. ein Freund einen Lagergeschäftsherrn zu einer Unterschlagung anstiftet, wird der Geschäftsherr wegen Täterschaft einer geschäftsbezogenen Unterschlagung (§ 253) bestraft, der Anstifter dagegen nur wegen der Anstiftung zu einer einfachen Unterschlagung (§ 252). Also sind im Fall von Abs. 2 die Straftaten zwischen dem Täter und dem Beteiligten „getrennt“. Meiner Meinung nach hat die letzte Auffassung im Grunde genommen Recht. Abs. 1 regelt die Strafbarkeit der Teilnehmer, die die Rechtsgüter, ohne Täter zu sein, verletzt haben. Deswegen ist es ausgeschlossen, den Abs. 1 auf die Mittäterschaft anzuwenden84. Der Abs. 2 regelt neben gemeinsamen Rechtsgüterverletzungen durch mehrere Beteiligte (also: zwischen Täter und Teilnehmer) auch den Schutz des Vertrauens in die verschiedenen Pflichtengrade, je nach der geforderten Subjektqualität. Deswegen regelt der Abs. 2, dass dabei immer je nach der Subjektqualität eine eigene Straftat zustande kommt. 2. Abstandnahme vom Versuch bei der Beteiligung Was den Rücktritt vom Versuch bei der Beteiligung anbelangt, so handelt es sich um den Rücktritt vom Versuch bei der Mittäterschaft und bei der Teilnahme im engen Sinne, also bei der Anstiftung oder der Beihilfe. Bei der Mittäterschaft wird der Rücktritt vom Versuch beim Beginn der Tatausführung und der vor dem Beginn der Tatausführung unterschieden85. Wenn ein Beteiligter die weitere Tat 83 Vgl. dazu Shigemasa Ueda, AT, 181 ff.; Probleme, S. 242; Naka, AT, S. 261. Weil die unechten Sonderdelikte gegenüber den Allgemeindelikten in einem „Spezialitätsverhältnis“ stehen, gibt es eine gemeinsame Basis für die beiden Normen für den Täter oder Beteiligten. 84 Nach der herrschenden Meinung lässt der Abs. 1 auch auf die Mittäter anwenden. 85 Yamanaka, Abstandnahme von der Tat bei mehreren Beteiligten, in: Ünver/Joerden/ Szwarc/Yamanaka (Hrsg.), Probleme des Allgemeinen Teils des Strafrechts aus rechtsvergleichender Perspektive, Ankara 2015, S. 53 ff.
VI. Sonderprobleme der Beteiligung
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von anderen freiwillig verhindert, wird er wegen des Rücktritts vom Versuch die Rechtsfolge des § 43 Abs. 2 genießen. Wenn die Verhinderung scheitert, ist wichtig, ob ihm die weitere Tat noch zugerechnet werden kann. Die strafbefreiende Abstandnahme vom Versuch ist nur in dem Fall möglich, in dem der andere Beteiligte (d. h. der Teilnehmer oder der Mittäter) die Tatausführung ohne den Abstandnehmenden weiter begeht. Er hat zwar die weiteren Taten seiner Mitbegehenden nicht verhindert, aber er hat vom Mitmachen Abstand genommen. In diesem Fall hat er sich der weiteren Beteiligung entzogen. Er ist nur wegen Versuchs zu bestrafen. Die Abstandnahme und der Rücktritt vom Versuch unterscheiden sich praktisch nur dadurch, dass der Rücktritt freiwillig erfolgen muss, was bei der Abstandnahme nicht erforderlich ist. Die Rücktrittsvorschrift in § 43 ist anders, da sie nur zwischen dem freiwilligen Rücktritt vom Versuch (§ 43 S. 2) und dem fehlgeschlagenen Versuch nach § 43 S. 1 unterscheidet. Der Unterschied bei der Rechtsfolge liegt deswegen darin, dass es sich entweder beim Rücktritt vom Versuch um eine Milderung der Strafe bzw. um die Strafbefreiung (§ 43 S. 2) oder bei der Abstandnahme um eine fakultative Strafmilderung handelt (§ 43 S. 1). a) Entscheidungen Bezüglich des Rücktritts vom Versuch durch Mittäter ist ein Urteil des OGH aus dem Jahr 194986 zu nennen: X und Y haben sich zu einem Raub verschworen und sind ins Haus der A eingedrungen. Beide Täter haben die A mit einem Messer bedroht, damit sie ihnen Geld herausgibt. Die A hat den Tätern daraufhin Geld hingehalten. Dabei hat sie erklärt, dass sich ihre Familie eigentlich in Geldschwierigkeiten befindet. Der X entgegnete: „Wenn ihr Geldprobleme habt, dann möchte ich von euch armen Leuten kein Geld nehmen.“ Alsdann verließ X das Haus. Allerdings hat der Y den Raub weiter begangen. Der OGH hat den Rücktritt vom Versuch durch X nicht anerkannt. Er hätte die weitere Tat verhindern müssen. Auch bei der Abstandnahme von der Mittäterschaft muss der Erfolgseintritt verhindert werden. Dies zeigt auch eine andere leitende Entscheidung des OGH.87 In dem Fall übten X und Y im Haus des Y Gewalttaten gegen A aus, indem sie ihn mit den Fäusten und einem Bambus- oder Holzschwert schlugen. Danach verließ der X das Haus und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich gehe zurück“. Danach hat der Y erneut Gewalthandlungen an dem A vorgenommen und A ist dadurch schließlich zu Tode gekommen. Nachträglich konnte nicht festgestellt werden, ob der Tod bereits durch die ersten Gewalthandlungen oder erst durch die nur durch Y vorgenommenen Gewalthandlungen verursacht wurde. Der OGH hat keine Auflösung des Komplotts anerkannt und festgestellt, dass die Gewalttaten auch nach dem Weggehen des X wegen des Komplotts beiden Tätern zugerechnet werden. Der X wurde 86 87
Urteil des OGH v. 12. 7. 1949, Keishu Bd. 3, H. 8, S. 1237. Urteil des OGH v. 26. 6. 1989, Keishu Bd. 43, H. 6, S. 567.
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wegen mittäterschaftlicher Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Nach der Rechtsprechung muss der Abstandnehmende seinen Willen zur Abstandnahme äußern und von den anderen Tätern das „Einverständnis“ oder die „Zustimmung“ bekommen, um bei einem Rücktritt vom Versuch bleiben zu können. b) Abstandnahme vor dem Anfang der Tatausführung Wenn die Abstandnahme von der Mittäterschaft vor dem Beginn der Tatausführung festgestellt werden kann, dann liegt eigentlich kein Fall der strafbaren Mittäterschaft vor88. In Japan kommt allerdings noch eine Strafbarkeit wegen Komplott-Mittäterschaft in Betracht. In einer jüngeren Entscheidung des OGH ging es um folgenden Sachverhalt: Sieben Leute verschworen sich zu einem Raub. Der Angeklagte X hat draußen mit einer weiteren Person Schmiere gestanden. Die beiden hatten also noch nicht mit der Tatausführung des Raubes begonnen89. X hat dann die Mittäter in der Wohnung mit einem Mobiltelefon angerufen und gesagt: „Es wäre besser, sofort aufzuhören und rauszukommen, denn draußen sammeln sich Leute“. Einer der beiden Mittäter in der Wohnung hat dann geantwortet: „Warte noch eine Weile“, worauf der X entgegnete: „Wir können nicht mehr abwarten, da es sehr gefährlich ist. Wir hauen jetzt ab“. Der X und der andere draußen Stehende verließen nach diesem Gespräch den Tatort mit einem Wagen. Die anderen Täter in der Wohnung bemerkten zwar die Flucht von X. Den Raub führten sie aber trotzdem zu Ende. Der OGH90 hat die Auflösung des Komplotts, die der Verteidiger behauptet hat, verneint und den X wegen Raubes in Komplott-Mittäterschaft verurteilt. Meiner Meinung nach ist der Fall so zu sehen: X hatte vor dem Wohnungseinbruch durch die beiden anderen Täter das Haus als Tatort zum Zweck des Raubes inspiziert. Indem er von der Tat ohne das Einverständnis der anderen Abstand nahm, wurde der Kausalverlauf zum Erfolg allerdings nicht abgebrochen. Die anderen Täter haben die Abstandnahme des X wahrgenommen und den Plan trotzdem ohne X weiter durchgeführt. Durch das Verlassen des Tatorts hat X seine Stelle als Mittäter in der Tatgemeinschaft für den Raub verloren, auch wenn sein Einfluss auf die gemeinsame Tat nach seiner Flucht noch übriggeblieben ist. Weil die Vortat des X die Tat jedenfalls beschleunigt hat, sollte seine Beteiligung als „Beihilfe“ zum Raub bewertet werden. Der X hat daher vom Raub Abstand genommen, aber nicht von der Beihilfe zum Raub. 88 Vgl. Yamanaka, Abstandnahme von der Tat bei mehreren Beteiligten, in: Ünver/ Joerden/Szwarc/Yamanaka, K. (Hrsg.), Probleme des Allgemeinen Teils des Strafrechts aus rechtsvergleichender Perspektive, Ankara 2015, S. 53 ff. 89 In Japan liegt der Tatbeginn des Raubes in der Wohnung nicht beim Hausfriedensbruch, sondern bei der Gewaltausübung oder Drohung. 90 Urteil des OGH v. 30. 6. 2009, Keishu Bd. 63, H. 5, S. 475.
P. Schutz von Leib und Leben I. System des Besonderen Teils 1. Dreiteilung der Rechtsgüter Das japanische StGB basiert auf einem System der Zweiteilung der Rechtsgüter. Im besonderen Teil (Zweites Buch) werden öffentliche und individuelle Rechtsgüter unterschieden1. Bei den ersteren Rechtsgütern gibt es keine Differenzierung zwischen den staatlichen und sozialen (kollektiven) Rechtsgütern. Heute unterscheidet die Wissenschaft aber auch zwischen diesen beiden (sog. Dreiteilungstheorie): Der Schutz der staatlichen Rechtsgüter bezieht sich auf das Bestehen der öffentlichen (staatlichen) Macht oder die Wirkung der staatlichen Machtapparate: Z. B. Hochverrat, Machtmissbrauch durch die Beamten, Bestechung usw. Der Schutz der sozialen (kollektiven) Rechtsgüter bezieht sich auf das gemeinsame bürgerliche Leben oder die sozialen Institute in der Gesellschaft. Z. B. Brandstiftung, Urkundenfälschung oder Verkehrsstörung. Die Einordnung jeder Vorschrift in eine der letztgenannten Rechtsgüterkategorien ist im StGB systematisch verstreut. Z. B. kommen zuerst die Straftaten der Rebellion (Abschnitt 2), dann die Straftaten gegen Staatsrechtsgüter (Abschnitte 5 bis 7), daraufhin die Straftaten des Aufruhrs (Abschnitt 8), alsdann Straftaten gegen Sozialrechtsgüter, also die Brandstiftungsdelikte (Abschnitt 9), die Delikte der Urkundenfälschung (Abschnitt 17) und die Bestechungsstraftaten (Abschnitt 25), mit denen staatliche Rechtsgüter geschützt werden. Auch die Straftaten, die aus der heutigen Sicht dem Schutz individueller Rechtsgüter dienen, sind zwischen den Sozialrechtsgütern oder auch den staatlichen Rechtsgütern geregelt. Z. B. stehen der Hausfriedensbruch (Abschnitt 12) und die Geheimnisschutzdelikte (Abschnitt 13) zwischen der Verkehrsgefährdung (Abschnitt 11) und den das Opium betreffenden Straftaten (Abschnitt 14). Nicht nur die öffentliche Unzucht (§ 174) oder die Verbreitung unzüchtiger Sachen usw. (§ 175), sondern auch die Sexualdelikte, die eigentlich zu den individuellen Rechtsgütern gehören sollten, wie erzwungener Geschlechtsverkehr usw. (§ 177) oder sexuelle Nötigung (er1 Zur Dreiteilung der Rechtsgüter im Besonderen Teil des StGB vgl. Yamanaka, BT, S. 2 f. Das scheint in der deutschen Strafrechtswissenschaft anders zu sein. Die Zweiteilungstheorie scheint vorherrschend zu sein: also nur die Unterscheidung zwischen Individualrechtsgütern und Rechtsgütern der Allgemeinheit (vgl. Rengier, Strafrecht, BT, Bd. 1, 19. Aufl., 2017, S. 1). Oder (ausgenommen die Individualrechtsgüter) es werden die „Straftaten gegen Staat und Gesellschaft“ zusammengestellt (Kindhäuser, Strafrecht Besonderer Teil I, 5. Aufl., 2012, S. 239 und II (8. Aufl., 2014), S. 33.
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P. Schutz von Leib und Leben
zwungene unzüchtige Handlungen) (§ 176) werden den Sozialrechtsgütern zugeordnet (Abschnitt 22). In den Lehrbüchern werden die Straftatbestände, wie oben beschrieben, überwiegend in einem dreigeteilten System dargestellt, das zwischen individuellen, sozialen und staatlichen Rechtsgütern differenziert. 2. Begrenzte Darstellung des BT in dieser Einführung In dieser „Einführung“ konzentriert sich die Darstellung des BT auf die wichtigsten Vorschriften und die damit verbundenen Probleme. Eine Kommentierung aller Straftatbestände wird mit diesem Buch nicht bezweckt. Mittels dieser Methode der schwerpunktmäßigen Betrachtung können die besonderen Eigenschaften des BT des japanischen StGB am besten verstanden werden.
II. Tötungsdelikte 1. Tatbestände der Tötungsdelikte Zu den Straftaten der Tötung zählen die folgenden Tatbestände: Tötung (§ 199 StGB), Vorbereitung zur Tötung (§ 201), Beteiligung an der Selbsttötung (§ 202). Die Aszendententötung (§ 200) wurde durch den OGH für verfassungswidrig erklärt2 und 1995 gestrichen3. 2. Anforderungen der Tötungsdelikte (§ 199 StGB) Der Tötungstatbestand ist einfach: „Wer einen Menschen tötet …“ (§ 199). Auslegungsdifferenzen ergeben sich beim Begriff des „Menschen“; genauer gesagt, bei der Frage, wann das Menschsein beginnt und wann es endet. Ein Mensch ist ein Lebewesen zwischen seiner Geburt und seinem Tod. a) Beginn des Menschseins Der Beginn des Menschen liegt in der „Geburt“ (§ 3 Abs. 1 BGB). Das Leben im Mutterleib heißt die „Leibesfrucht“, die vom Menschen zu unterscheiden ist. Der Zeitpunkt der Geburt begründet die rechtliche Unterscheidung zwischen Leibesfrucht4 und Mensch, wobei die Geburt ein Prozess ist, bei dem die Lei2
Urteil des OGH v. 4. 4. 1973, Keishu Bd. 27, H. 3, S. 265. Aszendententötung ausführlicher Yamanaka, in: Geschichte und Gegenwart, S. 268 ff., bes. 271 ff. 4 Die Leibesfrucht, die von den Abtreibungstatbeständen (§§ 212 ff.) im StGB geschützt wird, beginnt mit der Einnistung. Vor diesem Zeitpunkt spricht man von „befruchteten Eizellen“. Dieser Embryo und der Samen werden außerhalb des Mutterleibs als „Sa3 Zur
II. Tötungsdelikte
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besfrucht aus dem Mutterleib ausgestoßen wird. Deswegen ist es schwierig, den Zeitpunkt der Geburt eindeutig zu bestimmen. In Japan gibt es dazu vier Meinungen: Die erste Ansicht sieht den Geburtszeitpunkt im Beginn der regelmäßigen Wehen, sie kann als „Weheneröffnungstheorie“ bezeichnet werden. Diese Theorie ist auch nach dem Streichen des Kindestötungstatbestandes (§ 217 a. F. dStGB) immer noch die herrschende Meinung in der deutschen Strafrechtswissenschaft. In Japan wird jedoch davon ausgegangen, dass diese Ansicht die Geburt zu früh ansetzt. Deshalb wird auch vertreten, dass die Geburt erst beginne, wenn ein Teil des Körpers des Säuglings bereits aus dem Mutterleib hinausragt, sie kann als „teilweise Bloßstellungstheorie“ übersetzt werden. Diese Meinung ist die herrschende Meinung in der japanischen Strafrechtswissenschaft. Es wird auch die „totale Bloßstellungstheorie“ vertreten, vor allem im Zivilrecht, d. h. der gesamte Körper des Säuglings muss den Mutterleib verlassen, damit eine Geburt im rechtlichen Sinne vorliegt. Früher, als die Überlebenschance von Neugeborenen noch nicht sehr hoch war, wurde auch vertreten, dass das Menschsein erst mit der unabhängigen Atmung des Säuglings beginne (diese Ansicht wird daher als „unabhängige Atmungstheorie“ bezeichnet). Weil es für eine Abtreibung notwendig ist, dass die Leibesfrucht vor der natürlichen Gebärzeit aus dem Mutterleib ausgestoßen wird, entsteht nach dieser Theorie eine Lücke zwischen der Strafbarkeit der Abtreibung und der Tötung: Nach dem Austritt aus dem Mutterleib und vor der Entbindung war das Neugeborene noch kein Mensch und kann daher noch nicht „getötet“ werden, zudem scheidet auch eine Strafbarkeit wegen Abtreibung aus, weil die Tötung der „Leibesfrucht“ außerhalb des Mutterleibs nicht als Abtreibung bezeichnet werden kann, da Abtreibung meint, dass die Leibesfrucht vor der natürlichen Gebärzeit aus dem Mutterleib ausgestoßen wird. Das Unterscheidungskriterium zwischen der Leibesfrucht und dem Menschen muss aus der Sicht des Strafrechts gesucht werden. Dabei spielt die äußerliche Angriffsmöglichkeit, also die unmittelbare Möglichkeit des Angriffs ohne den Schutz des Mutterleibs gegen das Rechtsgut eine wichtige Rolle. Wenn das Neugeborene bereits zum Teil aus dem Mutterleib ausgetreten ist, lässt sich ein derartiger unmittelbarer Angriff von außen durchführen. b) Endzeitpunkt des Menschen Der Endzeitpunkt des Menschen ist sein Tod. Teilweise wurde für diesen Zeitpunkt auf den Herztod und teilweise auf den Stillstand der Atmung abgestellt. Der Tod war nach diesen Ansichten äußerlich leicht sichtbar. Ob das Herz irreversibel stehen bleibt oder die Atmung irreversibel zum Stillstand kommt, war – zumindest für Mediziner –, leicht zu erkennen. Die herrschende Meinung chen“ durch die Sachbeschädigung oder den Diebstahl strafrechtlich geschützt. Vgl. dazu Yamanaka, Strafrecht BT, S. 9.
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stellt jedoch auf drei Symptome ab, die alle eintreten müssen. Erstens der „irreversible Stillstand des Herzens“, zweitens der Verlust der „Atmung aus eigenem Antrieb“ und drittens die „Erweiterung der Pupillen“. Diese Ansicht wird daher als „Dreisymptometheorie“ bezeichnet. Inzwischen kann man Herz und Atmung mit der Herz-Lungen-Maschine künstlich kontrollieren. Dadurch ist die Situation entstanden, dass das Gehirn schon irreversibel zerstört sein kann, während Herz und Atmung sich noch künstlich in Bewegung halten lassen. Die „Hirntodtheorie“, die den Todeszeitpunkt in dem irreversiblen Stillstand der Hirnfunktionen sieht, ist damit entstanden. Hirntod bedeutet die gesamte Dysfunktion des Gehirns inklusive des Hirnstamms. Der praktische Grund für die Entstehung der Hirntodtheorie war die Entwicklung der Organtransplantation, vor allem der Herztransplantation5. Es war und ist notwendig, möglichst frische Organe aus Leichnamen zu explantieren, damit die Organtransplantation gelingt. Daher wird nach dem Hirntod das Herz weiter mit einer Herz-Lungen-Maschine bewegt. Wenn der Tod des Menschen nach dem Hirntod beurteilt wird, kann er trotz der Herzbewegung festgestellt werden. Der Hirntod ist in diesem Sinne die Voraussetzung für die Entnahme des Herzens aus dem Leichnam. In Japan trat das „Gesetz betreffend die Organtransplantation“ (Gesetz-Nr. 104) 1997 in Kraft6. § 6 Abs. 2 dieses Gesetzes lautet wie folgt: „Der Arzt kann das Organ, das für die Transplantation verwendet wird, dem Leichnam (inklusive des Körpers von Hirntoten) entnehmen, wenn eine der folgenden Nrn. erfüllt ist“. Der Absatz 2 lautet: Der „Körper von Gestorbenen im vorigen Absatz erfasst den Körper desjenigen, dessen Funktion des gesamten Gehirns einschließlich des Hirnstamms irreversibel zum Stillstand gekommen ist“. Über die Auslegung dieser Vorschriften gehen die Meinungen auseinander: Ob der Hirntod im Allgemeinen anerkannt wird oder nur bei den Organtransplantationsfällen, darüber besteht in Japan noch keine Einigkeit. Eine durchaus verbreitete Gegenmeinung lehnt die Hirntodtheorie immer noch ab. 5 Vgl. Yamanaka, Der Mensch zwischen Leben und Tod – Der Schutz des werdenden und des endenden Lebens im japanischen Recht, in: Kitagawa/Murakami/Norr/Oppermann/Shiono (Hrsg.), Das Recht vor der Herausforderung eines neuen Jahrhunderts: Erwartungen in Japan und Deutschland, 1998, S. 411 ff. (auch in: Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 118 ff.). In Japan wurde die erste Herzimplantationsoperation im Jahre 1968 durch einen Arzt in Hokkaido durchgeführt (Professor-Wada-Fall). Dazu vgl. Yamanaka, a .a. O., Strafrechtsdogmatik, S. 136 f. Der Rezipient ist nach der Operation gestorben. Dieses Misslingen führte zu einer Verlangsamung der Entwicklung der Herzimplantation. 6 Zum Gesetzentwurf zur Organtransplantation von damals vgl. Yamanaka, a .a. O., S. 411 ff. (Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 138 ff.). Das Gesetz wurde 2009 reformiert und ist am 17. 7. 2010 in Kraft getreten. Nach der Reform ist die Organtransplantation möglich geworden, auch wenn der „Spender“ (d. h. der Tote) darin nicht, sondern nur die Angehörigen eingewilligt haben (§ 6 Abs. 1 Nr. 2).
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c) Tod des Neugeborenen nach der Geburt Wenn eine Frau sich nach der Geburt nicht um das Neugeborene kümmert und es dadurch sterben lässt, kann sie wegen Tötung durch Unterlassen bestraft werden. Wenn eine Frau nach der von ihr selbst begangenen Abtreibung (§ 212 StGB) das lebendige Neugeborene liegen lässt, ist ihr Unterlassen wahrscheinlich keine Tötung, weil ihre Tat wegen der Abtreibung schon einmal als Straftat bewertet wurde. In Japan wird die Abtreibung nach der herrschenden Meinung als „Gefährdungsdelikt“ interpretiert. Das heißt: Auch wenn das Neugeborene nach der Abtreibung lebendig aus dem Mutterleib austritt, ist die Abtreibung vollendet. Wenn man dieses abgetriebene Neugeborene durch Tun tötet, begeht man dadurch auch eine Tötung. Die beiden Delikte stehen dann in Realkonkurrenz zueinander. Wenn der Tod durch ein Unterlassen herbeigeführt wird, ist es umstritten, ob die Unterlassung der Mutter als Tötung bewertet werden kann, weil es fraglich ist, ob die Abtreibende eine Garantenpflicht für das Neugeborene hat, weil der Tod einer ausgestoßenen Leibesfrucht, die durch die Abtreibungshandlung schon verletzt ist, manchmal durch ein Tun nicht mehr vermieden werden kann. Falls feststeht, dass das durch eine Abtreibung Neugeborene in der Außenwelt wegen der allzu frühen Geburt nur kurze Zeit überleben wird, ist es umstritten, ob die Tötung dieses Neugeborenen den Tötungstatbestand erfüllen kann. Nach einer Theorie ist das Neugeborene in diesem Fall noch kein „Mensch“ im strafrechtlichen Sinne. Das heißt, auch wenn man dieses Neugeborene tötet, ist die Tat nach dieser Theorie keine Tötung. Aber auch dieses Neugeborene ist nichts anderes als ein Mensch, weil es lebendig aus dem Mutterleib ausgetreten ist. Der Grund, weshalb die Unterlassung einer Rettung in diesem Fall verneint wird, liegt auf einer anderen Ebene: Es fehlt an der Handlungsmöglichkeit zur Rettung des Neugeborenen, auch wenn die Mutter es retten wollte, weil das Neugeborene zu schwach ist, um das Leben außerhalb des Mutterleibes aushalten zu können. Wenn es keine erfolgversprechenden Rettungsmöglichkeiten gibt, kann ihre Unterlassung nicht strafbar sein. Aber die Situation ist anders, wenn die Mutter das Neugeborene durch aktives Tun tötet. Das Neugeborene ist schon als „Mensch“ anzusehen, weil es lebendig aus dem Mutterleib ausgetreten ist. Deswegen gibt es keinen Grund, in solchen Fällen die Tatbestandsmäßigkeit einer Tötung durch aktives Tun zu verneinen. d) Mittelbare Täterschaft durch Irrtumsherrschaft Wenn die Einwilligung des Verletzten in die eigene Tötung unwirksam ist, ist die Tat keine Teilnahme an einer Selbsttötung (§ 202), sondern eine täterschaftlich begangene Tötung. In der Rechtsprechung ging es um einen Fall, in dem der Täter dem Opfer vorgaukelte, dass man durch ein Erhängen nicht sterben könne, wenn man ein Pepsin enthaltendes Medikament vor dem Erhängen einnehme. Es trete
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dann nur ein vorläufiger Scheintod ein, danach kehre man aber mit Sicherheit wieder ins Leben zurück. Bei dem Medikament handelte es sich in Wahrheit um ein Mittel, das bei Verdauungsstörungen empfohlen wird. Das RG hat den Angeklagten wegen Tötung verurteilt. Das Opfer habe sich seinen Tod, also den Verzicht auf das Rechtsgut Leben, nicht vorgestellt, weil es an seine Wiederbelebung glaubte7. Der Täter habe das Opfer irregeführt und seine Einwilligung sei wegen seines Irrtums unwirksam. Dieser Fall ist mit dem Siriusfall8 vergleichbar. Auch in folgendem Fall wurde bestritten, dass die Einwilligung des Opfers wirksam gewesen sei: Der Angeklagte hatte einer Frau, die ihn abgöttisch liebte, eine tödliche Dosis Zyankali ausgehändigt. Die Frau nahm das Zyankali ein und starb daran. Sie war davon ausgegangen, dass der Angeklagte es ihr kurz danach gleichtun werde und ihr ins Reich der Toten folgen würde. Tatsächlich hatte der Angeklagte aber nie die Absicht, sich selbst zu töten. Der OGH hat den Angeklagten wegen Tötung (§ 199) verurteilt, weil es klar war, dass der Entschluss des Opfers an einem wichtigen Willensmangel litt9. Die Lehre vom rechtsgutsbezogenen Irrtum kritisierte das Urteil zu Recht, weil die Frau ihren Tod bewusst eingegangen war. Ihr Irrtum bezog sich nur auf einen Beweggrund, stellte also einen Motivirrtum dar und bezog sich nicht auf das Rechtsgut. 3. Teilnahme an einer Selbsttötung (§ 202 StGB) a) Tötung mit Einwilligung und Teilnahme an einer Selbsttötung Das japanische StGB unterscheidet zwei Formen der Teilnahme an einer Selbsttötung im weiteren Sinne: Tötung mit Einwilligung und Teilnahme an einer Selbsttötung (§ 202). „Wer einen Menschen zur Selbsttötung anstiftet oder ihm bei der Selbsttötung Hilfe leistet, oder auf sein Verlangen oder mit seiner Einwilligung tötet, wird mit Zuchthaus oder Gefängnis von mindestens sechs Monaten bis zu sieben Jahren bestraft“. Der Versuch ist strafbar (§ 203). Anders als im deutschen StGB10 ist daher nicht nur die Tötung auf Verlangen, bei der der Suizident die Tatherrschaft hat, sondern auch die Teilnahme an der Selbsttötung, wie im österreichischen StGB11, strafbar12. Die Teilnahme an einer Selbsttötung 7
Urteil des RG v. 19. 4. 1933, Keishu Bd. 12, S. 471. BGHSt 32, 38. 9 Urteil des OGH v. 21. 11. 1958, Keishu Bd. 12, H. 15, S. 3519. 10 Der Versuch bei der Strafrechtsreform, die Teilnahme an der Selbsttötung im Allgemeinen zu bestrafen, ist bei der Abstimmung im Bundestag am 6. 11. 2015 gescheitert. Der Bundestag hat jedoch für die Einführung von § 217 dStGB gestimmt, mit dem die „geschäftsmäßige“ Assistenz beim Suizid unter Strafe gestellt ist. 11 § 78 des österreichischen StGB regelt: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen“. 8
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kann durch Anstiftung oder Beihilfe erfolgen. Die Tötung mit Einwilligung im weiteren Sinne lässt sich auch unterteilen in die Tötung mit Einwilligung im engeren Sinne und die Tötung auf Verlangen. Diese Tatbestände sind hinsichtlich der Strafe gemilderte Typen des Tötungstatbestands (§ 199). Die Einwilligung des Opfers verringert das Unrecht und die Schuld des Tötungstatbestandes. Der Unterschied zwischen der Teilnahme an der Selbsttötung und der Tötung mit Einwilligung liegt darin, wer die Herrschaft über das Tatgeschehen innehat. Bei der Teilnahme an der Selbsttötung hat sie der Suizident. Bei der Tötung mit Einwilligung hat sie der Täter. Zwischen der Tötung mit Einwilligung und der Tötung auf Verlangen liegt der Unterschied darin, wer die Tötung veranlasst hat, im ersten Fall geht die Initiative vom Täter aus, im zweiten Fall vom Suizidenten selbst. 12
Ein Streitpunkt ist die Frage des Anfangs der Tatausführung beider Formen. Bei der Tötung mit Einwilligung ist er klar: Der Zeitpunkt des Beginns der Tötungshandlung des Täters. Bei der Teilnahme an der Selbsttötung ist es denkbar, entweder auf den Anfang der Teilnahme oder den Beginn der Selbsttötung durch den Suizidenten abzustellen. Die herrschende Meinung geht von Letzterem aus, weil auch für die Teilnahme an der Selbsttötung trotz der mangelnden Strafbarkeit des Täters die Akzessorietät der Teilnahme gilt. Die herrschende Meinung argumentiert noch mit einem praktischen Grund: Es gibt Fälle, in denen sich nicht klar unterscheiden lässt, ob es sich um eine Tötung mit Einwilligung oder eine Teilnahme an der Selbsttötung handelt. In einem Fall wollte eine alte Frau Suizid begehen, hatte aber keine Kraft mehr, das Glas mit dem Gift selbst zum Mund zu führen, und bat deshalb einen jungen Bekannten um Hilfe. Der junge Mann entschloss sich dazu, ihr zu helfen. Er stützte ihren Arm, aber sie konnte den Arm nicht richtig heben. Sie versuchte vergeblich, das Wasser selber zu trinken. Schließlich hat er ihre Hand mit seiner Hand zu ihrem Mund geführt. Die Frau hat das Wasser mit dem Gift heruntergeschluckt und ist gestorben13. Wer beherrschte dabei das Geschehen? Es wäre vernünftig, wenn der Anfang der Tat ausführung auch bei der Teilnahme am Selbstmord im Beginn der Handlung des Suizidenten gesucht wird. Bei der Teilnahme am Suizid wäre es für den Tatbe12 Interessant sind die Vorschriften des alten japanischen StGB vom 1880. § 320 enthielt folgende Regelung: „Wer einen anderen zur Selbsttötung verleitet oder auf sein Verlangen selber die Tötungshandlung ausführt, wird mit Gefängnis von mindestens 6 Monaten bis zu drei Jahren bestraft und zusätzlich zu einer Geldstrafe von 10 Yen bis zu 50 Yen. Bei demjenigen, der Hilfe zu einer Selbsttötung geleistet hat, wird die Strafe um einen Grad vermindert“. Zudem sah § 321 vor: „Wer einen anderen aus selbstsüchtiger Absicht zu einer Selbsttötung verleitet, wird mit Zuchthaus bestraft“. 13 Es gibt auch eine ähnliche Argumentation in Deutschland, nach der die Unterscheidung zwischen der Täterschaft über die Selbsttötung und der Beihilfe zur Selbsttötung an einem ähnlichen Beispiel exemplifiziert wird. Vgl. Konstantinos Chatzikostas, Die Dis ponibilität des Rechtsgutes Leben in ihrer Bedeutung für die Probleme von Suizid und Euthanasie, 2001, S. 37.
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ginn zu früh, auf die Teilnahmehandlung abzustellen, denn dies würde die Strafbarkeit des Teilnehmers weit vorverlagern. Stattdessen sollte wie bei der Tötung auf Verlangen bzw. der Tötung mit Einwilligung auf die unmittelbare Ausführungshandlung abgestellt werden, d. h. in den Teilnahmefällen auf die Handlung des Suizidenten. Stellt man allein auf die unmittelbare Handlung ab, verliert auch die genaue Abgrenzung zwischen beiden Formen, die nach der anderen Ansicht sehr schwierig sein kann, an Bedeutung. b) Strafgrund der Teilnahme an der Selbsttötung Der Strafgrund der Tötung mit Einwilligung lässt sich dadurch begründen, dass die Einwilligung in den eigenen Tod wegen des absoluten Schutzbedarfs oder der Nichtdispositivität des menschlichen Lebens14 nicht rechtfertigend wirkt. Die Einwilligung kann höchstens eine Unrechts- oder Schuldminderung begründen. Der Strafgrund der Teilnahme an einer Selbsttötung ist dagegen problematisch15. Denn es ist bereits unklar, ob die Handlung des Täters, also des Suizidenten, unerlaubt oder rechtswidrig ist16. Wenn die Handlung des Suizidenten nicht rechtswidrig ist, warum sollte es dann die Handlung des Teilnehmers sein? Es gibt freilich verschiedene Meinungen zur Selbsttötung. So wird etwa vertreten, der Freitod sei ein Menschenrecht, oder es wird davon ausgegangen, dass die Selbsttötung zwar rechtswidrig sei, aber nicht bestraft werde17. Im japanischen StGB muss die Selbsttötung wohl rechtswidrig sein, weil sonst die Strafbarkeit des Teilnehmers nicht erklärbar ist. Es gibt die Theorie, nach der der Anstifter oder Gehilfe das menschliche Leben anderer negiert, indem er den Tod einer anderen Person veranlasst oder fördert. Demnach ist die Anstiftung oder Beihilfe zur Selbsttötung keine Teilnahme an einer anderen Straftat, sondern ein eigener Straftatbestand. Nach dieser Theorie spielt es keine Rolle, ob die Selbsttötung 14 Vgl. Neumann, Das sogenannte Prinzip der Nichtdispositivität des Rechtsguts Leben, FS Kühl, 2014, S. 569 ff. 15 Zur Strafbarkeit der Teilnahme an einer Selbsttötung in Japan vgl. Yamanaka, Modelle und Typologien des indirekten Paternalismus im Strafrecht, in: ders., Geschichte und Gegenwart, S. 365 ff. – Zur jüngsten Diskussion in Deutschland vgl. Roxin, Tötung auf Verlangen und Suizidteilnahme, GA 2013, S. 313 ff.; Engländer, Strafbarkeit der Suizidbeteiligung, FS Schünemann, 2014, S. 583 ff.; Saliger, Freitodbegleitung als Sterbehilfe. Fluch oder Segen?, medstra 2015, S. 132 ff.; Jäger, Der Arzt im Fadenkreuz der juristischen Debatte um assistierten Suizid, JZ 2015, S. 875 ff. 16 In Deutschland hat der BGH im Jahre 1954 den Suizid im Prinzip für „rechtswidrig“ erklärt (BGHSt 6, 147, 153). Auch 2001 hat der BGH erklärt, dass die Rechtsordnung „die Mitwirkung eines anderen am Freitod eines Menschen grundsätzlich missbilligt“ (BGHSt 46, 279, 286). 17 Sonst kann derjenige, der die rechtmäßige Selbsttötung eines anderen zu verhindern sucht, wegen der Gewalttat oder der Festnahme des Suizidenten bestraft werden.
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des Suizidenten rechtswidrig ist oder nicht18. Die Rechtswidrigkeit ist relativ zu beurteilen, d. h. für die Rechtswidrigkeit des Anstiftenden bzw. des Gehilfen kommt es auf die Rechtswidrigkeit der Suizidhandlung nicht an. Der Anfang der Tatausführung ist nach dieser Ansicht schon im Beginn der Anstiftungs- oder Beihilfehandlung zu sehen. Die Teilnahme an der Selbsttötung ist strafbar, weil auch die Selbsttötung rechtswidrig ist. Warum die Selbsttötung rechtswidrig ist, wird unterschiedlich begründet. In Japan ist nicht nur die Fremdtötung mit Einwilligung des Getöteten, sondern auch die täterschaftliche Selbsttötung rechtswidrig, weil das menschliche Leben nicht dispositiv ist. Die Selbsttötung ist zwar rechtswidrig, aber nicht strafwürdig. Der Gesetzgeber hat mangels strafwürdigen Unrechts und strafwürdiger Verantwortlichkeit von einer Strafbarkeit des Suizidenten abgesehen. Aber er hält die Teilnahmehandlung für strafwürdig, da der Teilnehmer fremdes Leben negiert, obwohl die Täterhandlung keinen Straftatbestand erfüllt. c) Willensinhalt der Einwilligung Was den Willensinhalt der Einwilligung anbelangt, gibt es einen interessanten Fall, den das OG Osaka zu entscheiden hatte19. Das Opfer war in sadomasochistische Spiele regelrecht vernarrt. Es wollte mit einem Survival-Messer in den Unterleib gestochen werden, dann sollte der Angeklagte das Messer nach oben ziehen, um damit noch größere Schmerzen auszulösen. Als Honorar für die erwünschte Dienstleistung bot er 8 Millionen Yen (ca. 60.000 Euro). Der Angeklagte nahm dieses Angebot an und führte die Handlungen wie gewünscht aus. Das Opfer kam wegen der verursachten Blutungen zu Tode. Die erste Instanz hat die Einwilligung zur Tötung mit folgender Argumentation verneint und eine Tötung (§ 199) angenommen. Das Opfer habe den Tod nicht mit seinem wirklichen Willen in Kauf genommen. Die zweite Instanz hat festgestellt, dass das Opfer erkannt habe, dass der erwünschte Stich ausreichte, um seinen Tod zu verursachen, und das Opfer den Täter daher durchaus mit seinem wahren Willen mit der eigenen Tötung beauftragt habe. Sie hat den Täter dementsprechend nur wegen Tötung auf Verlangen verurteilt. Die erste Instanz forderte das „In-Kauf-Nehmen“ der Todesfolge, während die zweite Instanz die Kenntnis der Wahrscheinlichkeit der Todesfolge 18 Die Ansicht, die davon ausgeht, die „Verleitung“ oder „Beihilfe“ zur Selbsttötung schließe die Charakterisierung der Selbsttötung als „Freitod“ aus, scheint mir bedenklich zu sein. Nach dieser Ansicht soll die objektive Zurechnung des Todes des Suizidenten durch seine „Freiheit“ ausgeschlossen sein. Aber es ist ersichtlich, dass die Anstiftung zu einer Straftat durch den Täter für den Erfolg kausal ist, obwohl der Täter sich frei zu seiner Unrechtstat (die selbst nicht strafbare Selbsttötung) entschlossen hat. Vgl. auch Yamanaka, Der Strafgrund der Suizidbeteiligung im japanischen Strafrecht, in: FS Neumann, 2017, S. 1253 ff. 19 Urteil des OG Osaka v. 16. 7. 1998, Hanrei Jiho 1647, 156.
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für ausreichend hielt. Normalerweise reicht die bloße Kenntnis des Erfolgseintritts jedoch nicht für die Einwilligung aus. Wer etwa erkennt, dass die Wahrscheinlichkeit besteht, von einer Pistolenkugel getötet zu werden, willigt dadurch nicht in die eigene Tötung ein. Aber wenn das Opfer einer lebensgefährdenden Handlung zustimmt, scheint die Kenntnis der Todesfolge auszureichen. Die Ansicht der zweiten Instanz ist nur unter Berücksichtigung dieser Bedingung richtig. In diesem Fall hat das Opfer in die zum Tode führende gefährliche Körperverletzung eingewilligt. Deswegen ist die Entscheidung der zweiten Instanz richtig. d) Sterbehilfe Im japanischen StGB ist sowohl die Tötung mit Einwilligung als auch die Teilnahme an der Selbsttötung strafbar. Deswegen ist auch die Sterbehilfe (Euthanasie) mit Einwilligung des Sterbenden in der Regel strafbar. Aber in der Lehre wird vertreten, dass die Sterbehilfe ein Rechtfertigungsgrund ist, wenn der Todeswunsch von einem Patienten ausgesprochen wird, der unter erheblichen körperlichen Schmerzen leidet, und sein Tod bevorsteht. In der Entscheidung des LG Nagoya vom 22. 12. 196220 wurden sechs genauere Anforderungen an die rechtfertigende Euthanasie genannt. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde. Der Vater des Angeklagten litt an einer unheilbaren Krankheit, klagte unter heftigen Schmerzen und er bat den Angeklagten immer wieder, ihn zu töten. Es war abzusehen, dass die Krankheit bald zum Tod des Vaters führen würde. Der Angeklagte ließ seinen Vater Milch trinken, in die er ein Insektenpulver gemischt hatte, das Phosphor enthielt. Der Vater starb daran, was der Angeklagte gewollt hatte, da er das Opfer von seinen Schmerzen erlösen wollte. Das OG hat den Angeklagten damals wegen Tötung mit Einwilligung verurteilt. Das OG hat eine Rechtfertigung wegen Euthanasie abgelehnt, weil die Handlung nicht durch einen Arzt vorgenommen wurde und die in der Tat durchgeführte konkrete Tötungsmethode ethisch zu missbilligen sei. Das OG nannte folgende Voraussetzungen für eine rechtfertigende Euthanasie: 1) Der Patient leidet an einer Krankheit, die nach gegenwärtiger medizinischer Kenntnis und Technik unheilbar ist, und der Tod des Patienten steht unmittelbar bevor. 2) Der Schmerz des Patienten ist so erheblich, dass er für niemanden zu ertragen wäre. 3) Die Maßnahme erfolgt ausschließlich zum Zweck der Linderung der Schmerzen. 4) Das ernsthafte Verlangen oder die Einwilligung des Patienten müssen vorhanden sein, falls der Patient noch bei klarem Bewusstsein ist und seinen Willen äußern kann. 5) In der Regel muss die Maßnahme durch einen Arzt durchgeführt werden. Falls die Maßnahme nicht durch einen Arzt vorgenommen wird, muss ein jedem einleuchtender Sonderfall gegeben sein. 6) Die Methode muss schließlich auch ethisch angemessen sein. 20
Urteil des OG Nagoya v. 22. 12. 1962, Kokeishu Bd. 15, H. 9. S. 674.
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Bekanntheit erlangte auch die Entscheidung des LG Yokohama21 zum „Tokai-Uniklinikfall“, in dem es um die von einem Arzt durchgeführte Euthanasie ging. Dort wurden vier Anforderungen für die „Euthanasie“ durch den Arzt genannt: 1) Der Patient leidet an unerträglichen körperlichen Schmerzen. 2) Der Tod des Patienten ist unvermeidbar und steht unmittelbar bevor. 3) Um die körperlichen Schmerzen zu beseitigen oder zu lindern, wurden bereits alle Mittel ausgeschöpft; eine andere Methode der Schmerzlinderung oder -beseitigung existiert nicht. 4) Es liegt eine eindeutige Erklärung des Patienten über seine Einwilligung in die lebensverkürzenden Maßnahmen vor. Neuerdings hat allerdings der OGH im „Kawasaki-Kyodo-Klinik-Fall“22 „den gesetzlich erlaubten medizinischen Behandlungsabbruch“ verneint. Der Patient hatte sich im Status asthmaticus (schwere Symptomatik eines Asthmaanfalls) befunden und dadurch wegen Hypoxie (Sauerstoffunterversorgung) einen Gehirnschaden erlitten. Nun lag er im Koma und wurde mittels eines Schlauches, der in die Luftröhre eingeführt worden war, mit Atemluft versorgt. Die behandelnde Ärztin zog den Schlauch hinaus und verabreichte dem Patienten Muskelrelaxantien, wodurch der Patient erstickte. Der OGH hat die Ärztin wegen Tötung verurteilt. Die Ärztin hatte den Schlauch auf Grund des Verlangens der Familie des Patienten hinausgezogen, die nicht mehr an die Rekonvaleszenz des Patienten glaubte. Dieses Verlangen basierte aber nicht auf angemessenen Informationen über das Krankheitsbild. Die Tat ist deswegen kein gesetzlich erlaubter medizinischer Behandlungsabbruch. In Deutschland ist der BGH 23 im sog. „Putz-Fall“ am 25. 6. 2010 davon ausgegangen, dass die Sterbehilfe durch eine mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein kann24. Im geltenden StGB ist meiner Meinung nach die Sterbehilfe bloß ein Verantwortlichkeitsausschließungsgrund, der die Strafbedürftigkeit ausschließt25. Es scheint schwierig zu sein, den Notstand auf den Sterbehilfefall anzuwenden, weil das Interesse an einem verkürzten Leben ohne Schmerzen das Interesse an einem 21
Urteil des LG Yokohama v. 28. 3. 1995, Hanrei Jiho 1530, 28. Beschluss des OGH v. 7. 12. 2009, Keishu Bd. 63, H. 11, S. 1899; Urteil des LG Yokohama v. 25. 3 .2005, Hanrei Jiho 1909, 130 (= Erste Instanz); Urteil des OG Tokio v. 28. 2. 2007, Hanrei Times 1237, 153 (Zweite Instanz). 23 BGHSt 55, 191. 24 s. dazu auch mein in japanischer Sprache erschienener Aufsatz, Yamanaka, Über die internen Interessenkollisionen bei der Sterbehilfe, Kinkidaigaku Hogaku Bd. 62, H. 3=4 (2015), S. 265 ff. 25 Die Rechtfertigung durch folgende Rechtsfiguren ist nicht möglich: Die Lehre von der mutmaßlichen Einwilligung rechtfertigt die Sterbehilfe nicht, weil die Tötung in diesem Fall zu einer Bestrafung wegen einer Tötung mit Einwilligung führt, deren Strafrahmen (gegenüber der normalen Tötung) lediglich vermindert ist. Auch die Anwendbarkeit des Notstandes innerhalb desselben Rechtsgutes ist fraglich. Vgl. Yamanaka, a .a. O., Kinkidaigaku Hogaku Bd. 62, H. 3=4, S. 288 ff. 22
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längeren Leben unter Schmerzen nicht überwiegen kann. Es bedarf daher einer Gesetzgebung, die die Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt26.
III. Gewalttaten und Körperverletzungen 1. Körperverletzungstatbestände Das Rechtsgut der Straftaten gegen den menschlichen Körper ist die Integrität des menschlichen Körpers. Darunter werden die Körperverletzung (§ 204), Körperverletzung mit Todesfolge (§ 205), Aufstachelung am Tatort bei einer Körperverletzung (§ 206), Körperverletzungen durch mehrere Personen (§ 207), Gewalttat (§ 208), Versammlung mit Waffen und Zusammenrotten (§ 208 a) gezählt. Dazu kommen noch die Straftaten im „Gesetz zur Bestrafung tödlicher oder körperverletzender Autofahrten“. 2. Gewalttaten- und Körperverletzungstatbestände a) Gewalttat (§ 208 StGB) Gewalttat bedeutet die Anwendung körperlicher oder physischer Kraft gegen den menschlichen Körper. Typische Beispiele sind Schlagen, Prügeln, Treten, Stoßen usw. Das StGB kennt vier Gruppen der Gewalttat: 1) Gewaltausübung gegen Menschen oder Sachen (§ 77) (z. B. bei einem Aufruhr, § 106), 2) Gewaltausübung gegen Menschen (z. B. Störung der Amtsausübung, § 95 Abs. 1), 3) Gewaltausübung gegen den menschlichen Körper (z. B. Gewalttat, § 208), 4) Gewaltausübung, die einen Widerstand unterdrückt (z. B. Raub, § 236) oder einen Widerstand erschweren kann (z. B. erzwungener Geschlechtsverkehr usw., § 177). Die Gewalttaten in § 208 StGB gehören zur dritten Kategorie. Allerdings müssen die Gewalttaten den menschlichen Körper nicht notwendig treffen, es reicht, dass sie sich gegen den Körper richten. b) Körperverletzung (§ 204 StGB) Was den Sinn des Begriffs der Körperverletzung anbetrifft, so gibt es zwei Meinungen: Die Theorie der „Störung der körperlichen physiologischen Funktion“ und der „Beeinträchtigung der körperlichen Integrität“. Zudem gibt es noch 26 Ob sog. „Palliative Medizin“ mit einem Medikament (Midazolam usw.), das die Wirkungen hat, einerseits das Bewusstsein des Patienten abzusenken, aber andererseits das prognostizierte Leben nicht zu verkürzen (nach der „Richtlinie“ der Gesellschaft für Palliativmedizin in Japan), gerechtfertigt werden kann, ist nicht zweifelsfrei, obwohl diese Behandlung bei manchen Patienten angewendet wird, wenn die Patienten der Behandlung zugestimmt haben oder (wenn der Patient keinen Willen geäußert hat) Familienmitglieder ihre Einwilligung dazu erteilt haben.
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eine Theorie, die beide Ansätze vermischt. Die einander gegenüberstehenden Theorien führen bei bestimmten Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Wenn man die Haare einer schlafenden anderen Person mit der Schere abschneidet, oder eine Perücke oder einen künstlichen Zahn entfernt, ist diese Handlung nach der Theorie der Störung der körperlichen physiologischen Funktion zwar eine Gewalttat (§ 208), aber keine Körperverletzung. Die Tat verletzt aber die körperliche Integrität, weshalb nach der zweiten Ansicht in den geschilderten Fällen durchaus von einer Körperverletzung ausgegangen werden kann. Die Körperverletzung ist eine vorsätzliche Straftat, aber gleichzeitig der erfolgsqualifizierte Tatbestand der Gewalttat (§ 208). Wenn man also nur den Vorsatz hat, Gewalt an jemandem auszuüben und dabei der Erfolg der Körperverletzung eintritt, erfüllt die Tat den Körperverletzungstatbestand 27. aa) Posttraumatische Belastungsstörung Nach der OGH-Rechtsprechung stellt der Stresszustand wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) eine Körperverletzung dar28. Im Allgemeinen kann die Körperverletzung auch durch körperlose oder geistige Methoden begangen werden. Wenn der Täter etwa einen anderen durch eine List dazu bringt, eine einsturzgefährdete Brücke zu überqueren, und der andere sich dabei verletzt, dann begeht der Täter eine Körperverletzung. bb) Körperverletzungen zu Lasten des ungeborenen Kindes? Viel diskutiert wurde die Frage, ob eine Körperverletzung vorliegt, wenn der geborene Säugling an Verletzungen leidet, die durch Einwirkungen während der Schwangerschaft verursacht wurden. Der OGH29 hat in dem bekannten „Minamata-Krankheitsfall“ eine fahrlässige Körperverletzung oder Tötung (§ 211) bejaht30. In dem Fall wurde ein Kind mit einer Nervenlähmung geboren und starb später. Die Krankheit wurde von der Mutter, die an einer Quecksilbervergiftung litt, auf die Leibesfrucht übertragen. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen fahrlässiger Tötung während eines Geschäfts gegen die Repräsentanten der Gesellschaft und den Fabrikchef erhoben. Die erste Instanz hat eine Körperverletzung bejaht. 27 Die Wissenschaft verlangt anders als die Rechtsprechung nicht nur adäquate Kausalität, sondern auch Fahrlässigkeit in Bezug auf den qualifizierten Erfolg. 28 Urteil des OGH v. 24. 7. 2012, Keishu Bd. 66, H. 8, S. 709; Urteil des LG Toyama v. 19. 4. 2001, Hanrei Times 1981, 291; Urteil des LG Tokio v. 20. 4. 2004, Hanrei Jiho 1877, 154. 29 Beschluss des OGH v. 29. 2. 1988, Keishu Bd. 42, H. 2, S. 314; Urteil des LG Kumamoto v. 22. 3. 1979, Keigetsu Bd. 11, H. 3. S. 168 (Erste Instanz); Urteil des OG Fukuoka v. 6. 9. 1982, Kokeishu Bd. 35, H. 2, S. 85 (Zweite Instanz). 30 Vgl. dazu bereits Abschnitt I., IV., 4. und Yamanaka, Strafrechtsdogmatik, S. 252 ff., vor allem S. 254.
P. Schutz von Leib und Leben
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Das Handlungsobjekt müsse bei der Tatausführung noch nicht vorhanden sein. Es genüge, wenn das Handlungsobjekt in dem Zeitpunkt des Todeserfolgseintrittes vorhanden sei. Die zweite Instanz hat die Körperverletzung aus einem anderen Grund bejaht. Sie ist, auf der Grundlage der sog. „Bloßstellungstheorie“31, davon ausgegangen, dass die Verletzung des Kindes nach dem Austritt aus dem Mutterleib eingetreten ist, da das Kind in diesem Zeitpunkt noch durch die Nabelschnur mit der Mutter verbunden war und mit dem quecksilberhaltigen Blut versorgt wurde. Demnach ist die zweite Instanz davon ausgegangen, dass das Handlungsobjekt bei der Eingriffshandlung vorhanden sein müsse. Der OGH hat demgegenüber eine Körperverletzung des Kindes abgelehnt, ist aber von einer Körperverletzung der Mutter ausgegangen. Die Leibesfrucht werde im geltenden Recht, mit Ausnahme der Abtreibung, so behandelt, als ob sie einen Teil des Körpers der Mutter bilde. Die Verursachung der Krankheit der Leibesfrucht bedeute daher nichts anderes als eine Krankheit der Mutter hervorzurufen. Nach Auffassung des OGH gab es bei der Tatausführung das Handlungsobjekt der Körperverletzung in der Form eines Körperteils der Mutter. Darin wurde der Grund für die Anwendung des § 211 gesehen. Diese Begründung scheint mir jedoch nicht überzeugend zu sein. Wenn nach der Geburt aufgrund der Vergiftung weiter in die körperliche Unversehrtheit des Kindes eingegriffen wird, ist die Anwendung des Körperverletzungstatbestandes möglich, weil sich der Eingriff in den menschlichen Körper fortsetzt. Wenn sich die Verletzungen nach der Geburt nicht fortsetzen, dann liegt keine fahrlässige Körperverletzung vor. Bei der fahrlässigen Tötung stellt sich dieses Problem nicht, da der Tod nur einmal, nach der Geburt, eintreten kann. Die Rechtsprechung wendet diese Denkweise heutzutage auf Verkehrsunfälle an, bei denen eine Schwangere und ihre Leibesfrucht verletzt werden, der Säugling aber zunächst lebendig geboren wird. Das LG32 hat argumentiert, dass die Leibesfrucht ein Teil der Mutter war und auch die Schädigung des Neugeborenen nach seiner Geburt seine Situation verschlechtert hat. 3. Gefahrfahrt mit Todes- und/oder Körperverletzungserfolg Am 20. November 2013 wurde das „Gesetz zur Bestrafung von Autofahrten, die den Tod oder Körperverletzungen herbeigeführt haben“ verkündet, das am 20. Mai 2014 in Kraft trat33. Die Straftat der „Gefährdungsfahrt mit Todes- oder Körperverletzungserfolg“ (§ 208 a StGB a. F.) und die Straftat der „fahrlässigen 31
s. dazu bereits oben II., 2., a). des LG Kagoshima v. 2. 9. 2003, LEX/DB; s. auch das Urteil des LG Gifu v. 17. 12. 2002, Kenshu 664, 129. 33 Vgl. Yamanaka, Strafrechtsreform seit 2000 in Japan: Ein Überblick, in: Joerden/ Szwarc (Hrsg.), Strafrechtlicher Reformbedarf, Poznań 2016, S. 13 ff. 32 Urteil
III. Gewalttaten und Körperverletzungen
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Tötung oder Körperverletzung durch eine Autofahrt“ (§ 211 Abs. 2 a. F.) wurden aus dem StGB gestrichen. Dieses Sondergesetz sieht neue Strafvorschriften vor, um bösartige und gefährliche Autofahrten, die zum Tode oder zu Körperverletzungen anderer geführt haben, zu bestrafen. Es wurde unter anderem eine Strafvorschrift für denjenigen eingeführt, „der ein Auto unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen fährt und sich dabei bewusst ist, dass die für eine normale Fahrt notwendigen Umstände nicht gegeben sind“ (§ 3 Abs. 1), und er unter diesen Einflüssen in einen Zustand geraten ist, der eine normale Fahrt erschwert, und infolgedessen ein Mensch verletzt oder getötet wird. Dieselbe Vorschrift wurde auch für denjenigen geschaffen, der unter dem Einfluss einer Krankheit fährt, die durch eine Regierungsanweisung als eine Krankheit qualifiziert wurde, die die Besorgnis begründet, dass ein Hindernis für eine „normale Autofahrt“ vorliegt (§ 3 Abs. 2). Zudem macht sich jetzt auch derjenige strafbar, der nach dem Unfall, bei dem er einen Menschen verletzt oder getötet hat, seinen Alkohol- oder Drogeneinfluss verheimlicht (§ 4). Außerdem wurde die fahrlässige Autofahrt mit Körperverletzungs- oder Todeserfolg (§ 211 Abs. 2 a. F.) in dieses Gesetz verschoben (§ 5) und die Qualifikation bei einer „Fahrt ohne Führerschein“ hinzugefügt (§ 6 Abs. 1). 4. Körperverletzung mit Todesfolge Dieser Tatbestand ist der erfolgsqualifizierte Tatbestand der Gewalttat und der Körperverletzung. Es ist notwendig, dass mindestens ein Kausalzusammenhang zwischen Grundstraftat und dem qualifizierten Erfolg vorhanden ist. Die herrschende Meinung verlangt dazu noch die „Vorhersehbarkeit“ des Todeserfolges. 5. Fahrlässige Tötung und Körperverletzung Der Titel des 28. Abschnittes des StGB lautet „Straftaten der fahrlässigen Körperverletzung“. Er enthält die fahrlässige Köperverletzung (§ 209 Abs. 1), die fahrlässige Tötung (§ 210) und das unechte Sonderdelikt der geschäftstätigen fahrlässigen Tötung und Körperverletzung (§ 211 S. 1). Der Begriff der „Geschäftstätigkeit“ wird sehr breit interpretiert, so dass fast alle „Tätigkeiten“ umfasst werden. Unter einer Geschäftstätigkeit wird eine menschliche Tätigkeit verstanden, die durch jemanden in einer bestimmten gesellschaftlichen Stellung dauernd und/ oder wiederholt ausgeführt wird34. Davon ausgenommen sind nur die fahrlässige Tötung oder Körperverletzung eines Säuglings durch die Mutter, weil die Strafdrohung der bloßen fahrlässigen Tötung oder Körperverletzung für zu niedrig gehalten wird. Deswegen hat der Gesetzgeber in § 211 S. 2 StGB den Tatbestand der groben Fahrlässigkeit eingeordnet, der keine Geschäftstätigkeit voraussetzt. 34
Urteil des OGH v. 18. 4 1958, Keishu Bd. 12, H. 6, S. 1090.
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P. Schutz von Leib und Leben
6. Aufstachelung am Tatort Die Beihilfe zur Körperverletzung wird durch § 62 Abs. 1 bestraft. Bei einer Rauferei kann also der auf einer Seite Beteiligte wegen Beihilfe bestraft werden. Wenn zu der Rauferei durch einen Neugierigen aufgehetzt wird, ist es schwer, diese Aufhetzung als Beihilfe anzusehen, weil der Aufhetzende seine Aufforderung an einen unbestimmten Personenkreis richtet. Deswegen enthält § 206 einen eigenen Auffangstraftatbestand: Danach macht sich strafbar, wer „bei Begehung der Körperverletzung (§ 204) oder Körperverletzung mit Todesfolge (§ 205) den Täter am Tatort zur Tat aufstachelt, auch wenn der Aufstachelnde selbst keine Körperverletzung begeht“ (§ 206). Die Interpretation dieser Vorschrift ist umstritten. Die Mindermeinung geht davon aus, dass die Vorschrift die Beihilfe durch den Neugierigen bei der Rauferei unter Berücksichtigung der Massenpsychologie milder bestraft. Aber wie oben erklärt wurde, regelt diese Vorschrift die Strafbarkeit einer Tat, die durch die Beihilfe nicht erfasst wird. Dieser Tatbestand ist daher ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 7. Sonderregel bei Körperverletzungen durch mehrere Täter35 § 207 schreibt vor: „Wenn zwei oder mehrere Personen eine Gewalttat begehen und dadurch der Körper eines anderen verletzt wird, ohne dass sich der Anteil an der Verletzung oder der Urheberschaft der Verletzung ermitteln lässt, so gilt dafür, selbst wenn sie nicht gemeinschaftlich gehandelt haben, die Regelung über die Mittäterschaft“. Mit dieser Vorschrift werden Situationen erfasst, in denen mindestens zwei Personen als Beteiligte handeln, die ohne eine Verständigung bei derselben Gelegenheit Gewalttaten gegen dasselbe Opfer verüben und dadurch Körperverletzungen verursachen. Dabei muss die Kausalität der einzelnen Beiträge der Nebentäter zu der Körperverletzung bewiesen werden. Die Vorschrift zielt auf die Erleichterung der Beweisbarkeit in dem oben genannten Fall, denn sie sieht unter bestimmten Umständen den Nicht-Mittäter im Grunde als Mittäter an. Deswegen ist sie eine Vorschrift der „Fiktion der Mittäterschaft“. Genauer gesagt, fingiert sie die „Verständigung“ zwischen den einzelnen Tätern. Allerdings muss die Tat zumindest äußerlich den Anschein einer mittäterschaftlichen Begehung erwecken.
35 Der § 231 dStGB (Schlägerei) ist, grob gesagt, eine Kombination von § 206 und § 207 des japanischen StGB.
IV. Abtreibung und Aussetzung
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8. Versammlung mit vorbereitender Bewaffnung und Zusammenrottung § 208 a bestraft bestimmte Vorbereitungshandlungen zu gemeinschaftlichen Körperverletzungen. Danach macht sich strafbar, „wer sich vorbereitend bewaffnet oder wer weiß, dass sich andere vorbereitend bewaffnet haben, und sich mit ihnen bei einer Gelegenheit trifft, in der sich mehr als zwei Personen mit der Absicht zusammengeschlossen haben, um gemeinsam Leben, Körper oder Vermögen anderer zu verletzen, wird mit Zuchthaus bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bis zu dreihunderttauend Yen bestraft.“ (Abs. 1). Abs. 2 lautet: „Wer im Fall des vorigen Absatzes mit vorbereiteter Bewaffnung andere sammelt oder sie sich im Wissen ihrer vorbereiteten Bewaffnung versammeln lässt, wird mit Zuchthaus bis zu drei Jahren bestraft“. § 208 a hat das Ziel, die Straftaten der „Boryokudan“36 präventiv zu unterdrücken. Aber die Vorschriften wurden auch zur Unterdrückung von Studentenbewegungen verwendet. Umstritten ist, welches Rechtsgut die Vorschrift schützt. Grob gesagt, gibt es drei Auffassungen: Die Sozialrechtsgutstheorie (Gemeingefahrtheorie), die Individualrechtsgutstheorie (Vorbereitungstheorie) und die Vermischungstheorie (herrschende Meinung). Innerhalb der Vermischungstheorie lassen sich noch die Tendenzen zur Gemeingefahrtheorie und zur Vorbereitungstheorie unterscheiden, wobei letztere Tendenz herrschend sein dürfte. Die Tatbestände haben den Charakter abstrakt-konkreter Gefährdungsdelikte. Auf eine ausführlichere Erläuterung wird hier aus Platzgründen verzichtet.
IV. Abtreibung und Aussetzung 1. Abtreibung und Schwangerschaftsabbruch a) Abtreibung und Rechtfertigung Das Rechtsgut der Abtreibungsdelikte sind Leib und Leben der Leibesfrucht und der Schwangeren. In Japan gibt es zwar die Abtreibungstatbestände, sie werden aber nur selten angewandt. Es gibt ein Gesetz, das den sog. „künstlichen Schwangerschaftsabbruch“ erlaubt: „Gesetz zum Mutterkörperschutz“37 (1996, Gesetz-Nr. 105). Dieses Gesetz nimmt eine Kombination von Indikations- und Fristenlösung auf. Die Indikationen sind sozialwirtschaftliche und ethische. Erstere liegen etwa vor, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft oder das Gebären aus körperlichen oder wirtschaftlichen Gründen die Befürchtung einer erheblichen Beschädigung des Körpers der Mutter nahelegt. Die zweitgenannte 36
s. dazu bereits Abschnitt F. Der Titel des „Gesetzes zum Schutz der Eugenetik“ (= Sterilisierungsgesetz) (1948) wurde 1996 geändert. Der Schwangerschaftsabbruch auf Grund eines eugenetischen Grundes wurde dabei gestrichen. 37
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P. Schutz von Leib und Leben
Indikation ist etwa erfüllt, wenn die Frau durch Vergewaltigung oder Bedrohung zum sexuellen Verkehr gezwungen wurde und es so zur Schwangerschaft gekommen ist (§ 14 Abs. 1 des Mutterkörperschutz-G.). Wenn eine dieser Indikationen erfüllt ist, kann ein von der Ärztekammer autorisierter Arzt mit der Einwilligung der Schwangeren und des Ehemanns den Schwangerschaftsabbruch durchführen. Die Frist, in der der Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden kann, ist im Gesetz wie folgt geregelt: „Innerhalb der Frist, in der das Leben des Embryos außerhalb des Mutterleibes nicht erhalten werden kann“ (§ 2 Abs. 2). Nach der Mitteilung des Ministeriums für Gesundheit und Arbeit bedeutet dies, dass die Schwangerschaft nur bis zur 22. Woche der Schwangerschaft abgebrochen werden darf (Staatssekretär Mitteilung v. 20. 03. 1990). b) Verschiedene Tatbestände Als Abtreibungsstraftatbestände werden die eigenhändige Abtreibung (§ 212), die Abtreibung mit Einwilligung und die Abtreibung mit Todes- oder Körperverletzungsfolge (§ 213), die geschäftstätige Abtreibung und eine solche mit Todesoder Körperverletzungsfolge (§ 214), zudem die Abtreibung ohne Einwilligung (§ 215) und dieselbe mit Todes- oder Körperverletzungsfolge (§ 216) unterschieden. 2. Aussetzung a) Aussetzungstatbestände Das StGB enthält verschiedene Aussetzungsstraftatbestände: die Aussetzung (§ 217), die Aussetzung durch Schutzpflichtige usw. (§ 218 Abs. 1), die Schutzverabsäumung (§ 218 Abs. 2) und die Aussetzung mit Körperverletzungs- oder Todesfolge (§ 219). § 217 ist eine Jedermann-Straftat. Bei diesem Delikt muss der Täter das Opfer aus einem gesicherten Zustand in einen gefährlichen und hilflosen Zustand versetzen. Das „Versetzen“ kann nur durch positives Tun erfolgen. Als unechtes Unterlassungsdelikt kann dieses Delikt also nicht verwirklicht werden. In § 218 ist das unechte Sonderdelikt geregelt, das eine Qualifikation von § 217 darstellt. Der § 218 S. 1 kann nach der herrschenden Meinung auch als unechtes Unterlassungsdelikt verwirklicht werden. Der § 218 S. 2 ist als echtes Unterlassungsdelikt geregelt. Der Unterschied zwischen § 218 S. 1 und § 218 S. 2 liegt darin, dass es für die Erfüllung des ersteren Tatbestands notwendig ist, dass der Täter sich auch räumlich vom Opfer entfernt, was dagegen für § 218 S. 2 nicht nötig ist. Wenn z. B. ein Vater seinen kleinen Sohn, den er zu einer Wanderung mitgenommen und dabei verloren hat, in den Bergen zurücklässt, ohne nach ihm zu suchen, erfüllt eine Tat nach Satz 1. Wenn er hingegen seinem Sohn zu Hause keine Nahrung gibt, erfüllt seine Unterlassung den Satz 2.
IV. Abtreibung und Aussetzung
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b) Rechtsgut und abstrakte Gefährdungsdelikte Das Rechtsgut ist die „Sicherheit des Lebens und Leibes“ des Ausgesetzten38. Der Straftatinhalt besteht darin, pflegebedürftige Menschen in eine hilflose Lage zu versetzen. Es ist umstritten, ob es sich bei diesen Straftaten um abstrakte Gefährdungsdelikte (so die h. M.) oder konkrete Gefährdungsdelikte handelt.
38 Eine starke Mindermeinung vertritt, dass das Rechtsgut der Aussetzung nur auf das Leben zu begrenzen ist (Hirano, S. 163).
Q. Freiheits-, Ehr- und Geschäftsschutz I. Die hier zu erwähnenden Straftaten Diese Straftaten beziehen sich auf das Rechtsgut der personellen Freiheit im sozialen Alltagsleben. Diese Freiheit umfasst verschiedene Erscheinungsformen: Die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung, der individuellen Aufenthaltsbestimmung und Fortbewegung sowie der sexuellen Integrität. Umstritten ist, ob die Straftaten des Hausfriedensbruchs und der Geheimnisverletzung auch zu dieser Gruppe gehören, die öfters als „Straftaten gegen die Privatheit“ bezeichnet werden.
II. Freiheitsberaubung 1. Freiheitsberaubung (Festnahme und Einsperrung) a) Struktur der Freiheitsberaubungsdelikte Straftaten, die die potentielle körperliche Bewegungsfreiheit und die Freiheit der Ortsveränderung verletzen, werden den Straftaten der widerrechtlichen Festnahme und Einsperrung zugeordnet. Diese Straftaten sind Verletzungsdelikte. Solange die Freiheitberaubung andauert, bestehen die Straftaten fort. Sie werden deshalb als Dauerdelikte bezeichnet. b) Bewusstsein der Freiheitsberaubung Umstritten ist, ob derjenige, der keine Fähigkeit zur Willensbetätigung bzw. zur körperlichen Tätigkeiten hat, der Freiheit der körperlichen Tätigkeiten beraubt werden kann. Wird eine Einsperrung vorgenommen, wenn der Täter einen paralysierten Menschen in seinem Zimmer einsperrt? Die Antwort hängt davon ab, ob das Rechtsgut die „reale“ oder die „potentielle“ Freiheit ist. Ist das Rechtsgut die reale Freiheit, wäre die Freiheit eines während seines Schlafes in einem Zimmer eingesperrten Menschen nicht verletzt. Wer kein Bewusstsein von seiner Freiheitsberaubung hat, wäre nicht seiner Freiheit beraubt. Nach der Rechtsguts theorie der potentiellen Freiheit ist ein solches Bewusstsein nicht erforderlich. Wenn ein Mann allein auf einer einsamen Insel wohnt und sein Boot und einziges Fortbewegungsmittel zu anderen Inseln für drei Tage versteckt worden ist, wäre er dann nicht seiner Freiheit beraubt, wenn er in Unkenntnis davon die Insel währenddessen nicht verlassen wollte.
II. Freiheitsberaubung
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c) Festnahme und Einsperrung Die „Festnahme“ bewirkt den Ausschluss einer (Fort-)Bewegungsmöglichkeit durch eine direkte Einwirkung von gewisser Dauer auf einen anderen menschlichen Körper. „Einsperrung“ dagegen bedeutet ein indirektes Berauben der Handlungs- oder Bewegungsfreiheit durch gänzliches Unmöglichmachen oder zeitweises Erschweren eines Entkommens von einem bestimmten Ort. d) Einwilligung des Verletzten Die wirksame Einwilligung des Verletzten schließt während ihrer Dauer die Tatbestandsmäßigkeit dieser Straftat aus. Dabei stellt sich die Frage, wie die Wirksamkeit einer irrtümlichen Einwilligung zu beurteilen ist. Eine Entscheidung des OGH1 hatte einen Fall zum Gegenstand, in dem der Täter zu Vergewaltigungszwecken eine Frau sich auf den Rücksitz seines Motorrades setzen ließ, der er vorgelogen hatte, sie nach Hause bringen. Unterwegs lenkte er sein Motorrad Richtung Wald und in diesem Moment wurde der Frau der falsche Weg bewusst. Der OGH hat die Einwilligung der Frau schon zum Zeitpunkt ihres Zusteigens auf das Motorrad als unwirksam angesehen, weil sie dies nicht getan hätte, wenn ihr seine Lüge bewusst gewesen wäre2. Folgt man dagegen der Theorie des rechtsgutsbezogenen Irrtums, war ihre Einwilligung solange wirksam, als sie freiwillig auf dem Rücksitz saß. In dieser Zeit war sie sich nicht einer Beraubung ihrer Freiheit bewusst. 2. Bedrohung und Nötigung a) Die Struktur der Bedrohung und Nötigung Die Straftaten der Bedrohung sind die Bedrohung selbst (§ 222) und die Nötigung (§ 223). Das Rechtsgut ist die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung. Das Rechtsgut der Nötigung schließt auch die Freiheit zur körperlichen Bewegung ein. Die Nötigung ist ein Verletzungsdelikt, weil die Freiheit der Willensbetätigung durch den Zwang zu einem bestimmten Verhalten aufgehoben wird. Demgegenüber ist die Bedrohung ein Gefährdungsdelikt, bedarf sie doch weder einer Verletzung der körperlichen Freiheit noch der Willensentschließungsfreiheit. Sieht man mit einer Mindermeinung das Rechtsgut allerdings in der Ruhe des Privatlebens oder dem Sicherheitsgefühl, so wäre damit ein Verletzungsdelikt anzunehmen. Die Äußerung einer objektiv geeigneten Bedrohung hat jedoch im Hinblick auf die Willensentschließung lediglich Gefährdungscharakter. 1 2
Urteil des OGH vom 18. 4. 1963, Keishu Bd. 17, H. 3, S. 248. Beschluss des OGH v. 19. 3. 1952, Keishu Bd. 12, H. 4, S. 636.
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Q. Freiheits-, Ehr- und Geschäftsschutz
b) Bedrohungstatbestand Bedrohung ist die Ankündigung einer Übelszufügung mit dem Zweck, einen anderen einzuschüchtern. Mögliche Gegenstände angekündigten Übels sind „Leben“, „Körper“, „Freiheit“, „Ehre“ und „Vermögen“ des Adressaten. Absatz 2 erstreckt den Empfängerkreis des Übels darüber hinaus auch auf dessen Familienmitglieder (genauer: Verwandte). Wenn der Täter den Eltern die Zufügung eines Übels an ihrem Kind ankündigt, erfüllt seine Tat folglich den Absatz 2. Das Übel muss einen solchen Grad und Inhalt haben, dass es im Allgemeinen andere Personen zu Befürchtungen veranlasst. Ob dies der Fall ist, muss im Lichte der sozialen Üblichkeit und konkreten Situation objektiv beurteilt werden. Die Ankündigung muss dem Adressaten den Inhalt des Übels in Aussicht stellen, das ihm in Zukunft zugefügt werden soll. Dazu bedarf es des Anscheins, dass der Drohende die Entstehung des Übels in irgendeiner Form beeinflussen könnte. Er muss nicht die Einflussposition innehaben, das in der Wirklichkeit für die Entstehung des Übels Notwendige zu beherrschen. Zudem ist die Drohung von der „Warnung“ zu unterscheiden, die ein vom Drohenden nicht beherrschbares Übel ankündigt. Ob das Übel rechtswidrig sein muss, ist umstritten. c) Nötigungstatbestand Die Nötigung ist eine Straftat, die durch das Inaussichtstellen der Zufügung eines Übels gegen Leben, Körper, Freiheit, Ehre oder Vermögen des Adressaten oder seiner Verwandten oder durch Anwendung von Gewalt eine andere Person zu einer Handlung zwingt, zu der die Person nicht verpflichtet ist, oder sie an einer Rechtsausübung hindert (§ 223). Die Vorschrift enthält zwei Tatbestände, im ersten Absatz ist das Handlungsobjekt der Gewalt- oder Übelszufügung auch der Adressat der Nötigung, im zweiten Absatz ist der Fall geregelt, dass einem Verwandten des Adressaten ein Übel zugefügt wird.
III. Menschenraub, Entführung und Menschenhandel 1. Die Kennzeichnung von Menschenraub und Entführung Der Abschnitt 33 des StGB umfasst die „Straftaten des Menschenraubes, der Entführung und des Menschenhandels“. Menschenraub und Entführung sind Straftaten, die die Freiheit einer Person, in ihren bisherigen Lebensverhältnissen zu leben, dadurch verletzen, dass der Täter die andere Person ihrem gegenwärtigen Umfeld entzieht und sie eigener oder fremder Herrschaft unterwirft. Raubmittel sind Gewalt oder Drohung, Entführungen erfolgen durch Täuschung oder Verführung. Dabei ist eine Verführung die Motivierung des Opfers durch Schmeicheleien, die noch nicht den Grad einer Täuschung erreichen, oder ein sonstiges Verwirren des Opfers.
IV. Straftaten, die die sexuelle Freiheit verletzen
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2. Die Delikte des Menschenraubes und der Entführung Menschenraub und Entführung sind in verschiedenen Varianten geregelt: Raub und Entführung Minderjähriger (§ 224), Raub und Entführung in gewinnsüchtiger Absicht usw. (§ 225), Raub mit Lösegeldforderung (§ 225 a), Raub und Entführung mit der Absicht einer Außerlandesschaffung (§ 226), Menschenhandel (§ 226 a), Fortschaffen des Geraubten aus dem Aufenthaltsland (§ 226 b), Auslieferung des Geraubten usw. (§ 227), Versuch (§ 228), Strafmilderung durch Befreiung (§ 228 a), Vorbereitung zum Raub mit Lösegeldforderung (§ 228 b), Antragsdelikt (§ 229). 3. Menschenhandel Die Vorschrift gegen den Menschenhandel wurde 2005 durch das „Gesetz zur Teilreform des StGB usw.“ (2005, Gesetz Nr. 66) neu eingeführt. Zuvor war im Jahre 2003 das von der UN-Generalversammlung im Jahr 2000 angenommene „UN-Zusatzprotokoll gegen Menschenhandel“ in Japan in Kraft getreten. Dieser Vertrag verpflichtet jeden Vertragsstaat zur Kriminalisierung des Menschenhandels. Der neue § 226 a lautet: (1) „Wer einen Menschen kauft, wird mit Zuchthaus von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft“. (2) „Wer einen Jugendlichen kauft, wird mit Zuchthaus von drei Monaten bis zu sieben Jahren bestraft“. (3) „Wer aus Gewinnsucht, mit Absicht der Unzucht, der Eheschließung, oder fremder Lebens- oder Körperverletzung einen Menschen kauft, wird mit Zuchthaus von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft“. (4) „Wer einen Menschen verkauft, wird wie in dem vorigen Absatz bestraft“. (5) „Wer in der Absicht handelt, einen Menschen in das Ausland fortzuschaffen, wird mit zeitlich begrenztem Zuchthaus von nicht unter zwei Jahren bestraft“.
IV. Straftaten, die die sexuelle Freiheit verletzen 1. Rechtsgut Das Rechtsgut der Straftaten in diesem Abschnitt ist die sexuelle Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht des Individuums zu sexuellen Handlungen (sexuelle Integrität), die von anderen nicht aufgezwungen werden sollen. Diese Straftaten sind als sexuelle Nötigung, die die freie Willensbetätigung im Gebiet der sexuellen Handlung beeinträchtigt, zu bezeichnen. Vor allem bei bewusstlosen Opfern scheint klar zu sein, dass zudem die Integrität des Körpers des Opfers vor sexueller Okkupation geschützt wird, weil eine eigene Willensbetätigung bei Bewusstlosen nicht möglich ist. Auch bei Handlungen gegen unter 13-jährige Kinder ist die sexuelle Integrität geschützt. § 176 und § 177 sanktionieren die „sexuelle Nö-
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Q. Freiheits-, Ehr- und Geschäftsschutz
tigung“ gegen Einwilligungsfähige und den „sexuellen Missbrauch“ gegen unter 13-jährige Kinder in je einer Vorschrift. § 178 ist der Tatbestand gegen sexuellen Missbrauch Bewusstloser. 2. Tatbestände Die Sexualdelikte sind 2017 reformiert worden. Der Strafrahmen der Delikte wurde erhöht, die Grundstruktur der Systematisierung der sexuellen Delikte blieb unverändert. Beim Vergewaltigungstatbestand können sowohl Männer wie Frauen Täter als auch Opfer sein. § 179 sanktioniert die sexuelle Nötigung unter 18-jähriger durch Schutzpflichtige. Weiterhin gehören zu diesen Straftaten: Die erzwungene unzüchtige Handlung (§ 176), der erzwungene Geschlechtsverkehr usw.3 (§ 177), der zwangsgleiche Missbrauch zu unzüchtigen Handlungen und Geschlechtsverkehr usw. (§ 178), Versuch (§ 180), die erzwungene unzüchtige Handlung und Geschlechtsverkehr usw. mit Todes- oder Körperverletzungsfolge usw. (§ 181). Bei der erzwungenen unzüchtigen Handlung (§ 176) wurde die „unzüchtige Absicht“ als überschießendes subjektives Merkmal von der Judikatur als Tatbestandsmerkmal verlangt4. Neuerdings verzichtet der OGH auf dieses Merkmal5. Die Regelung zur Gruppenvergewaltigung usw. (§ 178 a) wurde abgeschafft, ebenso der ehemals in § 180 geregelte Antragszwang der in den §§ 176 bzw. 179 benannten Straftaten (ausgenommen § 178 a). Bei der Verleitung zum Beischlaf (§ 182) ist das Rechtsgut als Sozial- oder als Individualrechtsgut umstritten. Der Tatbestand lautet: „Wer aus Gewinnsucht eine Frau verleitet und den Beischlaf ausüben lässt, die keinen gewohnheitsmäßigen Umgang mit unsittlichen sexuellen Handlungen hat, wird … bestraft“. Die verleitete Frau wird nicht als Teilnehmerin bestraft. Deswegen orientiert sich die Straftat eher am Schutz des Rechtsgutes „sexuelle Freiheit der Frau“.
3 In § 177 schreibt der Gesetzgeber in Klammern als Kurzform „Geschlechtsverkehr usw.“. Dies bedeutet, dass der Tatbestand nicht nur den Geschlechtsverkehr, sondern auch den Analverkehr und einen Teil des „Oralverkehrs“ erfasst, und zwar letzteres nur im Hinblick auf Männer als Täter. Denn der japanische Wortlaut für „Oralverkehr“ in § 177 ist, genau übersetzt, „Verkehr in den Mund“. Diese Taten, abgesehen vom Geschlechtsverkehr, wurden vor der Reform nach § 176 bestraft. 4 Urteil des OGH vom 29. 1. 1970, Keishu Bd. 24, H. 1, S. 1. Der OGH hat die „erzwungene unzüchtige Handlung“ verneint, weil der Täter nur den Zweck verfolgte, sich an der Frau zu rächen, die sich auf seine Anordnung hin ausgezogen hatte und die der Täter alsdann nackt fotografiert hatte. 5 Urteil des OGH vom 29. 11. 2017, LEX/DB. Der OGH hat die „sexuelle Absicht“ als eine Voraussetzung der erzwungenen unzüchtigen Handlung als nicht erforderlich angesehen.
IV. Straftaten, die die sexuelle Freiheit verletzen
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3. Alter des Opfers Bei der erzwungenen unzüchtigen Handlung und beim erzwungenen Ge schlechtsverkehr usw. werden die Tatbestände nach dem Alter des Opfers unter schieden: Bei der unzüchtigen Handlung wird danach differenziert, ob das Opfer das 13. Lebensjahr vollendet hat oder nicht. Beim erzwungenen Geschlechtsver kehr usw. ist auch das Alter der Kinder von 13 Jahren die Trennungslinie. Ist das Opfer 13 Jahre alt oder älter, ist das Tatmittel der Gewalttat oder Drohung nor miert. Die Gewalttat oder Drohung muss eine den Widerstand des Opfers beein trächtigende Intensität erheblichen Grades haben, ein den Widerstand brechender Intensitätsgrad ist aber nicht gefordert. Wenn das Opfer unter 13 Jahre alt ist, wird dem Tatmittel keine Bedeutung beigemessen. Gleiches gilt für die Opfer einwilligung, die als unbeachtlich bzw. unwirksam angesehen wird. Rechtsgut ist hier auch der Schutz der körperlichen Integrität Minderjähriger vor sexuellen Eingriffen. 4. Abschaffung der Eigenschaft der Vergewaltigung als Sonderdelikt Nach früherer Rechtsprechung war die Vergewaltigung ein Sonderdelikt, das nur den Mann als Alleintäter kannte. Der OGH hat in einem Fall, in dem eine Frau gegen eine andere Frau zusammen mit anderen Männern eine Gewalttat begangen hat, um den Männern eine Vergewaltigung des Opfers zu ermöglichen, auch die Frau als Mittäterin an der Vergewaltigung bestraft6, indem es den Pa ragraphen der Teilnahme am Sonderdelikte (§ 65 Abs. 1) angewandt hat. Das Problem ist jetzt durch die Abschaffung der Begrenzung des Tatbestandes auf männliche Täter gelöst. 5. Vergewaltigung in der Ehe Was die „Vergewaltigung in der Ehe“ (erzwungener Geschlechtsverkehr usw.) anbetrifft, so kannte das StGB anfänglich keine diesbezügliche Beschränkung7. Die klassische Auslegung hat den Vergewaltigungstatbestand allerdings ein schränkend interpretiert und die Vergewaltigung in der Ehe solange nicht als er 6 Beschluss des OGH v. 30. 3. 1960, Keishu Bd. 19, H. 2, S. 125. Es gibt auch eine Mindermeinung, nach der § 65 Abs. 1 keine Anwendung findet, wenn die Beteiligungsart eine Mittäterschaft ist, weil § 65 Abs. 1 nur die Teilnahme an echten Sonderdelikten regelt und deshalb bei den echten Sonderdelikten eine Mittäterschaft von Nicht-Qualifizierten unmöglich ist. Aber die Vertreter dieser Meinung, deren Hauptrepräsentant Dando (AT, S. 422, Fn. 6) war, beziehen auch die Mittätertat zur Vergewaltigung mit ein, wenn die Frau (wie hier) auch einen Teil der Vergewaltigungstat, nämlich die Gewalttat oder Dro hung, mitbegangen hat. 7 Das deutsche StGB enthielt bis zur Reform von 1997 das Tatbestandsmerkmal „außereheliche“.
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Q. Freiheits-, Ehr- und Geschäftsschutz
fasst angesehen, als das Eheverhältnis im materiellen Sinne fortgesetzt wurde. Eine Entscheidung hatte einen Fall zum Gegenstand, in dem der Ehemann seine Frau zusammen mit einem anderen Mann vergewaltigt hatte. Das OG8 hat den Ehemann wegen mittäterschaftlicher Vergewaltigung bestraft, da nach seiner Auffassung „die Ehe schon gebrochen und das Wesen der Ehelichkeit verloren war und nur noch der Form nach eine Ehe bestanden hatte“. 2007 hatte das OG Tokyo9 erneut einen Fall der Vergewaltigung in der Ehe zu entscheiden, in dem der von seiner Frau getrennt wohnende, sich bereits im Schlichtungsverfahren der Scheidung befindliche Angeklagte, sie mit Gewalt und Drohung vergewaltigte. Hier hat das OG außer mit der „Begründung durch den materiellen Bruch der Ehe“ auch „die berechtigte Rechtsausübung“ zum sexuellen Verkehr abgelehnt, den der Ehemann, wenn überhaupt, in der Regel von der Ehefrau verlangen könne. Wenn der Ehemann dieses Recht mit einer gesellschaftlich nicht akzeptierten Methode verwirklichen will, ist kein Unrechtsausschluss gegeben. Der Fall einer vom Ehemann mit Gewalt und Drohung vorgenommenen Rechtausübung ist keine rechtmäßige Rechtsausübung. 6. Erzwingungsgleiche unzüchtige Handlungen oder Geschlechtsverkehr usw. § 178 StGB bestraft „denjenigen, der an einer Person, den Zustand ihrer Bewusstlosigkeit oder Widerstandsunfähigkeit ausnützend oder verursachend, eine unzüchtige Handlung vornimmt“ (Abs. 1). Derjenige, „der an einer Person, den Zustand ihrer Bewusstlosigkeit oder Widerstandsunfähigkeit ausnützend oder verursachend, den Geschlechtsverkehr usw. ausübt“, wird entsprechend bestraft (Abs. 2). Wenn das Opfer (früher: „eine Frau“) durch Täuschung in einen Irrtum versetzt und dadurch die Gelegenheit zu einem Beischlaf eröffnet wurde, ist es fraglich, ob der Täter das Opfer „in einen solchen die Widerstandsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt“, und, diese Situation ausnutzend, den Beischlaf erreicht hat. Hier steht die Wirksamkeit der Einwilligung in Frage. Wenn die Frau einen anderen für ihren Ehemann hält und in den Beischlaf mit ihm einwilligt, ist der Irrtum ein rechtsgutsbezogener Irrtum10, weil ihr Verzicht auf das Rechtsgut ein 8 Urteil des OG Hiroshima, Zweigstelle Matsue v. 18. 6. 1987, Kokeishu Bd. 40, H. 1, S. 71. 9 Urteil des OG Tokyo v. 26. 9. 2007, Hanrei Times 1268, 345. 10 Diese Entscheidung betrifft den Fall, in dem eine Frau im halbschlafenden Zustand einen anderen mit ihrem Mann verwechselt und in die Tat eingewilligt hat (Urteil des OG Sendai v. 18. 4. 1943, Kokeishu Bd. 10, H. 6, S. 491). Hier ist die Einwilligung schon wegen ihrer Einwilligungsunfähigkeit unwirksam. Der Fall ist eine Quasi-Vergewaltigung (§ 178 Abs. 2 a. F.).
V. Hausfriedensbruch
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sich an der konkreten Person orientierendes Interesse betrifft. Wenn man eine Frau aber dahingehend täuscht, dass ein sexueller Kontakt die für sie einzige spezielle „Inspirationsheilung“ einer Krankheit ist, liegt kein erzwungener Geschlechtsverkehr usw. vor. Denn sie weiß dann, dass sie sich auf einen sexuellen Kontakt einlässt. Gleiches gilt für den Arzt, der eine Patientin über die Notwendigkeit einer sexuellen Handlung zu Behandlungszwecken täuscht – seine Tat ist kein erzwungener Geschlechtsverkehr usw. Wenn aber ein Quacksalber die Patientin täuscht und in einen Zustand geraten lässt, in dem ihre psychische Gelassenheit für die Ausübung eines freien Willens verloren geht und Widerstand gegen einen Beischlaf nicht mehr zu erwarten ist, wird ein erzwingungsgleicher Geschlechtsverkehr usw. bejaht, obwohl kein rechtsgutsbezogener Irrtum vorliegt11. Denn in einem solchen Fall wird das Opfer in Erschrecken und Besorgnis und auf diese Weise in einen die vernünftigen Urteilskräfte aufhebenden psychischen Zustand versetzt.
V. Hausfriedensbruch 1. Grundzüge des Hausfriedensbruchs Das Recht, von anderen nicht in seiner Freiheit beeinträchtigt zu werden, ist ein Grundrecht des Menschen. Um dieses Freiheitsrecht zu gewährleisten, regelt das StGB das Herrschaftsrecht für bestimmte private Orte und Räume. 2. Tatbestand und Rechtsgut des Hausfriedensbruchs a) Tatbestand des Hausfriedensbruchs Der Tatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 130 StGB) lautet: „Wer ohne berechtigten Grund in die Wohnung eines anderen oder in ein unter der Bewachung von anderen stehendes bewohnbares Haus, Gebäude oder Kriegs- oder sonstiges Schiff eindringt oder sie auf Aufforderung des Berechtigten nicht verlässt“. Die Handlungsobjekte sind Wohnung, bewohnbare Häuser, unter der Bewachung von anderen stehende Gebäude oder Kriegs- oder sonstige Schiffe. Tathandlungen des Hausfriedensbruchs sind: Das Eindringen in die Wohnung usw. (§ 130 S. 1) und das Nichtverlassen einer Wohnung usw. (S. 2). Das Letztere ist ein echtes Unterlassungsdelikt.
11
Urteil des OG Nagoya v. 28. 7. 1980, Keigetsu Bd. 12, H. 7, S. 709.
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Q. Freiheits-, Ehr- und Geschäftsschutz
b) Rechtsgut des Hausfriedensbruches Zum Rechtsgut des Hausfriedensbruchs gibt es heute zwei Meinungen: Die „Theorie des tatsächlichen Friedens“ und die „Wohnrechtstheorie“. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dominierte die „Wohnrechtstheorie“ absolut, was auf dem alleinigen Recht des Patriarchen beruhte. Gegen diese Theorie wurde dann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die „Theorie des tatsächlichen Friedens“ einflussreichlich entwickelt. Nicht das „Recht“, sondern die „Tatsache“ sollte geschützt werden. Inzwischen stellt sich die Frage, wer das Recht hat, jemanden eine Wohnung betreten zu lassen. Dies betrifft vor allem das Herrschaftsrecht über Gebäude, die unter der Bewachung eines anderen stehen. Deswegen handelt es sich nicht so sehr um das „Wohnrecht“ bei Gebäuden, sondern um das auf sie bezogene „Beaufsichtigungsrecht“. Herrschende Meinung ist heute die „neue Wohnrechts- bzw. Beaufsichtigungsrechtstheorie“. Der Unterschied zu der alten Theorie besteht darin, dass nicht mehr allein der Patriarch, sondern alle Familienmitglieder, die Einwilligungsfähigkeit haben, dieses Herrschaftsrecht ausüben können. Eine Entscheidung des OGH gab 198312 den Anlass zur Bestärkung der neuen Wohnrechtstheorie: Die Angeklagten drangen nachts in ein Postamtsgebäude ein, um Flugblätter an die Wand zu kleben, was ihnen der Wachdienst gestattete. Der seinerzeit nicht anwesende Postamtsdirektor hatte nach Auffassung der zweiten Instanz seinen etwaigen entgegenstehenden Willen nicht klar geäußert. Es zeigten sich aber auch Umstände, dass der Nachwächter bereits das Eintreten der Angeklagten gebilligt hatte. Der OGH hat einen Hausfriedensbruch bejaht unter Rekurs auf den vermuteten Gegenwillen des Postamtsdirektors: Wenn man vernunftgemäß urteile, habe der Beaufsichtigungsträger des Gebäudes das gerade begangene Eindringen unter Berücksichtigung des einschlägigen Gebäudezwecks, der Verwaltungssituation, der Verhaltensweise des Beaufsichtigungsträgers und des Eintrittszwecks des Eintretens usw. nicht gebilligt. 3. Tendenzen der neuen Entscheidung In einer späteren Entscheidung13 bejahte das Gericht die Vermutung des Gegenwillens des Beaufsichtigungsträgers, auch wenn ein klarer Gegenwille nicht geäußert wurde. Hier hatte der Täter eine kleine Geldautomatenkabine betreten, um die Geheimnummern der Geldkarten der Kunden mit einer kleinen 12 Urteil des OGH (v. 8. 4. 1983, Keishu Bd. 37, H. 3, S. 215) (= sog. Otsuchi-Postamtsfall-Urteil). Sowohl das LG Morioka (v. 22. 3. 1978, Keishu Bd. 37, H. 3, S. 294) als auch das OG Sendai (v. 18. 3. 1980, Keishu Bd. 37, H. 3, S. 304) haben freigesprochen. 13 Beschluss des OGH v. 2. 7. 2007, Keishu Bd. 61, H. 5, S. 379.
VI. Geheimnisverrat
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Video-Kamera aufzunehmen. Ein solcher Eintritt zu einem unerlaubten Zweck widerspricht dem Willen des Bankgeschäftsführers. Obwohl das Eintreten des Täters allem Anschein nach nicht anders als das anderer Bankkunden ist, ist ein Eindringen in das Gebäude anzunehmen. Gleichermaßen hat der OGH ein unerlaubtes Betreten solcher Gebäude angenommen, in denen Angehörige der Selbstverteidigungskräfte und deren Familien wohnen. Drei Angeklagte haben das Quartier der Selbstverteidigungskräfte mit der Absicht betreten, Flugblätter gegen „den Einsatz der Selbstverteidigungskräfte im Irak“ in die Briefkästen der Wohnungen zu werfen. Die erste Instanz hat die Tatbestandsmäßigkeit eines Hausfriedensbruchs bejaht, ein strafwürdiges Unrecht aber verneint mit der Begründung angemessener Motivation und Tatausführung, bagatellmäßiger Rechtsgutsverletzung und verfassungsmäßig garantierter politischer Betätigung14. Die zweite Instanz und der OGH haben die Tat als Eindringen gegen den Willen der Aufsichtskräfte angesehen und die Angeklagten verurteilt15.
VI. Geheimnisverrat 1. Tatbestände Straftaten der Verletzung von Geheimnissen sind das Öffnen eines verschlossenen Briefes (§ 133) und der Verrat eines Geheimnisses (§ 134). Der Tatbestand des § 133 lautet: „Wer ohne berechtigten Grund einen verschlossenen Brief öffnet“, wird bestraft. Der Tatbestand des § 134 Abs. 1 lautet: „Wenn ein Arzt, Apotheker, Drogist, eine Hebamme, ein Rechtsanwalt, ein Verteidiger, ein Notar oder eine Person, die eine solche Tätigkeit ausgeübt hat, das in Ausübung des Berufes bekannt gewordene Geheimnis einem anderen ohne berechtigen Grund verrät, wird bestraft.“ Abs. 2 lautet: „Der vorige Absatz gilt auch für diejenigen, die einen religiösen, betenden oder sonstigen kultischen Beruf ausüben oder ausgeübt haben, wenn sie das Geheimnis eines anderen, das ihnen in Ausübung ihres Berufs bekannt geworden ist, ohne berechtigten Grund verraten“. Diese Straftaten sind Antragsdelikte (§ 135). 2. Tatbestandsmerkmale § 134 ist ein Sonderdelikt. Das Handlungsobjekt ist das Geheimnis eines anderen, das in Ausübung des Berufes bekannt geworden ist. Die herrschende 14 Urteil des LG Tokyo, Zweigstelle Hachioji v. 16. 12. 2004, Keishu Bd. 62, H. 5, S. 1337. 15 Urteil des OG Tokyo v. 9. 12. 2005, Keishu Bd. 62, H. 5, S. 1376; Urteil des OGH v. 11. 4. 2008, Keishu Bd. 62, H. 5, S. 1217.
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Q. Freiheits-, Ehr- und Geschäftsschutz
Meinung nimmt den Begriff des objektiven Geheimnisses auf, nach dem das Geheimnis die Tatsache ist, die nicht öffentlich ist und die ein verborgenes körperliches oder psychisches, individuelles Interesse eines anderen betrifft. Die Mindermeinung verlangt dazu noch den Geheimhaltungswillen seines Trägers. Die Geheimnisträger sind natürliche Menschen, juristische Personen oder auch Verbände ohne Persönlichkeit. Nicht erfasst werden Verstorbene, Gemeinden oder der Staat. Wenn es einen „berechtigen Grund“ zum Verrat des Geheimnisses gibt, wie etwa bei der ärztlichen Pflicht zum Bericht über das Krankheitsbild der Patienten bei einer Infektionskrankheit, ist die Offenbarung des Geheimnisses nicht tatbestandsmäßig.
VII. Ehrverletzung 1. Straftaten gegen die Ehre und den Kredit Die Straftaten gegen die Ehre (Abschnitt 34 des StGB) schützen die „gesellschaftliche Anerkennung“ oder „Reputation“ der Persönlichkeit eines anderen. Die echte oder innere Ehre des anderen ist irrelevant. Es handelt sich allein um die Verletzung der sog. „äußeren Ehre“. Das japanische StGB kennt für die Ehrverletzungen vier verschiedene Tatbestände: Die Ehrverletzung (§ 230 Abs. 1), die Ehrverletzung Verstorbener (§ 230 Abs. 2) und die Beleidigung (§ 231). Hinzu kommt noch die „Kreditverletzung“ (§ 233), die im Abschnitt „Kredit- und Geschäftsschutz“ (Abschnitt 35) geregelt ist. Der Kredit ist die gesellschaftliche Einschätzung der wirtschaftlichen Potenz von anderen, d. h. das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit oder den Zahlungswillen. 2. Aufdeckung unwahrer Tatsache? Die Ehrverletzung (§ 230) verlangt im Unterschied zur „Verleumdung“ des deutschen StGB (§ 187) keine „unwahre Tatsache“. Wer die Ehre eines anderen dadurch verletzt, dass er öffentlich eine Tatsache aufdeckt, wird, „ohne Rücksicht auf Wahrheit oder Unwahrheit dieser Tatsache“ bestraft. § 230 a StGB regelt dagegen den „Strafausschließungsgrund“ des Wahrheitsbeweises, d. h. wenn bewiesen wird, dass die aufgedeckte Tatsache „wahr“ ist16. Bei der Beleidigung geht es nicht um die Wahrheit. Hier muss das Vorgetragene „öffentlich geäußert“ sein.
16 § 230 a Abs. 1 StGB lautet: „Wenn das Gericht zu der Einsicht gelangt, dass die im vorangehenden Paragraphen Abs. 1 erwähnte Straftat sich auf eine das öffentliche Interesse betreffende Tatsache bezieht und ausschließlich in der Absicht der Verwirklichung des Gemeinwohls begangen wurde, ist die Wahrheit oder Unwahrheit eben dieser Tatsache festzustellen und der Täter ist nicht strafbar, wenn die aufgedeckte Tatsache sich als wahr erwiesen hat“.
VII. Ehrverletzung
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3. Ehrbegriff und Rechtsgut der Ehrverletzung Über das Rechtsgut der Beleidigung (§ 231) streiten zwei Meinungen: Die herrschende Meinung sieht es ebenso wie bei der Ehrverletzung in der äußeren Ehre. Die Mindermeinung17 vertritt dagegen die Meinung, das Rechtsgut der Beleidigung sei das „Ehrgefühl“ eines anderen, d. h. das „Gefühl der eigenen Einschätzung“ des anderen. Die herrschende Meinung betont zutreffend, dass das Rechtsgut beider Delikte die „äußere Ehre“ ist. Wäre es bei der Beleidigung das Ehrgefühl, könnten Opfer wie Säuglinge, Geisteskranke oder juristische Personen usw. kein „Ehrgefühl“ haben. Aber diese Personen können auch ihrer gesellschaftlichen Anerkennung durch öffentliche Abqualifizierung beraubt werden. Auch die „Ehre“ solcher Personen ist daher im StGB zu schützen. Die Mindermeinung stützt ihre These auf die Größe des Unterschiedes zwischen den Strafrahmen der Ehrverletzung („Zuchthaus oder Gefängnis bis zu 3 Jahren“, § 230) und der Beleidigung („Haft oder Geldbuße“, § 231), die nur mit dem Unterschied der Rechtsgüter erklärbar sei. Die herrschende Meinung bezieht den Unterschied in der Strafandrohung dagegen auf die unterschiedliche Ausführungsmethode: Bei Ehrverletzungen ist eine öffentliche „Tatsachenaufdeckung“ nötig, bei Beleidigungen nicht. Ausreichend ist, wenn der Täter z. B. gegenüber dem Opfer ausspricht: „Du Schwein!“ oder „Verräter!“. Dann begeht er die Beleidigung durch bloße Äußerung seines Werturteils. Für die Ehrverletzung ist die Aufdeckung konkreter Tatsachen wie „Der Oberbürgermeister A hat von der Baufirma B fünf Millionen Euro als Bestechungsgeld erhalten“ unumgänglich. Nach herrschender und auch OGH-Meinung kann Handlungsobjekt der Beleidigung auch ein Verband oder eine Organisation sein. Dazu folgender Fall: Der Angeklagte hatte auf eine Säule in der Eingangshalle einer Versicherungsfirma 12 Plakate aufgeklebt, auf denen geschrieben stand: „Die Feuerversicherung drangsaliert Opfer mit Einverständnis des lasterhaften Rechtsanwalts B. Nehmt doch die Verantwortung auf euch!“. Das Gericht18 hat den Täter wegen Beleidigung einer juristischen Person verurteilt, der es auch „äußere Ehre“ zuspricht. Verbände oder Organisationen als Angriffsobjekte einer Ehrverletzung oder Beleidigung müssen eine klare Begrenzung und eine anerkannte Rechtsform haben: Deswegen ist folgende Äußerung keine Beleidigung: „Alle Fans des Fußballvereines ‚Bayern München‘ sind blöde Feiglinge“.
17 18
Ono, BT, S. 214; Dando, BT, S. 512. Beschluss des OGH v. 1. 11. 1983, Keishu Bd. 37, H. 9, S. 1341.
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Q. Freiheits-, Ehr- und Geschäftsschutz
4. Abstraktes Gefährdungsdelikt Die Ehrverletzung ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Rechtsgut ist zwar die äußere Ehre, diese aber braucht nicht konkret verletzt zu sein. Der Beweis einer gesellschaftlichen Abwertung ist schwierig. Es braucht eine Tat, die nur einen geringen Gefährdungsgrad der Absenkung äußerer Ehre mit sich bringt. a) Dauerdelikt? Eine neuerdings viel diskutierte Frage ist, ob die Ehrverletzung ein Dauerdelikt ist. Diese Frage ist für die Verjährung der Ehrverletzungen im Internet bedeutsam. Anlass war eine Entscheidung des OG Osaka von 200419: Der Täter hat im „Bulletin Board System“ (BBS) eine Eintragung gemacht, die als Ehrverletzung anderer angesehen wurde. Anzeigefrist der Ehrverletzung ist deren Erstattung innerhalb von sechs Monaten nachdem das Opfer den Täter herausgefunden hat (§ 235 StPO). Diese Frist beginnt mit Beendigung der Straftat. Das heißt: Auch wenn das Opfer den Täter herausfindet, beginnt die Frist erst danach. Die Beendigung war hier umstritten, da der Täter die Eintragung fast zwei Jahre nicht gestrichen, d. h. für Internetnutzer einsehbar belassen hat. Das OG Osaka hat den Vollendungszeitpunkt der Straftat ab der Eintragung zur Einsehbarkeit angenommen: „Bei diesem Typ der Ehrverletzungsdelikte ist die Straftat auch nach Vollendung noch nicht beendet“. Damit wäre die Ehrverletzung ein „Dauerdelikt“, die Verjährung also so lange nicht erfüllt, wie sich die Eintragung im BBS befindet. Wäre das Tatmittel eine Buchpublikation, wäre die in dem Buch befindliche Äußerung so lange nicht verjährt, wie das Buch sich im Magazin der Bibliothek befindet. Ehrverletzungsdelikte sind „Zustandsdelikte“. b) Öffentlichkeitsbegriff Die Tat der Ehrverletzung ist eine „öffentliche“ Tatsachenaufdeckung. Das bedeutet, dass die Tatsachenaufdeckung „zahlenmäßig unbestimmten oder mehreren Personen“ gegenüber erfolgt. Es genügt, wenn die Kundgabe diesen Personen zur Kenntnis kommen kann: „Öffentlichkeit“ ist gegeben, wenn die Kundgabe eine solche Ausbreitung erreichen könnte (sog. „Ausbreitungstheorie“). Die herrschende Meinung verneint diese Auffassung: Die Tatsachenaufdeckung muss allgemein Menschen die Kundgabe „unmittelbar“ vermitteln.
19
Urteil des OG Osaka v. 22. 4. 2004 Hanrei Times 1169, 3.
VII. Ehrverletzung
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5. Strafausschließung oder Rechtfertigung durch „Wahrheitsbeweis“ a) Öffentliches Interesse und Gemeinwohl § 230 a des japanischen StGB regelt den Wahrheitsbeweis. Seine Voraussetzungen sind erstens „eine das öffentliche Interesse betreffende Tatsache“ und zweitens die Absicht zur „Verwirklichung des Gemeinwohls“. Was „eine das öffentliche Interesse betreffende Tatsache“ anbelangt, so muss die aufgedeckte Tatsache im öffentlichen Interesse sein. Dies ist bei Verhaltensweisen von Privatpersonen im Privatleben fraglich. Der OGH20 hat im Fall eines von einem Journalisten in seiner Zeitschrift als symbolische Sektenmitgliedschaft des Buddhismus veröffentlichten Privatlebens21 eines Geistlichen eine das öffentliche Interesse betreffende Tatsache bejaht. Dieses bestimme sich abhängig vom Charakter einer sozialen Tätigkeit und dem Grad der dadurch eröffneten Einflusskräfte auf die Gesellschaft. Ist die aufgedeckte Tatsache eine private Verhaltensweise, so ist sie dennoch bei sog. „public figures“ im öffentlichen Interesse. b) Eigentümlichkeit des § 230 a StGB Der § 187 des deutschen StGB verlangt, anders als der japanische Tatbestand (§ 230), für die Verleumdung die Behauptung oder Verbreitung „einer unwahren Tatsache“. Auf diese Voraussetzung gründet der deutsche § 193 die „Wahrnehmung berechtigter Interessen“, hat also damit diesen Paragraphen ganz klar als Rechtfertigungsgrund konstruiert. Das japanische StGB verwendet dagegen in § 230 a die Bezeichnungen „nicht strafbar“ und „als Wahrheit bewiesen wurde“. „Nicht strafbar“ wird auch bei der Notwehr oder dem Notstand (§§ 36, 37 StGB) verwendet. Dies bedeutet aber nicht, dass damit immer eine Strafausschließung gemeint ist. Die herrschende Meinung interpretiert den Wortlaut in § 230 a nämlich als einen Rechtfertigungsgrund; dabei bleibt jedoch eine Schwierigkeit bestehen: Strafbefreiung wird nur dann gewährt, wenn das Gericht die „Wahrheit bewiesen“ hat. Ein Rechtfertigungsgrund muss aber bei der Tatausführung vorliegen, eine Rechtfertigung aufgrund nachträglich entstandener Umstände ist nicht möglich. Die Entscheidung des Gerichts erfolgt aber erst nach der Tatausführung. Die japanische Strafrechtswissenschaft löst diese Frage folgendermaßen: Der gerichtliche Beweis der die „Wahrheit“ betreffenden Tatsache wird vom Standpunkt ex ante, d. h. zum Zeitpunkt der Tatausführung, als „ein als beweisbar an20
Urteil des OGH v. 16. 4. 1981, Keishu Bd. 35, H. 3, S. 84. Inhalt des Artikels betraf ein Liebesverhältnis zwischen ihm und zwei weiblichen Abgeordneten. 21 Der
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gesehener Grad der Wahrheit“ getroffen. Rechtfertigungsgrund bei § 230 a ist damit nicht die „Wahrheit an sich“, sondern „ein als beweisbar angesehener Grad der Wahrheit“. Wenn ein Journalist über die Bestechung des Oberbürgermeisters mit den Aussagen mehrerer Augenzeugen in einer Zeitung berichtet, stehen ihm bei der Veröffentlichung die üblichen Beweismittel zur Verfügung, um den Wahrheitsgehalt des Artikels zu bestätigen. In diesem Fall ist er gerechtfertigt. Wenn der Täter aber, ohne Beweise gesammelt zu haben, einfach an das Vorhandensein eines „als beweisbar angesehenen Wahrheitsgrades“ geglaubt hat, wird der Vorsatz dadurch ausgeschlossen. Diese Theorie kann extreme Ergebnisse wie einen Freispruch oder eine zu strenge Verurteilung vermeiden. Die andere Meinung vertritt, dass die Ehrverletzung unabhängig von § 230a durch § 35 StGB zu rechtfertigen sei. Nach der vorgegebenen Interessenabwägung sei die Veröffentlichung einer üblen Verleumdung in einer Zeitung gerechtfertigt, wenn das Interesse an der Publikation das Interesse an der Ehre der betroffenen Person überwiegt. 6. Ehrverletzung gegenüber Verstorbenen und Beleidigung a) Ehrverletzung gegenüber Verstorbenen „Wer die Ehre eines Verstorbenen verletzt, wird nicht bestraft, es sei denn, dass er diese Tat durch Aufdeckung einer unwahren Tatsache begangen hat“ (§ 230 Abs. 2). Das Rechtsgut dieses Delikts ist umstritten, weil das Handlungsobjekt die Ehre eines Verstorbenen ist. Vertreten werden erstens die Ehre des Verstorbene an sich, zweitens die Ehre der Hinterbliebenen, drittens das Pietätsgefühl der Hinterbliebenen gegenüber dem Verstorbenen und viertens das Gemeingut als soziale Bewertung des Verstorbenen. Die erste Meinung ist herrschende Meinung: Ehre des Verstorbenen ist die Ehre, die der Verstorbene vorher als Lebender hatte. Der Schutz der Ehre, die der Verstorbene vor dem Tod hatte, wird danach über den Zeitpunkt seines Todes hinaus verlängert. Die Tatausführung muss durch die Aufdeckung der „unwahren Tatsache“ begangen werden. b) Beleidigung § 232 Abs. 1 lautet: „Wer einen anderen ohne Aufdeckung von Tatsachen öffentlich beleidigt, wird mit Haft oder Geldbuße bestraft.“ Beleidigung bedeutet ein Achtungsunwerturteil gegenüber einer anderen Person. Der Aufdeckung einer konkreten Tatsache bedarf es nicht. Das Delikt ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Die Straftaten der Ehrverletzung sind sog. Antragsdelikte (§ 232 Abs. 1). Ohne Antrag ist keine Anklageerhebung statthaft.
VIII. Kreditverletzung und Geschäftsstörung
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VIII. Kreditverletzung und Geschäftsstörung 1. Straftaten gegen Kredit und Geschäfte Abschnitt 35 betrifft „Straftaten gegen Kredit und Geschäfte“. § 233 beschreibt die „Kreditverletzung“ (1. Halbsatz) und die „Geschäftsstörung“ (2. Halbsatz) wie folgt: „Wer ein unwahres Gerücht verbreitet oder List anwendet und dadurch den Kredit eines anderen schädigt oder ihn in der Ausübung seiner Geschäfte stört“. Der § 234 regelt die Geschäftsstörung durch Anwendung von Macht, § 234a die Geschäftsstörung durch Beschädigung von Datenverarbeitungsgeräten (sog. Computersabotage). Das Rechtsgut ist das reibungslose Ausführen der Geschäftstätigkeiten. 2. Kreditverletzung Handlungsobjekt der Kreditverletzung ist der „Kredit“ einer Person. Kredit ist die gesellschaftliche Einschätzung der wirtschaftlichen Potenz von anderen, d. h. das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit oder den Zahlungswillen. Erweiternd wird auch noch das Vertrauen in die Qualität der Waren usw. einbezogen. Diese Meinung hat 2003 auch der OGH22 aufgenommen: „Es erscheint angemessen, so zu interpretieren: Die Kreditverletzung … schützt die soziale Bewertung auf wirtschaftlicher Seite. Kredit sei nicht auf das soziale Vertrauen in eine Zahlungsfähigkeit und einen Zahlungswillen beschränkt, sondern beinhaltet auch das soziale Vertrauen in die Qualität der verkauften Waren.“ Dies erhöht aber die Schwierigkeit, zwischen Geschäftsstörung und Kreditverletzung zu unterscheiden, wenn die Verbreitung des unwahren Gerüchts oder die Anwendung von List als Mittel zur Herabsetzung einer Qualitäts- oder Warenbewertung verwendet werden. 3. Geschäftsstörung a) Geschäftstätigkeitsbegriff und Rechtsgut Handlungsobjekt dieser Straftaten ist die Geschäftstätigkeit. Geschäftstätigkeiten sind „die menschlichen Angelegenheiten, die man in seiner Stellung in den sozialen Lebensverhältnissen wiederholt und fortsetzend ausführt.“23 Sie sind nicht allein auf wirtschaftliche Tätigkeiten beschränkt, sondern erfassen auch kulturelle oder gesellschaftliche Aktivitäten. Rechtswidrige Geschäfte sind nicht geschützt. Wenn jedoch der Vertrag, auf dem ein Geschäft basiert, unwirksam ist, oder es an der verwaltungsrechtlichen Genehmigung oder Erlaubnis fehlt, ist 22 23
Urteil des OGH v. 11. 3. 2003, Keishu Bd. 57, H. 3, S. 293. Urteil des RG v. 24. 10. 1921, Keiroku Bd. 27, S. 643.
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gleichwohl ein Geschäft gegeben. Strafrechtliche Schutzbedürftigkeit ist vorhanden. Die Rechtsprechung nennt diese „tatsächliche Ruhe“ der Geschäftstätigkeit als Schutzkriterium. Der tatsächlich in Ruhe durchgeführte Aufputschmittelhandel ist aber nicht schutzwürdig. b) Tathandlungen Die Geschäftsstörung kennt drei Tathandlungen: Die Verbreitung von unwahren Gerüchten und die Anwendung von List (§ 233, 2. Halbsatz) sowie durch Machtdemonstration (§ 234). Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Anwendung von List und Machtdemonstration. „Anwendung von List“ bedeutet, dass man andere verführt, täuscht, ihre Unkenntnis oder ihren Irrtum ausnutzt. „Machtdemonstration“ bedeutet die Darlegung von Mitteln und Wegen, die den Willen eines anderen hinreichend prägen können. List lässt sich anwenden, indem man ohne Willensunterdrückung heimlich oder auf anderem Wege irrtumsbewirkend den Erfolg einer Geschäftsstörung verursacht. Die „Machtdemonstration“ kann unmittelbar durch physische Zerstörung der Sache selbst oder unmittelbar durch körperliche oder geistige Beeinflussung anderer erfolgen. c) Verhältnis zwischen Geschäftstätigkeit und Amtsausübung Umstritten ist die Frage, ob auch die „Amtsausübung“ (oder das „Amtsgeschäft“) von dem Begriff „Geschäft“ als Handlungsobjekt der Geschäftsstörung erfasst ist. Die Amtsausübung wird eigentlich im Rahmen der Amtsausübungsstörung (§ 95) geschützt, ist aber auf die Mittel der Gewaltausübung und Drohung begrenzt. Daher fragt sich, ob der Täter auch wegen Geschäftsstörung strafbar ist, wenn ein Polizist mit List in seiner Amtsausübung gestört wird. Die Theorien dazu unterscheiden sich wie folgt: (1) Die positive Theorie, nach der die Amtsausübung den Tatbestand der Geschäftsstörung miterfasst, (2) die negative Theorie, die dies verneint, (3) die Theorie, die zwischen der machtvollen und hoheitlichen Amtsausübung und der nicht-hoheitlichen Amtsausübung differenziert und nur letztere auch von der Geschäftsstörung miterfasst sieht. Hinzukommt (4) eine differenzierende Variante der vorstehenden Theorie, die nicht-hoheitliche Amtsausübung im Rahmen der beiden Straftaten als konkurrierend erachtet, indem sie bei machtvoller und hoheitlicher Amtsausübung nur eine Amtsausübungsstörung annimmt und bei der nicht-hoheitlichen Amtsausübung nur eine Geschäftsstörung. Heutzutage wird auch das Kriterium der „Amtsausübung mit oder ohne Zwangsgewalt“ verwendet, z. B. sind Polizisten bei ihrem hoheitlichen Handeln mit Zwangsgewalt ausgestattet. Eine Amtsausübung von Beamten der Anmeldestelle ist dagegen keine Amtsausübung mit Zwangsgewalt. Im Hinblick auf erstere handelt es sich nur um eine Amtsausübungsstörung i. S. v. § 95, bei letzteren
VIII. Kreditverletzung und Geschäftsstörung
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nur um eine Geschäftsstörung. Der OGH24 hat 1987 in Bezug auf die Bestimmung der Kommunalverordnung in einem Komitee des Präfekturparlaments eine Geschäftsstörung bejaht, da deren Angelegenheiten keine „machtvolle Amtsausübung mit Zwangsgewalt“ seien. – Das OG Tokyo25 hatte eine listige Geschäftsausübung zu beurteilen, bei der jemand im BBS einen erdichteten Amoklauf in einem Bahnhof eine Woche zuvor ankündigte. Unbestimmt viele Internetnutzer hatten dies gelesen und der Polizei mitgeteilt, die Polizisten mobilisierte und zum Bahnhof schickte, die diesen jedoch vergeblich bewachten. Das OG Tokyo kam zu dem Ergebnis, dass das gesamte vom Täter gestörte Amtsgeschäft (Geschäft) der Polizei zwar mit Zwangsgewalt ausgestattet sei. Zwangsgewalt lasse sich aber nicht ausüben, wenn eine Störung durch eine falsche Benachrichtigung verursacht werde. Die Zwangsgewalt hatte deswegen in diesem Fall praktisch keine Auswirkung auf den Ausschluss der Störungshandlung durch eine solche falsche Benachrichtigung. 4. Geschäftsstörung durch Computersabotage usw. a) Reformzweck der Geschäftsstörung durch Computersabotage Diese Straftaten wurden durch die Strafrechtsreform 1987 eingeführt, um die Geschäftsstörung durch Computersabotage gesondert und schwerer zu bestrafen. In der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft lassen sich die Mengen an Daten und Informationen durch das Internet schnell speichern, verarbeiten und übermitteln. Wenn der Computer oder Server zerstört ist, können Geschäfte extrem behindert werden und weitere enorme Schäden entstehen. Durch die Reform 2011 wurde auch die Strafbarkeit des Versuches (§ 234 a Abs. 2) eingeführt. b) Tatbestandsmerkmale § 234 a Abs. 1 regelt: „Wer das Geschäft eines anderen dadurch stört, dass er Datenverarbeitungsgeräte, die im Geschäft von anderen angewendet werden, oder verwendbare elektromagnetische Aufzeichnungen in Datenverarbeitungsgeräten beschädigt, falsche Informationen oder unrichtige Befehle gibt, oder mittels sonstiger Methoden Datenverarbeitungsgeräte die ihrem Verwendungszweck entsprechenden oder ihm entgegen stehenden Ausführungen nicht durchführen lässt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bis zu einer Million Yen bestraft.“
24
Beschluss des OGH v. 12. 3. 1987, Keishu Bd. 41, H. 2, S. 140. des OG Tokyo v. 12. 3. 2009, Kokeishu Bd. 62, H. 1, S. 21 = Hanrei Times 1304, 302. 25 Urteil
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Tatbestandsmäßige Handlungen sind: (1) Die Beschädigung, (2) die Ausführungshinderung und (3) die Geschäftsstörung. Schädigungshandlungen können auf drei Weisen erfolgen: Beschädigung von anderen verwendeter Computer oder der Aufzeichnungen, die für den Computer benutzt werden, Eingeben falscher Informationen oder unrichtiger Programmbefehle oder Verwendung sonstiger Mittel. Die Straftaten sind keine konkreten Gefährdungs-, sondern Verletzungsdelikte. Das Geschäft des anderen muss durch die Computerbeschädigung tatsächlich gestört werden.
R. Vermögensschutz I. Die Grundlagen der Vermögensdelikte 1. Vermögensschutz Das japanische StGB schützt das Vermögensrecht in seinen Kernbereichen absolut. Ihre bestimmenden Vorgaben enthalten alle strafrechtlichen Vermögensdelikte aus § 29 Abs. 1 der japanischen Verfassung, der die Bedeutung des Rechtsschutzes des Privateigentums unmissverständlich zum Ausdruck bringt, und zwar mit den Worten: „Das Vermögensrecht darf nicht verletzt werden“. Bedingt durch die wirtschaftliche Entwicklung seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts hat sich aber der Schutzbereich des Vermögens nachhaltig erweitert, so dass in dessen Gefolge mit den neuen Immaterialgüterrechten oder den vermögenswerten Unternehmensgeheimnissen zahlreiche neue nebenstrafrechtliche Gesetze etabliert wurden. Auch die Regelungen für den strafrechtlichen Schutz der Marktmechanismen, der Finanzsysteme oder den Verbraucherschutz sollten in Nebenstrafgesetzen erfasst werden, obwohl der Vermögenschutz hier doch besser im Besonderen Teil des StGB angesiedelt werden sollte. 2. Das System der Vermögensdelikte a) Mehrere Einteilungskriterien Die Straftaten im BT des StGB sind Diebstahl, Raub, Betrug, Erpressung, Untreue, Unterschlagung, Hehlerei, Sachbeschädigung usw. Allgemein werden nach Art der Verletzungsmodalität die Zueignungs- von den Vermögensbeschädigungsdelikten unterschieden1. b) Vermögenswerte Sache und vermögenswertes Iinteresse Handlungsobjekte der Vermögensdelikte sind die „vermögenswerte Sache“ und das „vermögenswerte Interesse“2 – erstere in „Absatz 1“ der unten zu nennenden bestimmten Vermögensdelikte, letzteres meist in Absatz 2 derselben Paragraphen geregelt. Straftaten mit einem solchen Absatz 2 sind Raub (§ 236), 1 Zur Struktur der Straftaten gegen das Vermögen im deutschen StGB vgl. nur Rengier, Strafrecht BT Teil 1, Vermögensdelikte, 18. Aufl., 2016, S. 1 ff. 2 Das vermögenswerte Interesse umfasst alle Interessen in Bezug auf Vermögen, ausgenommen Sachen.
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Betrug (§ 246) und Erpressung (§ 249). Auch bei der Untreue (§ 247) und dem Computerbetrug (§ 246 a) werden „vermögenswerte Interessen” geschützt, während beispielsweise der Diebstahl (§ 235) und die Unterschlagung (§ 252) nur „(vermögenswerte) Sachen“ betreffen. Die Unterscheidung zwischen „Sachen“ und „Interessen“ bereitete beim Vermögensschutz Auslegungsschwierigkeiten z. B. in Bezug auf den „Schadensbegriff“, hatte doch das alte StGB von 1880 als Handlungsobjekt nur „vermögenswerte Sache“ und „sonstige Beweisakte“ benannt. Mit der Gesetzgebung des geltenden StGB wurde bei Raub, Betrug und Erpressung der Absatz 2 hinzugefügt3. c) Gewahrsamsbegriff Für die Systematisierung der Vermögensdelikte spielt auch die Art des „Gewahrsams“ an einer Sache eine wichtige Rolle: der fremde (Diebstahl, § 235, und Raub, § 238), der eigene (Unterschlagung, § 252) und der fehlende Gewahrsam (Unterschlagung einer verlorenen Sache, § 254). Vermögensdelikte, die eine Gewahrsamsverlagerung auf eine andere Person voraussetzen, werden als „Enteignungs-“ oder „Verlagerungsdelikte“ bezeichnet. Die Enteignungsdelikte lassen sich weiter in „Wegnahme-“ und „Verfügungsdelikte“ unterscheiden – erstere sind Sachverlagerungen gegen den Willen des Opfers (Diebstahl, Raub), letztere ohne entsprechenden Opferwillen (Betrug, Erpressung). Unterschlagungsdelikte sind dagegen keine Enteignungsdelikte, weil der Täter an der Sache schon eigenen Gewahrsam hat. d) Begünstigung/Hehlerei und Sachbeschädigung Außer den typischen Vermögensdelikten wie den Zueignungsdelikten handelt es sich bei den übrigen Vermögensdelikten um die nachträgliche und mittelbare Beteiligung an den direkten Vermögensdelikten und auch um die Beschädigungsdelikte ohne eine Absicht rechtswidriger Zueignung. Nachfolgend werden diese Delikte erörtert. Im 39. Abschnitt des StGB „Straftaten der Sachhehlerei“ findet sich die Hehlerei. Die „Übernahme der gestohlenen Sache“ usw. (§ 256) regelt in Abs. 1 die Übernahme der gestohlenen Sache ohne, in Abs. 2 den Transport sowie die Aufbewahrung und Übernahme der Sache gegen Vergütung oder die Veräußerungsvermittlung mit Gegenleistung: Abs. 1 betrifft demnach nur den nachträglichen
3 Der seinerzeit dazu berufene deutsche Rechtslehrer Rudolf hatte in einer Stellungnahme zum alten StGB im Jahre 1881 darauf hingewiesen, dass das Gesetz keine Regelung für „Forderungen oder Rechte und sonstige Interessen“ vorsah. Im Entwurf zur Strafrechtsreform von 1901 wurde dann zum ersten Mal der Wortlaut des „vermögenswerten Interesses“ verwendet. Dazu vgl. Yamanaka, BT, S. 385, Anm. 34.
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Anteilserwerb, Abs. 2 dagegen Begünstigung und Hehlerei. Die Hehlerei ist als mittelbare Zueignung oder als Anschlussdelikt zu bezeichnen. Der 40. Abschnitt des StGB betrifft „Straftaten der Beschädigung und Verbergung“. Zu ihnen gehören Sachbeschädigung (§ 261), Beschädigung einer amtlich genutzten Urkunde usw. (§ 258), Beschädigung einer privat genutzten Urkunde usw. (§ 259), Beschädigung eines Gebäudes und dies mit Todes- oder Körperverletzungsfolge (§ 260), Zerstörung einer Grenzlinie (§ 262 a) und Verbergen von Briefen (§ 263). Die weiteren Straftaten in den Abschnitten 39 und 40 werden hier aus Raumgründen nicht behandelt. 3. Der Schadensbegriff beim Sachbetrug und Interessenbetrug Umstritten ist, ob das japanische StGB den Schadensbegriff von der „Gesamtsaldierung“ abhängig macht oder beim Sachbetrug die bloße Verlagerung der Sache schon als Schaden ansieht, da das StGB zwischen Sach- und Interessenbetrug differenziert. Es gibt auch die Auffassung, dass es sich beim Sachbetrug nicht um einen „Schaden“, sondern um einen „Sachverlust“ handele. Diese Auslegung führt aber zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass eine auf Grund irgendeiner Täuschung erfolgte Vermögensübertragung auch bei Zahlung des richtigen Gegenpreises immer einen Sachverlust zur Folge hätte. Wenn der Betrug also immer irgendein Geschäft, auch eine Spende oder Subvention, betrifft, muss der Schaden stets unter Berücksichtigung von Leistung und Gegenleistung errechnet werden. Es scheint daher richtiger, den Schaden auch beim Sachbetrug als erforderlich anzusehen4. 4. Die Rechtsgüter der Vermögensdelikte a) Theorie des friedlichen Gewahrsams Umstritten ist in Japan, ob das Rechtsgut der Wegnahmedelikte das Eigentum oder der „friedliche Gewahrsam“ sei. Die herrschende Meinung vertritt die Theorie des friedlichen Gewahrsams5, nach der eine auf friedliche Weise erworbene, tatsächliche Sachherrschaft, unabhängig vom legalen oder illegalen Erwerbsgrund, das Rechtsgut der Vermögensdelikte darstelle.
4 Vgl. Yamanaka, Der Schadensbegriff beim Betrug und Geschäftszweck, in: Hogaku Shinpo Bd. 121, H. 11=12 (2015), S. 397 ff. 5 Diese Theorie wird auch als „Theorie des prima facie begründeten Gewahrsams“ bezeichnet.
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b) Die Abwandlung der Gewahrsamstheorie in der Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat nach dem Zweiten Weltkrieg die „Theorie des tatsächlichen Gewahrsams“ entwickelt, die den bestehenden Gewahrsam als Rechtsgut ansieht. Sie ist in diesem Punkt heute als herrschende Meinung anerkannt. aa) Betrug bei Besitzverboten Der OGH6 hat den Angeklagten, der beim früheren Militär heimlich Alkohol versteckt hatte, mit folgender Begründung wegen Betruges verurteilt: „Der Sinn der Vorschrift gegen die Wegnahme von Sachen besteht in Folgendem: Auch wenn der Gewahrsam an einer Sache strafrechtlich verboten ist, wird der tatsächliche Zustand des Gewahrsams an Sachen als selbstständiges Rechtsgut insofern geschützt, als es notwendig ist, den Besitz und die Ordnung der Gesellschaft für das Opfer der Tat als Tatsache zu erhalten“. Anschließend ist der OGH dieser Theorie auch für den Diebstahl und die Erpressung gefolgt7. Für den Betrug gibt es eine weitere OGH-Entscheidung, die den Betrug bejaht, wenn der Täter seinen Rentenschein (die Dienstunfähigkeit bei der damaligen Nationalbahn betreffend) trotz Verbot als Pfand für Schulden hinterlegt und später durch Täuschung zurückbekommen hat8. bb) Rücknahme der Sache durch den Eigentümer Im Jahre 1960 hatte der OGH9 den Eigentümer eines Kraftwagens, den dieser als Pfand für eine Eigentumsforderung übergeben und später von dessen Gewahrsamsinhaber zurückgenommen hatte, wegen Diebstahls verurteilt, weil er den in der tatsächlichen Herrschaft des anderen stehenden Wagen ohne dessen Einwilligung fortgebracht hatte. Ebenso hat der OGH 198910 in einem ähnlichen Wagen-Kreditvermittler-Fall einen Diebstahl angenommen.
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Urteil des OGH v. 15. 2. 1949, Keishu Bd. 3, H. 2, S. 175. Urteil des OGH v. 8. 2. 1949, Keishu Bd. 3, H. 2, S. 83; Urteil des OGH v. 11. 4. 1950, Keishu Bd. 4, H. 4, S. 528; Urteil des OGH v. 9. 8. 1951, Saibanshu Bd. 51, S. 363. 8 Urteil des OGH v. 28. 8. 1959, Keishu Bd. 13, H. 10, S. 2906. In der Urteilsbegründung heißt es: Eine Änderung der Rechtsprechung des RG (v. 25. 9. 1918, Keiroku Bd. 24, S. 1219) sei unvermeidbar. 9 Urteil des OGH v. 26. 4. 1960, Keishu B. 16, H. 6, S. 748. 10 Urteil des OGH v. 7. 7. 1989, Keishu Bd. 43, H. 7, S. 697. 7
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5. Die Eigenständigkeit des Gewahrsams a) Unterschied von Besitz im BGB „Gewahrsam“11 ist die tatsächliche Herrschaft über eine Sache. Er ist anders zu verstehen als der „Besitz“ des BGB. Der strafrechtliche Begriff des Gewahrsams hat im Vergleich zum BGB-Besitz eine stärker tatsächliche Natur. Ein Besitz durch Vertreter, der mittelbare Besitz (§ 181 BGB), die Übertragung des Besitzes (§ 183 BGB)12 und die Besitzübernahme durch Erbschaft sind strafrechtlich nicht anerkannt, Gewahrsam für einen anderen, anders als im BGB, hingegen schon. Bei der Unterschlagung beinhaltet der Gewahrsamsbegriff neben der „tatsächlichen“ auch die „rechtliche“ Herrschaft über die Sache. Mit der Verfügbarkeit über eine Sache ist Gewahrsam vorhanden. Wer sachenrechtlich Wertpapiere besitzt, hat rechtlichen Gewahrsam an der Sache, die das Wertpapier zeigt. In Japan ist auch eine Immobilie Gewahrsamsgegenstand bei der Unterschlagung. b) Typologie der tatsächlichen Sachherrschaft Die tatsächliche Sachherrschaft ist in folgenden Fällen vorhanden: (1) Eine Sache, die an jenem Ort vorhanden ist, der ausschließlich der Herrschaft des Gewahrsamsinhabers unterliegt, z. B. die eigene Sache, die zuhause verloren ist. (2) Eine Sache in dem Bereich dessen, auf den sich die Herrschaftskraft objektiv erstrecken kann, z. B. der in den Postkasten einer Wohnung gesteckte Brief. (3) Eine Sache in einer Situation, aus der man folgern kann, dass sie im Herrschaftsbereich des Gewahrsamsinhabers liegt, z. B. die Handtasche, die der Eigentümer auf einer Parkbank vor kurzem liegengelassen und von der er sich etwa 27 Meter entfernt hat13. (4) Eine Sache, die bei dem Verwalter eines Gebäudes gelagert ist, z. B. die von einem Hotelgast in der Hoteltoilette vergessene Handtasche. Dagegen geschieht nach einer OGH-Entscheidung14 beim Verlieren eines Golfballs, den ein Spieler in einen Teich des Golfplatzes geschlagen hat, kein Gewahrsamsverlust, sondern der Golfball geht in den Gewahrsam des Geschäftsinhabers des Golfplatzes über.
11 Im Japanischen sind „Gewahrsam“ und „Besitz“ nach herrschender Meinung Synonyma. Beide heißen „Sennyu“. Es gibt aber eine Mindermeinung, nach der für Gewahrsam ein anderes Wort als „Sennyu“ zu benutzen ist – anstatt „Sennyu“ das Wort „Kanri“ oder „Shoji“. 12 „Wenn der Vertreter seinen Willen erklärt, dass er die von ihm besessene Sache nunmehr für den Vertretenen besitzen will, bekommt der Vertretene dadurch das Besitzrecht“ (§ 183 BGB). 13 Beschluss des OGH v. 25. 8. 2004, Keishu Bd. 58, H. 6, S. 515. 14 Beschluss des OGH v. 10. 4. 1987, Keishu Bd. 41, H. 3, S. 221.
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c) Der Gewahrsamsträger aa) Nur natürliche oder auch juristische Person? Früher wurde diskutiert, ob auch die juristische Person ein Gewahrsamssubjekt sein kann. Streitpunkt war, ob die juristische Person durch ihre Repräsentanten oder Organwalter Gewahrsam haben kann. Nach der dies ablehnenden Theorie können nur Menschen Gewahrsam innehaben, so dass die Repräsentanten ihn für die juristische Person besitzen. Damit scheint der Streit aber in Wirklichkeit nur nominal zu sein, wenigstens nach Außen, weil es für den Dritten keine Rolle zu spielen scheint, ob die Sache von einem Unternehmen oder seinem Repräsentanten besessen wird. bb) Verstorbenengewahrsam Diskutiert wird auch, ob der Verstorbene Gewahrsamssubjekt sein kann. Die herrschende Meinung verneint dies: Der Tote kann weder objektiven Gewahrsam noch Gewahrsamswillen haben. Es ist aber fraglich, ob die tatsächliche Herrschaft des Lebenden über Sachen sofort mit seinem Tod endet. Die herrschende Meinung erstreckt den Gewahrsam des Lebenden aber über seinen Tod hinaus, solange sich der Tote in einem die Herrschaft eines anderen über die Sachen ausschließenden Raum befindet. cc) Fallgruppen Die Fallgruppen, in denen es um den Gewahrsam von Toten geht, lassen sich dreiteilen: Eine erste Fallgruppe, in der der Täter von Anfang an mit Wegnahmeabsicht einen anderen getötet und die Sache von dem Toten gestohlen hat. Die zweite Fallgruppe, in der der Täter erst nach der Tötung die Absicht zur Wegnahme gefasst und diese dann an dem Toten in die Tat umgesetzt hat. Und die dritte Fallgruppe, in der der Täter dem durch einen Dritten getöteten Opfer die Sache gestohlen hat. Bei der ersten Gruppe steht ein Raub mit Todesfolge (§ 240 S. 2) in Frage. Eine OGH-Entscheidung15 hat den Täter, der unter freiem Himmel einen Mann getötet und erst anschließend den Willen zur Wegnahme der Armbanduhr des Opfers gefasst hat, wegen Diebstahls verurteilt. „Die Tatserie eines Angeklagten, der durch Ausnutzung der eigenen Gewahrsamsaufhebung die Sache weggenommen hat, ist nach ihrer Gesamtbetrachtung so zu beurteilen, dass der Gewahrsam an der Sache verletzt wurde“. Dies lässt sich damit begründen, dass die Absicht des Täters, schon zu Tatbeginn eine weitere Tat zu begehen, d. h. die Sache zu stehlen, beide Taten verbindet. In der zweiten Fallgruppe ist eine solche, die Tötung 15
Urteil des OGH v. 8. 4. 1966, Keishu Bd. 20, H. 4, S. 207.
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und die Wegnahme als Einheit bewertende Tat abzulehnen, weil die Absicht zur zweiten Tat erst später gefasst wurde. In der dritten Fallgruppe hat das Opfer den Gewahrsam durch die Tötung verloren, der Diebstahl also mit der Tötung des Opfers durch den Dritten nichts zu tun. Deswegen ist er nicht wegen Diebstahls zu verurteilen. 6. Zueignungsabsicht a) Definitionen Zueignungsdelikte bedürfen nicht nur des Vorsatzes, sondern auch des subjektiven Merkmals der „rechtswidrigen Zueignungsabsicht“. Sie wird definiert als „Absicht, den Berechtigten auszuschließen und die Sache eines anderen wie seine eigene Sache nach ihrer wirtschaftlichen Gebrauchsweise zu verwenden oder zur Verfügung zu stellen“. Diese Definition differenziert in einem ersten und einem zweiten Teil zwischen der Absicht, den Rechtsinhaber auszuschließen (in deutscher Terminologie: „Enteignung“) und der Absicht wirtschaftlicher Verwendung oder Zur-Verfügung-Stellung („Aneignung“). Der Zueignungsbegriff besteht also aus Enteignung und Aneignung. Die Zueignungsabsicht ist bei den Wegnahmedelikten wichtig für die Unterscheidung zwischen Diebstahl und Gebrauchsanmaßung (furtum usus) bzw. Diebstahl und Sachbeschädigung: Bei der Gebrauchsanmaßung fehlt die Enteignung, bei der Sachbeschädigung die Aneignung. Eine Mindermeinung hält die Zueignungsabsicht überhaupt für unnötig, weil der Unrechtstatbestand möglichst nur aus objektiven Merkmalen bestehen sollte und die Unterscheidung zwischen Diebstahl und Gebrauchsanmaßung oder Sachbeschädigung nur mit Hilfe der objektiven Merkmale möglich sei. Eine weitere Mindermeinung lehnt das positive Anmaßungselement der Absicht der wirtschaftlichen Verwendung als überflüssig ab: Zueignungsabsicht ist allein „die Absicht, den Berechtigten auszuschließen und sich betreffend der einschlägigen Sache so zu verhalten, als ob man Eigentümer wäre“16. Nach dieser Meinung ist die Gebrauchsanmaßung kein Diebstahl. b) Gebrauchsanmaßung Bezüglich der Gebrauchsanmaßung scheinen die japanischen Entscheidungen strenger als in Deutschland zu sein, wo für den Diebstahl eine „wesentliche Wertminderung“ der gebrauchten Sache gefordert wird. Es gibt in Japan Fälle der Gebrauchsanmaßung, in denen der Täter das Fahrzeug für 2 bis 3 Stunden benutzt hat17. Der Gebrauch von Kraftfahrzeugen ohne Einverständnis ist fast immer 16 17
Bekannt sind als Vertreter dieser Meinung Ono, Dando und Fukuda. Urteil des LG Kyoto v. 17. 12. 1976, Hanrei Juho 847, 112.
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schon Diebstahl18, auch wenn der Täter Rückführungswillen hatte. In Deutschland löst die Vorschrift des § 248 b das Problem gesetzgeberisch19. Für den Fall, in dem ein Firmenangestellter Geheimakten zum Zweck seiner Arbeitssuche zum Kopieren für zwei Stunden entfernt und nachher zurückgelegt hatte, wurde Zueignungsabsicht bejaht20, vermutlich allgemein ebenso für den vorläufigen Gebrauch von Sparbüchern, Geldautomaten- oder Codekarten, selbst wenn er alles nach Benutzung zurückbringt. c) Abgrenzung zwischen Diebstahl und Sachbeschädigung Zur Unterscheidung von Diebstahl und Sachbeschädigung gibt es in der Rechtsprechung mehrere Entscheidungen, die eine Absicht der Verwendung zum wirtschaftlichen Gebrauch oder der Zur-Verfügung-Stellung verneint haben. Neuerdings haben Gerichte die Zueignungsabsicht verneint, wenn der Täter einer von ihm zu Vergewaltigungszwecken eingesperrten Frau das Mobiltelefon entzogen und es nachher weggeworfen hat21.
II. Diebstahl und Raub 1. Diebstahl und Verletzung und Besetzung unbeweglicher Sachen a) Wegnahme beweglicher oder unbeweglicher Sachen Das japanische StGB kennt für den Diebstahl nur einen Tatbestand: Die Bestrafung desjenigen, der „eine vermögenswerte Sache eines anderen wegnimmt“ (§ 235). Im Jahre 1960 wurde mit § 235 a StGB eine Straftat betreffend die „Verletzung und Besetzung unbeweglicher Sachen“ neu geschaffen. Damals gab es viele Fälle, in denen man in den Verwirrungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Baracken, die auf anderen gehörenden Grundstücken schnell gebaut wurden, bewohnt oder dort ein Geschäft eröffnet hatte. Die Praxis hatte die Anwendung der Diebstahlsvorschrift auf Immobilien verneint.
18
Urteil des OGH v. 30. 10. 1980, Keishu Bd. 34, H. 5, S. 357. Titel des § 248 b dStGB lautet „Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs“. Die Handlungsobjekte des Straftatbestandes sind allerdings nur „Kraftfahrzeug“ oder „Fahrrad“. Dazu Abs. 4 der Vorschrift: „Kraftfahrzeuge im Sinne dieser Vorschrift sind die Fahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, Landkraftfahrzeuge nur insoweit, als sie nicht an Bahngleise gebunden sind.“ Von § 248 b dStGB nicht erfasst sind demnach etwa ein Segelboot oder eine Straßenbahn. 20 Urteil des LG Tokyo v. 14. 2. 1985, Keigetsu Bd. 12, H. 1=2, S. 47. 21 Urteil des OG Osaka v. 14. 3. 2001, Hanrei Times 1076, 297; auch Urteil des LG Matsuyama v. 19. 7. 2007, LEX/DB. 19 Der
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b) Sonderregel für Straftaten unter Verwandten § 244 StGB enthält in Bezug auf den Diebstahl (§ 235) und die Verletzung und Besetzung unbeweglicher Sachen (§ 235 a) einschließlich ihres Versuchs eine „Sonderregel betreffend Straftaten unter Verwandten“. Derartige von Verwandten gerader Linie, Ehegatten oder zusammenlebenden anderen Verwandten begangene Straftaten, werden von Strafe befreit (Abs. 1). Werden sie „von einem sonstigen Verwandten begangen, ist Anklage ohne Antrag nicht zu erheben“ (Abs. 2). Diese Vorschrift wird auf Betrug, Untreue, Erpressung und Unterschlagung angewandt (§ 251, 255). Ihren Sinn erklärt die herrschende Meinung kriminalpolitisch als persönlichen Strafausschließungsgrund. Deswegen wird der Adoptivvater als vom Familiengericht ernannter Betreuer des erwachsenen Adoptivsohns nicht von Strafe befreit, wenn er Geld vom Sparkonto des Sohnes unterschlägt22. Sein Verhältnis zu seinem von ihm betreuten Adoptivsohn hat öffentlichen Charakter. Die Strafbefreiung bei Vermögensdelikten unter Verwandten kann als Ausschlussgrund strafwürdigen Unrechts und/oder Verantwortlichkeitsausschlussgrund erklärt werden. 2. Raub a) Raub im weiteren Sinne Raub ist diejenige Straftat, bei der der Täter „durch Gewalt oder durch Drohung eine vermögenswerte Sache eines anderen“ (§ 236 Abs. 1) oder ein „vermögenswertes Interesse von anderen“ (Abs. 2) wegnimmt. Daneben gibt es im 36. Abschnitt Vorschriften über Straftaten, die zum Raub im weiteren Sinne gehören: Nachträglicher Raub (§ 238, in Deutschland „räuberischer Diebstahl“23), Raub durch Versetzung in Bewusstlosigkeit (§ 239), Raub mit Körperverletzungs- oder Todesfolge (§ 240), Vorbereitung zum Raub (§ 237), erzwungener Geschlechtsverkehr durch Räuber oder Raub durch den Täter des erzwungenen Geschlechtsverkehrs (§ 241 S. 1) und solche mit Todesfolge (§ 241 S. 2)24.
22 Beschluss des OGH v. 9. 10. 2012, Keishu Bd. 66, H. 10, S. 981. Zu einem ähnlichen Fall vgl. Beschluss des OGH v. 18. 2. 2008, Keishu Bd. 62, H. 2, S. 37, wo der OGH auch die Anwendung des § 244 verneint hat. 23 § 252 dStGB lautet: „Wer bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen, gegen eine Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anwendet, um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten, ist gleich einem Räuber zu bestrafen“. 24 Vgl. oben Abschnitt A., IV., 5., a) und auch unter f).
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b) Raub (§ 236 StGB) aa) Gewaltausübung oder Bedrohung als Raubmittel Das Mittel des Raubes sind Gewaltausübung oder Bedrohung. Beides muss „den Widerstand des Opfers hinreichend unterdrücken“ können, muss aber nicht in Wirklichkeit den Widerstand auch unterdrückt haben 25. Ob die Gewaltausübung oder die Drohung den Widerstand des Opfers unterdrücken kann, ist nicht nach dem subjektiven Eindruck des konkreten Opfers, sondern objektiv zu beurteilen. Die Gewalt muss auf die Person gerichtet, nicht aber notwendigerweise unmittelbar auf deren Körper ausgerichtet sein. Die Wegnahme muss so beschaffen sein, dass die Gewahrsamsverlagerung der Sache zum Täter oder einem Dritten auf Grund der Unterdrückung des Willens und nicht auf Grund des Willens des Opfers erfolgt. Zwischen der Gewaltausübung oder Drohung, der Unterdrückung des Widerstandes des Opfers und der Wegnahme muss Kausalität bestehen. bb) Vermögenswertes Interesse (Abs. 2) Der Abs. 2 beschützt ein „vermögenswertes Interesse“. Als Beispiel lässt sich der Fall benennen, in dem der Täter dem Gläubiger Gewalt und Drohung zufügt, um ihn zur Willenserklärung über den „Erlass einer Schuld“ zu veranlassen. Die „Forderung“ ist dabei das Vermögensinteresse. Auch das mit rechtswidrigen Mitteln erworbene Interesse ist schutzwürdig. Deswegen wird derjenige, der gegen einen Schwarz-Taxifahrer Gewalt ausübt und deshalb von der Zahlung der Taxikosten befreit worden ist, wegen Raubes nach Abs. 2 bestraft26. Derjenige, der den Auftraggeber zur Lieferung verbotener Weckamine tötet, um deren Rückgabe zu entgehen, wird auch wegen Raub von Vermögensinteressen bestraft27. cc) Verlagerung des vermögenswerten Interesses Neuerdings ist eine Tendenz zur Vorverlagerung des Vollendungszeitpunktes beim Vermögensraub (Abs. 2) festzustellen. Als Beispiel ist eine Entscheidung des OG Tokyo zu nennen: Der Angeklagte hatte zuerst die Geldkarte gestohlen und dann erfolgreich das Opfer bedroht und die Geheimnummer der Karte erfahren. Das OG hat eine „Verlagerung des Vermögensinteresses“ bejaht und vollendeten Raub (Abs. 2) angenommen 28. Die erste Instanz hatte das verneint und wegen Diebstahls und Nötigung verurteilt, weil das Opfer noch kein Vermögen verloren habe. Das OG Tokyo argumentiert, der Angeklagte habe eine „Stellung 25
Vgl. Urteil des OGH v. 18. 11. 1948, Keishu Bd. 2, H. 12, S. 1614. Urteil des OG Nagoya v. 26. 12. 1960, Kokeishu Bd. 13, H. 10, S. 781. 27 Beschluss des OGH v. 18. 11. 1986, Keishu Bd. 14, H. 10, S. 1418. 28 Urteil des OG Tokyo v. 16. 11. 2009, Hanrei Jiho 2103, 158. 26
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bekommen, auf Grund derer er das Geld vom Konto abheben konnte“. Diese Auslegung scheint den Betrug als Gefährdungsdelikt zu verstehen29. dd) Gewaltausübung nach dem Betrug Interessant ist ein Fall des OGH30 aus dem Jahre 1986, in dem einer der Mittäter nach dem Diebstahl oder Betrug von Weckaminen das Opfer zu erschießen versucht hatte, um der Rückgabe der Weckamine oder der daraus entstandenen Schuld zu entgehen. Der OGH hat den Vermögensinteressen-Raub (Abs. 2) angewandt und es dabei nicht als wichtig angesehen, ob die Vortat Diebstahl oder Betrug war. Es hätte sich aber um einen „nachträglichen Raub“ gehandelt, wenn der Erhalt der Weckamine auf einen Diebstahl zurückzuführen gewesen wäre. c) Nachträglicher Raub Dieser Tatbestand ist vergleichbar dem deutschen „räuberischen Diebstahl“ (§ 252 dStGB). Der § 238 StGB lautet: „Wenn ein Dieb Gewalt gebraucht oder Drohung anwendet, um nach der Wegnahme der vermögenswerten Sache eines anderen die Wiedererlangung zu verhindern, der Festnahme zu entgehen oder die Spuren der begangenen Straftat zu verwischen, wird er wie ein Räuber bestraft“. Hier ist nicht nur die Absicht zur „Hinderung der Wiedererlangung“ gefordert, sondern (alternativ) auch zum „Entgehen der Festnahme“ bzw. zum „Verwischen der Straftatspuren“. aa) Beteiligung an nachträglichem Diebstahl Die Beteiligung am nachträglichen Diebstahl ist in Japan ein wichtiges Thema. Nachdem der A ein Glückspüppchen aus einem Autozubehörladen gestohlen hatte, wurde er von einem Ladenwächter verfolgt. Der B, ein Freund des A, hatte die Szene zufällig gesehen und zusammen mit A und dem Willen zum Besitzerhalt des A Gewalt gegen den verfolgenden Wächter geübt31. Fraglich war, ob B Mittäter oder Gehilfe eines nachträglichen Raubes oder nur Mittäter einer Gewaltausübung war. Nach der Tatgemeinschaftstheorie wäre A Mittäter eines nachträglichen Raubes, B Mittäter der Gewaltausübung gewesen (§ 208). Die Straftatgemeinschaftstheorie anerkennt im Prinzip eine Mittäterschaft zwischen gleichen Straftaten, also entweder eine Mittäterschaft beim räuberischen Diebstahl oder bei der Gewaltausübung. 29 Ausführlicher mein in deutscher Sprache verfasster Aufsatz: Yamanaka, Einige Bemerkungen zum Verhältnis zwischen „Eigentums“- und „Vermögensdelikten“ anhand der Entscheidungen in der japanischen Judikatur, in: ZIS, 2012, Nr. 5, S. 253 ff. 30 Beschluss des OGH v. 18. 11. 1986, Keishu Bd. 40, H. 7, S. 523. 31 Vgl. Urteil des OG Osaka v. 17. 7. 1987, Hanrei Jiho 1253, 141.
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bb) Anwendung des § 65 StGB Da nur „Diebe“ Handlungssubjekt dieser Straftat sein können, ist eine Anwendung des § 65 zu klären, der die Beteiligung bei „Sonderdelikten“ regelt. Nach der herrschenden Meinung ist dies anzunehmen32: Auch derjenige, der kein Dieb ist, kann über den § 65 Abs. 1 Mittäter sein33. Die Gegenmeinung verneint den Sonderdeliktscharakter des § 238, weil der nachträgliche Raub ein „zusammengesetztes Delikt“34 sei. Nach dieser Theorie ist die Anwendung einer „sukzessiven Mittäterschaft“ möglich. Der Wortlaut „Diebe“ bezeichne nämlich kein „Subjekt“, sondern die „Diebstahlshandlung“. Nachfolger B hatte mit der Absicht, den von A schon verursachten Zustand des Diebstahls positiv auszunutzen, an dem nachträglichen Raub teilgenommen, sei deswegen auch Mittäter am nachträglichen Raub. Die Theorie bietet aber keine Erklärung dafür, warum „der Wille zur positiven Ausnutzung“ die fehlende objektive Kausalität ersetzen könnte, indem der von A begangene Diebstahl durch seinen positiven Ausnutzungswillen dem B zugerechnet wird. d) Raub durch Versetzung in Bewusstlosigkeit (§ 239 StGB) § 239 regelt: „Wer einen anderen in einen Zustand der Bewusstseinsstörung versetzt und seine vermögenswerte Sache stiehlt, wird als Räuber angesehen“. Anders als bei der Vergewaltigung von Bewusstlosen muss der andere hier zuvor in einen bewusstlosen Zustand versetzt werden. e) Raub mit Körperverletzungs- oder Todesfolge (§ 240 StGB) § 240 ist ein erfolgsqualifiziertes Raubdelikt mit der Todesstrafe als Strafrahmen. Deshalb muss die vorsätzliche Tötung beim Raub erfolgt sein, weil das Verhängen der Todesstrafe gegen eine fahrlässige Tötung undenkbar ist. Die Körperverletzungs- oder Todesfolge muss nicht aus der Gewaltausübung oder der Drohung als Tatmittel resultieren. Wenn eine solche Folge bei Gelegenheit des Raubes „in näherem Zusammenhang“ mit der Raubhandlung steht, lässt sich nach der Theorie des „nahen Zusammenhangs“ die Vorschrift anwenden. Nach der auch von Rechtsprechung vertretenen „Gelegenheitstheorie“ genügt es, 32 § 65 regelt Folgendes: „Wer an einer Straftat beteiligt ist, deren Strafbarkeit durch die persönliche Stellung des Täters bedingt wird, wird als Beteiligter bestraft, auch wenn er keine solche Stellung hat“. 33 Diese Theorie sieht das Delikt als „echtes“ Sonderdelikt. Es gibt auch eine Theorie, die das Delikt als „unechtes“ Sonderdelikt erachtet. Dann ist § 65 Abs. 2 anzuwenden. 34 Zusammengesetzte Delikte werden in Japan wie im Text verstanden, obwohl sie in Deutschland als Delikte definiert werden, die zwei verschiedene Rechtsgüter schützen; vgl. Saeki, AT, S. 139; Otsuka, AT, S. 128.
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wenn die Tat als Ursache der Körperverletzungs- oder Todesfolge bei „Gelegenheit“ der räuberischen Handlung ausgeführt wird35. Der Versuch dieser Straftaten (§ 243) erfordert eine vorsätzliche Tötungshandlung ohne Todesfolge. Bei einer erfolglosen vorsätzlichen Körperverletzung ist die Tat nur Raub (§ 236) und nicht versuchter Raub mit Körperverletzung. f) Vergewaltigung und Raub sowie Vorbereitung zum Raub Kriminologisch sind Vergewaltigungen beim Raub oder Raub bei Vergewaltigungen nicht selten. Das Gesetz beschrieb deswegen vor der Reform die erstgenannte Tat als Qualifikationstatbestand, wenn der Räuber eine Frau beim Raub gegen ihren Widerstand vergewaltigt (§ 241 S. 1 a. F.). Bei der Reform der Sexualdelikte von 2017 reformierte der Gesetzgeber auch § 241, und zwar wie folgt: „Wenn derjenige, der einen Raub oder dessen Versuch begangen hat, auch die Straftaten des erzwungenen Geschlechtsverkehrs usw. (…) oder deren Versuche begeht, oder wenn derjenige, der nach versuchtem oder begangenem erzwungenen Geschlechtsverkehr usw., auch die Straftaten des Raubes oder deren Versuch begeht“, so wird er bestraft. Dadurch wird nicht nur der erzwungene Geschlechtsverkehr beim Raub, sondern auch der Raub beim erzwungenen Geschlechtsverkehr schwer bestraft. Die Raubtat kann in einem „einfachen“ Raub gemäß § 236 bestehen, aber auch in einem Raub durch Versetzung in Bewusstlosigkeit (§ 239) oder in einem nachträglichen Raub (§ 238). Der erzwungene Geschlechtsverkehr beim Raub braucht nicht unter Gewaltausübung oder Drohung ausgeführt zu werden; es genügt das Ausnutzen des Unterdrückungszustands des Opfers durch den Räuber. Umgekehrt braucht der Raub beim erzwungenen Geschlechtsverkehr auch nicht durch erneute Gewaltausübung oder Drohung begangen zu werden. Der Geschlechtsverkehr beim Raub muss am Tatort oder bei Gelegenheit des Raubes ausgeführt werden. Der Gesetzgeber hat als Abs. 2 eine neue Regel den Versuch betreffend eingeführt: „Wenn die begangenen Straftaten in den Fällen des vorigen Absatzes beide36 im Versuchsstadium verbleiben, kann die Strafe gemildert werden, es sei denn, die Tat führt zum Tod oder einer Körperverletzung des Opfers. Wer jedoch aus eigenem Willen von der Straftat zurücktritt, dessen Strafe wird gemindert oder es wird von ihr abgesehen“ (§ 241 Abs. 2 S. 2). Der Satz 2 regelt die Strafminderung oder das Absehen von Strafe für den Rücktritt vom Versuch. Die Voraussetzung ist, dass sowohl der erzwungene Geschlechtsverkehr als auch der Raub im Versuchsstadium verbleiben müssen.
35 Urteil des OGH v. 24. 3. 1949, Keishu Bd. 3, H. 3, S. 376; Urteil des OGH v. 28. 5. 1949, Keishu Bd. 3, H. 6, S. 873. 36 D. h. der Geschlechtsverkehr und der Raub müssen im Versuchsstadium verbleiben.
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R. Vermögensschutz
Der Absatz 3 des § 241 lautet folgendermaßen: „Wer durch die Straftaten des Absatzes 1 den Tod der betreffenden Person herbeiführt, wird mit dem Tode oder mit zeitlich unbegrenztem Zuchthaus bestraft“. Diese Vorschrift regelt ein erfolgsqualifiziertes Delikt, das auch bei vorsätzlicher Tötung anwendbar ist. Bemerkenswert ist, dass die Vorschrift keine „Körperverletzungsfolge“ umfasst. Der Versuch des § 241 wird ebenso bestraft (§ 243) wie die Vorbereitung des Raubes (§ 237). Der Täter muss „in der Absicht zum Raub“ eine Vorbereitungshandlung vornehmen. Auch die Vorbereitung zum nachträglichen Raub wird bestraft37.
III. Betrug und Erpressung 1. Betrug a) Sinn des Betrugs Betrug (§ 246) ist das Erlangen einer vermögenswerten Sache oder eines vermögenswerten Interesses dadurch, dass der Täter einen anderen täuscht, ihn dadurch zum Irrtum führt und auf Grund einer durch diesen Irrtum verursachten mangelhaften Willenserklärung des anderen dessen vermögensschädigende Verfügung erfolgt. Der Betrug unterscheidet sich vom Diebstahl und Raub durch das Merkmal der Verfügung anstelle der (hier fehlenden) Wegnahme aus dem Gewahrsam eines anderen. Handlungsobjekt ist nicht nur eine „vermögenswerte Sache“ (§ 246 Abs. 1), sondern auch ein „vermögenswertes Interesse“ (Abs. 2). Historisch gesehen ist der Betrug eine relativ neue Straftat moderner kapitalistischer Gesellschaften. Betrugsverwandte Delikte sind der „Quasi-Betrug“ (§ 248) und der Betrug durch Verwendung von Datenverarbeitungsgeräten, also der Computerbetrug (§ 246 a). Der erstere erweitert die Betrugsstrafbarkeit unter Berücksichtigung der begrenzten Freiwilligkeit von Jugendlichen oder vermindert Schuldfähigen; der letztere wurde 1987 neu eingeführt, weil Maschinen nicht in einen Irrtum geraten können. Überweisungen von Konto zu Konto beziehen sich nicht auf eine Sache, sodass Diebstahl und Betrug nicht in Frage kommen, solange der Täter das Bargeld einem Geldautomaten entnimmt. § 246 a hat diese Strafbarkeitslücke geschlossen.
37 Vgl. Beschluss des OGH v. 19. 11. 1979, Keishu Bd. 33, H. 7, S. 710. Der Täter war mit einem Messer oder einer imitierten Pistole in der Handtasche zu dem Zweck auf der Straße, sie zu benutzen, wenn sein Diebstahl in einem Büro entdeckt werden würde.
III. Betrug und Erpressung
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b) Kollektivgüter als Rechtsgut des Betrugs? Das Rechtsgut des Betrugs ist das individuelle Vermögen, einschließlich Sachen. Ob die Verwendung eines betrügerischen Mittels zur Schädigung von Gemeingut den Betrugstatbestand erfüllt, ist umstritten. Im Allgemeinen erfüllen Kollektivgutsverletzungen den Betrugstatbestand nicht. Beispielsweise sind die Steuerhinterziehung oder der Erwerb amtlicher Bescheinigungen (nach der Rechtsprechung z. B. der Erwerb von Bescheinigungen für das Gebäudeeigentum, den Pass oder den Führerschein usw.) unter Einsatz betrügerischer Mittel kein Betrug. c) Betrugshandlung (Täuschung, Irrtum und Verfügung) aa) Täuschung Der Betrug ist die Straftat, mit der jemand sich von einem anderen durch Täuschung eine Sache oder ein vermögenswertes Interesse zur Verfügung stellen lässt. Täuschung bedeutet, dass man einen anderen in einen Irrtum über die Weggabe einer Sache oder die Verschiebung eines Interesses versetzt oder einen schon bestehenden Irrtum, in den das Opfer geraten ist, unterhält. Das erstere meint die aktive Täuschung durch ein Tun, das letztere eine Täuschung durch Unterlassen. Die Täuschung durch ein Tun umfasst neben der „ausdrücklichen Erklärung“ auch eine Täuschung durch „konkludentes Handeln“, das sich nach der sozialen Bedeutung der Handlung bestimmt38. So ist etwa eine Bestellung von Waren durch einen nicht zahlungswilligen oder zahlungsunfähigen Käufer, der keinen Willen zur Bezahlung der bestellten Waren hat, eine Täuschung. Für die Täuschung durch Unterlassen bedarf die Tatbestandserfüllung notwendig einer Garantenpflicht, z. B. einer Anzeigepflicht in Bezug auf seine Anamnese bei der Lebensversicherung39. Die Täuschung muss sich auf eine für das betreffende Geschäft wichtige Tatsache oder Beurteilung beziehen, etwa Wert, Natur, Funktion, Effekt oder Preis der Sache oder des vermögenswerten Interesses. Gleiches gilt für den durch eine solche Täuschung verursachten Irrtum. Dieser muss sich auf eine für das Ge38 Neuerdings hat der OGH in einem Urteil eine Täuschung durch Ergänzung einer ausdrücklichen durch mehrere konkludente Täuschungen anerkannt: Der Täter hatte bei einem organisierten Betrug dem Opfer nur mehrmals per Telefon mitgeteilt, dass es sein Geld aus dem eigenen Geldautomaten abholen muss, aber nicht klar gesagt, dass das Opfer es einem angeblichen Polizisten aushändigen muss. Die Polizei hat ihn noch vor der Übergabe des Geldes festgenommen. Der OGH verurteilte den Angeklagten wegen eines Betrugsversuchs, weil manche Lüge von Tätern das Risiko der Aushändigung von Bargeld erheblich erhöht und man daher schon den Anfang der Tatausführung des Betrugs feststellen kann (Urteil des OGH vom 22. 3. 2018, Homepage des OGH). 39 Urteil des RG v. 1 9. 2. 1932, Keishu Bd. 11, S. 85.
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schäft wichtige Tatsache beziehen, der Irrtum also ein sog. rechtsgutsbezogener Irrtum sein. bb) Neuere Entscheidungen Neuerdings sind in Bezug auf Täuschungen über eine persönliche Stellung oder die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, vor allem im Hinblick auf die Mitgliedschaft zum Boryokudan (eine illegale Organisation), einige Entscheidungen ergangen40. Ein Mitglied hatte, seine Mitgliedschaft zum Boryokudan verheimlichend, falsche Informationen über den Arbeitsplatz und das Gehalt angegeben und auf dieser Basis einen Mietvertrag abgeschlossen. Die Abgabe von falschen Informationen ist für das Geschäft wichtig und deshalb war er wegen Betrugs zu verurteilen. Das Gericht hat aber die Verheimlichung der Mitgliedschaft zum Boryokudan nicht als Betrug angesehen, da die Anmietung einer Wohnung nicht selbstständig die Erklärung enthalte, kein Boryokudanmitglied zu sein41. In einem ähnlichen Fall hat das Gericht allerdings eine Person mit Quasi-Mitgliedschaft zum Boryokudan, die die Umstände ihrer Mitgliedschaft falsch angegeben hatte, wegen Betruges verurteilt42. Auch in Bezug auf einen Vertrag zur Golfplatzbenutzung sind in Fällen der Mitgliedschaft zum Boryokudan zwei vom Ergebnis her unterschiedliche Entscheidungen des OGH ergangen: Der Angeklagte hatte als „Gast“ einen Antrag zur Nutzung des Golfplatzes gestellt. Das Formular enthielt keine Frage zur Mitgliedschaft im Boryokudan. Name, Adresse und Rufnummer waren richtig eingetragen, die Kosten korrekt bezahlt. Auch hatten die Angestellten nicht nach seiner Mitgliedschaft gefragt. Der OGH hat den Angeklagten freigesprochen, da der Antrag nicht ausdrückte, kein Mitglied des Boryokudan zu sein43. Am selben Tag hat der OGH in einem anderen Golfplatznutzungsfall wegen Betruges verurteilt44. Hier hatte der Inhaber des Golfplatzes in einer Vertragsklausel Eintritt und Nutzung des Golfplatzes durch Mitglieder des Boryokudan verboten. Der Angeklagte hatte deshalb über einen anderen den Nutzungsantrag unter Verheimlichung der Wahrheit gestellt. Der OGH sah in der Tatsache der Mitgliedschaft zum Boryokudan eine wichtige Geschäftsgrundlage für die Erlaubnis zur
40 Dazu vgl. Yamanaka, ZIS 2012, Nr. 5, S. 253 ff.; Junko Yamanaka, Zur Anwendungsgrenze des Betruges in Japan anhand der Fälle über die Boryokudan-Ausschließung, in: Joerden/Schmoller (Hrsg.), Rechtsstaatliches Strafen (FS Keiichi Yamanaka), 2017, S. 371 ff. 41 Urteil des OG Sapporo v. 1. 3. 2007, LEX/DB. 42 Urteil des LG Kyoto v. 25. 3. 2014, LEX/DB. 43 Urteil des OGH v. 28. 3. 2014, Keishu Bd. 68, H. 3, S. 582. 44 Urteil des OGH v. 28. 3. 2014, Keishu Bd. 68, H. 3. S. 646.
III. Betrug und Erpressung
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Nutzung des Golfplatzes und hat deshalb eine Mittäterschaft zum gemeinsamen Betrug mit dem anderen angenommen. Etwa zehn Tage später hatte der OGH erneut den Betrugsfall eines Boryokudan-Mitgliedes zu entscheiden. Der Angeklagte hatte, seine Mitgliedschaft zum Boryokudan verschweigend, den Antrag zur Eröffnung eines Postbankkontos gestellt und dabei den Satz „Ich stelle den Antrag nach Aufklärung und bestätige, dass ich nicht einer antisozialen Organisation angehöre“ unterschrieben und das Antragsformular abgegeben. Der OGH hat ihn wegen Betruges (§ 246 Abs. 1) verurteilt, weil diese Tatsache eine wichtige Angelegenheit und Grundlage für die Beurteilung der Erlaubnis der Kontoeröffnung sei und deswegen die Tat eine „Täuschung“ betreffe45. Diese Urteile haben immer nur das Merkmal der „Täuschung“ problematisiert. Zu fragen wäre aber, ob der Schaden unmittelbar aus der Täuschung entstanden ist. Das gilt auch für die Täuschung über den Geschäftszweck. Wenn man den Zweck verheimlicht, eine von der Bank bei Kontoeröffnung erhaltene Geldkarte anderen zu überlassen, ist die Tat nichts anderes als eine Täuschung, weil der Antragsteller seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, sie selbst zu verwenden46. cc) Unberechtigte Verwendung von Kreditkarten Was im deutschen StGB einer Gesetzesreform bedurfte, hat die japanische Judikatur mit einer großzügigen Auslegung geregelt: Die unberechtigte Verwendung der eigenen Kreditkarte ist in Japan ein Betrug. Wenn der Kreditkarteninhaber ohne Zahlungsfähigkeit und -willen die eigene gültige Karte benutzt, um in einem Laden etwas zu kaufen, ist diese Tat nach herrschender Meinung47 und Rechtsprechung48 ein Betrug, obwohl das Kreditkartensystem auch in diesem Fall die Deckung der Zahlung garantiert. Aber es ist fraglich, ob das Opfer in einen Irrtum geraten ist und dadurch Schaden genommen hat. Beim Missbrauch der eigenen Kreditkarte, z. B. dem Kauf eines Diamantrings per Kreditkarte ohne Zahlungswillen und -fähigkeit, begeht der Täter nach der Rechtsprechung einen „Sachbetrug“ gem. § 246 Abs. 1. In der Lehre gibt es aber auch die Meinung, dies sei ein „Interessenbetrug“ gem. Abs. 2. Sie sieht das Opfer nicht in dem Ladenbesitzer, sondern in der Kreditkartenfirma, da diese dem Ladenbesitzer seinen Warenpreis auf jeden Fall bezahle. Allerdings kann diese Theorie den „Irrtum“ der Kreditkartenfirma nicht begründen, muss diese doch 45
Urteil des OGH v. 7. 4. 2014, Hanrei Jiho 2228, 129. Urteil des OGH v. 17. 7. 2007, Keishu Bd. 61, H. 5, S. 521. 47 Die herrschende Meinung vertritt mit der Rechtsprechung die Theorie eines Betruges nach Absatz 1. 48 Es gibt dazu mehrere Entscheidungen (Urteil des LG Wakayama v. 27. 9. 1974, Hanrei Jiho 775, 178; Urteil des OG Tokyo v. 31. 10. 1984, Hanrei Times 550, 289 usw.). 46
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nur die vom Ladenbesitzer geschickte und ihm gegenüber auszugleichende Liste der Umsätze daraufhin prüfen, ob die Karte von dem Inhaber einer richtigen und gültigen Karte verwendet worden ist. Die Gegenmeinung vertritt die Theorie des Dreiecksbetrugs, nach der Getäuschter und Verfügender der Ladenbesitzer, das Opfer aber die Kreditkartenfirma ist. An dieser Theorie wird kritisiert, dass sie den Zeitpunkt der Vollendung auf die Zahlung durch die Kreditkartenfirma verlegt, also normalerweise einen Monat nach dem Einkauf des Täters. Sie vertritt deswegen, dass die Vollendung des Betruges49 bereits in der „Gefährdung des Vermögens“ der Kreditkartenfirma liegt, da sie den Kaufpreis für den Käufer bezahlen muss. d) Verfügungshandlung Der Irrtum muss den Getäuschten zu einer zwar irrtümlichen, aber willentlich unternommenen Verfügung über eine Sache oder das Vermögen veranlassen. Dies dient bei Abs. 1 als Kriterium zur Unterscheidung zwischen Betrug und Diebstahl. Fehlt es an der Verfügung, begeht der Täter einen Diebstahl, da seine Täuschung den Gewahrsam nur gelockert hat (Trickdiebstahl). Beim Betrug müssen Täuschung, Verfügungshandlung des Opfers und „Schaden“ (Sachverlust) in einem Kausalzusammenhang stehen. Umstritten ist, ob ein Verfügungsbewusstsein erforderlich ist. Schulbeispiel ist beim Sachbetrug (Abs. 1) der Käufer, der in einem Laden eine kleine Sache (z. B. eine Batterie) in einem größeren Kasten (z. B. einem Spielzeugkasten) versteckt und so den Verkäufer veranlasst, nichtsahnend Spielzeug und Batterie zusammen zu verkaufen. Hier scheitert die Verfügung über die Batterie an dem diesbezüglich fehlenden Verfügungsbewusstsein des Verkäufers. Den Vermögensinteressenbetrug (Abs. 2) kennzeichnet der sog. Tabakpfeifenfahrt-Fall50: Der Täter kauft nur eine Fahrkarte von Einstiegsbahnhof (A) bis zu einem bestimmten Zwischenbahnhof (B) und von einem anderen bestimmten Zwischenbahnhof (C) bis zum Zielbahnhof (D), will also die Fahrt von B bis C nicht bezahlen. Der Fall setzt voraus, dass die Fahrkarte beim Eingang in den und beim Ausgang aus dem Bahnhof immer durch das Personal geprüft wird (aber nicht während der Fahrt). Umstritten ist, ob der Betrug schon beim Einstiegs49 Der Dreiecksbetrug wurde früher von der herrschenden Meinung (Ono, Dando) so missverstanden, dass Getäuschter und Verfügender verschiedene Personen sein können. Beim Prozessbetrug z. B. ist der Getäuschte der Richter, Verfügender und Opfer die unterlegene Prozesspartei. 50 Die Bezeichnung kommt daher, dass eine Pfeife zwischen beiden Enden eine Röhre aufweist. In der Rechtsprechung ist die Annahme eines Betruges nicht einheitlich: Verneinend das Urteil des OG Tokyo v. 22. 2. 1960, Tokokeijiho Bd. 11, H. 2, S. 43; Urteil des OG Hiroshima v. 6. 12. 1976, Kokeishu Bd. 29, H. 4, S. 651; bejahend das Urteil des OG Osaka v. 7. 8. 1974, Keigetsu Bd. 1, H. 8, S. 795.
III. Betrug und Erpressung
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oder erst beim Ausstiegsbahnhof vorliegt, denn dort kann das Personal nicht wissen, ob der Gast noch zahlungspflichtig ist. Die Verfügung würde also unbewusst erfolgen. Bedürfte es nun eines Verfügungsbewusstseins, wäre die Schwarzfahrt nicht als Interessenbetrug nach § 246 Abs. 2 zu bestrafen. Heutzutage ist dieser Fall ohne praktische Relevanz, weil fast jede Fahrkarte mit einem elektronischen Gerät automatisch geprüft wird. In Japan wird das Thema „Verfügungsbewusstsein“ – anders als in Deutschland51 – in § 246 Abs.1 und Abs. 2 einheitlich behandelt. Da die Betrugsstruktur beim Sachbetrug und beim Betrug im Hinblick auf Forderungen oder Rechte identisch ist, besteht kein Grund, es jeweils anders zu behandeln. e) Vermögensschädigung Wie soeben erwähnt, unterscheidet das japanische StGB in § 246 die beiden Tatbestände nach dem Handlungsobjekt: Absatz 1 erfasst „vermögenswerte Sachen“, Absatz 2 „vermögenswerte Interessen“. Fraglich ist vor allem, ob das Gesetz auch bei Abs. 1 als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eines „Schadens“ oder bei Abs. 2 einer „Gesamtsaldierung“ zur Schadensberechnung bedarf. Die herrschende Meinung verlangt für die Vollendung des Betruges einen „Schaden“. Der Abs. 1 wird so interpretiert, dass der Verlust der Sache bereits der Schaden sei. Für Abs. 2 wird im Prinzip eine „Gesamtsaldierung“ gefordert. In der Lehre ist der juristisch-wirtschaftliche Schadensbegriff herrschend. Die Integration des individuellen Schadenseinschlags in den Schadensbegriff sollte sich am Geschäftszweck orientieren, mit der „Theorie der Zweckverfehlung“ wären die Geschäftszwecke zu analysieren und tragfähige Unterkriterien zu entwickeln52. 2. Erpressung Erpressung ist eine Straftat, bei der der Täter Sachen oder Vermögensinteressen dadurch erwirbt, dass er die Willensbetätigungsfreiheit eines anderen durch eine Drohung beeinträchtigt und damit einen Schaden an einer „vermögenswerten Sache“ (§ 249 Abs. 1) oder einem „vermögenswerten Interesse“ (Abs. 2) verursacht. Der Versuch ist strafbar (§ 250). Rechtsgut ist das Vermögen; geschützt ist aber auch die Freiheit der Willensentscheidung und -betätigung zu einer Vermögensverfügung. In diesem Punkt unterscheidet sich die Erpressung von der 51 In Deutschland wird das Verfügungsbewusstsein nur beim Sachbetrug als notwendig angesehen; vgl. BGHSt 14, 178. 52 Einen in japanischer Sprache verfassten Aufsatz dazu vgl. bei Yamanaka, Der Vermögensschaden beim Betrug und der Geschäftszweck, in: Hogaku Shinpo Bd. 121, H. 11 = 12, S. 395 ff.
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Nötigung. Gemeinsamkeiten bestehen mit dem Betrug und dem Raub: Der Grad der Drohung bedarf nicht der Widerstandsunfähigkeit.
IV. Unterschlagung und Untreue 1. Grundzüge beider Delikte Unterschlagung und Untreue haben beide den Vertrauensverrat gegenüber einem anderen im Hinblick auf eine Auftragserfüllung gemeinsam. Bei der Unterschlagung sind allein „Sachen“ Auftragsgegenstand, bei der Untreue „Geschäftsangelegenheiten“ des Vermögens. 2. Straftaten der Unterschlagung Straftaten der Unterschlagung sind die rechtswidrige Aneignung einer Sache ohne Gewahrsamsverletzung (§ 252), die Unterschlagung während einer Geschäftstätigkeit (§ 253) und die Unterschlagung einer Sache, bei welcher der Gewahrsam verlorenen gegangen ist (§ 254). Die ersten beiden Deliktskategorien (in Japan als „Unterschlagung einer anvertrauten Sache“ bezeichnet) setzen den Auftrag eines anderen voraus, letztere nicht. a) Das Wesen der Unterschlagung § 252 lautet: „Wer die Sache53 eines anderen, die in seinem Besitz oder Gewahrsam ist, unterschlägt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft“. Für die Unterschlagung ist charakteristisch ihre friedliche Tatmodalität und die verführerische Motivation54, dass der Täter schon Gewahrsam an der Sache hat. Wegen der hierdurch bewirkten geringeren Hemmschwelle ist die Obergrenze des Strafrahmens niedriger als bei Diebstahl oder Betrug. b) Tatbestandsmerkmale der Unterschlagung aa) Besitz oder Gewahrsam Wichtig sind die Begriffe Besitz und Gewahrsam. Bei der Unterschlagung wird der Gewahrsam definiert als „Herrschaft mit Besorgnis vor Missbrauch“ und beinhaltet „tatsächliche“ wie auch „rechtliche“ Herrschaft. Wer also für ein Grundstück mit seinem Namen im Grundbuch registriert ist, hat dessen Herr53 Im japanischen StGB ist das Handlungsobjekt nicht wie im deutschen StGB (§ 246 Abs.1) die „bewegliche Sache“, sondern bloß eine „Sache“. Deswegen lassen sich auch „unbewegliche Sachen“ als Gegenstand der Unterschlagung zueignen. 54 Vgl. Yukitoki Takigawa, Keiho Kakuron (Strafrecht, BT) 1951, S. 243.
IV. Unterschlagung und Untreue
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schaft. Der nominelle Eigentümer im Grundbuch hat die Stellung, die Immobilie Dritten zur Verfügung stellen zu können. Der Mieter des Gebäudes, der es tatsächlich besitzt, ist kein Gewahrsamsinhaber55. bb) Gewahrsam oder Besitz am Geld auf dem eigenen Konto? Problematisch ist der Gewahrsam über das Geld auf dem eigenen Bankkonto. Eine ältere Entscheidung56 hatte eine Unterschlagung angenommen bei einem Dorfschulzen, der öffentliche Gelder auf der Bank angelegt und zu eigenen Zwecken abgehoben hatte. Nach Auffassung des RG unterlag das Geld seiner Herrschaft, die Abhebung sei deswegen Unterschlagung. Gemäß § 666 BGB ist der Geldeinlagevertrag aber ein Depositionsvertrag mit Abnutzung57 (Shohikitaku). Nach der Mindermeinung hat der Geldeinleger nur ein Recht auf Rückzahlung, mithin an der Spareinlage keinen Gewahrsam. Eigentümer des Geldes ist die Bank. Der Dorfschulze wäre danach wegen Untreue zu verurteilen. Allerdings hat der Einleger die rechtliche Herrschaft über den betreffenden Geldbetrag auf der Bank. Deswegen scheint die Entscheidung im Endeffekt richtig. cc) Gewahrsam oder Besitz an irrtümlich überwiesenem Geld? Viel diskutiert wurde die Problematik des Gewahrsams/Besitzes an irrtümlich auf das eigene Konto überwiesenem Geld. Im Allgemeinen ist die Verschaffung von Gewahrsam/Besitz an dem von der Bank abgehobenen Geldes Betrug58, bei Abhebung vom Geldautomaten ist es Diebstahl59. Wird das Geld weiter auf ein anderes Konto überwiesen, ist dies ein Computerbetrug (§ 246 a). Im Jahre 1996 hat der OGH60 in Zivilsachen ein Fehlverhalten des Kontoinhabers verneint und 55 In Japan ist der „Doppelverkauf“ von Grundstücken eine Unterschlagung. Im japanischen BGB (§ 176) erfolgt die Eigentumsübertragung von beweglichen Sachen bereits durch die auf die Übertragung gerichteten übereinstimmenden Willenserklärungen. Also bedarf es keiner Übergabe der Sache oder bei unbeweglichen Sachen (Grundstück) auch keiner Eintragung im Grundbuch. Die Übergabe oder Eintragung hat nur die Funktion, dass sie (unberechtigten) Dritten entgegengehalten werden kann (§§ 177, 178). Wenn X sein Grundstück an A verkauft und es vor der Eintragung nochmals an B verkauft und der B vor A ins Grundbuch eingetragen wird, dann bekommt der B nach dem BGB das endgültige Eigentum an dem Grundstück. In diesem Fall begeht der X jedoch strafrechtlich eine Unterschlagung (Urteil des OGH v. 26. 12. 1955, Keishu Bd. 9, H. 14, S. 3053). 56 Urteil des RG v. 19. 10. 1918, Keiroku Bd. 24, S. 1274. 57 Im geltenden deutschen BGB wird er als Kreditvertrag (§§ 488 ff. BGB) angesehen. 58 Urteil des OG Sapporo v. 11. 11. 1976, Hanrei Times 347, 300. 59 Urteil des OG Tokyo v. 12. 9. 1994, Hanrei Jiho 1545, 113. 60 Urteil des OGH v. 26. 4. 1996, Minshu Bd. 50, H. 5, S. 1267. Neuerdings hat der OGH auch in Zivilsachen in einem Fall, in dem das Opfer, das das Sparbuch gestohlen und das Geld abgehoben hatte, einen Anspruch der Bank auf Rückzahlung des Betrags und einen Betrug bejaht (Beschluss des OGH v. 10. 10. 2008, Minshu Bd. 62, H. 9, S. 2361).
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einen Anspruch auf Auszahlung des wissentlich am Schalter von einem wirksamen Sparkontovertrag abgehobenen, irrtümlich eingelegten Geldes bejaht. Diese höchstgerichtliche Entscheidung hat Anlass zu strafrechtlichen Diskussionen gegeben und 2003 hat der OGH61 in Strafsachen den Empfänger des irrtümlich überwiesenen Geldes wegen Betruges verurteilt. Man müsse den Unterschied zwischen Zivilrecht und Strafrecht berücksichtigen. 3. Untreue Untreu ist derjenige, der „die Geschäfte eines anderen für ihn betreibt, in der Absicht, sich oder einem Dritten eine Bereicherung zu verschaffen oder dem anderen einen Vermögensnachteil zuzufügen, seiner Aufgabe zuwiderhandelt und dem anderen einen Vermögensnachteil zugefügt“ (§ 247). Die Tatausführung besteht in der Zuwiderhandlung gegen einen Auftrag und der Zufügung eines Vermögensnachteils. a) Das Wesen der Untreue Im japanischen StGB folgt dem Betrugstatbestand (§ 246) der Untreuetatbestand (§ 247). Diese Einordnung steht unter dem Einfluss des deutschen StGB, das schon bei der Gesetzgebung die Gemeinsamkeit beider Straftaten, und zwar den Verrat des Vertrauens anderer, betonte. Die gegenwärtige Theorie in Japan versteht es anders: Die Untreue hat eher Gemeinsamkeiten mit der Unterschlagung. Im Verständnis der Untreue stehen die „Missbrauchstheorie“ und „Treubruchstheorie“ einander gegenüber. Im deutschen StGB enthält § 266 Abs. 1 beide Tatmodalitäten in zwei Alternativen: den Missbrauchstatbestand (1. Alt.) und den Treubruchstatbestand (2. Alt.). In Japan sieht die überwiegende Meinung das Wesen der Untreue im „Treubruch“62. Der Untreuetatbestand muss nicht durch rechtliche Geschäftshandlungen, er kann auch durch eine „tatsächlich“ das Vertrauensverhältnis verletzende Handlung verwirklicht werden. Deswegen ist die Missbrauchstheorie, die nur an der Auftragsverletzung ausgerichtet ist, nicht richtig. b) Unterscheidung zwischen Unterschlagung und Untreue Ist das Handlungsobjekt ein „vermögenswertes Interesse“, bereitet die Unterscheidung keine Probleme: Es kommt nur eine Untreue in Betracht. Schwieriger ist es bei einer Sache. Veräußert jemand, der „die Geschäfte eines anderen zu 61 62
Beschluss des OGH v. 12. 3. 2003, Keishu Bd. 57, H. 3, S. 322. Der Vertreter der Missbrauchstheorie war Takigawa, Strafrecht BT, 1951, S. 172.
IV. Unterschlagung und Untreue
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betreiben hat“, eine fremde Sache, die er besitzt, kann der Fall auch so konstruiert sein, dass die Sache eines anderen, die er selber geschäftlich im Besitz hat, unterschlagen wurde. Ein Beispiel ist der Verkauf durch den Abteilungschef einer Firma, der einem Kunden ein zu verwaltendes Produkt ohne Genehmigung der Firma veräußert. Zur Bestimmung des Unterscheidungskriteriums werden viele verschiedene Theorien vertreten: Nach einer Theorie kennzeichnet die Unterschlagung, dass bei ihr von der Befugnis, über die anvertraute Sache zu verfügen, abgewichen wird, die Untreue demgegenüber, dass die abstrakte Befugnis missbraucht wird. Unterschlagung und Untreue sind also begrifflich einander entgegengesetzt. Auf dieser Grundlage ist zuletzt vorgeschlagen worden, die Unterschlagung anzuerkennen, wo eine „Zueignung“ feststellt werden kann, und die restlichen Fälle der Untreue zuzuweisen. Diese Theorie ist als „eingeschränkte Treubruchstheorie“ zu bezeichnen. Die Rechtsprechung63 verwendet überwiegend das Kriterium, ob die Handlung auf eigene oder auf Rechnung des Vertretenen durchgeführt wurde. c) Subjektive Tatbestandsmerkmale Die Untreue muss außer Vorsatz mit der Absicht ausgeführt werden, wenigstens entweder sich selbst oder einem Dritten (1) eine Bereicherung zu verschaffen oder dem anderen (2) einen Vermögensnachteil zu zufügen. Die Nachteilszufügungsabsicht (2) muss eigentlich der Vorsatz sein, weil die Entstehung des Nachteils objektives Tatbestandsmerkmal ist. Dagegen ist die Bereicherungsabsicht (1) kein Vorsatz, sondern eine subjektiv überschießende Tendenz. Die Nachteilszufügungsabsicht muss aber vom Vorsatz unterschieden werden: Auch wenn der Vorsatz zur Nachteilszufügung vorhanden ist, kann es möglich sein, die Nachteilszufügungsabsicht zu verneinen, wenn der Täter die Bereicherung des Geschäftsherrn beabsichtigt64.
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Vgl. Urteil des OGH v. 10. 10. 1958, Keishu Bd. 12, H. 14, S. 3246. Wenn der Täter eine stärkere Bereicherungsabsicht zu Gunsten des Geschäftsherrn (oder der Gesellschaft) als zu seinen eigenen Gunsten hat, lässt sich die selbstbezügliche Bereicherungsabsicht verneinen. Im Heiwa-Sogo-Bank-Fall (Beschluss des OGH v. 25. 11. 1998, Keishu Bd. 52, H. 8, S. 570) wurde die Bereicherungsabsicht nicht für den Geschäftsherrn, sondern für einen Dritten festgestellt und „Sonderuntreue“ nach §§ 960, 961 des japanischen Gesellschaftsgesetzes bejaht. 64
S. Schutz der sozialen Sicherheit I. Gefährdung der Sozialrechtsgüter Sozialrechtsgüter erfassen eine Summe von mehreren Individualrechtsgütern. Sie werden durch Straftatbestände geschützt, die eine Gefährdung des Lebens, des Körpers oder des Vermögens usw. von mehreren oder einer unbestimmten Zahl von Menschen voraussetzen. 1. Klassifizierung der Sozialrechtsgüter Die Straftaten gegen die Sozialrechtsgüter wurden früher in die zum Schutz der sozialen, der wirtschaftlichen und der moralischen Ordnung eingeteilt. Die Auffassung, die zwischen öffentlicher Sicherheit, öffentlichem Vertrauen, öffentlicher Gesundheit und Straftaten gegen die Sitten differenziert, wird wohl überwiegend vertreten. Aber es gibt auch die Meinung, die zwischen den Straftaten der Gemeingefahr, Straftaten gegen die Handelssicherheit und Straftaten der Sittenwidrigkeit differenziert. Die Straftaten gegen Sozialrechtsgüter sind mit anderen Worten die gegen die Sozialsicherheit gerichteten Gemeingefährdungsdelikte. Im japanischen StGB werden die öffentliche Sicherheit, die öffentliche Gesundheit sowie die Sicherheit des Geschäftsverkehrs und des sozialen Lebensmilieus geschützt. 2. Verschiedene Straftaten Die Straftaten gegen die öffentliche Sicherheit werden auch als „Gemein gefährdungs delikte“ bezeichnet. Dazu zählen der „Aufruhr“ (Abschnitt 8 des StGB), die „Straftaten der Brandstiftung, auch durch Fahrlässigkeit“ (Abschnitt 9), die „Straftaten, die Überschwemmungen und den Wasserlauf betreffen“ (Abschnitt 10), „Straftaten der Störung des Verkehrs“ (Abschnitt 11), „Straftaten, die das Rauchopium betreffen“ (Abschnitt 14) und diejenigen, die das „Trinkwasser“ betreffen (Abschnitt 15). In dieser Einführung werden im Einzelnen nur die Brandstiftungsdelikte erörtert.
II. Brandstiftung
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II. Brandstiftung 1. Grundstruktur und Klassifikation der Brandstiftungsdelikte Die Brandstiftung und die fahrlässige Brandstiftung sind die Straftaten, bei denen mittels Feuerkraft Gebäude und sonstige Sachen in Brand gesetzt werden. Sie haben den Zweck, die Verursachung von Gefahren für Leben, Körper oder Vermögen mehrerer oder einer unbestimmten Zahl von Menschen, zu bestrafen. Die Strafrahmen der Brandstiftungsdelikte sehen schwere Strafen vor1. Die Straftaten der Brandstiftung sind grundsätzlich „Gemeingefahrdelikte“, zudem haben sie aber auch die Eigenschaft der individuellen Rechtsgüterverletzung. Die Tatbestände differenzieren zwischen den Handlungsobjekten und den mit ihnen verbundenen Umständen. Demnach gibt es die Brandstiftung bewohnter Gebäude usw. (§ 108), die Brandstiftung unbewohnter Gebäude usw. (§ 109), die Brandstiftung von Sachen, die keine Gebäude sind, usw. (§ 110), das Übergreifen von Feuer betreffend (§ 111), den Versuch der Straftaten aus § 108 und § 109 Abs. 1 (§ 112), die Vorbereitung (§ 113), die Störung von Feuerlöschungen (§ 114), die fahrlässige Brandstiftung (§ 116) und die fahrlässige Brandstiftung im Geschäft (§ 117 a) usw. § 108 und § 109 Abs. 1 sind abstrakte Gefährdungsdelikte. § 109 Abs. 2 und § 110 sind hingegen konkrete Gefährdungsdelikte. 2. Grundkategorien der Brandstiftungsdelikte Die Tathandlung, die sich in allen Brandstiftungstatbeständen findet, ist das „Feuer legen“. Damit wird die Handlung bezeichnet, die die Ursache zum Brand des Objekts bildet. Es ist nicht notwendig, dass das Objekt unmittelbar angezündet wird. Es reicht vielmehr, wenn die Zündstoffe oder vermittelnde Stoffe verwendet werden, um das eigentliche Objekt anzuzünden. Den Anfang der Tatausführung bildet in diesem Fall der Zeitpunkt, in dem die konkrete Gefahr entsteht, dass das Objekt vom Feuer ergriffen wird. Der Tatbeginn wird sogar bereits bejaht, wenn der Täter innerhalb eines Gebäudes Benzin ausschüttet, um es unmittelbar darauf anzuzünden. In einem Fall hatte der Täter das Benzin als Brandbeschleuniger in einem Holzhaus verteilt und wollte es nach einer Zigarettenpause anzünden, das Benzin wurde jedoch schon zuvor durch das Rauchen entzündet2.
1 Und das nicht ohne Grund: In Japan gab und gibt es viele Holzhäuser; deswegen ist ihre Inbrandsetzung sehr gefährlich. Wenn einmal ein Feuer ausbricht, breitet es sich häufig schnell und weit aus. 2 Urteil des LG Shizuoka v. 1. 9. 1964, Kakeishu Bd. 6, H. 9=10, S. 1005; Urteil des OG Yokohama v. 20. 7. 1983, Hanrei Jiho 1108, 138.
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a) Theorien über das „in Brand setzen“ „In Brand setzen“ bedeutet die Beschädigung der Sache durch Feuerkraft. Wenn das Tatobjekt verbrennt, ist das „in Brand setzen“ im Prinzip vollendet. Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten ist die Brandstiftung bereits vollendet, wenn das Handlungsobjekt in Brand gesetzt wurde. Eine Ausnahme bilden die konkreten Gefährdungsdelikte (z. B. § 110). Wenn eine Sache in Brand gesetzt wird, aber keine konkrete Gefahr für weitere Rechtsgüter entsteht, dann ist die Straftat nicht vollendet, eventuell sogar noch nicht einmal versucht (z. B. bei einem Auto, das auf einem verlassenen Strand verbrennt). Was den Sinn von „in Brand setzen“ anbelangt, so gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Meinungen. Zum einen die „Theorie des unabhängigen Brennens“ und zum anderen die „Theorie des Unbrauchbarmachens“. Zudem gibt es noch eine vermittelnde Theorie. Die erstere, vor allem von der Rechtsprechung vertretene Ansicht geht davon aus, dass sich das „in Brand setzen“ in dem Zeitpunkt realisiert, in dem sich das Feuer vom Zündstoff entfernt, das Tatobjekt ergreift und einen Zustand des dauerhaften unabhängigen Brennens erreicht. Nach der zweiten Theorie wird das Merkmal erst realisiert, wenn ein wichtiger Teil des anvisierten Tatobjektes abbrennt und dadurch seine Brauchbarkeit verliert. Unter den vermittelnden Theorien gibt es zwei Ansichten, die „Theorie der Teilschädigung“ und die „Theorie des Brandbeginns eines wichtigen Teils des anvisierten Objekts“, die den Grad der „Beschädigung“ bei den Gebäudebeschädigungsdelikten (§ 260 S. 1) erreicht. Die „Theorie des unabhängigen Brennens“ setzt den Tatbeginn relativ früh an. Nach einer Entscheidung ist etwa das Merkmal bereits erfüllt, wenn etwa 30 cm2 einer Decke brennen3. Beim unabhängigen Brandbeginn wird also eine unabhängige Ursache gesetzt, die aber noch nicht dem menschlichen Beherrschungsvermögen entzogen ist. b) „In Brand setzen“ eines schwer brennenden Gebäudes Die Problematik der Theorie des unabhängigen Brennens liegt darin, dass nach dieser Theorie das Tatobjekt nicht in Brand gesetzt wird, wenn es nicht brennt, sondern nur verkohlt. Das kann bei Gebäuden der Fall sein, die aus schwer brennenden Materialien wie Beton oder Brettern mit oberflächlichen Harzen oder anderen Platten bestehen. In diesen Konstellationen wird eine Gefahr für Leib und Leben von Menschen durch giftige Gase oder giftigen Rauch verursacht. Im deutschen StGB wurde der Wortlaut „Brandlegung“ der betreffenden Vorschrift hinzugefügt. Eine Brandlegung ist jede Handlung, die sich auf das Verursachen 3 Urteil des OGH v. 2. 11. 1948, Keishu Bd. 2, H. 12, S. 1443. Vgl. auch Urteil des OGH v. 25. 2. 1950, Keishu Bd. 4, H. 5, S. 854.
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eines Brandes richtet. In Japan ist es schwer, den Sinn der Brandlegung durch die Theorie des unabhängigen Brennens zu erklären. Die „Theorie des Unbrauchbarmachens“ kann diesen Fall allerdings schon als „In Brand setzen“ bezeichnen. Der OGH bejahte eine Brandstiftung in einem Fall, in dem der Täter mittels Benzins als Zündstoff ein etwa 30 cm 2 breites, metallisches und mit einem Kunstharz überzogenes Innenbrett eines Aufzugs verkohlt hatte. Der Aufzug habe schon unabhängig vom Zündstoff Benzin gebrannt. c) Einheitlichkeit des Gebäudes Das Gebäude ist ein Haus oder sonst ein ähnliches Bauwerk, das mit dem Erdboden fest verbunden ist und geeignet ist, um dort zu essen, zu schlafen oder herein- und herauszutreten4. Eine mit Stroh bedeckte Hütte, die etwa 180 cm 2 groß ist, ist ein Gebäude5. Der altertümliche Fensterladen Fusuma (einfache Tür aus Holz und Papier), Tatami-Matten und andere Einrichtungsgegenstände, die dem Gebäude ohne seine Zerstörung entnommen werden können, sind keine Teile des Gebäudes. Da das japanische StGB zwischen der Brandstiftung an Gebäuden, die zur „Tatzeit als Wohnung eines anderen dienen, oder in welchen sich zur Tatzeit irgendein anderer aufhält“ (§ 108), und der Brandstiftung an Gebäuden, „welche zur Tatzeit nicht als Wohnung eines anderen dienen, oder in welchen sich zur Zeit der Tat kein anderer aufhält“ (§ 109 Abs. 1), differenziert, stellt sich die Frage, wie miteinander verbundene Gebäude unterschiedlicher Art zu bewerten sind, wenn eine Familie z. B. in einem Gebäude wohnt, das mit einem anderen unbewohnten Gebäude mit einem einfachen überdachten auf Pfeilern stehenden Korridor verbunden ist und der Brandstifter das unbewohnte Gebäude in Brand gesetzt hat. In dem oben beschriebenen Aufzugsfall war der Aufzug in ein Wohngebäude eingebaut. Der OGH hat den Aufzug und den Wohnbereich als eine Einheit angesehen6. Der Aufzug sei als ein funktionaler Teil der Wohnung anzusehen. Der OGH hat auch beim „Heian-Schrein-Brandstiftungs-Fall“7 in Kyoto den Schrein, der aus einem viereckigen Gebäude besteht, das mit Korridoren verbunden ist, als einheitliches Gebäude angesehen. In einer Ecke ist das Quartier eingerichtet, in dem die Wächter übernachten. Der Brandstifter zündete einen Teil des Korridors an, der von der Ruhestätte der Wächter weit entfernt war. Der OGH hat die Brandstiftung eines bewohnten Gebäudes (§ 108) bejaht, weil der Schrein ein einheitliches Gebäude sei. Bei der Einheitlichkeit des Gebäudes wird auf die physische und die funktionelle Einheitlichkeit abgestellt. Sowohl eine „physische“ 4
Urteil des RG v. 20. 6. 1032, Keishu Bd. 11, S. 881. Urteil des RG v. 20. 6. 1932, Keishu Bd. 11, S. 881. 6 Beschluss des OGH v. 7. 7. 1989. 7 Beschluss des OGH v. 14. 7. 1989, Keishu Bd. 43, H. 7, S. 641. 5
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bzw. „strukturelle“ als auch eine „funktionelle“ Einheitlichkeit sind erforderlich, um ein ganzes Gebäude als eine Einheit anzusehen. Dabei spielt in der Tat die „Möglichkeit des Übergreifens eines Feuers“ eine wichtige Rolle. 3. § 108, § 109, § 110 StGB a) Brandstiftung an einem zur Zeit der Tat als Wohnung dienenden Gebäude (§ 108 StGB) Der Tatbestand des § 108 lautet: „Wer Feuer legt und ein Gebäude, einen Dampfwagen8, eine elektrische Bahn, ein Kriegs- oder sonstiges Schiff oder ein Bergwerk in Brand setzt, welche zur Zeit der Tat einem anderen als Wohnung dienen, oder in welchen sich zur Zeit der Tat ein anderer aufhält“. Umstritten ist, ob die Brandstiftung an einem Gebäude, in dem zwar normalerweise Menschen wohnen, aber sich zur Tatzeit offensichtlich niemand befindet, strafbar ist. Weil die Straftat des § 108 ein Gefährdungsdelikt ist, beginnt die Strafbarkeit bereits, wenn das Tatobjekt in Brand gesetzt wird, ohne, dass eine konkrete Gefahr entstanden sein muss. Wenn der Täter sorgfältig geprüft hat, ob niemand in der Nähe ist und das Feuer nicht auf andere Gebäude übergreifen kann (Möglichkeit des Übergreifens des Feuers), sollte diese Tat nicht aus § 108 bestraft werden. Die Brandstiftung des § 108 ist ein „quasi-abstraktes Gefährdungsdelikt“, bei dem ein bestimmter Grad einer konkreten Gefahr nötig ist. b) Brandstiftung an einem zur Zeit der Tat nicht als Wohnung dienenden Gebäude (§ 109 StGB) § 109 lautet: „Wer Feuer legt und Gebäude, Kriegs- oder sonstige Schiffe oder Bergwerke in Brand setzt, welche zur Zeit der Tat nicht als Wohnung eines anderen dienen, oder in welchen sich zur Zeit der Tat kein anderer aufhält“ (z. B. Büro, Geschäftsstelle, Lager usw.), macht sich strafbar. Der „Dampfwagen“ und die „elektrische Bahn“ wurden in diesen Tatbestand, anders als in § 108, nicht aufgenommen. In der Rechtsprechung wurde ein Fall behandelt, in dem ein Schweinestall verbrannt wurde. Das Gericht hat die Eigenschaft als „Gebäude“ verneint9: „Der Schweinestall ist weder zum Aufenthalt noch zum Ein- oder Austritt von Menschen vorgesehen“10.
8 Ein Dampfwagen ist ein Schienenfahrzeug, das mit einer Dampfmaschine betrieben wird, die ihrerseits durch das Verbrennen von Kohlen in Betrieb gesetzt wird. 9 Urteil des OG Tokyo v. 18. 6. 1953, Tokokei Jiho Bd. 4, H. 1 = 2, S. 5. 10 Der Stall war nicht geeignet, um von Menschen betreten zu werden.
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Wenn die Gegenstände des § 109 Abs. 1 im Eigentum des Täters stehen, ist der Strafrahmen herabgesetzt11 (§ 109 Abs. 2). Wichtig ist, dass dieser Tatbestand ein konkretes Gefährdungsdelikt ist. Nur dann wird die Tat bestraft, wenn eine konkrete Gefahr für das Leben, den Körper oder das Vermögen mehrerer oder einer unbestimmten Anzahl von Menschen entsteht. Die „konkrete Gefahr“ ist ein objektives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der Vorsatz beziehen muss. Deswegen ist es nach der herrschenden Meinung erforderlich, dass der Täter die „Entstehung der Gemeingefahr“ erkennt. Es gibt aber auch die Ansicht, dass er ihre Entstehung nicht erkennen muss. Denn dieses Merkmal gehöre nicht zum Tatbestand, sondern sei eine objektive Bedingung der Strafbarkeit. Schwierig ist für die herrschende Meinung zu erklären, wie man zwischen dem Vorsatz zur Brandstiftung von § 108 und dem von § 109 Abs. 2 unterscheiden kann, weil der Vorsatz sich bei § 109 Abs. 2 auf die konkrete Gemeingefahr, also die Möglichkeit des Übergreifens des Feuers auf von anderen bewohnte Gebäude, beziehen muss. Wenn der Vorsatz des § 109 Abs. 2 die Möglichkeit des Übergreifens umfasst, hat der Täter normalerweise auch den Vorsatz für den Brandstiftungstatbestand des § 108. Es werden verschiedene Theorien in Bezug auf diese Unterscheidung vertreten. Für den Vorsatz des § 109 Abs. 2 sei etwa die Kenntnis der Gemeingefahr, nicht aber ihre Billigung erforderlich. Eine zweite Theorie hält es für ausreichend, dass der Täter zumindest die Möglichkeit des Übergreifens befürchtet, auch wenn er keine Kenntnis von ihr hat. c) Brandstiftung an anderen Sachen als Gebäuden (§ 110 StGB) Der in § 110 geregelte Tatbestand sieht vor, dass sich strafbar macht, „wer Feuer legt und eine in den beiden vorstehenden Paragraphen nicht genannte Sache in Brand setzt und dadurch eine gemeine Gefahr herbeiführt“. Die Handlungsobjekte sind Sachen, die keine Gebäude sind und die nicht vom Tatbestand des § 108 erfasst werden (d. h. nicht erfasst sind: auch Dampfwagen, elektrische Züge, Bergwerke usw.). Erfasst wird also nur das „in Brand setzen“ z. B. von anderen Fahrzeugen, Schränken oder Tischen usw. Diese Straftat ist ein konkretes Gefährdungsdelikt. Die Entstehung der konkreten Gemeingefahr ist notwendig. Die Gemeingefahr bedeutet nicht nur die Möglichkeit des Übergreifens auf die in §§ 108 f. bezeichneten Gebäude, sondern auch die Gefährdung von Leben, Körper oder Vermögen mehrerer oder einer unbestimmten Anzahl von Menschen. In einem Fall, in dem der Täter den Wagen seines Schullehrers in Brand setzte, der neben zwei anderen Autos geparkt war, hat der OGH12 eine Strafbarkeit gemäß 11 Ausgenommen der Fall des § 115, der die Anwendung des § 109 Abs. 1 ausschließt. In § 115 ist die Ausnahme für das eigene Gebäude, das z. B. beschlagnahmt wurde, geregelt. 12 Beschluss des OGH v. 14. 4. 2003, Keishu Bd. 57, H. 4, S. 445.
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§ 110 Abs. 1 angenommen, obwohl sich zu dieser Zeit keine Personen in den Fahrzeugen befanden. Der OGH hat damit deutlich gemacht, dass auch eine Gemeingefahr für das „Vermögen“ ausreichend ist.
III. Die Fälschungsdelikte 1. Verschiedene Fälschungsdelikte Die Bestrafung der Fälschungsdelikte bezweckt, Verkehrssicherheit im wirtschaftlichen Leben zu schützen. Geld, Urkunden oder Wertpapiere usw. sind die wichtigsten technischen Mittel des wirtschaftlichen oder rechtlichen Verkehrs, weshalb das Vertrauen in sie strafrechtlich geschützt werden muss. Die Straftaten der Urkundenfälschung werden im Rahmen der Fälschungsdelikte erörtert, weil sich dort die Grundgedanken der Fälschungsdelikte wiederfinden. Die Geldfälschung ist im alltäglichen Leben auch wichtig, hier muss aber leider wegen des begrenzten Raumes für eine Darstellung auf ihre Erörterung verzichtet werden. 2. Rechtsgüter und Varianten der Fälschungsdelikte Das Leben in der modernen Gesellschaft wird durch den wirtschaftlichen und rechtlichen Verkehr unterstützt. Die Sicherheit des wirtschaftlichen Verkehrs muss durch das Recht garantiert werden. Für den Rechtsverkehr werden dazu unterschiedliche Institutionen, Organe und Mittel verwendet. Als technische Mittel gibt es z. B. das umlaufende Geld, Urkunden, Wertpapiere, Stempel oder Unterschriften. Die öffentliche Zuverlässigkeit dieser Mittel oder Institutionen muss gegen Fälschungen auch rechtlich geschützt werden. Wenn die Zuverlässigkeit dieser Institutionen ins Schwanken gerät, wird das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben vieler Menschen gefährdet. Deswegen sind die Straftaten der Fälschung als Straftaten gegen die „öffentliche Zuverlässigkeit“ zu bezeichnen. Das geschützte Rechtsgut ist die Sicherheit des Rechtsverkehrs. Unter den Delikten zum Schutz der Sicherheit des wirtschaftlichen Verkehrs gibt es solche Straftaten wie Geldfälschung (Abschnitt 16), Urkundenfälschung (Abschnitt 17), Wertpapierfälschung (Abschnitt 18), Herstellung elektromagnetischer Aufzeichnungen von Zahlungskarten (Abschnitt 18 a), Stempelfälschungen (Abschnitt 19) und Straftaten bezüglich unrichtig programmierter elektromagnetischer Aufzeichnungen (Abschnitt 19 a). Diese Straftaten lassen sich als „Fälschungsdelikte“ erfassen. Hier sind nur die einzelnen Tatbestände der Urkundenfälschung (Abschnitt 17) zu nennen; die Fälschung des kaiserlichen Redeskripts (§ 154), die Fälschung amtlicher Urkunden (§ 155), die Herstellung falscher amtlicher Urkunden (§ 156),
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die unwahre Eintragung in die Urschrift notarieller Urkunden usw. (§ 157), die Verwendung gefälschter amtlicher Urkunden (§ 158), die Fälschung von Privat urkunden (§ 159), die Herstellung falscher ärztlicher Diagnoseurkunden usw. (§ 160), der Gebrauch gefälschter privater Urkunden (§ 161) und die unberechtigte Herstellung und Verwendung elektromagnetischer Aufzeichnungen (§ 161 a). 3. Die Grundkategorien der Urkundenfälschung a) Die Funktion der Urkunde und ihr strafrechtlicher Schutz Die Urkunde spielt eine wichtige Rolle als ein Beweismittel oder auch als Garantie- und Datenspeicherungsmittel von Rechten, Pflichten oder Tatsachen unseres gesellschaftlichen Lebens. Sie wird auch als ein Beweismittel der Identifikation (Personalausweis) und für Qualifikationen (etwa Schul- und Universitätszeugnisse) verwendet. Die Straftaten der Urkundenfälschung haben den Zweck, die öffentliche Zuverlässigkeit der Urkunde zu schützen und die Verkehrssicherheit zu bewahren. b) Formalismus und Materialismus bei der Gesetzgebung Die Fälschung im weiten Sinne besteht aus der Fälschung im engen Sinne und der Falschbeurkundung. Die Fälschung im engen Sinne wird auch als „körperliche Fälschung“ bezeichnet. Bei dieser Fälschung wird über die Identität zwischen dem wirklichen Aussteller und der als Aussteller genannten Person getäuscht. Die Rechtsprechung hat die Fälschung neuerdings häufig wie folgt definiert: Die Fälschung ist die Herstellung einer Urkunde bei „fehlender Übereinstimmung der Personenidentität zwischen dem nominellen Aussteller und dem tatsächlichen Aussteller der Urkunde“. Die Falschbeurkundung ist dagegen die Täuschung über den Inhalt der Urkunde. Bei der Falschbeurkundung fehlt die Personenidentität also nicht, vielmehr stellt der befugte Aussteller eine Urkunde falschen Inhalts her. Die Falschbeurkundung ist daher als „unkörperliche Fälschung“ zu bezeichnen. Ein Beispiel zur Erklärung dieser Unterscheidung: In Japan ist der Bürgermeister für die Bescheinigung zuständig, mit der der Antragsteller als Einwohner der jeweiligen Stadt oder Gemeinde bestätigt wird. Wenn ein Nicht-Bürgermeister diese Bescheinigung herstellt, ist die Urkunde gefälscht. Wenn hingegen der Bürgermeister selbst eine Bescheinigung ausstellt, die einen Nicht-Einwohner als Einwohner bestätigt, ist die Urkunde durch eine Falschbeurkundung entstanden. Im japanischen StGB wird – nach dem Vorbild im französischen Strafrecht – grundsätzlich nur die „körperliche Fälschung“ bestraft, d. h. der falsche Aussteller fertigt eine Urkunde an. Eine Strafbarkeit der „immateriellen (unkörperlichen) Fälschung“, d. h. der richtige Aussteller fertigt eine inhaltlich unzutreffende Urkunde an, ist nur ausnahmsweise mit Strafe bedroht. Z. B. ist die
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Falschbeurkundung von Privaturkunden nur mit Strafe bedroht, wenn ein Arzt eine falsche „ärztliche Diagnoseurkunde“ herstellt (§ 160). Die Falschbeurkundung aller anderen Privaturkunden ist von der Strafbarkeit ausgenommen13. Diese Methode der Gesetzgebung, die hauptsächlich die „körperliche Fälschung“ unter Strafe stellt, ist als „Formalismus“ zu bezeichnen. Wenn die Falschbeurkundung, also hauptsächlich die „unkörperliche Fälschung“ unter Strafe gestellt wird, ist diese Gesetzgebung als „Materialismus“ zu bezeichnen. In Japan ist der „Formalismus“ übernommen worden. c) Definition der Urkunde Die Urkunde ist eine Verkörperung des menschlichen Willens oder menschlicher Vorstellungen, der bzw. die auf einer Sache perpetuiert wurden, indem Buchstaben oder sonstige lesbare und verstehbare Zeichen dauerhaft dargestellt wurden. Die Urkunde lässt ihren Aussteller und ihren Inhalt erkennen, der als Beweis in Bezug auf rechtlich oder im gesellschaftlichen Leben wichtige Angelegenheiten verwendet werden kann. Die Urkunde muss zum Beweis geeignet (Beweiseignung) und bestimmt sein (Beweisbestimmung). aa) Lesbarkeit Die Anforderung der „Lesbarkeit“ setzt zunächst die „Visibilität“ der Zeichen, die den gedanklichen Inhalt verkörpern, voraus14. Daher werden Aufzeichnungen, die auf Schallplatten, Tonband oder Videofilm gespeichert sind, nicht erfasst. Die Aufzeichnungen, die mit Zeichen geschrieben wurden, die erst mit der Hilfe eines Gerätes als für den Menschen verständliche Sinneinheit auftauchen oder erst durch eine Aufarbeitung der Maschine visibel werden, sind keine Urkunde. Die Hard-Disk, Floppy-Disk oder der USB-Stick sind keine Urkunden. Dagegen sind Strichcodes, Mikrofilme oder Mikrofiche als Urkunden anzusehen, weil sie schon von Anfang an visibel und lesbar sind. Was die elektromagnetischen Aufzeichnungen, die mit Computern bearbeitet werden, anbelangt, so wurde durch eine Reform eine Legaldefinition in das StGB (§ 7 a) eingeführt15: „Mit der elektromagnetischen Aufzeichnung sind in diesem Gesetz die Aufzeichnungen gemeint, die durch elektronische, magnetische oder 13 Dagegen wird die Herstellung falscher „amtlicher Urkunden“ (§ 156) als Falschbeurkundung im Allgemeinen bestraft. 14 Zur „Lesbarkeit“ als eine Anforderung der Urkunde s. bereits Abschnitt G., II., 5. 15 Vor der Reform hat die Rechtsprechung – wie schon früher in Bezug auf das Gesetzlichkeitsprinzip erwähnt wurde (s. Abschnitt G., II., 5.), die Urkundeneigenschaft der elektromagnetischen Aufzeichnungen bejaht. Und zwar hat sie die elektromagnetischen Aufzeichnungen zusammen mit dem Ausdruck dieser Aufzeichnungen als eine Einheit angesehen, weil der unlesbare Teil sofort gelesen werden kann, wenn man ihn durch einen
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sonstige Formen, die durch die menschliche Wahrnehmung nicht erkennbar sind, hergestellt wurden und die zur Datenverarbeitung mit einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage verwendet werden“ (§ 7 a). Der gedankliche Inhalt muss in einem einigermaßen dauerhaften Zustand ausgedrückt worden sein. Deswegen ist die „Vertragsurkunde“, die mit einem Düsenflugzeug in der Luft mit Kondensstreifen geschrieben wird, keine Urkunde, eine Photographie davon hingegen schon. Deswegen ist auch der auf dem Bildschirm angezeigte Personalausweis keine Urkunde, weil er mit dem Ausschalten des Computers nicht mehr sichtbar ist und es daher an der erforderlichen Dauerhaftigkeit fehlt. bb) Der Ausdruck des Ausstellers auf der Urkunde Aus der Urkunde muss der Aussteller erkennbar sein. Der Aussteller ist das sich aus der Urkunde ergebende Herstellungssubjekt. Die Urkunde hat eine Garantiefunktion. Deswegen muss sie den Verantwortungsträger für den Urkundeninhalt auf der Urkunde angeben. Der Aussteller kann eine natürliche Person, eine juristische Person oder eine andere Gemeinschaft sein, die nicht als juristische Person qualifiziert ist. Der Aussteller muss nicht in Wirklichkeit existieren. Aber ein Name, durch den sofort klar ist, dass der bezeichnete Aussteller nicht existiert, reicht nicht aus. Z. B. wenn als Aussteller einer Quittung vom 1. 1. 2018 der „Bundeskanzler Otto von Bismarck“ angegeben wird. Das Urteil des OGH16 aus dem Jahr 1949 hat ein Schriftstück, das als Austeller den frei erfundenen „Chef der Verwaltungsabteilung der ersten Kavalleriedivision, G. M. White“ angab, als Privaturkunde anerkannt, da nicht sofort erkennbar war, dass diese Person nicht existierte. cc) Urkundeneigenschaft der Fotokopie? Die Urkunde muss eine originale Urkunde sein. Deswegen sind die (handgeschriebenen) Abschriften im Prinzip keine Urkunden. Umstritten war in Japan, ob die Fotokopie eine Urkunde ist. Am Anfang kamen die unteren Gerichte zu verschiedenen Ergebnissen. Aber der OGH17 hat 1976 die Fotokopie als Urkunde anerkannt. Der Angeklagte hatte als Rechtspfleger eine Kopie eines Empfangsscheins für ein Depositengeld hergestellt, um sie zu verwenden. In der Begründung argumentierte der OGH, dass die Urkundendelikte die amtliche Urkunde schützen, die die soziale Funktion als ein Beweismittel hat. „Die Urkunde als Computer anzeigen lässt und mit einem Drucker ausdruckt. Vgl. Beschluss des OGH v. 24. 11. 1983, Keishu Bd. 37, H. 9, S. 153. 16 Urteil des OGH v. 14. 4. 1949, Keishu Bd. 3, H. 4, S. 541. 17 Urteil des OGH v. 30. 4. 1976, Keishu Bd. 30, H. 3, S. 453.
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Handlungsobjekt dieses Deliktes wird nicht auf Originale begrenzt, sondern auch die Abschrift wird umfasst, sofern die Abschrift denselben gedanklichen Inhalt wie die originale Schrift erhält und die gleiche soziale Funktion und Zuverlässigkeit als Beweismittel wie eine originale Urkunde aufweist“. Die Lehre ist bezüglich der Kopie-Frage gespalten. Die positive Theorie stellt die Kernbehauptung auf, dass der aus der originalen Urkunde erkennbare Aussteller mit demjenigen identisch ist, der auf der Fotokopie angegeben ist, denn die Fotokopie ist eine nach Inhalt und Form exakte Reproduktion der Originalurkunde. Das Kernargument der entgegengesetzten negativen Theorie ist, dass der Aussteller der Kopie nicht notwendig mit dem Aussteller der Originalurkunde identisch sein muss, denn es lässt sich nicht erkennen, wer die Kopie hergestellt hat. dd) Begriff des „Ausstellers“ In der Lehre gibt es zwei Theorien über die Person des Ausstellers. Zum einen die Körperlichkeitstheorie und zum anderen die Geistigkeitstheorie. Nach der ersteren ist der Aussteller derjenige, der die Urkunde tatsächlich hergestellt hat. An dieser Theorie wird kritisiert, dass nach ihr der Typograph oder die Sekretärin als Aussteller der Urkunde angesehen werden müsste und so hergestellte Urkunden unecht seien, da in ihnen ja ein anderer Aussteller bezeichnet ist. Nach der anderen Ansicht ist derjenige Aussteller, der den Willen zur Herstellung hat. Der Aussteller ist danach das Willenssubjekt, das in die Urkunde eingetragen ist18. Die Geistigkeitstheorie ist die herrschende Meinung. In der Rechtsprechung sorgte eine Entscheidung19 für besondere Aufmerksamkeit. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Fahrer hatte gegen die Verkehrsordnung verstoßen und ihm war deshalb sein Führerschein zeitweise entzogen worden. In dieser Zeit erlaubte ihm ein Bekannter, seinen Namen anzugeben, falls der Täter in eine Verkehrskontrolle geraten sollte. Als der Fahrer dann kontrolliert wurde, sagte er: „Ich habe meinen Führerschein versehentlich zuhause vergessen“. In das Formular der Polizei zur Erfassung der verkehrsordnungswidrigen Handlung trug er den Namen des Bekannten ein und unterschrieb mit dessen Namen. Der OGH hat die Verurteilung wegen Privaturkundenfälschung (§ 159 Abs. 1) wie folgt begründet: „Das Formular zur Erfassung der verkehrsordnungswidrigen Handlung ist eine Urkunde, bei der es ihrer Natur nach rechtlich nicht erlaubt ist, dass derjenige, der die Urkunde herstellt, mit dem in ihr bezeichneten Aussteller personenverschieden ist“. Wenn man den Fall nach der Geistigkeitstheorie prüft, liegt eine echte Urkunde hingegen vor, denn die Herstellung der Urkunde entsprach dem Willen des in ihr bezeichneten Ausstellers, nämlich dem Willen des Bekannten, der in die Verwendung sei18 Vgl. 19
Otsuka, BT, 3. ergänzte Aufl., 2005, S. 441. Beschluss des OGH v. 8. 4. 1981, Keishu Bd. 35, H. 3, S. 57.
IV. Sexualdelikte, die das gemeinschaftliche Zusammenleben gefährden
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nes Namens eingewilligt hatte. Aber natürlich lässt sich die Wirksamkeit dieser Einwilligung bestreiten, weil sie eine rechtlich unerlaubte Einwilligung ist. Die Begründung des OGH zur Annahme einer Fälschung scheint jedoch besser zu sein, weil es nicht auf den „Willen“ des Bekannten, sondern auf die Natur der Urkunde ankommt, die niemand außer dem Verursacher der Verkehrsordnungswidrigkeit herstellen darf. Da der wirkliche Aussteller offensichtlich der Fahrer und der bezeichnete Aussteller der Bekannte ist, liegt eine gefälschte Urkunde vor. Meiner Ansicht nach ist die Körperlichkeitstheorie im Prinzip richtig. Sie muss aber nicht immer so streng ausgelegt werden wie im eingangs erwähnten Beispiel. Die Sekretärin oder der Typograph haben keinen eigenen Gedanken in die Urkunde hineingelegt, sondern alle Gedanken stammen von dem Autor oder dem Chef. Die Körperlichkeitstheorie muss daher modifiziert werden. Der Aussteller ist derjenige, der tatsächlich den Inhalt, die Form oder auch den Stil der Urkunde willentlich verfasst hat. Der Gehilfe des Ausstellers hat lediglich bei der Herstellung der Urkunde auf Anweisung ohne breiten Ermessensspielraum geholfen. Diese Theorie ist als die „modifizierte Körperlichkeitstheorie” oder „Theorie der dem Subjekt zurechnenden Handlung“ zu bezeichnen20.
IV. Sexualdelikte, die das gemeinschaftliche Zusammenleben gefährden 1. § 174, § 175 und § 184 StGB Als Sexualstraftaten gegen Sozialrechtsgüter sind die folgenden drei Straftatbestände wichtig: Die unzüchtige Handlung in der Öffentlichkeit (§ 174), die Verbreitung unzüchtiger Sachen usw. (§ 175) sowie die Doppelehe (§ 184). Allerdings ist die Doppelehe etwas anders als die beiden erstgenannten Delikte. Sie bestraft nur die gesetzesförmlich geschlossene Doppelehe, die tatsächlich nur ganz selten vorkommt. Der Tatbestand schützt also nur die Institution der „Monogamie“. 2. Unzüchtige Handlungen in der Öffentlichkeit (§ 174 StGB) Nach § 174 macht sich strafbar, „Wer öffentlich eine unzüchtige Handlung begeht“. „Öffentlichkeit” meint eine Situation, in der die Handlung von mehreren oder einer unbestimmten Zahl von Menschen erkannt werden kann. Unter einer „unzüchtigen Handlung“ wird eine Verhaltensweise verstanden, „die den Geschlechtstrieb des Handelnden oder von anderen stimuliert oder befriedigt, das sexuelle Schamgefühl von normalen Menschen verletzt und der guten sexu20 Ausführlich vgl. Yamanaka, Über den Fälschungsbegriff bei den Urkundsdelikten: ein Vorschlag zur Theorie vom Subjekt, dem die Handlung zuzurechnen ist (in japanischer Sprache verfasst), in: Hogaku Ronshu Bd. 50, H. 5 (2000), S. 1 ff.
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S. Schutz der sozialen Sicherheit
ellen Moral widerspricht“21. Die Definition ist also sehr unklar, da sie mehrere normative Begriffe enthält. 3. Verbreitung oder öffentliche Ausstellung einer unzüchtigen Sache (§ 175 StGB) Der § 175 bedroht die Verbreitung der unzüchtigen Sachen usw. mit Strafe. Nach § 175 Abs. 1, S. 1 macht sich strafbar, „wer unzüchtige Schriften, Abbildungen, Datenträger, elektromagnetische Aufzeichnungen oder sonstige Sachen verbreitet oder öffentlich ausstellt“. Abs. 1, Satz 2 regelt dann die Verbreitung von unzüchtigen elektromagnetischen oder sonstigen Aufzeichnungen durch die Übertragung mittels elektronischer Kommunikation. Drittens verbietet § 175 Abs. 2 auch den Besitz derartiger Sachen oder auch die Aufbewahrung der elektromagnetischen Aufzeichnungen in der Absicht, sie zu veräußern. Die Vorschrift des § 175 ist durch die Reform von 2012 geändert worden. Davor waren nur „Sachen“ taugliche Handlungsobjekte. Deswegen war es unmöglich, die Verbreitung unzüchtiger elektromagnetischer Aufzeichnungen im Internet zu bestrafen. Der neue Abs. 1, Satz 1 ist immer noch auf „Sachen“ beschränkt. Deswegen wird derjenige nach diesem Satz bestraft, der USB-Sticks mit unzüchtigen elektromagnetischen Aufzeichnungen an mehrere Personen verbreitet. Der Abs. 1, Satz 2 erfasst dagegen nun auch die Verbreitung von unzüchtigen elektromagnetischen Aufzeichnungen „mittels elektronischer Kommunikation“. In den Tatbestand des Absatzes 2 wurde durch die Reform die Aufbewahrung „elektromagnetischer Aufzeichnungen“ aufgenommen. 4. Doppelehe (§ 184 StGB) Diejenigen, die eine Doppelehe eingehen, werden gemäß § 184 bestraft. Die „Ehe“ muss bei diesem Tatbestand eine „gesetzliche Ehe“ sein. Sie schließt kein tatsächliches eheähnliches Verhältnis ein. Deswegen kommt dieses Delikt selten vor. Es handelt sich, falls doch einmal gegeben, um ein Zustandsdelikt.
21
Vgl. Urteil des OGH v. 10. 5. 1951, Keishu Bd. 5, H. 6, S. 1026.
T. Staatsschutz I. Grundlage der Delikte gegen den Staat Die Straftaten gegen staatliche Rechtsgüter lassen sich in die Straftaten gegen die Existenz des Staates an sich und in die Straftaten gegen die staatlichen Tätigkeiten, oder die Staatsgewalt, unterscheiden. Die ersteren lassen sich weiter in Angriffe auf den Staat aus dem Inneren und aus dem Ausland differenzieren. Bei Angriffen aus dem Inneren kommt eine Strafbarkeit wegen Hochverrats (Abschnitt 2 des StGB) in Betracht, bei Angriffen von außen sind die Delikte „betreffend ausländische Bedrohungsrisiken“ (Abschnitt 3) einschlägig. Die Straftaten gegen das öffentliche Amt lassen sich in Delikte einteilen, die innerhalb und solche, die außerhalb des Staatsapparats begangen werden. Es wird zwischen Straftaten durch Beamte, wie Amtsmissbrauch usw., und Nicht-Beamte, z. B. die Amtsstörung oder die Bestechung, unterschieden. Hier werden nur die Straftaten gegen das Amt und gegen die Rechtspflege sowie die Bestechung erörtert. Denn Straftaten gegen die Existenz des Staates oder Delikte, die ausländische Bedrohungsrisiken betreffen, kommen nur selten vor.
II. Straftaten gegen das öffentliche Amt 1. Strafnormen zum Schutz der öffentlichen Amtsausübung Das japanische StGB schützt verschiedene öffentliche Ämter und damit staatliche oder gemeindliche Gewalt. Die Straftaten der Zuwiderhandlungen gegen Amtsausübungen (Abschnitt 5 des StGB) haben den Zweck, die reibungslose und gerechte Durchsetzung der öffentlichen Tätigkeiten der Gesetzgebung, Rechtspflege und der Verwaltung zu garantieren. Diese Kategorie umfasst die Straftaten der Amtsausübungsstörung (§ 95 Abs. 1), der Amtsnötigung (Abs. 2), der Beschädigung des Siegels der Beschlagnahme usw. (§ 96), die Vermögensschädigung in der Absicht der Hinderung der Zwangsvollstreckung (§ 96 a) usw. bis hin zur Störung des öffentlichen Vertragsschlusses (§ 96 e)1. Die Straftaten gegen die Rechtspflege sind die Entweichung2 (Abschnitt 6), Straftaten bezüglich des Ver1
Diese Vorschriften von § 96 bis § 96 e wurden 2011 reformiert und ergänzt. Es gibt sechs Tatbestände: Entweichung (§ 97) und qualifizierte Entweichung (§ 98), Verschleppung von Gefangenen (§ 99), Fluchthilfe (§ 100), Fluchthilfe durch Aufsichtspersonen usw. (§ 101) und deren Versuch (§ 102). „Entweichung“ bedeutet Flucht der Verhafteten usw. aus einer Haftanstalt. 2
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T. Staatsschutz
bergens von Tätern und der Beweismittelvernichtung (Abschnitt 7), Straftaten des falschen Zeugnisses (Abschnitt 20), sowie die Straftaten der falschen Anschuldigung (Abschnitt 21). Als die Straftaten im Amte (25. Abschnitt) werden der Amtsmissbrauch des Beamten (§ 193 bis § 196), die Bestechungsannahme, die Bestechung auf Verlangen und die vorgeleistete Bestechung (Annahme einer Bestechung durch Beamtenaspiranten) (§ 197 Abs. 2) usw. und die Überreichung der Bestechung (§ 198) mit Strafe bedroht. 2. Straftaten, die die Amtsausübung stören a) Tatbestandsmerkmale der Amtsausübungsstörung Das Rechtsgut ist die reibungslose und gerechte Amtsausübung3, die die öffentlichen Tätigkeiten des Staates oder der Gemeinden erfasst4. Das „Amt“ bedeutet nach der herrschenden Meinung „alle Arten von Angelegenheiten, die Beamte behandeln“5. Die Gewalt oder Drohung müssen „bei der Amtsausübung“ eingesetzt werden. „Bei“ bedeutet nicht „während“ und wird weiter verstanden als das letztgenannte Wort. Es werden nicht nur Handlungen während der Amtsausübung, sondern auch „Amtshandlungen, die noch als Handlungen im Bereich der Amtsausübung angesehen werden können, also Handlungen, die mit der Amtsausübung zeitlich eng verbunden sind und nicht ohne weiteres von ihr getrennt werden können, weil ein einheitlicher Zusammenhang zwischen der Handlung und der Amtsausübung besteht, so wie bei den Handlungen, die gerade vor dem Beginn der Amtsausübung vorgenommen werden“6. Also umfasst „bei“ der Amtsausübung auch die Handlungen im „Vorbereitungsstadium“ und die sich der Amtsausübung unmittelbar anschließenden Handlungen. b) Rechtmäßigkeit der Amtsausübung Die Amtsausübung muss rechtmäßig sein. Die Anforderung der „Rechtmäßigkeit“ gehört zum Tatbestandsmerkmal der Amtsausübung. Daher ist die Ausübung von Gewalt oder das Aussprechen von Drohungen gegen rechtswidrige Amtsausübungen von Beamten bereits nicht tatbestandsmäßig. Andere Delikte wie die Gewalttat (§ 208) oder Bedrohung (§ 222) bzw. Nötigung (§ 223) sind hingegen (erst) gerechtfertigt. Es werden drei verschiedene Ansichten dazu ver3 In der Zeit der Gesetzgebung wurde die „Autorität des Beamten oder des Amtes“ als Rechtsgut angesehen. Die geltende Verfassung sieht den Beamten als „Diener aller Bürger“ an (§ 15 Abs. 2 Verf.). 4 Urteil des OGH v. 2. 10. 1953, Keishu Bd. 7, H. 10, S. 1883. 5 Das ist auch die Meinung der Rechtsprechung: Urteil des OGH v. 29. 6. 1978, Keishu Bd. 32, H. 4, S. 816; Beschluss des OGH v. 8. 5. 1979, Keishu Bd. 38, H. 7, S. 2621. 6 Urteil des OGH v. 22. 12. 1970, Keishu Bd. 24, H. 13, S. 1812.
II. Straftaten gegen das öffentliche Amt
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treten, unter welchen Umständen eine Amtsausübung rechtmäßig ist: (1) Die einschlägige Handlung des Beamten muss zu seiner abstrakten amtlichen Befugnis gehören. (2) Der betreffende Beamte muss eine konkrete amtliche Befugnis zu der Amtsausübung haben. (3) Die einschlägige Handlung muss die wesentlichen gesetzlichen Voraussetzungen oder geregelten wichtigen Formalitäten erfüllen. In Bezug auf die dritte Anforderung sind zwei Entscheidungen zu erwähnen: Ein Steuerbeamter hatte bei der Untersuchung bezüglich der Einkommensteuer das Abzeichen für seine Kontrollbefugnis nicht bei sich gehabt, obwohl er verpflichtet ist, dieses Abzeichen zu tragen. Der OGH7 hat die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung bejaht. In einem Fall, in dem ein Polizist bei einer Notfestnahme (§ 210 StPO) dem Verdächtigen den „Kernpunkt des Verdachts“ nicht mitgeteilt hatte, hat das OG Tokyo8 die Rechtmäßigkeit verneint. c) Begriff der Gewaltausübung Der Gewaltbegriff der Amtsstörung ist weiter als der der Gewaltausübung in § 208. Die Gewalt muss sich zwar gegen den Beamten richten, aber nicht zwangsläufig unmittelbar gegen den Köper des Beamten. Auch die Gewalt gegen Sachen kann eine Gewaltausübung gegen Beamte darstellen: Wenn der Täter Gewalt gegen einen Streifenwagen ausübt, neben dem Polizisten stehen, indem er z. B. mit einem Holz auf das Fahrzeug schlägt, richtet sich diese Gewalt auch gegen die Beamten9. Auch die Gewaltausübung gegen den Diener oder Helfer des Beamten wird als Gewalt gegen den Beamten angesehen10. Die Gewalt oder Drohung müssen einen Grad erreichen, der ausreicht, um die Amtsausübung zu stören. 3. Amtsnötigung Die Nötigung zur Amtsausübung wird in § 95 Abs. 2 geregelt. Danach macht sich straf bar, wer gegen einen Beamten Gewalt anwendet oder ihm droht, um ihn zur Durchführung oder Unterlassung irgendeiner Maßnahme oder zum Zurücktreten von seinem Amt zu veranlassen. Diese Straftat richtet sich also auf eine künftige Amtsausübung des Beamten. Sie kann sich gemäß der zweiten geregelten Tathandlung auch gegen die Stellung des Beamten selbst richten. Auch die Nötigung zu einer rechtmäßigen Verfügung kann diesen Tatbestand erfüllen.
7
Urteil des OGH 28. 3. 1952, Keishu Bd. 6, H. 3, S. 546. Urteil des OG Tokyo v. 30. 4. 1959, Kokeishu Bd. 12, H. 5, S. 486. 9 Urteil des OGH v. 23. 1. 1952, Keishu Bd. 16, H. 1, S. 16. 10 Urteil des OGH v. 24. 3. 1966, Keishu Bd. 20, H. 3, S. 129. 8
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T. Staatsschutz
III. Straftaten gegen die Rechtspflege Die Straftaten bezüglich des Verbergens des Täters und der Beweismittelvernichtung (Abschnitt 7) sind gegen die strafrechtliche Rechtspflege, d. h. die Straftatenermittlung, das Strafverfahren oder den Strafvollzug gerichtet11. Dazu zählen insbesondere das Verbergen des Täters (§ 103), die Beweismittelvernichtung (§ 104) und die Zeugenerpressung (§ 105 a). 1. Verbergen oder Verstecken des Täters a) Die Anforderungen bezüglich der verborgenen oder verdeckten Person § 103 verbietet das „Verbergen“ oder das „Verstecken“ einer „Person, die eine Straftat begangen hat, die eine schwerere Strafe als Geldstrafe vorsieht“, oder einer „Person, die während der Zeit ihrer Festnahme entwichen ist“. Wer derjenige ist, der eine „Straftat begangen hat“, ist umstritten. Entweder ist damit (1) derjenige gemeint, der der „wahre Täter“ ist, oder (2) derjenige, nach dem gefahndet wird oder der wegen des Verdachtes einer Straftat verfolgt wird, oder (3) derjenige, gegen den der begründete Verdacht besteht, der wahre Täter zu sein. Die Rechtsprechung12 vertritt die zweite Meinung. Diese Ansicht lässt sich so interpretieren, dass diejenige Person erfasst wird, „die nachträglich nicht beweisen kann, dass kein Tatverdacht gegen sie vorlag“13. b) Verbergen und Verstecken Was den Sinn des „Verbergens“ und des „Versteckens“ anbelangt, so bedeutet „Verbergen“ das Gewähren von Zuflucht, um der Entdeckung oder der Festnahme durch die Behörden zu entkommen, dagegen sind mit dem „Verstecken“ alle Handlungen gemeint, die nicht durch den Begriff des Verbergens erfasst werden. Beim Verstecken gibt es zwei Fallgruppen. Erstens das unmittelbare Einwirken auf den Täter und zweitens das Einwirken auf Ermittlungsorgane. Z. B. durch die Mitteilung einer falschen Information über den Aufenthaltsort des Täters an die Polizei. c) Verstecken der bereits festgenommenen Person? Eine Entscheidung hat besondere Aufmerksamkeit erzeugt, weil es um die Frage ging, ob das Erscheinen des vorgetäuschten wahren Täters (B) bei der Po11
Vgl. Urteil des OGH v. 1. 5. 1989, Keishu Bd. 43, H. 5, S. 405. Urteil des OGH v. 9. 8. 1949, Keishu Bd. 3, H. 9, S. 1440. 13 Vgl. Yamanaka, Strafrecht BT, 3. Aufl., 2015, S. 797. 12
III. Straftaten gegen die Rechtspflege
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lizei, obwohl bereits eine andere Person (A) als Täter festgenommen worden war, ein „Verstecken“ darstellt. Ein Stab der Organisation (des Beschuldigten A) hatte dem B befohlen, dass er als Täter mit der Pistole bei der Polizei erscheinen solle, damit der Boss A entlassen werde. Der B tat dies zwar, allerdings wurde der A nicht entlassen. Die erste Instanz14 hat den Angeklagten freigesprochen, weil seine Handlung den festgenommenen A nicht befreit hat. Das geschützte Rechtsgut ist die strafrechtliche Rechtspflege, die bezüglich der Festnahme von Verdächtigen deren körperlichen Freiheitsentzug umfasst. Die zweite Instanz15 hat den Sinn dieses Tatbestandes so verstanden, dass er in der Bestrafung der Handlungen, die das Wirken der Staatsmacht stören, liegt. Das OG hat den Angeklagten dementsprechend verurteilt. Der OGH hat den Tatbestand so interpretiert, dass auch derjenige, der in derselben Zeit bereits verhaftet worden ist, „Täter“ im Sinne der Norm sein kann. Die Handlung, die geeignet ist, die andere bereits verhaftete Person zu befreien, werde von der Norm erfasst16. 2. Vernichtung usw. von Beweismitteln a) Definition der Begriffe in § 104 StGB § 104 regelt die Vernichtung, Fälschung oder Verfälschung des Beweises, der sich auf die Strafsache eines anderen bezieht oder die Verwendung eines gefälschten oder verfälschten Beweises. Das Handlungsobjekt ist das „Beweismittel, das sich auf die Strafsache eines anderen bezieht“. „Vernichtung“ sind alle Handlungen, die die Offenbarung des Beweises verhindern oder den Beweiswert verwirken oder vermindern. „Fälschung“ bedeutet die Herstellung eines unechten Beweises. Die „Verfälschung“ ist die Änderung der Wirkung des Beweismittels durch die Bearbeitung des echten Beweises. „Benutzung“ bedeutet, den gefälschten oder verfälschten Beweis als ein echtes Beweismittel zu verwenden. b) Aufgenommenes Protokoll als Beweismittel? Umstritten ist, ob ein Zeuge den Tatbestand der Vernichtung eines Beweismittels erfüllt, wenn er das aufgenommene Protokoll seiner falschen Aussage im Stadium der Ermittlung unterschreibt. Bei der bloß falschen Aussage war und ist die Rechtsprechung schon seit Langem der Meinung, dass sie diesen Tatbestand nicht erfüllt17. Falls die Aussage in das Protokoll aufgenommen wird, wäre es möglich, dass man sie schon als Beweismittel ansieht. Aber nach Entscheidungen unterer 14
Urteil des LG Fukuoka Zweigstelle Kokura v. 5. 8. 1986, Keishu Bd. 43, H. 5, S. 410. Urteil des OG Fukuoka v. 28. 1. 1988, Keishu Bd. 43, H. 5, S. 417. 16 Beschluss des OHG v. 1. 5. 1989, Keishu Bd. 43, H. 5, S. 405. 17 Urteil des RG v. 23. 3. 1914, Keiroku Bd. 20, S. 1324. Beschluss des OGH v. 19. 10. 1953, Keishu Bd. 7, H. 10, S. 1945. 15
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Gerichte18 wird dadurch nicht die Vernichtung eines Beweises begründet. Eine Falschaussage ist nach dem StGB nur „vor Gericht“ als vereidigter Zeuge wegen Meineides (§ 169) strafbar. c) „Beteiligung“ des Täters an der Beweisvernichtung in seinem eigenen Fall? Eine weitere umstrittene Frage ist, ob der „Täter“ als Beteiligter betraft werden kann, wenn er an der Vernichtung, Fälschung oder Verfälschung des Beweises teilnimmt, der zu seiner eigenen Überführung verwertet werden soll, oder ob das Handlungsobjekt nur ein Beweismittel in einer „Strafsache gegen einen anderen“ sein kann. Die Frage ist daher, ob er sich in Bezug auf den eigenen Fall als Anstifter oder Gehilfe strafbar machen kann. Die herrschende Meinung und Rechtsprechung19 bejahen diese Frage für die Anstiftung. Dass der Täter den Beweis vernichtet, indem er sogar den Dritten in eine Straftat der Beweisvernichtung verwickelt, überschreitet den Bereich der noch hinzunehmenden Verteidigung. Es ist schwer zu sagen, dass der Verzicht auf seine Tat unzumutbar ist20. Sie ist jedoch das theoretische Ergebnis der „Theorie der Unrechtsteilnahme“. Nach der Verursachungstheorie kann der „Täter“ nicht als Anstifter bestraft werden, weil das Wesen seiner Straftat nicht in der „Verwicklung des Dritten in die Straftat“, sondern in der „Verursachung der Täterstraftat“ liegt. Im umgekehrten Fall, in dem der Dritte den „Täter“ zur Vernichtung des Beweises anstiftet, kann man auch mit der Verursachungstheorie zu verschiedenen Ergebnissen gelangen. Die Frage ist dann zunächst, ob das Merkmal der Straftaten von „anderen“ ein Tatbestandsmerkmal oder ein Schuldmerkmal ist. Nach der Theorie der „limitierten Akzessorietät“ ist die Strafbarkeit der Teilnahme nicht von Schuldmerkmalen abhängig. Wenn dieses Merkmal ein Tatbestandsmerkmal wäre, wäre eine Teilnahme nicht möglich, wenn das Merkmal nicht erfüllt ist. Wenn es ein Schuldmerkmal wäre, fehlte nur die Schuld des Täters. Deswegen lässt sich die Strafbarkeit des Anstifters bejahen. d) Sonderregel für die Straftaten zu Gunsten von Verwandten (§ 105 StGB) Der § 105 enthält eine Sonderregelung für Straftaten zu Gunsten von Verwandten: Bei den Straftaten von § 103 oder § 104 „kann der Täter von der Strafe befreit werden, wenn er die Straftat zu Gunsten von Verwandten begeht“. Dieser Paragraph regelt also einen Strafmilderungsgrund. 18
Urteil des LG Chiba v. 2. 6. 1995, Hanrei Jiho 1535, 144. S. dazu schon das Urteil des RG v. 15. 1. 1912, Keiroku Bd. 18, S. 1. Und für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Beschluss des OGH v. 16. 9. 1965, Keishu Bd. 19, H. 6. S. 679. 20 Dando, AT, S. 90; Otsuka, AT, S. 601. 19
IV. Bestechung
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IV. Bestechung 1. Kategorien und Rechtsgut der Bestechung a) Verschiedene Typen der Bestechungstatbestände Die Straftaten der Bestechung bestehen aus der „Bestechungsannahme“ (§ 197 bis § 197 c) und der „Überreichung der Bestechung“ (§ 198). Als Straftaten der Bestechungsannahme sind verschiedene Straftaten vorgesehen 21: bloße Bestechungsannahme (§ 197 Abs. 1 S. 1), Bestechung auf Verlangen (§ 197 Abs. 1 S. 2) und vorgeleistete Bestechung (§ 197 Abs. 2)22, Bestechungsüberreichung durch einen Dritten (§ 197 a), die qualifizierte und die nachträgliche Bestechung (§ 197 b), sowie die Bestechungsannahme durch Vermittlung (§ 197 c). b) Rechtsgut der Bestechung Was das Rechtsgut der Bestechung anbelangt, so stehen sich die Theorie der „Lauterkeit“ und die der „Unkäuflichkeit“ des öffentlichen Dienstes und seiner Diensthandlungen gegenüber. Nach der ersten Ansicht schützen die Bestechungsdelikte die Vollziehung des gerechten öffentlichen Dienstes. Wenn die Vorteilsannahme keinen Einfluss auf den Dienst des Beamten hat, dann wird das Rechtsgut nicht verletzt. Allerdings bedeutet der Straftatbestand der Bestechungsannahme (§ 197 Abs. 1 S. 1), dass eine strafbare Bestechung bereits vorliegt, wenn man die Bestechung annimmt, auch wenn die Annahme keinen Einfluss auf den Dienst des Beamten hat. Deswegen wird diese Theorie ausweitend ausgelegt, sodass nicht nur die reine „Lauterkeit“ des Dienstes, sondern auch das „Vertrauen der Gesellschaft auf Lauterkeit“ geschützt wird. 2. Begriff der amtlichen Tätigkeit a) Amtliche Tätigkeit Das Handlungsobjekt der Bestechungsdelikte ist das „Bestechungsgut“ (d. h. dasjenige, das zur Bestechung hingegeben wird). Das Bestechungsgut ist der Vorteil, den der Amtsträger als unrechte Gegenleistung für seinen Dienst erhält. 21 Die Tatbestände der Bestechung wurden 1941 reformiert und ergänzt. Damals wurden die Tatbestände § 197 Abs. 1 S. 2, § 197 Abs. 2, § 197 a und § 197 b Abs. 3 neu geschaffen. Der Tatbestand der Bestechungsannahme durch Vermittlung (§ 197 c), wurde nach dem Zweiten Weltkrieg (1958) neu geschaffen. 22 Nach § 197 Abs. 2 macht sich strafbar, wer als „ein Beamten- oder Schiedsrichter aspirant, an den im Hinblick auf das ihm anvertraute Amt ein unrechtmäßiges Verlangen gestellt wird und dieses von ihm erfüllt wird, eine Bestechung annimmt, verlangt oder sich versprechen lässt“.
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T. Staatsschutz
Wie ist die „amtliche Tätigkeit“ zu verstehen, für die der Vorteil gewährt wird? Nach der herrschenden Meinung ist damit nicht nur die „amtliche Handlung“ an sich gemeint, sondern auch die „Handlung, die mit den amtlichen Tätigkeiten in einem engen Zusammenhang steht“. „Amtliche Tätigkeiten“ sind alle Dienstleistungen, die der Amtsträger im Rahmen seiner Stelle als öffentliche Amtstätigkeiten behandeln soll.23 Es ist normal, dass dieser Bereich der amtlichen Tätigkeit durch Gesetze oder Verordnungen geregelt wird, wobei es für den Straftatbestand nicht unbedingt notwendig ist, dass ein konkretes Verhalten normiert ist, von dem der Amtsträger abweicht. Zudem ist es auch nicht notwendig, dass der jeweilige Amtsträger zur Tatzeit selbst handelt, allerdings muss er die Möglichkeit haben, auf die Diensthandlung tatsächlich Einfluss ausüben zu können. b) Inhalt der Handlung, die mit der amtlichen Tätigkeit in einem engen Zusammenhang steht Die „Handlung, die mit der amtlichen Tätigkeit in einem engen Zusammenhang steht“, ist zwar keine amtliche Diensthandlung an sich, aber sie wird wegen des engen Zusammenhangs mit der amtlichen Tätigkeit als quasi-amtliche Tätigkeit behandelt24. Die Handlungen, die mit der amtlichen Tätigkeit in einem engen Zusammenhang stehen, sind quasi-amtliche Tätigkeiten, die keinen rechtlichen Grund haben, die aber von der gewöhnlichen rechtmäßigen Diensthandlung abgeleitet werden können. Sie können auch noch aus einem anderen Grund begründet werden: Sie stellen die Handlungen dar, die unter Ausnutzung der tatsächlichen Einflusskraft des Amtsträgers durchgeführt werden. Zu der Gruppe der quasi-amtlichen Tätigkeiten werden auch „Überredungen oder Empfehlungen“ etwa im Rahmen von vertraulichen Unterredungen gezählt. So stellt z. B. die Einwirkung eines Abgeordneten auf andere Mitglieder eines Komitees, das über neue Steuergesetze berät, eine quasi-amtliche Tätigkeit dar; ein anderes Beispiel ist der „Hinweis“ des Premierministers an den Minister für Verkehr, Flugzeuge eines bestimmten Flugzeugherstellers zu kaufen 25. 3. Begriff der „Bestechung“ a) Sinn des Bestechungsgutes Das Bestechungsgut ist ein Vorteil als unrechte Gegenleistung für einen Dienst. Es bedarf einer Gegenseitigkeit zwischen dem Vorteil und der amtlichen Tätigkeit oder der quasi-amtlichen Tätigkeit. Allerdings muss kein äußerlich er23
Urteil des OGH v. 27. 10. 1953, Keishu Bd. 7, H. 10, S. 1971. Urteil des OGH v. 12. 7. 1956, Keishu Bd. 10, H. 7, S. 1058. 25 Urteil des OGH v. 22. 7. 1995, Keishu Bd. 49, H. 2, S. 11. Der Fall wird als „Lockheed-Fall“ bezeichnet und war damals ein großer politischer Skandal. 24
IV. Bestechung
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kennbarer Zusammenhang zwischen dem Dienst und der Leistung bestehen, es reicht, wenn sich die Gegenseitigkeit aus einer wertenden Gesamtbetrachtung ergibt26. Es muss sich bei dem gewährten Vorteil nicht um vermögenswerte Sachen handeln. Erfasst werden alle Vorteile (körperlich oder unkörperlich), die geeignet sind, menschliche Bedürfnisse oder Begierden zu stillen27. Z. B. kann der Vorteil auch die Begleichung von Empfangskosten für Geishas, die Übernahme einer Schuld des Amtsträgers, die Abtretung eines Rechts zur Mitgliedschaft in einem Golfklub usw. sein. b) Förmliches Geschenk Es gibt in Japan eine Sitte, in einem Quartal, z. B. am Ende des Jahres oder Mitte August, Bekannten ein förmliches Geschenk zu machen. Die Frage ist, wie zwischen dem förmlichen Geschenk und der Bestechung abzugrenzen ist. Der OGH hat in seiner Entscheidung von 197528 seinen Standpunkt geändert und in Bezug auf Geschenke innerhalb der gesellschaftlichen Förmlichkeiten die Bestechung verneint. Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem ein Klassenlehrer von seinen Schülern einen Scheck in Höhe von 5.000 Yen erhielt, da er ihnen privat Nachhilfeunterricht gegeben hatte. 4. Tathandlungen der einzelnen Straftaten Bei der bloßen Bestechung (§ 197 Abs. 1 S. 1) sind die Tathandlungen die Annahme, das Verlangen oder das Sich-Versprechen-Lassen. Bei der Bestechung nach § 197 Abs. 1 S. 2 muss „ein unrechtmäßiges Verlangen“ gegeben sein. Das Verlangen bedeutet, dass man den Amtsträger mit einer amtlichen Tätigkeit beauftragt. Das Subjekt der vorgeleisteten Bestechung (§ 197 Abs. 2) ist derjenige, der Amtsträger werden will. Der § 197 a ist die Straftat, bei der der Amtsträger auf ein unrechtmäßiges Verlangen einer amtlichen Tätigkeit die Bestechung nicht selber, sondern durch einen Dritten annehmen lässt. Der § 197 b regelt die qualifizierte Bestechung. Wenn der Amtsträger nach der Begehung der oben genannten Straftaten (§ 197 bis § 197 a) dann tatsächlich eine unrechtmäßige Handlung begeht oder die angemessene Handlung nicht vornimmt, wird er schwerer bestraft (§ 197 b Abs. 1). Der § 197 b Abs. 2 ist der Straftatbestand, bei dem der Amtsträger für seine frühere Begehung einer von Amts wegen unrechtmäßigen Handlung oder auf die frühere Unterlassung einer dem Amt angemessenen Handlung eine Bestechung annimmt, fordert oder sich versprechen lässt oder diese 26
Beschluss des OGH v. 30. 9. 1958, Keishu Bd. 12, H. 13, S. 3180. Urteil des RG v. 19. 3. 1910, Keiroku Bd. 16, S. 2239. 28 Urteil des OGH v. 24. 4. 1975, Hanrei Jiho 774, 119. 27
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Taten von Dritten begehen lässt. Das Handlungssubjekt des § 197 b Abs. 3 ist ein „ehemaliger“ Beamter oder Schiedsrichter. Des Weiteren wird mit § 197 c die Bestechungsannahme durch Vermittlung mit Strafe bedroht. Der Tatbestand setzt voraus, dass der Amtsträger amtliche Tätigkeiten anderer Amtsträger als Dienste vermittelt und eine Bestechung als Entgelt dafür annimmt, fordert oder sich versprechen lässt. Der § 198 sieht die Bestrafung der Bestechungsgeber für das Gewähren, Anbieten oder Versprechen von Vorteilen vor.
Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis
I. Kurztitel in den japanischen Nachweisen 1. Sinn der japanischen Terminologien Chihosaibansho LG (Landgericht) (od. Distriktsgericht) Daishinin
RG (Reichsgericht)
Hanketsu Urteil Kettei Beschluss Kotosaibansho
OG (Obergericht)
Saikosaibansho OGH (Oberster Gerichtshof) Shibu Zweigstelle 2. Öffentliche Entscheidungssammlung (Kurztitel, förmliche Bezeichnung, deutsche Übersetzung) Daiisshinkeishu Daiisshin Keiji Saibanreishu
Entscheidungssammlung der ersten Instanzen
Kakeishu Kakyusaibansho Keijisaibanreishu
Sammlung strafrechtlicher Entscheidungen der Untergerichte
Keigetsu Keiji Saiban Geppo
Monatsbericht zu den strafrechtlichen Entscheidungen
Keiroku
Daishinin Keijihanketsu Roku
Entscheidungssammlung des RG
Keishu
Daishinin Keijihanreishu
Entscheidungssammlung des RG
Keishu
Saikosaibansho Keijihanreishu
Entscheidungssammlung des OGH
Kokeishu
Kotosaibansho Keijihanreishu
Entscheidungssammlung des OG
Kokeitoku Kotosaibansho Keijihanrei Tokuho Sonderbericht zur strafrechtlichen Rechtsprechung des OG Kosaitoku Kotosaibansho Keijisaiban Tokuho Sonderbericht zu den strafrechtli chen Entscheidungen des OG Saibanshukei Saikosaibansho Saibanshu Keiji (= Shukei)
Entscheidungssammlung des Obersten Gerichts: Strafsachen
Shinbun
Horitsu Shinbun
Juristische Zeitung
Tokokeijiho
Tokyo Kotosaibansho Keiji Hanketsu Jiho
Nachricht über strafrechtliche Urteile des OG Tokyo
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3. Zeitschriften für Entscheidungsveröffentlichungen (Bezeichnung, deutsche Übersetzung) Hanrei Jiho
Entscheidungsnachricht
Hanrei Times
Entscheidungs-Times
LEX/DB TKC-Rechtsinformation-Datenbasis 4. Zeitschriften für Aufsätze (Bezeichnung, Deutsche Übersetzung) Hanzai to Keibatsu
Verbrechen und Strafe
Hogaku Kyoshitsu
Lehrstuhl für Rechtswissenschaft
Horitsu Jiho
Nachricht über Gesetze
Jurist Jurist Keijiho Journal
Journal für Kriminalrecht
* Sonst sind in diesem Buch die Zeitschriften von verschiedenen Universitäten, wie Hogaku Ronshu (Kansai-Universität), Hogaku Kenkyu (Keio-Universität), Hogaku Ronso (Kyoto-Universität) Hogaku Shinpo (Chuo-Universität) usw., zitiert. Dabei wurde der japanische Titel des Aufsatzes nicht mitgeteilt, sondern er wurde in die deutsche Sprache übersetzt zitiert.
II. Repräsentative Lehrbücher zu AT und BT des Strafrechts in Japan * Die unten genannten Lehrbücher sind im Text nur mit dem Namen und eventuell mit den Bezeichnungen AT oder BT zitiert. ** Bei manchen japanischen Monographien oder Büchern wurde der Titel am Anfang (im Klammern) ins Deutsche übersetzt. Nachher wurde manchmal mit dem ins Deutsche übersetzten Titel zitiert. Asada, Kazushige: Keiho Kakuron (Strafrecht, BT), ergänzte Aufl., Seibundo-Verlag, 2007. Dando, Shigemitsu: Keiho Koyo Soron (Abriss des Strafrechts, AT), 3. Aufl., Sobunsha-Verlag, 1990. – Keiho Koyo Kakuron (Abriss des Strafrechts, BT), 3. Aufl., Sobunsha-Verlag, 1988. Fujiki, Hideo: Keiho Kogi Soron (Strafrechtsvorlesung, AT), Kobundo-Verlag, 1975. – Keiho Kogi Kakuron (Strafrechtsvorlesung, BT), Kobundo-Verlag, 1976. Fukuda, Taira: Zentei Keiho Soron (Völlig revidiertes Strafrecht, AT), 4. Aufl., Yuhikaku-Verlag, 2004. – Zentei Keiho Kakuron (Völlig revidiertes Strafrecht, BT), 3. Aufl., Yuhikaku-Verlag, 2002. Hashimoto, Masahiro: Keiho Soron (Strafrecht, AT), Shinseisha-Verlag, 2015. – Keiho Kakuron (Strafrecht BT), Shinseisha-Verlag, 2017. Hayashi, Mikito: Keiho Soron (Strafrecht, AT), 2. Aufl., Universitätsverlag-Tokyo, 2008.
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253
204, 206 ff.
Abhängigkeit vom Delikt der Haupttat 281 f. Abschaffung der Strafe
35, 147
Allgemeiner Teil (AT)
Alternativ-Entwurf
252
57
Abstandnahme vom Versuch bei der Beteiligung 296 f.
Amerikanischer Soldatenflucht-Fall
Abstandnahme vor dem Anfang der Tat ausführung 298
Amtsausübungsstörung 374
Abstrahierungstheorie 204
Amtsnötigung
Amtliche Tätigkeiten
Abstrakte Gefährdungsdelikte 65, 317, 330 Abstrakte Gefährdungstheorie (untaugli cher Versuch) 252 Abtreibung
301, 303, 315 f.
Abtrennung bei Schuldqualifikation 295 actio libera in causa
240 ff.
Adäquanz im weiteren und engeren Sinne 170 Adäquanztheorien
164, 168 ff.
adäquater Kausalzusammenhang agent provocateur
267 f.
Aggressivnotstand
194
AIDS-Skandal-Fälle
173
379 f.
38, 87
Amtsgericht
375
Analogie 137 f. Andershandelnkönnen
153
Änderung der Strafe 141 Aneignung
343
Anfang der Tatausführung 250 f., 298
247 ff.,
– Gemischte Theorie 248 f. – Objektive Theorie (formell, materiell) 247 f. – Subjektive Theorie 247 – Subjektiv-objektive Theorie 248 f. Angemessenheit 182 f., 187 f. Anglo-amerikanisches Rechtssystem Anklagemonopol
91
Akkusationsprinzip und -prozess Akzessorietät
212
230 ff.
Akkusationsermittlung
180,
Alternative Kausalität (Konkurrenz) 165 f.
143 f.
Absichtstheorie 186 Absolute Untauglichkeit
Allgemeiner Rechtfertigungsgrund 196
90, 91
207, 279 ff., 378
– von der Strafbarkeit der Haupttat 282 f. – von Merkmalen im Straftataufbau 284
Anklageschrift Anstiftung
29
94 96
285 f., 306
– durch Anstiftung 286 – zur Selbsttötung
306
Appellfunktion des Tatbestandsvorsatzes 200, 216
Stichwortverzeichnis
414
Ärztlicher Heileingriff Aszendententötung
Bestechungsüberreichung durch einen Dritten 379
197 f.
33, 300 328
Aufdeckung unwahrer Tatsachen
Aufgenommenes Protokoll als Beweismit tel 377 f.
Bewährung 113 ff.
Ausübung eines berechtigten Geschäfts 196 f.
Bewährungsbeobachtung 111 Bewährungshelfer
114
Ausweichmöglichkeit 195
Beweisaufnahme
96 f.
Bedingungstheorie
Beweisvernichtung 378
Bedrohung
164
Bewusste Fahrlässigkeit 201, 221
257, 260, 264
Biologische Methode 237
300 f.
Beginn des Menschseins
Behandlung der Strafgefangenen 106 f. 226 f.
Behandlungsfehler Beihilfe
285 ff., 291 ff., 306
– durch neutrale Handlungen – durch Unterlassen – zur Selbsttötung
291
287, 290
Berechtigtes Geschäft
152, 196 f.
Bereicherungsabsicht
359
Besitz
341, 356 f.
Besonderer Teil (BT)
34
Besorgnistheorie 224, 228 Besserungshilfe Bestechung
113
379, 380 ff.
– auf Verlangen
Bloßstellungstheorie (teilweise, totale) 301, 312 Boryokudan
130 ff., 279, 315, 352 f. 131
Boryokudan-Bekämpfungs-Gesetz Brandstiftung
132 ff., 352 f.
361 ff.
– an anderen Sachen als Gebäuden 365 f. 83
Bürokratische Justiz
94
Besetzung unbeweglicher Sachen
142
Blanketttatbestände
Boryokudan-Mitglieder
306
bekannt gewordene Straftaten 117
Beschlagnahme
149
Bewertungsnorm
319 f., 346
Beendeter Versuch
169 ff.
Beurteilungsmaßstab der Zumutbarkeit 234
315 ff. 369 ff.
Aussteller
351
Beurteilungsbasis der Adäquanz
240, 244
Äußere Ehre 329 f. Aussetzung
294
337, 340, 347, 350 ff.
Betrugshandlung
Aufsichtsfahrlässigkeit 227, 230 f. Ausnahme-Modell
300
Beteiligung an der Selbsttötung Betrug
360
Aufruhr
137, 144 f.
Bestimmungsnorm 149 Beteiligung an Sonderdelikten
117 ff.
Aufklärungsrate
Bestimmtheitsprinzip
344
Charakterologische Schuldtheorie Chloroform-Fall
214
Computerbetrug
357
Computerstrafrecht
44
conditio-sine-qua-non-Formel Defensivnotstand
154
164 ff.
194
Determinismus 153 f.
379
Bestechungsannahme
272, 379
Diebstahl 337, 344, 347
– durch Vermittlung
379, 382
Differenzierungstheorie
192 f., 195
Stichwortverzeichnis
Digitale Aufzeichnung
415
Entbehrlichkeitstheorie
139
Dirt-Trial-Fall
177 f.
Enteignung 343
Distanzdelikte
251
Entführung
Doktorandenkurse dolus alternativus
Doppelehe
Epidemiologische Kausalität 167 Erfolgsunwert 148 f.
371 f. 147
Dreistufiges Straftatsystem 299
190 f.
Drittwirkung der Notwehr due process 88, 146 94
Durchsuchung Ehrbegriff
329
Ehrgefühl
329
Ehrverletzung
Erfolgsvorsatz
211
Erforderlichkeit 187 f., 194 f. 143
Ergänzungsnorm
181, 219
Erlaubnistatbestandsirrtum Ermittlungsverfahren
90 f.
Ernsthaftes Bemühen
261
Erpressung 337, 350, 355 f. error in persona vel in objecto 206 ff.
328 ff., 332
Eigenständigkeit des Gewahrsams 341 Eingeschränkte Schuldtheorie 181, 199 f., 217 f. Eingeschränkte Vorsatztheorie
217
Einheit der Rechtswidrigkeit 180 46
Einheitliche Freiheitsstrafe
Einheitlichkeit des Gebäudes 363 Einheitstäter 266
318 f.
Einspuriges (Sanktions)System 39, 100 204 f.
Einwilligung des Patienten 198, 308 319
Einwilligung des Verletzten Einwilligungstheorie 201
138
Elektrizitätsdiebstahl-Fall
Elektromagnetische Aufzeichnungen 44, 366 f., 372 Endzeitpunkt des Menschen
322,
Euthanasie 198, 308 f. 163
Exklusive Herrschaft ex-post Perspektive
170, 249
Extensiver Notwehrexzess 188 f. 269
Fahrlässigkeit bei Geschäftstätigkeit 221 138, 221 f., 229,
Fahrlässigkeitsdelikte 276 – struktureller Natur – zufälliger Natur
229
229
Fahrlässigkeitstheorien 222 ff.
Elastische Auslegung 137 ff.
Enkelbetrug (Enkeltrick)
Erzwungener Geschlechtsverkehr 349
Fahrlässige Mittäterschaft 276
Einsichtsfähigkeit 235, 237
Ein-Vorsatz-Theorie
Erzwungene unzüchtige Handlung 322 f., 324 f.
Extensiver Täterbegriff
Einseitige Beihilfe 287 Einsperrung
70 ff.
Entwurf des reformierten Strafrechts 31, 32, 57
201, 211 ff.
Dreiteilungstheorie
320 f.
Entstehung der Zuchthäuser
77 f. 201
dolus eventualis 201 dolus generalis
185 f., 216
301 f.
128
Fälschung 366 ff., 377 f. Fälschungsdelikte Familiengericht
366 87, 108 ff.
Fehlgeschlagener Versuch 255
245 f., 252,
Stichwortverzeichnis
416
Gemeinsamkeit der Tatbegehung 274
Festnahme 92 ff., 197, 318 f. – bei Betreffen auf frischer Tat Finale Tatherrschaft
92
148, 200, 270
Finale Handlungslehre
270
Flucht-auf-die-Autobahn-Fall
175 f.
Förder- oder Verstärkerkausalität
292
Formale Teilidentität 208 f. Formalismus
Formell-objektive Theorie (Täterbegriff) 269
Freiheitsberaubung Freiheitsstrafe
381
Gemischte biologisch-psychologische Methode 237 – negative Generalprävention
73
– positive Generalprävention 74 f. Gesamtsaldierung
339, 355
– durch Computersabotage 335 f.
102
Freiwillige Ermittlung 91 Freiwilligkeitsbegriff 262 59
Garantenpflicht 161 f. 161 f.
Garantenstellung
Gemischt objektiv-subjektive Theorie (Rücktrittshandlung) 259 f.
Geschäftsstörung 333 ff.
318 f.
Funktionalistische Lehre
274
331
Geschäft 152, 196 f.
115
Frauenpflegehaus
Gemeinwohl
Generalprävention 73 ff.
367 f.
Förmliches Geschenk
Gemeinsamkeit des Tatwillens
Geschäftstätigkeitsbegriff
333 f.
Geschichte des Strafrechts
47
Geschützte Rechte/Rechtsgüter
185
Gesetz zur medizinischen Beobachtung 40
Gebäude, das als Wohnung dient 364
Gesetz zur psychischen Gesundheit und Wohlfahrt der psychisch Gestörten 40
Gebäude, das nicht als Wohnung dient 364
Gesetzlichkeitsprinzip 140, 142, 144
Garantiefunktion des StGB
Gebrauchsanmaßung
343
Gefährliche Autofahrt Gefahrrealisierung
66, 68
45, 310, 312 f.
173 ff. 177
Gefahrschaffung
Gefahrverwirklichung 170 ff. Gefängnisgesetz
103 f., 107
Gefängnisstrafe
39, 102
Geheimnisverrat
327 f.
Geistesgestörtheit 236 ff., 239 Geistige Minderbefähigung 236 ff., 239 Geistigkeitstheorie Geldbuße Geldstrafe
370
38 f., 107 f., 110 39, 44, 107 f.
Geltendes StGB 30 f., 136
61, 66, 136 ff.,
Gesundheitsministeriums-Fall
230 ff.
Gewahrsam/Besitz an irrtümlich auf das eigene Konto überwiesenem Geld 357 Gewahrsamsträger
342
Gewaltausübung 346 ff., 375 – nach dem Betrug
347
Gewalttaten 310 Gleichwertigkeit 161 Grenzen der Notwehr
183
Große Japanische Imperiale Verfassung 68 Grundsatz der Beide-Bestrafung 183 Grundsatz der materiell gerechten Bestra fung 137, 146
Stichwortverzeichnis
417
Grundsatz der Singularität der Anklageschrift 96
– über den Kausalverlauf 210 ff.
Grünes-Kreuz-Fall
– über die normative Bewertung 220
230 f.
Gruppenvergewaltigung Haftstrafe
322
39
Handlungsgefahr
170, 249 f. 147 f.
Handlungslehre
Handlungssubjekt 159, 251 f. 148 f.
Handlungsunwert harm principle
Hasskriminalität 123
Hehlerei
– über eine konkrete Tatsache 203 f. – über Rechtfertigungsgründe
122 f.
96 325 ff.
337 ff.
– über Tatbestände ohne gemeinsame Elemente 209 f.
Japanische Verfassung von 1947 68 Judo-Knochen-Wiederhersteller-Fall 173 f. Jugendgesetz 108 Jugendkriminalität 108, 126
Herrschaft über den Grund des Erfolges 163
Jura-Professoren 76 ff.
Herrschaft über den Kausalverlauf 162 f.
Juristische Person
Herz-Lungen-Maschine
302
Juristenausbildung 76, 79 ff. Justizorgane
36, 159 f., 342
87
Hirntod 302
Justizpassivität 68, 85
Hirntodtheorie 302
Justizsystem
Hokkaido-Uniklinik-Fall
181
Itabashi-Juwelier-Tötungsfall 293
Hassreden (Hate-Speeches) Hausfriedensbruch
– über eine abstrakte Tatsache 203, 208
Irrtumslehre 203 ff.
65
Hauptverfahren
– über die Gültigkeit der Norm 220
236 f.
83
Katatonische Schizophrenie 239
Hypothetische Kausalverläufe 165
Kausalgesetz 167
Immaterielle (unkörperliche) Fälschung 367 f.
Kausalität 159, 161, 164 ff., 176, 292 f.
In-Brand-Setzen
362 f.
Indeterminismus
153
individualisierende Kausalitätstheorie 168 Individualschutz
183
Inquisitionsprozess
91
Intensiver Notwehrexzess 188 Interessenabwägung 152, 180, 195 Internetstrafrecht Irrtum
44
181, 203 ff., 208 ff., 220, 351
– bei teilidentischen Tatbeständen 208 f.
– der Beihilfe 292 f. Kawasaki-Kyodo-Klinik-Fall
309
Kenntnis der Tatumstände 201 f. Kenntnistheorie 186 Kernstrafrecht
36
Kettenhügel von Hokkaido 72 Kettenteilnahme 286 Kindesmisshandlung
124, 287 ff.
Klageerhebung (öffentliche)
94 ff.
Klassische (Fahrlässigkeits)Theorie 223 f. klassische Schule
30, 53 f., 153, 160
Stichwortverzeichnis
418
Koinzidenzprinzip
358
Missbrauchstheorie
240 ff.
290
Kommunale Verordnungen 37
Mittatherrschaft
Komplott-Mittäterschaft 276, 278
Mittelbare Täterschaft 277 f., 303
Konkrete Gefährdungstheorie (untauglicher Versuch) 252
Kontinentaleuropäisches Rechtssystem 29 Körperliche Fälschung
367 f.
Körperlichkeitstheorie
370 f.
Kreditverletzung 333 Kriminalität von alten Menschen
129 f.
Kriminalitätsrate 116 f. 246, 256 f.
Kriminalpolitische Theorie
Krise des Law-School-Systems Landgericht (LG) Lauterkeit Law School
81 f.
177 ff.
Kugelfisch-Fall
Modifizierter und ausgeweiteter Tatbestand 266 ff. Modifizierungs-Ansatz
240
Modifizierungstheorie 241 f. Möglicher Wortsinn
137 f. 364 f.
Möglichkeit des Übergreifens
95
Morinaga-Trockenmilch-Vergiftungs-Fall 224, 227 f.
Mord 34
Lehre von der objektiven Zurechnung 170 ff., 177, 213, 225 Leibesfrucht 300 f., 312, 315 Leitungsfahrlässigkeit 230 Lesbarkeit 368 Magisterkurse
77
Materialismus
367 f.
Materielle Teilidentität
Motivationstheorie
143 f., 201
Mutmaßliche Einwilligung 198 Nachstellung
128
Nachteilszufügungsabsicht Nachträglicher Raub
359
347
Nacht-Tauchgang-Fall 175 209
Materiell-objektive Theorie (Täterbegriff) 269 Medizinische Indikation 198 Mehrfachvorsatz-Theorie Menschenraub
54
Modifizierte klassische (Fahrlässigkeits) Theorie 224 f.
Möglichkeit des Unrechtsbewusstseins 216
79 ff.
Menschenhandel
moderne Strafrechtswissenschaft
38, 87
379
Legalitätsprinzip
30, 51 ff., 153, 247
Modifizierte subjektive Theorie (Rücktrittshandlung) 259
310 f., 312 ff.
Körperverletzung
271 f.
moderne Schule
206
Konkretisierungstheorie
Mittelsperson
Mobbing 125, 127
165, 170
Konkreter Erfolg
241, 270 ff.,
204 f.
320 f. 320 f.
Minamata-Krankheits-Fall 167, 228 f., 311
Nationalistische Strafrechtsgedanken 55 Nebenstrafrecht 36, 65 Negatives Tatbestandsmerkmal 147, 150 Neoklassische Schule 30 Neue Fahrlässigkeitstheorie
223 f.
Normale Festnahme 92 Normative Hindernisse 222, 270 ff. normative Setzung
154
Stichwortverzeichnis
Normativer Freiwilligkeitsbegriff
263
Normativierung des Schuldbegriffs
238
Normativ-subjektive Theorie (Freiwilligkeit) 263 f. Normsystematischer Funktionalismus 60 Notfestnahme 93 Nothilfe Nötigung
319 f., 321 f., 375
Notstand
191 ff.
Notstandshilfe Notwehr
Parallele-Bestrafungs-Regelung Parteiverfahren
89 f.
Passives Personalitätsprinzip
198
Positive Erfolgsverhinderung 261
192, 194 f.
Potenzielle Freiheit 318 Potenzielle Herrschaft
Obergericht (OG) 87 Oberster Gerichtshof (OGH)
87 f.
Objektive Gefährdungstheorie (untaug licher Versuch) 252 Objektive Hindernisse 265
Präfektur- oder Gemeindeverordnung 142 Prämientheorie (Rücktritt vom Versuch) 256 Praxisorientierte Strafrechtswissenschaft 57 f.
Objektive Theorie (alt) (untauglicher Versuch) 252
Präzisionsjustiz
Objektive Theorie (Rücktrittshandlung) 259
Psychologische Methode
Objektive Theorie (Täterbegriff) Objektive Zurechnung
269 f.
168, 177
Objektivismus 150 f. Objektiv-subjektive Theorie (Freiwilligkeit) 263 Öffentliches Interesse
331
86
Prozesszweck 90
95
Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) 38 Organisationsfahrlässigkeit
230
225
Organisierte Kriminalität 130 ff.
public-private-Partnership 104 Qualifikationsloses doloses Werkzeug 271 Quasi-Betrug
350
Quasi-Mitglieder (des Boryokudans) 132, 352 Raub 337, 344 ff.
– mit Körperverletzungs- oder Todesfolge 348 f.
Organtransplantation
302
Reale Freiheit 318
171, 173 ff.
Rechtfertigungsgründe 196 ff.
66 ff.
277
– durch Versetzung in Bewusstlosigkeit 348
Osaka-Südhafen-Fall Otsu-Affäre
237
quasi-mittelbare Täterschaft
89
Organisationsfehler
163
Potenzielles Unrechtsbewusstsein 215 ff.
188 ff.
Opportunitätsprinzip
42
Persönlichkeitsschuldtheorie 217
Pflichtverletzung 161, 177
194
Offizialprinzip
36
Paranoide Schizophrenie 239
Pflichtenkollision
181 ff.
Notwehrexzess
Parallele Bestrafung 36, 159
Pflegemaßnahme 100
185
Notstandshandlung
419
151 f., 180 ff.,
Stichwortverzeichnis
420
Rechtliche Herrschaft
Schuld 153 f., 158, 181, 192 f., 199 f., 217 f., 233 ff., 240 ff., 283
341, 356
Rechtmäßigkeit der Amtsausübung 374 f.
Schuldausschließungstheorie
Rechtsbewertungstheorie
Schuldelement 236
208
Rechtsgüter (individuelle, sozial-kollekti ve und staatliche) 63 f., 299, 373 Rechtsgüterschutz
33, 63 ff.
Rechtspflege
376 f. 29 f.
Schuldverringerung 188 Schuldvoraussetzung
343 f.
76
Reform der Juristenausbildung 31 f., 41 ff.
93 245 f., 255 ff.,
Saiban‘in Saiban (Schöffengericht) 97 ff. 39, 100
Sanktionsnorm 116, 149 Schizophrenie Schöffen
97 ff.
238 ff.
64, 155, 321
45, 64, 299,
Sexuelle Freiheit 321 Sexuelle Integrität
321 f.
Soft Law 62
257 ff. 337 f., 343 f.
315 f.
198
Sexualdelikte (Reform) 322, 349, 371
Revision der Strafrahmen 43
Russisch-chinesisches Rechtssystem
100, 112
Schwangerschaftsabbruch
Selbsthilfe
195
Richterlicher Haftbefehl
Schutzmaßregel
Selbstgefährdung des Opfers 177 f.
70 ff., 104 f.
Sanktionensystem
63 ff.
Selbstbestimmungsrecht
Relativität der Rechtswidrigkeit 180
Sachbeschädigung
360
111
Schwere Fahrlässigkeit 221
153 f.
Relativer Determinismus
Rücktrittshandlung
63
Schutz-/Platzgeld 132
Relative Untauglichkeit 252
Rücktritt vom Versuch 296 ff.
Schutz der öffentlichen Rechtsgüter
Schutzfunktion
Reine Verursachungstheorie 285, 295 f.
Rettungswille
Schuldvorsatz 150, 181, 200, 218
Schutz-Beobachtung
240
Resozialisierung
236
Schutz der sozialen Sicherheit
79 f.
Reformversuche 31, 50 Regel-Ansatz
283
Schuldunfähige 40 f.
Rechtswidrige Zueignungsabsicht
Reform des StGB
158, 235 ff.
181, 199 f., 203, 217 ff.
Schuldtheorie
Rechtstheorie (Rücktritt vom Versuch) 256 f. Referendariat
Schuldfähigkeit Schuldlehre 233
Schuldteilnahmetheorie
Rechtsirrtum 203 Rechtssystem
192
233, 236, 238 f.
Schuldbegriff
Rechtsbewährung 183
29
Solidarität bei Unrechtsqualifikation 295 Solidaritätsprinzp Sonderdelikte
193
294 ff., 323
Sorgfaltspflichtwidrigkeit 223 Soziale Ausgrenzung 134 f. Sozialnorm
61 ff.
Sozialrechtsgüter
360
119 f., 124 ff.,
Stichwortverzeichnis
Sozialstruktur
421
Strenge Vorsatztheorie 199, 217
119
Sozialverteidigung 31, 52, 54
Strukturreform
Staatsanwaltschaft 86 ff., 94 f.
Subjektive Theorie (Freiwilligkeit) 262 f.
Staatsexamen Staatsschutz
76 ff.
Subjektive Theorie (Rücktrittshandlung) 258 f.
373 ff.
Sterbehilfe 198, 308 ff.
Subjektive Theorie (Täterbegriff) 269
Steuerungsfähigkeit 235, 237 StGB
Subjektive Theorie (untauglicher Versuch) 252
30 ff., 48, 50, 117
Störung des Verkehrs
360
subjektives Rechtfertigungselement 195
Strafanstaltsgesetz 103 Strafarten
Subjektivismus 150 f.
39, 48, 100
Strafaussetzung
120
Subsidiarität 195
45
substantive due process 146
Strafbedürftige Schuld 158, 234 f. Strafbedürftige Verantwortlichkeit 155, 158
Subsumtionsirrtum 217, 220 Sukzessive Schuldunfähigkeit 243
Strafe 141
System der Vermögensdelikte 337 ff.
Strafempfänglichkeit 235
Tatbestand 147 f., 159, 208 f., 359 282 f., 306 f.
Strafgrund der Teilnahme – an der Selbsttötung
Täterbegriff
246 f.
Strafgrund des Versuchs
Tatbestandsmodell
240
Tatbestandsvorsatz 149, 181, 199 ff.
306
Strafjustizministerium (Gyobusho)
89
269
Tätercharakter
34
Strafprozess 88
Täterschaft und Teilnahme
Strafprozessordnung (StPO) 44, 88 ff.
Täterstrafrecht
Strafrechtsreform 31 f., 41 ff., 57
Täterwillen (animus auctoris)
Straftaten beim StGB 117
Tatgemeinschaftstheorie
Straftaten unter Verwandten
222, 266 ff.
34 273 f.
Tatherrschaftslehre 269 f.
345
203 f., 219 f.
Straftaten zu Gunsten von Verwandten 378
Tatsachenirrtum
Straftaten zum Menschenhandel 43, 320 f.
Tatsächliche Sachherrschaft
Straftatfähigkeit 160 Straftatgemeinschaftstheorie Straftatsystem
273 ff.
147 ff., 152 f.
Strafverfahrensgesetz (Chizuiho) Strafvollzug Strafzweck
89
70, 104 f.
Strafwürdiges Unrecht
269
155 ff., 180
51, 68 ff., 74
Strenge Schuldtheorie 181, 200, 217 ff.
Tatsächliche Herrschaft
341 f. 341
Täuschung 351 Teikyo-Universitäts-Fall 230 ff. Teilnahme an einer Selbsttötung 303 ff. Teilnahmetatbestand
266 ff.
Teilnehmerwillen (animus socii)
269
Teleologische Betrachtungsweise
137 f.
Theorie der formellen Rechtspflicht Theorie der irrationalen Entscheidung 264
161
Stichwortverzeichnis
422
Unabhängigkeit der Justiz 66, 68
Theorie der limitierten Akzessorietät 283, 378
Unabhängigkeit der Teilnahme vom Delikt der Haupttat 271
Theorie der materiellen Rechtspflicht 162
Unabhängigkeit vom Delikt der Haupttat 281 f.
Theorie der minimalen Akzessorietät 283 Theorie der nachträglich rückwirkenden Bewertung 250 Theorie der zurechenbaren Gefährdungsumkehr 257 Theorie der zweidimensionalen Gefährdungsprognose 254 Theorie des friedlichen Gewahrsams 339
Unberechtigte Verwendung von Kreditkarten 353 Unberechtigter Angriff
183 f.
Unbestimmte Freiheitsstrafe Unechte Unterlassungsdelikte 316 Unerlässliche Handlung 194 f.
Theorie des Subjekts des gemeinsamen Willens 277 f.
Unerlässlichkeit
326
Theorie des tatsächlichen Gewahrsams 340 Theorie des unabhängigen Brennens 362 f.
112
Unbewusste Fahrlässigkeit 221 f.
Unentbehrlichkeitstheorie
Theorie des Gefährdungserlöschens 256 f.
Theorie des tatsächlichen Friedens
Unbeendeter Versuch 246, 257, 260
160 f.,
185 f. 182, 187 f.,
182 ff., 187
Ungleicher Vertrag
62, 67
Unkäuflichkeit 379 Unmittelbar drohender Angriff 183 f. Unrechtsbewusstsein
199 f., 215 ff.
Unrechtsteilnahmetheorie 283, 285, 295, 378
Theorie des Unbrauchbarmachens 362 f.
Unrechtsverringerungstheorie
Todesstrafe 39, 100 ff.
Untauglicher Versuch
Tokai-Uniklinikfall
Untauglichkeit des Subjekts 252
Totschlag
309
Unterbrechung des Kausalzusammenhanges 168
34
Tötung auf Verlangen
304 ff.
Unterlassung 159 ff., 287 ff.
Tötung mit Einwilligung 304 ff.
Unternehmensbrüder
Tötungsdelikte 300 ff. Treubruchstheorie
Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe 198 379
ultima ratio des Rechtsgüterschutzes Umgekehrter Tatsachenirrtum
133
Unterschlagung 337, 356 ff.
358 f.
Überreichung der Bestechung
257
251 ff., 254 f.
252
Umgekehrter Verweisungsfall
112
Unabhängige Atmungstheorie
301
65
Untersuchungshaft 93 Untreue 337, 356, 358 f. Unzüchtige Absicht 322 Urkunde
139 f., 367 ff.
Urkundeneigenschaft der Fotokopie 369 f. Urkundenfälschung 366 f.
Stichwortverzeichnis
Verantwortungsausschließungsgrund 235 376
Verbergen
Verbot der Rückwirkung des Gesetzes (Rückwirkungsverbot) 136 f., 140 f. Verbotsirrtum
203, 215, 218 ff., 252
29, 37, 43
Verbrechen
Verbrechervernunft
Verfahren nach der Festnahme
93
377 f.
Verfassungskonforme begrenzende Auslegung 145 Verfassungsmäßigkeit 33, 101 351, 354 f.
Vergeltung
201
Visibilität 368 Vollendungsvorsatz 211 f. Volljurist 79 f. Voraussehbarkeit 176, 223 Vorbereitung zur Tötung
300
Vorläufige Entlassung 114 f. 199 ff.
213
Wahrscheinlichkeitstheorie
322 ff., 349
Weiche Willensfreiheit
Willen zum positiven Angriff Willensentscheidung 242
Verleumdung 328 Verminderte Schuldfähigkeit
241, 243 f.
Vermögensschädigung 355 337 f., 346
Vernichtung von Beweismitteln
377 f.
Versammlung mit vorbereitender Bewaffnung und Zusammenrottung 315 376 f.
Verstorbenengewahrsam 245 ff., 296 ff. 245
342
Willensfreiheit 153 f. – als Fiktion 154 f. Winny-Fall 291 f.
337 f.
Vermögenswertes Interesse
Versuchsstrafbarkeit
153 f.
Werkzeug 270 f.
44
Vermögenswerte Sache
201
Weheneröffnungstheorie 301
61 ff., 116, 149
Verjährungsfristen
Versuch
Verwirklichungswillen
Wahrheitsbeweis 328, 331
Verkehrsunfälle 41, 226
Verstecken
86
Vorzeitiger Erfolgseintritt
– in der Ehe 323 f. Verhaltensnorm
226 ff.
Verursachungstheorie (vermischte, modifizierte) 283
Vorwerfbarkeit 153, 233
354
69 f.
Vergewaltigung
Vertrauensgrundsatz
Vorverlagerung der Strafbarkeit 65
37 f.
Vergehen
182 ff.
185 ff.
Vorsatztheorie 181, 199 f., 203, 217
Verfügungsbewusstsein 354 f. Verfügungshandlung
186 f.
Verteidigungshandlung Verteidigungswille
Vorsatz
Verfehlungen Jugendlicher 110 Verfügung
Verteidigungsabsicht
Verurteilungsquote
264 f.
Verbreitung oder öffentliche Ausstellung einer unzüchtigen Sache 372 Verfälschung
423
Wirtschaftswachstum 70, 119 Wohnrechtstheorie Yakuza
326
130 f.
Zeitgesetz 142 ff. Zeitgesetztheorie 143 f. Zeitpunkt der Geburt Zuchthausstrafe Zufallswehr 186
300 f.
39, 102
184
Stichwortverzeichnis
424
Zufluss- oder Verstärkerkausalität Zumutbarkeit
292
233 ff.
Zumutbarkeitstheorien 234 Zurechnung 159, 164, 168, 170, 172 ff., 177, 225, 244, 274
Zurechtweisungsgeld 39 Zwangsermittlung
91
Zwangsgleicher Missbrauch zu unzüchtigen Handlungen 322 Zweckrationalismus 60
Dieses Buch führt in das japanische Strafrecht ein. Dabei werden nicht nur die Grundgedanken des Strafrechts und der Strafrechtsdogmatik, sondern auch die jeweilige Gesetzgebung und die Gerichtsentscheidungen auf der Basis der Sozialstruktur und Kultur Japans erläutert. Ungefähr vor 140 Jahren hat Japan begonnen, die europäischen Rechtssysteme, wie insbesondere das französische und das deutsche Strafrecht, zugleich mit einem rechtlichen und kulturellen Kontextwechsel zu rezipieren, um diese Systeme der japanischen Gesellschaft anzupassen. Auf diese Weise wurden allmählich eigenständige strafrechtliche Theorien gebildet, um den gesellschaftsspezifischen Aufgaben begegnen zu können. Das japanische Strafrechtssystem wurde zudem nach dem Zweiten Weltkrieg durch ein neues Lebensgefühl im Hinblick auf Demokratie, Liberalismus und Individualismus inspiriert und weiterentwickelt. Um ein möglichst vollständiges Bild des japanischen Strafrechts zu geben, ist auch ein kurzer Überblick über das Strafverfahren, den Strafvollzug und die Tendenzen der Kriminalitätsentwicklung integriert. Professor Dr. Dr. h. c. mult. Keiichi Yamanaka ist japanischer Strafrechtswissenschaftler (Emeritus der Kansai-Universität in Osaka). Zwischen 1980 und 1982 war er Stipendiat der Alexander von HumboldtStiftung. 2014 wurden ihm die Ehrendoktorwürde der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen und der Reimar Lüst-Preis der Alexander von Humboldt-Stiftung verliehen. Er hat in deutscher Sprache über Themen der Strafrechtsdogmatik, der Kriminalpolitik und der Strafrechtsgeschichte publiziert. Viele seiner Beiträge sind auch in den folgenden beiden Sammelbänden zusammengefasst: »Strafrechtsdogmatik in der japanischen Risikogesellschaft« (2008) und »Geschichte und Gegenwart der japanischen Strafrechtswissenschaft« (2012).