Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht: Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung, Teil 3 [1 ed.] 9783428539109, 9783428139101

Rechtsstaatliche Vergangenheitsbewältigung verlangt mehr als die – notwendigen – Anstrengungen einer staatlichen Erinner

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German Pages 235 Year 2012

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Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht: Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung, Teil 3 [1 ed.]
 9783428539109, 9783428139101

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Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht Band 25/3

Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung Teil 3

Herausgegeben von Gilbert H. Gornig Hans-Detlef Horn Dietrich Murswiek

Duncker & Humblot · Berlin

Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht

Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht Herausgeber im Auftrag der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn: Dieter Blumenwitz †, Karl Doehring †, Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn, Bernhard Kempen, Eckart Klein, Hans v. Mangoldt, Dietrich Murswiek, Dietrich Rauschning

Band 25/3

Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung Teil 3

Herausgegeben von

Gilbert H. Gornig Hans-Detlef Horn Dietrich Murswiek

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Bände 1 – 19 der ,,Staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht“ erschienen im Verlag Wissenschaft und Politik, Köln

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1434-8705 ISBN 978-3-428-13910-1 (Print) ISBN 978-3-428-53910-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-83910-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ∞



Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Will das Recht auf Dauer seine sozialen Funktionen erfüllen, verlässlichen Frieden zu stiften und gerechte Ordnung zu schaffen, muss es auf dem Weg in die Zukunft die Fragen aus der Vergangenheit mitnehmen. Der Anspruch ist unentrinnbar. Nichts kann einfach von vorne beginnen, alles muss anknüpfen an das, was war. Auch und gerade das Recht. Versäumnisse kann es sich nicht leisten. Vergessen ist keine Alternative. Vergeben wohl, aber nicht vergessen. Für den demokratischen Rechtsstaat muss das Verbot des Vergessens gelten, wo vergangenes Unrecht zukünftiges Recht beeinträchtigen kann. Unterbliebene Antworten und verbliebene Lücken belasten seine Kontinuitätsleistung in der politischen Gemeinschaft der Gewesenen, der Gegenwärtigen und der Kommenden. Das Wort, das die Aufgabe bezeichnet, ist etwas sperrig. Es geht um „Vergangenheitsbewältigung“. Unter diesem Stichwort widmete sich die Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, wieder in Verbindung mit der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, im Winter 2010 zum dritten Mal in Folge der rechtlichen, genauer: der rechtsstaatlichen Aufarbeitung der Folgen des nach dem Zweiten Weltkrieg geschehenen Vertreibungs- und Vermögensunrechts. Die beiden vorangegangenen Symposien vom Herbst 2006 und Frühjahr 2008 sind ebenfalls im Verlag Duncker und Humblot, Berlin, publiziert: „Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht. Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung – Teil 1“, 2008, und „– Teil 2“, 2009. Von Anfang an war es das Anliegen der Studiengruppe, das Thema nicht nur aus nationaler, deutscher Sicht aufzunehmen, sondern die Bewältigung der Vertreibungs- und Enteignungsakte als das zu begreifen, was es auch ist: ein bilaterales und multinationales Thema. Die gerechte Folgenbeseitigung ist Aufgabe sowohl der nationalen Rechtsordnungen als auch der europäischen und internationalen. Dementsprechend wirkten in der Vergangenheit immer auch ausländische Wissenschaftler aus Mittel-, Südost- und Osteuropa mit, und auch dieses Mal konnten zwei hervorragende Staats- und Völkerrechtler aus Polen und Tschechien gewonnen werden. Das Wort von der Vergangenheitsbewältigung ist für viele nach wie vor ein Reizwort, jedenfalls dort, wo es um die Folgenbeseitigung des Vertreibungsunrechts geht. Es verweist mehr auf Unerfülltes, eben Unbewältigtes, denn auf Abgearbeitetes und einen erreichten Zustand der Befriedung. Die Betroffenen bzw. ihre Rechtsnachfolger klagen nicht nur allerorts, sie klagen auch an. 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, 50 Jahre nach dem Beginn der

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Vorwort

europäischen Integration, 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Deutsch-Polnischen wie dem Deutsch-Tschechischen Nachbarschaftsvertrag ist eine allseitig akzeptierte Wiedergutmachung immer noch nicht zur Gänze gelungen. Wiedergutmachung begnügt sich nicht mit jenen – notwendigen – Anstrengungen der staatlichen Erinnerungskultur, die das geschehene Unrecht dem Prozess des Vergessens entwinden und dem Gedächtnis von Mensch und Politik als immerwährendes Mahnmal einprägen wollen. Wiedergutmachung verlangt mehr: Es muss auch etwas getan werden. Wo staatliches Unrecht wütete, kann und darf der Rechtsstaat die Opfer und ihre Angehörigen mit den Folgen nicht allein lassen. Schon gar nicht mit dem schlichten Hinweis, bei dem Widerfahrenen handele es sich um einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Vorgang, der demzufolge gar keine Folgen aufweise, die in der Gegenwart (rechts-)erheblich seien. Das Bundesverfassungsgericht hat die Pflicht zu Wiedergutmachungsleistungen aus dem Sozialstaatsprinzip hergeleitet. Eine effektive, gerechte und nicht-diskriminierende Wiedergutmachungspolitik, ob nun im Wege der Naturalrestitution konfiszierter Güter, angemessener Entschädigung oder personenrechtlicher Rehabilitierung, ist ein maßgebliches Kriterium eines rechtsstaatlichen demokratischen Gemeinwesens. Der Anspruch richtet sich zuvörderst an Regierung und Gesetzgeber, im Rahmen der Gesetze ebenso an Verwaltung und Gerichte. Auf die Zurechnung der Unrechtstaten kommt es dabei nicht an. Der demokratische Rechtsstaat kann sich gegenüber seinen Bürgern schwerlich darauf zurückziehen, dass nicht er, sondern eine fremde Staatsmacht der Täter gewesen war. Auch das Völkerrecht kennt mittlerweile die Verantwortlichkeit eines jeden Staates, schwerwiegende Rechtsverletzungen nicht nur anzuerkennen, sondern aktiv für die Beendigung und Beseitigung der durch sie entstandenen Zustände zu sorgen. Auch das dritte Symposion setzt hier an und will sowohl Analysen als auch Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung leisten. Konkreter Hintergrund sind die neueren Entwicklungen in Politik und Rechtsprechung. Hier zeigen sich manche positiven Ansätze eines stärker gewordenen Rechtsbewusstseins, aber ebenso weiterhin beharrliche Defizite. Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten bei der Wiedergutmachung der vertreibungsbedingten Unrechtsfolgen, insbesondere der erlittenen Eigentumsverluste, sind nach wie vor unverkennbar. Gewiss, die Restitution von Eigentum oder auch nur die Leistung von Entschädigungszahlungen an die früher Berechtigten bzw. ihre Rechtsnachfolger stößt auf komplexe Gerechtigkeitsprobleme, auf administrative Hindernisse, auf handfeste fiskalische Interessen und/oder auf politisch-emotionale Ressentiments, im innerstaatlichen Raum ebenso wie im bi- und internationalen Verhältnis. Worum es aber gehen muss, das ist, das Thema seiner politischen Manipulierung und Instrumentalisierung, vor allem aber seiner Tabuisierung zu entreißen und den Diskurs über die Gerechtigkeit der Vergangenheitsbewältigung offen und national wie grenzüberschreitend im Einklang zu halten mit den fundamentalen

Vorwort

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Prinzipien von Recht, Freiheit und Eigentum, auf die unser Beieinanderleben in Gegenwart und Zukunft gegründet ist. In diesem Sinne leuchtet Otto Depenheuer (Köln) zunächst den Rahmen aus, in dem der Umgang mit „Altem Eigentum“ aus staatsphilosophischer, rechtspolitischer und eigentumsgrundrechtlicher Warte steht: zwischen Vergessen, Erinnern und Wiedergutmachung. Hans-Peter Folz (Augsburg/München) befragt sodann die von der International Law Commission zusammengefassten Völkerrechtsregeln zur allgemeinen Staatenverantwortlichkeit, ob und inwieweit sie eine Rechtsquelle für eine effektive und nicht-diskriminierende Restitutionsund Rehabilitierungspolitik bilden. Steht schon dabei auch die Folgenbewältigung der sogenannten Boden- und Industriereform in der SBZ der Jahre 1945 bis 1949 im Hintergrund der Reflexion, so schärft sich der prüfende Blick im Folgenden. Albrecht Wendenburg (Celle/Berlin) setzt sich mit der Behandlung von Eigentumsrestitutionsansprüchen in Gesetzgebung und Rechtsprechung auseinander und betrachtet die Entwicklung der Kompensationsregeln zum begünstigten Flächenerwerb. Hermann-Josef Rodenbach (Bergisch-Gladbach/Berlin) gibt vor allem einige Hintergrundinformationen aus der Vollzugspraxis im Rückgabe-, Entschädigungsund Ausgleichsleistungsrecht, bevor Johannes Wasmuth (München) unter Anführung historischen Aktenmaterials darlegt, dass die Vertreibungs- und Konfiskationsmaßnahmen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage entgegen der undifferenzierten Würdigung in der Rechtsprechung expliziten Strafcharakter hatten und daher rehabilitierungsrechtlich auch dementsprechend behandelt werden müssten. In den Tagungsband nachträglich aufgenommen ist der Beitrag von Hans-Detlef Horn (Marburg) zur grundsätzlichen Herausforderung des Rechtsstaats im Umgang mit vorangegangenem Unrecht. Schließlich geht es um den Stand und die Perspektiven der staatlichen Wiedergutmachungspolitiken in Tschechien und Polen. Nachdem in Folge der EU-Beitritte der beiden Nachbarländer auch für die nach 1945 aus dem Sudetenland und den Gebieten östlich der Oder/Neiße-Linie vertriebenen Deutschen wieder die Freiheit besteht, sich in der alten Heimat niederzulassen und dort einer wirtschaftlichen Betätigung nachzugehen, – eine Freiheit, die, obgleich unionsrechtliche Selbstverständlichkeit, durchaus auch als Korrektur perpetuierter Unrechtslagen begriffen werden kann – ist eine diskriminierungsfreie, die alten Staatsdekrete überwindende Regelung von Eigentumsrestitution oder Enteignungsentschädigung das einzige noch verbliebene Problemfeld. Zur Lage und Haltung in Tschechien berichtet Jan Filip aus Brünn, über den Stand und die Standpunkte in Polen referiert Andrzej Wróbel aus Warschau. Den vorliegenden Band beschließt ein Nachwort des Vorsitzenden der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Hans-Günther Parplies, das einen Rückblick auf die drei Fachtagungen zu „Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht“ unternimmt. Die ersten beiden Tagungen wurden vom Bundesministeri-

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Vorwort

um des Innern gefördert. Das dritte Symposium konnte auf Einladung und mit Unterstützung der Landsmannschaft Ostpreußen e. V. in deren Haus in Bad Pyrmont stattfinden. An der Zusammenstellung des letzten Tagungsbandes wirkten erneut die Mitarbeiter am Institut für Öffentliches Recht an der Philipps-Universität Marburg tatkräftig mit, insbesondere Ass. iur. Olivier Kreßner, Dr. Aldona Szczeponek LL.M. sowie Petra Kühn; bei den Übersetzungen halfen Carolina Bauer M.A. und Ross Fletcher. Die Herausgeber sagen Dank. Marburg/Freiburg, im Mai 2012 Hans-Detlef Horn Gilbert H. Gornig Dietrich Murswiek

Foreword If law is to permanently fulfil its social functions, that is to create reliable peace and just order, it will have to consider questions of the past on its way to the future. This claim is inescapable. Nothing can start from scratch, everything must tie into the past. This also and specifically applies to law. It cannot afford defaults. Forgetting is not an option. Things might be forgiven, but must never be forgotten. Where past injustice affects future law, the prohibition of forgetting prevails for any democratic constitutional state. Missing answers and remaining gaps strain the law’s position in the continuing political society past, present and future. The German word describing this task is (revealingly) arduous; it is Vergangenheitsbewältigung and means “coming to terms with the past”. In winter 2010, for the third time, the “Studiengruppe für Politik und Völkerrecht” (Study Group for Politics and International Public Law) again in association with the “Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen” worked towards the judicial, or more precisely, the handling in accordance with the rule of law of the consequences of the injustice of expulsion and expropriation which took place after the Second World War. The preceding symposia in autumn 2006 and spring 2008 were also published by Duncker und Humblot, Berlin: “Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht. Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung – Teil I” (2008), “– Teil II” (2009). From the very beginning, the Study Group has not only been concerned with approaching the topic from a national, German, point of view but with treating the accomplishment of the acts of expulsion and expropriation as what they are: a bilateral and multinational topic. A just abatement of the consequences has to be accomplished by national legal systems as well as European and international law. Accordingly, foreign scientists coming from Mid-, Southeast- and Eastern Europe have continually contributed in the past and so, two brilliant constitutional scientists and experts on international law from Poland and the Czech Republic could be won over to participate this time. For many, “coming to terms with the past” remains a catch phrase, at least, when it alludes to remedying the injustice of expulsion. It draws attention to unsettled and unresolved issues, instead of pointing out negotiated matters and the attainment of a state of satisfaction. The people affected and in turn their legal successors not only have cause to complain, but they also have cause to sue – and they do. 65 years after the end of the Second World War, 50 years after the beginning of the European Integration, 20 years after the German Reunification

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Foreword

and the German-Polish as well as the German-Czech neighbouring contract, a legal compensation system fully accepted by all parties involved has not yet been established. Compensation is not only achieved with those – necessary – efforts of governmental culture policies that try to exclude the injustices of the past from the process of forgetting and attempt to imprint them on the human and political mind as a perpetual memorial. Compensation calls for more: something has to be done. Where governmental injustice raged, a constitutional state cannot and must not leave the victims and their relatives alone with the consequences. Even less this can be justified by simply qualifying former injustice as an instantaneous act that remains without further considerable (legal) consequences in the present times. The Federal Constitutional Court deduced the duty to compensate from the welfare state principle. An effective, just and non-discriminating policy of compensation, be it in the way of natural restitution of confiscated goods, appropriate compensation payment or rehabilitation pertaining to personal rights law, is a crucial criterion of a real constitutional democratic commonwealth. This pretence is primarily addressed to government and legislator but also to the administration and courts under the law. That does not depend on attributing offences. The democratic constitutional state can hardly rely on the excuse that not the state itself but a foreign power had been the offender against its citizens. Meanwhile, also the International Public Law provides for the responsibility of every state not to recognise serious breaches of international law as lawful and to refrain from any aid or assistance in maintaining the conditions caused by them. The third symposium again uses this as a starting point and aims at contributing analyses as well as inputs to the process of coming to terms with the past. Its concrete background relates to recent developments in politics and jurisdiction. Some positive basic approaches of a deepened legal consciousness are visible here, as are certain persistent deficits. Difficulties and deficiencies in the compensation for the consequences of injustice caused by expulsion, especially the sustained losses of property, are still distinctive. On a domestic level as well as in bi- and international relationships, restitution of property or merely the payment of compensation to former beneficiaries and their legal successors respectively, doubtlessly faces complex problems of fairness, administrative obstacles, sturdy fiscal interests and/or political or emotional resentments. It is necessary to wrest this topic away from political manipulation and instrumentalisation. This, however, can only be achieved through working against the tabooing of this topic and by keeping the discourse open about justice in coming to terms with the past on a national level as well as across national boundaries and by further reconciling it with the fundamental principles of law, freedom and property, on which our coexistence is founded in present and in future times. With this in mind, Otto Depenheuer (Cologne) will explore the scope of the treatment of “old property” from a state-philosophical and political point of

Foreword

11

view and in terms of fundamental property rights: that is, between forgetting, remembering and compensation. Hans-Peter Folz (Augsburg/Munich) then will question whether and to what extent the customary international law of state responsibility summarised by the International Law Commission can be a source of law for an effective and non-discriminating policy of restitution and rehabilitation. Due to the fact that the consequences of the so-called ‘land and industry reform’ (“Boden- und Industriereform”) in the Soviet occupation zone between 1945 and 1949 already provides a point of reference in the previous articles, the awareness of it will be sharpened in the following. Albrecht Wendenburg (Celle/Berlin) will deal with the handling of claims of property restitution in legislation and jurisdiction and will take a look at the rules of compensation by privileged area acquisition (“begünstigter Flächenerwerb”). Hermann-Josef Rodenbach (Bergisch-Gladbach/Berlin) will mainly give some background information on administrative implementation of the restitution and compensation payment law. Johannes Wasmuth (Munich), citing historic files, will proceed with explaining to what extent the measures of expulsion and confiscation based on law imposed by the Soviet occupying powers – contrary to the indifferent acknowledgement in court judgements – were of a punitive nature and therefore should be treated in accordance with the perspective of the right of rehabilitation. The article by Hans-Detlef Horn (Marburg) about the challenge of a constitutional state dealing with past injustice has subsequently been added to the conference volume. Finally, topics concerning the status quo and the perspectives of restorative state policy in the Czech Republic and in Poland will be considered. As a consequence of the EU accession of both neighbouring states, Germans, who had been banished from the Sudetenland and from areas east of the Oder-Neisse line after 1945, obtained the freedom to settle down in their homeland and to pursue a business again; a freedom, however, that might be marked by an implicitness of the European Union Law, but which can well be regarded as a correction of perpetual injustice. The only remaining problem area, however, is the creation of arrangements free from discrimination, which should prevail over old statedecrees and consider the restitution of property or compensation of expropriations. Jan Filip from Brno reports about the situation and attitude of the Czech Republic, while Andrzej Wróbel from Warsaw examines the state of affairs and positions in Poland. The book at hand concludes with closing remarks by the representative of the “Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen”, Hans-Günther Parplies, which undertake a retrospective view of the three symposia on “Law of Property and Injustice of Expropriation”. The first two symposia were promoted by the German Federal Ministry of the Interior. With an invitation from and the support of the “Landsmannschaft Ostpreußen e.V.”, the third symposium was able to take place at their conference house in Bad Pyrmont. In the compilation of this latest

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Foreword

conference volume the employees of the “Institut für Öffentliches Recht” (Institute of Public Law) at the University of Marburg have contributed anew, particularly Ass. Iur. Olivier Kreßner, Dr. Aldona Szczeponek LL.M., and Petra Kühn; Carolina Bauer M.A. and Ross Fletcher have helped with the translations. The editors express their sincere thanks to all. Marburg/Freiburg, May 2012 Hans-Detlef Horn Gilbert H. Gornig Dietrich Murswiek

Inhaltsverzeichnis Otto Depenheuer Das alte Eigentum und die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes – Zwischen Vergessen, Erinnern und Wiedergutmachung ................................................................ 25 Abstract .................................................................................................................... 43

Hans-Peter Folz Das Recht der Staatenverantwortlichkeit als Quelle effektiver Restitutionspolitik?. 45 Abstract .................................................................................................................... 65

Albrecht Wendenburg Eigentumsrestitutionsansprüche und Regeln zum begünstigten Flächenerwerb ...... 67 Abstract .................................................................................................................... 98

Hermann-Josef Rodenbach Die Praxis des Entschädigungsrechts ..................................................................... 101 Abstract .................................................................................................................. 120

Johannes Wasmuth Notwendige strafrechtliche Rehabilitierung der Verfolgungsmaßnahmen gegen Opfer der „Boden- und Wirtschaftsreform“ ........................................................... 123 Abstract .................................................................................................................. 150

Jan Filip Einige Probleme der Vergangenheitsbewältigung am Beispiel der Restitutionen in der Tschechischen Republik ............................................................................... 151 Abstract .................................................................................................................. 173

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Inhaltsverzeichnis

Andrzej Wróbel Wiedergutmachung durch Restitution im deutsch-polnischen Verhältnis – im Lichte der Rechtsprechung des EGMR und des Obersten Gerichtshofs............ 175 Abstract .................................................................................................................. 193

Hans-Detlef Horn Zum Umgang des Rechtsstaats mit vorangegangenem Unrecht ............................. 195 Abstract .................................................................................................................. 215

Nachwort – Ein Rückblick auf drei Fachtagungen ...................................................... 217

Die Autoren ................................................................................................................. 221 Sach- und Personenverzeichnis ................................................................................... 231

Table of Contents Otto Depenheuer Old Property and the Guarantee of Property – Between Forgetting, Remembering and Compensation .................................................................................................... 25 Abstract .................................................................................................................... 43

Hans-Peter Folz The Law of State Responsibility as a Source of Effective Restitution Policy? ........ 45 Abstract .................................................................................................................... 65

Albrecht Wendenburg Claims of Restitution of Property and Regulations of Privileged Land Acquisition 67 Abstract .................................................................................................................... 98

Hermann-Josef Rodenbach The Practice of Loss Compensation ....................................................................... 101 Abstract .................................................................................................................. 120

Johannes Wasmuth Necessary Rehabilitation under Criminal Law Aspects of the Measures of Persecution Used Against Victims of the “Land and Industry Reform” ............ 123 Abstract .................................................................................................................. 150

Jan Filip Selected Problems of the Process of Coming to Terms with the Past at the Example of Restitutions in the Czech Republic............................................ 151 Abstract .................................................................................................................. 173

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Table of Contents

Andrzej Wróbel Compensation by Restitution in the German-Polish Relationship – In Respect of the Jurisdiction of the ECtHR and the Supreme Court ..................... 175 Abstract .................................................................................................................. 193

Hans-Detlef Horn About the Constitutional State Dealing with Former Injustice ............................... 195 Abstract .................................................................................................................. 215

Closing Remarks – A Retrospective View of Three Symposia ................................... 217

The Authors ................................................................................................................. 221 Subject Index and List of Names ................................................................................. 231

Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations abgedr.

abgedruckt

ABl.

Amtsblatt

Abs.

Absatz

a. F.

alte Fassung

ARoV, ÄRoV

Amt, Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

AusglLeistG

Ausgleichsleistungsgesetz

AVR

Archiv für Völkerrecht

Az.

Aktenzeichen

BAA

Bundesausgleichsamt

BADV

Bundesamt für zentrale Dienstleistungen und offene Vermögensfragen

BARoV

Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen

BayGVBl.

Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt

Bd.

Band

BeiBl.

Beiblatt

Bek.

Bekanntmachung

Beschl.

Beschluss

BezG

Bezirksgericht

Bf.

Beschwerdeführer

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

18

Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations

BMF

Bundesministerium der Finanzen

BMJ

Bundesministerium der Justiz

BR

Bundesrat

BRD

Bundesrepublik Deutschland

BRüG

Bundesrückerstattungsgesetz

BT

Bundestag

Buchst.

Buchstabe

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, amtliche Sammlung

BVerfGK

Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, amtliche Sammlung

BVerfG-K

Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, amtliche Sammlung

BVVG

Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft mbH

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

CDU

Christlich Demokratische Union

Coll.

Collection

CSU

Christlich Soziale Union

DDR

Deutsche Demokratische Republik

dens.

denselben

ders.

derselbe

d.h.

das heißt

dies.

dieselbe

DM

Deutsche Mark

DÖV

Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)

Drs.

Drucksache

DRZ

Deutsche Rechts-Zeitschrift

dt.

deutsch

Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations DtZ

Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift

EALG

Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz

ebd.

ebenda

ECtHR

European Court of Human Rights

Ed.

Edited

EG

Europäische Gemeinschaft

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGMR (GK)

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Große Kammer)

Einf.

Einführung

EKMR

Europäische Kommission für Menschenrechte

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

Entsch.

Entscheidung

EntschG

Entschädigungsgesetz

etc.

et cetera

et seq.

folgende

EU

Europäische Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGRZ

Europäische Grundrechte Zeitschrift

e.V.

eingetragener Verein

EV

Einigungsvertrag

FAS

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FDGB

Freier Deutscher Gewerkschaftsbund

FDP

Freie Demokratische Partei

f.

folgend

ff.

fortfolgend

FlErwÄndG

Flächenerwerbsänderungsgesetz

FlErwV

Flächenerwerbsverordnung

Fn.

Fußnote

Frhr.

Freiherr

FS

Festschrift

19

20

Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations

GBl.

Gesetzblatt

geb.

geboren

gem.

gemäß

GG

Grundgesetz

ggf.

gegebenenfalls

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung



Genfer Übereinkommen

GVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

GVOBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

ha

Hektar

HLKO

Haager Landkriegsordnung

hrsg.

herausgegeben

Hrsg.

Herausgeber

HStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Josef Isensee/Paul Kirchhof

ICJ

International Court of Justice

ICLQ

The International and Comparative Law Quarterly (Zeitschrift)

i.e.

id est

IGH

Internationaler Gerichtshof

ILC

International Law Commission

insb.

insbesondere

InVorG

Investitionsvorranggesetz

i.S.d.

im Sinne der/des

i.S.v.

im Sinne von

i.V.m.

in Verbindung mit

JCC

Jewish Claims Conference

jew.

jeweils

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

JURA

Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

JZ

Juristenzeitung

KG

Kammergericht

Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations

21

KPD

Kommunistische Partei Deutschlands

KR

Kontrollrat

KRD

Kontrollratsdirektive

KRG

Kontrollratsgesetz

LARoV, LÄRoV

Landesamt, Landesämter zur Regelung offener Vermögensfragen

LG

Landgericht

lit.

litera

LPG

Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft

Mio.

Million

Mrd.

Milliarde

MS

Manuskript

MWD

Ministerstwo wnutrennich del; russ. Bezeichnung für Innenministerium der UdSSR (1934-1946)

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

m.z.N.

mit zahlreichen Nachweisen

NJ

Neue Justiz (Zeitschrift)

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NKWD

Narodny kommissariat wnutrennich del; russ. Bezeichnung für Innenministerium der UdSSR (ab März 1946)

NL-BzAR

Neue Landwirtschaft – Briefe zum Agrarrecht (Zeitschrift)

No.

number, Nummer

Nr.

Nummer

NS

Nationalsozialismus

NSDAP

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NStZ-RR

Neue Zeitschrift für Strafrecht, Rechtsprechungsreport

NS-VEntschG

NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz

OFD

Oberfinanzdirektion

OG

Oberstes Gericht (DDR)

OGZ

Entscheidungen des Obersten Gerichts in Zivilsachen

OLG

Oberlandesgericht

22

Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations

OVG

Oberverwaltungsgericht

p.a.

per annum

par.

Paragraph

PlPr.

Plenarprotokoll

RegBl.

Regierungsblatt

RGBl.

Reichsgesetzblatt

Rn.

Randnummer

RzW

Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht (Zeitschrift)

S.

Seite

s.

siehe

SBZ

Sowjetische Besatzungszone

SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SJZ

Schweizerische Juristen-Zeitung

Slg.

Sammlung (Gesetze, Gerichtsentscheidungen)

SMAD

Sowjetische Militäradministration in Deutschland

SMT

Sowjetisches Militärtribunal

sog.

so genannt

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

StGB

Strafgesetzbuch

StIGH

Ständiger Internationaler Gerichtshof

StPO

Strafprozessordnung

StrRehaG

Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz

TASS

Nachrichtenagentur der Sowjetunion

Tb.

Taschenbuch

ThürVerfGH

Thüringer Verfassungsgerichtshof

TreuhG

Treuhandgesetz

u.a.

und andere

u.ä.

und ähnliche

UdSSR

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

UN

United Nations, Vereinte Nationen

UN-Doc.

United Nations Document

Abkürzungsverzeichnis / List of Abbreviations UNO

United Nations Organization

v.

vom, von

VermG

Vermögensgesetz

VDI

Verein Deutscher Ingenieure

VG

Verwaltungsgericht

vgl.

vergleiche

VIZ

Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht

VOBl.

Verordnungsblatt

Vol.

Volume

vs.

versus

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

VwRehaG

Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz

WRV

Weimarer Reichsverfassung

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

ZAP

Zeitschrift für die Anwaltspraxis

z.B.

zum Beispiel

ZfIR

Zeitschrift für Immobilienrecht

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert

ZOV

Zeitschrift für offene Vermögensfragen

ZP

Zusatzprotokoll

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

z.T.

zum Teil

z.Zt.

zur Zeit

ZVOBl.

Zentralverordnungsblatt

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Das alte Eigentum und die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes – Zwischen Vergessen, Erinnern und Wiedergutmachung Von Otto Depenheuer*

I. Altes Eigentum und Wiedervereinigung Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands – kaum mehr zu erhoffen gewagt, glücklich ins Werk gesetzt und materiell wie mental nach 20 Jahren weithin realisiert – ist von einem Makel überschattet, der nicht weichen will, der nicht ruhen kann, der immer noch schmerzlich schwärt und der einer befreienden Agenda harrt: der Umgang des grundgesetzlichen Rechtsstaates mit dem privaten Eigentum an Grund und Boden, das zwischen 1945 und 1949 auf besatzungshoheitlicher oder -rechtlicher Grundlage konfisziert wurde.1 Die Geschichte dieses Alten Eigentums ist fürwahr kein Ruhmesblatt in der ansonsten durchaus ruhmreichen Geschichte der Wiedervereinigung Deutschlands. Der Kampf um dieses Alte Eigentum hat viele politische Wunden geschlagen, tiefe emotionale Verbitterung ausgelöst, juristisch zahlreiche Narben hinterlassen, ja bei vielen Betroffenen den Glauben an die regulative Idee der Gerechtigkeit und die ihr verpflichtete Gerichtsbarkeit beschädigt.2 ___________ * Nachfolgende Ausführungen beruhen in Teilen auf Überlegungen, die der Verfasser für die Festschrift zu Ehren von Edzard Schmidt-Jortzig entwickelt hat und die zu seinem 70. Geburtstag unter dem Titel „Staat mit Vergangenheit – Verfassung mit Zukunft“ im Oktober 2011 erschienen ist. 1 Zur „Bodenreform“ in der SBZ vgl. die Sachdarstellung in BVerfGE 84, 90 (96); G. Biehler, Die Bodenkonfiskationen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945 nach Wiederherstellung der gesamtdeutschen Rechtsordnung 1990, 1994, S. 32 ff.; F. Ossenbühl, Eigentumsfragen, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, 1997, § 212, Rn. 20 ff. 2 Vgl. H.-D. Horn, Der Eigentumsschutz des Grundgesetzes im völker- und europarechtlichen Kontext der Wiedergutmachung vor-rechtsstaatlichen Unrechts, in: G. H. Gornig/H.-D. Horn/D. Murswiek (Hrsg.), Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht. Analyse und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung – Teil 1, 2008, S. 79 ff.; ders., Menschenrechte und Konfiskationen – insbesondere zu den Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone, in: G. H. Gornig/H.-D. Horn/D. Murswiek (Hrsg.), Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht. Analyse und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung – Teil 2, 2009, S. 49 (51 m. w. N.).

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Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung sollte man sich freilich juristischen Illusionen nicht länger hingeben: Die juristischen Schlachten um das Alte Eigentum sind geschlagen. Das Bundesverfassungsgericht hat durch seine Urteile und Beschlüsse aus den Jahren 1991, 1996, 2000 und 20043 zwar die besatzungsrechtlichen Enteignungen als großes Unrecht qualifiziert, gleichzeitig aber die Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Regelungen des Einigungsvertrags festgestellt. Aus dem früheren, durch Zwangsakt entzogenen Eigentum könne unmittelbar keine Eigentumsposition der Alteigentümer auf Rückgabe oder Kompensation ihrer ehemaligen Besitztümer abgeleitet werden. Ein unmittelbar auf Art. 14 GG gestützter Anspruch komme – so das Gericht – nur dann in Betracht, wenn bereits der Eingriff im Zeitpunkt seiner Vornahme den Anforderungen von Art. 14 GG unterlag.4 Dies setze eine von Art. 14 GG geschützte Rechtsposition voraus, die im Zeitpunkt der Konfiskationen aber gerade nicht bestand.5 Da auch eine rückwirkende Geltung der grundgesetzlichen Eigentumsgarantie für Zwangsakte der SBZ und der DDR nicht angeordnet, sondern ausdrücklich für „unantastbar“ erklärt wurde,6 musste das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis zutreffend feststellen: „Die Wiedergutmachung früheren Unrechts ist nicht Ausfluss einzelner Grundrechte, sondern hat ihre Wurzeln ausschließlich im Rechts- und Sozialstaatsgedanken.“7 Damit stand fest, dass Art. 14 GG die ehemaligen Eigentümer und Opfer der Konfiskationen nicht aufgrund ihrer früheren Eigentümerstellung schützt.8 Diese positivistisch klingende Position mag die Betroffenen emotional belasten, juristisch ist sie überzeugend: Positive Rechtsordnungen wirken nun einmal wie juristische Gebote, vergangenes Unrecht zu vergessen. Mit dem Erlass einer neuen Rechtsordnung beginnt eine neue, juristisch mit Altlasten grundsätzlich unbelastete Zukunft. Während Staat und Eigentum als Erscheinungen des sozialen Lebens aus Vergangenheit erwachsen und diese haben, kann das positive Recht normativ nur die Zukunft regeln. Tatsächlich lässt sich gelebte Geschichte nicht mit verfassungsrechtlichen Instrumentarien rückabwickeln und bewältigen.9 Dies ___________ 3

BVerfGE 84, 90 ff.; 94, 12 ff.; 102, 254 ff.; 112, 1 ff. So zu Enteignungen BVerwG, NJW 1998, S. 1967 f. 5 BVerfGE 84, 90 (123). Zum Restitutionsausschluss nach Art. 143 Abs. 3 GG weitergehend BVerfGE 94, 12 (46 ff.). Vgl. auch O. Depenheuer/B. Grzeszick, Eigentum und Rechtsstaat, NJW 1999, S. 385 ff. 6 Vgl. F. Ossenbühl (Fn. 1), Rn. 60 f. 7 BVerfGE 84, 90 (126). Näher: H.-D. Horn, Eigentumsschutz (Fn. 2), S. 90 ff. 8 O. Depenheuer, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl., 2010, Art. 14 Rn. 177 m. w. N. 9 J. Isensee, Deutschlands aktuelle Verfassungslage: Staatseinheit und Verfassungskontinuität, in: VVDStRL 49 (1990), S. 39 ff. (60). Vgl. auch H. Papier, Vergangenheitsbewältigung: Abwicklung, Ahndung, Entschädigung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IX, 1997, S. 601 ff. 4

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gilt für alle Ebenen des positiven Rechts. Es verwundert denn auch kaum, dass auch der EGMR eine entsprechende Beschwerde gegen die Behandlung der Konfiskationen im Wiedervereinigungsprozess umstandslos zurückgewiesen hat.10 Und es gehört nicht allzuviel Phantasie dazu zu prognostizieren, dass auch die Europäische Grundrechtecharta an diesem Befund nichts ändern wird. Rechtlich und prozessual ist dieses Ergebnis definitiv: Iustitia locuta causa finita. Wenn die Aufarbeitung vorgrundgesetzlichen Unrechts keine juristische Aufgabe ist, dann ist sie in erster Linie eine politische und gesellschaftliche Aufgabe. Zwar schneiden positive Rechtsordnungen und -normen mit ihrem Inkrafttreten den unmittelbaren Rekurs auf frühere Sachverhalte ab, sofern sie eine Rückabwicklung früherer Rechtsakte nicht ausdrücklich anordnen. Die politische Aufgabe eines wirklich befriedenden Umgangs mit dem unbestrittenen Unrecht der konfiskatorischen Enteignungen ist mit den Urteilssprüchen indes nicht zu Ende. Im Gegenteil: Wer glaubt, das Problem in Ansehung der genannten Judikatur aus der Erinnerung tilgen, dem Vergessen überantworten, Gras darüber wachsen lassen oder es gar positiv verdrängen zu können, der dürfte sich über die Erinnerungsleistung des Eigentums grundsätzlich täuschen: Wenn etwas immer erinnert wird, dann ist es Altes Eigentum, insbesondere Grundeigentum – je älter, desto intensiver und länger. Ehemaliges Eigentum an Grund und Boden vermittelt Heimat und Bindung, Geschichte, Tradition und Erinnerung, die von den Betroffenen als Verpflichtung wahrgenommen wird. Diese weit über den tatsächlichen oder vermeintlichen Besitz eines Rechtstitels auf Rückgabe oder Ausgleich hinausgehende emotionale Bedeutung der Konfiskationen und ihrer Perpetuierung durch den Einigungsvertrag ist es, die dem Pro-blem seine fortdauernde rechtspolitische Brisanz, seine nicht enden wollende Irritationswirkung, seine nicht heilen wollende Unrechtserfahrung verdankt. Die rechtspolitisch noch zu bewältigende Aufgabe eines angemessenen Umgangs wird also erst jetzt, nachdem die juristischen Schlachten geschlagen sind, bestimmbar und lässt sich wie folgt formulieren: Was muss der Rechtsstaat um seiner Selbstachtung willen heute tun, um die offene Wunde der über die Wiedervereinigung hinaus perpetuierten Konfiskationen politisch, rechtlich und moralisch zu schließen?

___________ 10 EGMR (GK), Entscheidung vom 2. März 2005, NJW 2005, 2530 ff. Dazu: H.-D. Horn, Eigentumsschutz (Fn. 2), S. 102.

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II. Moderner Staat und privates Grundeigentum – Rechtshistorische Aspekte Der politische und rechtliche Umgang mit dem zwischen 1945 und 1949 konfiszierten Eigentum hat nachhaltige Verbitterung hinterlassen. Verständlicherweise: Die prinzipielle Perpetuierung der Konfiskationen im Zuge und mehr noch nach der Wiedervereinigung durch alle Staatsorgane war und ist mit dem rechtsstaatlichen und freiheitlichen Selbstverständnis des grundgesetzlichen Staates schwer vereinbar. Der Stachel des schlechten Gewissens, insbesondere auf Seiten des Staates, ist insoweit deutlich spürbar – und er wird erkennbar schmerzhafter. Im Interesse einer wirklich alle Interessen berücksichtigenden und befriedenden Strategie zur Überwindung der noch immer völlig verhärteten politischen Fronten könnte ein rechtshistorischer Exkurs hilfreich sein. Stellt man nämlich die befremdliche Behandlung des Alten Eigentums im Zuge der Wiedervereinigung in einen größeren historischen Zusammenhang, wird diese als vorläufiger Endpunkt eines längerfristigen Trends erkennbar: eines Trends zum zunehmend schwindenden Respekt vor dem Grundeigentum. Aus dieser größeren Perspektive betrachtet, erscheinen die tatsächlichen, vermeintlichen oder vorgeschobenen politischen Begründungen für diese seinerzeit unter großem Zeitdruck getroffenen Entscheidungen als geradezu peripher und kontingent.11 Dazu ist alles gesagt, und jeder kann sich über den Wahrheitsgehalt der Begründungen, ihre Lauterkeit und politische Notwendigkeit seine Gedanken machen und seine Konsequenzen daraus ziehen. 12 Was hier interessiert, ist allein die Frage: Ist diese seinerzeit getroffene Entscheidung, die rechtsstaatswidrigen Konfiskationen prinzipiell unangetastet zu lassen, mit dem Selbstverständnis eines freiheitlichen Verfassungsstaates auf Dauer vereinbar und einem gedeihlichen Zusammenleben innerhalb des Gemeinwesens zuträglich? Oder ist diese Entscheidung in ihrem objektiven Bedeutungsgehalt ein Indikator für eine prinzipielle (Nicht-)Achtung, die der Staat des Grundgesetzes dem privaten Eigentum im Allgemeinen, der unrechtmäßigen Konfiskationen zwischen 1945 und 1949 im Besonderen zuerkennt? Aus der historischen Perspektive der letzten 200 Jahre wird deutlich, dass sich der Rechtsstaat des Grundgesetzes mit seiner „Bewältigungsstrategie der rechtsstaatswidrigen Konfiskationen“ in eine wenig schmeichelhafte politische Gesellschaft gestellt und diese noch überboten hat: nämlich die ebenso langfristige wie wenig erfreuliche Grundtendenz zur abnehmenden Achtung der Staatsgewalt gegenüber privatem ___________ 11

Dazu: L. de Maizière, Rückgabe von Eigentum – Wiedergutmachung oder neues Unrecht?, in: B. Sobotka (Hrsg.), Wiedergutmachungsverbot? Die Enteignungen in der ehemaligen SBZ zwischen 1945 und 1949, S. 148 ff.; A. Rödder, Deutschland einig Vaterland: Die Geschichte der Wiedervereinigung, 2009, S. 325 ff. m. w. N. 12 Vgl. statt aller C. Paffrath, Macht und Eigentum: Die Enteignungen 1945 – 1949 im Prozess der deutschen Wiedervereinigung, 2004.

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Eigentum an Grund und Boden. Wenn tatsächlich „auf dem Eigentum an Grund und Boden alle Schlachten um das Eigentum stets zuerst geschlagen werden, bevor der Sieger auf andere Güter greift“13, dann muss die festzustellende prinzipielle Nichtachtung Alten Eigentums langfristig Besorgnis auslösen. Denn der Rechtsstaat des Grundgesetzes akzeptiert mit dieser Haltung erstmals in der langen Geschichte des Eigentumsschutzes die entschädigungslose Enteignung von Grund und Boden, reklamiert es – ungeachtet seiner Bekenntnisse zum Eigentum Privater – für sich und bereichert sich entschädigungslos daran.

1. Von der Enteignungsentschädigung zur Konfiskation Bis zu den revolutionären Neuordnungen des Grundeigentums im 20. Jahrhundert genoss Grundeigentum hohen Respekt, sein Entzug verpflichtete zur Kompensation. In der Folge der napoleonischen Kriege kam es zwar zu zahlreichen revolutionären Neuordnungen der Gebietsherrschaften, doch der damit verbundene Entzug des Eigentums wurde aber grundsätzlich kompensiert. Die ersten politischen Revolutionen führten zur Aufhebung der ständischen Eigentumsordnung nach 1800 und ließen die überkommenen Eigentums- und Herrschaftspositionen zum Gegenstand revolutionärer Aufhebung und Neuordnung werden. Die seinerzeitigen – insbesondere geistlichen – Inhaber der Territorialherrschaften konnten sich politisch nicht länger mehr vor dem Forum der neuzeitlichen Vernunft rechtfertigen und militärisch nicht vor den revolutionären Neuordnungen. Sie mussten ihre politische Depossedierung nahezu wehrlos über sich ergehen lassen. Erstaunlicherweise finden sich bei diesen ersten großen neuzeitlichen Bodenreformen gleichwohl zahlreiche, wenn auch im Detail sehr unterschiedliche Entschädigungsregelungen zur Kompensation der erlittenen Verluste.14 So hatten die deutschen Fürsten im Zuge der französische Revolution zwar linksrheinisch Gebietsverluste hinzunehmen, erhielten aber durch den Frieden von Lunéville 1801 und den ihn umsetzenden § 35 des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 den geistlichen Besitz der Reichskirche als „Entschädigungsgut“ für linksrheinische Gebietsverluste zugewiesen. Die Gebietsverluste der betroffenen Landesherren wurden in einem ersten Schritt, also zu Lasten Dritter, d. h. konkret: der kirchlichen Territorialgüter, kompensiert. Aber auch deren Vermögensverluste als Folge der Säkularisierung wurden durch kompensatorische Staatsleistungen in Grenzen zu halten versucht. Diese seinerzeit begründeten, den Gebietsverlust kompensierenden Staatsleistungen ___________ 13 W. Leisner, Eigentumsschutz – im Naturschutzrecht eine Ausnahme?, DÖV 1991, S. 781. 14 Überblick: U. Schulte am Hülse, Grundeigentum zwischen Privatautonomie und öffentlich-rechtlichen Eigentumsschranken. Entwicklungslinien des Eigentumsschutzes in Deutschland zwischen 1806 – 1933 [erscheint demnächst], MS, S. 27 ff., 67 ff.

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des Staates an die Kirchen gelten bekanntlich bis heute fort (Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV).15 Ihre 1919 vorgesehene endgültige Ablösung durch die Landesgesetzgebung harrt bis heute der Einlösung.16 Fazit: Trotz der revolutionären Verwerfungen ungeheuren Ausmaßes wurden die überkommenen Eigentumsrechte als wohlerworbene geachtet und ihr Entzug grundsätzlich kompensiert. Mit diesem Respekt vor den „iura quaesita“ brach die sog. Bodenreform in der SBZ. Sie verstand sich als revolutionärer Akt zur Vorbereitung des Sozialismus. Revolutionen haben mit überkommenen und rechtlich gesicherten Besitzständen eigentlich keine Probleme: Sie setzen sich einfach über sie hinweg – warum sonst ist man revolutionär? Dieses revolutionäre Selbstverständnis muss man historisch als Tatsache ebenso zur Kenntnis nehmen wie seine eigentumsumgestaltenden Folgen und gesellschaftspolitischen Verwerfungen. Bekanntlich erwies sich diese Revolution nach Jahrzehnten als ein ideologischer Großversuch mit verheerenden Verlusten politischer, wirtschaftlicher und moralischer Provenienz: Sie konnte ihre Verheißungen nicht einlösen, musste ihren ideologischen Offenbarungseid ebenso ablegen wie ihre ökonomische Insolvenz eingestehen. Der freiheitliche Rechtsstaat des Grundgesetzes trat das sozialistische Erbe der DDR und ihrer Vergangenheit an und musste sich nunmehr zu den von ihm vorgefundenen, ihm nicht zuzurechnenden Unrechtshandlungen der Konfiskationen rechtsstaatlich verhalten. Im Hinblick auf die Hinterlassenschaft der eigentumsumgestaltenden Bodenreform musste er konkret entscheiden, ob er sich die Ergebnisse der Konfiskationen vermögensmäßig de facto zu eigen machte und sie dadurch nachträglich rechtsstaatlich legitimierte oder ob er grundsätzlich versuchte, ihnen im Rahmen des rechtlich, faktisch und moralisch Möglichen nach den Maßstäben eines Rechtsstaates Rechnung zu tragen, d. h. das überkommene Unrecht wieder gut zu machen und den Eigentumsverlust grundsätzlich zu kompensieren.

2. Rechtsstaatliche Nutznießung rechtsstaatswidriger Enteignungen Dritter Die Antwort des Vertrages zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands ist eindeutig: Die Ergebnisse der Bodenreform bleiben unangetas___________ 15

Näher: J. Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: E. Friesenhahn/U. Scheuner/J. Listl (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 1975, S. 51 ff. 16 Dieser Zustand gerät freilich gegenwärtig zunehmend in die rechtspolitische Diskussion und könnte mit dem nachhaltigen Schwächeanfall der christlichen und ehemaligen Volkskirchen möglicherweise tatsächlich alsbald seinem endgültigen Ende entgegengehen.

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tet. Man kann diese Grundsatzentscheidung durchaus, weil den seinerzeitigen internationalen und zwischenstaatlichen politischen Bedingungen geschuldet, als alternativlos und daher gerechtfertigt ansehen. Die Republik des Grundgesetzes wurde dadurch allerdings Rechtsnachfolger des rechtsstaatswidrig geraubten Landes, Erbe eines mit einem Makel behafteten Eigentums. Die rechtliche wie politische Möglichkeit, dieses mit dem Makel elementaren Unrechts behaftete Eigentum jedenfalls dann an die früheren Eigentümer zurückzugeben, wenn keine gegenläufigen Interessen dem entgegenstehen, wurde aber nicht wahrgenommen. Das EALG beschränkte sich auf Ausgleichsleistungen, eröffnete aber prinzipiell keine Möglichkeit der Rückgabe des konfiszierten Landes, auch dann nicht, wenn und insoweit nur die Republik Rechte an den konfiszierten Ländereien hatte. Der Rechtsstaat machte sich die erlangte Unrechtsposition – im wahrsten Sinne des Wortes – zu Eigen. Aber auch das hat historische Vorbilder: Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges gab es ein liberales und relativ eigentumsfreundliches Eigentumsregime mit relativ wenig Beschränkungen: Die Staatspraxis konnte und wollte sich mit relativ geringen Eingriffen in das Eigentum begnügen.17 Enteignungen, wie sie vor allem im Hinblick auf den Aufbau eines reichsweiten Schienen-, Straßen- und Kanalnetzes im 19. Jahrhundert erforderlich wurden, erfolgten nur gegen Entschädigung.18 Dieses eigentumsfreundliche Klima änderte sich mit Beginn des Krieges 1914 drastisch. Mit der Umstellung auf Kriegswirtschaft erfuhr das Eigentum massive Belastungen: Requirierungen, Enteignungen, Beschlagnahmen etc. prägten das kriegswirtschaftliche Eigentumsregime.19 Weil und insoweit es im Krieg um die Existenz des Staates geht, d.h. um die Bedingung der Möglichkeit eines rechtlich geschützten Eigentums, erscheinen diese kriegsbedingten Eigentumseingriffe verständlich, sachgerecht und gerechtfertigt. Erstaunlicherweise aber wurden diese kriegsbedingt legitimierten Eigentumseingriffe nach dem sie rechtfertigenden Krieg nicht wieder zurückgenommen, sondern das demokratische Deutschland machte sich die kriegsbedingten Verschiebungen der Eigentumsquote nonchalant zu eigen, beließ es auch in der anbrechenden Friedenszeit der Weimarer Republik bei den kriegswirtschaftlich begründeten Belastungen und nahm den erreichten Stand der Eigentumsbelastungen zum Ausgangspunkt für weitere Belastungen.20 Fazit: Was der demokratische Rechtsstaat selbst in Zeiten des Friedens faktisch nicht gewagt und verfassungsrechtlich nicht gedurft hätte, machte ___________ 17

Vgl. H. Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 1975, S. 249 ff., 252; U. Schulte am Hülse (Fn. 14), S. 148 ff. 18 Zur Geschichte vgl. D. Grimm, Die Entwicklung des Enteignungsrechts unter dem Einfluß der Industrialisierung, in: H. Coing/W. Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 4, 1979, S. 121. 19 U. Schulte am Hülse (Fn. 14), S. 152 – 172. 20 U. Schulte am Hülse (Fn. 14), S. 173 ff., 177 f.

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er sich als kriegswirtschaftliche Beute zu Nutzen und verschob die Eigentumsquote nachhaltig zu seinen Gunsten. In diese wenig schmeichelhafte Tradition hat sich der Staat des Grundgesetzes beim Umgang mit der Hinterlassenschaft der Konfiskation 1945 – 1949 gestellt als er entschied, deren Ergebnisse prinzipiell unangetastet zu lassen. Abstrakt formuliert: Der Staat des Grundgesetzes versteht sich zwar als freiheitlicher Rechtsstaat, verurteilt die Eigentumseingriffe in der SBZ/DDR als „schweres Unrecht“, belässt es aber bei der ideellen Verurteilung und übernimmt materiell den status quo der ungerechten Eigentumsverteilung. Zur Klarstellung und zur Vermeidung von Missverständnissen: Es geht in Bezug auf das Alte Eigentum nicht um Wiederherstellung des status quo ante, schon deswegen nicht, weil man Geschichte nicht zurückdrehen kann. Nicht nur muss man ganz grundsätzlich mit Unrecht leben können, um Zukunft haben zu können. Man muss auch neue Rechte und ihr Recht sehen, sie berücksichtigen und ihnen Rechnung tragen. Die moralische, d.h. rechtspolitische Frage, vor die sich ein Rechtsstaat gestellt sieht, wird dadurch aber nicht berührt. Sie lautet: Darf ein an der Idee der Gerechtigkeit orientierter Rechtsstaat vorgefundenes Unrecht, soweit er es ohne Zufügung neuen Unrechts korrigieren kann, einfach auf sich beruhen lassen? Mehr noch: Darf er das dadurch erlangte Eigentum einfach für sich beanspruchen? Zieht er, indem er ungeniert eigenen Nutzen aus fremdem Unrecht zieht, nicht den für einen Rechtsstaat fatalen Vorwurf der Doppelmoral auf sich? Muss ein Rechtsstaat demgegenüber nicht um seiner Selbstachtung willen das ihm Mögliche tun, um die Wunden alten Unrechts zu schließen, dieses Unrecht nach Maßgabe des Möglichen und unter Berücksichtigung gegenläufiger Interessen zurückgeben? Solche Fragestellungen liegen außerhalb des positiven Rechts und rechtlich durchsetzbarer Ansprüche, sondern sind solche der Rechtspolitik, die ihre Maßstäbe und Direktiven aus sozialphilosophischen Überlegungen beziehen. Thema sind also objektiv-rechtliche Selbstachtungsgebote des Rechtsstaats, nicht subjektiv-rechtliche Ansprüche ehemaliger Eigentümer. Es geht um die objektivrechtliche Dimension und Direktivkraft der Grundrechte, die nicht anders kann, als Unrecht zu benennen, es zu erinnern, wiedergutzumachen und zurückzugeben. Dies ist die moralische, verfassungsethische Basis, die in die politische Diskussion überführt werden muss. 3. Last und Risiko verdrängter Vergangenheit Nachdem die juristischen Schlachten vor den Gerichten geschlagen sind, geht es also um die rechtspolitische Auseinandersetzung im politischen Diskurs. Darin liegt kein resignierender Rückzug und ein Sich-Abfinden mit den Entscheidungen der Vergangenheit, sondern vielmehr eine gebotene, nachhaltige und Erfolg versprechendere Positionsverschiebung für die Zukunft: Eine Positi-

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on moralischer Stärke hat politisch oftmals mehr Durchschlagskraft als die juristische Auseinandersetzung vor dem Forum der Justiz. Denn keine Gemeinschaft kann auf Dauer der Erinnerung an ihre schlimme Vergangenheit entkommen; sie muss sich ihr stellen. Hinsichtlich der moralischen Hinterlassenschaft des nationalsozialistischen Unrechtsregimes hat sich Deutschland dem mühsamen Prozess des Erinnerns, der Aufarbeitung, der Entschuldigungen und der Wiedergutmachung in einer historisch singulären und vorbildhaften Weise gestellt. Hinsichtlich des erlittenen eigenen Unrechts der deutschen Opfer der sowjetischen Nachkriegskonfiskationen steht dieser Prozess weithin noch aus. Dabei bleibt der innere Frieden der Gesellschaft, die Befriedung aller Betroffenen bleibende politische Herausforderung. Ihr muss um der Zukunft des Gemeinwesens willen in einer befriedenden Weise Rechnung getragen werden, weil alte, unbehandelte Wunden erlittenen, aber nicht erinnerten Unrechts eine Gesellschaft nicht zur Ruhe kommen lassen. Es liegt daher im ureigensten Interesse aller, in diesem Feld zu einem umfassenden Ausgleich aller Interessen zu gelangen. Hierzu einen Beitrag zu leisten, ist das rechtspolitische Anliegen nachfolgender kursorischer Überlegungen. Auf der Grundlage einer ebenso allgemeinen wie knappen Besinnung auf einige im Hintergrund wirksame Mechanismen kollektiven Erinnerns, Vergessens und Versöhnens im Hinblick auf vergangenes Unrecht (III.), sollen abschließend rechtspolitische Folgerungen formuliert werden (IV.).

III. Altes Unrecht als Erinnerungslast des Gemeinwesens 1. Staatlichkeit zwischen Vergessen und Erinnern Das Unrecht der Konfiskationen zwischen 1945 und 1949 bedarf an dieser Stelle keiner Darlegung im Einzelnen: Jeder weiß darum, niemand leugnet es, keiner versucht sich an einer Rechtfertigung. Eigenartigerweise aber – sieht man von den direkt Betroffenen ab – wird die öffentliche Erinnerung an dieses Unrecht weithin verweigert, bleibt das Unrecht „unangetastet“ und wird mit bedauerndem wie gleichgültigem Schweigen überzogen. Das öffentliche Verschweigen des Unrechts prägt auch den Umgang des Rechtsstaates mit diesem schwierigen Erbe. Natürlich kann auch in einem Rechtsstaat vergangenes Unrecht faktisch nicht ungeschehen gemacht werden. Auch ein Rechtsstaat muss, gerade weil er Rechtsstaat ist, rechtlich auch Unrecht aus vielerlei berechtigten Gründen „unangetastet“ lassen: Verjährungsvorschriften und Amnestien schneiden den Rückgriff auf die Vergangenheit ab. Und die durch Unrecht geschaffenen Tatsachen können nach Jahrzehnten auch von einem Rechtsstaat, wenn überhaupt, nur in Grenzen ausgeglichen werden. Diese Ohnmacht des Rechtsstaates gegenüber vergangenem Unrecht kann man mit guten Gründen überzeugend begründen, aber man muss es auch. Wenn man vergangenes Unrecht nur in Grenzen korrigieren kann, dann darf man es aber gerade deswegen nicht auch

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noch verschweigen. Dem Rechtsstaat ist bei anerkanntem Unrecht der Rückzug des schlechten Gewissens in das tapfere Schweigen und das politische Nichtstun verwehrt. Er darf das ungestillte Bedürfnis der Menschen nach Gerechtigkeit, den verständlichen Wunsch der Betroffenen, mit dem erlittenen Unrecht in ein tragbares Verhältnis zu kommen, nicht leichtfertig abweisen, will er nicht Gefahr laufen, dass sich dieses Bedürfnis ein Ventil sucht, das politisch gefährlich werden könnte. Der französische Historiker Ernest Renan hat demgegenüber in seinem berühmten Vortrag „Was ist eine Nation“ ausdrücklich für das kollektive Vergessen als Bedingung einer stabilen Zukunft optiert: „Das Vergessen – ich möchte fast sagen: der historische Irrtum – spielt bei der Erschaffung einer Nation eine wesentliche Rolle. Daher ist der Fortschritt der historischen Studien oft eine Gefahr für die Nation. Die historische Forschung zieht in der Tat die gewaltsamen Vorgänge ans Licht, die sich am Ursprung aller politischen Gebilde, selbst jener mit den wohltätigsten Folgen, ereignet haben. Die Vereinigung vollzieht sich immer auf brutale Weise.“21 So zutreffend die Diagnose und so pragmatisch diese Empfehlung erscheint, so sehr sie sich in eine lange ideengeschichtliche Traditionskette der Apologie des Vergessens einzureihen vermag,22 sie kann realpolitisch nicht überzeugen: Irgendwann – im Zeitalter der totalen internetbasierten Kommunikation zumal – kommt alles an das Licht der Öffentlichkeit. Und die Folgen können umso schlimmer werden, je länger die historische Wahrheit ungesagt blieb, öffentlich verdrängt und tabuisiert wurde. Das Verschweigen und das Vergessen bilden keinen langfristigen Ausweg aus dem Dilemma der Bewältigung einer schlimmen Vergangenheit.23 Obwohl das Vergessen den Neuanfang häufig erst möglich macht und Zukunft das Loslassen von Vergangenheit bedingt, bleibt eine verschwiegene Vergangenheit latent gefährlich. Schlimme Vergangenheit muss erinnert, aufgeschrieben und öffentlich gedacht werden, um sich auch mit ihr zu versöhnen. Vergangene Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen, kann zwar weh tun, aber eine Wahrheit, der man sich stellt, kann auch neue Kräfte freisetzen: „die Wahrheit wird euch frei machen“ – frei von der Last des Verschweigens und frei von der Angst, unvorbereitet und sprachlos mit der unangenehmen Wahrheit konfrontiert zu werden. Kollektive Erinnerung eines staatlich geeinten Gemeinwesens ist daher – aus staatstheoretischer Perspektive – Pflicht aller Bürger und Amtsträger. Ansatz___________ 21

E. Renan, Was ist eine Nation? [1882], in: M. Jeismann/H. Ritter (Hrsg.), Grenzfälle – Über neuen und alten Nationalismus, 1993, S. 294 f. 22 Vgl. A. Demandt, Historische Selbstentlastung in der Antike, in: B. Loewenstein (Hrsg.), Geschichte und Psychologie, 1992, S. 115 ff.; C. Meier, Das Gebot zu Vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns. Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit, 2010, S. 9 ff.; H. Weinrich, Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens, 3. Aufl. 2000. 23 C. Meier (Fn. 22), S. 49 ff.; H. Weinrich (Fn. 22), S. 228 ff.

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weise sei daher im Folgenden skizziert, wie eine kollektive Erinnerung möglich ist und wie diese Erinnerung für die Zukunft des geeinten Deutschlands rechtspolitisch fruchtbar gemacht werden kann. Die Frage stellt sich insoweit: Wie müsste ein solches politisches Ventil aussehen, das dem erlittenen Unrecht eine Stimme gibt, wie könnte es etabliert werden und welche Rahmenbedingungen müssten gegeben sein, um ihm eine Gasse zu weisen, um dem Druck des schlechten Gewissens gegenüber dem Opfer der von den Konfiskationen Betroffenen ein Ventil zu geben und sie mit der Gegenwart zu versöhnen? Das bedeutet im Umkehrschluss, dass im Folgenden gar nicht erst der Versuch unternommen wird, dieses Ventil in der Instrumentalisierung von Rechtsnormen deutscher, europäischer oder internationaler Provenienz zu suchen, ihre Interpretationsweite auszutesten und weitere gerichtliche Realisierungschancen auszuloten. An der juristischen Front ist nichts mehr zu gewinnen, aber rechtspolitisch viel zu verlieren. Doch Rechtsnormen haben, jenseits ihrer juristischen Wirkkraft und gerichtlichen Durchsetzbarkeit als Rechtsansprüche, überschießendes rechtspolitisches und objektiv-rechtliches Sinnpotential. Dieses gilt es in den Blick zu nehmen.

2. Individuelle und kollektive Erinnerung im Gemeinwesen Die Erinnerung an das Nachkriegsunrecht zwischen 1945 und 1949 ist nicht nur eine individuelle, sie ist auch eine solche des kollektiven politischen Gedächtnisses der Nation:24 Es geht bei der Frage, ob und wie sich der Rechtsstaat des seinen Angehörigen widerfahrenen Unrechts erinnert, um die Selbstachtung dieses Staates als Rechtsstaat. Die Konfiskationen von 1945 und 1949 betrafen zwar nur die ehemaligen Eigentümer, d.h. konkrete Individuen. Ihr Opfer – das der Vertreibung und Flucht aus der Heimat sowie das des Verlustes ihres Eigentums – ist zwar zunächst nur individuelle Geschichte und Schicksal, die innerhalb der betroffenen Familien erzählt und tradiert werden. Aber die individuelle Erinnerung ist untrennbar auch Teil eines nationalen Narrativs, in das alle Staatsbürger eingebunden sind, dem sie nicht entfliehen können und dem sie sich stellen müssen. Die Geschichte des Alten Eigentums und seine Behandlung im Zuge der Wiedervereinigung ist nämlich nicht zu trennen von dem deutschen Trauma des 20. Jahrhunderts schlechthin: dem Unrechtsregime des „Dritten Reiches“, der Entfesselung des Weltkrieges, der Vertreibung und Vernichtung zahlloser Menschenleben, der terminalen totalen Kapitulation, d.h. der totalen Aufgabe aller ___________ 24 Zum schwierigen Verhältnis individueller und kollektiver Erinnerung vgl. A. Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, 2006, S. 21 ff.; U. Jureit/C. Schneider, Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, 2010, S. 54 ff.

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Rechtspositionen mit der Folge des absoluten Ausgeliefertseins an die Besatzungsmächte, und der nachfolgenden Teilung Deutschlands. Das kollektive Gedächtnis der Deutschen hat insoweit eine bemerkenswerte und bis heute dominant nachwirkende Wendung genommen:25 Nach einer anfänglichen Phase des Schweigens aus Benommenheit und Scham setzte mit den sechziger Jahren die Phase der „Aufarbeitung“ ein. Deutschland stellt sich seither wie wohl kaum eine andere Nation vorher seiner kollektiven Schuld, was ihr inzwischen als Vorzug angerechnet wird.26 In diesem Prozess wurde die Rolle der Deutschen als Urheber und Täter aber in einem solchem Maße dominant, dass sie die kollektive Erinnerung an eigenes Leid und Unrecht in der Öffentlichkeit nicht mehr zuließ, teilweise gar mit sozialer Ächtung abstrafte und ihr dadurch sogar die Stimme der Erinnerung nahm: Vertreibung, Konfiskationen, Schändungen, Hinrichtungen von Deutschen waren lange Jahre kein Thema des öffentlichen Diskurses. Die Betroffenen verfügten über keinen öffentlichen Resonanzraum. Viele sahen sich ausgegrenzt, an den Rand abgedrängt und organisierten sich – sozialpsychologisch vorhersehbar – in kleinere, nichtöffentliche Zirkel von z.T. zweifelhafter Provenienz und politischer Zielsetzung.27 Indem die Teilung Deutschlands als verdiente Sühne für das kollektive Unrecht der Deutschen angesehen wurde, ließ eben diese Haltung das Gedenken des eigenen Leids nicht zu und blockierte – politisch wie psychologisch – entsprechendes politisches Handeln. Ein großes bleiernes Schweigen legte sich in dieser Hinsicht über das Land. Erst in jüngster Zeit scheint sich an der Lage dieser geistigen Befindlichkeit einer verunsicherten und sich in die Sicherheit der „political correctness“ flüchtenden Nation eine gewisse Normalisierung anzubahnen. Dies könnte es in Zukunft ermöglichen, den von Deutschen zu verantworteten Unrechtstaten in die Augen zu sehen und trotzdem darauf zu bestehen, auch an das eigene Leid und erlittene Unrecht zu erinnern und dieses zu betrauern sowie um Gerechtigkeit bitten zu dürfen. Dabei geht es nicht länger um Ausblenden, Schweigen oder Aufrechnen in Ansehung erlittenen Unrechts, aber doch darum, trauern zu dürfen über die eigenen Schicksale und Verluste, um politische Anerkennung und gesellschaftliches Mitleiden für das erfahrene Leid und Unrecht zu erfahren. Nur so können die seinerzeit Betroffenen sich wieder als ein Teil der Solidargemeinschaft aller verstehen.

3. Moralische Wiederkehr des rechtlich Verdrängten Man muss diese hintergründig wirksame geistige Bewusstseinslage der Deutschen vor Augen haben, um zu verstehen, wie schwer sich die politische Klasse ___________ 25 26 27

Näher U. Jureit/C. Schneider (Fn. 24), S. 107 ff.; A. Assmann (Fn. 24), S. 153 ff. Vgl. C. Meier (Fn. 22), S. 76. A. Assmann (Fn. 24), S. 194 ff.

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mit einer Situation tat, die sie 1989 dazu zwang, einen Umgang mit dem Unrecht der Konfiskationen von 1945 bis 1949 zu finden. Bis zur Wiedervereinigung waren diese kein Thema, weil die weltpolitische Großwetterlage und die deutsche Teilung einer politischen oder juristischen Aufarbeitung entgegenstanden. Doch mit der Wiedervereinigung kam die Bewältigung der Konfiskationen unerwartet auf die Tagesordnung der Politik, die darauf mental nicht vorbereitet war. Der Staat musste innerhalb kürzester Zeit eine zumindest vorläufige Zwischenregelung im Hinblick auf die Bodenreformen treffen, aber auch eine langfristig allseits befriedend wirkende Antwort darauf finden.28 Abgesehen von weltpolitischen Implikationen musste der Staat insoweit drei divergierende Interessen berücksichtigen: die der ehemaligen Eigentümer, die kaum mehr daran geglaubt haben dürften, dass „ihr“ Eigentum jemals noch zu ihren Lebzeiten ein Thema werden könnte; die der neuen Eigentümer (Neubauern), die verständlicherweise Angst vor einem Entzug ihrer gerade erworbenen Rechte hatten; und schließlich seine eigenen vermögenswerten Interessen als Rechtsnachfolger der untergehenden DDR. Das Ergebnis des Einigungsvertrages ist bekannt: zwei gegensätzliche Grundsatzentscheidungen für zwei unterschiedliche Fallgruppen. Während die Enteignungen zu DDR-Zeiten grundsätzlich rückabgewickelt werden sollten – „Rückgabe statt Entschädigung“, sollten die Konfiskationen von 1945 bis 1949 grundsätzlich „unangetastet“ bleiben – „Entschädigung statt Rückgabe“. Insoweit sah das Ausgleichsleistungsgesetz allerdings eine gesetzliche Regelung zur Wiedergutmachung für Grundeigentumskonfiskationen in der SBZ vor.29 Insgesamt aber war durch diese Regelung das Unrecht der Konfiskationen rechtlich abgeschlossen und psychologisch verdrängt: Damit sollte man sich nicht länger rechtlich befassen müssen. Aber verdrängte schlimme Vergangenheit meldet sich moralisch immer wieder zurück: Sie will gehört, anerkannt und befriedet werden. Worin aber besteht heute noch – über 60 Jahre nach den Unrechtstaten und 20 Jahre nach der Wiedervereinigung – das moralisch zu bewältigende Problem? Um zu dessen Kern vorzudringen, empfiehlt es sich aus methodischen Gründen, einige Fragestellungen und theoretische Handlungsoptionen zwecks Komplexitätsreduktion auszuscheiden. So sollen nachfolgend die tatsächlichen und vermeintlichen Gründe für diese Grundsatzentscheidung als irreversibel betrachtet und zum nicht weiter hinterfragten Ausgangspunkt nachfolgender Überlegungen gemacht werden. Ferner sollen die heiklen Probleme beiseite gelassen werden, die ein Zusammentreffen alter mit neuen Eigentumsrechten aufwirft: Durch ihre Inbesitznahme früheren alten Eigentums haben die Neueigentümer ___________ 28

Zum historischen Ablauf: A. Rödder (Fn. 11), S. 325 ff. m. w. N. Überblick: E. Schmidt-Jortzig, Rechtsstaatlich angemessener Ausgleich für die sog. „Alt-Eigentümer 1945/49“, in: J. Ipsen/H.-W. Rengeling/J. M. Mössner/A. Weber (Hrsg.), Verfassungsrecht im Wandel. Wiedervereinigung Deutschlands, Deutschland in der Europäischen Union, Verfassungsstaat und Föderalismus, 1995, S. 207 ff. m. w. N. 29

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ihrerseits eine neue Geschichte geschrieben, die gleichfalls nicht einfach ungeschehen gemacht werden kann und respektiert werden muss. Schließlich soll die Frage der Legitimität des Vorrangs Dritter bei der Landzuteilung für die dringend notwendigen Investitionen in der ehemaligen DDR unbeachtet bleiben. Thema soll im Folgenden nur dasjenige Grundeigentum sein, das durch die Wiedervereinigung in das Eigentum der Bundesrepublik gelangte und seither Staatseigentum ist. Gegenwärtig handelt es sich insoweit um ca. 350.000 Hektar landwirtschaftliche Flächen.30 Im Hinblick auf diese Flächen ist Deutschland nicht nur Rechtsnachfolger der DDR, sondern trat als deren „Erbe“ in die Fußstapfen der Konfiskationen und erweist sich damit de facto als Nutznießer dieses „schweren Unrechts“. Damit stellt sich die entscheidende Frage an ein sich als Rechtsstaat verstehendes Gemeinwesen: Kann ein freiheitlicher Verfassungsstaat es mit seinem Selbstverständnis vereinbaren, dieses „befleckte“ Eigentum auf Dauer und endgültig für sich zu reklamieren? Welche rechtsethisch erheblichen und überzeugenden Gründe könnte er dafür geltend machen? Ist ein der Idee der Gerechtigkeit verpflichteter Rechtsstaat, der sich verfassungsrechtlich zum „Eigentum Privater“ bekennt, nicht grundsätzlich verpflichtet, sich diesem Unrecht zu stellen? Muss er dann nicht dieses Staatseigentum so schnell wie möglich zu privatisieren versuchen, insbesondere es den ehemaligen Eigentümern zurückgeben oder es zumindest ihnen vorrangig zum Rückkauf anbieten?

IV. Erinnerung als Staatsraison 1. Eine Kultur des Erinnerns Derartige Anfragen aus verdrängter Vergangenheit brechen sich unausweichlich Bahn. Sich im Hinblick auf diese Fragen taub, blind und sprachlos zu stellen, kann nur zeitlichen Aufschub bewirken, eine dauerhafte Lösung kann eine derartige Verdrängungsstrategie zur Aufarbeitung erlittenen Unrechts nicht sein. Schon deswegen nicht, weil Eigentum erinnert wird und verdrängte Geschichte sich früher oder später einen Weg bahnt. Insbesondere ein Rechtsstaat muss sich dazu rechtsstaatlich einwandfrei und rechtsethisch überzeugend verhalten. Gerade der Rechtsstaat bedarf einer Kultur des Erinnerns vergangenen staatli___________ 30 Vgl. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum begünstigten Flächenerwerb nach § 3 des Ausgleichsleistungsgesetzes und der Flächenerwerbsverordnung (Zweites Flächenerwerbsänderungsgesetz – 2. FlErwÄndG), BT-Drs. 17/3183 v. 5. Oktober 2010, S. 4. – Zum Stand der Privatisierung des Forsteigentums: J. Froese/L. Frhr. v. Oldershausen, Bodenreform in der DDR und Reprivatisierung, in: O. Depenheuer/B. Möhring (Hrsg.), Waldeigentum. Dimensionen und Perspektiven, 2010, S. 43 ff.

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chen Unrechts. Erinnert werden müssen die dunklen ebenso wie die hellen Seiten der eigenen Geschichte, anderen zugefügtes wie eigenes erlittenes Unrecht. Insbesondere muss auch individuell erlittenes Unrecht kollektiv erinnert werden, weil das Gemeinwesen ein solches aller Bürger ist, das dem Einzelnen zugefügte Unrecht ein dem gesamten Solidarverband zugefügtes ist. Deshalb muss ein Gemeinwesen den individuellen Opfern alten Unrechts das Gefühl geben, in ihrem Leid nicht allein zu sein, ihnen solidarisch beizustehen, ihr individuelles Leid zu einer Sache aller zu machen. 20 Jahre nach der Möglichkeit, das Unrecht von 1945 bis 1949 zu erinnern, zu benennen, es wiedergutzumachen, ändert an dieser grundsätzlichen Verpflichtung nichts. Im Gegenteil: Gerade weil man im Zeitablauf immer weniger korrigieren und restituieren kann, desto mehr ist zumindest die Anerkennung des Unrechts und die Bemühung um Ausgleich von Nöten. Verdrängen und Vergessen sind keine Alternative, weil die Erinnerungswirkung des Eigentums dem entgegensteht.

2. Die Erinnerungswirkungen des Eigentums und seiner Garantie Nichts erinnert mehr und länger als Eigentum: Eigentum verpflichtet – auch dazu, es zu erinnern. Im verlorenen Eigentum verdichtet sich die schwierige Mélange von Erinnern-Müssen und Nicht-Vergessen-Können, von rückwärtsgewandter Trauer und vorwärts drängender Verdrängung. Erinnern ist Belastung und für jede soziale Gruppe in ihrer jeweiligen historischen Situation heikel. Das Vergessen des vergangenen Unrechts wäre vielleicht schön, erleichternd. Doch der Ausweg ist versperrt: Eigentum ist materialisierte Vergangenheit, das dem Vergessen keinen Raum gibt, solange die Sache noch da ist. Das gilt für gegenwärtiges wie ehemaliges Eigentum. Daher wird auch der Staat des Grundgesetzes nicht umhin können, sich zu dem Unrecht, dessen Nutzen man sich zu Eigen macht, nach seinem rechtsstaatlichen Selbstverständnis in ein moralisch tragfähiges Verhältnis zu setzen. Erinnern muss sich ein freiheitlicher Rechtsstaat auch deshalb, weil und insoweit Art. 14 GG ebenso wie die europäischen und völkerrechtlichen Parallelbestimmungen ihn immer wieder daran erinnert, sich erinnern zu müssen. Die objektiv-rechtlich Aussagekraft und rechtspolitische Bindungswirkung der Eigentumsgarantie beinhaltet das uneingeschränkte Bekenntnis aller Staatsgewalt zum Privateigentum, votiert zu seinem Schutz gegen entschädigungslose Enteignungen, enthält eine prinzipielle Absage an jede Form willkürlicher und unrechtmäßiger Konfiskationen. Welche politische Wirkkraft dieses verfassungsrechtliche Bekenntnis zum Privateigentum und seinem Schutz hat, erkennt man spiegelverkehrt an dem Vorbehalt, den die Tschechische Republik aus Anlass

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der Unterzeichnung der Europäischen Grundrechtecharta notifizierte.31 An diesem bemerkenswerten Umgang mit eigener Geschichte wird die begründete Furcht vor der normativen Wirkkraft der Eigentumsgarantie deutlich: Das schlechte Gewissen im Hinblick auf die Beněs-Dekrete erhält amtlichen Ausdruck. Juristisch überflüssig wird dieser moralisch fragwürdige Akt rechtlichen Verdrängens den Tschechen jedoch nicht Erlösung von der Last der eigenen Vergangenheit bringen. Der Maßstäbe setzenden Autorität der objektiven Norm kann auf Dauer keine schlimme Vergangenheit entkommen: Immer wieder wird das Erbe schlimmer Vergangenheit konfrontiert werden mit ihrem normativen Gegenbild, dem sie nicht genügen kann, dem sie nicht Rechnung tragen will, an dem sie aber kompensatorisch um so länger und intensiver leiden muss – bis sie sich ihm irgendwann endlich stellt. Aus der schieren Existenz des Eigentumsgrundrechts und dem Selbstverständnis eines freiheitlichen Verfassungsstaates folgt eine rechtsethische Handlungsmaxime, deren Umsetzung politisch unabweisbar ist: Was ein Rechtsstaat selbst nicht tun darf, das darf er auch nicht dulden, rechtfertigen oder den Nutzen daraus ziehen: All das wäre schlechthin moralisch unerträgliche Doppelmoral.32 Ein Rechtsstaat, dem durch die Gunst der Umstände Vermögen zufällt, das mit dem Stigma des Unrechts belegt ist, kann daher nicht anders – wenn nicht Rechte Dritter oder andere zwingende Umstände entgegenstehen – als es in dem Umfang an die Entrechteten zurückzugeben, in dem es noch in Staatsbesitz ist.

3. Die rechte Zeit des Erinnerns Rechtsethische Maximen realisieren sich nicht von allein. Sie treffen mit gegenläufigen Rechten und Interessen Betroffener, emotionalen Widerständen und Selbstachtungsansprüchen der politischen Akteure auf zahllose, realpolitische Schwierigkeiten der Umsetzung. So zeigen sich die gefühlsmäßigen Befindlich___________ 31 53. Erklärung der Tschechischen Republik zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Ziff. 1: „Die Tschechische Republik erinnert daran, dass die Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union für die Organe und Einrichtungen der Europäischen Union gelten, wobei das Subsidiaritätsprinzip und die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, wie sie in der Erklärung (Nr. 18) zur Abgrenzung der Zuständigkeiten bekräftigt wird, gebührend zu beachten sind. Die Tschechische Republik betont, dass die Bestimmungen der Charta ausschließlich dann für die Mitgliedstaaten gelten, wenn diese Unionsrecht durchführen, nicht aber, wenn sie vom Unionsrecht unabhängige nationale Rechtsvorschriften erlassen und durchführen.“ 32 Zu Begriff und Formen der Doppelmoral vgl. W. Wolbert, Zum Vorwurf der Doppelmoral in der Diskussion um embryonale Stammzellforschung, Deutsche Medizinische Wochenschrift 2003, S. 453 ff.

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keiten in Ost und West gerade hinsichtlich des Alten Eigentums nach wie vor als höchst gegensätzlich. Stillschweigende und offene, tiefsitzende wie vorgeschobene Ressentiments gegen das Alte Eigentum machen das öffentliche Engagement für das Alte Eigentum zum schwer kalkulierbaren politischen Risiko für politisch kalkulierende Akteure.33 Hinzukommen individual- wie sozialpsychologisch begründete Widerstände: Der politische Umgang mit vergangenen Versäumnissen, vermeidbaren Irrtümern, verfehlten Einschätzungen, unglücklichen öffentlichen Festlegungen ist politisch riskant und erschwert politische wie gesellschaftliche Neubewertungen und Korrekturen. Immerhin hat Deutschland insoweit aus gegebenem Anlass zur schlimmen Vergangenheit des „Dritten Reiches“ insgesamt eine sehr vorzeigbare und eine weltweit ebenso singuläre wie vorbildhafte Haltung eingenommen. Indem es sich seiner Geschichte nach und nach uneingeschränkt gestellt hat, dadurch die Rolle des aufrichtig bereuenden Sünders mit der des moralischen Vorreiters in Sachen Aufarbeitung einer schlimmen Vergangenheit angereichert hat, sind Maßstäbe auch für andere Fälle schlimmer Vergangenheit gesetzt: Nicht geschickte Uminterpretation der Vergangenheit, nicht Verdrängung und eitle Rechtfertigung des NichtRechtfertigungsfähigen, sondern offenes Eingestehen und aktive Wiedergutmachung. Diese Großerfahrung läuternder Einsicht könnte auch im Umgang mit früher getroffenen politischen Fehlentscheidungen insgesamt fruchtbar gemacht werden. Freilich: Das Eingeständnis früherer Fehlentscheidungen und Fehleinschätzungen, erst recht das schlechte Gewissen über fatale Irrtümer sowie das Eingeständnis von Schuld – sie alle brauchen Zeit und Anlässe, damit die Handelnden sowie die durch sie vertretenen Staatsorgane sich ohne Gesichtsverlust unter Wahrung ihrer Selbstachtung ihre Handlungen „neu bewerten“, d.h. korrigieren können. Max Planck hat im Zusammenhang mit der Frage nach dem wissenschaftlichen Fortschritt zur Bestimmung dieser Zeit auf die Generationenabfolge hingewiesen: „Eine neue große wissenschaftliche Idee pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner allmählich überzeugt und bekehrt werden – dass aus einem Saulus ein Paulus wird, ist eine große Seltenheit –, sondern vielmehr in der Weise, dass die Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der [sc. neuen] Idee vertraut gemacht wird.“34 Setzt man die Generationenfolge bei 25 Jahren an, so besteht im 20. Jahr der Wiedervereinigung vielleicht erstmals die Chance eines politischen Paradigmenwechsels in Sachen „Altes Eigentum“.35 Der Entwurf ei___________ 33

Näher A. Rödder (Fn. 11), S. 328 ff. M. Planck, Ursprung und Auswirkung wissenschaftlicher Ideen, Vortrag vom 17. Februar 1933 in Berlin vor dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI), in: ders., Physikalische Abhandlungen und Vorträge, Bd. III, 1958, S. 245. 35 Dafür mag als Indikator die Veröffentlichung von U. Jureit/C. Schneider (Fn. 24) im Jahr 2010 stehen; vgl. G. Franzen, Unsere Ehre hieß Reue, in: FAS vom 17. Oktober 2010, S. 15. 34

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nes zweiten Flächenerwerbsänderungsgesetzes36 deutet jedenfalls in diese Richtung.

4. Verpflichtung und Erfolg des Alten Eigentums Rechtsethisch gebotene Paradigmenwechsel aber bedürfen neben dem rechten Zeitpunkt auch des gegebenen Anlasses – etwa in Gestalt einer Vorbild setzenden, zur Nachahmung einladenden und die Idee des privaten Eigentums stärkenden Erfolgsgeschichte des wiedererworbenen Alten Eigentums. Gerade diejenigen, die ihr Eigentum – durch Rückgabe oder Rückkauf – wieder erworben haben, leisten durch ihren vorbildhaften Einsatz einen entscheidenden Beitrag zur politisch nachhaltigen Befriedung und konstruktiven Überwindung des politischen Problems des Alten Eigentums. Zurückgegebenes oder zurückerworbenes Eigentum verpflichtet besonders: Es gilt fortbestehendes administratives und gesellschaftliches Misstrauen sowie politische Widerstände zu überwinden. Die – noch zu schreibende – Erfolgsgeschichte der Wiedereinrichter 37 muss die Vertrauen in der Bevölkerung schaffende und ökonomisch erfolgreiche Wiedereinrichtung der Betriebe dokumentieren, verbreiten und kann derart dem immer noch bestehenden Misstrauen gegen die ehemaligen Eigentümer wirkungsvoll begegnen. In der politischen Diskussion muss diese Erfolgsgeschichte mehr als bisher als Verdienst einer auf dem privaten Eigentum gründenden, dem Eigentum „mit Haut und Haaren“ verpflichteten politischen und gesellschaftlichen Ordnungsidee fruchtbar gemacht werden. Das neue Alte Eigentum hat zahlreiche Früchte getragen, an denen man die Idee und Wirklichkeit des Eigentums erkennen kann. Auch die Erfolgsgeschichte des neuen Alten Eigentums wird diesem auf Dauer seine gesellschaftliche Anerkennung schaffen, politische Zustimmung ernten und schafft dadurch die Fakten, die es der Politik erlauben, daran anzuknüpfen, darauf aufzubauen, das Alte Eigentum anzuerkennen und die Wunden der Vergangenheit dadurch allmählich, aber nachhaltig, abheilen zu lassen.38 So hat Altes Eigentum als Neues Zukunft. * * * ___________ 36

BT-Drs. 17/3183 vom 5. Oktober 2010. Vgl. aber schon K. Feldmeyer, Schwierige Heimkehr. Neusiedler auf altem Boden, 1998; vgl. auch K. Paqué, Die Bilanz. Eine wirtschaftliche Analyse der Deutschen Einheit, 2009, S. 71 ff. 38 Demgegenüber schadet der Sache des Alten Eigentums, wer sich als Rückforderer oder Rückkehrer wie ein Junker aufführt, ohne es zu sein. Dadurch wurde nicht selten der Grund für die verbreitet anhaltend feindselige Stimmung gelegt, die dem Alten Eigentum in der Bevölkerung und in Teilen der ostdeutschen Verwaltung entgegenschlug und -schlägt, vgl. R. Müller, Sonderzone Ost, in: FAZ vom 7. Oktober 2010, S. 8. 37

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Abstract Otto Depenheuer: Old Property and the Guarantee of Property – Between Forgetting, Remembering and Compensation, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to Terms with the Past. Vol. III. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2012) pp. 25–43. The legal struggle for so-called “old property” that was confiscated by the Soviet occupying powers following the end of the Second World War has opened many fresh wounds and triggered much emotional embitterment. It becomes apparent that an experienced history cannot satisfactorily be reversed by the use of legal instruments. As a result, the remedying of former injustice is primarily a political and social task. This issue constitutes the core thesis of this article. In addition to this, the author makes reference to the necessary culture of remembering that is unavoidable in a national commuity, and particular reference to the ongoing impact of remembering the property, with the discussion of homeland and allegiance, history and tradition. For the liberal constitutional state that guarantees the right of property, the basic principle following on from this in terms of legal ethics, is that injustices still being felt, resulting from the expropriation of property, is not to be tolerated, or to be benefitted from, but that the old property is, where possible, to be given back to the victims. However, such active compensation is dependent upon social psychological factors and the prevailing sense of justice in a society. In this repect, there are various indications in recent trends that society’s recognition of the right to retrieve old property has increased. Future policy can build on this.

Das Recht der Staatenverantwortlichkeit als Quelle effektiver Restitutionspolitik? Von Hans-Peter Folz

I. Das Recht der Staatenverantwortlichkeit Die Rechtsfolgen der Verletzung einer Norm des Völkerrechts bemessen sich nach dem Völkerrecht der Staatenverantwortlichkeit.1 Die Regeln der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit haben sich aus dem Völkergewohnheitsrecht entwickelt und sind Gegenstand einer Kodifikation durch die International Law Commission (ILC) der Vereinten Nationen, die im Jahr 2001 abgeschlossen wurde.2 Sie unterscheiden sich maßgeblich vom innerstaatlichen Deliktsrecht, sowohl was den Inhalt der materiellen Regeln als auch was die verfahrensrechtliche Durchsetzung der Ansprüche angeht. Die Staatenverantwortlichkeit begründet ein Verhältnis haftungsrechtlicher Rechte und Pflichten zwischen Staaten.

1. Die Staatenverantwortlichkeit als zwischenstaatliches Verhältnis Allein der Staat ist im Recht der Staatenverantwortlichkeit passiv legitimiert. Nur gegen ihn können Ansprüche geltend gemacht werden. Dagegen scheiden völkerrechtliche Haftungsansprüche eines Staates unmittelbar gegen Staatsangehörige anderer Staaten aus. Nach dem Entwurf der ILC zum Recht der Staatenverantwortlichkeit ist ein Staat zur Geltendmachung von Ansprüchen grundsätzlich berechtigt, wenn er ___________ 1

Umfassend G. H. Gornig, Eigentum und Enteignung im Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung von Vertriebenen, in: G. H. Gornig/H.-D. Horn/D. Murswiek (Hrsg.), Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht, Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung – Teil 1, 2008, S. 19 (37 ff.). 2 International Law Commission, Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts, Anlage zur Resolution 56/83 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 12. Dezember 2001, abgedruckt in: D.-E. Khan, Sartorius II, Internationale Verträge – Europarecht, Nr. 6; zur Rolle der ILC siehe E. Klein/S. Schmahl, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl. 2010, S. 364, Rn. 209.

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als „injured state“ von dem völkerrechtswidrigen Verhalten betroffen ist.3 Der ILC-Entwurf klammert die Möglichkeit für Individuen, eigene Ansprüche aus dem Recht der Staatenverantwortlichkeit herzuleiten, aus, indem er sie unerwähnt lässt.4 Hieraus folgt, dass nach wie vor allein Staaten nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit aktivlegitimiert sind. Ausschließlich Staaten können nach den Regeln der Staatenverantwortlichkeit völkerrechtliche Haftungsansprüche gegen andere Staaten geltend machen. Individuen, die durch eine Völkerrechtsverletzung durch einen anderen Staat geschädigt worden sind, können dagegen keine Ansprüche gegen diesen aus dem Rechtsgrund der Staatenverantwortlichkeit erheben. An einem Rechtsverhältnis, das sich nach den Regeln der Staatenverantwortlichkeit bemisst, können deshalb ausschließlich Staaten beteiligt sein. Die Staaten als Träger der Ansprüche aus Staatenverantwortlichkeit haben dabei darüber zu entscheiden, ob und ggf. in welcher Form und in welchem Verfahren sie Ansprüche erheben wollen. Sie allein sind auch über die Verfügung über die materiellen Ansprüche berechtigt. Dies hat zur Folge, dass die Einzelperson selbst im Fall einer völkerrechtswidrigen Schädigung durch einen Staat nach allgemeinem Völkergewohnheitsrecht keinen völkerrechtlichen Anspruch auf Wiedergutmachung durch den Verletzerstaat hat. Zur Geltendmachung ist der Betroffene vielmehr auf die Ausübung des diplomatischen Schutzrechtes durch seinen Heimatstaat verwiesen. Wird der Staatsangehörige in seinem Vermögen unter Verletzung des völkerrechtlichen Mindeststandards des völkerrechtlichen Fremdenrechts, etwa durch entschädigungslose Entziehung seines Eigentums, geschädigt, ist zugleich der Heimatstaat in seinen völkerrechtlichen Rechten verletzt. Anders ausgedrückt, es wird der Heimatstaat in der Person seines Angehörigen verletzt.5 Er ___________ 3

Art. 42 lit. a) ILC-Articles. Art. 58 ILC-Articles enthält eine Unberührtheitsklausel, der zufolge die voranstehenden Artikel über die Staatenverantwortlichkeit Fragen der individuellen völkerrechtlichen Verantwortlichkeit einer Person, die für einen Staat handelt, nicht berührt. Dies betrifft zunächst die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Die ILC deutet jedoch an, dass sie die völkerrechtliche Entwicklung einer weitergehenden haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit nicht für ausgeschlossen hält. Vgl. hierzu Commentaries to the Draft Articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts, International Law Commission, Report on the work of its fifty-third session, Official Records of the General Assembly, Fifty-Sixth Session, Supplement No. 10 (A/56/10), Rn. 2 zu Art. 58 ILC-Draft: „So far this principle has operated in the field of criminal responsibility, but it is not excluded that developments may occur in the field of individual civil responsibility.“ 5 StIGH, Series A, Collection of Judgments, No. 2 The Mavrommatis Concessions, S. 6 ff. (12): „By taking up the case of one of its subjects and by resorting to diplomatic action or international judicial proceedings on his behalf, a State is in reality asserting its own rights – its right to ensure, in the person of its subjects, respect for the rules of international law.“ 4

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kann kraft des aus seiner Personalhoheit über seine Angehörigen fließenden diplomatischen Schutzrechts vom Verletzerstaat Wiedergutmachung verlangen.6 Da der Heimatstaat auf völkerrechtlicher Ebene hierbei seine eigenen Rechte geltend macht, kann er über diese auch zu Lasten seines geschädigten Staatsangehörigen verfügen.7 Zudem besteht nach dem Völkergewohnheitsrecht lediglich ein Recht des Staates, Ansprüche seiner Angehörigen, die aus einer Völkerrechtsverletzung resultieren, gegen einen anderen Staat geltend zu machen. 8 Dagegen besteht hierzu keine völkerrechtliche Pflicht. Eine solche kann sich allenfalls aus dem innerstaatlichen Verfassungsrecht ergeben.9 Zudem besteht völkerrechtlich keine Pflicht des Heimatstaates, den Betroffenen vor einer Regelung zu konsultieren.10

2. Materielle Ansprüche Aus den völkergewohnheitsrechtlichen Regeln der Staatenverantwortlichkeit ergeben sich typische Rechtsfolgen, die ein in seinen vertraglichen Rechten verletzter Staat gegen den Verletzerstaat geltend machen kann.11 Der verletzte Staat hat einen Anspruch auf Wiedergutmachung.12 Dieser besteht zunächst in Naturalrestitution, d. h. es besteht ein Anspruch des verletzten Staates, so gestellt zu werden, als ob das schädigende Ereignis, d. h. die Völkerrechtsverletzung nicht eingetreten wäre.13 Besteht der Völkerrechtsverstoß in der völkerrechtswidrigen Entziehung von Eigentum, hat der verletzte Staat deshalb einen ___________ 6 StIGH (Fn. 5), S. 12: „Once a State has taken up a case on behalf of one of its subjects before an international tribunal, in the eyes of the latter the State is sole claimant.“ 7 I. Brownlie, Principles of Public International Law, 7. Aufl. 2008, S. 503. 8 StIGH (Fn. 5), S. 12: „It is an elementary principle that a State is entitled to protect its subjects, when injured by acts contrary to international law committed by another State, from whom they have been unable to obtain satisfaction through the ordinary channels.“ 9 R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 4. Aufl. 2009, S. 258. 10 Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR), Application No. 6742/74, Entscheidung vom 10. Juli 1975, DR 3, S. 98 ff. (103): „However the Convention does not guarantee any such general right of consultation. In particular Article 3 of the First Protocol, which provides for the organisation of ‚free elections at reasonable intervals‘ does not impose on states an obligation to consult the population before the conclusion of an international treaty. The question is governed exclusively by the internal constitutional law of the state in question.“ Zur Rolle der EKMR im Rechtsschutzsystem der EMRK vor Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls siehe C. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. 2009, § 8 Rn. 1 f. 11 Art. 28 ff. ILC-Articles; B. Kempen/C. Hillgruber, Völkerrecht, 2007, S. 191 Rn. 75. 12 Art. 31 ILC-Articles. 13 StIGH, Urteil vom 13. September 1928 (Chorzow), Series A, No. 17.

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Anspruch auf Rückgabe, soweit diese nach wie vor möglich ist.14 Zudem hat der verletzte Staat einen Anspruch auf Ersatz seines ökonomischen Schadens, der durch die Vertragsverletzung entstanden ist. Der geschuldete Betrag richtet sich dabei grundsätzlich nach dem feststellbaren wirtschaftlichen Schaden.15 Bei den völkerrechtlichen Ansprüchen aus Staatenverantwortlichkeit handelt es sich jedoch nicht um gebundene Rechtsfolgen. Der verletzte Staat kann sich im Einvernehmen mit dem Verletzerstaat auf die Leistung von Schadensersatz beschränken. Der anspruchsberechtigte Staat ist nicht auf die Einforderung des gesamten Schadens festgelegt.16 Bei dem Anspruch auf Schadensersatz handelt es sich um eine sekundärrechtliche Berechtigung des verletzten Staates, die an die verletzte Norm anknüpft. Der verletzte Staat kann, soweit es sich nicht um die Verletzung einer Norm des völkerrechtlichen ius cogens handelt, über den ursprünglichen Anspruch verfügen. Er ist in gleichem Umfang berechtigt, die Rechtsfolgen einer Völkerrechtsverletzung einvernehmlich mit dem Verletzerstaat zu regeln. Der Heimatstaat kann darüber hinaus gegenüber dem Verletzerstaat auch gänzlich auf die Wiedergutmachung verzichten mit der Folge, dass nicht nur der völkerrechtliche Anspruch erlischt, sondern auch innerstaatliche Ansprüche des Geschädigten untergehen.17

3. Die verfahrensrechtliche Geltendmachung von Ansprüchen aus Staatenverantwortlichkeit Von dem Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs aus Staatenverantwortlichkeit ist die Frage der verfahrensrechtlichen Durchsetzung des Anspruchs zu unterscheiden. Das Völkerrecht kennt als dezentrale Rechtsordnung keine obligatorische Gerichtsbarkeit. Die Zuständigkeit einer streitentscheidenden Instanz muss vielmehr von den Parteien eines Rechtstreits vereinbart werden. Die Parteien können sich dabei ad hoc oder generell der Gerichtsbarkeit eines bestehenden internationalen Gerichts, wie der des Internationalen Ge___________ 14 W. Heintschel von Heinegg, Casebook Völkerrecht, 2005, S. 303 Rn. 606; IGH, Bosnia and Herzegovina, Serbia and Montenegro (Genocide-Convention), Urteil vom 26. Februar 2007, Rn. 460; zur Wiedergutmachung in Vertreibungsfällen vgl. auch D. Rabinowitz, Israel and the Palestinian Refugees: Postpragmatic Reflections on Historical Narratives, Closure, Transitional Justice and Palestinian Refugees’ Right to Refuse, in: B. R. Johnston/S. Slyomovics (Hrsg.), Waging War, Making Peace: Reparations and Human Rights, 2009, S. 225. 15 Art. 36 ILC-Articles. 16 StIGH (Fn. 5), S. 13: „It is true that the State does not substitute itself for its subject; it is asserting its own rights and consequently factors foreign to the previous discussions between the individual and the competent authorities may enter into the diplomatic negotiations.“ 17 I. Brownlie (Fn. 7), S. 503.

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richtshofes in Den Haag, unterwerfen. Der Zugang zum Internationalen Gerichtshof ist auf Staaten beschränkt. Gemäß Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut sind nur Staaten berechtigt, als Parteien vor dem Gerichtshof aufzutreten. Dabei können die Staaten Individualschäden ihrer Staatsangehörigen vor dem IGH geltend machen.18 Darüber hinaus ist der verletzte Staat grundsätzlich auch im Wege der völkerrechtlichen Selbsthilfe zum Ergreifen von Gegenmaßnahmen in Form von Repressalien berechtigt. Nach wie vor sind die Staaten als ultima ratio auf das Mittel der Selbstdurchsetzung ihrer völkerrechtlichen Ansprüche angewiesen. Die Völkerrechtsordnung setzt lediglich den zulässigen Selbsthilfemöglichkeiten der Staaten rechtliche Grenzen.19 Dem Individuum stehen dagegen nach den Regeln der Staatenverantwortlichkeit keine völkerrechtlichen Mittel zur Selbstdurchsetzung seiner Ansprüche zur Verfügung.

4. Zeitliche Grenzen für die Geltendmachung von Ansprüchen aus Staatenverantwortlichkeit Der Geltendmachung von Ansprüchen aus Staatenverantwortlichkeit sind äußerste zeitliche Grenzen gesetzt.20 Unbestritten ist, dass das allgemeine Völkerrecht keine festen Fristen für den Ausschluss völkerrechtlicher Ansprüche vorsieht. Damit lässt sich eine etwaige Verfristung lediglich im konkreten Fall unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls feststellen.21 Die Säumigkeit eines Staates, Ansprüche seiner Staatsangehörigen völkerrechtlich geltend zu machen, kann Rückwirkungen auf deren Individualinteressen haben. Da eine völkerrechtliche Pflicht zur Geltendmachung von Ansprüchen aus Staatenverantwortlichkeit, die aus völkerrechtswidrigen Schädigungen von Individuen re___________ 18

B. Kempen/C. Hillgruber (Fn. 11), S. 257 Rn. 137. Art. 51 ILC-Articles. 20 Art. 45 lit. b) ILC-Articles; vgl. hierzu Commentaries to the Draft Articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts, International Law Commission (Fn. 4), Supplement No. 10 (A/56/10), Rn. 6 zu Art. 45 ILC-Draft: „Just as it may explicitly waive the right to invoke responsibility, so an injured state may acquiesce in the loss of that right. Subparagraph (b) deals with the case where an injured state is to be considered as having by reason of its conduct validly acquiesced in the lapse of the claim. The article emphasizes conduct of the State, which would include, where applicable, unreasonable delay, as the determining criterion for the lapse of the claim.“ 21 Vgl. die Nauru-Entscheidung des IGH, Certain Phosphate Lands in Nauru (Nauru vs. Australia), Preliminary Objections, I.C.J. Reports 1992, S. 240 ff. (253 f. Rn. 32): „The Court recognizes that, even in the absence of any applicable treaty provision, delay on the part of a claimant state may render an application inadmissible. It notes, however, that international law does not lay down any specific time-limit in that regard. It is therefore for the Court to determine in the light of the circumstances of each case whether the passage of time renders an application inadmissible.“ 19

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sultieren, nicht besteht, bleibt es dem Staat überlassen, nach seinem Ermessen derartige Ansprüche zu verfolgen. Entscheidet sich der Staat, etwa aus Gründen politischer Opportunität, keine Forderungen zu erheben, so können sich die Konsequenzen einer Säumnis zu Lasten der Staatsangehörigen auswirken. Ist durch die Säumnis eine Verjährung oder Verwirkung der Ansprüche aus Staatenverantwortlichkeit eingetreten, so können diese Ansprüche zwischenstaatlich nicht mehr geltend gemacht werden.22

II. Die Rolle des Individuums im Recht der Staatenverantwortlichkeit Die Normen der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit zeigen deutlich das Ausmaß der Mediatisierung des Individuums auch nach derzeit geltendem Völkerrecht. Wie bereits gezeigt, sind die Träger von Rechten und Pflichten aus dem Recht der Staatenverantwortlichkeit ausschließlich Staaten, nicht dagegen Individuen.23 Dies überrascht, da dem Individuum im modernen Völkerrecht zunehmend eigene Rechte zuerkannt werden.24 Der Mensch als Träger dieser Rechte kann jedoch nicht auf deren Verletzung nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit reagieren. Auch insofern bleibt die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit des Individuums im Vergleich zu derjenigen von Staaten eingeschränkt. Wiederum sind es die Staaten, die durch die Schaffung von völkerrechtlichen Verträgen oder durch die Setzung von Völkergewohnheitsrecht dem Individuum Möglichkeiten einräumen, auf die Verletzung seiner Rechte zu reagieren. Fortschritte sind insoweit vor allem im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz zu verzeichnen, in dem das Individuum zunehmend Zugang zu Individualbeschwerdeverfahren erlangt.25 Ähnliches gilt für internationale Investitionsschutzstreitigkeiten, in denen auf der Grundlage von bilateralen völkerrechtlichen Verträgen Investoren Zugang zu Schiedsgerichten erhalten.26 Umgekehrt, je hochpolitischer die Materie ist, umso geringer ist tendenziell die Bereitschaft der Staaten, Individuen eigenständige völkerrechtliche Handlungs___________ 22 Zu sonstigen Rechtsfolgen bloßen Zeitablaufs vgl. die Pressemitteilung des VG Regensburg vom 3. Dezember 2010 zum Wegfall der treuhänderischen Verwaltung des Stadtwaldes von Eger durch den Bund. 23 M. Schröder, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl. 2010, S. 579 (597 Rn. 32). 24 B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht. Chancen und Gefahren völkerrechtlicher Entwicklungstrends am Beispiel der Individualrechte im allgemeinen Völkerrecht, AVR 2005, S. 312. 25 C. Tomuschat, Individuals, in: J. Crawford/A. Pellet/C. Olleson (Hrsg.), The Law of International Responsibility, 2010, S. 985. 26 C. Ohler, Der Schutz privaten Eigentums als Grundlage der internationalen Wirtschaftsordnung, JZ 2006, S. 875 (881).

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möglichkeiten einzuräumen. Deshalb überrascht es nicht, dass im humanitären Völkerrecht grundsätzlich keine Individualbeschwerdeverfahren zur Verfügung stehen.

1. Reformbemühungen auf der Ebene der Vereinten Nationen Da die Diskrepanz zwischen der Entwicklung primärrechtlicher Ansprüche und der sekundär-rechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten als systematisch widersprüchlich und rechtspolitisch unbefriedigend empfunden wird, hat es Versuche auf der Ebene der UN in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts gegeben, die Stellung des Individuums im Recht der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit zu verbessern. Es handelte sich um die sogenannten van Boven-Grundsätze, die in ihrer ursprünglichen Fassung eine weitgehende Verbesserung der Rechtstellung des Individuums bedeutet hätten.27 Nach gründlicher Überarbeitung des Expertenentwurfs durch Regierungsvertreter erfolgte die Verabschiedung einer Resolution der UN-Generalversammlung im Jahre 2004.28 Eine Resolution der Generalversammlung ist, im Gegensatz zu einer Resolution des Sicherheitsrates gemäß Art. 25 UN-Charta, formell genommen unverbindlich. Im vorliegenden Fall bietet sie auch inhaltlich und materiell einen bescheidenen Ertrag. Zwar enthalten die Grundsätze in IX. Nr. 19 eine umfassende Formulierung des Begriffs der Restitution.29 Sie wird aufgewiesen vor allem als Verpflichtung der Staaten, in der nationalen Rechtsordnung Ansprüche für Opfer von Menschenrechtsverletzungen vorzusehen.30 Damit ist aber gerade keine Ausweitung der ___________ 27 M. Zwanenburg, The Van Boven/Bassiouni Principles: An Appraisal, Netherlands Quarterly of Human Rights 24 (2006), S. 641; M. Novak, The Right to Reparation of Victims of Gross Human Rights Violations, in: G. Ulrich/L. Krabbe Boserup (Hrsg.), Human Rights in Development Yearbook 2001 – Reparations: Redressing Past Wrongs, 2003, S. 275; G. Echeverria, Codifying the Rights of Victims in International Law: Remedies and Reparation, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration (Hrsg.), Redressing Injustices through Mass Claims Processes, 2006, S. 279. 28 Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, A/Res/60/147, 21. März 2006. 29 Vgl. den Wortlaut: „Restitution should, whenever possible restore the victim to the original situation before the gross violations of international human rights law or serious violations of international humanitarian law occurred. Restitution includes, as appropriate: restoration of liberty, enjoyment of human rights, identity, family life and citizenship, return to one’s place of residence, restoration of employment and return of property.“ 30 C. Tomuschat, Reparation in Favour of Individual Victims of Gross Violations of Human Rights and International Humanitarian Law, in: G. Kohen (Hrsg.), FS Caflisch, 2007, S. 569 (580); vgl. den Wortlaut, IX. Nr. 15: „In accordance with its domestic laws and international legal obligations, a State shall provide reparation to victims for acts or

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Stellung von Individuen im Recht der Staatenverantwortlichkeit verbunden, da die Ansprüche Bestandteil des nationalen Rechts, nicht dagegen des Völkerrechts sind.31 Eine generelle Verbesserung der Stellung des Individuums im Recht der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit kann deshalb nach wie vor nicht festgestellt werden.32 Abschließend ist jedoch zu betonen, dass die Existenz von Individualrechten und -handlungsmöglichkeiten nur im Einzelfall untersucht und ggf. festgestellt werden kann.33

2. Ansprüche im Fall internationaler bewaffneter Konflikte Die fehlende Rechtsfähigkeit der Individuen gilt auch dann, wenn die verletzte Norm des Völkerrechts Individuen schützen soll. So verbietet das völkerrechtliche Fremdenrecht die entschädigungslose Enteignung von Ausländern.34 Das humanitäre Völkerrecht verbietet die willkürliche Zerstörung ebenso wie die willkürliche Konfiskation von Privateigentum.35 Allerdings stehen bei Verstößen gegen dieses Verbot Ansprüche nicht den enteigneten oder geschädigten Privatpersonen, sondern lediglich deren Heimatstaaten zu.36 ___________ omissions which can be attributed to the State and constitute gross violations of international human rights law or serious violations of international humanitarian law.“ 31 A. Buyse, Lost and Regained? – Restitution as a Remedy for Human Rights Violations in the Context of International Law, ZaöRV 2008, S. 129 (142). 32 Zur Debatte um Individualansprüche aus Kriegshandlungen vgl. BVerfG (Distomo), DÖV 2006, S. 516; BGH (Varvarin), JZ 2007, S. 532; S. Baufeld, Die schadensersatzrechtliche Stellung ziviler Opfer von militärischen Operationen, JZ 2007, S. 502; S. Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, ZaöRV 2006, S. 699. 33 Vgl. auch die Entscheidung des BVerfG vom 28. Juni 2004 zu den italienischen Militärinternierten, EuGRZ 2004, S. 439 (441 Rn. 39): „Das Grundprinzip des diplomatischen Schutzes schließt nicht grundsätzlich aus, dass das nationale Recht des verletzenden Staates dem Verletzten einen individuellen Anspruch gewährt, der neben die völkerrechtlichen Ansprüche des Heimatstaates tritt (vgl. BVerfGE 94, 315 (330)). Aus dem fehlenden Ausschlussverhältnis lässt sich aber keine Regel oder Vermutung dahingehend ableiten, dass ein das Völkerrecht verletzender Staat den verletzten Personen auf Grund des eigenen nationalen Rechts Ansprüche zu gewähren hat. Maßgeblich ist insoweit vielmehr die konkrete Ausgestaltung der innerstaatlichen Rechtsordnung.“ 34 C. Gloria, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, S. 759 f. 35 Art. 46 HLKO, Art. 147 GÜ III, Art. 8 Abs. II lit. a) iv) IStGH-Statut. 36 R. Geiger (Fn. 9), S. 257; R. Hofmann, Victims of Violations of International Humanitarian Law: Do they have an Individual Right to Reparation against States under International Law, in: P.-M. Dupuy/B. Fassbender/ M. N. Shaw/K.-P. Sommermann (Hrsg.), FS Tomuschat, 2006, S. 341; vgl. die Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Assiciazione Nazionale Reduci dalla Prigionia dall‘ Internamento e dalla Guerra di Liberanzione u.a. gegen Deutschland (Italienische Militärinternierte) vom 4. September 2007, in deutscher Übersetzung abgedruckt in: NJW 2009, S. 492 (493): „Ungeachtet des Leides, das die Zwangsarbeit den Bf. verursacht hat, begründet keines der von ihnen genannten Übereinkommen individuelle Entschädigungsansprüche.“

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a) Friedensvertragliche Regelungen Diese Rechtslage hat gravierende Auswirkungen im Fall von massenhaften Eigentumsentziehungen, insbesondere im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Die Abwicklung von Schäden ebenso wie die Rückgängigmachung von Eigentumsverschiebungen bestimmt sich vor allem nach den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den am Konflikt beteiligten Staaten. In Friedensverträgen und ähnlichen Regelungen finden sich sehr unterschiedliche Normenkomplexe.37

aa) Friedensvertragliche Restitutionsregelungen Es finden sich Regelungen zur Naturalrestitution in Form einer Verpflichtung zur Rückgabe insbesondere bei Kulturgut im weitesten Sinne. Im Fall von politischen Verfolgungen wird ggf. eine Verpflichtung zur Rückgängigmachung von Eigentumsentziehungen auch zwischen Privaten vorgesehen. So beruhte die Rückerstattung von sogenanntem arisiertem Vermögen in Deutschland zunächst auf alliiertem Besatzungsrecht. Im Überleitungsvertrag von 1952/54 verpflichtete sich die Bundesrepublik zur Beibehaltung dieser Regelungen.38 Österreich übernahm in Art. 26 des Staatsvertrages von 1955 eine eingeschränkte Restitutionsverpflichtung zur Rückabwicklung von Vermögensentziehungen, die im Zeitraum zwischen 1938 und 1945 erfolgt waren.39 Auch die Friedensverträge mit Ungarn und Rumänien aus dem Jahr 1947 enthielten ähnliche Restitutionsregelungen.40

bb) Friedensvertragliche Verfügungen über Individualansprüche Wenn dagegen nicht ausdrücklich eine Restitution von entzogenem Vermögen vorgesehen ist, erfolgt typischerweise eine Einbeziehung von individuellen

___________ 37

H. Das, Restoring Property Rights in the Aftermath of War, ICLQ 2004, S. 429. H.-J. Brodesser/J. Fehn/T. Franosch/W. Wirth, Wiedergutmachung und Kriegsfolgenliquidation. Geschichte – Regelungen – Zahlungen, 2000, S. 70; C. Goschler/J. Lillteicher, „Arisierung“ und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989, 2002. 39 B. Simma/H.-P. Folz, Restitution und Entschädigung im Völkerrecht. Die Verpflichtungen der Republik Österreich nach 1945 im Lichte ihrer außenpolitischen Praxis, 2004. 40 A. Schnitzer, Das neue Recht der Friedensverträge, insbesondere die Wiedergutmachungsklauseln, 1948. 38

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Vermögensschäden in das Reparationsregime des Friedensvertrages.41 Gerade an diesem Punkt wird die Schwäche der völkerrechtlichen Position des geschädigten Individuums am deutlichsten. Die Ansprüche des Einzelnen werden in die Gesamtforderung nach Reparationen miteinbezogen. Die Reparationsforderungen orientieren sich aber vor allem an allgemeinpolitischen Erwägungen wie auch an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Schuldners. Überfordert eine Reparationsforderung den Schuldnerstaat auf Dauer, so kann dies wie im Fall des Versailler Vertrages zum Scheitern der Friedensordnung führen.42 Wird dagegen die Reparationsforderung auf das tragbare Maß beschränkt, kann dies dazu führen, dass nicht alle Schäden und insbesondere nicht alle Individualschäden abgedeckt werden. Reparationsregelungen sind deshalb in der Regel zumindest mit einem Teilverzicht verbunden. Ansprüche des Individuums werden durch den Verzicht auf zwischenstaatlicher Ebene endgültig vernichtet. Ob und inwieweit das Individuum eine Entschädigung enthält, richtet sich allein nach nationalem Recht. Das Völkerrecht sieht keine Pflicht zur Schadloshaltung des Individuums vor.43

b) Vorrang von zwischenstaatlichen Interessen vor Billigkeitserwägungen Diese Befugnis der Staaten, über Rechtsgüter ihrer Staatsangehörigen zu verfügen, spielt nicht nur im Recht der Staatenverantwortlichkeit eine Rolle, sondern auch im sogenannten Diplomatischen Schutz.44 Das Völkerrecht sieht keine Pflicht für Staaten vor, zugunsten ihrer Staatsangehörigen tätig zu werden, wenn diese Opfer einer Völkerrechtsverletzung geworden sind. Staaten können auch im Fall von Massenunrecht außenpolitischen Interessen den Vorrang vor Billigkeitserwägungen einräumen.45 Im Übrigen können Staaten bei der Beilegung zwischenstaatlicher Streitfälle die ganze Bandbreite der Lösungsmöglich___________ 41

Zum völkerrechtlichen Begriff der Reparationen vgl. P. d’Argent, Les Reparations de Guerre en Droit International Public, 2002; A. Gattini, Le Riparazioni di Guerra nel Diritto Internazionale, 2003. 42 E. Kolb, Der Frieden von Versailles, 2005. 43 C.-J. Tams, Waiver, Acquiescence and Extinctive Prescription, in: J. Crawford/A. Pellet/C. Olleson (Fn. 25), S. 1095. 44 A. Künzli, Exercising Diplomatic Protection. The Fine Line Between Litigation, Demarches and Consular Assistance, ZaöRV 2006, S. 321; V. Pergantis, Towards a „Humanization“ of Diplomatic Protection?, ZaöRV 2006, S. 351; A. Scheidler, Der Schutz deutscher Staatsangehöriger gegenüber der Hoheitsgewalt ausländischer Staaten, DÖV 2006, S. 417; J. Hagelberg, Die völkerrechtliche Verfügungsbefugnis des Staates über Rechtsansprüche von Privatpersonen, 2006. 45 Anderer Ansicht A. de Zayas, Enteignung und Vertreibung im Lichte des Völkerrechts, in: G. H. Gornig/H.-D. Horn/D. Murswiek (Hrsg.), Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht, Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung – Teil 2, 2009, S. 19 (27).

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keiten nützen, die das Recht der Staatenverantwortlichkeit vorsieht. Sie sind in keiner Weise auf die Naturalrestitution festgelegt. Stattdessen können sie z. B. im Austausch gegen eine Entschuldigung auf enteignetes Vermögen ihrer Staatsangehörigen verzichten. Sie können sich mit einer Pauschalentschädigung zufrieden geben, die nur einen Bruchteil der Schadenssumme abdeckt. Je größer die Schäden, die abgewickelt werden müssen, umso größer ist der Handlungsspielraum der Konfliktparteien und umso geringer der Stellenwert von betroffenen Individualinteressen. Bereits Globalentschädigungsabkommen, die der Abwicklung von massenhaften Eigentumsentziehungen in Folge von Nationalisierungen dienen, benachteiligen die früheren Eigentümer zumeist erheblich.46 Friedensvertragliche Regelungen, die dem Aufbau einer neuen Friedensordnung dienen, können dem Individuum erhebliche Härten zumuten, indem sie ihm einen Ausgleich für erlittene Schäden verweigern.47

3. Zwischenergebnis Das allgemeine Völkerrecht der Staatenverantwortlichkeit ist deshalb nur dann ein Instrument effektiver Restitutionspolitik, wenn der Heimatstaat des Enteigneten machtpolitisch in der Lage ist, sich gegenüber dem Verletzerstaat durchzusetzen, und im Übrigen auch unter Berücksichtigung seiner sonstigen außenpolitischen Interessen willens ist, die Rechte seiner Staatsangehörigen zu verteidigen.48 Die geschädigten Eigentümer wiederum sind darauf angewiesen, dass die Konfliktparteien eine effektive Restitution auf zwischenstaatlicher Ebene vereinbaren.49

___________ 46

Zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Globalentschädigungsabkommen vgl. EGMR, Melchior/Deutschland, Entscheidung vom 2. Februar 2006, EuGRZ 2006, S. 249; BVerfG, Entscheidung vom 14. Dezember 2006, 2 BvR 1366/05. 47 Zu den Verzichtsregelungen des Österreichischen Staatsvertrages von 1955 vgl. H.-P. Folz, Die vermögensrechtlichen Bestimmungen des Staatsvertrages, in: W. Hummer (Hrsg.), Staatsvertrag und immerwährende Neutralität Österreichs – Eine juristische Analyse, 2007, S. 139 (145). 48 Anderer Ansicht A. de Zayas (Fn. 45), S. 27. Zu den Durchsetzungsmöglichkeiten im Völkerrecht allgemein vgl. S. Vöneky, Die Durchsetzung des Völkerrechts, JURA 2007, S. 488. 49 Für ein aktuelles Beispiel siehe H.-P. Folz, The Arbitration Panel for In Rem Restitution and Its Jurisprudence: Extreme Injustice in International Law, in: U. Fastenrath/R. Geiger/D. E. Khan/A. Paulus/S. von Schorlemer/ C. Vedder (Hrsg.), From Bilateralism to Community Interest – Essays in Honour of Judge Bruno Simma, 2011, S. 895.

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III. Der Einfluss des modernen Menschenrechtsschutzes Die oben geschilderte Rechtslage beginnt sich unter dem Einfluss des internationalen Menschenrechtsschutzes zu ändern: Völkerrechtliche Verträge zum Schutz der Menschenrechte wie die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und ihre Zusatzprotokolle gelten grundsätzlich auch im bewaffneten Konflikt.50 Nehmen die Vertragsstaaten ihr Recht auf Derogation im Kriegsfall nach Art. 15 Abs. 1 EMRK nicht wahr, wird auch das Grundrecht auf Eigentum selbst im Fall massenhafter Entziehungen geschützt. Sehen die Verträge, so wie in Art. 34 EMRK, ein Individualbeschwerdeverfahren vor, so können sich geschädigte Individuen direkt an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg wenden und eine Verletzung ihrer Konventionsrechte geltend machen.

1. Die Anwendbarkeit der EMRK ratione temporis Dieser Schutz hat allerdings einen gravierenden Nachteil. Die EMRK findet nur auf Sachverhalte Anwendung, die nach Beitritt des betreffenden Vertragsstaates stattgefunden haben.51 Die EMRK findet keine Anwendung auf Grundrechtsverletzungen – seien sie auch noch so gravierend –, die ihren Ursprung vor dem Beitritt haben.52 Der Grundsatz der Nichtrückwirkung der EMRK entspricht der allgemeinen Regelung in Art. 28 der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969, wonach völkerrechtliche Verträge generell keine Rückwirkung haben. Auch das intertemporale Völkerrecht besagt, dass Sachverhalte grundsätzlich nach der Rechtslage beurteilt werden, die zum Zeitpunkt ihres Stattfindens gegolten hat.53 ___________ 50 H. Irmscher, Menschenrechtsverletzungen und bewaffneter Konflikt: Die ersten Tschetschenien-Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EuGRZ 2006, S. 11; zur Rechtslage nach dem Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte vgl. F. Pocar, Human Rights under the International Covenant on Civil and Political Rights and Armed Conflicts, in: FS Cassese, 2003, S. 729. 51 C. Grabenwarter (Fn. 10), S. 107 Rn. 14. 52 EGMR, Bergauer u. a. vs. Tschechische Republik, Entscheidung vom 13. Dezember 2005. 53 Gerade im Hinblick auf die rechtlichen Konsequenzen der Vertreibung findet sich ein Akt der Staatenpraxis, der auf ein Festhalten der Staaten am Grundsatz der Nichtrückwirkung hindeutet. Um nach Vollziehung der deutschen Einheit einem erneuten Streit auf zwischenstaatlicher Ebene vorzubeugen, ersuchte die tschechische Regierung die Alliierten um eine Bestätigung der Regelung in den Potsdamer Beschlüssen. Die Alliierten richteten daraufhin im Jahre 1996 Noten an die tschechische Regierung, in denen sie die Unanfechtbarkeit der getroffenen Maßnahmen bestätigten. In ähnlichen Formulierungen stellten die Noten fest, dass die in Punkt XIII. der Potsdamer Beschlüsse vorgesehenen Maßnahmen auf gültigem Völkerrecht beruhten. Die Überführung der

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Obwohl die Nichtrückwirkung der EMRK bedeutende Billigkeitslücken zur Folge hat,54 ist dieser Ansatz pragmatisch: Es ist besser, wenn sich Staaten nach Überwindung einer Unrechtsherrschaft für die Zukunft auf einen funktionierenden Grundrechtsschutz verpflichten als wenn überhaupt kein Schutz bestünde. Müssten Staaten befürchten, nach den Maßstäben der EMRK für die Wiedergutmachung von massenhaftem Unrecht einstehen zu müssen, könnte dies Staaten vom Beitritt zur EMRK abhalten. Die Alternative zur Nichtrückwirkung der EMRK wäre nicht ein besserer Schutz des Individuums. Im Fall von Massenunrecht würde eine Wiedergutmachung aller Grundrechtsverletzungen die Leistungsfähigkeit eines geläuterten Staates überschreiten. Als Beispiel kann die Wiedergutmachung von NSUnrecht genannt werden. Hätte die neu entstandene Bundesrepublik diese Aufgabe nach den Maßstäben der EMRK unternehmen müssen, wäre dies kaum zu bewältigen gewesen. Stattdessen erfolgte die Wiedergutmachung Schritt für Schritt in einem Prozess, der bis heute andauert.55 Die EMRK findet deshalb grundsätzlich keine Anwendung auf Eigentumsverletzungen in der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit. Damit können Entziehungen im Zuge der Vertreibung vor dem EGMR nicht mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden.56

___________ Bevölkerung sei erforderlich gewesen. Die Potsdamer Beschlüsse seien wiederholt in bilateralen und multilateralen Zusammenhängen bestätigt worden. Sie stellten historische Tatsachen dar und sollten von keinem Land in Frage gestellt werden. Der Wortlaut der Noten ist abgedruckt bei D. Blumenwitz, Die deutsch-tschechische Erklärung vom 21. Januar 1997, AVR 1998, S. 19 (20 f. Fn. 6 – 8). Aus den Noten der Alliierten geht deutlich hervor, dass sie nicht bereit waren, an die im Jahre 1945 getroffenen Entscheidungen die Maßstäbe des zwischenzeitlich entstandenen ius cogens anzulegen. Insbesondere waren sie nicht bereit, Sachverhalte, die sie als abgeschlossen betrachteten, rechtlich in Frage zu stellen. 54 Auch der beschränkte territoriale Anwendungsbereich der EMRK als regionalem Menschenrechtsschutzsystem führt zu bedeutenden Gerechtigkeitslücken. Als Beispiel kann die Vertreibung der Einwohner von Diego Garcia in den Jahren nach 1968 durch das Vereinigte Königreich genannt werden. Vgl. D. Vine/P. Harvey/S. W. Sokolowski, „We all must have the same treatment“: Calculating the Damages of Human Rights Abuses for the People of Diego Garcia, in: B. R. Johnston/S. Slyomovics (Fn. 14), S. 133; P. H. Sand, Atollo Diego Garcia: Naturschutz zwischen Menschenrecht und Machtpolitik, 2011. 55 EGMR, Mordechai Poznanski u.a./Deutschland (I. G. Farben), Entscheidung vom 3. Juli 2007, in deutscher Übersetzung abgedruckt in NJW 2009, S. 489. 56 EGMR, J.H. u.a./Frankreich (Französische Kriegswaisen), Entscheidung vom 16. Dezember 2009.

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2. Die Verbindung von Menschenrechtsschutz und Staatenverantwortlichkeit In den letzten Jahren finden sich jedoch Bestrebungen, Konzepte des Rechts der Staatenverantwortlichkeit in den Menschenrechtsschutz als Vorfragen einzubeziehen und damit Schwächen des Schutzes nach der EMRK auszugleichen.57 Im Mittelpunkt der Bemühungen stehen dabei Art. 4058 und 4159 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit.60 Die Rolle der ILC beschränkt sich zunächst auf diejenige eines Sachverständigengremiums im Rahmen des völkerrechtlichen Kodifikationsprozesses.61 Texte der ILC stellen deshalb formell kein geltendes Recht dar. Soweit sie jedoch geltendes Völkergewohnheitsrecht wiedergeben, können sie zum Nachweis der Rechtslage herangezogen werden. Beide Normen sehen zusammen genommen eine Pflicht zur Nichtanerkennung von Situationen vor, die durch eine grobe und systematische Verletzung von zwingendem Völkerrecht, d. h. ius cogens zustande gekommen sind.62 Problematisch an Art. 40 und 41 der ILC-Artikel sind im vorliegenden Zusammenhang vor allem zwei Punkte: Zum einen ist der Anwendungsbereich der Pflicht zur Nichtanerkennung zweifelhaft.63 Dem Wortlaut der Norm nach gilt die Pflicht zur Nichtanerkennung für alle groben und systematischen Verletzungen von ius cogens. Als geltendes Völkergewohnheitsrecht lässt sich jedoch ei___________ 57 H.-D. Horn, Menschenrechte und Konfiskationen – insbesondere zu den Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone, in: G. H. Gornig/H.-D. Horn/D. Murswiek (Fn. 45), S. 49 (69). 58 Vgl. den Wortlaut der Norm: „Art. 40 Application of this chapter: 1. This chapter applies to the international responsibility which is entailed by a serious breach by a State of an obligation arising under a peremptory norm of general international law. 2. A breach of such an obligation is serious if it involves a gross or systematic failure by the responsible State to fulfil the obligation.“ 59 Vgl. den Wortlaut der Norm: „Art. 41 Particular consequences of a serious breach of an obligation under this chapter: 1. States shall cooperate to bring to an end through lawful means any serious breach within the meaning of article 40. 2. No State shall recognize as lawful a situation created by a serious breach within the meaning of article 40, nor render aid or assistance in maintaining that situation. 3. This article is without prejudice to the other consequences referred to in this part and to such further consequences that a breach to which this chapter applies may entail under international law.“ 60 Artikel der International Law Commission (Fn. 2); zum Fortgang des Kodifikationsprozesses vgl. United Nations General Assembly Legal – Sixth Committee, Sixty Second Session, Responsibility of States for internationally wrongful acts, http://www. un.org/ga/sixth/62/RespSt.shtml. 61 A. Pellet, The ILC’s Articles on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts and Related Texts, in: J. Crawford/A. Pellet/C. Olleson (Fn. 25), S. 75. 62 M. Schröder (Fn. 23), S. 591 Rn. 18; B. Kempen/C. Hillgruber (Fn. 11), S. 191, Rn. 76; T. Stein/C. von Buttlar, Völkerrecht, 11. Aufl. 2005, S. 450 Rn. 1162. 63 I. Brownlie (Fn. 7), S. 95.

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ne Pflicht zur Nichtanerkennung zweifelsfrei nur bei Territorialverschiebungen unter Verletzung des Gewaltverbots und im Übrigen nur in Einzelfällen ohne systematischen Zusammenhang nachweisen. Ebenso umstritten ist auch der Inhalt des Prinzips der Nichtanerkennung.64 So lässt sich als Beispiel die Besetzung der baltischen Staaten durch die Sowjetunion nennen. In diesem Fall bestand eine Pflicht zur Nichtanerkennung der Annexion mit der Folge, dass bei der Wiederentstehung der baltischen Staaten eine völkerrechtliche Anerkennung und eine Aufnahme diplomatischer Beziehungen entbehrlich waren. Wesentlich komplizierter fällt dagegen die Frage aus, welche sekundären Rechtsfolgen in Bezug auf Eigentumsentziehungen, Staatsangehörigkeitsfragen und sonstige Statusaspekte aus dem Prinzip der Nichtanerkennung abgeleitet werden können.

3. Die Pflicht zur Nichtanerkennung in der Rechtsprechung nationaler und internationaler Gerichte Die Praxis nationaler und internationaler Gerichte zeigt nach wie vor eine große Zurückhaltung gegenüber einer allgemeinen Pflicht zur Nichtanerkennung, wie sie Art. 40 i. V. m. Art. 41 ILC-Articles entsprechen würde.

a) Die Entscheidung des BVerfG vom 26. Oktober 2004 zu den SBZ-Konfiskationen Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 26. Oktober 2004 zu den SBZ-Konfiskationen mit der Pflicht zur Nichtanerkennung gemäß Art. 40 i. V. m. Art. 41 ILC-Articles auseinandergesetzt.65

aa) Die Argumentation der Beschwerdeführer Die Argumentation der Beschwerdeführer lief – zusammengefasst und zugespitzt auf den Aspekt der Nichtanerkennung – darauf hinaus, dass die Konfiskationen durch die sowjetische Besatzungsmacht eine besonders schwerwiegende ___________ 64

M. Dawidowicz, The Obligation of Non-Recognition of an Unlawful Situation, in: J. Crawford/A. Pellet/C. Olleson (Fn. 25), S. 677. 65 BVerfGE 112, 1. Die Entscheidung des BVerfG enthält eine Reihe von Ausführungen, insbesondere zum Verhältnis zwischen Völkerrecht und der deutschen Rechtsordnung, die sehr umstritten und soweit ersichtlich bisher in der Rechtsprechung des BVerfG nicht wieder aufgegriffen worden sind. Die Entscheidung wird deshalb vor allem wegen der Einleitung der abweichenden Meinung von Richterin G. Lübbe-Wolff in Erinnerung bleiben: „Der Senat antwortet auf Fragen, die der Fall nicht aufwirft, mit Verfassungsgrundsätzen, die das Grundgesetz nicht enthält.“ BVerfGE 112, 1 (44).

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Verletzung des völkerrechtlichen Besatzungsrechts darstellten.66 Hierin läge eine besonders schwerwiegende Verletzung zwingenden Völkerrechts i. S. v. Art. 40 ILC-Articles. Dies löse eine Pflicht zur Nichtanerkennung gemäß Art. 41 Abs. 2 ILC-Articles aus. Die Nichtanerkennung sei gleichzusetzen mit der Unwirksamkeit der Konfiskationen und daher mit einem Fortbestehen der ursprünglichen Eigentumsrechte.67 Die Bundesrepublik sei deshalb zur Restitution des konfiszierten Eigentums verpflichtet.

bb) Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht folgt dieser Argumentation jedoch nicht, sondern nimmt einen impliziten Verzicht der Bundesrepublik auf ihre Rechte aus der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit im Zwei Plus Vier-Vertrag an.68 Dabei betont es, dass nach wie vor keine Norm des ius cogens bestehe, die einen Verzicht verbieten würde. Das Gericht arbeitet heraus, dass sowohl das Deutsche Reich als auch die Sowjetunion an das damals geltende Kriegsrecht gebunden waren. Verletzungen dieser völkerrechtlichen Primärnormen führten zu völkerrechtlichen Haftungsansprüchen, die bereits in Art. 3 des IV. Haager Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 niedergelegt waren. Dabei handele es sich um eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes der Staatenverantwortlichkeit. Das Gericht betont jedoch, dass dieser sekundärrechtliche Schadensersatzanspruch nur in dem Völkerrechtsverhältnis zwischen den betroffenen Staaten bestehe.69 Er unterliege ihrer Verfügungsge___________ 66 Zu den Grundsätzen des völkerrechtlichen Besatzungsrechts vgl. H.-P. Gasser, Humanitäres Völkerrecht, 2008, S. 122; Y. Dinstein, The Conduct of Hostilities under the Law of International Armed Conflict, 2004, S. 213. 67 In diesem Sinne auch H.-D. Horn (Fn. 57), S. 99: „Dann aber kann es zumindest auch nicht ausgeschlossen werden, dass diese Maßnahmen nichtig waren, mit anderen Worten ohne rechtliche Wirkung geblieben sind und daher einen Verlust von Eigentümerpositionen gar nicht bewirkt haben, sondern den Konfiskationsbetroffenen ihre Rechtsposition als Eigentümer erhalten geblieben ist.“ 68 Zum Zwei plus Vier-Vertrag vgl. R. Geiger (Fn. 9), S. 68. 69 Vgl. auch die Entscheidung des BVerfG vom 28. Juni 2004 zu den Italienischen Militärinternierten, EuGRZ 2004, S. 439 (441 Rn. 38): „Art. 3 des Haager Abkommens von 1907 begründet grundsätzlich keinen individuellen Entschädigungsanspruch, sondern positiviert nur den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz (vgl. Art. 1 der Artikel der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, International Law Commission – ILC, zum Recht der Staatenverantwortlichkeit, Anlage zur Resolution 56/83 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 21. Dezember 2001) einer Haftungsverpflichtung zwischen den Vertragsparteien. Dieser sekundärrechtliche Schadensersatzanspruch besteht jedoch nur in dem Völkerrechtsverhältnis zwischen den betroffenen Staaten.“

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walt.70 Die Bundesrepublik Deutschland habe auf die Geltendmachung etwaiger Ansprüche aus der Haager Landkriegsordnung im Rahmen der Zwei Plus VierVerhandlungen stillschweigend verzichtet. Eine völkerrechtliche Pflicht der Bundesrepublik, Ansprüche aus der Verletzung des völkerrechtlichen Besatzungsrechts gegenüber der ehemaligen Okkupationsmacht geltend zu machen, bestehe nicht. Ein derartiger Verzicht verstoße nicht gegen eine Norm des geltenden ius cogens. Dem stehe nicht entgegen, dass jede der vier Genfer Konventionen aus dem Jahr 1949 eine Vorschrift enthält, die den Vertragsstaaten das Recht nimmt, sich oder einen anderen Staat von der Verantwortlichkeit für „schwere Verletzungen“ des Völkerrechts zu befreien.71 Die vorhandene Staatenpraxis zeige, dass sich dieser Grundsatz bisher nicht durchzusetzen vermocht habe. Nach wie vor sei die Vereinbarung von Reparationen vorwiegend von den politischen Verhältnissen abhängig. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass auch die siegreiche Konfliktpartei unter allen Umständen Schadensersatz für die von ihm begangenen Verletzungen des humanitären Völkerrechts leiste. Aus der Regelung der Genfer Konventionen könne nicht gefolgert werden, dass es den Staaten untersagt wäre, auf Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung des humanitären Völkerrechts im Zusammenhang mit einem Friedensvertragsschluss zu verzichten.72

cc) Analyse Die Entscheidung des BVerfG ist nicht unproblematisch, soweit sie einen impliziten Verzicht aller Ansprüche im Zwei Plus Vier-Vertrag annimmt. Zwar kann ein völkerrechtlicher Verzicht grundsätzlich auch implizit erfolgen. Soll dieser Verzicht jedoch auch Rechtsgüter Privater umfassen, lässt sich nachweisen, dass ein derartiger Verzicht in der Staatenpraxis ausdrücklich erfolgt, um den Umfang der vernichteten Rechte genau zu definieren.73 Hinsichtlich des Rechts der Staatenverantwortlichkeit lässt sich zunächst festhalten, dass das Bundesverfassungsgericht durch seinen Ansatz einer vertieften Auseinandersetzung mit der Pflicht zur Nichtanerkennung nach Art. 40 i. V. m. Art. 41 ILC-Articles ausgewichen ist. Stattdessen hat das Gericht die ___________ 70

BVerfGE 112, 1 (32). Art. 51 GÜ I, Art. 52 GÜ II, Art. 131 GÜ III und Art. 148 GÜ IV, abgedruckt in: Auswärtiges Amt u.a. (Hrsg.), Dokumente zum Humanitären Völkerrecht, 2006, S. 159. 72 BVerfGE 112, 1 (33). 73 Das BVerfG selbst hatte in seinen Entscheidungen zu den Ostverträgen mit Polen und der Sowjetunion festgestellt, dass ein Verzicht auf Individualansprüche ausdrücklich erklärt werden müsse: BVerfGE 33, 195; 33, 233; 38, 49; 43, 203. 71

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Verfügungsbefugnis der Staaten über Rechtsgüter ihrer Staatsangehörigen bestätigt und gestärkt. Staaten bleiben damit völkerrechtlich handlungsfähig, um die Folgen bewaffneter Konflikte durch den Abschluss von Friedensverträgen oder ähnlichen Abkommen regeln zu können. Dem geschädigten Individuum können dabei erhebliche Rechtsverluste auferlegt werden.

b) Der Fall Preußische Treuhand vor dem Straßburger Gerichtshof Im Verfahren Preußische Treuhand hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine allgemeine Pflicht zur Nichtanerkennung nach Art. 40 i. V. m. Art. 41 ILC-Articles im Ergebnis abgelehnt.74

aa) Die Argumentation der Beschwerdeführer und die Loizidou-Rechtsprechung In diesem Fall hatten die Beschwerdeführer argumentiert, dass die Konfiskation von Vermögen der Vertriebenen durch Polen schwerwiegende Verletzungen von zwingendem Völkerrecht darstellten.75 Insoweit bestehe eine Pflicht zur Nichtanerkennung, die eine Unwirksamkeit der Eigentumsentziehung de iure bewirke. Die fortdauernde Beeinträchtigung de facto stelle einen Eingriff in das Eigentum dar und falle unter den zeitlichen Anwendungsbereich der EMRK. Für dieses Vorenthalten des Eigentums trage Polen die Verantwortung unter der EMRK. Die Beschwerdeführer stützen sich dabei auf die Loizidou-Rechtsprechung des Menschenrechtsgerichtshofs. Im Loizidou-Verfahren war die Beschwerdeführerin Eigentümerin eines Grundstücks, das auf dem Gebiet der sogenannten Türkischen Republik Nordzypern belegen war.76 Die nordzypriotischen Behörden hatten das Grundstück konfisziert und verweigerten den Zugang. Der Ge___________ 74

EGMR, Preußische Treuhand/Polen, Entscheidung vom 7. Oktober 2008, in deutscher Übersetzung abgedruckt in: NJW 2009, S. 3775, ebenso in: EuGRZ 2008, S. 685. 75 S. Krülle, Die Konfiskation deutschen Vermögens durch Polen. Teil 1: Die Enteignungsmaßnahmen, 1993. 76 Vgl. Loizidou vs. Turkey (preliminary objection), Urteil vom 23. Mai 1995, abgedruckt in: R. A. Lawson/H. G. Schermers, Leading Cases of the European Court of Human Rights, S. 589 ff. mit Besprechung; Loizidou vs. Turkey (merits), Urteil vom 18. Dezember 1996, Reports of Judgments and Decisions 1996-VI, S. 2236 ff.; Loizidou vs. Turkey (Article 50), Urteil vom 28. Juli 1998, http://hudoc.echr.coe; vgl. D. Blumenwitz, Der Schutz des Eigentums vertriebener Volksgruppen – Zur LoizidouEntscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, in: M. Hofmann/H. Küpper (Hrsg.), Staat und Recht in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts, FS Brunner, 2001, S. 572.

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richtshof sprach den Handlungen der Türkischen Republik Nordzypern jegliche Rechtswirkung ab. Dieses Gebilde sei nur durch die militärische Besetzung des Nordteils der Republik Zypern durch die Türkei entstanden. Seine Entstehung beruhe deshalb unmittelbar auf der Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots nach Art. 2 Nr. 4 UN-Charta. Gestützt auf die universelle Nichtanerkennung Nordzyperns durch die Staatengemeinschaft ging der Gerichtshof von einer umfassenden Unwirksamkeit von Konfiskationen durch nordzypriotische Behörden aus. Die Beschwerdeführerin habe daher ihr Eigentum nie verloren. Die tatsächliche Entziehung und Vorenthaltung des Eigentums stelle somit eine Verletzung des Grundrechts auf Eigentum nach Art. 1 I. Zusatzprotokoll zur EMRK dar. Da diese Verletzung auf die ursprüngliche völkerrechtswidrige Besetzung Nordzyperns durch die Türkei zurückzuführen war, rechnete sie der Gerichtshof der Türkei als Vertragsstaat der EMRK zu. Die Türkei wurde deshalb als für die Verletzung des Eigentums verantwortlicher Staat verurteilt.77

bb) Die Begründung des Gerichtshofs Der Gerichtshof lehnt jedoch eine Vergleichbarkeit des vorliegenden Falles mit der Loizidou-Rechtsprechung ab. Die Antwort des Gerichtshofs auf die Beschwerdeführer verdient es, verbatim zitiert zu werden: „Secondly, in the Loizidou case the inherent illegitimacy of measures stripping the applicant of her ownership rights derived from the fact that the expropriation laws in question could not be attributed legal validity for the purposes of the Convention as they emanated from an entity which was not recognised in international law as a State and whose annexation and administration of the territory concerned had no basis in international law. As a result, it could not be said that formal acts of expropriation were carried out (see Loizidou, cited above, §§ 41 et seq.). In the present case the situation is different. There can be no doubt that the former German territories on which the individual applicants had their property were lawfully entrusted to the Polish State under the provisions of the Potsdam Agreement (see paragraph 32 above) and that, subsequently, the Polish-German border as referred to in that Agreement was confirmed by a sequence of bilateral treaties concluded between Poland and two former separate German States and, finally, between

___________ 77 Zu den Konsequenzen der Loizidou-Rechtsprechung vgl. EGMR, Anthousa Iordanou vs. Türkei, Urteil vom 11. Januar 2011; Report of the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights on the question of human rights in Cyprus, A/HRC/16/21; EGMR, Grosse Kammer, Demopoulos u.a. vs. Türkei, Entscheidung vom 1. Februar 2010; EGMR, Xenides-Arestis vs. Türkei, Urteil vom 22. Dezember 2005; zu den Auswirkungen im Recht der EU vgl. EuGH, Rs C-420/07, Apostolides/Orams, Urteil vom 28. April 2009. Vgl. ferner R. Bryant, Of Lemons and Laws: Property and the (Trans)national Order in Cyprus, in: B. R. Johnston/S. Slyomovics (Fn. 14), S. 207.

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Hans-Peter Folz Poland and the reunified Federal Republic of Germany (see paragraphs 34–37 above).“78

Es ist sehr bedauerlich, dass die Ausführungen des Gerichtshofs in einem so wichtigen Fall so knapp und dennoch kryptisch ausfallen. Auf den ersten Blick könnte es so erscheinen, als ob die Richter von der Rechtmäßigkeit des Potsdamer Abkommens ausgingen und damit von einer rechtmäßigen Übertragung der Gebietshoheit durch die Alliierten auf Polen. Doch sollte eine so heikle und umstrittene Aussage nicht unterstellt werden, wenn auch eine andere Interpretation möglich ist. Maßgeblich erscheint ein anderer Gesichtspunkt, der den Fall tatsächlich von der Konstellation im Fall Loizidou unterscheidet. Die Besetzung Ostdeutschlands durch die Sowjetunion war – anders als bei Nordzypern – tatsächlich nicht verbunden mit einer Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbotes bzw. mit dem Verbot eines Angriffskrieges. Das Deutsche Reich hatte einen Angriffskrieg gegen die Sowjetunion geführt, nicht umgekehrt. Damit war auch die Übertragung der Gebietshoheit auf Polen durch die Alliierten zwar als Überschreitung der Grenzen des völkerrechtlichen Besatzungsrechts rechtlich bedenklich, aber wiederum nicht auf eine Verletzung des Gewaltverbots zurückzuführen.79

cc) Analyse Die Entscheidung des Europäischen Menschengerichtshofs ist missverständlich und unzureichend begründet. Bezogen auf das Recht der Staatenverantwortlichkeit zeigt sie jedoch wiederum eine große Skepsis gegenüber einer allgemeinen Pflicht zur Nichtanerkennung, wie sie Art. 40 i. V. m. Art. 41 Abs. 2 ILC-Articles entsprechen würde. Dies wird durch die Abgrenzung der LoizidouRechtsprechung von der Konstellation der Vertreibung deutlich. Die Nichtanerkennung von Konfiskationsakten nordzypriotischer Behörden beruht auf dem eindeutig völkergewohnheitsrechtlich geltenden Grundsatz der Nichtanerkennung von gewaltsamen Gebietsveränderungen, wenn sie auf einem Angriffskrieg oder einer Verletzung des Gewaltverbots beruhen. Eine darüber hinausgehende Pflicht zur Nichtanerkennung in allen Fällen der schwerwiegenden Verletzung von ius cogens, wie durch Art. 40 i. V. m. Art. 41 Abs. 2 ILC-Articles vorgesehen, entspricht nicht dem bereits geltenden Völkerrecht.80 ___________ 78

Rn. 61 der Loizidou-Entscheidung (Fn. 76). Zum völkerrechtlichen Status der Gebiete jenseits von Oder und Neiße nach 1945 vgl. R. Geiger (Fn. 9), S. 60. 80 Auch der IGH stützt in seinem Mauergutachten vom 9. Juli 2004 eine Pflicht der Staatengemeinschaft zur Nichtanerkennung der durch den Mauerbau entstandenen illegalen Situation nicht auf Art. 40 i. V. m. Art. 41 Abs. 2 ILC-Articles, sondern auf den 79

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IV. Zusammenfassung Die Fortschritte im Eigentumsschutz des Individuums haben keine Rückwirkung auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit. Der Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention wird jedoch den Opfern heutiger Konflikte zugutekommen. Den Staaten bleibt aber die zwischenstaatliche Verfügungsbefugnis über Ansprüche aus Staatenverantwortlichkeit auch zu Lasten von Individuen erhalten. Solange keine Regelung erfolgt, bleiben die Fragen offen. Ab einer gewissen Zeit der Untätigkeit besteht allerdings die Gefahr einer Verjährung und Verwirkung der Ansprüche auf Wiedergutmachung. * * *

Abstract Hans-Peter Folz: The Law of State Responsibility as a Source of Effective Restitution Policy?, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to Terms with the Past. Vol. III. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2012) pp. 45–66. The law oft state responsibility demonstrates the fact that the individual is still subordinated to its home state under international law. Even if the individual is harmed by a violation of international law rights accrue only to the home state. It is up to the home state to take up the claim oft its citizen and to pursue it against they responsible state. In doing so, the home state may exercise its political discretion: Under international law there is no obligation to advance such claims. Instead the home state can settle the claim or waive it entirely for reasons of political expediency. This fact seems remarkable since the general evolution of international law since 1945 has generally favoured the individual by granting individual rights. However, the individual has not gained corresponding access to remedies that would allow him or her to defend its material rights against states responsible for their violation. The freedom to act under international law for the individual still lags behind that available to states. It depends on the willingness oft states to give individuals access to individual complaint procedures. This has happened in the area oft modern human right protection systems in particular, such as the European Convention on Human Rights. However, there ___________ gemeinsamen Art. 1 GÜ I-IV; vgl. IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, I.C.J. Reports 2004, S. 136, Rn. 158–159 der Entscheidung.

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is no comparable improvement in international humanitarian law. Instead the practice of peace agreements shows a very differentiated approach in settling individual claims. The protection afforded by the European Convention on Human rights benefits the victims of armed conflicts today. However, the progress made in the protection of civilian property under the ECHR has no retroactive application to damages suffered during and after the Second World War. In the last few years attempts have been made to remedy this inequity by merging concepts of state responsibility with the law oft human rights protection. In particular, the general duty of non-recognition under Article 40, 41 para. 2 of the ILC-Articles on State Responsibility has been used to deny legal effectiveness to acts of confiscations. If such acts were to be considered void, this would allow remaining consequences of confiscations to fall under the temporal scope of application of the ECHR. The jurisprudence of national and international courts however shows a marked reluctance to assume such a general duty of non-recognition as part of international law de lege lata. However, states retain the power to settle claims of their nationals. They can act even to the detriment of their nationals by waiving claims. Such a waiver can extinguish any individual claim. Nevertheless, as long as claims are not settled, the underlying legal questions remain open. After a certain period of time however, international claims risk to become inadmissible by aquiescence or extinctive prescription.

Eigentumsrestitutionsansprüche und Regeln zum begünstigten Flächenerwerb Von Albrecht Wendenburg

I. Einleitung Die Regelung der Eigentumsverhältnisse im wiedervereinigten Deutschland war von Anfang an sowohl zwischen den beiden Vertragsseiten als auch innerhalb der politischen Kräfte der Bundesrepublik besonders umstritten. Trotz höchstrichterlicher Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist die Problematik nicht zur Ruhe gekommen.1 Nicht wenige halten das Ergebnis für eine schwelende Wunde im Vereinigungsprozess2 und für eine nachhaltige Störung des Rechtsfriedens.3 Namentlich der Bundesregierung wird vorgeworfen, im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in unzutreffender Weise sowjetische Forderungen nach der Unantastbarkeit der Enteignungen von 1945 bis 1949 vorgeschoben zu haben, um die Verfassungsmäßigkeit des Rückgabeausschlusses zu erreichen.4 Auch habe sich der Staat in vielfacher Hinsicht durch Nichtrückgabe zu Unrecht erlangter, teilweise besonders wertvoller Grundstücke bereichert.5 Am innerdeutschen Umgang mit den entschädigungslosen Enteignungen, die zwischen 1945 und 1949 in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ), dem späteren Territorium der DDR, stattgefunden haben, zeige sich, dass Rechtsfrieden und Rechtszufriedenheit vielerorts noch nicht eingekehrt sind. Im Gegenteil: Die Behandlung der Opfer der sog. Boden- und Industriereform durch den Gesetzgeber, die Verwaltungsbehörden und die Gerichte des wiedervereinigten Deutschlands scheint mehr ein Hindernis denn ein Vehikel der inne___________ 1

K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 2000, S. 1947. W. Graf Vitzthum/W. März, Restitutionsausschluß, 1995, S. 227. 3 A. Wendenburg, in: B. J. Sobotka (Hrsg.), Wiedergutmachungsverbot? Die Enteignungen in der ehemaligen SBZ zwischen 1945 und 1949, 1998, S. 127 ff. 4 C. Rechberg, in: ders. (Hrsg.), Restitutionsverbot. Die „Bodenreform“ 1945 als Finanzierungsinstrument für die Wiedervereinigung Deutschlands 1990, 1996, S. 24 ff.; C. Paffrath, Macht und Eigentum. Die Enteignungen 1945 – 1949 im Prozess der deutschen Wiedervereinigung, 2004, S. 375 ff. 5 Vgl. K. Stern (Fn. 1), S. 1947 f. mit Fn. 361. 2

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Albrecht Wendenburg

ren Einheit aus Recht und Freiheit zu sein.6 Das Thema „Eigentumsrestitutionsansprüche und Regeln zum begünstigten Flächenerwerb“ ist somit nach wie vor aktuell. In den Analysen und Beiträgen zur Vergangenheitsbewältigung7 ist vornehmlich das Eigentumsrecht und das Enteignungsunrecht behandelt worden. Darüber hinaus ist die Problematik der Ungleichbehandlung im Sinne einer Diskriminierung der Konfiskationsopfer noch aufmerksamer zu betrachten als bisher geschehen. Zu der Themenstellung „Restitutionsansprüche“ sind deshalb kritische Bemerkungen angebracht, weil sowohl in den einschlägigen Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht als auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weniger über auf Restitution gerichtete Ansprüche als vielmehr über solche auf Gleichbehandlung und damit auf (bloße) Rückgabe früheren Eigentums nach Maßgabe und unter Wahrung der Ausschlusstatbestände des Vermögensgesetzes (VermG) zu entscheiden war. 8 Die regelmäßige Verwendung des Begriffs eines Restitutionsanspruchs insinuiert in desinformativer Weise, es sei den Opfern der Konfiskationsmaßnahmen mit ihrem Verlangen nach Rückgabe ihres früheren Eigentums je um Naturalrestitution im Sinne von § 249 BGB, also im Sinne einer „Rückgängigmachung“ gegebener Tatsachen gegangen. In Form einer korrekten Rechtsprache ist vielmehr davon zu sprechen, dass es um den Anspruch auf Rückgabe vor Entschädigung nach dem Vermögensgesetz geht, mithin um die Aufhebung des § 1 Abs. 8 lit. a) VermG und damit um die Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes auch zugunsten der Konfiskationsopfer der Jahre 1945 bis 1949. Anliegen der folgenden Ausführungen ist weniger, zu dieser Thematik einen (weiteren) wissenschaftlichen Beitrag zu leisten. Vielmehr werden Rechtstatsachen benannt, aus denen möglicherweise wissenschaftliche und/oder rechtspolitische Erkenntnisse gewonnen werden können. Diese Rechtstatsachen stammen aus dem Wissen eines der verfahrensbevollmächtigten Anwälte vor dem Bundesverfassungsgericht in den drei maßgeblichen Bodenreformbeschwerden9 so___________ 6 H.-D. Horn, Menschenrechte und Konfiskationen – insbesondere zu den Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone, in: G. H. Gornig/H.-D. Horn/D. Murswiek (Hrsg.), Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht. Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung – Teil 2, 2009, S. 51 m. w. N. in Fn. 8. 7 H.-D. Horn, Der Eigentumsschutz des Grundgesetzes im völker- und europarechtlichen Kontext der Wiedergutmachung vor-rechtsstaatlichen Unrechts, in: G. H. Gornig/H.-D. Horn/D. Murswiek (Hrsg.), Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht. Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung – Teil 1, 2008, S. 79 ff.; ders. (Fn. 6), S. 49 ff. 8 BVerfGE 84, 90 ff. = NJW 1991, S. 1597 ff. (Az. 1 BvR 1170/90, 1 BvR 1174/90 und 1 BvR 1175/90); BVerfGE 94, 12 ff. = NJW 1996, S. 1666 ff. (Az. 1 BvR 1452/90, 1 BvR 1459/90, 1 BvR 2031/94). 9 K. Stern (Fn. 1), S. 1947; BVerfGE 94, 12 ff.

Eigentumsrestitutionsansprüche

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wie in den einschlägigen Beschwerden vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte,10 dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte11 sowie aus der Vertretung von Beihilfebeschwerden vor der Europäischen Kommission.12

II. Vergangenheitsbewältigung Vor der Bundestagswahl 2009 hat Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in ihrer Eigenschaft als Parteivorsitzende der CDU den Betroffenen versprochen: „Einheit vollenden bedeutet für CDU und CSU auch den Rechtsfrieden mit den Menschen herstellen, denen Entschädigungsansprüche zugesprochen sind.“13

Tatsächlich ist der Rechtsfrieden zwischen Staat und den Opfern der damaligen Konfiskationen nach wie vor erheblich gestört. Diese haben den 20. Jahrestag der Deutschen Einheit zwar in Dankbarkeit an die Bürgerrechtsbewegung der DDR und mit großer Freude über die nun wieder mögliche Rückkehr in ihre angestammte Heimat begangen. Durch nachhaltige Diskriminierung der Betroffenen im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands sind aber alte, längst verheilte Wunden wieder aufgerissen worden.14 Mit dem Beitritt der ehemaligen DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes stand die Eigentumsfrage aus zwei Gründen auf der Tagesordnung: Zum einen hatte die sozialistische Bodenreform im Ergebnis nicht etwa zu einer nachhaltigen Übereignung konfiszierter Flächen an örtliche Bauern geführt. Vielmehr war das sozialistische Volkseigentum im Umfange von 72 %, nämlich von ca. 2,3 (der enteigneten ca. 3,2) Mio. ha land- und forstwirtschaftlichen Flächen, dem Staatsfiskus der Bundesrepublik Deutschland zugefallen15 und musste ohnehin („auf den Markt geworfen“)16 privatisiert werden. Zum anderen war ___________ 10

EGMR, Beschl. vom 4. März 1996, NJW 1996, S. 2291 ff. EGMR (GK), Entsch. vom 2. März 2005, NJW 2005, S. 2530 ff. 12 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Entsch. vom 20. Januar 1999, ABl. EG Nr. L 107, S. 21 ff. m. Anm. A. Wendenburg, VIZ 1999, S. 703 ff. 13 Gleichlautendes Schreiben der Vorsitzenden der CDU und der CSU an die Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen vom 18. September 2009. 14 Vgl. T. Schweisfurth, SBZ-Konfiskationen privaten Eigentums 1945 bis 1949, 2000; U. Madaus, Wahrheit und Recht, 2006, sowie Nachweise in Fn. 2, 4; B. Kempen/Y. Dorf, Bodenreform 1945 – 1949. Eine verfassungsrechtliche Neubewertung, 2004; C. Paffrath (Fn. 4), u. a. 15 J. Graf zu Dohna, in: C. Rechberg (Hrsg.), Restitutionsverbot. Die „Bodenreform“ 1945 als Finanzierungsinstrument für die Wiedervereinigung Deutschlands 1990, 1996, S. 10 ff.; J. v. Kruse (Hrsg.), Weissbuch über die „demokratische Bodenreform“ in der sowjetischen Besatzungszone Deutschands, 1988, S. 7 ff., 9 ff. 16 Prof. Dr. Roman Herzog, zit. nach Wortprotokoll über die mündliche Verhandlung vor dem BVerfG vom 22. Januar 1991 im Verfahren BVerfGE 84, 90 ff. 11

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mit dem Einigungsvertrag das Vermögensgesetz und damit zu Gunsten aller sonstigen Enteignungsopfer (der Jahre 1933 bis 1945 und der Jahre 1949 bis 1989) der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ in Kraft gesetzt worden. Davon ausgenommen waren lediglich die Opfer von den Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage der Jahre 1945 bis 1949.17 Noch vor der ersten und letzten freien Wahl der 10. Volkskammer am 18. März 1990 berichtete das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL bereits am 5. März 1990 über die von der unter Leitung des damaligen Bundesinnenministers Dr. Wolfgang Schäuble tätigen „Kommission Deutsche Einheit“ beschlossenen Eckwerte für die Wiedervereinigung Deutschlands: „Die Enteignungen 1945 bis 1949 werden nicht rückgängig gemacht; die Enteigneten werden auch nicht entschädigt.“18

Diese einseitige Festlegung der (alten) Bundesrepublik zu Lasten der Opfer noch ehe die deutsch-deutschen, geschweige denn die Zwei-Plus-VierVerhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands überhaupt in Gang gekommen waren, war Anlass für die Gründung des Alteigentümerverbandes „Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen“.19 Als Reaktion auf ein Schreiben des damaligen DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow vom 2. März 1990 wurde in Moskau am 27. März 1990 eine TASS-Erklärung publiziert, die lautete: „Unter Berücksichtigung ihrer Rechte und ihrer Verantwortung in den Deutschen Angelegenheiten tritt die Sowjetunion für die Wahrung der Gesetzlichkeit der Eigentumsverhältnisse in der DDR ein, und sie ist gegen die Versuche, die Vermögensverhältnisse in der DDR im Falle der Bildung einer Währungs- und Wirtschaftsunion mit der BRD sowie im Falle des Entstehens eines einheitlichen Deutschlands in Frage zu stellen. Das setzt voraus, dass beide Deutsche Staaten im Prozess ihrer Annäherung und Vereinigung davon ausgehen, dass die 1945 bis 1949 von der Sowjetischen Militäradministration verwirklichten Wirtschaftsmaßnahmen gesetzmäßig waren.“ 20

Am 28. April 1990 hat das Sowjetische Außenministerium ein aide mémoire bekannt gemacht, in dem es heißt: ___________ 17 Gemeinsame Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990, Anlage III zum Einigungsvertrag, abgedr. in: Einigungsvertrag und Wahlvertrag. Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit, Bd. 2, 1990, S. 823 ff.; BGBl. II 1990, S. 1237 f. 18 Der Spiegel, Ausgabe 10/1990, S. 128. 19 Gründungsprotokoll vom 20. März 1990 zur Niederschrift des Hannoverschen Notars Dr. Jürgen George Brandt, Az. 14/93BO2N unter der damaligen Bezeichnung „Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen in der DDR e.V.“ 20 Erklärung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS vom 27. März 1990, Az. TASS/russ. 27.3.90/1420/ 0328br2-3.

Eigentumsrestitutionsansprüche

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„Nichts im Vertragsentwurf zwischen der BRD und der DDR darf dazu berechtigen, die Gesetzlichkeit der Maßnahmen und Verordnungen in Frage zu stellen, die die vier Mächte in Fragen der Entnazifizierung, der Demilitarisierung und der Demokratisierung gemeinsam oder jeder in ihrer ehemaligen Besatzungszone ergriffen haben. Die Rechtmäßigkeit dieser Beschlüsse, vor allem in Besitz- und Bodenfragen, unterliegt keiner neuerlichen Überprüfung oder Revision durch (Deutsche Gerichte oder andere) Deutsche Staatsorgane.“21

Am 15. Juni 1990 unterzeichneten beide deutschen Regierungen eine Gemeinsame Erklärung zur Regelung offener Vermögensfragen,22 die auszugsweise folgendermaßen lautet: „Die Teilung Deutschlands, die damit verbundene Bevölkerungswanderung von Ost nach West und die unterschiedlichen Rechtsordnungen in beiden Deutschen Staaten haben zu zahlreichen vermögensrechtlichen Problemen geführt, die viele Bürger in der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland betreffen. Bei der Lösung der anstehenden Vermögensfragen gehen beide Regierungen davon aus, dass ein sozial verträglicher Ausgleich unterschiedlicher Interessen zu schaffen ist. Rechtssicherheit und Rechtseindeutigkeit sowie das Recht auf Eigentum sind Grundsätze, von denen sich die Regierungen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland bei der Lösung der anstehenden Vermögensfragen leiten lassen. Nur so kann der Rechtsfrieden in einem künftigen Deutschland dauerhaft gesichert werden. Die beiden Deutschen Regierungen sind sich über folgende Eckwerte einig: 1. Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rückgängig zu machen. Die Regierung der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik sehen keine Möglichkeit, die damals getroffenen Maßnahmen zu revidieren. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nimmt dies im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis. Sie ist der Auffassung, dass einem künftigen Gesamtdeutschen Parlament eine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muss. 2. … 3. Enteignetes Grundvermögen wird grundsätzlich unter Berücksichtigung der unter a) und b) genannten Fallgruppen den ehemaligen Eigentümern oder ihren Erben zurückgegeben …“.

Während die Betroffenenverbände dafür eintraten, die Vermögensfragen über die Wiedervereinigung hinaus offen zu halten, um deren Folgen danach zu regeln, forderte der letzte Ministerpräsident der DDR Lothar de Maizière, die Ergebnisse der Bodenreform „nicht anzutasten“ bzw. die Bodenreform „verfassungsfest zu machen“, weil verfassungsrechtliche Bedenken offensichtlich und ___________ 21 22

Aide mémoire des sowjetischen Außenministeriums vom 28. April 1990. Siehe Fn. 17.

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Verfassungsbeschwerden zu erwarten waren.23 Den Abgeordneten der Volkskammer, unter denen nicht wenige für die Enteignungsbetroffenen der Jahre 1945 bis 1949 in der SBZ eintraten, die bis zum Durchbruch der Mauer in der DDR geblieben waren, erklärte de Maizière, die Sowjetunion habe ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands von einem Restitutionsverbot abhängig gemacht. Davon sind die Abgeordneten der Volkskammer anlässlich der Verhandlungen über die Gemeinsame Erklärung beider Deutscher Regierungen vom 15. Juni 1990 und über den Einigungsvertrag ausgegangen.24 Am 4. Juli 1990 fand die 12. Sitzung des Ausschusses für Verfassungs- und Verwaltungsreform der Volkskammer der DDR in Berlin statt. Nr. 5 der Tagesordnung lautet: „Anhörung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts der BRD.“

Im Beschlussprotokoll dieses Ausschusses der Volkskammer heißt es: „Die Ausführungen des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, … wesentlich zur Klärung bzw. Standpunktbildung bei den Ausschussmitgliedern sowie den Vertretern der mitgeladenen Ausschüsse (Deutsche Einheit und Rechtsausschuss) … in Bezug auf die mit dem Beitritt nach Artikel 23 des Grundgesetzes der BRD verbundenen staats- und verfassungsrechtlichen Fragen und Probleme beitrugen, wurden mit Dank zur Kenntnis genommen.“25

Der angehörte Präsident des Bundesverfassungsgerichts war Prof. Dr. Roman Herzog, der das erste Bodenreformverfahren am 22. Januar 1991 mitverhandelt und am 23. April 1991 mitentschieden hat.26 Am 13. August 1990 hat auf hoher Beamtenebene (Kastrup und Kwizinskij) ein Treffen in Moskau stattgefunden, in welchem über den ersten sowjetischen Vertragsentwurf diskutiert worden ist. In internen Protokollnotizen des Auswärtigen Amtes, die im zweiten Bodenreformverfahren dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt worden sind, heißt es zu einem möglichen Ausschluss der Restitutionen von Enteignungen 1945 bis 1949 wörtlich: „D2 (= Dr. Kastrup): Nicht akzeptabel, da damit Ansprüche von Deutschen in Deutschland abgeschnitten würden.

___________ 23 Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Lothar de Maizière vom 12. April 1990, abgedr. bei I. v. Münch (Hrsg.), Dokumente der Wiedervereinigung Deutschlands, 1991, S. 163. 24 So der frühere Abgeordnete der 10. Volkskammer der ehemaligen DDR und erste Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt Dr. Gerd Gies anlässlich der Jahreshauptversammlung der Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen e.V. am 5. März 2011 in Hannover. 25 Beschlussprotokoll des Ausschusses für Verfassungs- und Verwaltungsreform der Volkskammer der DDR vom 4. Juli 1990, Az. 0065-06/02. 26 BVerfGE 84, 90 ff.

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Kwizinskij: Platz für Entscheidungen wäre vorhanden. Es gehe lediglich darum, Entscheidungen nicht in toto für Null und Nichtig zu erklären. Auf eine Zwischenfrage, die sog. Bodenreform und andere Enteignungen seien durch Maßnahmen der damaligen Länder der SBZ erfolgt, erwiderte Kwizinskij, die Sowjetunion sei lediglich mit Blick auf alliierte Entscheidungen besorgt. Deutsche Beschlüsse interessierten in diesem Zusammenhang nicht.“27

Am 31. August 1990 kam es zur Unterzeichnung des Einigungsvertrages, durch dessen Art. 41 die „Gemeinsame Erklärung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen“ vom 15. Juni 1990 zum Bestand des Einigungsvertrages erklärt worden war, verbunden mit der Verpflichtungserklärung der Bundesrepublik, keine dieser Erklärung widersprechenden Rechtsvorschriften zu erlassen. Art. 4 des Einigungsvertrages sah „verfassungsbedingte Änderungen des Grundgesetzes“ vor und enthielt unter Nr. 5 – mit Blick auf die für das Zustimmungsgesetz zum Einigungsvertrag zu erwartende Zwei-Drittel-Mehrheit – eine Ergänzung des Grundgesetzes, nämlich Art. 143 GG um einen neuen Absatz 3 zu erweitern, der folgendermaßen lautet: „Unabhängig von Absatz 1 und 2 haben Artikel 41 des Einigungsvertrags und Regelungen zu seiner Durchführung auch insoweit Bestand, als sie vorsehen, dass Eingriffe in das Eigentum auf dem in Artikel 3 dieses Vertrags genannten Gebiet nicht mehr rückgängig gemacht werden.“28

An dieser Stelle ist festzuhalten, dass dadurch nur das Verbot, die Eingriffe in das Eigentum rückgängig zu machen, durch den neuen Art. 143 Abs. 3 GG Verfassungsrang erlangt hat. Nachdem die Gemeinsame Erklärung Bestandteil des Einigungsvertrages geworden war, kam es dann zu einem Brief der beiden deutschen Außenminister vom 12. September 1990, in dem die Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung im Wortlaut und Art. 41 Abs. 1 und 3 EV in ihrem Inhalt wiedergegeben sind. Das Schreiben wurde anlässlich der Unterzeichnung des Moskauer Vertrages am 12. September 1990 den Außenministern der vier Alliierten übermittelt.29 Anlässlich der Verabschiedung des Einigungsvertragsgesetzes am 20. September 1990 haben 112 Abgeordnete des 11. Deutschen Bundestages gem. § 55 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages persönliche Protesterklärungen zu Protokoll gegeben, und zwar 80 Abgeordnete der CDU/CSUBundestagsfraktion und 32 Abgeordnete der FDP-Bundestagsfraktion. Die ge___________ 27 Notiz Auswärtiges Amt, 2 + 4-Gespräche vom 17./18. August 1990, sowie C. Rechberg (Fn. 4), S. 45 ff. 28 Art. 143 Abs. 3 GG. 29 Schreiben der beiden deutschen Außenminister an die vier Außenminister der Siegermächte vom 12. September 1990, vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 109, 14. September 1990.

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meinsame Protesterklärung von 68 Abgeordneten der Unionsparteien lautet auszugsweise folgendermaßen: „Die im Einigungsvertrag vorgesehene Aufnahme eines neuen Art. 143 Abs. 3 in das Grundgesetz sowie die damit verbundene Anerkennung der sogenannten Bodenreform lehnen wir ab. Da nur über den Einigungsvertrag als Ganzes abgestimmt wird und wir nicht durch ein negatives Stimmverhalten die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gefährden wollen, geben wir diese Erklärung zu Protokoll. Unser Grundgesetz garantiert in Art. 14 den Schutz des Eigentums … Durch die Aufnahme des Art. 143 Abs. 3 in das Grundgesetz und durch Art. 41 des Einigungsvertrages in Verbindung mit der Gemeinsamen Erklärung der beiden Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik wird ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet. Die unterschiedliche Behandlung von Geschädigten während der Zeiträume 1945 bis 1949 und 1950 bis dato verstößt auch gegen das Gleichheitsgebot (Art. 3 GG). Die von 1945 bis 1949 in der damaligen SBZ durchgeführte Bodenreform hatte keine Rechtsgrundlage. Vielmehr handelt es sich um politisch motivierte Willkürakte…“. 30

Mehr als zwei Drittel der FDP-Bundestagsfraktion haben u.a. folgende Protesterklärungen zu Protokoll gegeben: „Die FDP ist als Rechtsstaatspartei den Grundrechten, also auch der Eigentumsgarantie verpflichtet. Deshalb können wir die getroffenen Regelungen für die Enteignungen der Jahre 1945 bis 1949 auf dem Gebiet der DDR als Festschreibung von Unrecht nicht unkorrigiert hinnehmen. Die Regierung de Maizière hat ihre Zustimmung zur Rückgängigmachung der Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage verweigert. Darüber hinaus hat die Regierung der Sowjetunion deutlich gemacht, dass sie zwischen unserer Haltung in dieser Frage und der Vereinigung der beiden Deutschen Staaten einen wichtigen Zusammenhang sieht. Um die Wiedervereinigung nicht zu gefährden, stimmen wir dennoch der Regelung in der vorliegenden Fassung zu …“.31

Daraus folgt der Schluss, dass 112 Abgeordnete des 11. Deutschen Bundestages ihre Zustimmung zur Änderung des Grundgesetzes zwecks Einführung eines neuen Art. 143 Abs. 3 in der Annahme gegeben haben, anderenfalls wäre die Wiedervereinigung Deutschlands gefährdet gewesen. Nach Nr. 14 der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 199032 hatten beide Regierungen Experten beauftragt, „weitere Einzelheiten abzuklären“. Danach ist das Vermögensgesetz in seiner ursprünglichen Fassung zwischen der alten Bundesrepublik und der DDR im Rahmen der Verhandlungen rund um den Ei___________ 30

Protesterklärungen von 112 Bundestagsabgeordneten anlässlich der 2. und 3. Lesung des Zustimmungsgesetzes zum Einigungsvertrag im Rahmen der Sitzung am 20. September 1990, vgl. BT-PlPr. 11/226, S. 17935 C, 17948 B. 31 Siehe Fn. 30. 32 Siehe Fn. 17.

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nigungsvertrag ausgehandelt und am 23. September 1990 noch durch die Volkskammer verabschiedet und am 29. September 1990 – noch vor dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes – in Kraft gesetzt worden.33 Das Vermögensgesetz war also nicht Gegenstand des Einigungsvertragsgesetzes. Es ist im Gegensatz zu Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung auch nicht „zu Verfassungsrecht versteinert“.34 Das Vermögensgesetz regelt – unter Einbeziehung bestimmter Ausschlusstatbestände in §§ 4 und 5 – namentlich in § 3 den Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung. Es enthält u.a. in § 1 die Absätze 7 und 8, die auszugsweise lauten: „(7) Dieses Gesetz gilt entsprechend für die Rückgabe von Vermögenswerten, die im Zusammenhang mit der nach anderen Vorschriften erfolgten Aufhebung rechtsstaatswidriger straf-, ordnungsstraf- oder verwaltungsrechtlicher Entscheidungen steht. (8) Dieses Gesetz gilt nicht für a) Enteignungen von Vermögenswerten auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage …“.

An dieser Stelle ist folgendes Zwischenfazit zu ziehen: Zwischen Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990, Art. 41 des Einigungsvertrages und Art. 143 Abs. 3 des Grundgesetzes, also dem so entstandenen Verfassungsrecht, und dem Tatbestand des § 1 Abs. 8 lit. a) Vermögensgesetz besteht ein qualitativer Unterschied: Während die erstgenannten Vorschriften vorsehen, dass die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) nicht rückgängig zu machen sind, also ein „Restitutionsverbot“ festlegen, besagt § 1 Abs. 8 lit. a) Vermögensgesetz lediglich, dass das Vermögensgesetz und damit der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung – unter Wahrung von Ausschlusstatbeständen – für Enteignungen von Vermögenswerten auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage nicht gilt. Das sog. „Restitutionsverbot“ zielt auf eine Verhinderung der Wiederherstellung des status quo ante im Sinne des § 249 BGB ab und soll verhindern, dass die Enteignungen ex tunc „rückgängig gemacht werden“, etwa deshalb, weil sie nicht gesetzmäßig waren. Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 8 lit. a) VermG besagt dagegen lediglich, dass ex nunc, also unter Wahrung der Ausschlusstatbestände der §§ 4 u. 5 des Vermögensgesetzes, bloße Rückgabeansprüche nach diesem Gesetz nicht in Betracht kommen. Im Rahmen des verfassungsrechtlich abgesicherten Verbotes einer Rückgängigmachung, also einer Restitution, hätte im Lichte des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) einer Streichung des § 1 Abs. 8 lit. a) VermG und damit einer Anwendbarkeit des ___________ 33 34

BGBl. I 1991, S. 958 ff. K. Stern (Fn. 1), S. 1942 ff., 2114 ff.

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Grundsatzes Rückgabe vor Entschädigung von Rechts wegen daher nichts im Wege gestanden! Das Bundesverfassungsgericht hat sich allerdings geweigert, diese Frage im Lichte des Grundgesetzes und des Gleichheitssatzes zumindest im Sinne einer verfassungskonformen, nicht restriktiven Auslegung zu prüfen. Stattdessen hat es zur Rechtfertigung des § 1 Abs. 8 lit. a) VermG im zweiten Bodenreformbeschluss vom 18. April 199635 u.a. ausgeführt: „Nr. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Erklärung lässt vom Wortlaut her keinen Zweifel, dass die Enteignungen insgesamt und damit auch hinsichtlich aller der von ihnen getroffenen Einzelobjekte nicht mehr rückgängig zu machen sind. Das deckt sich mit Inhalt und Reichweite des § 1 Abs. 8 Buchst. a) VermG und wird durch das ‚Gesamtgefüge‘ des Rückgabeausschlusses bestätigt. Danach dient § 1 Abs. 8 Buchst. a) VermG im Sinne des Art. 143 Abs. 3 GG der Durchführung der in Art. 41 Abs. 1 EV in Verbindung mit Nr. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Erklärung getroffenen Regelung. Diese wird in § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG inhaltsgleich wiederholt. Davon ist das Bundesverfassungsgericht schon in seinem Urteil vom 23. April 1991 ausgegangen; dort ist ausgeführt, dass die angegriffenen weiteren Bestimmungen, darunter § 1 Abs. 8 Buchst. a) VermG neben der in erster Linie zur Prüfung gestellten Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung keine selbständige Beschwerde enthalten … Ein Rückerwerb von im Einzelfall noch vorhandenem ehemaligem Eigentum hat es im Rahmen der Gewährung von Ausgleichsleistungen für möglich gehalten ...“.

Damit hat das Bundesverfassungsgericht das „Gesamtgefüge“, welches allein auf einen Restitutionsausschluss gerichtet war, willkürlich und ohne rechtfertigende Begründung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG auf einen „Rückgabeausschluss“ ausgedehnt und dafür zur Begründung angeführt, „dass die Enteignungen insgesamt und damit auch hinsichtlich aller der von ihnen getroffenen Einzelobjekte nicht mehr rückgängig zu machen sind“, was der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung nach dem Vermögensgesetz allerdings – auch bezogen auf Einzelobjekte – nicht vorsieht. Bezogen auf die Gewährung von Ausgleichsleistungen hatte der Erste Senat im ersten Bodenreformurteil als Maßstab den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vorgegeben und keineswegs den Rückerwerb lediglich im Rahmen der Gewährung von Ausgleichsleistungen für möglich gehalten. Das gilt zumal, da die den Opfern geschuldete Wiedergutmachung verfassungsnah und daher auch mit Blick auf den Gedanken der Eigentümergarantie des Art. 14 GG auszugestalten war.

___________ 35

BVerfGE 94, 12 (46).

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III. Verfassungsbeschwerden Zu den zugrundeliegenden Bodenreform-Verfassungsbeschwerden36 ist vorab eine Anmerkung zu machen: Wiewohl Otto Graf Lambsdorff und andere wohlmeinende Politiker später gemeint haben, die Beschwerden seien verfrüht erhoben worden, waren sie eilbedürftig, weil die Treuhandanstalt unter dem Einfluss ihrer „alten Führung“, der großen LPG-Nachfolgegesellschaften in den neuen Bundesländern sowie aus fiskalischen Gründen bereits damit begonnen hatte, die Weichen für die Privatisierung der dem Staatsfiskus zugefallenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen in der Größe von ca. 2,3 Mio. ha zu stellen und „vollendete Tatsachen zu schaffen“.37 Es musste also ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und damit notwendigerweise auch eine Verfassungsbeschwerde anhängig gemacht werden. Bereits seit Bekanntgabe des Einigungsvertrages am 31. August 1990 galt es daher, qualifizierte Prozessvertreter zu finden und eine repräsentative Gruppe von Beschwerdeführern zusammenzustellen, die das Spektrum der Betroffenheit abdecken würden. Nachdem der Verfasser für die Prozessführung Rechtsanwalt Prof. Dr. Rüdiger Zuck (Stuttgart) als ausgewiesenen Verfassungsbeschwerdeprozessanwalt gefunden und Herrn Prof. Dr. Walter Leisner (München) als wissenschaftlichen Gutachter für dieses Mandat gewonnen hatte, sind unter seiner Mitwirkung die Bodenreformverfassungsbeschwerden im Verlaufe des Monats September 1990 vorbereitet und bereits am 5. Oktober 1990 beim Bundesverfassungsgericht eingereicht worden. Anders als gemeinhin üblich, wurden die Verfassungsbeschwerden von dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Roman Herzog sogleich behandelt und bereits am 22. Oktober 1990 eine mündliche Verhandlung auf den 22. Januar 1991 terminiert. Wie sich später herausstellte, ging es offensichtlich um eine hoch politische Angelegenheit. Dies vorausgeschickt ist inhaltlich zu bemerken, dass die Begründung der Verfassungsbeschwerden „auf zwei Beine gestellt“ worden war. Ausgehend von einem im Frühjahr 1990 von Prof. Dr. Otto Kimminich erstatteten Gutachten38 hat Prof. Dr. Walter Leisner maßgeblich die Rüge einer Verletzung des Art. 14 Grundgesetz begründet. Rechtsanwalt Prof. Dr. Rüdiger Zuck und der Verfasser haben dagegen schwerpunktmäßig eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) gerügt und die dafür sprechenden Argumente zusammengetragen. Eine Lektüre des am 23. April 1991 ergangenen 1. Bodenreformurteils39 zeigt, dass der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts über die Rüge einer Verlet___________ 36

Siehe Fn. 8. Nach Maßgabe des § 1 Abs. 6 Treuhandgesetz i. V. m. der Treuhandrichtlinie vom 22. Juni 1992. 38 O. Kimminich, Die Eigentumsgarantie im Prozeß der Wiedervereinigung: zur Bestandskraft der agrarischen Bodenreformordnung der DDR, 1990. 39 BVerfGE 84, 90 ff. 37

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zung des Art. 14 GG mit dem Hinweis auf die Verantwortlichkeit einer „fremden Macht“ in einem „fremden Land“, also auf das Territorialitätsprinzip, relativ oberflächlich hinweggegangen ist. Völkerrechtliche Aspekte sind so gut wie überhaupt nicht geprüft worden. Dagegen war die Vorbereitung und der Ablauf der mündlichen Verhandlung vom 22. Januar 1991 durch eine Sachverhaltsaufklärung, also durch Tatsachenfeststellungen gekennzeichnet, die durch die Rügen einer Verletzung des Gleichheitssatzes ausgelöst worden waren.40 Der – parallel gestellte – Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist bereits zuvor durch Beschluss des Ersten Senats vom 11. Dezember 1990 mit einem Stimmenverhältnis von 4 : 4 zurückgewiesen worden.41 Dazu hat der an diesem Beschluss beteiligte Verfassungsrichter Prof. Dr. Johann Friedrich Henschel, der dem Verfasser aus seiner Anwaltstätigkeit aus Hannover gut bekannt war, anlässlich einer privaten Begegnung am 4. Januar 1991, noch vor der mündlichen Verhandlung am 22. Januar, vertraulich berichtet, er und drei weitere Verfassungsrichter seien nachhaltig dafür eingetreten, die einstweilige Anordnung zu erlassen. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Roman Herzog, habe aber massiven Druck auf die „Abweichler“ auch noch nach Ablehnung der einstweiligen Anordnung dahin ausgeübt, dass in dieser hoch politischen Sache ein – wie in vergleichbaren Fällen üblich – einstimmiges Judikat des Bundesverfassungsgerichts geboten sei. Fürsorglich hat Henschel hinzugefügt, der Verfasser solle sich also keine allzu großen Hoffnungen auf einen positiven Ausgang der Verfassungsbeschwerden machen. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Verfassungsbeschwerden mit bloßen Rügen einer Verletzung der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG und des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG nicht gewonnen werden konnten. Denn mit der Zwei-Drittel-Mehrheit zum Einigungsvertragsgesetz war durch Einfügung des neuen Art. 143 Abs. 3 GG eigens die Verfassung geändert worden, wodurch der „Restitutionsausschluss“ zum Gegenstand der Verfassung selbst, also – wie de Maizière gefordert hatte – „verfassungsfest“ gemacht worden war. Die Verfassungsbeschwerden mussten, um erfolgreich zu sein, somit das „Nadelöhr“ der „Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 Abs. 3 GG durchstoßen und verfassungswidriges Verfassungsrecht rügen. Da dies zuvor noch kaum je gelungen war, hatten die Verfassungsbeschwerden von vornherein allerhöchste Hürden zu überwinden. In diesem Zusammenhang ist in Erinnerung zu rufen, dass der Einfügung des Art. 143 Abs. 3 in das Grundgesetz die Beratung des Ausschusses für Verfassungs- und Verwaltungsreform der Volkskammer der DDR am 4. Juli 1990 ___________ 40

1991. 41

Wortprotokoll vor dem BVerfG über die mündliche Verhandlung vom 22. Januar BVerfG, Beschl. vom 11. Dezember 1990, NJW 1991, 749 ff.

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durch den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Roman Herzog vorausgegangen war. Seit Bekanntwerden des Protokolls dieser Ausschussberatung vom 4. Juli 1990 ist in Presseverlautbarungen und auf öffentlichen Veranstaltungen wiederholt unwidersprochen geltend gemacht worden, es dränge sich der Eindruck auf, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts habe den Mitgliedern des Ausschusses der DDR Volkskammer seinerzeit geraten, auf eine Ergänzung des Grundgesetzes mit Hilfe der für die Zustimmung zum Einigungsvertragsgesetz ohnehin erwarteten Zwei-Drittel-Mehrheit hinzuwirken, an die das Bundesverfassungsgericht hernach gebunden sein würde. Dieser Tatbestand hat den damaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Roman Herzog allerdings nicht veranlasst, sich selbst als befangen abzulehnen oder zumindest die Prozessvertreter auf seine am 4. Juli 1990 erfolgte Beratung der Volkskammer hinzuweisen, um diesen ihrerseits die Stellung eines Befangenheitsantrages zu ermöglichen. Nach dieser Vorbefassung war nämlich ohne ernst zu nehmende Zweifel jedenfalls der Eindruck der Befangenheit entstanden, der für einen erfolgreichen Befangenheitsantrag ausreicht. Dieses nach wie vor tot geschwiegene Thema wirkt der Vergangenheitsbewältigung und der Wiederherstellung von Rechtsfrieden nachhaltig entgegen. In diesem Kontext darf verständlicher Weise nicht verwundern, dass die Betroffenen die Rolle des damaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und seine anschließende Nominierung für das Amt des Bundespräsidenten durch den damaligen Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl in unguter Erinnerung behalten haben. In Vorbereitung des Termins zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht hat der Senatsvorsitzende am 20. Dezember 1990 eine terminsleitende Verfügung getroffen, durch welche – wie üblich – die Redezeiten der Prozessbeteiligten festgelegt und zur Aufklärung des Sachverhalts folgende „tatsächliche Fragen“ gestellt worden sind:42 „I. Welche Rolle hat die angegriffene Regelung 1.) bei den Verhandlungen über den Einigungsvertrag und 2.) bei den „Zwei-Plus-Vier“-Verhandlungen gespielt? Die Bundesregierung wird gebeten, zur mündlichen Verhandlung einen Teilnehmer an den maßgeblichen Verhandlungen zu stellen, der aus eigener Kenntnis Einzelheiten darüber mitteilen kann. II. Wurde bei den Verhandlungen erörtert, welche Gruppe von Enteignungsmaßnahmen von der Regelung erfasst werden sollte …?“

Auf diese „terminsleitende Verfügung“ des Bundesverfassungsgerichts hat die Bundesregierung (intern) reagiert, und zwar das Bundesjustizministerium, nämlich Ministerialdirektor Dr. Wolfgang Heyde, durch ein Schreiben an den Chef des Bundeskanzleramtes und an sechs Bonner Ministerien vom 2. Januar ___________ 42

Terminsleitende Verfügung des Vorsitzenden des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Roman Herzog vom 20. Dezember 1990 in dem Verfahren BVerfGE 84, 90 ff.

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1991.43 Darin wird für die Vorträge der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht eine Aufgabenteilung vorgeschlagen, wobei zur Beantwortung der Frage II. der damalige Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz Dr. Klaus Kinkel und der damalige Ministerialdirektor und spätere Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Dieter Kastrup mit dem Hinweis benannt werden, die mündlichen Äußerungen schriftlich vorzubereiten. Dazu hat das Bundesjustizministerium den zu vernehmenden Zeugen44 folgende „Hilfestellung“ mit auf den Weg gegeben: „Die außenpolitischen Zwänge werden voraussichtlich auch für das Gericht der entscheidende verfassungsrechtliche Gesichtspunkt für die Legimitierung der unterschiedlichen Behandlung der Enteignungen vor und nach 1949 sein. Vor diesem Hintergrund wird das Gericht Umfang und Tragweite der sowjetischen Vorbedingung, die Enteignungen zwischen 1945 und 1949 nicht zur Disposition deutscher Behörden und Gerichte zu stellen, eingehend erörtern wollen, insbesondere auch, inwieweit die Bundesrepublik Deutschland versucht hat, etwaige Schutzpflichten gegenüber den Betroffenen wahrzunehmen und durchzusetzen …“.

Unter Punkt B II 2 vermittelt das Bundesjustizministerium den Zeugen, was das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich von ihnen erwartet: „Wegen der Bedeutung der außenpolitischen Zwänge für das Verfahren weise ich auf die Bemerkung zu A II hin. Der Umstand, dass nur aus außenpolitischen Gründen die vor 1949 Enteigneten schlechter gestellt werden als Enteignete nach 1949, wird das Gericht dazu veranlassen, intensiv die Vorstellungen der Bundesregierung zu Ausgleichsleistungen zu erörtern.“

Die Bundesregierung hat den Zeugen damit im Vorhinein vor Augen geführt, dass eine unterschiedliche Behandlung der vor und nach 1949 Enteigneten ausschließlich aus außenpolitischen Gründen gerechtfertigt sein könnte. Nur dann, wenn das Bundesverfassungsgericht davon, insbesondere von einer entsprechenden „Vorbedingung“ der ehemaligen Sowjetunion für ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands überzeugt werden könnte, würde das Beschwerdeverfahren für die Bundesregierung zu gewinnen sein. Die den Zeugen durch das Bundesjustizministerium vermittelten Erwartungen an ihre Aussagen seien von beweiserheblicher Bedeutung für das Verständnis der vor dem Bundesverfassungsgericht gemachten Zeugenaussagen.45 ___________ 43 Schreiben des Ministerialdirektors im Bundesjustizministerium Dr. Wolfgang Heyde an den Chef des Bundeskanzleramtes und an sechs Bonner Ministerien vom 2. Januar 1991, Az. – IV A 3-1004 E (4389). 44 Durch Beschl. vom 15. Juli 1997, Az. 1 BvP 1174/90 (NJW 1997, S. 3430 ff.; dazu A. Wendenburg, FAZ Nr. 241 vom 17. Oktober 2003, S. 23) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Ministerpräsident a. D. Lothar de Maizière als Zeuge – und nicht als bloße Anhörperson – ausgesagt hat, und die Frage offen gelassen, ob dies auch für Minister Dr. Klaus Kinkel und Staatssekretär Dr. Dieter Kastrup gilt. 45 Siehe Fn. 43.

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IV. Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts am 22. Januar 1991 Zu Beginn hat der damalige Bundesjustizminister Dr. Klaus Kinkel für die Bundesregierung im Rahmen seines Plädoyers geltend gemacht, die DDR habe zu den Enteignungen von 1949 darauf verwiesen, hier sei die Verantwortlichkeit der Besatzungsmacht berührt, so dass die Sowjetunion insoweit das entscheidende Wort zu sprechen habe; diese habe sich bereits dezidiert für eine Aufrechterhaltung der Eigentumsordnung ausgesprochen. In diesem Zusammenhang verwies die Bundesregierung auf die schon erwähnte TASS-Erklärung der Sowjetunion vom 27. März 199046 und auf das aide mémoire vom 28. April 199047. Am 3. Mai 1990 habe Lothar de Maizière Dr. Klaus Kinkel gegenüber geäußert, die Sowjetunion habe sich definitiv gegen jegliche Veränderung ausgesprochen. Dies hätten ihm Generalsekretär Gorbatschow und Außenminister Schewardnadse nochmals persönlich bestätigt.48 Daraufhin schilderte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Dieter Kastrup zunächst die deutsch-sowjetischen Gespräche im Rahmen der Zwei-PlusVier-Verhandlungen. Sodann ergab sich auf Vorhalt einzelner Verfassungsrichter u. a. folgender Dialog:49 Präsident Prof. Dr. Roman Herzog: „Ich habe eine Frage, Herr Staatssekretär. Bei diesen Äußerungen aus dem russischen Bereich gibt es ja in den Formulierungen, wenn ich recht sehe eine gewisse Entwicklung. Die erste geht dahin, diese ganzen Akte durften nicht rückgängig gemacht werden. Später geht es um die Wahrung der Gesetzlichkeit und um ähnliche Formulierungen. Was war nun eigentlich das Ziel? War das Ziel, dass die seinerzeitigen unter der Besatzungsverantwortung oder von den Besatzungsbehörden selber vorgenommenen Maßnahmen nicht von deutschen Gerichten einfach als rechtswidrig erklärt werden dürfen bzw. überhaupt nicht überprüft werden dürfen, oder war es das Ziel, dass alles auf dem Grundstücksmarkt gewissermaßen so bleiben muss, wie es war in Zukunft?“

Staatssekretär Dr. Dieter Kastrup: „Sie weisen mit Recht darauf hin, dass die sowjetischen Formulierungen, so wie ich sie eben präsentiert habe, sich entwickelt haben. Während in der Anfangsphase nur von der Legitimität die Rede war, wurde dieser Gesichtspunkt später ergänzt durch die Unumkehrbarkeit … das bedeutet, der Sowjetunion war klar geworden, auch sicherlich aufgrund der Gespräche, die zwischen den beiden deutschen Staaten geführt worden waren, dass das Problem zwei Seiten hatte: ein rechtliches und ein tatsächli-

___________ 46

Siehe Fn. 20. Siehe Fn. 21. 48 Plädoyer des Bundesministers der Justiz Dr. Klaus Kinkel vor dem 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts am 22. Januar 1991, Pressemitteilung des BMJ 2/1991. 49 Siehe Fn. 40. 47

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Albrecht Wendenburg ches. D.h., sie hatte erkannt, dass mit ihrer Forderung nach Aufrechterhaltung der Legitimität ihren Interessen dann noch nicht Rechnung getragen worden wäre, wenn der deutsche Staat hingegangen wäre und von sich aus denn nun tatsächlich diese Grundstücke, wie Sie sagen, Herr Präsident, auf den Markt geworfen hätte. D.h., die Stoßrichtung war in der Spätphase der Verhandlungen eindeutig Legitimität und ich sage mal Effektivität. D.h. also: Nicht mehr in Frage stellen durch deutsche Gerichte, Legitimität und durch deutsche Behörden, Effektivität …“.

Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Johann Henschel: „Es ist also dabei nicht differenziert worden, dass Enteignungen damals in der Zeit auch von deutschen Stellen durchgeführt worden sind. Hat sich die Sowjetunion das also immer zurechnen lassen wollen und für sich in Anspruch genommen, dass das in ihren Verantwortungsbereich fällt?“

Staatssekretär Dr. Dieter Kastrup: „Diese Differenzierung ist in den Verhandlungen nicht vorgenommen.“

Ministerpräsident a. D. Lothar de Maizière hob in seiner Aussage den hohen DDR-internen Stellenwert der „Bodenreform“ hervor und erklärte, damals sei es allgemeine Auffassung der DDR gewesen, die DDR-Eigentumsordnung als historisches Ergebnis sei nicht rückgängig zu machen. Daher sei die Bodenreform am 12. April 1990 in der Koalitionsvereinbarung anerkannt worden und deswegen sei es der DDR-Seite auch immer darum gegangen, die Bodenreform verfassungsfest zu machen, notfalls durch Verfassungsänderung: Dies sei eine „weitere Voraussetzung“ gewesen. Außenpolitisch bestätige Lothar de Maizière die Darstellung des Staatssekretärs Dr. Dietrich Kastrup; für die Sowjetunion sei die Unantastbarkeit des Potsdamer Abkommens „conditio sine qua non“ gewesen. So habe die Sowjetunion im März 1990 darauf bestanden, dass die Eigentumsordnung in der DDR nicht rückgängig gemacht werden dürfe. Für Verhandlungen über dieses Thema habe er kein Mandat gehabt. In einem „nonpaper“ aus der Zeit zwischen den Wahlen (18. März) und der Regierungsbildung (bis 12. April), welches Positionen von DDR und Sowjetunion enthielt, sei festgehalten, dass zwischen Enteignungen vor und nach 1949 unterschieden werde. Präsident Michail Gorbatschow habe in Gesprächen am 28./29. April auf den Bestand der Kriegsfolgen-Entscheidungen bestanden, ebenso Außenminister Eduard Schewardnadse in dem „aide mémoire“. Zu Beginn der Beratungen über das Ergebnis der am 22. Januar 1991 durchgeführten Beweisaufnahme hat Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl vor dem 12. Deutschen Bundestag am 30. Januar 1991 eine Regierungserklärung zur Lage der Nation abgegeben und darin die angebliche Vorbedingung Moskaus eines Restitutionsverbotes für die Wiedervereinigung Deutschlands bekräftigt und hinzugefügt, daran habe die Deutsche Einheit nicht scheitern dürfen.50 Diese ___________ 50

Vgl. Bulletin der Bundesregierung vom 31. Januar 1991, Nr. II/S. 61 ff.

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Erklärung hat Bundesjustizminister Dr. Klaus Kinkel in der Ausgabe der Neuen Juristischen Wochenschrift vom 6. Februar 199151 noch einmal wiederholt und bekräftigt.52 Das Bundesverfassungsgericht hat die ersten Bodenreformbeschwerden durch Urteil vom 23. April 1991 bekanntlich zurückgewiesen. Das Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat folgendermaßen gewürdigt:53 „Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Ausschluss der Restitution nach Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung ergeben sich nicht daraus, dass bei den entschädigungslosen Enteignungen, die nicht unter diese Regelung fallen, die Rückgabe der enteigneten Objekte jedenfalls im Grundsatz vorgesehen ist … Die Grundelemente des Gleichheitssatzes, die nach Art. 79 Abs. 3 GG unantastbar sind, werden dadurch nicht verletzt. Der Ausschluss der Restitution in der angegriffenen Regelung wird hinreichend dadurch gerechtfertigt, dass die Deutsche Demokratische Republik und die Sowjetunion auf der Einführung dieser Regelung bestanden hatten und die Bundesregierung nach ihrer pflichtgemäßen Einschätzung auf diese Bedingung eingehen musste, um die Einheit Deutschlands zu erreichen. Die Anhörung von Bundesminister Dr. Kinkel, Ministerpräsident a. D. de Maizière und Staatssekretär Dr. Kastrup in der mündlichen Verhandlung hat den Vortrag der Bundesregierung bestätigt, dass bei den Verhandlungen über den Einigungsvertrag und bei den Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen, ohne deren erfolgreichen Abschluss die Einheit Deutschlands nicht hätte verwirklicht werden können, der Ausschluss der Restitution sowohl von der Deutschen Demokratischen Republik als auch von der Sowjetunion zur Vorbedingung gemacht worden ist ...“.

V. Exkurs Zu Beginn des Jahres 1993 war bekannt geworden, dass die ehemalige Sowjetunion eine – jedenfalls so weit gehende – Vorbedingung für ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands nicht geltend gemacht hatte, dass ohne „Rückgängigmachung“ eine Rückgabe nach dem Vermögensgesetz nicht zulässig sein sollte. Der Sowjetunion war es – entgegen der Aussagen der vernommenen Zeugen – lediglich – wie im Falle abziehender Siegermächte völkerrechtlich üblich – um ihre „Indemnität“ und um die Legitimität der von ihr verantworteten Maßnahmen, also darum gegangen, für diese nicht nachträglich ___________ 51

NJW 1991, S. 340, 343. Prozessbeobachter haben diese öffentliche Bekräftigung der Aussagen „ihrer“ Zeugen durch den Bundeskanzler und durch den Bundesjustizminister als den Versuch einer Einwirkung auf die seinerzeit laufenden Beratungen des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts über das Ergebnis der unmittelbar zuvor stattgefundenen Beweisaufnahme empfunden. 53 BVerfGE 84, 90 (127). 52

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verantwortlich gemacht zu werden.54 Sowohl der damalige Präsident der Sowjetunion Michail Gorbatschow als auch deren früherer Außenminister Eduard Schewardnadse hatten vor laufenden Kameras erklärt, das wiedervereinigte Deutschland sei völlig frei gewesen, wie es mit dem dem Staatsfiskus zugefallenen Volksvermögen verfahren wolle.55 Daraufhin hatte es Strafanzeigen an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe u.a. gegen Lothar de Maizière, Dr. Klaus Kinkel und Dr. Dieter Kastrup wegen uneidlicher Falschaussage gegeben. Diese sind von der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe mit Billigung des Beschwerdesenats des Oberlandesgerichts Stuttgart mit der Begründung nicht zugelassen worden, die Angeschuldigten hätten lediglich als Anhörpersonen Auskünfte erteilt und könnten deshalb wegen uneidlicher Falschaussage nicht bestraft werden, weil sie keine Zeugen gewesen seien. Tatsächlich haben sie am 22. Januar 1991 aber als Zeugen Aussagen gemacht, auf die das Urteil – im Sinne einer tragenden Entscheidungsgrundlage – auch gestützt worden ist.56 Das hat das Bundesverfassungsgericht selbst später in einem Kostenfestsetzungsverfahren so entschieden, in dem es um die Frage gegangen war, ob für die beteiligten Rechtsanwälte eine Beweisgebühr entstanden war. Diese Entscheidung über eine bereits am 22. Januar 1991 entstandene Beweisgebühr hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (wohlweislich?) allerdings erst getroffen, nachdem die Straftatbestände der uneidlichen Falschaussage verjährt waren. Erst am 15. Juli 1997 hat der Erste Senat entschieden, de Maizière sei Zeuge gewesen, und hinzugefügt, ob darüber hinaus auch die Anhörung von Minister Dr. Klaus Kinkel und Staatssekretär Dr. Dieter Kastrup eine Beweisgebühr ausgelöst habe, bedürfe keiner Prüfung mehr.57 Das erste Bodenreformverfahren ist trotz der Komplexität des Sachverhalts, der hochpolitischen Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und der Vielschichtigkeit mit Blick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu entscheidenden Rechtsfragen, von vornherein als „kurzer Prozess“ behandelt worden. Dem Klageverfahren vor einem Landgericht vergleichbar hat der Präsident des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine am 5. Oktober 1990 eingereichte Verfassungsbeschwerde bereits am 22. Oktober 1990 auf den 22. Januar 1991 terminiert. Schon am 20. Dezember 1990 hat es eine Beweisaufnah___________ 54

Vgl. A. Wendenburg, WELT am SONNTAG vom 14. Februar 1993, S. 50, sowie Erklärung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS vom 27. März 1990 sowie aide mémoire des sowjetischen Außenministeriums vom 28. April 1990. 55 Interview von Michail Gorbatschow, Prof. Norman Stone (Oxford) vom 5. Juli 1994, sowie „SPIEGEL-TV“-Interview vom 4. September 1994, Ausstrahlung in RTL, zitiert nach C. Paffrath (wie Fn. 3), S. 320 Fn. 1087 und 1088. 56 Vgl. Fn. 53. 57 Beschl. vom 15. Juli 1997, Az. 1 BvP 1174/90 = NJW 1997, S. 3430 ff.; A. Wendenburg, FAZ Nr. 241 vom 17. Oktober 2003, S. 23.

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me verfügt,58 die es in der mündlichen Verhandlung vom 22. Januar 1991 durchgeführt hat und auf deren Ergebnis das am 23. April 1991 verkündete Urteil gestützt worden ist. Durchgängig liest sich das erste Bodenreformurteil des Bundesverfassungsgerichts so, als bestünde kein qualitativer Unterschied zwischen einer Revision der getroffenen Maßnahmen und einer Restitution des Eigentums, also einer Rückgängigmachung der Konfiskationen und einer schlichten Rückgabe der noch in öffentlicher Hand befindlichen, ohnehin zu privatisierenden Vermögensgegenstände nach Maßgabe und unter Beachtung der Ausschlusstatbestände des Vermögensgesetzes nach dem im Übrigen geltenden Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“. Welcher Grund den Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 8 lit. a) VermG, also die Vorschrift betreffend die Nichtanwendbarkeit des Vermögensgesetzes und damit die Ungleichbehandlung der vor und nach 1949 Enteigneten, rechtfertigen könnte, also die tragende Grundlage der getroffenen Entscheidung, kann den Gründen nachvollziehbar nicht entnommen werden.

VI. Zweites Bodenreformverfahren Positive Informationen insbesondere aufgrund informell bekannt gewordener Unterlagen aus dem Auswärtigen Amt59 über ernst zu nehmende Zweifel an den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts betreffend die angeblichen Vorbedingungen Moskaus sind Anlass für die Absicht gewesen, eine erneute Verfassungsbeschwerde zu erheben. Den Prozessvertretern war vom Bundesverfassungsgericht informell aber signalisiert worden, neue Beschwerden nehme das Bundesverfassungsgericht zu diesem Thema nicht an. Dieses Signal war verbunden mit dem Hinweis auf zwei von den oben genannten Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführer seinerzeit nachgeschobene, noch anhängige Beschwerden, die zum Anlass genommen werden könnten, etwa neue Tatsachen vorzutragen. Es handelte sich dabei um die erst nach der Terminierung der ersten Bodenreformbeschwerde im Dezember 1990 nachgeschobenen Beschwerden des vom NS-Regime nicht entdeckten, von der sozialistischen Bodenreform betroffenen Widerstandskämpfers Axel Freiherr von dem Bussche-Streithorst

___________ 58 Terminsleitende Verfügung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Roman Herzog vom 20. Dezember 1990. 59 Auswärtiges Amt, Verhandlungsakten 2+4-Vertrag, Treffen vom 13. August 1990 in Moskau, Az. As2+4-321-15, sowie Gesprächsnotiz Auswärtiges Amt, 2+4-Gespräche vom 17./18. August 1990, Auswärtiges Amt, Verhandlungsakten 2+4-Vertrag, Treffen vom 1. September 1990, Rheinischer Merkur vom 14. April 1995, S. 4, sowie C. Rechberg (Fn. 4), S. 66; und A. Wendenburg, WELT am SONNTAG vom 14. Februar 1993, S. 50.

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und des Arzneimittelherstellers Dr. Udo Madaus (Opfer der Industriereform).60 In der weiteren Begründung dieser Beschwerden waren namentlich Protokollnotizen aus dem Auswärtigen Amt61 zum Zwecke des Beweises der Tatsache vorgelegt worden, dass die vom Bundesverfassungsgericht angenommene Vorbedingung Moskaus in Wahrheit nicht gegeben war. Diese Beschwerden sind durch den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts allerdings erst behandelt worden, nachdem auf Vorschlag des damaligen Bundesjustizministers Dr. Klaus Kinkel dessen ehemaliger Studienkollege Dr. Dieter Hömig Ende des Jahres 1995 Bundesverfassungsrichter geworden war. Dieser wurde als Berichterstatter für die zweiten Bodenreformbeschwerden sogleich aktiv und befasste sich unmittelbar nach seinem Amtsantritt im ersten Quartal des Jahres 1996 vorrangig mit den seit Dezember 1990 anhängigen Beschwerden. Dies geschah vor folgendem Hintergrund: Im Verlaufe des Jahres 1995 und Anfang 1996 war durch eine groß angelegte Pressekampagne in über 300 ganzseitigen Anzeigen62 nahezu aller großer Tageszeitungen die „Bodenreformlüge“ an den Pranger gestellt worden. Neben Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble als Verhandler des Einigungsvertrages sind darin namentlich die vor dem Bundesverfassungsgericht vernommenen Zeugen Lothar de Maizière, Dr. Dieter Kastrup, aber auch Dr. Klaus Kinkel der uneidlichen Falschaussage vor dem Bundesverfassungsgericht bezichtigt worden, auch Dr. Klaus Kinkel, obwohl dieser lediglich sein Wissen als Zeuge vom Hörensagen bekundet hatte.63 Alsbald nach dem Amtsantritt Dr. Dieter Hömigs erging am 18. April 1996 die zweite Bodenreformentscheidung64 lediglich in Form eines Beschlusses ohne mündliche Verhandlung, durch welchen auch diese Beschwerden kurzerhand zurückgewiesen worden sind. Das Gericht hat dabei allerdings nicht mehr überprüft, ob es für das sog. „Restitutionsverbot“ – mit der weitreichenden Folge eines Ausschlusses der Rückgabe nach dem Vermögensgesetz – eine Vorbedingung (der Sowjetunion bzw. der DDR) für die Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands tatsächlich gegeben habe. Dies einzuschätzen – so das Gericht – sei nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung vielmehr Sache der Bundesregierung gewesen. Das Bundesverfassungsgericht habe sich deshalb (auf einmal nur noch) auf die Prüfung der Frage zu beschränken, ob die Bundesregierung dabei pflichtwidrig gehandelt habe. Trotz der veröffentlichten Erklärungen Michail Gorbatschows, Eduard Schewardnadses u.a. sei eine Pflichtver___________ 60 Dazu der Beschl. des BVerfG vom 18. April 1996, BVerfGE 94, 12 ff. = NJW 1996, S. 1666 ff. 61 Siehe Nachweise unter Fn. 59. 62 Veranlasst u. a. von dem Hamburger Kaufmann Heiko Peters. 63 Diese Kampagne schien – aus Sicht der Betroffenen – zum Zwecke der Entlastung Kinkels das Verfahren beschleunigt zu haben. 64 BVerfGE 94, 12 ff.

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letzung der Bundesregierung nicht zu erkennen, zumal aus der Sicht der ostdeutschen Verhandlungsführer ohne eine Aufrechterhaltung dieser Enteignungen der soziale Friede im Gebiet der DDR nicht zu sichern gewesen wäre. Dem widerspricht allerdings die unten zitierte Erklärung65, die die Landesregierung Sachsen-Anhalts in der mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts am 22. Januar 1991 zu Protokoll gegeben hatte, die das Bundesverfassungsgericht aber vollständig ignoriert, jedenfalls nicht gewürdigt hat. Auch in diesem Zusammenhang ist unberücksichtigt geblieben, dass das dem Staatsfiskus zur Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands zugefallene sozialistische Volkseigentum nach dem Treuhandgesetz ohnehin – wie Prof. Dr. Roman Herzog gefragt hatte66 – „auf den Markt geworfen“, nämlich privatisiert werden musste und ohne Verletzung schutzwürdiger Rechte Dritter unter Wahrung der Ausschlusstatbestände des Vermögensgesetzes und des sozialen Friedens an die früheren Eigentümer durchaus hätte zurückgegeben werden können. Mit ihrer Dissertation „Macht und Eigentum. Die Enteignungen 1945 – 1949 im Prozess der deutschen Wiedervereinigung“ hat Constanze Paffrath67 bedeutsame Indizien für die positive Kenntnis der Bundesregierung davon dargelegt, dass es eine Vorbedingung der Sowjetunion und der DDR für ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands, bezogen auf ein angebliches Rückgabeverbot, nicht gegeben hat, dass die Behauptung eines vermeintlichen „Restitutionsverbots“ vielmehr als Vorwand für eine verfassungswidrige Diskriminierung der Opfer mit dem Ziel gedient hat, den Opfern der Konfiskationen 1945 bis 1949 die Rückgabe ihres früheren Vermögens selbst nach den Bestimmungen des Vermögensgesetzes – nach dem Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung – zu verweigern.68 Bereits anlässlich des ersten Bodenreformverfahrens war aufgefallen, dass der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage nichts hören wollte. Anderenfalls hätte er ein wesentliches Plädoyer berücksichtigt, zumindest erwähnt, welches in der mündlichen Verhandlung vom 22. Januar 1991 für das Land Sachsen-Anhalt gehalten worden war. Dort hat der damalige Staatssekretär im Justizministerium des Landes Sachsen-Anhalt Rainer Robra im Auftrag des früheren Mitgliedes der ersten frei gewählten 10. Volkskammer der DDR und ersten Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt Dr. Gerd Gies u.a. folgende Erklärung zu Protokoll gegeben:69 ___________ 65

Siehe bei Fn. 70. Wortprotokoll vor dem BVerfG über die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 1991; vgl. bei Fn. 16. 67 Siehe Fn.4. 68 Siehe dazu auch B Kempen/Y. Dorf (Fn. 14). 69 Erklärung der Landesregierung Sachsen-Anhalt in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht in dem Verfahren BVerfGE 84, 90 ff. 66

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Albrecht Wendenburg „… unter dem immensen Zeitdruck des Einigungsprozesses hat sich niemand der bei einer so schwerwiegenden Regelung rechtsstaatlich geschuldeten Mühe unterzogen, ihren Gegenstand zuverlässig zu erfassen und ihre tatsächliche Tragweite zu ermessen. Hiervon konnten sich Bundesregierung und Gesetzgeber auch nicht wegen der angeblich festen Position von DDR und Sowjetunion freizeichnen, zumal es nach dem Eindruck des Herrn Ministerpräsidenten, der als Abgeordneter der Volkskammer und als Mitglied des Ausschusses Deutsche Einheit an der Meinungsbildung in der ehemaligen DDR beteiligt war, keine überzeugenden Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Sowjetunion in diesem Punkt eigene Interessen verfolgt und dass die Bundesregierung in Kenntnis der komplexen Fallgestaltungen ernsthaft, nachdrücklich und detailgenau versucht hätte, darüber mit ihr – und der DDR – zu verhandeln. Im Ergebnis sind daher die auch von der Landesregierung für bestandskräftig gehaltenen Schritte gegen wirkliche Nazi- und Kriegsverbrecher und die ihnen auferlegten Sühnemaßnahmen den menschenrechtswidrigen, rücksichtslos vollstreckten Enteignungen im Zuge der Bodenreform und von politisch missliebigen Handwerkern und Gewerbetreibenden in unvertretbarer Weise gleich gesetzt worden. Diese Enteignungen wiederum wurden ohne zureichenden Grund von vergleichbaren Prozessen nach 1949 unterschieden, die rückgängig gemacht werden sollen … Die Landesregierung stellt fest, dass auch die Prämissen und Prognosen, von denen jedenfalls die DDR in diesem Zusammenhang ausgegangen ist, von Anfang an falsch waren. Der Verzicht auf die Rückübertragung des Eigentums fördert keineswegs die Herbeiführung klarer Eigentumsverhältnisse. Die Einbeziehung in die für die späteren Enteignungen geltenden Regelungen hätte auch zu keiner Beunruhigung der ausreichend zu informierenden Bevölkerung geführt und den sozialen Frieden in keiner Weise gefährdet. Die Menschen im Lande wissen genau – viele noch aus eigenem Erleben –, welches Unrecht seinerzeit exekutiert worden ist, und die Fortdauer dieses Unrechts verstößt elementar gegen ihr Rechtsempfinden. Die mit der Regelung unmittelbar verbundenen Eingriffe in die Grundrechtssphäre der Bürger unseres Landes sind daher weder im Interesse des sozialen Friedens und des Rechtsfriedens erforderlich noch überhaupt dazu geeignet gewesen und daher schlechterdings unverhältnismäßig …“.

Der Verhandler des Einigungsvertrages auf der Seite der DDR, der damalige Staatssekretär Prof. Dr. Günter Krause hat dazu am 10. Januar 1999 sowie am 28. Oktober 1999 zwei dem Bundesverfassungsgericht im dritten Bodenreformverfahren vorgelegte eidesstattliche Versicherungen abgegeben. Sie lauten auszugsweise:70 Am 10. Januar 1999: „Dazu erkläre ich: Von einer solchen Vorbedingung der sowjetischen Verhandlungsseite ist mir nichts bekannt. Im weiteren Verfassungsbeschwerdeverfahren … gegen den ‚Restitutionsausschluss‘ hat die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht behauptet, die Unumkehrbarkeit der Enteignungen sei auch eine Forderung der DDR-Verhand-

___________ 70

Zit. von C. Paffrath (Fn. 4), S. 321 Fn. 1089.

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lungsseite gewesen. Die Verhandlungen im Jahre 1990 hätten unter einem immensen Zeitdruck gestanden. In dieser Zeit eines zunehmenden Verfalls der DDR sei deren Schwäche zu einer verhandlungsstrategischen Stärke geworden. Die DDRVerhandlungsseite habe daher ihrerseits die Vereinbarung eines ‚Restitutionsausschlusses‘ zur Bedingung für die Wiedervereinigung gemacht. Dazu erkläre ich: Diese Behauptung der Bundesregierung zur Verhandlungsposition der DDR ist unrichtig. Wir als DDR-Unterhändler legten lediglich wert darauf, dass das Heimatrecht der DDR-Bürger, z.B. die Siedlerrechte, die aus der Bodenreform stammten, unangetastet bliebe. Für diesen Schutz des Heimatrechts zu sorgen, waren wir nicht nur ermächtigt, sondern verpflichtet. Die Festschreibung der Ergebnisse der Industrie- und Gewerbeenteignungen sowie die Enteignungen des sonstigen Vermögens privater Eigentümer aus der Zeit der sowjetischen Besatzung war, soweit ich mich erinnere, überhaupt nicht Verhandlungsgegenstand; dieserhalb gab es auch keinen einheitlich abgestimmten Standpunkt der DDR … Nach unserer Auffassung sollte überall dort, wo erworbene Heimatrechte der DDR-Bürger dem Eigentumsanspruch privater Dritte nicht entgegenstünden, die Rückgabe an die Berechtigten möglich sein. Die Verfahrensweise sollte später durch Bundesgesetz geregelt werden …“.

Am 28. Oktober 1999: „… Die wahre Darstellung von Michail Gorbatschow war während der Verhandlungen und danach den beiden deutschen Regierungen bekannt.“ „… (erkläre ich), dass die Behauptung der Bundesregierung in den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht … zur Verhandlungsposition der DDR unrichtig ist, wenn ihr entnommen wird, dass die Enteignungen so festgeschrieben werden, dass auch in Staatshand befindliche Vermögenswerte nicht zurückgegeben werden dürfen. Die DDR-Regierung hat niemals einen so weitgehenden Restitutionsausschluss gefordert. Ihr und insbesondere auch mir ging es ausschließlich um die Sicherung der Heimatrechte der DDR-Bürger und damit um den Schutz der von ihnen redlich erworbenen Grundstücke …“.

VII. Meinungsbildung in der 10. Volkskammer Die Meinungsbildung der Abgeordneten der 10. Volkskammer lässt sich an späteren Berichten nachvollziehen, die der letzte Ministerpräsident Lothar de Maizière, der Fraktionsvorsitzende der SPD Prof. Dr. Dr. Richard Schröder und der (zeitweise) Außenminister Markus Meckel zehn Jahre nach der Wiedervereinigung publiziert haben.71 Daraus kann – auch rückblickend – nicht entnommen werden, aus der Sicht der Abgeordneten der Volkskammer habe es für die Anwendung des Grundsatzes Rückgabe vor Entschädigung zugunsten auch von ___________ 71

R. Schröder/H. Misselwitz (Hrsg.), Mandat für die Deutsche Einheit: Die 10. Volkskammer zwischen DDR-Verfassung und Grundgesetz, 2000, S. 72 ff. (Lothar de Maizière), S. 84 ff. (Markus Meckel) und S. 115 ff. (Richard Schröder).

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Opfern der Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage unüberwindbare Hindernisse gegeben. Vielmehr waren eher Fragen der ideologischen Vorprägung, mangelnder Aufklärung und politischer Opportunität ausschlaggebend dafür, die ehemals aus dem Gebiet der DDR vertriebenen Opfer nicht als deutsche Mitbürger, sondern anders zu behandeln als alle sonstigen Betroffenen.

VIII. Zwischenbemerkung All diese vom Bundesverfassungsgericht ersichtlich beiseite gelassenen, authentischen Bekundungen sind aber für die nachträgliche Wahrheitsfindung unverzichtbar. Sie können möglicherweise erklären, dass Rechtsfrieden nicht einkehren kann, solange sich alle drei Staatsgewalten auf rechtsstaatlich zweifelhaft zustande gekommene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts berufen. Selbst wenn man unterstellt, dass die Mehrheit der Abgeordneten der ersten frei gewählte 10. Volkskammer der DDR das Vermögensgesetz und damit auch den § 1 Abs. 8 lit. a) VermG verabschiedet und damit den Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung für die Enteigneten auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage ausgeschlossen hat, ist folgender Aspekt nie ernsthaft überprüft worden: Die Vorschrift des § 1 Abs. 8 lit. a) VermG, die die Anwendung des Vermögensgesetzes und damit den Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung für Enteignete auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage ausschließt, ist weder Gegenstand des Art. 41 Abs. 1 und 3 EV noch des Art. 143 Abs. 3 GG und damit der Verfassung geworden. An diese Bestimmung war das Bundesverfassungsgericht daher nicht gemäß Art. 143 Abs. 3 GG, auch nicht gemäß Art. 79 Abs. 3 GG gebunden. Vielmehr ist die DDR nach Art. 23 GG dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beigetreten und damit spätestens seit dem 3. Oktober 1990 den Regelungen des Grundgesetzes und damit auch dem Rechtsstaatprinzip, namentlich dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, unterworfen. Vor diesem Hintergrund stellt sich bis heute die Frage für eine Rechtfertigung der ausschließlich durch § 1 Abs. 8 lit. a) VermG normierten Ungleichbehandlung. Denn die bloße Anwendung des Vermögensgesetzes würde keine Restitution oder gar eine Rückgängigmachung der damaligen Enteignungen zur Folge haben. Das Bundesverfassungsgericht hat den Betroffenen sogar eine verfassungskonforme Auslegung versagt. Stattdessen hätte die Bestimmung des § 1 Abs. 8 lit. a) VermG – wenn nicht „eigentlich“ als verfassungswidrig und damit als obsolet erklärt – zumindest mit der Folge verfassungskonform ausgelegt werden müssen, dass das Vermögensgesetz auch für die dort bezeichnete Personengruppe anwendbar ist. Solange dies oder eine verfassungskonforme vergleichbare Regelung unterbleibt, wird Rechtsfrieden mit

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den Betroffenen nicht erreichbar sein. Denn der Umgang eines an das Grundgesetz gebundenen Rechtstaates mit einer diskriminierten, durch menschenrechtswidrige Verfolgung betroffenen Minderheit seiner Bevölkerung72 hat bei den Betroffenen eine nachhaltige Erschütterung ihres Vertrauens in das Funktionieren der Gewaltenteilung zur Gewährleistung des Minderheitenschutzes geführt.

IX. Drittes Bodenreformverfahren Das dritte Bodenreformverfahren ist nach Verabschiedung des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes vom 27. September 199473 in der ersten Hälfte des Jahres 1995 anhängig gemacht worden. In diesem Verfahren ging es nicht mehr um das „Restitutionsverbot“, wohl aber noch um den Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung nach Maßgabe des Vermögensgesetzes. Mit dieser Beschwerde ist ebenfalls eine Verletzung des Gleichheitssatzes durch das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz gerügt worden. Unter Bezugnahme auf das erste Bodenreformurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. April 1991 war Gegenstand der Rüge namentlich die allzu große „Wertschere“ zwischen einer Rückgabe früheren Eigentums nach den Maßstäben des Vermögensgesetzes einerseits und der minimalen Ausgleichsleistungen im Umfange von 1 bis maximal 10 % des Verkehrswertes des früheren Eigentums andererseits. Das Bundesverfassungsgericht hatte damals entschieden:74 „Der Gesetzgeber hat für die entschädigungslosen Enteignungen, die nicht unter die Regelung in Nr. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Erklärung fallen, eine Wiedergutmachungsregelung getroffen, die vom Grundsatz der Rückgabe der enteigneten Objekte ausgeht …, was auch für die Höhe der anstelle einer Restitution zu gewährenden Entschädigung von Bedeutung sein kann.“

Unter Bezugnahme auf diese Vorgaben für das später verabschiedete Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz haben die Betroffenen – übrigens in voller Übereinstimmung mit dem damaligen Bundesjustizminister Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig75 – gefordert, den Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, im Rahmen der durch die Treuhandanstalt ohnehin zu leistenden Privatisierung des in sozialistisches Volkseigentum aufgegangenen Bodenreformlan___________ 72 Inhaber von 11.390 Privatgütern, vgl. J. von Kruse (Hrsg.), Weißbuch über die „Demokratische Bodenreform“ in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Dokumente und Berichte, 2. Aufl. 1988; J. Graf zu Dohna (Fn. 15); C. Rechberg (Fn. 4), S. 16. 73 BGBl. I S. 2624. 74 BVerfGE 84, 90 (129). 75 E. Schmidt-Jorzig, „Alles ist äußerst irrational“, in: FAZ Nr. 281 vom 2. Dezember 1996, S. 6.

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des unter Wahrung von schutzwürdigen Rechten Dritter ihr früheres Eigentum für eine „symbolische DM“, jedenfalls nach den Maßstäben des Mauergesetzes (1996) zurückzuerwerben. Obwohl die Alteigentümer – inzwischen nachgewiesenermaßen76 – dadurch erheblich zum Aufbau der neuen Bundesländer und zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens auf dem Lande hätten beitragen können, haben sie sich in diesem Verfahren erneut einer totalen Verweigerungshaltung der Bundesregierung gegenüber gesehen. Die Betroffenen hatten ihre Hoffnung deshalb noch einmal auf das Bundesverfassungsgericht gerichtet. In der Annahme, die Bundesregierung habe dem vermeintlichen außenpolitischen Druck zu einem „Restitutionsverbot“ nur notgedrungen nachgegeben, haben sie vor dem Hintergrund ihrer menschenrechtswidrigen Verfolgung und Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat darauf vertraut, das Bundesverfassungsgericht werde in Ansehung des im Übrigen geltenden Grundsatzes Rückgabe vor Entschädigung nun jedwede Wiedergutmachung ermöglichen, die nicht als ein Verstoß gegen dieses Verbot gewertet werden könnte. Anzeichen für eine solche Haltung des Gerichts waren aber bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat am 11. April 2000 nicht erkennbar. Vielmehr gingen die gestellten Fragen überwiegend in die Richtung, was der deutsche Staatsfiskus leisten könne, – obwohl ihm doch die Gegenwerte des enteigneten Vermögens zugefallen waren und im Umfange von 70 bis 75 % zum Zwecke der Wiedergutmachung zur Verfügung standen. Auch der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG hat in diesem Verfahren nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Stattdessen ging es eher darum, die Integration eines „Fremdkörpers“ in das – als Wiedergutmachungsgesetz gemäß Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990 konzipierte – Entschädigungsund Ausgleichsleistungsgesetz zu rechtfertigen, – nämlich des sog. Flächenerwerbsprogramms, und zwar überwiegend als ein Förderprogramm für die neuen Bundesländer unter gleichzeitiger Begünstigung von Personen, die von Enteignungsmaßnahmen gar nicht betroffen waren. Zwar hatte das Gericht in der mündlichen Verhandlung noch Sachfragen gestellt, die im Lichte des Gleichheitssatzes auf eine mögliche Schließung der „Wertschere“ (zwischen Rückgabe und Minimalentschädigung) und auf eine einer Rückgabe nahe kommende qualitative Gleichbehandlung schließen ließen und der Hoffnung Nahrung gaben, das Gericht werde dem Gesetzgeber eine maßgebliche Verbesserung der den Opfern geschuldeten Wiedergutmachung aufgeben. Doch wurden die Beschwerden durch das sog. dritte Bodenreformurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 200077 in allen Punkten ___________ 76

PROGNOS-Gutachten „Bodenreformland“ und „Regional- und Agrarstrukturpolitik“ vom August 1996, Az. 571-4725/al, und PROGNOS-Endbericht „Bodenreformland“ und „Staatliche Finanzen“ vom Februar 1997, Az. 551/4698. 77 BVerfGE 102, 254 ff. = VIZ 2001, S. 16 ff.

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zurückgewiesen, wenngleich die Zurückweisung einzelner Verfassungsrügen mit unterschiedlichen Mehrheiten erfolgt ist. Damit hatten die Betroffenen den innerstaatlichen Rechtsweg ausgeschöpft und mussten sich nunmehr auf den begünstigten Flächenerwerb konzentrieren. Denn es war absehbar, dass der große Teil des zur Zeit der Wiedervereinigung noch rückgebbaren ehemaligen Eigentums der Betroffenen alsbald an Dritte privatisiert würde und damit für Wiedergutmachungszwecke nicht mehr zur Verfügung stehen würde.

X. Die Regeln zum begünstigten Flächenerwerb Nach Nr. 1 Satz 2 der Gemeinsamen Erklärung ist einem gesamtdeutschen Parlament eine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten worden. Demgemäß hat die 1. Fassung des § 9 Abs. 3 des von der DDR am 23. September 1990 verabschiedeten Vermögensgesetzes gelautet: „Das Nähere regelt ein Gesetz.“ Für dieses Gesetz hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem ersten Bodenreformurteil vom 23. April 1991 die schon erwähnte Vorgabe gemacht, eine Wiedergutmachungsregelung zu treffen, die vom Grundsatz der Rückgabe der enteigneten Objekte ausgeht78. Deshalb haben die Betroffenen mit Hilfe derjenigen Abgeordneten, die anlässlich der Verabschiedung des Einigungsvertragsgesetzes mit ihrer Protesterklärung Entsprechendes verlangt hatten,79 gefordert, ein Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz dürfe nicht lediglich eine Geldentschädigung vorsehen; vielmehr müsse es auch eine qualitative Gleichbehandlung und daher eine – jedenfalls teilweise – Rückgabe der enteigneten Objekte vorsehen. Gleichwohl enthielt der Regierungsentwurf für ein Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz vom 17. März 1993 lediglich eine minimale Geldentschädigung, – und bis dato noch keinerlei „Flächenerwerbsprogramm“.80 Erst mit Hilfe der damaligen Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP ist es der Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen81 gelungen, ein solches „Flächenerwerbsprogramm“ in das Gesetz zu integrieren, welches sodann gemäß § 3 AusglLeistG in der am 29. Dezember 1995 verabschiedeten Flächenerwerbsverordnung (FlErwV)82 geregelt wurde. Mit diesem „Flächenerwerbsprogramm“ verfolgt der Gesetzgeber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2000 zwei unterschiedliche Ziele83: Zum ei___________ 78

BVerfGE 84, 90 (129). Siehe Fn. 30. 80 Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz vom 17. März 1993. 81 Siehe oben, bei Fn. 19. 82 BGBl. I S. 2072. 83 BVerfGE 102, 254 (332) = VIZ 2001, S. 16 (27). 79

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nen handelt es sich „um ein Wiedergutmachungsprogramm für diejenigen, denen von 1945 bis 1949 auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage und nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik unter deren Verantwortung land- oder forstwirtschaftliches Vermögen auf rechtsstaatswidrige Weise entzogen worden ist. Ihnen wird die Wiedereinrichtung ihres land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs zu bevorzugten Bedingungen ermöglicht. Außerdem können sie nach § 3 Abs. 5 AusglLeistG landwirtschaftliche Flächen und Waldflächen unabhängig von der Einrichtung eines selbstbewirtschafteten Betriebs in begrenztem Umfang vergünstigt erwerben. Zum anderen stellt das Flächenerwerbsprogramm ein eigenständiges Förderprogramm zugunsten der Land- und Forstwirtschaft in den neuen Ländern dar, mit dem die Eigentumsbildung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe erleichtert werden soll.“ Weder hier noch in § 1 Abs. 6 TreuhG ist aber vorgeschrieben, dass die Flächenprivatisierung den Interessen des Staatsfiskus dienen soll. Für Alteigentümer bestand danach die Möglichkeit, nach § 3 Abs. 1 bis 4 AusglLeistG in den neuen Bundesländern landwirtschaftliche Flächen zunächst einmal zu pachten, sofern sie dort ortsansässig werden konnten, in (sehr) begrenztem Umfange von 400.000 Ertragsmesszahlen = 4.000 Bodenpunkten landwirtschaftliche Flächen (zunächst) zum dreifachen Einheitswert zu erwerben – zuzüglich forstwirtschaftlicher Flächen bis zu 100 ha (sog. Bauernwald). Dieses Landerwerbsprogramm konnte später (binnen eines Zeitfensters) ggf. auf 600.000 Ertragsmesszahlen = 6.000 Bodenpunkte ausgeweitet werden. Alteigentümer, die keine Landwirte waren und auch nicht ortsansässig werden konnten oder wollten, dürfen land- und forstwirtschaftliche Flächen in sehr viel bescheidenerem Umfange begünstigt erwerben, nämlich lediglich im Werte desjenigen Betrages, der in § 3 Abs. 5 Satz 2 AusglLeistG als „Entschädigung“, gemeinhin als sog. „gekürzte Bemessungsgrundlage“ bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um eine Zwischensumme bei der Errechnung der Entschädigungs- und Ausgleichsleistung (in Geld). Sie errechnet sich aus folgenden Eckwerten: dreifacher Einheitswert (des entzogenen land- und forstwirtschaftlichen Vermögens) abzüglich Nominalwert etwaiger Altverbindlichkeiten des Berechtigten. Dieser Betrag, eingestellt in eine in § 7 Abs. 2 EntschG definierte „Degressionstabelle“, ergibt eine massiv gekürzte Zwischensumme, bei der es sich um die erwähnte „gekürzte Bemessungsgrundlage“ handelt. Im Werte dieses Betrages durften Alteigentümer land- oder forstwirtschaftliche Flächen ebenfalls zum dreifachen Einheitswert begünstigt erwerben (Obergrenze 300.000 bzw. 400.000 Ertragsmesszahlen = 3.000 bzw. 4.000 Bodenpunkte). Der begünstigte Erwerbspreis für forstwirtschaftliche Flächen wird – je nach aufstehendem Holz – nach weiteren Bewertungsgrundsätzen ermittelt (§ 3 Abs. 7 AusglLeistG in Verbindung mit § 3 Abs. 6 FlErwV). Schließlich sah § 3 Abs. 8 AusglLeistG ein „1.000-Hektar-Walderwerbsprogramm“ vor. Danach konnten sog. Wieder- und Neueinrichter sowie Alteigen-

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tümer begünstigt forstwirtschaftliche Flächen bis zur Größe von 1.000 ha erwerben. Das Flächenerwerbsprogramm war in den Jahren 1998 ff. Gegenstand von Beschwerden,84 die an die EG-Kommission gerichtet waren. Gerügt wurde insbesondere eine Verletzung des Diskriminierungsverbots, weil der begünstigte Flächenerwerb bis dato daran geknüpft worden war, dass der Pächter bereits am 3. Oktober 1990 ortsansässig gewesen war. Da die Bürger der alten Bundesländer diese Voraussetzung de facto nicht erfüllen konnten, waren sie durch diese Vorschrift diskriminiert. Durch Beschluss der Kommission vom 20. Januar 199985 wurde der Beschwerde abgeholfen. Infolge nachträglicher Regelung durch das Vermögensrechtsergänzungsgesetz vom 15. September 2000 86 ist die Voraussetzung der Ortsansässigkeit zum 3. Oktober 1990 wieder aufgehoben worden. Gerügt wurde ferner eine Verletzung der Beihilfebestimmungen der Art. 83 ff. des EG-Vertrages a. F., nach denen Staatseigentum nicht (teilweise) unentgeltlich Privatpersonen übertragen werden darf. Auch dieser Teil der Beschwerden hatte Erfolg. Die Kommission hat durch den vorgenannten Beschluss den begünstigten Flächenerwerb insoweit beanstandet und die „Intensitätshöchstgrenze“ auf 35 % festgesetzt, – allerdings nicht zu Lasten der Alteigentümer. Zu ihren Gunsten lautet Art. 1 des Kommissions-Beschlusses vom 20. Januar 1999: „Das in § 3 des deutschen Ausgleichsleistungsgesetzes vorgesehene Flächenerwerbsprogramm beinhaltet keine Beihilfe, soweit die Maßnahmen lediglich Kompensationen für Enteignungen oder enteignungsgleiche Eingriffe auf hoheitlicher Grundlage darstellen und die gewährten Vorteile den durch diese Eingriffe verursachten Vermögensschäden gleich sind oder hinter ihnen zurückbleiben.“

Aufgrund dieses Beschlusses musste das Flächenerwerbsprogramm gesetzlich novelliert werden. Dies ist durch das erwähnte Vermögensrechtsergänzungsgesetz vom 15. September 200087 geschehen, – allerdings mit der EGrechtlich nicht gebotenen, politischen Folge, dass der begünstigte Kaufpreis für landwirtschaftliche Flächen zu Unrecht auch zu Lasten der an sich unter Art. 1 des Beschlusses der Kommission fallenden Alteigentümer erhöht und auf einen Betrag in Höhe des Verkehrswertes abzüglich 35 % (sog. „Beihilfeintensität“) festgesetzt worden ist. Die Alteigentümer haben diesen Umstand als das Gegenteil dessen empfunden, was sie als Wiedergutmachung vom deutschen Staatsfiskus erwartet hatten. ___________ 84 85 86 87

Des Verfassers. Siehe Fn. 12. BGBl. I S. 1387. Siehe Fn. 86.

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Auch insoweit haben die Regeln des begünstigten Flächenerwerbs nicht zum Rechtsfrieden mit den Opfern geführt. Hinzu kam eine Überinterpretation des § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG durch das Bundesfinanzministerium (BMF) und die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) dahin, dass auch die Alteigentümer als verpflichtet angesehen wurden, ortsansässig zu werden, obwohl dies in § 3 Abs. 2 Satz 3 AusglLeistG – im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Sätzen – für Enteignete auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage, wie in § 3 Abs. 8 lit. c) AusglLeistG für die Erwerber forstwirtschaftlicher Flächen, ausdrücklich nicht vorgesehen war. Der Verordnungsgeber hatte diese Voraussetzung allerdings im Jahre 1995 in den § 2 Abs. 2 Nr. 2 der FlErwV integriert und damit erreicht, dass der V. Senat des Bundesgerichtshofs die Verpflichtung von Alteigentümern zur Ortsansässigkeit durch höchstrichterliches Urteil abgesichert hat.88 Dies wiederum hat Kontrollmaßnahmen der BVVG ausgelöst, die vor Ort zu – mit Ermittlungen der Stasi verglichenen – Recherchen geführt haben. Daraufhin hat die BVVG die Nichterfüllung der Verpflichtung zur Ortsansässigkeit von Alteigentümern zum Anlass genommen, von Verträgen zurückzutreten, deren Rückabwicklung zu verlangen und dadurch entstandene, erfolgreich wirtschaftende Existenzen zu zerschlagen, ersichtlich auch, um die sog. „Rückfallflächen“ anschließend – zum Wohle des Staatsfiskus – zum Verkehrswert zu veräußern. Auch solche Vorgänge haben nicht gerade zur Förderung des Rechtsfriedens mit den Betroffenen beigetragen. Der begünstigte Flächenerwerb ist nach wie vor eine „unendliche Geschichte“. Da Alteigentümer von der Möglichkeit des begünstigten Flächenerwerbs (gemäß §§ 3 Abs. 5 AusglLeistG, 10 Abs. 1 Satz 4 FlErwV) nicht ohne die Vorlage von Ausgleichsleistungsbescheiden Gebrauch machen können, müssen derartige Bescheide bei den dafür zuständigen Landesämtern zur Regelung offener Vermögensfragen erwirkt werden. Obwohl seit Ablauf der für die Antragstellung zum 31. Mai 1995 gesetzlich gesetzten Ausschlussfrist über 15 Jahre verstrichen waren, hatten die Ämter die beantragten Bescheide in vielen Fällen aber noch gar nicht erlassen. Die dadurch bedingten zwischenzeitlichen Preissteigerungen haben die Erwerbsmöglichkeiten der Alteigentümer ihrem Umfange nach massiv verkürzt und wirtschaftlich unattraktiv gemacht. Ein am 3. Juli 2009 durch die schwarz-rote Bundestagsmehrheit verabschiedetes 1. FlErwÄndG89 hat diesem Mangel nicht abgeholfen. Deshalb haben die unbefriedigten Belange der Alteigentümer im Bundestagswahlkampf 2009 eine Rolle gespielt. CDU/CSU haben (mit Schreiben vom 18. September 200990) versprochen: ___________ 88 89 90

BGH, Urteil vom 4. Mai 2007 – Az. V ZR 162/06 = ZOV 2007, S. 30 ff. BGBl. I S. 1688. An den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen, den Verfasser.

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„Einheit vollenden bedeutet für CDU und CSU auch den Rechtsfrieden mit den Menschen herstellen, denen Entschädigungsansprüche zugesprochen sind. Diese müssen unverzüglich auf der Basis der Anfang der neunziger Jahre getroffenen Regelung erfüllt werden. Die durch den Zeitablauf eingetretenen Änderungen dürfen nicht zu Lasten der Betroffenen gehen. Fristen müssen angepasst werden …“.

Die FDP hatte (in ihrem Wahlprogramm vom 15./17. Mai 2009) beschlossen: „Die Enteignungen in der Folge der sog. Bodenreform bleiben ein Unrecht. Die Frage des Alteigentums ist in den neuen Bundesländern zwar rechtsverbindlich entschieden. Dies schließt politische Initiativen aber nicht aus. Es gibt noch sog. Alteigentum im Staatsbesitz. Die FDP wird sich dafür einsetzen, dass Alteigentümern die Möglichkeit eröffnet wird, dies zu erwerben. Dafür kann das bei Mauergrundstücken gewählte Verfahren einen Anhaltspunkt bieten.“

Daraufhin sind entsprechende Aussagen in die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und FDP vom 26. Oktober 2009 aufgenommen worden, u.a. das Versprechen, „die Erwerbsmöglichkeiten für Alteigentümer zu verbessern“. Dieses Versprechen ist durch einen am 7. Oktober 2010 in den Deutschen Bundestag eingebrachten Entwurf für ein 2. FlErwÄndG eingelöst worden.91 Es ist am 17. Dezember 2010 durch den Deutschen Bundestag verabschiedet und vom Bundesrat am 11. Februar 201192 angenommen worden, und am 30. März 2011 ist das 2. FlErwÄndG in Kraft getreten.93 Dieses Gesetz sieht im Wesentlichen vor, den Alteigentümern den begünstigten Flächenerwerb zu den Bedingungen zu ermöglichen, die am 1. Januar 2004 gegolten haben. Der maßgebliche, begünstigte Kaufpreis für landwirtschaftliche Flächen richtet sich daher nach den am 1. Januar 2004 geltenden Verkehrswerten.94 Außerdem sieht das Gesetz infolge des auf Zeitablauf beruhenden Generationswechsels vor, dass die Flächenerwerbsmöglichkeiten an einen weiteren Kreis von Verwandten, nämlich an Erben 1. bis 4. Ordnung übertragen werden können. Das 2. FlErwÄndG ermöglicht es den Alteigentümern, bezogen auf den begünstigten Erwerb landwirtschaftlicher Flächen von ihren Erwerbsmöglichkeiten in weitergehendem Umfange Gebrauch zu machen, als dies bis dato noch möglich war. Zusammenhängende forstwirtschaftliche Flächen stehen dagegen kaum noch in ausreichendem Umfange für den begünstigten Flächenerwerb zur Verfügung. Die Folgen des Gesetzes müssen nun mit den in der Zeit der Diskontinuität der 16. zur 17. Wahlperiode zwischen Bund und (neuen) Ländern vereinbarten Pri___________ 91

BT-Drs. 17/3183. 879. Sitzung des Bundesrates vom 11. Februar 2011 nebst Protokollerklärung des Landes Niedersachsen zu Punkt 3 der Tagesordnung. 93 BGBl. I S. 415. 94 § 3 Abs. 7 a AusglLeistG (neu). 92

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vatisierungsgrundsätzen der BVVG harmonisiert werden. Dies ist erforderlich, weil der Vorrang der Alteigentümer, aufgrund des 2. FlErwÄndG landwirtschaftliche Flächen begünstigt zu erwerben, mit den Belangen der ortsansässigen Pächter in Einklang gebracht werden muss. Denn diese haben nach den vorgenannten Privatisierungsgrundsätzen im begrenzten Umfange einen (nachrangigen) Anspruch auf Direkterwerb von ihnen bewirtschafteter Flächen in begrenztem Umfang, (allerdings) zum Verkehrswert, während Alteigentümer gemäß § 3 Abs. 5 Satz 3 AusglLeistG keinen Anspruch auf bestimmte Flächen haben, es sei denn, sie haben zu ihrem ehemaligen Eigentum gehört. Diese Harmonisierung muss durch ein mit dem 2. FlErwÄndG kompatibles, transparentes Vergabeverfahren gewährleistet werden. Ein vorübergehender Stopp von Verkehrswertverkäufen für landwirtschaftliche Flächen wird daher kaum zu vermeiden sein. Bisher hat die BVVG nach Abzug erheblicher Privatisierungs- und Verwaltungsaufwendungen aus dem Verkauf des früheren Eigentums der Betroffenen zugunsten des Staatsfiskus einen Nettoerlös in Höhe von 4 Milliarden Euro erzielt. Noch stehen ca. 320.000 ha land- und ca. 75.000 ha forstwirtschaftliche Flächen zur Privatisierung zur Verfügung. Nach dem negativen Ausgang sämtlicher Verfassungsbeschwerden – auch mit dem Ziel einer verwaltungs- oder strafrechtlichen Rehabilitierung – muss sich die Interessenvertretung der Alteigentümer daher darauf konzentrieren und letztlich beschränken, den für Alteigentümer vorgesehenen, noch zu privatisierenden Teil ihres früheren Eigentums zu möglichst günstigen Bedingungen in möglichst ortsnaher Lage wieder für frühere Eigentümer verfügbar zu machen. * * *

Abstract Albrecht Wendenburg: Claims of Restitution of Property and Regulations of Privileged Land Acquisition, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to Terms with the Past. Vol. III. Ed. by Gilbert H. Gornig, HansDetlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2012) pp. 67–99. At the heart of this article is the political and legal treatment of compensation claims by victims of expropriations and confiscations which took place in the Soviet occupation zone between 1945 and 1949. Until now, the treatment of these claims has not led to legal peace or legal satisfaction in the reunified Germany. Specifically in question is the application of property laws, including the priority of the return of property before damages, on those confiscation victims which has until now been denied. Concerning this, it is less an academic dispute being undertaken here, but rather the facts of the political decision making process and the judicial decisions made are portrayed, from which an academic and/or legal policy insight can be obtained. In the course of this, the au-

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thor reacts namely to three decisions of the Bundesverfassungsgericht (Federal Constitutional Court) concerning the “land reform”, and exposes the shortcomings of the decisions concerning their factual assumptions and their legal appreciation. To conclude, the author deals with the rules on the privileged land acquisition, that has also failed to legal peace till now.

Die Praxis des Entschädigungsrechts Von Hermann-Josef Rodenbach

I. Rückblick auf die Grundlagen Im Jahr 1990 war die in den damals zuständigen Ministerien durchaus schon weit vorgedachte Regelung der Entschädigung für nicht restituierbares Vermögen und auch für die Besatzungsenteignungen zunächst offen geblieben; zu groß waren hier die Interessengegensätze und Vorstellungen der Beteiligten über die Finanzierung und die Höhe der Entschädigung. Das galt besonders für die Frage der „etwaigen staatlichen Ausgleichsleistungen“ nach Ziffer 1 der Gemeinsamen Erklärung für die Konfiskationen von 1945 bis 1949, dabei insbesondere für die Frage einer wie auch immer gearteten Naturalentschädigungskomponente. Hier eine Lösung zu finden, blieb dem gesamtdeutschen Gesetzgeber vorbehalten. Gleichwohl waren im Vermögensgesetz mit den Abschnitten V. „Organisation“ (§§ 22-29) und VI. „Verfahrensregelungen“ (§§ 30-41) bereits die wesentlichen Grundlagen für die administrative Umsetzung nicht nur der Restitutions-, sondern auch der späteren Entschädigungsregelungen getroffen worden. Mit diesen Bestimmungen wurden die wesentlichen Grundlagen für die Zuständigkeiten, die Einrichtung der Behörden, den Amtsermittlungsgrundsatz, die Pflichten der Behörden und der Beteiligten, die Verwaltungskostenfreiheit usw. festgelegt, die den Rahmen für die administrative Praxis des Entschädigungsrechts weitgehend determinierten. Das galt insbesondere für die der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung in den Art. 83 ff. GG folgende Festlegung der Zuständigkeit der neuen Bundesländer für die Ausführung der vermögensrechtlichen Wiedergutmachungsregelungen.

II. Gesetzgebung zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsrecht Mit erbittertem politischen Streit war das Gesetzgebungsverfahren zur Normierung der Entschädigungsleistungen sowohl für die von dem Restitutionsgrundsatz ausgeschlossenen Betroffenen der Enteignungen zwischen 1945 und 1949 als auch für die durch die Ausschlusstatbestände des Vermögensgesetzes betroffenen Berechtigten verbunden. Das EALG vom 27. September 1994, des-

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sen Kern das Entschädigungsgesetz (EntschG, Art. 1 EALG), das Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG, Art. 2 EALG) und das NS-VEntschG (Art. 3 EALG) bildet, trat erst mit Wirkung vom 1. Dezember 1994, also mehr als vier Jahre nach der Wiedervereinigung, in Kraft.1 Das Gesetz normierte für land- und forstwirtschaftliches Vermögen sowie Unternehmen eine Entschädigungshöhe, die auch für die im Ausgleichsleistungsgesetz geregelten Enteignungen zwischen 1945 und 1949 galt. Die Bruttobemessungsgrundlage der Entschädigung orientierte sich theoretisch zunächst an einem fiktiven Verkehrswert der Objekte zum Wiedervereinigungsstichtag, abgeleitet aus dem steuerlichen Einheitswert zum Stichtag vor der Enteignung, der mit differenzierten Multiplikatoren versehen wurde, die aber mit progressiv ansteigenden Abschlägen verbunden wurde, dem System der Degression nach § 7 EntschG: Nur kumulierte Schadensbeträge bis 10.000 DM sollten zu 100% erfüllt werden. So beträgt beispielsweise die Entschädigung für ein durchschnittliches Einfamilienhaus mit einem steuerlichen Einheitswert von 10.000 DDR-Mark nur 38.000 DM (ca. 19.000 EUR), wobei oft noch der bereits im Westen gezahlte Lastenausgleich abzuziehen ist. Demgegenüber standen vor allem in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung die – nicht zuletzt wegen der ungeklärten Eigentumsfragen – relativ hohen Verkehrswerte der Grundstücke im Fall der Restitution. Der signifikante Unterschied zwischen hohen Restitutionswerten und niedrigen Entschädigungen führte von Anfang an dazu, dass die Berechtigten um die Restitution kämpften und zugleich das Wahlrecht auf Entschädigung nach § 8 VermG weitestgehend leer lief. Von größerer Bedeutung war dieses Wahlrecht lediglich für die NS-verfolgungsbedingten Schädigungen, weil hier die Entschädigung nach dem NS-VEntschG wesentlich höher war. Folge hiervon war, dass in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des EALG erst relativ wenige Entscheidungen im Entschädigungsbereich getroffen wurden. Hinzu kam, dass die Berechtigten bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des EALG vom 22. November 20002 hofften, das Gesetz zu kippen. Nach dem späten Inkrafttreten der gesetzlichen Regelungen liefen die Entschädigungsverfahren sehr langsam an. Da die Entschädigungsansprüche bis 31. Dezember 2003 gemäß § 1 EntschG (in der damaligen Fassung) nicht verzinst wurden, sondern in zinslosen, handelbaren Schuldverschreibungen des Entschädigungsfonds erfüllt werden sollten, bestand auch kein besonderer Druck, zumal die Antragsteller viel stärker an der Restitution interessiert waren. Erst mit dem ___________ 1 2

BGBl. I 1994 S. 2624. BVerfGE 102, 254 ff.

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Entschädigungsrechtsänderungsgesetz vom 10. Dezember 20033 wurde die Erfüllung der Ansprüche in Geld statt in Schuldverschreibungen und eine Verzinsung in Höhe von 6% p. a. für alle Entschädigungsansprüche festgelegt, womit zugleich – ebenso wie mit der nachfolgenden Übertragung der Zuständigkeit für die Restitutions- und Entschädigungsverfahren der NS-Opfer auf den Bund – die Bearbeitung noch nicht abgeschlossener Entschädigungsverfahren beschleunigt werden sollte – ein Wunsch, der sich leider nicht erfüllte: Der Gesetzgeber hatte nämlich die Erwartung geäußert, dass bis 2010 sämtliche Verfahren erledigt sein sollten.4 Zu der Geldentschädigung kommt für die Personen, denen land- oder forstwirtschaftliches Vermögen entzogen worden war, als „Naturalentschädigungskomponente“ hinzu der sog. begünstigte Flächenerwerb nach § 3 Abs. 5 AusglLeistG, vornehmlich für die Opfer der sog. Bodenreform, bei der sämtliche Eigentümer von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen über 100 ha sowie diejenigen unter 100 ha entschädigungslos enteignet und zudem auch noch mit Aufenthaltsverboten belegt worden waren. Der Verwaltungsvollzug dieses Flächenerwerbs wird gesondert zu betrachten sein. Die Opfer der NS-Verfolgung bestanden demgegenüber auf einer eigenständigen Regelung mit durchaus abweichenden Regelungen zur Entschädigungshöhe. Mit dem als Art. 3 des EALG vom 27. September 1994 verabschiedeten NS-VEntschG5 war nach heftiger Kritik im Gesetzgebungsverfahren – der ursprüngliche Regierungsentwurf sah eine einheitliche Entschädigungsregelung für alle nach dem Vermögensgesetz Berechtigten vor – für die NS-Verfolgten und deren Erben eine gesonderte Entschädigungsregelung für nicht restituierbare Vermögenswerte geschaffen worden, die sich an den Grundsätzen des alliierten – westlichen – Rückerstattungsrechts orientierte und an das Pauschalentschädigungsabkommen mit den USA vom 13. Mai 1992 anlehnte. Für die Immobiliarvermögenswerte wurde grundsätzlich der vierfache steuerliche Einheitswert von 1935 ohne Degressionsregelung als Entschädigungshöhe festgelegt, was in etwa dem Doppelten des Wiederbeschaffungswertes von 1956 entsprechen sollte, insofern also an die Entschädigungshöhe von § 16 BRüG anknüpfte, und in dieser Verdoppelung eine pauschalierte Verzinsung von etwa 3% zwischen 1956 und 1990 gewährt. Eine wichtige Ergänzung des Gesetzes stellte die mit dem Zweiten Entschädigungsrechtsänderungsgesetz vom 1. September 20056 in Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Wirksamkeit der Globalanmeldung der JCC erfolgte Einfügung eines neuen § 1 Abs. 1 a NS-VEntschG dar. Deren Zweck war es, ohne Rücksicht auf ___________ 3 4 5 6

BGBl. I S. 2471. Vgl. BT-Drs. 15/1180, S. 1. Siehe Fn. 1. BGBl. I S. 2675.

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die umstrittene Wirksamkeit der Globalanmeldung für das Entschädigungsverfahren dann Ansprüche zu begründen, wenn und soweit die JCC bis zum 7. September 2006 für bestimmte (nach-)benannte oder bereits benannte Vermögenswerte bis zum 30. Juli 2007 den Antrag auf Entschädigung beschränkte.

III. Die Ausführung der Entschädigungsgesetze Der Gesetzgeber hatte sich bewusst dazu entschieden, die Restitutions- und Entschädigungsansprüche in einem öffentlich-rechtlichen, „objektiven“ Verwaltungsverfahren zu klären, nicht zuletzt, um eine unmittelbare zivilrechtliche Konfrontation zwischen zumeist westdeutschen Antragstellern und ostdeutschen Verfügungsberechtigten bzw. Mietern und Nutzern zu vermeiden. Über das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen sollte von Amts wegen in einem Amtsermittlungsverfahren entschieden werden. Dies sollte von Anfang an vor allem Sache der neuen Bundesländer sein. Hintergrund war insbesondere, dass die zahlreichen zur Enteignung bestehenden Aktenvorgänge zu den Enteignungen nach 1945 bei bestimmten DDR-Behörden konzentriert waren, nämlich insbesondere bei den Abteilungen Staatliches Eigentum der Räte der Kreise bzw. Städte. Dies war 1990 ein wesentlicher Grund dafür, auf der Ebene der neuen Kreisverwaltungen bzw. der kreisfreien Städte die neuen Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen (ÄRoV) als untere Landesbehörden anzusiedeln;7 die Landesregierungen waren allerdings nach § 23 Abs. 2 VermG ermächtigt, die Zuständigkeit für die vermögens- und entschädigungsrechtlichen Verfahren durch Rechtsverordnung ganz oder teilweise auf ein Amt, mehrere Ämter, das Landesamt oder das Landesausgleichsamt zu übertragen. Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hatten sich für eine Übertragung der Aufgaben auf die Landkreise und Stadtverwaltungen entschieden, d.h. die Ämter wurden als kommunale Ämter errichtet.8 Hinzu kamen in jedem neuen Bundesland ein Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (LARoV) als obere Landesbehörden,9 die je nach Bundesland unterschiedlichen Landesministerien unterstellt waren – in der Regel den Landesfinanzministerien, und schließlich gem. § 29 VermG ein Bundesamt ___________ 7

Vgl. § 24 VermG. Für Sachsen vgl. Sächsisches Gesetz zur Ausführung des Vermögensgesetzes (SächsAGVermG) vom 24. August 2000, SächsGVBl. S. 360 mit späteren Änderungen; für Sachsen-Anhalt vgl. Gesetz zur Durchführung des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 31. Juli 1991, GVBl. LSA Nr. 20/1991, S. 225, zuletzt geändert durch Viertes Rechtsbereinigungsgesetz vom 19. März 2002, GVBl. LSA Nr. 17/2002, S. 130; für Thüringen vgl. Thüringer Gesetz zur Ausführung des Vermögensgesetzes (ThürAGVermG) vom 13. Juni 1997, ThürGVBl. S. 208. 9 Vgl. § 25 VermG. 8

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zur Regelung offener Vermögensfragen (BARoV) als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen mit zunächst nur koordinierender Funktion. Dieses ging hervor aus der Zentralen Stelle zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG i. d. F. des Einigungsvertrages), die schließlich im Jahr 2006 zum Kern des durch Art. 4 Abs. 37 des Gesetzes zur Neuorganisation der Bundesfinanzverwaltung und zur Schaffung eines Refinanzierungsregisters vom 22. September 200510 neu gegründeten Bundesamtes für zentrale Dienstleistungen und offene Vermögensfragen (BADV) wurde. Das EntschG verweist in seinem § 12 für die Zuständigkeit und das Verfahren auf die Bestimmungen des VermG. Für die von der Restitution als Zweitgeschädigte gemäß § 3 Abs. 2 VermG ausgeschlossenen Antragsteller – vielfach wurden Vermögenswerte zeitlich aufeinander folgend mehrfach enteignet – enthält § 12 Abs. 1 S. 2 EntschG eine Zuständigkeits- und Antragsfristregelung. Besondere Bestimmungen zur Zuständigkeit gibt es für die zur Finanzierung des Entschädigungsfonds zu treffenden Entscheidungen in § 12 Abs. 1 S. 6 und Abs. 2 EntschG. Auch das AusglLeistG verweist in § 6 Abs. 2 für die Verfahrensregelungen auf die Bestimmungen des VermG, musste aber im Hinblick auf den Geltungsbereich des VermG (Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 8 a VermG) eine eigene Zuständigkeitsregelung für die ÄRoVs und LÄRoVs und auch eine neue Antragsfristbestimmung treffen.11 Diese neue Frist – sechs Monate nach Inkrafttreten des EALG, i. e. der 31. Mai 1995 – war insofern problematisch, als viele der bereits 1990-1992 gestellten Anträge, die grundsätzlich als fristgerechte AusglLeistG-Anträge anzusehen waren,12 schon bestandskräftig vor dem Inkrafttreten des AusglLeistG wegen § 1 Abs. 8 lit. a) VermG abgelehnt worden waren, die Betroffenen jedoch glaubten, keine neuen Anträge mehr stellen zu müssen. Hier hat eine großzügige am Wiedergutmachungsgedanken orientierte Praxis zumeist praktische Lösungen gefunden. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung der Organisation des Bundesausgleichsamtes am 13. März 200813 besteht zwischen dem Bundesausgleichsamt (BAA) und dem BADV eine Verwaltungsgemeinschaft, in der das BADV die Aufgaben der Innenverwaltung des Bundesausgleichsamtes wahrnimmt. Zugleich besteht eine Personalunion in der Person des Präsidenten. Im operativen Bereich zählt seit dem 1. Januar 2010 die Durchführung von Rückforderungsverfahren bei neu bekannt gewordenen Schadensausgleichen zur Kernaufgabe des BAA. Mit dem geplanten Gesetz zur Beschleunigung der Zahlung von Entschädigungsleistungen bei der Anrechnung des Lastenausgleichs ___________ 10 11 12 13

BGBl. I S. 2809. Vgl. § 6 Abs. 1 AusglLeistG. Vgl. § 6 Abs. 1 S. 2 AusglLeistG. BGBl. I S. 282.

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und zur Änderung der Aufbauhilfefondsgesetzes – ZEALG –14 wird dem BAA mit dem Ziel, das zeitraubende Verrechnungsverfahren des gewährten Lastenausgleichs bei der Festsetzung der Entschädigung gemäß § 8 EntschG abzulösen, die Aufgabe übertragen, Abschlagszahlungen zugunsten des Berechtigten auszuzahlen, sobald das Vermögensamt die gekürzte Bemessungsgrundlage bestandskräftig festgesetzt hat. Die Organisation der ÄRoV wurde später in den verschiedenen Ländern unterschiedlich geregelt, teils im übertragenen Wirkungskreis der Kommunen angesiedelt, teils als untere staatliche Verwaltungsbehörden bei den Landkreisen eingerichtet. Den Landesämtern als obere Verwaltungsbehörden waren neben den Unternehmensrestitutionen und -entschädigungen vor allem die Aufgaben der Fachaufsicht und der Widerspruchsverfahren übertragen. Seit 1998 konnten die Länder auch alle Aufgaben dem LARoV übertragen, in Thüringen war ab 1999 ein zentrales Staatliches Amt zur Regelung offener Vermögensfragen errichtet worden. In der Anfangsphase in den frühen 90er Jahren gab es rund 220 ÄRoV, am 31. Dezember 1994 noch 122 ÄRoV mit damals 4.259 Mitarbeitern, darunter aber nur 138 Volljuristen neben 135 Diplomjuristen sowie durch Unterstützungsmaßnahmen des Bundes und der neuen Länder in sog. Anwaltsprojekten tätigen 436 Rechtsanwälten. In den LÄRoV waren zum gleichen Zeitpunkt 1.153 Mitarbeiter beschäftigt, darunter 168 Volljuristen neben 57 Diplomjuristen und 88 Rechtsanwälten. Am 31. Dezember 2009 waren in den wenigen noch bestehenden Ämtern und den Landesämtern immerhin noch 686 Mitarbeiter beschäftigt zuzüglich 399 Mitarbeitern im Bundesamt im Bereich der NS-Verfolgtenansprüche.15 Dem BARoV bzw. seit 2006 dem BADV war zunächst, neben der Verwaltung des Entschädigungsfonds,16 hauptsächlich die nicht einfache Aufgabe der Gewährleistung einer einheitlichen Durchführung der vermögensrechtlichen Regelungen übertragen worden, später dann mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14. Juli 199217 die Restitution des sog. Partei- und Organisationsvermögens gemäß § 29 Abs. 2 VermG, die im Einvernehmen mit der Unabhängigen Kommission für das Parteien- und Massenorganisationsvermögen erfolgte. Seit 2004 ist das BARoV/BADV aufgrund des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes vom 10. Dezember 200318 aber auch zuständig für alle ___________ 14

Vgl. BT-Drs. 17/4807 vom 17. Februar 2011 und 17/5086 vom 16. März 2011; BR-Drs. 167/11 vom 25. März 2011. 15 Vgl. hierzu die im Internet vom BADV veröffentlichten statistischen Übersichten unter http://www.badv.bund.de. 16 Vgl. § 9 Abs. 2 EntschG (ehemals § 29 a Abs. 2 VermG). 17 BGBl. I S. 1257. 18 BGBl. I S. 2471, Ergänzung von § 29 Abs. 3 VermG und Änderung von § 4 NSVEntschG durch Zweites EntschRÄndG vom 1. September 2005, BGBl. I S. 2675.

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Restitutions- und Entschädigungsverfahren der NS-Verfolgten. Die Zuständigkeit für die Entschädigungshöheverfahren der NS-Verfolgten lag ohnehin seit dem Inkrafttreten des NS-VEntschG schon beim Bund – nämlich bei der OFD Berlin, Bundesvermögensabteilung.19 Die Mittel des Entschädigungsfonds – bei ihm handelt es sich um ein nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes, aus dem die Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen sowie die Vertriebenenzuwendungen nach dem Vertriebenenzuwendungsgesetz gezahlt werden – waren bisher ausreichend für die Erfüllung der Entschädigungsansprüche. Für die Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen nach dem EntschG und dem AusglLeistG wurden bis 2009 ca. 1,37 Mrd. EUR gezahlt, für die NS-Verfolgtenentschädigung im gleichen Zeitraum ebenfalls ca. 1,71 Mrd. EUR.20 Nach der ursprünglichen Planung waren für die Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen 12,6 Mrd. DM einkalkuliert worden, für die NS-Verfolgtenentschädigung 2 Mrd. DM.21 Hier zeigt sich, dass für die NS-Verfolgtenfälle die Schätzungen 1994 zu niedrig lagen, für die nach 1945 bzw. nach 1949 Geschädigten dagegen zu hoch. Allerdings ließen sich damals weder die Restitutionsquote noch die Zahl der vollständig abzulehnenden Anträge schwer schätzen. Weitere nicht zu unterschätzende Akteure waren und sind natürlich die Spitzen der Verwaltungen sowohl auf Länder- als auch auf der Bundesseite, hier vor allem die Bundesministerien der Justiz und der Finanzen, bei denen die oberste Fach- und Rechtsaufsicht bei der Durchführung der Gesetze liegt, aber auch die Zuständigkeit für die Vorbereitung von Gesetzentwürfen. Für die Entschädigungsseite liegt die Federführung beim BMF, für die Restitutionsseite beim BMJ. Das BADV war freilich – anders als das BAA – von Anfang an dem Geschäftsbereich des BMF zugeordnet und unterlag somit dessen Fach- und Rechtsaufsicht. Im Restitutionsbereich liegt die oberste Fachaufsicht – außer im Bereich der Ansprüche der NS-Verfolgten seit der Übertragung der Restitutionszuständigkeit auf das BADV ab 1. Januar 2004 – bei den jeweils zuständigen Landesministerien (den Finanz- oder Innenministerien). Nicht unproblematisch ist die föderalistische Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern bei der Ausführung der vermögens- und entschädigungsrechtlichen Regelungen. Die Restitutionsverfahren – außer im Bereich der NSVerfolgtenansprüche – werden im Wege der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder als eigene Angelegenheit gemäß Art. 83 GG durchgeführt, während die Entschädigungsverfahren einschließlich Ausgleichsleistungsverfah___________ 19

Vgl. § 4 NS-VEntschG (a. F.). Vgl. Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2010, BT-Drs. 17/3000 vom 22. September 2010, S. 21. 21 Vgl. BMF-Pressemitteilung vom 4. Oktober 1994. 20

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ren gemäß Art. 84 i. V. m. Art. 104 a Abs. 3 GG, § 22 Satz 2 VermG im Wege der Bundesauftragsverwaltung mit entsprechender Bundesaufsicht exekutiert werden. Im Bereich der Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsverfahren konnte das BMF somit im Wege der Fachaufsicht auch Einzelweisungen erteilen, gerichtet an die fachlich zuständigen obersten Landesbehörden, beispielsweise wenn Fehler bei der Berechnung der Entschädigungshöhe bekannt wurden, oder auch zur Auslegung bestimmter Tatbestandsmerkmale, z.B. im Bereich der sog. Würdigkeitsprüfung nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG. Auch die Nebenentscheidungen zu Wertausgleich und über die abzulösenden Rechte – §§ 16 ff. VermG – unterliegen der Bundesauftragsverwaltung, da sie regelmäßig Interessen des Bundes/Entschädigungsfonds und damit dessen Einnahmeseite berühren. Weisungen können indes nur an die zuständigen obersten Landesbehörden gerichtet werden, die diese dann umsetzen müssen. Ein unmittelbares „Durchregieren“ ist nicht möglich. Auch der Umfang der Fachaufsicht im Entschädigungsbereich ist problematisch. Es entscheidet sich regelmäßig erst nach der Feststellung von Ausschlusstatbeständen, ob der Anspruch sich auf eine Geldentschädigung richtet oder nicht, oft auch erst nach Durchführung von Rechtsmittelverfahren, und dann stellt sich die Frage, ob auch die für einen Anspruch entscheidenden vermögensrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Fachaufsicht des Bundes unterliegen. Ob ein Ausschlusstatbestand nach den §§ 4 oder 5 VermG vorliegt, der Voraussetzung für die Gewährung einer Entschädigung ist, kann je nach Sichtweise des ARoV/LARoV auf der einen Seite, des Entschädigungsfonds (BADV) auf der anderen Seite anders gesehen werden. Der Entschädigungsfonds akzeptiert grundsätzlich jedenfalls keine rechtswidrigen Entschädigungsgrundlagenbescheide, sondern fordert dann deren wiederum schwierige Rücknahme. Dies ist nur ohne weiteres möglich, solange dieser noch keine Bestandskraft erlangt hat, danach entfaltet er gegenüber den Beteiligten, z.B. dem Grundstückseigentümer, Schutzwirkung und es muss geprüft werden, ob dessen Vertrauen das öffentliche Interesse an der Rücknahme überwiegt.22 Nicht zuletzt wegen der den Entschädigungsfonds belastenden hohen Zinsansprüche von immerhin 6% ab 1. Januar 2004 hat der Bund natürlich ein eminentes Interesse an materiell richtigen und zeitlich schnellen Entschädigungsverfahren und -entscheidungen. Für heute zu entscheidende Entschädigungsansprüche sind bereits mehr als 42% Zinsen vom Entschädigungsfonds zu zahlen! Dies war u.a. ein Grund für den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Zahlung von Entschädigungsleistungen bei der Anrechnung des Lastenausgleichs – ZEALG, das alsbald in Kraft treten soll.23 ___________ 22 23

Vgl. § 48 VwVfG. Vgl. Fn. 14.

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Keineswegs erstreckt sich die oberste Fachaufsicht im Entschädigungsbereich auf Fragen der Organisation und der Personalausstattung der Landesbehörden und der ÄRoV, wiewohl gerade die quantitativ zu geringe Personalausstattung der Behörden mitursächlich für die lange Abarbeitungszeit ist. In der Praxis freilich haben Bund und Länder seit 1991 tatkräftig und erfolgreich zusammengewirkt, wie z. B. die Gemeinsame Arbeitshilfe24 des BMF, des BADV und der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zum EntschG und zum AusglLeistG, die stets aktualisiert worden ist, treffend beweist: In den zahlreichen Anlagen dieser Arbeitshilfe finden sich die grundlegenden Durchführungserlasse des BMF zum EALG, z.B. zur Beiziehung von Unterlagen über den steuerlichen Einheitswert vom 21. Dezember 1995, zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Entschädigung für Unternehmen vom 12. Dezember 1997, zur Bildung des Hilfswertes für die Entschädigung von Grundvermögen und land- und forstwirtschaftlichem Vermögen vom 2. Juni 1997, zur Abführungspflicht von Gebietskörperschaften von Beiträgen an den Entschädigungsfonds nach § 10 Abs. 1 Nr. 11 EntschG vom 3. April 2000, oder der für die Aufsichtsführung wichtige Erlass zur Beteiligung des Entschädigungsfonds bei ihn betreffenden Entscheidungen mit größerer finanzieller Auswirkung vom 22. März 1995: alle Entschädigungsbescheide mit einer Bemessungsgrundlage von über 100.000 DM sind vorab dem Entschädigungsfonds zur Prüfung vorzulegen.25 In zahlreichen Bund-Länder-Referentenbesprechungen unter dem Dach des BARoV/BADV und mit Beteiligung des BMF und BMJ wurden zudem immer wieder praktische Auslegungsfragen abgestimmt und meistens einvernehmlich gelöst. Die bis 2007 vom BARoV/BADV produzierte, periodisch erscheinende Broschüre „Das BARoV informiert“ und die noch erscheinende kommentierte Rechtsprechungsübersicht des BARoV/BADV bieten eine lebendige Übersicht über die aktuellen Entwicklungen. In der Praxis des Entschädigungsrechts ist es nur relativ selten zu echten aufsichtsrechtlichen Weisungen gekommen. Bund und Länder haben ihre jeweiligen Rollen und deren Grenzen respektiert. Schwierig für die Sachbearbeiter bei allen Behörden war häufig die Ermittlung der richtigen Bemessungsgrundlage. Häufiger als erwartet konnten die alten Einheitswerte nicht ermittelt werden oder waren nicht brauchbar, weil sich Veränderungen durch neue Bebauungen, Abrisse, Grundstücksteilungen usw. ergeben hatten, so dass – soweit verfügbar – auf die Ersatzeinheitswerte aus den alten Lastenausgleichsverfahren zurückgegriffen werden musste oder Hilfswerte zu ermitteln waren. Dies war ins___________ 24

Schriftenreihe des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, Heft 9, Stand November 2010. 25 Schreiben des BMF vom 30. Dezember 2004, Az. V B 6 – VV 5420 – 4/04, abgedruckt in: Gemeinsame Arbeitshilfe (Fn. 17), Anlage III. 3., S. 179 ff.

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besondere im Unternehmensbereich häufig der Fall. Schwierigkeiten bereitete auch die Feststellung der abzuziehenden Verbindlichkeiten, zumeist wegen Beweisproblemen bei der Valuta, oder auch die Fragen im Rahmen der Hilfswertberechnungen bei Unternehmen, in welcher Höhe die Valuta von Verbindlichkeiten umzustellen war, die auf Betriebsgrundstücken lasteten (2:1 oder 1:1). Im Ausgleichsleistungsbereich bereitet vor allem der sog. Unwürdigkeitstatbestand des § 1 Abs. 4 AusglLeistG Schwierigkeiten. Vielfach werden die Antragsteller hier erstmals mit Erkenntnissen über ihre Vorfahren belastet, die sie so noch nicht kannten. Ein – notwendiges – Verzögerungselement stellt dabei auch die höchstrichterliche Rechtsprechung dar, die in aufwendigen Einzelverfahren die unbestimmten Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 4 AusglLeistG eingrenzte und noch immer dabei ist, sie einzugrenzen.26 Aber auch die Zusammenarbeit der Behörden mit zahlreichen Archiven ist verwaltungsaufwändig. Die Unwürdigkeit ist immer von Amts wegen zu prüfen, wobei alte Entscheidungen der Flüchtlingsverwaltung oder der Entnazifizierungsstellen aber keine Bindungswirkung haben. Art und Umfang der Ermittlungen sowie das Ergebnis der Prüfung sind in den Bescheiden auszuführen. Den Antragstellern wird hierzu ein Fragebogen übersandt, in dem diese bestimmte Versicherungen zur Tätigkeit und Funktionen des ursprünglich Geschädigten in der NS-Zeit und in der SBZ/DDR abgeben müssen. Zu einer Verzögerung der Abarbeitung trugen in der Vergangenheit bis heute die zahlreichen Wiederaufnahmeanträge bei, wenn neue Dokumente auftauchten oder durch sonstige neue Beweismittel sich eine neue Sachlage ergab, z. B. durch Funde in Archiven in Moskau oder anderswo. Ebenso traten Verzögerungen in den Fällen ein, in denen nach einer höchstrichterlichen Klärung der Rechtslage alte Bescheide in gleichgelagerten Verfahren sich nachträglich als rechtswidrig erwiesen und eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes nach § 48 VwVfG beantragt wurde. Zum Verwaltungsvollzug und damit zur Praxis des EALG gehört natürlich auch der Vollzug des begünstigten Flächenerwerbs nach § 3 AusglLeistG i. V. m. der Flächenerwerbsverordnung. Mit dem Flächenerwerbsprogramm werden zwei unterschiedliche Ziele verfolgt: Zum einen handelt es sich um ein Wiedergutmachungsprogramm für diejenigen, denen zwischen 1945 und 1949 auf besatzungsrechtlicher oder -hoheitlicher Grundlage Vermögen auf rechtsstaatswidrige Weise entzogen worden ist, zum anderen stellt es ein eigenständiges Förderprogramm zugunsten der Land- und Forstwirtschaft in den neuen Ländern dar. Die Bestimmungen zum Flächenerwerb waren zuletzt durch das ___________ 26 Vgl. zuletzt BVerwG vom 29. September 2010, ZOV 2011, S. 36 ff. zum Begriff des „erheblichen Vorschubleistens für das NS-System“; vgl. ferner S. von Raumer, Die „Würdigkeitsprüfung“ gem. § 1 IV Ausgleichsleistungsgesetz (ALG) im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, ZOV 2007, S. 3 ff.

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Flächenerwerbsänderungsgesetz vom 3. Juli 2009 geändert worden. Die Durchführung des Flächenerwerbs obliegt seit 1992 der Bodenverwaltungs- und -verwertungsgesellschaft BVVG, einer Nachfolgeeinrichtung der Treuhandanstalt und wirtschaftliche Tochter der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben; alleiniger Gesellschafter ist der Bund. Maßgeblich für den Verkauf sind die zwischen der Bundesregierung und den neuen Ländern abgestimmten Privatisierungsgrundsätze, die 2010 überarbeitet wurden.27 Die BVVG ist darüber hinaus auch Verfahrensbeteiligte in Restitutionsverfahren, soweit es um land- und forstwirtschaftliche Treuhandflächen geht. Bis 31. Dezember 2009 waren von den ursprünglich ca. 1 Mio. ha landwirtschaftlicher Fläche (ehemaligen Volkseigentums) 636.200 ha verkauft, davon 389.100 nach dem EALG; von den ursprünglich 575.000 ha volkseigener Forstwirtschaftsfläche waren bis zum gleichen Zeitpunkt 530.100 privatisiert, davon 428.600 nach EALG.28 Mit dem 31. Dezember 2009 endete die Möglichkeit für Pächter, landwirtschaftliche Flächen begünstigt zu erwerben.29 Unverändert fortgeführt wird der Verkauf landwirtschaftlicher Flächen an die Alteigentümer nach § 3 Abs 5 AusglLeistG. Hier war schon immer das Problem die schleppende Bescheidung der Ausgleichsleistungsanträge durch die neuen Länder. Denn maßgeblich für die Kaufberechtigung und den Umfang der Erwerbsmöglichkeit ist die Höhe der Ausgleichsleistung. Zudem muss vorher die Würdigkeit nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG feststehen. Wegen der großen Zahl noch nicht abschließend von den Ämtern bearbeiteter Ausgleichsleistungsanträge sowie auch noch ausstehender Entscheidungen des Gesetzgebers zur Höhe der Erwerbsberechtigung im Zuge des geplanten zweiten Flächenerwerbsänderungsgesetzes kann der dafür noch erforderliche Flächenumgang kaum quantifiziert werden. Jedoch standen Anfang 2010 noch über 343.431 Flurstücke mit einer Fläche von 461.457 ha im Eigentum der BVVG. Die noch vorhandenen Forstflächen sollen ohnehin zu 90% an Alteigentümer nach den EALGBestimmungen veräußert werden. In der Praxis kam es vor allem häufig wegen der richtigen Preisfindung zu Streitigkeiten zwischen den Berechtigten und der BVVG. Hintergrund ist hier die tatsächliche Entwicklung des Verkehrswertes für die land- und forstwirtschaftlichen Flächen in den neuen Bundesländern, die allerdings auch maßgeblich durch das Verkaufsverhalten der BVVG beeinflusst worden ist. Allerdings hat die Preisentwicklung weitere vielfältige Ursachen. Der Ärger der Alteigentümer erscheint verständlich angesichts ihres jahrelangen Wartens auf die Aus___________ 27

Vgl. NL-BzAR 2010, S. 316 ff.; die Privatisierungsgrundsätze sind auf der Homepage der BVVG zu finden, http://www.bvvg.de. 28 Vgl. BT-Drs. 17/3000 S. 76 f. 29 Vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3 AusglLeistG; ausführlich: W. Müller, Der begünstigte Pächtererwerb landwirtschaftlicher BVVG-Flächen, NL-BzAR 2010, S. 182 f.

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gleichsleistungsbescheide. Bei früherer Verbescheidung wäre der Flächenerwerbsumfang wesentlich höher als er heute ist. Gerade dieses Ergebnis soll indes durch die in der Koalitionsvereinbarung vorgesehene Verbesserung der Flächenerwerbsmöglichkeit für Alteigentümer korrigiert werden. Schließlich sei vermerkt: Der bis heute noch existierende Beirat nach § 29 Abs. 1 Satz 2 VermG, an dessen regelmäßigen Sitzungen – ein bis zweimal jährlich – Vertreter der Interessenverbände, der Rechtsanwaltschaft, der Länder und des Bundes teilnehmen, hat sich als Kommunikationsforum bewährt, von dem auch manche Initiativen ausgingen. Er soll allerdings mit Art. 3 des z.Zt. noch im parlamentarischen Verfahren befindlichen Gesetzentwurfs zur Beschleunigung der Zahlung von Entschädigungsleistungen bei der Anrechnung des Lastenausgleichs und zur Änderung des Aufbauhilfefondsgesetzes – ZEALG –30 abgeschafft werden.

IV. Der Stand der Erledigung Die mit zahlreichen Unsicherheiten belastete Statistik des BADV weist – mit Stand vom 31. Dezember 2009 – insgesamt über 2,365 Mio. vermögensrechtliche Ansprüche – gezählt sind hier die Vermögenswerte – auf, die von 813.667 Antragstellern gestellt worden sind; darunter beziehen sich über 2,225 Mio. Ansprüche auf Flurstücke, die anderen betreffen bewegliche Sachen, Forderungen u.ä. Hinzu kommen über 201.000 Ansprüche im Bereich der NS-Verfolgten.31 Gesondert erfasst und gezählt sind weitere 550.721 zusammengefasste Ansprüche auf Entschädigung nach dem EntschG (nach Ablehnung der Restitution) und dem AusglLeistG. Die Zahl der Ansprüche auf Entschädigung ergibt sich, sofern die Antragsteller nicht bereits von Anfang an in Ausübung ihres damals gegebenen Wahlrechts auf Entschädigung nach § 8 VermG ihre Anträge auf Entschädigung begrenzt hatten, in Abhängigkeit von den Ablehnungsentscheidungen der Restitutionsanträge wegen Vorliegens von Ausschlusstatbeständen nach den §§ 4 und 5 VermG, also z.B. wegen redlichen Erwerbs oder tatsächlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit der Restitution. Insofern sind diese Ansprüche in der Gesamtzahl der 2,365 Mio. vermögensrechtlichen Ansprüche enthalten und gewissermaßen doppelt gezählt, bilden aber zugleich die „workload“ für den Entschädigungsbereich ab. Angesichts der enorm großen Zahl von Ansprüchen ist es, auch wenn die lange Dauer der Verfahren von vielen Antragstellern häufig kritisiert wird, doch eine große Leistung, dass die Erledigungsquote im Bereich der Restitutionsver___________ 30

31

Vgl. Fn. 14. BADV Statistische Übersicht zum 31. Dezember 2009, http://www.badv.bund.de.

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fahren (außer NS-Verfolgtenbereich) zum Stichtag 31. Dezember 2009 bei über 99,2% liegt; über 420.000 Flurstücke wurden restituiert, die Aufhebung bzw. Beendigung der staatlichen Verwaltung (§§ 11, 11 a VermG) erfolgte bei über 101.000 Flurstücken, und es wurden fast 103.000 Entschädigungsgrundlagenbescheide erlassen – allerdings erfolgten auch über 1 Mio. Ablehnungen der Restitution und fast 298.000 Rücknahmen der Ansprüche. Von den registrierten 550.721 Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsansprüchen (ohne Anträge von NS-Verfolgten) waren Ende 2009 491.416 Ansprüche erledigt, darunter immerhin 256.368 Stattgaben nach dem EntschG und fast 40.000 Stattgaben nach dem AusglLeistG. Und nochmals: Die Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen für die Enteignungen seit 1945 erreichten Ende 2009 den Betrag von 1,37 Mrd. EUR.32 Im Bereich der im BADV bearbeiteten Ansprüche der NS-Verfolgten sind bislang 212.000 Vermögenswerte festgestellt worden, die Gegenstand eines Antrages auf Rückgabe oder Entschädigung sind. Vor allem durch die notwendige Konkretisierung von unternehmensbezogenen Anträgen kann aber die Zahl der betroffenen Vermögenswerte weiter ansteigen. Es ist leicht ersichtlich, dass zu jedem fristgerecht angemeldeten Unternehmen oft hunderte Grundstücke gehörten, deren Bestand und Identität erst im Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit den Durchgriffsansprüchen nach § 3 Abs. 1 Satz 4 ff. VermG geklärt werden muss, insbesondere auch in den Fällen des doppelten Durchgriffs auf die Grundstücke von Tochterunternehmen. Auch infolge der wirksamen Globalanmeldungen der JCC – vgl. § 1 Abs. 1 a NS-VEntschG – war die Zahl von deren Ansprüchen zumindest bis 30. Juni 2007 unklar. Zu diesem Zeitpunkt lief die letzte Konkretisierungsfrist ab. Allerdings befinden sich auch unter den konkretisierten Anträgen zahlreiche Unternehmen. Von den knapp 220.000 insgesamt erfassten Vermögenswerten sind hier bis Ende 2009 über 105.600 vollständig erledigt gewesen, was einer Erledigungsquote von 48,1% entspricht.33 An die Opfer und ihre Rechtsnachfolger wurden bis Ende 2009 Zahlungen aus dem Entschädigungsfonds in Höhe von 1,71 Mrd. EUR34 geleistet. Hinzugerechnet werden müssen die vielen Tausende von Ansprüchen, die durch Globalvergleiche sowohl mit der JCC gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG als auch mit den Nachfolgeberechtigten der Weimarer Gewerkschaften (GIRO Gewerkschaftliche Immobilien Restitutions Organisation GmbH und BIO Beteiligungsgesellschaft Immobilien Ost GmbH) erledigt worden sind.

___________ 32 33 34

Vgl. Fn. 20. BADV Statistische Übersicht zum 31. Dezember 2009. Vgl. Fn. 20.

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Nicht zu vergessen sind die Arbeitsleistungen der Lastenausgleichsverwaltungen der alten Länder unter der Fachaufsicht des Bundesausgleichsamtes, die als Folge des mit der Wiedervereinigung verbundenen Schadensausgleichs durch die vermögens- und entschädigungsrechtlichen Regelungen mehr als 518.000 Zuerkennungsfälle mit einem Auszahlungsvolumen von ca. 2,8 Mrd. EUR überprüfen mussten. Mehr als 86% der Fälle waren bereits bis Mitte 2009 erledigt (= ca. 450.000 Fälle). Hierzu war ein intensiver Datenabgleich mit den ÄRoV, LÄRoV und BARoV bzw. BADV erforderlich. In mehr als 178.750 Rückforderungsfällen gem. § 349 Abs. 3 LAG wurden bis Mitte 2009 ca. 386.000 Rückforderungs- und Leistungsbescheide zugunsten des Entschädigungsfonds erlassen und es konnten so über 1,2 Mrd. EUR Rückforderungen geltend gemacht werden, davon über 836 Mio. EUR unmittelbar zu Gunsten des Entschädigungsfonds, weitere ca. 360 Mio. EUR im Wege der Verrechnung mit Entschädigungen gemäß § 8 EntschG. Durch die Übertragung der Zuständigkeit für die Rückforderung des Lastenausgleichs von den Ländern auf das BAA durch das 34. Lastenausgleichsänderungsgesetz könnte es zu erneuten Verzögerungen bei der Abwicklung auch der Entschädigungsverfahren wegen der gesetzlichen Verrechnung des Rückforderungsbetrages mit der Entschädigung nach § 8 EntschG kommen. Dies zu vermeiden, ist auch Ziel des geplanten, alsbald in Kraft tretenden Gesetzes zur Beschleunigung der Zahlung von Entschädigungsleistungen bei der Anrechnung des Lastenausgleichs und zur Änderung des Aufbauhilfefondsgesetzes – ZEALG.35 Viel kritisiert worden ist die schleppende Abarbeitung der Anträge auf Restitution und Entschädigung, die sich in der Tat jetzt schon zwei Jahrzehnte hinzieht. Natürlich hängt dies mit der überaus großen Komplexität der in jedem Einzelfall zu klärenden Fragen ab, aber auch von der personellen Ausstattung der Behörden. Deswegen war die Mahnung des Thüringischen Verfassungsgerichtshofs in seinem Beschluss vom 15. März 200136 ein nicht zu unterschätzendes Signal an die Länder: Mit dem Argument der Personalknappheit kann ein öffentlicher Aufgabenträger eine lange Verfahrensdauer jedenfalls dann nicht rechtfertigen, wenn zunächst zur Bearbeitung eines Aufgabenkomplexes vorhandenes Fachpersonal nach Rückführung eines Teils der zu bearbeitenden Sachverhalte (hier: Grundstücksrestitutionen) ungeachtet dessen abgebaut worden ist, dass noch Anschlusssachverhalte in erheblicher Zahl unbearbeitet vorliegen (hier: die durch bestimmte Restitutionsausschlussregelungen veranlassten Anträge auf Entschädigungsleistungen). Das Dilemma der schleppenden Erledigung der Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsanträge hängt aber auch mit der künstlichen Aufspaltung der Verfahren in ein zumeist mit der Ablehnung endendes Restitutionsverfahren ei___________ 35

36

Vgl. Fn. 14. ThürVerfGH vom 15. März 2001 – VerfGH 1/00, NJW 2001, S. 2708 ff.

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nerseits und ein dann häufig erst sehr viel später von einem anderen Sachbearbeiter, oft auch einer ganz anderen organisatorischen Einheit durchzuführendes Entschädigungsverfahren andererseits ab. Ganz deutlich wurde dies bei der Aufspaltung der Restitutions- und Entschädigungsverfahren der NS-Verfolgten, wo bis 2004 für die Restitutionsverfahren die Länder, für die Entschädigungsverfahren der Bund (OFD Berlin, Bundesvermögensabteilung) zuständig war. Wegen der verspäteten Gesetzgebung zum Entschädigungsrecht war dies in gewisser Weise schon vorprogrammiert, aber Bund und Länder hatten sich in einem schon früh festgelegten Prioritätenkatalog vorrangig auf die „Klärung der Eigentumsfragen“ festgelegt. Es kann auch nicht übersehen werden, dass in den Ländern zunächst zahlreiche eindeutige Ablehnungsfälle zwecks Klärung der Eigentumslage eines Grundstücks und im Interesse möglicher Investitionen vorgezogen wurden, um damit zugleich eine gute Erledigungsquote zu erzielen. Dies galt auch für Restitutionsanträge von Besatzungsenteignungen 1945 – 1949, die oft mit standardisierten Begründungen abgelehnt wurden. Gleichwohl hatte der Bund – sowohl BMJ als auch BMF – immer wieder auf eine schnellere Erledigung der Entschädigungsverfahren gedrängt und auch eine bessere personelle Ausstattung der Ämter angemahnt, auch wegen seines eminenten Eigeninteresses im Hinblick auf die zu zahlenden Zinsen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte der Bund die besonders verwaltungsaufwändigen Restitutions- und Entschädigungsverfahren der NS-Verfolgten ab 2004 vollständig dem BARoV/BADV übertragen in der Erwartung, dass die freiwerdenden Ressourcen bei den Ländern (ÄroV/LÄRoV) dann für eine schnellere Erledigung der anderen Verfahren zur Verfügung stünden – was aber nur teilweise geschah. Perspektivisch werden die Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsverfahren bei den Ländern zwischen 2011 (Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen Anhalt) und 2015 erledigt, d. h. zumindest wird eine erste verwaltungsrechtliche Bescheidung erfolgt sein. Beim BADV werden die NS-EntschädigungsVerfahren erst später, vermutlich nicht vor 2018, erledigt werden können. Jedenfalls haben Berlin und Mecklenburg-Vorpommern bereits ihre Landesämter „geschlossen“ und die Restaufgaben anderen Trägern zugewiesen.37

V. Zur Bedeutung der Rechtsprechung für die Praxis Kaum ein neues Rechtsgebiet nach der Wiedervereinigung hat die Rechtsprechung aller Instanzen – sowohl der Verwaltungsgerichte als auch der ordentlichen Gerichtsbarkeit – so beschäftigt und belastet wie die offenen Vermögensfragen. Aber positiv betrachtet: In zwei Jahrzehnten hat die Recht___________ 37

Vgl. Meldung in der FAZ vom 1. Februar 2011 zur Schließung des LARoV Mecklenburg-Vorpommern.

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sprechung in überaus großem Umfang zur Klärung der offenen Vermögensfragen beigetragen und ihren Beitrag zum Rechtsfrieden im vereinigten Deutschland geleistet. Das betrifft auch das hier isoliert zu betrachtende Entschädigungsrecht. Vor allem hat das Bundesverfassungsgericht mit seinen großen Leitentscheidungen die Grundlagen für die Erledigung der offenen Vermögensfragen geliefert. Das gilt vor allem für die rechtsdogmatische Einordnung der vermögensund entschädigungsrechtlichen Ansprüche als der Wiedergutmachung früheren, nicht der Bundesrepublik Deutschland zuzurechnenden, sondern fremden staatlichen Unrechts dienende Ansprüche, die im Rechts- und Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes verankert sind und nicht etwa in der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG.38 Insgesamt 72 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Stichwort „VermG“ weist alleine eine Recherche bei Juris aus. In dem Kampf ums Recht vor den Gerichten spielte vor allem der Ausschluss der Besatzungsenteignungen vom Restitutionsprinzip über viele Jahre eine große Rolle. Und so wundert es nicht, dass das Bundesverfassungsgericht, aber auch das Bundesverwaltungsgericht, sich mehrfach mit den Besatzungsenteignungen beschäftigen musste. So hatte das Bundesverfassungsgericht schon im Bodenreformurteil von 1991 entschieden, dass Art. 143 Abs. 3 GG nicht gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstoße; die Ungleichbehandlung der nach Kriegsende bis zur Gründung der DDR Enteigneten sei hinreichend dadurch begründet, dass die DDR und die Sowjetunion auf den Ausschluss der Restitution bestanden hätten und die Bundesregierung sich gezwungen gesehen habe, sich dieser Bedingung zu beugen. Trotz der heftigen Kritik an dieser Entscheidung,39 nicht zuletzt auch wegen Äußerungen Gorbatschows in der Presse,40 hat das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung mehrfach bestätigt: Der Bundesregierung stehe im Bereich der Außenpolitik ein breiter Raum politischen Ermessens zu, dessen Grenzen erst dort verliefen, wo die Einschätzung der Bundesregierung nicht mehr pflichtgemäß sei. Auch die nachträglichen Äußerungen von Beteiligten der sog. Zwei-plus-vier-Verhandlungen seien nicht dazu geeignet, die Annahme einer pflichtwidrigen Einschätzung der Bundesregierung zu stützen.41 Schon 1993 hatte das höchste deutsche Gericht entschieden, dass eine Wiedergutmachung der Bodenreformenteignungen durch Rückgabe der enteigneten Objekte in Natur nach Art. 79 Abs. 3 GG nicht geboten sei, der Gesetzgeber allerdings im Rahmen der damals noch zu treffenden Ausgleichsregelung nicht ___________ 38

Insbesondere Bodenreformurteil vom 23. April 1991, BVerfGE 84, 90 ff. Vgl. insbesondere C. Paffrath, Macht und Eigentum. Die Enteignungen 19451949 im Prozess der deutschen Wiedervereinigung, 2004; J. Wasmuth, NJW 1993, S. 2476; ders., VIZ 1994, S. 108; W. Leisner, NJW 1991, S. 1569. 40 Vgl. A. Wendenburg, ZAP-Ost Fach 16, 38 und S. 367 f. 41 BVerfGE 94, 12 ff. und BVerfGE 112, 1 ff. 39

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gehindert sei, im Einzelfall den Betroffenen die Möglichkeit eines Rückerwerbs einzuräumen.42 Auch mit seinem das EALG bestätigenden Urteil zu den Entschädigungsregelungen im EALG vom November 200043 blieb das Gericht auf der Linie, dass eine Pflicht der Bundesrepublik Deutschland zur Wiedergutmachung von Vermögensschäden, die eine nicht an das Grundgesetz gebundene Staatsgewalt zu verantworten hat, sich nicht aus einzelnen Grundrechten herleiten lasse, sondern sich nur aus dem Sozialstaatsgebot ergeben könne. Bei der Ausgestaltung der Wiedergutmachung im Einzelnen seien das Rechtsstaatsprinzip und der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot zu beachten: Für die wertmäßige Ungleichbehandlung der Entschädigungsberechtigten im Vergleich zu den Restitutionsberechtigten bestünden ausreichende sachliche Gründe, u. a. die Unfinanzierbarkeit von Verkehrswertentschädigungen angesichts der sonstigen Kosten der Wiedervereinigung und: Der Gesetzgeber durfte auch andere durch Unrechtshandlungen an Freiheit, Gesundheit oder Vermögen Geschädigte in sein Wiedergutmachungskonzept einbeziehen. Die Entscheidung zugunsten des Gesetzes fiel mit 4 zu 4 Stimmen äußerst knapp aus (gegen das Votum des Berichterstatters) – aber sie stellte in gewisser Weise den Rechtsfrieden her, auf dessen Basis nun endlich die Behörden in größerem Umfang verfassungsrechtlich abgesichert Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsbescheide erlassen konnten. Geklärt war nun grundsätzlich auch, dass das sog. Flächenerwerbsprogramm nach § 3 AusglLeistG weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen das Willkürverbot verstieß, und ferner, dass auch die besonderen Regelungen zur Entschädigungshöhe für die NS-Opfer in dem NS-VEntschG weder die Eigentumsgarantie verletzen noch willkürlich sind. Schließlich urteilte das Gericht noch einmal 2004, dass auch das Völkerrecht die Bundesrepublik nicht zur Restitution der von den Eigentumsentziehungen 1945 – 1949 Betroffenen verpflichte: Die Bundesrepublik habe auf die Geltendmachung etwaiger Ansprüche aus der Haager Landkriegsordnung im Rahmen der Zwei-plus-vier-Verhandlungen stillschweigend verzichtet.44 Schließlich bestätigte das Bundesverfassungsgericht auch mit seinem Nichtannahmebeschluss vom 4. Juli 2003 die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Ausschluss der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung für die Fälle von Enteignungen: Der Ausschluss der Restitution der Besatzungsent-

___________ 42 43 44

BVerfGE 84, 90 ff. BVerfGE 102, 254 ff. BVerfGE 112, 1 ff.

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eignungen sollte nach dem Willen des Gesetzgebers auch nicht über eine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung umgangen werden können.45 Aus der umfangreichen Rechtsprechung zum Entschädigungsrecht soll hier insbesondere auf die besonders forschungsintensiven, mit der Vergangenheitsaufbearbeitung zusammenhängenden Verfahren zum Unwürdigkeitstatbestand in § 1 Abs. 4 AusglLeistG hingewiesen werden, der auch das Bundesverwaltungsgerichts mindestens 28 mal beschäftigt hat. Hier mussten und werden die Verwaltungsgerichte wohl noch öfter die unbestimmten Tatbestandsmerkmale des „schwerwiegenden Missbrauchs seiner Stellung“ zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer und des „erheblichen Vorschubleistens“ einzelfallbezogen klären müssen und haben dafür echte Historikerarbeit zu leisten – wie natürlich auch die vorgeschalteten Verwaltungsbehörden, die von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln haben. Nicht selten stehen dabei auch prominente Fälle zur Entscheidung, wie z.B. der Fall von Bismarck, bei dem auch die gesetzlich nicht geregelte Frage einer Art tätiger Reue eine Rolle spielte, eingebettet in die Auslegung der Definition, wonach Vorschubleisten in objektiver Hinsicht voraussetze, dass nicht nur gelegentlich oder beiläufig, sondern mit gewisser Stetigkeit Handlungen vorgenommen werden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des NSSystems zu verbessern oder Widerstand zu unterdrücken und dies auch zum Ergebnis hatten.46 Von erheblicher Bedeutung für die Entscheidungspraxis war die eigentlich selbstverständliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Entschädigungsbehörde – früher die OFD Berlin, dann das BARoV/BADV – an die vermögensrechtlichen Grundlagenbescheide der Restitutionsbehörden (bis 2003 der ÄRoV und LÄRoV) gebunden sind.47 Dies hat zur Folge, dass rechtswidrige Grundlagenbescheide der ÄRoV/LÄRoV nicht einfach im Entschädigungsverfahren „korrigiert“ werden können, sondern der sehr viel schwierigere Weg der Rücknahmeprüfung über § 48 VwVfG mit der Vertrauensschutzprüfung gegangen werden muss. Selbstverständlich beschäftigten die Gerichte die zentralen Entschädigungshöhentatbestände der §§ 3 und 4 EntschG; besonders praxisrelevant waren die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts – um nur einige herauszugreifen – zur Berechnung der Entschädigung für ein Teilgrundstück,48 zur Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Bestimmung der entschädigungsrechtlichen ___________ 45 Vgl. § 1 Abs. 3 VwRehaG; dazu BVerwG vom 4. August 1998, VIZ 1998, S. 630 ff. und BVerwG vom 21. Februar 2002; kritisch: S. von Raumer, ZOV 2003, S. 355 ff. 46 BVerwGE 135, 1 ff. und BVerwGE 127, 56 ff. 47 ZOV 2006, S. 312. 48 ZOV 2006, S. 302; DVBl 2006, S. 1461.

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Nutzungsart in den häufigen Fällen der einer Enteignung vorausgehenden staatlichen Zwangsverwaltung,49 der Entschädigung für NS-verfolgungsbedingte Entziehung von Aktien,50 der Berechnung des Reinvermögens nach den Grundsätzen des steuerlichen Bewertungsrechts51 und zur Bagatellgrenze, also dem Ausschlussgrund des § 1 Abs. 4 Nr. 2 EntschG.52 Manche Entscheidung führte auch zu gesetzlichen Korrekturen, wie z.B. das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Entschädigung bei schädigungsbedingtem Verlust beweglicher Sachen vom 19. November 1998,53 das die Einfügung des § 5 a EntschG veranlasste.54 Außerordentlich kreativ war das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Erweiterung der Zuständigkeit des BADV für die Feststellung der Entschädigungsberechtigung des Zweitgeschädigten nach § 7 a Abs. 3 c Satz 1 VermG vom 9. Oktober 2007,55 die mit einer teleologischen Reduktion den Gesetzeswortlaut aushebelte. Zuletzt, aber nicht zumindest ist auch auf die rechtsprechende Tätigkeit sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) als auch des EuGH im Bereich des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsrechts hinzuweisen: So hat die Große Kammer des EGMR im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum EALG vom November 2000 die deutschen Entschädigungsregelungen für die Enteignungen in der ehemaligen SBZ im Rahmen der Bodenreform in eindrucksvoller Weise bestätigt. Die Bundesrepublik ist nicht verantwortlich für die auf Veranlassung der sowjetischen Besatzungsmacht im Beitrittsgebiet ergriffenen Maßnahmen im Rahmen der Bodenreform, und auch nicht für die in der DDR nach 1949 erfolgten, gegen das Privateigentum gerichteten Maßnahmen. Die Bundesrepublik hatte einen weiten politischen Spielraum, wie sie die Folgen bestimmter, mit den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaats unvereinbarer Handlungen beseitigen will. Die von den Enteignungen in der SBZ/DDR Betroffenen hatten keine berechtigten Erwartungen mehr i. S. v. Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK, ihr Eigentum zurückzuerhalten oder Entschädigungen in Verkehrswerthöhe der Objekte zu bekommen.56 ___________ 49

BVerwGE 131, 110 ff. = ZOV 2008, S. 165 ff. BVerwGE 134, 196 ff. = ZOV 2009, S. 310 ff. 51 ZOV 2005, S. 294 ff. 52 ZOV 2009, S. 209. 53 BVerwGE 107, 380 ff. = ZOV 1999, S. 157 ff. 54 § 5 a EntschG, eingefügt durch Vermögensrechtsergänzungsgesetz vom 15. September 2000, BGBl. I S. 1382. 55 DVBl. 2008, S. 66 = LKV 2008, S. 127. 56 EGMR vom 2. März 2005, Nr. 71916/01, NJW 2005, S. 2530 f.; bestätigt EGMR vom 30. Mai 2005, Nr. 45036/9, ZOV 2005, S. 150. 50

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Aber auch der EuGH hatte – neben der Kommission – Gelegenheit, sich mit den offenen Vermögensfragen zu beschäftigen. Schon die Europäische Kommission hatte 1999 zu der begünstigten Flächenerwerbsregelung nach § 3 AusglLeistG a. F. entschieden,57 dass die Regelung nur insoweit keine Beihilfe sei, als sie lediglich eine Kompensation für Enteignungen darstelle und die gewährten Vorteile die Vermögensschäden ausgleichen würden, ansonsten aber ihr Charakter als Beihilfe, der in dem vergünstigten Erwerbspreis läge, nur insoweit mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei, als er nicht an die Ortsansässigkeit zum 3. Oktober 1990 anknüpfe und die Intensitätshöchstgrenze von 35% für landwirtschaftliche Flächen in nicht benachteiligten Gebieten gemäß VO (EG) Nr. 950/97 einhalte – was dann zu den Änderungen des AusglLeistG und der FlErwVO mit dem Vermögensrechtsergänzungsgesetz vom 15. September 200058 führte. Der EuGH wies die Klage der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum auf Nichtigkeitserklärung der Beihilfegenehmigung der Kommission wegen fehlender individueller Betroffenheit der Kläger ab.59 * * *

Abstract Hermann-Josef Rodenbach: The Practice of Loss Compensation, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to Terms with the Past. Vol. III. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2012) pp. 101–121. The article presents some practical aspects of the compensation-law for lost or damaged properties in East-Germany within the framework of the Law concerning the unsolved Property Questions, which has been part of the UnityTreaty of 1990. After a short retrospect on the basis of the genesis of the regulation for compensation for lost property it deals with the difficult way of the legislation in 1994 and thereafter. The main part concerns the administrative execution of the EALG, which is the abbrevation for the compensation and equalizationpayment law, contenting also the special regulation law for compensation for property-damages in East-Germany for victims of nazi persecution. The execu___________ 57

Vgl. Entscheidung EU-KOM vom 20. Januar 1999, ABl. EG. L 107, S. 21 vom 24. April 1999; vgl. G. Ludden, Anpassung des Flächenerwerbsprogrammes an EGBeihilfevorgaben, ZfIR 2001, S. 248. 58 BGBl. I S. 1382. 59 EuGH vom 13. Dezember 2005, Slg. 2005 S. I-10737.

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tion concerns different administrative bodies in the federal states and the central government. Then are presented some statistical information on the stand of execution and last but not least some remarks to the significance of judicature for the execution of the regulations.

Notwendige strafrechtliche Rehabilitierung der Verfolgungsmaßnahmen gegen Opfer der „Boden- und Wirtschaftsreform“ Von Johannes Wasmuth

I. Einleitung 1. Repressiver Terror zur Vernichtung von Klassenfeinden in der Phase der Errichtung der Diktatur des Proletariats Wenn vom Unrecht in SBZ und DDR die Rede ist, wird gelegentlich an die Maueropfer und an die Beschneidung der Meinungs- und Reisefreiheit oder die Bespitzelung durch die DDR-Staatssicherheit erinnert. Vielleicht wird noch die politische DDR-Strafjustiz erwähnt. Vorgänge, die sich unter Berufung auf die Ideologie des Marxismus-Leninismus vor Gründung der DDR ereignet haben, werden dagegen zumeist verschwiegen oder verharmlost. Dagegen steht außer Zweifel: Das mit Abstand schlimmste Unrecht ist nicht in der DDR, sondern vor deren Gründung in der SBZ verübt worden. Dies war bereits Folge des vom Marxismus-Leninismus behaupteten Entwicklungsprozesses hin zu einer kommunistischen Gesellschaft, der in der ersten Phase der Machtusurpation den schärfsten Klassenkampf vorsieht, der mit äußerster Brutalität und Rücksichtslosigkeit zu führen sei.1 Damit sollte die Diktatur des Proletariats, der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse unter der Führung ihrer Partei als Ergebnis der sozialistischen Revolution, ermöglicht werden.2 Nach der Ideologie der SED stelle auch sie nur eine Übergangsphase zwischen Kapitalismus und Kommunismus dar und bewirke das restlose Absterben des Kapitalismus. Erst dann sei der Klassengegensatz aufgehoben. ___________ 1 Vgl. die eingehende Darstellung in: BVerfGE 5, 85 (285 ff., 324 ff.) – KPD-Urteil, sowie H. Benjamin, NJ 1957, S. 785 ff.; J. Lekschas/J. Renneberg, Staat und Recht 1958, S. 795 ff.; W. Sax, JZ 1959, S. 385 (388). 2 Vgl. G. Riege, in: Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR (Hrsg.), Staatsrecht der DDR, 2. Aufl. 1984, S. 54 f.; A. Brown, Aufstieg und Fall des Kommunismus, 2009, S. 155 ff.; J. Winkler, Die Politik der SED, in: A. Herbst/G.-R. Stephan/J. Winkler (Hrsg.), Die SED. Geschichte, Organisation, Politik. Ein Handbuch, S. 159 (161 f.).

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Für die Aussage, die sozialistische Revolution sei die brutalste Phase des kommunistischen Entwicklungsprozesses gewesen, spricht nicht nur die Theorie des Marxismus-Leninismus, die ohnehin immer für sich in Anspruch nahm, konkrete Anleitung für politisches Handeln zu sein. Sie wird vielmehr eindrucksvoll durch die Fakten bestätigt: Die als Klassenfeinde ausgemachten Personen und Personengruppen wurden mit schwersten Beschuldigungen als Konterrevolutionäre, Saboteure, Revisionisten, Schädlinge, Monopolkapitalisten oder Nazi- und Kriegsverbrecher ausgegrenzt und mit Todesurteilen, regelmäßig 25jähriger Internierung, Arbeitslager, Vermögenseinziehungen, Berufsverboten und dem Ausschluss aus dem gesamten politischen, gesellschaftlichen und sozialen Leben repressiert. Nach sowjetischen Angaben waren davon 123.000 deutsche Zivilisten betroffen. Diese Zahlen halten neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen jedoch nicht mehr stand.3 Betroffen waren etwa als Klassenfeinde oder Kriegstreiber ausgemachte Jugendliche, die dem Wehrwolf angehörten, Sozialdemokraten, die sich der Zwangsvereinigung mit der KPD widersetzten, sogenannte Großgrundbesitzer, Industrielle oder wahllos oder aufgrund von Denunziationen durch Organe des NKWD4 aufgegriffene Personen. Repressiver Klassenkampf wurde aber nicht nur von sowjetischen Organen verübt, sondern auch von deutschen, extralegal agierenden Repressionsorganen. Dabei lassen sich formal zwei Repressionsformen unterscheiden, die in der Rechtspraxis der SBZ allerdings nicht strikt getrennt waren und nach Belieben austauschbar eingesetzt wurden: der systematische Missbrauch einer repressiven, bereits im Vorfeld der am 12. Oktober 1946 erlassenen KRD Nr. 385 praktizierten Entnazifizierung und des Wirtschaftsstrafrechts. Andere Formen der repressiven Bekämpfung des Klassenfeindes erfolgten im Wesentlichen erst aufgrund der Instrumentalisierung von Art. 6 S. 2 der DDR-Verfassung6 durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichts der DDR, die aus dem schlichten

___________ 3 So wird der Gesamtumfang der strafrechtlich mit Freiheitsentzug und Todesstrafe in der SBZ verfolgten Personen von der Bundesregierung mit mindestens 150.000 bis 160.000 angegeben (vgl. Antwort der Bundesregierung vom 26. März 1997 auf eine Kleine Anfrage der SPD zum Spannungsverhältnis zwischen § 1 Abs. 7 und § 1 Abs. 8 lit. a) VermG bei russischen Rehabilitierungen, BT-Drs. 13/7342). 4 Narodny kommissariat wnutrennich del: Volkskommissariat der Inneren Angelegenheiten, 1946 ersetzt durch den MWD (Ministerstwo wnutrennich del: Ministerium der Inneren Angelegenheiten). 5 Direktive des Kontrollrates Nr. 38: Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen vom 12. Oktober 1946 (ABl.-KR S. 184), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 217. 6 Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949 (GBl. S. 5), auszugsweise abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 1 f.

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Satz, die Boykotthetze sei strafbar, ein ganzes Arsenal politischer Straftatbestände ableitete.7

2. Unterschiedliche Unrechtsformen im Rahmen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ a) Grober Missbrauch eines repressiven Entnazifizierungsinstrumentariums Die Aktionen der „demokratischen Boden- und Wirtschaftsreform“ waren in aller Regel Maßnahmen einer repressiv, also strafrechtlich betriebenen Entnazifizierung. Diese diente dabei jedenfalls in erster Linie nicht der Bekämpfung tatsächlicher NS-Verbrechen. Vielmehr beruhte sie auf der ideologischen Grundlage des kommunistischen Antifaschismus,8 welche den Klassenfeind als wirtschaftlichen Träger des Faschismus ausmachte und mit dieser Form der Entnazifizierung tatsächlich schärfsten Klassenkampf zur Errichtung der Diktatur des Proletariats i. S. des Marxismus-Leninismus betrieb. Nichts anderes besagt im Übrigen der Begriff der „demokratischen Boden- und Wirtschaftsreform“: Demokratie nach marxistisch-leninistischem Verständnis war per se auf die spezifische Willensbildung innerhalb der Partei der Arbeiterklasse beschränkt, deren maßgebliche Aufgabe es war, im Rahmen der Diktatur des Proletariats die anderen Klassen zu vernichten. „Demokratische Boden- und Wirtschaftsreform“ waren also ausschließlich Terrorinstrumente der KPD/SED, die darauf abzielten, die als primäre Klassenfeinde ausgemachten Großgrundbesitzer und Industriellen aus dem wirtschaftlichen und sozialen Leben als Nazi- und Kriegsverbrecher durch stalinistisch geprägte Repression restlos auszuschalten. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses stellten die beiden Aktionen den erbitterten Klassenkampf gegen die als Klassenfeinde ausgemachten Junker, Großgrundbesitzer, Feudalherren, Trustinhaber und Industriellen dar. Seiner rechtlichen Typologie nach ist er allerdings nicht immer einheitlich geführt worden. Ganz im Vordergrund stand jedoch der offene Missbrauch eines bereits vor Erlass der KRD Nr. 38 in Stellung gebrachten repressiven Entnazifizierungsinstrumentariums. Es wurde nahezu bei sämtlichen Maßnahmen der „Bodenreform“ und bei weiten Teilen der Unrechtsakte angewandt, die mit dem Begriff der „Wirtschaftsreform“ erfasst werden. ___________ 7 Vgl. nur: W. Schuller, Geschichte und Struktur des politischen Strafrechts der DDR bis 1968, 1980, S. 35 ff. 8 Vgl. nur: J. Gauck/E. Neubert, Die Aufarbeitung des Sozialismus in der DDR, in: S. Courtois/N. Werth/J.-L. Panné/A. Paczkowski/K. Bartosek/J.-L. Margolin (Hrsg.), Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, 2002, S. 829 (840); G. Riege (Fn. 2), S. 44 (49 ff.).

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Typologisch besteht diese Form der Verfolgung aus zwei Stufen: Die Aktionen bestanden zum einen aus einer Auswahlentscheidung gegenüber dem Betroffenen, ihn als Kriegs- und Naziverbrecher auszugrenzen und als Teil der Gesellschaft zu vernichten. An diese Entscheidung, die unter grober Missachtung rechtsstaatlicher Garantien getroffen wurde, sind jeweils einschneidende Sanktionen geknüpft worden.

b) Rein objektbezogene Vermögenszugriffe Es hat aber auch weniger einschneidende Unrechtsakte gegeben, die sich per se nicht gegen die Person, sondern ausschließlich gegen die Vermögenszuordnung richteten und deren Unrechtsgehalt ausschließlich in der Entschädigungslosigkeit oder diskriminierenden Wirkung des Vermögenszugriffs bestand. Im Bereich der „Bodenreform“ ist eine bloße Enteignung nur dann vorgekommen, wenn dem Betroffenen in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen der Nachweis gelungen war, aktiv gegen den Hitlerstaat gekämpft und sich würdig gezeigt zu haben, im „demokratischen Deutschland mitzuarbeiten“, so dass der Betroffene nicht schuldig gesprochen und ihm nur der über 100 ha hinausgehende Hof enteignet wurde.9 Die „Wirtschaftsreform“ umfasste dagegen deutlich mehr Maßnahmen, die ausschließlich eine entschädigungslose Vermögenseinziehung von Grund- und Betriebsmitteln darstellte. Dies gilt etwa für die Enteignungen von Banken und Versicherungen,10 Bergwerken11 und Energieunternehmen,12 privaten Eisenbahnbetrieben sowie von Apotheken13 und Lichtspieltheatern.14 Auch die Zugriffe auf Wirtschaftsgüter zur Befriedigung sowjetischer Reparationsforderungen15 sowie die Konfiskationen von wirtschaftenden NS-Organisationen nach Maßgabe des SMAD-Befehls Nr. 12616 waren lediglich entschädigungslose Vermögenszugriffe.

___________ 9

Vgl. dazu: J. Wasmuth, ZOV 2010, S. 283 (285). Vgl. dazu näher: J. Wasmuth, in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR (RVI), Loseblattkommentar, B 100, VermG Einf., Rn. 113 ff. 11 Vgl. J. Wasmuth (Fn. 10), Rn. 121. 12 Vgl. J. Wasmuth (Fn. 10), Rn. 120. 13 Vgl. J. Wasmuth (Fn. 10), Rn. 122. 14 Vgl. J. Wasmuth (Fn. 10), Rn. 123. 15 Vgl. nur: SMAD-Befehl Nr. 167 über den Übergang von Unternehmen in Deutschland in das Eigentum der UdSSR auf Grund der Reparationsansprüche der UdSSR vom 5. Juni 1946 (nicht veröffentlicht), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 156. 16 SMAD-Befehl Nr. 126 betreffend: Konfiskation des Vermögens der NSDAP vom 31. Oktober 1945 (VOBl. der Provinz Sachsen, S. 12), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 221. 10

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II. „Boden- und Wirtschaftsreform“ als rechtsmissbräuchliche Akte repressiver Entnazifizierung 1. System des Entnazifizierungsrechts in der SBZ Im Folgenden soll allerdings nur den Vorgängen der repressiven Entnazifizierung im Rahmen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ nachgegangen werden. Dazu soll vorab das System des in der SBZ praktizierten Entnazifizierungsrechts erläutert werden, weil es sich maßgeblich von Recht und Rechtspraxis in den westlichen Besatzungszonen sowie von bundesdeutschem Rechtsdenken unterschieden hat. Gleichwohl beruhen die Grundlagen auch des in der SBZ praktizierten Entnazifizierungsrechts auf Rechtsakten der Vier Alliierten Mächte, namentlich des alliierten Kontrollrats. Daneben hat der deutsche Gesetzgeber in der SBZ repressives Entnazifizierungsrecht erlassen. Das von der sowjetischen Besatzungsmacht erlassene, der Entnazifizierung dienende Recht soll dagegen nicht näher behandelt werden, weil es in diesem Zusammenhang lediglich vorläufige repressive Sicherungsmaßnahmen vorsah.17 Das erste strafrechtliche Entnazifizierungsgesetz war das Gesetz des Kontrollrats Nr. 10 vom 20. Dezember 1945,18 das die Bestrafung von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben, vorsah. Es enthielt diverse Straftatbestände,19 die in sämtlichen Besatzungszonen als unmittelbar geltendes Strafrecht angewandt wurden. Die Durchführung behielt das Kontrollratsgesetz Nr. 10 grundsätzlich alliierten Organen vor.20 Die Zonenbefehlshaber wurden aber ermächtigt, die Zuständigkeit zur Entnazifizierung auf deutsche Stellen zu delegieren.21 Daneben hat die amerikanische Besatzungsmacht für ihre Besatzungszone bereits am 5. März 1946 das sog. Befreiungsgesetz22 erlassen, das eine weitergehende Entnazifizierung vorsah. Auf dieser inhaltlichen Grundlage hat der ___________ 17 Dies gilt insbesondere für den SMAD-Befehl Nr. 124: Auferlegung von Sequestrierungsmaßnahmen und Übernahme in die zeitweilige Verwaltung von bestimmten Vermögenskategorien in Deutschland vom 30. Oktober 1945 (Originalfassung aus dem Moskauer Hauptstaatsarchiv GRAF, seinerzeit nicht veröffentlicht), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 220, sowie für die dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen. 18 Gesetz des Kontrollrats Nr. 10: Bestrafung von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben vom 20. Dezember 1945 (ABl.-KR S. 50), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 125. 19 Art. II KRG Nr. 10. 20 Art. II Nr. 1 KRG Nr. 10. 21 Art. II Nr. 2 KRG Nr. 10. 22 Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 (BayGVBl. S. 145 = RegBl. Württ.-Bad. S. 71 = GVBl. Groß-Hessen S. 57).

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Kontrollrat dann am 12. Oktober 1946 die KRD Nr. 3823 verabschiedet. In den einzelnen Besatzungszonen stellte sie allerdings kein unmittelbar geltendes Recht dar.24 Vielmehr war sie von den jeweiligen Besatzungsmächten in zonales Recht umzusetzen. In der SBZ geschah dies in der Weise, dass die KRD Nr. 38 durch den SMAD-Befehl Nr. 201 vom 17. August 194725 als unmittelbar geltendes Strafgesetz erklärt wurde. Erst dieser Befehl der sowjetischen Militäradministration in Deutschland hat auch die grundsätzliche Übertragung der Zuständigkeit für die Entnazifizierung auf deutsche Organe vorgesehen. Zu diesem Zweck installierte der Befehl repressiv tätige Sonderstrafgerichte.26 Ihnen setzte er zwar extralegal agierende Verwaltungsorgane gleich, die allerdings nur die Aufgabe hatten, die Schuld des Betroffenen als Kriegs- und Naziverbrecher festzustellen und darauf gestützt dessen Vermögen einzuziehen.27 Das System des SMAD-Befehls Nr. 201 erschließt sich allerdings nicht prima facie, weil darin unsystematisch auch Vorschriften für ein verwaltungsrechtliches Entnazifizierungsverfahren enthalten sind. Hintergrund dafür ist der Umstand, dass der Kontrollrat neben der KRD Nr. 38 noch die KRD Nr. 2428 erlassen hatte, die ausschließlich die politische Säuberung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus staatlichen Ämtern und privaten verantwortlichen Stellen regelte. Auch diese Richtlinie wurde durch den SMAD-Befehl Nr. 201 als in der SBZ unmittelbar geltendes Recht bestimmt. Außerdem wurden zu seiner Durchführung besondere Entnazifizierungskommissionen installiert.29 Dass aber beide Verfahrenstypen der Entnazifizierung in der SBZ strikt auseinandergehalten wurden und auch rechtlich unterschiedlich zu beurteilen sind, ___________ 23 Direktive des Kontrollrates Nr. 38: Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen vom 12. Oktober 1946 (ABl.-KR S. 184), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 217. 24 Vgl. C. Meyer-Seitz, Die Verfolgung von NS-Straftaten in der Sowjetischen Besatzungszone, 1998, S. 159. 25 SMAD-Befehl Nr. 201: Richtlinien zur Anwendung der Direktiven Nr. 24 und Nr. 38 vom 16. August 1947 (ZVOBl. S. 185), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 225. 26 Ziff. 3 SMAD-Befehl Nr. 201. 27 Ziff. 5 SMAD-Befehl Nr. 201, Ziff. 20 Ausführungsbestimmung Nr. 3 zum SMAD-Befehl Nr. 201. 28 Direktive des Kontrollrates Nr. 24: Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehende, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen vom 20. Dezember 1945 (ABl.-KR S. 98), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 216. 29 Ziff. 1 ff. Ausführungsbestimmung Nr. 2 zum SMAD-Befehl Nr. 201 vom 16. August 1947 (Richtlinien zur Anwendung der Direktive Nr. 24 des Kontrollrats) vom 19. August 1947 (ZVOBl. S. 187), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 225 b.

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ergibt sich aus der Tatsache, dass zu dem SMAD-Befehl Nr. 201 noch Ausführungsbestimmungen30 erlassen wurden, die einerseits die Entnazifizierung nach der KRD Nr. 24 und andererseits nach der KRD Nr. 38 sowie die jeweiligen Verfahren näher regelten. Mit der auf die KRD Nr. 38 bezogenen Ausführungsbestimmung Nr. 3 zum SMAD-Befehl Nr. 201 wurden für strafrechtliche Entnazifizierungsverfahren die Vorschriften der Strafprozessordnung und die darin enthaltenen verfahrensrechtlichen Garantien weitgehend außer Kraft gesetzt. 31 Insofern lässt sich festhalten: In der SBZ hat es zwei unterschiedliche Entnazifizierungsverfahren gegeben. Zum einen ein verwaltungsrechtliches Verfahren, das auf der Grundlage der KRD Nr. 24 durchgeführt wurde und das allein der politischen Säuberung diente,32 und zum anderen ein strafrechtliches Verfahren, das auf der Grundlage der KRD Nr. 38 durchgeführt wurde, in dem sämtliche Sanktionen der KRD Nr. 38 verhängt werden konnten. Dazu zählten etwa Todes-, Zuchthaus- und Gefängnisstrafen ebenso wie Vermögenseinziehungen und weitgehende Berufsverbote.33 Im Rahmen der Entnazifizierung konnten diese Sanktionen damit nur in strafrechtlichen Verfahren verhängt werden. In diesen Rahmen des in der SBZ praktizierten Entnazifizierungsrechts sind auch die verfolgungsbedingten Maßnahmen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ einzuordnen. Dies gilt unabhängig davon, dass im September 1945 und im Sommer 1946 weder die KRD Nr. 38 noch der SMAD-Befehl Nr. 201 erlassen waren. Die Unrechtsakte sind aber auf der Grundlage von im Vorgriff auf die KRD Nr. 38 erlassene repressive Entnazifizierungsbestimmungen gestützt gewesen, ohne dass bereits Vorschriften über Zuständigkeiten und Verfahren zu ihrer Durchführung erlassen worden wären. Dies ist erst im Nachhinein mit Erlass des SMAD-Befehls Nr. 201 und der Ausführungsbestimmung Nr. 3 nachgeholt worden.34 Eine derartige ex post-facto-Legitimierung stellt in Unrechtsstaaten keine Besonderheit dar.35 Nicht nur der kommunistische Gesetzgeber ist ___________ 30 Ausführungsbestimmung Nr. 2 zum SMAD-Befehl Nr. 201 vom 16. August 1947 (Richtlinien zur Anwendung der Direktive Nr. 24 des Kontrollrats vom 19. August 1947 (ZVOBl. S. 187), Ausführungsbestimmung Nr. 3 zum SMAD-Befehl Nr. 201 vom 16. August 1947 (Richtlinien zur Anwendung der Direktive Nr. 38 des Kontrollrats) vom 21. August 1947 (ZVOBl. S. 188), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 225c. 31 Ziff. 3, 7 SMAD-Befehl Nr. 201 sowie Ausführungsbestimmung Nr. 3 zum SMAD-Befehl Nr. 201. 32 Vgl. dazu nur: D. van Melis, Entnazifizierung in Mecklenburg-Vorpommern. Herrschaft und Verwaltung 1945 – 1948, 1999, S. 190 ff. 33 Art. VII – XI KRD Nr. 38. 34 Vgl. dazu nur die Präambel des SMAD-Befehls Nr. 201. 35 J. Foitzik, Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945 – 1949. Struktur und Funktion, 1999, Kap. 6, Abschn. 7 („Extralegale Intervention“).

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so vorgegangen. Beispiele dafür lassen sich vielmehr auch unter der Herrschaft des NS-Regimes belegen.

2. „Wirtschaftsreform“ Der repressive Entnazifizierungscharakter lässt sich besonders plastisch an den Rechtsgrundlagen demonstrieren, die den Verfolgungsakten der „Wirtschaftsreform“ zugrunde lagen. Deshalb werden sie zuerst dargestellt, obgleich die „Bodenreform“ zeitlich früher ins Werk gesetzt worden war.

a) Verfolgung in Sachsen Ihren systematisch betriebenen Ausgang nahm die „Wirtschaftsreform“ in Sachsen.36 Dort organisierten die Landesverwaltung Sachsen, der Block der antifaschistischen Parteien und der FDGB mit erheblichem Propagandaaufwand einen Volksentscheid, der mehrheitlich am 30. Juni 1946 angenommen wurde. In dessen Vorfeld waren seinerzeit nicht veröffentlichte Richtlinien zum Volksentscheid37 erlassen worden. Sie enthielten drei unterschiedliche Gruppen von Straftatbeständen: Naziverbrecher, aktivistische Nazis und Kriegsinteressenten. Außerdem bestimmten sie ausdrücklich, der Volksentscheid richte sich ausschließlich „gegen Naziverbrecher, aktivistische Nazis und Kriegsinteressenten“, denen mit den Tatbeständen generell zur Last gelegt wurde, „das deutsche Volk ins Unglück gestützt“ zu haben. Die Verfolgung sei, so heißt es dort ebenfalls explizit, „keine wirtschaftliche Maßnahme“. Rechtsfolgen, die mit den Schuldvorwürfen verbunden waren, enthielten die Richtlinien dagegen nicht. Diese ergaben sich vielmehr aus einer Vielzahl anderer Gesetze, die ihrerseits eine Schuldfeststellung als Kriegs- und Naziverbrecher voraussetzten. Genannt seien das sächsische Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes vom 30. Juni 1946,38 § 1 Nr. 2 der Richtlinien der Deutschen Wirtschaftskommission Nr. 3 zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64 – Enteignung sonstiger Ver-

___________ 36 Vgl. dazu: J. Wasmuth/J. A. Kempe, ZOV 2008, S. 232 (235 ff.); J. Wasmuth, ZOV 2009, S. 219 ff. 37 Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid vom 21. Mai 1946 (seinerzeit unveröffentlicht), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 231. 38 Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes vom 30. Juni 1946 (GVOBl. Sachsen I S. 305), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 232.

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mögen,39 Gesetze zu den Landtags- und Kommunalwahlen in Sachsen und die Richtlinien zum Volksentscheid selbst. Allein aufgrund dieser Vorschriften bestanden die Sanktionen für die aufgrund der Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid festgestellten Schuldvorwürfe per se in der Einziehung des gesamten Betriebs- und Privatvermögens, der Aberkennung des aktiven und des passiven Wahlrechts und in einem durch Aushang in den Stadt- und Landkreisen verbreiteten öffentlichen Tadel. Außerdem bestand ein gesetzlich offenbar nicht vorgesehenes, aber faktisch durchgesetztes Berufsverbot, das lediglich niedere körperliche Arbeiten zuließ. Im Übrigen gilt es folgendes zu beachten: 1946 war der SMAD-Befehl Nr. 201 noch nicht erlassen worden. Die Verhängung weitergehender Sanktionen zum Zweck der Entnazifizierung lag damit noch in den Händen der sowjetischen Besatzungsmacht. Personen, die nach Maßgabe der Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid eines Kriegs- oder Naziverbrechens schuldig gesprochen waren, standen damit in der unmittelbaren Gefahr, als solche zusätzlich vor den sowjetischen Militärtribunalen angeklagt und von diesen mit dem Tode oder regelmäßig 25jähriger Internierung bestraft zu werden.40 Bisweilen wurden auch deutsche Wirtschaftsstrafverfahren inszeniert. Der Erlass des SMADBefehls Nr. 201 führte zusätzlich zu einem Nebeneinander von Verfahren vor der sächsischen Präsidialkommission mit dem Ziel der Beschuldigung und Vermögenseinziehung und vor den SMAD-Befehl Nr. 201-Sonderstrafgerichten mit dem Ziel der Internierung. In diversen Fällen lässt sich aber auch nachweisen, dass nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zur Anklage vor den Sonderstrafgerichten ein Verfahren vor der Präsidialkommission nachgeschoben wurde, um die Vermögenseinziehung zu beschleunigen. Insofern bestand zwischen den Verfahren vor der Präsidialkommission einerseits und vor den sowjetischen Militärtribunalen und den SMAD-Befehl Nr. 201-Sondergerichten andererseits ein unmittelbarer Verfolgungszusammenhang. Diese Verfahren dienten dem einheitlichen Verfolgungszweck, die Betroffenen als Nazi- und Kriegsverbrecher zu beschuldigen und durch ein weit gefächertes Sanktionsinstrumentarium nachhaltig aus dem wirtschaftlichen, beruflichen, politischen und sozialen Leben auszugrenzen und sie in ihrer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und persönlichen Existenz zu vernichten. ___________ 39 Richtlinien Nr. 3 zur Ausführung des SMAD-Befehls Nr. 64/1948 – Enteignung sonstiger Vermögen – vom 21. September 1948 (ZVOBl. S. 449), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 240 c. 40 Vgl. nur: N. Jeske/U. Schmidt, Zur Verfolgung von Kriegs- und NS-Verbrechen durch sowjetische Militärtribunale in der SBZ, in: A. Hilger/M. Schmeitzner/U. Schmidt (Hrsg.), Sowjetische Militärtribunale, Bd. 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945-1955, 2003, S. 155 (168 ff.); D. Pohl, Justiz in Brandenburg 1945-1955. Gleichschaltung und Anpassung, 2001, S. 83 ff., 89 ff.

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Die aufgrund der Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid durchgeführten Verfahren sind bislang von der zeitgeschichtlichen Forschung nicht beschrieben worden. Dennoch lassen sie sich durch die einschlägigen Akten des sächsischen Staatsarchivs rekonstruieren: Danach wurden die Verfahren zumeist aufgrund von Anzeigen von SED-Organen, SED-gesteuerten Betriebsräten oder Denunzianten eingeleitet. Für die Untersuchung der Vorwürfe war anstelle der Staatsanwaltschaft das von Fritz Selbmann (SED) gesteuerte Ministerium für Wirtschaft und Arbeit zuständig. Es stellte in aller Regel willkürlich erhobene Schuldvorwürfe zusammen und leitete diese mit gesammelten Beweismitteln an die extralegal eingerichtete Präsidialkommission weiter, die sich aus Mitgliedern der antifaschistischen Blockparteien unter Führung der SED zusammensetzte. Sie entschied in Sammelterminen über die Schuld von jeweils 30 bis 40 Betroffenen, ohne dass tatsächlich belastende Beweise erhoben worden wären. Die Ergebnisse der Beratungen wurden in Sammelprotokollen zusammengefasst, welche nur kryptisch den erhobenen Schuldvorwurf wiederholten, häufig lediglich durch Benennung der Ziffern der festgestellten Straftatbestände der Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid. Die Verfahren wurden nicht öffentlich durchgeführt. Die Betroffenen wurden darüber nicht informiert. Die Möglichkeit, einen Verteidiger zu bestellen, bestand nicht. Die Entscheidungen der Präsidialkommission wurden sodann abschließend vom sächsischen Gesamtministerium, also dem Regierungskabinett in Sachsen, überprüft. Mit der Bestätigung oder Nichtbestätigung stand die Schuld oder Nichtschuld des Betroffenen bestandskräftig fest, ohne dass dagegen die Möglichkeit eines ordentlichen Rechtsschutzes vorgesehen war. Die Schuldfeststellung löste automatisch die diversen, in unterschiedlichen Gesetzen geregelten Sanktionen aus. Wegen der Betriebsvermögen wurden die schuldig Gesprochenen zudem auf eine Liste A gesetzt. Damit galt das Betriebsvermögen als entzogen. Mehr als 50 % der Betroffenen, grundsätzlich Inhaber kleinerer Betriebe, wurden von der Präsidialkommission oder – in wenigen Einzelfällen – vom Gesamtministerium frei gesprochen. Der Rest wurde schwerster Verbrechen beschuldigt. b) Verfolgung in den übrigen Ländern und Provinzen der SBZ In den übrigen Ländern und Provinzen der SBZ sind den Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid vergleichbare Vorschriften nicht erlassen worden. Dies wurde damit begründet, wegen des Erfolges des Volksentscheides in Sachsen seien weitere Volksentscheide nicht mehr erforderlich. Deshalb entschieden die dortigen Landeskommissionen ebenfalls auf der Grundlage der Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid. Bei der Durchsicht der daraufhin erstellten Sammelprotokolle fällt allerdings auf, dass die erhobenen Schuldvorwürfe häufig noch weniger klar dokumentiert wurden als in Sachsen. Dieses Vorgehen ist von der sowjetischen Militäradministration wiederholt gerügt worden.

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c) Verfolgung in Ostberlin Wesentlich eindeutiger ist schließlich die Situation in Ostberlin.41 Dort bestand die Besonderheit, dass die kommunistische „Wirtschaftsreform“ aufgrund des besonderen alliierten Status nicht bereits 1946 durchgeführt werden konnte. Zwar wurden in der Berliner Tagespresse die sächsischen Richtlinien zum Volksentscheid in kommentierter Form in der Erwartung publiziert, die „Wirtschaftsreform“ werde bald auch in Ostberlin umgesetzt.42 Bis nach der sog. Berliner Blockade und der sich daraus ergebenden Aufspaltung des Berliner Magistrats blieb es jedoch dabei, dass Unternehmen nach Maßgabe des SMADBefehls Nr. 124 lediglich sequestriert oder unter vorläufige Verwaltung gestellt wurden, ohne dass damit weitere Konsequenzen für die Unternehmer verbunden waren. Anfang 1949 waren die Verfolgungsorgane des Ostberliner Magistrats nicht mehr darauf angewiesen, die sächsischen Richtlinien zum Volksentscheid anzuwenden. Sie haben vielmehr unmittelbar auf die KRD Nr. 38 zurückgegriffen, die in der SBZ durch den SMAD-Befehl Nr. 201 als unmittelbar geltendes Strafgesetz bestimmt worden war. Insofern hat die Treuhandverwaltung für das sequestrierte und beschlagnahmte Vermögen im sowjetischen Besatzungssektor der Stadt Berlin das Belastungsmaterial gegen die Beschuldigten in einem „strafrechtlichen Enteignungsvorschlag“ zusammengefasst. Dort finden sich Angaben zum Unternehmen und den dem Inhaber zur Last gelegten Handlungen. Außerdem wurden die als erfüllt angesehenen Straftatbestände nach Abschnitt II Art. II und III der KRD Nr. 38 und die für die verhängte Sanktion der Vermögenseinziehung einschlägigen Bestimmungen der KRD Nr. 38 angeführt. Schuldige wurden daraufhin auf die jeweils öffentlich bekannt gemachten Listen 1 und 3, Nichtschuldige auf die Listen 2 und 4 gesetzt. Damit war die Entscheidung über die Schuld und die Vermögenseinziehung endgültig. Daneben wurden auch in Ostberlin kraft Gesetzes diverse andere Sanktionen gegen die als Naziaktivisten und Kriegsverbrecher Beschuldigten verhängt.43 Zuvor waren zahlreiche Betroffene bereits von den sowjetischen Militärtribunalen oder von deutschen Strafgerichten in inszenierten Wirtschaftsstrafverfahren bzw. seit 1947 von den zur Entnazifizierung eingerichteten deutschen Sonderstrafgerichten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden.

___________ 41

Dazu näher: J Wasmuth/S. v. Raumer, ZOV 2006, S. 103 ff.; J Wasmuth, ZOV 2010, S. 290 ff. 42 Der Tagesspiegel vom 4. Oktober 1946, BeiBl. Nr. 232. 43 Diese entsprachen grundsätzlich den in Sachsen verhängten Sanktionen (vgl. dazu oben, unter a).

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3. „Bodenreform“ Das System des in der SBZ geltenden Entnazifizierungsrechts und des dazu praktizierten Verfahrens der repressiv durchgeführten „Wirtschaftsreform“ ermöglichen es auch, die Vorgänge der „Bodenreform“ rechtlich zutreffend einzuordnen. Das Verständnis der Bodenreformverordnungen wird allerdings dadurch erschwert, dass die das Verfolgungsgeschehen bestimmenden Vorschriften zumeist nicht in diesen, sondern erst in dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen44 geregelt sind. Noch mehr wurde der tatsächliche Verfolgungscharakter aber dadurch verschleiert, dass die Bodenreformverordnungen nicht nur die Verfolgung der Betroffenen, sondern auch die nachträgliche Verteilung von Bodenflächen an sog. Neusiedler regelten.45 Beide Regelungskomplexe wurden in den Verordnungen zur „Bodenreform“ derart miteinander vermengt, dass sie sowohl in der zeithistorischen Forschung als auch bei der rechtlichen Aufarbeitung durch die bundesdeutschen Gerichte46 den Eindruck erweckt haben, mit der „Bodenreform“ hätten die kommunistischen Machthaber primär eine Umverteilung von Bodenflächen bezweckt, die trotz der Entschädigungslosigkeit des Vermögenseinzugs grundsätzlich vertretbare Verteilungsakte vorgenommen habe. Eine solche Einschätzung ist aber unzutreffend: Die „Bodenreform“ umfasste vielmehr zwei Regelungskomplexe, die strikt auseinandergehalten werden müssen, wenn das dabei geschehene Unrecht nicht verkannt werden soll: Primär ging es den kommunistischen Machthabern um die Vernichtung der als Naziund Kriegsverbrecher ausgemachten Klassenfeinde. Alleiniges Kriterium für die Auswahl der von der „Bodenreform“ Betroffenen war die kraft Gesetzes oder im Einzelfall getroffene Beschuldigung als Nazi- und Kriegsverbrecher. Dass eigentliches Ziel der „Bodenreform“ nicht die bloße Aufteilung von Bodenflächen war, folgt schon daraus, dass den Betroffenen ihr gesamtes Betriebsvermögen entzogen wurde, ohne ihnen Flächen zu belassen, die anderen Landwirten zunächst nicht streitig gemacht wurden. Dem Zweck einer bloßen Umverteilung stehen auch die weiteren, an die erhobenen Schuldvorwürfe anknüpfenden Sanktionen entgegen, die gezielt darauf gerichtet waren, den Betroffenen das wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Existenzminimum sowie die persönliche Freiheit und Freizügigkeit zu entziehen.

___________ 44 Vgl. etwa: Ausführungsverordnung Nr. 2 zur Durchführung der Bodenreform vom 11. September 1945 (VOBl. der Provinz Brandenburg, S. 11), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 212/2. 45 Vgl. Art. I Nr. 2, Art. III der Bodenreformverordnungen. 46 Vgl. insbesondere: BVerwG, ZOV 2007, S. 67 f.; kritisch dazu: J. Wasmuth, ZOV 2007, S. 17 ff.

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Ohnehin war die Verteilung von Bodenflächen an landlose und landarme Landwirte von vornherein nur als vorübergehende Lösung gedacht. Etwa aus Äußerungen des SED-Agrarexperten Hörnle47 ergibt sich, dass die Landverteilung an Neubauern von vornherein nur als Übergangsstadium bis zur ab 1952 mit über 8.000 Schauprozessen durchgesetzten Zwangskollektivierung48 geplant war. Dazu wurden die Neubauernhöfe gezielt nur so klein dimensioniert, dass sie von vornherein wirtschaftlich nicht überlebensfähig waren.49 Im Herbst 1945 war die KPD aber noch ohne Basis in der Landbevölkerung. Mit der „Bodenreform“ sollte die Zustimmung der breiten Massen auf dem Lande für die sozialistische Revolution gewonnen werden. Die zunächst verkündete Landverteilung war dazu lediglich das von den Mitgliedern der KPD-Initiativgruppen im sowjetischen Exil ausgedachte Propagandamittel.

a) Inhaber von Höfen mit Flächen unter 100 ha Zur Beurteilung der die „Bodenreform“ maßgeblich bestimmenden Verfolgung sind zwei Fallgruppen von Betroffenen zu unterscheiden: Inhaber von Höfen in einer Größe von unter 100 ha und solche mit Höfen über 100 ha. Landwirte der ersten Fallgruppe wurden nur dann verfolgt,50 wenn ihnen im Einzelfall durch die zuständige Landesbodenkommission zur Last gelegt wurde, sich als Nazi- und Kriegsverbrecher schuldig gemacht zu haben. Die entsprechenden Straftatbestände waren jeweils in den Ausführungsbestimmungen zu den Bodenreformverordnungen51 enthalten. Der genaue Ablauf der daraufhin vor den Landesbodenkommissionen durchgeführten Verfahren ist bislang noch nicht näher beschrieben worden. Infolge der Aufarbeitung von Einzelfällen ist aber bekannt, dass sie häufig aufgrund von Denunziationen eingeleitet wurden und dass die Landesbodenkommissionen – nach Vorarbeiten der Kreiskommissionen – jeweils Schuldvorwürfe festgestellt haben. Hier steht eine genauere Untersuchung anhand des vorhandenen Aktenmaterials allerdings weiterhin aus. ___________ 47 Vgl. dazu: A. Bauerkämper, Die Bodenreform in Sachsen-Anhalt zwischen Neuanfang und Kontinuität, S. 4 des Typoskripts (http://www.fes.de/Magdeburg/pdf/ d_1_7_5_5.pdf). 48 Vgl. J. Schöne, Frühling auf dem Lande? Die Kollektierung der DDRLandwirtschaft, 2005, S. 180 ff. 49 Vgl. dazu die Nachweise in: P. Erler/H. Laude/M. Wilke (Hrsg.), Nach Hitler kommen wir. Dokumente zur Programmatik der Moskauer KPD-Führung 1944/45 für Nachkriegsdeutschland, 1994, S. 311, 313, 316; A. Bauerkämper (Fn. 47), S. 4 des Typoskripts. 50 Vgl. dazu näher: J. Wasmuth, ZOV 2010, S. 216 ff. 51 Jeweils in den Ausführungsbestimmungen der einzelnen Länder und Provinzen zu Art. II, Ziff. 2, lit. a) und b) der Bodenreformverordnungen.

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Der Schuldspruch führte nicht nur zur Einziehung des betrieblichen und privaten Vermögens der Betroffenen. Vielmehr galten sie ebenso wie die beschuldigten Industriellen und Gewerbetreibenden selbstverständlich als Kriegs- und Naziverbrecher. Die an den Vorwurf des Kriegs- und Naziverbrechens anknüpfenden Sanktionsgesetze trafen daher auch sie. Daneben mussten sie aufgrund von Kreisverweisungen innerhalb weniger Stunden Haus und Hof verlassen. Häufig wurden die Hofinhaber und ihre Familien in Viehwagen unmittelbar in eines der in der SBZ betriebenen Internierungslager verbracht. In Sachsen wurde jede Form von Widerstand gegen diese Maßnahmen mit langjährigen Freiheitsstrafen, in besonders schweren Fällen sogar mit dem Tode bestraft.52 Damit war die „Bodenreform“ auch eine gezielte Massenvertreibung auf deutschem Boden.

b) „Großgrundbesitzer“, „Junker“, „Feudalherren“ Mit den Inhabern der Höfe über 100 ha sind die kommunistischen Machthaber noch perfider umgegangen. Sie galten kraft Gesetzes als zur Gruppe der „Großgrundbesitzer“, „Junker“ und „Feudalherren“ gehörig. Gegen sie wurden keine Repressionsverfahren im Einzelfall durchgeführt. Vielmehr galten sie wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der „Großgrundbesitzer“, „Junker“ und „Feudalherren“ als Nazi- und Kriegsverbrecher. Dazu wurde ihnen in Art. I Nr. 1 der Bodenreformverordnungen der Vorwurf gemacht, zur Gruppe derjenigen Verbrecher zu gehören, die ein „Hauptpfeiler der Reaktion und des Faschismus“ und eine „Hauptquelle der Aggression und der Eroberungskriege“ war, die sich gegen andere Völker richtete. Es ist wiederholt versucht worden, diese Regelung als kollektive Diskriminierung der betroffenen Hofinhaber einzuordnen. Dabei wird aber übersehen, dass auch das bundesdeutsche Strafgesetzbuch ähnlich strukturierte, lediglich an die Mitgliedschaft in einer Vereinigung anknüpfende Straftatbestände kennt, ohne dass diese den Nachweis eines konkreten Tatbeitrages voraussetzen. 53 Im Übrigen wird mit der Annahme einer bloßen Diskriminierung die nach Recht und Rechtspraxis in SBZ und DDR maßgebliche Zielrichtung verfehlt. Diese ergibt sich bereits aus dem System des in SBZ und DDR geltenden Entnazifizierungsrechts, als dessen Teil auch die „Bodenreform“ begriffen wurde. Danach war auch ein Zugriff auf das Vermögen gegenüber deutschen Zivilisten nur im Fall der Bestrafung als Kriegs- und Naziverbrecher zulässig.54 Des Weiteren ___________ 52 Vgl. Verordnung zur Sicherung der landwirtschaftlichen Bodenreform vom 17. September 1945 (Amtl. Nachrichten, S. 51), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 212 b/3. 53 Vgl. nur §§ 127, 129, 129 a StGB. 54 Vgl. näher oben II. 1.

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galten die als „Großgrundbesitzer“ eingestuften Personen als primäre Klassenfeinde, deren repressive Bekämpfung wiederum oberstes Ziel des sozialistischen Strafrechts war.55 Ohnehin wurde die „Bodenreform“ in SBZ und DDR durchgängig mit dem Potsdamer Abkommen gerechtfertigt,56 das einen Zugriff auf das Vermögen von Zivilisten wiederum nur zur Entmilitarisierung, zur Dekonzentration und zur Bestrafung von Nazi- und Kriegsverbrechern zuließ. 57 Den gesetzlich festgelegten Schuldvorwurf konnten die Betroffenen im Übrigen in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen dann entkräften, wenn ihnen der Nachweis gelang, aktiv gegen den Hitlerstaat gekämpft zu haben und würdig zu sein, im demokratischen Deutschland mitzuarbeiten.58 Erforderlich war damit der Nachweis einer kämpferisch-kommunistischen Gesinnung und Handlungsweise. In diesem Fall konnten die Betroffenen einen Resthof nicht über 100 ha behalten. In den übrigen Ländern sind vergleichbare Ausnahmetatbestände zwar diskutiert, aber dann wieder verworfen worden. Dass der gesetzlich festgesetzte und nicht im Einzelfall wieder aufgehobene Schuldspruch dieselben Sanktionen nach sich zog wie die Schuldfeststellung gegenüber Inhabern von Höfen mit Flächen von unter 100 ha, versteht sich von selbst.

III. Verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Prüfungsmaßstäbe Bevor die für die Verfolgungsmaßnahmen im Rahmen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ maßgeblichen Wiedergutmachungsgesetze näher beleuchtet werden, soll zuvor auf die verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäbe eingegangen werden, die der Gesetzgeber beim Erlass der Wiedergutmachungsgesetzgebung zu beachten hat. Bislang hat das Bundesverfassungsgericht die Vorgänge der „Boden- und Wirtschaftsreform“ allein am Maßstab des Sozial- und Rechtsstaatsprinzips und am Willkürgrundsatz gemessen.59 Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Gericht seit dem sog. Bodenreformurteil vom 23. April 1991 ausschließlich von einem entschädigungslosen Vermögenszugriff aus-

___________ 55 Vgl. nur: H. Benjamin (Fn. 1); J. Lekschas/J. Renneberg, Staat und Recht (Fn. 1); W. Sax (Fn. 1), S. 388. 56 OG, NJ 1954, S. 58 f.; H. Kunschke/I. Melzer, in: Bereich Staats- und Rechtsgeschichte der Sektion Rechtswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin (Hrsg.), Staats- und Rechtsgeschichte der DDR, 1983, S. 33 ff.; G. Feiler, NJ 1957, S. 19; H. Ostmann, NJ 1961, S. 173 (174). 57 Vgl. III. A. Ziff. 3 (1), III. B. Ziff. 12, III. B. Ziff. 5 des Potsdamer Abkommens. 58 Vgl. die Ausführungsbestimmungen dieser Länder zu Art. II, Ziff. 3 der Bodenreformverordnungen. 59 BVerfGE 84, 90 (123 ff., 129 f.); 102, 254, (297 f.).

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geht60 und zudem darlegt, für eine andere verfassungsrechtliche Prüfung seien bislang keine neuen Tatsachen vorgetragen worden.61 In seiner Rechtsprechung zur Aufarbeitung des Unrechts in SBZ und DDR hat das Bundesverfassungsgericht aber für grob menschenrechtswidrige Verfolgungsmaßnahmen andere Prüfungsmaßstäbe herangezogen. Es greift dabei in der Sache auch auf die Rechtsprechung zur Aufarbeitung des NS-Unrechts zurück, die bereits gegen elementare Prinzipien der Gerechtigkeit verstoßende Verfolgungsakte als nichtig behandelt hatte.62 Aktuell legt das Gericht dagegen dar, eine Anerkennung von Maßnahmen in SBZ und DDR scheide von Verfassungs wegen aus, die gegen von der Völkergemeinschaft allgemein anerkannte Menschenrechte verstoßen haben.63 Wesentliche Unterschiede zwischen beiden Formeln lassen sich nicht ausfindig machen. Sie laufen im Kern darauf hinaus, solchen Unrechtsakten die Anerkennung zu versagen, die nach der sog. Radbruch’schen Formel Unrecht darstellen. Danach ist positives Recht dann als Unrecht anzusehen, wenn der Widerspruch des Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht hat, dass das Gesetz der Gerechtigkeit weichen muss.64 Bei der Aufarbeitung von kommunistischem Unrecht werden diese Maßstäbe in zweifacher Richtung zur Geltung gebracht: Zum einen hat die Bundesrepublik auch dann einen Strafanspruch gegenüber Tätern in SBZ und DDR, die gegen diese elementaren Gerechtigkeitsprinzipien verstoßen haben, erhoben, wenn das Handeln nach DDR-Recht nicht strafbar war. Dies ist insbesondere bei der Bestrafung von Mauerschützen65 und von Richtern und Staatsanwälten wegen Rechtsbeugung66 relevant geworden. Zum anderen ist zugunsten der Opfer derartiges Unrecht nicht anzuerkennen, das daher von Verfassungs wegen einen Rehabilitierungsanspruch auslöst. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts erstmals im sog. Fahnenfluchtfall eingehend begründet.67 ___________ 60

Vgl. nur: BVerfGE 84, 90 (123 f.); 94, 12 (15, 32); 102, 254 (297 f.); BVerfGK 1, 227 ff. = VIZ 2004, S. 18; BVerfGE 112, 1 (3, 5); BVerfG, Beschl. vom 15. Dezember 2008, Az. 2 BvR 2462/02. 61 BVerfG, Beschl. vom 15. Dezember 2008 (Fn. 60). 62 BVerfGE 23, 98 (106 f.) unter Berufung auf BGH, RzW 1962, S. 563; BGHZ 9, 34 (44); 10, 340 (342); 16, 350 (354); 26, 91 (93); vgl. außerdem: BVerfGE 54, 53 (68). 63 Vgl. BVerfGE 101, 275 (288) = BVerfG, NJW 2000, S. 418 (419); VIZ 2002, S. 169 (171); VIZ 2002, S. 171 (172); vgl. auch: BVerfGE 95, 96 (133); BVerfG, NJW 1998, S. 2585; BVerfGE 101, 239 (268). 64 G. Radbruch, SJZ 1946, S. 105 ff.; bereits in der frühen Rechtsprechung des BVerfG aufgegriffen; vgl. BVerfGE 3, 225 (232 f.); 6, 132 (198 f.); 6, 389 (414 f.). 65 BVerfGE 95, 96 (133). 66 BGHSt 41, 323 ff.; BGHSt 41, 336 (345); BGH, NStZ-RR 1998, S. 302; NStZ 1999, S. 42; NStZ 1999, S. 43. 67 BVerfGE 101, 275 (288) = BVerfG, NJW 2000, S. 418 (419).

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Stellt aber auch die Verfolgung der Opfer der „Boden- und Wirtschaftsreform“ einen Verstoß gegen die Gerechtigkeitsprinzipien entsprechend der Radbruch’schen Formel dar? Um diese Frage zu beantworten, kann auf Konkretisierungen der Formel durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Rechtsbeugung von Richtern und Staatsanwälten in der DDR zurückgegriffen werden. Danach verstoßen gegen elementare Prinzipien der Gerechtigkeit: – Strafmaßnahmen, bei denen Straftatbestände unter Überschreitung des Gesetzeswortlauts oder unter Ausnutzung ihrer Unbestimmtheit bei der Anwendung derart überdehnt worden sind, dass eine Bestrafung als offensichtliches Unrecht anzusehen ist,68 – Strafmaßnahmen, bei denen die verhängte Strafe in einem unerträglichen Missverhältnis zu der abgeurteilten Handlung gestanden hat, so dass die Strafe, auch gemessen an den Vorschriften des DDR-Rechts, als grob ungerecht und schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte erscheinen muss,69 – Strafmaßnahmen, die schon aufgrund der Art und Weise der Durchführung des Verfahrens schwere Menschenrechtsverletzungen darstellen; dies gilt insbesondere dann, wenn die Strafverfolgung und die Bestrafung überhaupt nicht der Verwirklichung von Gerechtigkeit, sondern ausschließlich der Ausschaltung des politischen Gegners oder einer bestimmten sozialen Gruppe gedient haben.70 Die oben dargestellten Maßnahmen, die gegenüber Opfern der „Boden- und Wirtschaftsreform“ ergriffen worden sind, waren häufig nicht nur nach einem, sondern nach jedem der drei Tatbestände mit elementaren Prinzipien der Gerechtigkeit nicht vereinbar. Selbst wenn sich aber ein Betroffener tatsächlich als NS-Verbrecher schuldig gemacht hatte, verstößt, ebenso wie die per se grob rechtsstaatswidrigen und deshalb nichtigen Strafmaßnahmen des Sondergerichts in Waldheim,71 jedenfalls das von den Kommissionen durchgeführte Verfahren gegen grundlegende Gerechtigkeitsprinzipien. Dies gilt erst recht im Fall der durch unwiderlegliche gesetzliche Vermutung als Kriegs- und Naziverbrecher beschuldigten Bodenreformopfer. Jedes Opfer einer Verfolgung im Rahmen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ hat daher einen verfassungskräftigen Anspruch auf Rehabilitierung. ___________ 68

BGH, NStZ 1996, S. 386; NStZ-RR 1998, S. 171; NJW 1998, S. 2616. Vgl. Nachweise in Fn. 66. 70 BGH, NStZ 2000, S. 91 f. 71 KG, NJW 1954, S. 1901 (1902); BezG Dresden, NStZ 1992, S. 137 (139); DtZ 1992, S. 91 (94); Beschl. vom 11. November 1991, Az. BSK (1) 442/91; vgl. auch: § 1 Abs. 2 StrRehaG. 69

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Parallel dazu verläuft das Verdikt des geltenden Völkerrechts: Reine Konfiskationen sind zwar völkerrechtswidrig, werden aber von der Völkergemeinschaft aufgrund des Territorialprinzips72 als wirksam anerkannt. Sie lösen lediglich Entschädigungsansprüche zugunsten desjenigen Staates aus, dessen Bürger der Enteignete ist. Dagegen verstößt zwar nicht jeder Akt politischer Verfolgung per se gegen die allgemein in der Völkergemeinschaft anerkannten Menschenrechte und damit gegen das völkerrechtliche ius cogens.73 Jedenfalls aber dagegen verstoßende Verfolgungsakte werden auch völkerrechtlich per se als nichtig behandelt und deshalb von den Mitgliedern der Völkergemeinschaft nicht anerkannt.74

IV. Strafrechtliche Rehabilitierungsansprüche 1. System der Ansprüche zur Aufarbeitung von SED-Unrecht mit vermögensrechtlichen Folgen Dass es in SBZ und DDR zwei unterschiedliche Formen von Unrecht gegeben hat, spiegelt sich auch in der Wiedergutmachungsgesetzgebung wieder, die im Übrigen das Ergebnis von getrennten Verhandlungen beider deutscher Staaten über das Recht der offenen Vermögensfragen und das Rehabilitierungsrecht ist.75 Danach sind beide Rechtsgebiete voneinander zu unterscheiden. Das Recht der offenen Vermögensfragen regelt Fälle der rein objektbezogenen, entschädigungslosen und diskriminierenden Vermögensschädigung, bei denen sich das Unrecht in der Entschädigungslosigkeit oder der diskriminierenden Wirkung erschöpft.76 Dazu gelten das Vermögensgesetz77 mit dem Rückgabegrundsatz in § 3 Abs. 1 S. 1 und § 6 Abs. 1 S. 1 VermG, das Entschädigungsgesetz78 mit ___________ 72 Vgl. dazu: BVerfGE 84, 90 (123 f.); BGHZ 20, 4 (12); 25, 134 (140, 143); 31, 168 (171); 39, 220 (227); M. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 9. Aufl. 2011, § 19 Rn. 14 ff.; C. Gloria, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 47 Rn. 27 ff.; G. Kegel/K. Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 1095 ff. 73 BVerfGE 112, 1 (28). 74 W. Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 15 Rn. 36; M. Herdegen, Völkerrecht, 10. Aufl. 2011, § 16 Rn. 15. 75 Vgl. dazu nur: J. Wasmuth/J. A. Kempe (Fn. 36), S. 241 ff.; J. Wasmuth, ZOV 2011, S. 62 ff. 76 BVerwG, VIZ 2002, S. 25; BVerwGE 116, 42 ff. = VIZ 2002, S. 272; VIZ 2002, S. 461 f.; VIZ 2003, S. 375 f.; VIZ 2003, S. 571 f. 77 Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz – VermG) i. d. F. der Bek. vom 9. Februar 2005 (BGBl. I S. 205), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 66. 78 Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Entschädigungsgesetz - EntschG) i. d. F. der Bek. vom 13. Juli 2004 (BGBl. I S. 1658), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 71.

Strafrechtliche Rehabilitierung der Verfolgungsmaßnahmen

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Entschädigungsansprüchen bei gesetzlich ausgeschlossener Rückgabe und das Ausgleichsleistungsgesetz79, das für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage gilt. Dagegen fallen Maßnahmen der politischen Verfolgung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 StrRehaG, § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwRehaG ausschließlich in den Anwendungsbereich der Rehabilitierungsgesetze.80 Damit gilt das Rehabilitierungsrecht für solche Akte des Staates, die an ein asylrechtlich erhebliches Merkmal anknüpfen und den Betroffenen damit u.a. aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe ausgrenzen81 und darauf gestützt eine Rechtsgutsbeeinträchtigung von erheblichem Gewicht vornehmen,82 die auch in der Gefährdung der wirtschaftlichen oder beruflichen Existenzgrundlagen bestehen kann.83 Insofern erfassen das Recht der offenen Vermögensfragen und das Rehabilitierungsrecht, wie das Bundesverwaltungsgericht84 in ständiger Rechtsprechung dargelegt hat, zwei unterschiedliche Sach- und Normbereiche, auch wenn das Unrecht jeweils zu einem Vermögensverlust des Geschädigten geführt hat. Deshalb wird ein Unrechtsakt in SBZ und DDR entweder vom Recht der offenen Vermögensfragen oder vom Rehabilitierungsrecht erfasst, nicht aber zugleich von beiden Rechtsgebieten.85 Das Vermögensgesetz gilt damit nur, wenn der Staat allein darauf abzielte, sich oder einem Dritten einen Vermögenswert anzueignen, wenn er also lediglich objektbezogen vorgegangen ist. War ein eingetretener Vermögensverlust dagegen Folge einer staatlichen Entscheidung, eine Per___________ 79

Gesetz über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können (Ausgleichsleistungsgesetz – AusglLeistG) i. d. F. der Bek. vom 13. Juli 2004 (BGBl. I S. 1665), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 72. 80 Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG) i. d. F. der Bek. vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2664), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 208; Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz – VwRehaG) i. d. F. der Bek. vom 1. Juni 1997 (BGBl. I S. 1620), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 210. 81 Vgl. dazu nur: BVerfGE 54, 341 (357); 80, 315 (334 f.); BVerwGE 80, 321 (324); 101, 328 (331, 332). 82 Vgl. dazu nur: M. Pagenkopf, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 5. Aufl. 2009, Art. 16 a Rn. 15 ff.; H.-G. Maaßen, in: V. Epping/C. Hillgruber (Hrsg.), GG, 2009, Art. 16 a Rn. 17 ff. 83 Vgl. dazu nur: BVerfGE 54, 341 (357); 80, 315 (342); BVerwGE 87, 141 (148). 84 BVerwGE 102, 89 (93) = VIZ 1996, S. 706; VIZ 2002, S. 25; BVerwGE 116, 42 ff. = VIZ 2002, S. 272; VIZ 2002, S. 461 f.; VIZ 2003, S. 375 f.; VIZ 2003, S. 571 f. 85 Eine Ausnahme besteht nur, soweit das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz auch Willkürakte erfasst. Haben diese zu einem Vermögensverlust geführt, gehen das Vermögens- oder das Ausgleichsleistungsgesetz nach den Ausschlusstatbeständen des § 1 Abs. 1 S. 2, 3 VwRehaG dem verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz vor.

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son auszugrenzen, ist trotz des eingetretenen Vermögensverlustes ausschließlich das Rehabilitierungsrecht einschlägig. Es gilt für verfolgungsbedingte und in diesem Sinne personenbezogene Unrechtsakte. Charakteristikum dieses Unrechts ist jeweils, dass es zweiaktig ist: Ausgrenzungsentscheidung etwa in Form eines Schuldvorwurfs und daran anknüpfender Eingriff in die Rechtssphäre des Betroffenen. Die Rechtslage ist aber deshalb unübersichtlich, weil das Vermögensgesetz in § 1 Abs. 7 VermG auch Vermögensschädigungen erfasst, die Folge einer politischen Verfolgung waren. Auf diese Fälle ist das Vermögensgesetz, ebenso wie bei verfolgungsbedingten Vermögensschädigungen durch das NS-Regime nach § 1 Abs. 6 VermG, nur entsprechend anwendbar. Aber bereits die lediglich entsprechende Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes auf verfolgungsbedingt entzogene Vermögenswerte macht deutlich, dass es diese Fälle grundsätzlich nicht erfasst. Hinzu kommt, dass § 3 Abs. 1 S. 1 StrRehaG und § 7 Abs. 1 S. 1 VwRehaG für die Rechtsfolgen eines solchen Vermögensverlustes auf das Vermögensgesetz verweisen. Damit besteht für die Bereinigung von verfolgungsbedingten Vermögensverlusten ein zweistufiges Verfahren.86 Dabei regeln § 1 Abs. 1, 5 StrRehaG, § 1 Abs. 1 S. 1 VwRehaG die Aufhebung der inkriminierten Entscheidung, während nach Maßgabe des Vermögensgesetzes lediglich die vermögensrechtliche Abwicklung erfolgt (§ 3 Abs. 1 S. 1 StrRehaG, § 7 Abs. 1 S. 1 VwRehaG). Danach gilt im Prinzip der Rückgabegrundsatz (§ 3 Abs. 1 S. 1, § 6 Abs. 1 S. 1 VermG), sofern die Rückgabe nicht im Einzelfall gesetzlich ausgeschlossen ist.87 Grenzt man die im Rahmen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ erfolgten Maßnahmen nach den zwischen dem Recht der offenen Vermögensfragen und dem Rehabilitierungsrecht bestehenden getrennten Sach- und Normbereichen ab, steht außer Zweifel: Sie werden vom Vermögens- und ebenso vom Ausgleichsleistungsgesetz nur erfasst, wenn sie reine Konfiskationsakte darstellten, ohne dass die Eigentümer damit etwa als Klassenfeinde, Kriegs- und Naziverbrecher, Konterrevolutionäre, Diversanten oder Schädlinge ausgegrenzt wurden. Dies war aber nur ausnahmsweise der Fall. Die weitaus größere Zahl der Fälle wird dagegen allein von der Rehabilitierungsgesetzgebung erfasst. Insofern steht zudem außer Frage, dass diese Maßnahmen wegen ihres systematischen, ideologisch gesteuerten Rechtsmissbrauchs gegen wesentliche Grundsätze der rechtsstaatlichen Ordnung verstoßen haben.

___________ 86

Vgl. BVerwG, VIZ 1999, S. 659 (660 f.). Gesetzliche Ausschlusstatbestände sind etwa: § 3 Abs. 1 S. 3, Abs. 1 a S. 1, Abs. 2, § 4 Abs. 1 S. 2, 3, Abs. 2, Abs. 3, § 5 Abs. 1, § 8 Abs. 1 VermG, §§ 2, 3 InVorG. 87

Strafrechtliche Rehabilitierung der Verfolgungsmaßnahmen

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2. Strafrechtliche Rehabilitierung Es gibt aber zwei Rehabilitierungsgesetze, ein strafrechtliches und ein verwaltungsrechtliches. Sie grenzen sich allein danach ab, ob die Verfolgungsmaßnahmen nach Recht und Rechtspraxis in SBZ und DDR als straf- oder verwaltungsrechtlich einzuordnen sind.88 Hiermit wird ein Rechtsproblem angesprochen, das die Gerichte auch 20 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit nicht auf der Grundlage des tatsächlich geschehenen Sachverhalts geprüft und damit stets auch rechtlich verkannt haben. Obgleich es in SBZ und DDR gegen die Unrechtsakte der „Boden- und Wirtschaftsreform“ keinen Rechtsschutz gab, hatten bereits die Gerichte in SBZ und DDR wiederholt klargestellt, dass die Verfolgungsakte spezifischen Strafcharakter aufgewiesen haben.89 Ob eine staatliche Maßnahme eine Strafverfolgung darstellt, hängt von drei Voraussetzungen ab: (1) Sie muss einen Schuldspruch über sozial-ethisch verwerfliches Handeln oder eine Mitgliedschaft in einer als sozial-ethisch verwerflich eingestuften Organisation enthalten.90 (2) Folge des Schuldspruchs muss ein empfindliches Übel als Reaktion für das dem Betroffenen zur Last gelegte Handeln sein.91 (3) Mit der Sanktion muss der Staat einen Schuldausgleich zur Vergeltung für das dem Täter zur Last gelegte Unrecht vorgenommen und damit einen spezifischen Strafzweck verfolgt haben.92 Dass gegen die Betroffenen von den Präsidial-, Provinz- und Landesbodenkommissionen Schuldvorwürfe auf der Grundlage der sächsischen Richtlinien zum Volksentscheid, der KRD Nr. 38 oder den Ausführungsbestimmungen zu den Bodenreformverordnungen erhoben worden sind, folgt schon aus den jeweils von den Kommissionen angewandten Tatbeständen, die mit jeweils nur leicht abgewandelten Tatbestandselementen jeweils die Schuld als Nazi- und Kriegsverbrecher umschrieben haben, und bezweifeln die strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte nicht.93 Gleiches gilt für die gesetzlich aufgestellte Beschuldigung gegenüber „Großgrundbesitzern“, „Junkern“ und „Feudalherren“ ___________ 88

Vgl. § 1 Abs. 1, 5 StrRehaG, § 1 Abs. 1 S. 1 VwRehaG. OGZ 1, 94 (99); OG, NJ 1954, S. 58 f.; OLG Gera, DRZ 1948, S. 493; OLG Erfurt, NJ 1951, S. 38. 90 BVerfGE 7, 305 (319); 9, 167 (169); 20, 232 (331); 22, 49 (79 f.); 25, 269 (285 f.); 54, 100 (108); 91, 1 (27); 95, 96 (140); 96, 10 (25); 105, 135 (153); 109, 133 (173). 91 BVerfGE 22, 49 (80); 22, 125 (132); 27, 36 (40); 90, 145 (172); 96, 245 (249); 105, 135 (153 f.); 109, 190 (212); BVerfG, NJW 2004, S. 2073; BGH, NJW 2003, S. 3620; OLG Brandenburg, VIZ 1995, S. 679 (680). 92 BVerfGE 7, 305 (319); 9, 167 (169); 20, 232 (331); 22, 49 (79 f.); 25, 269 (285 f.); 54, 100 (108); 91, 1 (27); 95, 96 (140); 96, 10 (25); 105, 135 (153); 109, 133 (173). 93 Vgl. nur: OLG Dresden, VIZ 2004, S. 550 (551); VIZ 2004, S. 551 (552). 89

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nach Art. 1 Nr. 1 Satz 2 der Bodenreformverordnungen. Der Schuldvorwurf richtete sich hier freilich nicht auf ein inkriminiertes Handeln, sondern auf eine dem Betroffenen zur Last gelegte Mitgliedschaft in einer von den damaligen Machthabern inkriminierten Gruppe. Die infolge der Schuldvorwürfe verhängten Maßnahmen der vollständigen Vermögenseinziehung, des Berufsverbots, der Kreisverweisung, der Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts oder des öffentlichen Tadels stellten darüber hinaus jeweils ein Übel dar, das schwerwiegend in wesentliche Rechtsgüter des Betroffenen eingegriffen und regelmäßig zur wirtschaftlichen, beruflichen und sozialen Existenzvernichtung geführt hat. Bislang hat die Rechtsprechung der strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte der Sache nach aber den spezifischen Strafzweck der Verfolgungsmaßnahmen bestritten. Dazu wird ausgeführt, der damalige Gesetzgeber habe lediglich die Eigentumsverhältnisse umgestalten wollen.94 Inzwischen hat allerdings das Oberlandesgericht Dresden95 unter dem Eindruck der Richtlinien zum Volksentscheid einräumen müssen, dass dieser behauptete Zweck nicht der Rechtslage im Rahmen der darauf gestützten Verfolgungsakte entsprach. Der Rehabilitierungssenat hat stattdessen angenommen, die Maßnahmen hätten lediglich der Sicherung des Friedens gedient. Daher wird weiterhin ein verwaltungsrechtlicher Charakter der Maßnahmen unterstellt. Ist dem aber wirklich so? Schon der Text der sächsischen Richtlinien zum Volksentscheid spricht dagegen, weil er sich ausdrücklich gegen „Naziverbrecher, aktivistische Nazis und Kriegsinteressenten“ richtete. Diesen wird mit den Tatbeständen der Richtlinien zur Last gelegt, „das deutsche Volk ins Unglück gestürzt zu haben“. Erst an zweiter Stelle sprechen die Richtlinien davon, dass den Betroffenen auch „die Möglichkeit genommen werden muss, erneut Unheil über das deutsche Volk und die Welt zu bringen“. Daneben wird klargestellt, der beabsichtigte Volksentscheid sei „also keine wirtschaftliche Maßnahme“. Er sei vielmehr „ein bedeutsamer Schritt zur Sicherung des Friedens“. Insofern lässt sich zwar nicht verkennen, dass die Richtlinien, neben dem repressiven Zweck der Bestrafung der „Naziverbrecher, aktivistischen Nazis und Kriegsinteressenten“ dafür, dass sie das deutsche Volk ins Unglück gestürzt haben, zusätzlich einen präventiven Zweck der „Friedenssicherung“ verfolgt haben. Die einen Strafzweck verfolgende Strafmaßnahme wird aber nicht dadurch zu einer bloßen Verwaltungsmaßnahme, weil der Gesetzgeber damit zusätzlich auch nicht strafrechtliche Zwecke verfolgt hat.96 ___________ 94 OLG Brandenburg, VIZ 1995, S. 679; OLG Dresden, VIZ 2004, S. 550 (551); VIZ 2004, S. 551 (552). 95 OLG Dresden, Beschl. vom 26. November 2010, Az. 1 Reha Ws 98/09. 96 Vgl. BVerfGE 109, 190 (212).

Strafrechtliche Rehabilitierung der Verfolgungsmaßnahmen

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Es gibt im Übrigen diverse andere amtliche Dokumente u.a. der sächsischen Landesverwaltung, die den spezifischen Strafzweck der Richtlinie belegen.97 Außerdem hat Walter Ulbricht der SMAD98 in Berlin-Karlshorst bereits im September 1945 den Entwurf einer Registrierungsverordnung zur Genehmigung vorgelegt.99 Dieser zielte ausschließlich darauf ab, Industriebetriebe zu registrieren und die registrierten Unternehmen enteignen zu lassen. Der Verordnungsentwurf ist aber von der SMAD nicht genehmigt worden. Wenn statt dessen im Mai 1946 die Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid mit drei Straftatbestandsgruppen erlassen worden sind, welche die sowjetische Besatzungsmacht nicht beanstandet hat, dann wird daraus erkennbar, dass sie so verfahren ist, um den Vereinbarungen des Potsdamer Abkommens zu entsprechen. Auch daraus ergibt sich, dass die Richtlinien einen spezifischen Strafzweck verfolgt haben. Soweit in Ostberlin die Verfolgung Industrieller unmittelbar auf die KRD Nr. 38 gestützt wurde, steht der spezifische Strafzweck ohnehin außer Frage. Die Direktive wurde durch den SMAD-Befehl Nr. 201 und die dazu erlassene Ausführungsbestimmung Nr. 3 in der SBZ ausdrücklich als unmittelbar anwendbares strafrechtliches Entnazifizierungsgesetz installiert.100 Nur als solches ist sie in SBZ und DDR auch angewandt worden.101 Vergleichbare Zweckbestimmungen lassen sich den Bodenreformverordnungen und den dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen freilich nicht unmittelbar entnehmen. Der Wortlaut der Verordnungen scheint sogar dagegen zu sprechen, weil dort ausgiebig vom Zweck der Umverteilung der Bodenflächen zugunsten von Neubauern und staatlichen Gütern die Rede ist. Aber dennoch: Die dargestellten Regelungen, die gegenüber Inhabern von Flächen in der Größe von unter und über 100 ha in Stellung gebracht wurden, belegen, dass auch die „Bodenreform“ nach dem in der SBZ geltenden Rechtsverständnis eine repressive Entnazifizierung war. Nach dem durch den SMAD-Befehl Nr. 201 vom 16. August 1947 installierten System des verfahrensrechtlichen Entnazifizierungsrechts, mit dem die Strafprozessordnung für diese Verfolgungsfälle weitgehend außer Kraft gesetzt wurde und das auch die zeitlich zurückliegenden, ohne gesetzliche Regelung durchgeführten Verfolgungsvorgänge nachträglich legitimiert hat,102 war die Verhängung von in der KRD Nr. 38 geregelten Sanktionen wie insbesondere die Vermögenseinziehung nur in spezifisch strafrechtlichen ___________ 97

Vgl. dazu im Einzelnen: J. Wasmuth/J. A. Kempe (Fn. 36), S. 249. Sowjetische Militäradministration in Deutschland. 99 Entwurf zu Richtlinien für die Registrierung und Übernahme von ehemaligen Nazibetrieben vom 17. September 1945 (nicht veröffentlicht). 100 Vgl. Ziff. 3, 7 SMAD-Befehl Nr. 201. 101 Vgl. nur: W. Schuller (Fn. 7), S. 25 ff. 102 Vgl. dazu: J. Foitzik (Fn. 35). 98

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Entnazifizierungsverfahren zulässig.103 Bereits dieser Zusammenhang macht deutlich, dass die Maßnahmen der „Bodenreform“ im Vorgriff auf die erst nachträglich erlassene KRD Nr. 38 getroffen wurden und deshalb ebenso wie diese einen spezifischen Strafzweck verfolgten. Die „Bodenreform“ wurde im Übrigen ebenso wie die „Wirtschaftsreform“ in SBZ und DDR stets mit dem Potsdamer Abkommen gerechtfertigt, also mit der dort zugelassenen Bestrafung von Nazi- und Kriegsverbrechern. Und schließlich: Um den in den Bodenreformverordnungen ausdrücklich genannten Zweck der Bodenumverteilung zutreffend einordnen zu können, ist auf das alliierte Entnazifizierungsrecht zurückzugreifen. Danach regelte die KRD Nr. 57,104 wie mit nach der KRD Nr. 38 eingezogenen Vermögenswerten verfahren werden sollte. Daraus folgt: Nicht die spätere Verteilung von Vermögenswerten hat den Verfolgungszweck bestimmt. Dieser ist vielmehr losgelöst davon festgelegt worden. Dass dem so sein muss, ergibt sich auch daraus, dass die Bodenreformverordnungen keinen Zugriff auf sämtliche Bodenflächen zuließen und deren Verteilung anordneten. Die Umverteilung selbst macht damit nicht plausibel, nach welchen Kriterien die Auswahl der verfolgten Betroffenen erfolgte. Und schließlich: Die Beschränkung der Zweckbestimmung auf die Umverteilung von betrieblichen Vermögenswerten erklärt nicht im Ansatz, weshalb gegenüber den Betroffenen weit einschneidendere Sanktionen ergriffen wurden als die Einziehung betrieblichen Vermögens. Kann unter Berücksichtigung der dargelegten Fakten am spezifischen Strafcharakter der Verfolgung im Rahmen von „Boden- und Wirtschaftsreform“ nicht gezweifelt werden, ist damit auch die letzte Voraussetzung für eine strafrechtliche Rehabilitierung gegeben. Den Betroffenen steht daher nach wie vor ein Anspruch auf strafrechtliche Rehabilitierung zu, der zur Aufhebung der Unrechtsakte führt und diverse Folgeansprüche auslöst. Dazu zählen auch Folgeansprüche nach dem Vermögensgesetz (§ 1 Abs. 7 VermG), das dann trotz des besatzungshoheitlichen Charakters nicht ausgeschlossen ist, was § 1 Abs. 8 lit. a), 2. Halbs. VermG ausdrücklich klarstellt. Lassen sich danach keine Rückgabeansprüche mehr durchsetzen, etwa weil die Vermögenswerte inzwischen von der BVVG verkauft wurden, hat der Verfolgte aber Anspruch auf Herausgabe des Verkaufserlöses oder – bei Unternehmen – auch des Verkehrswertes. 105 Diese Beträge liegen allemal höher als bloße Ausgleichsleistungen, die bei grö___________ 103 Vgl. zur Sanktion der Vermögenseinziehung: Art. VIII Ziff. II lit. b), Art. IX Ziff. 2 KRD Nr. 38. 104 Direktive Nr. 57: Verfügung über Vermögen, das auf Grund der Bestimmungen des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 oder anderer gemäß Kontrollratsdirektive Nr. 38 erlassener Bestimmungen eingezogen worden ist, vom 15. Januar 1948 (ZVOBl. S. 56), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 218. 105 Vgl. § 3 Abs. 4 S. 3, § 6 Abs. 6 a S. 3, 4 VermG.

Strafrechtliche Rehabilitierung der Verfolgungsmaßnahmen

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ßeren Vermögensmassen häufig nur weniger als 3% des Verkehrswertes ausmachen.

V. Gründe für bislang unterbliebene Rehabilitierungen Abschließend ist der Frage nachzugehen, weshalb eine strafrechtliche Rehabilitierung der Verfolgungsopfer der repressiven Terroraktionen der „Bodenund Wirtschaftsreform“ von den strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichten bislang nicht zugesprochen wird, obgleich sie das geltende Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz vorsieht. Ein wesentlicher Grund ist zunächst, dass diese Gerichte weiterhin von einem anderen Sachverhalt ausgehen. Vorgezeichnet ist dies bereits durch das Bodenreformurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. April 1991.106 Darin werden „Boden- und Wirtschaftsreform“ ausschließlich als bloße Enteignungen von Betriebsvermögen beschrieben und auf dieser Grundlage verfassungsrechtlich beurteilt.107 Diese Darstellung beruhte allerdings lediglich auf dem Vortrag der Beschwerdeführer und dem Vorbringen des Bundesministeriums der Justiz,108 ohne dass das Bundesverfassungsgericht eigene Ermittlungen über die tatsächlich durchgeführten Verfolgungsmaßnahmen angestellt hätte. Das Bundesverfassungsgericht ist – anders als die Fachgerichte unterhalb der Revisionsinstanz – kein Tatsachengericht. Im Übrigen war 1991 den häufig im Westen lebenden Beschwerdeführern, aber auch den maßgeblichen Vertretern des Bundesministeriums der Justiz das tatsächliche Verfolgungsgeschehen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ unbekannt. Es ergibt sich erst aus der Zusammenschau zahlreicher, den im bundesdeutschen Recht geschulten Juristen nicht ohne weiteres verständlichen Rechtsvorschriften. Zentrale Bestimmungen, etwa die Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid, waren darüber hinaus nicht veröffentlicht und daher unbekannt. 1991 im Umlauf befindliche Textsammlungen zu den Verfolgungsmaßnahmen waren darüber hinaus unzutreffend oder unvollständig.109 Wesentlich war außerdem: Die Verfahren vor den Kommissionen waren nicht nur nichtöffentlich, sondern sind auch ohne Beteiligung der Betroffenen durchgeführt worden. Die darüber gefertigten Dokumente wurden niemandem zugänglich gemacht. Sie lagern bis heute in diversen Staats- und Landesarchiven, ohne jemals ordentlich aufgearbeitet worden zu sein. ___________ 106

BVerfGE 84, 90 ff. BVerfGE 84, 90 (96 ff., 120 ff.). 108 Vgl. BVerfGE 84, 90 (96 ff.). 109 Dies gilt insbesondere für die Zusammenstellung des Gesamtdeutschen Instituts, Bestimmungen der DDR zu Eigentumsfragen und Enteignungen, 1971. 107

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Obgleich seit dem Bodenreformurteil inzwischen 20 Jahre vergangen sind, sind die Vorgänge der „Boden- und Wirtschaftsreform“ auch weiterhin von der zeithistorischen Forschung allenfalls am Rande behandelt worden. Insbesondere wurden nicht die Fakten aufgearbeitet, die aus juristischer Sicht die Annahme einer gegen allgemeine Prinzipien der Gerechtigkeit verstoßende, strafrechtliche Verfolgung durch die stalinistisch geprägten Machthaber in der SBZ ergeben. Auch die Interessentenverbände der Opfer der „Boden- und Wirtschaftsreform“ haben sich zumeist nicht der Aufgabe gestellt, ernsthafte Anstrengungen zur Aufarbeitung der historischen Fakten der Verfolgung zu unternehmen.110 Vor diesem Hintergrund haben sich auch die strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte darauf beschränkt, auf der Grundlage der allgemein bekannten Sachverhaltsausschnitte zu entscheiden. Diese aber geben nicht viel mehr her als eine bloß entschädigungslose Enteignung oder bestenfalls eine verwaltungsrechtlich betriebene Verfolgung. Auch die strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte unterliegen zwar der Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen.111 Die Ermittlungspflicht geht aber nur so weit, wie sich aus den Akten, den Anregungen der Beteiligten oder dem Verfahrensablauf Anhaltspunkte dafür ergeben, weiteren Beweismitteln nachzugehen.112 Praktisch werden die strafrechtlichen Rehabilitierungsgerichte daher nur dann zu einer Ermittlung der tatsächlichen Verfolgungsvorgänge angehalten, wenn die entsprechenden Rechtstatsachen lückenlos von den Antragstellern vorgetragen und dokumentiert werden. Dies aber setzt jeweils umfangreiche Recherchen in Archiven voraus, die bis heute nicht zufriedenstellend möglich sind oder von den Archiven – etwa unter Berufung auf den Datenschutz – gar gezielt behindert werden. Hinzu kommt, dass weiterhin die Vorstellung vorherrscht, Nr. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Erklärung,113 wonach „Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) nicht mehr rückgängig“ zu machen sind, erfasse per se sämtliche Vermögenszugriffe, die sich im Rahmen der Verfolgungsaktionen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ ereignet haben.114 Dies gilt unabhängig davon, dass der Wortlaut von Nr. 1 der Erklärung die Vorgänge der „Boden- und Wirtschaftsreform“ nicht erwähnt, dass er aus___________ 110

tum. 111

Eine Ausnahme gilt insofern nur für die Aktionsgemeinschaft Recht und Eigen-

Vgl. § 10 Abs. 1 StrRehaG. Vgl. nur: BGHSt 3, 169 (175); 10, 116 (118); 30, 131 (140); NStZ 1983, S. 210; L. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. 2011, § 244 Rn. 12. 113 Gemeinsame Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990, aufgrund Art. 41 Abs. 1 EV als Anlage III Bestandteil des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl. I S. 885), abgedr. in: Schönfelder II, Nr. 2. 114 Besonders deutlich wird diese Vorstellung in der Entscheidung des LG Dresden, ZOV 2009, S. 246 f. 112

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schließlich Enteignungen, also rein objektbezogene Vermögensverluste erfasst, nicht aber Verfolgungsvorgänge mit vermögensrechtlichen Folgen, und dass Nr. 9 der Erklärung die DDR verpflichtet, zu Vermögenseinziehungen im Zusammenhang mit rechtsstaatswidrigen Strafverfahren die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Korrektur in einem justizförmigen Verfahren zu schaffen. Letzteres macht klar, dass strafrechtliche Vermögenseinziehungen niemals eine Enteignung i. S. von Nr. 1 der Erklärung darstellen können. Deshalb ist zunächst zu prüfen, ob ein Vermögensverlust eine strafrechtliche Vermögenseinziehung dargestellt hat. Ist dies zu bejahen, ist Nr. 1 der Erklärung nicht mehr in Betracht zu ziehen. Dennoch behauptet das Landgericht Dresden für Vorgänge im Rahmen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ ohne Begründung weiterhin das Gegenteil.115 Obgleich ihm erstmals umfassend der Sachverhalt der strafrechtlichen Verfolgung auf der Grundlage der Richtlinien zum sächsischen Volksentscheid vorgetragen worden ist, meint dieses Gericht offenbar, wegen Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung den Sachverhalt der Verfolgung von vornherein nicht aufarbeiten zu müssen.116

VI. Ergebnis Die inzwischen jedenfalls im juristischen Schrifttum erfolgte und in diesem Beitrag kurz wiedergegebene Aufarbeitung der tatsächlichen Verfolgungsvorgänge im Rahmen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ macht deutlich, dass die große Vielzahl der dabei vorgenommenen Unrechtsmaßnahmen spezifisch strafrechtliche Verfolgungsakte dargestellt haben, die wegen ihrer groben Willkürlichkeit, mit der sämtliche rechtsstaatlichen Garantien gezielt außer acht gelassen wurden, außerdem gegen elementare Prinzipien der Gerechtigkeit verstoßen haben. Sie sind daher, ebenso wie etwa die Verfolgung durch das Sondergericht in Waldheim,117 per se nichtig. Daher sieht das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz eine (deklaratorische) Rehabilitierung der Betroffenen vor, die ihrerseits unterschiedliche Folgeansprüche, darunter grundsätzlich auch die Rückgabe der entzogenen Vermögenswerte, nach sich zieht. Doch dies wird von den damit befassten Gerichten bis heute verweigert, weil sie die Tatsachen des Verfolgungsgeschehens nicht zur Kenntnis nehmen. Somit ist die juristische ___________ 115 LG Dresden, ZOV 2009, S. 246 f., bislang bestätigt durch OLG Dresden, Beschl. vom 26. November 2010, Az. 1 Reha Ws 98/09. 116 Demgegenüber hat das BVerfG die Fachgerichte ausdrücklich zu einer Ermittlung des Verfolgungssachverhalts auch im Rahmen der „Boden- und Wirtschaftsreform“ für verpflichtet gehalten (vgl. nur: BVerfGE 94, 12, 32 f.). 117 KG, NJW 1954, S. 1901 (1902); BezG Dresden, NStZ 1992, S. 137 (139); DtZ 1992, S. 91 (94); Beschl. vom 11. November 1991, Az. BSK (1) 442/91.

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Aufarbeitung dieser Verfolgungsvorgänge nicht bereits weitgehend abgeschlossen. Sie steht überhaupt erst noch vollständig aus. * * *

Abstract Johannes Wasmuth: Necessary Rehabilitation under Criminal Law Aspects of the Measures of Persecution Used Against Victims of the “Land and Industry Reform”, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to Terms with the Past. Vol. III. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2012) pp. 123–150. The efforts to analyse the state measures effective during the “land and industry reform”, of which a short account is given in this article, makes clear that the large variety of these measures resolved from these reforms have outlined specific persecuting character, which, due to their severe injustness, violate basic principles of justice. As a result, these are per se invalid. Therefore, the rehabilitation law under criminal law aspects provides (declarative) rehabilitation for those concerned, which entails various subsequent claims, amongst which the return of the deprived property asset is principle. However, this has until now been denied by the courts dealing with the issue as they are not taken notice of the facts of the persecuting proceedings that were executed. Consequently, the legal remediation of these proceedings has not yet been entirely closed. In truth, it still remains in its entirety.

Einige Probleme der Vergangenheitsbewältigung am Beispiel der Restitutionen in der Tschechischen Republik Von Jan Filip

I. Einführung Das Thema der Tagung „Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht“ ist für die zweite Phase der Samtenen Revolution sehr aktuell geworden. Allgemein gesagt, ist die Tschechische Republik leider ein idealer Fall zur Demonstration mehr oder minder erfolgreicher Lösungen der Problematik der Vergangenheitsaufarbeitung.1 Im Vergleich mit vielen glücklicheren Staaten2 wurde das Gebiet der althergebrachten Länder der Böhmischen Krone seit dem 15. Jahrhundert zum Schauplatz und Zeugen vieler und wiederholter Wenden der politischen, religiösen Geschichte, aber auch vermögensrechtlicher Umwälzungen. Viele Kämpfe, Kriege, Umstürze, Revolutionen und Konterrevolutionen im Herzen Europas lieferten und liefern noch heute ein wirklich ergiebiges Material für Erwägungen zum Thema meines Beitrages.3 ___________ 1 Ich spreche absichtlich nicht von der Vergangenheitsbewältigung, denn meiner Meinung nach passt das Wort nicht besonders auf die Lösung einiger Fragen unserer gemeinsamen Geschichte. Das zeigte in anschaulicher Weise die Aussprache während der Tagung in Bad Pyrmont im Oktober 2010. Die Versuche, unsere Vergangenheit zu bewältigen, endeten oft damit, dass unsere gemeinsame Vergangenheit uns selbst bewältigte. Das gilt schließlich auch für deutsche Erfahrungen. Vgl. z. B. P. Reichel, in: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz. 2. Aufl. 2007, S. 20 ff. 2 Die Tschechische Republik ist nicht in der Lage Großbritanniens, wo sich seit dem Jahre 1689 nichts Interessantes ereignete; nur das Staatsregime änderte sich im 20. Jahrhundert mindestens siebenmal (1918, 1938, 1939, 1945, 1948, 1989, 1992). Vor diesem Hintergrund kann man nachvollziehen, warum bei uns im 20. Jahrhundert mehr als 40 Amnestien verkündet wurden. 3 Man sollte zugestehen, dass auch auf diesem Felde die berühmte These von der deutschen Tüchtigkeit gilt. Dazu W. Fiedler, Bewältigung von Revolutionen und Umbrüchen in Deutschland, Der Staat 1992, S. 438 ff. – Die Tschechische Republik hatte keinen Osten und keinen Westen, was mindestens teilweise erklärt, dass die Restitutionsjudikatur unserer Gerichte mit dem Verfassungsgericht an der Spitze keinen Eiertanz aufführt, wie es mit der Judikatur zur Entschädigung von Opfern der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone der Fall ist. Nichtsdestoweniger lieferte das umfangreiche deutsche Schrifttum (seit Beginn der 1990er Jahre) sehr gute Belehrungen zu dieser

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Es genügt, als Ereignis den utraquistischen Aufstand gegen die katholischen Habsburger in den Jahren 1618 – 1620 zu erwähnen. Er endete mit der Niederlage der protestantischen Stände, an deren Spitze der „Winterkönig“ Friedrich von Pfalz stand, in der Schlacht am Weißen Berg. Es folgte eine gewaltsame Rekatholisierung,4 die mit umfangreichen Eingriffen in damals bestehende Eigentumsverhältnisse verknüpft wurde. Zwar bekamen dabei der Adel und die freien Bürger die Möglichkeit zum Verkauf ihrer unbeweglichen Güter und Liegenschaften. Allerdings verursachte dies eine Absenkung der Grundstückspreise. Diese durch die religiöse Verfolgung geschaffenen Marktverhältnisse schufen Gelegenheit für vorteilhafte Einkäufe oder Gewinne auf der Seite des heimischen katholischen Adels, aber auch auf der Seite des Adels aus deutschen und österreichischen Ländern, aus Italien oder Frankreich. Warum beginne ich in so entfernter Zeit? Im Folgenden versuche ich zu beweisen, dass eine Wiedervergeltung sogar nach Jahrhunderten kommen kann5 und dass man eine Gerechtigkeitsvorstellung nicht nur auf die Lebenszeit des Einzelnen begrenzen kann. Aber zurück zu unserer Geschichte. Es folgten die Reformen des Kaisers Josef II. in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts, die insbesondere kirchliches Eigentum betrafen. Auch diese Tatsache verursachte große Eigentumsverschiebungen zu Gunsten des Staates und zu Lasten insbesondere der katholischen Kirche. Was das 20. Jahrhundert betrifft, ist der Erste Weltkrieg zu erwähnen, in Folge dessen der Widerstand gegen die alte Monarchie auch einige Repressalien verursachte, die nach dem Krieg das neue Regime zu beseitigen versuchte. Eines der ersten Gesetze des Nationalkomitees vom 2. November 1918 erklärte alle Beschlagnahmungen von Vermögenswerten für „hochverräterische“ Handlungen nach der kaiserlichen Verordnung Nr. 156/1915 RGBl. für aufgehoben.6 ___________ Problematik für die tschechische Judikatur. Ich wollte nicht Eulen nach Athen tragen, so will ich nur die Abhandlungen von Autoren wie W. Leisner, M. Rau, R. Wassermann, K. Doehring, A. v. Komorowski, M. Heintzen usw. benennen. Die Tatsache, dass in deutschen Juristen stets die Idee unermüdlichen Kampfes ums Recht (R. v. Ihering) lebt, beweisen die neuesten Arbeiten aus den Federn der Mitglieder der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, diese Tagung in Bad Pyrmont wie auch die zwei vorangegangenen Tagungen. 4 Wie kann die Vergangenheit in einem Staat bewältigt werden, in dem Ferdinand II. von einem Tag auf den anderen alle Untertanen zu Katholiken erklärte, obwohl die Hälfte der Bevölkerung zum utraquistischen Bekenntnis gehört hatte? Man kann sagen, dass die notwendige Verstellung eines bedeutenden Teils der Bevölkerung, um die eigene religiöse Überzeugung zu verbergen, auch künftig den nationalen Charakter brandmarkte, aber auch die Fähigkeit, in feindlicher Umgebung zu überleben. 5 Nach der Wiederherstellung der tschechischen Staatlichkeit am 28. Oktober 1918 kam jener berüchtigte „Tag“ der Abrechnung mit dem Unrecht der Vergangenheit. 6 In dieser Abhandlung kann ich nicht die Aufmerksamkeit den verwandten Problemen auf diesem Gebiet im Nachkriegsdeutschland widmen. Dazu z. B. R. Stentzel, Zum

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Das alles war jedoch nur ein Vorspiel vor den Ausmaßen des Unrechts, die die Rechtswidrigkeiten und Ungerechtigkeiten des 20. Jahrhunderts brachten. Damals ist es zu grundsätzlichen Veränderungen auf dem Gebiet der Grundbedingungen des menschlichen Lebens infolge der rassischen Verfolgung, des Hochverrates, des Klassenkampfes und der Machtumwälzungen aus den Jahren 1938, 1939, 1945, 1948, 1968 usw. gekommen. Das betraf das Recht auf Vermögensschutz, auf Wohnort und Heimat, auf Leben. Darüber hinaus verursachten die Bemühungen um eine Heilung des Unrechts oft ein neues Unrecht, z. B. durch die Verletzung einer neuen Eigentümerstellung bei der Erfüllung der Pflicht zur Rückerstattung des Eigentums an den ursprünglichen Besitzer.

II. Instrumente für die Wiedererrichtung des demokratischen Rechtsstaates nach der Wende 1989 Im Vergleich mit den Problemen nach der Wiedervereinigung Deutschlands sind für die Tschechische Republik einige Unterschiede im Hinblick auf die Restitutionsfrage im Jahre 1989 zu beobachten. Es ist interessant, dass ursprünglich in Demonstrationen nur die politischen Forderungen auf Einrichtung einer wirklichen Demokratie anstelle der Demokratisierung des bestehenden Systems, baldige Abhaltung freier Wahlen, Abschaffung der Führungsrolle der kommunistischen Partei in Staat und Gesellschaft, Gewährleistung der Freiheit von Presse und Rundfunk usw. erhoben wurden. Dies führte zu einer Reihe von Maßnahmen – wie zur Bildung der neuen Regierung (Anfang Dezember 1989), dann zu Veränderungen in der Zusammensetzung der Vertretungsorgane (damals die Föderalversammlung, die Nationalräte, die Nationalausschüsse) ohne neue Wahlen in Form der Kooptation neuer Abgeordneter auf Grundlage der Vereinbarungen am Runden Tisch (November bis Januar 1990) und schließlich zur symbolischen Wahl des neuen Präsidenten (Václav Havel) am 29. Dezember 1989. Man kann sagen, dass diese erste Phase der Samtenen Revolution durch Maßnahmen auf dem Gebiet der Demokratie gekennzeichnet war, 7 in der das kollektive Staatsbewusstsein an die hervorragenden Erfahrungen der ersten tschechoslowakischen Republik anknüpfen konnte. Als hochentwickelte Vorkriegsdemokratie verfügte die Tschechoslowakei über praktische Erfahrungen auf allen Gebieten (Verfassungsgerichtsbarkeit, Parlamentarismus, Minderheitenrechte, gerechte Wahlgesetzgebung, Parteienrecht usw.). ___________ Verhältnis von Recht und Politik in der Weimarer Republik. Der Streit um die sogenannte Fürstenenteignung, Der Staat 2000, S. 275 ff. 7 Demokratie ist daher eine notwendige Voraussetzung der Vergangenheitsbewältigung, nicht nur ihr Ziel.

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Dies führt zu einer wichtigen These: Es wurde als das Wichtigste empfunden, für die zukünftigen grundsätzlichen Umwälzungen eine feste legitime Grundlage vorzubereiten. Ohne diese wären auch die Restitutionen und Eigentumsrückerstattungen nur als ein weiteres Unrecht begriffen worden, denn die Gesetzgebungsorgane aus den Wahlen 1986 und nach der Kooptation ohne Wahl entbehrten jener notwendigen Legitimation. Die Entwicklung kulminierte in der ersten Phase der Samtenen Revolution (17. November 1989 bis 6. Juni 1990) in eine fast unendliche Reihe demokratischer Vorkehrungen, die ohne Zweifel ins Arsenal der Mittel zur Vergangenheitsbewältigung eingehen. Beispielsweise sind hier zu erwähnen: –

vier verkündete Amnestien – eine vom ausscheidenden Präsidenten G. Husák (8. Dezember 1989) für damalige politische Gefangene, die zweite vom neuen Präsidenten V. Havel (1. Januar 1990) im bestimmten Umfang für fast alle Straftaten, die dritte am 15. Februar 1990 für den Straftatbestand der unerlaubten Bewaffnung und die vierte Amnestie von der neuen Regierung für fast alle Übertretungen und Ordnungswidrigkeiten;



das Gesetz über die gerichtliche Rehabilitierung bedeutend (Nr. 119/1990 Slg. [23. April 1990]); die strafgerichtliche Rehabilitierung war notwendig zur Lösung einiger (nicht aller, denn dies erwies sich als unmöglich) Fragen des Eigentumsunrechts;



eine Reihe von Gesetzen, die eine notwendige Voraussetzung für das normale politische Leben und für demokratische und freie Wahlen bilden, u. a. das Gesetz über politische Parteien (Nr. 15/1990 Slg.),8 die Gesetze über die Wahlen zur Föderalversammlung (Nr. 47/1990 Slg.) und zur Wahl der Nationalräte (Nr. 54 und Nr. 55/1990 Slg.);



eine Reihe von Gesetzen, die politische Freiheiten gewährleisten, u. a. die Vereinigungsfreiheit (Nr. 83/1990 Slg.), die Versammlungsfreiheit (Nr. 84/1990 Slg.), das Petitionsrecht (Nr. 85/1990 Slg.), die Pressefreiheit (Nr. 86/1990 Slg.), die Koalitionsfreiheit (Nr. 120/1990 Slg.) und das Recht auf freien Unterricht und zur Forschungsfreiheit (Nr. 172/1990 Slg.);

___________ 8

Dieses Gesetz erleichterte den Prozess der Entstehung neuer Parteien und die Herausbildung eines politischen Pluralismus. Auf der anderen Seite wurden die ersten Schritte in Richtung einer streitbaren Demokratie gemacht, als die Novelle des Strafgesetzbuches (das Gesetz Nr. 557/1991 Slg.) die neue Fassung des Straftatbestandes der Unterstützung oder Propagation von Bewegungen verankerte (§ 260), die „erweisbar auf die Unterdrückung von Rechten und Freiheiten der Bürger gerichtet sind oder Völker-, Klassen- oder Religionshass verbreiten (wie zum Beispiel Faschismus oder Kommunismus).“

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die ersten, notwendigsten Gesetze auf dem Gebiet der Volkswirtschaft, zum Beispiel die Gesetze über Bankwesen, über Staatsbetriebe, über Aktiengesellschaften, über Wohnungs-, Verbraucher- und Produktionsgenossenschaften.

Was unsere Problematik der Eigentumsrückerstattung und der Restitutionen betrifft, so können wir auf diesem Gebiet die ersten Schritte nach dem Vorbild der Jahre 1918 und 1945 beobachten.9 Diese ersten Vorkehrungen bestanden darin, Eigentumsverschiebungen zu blockieren. Am Anfang steht hier besonders das Verbot der Übertragung des Eigentums der politischen Parteien, gesellschaftlicher Organisationen der ehemaligen Nationalen Front, ihrer Organe sowie Bestandteile mit eigener Rechtspersönlichkeit und ihrer Nachfolger, wenn solche Organisationen Subventionen aus den nationalen Haushalten der Föderation oder ihrer Subjekte zum 31. Dezember 1989 bekamen (Gesetz Nr. 177/1990 Slg.). Aus dieser ersten Phase stammen dagegen nur einzelne Restitutionsgesetze. Das erste Gesetz erneuerte die Tätigkeit der ehemaligen Turnorganisationen Sokol (Der Falke) und Orel (Der Adler) und betraf die Rückerstattung ihres Eigentums (Gesetz Nr. 173/1990 Slg.). Das zweite Gesetz (sog. Auszählungsgesetz, Nr. 298/1990 Slg.) ermöglichte die Restitutionen des kirchlichen Eigentums.10 Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Lösung grundlegender Probleme auf allen Gebieten der Gesellschaft wurden sodann sukzessive die Fragen bezüglich freier Wahlen und einer neuen Verfassung angegangen. Vor allem die ersten freien Wahlen im Juni 1990 bildeten endlich nach mehr als 55 Jahren (seit 1935) neue Organe der Volksrepräsentation, die vollumfänglich zur Formulierung, Vorbereitung und Durchführung der Reformen legitimiert waren. Die drei wichtigsten Aufgaben für ihre erste Wahlperiode11 waren a) die Verabschiedung neuer Verfassungen für die Föderation und für beide Republiken, b) wirtschaftliche Reformen und die Herausbildung der Grundlagen der freien Marktwirtschaft, c) die Heilung und Wiedergutmachung des begangenen Unrechts aus der Zeit des Sozialismus im Rahmen der staatlichen Möglichkeiten. Die Aufgabe sub c) fordert nähere Erläuterungen: ___________ 9 Es wundert, wie verwandt die Vorgänge und Methoden zur Heilung des Unrechts in den Jahren 1945 und 1991 und welcher Art die dazu verabschiedeten Gesetze waren. 10 Diese zweite Phase (mit Ausnahme des jüdischen Eigentums-Gesetzes, Nr. 212/2000 Slg.) ist sogar nach 20 Jahren nach wie vor nicht abgeschlossen, weil der Versuch eines Eigentumsausgleichs mit den Kirchen und religiösen Gesellschaften vor drei Jahren scheiterte. Das diesbezügliche Gesetz rechnete mit einem Kostenaufwand auf der Seite des Staates in Höhe von 270 Milliarden Kronen (ca. 10 Milliarden Euro). 11 Anders als zur Zeit des Sozialismus handelte es sich nur um eine zweijährige Wahlperiode.

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III. Überblick möglicher Lösungen Am Anfang bestand allein die Vorstellung, dass alle Erscheinungen des alten Unrechts abgewickelt und gebüßt werden sollten. Aber natürlich hatten einzelne politische Kräfte im Näheren sehr verschiedene Vorstellungen davon. Sie reichten von schierer und schlichter Entschuldigung bis zur Rückkehr nicht nur zum Jahre 1948,12 sondern sogar zum 29. September 1938 (Münchner Abkommen) samt des Wunsches nach einer Wiedereinführung der damaligen Gesetzgebung. Welche realistischen Möglichkeiten bestanden damals also wirklich? In Betracht kam eine Reihe von Rechtsmitteln aus dem Arsenal der Theorie der Vergangenheitsbewältigung.13 Von ihnen wurden vor allem die folgenden eingesetzt: –

Repressionen zur Unterdrückung der Anhänger des alten Regimes und ihr Ausschluss aus dem öffentlichen Leben. Solche Maßnahmen wurden im Jahre 1945 breit benutzt,14 während nach dem Jahre 1989 vor allem das Lustrationsgesetz (Nr. 451/1991 Slg.) erlassen und Bereinigungskommissionen auf dem Gebiet Justiz und Polizei eingerichtet wurden.



Aburteilung und Missbilligung der Handlungen und Politik des alten Regimes15 und der kommunistischen Partei.16 Insoweit wurde die Geset___________ 12 Am 25. Februar 1948 ernannte während der Regierungskrise der damalige Präsident E. Beneš eine neue Regierung allein an Hand von Vorlagen des Regierungsvorsitzenden und Vorsitzenden der kommunistischen Partei K. Gottwald. 13 Dazu H. Quaritsch, Theorie der Vergangenheitsbewältigung. Der Staat 1992, S. 519-551. 14 Zum Beispiel der Verlust der Bürgerrechte, die Bereinigungskommissionen für öffentliche Angestellte, Retributionsdekrete als strafrechtliche Vorschriften gegen Verräter und Feinde der Republik, ganz zu schweigen von Maßnahmen gegen die nichtslawische Bevölkerung (alle Personen deutscher und magyarischer Nationalität ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit). 15 In Gesetzesform wird im § 1 des Gesetzes Nr. 198/1993 Slg. festgestellt: Das kommunistische Regime und diejenigen, die es aktiv durchsetzten, haben: „a) den Bürgern jegliche Möglichkeit zur politischen Willensäußerung verweigert, sie gezwungen, ihre Meinung zur Lage des Staates und der Gesellschaft zu verbergen, ihnen ihre öffentliche Zustimmung auch für etwas abgenötigt, das sie für Lüge und Verbrechen hielten, und zwar durch Verfolgung oder durch Androhung der Verfolgung ihrer selbst, ihrer Angehörigen und derjenigen, die ihnen nahestanden; b) die Menschenrechte systematisch und auf Dauer verletzt, wobei einige politische, gesellschaftliche und religiöse Vereinigungen von Bürgern in besonders rigider Weise unterdrückt wurden; c) die Grundprinzipien des demokratischen Rechtsstaats sowie internationale Verträge missachtet und auf diese Weise praktisch den Willen und die Ziele der kommunistischen Partei und ihrer Vertreter über das Gesetz gestellt; d) die Bürger mit allen Machtmitteln verfolgt, und zwar insbesondere: – sie hingerichtet oder ermordet, in Gefängnissen und Arbeitslagern eingekerkert, sie im Laufe der Ermittlungen oder während der Haft brutaler Behandlung einschließlich

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zesform vom Verfassungsgericht nur teilweise anerkannt, da das Gericht im Erkenntnis Nr. 14/1994 Slg. diese wertenden Bestimmungen nur als schlichte Deklarationen ohne normativen Gehalt erkannte.17 –

Satisfaktion oder Genugtuung als Anerkennung der Verdienste für tapferes bürgerliches und patriotisches Verhalten als eine Form der Bitte um Verzeihung (1945, 1989).18



Rehabilitierung als Wiederherstellung der bürgerlichen Ehre und der Unbescholtenheit (Gesetz Nr. 119/1990 Slg.).

___________ physischer und psychischer Folter unterzogen und sie unmenschlichen Strapazen ausgesetzt, – ihnen willkürlich ihr Eigentum entzogen bzw. sie in ihren Eigentumsrechten beeinträchtigt, – ihnen die Ausübung ihres Berufs, ihres Gewerbes oder ihres Amtes unmöglich gemacht und sie von akademischer bzw. beruflicher Bildung ausgeschlossen, – sie daran gehindert, nach Belieben Auslandsreisen zu unternehmen und nach Belieben zurückzukehren, – sie auf unbestimmte Zeit zum Militärdienst bei den Technischen Hilfsbataillonen und bei den Technischen Bataillonen eingezogen; e) nicht gezögert, zur Erreichung ihrer Ziele Verbrechen zu begehen bzw. deren straffreie Begehung zu ermöglichen, und denen ungerechtfertigte Vorteile verschafft, die sich an Verbrechen und Verfolgungen beteiligt haben; f) sich mit auswärtigen Mächten verbündet und vom Jahre 1968 an den beschriebenen Zustand mit Hilfe von deren Okkupationstruppen abgesichert.“ Dieses Gesetz Nr. 198/1993 Slg. über die Rechtswidrigkeit des kommunistischen Regimes und über den Widerstand dagegen ist auch abgedr. in: Berichte zu Staat und Gesellschaft in der Tschechischen und in der Slowakischen Republik. Collegium Carolinum, 1994, Heft 1, S. 37-39. 16 Eben genanntes Gesetz (Fn. 15) erklärte im § 2 Abs. 2: „Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei war eine verbrecherische und verabscheuungswürdige Organisation.“ 17 Abrufbar unter: http://www.usoud.cz/view/pl-19-93 in englischer Übersetzung. Das bedeutet nicht, dass der Text kein Gewicht hat. Dasselbe gilt z. B. für das Gesetz Nr. 294 /2004 Slg., welches proklamiert: „Edvard Beneš hat sich um den Staat verdient gemacht.“ Zweifellos handelt es sich um eine Richtlinie und eine Anweisung für die tschechische Staatspolitik, ungeachtet der Tatsache, dass V. Klaus als Präsident seine Unterschrift unter das Gesetz ablehnte. 18 Hier kann man wieder das Gesetz Nr. 198/1993 Slg., § 3 und § 4 anführen: „Der Widerstand der Bürger gegen dieses Regime, den sie einzeln oder gemeinschaftlich auf der Grundlage demokratischer, politischer, religiöser oder sittlicher Überzeugung dadurch bekundeten, dass sie es entweder bekämpften oder sonst aktiv dagegen eintraten oder diesen auf andere Weise bewusst und öffentlich Ausdruck verliehen und dies innerhalb der Staatsgrenzen wie auch im Ausland, möglicherweise auch in Verbindung mit auswärtigen demokratischen Mächten getan haben, war legitim, gerecht, moralisch begründet und verdient Respekt. Jeder, der vom kommunistischen Regime ungerechtfertigterweise geschädigt oder verfolgt wurde und sich nicht an den in § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes angeführten Verbrechen beteiligt hat, verdient Anteilnahme und moralische Genugtuung.“

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Reparation als Ersatzpflicht seitens der Schuldigen. Im Jahre 1990 sind vor allem die Verfassungsgesetze Nr. 496 und Nr. 497 über die Rückgabe des Vermögens der Kommunistischen Partei und des Sozialistischen Jugendverbandes an das Volk der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik verabschiedet worden.



Amnestie oder Gnade als Mittel der Versöhnung und Verzeihung. Charakteristisch ist, dass seit dem Jahre 1920 bis 1998 mehr als 40 Amnestien verkündet wurden, wobei einige von ihnen durchaus problematisch sind.19



Restitutionen oder Rückgewährung von Ämtern, Vermögen und Staatsbürgerschaft20 (1918, 1945, 1989).



Schon von Anfang an zeigte sich, dass das Ausmaß des Unrechts nicht mit einem einzigen komplexen Gesetz bereinigt werden kann. Doch sind all diese Instrumente umfangreich nach dem Vorbild der Jahre 1918 – 1920 und 1945 – 1946 eingesetzt worden. Man kann dennoch nicht sagen, dass hierzu von Anfang an eine bestimmte Absicht bestand. Eher handelte es sich um eine natürliche Gesetzmäßigkeit bei der Vergangenheitsbewältigung, die „aus der Natur der Sache“ zu verstehen ist.

Ebenso stellte sich die Frage nach der positiven Verfassungsverankerung der Restitutionen, weil diese eine Form des Eingriffes in die Eigentumsrechte der bisherigen Besitzer darstellen. Doch weder die Verfassung der Tschechischen Republik noch die Charta der Grundrechte und Grundfreiheiten oder andere Verfassungsgesetze befassen sich damit explizit. So entwickelte das Verfassungsgericht seine Judikatur dazu sukzessive und fasste sie nach fast 15 Jahren in einer Stellungnahme21 über die zwei Schlüsselfragen zur Eigentumsrestitution zusammen. Seine (nicht einstimmig) erreichte Position besteht darin, dass: ___________ 19 Als Vorbild des Gesetzes Nr. 115/1946 Slg. über die Rechtmäßigkeit von Handlungen, welche mit dem Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zusammenhängen, scheint der Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Gewährung von Straffreiheit vom 7. Juni 1939 (RGBl. I, S. 1023) gedient zu haben, das aus Anlass der Wiedereingliederung der sudetendeutschen Gebiete ins Reich und der Übernahme des Protektorats Böhmen und Mähren erlassen wurde. 20 Auch hier lernten wir von den Deutschen. Z. B. ist das Institut der Aberkennung der Angehörigkeit zum Protektorat Böhmen und Mähren in den Jahren 1949 – 1989 sehr intensiv als Kampfmittel des kommunistischen Regimes gegen die Dissidenten genutzt worden. 21 Az.: Pl. ÚS-st. 21/05. Entscheidungen des Verfassungsgerichts sind hier nur mit Aktenzeichen benannt. Alle Entscheidungen des Verfassungsgerichts sind unter folgender Adresse http://nalus.usoud.cz/Search/Search.aspx in tschechischer Sprache verfügbar. Die wichtigsten Entscheidungen sind abrufbar in englischer Übersetzung unter folgender Adresse: http://www.usoud.cz/view/726. Stellungnahmen sind eine spezielle Form seiner Beschlussfassung, in der die divergierenden Rechtsansichten seiner Be-

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das Eigentumsunrecht in einem durch die Restitutionsgesetze bestimmten Zeitraum eine Verletzung von rechtsstaatlichen Grundsätzen darstellt,



verfassungsrechtlich keine Wiedergutmachung gefordert ist,



es Sache des freien Staatswillens war, dem ehemaligen Besitzer zu ermöglichen, die Eigentumsrückgabe in gesetzmäßiger Weise zu verlangen,



solche Gesetze nur als Milderung,22 nicht als Behebung allen Unrechts anzusehen sind,



solche Gesetze dann als leges speciales wirken sollen, so dass die Anwendung allgemeiner Vorschriften (insbesondere des Bürgerlichen Gesetzbuches mit der Möglichkeit zur Feststellungsklage) nicht in Betracht kommen soll.23

IV. Die juristischen Hauptinstrumente und Rechtsfiguren Im Folgenden versuche ich einige Besonderheiten des tschechischen Zugangs zur Restitutionsproblematik aufzuzeigen. Es treten hier viele komplizierte juristische Fragen hervor, denn es zeigte sich auch, dass die Jurisprudenz auf diesem Gebiet einem klassischen Rätsel begegnete – auf welche Art und Weise mit der Hilfe bescheidener, fader und prosaischer Rechtsfiguren das Problem der Gerechtigkeit und der Heilung des Unrechts sich ausdrücken lässt. Am Anfang der 1990er Jahre beschwerte sich Bärbel Bohley aus dem ehemaligen Neuen Forum, dass ostdeutsche Dissidenten Gerechtigkeit wollten, stattdessen aber einen Rechtsstaat bekamen. Eine ähnliche Enttäuschung konnte ___________ standteile (Senate, Plenum) in Einklang gebracht werden. § 23 des Verfassungsgerichtsgesetzes bestimmt, dass wenn ein Senat des Verfassungsgerichtes im Zusammenhang mit seiner Entscheidung zu einer Rechtsansicht kommt, die von der Rechtsansicht des Verfassungsgerichts abweicht, dieser die Frage dem Plenum zur Beurteilung vorzulegen hat. An die Ansicht des Plenums ist der Senat im weiteren Verfahren gebunden. Eine Stellungnahme ist zustande gekommen, wenn sich für sie wenigstens neun anwesende Richter aussprechen, also 3/5 aller Richter (qualifizierte Mehrheit). 22 Es gilt also nicht die Maxime „restitutio ita facienda est, ut unusquisque integrum ius suum restitutio ita facienda est, ut unusquisque integrum ius suum recipiat“. Anlässlich der Verhandlungen in der Föderalversammlung wurde oft auf die Grenzen der ökonomischen Möglichkeiten hingewiesen, während auf die Lage der ehemaligen Sudetenund Karpatendeutscher Bevölkerung nur in einer Rede hingewiesen wurde. 23 Hierin liegt eine andere Besonderheit der tschechischen Restitutionspolitik aus der Sicht des Verfassungsgerichtes. Das traditionelle Verhältnis zwischen lex specialis und lex generalis ist verschärft. Dazu gehört auch der Ausschluss des Verjährungseinwandes oder des Ersitzungseinwandes.

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man auch in der Tschechischen Republik beobachten, vor allem weil das Image des tschechischen Rechtsstaates auf dem Gebiet der Eigentumsrückerstattung ganz anders als im Vergleich zum Seufzer von B. Bohley erscheint. Ich muss zugestehen, dass ich damals zwar nicht ein gegenteiliges, dennoch ein anderes Gefühl hatte.24 Die Möglichkeiten des Rechts und der Jurisprudenz sind nämlich ziemlich begrenzt, da man Geschehenes nicht ungeschehen machen kann. Die juristischen Hauptinstrumente und notwendigen Rechtsinstitute sind auf diesem Felde: –

Bestimmung des Zeitraums, in dem das Unrecht stattgefunden hat,



die Festlegung der Betroffenen, also die Abgrenzung der berechtigten Personen und der pflichtigen Personen,



die Definition der Gründe für die Abhilfe,



die Kanonisierung der Auslegungsmethoden der Restitutionsvorschriften sowohl seitens inländischer Gerichte als auch internationaler Gerichtsbarkeit.

1. Der maßgebliche Zeitraum In der Theorie der Vergangenheitsbewältigung spielt die Bestimmung des relevanten Zeitraums eine ausschlaggebende Rolle, nämlich: a) in welchem das eventuelle Unrecht begangen wurde, b) in welchem die Möglichkeit für die Heilung des Unrechts und für Abhilfe eröffnet wird. Es handelt sich hier wirklich um eine politisch heikle Frage. Durch die Bestimmung des Zeitraumes wird gleichzeitig über den Kreis der betroffenen Personen und über die Gründe der Wiedergutmachung entschieden. Damit ist praktisch alles Weitere prädestiniert. Bei der Behandlung dieser Frage ist eine Eigenart zu erwähnen. Unser (tschechisches) politisches Bewusstsein geht regelmäßig aus dem Stereotyp eines Zeitraums der Unfreiheit hervor. Ein erster solcher Zeitraum wird in unserer Historie oft mit der Periode nach der Schlacht am Weißen Berg (1620) und der Einführung der Erneuerten Landesordnung (1627 – 1628) als rechtliche Krö-

___________ 24

Aus anderer Sicht gründlich zur Vorstellung einer Kluft zwischen Gerechtigkeit und Rechtsstaat siehe I. v. Münch, Rechtsstaat versus Gerechtigkeit, Der Staat 1994, S. 177 ff.

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nung des Habsburger Absolutismus verbunden.25 Diese Zeiträume bieten interessante Anschauungsbeispiele für die Technik juristischer Vergangenheitsbewältigung. Hierbei lassen sich Zeiträume von allgemeiner Bedeutung und solche mit speziellen Zwecken unterscheiden:

a) Die allgemeinen Zeitraumbestimmungen Als Rechtsfigur der ersten Gruppe erschien der Begriff im Verfassungsdekret Nr. 11/1944 Slg. über die Wiederherstellung der Rechtsordnung. Das Dekret bestimmte, dass die auf tschechoslowakischem Gebiet in einer Zeit, als das tschechoslowakische Volk seiner Freiheit beraubt war (die Zeit der Unfreiheit), erlassenen Vorschriften keinen Bestandteil der tschechoslowakischen Rechtsordnung bilden. Der Zeitraum der Unfreiheit sei dann der Zeitraum ab dem 30. September 1938 bis zu dem Zeitpunkt, der durch Regierungsverordnung bestimmt wird.26 Das ist als eine allgemeine Zeitraumbestimmung zu betrachten. Jedoch sei bemerkt, dass im Gesetz Nr. 115/1946 Slg. über die Rechtmäßigkeit von Handlungen, welche mit dem Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zusammenhängen, davon eine problematische Ausnahme gemacht wurde. Danach wurden die zwischen dem 30. September 1938 und dem 28. Oktober 1945 (also nicht dem Kriegsende im Mai 1945) mit den Zielen der Wiederherstellung der Freiheit oder gerechter Vergeltung für die Taten der Okkupanten begangenen Handlungen für straflos erklärt und also gerechtfertigt. Die folgende allgemeine Bestimmung bezieht sich auf die neue Unrechtsperiode. Sie befindet sich im Gesetz Nr. 480/1991 Slg. über den Zeitraum der Unfreiheit 1948 – 1989. Wenn wir alle diese Zeiträume zusammenrechnen, kommen wir auf eine Zahl (1620 – 1918, 1938 – 1945, 1948 – 1989) von 346 Jahren der Unfreiheit und 44 Jahren der Freiheit.

b) Die besonderen Zeitraumbestimmungen Für unser Restitutionsthema sind aber die speziellen Zeiträume wichtiger, insbesondere: ___________ 25

An die Adresse der alten Monarchie sollte ich (mit Rücksicht auf das Ausmaß der beschlagnahmten Vermögenswerte) auf den Seufzer des Dichters Jaroslav Kvapil (der Teilnehmer am Widerstand gegen Österreich während dem Krieg war) erinnern, der Österreich als „mittelalterliche Tortur“ bezeichnete. 26 Das Ende terminierte die tschechoslowakische Regierung mit der Verordnung Nr. 31/1945 Slg. auf den 4. Mai 1945, was also für die Anwendung der Rechtsvorschriften aus dieser Zeit der Unfreiheit maßgebend wurde.

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a) 28. Juli 1914 bis 28. Oktober 1918 – Amnestie für die Soldaten, b) 9. Juni 1915 bis 28. Oktober 1918 – Aufhebung aller Beschlagnahmen von Vermögenswerten für die „hochverräterischen“ Handlungen nach der kaiserlichen Verordnung Nr. 156/1915 RGBl. (Gesetz Nr. 8/1918 Slg.), c) 30. September 1938 bis 8. Mai 1945 – Ungültigkeit aller vermögensrechtlichen Übertragungen und aller vermögensrechtlichen Geschäfte, gleichgültig, ob es sich um bewegliches oder unbewegliches, öffentliches oder privates Vermögen handelte, sofern sie nach dem 29. September 1938 unter dem Druck der Okkupation oder der nationalen, rassischen oder politischen Verfolgung getätigt worden waren (Dekret Nr. 5/1945 Slg.), d) 29. September 1938 bis 8. Mai 1945 – Eigentumsrückerstattung für jüdische Gemeinden, Vereine und Stiftungen (Gesetz Nr. 211/2000 Slg.), e) 17. September 1938 bis 7. Mai 1957 – der Zeitraum des Kriegszustandes in der Tschechoslowakei, was für den Verlust der Staatsbürgerschaft (durch Naturalisierung in den USA) entscheidend wurde, f)

25. Februar 1948 bis 1. Januar 1990 – Anwendungsbereich der zwei wichtigsten Restitutionsgesetze (Gesetz Nr. 87/1991 Slg. über die außergerichtliche Rehabilitierung und Gesetz Nr. 229/1991 Slg. über die Regelung der Eigentumsbeziehungen an Boden und anderem landwirtschaftlichen Vermögen),

g) 26. Oktober 1955 bis 31. Dezember 1975 – Anwendungsbereich des Ausgangsrestitutionsgesetzes Nr. 403/1990 Slg. über die Linderung der Folgen einiger Vermögensunrechtstaten. Andere Zeiträume haben weitere Unrechtsaspekte betroffen. Zum Beispiel: a) 25. Februar 1948 bis 29. Oktober 1989 – Anwendungsbereich des Gesetzes Nr. 198/1993 Slg. über die Rechtswidrigkeit des kommunistischen Regimes und über den Widerstand dagegen,27 b) Oktober 1949 bis 31. Dezember 1989 – Möglichkeit zur Wiedererlangung des staatsbürgerlichen Status der ehemaligen Staatsbürger, die im genannten Zeitraum infolge einer Aberkennung oder Entlassung aus der Staatsbürgerschaft die Staatsbürgerschaft verloren hatten; dies wurde zur ___________ 27

Nach § 5 dieses Gesetzes gilt, dass der Zeitraum zwischen dem 25. Februar 1948 und dem 29. Oktober 1989 nicht zur Verjährungsfrist von Straftaten gerechnet wird, sofern es aus politischen Erwägungen, die nicht mit den Grundprinzipien der Rechtsordnung eines demokratischen Staates vereinbar sind, nicht zu einem rechtskräftigen Urteil bzw. Freispruch gekommen ist.

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wichtigen Voraussetzung für die Erfüllung der Bedingungen der Restitutionsgesetze (das Gesetz Nr. 88/1990 Slg.), c) 25. Februar bis 28. März 1990 –Anwendungsbereich des Gesetzes Nr. 193/1999 Slg. über die Staatsbürgerschaft einiger ehemaliger tschechoslowakischer Staatsbürger; das Gesetz eröffnete den Weg zum Wiedererwerb der jetzt natürlich nur tschechischen Staatsbürgerschaft, ohne dass damit jedoch – im Gegensatz zu sub b) – eine neue Möglichkeit zu einer Vermögensrückerstattung gegeben war. Besonderer Druck lastete auf der Diskussion um den Tag des 25. Februar 1948. Bedeutend in diesem Zusammenhang war auch die (sonst problematische) Entscheidung des Verfassungsgerichts Nr. 55/1995 Slg. über die Verfassungsmäßigkeit des Präsidentendekretes Nr. 108/1945 Slg. über die Konfiskation des feindlichen Vermögens und die Fonds der nationalen Erneuerung (Az. Nr. Pl. ÚS 14/94).28 Diese Entscheidung erging auf die Verfassungsbeschwerde von Rudolf Dreithaller (Az. IV. ÚS 192/94).29 Der akzessorische Antrag auf Aufhebung des Dekrets wurde im betroffenen Fall zwar abgelehnt, der Verfassungsbeschwerde selbst aber stattgegeben. Eine abstrakte Überprüfung des Dekrets Nr. 108/1945 hat das Verfassungsgericht abgelehnt, weil es seiner Ansicht nach „seinen Zweck bereits erfüllt und seit mehr als vierzig Jahren keine Rechtsbeziehungen mehr begründet, somit also keinen konstitutiven Charakter mehr hat.“ Daher käme einer Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit keinerlei rechtliche Funktion zu.30 Die Zeiträume für die Geltendmachung der Restitutionsansprüche wurden im Durchschnitt auf ungefähr eineinhalb Jahre bemessen.31 Da das Verfassungsge___________ 28

In diesem Zusammenhang muss man erwähnen, dass es im Verfassungsrecht der Tschechischen Republik möglich ist, jede gültige (ausnahmsweise sogar bereits ungültige) Rechtsvorschrift auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen. Laut dem Verfassungsgerichtsgesetz Nr. 162/1920 Slg. (§ 12) konnte der Antrag binnen drei Jahren nach dem Tag der Verkündung des betreffenden Gesetzes gestellt werden. Anders als in dieser Regelung aus dem Jahre 1920 ist eine solche Zeitbegrenzung heute nicht mehr in Geltung. Ein Antrag ist aber unzulässig, wenn das Gesetz, eine andere Rechtsvorschrift oder einzelne Bestimmungen davon, deren Aufhebung beantragt wird, vor der Zustellung des Antrages an das Verfassungsgericht ihre Gültigkeit (nicht ihre Wirksamkeit) verlieren. 29 Nach dem tschechischen Verfassungsgerichtsgesetz (§ 74) gibt es die Möglichkeit, zusammen mit der Verfassungsbeschwerde einen Antrag zu stellen, der auf die Aufhebung eines Gesetzes oder einer anderen Rechtsvorschrift gerichtet ist, durch deren Anwendung der Sachverhalt entstanden ist, der Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist. 30 Im Nachhinein stellte sich jedoch die Frage, warum der Antrag dann nicht einfach durch schlichten Beschluss verworfen wurde. 31 Z. B. im Gesetz Nr. 229/1991 Slg. über Bodeneigentum galt die Frist vom 24. Juni 1991 bis 31. Dezember 1992, die noch bis zum 31. Januar 1993 verlängert wurde. Im

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richt in den Jahren 1994 und 1996 die Bedingung des ständigen Aufenthalts auf dem Gebiet der Tschechischen Republik aufgehoben hat,32 war der Gesetzgeber verpflichtet, solchen neuen Berechtigten neue Fristen einzuräumen. Im Jahre 1994 kam es zu einer weiteren Ausdehnung zugunsten der Opfer rassischer Verfolgung (Gesetz Nr. 116/1994 Slg.).

2. Der berechtigte (betroffene) Personenkreis In engem Zusammenhang mit der Bestimmung der Fristen zur Geltendmachung der Restitutionsansprüche wurde über die Bestimmung der berechtigten Personen diskutiert. Als Hauptvoraussetzungen wurden verankert: a) Entgegen der Ansicht jüngerer Abgeordneter, die anfangs verlangten, dass nur die ursprünglichen Besitzer restituieren dürften, können nun auch deren Erben Ansprüche erheben. b) Eine Schlüsselfrage war die Bedingung der tschechoslowakischen (tschechischen) Staatsbürgerschaft. Den Einwand ihrer Verfassungswidrigkeit33 hat das Verfassungsgericht verworfen.34 Die Frage ist jedoch ___________ Jahre 1996 wurde die Frist auf Grundlage der Erkenntnisse des Verfassungsgerichts (Nr. 29/1996 Slg.) noch um weitere sechs Monate verlängert. 32 Erkenntnisse Nr. 164/1964 Slg. und Nr. 29/1996 Slg. 33 Der Einwand ist regelmäßig aus der Sicht des UNO-Paktes für Menschen- und Bürgerrechte durch den Menschenrechtsausschuss in Genf bekräftigt worden, so in einer ganzen Reihe von Mitteilungen des Ausschusses zu Beschwerden über die Unvereinbarkeit dieser Bedingung mit Art. 26 dieses UNO-Paktes. Man kennt die einschlägigen Fälle Simunek u. a., Adam u. a., Des Fours Walderode, Brok und Brokova, Fabryova und Pezoldova – stets gegen die Tschechische Republik. Der Ausschuss hat dabei auch seine „Beunruhigung“ und sogar sein „Bedauern“ hinsichtlich der tschechischen Stellungnahme dazu ausgedrückt; siehe die Punkte Nr. 24 und 25 der Concluding Observations vs. Czech Republic, vom 27/08/2001, CCPR/CO/72/CZE (abrufbar unter: www. czechoffice.org/UNHRC%20Observations.htm). Die Stellungnahme der tschechischen Regierung und das Erkenntnis des Verfassungsgerichtes sind auch im tschechischen Schrifttum kritisiert worden; z. B. E. Hubálková.: Majetkové restituce. Problematika majetkových restitucí ve světle judiciální interpretace mezinárodní ochrany lidských práv (Eigentumsrestitutionen. Problematik der Eigentumsrestitutionen im Lichte justizieller Auslegung des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes), in: ASPI 2004, S. 103–111. Die Beschwerden der deutschen Staatsangehörigen hat der Ausschuss als unzulässig abgelehnt; siehe die Fälle Gerhard Malik vs. Czech Republic, Communication No. 669/1995, UN-Doc. CCPR/C/64/D/669/1995, und Ruediger Schlosser vs. Czech Republic, Communication Nr. 670/1995, CCPR/C/64/D/670/1995 aus dem Jahre 1998 (abrufbar unter der Adresse: http://www1.umn.edu/humanrts/undocs/undocs.htm) oder der letzte Fall Josef Bergauer u. a. Communication Nr. 1748/2008, UN-Doc. CCPR/C/100/D/1748/2008 aus dem Jahre 2010. 34 Erkenntnis Nr. 185/1997 Slg. Diese Entscheidung bestätigte die tschechische Auslegung dieser Bedingung trotz der Mitteilungen des Menschenrechtsausschusses wegen Verletzung des Art. 26 des UNO-Paktes für Menschen- und Bürgerrechte. Das

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stets gegenwärtig. Zum letzten Mal hat das Verfassungsgericht darüber im September 2010 entschieden.35 Der Antrag wurde als offensichtlich unbegründet abgelehnt. c) Dagegen wurde die Bedingung des ständigen Aufenthaltes auf dem Staatsgebiet vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig aufgehoben, trotz der Behauptung, dass es sich um eine Form der effektiven Privatisierung handele. d) Der Verlust des Eigentums muss auf eine bestimmte Art und Weise erfolgt sein, die im einschlägigen Gesetz definiert ist (dazu unten, Punkt 4.). e) Die Restitutionen erstrecken sich mit einigen Ausnahmen (Turnorganisationen, Kirchen und jüdische Gemeinden)36 nur auf natürliche Personen. f)

Durch Gesetz Nr. 243/1992 Slg. war der Kreis der berechtigten Personen noch um die Angehörigen der deutschen und magyarischen Minderheit mit tschechischer Staatsangehörigkeit erweitert worden. Dabei wurden jedoch noch weitere Bedingungen gestellt: (1) das Vermögen muss nach dem Dekret Nr. 12/1945 Slg. enteignet worden sein, (2) ratione personae muss der Antragsteller tschechoslowakischer Staatsangehöriger sein, (3) der Antragsteller hat sich gegen den tschechoslowakischen Staat nichts zuschulden kommen lassen und (4) er durfte die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft gemäß Verfassungsdekret Nr. 33 nicht verloren oder musste diese aufgrund später erlassener staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften bis zum Jahre 1953 wiedererlangt haben.37

___________ Verfassungsgericht stützte sich auf Art. 11 Abs. 2 der Charta der Grundrechte und Grundfreiheiten, der bestimmt, dass das Gesetz regelt, welcher Besitz für die Sicherung der Bedürfnisse der ganzen Gesellschaft, für die Entwicklung der Volkswirtschaft und des Gemeinwohls nur Eigentum des Staates, der Gemeinden oder bestimmter Rechtspersonen sein darf; das Gesetz kann auch bestimmen, dass bestimmte Sachen nur im Besitz von Bürgern oder Rechtspersonen mit Sitz in der Tschechischen Republik sein dürfen. 35 Beschluss Nr. Pl. 30/10; das hängt mit dem oben genannten Gesetz Nr. 193/1999 Slg. über die Staatsbürgerschaft einiger ehemaliger tschechoslowakischer Staatsbürger zusammen. Auf der anderen Seite hat das Verfassungsgericht bestätigt (sog. Lex Walderode – Erkenntnis II. ÚS 326/98), dass die nachträgliche Einführung der Voraussetzung des ununterbrochenen Besitzes der Staatsbürgerschaft durch das Gesetz Nr. 30/1996 und die rückwirkende Anwendung nichtig war. Es ist daher nicht klar, warum dieselbe Ansicht vom UN-Menschenrechtsausschuss noch einmal wiederholt wurde (Des Fours Walderode vs. Tschechische Republik, Communication Nr. 747/1997, Stellungnahme vom 2. November 2001). 36 Schon erwähnte Gesetze Nr. 173/1990 Slg., Nr. 298/1990 Slg. und 212/2000 Slg. 37 Einen leichten Schock verursachte ein unerwartetes Urteil eines Bezirksgerichtes in Prag vom September 2010. Das Gericht entschied unter anderem, dass der Vorfahr der Kläger den Fragebogen (über die deutsche Staatsangehörigkeit) im Jahre 1939 unter

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3. Die zur Eigentumsrückerstattung verpflichteten Personen Die Bestimmung der pflichtigen Personen unterliegt natürlich einerseits rechtsstaatlichen Beschränkungen, andererseits spielen aber auch Aspekte der Repression der Besiegten eine Rolle.38 Das beweist z. B. das frühere Gesetz über die Inbesitznahme des großen Bodeneigentums (Nr. 215/1915 Slg.), das den Grundsatz verankerte, dass über die Erstattung von Eigentum durch ein besonderes Gesetz entschieden wird. Es wurde jedoch keine Rückerstattung für das Vermögen der Mitglieder von feindlichen Staaten vorgesehen, vor allem für die Angehörigen des ehemaligen Hauses der Familie Habsburg-Lothringen. Das erklärte sich auch mit Hinweis auf die Geschichte und das Unrecht nach der Schlacht auf dem Weißen Berg. So kehre ich noch einmal zu der Bemerkung zurück, dass auch nach Jahrhunderten „der Tag“ kommen kann, an dem der Staat, hier der neue tschechoslowakische Staat in den Jahren 1918 – 1919 in Gesetzen über die Landnahme des Bodenvermögens, das mehr als 150 Hektar landwirtschaftlichen Boden oder insgesamt 250 Hektar überstieg, eine Vergeltung für die Maßnahmen der Habsburger nach dem Jahre 1620 unternimmt. Diese bescheidene Gerechtigkeit ist also pünktlich nach 300 Jahren gekommen. Die heute zur Restitution vor allem verpflichteten Personen sind der Staat oder eine juristische Person (mit einigen Ausnahmen für die ausländischen juristischen Personen und fremde Staaten), die zu dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der betreffenden Restitutionsgesetze das gegenständliche Eigentum in Besitz haben. Größere Probleme waren mit der Vorschrift verknüpft, gemäß der auch die natürlichen Personen eine solche Pflicht hatten, falls sie Eigentum vom Staat oder einer juristischen Person in rechtlich oder moralisch anfechtbarer Art und Weise erworben hatten, das heißt im Widerspruch zum damals geltenden ___________ Druck und Drohungen ausgefüllt hatte, was seine absolute Ungültigkeit zur Folge habe. Es handelt sich allerdings nur um eine Entscheidung in erster Instanz. 38 Wie aber steht es aus rechtstaatlicher Sicht mit dem kollektiven Schuldvorwurf? Der Vorwurf tritt leider auch in der Erkenntnis des Verfassungsgerichtes (Nr. 55/1995 Slg.) zur Legitimität und Gültigkeit der präsidentiellen Dekrete aus dem Jahre 1945 auf. Die Erkenntnis sollte eher eine juristisch begründete Auslegung der heutigen Stellung dieser Dekrete in unserer Rechtsordnung und ihre Auswirkung liefern. Anstelle eines juristischen Standpunktes zum Problem der so genannten Obsolenz der Dekrete bekamen wir aber eine allgemeine Schilderung der Kollektivschuld des deutschen Volkes. Unter Gerechtigkeit versteht oft jeder etwas anderes. So erwartete man keine Traktate über historische Gerechtigkeit, sondern auf die Wiederherstellung der Rechtstaatlichkeit. Ein Problem liegt überdies darin, dass die Behauptung, dass das Dekret Nr. 108/1945 Slg. „seinen Zweck bereits erfüllt und seit mehr als vierzig Jahren keine Rechtsbeziehungen mehr begründet, somit also keinen konstitutiven Charakter mehr hat“, nur im Verhältnis zu dem genannten Dekret gelten kann. Eine ganz andere Situation liegt auf dem Gebiet der Dekrete von 1945 über Statusfragen vor, wo man nicht von einer Obsoletheit sprechen kann (z. B. das Verfassungsdekret Nr. 33/1945 Slg. über die Regelung der tschechoslowakischen Staatangehörigkeit von Personen deutscher und magyarischer Nationalität).

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Recht, also aufgrund einer rechtswidrigen Begünstigung oder zu einem geringeren als dem damals genormten Preis. Die Bemühungen um eine Heilung des Unrechts verursachten aber mitunter auch ein neues Unrecht zu Lasten solcher redlichen Eigentümer, die ihren Besitz an die ursprünglichen Eigentümer zurückgeben mussten.39 Es ist hervorzuheben, dass sich der tschechische Staat auch zur Heilung anderen Unrechts entschieden hat. Gemäß dem Gesetz Nr. 172/2002 Slg. wurden von uns auch die ehemaligen tschechoslowakischen Staatsbürger entschädigt,40 falls sie in den Jahren 1944 – 1945 aus unserem Gebiet vom sowjetischen Geheimdienst in die UdSSR verschleppt worden waren.

4. Die Gründe für die Restitution Dieses Thema ist so breit, dass ich mich auf das Notwendigste begrenze, denn jeder einzelne Restitutionsgrund stellt eine komplizierte Problematik dar.41 Allgemein kann man sagen, dass zum Ausgangspunkt die Prämisse wurde, dass damalige Rechtsvorschriften aus dem betreffenden Zeitraum (siehe oben, Punkt 1.) unberücksichtigt bleiben sollten.42 Die Aufzählung der Restitutionsgründe ist eine Lektion aus der Praxis der „praktischen“, nicht der „reinen“ Gerechtigkeit und gleichzeitig auch eine Belehrung über die Möglichkeiten des Rechts, solche Probleme zu lösen. Jeglicher Restitutionsgrund ist dadurch gekennzeichnet, dass er nur die Milderung der Folgen „einiger“ Unrechtsvorgänge und Unrechtstaten des ehemaligen Regimes einräumt. Dabei geht es einerseits um Korrektur „klassischer“ Rechtswidrigkeiten, wie z. B.:

___________ 39

Für die Wertbestimmung der Rückgabepflicht ist von den damaligen Preisen mit einer bestimmten Erhöhung ausgegangen worden. Beispielweise kostete im Jahre 1988 eine Wohnung ca. 30.000 Kronen und ein Videogerät ca. 20.000 Kronen, ein Quadratmeter Boden 0,40 Kronen. Im Zeitpunkt der Restitutionen kostete dieselbe Wohnung schon mehr als eine Million Kronen, ein Videogerät nur 5.000 Kronen und ein Quadratmeter Boden bis 5.000 Kronen. Erst der Präzedenzfall Pinc und Pincova gegen die Tschechische Republik, der durch den EGMR im Jahre 2002 entschieden worden war, veränderte ein bisschen diese Lage. 40 Die Entschädigung betrug ca. 480 Euro pro Monat der Dauer der Verschleppung in die Sowjetunion. 41 Überdies hatte jedes Restitutionsgesetz seine eigene Aufzählung der Restitutionsgründe. 42 Es wäre auch schwerlich rechtlich lösbar, rückwirkend solche Probleme zu entscheiden. Es gilt daher, dass die Sachen im Restitutionsprozess „ausgegeben“ und nicht „zurückgegeben“ werden.

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a) Urteile, die den Verfall einer Liegenschaft oder Sache festgestellt hatten, b) Enteignungen ohne Entschädigung oder ohne Schadensersatz, c) Kaufverträge in Zwangslage oder zu auffallend ungünstigen Bedingungen, d) Schenkungsverträge in Zwangslage, e) Renuntiationserklärungen für den Fall der Auswanderung, f)

Verstaatlichungen unter Verstoß gegen die Rechtsvorschriften,

g) Übernahme von Immobilien ohne Rechtsgrundlage usw.43 Außerdem bemühte sich der Gesetzgeber, die Lage wiedergutzumachen, wo es noch möglich war, z. B. die enteignete Liegenschaft noch vorhanden war und dauerhaft nicht dem Zweck diente, für den sie enteignet war. Schließlich stellte der Gesetzgeber eine Reihe von Generalklauseln auf, welche zur Heilung anderer Fälle des Unrechts dienen sollten. Dazu gehörte z. B. die Wiedergutmachung erlittener politischer Verfolgung oder verfahrensrechtlicher Behandlung, die die allgemein anerkannten Menschenrechte und Freiheiten verletzt hatte.44 Und in diesem Zusammenhang ist auch zu unterstreichen, dass das Verfassungsgericht bereits von Anfang an richtig zwischen den Rechtsfiguren der Restitution und der Enteignung unterschieden hat.45 5. Auslegung der Restitutionsgesetze Man kann sagen, dass das Hauptmerkmal der Restitutionsjudikatur in der Tschechischen Republik eine Form von „restitutionskonformer“ Auslegung der ___________ 43

Bemerkenswert ist, wie fade und bescheiden, aber auch geheimnisvoll der Grund im Wortlaut formuliert ist: „Übernahme oder Besitznahme ohne rechtliche Grundlage“, und wie viel Poesie darin liegt, so es doch eigentlich darum geht, dass der Staat etwas geplündert oder gestohlen hatte. 44 Als Maßstab konnte nicht (ratione temporis) die geltende Urkunde der Grundrechte und Grundfreiheiten aus dem Jahre 1991 (Nr. 23/1991 Slg.) oder die EMRK (Nr. 209/1992 Slg.) dienen, sondern vor allem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO (1948) und der UNO-Pakt über politische und bürgerliche Rechte (1966). Der Grund dafür ist die Ansicht des EGMR, dass man beim Entzug von Eigentum grundsätzlich von einem einmaligen Akt („instantaneous act“) und nicht von einem Dauerdelikt ausgehen muss. Dazu kritisch H.-D. Horn, Menschenrechte und Konfiskationen – insbesondere zu den Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone, in: G. Gornig/H.-D. Horn/D. Murswiek (Hrsg.), Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht. Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung – Teil 2, 2009, S. 60. 45 Nach dem Erkenntnis Nr. 131/1994 Slg. ist Restitution die Beseitigung einer Rechtswidrigkeit der Übertragung von Eigentum oder eines Eingriffs in den Besitz und die Wiederherstellung der ursprünglichen Rechtssituation mit Rechtswirkung ex tunc. Enteignung ist dagegen die zwingende Wegnahme der Sache im öffentlichen Interesse, auf Grund des Gesetzes, gegen Entschädigung und mit Rechtswirkungen ex nunc.

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Restitutionsgesetze ist. Das tschechische Verfassungsgericht hat zwar von Anfang an erklärt, dass es kein verfassungsmäßiges Recht auf Restitutionen gibt. Wenn sich jedoch die Tschechische Republik dafür entschieden hat, so müsse sie den Restitutionsprozess ohne Diskriminierungen durchführen und dies durchweg sicherstellen. Im Wesen und Grundsatz sind die Restitutionen als ein umfassend (ver-)urteilender Prozess zu begreifen und nicht als isolierte gerichtliche oder verwaltungsamtliche Bewertung von Schicksalen der einzelnen Personen, wie das in Verfahren der ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit die Regel ist.46 Die Entscheidung für Restitutionen machte eine umfassende Revision des ehemaligen Regimes notwendig, und die legitime Antwort darauf ist die komplexe Bewertung aller Umstände der Geschichte. Damit war auch die breite und abweichende Auslegung der traditionellen Begrifflichkeiten verbunden. Z. B. wurde der zivilrechtliche Begriff der „Handlung in einer Zwangslage“ (für den Fall einer Schenkung oder eines Verkaufs) im Zusammenhang der Atmosphäre der politischen Verfolgung, der Rechtswidrigkeiten usw. erklärt, was zu Beginn auf Widerstand der ordentlichen Gerichte stieß. Auch war der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtes zu entsprechen, dass im Rechtsstaat niemand ohne Grund dem Staate sein Eigentum schenken will und dass ein Eigentumsentzug gegen den Willen des Berechtigten normalerweise mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates unvereinbar ist.47 Sehr heikel sind die Fälle, in denen die verpflichtete Person eine natürliche Person ist. Hier ist die Bedingung für die Rückübertragung der Sache (z. B. § 4 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 87/1991 Slg. über die außergerichtliche Rehabilitierung) eine Verletzung allgemeinverbindlicher Rechtsvorschriften oder die rechtswidrige Begünstigung des Erwerbers einer Sache im maßgeblichen Zeitraum. Bei Vorliegen solcher Umstände hat das Verfassungsgericht regelmäßig auf eine Nichtbeachtung der Regeln einer objektiven Auswahl zwischen den Bewerbern um den Verkauf der betreffenden Sache erkannt (beispielsweise bei Bevorzugung von Parteifunktionären, Verwandten usw.). Das bedeutet auch, ___________ 46 Den Begriff „Prozess“ darf man nicht mit einer pauschalen Vergeltung und einer Rache (die allein Gott gebührt) verwechseln. In diesem Zusammenhang gilt immer wieder jene dialektische Strafbegründung Hegels: „Die Verletzung, die dem Verbrecher widerfährt, ist nicht nur an sich gerecht – als gerecht ist sie zugleich sein an sich seiender Wille, ein Dasein seiner Freiheit, sein Recht –, sondern sie ist auch ein Recht an den Verbrecher selbst“. Hegel, G. W. F., Základy právní filosofie (Grundlinien der Rechtsphilosophie), in: Academia 1992, § 100, S. 132. Tatsächlich aber kann man oft hier auf Auffassungen stoßen, welche Erinnerungen an den Prozess mit der Leiche des Papstes Formosus im Jahre 897 hervorrufen. Näher beispielsweise H. Schneider: Die Juristische Bewältigung der Vergangenheit, in: ders. (Hrsg.), Im Dienst an Recht und Staat. Festschrift für W. Weber, 1974, S. 16–22. 47 Dazu insbesondere im Hinblick auf die Lage in der Bundesrepublik Deutschland H.-D. Horn (Fn. 44), S. 63 ff.

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dass in Fällen, in denen keine Verletzung der gesetzlichen Bestimmungen festgestellt werden kann, die Einhaltung der Bedingungen der Gleichbehandlung beim Zugang zum Erwerb von Liegenschaften genauestens geprüft werden muss (anschaulich das Erkenntnis des Verfassungsgerichts III. ÚS 620/02). Ein anderes Beispiel der restitutionskonformen Auslegung ist die Ansicht, dass auch die rückwirkenden Nationalisierungsmaßnahmen in den Restitutionszeitraum gefallen waren.48 Auch sollte der Restitutionsantrag, der bei einem unzuständigen Amt oder Gericht eingebracht war, nach der Ansicht des Verfassungsgerichtes als rechtzeitig gestellt angesehen werden. Dieselbe Rechtsansicht greift im Falle der irrtümlichen Geltendmachung des Restitutionsanspruches (in Folge eines Fehlers in dem staatlich geführten Liegenschaftsregister) bei jemandem, der sich tatsächlich als nicht verpflichtete Person erwies, so dass die gesetzliche Antragsfrist laut dem Gesetz als nicht versäumt gilt. Die Frist zur Einbringung des Antrages wurde auch als eingehalten beurteilt, falls über das Gesuch auf Feststellung der Staatsbürgerschaft als einer Restitutionsbedingung nicht in der gesetzlichen Frist entschieden wurde und der Betreffende deswegen die Frist für den Restitutionsantrag verpasste. Als ungültig erklärte das Verfassungsgericht zudem solche Konfiskationsdekrete, die nicht der zuständige Minister unterschrieben hatte, sondern sein Stellvertreter, oder falls die Unterschrift unlesbar war (sehr restriktive Auslegung). Zum Beleg für die restitutionskonforme Rechtspraxis kann man ein paar Daten anführen. Im März 2011 listet das Informationssystem des Verfassungsgerichts insgesamt 41.564 Entscheidungen aller Art auf. Von diesen ergingen zu den zwei Hauptrestitutionsgesetzen 2.795 Entscheidungen! Noch illustrativer ist der Antragserfolg: Zum Gesetz Nr. 229/1991 Slg. (Bodenrestitutionen) liegt er bei 12,7% und im Falle des Gesetzes Nr. 87/1991 Slg. (andere Restitutionen) bei 14,7%.49 Das ist durchaus bezeichnend, denn im Durchschnitt bewegt sich der Antragserfolg beim Verfassungsgericht zwischen 3% und 7%. ___________ 48

Das Gesetz Nr. 114/1948 Slg. trat am 2. Juni 1948 in Kraft, mit Wirkung der Verstaatlichung vom 1. Januar 1948, also vor Beginn des (besonderen) Restitutionszeitraums ab dem 25. Februar 1948. Zugunsten der Betroffenen war aber anzunehmen, dass die Bedingung des Eingriffes in Eigentumsverhältnisse in diesen Zeitraum fiel. Entscheidend war nämlich nicht das Inkrafttreten des Konfiskationsgesetzes, sondern die Rechtskraft des Verwaltungsaktes, der die Erfüllung der Bedingungen für die Konfiskation nach dem 25. Februar 1948 feststellte. Damit gilt insoweit nicht die These vom „einmaligen Akt“, denn die Konfiskation braucht zu seiner Exekution im Einzelfall eine solche Feststellung, was regelmäßig auch für die Fälle nach den Konfiskationsdekreten Nr. 12/1945 Slg. und Nr. 108/1945 Slg. geltend gemacht wurde. 49 Diese Angaben sind an sich noch ungenau. Denn darin sind nicht die Entscheidungen auf Grundlage der Methode der verfassungskonformen Auslegung enthalten, obwohl auch sie praktisch als stattgebend zu bewerten sind. Diese Methode wurde auf dem Gebiet des Restitutionsrechts sehr oft angewendet und wirkte in der Folge als ein restitutionsbegünstigender Multiplikator in der Rechtsprechung ordentlicher Gerichte.

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V. Zum Schluss Die tschechischen Juristen standen vor einer komplizierten Aufgabe. Unter Anwendung nur eingeschränkt klar formulierter Gesetze sollten sie zur Herstellung von Gerechtigkeit und Wiedergutmachung des begangenen Unrechts einen mindestens gangbaren Weg finden und zugleich nicht neues Unrecht verursachen. Es zeigte sich, dass die Möglichkeiten und Optionen des positiven Rechts oft sehr bescheiden sind. Die entscheidende Rolle bei der Sicherstellung des Erfolges der Restitutionen fiel schließlich dem Verfassungsgericht zu. Die ursprüngliche Vorstellung des Gesetzgebers wurde allmählich dank der verfassungsgerichtlichen Judikatur geändert. In allem ist auch auf diesem Felde unser traditionelles Bemühen, ein Vorbild für andere Staaten in Mitteleuropa zu sein, sichtbar geworden. Dasselbe wollte schon E. Beneš im Jahre 194350 und ebenso V. Havel und V. Klaus Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Man sollte nicht vergessen, dass das Bemühen, immer der beste Schüler zu sein, auch für die Zeit des Sozialismus galt. Das Ausmaß der Verstaatlichung, der Nationalisierung und Vergesellschaftung war in der Tschechoslowakei fast absolut. Demgemäß war aber auch der Umfang der notwendigen Rückgängigmachung des Geschehenen im Wege der Restitutionen und Privatisierung unvergleichlich viel größer. Der Erfolg der Restitutionen ist dabei auch im Zusammenhang mit der Tatsache zu erklären, dass die Restitutionen zur schnellen und effektiven Form der Privatisierung in der Tschechischen Republik werden sollten. Dennoch bleiben immer noch offene Fragen – insbesondere der restitutionspolitische Brennpunkt, die sog. Obsoletheit einiger Dekrete und ihre Anwendung im Sinne der Charta der Grundrechte der EU u. a.

VI. Zusammenfassung Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage der Vergangenheitsbewältigung im Blick auf die Restitutionen und die Restitutionsgesetzgebung in der Geschichte und in der Gegenwart der Tschechischen Republik. Im Vergleich mit vielen anderen, glücklicheren Staaten wurde die Tschechische Republik zum Schauplatz mancher wiederholter Umstürze, Revolutionen und Konterrevolutionen, was ergiebiges Material für Erwägungen zum Thema liefert. Der Verfasser analysiert die Instrumente, die bei der Aufarbeitung des in der Vergangenheit begangenen Unrechts, wie z. B. Repressionen, Wiedergutmachung, Amnestie, Satisfaktion oder Genugtuung, Rehabilitation und Restitution oder Entschä___________ 50 Dazu J. Kuklík, Znárodněné Československo (Nationalisierte Tschechoslowakei), in: Auditorium 2010, S. 110.

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digung, verwendet werden können. Er veranschaulicht die Erfahrungen der Tschechischen Republik mit den Veränderungen in den Jahren 1918, 1938, 1945, 1989 und 1992. Er stellt fest, dass diese Instrumente nach dem Vorbild der Jahre 1918 – 1920 und 1945 – 1946 auch in der Gegenwart sehr umfangreich eingesetzt worden sind. Man kann jedoch nicht sagen, dass dem von Anfang an eine Absicht (eine Theorie) zugrundelag. Es überwog typischer tschechischer Pragmatismus. Es wirkte eher eine natürliche Gesetzmäßigkeit bei der Vergangenheitsbewältigung, die „aus der Natur der Sache“ zu verstehen ist. Die Hauptaufmerksamkeit widmet der Verfasser der Restitutionsproblematik. Hier betont er insbesondere, dass die Jurisprudenz auf diesem Gebiet klassischen Problemen gegenüberstand – nämlich auf welche Art und Weise mit der Hilfe bescheidener, vager und prosaischer Rechtsfiguren das Problem der Gerechtigkeit und der Heilung von Unrecht normativ geregelt werden kann. Unter Anwendung nur eingeschränkt klar formulierter Gesetze sollte man für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung des begangenen Unrechts einen mindestens gangbaren Weg finden und zugleich nicht neues Unrecht verursachen. Als wichtigste juristische Hauptinstrumente und Rechtsfiguren werden auf diesem Felde vom Verfasser betrachtet: a) die Bestimmung eines Zeitraums, in dem es zum Unrecht gekommen ist, b) die Bestimmung der Betroffenen mit der heiklen Problematik der Abgrenzung von berechtigten Personen und pflichtigen Personen, c) die Definition der Gründe für die Abhilfe und die Heilung des begangen Unrechts und d) die Auslegungsmethoden der Restitutionsvorschriften sowohl seitens inländischer Gerichte als auch unter Berücksichtigung internationaler Gerichtsbarkeit. Diese Fragen werden am Beispiel der wichtigsten Restitutionsgesetze (Gesetz Nr. 87/1991 Slg. über die außergerichtliche Rehabilitierung und Nr. 229/1991 Slg. über die Regelung der Eigentumsbeziehungen an Boden und anderem landwirtschaftlichen Vermögen) analysiert. * * *

Abstract Jan Filip: Selected Problems of the Process of Coming to Terms with the Past at the Example of Restitutions in the Czech Republic, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to Terms with the Past. Vol. III. Ed. By Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2012) pp.151–173. The treatise deals with the questions of handling the past injustice in the field of restitution legislation in the history and the contemporary Czech Republic. Compared with many more fortunate countries, the Czech Republic became the scene of some repeated upheavals, revolutions, and counter-revolutions, which provides a yielding material for considerations to the topic. The author analyses the question of instruments used in dealing with the issues of injustices commit-

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ted in the past – with such instruments as repressions, reparations, amnesties, satisfaction, rehabilitation and restitution or compensation. He demonstrates the experiences with the changes on the territory of the Czech Republic in the years 1918, 1938, 1945, 1989 and 1992. The author remarks that these instruments have been also widely used in the years 1918 – 1920 and 1945 – 1946. One could not say that there was created a particular theory of outdoing or treatment of the history. Rather a typical Czech pragmatism prevailed there. Coming to terms with the past seems more happened as a natural law process, that is to be understood “from the very nature”. The main attention is dedicated to the issue of restitution. Here, in particular, the author emphasizes there is a classic puzzle in this area – in which way to express the problems of remedies or reparations by healing of injustice with the help of modest, thread and prosaic legal figures and constructions. Using the confined legal formulations and constructions, lawyers should find a viable way for remedy and at the same time to avoid new injustices. As most important main legal instruments and legal solutions are considered in this field: (a) determining a period of time when the injustice was committed, (b) the determination of the persons concerned (entitled persons and obligated ones) what generates a number of delicate issues, (c) the definition of the reasons for the elimination and for the treatment of committed injustice and (d) the methods of interpretation of restitution legislation both by domestic courts, and by regarding international jurisdiction. These problems are demonstrated at the example of the most important restitution laws (Law No. 87/1991 Coll. on the extrajudicial rehabilitation and Law No. 229/1991 Coll. on land ownership).

Wiedergutmachung durch Restitution im deutsch-polnischen Verhältnis – im Lichte der Rechtsprechung des EGMR und des Obersten Gerichtshofs Von Andrzej Wróbel

I. Allgemeine Bemerkungen Die Problematik individueller Ansprüche deutscher Staatsbürger gegenüber Polen wegen des zwangsweise zurückgelassenen Eigentums auf den Gebieten des ehemaligen Deutschen Reichs in Folge des Zweiten Weltkrieges, die im Wege internationaler Verträge Polen zugefallen sind und denen dieses Eigentum enteignet oder auf eine andere Art und Weise durch den polnischen Staat entschädigungslos übernommen wurde, stellt einerseits ein klassisches Beispiel der Restitutionsansprüche der betroffenen Personen in Bezug auf das enteignete Eigentum oder durch das sog. kommunistische Regime übernommene Eigentum nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Andererseits weist es jedoch auf bedeutende Unterschiede hin, die insbesondere darin liegen, dass die Umsiedlung oder Vertreibung der Staatsbürger des ehemaligen Deutschen Reichs aus diesen Gebieten aufgrund und nach Ausführung internationaler Verträge erfolgte. Die Zulässigkeit oder Legitimität der Restitutionsansprüche der Staatsbürger des ehemaligen Deutschen Reichs gegenüber Polen unterliegt zweifellos der Frage, ob diese Vertreibungen und Enteignungen mit den Vorschriften des klassischen internationalen Rechts, des Europäischen Rechts und schließlich des polnischen Rechts im Einklang stehen. Dieser Beitrag beschäftigt sich nicht mit den Fragen des klassischen internationalen Rechts im Hinblick auf diese Ansprüche. Nach der zutreffenden Meinung in dem Gutachten Frowein/Barcz „bestehen keine Grundlagen für Individualansprüche deutscher Staatsbürger hinsichtlich der Enteignungen in Bezug auf die polnischen West- und Nordgebiete, weder auf Grundlage des internationalen Rechts, noch im Sinne des deutschen oder polnischen Rechts“.1 Eines Kommentars bedarf jedoch die rechtliche Beur___________ 1

s. dazu ausführlich, W.M. Góralski, Znaczenie ekspertyzy Barcz-Frowein w sprawie roszczeń z Niemiec przeciwko Polsce w związku z II wojną światową dla stosunków polsko-niemieckich, in: Transfer. Obywatelstwo. Majątek. Trudne problemy stosunków polsko-niemieckich. Studia i dokumenty (Hrsg.) W.N. Góralczyk, Warszawa 2005, ss. 229–279.

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teilung dieser Enteignungen, und insbesondere die Zulässigkeit des Rückgabeanspruches hinsichtlich des durch Polen übernommenen Eigentums durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in dem Urteil in Sachen „Preußische Treuhand“, und zwar vor dem ganzen Hintergrund der Rechtsprechung dieses Gerichtshofs zu den durch das kommunistische Regime erfolgten Nationalisierungen, Enteignungen und Konfiskationen. Das Problem der Restitution des verlorenen Eigentums durch deutsche Staatsbürger im Zuge des Zweiten Weltkrieges ist sorgfältig von den Fragen nach Restitutionsansprüchen polnischer Staatsbürger deutscher Nationalität zu unterscheiden, die das Gebiet Polens freiwillig verlassen und wegen der Ausreise nach Deutschland, auf Grund polnischer Vorschriften das in Polen hinterlassene Eigentum, welches in das Eigentum des Staatsfiskus übergegangen ist, verloren haben.

II. Die Problematik der Restitution des in der Zeit des kommunistischen Regimes übernommenen Eigentums Die Restitutionsfrage stellt sich im Hinblick auf die Enteignungen und Nationalisierungen während der kommunistischen Regimezeit sowie das verlorene Eigentum in der Transformationszeit des politischen Systems anders dar als im Falle von in klassischen, stabilisierten demokratischen Politiksystemen durchgeführten Enteignungen und Nationalisierungen. Jene Problematik ist nämlich eng mit dem Wesen der Transformation eines politischen Systems verbunden, die grundsätzlich folgende Elemente beinhaltet: (1) ihr unkalkulierbares Zeitmaß, (2) die Bildung neuer oder Neudefinition bestehender Institutionen, (3) die Leistung von Schadensersatz für die in der Vergangenheit entstandenen Schäden und/oder die Bestrafung für die im vergangenen Regime begangenen Straftaten.2 Mit der Transformation sind zwei Formen von Erwartungen verbunden, erstens die Erwartung, dass verwerfliche Taten (wrongdoings) bestraft werden, zweitens die Erwartung, dass eine Restitution erfolgt.3 Das Problem der Restitution, des Schadensersatzes oder einer anderen Form der Entschädigung für das in der kommunistischen Regimezeit nationalisierte, enteignete oder konfiszierte Eigentum wird in zwei Konstellationen relevant, und zwar wenn es um die Wiedergewinnung des Eigentums geht oder um eine Entschädigung aufgrund bisheriger Vorschriften oder aufgrund der in der ___________ 2

M. Varju, Transition as a concept of European human rights law, European Human Rights Law Review 2009, vol. 2, S. 171. 3 M.P. Golding, Transitional Regimes and the Rule of Law, Ratio Iuris 1996, vol. 9, S. 387, 390.

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Transformationslage festgesetzten Restitutions-/Privatisierungsvorschriften.4 In jedem der beiden Fälle wird das Problem jedoch aufgrund gemeinsamer Allgemeinannahmen, die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgearbeitet wurden, entschieden. Die Rede ist von folgenden Annahmen und Grundsätzen:5 1. Die Eigentumsentziehung (im engen Sinne) oder eine andere Art der Rechtsentziehung in rem ist grundsätzlich ein einmaliger Akt (instantaneous act) und stellt keine kontinuierliche „Rechtsentziehung“ dar (continuing situation of ‚deprivation of a right‘). (Mallhous v. the Czech Republic (dec.) [GC], no. 33071/96, ECHR 2000-XII). 2. Art. 1 1. ZP EMRK sichert nicht das Recht zum Erwerb oder zur Erhaltung des Eigentums (Van der Mussele v. Belgium, par. 48; Slivenko and Others v. Latvia (dec.) [GC], no. 48321/99, par. 121, ECHR 2002-II). 3. Der Beschwerdeführer kann die Verletzung von Art. 1 1. ZP EMRK nur so weit rügen, wie die in Frage gestellte Entscheidung sein Eigentum im Sinne dieser Vorschrift betrifft. Das Eigentum kann bestehendes Eigentum oder Vermögen samt Ansprüchen sein, hinsichtlich welcher der Beschwerdeführer behaupten kann, dass er über nachweisbare („berechtigte“) Erwartungen zum Erhalt seiner Eigentümerbefugnisse verfügt. E contrario kann die „einfache Hoffnung“ auf Eigentumsrechte, wenn ihre Wahrnehmung dauerhaft unmöglich war, weder als Eigentum im Sinne von Art. 1 angesehen werden noch als ein bedingter Anspruch, der wegen unerfüllter Bedingungen ausfällt. (Prince Hans-Adam II of Liechtenstein v. Germany [GC], no. 42527/98, par. 82-83, ECHR 2001VIII, and Gratzinger and Gratzingerova v. the Czech Republic (dec.) [GC], no. 39794/98, par 69, ECHR 2002-VII; Malhous v. the Czech Republic (dec.), no. 33071/96, ECHR 2000-XII; Polacek and Polackova v. Czech Republic (dec.) [GC], no. 38645/97, par. 62; and Bugarski and von Vuchetich v. Slovenia (dec.), no. 44142/98). Der Unterschied zwischen der einfachen Hoffnung auf Restitution des Eigentums, wenn sie auch verständlich sein kann, und den berechtigten Erwartungen besteht darin, dass diese rechtlich begründet sein und ___________ 4

L. Garlicki, Transformacja ustrojowa a ochrona prawa własności (aktualne tendencje w orzecznictwie ETPCz, in: Ratio est anima legis. Księga jubileuszowa ku czci Profesora Janusza Trzcińskiego, Warszawa 2007, S. 387 i nast), nennt diese entsprechend „alte Nationalisierungen und Enteignungen“ sowie „neue Restitutionsgesetzgebung“. 5 s. dazu A. Wróbel, in. Europejska Konwencja o Ochronie Praw Człowieka i Podstawowych Wolności. Komentarz. Tom II (Hrsg.) Lech Garlicki, Warszawa 2010, S. 529-540; M. Krzyżanowska-Mierzewska, Problem wywłaszczonej nieruchmości w orzecznictwie Europejskiego Trybunału Praw Człowieka i jego odniesienie do niemieckich roszczeń majątkowych wobec Polski, in: Transfer. Obywatelstwo. Majątek. Trudne problemy stosunków polsko-niemieckich. Studia i dokumenty (Hrsg.) W.N. Góralczyk, Warszawa 2005, S. 331–354.

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auf Rechtsvorschriften oder einem Gerichtsurteil basieren müssen: (Gratzinger and Gratzingerova, par. 73). Falls das Eigentümerinteresse den Charakter einer Forderung (claim) hat, kann dieses nur dann als Vermögen (asset) angesehen werden, wenn die staatliche Rechtsgrundlage ausreichend ist, z.B. das Interesse durch ständige Rechtsprechung bestätigt wird (Kopecký v. Slovakia, par. 52). 4. Art. 1 1. ZP EMRK kann weder als eine den vertragsschließenden Staaten obliegende Pflicht zur Wiedereinräumung des auf sie vor der Ratifizierung der Konvention übertragenen Eigentums (restore) verstanden werden noch als eine irgendwie geartete Einschränkung der Freiheit der vertragsschließenden Parteien, über den Gegenstand und den Umfang (scope) der Restitution sowie die Bedingungen zu bestimmen, zu denen sie die Wiedereinräumung des Eigentums an den ehemaligen Eigentümer gewähren (Jantner v. Slovakia, no. 39050/97, par. 34, Maltzan and Others v. Germany (dec.) [GC], nos. 71916/01, 71917/01 and 10260/02, ECHR 2005-V). Die Konventionsgarantie verpflichtet die vertragsschließenden Staaten nicht zur Wiedergutmachung des vor der Ratifikation der Konvention zugefügten Unrechts (wrong) oder Schadens (Assoziacione Nazionale Reduci v. Germany (dec.), no. 45563/04). 5. Die vertragsschließenden Parteien verfügen über einen weiten Ermessensspielraum (a wide margin of appreciation) hinsichtlich des Ausschlusses bestimmter Kategorien ehemaliger Eigentümer bei der Regelung der Eigentumsrestitution. Im Falle eines solchen Ausschlusses können folglich auch keine Restitutionsansprüche die Grundlage für nachweisbare Erwartungen abgeben, die den mit Art. 1 1. ZP EMRK vorgesehenen Schutz verdienen (Gratzinger and Gratzingerova v. the Czech Republic (dec.) [GC], no. 39794/98, par. 70-74, ECHR 2002-VII, and Preussische Treuhand Gmbh & Co. KG A. A. v. Poland (dec.), no. 47550/06). 6. Wenn Staaten, die die Konvention samt 1. Zusatzprotokoll ratifiziert haben, die Gesetze erlassen haben, die die volle oder teilweise Wiedereinräumung zuvor konfiszierten Eigentums vorsehen, so begründet dies für die Begünstigten neue Eigentumsrechte (a new property right), die den Schutz des Art. 1 1. ZP EMRK genießen. Dies gilt auch für solche Restitutionsgesetze, die schon vor der Ratifikation des 1. Zusatzprotokolls ergangen waren, aber danach in Kraft geblieben sind. (Broniowski v. Poland [GC], 31443/96, par. 125 and par. 33, ECHR 2004-V). Die Konstruktion der Nationalisierung, Konfiskation oder Enteignung von Eigentum im alten Regime als je einmaliger Akt dient dem Europäischen Gerichtshof zur Klärung seiner Zuständigkeit ratione temporis. Konsequenterweise stellt der Gerichtshof fest, dass die Vorschriften der Konvention die vertragsschließenden Parteien an keinerlei Tatsache oder Situation binden, die seit dem Inkrafttreten der Konvention nicht mehr existieren (Blecic v. Kroatieni, par. 80), oder dass das Gericht Beschwerden nur soweit behandeln kann, wie sie sich auf Enteignungen beziehen, die nach dem Inkrafttreten der Konvention für

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die vertragsschließenden Parteien stattgefunden (occurred) haben (Smiljanic v. Slovenia, par. 32). Wenn also festgestellt wird, dass die Eigentumsentziehung vorher erfolgt war, so ist der Gerichtshof für die Prüfung dieser Maßnahme und der durch sie bis zum jetzigen Zeitpunkt eingetretenen Folgen nicht zuständig ratione temporis. Im Grunde genommen bedeutet dies, dass es nicht möglich ist, die in der kommunistischen Regimezeit durchgeführte Nationalisierung, Konfiskation oder Enteignung durch den Gerichtshof in Frage zu stellen, da das Wesen des Straßburger Systems dem Schutz der Einheit vor gegenwärtigen Eigentumsverletzungen dienen soll „und nicht der Durchführung der historischen Gerechtigkeit“.6 Der Gerichtshof kann Tatsachen vor der Ratifikation nur so weit betrachten, wie diese als eine kontinuierliche Situation angesehen werden können, die über den Tag der Ratifikation hinaus reicht oder für die nach diesem Tage aufgetretenen Tatsachen von Bedeutung sein kann (Hutten-Czapska v. Poland [GC], no. 35014/97, par. 147-153, ECHR 2006-...). Die Eigentumsentziehung im Sinne von Art. 1 1. ZP EMRK ist also ein einmaliger Akt und stellt keine kontinuierliche Situation (continuing situation) dar. Allerdings solle beachtet werden, dass der Gerichtshof im Falle der Enteignung de facto annimmt, dass hier mit einer kontinuierlichen Situation so lange zu rechnen ist, so lange der Beschwerdeführer Eigentümer des gegebenen Gutes (Grundstücks) bleibt (Papmichalopoulos i inni p-ko Grecji, par. 33), wogegen aber die Enteignung de iure, wie oben angeführt, ein einmaliger Akt ist. Die unterschiedliche Behandlung ist maßgeblich damit begründet, dass in dem ersten Fall der ehemalige (bisherige) Eigentümer keine Rechtsperson mehr ist, die dem Schutz nach Art. 1 1. ZP EMRK unterliegt, und damit ist die kontinuierliche Situation nicht mehr gegeben, unbeschadet dessen, dass die Folgen der Enteignung de iure in der Zeit andauern. Die in dem kommunistischen System durchgeführten Enteignungen, Nationalisierungen und Konfiskationen hatten im Grunde genommen einen Charakter de iure, in diesem Sinne waren sie einmalige Akte und stellten keine kontinuierliche Situation dar, und damit war und ist der Gerichtshof für die Erörterung von Beschwerden in Bezug auf diese Ereignisse nicht zuständig. Zum ersten Mal hat der Gerichtshof seine Unzuständigkeit in Angelegenheiten hinsichtlich der Enteignung des deutschen Eigentums nach dem Zweiten Weltkrieg in dem Urteil vom 12. Juli 2001, Prince Hans-Adam de Liechtenstein gegen Deutschland, deutlich gemacht, in dem er festgestellt hat, dass die Eigentumsübername durch die Behörden der ehemaligen Tschechoslowakei im Jahre 1946 erfolgte (par. 84, 85). Eine ähnliche Stellung hat der Gerichtshof in dem Beschluss vom 2. März 2005 bezogen, von Maltzan u. a. gegen Deutschland, hinsichtlich der ___________ 6

L. Garlicki, Nowe demokracje przed Europejskim Trybunałem Praw Człowieka, in: Rada Europy a przemiany demokratyczne w państwach Europy Środkowej i Wschodniej w latach 1989-2009. Red. J. Jaskiernia, Toruń 2010, S. 171.

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durch die sowjetischen Mächte durchgeführten Enteignungen in den besetzten Gebieten Deutschlands in den Jahren 1945 – 1949, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass „das Gericht nicht – weder ratione temporis noch ratione persone – für die Beurteilung der Umstände, in denen die Enteignungen durchgeführt wurden, noch für die Beurteilung von Dauereffekten, welche sie hervorgerufen haben“, zuständig ist (par. 82). Nicht anders hat der Gerichtshof bezüglich der in der Tschechoslowakei kraft der sog. Beneš-Dekrete von 1945 durchgeführten Enteignungen gegenüber Personen deutscher Nationalität darauf verwiesen, dass „die Enteignung der Beschwerdeführer oder ihrer Vorgänger kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte, zumindest vor über 50 Jahren, lange noch vor dem Inkrafttreten der Konvention für die Tschechische Republik“, stattgefunden hat. Und so hat sich der Gerichtshof entlang seiner früheren Rechtsprechung schließlich auch hinsichtlich der Enteignungen gegenüber Personen deutscher Nationalität sowie anderer Formen ihrer Eigentumsentziehung, durchgeführt in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg, für unzuständig ratione temporis erklärt (Preußische Treuhand GmbH & Co. KG A. A. p-ko Polsce, par. 57). Erstens seien die Vorwürfe der Beschwerdeführer auf besondere Ereignisse zurückzuführen, d.h. auf individuelle Gewaltakte, Eigentumsentzug, Übernahme oder Konfiskation von Eigentum, die teilweise Polen nicht zugeschrieben und die, als Ganzes betrachtet, nur als einmalige Akte angesehen werden könnten, zweitens bleibe der Vorwurf der Verletzung des internationalen Rechts durch Polen unbegründet und drittens habe Polen keinerlei Vorschriften vor oder nach der Ratifikation über Restitution oder Schadensersatz, die ein neues Eigentumsrecht begründen könnten, erlassen (par. 61, 62).7 Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass wenn die frühere Gesetzgebung der Nationalisierung auf eindeutige Art und Weise die Übernahme des Eigentums geregelt hat, die spätere Bindung an die Bestimmungen der Konvention keine Grundlagen dafür bietet, die Eigentumsverhältnisse, die zum Zeitpunkt dieser Bindung bestanden haben, in Frage zu stellen. Eine Enteignung, Nationalisierung oder Konfiskation besitzt aber ausnahmsweise nicht die Eigenschaft eines einmaligen Aktes, sondern stellt eine kontinuierliche Situation (continuing situation) dar, wenn sie: (1) mit dem internationalen Recht nicht im Einklang steht, (2) gegen das nationale Recht verstößt (zum Zeitpunkt der Maßnahme), (3) mit der Zusicherung des Staates auf Schadensersatz oder eine andere Form der Entschädigung für den Berechtigten verbunden ist.8 ___________ 7

Siehe auch M. Krzyżanowska-Mierzewska, Skarga Powiernictwa Pruskiego – glosa do orzeczenia ETPCz z 7.10.2008 r. Preussische Treuhand GmbH & CO. KG A. A. pko Polsce, Europejski Przegląd Sądowy 2009 Nr. 2, S. 45–46. 8 Siehe L. Garlicki, Transformacja ustrojowa (Fn. 4), S. 393–397.

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Zu (1): Die Unvereinbarkeit der Enteignung (de facto) mit dem internationalen Recht wurde vom Gerichtshof indirekt in dem Urteil vom 18. Dezember 1996 in der Sache Loizidou hinsichtlich der im nördlichen Teil von Zypern nach den Ereignissen aus dem Jahr 1974 durchgeführten Enteignungen festgestellt. Rechtliche Grundlage dieser Enteignungen waren die Vorschriften der „Konstitution“ für den nördlichen Teil der Insel. Der Gerichtshof hat jedoch darauf hingewiesen, dass die internationale Gemeinschaft niemals anerkannt hat, dass auf dem nördlichen Teil Zyperns ein gesonderter Staat entstanden ist, welcher Rechtsvorschriften erlassen könnte, um wirksam Enteignungen durchzuführen. „Damit kann der Gerichtshof keine rechtliche Wirksamkeit der Vorschriften der hier besprochenen Konstitution feststellen. Es kann also nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Eigentum an den streitigen Gebieten verloren hat“ (par. 46). Hieraus folgt die Feststellung, dass die Verletzung des – immer noch bestehenden – Eigentumsrechts einen kontinuierlichen Charakter hat und damit der gerichtlichen Beurteilung ratione temporis unterfällt. Auf diese Argumentation haben sich unter anderem die Beschwerdeführer in dem Fall Preußische Treuhand berufen, indem sie geltend machten, dass ihre Situation dem Fall Loizidou insoweit ähnlich sei, als die Konfiskation des auf den ehemaligen Ostgebieten Deutschlands gelegenen deutschen Eigentums das internationale Recht verletze und damit eine kontinuierliche Eigentumsverletzung vorliege (a continuing breach of property rights) (par. 61). Dem aber hielt der Gerichtshof entgegen, dass dieser Fall von dem Fall Loizidou abweichend ist, da keine Zweifel gegeben seien, dass das frühere Gebiet Deutschlands, in dem die Beschwerdeführer ihr Grundeigentum hatten, kraft des Potsdamer Vertrages rechtmäßig Polen zugewiesen und anschließend die deutsch-polnische Grenze durch eine Reihe von bilateralen Verträgen zwischen Polen und Deutschland bestätigt worden sei. Konsequenterweise hat der Gerichtshof die Argumentation der Beschwerdeführer hinsichtlich der Verletzung des internationalen Rechts und der damit einhergehenden „inherent unlawfulness“ der von Polen getroffenen Enteignungsmaßnahmen und ihrer bis heute andauernden Dauerwirkungen zurückgewiesen (par. 61). Zu (2): In der Straßburger Rechtsprechung scheint es demgegenüber aber ganz klar zu sein: Wenn der Beschwerdeführer, unter Verletzung des zum Zeitpunkt der Enteignung geltenden nationalen Rechts, rechtswidrig enteignet wurde, so wird der Beschwerdeführer als Eigentümer des enteigneten Grundstücks bis zum jetzigen Zeitpunkt angesehen, mithin seit der Enteignung eine kontinuierliche Situation angenommen. In dem Urteil vom 22. Mai 1998 in der Sache Vasilescu gegen Rumänien hat der Gerichtshof eindeutig festgestellt, dass die Eigentumskonfiskation des Beschwerdeführers im Jahr 1966 durch Milizen gesetzeswidrig erfolgte, der Beschwerdeführer daher seit diesem Zeitpunkt Eigentümer des gesetzeswidrig konfiszierten Eigentums geblieben war und dass sich, obwohl Rumänien die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes bis zum 20. Juni 1994 nicht anerkannt hatte, die Vorwürfe des Beschwerdeführers auf eine kontinuierliche Situation bezogen, die weiterhin besteht. Darüber hinaus hat der Gerichts-

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hof festgestellt, dass bei Fehlen jeglicher rechtlicher Grundlagen die kontinuierliche Vorenthaltung (continuing retention) von Gegenständen nicht als Eigentumsentziehung oder Nutzungskontrolle am Eigentum nach Art. 1 1. ZP EMRK verstanden werden kann, sondern dies de facto eine Konfiskation ist, die mit dem Recht der normalen Eigentumsnutzung im Widerspruch steht (par. 48–50, 58). In dem Fall Tarnowski gegen Polen scheint der Gerichtshof erneut die Konstruktion einer Enteignung de facto im Hinblick auf die Situation des Beschwerdeführers anzunehmen, dem im Januar 1945 das Grundstückseigentum aufgrund des Dekrets über die Landwirtschaftsreform entzogen worden war, ohne dass jedoch die Behörden auf dieser Grundlage förmlich entschieden hatten, dass die Grundstücke im Rahmen der landwirtschaftlichen Reform in das Eigentum des Staates übergegangen waren (par. 5–6). Der Gerichtshof hat daraufhin festgestellt, dass nach der Entscheidung des Präsidenten der Stadt Kielce aus 1997, nach der manche der Grundstücksentziehungen nicht als Enteignung anzusehen seien, dem Beschwerdeführer oder seinen Nachfolgern das Recht auf Rückgabe dieser Grundstücke, ersatzweise das Recht auf Schadensersatz zustünde (par. 76). Zu (3): Als Beispiel der Eigentumsentziehung, die die Verpflichtung des Staates zur Auszahlung eines Schadensersatzes oder einer anderen Form der Entschädigung nach sich gezogen hatte, kann der Fall Broniowski gegen Polen dienen, der jedoch eine untypische Situation berührte, und zwar die Eigentumsentziehung der in den Ostgebieten der Republik Polen gelegenen Grundstücke im Zuge der „Repatriierung“ der polnischen Bevölkerung aus diesen Gebieten nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Urteil hierzu enthält bestimmte Feststellungen von allgemeinem Charakter, die sich auf typische Eigentumsentziehungen im Wege der Nationalisierung, Enteignung oder Konfiskation beziehen können. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass wenn nun „das Recht auf Achtung“ des Eigentums zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des 1. ZP für Polen als geltendes Recht angesehen wurde und – darüber hinaus – dies in späteren Gesetzesakten, der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichthofes bestätigt wurde, so hat „das Recht auf Achtung“ den aktuellen Charakter eines Vermögensrechts und ist durch die Konvention geschützt (par. 130–131). Dabei ist jedoch zu betonen, dass trotz dessen, dass der historische Hintergrund dieser Angelegenheiten, und darin die Änderung der Staatsgrenzen in Nachkriegszeiten, die hierdurch verursachte Migration der von diesen Ereignissen betroffenen Personen sowie die sogenannten Umsiedlungsvereinbarungen („Republican Agreements“), nach denen sich Rechte des Beschwerdeführers ergeben, mit Sicherheit eine Bedeutung für das Verständnis der derzeitigen komplizierten faktischen und rechtlichen Situation haben, dass der Gerichtshof sich aber mit den Fragen bezüglich irgendwelcher rechtlicher, moralischer, sozialer, finanzieller oder sonstiger Verpflichtungen des polnischen Staates nicht beschäftigen wird, die sich aus der Tatsache ergeben, dass der Eigentümer des jenseits des Bugs gelegenen Eigentums nach dem Zweiten Weltkrieg seines Eigentums durch die Sowjetunion beraubt und zur Migration gezwungen wurde. Insbesondere wird

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sich der Gerichtshof nicht mit der Frage beschäftigen, ob die sich aus den Umsiedlungsvereinbarungen ergebenden Verpflichtungen seitens Polens, für das in den Gebieten der ehemaligen Sowjetrepubliken zurückgelassene Eigentum Wertersatz zu leisten, irgendeinen Einfluss auf etwaige Rechte der Beschwerdeführer aus Landesgesetzen und der Konvention haben können, auch nicht, ob Polen den aus diesen Vereinbarungen hervorgegangenen Verpflichtungen nachgekommen ist (par. 124). Die einzige Frage, mit der sich der Gerichtshof beschäftigen wird, ist die Frage, ob Art. 1 1. ZP EMRK verletzt wurde in Folge von Handlungen und Unterlassungen seitens des polnischen Staates, die ein dem Beschwerdeführer aufgrund der polnischen Gesetzgebung am Tage des Inkrafttretens dieses Protokolls zustehendes und am 12. März 1996, als er die Beschwerde bei der Kommission eingereicht hat (par. 125), bestehendes Recht auf Enteignungsentschädigung betraf. Nach L. Garlicki wird dieses Urteil von drei Annahmen unterstützt: „Erstens, der Gerichtshof hat nicht die Eigentumsentziehung selbst bewertet, die sich lange vor dem Inkrafttreten der Konvention ereignete und den Charakter eines einmaligen Akts hatte. Eine solche Bewertung würde keine Grundlagen in der zeitlichen Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes finden. Zweitens, wenn die Eigentumsentziehung während der Geltung des „Rechts auf Achtung“ geschah und wenn die Erfüllung dieses Rechts durch Frist eingeschränkt wurde, so hat dieses Recht ein intrinsisches und dauerhaftes Bestehen. Wenn dieses Recht dann nicht durch öffentliche Behörden durchgesetzt wurde, entsteht hier eine Situation mit kontinuierlichem Charakter. Drittens, wenn nun die kontinuierliche Situation zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Konvention bestand und die öffentlichen Behörden das „Recht auf Achtung“ weiterhin nicht ordnungsgemäß durchgesetzt haben, so entsteht die Situation der kontinuierlichen Verletzung des mit Art. 1 des Protokolls Nr. 1 geschützten Rechts.“9 In dem Urteil in dem Fall Kopecky gegen Slowakei hat der Gerichtshof, unter Bezugnahme auf das Urteil in dem Fall Broniowski, festgestellt, dass wenn vertragsschließende Staaten, die die Konvention und das 1. ZP ratifiziert haben, durch Gesetz die volle oder teilweise Wiedereinräumung des konfiszierten Eigentums in dem ehemaligen Regime vorsehen, so kann solche Gesetzgebung als durch Art. 1 1. ZP geschütztes neues Eigentumsrecht (a new property right) für Personen angesehen werden, die die Bedingungen der Eigentumswiedereinräumung erfüllen. Dies gilt auch für gesetzliche Regelungen über Entschädigung oder Schadensersatz aus der Zeit vor der Ratifizierung des 1. ZP, wenn diese Regelungen nach der Ratifikation in Kraft blieben (Entscheidung vom 7. Januar 2003, par. 35d). Diesbezüglich unterscheidet sich der Fall Kopecky von dem Fall Malhous gegen die Tschechische Republik (Entscheidung vom 13. Dezember 2000) und dem Fall Gratzinger und Gratzingerova gegen die Tschechische ___________ 9

L. Garlicki (Fn. 4), S. 396–397.

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Republik, in denen den Beschwerdeführern die Möglichkeit der Rückgabe des Grundstückseigentums von Anfang an nicht gegeben war, da es offensichtlich war, dass sie entweder die gesetzlichen Bedingungen nicht erfüllt hatten oder ihre Ansprüche die gesetzlichen Grenzen überstiegen (par. 27). Eine andere Haltung hat der Gerichtshof in dem Fall Bata gegen die Tschechische Republik eingenommen, in dem der Beschwerdeführer einen nach dem Nationalisierungsdekret von 1945 vorgesehenen Schadensersatz verlangte, und zwar für die Übernahme der seinem Vater gehörenden Schuhfabrik Bata in das Eigentum des Staates. Der Beschwerdeführer hatte geltend gemacht, dass seine Ansprüche sich auf Vorschriften stützen, die dem Fall Broniewski gegen Polen ähnlich seien ([GC], no. 31443/96, par. 125, ECHR 2004-V), und Almeida Garrette, Mascarenhas Falcāo and Others v. Portugal (nos. 29813/96 and 30229/96, par. 43, ECHR 2000-I). Ähnlich wie dort hatte der Beschwerdeführer in diesem Fall alle im Dekret für einen Schadensersatz erforderlichen Voraussetzungen und Bedingungen erfüllt. Damit unterscheidet sich seine rechtliche Position insofern von den Beschwerdeführern in Sachen Gratzinger und Gratzingerova gegen die Tschechische Republik und Kopecky gegen Slowakei, die die Restitution des Eigentums verlangt hatten, obgleich alle dazu notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen und Bedingungen nicht erfüllt waren (Entscheidung vom 24. Juni 2008, par. 65). Der Gerichtshof teilte zudem deswegen nicht die Argumentation des Beschwerdeführers, weil der Staat seit den 1950er Jahren niemals irgendein Recht zum Schadensersatz aufgrund des Dekrets akzeptiert oder anerkannt habe und ihm solche Ansprüche auch seit dem Fall des kommunistischen Regimes im Jahre 1989 fremd (hostile) geblieben seien. Nach dem Gerichtshof unterscheidet sich die rechtliche Situation des Beschwerdeführers von dem Fall Broniewski gegen Polen darin, dass dort die nach dem Beitritt zur Konvention ergangenen Gesetze Ansprüche und Verpflichtungen anerkannten, die sich aus der Rechtslage vor der Ratifikation ergaben. Konsequenterweise hat der Gerichtshof festgestellt, dass nach dem nationalen Recht, wie es von den Behörden interpretiert und angewandt wird, dem Beschwerdeführer weder ein Anspruchsrecht auf Schadensersatz zusteht, das nachweisbare Erwartungen begründet, noch ein Eigentumsgegenstand nach Art. 1 1.ZP anerkannt wird (par. 78). Diese Entscheidung kann diskutiert werden, da der Gerichtshof sich hier ausschließlich an die Berücksichtigung der Subsidiaritätsregel anlehnt, hingegen er von der Beurteilung der Staatspraxis unter dem Gesichtspunkt der in Art. 1 1. ZP genannten Anforderung absieht. In der Praxis ist nämlich diese Stellungnahme zur Frage des Schadensersatzes für das in den kommunistischen Regimezeiten nationalisierte Eigentum dem Fall der Überlassung durch staatliche Organe gleichzustellen. Viele Staaten aus Mittel- und Osteuropa haben die sog. Restitutionsgesetze verabschiedet, nach denen das in der Zeit des kommunistischen Regimes nationalisierte, enteignete oder beschlagnahmte Eigentum unter bestimmten Voraussetzungen den ehemaligen Eigentümern zurückgegeben werden kann oder den

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Eigentümern – wieder unter bestimmten Bedingungen – das Recht auf Schadensersatz wegen Eigentumsenteignung oder einer anderen Form der Entschädigung zusteht. Die einschlägigen Fälle sind allerdings nur von beschränktem Umfang, da sich die Gesetze nur auf manche Kategorien ehemaliger Eigentümer beziehen und die Erfüllung einer Reihe von Bedingungen voraussetzen, um dann meist auch nur eine bescheidene Entschädigung zu erhalten.10 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs in Anbetracht solcher Restitutionsgesetze folgt nach alldem diesen Grundsätzen: 1. Art. 1 1. ZP kann weder als eine den vertragsschließenden Staaten auferlegte Primärpflicht zur Wiedereinräumung (restore) des auf sie vor Ratifikation der Konvention übertragenen Eigentums verstanden werden noch als irgendeine Art der Beschränkung der vertragsschließenden Parteien, den Gegenstand und den Umfang (scope) der Restitution des Eigentums und die Bedingungen, unter denen sie der Wiedereinräumung des Eigentums an ehemalige Eigentümer zustimmen, frei zu bestimmen (Jantner v. Slovakia, no. 39050/97, par. 34, Entscheidung vom 4. März 2003, und Maltzan and Others v. Germany (dec.) [GC], nos. 71916/01, 71917/01 and 10260/02, ECHR 2005-V). 2. Art. 1 1. ZP legt den vertragsschließenden Staaten auch keine besondere Pflicht zur Schadensersatzleistung für das vor Ratifikation der Konvention zugefügte Unrecht (wrong) oder den Schaden auf (Beschluss vom 4. September 2007, Assoziacione Nazionale Reduci and 275 Others v. Germany [dec.], no. 45563/04). 3. Die vertragsschließenden Parteien verfügen über einen weiten Ermessensspielraum (a wide margin of appreciation), bestimmte Kategorien ehemaliger Eigentümer von der Restitution des Eigentums auszuschließen. Bei einem derartigen Ausschluss bestimmter Kategorien der Eigentümer können deren Restitutionsansprüche nicht als Grundlage für legitimierte Erwartungen dienen, die einen Schutz nach Art. 1 1. ZP verdienen (Gratzinger and Gratzingerova v. the Czech Republic (dec.) [GC], no. 39794/98, §§ 70–74, ECHR 2002-VII, and Preußische Treuhand Gmbh & Co. KG A. A.. v. Poland (dec.), no. 47550/06, Entscheidung vom 7. Oktober 2008). 4. Wenn der vertragsschließende Staat, der die Konvention und das 1. ZP ratifiziert hat, ein Gesetz verabschiedet, in dem die volle oder teilweise Wiedereinräumung des in dem ehemaligen Regime konfiszierten Eigentums vorgesehen wird, kann dadurch ein unter den Schutz des Art. 1 1. ZP fallendes, neues Eigentumsrecht (a new property right) für Personen entstanden sein, das die Bedingungen der Wiedereinräumung erfüllt (Kopecky p-ko Slowacji, par. 35d). 5) Der Umstand, dass der Restitutionsumfang (wie im Gesetz aus 1991) eingeschränkt ist und dass die Restitution des Eigentums von der Erfüllung vieler Voraussetzungen abhängt, verletzt als solches nicht das in Art. 1 1. ZP bestimmte Recht des Beschwerdeführers (Kopecky p-ko Slowacji, par. 39). Je___________ 10

L. Garlicki (Fn. 4), S. 397.

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doch muss das Restitutionsgesetz klar und präzise ausgeführt sein, so dass soweit wie möglich die Situation der fehlenden Rechtssicherheit und bestehenden Unsicherheit bei den betreffenden Personen vermieden wird (Entscheidung Paduraru p-ko Rumunii, par. 92). Das Restitutionsgesetz, das vorsieht, dass der Staat das Eigentum, das ohne Schadensersatz in den kommunistischen Regimezeiten enteignet wurde, wiedereinräumen sollte, führt ein wichtiges Ziel im öffentlichen Interesse an, und zwar eine Wiedergutmachung für die Opfer des Eigentumsentzugs die Wiedereinräumung der Gerechtigkeit und den Grundsatz eines Rechtsstaates. Dass diese Gesetzgebung den ehemaligen Eigentümer zur Eigentumsrückgabeforderung sogar gegen einen Privaten berechtigt, dessen vormaliger Eigentumserwerb auf einer Rechtsverletzung beruht, steht dem nicht entgegen, sondern berücksichtigt die spezifische Lage des Übergangs vom totalitären zum demokratischen Gemeinwesen und den weiten Ermessensspielraum, der den Behörden in solchen Angelegenheiten zusteht (Velikovi and Others, par. 170–172). In derartigen Angelegenheiten, d. h. in Sachen, in denen das Eigentum durch den kommunistischen Staat im Wege der Enteignung übernommen und dann durch eine dritte Person erworben worden war, müssen die staatlichen Gerichte prüfen, ob die gebotene Interessenabwägung in hinreichender Weise dem Gewicht des Eigentumsrechts des Beschwerdeführers entspricht (Rosiński gegen Poland, no. 17373/02, par. 78, Entscheidung vom 17. Juli 2007). Die Entscheidung des Gerichtshofs im Fall Preußische Treuhand schließt definitiv den Weg der Geltendmachung von Restitutionsansprüchen deutscher Staatsbürger gegen Polen für das in Polen im Wege der Evakuierung, Aussiedlung und Repatriierung zurückgelassene Eigentum aus. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Beschwerde gegen Polen unzulässig sei. Erstens sei der polnische Staat nicht für die Folgen der Massenevakuierung der deutschen Bevölkerung (Flucht vor der Roten Armee) in den Jahren 1944 – 1945 aus dem Gebiet, in dem Polen damals keine Kontrolle ausgeführt habe, verantwortlich. Zweitens könnten die Auswirkungen des polnischen Gesetzes über die Eigentumsentziehung, nach welchem die Beschwerdeführer ihr Eigentumsrecht verloren haben, nicht durch den Gerichtshof bewertet werden, da jede dieser Eigentumsentziehungen – unabhängig davon, ob dies kraft Gesetzes oder kraft eines Individualaktes erfolgte – ein einmaliger Akt sei. Drittens hat sich der Gerichtshof hinsichtlich der Prüfung von Enteignungen vor dem Tage des Inkrafttretens der Konvention für unzuständig erklärt. Viertens lege Art. 1 1. ZP dem Staat nicht die Pflicht zum Erlass eines Reprivatisierungsgesetzes auf; eine fehlende Gesetzgebung bedeutet demnach, dass für die Beschwerdeführer keine Restitutionsansprüche oder Schadensersatzansprüche entstanden seien. Ferner hat der Gerichtshof die Argumentation der Beschwerdeführer nicht als zutreffend angesehen, dass dieser Fall der Reprivatisierung analog zu dem Fall Loizidou sei. Statt dessen hat der Gerichtshof festgestellt, dass „es keine Zweifel geben kann, dass die ehemaligen deutschen Gebiete, auf denen Immobilien der Beschwerde-

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führer gelegen waren, dem polnischen Staat gemäß den Bestimmungen der Potsdamer Abkommen übergeben wurden (...) und dass folglich die in diesem Abkommen festgelegte deutsch-polnische Grenze mit zwei folgenden zweiseitigen Abkommen zwischen Polen und zwei ehemaligen, getrennten Staaten Deutschlands dann letztendlich in einem Abkommen zwischen Polen und der vereinten Bundesrepublik Deutschland bestätigt wurde. Damit ist von einer Argumentation über die inhärente Rechtswidrigkeit der durch die polnischen Behörden durchgeführten Enteignungen und über eine bis zum heutigen Tage fortbestehende (sich aus der Rechtswidrigkeit ergebende) Situation einer Rechtsverletzung abzusehen“.11 Die Problematik dieser Ansprüche kann jedoch im Zusammenhang mit einem eventuellen Ausschluss der deutschen Staatsbürger von dem in Zukunft durch Polen verabschiedeten Reprivatisierungsgesetz erneut belebt werden. Zwar wird in der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs einstimmig angenommen, dass die vertragsschließenden Parteien einen weiten Ermessensspielraum hinsichtlich des Ausschlusses bestimmter Kategorien ehemaliger Eigentümer im Rahmen der Restitution des Eigentums haben, und im Falle eines solchen Ausschlusses können deren Restitutionsansprüche nicht als Grundlage für legitimierte Erwartungen dienen, die einen Schutz nach Art. 1 1. ZP verdienen (Gratzinger and Gratzingerova v. the Czech Republic (dec.) [GC], no. 39794/98, §§ 70–74, ECHR 2002-VII, und Preußische Treuhand Gmbh & Co. KG a. A.. v. Poland (dec.), no. 47550/06). Doch können die deutschen Staatsbürger unter Berufung auf das 12. ZP zur EMRK, das am 1. April 2005 in Kraft getreten ist und das Diskriminierungsverbot selbstständig verbürgt, unabhängig davon, ob ein anderes Konventionsgesetz besteht, das polnische Restitutionsgesetz wegen der Verletzung dieses Verbotes in Frage stellen.12 Am Rande ist aber zu betonen, dass Polen dieses Restitutionsgesetz (noch) nicht verabschiedet hat, dass aber bestimmte gesonderte Möglichkeiten der Restitution von Grundstücken, die unter anderem im Eigentum von „Staatsbürgern des Deutschen Reichs, Nicht-Polen und polnischen Staatsbürgern deutscher Nationalität“ stehen und aufgrund des Dekrets über die landwirtschaftliche Reform aus 1944 vom Staat übernommen wurden, durch das Oberste Verwaltungsgericht bestätigt worden sind. In dem Beschluss vom 10. Januar 2001, I OPS 3/10, hat das Gericht angenommen, dass Paragraph 5 der Verordnung vom 1. März 1944 zur Ausführung des Dekrets des Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung vom 6. September 1944 über die Durchführung der landwirtschaftlichen ___________ 11 M. Krzyżanowska-Mierzewska, Skarga Powiernictwa Pruskiego – glosa do orzeczenia ETPCz z 7.10.2008 r. w sprawie Preussische Treuhand GmbH & CO. KG A. A. przeciwko Polsce, Europejski Przegląd Sądowy 2009, Nr. 2, S. 47. 12 I. C. Kamiński, Skargi Powiernictwa Pruskiego przeciwko Polsce w Europejskim Trybunale Praw Człowieka, Europejski Przegląd Sądowy 2007 Nr. 2, S. 43.

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Reform (Dz. U. z 1945 r. Nr. 10, poz. 51 ze zm.) die Grundlage der gerichtlichen Kontrolle von verwaltungsrechtlichen Entscheidungen darüber darstellt, ob das bestimmte Grundstück oder ein Teil des Grundstücks zu dem Grundstückseigentum gehört, über das in Art. 2 Abs. 1 Buchst. e des Dekrets des Komitees der Nationalen Befreiung vom 6. September 1944 über die landwirtschaftliche Reform gesprochen wird (Dz. U. R. P. Nr. 4, poz. 17 ze zm.).

III. Restitutionsansprüche sog. Spätaussiedler Als Spätaussiedler werden polnische Staatsbürger deutscher Nationalität bezeichnet, die das Gebiet Polens seit den 1950er Jahren verlassen haben, um auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu wohnen. Diese Gruppe, nach Schätzungsangaben ca. 1,5 – 2 Mio. Personen, ist nicht einheitlich, da in diese Schätzung nicht nur in die Bundesrepublik Deutschland ausgewanderte Personen, sondern auch Touristen, die jedoch dort dauerhaft geblieben sind, eingerechnet sind.13 Den größten Teil aber bilden die Spätaussiedler, die Polen aufgrund der Entscheidung des Staatsrates von 1956 verlassen haben und deren Ansprüche gegenüber Polen Gegenstand der weiteren Ausführungen sind. Es ist zu erwähnen, dass das sog. ehemalige deutsche Vermögen, das nicht aufgrund der Vorschriften über die Reform von Landwirtschaftsflächen, Wäldern und Siedlungen oder sonstiger nationalisierter Vorschriften in das Eigentum des polnischen Staates übergegangen ist, von den Vorschriften des Dekrets über verlassene und ehemals deutsche Vermögen vom 8. März 1946 erfasst wurde (Dz. U. Nr. 13, poz. 87 ze zm). Nach Art. 2 dieses Dekrets ist das gesamte Vermögen des Deutschen Reichs und der ehemals freien Stadt Danzig, das Vermögen der Staatsbürger des Deutschen Reichs und der ehemals freien Stadt Danzig – mit Ausnahme desjenigen von Personen polnischer Nationalität oder einer anderen durch die Deutschen verfolgten Nationalität –, das Vermögen deutscher und Danziger Privatpersonen – mit Ausnahme desjenigen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts –, das Vermögen an den durch deutsche oder Danziger Staatsbürger oder deutsche oder Danziger Verwaltung kontrollierten Gesellschaften und das Vermögen von Personen, die zum Feind geflüchtet sind, in polnisches Staatseigentum übergegangen. Personen, die die polnische Nationalität erlangt und die polnische Staatsangehörigkeit erworben haben, haben das Eigentum an den ihnen vor dem 1. Januar 1945 gehörenden Gründstücken behalten, wie auch an den im Wege der landwirtschaftlichen Ansiedlung oder Freilassung erworbenen Grundstücken. ___________ 13

R. Grzeszczak, Problematyka roszczeń majątkowych w stosunkach polskoniemieckich, in: Problemy prawne w stosunkach polsko-niemieckich u progu XXI wieku (Hrsg.) W. Czapliński, B. Łukańko, Warszawa 2009, S. 164.

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Dies gilt auch für die sog. Autochthonen, also die Gründstückseigentümer der wiedergewonnenen und nördlich gelegenen Gebiete, bei denen nach dem 1. Januar 1945 die polnische Nationalität festgestellt wurde und die die polnische Staatsangehörigkeit erlangt haben. Aufgrund der Vorschriften der veröffentlichten Entscheidung des Staatsrates Nr. 37/56 vom 16. Mai 1956, geltend bis zum 8. März 1964, sind viele dieser Personen im Rahmen der sog. Familienzusammenführung in dem Zeitraum zwischen dem 16. Mai 1956 und dem 8. März 1964 aus Polen nach Deutschland ausgereist. Im Zusammenhang mit diesen Ausreisen und dem Verlassen der Haushalte durch die Eigentümer ist es notwendig geworden, ihre Eigentumsverhältnisse zu regeln. Gemäß Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes über die Bewirtschaftung von Stadt- und Siedlungsgebieten gehen die Grundstücke, die nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Dekretes vom 8. März 1946 über verlassene und ehemals deutsche Vermögen (Dz. U. Nr. 13, poz. 87 ze zm.), im Eigentum von Personen standen, die die polnische Staatsangehörigkeit hatten, in das Eigentum des Staates über, wenn diese Personen im Zusammenhang mit der Ausreise aus Polen ihre polnische Staatsangehörigkeit verloren haben oder verlieren werden. Dann verlieren diese Personen das Verfügungsrecht über das Grundstück mit dem Tage, an dem sie den zuständigen polnischen Organen ihren polnischen Personalausweis abgegeben und ein Dokument erhalten, dass sie zur Ausreise ins Ausland berechtigt sind. Diese Vorschriften finden Anwendung auf Personen, die – erstens – das Prüfungsverfahren hinsichtlich der Feststellung der polnischen Nationalität erfolgreich bestanden haben und die polnische Staatsangehörigkeit gemäß den Vorschriften des Gesetzes vom 28. April 1946 über die Staatsangehörigkeit zum Polnischen Staat von Personen der polnischen Nationalität wohnhaft auf den wiedergewonnenen Gebieten erlangt haben (Dz. U. Nr. 15, poz. 186) und die – zweitens – aus dem Gebiet Polens nach Deutschland aufgrund „der Bescheinigung, die zur Ausreise ins Ausland berechtigt (Reisedokument)“ ausgereist sind und den zuständigen polnischen Behörden den polnischen Personalausweis abgegeben haben. Der Anwendungsbereich von Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes über die Bewirtschaftung von Stadt- und Siedlungsgebieten (vom 14. Juli 1961, Dz. U. von 1969 r. Nr. 22, poz. 159), und insbesondere die Frage, ob sich dieser auch auf den Rechtsnachfolger einer Person erstreckt, die die Feststellung des Erwerbs der polnischen Staatsangehörigkeit aufgrund des Gesetzes vom 28. April 1946 erlangt hat, war am Anfang Gegenstand uneinheitlicher Rechtsprechung des Obersten Gerichts. In der Entscheidung vom 11. Januar 1965 II (CR 523/64, OSNCP 1965, Nr. 7–8, poz. 135) wurde festgestellt, dass Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes über die Bewirtschaftung von Stadt- und Siedlungsgebieten sich auch auf den Fall bezieht, in dem einer solchen Person ein Teil am Erbe, einschließlich eines Grundstücks, unabhängig davon zusteht, ob dies ein Stadtgrundstück oder landwirtschaftliches Grundstück ist. In der Begründung hat das Oberste Gericht darauf hingewiesen, dass das Erbe die allgemeinen Rechte und Pflich-

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ten des Verstorbenen umfasst, also fände Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes über die Bewirtschaftung von Stadt- und Siedlungsgebieten auch Anwendung auf den Erbnachfolger. Eine davon abweichende Meinung wurde jedoch in der Entscheidung des Obersten Gerichts vom 20. Juni 2002 (I CKN 782/00, „Izba Cywilna“ 2003, Nr. 3, S. 48) vertreten, wonach aus Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes über die Bewirtschaftung von Stadt- und Siedlungsgebieten hervorgehe, dass der darauf basierte Eigentumsverlust am Grundstück zu Gunsten des Staates nur Personen betrifft, die, nach Feststellung der polnischen Nationalität und dem Erwerb der polnischen Staatsbürgerschaft, das Eigentum an den vor dem 1. Januar 1945 erworbenen Grundstücken behalten hatten. Die zweite Meinung ist als richtig anzusehen und bereits durch die weitere Rechtsprechung des Obersten Gerichts bestätigt worden. In der Entscheidung vom 13. Dezember 2005 (IV CK 304/05, OSNC 2006/10/166) heißt es, dass „der Verlust an dem nach Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes über die Bewirtschaftung von Stadt- und Siedlungsgebieten (jedn. tekst: Dz. U. z 1969 r. Nr. 22, poz. 159 ze zm.) bestimmten Grundstückseigentum sich ausschließlich auf die Personen bezieht, die, nach Feststellung der polnischen Nationalität und dem Erwerb der polnischen Staatsbürgerschaft, das Eigentum an den ihnen vor dem 1. Januar 1945 gehörenden Grundstücken behalten und anschließend im Zusammenhang mit der Ausreise aus Polen die polnische Staatsangehörigkeit verloren haben; dies bezieht sich nicht auf die Rechtsnachfolger dieser Personen“. Wenn aber solche Personen, die im Zusammenhang mit der Ausreise die polnische Staatsangehörigkeit verloren haben, anschließend gestorben sind, dann geht das Eigentum an dem nach Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes verlorenen Grundstück nicht auf seine Rechtsnachfolger – entsprechend dem Grundsatz nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet – über; Eigentümer ist nämlich zuvor der Staatsschatz geworden (nicht veröffentlichtes Urteil des Obersten Gerichts vom 15. Juli 2010, IV CSK 90/10). Ein weiteres streitiges Problem war die Frage, ob der Verlust an dem nach Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes verlorenen Grundstückseigentum mit dem Tage der Ausreise des Grundstückseigentümers aus Polen oder mit dem Tage des Verlustes der polnischen Staatsangehörigkeit dieser Person eingetreten war. Die Frage hat das Oberste Gericht mit der Entscheidung vom 15. Januar 1966 (II CR 9/66, OSNC 1966, Nr. 7–8, poz. 135) entschieden. Danach ist für den Eigentumsübergang auf den Staat der Zeitpunkt der Ausreise des Grundstückseigentümers aus Polen entscheidend und nicht der Zeitpunkt der verlorenen polnischen Staatsangehörigkeit. Der Eigentumsverlust trat mit der Erfüllung der sich aus Art. 38 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes ergebenden Bedingungen ein (por. wyrok SN z dnia 13 grudnia 2005 r., IV CK 304/05, OSNC 2006, Nr. 10, poz. 166; wyrok SN z dnia 15 lipca 2010 r. sygn. akt IV CSK 90/10.tam orzecznictwem). Dies bedeutet: Wenn diese Person ihr Grundstückseigentum auf eine andere Person vor ihrer Ausreise ins Ausland, sofern die andere Person die polnische Staatsangehörigkeit besitzt und mit der Ausreise aus Polen nicht gerechnet hat,

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übertragen hat, so verursacht die spätere Ausreise nicht den Eigentumsübergang auf den Staat nach Art. 39 Abs. 1 des Gesetzes über die Bewirtschaftung von Stadt- und Siedlungsgebieten. In einem solchen Fall könnte der Staatsschatz die Eintragung des Eigentumsrechts am Grundstück nur nach Vorlage einer rechtskräftigen Entscheidung erreichen, die die Nichtigkeit der das Eigentum am Grundstück auf eine andere Person übertragenen Rechtshandlung bescheinigt. Nimmt man das oben Angeführte als zutreffend an, hat das zur Folge, dass es für die Zulässigkeit oder Legitimität von Restitutionsansprüchen dieser Personengruppen nicht auf die Legalität des Verlustes der polnischen Staatsangehörigkeit ankommt – weil ja ihr Eigentum auf den Staatsschatz nicht mit dem Zeitpunkt des Verlustes der Staatsangehörigkeit, sondern mit dem Tage der Ausreise aus Polen übergegangen ist.14 Inzwischen ist und bleibt dieses Problem aber weiterhin Gegenstand abweichender Meinungen in der Lehre und der Rechtsprechung. Mit den Restitutionsansprüchen der Spätaussiedler oder ihrer Rechtsnachfolger ist eine weitere Frage verbunden, die durch den nicht geordneten Rechtsstand in den Grundbüchern entstanden ist. In diesen sind häufig nach wie vor als Grundstückseigentümer Personen eingetragen, die aus Polen ausgereist sind und daher eigentlich das Eigentum an diesen Grundstücken verloren haben. Zwar sind diese Grundstücke kraft Gesetzes auf den Staatsschatz übergegangen, aber die zuständigen Behörden haben die Einreichung der Anträge auf Löschung der bisherigen Grundstückseigentümer aus diesen Grundbüchern und die Eintragung des Staates als Grundstückseigentümer vernachlässigt. Die Erben dieser Personen, die weiterhin als Eigentümer in den Grundbüchern an den Grundstücken stehen, die nach Ermittlung der Erbschaft durch polnische Gerichte in die Erbmasse eingehen, erlangen aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung die Eintragung in das Grundbuch als Eigentümer dieser Grundstücke. Nach der Eintragung in das Grundbuch wird das Grundstück oft an Dritte verkauft. Klagen des Staatsschatzes auf Korrektur des Grundbuches werden oft durch die polnischen Gerichte mit der Begründung abgewiesen, dass im Grundbuch nun der Erwerber eingetragen ist, der aufgrund eines mit dem ehemaligen Eigentümer bzw. dessen Erbe geschlossenen Vertrages das Eigentum erworben hat und darüber hinaus durch den über das Grundbuch gewährleistenden guten Glauben geschützt wird. Zudem wird diese Annahme manchmal durch die fehlerhafte Interpretation des Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes über die Bewirtschaftung von Stadt- und Siedlungsgebieten gestützt. Dies führt zu der Auffassung, dass die ___________ 14

Ausführlich dazu J. Barcz, Problem utraty obywatelstwa polskiego przez emigrantów z Polski do Republiki Federalnej Niemiec na podstawie uchwały Rady Państwa Nr. 37/56, in: Transfer. Obywatelstwo. Majątek. Trudne problemy stosunków polsko-niemieckich. Studia i dokumenty (Hrsg.) W.N. Góralczyk, Warszawa 2005, S. 115–159.

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Rechtsvorgänger der Verkäufer als Miteigentümer offenbart sind und weder die polnische Staatsbürgerschaft noch das Eigentum verloren haben und die Verkäufer so Eigentümer des Grundstücks als Erben geworden waren, die über das Grundstückseigentum verfügen konnten. Ein Ende dieser Praktiken legt die Entscheidung des Obersten Gerichts vom 15. Juli 2010 nahe, die zwar im Kontext ihres Sachverhalts analysiert werden muss. Doch geht aus ihr eindeutig hervor, dass die in derartigen Angelegenheiten entscheidenden Gerichte verpflichtet sind, genau zu prüfen, ob nicht ein böser Glaube des Erwerbers angenommen werden muss, der den öffentlichen Glauben des Grundbuches ausschließt. So meint das Oberste Gericht, „wenn also das Grundbuch des Grundstückes einige Monate vor der Verkaufstransaktion angelegt wurde und als erste Eigentümer im Grundbuch die Erben eingetragen wurden, die erst seit einigen Monaten über eine Entscheidung über die Feststellung der Erbschaft nach den in Deutschland lebenden und dort vor zwanzig Jahren verstorbenen Eltern verfügen, so sind Zweifel anzunehmen hinsichtlich der Umstände, wie es zu der Erbschaft und dem Rechtstitel der Erben sowie ihrer Erben gekommen ist, und sogar hinsichtlich der Richtigkeit der Einleitung des Erbverfahrens. Der Anlass zu solchem Zweifeln ist gegeben, seit die lokalen Medien über diese Umstände informiert haben; es wurden sogar Ermittlungen durch Strafverfolgungsbehörden eingeleitet.“

IV. Zusammenfassung Die Problematik der Restitutionsansprüche deutscher Staatsbürger auf Rückgabe des in polnisches Staatseigentum übergegangenen Eigentums – sei es im Wege von Zwangsumsiedlungen oder Zwangsausweisungen der in der deutschen Wissenschaft und Publizistik so bezeichneten Vertriebenen oder sei es infolge der Ausreise polnischer Staatsangehöriger deutscher Nationalität, der sog. Aussiedler der zweiten Generation – ist zweifellos eine rechtliche Herausforderung, von moralischen, politischen und wirtschaftlichen Aspekten abgesehen. Die rechtliche Herausforderung resultiert aus dem hohen Differenzierungsgrad der Rechtsgrundlagen der Eigentumsübernahmen: der Form (Enteignung, Nationalisierung, Konfiskation) und der Art und Weise (meistens ex lege), der eventuellen Entschädigung (meistens ohne Entschädigung) sowie der Art und Form, in der die Eigentumsübernahmen festgestellt wurden (Bescheinigungen, Entscheidungen, Grundbucheintragungen). Je nachdem kommen verschiedene Rechtsmittel auf Restitution des verlorenen Eigentums, aber nur in einem sehr begrenzten Umfang, in Betracht. Aus der zuvor unternommenen Überblicksanalyse, die nur zwei Mechanismen der Eigentumsübernahme durch den Staat betrifft, ergibt sich, dass Restitutionsansprüche der Vertriebenen allenfalls geringe Chancen auf Erfolg haben. Größere, wenngleich immer noch geringe Erfolgsaussichten haben Restitutionsansprüche der zweiten Generation, die die Rückgabe der durch den Staat aufgrund von Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes über die

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Bewirtschaftung von Stadt- und Siedlungsgebieten aus 1961 übernommenen Grundstücke geltend machen, jedoch unter der Bedingung, dass diese Vorschrift auf sie oder ihre Rechtsnachfolger Anwendung findet. * * *

Abstract Andrzej Wróbel: Compensation by Restitution in the German-Polish Relationship – In Respect of the Jurisdiction of the ECtHR and the Supreme Court, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to Terms with the Past. Vol. III. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2012) pp. 175–193. The problem with German citizens restitution claims for the return of propperty merged with Polish state property – whether it is in the way of forced resettlement or expulsion of German dispossessed, or it is due to the exit of Polish citizens of German nationality, the so-called “Aussiedler” (ethnic German immigrant) of the second generation – is without doubt a legal challenge, aside from the moral, political and economic aspects. The legal challenge results from the degree of differentiation in the legal bases of the compulsory property acquisitions: the mode (dispossession, nationalisation, confiscation) and the manner (in the majority of cases ex lege), any possible compensation (most cases without compensation) as well as the manner in which the compulsory property acquisition was established (certification, ruling, land registry). According to this, there are various legal remedies for the restitution of lost property but in reality, only a very limited range come into question. From the outline analysis undertaken here in terms of only two mechanisms of compulsory property acquistion by the state, the fact arises that the dispossessed’s claim for restitution has, at best, a very low chance of success. What is more, the restitution claims of the second generation that make the return of properties taken by the Polish state valid have continually decreasing prospects of success.

Zum Umgang des Rechtsstaats mit vorangegangenem Unrecht Von Hans-Detlef Horn

I. Besondere Herausforderung durch konträre Vergangenheit Der Staat an sich ist virtuell allzuständig. Das gehört zu seinem Begriff.1 Er kann sich potentiell jedweden Themas annehmen. In allen Bereichen des Gemeinwesens kann er diejenigen Aufgaben seiner Ordnungsgewalt zuführen, deren Bewältigung er für erforderlich hält. Das bedeutet allerdings weder umfassende Befugnis noch vollkommene Beliebigkeit. So bezieht der Typus Verfassungsstaat die Bedingungen seiner Handlungsmacht aus den Quellen seiner (existentiellen und essentiellen2) Legitimität: das sind die überpositiven Verpflichtungen auf Gemeinwohl, Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit, sodann die positiven Bindungen an das konkretisierende Verfassungsrecht der Staatsaufgaben und Staatsziele, der Herkunft und Mittel, Pflichten und Grenzen des Staatshandelns. Auf diese Ausgangslage trifft auch die Frage nach dem Umgang des Verfassungsstaates mit vorangegangenem Unrecht. Doch das Thema ist eigener Art, reicht tiefer als andere, geht gewissermaßen bis an den Grund. Denn es konfrontiert den modernen Verfassungsstaat mit einer Realität, zu der er gerade den radikalen Gegenentwurf bildet: mit der Realität eines totalen und autoritären, in beidem totalitären Staates. Auch das Grundgesetz findet in der Absage an den Totalitarismus3 jedweder ideologischer Provenienz seine gegenbildliche Identität und seinen historischen Selbststand.4 Seine „freiheitliche demokratische ___________ 1

Siehe dazu J. Isensee, Staatsaufgaben, in: HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 73 Rn. 55 ff. Begriffspaar: W. Schmitt Glaeser (unter Mitwirkung von H.-D. Horn), Politische Gewalt im privaten Meinungskampf, 2. Aufl. 1992, S. 183 ff. 3 Zum Begriff: H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, dt. 1955, Tb. 1986. 4 Vgl. P. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 1 ff. Über die antitotalitäre Stoßrichtung des Grundgesetzes, sowohl nach „rechts“ gegen das nationalsozialistische als auch nach „links“ gegen das kommunistisch-sozialistische Regime in der deutschen Vergangenheit, bestand vor allem in der Aufbauzeit der Bundesrepublik Deutschland uneingeschränkter Konsens, vgl. aus der Quellengeschichte des Grundgesetzes v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR n.F. 1, 1951, S. 195, 197, 199 f., sowie J. Isensee, 2

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Grundordnung“ formt das verfassungsstaatliche Schutzgut zum wehrhaften Programm. Zumal mit der Entscheidung für den Rechtsstaat wird das Gegenteil kategorisch verworfen. Der konträre Staatstypus figuriert begriffsnotwendig als „Unrechtsstaat“ und liegt so jenseits möglicher Tolerierung. Jede politische Machtausübung, die sich nicht der Herrschaft des Rechts unterwirft,5 die staatliche Gewalt für willkürliche Herrschaftszwecke manipuliert und instrumentalisiert, keine Gewaltenteilung übt und keine Menschenrechte achtet, am Ende gar alle Bindungen des Zivilen und Humanen ablegt, steht außerhalb des Systemhorizonts, den die Kategorie Rechtsstaat für sich reklamiert.6 Das bedeutet nicht, dass es im funktionierenden Rechtsstaat keine Einzelakte staatlichen Unrechts geben kann. Doch abgesehen von schlichten oder auch groben Rechtswidrigkeiten kommt das „einer praktischen Unmöglichkeit nahezu gleich“.7 Die verfassungsrechtlichen Sicherungen des Rechtsstaats, die auch die wertfundamentalen Gebote „richtigen“ Rechts im positiven Recht verinnerlichen, bannen weitestgehend die Gefahr ausbrechender Staatsakte.8 Indessen bekommt es der Rechtsstaat mit kategorialem Unrecht zu tun im Fall der Konfrontation mit einer vor- und unrechtsstaatlichen Vergangenheit, wie er nach Systemwechseln eintritt. Das muss nicht die eigene staatliche Vergangenheit, sondern kann auch das Unrecht fremder Staatsgewalt betreffen. Entscheidend ist, dass dieses bzw. seine Folgen innerhalb der Reichweite der staats- und völkerrechtlichen Handlungsmöglichkeiten liegen, in die die gegenwärtige Ordnungsgewalt gestellt ist. Die besondere Herausforderung, die sich hier erhebt, rührt daher, dass sie nicht mit systeminternen Störungen konfrontiert, sondern mit den Hinterlassenschaften systemexterner Verwerfungen. Der Rechtsstaat, in seinem Funktionieren auf das absehbar Normale angewiesen und auf regelhafte Erledigung angelegt, trifft hier auf das schlechthin Abweichende, das Außergewöhnliche, dem ___________ Rechtsstaat – Vorgabe und Aufgabe der Einung Deutschlands, in: HStR IX, 1997, § 202 Rn. 44 ff. In der Folgezeit gerät sie zunehmend unter den Druck einer einseitig antifaschistischen Erinnerungsnorm (vgl. nur J. Isensee, Nachwort. Der deutsche Rechtsstaat vor seinem unrechtsstaatlichen Erbe, in: ders., Hrsg., Vergangenheitsbewältigung durch Recht, 1992, S. 91, 94 ff., und unten bei Fn. 55 zu BVerfGE 124, 300 ff.). 5 Isensee (Fn. 4), § 202 Rn. 2 m.w.N.; A. v. Arnauld, Rechtsstaat, in: O. Depenheuer/ C. Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 703 (713): „nomokratisches Prinzip als Kerngehalt der Rechtsstaatsidee“. 6 Vgl. zum Ganzen Isensee (Fn. 4), § 202 Rn. 4. Zu Kennzeichen des Unrechtsstaats als Antitypus zum Rechtsstaat auch H. Sendler, Die DDR ein Unrechtsstaat – ja oder nein?, ZRP 1993, S. 1 (4 f.); R. Wassermann, Wieviel Unrecht macht einen Staat zum Unrechtsstaat?, NJW 1997, S. 2152 ff.; C. Mögelin, Die Transformation von Unrechtsstaaten in demokratische Rechtsstaaten, 2003, S. 45 ff., 154 ff. 7 BVerfGE 3, 225 (232 f.). 8 Dazu auch v. Arnauld (Fn. 5), S. 734 f.

Zum Umgang des Rechtsstaats mit vorangegangenem Unrecht

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Ausnahmefall vergleichbar.9 Das irritiert die normale Ordnung des rechtsstaatlichen Schemas. Und doch ist die Konfrontation unentrinnbar. Im Fluss des geschichtlichen Lebens kann nichts von vorne anfangen, alles muss anknüpfen.10 Wie das Recht Zukunft immer nur auf dem Boden der Vergangenheit gestalten kann, so findet auch der Rechtsstaat zu Beginn seiner Geltung niemals tabula rasa vor, sondern trifft mit Notwendigkeit auf eine vorrechtsstaatliche Vergangenheit. Es ist deren Unrechtsgehalt, die der gestaltenden Anknüpfung ihren prekären Charakter gibt.

II. Zwei Vergangenheitsbewältigungen Die Aufgabe nennt sich gemeinhin Vergangenheitsbewältigung. Der Name hat den subtilen Stellvertreterstreit um das Wort überdauert, der sich im Deutschland der 1960er Jahre entzündet hatte.11 Dass man das, was geschehen ist, nicht bewältigen im Sinne von nachträglich ändern, rückgängig oder ungeschehen machen kann, ist banal. Aber auch das vielfach monierte Hineinlesen eines Endzustands, in dem eines Tages alles bewältigt, aufgearbeitet und also erledigt sein wird, erzwingt das Wort nicht. Die Semantik des Bewältigens ist so weit wie offen, umfasst den Weg ebenso wie das Ziel, verhält sich zu beidem weder nach Art noch Inhalt. Bemerkenswert ist aber doch: Was im Blick auf die NS-Vergangenheit Argwohn erzeugt, wird im Blick auf die SED-Vergangenheit wie selbstverständlich postuliert: Zentrale Maßnahmen firmieren unter dem Titel „SED-Unrechtsbereinigung“.12

___________ 9 Vgl. auch A. Nußberger, Vergangenheitsbewältigung durch Recht – eine fortwirkende Herausforderung, in: dies./C. von Gall (Hrsg.), Bewusstes Erinnern und bewusstes Vergessen, 2011, S. 27 (28 ff.): „historischer Ausnahmezustand“. Allgemein C. Schmitt, Politische Theologie, 1922, 6. Aufl. 1993, S. 19 ff.; J. Isensee, Verfassung ohne Ernstfall: Der Rechtsstaat, in: A. Peisl/A. Mohler (Hrsg.), Der Ernstfall, 1979, S. 98 (101 ff.). 10 Zur Philosophie der Anknüpfung O. Marquard, Ende des Schicksals?, 1977, in: ders., Abschied vom Prinzipiellen, 1981, S. 67 (76 ff.); ders., Abschied vom Prinzipiellen, in: ebd., S. 4 (16 ff.); ders., Zukunft braucht Herkunft, 1991, in: ders., Philosophie des Stattdessen, 2000, S. 66 ff. 11 Von Th. Adorno (Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?, 1959, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 10, 1977, 3. Aufl. 2003, S. 555 ff.) über A. und M. Mitscherlich (Die Unfähigkeit zu trauern, 1967, insbes. S. 24) bis hin zur Rede des Bundespräsidenten R. v. Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs am 8.5.1985, im Internet abrufbar unter www.bundespraesident.de. Vgl. aber auch B. Schlink, Die Bewältigung von Vergangenheit durch Recht, 1998, in: ders., Vergangenheitsschuld und gegenwärtiges Recht, 2002, S. 89 ff. 12 Beginnend mit dem Ersten und Zweiten „Gesetz zur Bereinigung von SEDUnrecht“, BGBl. I 1992, S. 1814, BGBl. I 1994, S. 1311.

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Zwischen den beiden Vergangenheitsbewältigungen, die die Deutschen zu leisten haben, besteht freilich Asymmetrie.13 Nicht nur das unterschiedliche Ausmaß des Schrecklichen, mit ihm das unterschiedliche Gewicht von Schuld und Scham, das auf den Deutschen lastet, unterscheidet die Lage nach 1945 von der nach 1989. Ungleich sind auch die verfassungsrechtlichen Ausgangsbedingungen. Die Bewältigung der NS-Vergangenheit begann mit der Entnazifizierung zu vorrechtsstaatlichen Zeiten. Sie lag in den Händen der alliierten Besatzungsmächte, wurde schon in den Westzonen mehr mit rigoroser Härte denn mit rechtsstaatlicher Disziplin betrieben (auch nach dem sie formal auf deutsche Stellen übergeleitet worden war), in der Sowjetzone schließlich gar ohne jede rechtsstaatliche Skrupel, im Wege der massenhaften Verfolgung und Vertreibung, Entrechtung und Enteignung des „Klassenfeinds“. Die Aufarbeitung des ostdeutschen Erbes hingegen – aus sowjetischer Besatzungszeit und sozialistischer SED-Herrschaft – steht von Anfang an unter der Ägide eines bereits über 40 Jahre gereiften Rechtsstaats.14

III. Integration der Vergangenheit zwischen Erinnern und Vergessen Unterdessen ist es ein und derselbe Rechtsstaat, der gegenüber „rechter“ wie „linker“ Vergangenheit in Verantwortung steht. Doch steht er das wirklich – in Verantwortung? Und wenn ja, inwiefern? Die Fragen bedürfen der näheren Auffächerung. Überhaupt entziehen kann sich der Rechtsstaat, wie gesagt, nicht. Der Lauf der Dinge ist unvermeidlich, das Vergangene unverfügbar, das Geschehene irreversibel. Für das Tribunal der Gegenwart bedeutet das: Das Vergangene muss in das Gegenwärtige mit- und hineingenommen werden, und zwar mit umso größerer Notwendigkeit, je mehr dieses gerade das Alte überwinden und Neues schaffen will. Anders gewendet: Die Integration der Vergangenheit ist Bedingung für die Integrität der Gegenwart, damit sich nicht jene gegen diese kehren und die gegenwärtige Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung zersetzen kann. Dazu bedarf es einer adäquaten Vergangenheitsbewältigungstechnik. Die „Vergangenheit ist nicht das Vergangene, sondern dessen Konstruktion derart, dass seine Integration in die individuelle oder kollektive Biographie gelingt“.15 Ein solches Konstrukt von Vergangenheit zu schaffen, bedeutet nicht ___________ 13

Vgl. Isensee (Fn. 4), Nachwort, S. 99 f.; ders. (Fn. 4), § 202 Rn. 173. Vergleichender Überblick: H.-J. Papier/J. Möller, Die rechtsstaatliche Bewältigung von Regime-Unrecht nach 1945 und nach 1989, NJW 1999, 3289 ff. 15 Schlink (Fn. 11), S. 93; vgl. auch J. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, Ausgabe 1997, 5. Aufl. 2005, S. 34 ff., 48, unter Bezug auf die Studien von M. Halbwachs der 1920er Jahre: Vergangenheit als „soziale Konstruktion“ und „kulturelle Schöpfung“; ähnlich als Aufgabe des Juristen kennzeichnend Hans Schneider, Die juristische Bewäl14

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die Veränderung oder gar Leugnung von Tatsachen, sondern meint die adäquate Bewertung und Behandlung des Vergangenen im Spektrum des Erinnerns und Vergessens.

IV. Die instrumentelle Leistung des Rechts Das „Ob“ der Vergangenheitsbewältigung steht mithin nicht zur Wahl, worum es immer geht, das ist das „Wie“. Hier gilt es weiter abzuschichten. Zunächst lässt sich festhalten: Das Recht kann instrumentell für alles eingesetzt werden, für das Erinnern sowohl wie für das Vergessen. Genau besehen steht es immer ein wenig für beides. So wie das Erinnern und das Vergessen immer selektiv ist, so auch das Recht. Indem es bestimmte Sachverhalte regelt, regelt es andere nicht. Je nachdem aber, ob es „unter partiellem Vergessen erinnert oder bei partiellem Erinnern vergisst“, führt es die Vergangenheit in ihrer rechtlichen Konstruktion mehr dem einen oder mehr dem anderen zu.16 Es unterstützt das Erinnern, indem es vorangegangenes Unrecht um seine Fortwirkung bringt, etwa durch Strafverfolgungen und zivile Sanktionen gegen die Täter (Unterbrechung von Rechtsbeziehungen, wie Kündigung von Arbeitsverhältnissen oder Kürzung von Renten, Berufsverbote u.ä.), durch Wiedergutmachungen (Rehabilitation, Restitution, Entschädigung) und Überleitungen von Rechtspositionen (wie Arbeitsverhältnisse oder Sozialversicherungsanwartschaften) zugunsten der Opfer, durch Wahrheitstribunale, Enquete-Kommissionen und ähnliche Lustrationseinrichtungen, durch Öffnung von Akten und Archiven zur individuellen und wissenschaftlich-publizistischen Aufarbeitung.17 Ebenso aber kann das Recht auch Vergessen verlangen, indem es Schweigen verordnet, Nachforschungen verbietet, Amnestien verkündet und vergangenes Unrecht unbehelligt lässt, also frühere Verurteilungen, Bestrafungen, Entscheidungen und Maßnahmen nicht anrührt. In dieser Polarität leistet der Rechtsstaat vor allem und zuerst dieses: Er unterwirft die Entscheidung über das „Wie“, mithin wie die Gesellschaft das Vergangene konstruiert und in die Biographie der Gegenwart integriert, den durch das geltende Recht vorgegebenen Verfahren und Formen.18

___________ tigung der Vergangenheit. Betrachtungen über die Behandlung unrechter HerrschaftsAkte, in: FS für W. Weber, 1974, S. 15 ff. (30 – Fazit). 16 Dazu Schlink (Fn. 11), S. 92 f. – Zitat. 17 So die „Vier Wege zur Wahrheit“ nach T. G. Ash, in: Die Zeit Nr. 41 vom 3.10.1997, S. 44; allgemein über „Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat“ gleichnamig P. Häberle, 1995, und ders., Die Erinnerungskultur im Verfassungsstaat, 2011. 18 Dies hervorhebend Schlink (Fn. 11), S. 122.

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V. Die materielle Frage an das rechtsstaatliche Verfassungsprinzip Doch der Rechtsstaat ist nicht nur formeller, sondern auch materieller Rechtsstaat. Der Primat des Rechts, den er bewirkt, stützt sich auf die Form und das Verfahren des Rechts, aber er erhebt und umfasst zugleich den Anspruch, der Idee des Rechts zu entsprechen. Zur Bindung an das Recht tritt die Bindung des Rechts an bestimmte Inhalte. Das Grundgesetz hat diese Inhalte namentlich in den Grundrechten und in der Formel vom „sozialen Rechtsstaat“ positiviert: Menschenwürde, Freiheit und Eigentum, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit.19 Die Frage lautet: Was folgt daraus für die Weise, wie die Gesellschaft mit schlimmer Vergangenheit umgehen soll? Besteht aus der reinen Warte der Instrumentalität des Rechts eine kontingente Beliebigkeit zwischen erinnerndem und vergessendem Bewältigen? Oder setzt die Verfassungsentscheidung für den materiellen Rechtsstaat hier doch normative Vorgaben oder im Mindesten normative Erwartungen? Die Frage versteht sich hier als eine genuin juridische. Den Antwortrahmen setzt allein der Rechtsstaat als Verfassungsprinzip und als Rechtsbegriff. Lediglich politisches Dafürhalten, das sich nicht in diesem Rahmen verankern lässt, wird nicht als genügendes Argument angesehen.20 Das gilt soweit auch für jene Überzeugungen und Alternativen, die aus den ethisch-moralisch-kulturellen Kommunikationen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit hervorgehen.21 Andererseits beschränkt sich die Frage nicht auf das engere juristische Interesse am förmlichen Verfassungsrechtssatz und seinen dogmatisch gebotenen Ableitungen. Dass diese das staatliche Handeln auch im Kontext der Vergangenheitsbewältigung bestimmen, steht zweifelsfrei. Damit ist aber eben die juridische Reichweite der Frage noch nicht erschöpft. Sie führt auch „hinter“ die Norm, in den weiteren Horizont jener verfassungspolitischen, rechtsethischen und sozialpsychologischen Annahmen und Voraussetzungen, Absichten und Erwartungen,

___________ 19

Vgl. nur K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, Rn. 192 ff.; ders., Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, 1962, in: E. Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 557 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 781 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 18 ff. 20 „Die juridische und die politische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unterscheiden sich von Grund auf. Die politische folgt Regeln des Kampfes um die Macht, die juridische will allein die aus den Fugen geratene Rechtsordnung wiederherstellen. Die politische unterscheidet zwischen Freund und Feind, der juridischen ist die Unterscheidung fremd“, Isensee (Fn. 4), § 202 Rn. 137. 21 Zu Begriff und Funktion der Öffentlichkeit im demokratischen Staat H.-D. Horn, Erosion demokratischer Öffentlichkeit?, VVDStRL 68 (2009), S. 413 ff.

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die ihre juristische Geltung begleiten und – in der Interdependenz von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit – ihre „reale“ Geltung anleiten.22

VI. Unrechtsbereinigung als Aufgabe des Rechtsstaats um seiner selbst willen In der früheren Geschichte der Völker bestand freilich die weitgehende Überzeugung, dass es nur einen richtigen Weg gebe, mit schlimmer Vergangenheit fertig zu werden. Von der Antike über das Mittelalter und die Neuzeit bis weit in das 20. Jahrhundert war das Verschweigen und Vergessen vergangener Untaten und Greuel die regelmäßige Technik politischer Katharsis.23 Wie selbstverständlich galt cum grano salis die Maxime: „In amnestia consistit substantia pacis“24. Doch diese Überzeugung gehört mittlerweile tatsächlich zur Geschichte. Dem politischen Empfinden von heute liegt sie fern. Die vergangenheitspolitische Haltung der Gegenwart, inzwischen ebenso globalisiert, verfolgt – zu demselben Zweck – das umkehrte Konzept:25 Erinnern als Garant für Frieden, als Schutz vor Wiederholung, als Tor zu Erlösung und Versöhnung.26 Übergehen, Wegsehen, Verdrängen sind politisch keine Option mehr. Nach dem Genozid an den europäischen Juden hat das Vergessen „seine Unschuld verloren“,27 Erinnerung ist „unabweisbar“ geworden.28 Der Holocaust wird heute weltweit als „negatives Bezugsereignis“ historischer Erinnerungsprozesse genommen, dessen kollektives Gedenken als „identitätsstiftender Mechanismus“ ___________ 22

Zur Theorie des Bildes M. Jestaedt, Die Verfassung hinter der Verfassung, 2009. Vgl. H. Quaritsch, Über Bürgerkriegs- und Feind-Amnestien, in: Der Staat 31 (1992), S. 389 ff.; ders., Theorie der Vergangenheitsbewältigung, ebd., S. 519 ff.; ders., Apokryphe Amnestien, in: FS für H.-J. Arndt, 1993, S. 241 ff.; H. Weinrich, Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens, 3. Aufl. 2000; C. Meier, Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns, 2010, S. 10 f., 15 ff. 24 H. Quaritsch, Diskussionsbeitrag, in: VVDStRL 51 (1992), S. 127 (130 f.). 25 Vgl. Meier (Fn. 23), S. 9. 26 Wirkmächtige Formulierung in der Rede des Bundespräsidenten R. v. Weizsäcker am 8.5.1985 (Fn. 11): „Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren. Das jüdische Volk erinnert sich und wird sich immer erinnern. Wir suchen als Menschen Versöhnung. Gerade deswegen müssen wir verstehen, dass es Versöhnung ohne Erinnerung gar nicht geben kann… ‚Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung‘“. – Diese staatspolitische Bekräftigung des chassidischen Erlösungsversprechens „bestärkte eine erinnerungspolitische Selbstermächtigung, die seither für die deutsche Erinnerungskultur … prägend wurde“ (U. Jureith/C. Schneider, Unbehagen mit der Erinnerung, in: dies., Gefühlte Opfer – Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, 2010, S. 7 (10), sowie ebenso krit. U. Jureith, Opferidentifikation und Erlösungshoffnung: Beobachtungen im erinnerungspolitischen Rampenlicht, in: ebd., S. 18 (38 ff.). 27 Jureit (Fn. 26), S. 37. 28 Meier (Fn. 23), S. 12 f., 72 ff. 23

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zur „kulturellen Arterhaltung“ gedeutet.29 In den Worten Odo Marquards:30 Die Gegenwart hat sich vom „Gewissenhaben“ erhoben zum „Gewissensein“, hat das „absolute Angeklagtsein“ ersetzt durch „absolutes Anklagen“. Doch ist es allein das Ausmaß von Auschwitz, das psychopolitisch ein Vergessen verhindert und es demnach auch der Rechtspolitik verweigert, den Schlussstrich zur Maxime ihres Handelns zu machen? Es ist wohl kein Zufall, dass der in Deutschland seit den 1960er Jahren einsetzende Ausbau einer dezidierten Erinnerungskultur zu gleicher Zeit einhergeht mit dem verfassungsstaatlichen Ausbau einer Rechtsstaatlichkeit, die auf dezidierten Wertüberzeugungen gründet.31 Das regt die These an, es seien zumindest auch diese materiellen Implikationen der rechtsstaatlichen Ordnung, die der Vergangenheitsbewältigung durch Recht ein (aufarbeitendes) Erinnern vorgeben und ein (amnestierendes) Vergessen verwehren.

1. Das positivistische (Gegen-)Argument Die These trifft indes sogleich auf den Widerspruch des positivistischen Arguments. Auf einen Satz gebracht lautet es: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“. Mit damaligem Recht ist dabei jene schiere Legalität gemeint, auf die keine staatliche Ordnung verzichten kann.32 Auf dessen Inhalt und Güte kommt es nicht an. Mag auch ein solcher „Rechts-Staat“ von einer totalitären Herrschaftsideologie her bestimmt und durchsetzt gewesen sein, mag auch im Nachhinein diese Ordnung als Pervertierung des Rechts erkannt werden: Die damalige Rechtsgeltung der staatlichen Ordnung ficht das nicht an. Ein nachfolgender Rechtsstaat kann diese vormalige Geltung nicht überwinden und durch die Geltung seiner Regeln und Prinzipien ersetzen; die lex posteriorRegel hat keine systemübergreifende Wirkung. ___________ 29

Jureit (Fn. 26), S. 63 ff., 95 ff., unter Bezug auf und in Auseinandersetzung namentlich mit Assmann (Fn. 15), und dens., Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: ders./T. Hölscher (Hrsg.), Kultur und Gedächtnis, 1988, S. 9 ff. 30 O. Marquard, Der angeklagte und der entlastete Mensch in der Philosophie des 18. Jahrhunderts, in: ders., Abschied vom Prinzipiellen, 1981, S. 39 (56 ff.). 31 Bahnbrechender Faktor: das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.1.1958 – Lüth, das zunächst bekräftigt, dass das Grundgesetz „keine wertneutrale Ordnung sein will“, und sodann die Formel von der „objektiven Wertordnung“ hinzufügt, das es in seinem Grundrechtsabschnitt aufrichtet; BVerfGE 7, 198 (205). 32 Im Sinne von H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, Nachdruck 1993, S. 91: „Von einem streng positivistischen, jedes Naturrecht ausschließenden Standpunkt aus muß aber jeder Staat Rechtsstaat sein…, soferne eben jeder Staat … eine Rechtsordnung sein muß“. – Im gegebenen Kontext ist es freilich nicht unwichtig, ergänzend zu vermerken, dass die (innerstaatlich) geltende Rechtsordnung die völkerrechtlichen Regeln im Umfang ihrer innerstaatlichen Geltung mit einschließt.

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Demnach kann, das ist unbestreitbar richtig, auch das Grundgesetz von 1949 ratione tempore keine rückwirkende Geltung für die vorangegangenen Zeiten des NS- und SED-Regimes zeitigen.33 Aber dennoch: Das Argument der Geltungssouveränität der früheren Legalität schlägt nicht vollends durch. Einer vorrechtsstaatlichen Rechtsordnung eignet keineswegs jene gepanzerte „Unverbrüchlichkeit“,34 die dem Recht innerhalb eines geltenden Rechtssystems (bis zur ablösenden lex posterior oder verdrängenden lex prior) zukommt. Die frühere Legalität externer Systeme steht nicht unter einem ewigen Vertrauens- oder Quarantäneschutz, wie dies mancherorts – mitten in Europa – mit der Formel von der Unantastbarkeit zu insinuieren versucht wird.35 Vielmehr trifft sie in Transformationslagen immer auf die Befugnis des nachfolgenden Systems, das Gewesene und seine Folgen nach seinen eigenen Maßstäben zu bewerten und zu behandeln.

2. Worum es eigentlich geht Mit dieser Feststellung ist allerdings vorläufig nicht mehr zur Erkenntnis gebracht als dies: Die gegenteilige, ohnehin seltsame Vorstellung kommt nicht in Betracht, nämlich dass der Rechtsstaat verpflichtet sei, vor-rechtsstaatlich begangenes Unrecht zu ignorieren und damit in seinen Folgen zu legitimieren und zu perpetuieren. Was freilich bleibt, das ist die Frage, ob er dazu gleichwohl die Befugnis oder gar, wie gesagt worden ist, die „Freiheit“ hat.36 Damit aber wendet sich die Perspektive. Zum Vorschein gelangt, worum es eigentlich geht. Denn mit der Frage nach einer Befugnis oder Berechtigung des Rechtsstaats, vorangegangenes Unrecht zu ignorieren, steht notwendig gerade das Umgekehrte in Rede: Steht dem nicht ein Verbot zu vergessen, stattdessen das Gebot zu erinnern, entgegen? Es geht mit anderen Worten darum, ob der Rechtsstaat nicht allein das Maß einer wie auch immer regelnden Vergangenheitsbewälti___________ 33 Vgl. BVerfGE 2, 237 (246); 97, 89 (98); J. Isensee, Staatseinheit und Verfassungskontinuität, VVDStRL 49 (1990), S. 39 (60 ff.); auch ders. (Fn. 4), § 202 Rn. 92 f.; B. Pieroth, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit, VVDStRL 51 (1992), S. 91 (101); H.-D. Horn, Der Eigentumsschutz des Grundgesetzes im völker- und europarechtlichen Kontext der Wiedergutmachung vorrechtsstaatlichen Unrechts, in: G. Gornig/H.-D. Horn/D. Murswiek (Hrsg.), Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht – Teil 1, 2008, S. 79 (86). Auf den Unterschied zwischen begünstigender und belastender Rückwirkung kommt es dabei nicht an, da der insoweit relevante Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes Folge des (geltenden) Rechtsstaatsprinzips ist. 34 Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Neudruck 1960, S. 369 f. 35 So die Resolutionen des tschechischen und des slowakischen Parlaments aus den Jahren 2002 und 2007 zu den „Beneš-Dekreten“. 36 Pieroth (Fn. 33), S. 101.

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gung bildet, sondern vielmehr schon den Grund für eine Vergangenheitsaufarbeitung, die zu aktiver Unrechtsbereinigung aufruft. Die Frage, die sich stellt, lautet also richtig gestellt: „Kann das, was damals Unrecht war, heute Recht sein?“ Damaliges Unrecht meint dabei keine bloße Illegalität, sondern ganz ungeachtet vormaliger Legalität oder Illegalität eine wertende Feststellung, die aus einer historisch gewendeten Als-Ob-Projektion rechtsstaatlicher Maßstäbe auf vorangegangene Verhältnisse resultiert. Das impliziert, wohlgemerkt, eben keine rückwirkende Geltungserstreckung des neuen Rechts. Vielmehr sind es gerade diese Retrospektiven auf die vergangenen Verhältnisse, an die die genannte Befugnis anknüpft, sie bei Systemwechseln der Bewertung und Behandlung nach ganz anderen, nämlich den nachfolgenden Maßstäben zu unterwerfen. Ohne eine solche Rückschau kann diese Befugnis gar nicht gedacht werden.

3. Erinnernde Aufarbeitung aus normativer Normerhaltung Damit aber und erst jetzt ist der Punkt erreicht, auf den es ankommt: Dürfen demnach als Unrecht erkannte Vergangenheiten dem Rechtsstaat der Gegenwart gleichgültig sein? Oder verlangt er, so denn noch irgend möglich, dass sie aufgearbeitet, d.h. bereinigt werden? Die Antwort scheint sich aufzudrängen. Aber warum? Antwort: Weil der Rechtsstaat gar nicht anders kann. Er kann staatlich betriebenem Unrecht und seinen Folgen nicht ausweichen, den systemextern entstandenen ebenso wenig wie den systemintern auftretenden. Sein programmatisch-normativer Anspruch ist ein zeitlos übergreifender. Sich der Vergangenheit zu stellen, sie seinem Urteil zu unterwerfen und sie dann demgemäß nach seinen Regeln zu behandeln, ist dem Rechtsstaat unabweislich aufgegeben – nicht bloß als eigens zu begründende, demnach auch bestreitbare Aufgabe, sondern als immanente, unbedingte und unwiderstehliche Konsequenz seiner selbst. So wie seine Grund- und Grenzwerte die metapositiven Gerechtigkeitsideen des materialen Naturrechts positivrechtlich einfangen und daher in zeitgenössisch-horizontaler Betrachtung systemübergreifende Geltung beanspruchen, so beanspruchen sie diese mit ebensolcher Notwendigkeit auch in historisch-vertikaler Richtung. Das meint, nochmals, keine formale Geltungserstreckung des Rechtsstaats; sie ist juristisch ausgeschlossen. Doch obgleich eine rückwirkende Begründung beachtlicher Rechtsbindungen ausscheidet, bleiben die Ideen, aus denen diese erwachsen und die sie legitimieren, davon unberührt. Diese Ideen aber stören sich nicht an den räumlichen und zeitlichen Grenzen, denen die juristische Geltung unterliegt. Vielmehr überwölben sie diese und entfalten eine vitale, der Rechtsstaatsnorm selbst zurechenbare Kraft, die es verwehrt, sich in Anbetracht nachwirkenden schweren Unrechts hinter den Reichweiten der positiven Normgeltung zu verschanzen. Die Idee materialer Gerechtigkeit, die im Prinzip

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Rechtsstaat waltet, liegt seiner positiven Satzung voraus und widerstreitet buchstäblich für alle Zeiten der Hinnahme staatlich begangenen Unrechts, mag es auch formal legal sein oder gewesen sein. Was hier also am Werke ist, das ist ein inhärenter Mechanismus normativer Normerhaltung, der dogmatisch als eine Verfassungserwartung37 auftritt und als solche auszubuchstabieren ist. Er begründet die ideelle Rückwirkung des Rechtsstaats und seine erinnerungspolitische Vorwirkung. Will der Rechtsstaat in seinem gegenwärtigen Gestaltungsanspruch nicht Schaden nehmen an seinen gegenwartsunabhängigen Grundwerten muss er ebenso wie das aktuell Bestehende auch das geschichtlich Gewesene seinem kritischen Urteil und, wo möglich und geboten, seiner korrigierenden Tat zuführen. Er kann und darf die Opfer vorangegangenen Unrechts und deren Angehörige nicht allein und die Täter nicht laufen lassen, ohne sich selbst in den Legitimitätsstiftungen seiner fundamentalen Postulate zu demontieren. Erinnernde Auf- und Abarbeitung gehört zum Imperativ seiner Integrität.38 Vergessen und Verdrängen sind hingegen disqualifiziert. Ein „juridischer Agnostizismus“, der die Unterscheidung von Recht und Unrecht für die Vergangenheit ignoriert oder gar aufhebt, wäre dem Prinzip des Rechtsstaats unvereinbar.39 Mehr noch, der Rechtsstaat würde in den abgründigen Anschein einer Solidarisierung mit dem Unrecht, seiner Legitimierung und Perpetuierung verstrickt. All dies erweist den rechtsstaatlichen Widerstand gegen eine juridische Immunisierungsstrategie, die – wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – die vor-rechtsstaatliche Vergangenheit als eine einmalige und abgeschlossene Angelegenheit qualifiziert und daher deren fortdauernde, also aktuell-rechtsstaatliche Relevanz ausschließt.40 Und auch die durch das Bundesverfassungsgericht unternommene normative Verortung der staatlichen Aufgabe zur Unrechtsbereinigung im Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes41 nimmt sich ___________ 37 Zur Kategorie grundlegend Herb. Krüger, Verfassungsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen, in: FS für U. Scheuner, 1973, S. 285 ff.; E. Klein, Diskussionsbeitrag, in: VVDStRL 51 (1992), S. 120 f., hebt insoweit insbesondere die ordnende Aufgabe des Rechtsstaats und die Funktion hervor, ihn verstehend zu akzeptieren. 38 Zurückhaltender in rechtsvergleichender Sicht Nußberger (Fn. 9), S. 40 f., 46 f. 39 Isensee (Fn. 4), § 202 Rn. 137. 40 So zu den SBZ-Enteignungen der Jahre 1945 bis 1949 EGMR (GK) vom 2.3.2005, Nr. 71916/01 u.a., NJW 2005, 2530 ff. – Absatz-Nr. 74a; EGMR (IV. Sektion) vom 7.10.2008, Nr. 47550/06, EuGRZ 2008, 685 ff. – Absatz-Nr. 51, 61. Dagegen H.-D. Horn, Menschenrechte und Konfiskationen – insbesondere zu den Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone, in: G. Gornig/H.-D. Horn/D. Murswiek (Hrsg.), Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht – Teil 2, 2009, S. 49 ff. (58 ff.). 41 Vgl. BVerfGE 84, 90 (126 f.); zu dieser Rechtsprechungslinie in den Entscheidungen zur so genannten Bodenrefom in der SBZ zwischen 1945 und 1949 siehe m.w.N. Horn (Fn. 33), S. 88 ff.

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halbherzig und unzureichend aus.42 Demgegenüber stimmt der Imperativ des Rechtsstaatsprinzips zur aktiven Unrechtsbereinigung durchaus mit dem zusammen, was auch das Völker(gewohnheits)recht aufgibt. Die Artikel zur Staatenverantwortlichkeit der ILC (Art. 41) weisen die erga omnes geltende Pflicht aus, dass kein Staat einen Zustand als rechtmäßig anerkennen oder Beihilfe oder Unterstützung zur Aufrechterhaltung dieses Zustands leisten darf, der durch eine schwerwiegende Verletzung einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts herbeigeführt worden war.43

VII. Unrechtsbereinigung nach den Regeln des Rechtsstaats unter dem Druck des Erinnerungsgebots Dem Rechtsstaatsgebot zur Aufarbeitung folgt jedoch das Gebot der rechtsstaatlichen Aufarbeitung. Das bedeutet: Der ideelle Anspruch an die Norm gerät unter das Regime ihrer positivrechtlichen Ausformung. Der Vergangenheitsbewältigung durch Recht ist der Rahmen gezogen, den die gesetzten Regeln des Rechtsstaats vorgeben. Sie verlangen vom Rechtsarbeiter strikte Beachtung und Befolgung.44 Das wehrt nicht zuletzt der Gefahr, mit der Beseitigung alten Unrechts neues Unrecht zu erzeugen und damit die Aufgabe zu verfehlen, das Vergangene in die verfassungsstaatliche Gegenwart zu integrieren. Doch mangelt es hier an der Routine, die den Umgang mit dem Normalen entlastet. Die Ausnahme der Unrechtsbewältigung reibt sich zuweilen hart an dem Zuschnitt der rechtsstaatlichen Regeln auf das Übliche und Absehbare.45 Die Last aber relativiert nicht die Aufgabe: Die nachträgliche Neubewertung als Unrecht ist zu unterscheiden von deren praktischen Folgen, der Wiedergutmachung für die Opfer, der Ahndung für die Täter.46 Der erste Beitrag, den der Rechtsstaat hierbei leistet, liegt, wie erwähnt,47 voraus. Er unterwirft die Entscheidung über die Behandlung der Unrechtsfolgen seinen Formen und Verfahren: Keine revolutionären Tribunale oder apokryphen Staatsakte, sondern öffentliche Willensbildung und Entscheidungen in geregelten Verfahren; keine blutigen Säuberungen, sondern geordnete Strafprozesse; Strafprozesse nicht als Siegerjustiz, sondern als Rechtsprechung; Rechtsprechung und Vollziehung nicht in moralisch-politischer Eigenmacht, sondern ___________ 42

Vgl. auch Isensee (Fn. 4), § 202 Rn. 143. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 ILC-Artikel, Res GA 56/83 vom 12.12.2001; dazu Horn (Fn. 40), S. 69 ff. 44 Dies als den alleinigen Inhalt der rechtsstaatlichen Vergangenheitsaufarbeitung ausweisend Pieroth (Fn. 33), S. 92. 45 Siehe schon oben bei Fn. 9. 46 Isensee (Fn. 4), § 202 Rn. 137. 47 Oben bei Fn. 18. 43

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in der Bindung an das allgemeine Gesetz; Gesetzgebung nicht unter dem Vorbehalt ideologischer Willkür, sondern unter dem Vorrang der Verfassung. Solche formellen Vorkehrungen rationalisieren das Geschäft der Unrechtsbewältigung und wehren einer vergeltungs- und gerechtigkeitssüchtigen Erinnerungswut, die die rechtsstaatlichen Maßgaben der Gefahr einer Politisierung, schließlich einer Polarisierung nach Freund und Feind aussetzt. Diese Unterscheidung hat im Rechtsstaat keinen Platz. Er hat seine Grundsätze, wie gegenüber jedermann, so auch in der Behandlung von Tätern und Opfern, in gleicher Weise zur Geltung zu bringen. Die Garantien der Grundrechte und des Gleichheitssatzes, der Verallgemeinerungsfähigkeit und der Neutralität kommen den einen wie den anderen zu. Gleichwohl liegen hier die Reibungspunkte, an denen sich die Aufgabe der Unrechtsbewältigung bis zur grundsätzlichen Herausforderung steigert. Der „reale“ Rechtsstaat gerät in dem Maße unter den gewaltigen Druck einer erinnerungspolitischen Erwartung, wie deren spezifische Vorstellungen über gerechte Sanktion und Wiedergutmachung über das hinausgehen, was die rechtsstaatlichen Kautelen an Normalitätserwartung hergeben. Hier ist in besonderer Weise jene Grundspannung betroffen, in der das Recht steht, nämlich nicht nur materielle Gerechtigkeit, sondern zugleich eine verlässliche Ordnung, mithin Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu schaffen. Sie wird nachgerade zum Dilemma, wenn die Schwere des früheren Unrechts kein Ende von Schuld und Sühne und Wiedergutmachung verträgt.

1. Strafrechtliche Verfolgung der Täter Den eklatanten Anschauungsfall bietet der Einsatz des Strafrechts gegen die Täter. Dabei geht es gar nicht erst um die Probleme des nachträglichen Tat- und Schuldnachweises im Einzelfall. In Frage steht schon die Strafbarkeit, wenn die kritische Tat nach dem zur Tatzeit am Tatort geltenden Recht nicht oder nicht ausdrücklich mit Strafe bedroht war. Hier trifft das Prinzip materialer Gerechtigkeit „nullum crimen sine poena“ auf den Widerstand aus dem formalem Prinzip der Rechtssicherheit „nullum crimen sine lege“ (Art. 103 Abs. 2 GG).48 Doch die rechtsstaatliche Praxis hat diesen Widerstand weithin überwunden, in Ansehung des NS-Völkermords an den Juden (bis hin zur Verjährungsaussetzung) noch müheloser als in den Verfahren gegen die so genannten Mauerschützen und deren Befehlsgeber im SED-Staat. Im Ergebnis, so lässt sich cum grano salis feststellen, ist in diesen Fällen das strafrechtliche Rückwirkungsverbot einem überwiegenden Strafbedürfnis gewichen. ___________ 48

Vgl. Isensee (Fn. 4), § 202 Rn. 137.

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Hat hier der Rechtsstaat seine verbürgten und verlässlichen Bahnen verlassen? Hat er dem „Ausnahmefall“ der Unrechtsbereinigung aus erinnerungspolitischem Kalkül den Quasi-Status einer Notstandssituation eingeräumt, die den Dispens von seinen Regeln rechtfertigen soll? Der Vorhalt wird verneint. Zur Begründung verweist die Rechtsprechung auf die überpositiven naturrechtlichen Gebote und Maßstäbe der Gerechtigkeit, wie sie in der Radbruchschen Formel49 und – konkreter – in den elementaren, völkerrechtlich geschützten Menschenrechten zum Ausdruck gelangen. Der Schutz des Vertrauens aus dem geltenden Rückwirkungsverbot müsse zurücktreten, wenn die frühere Legalität in offensichtlich grober Weise gegen die Grundgedanken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit verstoßen und daher extremes staatlichen Unrecht gesetzt habe.50 „Andernfalls würde die Strafrechtspflege der Bundesrepublik zu ihren rechtsstaatlichen Prämissen in Widerspruch treten.“51 Die Argumentation bezeugt eindrücklich die Kraft der erinnerungspolitischen Erwartung an den Rechtsstaat. Doch der Preis ist nicht gering. Die Rechtsprechung stößt an die rechtlichen Grenzen, die die rechtsstaatlichen Regeln ziehen, und an die Unterscheidung, die zwischen dem „Ob“ und dem „Wie“ der Vergangenheitsaufarbeitung besteht. So sehr die Idee materialer Gerechtigkeit die erinnernde Befassung mit den noch greifbaren Tatbeständen einer vorrechtsstaatlichen Vergangenheit aufgibt, so fragwürdig ist doch deren konkrete rechtswirksame Anwendung in Transformationslagen, wenn dadurch gerade die allgemeinen rechtsstaatlichen Regeln korrigiert werden. Denn unversehens ist es ja das geltende Recht, hier das Rückwirkungsverbot, nicht das frühere System des Unrechtsstaats, das unter den Vorhalt rückt, als im Einzelfall unrichtiges Recht der Gerechtigkeit weichen zu müssen. Sind hier nicht die Grenzen des rechtsstaatsimmanenten Mechanismus der normativen Normerhaltung oder gar der Punkt erreicht, an dem sich dieser gegen sich selbst kehrt und statt Normerhaltung Normbeschädigung betreibt? Die Sorge jedenfalls besteht,52 dass hier ___________ 49 Wenn der Widerspruch des positiven, „gesetzlichen“ Rechts zur Gerechtigkeit ein unerträgliches Maß erreicht, hat es als „unrichtiges“ Recht der Gerechtigkeit als „übergesetzliches“ Recht zu weichen: G. Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, Süddeutsche Juristenzeitung 1946, S. 105 (107), auch in: ders., Rechtsphilosophie (1932), hrsg. von R. Dreier/S. L. Paulsen, 2. Aufl. 2003, S. 211 (216). 50 Grundlegend BGHSt 2, 234 (238 f.); 39, 1 (15 ff.); BVerfGE 95, 96 (132 ff. m.w.N.). 51 BVerfGE 95, 96 (133). 52 Sie drückt um so mehr, wie nicht im Wege der Verfassungsänderung des Art. 103 Abs. 2 GG dem Rückwirkungsverbot eine Ausnahmeklausel für Verbrechen gegen die Menschheit beigefügt ist bzw. – nach dem Vorbild des Art. 7 Abs. 2 EMRK – ein Vorbehalt für eine Handlung oder Unterlassung, die zur Zeit ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völker anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze strafbar war; dazu Isensee (Fn. 4), Nachwort, S. 107, Pieroth (Fn. 33), S. 104. Freilich hat die Bundesrepublik Deutschland dieser konventionsrechtlichen Beschränkung des Rückwirkungsver-

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ein an sich „richtiges“ Rechtsprinzip einem überbordenden Rechtsgefühl gewichen ist, dem ein aus den Normen des Rechtsstaats folgendes Ergebnis rechtsstaatlich unerträglich erscheint. Nachzutragen bleibt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Sachen Mauerschützen diesen Konflikt wohlweislich vermieden hat. Statt auf das Naturrecht zurückzugreifen hat er eine Auslegung des DDR-Strafrechts nachgewiesen, die – im Hinblick auf die von der DDR eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen – die schon damals bestehende Strafbarkeit des Schießbefehls, und zwar auch für die Rechtsunterworfenen erkennbar, begründete.53 Demzufolge kommt das gegenwärtige Verbot rückwirkender Strafe gar nicht erst in Betracht und steht somit einer heutigen Strafbarkeit auch nicht entgegen. Zudem wird damit – indem das Gericht dies selbstverständlich mit dem Anspruch verbindet, die frühere Gesetzeslage lege artis, d.h. nach den rechtsstaatlich geschulten und geschuldeten Methoden zu erkennen – die DDRRechtsordnung juristisch ernst, d.h. textgetreu beim Wort genommen und nicht – dem von der DDR stets propagandistisch erklärten Eigenverständnis zuwider laufend – davon abweichend, nach ihrer „realen“ Geltung unter der Staatspraxis der SED-Ideologie gedeutet.

2. Strafbarkeit der Gutheißung des NS-Regimes Was im vorstehenden Beispiel zu beobachten war, kehrt ähnlich an anderen Stellen wieder. Stets geht die juridische Anstrengung dahin, die nachträgliche Unrechtsbewältigung möglichst nicht als ein Problem, sondern als eine Variante der Rechtsstaatlichkeit auszuweisen. Der Rechtsstaat der Gegenwart verbietet zwar, wie dargelegt, seine retroaktive Installation in die Vergangenheit. Aber er strebt beinahe unwiderstehlich danach, in der Retrospektive erkanntes Unrecht proaktiv aufzuarbeiten. Die Strategien unterscheiden sich nach Lage der Fälle, aber das Ziel ist das nämliche. So zeigt sich auch im Bereich der berufsbezogenen oder der sozialversicherungsrechtlichen Sanktionierung persönlicher Unrechtsverantwortung, dass der Widerstand, der sich dagegen aus der Inhaberschaft verfassungsmäßiger Rechte regt, regelmäßig unter Verweis auf höherwertige Belange rechtsstaatlicher Einrichtungen überwunden wird.54 Wo der Schatten der Vergangenheit unerträglich waltet, muss umso stärker, so scheint es, das ___________ bots bisher nicht zugestimmt (vgl. Vorbehaltserklärung vom 15.12.1953, BGBl. 1954 II S. 14). 53 EGMR (GK), Urteile vom 22.3.2001, Nr. 34044/96 u.a., NJW 2001, 3035 ff.; Nr. 37201/97, NJW 2001, 3042 ff. 54 Dazu im Überblick Isensee (Fn. 4), § 202 Rn. 148 ff., 152 ff.

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Licht des Rechtsstaats einkehren, mag es dazu auch erforderlich sein, punktuell und partiell die Pfade des rechtsstaatlichen Normalbetriebs zu verlassen. Ein weiteres, ebenso bemerkenswertes wie merkwürdiges Beispiel dafür markiert der so genannte Wunsiedel-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Das Gesetz, das die Gutheißung (Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen) der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe stellt (§ 130 Abs. 4 StGB), besteht nach dieser Rechtsprechung vor dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, obgleich es sich dabei nicht, wie von Art. 5 Abs. 2 GG gefordert, um ein allgemeines, sondern gerade um ein gegen eine bestimmte Meinung gerichtetes Verbotsgesetz handelt.55 Die ausnahmsweise Abkehr vom Allgemeinheitserfordernis meinungsbeschränkender Gesetze begründet das Gericht ausdrücklich mit einer „nicht übertragbaren einzigartigen Konstellation“. Das Grundgesetz gewähre die Meinungsfreiheit „grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit“, aber doch nicht diesen. Es enthalte zwar kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip.56 Gleichwohl könne hier die reguläre verfassungsrechtliche Ordnung des Rechtsgüterschutzes vor Meinungsäußerungen unabhängig von bestimmten Überzeugungen, Haltungen und Ideologien keine Geltung beanspruchen. Die gerichtliche Begründung ist in und zwischen jeder Zeile ihres Textes von dem kathartischen Erinnerungsgebot an das menschenverachtende Regime der Jahre 1933 bis 1945 durchdrungen. Das Gericht unternimmt erst gar nicht den Versuch, sein Judiz grundrechtsdogmatisch zu qualifizieren (wofür es durchaus Anknüpfungspunkte gegeben hätte), sondern rekurriert nach Art der Figur vom Ernst- oder Ausnahmefall auf die „Sonderkonstellation“.57 Es ist diese Konstellation, die die absolute Schlagkraft der erinnerungspolitischen Norm zur Geltung bringt: Die Untaten des Nationalsozialismus hätten sich derart „als Schreckbild unermesslicher Brutalität in das Bewusstsein der Gegenwart eingebrannt“, dass deren positive Bewertung, so die Analyse des Gerichts, die „geschichtsgeprägte Identität der Bundesrepublik Deutschland“ betreffe und daher in der Bevölkerung „heute regelmäßig“ derart heftige Wirkungen und Reaktionen erzeuge, dass absehbar der öffentliche Friede im Sinne des „friedlichen

___________ 55

BVerfGE 124, 300 (320 ff., 327 ff. – dort die folgenden Zitate). Entgegen der – vom BVerfG wiederholt aufgehobenen (vgl. u.a. BVerfGE 111, 147 ff.) – Rechtsprechung des OVG Münster, NJW 2001, 2111 ff. 57 Aus der vielstimmigen Kritik dagegen W. Höfling/S. Augsberg, Grundrechtsdogmatik im Schatten der Vergangenheit, JZ 2010, S. 1088 ff.; ebenso schon T. Maunz, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 139 Rn. 4. Tendenziell anders auch BVerfGE 111, 147 ff. m.w.N., BVerfG-K vom 4.1.2011, Az. 1 BvR 1106/08; W. Hoffmann-Riem, Demonstrationsfreiheit auch für Rechtsextremisten? Grundsatzüberlegungen zum Gebot rechtsstaatlicher Toleranz, NJW 2004, S. 2777 ff. 56

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Miteinanders“ in Gefahr stehe.58 Dem könne eben nicht auf der Grundlage und unter Anwendung der bloß herkömmlichen Regeln zu den Grenzen der Meinungsfreiheit Rechnung getragen werden. Was am Ende bleibt und provoziert, ist jedenfalls die Frage, ob das verfassungsrechtliche Regelwerk und die rechtsstaatlichen Sicherungsleistungen der Grundrechtsdogmatik auch gegenüber einem (Straf-)Gesetz beiseite treten würden, das die Gutheißung der historischen kommunistisch-stalinistisch-sozialistischen Gewalt- und Willkürtaten verbietet; ein solches Gesetz gibt es bislang bekanntlich nicht. Aber was eine rechtswirksame Anerkennung der öffentlichen Erinnerungsnorm keinesfalls verträgt, das ist eine Differenzierung nach der jeweiligen Ideologie, in deren Namen einst ein staatliches Herrschaftssystem zum Unrechtsregime voller Leid, Tod und Unterdrückung entartet ist.

3. Wiedergutmachung für die Opfer Wenden wir von hier den Blick auf die Opfer des erlittenen Unrechts. Ihrem Schicksal begegnet die aktive Erinnerungspolitik mit den Mitteln der Wiedergutmachung, sowohl immaterieller als auch materieller Schäden. An sich, d.h. aus der reinen Warte des Verfassungsrechts gesehen, ist solche Genugtuung für die Opfer leichter zu leisten als die Bestrafung der Täter.59 Anders als dieser, stellt sich jener kein grundrechtliches Hindernis entgegen. Auch praktisch erscheint jene dringlicher als diese, man denke etwa an den Lastenausgleich. Dieser setzte sogleich nach Kriegsende ein, ebenso die ersten Entschädigungszahlungen und Eigentumsrestitutionen an NS-Verfolgte. Besondere moralischpolitische Dringlichkeiten bestimmten und bestimmen zudem die Lage gegenüber dem Judentum und den NS-Zwangsarbeitern. Doch ungeachtet all dessen zeigt sich ein Bild, das jedenfalls in Teilen erstaunen muss. Namentlich die Wiedergutmachungspolitik nach der deutschen Wiedervereinigung gibt zu erkennen, dass sich der Rechtsstaat hier keineswegs leichter, sondern im Gegenteil offenbar erheblich schwer tut. Das Bundesverfassungsgericht verneint sogar überhaupt, dass die Wiedergutmachung eine genuin rechtsstaatliche Aufgabe sei, und verortet sie im sozialstaatlichen Prinzip.60 Diese Verschiebung ist nicht wenig erheblich. Sie lässt den genuinen, aus dem Inneren der Rechtsstaatsnorm hervorbrechenden Druck zur Aufarbeitung ___________ 58 Ob die Strafnorm auch auf den Schutz der Würde der Opfer des NS-Regimes gestützt werden könnte, hat das Bundesverfassungsgericht offengelassen; BVerfGE 124, 300 (335, 336). Zu den Formen und Normen einer „opferidentifizierten Erinnerungskultur“ Jureit (Fn. 26), S. 23 ff., 30 ff. 59 Vgl. auch Isensee (Fn. 4), § 202 Rn. 137. 60 BVerfGE 84, 90 (126 f.); s. Fn. 41.

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und Bereinigung vorangegangenen Unrechts entfallen. Das Sozialstaatsprinzip begnügt sich damit, das Staatsziel der sozialen Gerechtigkeit vorzugeben, und überlässt es im Übrigen weitestgehend der aktuellen Willensbildung des demokratischen Gesetzgebers, dieses konkret auszufüllen und umzusetzen. Indessen geht es einer Wiedergutmachung gar nicht um den Ausgleich einer bestimmten sozialen Ungleichheit, sondern um den Ausgleich von Sonderopfern, die die Betroffenen im Ausgeliefertsein an ein Willkürregime ertragen mussten (wie grundlose Verurteilung, menschenunwürdige Haft, erniedrigende Behandlung, Diffamierung, Denunziation, Berufsverbot, Vertreibung, Tötung). Solches unterfällt nicht dem sozialen Staatsziel, sondern ist Thema des rechtsstaatlichen Prinzips.61 Und zuweilen geht es, wie bei der Frage nach einer Natural- oder Entschädigungsrestitution konfiszierten Grund- und Immobilieneigentums, noch nicht einmal um den Ausgleich von Sonderopfern, sondern um die Anerkennung von früheren Eigentumsrechten, wenn sie ungeachtet des tatsächlichen Verfügungsverlustes fortdauern und daher ohne Überleitung unter den Schutz des Grundgesetzes gelangt sind.62 Auch im Weiteren, d.h. bei der praktisch-rechtlichen Umsetzung des Wiedergutmachungsziels, gerät der erinnerungspolitische Anspruch des Rechtsstaats mitunter in arge Bedrängnis. Gewiss: Vor allem beim Ausgleich erlittener materieller Schäden trifft er auf komplexe, multipolare (politische) Interessenund (ideelle) Gerechtigkeitslagen. Das markanteste Beispiel bildet das Eigentumsdilemma bei der Aufarbeitung der unrechtsstaatlichen Enteignungen und Konfiskationen in der DDR und der SBZ. Der Alteigentümer drängt auf Wiederherstellung seines Eigentums, der zwischenzeitliche Nutzer auf Bewahrung seines eigentumsähnlichen Besitzes, neue Investoren wollen geordnete und rentable Verhältnisse. Soweit es um die DDR-Unrechtsbereinigung geht, hat der Gesetzgeber solche Konflikte in den Gesetzen zur Transformation der sozialistischen Eigentumsordnung und zur Regelung der offenen Vermögensfragen cum grano salis mit sowohl erinnerungspolitischer als auch eigentumsrechtlicher Sensibilität gelöst. Hingegen lasten die Unrechtsakte der so genannten Wirtschafts- und Bodenreform unter der sowjetischen Besatzungsmacht in den Jahren 1945 bis 1949

___________ 61

So zu Recht deutlich Isensee (Fn. 4), § 202 Rn. 143. Analyse im Hinblick auf die (Alt-)Eigentumsrechte an den nach Ende des Zweiten Weltkriegs von SBZ- und DDR-Gewalt konfiszierten Gütern: Horn (Fn. 33), S. 88 ff. (verfassungsrechtlich), ders. (Fn. 40), S. 55 ff. (konventionsrechtlich), jew. m.z.N. – Dass freilich insoweit eine im engeren Sinne (staats- oder völker-) rechtliche Haftung der Bundesrepublik Deutschland nicht in Betracht kommt, steht zweifelsfrei, weil das frühere Unrecht, begangen unter und im Namen einer fremden Macht, ihr nicht zugerechnet werden kann. 62

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nach wie vor auf der rechtsstaatlichen Ordnung.63 Der Begriff der Wiedergutmachung reibt sich hier nicht nur an dem eigens in Verfassungsrang erhobenen Restitutionsausschluss,64 sondern auch an dem zögerlichen Gesetz und dessen langwierigem Vollzug, das statt Restitution oder Entschädigung die Zahlung von Ausgleichsleistungen und die Möglichkeit bevorzugten Flächenerwerbs vorsieht.65 Auch der Vorhalt der nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber den nach 1949 Enteigneten bleibt aktuell und hält sich vor allem dort, wo sich enteignetes Grundeigentum auf dem Territorium der ehemaligen DDR nach dem Übergang auf den bundesdeutschen Fiskus weiterhin in dessen Händen befindet. Besonders schwer wiegt es zudem, dass die deutsche Justiz bislang eine straf- und verwaltungsrechtliche Rehabilitierung66 der Bodenreformopfer verwehrt, sondern sie allein als Opfer von Vermögensunrecht behandelt, für die jener Restitutionsausschluss67 eine effektive Wiedergutmachung vereitelt. Sie verschließt sich so der geschichtlichen Tatsache, dass die Konfiskationen unter der Sowjetmacht Instrument und damit Bestandteil eines massenhaften, mit stalinistischen Methoden betriebenen Verfolgungs- und Vertreibungsunrechts gegen den erklärten Klassenfeind waren.

VIII. Rechtsstaatliche Vergangenheitsaufarbeitung zwischen den Geboten von Rechtsfrieden und Rechtszufriedenheit Der vorstehende Überblick über den Umgang des Rechtsstaats mit schlimmer Vergangenheit erlaubt keine stringente im Sinne einer dogmatisch strukturierten und praktisch subsumierbaren Erkenntnis. Das liegt nicht an der Knappheit des Überblicks, sondern an der diffusen Eigenart und vielschichtigen Bedingtheit der Materie. Was sich gleichwohl erwiesen hat, ist, dass der Rechtsstaat in Anbetracht vorangegangenen Unrechts besonders kraftvoll bedrängt wird von der Klage: fiat iustitia. Sie fordert die Einlösung einer definitiven Verfassungserwartung, indem sie den Rechtsstaat mit seiner Grundidee konfrontiert. Deren ___________ 63

Dezidierte Anklage: J. Wasmuth, Keine Sternstunde des Rechtsstaats: Zwei Jahrzehnte Aufarbeitung von SED-Unrecht, NJW 2010, S. 1133 ff. 64 Vgl. Art. 143 Abs. 3 GG. 65 Vgl. das Ausgleichsleistungsgesetz – AusglLeistG, ergangen als Art. 2 des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes – EALG vom 27.9.1994, BGBl. I S. 2624, in der Fassung vom 13.7.2004, BGBl. I S. 1665. 66 Nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG, ergangen als Art. 1 des 1. SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 29.10.1992, BGBl. I S. 1814, neugefasst mit Gesetz vom 17.12.1999, BGBl. I S. 2664, und dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz – VwRehaG, ergangen als Art. 1 des 2. SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 23.6.1994, BGBl. I S. 1311, neugefasst mit Gesetz vom 1.7.1997, BGBl. I S. 1620. 67 Art. 143 Abs. 3 GG i.V.m. § 1 Abs. 8 lit. a) VermG.

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legitimitätsstiftende Werte und Maßstäbe kehren sich gegen ihn selbst und setzen in ihm einen Mechanismus normativer Normerhaltung in Gang, der ihn zu einer aktiven Vergangenheitsbewältigung durch Unrechtsbereinigung anhält. Amnesie und Amnestie wären einfacher. Doch der Weg, Vergessen aufzugeben und der Vergangenheit auszuweichen, ist dem Rechtsstaat verwehrt. Um seiner selbst willen strebt er danach, diese erinnernd aufzunehmen und integritätssichernd abzuarbeiten. Solche Vergangenheitsbewältigung kann freilich nicht mit einem Mal gelingen. Auch gibt es keine allseits verwendbaren Patentrezepte. Im Licht der Gegenwart nimmt der Schatten der Vergangenheit verschiedene Schattierungen an und bedingt unterschiedliche Strategien der Aufarbeitung. Vor allem aber geht der rechtsstaatliche Auftrag des fiat iustitia nicht ad pereat mundus. Vielmehr werden, wo die Mittel des heutigen Rechts das vorangegangene Unrecht noch erreichen, die Wege und Möglichkeiten zur Unrechtsbereinigung von den Regeln und Grenzen des rechtsstaatlichen Modus bestimmt. Dieser steht der Schaffung revolutionärer Gerechtigkeit entgegen. Das Recht erfüllt seine Aufgabe der Vergangenheitsbewältigung daher zu allererst dadurch, dass es die vielfältigen Erwartungen an das Recht kanalisiert und überhitzte Forderungen diszipliniert.68 Vermag es sodann und schlussendlich einen (formalen) Rechtsfrieden zu setzen, der zugleich (materiale) Rechtszufriedenheit schafft, ist die Integration der Vergangenheit in und für die Integrität der Gegenwart gelungen. Prekär wird es hingegen dort, wo die Zufriedenheit mit dem Recht in Zweifel gerät. In der Frühzeit des wiedervereinigten Deutschlands fiel der Satz: „Wir haben Gerechtigkeit erhofft, und wir haben den Rechtsstaat bekommen“. Er wird der Bürgerrechtlerin Bärbel Boley zugeschrieben. Solche Erfahrung erschüttert die Fundamente des Rechtsstaats und formuliert eine herbe Enttäuschung über die an ihn gerichtete Integritätserwartung. Wenn fortwirkendes Unrecht aus der Vergangenheit den Eintritt von Rechtszufriedenheit in der Gegenwart hindert, verliert es an Überzeugung, dass nicht die Gerechtigkeit, sondern der Friede die „erste“ große Aufgabe des Rechts sei.69 Freilich, die Erfahrung lehrt auch: Die Gerechtigkeit ist von schwankendem Gemüt und hat eine latente Neigung zur Unersättlichkeit. In dieser Spannung die „richtige“ Mischung zu finden, die zwischen den Polen des Erinnerns und des Vergessens eine sowohl überzeugend gerechte, zumindest willkürfreie und gesinnungsneutrale, als auch juristisch verlässliche Aufarbeitung der – einen wie der anderen deutschen – Vergangenheit leistet, bleibt dem Recht im Rechtsstaat beständig aufgegeben; Adressat ist alle Staatsgewalt, Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung. ___________ 68 Beispiel für den Fall einer Überhitzung: BVerfG-K vom 17.8.2010, NJW 2011, 511 ff. 69 Vgl. G. Radbruch, Aphorismen zur Rechtsweisheit, 1963, S. 23, Nr. 77.

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Abstract Hans-Detlef Horn: About the Constitutional State Dealing with Former Injustice, In: Law of Property and Injustice of Expropriation. Coming to Terms with the Past. Vol. III. Ed. by Gilbert H. Gornig, Hans-Detlef Horn and Dietrich Murswiek (Berlin 2012) pp. 195–215. “Vergangenheitsbewältigung” (coming to terms with the past) aims at adequate integration of the past into the present, in terms of remembering and forgetting. Today’s politics of the past recognises remembering as a guarantor of peace and as a protector form repetition. Following the genocide of the European Jews, forgetting, turning a blind eye or supression are no longer political options. The thesis of this article reads: according to the normative selfunderstanding of the constitutional state, the ignorance and amnesty of former injustice is impossible. The constitutional state unavoidably faces the question “Can previous injustice be right today?” The only answer to this question can be: no! On its own, the constitutional state has the task of sanctioning and rectifying former injuistice, as far as this is at all still possible. However, in doing so, the state is bound by the rules and limitations of which the constitution state’s law is subjected to. This does not only serve for the creation of substantive justice but also for the creation of legal peace and legal certainty. The task of remedying injustice finds itself in the same tension. A dilemma arises when the extent of the former injustice shows no end to guilt, atonement and remediation.

Nachwort – Ein Rückblick auf drei Fachtagungen Drei Symposien in ihrer Reihe der staats- und völkerrechtlichen Fachtagungen hat die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen gemeinsam mit der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht den Fragen der Eigentumsordnung in Mittel- und Osteuropa gewidmet, einer Ordnung, die bis heute durch das Enteignungsunrecht nach dem Zweiten Weltkrieg schwer belastet ist. Eine besondere Brisanz erhält die Thematik durch den menschenrechtsverletzenden Charakter des geschehenen Unrechts. Die Symposien waren international besetzt. Zu den mehr als zwei Dutzend Referenten zählten neben elf deutschen vier Experten aus Polen, jeweils zwei aus Tschechien und aus Slowenien, je ein Vertreter aus Estland, Rumänien, Serbien und Ungarn, ferner ein russischer Wissenschaftler aus dem Königsberger Gebiet sowie zwei US-Amerikaner. In diesem Rahmen wurden in offenem Dialog die Fragen des Eigentumsschutzes, des Menschenrechtscharakters von Eigentum, das Unrecht der Enteignung und die verschiedenen Ansätze zur Restitution in der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland und in den einzelnen Nachfolgestaaten des kommunistischen Ostblocks erörtert. Da die Symposien über einen Zeitraum von ca. fünf Jahren stattfanden (2006, 2008, 2010), hatte der Dialog zwangsläufig auch eine zeitliche Streckung, so dass die aktuellen Entwicklungen in den einzelnen Staaten mitberücksichtigt werden konnten. Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen freut sich, mit den nun vorliegenden drei Bänden gleichsam ein Kompendium, eine umfassende Informations- und Wissensquelle zu den Fragen von Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht im mittleren und östlichen Europa darbieten zu können. Es wird darin deutlich, dass im Gegensatz zum sozialistischen bzw. kommunistischen Verständnis, nach dem Privateigentum nicht schutzwürdig ist, Eigentum ein grundlegendes Menschenrecht ist und ohne die Achtung dieses Menschenrechts eine freiheitliche Grundordnung keinen Bestand haben kann, eine freiheitliche Demokratie nicht möglich ist. In dem Maße, in dem sich die ehemaligen Ostblockstaaten von der kommunistischen Ideologie befreit haben und in der Eigentumsgarantie ein grundlegendes Menschenrecht erkennen, kommt es auch dort zu Restitutionsregelungen, die eine gerechte Eigentumsordnung wieder herzustellen versuchen. Allerdings – das hat der Dialog in den Symposien auch gezeigt – bestehen bei der Überwindung der sozialistischen Ideologie in der Praxis viele, teils auch große Hindernisse, Schwierigkeiten und politische Vorbehalte, welche die Errichtung einer menschenrechtskonformen Eigentumsordnung erschweren. Ein Königsweg zur Schaffung einer solchen neuen Ordnung hat sich

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nicht herausgebildet. Gleichwohl bietet die Dokumentation, indem darin die unterschiedlichen Ansätze zur Wiedergutmachung des Enteignungsunrechts erörtert und gegeneinander gestellt werden, eine wissenschaftlich fundierte Grundlage und Orientierungshilfe für die aus menschenrechtlicher Sicht erforderliche Vergangenheitsbewältigung in Mittel- und Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg. Für die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen ist die Bewältigung der kulturellen Folgen der Vertreibung eine grundlegende Aufgabe. Das Enteignungsunrecht bei der Vertreibung kann dabei nicht ausgeklammert werden, hat es doch zwangsläufig und nachhaltig tiefe Einschnitte in die ostdeutsche und damit auch gesamtdeutsche Kultur verursacht. Diesen Zusammenhang hat Hans-Detlef Horn in seinem Beitrag zu Menschenrechten und Konfiskation mit den Worten beschrieben, dass das Recht am Eigentum verbunden mit dem Erbrecht im Kreise der westlichen Kulturstaaten, namentlich auch in der europäischen Staatenfamilie, als Voraussetzung der freien Entfaltung der Person anerkannt und jedem Individuum zuerkannt ist. Als Folgerung daraus ergaben die Analysen des Symposiums, dass der Entzug von Privateigentum im Zusammenhang mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie auch der Vertreibung, eine Menschenrechtsverletzung darstellt, die durch Rückgabe oder Entschädigung wieder gutzumachen ist. Es ist deshalb unzulässig, Enteignungen, die der Verfolgung bzw. der Vertreibung bestimmter Volksgruppen dienten, ihres eigentlichen Zweckes zu entkleiden und zwischen der Enteignung als bloße Eigentumsbeschaffung und der dabei erfolgten Gewaltanwendung als getrennte Handlungen zu unterscheiden. Es handelt sich hier um eine Gemengelage von tatsächlichen Maßnahmen, die auch unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten als eine so genannte zusammengesetzte Handlung (composite act) zu qualifizieren ist. Das heißt, es widerspricht dem tatsächlichen Handlungsablauf und der Handlungsintention, die Entziehung des Eigentums ungeachtet seiner tatsächlichen Dauerfolgen als einmaligen Vorgang (instantaneous act) zu bewerten. Es handelt sich in diesen Fällen eben nicht um eine bloße Eigentumsbeschaffung, sondern um eine gewaltsame, auf Dauer beabsichtigte Entziehung der Existenzgrundlage und somit um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also um eine Menschenrechtsverletzung. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse des vorliegenden Dialogs zum Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht ist die Sichtweise des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in der Entscheidung vom 17. Oktober 2008 unhaltbar. In der Entscheidung war der EGMR der Auffassung, dass die Enteignung der deutschen Vertriebenen ein einmaliger Vorgang und kein anhaltender Zustand (continuing situation) einer Rechtsentziehung sei. Im dritten Teilband wird insbesondere die Wiedergutmachung der Folgen des kommunistischen Verfolgungs- und Enteignungsunrechts in der SBZ und der ehemaligen DDR in den Blick genommen. Wegen der Bindung des bundes-

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republikanischen Gesetzgebers an das Grundgesetz war zu erwarten, dass das geschehene Unrecht in geeigneter Weise rückgängig bzw. wieder gutgemacht werden würde, da auch im Beitrittsgebiet eine freiheitliche rechtsstaatliche, also menschenrechtskonforme Eigentumsordnung zu schaffen war. Doch weder die Enteignungsmaßnahmen in der SBZ zwischen 1945 und 1949 noch die Bodenreform der DDR fanden eine zufrieden stellende rechtliche und politische Wiedergutmachung. Otto Depenheuer bemerkt in seinem Referat dazu, dass durch die abschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die gerichtlichen und parlamentarischen Schlachten geschlagen seien. Ähnlich bemerkte Andrzej Wróbel in seinem Referat zur Wiedergutmachung der Konfiskationen des deutschen Privateigentums durch Polen, dass durch die genannte Entscheidung des EGMR in der Beschwerdesache der Preußischen Treuhand gegen den polnischen Staat die Rechtslage nun „zu“ sei. Gleichwohl meinen beide Autoren, dass die Sache nicht abgeschlossen sei. Angesprochen ist damit nicht die bloße Tatsache, dass weitere Verfahren noch laufen und auch noch nicht alle Rechtswege beschritten worden sind, sondern dass, wie Depenheuer und auch Horn grundsätzlich feststellen, sich der rechtlich und moralisch unzulängliche Umgang mit dem Privateigentum angesichts des rechtsstaatlichen Anspruchs auf Gerechtigkeit der Eigentumsordnung in Europa nicht werde durchhalten lassen. Gegenwärtig werde man jedoch mit dem Unrecht leben müssen, bis eine neue Generation in Politik und Wissenschaft einen Paradigmenwechsel zustande bringt. Dieser Hoffnung hat auch Wróbel mit den Worten Ausdruck verliehen, die Lage könne sich noch eines Tages ändern. In dieser Hinsicht kann die dreibändige Dokumentation der Tagungen zum Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht wissenschaftlich fundierte Vorarbeit leisten. Sie entreißt nicht nur das menschenrechtsverletzende Enteignungsunrecht in Mittel- und Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg dem Vergessen, sondern hält den Dialog über die Gerechtigkeit der Eigentumsordnung in Europa bis zur Verwirklichung einer moralisch und politisch zufrieden stellenden Eigentumsordnung in einem freiheitlichen rechtsstaatlichen Europa wach. Sie gibt mit ihren Analysen und Beiträgen Impulse für die Erkenntnis, dass noch manches Unerledigte und Unbewältigte in den Vertreibungsfolgen des Zweiten Weltkrieges rechtsstaatlich aufzuarbeiten ist. Sie macht bewusst, dass es dabei nicht um Vergangenes geht, das geschehen und abgeschlossen ist, sondern um einen bis heute fortdauernden defizitären Zustand, der aktiv zu beseitigen und zu bereinigen ist, weil für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Europa die Achtung des Eigentumsrechts als Menschenrecht notwendig ist. Die Kulturstiftung ist froh, dass die Untersuchungen mit dem dritten Symposium zu einem Abschluss gebracht wurden und die Ergebnisse mit diesem dritten Teilband nunmehr der Wissenschaft, aber auch der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der Dank der Stiftung gilt den beteiligten

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Wissenschaftlern und insbesondere dem Führungskreis der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht. Dessen bewährter Doppelspitze der beiden Marburger Professoren Gilbert H. Gornig und Hans-Detlef Horn ist es gelungen, ein ehrgeiziges Programm für einen breit angelegten Dialog zusammenzustellen und alle relevanten Fragestellungen mit kompetenten Referenten aus dem In- und Ausland hochkarätig zu besetzen. Das gemeinsame Wirken von Kulturstiftung und akademischer Studiengruppe für eine gerechte Friedensordnung in Europa geht weiter, wie auch die politische und die Rechtsentwicklung voranschreiten. Bonn, im Februar 2012 Hans-Günther Parplies Vorsitzender Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen

Die Autoren / The Authors

Prof. Dr. Otto Depenheuer Persönliche Angaben / Personal Data: Otto Depenheuer (geb. 1953): Studium der Rechtswissenschaften in Bonn; 1979 Erste Juristische Staatsprüfung; 1983 Zweite Juristische Staatsprüfung; Assistent an der Universität Bonn; 1985 Promotion (Dr. iur.); 1992 Habilitation; 1991–1993 Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten Münster und Halle/S.; 1993–1999 Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Mannheim; seit 1999 Lehrstuhl für Allgemeine Staatslehre, Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie sowie Direktor des Seminars für Staatsphilosophie und Rechtspolitik an der Universität zu Köln. Otto Depenheuer (born 1953): studied Law at the University of Bonn; 1979 First State Examination in Law; 1983 Second State Examination in Law; research assistant at the University of Bonn; 1985 Doctorate (Dr. iur.); 1992 Habilitation; 1991–1993 Replacement Professorships at the Universities of Munster and Halle/S.; 1993–1999 Head of Chair of Public Law and Legal Philosophy at the University of Mannheim; since 1999 Head of Chair of General Theory of the State, Public Law and Legal Philosophy as well as Director of the Department for Political Philosophy and Legal Policy at the University of Cologne.

Forschungsschwerpunkte / Research Interests: Staatstheorie, Staatsphilosophie und Staatsrecht; Eigentumsrecht; Recht der inneren Sicherheit. State Theory, Political Philosophy and Public Law; Property Right; Law of inner Security.

Auswahlbibliographie / Selected Publications: Staatliche Finanzierung und Planung im Krankenhauswesen. Eine verfassungsrechtliche Studie über die Grenzen sozialstaatlicher Ingerenz gegenüber freigemeinnützigen Krankenhäusern, 1986; Der Wortlaut als Grenze. Thesen zu einem Topos der Verfassungsinterpretation, 1988; Solidarität im Verfassungsstaat – Grundlegung einer normativen Theorie der Verteilung, 1991; Bürgerverantwortung im demokratischen Verfas-

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Die Autoren / The Authors

sungsstaat, in: Veröffentlichungen des Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, 1996; Öffentlichkeit und Vertraulichkeit. Theorie und Praxis der politischen Kommunikation (Hrsg.), 2001; Bericht zur Lage des Eigentums (Hrsg.), 2002; Verfassungstheorie (Mithrsg.), 2010; Wehrhafte Demokratie, in: Freistaatlichkeit, 2011; Erzählungen vom Staat. Ideen als Grundlage von Staatlichkeit (Hrsg.), 2011; zahlreiche weitere Aufsätze, Kommentar- und Handbuchbeiträge.

Kontaktadresse / Contact Address: Seminar für Staatsphilosophie und Rechtspolitik Albertus-Magnus-Platz D-50923 Köln e-mail: [email protected] Internet: http://www.staatsphilosophie.uni-koeln.de

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Prof. JUDr. Jan Filip, CSc. Persönliche Angaben / Personal Data: Jan Filip (geb. 1950): Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Brno/Brünn; 1975 (kleine) Promotion (JUDr.); 1984 Promotion (CSc./PhD.); 1987– 1992 Mitarbeiter der Kanzlei der Föderalversammlung der ČSFR; 1992 außerordentlicher Professor; seit 1995 Leiter des Lehrstuhls für Verfassungsrecht und politische Wissenschaften; 1997–2007 Mitarbeiter der Kanzlei des Senats des Parlaments (Legislative Abteilung); 1998–2006 Mitglied des Legislativen Rates der Regierung; seit 1999 ordentlicher Professor für Verfassungsrecht an der Universität Brno/Brünn. Jan Filip (born 1950): studied Law at the University of Brno; 1975 Doctor of Law (JUDr.); 1984 Doctorate (CSc./PhD.); 1987–1992 Law Office of the Federal Assembly of the ČSFR; 1992 qualified as a extraordinary Professor; since 1995 Head of the chair for Constitutional Law and Political Sciences, 1997–2007 Law Office of the Senate of the Parliament (Legislative Department); 1998–2006 member of the Legislative Council of the Government; since 1999 ordinary Professor for Constitutional Law at the University of Brno.

Forschungsschwerpunkte / Research Interests: Verfassungsrecht, Staatslehre. Constitutional Law, Theory of the State.

Die Autoren / The Authors

223

Auswahlbibliographie / Selected Publications: Responsibility and Sanctions in the Czech Constitutional Law, 2008; Towards Europeanisation of Constitutional Law in the Czech Republic, 2009; Das Staatsrecht der BRD und die neueste Verfassungsentwicklung in der Tschechischen Republik, 2010; Constitutional Matters Relating to the Membership in the European Union: The Effect of Membership in the European Union on the Czech Republic, 2011; Das Grundgesetz und seine Einwirkung auf die Verfassungsentwicklung in der Tschechischen Republik als ein Bestandteil des Europäisierungs- und Globalisierungsprozesses, 2011; Governance in the Czech Republik, 2011; weitere zahlreiche Publikationen, darunter Aufsätze, Lehrbücher und Abhandlungen, Mitverfasser von Kommentaren zum Verfassungsgerichtsgesetz und zur Verfassung der Tschechischen Republik.

Kontaktadresse / Contact Address: Faculty of Law Masaryk University Brno Veveří 158/70 CZ-61180 Brno e-mail: Jan Filip@law muni cz Internet: http://www.law.muni.cz

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Priv.-Doz. Dr. Hans-Peter Folz Persönliche Angaben / Personal Data: Hans-Peter Folz (geb. 1963): 1982-1989 Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Marburg, Genf und München; 1989 Erste Juristische Staatsprüfung; 1991–1992 Research Scholar, Law School der University of Michigan (USA); 1992 Zweite Juristische Staatsprüfung; 1992-1996 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld; 1997 Promotion (Dr. iur.); 1996-2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Augsburg; 2005 Habilitation, Tätigkeit als Privatdozent und Oberassistent an der Universität Augsburg; seit 2005 Lehrstuhlvertretungen an der Universität der Bundeswehr München und den Universitäten Augsburg, Bochum, Göttingen, Wuppertal und München. Hans-Peter Folz (born 1963): studied Law at the Universities of Marburg, Geneva and Munich from 1982 to 1989; 1989 First State Examination in Law; 1991–1992 Research Scholar, Law School of the University of Michigan (USA); 1992 Second State Examination in Law; 1992-1996 research assistant at the University of Bielefeld; 1997

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Die Autoren / The Authors

Doctorate (Dr. iur.); 1996-2003 research assistant at the University of Augsburg; 2005 Habilitation; since 2005 Replacement Professorships at the University of the Bundeswehr in Munich and the Universities of Augsburg, Bochum, Gottingen, Wuppertal and Munich.

Auswahlbibliographie / Selected Publications: Demokratie und Integration. Der Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof über die Kontrolle der Gemeinschaftskompetenzen, 1999; Verzichtsklauseln in friedensvertraglichen Regelungen und ihr Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 2003; Restitution und Entschädigung im Völkerrecht. Die Verpflichtungen der Republik Österreich nach 1945 im Lichte ihrer außenpolitischen Praxis (Mitautor), 2004; Staatenimmunität und Kriegsfolgen am Beispiel des Falles Distomo: Zum Umgang mit ius cogens, 2006; Die vermögensrechtlichen Bestimmungen des Staatsvertrages, in: Staatsvertrag und immerwährende Neutralität Österreichs, 2007; The Arbitration Panel for In Rem Institution, 2011.

Kontaktadresse / Contact Address: Universität Augsburg Juristische Fakultät Universitätsstraße 24 D-86159 Augsburg e-mail: [email protected]

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Prof. Dr. Hans-Detlef Horn Persönliche Angaben / Personal Data: Hans-Detlef Horn (geb. 1960): 1980–1982 Ausbildung zum Bankkaufmann; 1982– 1987 Studium der Rechtswissenschaften; 1987 Erste Juristische Staatsprüfung; 1989 Promotion (Dr. iur.); 1992 Zweite Juristische Staatsprüfung; 1992-1998 Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Bayreuth; 1998 Habilitation (Dr. iur. habil.), Lehrbefugnis für Öffentliches Recht; 1998/1999 Lehrstuhlvertretung an der LudwigMaximilians-Universität München; seit 1999 Professor für Öffentliches Recht an der Philipps-Universität Marburg/Lahn; Gastprofessuren an der Nanjing University of Finance and Economics sowie an der Wuhan University, Volksrepublik China; 2003– 2010 Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof.

Die Autoren / The Authors

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Hans-Detlef Horn (born 1960): 1980–1982 training and qualification as a bank clerk; 1982–1987 studies in Law; 1987 First State Examination in Law; 1989 Doctorate (Dr. iur.); 1992 Second State Examination in Law; 1992-1998 research assistant at University of Bayreuth; 1998 Habilitation (Dr. iur. habil.); 1998/1999 Replacement Professorship at the University of Munich; since 1999 Professor of Public Law at University of Marburg/Lahn; Visiting Professor at Nanjing University of Finance and Economics as well as Wuhan University, People’s Republic of China; 2003–2010 Judge at Superior Administrative Court of Hessen.

Forschungsschwerpunkte / Research Interests: Staats- und Verfassungsrecht; Verfassungstheorie; Staatsphilosophie; Europarecht; Verwaltungsrecht; Öffentliches Wirtschaftsrecht; Sicherheits- und Polizeirecht. State and Constitutional Law; Constitutional Theory; State Philosophy; European Law; Administrative Law; Public Economic Law; Police Law.

Auswahlbibliographie / Selected Publications: Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, 1989; Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung. Zur Dogmatik des Verhältnisses zwischen Gesetz, Verwaltung und Individuum unter dem Grundgesetz, 1999; Recht im Pluralismus (Hrsg.), 2003; Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht – Teil 1 und 2 (Mithrsg.), 2008, 2009; Erosion demokratischer Öffentlichkeit?, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, 2009; Demokratie, in: Verfassungstheorie, 2010; Zur Legitimation und Legitimität der Republik, in: Freistaatlichkeit, 2011; zahlreiche weitere Aufsätze, Kommentar- und Handbuchbeiträge.

Kontaktadresse / Contact Address: Institut für Öffentliches Recht Philipps-Universität Marburg Universitätsstraße 6 D-35037 Marburg e-mail: [email protected] Internet: http://www.uni-marburg.de/fb01/lehrstuehle/oeffrecht/horn/index.html

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Die Autoren / The Authors

Dr. Hermann-Josef Rodenbach Persönliche Angaben / Personal Data: Hermann-Josef Rodenbach (geb. 1951): 1971–1976 Studium der Rechtswissenschaften und Russisch an den Universitäten Köln und Bonn; 1976 Erste Juristische Staatsprüfung; 1979 Zweite Juristische Staatsprüfung; 1980–1983 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Osteuropäisches Recht der Universität zu Köln; 1984 Promotion (Dr. iur.); seit 1984 Jurist bei der Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben, beim Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen und dem Bundesministerium der Finanzen; 2001–2008 Leiter des Referats für offene Vermögensfragen im Bundesministerium der Finanzen in Bonn, seit 2008 Referatsleiter am Dienstsitz Berlin. Hermann-Josef Rodenbach (born 1951): studied Law and Russian at the Universities of Cologne and Bonn; 1976 First State Examination in Law; 1979 Second State Examination in Law; 1980–1983 research assistant at the Institute for East European Law at the University of Cologne; Doctorate (Dr. iur.); since 1984 lawyer at the Federal Office of Pan-German Tasks, the Federal Ministry of Inner-German Affairs and the Federal Ministry of Finance; 2001–2008 Head of Unit in the Department of Unsettled Property Issues at the Federal Ministry of Finance, since 2008 Head of Unit at the office in Berlin.

Auswahlbibliographie / Selected Publications: Planung im Comecon. Die rechtliche Regelung der zwischenstaatlichen Planungszusammenarbeit im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, 1985; Die Reprivatisierung in den neuen Bundesländern – Offene Vermögensfragen, 1994; Entschädigungen und Ausgleichsleistungen für Vermögensverluste in der ehemaligen DDR und der SBZ (Mitautor), 1995; Grundbesitz in den neuen Bundesländern – Recht und Steuern (Mitautor), 1997; zahlreiche Aufsätze und Kommentarbeiträge.

Kontaktadresse / Contact Address: Kämperfeld 37 D-51649 Bergisch Gladbach e-mail: [email protected]

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Die Autoren / The Authors

227

Dr. Johannes Wasmuth Persönliche Angaben / Personal Data: Johannes Wasmuth (geb. 1956): Studium der Rechtswissenschaften und Grundstudium der Philosophie an den Universitäten Bonn und Genf; Studienaufenthalt an der London School of Economics; seit 1987 als Rechtsanwalt zugelassen; seit 1989 Lektoratsleiter im Verlag C. H. Beck; 2000 Promotion (Dr. iur.) an der Universität Augsburg. Johannes Wasmuth (born 1956): studied Law and solved a basic study in Philosophy at the Universities of Bonn and Geneva, study visit at the London School of Economics, since 1987 admitted as lawyer, since 1989 editorial director at the publishing company C. H. Beck; 2000 Doctorate (Dr. iur.) at the University of Augsburg.

Auswahlbibliographie / Selected Publications: Rechtshandbuch Vermögen und Investition in der ehemaligen DDR: Einführung zum Vermögensgesetz, 2000; Verwaltungsrechtliche Rehabilitierung der Industrie- und Bodenreformopfer, 2002; Nachträgliche Erfüllung „stecken gebliebener“ Entschädigungen, 2004; Rückübertragungsanspruch nach Rehabilitierung durch sowjetisches Urteil, 2006; Keine Sternstunde des Rechtsstaats: Zwei Jahrzehnte Aufarbeitung von SED-Unrecht, 2010; Strafrechtliche Verfolgung der „Großgrundbesitzer“, „Junker“ und „Feudalherren“ mit Höfen über 100 ha im Rahmen der „Demokratischen Bodenreform“, 2010; Das Zweite Flächenerwerbsänderungsgesetz, 2011; 20 Jahre Bodenreformurteil des BVerfG oder: Steht das Urteil einer rechtsstaatlichen Aufarbeitung von „Boden- und Wirtschaftsreform“ tatsächlich entgegen?, 2011; Notwendige Klarstellungen zu den SMADBefehlen Nr. 124 und 64, 2011; zahlreiche weitere Aufsätze, Kommentarbeiträge und Buchbesprechungen.

Kontaktadresse / Contact Address: Kobellstraße 11 80336 München e-mail: [email protected]

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228

Die Autoren / The Authors

Albrecht Wendenburg Persönliche Angaben / Personal Data: Albrecht Wendenburg (geb. 1942): 1964-1968 Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Heidelberg, München und Hamburg; 1968 Erste Juristische Staatsprüfung; 1972 Zweite Juristische Staatsprüfung; 1972–1974 Rechtsanwalt in Hamburg; 1975–1980 Richter am Landgericht Hannover, 1979–1980 abgeordnet als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Parlamentarischen Beratungsdienst des Niedersächsischen Landtags; seit 1980 Rechtsanwalt und Partner der Wirtschaftskanzlei KSB INTAX Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer Notare (GbR); seit 1990 zusätzlich auch als Notar zugelassen. Albrecht Wendenburg (born 1942): studied Law at the Universities of Heidelberg, Munich and Hamburg; 1986 First State Examination in Law; 1972 Second State Examination in Law; 1972–1974 Lawyer in Hamburg; 1975–1980 Judge at the District Court Hannover, 1979–1980 delegated as research assistant for the parliamentary counseling of the Parliament of Lower Saxony; since 1980 attorney at and partner of the commercial law firm KSB INTAX Attorneys, Auditors, Tax Accountants, Civil Law Notaries (GbR); since 1990 additionally admitted as Civil Law Notary.

Auswahlbibliographie / Selected Publications: Das Flächenerwerbsprogramm im Lichte der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 20. Januar 1999, 1999; Keine Grunderwerbssteuer auf begünstigten Flächenerwerb (Mitautor), 2003, 2004; zahlreiche weitere Abhandlungen und Artikel.

Kontaktadresse / Contact Address: KSB INTAX Hannoversche Straße 57 D-29221 Celle e-mail: [email protected] Internet: http://www.ksb-intax.de

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Prof. Dr. Andrzej Wróbel Persönliche Angaben / Personal Data: Andrzej Wróbel (geb. 1953 in Bodzechowie/Polen): 1972-1976 Studium der Rechtsund Verwaltungswissenschaften an der Universität Lublin; Wissenschaftlicher Assistent

Die Autoren / The Authors

229

an der Universität Lublin; 1982 Promotion (Dr. iur.); 1991 Habilitation (Dr. iur. habil.); Forschungs- und Lehraufenthalte in Deutschland, Italien und Russland, Lehraufträge an verschiedenen polnischen Hochschulen; 1993–1994 Studiendekan der juristischen Fakultät der Universität Lublin; 1994–2011 Richter des Obersten Gerichts der Republik Polen (Sąd Najwyższy); seit 2002 Professor der Rechtswissenschaften; 2004–2010 Inhaber des Lehrstuhls für Internationales und Europäisches Recht an der Polnischen Akademie der Wissenschaften (Polska Akademia Nauk – PAN) in Warschau; seit 2011 Richter des Verfassungsgerichtshofs der Republik Polen (Trybunal Konstytucyjny). Andrzej Wróbel (geb. 1953 in Bodzechowie/Poland): studied Law and Administrative Sciences at the University of Lublin from 1972 to 1976; research assistant at the University of Lublin; 1982 Doctorate (Dr. iur.); 1991 Habilitation (Dr. iur. habil.); teaching and study visits in Germany, Italy and Russia, lectureships at different Polish universities; 1993–1994 Dean of Education of the Law Faculty at the University of Lublin; 1994–2011 Judge of the Supreme Court of the Republic of Poland (Sąd Najwyższy); since 2002 Professor of Law; 2004–2010 Head of the Chair for International and European Law at the Polish Academy of Sciences (Polska Akademia Nauk – PAN) in Warsaw; since 2011 Judge of the Constitutional Tribunal of the Republic of Poland (Trybunal Konstytucyjny).

Forschungsschwerpunkte / Research Interests: Staatsrecht; Europarecht; Verwaltungsrecht. State Law; European Law; Administrative Law.

Auswahlbibliographie / Selected Publications: Autor zahlreicher Bücher, Aufsätze und Kommentarbeiträge zu völkerrechtlichen, europarechtlichen und verwaltungsrechtlichen Themen. Chefredakteur der Zeitschrift „Europejski Przegląd Sądowy“ (Europäische Gerichtsübersicht); Staat, Verwaltung und Verwaltungsrecht: Polen, in: Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band III, 2010.

Kontaktadresse / Contact Address: Office of the Constitutional Tribunal Al. J. Ch. Szucha 12a PL-00-918 Warsaw e-mail: [email protected]

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Sach- und Personenverzeichnis / Subject Index and List of Names Ausgleichsleistungsgesetz s. a. Entschädigung 31, 37, 91 f., 93 ff., 102, 105, 107 f., 109, 110 ff., 141, 142, 213

Bussche-Streithorst, Axel Freiherr von dem 85

-

Diplomatischer Schutz 46, 47, 54

Ausgleichsleistungsverfahren 107 ff., 112 ff., 115

-

Gemeinsame Arbeitshilfe 109

-

Unwürdigkeit 110, 118

-

Wiederaufnahme 110

Beneš-Dekrete 40, 180 Beneš, Eduard 171 Bodenreform 25, 30, 37, 67 f., 103, 123 ff., 134 ff., 143 f., 145 f., 147

Dreithaller, Rudolf 163

EGMR 27, 56 f., 62 ff., 69, 119, 175 ff., 205, 209 Eigentum -

und Erinnern 27, 33 ff., 39 f.

-

und moderner Staat 28 ff.

Enteignungen -

auf besatzungsrechtlicher Grundlage 25 ff., 67 ff., 94, 101, 110, 115, 123 ff., 212

-

als einmaliger Akt 177, 179, 205

-

als Klassenkampf 125 ff., 136, 198

-

als kontinuierliche Situation 180

Bohley, Bärbel 159, 214

-

in Polen 176 ff.

Bundesverfassungsgericht

-

als Verfolgungsunrecht 129 ff., 213

-

völkerrechtlich 52 ff.

-

als Akte repressiver Entnazifizierung 127 ff.

-

„Bodenreformlüge“ 86

-

als Verfolgung 132 ff., 138 ff., 144 ff., 148 f.

-

Bodenreform-Urteile 26, 59 ff., 68, 76, 116 ff., 137 f., 205 f.

-

Bodenreform-Verfahren 77 ff., 85 ff., 91 ff.

-

Wunsiedel-Beschluss 210 f.

Bundesverwaltungsgericht 118 f., 141 f., 146

Entnazifizierung -

in der SBZ 127 ff.

Entschädigung 102 f., 107 -

Bemessungsgrundlage 109 f.

-

Entschädigungsfond 106 f.

232

Sach- und Personenverzeichnis / Subject Index and List of Names

-

Entschädigungsverfahren 107 ff., 112 ff., 115

-

Fachaufsicht 108

-

Gemeinsame Arbeitshilfe 109

EuGH 120

Krause, Günter 88 Kwizinskij 72, 73

Lambsdorff, Otto Graf 77 Lastenausgleich 102, 105, 109, 114 Leisner, Walter 77

Flächenerwerb, begünstigter 93 ff., 103, 110 ff., 117 Fremdenrecht, völkerrechtliches 46, 52

Madaus, Udo 86 Maizière, Lothar de 71, 72, 78, 81, 82, 84, 86, 89

Garlicki, Lech 183

Marquard, Odo 202

Gedächtnis, kollektives 34, 36, 201

Mauerschützen 138, 207 ff.

Gemeinsame Erklärung s. a. Restitutionsausschluss 71, 72, 73 ff., 92, 93, 101, 148

Merkel, Angela 69

Gies, Gerd 87

Modrow, Hans 70

Gorbatschow, Michail 81, 82, 84, 86, 89, 116

Merkel, Markus 89

NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz 102, 103, 107, 113

Havel, Václav 153, 154, 171 Henschel, Johann Friedrich 77, 82

Oberster Gerichtshof (Polen) 175 ff.

Herzog, Roman 72, 77, 78, 79, 81, 87 Heyde, Wolfgang 79

Paffrath, Constanze 87

Hömig, Dieter 86

Planck, Max 41

Hörnle 135

Positivismus 202 f.

Husák, Gustáv 154

Preußische Treuhand 62 ff., 176, 180, 181, 186 f.

IGH 49 ILC-Artikel 206

Radbruchsche Formel 138 f., 208 Kastrup, Dieter 72, 80, 81, 82, 84, 86 Kimminich, Otto 77 Kinkel, Klaus 80, 81, 83, 84, 86

Rechtsstaat -

Gleichbehandlung 75, 78, 91 f., 117, 207, 213

-

Mechanismus normativer Normerhaltung 205

-

als Rechtsbegriff 200

Klaus, Václav 171 Kohl, Helmut 79, 82, 86

Sach- und Personenverzeichnis / Subject Index and List of Names -

Rechtsfrieden und Rechtszufriedenheit 213 f.

-

und Verfassungserwartung 200 f., 205, 213

-

als Verfassungsprinzip 200

-

und Vergangenheitsbewältigung s. dort

233

Staatenverantwortlichkeit 45 ff. -

Fristen 50

-

Individuum 50 ff.

-

und Menschenrechtsschutz 58 f.

-

Prinzip der Nichtanerkennung 58 ff.

Rehabilitierung

-

Restitution 51, 53 f., 55

-

-

Verfahren 48 f.

-

Wiedergutmachung 46, 47 f., 65

-

strafrechtliche 140 ff., 143 ff., 147 ff., 213 verwaltungsrechtliche 141 ff., 144, 213

Renan, Ernest 34

Transformationslage 176, 203, 204, 208, 212

Reparationen 54, 61

Treuhandanstalt 77, 91

Repressalien 49 Restitution

Ulbricht, Walter 145

-

Verfahren 107, 112 ff., 115

-

völkerrechtlich 51, 53 f., 55

Unrechtsbereinigung s. Vergangenheitsbewältigung

Restitutionsansprüche -

und EMRK 177 ff.

-

gegen Polen 175 ff.

-

gegen Tschechische Republik 158 ff.

Verfassungsgericht, Tschechische Republik 163 ff., 169 ff. Vergangenheitsbewältigung 69, 79, 151, 197 f., 198 f., 213 f. -

als Ausnahmefall 196 f., 206, 208

-

Erinnern 33 ff., 38 ff., 198 f., 201 f., 205, 214

-

rechtsethische Maxime 40

-

und Rechtsstaat 25 ff., 195 ff.

-

und Sozialstaatsprinzip 205, 211 f.

-

Tschechische Republik 156 ff., 160, 167 ff., 172

-

Unrechtsbereinigung 201 ff., 206 ff.

Schewardnadse, Eduard 81, 82, 84, 86

-

als Verfassungserwartung 205, 213

Schmidt-Jortzig, Edzard 91

-

zwei Vergangenheitsbewältigungen 197 f.

Restitutionsausschluss 26, 32, 70, 78, 81 ff., 85 ff., 148 f., 213 Robra, Rainer 87 Rückwirkungsverbot, strafrechtliches 207 f.

Samtene Revolution 151, 153 f. Schäuble, Wolfgang 70, 86

Schröder, Richard 89 Selbmann, Fritz 132

234

Sach- und Personenverzeichnis / Subject Index and List of Names

-

Vergangenheitsbewältigungstechnik 198

-

Vergessen 34, 198 f., 201, 205, 214

-

Wiedergutmachung 25, 39, 40, 207, 211 ff.

Vermögensämter 104 ff., 114 f.

Volksentscheid, sächsischer 130 ff., 143, 144, 147, 149

Wahrheit 34, 199 Wiedervereinigung, deutsche 25 ff., 41, 69, 211 Wirtschaftsreform 123 ff., 130 ff.

Vermögensgesetz 101, 104 f., 112, 140 ff. Vertreibung 35, 36, 175

Zuck, Rüdiger 77