Diskursfeld Technik und Geschlecht: Berufliche Identitätsentwürfe junger Frauen im Spannungsfeld von Tradition, Transformation und Subversion 9783839446126

Gender norms and technical images - an inventory of young women's career orientations.

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German Pages 440 Year 2019

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Inhaltsverzeichnis
I. EINLEITUNG
Erkenntnisinteresse an der Bedeutung normativer Anforderungen an berufliche Identitätsentwürfe junger Frauen im Diskursfeld Technik und Geschlecht
1. Ausgangslage und Forschungsinteresse
II. THEORETISCHER TEIL
Geschlecht, Beruf und Technik – forschungsrelevante Einsichten und theoretische Referenzpunkte
2. Strukturbildende (Geschlechter-) Ungleichheiten durch (Berufs-)Arbeit
3. Konstruktivistische Perspektiven auf geschlechtliche Identitäten und Berufsarbeit
4. Beruflich-geschlechtliche Subjektivierungsweisen im Diskursfeld Technik und Geschlecht
5. Präzisierung der Forschungsfrage
III. METHODISCHER TEIL
Empirische Untersuchung normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht als handlungsleitender Orientierungsrahmen in Berufsfindungsprozessen
6. Methodologie und Methode
IV. EMPIRISCHER TEIL
Dimensionen der (Re-)Konfiguration von Technik und Geschlecht im Kontext beruflicher Orientierungsprozesse
7. Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder
8. Dimensionen der Subjektkonstitution im Diskursfeld Technik und Geschlecht
V. SCHLUSSBETRACHTUNGEN
Zur Bedeutung wirkmächtiger Geschlechternormen und hegemonialer Technikbilder in Hinblick auf eine technische Berufswahlorientierung junger Frauen
9. Zusammenfassung der Ergebnisse
10. Relevanz der Forschungsergebnisse für pädagogische Perspektiven
11. Resümee und Ausblick
Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Danksagung
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Diskursfeld Technik und Geschlecht: Berufliche Identitätsentwürfe junger Frauen im Spannungsfeld von Tradition, Transformation und Subversion
 9783839446126

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Marike Schmeck Diskursfeld Technik und Geschlecht

Gender Studies

Marike Schmeck ist Sozialwissenschaftlerin und Gleichstellungsbeauftragte der Fachhochschule Kiel. Sie ist darüber hinaus Dozentin am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit, wo sie zu Geschlechterfragen im Kontext der Sozialen Arbeit lehrt. Ihre Forschungsschwerpunkte konzentrieren sich auf den Themenkomplex Technik und Geschlecht. Sie hat u.a. zu Genderaspekten in Berufswahlprozessen und Lebensplanungen adoleszenter Frauen publiziert.

Marike Schmeck

Diskursfeld Technik und Geschlecht Berufliche Identitätsentwürfe junger Frauen im Spannungsfeld von Tradition, Transformation und Subversion

Die vorliegende Arbeit ist eine leicht gekürzte Fassung der Dissertation zum Dr. phil., die im April 2018 an der Europa-Universität Flensburg mit dem Originaltitel »Zur Bedeutung normativer Anforderungen an berufliche Identitätsentwürfe junger Frauen im Diskursfeld Technik und Geschlecht« angenommen wurde.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4612-2 PDF-ISBN 978-3-8394-4612-6 https://doi.org/10.14361/9783839446126 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

I

EINLEITUNG Erkenntnisinteresse an der Bedeutung normativer Anforderungen an berufliche Identitätsentwürfe junger Frauen im Diskursfeld Technik und Geschlecht | 11 1. Ausgangslage und Forschungsinteresse | 15 1.1 Empirischer Bezugshintergrund | 17 1.2 Eingrenzung des Gegenstandsbereichs und Konturierung der Forschungsperspektive | 19 1.3 Aufbau und Struktur der Forschungsdokumentation | 24

II THEORETISCHER TEIL Geschlecht, Beruf und Technik – forschungsrelevante Einsichten und theoretische Referenzpunkte | 29 2.

Strukturbildende (Geschlechter-)Ungleichheiten durch (Berufs-)Arbeit | 33

2.1 Problemskizze der geschlechtlichen Arbeitsmarktsegregation als gesellschaftlicher Hintergrund beruflicher Orientierungsprozesse | 34 2.2 Innerberufliche Geschlechtersegregation im Berufsfeld Technik | 38 2.3 Geschlecht als strukturbildende und statusattribuierende Kategorie im Kontext von Berufsarbeit | 40 2.4 Historische Entwicklung akademischer Technikberufe im deutschsprachigen Raum | 44 3.

Konstruktivistische Perspektiven auf geschlechtliche Identitäten und Berufsarbeit | 49

3.1 Geschlecht als sozial konstruierte Identitätskategorie | 51 3.2 Geschlechtertrennung im Berufssystem als ›Realisierungsfeld‹ binär codierter Zweigeschlechtlichkeit | 62 3.3 Ko-Konstruktionen von Technik und Geschlecht | 67 3.4 Berufswahlorientierungen als Ausdruck geschlechtlicher Identitätsarbeit | 77

4.

Beruflich-geschlechtliche Subjektivierungsweisen im Diskursfeld Technik und Geschlecht | 81

4.1 Produktive Macht von Diskursen | 83 4.1.1 Diskursive Wissensordnungen | 86 4.1.2 Subjektwerdung im Feld der Macht | 89 4.1.3 Machttechniken der Moderne | 90 4.2 Technik und Geschlecht als diskursive Wissensordnungen | 93 4.3 Wirkmächtigkeit von Geschlechternormen in performativen Prozessen der Identitätsbildung | 99 4.3.1 Performativität symbolisch-diskursiver Ordnungen | 100 4.3.2 Kulturelle Normen geschlechtlicher Intelligibilität | 104 4.3.3 Diskursimmanente Möglichkeitsräume der Verschiebung und subversiven Wiederholung | 111 4.4 Normative Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Subjektpositionen und die diskursive Materialisierung des Technischen | 114 5.

Präzisierung der Forschungsfrage | 121

III METHODISCHER TEIL Empirische Untersuchung normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht als handlungsleitender Orientierungsrahmen in Berufsfindungsprozessen | 129 6. Methodologie und Methode | 131 6.1 Rekonstruktive Forschungshaltung | 132 6.2 Dokumentarische Methode als methodologisches Rahmenkonzept | 135 6.2.1 Dokumentarische Methode und die Erforschung normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht | 138 6.2.2 Eine forschungspraktische Annäherung an die empirische Untersuchung normativer Orientierungen im Diskursfeld Technik und Geschlecht | 141 6.3 Gruppendiskussionen als Erhebungsmethode | 146 6.4 Dokumentarische Methode als Auswertungsmethode | 151 6.5 Vorgehensweise im Zuge der Auswertung | 154 6.6 Sampling | 158

IV EMPIRISCHER TEIL Dimensionen der (Re-)Konfiguration von Technik und Geschlecht im Kontext beruflicher Orientierungsprozesse | 165 7. Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 169 7.1 Reduktionistisches Berufsverständnis im antizipierten Modus der Monotonie: »… en GANZEN Tag im Büro und vor em Computer sitzen« | 170 7.2 Diskursive Distinktionspraktiken entlang der Differenzmarkierung technischer Kompetenz: »… da musst du so mit aufgewachsen sein« | 181 7.3 Technikberufe jenseits des Sozialen: »… das Gegenteil von Berufen, wo man was mit Menschen macht« | 191 7.4 Technikberufe als Achse von Innovation und Fortschritt: »Technik ist alles heutzutage« | 200 7.5 Zusammenfassung | 215 8.

Dimensionen der Subjektkonstitution im Diskursfeld Technik und Geschlecht | 221

8.1 Verletzende Adressierungen entlang geschlechtlicher Differenzlinien | 223 8.1.1 »… wenn ein Lehrer schon sagt, dass Mädchen das sowieso nicht können« | 225 8.1.2 »… fühl mich dann immer so ganz, ganz klein« | 231 8.1.3 »… die Jungs kriegen alle eine Eins« | 240 8.1.4 Zusammenfassung | 247 8.2 Ausschließungslogiken von Weiblichkeit und Technik in performativen Prozessen der Geschlechterkonstruktion | 251 8.2.1 »… für mich ist so en Mädchen eher so sozial« | 252 8.2.2 »… Frauen ham diesen Mutterinstinkt« | 261 8.2.3 »… die sehen echt nicht mehr weiblich aus« ǀ 270 8.2.4 »… das sind auch so richtige Mannsweiber« | 278 8.2.5 »… da bin ich en ziemlich untypisches Mädchen« | 285 8.2.6 Zusammenfassung ǀ 291 8.3 Ambivalente Positionierungen im Verhandlungsgeschehen divergierender Anrufungen | 295 8.3.1 »… das typische Mädchen, Tanz und Klamotten, Schminke« | 296 8.3.2 »… ich hab AUCH gerne mit Autos gespielt« | 303 , 8.3.3 »… so typisch Frau vor m Computer, klickt irgendwas und Puff« | 309 8.3.4 »Papa anrufen ist immer die erste Wahl« | 314 8.3.5 Zusammenfassung | 321

8.4 Lokale Möglichkeitsräume für alternative Identitätsentwürfe im Spannungsfeld von Tradition, Transformation und Subversion | 324 8.4.1 »… voll die Knochenarbeit« | 326 8.4.2 »Ich wollte früher Kfz-Mechatronikerin werden« | 332 8.4.3 »… Automechaniker wär voll cool« | 339 8.4.4 »…du kannst da RUM schrauben und dich einsauen« | 350 8.4.5 »… was Neues zu erschaffen und dann auch noch ein Rennauto« | 354 8.4.6 Zusammenfassung | 360

V SCHLUSSBETRACHTUNGEN Zur Bedeutung wirkmächtiger Geschlechternormen und hegemonialer Technikbilder in Hinblick auf eine technische Berufswahlorientierung junger Frauen | 367 Zusammenfassung der Ergebnisse | 369 9.1 Divergierende Bilder technischer Berufe im Spiegel alltagsweltlicher Diskurse | 370 9.2 (Re-)Konstituierung diskursiv-performativer Subjektivitäten im Verhandlungsgeschehen machtvoller Geschlechternormen und hegemonialer Technikbilder | 377

9.

10. Relevanz der Forschungsergebnisse für pädagogische Perspektiven | 389

10.1 Bewusstwerdung über die Komplexität bestehender Zusammenhänge | 389 10.2 Vom autonomen Subjekt zur Frage nach Subjektivierungsweisen | 393 10.3 Zur Unvermeidbarkeit von Ausschließungsverfahren in Subjektwerdungsprozessen | 395 10.4 Differenzierungspraktiken als zentrales Moment beruflich-geschlechtlicher Identitätskonstruktionen | 397 10.5 Wahrnehmung lokaler Möglichkeiten der Veränderung | 400 11. Resümee und Ausblick | 405 Literaturverzeichnis | 409 Tabellenverzeichnis | 435 Danksagung | 437

I EINLEITUNG

Erkenntnisinteresse an der Bedeutung normativer Anforderungen an berufliche Identitätsentwürfe junger Frauen im Diskursfeld Technik und Geschlecht Die beständige Unterrepräsentanz von Frauen in technischen Berufen und Studiengängen bildet ein stetes Thema gleichstellungspolitischer Interventionen, bildungspädagogischer Ansätze und seit einiger Zeit auch ökonomischer Debatten. Standen zunächst eher feministische und gleichstellungsorientierte Zielsetzungen im Vordergrund, so haben inzwischen Argumente an Gewicht gewonnen, die einen Fachkräftemangel, verbunden mit weitreichenden Folgen für die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland anmahnen (vgl. Barke 2015, S. IX; Driesel-Lange 2011, S. xiii; Gräßle 2009, S. 14; Milberg 2009, S. 11; Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften 2009, S. 4; Schmid-Thomae 2012, S. 105; Stahlmann 2015, S. XI; Paulitz 2012, S. 14). Technische Berufe und Wissenschaften stellen nicht nur traditionell eine Männerdomäne dar, ihnen kommt insoweit auch ein besonderer gesellschaftlicher Stellenwert zu, als dass »Technik in ihren alltäglichen Bedeutungsdimensionen fast paradigmatisch für Industrialisierung, Fortschritt und gesellschaftliche Entwicklung steht« (Paulitz und Ziegler 2015, S. 98). Vor diesem Hintergrund wurde 2008 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die bundesweite Netzwerk-Initiative ›Komm mach MINT‹1 ins Leben gerufen, ein Bündnis aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien, das darauf zielt, das Potenzial junger Frauen für technisch-naturwissenschaftliche Berufe zu nutzen, um den sich anbahnenden Bedarf an Fachkräften zukünftig zu decken.2 Angesichts der Nachwuchssituation, 1 Das Akronym MINT steht in diesem Kontext für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. 2 Eine bekannte bundesweite Maßnahme ist bspw. der ›Girlsʼ Day‹, der seit 2001 jährlich stattfindet und Mädchen Einblicke in gegengeschlechtlich konnotierte Berufe und Studienfächer bietet. Seit 2005 gibt es mit der Initiative ›Neue Wege für Jungs‹ auch das Pendant zur Berufswahl und Lebensplanung von Jungen.

12 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

aber auch mit Blick auf zukünftige Anforderungen an Mitglieder einer hochtechnisierten Gesellschaft, avancieren derweil »individuelle Technikmündigkeit«3 (Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften 2009, S. 11) oder technische Handlungskompetenz auch in bildungspädagogischen Diskursen zu einem zentralen Bildungsziel (vgl. ebd.; Wensierski und Sigeneger 2015, S. 35ff.). Bisher erweist sich der Erfolg der vielfältigen Maßnahmen, Programme und Initiativen, die dem nach wie vor überwiegend geschlechterstereotypen Berufswahlverhalten junger Frauen (und auch Männer) entgegenzuwirken suchen, als begrenzt. So steigt der Anteil an Studentinnen in technischen Studienfächern zwar kontinuierlich, jedoch nur äußerst langsam (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2016, S. 4, 7; 2017 o.S.; Faulstich-Wieland und Scholand 2017, S. 20; Kompetenzzentrum Technik – Diversity – Chancengleichheit 2017, o.S.; Solga und Pfahl 2009, S. 155; Thege und Schmeck 2015, S. 588f.). Die Frage, wie es dazu kommt, dass sich junge Frauen nur selten für ein technisches Studienfach entscheiden, ist somit noch immer aktuell und erscheint in Anbetracht des Abbaus geschlechtsbezogener Zugangsbarrieren, der hohen Bildungserfolge junger Frauen, sowie der Vielfalt an Maßnahmen, die weibliche Nachwuchskräfte für technische Berufe zu gewinnen suchen, zunehmend erklärungsbedürftig. Das Phänomen der beharrlichen Zurückhaltung junger Frauen gegenüber technischen Berufen und Studienfächern bildet somit den Ausgangspunkt der vorliegenden Forschungsarbeit, die von der Suche nach einer Erweiterung bisheriger Erkenntnisperspektiven geleitet wird. Hierzu richtet sich der Fokus auf die Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft, um die Bedeutung normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht in ihrer kulturellen Verknüpfung näher zu erforschen. Ein zentrales Anliegen ist es, auf symbolisch-normativer Ebene die kollektiv geteilten Sinnstrukturen genauer zu verstehen, die als Bestandteil eines impliziten Orientierungswissens die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster junger Frauen prägen und sich hinsichtlich einer technischen Berufswahlorientierung als handlungsleitend erweisen (können). Indem sich die Studie grundlegend innerhalb der sozialkonstruktivistisch orientierten Geschlechterforschung verortet, begreift sie weder Geschlecht als natürlichen noch Technik als sachlogischen Tatsachenbestand. Vielmehr fragt sie aus einer durch poststrukturalistische und diskurstheoretische Denkweisen angeregten Perspektive nach der Wirkmächtigkeit sprachlicher Kategorisierungen und damit verbundener Bedeutungszusammenhänge, die innerhalb symbolisch-normativer 3

Technikmündigkeit meint hier u.a. »Aufgeschlossenheit gegenüber Technik« (Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften 2009, S. 11) sowie »ein integratives Verständnis von Technik als Element einer modernen, arbeitsteiligen und auf Innovation beruhenden Kultur« (ebd.), als »Voraussetzung für die Teilhabe am technisch-wirtschaftlichen wie politisch-gesellschaftlichen Leben« (ebd.).

Erkenntnisinteresse an der Bedeutung normativer Anforderungen | 13

Ordnungen bestimmte Varianten von sozialer Wirklichkeit erzeugen und auf diese Weise die Selbstinterpretationen und Handlungsmotive der Subjekte hinsichtlich der Ausbildung einer technischen Berufswahlorientierung präformieren. Ziel dieser Studie ist es demnach ausdrücklich nicht, neue (Handlungs-)Ansätze ausfindig zu machen, die angesichts des gesellschaftlichen Anspruchs auf Chancengleichheit oder eines zukünftigen Bedarfs an Fachkräften das Berufswahlverhalten junger Frauen unmittelbar zu beeinflussen suchen, sondern vielmehr einen weiterführenden Beitrag empirisch begründeter Theoretisierung zur beharrlichen Abkehr junger Frauen von technischen Studien- und Berufswahloptionen zu leisten.

1.

Ausgangslage und Forschungsinteresse

Das Berufswahlspektrum junger Frauen wird im Rahmen dieser Studie insofern als verengt betrachtet, als dass es sich – aller Bildungserfolge zum Trotz – auf klassische Frauendomänen konzentriert, die im beruflichen Statusgefüge eher nachrangig positioniert, entsprechend niedrig entlohnt und durch kurze Laufbahnen gekennzeichnet sind. Technische Berufe, die mit guten Verdienstmöglichkeiten und Karrierechancen sowie einem hohen Sozialprestige verbunden sind, werden dagegen weitestgehend ausgelassen. So bildet bereits der Übergang von der Schule in eine berufliche Erstqualifizierung eine Weichenstellung, über die sich geschlechterdifferenzierende und -hierarchisierende Strukturen reproduzieren, die zur sozialen Ungleichheit von Frauen und Männern entschieden beitragen (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 3; Kapitel 2).1 Während in klassischen Ansätzen der Berufswahltheorie sowie in der frühen Berufswahlforschung die Dimension Geschlecht zunächst eher wenig Berücksichtigung findet2, ist das geschlechterdifferente Berufswahlverhalten seit den 1980erJahren ein stetes Thema empirischer Untersuchungen im deutschsprachigen Raum. Zu den frühen Studien zählen die Arbeiten von Doris Janshen und Hedwig Rudolph Mitte der 1980er-Jahre, die sich mit Hindernissen einer technischen Berufswahl für Mädchen befassen (vgl. Janshen und Rudolph 1987) sowie von Doris Lemmermöhle zu Berufswünschen junger Frauen in den 1990er-Jahren (vgl. Lemmermöhle 1990; Lemmermöhle-Thüsing 1997). In jüngeren Forschungsarbeiten, insbesondere

1

Wie Tanja Paulitz (2010) prononciert, erscheint damit die Männerdomäne Technik »als ein Bereich, an dem der erklärte Anspruch der Gegenwartsgesellschaft, Chancengleichheit zu gewähren, besonders augenfällig scheitert« (ebd., S. 27).

2

Bspw. wird in den Arbeiten von John L. Holland (1985) oder Donald E. Super (1992), die bis heute zu den klassischen Grundlagen vieler Berufsberatungskonzepte und beruflicher Eignungstest zählen, der Einfluss der Geschlechtszugehörigkeit nur peripher berücksichtigt. Anders verhält es sich in der Theorie von Linda S. Gottfredson (1996), in der die Dimension Geschlecht bei der Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzepts einen zentralen Bezugspunkt bildet (vgl. Dimbath 2003, S. 126ff.; Driesel-Lange 2011, S. 51ff.; Micus-Loos et al. 2016, S. 21ff.).

16 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

im Bereich der Sozialwissenschaften und Psychologie, wird der Einfluss von Geschlecht zunehmend zu einem zentralen Aspekt in der Untersuchung von Berufswahlentscheidungen und Zukunftsentwürfen (vgl. exempl. Almendinger et al. 2011; Driesel-Lange 2011; Imdorf 2005; Lemmermöhle et al. 2006; Micus-Loos et al. 2016; Nissen et al. 2003; Oechsle et al. 2009; Pimminger 2012; Schmid-Thomae 2012; Schwiter 2011; Schwiter et al. 2011). Indes hat sich die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung mit der strukturellen Ungleichheit von Frauen und Männern im Erwerbssystem sowie mit Mechanismen der geschlechtlichen (Re-)Codierung von Berufsarbeit und beruflichen Professionen befasst und dabei weitreichende Erklärungsansätze zur beständigen (Re-)Segregation des Arbeitsmarktes – auch mit Blick auf technische Berufe – aus struktureller und handlungstheoretischer Perspektive diskutiert (vgl. exempl. Becker-Schmidt 2003; Frevert 1982; Hoffmann 1987; Reskin und Roos 1990; Roback 1992; Wetterer 2002; Winker 2007). Ebenfalls wurden Geschlechterverhältnisse in der Wissenschaft bezüglich der in ihr verankerten Strukturen und Hierarchien im Alltag wissenschaftlicher Praxis einer kritischen Betrachtung unterzogen (vgl. exempl. Beaufaÿs 2003; Hausen und Nowotny 1986; Krais 2000; Wiesner 2002). Zur Frage der Persistenz männlicher Dominanz in technischen Wissenschaftsbereichen hat die feministische und sozialwissenschaftliche Technikforschung wichtige Erkenntnisse zur Ko-Konstruktion von Technik und Geschlecht generiert (vgl. exempl. Cockburn 1988; Döge 2006; 2001; Faulkner 2008; 2001; Wajcman 2004; 1994; Winker 2005; Wolffram 2006). Aus historischer Perspektive wurden zentrale Einsichten in die Bedeutung der Kategorie Geschlecht hinsichtlich der Etablierung und Vergeschlechtlichung technikwissenschaftlicher Fach- und Wissenskulturen sowie den damit verbundenen Erkenntnissubjekten eröffnet (vgl. Paulitz 2012; Zachmann 2004). Damit gehen mitunter auch diskurstheoretische sowie epistemologische Überlegungen einher, die mit Blick auf das gegenwärtige Berufs- und Selbstverständnis von Ingenieur*innen in jüngeren Studien fortgeführt werden (vgl. Greusing 2015; Paulitz et al. 2015; Paulitz und Prietl 2013; Paulitz und Ziegler 2015). Umfassende Forschungen, die für die Wirkmächtigkeit der in alltagsweltlichen Diskurs- und Wissensordnungen über Technik und Geschlecht transportierten Normen und Bedeutungen auf beruflich-geschlechtliche Identitätsentwürfe in der Übergangsphase von der Schule in eine berufliche Erstqualifizierung sensibilisieren, stehen dagegen noch aus. Dieses Forschungsdesiderat bildet die Lücke, an der die vorliegende Studie ansetzt, um die identitätsstiftenden und differenzgenerierenden Effekte diskursiv-performativer Konstruktionsprozesse von Technik und Geschlecht im Rahmen beruflicher Orientierungen junger Frauen näher zu untersuchen.

Ausgangslage und Forschungsinteresse | 17

1.1 EMPIRISCHER BEZUGSHINTERGRUND Empirisch begründet sich die vorliegende Forschungsarbeit auf Gruppendiskussionen mit Schüler*innen an Schulen mit gymnasialer Oberstufe,3 die im Rahmen des Forschungsprojektes ›AN[N]O 2015 – Aktuelle Normative Orientierungen, Geschlechtsidentitäten und Berufswahlentscheidungen junger Frauen‹ erhoben wurden, das zwischen 2011 und 2014 am Institut für Interdisziplinäre Genderforschung und Diversity der Fachhochschule Kiel unter der Leitung der Professorinnen Christiane Micus-Loos und Melanie Plößer durchgeführt wurde.4 Ziel von AN[N]O 2015 war die Erforschung normativer Orientierungsmuster in den Lebensentwürfen und Berufswahlentscheidungen junger Frauen. Dabei wurden mit Bezug auf die Arbeiten von Judith Butler (vgl. exempl. Butler 2014) die Bedeutung gesellschaftlicher (Geschlechter-)Normen und daraus resultierender Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Identitätskonstruktionen in den Fokus gerückt. Angesichts der beharrlichen Geschlechtersegregation des Arbeitsmarktes als Ausweis fortbestehender Chancenungleichheit von Frauen und Männern im Erwerbssystem, wurde der Blick auf die Schwellenphase des Übergangs von der Schule in ein Studium bzw. einen (Ausbildungs-)Beruf gerichtet und dabei nach den Hintergründen für das überwiegend geschlechtlich codierte Berufs- und Studienwahlverhalten junger Frauen gefragt. So ging es insbesondere darum, Antworten auf die Fragen zu erhalten, »warum die Berufswahlen junger Frauen weiterhin geschlechtlich codiert erfolgen, warum bestimmte Berufe als ›Frauen-‹ und andere als ›Männerberufe‹ gelten und warum also junge Frauen bestimmte Berufs- und Lebensperspektiven profilieren und andere nicht« (Micus-Loos et al. 2016, S. 5f.). Zu diesem Zweck wurden 23 Gruppendiskussionen mit Schüler*innen in den Altersstufen 14 bis 16 Jahre und 17 bis 19 Jahre in geschlechtshomogenen und geschlechtsheterogenen Gruppen durchgeführt (vgl. ebd., S. 73ff.). Empirisch konzentrierte sich die Studie somit auf adoleszente Mädchen und junge Frauen, da in dieser Lebensphase biographische Entscheidungsprozesse, wie die Wahl eines Studienfachs oder (Ausbildungs-)Berufs, im Zusammenspiel mit der (geschlechtlichen) Identitätsbildung einen besonderen Stellenwert einnehmen (vgl. Hagemann-White 1998, S. 27ff.; 1992, S. 64ff.; King 2002, S. 88; Nissen et al. 2003, S. 81, 135, 146; Oechsle et al. 2009, S. 27). Die Erhebungen fanden in den Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen statt. In diesem Setting haben sich heranwachsende Frauen und Männer »über den ihnen bevorstehenden Übergang von der Schule in ein Studium oder einen (Ausbildungs-)Beruf 3

Näheres zum Setting wird im methodologischen Teil dieser Arbeit ausgeführt (vgl. Kapitel 6.7).

4

Die Erkenntnisse aus dem Projekt AN[N]O 2015 wurden 2016 in einem umfassenden Ergebnisband veröffentlicht (vgl. Micus-Loos et al. 2016).

18 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

ausgetauscht und ihre (geteilten) Vorstellungen und Wünsche im Hinblick auf die Berufswahl sowie das zukünftige Leben diskutiert und verhandelt« (Micus-Loos et al. 2016, S. 6). Der Eingangsimpuls des Gruppendiskussionsverfahrens im Rahmen der Datenerhebung von AN[N]O 2015 zielte darauf, Erzählungen hinsichtlich eigener Zukunftsvorstellungen seitens der Schüler*innen zu generieren.5 Die Frage nach technischen Berufen stellte indes einen von weiteren Aspekten dar, der auf der Grundlage eines vorgefertigten Leitfadens in der Phase des exmanenten Nachfragens durch die Forschenden in die Diskussion eingebracht wurde. Während im Projekt AN[N]O 2015 das Forschungsinteresse an den Lebensentwürfen und Berufswahlorientierungen junger Frauen dementsprechend eher breit aufgestellt war und die Frage speziell nach technischen Berufen einen von weiteren Teilaspekten darstellte, zeichnete sich im Zuge der damaligen Auswertung des Datenmaterials ab (vgl. ebd., S. 178ff.), dass eine vertiefende Analyse der Zusammenhänge von Geschlechtsidentität und technischer Berufswahlorientierung weiterreichende Erkenntnisse verspricht, die es in einer separaten (Teil-)Studie – wie sie nun in Form dieser aktuellen Forschungsarbeit vorliegt – noch einmal gesondert zu generieren und zu präzisieren lohnt. Dabei spitzte sich das Erkenntnissinteresse der erneuten und fokussierten Auseinandersetzung mit den Passagen, in denen es in den Gruppendiskussionen exklusiv um technische Berufs- und Studienwahloptionen geht, auf das diskursive Zusammenspiel gesellschaftlicher Geschlechternormen und hegemonialer Technikbilder zu, über das sich gemeinsame Vorstellungen über das Verhältnis von Technik und Geschlecht formieren, die als implizite Wissensbestände kollektive (Be-)Deutungs- und Orientierungsmuster junger Frauen prägen, indem sie eine technische Studien- und Berufswahlorientierung denkbar bzw. undenkbar werden lassen. Technik und Geschlecht werden damit zu zentralen Analysekategorien der empirischen Untersuchung, die es aus der Perspektive der beforschten jungen Frauen im Kontext beruflicher Orientierungsprozesse zu reflektieren gilt. Was verbinden die beforschten Schüler*innen mit technischen Berufen, wofür stehen diese und wer wird unter welchen Bedingungen als feldzugehöriges6 Subjekt anerkannt und wer 5

Bspw. in Form der Formulierung: »Was geht euch durch den Kopf, wenn ihr an eure Zukunft denkt?« (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 75).

6

Der Feld-Begriff wird im Rahmen dieser Arbeit in zwei Bedeutungsweisen verwendet: Zum einen verweist er in Anlehnung an Pierre Bourdieu (1984) auf die soziale Dimension von technischen Berufen und Wissenschaftszweigen als gesellschaftlichen Sphären, die durch bestimmte Anerkennungs- und Legitimationsstrukturen feldzugehöriger Subjekte gekennzeichnet sind, die sich in den Handlungen der jeweiligen Akteur*innen habitualisieren (vgl. Krais 2002, S. 53ff.; Krais und Gebauer 2010). Zum anderen ist dieses bourdieusche Verständnis vom ›sozialen Feld‹ von dem des ›diskursiven Feldes‹ im Sin-

Ausgangslage und Forschungsinteresse | 19

nicht? Woher stammen gemeinsame Vorstellungen über das Verhältnis von (geschlechtlicher) Subjektivität und technischer Beruflichkeit und inwiefern wirken sich diese Annahmen handlungsleitend auf berufliche Orientierungen junger Frauen diesseits bzw. jenseits des Technischen aus? Inwieweit wird die Motivation für eine technische Berufswahlorientierung junger Frauen, denen als Angehörige einer bildungsprivilegierten Gesellschaftsschicht nahezu sämtliche beruflichen Qualifizierungswege offenstehen, von normativen Anforderungen an geschlechtliche Identitäten gerahmt? Inwiefern und auf welche Weise werden solche gesellschaftlichen Vorgaben von den Proband*innen in den gemeinsamen Diskussionen bearbeitet, bestätigt oder angefochten?

1.2 EINGRENZUNG DES GEGENSTANDSBEREICHS UND KONTURIERUNG DER FORSCHUNGSPERSPEKTIVE Mit dem forschungsleitenden Interesse an normativen Vorstellungen von Technik und Geschlecht, richtet sich der Fokus dieser qualitativ ausgerichteten Studie auf implizite Wissensbestände über kulturell verfestigte Bedeutungsdimensionen, die sich im Kontext beruflicher Orientierungsprozesse junger Frauen als handlungsleitend erweisen (können). Angenommen wird, dass in Anlehnung an die dokumentarische Methode nach Ralf Bohnsack (vgl. exempl. Bohnsack 2010) dieses Wissen kollektiv ist und sich auf gemeinsame »Erfahrungsräume« (Bohnsack et al. 2013, S. 16) gründet. Diese Erfahrungsräume konstituieren sich im Verständnis der Studie innerhalb des »kulturellen Systems der Zweigeschlechtlichkeit« (Hagemann-White 1984, S. 77), in welchem die berufliche Sphäre – mithin das Feld Technik – von machtvollen Geschlechtersymboliken durchdrungen ist. Denn in westlichen Gesellschaften sind wechselseitig aufeinander bezogene Vorstellungen von technischer Männlichkeit und männlicher Technik fest verwurzelt und tragen wirkungsvoll dazu bei, die bipolare Geschlechterdifferenz als zentrales Prinzip der sozialen Ordnung zu bewahren. Die vorliegende Untersuchung folgt dabei einer primär poststrukturalistisch ausgerichteten Forschungsperspektive, der zufolge weder Technik noch Geschlecht als vordiskursive Entitäten begriffen werden. Vielmehr werden beide Aspekte in ihrem kulturell verfestigten Bedeutungszusammenhang als Effekte machtvoller Disne Michel Foucaults (1981) zu differenzieren, der im Zusammenhang mit der regelgeleiteten Hervorbringung von Subjektivität entlang diskursiver Ordnungen zu verstehen ist. Ist im Folgenden vom ›Diskursfeld Technik und Geschlecht‹ die Rede, so ist damit das Schnittfeld hegemonialer Technik- und Geschlechterdiskurse gemeint, aus dem sich bestimmte »Regelmäßigkeiten für verschiedene Positionen von Subjektivität« (Foucault 1981, S. 82) ergeben.

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kursformationen und damit verbundener Deutungsprozesse im historisch-kulturellen Kontext verstanden. Angenommen wird, dass die (diskursiven) Praktiken der sozialen Differenzierung dessen, was als technisch gilt und was als weibliche und männliche Subjektposition Anerkennung findet, eng miteinander verflochten sind. Mit dieser Perspektive werden junge Frauen in der Berufsfindungsphase in ihren Handlungen und Entscheidungen weder als frei von gesellschaftlichen Vorgaben noch als von diesen vollständig determiniert betrachtet (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 5). Hingegen werden sie als Akteurinnen in den Fokus der empirischen Untersuchung gerückt, die im Zuge der diskursiven Verhandlung der Angemessenheit bzw. Anerkennbarkeit technischer Studien- und Berufswahlentscheidungen bestimmte Subjektivitäten privilegieren, während sie andere marginalisieren und verwerfen und so an der (Re-)Produktion – aber auch an der Transformation – kollektiver Bedeutungsmuster von Technik und Geschlecht (mit-)wirken.7 In diesem Verständnis sind es die Auffassungen, Überzeugungen und Sichtweisen der jungen Frauen selbst, die sowohl darüber Auskunft geben können, wie gesellschaftliche Verhältnisse und damit verbundene Anforderungen im Zuge beruflich-geschlechtlicher Identitätsentwürfe ihre Wirkmächtigkeit entfalten, als auch darüber, wie diese angefochten oder unterwandert und damit Veränderungsimpulse mobilisiert werden (können). Das Erkenntnisinteresse der Forschung zentriert sich folglich auf soziale und diskursive Praktiken der (Re-)Konstruktion, Transformation und Subversion normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht im Zuge beruflicher Orientierungsprozesse junger Frauen. Dabei fokussiert sie die Schwellenphase des Übergangs von der Schule in eine berufliche Erstqualifizierung, die in westlichen Gesellschaften i.d.R. mit der Lebensphase der Adoleszenz zusammenfällt. In diesem Lebensabschnitt stellen sowohl die Herausbildung einer Geschlechtsidentität als auch die Berufswahlentscheidung zentrale gesellschaftliche Entwicklungsaufgaben dar, verbunden mit sich wechselseitig überlagernden und teils widersprüchlichen Anforderungen, die von den Subjekten im Zuge ihrer beruflich-geschlechtlichen Selbstentwürfe bearbeitet und in ein Verhältnis von »Kohärenz, Kontinuität und Konsistenz« (King 2002, S. 85) überführt werden müssen (vgl. ebd.; Hummrich und Kramer 2017, S. 102f.). Angesichts der Beständigkeit der geschlechtsbezogenen (Chancen-)Ungleichheit im (Berufs-)Feld Technik will die Studie dazu beitragen, die Wirkungsweise kultureller Geschlechternormen in ihrer konstitutiven Verflechtung mit hegemo7

In diesem Sinne folgt die Studie dem Vorschlag von Bettina Fritzsche (2001) und nutzt poststrukturalistische Theorien im Zuge der empirischen Analyse als »sensitizing concept« (ebd., Hervorh. i.O.), um variable und teils disparate Subjektpositionierungen im Widerhall normativer Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Identitäten in den Blick zu nehmen.

Ausgangslage und Forschungsinteresse | 21

nialen Technikbildern näher zu ergründen, die sich im Rahmen beruflicher Orientierungsmuster junger Frauen als relevant erweisen (können). Es geht demnach um die Frage nach der Wirkungsweise diskursiver Wissensbestände über die kulturelle Verstrickung der Bedeutungsmuster von Technik und Geschlecht, die als Scharnier zwischen individueller Handlung und gesellschaftlicher Struktur die Bedingungen für die Anerkennbarkeit beruflicher Identitätskonstruktionen vorgeben und damit die Wahrnehmungs-, Deutungs- und Orientierungsmuster der Subjekte rahmen. Dabei werden sowohl Mechanismen der (Re-)Stabilisierung normativer Vorgaben hinsichtlich der Anerkennbarkeit geschlechtlicher Subjektpositionen innerhalb des technischen Feldes in den Blick genommen als auch Momente ihrer Verschiebung, Erweiterung und Umdeutung. Denn subjektkonstituierende und identitätsbildende Normen der Anerkennung werden im Verständnis der Studie mit theoretischer Referenz auf Judith Butler und Michel Foucault keinesfalls als stabil oder festgeschrieben betrachtet, sondern als permanent verhandelt und zwar innerhalb eines durch hegemoniale Diskurse und deren Wissensordnungen aufgespannten Möglichkeitsraumes. Es sind diese Prozesse der Auseinandersetzung mit kollektiven Bedeutungsmustern und normativen Anforderungen, auf die sich das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Forschung fokussiert. Denn während aus struktureller und handlungstheoretischer Perspektive bereits wichtige Erkenntnisse über das überwiegend geschlechterstereotype Berufswahlverhalten vorliegen, befassen sich bisher nur wenige Untersuchungen mit dem Einfluss normativer Anforderungen an geschlechtliche Identitäten vor dem Hintergrund sozial geteilter Wirklichkeitsvorstellungen, die sich aber hinsichtlich der Frage nach der beständigen Unterrepräsentanz von Frauen in technischen Studienfächern und Berufen als aufschlussreich erweisen könnten. So wird die ungleiche Präsenz von Frauen und Männern im Berufsfeld Technik weniger als Folge eines geschlechterdifferenten Berufswahlinteresses als solches verstanden, sondern vorrangig als Ausdruck der Hervorbringung und Darbietung von Geschlechtsidentität entlang kultureller Normen geschlechtlicher Intelligibilität (vgl. Butler 2014) und damit als verwoben mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen.8 Mit Bezug auf die Arbeiten von Butler und Foucault als leitendende theoretische Impulse folgt die vorliegende Forschungsarbeit dabei primär einem produkti8

Wie bereits Regina Gildemeister und Angelika Wetterer (1992) Anfang der 1990er-Jahre präzise herausgearbeitet haben, zeigen sich die Konstruktionsweisen binär codierter Geschlechterdifferenz entlang der Trennlinie weiblich-männlich insbesondere in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung zwar einerseits als variabel und geradezu austauschbar, andererseits jedoch stets als hierarchisch organisiert und zwar im Sinne einer höheren Bewertung männlich codierter und einer Abwertung weiblich codierter Zuschreibungen. Auf dieses Phänomen wird in den nachstehend ausgeführten theoretischen Bezügen noch näher eingegangen (vgl. Kapitel 3.2).

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ven, d.h. hervorbringenden Verständnis von Macht in der Verwobenheit mit hegemonialen Diskursen und ihren symbolischen Ordnungen, über die sich soziale Wirklichkeiten konstituieren. Damit muten Veränderungsimpulse auf der Ebene gesellschafts-politischer Maßnahmen und Initiativen kaum ausreichend an, um die soziale Ungleichheit auf der Grundlage geschlechtsbezogener Differenzierungen und Hierarchisierungen im Berufsfeld Technik zu überwinden. Wie Jutta Hartmann (2001) hervorhebt, gilt es darüber hinausgehend die Wirkmacht dominanter (Geschlechter-)Diskurse zu analysieren und dabei an Subjektivität – zu verstehen als historisch begründete und kulturell verfestigte Art und Weise, wie Menschen sich selbst und ihre (Lebens-)Welt verstehen und (be-)deuten9 – anzusetzen (vgl. ebd., S. 73). Ein derartiger Ansatz erscheint für die vorliegende Forschungsarbeit, in Anbetracht der bisher nur als mäßig zu verzeichnenden Erfolge der zahlreichen Bemühungen die beruflichen Geschlechtergrenzen durch korrigierende Einflussnahme auf das geschlechtlich codierte Berufswahlverhalten junger Frauen einzuwirken, als richtungsweisend, um neue Möglichkeitsräume und Transformationspotenziale zu sondieren. Es geht dabei um eine Perspektiverweiterung, die weniger an den Subjekten selbst ansetzt, sondern vielmehr darauf zielt, begrenzende Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Identitäten offenzulegen und Chancen für eine Vervielfältigung anerkennenswerter Subjektpositionen auszuloten. Eine an Butler und Foucault angelehnte Analyseperspektive erweist sich in dieser Hinsicht als vielversprechend, denen zufolge gerade die Pluralität und Inkonsistenz von Normen und Diskursen als Bestandteil bzw. Gegenstand fortwährender Auseinandersetzungen in machtvollen Beziehungskomplexen, innerhalb derer (geschlechtliche) Subjektpositionen ausgehandelt werden, einen Raum für mögliche Neuinterpretationen und Umdeutungen eröffnet (vgl. Mills 2007, S. 95). Demnach können Diskurse je nach Kontext unterschiedliche Effekte und (Be-)Deutungen hervorrufen, was die Annahme begründet, dass sich Wissensformationen über die symbolische Repräsentation von Technik und technischen Berufen nicht unbedingt und ausschließlich restriktiv auf berufliche Orientierungsprozesse junger Frauen auswirken müssen, sondern möglicherweise auch Anreize bieten, alternative Formen weiblicher Subjektivität zu entwerfen (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 197ff.). Doch während in modernen westlichen Gesellschaften Alltagsdiskurse wie auch Diskurse der Berufsforschung und der professionellen Berufsberatung ein Bild von 9

Die begriffliche Formulierung, dass Menschen Phänomene ›bedeuten‹, ist Paula-Irene Villa (2012) entlehnt, die damit auf die produktive Kraft von Diskursen verweist (ebd., S. 22f.). In diesem Sinne soll mit diesem Ausdruck hier und im Weiteren deutlich gemacht werden, dass Deutungen vornehmlich nicht auf der Grundlage vorgängiger Sinnsetzungen erfolgen, sondern innerhalb sozial-situativer Grenzen bestimmten Aspekten erst eine Bedeutung zugeschrieben bzw. diese Bedeutung erst kollektiv hervorgebracht wird (vgl. ebd.).

Ausgangslage und Forschungsinteresse | 23

Beruflichkeit als authentischem Ausdruck des eigenen Selbst befördern (vgl. kritisch dazu Micus-Loos et al. 2016, S. 21ff., 110ff.; Ostendorf 2005, S. 124; Schmude 2009, S. 19), kann es in Anlehnung an das von Butler und Foucault übereinstimmend geteilte Verständnis von Subjektivität als Effekt symbolisch-diskursiver Ordnung ein solches authentisches Selbst, frei von kulturellen Prägungen und Normierungen, nicht geben. Aus diesem Blickwinkel erscheint der Einfluss wirkmächtiger Geschlechterdiskurse, ihrer Wissensordnungen und Subjektpositionen durch zeitgenössische Individualisierungsdiskurse überformt, die eine geschlechtskonforme Berufswahl primär nicht in den Zusammenhang mit normativen Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Identitäten stellen, sondern als eine freie Wahl auf der Grundlage individueller Leistungspotenziale, Interessen und Neigungen erscheinen lassen und dabei gesellschaftliche Machtrelationen eher verschleiern als sie aufzudecken. Auch gesellschaftspolitische Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Technikberufen setzen zumeist einseitig an den Subjekten an, um sie für dieses berufliche Feld zu interessieren und zu motivieren (vgl. Queisser 2010, S. 61), ohne dabei das komplexe Zusammenspiel von Struktur und Handlung, die Wirkmächtigkeit sich wechselseitig durchdringender Diskurse und Wissensordnungen über Geschlecht und Technik oder die eigene Eingebundenheit in ökonomische und politische Machtverhältnisse vor dem Hintergrund gesellschaftspolitsicher Bedarfs- und Interessenslagen kritisch zu durchdenken. Diese Eingebundenheit wird u.a. in der bereits angeführten Verschiebung innerhalb der Argumentationsmuster deutlich, die sich aktuell weniger auf einen gleichstellungspolitisch motivierten Gerechtigkeitsdiskurs stützen, sondern verstärkt auf einen gesellschaftlichen Bedarf an qualifizierten Fachkräften rekurrieren. Junge Frauen durch motivierende Maßnahmen und Programme sowie den Anreiz (scheinbar) aussichtsreicher und zukunftsträchtiger Erwerbschancen in insbesondere akademische Technikberufe zu schleusen (vgl. Augustin-Dittmann und Gotzmann 2015, S. 7), erscheint aus diesem Blickwinkel vor dem Hintergrund kollektiver Interessen als normalisierende, auf einen als wünschenswert angesehenen Zustand hinwirkende Intervention. In diesem Zusammenhang ist auch die Fragestellung der vorliegenden Forschung nach technischen Berufen im Kontext der empirischen Erhebung selbstkritisch zu reflektieren, denn sie ist nicht neutral, kann nicht als für sich stehend gelten, sondern muss stets vor dem Hintergrund hegemonialer gesellschaftlicher und bildungspolitischer Technikdiskurse betrachtet werden, deren Effekte sich der Intention und Kontrolle weitgehend entziehen bzw. nicht verlässlich kalkulierbar sind. Folglich ist zu berücksichtigen, dass mit der Frage nach Technik bzw. technischen Berufen unausweichlich gesellschaftliche Diskurse (re-)zitiert und aktiviert werden, deren möglicher Einfluss auf die Selbstinszenierungen der jungen Frauen konsequent mitzudenken ist. So ist die Fragestellung der vorliegenden Forschung

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ungeachtet intentionaler Aspekte nicht losgelöst von derzeitigen MINT-Diskursen10 zu verstehen. Bereits am Beispiel dieser gängigen Bezeichnung offenbart sich die produktive Kraft diskursiver Ordnungen, die in der Gegenwartsgesellschaft die Bezeichnung MINT im Rahmen dominanter Diskurse über die Förderung von vornehmlich weiblichen Nachwuchskräften für die Technikbranche zu einem im alltagsweltlichen Sprachgebrauch verständlichen Begriff werden lässt. Denn im hegemonialen Technikdiskurs wird mit dem Akronym MINT der Anschein einer vermeintlichen Systematik wissenschaftlicher Fachgebiete erzeugt, die in der Folge als eine sinnvolle Einheit erscheinen, entgegen ihrer tatsächlichen Diversität11 (vgl. Wensierski 2015, S. 25f.).

1.3 AUFBAU UND STRUKTUR DER FORSCHUNGSDOKUMENTATION Die Struktur der hier vorgestellten Forschungsarbeit gliedert sich in fünf Teile: In der Einführung (Teil I) werden die Forschungsperspektive sowie die empirische Datenbasis konturiert (Kapitel 1). In Teil II werden im Folgenden zentrale Erkenntnisse sowie leitende Theoretisierungen der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung über die Zusammenhänge von Geschlecht, Beruf und Technik dargelegt und in ihrer Relevanz für die eigene Forschung diskutiert. Die Dimension Geschlecht wird dabei auf unterschiedlichen Ebenen als eine zentrale Kategorie der sozialen Differenzierung beleuchtet, über die sich die soziale Ungleichheit von Frauen und Männern im Berufsfeld Technik festigt. So wird zunächst die geschlechterdifferenzierende und –hierachisierende Strukturierung des Arbeitsmarktes in sogenannte Frauen- und Männerberufe, die den Hintergrund dieser Forschung bildet, als historisch gewachsenes Phänomen im Kontext kapitalistischer Gesellschaftsentwicklung umrissen (Kapitel 2). Anschließend wird aus einem ethnomethodologisch-sozialkonstruktivistischen Verständnis die Eigenbeteiligung der Subjekte an der (Re-)Produktion binär codierter Zweigeschlechtlichkeit im Zuge der alltäglichen Inszenierung und Validierung geschlechtlicher Identität beleuchtet, die zur Aufrechterhaltung beruflicher Geschlechtergrenzen im Feld Technik beitragen 10 In einer Reihe von Gruppendiskussionen wird deutlich, dass die Schüler*innen ein Wissen um diese Diskurse haben, das insbesondere im Kontext von Erzählungen über konkrete Erfahrungen mit Berufseignungstests zur Sprache kommt. So berichten insbesondere Schülerinnen, dass ihnen beständig technische Berufe nahegelegt werden und sie dies häufig als unstimmig und/oder unsinnig empfinden (vgl. exempl. Kapitel 8.2). 11 Einen Eindruck über die tatsächliche Heterogenität gegenwärtig voneinander abzugrenzender MINT-Berufe vermittelt die ›Klassifikation der Berufe 2010 (KldB 2010)‹ (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2016, S. 27ff.).

Ausgangslage und Forschungsinteresse | 25

(Kapitel 3). Angesichts der Verschränkung von Wissen und Handeln in Verbindung mit gesellschaftlichen Strukturen wird im Weiteren der Blick für den Bereich symbolischer Repräsentationen von Technik und Geschlecht innerhalb machtvoller Diskurse und normativer Ordnungen geschärft, mit denen sich junge Frauen im Zuge beruflich-geschlechtlicher Identitätsentwürfe auseinandersetzen (müssen) (Kapitel 4). Auf der Grundlage der epistemischen und theoretischen Ausführungen wird schließlich die eigene Forschungsperspektive noch einmal eingehend konkretisiert und die sie leitende Fragestellung präzisiert (Kapitel 5). In Teil III dieser Arbeit wird die Methodologie und Methodik der qualitativ-rekonstruktiven Studie dargelegt. Dabei wird die dokumentarische Methode in Anlehnung an Bohnsack als methodologisches Rahmenkonzept im Zusammenhang mit dem forschungsleitenden Erkenntnisinteresse an kollektiven Orientierungsmustern junger Frauen vor dem Hintergrund normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht im Kontext einer technischen Studienfach- bzw. Berufswahl erörtert. Auf dieser Grundlage werden das Gruppendiskussionsverfahren als eine dem Forschungsgegenstand angemessene Erhebungsmethode und die dokumentarische Methode als geeignete Auswertungsmethode argumentativ begründet sowie die konkrete, methodisch kontrollierte Herangehensweise an die Erhebung und die Auswertung des Datenmaterials erläutert (Kapitel 6). Die Ergebnisse der empirischen Analyse werden in Teil IV ausführlich dargestellt und anhand von Beispielsequenzen aus dem Material der Gruppendiskussionen veranschaulicht. Dabei werden vielschichtige Dimensionen der (Re-)Produktion normativ gerahmter (Be-)Deutungsmuster von Technik und Geschlecht aufgezeigt, die sich als implizite Wissensbestände in den Alltagsdiskursen junger Frauen und Männer im Kontext ihrer beruflichen Identitätsentwürfe dokumentieren. Zunächst geht es dabei um die Fragen, wofür technische Berufe in den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern der beforschten jungen Frauen (und Männer) stehen, welches gemeinsame Verständnis von Technik und technischem Berufsbild sowie damit verbundener Subjektpositionen von den Schüler*innen diskursiv entworfen werden und inwieweit sich die geteilten Vorstellungen auf die Motivation einer entsprechenden Berufswahlorientierung auswirken (Kapitel 7). Anschließend wird die Dimension Geschlecht in den Analysefokus gerückt, um die Wirkungsweise dominanter Geschlechternormen in der kulturellen Verflechtung mit hegemonialen Technikbildern auf beruflich-geschlechtliche Selbstverhältnisse junger Frauen eingehend zu beleuchten. Dabei werden sowohl Modi der (Re-)Produktion als auch der Transformation und Subversion normativer Anforderungen an intelligible Identitätskonstruktionen herausgearbeitet und kritisch reflektiert (Kapitel 8). Die empirisch fundierten und theoretisch begründeten Ergebnisse werden in Teil V noch einmal komprimiert (Kapitel 9) und Überlegungen über deren Relevanz für die pädagogische Praxis skizziert, um Anregungen für eine Perspektiverweiterung zu geben, ohne dabei den Anspruch einer Konzeptentwicklung zu erhe-

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ben (Kapitel 10). Den Abschluss der Arbeit bilden ein kurzes Resümee bezüglich des Erkenntnisgewinns sowie ein Ausblick auf Ansatzpunkte für mögliche Anschlussforschungen (Kapitel 11).

II THEORETISCHER TEIL

Geschlecht, Beruf und Technik – forschungsrelevante Einsichten und theoretische Referenzpunkte Um die Komplexität der Zusammenhänge und Wechselwirkungen gesellschaftlicher Strukturierung, individuellen Handelns und normativer Anforderung genauer zu erfassen, die sich im Kontext (nicht-)technischer Berufswahlorientierungen junger Frauen als bedeutsam erweisen, gilt es in einem ersten Schritt das zugrunde liegende Verständnis der Kategorie Geschlecht in seiner strukturierenden und symbolisierenden Funktionalität zu verdeutlichen, mit dem sich diese Studie innerhalb feministischer Theorie und konstruktivistischer Geschlechterforschung verortet und naturalisierte Vorstellungen von Geschlechtlichkeit in der Verhältnissetzung zum Technischen zu dekonstruieren sucht. Ausgangspunkt ist hierbei ein Verständnis von der Dichotomizität der Geschlechterdifferenz als einer wirkmächtigen kulturellen Norm, die als ein zentrales Strukturierungsmoment der sozialen Ordnung das Alltagswissen der Subjekte durchdringt, Vorstellungen von Geschlecht und Körper naturalisiert und so die Hervorbringung von Identitäten reguliert. Damit werden Annahmen über eine Naturhaftigkeit von Geschlecht als Biologie und daraus abgeleitete Wesens- und Kompetenzmerkmale von Frauen und Männern, die geschlechtsbezogene Ungleichheiten im Kontext Technik lediglich als Ausweis dieser Differenz interpretieren, strikt zurückgewiesen. Geschlecht wird stattdessen als soziale Konstruktion auf der Grundlage eines präreflexiv wirkenden und diskursiv gerahmten Alltagswissens begriffen, die in performativen Prozessen interaktiv in Szene gesetzt und dabei identitätsrelevant gelebt wird. Zugleich wirkt die Kategorie Geschlecht strukturbildend auf die gesellschaftliche Ordnung, indem sie den Ausgangspunkt für soziale Ungleichheit in Form asymmetrischer Geschlechterverhältnisse bildet, wie sie sich insbesondere in der hierarchisierenden Geschlechtertrennung im Berufssystem – mithin der beständigen Unterrepräsentanz von Frauen in Technikberufen – manifestieren. Des Weiteren wird auch Technik als etwas verstanden, das sich nicht außerhalb des Sozialen verorten lässt, sondern als etwas, das ebenso wie Geschlecht sozialen

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Konstruktionsprozessen unterliegt, über die sich kollektive Vorstellungen von dem formieren, was als ›technisch‹ gilt und wofür Technik steht. Im Folgenden sind somit zentrale Begriffe wie Technik und Geschlecht – letzteres in seinen binär codierten Positionen von Weiblichkeit und Männlichkeit – stets in ihrer kontextgeleiteten Konstruiertheit zu betrachten und keinesfalls als deskriptive Bezeichnungen ontologischer Entitäten zu verstehen. Von besonderem Interesse ist dabei die Bedeutungsverflechtung beider Aspekte, die sich in westlichen Gesellschaften zu einer »symbolischen Sinnwelt des Alltagswissens« (Teubner 2009, S. 176) kulturell verfestigt hat, in der Technik und Männlichkeit gleichgesetzt werden und als ko-produktive Wechselbeziehung auf Prozesse sowohl der Identitätsbildung als auch der Vergeschlechtlichung von Berufsbildern einwirkt. Damit rückt die Frage nach aktuellen Wissensbeständen junger Frauen (und Männer) über das Verhältnis von Technik und Geschlecht in den Fokus, die sich hinsichtlich der Entscheidung für oder gegen einen technischen Beruf als handlungsrelevant erweisen (können). Dieses Alltagswissen ist dabei nicht unabhängig von geteilten Normen, Werten und Überzeugungen zu verstehen, über die sich kollektive Sinnwelten als verbindendes Element zwischen Gesellschaftsmitgliedern formieren, die das Soziale sinnstiftend strukturieren (vgl. Winker und Degele 2009, S. 20f.). In Anbetracht der Komplexität der Zusammenhänge von Alltagswissen, Gesellschaftsstruktur und Handlungspraxis, erweist sich der intersektional angelegte »Mehrebenenansatz« nach Gabriele Winker und Nina Degele (2009, S. 15) als geeignet, um die eigene Forschungsperspektive zu entfalten. Zum einen wird mit diesem Ansatz der Blick für die Verwobenheit von Geschlecht mit weiteren Differenzkategorien vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Machtverhältnisse geöffnet, durch die sich wechselseitige Verstärkungen, Abschwächungen oder auch Verschiebungen im situativen Kontext ergeben können (vgl. ebd., S. 10).1 Zum anderen schlagen die Autorinnen vor, bei der Analyse sozialer Ungleichheiten »gesellschaftliche Sozialstrukturen« (ebd. S. 18) auf Makro- und Mesoebene, »Prozesse der Identitätsbildung« (ebd.) auf Mikroebene sowie »kulturelle Symbole« (ebd.) auf Repräsentationsebene zu berücksichtigen (vgl. ebd.). Diese Vorgehensweise erweist sich für die vorliegende Forschung dahingehend als besonders zweckdienlich, als dass sie eine differenzierte Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen erstens der Geschlechtertrennung im Berufssystem als strukturbildendes Moment hierarchischer Geschlechterverhältnisse (Ebene sozialer Strukturen), zweitens Prozessen der Konstruktion weiblicher und männlicher Identitäten über die Verhältnissetzung zum Technischen (Ebene der Identität) sowie drittens der Wirkmächtigkeit symbolisch1

Auch wenn die Dimension Geschlecht im Zentrum des Forschungsinteresses steht und daher keinesfalls relativiert werden soll, wird aus einem intersektionalen Verständnis heraus die situative und kontextuale Verwobenheit mit weiteren ungleichheitsgenerierenden Kategorien, wie soziale Klasse oder Ethnie, in den Blick genommen.

Geschlecht, Beruf und Technik | 31

diskursiver Ordnung hinsichtlich der Hervorbringung bestimmter geschlechtlicher Subjektpositionen, die im Kontext von Technik bzw. technischen Berufen mit mehr oder weniger Anerkennung ausgestattet sind (Ebene symbolischer Repräsentationen), ermöglicht. Insbesondere die zuletzt aufgeführte Perspektive auf die diskursive Hervorbringung von Subjektivität im Kontext Technik verspricht betreffs der Frage nach der Beständigkeit nicht-technischer Berufswahlorientierungen junger Frauen – bzw. nach den Bedingungen einer solchen – eine Erweiterung bisheriger Erkenntnisse. Die differenzierte Betrachtung der aufs engste miteinander verwobenen Ebenen zielt darauf, sich der Komplexität der wechselseitigen Durchdringung anzunähern, indem die Bedeutung von Geschlecht als Status- und Strukturkategorie, als Identitätskategorie sowie als Kategorie symbolisch-diskursiver Ordnung herausgestellt wird, um so im Zuge der anschließenden Analyse des empirischen Materials aus den Gruppendiskussionen mit jungen Frauen und Männern am Übergang SchuleStudium/Beruf Verkürzungen und zirkuläre Argumentationen zu vermeiden.

2. Strukturbildende (Geschlechter-) Ungleichheiten durch (Berufs-)Arbeit Im Hinblick auf die Ebene sozialer Strukturen interessiert im Kontext der Studie das Phänomen der beständigen Unterrepräsentanz von Frauen in technischen Berufen im Zusammenhang mit der Beharrlichkeit des geschlechtlich codierten Berufswahlverhaltens. Hintergrund sind somit bestehende Ungleichheiten im Berufssystem, die eng mit der Kategorie Geschlecht verkoppelt sind und weitreichende Folgen für die Stabilisierung des hierarchischen Geschlechterverhältnisses innerhalb der Gesellschaft haben. Diese Ungleichheiten stellen daher einen zentralen Untersuchungsgegenstand kritischer Geschlechterforschung dar (vgl. exempl. Aulenbacher 2010; 2007; 1994; Becker-Schmidt 2003; Becker-Schmidt und Krüger 2009; Fraser 1994; Gottschall 2000; 1995; Heintz et al. 1997; Knapp 1992; Winker 2007). Mit der Offenlegung der in Gesellschaftsstrukturen eingeschriebenen geschlechtsbezogenen Ungleichheiten ermöglichen diese Arbeiten ein Verständnis von Geschlecht als strukturbildende und statusattribuierende Kategorie gesellschaftlicher Verhältnisse (vgl. Aulenbacher 2010, S. 33ff.). Ein viel beforschtes Feld, in dem sich geschlechtsbezogene Ungleichheitsstrukturen manifestieren, bildet dabei der geschlechtlich segregierte Arbeitsmarkt, wo Frauen und Männer ungleich integriert und positioniert sind, und zwar sowohl mit Blick auf ihre Präsenz in unterschiedlichen Berufen als auch auf beruflichen Statuspositionen. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass Berufe, in denen überwiegend Männer beschäftigt sind, höher entlohnt werden und zudem einen höheren gesellschaftlichen Status genießen als Berufe, in denen mehrheitlich Frauen tätig sind (vgl. Gildemeister 2010; Heintz et al. 1997, S.22; Teubner; 2010, S. 501; Wetterer 2009; 2002; 1992). Aus der Segregation resultieren für Frauen und Männer somit ungleiche Zugänge zu Einkommens- und Lebenschancen, sozialem Status sowie gesellschaftlicher Entscheidungsmacht. Im Kontext der vorliegenden Forschungsarbeit geht es weniger um die Untersuchung struktureller Hürden und Barrieren, die die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt bedingen und ihnen den Zugang zu und das Verweilen in technischen Berufen als einer traditionellen Männerdomäne erschweren. Die Geschlechtertrennung im Berufssystem, genauer die nahezu stabile Unterrepräsentanz von

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Frauen in technischen Berufen, bildet vielmehr das beobachtbare Phänomen, das aufgrund seiner aktuellen Problematisierung in politischen, ökonomischen und auch bildungspädagogischen Diskursen Anlass bietet, nach möglichen Ursachen der Veränderungsresistenz im Berufswahlverhalten junger Frauen an der Schnittstelle zwischen gesellschaftlicher Strukturierung und individueller Handlungsorientierung zu suchen und dabei nach der Bedeutung kultureller (Geschlechter-)Normen und der geschlechtersymbolisierenden Repräsentation des Technischen zu fragen. Daher geht es zunächst um einen Problemaufriss, der die Geschlechtertrennung im Berufssystem – insbesondere mit Blick auf die Technikbranche – anhand aktueller Daten beschreibt, und vor dem Hintergrund zentraler Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung als Ausdruck struktureller Ungleichheit in Folge der historisch gewachsenen Arbeitsmarktsegregation sowie der traditionellen geschlechtlichen Arbeitsteilung verstehbar werden lässt.

2.1 PROBLEMSKIZZE DER GESCHLECHTLICHEN ARBEITSMARKTSEGREGATION ALS GESELLSCHAFTLICHER HINTERGRUND BERUFLICHER ORIENTIERUNGSPROZESSE Trotz des Abbaus geschlechtsbezogener Zugangsbeschränkungen zu einzelnen Berufsfeldern, Angleichungen im Bildungsniveau und in der Erwerbsorientierung von Frauen und Männern sowie einer Reihe gesellschaftspolitischer Maßnahmen, die junge Menschen für gegengeschlechtliche Berufe zu gewinnen suchen, bleibt die geschlechtliche Arbeitsmarktsegregation nahezu stabil. Frauen und Männer konzentrieren sich auf unterschiedliche Berufe (horizontale Segregation) und unterschiedliche innerbetriebliche Hierarchieebenen, d.h. Führungs- bzw. Managementebenen (vertikale Segregation). Dabei gilt im Allgemeinen ein Beruf oder Bereich dann als weiblich bzw. männlich segregiert, wenn der Anteil des jeweils anderen Geschlechts weniger als 30% der Beschäftigten beträgt (vgl. Heintz et al. 1997, S. 16; Hobler et al. 2017, o.S.). Nach Daten des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WIS) der Hans-Böckler-Stiftung finden sich auf horizontaler Ebene sogenannte Frauenberufe – also Berufe in denen mehr als 70% Frauen beschäftigt sind – derzeit vornehmlich im Bereich personenbezogener und kultureller Dienstleistungen sowie im Sozialund Gesundheitswesen. Zu den Männerberufen zählen dagegen verstärkt der gewerbliche und industrielle Sektor, technisch-naturwissenschaftliche Berufe sowie die Baubranche (vgl. Hobler et al. 2017, o.S.). Dabei lässt sich feststellen, dass Frauen nur in sehr wenigen Berufssegmenten dominieren, d.h. die Mehrheit der erwerbstätigen Frauen konzentriert sich auf vergleichsweise wenige Berufe, während

Strukturbildende Geschlechterungleichheiten | 35

Männer ein breiteres Spektrum unterschiedlicher Berufe dominieren (vgl. ebd.; Hausmann und Kleinert 2014, S. 1f.; Schwiter et al. 2011, S. 20). Technische Berufe bilden dabei eine eindeutige Männerdomäne. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit betrug der Frauenanteil unter den Beschäftigten in MINT-Berufen trotz leicht steigender Tendenz im Jahr 2016 nur 15% (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2016, S. 4, 7). Zum einen lässt sich anhand dieser Daten festhalten, dass die Bezeichnung eines Berufs als Frauen- bzw. Männerberuf nicht auf bestimmten Tätigkeitsinhalten basiert, für die Frauen und Männer besonders geeignet wären, wie alltagsweltlich vor dem Hintergrund naturalisierter Differenzannahmen oft vermutet wird, sondern zunächst einmal auf eine statistische Verteilung zurückzuführen ist. Technikberufe gelten als Männerberufe, weil in ihnen die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten männlich ist. Des Weiteren weist das Ungleichgewicht der Verteilung auf ein stark begrenztes Berufswahlspektrum von Frauen hin, mit negativen Konsequenzen hinsichtlich ihrer Einkommens- und Karrierechancen (vgl. Hausmann und Kleinert 2014, S.2; Schwiter et al. 2011, S. 21; Teubner 2010, S. 501; Thege und Schmeck 2015, S. 597). Denn klassische Frauenberufe gelten vermehrt als wenig qualifiziert und sind oftmals mit einem niedrigeren Gehaltsniveau, kürzeren Laufbahnen und einer geringeren sozialen Absicherung verbunden. Im Vergleich dazu sind Männerberufe i.d.R. besser bezahlt, weisen gute Karrierechancen auf und genießen eine höhere gesellschaftliche Wertschätzung. Gleiches gilt auch für die männerdominierte Technikbranche (vgl. Heintz et al. 1997, S. 23; Ruggieri und Wanzek 2011, S. 38; Teubner 2010, S. 502; Winker 2007, S. 20). Hier zeichnet sich ab, dass die geschlechtliche Segregation des Arbeitsmarktes für Frauen und Männer mit unterschiedlichen Folgen verbunden ist, die soziale Ungleichheitsverhältnisse bedingen. Die asymmetrische Geschlechterverteilung im Berufssystem findet ihre Entsprechung im beobachtbaren Berufswahlverhalten junger Frauen und Männer, sowohl mit Blick auf Studienfächer als auch auf Ausbildungsberufe, wie aus Angaben der Bundesagentur für Arbeit (2017) hervorgeht. Während Betriebswirtschaftslehre bei Frauen und Männern gleichermaßen hoch im Kurs steht, konzentrieren sich Männer ansonsten vor allem auf die Bereiche Maschinenbau, Informatik, Elektrotechnik und Wirtschaftswissenschaften, Frauen dagegen auf Rechtswissenschaften, Germanistik, Medizin und Pädagogik.1 Auch in der dualen und schulischen Ausbil1

Im Studienjahr 2016 betrug der Anteil der Studienanfängerinnen im ersten Fachsemester in der Fächergruppe der Ingenieurwissenschaften 25%, was sich mit Blick auf die einzelnen Studienbereiche weiter differenzieren lässt: Maschinenbau/Verfahrenstechnik 21,5%, Elektrotechnik und Informationstechnik 16,2%, Informatik 25,1%, Bauingenieurswesen 30,2%. In der Fächergruppe Mathematik und Naturwissenschaften belief sich der Anteil der Studienanfängerinnen auf 48,9%. Auch hier lässt sich nach Studienbereichen weiter unterscheiden: Mathematik 48,3%, Physik/Astronomie 33,7%, Chemie 46,2% (vgl. Kom-

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dung lassen sich vergleichbare Tendenzen aufzeigen.2 So wählen junge Männer vornehmlich Ausbildungsberufe im technischen und handwerklichen Bereich, junge Frauen dagegen verstärkt medizinische Assistenzberufe sowie Dienstleistungsberufe (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2017, o.S.; Thege und Schmeck 2015, S. 590ff.). Die Wahl von Ausbildungsberufen und Studienfächern spiegelt demnach traditionelle Geschlechterstereotype wieder, in denen Technik entschieden männlich konnotiert ist (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2017, o.S.). Auf vertikaler Ebene lässt sich festhalten, dass Führungspositionen berufs- und branchenübergreifend eine Männerdomäne darstellen. Das gilt auch für weiblich segregierte Bereiche des Arbeitsmarktes. Frauen sind über nahezu alle Branchen hinweg auf der Führungsebene unterrepräsentiert, wobei ihr Anteil mit zunehmender Hierarchieebene schwindet (vgl. Kohaut und Möller 2016, S. 3; Teubner 2010, S. 502).3 Der vergleichsweise geringe Anteil von Frauen an Führungspositionen wird im Allgemeinen auf traditionell an Männern ausgerichtete und mitunter stark von geschlechterstereotypen Erwartungshaltungen geprägte Organisations- und Entscheidungsstrukturen in Besetzungsverfahren von Führungspositionen zurückgeführt. Hinsichtlich der dabei wirkenden unsichtbaren Schranken, die den Aufstieg hochqualifizierter Frauen in die oberen Managementebenen verhindern, hat sich der

petenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V. 2018, o.S.). Deutlich häufiger als Ingenieurwissenschaften studieren Frauen demnach Mathematik und Naturwissenschaften (vgl. Statistisches Bundesamt 2017a, o.S.), wobei sie oftmals eine Lehrtätigkeit im allgemeinbildenden Schulsystem anstreben (vgl. Brück-Klingberg und Dietrich 2012, S. 45, 50). Damit kombinieren sie ein männlich codiertes Fach mit einem eher weiblich konnotierten Berufsbild. Darüber hinaus verspricht der Lehrer*innenberuf eine gute Vereinbarkeit mit Familienaufgaben, was für Frauen vor dem Hintergrund weiblicher Lebenszusammenhänge eine hohe Attraktivität besitzt (vgl. Schreyer 2008, S. 84f.). 2

Das Berufsbildungssystem ist ebenso wie der Arbeitsmarkt geschlechtlich segregiert und nimmt dadurch Einfluss auf geschlechtlich differenzierte Übergangsverläufe von jungen Frauen in das Berufssystem. Damit wirkt es sich zugleich verstärkend auf geschlechtsbezogene Stereotypisierungen von Berufsfeldern aus (vgl. Beicht und Walden 2014, o.S.; Busch 2013, S. 60; Nissen et al. 2003, S. 126; Pimminger 2012, S. 22f.; Schwiter et al. 2011, S. 22f.; Thege und Schmeck 2015, S. 595).

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2016 betrug der Frauenanteil in der Privatwirtschaft auf der ersten Führungsebene nur 26%, während sie auf der zweiten Führungsebene mit einem Anteil 40% deutlich stärker repräsentiert sind (vgl. Kohaut und Möller 2016, S. 1ff.). Im öffentlichen Sektor sind Frauen auf der ersten Führungsebene mit 34% vertreten, auf der zweiten Ebene sogar mit 44%. Doch zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass Frauen in Relation zu ihren höheren Beschäftigtenanteilen im öffentlichen Bereich auf Führungsebene letztlich schlechter repräsentiert sind, als in der Privatwirtschaft (ebd., S. 4).

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Begriff der ›gläsernen Decke‹ (glass ceiling)4 etabliert (vgl. Dressler und Wanger 2008, S. 487; Knoll und Ratzer 2010, S. 40ff.). Die negativen Konsequenzen, die sich aus der beruflichen Segregation für Frauen ergeben, treten vor allem in der Lohnlücke, dem sogenannten ›Gender Pay Gap‹ in Erscheinung. Im Jahr 2017 betrug der durchschnittliche Bruttoverdienst von Frauen 21% weniger als der von Männern. Diese Angabe bezieht sich auf den unbereinigten ›Gender Pay Gap‹, bei dem die allgemeinen Durchschnittsverdienste verglichen werden. Beinahe 75% dieses unbereinigten Lohnunterschieds lassen sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (2017b) auf strukturelle Faktoren zurückführen. Demnach arbeiten Frauen überwiegend in schlechter bezahlten Branchen und Berufen, sind häufiger in Teilzeit oder auch geringfügig beschäftigt und die Arbeitsplatzanforderungen der von ihnen überwiegend besetzten Positionen gehen seltener mit Führungsverantwortung einher. Der Aspekt unterschiedlicher Beschäftigungsverhältnisse von Frauen und Männern legt dabei die Annahme nahe, dass die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern zuvorderst den individuellen Berufswahlen und Karriereambitionen von Frauen geschuldet ist. Demnach obliege es Frauen, durch ihre individuellen Wahlentscheidungen Ungleichheitsverhältnisse im Berufssystem zu reproduzieren oder aber zu überwinden. Gesellschaftlich institutionalisierte Einflussfaktoren auf die Bewertung von geschlechtlich konnotierter (Berufs-)Arbeit, wie sie seitens der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung eindringlich herausgestellt werden, auf die an späterer Stelle noch näher eingegangen wird, werden dagegen außeracht gelassen (vgl. Klammer et al. 2018, S. 6). Des Weiteren sind auch Erklärungsansätze bezüglich unterschiedlicher Anforderungsprofile nicht objektiv, denn das Gefälle im Gehaltsniveau von Frauen- und Männerberufen ist eng gekoppelt mit einer ungleichen gesellschaftlichen Wertschätzung (vgl. Heintz et al. 1997, S. 23; Ruggieri und Wanzek 2011, S. 38; Winker 2007, S. 20). So weist eine Verdienststrukturerhebung der Hans-Böckler-Stiftung eine eindeutig geschlechterdifferente Bewertung und Entlohnung beruflicher Anforderungen und Belastungen von (gleichwertiger) Arbeit zuungunsten von Frauen nach (vgl. Klammer et al. 2018, S. 47ff.). Das verbleibende Viertel des Lohnunterschieds, der sogenannte bereinigte ›Gender Pay Gap‹, besteht dagegen losgelöst von strukturellen Faktoren und deutet auf geschlechtsbezogene Diskriminierungstendenzen hin. Es lässt sich zusammenfassen, dass die geschlechtliche Arbeitsmarktsegregation eng mit geschlechtsbezogenen Ungleichheitsstrukturen verbunden ist, die sich für die soziale Gruppe der Frauen negativ auswirken, während die soziale Gruppe der 4

In Bezug auf gegenläufige Beobachtungen, dass nämlich Männer unabhängig von der beruflichen Sparte, in der sie tätig sind, anscheinend ohne größeres Zutun auf Führungspositionen befördert werden, hat sich der Begriff des ›gläsernen Fahrstuhls‹ (glass escalator) etabliert (vgl. Williams 1992; auch Wetterer 2009, S. 50).

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Männer i.d.R. von ihnen profitiert. Sie dominieren in statushohen und gut dotierten Berufen und beruflichen Positionen, insbesondere auch im technischen Bereich.

2.2 INNERBERUFLICHE GESCHLECHTERSEGREGATION IM BERUFSFELD TECHNIK Zwar ist die Anzahl von Absolventinnen technischer Studienfächer in den vergangenen Jahren – wenn auch verhalten – stetig gestiegen, doch ist bisher kaum ein signifikanter Rückgang der Segregation im Berufssystem zu verzeichnen. Ein wichtiger Einflussfaktor wird hier in einem Phänomen gesehen, dass in der wissenschaftlichen Diskussion auch mit dem Terminus ›Drehtüreffekt‹ bezeichnet wird und sich auf das Verweilen weiblicher Fachkräfte in Männerdomänen nach einem erfolgreichen Berufseinstieg bezieht. Gemeint ist, dass auch wenn auf der einen Seite sich immer mehr Frauen für einen Männerberuf entscheiden, auf der anderen Seite fast ebenso viele die Branche wieder verlassen. So weisen unterschiedliche Studien auf die hohe Ausstiegsrate qualifizierter Frauen aus dem Berufsfeld Technik hin (vgl. Erlemann 2002, S. 9f.; Heintz et al. 1997, S. 33f.; Ihsen 2009, S. 5; Mucha 2014, S. 65; Schreyer 2008, S. 200). Deutlich wird damit, dass die Wahl eines Männerberufs im Allgemeinen keine Gewähr für eine erfolgreiche Berufslaufbahn von Frauen darstellt, sondern sich auch innerberuflich die weibliche Geschlechtszugehörigkeit als ein Nachteil zu erweisen scheint. Der sogenannte ›Drehtüreffekt‹ wird daher seitens der Geschlechterforschung seit längerem im Zusammenhang mit einer »Segregationspraxis in Männerberufen« (Teubner 2010, S. 502) in Form sozialer Schließungs-, Abgrenzungs- und Abdrängungsmechanismen gegenüber Frauen diskutiert (vgl. Erlemann 2002, S. 391ff.; Heintz et al. 1997, S. 52; Ihsen 2010, S. 86f.; Janshen und Rudolph 1987, S. 229ff; Schreyer 2008, S. 201). Es zeigt sich, dass Ingenieurinnen nach dem Berufseinstieg tendenziell seltener in ingenieurtechnischen Kernberufen beschäftigt sind als Ingenieure5 und sich stattdessen eher in Tätigkeiten wiederfinden, die nicht unbedingt ihrer beruflichen Qualifikation entsprechen. Die tendenziell ungleiche innerberufliche Situierung und Positionierung von Ingenieurinnen und Ingenieuren wird dabei im Zusammengang mit 5

Auch für den Bereich nicht-akademischer MINT-Berufe lassen Daten des Deutschen Gewerkschaftsbundes aus dem Jahr 2014 auf eine innerberufliche (Re-)Segregation schließen. Danach sind Frauen in den gesundheitstechnischen sowie mathematisch-naturwissenschaftlicher MINT-Berufen vergleichsweise stark vertreten, während ihr Anteil in technischen MINT-Berufen, wie Informatik, Produktionstechnik oder Gebäudetechnik, auf einem signifikant niedrigen Niveau nahezu stagniert (vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund 2015, S. 4f).

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einer traditionell männlich habitualisierten Arbeitskultur gesehen, verbunden mit einer geringen Akzeptanz und Mechanismen der sozialen Schließung gegenüber Frauen (vgl. Erlemann 2002, S. 9f.; Schreyer 2008, S. 201; Ihsen 2010, S. 86f.; Janshen und Rudolph 1987; S. 229ff.). So erweisen sich normative Anforderungen an die zeitliche Arbeitsorganisation sowie das Arbeitsregime als bedeutsam, die eine hohe Verfügbarkeit und Präsenz am Arbeitsplatz kultivieren und Teilzeit kaum vorsehen bzw. durch die sich Teilzeitarbeit dequalifizierend und karrierehemmend auswirkt. Denn in Anbetracht der nach wie vor unausgewogenen Verteilung reproduktiver Zuständigkeit hinsichtlich privater Familienarbeit resultieren hieraus vornehmlich negative Konsequenzen für die Berufsverläufe von Ingenieurinnen (vgl. Ihsen 2009, S. 5; Mucha 2014, S. 67f.; Schreyer 2008, S. 201; Teubner 2010, S. 502). Auch die vergleichsweise höhere Arbeitslosenquote von Frauen in vielen akademischen MINT-Berufen wird auf die Vereinbarkeitsproblematik zurückgeführt (vgl. Erlemann 2002, S. 29f.; Deutscher Gewerkschaftsbund 2013, S. 5; Schreyer 2008, S. 199ff.). Auf vertikaler Ebene zeigt eine Studie von Barbara Schwarze, Andreas Frey und Heiko Tapken (2016) mit Blick auf technische Sparten wie Maschinenbau, Elektrotechnik sowie Informations- und Kommunikationstechnologie, als ausgewählte Branchen der Industrie 4.0,6 dass Frauen im Top- und Mittelmanagement einen Anteil von zusammen 18,4% ausmachen.7 Beträgt ihr Anteil allein im Mittelmanagement noch 26,1%, so schrumpft er auf der Ebene des Topmanagements auf 7,2% 8 (vgl. Schwarze et al. 2016, S. 10ff.). Vor dem Hintergrund der Widrigkeiten, denen sich Frauen in ingenieurtechnischen Kernberufen ausgesetzt sehen, erscheint die Rhetorik zweifelhaft, mit der junge Frauen für technische Berufe und Studiengänge umworben werden, 6

Der Begriff ›Industrie 4.0‹ ist ein Schlagwort, mit dem eine vierte industrielle Revolution prognostiziert wird, die vor dem Hintergrund zukünftiger Anforderungen an Produktionsprozesse neue Personalführungsstrategien erforderlich macht (vgl. ausführlich dazu Schwarze et al. 2016, S. 4f.).

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Der Frauenanteil im Top- und Mittelmanagement dieser Branchen liegt damit unter dem Bundesdurchschnitt von 24,8% (vgl. Schwarze et al. 2016, S. 11). Die Autor*innen der Studie weisen darauf hin, dass die geringe Frauenquote nur ungenügend mit niedrigen Absolventinnenzahlen begründet werden kann. Denn es lässt sich nachweisen, dass i.d.R. ein Großteil der Managementpositionen mit Absolvent*innen anderer Fachgebiete besetzt werden, wie bspw. der Naturwissenschaften oder auch der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, in denen qualifizierte Frauen in genügender Zahl vertreten sind. Diese Diskrepanz lässt eher auf geringe Ambition der betroffenen Unternehmen schließen, Managementpositionen mit Frauen zu besetzten (vgl. ebd., S. 11f.).

8

Bundesweit beträgt der Frauenanteil im Topmanagement der Studie zufolge 11,7% (vgl. Schwarze et al. 2016, S. 12).

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indem ihnen hervorragende berufliche Zukunftsaussichten und Karrieremöglichkeiten in Aussicht gestellt werden. Aufgrund eines traditionell männ lich geprägten Fachhabitus scheinen Frauen in technischen Berufen auf eine verminderte Akzeptanz und erhöhten Anpassungsdruck zu stoßen (vgl. Erlemann 2002, S. 391ff.; Ihsen 2010, S. 86ff.; Mucha 2014, S. 36ff.; Solga und Pfahl 2009, S. 172ff.; Wolffram 2003, S. 86ff.). Im akademischen Feld sind sie tendenziell häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als ihre männlichen Kollegen und als Frauen in anderen Fachgebieten. Hinsichtlich einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf erweisen sich traditionell männlich geprägte Arbeitskulturen für Frauen als nachteilig (vgl. Erlemann 2002, S. 29f.; Deutscher Gewerkschaftsbund 2013, S. 5; Schreyer 2008, S. 200ff.; Solga und Pfahl 2009, S. 175ff.; Mucha 2014, S. 137f.). Und letztlich sind selbst die Chancen hoch qualifizierter Frauen, die ›gläserne Decke‹ zu durchbrechen und obere Führungs- und Managementebenen zu erreichen, in technikwissenschaftlichen Kernberufen keineswegs besser als in anderen Berufssparten (vgl. Schwarze et al. 2016, S. 10ff.; Schreyer 2008, S. 202). In Anbetracht dieser Widersprüchlichkeiten sind Maßnahmen, die allein darauf drängen, das Berufswahlverhalten junger Frauen zugunsten (akademischer) Technikberufe zu beeinflussen, ohne dabei strukturelle Bedingungen wie Arbeitszeitregelungen und Berufskulturen seitens der Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit einzubeziehen, kritisch zu hinterfragen.

2.3 GESCHLECHT ALS STRUKTURBILDENDE UND STATUSATTRIBUIERENDE KATEGORIE IM KONTEXT VON BERUFSARBEIT In Auseinandersetzung mit differenztheoretischen Ansätzen insbesondere in den 1980er und 1990er-Jahren hat sich die Frauen- und Geschlechterforschung auf der Makroebene gesellschaftlicher Strukturen mit den Hintergründen bestehender sozialer Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in der Familie, auf dem Arbeitsmarkt und im Berufssystem befasst und dabei Prozesse der geschlechterdifferenzierten Zuweisung unterschiedlicher Wirkungs- und Tätigkeitsbereiche innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung untersucht (vgl. exempl. Aulenbacher 1994; Becker-Schmidt 1987; Fraser 1994; Gottschall 1995; Hausen und Krell 1993; Knapp 1992). Zentrales Anliegen dieser gesellschaftskritischen Analysen ist es, in Auseinandersetzung mit differenzorientierten Ansätzen zu ergründen, wie Frauen und Männer als soziale Gruppen in eine hierarchische Beziehung zueinander gesetzt werden und wie das Geschlechterverhältnis gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsstrukturen stabilisiert (vgl. Becker-Schmidt und Krüger 2009, S. 62; Degele

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2008. 65f.; Winker und Degele 2009, S. 19). Geschlecht wird dabei als Strukturkategorie herausgestellt, auf deren Grundlage eine ungleiche Positionierung von Frauen und Männern innerhalb der Gesellschaft erfolgt. Somit geht es zunächst weniger darum aufzuzeigen, wie Geschlecht als strukturierendes Prinzip gesellschaftlicher Ordnung durch die »Etablierung arbeitsteiliger Geschlechterzuständigkeiten« (Wetterer 2009, S. 50) hervorgebracht wird, sondern um eine kritische Analyse des Funktionszusammenhangs zwischen Gesellschaftsstrukturen und geschlechtsbezogener Ungleichheitsverhältnisse. Die Aufspaltung des Arbeitsmarktes in Frauen- und Männerberufe – die für die vorliegende Studie mit Blick auf die beständige Unterrepräsentanz von Frauen in technischen Berufen von hauptsächlichem Interesse ist – sowie die unausgewogene Geschlechterverteilung in Führungspositionen wird seitens der Geschlechterforschung auf Mechanismen der Separierung und Hierarchisierung zurückgeführt und im Zusammenhang mit patriarchalischen sowie kapitalistischen Kräfteverhältnissen untersucht. So werden die Widrigkeiten, denen sich Frauen gegenwärtig auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt sehen, als Nachwirkungen des historischen Umbruchs von der feudal-ständischen zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft im Zuge der industriellen Revolution betrachtet. In diesem Transformationsprozess werden die Ursprünge dessen gesehen, was heute allgemein als Vereinbarkeitsproblematik von Familie und Beruf bezeichnet wird und als ausschlaggebender Faktor hinsichtlich der andauernden Benachteiligungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt gilt (vgl. Becker-Schmidt 2003, S. 113f.). Ausgangspunkt der Analysen bildet die historisch bedingte Trennung von Produktion und Reproduktion, die im Zuge der industriellkapitalistischen Gesellschaftsentwicklung entscheidend dazu beigetragen hat, die hierarchische Geschlechterordnung festzuschreiben (vgl. Degele 2008, S. 63; Hausen und Krell 1993, S. 11f.). Mit der Entstehung großer Fabriken, der öffentlichen Verwaltung sowie Dienstleistungsbetrieben kam es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer zunehmenden Trennung zwischen öffentlichen Arbeitsstätten und privaten Lebensbereichen. Lohnarbeit wurde damit für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung zum Mittel der Existenzsicherung, wobei der Zugang für Frauen durch gesetzliche Regelungen beschränkt wurde, die sie zugleich der Vormundschaft ihrer Ehemänner unterstellten. In ihrer gesellschaftlich fixierten Rolle als Mutter und Ehefrau wurde ihnen stattdessen die Zuständigkeit für die private Reproduktionsarbeit zugewiesen, die der Regeneration der (männlichen) Arbeitskraft, der psychosozialen Versorgung und Pflege von Familienangehörigen sowie der sozialisatorischen Erziehung von Kindern (als zukünftige Arbeitskräfte) diente (vgl. Aulenbacher 2010, S. 34ff.; Becker-Schmidt 2003, S. 113f.; Becker-Schmidt und Krüger 2009, S. 21ff). Im Gegensatz dazu wurde die Rolle des Mannes auf die des Familienernährers festgelegt und dadurch eng mit einer kontinuierlichen und existenzsichernden Erwerbstätigkeit verkoppelt, wie es auch heute noch dem gesellschaftlichen Männ-

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lichkeitsideal entspricht (vgl. Scholz 2009, S. 83). Zugleich sind hier die Ursprünge des sogenannten ›Normalarbeitsverhältnisses‹ zu sehen, das sich nach wie vor verstärkt an männlichen Erwerbsverläufen ausrichtet und seitens der Geschlechterforschung als ein »Konstituens asymmetrischer Geschlechterverhältnisse« (Teuber 2010, S. 502) bezeichnet wird. Die Normierung der arbeitsteiligen Zuständigkeiten wurde durch die Zuschreibung polarisierender »Geschlechtercharaktere«9 (Hausen 1976) im Sinne »[a]nthropologisch fixierter ›Wesensmerkmale‹ von ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹« (Becker-Schmidt 2003, S. 114) legitimiert und strukturell durch das patriarchale Familien- und Eigentumsrecht untermauert. Indes wirkten sich die geschlechterpolarisierenden Zuschreibungen, die Karin Hausen (1976) zufolge dazu dienten, das Patriarchat ideologisch abzusichern (vgl. ebd., S. 370ff.), für Frauen nicht ausschließlich begrenzend, sondern in gewisser Hinsicht auch ermöglichend aus. Um 1900 suchten zentrale Protagonistinnen der Frauenbewegung mit dem Konzept ›geistige Mütterlichkeit‹ das Konstrukt einer im häuslich-familiären Bereich angeeigneten spezifischen Befähigung von Frauen für die neu entstehenden beruflichen Felder der sozialen Fürsorge produktiv zu übersetzen. Programmatische Zielsetzung war es, Frauen den Zugang zur öffentlichen Sphäre der Berufsarbeit zu eröffnen und somit einen alternativen weiblichen Lebensentwurf zur familienzentrierten Rolle gesellschaftlich zu legitimieren.10 Dass dieser im zeitgenössischen Geschlechterdiskurs an das konventionelle weibliche Rollenverständnis idealisierter Mütterlichkeit gebunden blieb, ist zum einen vor dem Hintergrund hegemonialer Machtverhältnisse der patriarchalen Gesellschaft zu betrachten. Zum anderen ging es aber auch darum, sich von dem als destruktiv empfundenen Profil männlicher Geschlechtercharaktere abzugrenzen. So wurde Frauen aufgrund vermeintlich weiblicher Eigenschaften die spezifische Befähigung zugeschrieben, ausgleichend auf die sozialen Missstände in Folge der industriellkapitalistischen Gesellschaftsentwicklung und des damit verbundenen technischen

9

Annahmen einer wesenhaften und natürlich begründeten Geschlechterdifferenz gehen auf das späte 18. Jahrhundert zurück und verbanden Vorstellungen von der Biologie des Körpers und seiner natürlichen Bestimmung. Wie Hausen (176) deutlich macht, konstituierte sich in dieser Zeit die Differenz dualistischer Gegensatzpaare, die Männern eine Bestimmung für die außerhäusliche und Frauen für die häusliche Sphäre attestierten. Männern wurden u.a. Aktivität, Kraft, Rationalität, Vernunft und Abstraktion zugeschrieben, Frauen dagegen Passivität, Schwäche, Emotionalität, Hingabe und Anmut, wobei die männlich konnotierten Spezifika höher bewertet wurden als die weiblichen (vgl. ebd., S. 368f.; auch Degele 2008, S. 60f.; Schreyer 2008, S. 44).

10 Mit Blick auf die Gegenwart lässt sich das Konzept ›geistige Mütterlichkeit‹ als historischer Anstoß zur Feminisierung öffentlicher (Für-)Sorgeberufe und der Sozialen Arbeit begreifen (vgl. Ehrenspeck 2009, S. 39f.).

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Fortschritts unter der patriarchalen Vormachtstellung von Männern einzuwirken (vgl. Ehrenspeck 2009, S. 39f.). Vor dem Hintergrund der historischen Zusammenhänge wird deutlich, dass die soziale Gruppe der Frauen einer vergemeinschaftenden Normierung unterworfen worden ist, mit der sich ihre primäre Zuständigkeit für die unbezahlte Reproduktionsarbeit innerhalb der Familie verfestigte, während sie auf dem Arbeitsmarkt zu »Arbeitskräfte[n] zweiter Klasse« (Becker-Schmidt 2003, S. 115) wurden. Dass Frauen weitgehend selbstverständlich ihre Arbeitskraft in doppelter Hinsicht der Gesellschaft zur Verfügung stellen, bezeichnet Regina Becker-Schmidt (2010, zuerst 1987) als eine Folge ihrer »doppelte[n] Vergesellschaftung«, durch die Frauen sowohl in Erwerbstätigkeit als auch in private Haus- und Familienarbeit eingebunden werden.11 Die Zuschreibung der primären Zuständigkeit für den reproduktiven Bereich hat für sie negative Konsequenzen, denn aus der Verortung reproduktiver Tätigkeiten außerhalb der marktwirtschaftlichen Wertschöpfungskette resultiert eine hierarchisierende Wertigkeit der beiden reziprok aufeinander bezogenen und sich wechselseitig stützenden Sphären: »Da die familiäre Reproduktionsarbeit nicht warenförmig stattfindet, ist sie in einer kapitalistischen Gesellschaft, deren Entwicklung auf der Warenförmigkeit beruht, nichts wert, zählt nichts und wird nur unzureichend wahrgenommen. Wer sie verrichtet, genießt wenig gesellschaftliche Anerkennung.« (Winker 2007, S. 20)

Es lässt sich somit feststellen, dass Frauen unabhängig davon, ob sie lohnabhängig arbeiteten, durch ihre traditionelle Zuständigkeit für die reproduktive Haus- und Familienarbeit eine Abwertung erfahren, die sich im Erwerbssystem fortschreibt (vgl. ebd.). ›Frauenarbeit‹ – ungeachtet dessen, ob erwerbsmäßig oder privat – erfährt eine geringere gesellschaftliche Wertschätzung als ›Männerarbeit‹ und diese hierarchische Verhältnissetzung spiegelt sich auch im innerberuflichen Statusgefälle zwi11 Auch das ›Normalarbeitsverhältnis‹, das sich – wie bereits erwähnt – traditionell durch eine ununterbrochene Vollzeiterwerbstätigkeit auszeichnet und sich damit am Modell des männlichen Familienernährers ausrichtet, erweist sich in diesem Zusammenhang als von entscheidender Bedeutung. Denn angesichts ihrer ›doppelten Vergesellschaftung‹ wird Frauen im Vergleich zu Männern eine begrenzte Verfügbarkeit und verminderte Produktivität seitens des Arbeitsmarktes unterstellt, was sich negativ auf ihre Erwerbs- und Karriereaussichten auswirkt. Indes spiegeln sich die angenommenen unterschiedlichen Zeitressourcen von Frauen und Männern in den verschiedenartig definierten Anforderungsprofilen von Frauen- und Männerberufen wider, die in der Folge als besser vereinbar mit weiblichen bzw. männlichen Lebensentwürfen erscheinen und geschlechtskonforme Berufswahlentscheidungen befördern (vgl. Nissen et al. 2003, S. 122f.; Teubner 2010, S. 502).

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schen sogenannten Frauen- und Männerberufen wieder. So wird aus der Perspektive der Geschlechterforschung die Tatsache, dass Frauenberufe überwiegend durch einen niedrigen Status sowie geringe Einkommens- und Karrierechancen gekennzeichnet sind, auf eine geringschätzende »Bewertung und Positionierung der mehrheitlich von Frauen ausgeübten Tätigkeiten in der beruflichen und/oder betrieblichen Hierarchie« (Gildemeister und Wetterer 1992, S. 219) zurückgeführt. Frauenberufe erfahren folglich in zweifacher Weise eine Abwertung: Einerseits aufgrund einer kapitalistischen Anerkennungslogik als nicht (unmittelbar) beteiligt an der Produktion marktrelevanter Tauschgüter und Dienstleistungen, andererseits aus einer patriarchalen Logik heraus als feminisierte Tätigkeitsbereiche, die grundsätzlich einen niedrigeren Status aufweisen als vergleichbare Männerberufe (vgl. Becker-Schmidt 2014, S. 98f.; Winker 2013, S. 119ff.; 2007, S. 17ff.). Während das Attribut ›weiblich‹ im Erwerbs- und Berufssystem demnach eher negativ besetzt ist, erweist sich das Attribut ›männlich‹ als profitabel. Vor diesem Hintergrund wird die Wirkmächtigkeit von Geschlecht als Status- und Strukturkategorie deutlich, die Frauen(arbeit) und Männer(arbeit) in einem hierarchischen Verhältnis zueinander positioniert. So weisen wesentliche Gesellschaftsstrukturen eine geschlechtliche Prägung auf, sowohl im Hinblick auf institutionell verankerte und ideologisch abgesicherte Regulative der Organisation gesamtgesellschaftlich erforderlicher Arbeit als auch mit Blick auf überdauernde und veränderungsresistente Anerkennungsund Entscheidungslogiken auf der Grundlage geschlechtsbezogener Normierung (vgl. Degele 2008, S. 66).

2.4 HISTORISCHE ENTWICKLUNG AKADEMISCHER TECHNIKBERUFE IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM Der historische Umbruch hin zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, mit der sich die hierarchische Geschlechterordnung als gesellschaftliches Strukturierungsprinzip verallgemeinernd festschrieb, ist auch mit Blick auf die historische Entwicklung des modernen Ingenieurberufs als Männerdomäne von Interesse. Die im Zuge des 19. Jahrhunderts gegründeten staatlichen technischen Bildungseinrichtungen blieben lange Zeit Männern vorbehalten. Zum einen forderten viele dieser Einrichtungen als Zugangsvoraussetzung eine Dienstzeit beim Militär, zum anderen waren Frauen grundsätzlich aus dem höheren Bildungswesen ausgeschlossen (vgl. Knoll und Ratzer 2010, S. 77). Im Laufe der Industrialisierung entstand das Verständnis vom zivilen Ingenieurberuf im modernen Sinne mit den klassischen Bereichen Maschinenbau, Bergbau und Bauingenieurwesen. In der Industrie standen vor allem die Konstruktion von (Produktions-)Maschinen und die Entwicklung neuer Verfahrenstechniken im Vordergrund. Mit der zunehmenden Rationalisierung von

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Arbeitsprozessen und dem steten Bedarf an Innovation gewann der Berufsstand der Ingenieure aufgrund seiner Expertise zunehmend an Bedeutung (vgl. ebd., S. 71ff.; Paulitz 2012, S. 33ff.; Schreyer 2008, S. 47). Zugleich setzte ein dynamischer Prozess der Professionalisierung des Ingenieurwesens ein, in dem die technischen Hochschulen nach dem hohen Sozialprestige der Universitäten strebten. Denn da der Abschluss an einer technischen Hochschule einem Universitätsabschluss nicht gleichgestellt war, blieb den Absolventen der Zugang zu höheren Laufbahnen in Administration und Politik und damit letztlich zu machtvollen und einflussreichen Positionen der Gesellschaft versperrt. Wie Tanja Paulitz (2012) in ihrer Analyse der Professionalisierungsdebatten des Ingenieurwesens um 1900 herausstellt, folgte der Prozess der Verwissenschaftlichung demnach nicht allein sachlichen und fachbezogenen Dynamiken, sondern wurde insbesondere auch durch materielle Verteilungskämpfe vorangetrieben, mit denen sich die »neue Ingenieurselite« (ebd., S. 40) einerseits nach ›unten‹ gegenüber dem traditionellen technischen Handwerk abzugrenzen als auch zugleich nach ›oben‹ an das Bildungsbürgertum anzunähern suchte, und somit eine hierarchisierende Neustrukturierung auf der Grundlage einer beruflichen Binnendifferenzierung bewirkte (vgl. ebd., S. 38ff.). In der Frage der bildungspolitischen Gleichstellung von technischen Hochschulen und Universitäten ging es demnach um exklusives ›symbolisches Kapital‹, was in Anlehnung an Bourdieus Konzept der Distinktion (vgl. Bourdieu 1984) die kritische Haltung des etablierten Bildungsbürgertums gegenüber der gesellschaftlichen Randgruppe der Ingenieure, deren Einfluss zunahm, zu erklären vermag. Das Bemühen um Professionalisierung und Verwissenschaftlichung kann so als Kampf um gesellschaftliche Anerkennung in Konkurrenz zu etablierten Disziplinen des Bürgertums interpretiert werden (vgl. Knoll und Ratzer 2010, S. 149; Paulitz 2012). In diesem Akademisierungsprozess des Ingenieurwesens wirkte folglich die Strukturkategorie Geschlecht zuvorderst nicht gemäß einer binären Logik in der Abgrenzung zwischen Frauen und Männern. Wie Paulitz (2012) analytisch herausarbeitet, blieben Frauen aus den Diskursen nahezu vollkommen ausgeblendet. Unberührt von den parallel stattfindenden politischen Kämpfen von Frauen um den Zugang zum Universitätsstudium12 erscheint »[die] Position der Frau außerhalb der Technik […] unhinterfragt und zugleich ein geradezu marginales Thema« (ebd., S. 161). Stattdessen standen soziale und ethnische Differenzierungen innerhalb der

12 Erst zwischen 1900 und 1909 wurde Frauen ein generelles Immatrikulationsrecht zugestanden, wobei sich die technischen Hochschulen nur sehr zögerlich öffneten (vgl. Costas 1992, S. 64; Duden und Ebert 1979, S. 403ff.; Hausen 1986, S. 31ff.; Knoll und Ratzer 2010, S. 78ff.).

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Gruppe technisch-berufstätiger Männer im Vordergrund.13 Dass Frauen in den Professionalisierungsbestrebungen der Ingenieure erst gar nicht mitgedacht wurden, zeugt Paulitz zufolge vor dem Hintergrund der in den Traditionen des Ingenieurwesens verankerten homosozialen Strukturen als unhinterfragte Selbstverständlichkeit von einem habitualisierten Androzentrismus, der als Ausdruck der normativen Geschlechterordnung der bürgerlichen Gesellschaft verstanden werden kann. Daraus lässt sich schließen, dass die beruflichen Geschlechtergrenzen zur damaligen Zeit unangefochten waren und Frauen somit schlicht keine (reale und auch nur denkbare) Konkurrenz für die im technikwissenschaftlichen Feld agierenden Akteure darstellten, gegen die sie sich diskursiv abzugrenzen hätten, um ihre Geltungsansprüche zu legitimieren (vgl. ebd., S. 161f.). Wird der »Explizierungsgrad von Geschlecht als Indikator« (ebd., S. 162) für die Beschaffenheit beruflicher Geschlechtergrenzen genommen, so ließen gegenwartsbezogene Stereotype und Vorurteile gegenüber Frauen und Technik den (Umkehr-)Schluss zu, dass die Geschlechtergrenzen im technischen Berufsfeld brüchig geworden sind und in der Folge subtile Widerstandsmechanismen entlang der strukturbildenden und hierarchisierenden Kategorie Geschlecht zugenommen haben, die in Anbetracht des hohen Sozialprestiges technikwissenschaftlicher Berufe vor dem Hintergrund des nahezu ungebrochen vorherrschenden Fortschrittsglaubens dazu dienen, den überwiegend männlich Beschäftigten Distinktionsgewinne zusichern (vgl. ebd., auch S. 68f.; Heintz und Nadai 1998, S. 81).14 Des Weiteren zeigt sich, dass der Grad der Öffnung beziehungsweise Schließung des Bildungs- und Erwerbssystems für Frauen seit jeher konjunkturellen Schwankungen unterliegt und damit auch in Relation zum Verhältnis von Angebot und Nachfrage in Bezug auf (männliche) Arbeitskräfte zu betrachten ist (vgl. Costas 1992, S. 74f.; Knoll und Ratzer 2010, S. 80ff.).15 Hier zeigen sich gewisse Analogien zu den Motiven der aktuellen MINT-Initiative, denn die verstärkte Aufmerk13 Einerseits wurden durch die Betonung von Bildungsunterschieden Klassenunterschiede hervorgerufen, mit denen nicht-wissenschaftlich ausgebildeten Technikern ein niedrigerer Status zugewiesen wurde. Andererseits wurden die technischen Leistungen von Männern aus außereuropäischen Staaten als rückständig marginalisiert (vgl. Paulitz 2012, S. 131ff., 137ff., 164). 14 Wie insbesondere Wetterer (2002) in ihren Arbeiten deutlich macht, wird Geschlecht in beruflichen Professionalisierungsprozessen dann zu einem entscheidenden Differenzkriterium, wenn Frauen und Männer in einem Feld miteinander konkurrieren (vgl. ebd., S. 271ff.; 1992, S. 25ff.). 15 Aus einem historischen Blickwinkel zeigt sich, dass im Laufe der Geschichte je nach konjunkturellem Bedarf unterschiedliche Weiblichkeitsbilder kursierten, die Frauen den Zugang zum Bildungs- und Erwerbssystem erleichterten oder auch erschwerten (vgl. Knoll und Ratzer 2010, S. 80f.).

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samkeit, die Frauen als potenziellem Nachwuchs für das technische Berufsfeld zuteilwird, steht neben gleichstellungspolitischen Interessen insbesondere im Zusammenhang mit einem vielfach befürchteten Engpass an technisch-naturwissenschaftlich qualifizierten Fachkräften, woraus sich die Notwendigkeit strategischer Maßnahmen zur Sicherung des Bedarfs ergibt. Dabei drängt sich die Frage auf, wie es um die Bemühungen, Frauen die Zugangswege zu gut bezahlten und statushohen Technikberufen zu ebnen, bestellt wäre, wenn das Argument des Fachkräftemangels an Gewicht verlieren sollte.

3. Konstruktivistische Perspektiven auf geschlechtliche Identitäten und Berufsarbeit Wie im Vorangegangenen deutlich geworden ist, lässt sich die soziale Ungleichheit von Frauen und Männern im Berufssystem – insbesondere auch in den technischen und technikwissenschaftlichen Berufen – als ein Nachlass der historisch gewachsenen und gesellschaftlich etablierten Arbeitsteilung und der damit einhergehenden verstärkten Verdrängung von Frauen aus dem öffentlichen Leben verstehen (vgl. Knoll und Ratzer 2010, S. 81). Wurde damit die Bedeutsamkeit der Kategorie Geschlecht als strukturbildendes und hierarchiegenerierendes Prinzip gesellschaftlicher Verhältnisse deutlich gemacht, wird im Folgenden ein Verständnis von Geschlecht als soziale Konstruktion dargelegt, das in der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung inzwischen seit langem allgemein anerkannt ist. Während der Blick auf die strukturbildende Funktionalität von Geschlecht an dem binären Klassifikationssystem ansetzt und so soziale Ungleichheitsverhältnisse als Folge von Separierung und Hierarchisierung zu erfassen vermag, konzentrieren sich konstruktivistische Ansätze auf Prozesse, in denen Geschlecht als ungleichheitsgenerierende Kategorie sozialer Ordnung überhaupt erst hervorgebracht wird und eine identitätsbildende und bedeutungssetzende Relevanz entfaltet bzw. kontextual entfalten kann (vgl. Gildemeister 2010, S. 137; Winker und Degele 2009, S. 19). Ihnen geht es um Mechanismen der sozialen Konstruktion von Geschlecht und Geschlechterdifferenz – und damit auch von geschlechtlichen Identitäten – innerhalb des Systems normativer Zweigeschlechtlichkeit als einer kulturellen Setzung (vgl. Hagemann-White 1984, S. 78f.), in denen Geschlecht erzeugt und zugleich erwartet und vorausgesetzt wird. Besondere Beachtung findet dabei das Konzept des ›doing gender‹1 (West und Zimmermann 1987), das auf der Mikroebene alltagsweltlicher Handlungsroutinen Verfahren der interaktiven Hervorbringung geschlechtlicher Identitäten beleuchtet. Diese Verfahren sind gekennzeichnet von der Gleichzeitigkeit geschlechtlicher Attribuierung und Identifizierung und werden durch diskursive Wissenssys1

Wie Gildemeister (2010) herausstreicht, ist der Begriff ›doing gender‹ »zu einem Synonym für die in dieser Tradition entwickelte Perspektive einer ›sozialen Konstruktion von Geschlecht‹ geworden« (ebd., S. 137).

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teme sowie einer Vielzahl symbolischer Ressourcen und institutioneller Arrangements abgesichert, die die zweigeschlechtliche Ordnung als selbstverständlich erscheinen lassen und damit zur Naturalisierung von Geschlechterdifferenz beitragen (vgl. Gildemeister 2010, S. 138). In diesem Zusammenhang wird seitens der Geschlechterforschung die geschlechtsbezogene Arbeitsteilung im Berufssystem – die in dem geschlechterdifferentem Berufswahlverhalten ihren Anfang nimmt (und ihren Wiederanschluss findet) – als eine zentrale »geschlechterkonstituierende Dimension« (Wetterer 2009, S. 42) gesehen, über die sich Annahmen von der (vorgeblichen) Natur zweigeschlechtlicher Differenzmuster fortlaufend reproduzieren und aktualisieren. Damit wird die berufliche Arbeitsteilung als eines der zentralen »Realisierungsfelder der Zweigeschlechtlichkeit« (Wetterer 2002, S. 130) herausgestellt, die die Kategorie Geschlecht überhaupt erst relevant und wirklichkeitswirksam werden lassen (vgl. ebd.; Degele 2008, S. 82ff.; Winker und Degele 2009, S. 19f.). Ausgehend von einem präreflexiven Wissen um die Relevanzsetzung der binär codierten Kategorie Geschlecht, die als strukturbildendes und statusattribuierendes Prinzip gesellschaftlicher Ordnung den Subjekten als Frauen und Männer unterschiedliche soziale Positionen zuweist, fungiert die geschlechtliche Arbeitsteilung – im privaten wie im beruflichen – als eine folgenreiche Unterscheidungspraxis, die in der Konsequenz den Anschein erweckt, ein Ausweis natürlicher Geschlechterdifferenz zu sein und nicht deren eigentliche Ursache (vgl. Wetterer 2009, S. 47; 2002, S. 130). So trägt die berufliche Arbeitsteilung fortwährend dazu bei, die binär codierte Geschlechterdifferenz zu naturalisieren, indem sie gelebt, sichtbar gemacht und letztlich wirklichkeitswirksam wird. Bereits 1975 prägte die US-amerikanische Feministin Gayle Rubin mit der Beschreibung des ›sameness taboo‹ eine Sichtweise auf die Zusammenhänge von Arbeitsteilung und Geschlechterkonstruktion, die vorherrschenden Alltagsvorstellungen über die Ursprünglichkeit von Geschlechterdifferenz als Ausgangspunkt für die gesellschaftliche Organisation von Arbeit entgegensteht, indem sie die Kategorie Geschlecht als Ergebnis der geschlechtlichen Arbeitsteilung herausstellt (vgl. Wetterer 2009, S. 43). »The division of labour by sex can therefore be seen as a taboo: a taboo against the sameness of men and women, a taboo dividing the sexes into two mutual exclusive categories, a taboo which [...] creates gender.« (Rubin 1975, S. 178)

(Berufs-)Arbeit ist geprägt von Vergeschlechtlichungen, auf die Subjekte in ihren Orientierungen und Handlungen Bezug nehmen (müssen) und damit in ihrer geschlechtsbezogenen Bedeutsamkeit bestätigen (oder auch konterkarieren). Aus dieser Perspektive lassen sich (Berufs-)Arbeit und Geschlecht als wechselseitig konstitutiv begreifen (Wetterer 2002, S. 130f.). Konstruktivistische Ansätze der Ge-

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schlechterforschung zur Geschlechtertrennung im Berufssystem nehmen somit das Ineinandergreifen von Wissen und Handeln in den Blick, das hochselektive Wahrnehmungs- und Deutungsmuster hinsichtlich der Kriterien voraussetzet, die eine (Berufs-)Tätigkeit als ›weiblich‹ oder ›männlich‹ klassifizieren. Auf diese Weise ist es ihnen möglich, die Gleichzeitigkeit von Strukturbildung und Bedeutungsgenerierung als Ergebnis komplexer sozialer Prozesse zu erfassen (vgl. Wetterer 2009, S. 47). Vor dem Hintergrund der beständigen Arbeitsmarktsegregation und der darin eingeschriebenen Unterrepräsentanz von Frauen in technischen Berufsfeldern erweist sich ein solcher Zugang zur Frage nach der Bedeutsamkeit der Kategorie Geschlecht im Rahmen aktueller Entscheidungen junger Frauen für oder gegen einen technischen Beruf bzw. Studiengang als weiterführend, mit dem die Subjekte als Akteur*innen der Produktion und Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse und kollektiver Sinnwelten in den Fokus gestellt werden.

3.1 GESCHLECHT ALS SOZIAL KONSTRUIERTE IDENTITÄTSKATEGORIE »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es« (Beauvoir 1968, S. 265). In diesem vielzitierten Satz Simone de Beauvoirs kommt der Kerngedanke konstruktivistischer Ansätze zum Ausdruck, demzufolge die Geschlechtlichkeit eines Menschen keine natürlich-biologischen Eigenschaft darstellt, sondern als etwas ›Gewordenes‹ zu begreifen ist, dass sozialen Herstellungsprozessen innerhalb eines Systems normativer Zweigeschlechtlichkeit unterliegt (vgl. Riegraf 2010, S. 59). In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung vielfach aus ethnomethodologisch-sozialkonstruktivistischer Perspektive mit der kritischen Infragestellung der vermeintlich natürlichen Geschlechterbinarität auseinandergesetzt und dabei soziale Prozesse der Herstellung von Weiblichkeits- und Männlichkeitskonzepten empirisch erforscht (vgl. Degele 2008, S. 78). Ausgangspunkt ist ein Verständnis von Geschlecht nicht als Merkmal, sondern als soziale Konstruktion und identitätsrelevante Kategorie, die auf der Grundlage vermeintlich eindeutiger anatomischer Unterschiede binär codiert und dauerhaft zugewiesen wird. Dabei wird die interaktionistische Ebene sozialer Handlungen in den Vordergrund gestellt und Geschlecht wie Geschlechterdifferenz als kollektive Konstruktionsleistung betrachtet. Frühe Impulse für die ethnomethodologisch-sozialkonstruktivistische Forschungsrichtung waren die soziologischen Arbeiten von Erving Goffman und Harold Garfinkel (vgl. Faulstich-Wieland 2004, S 176; Hirschauer 1994, S. 665; Treibel 2006, S. 102f.). In den 1960er- und 1970er-Jahren erforschte der nordamerikanische Soziologe Goffman in Anlehnung an George Herbert Mead und Alfred Schütz die soziale

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Ordnung der Gesellschaft. Im Zentrum seiner Untersuchungen stehen die impliziten Regeln zwischenmenschlicher Interaktion, die als Bestandteil impliziten Alltagswissens insbesondere die Art der Selbstpräsentation von Individuen in sozialen Situationen rahmen (vgl. Goffman 1976; auch Treibel 2006, S. 104). Demnach zielen routinierte Selbstinszenierungen darauf, in einer bestimmten Art und Weise von anderen wahrgenommen zu werden. Dies gilt auch für die eigene Geschlechtszugehörigkeit, wobei Goffman (2001) weniger die Geschlechterkonstitution in den Blick nimmt als vielmehr das »Arrangement der Geschlechter« (ebd., S. 105ff.). Gemeint ist die Art und Weise, wie Frauen und Männer zueinander in Beziehung treten und dabei die eigene Geschlechtszugehörigkei2 zum Ausdruck bringen (vgl. Knoblauch 2001, S. 40; Treibel 2006, S. 105). Die Arrangements sind jedoch i.d.R. nicht frei wählbar, sondern erfolgen entlang vorgegebener kultureller Muster. Diese Verzahnung interaktionaler und institutioneller Ebenen erfasst Goffman (2001) mit dem Begriff »institutionelle Reflexivität« (ebd., S. 107), den er selbst wie folgt erläutert: »Damit [mit institutioneller Reflexivität, Anm. M.S.] meine ich, daß tief verankerte institutionelle Praktiken so auf soziale Situationen wirken, daß diese sich in Kulissen zur Darstellung von Genderismen beider Geschlechter (sexes) verwandeln. Viele dieser Aufführungen nehmen dabei eine rituelle Form an, welche die Glaubensvorstellungen über die unterschiedlichen ›Naturen‹ der beiden Geschlechter bekräftigt […].« (Goffman 2001, S. 150)

Geschlechterdifferenz wird nach Goffman somit nicht allein in Interaktionen hergestellt, vielmehr ist dieser Prozess bereits institutionell vorstrukturiert. So stellt er mit seinem Konzept der reflexiven Verschränkung von Alltagswissen und Alltagshandeln eine der »Schnittstellen zwischen Interaktionsordnung und Gesellschaftsstruktur« (Knoblauch 2001, S. 41) heraus (vgl. auch Wetterer 2005, S. 79). Als Bei2

Goffman (2001) selbst geht zwar von einer angeborenen Geschlechterdifferenz aus und beruft sich auf die biologische Reproduktionsfunktion anatomischer Körper (vgl. ebd., S. 106ff.). Zugleich ist er jedoch davon überzeugt, dass diese geringfügigen Unterschiede erst durch soziale Konstruktionen als gesellschaftliches Ordnungsmuster bedeutsam werden (vgl. ebd. S. 128). Derweil warnt er vor auch heute noch in Soziologie und Geschlechterforschung gängigen Kategorisierungen, wie »geschlechtsspezifisch« oder »geschlechtsabhängig«, dem Sprechen von »den Geschlechtern« oder »dem Gegengeschlecht«, da derartige Begrifflichkeiten dazu beitragen, kulturelle Stereotypen zu verfestigen, und »implizit die Existenz einer Personenkategorie an[deuten], die im Grunde durch biologische Aspekte definiert wird und auch so definierbar ist« (vgl. ebd., S. 112). Goffman sieht ein schwerwiegendes Problem darin, dass mit der Einigung auf die Klassifizierung von Menschen nach Geschlecht aus diesem Kriterium allzu leicht ein Etikett gemacht wird, dem in der Folge weitere charakterisierende und symbolisierende Eigenschaften angeheftet werden (vgl. ebd., S. 113; auch Wetterer 2009, S. 43).

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spiele, wie über institutionalisierte Praktiken Geschlechterdifferenz hergestellt und aufrechterhalten wird, wobei zugleich der Eindruck entsteht, sie selbst sei der Ursprung und nicht das Ergebnis, benennt Goffman innerfamiliäre Sozialisationsbedingungen, die Zuweisung unterschiedlicher Räume in der Öffentlichkeit (z.B. Toiletten), sprachliche Bezeichnungen und Anreden, mit denen sich Menschen geschlechtlich identifizieren (z.B. Namen), sowie die traditionelle Arbeitsteilung, die sich in der Segregation des Arbeitsmarktes fortsetzt (vgl. Goffman 2001, S. 120ff.). So wird über institutionalisierte Geschlechterarrangements Differenz erzeugt, die sich in einer strukturierenden Gesellschaftsordnung verfestigt (vgl. FaulstichWieland 2004, S. 183). Angelika Wetterer (2005) spricht in diesem Zusammenhang auch von einem für die Geschlechterunterscheidung konstitutiven »Verdeckungszusammenhang« (ebd., S. 77), der bewirkt, dass den Akteur*innen verborgen bleibt, wie sie selbst an der Produktion der Geschlechterunterscheidung mitwirken, die sie selbst als natürlichen Ausgangspunkt ihres Handelns begreifen (vgl. ebd., S. 79f.). »Die Geschlechterarrangements, deren institutionelle Reflexivität Goffman herausarbeitet, stellen institutionalisierte Reproduktionsformen der Geschlechterunterscheidung dar, die soziale Situationen so vorstrukturieren, dass diese sich in Kulissen für die interaktive Validierung der Geschlechterdifferenz verwandeln.« (Wetterer 2005, S. 79)

Nach Goffman wird folglich das Geschlecht nicht allein in Interaktionen hergestellt, sondern insbesondere durch gesellschaftliche Institutionen reguliert (vgl. Knoblauch 2001, S. 41). Er stellt in seinem Konzept der ›institutionellen Reflexivität‹ somit die »Verschränkung von Interaktionsordnung und Sozialstruktur« (Wetterer 2009, S. 49) heraus und verbindet dabei die Tradition des symbolischen Interaktionismus mit Ansätzen der Ethnomethodologie, als deren eigentlicher Begründer der US-amerikanische Soziologe Harold Garfinkel angesehen wird (vgl. Treibel 2006, S. 105f.), der diesen handlungstheoretischen Forschungsansatz, anschließend an die Arbeiten von Talcott Parsons und Alfred Schütz zum Ende der 1960er-Jahre entwickelte. Garfinkels Forschungsinteresse konzentriert sich auf die Art und Weise, wie Menschen im alltagsweltlichen Handeln die soziale Wirklichkeit sinnhaft strukturieren und dabei eine soziale Ordnung erzeugen (vgl. Bock 2009, S. 91). Ihm geht es darum, den regelgeleiteten Strukturen des Alltagslebens nachzuspüren, indem er Selbstverständlichkeiten alltäglicher Wissensbestände und Handlungsweisen hinterfragt. Anhand einer Reihe von sogenannten Krisenexperimenten 3 vermag er zu ver3

In seinen Krisenexperimenten frustriert Garfinkel gebräuchliche Erwartungen in der zwischenmenschlichen Alltagskommunikation und erzeugt damit eine kontrollierte Unordnung, um so die Praktiken offenzulegen, über die die Beteiligten versuchen, die sinnstiftende Ordnung wiederherzustellen. Mit diesem Verfahren begegnet er zugleich der for-

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deutlichen, wie stark das alltägliche Interaktionsgeschehen von Ritualisierungen und unausgesprochenen Übereinstimmungen bestimmt ist (vgl. Treibel 2006, S. 106). Die soziale Ordnung versteht Garfinkel folglich nicht als ein mehr oder weniger festgeschriebenes Faktum, sondern als eine in kontinuierlichen Abstimmungsprozessen über die Zeit erzeugte zwischenmenschliche Übereinkunft (vgl. Bock 2009, S. 91f), die in alltäglichen Handlungspraktiken der Gesellschaftsmitglieder im situativen Kontext interaktiv hergestellt, aktualisiert und bestätigt wird (vgl. ebd., S. 94). So lässt sich der Untersuchungsgegenstand der Ethnomethodologie allgemein dahingehend formulieren, dass es um die Konstituierung sozialer Phänomene in interaktiven Prozessen situativen Alltagshandelns geht, um die Frage, »durch welche Methoden des Handelnden ›etwas‹ zu ›etwas‹ wird« (ebd., S. 93). »Über die Analyse derjenigen Methoden, die die Gesellschaftsmitglieder alltäglich selbstverständlich anwenden, um ihre Angelegenheiten zu regeln, ergeben sich weitreichende Aufschlüsse über die Konstruktion und die Herstellung des sinnhaften Aufbaus der sozialen Ordnung (in) der sozialen Welt.« (Bock 2009, S. 95)

In der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung wurde insbesondere Garfinkels Transsexuellen-Studie »Passing and the managed achievment of sex status in an ›intersexed‹ person« breit rezipiert (vgl. Garfinkel 1967, S. 116ff.). Am Beispiel der Mann-zu-Frau-Transsexuellen Agnes verdeutlicht er, dass weniger der anatomische Körper ausschlaggebend dafür ist, ob Personen von der Gesellschaft als ›normale‹ Frauen und Männer (an)erkannt werden, sondern vielmehr aufwendige Praktiken der Selbstinszenierung, die sich auf ein implizites Wissen darüber gründen, wie sich Menschen als Frauen und Männer gemäß gesellschaftlicher Erwartungen zu verhalten und zu präsentieren haben. Dieses Wissen wirkt im alltäglichen Interaktionsgeschehen eher präreflexiv und wird i.d.R. nur im Krisenfall – und als solcher kann in diesem Zusammenhang Transsexualität verstanden werden – explizit gemacht. Die alltagsweltliche Zuschreibung einer vermeintlich ›natürlichen‹ Geschlechtszugehörigkeit erscheint aus dieser Perspektive als Ergebnis einer erfolgreichen Darstellungspraktik. Demgemäß ist Geschlechtlichkeit nicht selbstevident, sondern muss handelnd hervorgebracht, fortlaufend überzeugend in Szene gesetzt sowie übereinstimmend interpretiert und validiert werden (vgl. Degele 2008, S. 80; Faulstich-Wieland 2004, S. 176; Gildemeister 2010, S. 139f.; Hirschauer 1994, S. 669; Treibel 2006, S. 109; Wetterer 2009, S. 49). Die bipolare Zweigeschlechtlichkeit bildet dabei eines der zentralen Klassifizierungsmuster, die der sozialen Wirkschungslogischen Problematik, dass Alltagspraktiken, die den Gegenstand seines Forschungsinteresse bilden, nicht abfragbar sind (vgl. Bock 2009, S. 93f.; Treibel 2006, S. 106).

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lichkeit eine Ordnung geben. Wird diesem Muster nicht entsprochen – wie im Falle von Transsexualität – so drohen Ausgrenzungsprozesse und die Situierung im Bereich des Abnormalen (vgl. Gildemeister 2010, S. 139). Garfinkels Fallstudie verdeutlicht nachdrücklich, wie voraussetzungsvoll die Anerkennung als ›weiblich‹ oder ›männlich‹ ist, da es um mehr geht, als nur um die Erfüllung von bestimmten Rollenerwartungen und die Übernahme einschlägiger Verhaltensrepertoires: »Es geht um komplexe ineinander verwobene und aufeinander verweisende Muster von ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹, die in jeweils situationsadäquater Weise im praktischen Handeln und Verhalten realisiert werden müssen.« (Gildemeister 2010, S. 139)

Im Anschluss an Garfinkel entwickelten Suzanne J. Kessler und Wendy McKenna (1978) in ihrer Studie »Gender: An Ethnomethodological Approach«4 die ethnomethodologische Perspektive auf soziale Praktiken der Geschlechterkonstruktion im Kontext feministischer Geschlechterforschung weiter, indem sie nach den Mechanismen der Herstellung einer zweigeschlechtlich strukturierten sozialen Wirklichkeit fragen: »How is a social reality where there are two and only two genders constructed?« (Kessler und McKenna 1978, S. 3). Kessler und McKenna konzentrieren sich auf die Bedeutung der Geschlechtszuschreibung bzw. der Geschlechterattribuierung, die sie von der einmaligen, meist genitalen Geschlechtszuweisung nach der Geburt unterscheiden. Ausgangspunkt ist für sie ein kulturell verankertes Alltagswissen von der Zweigeschlechtlichkeit, verbunden mit der Erwartung, dass jeder Mensch eindeutig entweder weiblich oder männlich ist. Aus dieser geteilten Vorannahme resultiert im Interaktionsgeschehen eine wechselseitig wirksame Geschlechtszuschreibung: Einerseits wird erwartet, dass sich Personen gemäß ihrer Geschlechtszugehörigkeit darstellen, andererseits, dass sie vom jeweiligen Gegenüber entsprechend als Frauen oder Männer erkannt werden. Im Alltag muss die Geschlechtsattribuierung in erster Linie anhand der Darstellung im Hinblick auf 4

Auch Kessler und McKenna befassen sich in ihrer Untersuchung u.a. mit Transsexualität. Im deutschsprachigen Raum haben etwa Hartmut Tyrell (1986), Gesa Lindemann (1993) und Stefan Hirschauer (1993) zu Transsexualität geforscht (vgl. Treibel 2006, S. 111). Studien zur Transsexualität erweisen sich in der Tradition sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung deshalb als besonders bedeutsam, da der Untersuchungsgegenstand ihnen eine »produktive Verfremdung« (Degele 2008, S. 79) ermöglicht, indem sie die alltägliche Selbstverständlichkeit geschlechtlicher Attribuierungen und Inszenierungen als permanente Konstruktionsleistung offenbaren. Zugleich wird dadurch, dass auch transsexuelle Personen der Dichotomizität des Systems normativer Zweigeschlechtlichkeit verhaftet bleiben, die Schwierigkeit offensichtlich, sich außerhalb der binären Kategorien weiblich oder männlich zu verorten (vgl. ebd., S. 79f.; Gildemeister 2010, S. 143; Treibel 2006, S. 110f.).

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Körpersprache, Kleidung oder Stimmlage erfolgen, die ein bestimmtes (genitales) Geschlecht erwarten lassen, dessen leibliche Kennzeichen meist verborgen bleiben (vgl. Gildemeister 2010, S. 140; Treibel 2006, S. 110). Ist erst eine Geschlechtszuschreibung erfolgt, so wirkt diese Attribuierung als eine Art Interpretationsfilter, der das weitere Handeln und Verhalten der betreffenden Person entsprechend einordnet: »[…] once people decide what you are, they interpret everything you do in light of that« (Kessler und McKenna 1978, S. 6). Weiter gehen Kessler und McKenna davon aus, dass die Konstruktion dichotomer Geschlechterkategorien mit einem alltagsweltlichen Phallozentrismus verwoben ist, ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹ somit ungleich gewertet werden. In dieser androzentrischen Geschlechterordnung erweisen sich männlich definierte Genitalien bzw. ihr Fehlen als ausschlaggebend für Geschlechtszuweisungen.5 »In the social construction of gender male is the primary construction« (ebd., S. 159), womit sich der Blick auch auf Hierarchisierungen richtet, die mit der Konstruktion asymmetrischer Geschlechterpositionen verbunden sind (vgl. Gildemeister 2010, S. 140; Treibel 2006, S. 113). In Hinblick auf die interaktive Ebene der Geschlechterkonstruktion zählt der Aufsatz »Doing Gender« von Candace West und Don H. Zimmerman (1987) inzwischen zu den klassischen Beständen sozialkonstruktivistischer Geschlechterforschung (vgl. Degele 2008, S. 80; Faulstich-Wieland 2004, S. 176; Gildemeister 2010, S. 137; Hirschauer 1994, S. 776; Wetterer 2009, S. 49). In ihrem Ansatz grenzen sich Autor*innen von der gängigen Unterscheidung zwischen ›sex‹ und ›gender‹ab, die indirekt von einer natürlichen und ursprünglichen Geschlechterdifferenz ausgeht, die in bestimmten Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen der Subjekte ihren kulturellen Ausdruck findet (vgl. ebd., S. 127ff; auch Gildemeister 2010, S. 137f.).6 Mit dem Konzept des ›doing gender‹ kehrt sich dagegen die Perspektive

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Demgemäß ist ein Mensch mit einem Penis ein Mann und ohne diesen ein Nicht-Mann, also eine Frau. Dagegen gibt es »keine positiven Merkmale, deren Fehlen zur Einstufung als ›Nicht-Frauen‹ (also: als Mann) führen würde« (Gildemeister 2010, S. 140, Hervorh. i.O.).

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Dieser Unterscheidung wird im Kontext feministischer Theorieentwicklung deshalb viel Bedeutung beigemessen, weil sie es ermöglichte, hegemoniale Annahmen von Geschlechtlichkeit als biologischem Faktum anzufechten und die Bedeutung sozialer Konstruktionsprozesse herauszustellen, die mit sozialen Ungleichheitsverhältnissen einhergehen. Dabei verweisen die historisch und kulturell variierenden Ausprägungen in Form vielfältiger Weiblichkeits- und Männlichkeitskonzeptionen auf die grundsätzliche Veränderbarkeit von gender (vgl. exempl. Degele 2008, S. 67; Riegraf 2010, S. 61). Seit den 1990er-Jahren wird in der feministischen Geschlechterforschung zunehmend auch das biologische Geschlecht als sozial konstruiert verstanden und damit die Vorstellung

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gewissermaßen um: »Nicht der ›Unterschied‹ konstituiert die Bedeutung, sondern die Bedeutung die Differenz« (Gildemeister 2010, S. 137). West und Zimmerman heben dabei die Bedeutung alltäglicher und allgegenwärtiger Handlungs- und Darstellungsroutinen hervor, über die Geschlechtlichkeit im Interaktionsgeschehen methodisch hervorgebracht wird, indem sie einen zirkulären Prozess beschreiben, der sich in fortwährenden Praktiken der Zuschreibung, Darstellung und Anerkennung vollzieht (vgl. West und Zimmerman 1987, S. 126). Sie plädieren für ein Verständnis von gender »as a routine, methodical and recurring accomplishment« (ebd.). Um die Selbstbezüglichkeit der unterschiedlichen Ebenen der Geschlechterkonstruktion zu erfassen, schlagen sie eine analytische Differenzierung zwischen den Dimensionen ›sex‹, ›sex category‹ und ›gender‹ vor, die im Zuge der interaktiven Konstruktion von Geschlechtlichkeit reflexiv ineinandergreifen, und vermögen damit auch die Natur als etwas kulturell Gedeutetes einzubeziehen. Die Geschlechtsbestimmung (›sex‹) gründet sich demnach auf sozial festgelegte Kriterien, wie Genitalien, Hormone oder Chromosomen. Die geschlechtliche Zuordnung in eine der beiden Geschlechterkategorien weiblich oder männlich (sex category) folgt i.d.R. der Geschlechtsbestimmung, doch – wie bereits Kessler und McKenna deutlich gemacht haben – kann diese Zuordnung im Alltag weniger von den meist verborgen bleibenden Körpermerkmalen abgeleitet werden. Vielmehr müssen sich die Individuen durch kulturelle Praktiken fortwährend als weiblich oder männlich ausweisen, um als solche (an)erkannt zu werden. Gender bezeichnet nach West und Zimmermann somit die Fähigkeit des Individuums sich in sozialen Situationen gemäß normativen Konzepten der jeweiligen Geschlechterkategorie angemessen zu verhalten. In diesem Sinne ist ›gender‹ ein aktives ›Tun‹, das normativen Verhaltenserwartungen an die jeweilige Geschlechtszugehörigkeit zu entsprechen sucht (vgl. West und Zimmerman 1987, S. 127, 131ff.; auch Faulstich-Wieland 2004, S. 176ff.; Gildemeister 2010, S. 138). Nach dem ›doing gender‹-Ansatz stellt Geschlecht folglich keine natürliche Eigenschaft dar, sondern muss erst durch entsprechende Handlungen, die ein Individuum als einer der beiden Geschlechterkategorien zugehörig ausweisen, hergestellt und durch andere validiert werden. Im Zuge ihrer Vergesellschaftung eignen sich die Subjekte geschlechtliche Zuschreibungen an und bringen diese in ihrer alltäglichen Handlungspraxis fortlaufend zum Ausdruck, wobei sie auf verfügbare, kulturell vergeschlechtlichte (Darstellungs-)Ressourcen7 Bezug nehmen, wie Kleidung, von einer vorkulturellen Existenz zweier natürlicher Geschlechter radikal zurückgewiesen. 7

Auch die Vergeschlechtlichung oder »Sexuierung« (Hirschauer 1989, S. 103) von kulturellen Objekten erfolgt zirkulär: Indem Frauen bzw. Männer traditionell auf unterschiedliche Ressourcen Bezug nehmen, werden diese zu vergeschlechtlichten Objekten, die Weiblichkeit bzw. Männlichkeit repräsentieren (bspw. Make-up), während Personen,

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Körpersprache, Namen, Bezeichnungen, Nutzung von bestimmten Räumen oder auch – und das ist für die vorliegende Studie von Relevanz – (berufliche) Tätigkeiten. Sozial verbindlich werden die Inszenierungen geschlechtlicher Identität dabei erst mit der Anerkennung durch andere (vgl. Villa 2011, S. 99; West und Zimmermann 1987, S. 137). Der Begriff der (geschlechtsbezogenen) Inszenierung oder Darstellung ist somit im Sinne Goffmans als »spontane, präreflexive und verbindliche ›Zur-Schau-Stellung‹ der sozialen Ordnung im Alltag« (ebd., S. 102) zu verstehen. So sind ›doing gender‹-Prozesse in umfangreiche Wissenssysteme und institutionalisierte Arrangements eingebettet, die die gegenseitigen Erwartungshaltungen im Interaktionsgeschehen begründen und permanent aktualisieren. Die Kategorie Geschlecht fungiert aus dieser interaktionistischen Perspektive als ein komplexitätsreduzierendes Prinzip gesellschaftlicher Ordnung (vgl. Gildemeister 2010, S. 138). Diese interaktive Dimension von Geschlecht ist aus der Perspektive konstruktivistischer Geschlechterforschung ein zentraler Mechanismus durch den Geschlechterdifferenz im Alltag hergestellt und stabilisiert wird (vgl. Villa 2011, S. 99; Wetterer 2009, S. 49). Während West und Zimmerman (1987) in ihren frühen Überlegungen zum ›doing gender‹ noch von einer Omnirelevanz der Kategorie Geschlecht ausgehen (vgl. ebd., S. 137), wird diese Annahme Mitte der 1990er-Jahre von Candace West und Sarah Fenstermaker (1995) in der Einsicht redigiert, dass Geschlecht auch hinter anderweitige Differenzkategorien in den Hintergrund treten kann (vgl. Degele 2008, S. 93; Hirschauer 1994, S. 676ff.). Sie entwickeln das ›doing gender‹-Konzept daraufhin im Sinne von ›doing difference‹ weiter und verweisen damit auf die interaktive Hervorbringung von Differenz im Kontext von sozialer Ungleichheit (vgl. Fenstermarker und West 2001, S. 236ff.; West und Fenstermarker 1995, S. 8ff.). Mit diesem Ansatz wird darauf aufmerksam gemacht, dass ebenso wie Geschlecht auch Aspekte wie Ethnie, soziale Klasse und Sexualität keine naturgegebenen Unterschiede abbilden, sondern als sozial konstruierte (Identitäts-)Kategorien zu begreifen sind, die in Macht- und Herrschaftsverhältnisse eingelassen sind. Zugleich wird die Prozesshaftigkeit der Herstellung von Differenz als ein ›doing‹ herausgestellt, über das sich Praktiken der Ausschließung und Ausgrenzung vollziehen, die als »Erklärung für soziale Unterschiede trotz herrschender Gleichheitsideologie« (Degele 2008, S. 95) fungieren (vgl. ebd., S. 93ff.). In den politischen und wissenschaftlichen Debatten um ausgrenzende Identitätskategorien, über die sich Diskriminierungs- und Ungleichheitsverhältnisse konstituieren, hat sich der von der von der US-amerikanischen Juristin Kimberlé Crenshaw

die sie verwenden, ihrerseits verweiblicht bzw. vermännlicht werden (vgl. Villa 2011, S. 99).

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(1989) eingeführte Begriff der Intersektionalität, etabliert.8 Crenshaw verwendet die Metapher einer Straßenkreuzung (englisch: intersection), um die Problematik der Überschneidung unterschiedlicher Formen der Differenzierung und Diskriminierung zu veranschaulichen und gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen kritisch zu diskutieren: »Discrimination, like traffic through an intersection, may flow in one direction, and it may flow in another. If an accident happens in an intersection, it can be caused by cars traveling from any number of directions and, sometimes, from all of them. Similarly, if a Black woman is harmed because she is in the intersection, her injury could result from sex discrimination or race discrimination.« (Crenshaw 1989, S. 149)

Anstatt Differenzkategorien isoliert zu betrachten und ihre Wirkung additiv zu argumentieren, konzerniert sich ein intersektionaler Ansatz auf die komplexe Überkreuzung und wechselseitige Durchdringung vielfältiger Ungleichheitsdimensionen, die sich in ihren Effekten je nach situativem Kontext verstärken, abschwächen oder auch transformieren können, ohne dabei einem festen oder eindeutigen Muster der Über- und Unterordnung zu folgen (vgl. Degele 2008, S. 141f.). 9 Folglich werden auch geschlechtsbezogene Ungleichheitsverhältnisse nicht allein im Fokus der binär codierten Geschlechterordnung analysiert, sondern stets mit Blick auf die Verwobenheit der im jeweiligen Kontext relevant werdenden Differenzkriterien. Zugleich werden aus einer solchen Perspektive nicht nur Dominanzverhältnisse zwischen Frauen und Männern, sondern ebenso Momente der Differenzierung und Hierarchisierung innerhalb der sozialen Gruppen von Frauen bzw. Männern offengelegt (vgl. Riegraf 2010, S. 70). Die voranstehend skizzierten Theorieansätze markieren entscheidende Wendepunkte innerhalb der feministischen Frauenforschung, die sich in Auseinandersetzung mit den eigenen Differenzannahmen in den 1980er-Jahren zur Geschlechterforschung weiterentwickelte. Letztere fragt weniger nach den vermeintlichen Unterschieden zwischen Frauen und Männern, die die binäre Differenz auszuweisen scheinen, als vielmehr danach, wie diese Differenz hervorgebracht und zu einem selbstverständlichen Bestandteil der sozialen Wirklichkeit wird. Zeitgleich etab8

Ausgangspunkt der Intersektionalitätsdebatte war die politische wie wissenschaftliche Kritik am unreflektierten Ethnozentrismus des weißen Mittelschichtsfeminismus in den USA, der den Anspruch erhob, die Erfahrungen und Interessen aller Frauen universell zu repräsentieren (vgl. Degele 2008, S. 142; Micus-Loos et al. 2016, S. 50ff.;Winker und Degele 2010, S. 11ff.).

9

In Anbetracht der Vielfalt möglicher Unterscheidungsfaktoren gilt es letztlich, auf der Grundlage des jeweiligen Erkenntnisinteresses zu sondieren, welche Kategorien sinnvollerweise analytisch zu berücksichtigen sind (vgl. Degele 2008, S. 143).

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lierte sich im Zuge der 1980er-Jahre die kritische Männlichkeitsforschung als eigenständiger Forschungszweig. Einen entscheidenden Impuls bildete das Konzept ›hegemonialer Männlichkeit‹ der australischen Soziologin Raewyn Connell (2000a), mit dem sie vor dem Hintergrund der patriarchal strukturierten Gesellschaftsordnung Machtrelationen nicht nur zwischen Frauen und Männern, sondern insbesondere zwischen unterschiedlichen Formen von Männlichkeit herausstellt, die in einer Gesellschaft koexistieren und in ein hierarchisches Verhältnis zueinander gesetzt werden. Männlichkeit(en) und Weiblichkeit(en) werden von Connell – ganz in der Tradition der hier skizzierten sozialkonstruktivistischen Ansätze – nicht als Eigenschaft, sondern als Ausdruck sozialer Handlungen, konkret als »Konfigurationen von Geschlechterpraxis« (ebd., S. 92) verstanden. Im Zentrum ihrer Theoretisierung steht ein historisch und kulturell wandelungsfähiges Männlichkeitsideal als Stütze der patriarchalen Geschlechterordnung, das als ›hegemoniale Männlichkeit‹ bezeichnet wird und dem andere Gruppen von Männlichkeit untergeordnet sind, insbesondere die Gruppe homosexueller Männer. Neben Hegemonie und Unterordnung entwirft Connell die Komplizenschaft als eine weitere »interne Relation der Geschlechterordnung« (vgl. ebd., S. 101), die sich auf Männlichkeiten bezieht, die zwar dem kulturellen Leitbild nicht entsprechen (können oder auch nicht wollen), jedoch von den allgemeinen Vorteilen der so bezeichneten »patriarchalen Dividende« (ebd.) profitieren, die Männern aus der grundsätzlichen Unterordnung der sozialen Gruppe der Frauen zuteilwird. Unter dem Begriff der ›Marginalisierung‹ erfasst Connell weitere Beziehungsmuster, in denen Männlichkeiten aufgrund sozialstruktureller Klassifizierungskriterien, wie sozialer Klasse oder ethnischer Zugehörigkeit, an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden (vgl. ebd., S. 101f.). Die deutschsprachige Geschlechterforschung stand konstruktivistischen Ansätzen lange skeptisch gegenüber. Regina Gildemeister und Angelika Wetterer (1992) sprechen in diesem Zusammenhang rückblickend sogar von einer »Rezeptionssperre« (ebd., S. 203). Das änderte sich erst im Laufe der 1980er-Jahre, insbesondere durch die Arbeiten von Carol Hagemann-White (vgl. exempl. HagemannWhite 1993; 1984). Sie führte die Erkenntnisse der US-amerikanischen Studien in die hiesige Diskussion ein und übte zugleich Kritik an dem vermehrten Festhalten an essentialistischen Vorstellungen über natürliche Geschlechterunterschiede in Frauenbewegung und Frauenforschung. In ihren Arbeiten konzentriert sie sich auf die Aufarbeitung biologistischer Positionen zur Geschlechterdifferenz in Theorie und Forschung und profiliert ein Verständnis von ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹ als kulturelle Bedeutungssetzungen (vgl. Hagemann-White 1984, S. 78f.; auch Treibel 2006, S. 114ff.).10 Weitergeführt wurde der Ansatz von Hagemann-White 10 Hagemann-White (1984) sieht asymmetrische Konstruktionsweisen von Weiblichkeit und Männlichkeit in Sozialisationsprozessen begründet. In ihren Arbeiten konzentriert sie sich insbesondere auf die geschlechtliche Identitätsbildung von Kindern und Jugendli-

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insbesondere von Regina Gildemeister (1992) in ihrem Klassiker der Geschlechtersoziologie »Die soziale Konstruktion von Geschlechtlichkeit«. Auch Stefan Hirschauer zählt zu den Protagonist*innen, die sich mit einer sozialkonstruktivistischen Lesart von Geschlecht und Geschlechterdifferenz auseinandersetzen. Er kritisiert insbesondere die in den ethnomethodologischen Ansätzen anfänglich angenommene ›Omnirelevanz‹ von Geschlecht im sozialen Handeln und verweist auf die Möglichkeit, dass Geschlecht unter bestimmten Voraussetzungen auch ›sozial vergessen‹ werden kann, was er mit dem Begriff des »undoing gender« (Hirschauer 2001, S. 216; zuerst 1994, S. 676) fasst. Ihm zufolge lässt sich Geschlechtszugehörigkeit zwar als eine »omnirelevante Hintergrunderwartung« (Hirschauer 1994, S. 676) verstehen, doch kritisiert er an dieser Annahme zum einen, dass die relative Bedeutsamkeit der Klassifikation Geschlecht im Verhältnis zu weiteren Differenzkriterien, wie Alter oder Ethnie, im Sinne von ›doing difference‹ kaum Berücksichtigung findet. Zum anderen wird nicht differenziert, wann und unter welchen Bedingungen die Geschlechterklassifikation in den Vordergrund gerückt und damit signifikant wird oder aber auch in den Hintergrund treten kann. Während sich geschlechtliche Identifizierungen zu Beginn von Interaktionen geradezu unweigerlich vollziehen, da eine Reihe konventioneller Praktiken, wie Goffman es bspw. mit Blick auf die sprachliche Anrede herausgestellt hat, grundlegend sexuiert sind und kaum vermieden werden können, ist es nach Hirschauer keineswegs unumgänglich, dass die Geschlechtszuweisung im Laufe der Interaktion permanent aktualisiert und damit signifiziert wird, vielmehr könne sie auch neutralisiert werden (vgl. ebd. S. 676f.). ›Undoing gender‹ versteht Hirschauer demzufolge nicht als Konstruktion von ›Unweiblichkeit‹ oder ›Unmännlichkeit‹, sondern als ein kontextbezogenes »Aufgreifen oder ›Ruhenlassen‹« (ebd.) routinierter Geschlechterdifferenzierung in unterschiedlichen zeitlichen und situativen Kontexten (vgl. ebd.). »Ohne eine solche Aktualisierung der Geschlechterdifferenz, die aus Gelegenheiten situative Wirklichkeiten macht, ereignet sich eher ein praktiziertes ›Absehen‹ von ihr, eine Art soziales Vergessen, durch die sich die Charakterisierung von Geschlecht als ›seen but unnoticed feature‹ von Situationen verschiebt: nicht von etwas Notiz zu nehmen, ist selbst eine konstruktive Leistung. Ich schlage vor, sie ›undoing gender‹ zu nennen.« (Hirschauer 1994, S. 678, Hervorh. i.O.)

Es lässt sich zusammenfassen, dass für ethnomethodologisch-konstruktivistische Ansätze der Geschlechterforschung nicht das Was der Geschlechterdifferenz von chen innerhalb des zweigeschlechtlichen Systems, in dem Identitäten jenseits von Weiblichkeit und Männlichkeit nahezu unvorstellbar erscheinen (vgl. auch Treibel 2006, S. 113f.).

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Interesse ist, sondern das Wie ihrer Erzeugung, die Prozesse der interaktiven Herstellung von Geschlechter-Binarität und damit verbundener asymmetrisch strukturierter und hierarchisch organisierter Geschlechterverhältnisse als Grundprinzipien gesellschaftlicher Ordnung innerhalb des Systems normativer Zweigeschlechtlichkeit. Mit diesem Verständnis von Geschlecht als sozialer Konstruktion wird die Selbstverständlichkeit grundlegender Alltagsannahmen – wie etwa, dass es nur zwei sich wechselseitig ausschließende Geschlechter gibt, dass die Geschlechtszugehörigkeit eindeutig und dauerhaft ist und sich auf die Naturhaftigkeit anatomischer Körper begründet – infrage gestellt und angefochten (vgl. Degele 2008, S. 81; Faulstich-Wieland 2004, S. 179; Hirschauer 1994, S. 672ff.; Riegraf 2010, S. 68). Stattdessen wird »Geschlecht […] als durch und durch kulturell und historisch wandelbares Klassifikationssystem betrachtet, als eine sozial und gesellschaftlich folgenreiche Unterscheidung« (Riegraf 2010, S. 59, vgl. auch Gildemeister 2010, S. 137), die soziale Ungleichheitsverhältnisse zwischen den Geschlechtern produziert und aufrechterhält. Demgemäß rücken weniger die strukturellen Auswirkungen der sozialen Differenzierung als solche in den Fokus konstruktivistischer Analysen, als vielmehr die »Strukturierung sozialer Ungleichheit als Klassifikationsprozess« (Degele 2008, S. 82) und damit die Praktiken sozialer Differenzierung, über die Asymmetrie und Hierarchie überhaupt erst erzeugt werden. Konstruktivistischen Ansätzen geht es also um die Prozessebene der Differenzierung und Hierarchisierung entlang der Trennlinie Geschlecht als binär konstruierte Kategorie sozialer Ordnung.

3.2 GESCHLECHTERTRENNUNG IM BERUFSSYSTEM ALS ›REALISIERUNGSFELD‹ 11 BINÄR CODIERTER ZWEIGESCHLECHTLICHKEIT Im deutschsprachigen Raum wurde die Rezeption konstruktivistischer Ansätze im Kontext klassifizierender Organisation und Zuweisung von Arbeit durch die kritische Auseinandersetzung mit lange vorherrschenden differenzorientierten Erklärungsansätzen zur Arbeitsmarktsegregation12 befördert, die erst in den späteren

11 Der Begriff »Realisierungsfeld[…]« ist hier von Wetterer (2002, S. 130) übernommen. 12 Ein Beispiel hierfür ist das Konzept des ›weiblichen Arbeitsvermögens‹ von Elisabeth Beck-Gernsheim und Ilona Ostner (1976). Sie gingen davon aus, dass die historische Trennung von Produktion und Reproduktion und die daraus hervorgegangene Arbeitsteilung zur Herausbildung von zwei idealtypischen Arbeitsvermögen geführt hat, die nicht nur in den unterschiedlichen beruflichen Präferenzen von Frauen und Männer ihren Ausdruck finden, sondern sie für unterschiedliche Bereiche des Arbeitsmarktes besonders

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1980er-Jahren u.a. aufgrund ihrer Tendenz, essentialistische Differenzannahmen zu verfestigen, sowie der stark begrenzten Reichweite ihres Erklärungsvermögens zunehmend in die Kritik gerieten.13 Im Anschluss an US-amerikanische Untersuchungen haben sich auch hierzulande seit den 1990er-Jahren zahlreiche Studien mit dem Zusammenhang von Geschlechterkonstruktionen und (Berufs-)Arbeit aus ethnomethodologisch-sozialkonstruktivistischer Perspektive beschäftigt. Besonders hervorzuheben sind dabei die Arbeiten von Wetterer zu beruflichen Professionalisierungsprozessen, der Vergeschlechtlichung von Berufsbildern und den geschlechterkonstituierenden Effekten der beruflichen Arbeitsteilung, in denen sie das Verständnis des wechselseitig konstitutiven Zusammenhangs von Beruf und Geschlecht entscheidend profiliert (vgl. Wetterer 2009; 2002). Eine zentrale Erkenntnis sozialkonstruktivistischer Untersuchungen liegt in der Sichtweise auf die geschlechtliche Arbeitsteilung als einem zentralen Mechanismus der Herstellung und Stabilisierung von Zweigeschlechtlichkeit. Damit wird Geschlecht zugleich als eine Ressource zur Strukturierung arbeitsteiliger Zuständigkeit wie auch zur Konstruktion von binärer Differenz erkennbar. Die soziale Praktik geschlechtlicher Differenzierung wird somit einerseits als Voraussetzung für die Etablierung hierarchischer Gesellschaftsstrukturen und andererseits als Modus ihrer Hervorbringung begreifbar. Dieser Blickwinkel beinhaltet auch eine Abkehr von Annahmen über eine natürliche binäre Geschlechterklassifikation und konzentriert sich stattdessen auf Mechanismen der Herstellung und Relevanzsetzung von Geschlechterdifferenz im Berufssystem (vgl. Aulenbacher 2010, S. 147ff.; Teubner 2010, S. 502f.; Wetterer 2009, S. 42ff.; 2002; 1992, S. 35). Die Zusammenhänge erweisen sich dabei als hochkomplex und bedürfen einer analytischen Differenzierung hinsichtlich des reflexiven Ineinandergreifens der interaktiven Konstruktionsleistung im Zuge beruflichen Alltagshandelns und der gesellschaftlich institutionaliqualifizieren. Aufgrund ihrer Erfahrungen im primären Zuständigkeitsbereich der Hausund Familienarbeit seien Frauen demnach besonders in personenbezogenen Fürsorgeberufen und als ›hausarbeitsnah‹ geltenden Tätigkeitsbereichen nachgefragt, Männer dagegen in tauschwertorientierten Berufsfeldern. Zwar zielte dieses Konzept darauf, defizitausgerichtete Perspektiven auf die besondere Situation von Frauen in der Arbeitswelt zu überwinden, doch wurde es u.a. hinsichtlich der ihm inhärenten Idealisierung und Essentialisierung geschlechterstereotyper Zuschreibungen vielfach kritisiert (vgl. Teubner 2010, S. 500; Wetterer 2009, S. 46). 13 Einerseits beinhalten derartige Ansätze eine gewisse zirkuläre Argumentation, indem die geschlechtliche Arbeitsteilung implizit als Ausweis der Geschlechterdifferenz erscheint, die ihrerseits wiederum die Arbeitsteilung plausibilisiert, zum anderen vermochten derartige Denkmodelle nicht zu erklären, warum die Segregation trotz der Angleichungen im Bildungs- und Qualifikationsniveau sowie in der Erwerbsorientierung von Frauen und Männern nahezu stabil bleibt (vgl. Teubner 2010, S. 500; Wetterer 2009, S. 46).

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sierten Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern, über das sich die Arbeitsmarktsegregation als beständiges Strukturmerkmal der Gesellschaft formiert (vgl. Wetterer 2002, S. 57ff.). Mikrosoziologisch haben sich Studien zum »[d]oing gender while doing work« (Gottschall 1998) damit beschäftigt, wie im beruflichen Alltagshandeln immer auch Geschlecht konstruiert und in der Konsequenz Geschlechterdifferenz naturalisiert wird. Dabei haben sich insbesondere Untersuchungen zu Frauen und Männern in gegengeschlechtlich codierten Berufen als erkenntnisreich erwiesen (vgl. exempl. Heintz et al. 1997; Leidner 1991; Williams 1989), da dort, wo die Geschlechterordnung in Unordnung gerät, die Konstruktionsleistung der Akteur*innen besonders erkennbar wird, die sich andernfalls im Verborgenen des Selbstverständlichen vollzieht (vgl. Gildemeister 2010, S. 142; Wetterer 2009, S. 50). Dabei lassen sich unterschiedliche Mechanismen und Strategien nachzeichnen, die darauf hinwirken, die Geschlechtszugehörigkeit der Akteur*innen auch dort in Szene zu setzen, wo die Berufszugehörigkeit sie zu durchkreuzen scheint, und sie so vor einer möglichen Stigmatisierung als ›unweiblich‹ oder ›unmännlich‹ zu bewahren (vgl. Gildemeister 2010, S. 142; Wetterer 2002, S. 133ff.). Dazu kann die Etablierung arbeitsteiliger Teilzuständigkeiten von Frauen und Männern in unterschiedlichen Arbeitsfeldern eines Berufs14 ebenso beitragen wie die Akzentuierung bestimmter eher ›weiblich‹ oder ›männlich‹ konnotierter Teilaspekte einer Tätigkeit,15 mit der nahezu jede Tätigkeit nach Belieben ›weiblich‹ oder ›männlich‹ dargeboten werden kann (vgl. Degele 2008, S. 83; Gildemeister 2010, S. 142; Leidner 1991, S. 166ff.; Wetterer 2002, S. 135f.). In Prozessen des ›doing gender‹ im ›doing work‹ kommt das Ineinandergreifen von »Hintergrunderwartung und Handlungsstrategie« (Wetterer 2009, S. 51) zum Vorschein, mit dem die Akteur*innen auf der Grundlage ihres impliziten Alltagswissens um die Binarität der Geschlechterdifferenz den damit verbundenen und vorausgesetzten Erwartungen zu entsprechen suchen, auch über das berufliche Alltagshandeln eindeutig als Frau oder Mann erkennbar zu sein. Dabei wird das wechselseitig konstitutive Verweissystem von Arbeit und Geschlecht in der Interaktion nicht allein mit der Darbietung sozial wirksam, sondern bedarf ebenso der (An-)Erkennung und Bestätigung durch Andere und somit der Mitarbeit aller Beteiligten (vgl. ebd.). Doch ist die Konstruktion von Geschlechterdifferenz nicht allein auf das situative Geschehen in interaktiven Prozessen beschränkt. Denn wie in Rückbezug auf Goffmans ›institutionelle Reflexivität‹ gesellschaftlich etablierter Geschlechterar14 Bspw. weibliche Marineangestellte als Bürokräfte oder männliche Krankenpfleger auf der hochtechnisierten Intensivstation (vgl. Wetterer 2009, S. 50; Williams 1989). 15 Wie etwa die Betonung von Kund*innen- oder Wettbewerbsorientierung im Versicherungsgeschäft (vgl. Leidner 1991, S. 166ff.).

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rangements deutlich wird, nehmen die Subjekte in ihrer Darstellungsarbeit handelnd Bezug auf bestehende Vergeschlechtlichungen als Bestandteil der sozialen Wirklichkeit, wie sie sie in der Codierung von Berufen als Frauen- und Männerberufe vorfinden, wobei diese Codierungen gleichsam bestätigt und fortgeschrieben – oder mitunter auch durchkreuzt werden.16 Geschlechtlich codierte Berufe bieten aus diesem Blickwinkel vorstrukturierte Darstellungsräume zur Konstruktion von Geschlecht und sind zugleich selbst Erzeugnisse vergeschlechtlichender Konstruktionsprozesse (vgl. Wetterer 2009, S. 53f.). »Selbst in der ethnomethodologischen Lesart dieser Konstruktionspraxis sind Wissen und Handeln in einer Weise miteinander verschränkt, die bei der Reproduktion der sozialen Ordnung deshalb behilflich ist, weil im Handeln ein Wissen vorausgesetzt und aktualisiert wird, das auf dem ›Gewordensein‹, auf vorgängige Objektivierungen der zweigeschlechtlich strukturierten sozialen Wirklichkeit beruht.« (Wetterer 2009, S. 53)

Anhand historischer Analysen zu beruflichen Geschlechterwechseln lässt sich nachweisen, dass die geschlechtliche Codierung von Berufen historischen Wandlungen unterliegt, die mit einer (Re-)Formierung hierarchischer Geschlechterverhältnisse einhergeht. Zugleich sind sie mit hochselektiven (Um-)Deutungsprozessen verbunden, die über die Logik der binären Geschlechterklassifikation die symbolische Passung von Arbeitsinhalten und Geschlechterdifferenz kontextspezifisch wiederherstellen und plausibilisieren.17 Indem diese Konstruktionsprozesse einem ›Verdeckungszusammenhang‹ anheimfallen, der sich in der reflexiven Verzahnung von Wissen und Handeln, von Strukturbildung und Bedeutungsgenerierung im ›doinggender‹-Prozess entfaltet, erscheinen die beruflichen Geschlechterlabel – haben sie sich erst mal etabliert – so selbstverständlich wie folgerichtig und werden alltagsweltlich kaum hinterfragt (vgl. Teubner 2010, S. 503; Wetterer 2009, S. 47; 2002, S. 156f.). Weist demnach die klassifizierende Zuordnung von Arbeit und Geschlecht in ihrer inhaltlichen Begründung eine hohe Variabilität und nahezu beliebige Austauschbarkeit auf, wird die Verschränkung von Differenz und Hierarchie als konstantes Strukturmoment erkennbar (vgl. Gildemeister und Wetterer 1992, S. 227; Wetterer 2009, S. 47f.; 2002). 16 Goffman selbst interessierten vor vornehmlich die Effekte dieses ›institutional genderism‹, weniger die Prozesse die dazu führen, dass diese soziale Gültigkeit erlangen. Hier setzen insbesondere die Arbeiten von Wetterer (2002) an, in denen sie Prozesse der Vergeschlechtlichungen von Berufen analytisch betrachtet (vgl. auch Wetterer 2009, S. 55). 17 Als eines von mehreren Beispielen führt Ulrike Teubner (2010) das Grundschullehramt als einstigen Männerberuf an, dessen inhaltliches Anforderungsprofil im Zuge seiner Feminisierung von Querverweisen zu weiblich konnotierten Wirkungsfeldern, wie den Kontakt mit Kindern, überformt wurde (vgl. ebd., S. 503).

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»Prozesse des Wandels in industrialisierten Gesellschaften zeigen nun, dass die hierarchische Anordnung der Geschlechter als die eigentliche Strukturkonstante anzusehen ist, wohingegen die Inhaltsdimension der Geschlechterdifferenz vielfachen Veränderungen und Modernisierungen unterworfen ist.« (Teubner 2008, S. 301)

Studien zeigen, dass es eben nicht die Arbeitsinhalte sind, die einen Beruf als Frauen- oder Männerberuf ausweisen, sondern in erster Linie der soziale Status (vgl. exempl. Cockburn 1988; Reskin und Roos 1990; Teubner 1992; Wetterer 2002; 1992; Willms-Herget 1985). So wird die hierarchische Ordnung auch im Falle eines beruflichen Geschlechterwechsels wiederhergestellt. Denn der Wandel eines Frauenberufs zu einem Männerberuf geht i.d.R. mit einer Statuserhöhung einher, während der umgekehrte Fall einen Statusverlust nach sich zieht (vgl. Heintz et al. 1997, S. 39; Teubner 2010, S. 503; Wetterer 2002, S. 79ff.; 1992, S. 23).18 Nach Wetterer (2002) stellt damit genaugenommen auch die horizontale eine vertikale Segregation dar, in der Frauen- und Männerarbeit stets hierarchisch strukturiert sind (vgl. ebd., S. 81ff.). Folglich sind auch die Minderheitensituationen von Frauen und Männern in gegengeschlechtlich codierten Berufen keineswegs vergleichbar. Denn während Männer in Frauenberufen überwiegend Zuspruch seitens des Kollegiums erfahren, erleben Frauen in klassischen Männerdomänen häufig, dass entweder ihre Weiblichkeit angezweifelt oder aber ihr professionelle Kompetenz infrage gestellt wird. Erklärt wird dies u.a. damit, dass ihre Grenzüberschreitung die Eindeutigkeit des beruflichen Geschlechterlabels tangiert, die der (männlichen) Mehrheit der dort Beschäftigten eine komplikationslose Darbietung ihrer geschlechtlichen Identität ermöglicht und darüber hinaus – mit Blick auf die Statushierarchie zwischen Frauen- und Männerberufen – auch ein erhöhtes Sozialprestige gewährleistet (vgl. Heintz et al. 1997, S. 36f.; Heintz und Nadai 1998, S. 81; Wetterer 2009, S. 50f.). So erweist sich ›doing gender‹ aufs engste verwoben mit ›doing hierachy‹ und ist daher stets im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen zu betrachten (vgl. Wetterer 2009, S. 52; 2002, S. 138f.; Degele 2008, S. 83f.). Die interaktiven Prozesse von ›doing gender while doing work‹ sind folglich von gesellschaftlichen Verhältnissen gerahmt, die ihrerseits durch soziale Ungleichheit gekennzeichnet sind und zwar in Form der geschlechterdifferenzierenden und hierar-

18 Prägnante Beispiele der geschlechtlichen Um- und Neucodierung von Berufen bzw. ganzer Professionen stellen u.a. die Entwicklung der Medizin zur akademischen Disziplin im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert (vgl. Frevert 1982; Wetterer 2002; 1992), die Technisierung der Schriftsetzerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (vgl. Robak 1996; 1992) oder die Entwicklung von Computerprogrammen in den 1950er Jahren (vgl. Hoffmann 1987; Wetterer 1992, S. 25) dar.

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chisierenden Strukturierung des Arbeitsmarktes und des Berufssystems. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass Prozesse des ›doing gender‹ im ›doing work‹ immer auch Praktiken des ›doing inequality‹ darstellen (vgl. Villa 2011, S. 147), in denen geschlechtliche Selbstinszenierungen im beruflichen Alltagshandeln auch als Akte der Grenzziehung verstanden werden können (vgl. ebd.). Das Berufssystem lässt sich daher als eine gesellschaftliche Sphäre betrachten, die entscheidend zur (Re-) Produktion der binär codierten und hierarchisch strukturierten Geschlechterordnung beiträgt (vgl. exempl. Gildemeister und Wetterer 1992, S. 227).

3.3 KO-KONSTRUKTIONEN VON TECHNIK UND GESCHLECHT Die feministische Technikforscherin Cynthia Cockburn erfasste in den 1980er-Jahren mit wenigen Worten einen folgenreichen Zusammenhang von Technik und Geschlecht, der auf der Ebene von Identität hinsichtlich der beständige Unterrepräsentanz von Frauen in technischen Berufen von zentraler Bedeutung ist: »Weiblich keit ist mit technologischer Kompetenz unvereinbar, technisch sachverständig zu sein, heißt männlich zu sein« (Cockburn 1988, S. 22). Diese Feststellung verweist auf ein zentrales Stereotyp, das vor der Deutungsfolie kultureller Dualismen, welche die vorherrschende Geschlechterordnung kennzeichnen, Weiblichkeit und Männlichkeit über ein entgegengesetztes Verhältnis zum Technischen definiert. Technik, technische Kompetenz und technisches Wissen werden eindeutig Männern zugeordnet, was sich mit Blick auf die Persistenz männlicher Dominanz in technischen Berufen alltagsweltlich zu bestätigen scheint. Dass Ingenieur*innen, Computerspezialist*innen oder Physiker*innen im Allgemeinen männlich gedacht werden, ist jedoch keineswegs selbstverständlich, sondern komplexen Konstruktionsprozessen geschuldet, die in westlichen Gesellschaften historisch und kulturell tief verwurzelt sind. Um Prozesse der Vergeschlechtlichung technischer Berufe genauer zu beleuchten, erweist sich ein Rückbezug auf die zuvor dargelegten professionssoziologischen Arbeiten als aufschlussreich. Denn diese zeigen, dass Mechanismen der Ausschließung von Frauen aus der Technik als einem statushohen und gut dotierten Berufsfeld vor dem Hintergrund der geschlechtlichen Arbeitsteilung mit gesellschaftlichen Deutungsmustern von Frauenarbeit als reproduktiv korrespondieren (vgl. Paulitz 2012, S. 64). Wie voranstehend beleuchtet, kann anhand historischer Vergleichsstudien aufgezeigt werden, dass sich die Art und Weise, wie arbeitsteilige Geschlechtszuweisungen begründet werden, äußerst veränderlich und nahezu willkürlich ausnimmt und dabei doch nicht an Plausibilität verliert, solange die binäre Differenz gewahrt bleibt, die der sozialen Wirklichkeit ihre Ordnung verleiht. Bei

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näherer Betrachtung zeigt sich, dass in Prozessen der Etikettierung bestimmter Tätigkeitsbereiche als ›weiblich‹ oder ›männlich‹ die Akzentuierung bzw. Verschleierung technischer Aspekte eine bedeutsame Rolle spielt und im Zusammenhang mit geschlechterstereotypen Zuschreibungen technischer Kompetenz an Männer zu betrachten ist. Dies zeigen insbesondere Studien über die historische (Neu-)Formierung von Berufen durch technologische Innovationen, in deren Zuge Frauen oftmals als Pionierinnen eingesetzt und bei erfolgreicher Etablierung durch Umschreibung der Arbeitsanforderungen wieder verdrängt wurden, wie bspw. im Prozess der Umstellung von der Hand- zur Maschinenarbeit in der Schriftsetzerei im 19. Jahrhundert (vgl. Roback 1996; 1992) oder in der Informatik, wo Frauen in den 1940erund 1950er-Jahren in Folge des kriegsbedingten Mangels an männlichen Fachkräften als die ersten Programmiererinnen tätig waren (vgl. Hofmann 1987; auch Becker-Schmidt 1992, S. 73ff.; Wetterer 1992, S. 25f.; Wajcman 1994, S. 88ff.). Ein etwas anders gelagertes Beispiel bildet die Verberuflichung der Röntgenassistenz im frühen 20. Jahrhundert, in deren Zuge es zur Konkurrenz zwischen männlichen Röntgentechnikern und praxiserprobten Krankenschwestern, den sogenannten ›Xray nurses‹ kam (vgl. Cockburn 1988, S. 116ff.; Wetterer 2002, S. 87ff.). Diese Beispiele zeugen von der hohen Variabilität in der Auslegung und Interpretation von Arbeitsinhalten, die in Kombination mit historisch verfestigten Weiblichkeitund Männlichkeitsvorstellungen eine Tätigkeit oder einen Beruf als technisch oder weniger technisch und damit zugleich als Männer- oder Frauenarbeit ausweisen (sollen). Die Akzentuierung bzw. Verdeckung des technischen Charakters einer Tätigkeit bildet so einen wirkungsvollen Mechanismus in Prozessen der Vergeschlechtlichung von Berufsarbeit und zugleich eine effektive Exklusionsstrategie, um Frauen aus von Männern bevorzugten Berufen und Tätigkeitsbereichen fernzuhalten. Strukturbildung und Bedeutungsgenerierung gehen hier aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive Hand in Hand (vgl. Wetterer 2009, S. 47). Damit stellt sich die Frage nach der selbstverständlich anmutenden Verknüpfung von Technik und Männlichkeit, die zur Aufrechterhaltung beruflicher Geschlechtergrenzen im Feld Technik entscheidend beiträgt. Mit ihr befasst sich die feministische Technikforschung19 bereits seit den 1980er-Jahren und hat auf der Grundlage zahlreicher empirischer Untersuchungen wie theoretischer Erörterungen eine Sichtweise auf das Verhältnis von Technik und Geschlecht als Ko-Konstruktion entwickelt (vgl. exempl. Cockburn 1988; Faulkner 2008; 2001; 2000; Wajcman 2004; 1994; Winker 2005; Wolffram 2006). Den Ausgangspunkt bildet eine kritische Gegenpositionierung zur feministischen Technikkritik der 1970er-Jahre, die den Ausschluss von Frauen aus der Technik vornehmlich auf der Grundlage essentialisierender und defizitorientierter Ansätze zu erklären suchte: 19 Eine ausführliche Darstellung von »Perspektiven im feministischen Technikdiskurs« liefert die Arbeit von Angelika Saupe (2002).

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»Instead, it argued that women‹s alienation from technology is a product of the historical and cultural construction of technology as masculine […]. Masculinity and technology are conceived of as being symbolically intertwined, such the technical competence has come to constitute an integral part of masculine gender identity, and, conversely, a particular idea of masculinity has become central to our very definition of technology.« (Gill und Grint 1995, S. 8)

Dieses sozialkonstruktivistisch ausgerichtete Verständnis über die konstitutive Wechselbeziehung zwischen Technik und Männlichkeit vermag auch heute noch fortgeführte Common-Sence-Argumentationen zu vermeiden helfen, die »womenʼs uneasy relationship to technology« (ebd.) verkürzend auf angenommene Defizite von Frauen oder vermeintlich weibliche Geschlechtercharaktere zurückführen (vgl. Saupe 2002, S. 28). Stattdessen werden nun historisch bedingte und kulturell verwurzelte Konstruktionsweisen in den Blick genommen, in denen Technik als »zentrales Moment männlicher Identität« (Döge 2001, S. 128) herausgestellt und zugleich ein Bezug zu Männlichkeit als entscheidendes Kriterium in der Definition von Technik sichtbar gemacht wird. Als Protagonistinnen der frühen feministischen Technikforschung wurden auch im deutschsprachigen Raum insbesondere die Arbeiten von Cockburn (1988) sowie der australischen Soziologin Judy Wajcman (1994) vielfach rezipiert. Cockburn (1988) vermag auf der Erkenntnisgrundlage einer breit angelegten Studie über die Einführung neuer Technologien in unterschiedlichen Unternehmen hinsichtlich ihrer Auswirkung auf Geschlechterverhältnisse darzulegen, wie ein Ausschluss von Frauen aus technischen Berufsfeldern sowie eine Abwertung der ihnen zugewiesenen Tätigkeitsbereiche im jeweiligen Kontext über verschiedenartige und mitunter auch widersprüchliche Auslegungen von technischer Kompetenz legitimiert und plausibilisiert wird, die ihr zufolge allein in der Aufrechterhaltung männlicher Dominanz in der patriarchalen Gesellschaft ihre Übereinstimmung finden (vgl. ebd., S. 191). Indem die (diskursiven) Deutungsmuster, die ›weibliche‹ und ›männliche‹ Tätigkeitsbereiche separieren, somit als inkonsistent und mitunter geradezu willkürlich herausgestellt werden, erweisen sich differenzorientierte Erklärungsansätze, die Frauen und Männern komplementäre Eigenschaften und Befähigungen in Bezug auf technische (In-)Kompetenz zuschreiben, als unzureichend (vgl. Wajcman 1994, S. 40; Saupe 2002, S. 30f.). »Einmal tun Männer, um ihre Identifikation mit körperlich schwerer Mechanikerarbeit zu festigen, die intellektuelle Arbeit als ›weich‹ ab. Im nächsten Moment aber müssen sie sitzende intellektuelle Ingenieursarbeit als männliche Tätigkeit angeben. Ideologische, komplementäre

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Werte wie ›hart/weich‹ sind daher immer nur als provisorisch anzusehen.« (Cockburn 1988, S. 191)20

Ebenso wie Cockburn kritisiert auch Wajcman (1994) essentialisierende Positionen und erarbeitet ein Verständnis von »Technik als männliche Kultur« (ebd., S. 166), in der die »Gleichsetzung von Technik und Männlichkeit« (ebd.) im Kontext einer Männlichkeitsideologie zu betrachten ist, die Männlichkeit über Technik und technisch qualifizierte Arbeit definiert. Dabei bezieht sie sich in ihren Überlegungen auf das Konzept der ›hegemonialen Männlichkeit‹ von Connell21 und verweist auf die Notwendigkeit zwischen unterschiedlichen Männlichkeiten im Kontext unterschiedlicher Technologien zu differenzieren (vgl. ebd., S. 173ff.).22 20 An anderer Stelle beschreibt Cockburn (1988), wie einige der von ihr befragten Ingenieure Frauen einen Mangel an logischem Denken unterstellen, das für die Lösung technischer Probleme notwendig sei, während andere wiederum Frauen als zu logisch charakterisieren und die Unverzichtbarkeit von Intuition – eine klassischerweise eher weiblich konnotierte Eigenschaft – herausstellen, die Frauen auch bei fachlichem Sachverstand fehlen würde (vgl. ebd., S. 196f.). 21 Bei Connell selbst wird der Zusammenhang von Männlichkeit und Technik nur kurz und sehr allgemein angerissen. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei die bipolare Ideologie männlicher Rationalität und weiblicher Emotionalität, welche die patriarchalen Strukturen abendländischer Gesellschaften prägt, deren Legitimität entscheidend durch die technologische Organisation des Produktionssektors abgesichert wird. Demnach konnte sich im historischen Kontext der Industrialisierung aufgrund der damit einhergehenden gestiegenen gesellschaftlichen Wertschätzung technisch-wissenschaftlicher Rationalität eine Variante hegemonialer Männlichkeit durchsetzen, die auf technischem Wissen und Kompetenz basiert (vgl. Connell 2000a, S. 185). 22 Wajcman (1994) konkretisiert unterschiedliche Formen dominanter Männlichkeit, die durch die Kontrolle von Technik bzw. die Beziehung zu Maschinen gekennzeichnet sind. Als eine Institution, in die die Ideologie hegemonialer Männlichkeit eingeschrieben ist, betrachtet sie das Militär, in dem Bilder vom männlichen Heldentum und männlicher Dominanz kultiviert werden (vgl. ebd., S. 177ff.). In Hinsicht auf männliche Arbeiter im industriellen Produktionssektor erkennt sie einen Männlichkeitskult, der sich über körperliche Stärke und Technikkompetenz im Umgang mit lauten, schmutzigen und gefährlichen Maschinen definiert. Dem entgegen scheint das Stereotyp des männlichen Hackers als Außenseiter auf der Verliererposition zu stehen. Nach Wajcman wirkt sich diese Stigmatisierung jedoch eher individualistisch aus, während im gesellschaftlichen Gesamtkontext Hacker durch die Beherrschung neuer Technologien an der Schnittstelle des gesellschaftlichen Fortschritts als Mitwirkende bei der Gestaltung der Zukunft gesehen werden, was mit einem gehobenen Sozialprestige verbunden ist (vgl. ebd., S. 174f.). Letztgenannte Vorstellungen über (computer-)technisch kompetente Personen finden – in

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»Es gibt verschiedenartige kulturelle Ausdrucksformen der Männlichkeit, wie es auch verschiedene Arten von Technik gibt. Männlichkeit nimmt genau wie Weiblichkeit historisch und kulturell eine spezifische Gestalt an. Aber die Behauptung, die Technikkultur sei männlich, setzt nicht voraus, daß es für alle Männer ein einheitliches Verhaltensmuster gibt.« (Wajcman 1994, S. 173)

Für Wajcman ist offensichtlich, dass Männer sich mit Technik identifizieren und sich über diese Identifikationen Beziehungen zwischen Männern formieren, wie sie mit Verweis auf männerbündische Gemeinschaften in Institutionen des Militärs, der Wissenschaft und des Ingenieurwesens verdeutlicht, in denen sich ihr zufolge Vorstellungen technisch kompetenter Männlichkeit fortlaufend (re-)produzieren (vgl. ebd., S. 166ff). Demnach stellt Technik mehr dar als eine Kategorie spezifischer Artefakte, ihr ist eine symbolische Dimension inhärent, die sich in geschlechtliche Identitäten einschreibt. Identität wird damit zu einem Schlüsselkonzept hinsichtlich der selbstverständlich erscheinenden Verknüpfung von Technik und Männlichkeit (vgl. Faulkner 2001, S. 81; Gill und Grint 1995, S. 11; Saupe 2002, S. 33f.). »Identity, then, seems to be posited as an important mechanism through with the seemingly natural association between masculinity and technology gets reproduced. This is given a ›performative‹ inflection in some accounts, such that using particular technologies is seen as ›doing gender‹.« (Gill und Grint 1995, S. 11)

Anders verhält es sich Wajcman zufolge mit vorherrschenden Annahmen über eine vermeintliche technische Inkompetenz von Frauen, die kein bloßes Geschlechterstereotyp darstelle, sondern sich zu einem integralen Bestandteil weiblicher Identität herausbilde.23 Mit dieser Perspektive verweist sie darauf, dass möglicherweise einer der Gründe für das Scheitern vieler Initiativen zur Stärkung von Frauen in der AnVorausschau auf die empirische Analyse – ihre Entsprechung auch in den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern der beforschten jungen Frauen (und Männer) im Rahmen dieser Studie. 23 Demnach werden Kinder bereits im Zuge schulischer Sozialisationsprozesse mit gesellschaftlichen Geschlechterbildern sowie geschlechterdifferenten Verhaltens- und Leistungserwartungen seitens der Lehrkräfte konfrontiert, die sich in ihr Selbstbild einschreiben und sie in ihrer geschlechtlichen Identitätsentwicklung anleiten. Wajcman (1994) zufolge eignen sich Mädchen so feminin codierte Verhaltensmuster an, die mit technischmathematischen Qualitäten kaum vereinbar erscheinen, während diese selbstverständlich Jungen zuerkannt werden. »Mädchen internalisieren den Glauben, daß Jungen etwas besitzen, das ihnen fehlt; Differenz wird als Minderwertigkeit erlebt« (ebd., S. 184). Die so verinnerlichten defizitären Zuschreibungen an Weiblichkeit würden schließlich zu einem Positivum femininer Identität umgedeutet und in das Selbstbild integriert (vgl. ebd.).

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eignung von Technik im Widerstand der Frauen selbst zu sehen ist und als ein Ausdruck von ›doing femininity‹ interpretiert werden kann (vgl. ebd., S. 184f.; Gill und Grint 1995, S. 11; Saupe 2002, S. 33f.). Die Arbeiten von Cockburn und Wajcman sind für die feministische Technikforschung bzw. techniksoziologische Geschlechterforschung von grundlegender Bedeutung, da sie zum einen ein Verständnis für das wechselseitig konstitutive Verhältnis von Technik und Geschlecht befördern, in dem Technik zugleich Ursache und Konsequenz von gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen bildet. Zum anderen stellen sie heraus, dass sich das Verhältnis von Technik und Geschlecht nicht allein in gesellschaftlichen Strukturen manifestiert, sondern ebenso in kulturellen Symboliken und geschlechtlichen Identitäten (vgl. Faulkner 2001, S. 81; Gill und Grint 1995, S. 8ff.). Vor diesem Hintergrund befassen sich zahlreiche Studien mit Aspekten der sozialen wie auch insbesondere der symbolischen Ausschließung von Frauen aus dem Bereich des Technischen. So wird ein zentraler Mechanismus, über den sich die symbolische Verknüpfung von Männlichkeit und Technik stabilisiert, in der Ausblendung des Technischen aus traditionell weiblich codierten Bezugshintergründen gesehen, die auf einen reduzierten Technikbegriff zurückgeführt wird. Demnach etablierte sich im Zuge der Industrialisierung ein Technikverständnis, das Technik vorrangig mit Artefakten assoziiert, bei denen klassische Maschinen sowie Großtechnologien im Vordergrund stehen, die männlich konnotierten und von Männern dominierten Wirkungsfeldern sowie machtvollen Institutionen zuzuordnen sind, darunter bspw. Industriemaschinen, Weltraumtechnik oder Waffensysteme (vgl. Döge 2006, S. 47f.; Faulkner 2001, S. 85; Knoll und Ratzer 2010, S. 103; Teubner 2009, S. 183f.; Wajcman 1994, S. 166). 24 »Schon wenn wir von Technik reden, denken wir dabei meist an Industriemaschinen und Autos und ignorieren andere Technologien, die sich auf die meisten Aspekte des täglichen Lebens beziehen. Mit anderen Worten, bereits die bloße Definition von Technik bzw. Technologie beruht auf männlichen Vorurteilen.« (Wajcman 1994, S. 166)

Die männliche Akzentuierung im alltagsweltlichen Technikverständnis geht dabei mit einer Abwertung von Technologien einher, die in der traditionell weiblich konnotierten Sphäre privater Haushalte zum Einsatz kommen und überwiegend von Frauen bedient werden. Diese Herabsetzung geht mitunter so weit, dass der technische Charakter von Haushaltsgeräten vollkommen verschleiert bzw. ›ent-technisiert‹ wird (vgl. Cockburn 1988, S. 198ff.; Döge 2001, S. 128f.; Knoll und Ratzer 24 Wie Ulrike Teubner (2009) herausstellt, markiert die Entwicklung des Computers »das Ende des traditionellen Maschinenkonzepts des Industriezeitalters« (ebd., S. 186), an Stelle dessen nun die Rechenmaschine tritt, deren zentrale Funktion in der Datenverarbeitung auf der Grundlage von Algorithmen liegt (vgl. ebd.).

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2010, S. 103; Teubner 2009, S. 184; Wajcman 2004, S. 36f.; 1994, S. 131ff.). Beispiele, wie die Entwicklungsgeschichte der Mikrowelle vom High-Tech-Produkt zum wenig technisch anmutenden Küchengerät (vgl. Döge 2006, S. 47f.; Wajcman 2004, S. 36f.; Wolffram 2006, S. 3112), zeugen von dem Wechselspiel zwischen Technik- und Geschlechterverhältnissen, in dem hierarchisierende Wertungen fortlaufend (re-)produziert werden: »Männer, Männlichkeit und Technik werden sozial als relativ wertvoll, Frauen, Weiblichkeit und das Häusliche im Gegensatz dazu als relativ unwichtig konstruiert« (Wolffram 2006, S. 3112). Ferner vollzieht sich die symbolische Vergeschlechtlichung von Technik auch losgelöst von technischen Artefakten, wobei in der Konsequenz durchaus materielle Effekte erzeugt werden können. Denn wenn von Technik gesprochen wird, werden damit zumeist berufliche Tätigkeitsbereiche assoziiert, in denen Männer dominieren, wie die Bereiche Entwicklung, Wartung und Reparatur. Ausgeblendet bleiben dagegen Bereiche, in denen es um die kompetente Bedienung technischer Geräte geht und in denen überwiegend Frauen beschäftigt sind.25 Aus Sicht der feministischen Technikforschung trägt diese Trennung, als Ausdruck eines verkürzten Technikverständnisses, im Zusammenhang mit variablen und mitunter widersprüchlichen Kompetenzzuschreibungen an Frauen und Männern dazu bei, den symbolischen Ausschluss von Weiblichkeit aus den Kerngebieten des Technischen und damit die männliche Hegemonie im Feld Technik aufrechtzuerhalten. Während Frauen vornehmlich ausführende und dabei eher als geringqualifiziert geltende Bedienungs- und Anwendungskompetenzen zugesprochen werden, ist der primär Männern zugeordnete Kompetenzbereich, der sich auf die sach- und fachkundige Beherrschung technologischer Funktionssysteme auf der Grundlage mathematischnaturwissenschaftlichen Wissens bezieht, ungleich statushöher (vgl. Cockburn 1988, S. 21; Engler und Faulstich-Wieland 1995, S. 60; Schuster et al. 2004, S. 35ff.; Wajcman 1994, S.166). Des Weiteren verweist die britische Techniksoziologin Wendy Faulkner (2001) auf die kognitiv-assoziative Verkoppelung von Männlichkeit und Technik, über die sich insbesondere in der Wahrnehmung durch Außenstehende ein maskulinisiertes Image von Technik formiert und die damit entscheidend zur Aufrechterhaltung männlicher Dominanz in technischen Berufen beiträgt. Die Gleichsetzung von Männlichkeit und Technik steht dabei in Verbindung mit einer Reihe hochgradig geschlechtlich aufgeladener Dichotomien, wie Technik/Soziales, hart/weich, Ma-

25 Die Einschätzung als nicht oder weniger technische Tätigkeit erfolgt unabhängig davon, ob die jeweiligen Bereiche technologisches Wissen voraussetzen, wie bspw. im medizinischen Bereich der Krankenpflege auf hochtechnisierten Intensivstationen (vgl. Schuster et al. 2004, S. 36) oder Röntgenstationen (vgl. Cockburn 1988, S. 116ff.; Wetterer 2002, S. 95f.).

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schine/Mensch, abstrakt/anschaulich, Geist/Körper (vgl. ebd., S. 85ff.; Faulkner 2000, S. 761f.). »The fact that popular images of both science and technology are strongly associated with the masculine side of these dualisms must be one of the reasons why, in a deeply gender divided world, most girls and women do not even consider a career in engineering.« (Faulkner 2001, S. 85f.)

Nach Faulkner werden durch die Verknüpfung von Ingenieursarbeit mit Wissenschaftlichkeit althergebrachte Geschlechterdualismen aufgerufen, in denen Männlichkeit mit objektiver Rationalität, emotionaler Distanz sowie einer theoriegeleiteten, mathematisch-abstrakten und reduktionistischen Herangehensweise an Problemstellungen gleichgesetzt wird. Dem entgegen wird Weiblichkeit eher mit emotionaler Verbundenheit und einer erfahrungsbasierten und ganzheitlichen Zugangsweise zu Lösungsansätzen assoziiert (vgl. Faulkner 2001, S. 85). Der in kulturelle Deutungsmuster eingelassene Dualismus zwischen Technik und Sozialem trägt auf symbolischer Ebene somit zur geschlechtlichen Codierung von Arbeit bei, indem er Positionen schafft, die sich gegenseitig auszuschließen scheinen: »to be technical ist to be not-social«, so Faulkner (2008, S. 144). Vor dem Hintergrund, dass personenund fürsorgebezogene Kompetenzen Bestandteil normativer Zuschreibungen an weibliche Geschlechtsidentitäten darstellen, stellt sie den »technical/social dualism« (ebd., S. 141) daher als eine der zentralen Ursachen heraus, warum Technikwissenschaften als »›gender inauthentic‹ for women« (ebd., S. 144) erscheinen. Überdies hebt Faulkner in ihrer Studie über das Berufs- und Selbstverständnis von Ingenieur*innen hervor, dass sich Ingenieur*innen ebenso wie deren berufliche Arbeitsanforderungen tatsächlich als äußerst heterogen erweisen und somit stereotypen Vorstellungen vom technikzentrierten Berufsfeld durchaus widersprechen. Doch zeigt sich, dass Ingenieur*innen selbst fortlaufend zwischen technischen Aspekten, die als »›real‹ engineering« (ebd., S. 141) gedeutet werden, und sozialen Anforderungen in der beruflichen Alltagspraxis unterscheiden. Auf dieser Grundlage lassen sich geschlechtliche Differenzierungen nachzeichnen, mit denen stereotype Bilder von der sozial kompetenten Ingenieurin und dem technikfokussierten Ingenieur hervorgebracht und fortlaufend aktualisiert werden. Faulkner schließt daraus, dass der Technik/Sozial-Dualismus, der an kulturell verwurzelte, dichotome und zugleich geschlechterpolarisierende Deutungsmuster anschließt, maßgeblich dazu beiträgt, dass technische Berufe eine höhere Attraktivität für Männer besitzen als für Frauen. Sie argumentiert, dass das Festhalten vieler Ingenieure an einem technikzentrierten Berufs- und Selbstverständnis auf die Konsistenz mit anerkannten Männlichkeitsbildern zurückzuführen ist, während die Anerkennung als ›wirkliche‹ Ingenieurin für Frauen vergleichsweise fragil erscheint (vgl. Faulkner 2008, S. 148ff.).

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Im deutschsprachigen Raum konzentriert sich der Politikwissenschaftler und Männlichkeitsforscher Peter Döge (2001) unter Bezugnahme auf Connells Konzept ›hegemonialer Männlichkeit‹ auf Zusammenhänge zwischen Technik, Wissenschaft und Männlichkeit und nimmt dabei auch den Aspekt staatlicher Forschungs- und Technologiepolitik in den Blick. Er begreift die vorherrschende Technikkultur als männlich geprägt und verweist auf ihre enge Verflechtung mit einer Wissenschaftskultur, in der Naturwissenschaften als ›harte‹ Wissenschaften gelten und sich von ›weichen‹ und eher weiblich konnotierten Geistes- und Sozialwissenschaften abgrenzen. Leitbilder hegemonialer Männlichkeit in Technik und Naturwissenschaft, die Forschungsfelder prägen, die mit einem hohen Prestige verbunden sind und über hohe finanzielle Ressourcen staatlicher Technologieförderung verfügen,26 stehen für Döge in Verbindung mit einer Werteorientierung, in der die weiblich konnotierte Natur als ausbeutbare Ressource erscheint, während damit verbundene technologische Risiken aufgrund ihrer mathematischen Berechenbarkeit als kontrollierbar gelten. In diesem Zusammenhang kommt der Physik von jeher eine besondere Bedeutung zu (vgl. Döge 2006, S. 48f.; 2002, S. 33; 2001, S. 129; Erlemann 2015, S. 161f.; Knoll und Ratzer 2010, S. 124).27 »Denn nur im physikalischen Experiment drücke sich die klare Trennung von Subjekt und Objekt, von Mensch und Natur aus. Im (männlichen) Physiker personalisiert sich geradezu idealtypisch die descartsche Trennung von Geist und Emotion, die als konstitutiv für das nachaufklärerische Modell hegemonialer Männlichkeit und für die Geschlechterordnung der Moderne insgesamt wurde.« (Döge 2006, S. 49)

Des Weiteren hebt Döge hervor, dass als Repräsentant des technologischen Fortschritts und technologischen Wissens vornehmlich der »weiße, männliche Ingenieur« (Döge 2002, S. 33, Hervorh. i.O.) gedacht wird. Damit eröffnet sich eine intersektionale Perspektive, aus der Geschlecht im Kontext von Technik in Überschneidung mit weiteren kulturellen Differenzkategorien betrachtet wird, wie sie bereits bei Connell in ihrem Konzept der ›hegemonialen Männlichkeit‹ angelegt ist. 26 Döge (2002, S. 33) spricht in diesem Zusammenhang auch von einer »androzentrischen Schwerpunktsetzung« in der deutschen Forschungs- und Technologieförderung, da nicht nur die Akteur*innenebenen maßgeblich männlich besetzt seien. Auch würden Einsatzbereiche in weiblich konnotierten Sphären wie der ›care economy‹ bei der Vergabe von Fördermitteln kaum Berücksichtigung finden (vgl. ebd.). 27 Ausführlich wird das Thema »Geschlecht in physikalischen Fachkulturen« von Martina Erlemann (2015) diskutiert, wobei sie u.a. darauf hinweist, dass die physikalischen Wissenschaften ein heterogenes Feld an Fachgebieten umfassen, die mit sehr unterschiedlichen vergeschlechtlichenden Zuschreibungen an die jeweiligen Akteur*innen und ihre Praktiken einhergehen (vgl. ebd., S. 161ff.)

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Auch Tanja Paulitz (2012; 2008a; 2008b) bezieht sich in ihrer intersektionalen Betrachtung unterschiedlicher Männlichkeitskonstruktionen im Rahmen ihrer Analyse zeitgenössischer Schriften aus den Professionalisierungsdebatten des Ingenieurwesens um 1900 auf Connell. Sie weist variable, teils disparate Männlichkeitskonstruktionen nach, die sich über soziale und ethnische Differenzierungen und Hierarchisierungen konstituieren (vgl. auch Kapitel 2.4) und sich dabei in ihrer symbolischen Referenz als äußerst flexibel erweisen. So lassen sich mitunter zwar metaphorische Annäherungen an weiblich konnotierte Deutungsmuster aufzeigen, die jedoch die Männlichkeit des Ingenieurs keineswegs infrage stellten, sondern Analogien zum hegemonialen Männlichkeitsideal des Bildungsbürgertums aufweisen. Auf diese Weise gründeten sich nach Paulitz die Ingenieurswissenschaften als ›Männerkultur‹ und prägten damit das traditionelle Berufsverständnis, wie es auch heute noch Gültigkeit besitzt (vgl. exempl. Paulitz 2012).28 In einer weiterführenden Studie beforscht Paulitz gemeinsam mit Susanne Kink und Bianca Prietl (2015) anhand leitfadengestützter Interviews das gegenwärtige Fach- und Selbstverständnis von Wissenschaftler*innen natur- und technikwissenschaftlicher Fachgebiete. Dabei zeigt sich, dass sich die Befragten vornehmlich als geschlechtsneutrale Erkenntnissubjekte und damit gemäß dem Anspruch wissenschaftlicher Objektivität und Neutralität entwerfen, jedoch implizit männliche Normvorstellungen in ihrem Tätigkeitsfeld reproduzieren. Auch hier stellen die Autorinnen heraus, dass die Praxen diskursiver Grenzziehung nicht allein vor dem Hintergrund dualistischer Geschlechterdifferenz erfolgen, sondern sich konkurrierende und hierarchisierende Männlichkeitskonstruktionen im Binnenverhältnis der einzelnen Fachgebiete aufzeigen lassen (vgl. ebd.). Im Kontext von Natur- und Technikwissenschaften stehen demnach Fachverständnis und vergeschlechtlichte Subjektposition in einem ko-produktiven Zusammenhang. Die Autorinnen kommen zu dem Schluss: »Natur- wie technikwissenschaftliche Erkenntnissubjekte werden stets – wenn auch auf unterschiedliche Weise – implizit männlich codiert und Frauen durchweg im ›Außen‹ des wissenschaftlichen Feldes positioniert.« (Paulitz et al. 2015, S. 223, Hervorh. i.O.)

Als evident erweist sich, dass die männliche Codierung technischer Berufe somit keineswegs als selbstverständlich zu begreifen ist, sondern als Effekt eines sozial konstruierten Wechselverhältnisses zwischen Technik und Geschlecht, das eingelassen in bipolare Dualismen kultureller Denk- und Deutungsmuster zugleich komplementäre Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepte diesseits und jenseits des Technischen hervorbringt. Denn wie deutlich wird, ist Technik kein geschlechts28 Eine ausführliche Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Ingenieurwesens in der DDR mit Blick auf die Situation von Frauen findet sich bei Karin Zachmann (2004).

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neutraler Gegenstandsbereich, sondern auf symbolischer Ebene eng mit Männlichkeit verwoben. Indem Männlichkeit und Technik wechselseitig füreinander konstitutiv sind, resultiert aus der Relationalität der binären Geschlechterkategorien, die sich durch die Negation des jeweils anderen definieren, ein symbolischer Ausschluss des Weiblichen aus dem Bereich Technik. Männlichkeit symbolisierende Technik lässt sich in diesem Zusammenhang als ein bedeutsamer Differenzmarker der geschlechtsbezogenen (Re-)Codierung von Berufsarbeit herausstellen.

3.4 BERUFSWAHLORIENTIERUNGEN ALS AUSDRUCK GESCHLECHTLICHER IDENTITÄTSARBEIT Mit den voranstehenden Ausführungen ist deutlich geworden, dass kollektiv geteilte Vorstellungen von Geschlecht und Technik nicht auf eine Natur der Dinge zurückzuführen sind, sondern fortwährenden Konstruktionsprozessen im komplexen Zusammenspiel von Individuum und Gesellschaft unterliegen. Indem danach gefragt wird, wie Individuen durch ihre sozialen Handlungen gesellschaftliche Wirklichkeiten, etwa die Differenzierung von Männlichkeit und Weiblichkeit, hervorbringen, diese erkennen und reproduzieren und damit eine wechselseitige Verständigung ermöglichen, bieten sie nützliche Denkmodelle, um die Bedeutung von Geschlecht im Kontext technischer Berufswahlorientierungen zu ergründen. Dabei gilt es die (geschlechtlichen) Selbstinszenierungen junger Frauen und Männer im Berufsfindungsprozess vor dem Hintergrund der kulturellen Setzung normativer Zweigeschlechtlichkeit in den Fokus zu rücken und geschlechtsbezogene Unterschiede hinsichtlich einer technischen Berufswahl als Ausdruck der Zuschreibung und Darstellung von Geschlechtsidentität (vgl. Hagemann-White 1984) – als ›doing gender‹– in den Blick zu nehmen. Am Übergang Schule-Studium/Beruf stehen adoleszente Frauen (und Männer) vor der gesellschaftlichen Anforderung, eine kohärente und konsistente Geschlechtsidentität auszubilden, mit der sie sich innerhalb der binären Geschlechterordnung zweifelsfrei und dauerhaft als weiblich oder männlich verorten und die sie im Zuge ihrer alltäglichen Handlungen und (beruflichen) Orientierungen überzeugend zum Ausdruck bringen (vgl. King 2002, S. 85; Micus-Loos et al. 2016, S. 29). Die in den Traditionen technischer Berufe tief verwurzelte männliche Geschlechtersymbolik, bietet ihnen hierbei die Gelegenheit, sich durch abgrenzende bzw. identifizierende Bezugnahme im Sinne von ›doing femeninity‹ bzw. ›doing masculinity‹ wirkungsvoll zu inszenieren. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch auch, dass eine technische Berufswahl nicht komplikationslos mit der Darstellung konventionell anerkannter Weiblichkeit zu vereinbaren ist, was sich hemmend auf eine berufliche Identifikation potenziell technikinteressierter junger Frauen auswirken kann. Folg-

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lich ist die mehrheitliche Entscheidung junger Frauen gegen einen technischen Beruf- bzw. ein technisches Studienfach, vorrangig nicht als eine freie individuelle Wahl zu betrachten, sondern als eine, die von komplexen gesellschaftlichen Verhältnissen gerahmt ist. Der Prozess der Berufswahlorientierung im Zuge adoleszenter Identitätsbildung wird somit als Prozess der Auseinandersetzung mit vorherrschenden Geschlechterrelationen, Normen und Symboliken verstehbar, über die sich bestimmte Annahmen formieren, was Frauen und Männer zu leisten vermögen, für welche Tätigkeiten sie sich eignen und welche Berufe angemessen für sie sind. In diesem Kontext kommt dem Erfahrungsraum Schule als gesellschaftlicher Sozialisationsinstanz eine bedeutsame Rolle zu, in dem Mädchen und Jungen bereits früh mit stereotypen Geschlechterbildern und Erwartungshaltungen konfrontiert werden, die mit der Zuschreibung von geschlechterdifferenten Verhaltensweisen, Interessengebieten und Leistungsstärken einhergehen (vgl. Faulstich-Wieland et al. 2004; Hummrich und Kramer 2017, S. 128ff.; Micus-Loos et al. 2016, S. 30; Solga und Pfahl 2009, S. 158ff.; Wolffram 2003, S. 32ff.). 29 Lehrkräfte begegnen Schüler*innen häufig mehr oder weniger unbewusst mit stereotypen Vorannahmen hinsichtlich ihrer fachbezogenen Fähigkeiten und Eignungen (vgl. Budde et al. 2008, S. 116; Hummrich und Kramer 2017, S. 128ff.; Jäckle et al. 2016, S. 20; Lembens und Bartosch 2012, S. 87; Schuster et al. 2004, S. 44f.). Dies führt u.a. dazu, dass in traditionell männlich codierten mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern Schülerinnen schlechter beurteilt werden, als es ihren tatsächlichen Leistungen entspricht (vgl. Hofer 2015, S. 2879ff.; Jäckle et al. 2016, S. 203). Hinzu kommt, dass das männliche Image dieser Fächergruppe Schülerinnen eine Identifikation und damit die Ausbildung eines fachbezogenen Selbstkonzepts erschwert. Dabei sind die Entwicklung von Fachinteresse sowie das Vertrauen in die eigenen fachbezogenen Fähigkeiten hinsichtlich einer späteren Berufs- bzw. Studienfachwahl von einschneidender Bedeutung (vgl. Behnke 2012, S. 217; Döge 2006, S. 49; Micus-Loos et al. 2016, S. 178; Schuster et al. 2004, S. 40ff.). Denn das eigene Fähigkeitsselbstkonzept ist für die Wahl von Leistungskursen in der Oberstufe ausschlaggebend und diese wiederum weist eine hohe Übereinstimmung mit einer späteren Studienfachwahl auf (vgl. Driesel-Lange 2011, S. 5ff.). Dass sich fachbezogene Präferenzen von Mädchen und Jungen im Zuge der schulischen Laufbahn zunehmend auseinanderdividieren (vgl. Benke 2012, S. 16ff.; Lembens und Bartosch 2012, S. 86; Schuster et al. 2004, S. 42), ist folglich nicht auf einen natürlichen Geschlechterunterschied zurückzuführen, sondern im Zusammenhang mit stereotypen Geschlechterbildern und Fähigkeitsattribuierungen zu betrachten, die dazu füh29 Im deutschsprachigen Raum hat sich eine Reihe von Studien intensiv mit ›doing-gender‹Prozessen im schulischen Kontext befasst (vgl. exempl. Budde 2015; 2005; Budde et al. 2014, 2008; Faulstich-Wieland et al. 2004; Jäckle et al. 2016; Solga und Pfahl 2009, S. 158ff.).

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ren, dass Mädchen und Jungen fächerbezogen eine ungleiche schulische Anerkennung und Bestätigung erfahren. Doch auch wenn geschlechtsbezogene Zuschreibungen und Aneignungen für das eigene fachliche Selbstkonzept, auf das sich berufliche Orientierungsprozesse stützen, weitreichende Konsequenzen haben können, sind adoleszente Identitätsbildungsprozesse in der Phase der Berufsfindung von gesellschaftlich zugemuteten Geschlechtszuschreibungen keineswegs determiniert, sondern bergen ebenso das Potenzial für progressive Verarbeitungstendenzen und damit für konventionsüberschreitende Selbstdefinitionen (vgl. King 2002, S. 88). So richtet die vorliegende Studie einerseits den Blick auf Mechanismen der Reproduktion normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht, die sich vor dem Hintergrund kollektiver Erfahrungen innerhalb des Systems der Zweigeschlechtlichkeit in den beruflich-geschlechtlichen Selbstentwürfen der beforschten jungen Frauen dokumentieren, und andererseits auf Momente der Zurückweisung begrenzender Geschlechtszuschreibungen und der Überschreitung gesellschaftlicher Konventionen, die auf mögliche Neuerungen innerhalb geschlechtlicher Identitätskonstruktionen hinweisen.

4. Beruflich-geschlechtliche Subjektivierungsweisen im Diskursfeld Technik und Geschlecht Vor dem Hintergrund des vorangegangenen Kapitels zum ethnomethodologischen Konstruktivismus und seinen Implikationen für die sozialwissenschaftliche und techniksoziologische Geschlechterforschung lassen sich kollektiv geteilte Vorstellungen von Geschlecht und Technik als Ergebnis sozial konstruierter Bedeutungszusammenhänge interpretieren, die im reflexiven Zirkelschluss von Wissen und Handeln sozial wirksam werden. In weiterführenden Überlegungen vermag eine durch poststrukturalistische bzw. diskursanalytische Theoretisierungen angeregte Perspektive den Kerngedanken sozialkonstruktivistischer Ansätze – demzufolge Bedeutungen durch soziale Praxis hervorgerufen und bestätigt werden – hinsichtlich der Ursprünge und Triebfedern sozialer Konstruktionsweisen weiter zu präzisieren, indem sie die Wirkmächtigkeit von Sprache, Bedeutungen zu erzeugen und damit soziale Wirklichkeiten und daraus resultierende Subjektpositionen zu erschaffen, in den Fokus rückt (vgl. Villa 2012, S. 22). Übereinstimmungen zwischen sozialkonstruktivistischen und poststrukturalistischen Ansätzen lassen sich insbesondere dahingehend aufzeigen, dass sie die Annahme eines objektiven Zugangs auf eine vorkulturelle Wirklichkeit kritisieren, Bedeutung stets in Relation zum jeweiligen Kontext betrachten und folglich als unbeständig und variabel begreifen (vgl. Fritzsche 2001, S. 98).1 Unterschiede finden sich dagegen im grundlegenden Subjektverständnis. Denn während der ethnomethodologische Konstruktivismus das Subjekt als der Gesellschaft gegenüberstehend begreift und dabei das Spannungsverhältnis von individueller Handlung und gesellschaftlicher Struktur verhandelt (vgl. Knoblauch 2001, S. 12, 14f.), lehnen poststrukturalistische Theoretiker*innen humanistische Annahmen eines autonom handelnden Subjekts ab. Sie begreifen Subjektivität als dynamischen Effekt gesellschaftlicher Machtverhältnisse und der in ihnen und durch sie wirkenden konstituti-

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Hierin zeigt sich auch eine Entsprechung zu theoretischen und methodischen Grundsätzen qualitativer Sozialforschung.

82 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

ven Diskurse und Bedeutungen. Subjekte können demnach immer nur in ihrer Verstrickung mit den gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen ihrer sozialen Existenz betrachtet werden (vgl. Balzer und Ludewig 2012, S. 95; Hummrich und Kramer 2017, S. 99ff.; Jäckle et al. 2016, S. 33; Meißner 2010, S. 10). Unter dem Sammelbegriff ›Poststrukturalismus‹ werden (retroperspektiv) heterogene und interdisziplinäre Denkansätze zusammengefasst, die sich ausgehend vom Frankreich der späten 1960er-Jahre in kritischer Auseinandersetzung mit dem Strukturalismus entwickelten und als gemeinsamen Nenner eine strikt deontologische Perspektive aufweisen. Im Fokus stehen der Prozesscharakter von (sprachlicher) Sinn- und Bedeutungsgenerierung und das (erkennende) Subjekt als historisch-kulturelles Konstrukt, dessen Subjektivität selbst komplexen Hervorbringungsbedingungen unterliegt. Entgegen szientistischer Vorstellungen heben poststrukturalistische Ansätze somit Wahrheit, als ein Produkt performativer Vollzüge, in ihrer Historizität hervor (vgl. Schrage 2008, S. 4120). Folglich weist der poststrukturalistische Diskursbegriff ein Verständnis von Sprache als Zeichensystem, mit dessen Hilfe Dinge und Sachverhalte beschreibbar und kommunizierbar werden bzw. eine vorkulturelle Realität abgebildet werden könnte, zurück und stellt die hervorbringenden, produktiven und damit machtvollen Effekte von Sprache ins Zentrum (vgl. Fritzsche 2001, S. 98; Villa 2012, S. 19ff.). Menschen können nur über ihre Wahrnehmung Bezug auf materielle, soziale und kulturelle Phänomene nehmen und diese ist nicht unberührt oder objektiv, sondern immer bereits Interpretation auf der Grundlage einer diskursiven Matrix im Sinne kollektiver Sinnkonstruktionen und geteilter Wissensordnungen, die als »Systeme des Denkens und Sprechens« (Villa 2012, S. 20) die Wahrnehmung prägen und damit das Wahrgenommene konstituieren (vgl. ebd.; Fritzsche 2001, S. 98). Dieses Verständnis von Diskurs als produktiv bedeutet jedoch nicht, die Materialität weltlicher Phänomene außerhalb von Diskursen zu negieren (vgl. exempl. Butler 1995, S. 54), doch »[sind] die Phänomene um die es geht […] immer in einer bestimmten Weise durch das diskursive Feld, in denen sie bedeutet werden, geformt« (Villa 2012, S. 23). Somit stellen auch poststrukturalistische Positionen die Vorstellung einer, der Kultur vorgängigen, Existenz zweier biologisch eindeutiger Geschlechter kritisch infrage. Demnach folgt die Geschlechtsbestimmung keiner objektiven und von der Natur vorgegebenen Zuordnung, sondern wird als sozialer Prozess begriffen, in dem erst auf der Grundlage biologischer, medizinischer und anthropologischer Diskurse bestimmten Körpermerkmalen eine spezifische Bedeutung zugewiesen wird, indem sie als Geschlechtsmerkmale definiert werden. Erst durch die (begrifflichdiskursive) Unterscheidungspraxis werden die bipolaren Geschlechterkategorien Frau/Mann, weiblich/männlich sozial bedeutsam und die Vorstellung einer zweigeschlechtlichen Ordnung realitätsmächtig (vgl. Bublitz 2008, S. 263; Bührmann 2004, S. 25; Hartmann 2001, S. 68f.; Michalitsch 2015, S. 119).

Beruflich-geschlechtliche Subjektivierungsweisen | 83

Für die poststrukturalistische Perspektive auf den Zusammenhang von Sprache und sozialer Wirklichkeit ist das Diskursverständnis des französischen Philosophen, Psychologen und Historikers Michel Foucault (vgl. exempl. Foucault 2014; 2005; 1986a) grundlegend. Dieses eignet sich dazu, die produktive Kraft von Sprache als Ausgangspunkt für alltagstheoretische und realitätsrelevante Wissensbestände über die dualistische Geschlechterordnung sowie über Technik als vermeintlich neutralen Gegenstandsbereich ingenieurwissenschaftlicher Berufsfelder in ihrer Verwobenheit näher zu betrachten und hinsichtlich der daraus resultierenden Subjektpositionen und ihrer Einbettung in gesellschaftliche Machtverhältnisse zu befragen. Aufbauend auf Foucault vermag des Weiteren die Performativitätstheorie der USamerikanischen Philosophin, Literaturwissenschaftlerin und Gendertheoretikerin Judith Butler (vgl. exempl. Butler 2014; 2012; 2006) den Analysefokus darauf zu richten, wie machtvolle Diskurse über Technik und Geschlecht die Hervorbringung bestimmter beruflich-geschlechtlicher Identitäten erwirken, in denen sich normative Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit realisieren, ohne dabei vorgefertigte Annahmen über beständige und in sich konsistente Selbstverhältnisse der beforschten jungen Frauen (und Männer) zu reproduzieren. Als theoretische Referenzpunkte erweisen sich die analytischen und theoretischen Arbeiten von Foucault und Butler daher als vielversprechend hinsichtlich der Frage nach den Wirkungsweisen diskursiver Performanz im Kontext von Technik und Geschlecht auf die Bestrebungen bildungsprivilegierter junger Frauen berufliche und geschlechtliche Identität in Einklang zu bringen und damit – gesellschaftlichen Anforderungen entsprechend – in der Berufswahlentscheidung einen authentischen Ausdruck ihres Selbst zu suchen. Aus diesem Blickwinkel erscheint die überwiegend geschlechtlich codierte Berufswahl junger Frauen weniger als unabhängige Entscheidung reflektiert und autonom handelnder Subjekte, sondern als normatives Orientierungsmuster innerhalb eines diskursiv vorstrukturierten Handlungsrahmens (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 4ff., 45ff.). Im Folgenden geht es darum, aus poststrukturalistischer Perspektive einen Zugang zur Analyse der Bedeutsamkeit und Wirkmächtigkeit hegemonialer Diskurse über Technik und Geschlecht und der durch sie transportierten subjektkonstituierenden Normen hinsichtlich beruflich-geschlechtlicher Selbstentwürfe junger Frauen am Übergang Schule-Studium/Beruf aufzuzeigen.

4.1 PRODUKTIVE MACHT VON DISKURSEN Das dem Poststrukturalismus zugrunde liegende Diskursverständnis ist entscheidend von Foucaults analytischen Überlegungen zur produktiven Macht von Sprache geprägt, mit der er zugleich eine Sichtweise auf das moderne Subjekt eröffnet, die

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die Grenzen humanistischer Vorstellungen von Autonomie und Souveränität erkennbar werden lässt. Dabei richtet sich Foucaults Interesse an Sprache als Diskurs nicht auf ihre deskriptive Funktion, vielmehr geht es ihm darum zu verstehen, wie machtvolle Diskurse bestimmte Wissensbestände bilden, die in einem historischkulturellen Kontext den Bereich des Denk- und Sagbaren abstecken und in der Konsequenz bestimmte Vorstellungen von sozialer Wirklichkeit und Subjektivität privilegieren. Ausgangspunkt von Foucaults umfangreichen Arbeiten, in denen Wissen und Wahrheit, Macht und Diskurs zentrale Begriffe bilden, ist eine kritische Analyse der modernen Gesellschaft, der er sich aus einer historiografischen Perspektive nähert, und sie dabei in ihrer Dynamik und Wandlungsfähigkeit erkennbar werden lässt (vgl. Michalitsch 2015, S. 109). Sein Kerngedanke ist, dass die in einer bestimmten historischen Epoche vorherrschenden Machtverhältnisse an zeitgenössische Diskurse des Wissens und der Wahrheit gebunden sind, die sie zugleich ermöglichen, festigen und verbergen, so dass sie selbstverständlich erscheinen (vgl. Ewald 1978, S. 10). Allgegenwärtig durchdringt Macht den gesamten sozialen Körper (vgl. Foucault 1978, S. 35) und äußert sich dabei weniger repressiv unterdrückend als vielmehr produktiv hervorbringend,2 wie Foucault im Zuge seiner umfangreichen Betrachtungen zunehmend betont (vgl. exempl. Foucault 1986a, S. 115; 1978, S. 35). Ihre produktive Wirkung zeigt sich als Effekt der Diskursen immanenten Kraft, Dingen Bedeutung zu verleihen und auf diese Weise bestimmte Wissensordnungen zu formieren, die im epochalen Bewusstsein der Gesellschaft Wahrheitscharakter erlangen und in der Folge realitätsmächtig werden (können). Aus diesem Verständnis heraus manifestiert sich Macht in dem Wissen, das sich diskursiv durchsetzt und damit wahrheitswirksam und wirklichkeitsrelevant wird. »Wahrheit selbst ist Macht« (Foucault 1978, S. 54), zwischen beiden sieht Foucault eine unlösbare, zirkuläre Wechselbeziehung (vgl. ebd.). Und so sucht er Diskurs, Wissen und Wahrheit auch nicht mit ihrem jeweiligen Gegenstand ins Verhältnis zu setzen, sondern mit Machtmechanismen, die Wahrheitsdiskurse ermöglichen und legitimieren und denen andererseits diese Art von Diskursen als Grundlage dient. »[D]er Diskurs […] ist dasjenige, worum und womit man kämpft; er ist die Macht, derer man sich zu bemächtigen sucht« (Foucault 2014, S. 11).

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In Foucaults frühen Arbeiten, wie in seinen Vorlesungen über »Die Ordnung der Diskurse« am Collège de France im Jahr 1970, findet sich noch ein »juridisch-diskursive[s]« (Ziai 2003, S. 407) und dabei eher repressives Machtverständnis, mit dem er sich auf das komplexe gesellschaftliche Regelwerk fokussiert, das über Gesetze und Verbote bestimmt, wer wann sprechen und was gesagt werden darf (vgl. Foucault 2014). In »Überwachen und Strafen« (1977) und »Der Wille Zum Wissen« (1986a) entwickelt Foucault ein produktivistisches Machtverständnis, in dem er die hervorbringende Wirkung von Macht betont, die heute für sein Werk kennzeichnend ist.

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Entgegen einem reduzierten Verständnis von Sprache als Zeichensystem geht es Foucault darum, »Diskurse […] als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen« (Foucault 1981, S. 74.).3 Diskursive Praxis ist in seinem Verständnis produktiv, indem sie Bedeutungen und Sinnkonstruktionen, Begriffsordnungen und Denksysteme und damit Vorstellungen sozial geteilter Wirklichkeit erzeugt, wobei sie einem implizierten Regelwerk unterworfen ist, das über Verfahren der Ausschließung4 vorgibt, was denk- und sagbar ist (vgl. Foucault 2014, S. 11) Indem es für Foucault dabei kein Außerhalb der Macht gibt, lehnt er es zugleich ab, im Sinne humanistischer Wertetraditionen, die diskursive Hervorbringung von Wissen auf die Instanz eines erkennenden und ausführenden Subjekts zurückzuführen. Für ihn stellen diskursive Wissensformationen eine überindividuelle Praxis und keine individuelle Leistung dar. Mehr noch weist er Vorstellungen vom autonom handelnden und in sich konsistenten Subjekt konsequent zurück und begreift das Subjekt selbst als durch machtvolle Diskurse konstruiert und konstituiert (vgl. Foucault 2015, S. 15; auch Diaz-Bone et al. 2007, S. 3). »Man muß sich vom konstituierenden Subjekt, vom Subjekt selbst befreien, d.h. zu einer Geschichtsanalyse gelangen, die die Konstitution des Subjekts im geschichtlichen Zusammenhang zu erklären vermag. Und genau das würde ich Genealogie nennen, d.h. eine Form der Geschichte, die von der Konstitution von Wissen, von Diskursen, von Gegenstandfeldern usw. berichtet, ohne sich auf ein Subjekt beziehen zu müssen, das das Feld der Ereignisse transzendiert und es mit seiner leeren Identität die ganze Geschichte hindurch besetzt.« (Foucault 1978, S. 32)

Machtvolle Diskurse sind demzufolge Wissensordnungen, die in einem historischkulturellen Kontext das Denk- und Sagbare strukturieren und regulieren und auf diese Weise bestimmte Wirklichkeiten und Subjektpositionen5 erzeugen, während sie andere ausschließen. In diesem Sinne sind Diskurse ›mehr‹ als die sprachliche Bezeichnung von Dingen oder Sachverhalten. »Dieses mehr macht sie irreduzibel 3

Diskursive Praxis beschreibt Foucault (1981) als eine Gesamtheit kollektiv geteilter Regeln, die im jeweiligen historischen Kontext und im jeweiligen sozio-kulturellem Feld »die Wirkungsbedingungen der Aussagefunktion definiert haben« (ebd., S. 171). Foucaults Konzeption von Aussagesystemen, wird im Folgenden noch näher erläutert.

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Ausschlüsse sind als diskursive und institutionelle Beschränkungen dessen zu begreifen, was gesagt werden kann und was als Wissen gilt, die in einem bestimmten historischkulturellen Zusammenhang habitualisiert werden (vgl. Mills 2007, S. 67ff.).

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Dies verdeutlicht er am Beispiel von Diskursen des 19. Jahrhunderts über die »Kontrolle der kindlichen Sexualität« (Foucault 1986a, S. 56) sowie der diskursiven Erzeugung von Homosexuellen als einer persönlichkeitsrelevanten »Spezies« (ebd., S. 58).

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auf das Sprechen und die Sprache« (Foucault 1981, S. 74, Hervorh. i.O.) und wird zum Gegenstand der von Foucault entwickelten Diskursanalyse als ein Instrument, das zu erfassen vermag, wie in verschiedenen Diskursfeldern Gegenstände des Wissens entstehen (vgl. Sarasin 2005, S. 100). So ist Foucaults Diskursbegriff eng verwoben mit seinen Überlegungen zu Macht, Wissen und Wahrheit, deren Konfiguration den Diskurs in seinem Sinne konstituiert (vgl. Mills 2007, S. 18). Er nimmt in Foucaults Werken einen zentralen Stellenwert ein und wird von ihm in seiner Vielschichtigkeit und Kontextgebundenheit fortwährend überdacht und modifiziert. 4.1.1 Diskursive Wissensordnungen In einer konturierenden Definition bezeichnet Foucault (1981, S. 156) Diskurs als »eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören« und allgemein »als eine Menge von sprachlichen Performanzen« (ebd.). Damit wird deutlich, dass es nicht nur einen Diskurs gibt, sondern sich stets mehrere Diskurse in unterschiedlichen sozialen Feldern im Umlauf befinden (vgl. ebd., S 156). So kann bspw. dasselbe Phänomen Gegenstand vielfältiger wissenschaftlicher Disziplinen sein, von diesen sehr unterschiedlich beschrieben und bewertet werden und somit auch eine unterschiedliche Bedeutsamkeit erfahren (vgl. ebd.). Gleichzeitig ist der Diskurs »durch und durch historisch« (ebd., S. 170) und folglich unbeständig, variabel und veränderlich. Daher ist für Foucault der Wahrheitsgehalt eines Diskurses unerheblich, er fokussiert mit seinem Diskursbegriff die Hervorbringungsbedingungen kollektiv geteilter Wissensordnungen im Sinne einer diskursiven Matrix, auf deren Grundlage sich die soziale, überindividuelle Wirklichkeit materialisiert. Er fragt nach den Voraussetzungen, die einem bestimmten Diskurs in einer bestimmten historischen Epoche Wahrheitscharakter verleihen, und wie Wahrheit innerhalb einer Gesellschaft unter Ausschluss anderer Wissensformationen produziert wird (vgl. Foucault 2015, S. 15; auch Ewald 1978, S. 16 ). Von zentraler Bedeutung ist dabei ein Verständnis von Diskurs als kollektiv hervorgebrachtem Aussagesystem (vgl. Foucault 1981, S. 154ff.), das sich in einem bestimmten sozialen und historischen Kontext manifestiert und auf dem sich die sozial geteilte Wirklichkeitsvorstellung gründet. Foucault beschreibt Aussageformationen historiografisch und somit losgelöst vom sprechenden Individuum, auch wenn dieses die Aussagen tätigt und damit fortführt. Denn damit ein Sprechakt den Status einer Aussage erhält, muss er anschlussfähig an vorgängige hegemoniale6 Diskurse sein, die im jeweiligen historisch-kulturellen Kontext habitualisiert sind. Andern6

Der Begriff der Hegemonie verdeutlicht innerhalb diskurstheoretischer Ansätze, dass im jeweiligen gesellschaftshistorischen Kontext vielfältige und mitunter konfligierende Diskurse zirkulieren, die eine unterschiedliche Realitätsmächtigkeit aufweisen (vgl. Villa 2012, S. 25).

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falls läuft er Gefahr, seine Wirkung zu verfehlen bzw. keine gesellschaftliche Anerkennung und Beachtung zu erlangen (vgl. Diaz-Bone 2003, S. 64; Diaz-Bone et al. 2007, S. 6).7 Folglich betrachtet Foucault eine Aussage als singuläres Phänomen, jedoch nicht als individuellen, unabhängigen Ausdruck. Eine Aussage koexistiert für ihn allein im Zusammenhang mit einem ihr vorgängigen Aussagekorpus (vgl. Foucault 1981, S. 145) und so gibt es »keine Aussage, die auf die eine oder andere Weise nicht erneut andere aktualisiert« (ebd., S. 143). Sein Ansatz zielt darauf, die dem jeweiligen Aussagesystem – Foucault spricht auch von »diskursiver Formation« (ebd., S. 58, Hervorh. i.O.) – immanente Wissensordnung zu rekonstruieren, die im Sinne einer diskursiv errichteten »Ordnung der Dinge« (Foucault 2015) Begriffen ihre spezifische Bedeutung zuweist, Kategorien des Denkens erzeugt und den Rahmen angemessenen Sprechens definiert. Gültige Kategorien und Bedeutungen erscheinen nicht als sozial-diskursive Konstruktionen, sondern natürlich und selbstverständlich, gar ontologisch, und werden zumeist nicht hinterfragt. Dergestalt sind Diskurse keine ›reine‹ Beschreibungen der Realität, sondern repräsentieren und erzeugen soziale Wirklichkeit (vgl. Diaz-Bone 2003, S. 65). Dabei fragt Foucault nicht danach, ob ein Diskurs bzw. die ihm innewohnende Wissensordnung und die durch ihn repräsentierte und etablierte Form von Wirklichkeit zutreffend sind, vielmehr geht es ihm, insbesondere in seinen frühen archäologischen Arbeiten, darum, aus (wissenschafts-)historischer Perspektive zu verstehen, »wie Wahrheitswirkungen im Innern von Diskursen entstehen, die in sich weder wahr noch falsch sind« (Foucault 1978, S. 34). Wahrheit ist für Foucault nicht transzendent, sondern ein weltliches Phänomen, das gesellschaftlich produziert wird und sich um (wissenschaftliche) Diskurse und Institutionen zentriert, die sie erzeugen (vgl. ebd., S. 51f.). »Wahrheit ist von dieser Welt […]. Jede Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Wahrheit […]: d.h. sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahre Diskurse funktionieren läßt; es gibt Mechanismen und Instanzen, die eine Unterscheidung zwischen wahren und falschen Aussagen ermöglichen und den Modus festlegen, in dem die einen oder anderen sanktioniert werden; es gibt bevorzugte Techniken und Verfahren zur Wahrheitsfindung; es gibt einen Status für jene, die darüber zu befinden haben, was wahr ist und was nicht.« (Foucault 1978, S. 51)

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Als Beispiel führt Foucault hier die Nicht-Anerkennung von Gregor Mendels Erkenntnissen im Bereich der Vererbungslehre durch Botaniker*innen und Biolog*innen im 19. Jahrhundert an, da seine Ausführungen nicht den damaligen Regeln des biologischen Diskurses entsprachen. »Mendel sagte die Wahrheit, aber war nicht ›im Wahren‹ des biologischen Diskurses seiner zeitlichen Epoche« (Foucault 2014, S. 25).

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Indem Foucaults Analyse die Mechanismen und Strategien fokussiert, durch die der Wahrheitsanspruch eines Diskurses innerhalb westlicher Gesellschaften erzeugt und gleichzeitig ein anderer Diskurs marginalisiert wird, stellt er die zentrale Bedeutung von Macht innerhalb des Diskusbegriffs heraus (vgl. Mills 2007, S. 20). Während er in seinen früheren Arbeiten noch von der »Autonomie des Diskurses« (Foucault 1981, S. 235) ausgeht, sieht er in seinen späteren Überlegungen diskursive Ordnungen und ihre Subjektpositionen auch zunehmend an nicht-diskursive Praktiken und materielle Komplexe gekoppelt, die er mit dem Begriff des Dispositivs fasst. Als Dispositiv bezeichnet Foucault (1978) die Vernetzung vielfältiger und heterogener Elemente, wie »Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze« (ebd., S. 119f.), die strategisch in Machtbeziehungen eingebunden sind, indem sie bestimmte Formen von Wissen stützen und durch diese selbst gestützt werden (vgl. ebd., S. 123). Damit verlagert sich seine Perspektive von einer »diskursanalytischen Archäologie« (Reckwitz 2008, S. 21), mit der er die historische Bedingtheit wahrheitsmächtiger Diskurse rekonstruiert, hin zu einer »machtanalytischen Genealogie« (ebd.), die ihren Fokus auf die Bedingungen der Hervorbringung bestimmter Machtrelationen richtet. Foucault spricht von Macht stets im Sinne gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse und verdeutlicht damit, dass Macht für ihn einen »strikt relationalen Charakter« (Foucault 1986a, S. 117) aufweist. Sie ist folglich nicht stabil und einseitig im Besitz bestimmter Gruppen, Personen oder Kollektiven von Machthaber*innen, vielmehr stellt sie eine komplexe und strategische Relation innerhalb sozialer Beziehungen dar, die innerhalb der Gesellschaft zirkuliert und verhandelt wird (vgl. ebd., S. 113f.).8 Diese Verhältnismäßigkeit impliziert, dass Widerstand nicht außerhalb, sondern nur als integraler Bestandteil von Machtbeziehungen zu denken ist, die sich wechselseitig verschieben, sich überlagern und durchkreuzen können. »Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand«, so Foucault (ebd., S. 116). Machtrelationen beinhalten daher weit mehr Rollenpositionen als die der Dominanz und der Unterordnung, wodurch die Welt zweigeteilt wäre in »Beherrscher und Beherrschte« (ebd., S. 115), vielmehr werden die Positionierungen im Feld der Macht situativ erzeugt bzw. interaktiv ausgehandelt. Dabei entfaltet sich Macht zwar stets im Zusammenhang mit zielgerichteten Absichten, doch resultiert sie nicht aus individuellen Entscheidungen souveräner Subjekte und erscheint somit paradoxerweise »gleichzeitig intentional und nicht-subjektiv« (ebd., S. 116). Daher sieht Foucault seine Aufgabe nicht darin, nach der Macht des Subjekts zu fragen, sondern nach der in ihr wirkenden Eigendynamik, mit der – seiner Konzeption der produktiven Macht folgend – 8

Demnach »[sind] Herrschaftssysteme […] Hegemonie-Effekte, die auf der Intensität all jener Konfrontationen aufruhen« (Foucault 1986a, S. 116).

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das Subjekt selbst erst hervorgebracht wird (vgl. ebd., S. 118). Und so konvergieren seine differenzierten Analysen von Wissen, Wahrheit, Diskurs und Macht in der Frage nach der Art und Weise, wie Subjekte erzeugt werden. 4.1.2 Subjektwerdung im Feld der Macht In den 1980er-Jahren resümiert Foucault, dass letztlich die Frage nach dem ›Subjekt‹ als beständiges Thema seine theoretischen und analytischen Arbeiten zu Diskurs und Macht durchzogen und vorangetrieben habe (vgl. Foucault 2005, S. 269f.). Indem er die Idee eines transzendentalen Ichs – wie es Immanuel Kant profilierte – zurückweist, richtet sich sein Analysefokus auf historisch-kulturelle Prozesse der Subjektwerdung innerhalb derer bestimmte Subjektkonzeptionen auftreten, sich behaupten und auch wieder verdrängt werden. Sein Ziel ist es, historische Verfahren aufzuzeigen, durch die Menschen in westlichen Kulturen zum Subjekt (gemacht) werden (vgl. ebd., S. 269). In seinen frühen Arbeiten zeigt Foucault (vgl. exempl. Foucault 1986a) anhand der Analyse von Sexualitätsdiskursen der Moderne, wie Komplexe aus Macht und Wissen über diskursive Praktiken der Differenzierung und Klassifizierung Individuen regulieren, indem sie ihnen die sich ausschließenden Subjektpositionen der Heterosexualität und Homosexualität als ›Seins-Angebote‹ verfügbar machen. Subjektivität entsteht dadurch, dass sich Individuen als heterosexuell oder homosexuell identifizieren und damit die im Diskurs angelegten ›Seins-Angebote‹ einnehmen, was nach Foucault einem Akt der Unterwerfung gleichzusetzen ist. Dass die subjektkonstituierenden und identitätsstiftenden Effekte der Diskurse natürlich erscheinen, ist nach Foucault ein wesentliches Kennzeichen der Wirkungsweise moderner Macht (vgl. Hartmann 2001, S. 74). In späteren Werken wählt Foucault (vgl. exempl. Foucault 2005) als Ausgangspunkt seiner weiterführenden Überlegungen zu Prozessen der »Subjektivierung« (ebd., S. 269) die Kämpfe des Widerstandes, die als Indikator für Machtbeziehungen fungieren.9 In der modernen westlichen Gesellschaft stehen nach Foucault dabei neben Kämpfen gegen machtvolle Institutionen und deren Effekte der Herrschaft und Ausbeutung insbesondere jene im Vordergrund, die sich »gegen die Unterwerfung der Subjektivität« (Foucault 2005, S. 276) richten, d.h. gegen eine bestimmte Form von Macht, die die soziale Existenz bestimmt und in der Alltagswelt ihre Wirkung durch Differenz und Ungleichheit entfaltet. Indem sie Individuen in Kategorien spaltet, weist sie ihnen ihre jeweilige Identität zu und gibt damit das 9

Foucault (2005) folgt hier einer Logik, nach der sich die Bedeutung eines Begriffs erst durch den Blick auf dessen Gegenpart erschließt. So wie sich bspw. (geistige) Gesundheit erst durch die Gegenüberstellung zur (Geistes-)Krankheit begreifen lässt, eröffnet die Konzentration auf Widerstände einen analytischen Zugang zu Machtbeziehungen, gegen die sie sich richten (vgl. ebd., S. 173).

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Raster vor, entlang derer sie für sich selbst als auch für andere erkennbar werden. Aus diesem Machttypus gehen Individuen als Subjekte hervor (vgl. ebd., S. 275). So hat der Begriff ›Subjekt‹ für Foucault eine zweifache Bedeutung: Einerseits das Subjekt, das sich in Abhängigkeit zur Herrschaft befindet, und andererseits jenes, das durch Bewusstsein und Erkenntnis des eigenen Selbst seiner Identität verhaftet ist. Beide Perspektiven sind mit Macht verbunden, »die unterjocht und unterwirft« (ebd.).10 Demnach ist im foucaultschen Verständnis Subjektivität weniger im Sinne eines transzendentalen Ichs zu begreifen, sondern als ein Produkt diskursiver Praxis, die im jeweiligen historischen und kulturellen Kontext das Klassifizierungsschema vorgibt, innerhalb dessen Subjekte überhaupt erst denk-, unterscheid- und folglich definierbar werden bzw. sich selbst denken, abgrenzen und definieren können (vgl. Reckwitz 2008, S. 25). Seine Analyse richtet sich auf machtvolle Diskurse, durch die Subjektpositionen bereitgestellt werden, und fragt nach der Art und Weise, wie sich bestimmte Diskursformationen in Verfahren der Subjektformung materialisieren. Doch auch wenn Diskurse ein wirkmächtiges Raster bilden, das die Hervorbringungen bestimmter Subjektpositionen reguliert, sind sie durch Diskontinuität und Variabilität gekennzeichnet (vgl. Foucault 1981, S. 82). Denn indem Diskurse pluralistisch sind, können sie mitunter konfligieren, sich verschieben oder verdrängen. Aufgrund dieser Unbeständigkeit erweisen sich auch die durch sie konstituierten Subjektpositionen als instabil und variabel. Somit wird das Subjekt zwar entlang machtvoller Diskurse konstituiert, aber dennoch nicht von dieser Macht determiniert. »Die Diskurse ebenso wenig wie das Schweigen sind ein für allemal der Macht unterworfen oder gegen sie gerichtet. Es handelt sich um ein komplexes und wechselhaftes Spiel, in dem der Diskurs gleichzeitig Machtinstrument und -effekt sein kann, aber auch Hindernis, Gegenlager, Widerstandspunkt und Ausgangspunkt für eine entgegengesetzte Strategie. Der Diskurs befördert und produziert Macht; er verstärkt sie, aber er unterminiert sie auch, er setzt sie aufs Spiel, macht sie zerbrechlich und aufhaltsam.« (Foucault 1981, S. 122)

4.1.3 Machttechniken der Moderne Um das Verhältnis von Macht und Subjekt näher zu beschreiben, fragt Foucault nach der Art und Weise, wie Macht ihre Wirkung entfaltet und ihren Einfluss dahingehend ausübt, dass sich in der modernen Gesellschaft Individuen als Subjekte begreifen (vgl. Foucault 2005, S. 281). Macht – so es sie überhaupt gibt, wie Fou10 Das Ziel philosophischer Anstrengungen sieht Foucault (2005, S. 280) demgemäß nicht darin »herauszufinden, sondern abzulehnen, was wir sind«, um sich der »gleichzeitigen Individualisierung und Totalisierung der modernen Machtstrukturen« (ebd.) zu entziehen und »nach neuen Formen der Subjektivierung [zu] suchen« (ebd.).

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cault selbst infrage stellt – existiert für ihn allein als »Ensemble wechselseitig induzierter und aufeinander reagierender Handlungen« (ebd., S. 282). Macht bezeichnet demnach eine Form von Handlung, die nicht unmittelbar auf andere Personen als solche, sondern wiederum auf deren Handlungspraktiken einwirkt, indem sie die Wahrscheinlichkeit zu beeinflussen sucht, dass ein bestimmtes Verhalten auftritt, und darauf zielt, das Handlungsmuster anderer zu strukturieren. Diese Einflussnahme versteht Foucault nicht als unmittelbaren Zwang, sondern als »Führung« (ebd., S. 286) im doppelten Sinne: einerseits durch eine von außen intendierte Lenkung des Verhaltens und andererseits durch ein selbstgesteuertes Verhalten bzw. ›Sich-Aufführen‹ innerhalb eines mehr oder weniger vorgegebenen Handlungsrahmens.11 Damit setzt die Ausübung von Macht auf andere grundlegend voraus, dass diese anderen ›frei‹ in dem Sinne sind, als dass sie über mehrere Handlungsoptionen verfügen12 und »durchgängig […] als handelnde Subjekte anerkannt werden« (ebd., S. 285). Machtausübung und Freiheit schließen sich demnach für Foucault keineswegs aus, vielmehr bezeichnet er Freiheit als elementare Voraussetzung für die Ausübung von Macht – denn ohne Freiheit würde nicht Macht, sondern Zwang und direkte Gewalt ausgeübt werden (vgl. ebd., S. 285ff.). 13 Diesen subjektkonstituierenden Machttypus der Moderne bezeichnet Foucault (2006) neologistisch mit dem Begriff der »Gouvernementalität«,14 der weder auf Gewalt noch auf Überzeugung basiert. Vielmehr vermag er indirekt – nahezu verdeckt – auf die Handlungen jener einzuwirken, die sich in seinem Einflussbereich befinden, gleichsam deren Eigenständigkeit zu präfigurieren (vgl. Rieger-Ladich 2004, S. 211). Die Machtform der Gouvernementalität sieht Foucault (2006) in der modernen Gesellschaft zunehmend in staatlichen Institutionen konzentriert (vgl. ebd., S. 291). Es hat sich in ihr ein politisches System etabliert, das einerseits die Subjekte und Kollektive – die Bevölkerung – als (vermeintlich) eigendynamisch begreift und gleichzeitig darauf zielt, diese Eigendynamik durch Einflussnahme, Begünstigung und Anreize in Richtung eines als wünschenswert geltenden Zustandes zu lenken (vgl. ebd., S. 181ff.; auch Michalitsch 2015, S. 118; Reckwitz 2008, S. 34). Das 11 Foucault (2005) verwendet in diesem Zusammenhang auch den Begriff ›Regierung‹ in einem über politische und staatliche Strukturen hinausgehenden Sinne, der sämtliche Praktiken innerhalb einer Gesellschaft umfasst, die darauf zielen, die Handlungsweisen von Individuen und Kollektiven zu beeinflussen (vgl. ebd., S. 286; 2006, S. 181). 12 So wirkt nach Foucault in Fällen, in denen Menschen bspw. versklavt werden, nicht Macht, sondern körperlicher Zwang (vgl. Foucault 2005, S. 287). 13 Demgemäß beschreibt Foucault das Verhältnis zwischen Macht und Freiheit auch nicht als ›antagonistisch‹, sondern als ›agonistisch‹. Er meint damit ein wechselseitiges und fortwährendes Antreiben, Anstacheln und Provozieren (vgl. Foucault 2005, S. 287f.). 14 Das Konzept der Gouvernementalität stellt eine Weiterentwicklung von Foucaults früherem Subjektivierungsmodell der Disziplinierung dar (vgl. auch Reckwitz 2008, S. 33).

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Konzept der Gouvernementalität beschreibt demnach im foucaultschen Verständnis eine »›Regierung der Selbststeuerung‹« (Reckwitz 2008, S. 34) und präzisiert damit das Verhältnis zwischen Macht und Freiheit in der liberalen Gesellschaft, indem es auf einen Modus des (politischen und nicht-politischen) Regierens verweist, der sich Formen der Selbstregulierung bedient und die Subjekte mit begrenzter Autonomie ausstattet. Gouvernementalität kann so auch als Strategie verstanden werden, durch die in komplexer Wechselwirkung von individualisierenden Verfahren und Formen der Selbststeuerung die Subjekte selbst zu Akteur*innen von Macht- bzw. Subjektivierungstechniken werden. Foucault geht es darum, das Zusammenspiel von »institutionellen – insbesondere politischen – Praktiken und Diskursen des Regierens und der Modellierung der Selbstregierung moderner Subjekte« (ebd., S. 37) zu ergründen und damit die zeitgenössischen Praktiken und Technologien zu beschreiben, durch die sich die Subjekte als Regenten ihrer selbst konstituieren. So beschreibt Foucault die zeitgenössische Form der Subjektwerdung nicht allein als erzwungene Unterwerfung, sondern ebenso als Selbsttechnik (vgl. Foucault 2006, S. 239ff.; Michalitsch 2015, S. 118f.; Rieger-Ladich 2004, S. 214). In diesem Zusammenhang spielen Verfahren der ›Normalisierung‹ (vgl. Foucault 2006, S. 88) als Disziplinierungstechnik eine entscheidende Rolle. Im Zuge disziplinarischer Normalisierung wird dabei zunächst ein angestrebtes ›Soll‹ als Norm gesetzt und auf der Grundlage dieses Richtwertes das Normale und das Anormale voneinander unterschieden. Normal ist demnach das, was sich der Norm fügt bzw. das Verhalten, was mit der gesetzten Norm in Übereinstimmung gebracht wird, anormal dagegen das, was diese Übereinstimmung nicht herstellt bzw. nicht herzustellen vermag. Demnach sind nicht die Bereiche des Normalen und Anormalen ursprünglich für die disziplinarische Normalisierung, sondern die zuvor gesetzte Norm, die diese Bereiche überhaupt erst definiert (vgl. Foucault 2006, S. 89f.).15 Diesen grundlegenden Charakter der Norm sucht Foucault nachdrücklich hervorzuheben: »Anders gesagt, es gibt eine anfänglich vorschreibende Eigenschaft der Norm, und mit Bezug auf diese gesetzte Norm werden die Bestimmungen und die Kennzeichnung des Normalen und des Anormalen möglich. Wegen dieser ursprünglichen Eigenschaft der Norm im Verhältnis zum Normalen, wegen der Tatsache, daß die disziplinarische Normalisierung von der Norm zur abschließenden Spaltung des Normalen und des Anormalen führt, ziehe ich es vor zu sagen, daß es sich bei dem, was in den Disziplinierungstechniken geschieht, eher um eine

15 Im Gegensatz zu Gesetzen, deren Funktion darin besteht, die ihnen zugrundeliegenden Normen systematisch zu kodifizieren (vgl. Foucault 2006, S. 89) und in denen es das, was definiert wird, zu unterlassen gilt, wird im Rahmen normalisierender Disziplinierungstechniken das, was bestimmt wird, zu dem, was es zu erfüllen gilt (vgl. Michalitsch 2015, S. 118).

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Normation [normation] handelt als um eine Normalisierung.« (Foucault 2006, S. 90, Hervorh. i.O.)16

Normalisierung als Form moderner Subjektivierung ist nach Foucault gekennzeichnet durch das dispositive Zusammenspiel diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken, sozialer Normen und gesellschaftlicher Institutionen, aus denen Individuen durch eine »kontrollierte Ermächtigung« (Schrage 2008, S. 4125) zum autonomen Handeln als sich an gesellschaftliche Anforderungen anpassende Subjekte hervorgehen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Komplexität sozialer Wirklichkeit konstituieren sich die Subjekte, indem sie sich an den in der Gesellschaft als ›normal‹ geltenden Verhaltensweisen orientieren und ausrichten. Dies hat zur Folge, dass sie sich nahezu selbstständig und freiwillig an den fortwährenden gesellschaftlichen Wandel der Moderne angleichen (vgl. ebd., S. 4125ff.; Meißner 2010, S. 148ff.).

4.2 TECHNIK UND GESCHLECHT ALS DISKURSIVE WISSENSORDNUNGEN Foucaults Arbeiten sind ein fruchtbarer Beitrag für einen poststrukturalistischen Theorieansatz zur Geschlechterproblematik im Feld Technik, der die Gegenüberstellung und das damit verbundene Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft bzw. Handlung und Struktur aufzulösen und ihre wechselseitig konstitutive Durchdringung herauszustellen vermag (vgl. Bublitz 2008, S. 256ff.). So bietet sich seine Diskurskonzeption für die vorliegende Studie an, um das komplexe Zusammenspiel machtvoller Wissensordnungen über Technik und Geschlecht und Mechanismen der geschlechtlichen Differenzierung hinsichtlich der damit verbundenen Ausschlüsse näher zu beleuchten (vgl. Diaz-Bone 2003, S. 65) und die damit 16 Von der Internalisierung präskriptiver Normen durch einzelne Gesellschaftsmitglieder im Rahmen disziplinarischer Normalisierung differenziert Foucault (2006) eine weitere Form der Normalisierung mit Bezug auf gesellschaftliche »Sicherheitsdispositive« (ebd., S. 90), die einer anderen Logik folgen. Ausgangspunkt hierfür bilden Phänomene innerhalb der Bevölkerung als einer kohärenten Einheit, die anhand statistischer Häufigkeiten als Normalitätsverteilung empirisch erfasst werden und schließlich als Normwert dienen. Die Norm wird folglich von der empirischen Normalität abgeleitet. Politisch motivierte Verfahren der Normalisierung zielen nun darauf, für ungünstig befundene Normalitätsverteilungen in Grenzen zu halten und auf für günstig befundene Verhältnismäßigkeiten hinzuwirken, und zwar nicht durch Einflussnahme auf Einzelne, sondern auf die Bevölkerung als Ganzes (vgl. Meißner 2010, S. 148f.; Michalitsch 2015, S. 118f.; Schrage 2008, S. 4126f.).

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verbundenen Auswirkungen auf die Subjekte, ihre Selbstinterpretationen und handlungsleitenden Orientierungsmuster im Rahmen der Berufsfindung zu untersuchen. Auch wenn Foucault selbst die Dimension Geschlecht in seinen Werken kaum berücksichtigt,17 erweisen sich seine komplexen Analysen des Zusammenspiels von Macht und Diskurs, Wissen und Wahrheit sowie insbesondere seine konsequent historisierenden Betrachtungen von Subjekt, Sexualität und Körper als anschlussfähig für eine diskursanalytisch inspirierte Untersuchung wirkmächtiger Mechanismen geschlechtlicher Differenzierung und hierarchischer Strukturierung im Diskursfeld Technik und Geschlecht, über die sich bestimmte subjektkonstituierende Wirklichkeitsvorstellungen (re-)produzieren, um auf der Grundlage dieser Erkenntnis Ansätze für Veränderungsstrategien zu entwerfen (vgl. Michalitsch 2015, S. 109; Mills 2007, S. 84). Wie poststrukturalistische Geschlechtertheorie und sozialwissenschaftlich orientierte Geschlechterforschung im Anschluss an Foucault herausstellen, gehen aus modernen subjektkonstituierenden Machttechniken stets geschlechtliche Subjekte hervor. Indem sich Geschlechtlichkeit somit als eine zentrale Kategorie zeitgenössischer Subjektivität darstellt (vgl. Bührmann 2004, S. 24; Michalitsch 2015, S. 112),18 erweist sich dies auch als bedeutsam für die Formierung der Gesellschaft als Ganzes. Geschlecht bzw. Geschlechterdifferenz erscheinen aus einem gesellschaftskritischen Blickwinkel als zentrale Elemente moderner Machttechnologie, die über die Generierung von Wissen und Wahrheit über Geschlecht und seine Funktionen Differenz erzeugt, Ungleichheit produziert und dabei Subjekt und Gesellschaft zugleich konstituiert (vgl. Bublitz 2008, S. 256ff.). (Geschlechtliche) Subjektivität entsteht, indem sich Individuen mit den in Diskursen dargebotenen Subjektpositionen und Wissensordnungen identifizieren und normalisieren. Dabei implizieren Machttechniken des ›Regierens‹ als Konglomerat der innerhalb der Gesellschaft und ihrer Institutionen zirkulierenden verhaltensregulierenden Praktiken der Einflussnahme immer auch Prinzipien und Normsetzungen 17 Andeutungen dahingehend, dass auch Geschlecht durch die Verwobenheit von Macht und Wissen konstituiert wird, finden sich bei Foucault bspw. darin, dass er in seinen Überlegungen zum »Sexualdispositiv« (Foucault 1986a, S. 128, Hervorh. i.O.) »die hysterische Frau« (ebd., S. 127) bzw. die »Hysterisierung des weiblichen Körpers« (ebd., S. 126, Hervorh. i.O.) als Bestandteil »privilegierte[r] Wissensgegenstände sowie Zielscheibe und Verankerungspunkt« (ebd., S. 127) von Strategien der Macht beschreibt (vgl. ebd., S. 125ff.; auch Michalitsch 2015, S. 109). 18 So begreifen sich Menschen i.d.R. als Frauen oder Männer, nehmen ihre Körper als männlich oder weiblich wahr, bilden eine eindeutige und dauerhafte Geschlechtsidentität heraus, verbunden mit dem Wissen und der Fähigkeit, Verhaltensweisen und Empfindungen geschlechtlich zuzuordnen, sich selbst entsprechend darzustellen und wahrgenommen zu werden (vgl. Bührmann 2004, S. 24ff.).

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von als wünschenswert und geschlechtsadäquat angesehenen Verhaltensweisen, die als kollektive Orientierungsmuster in Prozessen von ›doing gender‹ wirksam werden und die Individuen dazu anleiten, sich als geschlechtliche Subjekte zu konstituieren (vgl. Michalitsch 2015, S. 116). Da (Geschlechter-)Diskurse den Subjekten vorgängig sind, bleibt ihr konstituierender und konstruierender Charakter verborgen. Stattdessen erscheint die durch sie hervorgebrachte (Geschlechter-)Ordnung natürlich und selbstverständlich und bildet »einen zentralen Mechanismus moderner Macht« (Hartmann 2001, S. 74), der sich, wie Hannelore Bublitz (2008) verdeutlicht, durch die historische Rekonstruktion von diskursiv erzeugten Wissensordnungen, auf denen sich die ›Wahrheit‹ des Geschlechts gründet, erschließt (vgl. ebd., S. 272). Bublitz geht davon aus, dass in der modernen Gesellschaft »Geschlecht als historisch singuläre Erfahrung« (ebd., S. 258) untrennbar mit der Konstitution der Bevölkerung als einem »Objekt des Wissens« (Foucault 2006, S. 120) verkoppelt ist, das sich, ausgehend vom 18. und verstärkt im 19. Jahrhundert, mit Fragen der Gesundheitsvorsorge und -fürsorge, der Hygiene und der geschlechtlichen Fortpflanzung befasste (vgl. Bublitz 2008, S. 271). Dabei rückte der Körper, als Grundlage ökonomischer Produktivität und bevölkerungspolitischer Generativität, ins Zentrum des Kollektivinteresses und wurde zum Gegenstand der naturwissenschaftlich forschenden Humanwissenschaften. Nach Bublitz formierten sich in diesem Zusammenhang Sexualität und Geschlecht als Dispositive der Macht,19 die ein Wissen hervorbrachten, über das sich die Norm binärer Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität etablierte, die seither die Körper markiert, Individuen klassifiziert und Gesellschaften eine Ordnung gibt (vgl. ebd., S. 257f.).20 Geschlecht und Sexualität stellen dabei zentrale Instrumente der 19 Nach Andrea Bührmann (2004) setzt sich das moderne »Geschlechterdispositiv« (ebd., S. 24) u.a. aus dominanten wissenschaftlichen, religiösen und juristischen Geschlechterdiskursen, geschlechterdifferenten und –differenzierenden Erziehungs- und Sozialisationsinstanzen, der Spaltung von öffentlicher und privater Sphäre sowie der historisch gewachsenen und gesellschaftlich etablierten geschlechtlichen Arbeitsteilung zusammen und strukturiert letztlich eine hierarchische Geschlechterordnung innerhalb der Gesellschaft. (vgl. ebd., S. 24f.). 20 Ausgehend von Erkenntnissen über die geschlechtliche Fortpflanzung zum Ende des 18. Jahrhunderts wurde die polarisierende Klassifizierung der (Geschlechts-)Körper als weiblich und männlich biologisiert und anatomisch begründet sowie Körper, Geschlecht und Sexualität in einen kohärenten Zusammenhang gestellt. Damit einher gingen Prozeduren der Ausschließung und Verwerfung alternativer Entwürfe von Geschlechtlichkeit und Sexualität, die als Abweichung vom Feld der Normalität markiert wurden. Mit Blick auf seine Historizität erscheint Geschlecht somit als ein Produkt kultureller Konstruktionsprozesse, in denen das Soziale mit Verweis auf die Natur biologisch überformt wurde (vgl. Bublitz 2008, S. 267f., 272ff.).

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Normalisierung dar (vgl. ebd., S. 171), indem sie die Subjekte in ihren geschlechtlichen Entwürfen und ihrem (hetero-)sexuellen Begehren im Zuge ihrer Vergesellschaftung disziplinieren und dabei gleichzeitig das Bedürfnis der Bevölkerung nach Reproduktion regulieren. Das Wissen um die ›Wahrheit‹ des Geschlechts ist somit ein Produkt historischkultureller Konstruktionsprozesse und bildet im Sinne Foucaults ein »Archiv« (Foucault 1981, S. 187), das fortan die Subjekte in ihren geschlechtlichen Entwürfen auf die Grenzen und Regeln der binären Differenz verweist, die sie als einem »kohärenten Gesellschaftskörper zugehörig« (Bublitz 2008, S.259) erscheinen lassen (vgl. ebd., 279f.). Das vergeschlechtlichte Subjekt »ist die Materialität« (ebd., S. 271, Hervorh. i.O.) einer geschlechter- und bevölkerungspolitisch regulierten Existenzweise (vgl. ebd.), die sich ausgehend von der diskursiven Naturalisierung und Normierung binärer Geschlechterdifferenz in die Körper der Subjekte einschreibt, ihre Identitäten reguliert, ihre Wahrnehmungs- und Deutungsmuster prägt und so ihre Handlungen leitet. Mit Blick auf ihre Historizität wird somit die ›Wahrheit‹ über Geschlecht als ein Effekt humanwissenschaftlicher Diskurse und ihrer zweigeschlechtlichen Wissensordnung dekonstruiert, der an der Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft seine Wirkmacht entfaltet, an der die Disziplinierung individueller Sexualität – stets verbunden mit Praktiken der Selbst-Normalisierung – und die Regulierung der Bevölkerung – im Kontext der gesellschaftspolitischen »Sorge um die Sicherheit und die Optimierung des Lebens« (Bublitz 2008, S. 258) – gekoppelt sind und die Matrix binär codierter und heterosexuell organisierter Geschlechterdifferenz als zentrales Prinzip der symbolischen und normativen Gesellschaftsordnung verankert ist (vgl. ebd., S. 256ff.). Mit Foucault kann folglich Geschlecht als Effekt machtvoller Diskurse verstanden werden, als Produkt überindividueller diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken, das komplexen Hervorbringungsbedingungen im Kontext ökonomischer und politischer Anforderungen der modernen westlichen Gesellschaft unterliegt und als dualistische Wissensordnung wahrheitswirksam und realitätsmächtig wird. So ist Gesellschaft, in ihren funktionalen Einheiten der Politik, der Ökonomie und des Rechts, auch als »Produktionssystem von Geschlecht und Geschlechterhierarchie« (Michalitsch 2015, S. 113) zu verstehen. In diesem Verständnis ist auch Technik nicht als ontologische Größe und feststehender Gegenstandsbereich zu begreifen, sondern als historisch-kulturelle Konstruktion, deren Bedeutung im Kontext gesellschaftlicher Transformationsprozesse diskursiven Verschiebungen unterliegt, wie sie Tanja Paulitz und Armin Ziegler (2015) herausstellen. So wurde der Begriff Technik bis ins beginnende 19. Jahrhundert vornehmlich im Sinne einer Kunstfertigkeit verwendet, während sich ein Bezug zum Handwerk allein in fachlich einschlägigen Schriften findet. Der moderne Technikbegriff, wie er sich im Laufe des 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der industriellen Gesellschaftsentwicklung herausbildete, geht dabei mit einer

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zunehmenden Engführung auf die Bereiche gewerblicher Tätigkeit und Verwertbarkeit einher. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lässt sich eine weitere Verschiebung in Form einer Akzentuierung von Wissenschaftlichkeit verzeichnen, mit der die Gestaltungskraft moderner Technik auf der Grundlage von Naturgesetzen in den Vordergrund gestellt wird (vgl. ebd., S. 102ff.). »War Technik ehemals ein ganz verschiedene Künste überspannender Tätigkeitsaspekt, so formierte sie sich schließlich zu einem eigenständigen gesellschaftlichen Tätigkeitsbereich, der spezifischen Regeln gehorcht. Als eine solche Domäne weist sie Institutionalisierungsund Professionalisierungsbewegungen auf, die mit der Genese eines neuen, modernen bürgerlichen Berufsbildes korrespondieren.« (Paulitz und Ziegler 2015, S. 104)

Werden weiterführend diskursive Hervorbringungsweisen von Technik und Geschlecht im gesellschaftlich-historischen Zusammenhang betrachtet, vermag eine genealogische Perspektive in Anlehnung an Foucault die symbolische Verwobenheit von Männlichkeit und Technik sowie die männliche Codierung technischer Berufe zu dekonstruieren. So werden nach Foucault Wissensordnungen, auf deren Grundlage Menschen die Welt wahrnehmen und (be-)deuten innerhalb komplexer Machtdynamiken diskursiv hervorgebracht, in denen unterschiedliche Akteur*innen und Institutionen um die Etablierung ihrer Interpretation von Wirklichkeit ringen (vgl. Diaz-Bone et al. 2007, S. 7). Vor diesem Hintergrund lässt sich die Verbindung von Männlichkeit und Technik im historischen Zusammenhang mit der Professionalisierung des Ingenieurberufs um 1900 betrachten (vgl. auch Kapitel 2.4, 3.3), in dessen Rahmen die (i.d.R. männlichen) Akteure diskursiv entlang habitualisierter Wahrnehmungs- und Deutungsmuster um Positionsgewinne im sozialen Feld der Wissenschaften stritten (vgl. Paulitz 2012, S. 105ff.; Zachmann 2004, S. 116ff.). Dieser Prozess kann aus einem gesellschaftspolitischen Blickwinkel im Kontext der im deutschsprachigen Raum spät einsetzenden Industrialisierung als Triebfeder der kapitalistischen Gesellschaftsentwicklung betrachtet werden, die, verbunden mit einem Fortschrittsglauben, die Sicherheit lebensoptimierender Bedingungen der Bevölkerung zu gewährleisten schien und den zunehmend hohen gesellschaftlichen Stellenwert von Technik und Ingenieurwesen begründete. Dabei weisen insbesondere die bereits im Voranstehenden angeführten wissenssoziologischen und diskursanalytischen Studien zur »Genealogie des Ingenieurs und der modernen Technikwissenschaften« von Paulitz (2012, S. 347) einen ko-produktiven Zusammenhang zwischen Berufs-, Fach- und Gegenstandsverständnis nach, in dem die Komplexität des korrelativen Zusammenspiels von Macht und Wissen in seinen Modalitäten und Konsequenzen erkennbar wird. So ging die (Re-)Formulierung grundlagentheoretischer Wissensbestände, mit denen die Technik – den Regeln des Feldes folgend – wissenschaftlich fundiert und

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der Geltungsanspruch der Ingenieure legitimiert werden sollte, mit vielfältigen Formen der Vergeschlechtlichung einher. Entlang der variablen und teils widersprüchlichen Männlichkeitskonstruktionen konstituierte sich die Position des männlichen Erkenntnissubjektes der modernen Technikwissenschaften (vgl. Paulitz 2012, S. 341ff.). Dabei sind die Strategien der Akteure durch die Abgrenzung von marginalisierten bzw. Annäherung an privilegierte Subjektpositionen gekennzeichnet, die im beruflichen Selbstverständnis mit Verschiebungen relevanter Bezugskategorien, Inhaltsbeschreibungen und Vergeschlechtlichungsweisen – in Relation zu den jeweiligen Machtkonstellationen – einhergehen (vgl. ebd., S. 346). Damit wird deutlich, dass die vergeschlechtlichte Subjektposition des Ingenieurs nicht allein gemäß der dualistischen Geschlechterordnung durch die soziale wie symbolische Ausschließung von Frauen aus dem Technischen konstruiert wurde, sondern sich darüber hinausgehend im homosozialen Binnenverhältnis als Effekt diskursiver Praxis konstituierte, wobei variable Männlichkeitskonstruktionen als strategische Referenzpunkte fungierten (vgl. Paulitz 2012, S. 341ff.). Das Professionalisierungsbestreben der Akteure offenbart sich als diskursive Praxis der Differenzierung – sowohl innerhalb der männlichen Genusgruppe als auch innerhalb des Feldes technischer Berufe21 – im Kontext der Situierung und Positionierung der technischen Domäne im machtvollen Feld der Wissenschaft (vgl. ebd., S. 61). Folglich gründen sich weder die (männliche) Subjektposition des Ingenieurs noch der Gegenstandsbereich Technik auf einer stabilen und einheitlichen Wissensordnung (vgl. Paulitz 2012, S. 345), vielmehr zeigt sich, dass sowohl das erkennende Subjekt als auch das zu erkennende Objekt erst durch wissenschaftliche Diskurse hervorgebracht werden. »Ebenso wie der ›männliche‹ Ingenieur auf diskursiver Ebene keiner spezifischen, sondern einer ›geborgten‹, als hegemonial wahrgenommenen Männlichkeitskonstruktion entspricht, erscheinen die Technikwissenschaften als Fach und die Technik als Gegenstand stets im diskursiv ›geliehenem Gewand‹. Auf diese Weise führt die genealogisch-wissenschaftliche Rekonstruktion von Ingenieur und Technikwissenschaften geradewegs in ihre Dekonstruktion.« (Paulitz 2012, S. 347)

Mit Bezug auf die Gegenwart lässt sich schließen, dass sowohl das Bild technischer Berufe und Studiengänge als auch das Verständnis von Technik nicht aus objektiven und rein sachlich-neutralen Beschreibungen ›wahrer‹ Tatbestände resultieren 21 Wie bereits mit Bezug auf Paulitz (2012) aus einem intersektionalen Blickwinkel aufgezeigt wurde, lassen sich in den Männlichkeitskonstruktionen auf homosozialer Ebene dabei Mechanismen der hierarchisierenden Differenzierung sowohl auf der Grundlage sozialer Klassenzugehörigkeit als auch durch Ethnisierung nachzeichnen (vgl. Kapitel 2.4 und 3.3).

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(vgl. ebd., S. 346), sondern als Effekte diskursiv ausgetragener Kämpfe um deutungsmächtige Positionen in der historischen Entwicklungsgeschichte von Technik und Technikwissenschaft zu begreifen sind, die zu einer dauerhaften Stabilität der Verknüpfung von Männlichkeit und Technik maßgeblich beigetragen haben (vgl. Kapitel 3.3). Dabei erweisen sich die Subjektpositionen als flexibel und anpassungsfähig an hegemoniale Diskurse, wodurch sich simultan vielfältige Anknüpfungspunkte für männliche Identitätsentwürfe anbieten, die weit über das gängige Stereotyp technischer Rationalität als männlich codierte Attribuierung hinausgehen und jungen Männern die Entwicklung eines technikorientierten beruflichen Selbstkonzeptes somit erleichtern (vgl. Knoll und Ratzer 2010, S. 150). Indem folglich Technik- und Männlichkeitsdiskurse korrespondieren, sich gegenseitig durchdringen und stützen, ist für junge Männer im Berufsfindungsprozess eine Orientierung an technischen Berufsfeldern ebenso naheliegend, wie sie für junge Frauen (zumindest vordergründig) abwegig erscheinen mag. Mit einem an Foucault angelehnten Verständnis von Geschlecht und Technik als diskursiven Wissensformationen im historisch-kulturellen Kontext lassen sich solch selbstverständliche Bedeutungszusammenhänge, die alltagsweltliche Wahrnehmungsweisen, Handlungspraktiken und Orientierungsmuster der Subjekte strukturieren, als Ausdruck gesellschaftlicher Machtrelationen verstehen, deren Kontingenz auf die Möglichkeit der Veränderung unter bestimmten Bedingungen verweist (vgl. Meißner 2010, S. 13). Im nun Folgenden wird mit Bezug auf Butlers Performativitätskonzept der Blick für die bereits bei Foucault angeklungene Bedeutung von Normen für die Herausbildung geschlechtlicher Subjektivität und intelligibler Geschlechtlichkeit geschärft, um dabei ein tieferes Verständnis für die Eigendynamik wiederkehrender Handlungsvollzüge im Rahmen geschlechtlicher und beruflicher Identitätsarbeit zu entwickeln.

4.3 WIRKMÄCHTIGKEIT VON GESCHLECHTERNORMEN IN PERFORMATIVEN PROZESSEN DER IDENTITÄTSBILDUNG Aus einer foucaultschen Perspektive lässt sich nachzeichnen, wie sich in hegemonialen Technikdiskursen männlich vergeschlechtlichte Subjektpositionen historisch verfestigt haben und den Ausschluss weiblicher Subjektivität aus dem Bereich des Denkbaren bedingen. Um nun auf der Ebene symbolischer Repräsentationen genauer zu ergründen, warum die Verknüpfung von Technik und Männlichkeit bzw. die Dissonanz zwischen Technik und Weiblichkeit auch gegenwärtig nahezu natürlich und selbstverständlich erscheint – ungeachtet dessen, ob sich diese Überzeugungen in den alltagsweltlichen Lebensrealitäten bestätigen lassen –, erweist sich

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die Theorie der Performativität nach Butler (2014; 2006; 1995) erhellend, in der sie die Wirkmächtigkeit von kulturellen Normen in Prozessen der Subjektkonstitution und Identitätsbildung herausstellt. Ausgehend von einer Kritik am humanistischen Subjektverständnis (vgl. Butler 2014, S. 9) erarbeitet Butler in Auseinandersetzung mit vielfältigen theoretischen Bezügen, bspw. von Michel Foucault, Ferdinand de Saussure und Jacques Derrida, eine Sichtweise auf das Subjekt und sein Handeln als Effekt machtvoller Diskurse und ihrer symbolisch-normativen Ordnung. Die Verneinung essentialistischer Vorstellungen vom autonomen Subjekt bezieht Butler auf ein radikales Umdenken hinsichtlich der vermeintlichen Eindeutigkeit und Naturhaftigkeit von Identität, Körper und Sexualität, mit dem sie den ontologischen Status binärer Geschlechterklassifikation durch eine dekonstruktivistische Herangehensweise konsequent zu ent-naturalisieren sucht (vgl. Butler 2014, S. 218; auch Meißner 2008, S. 12f.). Sie lehnt die Annahme einer vorkulturellen Existenz geschlechtlicher Körper als Ausgangsbasis für soziale Konstruktionsprozesse geschlechtlicher Identitäten rigoros ab und kehrt das innerhalb der zeitgenössischen Debatten feministischer Geschlechtersoziologie vorherrschende Kausalitätsverständnis der sex-gender-Unterscheidung um: Nicht ein geschlechtlicher Körper (sex) bildet den Ausgangspunkt für die soziale Konstruktionen von Geschlecht (gender), vielmehr ist bereits die Wahrnehmung der Körper durch das Denken in binären Geschlechterkategorien normativ vorstrukturiert, die durch machtvolle Diskurse über heterosexuelles Begehren als einzig natürliche Form von Sexualität gestützt werden. Geschlecht ist für Butler demnach kein anatomischer Sachverhalt, sondern eine diskursive Materialisierung, die sie zu dekonstruieren sucht (vgl. Butler 2014, S. 26.; auch Winker und Degele 2009, S. 21). So geht es ihr in ihrer »Genealogie der Geschlechter-Ontologie (gender ontology)« (Butler 2014, S. 60, Hervorh. i.O.) darum, deutlich zu machen, »daß bestimmte kulturelle Konfigurationen der Geschlechtsidentität die Stelle des ›Wirklichen‹ eingenommen haben und durch diese geglückte Selbst-Naturalisierung ihre Hegemonie festigen und ausdehnen« (ebd.). Dabei kreisen ihre geschlechtertheoretischen Überlegungen um die »Macht der Geschlechternormen« (Butler 2012), die nach Butler insofern »die Grenzen des Menschlichen« (ebd.) definieren, als dass sie den Bereich sozial anerkennbarer und damit lebbarer Existenzweisen abstecken, und auf diese Weise die Hervorbringung bestimmter Identitäten regulieren, während sie sich zugleich mit Möglichkeiten der Veränderung und Überschreitung normativer Vorgaben beschäftigt. 4.3.1 Performativität symbolisch-diskursiver Ordnungen Butlers theoretische Ausführungen gründen sich auf Foucaults Diskursverständnis, wonach Sprache keine bloße Beschreibung bestehender Verhältnisse darstellt, son-

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dern die hervorbringende Kraft in sich trägt, Wirklichkeiten entstehen zu lassen und bestimmte Subjektivitäten zu erzeugen (vgl. Butler 1993a, S, 129; auch Bublitz 2002, S. 21; Meißner 2010, S. 25; Micus-Loos et al. 2016, S. 35; Villa 2010, S. 149). »›Diskurs‹ ist nicht bloß gesprochene Wörter, sondern ein Begriff der Bedeutungen; nicht bloß, wie es kommt, daß bestimmte Signifikanten bedeuten, was sie nun mal bedeuten, sondern wie bestimmte diskursive Formen Objekte und Subjekte in ihrer Intelligibilität ausdrücken. In diesem Sinne benutze ich das Wort ›Diskurs‹ nicht in seiner alltagssprachlichen Bedeutung, sondern ich beziehe mich dabei auf Foucault. Ein Diskurs stellt nicht einfach vorhandene Praktiken und Bezeichnungen dar, sondern er tritt in ihre Ausdrucksformen ein und ist in diesem Sinne produktiv.« (Butler 1993b, S. 129)

Demnach leiten sich subjektkonstituierende Diskurse nicht aus der Existenz einer vorgängigen natürlichen Ordnung ab, vielmehr erzeugen sie selbst erst eine symbolische Ordnung. Indem sie Dinge und Personen bezeichnen, grenzen sie sie voneinander ab, verleihen ihnen Bedeutung und bringen sie in einen für die menschliche Wahrnehmung verständlichen und sinnstiftenden Zusammenhang (vgl. Bublitz 2002, S. 24; Meißner 2010, S. 36; Villa 2010, S. 149; Kapitel 4.1). Foucault folgend, ist auch für Butler nicht ein schöpferisches Subjekt Urheber machtvoller Diskurse, die zum Bezugshintergrund seiner sprachlichen Äußerungen werden, vielmehr vermitteln Diskurse bestimmte (Subjekt-)Positionen und (geschlechtliche) Identifizierungen, über die das handlungsfähige und autonom erscheinende Subjekt erst hervorgebracht wird (vgl. Bublitz 2002, S 35; Fritzsche 2011, S. 60; Meißner 2010, S. 22, 37; Micus-Loos et al. 2016, S. 36; Villa 2012, S. 19ff.). Mit dem Begriff der »Subjektivation« (Butler 2015, S. 8) erfasst Butler den Prozess der Subjektwerdung als eine gleichzeitige Unterwerfung durch normative Diskurse, mit der das Subjekt intelligibel und damit handlungsfähig wird. Die Subjektwerdung ist demnach als paradoxe Dynamik der Unterordnung und Ermöglichung zu verstehen, aus der das handlungsfähige und sich autonom erlebende Subjekt als »Effekt der Unterwerfung« (Butler 2015, S. 16, Hervorh. i.O.) hervorgeht. »Eine auf das Subjekt ausgeübte Macht, ist die Unterwerfung doch eine vom Subjekt angenommene Macht, eine Annahme, die das Instrument des Werdens dieses Subjekts ausmacht.« (Butler 2015, S. 16, Hervorh. i.O.)

Subjektkonstituierende Diskurse sind demnach auch für Butler eng mit Macht verwoben und zugleich Ausdruck als auch Wirkungsfeld derselben. Im historisch-kulturellen Kontext produzieren sie Wissen und (vermeintliche) Wahrheit und situieren Menschen in eine bestimmte Auffassung von sich und der Welt, indem sie bestimmte Vorstellungen von Wirklichkeit regelgeleitet erzeugen, während sie andere

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ausschließen (vgl. Bublitz 2002, S. 25). Macht ist demnach keine Form der Unterdrückung, sondern das, wovon Subjekte in ihrem Dasein existenziell abhängig sind, was sie bis ins Innerste durchdringt und was ihnen zugleich Handlungsfähigkeit ermöglicht (vgl. Butler 2015, S. 7f.). Um zu verdeutlichen, wie Sprache ihre Wirkmächtigkeit entfaltet, Bedeutungen und Subjektivitäten zu erzeugen, rekurriert Butler auf das Konzept der Performativität des Sprachtheoretikers John L. Austin (1972), der eine Äußerung dann als performativ22 begreift, wenn sie das, was sie benennt, zugleich hervorbringt bzw. in Kraft setzt und somit einen Handlungscharakter aufweist (vgl. Butler 1993b, S. 123f.). Ein performativer Sprechakt23 erzeugt über die Macht des Wortes eine bestimmte Realität, indem er das Gesprochene zur sozialen Tatsache erklärt (vgl. Villa 2011, S. 32). In ihm und durch ihn wirkt die bindende, produktive Macht von Sprache (vgl. Butler 1993b, S. 123f.) und so »ist die performative Äußerung ein Bereich, in dem die Macht als Diskurs agiert« (Butler 1995, S. 197, Hervorh. i.O.). So ist die Bezeichnung eines neugeborenen Kindes als ›Mädchen‹ oder ›Junge‹ nicht als Benennung eines natürlichen Sachverhalts zu verstehen, sondern als eine performative Bezeichnungspraxis, mit der die soziale Existenz von Subjekt, Körper und Identität an die kulturellen Bedingungen eines ›Mädchenhaftseins‹ gebunden und damit »das Mädchen ›mädchenhaft gemacht‹« (Butler 1995, S. 29) wird. Indem sich das Kind im Zuge des Heranwachsens zunehmend mit dieser Bezeichnung identifiziert, vollzieht sich die Formierung geschlechtlicher Subjektivität, mit der sich die machtvolle Ordnung der Geschlechterbinarität reproduziert. Folglich ist auch die begriffliche Unterscheidung von weiblich und männlich bzw. Frau und Mann nicht an eine natürlich metaphysische Substanz der Körper rückgebunden – was noch näher zu erläutern ist –, sondern als eine sprachliche Konstruktion innerhalb symbolisch-diskursiver Ordnung zu verstehen, über die Geschlecht überhaupt erst als (Identitäts-)Kategorie fassbar wird (vgl. Meißner 2010, S. 36). »Hinter den Äußerungen der Geschlechtsidentität (gender) liegt keine geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity). Vielmehr wird diese Identität gerade performativ durch diese ›Äußerungen‹ konstituiert, die angeblich ihr Resultat sind.« (Butler 2014, S. 49, Hervorh. i.O.)

Geschlechtliche Identität ist demnach nichts Ursprüngliches. Sie ist »performativ, d.h., sie selbst konstituiert die Identität, die sie angeblich ist« (Butler 2014, S. 49). 22 Austin führt diesen Terminus 1962 im Rahmen einer Vorlesung mit dem Titel ›How to do things with words‹ ein (vgl. Bublitz 2002, S. 23). 23 Beispiele für performative Sprechakte im Sinne Austins sind ritualisierte Formeln, wie bei einer Schiffstaufe, Eheschließung oder der Eröffnung einer Sitzung (vgl. Butler 1993b, S. 124).

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Damit ist sie nicht etwas, das – einmal hervorgebracht – einfach fortbesteht. Vielmehr zeigt die Notwendigkeit ihrer wiederholenden (Re-)Inszenierung und Bestätigung ihre Instabilität und Unabgeschlossenheit, wobei erst rückwirkend der Anschein einer vorgängigen Geschlechtszugehörigkeit erzeugt wird (vgl. Butler 2015, S. 135f.; auch Bublitz 2002, S. 23; Hartmann 2001, S. 76; Meißner 2010, S. 36; Micus-Loos et al. 2016, S. 37). Nicht jede performative Äußerung wird dabei automatisch wirklichkeitswirksam, ihr Gelingen ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Hier folgt Butler Jaques Derridas kritischer Auseinandersetzung mit Austins Sprechakttheorie, in der er den Begriff der Performanz mit denen des Zitats und der Wiederholung zusammenführt, und sieht die Gelingensbedingungen einer performativen Äußerung in ihrer Iterabilität. Um produktiv zu wirken, muss sich ein Performativ aus sprachlichen Konventionen herleiten und diese in der gegenwärtigen (Sprech-)Handlung (re-) zitieren (vgl. Butler 2006, S. 230f; 1993b, S. 123f.). Die performative Kraft einer Äußerung bildet weniger die Absicht eines sprechenden Individuums ab, sie ist als Effekt historisch abgelagerter und zu Konventionen geronnener Bedeutungen zu begreifen (vgl. Butler 1993b, S. 124f.). In der Bezeichnung eines Kindes als ›Mädchen‹ oder ›Junge‹ hallen demnach eine Reihe vorangegangener autoritativer Sprechakte wider, mit denen die symbolisch-diskursive Wissensordnung normativer Zweigeschlechtlichkeit aufgerufen, aktualisiert und fortgeschrieben wird (vgl. Butler 1995, S. 299). Sprachliche Performativität ist für Butler kein singuläres Ereignis, sondern »die ständig wiederholende und zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkung erzeugt, die er benennt« (ebd., S. 22). »Wenn Wörter zu Handlungen führen oder selbst eine Art von Handlung sind, dann nicht deshalb, weil sie die Absichts- oder Willenskraft eines Individuums widerspiegeln, sondern weil sie sich aus Konventionen herleiten und diese wieder in Szene setzen; Konventionen, die ihre Kraft durch sedimentierte Wiederholbarkeit gewonnen haben.« (Butler 1993b, S. 124, Hervorh. i.O.)

Letztlich ist für Butler jedes gesprochene oder geschriebene Wort ein Zitat, über das Menschen bestehende Diskurse und Bedeutungen aufrufen, die ein gegenseitiges Verstehen überhaupt erst ermöglichen (vgl. Villa 2006, S. 227). Und doch handelt es sich bei diesen fortwährenden Wiederholungen keinesfalls um bloße Replikationen des immer Gleichen (vgl. Butler 1993b, S. 299). Denn gerade indem performative Äußerungen allein durch Wiederholungen in der Zeit wirksam werden, ist bei aller Konvention weder die sprechende Person noch der Kontext, in dem gesprochen wird, jemals identisch. Demnach müssen sich performative Äußerungen fortwährend kontextual verändern, d.h. dass dem Zwang zur Wiederholung ein produktives Moment der Verschiebung inhärent ist (vgl. Butler 2006, S. 230). Wenn alles Gesprochene »Reiteration« (ebd., Hervorh. i.O.) ist, gibt es auch keine origi-

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näre Aussage, haben Begriffe keine »reine Bedeutung« (Butler 2012, S. 289), die aus den jeweiligen Kontexten ihrer Verwendung herauszulösen wäre. Damit sind Begriffe auch niemals endgültig an eine Gebrauchsweise gebunden (vgl. ebd.), ihnen mangelt es an Finalität (vgl. Butler 2006, S. 198). So besteht performatives Sprechen »aus einer rituellen Kette von Resignifizierungen« (ebd., S. 30), deren Ursprung nicht festzustellen ist und die stets zukunftsoffen sind (vgl. ebd.; auch Villa 2012, S. 30f.). Das bedeutet, dass auch Begriffe wie Weiblichkeit und Männlichkeit keinen ontologischen Kern beinhalten, sondern an eine voranstehende Kette von normativen Bedeutungssetzungen anschließen, die prinzipiell offen für Veränderung sind. 4.3.2 Kulturelle Normen geschlechtlicher Intelligibilität Butler richtet ihr Hauptinteresse auf die performative Erzeugung geschlechtlicher Identitäten, wobei sie sich auf symbolisch-diskursive Wissensordnungen konzentriert, die als »Gefüge historischer Normen« (Meißner 2010, S. 24) Zweigeschlechtlichkeit und damit einhergehend Geschlechterdifferenz als natürliche Ordnung erscheinen lassen. Ihr zufolge sind es diese Normen, die als historische Machtformation performativen Sprechakten – wie der geschlechtlichen Zuweisung eines Neugeborenen in die sprachliche Kategorie ›Mädchen‹ oder ›Junge‹ – die Wirkmächtigkeit verleihen, identitätslogische Subjekte hervorzubringen, aber auch geschlechtliche Körper zu materialisieren (vgl. ebd.). Normen haben für Butler (2012) einen doppelten Charakter: Einerseits bilden sie kollektiv geteilte Vorannahmen, Überzeugungen und Zielvorstellungen, die Handlungsorientierung bieten und als verbindendes Element zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft wirken (vgl. ebd., S. 327). Andererseits sind Normen verbunden mit Zwang, denn sie geben das Schema des sozial Intelligiblen vor, nach dem Menschen Anerkennung – etwa als ›normale‹ Frau oder ›wirklicher‹ Mann – zuteilwird oder nicht. Sie beherrschen das »›intelligible‹ Leben« (ebd., S. 328), indem sie den Bereich dessen begrenzen, was als lebbare menschliche Existenz Anerkennung findet und welche Lebensweisen als nicht oder weniger anerkennbar gelten, während sie zugleich in diesem Anerkennungsgeschehen aktualisiert und fortgeschrieben werden (vgl. ebd., S. 11). 24 Normen sind nach Butler von Regeln und Gesetzen zu unterscheiden. Innerhalb sozialer Praktiken wirken sie »als implizite Standards der Normalisierung« (ebd., S. 73, Hervorh. i.O.) und sind daher schwer zu entschlüsseln. Gender ist für Butler eine – wenn nicht die – entscheidende Norm, die »als Bedingung für die kulturelle Intelligibilität« (ebd., S. 91) menschlicher Existenzweisen 24 Normen der Anerkennung durch Andere und Normen der Intelligibilität als symbolischdiskursive Ordnungen greifen für Butler ineinander und bedingen sich wechselseitig (vgl. Butler 2012, S. 10f.; auch Balzer und Berger 2012, S. 255).

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fungiert. Ihr zufolge gibt das Eingebundensein des Menschen in die Matrix binärer und zugleich heterosexueller Geschlechterbeziehungen »die kulturelle Bedingung seiner Möglichkeit« (Butler 1995, S. 29) vor. Der eigene Subjektstatus ist demnach existenziell von der Annahme eines Geschlechts abhängig (vgl. ebd., S. 139). Gender spannt so einen Rahmen auf, innerhalb dessen Geschlechtlichkeit allein als binäre Struktur von weiblich und männlich denkbar wird. Mit dieser diskursiven Naturalisierung erscheint eine Veränderbarkeit dieses Gendersystems ausgeschlossen bzw. undenkbar (vgl. Butler 2012, S. 75). »Wenn man behauptet, Gender ist eine Norm, bedeutet das nicht dasselbe wie zu sagen, es gäbe normative Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit – wiewohl es eindeutig solche normativen Vorstellungen gibt. Gender ist weder genau das, was man ›ist‹, noch das, was man ›hat‹. Gender ist der Apparat, durch den die Produktion und Normalisierung des Männlichen und Weiblichen vonstattengeht […].« (Butler 2012, S. 74)

Gender als Norm verlangt somit die Gegensätzlichkeit und Dichotomizität geschlechtlicher Identitätspositionen und wird von Butler in ihrer regulativen Funktionalität hinsichtlich der Hervorbringung intelligibler Geschlechtsidentitäten präzisiert. Als intelligibel gelten solche Identitäten, die in bestimmter Weise ein kohärentes und kontinuierliches Verhältnis zwischen anatomischem Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexuellem Begehren bewahren (vgl. Butler 2014, S. 38). Dieses Verhältnis ist für Butler keineswegs natürlich, sondern über einen Zwang zur Heterosexualität regulativ erzeugt. So soll der Körper ein eindeutiges und dauerhaftes Geschlecht aufweisen, das in einer entsprechend stabilen Geschlechtsidentität repräsentiert wird, die sich ihrerseits in einem gegengeschlechtlichen Begehren widerspiegelt (vgl. ebd., S. 46). Butler spricht hier auch von der »heterosexuellen Matrix« (ebd. S. 219), die als »Raster kultureller Intelligibilität« (ebd.) auf spezifische Weise Körper, Identität und Begehren naturalisiert (vgl. ebd., S. 219f.). Die Geschlechter-Binarität erweist sich aus diesem Blickwinkel als Ausgangspunkt und Ziel der normativen Setzung von Heterosexualität als natürlicher – weil der Reproduktion dienlicher – Form des Begehrens, während nicht-heterosexuelle Begehrensweisen unterdrückt, marginalisiert oder gar pathologisiert werden (vgl. ebd., S. 37ff.; auch Bublitz 2002, S. 64f.; Villa 2012, S. 70f.). So schwingt bereits bei der Anrufung eines Neugeborenen als Mädchen die Ideologie einer heterosexuellen Weiblichkeit mit, als gesellschaftliche Anforderung zur Bildung einer intelligiblen Geschlechtsidentität (vgl. Fritzsche 2011, S. 56). Die Instituierung einer naturalisierten Zwangsheterosexualität erfordert und reguliert die Geschlechtsidentität als binäre Beziehung, während sich die Differenzierung zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen durch die Praktik des heterosexuellen Begehrens plausibilisiert (Butler 2014, S. 46). Machtvolle Geschlechternormen verlangen die Aufrechterhaltung einer binären Geschlechterdifferenz, die

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zwei sich wechselseitig ausschließende, komplementär aufeinander bezogene Subjektpositionen erfordert und mit der Idealisierung heterosexuellen Begehrens verkoppelt ist (vgl. Bublitz 2002, S. 78; Meißner 2010, S. 33f.).25 Für Butler ist auch der geschlechtlich definierte Körper nicht etwas, das einer Person eigen ist oder sie von Natur aus kennzeichnet. Im Gegenteil, sie begreift auch das biologische Geschlecht als normative Anforderung, die »für ein Leben im Bereich kultureller Intelligibilität qualifiziert« (Butler 1995, S. 22) und über die Lebbarkeit sozialer Existenzweisen entscheidet. Der Körper bildet für Butler kein biologisches Faktum, von dem sich das soziale Geschlecht ableiten ließe, vielmehr ist er selbst der konstituierenden Macht symbolisch-diskursiver Ordnung unterworfen. So »kann das Geschlecht keine vordiskursive, anatomische Begebenheit sein« (Butler 2014, S. 26), da »es keinen Rückgriff auf den Körper [gibt], der nicht bereits durch kulturelle Bedeutungen interpretiert ist« (ebd.). Indem der Geschlechtskörper nicht losgelöst von kulturellen Deutungsmustern wahrnehmbar ist, ist er nichts Natürliches, sondern etwas höchst Normatives. »So wie ich sie verstehe, ist die Geschlechterdifferenz ein Ort, an dem wieder und wieder eine Frage in Bezug auf das Verhältnis des Biologischen zum Kulturellen gestellt wird, an dem sie gestellt werden muss und kann, aber wo sie, streng genommen, nicht beantwortet werden kann.« (Butler 2012, S. 299)

Die Benennung eines Körpers als weiblich oder männlich ist kein objektiver Rekurs auf eine vordiskursive Wirklichkeit, sondern eine performative Bezeichnungspraxis und damit eine Konstruktion auf der Grundlage sprachlicher Kategorien und ihrer kulturellen Bedeutsamkeit, die das Schema konfigurieren,26 entlang dessen der Körper wahrgenommen und erfahren wird (vgl. Bublitz 2002, S. 28ff; Micus-Loos et al. 2016, S. 39; Villa 2012, S. 87ff.). Die gesellschaftliche Existenz des (Geschlechts-) 25 Dass die dualistischen Geschlechterkategorien ›weiblich‹ und ›männlich‹ dabei in ein hierarchisches Verhältnis zueinander gesetzt werden, zeichnet Butler mit Rekurs auf Derrida und dem Konzept des Phallogozentrismus nach. Die Metapher des Phallus soll verdeutlichen, dass nach der Logik des in abendländischen Kulturen vorherrschenden Denkens in dualistisch organisierten und hierarchisch strukturierten Gegensatzpaaren der Mann den Menschen repräsentiert, von dem sich die Frau bloß als das Andere ableitet (vgl. Meißner 2010, S. 32f.). Aus gesellschaftstheoretischer Perspektive bilden heterosexuelle Matrix und Phallogozentrismus somit grundlegende »Strukturen der symbolischen Ordnung« (ebd., S. 33), anhand derer »die konstitutiven Bedingungen der binär-hierarchischen Zweigeschlechtlichkeit« (ebd.) analytisch fassbar werden. 26 Konfiguration meint im Sinne Butlers die diskursive Begrenzung dessen, was als normal und natürlich, als denk- und lebbar gilt und auf diese Weise bestimmte Formen von Identität ermöglicht und andere verhindert (vgl. Villa 2012, S. 37).

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Körpers wird nach Butler erst ermöglicht, indem er entlang geteilter Bedeutungsmuster sprachlich bezeichnet wird, während ein Körper, der nicht definiert ist, kaum vorstellbar erscheint (vgl. Butler 2006, S. 15). Es gibt keinen Zugang zum Körper, der dem Symbolischen diskursiver Ordnung vorausgehen würde, welches die Wahrnehmung und Deutung leiblicher Substanz normativ vorstrukturiert (vgl. Butler 1995, S. 57; auch Bublitz 2002, S. 29). Denn auch die Bezeichnung anatomischer Merkmale als Geschlechtsmerkmale, auf deren Grundlage Menschen in zwei Kategorien unterschieden werden, ist eine sozial konstruierte Bedeutungssetzung, durch die die tatsächliche Vielfalt leiblicher Köper komplexitätsreduzierend vereindeutigt wird.27 Dabei wird die scheinbare Eindeutigkeit binär codierter Geschlechtlichkeit realitätswirksam gelebt, indem der Körper in Annäherung an normative Weiblichkeits- bzw. Männlichkeitsideale inszeniert und modelliert wird, die sich in der physischen Substanz durch regulative (Körper-)Praktiken materialisieren und den Anschein des Natürlichen und Wesenshaften erzeugen (vgl. Bublitz 2002, S. 8f.).28 In diesem Sinne versteht Butler diskursive Materialität als »unkenntlich gewordene Wirkung der Macht« (Butler 1993b, S. 332). Den Modus, in dem Macht ihre (subjekt-)konstituierende Wirkung entfaltet, beschreibt Butler mit den in ihrer Geschlechtertheorie zentralen Begriffen der Anrufung und Umwendung, mit denen sie an die ideologiekritischen Arbeiten des französischen Philosophen Louis Althusser (1977) anschließt. Demnach wird das Individuum als Subjekt angerufen und konstituiert sich als solches im Moment seiner Umwendung, mit dem es die Anrufung annimmt und sich der Macht unterwirft (vgl. Butler 2006, S. 44ff.). Anrufungen repräsentieren und aktualisieren anerkannte Möglichkeiten ›zu sein‹ und führen das angerufene Individuum in die gesellschaftliche Realität einer sozialen und strukturbildenden Ordnung ein (vgl. Butler 2006, S. 58f.; auch Balzer und Berger 2012, S. 256; Bublitz 2002, S. 34f.; Jäckle et al. 2016, S. 41). Sie sind als Anreden in Form intelligibler Bezeichnungen, Namen oder Titel zu verstehen,29 die eine bestimmte Subjektposition anbieten und i.d.R. mit personenrelevanten Kategorisierungen operieren, wie ›Mädchen‹, ›Ausländer‹ oder ›Jüdin‹. Nach Butler ist Subjekt nicht gleichzusetzen mit Individuum oder Person. Sie begreift das Subjekt als eine »sprachliche Kategorie« (Butler 2015, S. 15), als 27 Bspw. bedingt die Definitionsmacht medizinischer Diskurse die Beurteilung von Intersexualität als unnatürlich, was oftmals eine operative Angleichung des Geschlechtskörpers an soziale Anforderungen der Gesellschaft zur Folge hat. 28 Wie bereits in den Ausführungen zum ›doing gender‹-Konzept deutlich wurde, bewirken Praktiken der geschlechtlichen Selbstinszenierung, dass die binäre Geschlechterdifferenz alltagsweltlich sichtbar und damit realitätswirksam wird (vgl. Kapitel 3.1). 29 Butler (2006) verweist darauf, dass die Befähigung zur Benennung anderer Personen voraussetzt, selbst benannt zu sein, und somit das anrufende »Subjekt in der Sprache sowohl die Position des Adressaten als auch die des Adressierenden innehat« (ebd., S. 53).

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»in Formierung begriffene Struktur« (ebd.), aus der Individuen als anerkennungswürdige, d.h. intelligible, Identitäten hervorgehen und als solche handlungsfähig werden (vgl. Villa 2012, S. 39). »Das Subjekt ist die sprachliche Gelegenheit des Individuums, Verständlichkeit zu gewinnen und zu reproduzieren, also die sprachliche Bedingung seiner Existenz und Handlungsfähigkeit. Kein Individuum wird Subjekt, ohne zuvor unterworfen/subjektiviert zu werden oder einen Prozess der ›Subjektivation‹ (nach dem französischen assujettissement) zu durchlaufen.« (Butler 2015, S. 15f., Hervorh. i.O.)

Identitätskategorien haben für Butler einen zumindest zeitweilig totalisierenden Charakter, denn sie reduzieren das Individuum (vorläufig) auf nur eine von vielen möglichen Subjektpositionen. Mit der Anrufung als ein bestimmter ›So-Jemand‹ wird alles weitere, was eine Person kennzeichnet, einstweilig ausgeschlossen. Indem sich das Individuum in der Anrufung erkennt und sich ›umwendet‹, bestätigt es die Adressierung und ist zu dem ›So-Jemand‹ geworden, als solcher es angerufen wurde (vgl. Butler 2006, S. 44ff; auch Fritzsche 2011, S. 59f.; Micus-Loos et al. 2016, S. 39; Villa 2012, S. 45).30 Dabei sind Anrufungen weder falsch noch richtig, denn sie beschreiben keinen Zustand. Sie sind ein Instrument machtvoller Diskurse, die dem Subjekt vorgelagert sind und es erst im Augenblick der Benennung konstituieren und somit als Realität einsetzen (vgl. Bublitz 2002, S. 35f.). Ihre Wirkmächtigkeit lässt sich nicht auf den Moment der Äußerung reduzieren und ist von der sie tätigenden Stimme zu lösen (vgl. Butler 2006, S. 57). Es ist ihr »reiteratives Verfahren« (ebd., S. 59), über das sich in zitatförmiger Wiederholung von Normen und Konventionen die Wirkmächtigkeit der Anrufung innerhalb diskursiver Ordnung sedimentiert (vgl. ebd.; auch Bublitz 2002, S. 35). »Angesprochen zu werden bedeutet also nicht nur, in dem, was man bereits ist, anerkannt zu werden; sondern jene Bezeichnung zu erhalten, durch die die Anerkennung der Existenz möglich wird. Kraft dieser grundlegenden Abhängigkeit von der Anrede des anderen, gelangt das Subjekt zur ›Existenz‹. Das Subjekt ›existiert‹ nicht nur dank der Tatsache, daß es anerkannt wird, sondern dadurch, daß es im grundlegenderen Sinne anerkennbar ist.« (Butler 2006, S. 15, Hervorh. i.O.)

30 Butler (2015) verdeutlicht diesen Prozess der Anrufung und »›Umwendung‹« (ebd., S. 157), indem sie das einprägsame Beispiel Althussers aufgreift, in dem ein Polizist einem Passanten »Hallo, Sie da!« (Butler 2006, S. 46) zuruft. Erst indem der Passant sich auf die Ansprache hin umwendet und diese damit beantwortet, »erhält er eine bestimmte Identität« (ebd.).

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Die reiterative Praxis performativer Anrufung stellt für Butler eine wirkmächtige Schaltstelle vergeschlechtlichender Subjektkonstitution und Identitätsbildung dar (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 37). Ein Kind wird mit der »Anrufung des sozialen Geschlechts« (Butler 1995, S. 29) zu einem ›Mädchen‹ (oder ›Jungen‹). Diese bleibt kein einmaliger Akt. Das Kind wird fortan von unterschiedlichen Instanzen wiederholt als ›Mädchen‹ (oder ›Junge‹) angerufen, verinnerlicht die damit verbundenen Adressierungen, lebt und verkörpert sie, indem es sich mit ihnen identifiziert und sich selbst in alltäglichen Darbietungspraktiken kulturellen Idealen von Weiblichkeit anzunähern sucht, womit sich die naturalisierende und normierende Wirkung verstärkt (vgl. ebd.). Durch sprachliche Anrufungen konstituiert zu werden, bedeutet die Verstrickung des Subjekts in ein historisches Geflecht machtvoller Diskurse. Die Subjektkonstitution bedarf für Butler nicht unbedingt der Umwendung als einen reflexiven Akt, um wirksam zu werden, vielmehr vollzieht sich diese auch ohne Willen oder gar ohne Wissen des sich konstituierenden Subjekts (vgl. Butler 2006, S. 58; 1995, S. 166; auch Bublitz 2002, S, 34). 31 »Wir müssen nicht unbedingt erkennen oder bemerken, wie wir konstituiert werden, damit die Konstitution wirksam wird. Denn ihr Maß wird nicht von ihrer reflexiven Aneignung bestimmt, sondern vielmehr von einer Bezeichnungskette, die den Kreislauf der Selbsterkenntnis übersteigt. Die Zeit des Diskurses ist nicht die Zeit des Subjekts.« (Butler 2006, S. 55)

Gestützt durch die Autorität der zitierten Konvention einer binär codierten Gesellschaftsordnung bzw. durch die konstitutive Macht der zweigeschlechtlichen Norm wird die Anrufung des sozialen Geschlechts eines neugeborenen Kindes auch ohne dessen Bestätigung im Moment der Benennung wirksam und führt es als ›Mädchen‹ (oder ›Junge‹) in eine gesellschaftliche anerkannte Existenzweise ein. Solch personenrelevante Bezeichnungen sind also keineswegs neutral, sondern grundsätzlich normativ und damit ausschließend. Sie sind verflochten mit einer Reihe weiterer Bedeutungen und transportieren entsprechende Adressierungen an ein bestimmtes ›So-Sein‹, womit der Prozess der geschlechtlichen Identifizierung eingeleitet wird. Die Frage danach, warum Individuen mitunter verletzende oder abwertende Adressierungen annehmen und sich damit den angerufenen Normen und Konventionen unterwerfen, beantwortet Butler mit der Abhängigkeit des Subjekts von der Anerkennung durch Andere, die sich entlang kultureller Normen der Intelligibilität vollzieht. Diese Abhängigkeit beschreibt Butler (2015) als ein dynamisches Zusammenspiel von Psyche und Macht, in dem das Subjekt seiner Unterwerfung verhaftet bleibt, da diese es nicht nur hervorbringt, sondern auch die Bedingung seines Fort31 So wirkt die Kraft rassistischer oder sexistischer Reden auch gegen den Protest adressierter Personen innerhalb der Gesellschaft weiter (vgl. Butler 2006, S. 59; auch Bublitz 2002, S. 35).

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bestehens und seiner Handlungsfähigkeit ist (vgl. ebd., S. 11ff.). So ist das Subjekt dazu gezwungen, »nach Anerkennung seiner eigenen Existenz in Kategorien, Begriffen und Namen zu trachten, die es nicht selbst hervorgebracht hat« (ebd., S. 25), und unterwirft sich so der (Geschlechter-)Norm, die ihm Intelligibilität und damit ein soziales Leben verspricht (vgl. ebd.; auch Micus-Loos et al. 2016, S. 40). Der Akt der Umwendung ist demnach nicht willentlich intendiert, vielmehr wird erst durch die Identifizierung mit der (Geschlechter-)Norm das identitätslogische und (scheinbar autonom) handelnde Subjekt hervorgebracht, das von Anbeginn an mit der Macht verstrickt ist, die es in seiner Existenz begründet. So kommen die Subjekte im Zuge ihrer geschlechtlichen Selbstinszenierungen nicht umhin, zitierend auf die Normen Bezug zu nehmen, die von ihnen die Verkörperung bestimmter Weiblichkeits- und Männlichkeitsideale abverlangen, um sich als intelligibel zu qualifizieren und damit (an)erkennbar zu werden und zu bleiben (vgl. Butler 1995, S. 306). »Normen kultureller Intelligibilität« (Butler 2014, S. 39) wirken somit ermöglichend und begrenzend zugleich. Indem sie das benennen, was als mögliche, sinnhaft verständliche und damit anerkennbare Existenz gilt, schließen sie eine Vielfalt weiterer möglicher Lebensweisen vom Subjektstaus aus und konstituieren damit ein Außerhalb der Norm, das als weniger intelligibel, weniger anerkennbar oder gar als nicht lebensfähig32 erachtet wird (vgl. Meißner 2010, S. 47; Micus-Loos et al. 2016, S. 40). Demnach ist der Prozess der Subjektkonstitution und Identitätsbildung immer auch ein Verfahren sozialer Differenzierung, das mit Mechanismen der Inklusion und Exklusion operiert. Subjektkonstituierende Normen haben also immer auch einen ausschließenden Effekt, mehr noch verschafft allein das »konstitutive Außen« (Butler 1995, S. 23) dem Subjekt seine »definitorische Grenze« (ebd.), indem es einen Bereich der Abweichung bezeichnet, »gegen den – und kraft dessen – das Subjekt seinen Anspruch auf Autonomie und Leben eingrenzen wird« (ebd.). Denn eine Abweichung von der Norm geht mit disziplinierenden Sanktionierungen und dem Entzug sozialer Anerkennung einher und gefährdet möglicherweise sogar den eigenen Subjektstatus. Identifizierungen bedingen unweigerlich die Verwerfung und Ausschließung anderer möglicher Identitätspositionen. Weiblich zu sein bedeutet, nicht männlich zu sein, heterosexuell zu sein bedeutet, nicht homosexuell zu sein. Für die eigene Identität ist demnach auch gerade das konstitutiv, was eine Person nicht ist (vgl. Villa 32 Butler (2012) verdeutlicht dies am Beispiel intersexueller Kinder, die als unnormal gelten und der Korrektur einer chirurgischen Anpassung des Geschlechtskörpers an die Anforderungen der Gesellschaft, ein eindeutiges Geschlecht zu haben, unterzogen werden. Eine geschlechtsangleichende Korrektur wird häufig noch immer mit dem Argument legitimiert, das Kind vor gesellschaftlicher Ausgrenzung und Diskriminierung zu schützen, ohne dabei das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit zu beachten (vgl. ebd., S. 91).

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2010, S. 152). Dabei sind die verworfenen Möglichkeiten dem Subjekt nicht direkt zugänglich, stellen sie doch die historisch verfestigten Bedingungen seiner selbst dar und können daher auch nicht betrauert werden, sondern werden als »Melancholie«33 (Butler 2015, S. 125) von der Psyche einverleibt (vgl. ebd., S. 159; auch Meißner 2010, S. 62f.; Micus-Loos et al. 2016, S. 35). Kohärente Geschlechtsidentitäten sind demnach »Folgeformen der Melancholie« (Butler 2015, S. 135), denn sie formieren sich über die produktive Verwerfung des ›konstitutiven Außen‹ und zeugen von der Verinnerlichung der symbolisch-normativen Ordnung machtvoller Diskurse, entlang derer sich die Anerkennung des Subjektstatus vollzieht. Daher ist für Butler (2015, S. 177) »[d]er Prozess der Subjektformierung […] ein Prozess der Unsichtbarmachung«. So wird das »Subjekt-als-Identität« (Villa 2010, S. 152) durch konstitutive Ausschlüsse und Verwerfungen hervorgebracht, die es innerhalb gesellschaftlicher (Identitäts-)Kategorien anerkennbar und somit intelligibel machen (vgl. ebd.). Deren historische Bedeutsamkeit wird in performativen Prozessen diskursiver Anrufung kultureller (Geschlechter-)Normen fortwährend aktualisiert und fortgeschrieben. So wie Normen es bestimmten Subjekten ermöglichen, intelligibel zu sein und zu handeln, vermögen sie es, anderen Subjekten – die normativen Anforderungen der Gesellschaft, wie bspw. an die Kohärenz geschlechtlicher Identitäten, nicht entsprechen – Anerkennung zu verwehren (vgl. Balzer und Ludewig 2012, S. 116; Meißner 2010, S. 47). 4.3.3 Diskursimmanente Möglichkeitsräume der Verschiebung und subversiven Wiederholung Wie voranstehend deutlich gemacht wurde, müssen die Subjekte im Prozess der Identitätsbildung auf bestehende Normen Bezug nehmen, um intelligibel zu sein und zu bleiben, und doch sind diese Normen nicht vollständig determinierend (vgl. Butler 2014, S. 215). Vielmehr ist gerade im butlerschen Verständnis von Geschlechtsidentität als Effekt performativer und reiterativer Wiederholungspraxis das konstruktive Veränderungspotenzial der Verschiebung bereits systematisch angelegt (vgl. Butler 1993b, S. 123, 125, auch Bublitz 2002, S. 37f.; Meißner 2010, S. 38; Micus-Loos et al. 2016, S. 44; Villa 2006, S. 228). Zum einen können normative Anweisungen aufgrund der Unerreichbarkeit identischer Wiederholung in den jeweiligen Kontexten nicht strikt befolgt werden. Indem normative Bezeichnungen und Identifizierungen nach Butler keinen ontologischen Kern haben, erfolgt die Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit in Annäherung an gesellschaftlich idealisierte Geschlechterbilder, die eher vage und unbeständig bleiben, womit eine vollkommene Verkörperung der Norm nicht gelingen kann. Dies hat eine Reihe von 33 Butler benutzt den Begriff Melancholie in Anlehnung an Sigmund Freud (vgl. Butler 2015, S. 125).

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Fehlschlägen zur Folge, die die zugrunde liegenden Anweisungen überschreiten und somit infrage stellen (vgl. Butler 2014, S. 213; 2012, S. 85; 1995, S. 171; auch Micus-Loos et al. 2016, S. 44; Villa 2010, S. 153; 2006, S. 228). Die aus der Koexistenz verschiedenartiger Diskurse resultierenden, teils widersprüchlichen Anforderungen produzieren zwangsläufig Verfehlungen, die zugleich als lokale Möglichkeiten einer »vielschichtigen Rekonfiguration und Wieder-Einsetzung« (Butler 2014, S. 213) aufgefasst werden können (vgl. ebd., S. 213f.). Zum anderen erkennt Butler in dieser »konstitutiven Ambivalenz eines sozialen Konstruiertseins« (Butler 1995, S. 167) die Möglichkeit bzw. die Befähigung, subjektkonstituierende Normen durch variierende Wiederholung umzuarbeiten (vgl. ebd., S. 169; 2014, S. 213). Denn dadurch, dass Normen keinen essentiellen Charakter haben, sind sie als historisch verfestigte und durch ritualisierte Akte fortwährender (Re-)Inszenierungen verkörperte Strukturen zu denken, die prinzipiell instabil und anfechtbar sind. Normen beziehen ihre subjektkonstituierende und identitätsbildende Kraft nicht aus sich selbst heraus, sondern wirken allein dadurch machtvoll, dass sie von den Subjekten in performativen Prozessen wiederholt aufgeführt, zitiert und bestätigt werden (vgl. Butler 2012, S. 85; auch Bublitz 2002, S. 37f.; Meißner 2010, S. 38f.; Micus-Loos et al. 2016, S. 44f.). »Tatsächlich besteht die Norm nur in dem Ausmaße fort, indem sie in der sozialen Praxis durchgespielt und durch die täglichen sozialen Rituale des körperlichen Lebens und in ihnen stets aufs Neue idealisiert und eingeführt wird. […] Sie wird durch ihre Verkörperung (re)produziert, durch die Handlungen, die sich ihr anzunähern suchen, durch die Idealisierungen, die in und durch solche Handlungen reproduziert werden.« (Butler 2012, S. 85)

Die strukturbildende Wirkmächtigkeit diskursiver Normen realisiert sich demnach allein in den fortwährenden Darbietungen und Handlungspraktiken der Subjekte, die selbst als Bestandteil der Verfahren ihrer eigenen Hervorbringung in ein komplexes Geflecht aus Macht und Diskurs verwoben sind (vgl. Meißner 2010, S. 38f.; Micus-Loos et al. 2016, S. 44f.). Demnach ist das Subjekt weder als prädiskursive Entität noch als abgeschlossenes Produkt diskursiver Normen und Anrufungen zu verstehen, vielmehr öffnet sich ihm im reiterativen Prozess seiner performativen Hervorbringung ein machtimmanenter Möglichkeitsraum kritischer Handlungsfähigkeit (vgl. Butler 1993b, S. 130). »Das Subjekt ist niemals vollständig konstituiert, sondern wird immer wieder neu unterworfen (subjected) und produziert. Dieses Subjekt ist also weder ein Ursprung noch bloßes Produkt, sondern die stets vorhandene Möglichkeit eines bestimmten Prozesses der Umdeutung (resignifying process), der zwar durch andere Mechanismen umgeleitet oder abgebrochen werden kann, jedoch stets die der Macht eignende Möglichkeit selbst darstellt, umgearbeitet zu werden.« (Butler 1993a, S. 45, Hervorh. i.O.)

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Um in Butlers postsouveränem Subjektverständnis Veränderungsmöglichkeiten auszuloten, ist daher kritische Handlungsfähigkeit nicht als gegeben vorauszusetzen. Sie begreift Handlungsfähigkeit als »Effekt von Diskursbedingungen« (Butler 1993b, S. 128) und »zerbrechliche Möglichkeit, die sich inmitten konstituierender Beziehungen auftut« (ebd.). Ihr zufolge gilt es nach den Bedingungen für Transformation zu fragen, die innerhalb gegebener Diskurs- und Machtkonfigurationen entstehen (vgl. Butler 1993a, S. 45). Denn für Butler (1993b, S. 127) gibt es »keine Opposition zur Macht« und damit kein autonomes Subjekt, das sich den Bedingungen seiner Existenz gegenüberstellen kann, weshalb subversive Widerständigkeit »nur innerhalb repetitiver Verfahren der Bezeichnung« (Butler 2014, S. 213, Hervorh. i.O.) erfolgen kann. Demgemäß ist für Butler nicht entscheidend, ob, sondern allein wie zitiert wird (vgl. ebd., S. 217). Sie versteht Subversion als die Möglichkeit, Normen so zu wiederholen, dass diese nicht gefestigt, sondern verschoben, umgedeutet und unterwandert werden (vgl. ebd., S. 57). Dabei zielen subversive Strategien nicht bloß darauf, Normen umzukehren, sondern ihre Diskursivität als gewordene Ordnungsstrukturen und damit gleichsam ihr Wandlungsfähigkeit offenzulegen, um auf diese Weise Veränderung zu mobilisieren (vgl. Balzer und Ludewig 2012, S. 108).34 Damit wird deutlich, dass sich subversive Strategien nach Butler auf die dem Performativen inhärenten, minimalen Verschiebungen konstitutiver Normen gründen. Sie sind mit diesen jedoch nicht gleichzusetzen, sondern gehen über sie hinaus. Denn das widerständige Subjekt reartikuliert Normen aktiv fehlerhaft, indem es das den Normen eigene Transformationspotenzial nutzt (vgl. ebd., S. 111). Subversive Praktiken erkennt Butler in Akten der Ironisierung, parodistischen Übertreibung oder kreativer (Fehl-)Aneignung von Begriffen und Bezeichnungen, die einen Bruch »zwischen einer gewöhnlichen und einer nicht-gewöhnlichen Bedeutung« (Butler 2006, S. 227) bewirken.35 Um restriktiven Normen der Eindeutigkeit und Naturhaftigkeit von (Geschlechts-)Identität subversiv zu begegnen, besteht für Butler die Aufgabe darin, lokal vorhandene Möglichkeiten innerhalb der Bereiche aufzuzeigen und zu reformulieren, die kulturell (noch) nicht intelligibel und denkbar sind (vgl. Butler 2014, S. 218) und in der Konsequenz den Bereich anerkennbarer Identitätspositionen zu erweitern (vgl. ebd., S. 213).

34 Butler veranschaulicht subversive Praktiken u.a. an den Beispielen Parodie und Travestie, die durch stilisierende Übertreibungen die Konstruiertheit und Diskursivität gesellschaftlicher Geschlechternormen aufzeigen (vgl. exempl. Butler 2014., S. 209ff.; 1995, S. 169ff.). 35 Die Möglichkeit der kritischen und aggressiven (Wieder-)Aneignung und Umarbeitung von Bezeichnungen erörtert Butler an Beispielen wie den Begriffen ›queer‹ im Kontext der politischen Homosexuellenbewegung (vgl. Butler 1995, S. 46, 298ff.) oder ›Nigger‹ in der Rap-Musik (vgl. Butler 2006, S. 158f.).

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4.4 NORMATIVE ANFORDERUNGEN AN BERUFLICHGESCHLECHTLICHE SUBJEKTPOSITIONEN UND DIE DISKURSIVE MATERIALISIERUNG DES TECHNISCHEN Im Anschluss an Foucaults Diskursverständnis ermöglicht Butlers Theorie der Performativität in die Frage nach der Bedeutung normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht im Rahmen beruflicher Orientierungsprozesse junger Frauen eine Sichtweise auf Subjektivität einzubeziehen, die sowohl die konstitutive Wirkmächtigkeit von (Geschlechter-)Normen herausstellt als auch ihnen immanente Möglichkeiten der Verschiebung und Erweiterung in den Blick nimmt (vgl. Hartmann 2001, S. 78). (Geschlechts-)Identität – das Verständnis vom eigenen Selbst im Verhältnis zu Anderen (vgl. Jäckle et al. 2016, S. 30; King 2002, S. 85f.; Winker und Degele 2009, S. 20) – ist für Butler kein Ausdruck eines autonomen Subjekts, sondern das Ergebnis einer immerwährenden Praxis zitierender Wiederholung von Normen sozialer Intelligibilität in Prozessen der Subjektwerdung. Die Norm heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit ist nach Butler in diesem Zusammenhang von existenzieller Bedeutung, da sie die binär codierten und wechselseitig aufeinander bezogenen Geschlechterpositionen ›weiblich‹ und ›männlich‹ bzw. ›Frausein‹ und ›Mannsein‹ als einzig denk- und lebbare Identitäten setzt.36 (Geschlechts-)Identitäten sind demnach weder natürlich noch ursprünglich, weder abgeschlossen noch beständig und müssen, um den Anschein des Faktischen zu bewahren, fortwährend inszeniert und glaubhaft gemacht werden (vgl. Butler 2014, S. 49; auch Bublitz 2002, S. 23; Hartmann 2001, S. 76; Meißner 2010, S. 36; Micus-Loos et al. 2016, S. 37). So können auch beruflich-geschlechtliche Identitäten nur als vorläufig aktualisierte Entwürfe vom eigenen Selbst verstanden werden, die sich im Anschluss an eine Kette von vorangegangenen Wiederholungen immer wieder neu konkretisieren (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 45f.). Nach Butler ist die geschlechtliche Subjektwerdung als lebenslanger Prozess zu verstehen, der sich durch fortwährende Adressierungen auf der Grundlage kultureller Normen durch (und an) Andere vollzieht (vgl. Butler 2012, S. 44).37 Dabei wer-

36 Hierin besteht ein gewichtiger Unterschied zum Beruf, dem in westlichen Gesellschaften neben dem Geschlecht ebenfalls eine hohe identitätsstiftende Bedeutung zukommt (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 18; Winker und Degele 2009, S. 60). Doch während es nahezu unvorstellbar erscheint, kein Geschlecht zu haben, ist die Möglichkeit, keinen Beruf zu haben, durchaus lebbar, auch wenn dies gesellschaftlich meist mit weniger Anerkennung verbunden ist. 37 Butler (2012) folgt hier insofern Georg W. F. Hegels These, »dass Begehren stets Begehren nach Anerkennung ist und dass Anerkennung die Bedingung für ein Leben ist« (ebd., S. 327).

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den mit den (Selbst-)Bezeichnungen als Mädchen/Frau bzw. Junge/Mann unweigerlich normative Bedeutungen von einem ›So-Sein‹ und Adressierungen als ›SoJemand‹ aufgerufen, die identitätslogisch bearbeitet werden (müssen) (vgl. Villa 2012, S. 123). Folglich wirken die »gemeinsam geteilten Vorannahmen« (Butler 2012, S. 327) darüber, was es heißt, weiblich oder männlich zu sein, auch auf die Entscheidungen adoleszenter Frauen für oder gegen einen technischen Beruf bzw. ein technisches Studienfach ein, indem sie die Grenzen dessen markieren, was als kohärente beruflich-geschlechtliche Identitätsposition anerkennbar ist. Berufliche Selbstkonzepte sind somit eingelassen in ein Gefüge symbolischer Repräsentationen, in dem bestimmte Vorstellungen, Überzeugungen und Stereotype über die Passung von Beruf und Geschlecht zirkulieren. Inwiefern eine technische Berufs- und Studienwahlorientierung junger Frauen als intelligibel gelten kann, ist demnach immer auch durch normative Diskurse zu Geschlecht, Beruf und Technik vorgegeben. In der Konsequenz sind Berufswahlorientierungen nicht als individuelle Entscheidungsfindungen zu verstehen, sondern bedürfen – insbesondere mit Blick auf die symbolische Verwobenheit von Technik und Geschlecht – stets der Bearbeitung normativer Anforderungen an die Intelligibilität geschlechtlicher Identitäten. Aus diesem Blickwinkelt stehen junge Frauen (und Männer) am Übergang SchuleStudium/Beruf vor der Anforderung, im Zuge beruflicher Orientierungsprozesse dominante Geschlechternormen so zu zitieren, dass die Intelligibilität der eigenen Identität gesichert ist und bleibt (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 46f.). Butlers Gendertheorie lässt erkennbar werden, dass entlang von (Geschlechter-) Normen bestimmte berufliche Subjektpositionen privilegiert und andere Positionen abgewertet und diskriminiert werden. Zugleich wird deutlich, welche Anstrengungen Subjekte im Zuge ihrer Berufs- und Lebensplanungen erbringen müssen, um den aktuellen Geschlechternormen zu entsprechen (Micus-Loos et al. 2016, S. 47). Dies eröffnet ein Verständnis dafür, dass eine technische Berufs- oder Studienfachwahl für junge Frauen nicht frei von Komplikationen und Konflikten ist. Denn indem Technik Männlichkeit symbolisiert, scheint eine technische Berufswahlorientierung kaum mit einer kohärenten weiblichen Identität kompatibel zu sein, sondern könnte gar die Intelligibilität weiblicher Subjektpositionen gefährden.38 Butlers Theorie bildet damit eine fruchtbare Perspektiverweiterung zu konstruktivistischen Ansätzen: Auch sie geht davon aus, dass Identität das Erzeugnis eines immerwährenden Tuns (›doing‹) ist. Und dieses Tun ist performativ, d.h. eine produktive Wiederholungspraxis normativer Vorgaben (Butler 2014, S. 49), die dem ›Fabrizierten‹ im Nachhinein den »Status des Natürlichen« (ebd., S. 214) verleiht und 38 Möglicherweis ist hierin einer der Gründe dafür zu suchen, warum es sich im Rahmen bildungspolitischer Bestrebungen als äußerst schwierig erweist, einer geschlechterstereotypen Berufs- und Studienfachwahl entgegenzuwirken (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 47).

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doch im Bestreben, das vermeintlich Natürliche zu verkörpern, scheitern muss (vgl. ebd., S. 214f.). Zugleich macht Butler mit ihrer dekonstruktivistischen Herangehensweise darauf aufmerksam, dass sich die Konstruktion von Normalitäten immer über die Konstruktion eines Bereichs der Abweichung als ›konstitutives Außen‹ vollzieht. Damit führt sie vor Augen, dass die Realität weit komplexer und vielfältiger ist, als sie das regulative Raster dominanter Diskurse und Normen erscheinen lässt, die die Wahrnehmungen und Deutungen prägen (vgl. Fritzsche 2012, S. 197). Auf diese Weise wird der Blick dafür geschärft, dass sich Konstruktionsweisen normativer Identitäten im Diskursfeld Technik und Geschlecht im Rahmen beruflicher Orientierungsprozesse immer auch über die Verhandlung von Identitätspositionen vollziehen, die als weniger anerkennbar, weniger ›normal‹ oder schlicht als ›anders‹ gelten (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 46f.). Darüber hinausgehend ermöglicht die Einbeziehung des Verworfenen in die Rekonstruktion normativer Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Identitäten der konstruktivistischen Zugangsweisen anhaftenden Problematik zu entgehen, den Gegenstand der Forschung vorwegzunehmen, indem bspw. die Kategorie ›Frau‹ als stabile und abgeschlossene Identität gedacht wird. Die butlersche Perspektive vermittelt dagegen eine Zugangsweise zu Identitätskategorien, die sich erst durch die Berücksichtigung konstitutiver Ausschlüsse, Verwerfungen und Verfehlungen eröffnet (vgl. Fritzsche 2012, S. 198). Ein besonderer Stellenwert im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit kommt dem in Butlers Performativitätskonzept angelegten Auseinanderklaffen von normativer Anforderung und individueller Handlung zu, das für die Wahrnehmung von Widersprüchen und Ambivalenzen in beruflich-geschlechtlichen Konstruktionsweisen sensibilisiert (vgl. Butler 2014, S. 214f.; Jäckle et al. 2016, S. 33f.; Villa 2006, S. 230; Winker 2005, S. 171). Denn einerseits sind Orientierungen und Handlungen nach Butler stets normativ gerahmt, andererseits »müssen diskursive Normen im individuellen Handeln scheitern« (Villa 2006, S. 228, Hervorh. i.O.). Denn Normen und damit verbundene Bedeutungszusammenhänge sind ideologisch aufgeladen und können im Alltagshandeln nicht idealtypisch realisiert werden (vgl. ebd.; Butler 1995, S. 306). Im thematischen Bezug wird dies bspw. darin erkennbar, dass sich normative Vorstellungen, die männliche Subjektpositionen diesseits, weibliche dagegen jenseits des Technischen situieren, in Anbetracht der gelebten Vielfalt von Alltagsrealitäten, in denen Mädchen sehr wohl technikversiert agieren und Frauen in technischen Kontexten arbeiten – auch wenn dies zumeist nicht als solches wahrgenommen, benannt und (an)erkannt wird –, nicht ohne Weiteres bestätigen lassen (vgl. Winker 2005, S. 171; Wolffram 2006, S. 3111).39 Das bedeutet auch, dass pädago39 Gabriele Winker (2005, S. 171) verweist in diesem Zusammenhang auf ein »Auseinanderfallen von kollektiven Orientierungen und tatsächlichem Handeln«, das sich »in viel-

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gische und bildungspolitische Diskurse über ein geringes Technikinteresse junger Frauen als Ausgangspukt einer entsprechend anders ausgerichteten Berufswahlorientierung nicht unbedingt etwas über die tatsächlichen Alltagspraktiken in ihren jeweiligen Kontexten aussagen, sondern eher etwas über vorherrschende Weiblichkeitsbilder, die sowohl die Selbst- als auch die Fremdwahrnehmungen prägen (vgl. Villa 2006, S. 228; Winker 2005, S. 171).40 »Der Diskurs ordnet nämlich ein Sein an, die Praxis aber ist ein beständiges Werden« (Villa 2006, S, 229). Auch die Einsicht, Identität nicht als stabile und abgeschlossene Persönlichkeit zu begreifen, sondern als Effekt zitierender Praxis diskursiver Normen, öffnet den Blick für Veränderungsdynamiken, die einerseits durch den Wiederholungscharakter und die damit unweigerlich verbundenen Verschiebungen selbst gewährleistet sind (vgl. Villa 2006, S. 234). Andererseits entstehen Identitäten nicht durch die bloße Internalisierung normativer Imperative, wie bspw. geschlechterstereotype Zuschreibungen technischer (In-)Kompetenz, sondern erst in der »doppelten Bewegung« (Micus-Loos 2017, o.S.) von Anrufung und Umwendung. Sie bedürfen somit der Eigenleistung der Individuen sich mit den je aktualisierten Seins-Angeboten auseinanderzusetzen und sich auf diese oder jene Weise mit ihnen oder über sie zu identifizieren, was immer in Form von Positionierungen erfolgt. Diese beinhalten neben einer bestätigenden Bezugnahme ebenso die Möglichkeit der Zurückweisung, Ironisierung oder kreativen Umdeutung (vgl. Bublitz 2002, S. 32; Villa 2006, S. 229). Aus dieser Perspektive konstruieren junge Frauen in der Phase der Berufsfindung beruflich-geschlechtliche Identitäten in aktiver und kontextbezogener Auseinandersetzung mit vielfältigen und teils widersprüchlichen Anforderungen konfligierender und konkurrierender Diskurse über Technik und Geschlecht immer wieder neu und immer wieder – zumindest etwas – anders (vgl. Villa 2006, S. 229). Butlers Verständnis von Subjektkonstitution bietet damit einen erkenntnisreichen Ansatz, um das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, Handlung fältiger Weise bei der selbstkritischen Einschätzung von Frauen hinsichtlich der eigenen Kompetenz im Umgang mit technischen Artefakten« finde. So zeigen Frauen oftmals die Tendenz, die eigenen Leistungen im Vergleich zu Männern geringer einzuschätzen, als sie tatsächlich sind (vgl. ebd.). 40 So weist Winker (2005) darauf hin, dass Computerspielen vornehmlich jungen Männern zugeschrieben wird, obwohl auch junge Frauen dieser Freizeitbeschäftigung nachgehen, wenn auch eher im Verborgenen, während sie sich nach außen hin von der männlich konnotierten Spielleidenschaft zumeist deutlich abgrenzen, um nicht als ›Freak‹ angesehen zu werden (vgl. ebd., S. 171). Ein derartiges Image scheint die Intelligibilität weiblicher Identitätsentwürfe zu gefährden, was sich insbesondere in der Phase der Adoleszenz, in der sich junge Frauen verstärkt mit Weiblichkeitsnomen und -stereotypen auseinandersetzen, als wirkmächtig erweisen kann (vgl. Flaake und King 1992, S. 13ff.; King 2002, S. 80f.; Hagemann-White 1992, S. 64ff., 71).

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und Struktur, Identität und sozialer Ordnung zu denken, ohne dabei das Subjekt als von gesellschaftlichen (Macht-)Verhältnissen vollständig determiniert oder als diesen frei gegenüberstehend zu begreifen. Des Weiteren bietet Butlers diskurstheoretische Perspektive auch eine produktive Erweiterung, um die Wirkungsmechanismen der Ko-Konstruktion von Technik und Geschlecht genauer zu fassen. Der KoKonstruktionsansatz, wie ihn die feministische Techniksoziologie versteht, basiert auf der Annahme, dass Technik und Geschlecht zwei konstitutiv miteinander verflochtene gesellschaftliche Kategorien darstellen, die nicht losgelöst voneinander zu analysieren sind. Um Geschlechterverhältnisse auf struktureller, individueller und symbolischer Ebene umfassend zu untersuchen, bedarf es demnach der Einbeziehung technischer Konstruktionsweisen, während umgekehrt gesellschaftliche Geschlechterrelationen für die Hervorbringung technischer Artefakte grundlegend sind (vgl. Faulkner 2001, S. 81; Winker 2005, S. 158f.; Wolffram 2006, S. 3108ff.). Gabriele Winker (2005) greift in diesem Zusammenhang Butlers Verständnis von der Materialität vergeschlechtlichter Körper als Effekt machtvoller Diskurse und ihrer historisch geronnen Bedeutungssetzungen auf und entwirft ein Konzept der »Ko-Materialisierung von Technik und Geschlecht« (ebd., S. 160), mit dem sie die Gleichzeitigkeit im wechselseitig konstitutiven Verhältnis von Technik und Geschlecht betont und auf die damit verblassende Trennschärte zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten verweist.41 Winker geht davon aus, dass auch Artefakte nicht von sich aus technisch sind, sondern als solche erst über bestimmte Diskurse entlang symbolischer Ordnungen hervorgebracht werden, indem sie als High-Tech-Produkte konzipiert und bezeichnet und in der Folge vor dem Hintergrund hierarchischer Geschlechterverhältnisse männlich konnotiert werden: »In Anlehnung an Butler kann davon ausgegangen werden, dass auch aus Artefakten nicht automatisch Technik wird, sondern – vergleichbar dem vergeschlechtlichten Körper – Artefakte erst im Diskurs technisiert, als High-Tech-Produkte hervorgebracht und damit mächtig, beachtenswert und im Zuge dessen männlich konnotiert werden. Technik oder besser technisierte Artefakte werden somit zusammen mit Geschlechtlichkeit durch zitatförmige Wiederholungen einer diskursiven Ordnung erzeugt. Menschliche und nicht-menschliche Entitäten erhalten damit gleichzeitig eine Form. Wir benennen diesen Prozess als Ko-Materialisierung von Technik und Geschlecht.« (Winker 2005, S. 162)

Technisierte Artefakte stehen für »Exklusivität, Macht und Männlichkeit« (ebd., S.157), solange sie ein High-Tech-Image besitzen. Doch können hochtechnisierte 41 Winker (2005) schließt hier an Überlegungen von Donna Haraway (1985) und Bruno Latour (1995) über die Auflösung der Grenzsetzung zwischen Mensch und Maschine im Rahmen der ›Actor-Network-Theory‹ (ANT) an (vgl. ebd., S. 160ff.; auch Wolffram 2006, S. 3113).

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Zuschreibungen in Anbetracht der rasanten Dynamik, mit der einstige High-TechProdukte als gewöhnliche Alltagstechnologien eine breite Nutzung in unterschiedlichen Handlungskontexten finden, verloren gehen, womit zugleich die symbolische Verknüpfung mit Männlichkeit schwindet,42 wie am Beispiel des Internets oder der Mikrowellentechnologie deutlich wird (vgl. Wajcman 2004, S. 36f., 47; Winker 2005, S. 165ff.; Wolffram 2006, S. 3112f.). Die Artefakten anhängenden symbolischen Bedeutungen als technisch bzw. nicht oder weniger technisch sind demnach nicht stabil, sondern unterliegen dynamischen und eigensinnigen Verschiebungen, in denen die enge Verwobenheit der Diskurse über Technik und Geschlecht erkennbar wird (vgl. Winker 2005, S. 161; Wolffram 2006, S. 3112). Somit gilt es aus einem poststrukturalistischen Verständnis heraus mit Blick auf das Verhältnis junger Frauen zu Technik und technischen Berufen, das, was als technisch gilt, nicht als gegeben anzunehmen, sondern ebenfalls als ein Erzeugnis performativer Bezeichnungspraxis in enger Verstrickung mit vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Konstruktionsprozessen zu begreifen. Wie deutlich wird, lassen sich mit Bezug auf Butler sowohl die Selbstverhältnisse junger Frauen zu technischen Berufen als auch das, was sie unter dem Begriff ›Technik‹ verstehen, im Zusammenhang mit geschlechtsbezogenen Normen und Ideologien betrachten, die in Form symbolisch-diskursiver Ordnungen innerhalb der Gesellschaft zirkulieren. Eine derartig theoriegeleitete Analyseperspektive verspricht Beharrungstendenzen verstehbar werden zu lassen und Momente der Transformation offenzulegen. Butlers Philosophie verweist dabei immer auch auf das, was über das Gegebene hinausgeht, und regt dazu an, nach den konkreten Bedingungen für mögliche Subjektivitäten zu fragen, die im Bestehenden angelegt sind (vgl. auch Meißner 2010, S. 13). Dabei macht sie auf Ambivalenzen, Brüche und Verschiebungen aufmerksam, die das Veränderungspotenzial normativer Bedeutungssetzungen im Diskursfeld Technik und Geschlecht erkennbar werden lassen.

42 Winker (2005) macht darauf aufmerksam, dass im Falle einer Funktionsstörung Artefakte kurzfristig erneut technisiert und der die Störung behebenden Person hegemoniale Männlichkeit zugeschrieben wird (vgl. ebd., S. 165f.).

5. Präzisierung der Forschungsfrage Den Ausgangspunkt der vorliegenden Studie bildet das Phänomen der andauernden Unterrepräsentanz von Frauen in technischen Berufen als Ausweis einer überwiegend stereotypen Berufs- und Studienwahlorientierung, die von einer geschlechterdifferenzierenden und -hierarchisierenden Strukturierung des Arbeitsmarktes gerahmt wird. Im Verständnis von Geschlecht als Strukturkategorie, wie es insbesondere von der deutschsprachigen Geschlechterforschung profiliert wurde, lassen sich gesellschaftliche Macht- bzw. Herrschaftsverhältnisse auf der Grundlage von Geschlechterbeziehungen betrachten, aus denen ungleiche Lebenschancen für Frauen und Männer resultieren, die sich in einer Benachteiligung von Frauen im Erwerbssystem niederschlagen. In Anbetracht der dargestellten Hürden und Barrieren, mit denen sich Frauen in der klassischen Männerdomäne Technik trotz des Abbaus formaler Zugangsbarrieren konfrontiert sehen, ist im Zuge der empirischen Analyse auch zu berücksichtigen, inwieweit diese von den beforschten jungen Frauen wahrgenommen werden und sich ungeachtet individueller Präferenzen negativ auf die Attraktivität einer technischen Berufswahl auswirken. Inwieweit haben die jungen Frauen ein Wissen über die Geschlechtersegregation des Arbeitsmarktes, konkret im Hinblick auf die männliche Dominanz in technischen Berufsfeldern, und welche Relevanz messen sie dieser bei? Haben sie in Anbetracht der vorherrschenden Rhetorik normativer Gleichstellung ein Bewusstsein für benachteiligende Strukturen aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit? Hat dies Einfluss auf ihre Erwägung einer technischen Berufs- oder Studienfachwahl? Dabei geht es der vorlegenden Arbeit weniger darum, die Auswirkungen struktureller Ungleichheit zwischen Frauen und Männern zu untersuchen. Vielmehr interessieren die Prozesse der Hervorbringung von Geschlecht als binär codierte Identitätskategorie, wobei Technik bzw. Technikkompetenz als Moment der Differenzierung in den Fokus gerückt wird. Mit der Frage nach dem Wie der (Re-) Konstruktion normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht im Rahmen beruflich-geschlechtlicher Selbstentwürfe baut diese Arbeit zunächst auf einer ethnomethodologisch-sozialkonstruktivistischen Perspektive auf, aus der Momente der Geschlechterkonstruktion im Interaktionsgeschehen der Gruppendiskussionen erfasst werden können, in denen Technik als Hintergrundkulisse zur Inszenierung an-

122 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

erkannter Formen von Weiblichkeit bzw. Männlichkeit fungiert. Aus konstruktivistischer Perspektive ist folglich ein Verständnis von Geschlecht und Geschlechterdifferenz als Ergebnis einer fortwährenden sozialen Interaktionspraxis grundlegend, die sich als alltägliche Darstellungsarbeit der Subjekte konkretisieren lässt, über die sich die soziale Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit permanent reproduziert. Die traditionell männliche Geschlechtersymbolik von Technik und Technikberufen als Bestandteil der sozialen Wirklichkeit erscheint damit als eine wirkungsvolle Ressource im Rahmen von ›doing gender‹-Prozessen, auf die die Subjekte in ihrer alltäglichen Identitätsarbeit handelnd Bezug nehmen (können), während sie damit zugleich die männliche Codierung des Technischen aktualisieren und fortschreiben (können). Einerseits richtet sich so der Blick auf Praktiken der interaktiven Erzeugung von Geschlecht und Geschlechterdifferenz und andererseits auf Mechanismen identitätsrelevanter Bedeutungsgenerierung hinsichtlich der Verhältnissetzung von Technik und Geschlecht. Auf diese Weise lässt sich das reziproke Ineinandergreifen von Wissen und Handeln im Rahmen beruflicher Orientierungsprozesse analytisch erfassen und zugleich als Moment der (Re-)Strukturierung und (Re-)Codierung technischer Berufe herausstellen. Mit diesem konstruktivistischen Zugang werden die beforschten Schüler*innen als Akteur*innen in den Blick genommen, die aktiv an der (Re-)Produktion gesellschaftlicher Verhältnisse und kollektiver Sinnwelten mitwirken, die zur Aufrechterhaltung geschlechtsbezogener Ungleichheit im technischen Berufsfeld beitragen. So lassen sich Prozesse des ›doing gender‹ im Kontext von ›doing work‹ auch als eingebunden in Praktiken im Sinne von ›doing inequality‹ betrachten (vgl. Villa 2011, S. 147). Und doch ist in Rückbezug auf Hirschauers (2001; 1994) Ansatz des ›undoing gender‹ die Signifikanz der Kategorie Geschlecht in beruflichen Orientierungsprozessen im Rahmen der Analyse des empirischen Materials aus den Gruppendiskussionen nicht vorauszusetzen. Stattdessen gilt es neben einer Aktualisierung auch die Möglichkeit der Neutralisierung mit in den Blick zu nehmen und kontextbezogen zu betrachten, von wem und unter welchen Bedingungen Geschlecht und Geschlechterdifferenz signifiziert oder neutralisiert werden (vgl. ebd.; Gildemeister 2010, S. 143f; Heintz und Nadai 1998). Inwiefern und auf welche Weise wird von den Schüler*innen in der gemeinsamen Diskussion über technische Berufswahloptionen die Kategorie Geschlecht vor dem Hintergrund der kulturellen Setzung bipolarer Zweigeschlechtlichkeit relevant gemacht? Welche Vorstellungen haben die Schüler*innen von Technikberufen und sind diese Bilder geschlechtlich eingefärbt? Inwieweit lassen sich in den Gruppendiskussionen Prozesse von ›doing gender‹ herausarbeiten, in denen die geschlechtliche Codierung des Technischen enaktiert und reproduziert, möglicherweise aber auch konterkariert wird? Und fungiert Technik im Rahmen adoleszenter Identitätskonstruktionen, auch verstanden als Akte der Grenzziehung, möglicherweise nicht nur innerhalb binärer

Präzisierung der Forschungsfrage | 123

Geschlechterklassifikation, sondern ebenso in anderen Bezügen als wirkungsvolles Mittel der Distinktion? Doch will die Studie nicht allein das Wie der Hervorbringung geschlechtlicher Identitäten hinsichtlich der Art und Weise erfassen, mit der sich die Subjekte ins Verhältnis zu Technik setzen. Mehr noch interessiert das Warum der beständigen (Re-)Konstruktion symbolischer Repräsentationen im Kontext Technik und Geschlecht. Während sich konstruktivistische Ansätze vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Geschlechterverhältnisse vornehmlich mit dem Aspekt sozialer Ungleichheit als Folge fortwährender sozialer Praktiken der Differenzierung auseinandersetzen und dabei die Eigenbeteiligung handelnder Subjekte fokussieren, lässt sich mit der Hinzunahme einer poststrukturalistisch ausgerichteten Zugangsweise die (Geschlechter-)Differenz selbst als Effekt subjektkonstituierender Machtverhältnisse begreifen, in denen sich weibliche und männliche Identitäten entlang hegemonialer Diskursordnungen materialisieren, innerhalb derer Technik als Differenzmarker fungiert (vgl. Hartmann 2001, S. 72f.). Um der geschlechtsbezogenen Ungleichheit im Berufsfeld Technik als Ausweis einer mehrheitlich geschlechterstereotypen Berufswahlorientierung vor dem Hintergrund diskursiver Wissensordnungen weiter auf die Spur zu kommen, richtet sich der analytische Blick auf die Entstehung von Subjektivität im Zuge beruflich-geschlechtlicher Identitätsentwürfe, um damit einhergehende Implikationen für Handlungsfähigkeit kritisch zu diskutieren (vgl. ebd., S. 73). Dabei bildet Foucaults Diskurskonzeption die Voraussetzung für ein Verständnis von der produktiven Macht von Sprache, regelgeleitete Wirklichkeiten und damit auch Normalitätsvorstellungen moderner Subjektivität zu erzeugen. So lassen sich habitualisierte Gewissheiten im Sinne normativer Annahmen über die scheinbar natürliche Verbindung zwischen Männlichkeit und Technik bzw. die vermeintliche Diskrepanz zwischen Weiblichkeit und Technik als ein durch machtvolle Diskurse gestütztes Aussagesystem betrachten, das die Wahrnehmung der Subjekte von sich und der Welt prägen und somit ihre Handlungen – und mithin ihre beruflichen Orientierungen – leiten. Als sensibilisierendes Leitkonzept (vgl. Fritzsche 2001, S. 90ff.) vermag die Bezugnahme auf Foucaults komplexe theoretische und analytische Betrachtungen des Beziehungsgeflechts von Diskurs, Macht und Subjekt, die Verwobenheit hegemonialer Diskurse über Geschlecht und Technik bzw. technische Berufe im Zusammenhang mit der etablierten und realitätsmächtigen Wissensordnung der Zweigeschlechtlichkeit in den Fokus zu rücken und dabei nach dem (normierenden und normalisierenden) Einfluss auf die geschlechtliche und berufliche Identitätsarbeit junger Frauen am Übergang Schule-Studium/Beruf zu fragen: Welches Verständnis von Technik und von technischen Berufen wird von den Schüler*innen im Zuge der gemeinsamen Diskussion artikuliert und inwieweit erweist sich dieses als geschlechtlich aufgeladen? Wie lässt sich das Alltagswissen über das Verhältnis von Technik und Geschlecht beschreiben, das sich dem intentionalen Zugang der be-

124 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

forschten Schüler*innen entzieht, während es ihr Denken und Sprechen systematisiert? Welche diskursiven Formationen dokumentieren sich in den technikbezogenen Bedeutungszuschreibungen und Selbstinterpretationen junger Frauen in der Berufsfindungsphase? Aufbauend auf Foucault lässt sich mit Butlers Konzept der Performativität von Geschlecht die Bedeutung gesellschaftlich dominanter Normen herausstellen, die im ›doing gender‹ rezitiert, mitunter aber auch variiert oder subversiv durchkreuzt werden (können), um verschiedene Modi der (Re-)Konstruktion normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht zu analysieren, die sich in den Alltagsdiskursen und Erzählungen der beforschten Schüler*innen dokumentieren und im Rahmen ihrer beruflichen Orientierung verhandelt und bearbeitet werden. Dabei ermöglicht es Butlers Subjektkonzeption, nicht von abgeschlossenen Identitäten auszugehen, sondern Subjektivierung und Identitätsbildung als immerwährenden Prozess zu begreifen, der sich in kritischer und mitunter konfliktreicher Auseinandersetzung mit normativen und teils widersprüchlichen Anweisungen hegemonialer Diskurse und der in ihnen transportierten Normen auf eigensinnige und teils eigenlogische Art und Weise immer wieder aufs Neue vollzieht (vgl. Villa 2006, S. 229). Dies verspricht den Blick dafür zu schärfen, wie in der gemeinsamen Diskussion um technische Berufe (geschlechtliche) Subjektpositionen verhandelt werden, die sich entlang wirkmächtiger ›Normen kultureller Intelligibilität‹ konstituieren, und dabei zugleich die Perspektive für Verschiebungen, Ambivalenzen und Widersprüche zu öffnen, um Möglichkeitsräume für Transformation und Subversion auszuloten. Mit dieser Analyseeinstellung lassen sich einerseits der Einfluss machtvoller Diskurse und Normen auf die Handlungen und Interaktionen der Subjekte in den Gruppendiskussionen sowie andererseits die gleichzeitigen Prozeduren der diskursiven Hervorbringung intelligibler Subjektpositionen in den Blick nehmen. Demnach erleben und entwerfen Subjekte ihre Geschlechtlichkeit innerhalb eines symbolisch-diskursiv vorstrukturierten Möglichkeitsraumes des Denk- und Lebbaren und wirken dabei selbst als (Re-)Produzent*innen kultureller Normen, entlang derer der Bereich des Intelligiblen in eigendynamischen Prozessen fortwährend (re-)konfiguriert wird. Mit dieser Perspektive auf moderne Formen der Subjektwerdung begreift die vorliegende Studie die beforschten jungen Frauen am Übergang SchuleStudium/Beruf weder als Opfer ideologischer Geschlechterbilder, die sich in der Verhältnissetzung zum Technischen akzentuieren, noch als in ihren Selbstverhältnissen, Orientierungen und Handlungen frei von historisch gewachsenen und kulturell verankerten Vorgaben und Begrenzungen. Mit Butler lassen sich die jungen Frauen in ihrer konstitutiven Verwobenheit mit den diskursiven Normen betrachten, die sie in ihren Selbstverhältnissen und Zukunftsentwürfen sowohl ermöglichen als auch begrenzen und die sie ihrerseits im Zuge aktualisierter Identitätskonstruktionen bestätigen, aber auch verschieben und anfechten. Eine Analyse, die Diskurse

Präzisierung der Forschungsfrage | 125

und Normen in ihren Wirkungsweisen, ihren Bedingungen und Effekten erkennbar werden lässt, verspricht folglich, Allgemeingültiges und Selbstverständliches als kulturelle Setzungen zu dekonstruieren und Möglichkeiten der Transformation aufzuzeigen (vgl. Hartmann 2001, S. 81f.; Michalitsch 2015, S. 123). Welche (Geschlechter-)Normen müssen von jungen Frauen zitiert werden, um in ihren beruflichen Zukunftsentwürfen intelligibel zu sein und zu bleiben? Welche Subjektpositionen im Diskursfeld Technik und Geschlecht werden von ihnen wahrgenommen und verhandelt, angenommen oder auch verworfen? Welche Ambivalenzen und Widersprüche lassen sich vor dem Hintergrund vielfältiger normativer Anforderungen und Anweisungen in den beruflich-geschlechtlichen Selbstentwürfen aufzeigen? Welche Verschiebungen und Umdeutungen lassen dabei auf eine kritische, möglicherweise auch subversive Auseinandersetzung mit wirkmächtigen (Geschlechter-)Normen schließen und inwieweit erschließt diese einen Möglichkeitsraum, um den Bereich intelligibler weiblicher Identitätspositionen im Bedeutungskontext Technik zu erweitern? Im butlerschen Verständnis von Identität als unabgeschlossen und brüchig – auf das sich, wie dargelegt, die Forschungsperspektive zuspitzt –, kann es demnach nicht darum gehen zu ergründen, warum junge Frauen überwiegend nicht an technischen Berufen und Studienfächern interessiert sind oder kein technisches Selbstkonzept haben,1 zumal damit die tatsächliche Vielfalt technischer Handlungsbezüge in der beruflichen und alltagsweltlichen Realität vieler Frauen ausgeblendet werden würde. Stattdessen stellt sich die Frage dahingehend, warum und auf welche Weise sich kollektiv geteilte Vorannahmen und Überzeugungen über die Diskrepanz zwischen weiblichen und technischen Subjektpositionen beharrlich (re-)produzieren, um auf der Grundlage dieses Verstehens neue Denkansätze möglicher Veränderungsperspektiven anzustoßen. Hierzu gilt es die subjektiven Bedeutungszuschreibungen individueller Erfahrungen und Erlebnisse im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Anforderungen in den Blick zu nehmen, um die Wahrnehmungskonzepte, Selbstinterpretationen und Handlungsmotive analytisch herauszuarbeiten, die jungen Frauen eine technische Berufs- und Studienorientierung (un-)denkbar erscheinen lassen.

1

Denn mit Butler kann es nicht um ein ›So-Sein‹ im Sinne einer mehr oder weniger stabilen Persönlichkeit gehen, sondern nur um ein beständiges ›Werden‹, in immer wieder neuen Varianten (vgl. Villa 2006, S. 229).

III METHODISCHER TEIL

Empirische Untersuchung normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht als handlungsleitender Orientierungsrahmen in Berufsfindungsprozessen Die vorliegende Forschungsarbeit erhebt den Anspruch, wissenschaftlich begründete und empirisch fundierte Erkenntnisse über gesellschaftliche Geschlechternormen in ihrer symbolisch-diskursiven Verstrickung mit hegemonialen Technikbildern als Bestandteil der sozialen Wirklichkeit zu generieren und hinsichtlich ihrer Effekte im Kontext beruflicher Orientierungen junger Frauen am Übergang SchuleStudium/Beruf zu befragen. In ihrer interpretativen Ausrichtung zielt sie darauf, die von den Beforschten kollektiv geteilten Sinnstrukturen zu verstehen sowie ihre handlungsleitende Relevanz zu diskutieren. Dies erfordert eine methodologisch begründete Reflexion des eigenen Forschungszugangs, um eine methodisch kontrollierte und grundlagentheoretisch abgesicherte Herangehensweise an die Erhebung und Auswertung der empirischen Daten zu gewährleisten (vgl. Kleemann et al. 2013, S. 14). Dabei folgt die Arbeit ausgewählten Kriterien qualitativer Sozialforschung in Anlehnung an Ines Steinke (2010), welche in die folgenden methodologischen und methodischen Ausführungen eingebunden werden. Dazu zählen Transparenz durch intersubjektive Nachvollziehbarkeit (vgl. ebd., S. 324ff.), Gegenstandsangemessenheit einer qualitativen Verfahrensweise (vgl. ebd., S. 326ff.), empirisch gesicherte Theoriebildung und -prüfung (vgl. ebd., S. 328f.), Darstellung und Offenlegung von Widersprüchen und Ambivalenzen in der Dateninterpretation – um eine kohärente Theoretisierung zu realisieren –, kritische Reflexion der eigenen Subjektivität und Standortgebundenheit sowie Relevanz der bearbeiteten Fragestellung (vgl. ebd., S. 330f.).1

1

Die Relevanz der Fragestellung wurde bereits einleitend im Zusammenhang mit aktuellen bildungspolitischen sowie ökonomischen Diskursträngen erläutert (vgl. Kapitel 1).

6. Methodologie und Methode Ziel der Studie ist es, normative Anforderungen an geschlechtliche Identitäten in ihrer Verflechtung mit hegemonialen Technikdiskursen zu untersuchen, die sich in den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern junger Frauen dokumentieren und ihre beruflichen Orientierungen rahmen. Dabei ist der Analysefokus der qualitativ angelegten Studie auf die performative Dimension beruflich-geschlechtlicher Identitätsentwürfe als Ort der Verhandlung normativer Anforderungen darauf angewiesen, an den Erfahrungen1 der Beforschten anzusetzen, um über die Rekonstruktion von Alltagspraxen einen Zugang zur Ebene des zugrunde liegenden Orientierungswissens zu erschließen (vgl. Fritzsche 2011, S. 77f.). Dieses überwiegend implizite und handlungsleitende Wissen wird im alltäglichen Handeln fortlaufend aktualisiert und dokumentiert sich in diesbezüglichen Erzählungen und Darstellungen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 111; Fritzsche 2011, S. 77f.). Um die Perspektive der jungen Frauen, ihre Erfahrungen und Orientierungen ins Zentrum der Forschung zu stellen, erweist sich ein rekonstruktiver Forschungsansatz als geeignete und angemessene Verfahrensweise (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 66). »In diesem gegenüber der hypothesenprüfenden Methodologie veränderten Verhältnis zur Forschungspraxis dokumentiert sich ein grundlegend anderes Verhältnis zur Alltagspraxis im Allgemeinen, welche nicht nur die Praxis der Forscher, sondern auch die der Erforschten tangiert: Theorie- und Typenbildung vollzieht sich auf der Grundlage einer Rekonstruktion der Alltagspraxis der Erforschten bzw. auf der Grundlage der Rekonstruktion des Erfahrungswissens, welches für diese Alltagspraxis konstitutiv ist.« (Bohnsack 2010a, S. 10)

Um einerseits die Sichtweise der beforschten Schüler*innen nicht durch eigene Vorannahmen zu überformen und andererseits Äußerungen und Erfahrungen nicht zu essentialisieren (vgl. Fritzsche 2011, S. 77), sondern offen zu bleiben für das Unerwartete sowie für Differentielles, Ambivalentes und Widersprüchliches, er-

1

Im Unterschied zu nicht-reflektierten Sinneswahrnehmungen lassen sich wissenschaftlich relevante Erfahrungen als interpretierte und sprachlich artikulierbare Sachverhalte verstehen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 13).

132 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

weist sich die dokumentarische Methode, wie sie von Ralf Bohnsack in der Tradition der Wissenssoziologie von Karl Mannheim (1964) und der Ethnomethodologie (weiter-)entwickelt wurde, als geeignete Analyseeinstellung und methodologische Rahmung der empirischen Studie (vgl. Bohnsack 2010a, S. 9; Bohnsack et al. 2013, S. 8). Im Folgenden wird zunächst die dieser Studie zugrunde liegende rekonstruktive Forschungshaltung entfaltet (Kapitel 6.1). Darauf aufbauend wird die dokumentarische Methode als methodologisches Rahmenkonzept zur qualitativen Erforschung kollektiver Orientierungs- und (Be-)Deutungsmuster begründet (Kapitel 6.2) und im Zusammenhang mit der eigenen Forschungsfrage nach dem Einfluss normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht auf die beruflichen Orientierungen junger Frauen am Übergang Schule-Studium/Beruf diskutiert (Kapitel 6.2.1). Mit Blick auf die eigene Fragestellung werden Ansatzpunkte zur empirischen Untersuchung normativer Vorstellungen und damit verbundene Anforderungen konkretisiert (Kapitel 6.2.2). Die methodologische Argumentation führt schließlich zum Verfahren der Gruppendiskussion als einer dem Erkenntnisgegenstand angemessenen Erhebungsmethode (Kapitel 6.3) sowie zur dokumentarischen Methode als geeigneter Auswertungsmethode (Kapitel 6.4). Schließlich werden konkrete, praktische Schritte der empirischen Analyse dargelegt (Kapitel 6.5) und abschließend das Setting erläutert, in dem die Erhebung stattgefunden hat (vgl. Kapitel 6.6).

6.1 REKONSTRUKTIVE FORSCHUNGSHALTUNG Qualitative Sozialforschung zeichnet sich durch ein besonderes Verhältnis zu ihrem Gegenstandsbereich aus. Sie zielt auf die Rekonstruktion von Sinnstrukturen, die sich u.a. in Deutungsmustern und Wirklichkeitskonstruktionen, in Alltagstheorien und Bewältigungsstrategien manifestieren (vgl. Helfferich 2011, S. 21; Meuser 2006, S. 140).2 »Diese Deutungen oder dieser Sinn sind nicht ›objektiv‹ gegeben, sondern werden in der Interaktion der Menschen gebildet. Die soziale Wirklichkeit, so die Grundposition, ist als im-

2

Anders als bei anderen qualitativen Zugängen – wie bspw. in der Tradition phänomenologischer Sozialwissenschaft nach Alfred Schütz – geht es einem rekonstruktiven Forschungsansatz dabei primär nicht darum, den »subjektiv gemeinten Sinn als Grundbaustein sozialen Handelns« (Bohnsack et al. 2013, S. 14) herauszustellen, denn dies birgt die Gefahr »Commonsense-Vorstellungen« (ebd.) zu reproduzieren, die zwar ein Gegenstand, jedoch nicht die Methode wissenschaftlichen Interpretierens sein können (vgl. ebd.; auch Micus-Loos et al. 2016, S. 68).

Methodologie und Methode | 133

mer schon interpretierte, gedeutete und damit interaktiv ›hergestellte‹ und konstituiert konstruierte Wirklichkeit Forschungsgegenstand.« (Helfferich 2011, S. 22)

Alltagspraktiken, Handlungsmotive und -strategien beruhen demnach bereits auf Interpretationen der Alltagswelt und sich darüber formierende Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, die eine interaktive Verständigung in sozialen Situationen ermöglichen und in diesen gleichsam (re-)produziert werden (vgl. ebd.; Bohnsack 2010a, S. 20ff.). Untersuchungen zu Alltagspraktiken und den diesen zugrunde liegenden Sinnstrukturen als Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung sind dementsprechend als »Konstruktionen zweiten Grades« (Schütz 1971, S. 7) zu verstehen, als »Konstruktion jener Konstruktionen, die im Sozialfeld von den Handelnden gebildet werden« (ebd.). Das Besondere sozialwissenschaftlicher Forschung besteht also darin, dass sowohl die wissenschaftliche Forschungspraxis eine Konstruktion auf der Grundlage von Interpretation und Abstraktion darstellt als auch der Gegenstand der Forschung selbst, das soziale Alltagshandeln von Menschen in ihren jeweiligen Lebenswelten. Die qualitative Sozialforschung zielt daher auf den »verstehenden Nachvollzug« (Bohnsack 2010a, S. 23) der Sinnkonstruktionen und Handlungsentwürfe der Beforschten in ihrer Alltagsrealität, die sich einer bloßen Beobachtung entzieht (vgl. ebd., S. 22) und sich erst über die »Rekonstruktion der Konstruktion« (ebd., S. 24) erschließt (vgl. ebd.; Helfferich 2011, S. 22f.). »Die Alltagserfahrung ist symbolisch strukturiert, besteht aus symbolischen Konstruktionen, auch bereits im Bereich des Routinehandelns, des vortheoretischen oder – wie es bei Mannheim heißt – atheoretischen, unreflektierten Handelns. Vom Standpunkt der wissenschaftlichen Konstruktion sind diejenigen des Alltags solche ersten Grades. Die in ihnen implizierten Methoden muss der Sozialwissenschaftler zunächst – ehe er selbst konstruiert und Methoden entwickelt – rekonstruieren.« (Bohnsack 2010a, S. 24, Hervorh. i.O.)

Methodische Kontrolle wird im rekonstruktiven Verfahren darüber erreicht, dass der Einfluss der Forschenden möglichst gering gehalten wird und die Beforschten so die Gelegenheit haben, die Abhandlung des für die Untersuchung relevanten Themas selbst zu strukturieren und vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Erfahrungs- und Lebenswelt eigene Relevanzsetzungen und Bedeutungszusammenhänge zum Ausdruck zu bringen, die sich möglicherweise von denen der Forschenden grundlegend unterscheiden. Um vorschnelle Schlüsse zu vermeiden, gilt es zwischen der Perspektive, den Relevanzsetzungen, Wahrnehmungen und Deutungen der Forschenden und der Beforschten zu differenzieren und diese Differenzen im Zuge der Analyse rekonstruktiv hinsichtlich der Interpretationsrahmen und Relevanzsysteme nachzuzeichnen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 20; Helfferich 2011, S. 22; Meuser 2006, S. 141).

134 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Das »spezifische Erkenntnispotenzial rekonstruktiver Sozialforschung« (Meuser 2006, S. 142) liegt demnach in einem »verstehenden Nachvollzug sozialen Handelns« (ebd.), was durch die Rekonstruktion impliziter und handlungspraktischer Wissensbestände ermöglicht wird. Diese Form des Wissens befähigt die Akteur*innen dazu, gemäß impliziter Regeln auf sozial anerkannte Weise zu handeln, wobei es vornehmlich präreflexiv wirkt und damit nicht direkt kommunizierbar ist (vgl. ebd., S. 140). Voraussetzung für diese Form eines »methodisch kontrollierten Fremdverstehens« (Bohnsack 2010a, S. 21, Hervorh. i.O.) ist eine möglichst große Offenheit in der Forschungshaltung, um so das kommunikative Regelwerk der Beforschten, ihre Relevanzstrukturen und Interpretationsweisen gelten zu lassen (vgl. ebd., S. 21f.; Kleemann et al. 2013, S. 19f.; Meuser 2006, S. 141). Dies gelingt der vorliegenden Untersuchung durch ein offenes und nicht-standardisiertes Erhebungsverfahren in Form von Gruppendiskussionen, in denen den beforschten jungen Frauen (und Männern) die Gelegenheit gegeben wird, über Erzählungen und Darstellungen thematische Bezüge im eigenen »lebensweltlichen Kontext« (Meuser 2006, S. 141) zu entfalten, im eigenen Wortschatz und anhand eigener Begriffe, Symbole, Bilder und Metaphern, Zusammenhänge und Bedeutungen zu konkretisieren und ihnen einen Stellenwert beizumessen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 21). So ist bereits die Fragestellung nach technischen Berufswahloptionen möglichst vage zu formulieren, damit die beforschten Schüler*innen die Möglichkeit haben, das eigene Relevanzsystem offenzulegen und das Thema im eigenen Sprachgebrauch und Interpretationsrahmen zu konkretisieren. Hat das Thema für die Proband*innen in ihrer aktuellen Lebenswelt überhaupt eine Relevanz und, wenn ja, in welcher Hinsicht und in welchen Kontexten? Wie interpretieren sie die Frage? Was verbinden sie selbst mit dem Thema? Welche Aspekte sind für sie unter welchen Bedingungen von Bedeutung bzw. unter welchen Bedingungen werden welche Aspekte für sie relevant? Eine weitere Bedeutung von Rekonstruktion im Kontext qualitativer Sozialforschung bezieht sich auf ein Verständnis von Forschungspraxis als Alltagshandeln. Denn auch die Verfahren und Methoden wissenschaftlicher Erkenntnisgenerierung stützen sich auf alltagsweltliche Prozesse des Erkennens, »die gleichermaßen im Alltag derjenigen, die Gegenstand der Forschung sind, wie im Alltag der Forscher selbst zur Anwendung gelangen« (Bohnsack 2010a, S. 25).3 Dies führt zu der Einsicht, dass sich die Erkenntnislogik wissenschaftlicher Interpretation nicht von der alltagsweltlichen Interpretation »im Sinne einer prinzipiellen Überlegenheit« (ebd., S. 26) unterscheidet. Die Differenz zwischen der Methode wissenschaftlicher Inter3

Diese Position ist maßgeblich von der phänomenologischen Soziologie nach Alfred Schütz, insbesondere in der Modifizierung im Kontext der Ethnomethodologie Harold Garfinkels, der Wissenssoziologie Karl Mannheims und der Hermeneutik in der Tradition Jürgen Habermasʼ geprägt (vgl. Bohnsack 2010a, S. 25).

Methodologie und Methode | 135

pretation der Forschenden und alltagsweltlicher Interpretation der Beforschten kann allein in der selbstreflexiven Einstellung der Forschenden gegenüber der eigenen Forschungspraxis und Standortgebundenheit liegen (vgl. ebd., S. 26f.). Dies hat auch Auswirkungen auf den Umgang mit Theorie, die es nicht, einer Schablone gleich, dem jeweiligen Gegenstandsbereich aufzulegen gilt, denn dies würde die Wahrnehmungen vorselektieren und solche Beobachtungen verhindern, die mit den vorgefassten Kategorien nicht vereinbar sind. Im hier dargelegten Verständnis einer rekonstruktiven Forschungshaltung ist dagegen eine Theorie dann als dem Gegenstand angemessen zu betrachten, wenn sie sich aus ihm selbst heraus entwickelt (vgl. ebd., S. 27ff.). Eine durch Offenheit gekennzeichnete rekonstruktive Forschungshaltung erfordert, eigene Vorannahmen sowie wissenschaftliche und alltagstheoretische Wissensbestände hinsichtlich der bereits im Vorfeld der Forschung festgelegten Konzentration auf Geschlecht als relevante Kategorie im Kontext technischer Berufswahlorientierungen zurückzustellen. Das bedeutet auch, offen zu halten, inwiefern für die beforschten Schüler*innen Geschlecht in diesem Zusammenhang überhaupt von Bedeutung ist bzw. in welchen konkreten thematischen Bezügen Geschlecht von ihnen bedeutsam gemacht wird. Nur so kann es gelingen, sich auf die Interpretationsmuster und Relevanzstrukturen der Beforschten einzulassen, ihre Sichtweisen und (Be-)Deutungsmuster ernst zu nehmen und zur Ausgangsbasis der empirischen Analyse und daraus generierter theoretischer Überlegungen zu machen. Um dabei weder auf der Ebene des subjektiv gemeinten Sinns dem Nachvollzug von Common-Sense-Theorien als Alltagstheorien verhaftet zu bleiben noch einen wissenschaftlich begründeten Anspruch auf einen privilegierten Zugang zur Wirklichkeit zu erheben, erweist sich die dokumentarische Methode in Anlehnung an Ralf Bohnsack für die vorliegende Forschung als richtungsweisend, da sie einen Zugang zum habitualisierten, handlungsleitenden Wissen eröffnet, das losgelöst vom subjektiv gemeintem Sinn das Handeln strukturiert, wobei das Wissen der Akteur*innen selbst der wesentliche Bezugspunkt der empirische Analyse bleibt (vgl. Bohnsack 2006, S. 41).

6.2 DOKUMENTARISCHE METHODE ALS METHODOLOGISCHES RAHMENKONZEPT Um das Dilemma qualitativer Forschung zu überwinden, das sich im Spannungsfeld zwischen Objektivismus und Subjektivismus auftut (vgl. Bohnsack 2006, S. 41; Bohnsack et al. 2013, S. 10f.), hat die Wissenssoziologie von Karl Mannheim einen entscheidenden Beitrag geleistet, indem sie das Wissen der Beforschten zur empirischen Grundlage macht und zwischen subjektiv gemeintem Sinn und beobachteter

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Handlung zu differenzieren vermag. Voraussetzung hierfür ist die Unterscheidung von »kommunikativem (gesellschaftlichem) und konjunktivem (milieuspezifischem) Wissen« (Bohnsack 2006, S. 42). Das kommunikative oder auch theoretische Wissen umfasst gesellschaftlich institutionalisierte Regeln und Rollenbeziehungen, die den Handlungsspielraum begrenzen und als »Orientierungsschemata« (Bohnsack 2013b, S. 179, Hervorh. i.O.) gesellschaftliche Anforderungen an das Handeln des*der Einzelnen transportieren (vgl. ebd., Kleemann et al. 2013, S. 156f.). Das konjunktive Wissen, das Mannheim auch als »atheoretisches Wissen« (Bohnsack 2006, S. 41, Hervorh. i.O.) bezeichnet, bezieht sich dagegen auf solch implizites Wissen, das Menschen im Zuge konkreter Erfahrungen ausbilden und das zu bestimmten Handlungsweisen führt. Dieses Wissen ist eher vorreflexiv, d.h., es ist den betreffenden Personen nicht unmittelbar zugänglich und für sie nur schwer zu artikulieren (vgl. Bohnsack et al. 2013, S. 12). Konjunktive Wissensbestände verbinden Menschen aufgrund der Gemeinsamkeit biographischer und strukturidentischer Erfahrungswelten und ermöglichen ihnen ein intuitives wechselseitiges Verstehen.4 Dieses in die alltägliche Handlungspraxis eingelassene Erfahrungswissen bezeichnet Bohnsack (2013b, S. 179, Hervorh. i.O.) auch als »Habitus oder Orientierungsrahmen«.5 Im Alltag überschneiden sich beide Wissensformen: »Der Orientierungsrahmen bietet gleichsam eine Interpretationsfolie, mit dessen Hilfe die Schemata handlungspraktisch bearbeitet werden können« (Kleemann et al. 2013, S. 157). Die Rekonstruktion des impliziten und handlungsleitenden Orientierungswissens eröffnet einen Zugang zu den »konjunktiven Erfahrungsräumen6 im Sinne von Milieus als Phänomenen sozialer Lagerung« (Bohnsack 2013b, S. 184). Daher zielt die dokumentarische Methode in der Bezugnahme auf Mannheim auf die Entschlüsselung konjunktiver Erfahrungsräume, die losgelöst von einem gemeinschaftlichen Zusammenleben zu verstehen und vom Phänomen der Gruppe und in ihr stattfindenden, unmittelbaren Interaktionen zu unterschieden sind (vgl. ebd., S. 184f.). Konjunktive Erfahrungen konstituieren sich vielmehr über »Gleichartigkei4

Das Kollektive formiert sich somit im Sinne Mannheims über »gemeinsame bzw. strukturidentische Erfahrungen« (Schäffer 2006, S. 76), die als ›konjunktiver Erfahrungsraum‹ die handlungsleitenden Orientierungsmuster begründen. Dieser mannheimsche »konjunktive Kollektivitätsbegriff« (ebd.) unterscheidet sich deutlich von dem Begriff des Kollektiven nach Émile Durkheim, das als von Außenstehenden definiert und vorgegeben konzeptualisiert ist (vgl. ebd.).

5

Eine grafische Darstellung zum (Spannungs-)Verhältnis von Orientierungsschemata und Orientierungsrahmen findet sich bei Bohnsack (2013b, S. 182).

6

Mannheim entwickelt den Begriff des ›konjunktiven Erfahrungszusammenhangs‹ anhand des ›Generationenzusammenhangs‹ (vgl. ausführlich dazu Micus-Loos 2012b, S. 73ff.; auch Micus-Loos et al. 2016, S. 68f.).

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ten der ›Erlebnisschichtung‹« (Bohnsack 2010a, S. 63). Sie entstehen nicht durch die Aneignung kommunikativer Wissensbestände, sondern gründen sich auf einer »in eigener Handlungspraxis erworbenen Erinnerung« (ebd., Hervorh. i.O.). Nach Bohnsack ist die Gruppe »nicht der soziale Ort der Genese, sondern derjenige der Artikulation und Objektivation […] kollektiver Erlebnisschichtung« (ebd., Hervorh. i.O.). »Sie [kollektive Erfahrungen und Orientierungen, Anm. M.S.] sind in gemeinsam geteilten impliziten Wissensbeständen verankert und konstituieren (als konjunktive Erfahrungsräume) die Zugehörigkeit zu sozialen Entitäten wie Milieus, Generationen, Geschlechtern etc. Dort, wo diese relevant werden, wird auf ihrer Basis ein unmittelbares Verstehen der am Diskurs Beteiligten möglich.« (Bohnsack et al. 2010, S. 13)

In Anlehnung an Mannheim geht die vorliegende Studie von schulischen Sozialisationserfahrungen als einem ersten gemeinsamen Erlebniszusammenhang aus, über den die beforschten jungen Frauen (und Männer) ein gemeinsames Wissen über milieu-, geschlechts- und generationsbezogene Anforderungen ausgebildet haben, mit denen Heranwachsende seitens der Gesellschaft konfrontiert werden und die ihre beruflichen Orientierungen und Selbstinterpretationen in der Schwellenphase des Übergangs von der Schule in ein Studium oder eine Berufsausbildung tangieren (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 70). Dieses implizite Wissen, »welches diese Handlungspraxen semantisch-inhaltlich in ihrer je milieu- und kulturspezifischen Ausprägung strukturiert« (Bohnsack et al. 2013, S. 14), gilt es im Zuge der dokumentarischen Interpretation zu entschlüsseln und »zur begrifflich-theoretischen Explikation zu bringen« (ebd., S. 12). Voraussetzung hierfür ist ein Wechsel der Analyseeinstellung von der Frage, was die Alltagsrealität der Beforschten ist, hin zur Frage nach der Art und Weise, wie diese Wirklichkeit in handlungspraktischen Prozessen hervorgebracht wird7 (vgl. ebd., S. 13; Bohnsack 2006, S. 42). Dabei geht es nicht allein um beobachtbares Handeln, sondern auch um »symbolische Repräsentationen des Handelns« (Meuser 2006, S. 141) in Form von sprachlichen Äußerungen, wie sie von den beforschten Schüler*innen in Form von Erzählungen und Beschreibungen, Darstellungen und Argumentationen in den Gruppendiskussionen geäußert werden (vgl. ebd.; Bohnsack et al. 2013, S. 13). Mit der prozessanalytischen Einstellung auf den modus operandi wird die Frage nach der Wahrheit bzw. normativen Gültigkeit eingeklammert (vgl. Bohnsack 7

Diese Verschiebung der Untersuchungsperspektive ist für konstruktivistische Ansätze sozialwissenschaftlicher (Geschlechter-)Forschung konstitutiv und wurde für die empirische Forschung entscheidend von der Ethnomethodologie, wie sie von Harold Garfinkel begründet wurde, fruchtbar gemacht, die soziale Wirklichkeit als ein Produkt alltäglicher Handlungsvollzüge begreift (vgl. Bohnsack et al. 2013, S. 13f).

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2010a, S. 64). Demnach geht es nicht darum, ob Äußerungen und Darstellungen von Schüler*innen bezüglich technischer Berufe und Studienfächer zutreffend sind oder nicht. Die Äußerungen werden allein dadurch wissenschaftlich bedeutsam, dass sie von den Beforschten geäußert werden und damit für sie selbst bedeutsam sind. Es sind die kollektiven Orientierungen, die sich in den Erzählungen und Darstellungen der jungen Frauen (und Männer) dokumentieren, auf das sich das Forschungsinteresse zentriert (vgl. Bohnsack 2010a, S. 64; Micus-Loos et al. 2016, S. 67). 6.2.1 Dokumentarische Methode und die Erforschung normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht Mit Referenz auf den enthnomethodologischen Konstruktivismus (vgl. Garfinkel 1967; Goffman 2001; 1976; Kapitel 3) richtet die dokumentarische Methode die Perspektive auf die handlungspraktische Herstellung von Alltagsrealitäten,8 indem sie das handlungsleitende Erfahrungswissen von Individuen und Kollektiven zu rekonstruieren sucht, um losgelöst von subjektiven Handlungsmotiven Einzelner die den Handlungen zugrunde liegenden Orientierungsmuster zu verstehen, die im Zusammenspiel von Individuum und Gesellschaft, Handlung und Struktur sozial hervorgebracht werden (vgl. Kleemann et al. 2013, S. 155f.). »Alltägliches Handeln bzw. alltägliche Realität werden in der Ethnomethodologie bekanntlich in radikaler Weise unter dem Gesichtspunkt ihres ›practical accomplishment‹, ihrer (alltags-) ›praktischen Durchführung‹ oder ›Herstellung‹, also unter dem Aspekt des Wie betrachtet.« (Bohnsack et al. 2013, S. 14, Hervorh. i.O.)

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Mit Bezug auf den ethnomethodologischen Konstruktivismus richtet sich der analytische Blick auf Prozessverläufe, womit sich die methodologische Erkenntnisperspektive deutlich von quantitativen Ansätzen abgrenzt, mit denen im Gegensatz zum qualitativen Verfahren Handlungsvollzüge und Erfahrungsschichtungen nicht erfasst werden können. Diesbezüglich gewinnt die tiefgründige Analyse von Alltagssituationen an Forschungsrelevanz, indem ethnomethodologisch-konstruktivistische Ansätze davon ausgehen, dass das Handeln der*des Einzelnen Methode hat und als Ausdruck kollektiver Sinnkonstruktion begriffen werden kann (vgl. Bock 2009, S. 95; Treibel 2006, S. 106; Kapitel 3.1). Als Konsequenz für das eigene Forschungshandeln ergibt sich aus dieser Perspektive eine erhöhte Wachsamkeit, um eigenen, vorschnellen Common-Sense-Deutungen vorzubeugen, sowie eine verstärkte Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Kategorien, die vermeintliche Objektivität im Hinblick auf die Interpretation empirischer Daten für sich beanspruchen (vgl. Bock 2009, S. 95; Bohnsack 2006, S. 40f.), wie es im Folgenden noch näher erläutert wird.

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Dass sich junge Frauen nach wie vor eher selten für technische Berufe und Studienfächer entscheiden, wird daher in der vorliegenden Studie in erster Linie weder als eine Folge geschlechtlich segregierter Arbeitsmarktstrukturen noch als Ausweis einer freien, individuellen Präferenzsetzung begriffen, sondern als Ausdruck einer performativen Herstellungspraxis geschlechtlicher Identität, die sich in interaktiven Prozessen der Zuschreibung und Darstellung bzw. wiederholender Anrufung und Identifizierung innerhalb der symbolisch-normativen Ordnung heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit vollzieht (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 71; Kapitel 4.4). In diesem Verständnis sind Menschen in ihrem Subjektstatus darauf angewiesen, sich eindeutig und dauerhaft als weiblich oder männlich zu verorten, die eigene Geschlechtlichkeit permanent nach außen (an-)erkennbar zu (re-)inszenieren und auf diese Weise in ihren alltäglichen Handlungsvollzügen Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit als soziale Normalität fortlaufend realitätswirksam zu (re-)stabilisieren. Während jedoch Ansätze des ethnomethodologischen Konstruktivismus sich auf »die formalen und ubiquitären Strukturen« (Bohnsack et al. 2013, S. 14, Hervorh. i.O.) konzentrieren, vermag es die dokumentarische Methode, die implizierten, habitualisierten und handlungsleitenden Wissensbestände in der spezifischen Ausprägung ihrer jeweiligen Erfahrungsschichtung zu entschlüsseln (vgl. ebd.; auch Micus-Loos et al. 2016, S. 71). Und genau hier knüpft die vorliegende Forschungsarbeit an, die darauf zielt, das von den beforschten jungen Frauen am Übergang Schule-Studium/Beruf verinnerlichte und sich auf Erfahrungen innerhalb der zweigeschlechtlich strukturierten Alltagswelt gründende Wissen über normative Anforderungen an intelligible geschlechtliche Identitätskonstruktionen im Zusammenhang mit Technik bzw. technischen Berufen als einem ›Realisierungsfeld‹ (vgl. Wetterer 2002, S. 130) binär codierter Geschlechterdifferenz in seiner Wirkung auf die beruflichen Orientierungen zu untersuchen (vgl. Kapitel 5). Dies ermöglicht, (Berufswahl-)Orientierungen junger Frauen über individuelle Begründungszusammenhänge hinaus als Ausdruck kollektiver Orientierungs- und Handlungsmuster auf der Grundlage eines gesellschaftlich dominierenden Geschlechterwissens als eine »primäre Rahmung« (Bohnsack et al. 2013, S. 17) zu begreifen, innerhalb dessen sich historisch und kulturell bestimmte Vorstellungen über die Verhältnissetzung von Technik und Geschlecht als kollektiver Sinnstruktur normativ verfestigt haben. Die Erforschung des Kollektiven zielt dabei weniger darauf, gesellschaftliche Normen zu exponieren, die ›von außen‹ beschränkend auf Individuen einwirken (vgl. Przyborski und Riegler 2010, S. 438f.), sondern darauf zu untersuchen, inwiefern und auf welche Weise normative Vorstellungen von Technik und Geschlecht die Grundlage für kollektive Wahrnehmungs- und Deutungsmuster junger Frauen bilden, die ihre Berufswahlorientierungen rahmen und sich in diesen Orientierungen gleichsam fortschreiben oder möglicherweise auch verändern.

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Indem heterosexuelle Zweigeschlechtlichkeit natürlich erscheint, bildet sie – wie es Winker und Degele (2009) formulieren – den vermutlich »härtesten Stabilitätskern des Alltagswissens« (ebd., S. 57). Sie gilt kulturell als nahezu unwiderruflich gesetzt, wird i.d.R. nicht ohne Weiteres hinterfragt und erscheint damit definitiv (vgl. ebd.). Dieses überwiegend implizite Geschlechterwissen, das eher präreflexiv in alltäglichen Handlungsroutinen wirksam wird, ist hinsichtlich der konkreten Erfahrungsräume der Beforschten zu analysieren, ohne dabei Geschlecht als binäre Kategorie sozialer Ordnung und damit verbundene Erfahrungen zu essentialisieren und infolgedessen Zweigeschlechtlichkeit als normative Setzung im Forschungsprozess zu reproduzieren, anstatt sie in ihren begrenzenden Effekten kritisch zu diskutieren (vgl. Bohnsack et al. 2013, S. 17; Meuser 2010, S. 91; Winker und Degele 2009, S. 143).9 Dies gelingt, indem eine »Perspektive künstlicher Fremdheit« (Gildemeister 2006, S. 221) eingenommen wird und nicht jedes Handeln der Beforschten selbstverständlich als Ausdruck von ›doing gender‹ interpretiert wird. Vielmehr ist zu bedenken, dass die Bedeutsamkeit von Differenzkategorien wie Geschlecht je nach Kontext unterschiedlich sein kann und damit auch Prozesse der Neutralisierung – im Sinne des von Hirschauer (2001; 1994) dargelegten Ansatzes eines ›undoing gender‹ – in die Analyse einfließen (vgl. Gildemeister 2010, S. 143f.; Hirschauer 1994, S. 678f.; Meuser 2010, S. 91; Winker und Degele 2009, S. 59). So wird es bspw. den Schüler*innen selbst überlassen, das Thema ›Technik‹ bzw. ›Technische Berufe‹ im eigenen Relevanzsystem abzuhandeln und dabei den Aspekt Geschlecht bedeutsam oder irrelevant zu machen.10 Des 9

Das sich für die Geschlechterforschung grundsätzlich ergebene »Problem der […] Reifizierung« (Winker und Degele 2009, S. 143), wie es Gildemeister und Wetterer bereits Anfang der 1990er Jahre anmahnen (vgl. Gildemeister und Wetterer 1992), lässt sich kaum auflösen. Das Dilemma besteht darin, dass die konstruktivistische Geschlechterforschung dazu gezwungen ist, Geschlecht als eine bedeutsame Kategorie sozialer Ordnung vorauszusetzen, um die Prozesse der Herstellung von Geschlechtlichkeit untersuchen zu können (vgl. Meuser 2006, S. 91). »Die Ethnomethodologie fragt einerseits, woher wir wissen, dass eine bestimmte Person eine Frau oder ein Mann ist, und muss andererseits die Gültigkeit dieses Wissens voraussetzen, um überhaupt Personen zur Verfügung zu haben, angesichts derer eine solche Frage gestellt werden kann« (ebd.). So ist auch die vorliegende Forschung zunächst einmal darauf angewiesen, mit den sozialen Kategorien ›Frau‹ bzw. ›Mann‹ zu operieren, um daraufhin dieses normative Deutungsmuster binaristischer Geschlechterklassifikation in seiner begrenzenden Wirkung kritisch zu dechiffrieren.

10 Dabei ist zu bedenken, dass auch wenn bewusst vermieden wird, das Thema ›Geschlecht‹ von außen zu initiieren, mit der Frage nach Technik im Kontext beruflicher Orientierungen, insbesondere in geschlechtshomogenen Gruppen mit Schülerinnen, nahezu unweigerlich aktuelle MINT-Diskurse und damit verbundene Anrufungen an weibliche Identi-

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Weiteren wird konsequent der jeweilige Kontext in die Analyse einbezogen, in welchem Geschlecht von den Proband*innen relevant gemacht oder neutralisiert wird (vgl. Meuser 2010, S. 91; Winker und Degele 2009, S. 59). Auch wird Geschlecht immer in der intersektionalen Verwobenheit mit weiteren Dimensionen sozialer Differenzierung betrachtet, um Verkürzungen zu vermeiden und Orientierungen als Resultat der Verflechtung sich wechselseitig durchdringender und bedingender Erfahrungsräume in ihrer Relevanz für die Beforschten zu verstehen (vgl. Bohnsack et al. 2013, S. 16f.; Winker und Degele 2009, S. 59). Die im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit untersuchten berufswahlrelevanten Orientierungen junger Frauen hinsichtlich einer technischen Ausrichtung sind demnach nicht vorschnell auf eine allein geschlechtsbezogene Erfahrungsschichtung zu reduzieren, sondern in ihrer Tiefenstruktur und Mehrdimensionalität – bspw. in der Verflechtung mit einer bildungstypischen Rahmung als Schülerinnen eines Gymnasiums bzw. einer Schule mit gymnasialer Oberstufe und damit verbundener Anforderungen an berufliche Identitätsentwürfe – zu betrachten. Für eine derart komplexe und vielschichtige Analyse erweist sich die dokumentarische Methode als geeignet, da sie es ermöglicht, auf der Grundlage konsequenter komparativer Fallvergleiche sowohl die Variabilität von Orientierungsmustern als auch deren typologische Grundstruktur zu erfassen (vgl. Bohnsack et al. 2013, S. 17). 6.2.2 Eine forschungspraktische Annäherung an die empirische Untersuchung normativer Orientierungen im Diskursfeld Technik und Geschlecht Wie im Vorangegangenen bereits dargestellt, eröffnet sich der eigene Forschungszugang zu normativen Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Identitätspositionen im Diskursfeld Technik und Geschlecht über die Zusammenführung diskurstheoretischer Überlegungen im Sinne Butlers – im Anschluss an Foucault – mit der methodologischen Konzeption der dokumentarischen Methode nach Bohnsack. Auf diese Weise gelingt es, die impliziten Wissensbestände zu entschlüsseln, die vor dem Hintergrund machtvoller Diskurse und Normen die Erfahrungen der Subjekte strukturieren und ihre Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster rahmen. Ein besonderer Fokus liegt somit auf der empirischen Untersuchung von kulturellen Normen der Anerkennbarkeit und ihrer Wirkungsweise im Rahmen beruflicher Entscheidungsprozesse junger Frauen.11 Es interessieren die den Handlungen zugrunde

täten aktiviert werden, zu denen sich die jungen Frauen im Zuge der thematischen Abhandlung positionieren (müssen) (vgl. Kapitel 4.4). 11 Für einen Überblick über ethnographische Studien, sie sich mehr oder weniger explizit mit Normen der Anerkennung im Kontext Schule befassen und dabei sowohl Lehrkräfte

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liegenden, überindividuellen Sinnstrukturen, die eine technische Berufs- oder Studienwahl in Anbetracht machtvoller Diskurse und damit verbundener normativer Anforderungen an die Anerkennbarkeit geschlechtlicher Identität denk- und lebbar werden lassen oder auch nicht (vgl. Kapitel 5). Diskurse und die in ihnen transportierten Normen, lassen sich kaum isoliert betrachten, sie werden erst anhand ihrer differenzierenden und ausschließenden Effekte erkennbar (vgl. Mills 2007, S. 19). So gilt es, in der Analyse des empirischen Materials aus den Gruppendiskussionen mit jungen Frauen (und Männern) normative Aussageformationen herauszuarbeiten, in denen sich geteilte Sinnwelten und Bedeutungssetzungen, kollektive Ansichten und Überzeugungen sowie normative Denk- und Verhaltensmuster dokumentieren, die geschlechtlich definierte Differenzen im Kontext Technik (re-)produzieren oder auch transformieren und die sich im Zuge der Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzeptes junger Frauen als relevant erweisen (können). Ein Indikator für die Wirkmacht von Diskursen findet sich – in Anlehnung an die Theoretisierungen von Foucault und Butler – insbesondere mit Blick auf Bedeutungen bzw. Subjektpositionen, die aus den durch sie erzeugten Wissensordnungen ausgeschlossen, d.h. explizit oder implizit verworfen oder an den Rand des Denkbaren gedrängt werden (vgl. Mills 2007, S. 67ff.; Reckwitz 2008, S. 28).12 Damit rücken subjektkonstituierende Prozesse der Anerkennung in den Blick, die sich nach Butler (2015; 2012) entlang vorgängiger Normen der Anerkennbarkeit vollziehen, während sich zugleich die bindende Kraft dieser Normen allein darüber entfaltet, dass sie im alltäglichen Handeln in permanenter Wiederholung aufgerufen und bestätigt, dabei jedoch stetig auch geringfügig transformiert werden (vgl. Reh und Rabenstein 2012, S. 230; Kapitel 4.3). Da es im poststrukturalistischen Verständnis »keinen Kern der Ich-Identität [gibt]« (Hummrich und Kramer 2017, S. 102), ist die Subjektkonstitution als dynamischer Prozess zu begreifen, in dessen Zuge sich Individuen zu mitunter widersprüchlichen Anforderungen normativer Anrufungen und Adressierungen bestätigend oder abwehrend positionieren (müssen) (vgl. ebd.). Dabei folgt die vorliegende Forschung einem Verständnis von Positionierung als einer sich im konkreten Prozess diskursiver Anrufung eröffnenden situativen Möglichkeit, ihr vor dem Hintergrund eigener Vorerfahrungen und sich daraus formierender implizierter Wissensbestände handelnd zu begegnen (vgl. Jäckle et al. 2016, S. 90f.).13 als auch Gruppen von Peers in den Blick nehmen, siehe Reh und Rabenstein (2012, S. 227f.). 12 Ausschlüsse sind als diskursive und institutionelle Beschränkungen dessen zu begreifen, was gesagt werden kann und was als Wissen gilt, die in einem bestimmten historischkulturellen Zusammenhang habitualisiert werden (vgl. Mills 2007, S. 67ff.). 13 Der Dimension der Erfahrungen kommt im Prozess der Anerkennung von Subjektivität im Diskursfeld Technik und Geschlecht insofern eine wichtige Bedeutung zu, als dass in

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»Während Anerkennung (durch Anrufungen und Adressierungen) als Wendegeschehen betrachtet wird, stellt Positionierung die darin erwerbbare Antwort- und Handlungsmöglichkeit dar. Darin offenbaren sich zum einen die Regelstrukturen der jeweils aktualisierten Diskurse wie auch die zugehörigen biographischen Erfahrungsspuren.« (ebd.)

Prozesse der Subjektwerdung lassen sich anhand von Positionierungen im jeweiligen Kontext analytisch nachzeichnen, d.h. in Momenten, in denen die beforschten jungen Frauen aktualisierte Anrufungen und Adressierungen im Kontext von Technik und Geschlecht bearbeiten, sie annehmen, zurückwiesen oder subversiv unterwandern und sich somit ins Verhältnis zu den jeweils aufgerufenen Normen der Anerkennbarkeit setzen (vgl. ebd.).14 Daher heißt es, die sich abzeichnenden Normen und Anforderungen hinsichtlich ihrer Wirkmächtigkeit zu befragen, indem die Art und Weise herausgearbeitet wird, wie sich die Akteur*innen zu ihnen ins Verhältnis setzen. Gerade hier erweist sich die dokumentarische Methode als richtungsweisend, ist sie doch dafür prädestiniert, einen Zugang zu solch impliziten und erfahrungsbegründeten Wissensbeständen zu eröffnen, die Positionierungen in Erwiderung auf normative Anforderungen strukturieren. Hinsichtlich der Frage, wie sich Normen der Anerkennbarkeit empirisch erfassen lassen, gibt die Argumentation von Sabine Reh und Kerstin Rabenstein (2012) wertvolle Anregungen. So interessieren in der vorliegenden Forschung Normen weniger in Form expliziter Regeln, Verordnungen und Gesetze – bspw. als formale Zulassungsbeschränkungen technischer Studienfächer –, sondern es geht um Normen, die als »implizite Vorstellungen darüber wirken, was richtig ist und was geht oder nicht geht« (ebd., S, 228). Damit konzentriert sich die Analyse auf kollektive Orientierungen, in denen sich selbstverständliche Annahmen und geteilte Überzeugungen über die Bedeutungssetzungen von Technik und Geschlecht in ihrer symbolisch-repräsentativen Beziehung zueinander sowie habitualisierte Übereinstimmungen hinsichtlich angenommener Bedingungen dokumentieren, die eine technische Berufswahl als angemessen und anerkennenswert erscheinen lassen. Nach ihr »die aktive Rolle von Individuen aufgehoben ist« (Villa 2011, S. 59), die ihnen im Wechselverhältnis von gesellschaftlicher Struktur und subjektiver Handlung zukommt (vgl. ebd.). So bezeichnet Villa Subjektivität auch als »die jeweils momentane Verdichtung ›positionierter Erfahrungen‹« (ebd.). 14 Wie Monika Jäckle, Sandra Eck, Meta Schnell und Kyra Schneider (2016) deutlich machen, ist der Begriff der Positionierungen von denen der Position, Rolle oder Identität zu differenzieren. Positionierung meint nicht, eine Position zu beziehen oder eine gesellschaftlich vorgeformte Rolle auszufüllen. Eng verflochten mit Identität als Verhältnis zum eigenen Selbst, zeugen Positionierungen von der Beantwortung einer konkreten Anrufung oder Adressierung und somit von dem Prozess, aus dem das Subjekt hervorgeht (vgl. ebd., S. 92).

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Butler zeigt sich die Wirkmächtigkeit von Normen darin, dass sie innerhalb sozialer Praktiken regulierend und damit normalisierend wirken (vgl. Butler 2012, S. 73; Kapitel 4.3), indem sie bestimmte Verhaltensweisen privilegieren, während sie andere einzuschränken suchen, und damit ein Raster sozialer Intelligibilität erzeugen, das vorgibt, wer als Subjekt anerkannt und wer weniger anerkannt bzw. nicht anerkannt wird (vgl. Meißner 2010, S. 47; Micus-Loos et al. 2016, S. 40; Reh und Rabenstein 2012, S. 230). In diesem poststrukturalistisch orientierten Verständnis, wie es auch der vorliegenden Forschung zugrunde liegt, sind soziale Handlungen nicht als Ausdrucksform eines autonom-souveränen Subjekts zu begreifen, sondern als Praktiken des Denkens, Sprechens und Handelns, die durch normative Vorgaben über das, was als intelligibel und damit sozial sinnvoll, verstehbar und anerkennungswürdig ist, reguliert werden.15 Als ein entscheidendes Indiz bei der Identifikation normativ gerahmter Verhaltens- und Einstellungsmuster heben Reh und Rabenstein (2012) mit Bezugnahme auf Heinrich Popitz (2006) die Reaktion der Gruppe hervor. Demnach wird das Wirken einer Norm dort erkennbar, wo eine Abweichung von erwarteten Verhaltensweisen sozial sanktioniert wird, bspw. durch Missbilligung oder Herabsetzung.16 Neben der Bereitschaft, eine bestimmte Verhaltenserwartung zu befolgen, ist folglich insbesondere die Bereitschaft, ein von dieser Erwartung abweichendes Verhalten zu sanktionieren ein Hinweis auf den »Grad der Geltung sozialer Normen« (Reh und Rabenstein 2012, S. 228, Hervorh. i.O.). Umgekehrt kann jedoch auch der intuitive Impuls Einzelner, den eigenen Standpunkt gegenüber der Gruppe zu erklären oder gar zu rechtfertigen, auf ein implizites Wissen über verbindende Normen hindeuten, von denen in der eigenen Orientierung abgewichen wird und wodurch ein Verlust von sozialer Anerkennung und (Gruppen-)Zugehörigkeit droht (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 86). Auch dort, wo sich im bohnsackschen Sinne konjunktive Erfahrungen dokumentieren, wo sich Mitglieder einer Gruppe intuitiv verstehen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 59f.) bzw. wo – mit Blick auf normative Einflüsse weiter gedacht – fraglos und selbstverständlich ein gegenseitiges Verstehen vorausgesetzt wird, ohne dass es einer Klärung bestimmter Zusammenhänge, Andeutungen oder Folgerungen bedarf, lassen sich geteilte Norma15 Reh und Rabenstein (2012) rekurrieren in diesem Zusammenhang auf den von Theodore R. Schatzki (2002) profilierten Begriff von Praktiken als »zeitlich sich entfaltende, organisierte und wirklich körperlich ausgeführte Verbindungen von Aktivitäten, ›sets of sayings and doings‹« (ebd., S. 231), die durch das verbunden sind, was intelligibel ist (vgl. ebd.). 16 Der Gruppe als einem Kollektiv kommt deshalb entscheidende Bedeutung zu, weil Repressalien durch Einzelpersonen eine persönliche Vergeltung darstellen könnten und daher keine Verlässlichkeit hinsichtlich kollektiv geteilter Überzeugungen bieten (vgl. Reh und Rabenstein 2012, S. 228f.)

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litätsvorstellungen, gemeinsame Überzeugungen und kollektive Bedeutungssetzungen ausfindig machen. Des Weiteren können bestimmte Formulierungen kontextgebunden auf Normalitätsannahmen hinweisen, wenn bspw. über die Verwendung des Indefinitpronomens ›man‹ bestimmte Aussagen und Erfahrungen verallgemeinert bzw. für allgemeingültig erklärt werden oder Modalverben wie ›müssen‹, ›dürfen‹ oder ›sollen‹ zuweilen die Grenzen des Bereichs anerkannter Handlungspraxen aufzeigen (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 86). Erst über die Rekonstruktion des sich in den Kommunikationsmustern dokumentierenden gemeinsamen atheoretischen Erfahrungswissens lassen sich die den Handlungen zugrunde liegenden Sinnstrukturen gedanklicher Realitäten interpretativ erschließen, die sich in Anlehnung an Butler als eingelassen in normative Bedeutungszusammenhänge innerhalb machtvoller Diskursordnungen zu Technik und Geschlecht erweisen (können) (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 86).17 Dabei sind im Zuge der Analyse bedeutsam werdende Diskurse und normative Anforderungen intelligibler Identitäten, die möglicherweise die Wahrnehmungen und Selbstdarstellungen der jungen Frauen in ihrer Verhältnissetzung zum Technischen beeinflussen, nicht unhinterfragt mit deren tatsächlichen Handlungspraktiken gleichzusetzen. Denn damit wäre die Gefahr verbunden, entlang binär codierter Deutungsmuster geschlechterstereotype Technikzuschreibungen im Sinne einer selbstverständlichen Technikorientierung von Jungen und Männern sowie einer nicht-technischen Orientierung von Mädchen und Frauen – wie sie selbst in wissenschaftlichen Diskursen bisweilen fortgeschrieben werden – zu reifizieren bzw. zu dramatisieren, ohne die tatsächliche Nutzungsvielfalt von Alltagstechnologien durch junge Menschen zu berücksichtigen (vgl. Winker 2005, S. 174; Kapitel 4.4). Stattdessen geht es gerade auch darum, Brüche und Ambivalenzen in den Orientierungen und Positionierungen dort sichtbar werden zu lassen, wo sich junge Frauen mit Anforderungen auseinandersetzen (müssen), die im Widerspruch zu ihrer Alltagsrealität stehen und die sie im Zuge ihrer beruflich-geschlechtlichen Selbstent17 So verweisen Degele und Winker (2009) auf die Tragweise normativer Annahmen über die Natürlichkeit von Geschlecht im Zusammenhang mit dem Aspekt der Generativität, in denen stereotype Rollenbilder, wie das der ›Mutter‹, in nahezu allen Kontexten auf der Ebene der symbolischen Repräsentationen »als Legitimation zur Konstruktion von Geschlechterdifferenz« (ebd., S. 57) herangezogen werden können und damit einhergehende Erwartungen und Anforderungen eine disziplinierende Funktionalität entwickeln (vgl. ebd.; Micus-Loos et al. 2016, S. 86). Dies erweist sich im Kontext der vorliegenden Forschung in der Überlagerung mit atheoretischen Wissensbeständen über historisch-kulturell verwurzelte Dualismen – mit denen bspw. Maschine/Mensch, Technik/Soziales, hart/weich, rational/emotional als konstitutive Gegensatzpaare gedacht werden (vgl. Kapitel 3.3) – mit Blick auf die Selbstinterpretationen und Wahrnehmungsmuster der beforschten jungen Frauen als relevant.

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würfe in ein Verhältnis der Kontingenz überführen (müssen). Denn die Studie basiert auf der Annahme, dass gerade in Momenten derartiger Verhandlungen Möglichkeitsräume ausfindig zu machen sind, in denen durch Variationen in der Wiederholung normativer Vorgaben alternative Formen von Subjektivität im Diskursfeld Technik und Geschlecht offengelegt werden können (vgl. auch Jäckle et al. 2016, S. 95).

6.3 GRUPPENDISKUSSIONEN ALS ERHEBUNGSMETHODE Um mithilfe der Rekonstruktion kollektiver Orientierungen und Handlungsmuster junger Frauen im Berufsfindungsprozess die Wirkkraft normativer Anforderungen an geschlechtliche Identitäten in der symbolisch-repräsentativen Verknüpfung mit Technik zu analysieren, erweist sich in Anbetracht des dargestellten methodologischen Referenzrahmens der dokumentarischen Methode das Verfahren der Gruppendiskussion18 als geeignete Erhebungsmethode. Denn indem sich das Thema einer technischen Berufswahlorientierung in der gemeinsamen Abhandlung der Schüler*innen durch wechselseitige Bezugnahme auf Redebeiträge entwickeln kann, ermöglicht das Gruppendiskussionsverfahren einen Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum der jungen Frauen (und Männer), wodurch sich der Sinngehalt einzelner Aussagen vor der Deutungsfolie kollektiv geteilter Bedeutungsmuster und Relevanzsysteme interpretieren lässt. Dies ist für die vorliegende Forschung dahingehend relevant, als dass sich einzelne Stellungsnahmen zum Verhältnis von Technik und Geschlecht über individuelle Wahrnehmungs- und Deutungsweisen hinaus im Kontext tiefer liegender Sinnstrukturen, die sich in konjunktiven Erfahrungen begründen und als handlungsleitendes Orientierungswissen Berufsfindungsprozesse rahmen, betrachten lassen (vgl. Bohnsack et al. 2010, S. 10). Zugleich ermöglicht es der Blick auf gemeinsame Erfahrungsräume, in die Analyse des handlungsleitenden Orientierungswissens junger Frauen normative Anforderungen an die Herausbildung einer weiblichen Geschlechtsidentität als Entwicklungsaufgabe in der Lebensphase der Adoleszenz innerhalb der binären Geschlechterordnung als kulturelle Setzung einzubeziehen (vgl. 18 Das Verfahren der Gruppendiskussion als eine Methode qualitativer Forschung, mit der ein »empirischer Zugriff auf das Kollektive« (Bohnsack 2010a, S. 107) gelingt, wurde in seiner Entwicklungsgeschichte zunächst entscheidend von Werner Mangold (1960) geprägt und insbesondere durch die Arbeiten von Bohnsack (1989) auf der Basis der Wissenssoziologie Mannheims und der dokumentarischen Methode zunehmend als grundlagentheoretisch fundierte Erhebungsmethode qualitativer Forschung etabliert (vgl. Bohnsack et al. 2010, S. 8; Liebig und Nentwig-Gesemann 2009, S. 103; Przyborski und Riegler 2010, S. 438; Schäffer 2006, S. 75f.).

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Fritzsche 2011, S. 81). Es geht um die Art und Weise, wie sich die Schüler*innen auf der gemeinsamen Grundlage »habitualisierte[r] Wahrnehmungsweisen und normative[r] Vorstellungen« (Micus-Loos et al. 2016, S. 72) mit kulturell verwobenen Bedeutungen von Technik und Geschlecht im eigenen Interpretationsrahmen und Relevanzsystem auseinandersetzen und wie sie dabei den Bereich dessen ausloten, was unter welchen Bedingungen als beruflich-geschlechtlicher Selbstentwurf anerkennbar und intelligibel ist. Die Datenerhebung durch Gruppendiskussionen ist hier besonders geeignet, die in einer rekonstruktiven Forschungshaltung grundlegende Offenheit gegenüber dem Gegenstand der Forschung zu bewahren und dabei wissenschafts- sowie alltagstheoretisch begründete Vorannahmen zurückzustellen, um sich die thematischen Bezüge zu erschließen, die für die Schüler*innen selbst wichtig sind. Zugleich bietet sich im Gruppendiskussionsverfahren die Gelegenheit, die jungen Frauen (und Männer) in einem sozialen Kontext zu erleben, der verhältnismäßig nahe an alltäglichen Gesprächssituationen ist – bspw. auf dem Schulhof oder bei außerschulischen Aktivitäten unter Gleichaltrigen. Dies befördert den Gebrauch eigener Begriffe und Metaphern, die die gemeinsame Lebens- und Erfahrungswelt kennzeichnen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 21).19 So haben die Schüler*innen die Möglichkeit, das Thema im eigenen Sprachgebrauch zu behandeln, eigene Themenschwerpunkte zu setzen und eigene für sie relevante Problemstellungen zu entfalten (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 73). Über die prozesshafte Entwicklung des gemeinsamen Diskurses, seiner Dynamik und Dramaturgie, in der die Diskutierenden in ihren Äußerungen aufeinander Bezug nehmen, in ihren Argumentationen aufeinander aufbauen, sich zustimmen, widersprechen, ergänzen oder berichtigen, lassen sich einzelne Aussagen vor dem Deutungshorizont kollektiv geteilter Sinnwelten betrachten, die sich in konjunktiven Erfahrungen begründen und sich als implizite Wissensbestände hinsichtlich einer technischen Berufswahlorientierung als handlungsrelevant erweisen (können). Während der Erhebung sind daher die Voraussetzungen für die Entwicklung einer selbstläufigen Diskussion dadurch zu schaffen, dass der themenbezogene Gesprächsimpuls seitens der Forschenden möglichst offen und erzählgenerierend gestaltet wird (vgl. Bohnsack 2010b, S. 380; Schäffer 2006, S. 77f.). Denn gerade dort, wo die Diskussion eine Eigendynamik entwickelt und die Teilnehmenden den Erhebungskontext beinahe vergessen, lässt sich eine Fokussierung auf gemeinsame 19 Wie bereits ausgeführt, ist es bei der Zusammensetzung der Gruppen entscheidend, dass die Mitglieder über eine strukturidentische Erlebnisschichtung verbunden sind. Es ist weniger bedeutsam, ob es sich dabei um eine Realgruppe handelt. So setzen sich die Gruppen zwar überwiegend, aber nicht ausschließlich aus Schüler*innen derselben Klasse zusammen. Bisweilen waren auch Mitschüler*innen anderer Klassen anwesend, die sich zum Teil weniger gut kennen (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 74).

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»Erlebniszentren« (Bohnsack 2010b, S. 380) erkennen. Zugleich macht Bohnsack deutlich, dass auch das, »was nicht zu den fokussierten Erlebniszentren gehört, welche Themen bzw. Erfahrungsbereiche warum fremd sind oder gemieden werden« (ebd., Hervorh. i.O.) zur Erkenntnisgewinnung beiträgt. Doch auch eine differenzierte Betrachtung von Sequenzen, in denen sich Interaktionen zwischen Forschenden und Erforschten abzeichnen, ermöglicht es, »Widerstände gegen oder Strategien des Unterlaufens von Interventionen« (Bohnsack 2010a, S. 208) der Forschenden zu rekonstruieren. An dieser Stelle soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die Frage nach Technik bzw. nach technischen Berufen nicht den Eingangsimpuls zu Beginn der Gruppendiskussionen bildet, sondern im Rahmen des dieser Studie vorangegangenem Forschungsprojektes AN[N]O 2015 (vgl. Kapitel 1.1) erst während der Phase exmanenten Nachfragens im Anschluss an allgemeine Darstellungen der Schüler*innen bezüglich ihrer beruflichen Zukunftsvorstellungen gestellt wird, zumindest wenn das Thema bis dahin nicht von den Proband*innen selbstständig eingebracht wurde. Andernfalls zielt die Frage darauf, zu einer ausführlicheren Darstellung der bereits getätigten Äußerungen anzuregen, in denen das Thema ›Technische Berufe‹ nur in wenigen Fällen ausführlicher behandelt und oftmals eher nur oberflächlich angerissen wurde, oder auch darauf, Widersprüche in den Darstellungen zu thematisieren.20 Die überwiegende Nicht-Thematisierung lässt darauf schließen, dass technische Berufe zunächst einmal außerhalb des Relevanzsystems der jungen Frauen zu verorten sind, wenn es um berufliche Selbstentwürfe geht. Wie es dazu kommt, dass entsprechende Berufswahloptionen aus den Vorstellungen der jungen Frauen überwiegend ausgeklammert bleiben, ist im Zuge der Analyse näher zu ergründen. Je nach situativen Kontext wird die Frage nach technischen Berufen möglichst vage eingebracht, bspw. indem an vorangegangene Ausführungen der Schülerinnen zu beruflichen Vorstellungen einfach mit einem »Und wie ist das mit Technik?« oder einem »Und was haltet ihr von technischen Berufen?« angeknüpft wird. Somit folgt der eigene Ansatz einem Verständnis vom »Forschungsprozess als Suchbewegung« (Micus-Loos et al. 2016, S. 74), mit dem die im rekonstruktiven Verfahren notwendige Offenheit eingehalten wird. Es zeigt sich im Zuge der selbstreflexiven

20 Bspw. lehnen die Schülerinnen der Gruppe-C technische Berufe zunächst eindeutig ab, berichten aber im Weiteren begeistert von ihren Erfahrungen beim GirlsʼDay, wo sie mitunter auch in technische Bereiche Einblicke erhalten haben. Darauf angesprochen entwickelt sich eine dynamische Diskussion über die Hintergründe der eigenen Ablehnung im Kontext gemeinsamer negativer Erfahrungen im schulischen Physikunterricht (vgl. Kapitel 8.1).

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Beobachtung des Forschungsprozesses,21 dass die Frage nach Technik bzw. technischen Berufen insbesondere im Kontext geschlechtshomogener Gruppen mit jungen Frauen nahezu unweigerlich an bestimmte Diskursformationen anschließt, die aktuell innerhalb der Gesellschaft im Zusammenhang mit bildungspädagogischen, ökonomischen und gleichstellungspolitischen Debatten bezüglich Frauen im MINTBereich zirkulieren und vermutlich auch aufgrund zielgruppenspezifischer Initiativen und Maßnahmen im Alltagserleben der Schülerinnen präsent sind. Dies zeigt sich bspw. darin, dass die Frage nach Technik bisweilen von den jungen Frauen im butlerschen Sinne als Anrufung wahrgenommen wird,22 verbunden mit der Aufforderung, sich positiv zu positionieren bzw. sich andernfalls zu rechtfertigen. Zugleich wird der normative Gehalt dieser Fragestellung evident, indem manche Schülerinnen eine ablehnende Haltung anhand einer idealtypischen Inszenierung von Weiblichkeit deutlich zu machen suchen und damit ein kollektives Wissen über die Diskrepanz der Bedeutungen von Weiblichkeit und Technik voraussetzten. Die primäre Aufgabe der Forschenden besteht in der Erhebungssituation darin, durch Impulse das Gespräch zwischen den beforschten Schüler*innen anzuregen und des Weiteren möglichst nicht einzugreifen und sich zurückhaltend zu verhalten, was insbesondere für die Hauptphase der Diskussion gilt. Nur wenn die Diskussion zum Erliegen kommt – entweder weil das Thema innerhalb der Gruppe erschöpfend behandelt wurde oder sich keine eigendynamische Diskussion ergibt – werden seitens der Forschenden weitere Fragen eingebracht bzw. »mit leicht variiertem Schwerpunkt reformuliert« (Przyborski und Riegler 2010, S. 441, Hervorh. i.O.). Eine solche Intervention dient zunächst allein der (Wieder-)Herstellung und Aufrechterhaltung von Selbstläufigkeit (vgl. Bohnsack 2010a, S. 208).23 Die paradoxe Anforderung besteht darin, eine Diskussion zu initiieren, ohne diese jedoch tiefgreifend zu beeinflussen. »Reflexive Prinzipien der Initiierung und Leitung von Gruppendiskussionen«24 (ebd., S. 207) ermöglichen hier eine gelingende Durchführung

21 Näheres zur Bedeutsamkeit »[r]eflektierte[r] Subjektivität« als einem Gütekriterium qualitativer Forschung findet sich bei Steinke (2010, S. 330f.). 22 In diesem Zusammenhang lässt sich der bekannte Slogan ›Komm mach MINT‹ als ein geradezu plakatives Beispiel einer derartigen Anrufung betrachten. 23 Dabei ist darauf zu achten, Fragen offen zu formulieren, Anreize zum Erzählen zu setzen und keine Rechtfertigungsfragen oder Ja-Nein-Antworten zu forcieren. 24 Bohnsack (2010a) führt diese auf der Grundlage seiner forschungspraktischen Erfahrung entwickelten Prinzipien differenziert wie folgt auf: »Die gesamte Gruppe ist Adressatin der Interventionen«, »Vorschlag von Themen, nicht Vorgabe von Propositionen«, »[d]emonstrative Vagheit«, »[k]ein Eingriff in die Verteilung der Redebeiträge«, »Generierung detaillierter Darstellungen«, »[i]mmanente Nachfragen«, »[d]ie Phase exmanenter Nachfragen« und »[d]ie direktive Phase« (ebd., S. 208ff., Hervorh. i.O.).

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(vgl. ebd., S. 207ff.; Bohnsack 2010b, S. 380ff.; Przyborski und Riegler 2010, S. 441) und werden auch im Rahmen der vorliegenden Forschung eingehalten. Von zentraler Bedeutung ist dabei, Interventionen stets an die Gruppe als Ganzes zu adressieren, um die Verteilung von Redebeiträgen nicht zu beeinflussen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 208; Przyborski und Riegler 2010, S. 441). Dies gilt auch für den Bereich der nonverbalen Kommunikation, weshalb während der Erhebungssituation direkter Blickkontakt sowie Gestik und Mimik weitgehend reduziert werden (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 75; Przyborski und Wohlrab-Sahr 2010, S. 97). Die geforderte Zurückhaltung seitens der Forschenden beinhaltet auch, weder eine Teilnehmendenrolle noch die Rolle einer Gesprächsmoderation zu übernehmen, sondern es der Gruppe selbst zu überlassen, die Verteilung der Redebeiträge zu organisieren. Nachfragen seitens der Forschenden erfolgen erst, wenn die Selbstläufigkeit der Diskussion zum Erliegen gekommen ist (vgl. Bohnsack 2010a, S. 209; 2010b, S. 381; Przyborski und Riegler 2010, S. 441). Dies erfordert das Feingefühl, einerseits Pausen auszuhalten und andererseits bei einem Erlöschen der Diskussion durch das vorsichtige Einbringen von Nachfragen das Gespräch wieder in Gang zu setzen (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 75). Die bereits angeführte Vagheit mit der Fragen nach Möglichkeit zu formulieren sind, zielt darauf, lediglich das Thema – in diesem Fall ›Technische Berufe‹ – in die Diskussion einzubringen, dabei jedoch keine Vorgaben zu machen, wie es zu bearbeiten ist (vgl. Bohnsack 2010a, S. 208f.; Przyborski und Riegler 2010, S. 441). So wird bspw. auch auf vereinzelte Rückfragen seitens der Schüler*innen, was genau mit der Frage nach technischen Berufen gemeint sei, der Interpretationsraum seitens der Forschenden dadurch bewusst möglichst offen gehalten, dass den Schüler*innen rückgemeldet wird, dass es keine Vorgabe gibt und alles, was sie darüber denken, von Interesse ist. Indem Fragen an die Gruppe demonstrativ vage gestellt werden, wird die eigene Unkenntnis bezüglich der Erfahrungswelt der Beforschten signalisiert. Zugleich werden die Beforschten zu detaillierten Schilderungen angeregt, die einen »Zugang zur (Rekonstruktion der) Handlungspraxis und dem ihr zugrunde liegenden Modus Operandi, dem kollektiven Habitus« (Bohnsack 2010b, S. 382) eröffnen (vgl. ebd., S. 380f.; Przyborski und Riegler 2010, S. 441). Nachfragen seitens der Forschenden werden in der ersten Phase der Diskussion vornehmlich immanent gestellt, so dass diese an bereits von den Beforschten selbst eingebrachte Themen anknüpfen. Erst nachdem die Gruppe diese Themen im eigenen Relevanzbereich abgearbeitet hat, werden anhand eines vorgefertigten Leitfadens weitere Themen, die für das Erkenntnisinteresse der Forschung bedeutsam sind und bisher nicht von der Gruppe aufgeworfen wurden, exmanent nachgefragt. Zum Ende der Diskussion werden von den Forschenden »Widersprüche und Auffälligkeiten« (Bohnsack 2010a, S. 210.) aus der vorangegangenen Diskussion aufgegriffen und thematisiert (vgl. ebd.).

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6.4 DOKUMENTARISCHE METHODE ALS AUSWERTUNGSMETHODE Die dokumentarische Methode, die Bohnsack unter Bezugnahme auf Mannheim (1964) entwickelte, ist insbesondere in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften etabliert, kommt jedoch auch darüber hinaus in vielen weiteren Forschungsfeldern und Forschungsdesigns zur Anwendung (vgl. Bohnsack 2010a, S. 31f.; Bohnsack et al. 2013, S. 9).25 Um die sich in einer Äußerung dokumentierenden Orientierungen zu verstehen, gilt es, in Anlehnung an Mannheim, den diese Äußerung rahmenden Erlebniszusammenhang interpretativ zu verstehen bzw. das zugrunde liegende handlungsleitende Erfahrungswissen zu entschlüsseln und explikativ darzulegen (vgl. Bohnsack 2006, S. 41; Bohnsack et al. 2013, S. 12f.). Dies erfolgt, wie bereits aufgeführt (vgl. Kapitel 6.2), durch den systematischen Wechsel in der Analyseeinstellung, d.h. von der Frage nach dem, was die soziale Wirklichkeit für die Beforschten ist, zur Frage danach, wie deren handlungspraktische Herstellung aussieht (vgl. Bohnsack 2006, S. 42; Bohnsack et al. 2013, S. 13; Micus-Loos et al. 2016, S. 70). Hierzu folgt die dokumentarische Textinterpretation zunächst in zwei eindeutig voneinander zu differenzierenden Arbeitsschritten der »methodologischen (Leit-) Differenz« (Bohnsack et al. 2013, S. 15) zwischen dem »›immanenten‹ Sinngehalt« (ebd.) auf der einen und dem »dokumentarischen Sinngehalt« (ebd.) auf der anderen Seite, die ihre Entsprechungen in Beobachtungen erster Ordnung (Frage nach dem Was) und zweiter Ordnung (Frage nach dem Wie) finden (vgl. ebd.; Bohnsack 2010a, S. 134). Im ersten Schritt der sogenannten »formulierenden Interpretation« (Bohnsack 2010a, S. 34, Hervorh. i.O.) geht es zunächst darum, das zu erfassen, was von den Beforschten explizit artikuliert, also thematisch eingebracht wird. Hier werden die Themen und Unterthemen zusammengefasst und (re-)formuliert, die von den Beforschten im gesamten Diskursverlauf angesprochen werden, um anschließend anhand der so entstehenden thematischen (Unter-)Gliederung die Passagen einer detaillierten Betrachtung zu unterziehen, die für die Forschung von besonderer thematischer Relevanz sind (vgl. ebd. Bohnsack 2006, S. 43; Przyborski 2004, S. 53f.). Weil jedwede Kommunikation auf einem gemeinsamen thematischen Bezugspunkt beruht, bildet die Erfassung der thematischen Grundstruktur die Voraussetzung für weitere Interpretationsschritte (vgl. Bohnsack 2010a, S. 134f.). Zugleich wird mit diesem ersten Schritt der Sinngehalt intersubjektiv nachvollziehbar aufbereitet und beifolgend der Wortlaut der Beforschten in einer ersten Annäherung in die Sprache der Forschenden übersetzt (vgl. Przyborski 2004, S. 53). Dabei konzentriert sich die 25 Eine detaillierte Aufführung der einzelnen Anwendungsfelder findet sich bei Bohnsack (2010a, S. 31f.). Für eine Darstellung konkreter Beispiele aus der Forschungspraxis siehe Bohnsack et al. (2013).

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formulierende Interpretation allein auf den immanenten Sinngehalt, ohne dabei Aussagen darüber zu treffen, ob und inwiefern Äußerungen zutreffend sind oder nicht (vgl. Bohnsack 2010a, S. 134). Erst auf der Grundlage der so erschlossenen thematischen Struktur vollzieht sich im zweiten Schritt mit der »reflektierenden Interpretation« (Bohnsack 2010a, S. 34, Hervorh. i.O.) der Wechsel in der Analyseeinstellung von dem, was thematisiert wird, zur Art und Weise, wie ein Thema ausgeführt, d.h. in welchem Orientierungsrahmen es behandelt wird (vgl. Bohnsack 2010a, S. 135; Bohnsack et al. 2013, S. 15). »Die Fragen, die die Interpretin dabei zu beantworten sucht, lauten in etwa: Was zeigt sich hier über den Fall? Welche Bestrebungen und/oder welche Abgrenzungen sind in den Äußerungen, den Diskursbewegungen impliziert? Welches Prinzip, welcher Sinngehalt kann eine derartige Äußerung motivieren, hervorbringen? Welches Prinzip kann mir zwei oder gar mehr (thematisch) unterschiedliche Äußerungen als Ausdruck desselben zugrundeliegenden Sinns verständlich machen?« (Przyborski 2004, S. 55)

Positive und negative Gegenhorizonte sowie Enaktierungspotenziale bilden wichtige Strukturierungsmerkmale, deren Identifikation es ermöglicht, das sich in Erzählungen, Umschreibungen und Darstellungen der Beforschten dokumentierende, erfahrungsgeleitete Handlungswissen zu erschließen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 136; Kleemann et al. 2013, S. 161). Gegenhorizonte bezeichnen die Art und Weise, wie sich Beforschte themenbezogen entweder positiv bestätigend oder negativ abgrenzend positionieren bzw. welche positiven Ideale angestrebt und welche potenziellen (Entwicklungs-)Möglichkeiten tendenziell abgelehnt werden. Auf diese Weise bringen positive und negative Gegenhorizonte individuelle und kollektive Einstellungen, Vorstellungen und Entwürfe zum Ausdruck. Das Enaktierungspotenzial bezieht sich auf die Einschätzung hinsichtlich der Möglichkeit, eigene Orientierungen im Alltag zu realisieren, und verweiset gemeinsam mit den Gegenhorizonten auf die Spannweite dieser Orientierungen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 136; Kleemann et al. 2013, S. 161; Przyborski 2004, S. 56). »Negative und positive Gegenhorizonte sowie deren Enaktierungspotenziale sind wesentliche Komponenten des Erfahrungsraumes einer Gruppe. Sie konstituieren den Rahmen dieses Erfahrungsraumes. Zwischen diesen Komponenten bzw. innerhalb dieses Rahmens ist die von diesem Erfahrungsraum getragene Orientierungsfigur gleichsam aufgespannt.« (Bohnsack 2010a, S. 136, Hervorh. i.O.)

Weil sich Orientierungen erst im Diskursverlauf prozesshaft entfalten, wird mit der reflektierenden Interpretation die »Rekonstruktion der Diskursorganisation« (Bohnsack 2010a, S. 138, Hervorh. i.O.) in den Analysefokus gerückt. Es interessiert die Art und Weise, wie bestimmte Themen aufeinander bezogen werden bzw. wie sich

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die Beteiligten in ihren Äußerungen aufeinander beziehen, welche Dynamiken und Reaktionen dabei hervorgerufen und welche Positionierungen erkennbar werden (vgl. Kleemann et al. 2013, S. 162; Micus-Loos et al. 2016, S. 71). All dies liefert wichtige Erkenntnisse zu grundlegenden Orientierungen, die insbesondere in Passagen zutage treten, die sich durch eine hohe »interaktive und metaphorische Dichte« (Bohnsack 2010a, S. 137) auszeichnen, die Bohnsack als »Fokussierungsmetaphern« (ebd., Hervorh. i.O.) bezeichnet. Dabei kommt im Zuge der reflektierenden Interpretation hinsichtlich der Validität der gewonnenen Erkenntnisse der »komparativen Analyse« (Bohnsack 2010a, S. 137) von Anfang an ein besonderer Stellenwert zu, mit der eine Explikation von Orientierungsrahmen, als zentralem Gegenstand der dokumentarischen Interpretation, durch fallinterne und fallübergreifende Vergleichshorizonte empirisch fundiert und intersubjektiv nachvollziehbar möglich wird (vgl. Bohnsack 2010a, S. 137; Bohnsack et al. 2013, S. 16). Eine kontinuierliche und systematische Kontrastierung erfolgt sowohl anhand unterschiedlicher Textpassagen desselben Falls als auch später zwischen thematisch vergleichbaren Passagen unterschiedlicher Fälle und ermöglicht so eine zunehmende empirische Fundierung, die den Erkenntnisgewinn erhöht (vgl. Bohnsack 2010a, S. 137f.; Kleemann et al. 2013, S. 163). Zur Beschreibung der Diskursorganisation hat sich ein bestimmtes »Begriffsinventar« (Przyborski 2004, S. 61) empirisch bewährt, wonach sich der Diskurs idealtypisch »von Propositionen zu Konklusionen«26 (Schäffer 2006, S. 78, Hervorh. i.O.) entwickelt.27 Während im Rahmen der Diskursbeschreibung die Besonderheit des Einzelfalls oberster Bezugspunkt der komparativen Analyse bleibt (vgl. Bohnsack 2010a, S. 137), liegt ihre Bedeutung bei der Entwicklung von Typologien in der beispielhaften Veranschaulichung einer Typik (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 85). So zielt die dokumentarische Interpretation in einem abschließenden Arbeitsschritt darauf, anhand fallübergreifender Abstraktionen Typologien zu erarbeiten, die die Variationsbreite der rekonstruierten Orientierungen sowie Bezüge zwischen ihnen deutlich machen. Die Typenbildung erfolgt mittels einer umfassenden und vielschichtigen 26 Dort, wo Orientierungen durch Erzählungen und beschreibende Darstellungen zum Ausdruck gebracht werden, spricht Bohnsack (2010a) von »›Propositionen‹« (ebd., S. 135, Hervorh. i.O.; vgl. auch Schäffer 2006, S. 78; ausführlich dazu Przyborski 2004, S. 63ff.). Konklusionen zeigen die Beendigung einer thematischen Abhandlung an. Dabei lassen sich zwei Grundmuster unterscheiden, die intern weiter begrifflich zu differenzieren sind. Eine Konklusion liegt zum einen dann vor, wenn zum Abschluss der thematischen Abhandlung die Orientierung noch einmal auf den Punkt gebracht wird. Zum anderen kann eine sogenannte ›rituelle‹ Konklusion erfolgen, um in Anbetracht oppositioneller Standpunkte einen Themenwechsel zu forcieren (vgl. Przyborski 2004, S. 74). 27 Eine detaillierte Darstellung der Terminologie, die in der Diskursorganisation zur Anwendung kommt, findet sich bei Przyborski (2004, S. 61ff.) und Schäffer (2006, S. 78f.).

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komparativen Analyse entlang des Prinzips minimaler und maximaler Kontrastierung, wie sie im Zuge der reflektierenden Interpretation bei der Explikation kollektiver Orientierungsmuster bereits an Bedeutung gewonnen hat (vgl. Bohnsack 2013a, S. 141ff.; Kleemann et al. 2013, S. 168; Nentwig-Gesemann 2013, S. 297ff.; Schäffer 2006, S. 79f.).28 In ihnen zentriert sich die analytische Perspektive auf die Art und Weise, wie die Beforschten soziale Wirklichkeit auf der Grundlage ihres erfahrungsbasierten Alltagswissens hervorbringen (vgl. Kleemann et al. 2013, S. 168).

6.5 VORGEHENSWEISE IM ZUGE DER AUSWERTUNG Die Audioaufzeichnungen der Gruppendiskussionen werden zunächst transkribiert,29 um anschließend anhand des Videomaterials die einzelnen Sprechendenpositionen zuzuordnen und Anonymisierungen vorzunehmen. Als Pseudonyme werden Namen ausgewählt, die dem gleichen Kulturkreis zuzuordnen sind wie der tatsächliche Name der jeweiligen Schülerin oder des jeweiligen Schülers. Die Anonymisierungen lassen demnach keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die ethnische Zugehörigkeit der bezeichneten Person zu. Um keine vorschnellen Rückschlüsse oder Kategorisierungen vorzunehmen, werden Dimensionen sozialer Differenzierung, wie Ethnie, familiärer Bildungshintergrund oder soziale Schichtzugehörigkeit, im Interpretationsprozess nur insoweit Bedeutung beigemessen, als sie von den Schüler*innen selbst im Zuge der gemeinsamen Diskussion relevant gemacht werden. Für die Auswahl der Fälle wird noch einmal das gesamte Material aus dem Forschungsprojekt A[N]NO 2015 gesichtet und die für die eigene Fragestellung the28 Die Typenbildung geschieht nach Bohnsack in zwei Teilschritten: der »sinngenetische[n] Typenbildung« (Bohnsack 2013b, S. 194) einerseits und der »soziogenetische[n] Typenbildung« (ebd.) andererseits. In der sinngenetischen Typenbildung wird zunächst in thematischen Textpassagen nach vergleichbaren homologen und kontrastiven Mustern einer Orientierungsfigur gesucht und im komparativen Fallvergleich durch systematische Variation zu einer vom Einzelfall abstrahierten Klassifikation themenbezogener Orientierungsrahmen herausgearbeitet (vgl. Bohnsack 2013a, S. 148; 2013b, S. 194f.). Darauf aufbauend fragt die soziogenetische Typenbildung nach den spezifischen Erfahrungsdimensionen, innerhalb derer »die Genese einer Orientierung, eines Habitus zu suchen ist« (Bohnsack 2013a, S. 248), wobei eine Generalisierung einer Typik erst auf der Grundlage »ihrer Relation zu und ihrer Überlagerung durch andere Typiken valide zu leisten ist« (vgl. Bohnsack 2013a, S. 263). 29 Eine Übersicht der angewandten Transkriptionsregeln findet sich am Ende dieses Kapitelabschnitts.

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matisch relevanten Diskussionsabschnitte ermittelt. Anschließend erfolgt die Datenanalyse gemäß den Auswertungsschritten der dokumentarischen Methode in Anlehnung an Bohnsack (vgl. exempl. Bohnsack 2010b). Zunächst wird im Zuge der formulierenden Interpretation die inhaltliche Struktur und thematische Gliederung der Diskussionsabschnitte präzise herausgearbeitet, um sämtliche von den Schüler*innen angeführten über- und untergeordneten Themen festzuhalten und so den immanenten Sinngehalt und damit die Relevanzstruktur der Beforschten zu erfassen, ohne das Gesagte selbst zu kommentieren. Dabei ist nicht wichtig, ob die Erzählungen und Schilderungen zutreffend sind, sondern es geht darum, die Perspektive der jungen Frauen (und Männer) zu verstehen und die sich in den Positionierungen und Positionszuweisungen abzeichnenden normativen Vorstellungen über Technik und Geschlecht hinsichtlich ihrer Wirkmächtigkeit zu befragen. Die interpretative Leistung in diesem Arbeitsschritt ist in der Ermittlung von Oberbegriffen sowie in der zusammenfassenden (Re-)Formulierung von Themen und Diskussionsinhalten zu sehen, anhand derer ein Überblick über den Text und seine thematische Struktur gewonnen wird. Im darauf folgenden Schritt der reflektierenden Interpretation geht es darum, die Diskursorganisation von Sequenzen darzustellen, die sich neben einer thematischen Relevanz und Vergleichbarkeit mit anderen Textpassagen durch eine starke Interaktivität und Selbstläufigkeit sowie eine hohe metaphorische Dichte auszeichnen, und den dokumentarischen Sinngehalt herauszuarbeiten, in dem die geteilten Orientierungen der beforschten Schüler*innen zum Ausdruck kommen (vgl. Bohnsack 2010a, S. 134ff.). In diesen sogenannten Fokusmetaphern sprechen die Diskutant*innen vielfach durcheinander, fallen sich ins Wort, ergänzen einander, erzählen und beschreiben Erfahrungen und Beobachtungen aus ihrer Alltagswelt, argumentieren vielfach entlang einer legitimatorischen Erzählstruktur, mit der sie ihre eigenen individuellen und kollektiven Haltungen und Positionierungen plausibel zu begründen suchen, und verhandeln durch das Aufspannen von positiven und negativen Gegenhorizonten die Gemeinsamkeit des Orientierungsrahmens. Häufiges Lachen deutet auf Ausgelassenheit und Spaß am gemeinsamen Diskutieren hin. Doch wie auch María do Mar Castro Varela (2007) betont, kann Lachen in Gruppendiskussionen darüber hinaus eine bedeutende Funktion in gruppendynamischen Prozessen haben (vgl. ebd., S. 177ff.). So zeugt an vielen Stellen der Gruppendiskussionen ein einvernehmliches Lachen über Dinge, die keiner Erläuterung bedürfen, von einem gegenseitigen Verstehen und von der Zusammengehörigkeit der Gruppenmitglieder vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Erfahrungsraumes. An anderen Stellen kommen in dem unsicheren Lachen Einzelner sowohl Zweifel bezüglich der eigenen Zugehörigkeit zum Ausdruck als auch darüber, inwieweit die eigene Aussage mit der Gruppenmeinung kompatibel ist. Das Lachen über einzelne Redebeiträge kann ebenso verbindend zustimmende wie auch kritisch infrage stellende Effekte haben und folglich ebenso positive wie negative Wertun-

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gen beinhalten (vgl. ebd.). In der anschließenden Interpretation des empirischen Materials findet das Lachen dann Berücksichtigung, wenn ihm eine Bedeutung bezüglich der gemeinsamen thematischen Verhandlung beizumessen ist. Lachen, das sich nach nochmaliger Sichtung des audio-visuellen Materials auf Gegenschauplätze bezieht oder auf Ausgelassenheit in der Diskussionsrunde hinweist und das nicht in einem erkennbaren Zusammenhang mit der thematisch-inhaltlichen Diskussion steht, wird dagegen in der Analyse vernachlässigt. Im Zuge der Datenanalyse werden präzise Beschreibungen leitender Fälle erarbeitet, in denen die »dramaturgischen Entwicklung« (Bohnsack 2010a, S. 139, Hervorh. i.O.) der Diskursorganisation ausführlich dargestellt, »die Gesamtgestalt des Falls zusammenfassend charakterisiert« (ebd., S. 139) und zu ersten Erkenntnisgewinnen der dokumentarischen Interpretation verdichtet wird (vgl. ebd.). In die komparative Analyse, die sich zunächst auf die Besonderheit des einzelnen Falls konzentriert, werden später auch vergleichbare Passagen aus weiteren Fällen hinzugezogen und damit den Anforderungen an methodische Kontrolle durch empirische Sättigung Rechnung getragen. In der diesem Kapitel folgenden Darstellung der sich im Analyseprozess entwickelnden Typologien dient der jeweils aufgeführte Einzelfall als exemplarische Veranschaulichung einer gebildeten Typik (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 85). Während für Bohnsack vornehmlich milieu-, generations-, geschlechts- und entwicklungsbezogene Typiken zentral sind (vgl. exempl. Bohnsack 2010a, S. 50), geht es im Kontext der vorliegenden Forschung um die Rekonstruktion kollektiver Orientierungsmuster junger Frauen, die sich in einem impliziten Wissen über gesellschaftliche (Geschlechter-)Normen und daraus resultierender Anforderungen an anerkennenswerte Identitätspositionen in der kulturellen Verknüpfung mit hegemonialen Technikbildern gründen, welche sich im Rahmen von individuellen Berufsfindungsprozessen als handlungsleitend erweisen (können). Somit geht es um normativ gerahmte Orientierungen junger Frauen im Kontext ›Technik‹ in der spezifischen Ausformung ihrer konjunktiven Erfahrungsräume innerhalb der zweigeschlechtlich strukturierten Alltags- und Arbeitswelt, wobei unterschiedliche Erfahrungsdimensionen in Form von Differenzordnungen, wie Geschlecht, Alter, Bildungsschicht, Sexualität und Ethnie, in ihrer Relevanz für die beforschten Schüler*innen in den Blick genommen werden. Die den Orientierungen inhärenten normativen Vorstellungen von Technik und Geschlecht, die es auf der Grundlage ihrer spezifischen, erfahrungsbegründeten Ausprägung, in ihrer handlungsleitenden Relevanz für die beforschten jungen Frauen im Kontext der Entwicklung beruflicher Selbstkonzepte analytisch und ex-

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plikativ zu erfassen gilt, lassen sich im bohnsackschen Sinne auch als »normative ›Typiken‹ lesen« (Micus-Loos et al. 2016, S. 87).30 So werden in der Analyse des empirischen Materials zum einen die Bezüge zwischen einer kollektiven Orientierung und dem jeweiligen Erfahrungswissen, »in dem die Genese der Orientierung zu suchen ist« (Bohnsack 2010a, S. 141), aufgezeigt. Dabei ist zu prüfen, inwiefern dieses Erfahrungswissen ein Wissen um normative Anforderungen an die Kompatibilität technisch-beruflicher und geschlechtlicher Identitätskonzepte umfasst. Zum andern gilt es den »Kontrast in der Gemeinsamkeit« (ebd., S. 143, Hervorh. i.O.) als »fundamentales Prinzip der Generierung einzelner Typiken« (ebd.) durch konsequente »Vergleichsgruppenbildung« (ebd., S. 30, Hervorh. i.O.) deutlich zu machen. Es sollen unterschiedliche Dimensionen der (Re-)Produktion und Transformation normativer Bedeutungsmuster herausgearbeitet werden, um die Vielschichtigkeit sich überlagernder Erfahrungsräume zu erfassen und die daraus hervorgehenden Orientierungen in ihrer Komplexität, d.h. in ihren Brüchen, Widersprüchen und Ambivalenzen, zu verstehen. »Es geht mithilfe einer performativ-orientierten Herangehensweise gerade darum, das Gemeinsame dieser Orientierungen darzustellen, aber auch zu analysieren, wo sich Widersprüche zeigen, wo und wie die befragten jungen Menschen diese normativen Orientierungen nicht nur bestätigen, sondern auch in Frage stellen und verschieben.« (Micus-Loos et al. 2016, S. 87)

Tabelle 1: Transkriptionsrichtlinien

31

Zeichen

Beschreibung

Bedeutung

[Text]

Text in eckige Klammern

Überlappung bzw. simultanes Sprechen

[…]

Punkte in eckigen Klammern

Auslassungen im Transkript

@Text@

Text in At-Zeichen

Lachendes Sprechen

TEXT

Text in Großbuchstaben

Betontes Sprechen

(unv.)

Abkürzung in einfachen Klammern

Unverständlichkeit

((Text))

Text in doppelten Klammern

Außersprachliches sowie Anmerkungen zum äußeren Geschehen

30 Hier folgt der eigene interpretative Ansatz in weiten Teilen der dieser Forschungsarbeit zugrunde liegenden Vorgängerstudie AN[N]O 2015 in ihrer Argumentation zu normativen Orientierungen in den Berufs- und Zukunftsentwürfen junger Frauen (vgl. MicusLoos et al. 2016, S. 85; Kapitel 1.1). 31 Die Transkriptionsregeln wurden in Anlehnung an Ralf Bohnsack, Iris NentwigGesemann und Arnd-Michael Nohl (2013, S. 399f.) sowie Thorsten Dresing und Thorsten Pehl (2015) erstellt.

158 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

-

Bindestrich

Wortabbruch



Drei Punkte

Unterbrechung und Fortführung einer Äußerung

/

Schrägstrich

Abruptes Anhalten oder Unterbrechung einer Äußerung

»Text«

Text in Anführungszeichen

Zitierende Rede

bspw.: äh; öh; ähm

Funktionale Lautäußerungen

Verzögernde bzw. füllende Lautäußerung

bspw.: hmhm; ja; nee

Funktionale Lautäußerungen

Ratifizierungen

bspw.: is; nich; hab; nen; ner; erstma; nochma

Worttilgungen

Tilgungen werden nicht geglättet

Ne

Funktionale Lautäußerung

Rückversicherungspartikel

bspw.: ey; boah

Interjektion

Umgangssprachlicher Ausdruck des Erstaunens, der Überraschung oder auch der Ablehnung

I

Großbuchstabe I (Sprechendenposition)

Sprechendenposition der Interviewerin

?

Fragezeichen (Sprechendenposition)

Zuordnung der Sprechendenposition nicht möglich

6.6 SAMPLING Im Rahmen der vorliegenden Forschung werden zwölf der insgesamt 23 erhobenen Gruppendiskussionen aus dem Forschungsprojekt AN[N]O 2015 im Fokus der eigenen Fragestellung nach der Bedeutung von Technik und technischen Berufen in Hinblick auf berufliche Orientierungsprozesse junger Frauen ausgewertet. Die ursprüngliche Erhebung fand in den Jahren 2011 und 2012 in unterschiedlichen Regionen des Bundesgebietes statt: einer ländlichen Gegend in Schleswig-Holstein (SH), der Großstadt Hamburg (HH), einer strukturstarken Region in NordrheinWestfalen (NRW) sowie in Thüringen (TH) als einem der neuen Bundesländer. Die Diskussionen wurden an Gymnasien und Schulen mit gymnasialer Oberstufe durchgeführt, da sich mit dem Bildungsabschluss Abitur das Spektrum möglicher beruflicher Qualifikations- und Bildungswege für potenzielle Absolvent*innen erweitert und neben einer beruflichen Ausbildung auch vielfältige Studienmöglichkeiten an Fachhochschulen und Universitäten eröffnen. Dies ist für die eigene Forschung hinsichtlich der Frage von Bedeutung, warum junge Frauen trotz hervorragender Bildungserfolge nach wie vor überwiegend klassische Frauenberufe wählen, die oftmals selbst in Verbindung mit einem Studium mit vergleichsweise geringeren Einkommens- und Karriereaussichten verbunden sind, während gut bezahlte und (scheinbar) aussichtsreiche Technikberufe – wie sie insbesondere im akademischen

Methodologie und Methode | 159

Bereich zu finden sind – in den Berufswahlorientierungen meist außer Acht gelassen werden. Die Schüler*innen waren zum Zeitpunkt der Erhebung im Alter zwischen 14 und 19 Jahren und demnach in der Lebensphase der Adoleszenz,32 der nach Vera King (2002, S. 31, Hervorh. i.O.) eine »weichenstellende Funktion und Bedeutung« u.a. für die Identitätsbildung zukommt – und zwar sowohl in Bezug auf die Entwicklung beruflicher Selbstentwürfe als auch auf die Aneignung (oder Adaption) von gesellschaftlichen Weiblichkeit- und Männlichkeitsbildern (vgl. ebd.). Die hier ausgewerteten Gruppendiskussionen mit je fünf bis neun teilnehmenden Schüler*innen33 wurden in den vertrauten Räumlichkeiten der jeweiligen Schule durchgeführt – bspw. in Klassenräumen oder der Bücherei – und mit einem zeitlichen Umfang von jeweils ca. eineinhalb Stunden audio-visuell aufgezeichnet. Wie bereits angesprochen, handelt es sich bei den Diskussionsgruppen nicht unbedingt um Realgruppen etwa in Form eines Klassenverbandes, sondern die Gruppen setzten sich bisweilen auch aus Schüler*innen unterschiedlicher Klassen zusammen (vgl. Kapitel 1.1). Ausgehend von der Annahme, dass sich neben dem Besuch derselben Schule auch über das Alter die Gemeinsamkeit der Erfahrungswelt konstituiert, wurden die Gruppendiskussionen in zwei Altersstufen erhoben: 14 bis 16 Jahre und 17 bis 19 Jahre. Acht der ausgewählten Diskussionen fanden in geschlechtshomogenen Gruppen mit Schülerinnen, vier in geschlechtsheterogenen Gruppen statt. Die Variationen in den geschlechtlichen Zusammensetzungen sind in der Vermutung begründet, dass sich, vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Systems normativer Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität, die geschlechtsbezogenen Erfahrungen und Orientierungen junger Frauen und Männer wechselseitig beeinflussen. Daher könnte auch der Habitus von Jungen und jungen Männern den für eine technische Berufswahlorientierung relevanten Erfahrungsdimensionen junger Frauen Kontur verleihen (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 77). Zugleich ist zu vermuten, dass insbesondere in der Schwellenphase der Adoleszenz, die von Unsicherheiten bezüglich geschlechtlicher Inszenierungsweisen und der Angst vor Nicht-Anerkennung gekennzeichnet ist (vgl. Fritzsche 2011, S. 64ff.; King 2002, S. 88f.), die geschlechtsbezogene Zusammensetzung Einfluss auf das gruppeninterne Interaktionsgeschehen hat und damit möglicherweise auch darauf, welche Themen eingebracht und auf welche Art und Weise, d.h. innerhalb welchen Rahmens, diese verhandelt werden.

32 Adoleszenz wird hier als eine Lebensphase verstanden, die nicht an festgelegte Altersbegrenzungen gebunden ist, sondern als die Übergangsphase zwischen dem Ende der Kindheit und dem Erlangen des Erwachsenenstatus verstanden wird (vgl. King 2002, S. 28). 33 Die Gesamtzahl der Teilnehmenden aus zwölf hier ausgewerteten Gruppendiskussionen beläuft sich auf 84 Schüler*innen.

160 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Da mit der Erhebung in geschlechtshomogenen Gruppen mit Schülerinnen das Geschlecht als das für die Untersuchung zentrale, verbindende Strukturmoment der zu ergründenden Erfahrungsschichtungen klar hervorgehoben wird, ist zu bedenken, dass dies unweigerlich eine Anrufung des sozialen Geschlechts bedeutet (vgl. Kapitel 4.3), die vermutlich Einfluss auf die inhaltliche und relevanzsetzende Struktur der Diskussion nimmt. Inwiefern und auf welche Weise die geschlechtliche Zusammensetzung der Diskussionsgruppen mit Blick auf die zum Ausdruck gebrachten Orientierungen von Bedeutung ist, ist demnach kritisch zu reflektieren.34 Tendenziell lässt sich feststellen, dass sich in geschlechtshomogenen Gruppen mit Schülerinnen oftmals eine weitaus höhere Dynamik entwickelt als in gemischtgeschlechtlichen Gruppen. Ungeachtet etwaiger Thematisierungen deutet dies darauf hin, dass Geschlecht bzw. ›weiblich-sein‹ die gemeinsamen Erfahrungszentren im Kontext ›Technik‹ wesentlich strukturiert. Auch wird in geschlechtshomogenen Gruppen mit Schülerinnen der Aspekt Geschlecht häufig implizit oder explizit relevant gemacht und ausführlich behandelt, während dies in gemischtgeschlechtlichen Gruppen vergleichsweise selten der Fall ist, ohne dass sich eine gemeinsame Diskussion daran entzündet. Daraus lässt sich folgern, dass Geschlecht in geschlechtsheterogenen Gruppen entweder kein gemeinsames Thema darstellt oder aber dieses Thema in der Interaktion zwischen adoleszenten Frauen und Männern aufgrund (noch) nicht gefestigter Habitualisierungen bezüglich gesellschaftlicher Geschlechterrelationen und adäquater geschlechtsbezogener Verhaltensweisen eher ›umgangen‹ wird (vgl. Fritzsche 2011, S. 64). Des Weiteren zeigt sich, dass insbesondere in der Altersgruppe zwischen 17 bis 19 Jahren das Thema ›Technikberufe‹ im Zusammenhang mit der eigenen Geschlechtszugehörigkeit diskutiert wird, was vermutlich auf die zunehmende Relevanz des geschlechtlichen Status an der Schwelle des Erwachsenenlebens zurückzuführen ist. Die zwölf ausgewählten Gruppendiskussionen weisen mit Blick auf die thematische Struktur des Diskurses eine hohe Relevanz für die eigene Fragestellung auf. Im Zuge erster Auswertungsschritte kristallisierten sich aufgrund der Intensität der thematischen Verhandlung sowie einer hohen interaktiven und metaphorischen Dichte sechs leitende Fälle heraus, sechs weitere wurden im Zuge des kontrastierenden Vergleichs ergänzend hinzugezogen.

34 Dieser Aspekt wird im Zuge der Diskussion der Forschungsergebnisse hinsichtlich ihrer pädagogischen Relevanz später noch einmal aufgegriffen (vgl. Kapitel 10.3).

Methodologie und Methode | 161

Tabelle 2: Gruppendiskussionen

Leitende Fälle Nr.

Gruppendiskussion

Bundesland

Geschlecht

Alter

1.

Gruppe-C

S-H

weiblich

14-16 Jahre

2.

Gruppe-c

S-H

weiblich

17-19 Jahre

3.

Grupp-D

S-H

weiblich/männlich

14-16 Jahre

4.

Gruppe-h

NRW

weiblich/männlich

17-19 Jahre

5.

Gruppe-i

NRW

weiblich

17-19 Jahre

6.

Gruppe-k

TH

weiblich

17-19 Jahre

Ergänzende Fälle 7.

Gruppe-A

S-H

weiblich

17-19 Jahre

8.

Gruppe-E

HH

weiblich

17-19 Jahre

9.

Gruppe-f

HH

weiblich/männlich

17-19 Jahre

10.

Gruppe-H

NRW

weiblich

14-16 Jahre

11.

Gruppe-j

TH

weiblich/männlich

17-19 Jahre

12.

Gruppe-l

TH

weiblich

17-19 Jahre

IV EMPIRISCHER TEIL

Dimensionen der (Re-)Konfiguration von Technik und Geschlecht im Kontext beruflicher Orientierungsprozesse In den Gruppendiskussionen zeigt sich, dass die beforschten Schüler*innen zwar unterschiedliche berufliche Selbstentwürfe miteinander verhandeln, technische Berufsfelder dabei jedoch weitgehend aussparen. Diese tauchen zunächst nur sehr selten in kurzen Stellungnahmen Einzelner auf, zumeist ohne, dass daraus eine gemeinsame Diskussion entsteht. Im Rahmen kollektiver (Berufs-)Orientierungsmuster scheint das Berufsfeld Technik somit eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Wie bereits in Bezug auf die methodische Herangehensweise ausführlich dargestellt (vgl. Kapitel 6), werden die Schüler*innen daher zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt der Diskussion noch einmal gezielt auf technische Berufe angesprochen. Während demnach das Thema ›Technikberufe‹ von außen in die Diskussion eingebracht wird, ist es für die vorliegende Forschung von zentralem Interesse, inwiefern die Dimension Geschlecht von den Diskutant*innen im Zuge der thematischen Abhandlung der Fragestellung selbst relevant gemacht wird. Dabei geht es darum, auf symbolisch-normativer Ebene die Bedeutung der Differenzlinie Geschlecht herauszuarbeiten, die sich in den Alltagsdiskursen über Technik und technische Berufe dokumentiert und die beruflichen Selbstkonzepte präformiert. In theoretischer Referenz auf Butlers Konzept der Performativität sowie Foucaults diskurstheoretischen Ansatz gründet sich die nachstehende Analyse des empirischen Materials auf die Annahme, dass die kollektiven Wahrnehmungs- und Deutungsmuster der beforschten jungen Frauen (und Männer) ebenso wenig determiniert wie frei von kulturellen und normativen Vorgaben sind, die die Bereiche des Denk- und Sagbaren vorstrukturieren und ihre Orientierungs- und Handlungsmuster rahmen. Vielmehr werden die Schüler*innen selbst als Mitproduzent*innen kulturell verfestigter symbolisch-normativer Wissensordnungen begriffen, über die sich die Beziehungsmuster von Technik und Geschlecht vor dem Deutungshorizont dominanter Diskurse (re-)konfigurieren und damit verbundener Subjektpositionen (re-)konstituieren. So geht es nicht allein um das was gesagt und auf welche Weise etwas explizit oder implizit verhandelt wird. In der Bezugnahme auf Butler und

166 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Foucault wird die Wirkmächtigkeit diskursiver Ordnungen und gesellschaftlicher Normsetzungen insbesondere auch an dem erkennbar, was nicht gesagt, was verworfen oder marginalisiert wird. Des Weiteren gilt es stets den Kontext in den Blick zu nehmen, die Bedingungen, unter denen bestimmte Deutungsweisen aktualisiert, disqualifiziert oder angefochten werden und dabei zugleich die spezifische Dynamik im Diskursverlauf der jeweiligen Gruppe zu berücksichtigen. Im Verständnis der vorliegende Studie kann somit die empirische Ausgangsbasis der Gruppendiskussionen als ein Ort betrachtet werden, an dem dominante und dabei mitunter divergierende Diskurs- und Wissensordnungen und darin transportierte normative Anforderungen und (Be-)Deutungsmuster bearbeitet und verhandelt werden, zu denen sich die befragten jungen Frauen und Männer im Rahmen ihrer Identitätsentwürfe und Selbstkonzepte ins Verhältnis setzen (müssen). Dabei interessiert, wie die Proband*innen vor dem Hintergrund ihres diskursiv gerahmten Erfahrungswissens als (Re-)Produzent*innen wirklichkeitsmächtiger Vorstellungen von Technik und Geschlecht in Erscheinung treten und dabei zum einen hegemoniale Technik- und Berufsbilder sowie zum anderen subjektkonstituierende (Geschlechter-)Normen aktualisierten und fortgeschrieben aber auch verschieben, variieren und subversiv unterlaufen. Die Dimensionen Technik und Geschlecht bilden somit die zentralen Bezugskategorien, auf denen im Folgenden die Darstellung der Analyseergebnisse aufruht. Darauf aufbauend, werden die sich in der gemeinsamen Abhandlung der Fragestellung dokumentierenden dominanten Deutungsmuster von Technik und Geschlecht, die als handlungsleitendes Orientierungswissen die Wahrnehmungen und Selbstinterpretationen der Proband*innen prägen, sowie die Art und Weise, wie die darin eingebundenen Anweisungen an beruflich-geschlechtliche Identitätsentwürfe beantwortet werden, herausgearbeitet und durch beispielhaft ausgewählte Sequenzen aus den Gruppendiskussionen empirisch unterlegt. In einem ersten Schritt richtet sich der Blick zunächst darauf, was die befragten Schüler*innen unter Technik und technischen Berufen verstehen, welche dominanten Diskursformationen und Wissensordnungen sich in den geteilten Vorstellungen und Überzeugungen dokumentieren, welche kategorialen Zuweisungen fachzugehöriger Subjektivität vor diesem Hintergrund verhandelt werden und wie sich die jungen Frauen und Männer selbst dazu verhalten. Unter der Oberfläche scheinbarer Geschlechtsneutralität wird dabei versteckten Mustern der Vergeschlechtlichung nachgespürt (Kapitel 7). In einem zweiten Schritt werden unterschiedliche Positionierungsweisen junger Frauen als Ausdruck der Verhandlung normativer Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Identitätsentwürfe herausgearbeitet, die im Kontext einer technischen Berufswahlorientierung relevant (gemacht) werden. Hierin liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Forschungsarbeit, deren vorrangiges Interesse darin besteht, das wirkmächtige Zusammenspiel subjektkonstituierender Normen der Anerkennung mit hegemonialen Technikbildern im Rahmen beruflicher Orientierungsprozesse junger Frauen zu erhellen und dabei sowohl Momente

Dimensionen der (Re-)Konfiguration | 167

der Reproduktion als auch der Transformation und Subversion ausfindig zu machen (Kapitel 8).

7. Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder Wie bereits mit Bezug auf das foucaultsche Diskursverständnis herausgestellt wurde, umschreibt der Begriff Technik keinen objektiven oder sachlogischen Gegenstandsbereich, sondern vielmehr ein mehrdimensionales Feld differenzierter gesellschaftlicher Tätigkeitsbereiche, wissenschaftlicher und kultureller Phänomene sowie planvoller Verfahrensweisen. Seine Bedeutungsdimensionen lassen sich nicht festschreiben, sondern sind als soziale und historische Konstrukte zu begreifen, in denen vielschichtige wissenschaftliche wie alltagsweltliche Wissensformationen, Bedeutungszusammenhänge, Denkstrukturen und Handlungsmuster miteinander verwoben sind, die im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse wiederkehrend Bedeutungsverschiebungen erfahren (vgl. Paulitz 2010, S. 27; Paulitz und Ziegler 2015, S. 26ff.; Wensierski 2015, S. 26; Kapitel 4.2). Geht es um die Frage, warum sich junge Frauen nach wie vor nur selten für einen technischen Beruf entscheiden, ist es zunächst erhellend danach zu fragen, wie die Proband*innen selbst Technikberufe wahrnehmen und wofür diese aus ihrer Perspektive stehen. Denn bei der Entwicklung eines technischen Fachinteresses und in der Folge einer entsprechenden Studienfachorientierung, spielen die Bilder und Vorstellungen von Technik und technischen Berufen, die junge Menschen an der Schwelle zum Berufsleben verinnerlicht haben, eine entscheidende Rolle (vgl. Driesel-Lange 2011, S. 3ff.; Knoll und Ratzer 2010, S. 54; Mucha 2014, S. 38ff.; Schuster et al. 2004, S. 37). Wie in Kapitel 4 mit Bezug auf Foucault und Butler dargelegt wurde, sind Bedeutungen und Sinnstrukturen trotz manch Beharrungstendenzen unbeständig, variabel und kontextgebunden und unterliegen fortwährenden historisch-kulturellen Wandlungsprozessen, Verschiebungen und Umdeutungen. So geht es im Folgenden zunächst darum, die impliziten Wissensbestände zu rekonstruieren, auf denen sich das aktuelle Verständnis von Technik und technischen Berufen der beforschten Schüler*innen gründet. Wie lassen sich das Verständnis von Technik und Technikberufen beschreiben, das sich in dem Sprechen der jungen Frauen und Männer über berufliche Selbstentwürfe dokumentiert? Welche normativen Vorstellungen und Überzeugungen kommen in dem Alltagswissen zum Ausdruck und wie werden diese verhandelt? Inwiefern werden im Sprechen

170 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

über technische Berufe Muster der Vergeschlechtlichung (re-)produziert? Welche unterschiedlichen Vorstellungen lassen sich vor dem Hintergrund pluralistischer Diskurslinien aufzeigen und inwieweit wirken diese einschränkend oder ermöglichend?

7.1 REDUKTIONISTISCHES BERUFSVERSTÄNDNIS IM ANTIZIPIERTEN MODUS DER MONOTONIE: »… EN GANZEN TAG IM BÜRO UND VOR EM COMPUTER SITZEN« 1 Technische Berufe bieten ein breites Spektrum unterschiedlicher wissenschaftlicher Fachrichtungen und beruflicher Tätigkeitsfelder, die gegenwartsbezogene Diskurse unter dem Begriff MINT-Berufe systematisierend erfassen, wodurch zugleich die Komplexität dieses heterogenen Wissensbereichs reduziert und vereinfacht wird. In den Gruppendiskussionen zeigt sich, dass die tatsächliche Vielfalt technischer Berufe in den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern der beforschten jungen Frauen (und Männer) weitgehend ausgeblendet bleibt, während sich in den Alltagsvorstellungen oftmals einseitige Technikassoziationen aufzeigen lassen, die von stereotypen Bildern geleitet werden. Moderne Technikberufe erscheinen den meisten der Proband*innen offenbar abstrakt und schwer zu greifen, ohne dass sie einen positiven Bezug zur eigenen Lebenswelt herstellen können. Vielmehr scheint es, dass die dominierende Assoziation einer monotonen Schreibtischarbeit am Computer u.a. auch im Zusammenhang mit schulischen Erfahrungsräumen des Informatikunterrichts zu sehen ist, wie es sich immer wieder in unterschiedlichen Gruppendiskussionen und in verschiedenen Kontexten der thematischen Abhandlungen abzeichnet. In einer geschlechtshomogenen Gruppe-l2 mit Schülerinnen im Alter zwischen 17 und 19 Jahren wird auf die Frage nach technischen Berufen ein eher diffus bleibendes Berufsbild entworfen, das sich vor allem auf eine computerzentrierte Büroarbeit fokussiert und nach Ansicht der jungen Frauen, im Kontrast zu anderweitigen Tätigkeitsprofilen, wenig Attraktivität besitzt, sondern einförmig und ereignislos erscheint:

1

Aus Gründen der Lesbarkeit sind die Zitate in den Überschriften der Analysekapitel geglättet bzw. leicht gekürzt, ohne dass dadurch der Sinn der Aussage verändert wird. In den jeweiligen Sequenzen sind die Zitate dann im Original zu finden.

2

Im Zuge der Anonymisierung wurden die Gruppendiskussionen mit einem Code aus Groß- und Kleinbuchstaben versehen.

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 171

I: Arielle:

Und wie wär das so mit Jobs im TECHNISCHEN Bereich? Interessiert mich (unv.), interessiert mich eigentlich GAR nicht, ähm, also nicht wirklich jedenfalls. Meine Eltern sagens-, sagen zwar, ja, mach doch, interessiert dich das nicht, äh, gibt´s d-, oder die suchen jedenfalls Stellen, aber interessiert mich eigentlich gar nicht. Würde mich au-, würde mir auch kein SPASS machen das irgendwie.

Daniela: Auch irgendwie so en GANZEN Tag im Büro und vor em Computer sitzen, [irgendwas…] Arielle:

[Nee.

]

Daniela: … programmieren, also ich weiß nicht, da sieht ma- … Ella:

((lacht))

Cora:

Naja, es kommt ja drauf an, was de- …

Daniela: Also, [ja, aber … ] Cora: Ella:

[… was dich] interessiert. Es gibt ja Leute, die machen das GERNE. Ja.

Daniela: Ja, aber wegen de-, sag ich mal jetzt vielleicht, es gibt ja au Berufe, da wird´s mal en bisschen REISEN oder so was und des, des kannste doch da gar nicht eigentlich. Ella:

Hm, kannste des als ERZIEHER?

Brit:

Kannst doch [(unv.)

]

[((mehrere lachen))] Daniela: Ja, aber du, ich sag mal, du SIEHST was, du sitzt nicht en ganzen Tag im [Büro vor deinem …] Ella:

[Ja.]

Daniela: … Schreibkram und vor deinem Computer oder sonst irgendwas oder, hm, bist irgendwie in ner Fabrik mit lauter Maschinen und [die ganze Zeit …] Ella:

[((lacht))

]

Daniela: … dröhnt dir das die Ohren voll. Also, äh, weiß ich nicht. Ella:

((lacht))

Daniela: Also mir würd´s keinen Spaß machen.

Arielle antwortet auf die Frage nach Berufen im technischen Bereich ohne Umschweife, dass diese sie »eigentlich GAR nicht« interessieren und expliziert, dass ein solches Interesse »nicht wirklich« besteht. Im Umkehrschluss könnte dies darauf schließen lassen, dass es ein ›unwirkliches‹ Interesse gibt, ein Interesse, das nur bekundet wird, weil danach gefragt wird und Arielle um die soziale Erwünschtheit eines solchen Interesses vor dem Hintergrund aktueller MINT-Diskurse und damit verbundener Anrufungen weiß. Arielle erzählt, dass ihr ihre Eltern eine technische Berufswahloption nahelegen (»mach doch, interessiert dich das nicht«) und dies mit dem Hinweis auf gute Beschäftigungsperspektiven auf dem Arbeitsmarkt plausibilisieren würden (»die suchen jedenfalls Stellen«). Ohne zwischen einzelnen Berufen zu differenzieren, wird allein aufgrund des Kriteriums vermeintlich zu-

172 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

kunftssicherer Erwerbschancen das technische Feld als solches von den Eltern als wünschenswert für die berufliche Orientierung der Tochter wahrgenommen. Indem Arielle ihre Eltern wörtlich zitiert, wird deutlich, dass es sich hier um eine unmittelbare Erfahrung handelt, wobei in der Frage ihrer Eltern, ob Arielle sich nicht für Technik interessiere, eine gewisse gegenteilige Erwartungshaltung mitschwingt. Doch Arielle interessieren technische Berufe »gar nicht« und sie geht davon aus, dass ihr diese »keinen SPASS« machen würden. Die Betonung deutet darauf hin, dass die Antizipation von Spaß im Beruf für sie von grundlegender Bedeutung ist bzw., dass Spaß zu haben, für sie ein legitimes Argument für oder gegen einen Beruf darstellt. Daniela knüpft ergänzend an Arielles Stellungnahme an (»Auch«) und führt aus, was sie sich konkret unter einer technischen Berufstätigkeit vorstellt. Dabei wird deutlich, dass sie kein fundiertes Wissen über den Arbeitsalltag in einem technischen Beruf hat, sondern diesen eher imaginiert (»irgendwie«). Dabei entwirft sie ein Bild, in welchem sie die Ausschließlichkeit einer sitzenden und damit bewegungsarmen Bürotätigkeit betont (»en GANZEN Tag im Büro«), die durch die Festlegung auf eine bestimmte Platzierung, nämlich »vor em Computer« zusätzlich einschränkend anmutet. Würde eine Arbeit am Computer allein in der heutigen Gesellschaft noch nicht unbedingt auf einen technischen Beruf schließen lassen, so wird diese durch die Tätigkeitsbezeichnung »programmieren« in Danielas Verständnis eindeutig als technisch kodifiziert und damit indirekt auf das Berufsfeld Informatik reduziert. Worum es beim Programmieren bspw. gehen könnte, ist für Daniela entweder nicht klar oder für ihre Einschätzung unerheblich (»irgendwas«). Arielle bekräftigt indes die ablehnende Haltung ratifizierend (»Nee«). Daniela fährt fort, Zweifel an einer solchen beruflichen Perspektive zu äußern (»also ich weiß nicht«), kommt jedoch nicht dazu, diese näher auszuführen, da ihr nun Cora ins Wort fällt. Cora stimmt ihren Mitschülerinnen nicht uneingeschränkt zu (»Naja«) und wendet antithetisch differenzierend ein, dass die Einstellung gegenüber technischen Berufe von dem jeweiligen Interesse abhängt (»kommt ja drauf an, was dich interessiert«), womit sie den propositionellen Gehalt der bisherigen Darstellung in ihrem Geltungsbereich begrenzt bzw. diesen an bestimmte Modalitäten rückbindet. Gleichzeitig erzeugt sie vergemeinschaftend die soziale Position eines ›wir‹ durch die Konstruktion eines »die«, einer imaginären Gruppe ›Anderer‹ – im Sinne von ›othering‹3 –, die »das GERNE [machen]« und deren Existenz als Faktum normativ 3

›Othering‹ ist ein Begriff, der von der indisch-US-amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak (1985) geprägt wurde und verbal-diskursive Handlungen beschreibt, in denen – verkürzt dargestellt – die eigene (Gruppen-)Identität durch die abwertende Abgrenzung von und Distanzierung zu als anders definierten Gruppen profiliert wird.

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 173

gesetzt wird (»Es gibt ja Leute«, Hervorh. M.S.).4 Im Kontrast zu dieser anonymen Gruppe »Leute« wird die bisher übereinstimmend geäußerte Ablehnung technischer Berufe als gemeinsame Orientierung für die eigene Gruppe konstitutiv. Ella ratifiziert validierend (»Ja«). Ebenso Daniela, die jedoch zugleich auch Widerspruch äußert, den sie zu begründen sucht (»Ja, aber wegen«), wobei sie sich zunächst unsicher bezüglich ihrer nachfolgenden Argumentation äußert (»sag ich mal jetzt vielleicht«). Sie weist auf die Existenz einer von ihr nicht näher spezifizierten Gruppe von Berufen hin, denen sie exemplifizierend die Möglichkeiten zu »REISEN« zuschreibt, während sie dies technischen Berufen abspricht (»des kannste doch da gar nicht«). Das abschließende »eigentlich«, lässt dabei ihre Aussage nicht restlos überzeugt erscheinen. Reisen und damit verbundene Assoziationen von abwechslungsreichen Erlebnissen werden hier als positiver Kontrast zum Bild technischer Berufe gesetzt, die sich in Danielas Vorstellung somit über das konstituieren, was sie nicht sind, nämlich abwechslungs- und erlebnisreich. Ella bringt Zweifel an der Gültigkeit dieses Arguments zum Ausdruck (»Hm«) und hinterfragt kritisch, ob berufliches Reisen als »ERZIEHER« möglich wäre und greift damit auf eine von Daniela in der vorangegangenen Diskussion in Betracht gezogene Berufswahloption zurück. Das entlarvende Lachen der Mitschülerinnen scheint sich hier auf das Aufzeigen einer Schwachstelle in Daniela Argumentation zu beziehen. Daniela lenkt daraufhin ein (»Ja«) und erklärt, dass ihrer Ansicht nach auch der Erzieher*innenberuf mit visuellen Eindrücken verbunden sei (»du SIEHST was«), im kontrastiven Gegensatz zu einer begrenzenden technischen Berufstätigkeit, die erneut dadurch charakterisiert wird, den »ganzen Tag im Büro« vor dem »Computer« zu »sitz[en]« und sich mit »Schreibkram« zu befassen. Dieser negative Gegenhorizont wird von ihr im Weiteren untermauert, indem sie ihn um das alternative Szenario einer Arbeit »in ner Fabrik mit lauter Maschinen« erweitert, die von einer starken Lärmbelastung gekennzeichnet sei (»dröhnt dir das die Ohren voll«). Daniela endet, indem sie erneut die Zweifelhaftigkeit einer derartigen beruflichen Perspektive äußert (»Ich weiß nicht«) und kommt ebenso wie eingangs Arielle zu dem Schluss, dass ihr dies »keinen Spaß« machen würde. In der Folge strukturidentischer Meinungsäußerungen kommt ein gemeinsames Orientierungsmuster in Form der Ablehnung technischer Berufe auf Grundlage homologer Annahmen und Überzeugungen zum Ausdruck. In den Vorstellungen der jungen Frauen sind technische Berufe durch eine monoton und ereignislos erscheinende Schreibtischarbeit am Computer und der abstrakt erscheinenden Tätigkeit des Programmierens gekennzeichnet, während die Ebene zwischenmenschlicher Interaktion hier ausgeblendet bleibt. Auch werden der Sinn und Zweck einer 4

Oftmals wird in den Gruppendiskussionen Aussagen normative Gültigkeit durch die Formulierung als Tatsachen verliehen, was durch Füllwörter wie bspw. ›es ist einfach so‹, ›es ist halt so‹ oder ›es ist ja so‹ zusätzlich unterstrichen wird.

174 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

solchen Arbeit nicht mit Bedeutung gefüllt, sondern bleibt diffus (»irgendwas programmieren«; »Schreibkram«; »oder sonst irgendwas«). Die assoziative Verknüpfung von Technikberufen mit Computern und Programmieren erweist sich in den Wahrnehmungsmustern der befragten jungen Frauen als zentral und findet sich in der überwiegenden Mehrheit der Gruppendiskussionen wieder, wobei dieses Bild im thematischen Verlauf der Diskussionen oftmals wiederholt aufgerufen, aktualisiert und gemeinsam bearbeitet wird, was auf seine hohe Relevanz im Rahmen der Verhandlung einer gemeinsamen Orientierung schließen lässt. Alternativ zum computerzentrierten Berufsbild wird in der oben aufgeführten Sequenz auch auf Fabrikarbeit an Maschinen verwiesen, worin sich ein eher traditionelles Technikverständnis widerspiegelt , das im historischen Kontext mit der industriell-kapitalistischen Gesellschaftsentwicklung zu betrachten ist (vgl. Döge 2006, S. 47f.; Teubner 2009, S. 178f.; Wajcman 1994, S. 166; Kapitel 3.3). Ebenso wie die Schülerinnen der Gruppe-l verbinden auch die 14- bis 16-jährigen Schülerinnen und Schüler der Gruppe–D technische Berufe an erster Stelle mit einer monotonen Arbeit am Computer. Im unmittelbaren Vorfeld der nachstehenden Sequenz geht die Schülerin Gesche auf die Frage der Interviewerin in Form einer kurzen Erzählung über ihren Vater ein, der »Informatiker« sei, wobei sie sich dessen offenbar nicht ganz sicher ist (»auf jeden Fall tippt er so was«). Sie hat demnach nur eine ungefähre Vorstellung davon, was das berufliche Alltagshandeln ihres Vaters ausmacht. Was sie einerseits an dem Beruf ihres Vaters »ganz interessant« findet, ist, dass er »viel in der Welt unterwegs« ist. Andererseits bedeutet dies aber auch, dass »er so viel arbeitet«, dass er viele Überstunden sammelt. Es folgt eine kurze Sequenz, in der sich die Schüler*innen über Väter und Stiefväter austauschen, bevor nun Christoph mit einer persönlichen Stellungnahme an Gesches Eingangserzählung anknüpft: Christoph: Ja, ich HATTE mal so ne TECHNISCHE Phase, da wollt ich irgendwas mit Technik werden, da hab ich mich auch sehr mit em PC beschäftigt und so programmieren, das hab ich mal versucht und auch sehr viel dabei gelernt, aber so das als BERUF zu machen, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, den ganzen Tag nur am PC zu sitzen, da vergammelt man ja fast ((lacht)). Helene:

((lacht))

Elisa:

Also mein Vater ist Grafikdesigner auch und, also das macht er auch so nebenbei. Da hab ich auch schon manchmal zugeguckt, aber, also manchmal ist mir das en bisschen zu kompliziert so, weil ich das alles immer angucke, wie er das alles macht. Und meine Nachbarin ist BAUZEICHNERIN, also auch alles am PC und da denk ich auch manchmal so, was ist das? Also [was macht sie da …]

Gesche: Elisa:

[Aber [… eigentlich?

]

]

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 175

Gesche:

[… wenn man das] [studiert hat …]

Helene:

[So en bisschen ] [Praktisches [also …

] will man doch AUCH machen zwischendurch,

]

Gesche:

[… dann …]

Elisa:

Das braucht man nicht studieren.

Gesche:

Ja okay.

Helene:

Nee ich möcht [schon …]

Gesche:

[Aber

] wenn man´s gelernt hat, wenn man sich [damit…]

Elisa:

[Ja.

Gesche:

… auseinander gesetzt hat …

Helene:

[Aber ich kann doch …]

Gesche:

[… ich meine, früher

]

] wenn du Wurzel ziehen und so gesehen hast, dachtest

du das auch, oh Gott, was ist das denn [jetzt. Elisa:

]

[Ja ((lacht)).]

Dirk:

((lacht))

Gesche:

Und jetzt kann man sich oder … (mehrfach unv.)

Flora:

Man sollte es können.

Anton:

Ja.

((mehrere lachen)) ((mehrere lachen)) Helene:

Aber so ein bisschen was in der HAND haben, glaub ich, hm, müsste ich SCHON,

Anton:

Ja.

Helene:

… ich könnt nicht den ganzen Tag nur am Computer sitzen.

wenn´s …

Christoph erzählt, dass es in seiner Biographie eine »TECHNISCHE Phase« gab, in der er beabsichtigte, einen technischen Beruf zu ergreifen (»wollt ich irgendwas mit Technik werden«). Dabei betont er, dass dieser Lebensabschnitt der Vergangenheit angehört (»HATTE«), in der er sich »sehr« mit Computern und dem Vorgang des Programmierens auseinandergesetzt und sich dabei Fähigkeiten und Kompetenzen angeeignet hat (»auch sehr viel dabei gelernt«), was die Ernsthaftigkeit seiner damaligen Absichten unterstreicht. »[D]as als BERUF zu machen«, kann er sich dagegen heute »überhaupt nicht mehr vorstellen« und ist für ihn mit der Annahme verbunden »den ganzen Tag nur am PC zu sitzen«, was ihm destruktiv erscheint (»da vergammelt man ja fast«).5 Seine Einstellung bezüglich einer zeitintensiven 5

Die Formulierung »da vergammelt man ja« kann als Ausdruck jugendkultureller Umgangssprache betrachtet werden, die der Abgrenzung gegenüber einer technischen Berufswahloption dient. Gleichzeitig ist nicht auszuschließen, dass hier medienpädagogisch orientierte (Erwachsenen-)Diskurse zitiert werden, in denen eine Freizeitgestaltung von

176 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Beschäftigung mit dem Computer hat sich demzufolge im Laufe seiner biographischen Entwicklung umgekehrt. Was zu diesem Orientierungswandel geführt hat, wird von ihm nicht weiter erläutert und seitens der Mitschüler*innen auch nicht nachgefragt. Elisa knüpft mit der Schilderung eigener Beobachtungen aus ihrem familiären und nahen Umfeld an. Ihrem Vater, der »nebenbei« als »Grafikdesigner« arbeite, hat sie bei dieser Arbeit hin und wieder »zugeguckt« und findet sie »en bisschen zu kompliziert«. Auch ihre »Nachbarin« arbeite als »BAUZEICHNERIN« ausschließlich am Computer (»alles am PC«). Dabei erschließt sich für Elisa nicht der Sinn der beobachteten Handlungen (»was ist das? Also was macht die da?«). Hier wird eine Diskrepanz deutlich, zwischen dem Erkennen, das etwas am Computer getan wird und der Erkenntnis, was diese Handlungen bedeuten, wozu sie dienen und was sie bewirken. Während das Eine außenperspektivisch beobachtbar ist, erschließt sich das Andere nicht aus sich selbst heraus, sondern entzieht sich der unmittelbaren Wahrnehmung und erscheint damit abstrakt, komplex und undurchsichtig. Helene schließt argumentationslogisch an Elisas Schilderungen an und folgert den grundlegenden Wunsch nach praktischen Anteilen in einer etwaigen Berufstätigkeit (»en bisschen Praktisches will man doch AUCH machen zwischendurch«). Sie spricht hierbei nicht von sich, sondern verallgemeinernd von »man«, was ihrer Aussage einen intersubjektiven Charakter verleiht. Gesche erhebt einen Einwand (»Aber«) und setzt zu einer Argumentation an, in der sie ein einschlägiges Studium fiktiv voraussetzt (»wenn man das studiert hat«). Doch bevor sie näher ausführen kann, worum es ihr geht, stellt Elisa klar, dass man die von ihr benannten Berufe nicht zu studieren braucht. Gesche lenkt daraufhin ein (»Ja okay«) und modifiziert ihre folgenden Ausführungen entsprechend. Dem von Elisa geäußertem Unverständnis setzt sie eine erlernte fachliche Professionalität auf der Grundlage einer direkten Auseinandersetzung mit dem Gegenstand entgegen (»Aber wenn manʼs gelernt hat, wenn man sich damit auseinandergesetzt hat«). Statt das Berufsfeld als unbegreiflich zu problematisieren, verweist sie verallgemeinernd auf die Möglichkeit der aktiven Aneignung. Sie bekräftigt dieses Argument durch die beispielhafte Bezugnahme auf den konjunktiven Erfahrungsraum Schule und der mathematischen Wurzelberechnung, die einst unbegreiflich erschien (»früher […] dachtest du […], oh Gott, was ist das denn«). Hier zeugt die direkte Ansprache im »du« von einem unmittelbar geteiltem oder zumindest strukturidentischen Erfahrungskontext. Heute dagegen beherrsche »man« dieses mathematische Verfahren (»Und heute kann man«) bzw. »[m]an sollte es können«, wie sie revidiert und dabei den normativen Kindern und Jugendlichen in Form einer (zeit-)intensiven Beschäftigung mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien eher kritisch hinsichtlich möglicher psycho-sozialer Folgen betrachtet wird (vgl. auch Tully 2003, S. 22; Wensierski und Sigeneger 2015, S. 35f.).

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 177

Gehalt dieser Erwartungshaltung bezüglich der Verinnerlichung von Lehrinhalten zum Ausdruck bringt, während sie gleichzeitig die Gültigkeit ihrer Aussage einschränkt. Das Lachen der Schüler*innen an dieser Stelle verdeutlicht die innere Kohärenz der Gruppe. Was Gegenstand des einstimmigen Humors ist, scheint den Mitgliedern unmittelbar einsichtig zu sein und bedarf für sie keiner Erklärung. Dies zeugt von einem gegenseitigen Verstehen auf der Grundlage einer geteilten Erfahrungsschichtung in der kollektiven Alltagswelt Schule. Helene führt den Gedanken von Gesche nicht fort, sondern betont noch einmal, dass es für sie hinsichtlich einer späteren Berufstätigkeit wichtig ist »was in der HAND [zu] haben [Erg. M.S.]«, folglich sich mit etwas Greifbaren zu beschäftigen. Anton ratifiziert ihre Ausführungen validierend (»Ja«). Der Wunsch nach praktischer Tätigkeit steht für Helene im Gegensatz zu einer sitzenden Arbeit ausschließlich am Computer, von der sie sich erneut abgrenzt (»ich könnt nicht den ganzen Tag nur am Computer sitzen«). Was sich an diesem Ausschnitt exemplarisch verdeutlichen lässt, ist, dass es den jungen Menschen an einem differenzierteren Wissen über technische Berufe mangelt sowie an konkreten Vorstellungen über die Sinnhaftigkeit von damit verbundenen Arbeitsprozessen, -zielen und -ergebnissen. Dies ist jedoch als eine grundsätzliche Voraussetzung anzusehen, um überhaupt ein Interesse an diesem beruflichen Tätigkeitsbereich zu entwickeln. So dokumentiert sich in dem Sprechen über technische Berufe immer wieder ein stark reduziertes Bild des ausschließlichen Sitzens am Computer, was den Jugendlichen in keiner Weise reizvoll und sinnstiftend, sondern vielmehr als monoton, bewegungslos und dabei mitunter stumpfsinnig erscheint und dem der Wunsch nach einer praktischen und (be-)greifbaren Tätigkeit als positiver Gegenhorizont entgegen gesetzt wird. Das folgende Beispiel der geschlechtshomogenen Gruppe-k mit 17- bis 19-jährigen Schülerinnen zeigt noch einmal die enge assoziative Verknüpfung von Technikberufen mit Computern und einer Programmiertätigkeit auf, wie es sich in vielen der Gruppendiskussionen nachzeichnen lässt. Dabei werden im Zuge der gemeinsamen Bearbeitung der Fragestellung unterschiedliche technische Berufsprofile im Sinne abstrakter Algorithmen und handwerklicher Tätigkeiten gegeneinander abgegrenzt und kontrovers verhandelt: Carina:

Ich ha-, ich weiß halt nicht, bei Computern hab ich erst mal nicht die Geduld, mich da stundenlang hinzusetzen, zum [Beispiel …]

Dana: Carina:

[Hmhm.

]

… jetzt irgendwie, irgendwas zu PROGRAMMIEREN und irgendwelche …

Dana:

Hmhm.

Carina:

… SPIELE oder keine Ahnung, Webseiten zu [erstellen …]

Bianka:

[((lacht))

]

178 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Carina:

… da, ich hätte DAZU auch einfach die Gedu-, Geduld nicht, mich interessiert das auch NICHT so sehr, mi-, und dann sich dann NUR den ganzen Tag wirklich am Computer zu sitzen und IRGENDWAS da [rum …]

Dana:

[Hmhm.]

Carina:

… zu klimpern und NUR da reinzustarren und die ganze Zeit auf so en Bildschirm.

Dana:

Aber [zum … ]

Carina: Dana:

[Wär mir] zu … … Beispiel hat [also mein Papa …]

Carina: Dana:

[… blöd, glaub ich.] … sein bester Freund, der IST, ähm, Softwareinstallierer oder irgend so was und der fährt halt immer zu großen Firmen und installiert dann dort irgendwas in die Computer. Und das macht der halt, ist ja eigentlich fast überall dasselbe und der kriegt SO VIEL Kohle, ((lacht)) dass er gar nicht [weiß, wohin damit, nein …] [((mehrere lachen))

Dana:

]

… wirklich. Der kriegt übelst viel Geld und muss eigentlich nur bei nem Computer irgendwo was eintippen und was machen.

Bianka:

Ah ich find das auch irgend-, das so mit REGAL zusammenbauen, was du vorhin erzählt hast, find ich eigentlich AUCH ganz cool, weil du da am Ende irgendwie SIEHST, was du [gemacht hast. Also ja …

Dana:

]

[Ja, weil du halt was, weil was dabei] [wirklich rauskommt. ]

Carina:

[Und du kannst es auch] [anfassen.]

Bianka: Dana:

[Ja. ((lacht)) [((lacht))

Carina:

[Und es ist nicht nur da …]

Bianka:

[Ja.

Carina:

]

… in so nem BILD[schirm drin.]

Dana:

[Und da we-,] bei nem [Auto …]

Bianka: Dana:

]

]

[Ja.

]

…wenn´s dann [wieder anspringt oder wenn irgendwas geht…]

Carina:

[Dann sag ich, ist doch SCHÖN, ich hab jetzt das und das wieder…]

Bianka:

Ja.

Carina:

… programmiert oder [so. Toll. Wunderbar.] [((mehrere lachen)) ]

Carina scheint unsicher zu sein, wie sie sich zu technischen Berufen positionieren soll (»ich weiß halt nicht«). In Bezug auf »Computer« ist sie zunächst (»erst mal«) der Ansicht »nicht die Geduld« zu haben, um sich »stundenlang hinzusetzen« und bspw. »irgendwas zu PROGRAMMIEREN«, wie »SPIELE« oder »Webseiten«. Diese Beispiele weisen einen Bezug zur Alltagswelt der Jugendlichen in Freizeit

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 179

und Schule auf,6 doch scheint Carina darüber hinausgehend keine klaren Vorstellungen davon zu haben, was genau eine solche Arbeit beinhalten oder zum Ziel haben könnte (»irgendwie, irgendwas«, »irgendwelche«, »keine Ahnung«). Sie hebt erneut hervor »DAZU« nicht die »Geduld« und außerdem auch kein großes Interesse daran zu haben (»mich interessiert das auch NICHT so sehr«). Was genau sie nicht interessiert, konkretisiert sie damit, ausnahmslos (»den ganzen Tag«, »wirklich«, »die ganze Zeit«) »am Computer zu sitzen«, dabei »IRGENDWAS« ihr offenbar nicht verständliches zu tun (»da rum zu klimpern«) und den Blick ausschließlich auf den Monitor zu fixieren (»NUR da rein zu starren […] auf so en Bildschirm«). Dass ihrer Ansicht nach die Ausübung eines technischen Berufs am Computer und das Schreiben von Programmen Geduld und damit Beharrungsvermögen erfordert, verstärkt noch die angenommene Monotonie und Bewegungslosigkeit eines unentwegten Sitzens und Starrens auf den Computerbildschirm. Dagegen bleibt die Vorstellung von dem eigentlichen Tätigkeitinhalt vage und wird abschätzig als ›Rumklimpern‹ bezeichnet, was sich vermutlich auf beobachtbare Eingabebefehle per Computertastatur bezieht. Ein solches Tätigkeitsprofil erscheint Carina nicht nur nicht erstrebenswert, sondern geradezu stumpfsinnig (»Wär mir zu blöd, glaub ich«). Dana, die Carinas Ausführungen wiederholt ratifiziert (»Hmhm«), elaboriert nun antithetisch (»Aber«) ein Beispiel aus ihrer Erlebniswelt. Sie erzählt, dass der »beste Freund« ihres Vaters Informatiker in der Kundenbetreuung sei und bei »großen Firmen« Software installiere (»der IST Softwareinstallierer«). Ganz sicher scheint sie bezüglich der konkreten Berufsbezeichnung nicht zu sein (»oder irgend so was«). So beschreibt sie erklärend, was sie damit meint, nämlich, dass dieser Freund zu »großen Firmen« fährt, was seinem Auftrag eine gewisse Bedeutsamkeit verleiht, und »dort irgendwas in die Computer [installiert]«. Indem Dana akzentuiert, dass es sich hierbei um den »besten Freund« ihres Vaters handelt, macht sie deutlich, dass sie aufgrund der sozialen Nähe fundierte und belastbare Kenntnisse hat. Sie betont, dass dieser Freund für routinemäßige Arbeitsabläufe (»ist ja eigentlich fast überall dasselbe«) außerordentlich hoch bezahlt werde (»der kriegt SO VIEL Kohle, dass er gar nicht weiß, wohin damit«). Das Lachen ihrer Mitschülerinnen deutet darauf hin, dass Danas metaphorische Formulierung als stilistische Übertreibung interpretiert wird, woraufhin diese versichert, dass ihre Aussage inhaltlich zutreffend sei (»nein wirklich«). Noch einmal unterstreicht sie, dass der Betreffende unverhältnismäßig viel Geld (»Der kriegt übelst viel Geld«) für eine ihr geradezu anspruchslos erscheinende Tätigkeit erhalte (»muss eigentlich nur bei nem Computer irgendwo was eintippen«).

6

An anderer Stelle erzählen die Schülerinnen der Gruppe-k von dem Programmieren einfacher Webseiten im Rahmen des Informatikunterrichts in der Schule (vgl. Kapitel 8.4).

180 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Mit dieser erzählenden Beschreibung erweitert Dana das bisher durch Eintönigkeit gekennzeichnete Berufsbild um neue Aspekte. Im Vordergrund steht dabei eine monetäre Orientierung an einem hohen Einkommen bei gleichzeitig denkbar geringem Arbeitsaufwand. Darüber hinaus zeigt sie mit diesem Beispiel auf, dass auch technische Berufe, selbst im Bereich Informatik, nicht allein mit einer Tätigkeit am Schreibtisch und am Computer, sondern auch mit (Dienst-)Reisen verbunden sein und somit Abwechslung bieten können.7 Das Reisen dient dabei dem direkten Kund*innenkontakt und verweist auf interaktionale und kommunikative Aspekte des beruflichen Tätigkeitsprofils. Dies ist interessant, da technische Berufe von den befragten Schüler*innen in den Gruppendiskussionen vielfach aufgrund eines angenommenen Mangels an zwischenmenschlichen Kontakten ausgeschlossen werden, wie sich im Zuge der weiteren Analyse zeigt. Die Gruppe knüpft jedoch nicht an Danas Ausführungen an und scheint den darin enthaltenden Aussagen damit keine weitere Relevanz beizumessen. So nimmt das Lachen, mit dem die Mitschülerinnen auf die (Über-)Betonung des angeblich leicht verdienten, geradezu massenhaften Geldes reagieren, ihrer Schilderung die Aussagekraft. Bianka nimmt in ihrer nun folgenden Stellungnahme (»ich find das auch«) Bezug auf eine Erzählung Danas in einem vorangegangenen Diskussionsabschnitt, wo es um Spaß am Zusammenbauen von Möbeln für das eigene Jugendzimmer ging (»was du [Dana] vorhin erzählt hast«, Anm. M.S.). Bianka findet es »AUCH ganz cool«, Möbel zusammenzubauen und begründet dies mit der Sichtbarkeit des Arbeitsergebnisses (»weil du da am Ende irgendwie SIEHST, was du gemacht hast«). Dana pflichtet ihr bei (»Ja«) und ergänzt, dass dabei »wirklich« etwas »rauskommt« Dies lässt den Umkehrschluss zu, dass ihrer Ansicht nach bei einer technischen Arbeit am Computer kein ›wirkliches‹ Ergebnis erzielt wird. Was »wirklich« meint, wird nun durch Carina konkretisiert, die hinzufügt, dass ein solches Arbeitsresultat auch mit Händen greifbar und damit gegenständlich sei (»du kannst es auch anfassen«). Dana führt als weiteres Beispiel ein »Auto« an, das nach erfolgter Reparatur »wieder anspringt«,8 womit die Wirksamkeit der eigenen Handlung als Erfolg erlebt werden kann. Die Gemeinsamkeit der Orientierung an praktischer, hier handwerklicher, Tätigkeit wird von Carina noch einmal in Abgrenzung zu den als abstrakt wahrgenommenen Tätigkeiten des Programmierens oder Installierens von Software hervorgehoben, deren Resultate »nur da in so nem BILDschirm drin« sind, sich folglich nicht materialisierten und ohne erkennbaren Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen erscheinen. Verstärkt wird dieser Effekt noch einmal durch die Ironi7

Gerade der Aspekt ›Reisen‹ wurde in der Anfangssequenz des Kapitels 7.1 von den Schülerinnen der Gruppe-l explizit infrage gestellt.

8

In der vorangegangenen Diskussion wurde der Kfz-Bereich als Berufswahloption von den Schülerinnen der Gruppe-k kontrovers diskutiert. Dieser Sequenzabschnitt wird an späterer Stelle noch eingehend analysiert (vgl. Kapitel 8.2).

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 181

sierung, mit der Carina eine fiktive Selbstaussage bezüglich einer derartigen Arbeitsroutine formuliert (»ich hab jetzt das und das wieder programmiert«), in der sie betont übertrieben Begeisterung zum Ausdruck bringt (»SCHÖN«, »Toll. Wunderbar«). Das Lachen ihrer Mitschülerinnen wirkt hier einvernehmlich und scheint die Gemeinsamkeit dieser Sichtweise zu bekräftigen. Auch in dieser Sequenz grenzen sich die Schülerinnen von einem beruflichen Tätigkeitsprofil des Sitzens und Programmierens am Computer ab, durch das sie technische Berufe gekennzeichnet sehen. Darüberhinausgehende Aspekte werden zwar vereinzelnd angesprochen, fließen jedoch nicht in die gemeinsame Verhandlung ein. Erneut wird der dominierenden Vorstellung einer stumpfen Beschäftigung am Computer, verbunden mit abstrakten Arbeitsresultaten die Orientierungsfigur einer praktischen und handfesten Tätigkeit, deren Wirksamkeit unmittelbar erkennund greifbar ist, positiv entgegengesetzt. Wie und auf welche Weise sich in den dominierenden Wahrnehmungen und Bedeutungssetzungen der jungen Frauen Vergeschlechtlichungen widerspiegeln, gilt es im Weiteren genauer in den Blick zu nehmen.

7.2 DISKURSIVE DISTINKTIONSPRAKTIKEN ENTLANG DER DIFFERENZMARKIERUNG TECHNISCHER KOMPETENZ: »… DA MUSST DU SO MIT AUFGEWACHSEN SEIN« Wie deutlich wird, teilen viele der beforschten Schüler*innen im Rahmen der Diskussionen ein einseitiges Bild technischer Berufe als monotone Tätigkeit am Computer, die für sie keinerlei Attraktivität besitzt. Damit einher gehen Vorstellungen von bestimmten Persönlichkeiten, die sie mit einer solchen Beschäftigung verbinden und denen sie identitätsrelevante Eigenschaften und Merkmale kategoreal zuschreiben, während sie Bezug auf gesellschaftlich gängige Stereotype nehmen, diese aktualisieren und fortschreiben. Nach Ansicht der Schüler*innen kommen Technikberufe folglich nur für bestimmte Charakteren infrage, zu denen sie sich in diskursiven Praktiken von ›doing difference‹ abgrenzend positionieren. Zugleich wird die Herausbildung einer technikzugewandten Berufswahlorientierung oftmals an bestimmte Voraussetzungen (rück-)gebunden, im Zuge deren diskursiver Entfaltung die Schüler*innen ihre eigene ablehnende Haltung begründen und leimigeren. So auch im folgenden Diskussionsabschnitt der geschlechtsheterogenen Gruppe-h mit Schüler*innen im Alter von 17 bis 19 Jahren:

182 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

I:

Und wie ist das mit Technikberufen?

Babette: ((lacht)) Anouk:

Naja, das [kommt] für mich nicht [infrage.]

Elias:

[Boah, ]

[IT,

?:

((lacht))

Elias:

Nee, also IT geht bei mir gar nicht.

Glenda:

((lacht)) [(unv.)

Elias:

] nee.

]

[Diese ganze ] [Programmiersprache …] [((mehrere lachen))

Elias:

]

… und so [was. Ich ] glaube …

Anouk:

[Ja, genau. ]

Elias:

… muss man sich schon vorher mit so was beschäftigen.

Clara:

Ja.

Anouk:

Also [ich] kenn halt auch genug Leute, die das in Erwägung ziehen.

Babette:

[Ja. ]

Anouk:

Aber die sind auch alle schon völlig Freaks so.

Glenda:

[Ja. ]

Anouk:

[Also] die kennen sich damit aus, so wie mit meinem PC neulich, ja, der ist kaputt gegangen und ich hatte DREI Ansprechpartner, die mir den heile machen konnten ((lacht)).

David:

((lacht))

Anouk:

Also von daher, das ist [äh, schon

Glenda: Anouk:

]

[Ja. ] Aber die kennen sich einfach so richtig …

Glenda:

Ja.

Anouk:

… gut [damit] aus so und …

Elias: Anouk:

[15.

… nicht beruflich, die machen [auch] Abi so, ne.

Babette: Anouk:

] also [die machen] das ja …

[((lacht)) Drei.]

[Ja.

]

… deswegen, ich glaube, da musst du von ANFANG an Interesse dran haben [so …]

Glenda: Anouk:

[Hmhm.] … da musst du so mit aufgewachsen sein, glaub ich, [so …]

Elias: Anouk:

[Ja. ] … dass du von Anfang an so schon irgendwelche Sachen programmiert ((lacht)) hast schon oder [keine Ahnung oder so, …]

Babette: Anouk:

[Spiele selber gemacht.

]

Ja genau. Aber das wäre nichts für mich, ey.

Während Babette auf die einleitende Fragestellung zu lachen beginnt, worin möglicherweise Überraschung oder Unsicherheit bezüglich einer angemessenen Stel-

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 183

lungnahme zum Ausdruck kommt, schließt Anouk sehr bestimmt technische Berufswahloptionen kategorisch aus (»Naja, das kommt für mich nicht infrage.«). Auch Elias äußert sich eindeutig ablehnend, wobei er seinem Missfallen emotional Ausdruck verleiht (»Boah«) und dabei die Frage selbstverständlich auf den Bereich der Informationstechnologie bezieht (»IT, nee.«), den auch er rigoros ausschließt (»Nee, also IT geht bei mir gar nicht«). Diese Übertragung auf den IT-Bereich wird von seinen Mitschüler*innen im weiteren Diskussionsverlauf weder infrage gestellt, noch korrigiert oder erweitert, vielmehr scheinen sie Eliasʼ Vorstellung von Technikberufen zu teilen. Babette flankiert derweil die Stellungnahmen von Anouk und Elias durch weiteres Lachen. Elias fährt fort, seine Ablehnung zu begründen, indem er auf »[d]iese ganze Programmiersprache« verweist, die für ihn offenbar primär kennzeichnend ist. Mehrere seiner Mitschüler*innen lachen verstehend und zustimmend. Während Anouk Elias beipflichtet (»Ja, genau.«), führt dieser weiter aus, dass seiner Ansicht nach (»Ich glaube«) die Wahl eines technischen Berufs an die Voraussetzung gebunden ist, sich bereits »vorher mit sowas [zu] beschäftigen [Erg. M.S.]«. Clara ratifiziert validierend (»Ja«). Worauf sich dieses »vorher« bezieht, scheint für ihn und seine Mitschüler*innen unmittelbar einsichtig und damit nicht weiter erklärungsbedürftig. Wie der weitere thematische Verlauf nahelegt, ist damit ein biographischer Zeitabschnitt gemeint, der der Phase konkreter Berufswahlentscheidung vorangestellt ist und sich damit auf Kindheit und frühe Jugend bezieht. Clara stimmt Eliasʼ Einschätzung zu (»Ja«). Anouk unterstützt Eliasʼ Ansicht anhand einer exemplifizierenden Elaboration, mit der sie Eliasʼ Einschätzung validiert. Sie erzählt mit Bezug auf ihre direkte Erfahrungswelt, dass sie eine ganze Reihe von Personen kennt (»ich kenn […] genug Leute«), die einen technischen Beruf »in Erwägung ziehen«. Doch indem sie unmittelbar ein »Aber« folgen lässt, äußert sie sogleich Bedenken hinsichtlich einer solchen beruflichen Orientierung, die sie an ein bestimmtes ›Sein‹ rückbindet, welches sie mit der personenrelevanten Bezeichnung »Freaks« als abweichend klassifiziert. Gleichsam wird damit die eigene Nicht-Orientierung an Technik im Bereich der Normalität verortet. Babette und Glenda ratifizieren validierend (»Ja.«).Was Anouk unter ›Freaks‹ versteht, erläutert sie im nun Folgenden: Die betreffenden Personen zeichnen sich ihr zufolge durch hohe technische Kompetenz im Umgang mit IT-Produkten aus (»die kennen sich damit aus«), was sie anhand der beispielhaften Erzählung einer konkreten Erfahrung aus jüngerer Zeit (»neulich«) zu verdeutlichen sucht, bei der sie auf die Unterstützung von »DREI Ansprechpartner[n]« zurückgreifen konnte – die männliche Form legt nahe, dass es sich hierbei um männliche Personen handelt –, die ihren funktionsuntüchtigen Computer kompetent zu reparieren wussten (»die mir den heile machen konnten«). Dabei hebt sie hervor, dass die von ihr gelobte Versiertheit im Umgang mit IT-Technik nicht auf beruflicher Professionalität beruhe (»die machen das ja nicht beruflich«), denn die betref-

184 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

fenden Personen gingen noch zur Schule (»die machen auch Abi«). Daraus lässt sich schließen, dass sich ein Freak in Anouks Wahrnehmung nicht allein durch technische Fachkompetenz kennzeichnet. Ausschlaggebend erscheint vielmehr, dass es sich hierbei eben nicht um eine beruflich-professionelle, sondern eher um eine persönliche Kompetenz handelt, die sich betreffende Personen eigenständig angeeignet haben. Dass sie noch einmal betont, dass diese Personen »sich einfach so richtig gut« mit Computern auskennen würden, verdeutlicht, dass die Bezeichnung ›Freak‹ eine zumindest anteilig anerkennbare, wenn auch im Grenzbereich der Abweichung situierte Identitätskategorie darstellt. Nicht eindeutig ist, wie Glendas zwischenzeitlicher Einwurf der Zahlen »Drei« und »15« zu interpretieren ist, ob ihr bspw. weit mehr als drei Personen einfallen würden, die sie im Falle eines Computerproblems anzusprechen wüsste. Damit würde sie indirekt Anouks anfängliche Aussage darüber stützen, dass es ungeachtet der gruppeninternen Einstellung gegenüber technischen Berufen eine nennenswerte Gruppe ihnen bekannter Personen gibt, die sich für Technik und IT-Berufe interessieren. Andererseits könnte sie sich auch darüber lustig machen, dass Anouk die Anzahl von drei Ansprechpartnern betont und demnach für besonders erwähnenswert hält (»DREI«). Indes äußert Anouk vor dem Hintergrund ihres expliziten Erfahrungswissens die Überzeugung (»deswegen, ich glaube«), dass ein technischer Beruf nur unter der Bedingung in Betracht gezogen wird, dass »von ANFANG an« ein Interesse an (Computer-)Technik besteht, man damit »aufgewachsen« ist und »irgendwelche Sachen programmiert« hat, womit sie letztlich Eliasʼ zuvor getätigte Aussage unterstützt. Indem die Formulierung »aufgewachsen sein« hier mit der auch in anderen Diskussionen wiederkehrenden Formulierung »von Anfang an« in einem direkten Zusammenhang steht, wird eindeutig ein Bezug zum Kindes- und frühen Jugendalter als prägende Lebensphase hergestellt. In dieser Sichtweise spiegeln sich auch sozialisationsbezogene Diskursformationen über identitätsrelevante Aneignungsprozesse in der Auseinandersetzung mit Technik in der alltäglichen Lebenswelt wider. Während Anouk offenbar mit der Artikulation weiterer Voraussetzungen ringt (»oder keine Ahnung oder so«), wirft Babette ergänzend »Spiele selber gemacht« ein, als Beispiel für frühe Programmiererfahrung. Anouk bestätigt (»Ja, genau«) und setzt sich abschließend dazu ins Verhältnis (»Aber das wäre nichts für mich, ey«). »Das« scheint sich dabei sowohl auf das Programmieren als auch auf eine damit möglich werdende technische Berufswahl zu beziehen, während Anouk mit der Interjektion »ey« noch einmal ihre abwehrende Haltung betont. In dieser Sequenz wird deutlich, wie die Schüler*innen einen biographischnormativen Bedingungszusammenhang für die Herausbildung einer technikaffinen Berufswahlorientierung konstruieren und dabei gleichzeitig die eigene Positionierung außerhalb des Technischen legitimieren. Demnach »muss« das Technikinteresse bereits von früher Kindheit an vorhanden sein (»musst du von ANFANG an

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 185

Interesse dran haben«, Hervorh. M.S.) bzw. fortwährend durch kompetenzbildende Erfahrungspraxis gefestigt und verstetigt werden (»muss man sich schon vorher mit sowas beschäftigen«; »musst du so mit aufgewachsen sein, […] von Anfang an […] Sachen programmiert«, Hervorh. M.S.). Ein konstanter Technikbezug, der ausgehend von einem frühkindlichen Erfahrungsraum als eine Art ›roter Faden‹ die Lebensgeschichte durchzieht, wird als unabdingbare Voraussetzung für ein berufsrelevantes Technikinteresse normiert, als ein obligatorisches Muss, das die Jugendlichen wiederholt aktualisieren und wechselseitig bestätigen (»Ja«; »Hmhm«; »Ja, genau«), während sie selbst sich davon abgrenzen (»das kommt für mich nicht infrage«; »geht bei mir gar nicht«; »das wäre nichts für mich«). Demgemäß folgt die Argumentation einem Exklusionsprinzip, einer Logik von ›wenn – dann‹ bzw. ›wenn nicht – dann nicht‹: Sind technikbezogene Interessen und Kompetenzen nicht bereits seit der Kindheit fest verankert, so ist die Wahl eines technischen Berufs undenkbar. Technische Berufe werden somit als außerordentlich voraussetzungsvoll wahrgenommen und dargestellt. Was sich in einer Reihe von Gruppendiskussionen auf unterschiedliche Weise dokumentiert, hat hier den Effekt die eigene negierende Haltung unumstößlich auf biographischer Ebene folgerichtig begründen zu können. Dabei werden auch an anderer Stelle immer wieder Personen aus dem sozialen Umfeld, die einen technischen Beruf in Betracht ziehen oder bereits ausführen, in Abgrenzung zur eigenen Positionierung als anders und abweichend klassifiziert. Anzumerken bleibt des Weiteren, dass sich über die Verknüpfung der Bezeichnung ›Freak‹ mit der symbolisch-kulturell männlich codierten Attribuierung technischer Kompetenz eine vergeschlechtlichte männliche Subjektposition (re-)formiert, was im Kommenden noch präzisiert wird. Denn die Argumentation entlang einer Diskursachse von Normalität und Abweichung wird im Fall der Gruppe-h im anschließenden Diskussionsverlauf weiter zugespitzt, wie die folgende Sequenz zeigt: Babette: Boah, bei mir in der Gegend wohnt so en Typ, der fährt auch immer bei mir im Zug mit, ey, der sitzt da immer und progr-, programmiert in seinen fünf Minuten, wo er da mit em Zug fährt, immer ein ganzes Spiel, und ich denk mir, was ist das für [ein Freak so.

]

[((mehrere lachen))] Babette: Das ist, das ist richtig, also ich finde, solche Leute, ne, wenn die das machen, das ist SO gut für die, ne, aber, also ich stell mir vor, wenn ich da jetzt hingehe und dann, äh, sind da nur Freaks um mich [((lacht))] und ich denk … David:

[((lacht))]

Babette: … mir, ja … Anouk:

((lacht))

Babette: … was muss ich jetzt hier machen, so also … Glenda:

Hmhm.

Babette: … das ist, ja, das stimmt schon, man muss einfach vorher auch schon …

186 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Clara:

Und dann sitzt man wieder den ganzen Tag nur vor em PC.

Anouk:

Ja, [genau.]

Glenda: Clara:

[Ja.

]

Darauf hätt ich auch, also mein Schwager ist da Programmierer und also der mag das auch und der sitzt auch ständig da zu Hause auch nur vor em PC und so, aber …

Babette: ((lacht)) [Ja.

]

Elias:

[… nee.]

David:

[Das ist, ja, ws- …

Glenda:

[Boah, ich krieg immer voll Kopfschmerzen.]

Anouk:

[Ja. ]

]

Babett schließt unmittelbar mit einer exemplifizierenden Elaboration an Anouks vorangegangenen Ausführungen an. Sie lässt ihrer Erzählung eine Interjektion vorangehen (»Boah«), die die Schilderung einer frappierenden Begebenheit erwarten lässt. Sie erzählt, dass in der näheren Umgebung ihres Zuhauses (»bei mir in der Gegend«) eine ihr nicht näher bekannte männliche Person wohnt (»so en Typ«), die regelmäßig eine kurze Stecke mit demselben Zug wie sie fährt (»in seinen fünf Minuten, wo er da mit em Zug fährt«) und dabei »immer ein ganzes Spiel [programmiert]«.9 Diese Beobachtung wird von Babette als absonderlich gedeutet und veranlasst sie dazu, die von Anouk zuvor eingebrachte Klassifizierung »Freak« aufzugreifen und fortzuführen. Grundlage hierfür ist eine (angeblich) technische Handlungsfixierung, die zur Stigmatisierung der Person als anormal führt. Dabei veranschaulicht Babette ihr Denken über die beobachtete Person anhand eines Selbstzitats in Form einer rhetorischen Frage, in der abschätzige Verwunderung zum Ausdruck kommt (»und ich denke mir, was ist das für ein Freak«). Das Lachen ihrer Mitschüler*innen wirkt zustimmend und bestätigend, wodurch die Verbundenheit der Gruppe zum Ausdruck gebracht wird. Babette fährt fort, ihre Einstellung differenzierend zu erläutern (»ich finde«). Ausgehend von dem benannten »Freak« wird von ihr eine ganze Gruppe »solche[r] Leute« aufgerufen, denen die Ausübung eines technischen Berufs guttun würde, wie sie betont (»wenn die das machen, das ist SO gut für die«). Diese etwas jovial anmutende Zusicherung markiert zugleich die Differenz zur eigenen Gruppe und plausibilisiert deren Ablehnung technischer Berufswahloptionen. Auffallend ist, dass Babette in ihrer Argumentation nicht von einer kompetenzbasierten Eignung technikaffiner Personen für Technikberufe ausgeht, sondern umgekehrt eine entsprechende Tätigkeitsausübung als zuträglich für die betreffende Personengruppe 9

Wahrscheinlich ist, dass es sich bei der von Babette beobachteten Tätigkeit eher um das Spielen eines Computerspiels als um dessen Programmierung im eigentlichen Sinne handelt. Doch ist dies für den dokumentarischen Gehalt ihrer Aussage unerheblich.

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 187

darstellt. Im Kontrast dazu imaginiert Babette das Folgeszenario einer eigenen technischen Berufswahl (»ich stell mir vor«). Dabei lässt sie ein Bild von Technikberufen als einen ›anderen‹ Ort entstehen (»wenn ich da jetzt hingehe«, Hervorh. M.S.), an dem sie einzig von Sonderlingen umgeben wäre (»dann sind da nur Freaks um mich rum«, Hervorh. M.S.). Indem sie sich an diesem Ort als hilflos und handlungsunfähig inszeniert (»was muss ich jetzt hier machen«), hebt sie eine vorgebliche Differenz zwischen sich und der von ihr konstruierten Spezies ›Freaks‹ hervor und plausibilisiert damit die eigene Ablehnung technischer Berufswahloptionen. Zugleich verortet sie sich unmissverständlich innerhalb eines Bereichs anerkennenswerter Normalität, der sich in ihrem phantasmatischen Gedankenszenario erst über die diskursive Hervorbringung eines Bereichs davon abweichender Subjektivität konstituiert. Ihre selbstironisierende Darbietung, mit der Babette eine technische Berufswahlentscheidung geradezu absurd erscheinen lässt, wird von ihren Mitschüler*innen durch amüsiertes Lachen quittiert. Sie beendet ihre Stellungnahme, indem sie die Überzeugung ihrer Vorredner*innen ausdrücklich bestätigt, dass technische Berufe nur unter der Bedingung wählbar werden, dass zuvor eine signifikante und erfahrungsbasierte Sachkenntnis entwickelt wurde (»das stimmt schon, man muss einfach vorher auch schon«). Clara wirft ergänzend ein (»Und dann«), dass die Ausübung eines technischen Berufs ihrer Ansicht nach zur Folge hat »den ganzen Tag nur vor em PC« zu sitzen, was in der Wahrnehmung nahezu aller Schüler*innen in den Gruppendiskussionen negativ bewertet wird. Die Art der Formulierung lässt darauf schließen, dass eine zeitintensive Computernutzung zum primären oder sekundären Erfahrungsraum der Jugendlichen gehört (»Und dann sitzt man wieder«, Hervorh. M.S.). Gleichzeitig entsteht der Eindruck, dass hier Aussageformationen eines öffentlichen Diskurses zitiert werden, die eine computerzentrierte (Frei-)Zeitgestaltung insbesondere auch Jugendlicher kritisch hinterfragen und damit eine grundlegende, eher technikpessimistische Wertehaltung transportieren, die nun im situativen Kontext der gemeinsamen Diskussion verallgemeinernd auf den berufsbezogenen Lebensbereich übertragen bzw. ausgedehnt wird. Anouk und Glenda stimmen zu (»Ja, genau«, »Ja«). Clara setzt an, ihre eigene Haltung zu erläutern (»Darauf hätt ich auch«), führt dies jedoch nicht aus. Stattdessen untermauert sie ihre zuvor getätigte Aussage anhand der Beispielerzählung über ihren »Schwager«, der »Programmierer« sei und ihr zufolge selbst in seiner privaten Sphäre unablässig am Computer sitze (»der sitzt auch ständig da zu Hause auch nur vor em PC«). Unklar bleibt, ob es sich hierbei um eine Entgrenzung von (Berufs-)Arbeit oder um die Gestaltung von Freizeit handelt. Unabhängig davon sind auch in Claras Darstellung des Schwagers die zuvor diskutierten Charakteristika des ›Freaks‹ erkennbar, der sich unablässig mit dem Computer beschäftigt. Während Babette lachend ratifiziert, signalisiert Elias seine Abneigung gegen die Vorstellung einer solchen Lebensweise (»nee«). Glenda knüpft unmittelbar an Claras Ausführungen über ein dauerhaftes Sitzen am Com-

188 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

puter an und bekundet demonstrativ (»Boah«), dass derartiges bei ihr regelmäßig erhebliche »Kopfschmerzen« verursacht, was eine technische Berufstätigkeit nicht erstrebenswert erscheinen lässt. Eine mit ›Freak‹ vergleichbare und doch nicht gleichzusetzende Diskursfigur lässt sich auch an dem folgenden Beispiel aus einer weiteren Diskussion mit Schüler*innen der Gruppe-f im Alter von 17 bis 19 Jahren aufzeigen. Auch hier äußern die Diskutant*innen die Überzeugung, dass sich technische Berufe nur für Personen mit bestimmten Veranlagungen eignen, die sie von der eigenen Gruppe unterscheiden: Ben:

Ich denk, dass die ganzen technischen Berufe dann auch schon eher so was für die Leute, die von Anfang an wissen, ja, okay, ich mag so was. Also MAN kennt das ja, [aber…]

Dean: [Ja. Ben:

]

… jeder geht in den Physikkurs und hat dann irgendwie diese drei Cracks, die da immer sitzen, sich durchgehend melden [und … ]

Grace: Ben:

[Hmhm.] … alles können [und …]

Colin:

[Ja.

]

Dean: Die sitzen jetzt aber oben in der Klasse und lernen gerade, die sitzen nicht hier. [((mehrere lachen))] Colin: [Oh man. Ben:

]

Ja, genau, und ich glaub, einfach so, es gibt halt auch diese, die Leute, die dann eher dann doch künstlerisch sind oder vielleicht gern ins Theater gehen oder so was. Und denen dann halt so was überhaupt nicht liegt.

Grace: Ja.

Nachdem die Schüler*innen im Anschluss die Frage nach technischen Berufen übereinstimmend verneinend beantworten, konkretisiert Ben seine Ansichten diesbezüglich. Trotz einer offenbar von ihm wahrgenommenen Heterogenität (»die ganzen technischen Berufe«, Hervorh. M.S.) eignen sich Technikberufe seiner Meinung nach grundsätzlich nur für bestimmte Personen (»für die Leute«, Hervorh. M.S.), die seit langem über eine gesicherte Selbstkenntnis bezüglich ihrer entsprechenden Neigungen verfügen (»die von Anfang an wissen, ja, okay, ich mag so was«). Erneut erfolgt hier die eigene Positionierung in Abgrenzung von einer als anders konstituierten Gruppe, verbunden mit der Überzeugung, dass eine technikorientierte Berufspräferenz biographisch an eine frühe Prägung gebunden sei. Wie Ben zu dieser Auffassung kommt, erläutert er, indem er ein anscheinend geteiltes Erfahrungswissen aus dem schulischen Physikunterricht heraufbeschwört (»MAN kennt das ja, jeder […] geht in den Physikkurs«), wo er besagten Personentypus, stets in überschaubarer Zahl repräsentiert sieht, der hier von Ben mit dem Begriff

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 189

»Cracks« aufgrund konstanter Anwesenheit, Leistungsbereitschaft und Kompetenz klassifiziert wird (»diese drei Cracks, die da immer sitzen, sich durchgehend melden und alles können«, Hervorh. M.S.). Vertritt Ben anfänglich noch seine persönlichen Ansichten (»Ich denk«), so spricht er schließlich betont verallgemeinernd (»MAN«; »jeder«) von vermeintlichen Tatsachen, was seiner Aussage über technikinteressierte Gleichaltrige eine allgemeine Gültigkeit verleiht. Gleichzeitig werden ›Cracks‹, deren Technikinteresse selbstverständlich mit Leistungsstärken im Fach Physik verknüpft wird, als Minderheit dargestellt (»diese drei«), was auch vor dem Hintergrund einer vermeintlichen Häufigkeitsverteilung den Anspruch auf die Situierung der eigenen Position im Normalitätsbereich impliziert. Dean, Colin und Grace ratifizieren validierend (»Ja«; »Hmhm«; »Ja«). Dean fällt Ben ins Wort und bestätigt indirekt dessen Aussage, indem er mit Bezug auf den unmittelbaren situativen Kontext den Unterschied zwischen der Gruppe der sogenannten ›Cracks‹ und der eigenen Gruppe der hier Diskutierenden akzentuiert: Denn im Gegensatz zu den Anwesenden würden die ›Cracks‹ nicht durch die Teilnahme an einem außerschulischen Forschungsprojekt freiwillig den Unterricht versäumen (»Die sitzen jetzt aber oben in der Klasse und lernen gerade, die sitzen nicht hier«, Hervorh. M.S.). Diskursiv wird so die Grenze zwischen dem ›Wir‹ und den ›Anderen‹ entlang der Differenz von Strebsamkeit und Leistungsbereitschaft gezogen, wobei das anschließende Lachen der Mitschüler*innen vom Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe im situativen Kontext zeugt. Der Einwurf Colins (»Oh man«) deutet unterdessen darauf hin, dass er sich zwar nicht von der Gruppe distanziert, möglicherweise aber die Art und Weise der Abgrenzung gegenüber besagten Mitschüler*innen als unangemessen empfindet. Ben bestätigt dagegen Deans Ausführungen (»Ja, genau«) und setzt die Darlegung seiner Ansichten fort (»und ich glaube«), wobei er sich auf die normierende Kraft vermeintlicher Fakten beruft (»einfach so, es gibt halt«, Hervorh. M.S.). In Abgrenzung zu der von ihm zuvor als »Cracks« klassifizierten Peers, entwirft er nun einen künstlerisch-kreativen bzw. an Kunst und Kultur interessierten Personenkreis, denen er eine technisch-naturwissenschaftliche Neigung abspricht und denen er sich selbst offenbar zuordnet. Affinität für Technik und Kultur scheinen sich seiner Argumentationslogik nach gegenseitig auszuschließen. Diese Herausstellung vermeintlicher Gegensätzlichkeit geht konform mit dem stereotypen Bild des technikfixierten (männlichen) Ingenieurs (vgl. Knoll und Ratzer 2010, S. 128; Paulitz 2012, S. 9; Schuster et al. 2004, S. 37; Wolffram 2003, S. 78f.).10 10 Dieses stereotype Bild des (männlichen) Ingenieurs wird von Paulitz (2012) aus wissenssoziologischer Perspektive kritisch hinterfragt. In ihrer historischen Analyse grundlegender Wissensbestände, auf denen das heutige Berufsverständnis aufruht, stellt sie in den zeitgenössischen Fachdiskursen zu Zeiten der Akademisierung vielfältige, mitunter disparate Männlichkeitskonstruktionen heraus (vgl. Kapitel 3.3). Dabei stellte der Ingenieur als

190 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Im Gegensatz zum ›Freak‹, bei dem die Abweichung von Normen anerkannter Verhaltens- und Lebensweisen im Vordergrund steht, betont die Bezeichnung ›Crack‹ herausragende Fähigkeiten und Leistungen, durch die sich jemand von der Masse abhebt und ist somit tendenziell positiv(er) besetzt.11 Doch erhalten die ›(Physik-)Cracks‹ von ihren Mitschüler*innen hier kaum Anerkennung, vielmehr wird ihr vermeintliches Strebertum herausgestellt, was insbesondere unter (männlichen) Peers allgemein eher als uncool gilt und somit einer Abwertung gleichzusetzen ist. Die Abgrenzung gegenüber leistungsstarken Mitschüler*innen in Physik als Kernbereich der Naturwissenschaften bewirkt somit eine Selbstaufwertung und stärkt zugleich die Kohärenzbildung innerhalb der eigenen Gruppe. Vorausgesetzt, dass die Praxis diskursiver Ausgrenzung leistungsstarker Mitschüler*innen nicht nur von (männlichen) Schülern hervorgebracht, sondern sich auch gegen (männliche) Mitschüler richtet – was in Anbetracht der männlich konnotierten Bezeichnung ›Crack‹ im Zusammenhang mit der traditionell männlich codierten Disziplin Physik naheliegend erscheint –, lässt sich diese auch als Ausdruck einer wechselseitigen Versicherung des eigenen privilegierten Männlichkeitsstatus interpretieren.12 Was dabei als privilegierte Männlichkeit in der Gruppe der Peers anerkannt wird, wird an dieser Stelle von den Schüler*innen im situativen Kontext der Gruppendiskussion kollektiv ausgehandelt. Auch wenn das Bild der ›(Physik-) Cracks‹ zunächst anschlussfähig an das hegemoniale Modell technisch-rationaler Männlichkeit zu sein scheint, dem auch Connell (2000a) mit Bezug auf spätkapitalistische Gesellschaften eine hohe Position im männlichen Statusgefüge zuordnet (vgl. ebd., S. 185f.), so sind im jugendkulturellen Erfahrungsraum Schule Attribute wie Fleiß, Angepasstheit und Pflichtbewusstsein vor dem Hintergrund geschlechterstereotyper Zuschreibungen vornehmlich weiblich eingefärbt (vgl. FaulstichWieland et al. 2004, S. 48ff., 218). Durch die Betonung des schulischen Eifers und der Beflissenheit der als ›anders‹ markierten, vermutlich männlichen Mitschüler, die die Gelegenheit, Unterricht zu versäumen, nicht wahrnehmen, wird somit diskursiv eine »symbolische Nähe zum Weiblichen« (ebd., S. 100) erzeugt, die nach der Logik hegemonialer Männlichkeit den Ausstoß »aus dem Kreis der Legitimierten« (ebd.) zur Konsequenz hat. Aus diesem Blickwinkel wird erkennbar, wie die Künstler eine der zentralen Identifikationsfiguren dar, mit der im Professionalisierungsprozess um gesellschaftliche Anerkennung und die Profilierung als wissenschaftliche Disziplin gerungen wurde (vgl. Paulitz 2012, S. 221ff.). 11 ›Crack‹ steht im Allgemeinen für eine Person mit einem außergewöhnlichen Talent, die sich herausragende Fähigkeiten und Kenntnisse angeeignet hat (vgl. Duden 2016b, o.S.). 12 Wie der Status unterschiedlicher Männlichkeitsentwürfe im schulischen Alltag unter (männlichen) Peers fortwährend interaktiv ausgehandelt wird, verdeutlicht die Studie von Hannelore Faulstich-Wieland, Martina Weber und Katharina Willems (vgl. FaulstichWieland et al. 2004, S. 145ff.).

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 191

Schüler*innen in der gemeinsamen Erzeugung von Inklusion und Exklusion Strebsamkeit als Merkmal untergeordneter Männlichkeit definieren und damit den Status des eigenen Männlichkeitsentwurfs innerhalb der Gruppe Gleichaltriger sichern. Auch an diesem Beispiel wird deutlich, wie in den gemeinsamen Diskussionen Technikberufe als exklusives Feld entworfen werden, dem vor dem Hintergrund hegemonialer Diskursformationen spezifische fachkulturelle Subjektpositionen zugeordnet und außerhalb des Normalitätsbereichs verortet werden. Erneut wird die Überzeugung geäußert, dass eine technische Berufswahlorientierung an spezifische Voraussetzungen in Form einer frühen Festigung einschlägiger Interessen gebunden ist, die in schulischen Präferenzen und Leistungsstärken im technisch-naturwissenschaftlichen Fächern – hier ausdrücklich im Fach Physik – zum Ausdruck kommen.13 Gleichzeitig fungieren die technikaffinen Personen zugeschriebenen Verhaltensmuster und Handlungskompetenzen als Differenzmarker, auf deren Grundlage diskursiv eine identitätsrelevante Kategorisierung als ›anders‹ erfolgt, durch die die eigene (Gruppen-)Identität geasträkt und zugleich die geteilte Ablehnung technischer Berufe legitimiert wird.

7.3 TECHNIKBERUFE JENSEITS DES SOZIALEN: »… DAS GEGENTEIL VON BERUFEN, WO MAN WAS MIT MENSCHEN MACHT« In der vorangegangenen Analyse ist deutlich geworden, dass Technikberufe in den Vorstellungen der beforschten Schüler*innen vornehmlich durch die Arbeit am Computer sowie die Tätigkeit des Programmierens gekennzeichnet sind und angesichts der daraus abgeleiteten Anforderungen als äußerst voraussetzungsvoll und entsprechend geeignet für Personen mit spezifischen Dispositionen wahrgenommen werden. Diese vornehmlich stereotypen Bilder korrespondieren des Weiteren mit Annahmen bezüglich eines Arbeitsalltags, der kaum soziale Kontakte zu anderen Menschen beinhaltet, was von den Schüler*innen immer wieder kritisch diskutiert wird. Dabei werden dualistische Denkmuster erkennbar, in denen Technik und Soziales einander gegenübergestellt werden. So auch in der Gruppe-h mit Schülerinnen und Schülern im Alter zwischen 17 und 19 Jahren: Glenda: Also ich könnt´s mir nicht vorstellen, einfach am PC zu sitzen, selbst, wenn man das könnte, also selbst wenn man die Fähigkeit da-, also ich bin nicht schlecht in

13 Anzumerken ist, dass insbesondere Physik vornehmlich von (männlichen) Schülern präferiert wird und im engen Zusammenhang mit einer technischen Studienwahlorientierung steht (vgl. exempl. Driesel-Lange 2011, S. 4; Wolffram 2003, S. 37).

192 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Mathe oder so, aber ich könnt´s mir einfach nicht vorstellen, weil´s einfach [überhaupt ] unbefriedigend ist. Ja. Babette: [Zu trocken.] David:

Ja, dieses Trockene ist so oft dieses Abschreckende, ne, also …

Glenda:

Ja.

David:

… ich hat das bei mir auch schon also angedacht und so. Und ich weiß auch nicht, vielleicht geht´s auch noch mal in die Richtung, ich bin noch nicht so ganz entschlossen, wie´s jetzt wird, halt in so Ingenieur[berufe, ] ne …

Glenda: David:

[Hmhm.] … in so ne Richtung zu gehen und so. Aber das, das ist halt dann auch wieder eher aus dem Grund, weil man sich ein bisschen erkundigt hat und dann weiß, so was wird, also der BEDARF ist da an solchen Leuten, auch in den nächsten Jahren, auch, wenn, wenn ich dann mit Studium fertig WÄRE und solche Sachen, in dem Zeitraum. Halt so Bedarf wär da, ne …

Glenda:

Hmhm.

David:

… und alles und es würd auch von den Noten und so Bereichen, ne, ich bin jetzt ja auch so einer der wenigen in unserem Jahrgang mit Physik-, Chemie- und MatheLK. ((mehrere lachen))

David:

Und Facharbeit in Chemie, huh, [alle huh.]

Glenda:

[((lacht)) ] ((mehrere lachen))

David:

So ne ((lacht)), so, halt so mehr von den Fähigkeiten und ich mein, wenn man´s dann kann und so, und so Erfolgserlebnisse hat und so, macht´s einem ja auch in gewisser Weise ein bisschen Spaß und so, ne, aber ich könnt mir da auch, ich weiß nicht, ist halt immer auch dieses, was ihr meint mit trocken.

Babette: [Hmhm.] David:

[Ist

] manchmal so ein bisschen abschreckend, ne, das ist so gar nicht mit Men-

schen und, ja, ich weiß nicht.

Der Sequenzabschnitt beginnt damit, dass Glenda ihre Einstellung gegenüber technischen Berufen auszudrücken sucht. Erneut wird dabei die Annahme einer ausschließlich sitzenden Tätigkeit am Computer aktualisiert und für undenkbar befunden (»ich könnt`s mir nicht vorstellen, einfach am PC zu sitzen«). Die Unmöglichkeit der Vorstellung einer technischen Berufstätigkeit besteht für Glenda unabhängig von der persönlichen Befähigung (»selbst wenn man die Fähigkeit«). Wie in ihren weiteren Ausführungen deutlich wird, bezieht sie sich hierbei auf Fähigkeiten im Bereich Mathematik, der somit hinsichtlich einer technischen Berufswahlorientierung relevant gemacht wird. So erläutert Glenda weiterführend, dass sie ihr eigenes mathematisches Leistungsvermögen als hinreichend beurteilt (»ich bin nicht

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 193

schlecht in Mathe«) und folglich ihre Ausschließung technischer Berufswahloptionen nicht auf mangelnde Voraussetzungen zurückzuführen sei. Vehement führt sie die von ihr noch einmal herausgestellte Undenkbarkeit einer technischen Berufswahlentscheidung unmittelbar (»einfach«) auf die Qualitäten eines technischen Tätigkeitsprofils zurück, die sie generell (»überhaupt«) als »unbefriedigend« bezeichnet und damit das gesamte Feld technischer Berufe verallgemeinernd abwertet. Babette bringt Glendas Bewertung technischer Berufe zustimmend auf den Punkt, indem sie diese als »[z]u trocken« bezeichnet. David bestätigt diese Ansicht (»Ja«) und führt anknüpfend an Glendas Argumentation aus, dass es »dieses Trockene« sei, was an technischen Berufen abschrecke (»ist so oft dieses Abschreckende«). Im Gegensatz zu Glenda scheint dies für David nicht vorbehaltslos zu gelten, sondern eher mit einer hohen Wahrscheinlichkeit (»oft«). Dass die Bezeichnung »trocken« keiner weiteren Erklärung bedarf, zeugt derweil von einem gemeinsamen Verständnis, in dem sich ein geteiltes Wahrnehmungs- und Deutungsmuster bezüglich des Profils technischer Berufe und ihrer Grundlagenfächer als fade und spannungsarm dokumentiert. So drängen sich mit der Charakterisierung von Technikberufen als »trocken« Analogien zur effizienzorientierten technischen Rationalität und szientifischen Objektbezogenheit auf, die das gegenwärtige Berufs- und Selbstverständnis technisch-naturwissenschaftlicher Professionen signifikant prägen und die symbolische Allianz mit Männlichkeit stützen (vgl. Knoll und Ratzer 2010, S. 55; Paulitz 2012, S. 9; Teubner 2009, S. 183; Wolffram 2003, S. 78). Glenda stimmt nun ihrerseits David zu (»Ja«). Dieser erklärt, dass er »Ingenieurberufe« in Betracht gezogen hat (»ich hat das bei mir auch schon also angedacht«) und sich eine derartige Orientierung noch immer vorstellen kann (»vielleicht geht´s auch noch mal in die Richtung«). Dieses Selbstbekenntnis einer technischen Berufswahlorientierung, bringt er unter vorsichtiger Zurückhaltung in die Diskussion ein (»ich weiß auch nicht«), bezieht er doch damit eine Gegenposition zu der bisher vorherrschenden Gruppenmeinung, die er zuvor noch selbst mit seiner Einschätzung technischer Berufe als ›trocken‹ und ›abschreckend‹ gestützt hat. So hebt er im Weiteren hervor, dass seine Entscheidung diesbezüglich »noch nicht so ganz« feststehe, womit er es umgeht, sich eindeutig in Opposition zur Gruppe zu positionieren. Dies wird in seiner nun folgenden Begründung des eigenen Standpunktes noch einmal besonders deutlich, in der er klarstellt, dass sein Interesse an Technikberufen weniger auf persönlichen Vorlieben beruhe, sondern primär allgemein als vernünftig geltenden Argumenten geschuldet ist, mit denen er sich offenbar wiederkehrend auseinandersetzt (»das ist dann halt auch wieder aus dem Grund, weil«). So stützen sich seine Überlegungen auf ein fundiertes Wissen über den zukünftigen Bedarf an Fachkräften, der seiner Einschätzung nach langfristig eine gesicherte Beschäftigung verspricht (»der Bedarf ist da an solchen Leuten, auch in den nächsten Jahren«).

194 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Dabei formuliert er seine Aussage dahingehend verallgemeinernd, dass »man sich ein bisschen erkundigt hat [Hervorh. M.S.]«, womit deutlich wird, dass eine Orientierung an Arbeitsmarktprognosen seiner Ansicht nach als anerkannte Vorgehensweise im Berufsfindungsprozess gilt. Das Argument verlässlicher Erwerbschancen nach Beendigung eines Studiums, um technische Berufe in Erwägung zu ziehen, scheint für David sehr plausibel. Gleichzeitig formuliert er betont im Konjunktiv als einer Möglichkeitsform und gibt damit zu verstehen, dass es sich dabei keinesfalls um eine feste Absicht, sondern lediglich um eine Überlegung handelt (»wenn ich dann mit dem Studium fertig WÄRE«). Auch argumentiert er die Wahl eines technischen Berufs oder Studiums für ihn als naheliegend in Hinblick auf seine »Noten« sowie seine – offenbar im Vergleich zu seinen Mitschüler*innen außergewöhnlichen – schulischen Leistungsschwerpunkte (»einer der wenigen in unserem Jahrgang mit Physik-, Chemie- und Mathe-LK.14 Und Facharbeit in Chemie«). Zwar macht David deutlich, dass er sich mit diesem naturwissenschaftlichen Leitungsprofil von den übrigen Gruppenmitgliedern abhebt, vermeidet dabei jedoch durch subtile Selbstironie, überheblich zu wirken und kommt mit gespieltem Erstaunen (»huh«) einer denkbaren Reaktion der Gruppe zuvor. Die übrigen Gruppenmitglieder greifen seine Vorlage auf, indem sie seinen Ausdruck mit wohlwollendem Spott resonieren (»huh«). Das gemeinsame Lachen zeugt hier von Verbundenheit und gegenseitigem Einvernehmen. Für David stehen »Fähigkeiten«, damit einhergehende »Erfolgserlebnisse« und ein daraus resultierender »Spaß« in einem kohärenten Verhältnis. Doch bleibt er weiterhin zurückhaltend in seiner Einschätzung (»in gewisser Weise ein bisschen«). Dies deutet einerseits darauf hin, dass er sich nicht zu weit von der gruppenintern dominierenden Orientierung, die sich in einer vornehmlich kritischen, wenn nicht gar ablehnenden Haltung gegenüber technischen Berufswahloptionen äußert, positionieren will. Doch steht für ihn seinen nach gängigen Kriterien als verständig und vernunftmäßig geltenden Argumenten für das Erwägen technischer Berufswahlorientierung entgegen, was zuvor »mit trocken« sprachlich gefasst wurde, wodurch auch bei ihm Zweifel aufkommen (»ich weiß nicht«) und was auch für ihn »manchmal so ein bisschen abschreckend [ist]«. Was »dieses Trockene« und »Abschreckende« meint, konkretisiert er schließlich damit, dass es sich um ein Berufsfeld handele, »dass so gar nicht mit Menschen« zu tun habe. Was sich bereits in den vorangegangenen Unterkapiteln im Hintergrund abzeichnete, wird hier in einem technikzentrierten Berufsbild explizit, das den Umgang und die Zusammenarbeit mit anderen Menschen ausgeschlossen erscheinen lässt. In diesem Wahrnehmungsmuster, das sich in einer Reihe von Gruppendiskussionen auf unterschiedliche Weise wiederfindet, spiegelt sich ein normativer und geschlechtlich aufgeladener Dualismus wider, in dem Technik und Soziales als sich 14 Die Abkürzung ›LK‹ steht im allgemeinen Sprachgebrauch für ›Leistungskurs‹.

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 195

wechselseitig ausschließende Kategorien gedacht werden und der sich für das Berufsverständnis im technischen Feld als überaus bedeutsam erweist (vgl. Faulkner 2008; Kapitel 3.3). Wie in der weiterführenden Analyse noch deutlich wird, hat dieses Prinzip der Ausschließung auch entscheidenden Einfluss auf die berufliche Orientierung junger Frauen (aber auch Männer), die in den Gruppendiskussionen Kontakt und Austausch mit anderen Menschen häufig als wichtiges Kriterium der Berufswahl benennen. So auch in den nachstehenden Äußerungen von Schülerinnen aus der geschlechtshomogenen Gruppe-C im Alter zwischen 14 und 16 Jahren: Christa: Ähm, ich finde, also für mich, vielleicht ist es auch einfach nur eine doofe Vorstellung von mir, ist es immer so, dass technisch hört sich für mich immer so als das Gegenteil von Berufen, wo man was mit Menschen macht. Also ich finde das Menschenkontakt in den Berufen total wichtig, also wäre mir total wichtig. Und irgendwie ist das immer so, wenn ich an einen technischen Beruf denke, dass ich nicht daran denke, dass das was mit Menschen zu tun haben könnte. Irgendwie. Ich weiß auch nicht warum. Gabi:

Ja, wahrscheinlich weil man einfach noch nicht so …

Christa: [Ja, genau. Gabi:

]

[… die Vorstellung] hat, was jetzt das eigentlich ist.

Christa reflektiert ihre eigene Wahrnehmung, in der sich das für technische Berufe als konstitutiv erweist, was sie nicht sind: eine Tätigkeit mit Menschen (»das Gegenteil von Berufen, wo man was mit Menschen macht«). Selbstkritisch ist ihr bewusst, dass es sich dabei um ein verinnerlichtes Bild handelt, das nicht unbedingt der Realität entsprechen muss (»vielleicht ist es auch einfach nur eine doofe Vorstellung von mir«). Dabei sei ihr das Kriterium »Menschenkontakt« bei der Berufswahl »total wichtig«,15 doch decke sich dieser Aspekt in ihrer Vorstellung nicht mit technischen Berufen (»wenn ich an einen technischen Beruf denke, dass ich nicht daran denke, dass das was mit Menschen zu tun haben könnte«). Wie sie zu diesem Bild kommt, kann sie sich nicht erklären (»Irgendwie. Ich weiß auch nicht warum«), worin der normative Gehalt dieses Wahrnehmungsmusters zum Ausdruck kommt. Gabi stimmt Christa zu und äußert die Vermutung (»wahrscheinlich«), dass diese Annahme darin zu begründen ist, dass die jungen Frauen »noch« keine konkrete »Vorstellung« von technischen Berufen haben (»was jetzt das eigentlich ist«), wobei sie anscheinend davon ausgeht, dass sich dies zukünftig ändern wird (»noch nicht«, Hervorh. M.S.). Dem stimmt Christa validierend zu (»Ja, genau«). Dieser kurze Diskussionsausschnitt zeigt, dass die jungen Frauen keine konkreten und alltagsnahen Kenntnisse von technischen Berufen haben und damit stereo15 Dass sie hier noch einmal in den Konjunktiv wechselt, ist wohl darauf zurückzuführen, dass ihr die Berufs- und Studienwahlentscheidung (noch) nicht unmittelbar bevorsteht.

196 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

type Vorstellungen darüber, was Technik ist bzw. nicht ist, ihre Wirkung entfalten. So erweist sich in dem Alltagswissen der jungen Frauen für das technische Berufsbild das als konstitutiv, was aus hegemonialen Technikdiskursen ausgeschlossen oder marginalisiert wird, nämlich die Ebene interpersoneller Beziehungen. Dabei zeigt sich, dass das Technikverständnis der Schülerinnen durch Assoziationen auf der Grundlage normativ gesetzter und geschlechtlich aufgeladener Dualismen geprägt ist, die als wirkmächtige Mechanismen der Vergeschlechtlichung von Technik zu begreifen sind. Denn als Technik wird primär das anerkannt, was an männliche Konnotationen gekoppelt ist. So bietet auch die sich wechselseitig ausschließende Gegenüberstellung von Technik- und Personenzentrierung vielfältige Anschlussmöglichkeiten für geschlechterpolarisierende Deutungsmuster (vgl. Cockburn 1988, S. 191; Faulkner 2008; Teubner 2009, S. 183; Wajcman 1994, S. 166; Wolffram 2006, S. 3111). Während sich folglich in den Wahrnehmungen der Schülerinnen die Bereiche des Technischen und des Sozialen oppositionell entgegenstehen, wird gerade der Kontakt zu Menschen als ausschlaggebend hinsichtlich der Entscheidung für oder gegen einen Beruf relevant gemacht, woraus die Verwerfung technischer Berufswahloptionen resultiert.16 Ähnliche Vorstellungen finden sich auch in der Gruppe-i mit 17- bis 19-jährigen Schülerinnen. Ausgangspunkt bildet erneut die Annahme einer als unattraktiv angesehenen Arbeit allein am und mit dem Computer. Dagegen wird Mensch-zuMensch-Kommunikation Technikberufen einvernehmlich abgesprochen, mit durchaus unterschiedlichen Konsequenzen für das berufliche Selbstkonzept der Schülerinnen. Eva:

[…] Also ich kann mir nicht vorstellen, en, den ganzen Tag in meinem Büro [rumzuhocken.

Björk:

]

[Ja, ich auch nicht, ] [gar nicht. ]

Eva:

[Und da

] irgendwas in [den Computer] reinzuhacken o-

der so. Eva:

[Also ich …]

Carlotta: Eva:

[Ja.

]

… bräuchte auf jeden Fall schon irgendwie so en bisschen Kommunikation, auch mit dem Kunden oder mit den Leuten, die [halt …]

Fiona:

[Ja.

]

16 Hier und an anderer Stelle bestätigt sich, dass insbesondere jungen Frauen nach wie vor Berufe präferieren, die durch eine personenorientierte und sozial-kommunikative Ausrichtung gekennzeichnet sind (vgl. auch Bundesministerium für Bildung und Forschung 2015, o.S.; Micus-Loos et al. 2016, S. 3; Thege und Schmeck 2015, S. 590ff.).

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 197

Eva:

… äh, mit mir arbeiten oder irgendwie so was. […] Aber so wirklich, ich stell mir dann immer so en kleinen Raum vor, mit so nem winzigen [Fenster] und so [nem grauen Schreibtisch.]

Fiona:

[((lacht))]

Anika:

[((lacht

]

Eva:

Und dann denk ich so, nee.

Björk:

[Nee ((lacht))]

Eva:

[((lacht))

]

Björk:

[Darauf

] hätt ich auch [keine] Lust.

((mehrere lachen))

Daria:

[Ja, …] … hat meine Schwester mir auch gesagt. Also, weil ich ja immer so viel an Forschen und so denke, hat sie gesagt, ich soll mal mit ihr ins Labor kommen, weil SIE das halt so gar nicht mag, aber ich glaub, da ist auch der große Unterschied. Also ich bin einfach nicht so, ich bin eher so der schüchterne Typ, dass ich da nicht irgendwie gerne GANZ neue Leute kennenlerne und dann vor denen irgendwas rede und dann werde ich auch [immer] rot, wie ne Tomate ((lacht)).

Eva:

[Ja.

]

((mehrere lachen)) Eva:

Soll ich dir das sagen ((lacht))?

Daria:

Ja, ich weiß es SELBER. ((lacht)) ((mehrere lachen))

Daria:

Ja, ich bin einfach nicht so der Mensch, der unbedingt immer im Vordergrund

Eva:

[Ja. ]

Daria:

[Von] daher ist das [auch so. ]

steht.

Eva:

[Ich mein,] okay, gut, wenn man dann aber auch in nem Labor ist und dann da was erforscht, find ich, ist das auch noch mal was anderes, als wenn man jetzt irgendwie so in nem Raum sitzt und einfach irgendwie so, okay, gut …

Fiona:

[Ja.

Eva:

[… ich schreib] jetzt was in den Computer [(unv.)]

Fiona:

] [Ja. ]

Für Eva ist es unvorstellbar, ganztags in einem Büro »rumzuhocken« und »irgendwas in den Computer reinzuhacken«. In ihren Worten erscheint eine solche Arbeit stumpf, monoton und sinnlos. Denn Eva ist die Kommunikation mit anderen Menschen wichtig, seien es Kund*innen oder Kolleg*innen. Im Gegensatz dazu assoziiert sie mit technischen Berufen ein stilisiertes Bild räumlicher Beklemmung (»so en kleinen Raum«), abgeschnitten von der Außenwelt (»mit so en winzigen Fenster«), farblos und eintönig (»so nem grauen Schreibtisch«). Diese Vorstellung, in der ein weiteres Mal Technikberufe mit einer trostlosen, tristen und sozial isolierten

198 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Schreibtischarbeit verknüpft werden, ruft bei ihr Ablehnung hervor (»Und dann denk ich so, nee«). In dem Lachen ihrer Mitschülerinnen kommt einerseits Überraschung bezüglich der stark stilisierten Darstellung zum Ausdruck, gleichzeitig bekunden sie mehrfach ihre grundsätzliche Übereinstimmung mit dem Aussagegehalt (»Ja, ich auch nicht, gar nicht«, »Nee«, »Darauf hätt ich auch keine Lust«, »Ja«). Während die Mehrheit der Schülerinnen dieser Gruppe die Vorstellung eines technischen Berufs jenseits sozialer Beziehungen zurückweist, kann sich Daria mit diesem Profil identifizieren, das sie im nun Folgenden mit ihrem, bereits im Vorfeld dieser Sequenz geäußerten Berufswunsch im Bereich technisch-naturwissenschaftlicher Forschung zu arbeiten, verknüpft.17 Ihre »Schwester« habe sie bereits auf die vermeintliche Monotonie einer derartigen Tätigkeit hingewiesen (»hat meine Schwester mir auch gesagt. Also weil ich ja immer so viel an Forschen und so denke«). Weiter erzählt sie von dem Vorschlag ihrer Schwester, sie zu deren eigenen Arbeit im Labor zu begleiten, vermutlich um sich einen direkten und praxisnahen Eindruck von dem dortigen Berufsalltag zu verschaffen. Da ihre Schwester (»SIE«) die Arbeit im Labor »so gar nicht« möge, scheint sie Darias Wunsch, in der Forschung zu arbeiten, nicht nachvollziehen zu können. Doch ist Daria der Ansicht (»aber ich glaube«), dass gerade darin »der große Unterschied« besteht. Denn sie selbst sei »eher so der schüchterne Typ« und habe keinen Spaß daran fremde Menschen kennenzulernen (»GANZ neue Leute«) und möglicherweise »vor denen« zu sprechen. Offenbar auf der Grundlage direkter Erfahrung schildert sie, in derartigen Situationen »immer« rot zu werden (»wie ne Tomate«), was auf Unbehagen schließen lässt. Eva ratifiziert validierend (»Ja«). In dem an ihre Selbstaussage anschließenden Lachen kommt eine gewisse Unsicherheit Darias zum Ausdruck, positioniert sie sich doch entgegen der vorherrschenden Orientierung an Menschenbezogenheit als ausschlaggebendes Kriterium einer erstrebenswerten Berufstätigkeit. Ihre Mitschülerinnen stimmen mit verbindendem Lachen ein, während Eva neckend bei Daria nachfragt, ob sie ihr »das sagen [soll]«, was sich wohl auf Darias Erröten beim Sprechen vor Menschen bezieht und vermutlich im Zusammenhang mit gemeinsamen schulischen Erfahrungen steht. Daria betont daraufhin noch immer lachend, dass sie sich dessen bewusst ist (»ich weiß es SELBER«) und fährt nun fort, ihre Schüchternheit als zentrale Eigenschaft ihrer Persönlichkeit herauszustellen. Sie sieht sich als Mensch, der sich lieber im Hintergrund hält und dementsprechend darauf bedacht ist, wenig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen (»ich bin einfach nicht so der Mensch, der unbedingt immer im Vordergrund steht«). Indem sie sich selbst dabei als feldspezifisches Subjekt entwirft, reproduziert sie den gängigen Stereotyp introvertierter, menschenscheuer und befangener Technik- und Naturwissenschaftler*innen, die sich allein auf ihre Forschung fokussieren. Dass Wis17 Um welchen Bereich es sich dabei genau handelt, hat Daria bis zu diesem Zeitpunkt der Diskussion noch nicht verlauten lassen.

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 199

senschaftlichkeit neben Forschung i.d.R. auch Wissenstransfer bspw. in Form öffentlicher Vorträge beinhaltet, bleibt dagegen ausgeblendet. In ihrer Argumentationslogik markiert Daria Schüchternheit als zentrales Differenzkriterium, das sie ihrer Ansicht nach von ihren Mitschülerinnen unterscheidet. Auf diese Weise legitimiert sie ihre technisch-naturwissenschaftliche Berufswahlorientierung, ohne sich dabei oppositionell zur dominanten Gruppenmeinung über die Menschenferne von Technikberufen zu positionieren. Die Kohärenz innerhalb der Gruppe bleibt somit gewahrt. So erhebt auch Eva keine Einwände (»okay, gut«), sondern führt die unterschiedlichen Orientierungen in einer Art Synthese zusammen. Ihrer Ansicht nach (»find ich«) ist eine forschende Tätigkeit im Labor nicht mit der eingangs aufgerufenen Vorstellung von einer auf engem Raum begrenzten bewegungsarmen Schreibarbeit am Computer gleichzusetzen. Damit differenziert sie zwischen unterschiedlichen Tätigkeitprofilen, womit eine technischnaturwissenschaftliche Berufswahlorientierung unter Umständen anerkennbar wird. In dieser Sequenz wird ein Aushandlungsprozess über mit Anerkennung versehene Subjektpositionen deutlich. Während sich die Gruppe über den verstärkten Wunsch nach Zwischenmenschlichkeit als positiven Gegenhorizont vom technischen Berufsfeld abgrenzt, wird für Daria die Selbstklassifizierung als ›schüchterner Typ‹ für ihren beruflichen Identitätsentwurf signifikant und sichert durch die Übereinstimmung mit dem diskursiven Konstrukt eines anthropophoben Tätigkeitsprofils die Anerkennung ihrer technikaffinen Subjektposition. Auch wenn Darias berufliche Orientierung von der ihrer Mitschülerinnen abweicht, steht sie nicht mit ihnen in Opposition. Vielmehr folgt sie deren Argumentationslogik, indem sie den problematisierten Aspekt der vermeintlichen sozialen Vereinzelung aufgreift, bestätigt und sich dazu positiv ins Verhältnis setzt, wobei sie eine alternative, dabei jedoch mit – wenn auch verminderter – Anerkennung ausgestattete Subjektivität entwirft. Ein weiteres Mal wird an diesem Beispiel die Selbstverständlichkeit deutlich, mit der in den Wahrnehmungsmustern der jungen Frauen eine technisch-naturwissenschaftliche Berufswahlorientierung und ein sozialorientiertes Selbstkonzept einander ausschließen. Dieser kulturell verfestigte Dualismus von Technik und Sozialem, der sich in zirkulierenden Diskursformationen und Subjektkonstitutionen fortwährend aktualisiert, wovon die aufgeführten Diskussionsabschnitte zeugen, bildet dabei ein Deutungsmuster, das mit Geschlechterpolarisierungen in Form männlich codierter Technikkompetenz und weiblich codierter Sozialkompetenz korrespondiert. Dabei zeigt sich, wie die jungen Frauen und Männer in der Verhandlung feldzugehöriger Subjektpositionen stereotype Annahmen bezüglich eines Menschentypus zitieren, der abgewandt von der sozialen Außenwelt an technischen Problemstellungen tüftelt und der in der klassischen Figur des Ingenieurs im Allgemeinen vorrangig männlich gedacht wird (vgl. Faulkner 2008, S. 144; Knoll und Ratzer 2010, S. 54; Mucha 2014, S. 50; Paulitz 2012, S. 9). Mit konventionellen

200 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Weiblichkeitskonzepten ist dagegen diese Form der Subjektivität nicht ohne Weiteres zu vereinbaren, wie an späterer Stelle der Datenanalyse noch deutlicher herausgearbeitet wird (vgl. Kapitel 8.2).

7.4 TECHNIKBERUFE ALS ACHSE VON INNOVATION UND FORTSCHRITT: »TECHNIK IST ALLES HEUTZUTAGE« In vielen Gruppendiskussionen wird von den befragten Schüler*innen ein überwiegend negatives und geradezu stereotypes Bild von Technikberufen akzentuiert, während damit verbundene Subjektpositionen nur geringe Anerkennung zuteilwird. Doch gilt diese Sichtweise nicht uneingeschränkt, denn immer wieder werden Technik und Technikberufen auch ein hoher Stellenwert hinsichtlich des gesellschaftlichen Fortschritts und der Entwicklung der Menschheit beigemessen, was bisweilen mit Annahmen von einer zunehmenden Pluralisierung beruflicher Möglichkeiten aber auch von besonders hohen Anforderungen an zukünftige Fachkräfte einhergeht. Nur selten wird unterdessen die annähernde Allgegenwärtigkeit technischer Errungenschaften in der beruflichen wie privaten Alltagsrealität moderner Gesellschaften reflektiert, wie es im folgenden Ausschnitt aus der gemischtgeschlechtlichen Gruppe-D mit 14- bis 16-jährigen Schüler*innen zum Ausdruck kommt: Helene:

Obwohl man Technik natürlich auch sehr gut gebrauchen KANN.

Anton:

Technik ist alles heutzutage.

Elisa:

Hmhm.

Gesche: Ja, ich denk, es wird auch v-, ähm, noch viel mehr werden. Also je weiter fortgeschritten wir sind, de-, desto mehr Technikberufe und desto n-, NEUERE, also es gi-, wird ja auch immer was NEUES dazu kommen, wird´s dann geben. Irgendwann wird´s vielleicht von mir aus Beam-Spezialisten [geben.] [((mehrere lachen))] Gesche: [Ist dann wieder ein neuer Beruf und …] [((mehrere lachen))

]

Gesche: … ich denke einfach, dass da viele neue Berufe dazukommen werden, je MODERNER wir werden. Dirk:

Aber selbst heutzutage gibt´s schon keinen Beruf …

Dirk:

[… wo man, wo man nicht mit ((lacht)) Technik zusammenarbeitet.]

Helene:

Ja, man sollte [so …]

[((mehrere lachen))

Dirk:

]

[Zu ] [mindest en bisschen.] [((mehrere lachen)) ]

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 201

Helene:

Man sollte schon mit em Computer UMGEHEN können und einige Sachen, aber das wirklich beruflich zu machen, NUR am Computer … [((mehrere lachen))

Helene:

]

[… also den Computer] brauchst eigentlich in fast jedem Beruf. Du musst… hm, da-, schreibt man jetzt E-Mails und [werden …]

Dirk:

[Hmhm.

]

Helene:

… ja nicht mehr alles mit Briefen, ist ja auch viel praktischer.

Anton:

((flüstert)) Die Maschinen werden uns beherrschen.

Cem:

((lacht))

Anton:

Ich sag´s euch.

Nachdem die Schüler*innen in der vorangegangenen Diskussion übereinstimmend technische Berufswahloptionen aufgrund der geteilten Vorstellung einer andauernd sitzenden Computerarbeit abgelehnt haben, wird nun von Helene der propositionelle Gehalt der voranstehenden Aussagen durch eine antithetische Differenzierung erweitert (»Obwohl«), indem sie den hohen Nutzen von Technik als einen anscheinend allgemein anerkannten Sachverhalt herausstellt (»man«, »natürlich«). Anton greift diesen Aspekt auf und spitzt ihn in der Tatsachenbehauptung bezüglich eines gegenwärtig übergeordneten Stellenwertes von Technik zu (»Technik ist alles heutzutage«). Gesche pflichtet Anton bei und prognostiziert, dass diese Bedeutsamkeit von Technik weiter zunehmen wird. Ihrer Ansicht nach werden mit zunehmendem gesellschaftlichen Fortstritt – hier spricht sie vergemeinschaftend von »wir« – fortlaufend neue »Technikberufe« entstehen, deren Novität sie stark akzentuiert (»NEUERE«, »immer was NEUES dazu kommen«). Dass ihr zufolge dieser Entwicklung keine Grenzen gesetzt sind, verdeutlicht sie am bewusst willkürlich gewählten Beispiel (»vielleicht von mir aus«) von »Beam-Spezialisten«, die es möglichweise einst geben werde. Technik erscheint damit als eine Quelle unbegrenzter Innovation, nichts erscheint unmöglich oder undenkbar. Die futuristische Vision zukünftiger (Beam-)Technologie löst bei den Mitschüler*innen überraschtes Lachen aus, was trotz grundsätzlicher Übereinstimmung darauf hindeutet, dass Gesches radikaler Fortschrittsglaube nicht unbedingt in vollem Ausmaß von allen Gruppenmitgliedern geteilt wird. Gesche schließt daraufhin ihre Ausführungen, indem sie noch einmal ihren Kerngedanken auf den Punkt bringt (»ich denke einfach«), dass die Entstehung neuer Berufe ein Effekt der fortwährenden Modernisierung der Gesellschaft sei (»dass da viele neue Berufe dazukommen werden, je MODERNER wir werden«). Während Gesche in ihrer Ausführung eine zunehmende Technisierung der Gesellschaft mit Blick in die Zukunft vorhersagt, ist Dirk der Ansicht, dass dies bereits für die Gegenwart zutrifft. So gebe es bereits heute keinen Beruf mehr, der nicht »zumindest ein bisschen« den Umgang mit Technik erfordere (»selbst heutzutage gibtʼs schon keinen Beruf […], wo man nicht mit Technik zusammenarbeitet«).

202 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Helene stimmt grundsätzlich zu (»Ja«). Doch differenziert sie zwischen der anwendungsbezogenen Kompetenz in Form von Grundlagenkenntnissen im Umgang mit Computern als berufsübergreifende Anforderung einerseits (»Man sollte schon mit em Computer UMGEHEN können«) und der Ausübung eines Technikberufs, der für sie durch die bloße Arbeit am Computer gekennzeichnet ist andererseits (»aber das wirklich beruflich zu machen. NUR am Computer«), womit um ein weiteres Mal das computerzentrierte Stereotyp technischer Berufe aufgerufen wird. Helene verzichtet darauf, den letzten Satz zu vollenden, auf den ihre Mitschüler*innen mit verstehendem Lachen reagieren. Noch einmal unterstreicht sie sachorientiert, dass Computer »in fast jedem Beruf« gebraucht würden und verdeutlicht dies am Beispiel des E-Mail-Verkehrs. Diese moderne Form der Kommunikation wird von ihr positiv gewertet und für zweckdienlich befunden (»ist ja auch viel praktischer«). Anton ratifiziert (»Ja«) und raunt prophetisch, dass die »Maschinen« die Menschen (»uns«) »beherrschen [werden]«, dem er feixend Nachdruck verleiht (»Ich sagʼs euch«). In diesem Schreckensszenario, Leitmotiv populärer HollywoodScience-Fiktion-Filme, wird eine technikdeterministische Diskursformation zitiert, die vor einer zunehmend eigendynamischen und sich verselbständigenden technischen Entwicklung mahnt, die sich dem menschlichen Zugriff zu entziehen droht und den Menschen als handelndes Subjekt seiner technischen Artefaktewelt infrage stellt (vgl. Knoll und Ratzer 2010, S. 85ff.). Im Gegensatz zu der zuvor von Helene entworfenen Zukunftsvision, in der technologischer Fortschritt der Logik einer linearen Entwicklung folgt, die zu fortlaufender Effizienzsteigerung und Optimierung von Lebensbedingungen führt und Technik eine geradezu göttliche Schaffenskraft zugesprochen wird, impliziert das Szenario bei Anton den Verlust von Macht und Kontrolle über technische Entwicklungen, bis zu dem Punkt des Ausgeliefertseins. Beide Perspektiven zeugen von einem Mythos, in dem Technik als omnipotente Schöpfungskraft glorifiziert bzw. als Herrschaftsmacht problematisiert wird. Derweil wird Antons visionärer Einwurf bezüglich einer möglichen Machtübernahme technischer Artefakte von der Gruppe nicht aufgegriffen. Zu beachten ist dabei, dass er diesen sehr leise flüstert, womit er ihn selbst nicht als bedeutsamen und sachlichen Beitrag zur laufenden Diskussion zu werten oder sich zumindest diesbezüglich unsicher zu sein scheint, worauf auch Cems Lachen hindeutet. Im anschließenden Verlauf der Diskussion zeigt sich, dass das hohe Innovationspotenzial, das die Schüler*innen technikwissenschaftlicher Entwicklungen zuschreiben, in einer wahrgenommenen Unübersichtlichkeit des beruflichen Feldes mündet: Cem:

Aber es wird ja auch immer alles SCHWIERIGER, wir entwickeln uns ja weiter und Jahr pro Jahr …

Dirk:

Ja.

Cem:

… äh, findet die Wissenschaft auch immer viel mehr und dann müssen die Techniker, die ja Techniker werden wollen, oder die ZUKÜNFTIGEN Techniker, die

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 203

Techniker werden wollen, müssen dann ja immer noch v-, VIEL mehr lernen und bald müssen die 20 Jahre studieren und dann … Flora:

((lacht))

Cem:

… schaffen sie gar nicht mehr, [zu …]

Gesche:

[Ja.

]

Cem:

… arbeiten.

Helene:

Aber die Grundlagen, die kriegt man ja dann auch so.

Gesche: Aber [es ja auch macht en Unterschied, ob du ähm, Computer programmierst, ob du sie baust, ob du sie entwirfst. Und das ist also … Helene:

Gibt´s ja [Tausende Berufe drum.]

Gesche:

[… also ist, ist ja en

] Unterschied zwischen TECHNIK und das, was

wir ja grad eben gesagt ham, das hab ich vergessen, ähm … Flora:

((lacht))

Gesche: … also Technik, wenn du jetzt sagst, du bist ComputerTECHNIKER, dann baust du ja te-, äh, Computer und reparierst Computer. Und wenn du COMPUTERPROGRAMMIERER bist, dann machst du die Software und so. Und das ist, ich denk, da wird´s auch eben, hm, viele verschiedene Spezialgebiete geben spä-, also [die gibt´s ja jetzt schon.] Helene:

[Gibt´s ja jetzt schon.

]

Cem greift mit einer Anschlussproposition den von Helene eingangs eingebrachten Aspekt des fortschreitenden gesellschaftlichen Wandels auf und problematisiert diesen in Bezug auf die Anforderungen an ein technisches Studium. Gesellschaftliche Entwicklungen (»wir entwickeln uns ja weiter«) und die damit verbundene stete Generierung wissenschaftlichen Wissens haben seiner Ansicht nach zur Folge, dass das Studium für »die ZUKÜNFTIGEN Techniker«18 aufgrund immer umfangreicherer Lerninhalte zunehmend »SCHWIERIGER« und auch langwieriger wird (»müssen dann […] VIEL mehr lernen und bald müssen die 20 Jahre studieren«). In Cems Ausführungen dokumentiert sich ein Spannungsverhältnis zwischen der Annahme hoher Anforderungen an ein technisches Studium bzw. an die berufliche Qualifikation zukünftiger Fachkräfte in Form einer allumfänglichen Wissensvermittlung und –aneignung einerseits sowie einem schnellen Wertverlust dieses technischen Wissens vor dem Hintergrund rasanter wissenschaftlicher Erkenntnisgenerierung andererseits. Die Vermittlung bzw. Aneignung technischen Wissens scheint mit dessen Erzeugung nicht schritthalten zu können. Vor dem Hintergrund der Annahme einer wachsenden Komplexität fachspezifischer Wissensbestände, die es im Studium zu bewältigen gelte, erscheint ein Berufseinstieg aus Sicht von Cem 18 Erneut wird hier selbstverständlich in der männlichen Form von technischen Fachkräften gesprochen, was als ein weiterer Ausweis der männlichen Codierung des beruflichen Feldes interpretiert werden kann.

204 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

geradezu unerreichbar (»und dann schaffen sie gar nicht mehr zu arbeiten«).19 Während Flora lacht und diese Darstellung offenbar übertrieben findet, ratifiziert Gesche validierend (»Ja«). Helene erhebt dagegen Einwände (»Aber«) und differenziert in Hinblick auf die Anforderungen an ein technisches Studium zwischen unterschiedlichen Wissensbeständen. Sie verweist auf das Grundlagenwissen, das selbstverständlich im Rahmen eines Studiums vermittelt wird (»kriegt man ja dann auch so«). Gesche schließt nicht direkt an die Redebeiträge an, sondern greift ihren Gedanken bezüglich der Vielfalt technischer Berufsfelder aus der vorangegangenen Diskussion erneut auf, wobei sie durch die Adressierung eines »du« die Diskussion auf eine eher persönliche Ebene führt. Sie macht einen »Unterschied« zwischen dem Programmieren, der Herstellung und der Konstruktion von Computern (»ob du Computer programmierst, ob du sie baust, ob du sie entwirfst«). Während Helene zustimmend einwirft, dass es um den Computer zahlreiche Berufe gibt (»Gibt´s ja tausende Berufe drum«), setzt Gesche ihre Überlegungen fort (»also«), darum bemüht, diese in Bezug auf den von ihr aufgeworfenen »Unterschied« genauer zu umreißen. So versucht sie dem Begriff »Technik« etwas entgegenzusetzen, kann dies aber offensichtlich nur schwer fassen (»was wir ja grad eben gesagt ham, das hab ich vergessen«). Sie setzt ein weiteres Mal an (»also«) und entwirft das Berufsbild »ComputerTECHNIKER«, gekennzeichnet durch die Herstellung und Reparatur von Computern und differenziert dieses vom Berufsbild »ComputerPROGRAMMIERER«, charakterisiert durch die Entwicklung und Implementierung von »Software«. Daraus ergibt sich für sie eine Vielfalt von »Spezialgebieten«, die es zukünftig geben werde und bereits heute schon gebe (»da wird´s […] viele verschiedene Spezialgebiete geben […] die gibt´s ja jetzt schon«). Helene teilt den letzten Gedanken und stimmt mit ein (»Gibt´s ja jetzt schon«). Deutlich wird, dass die Schüler*innen Technik als ein hochkomplexes Feld wahrnehmen, dem sie einen besonderen Stellenwert im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen beimessen, in Form eines nahezu unbegrenzten Innovationspotenzials technischer Entwicklungen, neu entstehender Berufe und Spezialgebiete aber auch sich daraus ergebener hoher Anforderungen an die Qualifizierung von Fachkräften. Anders als in anderen Gruppendiskussionen, in denen technische Berufe allein auf eine gleichförmige Schreibtischarbeit am Computer reduziert werden, wird hier außerordentliche Vielfalt und Komplexität akzentuiert, die sowohl für die Gegenwart gilt als auch für die Zukunft mit steigender Tendenz. Auffällig erscheint dabei, dass der Computer erneut als zentraler Bezugspunkt in der Diskussion um Technik fungiert, um den einerseits unterschiedliche, speziali19 Die Vergänglichkeit erlernter Kenntnisse gilt seit langem in der Technikbranche als problematisch und stellt hohe Anforderung an die Bereitschaft von Fachkräften, sich ständig weiter zu qualifizieren (vgl. Heintz et al. 1997, S. 151).

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 205

sierte technische Tätigkeitsfelder angeordnet werden. Andererseits haben die Jugendlichen ein Wissen über die grundsätzliche Technisierung der Arbeitswelt, in der die Arbeit am Computer gerade kein Alleinstellungsmerkmal technischer Berufe darstellt. Vielmehr wird eine diesbezügliche anwendungsbezogene technische Handlungskompetenz berufsübergreifend als normative Anforderung jedweder beruflicher Qualifikation anerkannt. Technik erscheint damit in den Augen der Schüler*innen in der Berufs- und Arbeitswelt omnipräsent. Erst die Spezifizierung der damit verbundenen Tätigkeit im Sinne der Konstruktion, Herstellung und Wartung der Hardware oder der Entwicklung und Implementierung von Softwareprogrammen codiert eine Berufstätigkeit als technisch, nicht dagegen die berufsbezogene Erfordernis technischer Handlungskompetenz im Gebrauch des Artefakts Computer. Wie am Beispiel der beiden voranstehenden Diskussionsausschnitte deutlich wird, erfolgen die Debatten der Schüler*innen über technische Berufe und Studiengänge häufig eher verallgemeinernd bzw. bleiben die Darstellungen und Differenzierungen in diesen Fällen zumeist recht vage und unbestimmt. An anderen Stellen werden dagegen ganz konkrete Bereiche thematisiert und zum Gegenstand kontroverser Verhandlungen gemacht, wie auch im folgenden Fall der Gruppe-i mit 17bis 19-jährigen Schülerinnen: Eva:

Was ich mir nur gar nicht vorstellen könnte, ist jetzt, wenn ich irgendwie so, was werden würde, wie z.B., wenn man dann irgendwie Computer zusammenbaut [oder irgendwie so …] [((mehrere lachen)) ]

Carlotta: [… was, das … ] Björk:

[s- … ]

[Mein, mein Papa] ist [Elektro]diplomingenieur, [glaube ich …]

Eva:

[Ja, so was,

] nee, [das könnt

ich mir …] Björk:

[… und er mir davon] [erzählt,] [wenn er ne ] Windkraftanlagen …

Fiona:

[Nee, ] [ich auch nicht. ]

Eva: Björk:

[… ich weiß nicht.]

((lacht))

… äh programmiert [und dann denk ich, hm …]

Aaina:

[((lacht))

]

((mehrere lachen)) Björk: Aaina: Eva:

…ist ja [schön,] dass es [sich dreht. ((lacht))] [Ja.

] [Ich konnte, ich meine] ich find das total cool, wie manche

Leute dann auch mit dieser Internetsprache und allem Möglichen, wie die damit umgehen können und so. Aber ich hab jetzt auch nicht irgendwie diesen DRANG oder [diesen REIZ, dass …]

206 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Björk: Eva:

[Nee, ich auch nicht. ] [… ich dann sage,] okay, gut …

Aaina:

[Ich auch nicht. ]

Eva:

…DAS möchte ich jetzt LERNEN. Ich möchte jetzt WISSEN genau …

Fiona:

Ja.

Eva:

… wie ich da, ähm, diese WINDmühle [(unv.) ((lacht)) ]

Daria:

[Also, ich weiß nicht, an sich] find ich das schon ganz cool, wenn man sich so überlegt, das sag ich auch immer, es gibt jetzt SO viel immer zu erneuerbare Energie und mein Bruder hat halt auch, äh, er hat Umweltwissenschaften studiert und jetzt im Master geht er halt vor allen Dingen auf erneuerbaren Energien und hat jetzt auch vorher, äh, eben immer, äh, gearbeitet und hat da, äh, in der Firma eben Windkraftanlagen halt, hat er, hat er berechnet, wo die am besten und am effizientesten stehen oder so und dann hab ich mich halt in dem Bereich auch immer so umgeguckt, was man da alles machen kann, und dann gibt es halt solche Sachen, wie, ähm, erneuerbare, äh, energieeffiziente Häuser oder so. Wenn ich mir dann vorstell, das find ich [TOTAL] interessant, wie das [so ] funktionieren könnte ...

Fiona:

[Ja.

]

Eva: Daria:

[Ja.] … dass man dann en Haus hat, das sich mit der Sonne dreht oder was weiß ich. Also [dass man … ((lacht))]

Eva: Björk:

[Ja, das find ich auch interessant, aber …] [Also ich würd gerne in so nem Haus

] WOHNEN, wenn mir das [dann einer

ERKLÄRT,] wie TOLL das ist … [((mehrerelachen)) Björk:

]

…fänd ich das, glaube ich, noch SCHÖNER, aber ich hätte niemals Lust, mich damit zu befassen und das so …

Carlotta: ((lacht)) Eva: Björk: Eva:

Nee, ich [find das schon interessant.] [… es zu bauen.

]

Ich glaub nur, ich könnte es nicht, ((lacht)) weil ich [einfach da auf dem …]

Fiona: Eva:

[Ja, ist bei mir auch so.] … Gebiet, da brauch ich halt irgendwie en bisschen länger, um das zu verstehn und [das ist ja auch …]

Björk:

[((lacht))

Eva:

… ist ja auch in [Ordnung. Ich meine dann … ]

Björk: Eva:

] [Ich glaub, das (unv.)

…auf der andern Seite, pf, mach ich gerne irgendwie so Englisch oder [solche …]

Daria: Eva: Daria:

[((lacht)) ] … irgendwie kreativen Sachen total [anders dann halt, ne.((lacht))] [((lacht)) Ja. ((lacht)) Ja.

]

Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder | 207

Eva:

((lacht)) Aber das ist ja auch vollkommen in Ordnung, wär ja langweilig, wenn du so wärst wie ich oder ich so [wie DU.]

Carlotta:

[((lacht)) ]

Daria:

Ja.

Eva:

Aber, ähm, ich find das total interessant, wie das so funktioniert, aber ich glaub einfach, ich, ich könnte das nicht.

Während die Schülerinnen im Vorausgang der hier aufgeführten Sequenz bereits deutlich gemacht haben, inwieweit sie sich einen technischen Bezug in ihren beruflichen Selbstentwürfen vorstellen können, und dabei unterschiedliche Ansichten vertreten haben (vgl. Kapitel 7.3), bringt Eva nun eine Anschlussproposition ein, in der sie am Beispiel des Zusammenbauens von Computern als negativen Gegenhorizont den Bereich im technischen (Berufs-)Feld konturiert, den sie sich »gar nicht vorstellen könnte«. Björk schließt mit einer exemplifizierenden Elaboration an, in dem sie erzählt, dass ihr Vater »Elektrodiplomingenieur« sei, wobei auch sie sich nicht ganz sicher zu sein scheint, ob diese Berufsbezeichnung zutreffend ist (»glaub ich«). Eva bestätigt (»Ja«), dass sie »so was« meinte und lässt noch einmal ihre Ablehnung erkennbar werden (»nee, könnt ich mir…«). Fiona schließt sich Eva an (»Nee, ich auch nicht«), die daraufhin noch einmal die Zweifelhaftigkeit dieser Vorstellung ausdrückt (»ich weiß nicht«). Währenddessen berichtet Björk von den Erzählungen ihres Vaters über dessen Berufstätigkeit, in der er »Windkraftanlagen« programmiere. Demnach lässt ihr Vater sie offenbar an seinem beruflichen Alltag teilhaben und gewährt ihr Einblicke in das Tätigkeitsfeld regenerativer Energien. Doch scheint Björk seinen Schilderungen kaum Interesse entgegenzubringen, wie sie anhand eines gedanklichen Selbstzitats verdeutlicht, das von starker Ironie gekennzeichnet ist (»dann denk ich, ist ja schön, dass es sich dreht«). Demonstrativ bringt sie Unverständnis und Desinteresse zum Ausdruck, indem sie die Zweckmäßigkeit der beruflichen Arbeitsergebnisse ihres Vaters auf das für Außenstehende wahrnehmbare Drehen der Rotorblätter reduziert, ohne dabei den Faktor nachhaltiger Energieerzeugung zu thematisieren. Indem sie sich unberührt von dem beruflichen Vorbild ihres Vaters zeigt, entwirft sie sich einerseits als autonom-souveränes Subjekt, während sie sich andererseits in Anlehnung an konventionelle Weiblichkeitskonzepte durch deutliche Abgrenzung zum Technischen betont feminin inszeniert.20 Aaina ratifiziert validierend (»Ja«), während Björks Ausführungen von verständnisvollem Lachen mehrerer Mitschülerinnen begleitet wird. Anknüpfend an Björks Redebeitrag, erläutert nun Eva ihren eigenen Standpunkt anhand einer differenzierenden Exemplifizierung, in der sie einen kontrastierenden Vergleich zwischen verschiedenen Technologien bzw. unterschiedlichen Formen 20 Letztgenannter Eindruck wird sich in Vorausschau auf die weiterführenden Analyseergebnisse, die im anschließenden Kapitel vorgestellt werden, erhärten (vgl. Kapitel 8.3).

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technischen Wissens und technischer Handlungskompetenz aufstellt. Dabei skizziert sie eine unbestimmte Gruppe ›Anderer‹ (»manche Leute«), denen sie ein Können im Umgang »mit dieser Internetsprache« zuschreibt und positiv anerkennt (»ich finde das total cool«). Unklar bleibt, was sie hier konkret mit dem Begriff »Internetsprache« meint, wobei ihre unbestimmte Erweiterung des Bezugsrahmens (»und allem Möglichen«) darauf hindeutet, dass es ihr vermutlich weniger um einen spezifischen Bereich geht, sondern sie sich eher allgemein auf Handlungskompetenz in Bezug auf Computertechnik bezieht. In Gegenüberstellung dazu (»Aber«), greift Eva nun das zuvor von Björk eingebrachte Beispiel der Windkraftanlagen auf. Sie betont weder den »DRANG« noch den »REIZ« zu verspüren, über »diese WINDmühle« etwas zu »LERNEN« oder »[genau] WISSEN« zu wollen. Dass sie hierbei nicht von Windkraftanlagen oder Windrädern, sondern von ›Windmühle‹ spricht, unterstreicht noch einmal ihre bekennende Unwissenheit auf diesem Gebiet. Dass die Bereitschaft, sich mit der innovativen Hochtechnologie regenerativer Energiegewinnung durch Windkraft auseinanderzusetzen, nach Eva eines inneren Antriebs bedarf (»DRANG«, »REIZ«), lässt erneut an das Stereotyp des (männlichen) Ingenieurs und seiner Leidenschaft für technische Herausforderungen denken. Des Weiteren zeigt sich, dass die Vorstellung, etwas zu können, – hier versiert mit dem Internet als einer greifbaren Alltagstechnologie umzugehen – positiv besetzt ist. Sich dagegen ein bestimmtes Können, welches ein Verstehen und »WISSEN« voraussetzt, erst durch Lernprozesse aneignen zu müssen, – zumal in Bezug auf alltagsferne und komplex erscheinende Großtechnologien, wie Windkraftanlagen – erscheint Eva dagegen wenig reizvoll. Hier geht es nicht mehr um vorhandene und anwendungsbezogene Fähigkeiten in alltagsweltlichen Handlungskontexten, sondern darum, sich komplexes fachspezifisches »WISSEN« anzueignen, was für Eva mit Anstrengungen verbunden ist (»LERNEN«). Nun fällt Daria Eva ins Wort und führt, zunächst noch mit einer gewissen Zurückhaltung (»ich weiß nicht, an sich«), eine antithetische Differenzierung an. Sie finde den Bereich »erneuerbare Energie« »schon ganz cool« und verfügt offenbar durch ihren familiären Bezugshintergrund über ein Wissen darüber, dass es sich hier um ein modernes und expandierendes Wissenschaftsgebiet handelt (»es gibt jetzt SO viel«). Sie erzählt, dass ihr Bruder »Umweltwissenschaften studiert«, mit Schwerpunkt »erneuerbare Energien«. Offenbar parallel zum Masterstudium arbeite er in einem Unternehmen, das »Windkraftanlagen« betreibt. Im Gegensatz zu Eva, die unsicher ist, wie man den Beruf ihres Vaters bezeichnet, hat Daria konkrete und fachkundige Vorstellungen darüber, was zum Aufgabenbereich ihres Bruders gehört (»er berechnet, wo die Windkraftanlagen am besten und am effizientesten stehen«). Die berufliche Orientierung ihres Bruders scheint dahingehend Einfluss auf Daria ausgeübt zu haben, dass sie in der Folge (»dann«) begonnen hat, sich für diesen Bereich und den damit verbundenen (beruflichen) Möglichkeiten zu interessieren und sich zielgerichtet zu informieren (»hab ich mich halt in dem Bereich auch

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immer so umgeguckt«). Folglich erweist sie sich – im Gegensatz zu Björk – als ein positives Beispiel dafür, wie erlebbare Vorbilder im nahen sozialen Umfeld das Spektrum an Berufen, die in den Berufsfindungsprozess junger Frauen einbezogener werden, erweitern können. Offenbar hat sich Daria weitreichende Kenntnisse angeeignet, was man im Feld umweltwissenschaftlicher Berufe »alles machen kann«, wobei sie exemplifizierend das Entwickeln »energieeffiziente[r] Häuser« aufführt. Sich vorzustellen, »wie das so funktionieren könnte«, wobei sie beispielhaft illustriert, woran sie dabei denkt (»dass man dann en Haus hat, das sich mit der Sonne dreht«), übt auf sie einen starken Reiz aus, wie sie betont (»das find ich TOTAL interessant«). Indem Daria hier eindeutig ein großes Interesse an Technologien im Bereich erneuerbarer Energien bekundet, positioniert sie sich alternativ zu der von Björk und Eva geteilten Orientierung im Sinne der Ablehnung einer tiefergehenden bzw. berufsrelevanten Auseinandersetzung mit dem Thema ›Technik‹. Fiona und Eva bejahen (»Ja«), wobei letztere im Folgenden – wie bereits im vorangegangenen Diskussionsverlauf – eine Art Synthese anstrebt, indem sie bestätigt, dass sie Darias Interesse zwar teilt (»Ja, das find ich auch interessant«), jedoch gleichzeitig dazu ansetzt, die Grenzen dieser gemeinsamen Orientierung aufzuzeigen (»aber«). Doch wird sie von Björk unterbrochen, die ihr ins Wort fällt und ihrerseits differenzierend Stellung nimmt, wobei sie an das Beispiel energieeffizienter Hightech-Häuser anknüpft. Sie würde »gerne in so nem Haus WOHNEN« und nimmt an (»glaube ich«), dass sie es zusätzlich bereichernd finden würde (»fänd ich das […] noch SCHÖNER«), wenn ihr »jemand« die Vorzüge erläutern würde (»wenn mir das dann einer ERKLÄRT, wie TOLL das ist«). »[A]ber« sie hätte »niemals Lust«, sich »damit zu befassen und das […] zu bauen«. Sie erkennt demnach die Zweckdienlichkeit besagter Technologien an, begrenzt jedoch ihr Interesse auf die (private) Nutzung, während sie die Möglichkeit, sich beruflich in diese Richtung zu orientieren und selbst ein derartiges Haus zu entwickeln (»es zu bauen«), kategorisch ausschließt (»niemals«). Interessant ist, dass Björk sich damit selbst in der privaten, häuslichen und damit weiblich konnotierten Sphäre verortet und dabei als unwissende junge Frau inszeniert, die von einem – vermutlich männlichen – Experten über die Vorzüge eines Energiesparhauses aufgeklärt wird (»wenn mir das dann einer erklärt«, Hervorh. M.S.). Sich selbst in die Expert*innenrolle hineinzudenken, als jemand, die fachspezifisches Wissen über die Funktionsweisen besitzt und auf dieser Grundlage kompetent Häuser entwirft – wie es Daria tut – wird von ihr dagegen als nicht lustvoll antizipiert und aus dem Bereich des Möglichen ausgeschlossen. Erkennbar wird, dass Björk die (geschlechterstereotype) Vorstellung als Frau keine oder nur geringe Technikkompetenz zu besitzen, in ihrem Selbstbild verankert hat, während sie anderen (männlichen) Personen diese ohne Weiteres zuerkennt. Diese Beschränkung begreift sie jedoch keinesfalls als Unzulänglichkeit, vielmehr scheint sie für sie ein selbstverständlicher und intelligibler Ausdruck weiblicher Identität zu sein, den sie hier effektvoll und gera-

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dezu überspitzt in Szene zu setzen weiß, was von ihren Mitschülerinnen durch Lachen bestätigt wird. Auch wenn Geschlecht hier nicht explizit gemacht wird, reproduziert Björk mit ihrer Selbstdarstellung implizit die symbolische Verknüpfung von Männlichkeit und Technik, die – gestützt durch die bipolare Geschlechterordnung und diese gleichsam stützend – Männern technische Kompetenz zuspricht, während Frauen allein als Techniknutzerinnen konstruiert werden (vgl. Cockburn 1988, S.21; Teubner 2009, S. 179; Winker 2005, S. 159; Wolffram 2006, S. 3111). Sie inszeniert technisches Unverständnis als ein intelligibles Merkmal weiblicher Subjektivität. Mit ihrer Stellungnahme stabilisiert sie folglich die symbolische Geschlechtergrenze im Feld Technik, die von Darias sowohl ernsthaftem wie absichtsvollem Fachinteresse an einem männlich codierten Hightech-Bereich zuvor diskursiv überschritten und damit angezweifelt wurde. Der Aspekt der Selbstzuschreibung geringer Technikkompetenz wird von Eva aufgegriffen, die nun erneut das Wort ergreift und noch einmal dort anzusetzen scheint, wo sie zuvor von Björk unterbrochen wurde. Dabei stellt sie zunächst klar, dass sie Björks Standpunkt so nicht teilt (»Nee«), da sie den Bereich der erneuerbaren Energien nicht nur nutzbringend, sondern »schon interessant« findet, wie sie im Zuge dieser Sequenz mehrmals wiederholt. Doch ist sie davon überzeugt, nicht die Vorrausetzungen dafür zu besitzen, sich das erforderliche fachliche Können anzueignen (»Ich glaub nur, ich könnte das nicht«), artikuliert dieses jedoch im Gegensatz zu Björks indirekter Darstellung eindeutig als Manko. Dass sie ihrer eigenen Einschätzung nach »en bisschen länger [braucht], um das zu verstehen«21 und sich Fiona diesbezüglich anschließt (»Ja, ist bei mir auch so«), zeugt von einem begrenzten Selbstvertrauen der beiden jungen Frauen, sich technisches Wissen und Kompetenzen anzueignen. Eva betrachtet die von ihr und Fiona wahrgenommene Leistungsschwäche unkritisch (»das ist auch in Ordnung«), denn sie sieht diese durch ihre fachlichen Präferenzen im fremdsprachlichen und kreativen Bereich ausgeglichen (»auf der anderen Seite mach ich gerne […] Englisch oder solche kreativen Sachen«), worin sie einen grundlegenden Unterschied zwischen sich und Daria bzw. zwischen ihrer beider fachbezogener Vorlieben erkennt (»total anders dann halt«). Indem auch hier technisch-naturwissenschaftliche und sprachlich-kreative Fächer einander gegenübergestellt werden, werden zugleich solch dualistische Deutungsmuster aktiviert, die mit geschlechterstereotypen Fähigkeits- und Leis-

21 Mit wem sie sich hier vergleicht, bleibt offen, doch ist zu vermuten, dass sie sich hierbei auf konkrete Erfahrungen mit Leistungen in naturwissenschaftlich-technischen Schulfächern in Gegenüberstellung zu anderen Mitschüler*innen bezieht. Die ausbleibende Nachfrage der anwesenden Mitschülerinnen deutet auf ein Verstehen hin und stützt diese Vermutung.

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tungsattribuierungen korrespondieren22 und die damit in Hinblick auf die tendenziell unterschiedlichen Leistungskurs- und späteren Studienfachwahlen junger Frauen und Männer bedeutsam erscheinen (vgl. exempl. Driesel-Lange 2011, S. 5ff.; Schuster et al. 2004, S. 41; Wolffram 2003, S. 37; Kapitel 3.4). Auf der Grundlage der von Eva aufgeworfenen Differenzmarkierung leitet sie abschließend eine Art ritueller Konklusion ein, in der sie die Unterschiedlichkeit im Sinne von Vielfalt positiv hervorhebt (»ist ja auch vollkommen in Ordnung, wär ja langweilig, wenn du so wärst wie ich oder ich so wie DU«). Daria bejaht Evas Argumentation und beide lachen einvernehmlich. Eva versichert abschließend noch einmal, dass sie den Bereich der erneuerbaren Energien, den Daria in die Diskussion eingebracht hat, »total interessant« findet, dabei jedoch glaubt, nicht die Voraussetzungen zu haben, einen solchen (technischen) Beruf auszuüben (»aber ich glaub einfach, ich, ich könnte das nicht«). In gewisser Weise widerspricht sie sich damit selbst, da sie anfangs noch betonte, keinerlei Anreize zu verspüren, sich mit dem Themenfeld regenerativer Energien zu befassen. Fiona schließt sich Evas Aussage bezüglich eines antizipierten fachbezogenen Unvermögens an (»Nee, ich auch nicht«). Das gemeinsame Lachen zwischen Daria und Eva erweckt den Eindruck, dass beide darauf Wert legen, trotz unterschiedlicher Orientierungen einvernehmlich zu bleiben und so die Kohärenz innerhalb der Gruppe zu (re-)stabilisieren. Die Erkenntnisse aus der Analyse des voranstehenden Diskussionsausschnitts lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass (männliche) Vorbilder aus dem direkten familiären Umfeld in unterschiedlichem Maß Einfluss auf die Orientierung der Schülerinnen haben können. Während Björk sich von der Arbeit ihres Vaters distanziert und dieser keine Anerkennung gewährt, ist Daria durch ihren Bruder dazu motiviert, sich näher mit dem technischen Berufsfeld zu befassen, sich zu informieren und so differenzierte Kenntnisse über Tätigkeitsbereiche anzueignen. Dabei setzt sie sich detailliert mit Anwendungsbereichen moderner Umwelttechnik auseinander und erkennt den konkreten Nutzen, den diese Technologien für den Menschen in der erfahrbaren Lebenswelt haben. Dieser Aspekt ist in Anbetracht dessen, dass an anderer Stelle technische Berufe gerade darüber definiert werden, ›nichts mit Menschen‹ zu tun zu haben (vgl. Kapitel 7.3), von besonderer Bedeutung, stellt es dieser Sichtweise doch die Perspektive ›Technik für Menschen‹ entgegen. Weiter wird am Beispiel der Schülerin Eva deutlich, dass auch Schülerinnen ohne ausgeprägtes technisches Selbstkonzept bedingt Interesse an Technik und Technikberufen zeigen, insofern ihnen differenzierte Einblicke in die Ganzheitlichkeit technologischer Errungenschaften gewährt wird und dabei ein Eindruck bezüg22 An späterer Stelle der Analyse kristallisiert sich dieser Bedeutungszusammenhang stereotyper Kompetenzzuweisungen noch deutlicher heraus und wird mitunter sogar explizit thematisiert (vgl. Kapitel 8.2).

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lich deren lebensweltlicher Relevanz gewonnen werden kann, wie es Daria hier mit ihrer Begeisterung für energieeffiziente Haustechnik zu vermitteln vermag. So zeigt sich, dass das berufsrelevante (Fach-)Interesse bzw. Nicht-Interesse von jungen Frauen an Technik einerseits im engen Zusammenhang mit dem jeweiligen Kontext zu betrachten ist, über den sie Zugang zu dieser Thematik erhalten und andererseits signifikant von der Selbstwahrnehmung und –einschätzung eigener Leistungsstärken beeinflusst wird.23 Darüber hinaus bleibt anzumerken, dass sich in der dualistischen Gegenüberstellung technischer und sprachlich-kreativer Neigungen kulturelle Deutungsmuster aktualisieren, die es im Zusammenhang mit berufswahlrelevante Fachpräferenzen und geschlechterdifferenten und geschlechterdifferenzierenden Fähigkeitsattribuierungen zu betrachten gilt. Auch in der folgenden Sequenz aus einer Diskussion der Gruppe-l mit 17- bis 19-jährigen Schülerinnen zeigt sich, wie fundierte Kenntnisse über konkrete Arbeits- und Anwendungsbereiche sich positiv auf die Wahrnehmung und Einschätzung technischer Berufsfelder auswirken und ein entsprechendes berufliches Selbstkonzept stärken können: Cora:

Na ja, bei mir ist es ja… ICH hab mich (unv.) Studium in Chemietechnik beworben… ((mehrere lachen))

Ella:

[((lacht))

Cora:

[Das würd ich ja gerne] machen, also ich find´s eigentlich INTERESSANT. Ich

]

find´s SCHÖN, wenn man halt, man arbeitet ja DA mit diesen Produktionsanlagen und man entwirft die und verbessert die und das ist halt DAS, ist ja auch was mit Forschung zu tun und ich find das halt cool, in der Forschung zu arbeiten, wenn du, weil so hast du immer, was vorgesetzt ist, das ist alles schon DA und du musst das halt ausführen, was du gelernt hast und so kannst du immer noch versuchen, was NEUES umzusetzen und was Neues rauszufinden und was zu verbessern. Und das Praktische ist halt so das, was ich halt so besser finde daran. [((mehrere lachen)) Ella:

]

[Ich find´s auch nicht schlecht,] also nicht so wie [(unv.)

Daniela: Ella:

]

[((hustet)) ] …ich find den technischen Beruf AUCH nicht so schlecht und wenn man da, was weiß ich, jetzt Computer programmiert oder so, ist halt für das, die, die´s können…

Daniela: ((lacht)) Ella:

…SCHÖN, das… ((mehrere lachen))

Daniela: Für die, die´s können, ist schön. 23 Inwiefern sich dabei für das fachliche Selbstkonzept adoleszenter Frauen normative Zuschreibungen als wirkmächtig erweisen (können), wird im Folgenden noch in den Fokus der Analyse gerückt (vgl. Kapitel 8.1).

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((mehrere lachen)) Ella:

Ja, also ich weiß nicht, ob ich das könnt. Ich hab nicht so das VERSTÄNDNIS dafür, aber interessieren [würd´s mich auch.] [((mehrere lachen))]

Dieser Ausschnitt beginnt mit einer Stellungnahme der Schülerin Cora, in der sie sich in Opposition zu ihren Mitschülerinnen positioniert, die sich im Vorfeld dieser Sequenz ablehnend gegenüber technischen Berufen geäußert haben (vgl. Kapitel 7.1). Coras einleitendes »Na ja« macht nun deutlich, dass sie diesbezüglich nicht mit ihren Vorrednerinnen übereinstimmt und kündigt eine alternative Sichtweise an. So erklärt Cora im Folgenden, dass sie die konkrete Absicht hegt, »Chemietechnik« zu studieren und sie sich sogar bereits um einen Studienplatz beworben hat. In dem darauffolgenden Lachen ihrer Mitschülerinnen kommt möglicherweise Überraschung oder auch Anspannung angesichts der eröffneten Gegenposition zur dominanten Gruppenmeinung zum Ausdruck. Währenddessen äußert Cora den Wunsch, in dem von ihr genannten Berufsfeld tätig zu sein (»Das würd ich ja gerne machen«). Erläuternd fährt sie fort (»also«) und betont, diesen Bereich »INTERESSANT« zu finden. Was ihr daran so gut gefällt (»Ich find`s SCHÖN«), beschreibt sie anhand eines von ihr konkretisierten Tätigkeitsprofils, in dem es um die Konstruktion und Optimierung von »Produktionsanlagen« geht (»man entwirft die und verbessert die«). Demnach verfügt sie über genaue Vorstellungen hinsichtlich berufsbezogener Arbeitsinhalte, die offenbar für sie den Reiz ausmachen (»und das ist halt DAS«). Doch führt sie diesen Gedankengang nicht aus, sondern ergänzt zunächst, dass dieses Berufsfeld »auch was mit Forschung zu tun« habe, was für sie eindeutig erstrebenswert ist (»ich find das halt cool, in der Forschung zu arbeiten«). Was sie an einer forschenden Tätigkeit präferiert, verdeutlicht sie im Kontrast zu einer unbestimmten Tätigkeit, die ausschließlich (»immer«) darin bestehe, bereits vorgegebene Verfahrensweisen (»was vorgesetzt ist, das ist alles schon DA«) unter Anwendung einmal angeeigneter Fachkompetenz umzusetzen (»du musst das halt ausführen, was du gelernt hast«). Im Gegensatz dazu sieht sie in der Forschung die Möglichkeit, »NEUES« zu entwickeln und zu erproben, der sie wiederholt Nachdruck verleiht (»versuchen, was NEUES umzusetzen und was Neues rauszufinden und was zu verbessern«). Es ist »das Praktische«, das sie mit dieser Art von Tätigkeit verbindet, was für sie die Attraktivität ausmacht (»ist halt so das, was ich halt so besser finde daran«). Coras Ausführungen zeugen davon, dass ihre erklärte Absicht, Chemietechnik zu studieren, auf Kenntnissen bezüglich möglicher konkreter Beschäftigungsperspektiven fundiert. Beides unterscheidet sie von ihren Mitschülerinnen, die in der vorangegangenen Diskussion eher vage berufliche Vorstellungen äußern und dabei unterschiedliche Entwürfe gedanklich durchspielen. Möglicherweise lässt sich das erneute Lachen

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der Mitschülerinnen vor dem Hintergrund dieser Diskrepanz verstehen, die Cora zu einer Art ›Sonderling‹ macht. Ella schließt sich Coras positiver Sichtweise bedingt an (»Ich find´s auch nicht schlecht«), wobei sie einschränkend einen Vergleich zieht, der jedoch von Danielas Husten übertönt wird (»also nicht so wie«). So bleibt unklar, ob sich dieser Vergleich darauf bezieht, dass sie »nicht so wie« Cora beabsichtigt, ein technisches Studium aufzunehmen oder darauf, dass sie das von Cora dargestellte Berufsfeld Chemietechnik »nicht so wie« andere Technikberufe findet. Auch, dass sie anschließend noch einmal wiederholend davon spricht, »den technischen Beruf AUCH nicht so schlecht [Hervorh. M.S.]« zu finden, schafft hier keine Klarheit. Zunächst scheint es so, als wenn sie sich damit auf Coras Beschreibung von Chemietechnik als praktische Forschungsarbeit beziehen würde, die darauf gerichtet ist, innovative Verfahrenstechniken zu entwickeln. Doch greift sie im Weiteren eher willkürlich und anscheinend in Ermangelung alternativer Ideen oder differenzierter Kenntnisse (»und wenn man da, was weiß ich«) auf die im Vorfeld der Sequenz bearbeitete Vorstellung von technischer Tätigkeit zurück, bei der man »Computer programmiert«, was übereinstimmend als monoton und unattraktiv deklariert wurde und damit im Kontrast zu Coras Beschreibung einer forschenden, praktischen und abwechslungsreichen Tätigkeit steht. Letztlich stellt Ella resümierend die These auf, dass ein positives Erfahren technischer (Berufs-)Tätigkeit an die Voraussetzung (»wenn«) eines bestehenden Könnens gebunden sei (»ist halt für […] die, die´s können SCHÖN«). Indem sie damit auf ein (vermeintlich) relationales Verhältnis zwischen der Wahrnehmung von Technikberufen als reizvoll bzw. reizlos und subjektiv angelegter Fachkompetenz verweist, leitet sie konkludierend eine Synthese der unterschiedlichen Orientierung innerhalb der Gruppe ein. Diejenigen »die`s können«, fungieren derweil als Abgrenzungsfiguren, über die sich die eigene Zurückhaltung gegenüber Technikberufen aufgrund eines Nicht-Könnens legitimieren lässt. Danielas Lachen, in das mehrere Gruppenmitglieder einfallen, ist wohl auf Ellas vereinfachte Folgerung zu beziehen, die von Daniela noch einmal echogleich wiederholt und damit besonders hervorgehoben wird (»Für die, dieʼs können, ist schön«). Während im Anschluss erneut gemeinsam und einvernehmlich gelacht wird, beendet Ella ihre Aussage damit, Bedenken hinsichtlich ihrer eigenen Befähigung zu äußern (»ich weiß nicht, ob ich das könnt«). Sie äußert die Überzeugung, technische Zusammenhänge kognitiv nicht genügend erfassen und durchdringen zu können (»ich hab nicht so das VERSTÄNDNIS dafür«), wobei sie abschließend versichert, dass sie sich grundsätzlich dafür interessiert (»aber interessieren würd´s mich auch«). Die Verwendung des Konjunktivs deutet darauf hin, dass für Ella dieses Interesse unter den gegebenen Bedingungen nicht handlungsrelevant ist, im Hinblick auf eine entsprechende Berufswahlorientierung. Mit dieser Zusicherung wird zum einen die grundsätzliche Übereinstimmung zwischen den Gruppenmitgliedern be-

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tont. Zum anderen werden damit möglicherweise auch mehr oder weniger bewusst wahrgenommene Erwartungshaltungen von außen ›bedient‹, die auf diskursiver Ebene innerhalb der Gesellschaft kursieren und jungen Menschen eine technische Studien- und Berufswahlorientierung als wünschenswert nahelegen. Wird am Beispiel der Schülerin Cora mit dieser Sequenz deutlich, dass differenzierte Kenntnissen bezüglich des beruflichen Feldes, seiner Perspektiven und Anwendungsbereiche die Motivation für ein ingenieurwissenschaftliches Studium befördern (können), steht dies im starken Kontrast zu den oftmals eher unbestimmten und stereotypen Negativvorstellung vieler anderer der beforschten Schüler*innen. Für Cora eröffnet sich eine Sichtweise auf das Berufsfeld Technik als abwechslungsreich und innovativ, im Gegensatz zu der häufig dominierenden Annahme einer monotonen und reizlosen Tätigkeit. Daran zeigt sich, wie bedeutsam konkrete und praxisnahe Vorstellungen von beruflichen Tätigkeitsfeldern sind, um eine Identifikation überhaupt erst zu ermöglichen. Denn ansonsten ist der Rückgriff auf stereotype und stark reduzierte Bilder naheliegend, auf deren Grundlage bestimmte Bedingungszusammenhänge bezüglich individueller Voraussetzungen im Sinne umfangreicher Vorkenntnisse und Kompetenzen konstruiert werden, durch die eine berufliche Identifikation für viele Schüler*innen ausgeschlossen erscheint. Des Weiteren offenbart sich noch einmal die Überzeugung vieler der befragten jungen Frauen und Männer, dass eine technische Berufswahlorientierung höchst voraussetzungsvoll ist und vorab ausgebildete fachliche Kompetenzen erfordert (vgl. auch Maaß und Wiesner 2006, S. 128; Kapitel 7.2). Für anderweitige Berufsfelder scheinen derartige fachbezogene Voraussetzungen aus der Perspektive der Jugendlichen dagegen nicht zu gelten. Möglicherweise lässt sich hier auch eine intuitive Argumentationsstrategie erkennen, um sich der unterschwellig allgegenwärtigen Anrufung bezüglich einer als wünschenswert geltenden technisch orientierten Studien- und Berufswahl zu entziehen, ohne dabei offen widerständig zu agieren. So könnte ein signalisiertes Interesse ohne entsprechende Berufswahlorientierung auch die Fähigkeit zum Ausdruck bringen, sich gemäß wahrgenommenen Erwartungen von außen angemessen zu positionieren.

7.5 ZUSAMMENFASSUNG Wie die voranstehenden Sequenzbeispiele veranschaulichen, assoziieren viele der beforschten Schüler*innen Technikberufe mit Computern und der konkreten Tätigkeit des Programmierens,24 was bei ihnen überwiegend auf Ablehnung stößt. Ver24 Hier zeigen sich Übereinstimmungen u.a. mit der quantitativen Studie von Hans-Jürgen von Wensierski (2015) zur Einstellung von Schüler*innen unterschiedlicher Klassenstufen zu Technik und Naturwissenschaft. Dabei zeigt sich, dass Computerhardware bzw.

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gleichsweise seltener werden dagegen traditionelle Maschinenkonzepte wie Produktionsanlagen oder Windkrafträder thematisiert.25 Dabei ist zu bedenken, dass Computer seit der Verbreitung des Internets immer mehr Lebensbereiche durchdringen (vgl. Bath et al. 2010, S. 829) und davon ausgegangen werden kann, dass sie zu den modernen Informations- und Kommunikationstechnologien zählen, die einen selbstverständlichen Bestandteil der Alltags- und Lebenswelt der befragten Schüler*innen darstellen. In der Konsequenz scheinen Computer allein aus der Perspektive der Diskutant*innen Technikberufe kaum versinnbildlichen zu können. Erst in Kombination mit der Tätigkeit des Programmierens werden Computer eindeutig als (hoch-)technisch (re-)codiert und damit zu einem zentralen Charakteristikum technischer Berufstätigkeit stilisiert. Dabei wird mit der Akzentuierung technischer Funktionssysteme indirekt die männliche Geschlechtersymbolik (re-)aktiviert (vgl. Winker 2005, S. 165). Zugleich deutet die starke Betonung von Computern und Programmierung darauf hin, dass die Jugendlichen technische Berufe intuitiv vornehmlich auf das vergleichsweise junge Berufsfeld Informatik 26 begrenzen. Die dargelegten Vorannahmen der Schüler*innen gehen mit der Erwartungshaltung einher, an technischen Berufen keinen Spaß haben zu können.27 Denn mit der vorherrschenden Assoziation von technischer Berufstätigkeit mit ComputerarComputertechnologie am häufigsten von den Schüler*innen mit Technik assoziiert werden (vgl. ebd., S. 55f). Auch die Untersuchung von Susanne Maaß und Heike Wiesner (2006), die sich konkret mit Erwartungen an ein Informatikstudium aus der Perspektive von Schüler*innen sowie von Studienanfänger*innen befasst, stellt neben mathematischen Anforderungen insbesondere das Erlernen des Programmierens in seiner Komplexität und die Aneignung von Hardware-Kenntnissen als zentrale Aspekte heraus (vgl. ebd., S. 126ff.). 25 Eine Besonderheit – das zeigt die weiterführende Analyse – bildet hierbei der Bereich Kfz-Technik, der auf viele junge Frauen einen besonderen Reiz ausübt (vgl. Kapitel 8.4). 26 Erst in den 1960er-Jahren etablierte sich die Informatik als wissenschaftliche Disziplin (vgl. Bath et al. 2010, S. 829; Heintz et al. 1997, S.123). 27 In Bezug auf die von den Schüler*innen dabei wiederkehrend geäußerte Befürchtung, an Computerarbeit keinen Spaß haben zu können, weisen unterschiedliche Studien darauf hin, dass Spaß von Heranwachsenden als ein zentraler Indikator angesehen wird, der anzeigt, ob ein bestimmter Beruf der normativen Anforderung genügt, als authentischer Ausdruck der eigenen Persönlichkeit zu gelten (vgl. Dimbath 2003, S.241; Schmid-Thomae 2012, S. 294; Micus-Loos et al. 2016, S. 102ff.). Vor dem Hintergrund der identitätsstiftenden Bedeutung, die dem Beruf in westlichen Gesellschaften zugeschrieben wird, impliziert die Möglichkeit, keinen Spaß im Beruf zu haben, die Gefahr individuellen Scheiterns in der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung und erweist sich damit als äußerst folgenschwer für die Identität und das Selbstbild der Subjekte (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 93ff.).

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beit sind Vorstellungen von Monotonie und Eintönigkeit, sozialer Vereinzelung sowie einer scheinbaren Entkoppelung des Körpers durch ununterbrochenes, bewegungsloses Sitzen und einer visuellen Fixierung auf den Bildschirm verbunden. Zugleich erscheinen den diskutierenden Jugendlichen derartige Tätigkeiten undurchschaubar, komplex und sinnentfremdet. Diese Sichtweisen sind von zentraler Bedeutung im Hinblick auf die Entwicklung einer beruflichen Orientierung am Übergang Schule-Studium/Beruf, denn die Voraussetzung dafür, ein berufliches Feld überhaupt in Betracht zu ziehen und ein entsprechendes Selbstkonzept zu entwickeln, ist, sich unter den Arbeitsinhalten etwas vorstellen, ihnen Bedeutsamkeit zuordnen und eine Verbindung zur eigenen Lebenswelt herstellen zu können (vgl. Schuster et al. 2004, S. 31). Die Sinnfrage an Technikberufe, die sich den Jugendlichen in den Gruppendiskussionen immer wieder zu stellen scheint, wird von ihnen dabei besonders im Kontrast zum positiven Gegenhorizont beruflicher Tätigkeiten verhandelt, die durch Abwechslung, praktische Anwendungsbezüge, unmittelbare Erfolgserlebnisse und greifbare Arbeitsergebnissen gekennzeichnet werden. Allgemein zeigen sich Schüler*innen, die Technikberufen eher ablehnend gegenüberstehen, davon überzeugt, dass die Herausbildung eines berufsrelevanten technikaffirmierenden Selbstkonzeptes an bestimmte Eignungsvoraussetzungen gebunden ist, die sich auf biographisch angelegte, fachlich fundierte Kompetenzen sowie auf angenommene Persönlichkeitsstrukturen beziehen. Dabei wird zum einen deutlich, wie die jungen Frauen und Männer vor dem Hintergrund zirkulierender Diskursformationen an der (Re-)Formierung alltagstheoretischer Wissensordnungen mitwirken, die eine technische Studien- und Berufswahlentscheidung als äußerst voraussetzungsvoll erscheinen lassen, was durch den Rekurs auf diskursive Formationen über die Förderung eines technischen Berufsinteresses durch frühe Techniksozialisation alltagsweltlich gestützt wird. Zum anderen veranschaulichen die augeführten Diskussionsabschnitte, wie in interaktiven Prozessen von ›doing difference‹ entlang des Kriteriums technischer/nicht-technischer (Berufs-)Orientierung soziale Unterschiede konstruiert und funktionalisiert werden. Dabei greifen die Schüler*innen sich überschneidende Diskursformationen und ihre mitunter ambivalenten Subjektpositionen auf, die zwischen Exklusivität und Anomalität changieren und die sie kollektiv in einen sinngenetischen Zusammenhang stellen, der die eigene abwehrende Positionierung legitimiert. So erfolgt im Sinne Butlers (2015) mit der Bezeichnung technikaffiner Personen als ›Freak‹ oder ›Crack‹ eine performative und zeitweilig totalisierende Identitätsreduktion, die die angerufenen Individuen diskursiv auf nur eine Subjektposition verortet, während alle weiteren identitätsrelevanten Merkmale und Eigenschaften ausgeschlossen bzw. ausgeblendet bleiben (vgl. ebd., S. 92). Indem das Individuum in diesem Moment allein im Sinne der Anrufung erkennbar wird, ist die Bezeichnung als ›Freak‹ für die soziale Existenz und damit für den Subjektstatus signifikant (vgl. Villa 2012, S. 46f.). Im Zuge solch totalisierender Bezeichnungspraktiken, in

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denen technikaffine Personen als ›anders‹, ›abweichend‹ und ›absonderlich‹ markiert werden, wird zugleich eine effektive Kontrastfolie zur Profilierung der eigenen (Gruppen-)Identität innerhalb des Normalitätsfeldes erwirkt. Mit Blick auf die Funktionsweisen und die damit erzeugten Diskurseffekte werden Akte diskursiver Grenzziehung somit als Ausdruck der Verhandlung der Anerkennbarkeit von Positionierungen im Kontext technischer Berufswahlorientierung verstehbar, wobei durch die Zuweisung exkludierender Identitätskategorien Ungleichheit und Hierarchie hervorgebracht wird. Aus geschlechterreflexiver Perspektive erweisen sich die Bezeichnungspraxen ferner von geschlechterstereotypen Aufladungen durchwoben, in denen eine exzessive (Freizeit-)Beschäftigung mit (Computer-)Technik primär männlich konnotiert ist. Damit konform rekurrieren die Schüler*innen im Sprechen über technische Berufe explizit auf ausschließlich männliche Personen aus ihrem Erfahrungsbereich. So wird anhand der Diskursfiguren ›Freak‹ oder ›Crack‹ die Subjektposition des individualistischen, sozial verhaltenen und dabei in erster Linie männlich konnotierten Stereotyps aktualisiert, das das öffentliche Bild der Informatik nachhaltig geprägt hat (vgl. Bath et al. 2010, S. 831f.; 2009, S. 19; Heintz et al. 1997, S. 133, 161; Maaß und Wiesner 2006, S. 130f.; Teubner 2009, S. 189). Des Weiteren zeigt sich, dass das, wofür technische Berufe grundlegend stehen, sich oftmals erst mit Blick auf das konkretisiert, was sie nach Überzeugung der Schüler*innen gerade nicht sind, nämlich Berufe die etwas mit Menschen zu tun haben. Ein Nutzen von Technik und Technologie, der darauf zielt, den Alltag von Menschen auf vielfältige Weise und in unterschiedlichsten Kontexten zu erleichtern oder anderweitig zu bereichern, wird dagegen in der gemeinsamen Debatte kaum berücksichtigt. Ebenso bleiben sozial-kommunikative Anforderungen an das berufliche Alltagshandeln in Technikberufen, wie die Arbeit im Team oder der (Außen-) Kontakt zu Kund*innen weitgehend ausgeblendet oder finden in der gemeinsamen Verhandlung keine Berücksichtigung. Unterdessen wird ein technikbezogenes Fachinteresse als gegensätzlich zu Präferenzen im sozialen, kulturellen oder sprachlichen Bereich verhandelt, was mit der symbolisch-normativen Differenzierung zwischen sogenannten ›harten‹, traditionell männlich codierter Wissenschaften im Bereich Technik und Naturwissenschaft und als ›weich‹ bezeichneten, weiblich konnotierten Geistes- und Sozialwissenschaften konform geht (vgl. Döge 2006, S. 48f.; Paulitz 2012, S. 28). Dementsprechend werden Vorstellungen von Technikzentrierung und Menschenbezug als negative und positive Gegenhorizonte verhandelt, die die gemeinsame Orientierung an sozialer Einbindung in Bezug auf eine zukünftige Berufswahlentscheidung erkennbar werden lassen. Dabei werden in der gemeinsamen Verhandlung der Option einer technischen Berufs- bzw. Studienwahl immer wieder dualistische Denkmuster erkennbar, in denen die Bereiche Technik und Soziales bzw. Technikzentrierung und Menschenorientierung als sich wechselseitig ausschließend einander entgegengesetzt werden. Solch Dualismen erweisen sich in hohem Maße als geschlechtlich aufgeladen und bilden die Anschlussstelle

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für stereotype Zuschreibungen von Technikkompetenz an Männer und Sozialkompetenz an Frauen (vgl. Faulkner 2008; 2001; 2000; Knoll und Ratzer 2010, S. 161; Teubner 2009, S. 183; Paulitz 2012, S. 23). Entgegen der verbreiteten Vorstellungen über eine begrenzende, monotone und sinnentfremdete Tätigkeit wird technischen Berufen an anderer Stelle bisweilen eine geradezu unbegrenzte innovative Schöpfungskraft zugeschrieben. Die Wahrnehmung rasanter gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse führt dabei zu der Erwartung zunehmender Komplexität und Spezifizierung, die mit außergewöhnlich hohen Anforderungen an ein technisches Studium verknüpft werden. Aus dieser Perspektive wird technischen Berufen und Studienfächern ein exklusives Image als Motor des gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Fortschritts beigemessen. Die Anerkennung eines derartig hohen Stellenwertes technikwissenschaftlicher Berufe und ihrer Errungenschaften mündet jedoch zumeist nicht in einer entsprechenden beruflichen Orientierung der Schüler*innen, sondern scheint u.a. an der Erwartung hoch komplexer und anspruchsvoller Studieninhalte zu scheitern. Auffallend erscheint auch, dass während die Vorstellungen von technischen Berufen in den gemeinsamen Diskussionen zumeist recht vage bleiben, diejenigen Schüler*innen, die eine eindeutig technische Studienorientierung aufweisen, häufig differenzierte Kenntnisse über Tätigkeitsprofile, Perspektiven und Anwendungsgebiete besitzen. Insbesondere technisch orientierte junge Frauen profitieren dabei offenbar von (insbesondere männlichen) Vorbildern in ihrem familiären Umfeld, die sie in ihrer Studienmotivation bestärken und ihnen praxisnahe Einblicke in konkrete Arbeitsfelder ermöglichen. Auf der Grundlage derartig wirklichkeitsnaher Einsichten wird von diesen jungen Frauen eine technische Berufstätigkeit im Rahmen der gemeinsamen Diskussion als spannend, dynamisch und anwendungsbezogen profiliert, also genau entlang solcher Kriterien, die an anderer Stelle Technikberufen abgesprochen und aufgrund derer entsprechende Studien- und Berufswahloptionen verworfen werden. Trotz bzw. gerade aufgrund dieser Unterschiede in den Perspektiven bleibt die kollektive Orientierung an einer abwechslungsreichen und praktischen Tätigkeit mit erfahrbaren Arbeitsresultaten unberührt, wodurch die Anerkennbarkeit einer technikbezogenen Identität im Kontext der gemeinsamen Verhandlung beruflicher Selbstentwürfe gegeben ist. Dabei stehen weniger rein traditionelle Ingenieur*innentätigkeiten und auch nicht der ansonsten so oft in den gemeinsamen Verhandlungen relevant gemachte Bereich Informatik und Computertechnik im Vordergrund. Vielmehr konzentrieren sich die beruflichen Identifikationen verstärkt auf vergleichsweise junge und teils hybride technisch-naturwissenschaftliche Fachgebiete, wie bspw. Chemie- und Umwelttechnik oder auch – das

220 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

zeigt die weitere Analyse – Bionik, die den jungen Frauen angesichts der hier wahrgenommenen Gestaltungsmöglichkeiten äußerst attraktiv erscheinen.28 Festzuhalten ist, dass im Zuge der gemeinsamen Abhandlung der Frage nach Technikberufen diskursive Wissensordnungen und ihre (vergeschlechtlichten) Subjektpositionen aktualisiert und fortgeschrieben werden, über die Bedeutungen erzeugt sowie Ausschlüsse produziert werden, die im foucaultschen Sinne die symbolische (Geschlechter-)Ordnung der technischen Dinge stabilisieren. Versteckte Mechanismen der Ko-Konstruktion von Technik und Geschlecht werden damit als Effekte wirkmächtiger, sich wechselseitig durchdringender Diskursformationen begreifbar, die von den Schüler*innen auf unterschiedliche Weise bearbeitet und für eigene teils widerständige Positionierungen gegenüber impliziten Erwartungshaltungen an eine für wünschenswert befundene technische Ausrichtung beruflicher Orientierungen nutzbar gemacht werden. Indes lassen sich in den Argumentationslinien der Schüler*innen auch widerständige Tendenzen erkennen. Indem die jungen Frauen und Männer im Zuge der gemeinsamen Diskussion vor dem Hintergrund alltagstheoretischer Technikdiskurse und ihrer Wissensordnungen an der (Re-)Produktion von Berufsbildern und daran gebundener Subjektivitäten teilhaben und diese als Abgrenzungsfiguren zur Legitimierung der eigenen Positionierung nutzbar machen, können gesellschaftliche Erwartungshaltungen, wie sie – und das ist unbedingt mitzudenken – auch in der von außen initiierten Frage nach technischen Berufen ungewollt und doch unabwendbar transportiert wird, abgewendet werden.

28 Weniger im Vordergrund scheinen für die jungen Frauen dagegen sichere Einkommensund Erwerbschancen auf der Grundlage aktueller Arbeitsmarktprognosen zu stehen, wie sie bisweilen von (männlichen) Mitschülern als leitendes Kriterium im Berufsorientierungsprozess – insbesondere auch in Bezug auf technikwissenschaftliche Berufe – benannt werden, was möglicherweise auch durch die Verinnerlichung der traditionellen Rolle des Familienernährers angeleitet wird (vgl. Wehner 2015, S. 12).

8. Dimensionen der Subjektkonstitution im Diskursfeld Technik und Geschlecht Insbesondere in der Phase der Adoleszenz, in der Heranwachsende vor der Entwicklungsaufgabe stehen eine eindeutige und dauerhafte Geschlechtsidentität innerhalb der Grenzen kultureller Intelligibilität herauszubilden, werden sie mit differenzorientierten Geschlechterbildern konfrontiert, die als normative Orientierungsschemata ihre Selbstentwürfe und Handlungsmuster rahmen und begrenzen (vgl. Budde et al. 2008, S. 279; Hagemann-White 1992, S. 64ff.; King 2002, S. 81f.; Nissen et al. 2003, S. 131; Micus-Loos et al. 2016, S. 20, S. 47f., 77; Schmid-Thomae 2012, S. 48; Schuster et al. 2004, S. 32).1 Das alltagstheoretische Wissen darüber, wie Frauen und Männer sind bzw. sein sollen, gründet sich auf hegemoniale Geschlechterdiskurse, die von der Vorstellung einer natürlichen heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit geprägt sind, die als machtvolle Wissensordnung die soziale Wirklichkeit konfiguriert, indem sie den Deutungshorizont bildet, vor dem die Subjekte sich und die Welt wahrnehmen und begreifen. Innerhalb des Schemas kultureller Intelligibilität werden die Subjekte dann als konsistent und sinnvoll (an)erkennbar, wenn Körper, Identität und Begehren konstant und kohärent aufeinander verweisen (vgl. Butler 1991, S. 219f.). Ausgehend von der Annahme einer zweifelsfreien Geschlechtsidentität durch entsprechende Darstellungspraktiken hängt die Anerkennung der*des Einzelnen somit davon ab, eindeutig und dauerhaft als weiblich oder männlich zugeordnet werden zu können (vgl. ebd.; Kapitel 4.3). Derweil ist innerhalb der binären Ordnung hegemonialer Geschlechterdiskurse eine Definition dessen, was als männlich oder weiblich gilt, »zirkulär und tautologisch« (Villa 2012, S. 72) nur durch Negation des jeweils anderen möglich (vgl. ebd.). Für die Fragestellung der vorliegenden Forschungsarbeit spielt hinsichtlich der alltäglichen 1

King (2002) verweist darauf, dass die Adoleszenz eine Lebensphase darstellt, in der Geschlecht zumindest zeitweilig eine zentrale Bedeutung zukommt. Denn zu diesem Zeitpunkt wird an Heranwachsende die Anforderung gestellt, sich in die bestehende gesellschaftlich-institutionalisierte und hierarchisch strukturierte Geschlechterordnung einzufügen, woraus sich die geradezu unausweichliche Notwendigkeit ergibt, einen geschlechtsbezogenen Habitus herauszubilden und zu verinnerlichen (vgl. ebd., S. 81f.).

222 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Inszenierung und Anerkennung geschlechtlicher Identität die symbolische Kohärenz von Männlichkeit und Technik eine entscheidende Rolle. Im vorangegangenen Kapitel wurden im Zuge der Analyse des empirischen Materials heterogene Technikbilder herausgearbeitet, die sich in den Wahrnehmungen, Vorstellungen und Überzeugungen der Schüler*innen dokumentieren und vor dem Hintergrund dominanter und teils disparater Technikdiskurse und ihrer Wissensordnungen bestimmte (geschlechtliche) Subjektpositionen implizieren, ohne dass dabei von den Diskutant*innen Geschlecht explizit thematisiert wurde. An anderen Stellen wird dagegen der Geschlechteraspekt ausdrücklich zu einem Gegenstand der gemeinsamen Diskussion. Im Zuge der Analyse der entsprechenden Sequenzen lassen sich diskursive Praktiken der (Re-)Produktion wirkmächtiger Geschlechternormen aufzeigen, die im Schnittfeld hegemonialer Technikdiskurse und ihrer geschlechterkonstitutiven Wissensordnungen das Deutungsraster des Intelligiblen aufspannen, in dem sich die Subjekte in ihrer geschlechtlichen und beruflichen Identitätsarbeit entwerfen und dabei auch Möglichkeitsräume zur Transformation und Subversion ausloten. So richtet sich der Fokus der folgenden Analyse auf das zentrale Anliegen dieser Studie, die Art und Weise herauszustellen, wie die jungen Frauen (und auch Männer) Normen der Anerkennbarkeit im Zuge der gemeinsamen Diskussion um eine technische Studien- bzw. Berufswahlorientierung aufrufen, wie sie sich selbst dazu positionieren und dabei sowohl Grenzen als auch Möglichkeiten der Selbstinterpretation verhandeln. Inwiefern treten kulturelle Normen geschlechtlicher Intelligibilität in den beruflichen Selbstentwürfen der befragten jungen Frauen (und Männer) in Erscheinung und erweisen sich dabei hinsichtlich einer technisch ausgerichteten Studien- und Berufswahlorientierung als handlungsregulierend? Auf welche Weise werden diese Normen in der gemeinsamen Verhandlung intelligibler Subjektpositionen im Kontext von Technik und Geschlecht bearbeitet, bestätigt, verschoben oder unterwandert? Inwieweit fungiert derweil Technik als eine kulturelle Darstellungsressource kohärenter Geschlechtsidentität, auf die die Subjekte in performativen Akten geschlechtlicher Selbstinszenierung Bezug nehmen? Und inwieweit lässt sich die damit einhergehende Aktualisierung hegemonialer Technikund Geschlechterdiskurse und ihrer Wissensordnungen in ihrer wechselseitigen Verflechtung im Zuge der Inszenierung und Anerkennung kohärenter Geschlechtsidentität selbst als eine performative Praxis beschreiben, über die sich wirkmächtige Geschlechternormen (re-)produzieren?

Dimensionen der Subjektkonstitution | 223

8.1 VERLETZENDE ADRESSIERUNGEN ENTLANG GESCHLECHTLICHER DIFFERENZLINIEN Als Voraussetzung für eine technikorientierte Studienrichtung gelten allgemein schulische Leistungsstärken in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern, wobei insbesondere dem Fach Physik große Bedeutung zugemessen wird (vgl. DrieselLange 2011, S. 4ff.; Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften 2009, S. 9; Schuster et al. 2004, S. 41f.; Wolffram 2003, S. 39ff.). Denn die Technikwissenschaften greifen in ihrer anwendungsorientierten Forschung grundlegend auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse zurück und zielen darauf, diese für den Menschen praktisch nutzbar zu machen. Die Wissensbestände der Physik gelten in diesem Zusammenhang als besonders bedeutsam für technologische Entwicklungen. Folglich können Naturwissenschaft und Technik als eng miteinander verflochtene Diskursordnungen begriffen werden, die auch alltagstheoretisch häufig gemeinsam gedacht werden.2 Zugleich ist Physik als eine der »geschlechtshomogensten akademischen Disziplinen« (Erlemann 2015, S. 162) anzusehen, die nicht nur eine männerdominierte Sphäre darstellt, sondern auch in ihren Fachkulturen und Wissenstraditionen stark »maskulinisierte Bezüge« (ebd.) aufweist. Dies ist insofern von Bedeutung, das dass die Erwägung eines technischen Studiums grundsätzlich an den Glauben an und das Zutrauen in die eigenen fachbezogenen Fähigkeiten und Potenziale gebunden ist, über die sich fachliche Präferenzen entwickeln, die sich in Leistungskurs- und Studienfachwahlen niederschlagen (können) (vgl. Driesel-Lange 2011, S. 8ff.). In diesem Zusammenhang kommt kulturelltradierten Vorstellungen geschlechtsbezogener Kompetenzunterschiede eine hohe Bedeutung zu, die Jungen eine natürliche Begabung für technisch-naturwissenschaftliche Fächer nahelegen und Mädchen die Entwicklung eines vergleichbaren Fähigkeitsselbstkonzeptes erschweren (vgl. Lembens und Bartosch 2012, S. 87; Micus-Loos et al. 2016, S. 179). Folglich ist die allmähliche Entwicklung geschlechterdifferenter Fachinteressen im Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutsamkeit gesellschaftlicher Geschlechterbilder und damit einhergehender stereotyper Leistungsattribuierungen in der Phase adoleszenter Identitätsarbeit zu be2

Gleich den Technikwissenschaften weist die Physik eine stark maskuline Codierung auf und gilt seit jeher als (berufliche) Männerdomäne, die das Image einer sogenannten ›harten‹ und damit männlich konnotierten Wissenschaft pflegt (vgl. Behnke 2012, S. 217; Döge 2006, S. 49; Erlemann 2015, S. 157ff.; Micus-Loos et al. 2016, S. 178). Dabei begreift sie sich in ihren Traditionen als »Leitwissenschaft aller Wissenschaften« (Döge 2006, S. 49), was den Anspruch auf einen hohen Status unter den Wissenschaften und einen großen Stellenwert innerhalb der Gesellschaft impliziert (vgl. ebd.). Für die vorliegende Forschung ist dieser Zusammenhang hinsichtlich der (Re-)Konstituierung geschlechtlicher Subjektpositionen und vergeschlechtlichter Berufsbilder relevant.

224 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

trachten. Denn es zeigt sich, dass auch die Notenvergaben seitens der Lehrkräfte von geschlechterstereotypen Erwartungshaltungen beeinträchtigt sein können und demnach nicht allein auf der unvoreingenommenen Beurteilung gemäß dem Gleichheitsprinzip des pädagogischen Selbstverständnisses und dem gesellschaftlich normierten Anspruch auf Bildungsgerechtigkeit erfolgen (vgl. Budde et al. 2008, S. 116; Budde und Hummrich 2015, S. 36f.; Jäckle et al. 2016, S. 201). So zeigt eine Studie von Sara Hofer (2015), dass Schülerinnen von Lehrkräften im Fach Physik schlechter benotet werden als es ihren tatsächlichen Fähigkeiten und Leistungen entspricht. Anzunehmen ist, dass selbst für naturwissenschaftlich begabte Schülerinnen die Unstimmigkeit zwischen den tatsächlichen Kompetenzen und der Benotung den Verlust von Fachinteresse und die Hinwendung zu anderen Fachrichtungen, in denen sich Schülerinnen stärker bestätigt sehen, zur Folge hat (vgl. ebd., S. 2879ff.). Während somit Schülerinnen häufig erleben, dass Lehrkräfte ihnen grundsätzlich geringere Fähigkeiten in traditionell männlich konnotierten Fächern im Bereich Naturwissenschaft und Technik unterstellen, sehen sich ihre (männlichen) Mitschüler diesbezüglich oftmals einer erhöhten Erwartungshaltung ausgesetzt (vgl. Jäckle et al. 2016, S. 203). Somit wird erkennbar, dass sich im asymmetrischen Beziehungsmuster institutionalisierter Bildungsprozesse auch die Anerkennung als »Bildungs-Subjekte« (Jäckle et al. 2016, S. 210) innerhalb hegemonialer Geschlechterdiskurse und ihrer differenzierenden Wissensordnung vollzieht. Denn Schule selbst ist als ein sozialer Ort zu begreifen, der in das hegemoniale System der Zweigeschlechtlichkeit eingebettet ist und an dem normierendes Geschlechterwissen fortwährend aktualisiert und fortgeschrieben wird. Lehrkräfte in ihrer Funktion als Träger*innen und Vermittler*innen von Wissen wirken sowohl auf die Bildungserfolge der Lernenden als auch auf deren geschlechtliche Subjektwerdung ein, indem sie vor dem Hintergrund machtvoller Diskursordnungen geschlechtliche Anrufungen tätigen und Schüler*innen somit bestimmte geschlechtliche Subjektpositionen verfügbar machen bzw. sie dazu auffordern diese einzunehmen. Somit ist Schule aufgrund ihres gesellschaftlich institutionalisierten und monopolisierten Auftrags der Wissensvermittlung hinsichtlich der (Re-)Produktion der binären Geschlechterordnung von zentraler Bedeutung (vgl. ebd., S. 22ff.; Hummrich und Kramer 2017, S. 137). Anerkennung in schulischen Bildungsprozessen ist demnach immer als eingebunden in Machtverhältnisse und Wissensordnungen zu begreifen (vgl. Micus-Loos 2012a, S. 312f.), woraus sich die Notwendigkeit ergibt, »stets die Welt als das andere« (ebd., S. 302) mit in den Blick zu nehmen. Damit stellen Anerkennungspraktiken im pädagogischen Handeln »nicht nur ein interpersonelles Geschehen« (ebd.) dar, sondern können vielmehr als ein »performatives Tun« (ebd., S. 313) verstanden werden.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 225

8.1.1 »… wenn ein Lehrer schon sagt, dass Mädchen das sowieso nicht können« Performative Praktiken der Anerkennung im pädagogischen Handeln lassen sich insbesondere am Beispiel von Diskussionsausschnitten der Gruppe-C, einer geschlechtshomogenen Gruppe mit Schülerinnen im Alter von 14 bis 16 Jahren, analytisch darstellen, in der die jungen Frauen im Zuge der thematischen Verhandlung technischer Berufswahloptionen geschlechtliche Anrufungen entlang tradierter stereotyper Identitätszuschreibungen relevant machen, mit denen sie sich insbesondere im schulischen Physikunterricht konfrontiert sehen. Da sich die folgende Analyse zu diesem Unterkapitel beispielhaft auf Sequenzen aus ein und derselben Gruppendiskussion bezieht, soll an dieser Stelle betont werden, dass diese Auswahl allein nach Kriterien der Anschaulichkeit und Eindringlichkeit erfolgt, um die Dimension der Wirkmächtigkeit verletzender Anrufungen entlang der Differenzlinie Geschlecht zu verdeutlichen. In dem sich anschließenden Auswertungsprozess werden dann konsequent gemäß der Maxime des komparativen Vergleichens weitere Sequenzen aus anderen Diskussionen kontrastierend hinzugezogen, die ihrerseits von der Wahrnehmung verletzender Adressierungen vor dem Hintergrund geschlechterstereotyper Zuschreibungen technischer Inkompetenz zeugen. Dazu gehört bspw. auch die Erzählung einer Schülerin aus der geschlechtshomogenen Gruppe-A im Alter zwischen 17 und 19 Jahren.3 Frieda:

[…] Und ich habe auch Praktikum in einer Autowerkstatt gemacht, wo ich auch schon seit drei Jahren irgendwie mal bin und mal wieder nicht, und ich verstehe mich auch super mit denen, aber die haben auch zu mir gesagt: ›Mädchen, Kfz nee, vergiss es. Das ist, als Frau, es gibt paar Frauen, die das können, aber der Rest ist Mist«.

Ähnliche Schilderungen lassen sich in mehr oder weniger expliziter Form auch in weiteren Diskussionen aufzeigen, doch kennzeichnet die kollektive Bearbeitung der Erfahrung verletzender Anrufungen im Fall der Gruppe-C eine besondere Tiefe und Intensität, weshalb sie im Rahmen dieses Unterkapitels in den Fokus der Analyse gerückt wird. Auch in einer Reihe weiterer Gruppendiskussionen zeugen die Argumentationslinien der jungen Frauen von der Verinnerlichung und Aneignung, aber auch von der Zurückweisung und Subvertierung begrenzender Adressierungen weiblicher Identitätsentwürfe, wie im Laufe dieses Kapitels zunehmend deutlich wird. Auch sei in Vorwegnahme des Folgenden an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es dieser Studie grundsätzlich nicht darum gehen kann, inwieweit die Er3

Diese Sequenz leitet einen Diskussionsabschnitt ein, der an späterer Stelle ins Zentrum der Analyse gestellt wird (vgl. Kapitel 8.4).

226 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

zählungen der Schüler*innen zutreffend sind oder nicht, sondern allein darum, die Perspektive der jungen Frauen (und Männer) ernst zu nehmen und die sich in ihren Schilderungen abzeichnenden normativen Bilder auf ihre Wirkmächtigkeit hin zu befragen, indem die Art und Weise herausgearbeitet wird, wie sich die Heranwachsenden in der gemeinsamen Diskussion selbst zu ihnen ins Verhältnis setzen. Im Vorwege der nachstehenden Sequenz werden die Schülerinnen der GruppeC in der Phase des exmanenten Nachfragens darum gebeten, noch einmal genauer zu erläutern, warum sie einerseits in der vorangegangenen Diskussion von einer Reihe positiver Erfahrungen erzählt haben, die sie u.a. im Rahmen des GirlsʼDays in sogenannten ›Männerberufen‹ auch im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich gemacht haben (»ich fand das trotzdem irgendwie total interessant, obwohl ich mir nicht vorstellen könnte, so was später mal zu machen«, »ganz schön interessant«, »ziemlich cool«, »ich wusste gar nicht, dass das so auch interessant sein könnte«), sich andererseits jedoch einen technischen Beruf nicht vorstellen können, wie sie an späterer Stelle einstimmig bekunden. Die Schülerinnen reagieren auf die Nachfrage, indem sie äußern, nicht genau zu wissen »welche Berufe zu welchen Bereichen gehören« und »was das [ein technischer Beruf, Anm. M.S.] jetzt eigentlich ist«. Dabei bringen sie auch ihre grundsätzliche Abneigung gegenüber naturwissenschaftlichen Schulfächern zum Ausdruck (»wenn man dann denkt darüber, das als Beruf, nee. […] deswegen denkt man immer so, Naturwissenschaften und so, schon mal komplett gar nicht«). Erika:

Aber ähm meistens werden ja auch so die ganzen Berufe sehr/ ähm also in den meisten Vorstellungen von den Menschen sind diese Berufe mit männlichen Part, …

Davina:

Hmhm.

Erika:

… von denen, die @da arbeiten@ ähm so halt in den Köpfen drin. Und ähm wenn man dann so denkt, dass man/ also z.B. Bio gehört ja auch mit zu den Naturwissenschaften, und so was ist dann ja auch schon, wo viele Frauen schon arbeiten, und wo man halt auch viel machen kann und wo jetzt auch im Unterricht finden die meisten Mädchen Bio ((etwas lächelnd)) besser als Physik. Und ähm

Davina:

Hmhm.

Erika:

das ist aber dann/ liegt es wahrscheinlich auch ein bisschen an den Lehrern, wie das vermittelt wird, und wie die Einstellung von …

Gabi:

Ja!

Erika:

…Eltern und der Umgebung ist, weil wenn ein Lehrer schon sagt, dass Mädchen

((mehrere lachen)) das sowieso nicht können, @dann@ ((lacht)) I:

Also erlebt ihr so was? [((alle)) Ja!

Anna:

]

[((flüsternd)) Herr Schweizer]

Dimensionen der Subjektkonstitution | 227

Erika:

Also wir haben …

Erika:

… die übernächste Stunde haben wir auch wieder Physik und/ also, wir wissen

((alle lachen)) auch, dass wir dann alle im @Zeugnis keine gute Note@ bekommen, und dass er/ Anna:

((sehr leise)) Vier bis fünf. [((mehrere lachen))] [((mehrere)) Ja. Ja. ]

Erika:

Dass er halt, also er/ seine Einstellung ist, dass Mädchen das nicht können, und dass die das einfach nicht verstehen können.

Davina: Und als Mädchen kann man bei ihm auch, auch wenn man Mathe und Physik und das kann, kann man bei ihm eigentlich nichts Besseres als eine Drei oder so was [bekommen], … Gabi:

[Ja.

]

Davina:

… weil er einfach die Einstellung hat: Mädchen können das nicht.

Finja:

((leise)) Das wird alles aufgenommen.

((alle lachen))

An das im Vorfeld der Sequenz von mehreren Schülerinnen geäußerte mangelnde individuelle Interesse an naturwissenschaftlichen Schulfächern schließt Erika elaborierend an und erweitert den Bezugsrahmen der gemeinsamen Diskussion um den Aspekt der Wirkmächtigkeit stereotyper Geschlechterbilder und damit einhergehender Erwartungshaltungen. Sie hat ein Wissen um die statistische Dominanz von Männern im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich (»diese Berufe mit männlichen Part, von denen, die da arbeiten«) und stellt diesen in den Zusammenhang mit einem männlich geprägten Berufsbild, das ihrer Ansicht nach die meisten Menschen verinnerlicht haben (»in den meisten Vorstellungen von den Menschen«). Deutlich wird, dass sie ein Bewusstsein dafür hat, dass es sich hierbei um keine natürliche Ordnung, sondern um normative Vorstellungen handelt (»in den Köpfen drin«). Sie setzt dazu an, mögliche Folgen dieser verbreiteten Denkweise zu erläutern (»wenn man dann so denkt, dass man«, Hervorh. M.S.), führt diese Überlegung jedoch nicht weiter aus. Stattdessen fährt sie fort, innerhalb des naturwissenschaftlichen Feldes zu differenzieren. Sie weiß von einem zunehmenden Frauenanteil unter den Beschäftigten im Bereich Biologie zu berichten (»ist dann ja auch schon, wo viele Frauen schon arbeiten«, Hervorh. M.S.), womit sie beispielhaft Veränderungstendenzen bezüglich der geschlechtlichen Segregation des Berufsfeldes aufzeigt. Dass »man« dort ihrer Meinung nach »auch viel machen« kann, könnte sich auf Möglichkeiten der Spezialisierung innerhalb der Profession beziehen oder – und das ist in Anbetracht ihrer vorangegangenen Aussage anzunehmen – auf eine antizipierte Erweiterung von Handlungsspielräumen als Frau in dem traditionell männlich dominierten Feld der (Natur-)Wissenschaften. Die Formulierung »man« deutet

228 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

darauf hin, dass Erika von der Gültigkeit ihrer Aussage als verallgemeinerbaren Sachverhalt überzeugt ist. Die von ihr wahrgenommene Geschlechterverteilung in naturwissenschaftlichen Disziplinen sieht sie im Fachinteresse ihrer Mitschülerinnen widergespiegelt, die das Fach Biologie4 präferieren, Physik dagegen eher ablehnen würden. Demnach erkennt Erika einen Zusammenhang zwischen den wahrgenommenen geschlechterdifferenten fachbezogenen Präferenzen von Schüler*innen, dem geschlechtlich codierten Studien- und Berufswahlverhalten sowie einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Unterrepräsentanz von Frauen im technischnaturwissenschaftlichen Berufsfeld. Dass darüberhinausgehend das von Erika kontrastierend zur Biologie aufgeführte Fach Physik ein stark maskulinisiertes Image aufweist, welches im Zusammenhang mit geschlechterstereotypen (Selbst-)Etikettierungen und Leistungsattribuierungen zu betrachten ist, wird sich im Weiteren noch zunehmend herauskristallisieren. Davina ratifiziert Erikas Ausführungen wiederholt validierend (»Hmhm«). Diese äußert nun vorsichtig die Vermutung (»wahrscheinlich auch ein bisschen«), dass Geschlechterdifferenzen in der fachlichen Orientierung auch im Zusammenhang mit didaktischen Ansätzen (»wie das vermittelt wird«) sowie den »Einstellungen« und Erwartungshaltungen seitens der Lehrkräfte selbst, der unmittelbaren Bezugspersonen und des sozialen Umfeldes stehen (»dann liegt es […] an den Lehrern […], und wie die Einstellung von Eltern und Umgebung ist«). Gabi stimmt nachdrücklich zu (»Ja!«) und auch das Lachen weiterer Mitschülerinnen wirkt an dieser Stelle einvernehmlich und verständig. Demnach haben die Schülerinnen ein Bewusstsein für sozialisatorische Prozesse der Aneignung normierender Vorstellungen geschlechtsbezogener (Kompetenz-)Zuschreibungen, die den Orientierungsrahmen für die geschlechtliche Subjektivation aufspannen. Erika begründet ihre Ansicht (»weil«), indem sie einleitend einen Kausalbezugs herstellt (»wenn […], dann«), den sie jedoch wirkungsvoll unvollendet lässt und stattdessen das Verstehen ihrer Mitschülerinnen vor dem Hintergrund einer geteilten, hier offenbar geschlechtlich ausdifferenzierten Erlebnisschichtung voraussetzen zu können scheint. Dabei stellt sie die Figur der Lehrkraft – sie verwendet allein die männliche Form des Lehrers 5 – an den Anfang einer impliziten Wirkungskette, die ihrer Ansicht nach dazu führen kann, dass junge Frauen sich von technisch-naturwissenschaftlichen Fächern abwenden (»wenn ein Lehrer schon sagt, dass Mädchen 4

Anzumerken ist, dass im Vorfeld dieses Sequenzausschnittes einige der hier diskutierenden Schülerinnen grundsätzlich Desinteresse an naturwissenschaftlichen Fächern, auch am Fach Biologie äußern. Demnach scheint die hier artikulierte Präferenz innerhalb der Fächergruppe der Naturwissenschaften zu gelten.

5

Mit Blick auf den weiteren Verlauf der Diskussion ist zu vermuten, dass Erika hier die männliche Formulierung nicht zufällig wählt, sondern bereits an eine bestimmte Lehrkraft denkt.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 229

das sowieso nicht können, dann…«). Durch das Lachen, mit dem Erika ihre Ausführungen enden lässt, mildert sie die ihrer Aussage inhärente Brisanz hinsichtlich der Tragweite stereotyper Fähigkeitszuschreibungen und normativer Erwartungshaltungen in Bezug auf das Selbstbild junger Frauen – von denen sie selbst und ihre Mitschülerinnen betroffen sind – und dem sich darin andeutenden Gefühl der Machtlosigkeit ein wenig ab. Sie spricht hier etwas offen an, was zumindest im öffentlichen Diskurs häufig in den Hintergrund tritt: dass Berufswahlen eben nicht als freie individuelle Entscheidungen zu begreifen sind, sondern dass stereotype Anrufungen und vorurteilsbehaftete Erwartungshaltung seitens der Gesellschaft den Deutungshorizont zur Selbsterfahrung und -interpretation junger Frauen rahmen und somit ihre (berufsbezogenen) Orientierungs- und Handlungsmuster begrenzen (können). Auf die Nachfrage der Interviewerin an die Gruppe, ob sich Erikas Ausführungen auf konkrete Erlebnisse beziehen, bejahen sämtliche Schülerinnen nahezu einstimmig und nachdrücklich. Anna flüstert sehr leise den Namen »Herr Schweizer«6 und benennt damit vermutlich die Lehrkraft, an die die Mädchen übereinstimmend denken und die sie im Folgenden zum Gegenstand der gemeinsamen Diskussion machen. Kurzfristig vollzieht sich an dieser Stelle ein Wechsel der Gesprächsebene, indem Erika ihre nun folgende Erläuterung zunächst an die Interviewerin adressiert. Doch wechseln die Schülerinnen alsbald wieder in den Modus der gemeinsamen Bearbeitung des Themas. So verweist Erika auf den bevorstehenden Physikunterricht und erklärt stellvertretend für das Kollektiv ihrer Mitschülerinnen (»wir […] alle«) darum zu wissen, dass sie »im Zeugnis keine gute Note bekommen« werden. Anna wirft leise ergänzend ein, dass eine Note im Bereich »Vier bis Fünf« zu erwarten ist. Mehrere der Schülerinnen lachen ausgiebig und rufen zustimmend (»Ja. Ja«). Erika führt weiter aus, dass der gemeinsame Physiklehrer die »Einstellung« habe, dass Mädchen Physik »einfach nicht verstehen können«. Demnach spricht der Lehrer den Schülerinnen aufgrund ihrer weiblichen Geschlechtszugehörigkeit pauschalisierend die geistigen Fähigkeiten ab, sich fachspezifisches Wissen anzueignen. Davina ergänzt, dass die Einstellung des Lehrers bezüglich des geschlechtsbezogenen Unvermögens der Mädchen losgelöst vom tatsächlichen Leistungspotenzial der Schülerinnen sei, denn selbst mit guten Fähigkeiten in »Mathe und Physik« würden deren Leistungen bestenfalls als durchschnittlich bewertet (»kann man bei ihm eigentlich nichts Besseres als eine Drei […] bekommen«). Gabi bejaht und Davina unterstreicht noch einmal Erikas Darstellung des Lehrers, indem sie deren Aussage entschieden rezipiert (»weil er einfach die Einstellung hat: Mädchen können das nicht«), woraufhin die Schülerinnen gemeinsam lachen. So sehen die Schülerinnen die Ursachen für ihre schlechten Zensuren in Physik nicht in einer mangelnden fachbezogenen individuellen Leistungsfähigkeit und – 6

Der Name der hier genannten Lehrkraft wurde pseudonymisiert.

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motivation, sondern eindeutig und zweifelsfrei in tradierten und doch wirkungsvollen Vorurteilen gegenüber Frauen in Naturwissenschaft und Technik, die durch den Physiklehrer im schulischen Unterrichtskontext aktualisiert und hier von den jungen Frauen im Rahmen der Diskussion über berufliche Orientierungen relevant gemacht werden. Durch die geschlechtliche Adressierung als »Mädchen« wird unterdessen die Norm binärer Zweigeschlechtlichkeit reproduziert und damit im konkreten Zusammenhang eine Differenz markiert, die vor dem Hintergrund geschlechterstereotyper Kompetenzzuschreibungen in einer ungleichen Behandlung und ungerechten Benotung mündet. In Anbetracht der geteilten Erfahrung verletzender Adressierung durch den besagten Physiklehrer ist dem im Zuge der thematischen Verhandlung wiederkehrenden gemeinsamen Lachen der Schülerinnen auf gruppendynamischer Ebene eine besonders starke kohärenzbildende Funktion beizumessen. Finja, die sich in der Diskussion eher zurückhält, merkt leise mit Bezug auf die konkrete Erhebungssituation an, dass »alles aufgenommen [wird]«. Möglicherweise kommt in ihrer Bemerkung, die sie nicht näher erläutert, die Befürchtung zum Ausdruck, dass die gemeinsame Beschwerde über den Physiklehrer negative Konsequenzen für sie alle haben könnte. Während ihre Mitschülerinnen ihren Empfindungen Raum, Gehör und damit auch Bedeutsamkeit geben, scheint Finja allein der Sachverhalt der audio-visuellen Aufzeichnung trotz aller Vertraulichkeitsvereinbarungen zwischen Forschenden und Beforschten zu verunsichern. Vermutlich steht dies im Zusammenhang mit der Vorstellung, dass das Gesagte durch die Aufzeichnung nicht im geschützten Raum verbleibt, sondern aus diesem herausgelöst wird, sich der Kontrolle entzieht und dabei theoretisch andernorts gegen die Schülerinnen verwendet werden könnte. Was sich in dieser Besorgnis grundsätzlich dokumentiert, ist ein gesellschaftlich institutionalisiertes und legitimiertes asymmetrisches Machtverhältnis im Beziehungsmuster zwischen Lehrenden und Lernenden, dass im Sinne Foucaults (1977) nicht allein der Vermittlung von Unterrichtsinhalten dient, sondern auch durch Disziplinierung und Normalisierung das Verhalten reguliert (vgl. ebd., S. 187ff.; Hummrich und Kramer 2017, S. 99). An dieser Stelle lässt sich zusammenfassen, dass die jungen Frauen ein reflektiertes Wissen um die Wirkmächtigkeit stereotyper Anrufungen auf das eigene Zutrauen im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich haben, die sich dauerhaft in das geschlechtsbezogene Selbstbild einprägen und handlungsrelevant werden (können). Denn für die Herausbildung eines fachbezogenen Selbstkonzeptes als grundlegende Voraussetzung für eine entsprechende berufliche Orientierung ist insbesondere das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und Potenziale sowie deren Anerkennung »durch die bedeutsamen Anderen« (Lembens und Bartosch 2012, S. 86, Hervorh. i.O.) – wie Eltern, Lehrkräfte und Gleichaltrige – ausschlaggebend (vgl. ebd.). In diesem Zusammenhang wird der komplexe Mechanismus deutlich, mit dem kulturell verankerte Geschlechterstereotype und normierende Kompetenzzuschreibungen hinsichtlich einer geschlechterdifferenten Selbstattribuierung wirksam

Dimensionen der Subjektkonstitution | 231

werden und die Leistungsmotivation von jungen Frauen in technisch-naturwissenschaftlichen Fächern zu hemmen vermögen. Das Bewusstsein und die Sensibilität der hier diskutierenden Schülerinnen für das wirkmächtige Zusammenspiel kulturell-tradierter Geschlechterbilder, gesellschaftlicher Anrufungen und geschlechtlicher Subjektwerdung wird dabei durch das gemeinsame Erleben handlungsbegrenzender Geschlechterkonstruktionen im konjunktiven Erfahrungsraum des schulischen Unterrichts in Form verletzender Anrufungen als defizitäre ›Mädchen‹ untermauert. Wie die Erzählungen über den gemeinsamen Physiklehrer veranschaulichen, werden im institutionalisierten Autoritätsgefüge der Schule auch Machtstrukturen im asymmetrischen Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden erzeugt, die den legitimierten Funktionsrahmen der Bildungsvermittlung überschreiten (können). Denn eine leistungsbezogene Differenzierung nach Geschlecht stellt zweifelsfrei einen Verstoß gegen den schulischen Grundsatz einer individuell leistungsgerechten Benotung dar (vgl. Jäckle et al. 2016, S. 201). So ermächtigt sich der Lehrer aus seiner Autorität heraus dazu, die ihm unterstellten Schüler*innen auf der Grundlage geschlechterstereotyper Fähigkeitsattribuierungen hierarchisch zu klassifizieren und ungleich zu behandeln. Die Schülerinnen sehen sich dagegen in einer weit weniger machtvollen Position und den benachteiligenden Praktiken des Lehrers ausgeliefert.7 Dabei wird durch die geschlechtliche Ansprache als ›Mädchen‹, in Verbindung mit der adressierenden Bezeichnung als defizitär hinsichtlich naturwissenschaftlicher Fähigkeiten, das dualistisch strukturierte und hierarchisch organisierte System der Geschlechterdifferenz vor der Deutungsfolie dominanter Geschlechterdiskurse und ihrer Wissensordnungen im sozialen Feld von Technik und Naturwissenschaft reproduziert. 8.1.2 »… fühl mich dann immer so ganz, ganz klein« An den Akten geschlechtlicher Differenzierung und Hierarchisierung im Rahmen des Physikunterrichts entzündet sich in der Gruppe-C eine hohe Dynamik in der gemeinsamen Bearbeitung der geteilten Erfahrung verletzender Ansprache, die sich in der weiteren Debatte dramatisch zuspitzt. So bringt sich nun auch Anna ergänzend in die Diskussion um den Physiklehrer ein und schildert eine offenbar wiederkehrend erlebte Unterrichtssituation: Anna:

Der stellt sich ja auch so hinter einen, das ist total ekelhaft und/ ((alle lachen))

7

Dieser Aspekt wird an späterer Stelle der Analyse präziser in den Blick genommen.

232 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Anna:

Nein-nein-nein, das ist SO ekelhaft, weil der stellt sich hinter einen, und ich hab das richtige Ergebnis in meinem Heft stehen, er liest sich das durch und lacht mich aus.

Finja:

JA! Das hat er [bei mir auch immer gemacht].

Anna:

[So dass ich mich nicht mehr] traue, mich zu melden. Dann gucke ich an die Tafel, [da steht GENAU das gleiche wie im Heft].

Davina:

[Deshalb, ich traue mich aber auch nicht/] hab mich auch nie getraut bei ihm was zu sagen, weil er sowieso, egal welches Mädchen, auch wenn das richtig ist, guckt er dich nur so vorwurfsvoll an [und so/

]

[((mehrere)) Ja, ja, und lacht]. Erika:

[Und er lacht einen aus.

Anna:

[Oh, dieses Lachen, ich hasse das.]

]

Erika:

[DAS ist das gerad Miese.]

Christa: [Und es ist auch nicht so ], dass das [äh jetzt nur wir sagen, das sind zwei Klassen.] Gabi:

[((lacht übermäßig mit juchzenden Lauten)) ]

Finja:

[Jetzt geht´s los!

Anna:

[Ja, es IST ja so!

Christa: [Das sagt echt Davina:

] ] ] die ganze Schule!

Die Jungs lieben ihn, [weil er Jungs richtig toll findet.]

Christa:

[Der Lehrer geht mit so/

] der geht einfach mit so ei-

nem Vorurteil in den Unterricht, Mädchen können das eh nicht. Und dann sagt er auch/ der sagt das auch offen: ›ja, mit euch Mädchen muss ich ja gar nicht reden, Physik ist eh nicht so euer Ding.‹ Also, und da kann man sich als Mädchen anstrengen wie man will. Anna:

Eben!

Christa: Also wie gesagt, ich mag Mathe total gerne, und Physik gehört für mich irgendwie auch dazu. Und eigentlich mag ich das ja total gerne. Aber wenn wir so einen Lehrer dann haben, dann mag man sich auch gar nicht mehr/ traut man sich ja gar nicht mehr, irgendwas zu sagen. Und dann/ Heike:

Man ist dann so verunsichert von denen, äh also ich bin dann immer so ganz eingeschüchtert und fühl mich dann immer so ganz, ganz klein, und dann, auch wenn ich vielleicht mal das richtige Ergebnis hab, dann würde ich nie im Leben dann mich trauen, trotzdem irgendwie mich dann noch zu melden, weil ich dann eh weiß, dass ich da irgend einen

Erika: Heike: Finja:

Doofen Kommentar [bekommst]. [@Mist oder so@], der da vor mich hin [brabbelt …

]

[((sehr leise)) Einfach zurück labern.]

Dimensionen der Subjektkonstitution | 233

Heike:

… und dann weiß ich eh nur, dass die dann nur so nach dem Motto zu mir sagen: ›Ja, du bist ja schon irgendwie so ein bisschen doof‹, aber ich weiß nicht also, ich finde/ ich bin immer da ganz unsicher.

Anna schließt an die vorangegangene Diskussion exemplifizierend mit einer Elaboration an, in der sie ein scheinbar wiederkehrendes Szenario aus dem Physikunterricht schildert, in dem sich der Lehrer hinter einzelne Schüler*innen postiert (»stellt sich […] hinter einen«) und somit außerhalb deren unmittelbaren Blickfeldes, scheinbar jedoch in direkter körperlicher Nähe, was von Anna als geradezu abstoßend empfunden wird (»das ist total ekelhaft«). Die Heftigkeit der Abwehrreaktion deutet darauf hin, dass der Lehrer mit diesem Verhalten das von Anna als angemessen empfundene Verhältnis von Nähe und Distanz nicht einhält. Zwar wird nicht deutlich, ob Anna dieses Verhalten des Lehrers als fahrlässig oder vorsätzlich einschätzt, doch fühlt sie sich offensichtlich in Anbetracht der Autorität des Lehrers sowie schulischer Konventionen nicht in der Position, sich der Verletzung ihres persönlichen Distanzbereichs zu erwehren. Die Vehemenz, mit der Anna ihren geradezu körperlichen Widerwillen zum Ausdruck bringt, löst bei ihren Mitschülerinnen langanhaltendes, überraschtes Lachen aus. Annas reduplizierte Verneinung, mit der sie auf das Lachen der Gruppe reagiert, wirkt sowohl intensivierend als auch beschwichtigend (»Nein-nein-nein«). Ohne die Ausgelassenheit der Gruppe ernsthaft zu unterbinden, macht sie einerseits deutlich, dass ihre abwertende Aussage über den Lehrer nicht als scherzhafte Übertreibung zu verstehen ist, während sie gleichzeitig die Gruppe implizit dazu auffordert, ihren weiteren Ausführungen Aufmerksamkeit zu schenken. So setzt sie noch einmal an, indem sie betont ihren bekundeten Ekel wiederholt (»das ist SO ekelhaft«), um diesen anschließend anhand der Beschreibung einer beispielhaften Situation zu begründen (»weil«). Dabei wechselt sie von der verallgemeinernden (»der stellt sich hinter einen«, Hervorh. M.S.) auf die Ebene persönlicher Erfahrung und wählt für ihre Erzählung die Gegenwartsform, was stilistisch die Eindringlichkeit und Aussagekraft ihrer Schilderung verstärkt. Sie erzählt von einer Begebenheit, in der der Lehrer hinter ihr stehend ein richtiges Lösungsergebnis in ihrem Heft registriert habe. Doch reagierte der Lehrer Annas Angaben zufolge konträr zu dem zu erwartenden Verhalten im Sinne einer lobenden Bestätigung ihrer Leistung, indem er sie ausgelacht und ihr damit demonstrativ Anerkennung verweigert habe (»ich hab das richtige Ergebnis […], er liest sich das durch und lacht mich aus«). Annas Erzählung zufolge ermächtigt sich der Lehrer über seine Autorität dazu, ihre fachlichen Fähigkeiten zu missachten und zu verkennen, anstatt sie zu honorieren. Finja stimmt mit Nachdruck zu (»JA«) und bestätigt Annas Schilderung, indem sie bezeugt, dass sich der Lehrer auch ihr gegenüber »immer« derart verhalten habe (»Das hat er bei mir auch immer gemacht«). Derweil beschreibt Anna, welche Folgen dieser wiederholt erfahrene Mangel an Konsistenz zwischen den eigenen Leis-

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tungen und deren Geringschätzung durch den Lehrer auf ihre Beteiligung am Physikunterricht hat: Sie »traue« sich »nicht mehr«, sich »zu melden«, obwohl sie ihr Können in der Übereinstimmung zwischen dem eigenen Ergebnis und dem an der Tafel legitimierten bestätigt sieht (»da steht GENAU das gleiche«). Das von Anna geschilderte Gefühl des Verlustes der eigenen Selbstwirksamkeit wird nun von Davina aufgegriffen, die sich weder jetzt traue, noch jemals getraut habe »bei ihm [dem Physiklehrer, Anm. M.S.] was zu sagen«. Bei ihr haben gleichartige Erfahrungen den Anlass zu diesem Vermeidungsverhalten gegeben, da es ihrer Ansicht nach unabänderlich sei (»sowieso«), dass jedes Mädchen ungeachtet noch so guter Leistungen nichts als Missbilligung durch den Lehrer erfahre (»egal welches Mädchen, auch wenn das richtig gut ist, guckt er dich nur so vorwurfsvoll an«, Hervorh. M.S.). Durch den Wechsel von der zunächst verallgemeinernden auf die persönliche Ebene, wird dabei ihre eigene Betroffenheit erkennbar. Mehrere der jungen Frauen bejahen dies zustimmend und verweisen ergänzend noch einmal nachdrücklich auf das Lachen des Lehrers (»Ja, ja, und lacht«), was von den Schülerinnen im gemeinsamen Diskurs zum Sinnbild der empfundenen Verachtung stilisiert und kollektiv bearbeitet wird. Derweil zeugt die hohe interaktive Dichte in Form der anhaltenden Überlappungen der Redebeiträge von der starken Fokussierung der Schülerinnen auf die Verhandlung dieses gemeinsamen Themas und dessen Bedeutsamkeit in der geteilten Erlebnisschichtung. So hebt auch Erika in Rückbezug auf Annas vorangegangenen Redebeitrag noch einmal hervor, dass der Lehrer die Schülerinnen »aus[lacht]«, während Anna erneut eindringlich den negativen Emotionen Ausdruck verleiht, die durch das Lachen des Lehrers bei ihr hervorgerufen werden (»Oh, dieses Lachen, ich hasse das«). Erika betont zusammenfassend, dass es vor allem dieses (Aus-)Lachen sei, das eine beschädigende Wirkung auf die Schülerinnen ausübe (»DAS ist das gerad Miese«).8 Wie deutlich wird, empfinden die Schülerinnen das Lachen des Lehrers als entmachtend, da es zu demonstrieren scheint, dass dieser es grundsätzlich ablehnt, ihnen wertschätzend zu begegnen und mehr als das: dass er ihnen trotz aller Anstrengungen ihrerseits die Anerkennung als Bildungssubjekte im traditionell männlich dominierten Wissensgebiet Physik verweigert. Denn gemäß den Erzählungen fungiert das Lachen des Lehrers als eine Art Korrektiv, mit dem die offenkundige Präsenz weiblicher Leistungsfähigkeit bzw. leistungsfähiger Frauen verkannt wird, die die symbolische Geschlechtergrenze bedroht, über die sich das Feld Physik als (exklusive) Männerdomäne konstituiert.

8

Jäckle et al. (2016) verweisen in ihrer Studie zur »Subjektivation von Jungen und Mädchen in der Schule« am Beispiel des ›Belächelns‹ von Mädchen darauf, dass die im Zuge subjektivierender Anrufungen implizierte Verletzbarkeit auch als eingebunden in patriarchale Strukturen zu betrachten sind (vgl. ebd., S. 146f.).

Dimensionen der Subjektkonstitution | 235

Gleichzeitig mit Erika bringt sich nun auch Christa elaborierend in die gemeinsame Debatte ein. Sie betont, dass sich die Darstellung des Lehrers nicht allein auf der Einschätzung der eigenen Gruppe gründe (»Und es ist auch nicht so, dass das jetzt nur wir sagen«, Hervorh. M.S.), sondern von weiteren »zwei Klassen« bestätigt werde. Die Konstruktion einer Gruppe Gleichgesinnter, die hier als potenzielle Zeugen der Verfehlungen des Lehrers diskursiv aufgeführt werden, untermauert den eigenen Wahrheitsanspruch zur Legitimierung des gemeinsamen Standpunktes der Schülerinnen. Die sich steigernde Spannung in der sich zunehmend eigendynamisch entwickelnden Diskussion, in der sich die jungen Frauen in der gemeinsamen Bearbeitung wechselseitig vorantreiben, entlädt sich bei Gabi in einem plötzlich jauchzenden Auflachen. Auch in Finjas Ausruf »Jetzt geht`s los!« dokumentiert sich eine gesteigerte Erwartung an die folgenden Ereignisse. Sie scheint einen Grad der Anspannung zu spüren, der sie eine unaufhaltsame Zuspitzung der kollektiv vorgebrachten Beschwerden über den Lehrer erwarten lässt. Ob und inwiefern sie die vornehmlich von ihren Mitschülerinnen offen vorgetragene Anklage gegen den Lehrer missbilligt, wird nicht deutlich, denn sie erhebt keine konkreten Einwände und hält sich auch weiterhin mit eigenen Redebeiträgen weitestgehend zurück. Anna dagegen verteidigt die dramatischen Schilderungen als Tatsachenbestand (»Ja, es IST ja so!«). Währenddessen erweitert Christa den Kreis der Gleichgestimmten um »die ganze Schule« – wobei anzunehmen ist, dass »die ganze Schule« hier synonym für die Gesamtheit der Angehörigen der eigenen Statusgruppe der Schüler*innen steht – und bekräftigt erneut den Wahrheitsgehalt der gemeinsamen Darstellungen (»echt«). Davina führ daraufhin eine antithetische Differenzierung an, mit der sie auf die Grenzen der Gültigkeit des gemeinsam entfalteten Standpunktes verweist, die sie entlang der Trennlinie Geschlecht markiert. Denn im Gegensatz zu den Schülerinnen sei die Gruppe der »Jungs« dem Lehrer sehr zugetan (»Die Jungs lieben ihn«) und zwar aus einem bestimmten Grund (»weil«), denn dieser würde seinerseits »Jungs richtig toll« finden. Demgemäß ist das Verhältnis zwischen dem Lehrer und seinen Schülern vor dem Hintergrund des gemeinsamen Merkmals männlicher Geschlechtszugehörigkeit von gegenseitiger Wertschätzung geprägt. Diesem Zusammenhang scheinen die Mitschülerinnen stillschweigend zuzustimmen, denn er steht keineswegs im Widerspruch zu den vorangegangenen Schilderungen, vielmehr bestätigt er diese, kommt in ihm doch die Geschlechtsbezogenheit der Ungleichbehandlung durch den Lehrer, der Jungen offenbar bevorzugt und Mädchen benachteiligt, explizit zum Ausdruck. An dieser Stelle wird deutlich, wie das Zitieren der binären Geschlechternorm durch den Lehrer im Rahmen seiner institutionell autorisierten Sprecher*innenposition in Form der geschlechtlichen Adressierungen der Schüler*innen als Mädchen und Jungen zum Ausgangspunkt einer kontextgebundenen Konstruktion privile-

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gierter Männlichkeit in der konkreten Unterrichtssituation wird (vgl. auch Budde et al. 2014, S. 112ff.), die im Modus der Abgrenzung und Abwertung von Weiblichkeit und gestützt durch kulturell verwurzelte Geschlechterstereotypen im technischnaturwissenschaftlichen Feld ihre Wirkung entfaltet. Dabei lässt sich das von den Schülerinnen explizierte Verhältnis zwischen ihren Mitschülern und ihrem Physiklehrer in Anlehnung an Connell (2000a) mit dem Begriff der »Komplizenschaft« (ebd., S. 100; vgl. Kapitel 3.1) näher beschreiben. Der Physiklehrer vereinigt in seinem Subjektstatus bestimmte Merkmale eines gegenwärtigen Leitbildes hegemonialer Männlichkeit, wie Macht und Autorität in seiner schulischen Funktion sowie mathematisches Denken und technische Rationalität durch seine feldspezifische Zugehörigkeit zum Wissenschaftsgebiet Physik. Die jungen Männer in ihrer Rolle als Schüler können dagegen kaum den normativen Anforderungen eines hegemonialen Männlichkeitsideals genügen, doch sichern sie sich durch die Anerkennung des Lehrers – bewusst oder unbewusst sowie unabhängig von ihren tatsächlichen Einstellungen und Verhaltensweisen den Mitschülerinnen gegenüber – die Vorteile, die sich für sie aus den geschlechterdifferenzierenden und -hierarchisierenden Praktiken des Lehrers im Rahmen des Physikunterrichts ergeben, über die sich auf diskursiver Ebene die männliche Dominanz im Feld Physik (re-)produziert. Doch zunächst knüpft nun Christa an Davinas Beitrag an und erläutert, dass der Lehrer Schülerinnen eindeutig mit »so einem Vorurteil« begegne, mit dem er ihnen jegliche Kompetenz in Sachen Physik abspreche. Dabei betont sie, dass dies keine bloße Vermutung von ihr sei, sondern seitens des Lehrers auch offen artikuliert werde, wie sie anhand eines Zitats zu veranschaulichen weiß (»Mädchen können das eh nicht«). Sie expliziert an dieser Stelle, dass es sich bei der Haltung des Lehrers um eine unreflektiert wertende Denkweise handele, die in diskriminierenden Handlungsmustern münde (»Vorurteil«), wobei der Lehrer nicht nur die tatsächlich erbrachten Leistungen der Schülerinnen ausblende, sondern Leistungsfähigkeit von Mädchen in Physik generalisierend aus dem Bereich des auch nur Möglichen und Vorstellbaren ausschließe. So würde der Lehrer es für müßig erklären, sich mit den Schülerinnen zu befassen, da ihnen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit zweifelsfrei die Neigung und Befähigung für Physik fehlen würde (»›mit euch Mädchen muss ich ja gar nicht erst reden, Physik ist eh nicht so euer Ding‹«). Diese Einstellung erscheint derart unumstößlich, dass die Schülerinnen zunächst keine Möglichkeit der Einflussnahme durch die eigene Handlungspraxis sehen,9 um den Lehrer vom Gegenteil zu überzeugen und eine angemessene Anerkennung ihrer Anstrengungen und Leistungen zu erhalten (»da kann man sich als Mädchen anstrengen wie man will«). Anna stimmt dem ausdrücklich zu (»Eben!«).

9

Wie sich noch im Weiteren zeigen wird, beurteilen die Schülerinnen ihre Situation letztlich nicht ganz so ausweglos, wie es zu diesem Zeitpunkt noch erscheinen mag.

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In diesem thematischen Zusammenhang bekräftigt Christa nun noch einmal eine von ihr zu einem früheren Zeitpunkt in der Diskussion geäußerte Präferenz für das Fach Mathematik (»Also, wie gesagt, ich mag Mathe total gerne«), das für sie auf eine diffuse Weise auch mit dem Fach Physik verbunden ist (»und Physik gehört für mich irgendwie auch dazu«, Hervorh. M.S.). Hier zeigt sich beispielhaft, wie bestimmte Wissensgebiete durch sich überlagernde Diskursordnungen als gemeinsamer Sinnzusammenhang wahrgenommen werden, der sich auch im handlungsleitenden Orientierungswissen junger Menschen am Übergang Schule-Studium/Beruf niederschlägt. Mit Blick auf die thematische Einführung der hier analysierten Diskussionsausschnitte erweist sich das Ensemble mathematisch-naturwissenschaftlicher Fächer auch in den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern der jungen Frauen unmittelbar mit technischen Wissen(schaft)sgebieten und Berufsfeldern verwoben.10 Auch wenn Christa zunächst damit deutlich macht, dass sie von ihren fachbezogenen Interessen und Neigungen überzeugt ist, schränkt sie die Gültigkeit dieser Selbstaussage anschließend indirekt ein (»Und eigentlich mag ich das ja total gerne«, Hervorh. M.S.). Denn der Umstand »so einen Lehrer« zu haben, habe zur Folge, dass »man sich ja gar nicht mehr [traut], irgendwas zu sagen«. Hier wechselt sie von der persönlichen zunächst auf eine vergemeinschaftende (»wenn wir so einen Lehrer dann haben«, Hervorh. M.S.) und schließlich auf eine allgemeine Ebene (»dann mag man […] traut man sich«, Hervorh. M.S.). Einerseits schützt die Verallgemeinerung in Bezug auf den Verlust des eigenen Zutrauens den persönlichen Selbstwert, indem Christa nicht direkt von der eigenen Betroffenheit und den eigenen Gefühlen spricht. Andererseits erhält ihre Aussage damit auch einen normativen Charakter und den Anschein einer logischen Konsequenz. Sie setzt zu einer weiteren Ausführung an (»Und dann«), wird jedoch von Heike unterbrochen, die unmittelbar an ihre Aussage anknüpft. Auch sie spricht, zunächst verallgemeinernd von der Befangenheit gegenüber anderen, unspezifischen Personen (»Man ist dann so verunsichert von denen«, Hervorh. M.S.). Indem sie von »denen« in der Mehrzahl spricht, nimmt sie eine implizite Pluralisierung vor, ohne genauer zu konkretisieren, wer diese anderen sind, an die sie bei dieser Formulierung denkt. Möglicherweise sind hier sowohl der Physiklehrer als auch die Mitschüler gemeint, die aufgrund der Gemeinsamkeit des männlichen Geschlechts und vor dem Hintergrundwissen um die männliche Dominanz im fachlichen Feld von ihr als Einheit wahrgenommen und vergemeinschaftet werden. Sie verzögert kurz (»äh«) und setzt dann ihren Gedanken fort (»also«), wobei sie nun ihre persönlichen Empfindungen beschreibt. Sie sei in einer solchen Situation (»dann«) stets völlig »eingeschüchtert« und fühle sich unterlegen, schwach und angreifbar (»fühle mich dann immer so 10 Ähnliche Bedeutungszusammenhänge werden bspw. auch über den MINT-Diskurs transportiert und stabilisiert.

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ganz, ganz klein«). Dies führe dazu, dass selbst für den Fall, dass sie eine Aufgabe richtig gelöst habe, sie sich auf keinen Fall (»nie im Leben«) »trauen« würde sich »zu melden«, da sie darum wisse, was sie zu erwarten habe (»weil ich dann eh weiß, dass ich da irgendeinen«). Erika fällt ihr an dieser Stelle mit einem Einwurf ins Wort, indem sie den von Heike angefangenen Satz damit vollendet, dass diese einen »[d]oofen Kommentar« erhalten würde. Heike selbst beschreibt die Reaktion des Lehrers dergestalt, dass dieser scheinbar unverständlich und unsinnig vor sich hinreden würde (»irgendeinen Mist oder so, der da vor sich hin brabbelt«), statt angemessen auf sie einzugehen. Den Berichten zufolge lässt der Lehrer die Schülerinnen in ihrem Bemühen, den normierenden Verhaltenserwartungen als Schülerinnen zu genügen, auflaufen, lässt sie vorsätzlich scheitern im Versuch gemäß institutionalisierter Konventionen mit ihm zu interagieren, indem er nicht erwartungsgemäß, in Form von Lob und Anerkennung bzw. von korrigierender Rückmeldung, auf die schulischen Anstrengungen der jungen Frauen reagiert. Während die von den Schülerinnen geschilderten Handlungspraktiken des Sich-Meldens, der Mitarbeit und Beteiligung von einer (formalen) Anpassung an verhaltensregulierende Konventionen innerhalb der autoritär strukturierten Unterrichtssituation zeugen, demonstriert der Lehrer Macht und Dominanz, indem er es Kraft seiner Autorität verweigert, dem situativen Kontext nach angemessen mit ihnen zu kommunizieren (»›mit euch […] muss ich ja gar nicht reden‹«; »doofen Kommentar«; »brabbelt«). Als eine Möglichkeit zum Widerstand schlägt Finja zurückhaltend »einfach zurück labern« vor und damit eine Form der strategischen Aneignung der durch den Lehrer praktizierten Machtausübung im Sinne herablassender Kommentierung. Doch wird diese Anregung von der Gruppe, deren gemeinsames Thema noch um die Aufarbeitung der kollektiv erfahrenen Herabsetzung kreist, nicht aufgegriffen und zu keinem gemeinsamen subversiven Handlungsansatz entwickelt (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 185). So fährt Heike fort, die von ihr antizipierten Konsequenzen zu schildern, die das Melden im Unterricht ihrer Überzeugung nach zur Folge hat (»dann weiß ich eh nur, dass«). Dazu entwirft sie erneut diskursiv eine unspezifische Kategorie ›Anderer‹ (»die«) – auch hier steht zu vermuten, dass es sich um den (männlichen) Physiklehrer und die (männlichen) Mitschüler handelt –, die sie sinngemäß (»nach dem Motto«) als »›irgendwie so ein bisschen doof‹« bezeichnen und ihr damit nicht nur eine fehlende fachliche Begabung, sondern auch einen Mangel an Intelligenz unterstellen würden. Sie scheint noch eine Ergänzung anknüpfen zu wollen (»aber«), sich des Gedankens jedoch nicht sicher zu sein (»ich weiß nicht«) und führt schließlich ihre Überlegungen damit fort, abschließend ihre starke Verunsicherung noch einmal zum Ausdruck zu bringen (»ich […] bin immer da ganz unsicher«), in der sich die beschädigende Wirkung der verletzenden Adressierungen im Rahmen des Physikunterrichts dokumentiert.

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Zunehmend wird deutlich, dass sich die Schülerinnen durch den Physiklehrer aufgrund ihrer weiblichen Geschlechtszugehörigkeit diskriminiert fühlen. Vor dem Hintergrund der Bedeutsamkeit schulischer Leistungsstärken und fachlicher Interessen in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern hinsichtlich einer technischen Berufswahlorientierung berichten sie von der systematischen Verkennung ihrer intellektuellen Fähigkeiten und Begabungen durch den gemeinsamen Physiklehrer auf der Grundlage stereotyper Vorurteile zugunsten von Jungen. So ermächtigt sich der Lehrer kraft seiner institutionell legitimierten Autorität dazu, gegen das schulische Grundprinzip der Leistungsgerechtigkeit zu verstoßen, indem er den Schülerinnen die Anerkennung ihrer Bildungserfolge verweigert. Stattdessen reduziert er sie allein auf ihre weibliche Geschlechtszugehörigkeit, die er durch die Aktualisierung und Dramatisierung dominanter Diskursordnungen bezüglich geschlechterpolarisierender Kompetenzzuschreibungen zum Stigma erklärt, zum Ausschlusskriterium aus dem Bereich anerkannter feldzugehöriger Subjektpositionen.11 In der Konsequenz werden fachbezogenes Interesse und Leistungsmotivation seitens der Schülerinnen als Verstoß gegen die normierende Bedeutungssetzung geschlechtlicher Differenzmarkierung ignoriert und sogar in Form herabsetzender und demütigender Reaktionen sanktioniert. Im Effekt erweisen sich die diskursiven und nicht-diskursiven Handlungen des Lehrers somit als Grenzziehungspraktiken, über die sich das Wissensgebiet Physik als männliche Domäne (re-)stabilisiert. Auf Seiten der Schülerinnen mündet die Erfahrung, durch das eigene Handeln in Form schulischer Anstrengungen keine positiven Konsequenzen herbeiführen zu können, in einem schwindenden Gefühl der Selbstwirksamkeit sowie zunehmender Frustration und Resignation. Die wiederholt erlebte Nicht-Anerkennung, Abwertung und Bloßstellung aufgrund der weiblichen Geschlechtszugehörigkeit führt somit zum Verlust von Selbstvertrauen und zur Beschädigung weiblicher Identität. Derweil wird die Wirkmächtigkeit der Adressierungen als defizitäre Mädchen in der eindringlich geschilderten Verunsicherung und dem Gefühl der Minderwertigkeit erkennbar, mit negativen Konsequenzen für die Unterrichtsbeteiligung der jungen Frauen, die durch Vermeidungsverhalten weiteren Verletzungen ihres Selbstwertes zu entgehen suchen. Doch sind die diskriminierenden Praktiken des Lehrers nicht als individuelles Fehlverhalten zu begreifen. Vielmehr ist ihre verhaltensregulierende Wirkung auf die Subjekte im foucaultschen Verständnis als Ausdruck bestehender Machtverhältnisse innerhalb der symbolischen Geschlechterordnung im Kontext von Technik und Naturwissenschaft zu begreifen. Somit entfalten die verletzenden Anrufungen 11 Nach Jäckle et al. (2016) beschreibt Stigmatisierung »ein dauerhaftes Herausfallen aus der Anerkennbarkeit, Identitätskonstruktionen sind damit nur im Rahmen des Defizitären möglich« (ebd., S. 150). Somit fungiert Stigmatisierung als Akte der Grenzziehung, verbunden mit Prozessen der Ausschließung und Sanktionierung (vgl. ebd., S. 149f.).

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ihre performative Kraft, indem sie die binäre Geschlechternorm zitieren und dabei auf konventionelle und differenzdramatisierende Männlichkeit- und Weiblichkeitsbilder rekurrieren, die sich in Anlehnung an Butler (1991) im Raster »kohärenter Normen der Geschlechtsidentität« (ebd., S. 38) über ihr diametral entgegengesetztes Verhältnis zu Naturwissenschaft und Technik definieren, während gleichzeitig und zwangsläufig die Norm der Zweigeschlechtlichkeit sowie das damit verbundene hierarchisch organisierte Geschlechterverhältnis (re-)produziert werden. Die Markierung weiblicher Subjekte als ›die defizitären Außenstehenden‹ im Kontext von Naturwissenschaft und Technik, über die sie für sich wie auch für andere als solche erkennbar werden, fungiert folglich als Exklusionsmechanismus, über den männliche Hegemonie und Feldzugehörigkeit gesichert wird. Indes ist die Position der Schülerinnen ihrem Lehrer gegenüber nicht uneingeschränkt machtlos, wie sich im Laufe dieser Analyse zunehmend herauskristallisiert. Denn während sich die Schülerinnen in der konkreten Unterrichtssituation den abwertenden Adressierungen ihres Lehrers ausgesetzt sehen, subvertieren sie diese in der gemeinsamen Bearbeitung, indem sie auf der Ebene des Diskurses die herrschenden Machtverhältnisse umkehren und nun ihrerseits den Lehrer zum Gegenstand kollektiver Abwertung durch verletzende Rede machen und darüber den eigenen Selbstwert stärken. 8.1.3 »… die Jungs kriegen alle eine Eins« Von den Schüler*innen der Gruppe-C wird an fortgeschrittener Stelle in der thematischen Diskussion über den gemeinsamen Physiklehrer und dessen geschlechterstereotype Adressierungen die Möglichkeit zum Widerstand explizit verhandelt: Erika:

Aber ich finde/ wir schreiben jetzt auch Freitag bei dem Lehrer einen Test, und ich finde, für mich ist das jetzt/ also ICH möchte da jetzt auch eine GUTE Note schreiben, weil ich ganz genau weiß, wenn ich jetzt noch eine Vier schreiben würde, oder eine Drei, [dann/

Davina: Erika:

]

[Dann hat er das bestätigt, was er/] Genau, dann hat er das bestätigt. Und deswegen weiß ich auch jetzt für mich, dass ich Freitag nicht eine schlechte Note schreiben werde. [Das ist ein guter Ansporn].

Anna:

[Bei uns hat er eine Entschuldigung], wenn er zu spät kommt. Seine Entschuldigung: ›Ich hatte noch was mit einer Schülerin zu tun.‹ ((mehrere lachen))

Anna:

Jedes Mal. Und dann guckt er, dann grinst er sich auch noch so blöde, dann steht er da: ›Ich hatte noch was mit einer Schülerin zu tun. Höhö!« ((alle lachen))

Dimensionen der Subjektkonstitution | 241

Anna: Gabi:

Das ist wirklich unglaublich! Aber wenn er dich nicht mag, dann mag er dich nicht. Da kannst du auch eine Eins im Test schreiben, [und Zwei bis]…

Davina: Gabi:

[Ist echt so!] … Drei mündlich, ich hatte auch eine Drei [im Zeugnis

].

[Und das hat man doch voll/] hat

Davina:

man doch voll gesehen, er so mit mündlichen Noten, alle Mädchen, vielleicht ein paar eine Zwei, sonst Dreien, Vieren, Fünfen, [die Jungs kriegen alle eine Eins]. Anna:

[In unserer Klasse gibt es keine Zwei].

Davina: Und dann Test, alle Jungs auf einmal eine Vier, weil sie es ja eigentlich gar nicht können. Aber er, er/ Anna:

Aber er ist cool.

Anna:

((leise)) Ich wollte was Gutes sagen.

((mehrere reden kurz durcheinander))

Nachdem die Schülerinnen sich weiter über die ungerechte und ungleiche Behandlung durch den Lehrer ausgetauscht und verschiedene Beispiele geschildert haben, erklärt nun Erika elaborierend ihre innere Haltung, mit der sie den Vorurteilen des Lehrers begegnet. Dabei setzt sie zu einem Einwand an (»Aber ich finde«), schiebt eine hinleitende Erläuterung ein, in der sie auf das konkret anstehende Ereignis eines Physiktests Bezug nimmt (»wir schreiben jetzt auch Freitag bei dem Lehrer einen Test«) und beginnt dann erneut damit, ihre persönliche Sichtweise auszuführen (»ich finde, für mich ist das jetzt«). Sie äußert den starken Wunsch bzw. das Vorhaben, eine »GUTE Note« zu schreiben und begründet dies eingedenk der vorurteilsbehafteten Erwartungshaltung des Lehrers mit einem präzisen Wissen um die Folgen (»weil ich ganz genau weiß, wenn […] dann«), sollte sie »jetzt noch eine Vier schreiben […] oder eine Drei«. Bevor sie ihren Gedanken zu Ende bringen kann, führt Davina diesen stellvertretend weiter aus, indem sie schlussfolgert, dass der Lehrer in einem solchen Fall seine Vorurteile gegenüber den Schülerinnen bestätigt sehen würde (»Dann hat er das bestätigt, was er«). Auch Davina kommt nicht dazu ihren Satz zu vollenden, denn nun wird sie ihrerseits von Erika unterbrochen, die zustimmend noch einmal Davinas Ergänzung ihrer eigenen Überlegung bekräftigt (»Genau, dann hat er das bestätigt«). Die Art und Weise, wie sich die jungen Frauen hier wechselseitig ins Wort fallen, um den Gedanken der anderen aufzugreifen und weiterzuführen, belegt die gemeinsame Fokussierung eines geteilten Erfahrungsraums. Den festen Willen in der anstehenden Prüfung »keine schlechte Note« zu schreiben, um die geschlechtertypisierenden Vorurteile des Lehrers zu entkräften, macht sich Erika als Antrieb zur Steigerung der eigenen Leistungsmotivation nutzbar (»Das ist ein guter Ansporn«). Die kognitive Umkehrung des Effektes verlet-

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zender Adressierung in Form zunehmender Frustration und Resignation in selbstermächtigendes Handeln zeugt von dem Bestreben, (vermeintliche) Autonomie über die eigene Identitätsposition zurückzugewinnen, anstatt sich der wahrgenommenen Klassifizierung als ›defizitäres Mädchen‹ zu unterwerfen. Hierbei erklärt sie die Ebene formalisierter Leistungsnachweise zum strategischen Möglichkeitsraum der Aneignung subversiver Handlungsmacht. Doch erscheint die Wirksamkeit dieser Taktik, auf individueller Ebene durch gesteigerte Anstrengungen die Unrechtmäßigkeit der Vorurteile des Lehrers aufzuzeigen und eine Veränderung der eigenen Einstellung und Handlungspraxis als Betroffene zu erzielen, fragwürdig.12 Denn für den Lehrer würde sich daraus keine Notwendigkeit ergeben, seine diskriminierende Haltung zu revidieren, die sich – gemäß den Aussagen der Schülerinnen – gerade nicht auf tatsächliche Erfahrungen stützt, sondern als stabile und veränderungsresistente Überzeugungen erscheinen, die sich jedweder Gegenbeweise verschließen. Das Beharren auf geschlechterstereotypisierende Denktraditionen erweist sich vielmehr als funktional, sichert sie doch die homosoziale Identität feldzugehöriger Subjektpositionen. Gleichzeitig wird deutlich, dass sich Erika, auch wenn sie sich selbst als widerständig begreift, doch in Konformität mit den an sie als Schülerin gerichteten normierenden Verhaltenserwartungen im Sinne von schulischer Leistungsbereitschaft entwirft. Dagegen ist die Ungleichbehandlung zugunsten von Jungen zweifelsfrei als »Verstoß gegen die Norm der leistungsgerechten Schule« (Jäckle et al. 2016, S. 207) sowie gegen das gesellschaftliche Postulat der Gleichberechtigung zu begreifen. Die Möglichkeit einer Beschwerde, gegebenenfalls durch die Einbeziehung von Eltern oder Vertrauenslehrer*innen, wird dagegen von den Schülerinnen nicht in Betracht gezogen. Dabei wissen sie an anderer Stelle von der positiven Erfahrung einer Schülerin aus der Abiturklasse zu berichten, deren Eltern sich bei der Schulleitung über den Lehrer beschwert hätten. Demnach habe der Lehrer sein Verhalten erst geändert, nachdem ihm Sanktionen seitens höherer Autoritäten drohten (»nur weil es vor die Schulleitung ging und er Druck bekommen hat«). Dass die Schülerinnen dieses Vorgehen nicht in Bezug auf die eigene Situation diskutieren, könnte einerseits ein Indiz dafür sein, dass für die jungen Frauen gesellschaftliche Geschlechterstereotype, die Frauen intellektuelle Fähigkeiten im Kontext von Naturwissenschaft und Technik absprechen, ein Bestandteil alltagsweltlicher Normalität darstellen. Andererseits könnte es jedoch auch dem Autoritätsgefälle zwischen den Rollen von Lehrenden und Lernenden und daraus resultierenden Verhaltensnormen 12 Auch in der Studie von Jäckle et al. (2016) findet sich die Bewältigungsstrategie von Schülerinnen mit guten Prüfungsleistungen den generalisierenden Vorurteilen vieler Lehrkräfte, mit denen sie Mädchen eine Begabung für Naturwissenschaft und Technik absprechen auf individueller Ebene zu begegnen, ohne dass dies von den Autorinnen als solches expliziert wird (vgl. ebd., S. 203).

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geschuldet sein, durch die sich die Schülerinnen in ihrem Handlungsspielraum begrenzt sehen. Erikas Ankündigung durch eine »GUTE Note« den Erwartungshaltungen des Lehrers nicht zu entsprechen, steht im Widerspruch zu der vorangehend geäußerten Einschätzung der Schülerinnen, als Mädchen bei ihm keine Chance auf eine ihren Leistungen entsprechende Benotung zu haben (»wir wissen auch, dass wir dann alle […] keine gute Note bekommen«; »Als Mädchen kann man bei ihm […] nichts Besseres als eine Drei […] bekommen«; »da kann man sich als Mädchen anstrengen wie man will«). Und so scheinen die Mitschülerinnen von Erikas Vorhaben auch wenig überzeugt, wie es Gabi später antithetisch zum Ausdruck bringen wird. Doch zuvor nimmt Anna noch einmal thematischen Bezug auf einen Erikas Redebeitrag unmittelbar vorgängigen Diskussionsabschnitt, in dem einige der Schülerinnen erzählten, dass sich der Lehrer selbst über institutionelle Verhaltenskonventionen hinwegsetze, indem er sich bspw. für eigenes Zuspätkommen zum Unterricht nur in Ausnahmen entschuldige, während er vergleichbare oder sogar nichtigere Fehltritte seitens Schülerinnen hart sanktioniere. »[D]ie Jungs« dagegen »können sich erlauben, was sie wollen«, denn er finde »die Jungs sowieso immer cool« und verhalte sich »immer so kumpelhaft zu den Jungs«, während die Mädchen für ihn stets »[d]ie Bösen« seien. In diesem kontrastierenden Vergleich zeigt sich noch einmal besonders deutlich die empfundene Diskriminierung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit zugunsten von Jungen, wobei nun neben der Benotung schulischer Leistungen auch die Disziplinierung des Verhaltens relevant gemacht wird. Mit dem Narrativ Mädchen als »die Bösen, [Hervorh. M.S.]« zu bezeichnen, denen gegenüber Jungen sinngemäß als ›die Guten‹ beschrieben werden, verabsolutieren die Schülerinnen die wahrgenommene geschlechtsbezogene Differenzmarkierung sowie daran gebundene Ungleichbehandlungen durch den Lehrer und verdeutlichen damit das Ausmaß der wahrgenommenen Benachteiligung.13 Demnach zieht ver13 Diese Darstellung der Schülerinnen steht im Kontrast zur verbreiteten Vorstellung von Lehrkräften, die vornehmlich Mädchen als brav und angepasst, Jungen dagegen als renitent und undiszipliniert wahrnehmen, was in der Folge tendenziell zu einer Bevorzugung von Mädchen und Benachteiligung von Jungen bei der Notenvergabe führt, wie in der Schulsozialforschung wiederholt herausgestellt wird (vgl. Budde et al. 2008, S. 187f.; Faulstich-Wieland et al. 2004, S. 216; Jäckle et al. 2016, S. 200f.). Dabei weisen Jäckle et al. (2016) darauf hin, dass sich aus diesen Fremdpositionierungen Diskriminierungen sowohl für Schüler, die sich durch den ihnen unterstellten Mangel an Disziplin häufig von Lehrkräften nicht wertgeschätzt fühlen, als auch für Schülerinnen ergeben, die sich damit konfrontiert sehen, dass ihnen im Vergleich zu ihren Mitschülern geringere intellektuelle Fähigkeiten zugeschrieben werden und die ihre guten Leistungen eher auf besonderen Fleiß oder sogar auf eine Bevorzugung aufgrund der physischen Erscheinung zurückgeführt sehen (vgl. ebd., S. 200ff.).

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gleichbares Verhalten für Jungen und Mädchen unterschiedliche Konsequenzen nach sich: Während der Lehrer Schülern, als Angehörige der eigenen (männlichen) Geschlechtsgruppe, stets mit Anerkennung, Wertschätzung und Nachsicht begegnet, wertet er Schülerinnen grundsätzlich ab und maßregelt ihr Betragen unverhältnismäßig. Dieser Hintergrund ist für die nun folgende nachträgliche Ergänzung Annas interessant, die aus einer anderen Klasse stammt und das Beispiel des verspäteten Erscheinens zum Unterricht in Form einer differenzierenden Elaboration aufgreift. In ihrer Klasse habe der Lehrer im Falle einer Verspätung seinerseits stets die gleiche Entschuldigung (»Bei uns hat er eine Entschuldigung, wenn er zu spät kommt«, Hervorh. M.S.), die sie zitierend mit den Worten wiedergibt: »Ich hatte noch was mit einer Schülerin zu tun«. Das einstimmig verstehende Lachen der Mitschülerinnen zeugt davon, dass sie die Doppeldeutigkeit des Aussagesinns vor dem Hintergrund der geteilten Erlebnisschichtung erkennen, ohne dass es dafür einer weiteren Kommentierung bedarf. Das kollektive Verständnis für den Subtext erweist sich an dieser Stelle als hoch selektiv und kontextgebunden. Während auf expliziter Bedeutungsebene die Bemerkung des Lehrers zunächst konform mit seinem pädagogischen Bildungsauftrag, hier im Sinne eines Sich-Kümmerns um die Belange von Schüler*innen erscheinen mag, wird sie im Kontext der Schilderung wiederholt erlebter geschlechtsbezogener diskriminierender Praktiken des Lehrers als anzüglich und sexistisch entlarvt. Das nun folgende detailliert beschriebene Szenario sei dabei kein Einzelfall, sondern Standard, wie Anna hervorhebt (»Jedes Mal!«), was diesem den Anschein einer wohlkalkulierten Selbstdarstellung des Lehrers verleiht. So taxiere er die Schüler*innen mit einem von den jungen Frauen offenbar als selbstgefällig wahrgenommenen Lächeln, während er vor ihnen stehend seine immer gleiche Erklärung abgebe (»dann guckt er, dann grinst er sich auch noch so blöde, dann steht er da«), die Anna wiederholend zitiert und um die Nachahmung eines ironisierenden Lachens erweitert (»Höhö!«), das letzte Zweifel an der frivolen Zweideutigkeit der Aussage auszuräumen vermag. Dies bestätigt sich auch in dem erneut langanhaltenden Gelächter der Mitschülerinnen, während Anna abschließend noch einmal ihrer Empörung über das Verhalten des Lehrers Ausdruck verleiht (»Das ist wirklich unglaublich!«). Die Inszenierung als heterosexueller Mann im männlich codierten Feld Physik kann im butlerschen Sinne als eine kohärente Darstellungspraktik intelligibler – und im Sinne Connells (2000a) auch hegemonialer – Männlichkeit interpretiert werden, bei der Körper, Identität und Begehren innerhalb der ›heterosexuellen Matrix‹ in einem konstanten wechselseitigen Bezugssystem aufeinander verweisen (vgl. Butler 1991, S. 38f.; Kapitel 4.3). Intelligible (heterosexuell-begehrte) Weiblichkeit steht dagegen gemäß der Konstruktionslogik binär codierter und komplementär organisierter Geschlechteridentitäten in einem widerspruchsvollen bzw. inkohärenten Verhältnis zu den traditionell männlich vergeschlechtlichten Technik- und Natur-

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wissenschaften, d.h. sie schließen einander in ihren Bedeutungskontexten aus, erscheinen im hegemonialen Weiblichkeitsdiskurs gegensätzlich und inkompatibel.14 Dass der Lehrer – gemäß der Erzählungen der Schülerinnen – sich selbst als »Begehrenssubjekt« (Foucault 1986b, S. 12) positioniert, indem er demonstrativ Schülerinnen als Begehrensobjekte sexualisiert, während er ihnen gleichzeitig die Anerkennung ihres fachbezogenen Leistungsvermögens verweigert, impliziert die symbolische Situierung der jungen Frauen außerhalb des umkämpften Feldes der traditionellen Männerdomäne.15 So hat die Aktivierung der heteronormativen Begehrensordnung (vgl. Fritzsche und Hartmann 2007, S. 137) hier einen verstärkenden Effekt auf die geschilderten sozialen und symbolischen Grenzziehungspraktiken des Lehrers zur Sicherung männlicher Exklusivität im Wissen(schafts)sgebiet Physik. Gabi geht auf Annas Nachtrag nicht weiter ein, sondern knüpft im Folgenden mit einem Einwand (»Aber«) an den vorangegangenen Redebeitrag von Erika an, in welchem diese ankündigte, den Vorurteilen des Lehrers durch gute Prüfungsleistungen die Grundlage entziehen zu wollen. Gabi hält dem nun eine tautologische Aussage entgegen, in der sie die Gültigkeit einer gehegten Antipathie des Lehrers generalisiert (»wenn er dich nicht mag, dann mag er dich nicht«). Dieser Zirkelschluss in der Bedeutungslogik unterstreicht Gabis Überzeugung, dass alle Bemühungen, die Haltung des Lehrers zu beeinflussen zwecklos seien. Exemplifizierend führt sie auf, dass einzelne Teilleistungen ihrer Erfahrung nach nicht auf die letztliche Zeugnisnote schließen lassen (»Da kannst du auch eine Eins im Test schreiben, und Zwei bis Drei mündlich, ich hatte auch eine Drei im Zeugnis«). Davina bekräftigt Gabis Einschätzung als Tatsachenbestand (»Ist echt so!«) und stellt in ihrer anschließenden Erzählung die Geschlechtsbezogenheit der Voreingenommenheit des Lehrers noch einmal explizit am Beispiel einer (scheinbar kürzlich) erfolgten Vergabe mündlicher Noten heraus. Dabei wäre es offen zutage getreten (»das hat man doch […] voll gesehen«), dass »alle Mädchen« mit nur wenigen Ausnahmen (»vielleicht ein paar eine Zwei«) von ihm mittlere bis schlechte Noten erhielten (»sonst Dreien, Vieren, Fünfen«), während dagegen sämtliche Jungen der Klasse »eine Eins« bekämen. Anna wirft ein, dass es in ihrer Klasse »keine Zwei« geben würde – mit Blick auf den Gesamtkontext ist anzunehmen, dass sie dies allein auf die Noten 14 Der Aspekt der Inkompatibilität der Bedeutungsmuster von intelligibler Weiblichkeit und Technik als wirkmächtiges normatives Orientierungsmuster (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 187ff.) wird in der weiteren Analyse des empirischen Materials präzise herausgearbeitet (vgl. Kapitel 8.2). 15 Mit Blick auf das Selbstverständnis von Ingenieur*innen stellt auch Inka Greusing (2015) in ihrer Studie über den Zusammenhang von Fachhabitus und Geschlechterwissen mit Bezug auf Butler heraus, dass und wie die heteronormative Zweigeschlechtlichkeit an der (Re-)Konstituierung der Ingenieurwissenschaften als Männerdomäne mitwirkt (vgl. ebd., S. 138ff.).

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der Schülerinnen bezieht – und bekräftigt damit noch einmal das Ausmaß der benachteiligenden Benotung von Mädchen durch den Lehrer. Unterdessen führt Davina weiter aus, dass im Gegensatz zur mündlichen Beurteilung des Lehrers die Jungen in schriftlichen Prüfungen nur ausreichende Leistungen erzielen würden (»alle Jungs auf einmal eine Vier«), was Davina damit begründet (»weil«), dass die Jungen Physik tatsächlich »gar nicht können«.16 Für Davina liefern demnach schriftliche Prüfungen, die – vermutlich aufgrund transparenter und vergleichbarer Kriterien – ihrer Ansicht nach eine objektiv-neutrale Beurteilung zu gewährleisten scheinen, den Beweis dafür, dass die Notenvergabe des Lehrers nicht auf dem tatsächlichen Leistungsniveau seiner Schüler*innen basiere, sondern auf geschlechterstereotypen Fähigkeitsattribuierungen vor dem Hintergrund kulturell verankerter, differenzorientierter Geschlechterbilder. Anders als Erika ist sie jedoch davon überzeugt, dass dieser Sachverhalt keinen Einfluss auf die geschlechtsbezogenen Vorurteile des Lehrers zuungunsten von Schülerinnen hat. Sie hebt dazu an, noch etwas in Bezug auf den Lehrer zu äußern, das das Aufzeigen der Unstimmigkeit zwischen der Erwartungshaltung des Lehrers den Jungen gegenüber und deren tatsächlichen Leistungen erwarten lässt (»Aber er, er«), doch fällt ihr Anna ins Wort, die ihren Satz aufgreift und ironisierend mit einer positiven Aussage über den Lehrer zu Ende führt (»Er ist cool«). Die Gruppe zeigt sich in dem kurzen, jedoch aufgebrachten Durcheinander überrascht und irritiert, womit deutlich wird, dass Annas Bemerkung ihrem expliziten Sinngehalt nach nicht nur im Widerspruch zu ihren eigenen vorangegangenen Darstellungen steht, sondern in Opposition zur kollektiv entfalteten Gruppenmeinung wahrgenommen wird. Anna reagiert auf den spürbaren Widerstand ihrer Mitschülerinnen, indem sie ihren Kommentar damit zu rechtfertigen – vielleicht gar zu entschuldigen – sucht, dass sie »was Gutes« sagen wollte, was eine gewisse Beliebigkeit impliziert, womit die explizite Bezugnahme auf den Lehrer als belanglos erklärt und stattdessen durch die Absichtsbekundung überzeichnet wird, einen positiven Gegenakzent zur negativen Grundfärbung der gemeinsamen Diskussion zu setzen. Deutlich wird, dass die Schülerinnen die dargelegten geschlechterstereotypen Fähigkeitsattribuierungen des Lehrers als verfestigt und veränderungsresistent wahrnehmen und zwar sowohl in Bezug auf die tatsächlichen Leistungen der Mädchen als auch der Jungen. Somit wird auch der Strategieentwurf, der ungerechtfertigt unterstellten Inkompetenz durch die Demonstration individueller Leistungsfähigkeit innerhalb der institutionalisierten Prüfungsregularien und konventionellen Verhaltensnormen widerständig zu begegnen, als Möglichkeit zur subversiven 16 Inwiefern bei der mündlichen Benotung der Jungen nicht allein ihre Bildungserfolge, sondern möglicherweise eine höhere Unterrichtebeteiligung im Vergleich zu den verunsicherten und gehemmten Mädchen stärker ins Gewicht fällt, wird von den Schülerinnen nicht in ihre Überlegungen einbezogen.

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Handlung verworfen. Durch die Selbstautorisierung des Lehrers, der Bewertung von Leistung und Verhalten der Schüler*innen ein eigenes, illegitimes Klassifizierungsraster entlang der Differenzlinie Geschlecht zugrunde zu legen, scheinen die institutionalisierten Regeln und Normen in ihrer handlungsleitenden Orientierungsund Kontrollfunktion außer Kraft gesetzt. Doch werden die Schülerinnen auf anderer Ebene als widerständig erkennbar, indem sie selbst einen Ungerechtigkeitsdiskurs vor dem Hintergrund des gesellschaftlich normierten Gebots der geschlechtlichen Gleichstellung entfalten, aus dem heraus sie sich selbst dazu ermächtigen, die herabsetzenden Adressierungen des Lehrers abzuwehren und umzukehren. Auf der anderen Seiten kann jedoch auch die diskriminierende Haltung des Lehrers selbst als ein Akt des Widerstandes interpretiert werden, über den die zunehmend bedrohten Grenzen von Naturwissenschaft und Technik als traditionelle Männerdomänen in ihrer identitätsstiftenden Funktion der Darstellung intelligibler (und hegemonialer) Männlichkeit stabilisiert werden. Das Aufrufen der Norm heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit, die nach Butler (2014) mit Identitätsanforderungen an Kohärenz und Kontinuität verwoben ist (vgl. ebd. S. 38ff.), wird in diesem Zusammenhang als ein Mechanismus erkennbar, über den diskursive Praktiken der symbolischen Ausschließung weiblicher Subjektpositionen aus dem männlich codierten Feld sozial wirksam werden (können). So zeigen sich in den Schilderungen der Schülerinnen machtvolle Mechanismen sowohl der Exklusion als auch der Inklusion durch geschlechterkonstituierende Adressierungen, verbunden mit differenzgenerierenden Prozessen der (Nicht-)Anerkennung, die dazu beitragen die symbolische Geschlechtergrenze im technisch-naturwissenschaftlichen Diskursfeld aufrechtzuerhalten und die traditionelle Exklusivität der männlichen Domäne zu (re-)stabilisieren. 8.1.4 Zusammenfassung Die voranstehende Analyse verdeutlicht, wie im Kontext von Naturwissenschaft und Technik geschlechterstereotype Fähigkeitsattribuierungen der sozialen Umwelt und sozialisationsrelevanter Personen (»Eltern«; »Umgebung«; »Lehrer« [und möglicherweise auch Peers, Anm. M.S.]) bei jungen Frauen am Übergang SchuleStudium/Beruf zu Verlusten in Bezug auf Selbstvertrauen und Leistungsmotivation führen und die Entwicklung und Verstetigung fachbezogener Interessen und berufsrelevanter Fähigkeitsselbstkonzepte eindämmen (können). Dieser Zusammenhang wird von den hier diskutierenden Schülerinnen am konkreten Beispiel der geteilten Erlebnisschichtung im konjunktiven Erfahrungsraum Schule in Form geschlechtsbezogener Benachteiligung durch den gemeinsamen Physiklehrer kollektiv bearbeitet und als Orientierungsrahmen im Zuge der Diskussion um berufliche Selbstindungsprozesse relevant gemacht. Im univoken Diskursmodus berichten die jun-

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gen Frauen von der homologen Erfahrung, dass ihnen durch den Lehrer aufgrund geschlechtsbezogener Vorurteile zugunsten von Jungen intellektuelle Fähigkeiten und Begabungen abgesprochen sowie die Anerkennung ihrer Bildungserfolge durch eine leistungsgerechte Benotung verweigert wird. Aus ethnomethodologischer Perspektive verdeutlicht die Analyse der Diskussionsabschnitte, wie in schulischen Interaktionsprozessen zwischen Lehrenden und Lernenden institutionelle wie geschlechtliche Ungleichheitsarrangements simultan reproduziert werden. Deutlich erfolgen die Handlungsmuster der Beteiligten vor dem Hintergrund einer impliziten Wissenstradition über schulische Regeln und Konventionen, die sich zu historisch-institutionellen Verhaltenserwartungen und Handlungsroutinen im Sinne von ›doing difference‹ verdichtet haben, über die einerseits soziale Ungleichheit hervorgebracht und gleichzeitig das asymmetrische Beziehungsarrangement als soziale Ordnung normalisiert wird (vgl. Fenstermarker und West 2001, S. 236ff.). Dabei zeugen die Erzählungen der jungen Frauen davon, wie im Zuge des Interaktionsgeschehens im Unterricht Differenz und Hierarchie auf mehrdimensionaler Ebene hervorgebracht werden: Gestützt durch seine schulische Legitimation inszeniert sich der Lehrer demzufolge als Autorität und demonstriert dabei gegenüber seinen Schüler*innen Dominanz und Überlegenheit, womit sich das institutionalisierte Ungleichheitsverhältnis (re-)formiert. Gleichzeitig wird durch die geschlechtlich differenzierenden Adressierungen der Schüler*innen als Mädchen und Jungen einerseits sowie die geschlechtlichen Selbstdarstellungen des Lehrers andererseits die binär strukturierte und hierarchisch organisierte Geschlechterordnung aktiviert, innerhalb derer sich der Lehrer selbst als heterosexueller Mann machtvoll positioniert. Somit zeigt die Analyse beispielhaft, wie in Prozessen des ›doing difference‹ in der Verzahnung mit Praktiken von ›doing gender‹ und ›doing hierarchy‹ über den schulischen Kontext hinausgehende gesellschaftlich institutionalisierte Ungleichheits- und Machtverhältnisse fortgeschrieben und gleichsam als vermeintlich natürlich erscheinende Ordnung naturalisiert werden. Indes sehen sich die Schülerinnen aufgrund der hierarchischen Strukturen der Institution Schule in ihrer Handlungsmöglichkeit begrenzt und folglich den diskriminierenden Praktiken des Lehrers ausgesetzt, der sie als defizitäre weibliche Subjekte klassifiziert und definiert. Auch wenn aktuelle Studien bestätigen, dass Schülerinnen von Lehrkräften im Fach Physik häufig schlechter benotet werden als es ihren Fähigkeiten entsprechen würde (vgl. Hofer 2015; Jäckle et al. 2016, S. 203), ist es für die vorliegende Studie nebensächlich, inwiefern die von den Diskutantinnen empfundene Benachteiligung und Abwertung ihre Entsprechung im tatsächlichen Interaktionsgeschehen im Rahmen des Physikunterrichts finden. Von vordergründiger Bedeutung ist dagegen, inwiefern sich in den Wahrnehmungen der Schülerinnen geschlechternormierende Anrufungen dokumentieren und auf welche Weise diese von den jungen Frauen kollektiv bearbeitet werden.

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In den Darstellungen der Schülerinnen zeigt sich, wie in den wahrgenommenen Anrufungen des Lehrers als ›Mädchen, die keine Physik können‹ differenzgenerierende Geschlechterbilder aufgerufen und innerhalb der naturwissenschaftlichen Wissensordnung hierarchisch zueinander in Beziehung gesetzt werden. So fordert der Lehrer seine Schüler*innen vor dem Hintergrund sich wechselseitig durchdringender Diskursfelder von Technik, Naturwissenschaft und Geschlecht gemäß vorgängiger Bedeutungssetzungen und Verweisungsstrukturen dazu auf, innerhalb der von ihm repräsentierten männlich codierten Wissensordnung der Physik bestimmte – und im Sinne Butlers zumindest zeitweilig totalisierende – geschlechtliche Existenzweisen anzunehmen: als unfähige Mädchen und begabte Jungen. Widerständige Entwürfe seitens der Schülerinnen, wie sie in einer leistungsstarken Unterrichtsbeteiligung zum Ausdruck kommen, werden dagegen verworfen, unsichtbar gemacht und sanktioniert. Derweil werden in den gravierenden Folgen für die Selbstwahrnehmung der jungen Frauen, die sich in Verunsicherung bezüglich der Einschätzung eigener Fähigkeiten, Befangenheit im Unterrichtskontext sowie dem Gefühl der Minderwertigkeit manifestieren, im foucaultschen Verständnis von Macht als handelnde Einflussnahme auf das Handeln Anderer (vgl. Foucault 2005, S. 281f.), die Effekte dominanter Diskursordnungen als Ausdruck bestehender Machtverhältnisse erkennbar. Wie auch Jäckle et al. (2016) in diesem Zusammenhang betonen, wird damit deutlich, »dass Verletzbarkeiten nicht unberührt von Machtverhältnissen zu denken sind« (ebd., S. 151), da andernfalls »strukturelle Gewaltakte individualisiert und damit in ihrer strukturellen Gewaltlogik neutralisiert« (ebd.) werden. Denn die Wirkmächtigkeit der Anrufung liegt eben nicht allein in der mit Autorität ausgestatteten Sprecher*innenposition des Lehrers innerhalb der hierarchisch strukturierten Bildungsinstitution Schule begründet, sondern insbesondere im Modus des Performativen, mit dem die Norm der Zweigeschlechtlichkeit zitiert sowie kulturell verwurzelte, stereotype Geschlechterbilder aktualisiert werden, die als alltagtheoretische Wissensbestände in der Gegenwartsgesellschaft zirkulieren. Anknüpfend an die Überlegungen Foucaults und Butlers schließen folglich die Aussagen des Lehrers an eine Reihe vorgängiger Aussageformationen an, die als Sedimente einer historisch-kulturellen Bedeutungsschichtung eine vermeintliche Wahrheit und Wirklichkeit von Geschlecht konfigurieren und dabei immer auch bestimmte Subjektpositionen hervorbringen und zueinander ins Verhältnis setzen (vgl. auch Jäckle et al. 2016, S. 63f.). In diesem Sinne bilden historisch gewachsene und kulturell verankerte Normen und Konventionen, die Weiblichkeit und technisch-naturwissenschaftliche Kompetenz als inkohärente und widerspruchsvolle Bedeutungen setzen, die Hintergrundfolie für geschlechtliche bzw. vergeschlechtlichende Subjektivierungsangebote, auf die der Lehrer die Schülerinnen diskursiv verweist und die er zugleich zitiert und reproduziert. So werden durch die subjektkonstituierenden Anrufungen des Lehrers vorgängige Bedeutungssetzungen und Verwei-

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sungssysteme aktualisiert, die durch gesellschaftliche Machtverhältnisse, ihre Wissensordnungen und den sich in ihnen fortschreibenden Normen der Anerkennbarkeit vorstrukturiert sind und dabei die Identitätsentwürfe junger Frauen (und Männer) rahmen. Wird nun der Blick auf die Funktionalität der aufgezeigten Normalisierungstechniken im Zuge geschlechtlicher Subjektivierungsweisen zentriert, so zeitigt die diskursive (Re-)Produktion der binär-heterosexuellen Geschlechternorm über Prozesse der (Nicht-)Anerkennung – wie sie in der geschlechterpolarisierenden und -konstituierenden Zuordnung technisch-naturwissenschaftlicher Kompetenz ihren Ausdruck finden – die Aufrechterhaltung männlicher Dominanz in den sogenannten ›harten‹, männlich codierten Wissenschaften wie der Physik, die mit ihren Erkenntnissen das Grundlagenwissen der anwendungsbezogenen Technikwissenschaften bildet und deren traditionell männliche Geschlechtersymbolik gleichsam bestätigt. Denn im Raster intelligibler »Geschlechter- und Begehrensordnungen« (Fritzsche und Hartmann 2007, S. 137) und seinen auf Konstanz und Kohärenz aufruhenden Bezugsmustern, wie sie in den diskursiven Praktiken des Lehrers aufgerufen und fortgeschrieben werden, markiert die Norm der heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit eine Differenz, über die machtvolle Mechanismen der Inklusion durch Exklusion auch im Feld von Naturwissenschaft und Technik aktiviert und sozial wirksam werden. »In diesem Sinne sehen wir die ›Norm‹ als das, was uns verbindet, wir sehen aber auch, dass die ›Norm‹ nur durch eine Strategie des Ausschlusses Einheit herstellt« (Butler 2012, S. 328). Doch auch wenn sich die Subjekte im Sinne Butlers nicht frei von wirkmächtigen Anrufungen durch Andere bzw. durch ein ›konstitutives Außen‹ selbst erkennen können, sind sie doch nicht dazu verurteilt, sich daraufhin in vorbestimmter Weise umzuwenden und die identitätsrelevanten Klassifizierungen gleichsam anzunehmen. Vielmehr obliegt es den Individuen selbst, sich innerhalb der diskursiv gesetzten Grenzen kultureller Intelligibilität zu positionieren und zu entwerfen. So zeigt sich, dass obwohl die hier diskutierenden Schülerinnen von den verletzenden Adressierungen durch den Lehrer in ihrem Selbst berührt werden, sie sich diesen doch nicht vollständig unterwerfen und sie nicht widerstandslos in ihre Identität einlassen.17 Vielmehr zeugt der Modus der gemeinsamen Bearbeitung im Rahmen der Gruppendiskussion davon, wie die jungen Frauen auf der Grundlage eines implizit gemeinsam aufgerufenen (Un-)Gerechtigkeitsdiskurses, den sie dem vom Lehrer aktivierten Diskurs um geschlechtliche Differenzlinien entgegensetzen, das 17 Dabei könnte möglicherweise auch eine Rolle spielen, dass es sich hier um jüngere Schülerinnen zwischen 14 und 16 Jahren handelt, die sich in ihrer Identitätsarbeit in dieser frühen Phase der Adoleszenz noch weniger an differenzbasierten Geschlechterbilder orientieren bzw. noch nicht im vollen Ausmaß mit normativen Anforderungen an eine intelligible weibliche Identität konfrontiert werden.

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Kräfteverhältnis umkehren und sich auf diese Weise selbst dazu ermächtigen, den Lehrer abwertend zu klassifizieren und seine diskriminierenden Praktiken als Verstoß gegen die gesellschaftlich-dominante Norm der Gleichbehandlung anzufechten, die sie zum gemeinsamen Thema einer kritischen Auseinandersetzung machen. Gerade in der vehementen Zurückweisung der verletzenden Adressierungen entfaltet sich das Kollektive in der gemeinsamen Orientierung.

8.2 AUSSCHLIEßUNGSLOGIKEN VON WEIBLICHKEIT UND TECHNIK IN PERFORMATIVEN PROZESSEN DER GESCHLECHTERKONSTRUKTION ›Frauen und Technik‹ – in dieser alltagsweltlichen Phrase kommt die Annahme einer Dissonanz von Weiblichkeit und Technik zum Ausdruck, deren normativer Charakter gerade darin erkennbar wird, dass ein Verstehen des Ungesagten und Unausgesprochenen vorausgesetzt wird. Auch wenn diese Kombination an Wörtern nicht einmal einen vollständigen Satz bildet, funktioniert sie doch im kollektiven Verständnis ihrer sich wechselseitig ausschließenden Bedeutungssetzung, ohne dass es einer näheren Erläuterung bedarf. Die Wirkmächtigkeit dieser sprachlichen Formel liegt somit nicht im expliziten Aussagegehalt der einzelnen Fragmente begründet. Vielmehr knüpft sie zitierend an eine Reihe vorangegangener Aussageformationen an, die normative Vorstellungen über eine vermeintliche Inkompetenz von Frauen im Umgang mit Technik aufrufen und dabei auf die von Dichotomizität und Hierarchie gekennzeichnete Geschlechterordnung rekurrieren.18 Wie feministische Technikforschung und (wissens-)soziologische Geschlechterforschung herausgestellt haben, ist Technik kein (geschlechts-)neutraler Gegenstand objektiver Wissenschaft, sondern ein historisch sedimentiertes und kulturell verankertes Symbol (hegemonialer) Männlichkeit. Technik und Männlichkeit erweisen sich als wechselseitig konstitutiv und bedingen somit gemäß der bipolaren Logik normativer Zweigeschlechtlichkeit den Ausschluss des Weiblichen (vgl. Kapitel 3.3). Auch in den Gruppendiskussionen lässt sich im Rahmen der gemeinsamen

18 Einen ähnlichen Modus der diskursiven Erzeugung einer spezifischen Variante von Wirklichkeit über Geschlecht veranschaulichen Jäckle et al. (2016) im Rahmen ihrer empirischen Analyse am Beispiel eines Schülers, der sich gegenüber seiner Lehrerin mit dem Begriff ›Frauenlogik‹ als einem iterativ-performativen Sprechakt machtvoll positioniert (vgl. ebd., S, 64f.). Den Autorinnen zufolge zitiert der Schüler »eine hierarchische Tradition, die nur dadurch eine Ironie erzeugen kann, wenn die Bedeutungen ›Frauen‹ und ›Logik‹ eine nicht kohärente bzw. sich ausschließende Beziehung darstellen« (ebd., S. 65).

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Bearbeitung des Themas ›Technikberufe‹ an einer Reihe von Beispielen herausarbeiten, wie Technik und Weiblichkeit von den jungen Frauen und Männern auf der Grundlage eines präreflexiven Geschlechterwissens in ein inkohärentes und widerspruchsvolles Verhältnis gesetzt werden. Gleichzeitig zeigt sich, dass Technik, technische Berufe und technisch-handwerkliche Kompetenz in den Wahrnehmungsweisen der Schüler*innen eindeutig und zweifelsfrei männlich codiert sind. In der gemeinsamen Verhandlung von mit Anerkennung ausgestatteten Positionierungen nehmen die Schüler*innen unterdessen immer wieder Bezug auf dualistische Deutungsmuster, indem sie entlang polarisierender Gegensätze, wie Technik und Soziales, Rationalität und Emotionalität argumentieren, die mit geschlechterstereotypen Zuschreibungen korrespondieren. 8.2.1 »… für mich ist so en Mädchen eher so sozial« Performative Prozesse der Geschlechterkonstruktion in denen die Logik der wechselseitigen Ausschließung von Weiblichkeit und Technik (re-)produziert wird, dokumentieren sich auch in dem folgenden Diskussionsabschnitt aus der geschlechtshomogenen Gruppe-k mit Schülerinnen im Alter zwischen 17 und 19 Jahren. Im unmittelbaren Vorwege der nachstehenden Sequenz haben die jungen Frauen im antithetischen Diskursmodus unterschiedliche, teils gegensätzliche Einstellungen gegenüber Technik und technischen Berufen verhandelt und anhand von Erzählungen aus ihrer Erfahrungswelt exemplifiziert. Während einige der Schülerinnen betonen, kein Interesse an Technik zu haben, das über die anwendungsorientierte Bedienung alltagstechnologischer Geräte wie Handy und Laptop hinausgeht, bekunden andere Schülerinnen ein differenzierendes Interesse an bestimmten technischen Artefakten, das sich in einer gewissen Affinität für Kraftfahrzeuge manifestiert, während sie sich im Gegensatz dazu von Computern weitestgehend abgrenzen.19 Die Sequenz beginnt nun mit einer Elaboration der Schülerin Bianka, mit der diese den inhaltlichen Diskussionsrahmen um das Geschlechterthema explizit erweitert: Bianka:

Ja, aber ich finde irgendwie, bei MIR ist das so ein bisschen so, ich hab so en Bild so, so technische Berufe oder so, irgendwas mit COMPUTER und Autos ist irgendwie so, für mich so typische Jungsberufe.

Amalia: Ja. Emily:

[Hmhm.]

Bianka:

[Keine ] Ahnung für mich ist das so …

Dana:

Also …

19 Auf die hier verwiesene Sequenz wird an späterer Stelle der Analyse ausführlich eingegangen (vgl. Kapitel 8.4).

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Bianka:

… keine Ahnung, dass halt so en Mädchen eher so sozial und so bisschen NATURGEBUNDEN irgendwie [sind. ]

Carina: Bianka:

[((lacht))] ((lacht)) Und die Jungs, die klimpern da halt [irgendwas am Computer …]

Amalia: Bianka:

[Die schrauben da dran rum.] [… rum.

]

[((mehrere lachen))] Dana:

[Also …

]

[((mehrere lachen))] Bianka:

Ja.

Dana:

… ich wollt [jetzt …]

Amalia:

[Ich … ]

Dana:

… AUCH nicht unbedingt Maurer oder [so was werden, aber …]

Dana:

… aber wie gesagt, das mit dem Auto so was, ich find das SCHON cool, wenn

[((mehrere lachen))

]

dann so die Reifen abnimmst und keine Ahnung, Motor [irgendwas einbaust oder …] Amalia: Dana:

[Aber ich weiß nicht ] … ausbaust und DANN halt guckst, also mein Papa hat das früher mal gelernt, ganz, ganz früher, da hat er auch schon drei Millionen [Berufe ((lacht)).]

Amalia: Dana:

[((lacht))

] ((lacht))

Und der war halt Kfz-Mechaniker und der hat gesagt, das hat ÜBELST viel Spaß gemacht und bla und hat das TOTAL gerne gemacht.

Amalia: Ja, ich weiß nicht, ich hab da überhaupt keine Perspektive dazu, also ich hab NIE irgendwas zusammen [bauen müssen bei uns.] Dana: Carina: Amalia:

[Kannst dich schön ] schmutzig ((lacht)) machen. Hm, oh ja [((lacht)).

]

[Nee, also bei uns war das,] bei mir hat das immer mein Papa gemacht, der hat RASEN gemäht, der hat die Hecke geschnitten, der hat am Auto die Winterreifen gewechselt, DER war in der Garage, DER hat die Heizung repariert und DER hat en Nagel in die Wand geschlagen, also …

Dana: Amalia: Dana:

Aber [meine Mama kann das …] [… ich hab dafür auch … ] … auch [((lacht)). ]

Amalia:

[Ja freilich,] meine Mama konnte das auch, [aber es hat …]

Carina:

[Bei mir …

]

Amalia: … irgendwie IMMER mein Papa gemacht und …

Wurde die Diskussion zuvor vermehrt durch Erzählungen unmittelbarer Erfahrungen im Umgang mit verschiedenen alltagsweltlichen Technikartefakten bestimmt, so erhebt Bianka nun einen Einwand, im Zuge dessen sie an die von ihren Vorred-

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nerinnen eingebrachten Beispiele anknüpft (»COMPUTER und Autos«). Dabei verlässt sie die Ebene persönlicher Erfahrungen und wechselt stattdessen auf eine verallgemeinernde Ebene, auf der sie ihre grundlegende Ansicht zum Thema ›Technikberufe‹ artikuliert (»ich finde«). Sie betont, dass es sich um ihre persönliche Sichtweise handelt (»bei MIR ist das so«, »für mich«) und formuliert zugleich unbestimmt, zurückhaltend und einschränkend (»irgendwie«, »ein bisschen«), was auf eine gewisse Unsicherheit hindeutet, inwieweit ihre Ansichten von der Gruppe geteilt werden. In ihrer Vorstellung (»ich hab so en Bild«) sind technische Berufe »typische Jungsberufe«. Demnach hat sie ein Wissen über die Aufspaltung des Berufssystems in sogenannte Frauen- und Männerberufe und darüber, dass die Technikbranche zu den eindeutigen Männerdomänen zählt. Derweil lässt die Formulierung »Jungsberufe« statt ›Männerberufe‹ darauf schließen, dass ihre Überlegung in diesem Moment weniger um das Phänomen geschlechtlich segregierter Arbeitsmarktstrukturen kreist als vielmehr um geschlechterdifferente Berufswahlen innerhalb der Referenzgruppe Gleichaltriger im konkreten Lebensweltbezug am Übergang Schule-Studium/Beruf. Amalia und Emily stimmen ihr zu (»Ja«, »Hmhm«). Worauf sich ihre Auffassung gründet, scheint Bianka selbst nicht eindeutig greifbar zu sein (»Keine Ahnung«20), doch verhält es sich ihrer Ansicht nach so, dass »Mädchen eher so sozial« und insbesondere »NATURGEBUNDEN« als technisch interessiert sind. Erneut formuliert sie ihre Aussagen zaghaft (»eher«, »so bisschen«). Während es sich bei der von ihr umrissenen weiblichen Geschlechtercharaktere offenbar um einen Bestandteil ihrer subjektiven Wirklichkeit handelt (»für mich ist das so«, Mädchen […] sind«, Hervorh. M.S.), kommt in Carinas Lachen Überraschung angesichts dieser Generalisierung zum Ausdruck. Im Kontrast zu »Mädchen« beschreibt Bianka »die Jungs« verallgemeinernd dahingehend, sich mit dem Artefakt »Computer« zu beschäftigen, der hier repräsentativ für Technik steht. Dabei hat der von ihr gewählte Wortlaut etwas ebenso herablassend Banalisierendes (»klimpern«) wie auch Unbestimmtes (»irgendwas«), über das sie sich von dieser Tätigkeit abgrenzt. Amalia redet Bianka dazwischen, greift dabei deren Aussagekontext auf und präzisiert, dass Jungen ihrer Ansicht nach am Computer »[rum] schrauben«. Im Gegensatz zu »klimpern«, was auf Eingaben über die Computertastatur hindeutet,21 impliziert »schrauben« die Auseinandersetzung mit der Hardware im Sinne einer aktiven Aneignung von Technik mit dem Ziel, sich diese verfügbar zu machen und nach eigenen Vorstellungen zu 20 ›Keine Ahnung‹ ist dabei eine Formulierung, die von den Schüler*innen in den Gruppendiskussionen auffallend häufig eingebracht wird und als ein jugendkultureller Ausdruck gelten kann, der auch ungeachtet des expliziten Aussagesinns zu betrachten ist, als eine Art Floskel oder auch Verzögerungsformel. 21 Ob dabei an einen alltagsweltlichen Gebrauch oder um eine Programmiertätigkeit gedacht wird, bleibt offen.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 255

gestalten bzw. ›umzurüsten‹. Während folglich Mädchen über ihr (unterstelltes) Wesen – über ein ›So-Sein‹ – klassifiziert werden, werden Jungen über ihr (angebliches) Tun definiert (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 190). Wurde in der vorangegangenen Diskussion die Frage nach technischen Berufen von den jungen Frauen vordergründig auf der Ebene individueller Interessenslagen verhandelt, so wird an dieser Stelle zum ersten Mal Geschlecht explizit thematisiert und als Differenzkategorie bedeutsam gemacht. So zeigt sich hier, dass das von außen eingebrachte Thema über die Frage nach technischen Berufen einen hegemonialen Technikdiskurs aktiviert, innerhalb dessen sich die Schülerinnen als geschlechtliche Subjekte adressiert und dazu aufgefordert fühlen, sich als solche zu positionieren. Dabei dokumentiert sich in der Stellungnahme der jungen Frauen ein biologistisches Geschlechterwissen, über das die binäre Geschlechternorm als ontologische Differenz naturalisiert und als zentrales Prinzip sozialer Ordnung plausibilisiert wird. In dieser Logik erscheint das geschlechtlich codierte Berufswahlverhalten als natürlicher Ausdruck der unterschiedlichen Eignung von Frauen und Männern für bestimmte Tätigkeitsbereiche. Indes knüpfen die Schülerinnen an tradierte Zuschreibungen stereotyper Geschlechtercharaktere an, die an kulturell verankerte Dualismen von Technik und Sozialem, Natur und Kultur gekoppelt sind, die sich als Gegensatzpaare über den wechselseitigen Ausschluss ihrer Bedeutungssetzungen als für einander konstitutiv erweisen und somit ein zentrales Moment der Stabilisierung der symbolischen Verflechtung von Männlichkeit und Technik darstellen (vgl. Faulkner 2008; Kapitel 3.3). Die Gruppe reagiert mit langanhaltendem Lachen, das verstehend und einvernehmlich anmutet. Gegen die Argumentation entlang naturalisierter Geschlechterdifferenz (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 190) werden weder Einwände erhoben noch wird sie in irgendeiner Form kommentiert, was darauf hindeutet, dass ihre Gültigkeit – zumindest hinsichtlich ihrer Kernaussage – anerkannt wird. Dana setzt zu einer Äußerung an (»Also«), die sie jedoch erst weiterführt, nachdem das Lachen der Gruppe verstummt und Bianka abschließend ihren dargelegten Standpunkt noch einmal bestätigt (»Ja.«). Dana stimmt den Ausführungen ihrer Vorrednerinnen eingeschränkt zu, indem sie die Selbstaussage tätigt, bestimmte (Männer-)Berufe auszuschließen, wie bspw. Maurer*in (»ich wollt jetzt AUCH nicht unbedingt Maurer oder so was werden«). Wie sich einerseits aus dem Kontext, andererseits aber auch aus der selbstverständlich männlichen Berufsbezeichnung »Maurer« ableiten lässt, weiß Dana darum, dass dieser Handwerksberuf zu den klassischen Männerberufen zählt. Ihre Mitschülerinnen unterbrechen sie mit kurzem zustimmendem Lachen, wonach Dana unter Verweis auf eine von ihr bereits im Vorwege geäußerte Stellungnahme (»aber wie gesagt«) fortfährt, eine Affinität zum Beruf Kfz-Mechatroniker*in herauszustellen, der im Gegensatz zum Beruf Maurer*in für sie Attraktivität besitzt (»das mit dem Auto so was, ich find das SCHON cool«). Während Amalia Zweifel einwendet (»Aber ich weiß nicht«), erläutert Dana anhand einer assoziati-

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ven Erzählung auf eindringliche Weise den Reiz, den dieser Beruf auf sie ausübt, wobei sie beispielhaft praktische Handlungsabläufe aufzählt, die in ihrer Vorstellung die berufliche Alltagspraxis charakterisieren. Diese Handlungen beziehen sich auf das kompetente und zielgerichtete Ausbauen und Einbauen bestimmter Teile an der Karosserie oder des Motors (»wenn dann so die Reifen abnimmst und keine Ahnung, Motor irgendwas einbaust oder ausbaust und DANN halt guckst«). So scheint für sie eine praktisch erfahrbare handwerkliche Tätigkeit, verbunden mit einem fundierten Wissen um die Funktionsweise eines Kfz-Motors reizvoll zu sein. Darüber hinaus entsteht der Eindruck, dass die Attraktivität der Kfz-Mechatronik insbesondere auch emotional begründet ist, verbunden mit bestimmten positiv besetzten Assoziationen. Denn dieser Beruf wird als »cool« und damit als anerkennens- und erstrebenswert wahrgenommen, was ihn vom Beruf Maurer*in offenbar unterscheidet, der zwar ebenfalls einen Handwerksberuf darstellt, jedoch eindeutig von andersgelagerter symbolischer Qualität. So steht Maurer*in synonym für schwere körperliche Arbeit, die immense Muskelkraft erfordert und damit im Widerspruch zu dominanten weiblichen Körperidealen steht. Hinzu kommt möglicherweise auch, dass diesem Handwerksberuf häufig das Image einer intellektuell anspruchslosen Tätigkeit zugeordnet wird. Das Auto ist dagegen traditionell ein gesellschaftliches Statussymbol, verbunden mit Assoziationen von Freiheit und Unabhängigkeit oder kurz: von Autonomie, weshalb ihm insbesondere in der Erfahrungswelt Jugendlicher eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. Nölleke 1998, S. 40; Teubner 2009, S. 185; Vobker 2016, S. 187). Gerade der Aspekt, dass Autos oder auch Motorräder als Artefakte für eine (traditionell männlich dominierte) Technikkultur stehen, die alltagsweltlich mit einem hohen Prestigewert verbunden sind, scheint dem Beruf Kfz-Mechatroniker*in für viele junge Frauen in den Gruppendiskussionen einen gewissen Reiz zu verleihen, wie sich in Zuge der weiteren Analyse zunehmend herauskristallisieren wird (vgl. Kapitel 8.4). Für Dana erweist sich der Beruf im Weiteren noch aus einem anderen Grund als emotional aufgeladen, denn ihr Vater, der von ihr im Laufe der Diskussion wiederholt als zentrale Identifikationsfigur aufgerufen wird, hat ihren Angaben zufolge den Beruf »Kfz-Mechaniker« in einer, wie sie betont, weiter zurückliegenden Vergangenheit erlernt und übt ihn heute offenbar nicht (mehr) aus. Vielmehr scheint seine Berufsbiographie, Danas Aussage zufolge, von häufig wechselnden Tätigkeitsfeldern gekennzeichnet zu sein (»der hat auch schon drei Millionen Berufe«). Mit ihrem Lachen verdeutlicht Dana an dieser Stelle, dass sie mit der Angabe »drei Millionen Berufe« bewusst übertreibt, was von Amalia ebenfalls durch Lachen quittiert wird. Dana setzt nun ihre Erzählung über ihren Vater fort, der sich offenbar mit großer Begeisterung über diesen Beruf äußert (»der hat gesagt, das hat ÜBELST viel Spaß gemacht […] hat das TOTAL gerne gemacht«). Einerseits macht Dana durch die Referenz auf ihren Vater deutlich, dass ihre positive Einschätzung des Kfz-Berufs im gewissen Sinne fundiert ist und sich auf Sekundärer-

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fahrungen über ihren Vater gründet. Andererseits lässt die veraltete Berufsbezeichnung »Automechaniker« darauf schließen, dass Dana kein aktualisiertes Wissen in Form offizieller Berufsinformationen besitzt, das auf ein konkretes berufliches Interesse ihrerseits schließen ließe. Vielmehr scheint ihre Affinität auf emotional gezeichnete Imaginationen zu basieren. Losgelöst von einer etwaigen beruflichen Relevanz von Danas bekundetem Interesse am Beruf Kfz-Mechatroniker*in, wird an ihrem Beispiel die Bedeutung von Vätern, die selbst einen technischen Beruf ausüben, für die Technikmotivation junger Frauen erkennbar – eine Erkenntnis, die bereits in frühen Studien betont wurde (vgl. Engler und Faulstich-Wieland1995, S. 57ff.; Erlemann 2002, S. 363f.; Janshen und Rudolph 1987, S. 60ff., 74; Schuster et al. 2004, S. 39; Wensierski et al. 2015, S. 63ff.; Wolffram 2003. S. 30f.). Amalia ratifiziert validierend (»Ja«), um darauffolgend ihre Zweifel an Danas Haltung auszudrücken (»ich weiß nicht«), die für sie unvorstellbar und in keiner Weise anschlussfähig ist (»hab da überhaupt keine Perspektive zu«). Denn sie hat in ihrem Zuhause (»bei uns«) »NIE irgendwas zusammenbauen müssen«. Demnach hat sie im Rahmen ihrer Sozialisationserfahrungen keine Berührungspunkte mit technisch-handwerklichen Handhabungen im weitesten Sinne gemacht. Dana wirft ein, dass solche Tätigkeiten die Gelegenheit bieten, sich »schön schmutzig« zu machen, wobei sie möglicherweise gedanklich noch einmal an den Bereich der KfzMechatronik anknüpft. Diese paradox anmutende Bemerkung imaginiert den symbolischen Handlungsentwurf eines ›undoing gender‹ und subvertiert normative Anforderungen an konventionelle bildungsprivilegierte22 Weiblichkeit. Indem sie »schmutzig machen« lachend als »schön« bezeichnet, kommt das Lustvolle im Gedankenexperiment dieser widerständigen Handlungspraktik zum Ausdruck. Carina stimmt ihr zu (»Hm, oh ja«) und lacht einvernehmlich. Amalia dagegen verneint (»Nee«) und erklärt, dass in ihrer Familie (»bei uns«) derlei Tätigkeiten ausschließlich von ihrem Vater ausgeführt wurden (»bei mir hat das immer mein Papa gemacht«). Ihre nun anschließende Aufzählung erfolgt in Form einer Reihung von Tätigkeitsbeschreibungen, wobei die Rhetorik des wiederholt anaphorischen Rückbezugs auf die Figur des Vaters mit zunehmender Betonung von einer zweifelsfreien Entschiedenheit der Verhältnisse zeugt (»der hat RASEN gemäht, der hat die Hecke geschnitten, der hat am Auto die Winterreifen gewechselt, DER war in der Garage, DER hat die Heizung repariert und DER hat en Nagel in die Wand geschlagen«, Hervorh. M.S.). Damit wird deutlich, dass es sich hier um ein unhinterfragtes Prinzip innerfamiliärer Aufgabenteilung und seiner geschlechterkonzeptionierenden Effekte handelt, durch welche sich Amalia soziali22 Mitzudenken gilt es, dass es sich bei dem Beruf der Kfz-Mechatronik um einen technisch-handwerklichen Ausbildungsberuf handelt, der den sich häufig im Rahmen der Gruppendiskussionen abzeichnenden normativen Erwartungshaltungen der Gymnasiast*innen an eine statushohe Berufsqualifikation über ein Studium entgegensteht.

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satorisch in ihrem Selbstverständnis geprägt sieht und das sie hier hinsichtlich der von ihr artikulierten Undenkbarkeit einer technischen Berufswahlorientierung relevant macht. Den Tätigkeiten gemein ist, dass es sich um Maßnahmen der Wartung, Instandhaltung und Reparatur rund um Haus, Garten und Garage handelt, die im weitesten Sinne handwerksbezogen sind und den Gebrauch von Werkzeug, wie beim Reifenwechsel, der Heizungsreparatur und dem Nagel-in-die-Wand-schlagen oder (technischen Garten-)Geräten, wie Rasenmäher oder Heckenschere implizieren, was sie traditionell als männlich konnotierte Verrichtungen in der häuslichen Sphäre und Ausdruck von ›doing masculinity‹ ausweist. Darüber hinaus wird die Garage, ein Raum in dem Kraftfahrzeuge untergestellt sind, häufig Werkzeug verwahrt wird und kleinere Reparaturen wie auch handwerkliche Basteleien ausgeführt werden, als exklusiver Aufenthaltsort des Vaters bezeichnet (»DER war in der Garage«). Bedeutsam an dieser Stelle ist, dass die Verknüpfung der hier aufgeführten hegemonial männlich konnotierten Handlungen mit Technik bzw. Technikrelevanz nur durch die Ausblendung vergleichbarer Technikbezüge in klassisch weiblich konnotierten Tätigkeitsbereichen konsistent ist und sich andernfalls auflösen würde (vgl. Cockburn 1988; Engler und Faulstich-Wieland 1995, S. 60; Teubner 1992, S. 49).23 Dadurch, dass Amalia vornehmlich männlich konnotierte Handlungen und Aufgabenbereiche selbstverständlich mit einer technischen Berufswahlorientierung verknüpft, zeichnet sich in ihrer Argumentationslinie das wechselseitig konstitutive Verhältnis der Bedeutungskonstruktionen von Männlichkeit und Technik deutlich ab. Indem Amalia mit dem Beispiel des Einschlagens eines Nagels in die Wand unmissverständlich und geradezu plakativ betont, dass selbst einfachste handwerkliche Aktionen ausschließlich und selbstverständlich von ihrem Vater durchgeführt worden sind, verleiht sie ihrer Aussage abschließend noch einmal besonderen Nachdruck. Im Unterschied zu Dana fungiert für Amalia der eigene Vater, stellvertretend für die männliche Geschlechtsgruppe, als identitätsstiftende Abgrenzungsfigur ihres Weiblichkeitskonzepts. Dabei lässt sich in ihrer Stellungnahme die Art und Weise nachzeichnen, wie ein normierendes Wissen um geschlechtliche Dichotomizität die Wahrnehmung und das Erleben sozialisationsrelevanter Erfahrungen strukturiert und sich für die Herausbildung des geschlechtlichen Selbstkonzeptes als richtungsweisend auswirken kann. 23 Bezogen auf die von Amalia angeführte geschlechtliche Aufgabenteilung im häuslichen Bereich ließe sich bspw. die Handhabung eines elektrischen Küchenmessers mit der einer ebensolchen Heckenschere durchaus vergleichen. Damit wird noch einmal deutlich, dass die Wahrnehmung und Deutung bestimmter Artefakte und Handlungen als ›technisch‹ einen normierenden Effekt sozialer Konstruktionsprozesse innerhalb der differenzierenden und hierarchisierenden Geschlechterordnung darstellen.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 259

Die sich abzeichnende Orientierung Amalias an klassischen Rollenbildern wird von der Gruppe nicht übereinstimmend geteilt, deren Diskursorganisation grundsätzlich von konkurrierenden Positionierungen und Gegenpositionierungen gekennzeichnet sind als Ausdruck eines Ringens um die Anerkennung beruflicher und geschlechtlicher Selbstkonzepte. Bevor sich Amalia selbst noch einmal explizit ins Verhältnis zu den von ihr im Kontext der gemeinsamen Diskussion um technische Berufswahloptionen als bedeutsam herausgestellten Alltagspraktiken setzen kann, die für sie unmissverständlich Ausdruck männlicher Identität sind (»ich hab dafür auch«), wird sie von Dana mit dem Einwand unterbrochen, dass ihre Mutter ebenfalls die Fähigkeit für derartige Verrichtungen besitze (»Aber meine Mama kann das auch«). Amalia bestätigt, dass dies selbstverständlich auch für ihre Mutter gilt (»Ja freilich, meine Mama konnte das auch«). Dennoch habe aus ihr nicht näher erklärbaren Gründen »irgendwie IMMER« ihr Vater solche Aufgaben ausgeführt. Demzufolge ist ihr bewusst, dass die geschlechtliche Aufgabenverteilung innerhalb der Familie keines ›natürlichen‹ Ursprungs im Sinne geschlechterdifferenter Eignungen und Kompetenzen ist, sondern gesellschaftlichen Konventionen geschuldet ist, die von ihr derart verinnerlicht wurden, dass sie in Bezug auf das eigene Selbstkonzeptes von ihr nicht kritisch hinterfragt werden. In den Argumentationslinien der Schülerinnen dokumentiert sich ein implizites Geschlechterwissen, über das sich die normative Annahme binärer Differenz naturalisiert. Vor diesem Hintergrund lassen sich in der oben aufgeführten Sequenz beispielhaft biologistische Diskursformationen über eine vermeintliche Ontologie der Geschlechter nachzeichnen, die geschlechterpolarisierend auf kulturelle Dualsimen als kollektiv geteilte, semantische Sinnwelten rekurrieren. Deutlich wird, wie solch normativ gerahmte Denkmuster dazu beitragen, die hegemoniale Geschlechtersymbolik einer vermeintlich natürlichen Verbindung von Männlichkeit mit Technik sowie von Weiblichkeit mit Natur und Sozialem zu stabilisieren. Wie bereits die vorangegangene Analyse gezeigt hat, ist das Technikverständnis vieler junger Frauen und Männer in seiner Bedeutungskomplexität maßgeblich über den konstitutiven Ausschluss des Sozialen gekennzeichnet, was bestimmte (männlich vergeschlechtlichte) Subjektpositionen impliziert, ohne dass Geschlecht bisher dabei ausdrücklich thematisiert wurde (vgl. Kapitel 7.3). Hier wird dagegen deutlich, wie sich die Schülerinnen selbst als geschlechtliche Subjekte zu Technik bzw. technischen Berufen ins Verhältnis setzen, indem sie differenzorientiert argumentieren und dabei auf stereotype Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder Bezug nehmen, die an dualistische Denkmuster anschließen. Damit zeigt sich die Mehrdimensionalität und Verwobenheit diskursiver Ordnungen, die sich um die Bedeutungssetzungen von Technik und Geschlecht formieren und im Rahmen der Gruppendiskussionen kontextbezogen aufgerufenen werden. Im Zuge der gemeinsamen Verhandlung einer technischen Berufswahl werden von den jungen Frauen häufig biographische Erzählungen (sozialisationsrelevanter)

260 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Erfahrungen aus Kindheit und Jugend eingeflochten, über die sie sich affirmativ oder kritisch positionieren, wobei die Verknüpfung männlich konnotierter Handlungsmuster mit einer technischen Berufswahlorientierung in den Argumentationslogiken der jungen Frauen nur solange evident erscheint, wie Technikbezüge in konventionell weiblich konnotierten Tätigkeitsbereichen ausgeblendet bleiben.24 Solch selektive Deutungsmuster innerhalb hierarchischer Geschlechterrelationen bilden erst die Voraussetzung für die Wirksamkeit von Mechanismen der Ko-Konstruktion von Männlichkeit und Technik (vgl. Cockburn 1988 S. 198ff.; Döge 2001, S. 129; Engler und Faulstich-Wieland 1995, S. 60; Teubner 2009, S. 178f.; 1992, S. 49; Wajcman 1994, S. 116). In Kontext der Erfahrungen und Erlebnisse, die von den jungen Frauen hinsichtlich der eigenen Einstellung zu technischen Berufen als bedeutsam herausgestellt werden, spielt mitunter der Vater als Identifikations- oder Abgrenzungsfigur eine bedeutsame Rolle. So kann der Vater im Rahmen der Entwicklung eines eigenen (geschlechtlichen) Selbstkonzeptes einerseits als Vermittler von technischem Interesse und Kompetenz oder andererseits als Kontrastfolie des eigenen Weiblichkeitskonzeptes fungieren. Anknüpfend an die Überlegungen Foucaults und Butlers wird damit erkennbar, wie in der dispositiven Verzahnung kultureller Geschlechternormen als diskursiven Wissensordnungen mit traditionellen Geschlechterrollen sowie alltagsweltlichen Praktiken des doing gender Geschlecht als funktionales Ordnungsprinzip in seiner 24 Die symbolische Verflechtung von Technik und männlich konnotierten Handlungsmustern zeigt sich auch an weiteren Stellen der Diskussion, in denen die Schülerinnen der Gruppe-k von gemeinsam mit dem Vater ausgeführten handwerklichen Tätigkeiten berichten, davon »was zusammen[zu]bauen [Erg. M.S.]«, wie bspw. Möbel für das eigene Jugendzimmer. Neben der Bedeutung, die hierbei auch dem Vater als männlicher Bezugsperson zukommt, lässt sich die Verknüpfung mit Handwerk möglicherweise auf die Schnittmenge handwerklich-technischer Berufsfelder zurückführen (vgl. Schmid-Thomae 2012, S. 12f.). Oftmals erzählen die Schülerinnen aber auch davon, dass sie bspw. »quer durch `en Wald gelaufen« sind, »Kastanien gesammelt« oder »am Holz rumgeschnitzt« haben, was bisweilen ausdrücklich als »JUNGSSACHEN« bezeichnet wird. In diesem Zusammenhang interessant ist auch, dass manche Schülerinnen argumentieren, dass sie zwar in ihrer Kindheit Spaß an männlich konnotierten Aktivitäten gehabt, sich die Interessen im Prozess des Heranwachsens jedoch verlagert haben und sie sich heute nicht vorstellen können, sich für einen (männlich codierten) technischen Beruf zu entscheiden. Dies scheint zu bestätigen, dass im Zuge der Adoleszenz geschlechtsbezogene Normen und Konventionen eine höhere identitätsstiftende Relevanz besitzen als in der Kindheit (vgl. Flaake und King 1992, S. 13ff.; Hagemann-White 1992, S. 64ff., 71; King 2002, S. 80f.). Derartige Erzählungen finden sich in einer Reihe von Gruppendiskussionen, wenn es den jungen Frauen darum geht, das eigene Verhältnis zu Technik bzw. technischen Berufen zu ergründen.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 261

Bedeutsamkeit für Subjektivierungsweisen hervorgebracht und fortgeschrieben wird (vgl. Bublitz 2008, S. 257; Bührmann 2004, S. 24; Jäckle 2011, S. 34). Demnach bildet der binäre Geschlechtercode, der die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster biographischer Erfahrungen strukturiert und die Selbstinterpretationen der Subjekte rahmt, das Fundament für technikbezogene Zuschreibungen und Aneignungen. So zeugt das dynamische Wechselspiel von Positionierung und Gegenpositionierung entlang positiv wie negativ verhandelter Gegenhorizonte, wie es in dem voranstehenden Diskussionsausschnitt beispielhaft zum Ausdruck kommt, von dem Ringen der jungen Frauen um die Anerkennung weiblicher Identitätsentwürfe im Kontext technischer Berufswahloptionen. Während sie sich einerseits von bestimmten handwerklichen Berufen, die mit hohen körperlichen Belastungen einhergehen, einvernehmlich abgrenzen, besitzen bestimmte technisch-handwerkliche Berufe für einige der jungen Frauen eine gewisse Attraktivität. Insbesondere die KfzMechatronik deutet sich als ein Bereich an, der Anreize zum lustvollen Experimentieren mit alternativen Entwürfen bietet, in denen konventionelle Weiblichkeitsbilder irritiert und transformiert werden (können). Möglicherweise spielt hier auch die Subvertierung normativer Erwartungshaltungen an eine dem höheren Bildungsabschluss angemessene Berufslaufbahn eine Rolle. Indem gerade der Kfz-Bereich in unterschiedlichen Gruppendiskussionen von jungen Frauen zum Gegenstand kontroverser Verhandlungen gemacht wird, ist er für die vorliegende Forschung von gesondertem Interesse und wird an späterer Stelle ins Zentrum der Analyse gestellt (vgl. Kapitel 8.4). 8.2.2 »… Frauen ham diesen Mutterinstinkt« Im Gegensatz zur Gruppe-k werden in der geschlechtsheterogenen Gruppe-j, bestehend aus Schüler*innen im Alter von 17 bis 19 Jahren, stereotype Geschlechterbilder selbst in den Fokus der Diskussion gerückt, ohne dass dies durch die Frage nach technischen Berufen von außen initiiert worden wäre. Im Vorfeld der folgenden Sequenz geht es um Erfahrungen mit Berufsinformationsmessen, auf denen nach Ansicht der Schüler*innen »grade das MÄNNLICHE Geschlecht angesprochen wird«, da es dort »um Berufe wie, […] Ingenieur, also Ingenieurswesen und TECHNIK« oder »handwerkliche[…] Sachen« ging, während »solche SOZIALEN Berufe«, von denen sich »DOCH mehr so Mädels angesprochen« fühlen, kaum vertreten wären (»war kein großes Angebot«). An dieser Stelle entzündet sich eine gemeinsame Diskussion um Frauen- und Männerberufe, in der die Situation von Männern in klassischen Frauendomänen, wie dem kindheitspädagogischen Bereich, vornehmlich als bevorzugt eingeschätzt wird (»dass man z.B., wenn man als Junge jetzt Kind-, ERZIEHER lernt, dann eigentlich sozusagen mit KUSSHAND genommen

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wird«). Zwar wird als Gegenstück dazu auch kurz die MINT-Initiative erwähnt, die Frauen für technische Berufe zu gewinnen sucht (»andererseits werben se immer für Technik, also f-, die Frauen dann halt in, mehr in die Technik«), doch wird dieses Werben nicht als Begünstigung von Frauen für den konkreten Berufseinstieg thematisiert. Obwohl nach Meinung der Schüler*innen »in der heutigen Gesellschaft« die Geschlechtszugehörigkeit im Berufssystem »keine Rolle mehr spielen [SOLLTE]«, wird im Weiteren beispielhaft die Frage debattiert, inwiefern Männer im Bereich Bildung und Erziehung eher als »Autoritätsperson« wahrgenommen werden, »als wenn da jetzte ne kleine zierliche Frau steht«. Die sich hierin abzeichnenden geschlechterstereotypen Vorstellungen werden nun von dem Schüler Daniel explizit problematisiert: Daniel:

Ich denk mal, man hat im Hinterkopf immer noch diese, diese klassischen klischeehaften Bilder, [zum ] [Beispiel …]

Alina:

[Genau.] [Ja.

Beatrice:

]

Cloé:

Ja.

Daniel:

… die Kindergärtnerin ist e-, ne liebe Frau, dann so in der Technik, Entwicklung, das sind meistens MÄNNER oder …

Cloé:

Ja.

Daniel:

… die wis-, Naturwissenschaften dann doch eher Män-, Männer noch geprägt, dass das IMMER noch heute mit rein wirkt, auch, wenn man jetzt bestrebt ist, Emanzipation mitzumachen.

Cloé:

[Ja.

Alina:

[Hmhm.]

]

Beatrice: Find ich aber schade, [also … ] Alina:

[((lacht))]

Beatrice:

… ich weiß nicht, ich find, das SOLLTE echt ne Gleichberechtigung herrschen. […]

Gaston:

Aber wenn sowieso, sag ich mal, Jungs jetzt en größeres technisches Verständnis haben und vielleicht Mädchen eher einfühlsamer und SOZIALER drauf sind, dann ist es doch eigentlich sinnvoll, so en, ja, Klischee, das ist wieder so en negatives, negativ behaftetes WORT, aber dann ist es doch sinnvoll, so ne, schon im Kopf z-, zu haben, okay, das ist en Junge, der ist eher technisch begabt, dann ist es doch eigentlich …

Cloé:

Ja, aber.

Gaston:

.. kein Problem [oder?]

Cloé: Beatrice: Florian: Ja.

[Es ] [gibt aber auch …] [So ist es ja aber ] nicht.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 263

Cloé:

Ja, es gibt ja auch genug Jungs, die Technik überhaupt nicht mögen und [sich …]

Beatrice: Cloé:

[Ja. ] … eher mit Kindern beschäftigen wollen. Und für DIE ist es dann schon wieder blöd, find ich, in ne Richtung gedrängt zu werden, du BIST en Junge, du MUSST [jetzt …]

Gaston:

[Hmhm.]

Cloé:

… in die Technik so, auf die A-, weil weiß ich nicht …

Daniel:

Wenn mer´s jetzt, wenn mer´s jetzt biologisch sieht, könnte man´s vielleicht damit begründen, dass man jetzt sagt, Frauen ham diesen Mutterinstinkt und die [sind …]

Cloé: Daniel:

[ Hmhm.] … DOCH vielleicht in der Erziehung BESSER aufgehoben als Männer, also jetzt im Allgemeinen und du könntest aber auch kein so en zierliches Fräuch-, Fräulein auf en Bau schicken. Also [jetzt …]

Cloé:

[Ja. ]

Florian: Ja. Cloé:

[… das geht irgendwie von sich. Ja.

Daniel:

[… das wären zwei verschiedene Berufe oder.]

]

Cloé:

Ja.

Daniel:

Es ist SCHON eigentlich im Allgemeinen so, dass jetzt das technische Verständnis oder solche Sachen od-, das wird wahrscheinlich auch weiter, ich mein, freilich Frauen integriert, aber ich denke mal SCHON, dass das so erhalten bleibt, dass jetzt in den nächsten f-, 100 Jahren daran in der Forschung und Entwicklung so Sachen immer noch en BISSCHEN mehr Männer und Erzieherinnen, wird freilich mehr Erzieher geben, aber ich denke mal, das wird immer noch en Überschuss an ERZIEHERINNEN bleiben.

Alina:

[Hmhm. ]

Gaston:

[Da sollte] man die Klischees beiseiteschieben und dafür INDIVIDUELLE Wünsche und Interessen setzen.

Beatrice: Auf jeden Fall. Cloé:

Ja, auf jeden Fall.

Daniel äußert die Ansicht (»Ich denk mal«), dass Menschen »noch immer« tradierte Vorstellungen verinnerlicht haben (»man hat im Hinterkopf […] diese klassischen klischeehaften Bilder«), vor deren Hintergrund sie unbedacht bestimmte Berufe kognitiv Frauen oder Männer zuordnen (»die Kindergärtnerin ist e-, ne liebe Frau, […] in der Technik, Entwicklung, das sind meistens MÄNNER«). Demnach schließt er verallgemeinernd (»man hat«, Hervorh. M.S.) von den geschlechtsbezogenen Stereotypen, die von seinen Mitschüler*innen in der vorangegangenen Diskussion aufgerufen wurden und die von ihm offenbar als solche erkannt werden, auf eine innerhalb der Gesellschaft vorherrschende Denkweise. Alina, Beatrice und Cloé stimmen ihm zu (»Genau«; »Ja«; »Ja«). Exemplifizierend beschreibt Daniel

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das Bild einer »Kindergärtnerin« als das einer »liebe[n] Frau«, während »Technik, Entwicklung« und »Naturwissenschaften« ihm zufolge von Männern »geprägt« sind. Deutlich zeigen sich tradierte und hierarchisierende Geschlechterrollenvorstellungen, wonach Frauen selbst berufsbezogen aufgrund vermeintlicher Wesenszüge reproduktive (Für-)Sorgearbeit zugeschrieben wird. Männern dagegen wird der produktive Sektor technikwissenschaftlicher Entwicklungsarbeit zugeordnet, der allgemein als Antrieb gesellschaftlichen Fortschritts gilt und daher mit hoher gesellschaftlicher Anerkennung und Wertschätzung verbunden ist. Auch wenn Daniel Klischees als tradiert und überholt herausstellt, spiegeln sie seiner Meinung nach die vorherrschende Geschlechterverteilung im Berufssystem wider und haben auch gegenwärtig großen Einfluss auf berufliche Findungsprozesse, ungeachtet individuell-persönlicher Überzeugungen und Einstellungen (»dass das IMMER noch heute mit rein wirkt, auch, wenn man jetzt bestrebt ist, Emanzipation mitzumachen«). Deutlich wird, dass er um aktuelle Diskurse über die Auflösung beruflicher Geschlechtergrenzen weiß, die er als emanzipatorische Zielsetzung deutet. Es entsteht der Eindruck, dass es sich für Daniel dabei um das Anliegen Anderer, vermutlich von Frauen handelt, weshalb Männer mehr oder weniger »bestrebt« sein können »mitzumachen«. Eine andere Lesart ist, dass er sich hier auf eine geschlechtsunabhängige, individuell empfundene Entscheidungsfreiheit bezieht, durch das eigene Verhalten bestehenden Geschlechterbildern entgegen zu wirken. Cloé und Alina ratifizieren bejahend (»Ja«; »Hmhm«). Auch Beatrice stimmt Daniel indirekt zu, indem sie dem von ihm dargestellten Zusammenhang nicht widerspricht, sondern ihn lediglich bedauert (»Finde ich aber schade«). Sie findet, es »SOLLTE […] Gleichberechtigung herrschen«. Damit bringt sie zum Ausdruck, dass es sich hierbei um einen als wünschenswert angesehenen Zustand handelt, der jedoch als nicht realisiert wahrgenommen wird. In dieser Aussage dokumentiert sich noch einmal deutlich ein Bewusstsein der Schüler*innen über die Widersprüchlichkeit zwischen der gesellschaftlich geltenden Norm formal verankerter Gleichstellung und einer tatsächlichen Ungleichheit von Frauen und Männern im Berufssystem, wie es in mehr oder weniger expliziter Form immer wieder in den Gruppendiskussionen zum Ausdruck kommt. Da der daran anschließende Sequenzabschnitt nicht von vordergründiger thematischer Relevanz für das eigentliche Forschungsinteresse an technischen Berufen ist, wird dieser hier nicht ausführlich dargestellt, sondern mit Blick auf die zentralen Aussagen im Folgenden zusammengefasst: Kurzfristig dreht sich die Diskussion um Bedenken gegenüber Erziehern im Kindergarten vor dem Hintergrund verinnerlichter Geschlechterstereotype, die im Zusammenhang mit subjektiven Erfahrungen mit ausschließlich weiblichen Betreuungspersonen diskutiert werden. Die Schüler*innen kommen zu der Übereinkunft, dass klischeehafte Geschlechterbilder als »Schranke im Kopf« zwar eine Begrenzung der eigenen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster darstellen, dass »man« diese jedoch »automatisch« habe und es

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folglich ›normal‹ und selbstverständlich sei, dass das eigene Denken von Klischees beeinflusst wird. Letztlich sind die jungen Frauen und Männer der Meinung, dass es nicht »SCHLIMM« sei, Klischees »im Hinterkopf« zu haben, solange diese reflektiert werden und die Bereitschaft besteht »sich [trotzdem] darauf einzulassen« gegenläufige Erfahrungen zu machen. Dabei bleibt das Beispiel des männlichen Kindergärtners zentraler Bezugspunkt der Debatte. Haben sich die Schüler*innen bisher eher kritisch zu klischeehaftem Denken positioniert, so stellt Gaston diese Haltung nun antithetisch infrage. Seinen folgenden Ausführungen ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass er von der Existenz grundsätzlicher Unterschiede zwischen den Geschlechtern überzeugt ist, die er in Klischees widergespiegelt sieht. So schreibt er »Jungs« ein »größeres technisches Verständnis« zu als »Mädchen«, die er als »einfühlsamer und SOZIALER« bezeichnet. Demnach wird Jungen selbstverständlich die geistige Fähigkeit zugesprochen, technische Zusammenhänge zu begreifen, während Mädchen als gefühlsbetont und sozial ausgerichtet dargestellt werden. Polarisierend werden hier Intellekt und Technikkompetenz als männliche Wesensmerkmale weiblich konnotierter Emotionalität und Beziehungsorientierung als ideologisierendes Komplement einander gegenübergestellt. Das Verharren in derart dualistischen Denkmustern geschlechtlicher Binarität bildet alltagsweltlich die elementare Grundlage für Prozesse des ›doing gender‹ als ›doing difference‹, über die sich die Norm der Zweigeschlechtlichkeit im symbolisch-interaktiven Handlungsvollzug fortlaufend reproduziert (vgl. Fenstermaker und West 2001). Diese Charakterisierung als gegeben voraussetzend (»wenn sowieso«), hält Gaston die kognitive Zuordnung geschlechtsbezogener Eigenschaften (»so en Klischee […] im Kopf zu haben«) für »eigentlich sinnvoll«, da sie als Orientierungsschema in sozialen Situationen komplexitätsreduzierend wirken (»okay, das ist ein Junge, der ist eher technisch begabt«). Dabei gebraucht er den Begriff »Klischee« unter Vorbehalt, da er um die negative Konnotation weiß (»das ist wieder so en negativ […] behaftetes Wort«). Aus diesem Blickwinkel stellen für ihn vorgefertigte Annahmen über Frauen und Männer im Grunde (»eigentlich«) »kein Problem« dar. Doch scheint sich Gaston seiner Argumentation in letzter Konsequenz nicht derart sicher zu sein, dass er nicht auch andere, vielleicht sogar gegenläufige Sichtweisen für möglich hält, worauf die abschließend indirekte Aufforderung seiner Mitschüler*innen, ihre Einschätzung dazu zu äußern, hinweist (»oder?«). Cloé und Beatrice widersprechen (»Ja aber«; »So ist es aber nicht«). Florians Bejahung ist dagegen an dieser Stelle nicht eindeutig zuzuordnen und könnte sich sowohl auf Gastons Ausführungen als auch auf den Einspruch seiner Mitschülerinnen beziehen. Entgegen Gastons geschlechtercharakterisierenden und essentialisierenden Zuschreibungen stellt Cloé die Behauptung auf, dass viele »Jungs« keinerlei Affinität für Technik besitzen und einer Beschäftigung mit Kindern den Vorzug geben (»die

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Technik überhaupt nicht mögen und sich eher mit Kindern beschäftigen wollen«). Beatrice stimmt zu (»Ja«). Cloe ist der Meinung, dass es für diese imaginierte Personengruppe sozial engagierter Jungen von Nachteil ist, mit stereotypen Erwartungshaltungen an eine technische Berufswahlorientierung konfrontiert zu werden. Im Gegensatz zu Gastons zuvor geäußerter Überzeugung, dass stereotype Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit auf tatsächlichen Geschlechterrelationen basieren, werden in Cloés Gedankengang normative Vorstellungen über Männlichkeit und Technik den individuellen Orientierungs- und Handlungsmustern vorangestellt, auf die sie normierend einwirken (»für DIE ist es dann schon wieder blöd, […] in ne Richtung gedrängt zu werden, du BIST en Junge, du MUSST jetzt in die Technik«). Aus diesem Blickwinkel hegt sie Zweifel an Gastons Argumentation (»ich weiß nicht«). Dieser ratifiziert zustimmend (»Hmhm«). Daniel schließt elaborierend an Gastons Redebeitrag an und erweitert den Bezugsrahmen der Diskussion, indem er auf eine biologistische Diskursordnung als möglichen Beitrag zur Erklärung der angenommenen geschlechtsbezogenen Unterschiede verweist. Dabei unterstellt er Frauen generalisierend »diesen Mutterinstinkt« zu haben, der sie seiner Ansicht nach im Vergleich zu Männern für die »Erziehung« von Kindern prädestiniere (»die sind DOCH vielleicht in der Erziehung BESSER aufgehoben als Männer«). In dieser Argumentationslogik dokumentieren sich historisch abgelagerte Wissensbestände um das Konzept ›geistiger Mütterlichkeit‹ (vgl. Ehrenspeck 2009, S. 38ff.; Kapitel 2.3), wobei Daniel in seinen Ausführungen Mütterlichkeit biologisierend an einen mutmaßlichen Instinkt koppelt und auf diese Weise als natürliche Veranlagung darstellt. Dass er hier vorsichtig, verallgemeinernd und im Konjunktiv als Möglichkeitsform formuliert, deutet darauf hin, dass ihm bewusst ist, dass diese Argumentation, in der er Frauen pauschalisierend Mütterlichkeit als vermeintlich biologisch begründete Wesenhaftigkeit und besondere berufliche Befähigung zuschreibt, im Widerspruch zu Diskursformationen der Gegenwartsgesellschaft steht, in denen die Loslösung von tradierten und begrenzenden Rollenbildern einen normativen Geltungscharakter besitzt (»wenn mer´s jetzt biologisch sieht, könnte man´s vielleicht damit begründen, dass man jetzt sagt […] vielleicht […] also jetzt im Allgemeinen«, Hervorh. M.S.). So untermauert er seine Aussage bezüglich berufsrelevanter Geschlechterdifferenzen im Weiteren mit einem Gegenbeispiel zum Beruf Kindergärtner*in, indem er auf das Bauwesen verweist. Seiner Ansicht nach sind Frauen den damit verbundenen beruflichen Anforderungen aufgrund ihrer vermeintlich schwächeren Körperkonstitution nicht gewachsen (»du könntest aber auch kein so en zierliches […], Fräulein auf en Bau schicken«). Während das Diminutiv »Fräulein«25 noch einmal illustrativ das Bild 25 Der Begriff ›Fräulein‹ ist im allgemeinen Sprachgebrauch in der postmodernen Gesellschaft eher ungebräuchlich und wurde insbesondere auch von Feminist*innen problematisiert. Denn er bezeichnete einst unverheiratete (berufstätige) Frauen und implizierte so-

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einer körperlich zarten Person betont, lässt die Rhetorik einer direkten Adressierung (»du könntest […] schicken«, Hervorh. M.S.) die Unverantwortlichkeit der imaginierten Szenerie besonders eindringlich erscheinen. So scheint die kontrastierende Gegenüberstellung dieser »zwei verschiedene[n] Berufe« Erziehung und Bauwesen beispielhaft die Sinnhaftigkeit geschlechtsbezogener Differenzierung mit Blick auf die (vermeintliche) berufliche Eignung von Frauen und Männern zu bestätigen. Cloé und Florian stimmen zu (»Ja«, »Hmhm«). Cloés Kommentar »das geht irgendwie von sich« ist vermutlich so zu interpretieren, dass es sich von selbst versteht, dass eine zierliche Frau nicht für die Arbeit auf einer Baustelle geeignet ist. Während die zuvor diskutierten Bedenken gegenüber Männern als Kindergärtner allein vor dem Hintergrund eigener subjektiver Erfahrungen mit ausschließlich weiblichen Betreuungspersonen im Kindesalter artikuliert werden, verbunden mit der Forderung die eigene Voreingenommenheit kritisch zu reflektieren, werden Vorbehalte gegenüber Frauen in Männerdomänen hier generalisierend an normative Körperbilder gebunden, die im scheinbar unbestreitbaren Widerspruch zu stereotypen Anforderungsprofilen körperlicher Belastbarkeit stehen und Frauen somit von Natur aus ungeeignet für männlich dominierte Tätigkeitsfelder erscheinen lassen. Dass in diesem Zusammenhang das Baugewerbe als Beispiel zur Veranschaulichung aufgerufen wird, erweist sich dahingehend als funktional, als dass der Bereich »Forschung und Entwicklung« in Technik und Naturwissenschaft, der im Folgenden von Daniel erneut als zentrale Referenz männlich codierter Tätigkeitsbereiche relevant gemacht wird, einer derartigen Argumentationslogik auf der Grundlage körperbezogener Differenzannahmen nicht standhalten dürfte. Derweil fährt Daniel fort, seine Ansicht darüber zu äußern (»ich glaube«), dass auf lange Sicht (»in den nächsten 100 Jahren«) Bereiche, die »technische[s] Verständnis« voraussetzen, wie »Forschung und Entwicklung«, männlich dominiert bleiben, während die überwiegende Mehrheit der Erzieher*innen aus Frauen bestehen wird (»en Überschuss an ERZIEHERINNEN«) und zwar ungeachtet jedweder (emanzipatorisch motivierter) Veränderungstendenzen hinsichtlich der Auflösung beruflicher Geschlechtergrenzen (»freilich, Frauen integriert […] wird freilich mehr Erzieher geben«). Die berufliche Segregation von Frauen und Männern scheint für ihn Ausdruck einer natürlichen Geschlechterordnung zu sein. Gleichzeitig weist seine Darlegung eine starke Ambivalenz auf, da er einerseits Faktizität hervorhebt (»Es ist SCHON […] so«), gleichzeitig jedoch mit Bedacht relativierend formuliert (»eigentlich im Allgemeinen […] wahrscheinlich«). Denn seine Äußerungen stehen im Widerspruch zur gesellschaftlich formal vorherrschenden Norm geschlechtlicher mit zum einen, dass eine weibliche Person erst durch Eheschließung vollwertig als Frau anerkannt wird. Andererseits legte er auch den Familienstand einer weiblichen Person und damit ihre Verfügbarkeit im heteronormativen Beziehungsmuster offen (vgl. Stötzel und Wengeler 1995, S. 542).

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Gleichstellung, die mit Beatrice vorangegangenen Kommentar zur »Gleichberechtigung« aufgerufen wurde. Dass Frauen Daniel zufolge zukünftig in technische Berufe »integriert« sein werden, impliziert indes ihre Eingliederung in bzw. ihre Anpassung an eine übergeordnet bestehende und beständige, männlich geprägte Berufskultur, ohne dass diese sich signifikant verändert. Im Berufsfeld Bildung- und Erziehung scheint es dagegen einer solchen Einpassung von Männern nicht zu bedürfen. Während Alina validierend ratifiziert (»Hmhm«), werden die teils gegenläufigen Sichtweisen von Gaston konkludierend in eine Synthese überführt, in der er sich generalisierend dafür ausspricht vorgefertigte Klassifizierungen zurückzustellen und stattdessen »INDIVIDUELLE« Neigungen in den Vordergrund zu rücken (»Da sollte man die Klischees beiseiteschieben und dafür INDIVIDUELLE Wünsche und Interessen setzen«). Beatrice und Cloé stimmen diesem Ansatz nachdrücklich zu (»Auf jeden Fall.«; »Ja, auf jeden Fall.«). In diesem Diskussionsabschnitt wird die Widersprüchlichkeit hegemonialer Diskurslinien ersichtlich, die bei den Schüler*innen zu ambivalenten Positionierungen führen. Deutlich zeigt sich, wie die Gleichstellung der Geschlechter als normierender Grundsatz der Gesellschaft, der als politischer Wille rechtlich formal verankert ist, mit einem machtvollen Geschlechterwissen konfligiert, das in seiner Historizität die Wirklichkeitsvorstellungen konfiguriert und die Anerkennung sozialer Existenzweisen rahmt. So dokumentiert sich in der Argumentationslogik der Schüler*innen eine gesellschafts-historische Wissenstradition um das Konzept ›geistige Mütterlichkeit‹ das als soziale Konstruktion den Ausgangspunkt der Feminisierung von Care-Berufen insbesondere im kindheitspädagogischen Bereich bildet, während es gleichzeitig als diskursiv abgelagertes Geschlechterwissen seine Wirkmächtigkeit entfaltet und bis in die Gegenwart ein konstitutives Moment weiblicher Subjektivität darstellt. Dabei wird ›Mütterlichkeit‹ von den hier diskutierenden Schüler*innen nicht als sozial erworbene Disposition aufgefasst, sondern durch die Rückbindung an einen angeblichen Instinkt biologistisch überformt, mit dem Effekt einer Naturalisierung von Geschlechterdifferenz. Die Sequenz veranschaulicht somit die konstitutive Verzahnung naturalisierter Geschlechterdifferenz mit der Vergeschlechtlichung von (Berufs-)Arbeit als einen wirkmächtigen Mechanismus der Aufrechterhaltung geschlechterdifferenzierender und -hierarchisierender Arbeitsmarktstrukturen (vgl. Becker-Schmidt 2014, S. 98ff.; Becker-Schmidt und Krüger 2009, S. 25; Carstensen und Groß 2006, S. 4; Gildemeister und Wetterer 1992, S. 219.; Teubner 1992, S. 45ff.; Wetterer 2002, S. 57ff.; Winker 2007, S. 2; Kapitel 2.3). Deutlich wird, wie »differenzsetzende Geschlechterklischees am Werk sind« (Becker-Schmidt 2014, S. 99), die die symbolische Ordnung stützen und im Zusammenspiel mit einer kapitalistischen Logik »männliche Privilegienstrukturen« (ebd.) erhalten. Denn während mit der normierenden Zuschreibung intellektueller Fähigkeiten, wie technischem Verständnis an Männer, ihre Dominanz im gesellschaftlich wertgeschätzten und hoch dotierten

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Feld technikwissenschaftlicher Forschung und Entwicklung von den Schüler*innen legitimiert wird, wird Frauen ausgehend von einem biologistisch-diskursiven Konstrukt eine natürlich veranlagte, instinktgesteuerte und damit geradezu zwanghafte Mütterlichkeit unterstellt. In der Konsequenz werden ihnen entsprechende Fürsorgeberufe nahegelegt, die mit einem niedrigen Lohnniveau, wenig Karrierechancen, ungenügender sozialer Absicherung und geringem sozialen Status einhergehen. Indem diese angebliche Befähigung als natürliche Veranlagung dargestellt wird, erscheinen Möglichkeiten zur Transformation tradierter Geschlechterrelationen in den Wahrnehmungsmustern der hier diskutierenden Schüler*innen begrenzt. Aus einer foucaultschen Perspektive wird damit die Annahme einer naturalisierten und idealisierten Geschlechterdifferenz im Sinne polarisierender Zuschreibungen stereotyper Eigenschaften und Merkmale auch als Effekt eines machtvollen Geschlechterdispositives erkennbar, der sich in der Verschränkung von Wissensordnungen und Machttechnologien in gesellschafts-historischen Entwicklungsprozessen zu einem wirklichkeitskonfigurierenden und identitätsstiftenden Bedeutungskontext verdichtet hat. Mit Bezug auf Butler lässt sich derweil in der oben aufgeführten Diskussion nachzeichnen, wie die jungen Frauen und Männer im alltagsweltlichen Diskurs um berufliche Orientierungen kulturelle Normen und Konventionen zitieren, die durch eine ideologisierte Naturalisierung hierarchisch konstruierter Geschlechterverhältnisse und daran gebundene Rollenzuweisungen die Differenzierung der Gesellschaft entlang einer zweigeschlechtlichen Ordnung instituieren. Die Markierung des weiblich definierten Körpers mit Referenz auf einen biologistischen ›Mutterinstinkt‹ einerseits, sowie auf das normative Weiblichkeitsideal einer ›zierlichen‹ und damit leiblich-fragilen Konstitution andererseits, fungiert dabei als diskursive »Relation der Differenz« (Butler 2014, S. 40) zum Männlichen. Männer scheinen dagegen weder durch Instinkte noch durch ihre Körper gebunden oder begrenzt, stattdessen werden sie über die Zuschreibung eines höheren ›technischen Verständnisses‹ aufgrund geistig-intellektueller Fähigkeiten charakterisiert. Im dargestellten Modus der Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit spiegeln sich erneut kulturelle Dualismen von Rationalität und Emotionalität, Technik und Natur wider, durch die ihre vermeintliche Gegensätzlichkeit ideologisch aufgeladen wird. Doch zeigt sich dieses traditionelle Geschlechterwissen um polarisierende Differenzsetzungen nicht unberührt von dem gesellschaftlich normierten Prinzip geschlechtlicher Gleichstellung, das geschlechtsbezogene Exklusionspraktiken als unrechtmäßig deklariert (vgl. Heintz 2001, S. 12). Denn von den Schülerinnen werden im Kontext der eigenen beruflichen Orientierung die wahrgenommenen Geschlechtergrenzen, die auf differenzierende und hierarchisierende Zuschreibungen rekurrieren, hinsichtlich ihrer regulierenden Einflussnahme auf die Orientierungs- und Handlungsmuster der Individuen immer wieder auch kritisch hinterfragt. Dabei verbleiben sie innerhalb der Norm binärer Differenz, stellen jedoch die sozi-

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alen Ausdrucksformen kohärenter Geschlechtsidentität in Frage, wenn es um die Entscheidung für oder gegen einen gegengeschlechtlichen Beruf geht. Auffällig ist, dass die Schüler*innen hier vornehmlich am Beispiel von Männern als Kindergärtner diskutieren und dabei Aspekte der Bevorzugung seitens der Arbeitsstelle, möglicher Vorbehalte seitens der Eltern sowie geschlechtskonforme Verhaltenserwartungen seitens der Gesellschaft – in Form einer technisch orientierten Berufswahl als Einschränkung individueller Freiheit – in die thematische Verhandlung einbeziehen. Eine vergleichbar differenzierte Auseinandersetzung über die Anerkennung von Frauen in Technik- und Naturwissenschaften findet dagegen nicht statt. Vielmehr bleibt die männliche Geschlechtersymbolik dieser beruflichen Felder unangetastet. Mit der Betonung, dass der folgende Aspekt nicht ohne Weiteres zu verallgemeinern ist, zeigt sich in dem konkreten Beispiel der aufgeführten Sequenz eine geschlechtlich differenzielle Positionierung von Schülerinnen und Schülern. Während die Schüler tendenziell an tradierten und differenzsetzenden Geschlechterbildern und daran gekoppelte Zuschreibungen unterschiedlicher Rollen und Funktonen festhalten und diese vornehmlich als sinnhaft ontologisches Ordnungsprinzip begreifen, stellen die Schülerinnen diese Ordnung vermehr infrage und beanstanden die begrenzenden Auswirkungen auf die*den Einzelne*n mit Bezugnahme auf gesellschaftlich normierte Geschlechtergerechtigkeit. Die in diesem Fall deutlich werdende unterschiedliche Haltung der jungen Frauen und Männer zu Fragen der berufsbezogenen Gleichstellung lässt sich mit Bezug auf Connell (2000a) dahingehend näher beleuchten, dass sich für Männer aufgrund ihrer privilegierten Stellung innerhalb der Gesellschaft und der damit verbunden Vorteile (vgl. ebd., S. 100; Kapitel 3.1) nicht unmittelbar die Notwendigkeit ergibt, sich kritisch mit Geschlechterverhältnissen in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. 8.2.3 »… die sehen echt nicht mehr weiblich aus« Auch von den 17- bis 19-jährigen Schülerinnen der gleichgeschlechtlichen GruppeA werden normative Merkmale idealisierter Weiblichkeit zum Gegenstand der Auseinandersetzung über technische Berufswahloptionen gemacht. Im Gegensatz zur voranstehenden Analyse aus der Gruppe-j werden diese jedoch nicht von generativen Rollenfunktionen abgeleitet. Vielmehr rückt der weibliche Körper in seinen Qualitäten als zentrale Ressource zur Darstellung intelligibler Geschlechtsidentität in den Fokus der Diskussion. Wird zunächst am Beispiel der (Berufs-)Feuerwehr assoziativ verhandelt, inwiefern körperliche Anforderungen ein Ausschlusskriterium für Frauen darstellen, rückt im weiteren Verlauf der technische Beruf der KfzMechatronik in den Vordergrund der Verhandlung:

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Frieda:

[…] Und ich habe auch Praktikum in einer Autowerkstatt gemacht, wo ich auch schon seit drei Jahren irgendwie mal bin und mal wieder nicht, und ich verstehe mich auch super mit denen, aber die haben auch zu mir gesagt: ›Mädchen, Kfz nee, vergiss es. Das ist, als Frau, es gibt paar Frauen, die das können, aber der Rest ist Mist.‹

Hermine: Natürlich können die das. Esther:

[Frauenpower ((lacht))

Frieda:

[Ja, aber das ist dieses Körperliche.]

]

Gudrun: [Ja, aber trotzdem können/ Frieda:

]

[Das ist dieses Körperliche] was einen kaputt macht.

Hermine: Quatsch. ((lacht)) Gudrun: Das ist Schwachsinn, wenn man die Bewegungen immer hat, dass/ die Männer kriegen dann genau so gut Rückenschmerzen wie die Frauen, also das ist egal. Und sonst machst du als Frau halt [(unv.)/] Frieda:

[Und die heulen dann noch mehr rum.]

Hermine:

[Es könnte höchstens] sein, dass du als Frau von den Männern in dem Beruf so ein bisschen …

Britta:

Dominiert wirst, ja.

Hermine: … untergehst, oder ein bisschen Schwierigkeiten DEShalb haben könntest. Aber ich glaube körperlich packst du das. ((mehrere)) Ja, [klar, locker. Frieda:

]

[Also, wenn ich/] wenn ich die/ die Frauen sehe, die KfzMechatronikerin sind, ich kenne einige, die sehen echt nicht mehr weiblich aus. [Die sehen aus wie so ein Bär.] [((mehrere lachen))

]

((mehrere reden durcheinander)) Frieda:

Das ist so für mich keine weibliche Rolle mehr, wenn ich so denke, ich sehe irgendwann so aus wie so/ [wie so ein @Teddybär@]. [((mehrere lachen))

Gudrun:

]

[Ja aber das bringt dieses Körperliche so mit sich.]

Anja:

Breites Kreuz.

Frieda:

Ja, die sah aus wie´s Schrank, das könnte ich nicht.

Frieda erzählt zu Beginn der Sequenz, dass sie ein »Praktikum in einer Autowerkstatt« absolviert und damit unmittelbare Erfahrungen in einem männlich dominierten Berufsfeld vorzuweisen hat. Sie hebt hervor, dass sie diese Werkstatt gut kennt, sich seit Jahren – ohne die Hintergründe zu erläutern – immer wieder dort aufhält (»wo ich auch schon seit drei Jahren irgendwie mal bin und mal wieder nicht«) und dass sie einen guten, persönlichen Kontakt zu den dort Beschäftigten pflegt (»ich verstehe mich auch super mit denen«). Die Darstellung dieses guten Verhältnisses ist dahingehend bedeutsam, als dass Frieda damit klarstellt, dass die von ihr nach-

272 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

folgend zitierte Aussage der Beschäftigten ihrer Ansicht nach weder gegen sie persönlich gerichtet noch auf eine grundsätzlich frauenfeindliche Einstellung zurückzuführen ist. Denn die Beschäftigten hätten ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass die Vorstellung von »Mädchen« im »Kfz«-Bereich abwegig sei (»nee, vergiss es«). Von wenigen fähigen Ausnahmefrauen abgesehen, sei die überwiegende Mehrheit der Frauen vollends untauglich für diesen Beruf (»paar Frauen, die das können, aber der Rest ist Mist«). Haben die Schülerinnen im Vorfeld dieser Sequenz vornehmlich assoziativ darüber debattiert, ob Frauen die nötigen körperlichen Voraussetzungen für den Feuerwehrberuf erfüllen, so weiß Frieda nun aus einer konkreten betrieblichen Innenperspektive heraus zu bestätigen (»die haben auch zu mir gesagt«), dass dies in der Kfz-Branche i.d.R. nicht der Fall ist. Zunächst lässt die Wahl des Praktikumsplatzes den Schluss zu, dass Frieda sich zumindest optional für den Beruf der Kfz-Mechatronik interessiert(e). Doch ist sie von Seiten des Betriebs in diesem Interesse nicht bestärkt, sondern damit konfrontiert worden, dass ihr allein aufgrund ihrer weiblichen Geschlechtszugehörigkeit die notwenige Befähigung zur Ausübung dieses Berufs abgesprochen wird, ohne dass dies explizit an körperliche Unzulänglichkeiten rückgebunden wird. Vielmehr scheint Weiblichkeit grundsätzlich im Widerspruch mit diesem technisch-handwerklichen Tätigkeitsfeld zu stehen. So ist Frieda von den Beschäftigten – wobei kontextbezogen davon auszugehen ist, dass es sich dabei primär um männliche Beschäftigte handelt – geradezu aufgefordert worden, jedweden Gedanken an eine berufliche Orientierung im Bereich Kfz-Mechatronik zu verwerfen (»Mädchen, Kfz – nee, vergiss es«). Wie bereits an anderer Stelle der Analyse ausführlich dargestellt, wird auch hier über die Adressierung als defizitäres Mädchen ein machtvoller Geschlechterdiskurs über die hierarchische Ordnung innerhalb des dualistischen Systems normativer Zweigeschlechtlichkeit aktiviert (vgl. Kapitel 8.1). So wird mit der Adressierung von Frauen als untauglich der männliche Subjektstatus im technischen Feld normalisiert und damit die symbolischen Geschlechtergrenzen (re-)stabilisiert. Im Kontrast zu der Analyse im voranstehenden Kapitel, in der sich Schülerinnen der Gruppe-C einvernehmlich widerständig gegen verletzende Anrufungen ihres Physiklehrers positionieren und diese mittels konfligierender Diskurse anfechten, zeugt im Fall der Gruppe-A die antithetische Diskursorganisation der thematischen Verhandlung von konkurrierenden Weiblichkeitskonzepten der hier diskutierenden Schülerinnen als Ausgangsbasis einer kontrovers geführten Auseinandersetzung über normative Vorstellungen von weiblicher Subjektivität. So folgt auf Friedas Erzählung ein vehementer Widerspruch Hermines. Sie ist davon überzeugt, dass Frauen selbstverständlich die Fähigkeit besitzen, den Beruf der Kfz-Mechatronik auszuüben (»Natürlich können die das«). Dabei spricht sie generalisierend von Frauen als homogene Gruppe (»die«). Esther wirft den Begriff »Frauenpower« ein und zitiert damit ein politisches Motto emanzipatorischer Frau-

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enbewegungen des 20. Jahrhunderts. Frieda scheint diesem feministischen Leitgedanken zwar grundsätzlich zuzustimmen (»Ja«), schränkt dies jedoch unmittelbar durch einen Einwand ein (»aber«), indem sie auf die Ebene körperlicher Materialität verweist (»dieses Körperliche«). Bevor sie ihren Gedanken weiter ausführen kann, fällt ihr Gudrun widersprechend ins Wort, die offenbar die Bedeutsamkeit körperlicher Aspekte hinsichtlich der Befähigung von Frauen infrage stellt (»Ja, aber trotzdem können«). Doch wird sie ihrerseits von Frieda unterbrochen, die noch einmal ihre Aussage aufgreift und damit zu Ende führt, dass es »dieses Körperliche« sei, »was einen kaputt macht«. Für sie sind es eindeutig körperliche Anforderungen in Männerberufen, die als äußere Umstände beschädigend wirken. Indem Frieda hier stilistisch einerseits im Präsens formuliert, andererseits verallgemeinernd die Gruppe der Frauen – sich und ihre Mitschülerinnen eingeschlossen – rhetorisch zu einer Einheit verbindet (»was einen kaputt macht«, Hervorh. M.S.), verleiht sie ihrer Aussage einen verstärkten Geltungscharakter. Dass es sich bei dieser Beschädigung um eine Verletzung normativer Anforderungen an weibliche Körperideale handelt, wird dabei erst mit Blick auf den weiteren Diskussionsverlauf ersichtlich. Hermine und Gudrun teilen Friedas Auffassung nicht, sondern finden sie absurd (»Quatsch«; »Das ist Schwachsinn«). Gudrun ist der Meinung, dass die Kontinuität der körperlichen Betätigung entscheidend ist (»wenn man die Bewegungen immer hat«), was auf einen angenommenen Trainingseffekt hindeutet, mit dem sich der weibliche Körper entsprechend der Anforderungen modifizieren lässt (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 165). Doch unterbricht sie diesen Gedankengang und führt stattdessen aus, dass mögliche negative Auswirkungen auf den Körper Männer wie Frauen gleichermaßen betreffen, somit ein generelles und geschlechtsunabhängiges Berufsrisiko darstellen. Folglich haben sie als Argument gegen Frauen in diesen Tätigkeitsbereichen für Gudrun keine Gültigkeit (»die Männer kriegen dann genau so gut Rückenschmerzen wie die Frauen, also das ist egal«). So greift Gudrun in ihrer Argumentation mit diesem gedanklichen Umschwung – von einem durch konstante Arbeitsbelastung trainierten zu einem versehrten Körper – Friedas zuvor getätigte Aussage über körperliche Belastungen auf, um diese daraufhin zu entkräften. Weiter setzt sie zu einer Ergänzung an, die auf einen strategischen Handlungsvorschlag hindeutet, sollte ihre Darlegung im konkreten Einzelfall nicht zutreffen (»Und sonst machst du als Frau halt«). Was sie genau für einen Vorschlag ausspricht, wird von Frieda übertönt, die an den vorangegangenen Aspekt anknüpft, dass körperlich belastende Arbeit auch bei Männern »Rückenschmerzen« verursache und in diesem Zusammenhang das stereotype Bild wehleidiger Männer aufruft, die Schmerz weniger ertragen könnten als Frauen (»Und die heulen dann noch mehr rum«). Hat sich Frieda zuvor mit ihren Ansichten, die von ihren Mitschülerinnen scharf kritisiert wurden, in eine oppositionelle Stellung zur dominanten Gruppenmeinung manövriert, so signalisiert sie mit diesem ergänzenden Einwurf ihre

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grundsätzliche Zustimmung zu Gudruns Ausführungen und wirkt damit ausgleichend auf die konkurrierenden Standpunkte innerhalb der Gruppe. Denn durch die (abwertende) Abgrenzung zur homogenisierten Gruppe der Männer (»die«) hebt sie die Gemeinsamkeit der weiblichen Geschlechtszugehörigkeit als einigendes Element hervor, die ihr die Gruppenzugehörigkeit sichert. So zeigt sich hier ein weiteres Mal, wie auf der Grundlage normativer Zweigeschlechtlichkeit Einigkeit über Ausschlussmechanismen erzeugt wird (vgl. Butler 2012, S. 328). Auch Hermine schließt an Gudruns Ausführungen an und hält es allenfalls für möglich (»Es könnte höchstens sein«), dass sich Frauen in Männerberufen gegenüber ihren Kollegen nicht durchsetzen können (»dass du als Frau […] untergehst«) oder aufgrund ihrer weiblichen Geschlechtszugehörigkeit benachteiligt werden (»oder ein bisschen Schwierigkeiten DEShalb haben könntest«). Mit dieser Aussage verweist sie vorsichtig und zurückhaltend (»so en bisschen«, »haben könntest«, Hervorh. M.S.) auf mögliche Grenzen der gemeinsamen Orientierung an einem emanzipierten Weiblichkeitskonzept, indem sie diskursiv auf ein kollektives Erfahrungswissen vorgängiger Frauengenerationen Bezug nimmt, wonach Frauen in traditionellen Männerdomänen mitunter nach wie vor geschlechtsbezogener Diskriminierung ausgesetzt sind. Britta wirft in zustimmender Ergänzung ein, dass Frauen in Männerberufen von ihren Kollegen möglicherweise »[d]ominiert« werden. Hinsichtlich der körperlichen Befähigung von Frauen hat Hermine dagegen keine Bedenken (»ich glaube körperlich packst du das«). Mehrere ihrer Mitschülerinnen stimmen energisch zu (»Ja, klar, locker«). Die Formulierung verallgemeinernder Adressierungen zeugt von dem Eifer, mit dem die Schülerinnen aus einer subjektiven Perspektiver heraus repräsentativ für die soziale Gruppe der Frauen sprechen und sich selbst dabei unmittelbar mit einbeziehen (»dass du als Frau […] untergehst«; »[d]ominiert wirst«; »körperlich packst du das«, Hervorh. M.S.). Während sich einige der Schülerinnen somit wechselseitig ihre Übereinstimmung darin versichern, dass sie als Frauen Männern hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit in nichts nachstehen, bringt Frieda elaborierend eine antithetische Differenzierung ein, mit der sie die Diskussion um die Frage nach den Konsequenzen körperlicher Arbeit hinsichtlich des eigenen Weiblichkeitsverständnisses erweitert. Sie knüpft noch einmal konkret an den von ihr eingangs eingebrachten Erfahrungshintergrund mit der Kfz-Branche an, wobei sie die Feststellung äußert, dass Mechatronikerinnen im Erscheinungsbild »nicht mehr« weiblichen Körpernormen entsprechen (»die sehen echt nicht mehr weiblich aus«). Dabei hebt sie hervor, dass sie mit mehreren dieser Frauen bekannt ist, was die Gültigkeit ihres Befundes unterstreicht (»Also, wenn ich […] die Frauen sehe, die Kfz-Mechatronikerin sind, ich kenne einige«). Indem sie die äußere Erscheinung dieser Frauen mit der eines »Bär[en]« gleichsetzt, veranschaulicht sie die von ihr wahrgenommene Diskrepanz zur vorherrschenden Weiblichkeitsnorm auf dramatische Weise. Denn die sich durch diesen animalischen Vergleich aufdrängenden Assoziationen eines schweren, massigen

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Körpers und enormer Kraft stehen im eklatanten Widerspruch zum kulturellen Körperideal weiblicher Anmut. Die Gruppe zeigt durch Lachen und einem kurzen, aufgeregten Durcheinanderreden eine starke Reaktion auf diesen Vergleich, was darauf schließen lässt, dass der von Frieda thematisch aufgeworfene eklatante Verstoß gegen körperbezogene Weiblichkeitsnormen eine hohe Brisanz besitzt. Deutlich dokumentiert sich hier die normative Anforderung an die Subjekte, die eigene Geschlechtszugehörigkeit gemäß kultureller Normen in Praktiken von ›doing gender‹ sinnhaft darzustellen, wobei der leibliche Körper als fundamentale Ressource in Prozessen der Darstellung und Anerkennung geschlechtlicher Identität herausgestellt wird. Weiter führt Frieda aus, dass der Gedanke daran, durch die Ausübung einer entsprechenden Berufstätigkeit selbst einmal »wie so ein Teddybär« auszusehen, mit ihrer Vorstellung einer weiblichen Geschlechtsidentität unvereinbar ist (»Das ist so für mich keine weibliche Rolle mehr«). Der Vergleich mit einem Kuscheltier lässt diese Vorstellung geradezu lächerlich und absurd erscheinen, was Frieda durch ihr Lachen unterstreicht und damit noch einmal abschließend die Inkompatibilität mit affirmierten Weiblichkeitsbildern betont. Entgegen Friedas vorangegangener Stellungnahme erhebt die Gruppe an dieser Stelle keinerlei Einwände. Vielmehr bestätigen Friedas Mitschülerinnen ihre Bedenken hinsichtlich der Berufswahloption im Bereich Kfz-Mechatronik in Anbetracht der körperlichen Konsequenzen mit zustimmendem Lachen. Gudrun stimmt Frieda zwar zu, hält deren emotional aufgeladener Darstellung jedoch sachlich entgegen, dass körperliche Anstrengungen zwangsläufig körperliche Veränderungen bedingen (»Ja aber das bringt dieses Körperliche so mit sich«). Mit dem Einwurf »breites Kreuz« exemplifiziert Anja, was sie sich konkret unter dem metaphorischen Vergleich mit einem (Teddy-)Bären vorstellt (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 166). Frieda bejaht Anjas Äußerung und überträgt diese offenbar in Gedanken auf eine konkrete Einzelfallbegegnung mit einer Kfz-Mechatronikerin, die ihrer Beschreibung nach wie ein »Schrank« aussah, vermutlich also von breitschultriger Statur war. Die entmenschlichende Bezeichnung als »Bär«, »Teddybär« oder »Schrank« zeugt derweil in dramatisierender Weise von der identitätsgefährdenden Krisenhaftigkeit einer Überschreitung symbolischer Geschlechtergrenzen. In ihrer abschließenden Stellungnahme positioniert sich Frieda eindeutig ablehnend, indem sie unmissverständlich deutlich macht, dass eine solche Existenzweise für sie ausgeschlossen ist (»das könnte ich nicht«). Die Ausübung einer technisch-handwerklichen Berufstätigkeit wird hier als Gefährdung der Intelligibilität weiblicher Geschlechtsidentität aufgrund einer antizipierten Annäherung an männlich konnotierte Körperproportionen wahrgenommen, was sich im Rahmen beruflicher Orientierungsprozesse als wirkmächtig und handlungsleitend erweist. Dabei zeigt sich, dass das zumeist präreflexiv wirkende Orientierungswissen um die soziale Bedeutung von Dichotomizität qua Differenz von den Schülerinnen zur Be-

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gründung der Ablehnung technisch-handwerklicher Berufe aufgerufen und gemeinsam bearbeitet wird. In diesem exemplarischen Diskussionsabschnitt wird deutlich, wie mit der Norm der Zweigeschlechtlichkeit verkoppelte Differenzkonstruktionen von den Schülerinnen im Zuge der Verhandlung beruflicher Selbstentwürfe im technischhandwerklichen Bereich gemeinsam bearbeitet und vor dem Hintergrund konkurrierender Diskursformationen und widersprüchlicher Anrufungen kontextbezogen nivelliert oder relevant gemacht werden. Im Kontrast zur gemischtgeschlechtlichen Gruppe-j, in der die Konstruktion naturalisierter Geschlechterdifferenz den Ausgangspunkt für die Zuschreibung vermeintlicher Geschlechtercharaktere und einer daraus resultierenden unterschiedlichen beruflichen Eignung von Frauen und Männern bildet, wird hier von den Schülerinnen der Gruppe-A der geschlechtlich definierte Körper in seiner Bedeutsamkeit für die Erwägung beruflicher Optionen in Überschneidung mit sozialen Prozessen der Darstellung und Anerkennung intelligibler Weiblichkeit zum zentralen Gegenstand der gemeinsamen Auseinandersetzung über anerkennenswerte Positionierungen. Dabei lassen sich in der gemeinsamen Bearbeitung des Themas sowohl positive wie negative Gegenhorizonte herausstellen. Zunächst scheint sich in der Überzeugung der jungen Frauen, dass sie über ein uneingeschränktes Berufswahlspektrum verfügen, das keinerlei Begrenzung aufgrund signifikanter Geschlechterunterschiede bezüglich körperlicher Belastbarkeit unterliegt, ein gewisses Enaktierungspotenzial abzuzeichnen. Förderlich hierfür erweisen sich emanzipatorische Impulse gesellschaftspolitischer Diskursformationen verbunden mit der Forderung nach mehr Geschlechteregalität. So werden von den Schülerinnen zunächst geschlechtsbezogene Adressierungen, die auf normative Annahmen über eine verminderte Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit weiblicher Körper rekurrieren und damit technisch-handwerkliche Berufsfelder als exklusive Männerdomäne legitimieren, durch die Aktivierung eines emanzipatorischen Gleichheitsdiskurs vehement zurückgewiesen, über den sich die jungen Frauen selbstbewusst als weibliche Leistungssubjekte entwerfen. Mit dieser Selbstinszenierung positionieren sie sich gleichsam widerständig gegenüber normativen Vorstellungen vermeintlich natürlich veranlagter Defizite, die eine Einschränkung des Berufswahlspektrums von Frauen hinsichtlich technisch-handwerklicher Tätigkeitsbereiche plausibilisieren. Einzig das Risiko geschlechtsbezogener Diskriminierung von Frauen in Männerberufen wird als potenzieller Nachteil einer weiblichen Geschlechtszugehörigkeit für gültig erklärt, worin sich ein implizites Wissen um die hierarchische Geschlechterordnung im Erwerbssystem dokumentiert, das sich möglicherweise im Rahmen der Entscheidung für oder gegen einen technischen Beruf als handlungsrelevant erweist. Dem entgegen steht ein historisch verwurzeltes Wissen um das ›Differenzgebot‹ (vgl. exempl. Gildemeister und Wetterer 1992, S. 127; Heintz et al. 1997, S. 10f.; Rubin 1975, S. 178; Teubner 2009, S. 181; Wetterer 2009, S. 42f.) geschlechtlicher

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Subjektpositionen im System der Zweigeschlechtlichkeit. Im vorliegenden Beispiel zeigt sich die Wirkmächtigkeit dieses impliziten und weitgehend präreflexiven Geschlechterwissens darin, dass junge Frauen letztlich die Wahl männlich codierter, technisch-handwerklicher Berufe ausschließen, die vor dem Hintergrund normativer Anforderungen an eine kohärente Geschlechtsidentität die Anerkennung ihrer weiblichen Subjektposition gefährden. Denn während von den Schülerinnen im diskursiven Ringen um die Anerkennung als vollwertige Arbeitssubjekte differenzorientierte Zuschreibungen hinsichtlich der Konstitution geschlechtlicher Körper infrage gestellt werden, wird die Norm binärer Geschlechterdifferenz im Zusammenhang mit identitätsmächtigen Anrufungen, sich gemäß normativen Anforderung geschlechtlich zu entwerfen und zu inszenieren, von den jungen Frauen relevant gemacht. Dabei wird im Zuge der Diskussion um die Erwägung einer technischhandwerklichen Berufswahloption von den Schülerinnen der leibliche Körper als Ressource zur Inszenierung intelligibler Weiblichkeit hervorgehoben und mit Blick auf eine mögliche (Um-)Formung durch Arbeit ins Zentrum der kritischen Auseinandersetzung gestellt. Der Körper fungiert dabei nicht allein als Trägerfläche, auf die bestimmte kulturell vergeschlechtlichte Konstruktionsmittel an- oder aufgebracht werden, wie bspw. Kleidung, Schminke oder Frisuren (vgl. Villa 2011, S.116). Vielmehr wird anhand der voranstehenden Sequenz deutlich, wie sich kulturelle Geschlechternormen über konsequente Darstellungsroutinen der Subjekte in den leiblichen Körper einprägen. Denn es sind nicht die Körper, die bestimmen »›was geht‹ und ›was nicht geht‹« (Hirschauer 1994, S. 674), sondern kulturelle Verhaltensnormen und Konventionen, die den Bereich dessen abstecken, was mit den Worten Butlers ›intelligibel‹ ist. So werden von den hier diskutierenden Schülerinnen berufliche Tätigkeiten verworfen, mit denen eine bestimmte Formierung des leiblichen Körpers durch technisch-handwerkliche Arbeit antizipiert wird, die kulturellen Anforderungen widerspricht und damit als eine Gefährdung intelligibler Geschlechtsidentität wahrgenommen und bedeutet wird. Welche Anforderungen nach Ansicht der Schülerinnen an den weiblichen Körper gestellt werden, lässt sich erst mit Blick auf das rekonstruieren, was die Schülerinnen als negativen Gegenhorizont aufspannen und ablehnen, nämlich einen Körper, der sich durch vornehmlich männlich konnotierte Arttribute auszeichnet. Damit zeigt sich aus einer dekonstruktivistischen Perspektive, wie eine Normalität weiblicher Leiblichkeit 26 erst über die Markierung eines Be26 Anzumerken ist, dass es sich hierbei um ein Weiblichkeitsideal der privilegierten Bildungselite handelt, das nicht unbedingt seine Entsprechung in der Lebensrealität und im Alltagserleben aller Frauen sämtlicher Gesellschaftsschichten findet. Dies ist mit Blick auf die dieser Sequenz vorangegangene Diskussion zu unterstreichen, in denen die angehenden Abiturientinnen »Männerberufe« explizit als technische Berufe klassifizieren, diese jedoch in erster Linie im handwerklichen und nicht im akademischen Bereich

278 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

reichs der Abweichung konstruiert wird, der in der Figur der für unweiblich befundenen Kfz-Mechatronikerin seine Personifizierung findet. Aus einer butlerschen Perspektive wird dabei mit Blick auf den Gesamtverlauf der Argumentation an dieser Stelle ersichtlich, dass nicht etwa der Körper als materieller Bezugspunkt kulturellen Repräsentationen vorangestellt ist, sondern sich vielmehr kulturelle Normen über performative Akte geschlechtlicher Inszenierungen in die Körper einprägen und sich in ihnen materialisieren. Derweil sind die jungen Frauen selbst als Akteurinnen zu begreifen, die sich vor dem Hintergrund normativer Anforderungen und mitunter widerspruchsvoller Anrufungen kontextbezogen positionieren und dabei im Rahmen diskursiver Praktiken kollektiver Sinnkonstruktionen bei der Erzeugung von Brüchen und Verschiebungen tradierter Geschlechterrelationen und damit sich auftuender beruflicher Möglichkeitsräume ebenso mitwirken, wie bei der Reproduktion symbolischer Ordnungen und ihrer normierenden Effekte auf die Selbstdefinitionen der Subjekte, die mit einer geschlechtlichen (Re-)Codierung des Berufswahlverhaltens einhergeht. 8.2.4 »… das sind auch so richtige Mannsweiber« Eine ›Entweiblichung‹ von Frauen in technischen Berufsfeldern, lässt sich auch in der gemischtgeschlechtlichen Gruppe-h bestehend aus 17- bis 19-jährigen Schüler*innen aufzeigen. Im Gegensatz zur Gruppe-A, die technische (Männer-)Berufe primär als handwerkliche Ausbildungsberufe wahrnehmen, geht es im Folgenden um akademische Technikberufe, zu denen sich die jungen Frauen und Männer positionieren. In der dieser Sequenz vorangegangenen Diskussion wurde die Ablehnung technischer Berufswahloptionen von den Schüler*innen auf Grundlage einer kollektiven Setzung normativer Bedingungszusammenhänge biographisch und sozialisationstheoretisch begründet. Im bisher parallel verlaufenden Modus der Diskursorganisation wurde über die Konstruktion sozialer Differenz Kollektivität inszeniert sowie die gemeinsame Positionierung im Normalitätsfeld gestärkt (vgl. Kapitel 7.2). Im nun Folgenden wird die Diskussion in einen antithetischen Modus überführt und dabei der Bezugsrahmen für die gemeinsame Orientierung erweitert.

wahrnehmen (»Mechatroniker, Kfz-Mann oder […] Industriemechaniker, […] da [gibt es] eher Möglichkeiten zur Ausbildung, als zum Studium«). Somit spielen hier hinsichtlich der Abwägung einer technischen Berufswahlentscheidung insbesondere auch normative Anforderungen an eine (bildungs-)privilegierte Weiblichkeit eine Rolle, die mit einer Orientierung an einer akademischen Berufsqualifizierung einhergehen. Darüber hinaus zeigt sich jedoch auch, dass junge Frauen nach wie vor wenig Informationen über technische Studienfächer und akademische Technikberufe haben (vgl. Schuster et al. 2004, S. 31f.; Kapitel 7).

Dimensionen der Subjektkonstitution | 279

David:

… was war ja genau mit technischer Beruf, also jetzt so Computer?

I:

Ganz allgemein, was euch dazu einfällt.

Finn:

Ich würd das voll gerne eigentlich machen, nur [ich hab gar keine Lust …]

Finn:

[… auf diese Ausbildung z.B., ich finde …]

Anouk:

[Finn möchte alles eigentlich machen.

[((mehrere lachen))

]

]

((mehrere lachen)) Finn:

Ich wär voll gern so ein Architekt, der so Häuser beziehungsweise planen würde natürlich selber das erarbeiten, aber … ((mehrere lachen))

Finn:

… so und dann zu sehen, wie das funktioniert und so. Oder wenn ich en Techniker hätte, also in irgend so nem für Maschinenbau oder so, wenn ich das z.B. studiert hätte, dann so mal zu reparieren, aber halt auch da zu planen und so das würd ich voll gern machen, nur, ähm, ich trau mir da selber nicht zu, darin die Ausbildung oder so was zu schaffen, weil ich in Mathe …

Clara:

((lacht))

Finn:

… voll schlecht bin.

Finn:

Deshalb denk ich da auch nicht dran.

((mehrere lachen)) ((mehrere lachen)) Glenda: Ich find´s voll witzig, ich hab also öfter diese Tests gemacht, auch so etwas umfangreichere Berufswahltests und da kamen IMMER technische Berufe bei raus. Ich weiß nicht, ob das auch so en Wink mit dem Zaunpfahl ist, einfach von den Unis, dass die sich nach Frauen in technischen Berufen sehnen. Ich weiß es nicht. ((mehrere lachen)) Glenda: Aber, ähm, ich hab, also ich find, also ich kann mir jetzt gar nicht vorstellen, aber z.B. was ich auch mitkriege, z.B. mein Freund studiert Ingenieurinformatik und da sind auch im ganzen Studien-, Studiengang zwei Frauen, glaub ich, ne, und das sind auch so richtige Mannsweiber, also … ((mehrere lachen)) Anouk:

Boah. ((mehrere lachen))

Glenda: … das sind auch nicht, wo man, wo man sich vorstellen kann, okay, das könnte jetzt jedes Mädchen einfach so machen, ne. Und, also obwohl, ich weiß nicht, es würd mich einfach nicht interessieren. Anouk:

[Ja. ]

Glenda: [Also] ich könnt´s mir nicht vorstellen, einfach am PC zu sitzen, selbst, wenn man das könnte, also selbst wenn man die Fähigkeit da-, also ich bin nicht schlecht in Mathe oder so, aber ich könnt´s mir einfach nicht vorstellen, weil´s einfach [überhaupt ] unbefriedigend ist. Ja. Babette: [Zu trocken.]

280 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Wurde die bisherige thematische Verhandlung von der intuitiven Verknüpfung technischer Berufe mit Computern dominiert, wird dies zu Beginn des dargestellten Diskussionsausschnittes durch die Rückfrage Davids, der sich in das bisherige Gespräch kaum eingebracht hat, an die Interviewerin hinterfragt. Nachdem diese klarstellt, dass die Diskutant*innen selbst dazu aufgefordert sind, Technikberufe näher zu bestimmen (»was Euch dazu einfällt«), bringt Finn, der sich ebenfalls bisher zurückgehalten hat, eine Stellungnahme in Form einer Anschlussproposition ein. Im Gegensatz zu seinen Vorredner*innen, die vornehmlich unbestimmt von ›Anderen‹ erzählten, bezieht Finn persönlich Stellung. »[E]igendlich« würde er »voll gerne« beruflich etwas Technisches »machen«, wobei er mit dem »eigentlich« bereits andeutet, dass diesem Wunsch etwas entgegensteht, nämlich die entsprechende »Ausbildung«, die er als nicht lustvoll antizipiert, wie er im Weiteren ausführt (»ich hab gar keine Lust auf diese Ausbildung«). Mit der Äußerung dieses Berufswunsches nimmt er eine Gegenposition zur bisher allgemein geäußerten Verwerfung einer technischen Berufswahlorientierung ein. Die Kombination aus dem Lachen seiner Mitschüler*innen und Anouks geringschätzigem Kommentar, mit dem sie Finn Inkonsistenz und damit eine gewisse Oberflächlichkeit unterstellt (»Finn möchte alles eigentlich machen«), entzieht seiner Aussage in einem gewissen Maße die Signifikanz. Anscheinend unbeirrt fährt Finn differenzierend und exemplifizierend fort, dass er »voll gern so ein Architekt« wäre, der in seiner Vorstellung »Häuser« kompetent entwirft und komplexe Funktionszusammenhänge begreift (»zu sehen, wie das funktioniert«). Auch interessiert ihn der Bereich »Maschinenbau« und er hat ein Wissen sowohl über verschiedene berufliche Qualifizierungsmöglichkeiten in Form einer Aufstiegsweiterbildung zum ›Techniker‹ als auch eines akademischen Studiums. Ihn reizt die Vorstellung, auf der Grundlage erworbener beruflicher Kompetenzen Dinge »zu planen« oder aber auch »zu reparieren«. Einerseits betont er durch mehrfache Wiederholung seine Affinität für derartige Berufsfelder bzw. -tätigkeiten (»voll gerne«), andererseits formuliert er stark im Konjunktiv (»Ich würd; »Ich wär, »würd ich«, Hervorh. M.S.). Imaginierend verknüpft er ein positives Erleben an die Bedingung einer erfolgreich abgeschlossenen beruflichen Qualifikation. Gerade in der Vorstellung auf der Grundlage angeeigneter fachlicher Kompetenz Dinge zu entwerfen, zu konstruieren oder auch zu reparieren, liegt für Finn der besondere Reiz technischer Berufe (»wenn ich en Techniker hätte, […] wenn ich das […] studiert hätte [..], dann […] zu reparieren aber auch zu planen«, Hervorh. M.S.). Für ihn spricht »nur« ein Aspekt gegen die Realisierung seines Berufswunsches, doch dieser wiegt sichtlich schwer: Finn schätzt seine eigenen Leistungen im Fach Mathematik als äußerst schlecht ein (»voll schlecht«), womit eine technische Berufswahlorientierung für ihn undenkbar wird (»Deshalb denk ich da auch nicht dran«). Erneut werden seine Ausführungen vom Lachen der übrigen Schüler*innen begleitet.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 281

Wie auch in vielen weiteren Gruppendiskussionen, spiegelt sich hier die Annahme wider, dass schulische Leistungsstärken im Fach Mathematik eine fundamentale Voraussetzung für eine technische Berufsqualifikation darstellen. Diese Überzeugung ist derartig wirkmächtig, dass Finn trotz einer spürbaren Begeisterung für Technikberufe sich als ungeeignet wahrnimmt und sich versagt, diese auch nur in Erwägung zu ziehen. Seine männliche Geschlechtszugehörigkeit spielt für ihn derweil offenbar keine Rolle. Anders verhält es sich für Glenda, die nun den Aspekt der Eignung aufgreift und von ihren wiederholten Erfahrungen mit Berufswahltests erzählt (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 194). Sie betont, dass diese ihr ausnahmslos (»IMMER«) technische Berufe nahelegen würden. Dabei verweist sie ausdrücklich darauf, dass es sich bei diesen Tests um »etwas umfangreichere« handelt, was eine erhöhte Komplexität und Präzision impliziert. Gleichzeitig äußert sie Zweifel und Misstrauen an der wiederkehrenden Beurteilung ihres persönlichen Eignungsprofils (»Ich weiß nicht«) und scheint diese als nicht stimmig, sondern geradezu als lächerlich zu empfinden (»Ich find´s voll witzig«). Vor dem Hintergrund einer angenommenen Bedarfssituation an Hochschulen kommen für sie manipulative Absichten in Betracht, die darauf zielen, Abiturientinnen für ein technisches Studium zu motivieren (»ob das auch so en Wink mit dem Zaunpfahl ist, einfach von den Unis, dass die sich nach Frauen in technischen Berufen sehnen«). Folglich hat Glenda ein Wissen über gesellschaftspolitische Diskurse, die durch die gezielte Erhöhung weiblicher Nachwuchskräfte für die Technikbranche dem sogenannten Fachkräftemangel entgegen zu wirken suchen. Das Lachen ihrer Mitschüler*innen zeugt von einem Verständnis, das keiner weiteren Erklärungen bedarf und auf ein geteiltes Wissen um derartige Diskurse schließen lässt. Die von Glenda wahrgenommenen Anrufungen, sich als Frau über ein technisches Studienfach beruflich zu qualifizieren, erscheinen ihr fragwürdig und zweifelhaft (»Ich weiß es nicht«). Während sie noch einmal ausdrücklich erklärt, dass für sie eine technische Berufswahl undenkbar ist (»ich kann mir jetzt gar nicht vorstellen«), verweist sie exemplifizierend auf ihren Freund, durch den sie über indirekte Einblicke und Kenntnisse bezüglich der Studiensituation im Fach Informatik verfügt. Ihrer Einschätzung nach (»glaub ich«) sind Frauen dort in der absoluten Minderheit (»im ganzen […] Studiengang zwei Frauen«) und werden von ihr als »richtige Mannsweiber« klassifiziert. Während der Begriff als solcher nicht erläuterungsbedürftig zu sein scheint, da keine Nachfragen seitens der Gruppe gestellt werden, deutet das erstaunte Lachen ihrer Mitschüler*innen sowie Anouks Ausruf »Boah« darauf hin, dass die Bezeichnung »Mannsweiber« von den jungen Frauen und Männern bezüglich des sozialen Status der Adressatinnen als brisant wahrgenommen wird. So ist die stark emotionale Reaktion der Gruppe im Zusammenhang mit dem Grad der durch diese Bezeichnung implizierten Abwertung zu betrachten. Diese Abwertung erweist sich als besonders effektvoll, weil sie sich auf die Wirk-

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mächtigkeit der dualistischen Ordnung hegemonialer Geschlechterdiskurse beruft. Im Verständnis von Technik, technischer Kompetenz und Technikberufen als kulturelle Repräsentationen konventioneller Männlichkeit haben die Informatikstudentinnen die symbolische Geschlechtergrenze überschritten und damit gegen das ›Differenzgebot‹ verstoßen, wodurch die soziale Ordnung in Unordnung gerät. Die Klassifizierung als »Mannsweiber« stellt somit einen Akt symbolisch-diskursiver Differenzmarkierung innerhalb des Systems normativer Zweigeschlechtlichkeit dar, durch den die soziale Ordnung wiederhergestellt und akzentuiert wird (vgl. Heintz et al. 1997, S. 36; Micus-Loos et al. 2016, S. 194) und zwar in mehrfacher Hinsicht: Einerseits werden die Technikstudentinnen durch die der Bezeichnung inhärenten Vermännlichung als abweichend von der Norm kohärenter Weiblichkeit markiert und damit eine Hierarchisierung innerhalb der weiblichen Geschlechtsgruppe erzeugt. Andererseits wird durch die Betonung, dass es sich eben nicht um ›normale‹ Frauen handelt bzw. handeln kann, die hier in das männlich besetzte Territorium Technik vorgedrungen sind, die Geschlechterdifferenz (re-)naturalisiert und gleichzeitig die männliche Codierung des Studienfachs bestätigt und gefestigt. Mit Bezug auf Butler kann somit an diesem Beispiel verletzender (An-) Rede verdeutlicht werden, wie alternative Entwürfe geschlechtlicher Identität jenseits dominanter ›Normen kultureller Intelligibilität‹ bzw. hegemonialer Geschlechterdiskurse und ihrer Wissensordnungen mit Verlusten bezüglich der Anerkennung des Subjektstatus einhergehen (können). Im Zuge ihrer weiteren Argumentation zitiert Glenda geschlechterstereotype Vorstellungen über eine angeblich naturbedingte Technikinkompetenz von Frauen und spricht dabei verallgemeinernd von »man«, was ihre Aussage normativ gewichtet. So könne »nicht jedes Mädchen einfach so« Informatik studieren, sondern scheinbar nur bestimmte, nämlich nur diejenigen, die aufgrund einer nicht näher konkretisierten männlich konnotierten Attribuierung als ›unweiblich‹ gelten, die keine ›normalen‹ Frauen sind, sondern »geschlechtliche Mischwesen« (Greusing 2015, S. 142). Auch die verallgemeinernde Zuschreibung einer angeblich natürlichen Unfähigkeit von Frauen für ein technisches (Informatik-)Studium wird von den Mitschüler*innen weder kommentiert noch beanstandet, sondern scheint in ihrer Kernaussage einvernehmlich geteilt zu werden. Mit Blick auf den Gesamtkontext von Glendas Ausführungen lässt sich jedoch die Aktivierung dieser geschlechterklassifizierenden Diskursformationen nicht nur als Moment der Stabilisierung symbolischer Geschlechterordnung deuten, sondern auch als Ausdruck von Widerständigkeit gegen wiederkehrende Anrufungen junger Frauen, sich beruflich in Richtung Technik zu orientieren, die für Glenda offenbar eine unredliche Einflussnahme auf ihr Autonomieempfinden darstellen. Dieser Eindruck wird im Weiteren dadurch verstärkt, dass Glenda nicht konsequent in ihrer Argumentationslinie verbleibt, sondern in Bezug auf die eigene ablehnende Haltung gegenüber technischen Studienfächern und Berufen ins Wanken gerät. Sie holt zu

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einer Ergänzung aus (»Und«), verzögert (»also«) und setzt stattdessen zu einer einschränkenden Äußerung an (»obwohl«), bringt letztlich jedoch ein weiteres Mal Unsicherheit und Zweifel zum Ausdruck (»ich weiß nicht«), um anschließend wieder auf die persönliche Ebene zu wechseln. Sie würde ein technisches Studium »einfach nicht interessieren«, wobei »einfach« hier eine die Aussage verstärkende Funktion ausübt. Damit stellt sie ihr Desinteresse an technischen Berufen als vermeintlich geschlechtsneutralen Sachverhalt dar, losgelöst von persönlichen Merkmalen wie Befähigung oder Geschlechtszugehörigkeit. Auf die abschließenden Redebeiträge von Glenda und Babette, auf die sich der folgende Interpretationsabschnitt bezieht, ist bereits in einem der vorangegangenen Kapitel zum Zweck der Überleitung eingegangen worden (vgl. Kapitel 7.3). Ungeachtet dessen sind sie unabdingbar für ein vollständiges Verständnis des dokumentarischen Sinngehaltes der obenstehenden Sequenz und werden in diesem Zusammenhang noch einmal eingehend in die Analyse einbezogen. Während Anouk ratifizierend Verständnis und Zustimmung signalisiert (»Ja«), fährt Glenda fort (»Also«) nachdrücklich zu betonen, dass technische Berufe, von ihr gleichgesetzt mit alleinigem Sitzen am Computer (»einfach am PC sitzen«), für sie ausgeschlossen und undenkbar sind und zwar ungeachtet persönlicher Fähigkeiten und Kompetenzen (»selbst wenn man das könnte, […] selbst wenn man die Fähigkeit«), die sie hier – in Übereinstimmung mit Finns vorangegangener Stellungnahme – an Leistungen im Fach Mathematik bindet. Denn im Gegensatz zu Finn ist Glenda nach eigener Einschätzung »nicht schlecht in Mathe«, erfüllt somit theoretisch die für notwendig erachteten Voraussetzungen für ein technischen Studium und doch ist für sie ein solches aus dem Bereich des Vorstellbaren ausgeschlossen, wie sie im Laufe ihrer Ausführungen mehrfach wiederholt (»ich kann mir jetzt gar nicht vorstellen […] ich könnt´s mir nicht vorstellen […] ich könnt´s mir einfach nicht vorstellen«). In der fortwährenden Wiederholung und der damit offenbar verbundenen Notwendigkeit der Bearbeitung wird die Relevanz dieser prinzipiellen Ausschließung für den Identitätsentwurf Glendas mehr als deutlich. In Anbetracht der von ihr zitierten und fortgeschriebenen vermeintlichen Inkompatibilität von Weiblichkeit und Technik wäre die Rückbindung der eigenen Ablehnung an die weibliche Geschlechtszugehörigkeit naheliegend. Doch im Hinblick auf die eigene Person verschiebt sich Glendas Argumentationslinie weg von geschlechterstereotypen Bildern hin zum individualisierten Interesse und damit zu einer vermeintlich geschlechtsneutralen Begründung (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 195).27 27 Auch scheinen für Glenda – anders als bei ihrem Mitschüler David (vgl. Kapitel 7.3) – ihre offenbar guten Noten in Mathematik als Erfolgserlebnisse nicht mit einem positiven Erleben von Spaß verbunden, was neben Leistungspotenzialen allgemein als zentrales Kriterium im Berufsfindungsprozess anerkannt ist (vgl. Dimbath 2003, S. 239ff.; MicusLoos et al. 2016, S. 102ff.).

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Konkludierend werden von Glenda die Gründe (»weil«) für das fehlende Interesse als Ausgangspunkt der vehementen Ablehnung einer technischen Studienwahl externalisierend auf die Beschaffenheit des gesamten Berufsfeldes als solches projiziert, das sie sehr entschieden und eindringlich (»einfach überhaupt«) als »unbefriedigend« klassifiziert und damit als unzulänglich und minderwertig bezeichnet. Die Verlagerung der ihrer persönlichen Haltung zugrundeliegenden Motive nach außen bedingt dabei den Schutz des Selbstwerts als Zugehörige der weiblichen Geschlechtsgruppe, die von ihr unmittelbar zuvor als defizitär dargestellt wurde. Babette stimmt mit ein und unterstreicht Glendas Aussage mit dem Einwurf »[z]u trocken«, mit dem sie eine Ablehnung technischer Studienfächer und Berufe externalisierend mit einer qualitativen Bewertung fachspezifischer Wissensbestände und Gegenstandsbereiche als fade und reizlos begründet (vgl. auch Kapitel 7.3). Wie sich mit der obenstehenden Sequenz veranschaulichen lässt, haben die jungen Frauen (und Männer) in den Gruppendiskussionen ein Wissen darüber, dass allgemein gute Leistungen im Fach Mathematik als Voraussetzung für eine technische Studien- und Berufswahl gelten.28 Während Finn sich mit unterschiedlichen technischen Berufsbildern identifizieren kann, werden seine für schlecht befundenen schulischen Leistungen in Mathematik zum entscheidenden Ausschlusskriterium, das sich als gewichtiger erweist als persönliche Interessen und Berufswünsche. Für Glenda gestaltet sich die Situation dagegen weitaus komplexer. Obwohl ihr Berufsorientierungstests wiederholt eine Eignung für technische Berufe bescheinigt haben, sie ein Wissen über die Erwünschtheit von Frauen in technischen Studienfächern und Berufen hat und sie selbst, im Gegensatz zu Finn, ihre Leistungsfähigkeit in Mathematik positiv einschätzt, wird von ihr eine technische Studienwahl kategorisch ausgeschlossen. Im Zuge ihrer Ausführungen offenbart sich die enorme Wirkmächtigkeit differenzsetzender Geschlechterbilder, die Frauen allgemein eine Eignung für technische Berufe absprechen, während die wenigen, die dennoch in das traditionell männlich dominierte Feld vordringen als Abweichung im doppelten Sinne markiert werden, nämlich sowohl von impliziten fachkulturellen Normen als auch von Normen intelligibler Weiblichkeit. Mit Bezug auf Butler lässt sich somit aufzeigen, wie alternative Selbstentwürfe, die von normativen Anforderungen an die Kohärenz geschlechtlicher Identität differieren, den Entzug sozialer Anerkennung herbeiführen (können). Denn Frauen in technischen Männerberufen laufen vor der Deutungsfolie dominanter Geschlechterdiskurse und ihrer differenzgebietenden Positionierungsanweisungen Gefahr, dass ihr weiblicher Subjektstatus in Zweifel gezogen wird, wie in der Bezeichnung 28 Greusing (2015, S. 141) stellt in ihrer Studie zu Vergeschlechtlichungen der ingenieurwissenschaftlichen Fachkultur u.a. das Konzept der »Mathematikhürde« heraus, das »als die Begründungsinstanz für die Unterrepräsentanz von Frauen im Feld der Ingenieurwissenschaften fungiert«.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 285

»Mannsweiber« illustrativ zum Ausdruck kommt. Unterdessen werden auch in dieser Sequenz stereotype Geschlechterbilder aufgerufen, die Frauen im Allgemeinen aufgrund ihrer weiblichen Geschlechtszugehörigkeit die Befähigung für eine qualifizierte technische Berufstätigkeit absprechen, womit sie im doppelten Sinne als das ›Andere‹ klassifiziert und symbolisch aus dem kulturell genormten Bedeutungskomplex Technik ausgeschlossen werden. Ein weiteres Mal zeigt sich hier, wie über ein historisch-sedimentiertes Geschlechterwissen auf der Grundlage gesellschaftlich etablierter Normen und Konventionen identitätskonstituierende Differenzkategorien mobilisiert werden (können), die sich als weit wirkmächtiger erweisen als aktuelle Anrufungen vor dem Hintergrund eines akuten ökonomischen Bedarfs an Fachkräften und die sich nicht in vergleichbarer Weise auf einem diskursiven Fundament abgelagerter Wissensordnungen gründen, die zitiert und damit machtvoll wirksam werden könnten. Gleichzeitig wird jedoch an diesem Beispiel auch ersichtlich, wie dieses machtvolle Geschlechterwissen die Subjekte dazu befähigt, sich widerständig gegenüber für unlauter befundene Anrufungen der Gegenwartsgesellschaft zu positionieren, die möglicherweise einen drohenden Verlust (vermeintlich) lebenspraktischer Autonomie implizieren. Zugleich wird erneut deutlich, wie die Schüler*innen in den Gruppendiskussionen den sich im Zuge der gemeinsamen Debatte auftuenden Spannungen, Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten, die häufig als Effekt sich wechselseitig durchkreuzender oder konkurrierender Diskurse auftreten, mit einem individualisierenden Lösungsansatz begegnen, der sowohl strukturelle Barrieren als auch Mechanismen der sozialen und symbolischen Schließung, die zur Aufrechterhaltung der geschlechtsbezogenen Codierung von Berufen beitragen, ausgeblendet. 8.2.5 »… da bin ich en ziemlich untypisches Mädchen« Auch in der nachfolgenden Sequenz aus der Gruppe-i mit Schülerinnen im Alter zwischen 17 bis 19 Jahren tritt die normativ gesetzte Inkompatibilität von Technikwissenschaften und (konventioneller) Weiblichkeit deutlich zu Tage. Vorangehend haben die jungen Frauen sich über ihre unterschiedlichen beruflichen Wünsche und Vorstellungen ausgetauscht und auch damit verbundene Bedenken und Unsicherheiten gemeinsam diskutiert. Dabei stellt sich heraus, dass Daria die einzige unter den jungen Frauen ist, die ein ausgeprägtes und gefestigtes Interesse an Technikund Naturwissenschaften aufweist und sich auch bereits über konkrete Studienmöglichkeiten und spätere Tätigkeitsfelder informiert hat. Noch bevor die Frage nach technischen Berufen explizit gestellt wird, erzählt Daria, dass sie schon seit »der fünften Klasse« weiß, dass sie »irgendwas mit Naturwissenschaften« machen will. Demnach ist sie sich sehr sicher, wo ihre beruflichen Interessensgebiete liegen.

286 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Doch kommen ihr im Zuge der Teilnahme an Berufswahlorientierungsangeboten, bei denen sie mit dem Image von Technik- und Naturwissenschaft als besonders anspruchsvolle Studienrichtungen konfrontiert wird, Zweifel an diesem Wunsch (»wenn jetzt solche Veranstaltungen sind, denk ich immer, boah, äh, das sind immer so die anstrengendsten Sachen irgendwie, wenn man das dann hört und, ähm, schaff ich das überhaupt«). Auch erzählt Daria etwas später, dass sie große Bedenken bezüglich der Arbeitsbedingungen in dem von ihr präferierten Bereich wissenschaftlicher Forschung hat, die sie am Beispiel ihres Cousins, der »PHYSIKER« ist, bestätigt sieht. Denn dieser »hat dann immer so für drei Jahre irgendwo an ner Uni nen Vertrag […] und dann weiß er nicht, was danach ist. Das sind keine FESTanstellungen, sondern dann muss man immer sich wieder was Neues suchen, und dann zieht man wieder irgendwo hin«. Derart hohe Unsicherheiten und Flexibilitätsanforderungen stellen für Daria schwerwiegende Aspekte dar, die für sie gegen eine berufliche Orientierung im (natur-)wissenschaftlichen Bereich sprechen (»würde ich dann doch AUCH nicht machen, dass ich dann nirgendwo fest sein kann«). Der Wunsch nach einer gesicherten und beständigen Berufstätigkeit trifft bei ihren Mitschülerinnen auf Einvernehmen. Um dies zu realisieren, halten die jungen Frauen bspw. ein Lehramtsstudium für »das einfachste«. Andererseits scheint die Stabilität, die ihnen eine Berufstätigkeit als »Lehrerin« bieten würde, auf Kosten individueller Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu gehen (»und dann steck ich da so FEST«). So scheint die Wahl eines klassischen Frauenberufs für die Schülerinnen zuvorderst aus dem Grund attraktiv, weil sie dort eine Vereinbarkeit von beruflichem und privatem Interessen eher gewährleistet sehen als in traditionellen Männerdomänen (vgl. auch Nissen et al. 2003, S. 127ff.; Teubner 2010, S. 503; Wehner 2015, S. 12). Da die übrigen Schülerinnen keine Stellung zu technischen Berufen beziehen, fragt die Interviewerin zu einem vorangeschrittenen Zeitpunkt der Diskussion diesbezüglich explizit nach. Bis auf Daria reagieren die Schülerinnen übereinstimmend mit Ablehnung (mehrere »Nee«), die sie dahingehend präzisieren, dass »eigentlich alles, was mit Computern [ist]« für sie keine Attraktivität besitzt. Daria vertritt eine Gegenposition, die sie nun in die gemeinsame Diskussion einbringt: Daria: Eva: Daria:

Also ich, wenn ich halt, Bionik ist ja immer noch so en Traumberuf [an sich …] [((lacht)) ] … und das ist ja Bio und Technik. Also, dass man eben, ja, das sind diese ganzen Sachen, die jetzt neu aufkommen, so, der Lotuseffekt bei irgendwie Scheiben oder Wandfarben, hm, dass man eben das, was man in der Natur sieht, versucht, eben zu übertragen auf und das irgendwie anzuwenden, sodass die Menschen damit gut leben können. Also es gibt jetzt ja auch immer ganz viel Versuche mit Geckos, wie die eben LAUFEN können mit ihren, äh, Füßen, dass man, da gibt´s jetzt auch

Dimensionen der Subjektkonstitution | 287

Geckoklebeband, dass man eben irgendwie versucht, da das stärkste ((lacht)) [Klebeband der Welt] zu erfinden. Eva:

[((lacht))

Daria:

Ja, ich glaub, da ist schon en großer technischer An[teil. ]

]

Eva: Daria:

[Teil.] Aber, [ja,] [also ] ((lacht)) …

Eva:

[Ja,]

Fiona: Daria:

[Ähm …] … an sich macht mir das auch viel mehr Spaß. Also so, solche Sachen wie SPRACHEN oder so, das KANN ich auch gar nicht. Also da bin ich, glaub ich, en [ziemlich …]

Eva:

[Ja.

Daria:

… untypisches Mädchen. Ich [kann … ]

]

Fiona: Daria:

[Weil das …] … Sprachen ((lacht)) und so was alles GAR nicht und kreativ bin ich auch nicht grade. [Also z.B. … ]

Fiona:

[Ja, Sprachen ist] bei mir eigentlich SCHON, dass ich da gut bin. Also eigentlich, also bei den Naturwissenschaften bin ich eigentlich ziemlich SCHLECHT.

Eva:

Ja.

Fiona:

Nur, ähm, also ich denke, Sprachen bringen einem ja auch IMMER was, egal in welchem Bereich man ist, weil alles irgendwie [international ist und Sprachen sind immer …]

Eva:

[Ja und irgendwie überall muss man ] ein [bisschen] Englisch [haben.]

Aaina: Fiona: Daria:

[Ja. ] [Ja,

]Sprachen kommen immer gut und …

((lacht)) Ist mein großes Problem.

Die Sequenz beginnt mit einer Stellungnahme Darias, in der sie sich konträr zur Einstellung ihrer Mitschülerinnen positioniert, die technischen Berufen skeptisch und ablehnend gegenüberstehen. Sie expliziert »Bionik« klar als ihren »Traumberuf«, wobei bereits einleitend die Formulierungen »immer noch« und »an sich« auffällig auf eine Einschränkung verweisen, die vermutlich im Zusammenhang mit Darias Bedenken hinsichtlich fachspezifischer Anforderungen und unsicherer Beschäftigungsverhältnisse im Bereich wissenschaftlicher Forschung stehen, die sie im Vorwege des aufgeführten Diskussionsabschnitts äußerte. Indem sie zunächst erklärt, dass es sich bei Bionik um eine Kombination von Biologie und Technik handelt (»ist ja Bio und Technik«), aus der ein neuerer und innovativer Wissenschaftszweig hervorgeht (»das sind diese ganzen Sachen, die jetzt neu aufkommen«), wird noch einmal der Bezug zur Fragestellung deutlich herausgestellt. Da-

288 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

rüber hinaus wird dadurch, dass Daria offenbar davon ausgeht, erklären zu müssen, worum es sich bei Bionik handelt, ihrem Berufswunsch ein gewisser exklusiver Charakter verliehen – zumal sie bisher die einzige in der Gruppe ist, die sich für Technik- und Naturwissenschaft interessiert. Kundig und versiert veranschaulicht sie an konkreten Beispielen, worum es in diesem Forschungsbereich geht (»Lotuseffekt […] bei Scheiben oder Wandfarben«, »Geckoklebeband […] das stärkste […] der Welt«). Die von Daria aufgeführten Beispiele weisen starke Alltagsbezüge auf, mit denen sie den konkreten Nutzen für den Menschen explizit hervorhebt (»sodass die Menschen damit gut leben können«). Im Gegensatz zu den Wahrnehmungen vieler anderer Schüler*innen in den Gruppendiskussionen hat Daria ein weniger abstraktes Bild von Technik. Für sie steht vielmehr ein durch Naturbeobachtungen abzuleitender Anwendungsbezug im Vordergrund (»dass man eben das, was man in der Natur sieht, versucht, eben zu übertragen […] und das irgendwie anzuwenden«), mit dem Ziel, die alltagspraktischen Lebensbedingungen von Menschen zu verbessern. In ihren Schilderungen schwingt spürbar Begeisterung dafür mit, Neues »zu erfinden«, dessen Nutzen greifbar und klar erkennbar ist. Diese Begeisterung wird auch darin deutlich, dass sie im Superlativ enthusiastisch von der Erfindung des »stärkste[n] Klebeband[es] der Welt« spricht, worauf ihre Mitschülerin Eva mit wohlwollendem Lachen reagiert.29 Daria konkludiert vor dem Hintergrund ihrer theoretisch-argumentativen Ausführungen, dass ihr dargelegter »Traumberuf« zu den technischen Berufen zu zählen ist (»Ja, ich glaub, da ist schon en großer technischer Anteil«), um anschließend vom Berufsbild auf ihre persönlichen Vorlieben und Neigungen zu kommen, die diesem Berufswunsch zugrunde liegen. Ihr macht »das«, was auf Naturwissenschaft und Technik zu beziehen ist, »viel mehr Spaß« als »SPRACHEN«, die sie hier beispielhaft (»solche Sachen«, »oder so«) anführt und damit den Bereich ihrer persönlichen Interessen aber auch Leistungspotenziale abgrenzt und kontrastiert (»das KANN ich auch gar nicht«). Eva validiert unterdessen mehrfach ratifizierend (»Ja«). Die von Daria wiederholt geäußerte Formulierung »an sich« lässt vermuten, dass sie trotz ihrer glaubhaft dargelegten Interessen und Neigungen bezüglich der Studienwahlentscheidung noch nicht endgültig entschieden ist, sondern abwägt, inwiefern und mit welchen Konsequenzen ihr Wunsch einer technisch-naturwissenschaftlichen Ausrichtung für sie umsetzbar ist. Die vermeintliche Tatsache, dass sie 29 Dass dieses Lachen als wohlwollend einzuordnen ist, erweist sich auch mit Blick auf den sehr durch gegenseitige Wertschätzung gekennzeichneten Umgang der Gruppenmitglieder insgesamt als naheliegend. So ist für die Gruppe-i geradezu charakteristisch, dass die jungen Frauen stets um die wechselseitige Anerkennung auch unterschiedlicher Positionen bemüht sind, die sie häufig konkludierend in eine Synthese zu überführen suchen (vgl. auch Kapitel 7.3 und 7.4).

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»Sprachen und so was alles GAR nicht« kann und sie sich auch nicht für »kreativ« hält, führt für Daria zu der Annahme (»glaub ich«), dass sie »en ziemlich untypisches Mädchen« ist. Einerseits wird mit der geschlechtlichen Selbstbezeichnung als »Mädchen« deutlich, dass Daria hier auf der Grundlage einer internalisierten zweigeschlechtlichen Logik argumentiert, mit der geschlechterdifferente Fachinteressen und Leistungsstärken als Ausdruck einer kohärenten Geschlechtszugehörigkeit anerkannt sind. Andererseits wird ihre Selbstpositionierung als »untypisches Mädchen« von den übrigen Gruppenmitgliedern weder kommentiert noch verhandelt, woran ersichtlich wird, dass die Schülerinnen ein archiviertes (Geschlechter-)Wissen darüber teilen, was konventionelle Weiblichkeit kennzeichnet, nämlich – wie in diesem Beispiel – eine Neigung für Sprachen oder zumindest den Ausschluss von Natur- und Technikwissenschaften. Dementsprechend weisen (Schul-)Fächer in den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern der jungen Frauen eine geschlechtliche Codierung auf, wonach Sprachen und Naturwissenschaften einander gegenübergestellt und dabei mit jeweils fachspezifisch vergeschlechtlichten Subjektpositionen ausgestattet werden, die hier ihre identitätsstiftende Relevanz offenbaren. Fiona schließt an Darias Ausführungen mit einer Beurteilung ihrer eigenen Leistungsstärken an. Ihrer vorsichtig artikulierten Einschätzung nach (wiederholt »eigentlich«) ist sie in »Sprachen […] SCHON […] gut«, in »Naturwissenschaften« dagegen »ziemlich SCHLECHT«. Vor dem Hintergrund von Darias unmittelbar vorangegangener Selbstverortung außerhalb ›typischer‹ und damit ›normaler‹ Weiblichkeit positioniert sich Fiona mit dieser Aussage implizit und doch wirkungsvoll als ›typisches‹ Mädchen. Eva bejaht (»Ja«). Vielleicht motiviert durch Darias Ausführungen zum Stellenwert der Bionik, stellt Fiona des Weiteren im Kontext globaler Vernetzung (»weil alles irgendwie international ist«) den universellen Nutzen von Sprachen heraus (»die einem ja auch IMMER was [bringen], egal in welchem Bereich man ist«). Hierbei löst sie sich von der individuell-persönlichen Ebene und spricht stark verallgemeinernd und normierend von »man«. Eva stimmt ihr diesbezüglich unmissverständlich zu (»Ja«) und differenziert ergänzend, dass »man […] überall […] ein bisschen Englisch haben [muss]«. Auch Aaina validiert ratifizierend (»Ja«), während Fiona nun wiederum Eva bestätigt und konkludierend auf den Punkt bringt, dass »Sprachen […] immer gut [kommen]«. Über die gegenseitige Versicherung hinsichtlich der Bedeutsamkeit von Fremdsprachenkenntnissen für den beruflichen Werdegang erzeugen Darias Mitschülerinnen Kollektivität in der gemeinsamen Orientierung. Unterdessen kann Darias Lachen dahingehend interpretiert werden, dass sie die sich auftuende Divergenz zwischen sich, dem technisch interessierten ›untypischen Mädchen‹ und ihren fremdsprachenorientierten Mitschülerinnen verunsichert. Indem sie ihre schwache Leistungsmotivation im fremdsprachlichen Bereich als ihr persönliches »großes Problem« deklariert, bringt sie zum Ausdruck, dass auch sie die in der Gruppe vor-

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herrschende Meinung bezüglich der universellen Relevanz von Fremdsprachen teilt, womit sie die eigene Zugehörigkeit wahrt. Diese Sequenz zeigt beispielhaft, dass es mitunter gerade innovative und sich neu formierende natur- und technikwissenschaftliche Wissensgebiete sind, an denen sich junge Frauen im Zuge der Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzeptes orientieren. In dem konkret aufgezeigten Fall handelt es sich um einen interdisziplinären Wissenschaftszweig, der technische und biologische Erkenntnisse kombiniert. Nicht nur in der vorliegenden Untersuchung, sondern auch in einer Reihe weiterer Studien ist bereits aufgezeigt worden, dass sich unter den Naturwissenschaften gerade das Fach Biologie für weibliche Berufsentwürfe als anschlussfähig erweist (vgl. Behnke 2012, S. 217; Driesel-Lange 2011, S. 5f.; Engler und Faulstich-Wieland 1995, S. 45ff.; Nissen et al. 2003, S. 26f.; Schuster et al. 2004, S. 40f.; Wensierski 2015, S. 156ff.). Dabei wird u.a. betont, dass die Biologie jungen Frauen einen verstärkten lebenspraktischen Bezug eröffnet. So wird auch in der obenstehenden Sequenz die Bionik über einen unmittelbar alltagsweltlich erfahrbaren Nutzen charakterisiert, indem für konkrete Anwendungsbezüge Lösungsmodelle aus der Natur in die Entwicklungen innovativer Technologien einfließen. Darüber, ob es auch eine Rolle spielt, dass die Geschlechtersymbolik im Berufsbild derartig junger Wissenschaftsfelder wie der Bionik (noch) weniger stark ausgeprägt ist wie in den klassischen Ingenieurswissenschaften, die sich sowohl über den sozialen als auch den symbolischen Ausschluss von Frauen als unangefochtene Männerdomäne gründeten (vgl. Kapitel 3.3), lässt sich im Rahmen der vorliegenden Studie nur spekulieren. Deutlich zeigt sich dagegen, wie eine technische Berufswahlorientierung durch die Abgrenzung von konventioneller Weiblichkeit erklärt und so die Widersprüchlichkeit der Bedeutungssetzungen von Weiblichkeit und Technik überwunden wird. Anders jedoch als im vorangegangenen Beispiel der Gruppe-A, in dem Studentinnen technischer Studienfächer über die Bezeichnung »Mannsweib« abwertend vermännlicht wurden, differenzieren die Schülerinnen der Gruppe-i vornehmlich zwischen unterschiedlichen Weiblichkeitskonzepten, die als ›typisch‹ und ›untypisch‹ einander kontrastierend gegenübergestellt werden. Diskursiv wird ein Bereich dessen konstruiert, was als Ausdruck einer ›normalen‹ weiblichen Subjektivität Anerkennung findet, dabei jedoch die Abweichung von konventioneller Weiblichkeit als Ausgangspunkt für eine Orientierung im (männlich codierten) technisch-naturwissenschaftlichen Feld relevant gemacht und zwar ohne dass der weibliche Subjektstatus an sich in seiner Konstanz und Kontinuität in Zweifel gezogen wird. Ungeachtet dessen, dass auch in technisch-naturwissenschaftlichen Berufsfeldern Fremdsprachenkenntnisse vor dem Hintergrund global agierender Forschungsinstitute oder Unternehmenskonzerne vorteilhaft sind, werden sie hier als Gegenpol verhandelt und als Ausdruck kohärenter Weiblichkeit (re-)codiert. Wird bedacht, dass mit der Frage nach technischen Berufen nahezu unvermeidlich aktu-

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elle MINT-Diskurse aufgerufen werden, ist die Profilierung von Sprachen möglicherweise auch als eine Abwehrstrategie zu lesen, um der unterschwellig mitklingenden Anrufung ›Komm mach MINT‹ etwas entgegenzusetzen. Auch wenn gesellschaftspolitische Diskurse über mehr Frauen im MINT-Bereich von den Schülerinnen an dieser Stelle nicht explizit gemacht werden, scheinen sie unterschwellig eine durch die Fragestellung implizierte Anrufung diesbezüglich wahrzunehmen. So kann die gemeinsame Betonung des Stellenwertes von Sprachen als eine Begründung oder sogar Rechtfertigung der von der Mehrheit der Schülerinnen dieser Gruppe geteilten (beruflichen) Orientierung außerhalb des technischen Feldes gelesen werden. Denn durch die Generalisierung beruflicher Vorteile durch (Fremd-) Sprachenkompetenz in Abgrenzung zu Technikkompetenz im gemeinsamen Alltagsdiskurs der jungen Frauen wird diese gemeinsame fachspezifische Präferenzsetzung auf Sprachen vom geschlechtsbezogenen Kontext gelöst und mit dem vermeintlich objektiv-geschlechtsneutralen Argument übergeordneter und interdisziplinärer beruflicher Qualifikation legitimiert. 8.2.6 Zusammenfassung Den beispielhaft aufgeführten Sequenzen gemeinsam ist, dass von den Schüler*innen im Rahmen der Diskussion über technische Studien- und Berufswahloptionen normative Vorstellungen bearbeitet werden, in denen Technik nach wie vor Männlichkeit repräsentiert und damit als nahezu inkompatibel mit (konventioneller) Weiblichkeit wahrgenommen wird. Die Auseinandersetzung mit der Geschlechterthematik erfolgt dabei in Reaktion auf die der (Erhebungs-)Frage inhärenten Anrufung, sich zu technischen Berufen zu positionieren und bringt die enge Verflechtung hegemonialer Technik- und Geschlechterdiskurse explizit zum Ausdruck. Wie sich in der Analyse zunehmend herauskristallisiert, bildet somit die Norm der Zweigeschlechtlichkeit den Ausgangspunkt für gleichsam geschlechterdifferente wie -differenzierende technikbezogene Zuschreibungen und Identifikationen. Während die symbolische Verwobenheit von Männlichkeit und Technik eine historisch etablierte Wissenstradition darstellt, bedingt die Logik binärer Differenz den Ausschluss des Technischen aus konventionellen Weiblichkeitskonzepten. So wird eine wirkmächtige symbolische Ordnung erzeugt, die weibliche Subjektpositionen außerhalb des Technischen situiert und als machtvoll implizites Geschlechterwissen Wahrnehmungen, Selbstinterpretationen und Handlungsmuster rahmt. Dabei wird in Anlehnung an Foucault (1986a, S. 97ff.; 1978, S. 119f.) im Zusammenspiel der in abgelagerten Diskurstraditionen eingeschriebenen Normen heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit mit gesellschaftlich instituierten Geschlechterrelationen sowie symbolisch-performativen Prozessen der Herstellung intelligibler Geschlechtlichkeit ein machtvolles Geschlechterdispositiv erkennbar, das in seiner

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sozialen Ordnungsfunktion Subjektivierungsweisen reguliert (vgl. Bührmann 2004, S. 39ff.; Jäckle 2011, S. 34). Ebenfalls deutlich wird, dass sich die jungen Frauen vor dem Hintergrund konfligierender und konkurrierender Diskurslinien mit teils widersprüchlichen Anforderungen an weibliche Subjektivität konfrontiert sehen, die von ihnen im Zuge beruflicher Orientierungsprozesse bearbeitet werden (müssen). Dabei zeigt sich, wie die Schüler*innen im Rahmen der Verhandlung von mit Anerkennung ausgestatteter geschlechtlich-beruflicher Positionierungen im Feld Technik dominante Geschlechterdiskurse sowie damit verbundene normative Annahmen bezüglich natürlicher Geschlechterdifferenz kontextbezogen aktivieren, nivellieren oder auch subversiv unterlaufen. Mitunter lassen sich Momente der Ko-Konstruktion von Männlichkeit und Technik in Erzählungen über individuelle Sozialisationserfahren aufzeigen, auf deren Grundlage insbesondere junge Frauen den biographischen Entwicklungsprozess ihrer Haltungen und Einstellungen gegenüber technischen Berufswahloptionen in den Gruppendiskussionen rekonstruieren. Dabei setzen sie sich ins Verhältnis zu Interessensgebieten, Aktivitäten und Aufgabenbereichen, die oftmals erst aufgrund ihrer männlichen Konnotation als technisch bzw. als bedeutsam für die Herausbildung eines technikaffinen Selbstkonzeptes gedeutet werden. Auch wird die geschlechtliche Codierung von Technik und technischen Berufen in den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern der jungen Frauen und Männer immer wieder durch das Denken in Dualismen und binären Klassifizierungsschemata entlang polarisierender Gegensätze wie Technik und Soziales, Rationalität und Emotionalität stabilisiert, die auf symbolisch-normativer Ebene Anknüpfungspunkte für geschlechterstereotype Zuschreibungen in Form biologistisch-naturalisierter und kulturell idealisierter Wesensmerkmale, Eigenschaften und Befähigungen bieten. So ordnen auch die Schüler*innen vor dem Hintergrund traditioneller Geschlechterstereotype Frauen und Männern differenzierende Charaktereigenschaften und körperbezogene Leistungspotenziale zu. Im Zuge legitimatorischer Argumentationslinien dieser ungleichheiterzeugenden Zuweisungsmechanismen, die Frauen in soziale Sorgeberufe und Männer in Technikberufe lotsen, werden von den Schüler*innen mitunter biologistische Diskursformationen aktiviert, die normative Annahmen naturalisierter Geschlechterdifferenz als Ausdruck einer natürlichen Ordnung (be-)deuten und damit verschleiern, dass es sich hierbei um das Ergebnis hoch selektiver Konstruktionsprozesse handelt, in denen Differenz und damit verkoppelte Bedeutungssetzungen erst hervorgebracht werden. Vor dieser Deutungsfolie erscheinen Möglichkeitsräume zur Transformation tradierter Geschlechterrelationen auf symbolisch-normativer Ebene begrenzt. Doch zeigen sich tradierte Geschlechterdiskurse und ihre Wissensordnungen in den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern der Schüler*innen nicht unbehelligt von gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen wie der politischen Frauenbewegung und sich daraus entwickelnder feministischer Diskurse, die die Naturhaftigkeit von Ge-

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schlecht zu dekonstruieren suchen. An vielen Stellen zeugen die teils kontrovers geführten Diskussionen davon, dass Aussageformationen, in denen durch die Naturalisierung und Idealisierung von Geschlechterdifferenz Frauen als ungeeignet für technische Berufe dargestellt werden, von den diskutierenden Schülerinnen durch die Mobilisierung von zeitgemäßen Gleichheitsdiskursen, in denen der formal gesicherte und allgemein anerkannte Anspruch auf Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit verankert ist, infrage gestellt und angefochten werden (können). Insbesondere im Zusammenhang mit technisch-handwerklichen Berufen werden von den jungen Frauen geschlechtsbezogene Differenzkonstruktionen, die den weiblichen Körper konträr zum beruflichen Anforderungsprofil als wenig belastbar und leistungsfähig markieren, häufig negiert und als ungerechtfertigte Einschränkung ihres Berufswahlspektrums zurückgewiesen. So inszenieren sie sich vor der Hintergrundfolie der gesellschaftlich institutionalisierten Norm der Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Berufssystem selbstbewusst als leistungsstarke Arbeitssubjekte und positionieren sich damit widerständig gegen tradierte und begrenzende Zuschreibungen. Doch während die jungen Frauen einerseits Geschlechteregalität propagieren, bringen sie andererseits auch immer wieder geschlechtsbezogene Differenz hervor und aktualisieren damit normative Vorstellungen von der Unvereinbarkeit von Weiblichkeit und Technik. So werden technikaffine Frauen im Zuge diskursiv-performativer Praktiken der Fremd- und Selbstpositionierung außerhalb des ›Normalitätsbereichs‹ weiblicher Subjektivität verortet und als abweichend markiert. Damit wird deutlich, dass auch alternative Weiblichkeitskonzepte von den Schüler*innen stets innerhalb der symbolischen Ordnung machtvoller Geschlechterdiskurse verhandelt werden. Denn nach Butler erfordert die Anerkennung geschlechtlicher Intelligibilität stete Wiederholungen und Verwerfungen im symbolisch-performativen Handlungsvollzug. Aus diesem Blickwinkel werden die beforschten jungen Frauen und Männer selbst als (Re-)Produzent*innen performativer Geschlechtlichkeit erkennbar, die im Rahmen der gemeinsamen Verhandlung intelligibler Subjektpositionen im Kontext Technik kulturelle Normen aufrufen und bearbeiten. So werden Frauen, die durch ein technisches, männlich codiertes Studium gegen normative Anforderungen an eine kohärenter Geschlechtsidentität verstoßen, außerhalb des Bereichs intelligibler Weiblichkeit situiert. In diesem Zusammenhang sind abwertend vermännlichende Klassifizierungen, wie sie in der Bezeichnung ›Mannsweiber‹ zum Ausdruck kommen und mit der die doppelte Abweichung sowohl von Normen konventioneller Weiblichkeit als auch von Normen feldspezifisch vergeschlechtlichter Subjektpositionen kenntlich gemacht wird, als symbolisch-performativer Akt der Restabilisierung geschlechtlicher Grenzmarkierungen der Männerdomäne Technik zu begreifen. Es zeigt sich jedoch, dass die Anerkennbarkeit weiblicher Identitätsentwürfe nicht allein innerhalb des Rasters binärer Zweigeschlechtlichkeit entlang der Achsen von Männlichkeit und Weiblichkeit

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verhandelt werden, sondern auch in Form einer Abgrenzung und Hierarchisierung von als ›(un)typisch‹ geltenden Weiblichkeitskonzepten, ohne dass die Intelligibilität des weiblichen Subjektstatus dabei infrage gestellt wird. Vielmehr erfordern berufliche Selbstentwürfe im männlich codierten Feld von Technik- und Naturwissenschaft im Kontext weiblicher Geschlechtsidentität geradezu die Positionierung abseits konventioneller Weiblichkeit. Doch wird deutlich, dass derartig alternative Identitätskonzepte mit Verlusten von sozialer Anerkennung einhergehen, wenn auch das Ausmaß im jeweiligen Kontext kollektiver Orientierungsmuster variiert. So deutet sich in der vorangegangenen Analyse der Diskussionssequenzen, in denen die Schüler*innen darüber debattieren, inwiefern eine technische Berufswahlorientierung mit weiblicher Subjektivität vereinbar ist, an, wie junge Frauen in »nicht-hegemoniale[n] Geschlechterpositionierungen« (Jäckle 2011, S. 33) Möglichkeitsräume erkennen, sich als widerständig gegenüber restriktiven Weiblichkeitsnormen zu inszenieren. Insbesondere der technisch-handwerkliche Beruf der Kfz-Mechatronik kristallisiert sich als ein Bereich heraus, der jungen Frauen Anreize bietet, sich mit subversiven Weiblichkeitsentwürfen zu identifizieren30 .Doch während sich einerseits abzeichnet, dass junge Frauen in positiv besetzten und vornehmlich handwerklich ausgerichteten Technikfeldern Möglichkeitsräume für Darstellungspraktiken im Sinne von ›undoing gender‹ und ›undoing class‹ wahrnehmen, werden andererseits im Kontext eben dieser technisch-handwerklichen Technikfelder körperbezogene Anforderungsprofile als Ausschlusskriterium einer entsprechenden Berufswahlorientierung relevant gemacht. Dabei geht es weniger um die Frage, ob Frauen die körperlichen Voraussetzungen erfüllen können. Vielmehr wird mit körperlich anstrengender Arbeit eine (Trans-)Formierung des Körpers antizipiert, die normativen Anforderungen an die Darstellung intelligibler Weiblichkeit zuwiderläuft. Doch ist die sichtbare und zweifelsfreie Erkennbarkeit geschlechtlicher Identität für die Subjekte von elementarer Bedeutung für die Anerkennung ihrer sozialen Existenzweise. So fungiert der leibliche Körper als eine bedeutsame Ressource im symbolisch-performativen Handlungsvollzug geschlechtlicher Identitätsbildung, während er sich gleichzeitig als ein zentrales Medium erweist, über das sich die Norm der heterosexuellen Zweigeschlechtlichkeit reproduziert, indem über ihn die binäre Differenz als sichtbarer Bestandteil alltäglicher Lebensrealität fortlaufend aktualisiert und normalisiert wird (vgl. Hirschauer 1994, S. 673f.; Villa 2011, S. 116ff.). Aus einer butlerschen Perspektive werden somit geschlechtersymbolisierende Darstellungsroutinen im Sinne von ›doing gender‹ als performative Akte der Inszenierung kohärenter Geschlechtlichkeit verstehbar, die mit einer »tiefgreifenden materiellen Formierung des Körpers« (Hirschauer 1994, S. 674) einhergehen, in den sich kulturelle Normen einlagern und so ein 30 Dieser Aspekt wird in der weiterführenden Darstellung der Analyseergebnisse noch eingehend beleuchtet (vgl. Kapitel 8.4).

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machtvolles Alltagswissen um die sichtbare »Faktizität der Zweigeschlechtlichkeit« (ebd., S. 672) als konstitutives Moment sozialer Wirklichkeit konfigurieren. Hinsichtlich der Frage nach Mechanismen der beständigen (Re-)Produktion der symbolisch-normativen Inklusion bzw. Exklusion von Männern bzw. Frauen aus dem Technischen, wird in Anlehnung an Butler und Foucault anhand der dargestellten Analyseergebnisse somit die dispositive Verkopplung dominanter Geschlechterdiskurse sowie darin eingeschriebener Normen geschlechtlicher Intelligibilität und ihren performativen Effekten im symbolischen Handlungsvollzug alltäglicher Darstellungs- und Anerkennungspraxen erkennbar, die das Angebot verfügbarer, mit Anerkennung ausgestatteter Identitätspositionen regulieren. Derweil lassen sich unterschiedliche Strategien aufzeigen, mit denen junge Frauen Widersprüchen und Ambivalenzen begegnen, die sich im Zuge der gemeinsamen Diskussion um die Anerkennbarkeit beruflicher und geschlechtlicher Selbstkonzepte auftun. So können die sich in vielen Argumentationslinien abzeichnenden Tendenzen der Individualisierung als mehr oder weniger unbewusst wirkende Widerstandstrategie interpretiert werden, mit der auf eine Entdramatisierung dominanter Geschlechterdiskurse und ihrer Differenzsetzungen hingewirkt wird. Insbesondere im Kontext aktueller MINT-Diskurse, die junge Frauen anrufen, sich entgegen dominanter Geschlechterdiskurse in Richtung männlich codierter technischer Berufe zu orientieren, wird deutlich, dass die Performativität der Geschlechtlichkeit auch ein Fundament bildet, von dem aus die Schülerinnen die Einflussverssuche auf die (vermeintliche) Autonomie beruflicher Entscheidungsfindung zurückweisen und somit die Verwerfung technischer Berufswahloptionen legitimieren.

8.3 AMBIVALENTE POSITIONIERUNGEN IM VERHANDLUNGSGESCHEHEN DIVERGIERENDER ANRUFUNGEN Das vorangegangene Kapitel hat aufgezeigt, dass die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster der Schüler*innen auf vielfältige Weise von normativen Vorstellungen von Technik und Geschlecht geprägt sind. In der binären Struktur normativer Zweigeschlechtlichkeit sind Technik und Männlichkeit symbolisch miteinander verflochten, womit der Bedeutungskomplex Technik unweigerlich eine wirkungsvolle Kontrastfolie zur Inszenierung konventionell anerkannter Formen von Weiblichkeit bietet, auf die auch die jungen Frauen in den Gruppendiskussionen in Reaktion auf die Frage nach technischen Berufen identitätslogisch Bezug nehmen. Ausgangspunkt hierfür ist ein historisch gewordenes Wissen um die Norm der Zweigeschlechtlichkeit und die damit verbundene Differenz der Geschlechter als funktio-

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nales Ordnungsprinzip, wonach sich Männlichkeit diesseits und Weiblichkeit jenseits des Technischen konstituiert. Doch ist diese asymmetrische Verhältnissetzung weiblicher und männlicher Subjektivität im Diskursfeld von Technik und Geschlecht keineswegs festgeschrieben, sondern wird in fortwährenden Auseinandersetzungen interaktiv ausgehandelt und dabei bestätigt, verschoben und unterwandert. So zeigen sich an vielen Stellen der Gruppendiskussionen neben Beharrungstendenzen bezüglich konventioneller Weiblichkeitsvorstellungen auch Momente der Annäherung an ein technikintegratives weibliches Selbstkonzept und der Überschreitung traditioneller Geschlechtergrenzen, selbst wenn dies den Verzicht auf gesicherte Formen der Anerkennung bedeutet, was nach King (2002) die grundlegende Voraussetzung für Neuerungsprozesse im Rahmen adoleszenter Individuation bildet (vgl. ebd., S. 88). Denn insbesondere in der Phase der Adoleszenz erhält die Frage nach der eigenen Identität einen zentralen Stellenwert, die auch die Entscheidung für oder gegen einen (technischen) Beruf rahmt (vgl. ebd., S. 85ff.). Das eigene innere Selbst zu (er)kennen, impliziert dabei die normative Erwartung an ein mehr oder weniger in sich konstantes ›Ich‹, das in der zukunftsgerichteten Berufswahlentscheidung seinen authentischen Ausdruck findet (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 110ff.). In diesem Zusammenhang nehmen insbesondere die jungen Frauen in dem Gruppendiskussionen im Zuge der thematischen Verhandlung einer optional technischen Berufswahl wiederkehrend Bezug auf eigene (Sozialisations-)Erfahrungen, die sie hinsichtlich der Entwicklung des eigenen geschlechtlichen wie beruflichen Selbstkonzeptes interpretieren. Auffällig erscheint, dass die Frage nach der eigenen Geschlechtsidentität im Kontext einer (nicht-)technischen Berufswahlorientierung nahezu ausschließlich in gleichgeschlechtlichen Gruppen mit Schülerinnen aufgeworfen und kollektiv bearbeitet wird. Möglicherweise ist dies im Zusammenhang damit zu sehen, dass die Herausbildung einer intelligiblen Geschlechtsidentität stets mit normativen Anforderungen an eine heterosexuelle Orientierung verkoppelt ist (vgl. Fritzsche 2011, S. 56; Hagemann-White 1992, S. 76). Angesichts dieser Anforderung wirken die adoleszenten Identitätsbildungsprozessen immanenten Verunsicherungen möglicherweise verstärkend. Die geschlechtshomogene Gruppe Gleichaltriger könnte dagegen als geschützter Raum fungieren, innerhalb dessen Bedeutungen von Weiblichkeit verhandelt, reproduziert aber auch transformiert werden können (vgl. King 2002, S. 101). 8.3.1 »… das typische Mädchen, Tanz und Klamotten, Schminke« In der folgenden Sequenz mit Schülerinnen der Gruppe-i im Alter zwischen 16 und 19 Jahren wird deutlich, wie sich die jungen Frauen im Zuge der gemeinsamen Ab-

Dimensionen der Subjektkonstitution | 297

handlung der Frage nach technischen Berufen auf der Grundlage eines impliziten Geschlechterwissens mit normativen Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Identitäten auseinandersetzen: Eva:

Was genau, was genau jetzt ist gemeint mit Technik? Einfach [irgendwie so …]

I:

[Mit, en

] Be-

ruf im technischen Bereich. Eva:

Ja.

Björk:

Maschinen, Autos oder so? Nee, dafür interessier ich mich einfach nicht.

Eva:

Ich [weiß auch nicht.

Fiona: Björk: Eva:

]

[Nee, ich auch nicht.] [Ich bin das typische] Mädchen, Tanz und Klamotten, Schminke. [Nee, ich weiß nicht.]

Daria:

[((lacht))

Eva:

[Also ich mein …]

]

Björk:

[Musik ((lacht)). ]

Eva:

… ich würd mich jetzt nicht so als total typisches Mädchen so halt, wie jemand immer noch dieses Bild halt im Kopf hat, so, das Mädchen mit den Puppen und dem KLEID und den Jungen mit dem AUTO. Aber, ähm, ich WEISS nicht, es ist einfach, irgendwie hab ich mich nie so [für interessiert …

Aaina:

[Ja

Fiona: Eva:

]

]

[Mir macht´s auch nicht so] Spaß. … Autos zu bauen oder so was. Ich weiß nicht.

Carlotta: Ja, ich glaub, so wie andere Leute nicht daran interessiert sind, äh, ob die, ob jetzt irgendwie Klamotten schön sind oder so oder gern mit Mode zusammenarbeitet, sind andere eben nicht daran interessiert, äh, en Auto zusammen zu schrauben. [Also] ((lacht)) … Eva:

[Ja. ]

Aaina:

((lacht))

Daria:

Ja. [Ich denke

Björk:

] auch, s´liegt ei-, ein-,einfach am Interesse.

[… das finde ich.]

Aaina:

[Ja. ]

Daria:

[Also] ich meine, ich interessier mich einfach überhaupt nicht für diese typischen MÄDCHENsachen, für Schminke oder sonst [irgendwas.]

Eva: Daria:

[((lacht))

]

Ich weiß nicht mal, wie irgendwelche Schminke HEISST. Also [was man sich da ins Gesicht klatscht,] keine Ahnung ((lacht)). [((mehrere lachen))

Daria:

]

Aber halt, ja, es kommt einfach auf´s Interesse drauf an.

Carlotta: [Ja.] Eva:

[Ja,] denk ich auch. Ich meine, es ist [ja nicht so, dass wir uns …]

298 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Björk:

[In unserer Gesellsch- … ]

Eva:

… jetzt dafür nicht interessieren, weil man so denkt, okay, gut …

Björk:

Wir sind [Mädchen, wir gehören vor en Herd ((lacht)).]

Eva:

[… das ist abgestempelt als

] Jungenberuf und ich bin en

Mädchen und deswegen WILL ich mich auch gar nicht dafür interessieren, sondern einfach, ich seh da für mich nicht so den REIZ drin und deswegen … Carlotta: Ja. Eva:

… ist halt irgendwie …

Aaina:

[Ja. ]

Björk:

[…ja.]

Eva:

((lacht))

Die Sequenz beginnt mit einer Rückfrage der Schülerin Eva an die Interviewerin, »was genau […] mit Technik [gemeint]« ist, woraufhin diese noch einmal sehr vage auf technische Berufe verweist. Nun fragt auch Björk noch einmal konkreter nach, ob es dabei bspw. um Artefakte, wie »Maschinen, Autos oder so« geht. Ohne eine Antwort abzuwarten, werden derartige Optionen von ihr aufgrund fehlender individueller Interessen verworfen (»Nee, dafür interessier ich mich einfach nicht«). Auch Eva und Fiona äußern Zweifel und Ablehnung (»Ich weiß auch nicht.«; »Nee, ich auch nicht«). Björk erklärt, dass sie »das typische Mädchen« repräsentiere und erläutert diese affirmative Selbstklassifizierung durch einen symbolischen Rekurs auf Interessensgebiete wie »Tanz«, »Klamotten«, »Schminke« und »Musik«, die sie somit normierend als signifikante Konstruktionsmittel weiblicher Identität innerhalb des Systems normativer Zweigeschlechtlichkeit definiert. Der normative Geltungscharakter, den Björk mit ihrer Selbstaussage erhebt, wird auch darin deutlich, dass sie ein Verständnis dessen, was sie in Bezug auf die Fragestellung nach technischen Berufen zum Ausdruck bringen möchte, voraussetzt und nicht näher erläutert. Auch seitens der Gruppe wird diesbezüglich nicht nachgefragt, worin sich ein kollektives Verständnis vor dem Hintergrund eines impliziten Orientierungswissens über machtvolle Geschlechterrelationen bestätigt. Denn wie in Vorausschau auf den weiteren Verlauf dieses Diskussionsausschnittes zweifelsfrei deutlich wird, führt Björk ein »typische[s] Mädchen« zu sein als Begründung dafür auf, warum sie sich nicht für technische Berufe interessiert. Allein mit dem sich hier dokumentierenden normativen Deutungsmuster des wechselseitig konstitutiven Ausschlusses von Weiblichkeit und Technik erscheint diese Argumentationslogik überhaupt erst konsistent. Denn die Widersprüchlichkeit zwischen den von Björk akzentuierten Konstruktionsmitteln zur Inszenierung konventioneller Weiblichkeit und einem technikinteressierten beruflichen Selbstkonzept ist keinesfalls selbstevident. Vielmehr wird diese Konsistenz erst über die Verflechtung mit einer polarisierenden Geschlechtersymbolik im kollektiven Verständnis kultureller Normativität erzeugt. Sich als »typisches

Dimensionen der Subjektkonstitution | 299

Mädchen« auf der Grundlage einer affirmativen Identifizierung mit »Tanz«, »Klamotten«, »Schminke« und Technik zu begreifen, erscheint dabei geradezu undenkbar. Eva verneint und erhebt Zweifel an der in Björk Positionierung implizierten Begründung einer Ablehnung technischer Berufswahloptionen (»Nee, ich weiß nicht«). Sie grenzt sich von Björks Verständnis ab, was es bedeutet ein »typisches Mädchen« zu sein und positioniert sich stattdessen kritisch zu stereotypen Geschlechterbildern, die sie als tradiert und überholt herausstellt, ohne Björk dabei direkt zu adressieren (»ich würd mich jetzt nicht so als total typisches Mädchen so halt, wie jemand immer noch dieses Bild halt im Kopf hat«). Dabei verweist sie exemplifizierend auf kulturelle Repräsentationen von Weiblichkeit und Männlichkeit (»das Mädchen mit den Puppen und dem KLEID und den Jungen mit dem AUTO«, Hervorh. M.S.). Während Mädchen demnach eine Orientierung an sozialen Bindungen sowie körperbezogenen Inszenierungen zugeordnet wird (»Puppen«, »Kleid«), wird Jungen ein Interesse an technologischen Artefakten zugeschrieben (»Auto«). Indem Eva betont, dass sie sich Björks vorangegangener Argumentation nicht anschließt, weist sie einen Zusammenhang zwischen ihrer eigene ablehnende Haltung gegenüber technischen Berufen und ihrer weiblichen Geschlechtszugehörigkeit zurück. Die Gründe ihrer Ablehnung sind ihr dagegen nicht unmittelbar bewusst (»ich WEISS nicht«). Vielmehr stellt es für sie eine nicht näher zu erklärende Tatsache dar (»es ist einfach«), dass sie »nie« ein Interesse an der Auseinandersetzung mit Technologien besessen hat, wie bspw. daran »Autos zu bauen oder so«. So zeigt sich auch hier ein in den Gruppendiskussionen wiederkehrendes Diskursphänomen der Individualisierung beruflicher Orientierungsmuster, über das sich die jungen Frauen mitunter widerständig gegenüber begrenzenden Zuschreibungen an weibliche Subjektivität positionieren und auf eine »Entdramatisierung« (FaulstichWieland 2000) dominanter Geschlechterdiskurse hinwirken. Ein weiteres Mal äußert Eva abschließend Unsicherheit (»Ich weiß nicht«) und scheint somit von ihrer eigenen Stellungnahme nicht restlos überzeugt zu sein. Ergänzend wirft Fiona ein, dass für sie neben einem fehlenden Interesse auch ein antizipierter Mangel am Erleben von Spaß hinzukommt (»Mir machtʼs auch nicht so Spaß«). Auf welche Art von Tätigkeit sie sich dabei konkret bezieht, bleibt unklar. Auch Carlotta pflichtet ihr bei (»Ja«) und elaboriert differenzierend die Vielfalt unterschiedlicher Interessenslagen, scheinbar jenseits geschlechtlicher Zuschreibungen. Doch knüpft sie dabei an den von ihren Vorrednerinnen aufgezeigten stereotypen Geschlechterbildern an, indem sie beispielhaft »Mode« und »Autos« als zwei berufliche Gegenstandsbereiche einander polarisierend gegenüberstellt. Auf einer verallgemeinernden Ebene formuliert sie per Negation ihre Ansicht darüber (»ich glaub«), dass die Faktizität unterschiedlicher Interessen keiner weiteren Erklärung bedarf. So seien »andere Leute« nicht an schönen »Klamotten« interessiert o-

300 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

der daran, in der Modebranche zu arbeiten, während wieder »andere« kein Interesse daran hätten »en Auto zusammen zu schrauben«. Das Interesse an »Mode« und »Auto[s]« schließt sich für Carlotta demzufolge aus und wird von ihr jeweils ›anderen‹ Personengruppen zugeordnet. Eva, Daria und Björk stimmen Carlotta zu und Daria bringt noch einmal konkludierend auf den Punkt, dass es allein am individuellen Interesse liegt, ob technische Berufe in Betracht gezogen werden oder nicht (»Ja, ich denke auch, sʼliegt einfach am Interesse«), was nun auch Aaina bejaht (»Ja«). Doch wird im nun Folgenden die für diesen Diskussionsabschnitt charakteristische Ambivalenz in der gemeinsamen Orientierung noch einmal überdeutlich. Denn während Daria eben noch in Übereinstimmung mit ihren Mitschülerinnen herausgestellt hat, dass es hinsichtlich einer technischen Berufswahlorientierung auf das individuelle Interesse unabhängig der Geschlechtszugehörigkeit ankomme, knüpft sie unmittelbar anschließend an Björks vorangegangene Stellungnahme mit einer Gegenpositionierung an, indem sie betont, selbst kein Interesse an »typischen MÄDCHENsachen« zu haben, wie »Schminke oder sonst irgendwas«. Im Gegensatz zu Björk fungieren derartige kulturell eindeutig vergeschlechtlichte Ressourcen zur Darstellung traditioneller Weiblichkeit für Daria hier als Kontrastfolie zur Abgrenzung ihres eigenen Identitätsentwurfs, für den diese konventionell anerkannten Konstruktionsmittel und Repräsentationsformen keinerlei Relevanz besitzen, wie sie im Folgenden deutlich herausstellt. So betont sie, »nicht mal« zu wissen, »wie irgendwelche Schminke HEISST«, die »man sich da ins Gesicht klatscht«. Mit dieser schroffen Formulierung wird unmissverständlich deutlich, wie energisch Daria kulturell vergeschlechtlichte Handlungspraxen körperbezogener Darstellungsroutinen im Rahmen von ›doing femininity‹ von sich weist. Diese Selbstpositionierung jenseits hegemonialer Weiblichkeitskonstruktionen ist im Zusammenhang mit der von ihr im Vorfeld dieser Sequenz explizit und konkret geäußerten technischnaturwissenschaftlichen Studienorientierung zu betrachten, die sie als einzige unter den Gruppenmitgliedern aufweist (vgl. Kapitel 8.2.5). Denn erst vor diesem Hintergrund wird erkennbar, wie Daria hier durch die Subvertierung hegemonialer Ausdrucksweisen konventioneller Weiblichkeit normative Vorstellungen von einer vermeintlichen Inkompatibilität von Weiblichkeit und Technik unterwandert bzw. für die produktive Übersetzung auf ein alternatives Weiblichkeitskonzept nutzbar macht und auf diese Weise eine Kohärenz zwischen ihrer weiblichen Subjektposition und ihrem beruflichen Selbstkonzept herstellt. So lässt sich die Radikalität der Zurückweisung kultureller Praxen der selbstoptimierenden Inszenierung intelligibler Weiblichkeit (vgl. Villa 2008, S. 7) als strategische Widerständigkeit begreifen, mit der weibliche Subjektpositionen innerhalb sich machtvoll überlagernder Diskursordnungen über Technik und Geschlecht um nicht-hegemoniale Entwürfe weiblicher Identität erweitert und dabei gleichzeitig symbolische Geschlechtergrenzen beruflicher Orientierungen aufgebrochen werden.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 301

Doch wechselt Daria im Anschluss erneut in ihrer Argumentation, indem sie selbst den Einwand erhebt (»Aber«), dass es »einfach auf`s Interesse drauf an[kommt]«, womit sie ihre Übereinstimmung mit den Ansichten ihrer Vorrednerinnen wiederherstellt und somit Kollektivität im gemeinsamen Verständnis von Berufsfindungsprozessen betont. Die mit der Individualisierung von (Berufs-)Interessen implizierte angebliche Geschlechtsneutralität steht derweil im offenkundigen Widerspruch zu ihrer vorangestellten Selbstverortung. Carlotta und Eva stimmen zu (»Ja«, »Ja, denk ich auch.«). Anknüpfend an Darias abschließende Aussage, leitet Eva konkludierend eine abschließende Begründung für die Ablehnung einer technischen Berufswahlorientierung ein, in der sie stellvertretend für die Gruppe ihrer Mitschülerinnen spricht (»es ist ja nicht so, dass wir uns nicht dafür interessieren, weil«). Die Inszenierung von Kollektivität durch die diskursive Erzeugung eines ›Wir‹ wirkt sich hier verstärkend auf die innerhalb der Gruppe dominierende Positionierung abseits technischer Berufswahlorientierung aus. Eva ist der Ansicht, dass das Desinteresse an technischen Berufen, das ihr und der Mehrzahl ihrer Mitschülerinnen gemeinsam ist, nicht auf ein geteiltes Wissen um deren maskulines Image zurückzuführen ist, aufgrund dessen die jungen Frauen ein Interesse verweigern würden (»ist ja nicht so, […], weil man so denkt […] das ist abgestempelt als Jungsberuf und ich bin en Mädchen und deswegen WILL ich mich auch gar nicht dafür interessieren«). In dieser Aussage deutet sich ein Wissen über Normalisierungseffekte dominanter Geschlechterdiskurse und sozial konstruierter Vergeschlechtlichungen im Berufssystem auf die Herausbildung individueller Berufsinteressen an, deren Wirkmächtigkeit in Bezug auf die vorherrschende Gruppenorientierung jedoch von Eva dementiert wird. Für sie – hier spricht sie wieder für sich persönlich – haben technische Berufe »nicht so den REIZ«, was für sie einen schlichten und anderweitig nicht zu erklärenden Sachverhalt darstellt (»ist halt irgendwie«). Carlotta, Aaina und Björk bejahen. Björk fällt Eva wiederholt ins Wort und scheint dabei zunächst auf bestimmte Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft verweisen zu wollen (»In unserer Gesellschaft«), führt ihren Satz jedoch nicht zu Ende. Ihr provokativer Einwurf kurz darauf, in dem sie aus einer Faktizität des »Mädchen«-Seins – gemäß der tradierten weiblichen Geschlechtsrolle – einen ihnen angestammten Platz »vor en Herd« schlussfolgert, ist in Anbetracht ihres Lachens als ironisch zu verstehen. Auf dem Fundament der gemeinsamen Geschlechtszugehörigkeit erzeugt auch sie damit ein kollektives »Wir«, das durch die binär organisierte geschlechtliche Arbeitsteilung innerhalb der Gesellschaft am »Herd« als Symbol der weiblich codierten häuslichen Sphäre situiert wird. In dieser Logik erübrigt es sich danach zu fragen, warum sie

302 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

sich als junge Frauen nicht für eindeutig männlich codierte technische Berufsfelder in der traditionell männlich konnotierten Arbeitswelt interessieren.31 Deutlich zeigt sich, wie die Schülerinnen vor dem Hintergrund eines impliziten Geschlechterwissens die Kompatibilität der eigenen weiblichen Identitätsposition mit einer technischen Berufswahlorientierung kontrovers verhandeln. Dabei sind die divergierenden Positionierungen der Schülerinnen mitunter von starken Ambivalenzen gekennzeichnet, in denen widersprüchliche Anforderungen zum Ausdruck kommen, die von den jungen Frauen bearbeitet werden (müssen). So zeugen die Brüche in den Argumentationslinien von konfligierenden Überlagerungen historisch geronnener Wissensbestände über Geschlecht als gesellschaftliches Ordnungsprinzips und gegenwartsbezogenen Normativitätserwartungen an (vermeintliche) Individualität und Authentizität beruflicher Entscheidungsfindungen. Denn während sich die geschlechtsbezogenen Darstellungen und Selbstinterpretationen der jungen Frauen vor dem Hintergrund konventioneller Weiblichkeitsbilder entfalten, die im antithetischen Diskursmodus als positiver wie negativer Gegenhorizont der Identifikation und Abgrenzung fungieren, wird die Individualisierung beruflicher Interessensgebiete als gemeinsame Rahmenorientierung erkennbar, über die sich die Kohärenz innerhalb der Gruppe (re-)stabilisiert. Einerseits wird durch die affirmative (Selbst-)Kategorisierung ›typisches Mädchen‹, die zunächst über die akzentuierte Bezugnahme auf traditionell weiblich konnotierte Ressourcen körperbezogener Darstellungspraxen im Sinne von ›doing femininity‹ definiert wird (»Tanz«, »Klamotten, Schminke«), eine Form konventioneller Weiblichkeit inszeniert, die den Ausschluss technischer Berufe zu plausibilisieren scheint. Dabei ist die Gegensätzlichkeit von Weiblichkeit und Technik keinesfalls selbsterklärend, sondern entfaltet sich allein vor der Deutungsfolie eines machtvollen Geschlechterwissens, in dem ein ›typisches Mädchen‹ zu sein gleichbedeutend ist mit dem Ausschluss einer technischen (Berufswahl-)Orientierung. Vor dem Hintergrund normativer Vorstellungen von der Inkompatibilität von Weiblichkeit und Technik werden entsprechende Anrufungen, sich als weibliches Subjekt außerhalb der symbolischen Ordnung des Technischen zu positionieren, hierbei bestätigt. Im Sinne Butlers (2014) wird damit die performativ inszenierte Verkörperung einer vermeintlichen Wesenhaftigkeit weiblicher Subjektivität als diskursives Produkt kollektiver Sinnkonstruktionen und damit als eine gesellschaftlich konstruierte Fiktion erkennbar (vgl. ebd., S. 200). 31 Eine andere Lesart ist, dass Björk mit dem Einwurf »Wir sind Mädchen, wir gehören vor en Herd« gedanklich unmittelbar an die Stelle von Evas Ausführung anknüpft, in der diese dazu ansetzt zu erklären, dass »es ja nicht so [ist]«, dass sie sich als Mädchen nicht für technische Berufe interessieren würden, weil sie in bestimmten Mustern denken würden (»weil man so denkt«). Björks Unterbrechung ist aus diesem Blickwinkel als verneinende Ergänzung bzw. Fortführung dieses Gedankens zu verstehen.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 303

Andererseits ist der Geltungscharakter traditioneller Weiblichkeitsdiskurse und ihrer Subjektpositionen innerhalb der hier diskutierenden Gruppe junger Frauen umstritten. So wird eine Orientierung an tradierten Weiblichkeitsnormen mehrmalig auch abgelehnt, stereotype Geschlechterbilder als identitätskonstituierendes Rahmenkonzept zurückgewiesen und deren Einflussnahme auf berufliche Orientierungen dementiert. Stattdessen entwerfen sich die jungen Frauen als autonome weibliche Subjekte mit individuell unterschiedlichen Interessen als Ausdruck eines originären Selbst, unberührt von gesellschaftlichen Zuschreibungen. In diesem Zusammenhang werden traditionelle Differenzmarkierungen kindlicher Ausdrucksformen weiblicher und männlicher Identität modifiziert, die als prägend für das geschlechtliche Selbstkonzept der heranwachsenden Frauen wahrgenommen werden. Darüber hinaus zeigt sich auch, wie über die Subvertierung anerkannter Darstellungsroutinen hegemonialer Weiblichkeit Identitätspositionen um nicht-hegemoniale Entwürfe erweitert werden und im Effekt eine kongruente Beziehung zwischen alternativ-weiblicher Geschlechtsidentität und einer beruflichen Orientierung im männlich codierten Bereich von Technik und Naturwissenschaft hergestellt wird. Die Zurückweisung konventioneller Anerkennungsversprechen ermöglicht hier einer Erweiterung weiblicher Identitätspositionen (vgl. King 2002. S. 87f.). 8.3.2 »… ich hab AUCH gerne mit Autos gespielt« Ähnlich der Gruppe-i werden auch in der Gruppe-k von den Schülerinnen im Alter von 17 bis 19 Jahren differente Weiblichkeitskonzepte im Kontext einer technischen Studien- und Berufswahlorientierung diskutiert. Vorangehend haben einige der Gruppenmitglieder Interesse am Beruf der Kfz-Mechatronik geäußert (vgl. Kapitel 8.2), woraufhin nun der Bezugsrahmen der Diskussion um eine gegenläufige Position erweitert wird: Bianka:

Also ich glaub irgendwie, für mich wär das ÜBERHAUPT nichts. Ich kann mir das NICHT vorstellen, dass ich da an irgendnem Auto rum schraube [oder so (unv.)]

Emily:

[Ich auch nicht. Für mich wär´s auch] ÜBERHAUPT nichts.

Bianka:

[… richtig.

]

[((mehrere lachen))] Emily:

[Und schon ((lacht)), schon alleine, schon allein, weil ich ....]

Emily:

… total tollpatschig ((lacht)) [bin, ich könnte das …]

Emily:

[… gar nicht. Ich würd das gar nicht auf die Reihe ((lacht)) kriegen.]

[((mehrere lachen))

] [((mehrere lachen))

]

304 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Bianka:

[Ja, ich, keine Ahnung, ich (unv.)

] keine Ahnung, für

mich ist das was, das (unv.) ich weiß [nicht.] Amalia:

[Ja.

Bianka:

Ich kann mir NICHT vorstellen, wie ICH an nem Auto steh ((lacht)) und da irgend

]

en Motor aus[schraube oder so ((lacht)). ] Amalia:

[Das, das, find ich aber auch,] ich war schon als, als KIND, ich war schon immer so, so en richtiges Mädchen, so mit …

Dana:

Nee.

Bianka:

[Ja.]

Carina:

[Ja.]

Amalia: [Also] [so mit Carina:

] PRIZESSINKLEIDERN …

[Ich ] [war immer …]

Amalia: … und Puppen und so und … Dana:

Ja ich auch, aber ich hab AUCH gerne mit Autos gespielt. Ich hab [Autos …]

Carina: Dana:

[Ja.

]

… bekommen, ich hab [bin da …]

Amalia:

[Mi-, mein] Papa[wollte mir immer so die, [ja …] [Ja. ]

Carina: Amalia: … hier guck EISENBAHN, weisste, wisst ihr [noch …] Carina:

[Hmhm. ]

Amalia: … diese [elektrische …] Dana:

[Hat ich auch. ]

Amalia: … Eisenbahn und so, ja, [hier …] Carina:

[Ja.

]

Amalia: … und da, spiel doch mal [damit und ich immer …] Dana:

[Hat ich auch.

]

Amalia: … so, NEIN, da kann ich die Puppen nicht umziehen. Dana:

[Nein, mein …]

Emily:

[((lacht))

]

Amalia: [Das, das war ] immer MEIN Argument, warum ich DAMIT nicht spielen wollte ((lacht)). [((lacht)) Dana:

]

[Also ich hab] AUCH mit Barbies und Puppen gespielt, aber ich hab auch z.B. von meinem Papa mal en ferngesteuertes Auto gekriegt, das, da, da [hab …]

Carina:

[Ja.

Dana:

… ich auch …

Carina:

Ich hatte auch [so was …

Dana:

]

[… damit gespielt,] ICH hatte auch Autos, ich LIEBE es, mit meinem Papa in Autohäuser zu gehen und …

Amalia: Ich hatte [auch … ] Dana:

]

[… mir …]

Amalia: … Autos.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 305

Dana: Amalia:

… tolle [Autos … ] [Die von Barbie. ]

Nachdem sich einige der Gruppenmitglieder positiv über den technischen Beruf der Kfz-Mechatronik geäußert haben, knüpft Bianka zu Beginn des aufgeführten Diskussionsabschnitts antithetisch elaborierend an ihre Vorrednerinnen an (»Also«) und eröffnet eine Gegenposition. Sie ist der Ansicht (»ich glaub«), dass der Kfz-Beruf absolut nicht zu ihr passen würde (»für mich wäre das ÜBERHAUPT nichts«). Vielmehr ist für sie die Vorstellung an einem Auto handwerklich tätig zu sein, geradezu undenkbar, wie sie betont (»Ich kann mir das NICHT vorstellen, dass ich da an irgendnem Auto rum schraube«). Emily schließt sich Biankas Stellungnahme nachdrücklich an (»Ich auch nicht. Für mich wär´s auch ÜBERHAUPT nichts«), was noch einmal von Bianka bestätigt wird (»richtig«). Das Lachen der Schülerinnen zeugt von der zunehmend dynamischen Spannung des Wechselspiels von Positionierung und Gegenpositionierung, zwischen einem Affirmieren traditioneller Weiblichkeitsnormen und deren kritischer Infragestellung, das den Diskussionsverlauf der Gruppe-k in der gemeinsamen Bearbeitung des Themas ›Technikberufe‹ insgesamt entscheidend kennzeichnet (vgl. auch Kapitel 8.2.1). Zur Begründung, weshalb Emily den Kfz-Beruf kategorisch ausschließt, stellt sie Ungeschicklichkeit als persönliches Merkmal heraus, über das sie sich grundsätzlich als untauglich für diese Tätigkeit darstellt (»schon allein, weil ich total tollpatschig bin, ich könnte das gar nicht. Ich würd das gar nicht auf die Reihe kriegen«). Mit der dieser verabsolutierenden Selbstverortung im Bereich des Defizitären wird jedwedes Veränderungspotenzial ausgeschlossen. Bianka stimmt Emily zwar prinzipiell zu, ist sich jedoch hinsichtlich ihrer eigenen Gründe für die ablehnende Haltung offenbar weniger sicher (»keine Ahnung […] ich weiß nicht«). Im Gegensatz zu Emily bindet sie diese nicht unmittelbar an die Einschätzung ihrer persönlichen Fähigkeiten. Sie betont erneut, dass für sie allein die Vorstellung als Kfz-Mechatronikerin tätig zu sein, undenkbar ist und veranschaulicht dies durch ein gedanklich entworfenes Szenario beruflichen Alltagshandelns (»Ich kann mir NICHT vorstellen, wie ICH an nem Auto steh und da irgend en Motor ausschraube oder so«). Amalia stimmt Bianka ausdrücklich zu (»das find ich aber auch«) und knüpft an deren Darstellung des Unvorstellbaren mit einer Selbstbezeichnung als »richtiges Mädchen« an, das sie bereits »als KIND«, also folglich »schon immer« verkörpert habe. Diese Selbstbehauptung löst kontroverse Reaktionen seitens der Gruppe aus. Während Dana verneint und Amalias Standpunkt demzufolge offenbar nicht teilt (»Nee«), stimmen Bianka und Carina zu (»Ja«). Amalia fährt unterdessen fort zu erläutern, was sie unter einem ›richtigen‹ Mädchen versteht, wobei sie sich auf die Lebensphase der Kindheit bezieht, die in vielen Gruppendiskussionen auf unterschiedliche Weise als prägend hinsichtlich der Entwicklung beruflicher Orientie-

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rungen relevant gemacht wird. Auf symbolischer Ebene verbindet Amalia ein ›richtiges‹ Mädchen zu sein assoziativ mit »PRINZESSINNENKLEIDERN und Puppen«. Das Bild der Prinzessin impliziert Vorstellungen von einem behüteten und sorgenfreien Leben, das von der Mühsal existenzsichernder Anstrengungen durch Arbeit befreit ist. Weiter sind mit dem Kleid einer Prinzessin Assoziationen verknüpft, die an Pomp, Glanz und Glamour denken lassen, womit dieses Kleidungsstück allein den Zweck einer Zurschaustellung exklusiver Weiblichkeit erfüllt. Sowohl Prinzessinnenkleid als auch Puppen weisen eine starke, unzweifelhafte und widerspruchslose weibliche Geschlechtersymbolik auf, über die sich Amalia hier als »richtiges Mädchen« inszeniert. Ebenso wie in der vorangegangenen Diskussion der Gruppe-i werden auch hier konventionelle Weiblichkeit und Technik selbstverständlich als sich wechselseitig ausschließende Bedeutungen gesetzt. Mit der so gearteten Klassifizierung ›richtiges Mädchen‹ wird zugleich auch eine diskursive Position des ›falschen‹, ›unangemessenen‹ oder möglicherweise auch ›verfehlten‹ Mädchen-Seins hervorgerufen, die in der nachfolgenden Diskussion unweigerlich mit verhandelt wird. So stimmt Daria mit Amalias kindlicher Vorliebe für geschlechtskonformes Spielverhalten nur bedingt überein (»Ja ich auch, aber«), denn sie habe darüber hinaus »AUCH gerne mit Autos gespielt«, die sie »bekommen« hat. Demzufolge wurde ihr aus ihrem sozialen Umfeld neben weiblich konnotierten offenbar auch alternatives Spielzeug angeboten, ohne dass dies ihr weibliches Selbstverständnis tangiert hat. Amalia greift diesen Gedanken hinsichtlich der Bedeutung von Bezugspersonen auf und erzählt von den Bemühungen ihres Vaters, sie zum Spielen mit einer elektrischen »EISENBAHN« zu ermuntern, ein technisches Spielzeug, dass gesellschaftlich männlich konnotiert ist (»hier guck EISENBAHN […], spiel doch mal damit«). Amalia bezieht ihre Mitschülerinnen in ihre Erzählung mit ein, indem sie an ein gemeinsames Erleben appelliert (»wisst ihr noch«), womit sie ihre Aussage intensiviert. Carina bestätigt zustimmend (»Ja«, »Hmhm«), während Dana wiederholend einwirft, dass auch sie eine derartige Eisenbahn hatte (zwei Mal »Hat ich auch«). Unterdessen fährt Amalia fort, ihre Reaktion auf die Bemühungen ihres Vaters dahingehend zu schildern, dass sie das Spielen mit der Eisenbahn stets vehement verneint habe und zwar unter Anführung eines bestimmten Grundes, wie sie sich selbst zitierend ausführt, nämlich, dass sich die dazugehörigen Puppen nicht umziehen lassen (»und ich immer so NEIN, da kann ich die Puppen nicht umziehen«). Ausdrücklich betont sie noch einmal, dass dies ihre wiederkehrende Argumentationslogik gewesen sei, mit der sie ihre Ablehnung begründet habe (»Das war immer MEIN Argument, warum ich DAMIT nicht spielen wollte«). In dieser energischen Darlegung einer (mutmaßlichen) Fixierung auf geschlechterstereotypes Spielverhalten, in dem sich kindliche Vorläufer körperbezogener Inszenierungsweisen weiblicher Identität widerspiegeln, kommt ein Moment geschlechtlicher Performativität zum Ausdruck, das von den Subjekten widerstän-

Dimensionen der Subjektkonstitution | 307

dig nutzbar gemacht werden kann. So kann das eigensinnige und beharrliche Zitieren konventioneller Repräsentationsformen weiblicher Normativität als implizite Strategie begriffen werden, mit der Amalia – offenbar erfolgreich – die durch ihren Vater vermittelten Anrufungen, sich für nicht-geschlechtskonformes Spielzeug zu interessieren, zu unterlaufen und abzuwehren wusste. In ihrem anschließenden Lachen kommt eine gewisse Selbstzufriedenheit zum Ausdruck, die Bemühungen ihres Vaters, ihr Interessensspektrum zu erweitern, auf diese Weise ins Leere laufen gelassen zu haben. Amalias Erzählung veranschaulicht damit, wie nicht unbedingt das Autoritätsgefüge zwischen unterschiedlichen Rollen – hier zwischen Vater und Tochter – für das Interaktionsgeschehen ausschlaggebend ist, sondern vielmehr die Art der Positionierung innerhalb dynamischer Kräfteverhältnisse diskursiver Ordnungen, die machtvoll und weniger machtvoll sein können. Dana knüpft elaborierend an das von Amalia eingeführte Thema ›Kindliche Spielinteressen‹ sowie der Bedeutung elterlicher Bezugspersonen an und bestätigt erneut, dass sie zwar »AUCH« mit »Barbies und Puppen« gespielt, darüber hinaus jedoch von ihrem Vater bspw. ein »ferngesteuertes Auto« bekommen und sich damit beschäftigt habe. Ähnlich der elektrischen Eisenbahn wird die Markierung des Autos als technisch durch die Komponente der Fernsteuerung zusätzlich akzentuiert, womit sich gleichzeitig die männlich stereotype Adressierung verstärkt. Carina fällt Dana zustimmend ins Wort und erklärt, selbst ebenfalls so ein ferngesteuertes Auto als Kind besessen zu haben. Auch Dana hebt noch einmal hervor, dass sie im Gegensatz zu Amalia über mehrere (Spielzeug-)Autos verfügt habe (»ICH hatte auch Autos«), um im unmittelbaren Anschluss die zeitliche Ebene von der Kindheit in die Gegenwart zu wechseln. Denn ihr Interesse an Autos begrenzt sich nicht auf das Spielverhalten in der Phase der Kindheit. Vielmehr betont Dana nun in Bezug auf ihre aktuelle Lebenswelt, dass sie es »LIEBE« mit ihrem Vater Autohäuser zu besuchen und sich »tolle Autos« anzugucken. Danas Interesse an Autos scheint demnach stark mit der Beziehung zu ihrem Vater verwoben, was auch in der emotional aufgeladenen Formulierung zum Ausdruck kommt (»ich LIEBE es«, »tolle Autos«, Hervorh. M.S.). Im Gegensatz zu Amalia, die ihren Vater zu einer Abgrenzungsfigur stilisiert, zu der sie sich kontrastierend ins Verhältnis setzt, zeigt sich bei Dana eine deutliche Identifikation mit ihrem Vater und dessen Interessensgebieten. Doch kommt Dana kaum dazu, ihre Aussage zu Ende zu führen, denn Amalia fällt ihr ins Wort, indem sie ironisierend an Danas Ausführung anknüpft und konstatiert, dass auch sie Autos gehabt habe, nämlich »[d]ie von Barbie«. Amalia inszeniert hier eine Art Scheinkonklusion, die jedoch aufgrund der offenkundigen Ironie keinen Zweifel an ihrer nahezu oppositionellen Haltung gegenüber den Mitschülerinnen aufkommen lässt, die in der vorangegangenen Diskussion ein verstärktes Interesse an Kfz-Technik geäußert haben. Damit positioniert sie sich erneut machtvoll, diesmal gegenüber ihren anders orientierten Mitschülerinnen, indem sie sich auf eine konventionell anerkannte Weise geschlechtlich subjektiviert, die durch die he-

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gemoniale Geschlechterordnung legitimiert ist und diese zugleich bestätigend reproduziert. Wie auch in vielen weiteren Gruppendiskussionen entpuppt sich an dieser Stelle die Mobilisierung konventioneller Konstruktionsmechanismen weiblicher Identität über kulturell eindeutig vergeschlechtlichte Ressourcen als ein performativer Akt, mit dem die eigene weibliche Subjektpositionierung radikal behauptet wird. Deutlich wird, wie sich in dieser Phase der Diskussion aus einem antithetischen ein exkludierender Modus der Diskusorganisation entwickelt, in dem sich keine gruppenübergreifende Kongruenz hinsichtlich eines gemeinsamen Orientierungsrahmens finden lässt. Wie sich zeigt, werden auch von den Schülerinnen der Gruppe-k auf die Frage nach der eigenen Haltung gegenüber technischen Berufswahloptionen konkurrierende Entwürfe weiblicher Identität in den Fokus der gemeinsamen Diskussion gestellt und vor dem Hintergrund eines machtvollen Geschlechterwissens, in dem sich normative Vorstellungen über das Exklusionsprinzip von Weiblichkeit und Technik fortschreiben, kollektiv bearbeitet. Defizitorientierte (Selbst-)Etikettierungen zeugen von der Einlassung performativer Adressierungen in weibliche Identitätskonstruktionen, mit begrenzenden Effekten auf die Vorstellbarkeit eigener beruflicher Möglichkeiten. Doch wie am aufgeführten Beispiel deutlich wird, sind gesellschaftliche Normen idealtypischer Weiblichkeit, die sich einschränkend auf eine technische Orientierung auswirken (können) nicht als determinierend zu begreifen. Vielmehr werden sie von den Subjekten selbst verhandelt, bestätigt oder auch verschoben. Wie der Diskussionsausschnitt illustriert, kann die enggeführte Identifizierung mit traditionellen Weiblichkeitsbildern dazu ermächtigen, widersprüchliche Anrufungen an weibliche Subjektivität im Diskursfeld Technik und Geschlecht wirkungsvoll abzuwehren und die Kohärenz der eigenen Identitätsposition zu stärken, indem Komplexität reduziert und Komplikationen vermieden werden. Einer solchen Fixierung des eigenen Weiblichkeitskonzeptes entgegen steht die subversiv-diskursive Praktik junger Frauen, symbolisch markierte Geschlechtergrenzen aufzubrechen und weibliche Identitätspositionen um nicht-hegemoniale Ausdrucksformen zu erweitern. Derart konkurrierende Selbstpositionierungen zeugen von Aushandlungsprozessen über den Toleranzbereich weiblicher Intelligibilität innerhalb dominanter Diskursordnungen. So werden am wiederkehrenden Beispiel (nicht-)geschlechtskonformer Spielinteressen in der eigenen Kindheit Gegenhorizonte aufgeworfen, vor deren Hintergrund sich die jungen Frauen selbst ins Verhältnis zu Technik bzw. technischen Berufen setzen und in denen die Uneinigkeit gruppeninterner Orientierungen zum Ausdruck kommen. Als nicht-geschlechtskonform werden von den Schülerinnen ausdrücklich technische Spielzeuge markiert und zwar ohne, dass diese explizit als männlich definiert werden. Doch offenbart die wirkungsvolle Selbstpositionierung als ›typisches Mädchen‹ im Zuge einer restriktiven Ablehnung technischer Spielzeuge die symbolisch-normative Verwobenheit des

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Technischen mit dem Männlichen, die innerhalb der Wissensordnung um die Norm der Zweigeschlechtlichkeit im performativen Akt geschlechtlicher Inszenierung produktiv wiederholt wird. Wie in dem aufgeführten Diskussionsabschnitt deutlich wird, ermöglicht diese »(Re-)Inszenierung« (Butler 2014, S. 206) konventioneller Weiblichkeit durch die zitatförmige Wiederholung gesellschaftlich etablierter Bedeutungssetzungen in der Verhandlung differierender Entwürfe weiblicher Identität im Kontext Technik (zumindest zeitweilig) eine machtvolle Positionierung innerhalb dominanter Diskursordnungen. Im Gegensatz dazu wirkt das diskursive Ringen mancher Schülerinnen um die Anerkennung geschlechterübergreifender Spielinteressen dualistischen Denkmustern entgegen, die einen wechselseitigen Ausschluss weiblicher und männlicher Repräsentationsformen als zentrales Moment kindlicher Geschlechtsidentität implizieren. So stellt es für manche der Schülerinnen eben keinen Widerspruch dar, sich vor dem Hintergrund kindlicher Interessen für Puppen, Autos und Eisenbahnen wesenhaft als Mädchen zu begreifen. Deutlich zeigt sich hier, wie sich durch alternative Selbstwahrnehmungen und -interpretationen symbolische Grenzmarkierungen binaristischer Geschlechterdifferenz verschieben oder gar durchlässig werden (können). In diesem Zusammenhang wird von den Schülerinnen auch der eigene Vater als relevante Abgrenzungs-, aber auch Identifikationsfigur herausgestellt. Erkennbar wird, dass durch eine solch gegengeschlechtliche Identifizierung mit dem Vater Geschlechtergrenzen kultureller Repräsentationen überschritten werden und sich auf diese Weise Möglichkeitsräume der Selbstinterpretation junger Frauen erweitern können. Die Attraktivität, die Männlichkeitsrepräsentationen, hier bspw. in Form einer Begeisterung für Autos als männlich konnotiertes technisches Artefakt, für manche der jungen Frauen besitzen, ist dabei möglicherweise auch im Hinblick auf das hierarchische Geschlechterverhältnis der patriarchalorientierten Gesellschaftsordnung zu betrachten, in dem männliche Repräsentationen häufig reizvoller und prestigeträchtiger erscheinen als weibliche (vgl. Fritzsche 2011, S. 71f.). 8.3.3 »… so typisch Frau vorʼm Computer, klickt irgendwas und Puff« In einer anderen Diskussion entwerfen sich die 16- bis 19-jährigen Schülerinnen als weibliche Subjekte, indem sie sich und andere in ein bestimmtes Verhältnis zum Technischen setzen. Die nachfolgende Sequenz aus der Gruppe-c schließt an einen Abschnitt an, in dem die Schülerinnen im parallelen Diskursmodus ihr »technisches Verständnis« darlegen und ihre jeweilige Selbsteinschätzung anhand narrativer Erzählungen konkreter Alltagserfahrungen im Umgang mit Technik, wie dem Bedienen von Küchenmaschinen, schulischem Werkunterricht, Aufbauen von Möbeln für

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das eigene Jugendzimmer sowie Anschließen und Einrichten eines neuen Computers veranschaulichen. Der Abschnitt beginnt damit, dass die Schülerin Holly an das Beispiel ihrer Vorrednerin anknüpft und nun ihre Erfahrungen mit der Reparatur des eigenen Computers schildert: Holly:

Ja, ich mein so, mein Computer der ist ja schon ziemlich alt, den konnt ich auch s-, selber reparieren in Anführungsstrichen. Also ich konnte sagen, was falsch ist oder was kaputt ist, was ersetzt werden musste, mein Lüfter nämlich. ((lacht)) ((mehrere lachen))

Holly:

Oder ich weiß sogar, welcher Lüfter, also ...

Gohar:

Ho.

Holly:

... äh, so viel Verständnis hat ich dann davon schon, aber es ist halt ...

Emma:

Oh Gott, ich weiß nicht, wie viele Computer meine Schwester in die ho-, in die Luft gejagt. Also wirklich, ...

Holly:

((lacht))

Emma:

... jedes Mal so, das, Puff ((lacht)) und alles ...

Disa:

((lacht))

Emma:

... dampfte und rauchte.

Gohar:

Ja, überhitzt dann wahrscheinlich. ((mehrere lachen))

Emma:

Also so typisch Frau vor ´em Computer, klickt irgendwas und Puff. ((lacht))

Gohar:

[Und dann kommt,] ...

Holly:

[Also ich sag mal ] ...

Holly:

Also ich sag mal, manchmal ist das, manchmal ist es halt sogar so, dass Männer

[((mehrere lachen))] mich fragen, ja, also ich komm hier nicht weiter, sag mal, wie, wie komm ich denn zu Ordner XY oder zu Einstellung XY und ich so, warte, erst mal ist es sehr schwierig das mit den Betriebssystemen, einige haben Vista, andere haben dann schon Windows 7 und einige haben noch das alte Windows XP so wie ich [halt.] Charlotte: Gohar:

[Ja. ] ((lacht))

Charlotte: Hab ich auf meinem Rechner. Holly:

Ja Moment, okay, du hast Windows 7, ja, warte, ich, ich stell mir das mal eben

grad vor. ((mehrere lachen)) Holly:

Das halt dann, a-, aber manchmal wird man selber schon gefragt oder als Frau, ob man den Männern was erklären kann [technisch.]

Emma: Holly:

[Hmhm.

]

Also es gibt da schon so ein leichter Wandel. Ein leichter.

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Holly erzählt, dass ihr Computer »schon ziemlich alt« sei und sie ihn »selber reparieren« konnte. Durch den Hinweis auf das Alter des Geräts entsteht der Eindruck, als sei dies die Grundvoraussetzung für ihr Können in dieser Angelegenheit, das sie auf diese Weise als begrenzt darstellt. Indem sie rhetorisch ihre Fähigkeit zur Reparatur wörtlich »in Anführungszeichen« setzt, schwächt sie diese weiter ab. Fortfahrend konkretisiert sie (»Also«), dass sie feststellen konnte, »was kaputt ist« und »was ersetzt werden musste«, nämlich der »Lüfter«. Ihre Mitschülerinnen stimmen verständig in ihr Lachen mit ein. Möglicherweise dadurch ermutigt, fährt Holly nun etwas bestimmter fort, ihr vorhandenes technisches »Verständnis« zu präzisieren, indem sie erklärt, über ein bestimmtes Detailwissen bezüglich des Lüfters zu verfügen (»ich weiß sogar, welcher Lüfter, also so viel Verständnis hat ich davon dann schon«, Hervorh. M.S.), was von Gohar ironisch durch eine anerkennende Lautäußerung kommentiert wird (»Ho«). Doch bevor Holly ihre Ausführungen beenden kann, fällt ihr Emma mit einem Ausruf ins Wort (»Oh Gott«) und knüpft mit einer eigenen Erzählung über ihre Schwester an, der sie unterstellt, eine ganze Reihe von Computern auf geradezu spektakuläre Weise zerstört zu haben (»ich weiß nicht, wie viele Computer meine Schwester in die […] Luft gejagt«). Dabei schwingt in ihrer metaphorischen Darstellung eine vorgebliche Resignation hinsichtlich der augenscheinlich unverbesserlichen Untauglichkeit ihrer Schwester im Umgang mit dieser Technologie mit. Das Lachen von Holly und Disa macht an dieser Stelle deutlich, dass die Mitschülerinnen Emmas dramatisierte Darstellung, mit der sie ihre Schwester zum Sinnbild von (weiblicher) Inkompetenz stilisiert, richtig zu deuten wissen. Währenddessen unterstreicht Emma noch einmal ihre Aussage (»Also wirklich, jedes Mal«) und beschwört durch Lautmalerei (»Puff«) humoristisch eine Momentaufnahme herauf, die das Ausmaß der Zerstörung illustriert (»und alles dampfte und rauchte«). Gohar übersetzt Emmas scherzhafte Schilderung auf einen zu vermutenden Zustand der Überhitzung des Computers und gibt damit zugleich technischen Sachverstand zu erkennen (»Ja, überhitzt dann wahrscheinlich«). Doch unbeeindruckt von dieser versachlichenden Einschätzung Gohars, schließt Emma ihre Ausführungen durch eine Verallgemeinerung ab, die nahe an einer Konklusion liegt. Dabei rekurriert sie auf das tradierte Vorurteil bezüglich einer technischen Inkompetenz von Frauen, das sie noch einmal metaphorisch zum Ausdruck bringt (»so typisch Frau vor ´em Computer, klickt irgendwas und Puff«). Sie stellt damit heraus, dass es sich in ihrer Darstellung keinesfalls um einen technischen Defekt handelt, sondern die Ursache allein darin zu sehen ist, dass eine Frau Hand an den Computer legt und so eine an sich harmlos erscheinende Handlung (»klickt irgendwas«) unkontrollierbare Folgen nach sich zieht (»und Puff«). Diese unkritisch übertriebene Inszenierung weiblicher Unfähigkeit zeugt von der Internalisierung herabsetzender, vorurteilsbehafteter Zuschreibungen an ein hegemoniales Weiblichkeitsbild im technischen Kontext, das hier stellvertretend für alle Frauen in der Figur der Schwester perso-

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nalisiert wird. So wird mit der Bezeichnung »typisch Frau« eine hierarchische Geschlechterordnung aktualisiert und fortgeschrieben, deren Geltungscharakter im System der Zweigeschlechtlichkeit normativ gesetzt ist. Indem aus der Gruppe weder Entrüstung noch Widerspruch hinsichtlich dieser vergemeinschaftenden Kategorisierung und (selbst-)herabsetzenden Typisierung weiblicher Subjekte geäußert, sondern vielmehr Emmas Darlegungen durch gemeinsames verständiges Lachen legitimiert wird, erzeugen die jungen Frauen hier in kollektiver Praxis eine bestimmte Wahrheit von Geschlecht, die ihre Wahrnehmung von sozialer Wirklichkeit konfiguriert, wie es an späterer Stelle der Analyse noch verstärkt zutage tritt. Holly dagegen bringt nun eine antithetische Differenzierung in Form einer Gegenposition ein. Sie erlebt es bisweilen (»manchmal«), was eine gewisse Einschränkung impliziert, »dass Männer« sie um Rat in technischen Angelegenheiten bitten, wie sie in Form eines Zitats veranschaulicht (»sag mal, […] wie komm ich denn zu Ordner XY oder zu Einstellung XY«). Um welche Personen es sich dabei handelt und in welcher Beziehung diese zu ihr stehen, scheint unerheblich zu sein, allein, dass es sich in diesem technischen Zusammenhang um »Männer« handelt, ist hier offensichtlich für sie relevant. Damit ruft sie die binäre Geschlechterordnung auf, in der geschlechtlich definierte Subjekte als Frauen und Männer asymmetrisch im Diskursfeld von Technik und Geschlecht positioniert werden bzw. sich positionieren und kehrt diese um, womit sie ihren Wahrheitsanspruch negiert. In der von ihr nun selbst zitierten Erwiderung auf die Anfrage dieser »Männer« positioniert sie sich selbstbewusst als handlungsmächtiges, technisch versiertes, weibliches Subjekt und unterstreicht dies eingehend durch die Demonstration eines differenzierten Fachwissens über die Problematik unterschiedlicher Betriebssysteme (»erst mal ist es sehr schwierig das mit den Betriebssystemen«). Letztere weiß sie kenntnisreich zu bezeichnen, wobei sie beiläufig darauf verweist, dass sie selbst noch ein veraltetes Betriebssystem benutzt, womit sie noch einmal auf ihre Eingangserzählung zurückgreift (»einige haben Vista, andere haben dann schon Windows 7 und einige haben noch das alte Windows XP, so wie ich halt«). Deutlich wird, dass Holly hier – entgegen traditioneller geschlechtsbezogener Fähigkeitszuschreibungen – technisches Erklärungswissen für sich beansprucht. Charlotte validiert ratifizierend (»Ja«) und bestätigt, dass auch sie dieses Betriebssystem verwendet (»Hab ich auf meinem Rechner«). Holly fährt fort sich selbst zu zitieren, wie sie um einen Augenblick Geduld bittet, damit sie die spezifische Problemlage des jeweiligen Betriebssystems vor ihrem inneren Auge imaginieren kann (».warte, ich stell mir das mal eben grad vor«), was ein hohes Maß an Abstraktionsvermögen und weitreichendes technisches Verständnis voraussetzt. Ihre anfängliche Zurückhaltung hinsichtlich der Einschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten zu Beginn dieser Sequenz scheint sie vollständig abgeschüttelt zu haben. Stattdessen inszeniert sie sich nachdrücklich im Kontrast zu dem von Emma aufgerufenen Weiblichkeitsverständnis. Deutlich wird hier die Relatio-

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nalität und situative Kontextgebundenheit dynamischer Subjektpositionierungen im diskursiven Feld von Technik und Geschlecht erkennbar (vgl. auch Jäckle et al. 2011, S. 93; Villa 2011, S. 58f.). Seitens der Gruppe wird unterdessen weder Zustimmung noch Einspruch erhoben. Auch ist schwer einzuschätzen, inwieweit das mehrstimmige Lachen hier spöttisch oder anerkennend gemeint oder als Ausdruck der Spannung zwischen den sich auftuenden gegenläufigen Positionierungen zu deuten ist. Holly fasst noch einmal verallgemeinernd zusammen, was sie mit ihrer persönlichen Schilderung zum Ausdruck bringen möchte, nämlich, dass »man« mitunter »als Frau« von »den Männern« angefragt wird, »technisch« etwas zu erklären, womit sie die Gültigkeit von Emmas stereotyper Darstellung weiblicher Inkompetenz begrenzt. Emma ratifiziert validierend (»Hmhm«) und Holly fasst die Quintessenz ihrer Aussage in der Feststellung zusammen, dass ihrer Ansicht nach ein »leichter Wandel« der Geschlechterverhältnisse im technischen Kontext stattgefunden hat. Indem sie durch Wiederholung hervorhebt, dass es sich dabei um eine geringfügige Veränderung handelt, mildert sie ihre antithetische Haltung gegenüber Emmas generalisierender Darstellung technischer Inkompetenz von Frauen ab. Auf diese Weise erzeugt sie eine Schnittmenge und wirkt ausgleichend auf die sich drohend formierende Inkongruenz der unterschiedlichen Orientierungen innerhalb der Gruppe. Deutlich zeigt sich in dieser Sequenz, wie die jungen Frauen im Rahmen adoleszenter Identitätsarbeit einerseits an der Sicherheit von Geschlechterkonventionen festhalten, während sie andererseits Weiblichkeitszumutungen heftig zurückweisen (vgl. King 2002, S. 86). Dabei setzen sich die Schülerinnen im antithetischen Diskursmodus mit performativen Adressierungen auseinandersetzen, die als wirkmächtige Aussageformationen weibliche Subjektpositionen im Bereich des technisch Defizitären situieren. Den Ausgangspunkt hierfür bilden etablierte Wissensordnungen, in denen normative Vorstellungen von einer Unverträglichkeit zwischen Weiblichkeit und Technik eingeschrieben sind, die sich zu gesellschaftlichen Vorurteilen verfestigt haben. Vor diesem Hintergrund lässt sich die zurückhaltende und abschwächende Beschreibung eigener Technikkompetenz im aufgeführten Beispiel als ein Effekt zumindest anteilig angenommener Adressierungen begreifen, die in habitualisierten und ritualisierten Darstellungspraktiken weiblicher Identität ihren Ausdruck finden. Die Wahrnehmung und Deutung eigener Erfahrungen erscheint somit durch gesellschaftlich etablierte Geschlechternormen als implizite Wissensbestände gerahmt, womit die Herausbildung einer technikorientierten weiblichen Identität für die Subjekte nicht unproblematisch und komplikationslos zu sein scheint. Derweil treten die Schülerinnen im situativen Kontext auch selbst als Diskurssprecher*innen in Erscheinung, die im Zuge diskursiv praktizierter Selbst-Anrufungen ›Frau-Sein‹ idealtypisch über technische Inkompetenz als wesenhaft gedachte

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Zuschreibung klassifizieren und damit hierarchisierende Kategorisierungen innerhalb der symbolischen Geschlechterordnung im Bezugsrahmen Technik reproduzieren. Im foucaultschen Sinne zeigt sich hier, wie machtvolle Diskurse als kollektiv hervorgebrachte Aussageformationen Kategorien des Denkens und Sprechens erzeugen, die bestimmte Vorstellungen von Geschlecht als (selbst-)verständlichen Bestandteil sozialer Wirklichkeit diskursiv hervorbringen. Denn auch, wenn in der obenstehenden Sequenz die dramatisierende Beschreibung weiblicher Inkompetenz parodistisch anmutet, so setzt die (Selbst-)Verständlichkeit dieser (Re-)Inszenierung eine gegebene symbolische Ordnung im Diskursfeld Technik und Geschlecht voraus. Doch formiert sich in den Reihen der diskutierenden Schülerinnen auch Widerstand gegen die unhinterfragte Fortschreibung normativer Klassifizierungsmuster durch defizitorientierte (Selbst-)Adressierungen, deren Geltungsanspruch für das eigene Selbstverständnis energisch zurückgewiesen wird und im Zuge der gemeinsamen Diskussion eine resolute Gegendarstellung hervorruft. Die selbstinszenierende Darbietung souveräner Technikkompetenz im gegenwartsbezogenen Kontext ist somit als subversiver Positionierungsakt zu begreifen, mit dem zugleich die Instabilität und Unbeständigkeit der symbolischen Geschlechterordnung innerhalb hegemonialer Technik- und Geschlechterdiskurse herausgestellt wird. 8.3.4 »Papa anrufen ist immer die erste Wahl« Kennzeichnet sich der voranstehende Diskussionsausschnitt zunehmend durch ein konkurrierendes Gegeneinander antithetischer Positionierungen, wechselt die Gruppe-c kurze Zeit später in einen inkludierenden Modus, in dem sie das Gemeinsame im interpersonellen Erleben weiblicher Subjektivität innerhalb diskursiver Ordnungen hervorhebt. Zwischenzeitlich haben sich die Schülerinnen über berufliche Möglichkeiten im Bereich der Kfz-Mechatronik und des Maschinenbaus ausgetauscht, was an späterer Stelle der Analyse detailliert in den Blick genommen wird (vgl. Kapitel 8.4). In der folgenden Sequenz knüpft Bente mit einer Anschlussproposition an das Thema ›Kraftfahrzeuge‹ an: Bente:

Ich hätte auch gerne ein bisschen Ahnung von meinem Auto, wenn das nicht anspringt, was ich da machen muss, aber so was kann ich einfach nicht.

Emma:

Zeitschriften lesen, Internet. ((lacht))

Bente:

Meinen Papa anrufen.

Holly:

Papa anrufen ist immer die erste Wahl ((lacht))

Bente:

((lacht))

Emma:

Ja, wieder dampft jetzt irgendwie und komisch riechen tut´s auch. ((lacht)) ((mehrere lachen))

Dimensionen der Subjektkonstitution | 315

Bente:

Ich hab einen Steinschlag, [was soll ich denn machen?]

Emma:

[Was könnte das sein?

]

((mehrere lachen) Holly:

Carglass anrufen. ((mehrere lachen))

Charlotte:

Richtig [peinlich wird´s erst

Bente: Gohar:

] ...

[Hat er gesagt, ernsthaft.] ((lacht)) Genial.

Charlotte: Peinlich wird´s dann, wenn das Auto (unv.) nach dem zehnten Mal, Papa, es läuft immer noch nicht, so hört sich das an und dann springt das an. Holly:

Ja. ((lacht))

Charlotte: Dann wird´s [peinlich.] [Das ei- ] peinlicher ist es noch viel mehr, wenn man so sagt, so, fe-,

Holly:

irgendwie, ja, warum springt er nicht an, Vatern kommt, macht einmal [umdrehen] und dann geht es auf einmal an ... Bente:

[Ja.

Holly:

... und man selber steht da so, ja ...

]

Gohar:

Weil man selber davor das alles schon gemacht hat.

Holly:

Ja, genau.

Gohar:

Und musste nur noch einmal drehen, dass man ...

Holly:

Ja.

Emma:

Hmhm, oder du hast, hast in deinem Auto sind, also wenn mein Auto lange auf ist …

Bente:

((lacht))

Emma:

... dann springt es irgendwann nicht mehr an, dann muss ich erst einmal abschließen [und dann wieder aufschließen.]

Bente:

[Nennt sich Wegfahrsperre

Emma:

Ja genau. Und dann, und dann kann ich starten.

Bente:

((lacht))

Emma:

] oder so was.

Ganz peinlich ist es, wenn man das nicht bedenkt ((lacht)), den Typen aus der Werkstatt schon anruft, der da ist, einmal mit dem Schlüssel knipst ((lacht)) und fertig ist. [Das] ist peinlich.

Holly: Emma:

[Ja. ]

Ja.

Da ist es richtig peinlich, und wenn´s dann noch ein Bekannter ist, wird´s noch schlimmer.

Bente äußert den Wunsch, alltagspraktische Kenntnisse über ihr »Auto« zu haben (»Ich hätte auch gerne ein bisschen Ahnung von meinem Auto«), um über mehr Handlungsautonomie im Fall einer Funktionsstörung zu verfügen (»wenn das nicht anspringt, was ich da machen muss«). Dem entgegen steht jedoch ihre Überzeugung, die notwendigen Fähigkeiten nicht zu besitzen (»aber so was kann ich einfach

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nicht«). Anschließend an Bentes Problemdarstellung zählt Emma unterschiedliche Möglichkeiten zur autodidaktischen Kompetenzerweiterung auf, wie »Zeitschriften lesen« oder eine Recherche im »Internet«. Ihr scherzhaftes Lachen macht deutlich, dass Bente die Umsetzung ihrer Empfehlungen im Alltag der eigenen Referenzgruppe ihrer Mitschülerinnen selbst bezweifelt. Anknüpfend an diesen Vorschlag zur Selbsthilfe zeigt sie ihren persönlichen Gegenentwurf zur Problemlösung in solchen Fällen auf, indem sie einwirft, ihren Vater anzurufen (»Meinen Papa anrufen«). An dieser Stelle entzündet sich eine hochdynamische Inszenierung des Gemeinsamen im Erleben weiblicher Subjektivität im Kontext normativer Vorstellungen über Technik und Geschlecht. Von der gemeinsamen Fokussierung zeugt auch der sich nun zunehmend entfaltende univoke Modus der Diskursorganisation, in dem die jungen Frauen nicht nur homologe Erfahrungen und assoziative Beschreibungen aneinanderreihen, sondern sich gegenseitig ins Wort fallen und weder Sätze zu Ende sprechen noch Aussagen ausführen müssen, um vom Kollektiv verstanden zu werden. Derweil scheinen die Schülerinnen offenkundig Spaß an der gemeinsamen Diskussion zu haben, wie an dem häufigen, auch gemeinsamen Lachen deutlich wird. Holly stimmt mit ein und konstatiert, dass den eigenen Vater anzurufen stets an erster Stelle der Vorgehensweise zur technischen Problemlösung steht (»Papa anrufen ist immer die erste Wahl«). Emma stimmt zu (»Ja«) und entwirft ein fiktives Szenario, in dem sie – vermutlich ihrem Vater gegenüber – eine akute Problemsituation sinnbildlich zu beschreiben versucht. Dabei stellt sie sich selbst als hilflos, überfordert und inkompetent dar, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Einerseits dahingehend, selbst das Problem nicht lösen und andererseits es nicht sachdienlich beschreiben zu können. Dabei inszeniert Emma auf dramatisierende Weise weibliche Unfähigkeit, indem sie beschreibt, wie sie unbeholfen augenfällige Warnsignale zu übermitteln versucht (»wieder dampft jetzt irgendwie und komisch riechen tut´s auch«). Dadurch, dass sie die Situation als wiederkehrend darstellt (»wieder dampft«, Hervorh. M.S.) verstärkt sich noch einmal deren Aussagegehalt.32 Auch Bente inszeniert nun Hilflosigkeit, indem sie sich als handlungsunfähig angesichts eines Steinschlags darstellt (»Ich hab einen Steinschlag, was soll ich denn machen?«), während Emma gleichzeitig Ahnungslosigkeit mimt (»Was könnte das sein?«). Das Stichwort »Steinschlag« aufgreifend, wirft Holly »Carglass anrufen«33 ein. Bente bestätigt, dass dies tatsächlich die Antwort ihres Vaters gewesen sei (»Hat er gesagt, ernsthaft«), was von Gohar ironisch als »[g]enial« bezeichnet wird 32 Deutlich zeigen sich hier Parallelen zur ihrer vorangegangenen Beschreibung der eigenen Schwester, die bereits eine Reihe von Computern ›in die Luft gejagt‹ habe (vgl. Kapitel 8.3.2). 33 Mit ›Carglass‹ ruft Holly hier eine weitverbreitete Spezialwerkstatt für Glasschäden an Kraftfahrzeugen auf, die durch Radio- und TV-Werbespots allgemein bekannt ist.

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und vermutlich damit im Zusammenhang steht, dass dieser Gedanke naheliegend ist und keine eigenen technischen Kompetenzen erfordert. Der bisherige Verlauf der Diskussion wird vielfach von Lachen begleitet, in dem eine hohe Übereinstimmung und Kohärenz unter den Gruppenmitgliedern zum Ausdruck kommt. Charlotte, die von Bente und Gohar unterbrochen wurde, setzt erneut zu einer exemplifizierenden Schilderung einer Art Vorführeffektes an, der ihrer Ansicht nach besonders beschämend ist. Indem sie hier eine implizite Reihung formuliert (»Richtig peinlich wird`s erst«, Hervorh. M.S.), mit der sie eine Steigerung in Bezug auf die Beiträge ihrer Vorrednerinnen ankündigt, bestätigt sie indirekt die Selbstpositionierungen ihrer Mitschülerinnen als technisch minderbemittelt. »Peinlich wird`s« ihr zufolge unter Gegebenheiten (»wenn«), in denen »das Auto« trotz mehrfacher Startversuche nicht anspringt, der eigene Vater hinzugezogen wird, wie sie in einem Selbstzitat illustriert (»Papa, es läuft immer noch nicht«) und daraufhin das Auto plötzlich anspringt (»und dann springt es an«). In einer solchen Situation scheint sich das Auto gegen die Tochter verschworen zu haben und das Problem löst sich auf, sobald der Vater – ein Vertreter der männlichen Geschlechtsgruppe – in Erscheinung tritt. Holly stimmt lachend zu (»Ja«) und Charlotte unterstreicht noch einmal abschließend die Wirkung eines solchen Erlebnisses durch die wiederholte Feststellung: »[d]ann wird`s peinlich«. Holly schließt an Charlotte an und ist der Ansicht, dass deren Situationsbeschreibung unter bestimmten Gegebenheiten noch an Peinlichkeit überboten wird (»peinlicher ist es noch viel mehr«), wenn der Wagen nicht anspringt, der Vater hinzukommt und nur »einmal« den Zündschlüssel zu drehen braucht, damit »es auf einmal [geht]«, während »man selber« offenbar etwas konsterniert angesichts der Blamage »[da]steht«. Denn »man selber« hat mit dem gleichen Vorgehen zuvor keinen Erfolg gehabt, wie Gohar Hollys Ausführungen ergänzend erläutert (»Weil man selber davor das alles schon gemacht hat«) und damit ihr Verstehen zu Ausdruck bringt. Holly bestätigt dies zustimmend (»Ja, genau«). Auch Bente ratifiziert Hollys Schilderung validierend (»Ja«). Gohar scheint noch einmal einen Teil von Hollys Darstellung aufzugreifen, in dem es um das einmalige Drehen des Schlüssels geht (»Und musste nur noch einmal drehen«), was Holly validierend ratifiziert (»Ja«). Indem die jungen Frauen hier vergemeinschaftend von »man selber« sprechen, wird diskursiv eine Kollektivität erzeugt, die eine homologe Erlebnisschichtung voraussetzt. Interessant ist auch, dass Holly, die sich in der vorangegangenen Diskussion als sachverständig in technischen Angelegenheiten gegeben hat (vgl. Kapitel 8.3.3), sich hier den diskursiven Praktiken ihrer Mitschülerinnen anschließt, normative Vorstellungen von einer geradezu schicksalhaften Unverträglichkeit zwischen ihrer weiblichen Geschlechtlichkeit und dem Technik symbolisierenden Artefakt Auto zu reproduzieren. Zum einem ist dies im Zusammenhang mit der durch hohe Kohärenz gekennzeichneten Gruppendynamik in diesem Diskussionsabschnitt zu betrachten,

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die möglicherweise bewirkt, dass sich Holly hier den innerhalb der Gruppe dominierenden normativen Vorstellungen und Erwartungen anschließt, die im situative Kontext den Deutungshorizont abbilden, vor dem sich die Schülerinnen in kollektiven Praktiken der Selbstinszenierung als intelligible weibliche Subjekte entwerfen. Zum anderen geht es im Gegensatz zu der vorangegangenen Diskussion an dieser konkreten Stelle weniger vordergründig um technische Inkompetenz als »askriptive[s] Merkmal« (Heintz 2001, S. 9) konventioneller Weiblichkeit, als um unwägbare Umstände, durch die die jungen Frauen weitgehend unverschuldet das gängige Vorurteil über Frauen und Technik zu bestätigen scheinen. Auch Emma stimmt zu und setzt zu einer differenzierenden Elaboration an, in der sie zunächst verallgemeinernd ein »du« adressiert, dass etwas in seinem Auto hat (»Hmhm, oder du hast, hast in deinem Auto«). Doch geht sie zu einer Erzählung von ihrem eigenen Auto über, in der sie das Thema Startschwierigkeiten fortführt und dabei bestimmte Eigenarten beschreibt, die es zu durchschauen gilt. So erzählt sie, dass ihr Auto nicht mehr anspringe, wenn es längere Zeit offen gestanden hat und berichtet, dass sie es in einem solchen Fall »erst einmal abschließen und dann wieder aufschließen [muss]«. Ohne eine nähere Erklärung bezüglich der technischen Zusammenhänge zu geben, weiß Emma demnach, wie sie in der geschilderten Situation vorzugehen hat. Bente fällt ihr ins Wort und erklärt belehrend, dass dieses Phänomen die Bezeichnung »Wegfahrsperre« trägt, um unmittelbar die Bestimmtheit dieser Angabe wieder infrage zu stellen (»oder so was«). Emma bestätigt Bentes Einschätzung (»Ja genau«) und erklärt, ihre vorangegangene Erzählung zu Ende führend, dass sie nach Betätigung des Schließmechanismus »starten [kann]«. Ausgehend von dieser Information über die Eigenheiten ihres Autos fährt sie fort, nun ihrerseits eine peinliche Situation zu beschreiben. Dabei spricht sie nicht länger von sich, sondern verallgemeinernd von »man«, was darauf hindeutet, dass es sich hierbei vermutlich weniger um ein konkretes Erlebnis als vielmehr um den Entwurf eines imaginierten Szenarios handelt. »Ganz peinlich ist es« ihrer Ansicht nach, »wenn man« sich die Aktivierung der Wegfahrsperre nicht vergegenwärtigt, stattdessen einen Werkstattmechaniker anruft und dieser, kaum dass er da ist, nur einmal die Verriegelung über den Funkschlüssel betätigt (»einmal mit dem Schlüssel knipst«), womit das Problem gelöst ist (»und fertig«). In Bezug auf den Werkstattmechaniker spricht sie hier von einer bestimmten, eindeutig männlichen Person (»den Typen«, Hervorh. M.S.), was einerseits darauf hindeuten könnte, dass sie an jemanden Konkreten denkt, mit dem sie bereits in ähnlichen Problemsituationen Kontakt hatte. Andererseits könnte hier zum Ausdruck kommen, dass gemäß dem maskulinen Image technischer Berufe in Emmas Vorstellung Fachkräfte der KfzMechatronik grundsätzlich männlich repräsentiert sind. In diesem Verständnis fungiert die Aufrufung des »Typen aus der Werkstatt« als Diskursfigur, die gemäß der

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hegemonialen Geschlechterordnung die symbolische Position männlich codierter Technikkompetenz besetzt. Noch einmal stellt Emma betont fest, dass eine solche Gegebenheit, wie sie von ihr beschrieben wurde, beschämend ist (»Das ist peinlich«). Holly stimmt ihr wiederholt zu (zwei Mal »Ja«) und Emma ergänzt abschließend, dass es »noch schlimmer« wird, wenn es »en Bekannter« ist, der hier hinzugezogen wird. Erneut scheint sie an eine männliche Person zu denken. Die männliche Geschlechtszugehörigkeit des jeweiligen Interaktionspartners ist in den homologen Situationsbeschreibungen ein bedeutsames Detail, ohne das der implizite Aussagegehalt ein anderer wäre. Denn den Darstellungen gemeinsam ist eine (mehr oder weniger unverschuldete) Bloßstellung als Angehörige der weiblichen Geschlechtsgruppe vor einem männlichen Gegenüber, mit der sich die gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber Frauen im Umgang mit Technik auf mitunter mysteriöse Weise zu bestätigen scheinen. Ausgehend von dem Wunsch der jungen Frauen nach mehr Handlungsautonomie im Umgang mit dem eigenen Auto als alltagsrelevantes technisches Artefakt, zeugt die aufgeführte Sequenz von der gemeinsamen Bearbeitung weiblicher Identitätspositionen im Diskursfeld von Technik und Geschlecht. Ohne, dass Geschlecht explizit thematisiert wird, zeigt sich, dass die Schülerinnen nicht nur um normative Vorstellungen von einer vermeintlichen Unverträglichkeit zwischen Weiblichkeit und Technik wissen, die sich in stereotypen Erwartungshaltungen und tradierten Vorurteilen gegenüber Frauen kulturell verfestigt haben, sondern diese Bilder selbst im Zuge der gemeinsamen Diskussion auf der Grundlage kongruenter Erlebnisse und assoziativer Beschreibungen aktivieren und damit implizit fortschreiben. So positionieren sich die Schülerinnen als weibliche Subjekte gemäß der vorherrschenden Geschlechterordnung in symbolischer Abgrenzung zum Technischen. Auf die Einführung des Vaters als repräsentative Diskursfigur männlich konnotierter technischer Kompetenz, womit die zweigeschlechtlich differenzierende und hierarchisierende Ordnung aufgerufen wird, erfolgt eine kollektive Inszenierung technikbezogener Hilflosigkeit und Unbeholfenheit. In dieser wird ein klassisches Beziehungs- und Interaktionsmuster zwischen hilfesuchenden Töchtern und beistehenden Vätern aktualisiert und geschlechterstereotype Adressierungen im Diskursfeld Technik und Geschlecht reproduziert. Gleichzeitig mutet die kollektiv praktizierte Darbietung eines stilisierten Weiblichkeitstypus, gekennzeichnet durch technikbezogene Naivität, absichtsvoll übertrieben und dadurch auch auf gewisse Weise parodistisch an, was im (weniger als intendiert zu begreifendem) Effekt den Geltungscharakter der Alltagsnormalität geschlechtlicher Positionierungen innerhalb hegemonialer Diskursordnungen rund um Technik fragwürdig erscheinen lässt (vgl. auch Butler 1995, S. 166). Zunehmend entwickelt die gemeinsame Diskussion dabei eine hohe Eigendynamik, in der sich die Schülerinnen im univok-inkludierenden Diskursmodus mit homologen Erfahrungsberichten und analogen Situationsbe-

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schreibungen regelrecht zu überbieten suchen, über die sich das Gemeinsame im Erfahren weiblicher Subjektivität im Spannungsverhältnis zur männlich besetzen Technikkompetenz konstituiert. Davon zeugt die Intensität der gemeinsamen Bearbeitung erlebter und imaginierter Szenarien, in denen die jungen Frauen männlichen Personen gegenüber im Kontext technischer Problemstellungen in Verlegenheit geraten. Dabei scheint es in den Erzählungen und Beschreibungen der Schülerinnen mitunter fast so, als hätte die Technik ein Eigenleben, als hätte sie sich gegen weibliche Personen verschworen, während sie sich männlichen Personen wie selbstverständlich fügen würde. Deutlich kommen hier normative Erwartungshorizonte zum Ausdruck, die eine bestimmte geschlechtlich strukturierte und hierarchisch organisierte Differenzordnung im Kontext Technik voraussetzen und sich auf implizite Wissensbestände gründen, die hegemoniale Wirklichkeitsvorstellungen konfigurieren. Denn die empfundene Bloßstellung ergibt sich dabei nicht allein daraus, offenbar unnötig (männliche) Hilfe angefordert zu haben, sondern insbesondere aus der Systematik, mit der sich die jungen Frauen in den geschilderten Situationen als different und defizitär erfahren und sich gesellschaftliche Vorurteile zu bestätigen scheinen. So lässt die Nachdrücklichkeit, mit der die jungen Frauen durch wiederholte Hervorhebung ›Peinlichkeit‹ zum zentralen Thema der gemeinsamen Bearbeitung machen, auf die hohe kontextbezogene Bedeutsamkeit im kollektiven Erleben weiblicher Subjektivität innerhalb der zweigeschlechtlichen Ordnung schließen. Auch ist anzunehmen, dass es dabei durchaus relevant ist, dass die gemeinsame Diskussion konkret um das Artefakt Auto kreist und ein Bezug auf andere Alltagstechnologien nicht unbedingt auf die gleiche Weise verhandelt werden würde. Denn das Auto ist nach wie vor männlich konnotiert bzw. sind ihm starke, wenn auch nicht ungebrochene männlich konnotierte symbolische Repräsentation inhärent (vgl. Connell 2000b, S. 22f.; Nölleke 1998, S. 39; Schönhammer 1999, S. 141ff.; Vobker 2016, S. 19f., 77ff.; 401ff.),34 denen sich junge Frauen mitunter identifizierend annähern, wie an späterer Stelle der Analyse noch herausgestellt wird (vgl. Kapitel 8.4). Dabei kommt dem Auto in jugendkulturellen Technikbezügen u.a. auch eine wichtige Funktion im Rahmen der Verselbständigung zu (vgl. Tully 2003, S. 128; Vobker 2016, S. 187), die hier im Spannungsverhältnis zur geteilten Erfahrung von Abhängigkeitsverhältnissen männlich attribuierter Technikkompetenz steht.

34 Eine ausführliche empirische Analyse der vielfältigen Bedeutungsdimensionen, die dem Automobil im Zusammenhang mit Geschlecht insbesondere im Kontext jugendbezogener Subkulturen zukommt, findet sich in der Arbeit von Marc Vobker (2016).

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8.3.5 Zusammenfassung Die voranstehende Diskussionsanalyse geschlechtshomogener Gruppen mit Schülerinnen verdeutlicht, wie die jungen Frauen im Kontext der Fragestellung nach technischen Berufen über differierende, teils konkurrierende Entwürfe weiblicher Identitätskonstruktionen Stellung beziehen und diese dabei selbst zum Gegenstand der gemeinsamen Verhandlung machen. Dabei sind die Positionierungen der jungen Frauen mitunter von starken Ambivalenzen und Widersprüchen gekennzeichnet, in denen diskursiv vermittelte normative Anforderungen an geschlechtliche Identitäten mit einer gegenwartsbezogenen Semantik um die autonome Souveränität eines authentischen Selbst zu konkurrieren scheinen. So begreifen sie sich als autonomsouveränes ›Ich‹, das in den jeweiligen (beruflichen und berufsrelevanten) Interessen seinen authentischen Ausdruck findet. In diesem Selbstverständnis wird ein Einfluss normativer Vorgaben und gesellschaftlicher Konventionen abgestritten, was im Allgemeinen auf breite Zustimmung unter den jungen Frauen stößt, wirkt diese Darlegung doch ausgleichend auf die ansonsten eher divergierenden Orientierungen. Doch zeugen die vielfach legitimatorischen Erzählstrukturen der Schülerinnen von der Relevanz der in dominanten Geschlechterdiskursen eingeschriebenen Normen und Konventionen, zu denen sich die Schülerinnen im Spannungsfeld von Identifikation, Transformation und Subversion ins Verhältnis setzen. Oftmals folgen die Argumentationslinien dabei vordergründig insofern keiner zweigeschlechtlichen Systematik, als dass alternative Weiblichkeitsentwürfe als nicht vermännlichend gedeutet werden und damit die Intelligibilität des Subjektstatus infrage gestellt werden würde. Vielmehr loten die Schülerinnen in der gemeinsamen Auseinandersetzung den Normalitätsbereich im Binnenverhältnis vorherrschender Weiblichkeitsdiskurse aus. Einerseits werden dabei Beharrungstendenzen hinsichtlich traditioneller Identitätskonzepte sichtbar, die sich über die Abgrenzung von Technik definieren, während andererseits ebenso Momente der Verschiebung und Transformation zugunsten einer Annäherung an ein technikintegratives Selbstverständnis weiblicher Subjektivität erkennbar werden. In diesem Wechselspiel von Positionierung und Gegenpositionierung nehmen die jungen Frauen bestätigend und abgrenzend Bezug auf kulturelle Repräsentationen und etablierte Darstellungsweisen weiblicher Identität, die als positive und negative Gegenhorizonte der jeweiligen Selbstbeschreibungen fungieren. Doch ungeachtet dessen, ob die Schülerinnen damit verbundenen geschlechtsbezogenen Adressierungen bestätigend, abwehrend oder subversiv begegnen, ist es für sie unausweichlich, auf diese zu verweisen und implizit die in der hegemonialen Diskursordnung eingeschriebene Norm geschlechtlicher Binarität zu zitieren und damit gleichsam zu reproduzieren. Dies zeigt sich etwa an der dualistischen Gegenüberstellung von Spielzeugen wie Autos und Puppen, die im Zuge der Diskussion um kindliche Spielinteressen

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als originärer Ausdruck geschlechtlicher Identität mehrfach aufgerufen werden. Denn diese wie auch andere Spielzeuge transportieren geschlechterstereotype Adressierungen, die kindheitsbezogene Sozialisationsprozesse normativ rahmen (vgl. Vobker 2016, S. 19f.) und in den Erzählungen der Schülerinnen aktualisiert, aber auch variiert werden. Denn die jungen Frauen können auch hier nicht umhin, diese aufzurufen und zwar unabhängig davon, ob sie ein bestätigendes oder alternatives Spielinteresse schildern. Dabei sind Kinderspiele als sozialisatorische Erfahrungen zu begreifen, über die sich geschlechtliche Positionierungen innerhalb der binären Ordnung festigen, indem sie sich in das »biographische Gedächtnis« (Hirschauer 1994, S. 683, Hervorh. i.O.) einschreiben und – wie die voranstehende Analyse aufzeigt – auch die beruflichen Orientierungen der Subjekte rahmen (vgl. auch Villa 2011, S. 130). Derweil verweist die wiederkehrende Bezugnahme auf den eigenen Vater darauf, dass ihm die jungen Frauen grundsätzlich im Zusammenhang mit der eigenen Haltung gegenüber Technik bzw. technischen Berufen verstärkt Relevanz beimessen. Selbstverständlich verkörpert er in den Erzählungen und Schilderungen Technikinteresse und Technikkompetenz, von der sich die jungen Frauen abzugrenzen oder der sie sich anzunähern suchen. Zeitweilige Identifizierungen bergen folglich die Möglichkeit, die hegemoniale Geschlechterordnung zu unterlaufen, denn sie können dazu anregen die Vorstellung möglicher Identitätsentwürfe zu erweitern (vgl. Fritzsche 2011, S. 72). Immer wieder deutlich wird die Aktualisierung des binären Geschlechtercodes auch am Beispiel der affirmativen Selbstklassifizierung als ›typisches Mädchen‹, mit der sich die Schülerinnen explizit als weibliche Subjekte innerhalb der hegemonialen Diskursordnung positionieren und zudem in Prozessen von ›doing femininity‹ bzw. ›doing difference‹ Geschlechterdifferenz dramatisieren und naturalisieren. Dabei kommt in der Selbstverständlichkeit, mit der stillschweigend davon ausgegangen wird, dass ein betont an klassischen Weiblichkeitsnormen orientiertes Selbstverhältnis den kategorischen Ausschluss einer technischen Berufswahlorientierung plausibilisiert, der normative Geltungscharakter der diametralen Bedeutungssetzungen von Weiblichkeit und Technik innerhalb der symbolischen Geschlechterordnung des zweigeschlechtlichen Systems zum Ausdruck. So ist diese Form der Selbstbezeichnung eben nicht als Ausdruck eines authentischen Selbst zu begreifen, sondern als gesellschaftlich konstruiertes und normativ gerahmtes Identifizierungsmuster auf der Grundlage kollektiv geteilter Sinnkonstruktionen, dem sich die Subjekte zwar annähern, jedoch aufgrund der Vielfalt und Komplexität menschlicher Seinsweisen keinesfalls vollständig und dauerhaft entsprechen können (vgl. Butler 2001, S. 15f.). Demnach sind die sich selbst bezeichnenden Schülerinnen keine ›typischen Mädchen‹, sondern sie nehmen diese Diskursposition zeitweilig ein und werden als solche verständlich, indem sie die daran gebundenen Bedeutungen im Zuge diskursiv praktizierter, offensiver Selbstinszenierungen in

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Form ritualisierter Darstellungsroutinen intelligibler Weiblichkeit aufrufen und bestätigend fortschreiben, aber auch zurückweisen und infrage stellen. Wie in der Analyse der aufgeführten Sequenzen deutlich wird, erweist sich die performative Dimension weiblicher Geschlechtsidentität insofern als handlungsermöglichend, als dass sie strategisch dazu befähigt, widersprüchliche Anrufungen gegenwartsbezogener MINT-Diskurse, die die Fragestellung nach technischen Berufen unweigerlich übermittelt und die mit etablierten Weiblichkeitsnormen konfligieren, zurückzuweisen und damit die Kohärenz der eigene Identität komplikationslos sicherzustellen. Auch im umgekehrten Falle einer vorhandenen technischen Berufswahlorientierung zeigt sich, dass das kohärente Verhältnis zwischen beruflicher und geschlechtlicher Identität durch ein alternatives Selbstverständnis in Abgrenzung zu konventionellen Weiblichkeitskonzepten restabilisiert und durch variierende Wiederholungen der Bereich anerkennbarer Identitätspositionen erweitert werden kann. Somit sichert die Selbstbezeichnung als ›typisches Mädchen‹ bzw. ›nicht-typisches Mädchen‹ die Anerkennbarkeit weiblicher Identitätspositionen im Schnittfeld der Diskurse um Technik und Geschlecht, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Damit wird deutlich, dass die Regelhaftigkeit hegemonial diskursiver Ordnungen nicht nur einschränkend wirken, sondern durch variierende Wiederholungen der in dominanten Geschlechterdiskursen eingeschriebenen Normen und Konventionen in performativen Akten der Selbstinszenierung »die Behauptung alternativer Gebiete kultureller Intelligibilität ermöglichen, d.h. neue Möglichkeiten für die Geschlechtsidentität eröffnen« (Butler 2014, S. 213). An anderer Stelle fungiert das geteilte Wissen um geschlechterstereotype Zuschreibungen technischer (In-)Kompetenz, die in negativen Vorurteilen gegen Frauen und Technik plakativ zum Ausdruck kommen als effektives Diskursmittel zur Darstellung des Kollektiven auf der Grundlage weiblicher Geschlechtszugehörigkeit. Hierbei geht es jedoch weniger um die Inszenierung weiblicher Identität vor der Kontrastfolie männlich codierter Technik als vielmehr um eine bestimmte Art und Weise, wie sich die Schülerinnen unter Bezugnahme auf normative Vorgaben als junge Frauen im Verhältnis zu Anderen und der Welt selbst erfahren, sich wahrnehmen und interpretieren und in habitualisierten Praktiken kollektiv präsentieren. Mit diesem Beispiel lässt sich besonders anschaulich der Prozess der Subjektwerdung verdeutlichen, in dem sich Individuen durch die Annahme machtvoller Adressierungen als (geschlechtliche) Subjekte konstituieren und damit verbunden Identitätspositionen hervorbringen (vgl. Jäckle et al. 2016, S. 86; Mecheril und Plößer 2012, S. 127; Villa 2011, S. 58f.). Indem sich die Schülerinnen dabei als ratlose, unbeholfene und ›beschämte‹ junge Frauen in Gegenüberstellung zu einem scheinbar natürlichen Technikverstand männlicher Beteiligter erleben, reproduziert sich die asymmetrische und hierarchische Geschlechterordnung innerhalb des Technischen. Damit wirken die jungen Frauen selbst als (Re-)Produzentinnen normativer Vorstellungen von der Unvereinbarkeit von Weiblichkeit und Technik, über die

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sich eine bestimmte Form sozialer Wirklichkeit (re-)konfiguriert. Die männliche Codierung von Technik fungiert dabei als wirkungsvolle Kontrastfolie ritualisierter Darstellungsweisen weiblicher Identität und kommt im zirkulären Prozess gleichsam in ihnen zur Geltung. Die Geschlechtskonformität dieser Positionierung wird somit als ein Gemeinschaftsprodukt performativer Anrufungen und habitualisierter Darstellungspraktiken geschlechtlicher Identität erkennbar (vgl. auch Fritzsche 2011, S. 64). In diesem Zusammenhang kann in Anlehnung an Butler (1995) die Funktionalität der symbolischen Verwobenheit der Diskurspositionen von Männlichkeit und Technik im System normativer Zweigeschlechtlichkeit als eine Art ›konstitutives Außen‹ (vgl. ebd., S. 23) beschrieben werden, das im Zuge der performativen Hervorbringung einer hegemonialen Form intelligibler Weiblichkeit verworfen wird. Aus einem dekonstruktivistischen Blickwinkelt scheint es dagegen nach wie vor weit weniger denk- oder sagbar zu sein, sich ohne weitere Umstände als ebenso selbstverständlich weiblich wie technikaffirmativ zu entwerfen, auch wenn – und das wird in der voranstehenden Analyse immer wieder deutlich – das Prinzip der Polarisierung von Weiblichkeit und Technik nicht (mehr) ungebrochen fortbesteht, sondern aus den Reihen der Schülerinnen im Rahmen der Gruppendiskussionen immer wieder hinterfragt und teils vehement bestritten wird. Hier zeichnet sich ein Wandel im Selbstverständnis junger Frauen ab, die in Anbetracht einer wahrgenommenen Diskrepanz zwischen ihren alltagsweltlich erlebten Technikkompetenzen und deklassierenden stereotypen Zuschreibungen in Abhängigkeit zum situativen Kontext nicht (mehr uneingeschränkt) defizitorientierte Adressierungen annehmen, sondern sich subversiv positionieren und damit die Legitimität der bestehenden Machtverhältnisse im Diskursfeld Technik und Geschlecht anfechten.

8.4 LOKALE MÖGLICHKEITSRÄUME FÜR ALTERNATIVE IDENTITÄTSENTWÜRFE IM SPANNUNGSFELD VON TRADITION, TRANSFORMATION UND SUBVERSION Die vorangegangenen Abschnitte zeigen, wie die Schülerinnen in der Diskussion um technische Berufe vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Anforderungen mit Anerkennung ausgestattete Subjektformen im Diskursfeld Technik und Geschlecht verhandeln. In den Positionierungen der jungen Frauen werden dabei Ambivalenzen und Widersprüche ersichtlich, die im Kontext sich überschneidender Diskurse zu betrachten sind, die durch die Fragestellung unweigerlich aktiviert werden. Wie die Analyse zeigt, bilden häufig technische Artefakte, wie Computer oder insbesondere auch Autos, den alltagsweltlichen Bezugshintergrund, vor dem die Schüler*innen sich mit Technik bzw. technischen Berufe auseinandersetzen. Während Berufe in

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den Bereichen Informatik, Elektro- und Computertechnik nahezu übereinstimmend abgelehnt werden, entzünden sich am (beruflichen) Feld der Kfz-Mechatronik, vornehmlich in geschlechtshomogenen Gruppen mit Schülerinnen, kontroverse Debatten um beruflich-geschlechtliche Identitätsentwürfe. Anzunehmen ist, dass die Relevanzsetzung der beforschten jungen Frauen bezüglich Autos und Kfz-Technik im Zusammenhang mit der historisch gewachsenen Bedeutung zu sehen ist, die dem Automobil in westlichen Gesellschaften zukommt.35 Denn wie bereits in der vorangegangenen Analyse angeklungen, ist das Auto ein nahezu allgegenwärtiges, männlich konnotiertes Techniksymbol, über das – bspw. in Form von Spielzeugartikeln – geschlechterstereotype Adressierungen transportiert werden, die bereits in kindheitsbezogenen Sozialisationsprozessen ihre Wirkmächtigkeit entfalten (vgl. Vobker 2016, S. 19f., 354; Kapitel 8.2). Des Weiteren kommt dem Auto eine wichtige Funktion im Rahmen adoleszenter Verselbständigungs- und Identitätsbildungsprozesse zu. So stellt bspw. der Erwerb des Führerscheins in westlichen Gesellschaften eine Statuspassage dar, die den Übergang zur Volljährigkeit und Teilhabe am Erwachsenenleben markiert (vgl. Liebsch 2012, S. 211; Schönhammer 1999, S. 151; Vobker 2016, S. 160). Neben Mobilitätsaspekten, die eine erweiterte Aneignung öffentlicher Räume für jugendkulturelle Inszenierungen bedingen (vgl. Grell und Waldmann 1999, S. 157ff.; Tully und Schulz 1999, S. 23f.), ist das Auto- oder auch Motorradfahren überdies mit einem sinnlich-leiblichen Körpererleben und dem Erfahren eigener Grenzen verbunden (vgl. Nölleke 1998, S. 42; Schönhammer 1999, S. 142; Vobker 2016, S. 132ff., 151f.). Damit einher gehen symbolisch-kulturelle, traditionell männlich konnotierte Repräsentationen wie Freiheit und Unabhängigkeit, Kraft und Dynamik, die jugendlichen Autonomiebestrebungen entgegenkommen und deren Aneignung im Rahmen adoleszenter Identitätsarbeit somit auch für junge Frauen reizvoll sein kann. Es stellt sich die Frage, inwiefern derart positiv besetzte und kollektiv geteilte Bedeutungszuschreibungen auch in den thematischen Verhandlungen des beruflichen Feldes der Kfz-Technik im Rahmen der Gruppendiskussionen eine Rolle spielen. Dabei zeigt die folgende Analyse, dass die beforschten jungen Frauen mit diesem Berufsbereich überwiegend den technisch-handwerklichen und dabei männlich dominierten Ausbildungsberuf Kfz-Mechatroniker*in assoziieren, den sie u.a. als körperliche und schmutzige Arbeit in einer Werkstatt begreifen. Während für manche der Schülerinnen die Vorstellung einer solchen Tätigkeit Attraktivität besitzt, grenzen sich an35 Die Entstehungsgeschichte des Autos ist von Anbeginn an von Geschlechterideologien geprägt, die sich in der bis heute primär männlich besetzten Sphäre rund um Autos, Autofahren und Kfz-Technik manifestieren (vgl. Vobker 2016, S. 94ff.). Indes ist eine Expansion des Automobils in westlichen Gesellschaften ab den 1950er- und 1960er-Jahren zu verzeichnen, durch die sich das Auto als selbstverständlicher Bestandteil der Alltagswelt etablierte (vgl. Tully und Schulz 1999, S. 15ff.).

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dere vehement davon ab. Daher gilt es im Weiteren den Blick dafür zu schärfen, wofür Kfz-Technik bzw. Kfz-Berufe stehen und wie sich die jungen Frauen im situativen Kontext hierzu ins Verhältnis setzen. 8.4.1 »… voll die Knochenarbeit« Der folgende Diskussionsausschnitt stammt aus der gleichgeschlechtlichen GruppeH mit 14- bis 16-jährigen Schülerinnen, deren berufliche Selbstkonzepte (noch) weitestgehend ungefestigt erscheinen. So werden von den jungen Frauen im Laufe der Diskussion weniger konkrete Berufsvorstellungen verhandelt als vielmehr unterschiedliche berufliche Zukunftsentwürfe imaginiert und erörtert, wobei das Berufsfeld Technik ausgespart bleibt. Anknüpfend an die vorangegangene Diskussion im eigenen Relevanzbereich führt die Interviewerin daher in der Phase des exmanenten Nachfragens das Thema ›Technikberufe‹ ein: I:

Und könntet ihr euch auch für eure Zukunft so technische Berufe vorstellen?

Ava:

Hm, nein [((lacht))]

Caja:

[Hmhm. ]

Frederike: ((lacht)) Bonny:

Hmhm.

I:

Warum nicht?

Bonny:

Mach ich mich schmutzig und ich hasse das ((lacht)) …

Caja:

((lacht))

Bonny:

((lacht)) … wenn ich nach der Arbeit schmutzig bin [((lacht)).]

Dolores:

[Okay,

] ich würde voll

gerne Tischler sein, ((räuspert sich)), weil ich das irgendwie (unv.) finde, so, ähm, ja, keine Ahnung, ich find das irgendwie Hammer, so tech-, also mit Holz so zu arbeiten, aber sonst nicht. Elisabeth: Da muss man auch voll gut Mathe können. Caja:

Aber jetzt [hast du hier …]

Dolores: Caja:

[Ist doch egal. ] ((lacht)) … ähm … ((mehrere lachen))

Dolores: … Kann man ja alles nachholen. ((lacht)). Caja:

… z.B. jetzt Harri, ne, der will, der macht jetzt Kfz-Mechatroniker und ich find, das ist, das ist, also es gibt ja eigentlich keine Jungen-, Mädchenberufe, aber SO was, das machen eigentlich …

Elisabeth: Nur Jungs. Caja:

… nur Ju-, und ja, das INTERESSIERT einfach nicht.

Bonny:

Hm, [das ] ist mir irgendwie zu langweilig …

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Elisabeth:

[Nee.]

Bonny:

[… und so.]

Caja:

[Das ist,

Bonny:

So niveaulosmäßig. [((lacht))]

] ja.

Caja:

[Ja genau.] ((mehrere lachen))

Bonny:

Und ich kann mir Besseres vorstellen, als in ner Werkstatt zu arbeiten, weil man

Caja:

Ja.

muss sich irgendwie nämlich nur anstrengen und so schwere Sachen tragen. Frederike: Ja. Bonny:

Und ja.

Caja:

Ist dann auch voll die Knochenarbeit, ne.

Frederike: [Hmhm.] Ava:

[Drehen,] schrauben [(unv.)

Caja:

]

[Ja. ((lacht))] ((mehrere lachen))

Auf die Frage der Interviewerin hin deutet Ava an nachzudenken (»Hm«), um dann kurz und entschieden zu verneinen. Damit reagiert sie abwehrend auf die geschlossen formulierte Fragestellung, die keinen Anreiz zum Erzählen generiert, sondern vielmehr eine Ja/Nein-Antwort herausfordert. Indes lässt Avas Lachen vermuten, dass ihr die Intention der Interviewerin, mehr über die Haltung der jungen Frauen zu technischen Berufen zu erfahren, durchaus bewusst ist. Indem sie jedoch schlicht verneint, ohne ihre Antwort von sich aus näher zu erläutern und damit den Diskurs vor dem Hintergrund der missglückten Fragestellung zunächst verweigert, positioniert sie sich in gewisser Weise machtvoll gegenüber der durch die Fragestellung transportierten Anforderung im Sinne aktueller MINT-Diskurse, die jungen Frauen eine technische Berufswahlorientierung nahelegen. Caja und Bonny legitimieren Avas Verneinung durch ratifizierende Validierung (zwei Mal »Hmhm«). Die Interviewerin fragt noch einmal explizit nach den Gründen für die Ablehnung (»Warum nicht?«). Im Gegensatz zu anderen, zuvor von der Gruppe selbst eingebrachten Berufsvorstellungen, wird die Ablehnung technischer Berufe mit dieser Nachfrage erklärungsbedürftig und in der Konsequenz ein gewisser Rechtfertigungsdruck erzeugt. Somit erscheint es vor dem Hintergrund der implizit mitschwingenden MINT-Diskurse nicht (mehr) ohne Weiteres legitim, als junge Frau technische Berufe kategorisch auszuschließen.36 Nun reagiert auch Bonny eher ab-

36 Dass dies nicht nur auf der konkreten Interaktionsebene zwischen Forscherin und Beforschten im unmittelbaren situativen Kontext des aufgeführten Diskussionsausschnitts, sondern prinzipiell der Fragestellung anhaftet, zeigen die wiederkehrend legitima-

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wehrend mit der verallgemeinernden Begründung, dass sie sich bei der Ausübung einer technischen Tätigkeit »schmutzig« machen würde, wobei sie ihrer Abscheu deutlich Ausdruck verleiht und damit indirekt zum Ausschlusskriterium erklärt (»ich hasse das, wenn ich nach der Arbeit schmutzig bin«). Ihr Lachen, in das auch Caja einstimmt, lässt darauf schließen, dass es sich hierbei eher um ein Scheinargument handelt als um eine sachliche Aussage. Die Orientierung an einer gepflegten äußeren Erscheinung stimmt dabei mit normativen Anforderungen an allgemein anerkannte Formen körperbezogener Darstellungsweisen weiblicher Geschlechtsidentität überein, die hier als Differenzmarkierung für eine als angemessen angesehene Berufswahl mobilisiert werden. Mit einer verzögernden Interjektion, in der auch gewisse Zweifel an der Gemeinsamkeit der Orientierung zum Ausdruck kommen (»Okay«) leitet Dolores eine Elaboration in Form einer antithetischen Differenzierung ein, in der sie ihren persönlichen Wunsch äußert »Tischler« sein zu wollen. Durch die selbstverständliche Verwendung der männlichen Berufsbezeichnung reproduziert sie unhinterfragt das vergeschlechtlichte Berufsbild. Auch wenn sie den von Caja aufgeführten Aspekt des Sich-Schmutzig-Machens nicht noch einmal explizit aufgreift, scheint sie daran anzuknüpfen und das Tischlerhandwerk als einen dennoch attraktiven Beruf herauszustellen. Warum sie diesen Beruf »voll gerne« ausüben würde, scheint ihr erst einmal schwer zu fallen, zu erläutern (»irgendwie«, »keine Ahnung«). Zunächst deutet sie an, sich begeistert über mögliche technische Aspekte des Berufes äußern zu wollen (»ich find das irgendwie Hammer, so tech-«), doch bricht sie ab und fährt stattdessen damit fort, die Arbeit mit dem Material »Holz« als positiven Anreiz herauszustellen. Vorstellbar ist, dass sie bei näherer Überlegung den Tischlereiberuf als wenig technisch klassifiziert und daher den entsprechenden Gedanken nicht weiter ausführt. Auch könnte sein, dass sie es durch die positive Hervorhebung einer handwerklichen Beschäftigung mit dem Naturwerkstoff Holz vermeidet, sich oppositionell zur vornehmlich ablehnenden Haltung der Gruppe gegenüber technischen Berufen zu positionieren. Auf letzteres deutet ihre abschließende Verneinung hin (»aber sonst nicht«), in der sie die Ablehnung anderer Berufe, die im erweiterten Sinne als technisch bezeichnet werden könnten, deutlich macht. Elisabeth knüpft an Dolores an und verweist darauf, dass der Beruf »Tischler« ausgesprochen gute mathematische Fähigkeiten erfordere (»Da muss man auch voll gut Mathe können«). Caja beginnt mit einem Einwand, wird jedoch von Dolores unterbrochen, die den von Elisabeth herausgestellten mathematischen Anforderungen keine Bedeutung beimisst (»Ist doch egal«), woraufhin mehrere Schülerinnen lachen. Dolores ist davon überzeugt, dass es möglich ist, sich fehlende mathematische Kenntnisse nachträglich anzueignen (»Kann man ja alles nachholen«). Hier torischen Argumentationsmuster der jungen Frauen auch in weiteren Gruppendiskussionen.

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wird die wiederkehrende assoziative Verknüpfung von technischen mit handwerklichen Berufen deutlich sowie die vorherrschende Ansicht, dass gute Mathematikleistungen eine zentrale Voraussetzung in diesem Bereich darstellen. Doch im Unterschied zu anderen Gruppendiskussionen, wird letzteres zwar als mögliche Hürde angemerkt, jedoch nicht als grundsätzliches Ausschlusskriterium geltend gemacht. Doch zeigt die Art und Weise, wie dieser Aspekt thematisiert wird, dass die Gymnasiastinnen ihre eigenen mathematischen Kenntnisse für nicht ausreichend erachten, ungeachtet dessen, ob dies zutrifft oder nicht. Als Gegenentwurf zum Tischlereiberuf, dem zumindest eine gewisse Attraktivität zugemessen wird, bringt nun Caja eine antithetische Differenzierung ein, indem sie exemplifizierend auf eine offenbar allen Diskutantinnen bekannte männliche Person namens Harri verweist, die aktuell als Kfz-Mechatroniker arbeite. Dass sie erst dazu ansetzt, etwas über Harris Absichten auszusagen, sich dann korrigiert und von einer ausführenden Tätigkeit spricht (»der will, der macht jetzt«), legt die Vermutung nahe, dass es sich hier um einen ehemaligen Mitschüler handelt, der sich inzwischen in der Berufsausbildung befindet. Etwas stockend fährt Caja fort, ihre Ansicht über diesen Beruf darzulegen (»ich finde, das ist, das ist, also«) und führt dann ihre grundsätzliche Überzeugung an, dass es »eigentlich keine Jungen-, Mädchenberufe« gibt. Das »eigentlich« verweist auf eine eingeschränkte Gültigkeit dieser Aussage, denn das Berufsfeld Kfz-Mechatronik stellt für Caja offenbar sehr wohl eine Ausnahme von dieser Regel dar (»aber SO was, das machen eigentlich«). Elisabeth spricht den Satz für Caja mit dem Einwurf »[n]ur Jungs« zu Ende. Wie mit den Formulierungen »Jungen-« und »Mädchenberufe« deutlich wird, dreht sich die thematische Bearbeitung hier weniger um die geschlechtersegregierte Strukturierung des Arbeitsmarktes, sondern um die in absehbarer Zeit anstehende Berufswahlentscheidung der eigenen Referenzgruppe Gleichaltriger. Zugleich wird eine Inkongruenz zwischen der gesellschaftlich vorherrschenden Semantik über die formalisierte Norm beruflicher Gleichstellung und der Wahrnehmung und Einschätzung der hier diskutierenden Schülerinnen deutlich. Caja bestätigt (»nur Ju-, ja«) und unterstreicht diese Ansicht noch einmal durch die generalisierende Feststellung, dass dieser Beruf nicht »INTERESSIERT«. Indem sie stellvertretend für die Gruppe junger Frauen spricht, erzeugt sie einerseits ein Kollektiv und verleiht ihrer Aussage andererseits den Stellenwert des Faktischen und Normativen. Denn es geht hier scheinbar weniger um das Interesse bzw. Nicht-Interesse der Schülerinnen, sondern eher um eine qualitative Bewertung des Berufs, mit der Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erhoben wird (»das INTERESSIERT einfach nicht«, Hervorh. M.S.). Damit wird der Beruf Kfz-Mechatroniker*in als nicht von Interesse und damit auch als nicht von Bedeutung markiert und folglich außerhalb des Relevanzbereichs der eigenen Gruppe situiert. Bonny spricht dagegen nach kurzem Zögern (»Hm«) von sich persönlich und erklärt, dass ihr dieser Beruf »zu langweilig« erscheint. Worauf sich diese Ein-

330 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

schätzung gründet, bleibt dabei undifferenziert (»irgendwie […] und so«). Auch Elisabeth äußert sich ablehnend (»Nee«), während Caja noch einmal zu einer Feststellung ansetzt und letztlich Bonny zustimmt (»Das ist, ja«), die wiederum ergänzend mit einer abwertenden Klassifizierung des Berufs Kfz-Mechatroniker*in als intellektuell anspruchslos anschließt (»So niveaulosmäßig«). In ihrem abschließenden Lachen mag sich eine leichte Unsicherheit hinsichtlich der unverhohlenen Deklassierung dieses Berufsstandes abzeichnen. Doch legitimiert Caja Bonnys Ansicht, indem sie diese nachdrücklich bestätigt (»Ja genau«), woraufhin mehrere einvernehmlich lachen. Daraufhin fährt Bonny fort, ihre Ansichten dahingehend zu erläutern, dass sie sich »Besseres vorstellen [kann], als in ner Werkstatt zu arbeiten«, denn ihrer Überzeugung nach ist diese Arbeit durch fortwährende Anstrengung und körperliche Belastung gekennzeichnet (»weil man muss sich irgendwie nämlich nur anstrengen und so schwere Sachen tragen«). Caja und Frederike stimmen Bonnys Argumentation zu und Caja unterstreicht diese noch einmal damit, dass es sich bei der Kfz-Mechatronik um körperliche Schwerstarbeit handele (»voll die Knochenarbeit«). Frederike ratifiziert validierend (»Hmhm«) und Ava führt im Anschluss an ihre Vorrednerinnen exemplifizierend konkrete Tätigkeiten in Form von »[D]rehen« und »[S]chrauben« auf. Caja stimmt noch einmal zu und erneut wird gemeinsam gelacht. Deutlich zeigt sich hier eine Abgrenzung von einer handwerklichen (Berufs-) Tätigkeit, die in der Wahrnehmung der Gymnasiastinnen primär durch Körperanstrengungen gekennzeichnet ist und die als bildungsfern und intellektuell anspruchslos klassifiziert wird, was aus der Perspektive der jungen Frauen offenbar in Bezug auf (männliche) Mitschüler keine vergleichbare Rolle spielt. Aus einer intersektional ausgerichteten Perspektive wird eine Überkreuzung normativer Erwartungen an eine für angemessen befundene Berufstätigkeit für bildungsprivilegierte Frauen erkennbar, als Moment sozialer Differenzierung in Prozessen von ›doing femininity‹ und ›doing class‹. Denn eine körperliche und mit Schmutz verbundene Tätigkeit steht im Widerspruch zu hegemonialen Weiblichkeitsnormen eines stets anmutigen und gepflegten Erscheinungsbildes (›doing femininity‹), während zugleich durch die Deklassierung des handwerklichen Ausbildungsberufs eine Abgrenzung von der Arbeiter*innenklasse als Angehörige der Bildungselite erfolgt (›doing class‹). Interessant ist auch, dass derartige Einwände keinesfalls im Zusammenhang mit dem Tischler*innenberuf vorgebracht werden, der ebenfalls mit Kraftanstrengungen sowie Staub- und damit Schmutzbelastungen einhergeht. Auch die exemplifizierten Tätigkeiten des Schraubens und Drehens sind auf diesen Handwerksberuf übertragbar. Allein der intellektuelle Anspruch wird hier mit Verweis auf voraussetzungsvolle Mathematikkenntnisse anders gewichtet, während dagegen das erforderliche physikalische Wissen im Beruf der Kfz-Mechatronik von den jungen Frauen nicht aufgezeigt wird. Im Gegensatz dazu werden akademische

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Technikberufe, die den Ansprüchen der jungen Frauen nach einer eher geistig anspruchsvollen und ›sauberen‹ Berufstätigkeit genügen würden, nicht thematisiert. Auf der Interaktionsebene zwischen Forschenden und Beforschten lässt sich an diesem Beispiel ein weiteres Mal aufzeigen, wie sich die jungen Frauen als handlungsmächtige Subjekte positionieren, die geschlechtsbezogene Adressierungen aktueller Frauen-in-die-Technik-Diskurse zurückweisen, indem sie stattdessen auf machtvolle Adressierungen traditioneller Geschlechterdiskurse Bezug nehmen. So wehren die Gymnasiastinnen die wahrgenommenen Anrufungen durch Praktiken des Zitierens und gleichsam Reproduzierens dominanter Weiblichkeitsnormen ab, die sich als eng verwoben mit einer dem Bildungsgrad entsprechenden Erwartungshaltungen an eine spätere Berufstätigkeit erweisen. Denn die Frage nach technischen Berufen wird von den hier diskutierenden Schülerinnen ausschließlich am Beispiel von männlich dominierten Handwerksberufen bearbeitet. Zwar artikulieren die Schülerinnen dabei ein Wissen über die gesellschaftliche Normativität der Nivellierung beruflicher Geschlechtergrenzen (vgl. auch Heintz 2001, S. 12), doch stehen diese Aussageformationen im Widerspruch zu ihrer Alltagswahrnehmung, wonach sich ausschließlich männliche Gleichaltrige für technische Berufe interessieren, mit der Konsequenz, dass diese eindeutig als »Jungsberufe« kategorisiert und abgelehnt werden. Während der Beruf der Tischler*in aufgrund des Werkstoffs Holz noch eine gewisse Attraktivität für einzelne Schülerinnen besitzt, wird der Beruf Kfz-Mechatroniker*in übereinstimmend abgelehnt und dabei als uninteressant und niveaulos deklassiert. Schwer wiegt hierbei die assoziative Verknüpfung mit schmutziger und körperlich strapaziöser (Schwerst-)Arbeit, die im scharfen Kontrast zu normativen Vorstellungen von einer angemessenen (Berufs-)Tätigkeit für Frauen – erst recht für Frauen bildungsnaher Bevölkerungsschichten, als solche sich die Schülerinnen hier wirkungsvoll positionieren. Somit rücken ein weiteres Mal die in hegemonialen Geschlechterdiskursen eingeschriebenen Anforderungen an weibliche Körper ins Zentrum der Verhandlung beruflicher Selbstentwürfe. Im Gegensatz zu anderen Diskussionen, geht es dabei jedoch nicht um die Befürchtung einer (Trans-)Formierung des weiblichen Körpers durch Kraftanstrengungen im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit als Kfz-Mechatronikerin und eine daraus resultierende Bedrohung intelligibler Weiblichkeit (vgl. Kapitel 8.2.3). Vielmehr ist die Vorstellung von Schmutz und körperlicher Anstrengung bei gleichzeitiger intellektueller Unterforderung mit dem geschlechtlich-beruflichen Selbstverständnis der Gymnasiastinnen nicht zu vereinbaren, denen der angestrebte Bildungsabschluss Abitur nahezu uneingeschränkte Berufswahlmöglichkeiten verspricht (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 18; Schneider und Franke 2014, S. 17) und damit etwas »Besseres« in Aussicht stellt als ein Leben, das von kräftezehrender Mühsal durch (Berufs-)Arbeit gekennzeichnet ist. Somit wird als gemeinsames Orientierungsmuster der Gymnasiastinnen das normativ gerahmte Weiblichkeitsideal bildungsprivilegierter Gesell-

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schaftsschichten erkennbar, das sich in Prozessen des ›doing difference‹ – im Sinne von ›doing gender‹ und ›doing class‹ – als Moment diskursiver Erzeugung sozialer Differenz intersektional erschließt. 8.4.2 »Ich wollte früher Kfz-Mechatronikerin werden« Auch die 17- bis 19-jährigen Schülerinnen der Gruppe-E reagieren auf die Frage der Forscherin nach technischen Berufen vehement ablehnend (»Oh Gott«; »Mag ich nicht«; »Oh nee«; »Oh nein«). Anschließend dreht sich die Diskussion kurzzeitig um eigene Technikerfahrungen – bspw. mit Bezug auf den GirlsʼDay oder das Zusammenbauen von Möbeln – woraufhin der Fokus der gemeinsamen Diskussion auf den Bereich der beruflichen Orientierung gerichtet wird. Vor dem Hintergrund eines Wissens um die männliche Überrepräsentanz im Studienfach »Maschinenbau« (»da sind nur Männer«) äußern die jungen Frauen ihre Überzeugung »als Mädchen« aufgrund des Alleinstellungsmerkmals »herausragende Chancen« zu haben. Dies steht im Gegensatz zu der Einschätzung junger Frauen anderer Gruppendiskussionen, die in einem durch Männer dominierten Beruf Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts befürchten (vgl. Kapitel 8.2.3). Hier wird dagegen die verstärkte Sichtbarkeit als Frau in einer Männerdomäne positiv zu einem beruflichen Vorteil (um)gedeutet. Doch wird diese Einschätzung durch den Einwurf »Frauenquote« abgeschwächt, mit dem die wahrgenommenen guten Berufsaussichten für Frauen auf politische Vorgaben zurückgeführt werden. Denn damit wird auf die Tatsache einer steten Benachteiligung von Frauen in männerdominierten Tätigkeitsbereichen verwiesen, die derartige Interventionen von außen überhaupt erst notwendig machen. Auf diese Weise wird die Einschätzung als Frau »herausragende Chancen« zu haben als Aussageformation eines gesellschaftspolitischen Diskurses entlarvt, der darauf zielt, junge Frauen für die Wahl eines technischen Berufs zu motivieren und dabei mögliche negative Aspekte ausblendet. Für den nachfolgende Analyseabschnitt ist insbesondere von Bedeutung, dass die Schülerinnen im Vorfeld das Studienfach »Maschinenbau« thematisieren und damit explizit die Option einer akademischen Berufsqualifizierung im technischen Bereich. In Vorausschau auf die weiteren Ausführungen in diesem Kapitel ist dies dahingehend interessant, als dass viele der beforschten junge Frauen, die ein Interesse für technische Berufe im Bereich Kfz-Technik bekunden, diese Option mit dem Argument zu geringer Verdienstaussichten verwerfen, ohne dabei ein technisches Studium im Bereich Maschinenbau und Fahrzeugtechnik als Schlüssel für den Zugang zu einer höher dotierten Berufstätigkeit in diesem Feld in Betracht zu ziehen (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 198). Im Weiteren wird von der Gruppe-E als konkretes Beispiel einer möglichen Berufstätigkeit eine Anstellung bei Airbus in die Diskussion eingebracht, wobei die

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Vorstellung am Bau eines Flugzeugs beteiligt zu sein, die jungen Frauen fasziniert (»voll der geile Effekt«). Dabei scheinen sie weniger an die ingenieurwissenschaftliche Leistung des Konstruierens zu denken als vielmehr an die technisch-handwerkliche bzw. zusammenbauende Produktionsarbeit der Fertigung (»du hast das selbst so eigentlich mit deinen Händen gebaut«, Hervorh. M.S.). Im Gegensatz zur voranstehenden Sequenz aus der Gruppe-H wird das Interesse der Schülerinnen der Gruppe-E gerade über die Vorstellung geweckt, durch körperliche Arbeit an der Herstellung eines greifbaren technischen Artefakts mit enormen Ausmaßen mitgewirkt zu haben (»das ist so groß und dann steht das nachher vor dir«). Auch dieser Aspekt einer praktischen Tätigkeit in körperlich erfahrbarer Auseinandersetzung mit Technik spielt in den Verhandlungen der jungen Frauen immer wieder eine entscheidende Rolle und wird im Zuge der weiteren Analyse präziser herausgearbeitet. Der folgende Diskussionsausschnitt beginnt mit einer Elaboration, in der die Schülerin Binia von einem konkreten Erlebnis mit einem technisch-handwerklichen Betrieb im Kfz-Bereich zu erzählen beginnt. Im Vorwege ist kurz zu erläutern, dass es sich bei der Gruppe-E um Schülerinnen der gymnasialen Oberstufe einer Art kooperativen Gesamtschule handelt, die Haupt- und Realschule sowie Gymnasium miteinander vereint. Die hier diskutierenden Schülerinnen gehören der gymnasialen Oberstufe an. Insgesamt ist die thematische Diskussion technischer Berufswahloptionen der Gruppe-E durch eine hohe Dynamik und starke Fokussierung gekennzeichnet. So zeugen die sich fortwährend vielfach überlappenden Redebeiträge davon, dass hier Themen im gemeinsamen Relevanzbereich der diskutierenden Schülerinnen verhandelt werden. Binia:

Coleen und ich … warst du auch mit uns, als wir in der, auf der Realschule waren und dann sind wir zu diesem Kfz-[Mechaniker?]

Fadime:

[((lacht)) ]

Coleen:

[Ja, oh mein

] [Gott ey.

Ela:

[Ich wollte früher] [Kfz-Mechatronikerin] [werden.

Binia: Ahsen:

]

[Das war

] [das ist da in S-Stadtviertel]

Was ist mit [dir los? ]

Fadime:

[Was habt] ihr [gemacht?]

Ela:

[Ich liebe ] [Autos. ]

Coleen:

[Das waren] nur Frauen, das waren nur Frauen.

Ela: Coleen: Binia: Coleen:

]

Ich liebe [Autos. ] [Das war] ein Frauenbetrieb von HandwerkermaKfz [so mit ] Autos und so was und … [Ja, mit, ja.]

Binia:

… da waren NUR Frauen …

Coleen:

Aber richtig [geil.

] Ey.

334 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Binia: Coleen: Binia:

[und haben] Ja, [(unv.)

gemacht.

]

[Es, da war ] mir klar, nee …

Coleen:

[((lacht))

Binia:

[Ich konnt noch] nicht mal alleine ((lacht)) en Reifen hochheben oder so

]

Ginette: [Also es war …] Fadime: [((lacht))

]

Ginette: Aber das lernt man [ja. ] Coleen: Ahsen: Coleen:

[Das] war richtig lustig. Also [Reifen hoch-, Reifen hochheben lernst du ((lacht)) …] ]

[Aber (unv.) komm, ganz ehrlich … [((mehrere lachen)) ]

?:

[Ja, äh, äh … ] [((mehrere lachen))]

Coleen:

[(unv.)

] Reifen abmachen, sie hält so, ja, [(unv.)

]

[((mehrere lachen))] ?:

[Nein, aber das ist auch …]

?:

[… da (unv.)

]

[((mehrere lachen))

]

[((mehrere lachen))

Ela:

]

… also das ist etwas, ich wollt auch immer Kfz-Mechatronikerin werden, weil ich liebe Autos, aber es ist auch en Job, [wo du …]

Binia:

[Ich

] liebe Autos auch, aber [ich will

sie fahren.] Ela:

[Da kriegst du

] kaum [Geld … ]

Ahsen:

[Ja.

Ela:

[Und nicht

?: Ela:

] [reparieren.

] ]

[… einfach.] [Nein, also mich interessiert

] das richtig, wie die …

Coleen:

[Aber es wird immer Autos geben.]

Ela:

[… funktionieren

] und wie das da [der Motor

Ginette:

] [und wie das alles läuft.]

[Rennfahrerin.]

Hannah:

[((lacht))

]

Hannah: … ((lacht)) Dann kommts halt in die Werkstatt und dann ist gut. Ela:

Find ich richtig interessant.

Binia bezieht zu Beginn ihrer Erzählung ihre Mitschülerin Coleen mit ein, wobei sie sich bei dieser noch einmal über die Gemeinsamkeit eines bestimmten Erlebnisses rückversichert (»warst du auch mit uns«). Dabei geht es um einen seitens der Schule organisierten Besuch einer Kfz-Werkstatt, der im Rahmen einer Berufs-

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orientierungsmaßnehme37 im Realschulbereich stattgefunden hat. So ist unter dem »uns« bzw. dem »wir« eine nicht näher bestimmte Gruppe beteiligter Mitschüler*innen zu verstehen. Binia verwendet zunächst die männliche Form der Berufsbezeichnung, was zum einen die männliche Codierung des Berufsbildes widerspiegelt, möglicherweise aber auch darauf hinweist, dass der betreffende Betrieb von einer männlichen Person geführt wird (»dann sind wir zu diesem Kfz-Mechaniker?«). Sie scheint sich nicht sicher zu sein, ob die von ihr eingeführte Bezeichnung stimmig ist, worauf die fragende Erhebung ihrer Stimme am Ende dieser Aussage hindeutet. Coleen bestätigt, dass sie bei dieser Aktion dabei war und bringt zugleich durch eine expressive Interjektion eine starke emotionale Reaktion zum Ausdruck (»Ja, oh mein Gott ey«). Ela schließt mit einer Selbstaussage an Binias Redebeitrag an und erklärt, dass sie in der Vergangenheit (»früher«) den Berufswunsch hatte, »Kfz-Mechatronikerin [zu] werden [Erg. M.S.]«. Während Binia erläutert, in welchem Stadtviertel sich der besagte Kfz-Betrieb befand, greift Ahsen Elas Selbstaussage bezüglich ihres ehemaligen Berufswunsches auf und richtet an diese die Frage, was mit ihr nicht stimme. Gerade dadurch, dass diese Frage rhetorisch zu verstehen ist, wird deutlich, dass für Ahsen der Berufswunsch Kfz-Mechatronikerin zu werden ›nicht normal‹ ist und damit Anlass, Ela als abweichend zu markieren. Fadime fragt, an Binia und Coleen gerichtet, bezüglich der Berufsorientierungsmaßnahme nach (»Was habt ihr gemacht?«), während gleichzeitig Ela Ahsens Adressierung damit beantwortet, sich in ein emotional-affirmatives Verhältnis zu Autos zu setzen (»Ich liebe Autos«). Damit positioniert sie sich widerständig gegen die durch Ahsen vermittelte normative Anrufung, sich als Frau nicht für Fahrzeugtechnik zu interessieren. Stattdessen entwirft sie mit der wiederkehrenden Betonung einer emotionalen Bindung an Autos ein alternatives Weiblichkeitskonzept, mit dem sie sich kulturellen Repräsentationen annähert, die in bestimmten Gruppen auch als Konstruktionsmittel einer Form (hegemonial-heterosexueller) Männlichkeit fungieren.38 37 Wie aus Vorgesprächen zur Erhebung bekannt ist, liegt ein zentraler Schwerpunkt dieser Schule auf Maßnahmen zur Berufsorientierung, zu denen auch regelmäßige Exkursionen zählen. 38 Ein emotionales – mitunter gar als libidinös zu bezeichnendes – Verhältnis zu Autos stellt einen kulturell verfestigten Bestandteil stereotyper Zuschreibungen an männliche Identitätskonzepte dar, die sich dabei als stark heteronormativ aufgeladen erweisen. Frauen wird dagegen ein vornehmlich praktischer und wenig emotionaler Bezug zu Autos unterstellt, was normative Vorstellungen von einer männlichen Dominanzkultur rund um KfzTechnik stützt (vgl. Nölleke 1998, S. 36; Schönhammer 1999, S. 145; Vobker 2016, S. 26f., 41, 233). Nach Connell (2000b) ist der Autokult, den bestimmte Gruppierungen von Männern auf unterschiedliche Weise pflegen, ein Beispiel dafür, wie eine ganze Technologie zur Definition von Männlichkeit genutzt wird (vgl. S. 22f.).

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Coleen stellt unterdessen heraus, dass in diesem Betrieb ausschließlich Frauen beschäftigt waren und verstärkt die Eindringlichkeit ihrer Aussage durch Wiederholung (zwei Mal »Das waren nur Frauen«). Sie hat demnach ein Wissen darüber, dass der Bereich der Kfz-Mechatronik zu den einschlägigen Männerdomänen zählt, was einem Betrieb mit »nur Frauen« ein Alleinstellungsmerkmal verleiht und ihn außergewöhnlich erscheinen lässt, wird doch durch ihn die hegemoniale Geschlechterordnung im Berufssystem irritiert. Während Ela erneut ihre Begeisterung zu Autos bekundet (»Ich liebe Autos«), konkretisiert Coleen, dass es sich um einen handwerklichen »Frauenbetrieb« handelte, und Binia hebt ergänzend noch einmal die Kfz-Branche hervor (»Kfz […] so mit Autos und so was«), um anschließend Coleens Aussage zu bestätigen, indem sie ihrerseits betont, dass dort »NUR Frauen« tätig waren (»und haben gemacht«). Colleen bringt deutlich Bewunderung und Faszination für die Arbeit der Kfz-Mechatronikerinnen zum Ausdruck (»Aber richtig geil«), wobei das einleitende »Aber« den Eindruck erweckt, dass die Anerkennung beruflicher Leistung und fachliche Kompetenz von Frauen im Kfz-Bereich nicht selbstverständlich, sondern besonders erwähnenswert ist. So spiegelt sich auch hier die stereotype Zuschreibung technischer Kompetenz an Männer als Ausdruck der hegemonialen Geschlechterordnung im Feld Technik wider. Binia erklärt nun, dass sie durch dieses Erlebnis zu der Erkenntnis gekommen ist (»da war mir klar«), selbst nicht die Voraussetzungen für diesen Beruf zu erfüllen, da sie »nicht mal« in der Lage gewesen sei »nen Reifen hoch[zu]heben [Erg. M.S.]«. Sie scheint noch etwas weiter ausführen zu wollen, doch fällt ihr Ginette ins Wort, die Binias Selbsteinschätzung entgegenhält, dass das Heben von Reifen erlernbar sei (»Aber das lernt man ja«). Derartigen Anforderungen im Vorfeld einer Berufsausbildung nicht zu genügen, stellt für sie demnach keinen adäquaten Grund dar, der gegen eine entsprechende Berufswahlentscheidung spricht. Coleen äußert, dass ihr dieses Erlebnis mit der Kfz-Werkstatt als kurzweilig und anregend in Erinnerung geblieben ist (»Das war richtig lustig«). Es folgt ein kurzer Abschnitt, in dem die Schülerinnen wild durcheinanderreden und sich über das Heben von Reifen als Lernaufgabe im Rahmen der Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin scherzen, was durch allgemeines Gelächter begleitet und größtenteils übertönt wird. Die Dynamik ist an dieser Stelle derart hoch, dass bei der Transkription nur Satzfetzen erfasst werden konnten, deren Zuordnung zu einzelnen Sprecherinnen – wenn überhaupt – nur äußerst vage möglich ist. Anzumerken bleibt, dass die starke Belustigung über die Vorstellung als Frau das Hochheben eines Reifens erst lernen zu müssen, Züge einer parodistischen Übertreibung trägt, die normative Annahmen über geschlechterdifferente Fähigkeiten und Eignungen irritieren, indem sie diese geradezu absurd erscheinen lassen. Ela führt die Diskussion wieder auf eine sachlichere Ebene zurück, indem sie noch einmal auf ihren bereits geäußerten ehemaligen Berufswunsch Kfz-Mechatronikerin verweist, den sie noch einmal mit ihrer Begeisterung für Autos begründet.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 337

Was sie im Gegensatz zu Binia dazu bewogen hat, sich anderweitig zu orientieren, sind die ihrer Ansicht nach unzureichenden Verdienstaussichten (»da kriegst du kaum Geld«). Während das Argument etwas (noch) nicht zu können von den Schülerinnen zur Begründung der Ablehnung eines (technischen) Berufs infrage gestellt wird, stellen die Gehaltsaussichten offenbar ein legitimes Kriterium im Prozess der Berufswahlentscheidung dar, das von Hannah ratifizierend validiert wird (»Ja«). Wie bereits in der Einleitung zu dieser Sequenz angemerkt, wird von Ela die Chance, ihren Berufswunsch mit ihren Erwartungen an ein gehobenes Gehaltsniveau durch eine akademische Berufsqualifizierung in Form eines technischen Studiums in Einklang zu bringen, nicht in Betracht gezogen. Dabei wurde das Studienfach Maschinenbau im Vorfeld bereits von der Gruppe-E im Zusammenhang mit mutmaßlich herausragenden Zukunftsaussichten für Frauen verhandelt, womit auszuschließen ist, dass die Ausblendung der Studienoption an dieser Stelle auf einen Mangel an (Berufs-)Information zurückzuführen ist. Vielmehr deutet sich hier an, dass weniger ein Interesse an der Auseinandersetzung mit der Technologie als solche auf abstrakter Ebene für die jungen Frauen im Vordergrund der Verhandlung steht als Vorstellungen von einer praktischen Beschäftigung im unmittelbaren (Körper-)Kontakt mit dem technischen und dabei symbolträchtigen Artefakt Auto. Indes schließt sich Binia der von Ela geäußerten Vorliebe für Autos an (»Ich liebe Autos auch«), doch steht diese Neigung bei ihr in einem anderen Zusammenhang, wie sie kontrastierend herausstellt. Denn im Gegensatz zu Ela will Binia Autos »fahren« »[u]nd nicht reparieren«, wie Coleen ergänzend einwirft. Binia und Coleen stimmen demnach in ihrem nutzungsorientierten Interesse an Autos überein und setzen diese Haltung Elas Wunsch, sich eingehend mit den Funktionsweisen auseinanderzusetzen, entgegen. Jedoch wendet Coleen sogleich ein, dass es »immer Autos geben« wird und spielt damit auf sichere Zukunftsaussichten für die KfzBranche als einen positiven Aspekt dieser Berufswahloption an. Die Äußerung scheint ein Zugeständnis an Elas einstigen Berufswunsch zu sein, der ausgleichend auf die unterschiedlichen Standpunkte der Schülerinnen wirkt. Währenddessen bekräftigt Ela noch einmal, dass sie sich »richtig«, also ernsthaft für Kfz-Technik »interessiert« und konkretisiert dieses Interesse mit Verweis auf das Antriebssystem des Motors (»wie die funktionieren und wie […] der Motor […] läuft«). Ginette wirft intuitiv »Rennfahrerin« ein, womit sie die gegenläufigen Interessen ihrer Mitschülerinnen an Autos in einer imaginären Synthese zusammenführt. Denn eine »Rennfahrerin« vereint beides, sowohl die Freude am Fahren als auch technologisches Wissen und praxisbezogene Fachkompetenz. Dabei ist der exklusive Status einer »Rennfahrerin« mit einem hohen Sozialprestige verbunden, das nicht zuletzt auch aus der Selbstbehauptung in der Männerdomäne des Motorrennsports resultiert. Damit verbunden sind Attribuierungen wie Selbstvertrauen, Konkurrenzorientierung und Risikobereitschaft, denen – offenbar im Gegensatz zur Kfz-Mechatronikerin – aus Perspektive der jungen Frau etwas Reizvolles und Er-

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strebenswertes anhaftet, auch wenn sie hier eher als Imagination und nicht als realistische Option gehandelt wird. So wird mit dem Bild der »Rennfahrerin« eine Form exklusiver weiblicher Subjektivität aufgerufen, die die hierarchische Geschlechterordnung subversiv unterwandert, dabei unabhängig von konventionellen Anerkennungsversprechen erscheint und damit stilisierte Vorstellungen weiblicher Emanzipation repräsentiert. Doch wird dieses Bild von den Mitschülerinnen nicht aufgegriffen und als gemeinsames Thema verhandelt. Stattdessen wendet sich Hannah an Ela und befindet konkludierend, dass diese »halt in die Werkstatt« kommt, wo es doch ihr Wunsch ist Kfz-Mechatronikerin zu werden, womit sie einen Schlussstrich unter die thematische Verhandlung zieht. Ela bestätig noch einmal abschließend, dass sie diesen Beruf »richtig interessant« findet. Auch in dieser Sequenz verhandeln die jungen Frauen technische Berufe auf der Grundlage des handwerklichen Ausbildungsberufs der Kfz-Mechatronik, während akademische Technikberufe – im Gegensatz zur vorangegangenen Diskussion – keine Berücksichtigung mehr finden. Dies ist dahingehend relevant, als dass aus der Perspektive der angehenden Abiturientinnen mit ihren normativen Erwartungshaltungen an eine spätere Berufstätigkeit die als niedrig befundenen Verdienstaussichten als Ausschlusskriterium hinsichtlich einer technischen Berufswahloption aufgeführt werden und zwar selbst dann, wenn ein ausdrücklicher Berufswunsch in dieser Richtung besteht. Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass die Schülerinnen der Gruppe-E, wie auch Schüler*innen anderer Gruppen, eine starke Orientierung an praktischer Berufstätigkeit und greifbaren Arbeitsergebnissen aufweisen, was eher technisch-handwerkliche Bereiche bieten. Mitzudenken ist jedoch auch, dass die Verdienstaussichten ein allgemein anerkanntes Kriterium im Berufswahlprozess darstellen, das insbesondere vor dem Hintergrund der durch die Fragestellung übermittelten Anrufungen im Sinne von ›Komm mach MINT‹-Diskursen auch dazu dienen kann, diese Adressierungen zu umgehen und so eine kritische Auseinandersetzung mit normativen Anforderungen an eine geschlechtskonforme Berufswahl zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist die Vernachlässigung von technischen Studienfachoptionen, die eine höher dotierte Berufstätigkeit in der KfzBranche ermöglichen würden, gerade nicht auf einen möglichen Mangel an Informationen zurückzuführen, sondern auf eine mehr oder weniger bewusste Strategie, durch die eine Verwerfung technischer Berufswahloptionen auf der Grundlage vermeintlicher Geschlechtsneutralität legitimiert wird. Darüber hinaus deutet sich in dieser Sequenz eine weibliche Aneignung traditioneller Männlichkeitsrepräsentationen in Form einer emotional-affirmativen Verhältnissetzung zum Auto als »klassisches männliches Techniksymbol« (Nölleke 1998, S. 39) an. Auch weibliche Vorbilder im Bereich der Kfz-Mechatronik, die den Schülerinnen in gezielten Berufsorientierungsmaßnahmen im kollektiven Erfahrungsraum Schule näher gebracht werden, finden bei den jungen Frauen Anklang und teils bewundernde Anerkennung, ohne dass deren Weiblichkeit infrage gestellt wird. Doch

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lässt sich keine daraus abzuleitende Identifikation erkennen, die zu einer entsprechenden Berufswahlorientierung führen könnte. Möglicherweis ist dies im Zusammenhang damit zu sehen, dass Kfz-Mechatronikerinnen – zumal, wenn sie die Beschäftigten eines ganzen Betriebes ausmachen – in der Wahrnehmung der jungen Frauen einen Sonderstatus haben, außergewöhnlich sind und damit nicht im Normalitätsbereich verortet werden. Um dazuzugehören scheinen darüber hinaus besondere Leistungsanforderungen an den weiblichen Körper gestellt zu werden, die nicht ohne Weiteres mit dem Fähigkeitsselbstkonzept der jungen Frauen übereinstimmen. Doch wird die Gültigkeit dieses Ausschlusskriteriums aus den eigenen Reihen angezweifelt, was darauf hindeutet, dass Differenzannahmen bezüglich vermeintlicher Leistungsunterschiede geschlechtlich markierter Körper vor dem Hintergrund gegenwartsbezogener Aussageformationen über berufliche Chancengerechtigkeit als normative Anspruchshaltung einer modernen Gesellschaft an Legitimität verlieren. Ungeachtet der gegensätzlichen Haltungen bezüglich des Berufs Kfz-Mechatroniker*in zeichnet sich in dieser Sequenz ab, dass sich die Verhältnissetzung junger Frauen zu Kraftfahrzeugen als Mittel der Distinktion in adoleszenten Identitätsbildungsprozessen hinsichtlich der Frage nach Momenten der Reproduktion und Transformation normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht als aufschlussreich erweisen kann. 8.4.3 »… Automechaniker wär voll cool« Auch die 17- bis 19-jährigen Schülerinnen der Gruppe-k vertreten unterschiedliche Ansichten, wenn es um technische Berufe geht. Im Vorfeld der nachstehenden Sequenz hat die Schülerin Amalia auf die Frage nach Technikberufen vehement abwehrend reagiert (»Nee, GAR nicht, hab ich überhaupt KEINEN Draht dazu«) und erklärt, dass sie zwar mit alltagstechnologischen Geräten wie ihrem »Handy« oder »Laptop« so umzugehen weiß, dass diese ihren persönlichen Anforderungen entsprechen (»dass der macht, was es soll«), wozu auch das Installieren von Programmen gehört (»kann so irgendwas programmieren […], CD einlegen und […], en paar Haken setzen«), aber darüber hinausgehend keinerlei Bezugspunkte zu Technik hat (»dann WAR´S das auch«). Ungeachtet ihrer beschriebenen Fähigkeiten in der Handhabung diverser Alltagstechnologien inszeniert sie sich durch die totalisierende Selbstbezeichnung als »der wandelnde Gendefekt der Technik« effektvoll als technisch inkompetent und weist die durch die Fragestellung transportierte Anrufung, sich für Technik bzw. technische Berufe zu interessieren, zurück. Zugleich positioniert sie sich durch die Selbstreduktion auf die Subjektposition personalisierter Inkompetenz affirmierend zu konventionellen Weiblichkeitsnormen, die den Ausschluss Männlichkeit symbolisierender Technik fordern. Dabei beruft sie sich rhetorisch auf einen »biologischen Determinismus« (Micus-Loos et al. 2016, S.

340 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

192), der keinerlei Verhandlungsspielraum bezüglich ihrer Verhältnissetzung zum Technischen lässt (vgl. ebd., S. 192f.). Im Gegensatz dazu lässt sich ihre Mitschülerin Dana auf die Fragestellung ein und führt im nun Folgenden den Bereich der Kfz-Mechatronik als antithetische Differenzierung in die gemeinsame Diskussion ein: Dana:

Na ja, ich weiß nicht, ob ich das jetzt KÖNNTE, aber ich fänd irgendwie Automechaniker wär voll cool. ((mehrere lachen ))

Dana:

[Also …

] [das …

]

[((mehrere lachen))] [((mehrere lachen))] Bianka: Dana:

[Ja.

]

… würd ich irgendwie SCHON gerne machen, ich weiß, ich denk mal, wenn man das dann lernt und so, ich weiß nicht, ob mir das liegen würde, also aber so was fänd ich schon irgend[wie …]

Carina: Dana:

[Ja. ] … cool, irgend-, also DAS zu machen und so, da kriegt man halt auch nicht wirklich Geld, glaub ich, aber in so ner Werkstatt, so Autos reparieren … [((mehrere lachen))

Dana:

]

[… davon (unv.) ] [((mehrere lachen))]

Carina:

[Also ich fahr … ]

Carina:

[… ja jetzt Motorrad auch] selber und mich intr-, also ich find das eigentlich SO in-

[((mehrere lachen))

]

teressant, also so Auto oder eben auch halt [Motorrad …] Dana:

[Ihr habt ja ] auch ne halbe Werkstatt [((lacht)) zu Hause.] [((mehrere lachen))]

Carina:

Ja, wir haben auch, [wir haben zu Hause auch ganz …]

Carina:

… viele ((lacht)) Motorräder und mein Bruder und mein Stiefpapa, die arbeiten

[((mehrere lachen))

]

DA, die bauen immer an ihren Motorrädern rum und basteln sich da selbst was zusammen [und so.] Dana: Carina:

[((lacht))] Mein Bruder auch aus drei verschiedenen [Motorrädern …]

Dana: Carina: Amalia: Carina:

[((lacht))

]

… EINS [zusammengebaut …] [((lacht))

]

… oder so. Und, also ich find, DAS, so was find ich auch interessant und das MACH ich auch GERNE oder so, ich hab da, helf da auch oft gerne mit oder so,

Dimensionen der Subjektkonstitution | 341

aber jetzt computermäßig oder handymäßig oder irgend so was, DA [bin ich auch f- …] Dana:

[Ja, das ist ein ] ich find, das ist dann langweilig, weil du DANN NUR die ganze [Zeit vor em] [Computer …]

Carina:

[Da

bin

ich] [halt auch … ] Bianka:

[Ja.

]

Dana:

… sitzt und so.

Carina:

Also da bin ich auch jetzt nicht SO da ((lacht)) …

Amalia: ((lacht)) Carina:

… ich kann auch nicht, ich hatte zwei Jahre Informatik oder ein Jahr, ein oder zwei [Jahre.]

Emily:

[Zwei. ]

Carina:

Zwei Jahre Informatik und wir haben gelernt, wie man so ne einfache HTML-Seite programmiert, ich weiß es jetzt NICHT mehr, [gar nicht.

]

[((mehrere lachen))] ((mehrere lachen)) Carina:

Ich kann au NICHT, ich kann noch, noch nicht, noch nicht mal sagen, wie man da ne Überschrift da drauf macht [oder so …]

?: Carina:

[((lacht)) ] … oder die Hintergrundfarbe. Und für so was, also das VERSTEH ich einfach nicht, das, da bin ich auch zu BLÖD für oder keine Ahnung, [so … ]

Amalia: Carina:

[Hmhm.] … computermäßig, ABER halt so am Motorrad oder Auto, da, das interessiert mich eben AUCH und DAS würde mich, macht mir auch [Spaß so.]

Dana:

[Oder so ] alte Autos restaurieren oder so, [das …]

Carina: Dana:

[Ja. ] … wär auch voll cool.

Einleitend bringt Dana ihre Zweifel bezüglich der resoluten Abgrenzung von technischen Berufen zum Ausdruck (»Na ja«) – wie sie ihre Vorrednerin Amalia zum Ausdruck gebracht hat – und führt nun einen Gegenentwurf ein, indem sie sich positiv zum Berufsfeld Kfz-Mechatronik positioniert. Abgesehen von einer Unsicherheit bezüglich der Selbsteinschätzung ihrer derzeitigen Fähigkeiten (»ich weiß nicht, ob ich das jetzt KÖNNTE«), findet sie die Vorstellung »Automechaniker« zu sein äußerst reizvoll (»wär voll cool«). Die männliche Formulierung zeugt hier erneut von der Verinnerlichung eines männlich codierten Berufsbildes, während die Bezeichnung als »cool« im jugendkulturellen Sprachgebrauch auf ein hohes Sozial-

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prestige hindeutet.39 Ihre Gegenpositionierung zu Amalias vorangestellten Identitätsentwurf führt Dana vorsichtig im Konjunktiv formulierend ein, weicht sie doch von normativen Erwartungshaltungen an eine für angemessen geltende Berufswahlorientierung ab, womit ihre Anerkennbarkeit vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Vorgaben auch innerhalb der Gruppe infrage gestellt ist. In dem langanhaltenden Lachen ihrer Mitschülerinnen kommt eine gewisse Irritation und Anspannung in Anbetracht der Inkonsistenz gegenläufiger Orientierungen unter den Gruppenmitgliedern zum Ausdruck. Die validierenden Ratifizierungen durch Bianka (»Ja«) und im Weiteren auch von Carina versichern Dana dagegen einen Raum, um ihren Standpunkt näher zu erläutern und legitimieren sie in ihrer Sprecher*innenposition. Diese zeigt sich in ihren weiteren Ausführungen nun unbeirrt vom Lachen ihrer Mitschülerinnen und erklärt, dass sie an und für sich (»irgendwie«) diesen Beruf »SCHON gerne« ausüben würde und verknüpft diese Vorstellung mit der berufsqualifizierenden Aneignung fachlicher Kompetenzen (»ich denk, wenn man das dann lernt«). Demnach stellen für Dana (noch) nicht vorhandene berufsrelevante Fähigkeiten kein Ausschlusskriterium da. Indem sie hier von »man« spricht wird deutlich, dass diese Annahme für sie verallgemeinerbare Gültigkeit besitzt. Zugleich erzeugt sie auf diese Weise eine Distanz zu sich selbst, denn auch wenn ein jetziges Können keine Bedingung ist, äußert sie erneut Unsicherheit hinsichtlich ihrer persönlichen Neigungen und Talente (»ich weiß nicht, ob mir das liegen würde«). Andererseits findet sie den imaginierten Entwurf »DAS zu machen« – die Vorstellung also diesen Beruf kompetent auszuüben, Kfz-Mechatronikerin zu sein – durchaus attraktiv (»fänd ich schon irgendwie cool«), wobei sie offenbar nicht näher bestimmen kann, was dieses Reizvolle ausmacht (»irgendwie«). Hier ratifiziert nun auch Carina validierend (»Ja«). Zunehmend deutlich wird das Hin-und-Her in Danas Überlegungen, indem sie Für- und Widerargumente gegeneinander abwägt. So bringt sie im Folgenden als einen weiteren Aspekt das vergleichsweise für niedrig befundene Gehaltsniveau in ihre Überlegungen ein, das ihrer Kenntnis nach mit dem Beruf Kfz-Mechatroniker*in verbunden ist (»da kriegt man halt auch nicht wirklich Geld, glaub ich«). Was für sie »wirklich Geld« zu bekommen, bedeutet, bleibt derweil offen, doch 39 Kurz sei hier darauf hingewiesen, dass Dana im weiteren Diskussionsverlauf davon erzählt, dass ihr Vater früher einmal »Kfz-Mechaniker« gewesen ist und ihm diese Tätigkeit einst viel Spaß bereitet habe, was bereits an anderer Stelle in die Analyse eingeflossen ist (vgl. Kapitel 8.2.1). Auch wird an verschiedenen Stellen der Gruppendiskussion immer wieder Danas enge Beziehung zu ihrem Vater deutlich, der für sie Vorbild und gegengeschlechtliche Identifikationsfigur darstellt (vgl. Kapitel 8.3.2). Folglich hat Dana über ihren Vater einen familiären Bezugshintergrund zum beruflichen Feld Kfz-Mechatronik.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 343

impliziert diese Formulierung eine indirekte Bewertungsskala, die bemisst, ab wann ein Verdienst überhaupt als solcher aus der Perspektive der angehenden Abiturientinnen anerkennenswert ist. So zeigen sich in dieser Sequenz erneut normative Erwartungshaltungen an eine höher dotierte Berufstätigkeit, die im Zusammenhang mit einer Zugehörigkeit zur bildungsprivilegierten Mittelschicht zu betrachten sind und die von den jungen Frauen im Zuge der gemeinsamen Verhandlung technischer Berufswahloptionen relevant gemacht werden. Dass für Dana die eher schlechten Verdienstaussichten gegen eine entsprechende Berufswahl sprechen, stellt sie in der dieser Sequenz folgenden Diskussion unmissverständlich klar, wie die weiterführende Analyse zeigen wird. An dieser Stelle deutet allein das »aber« darauf hin, mit dem sie im Weiteren dem Aspekt einer für gering befundenen Entlohnung erneut das positiv besetzte und auf die konkrete Tätigkeit bezogene Bild entgegensetzt, »in so ner Werkstatt« zu arbeiten und »Autos [zu] reparieren [Erg. M.S.]«. Die Bedeutungskomplexe der Begriffe ›Werkstatt‹, ›Auto‹ und ›Reparieren‹ sind traditionell mit der kulturellen Repräsentation von Männlichkeit verwoben und bieten somit einen wirkungsvollen Rahmen für geschlechtliche Inszenierungen in Prozessen von ›doing masculinity‹. Gerade darin scheint möglicherweise vor dem Hintergrund der hierarchischen Geschlechterordnung, neben einer sich abzeichnenden Abgrenzung gegenüber normativen Erwartungen an eine akademische Berufswahlorientierung, das Reizvolle zu liegen. Der Entwurf »Automechaniker« zu werden steht somit für einen Gegenentwurf zu normativen Anforderungen an eine angemessene Berufswahl, in denen Bildungsorientierung und Weiblichkeitsideale der Mittelschicht intersektional zusammen gehen. Indes zeigt sich in der Art und Weise, wie Dana hier unterschiedliche Argumente gegeneinander abwägt und dabei gesellschaftliche Normen und Konventionen bearbeitet, dass ihr beruflicher Entwurf nicht gefestigt ist. Vielmehr wird die Prozesshaftigkeit beruflicher Orientierungen deutlich erkennbar. Erneut folgt ein langanhaltendes Lachen ihrer Mitschülerinnen, woraufhin Carina mit einer differenzierenden Elaboration an das von Dana eingebracht Thema ›Kfz-Technik‹ anknüpft und erklärt, dass sie »Motorrad« fährt. Da sie noch einmal ausdrücklich klarstellt, dass sie »selber« fährt, geht sie offenbar nicht selbstverständlich davon aus, dass ihre Mitschülerinnen ihre Aussage richtig verstehen. Zum einen könnte dies im Zusammenhang damit stehen, dass die hier diskutierenden jungen Frauen an der Altersgrenze stehen, die für den Erwerb des Führerscheins berechtigt. Folglich macht Carina mit ihrer Aussage deutlich, dass sie bereits eine gültige Fahrlizenz besitzt, deren Erwerb aufgrund des voraussetzungsvollen Mindestalters eine Statuspassage markiert und ein erweitertes Autonomieerleben ermöglicht. Zum anderen ist Motorradfahren noch immer stark männlich konnotiert (vgl. Nölleke 1998, S. 39; Schönhammer 1999, S. 147f.; Vobker 2016, S. 159f.), was dazu führt, dass Frauen in erster Linie als Sozia gedacht werden. Denn mehr noch als das Auto besitzt das Motorrad eine stark ausgeprägte männliche Ge-

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schlechtersymbolik sowie ein hochgradig technisiertes Image.40 Dabei gilt Motorradfahren als sportliche (Freizeit-)Aktivität und ist u.a. mit Assoziationen wie Freiheit und Spaß, aber auch Risikofreude und Nervenkitzel, verbunden. Es steht für ein bestimmtes Lebensgefühl, für Unabhängigkeit, Kraft und Dynamik, was auch für Frauen ein attraktives Identifizierungspotenzial in Abgrenzung zu traditionellen Weiblichkeitsbildern bietet. Mit ihrer Selbstaussage positioniert sich Carina demnach im Bereich einer exklusiv-emanzipierten Weiblichkeit und entwirft sich selbstbewusst in Annäherung an die mit Motorrädern verkoppelten Männlichkeit symbolisierenden Repräsentationen, die mit einem erhöhten Sozialprestige verbunden sind (vgl. auch Nölleke 1998, S. 39; Schuster et al. 2004, S. 36; Vobker 2016, S. 159f.). In Übereinstimmung mit Dana betont auch Carina ihr Interesse an Kraftfahrzeugen wie dem »Auto« oder »Motorrad«, wobei sie die Gültigkeit ihrer Aussage einschränkt (»find das eigentlich SO interessant«, Hervorh. M.S.). Denn wie im Zuge ihrer Ausführungen deutlich wird, differenziert sie indirekt zwischen einer beruflichen und einer eher freizeitorientierten Ebene. Dana fällt ihr bestätigend ins Wort und verweist darauf, dass Carinas Familie über eine Art private Werkstatt verfüge, womit deren Affinität für Kraftfahrzeuge als plausibel herausgestellt wird und zugleich als etwas, das sich in Anbetracht dieses Umstandes von selbst versteht (»Ihr habt ja auch ne halbe Werkstatt zu Hause«). Darüber hinaus teilt sie mit diesem Hintergrundwissen auch etwas über die Nähe ihrer persönlichen Beziehung zu Carina mit, was ihrer Aussage zusätzlich Gewicht verleiht. In ihr verständiges Lachen fallen weitere Schülerinnen ein. Unterdessen bestätigt Carina Danas Angabe (»Ja«) und erzählt, dass sie »zu Hause« nicht nur eine Werkstatt, sondern »auch« zahlreiche »Motorräder« haben (»ganz viele«), an denen ihr »Bruder« und ihr »Stiefpapa« in der besagten Werkstatt arbeiten (»die arbeiten DA«). Dabei geht es weniger um Reparaturen als vielmehr um das individuelle Um- und Zusammenbauen von Motorrädern (»die bauen immer an ihren Motorrädern rum«). Erneut werden Carinas Ausführungen vom Lachen mehrerer Mitschülerinnen begleitet, die scheinbar das familieninterne Verhältnis zu Kraftfahrzeugen als kurios und ungewöhnlich wahrnehmen. Hat Carina zu Beginn ihrer Ausführungen noch von sich persönlich gesprochen, so stehen nun ihre männlichen Familienangehörigen im Vordergrund, denen sie die Werkstatt zuordnet und die von ihr in hohem Maße als technisch kompetent dargestellt werden. Dabei bezieht sie sich nicht auf berufliche, sondern eher persönliche Kompetenzen im Zusammenhang mit einem intensiv betriebenen Hobby (»die […] basteln sich da selbst was zusammen«). Ihrem Bruder gegenüber bring sie beson40 Dies kommt bspw. schon darin zum Ausdruck, dass unter Motorradfahrer*innen die Bezeichnung ›Maschine‹ für ›Motorrad‹ allgemein üblich ist (vgl. auch Nölleke 1998, S. 39).

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ders deutlich Bewunderung zum Ausdruck, wenn sie erzählt, dass dieser »aus drei verschiedenen Motorrädern EINS zusammengebaut« hat. Die Genauigkeit ihrer Angaben scheint für den Aussagegehalt nebensächlich (»oder so«), geht es doch zuvorderst darum, dass ihr Bruder aus Einzelteilen eigenständig ein Motorrad erschaffen hat, was sowohl von technischem Verständnis als auch – möglicherweise anders als im Beruf – von Kreativität und individueller Subjektivität zeugt. Denn insbesondere im jugendkulturellen Kontext kann das Umbauen bzw. sogenannte ›Tuning‹ von Motorrädern als ein Mittel der Abgrenzung und Inszenierung von Individualität und Autonomie gedeutet werden (vgl. Vobker 2016, S. 154), 41 während es darüber hinaus in bestimmten subkulturellen Szenen als Ausdrucksform hegemonialer Männlichkeit anerkannt ist.42 Die mit diesen objektbezogenen Handlungspraktiken verkoppelten Bedeutungskomplexe formieren somit eine diskursive Deutungsfolie, vor dem sich die Subjekte als autonom-souverän handelnd entwerfen und begreifen (können), zu der sich Carina in ein emotional-affirmatives Verhältnis setzt. Damit positioniert sie sich in Erweiterung zu Danas beruflich-professioneller Orientierung und legitimiert zugleich deren imaginierten Selbstentwurf als KfzMechanikerin durch die anerkennende Wertschätzung technisch-handwerklicher Handlungskompetenz. Vor dem so erläuterten familiären Bezugshintergrund kommt Carina nun auf die Fragestellung zurück und erklärt, dass sie »so was«, womit sie sich auf die beschriebenen Umbauten beizieht, »auch interessant« findet. Das »auch« verweist auf eine implizite Reihung, die sowohl dahingehend verstanden werden kann, dass sie die gleichen Neigungen wie ihr Stiefvater und Bruder aufweist, sich Danas Vorrede anschließt oder auch, dass sie sich neben anderen Dingen »auch« für Motoradtechnik interessiert. Sie betont weiter, dass sie ebenso Freude daran hat, sich aktiv mit Motorrädern auseinanderzusetzen (»das MACH ich auch GERNE«). Doch wird im Folgenden deutlich, dass sie in der heimischen Werkstatt ihren männlichen Angehörigen nicht gleichgestellt agiert, sondern diesen vielmehr zeitweise assistiert und beflissen zuarbeitet (»ich […] helf da auch oft gerne mit«). Hat sie sich eingangs selbstbewusst als autonome Motorradfahrerin entworfen, so setzt sie sich nun in ein eher marginal partizipierendes Verhältnis zur männlichen Domäne der (HobbyMotorrad-)Werkstatt.43 Beide Aspekte zeugen von einer Identifikation in Annähe41 Auch wenn sich die Subjekte innerhalb der Szene als autonom entwerfen, ist dieses Umfeld und die darin vorherrschenden Anerkennungsstrukturen im Sinne Butlers als diskursiv konstituiert zu begreifen (vgl. Butler 2014, S. 210). 42 Connell (2000a) beschreibt bspw. das gemeinschaftliche Touren als ein Moment der kollektiven Inszenierung hegemonialer Männlichkeit, ungeachtet subkultureller Differenzierungen innerhalb der Motorradszene (vgl. ebd., S. 139). 43 Möglicherweise spielt hierbei auch eine Rolle, dass sie aufgrund ihres Alters noch nicht lange im Besitz des (Motorrad-)Führerscheins sein kann, demnach noch ›neu‹ in der Sze-

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rung an männliche Vorbilder innerhalb der Familie, wobei die symbolische Geschlechtergrenze am Übergang zwischen dem formal geregelten Zugang zum Motorradfahren über den Erwerb einer Fahrlizenz und einer objektbezogenen Identifikation, die sich in einem Drang die (Motorrad-)Technik zu beherrschen und nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, an Trennschärfe gewinnt. Beide Bereiche sind mit unterschiedlichen, wenn auch keinesfalls sich ausschließenden Identitätsentwürfen verwoben, die sich auf der einen Seite verstärkt auf mobilitätsbezogene Momente der unabhängigen, kraftvoll dynamischen Raumaneignung, sowie Spaß- und Autonomieerleben beziehen, während auf der anderen Seite die Inszenierung von technischer Kompetenz, Individualität und Gruppenzugehörigkeit im Vordergrund steht. Das wiederkehrende »oder so«, das Carinas Ausführungen nahezu konstant begleitet, erweckt den Eindruck, dass auch ihre Orientierung nicht gefestigt ist und sie im situativen Kontext der gemeinsamen Verhandlung verfügbare Positionierungen hegemonialer Diskurse auslotet. Ihre Affinität für eine technisch-handwerkliche Beschäftigung mit Motorrädern kontrastiert Carina nun durch die Gegenüberstellung zu Computer- und Handytechnik (»aber jetzt computermäßig oder handymäßig«). Dana fällt ihr zustimmend ins Wort und äußert an die von Carina eingebrachten Gegenbeispiele anknüpfend, dass ihrer Ansicht nach eine (berufliche) Tätigkeit im Zusammenhang mit Computern oder Handys mit Langerweile verbunden ist (»ich find, das ist dann langweilig«). Ihre Einschätzung begründet sie damit, dass die Ausübung einer solchen Beschäftigung bedeute, ausschließlich vor dem Computer zu sitzen (»weil du DANN NUR die ganze Zeit vor em Computer sitzt«). Bianka validiert ratifizierend (»Ja«). Als positiver bzw. negativer Gegenhorizont werden hier eine praktisch ausgerichtete technisch-handwerkliche Tätigkeit und eine monoton sitzende Beschäftigung einander gegenübergestellt. Letzteres weist zudem erneut eine Parallele zur körperlichen Disziplinierung im Kontext Schule auf, was möglicherweise bei der sich in vielen Gruppendiskussionen wiederfindenden Abwehr einer sitzenden Berufstätigkeit eine Rolle spielt (vgl. auch Kapitel 7.1). Unterdessen bekundet Carina, dass sie eher keinen Bezug zu Computer- und Handytechnik hat (»Also da bin auch jetzt nicht SO da«), wobei sie diese Aussage unvollendet lässt und mit ihrem Lachen, das von Amalia einvernehmlich quittiert wird, ein Verstehen ihrer Mitschülerinnen voraussetzt. Sie unterstreicht ihre negative Haltung zum Bereich elektronisch-digitaler Technik, indem sie auf nicht vorhandene Fähigkeiten verweist (»ich kann auch nicht«), um dann einen schulischen Erfahrungshintergrund in Bezugnahme auf das Unterrichtsfach Informatik zu entfalten. Sie spricht hier in der Vergangenheitsform und sucht zunächst den zeitlichen Umfang herauszustellen, ist sich jedoch unsicher, ob dieser ein oder zwei Jahre bene ist und gerade erst damit beginnt, sich technische Kompetenzen über die Mitarbeit in der Werkstatt anzueignen.

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trägt. Emily wirft »Zwei« ein und weiß demnach Carinas ungenaue Angabe zu präzisieren. Carina fasst daraufhin die Faktenlage pointiert zusammen (»Zwei Jahre Informatik«) und erzählt, dass sie – hier spricht sie offenbar stellvertretend für eine Gruppe von Mitschüler*innen als »wir« – in dieser Zeit gelernt haben unkomplizierte Webseiten zu programmieren (»wir haben gelernt, wie man so ne einfache HTML-Seite programmiert«). Folglich wurden ihr über einen längeren Zeitraum überschaubare Grundkenntnisse der Informatik anwendungsorientiert vermittelt, die sich jedoch bei Carina nicht verstetigt und gefestigt haben, sondern vielmehr vollständig verloren gegangen sind (»ich weiß es jetzt NICHT mehr, gar nicht«). Bezogen auf die Aneignung von Wissen und Kompetenz im Bereich (schulischer) Informatik stellt sich Carina hier betont defizitär dar, worauf ihre Mitschülerinnen mit langanhaltendem Lachen reagieren. Nachdem dieses Lachen verklungen ist, fährt Carina fort, durch differenzierende Exemplifizierungen aufzuzählen, was sie nicht kann, womit sie ihrer Selbstdarstellung als minderbemittelt in Bezug auf die Aneignung von Wissen im Fach Informatik deutlich Nachdruck verleiht. Die durch Stocken und Verhaspeln verzögerte Sprechweise deutet darauf hin, dass sie dabei gedanklich nach einschlägigen Beispielen sucht, die diese Selbsteinschätzung belegen. So könne sie »noch nicht einmal« Auskunft darüber geben, wie auf einer Webseite eine Überschrift oder die Hintergrundfarbe eingerichtet wird, denn sie sei nicht dazu in der Lage derartige Lerninhalte zu begreifen (»so was, also das VERSTEH ich einfach nicht«). Vielmehr stellt sie ihre geistig-intellektuellen Fähigkeiten in diesem Zusammenhang infrage (»da bin ich auch zu BLÖD für oder keine Ahnung«). In der Formulierung »zu BLÖD für« etwas zu sein, spiegelt sich ein schulisches Prinzip wertender (Selbst-)Klassifizierung nach Leistung und Lernerfolg wider, dem die Schüler*innen im asymmetrisch institutionalisierten Machtverhältnis unterworfen sind (vgl. Foucault 1977, S. 189). Amalia ratifiziert validierend (»Hmhm«) und bestätigt damit die Anerkennbarkeit von Carinas Positionierung als defizitär im konjunktiven Erfahrungsraum des schulischen Informatikunterrichts. Ihrer Abwehr »computermäßig[er]« Technikbezüge im Kontext Schule hält Carina abschließend noch einmal kontrastierend den positiv besetzten (Gegen-)Entwurf des Arbeitens »am Motorrad oder Auto« entgegen. Damit führt sie noch einmal ihre und Danas Positionierung zusammen und hebt abschließend die Gemeinsamkeit ihrer Orientierung durch ein geteiltes Interesse hervor (»das interessiert mich eben AUCH«). Im Gegensatz zu Dana, die in ihrem beruflichen Entwurf auf Imagination angewiesen ist, weiß Carina aufgrund ihrer unmittelbaren Erfahrungen im familiären Kontext, dass ihr Tätigkeiten im Kfz-Bereich zusagen (»DAS […] macht mir auch Spaß«). Dana schließt einvernehmlich an Carina an und fügt den gedanklichen Entwurf »Autos [zu] restaurieren [Erg. M.S.]« als eine weitere Möglichkeit auf, in der das berufliche in den Hintergrund zu treten scheint und sie nun ihrerseits ihr Interesse an Autos mit Carinas Orientierung am ›Basteln‹ verbindet. Carina stimmt

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ihr zu (»Ja«). Dass Dana in ihrer abschließenden Einschätzung erneut im Konjunktiv formuliert (»wär auch voll cool«, Hervorh. M.S.), verweist noch einmal deutlich auf die Ebene eines gedanklich konstruierten Selbstentwurfs. Dabei scheint diese Vorstellung vornehmlich auf einem etwas romantisch verklärtem Bild vom KfzHandwerk und den damit verwobenen symbolisch-kulturellen Repräsentationen zu beruhen. Auch in dieser Sequenz konzentrieren sich die Schülerinnen auf praktischhandwerkliche Tätigkeiten im Kfz-Bereich, zu denen sie sich in ein positives Verhältnis setzen. Dabei zeigt sich, dass Autos und Motorräder einen besonderen Reiz auf die jungen Frauen ausüben und im Kontext der Fragestellung zum gedanklichen Experimentieren mit alternativen Selbstentwürfen inspirieren können. So ist der Beruf Kfz-Mechatroniker*in zwar eindeutig als technisch markiert und seine Verhandlung damit thematisch stimmig, doch wie im Zuge der Analyse deutlich wird, gründet sich das Reizvolle vornehmlich nicht auf fundierte Kenntnisse und realistische Vorstellungen über den Berufsalltag in einer Kfz-Werkstatt, sondern steht vielmehr im Zusammenhang mit kulturellen Repräsentationen und darüber imaginierten Gegenentwürfen zu gesellschaftlichen Mittelschichtsidealen, in denen sich normative Erwartungshaltungen an eine angemessene Berufsqualifizierung mit Anforderungen an weibliche Identitätspositionen intersektional durchdringen. So positionieren sich die hier diskutierenden Schülerinnen insbesondere emotional-affirmativ zu subkulturellen ›Bastel‹-Szenen, die sich über das eigenständige Restaurieren, Reparieren und Umbauen von Autos oder Motorrädern definieren und somit einen Schauplatz für Darbietungen von Individualität und Gruppenzugehörigkeit bieten. Derweil ermöglicht die Teilhabe an diesen männlich dominierten Technikkulturen jungen Frauen eine emanzipative Aneignung der symbolisch-kulturellen Repräsentationen, die mit Autos und Motorrädern bzw. Kfz-Technik verkoppelt sind und als Hintergrundfolie zur Inszenierung alternativer Identitätskonzepte in Abgrenzung zu konventioneller Weiblichkeit fungieren (können). Deutlich kommt hier die Relevanz von Differenzmarkierungen in Prozessen adoleszenter Identitätsfindung zum Ausdruck, die von der Suche nach Anerkennung ebenso gekennzeichnet sind wie von dem Streben nach Autonomie (vgl. King 2002, S. 88). So zeigt die Analyse, wie die Schülerinnen Kfz-Technik vornehmlich als einen symbolischen Ort verhandeln, an dem sie identitätsrelevante Distinktionsgewinne erkennen, die das eigene Selbstwertgefühl stärken, während eine objektbezogene Identifikation mit Autos und Motorrädern, wie sie in symbolischen Handlungspraktiken des sogenannten ›Bastelns‹ oder auch ›Schraubens‹ zum Ausdruck kommen, eher in Anlehnung an männliche Vorbilder erfolgt. Festzuhalten ist folglich, dass die traditionell männliche Geschlechtersymbolik der Kfz-Technik nach wie vor mit dem Alltagserleben einer von Männern dominierten Szene übereinstimmt, dabei jedoch auch Brüche und Instabilitäten aufweist. Denn wie in der Sequenz deutlich wird, übertragen die jungen Frauen die traditio-

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nell männlich konnotierten Distinktionsmittel auf die Konstruktion alternativer Entwürfe geschlechtlicher Identität, ohne darin eine Bedrohung intelligibler Weiblichkeit zu erkennen, sondern vielmehr einen emanzipatorischen Identitätsgewinn. So zeigt die Analyse des voranstehenden Diskussionsabschnitts, dass die mit (Kfz-) Technik verknüpften Bedeutungen grundsätzlich als instabil, variabel und damit auch offen und zugänglich zu begreifen sind. Denn ihre Gültigkeit wird ihnen allein durch die fortwährende Bezugnahme im Rahmen geschlechtlicher Identitätsarbeit durch die Subjekte selbst verliehen, während eben diese Bezugnahmen im konkreten gesellschafts-historischen Kontext variieren können (vgl. Butler 2014, S. 213). Im Sinne Butlers wird hier ein Moment der Verschiebung und Um(be)deutung hegemonialer Weiblichkeitsnormen sichtbar, über die eine »Rekonfiguration« (ebd.) und Erweiterung weiblicher Identitätspositionen erfolgt (vgl. ebd., S. 217). Darüber hinaus wird in der Sequenz deutlich, dass sich die jungen Frauen stark von Technikbezügen abgrenzen, die sie in einen schulischen Erfahrungskontext bringen. So setzen sie Berufe im Bereich Informatik und Elektrotechnik vor allem mit einer Disziplinierung des Körpers durch monotones Sitzen gleich, was Analogien zum Alltagserleben schulischer Unterrichtssituationen aufweist (vgl. Foucault 1977, S. 177, 188f.). Die Nachdrücklichkeit der Abwehr schulischer Bezugshintergründe äußert sich hierbei in einer verabsolutierenden Positionierung als fachbezogen unvermögend, womit sich die Frage nach persönlichem Interesse oder gar beruflichen Ambitionen in diese Richtung gar nicht erst stellt. So fungieren hier berufliche Bilder, die an Kontexte schulischen Lernens anschließen und von den Schülerinnen verworfen werden als negative Gegenhorizonte zu idealisierten Vorstellungen von einer praktisch-handwerklichen Beschäftigung mit Kfz-Technik. Aufschlussreich ist dabei auch die deutlich zum Ausdruck kommende Differenzierung zwischen technischen Bezügen im Kontext moderner Informations- und Kommunikationstechnologien in Abgrenzung zur mechanischen Technik, wie sie sich auch in der wiederholten Bezeichnungspraxis »Auto-« oder an anderer Stelle auch »Kfz-Mechaniker« dokumentiert, die ein veraltetes Berufsbild aktiviert. Denn in Anbetracht der zunehmenden Komplexität moderner Automobil- bzw. Fahrzeugtechnologie sind in der zeitgenössischen Berufsbezeichnung ›Kfz-Mechatroniker*in‹ neben dem Bereich Mechanik auch Informatik und Elektrotechnik eingefasst, also eben die technikwissenschaftlichen Gegenstandsbereiche, die von den jungen Frauen abgelehnt werden. Damit liegt die Vermutung nahe, dass die Präferenz für Kfz-Technik auch mit Vorstellungen vom Motor als klassische Maschine verbunden ist, in der sich das sichtbare Zusammenspiel greifbarer Einzelteile über unmittelbar erschließt und somit weniger abstrakt erscheint (vgl. auch Nölleke 1998, S. 42).

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8.4.4 »… du kannst da RUM schrauben und dich einsauen« Im Anschluss an die zuletzt aufgeführt Sequenz aus der geschlechtshomogenen Gruppe-k folgt zunächst ein kurzer Diskussionsabschnitt, in dem weitere Schülerinnen ihre Technikbezüge im Sinne von Alltagserfahrungen mit handwerklichen Verrichtungen oder dem Anschließen des eigenen Computers erzählen. Daran anknüpfend variiert die Interviewerin noch einmal ihre Frage nach technischen Berufen, woraufhin spaßhaft die Möglichkeit eingeworfen wird »Applestorefachmann« zu werden, was allgemein auf Belustigung stößt. Die Schülerin Dana führt daraufhin die Diskussion auf eine sachliche Ebene zurück und greift noch einmal den von ihr zuvor konturierten Berufsentwurf »Automechaniker« auf: Dana:

Nee, also wenn´s gutes GELD dafür geben würde, also jetzt so für Automechaniker, also WIRKLICH RICHTIG [Geld …]

Carina: Dana:

[Hmhm. ] … so, wie wenn ich studiert hätt, also ich würde eigentlich SCHON gerne studieren, aber ich weiß nicht, ich würde das SCHON machen, weil ich find das total cool, [wenn …]

Carina: Dana:

[Ja.

]

… du was PRAKTISCHES machen kannst, weil es ist halt eben nicht [langweilig.]

Carina: Dana:

[Ja. Du sitzt nicht da, musst [irgendwelches …]

Carina: Dana:

]

[S-, s-. …

]

… Zeug ausfüllen, du kannst da RUM [schrauben und dich einsauen ((lacht)). ]

Carina:

[Ist halt auch immer was ANDERES, weil] du hast ja IMMER andere Autos, die irgendwas [anderes …]

Dana: Carina:

[Ja.

]

… immer kaputt haben oder so [oder so …]

Dana:

[Oder wenn] du so Autos restaurierst oder lackierst [oder so, ist schon cool.]

Carina:

[So beruflich

] würde mich das AUCH an-, reizen, sag ich mal,

aber ich s-, ich würde halt SCHON lieber zu-, studieren, [mehr …] Dana: Carina:

[Ja.

]

… Geld verdienen, sag ich mal, hm, ich glaub, das wär dann nur so …

Dana:

Hobby.

Carina:

… hobbym-, also hobbymäßig würde mir DAS, macht mir das ja so schon Spaß und so, aber, ja, ich, ich weiß nicht.

Die implizite Anrufung, sich beruflich im technischen Bereich zu orientieren, wird von Dana zunächst zurückgewiesen (»Nee«), um anschließend die Bedingungen

Dimensionen der Subjektkonstitution | 351

differenziert herauszustellen, unter denen sie den von ihr bereits im Vorfeld eingeführten Beruf »Automechaniker« in Betracht ziehen würde, wobei sie erneut allein in der männlichen Form der veralteten Berufsbezeichnung spricht. So müsste es für diese berufliche Tätigkeit »gutes Geld« geben. Dass sie hier gehobene Ansprüche an ein zukünftiges Gehaltsniveau zum Ausdruck bringt, wird in der nochmaligen Betonung »WIRKLICH RICHTIG Geld« deutlich. Als Vergleichshorizont verweist sie auf Verdienstaussichten, die sie von einer akademischen Berufsqualifizierung erwartet (»wie wenn ich studiert hätt«). Vor dem Bildungshintergrund der Gymnasiastinnen dokumentiert sich in der Selbstverständlichkeit, mit der hier die Höhe des Einkommens als ausschlaggebendes Kriterium bei der Entscheidung für oder gegen einen Beruf geltend gemacht wird, ein normatives Orientierungsmuster, das innerhalb der Gesellschaft hohe Legitimität besitzt und auch von Carina ratifizierend bestätigt wird (»Hmhm«). Dana fährt fort zu erklären, dass sie in ihrem Zukunftsentwurf grundsätzlich eine akademische Berufsqualifizierung durch ein Studium anstrebt (»also ich würde eigentlich SCHON gerne studieren«), ohne dabei eine fachliche Ausrichtung zu konkretisieren. Demnach steht hier weniger ein bestimmter Berufswunsch im Vordergrund als vielmehr ein beruflicher Status, der von ihr angestrebt wird und im Kontrast zum Bild des Ausbildungsberufs »Automechaniker« steht. Dieser undifferenzierten Ausrichtung an einem Studium setzt sie im Weiteren eben diesen Entwurf »Automechaniker« zu sein – wenn auch zögerlich – entgegen (»aber ich weiß nicht, ich würde das SCHON machen«). In den vorsichtigen, unbestimmten Formulierungen im Konjunktiv wird noch einmal die Prozesshaftigkeit der Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzepts besonders anschaulich, indem unterschiedliche Entwürfe gedanklich durchgespielt und gegeneinander abgewogen werden. Während Dana mit einem Studium, ungeachtet welcher Fachrichtung, höhere Einkommenschancen antizipiert, findet sie die Vorstellung »Automechaniker« zu sein aus anderweitigen Gründen »total cool«. Denn mit diesem Beruf verbindet sie Vorstellungen von einer praktischen und abwechslungsreichen Tätigkeit (»was PRAKTISCHES«, »eben nicht langweilig«), denen sich auch Carina wiederholt anschließt (zwei Mal »Ja«). Diese Orientierung an einem anwendungsbezogenen und vielseitigen Berufsprofil kontrastiert Dana am negativen Gegenhorizont einer sitzenden (Schreibtisch-)Tätigkeit, deren Aufgabe darin besteht »irgendwelches Zeug aus[zu]füllen [Erg. M.S.]«. Stark verallgemeinernd wird hier das Bild einer Büroarbeit aufgerufen, die mit einer Unterwerfung unter begrenzende Regularien assoziiert wird, und zwar sowohl was die sitzende Körperhaltung im festgelegten Raum anbelangt (»Du sitzt […] da«, Hervorh. M.S.) als auch die Abarbeitung vorgeschriebener Verfahrensweisen (»Zeugs ausfüllen«, Hervorh. M.S.). Im Gegensatz dazu ermöglicht die Arbeit in einer Kfz-Werkstatt Danas Vorstellung nach ungehinderte Aktivität, und zwar losgelöst von konventionellen Anforderungen an die Disziplinierung des weiblichen Körpers in Form einer passiv-reaktiven und äußer-

352 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

lich gepflegten Selbstdarbietung, die mit Mittelschichtsidealen bildungsprivilegierter Weiblichkeit korrespondieren (»du kannst da RUM schrauben und dich einsauen«). Die Orientierung an körperlicher und schmutziger Arbeit im technischhandwerklichen (Kfz-)Bereich, lässt sich somit als lustvoll imaginierter subversiver Gegenentwurf zu gesellschaftlichen Normen und Konventionen begreifen, die hier von Dana bearbeitet werden und in denen sich normative Anforderungen intersektional überkreuzen, die sich sowohl auf den Bildungsstatus als angehende Abiturientin als auch auf die weibliche Subjektposition beziehen. Carina schließt mit einer differenzierenden Elaboration an, in der sie das Abwechslungsreiche, das auch sie in dem Beruf »Automechaniker« erkennt, darauf zurückführt, dass fortwährend sowohl die Art der Autos als auch der zu bewerkstelligenden Reparaturen variieren würden (»Ist halt auch immer was ANDERES, weil du hast ja IMMER andere Autos, die irgendwas anderes immer kaputt haben«). Dana spinnt den Gedanken weiter und entwirft alternativ zum Reparieren von Autos die Vorstellung, diese zu restaurieren oder zu lackieren, womit noch einmal der Aspekt des kreativen Bastelns als Ausdruck von Individualität und Souveränität in mehr oder weniger selbstbestimmter Umsetzung technischer Kompetenz aufgerufen und positiv bewertet wird (»ist schon cool«). Sowohl Dana als auch Carina adressieren in ihren Ausführungen ein unbestimmtes »du«, über das sie die Anwesenden indirekt in ihre imaginierten (Gegen-)Entwürfe einbinden und diesen eine starke Intensität verleihen. Indem Carina erklärt, dass auch auf sie die Vorstellung einer solch technischhandwerklichen Berufstätigkeit im Bereich Kfz-Mechatronik einen gewissen Reiz ausübt (»So beruflich würde mich das AUCH an-, reizen, sag ich mal«), bestätigt sie die Anerkennbarkeit von Danas imaginiertem Selbstentwurf als Kfz-Mechatronikerin bzw. -Restaurateurin. Doch ebenso wie Dana begründet auch Carina die letztendliche Verwerfung der beruflichen Option mit der Orientierung an einem gehobenen Einkommen, das durch ein Studium von ihr angestrebt wird (»ich würde halt SCHON lieber zu-, studieren, mehr Geld verdienen«). Dana stimmt ihr zu (»Ja«), während Carina in ihrer Überlegung fortfährt, eine mögliche Vereinbarkeit der widerstreitenden Orientierungen an einer praktischen Beschäftigung mit KfzTechnik einerseits und einer höher dotierten, weil akademisch qualifizierten Berufstätigkeit anderseits aufzuzeigen. Dabei verlagert sie die Beschäftigung mit KfzTechnik ausschließlich in den privaten Freizeitbereich (»nur so hobbymäßig«). Dana greift mit dem Einwurf »Hobby« Carinas abschließender Ausführung vor und bestätigt so noch einmal ihre beiderseitige Übereinstimmung. Dass auch Carina ihre Ansichten an dieser Stelle zunächst im Konjunktiv formuliert, lässt darauf schließen, dass eine berufliche Orientierung im Bereich Kfz-Mechatronik für sie nicht in Betracht kommt, sondern allein als gedankliches Experiment bearbeitet wird. So wechselt sie selbst korrigierend abschließend in den Indikativ, denn eine Übertragung auf die Freizeit ist für sie bereits Bestandteil ihrer Alltagsrealität, wie sie in

Dimensionen der Subjektkonstitution | 353

der vorangegangenen Diskussion mit Bezug auf die (männliche) Familientradition des ›Motorrad-Bastelns‹ erläutert hat (»hobbymäßig würde mir DAS, macht mir das ja so schon Spaß«). Und doch schließt sie ihre Ausführungen mit einem »ich weiß nicht«, was auf eine Verunsicherung hinsichtlich ambivalenter Orientierungen hindeutet, in denen das Streben nach ›ökonomischem Kapital‹ (vgl. Bourdieu 1983) und der Wunsch nach praktischer, abwechslungsreicher und dabei identitätsstiftender Berufstätigkeit konfligieren. Die Sequenz zeigt, wie die jungen Frauen im Kontext der Frage nach technischen Berufen gesellschaftliche Vorgaben an eine gelungene Berufswahlentscheidung bearbeiten, in denen noch einmal die Dimensionen soziale Klasse und Geschlecht als relevante Differenzkategorien erkennbar werden. Dabei wird erneut der Ausbildungsberuf Kfz-Mechatroniker*in von den Schülerinnen in den Fokus der gemeinsamen Diskussion gerückt und als Gegenentwurf zu normativen Anforderungen an eine angemessene Berufswahlorientierung von weiblichen Angehörigen der bildungsprivilegierten Mittelschicht verhandelt. Im Beruf Kfz-Mechatroniker*in sehen die jungen Frauen den Wunsch nach einer praktischen und abwechslungsreichen Tätigkeit realisiert, wie er von vielen Schüler*innen in einer Reihe unterschiedlicher Gruppendiskussionen in Abgrenzung zu einer (Büro-)Arbeit am Schreibtisch immer wieder geäußert wird. Dies mag einerseits erhellen, warum die jungen Frauen allein den technisch-handwerklichen Ausbildungsberuf verhandeln, während die Möglichkeit eines Studiums in der Fachrichtung Maschinenbau und Fahrzeugtechnik ausgeblendet bleibt. Denn das, was für die jungen Frauen offenbar Attraktivität besitzt, ist die unmittelbar körperlich erfahrbare Auseinandersetzung mit (mechanischer) Technik, wie sie in der imaginierten Handlungspraxis des ›Schraubens‹ erkennbar wird. Andererseits setzen die Gymnasiastinnen diesem Wunsch die selbstverständlich geltend gemachte Anspruchshaltung an ein gehobenes Einkommensniveau entgegen, welches sie durch ein Studium gewährleistet sehen und das wiederholt als ausschlaggebendes Argument zur Verwerfung des Berufs Kfz-Mechatroniker*in aufgeführt wird. Hier offenbart sich die Ausrichtung an ökonomischem Kapital vor dem Bildungshintergrund der angehenden Abiturientinnen als gesellschaftlich legitimiertes Orientierungsmuster im Berufswahlprozess. Auch lässt sich mit dieser Argumentation eine Auseinandersetzung mit ambivalenten Adressierungen widersprüchlicher (Geschlechter-)Diskurse vermeiden, in denen einerseits technische Berufe aufgrund ihrer männlichen Codierung nicht ohne Weiteres mit weiblichen Identitätspositionen kompatibel erscheinen, während andererseits gegenwartsbezogene MINT-Diskurse darauf hinwirken, jungen Frauen eben diese Berufe nahezulegen. Doch gerade die Koexistenz unterschiedlicher Diskurse ermöglicht nach Butler (2014) Variationen in der Wiederholung normativer Vorgaben im performativen Prozess der Hervorbringung geschlechtlicher Identität, durch die der Bereich kultureller Intelligibilität neu verhandelt werden kann (vgl. ebd., S. 112ff.). In diesem

354 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Zusammenhang erweisen sich die mit dem Artefakt Auto (und auch Motorrad) verbunden symbolischen Repräsentationen von Autonomie und Souveränität als bedeutsam, die Bestrebungen nach Anerkennung und Unabhängigkeit als ambivalente Orientierungen in adoleszenten Identitätsbildungsprozessen entgegenkommen (vgl. King 2002, S. 85ff.). Denn während diese kollektiven Bedeutungskonstruktionen einerseits mit konventionellen Weiblichkeitsidealen konfligieren, korrespondieren sie andererseits – im Gegensatz zu anderen handwerklichen Berufsfeldern44 – mit jugendlichen Autonomiebestrebungen und können somit als Moment der Abgrenzung gegenüber begrenzenden Gesellschaftsvorgaben für adoleszente junge Frauen eine verstärkte Attraktivität besitzen. So zeigt die Analyse, wie die Vorstellung einer Teilhabe an männlich dominierter und damit prestigeträchtiger Kfz-Technik adoleszente Frauen dazu inspirieren kann, im Rahmen ihrer Identitätsarbeit alternative Selbstkonzepte zu entwerfen und dabei das denkbare Feld der Intelligibilität weiblicher Subjektpositionen zu erweitern. Aus dieser Perspektive weist die Ambivalenz, mit der sich die jungen Frauen zur Kfz-Technik positionieren, darauf hin, dass es in der gemeinsamen Diskussion weniger darum geht eine konkrete Berufswahloption in Erwägung zu ziehen als vielmehr darum, Möglichkeitsräume zur subversiven Unterwanderung körperbezogener Weiblichkeitsnormen zu verhandeln. Denn ohne dass Geschlecht explizit thematisiert wird, zeugt das Lustvolle, mit dem die Schülerinnen Vorstellungen von einer körperlich-schmutzigen Arbeit als ›Automechanikerin‹ imaginieren, von einem Moment renitenter Widerständigkeit gegen normative Anforderungen an eine disziplinierte Darbietung des weiblichen Körpers (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 199). 8.4.5 »… was Neues zu erschaffen und dann auch noch ein Rennauto« Im Gegensatz zu den vorangegangenen Sequenzen wird von den 17- bis 19-jährigen Schülerinnen der geschlechtshomogenen Gruppe-c im Zuge der thematischen Verhandlung ein technisches Studium zunehmend in den Fokus der gemeinsamen Diskussion um eine technische Berufswahlorientierung gerückt und in Gegenüberstellung zu einem praktisch handwerklichen Ausbildungsberuf verhandelt. Dabei werden Technikberufe von den jungen Frauen zunächst entschieden abgelehnt (»Nö«; »Ganz, definitiv nicht«), woraufhin ein kurzer Austausch darüber folgt, inwiefern grundlegende Kenntnisse im Umgang mit Computern eine berufsübergreifende Anforderung darstellen, an den die nachfolgende Sequenz anschließt:

44 Bereits in der vorangegangenen Diskussion der Gruppe-k wurden bspw. zwischen den Berufen Kfz-Mechatroniker*in und Maurer*in differenziert (vgl. Kapitel 8.2.1).

Dimensionen der Subjektkonstitution | 355

Holly:

Äh wird halt schon einigen, also in vielen Bereichen schon verlangt, aber einen

Gohar:

((lacht)) KFZ mit Holly ...

Holly:

((lacht))

Emma:

Ich weiß nicht, wenn ich da echt Ahnung von hätte, dann, doch.

Bente:

Hmhm.

richtigen so, richtig, Kfz-Mechaniker oder so könnte ich mir nicht vorstellen.

Emma:

[Finde ich cool. ]

Gohar:

[Also nicht Ahnung,] wenn ich, wenn ich Lust hätte, wenn mich das [richtig interessieren würde.

]

Disa:

[Ja, mich interessiert das nicht.]

Gohar:

Mich interessiert das ja gar nicht, mir ist das ja total egal.

Holly:

Also auch jetzt das mit den Häuser bauen, da interessiert mich doch nicht, ob das

Bente:

Ja.

Gohar:

Ja.

jetzt statisch hält oder nicht, also Hauptsache es sieht gut aus. ((mehrere lachen)) Charlotte: Genau. Emma:

Ja, das ist sowieso schon mal richtig scheiße.

Gohar:

((lacht))

Emma:

Das hab ich (unv.) schon klar gemacht, ((lacht)) dass ich das nicht ganz so gut finde.

Holly: Emma:

Ja. Aber so was Handwerkliches oder so an sich schon, also nicht, ähm, irgendwas, ja, so dann wirklich so ein, so ein handwerklichen Beruf erlernen, aber irgendwas in der Richtung studieren, nee, das wär mir dann schon wieder viel zu viel Physik und viel zu viel Mathe und ...

Holly:

Vor allem viel zu viel Theorie, was [man dann halt auch macht.]

Emma:

[Ja, ja genau, so, so

] ...

Gohar:

[Ja.

Emma:

... alleine im praktischen Bereich, gerne und dann, dann halt das bisschen, was man

]

in der Berufsschule hat, [aber ] irgendwas... Holly:

[Ich sage] ...

Emma:

... in dem Bereich studieren ...

Holly:

... sagen muss, hier ein Freund von mir, der studiert jetzt an der Fachhochschule Maschinenbautechnik, heißt der so? Ja, ich glaub, der Studiengang [heißt ] so.

Gohar: Holly:

[Hmhm.] Und das, was er so erzählt, das fand ich schon ziemlich interessant, weil die da ihr eigenes, äh, Rennauto bauen dürfen praktisch. Ja, so was würd mich natürlich auch mal reizen, [so was wirklich] was Neues zu erschaffen ...

Gohar:

[Irgendso ein (unv.)]

356 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

Holly:

... so, und dann auch noch ein Rennauto.

Bente:

Ja, können würd ich das auch [gerne eigentlich. ]

Emma: Holly: Emma:

[Find ich auch cool.] Ja, also so [können

] ...

[Find ich auch cool.]

Gohar:

[Ich würd mich gleich gerne reinsetzen.

Holly:

[Aber das gleich zu studieren hätte ich glaub] ich auch keine Lust zu, da mich so

]

auseinanderzusetzen.

Holly fasst noch einmal die Quintessenz der unmittelbar vorangegangenen Redebeiträge ihrer Mitschülerinnen dahingehend zusammen, dass allgemeine Technikkompetenz in vielen Berufsbereichen vorausgesetzt wird (»wird halt schon einigen, also in vielen Bereichen schon verlangt«). Sie hat demnach ein Wissen um aktuelle (Berufs-)Anforderungen in der technisierten Gegenwartsgesellschaft, in dem sich Aussageformationen zeitgenössischer Bildungsdiskurse widerspiegeln, die technische Handlungskompetenz als ein übergeordnetes Bildungsziel herausstellen (vgl. Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften 2009, S. 11; Wensierski und Sigeneger 2015, S. 35ff.). Während diese Anspruchshaltung für Holly offenbar ein legitimer Bestandteil ihrer sozialen Wirklichkeit darstellt, ist für sie die Wahl eines »richtigen« technischen Berufs, wie bspw. »Kfz-Mechaniker« undenkbar (»könnte ich mir nicht vorstellen«). Auch hier wird die männliche Form der veralteten Berufsbezeichnung aufgerufen, was darauf hindeutet, dass kein aktuelles Wissen über das gegenwärtige Berufsprofil besteht. Dass Holly gerade diesen Beruf exemplifizierend aufführt, lässt noch einmal auf seine verstärkte Sichtbarkeit im alltagsweltlichen Lebensbezug der diskutierenden Schülerinnen schließen. Auch für Gohar scheint eine Verbindung zwischen der Person ihrer Mitschülerin Holly und dem Feld Kfz-Technik schwer vorstellbar, wie ihr Kommentar nahelegt (»Kfz mit Holly«) und so ist das Lachen der beiden Schülerinnen hier einvernehmlich zu interpretieren. Emma bekundet Zweifel, inwiefern sie mit ihren Vorrednerinnen konform geht (»Ich weiß nicht«) und differenziert, dass für sie der Beruf »Kfz-Mechaniker« unter der Voraussetzung denkbar wäre, solide Fachkenntnisse zu besitzen (»wenn ich da echt Ahnung von hätte, dann, doch«). Bente bestätigt diese Haltung ratifizierend (»Hmhm«), woraufhin sich Emma eindeutig positiv zum Beruf »Kfz-Mechaniker« äußert (»Find ich cool«). Gohar knüpft ihrerseits mit einer antithetischen Differenzierung an Emmas Überlegungen an. Im Gegensatz zu Emma ist für sie nicht entscheidend »Ahnung« zu haben, sondern »Lust« auf die Auseinandersetzung mit dieser Thematik als Ausdruck eines gefestigten fachbezogenen Interesses (»wenn mich das richtig interessieren würde«). Disa stimmt Gohars Überlegungen zu und stellt klar, dass sie kein Interesse an (Kfz-)Technik hat (»Ja, mich interessiert das nicht«) und für sie folglich keine technische Berufswahl infrage kommt. Gohar

Dimensionen der Subjektkonstitution | 357

stimmt mit Disa überein und betont ihrerseits nachdrücklich Desinteresse und Gleichgültigkeit (»Mich interessiert das ja gar nicht, mir ist das ja total egal«, Hervorh. M.S.). Holly unterstreicht die gemeinsame Haltung mit einer exemplifizierenden Elaboration, in der sie als weiteres Beispiel das Berufsfeld Architektur aufruft (»auch das jetzt mit den Häuser bauen«) und verdeutlicht an diesem, dass sie sich nicht für mathematisch-technische Fragestellungen interessiert, sondern allein ästhetische Aspekte für sie von Belang sind (»da interessiert mich doch nicht, ob das jetzt statisch hält […] Hauptsache es sieht gut aus«). Mit dieser Aussage inszeniert sie sich radikal gemäß geschlechterstereotypen Vorstellungen, die Frauen einen Sinn fürs Ästhetische bzw. eine Orientierung am Design technischer Artefakte bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber mathematisch-technischen Zusammenhängen und Notwendigkeiten unterstellen. In dem Lachen ihrer Mitschülerinnen und der mehrfachen Bestätigung durch Bente, Gohar und Charlotte (zwei Mal: »Ja«; »Genau«) kommt eine hohe Kohärenz innerhalb der Gruppe zum Ausdruck. Auch Emma stimmt Holly zu (»Ja«) und bringt ihre Ablehnung – vermutlich in Hinblick auf statische Berechnungen als Anforderung im Bauwesen – unmissverständlich zum Ausdruck (»das ist sowieso schon mal richtig scheiße«), was Gohar erneut zum Lachen veranlasst. Ebenfalls lachend, verweist Emma darauf, dass sie ihre Abneigung »schon klar gemacht« hat, wobei nicht ersichtlich ist, wem gegenüber sie hier Stellung bezieht. Denkbar ist, dass sie sich auf wahrgenommene und von ihr zurückgewiesene Adressierungen bezieht, die aus dem sozialen Umfeld an sie herangetragen werden und ihr eine berufliche Orientierung im technischen Feld nahelegen. Im Gegensatz zu ihrer vorherigen drastisch anmutenden Auslassung (»richtig scheiße«), formuliert sie hier äußerst zurückhaltend (»dass ich das nicht ganz so gut finde«). Möglicherweise ist dies einer Rückbesinnung auf den die Diskussion rahmenden Kontext einer wissenschaftlichen Forschung geschuldet, auf den sich die Schülerin in diesem Moment besinnt und den sie möglicherweise mit Erwartungen von außen bezüglich der Einhaltung bestimmter Verhaltenskonventionen verknüpft, was bspw. sprachliche Ausdruckformen betrifft. Die verhaltende Formulierung wäre somit als ein Bemühen zu interpretieren, derartigen Erwartungshaltungen zu genügen und die unweigerlich durch die Fragestellung aktivierten Anrufungen, sich für Technikberufe zu interessieren, in angemessener Form zurückzuweisen. Holly ratifiziert validierend und stützt damit Emmas Standpunkt (»Ja«). Emma fährt fort, ihrer zuvor vehement getätigten Absage »so was Handwerkliches« entgegenzusetzen, das für sie beruflich vorstellbar ist (»so an sich schon«). Die unpräzise und etwas holprig vorgetragene Aussage deuten darauf hin, dass es sich hierbei nicht um eine gefestigte Orientierung handelt, sondern vielmehr um unmittelbar vorgenommene Überlegungen und Erwägungen. Während es für Emma denkbar ist, einen »handwerklichen Beruf [zu] erlernen [Erg. M.S.]«, lehnt sie ein

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technisches Studium ab (»aber irgendwas in der Richtung studieren, nee«) und begründet dies mit einer von ihr angenommenen und für zu stark befundenen Konzentration auf mathematisch-naturwissenschaftliche Kernfächer (»das wär mir dann schon wieder viel zu viel Physik und viel zu viel Mathe«). Holly schließt sich Emmas Einschätzung an und erklärt, dass ein technisches Studium für sie ganz allgemein eine Auseinandersetzung mit »viel zu viel Theorie« erfordert. Emma und Gohar stimmen ihr nachdrücklich zu (»Ja, ja genau«; »Ja«). Kontrastierend zur theoretischen Gewichtung eines (technischen) Studiums stellt Emma nun noch einmal heraus, dass sie »gerne« dazu bereit ist, die Option eines technischen Berufs »allein im praktischen Bereich« in Betrachtung zu ziehen und dabei die vergleichsweise begrenzten theoriebezogenen Lernanforderungen im Zuge der Ausbildung in Kauf zu nehmen (»dann halt das Bisschen, was man in der Berufsschule hat«). Dieses Zugeständnis setzt sie erneut einem technischen Studium entgegen (»aber irgendwas in dem Bereich studieren«). Holly lässt Emma nicht zu Ende sprechen und erklärt gewissenhaft, gegen die bisher übereinstimmend geteilte kritische Haltung gegenüber einem Technikstudium einen Einwand erheben zu müssen (»Ich sagen muss«). In Form einer antithetischen Differenzierung erzählt sie von einem »Freud«, der derzeit an der »Fachhochschule Maschinenbautechnik« studiert, wobei sie sich über die richtige Bezeichnung des Studienfachs nicht ganz sicher ist (»heißt der so? Ja, ich glaub, der Studiengang heißt so«). Gohar ratifiziert validierend (»Hmhm«) und gibt somit zu verstehen, dass ihr die Bezeichnung stimmig erscheint. Holly räumt nun ein, dass sie das, was sie durch ihren Freund über das Studium erfährt »schon ziemlich interessant« findet, wobei sich dieses Interesse auf einen bestimmten Teilaspekt des Studiums bezieht, nämlich, dass die Studierenden die Gelegenheit erhalten, gewissermaßen (»praktisch«) »ihr eigenes Rennauto« zu bauen. Das Reizvolle an dieser Vorstellung (»sowas würd mich natürlich auch mal reizen«) liegt für Holly darin »was Neues zu erschaffen«. Sie ist folglich von der Idee fasziniert, aus eigenem Antrieb und nach eigenen Vorstellungen etwas noch nie Dagewesenes entstehen zu lassen. Ihre Begeisterung zeigt sich dahingehend noch steigerungsfähig, als dass es dabei nicht um irgendetwas, sondern um ein prestigeträchtiges »Rennauto« geht (»und dann auch noch ein Rennauto«). Bente lenkt zustimmend ein, dass sie »das auch gerne [können würd]«, womit sie sich auf die notwendige Kompetenzen zum Bau eines Rennautos bezieht. Emma positioniert sich hierzu nachdrücklich positiv (zwei Mal »Find ich auch cool«), und auch Gohar ist von der Vorstellung eines Rennautos inspiriert und bekundet den Wunsch, sich direkt reinsetzen zu wollen (»Ich würd mich gleich gerne reinsetzen«). Unterdessen erklärt Holly, dass sie zwar Bentes Wunsch nach der zum Bau eines Rennautos erforderlichen Technikkompetenz teilt (»Ja, also so können«), deshalb aber noch keine Lust verspürt »das gleich zu studieren« und sich (theoriegeleitet) mit der technischen Thematik »auseinanderzusetzen«.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 359

Einerseits ziehen die Schülerinnen der Gruppe-c technische Berufswahloptionen kaum ernsthaft in Betracht, wobei ein fehlendes Interesse als ausschlaggebendes Kriterium dieser Verwerfung herausgestellt wird. Wie bereits an vielen Stellen der vorangegangenen Analyse herausgearbeitet wurde, erweist sich auch hier eine symbolische Positionierung gemäß der hegemonialen Geschlechterordnung als wirkungsvolle Strategie, um der eigenen negierenden Haltung unmissverständlich Ausdruck zu verleihen. So werden mit der bewusst oberflächlich anmutenden Betonung einer Ausrichtung an den Äußerlichkeiten eines Artefaktes – ungeachtet dessen (Un-)Tauglichkeit – bedeutende Aussageformationen hegemonialer Geschlechterdiskurse zitiert, über die sich die weibliche Subjektposition in Abgrenzung zu (männlich besetzter) Technikkompetenz konstituiert. Die Selbstinszenierung als technisch naiv und einfältig entspricht somit normativen Anforderungen an eine kohärente weibliche Geschlechtsidentität und legitimiert dabei im konkreten situativen Kontext die Zurückweisung gegenläufiger Anrufungen, sich berufsbezogen als technikinteressierte Frau zu entwerfen. Andererseits lassen sich die Schülerinnen auf das Thema einer technischen Berufswahl ein und loten in der gemeinsamen Bearbeitung die Grenzen des für sie Vorstellbaren aus. Wie auch in den vorherigen Ausschnitten aus anderen Gruppendiskussionen entzündet sich am Beispiel »Kfz-Mechaniker« eine gemeinsame Diskussion, wobei jedoch dieser konkrete technisch-handwerkliche Ausbildungsberuf alsbald in den Hintergrund gerät und stattdessen die gemeinsame Orientierung der Gruppe am negativen Gegenhorizont eines technischen Studiums verhandelt wird. Dieses verbinden die jungen Frauen in erster Linie mit der Anforderung einer intensiven Auseinandersetzung mit theoretischen Inhalten in den Bereichen Mathematik und Physik, was übereinstimmend abgelehnt wird. Als Bezugswissenschaften technischer Disziplinen weisen Mathematik und Physik traditionell eine starke männliche Geschlechtersymbolik auf, während sie zugleich an schulische Erfahrungskontexte anknüpfen, die mit bestimmten Vorstellungen von Lernen einhergehen. So zeigt sich, dass die Schülerinnen eine Auseinandersetzung mit theoretischen und abstrakten Lerninhalten im Rahmen eines (Technik-)Studiums ablehnen, während sie sich eindeutig positiv zu einer unmittelbar praktischen Beschäftigung (mit Technik) positionieren, die außerhalb formalisierter Lernbezüge situiert ist. Dagegen weckt die Vorstellung ein Rennauto zu bauen auch bei den ansonsten eher technikkritischen jungen Frauen Begeisterung und Faszination, wobei erneut das Motiv des eigenverantwortlichen ›Bastelns‹ an einem prestigeträchtigen Techniksymbol erkennbar wird. Mit dem Rennsport verbundene männlich konnotierte Assoziationen von Kühnheit, Entschlusskraft und Kontrolle bieten folglich eine starke Kontrastfolie zur Inszenierung emanzipativer Weiblichkeit, die sich von begrenzenden Konventionen freispricht und somit im Kontext adoleszenter weiblicher Autonomiebestrebungen eine hohe Attraktivität besitzen kann. Doch auch wenn sich die Schülerinnen in diesem Kontext in ein emotional-affirmatives Verhältnis zu

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Kfz-Technik versetzen und lustvoll eine Teilhabe an männerdominierten Technikkulturen, wie der Konstruktion eines Rennautos imaginieren, erfolgt keine fachbezogene Identifikation, als Voraussetzung für eine berufliche Orientierung im technischen Bereich. 8.4.6 Zusammenfassung Insbesondere in geschlechtshomogenen Gruppen mit Schülerinnen werden technische Berufe häufig am konkreten Beispiel Kfz-Mechatroniker*in verhandelt, während andere Technikberufe nur vereinzelt differenzierter aufgerufen werden, ohne dass sich jedoch an ihnen in vergleichbarer Weise eine gemeinsame Diskussion entfacht. Dies lässt sich im Zusammenhang damit betrachten, dass die befragten jungen Frauen (und auch Männer) Technik und technische Berufe generell häufig artefaktisch über alltagsweltliche Technikbezüge assoziieren. Als klassischer Technikberuf besitzt die Kfz-Mechatronik somit auch aufgrund der alltagsweltlichen Präsenz des Autos und von Autowerksstätten in westlichen Gesellschaften eine hohe Sichtbarkeit und ist folglich im kollektiven Bewusstsein fest verankert. Dabei ist das Auto im Rahmen von Verselbständigungsprozessen in der Lebensphase der Adoleszenz von besonderer Bedeutung, symbolisiert es doch einen Zuwachs an Autonomie, Unabhängigkeit und sozialem Status auf dem Weg des Erwachsenwerdens und fungiert auch im Binnenverhältnis der eigenen Referenzgruppe als effektives Mittel der Distinktion. So wird in den exemplarisch aufgeführten Diskussionsausschnitten in der gruppenübergreifenden Fokussierung des technisch-handwerklichen Berufsfeldes ein gemeinsamer Orientierungsrahmen erkennbar, innerhalb dessen sich die jungen Frauen positionieren und dabei gesellschaftliche Anforderungen an eine angemessene Berufswahl bearbeiten. Dabei finden sich immer wieder Momente der Erzeugung sozialer Differenz (›doing difference‹) entlang der Trennlinie Geschlecht (›doing gender‹) und sozialer Klasse (›doing class‹), deren Wirkmächtigkeit sich intersektional in Weiblichkeitsidealen der bildungsnahen Mittelschicht überkreuzt. Denn das berufliche Feld der Kfz-Technik, das in der Vorstellung der Schülerinnen im Rahmen der dargestellten Analyse vielfach mit einer körperlichen und schmutzigen Arbeit verbunden ist, steht sowohl im Widerspruch zu hegemonialen Weiblichkeitsnormen als auch zu konventionellen Erwartungshaltungen an den zukünftigen Berufsstatus der angehenden Abiturientinnen. Aus der Inkongruenz zwischen Berufsprofil und normativen Ansprüchen resultiert einerseits die rigorose Zurückweisung technischer Berufswahloptionen, während diese andererseits als Möglichkeitsraum für subversive Gegenentwürfe zu gesellschaftlichen Vorgaben wahrgenommen und verhandelt werden.

Dimensionen der Subjektkonstitution | 361

In der hohen Übereinstimmung der angehenden Abiturientinnen im Streben nach ökonomischem Kapital, das ihnen durch ein Studium im Allgemeinen erreichbar erscheint, zeigt sich indes ein normatives Orientierungsmuster, das sich als handlungsleitend in Prozessen der Berufsfindung erweisen kann und innerhalb der Gesellschaft eine hohe Legitimität besitzt. Selbst diejenigen, die explizit den Berufswunsch Kfz-Mechatroniker*in äußern, erklären das für zu niedrig befundene Gehaltsniveau des Ausbildungsberufs zum Ausschlusskriterium einer entsprechenden Berufswahlentscheidung. Obgleich in gegenwartsbezogenen MINT-Diskursen jungen Frauen die Entscheidung für ein technisches Studium auch gerade durch solche Aussageformationen nahegelegt wird, in denen die Zukunftsfähigkeit technischer Berufe sowie daran gekoppelte ausnehmend gute und sichere Einkommenschancen hervorgehoben werden (vgl. Augustin-Dittmann und Gotzmann 2015, S. 7), bleibt ein technisches Studium im Fachgebiet Maschinenbau, dem auch der Bereich der Fahrzeugtechnik zuzuordnen ist und über das sich ein bestehendes Interesse an Kfz-Technik mit der Ausrichtung an gehobenen Einkommensverhältnissen vereinbaren ließe, in den Argumentationslinien der jungen Frauen weitgehend unberücksichtigt. Dabei gilt es zum einen insbesondere im Kontext der vorliegenden Untersuchung mitzudenken, dass sich mit dem gesellschaftlich anerkannten Argument bezüglich der Einkommenschancen eine direkte Auseinandersetzung mit widersprüchlichen Anforderungen vermeiden lässt, die durch sich gegenläufig überschneidende Diskurse an junge Frauen am Übergang Schule-Studium/Beruf herangetragen werden. Denn während dominante Geschlechterdiskurse als historisch geronnene Wissensbestände junge Frauen einerseits dazu anrufen, sich als weibliche Subjekte in konstitutiver Abgrenzung zum Technischen zu entwerfen, werden sie andererseits in aktuellen MINT-Diskursen dazu angehalten, sich als berufliche Subjekte im technischen Feld zu positionieren. Hinzu kommt, dass die männliche Codierung von Technik und technischen Berufen eine Entsprechung im subjektiven Alltagserleben einer von Männern dominierten (Berufs-)Sphäre findet, in der Frauen als Abweichung bzw. Besonderheit markiert sind, auch wenn sich in dem Bewusstsein der jungen Frauen Aussageformationen darüber widerspiegeln, dass eine Unterscheidung sogenannter Frauen- und Männerberufe nicht auf eine ›natürlichontologische‹ Ordnung zurückzuführen ist. Zum anderen wird die ausdrückliche Verwerfung einer technischen Studienwahl von den Schülerinnen mit dem Umfang mathematischer und physikalischer Bezüge begründet, die als Bestandteile traditionell männerdominierter Disziplinen ein stark verfestigtes maskulines Image aufweisen, das sich auch im konjunktiver Erfahrungsraum Schule widerspiegelt, sei es hinsichtlich stereotyper Fähigkeitsattribuierungen seitens von Lehrkräften und sozialem Umfeld (vgl. Kapitel 8.1) oder auch geschlechterdifferenter Fachinteressen von Schülerinnen und Schülern. Zugleich wird in der Annahme einer Konzentration auf theoretische Inhalte eine Parallel-

362 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

struktur zu Erfahrungskontexten schulischen Lernens erkennbar, die für die Schülerinnen keine Attraktivität besitzt. Denn im Gegensatz dazu ist der Reiz, den das Berufsfeld Kfz-Technik unverkennbar auf eine Reihe von Schülerinnen ausübt, unmittelbar mit dem häufig geäußerten Wunsch nach einer praktischen Tätigkeit in ›handfester‹ Auseinandersetzung mit Kfz-Technik gekoppelt. Andere Technikberufe im Bereich Informatik und Elektrotechnik, die über Computer oder Handys assoziiert werden, fungieren derweil als negative Gegenhorizonte, die eine verstärkte Orientierung an ›mechanischer‹ Technik erkennbar werden lassen. Dabei erweist sich die Orientierung der jungen Frauen an Kfz-Technik insbesondere dann als emotional aufgeladen, wenn sie durch männliche Vorbilder im familiären Bezugshintergrund positiv besetzt ist. Denn gerade die gegengeschlechtliche Identifikation kann ihnen Anreize bieten, sich traditionell männlich konnotierte Repräsentationen im Zuge weiblicher Identitätskonstruktionen anzueignen und damit Begrenzungen zu überschreiten, die mit konventionellen Weiblichkeitskonzepten einhergehen. Aus diesem Blickwinkel geht es weniger um den Beruf Kfz-Mechatroniker*in als solchen, als vielmehr um dass, wofür er steht, d.h. um kollektive Sinnkonstruktionen, die als historisch gewordene und diskursiv geronnene Bedeutungssetzungen gedanklich damit verkoppelt sind und sich im Zuge der gemeinsamen Verhandlung in den Gruppendiskussionen mit subjektiven Bezugshintergründen vermischen. Denn Autos ebenso wie Motorräder stellen technische Artefakte dar, um die sich ein Netz kultureller Repräsentationen spannt, die als Ressourcen zur Konstruktion von Identität und Gruppenzugehörigkeit fungieren und jungen Frauen Möglichkeitsräume eröffnen, sich jenseits gesellschaftlicher (Geschlechter-)Normen und Konventionen als autonome Subjekte zu entwerfen und dabei eine Form exklusiv emanzipierter Weiblichkeit zu inszenieren. Diese Inszenierungen erscheinen umso wirkungsvoller, so sie von den Schülerinnen über die souveräne Handhabung männlich codierter und damit prestigeträchtiger Kfz-Technik imaginiert werden und damit ein Moment der Abgrenzung zu konventioneller Weiblichkeit im Binnenverhältnis der eigenen Geschlechtsgruppe implizieren. So scheint es in den imaginierten Entwürfen der hier diskutierenden jungen Frauen vor allem um »die eigene Besonderheit als Frau im Technikbereich« (Nölleke 1998, S. 39) zu gehen, eben darum anders zu sein. Denn was den Reiz der Kfz-Mechatronik auszumachen scheint, ist die damit verbundene Vorstellung, sich als souveränes weibliches Subjekt zu inszenieren, das losgelöst von begrenzenden Geschlechternormen an männlich dominierten und zugleich statushohen Technikkulturen partizipiert (vgl. ebd., S. 39f.; Micus-Loos et al. 2016, S. 199) und sich damit innerhalb der symbolisch-diskursiven (Geschlechter-)Ordnung machtvoll(er) gegenüber konventioneller Weiblichkeit positioniert. Demgegenüber treten mögliche Ambitionen bezüglich einer wissens- und kompetenzgenerierenden Auseinandersetzung mit Fahrzeugtechnik als Motiv für eine technische Berufswahlorientierung eher in den Hintergrund (vgl. auch Nölleke 1998, S. 39). Das Interesse junger Frauen an Tech-

Dimensionen der Subjektkonstitution | 363

nik teilzuhaben, erscheint in diesem Sinne weniger ökonomisch begründet als vielmehr symbolisch motiviert, worin möglicherweise ein Grund dafür zu sehen ist, warum aktuelle MINT-Diskurse nur bedingt im Zuge beruflicher Orientierungsprozesse junger Frauen wirksam werden. Doch auch wenn die Sequenzen aus den Gruppendiskussionen darauf hindeuten, dass die geschlechtersymbolisierenden Differenzlinien an Trennschärfe gewinnen, wenn es um eine tiefergehende Beschäftigung mit technischen Funktionssystemen geht, an der junge Frauen eher marginal in Annäherung an männliche Vorbilder partizipieren, verdeutlicht die dargestellte Analyse, wie im Sinne Butlers (2014) durch abweichendes bzw. abgewandeltes Zitieren normativer Vorgaben in performativen Prozessen geschlechtlicher Identitätsbildung der Bereich anerkennbarer Weiblichkeit neu verhandelt werden kann. Denn nach Butler besitzen Normen nur insofern Gültigkeit, als dass die Subjekte im Rahmen ihrer geschlechtlichen Identitätsarbeit nicht umhinkommen, auf sie Bezug zu nehmen (vgl. ebd., S. 213). Doch ist nach Butler hinsichtlich der Frage nach der Möglichkeit subversiver Handlungen innerhalb regulierender Diskurse nicht entscheidend ob, sondern wie diese Normen wiederholt werden (vgl. ebd., S. 217) und somit »die ›Handlungsmöglichkeit‹ in der Möglichkeit anzusiedeln, diese Wiederholungen zu variieren« (ebd., S. 213), damit zugleich normative Bedeutungssetzungen zu verschieben und letztlich auf diese Weise eine Vervielfältigung (geschlechtlicher) Identitätspositionen zu ermöglichen (vgl. ebd., S. 217). Somit eröffnet sich gerade über die divergierenden Ansprüche, die durch die Koexistenz sich überschneidender Diskurse um Technik und Geschlecht an junge Frauen am Übergang Schule-Studium/Beruf gestellt werden, ein Möglichkeitsraum für subversive Wiederholungen, die in der Konsequenz die Intelligibilität geschlechtlicher Identitätspositionen um nicht-hegemoniale Entwürfe zu erweitern vermögen.

V SCHLUSSBETRACHTUNGEN

Zur Bedeutung wirkmächtiger Geschlechternormen und hegemonialer Technikbilder in Hinblick auf eine technische Berufswahlorientierung junger Frauen In der voranstehenden Analyse wird anhand der Rekonstruktion normativer Orientierungsmuster junger Frauen die Wirkmächtigkeit der konstitutiven Verflechtung der Bedeutungdimensionen Technik und Geschlecht detailliert herausgearbeitet und im Zusammenhang mit daraus resultierenden Anforderungen an die Herausbildung kohärenter beruflich-geschlechtlicher Identitäten betrachtet, die von den Schüler*innen im Zuge der gemeinsamen Verhandlung anerkennbarer Positionierungen bearbeitet werden (müssen). Die Sichtweisen und Bedeutungssetzungen der beforschten jungen Frauen bilden dabei das Zentrum der empirischen Analyse und den Ausgangspunkt daraus generierter theoretischer Überlegungen. Um den Erkenntnisgewinn der Studie perspektivisch zu erörtern, werden im Folgenden noch einmal die zentralen Ergebnisse aus der Datenanalyse der Gruppendiskussionen zusammengefasst, verdichtet und abstrahiert (Kapitel 9), um daran anschließend ihre Relevanz für pädagogisches Denken und Handeln zu diskutieren (Kapitel 10). Abschließend werden in einem kurzen Resümee der eigene Forschungszugang bilanziert und weiterführende Fragestellungen für mögliche Anschlussuntersuchungen skizziert (Kapitel 11).

9. Zusammenfassung der Ergebnisse Wie die dargelegten Ergebnisse der empirischen Analyse zu alltäglichen Konstruktionsmustern technischer Berufstätigkeit entlang geteilter Vorannahmen der beforschten Schüler*innen einerseits und den Dimensionen der Subjektkonstituierung innerhalb diskursiver Ordnungen andererseits zeigen, erfolgen die beruflichen Orientierungen vor der Deutungsfolie normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht, die den Entwicklungen beruflicher Interessen und fachbezogener Selbstkonzepte voranstehen und von jungen Frauen im Zuge der Erwägung einer technischen Berufsqualifizierung in ihr Selbstbild integriert bzw. mit diesem in Übereinstimmung gebracht werden (müssen). Dabei erweisen sich die Vorstellungen und Wahrnehmungsweisen von Technikberufen keineswegs als vorgefertigt oder festgeschrieben, vielmehr kursieren vor dem Hintergrund sich überkreuzender Diskurse heterogene Bilder, die je nach Kontext unterschiedlich wahrgenommen und gedeutet werden und in denen sich teils implizite Muster der Vergeschlechtlichung wiederfinden. So wird deutlich, dass die beforschten jungen Frauen (und auch Männer) ein kollektives Wissen über die konstitutive Wechselbeziehung der Bedeutungen von Technik und Geschlecht teilen, auf das sie in ihren Selbstinterpretationen und Handlungsorientierungen Bezug nehmen. Dieses implizite Orientierungswissen manifestiert sich in habitualisierten Gewissheiten darüber, dass Weiblichkeit nicht selbstverständlich und ohne Weiteres mit einem technikaffirmativen Selbstkonzept und einer entsprechenden Studien- und Berufswahl in Einklang steht. Zugleich werden aber auch unterschiedliche Strategien erkennbar, mit denen technikbegeisterte junge Frauen vermeintliche Widersprüche überwinden und im Zuge ihrer Identitätsarbeit in ein kohärentes Verhältnis transferieren. Hierfür bedarf es – dies zeigt die Analyse – einer kreativen Umarbeitung hegemonialer Konstituierungsweisen beruflich-geschlechtlicher Subjektivität innerhalb des Regelsystems dominanter Diskursordnungen.

370 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

9.1 DIVERGIERENDE BILDER TECHNISCHER BERUFE IM SPIEGEL ALLTAGSWELTLICHER DISKURSE In einer ersten Analyseeinstellung fragte die vorliegende Forschungsarbeit nach Alltagskonstruktionen technischer Berufsbilder, die von den beforschten jungen Frauen und Männern auf der Grundlage geteilter Vorstellungen und Überzeugungen im Zuge der thematischen Abhandlung aufgerufen, aktualisiert und möglicherweise auch infrage gestellt werden. Unter Bezugnahme auf Butler und Foucault ging es darum, herauszukristallisieren, wofür Technik bzw. technische Berufe innerhalb der im Alltag der beforschten Schüler*innen dominierenden Diskurs- und Wissensformationen stehen, welche Wirklichkeits- und Wahrheitsannahmen bezüglich technischer Berufe und Wissenschaften wie verhandelt werden und inwiefern bzw. auf welche Weise diese auf die Orientierungen und Selbstkonzepte junger Frauen in der Phase der Berufsfindung wirken. Es lässt sich zusammenfassen, dass sich kein einheitliches Berufsbild ›Technik‹ und der ihm zugeordneten Subjektpositionen in den Wahrnehmungsweisen der Schüler*innen abzeichnet. Dieses changiert je nach situativem Kontext, inhaltsbezogenen Relevanzstrukturen sowie den jeweiligen Kenntnisständen und Bezugshintergründen zwischen stark vereinfachten und sehr differenzierten Ansichten. Wie die Analyse zeigt, dominiert in den Vorstellungen vieler Schüler*innen ein weitestgehend reduktionistisches Berufsverständnis im antizipierten Modus der Monotonie (vgl. Kapitel 7.1). Technikberufe werden dabei mehrheitlich mit einer computerzentrierten Beschäftigung gleichgesetzt, die häufig als Programmiertätigkeit näher spezifiziert wird. Die Annahme einer ausschließlichen und ununterbrochenen Arbeit am und mit dem Computer ist aus Sicht der Schüler*innen mit einem negativen Image behaftet und wird aufgrund der antizipativen Erwartung von Einförmigkeit, körperlich-sinnlicher Entbehrung und sozialer Vereinzelung kategorisch ausgeschlossen. Hierbei zeigt sich auch eine Verengung des tatsächlich sehr heterogenen technischen Berufsfeldes auf den Bereich Informatik bzw. Informationstechnik. Dies lässt sich vor dem Hintergrund der zunehmenden Technisierung bzw. Digitalisierung alltäglicher Lebens- und Arbeitswelten betrachten, in denen Computer nahezu allgegenwärtig sind. In Hinblick auf die vielfältigen Nutzungsprofile des Computers in unterschiedlichsten Anwendungsfeldern wird dieser im Zuge der Bearbeitung der Frage nach technischen Berufen von den Schüler*innen oftmals erst in Verbindung mit einer Akzentuierung von (Software-)Programmierung zum zentralen Bezugspunkt einer eindeutig als technisch ausgewiesenen Berufstätigkeit stilisiert. Es steht zu vermuten, dass auf institutioneller Ebene dem konjunktiven Erfahrungsraum Schule hinsichtlich des dominanten Deutungsmusters von Technik als Computertechnik eine tragende Rolle zukommt. So erzählen die Schüler*innen bis-

Zusammenfassung der Ergebnisse | 371

weilen vom schulischen Informatikunterricht, in dem ihnen erste Kenntnisse im Programmieren vermittelt werden – was von ihnen allgemein als wenig motivierend erlebt wird. Trotz solch schulischer Techniksozialisationserfahrungen und obwohl viele Schüler*innen von Bezugspersonen in ihrem näheren Umfeld berichten, die eine als technisch klassifizierte Berufstätigkeit ausüben, werden die jeweiligen Arbeitsinhalte von ihnen überwiegend als abstrakt wahrgenommen. Anwendungsbezüge erscheinen ihnen nicht unmittelbar ersichtlich, wodurch sie kaum sinnvolle Bezüge zur eigenen Lebenswelt herstellen können. Dies wird insbesondere anhand der von den Diskutant*innen aufgezeigten positiven Gegenhorizonte deutlich, in denen der Wunsch nach erfahrbaren Arbeitsresultaten und direkten Erfolgserlebnissen sowie zwischenmenschlicher Interaktion einen hohen Stellenwert einnimmt. Solch reduktionistische Berufsbilder lassen sich als Ausweis eines intergenerativen Wandels traditioneller Technikbezüge im Zuge zunehmender »Computerisierung« (Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften 2009, S. 9) betrachten, die mit einem »Verlust von Technikassoziationen im Alltag« (ebd.) junger Menschen einhergeht und dabei traditionelle Technikbezüge, die sich primär an Maschinenkonzepten orientieren, abzulösen scheint. Unter Bezugnahme auf Foucault kann dies als gesellschaftshistorische Bedeutungsverschiebung innerhalb hegemonialer Technikdiskurse interpretiert werden, über die sich die Wahrnehmungsweisen und Deutungsmuster technischer Berufe und damit verbundener Subjektpositionen neu konfigurieren. So werden in den Alltagsdiskursen der jungen Frauen und Männer kollektive Praktiken der (Mit-)Konstruktion überindividueller Bedeutungszuschreibungen und Sinnsysteme bzw. deren Verschiebung und Neubedeutung vor dem Hintergrund hegemonialer Diskursordnungen im Kontext historisch-gesellschaftlicher Entwicklungsdynamiken erkennbar. Mit dem zunehmend berufsübergreifenden Einfluss des Computers auf die Gestaltung von Arbeitsplätzen und –prozessen sowie seiner Verbreitung als Alltagstechnologie, scheint sich insbesondere mit Blick auf die junge Generation ein unverkennbarer Bedeutungswandel im Technikverständnis zu vollziehen. Vor der Hintergrundfolie des aus der Perspektive der beforschten Schüler*innen überwiegend einseitigen Berufsbildes lassen sich des Weiteren diskursive Distinktionspraktiken entlang der Differenzmarkierung technischer Kompetenz nachzeichnen (vgl. Kapitel 7.2). Analog zur vielfach impliziten Gleichsetzung technischer Berufe mit Computerarbeit und Programmieren werden dabei feldzugehörige Subjektposition entlang des Stereotyps vom (männlich konnotierten) ›(Computer-) Freak‹ entworfen, der sich autodidaktisch umfangreiche fachliche (Vor-)Kenntnisse und Fähigkeiten aneignet, die ihn für eine technische Berufswahl prädestinieren. In diesen Aussageformationen dokumentiert sich die normative Annahme stabiler, abgeschlossener Identitäten, die sich als entweder technikbezogen oder nicht-technikbezogen im Zuge sozialisatorischer Prozesse zu einem ›So-Jemand‹ festigen, womit der Spielraum für eigene weitere Entwicklungen und Neuorientierungen zugunsten

372 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

einer technischen Berufswahlorientierung begrenzt erscheint. Im Kontext der gemeinsamen Bearbeitung der Fragestellung offenbaren sich diese Argumentationslinien auch als identitätssichernde Akte der Grenzziehung, in denen Technikkompetenz als Differenzkriterium fungiert. So werden technikaffine Personen in selektiven Deutungsprozessen durch die totalisierende Zuschreibung einer technik- bzw. computerzentrierten Handlungsfixierung sowie außergewöhnlicher Leistungsbereitschaft im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich als ›anders‹ und ›abweichend‹ klassifiziert. Solche Akte diskursiver Distinktion werden somit als Ausdruck virulenter Aushandlungsprozesse von mit Anerkennung ausgestatteten Positionierungen im Kontext hegemonialer Technikdiskurse verstehbar. Mit Bezug auf Foucault zeugt diese kollektive Praktik sozialer Differenzierung von einer machtvollen Strategie, mit der sich die beforschten Schüler*innen als Angehörige einer kohärenten Gruppe im Normalitätsfeld selbstverorten. Auf diese Weise wird eine Form geteilter Wirklichkeit erzeugt, die als gemeinsame Orientierung abwehrende Positionierungen gegenüber der Frage nach Technikberufen legitimiert. Unterdessen impliziert die Konstruktion von Kategorien wie ›Freak‹ oder ›Crack‹ im Kontext alltagstheoretischer Wissensordnungen über die geschlechterpolarisierende Zuordnung von Technikaffinität und –kompetenz in erster Linie männliche Subjektpositionen. Im Zuge diskursiv gerahmter Bezeichnungspraxen werden dabei gängige Stereotype von fachlich hoch kompetenten, dabei jedoch einzelgängerischen und sozial defizitären – sowie darüber hinausgehend in westlichen Gesellschaften zuvorderst männlich (und weiß) gedachten – Technikern oder auch Computerspezialisten aufgerufen und aktualisiert (vgl. Bath 2009, S. 19; Döge 2002, S. 33; Heintz et al. 1997, S. 131; Knoll und Ratzer 2010, S. 55f.; Mucha 2014, S. 40; Paulitz 2010, S. 30), mit denen sich insbesondere junge Frauen – logelöst von ihren tatsächlichen Alltagspraxen im Gebrauch von Technologien – kaum identifizieren können oder wollen (vgl. Winker 2005, S. 171). Das überwiegend einseitige Berufsbild sowie der Rückgriff auf Stereotype, die sich hinsichtlich einer Studienwahlmotivation eher als hemmend denn als förderlich erweisen, macht deutlich, dass es vielen der Schüler*innen an differenzierten Informationen über die Bandbreite technischer Berufsfelder sowie an praxisnahen Einblicken in konkrete Tätigkeitsbereiche mangelt. Obwohl in den Gruppendiskussionen – zumeist durch die Beiträge Einzelner – immer wieder auch differenziertere und positivere Ansichten über Technikberufe eingebracht werden, bleibt in der Debatte um eine gemeinsame Orientierung die reduktive Sicht auf Technikberufe als eine eintönige, unbefriedigende und sozial-exkludierende (Computer-)Arbeit zentral, die durch andauernde Wiederholung aktualisiert, bearbeitet und als Abgrenzungsfigur relevant gemacht wird. Damit lässt sich die Engführung der gemeinsamen Perspektive auch unter funktionalen Aspekten betrachten, denn durch sie wird diskursiv die Komplexität der Verhältnisse reduziert, die Vielfalt und Heterogenität technischer Berufe homogenisiert und in der Konsequenz die Anerkennung und Le-

Zusammenfassung der Ergebnisse | 373

gitimation eigener Abgrenzung erleichtert, derer sich die Diskutant*innen wechselseitig vergewissern. Die vielfach verkürzende Vorstellung eines computerzentrierten Tätigkeitsprofils als entfremdende Schreibtischtätigkeit ebenso wie das stereotype Image vom weltabgewandten und technikfixierten ›Freak‹ korrespondieren mit einem weiteren Orientierungsmuster von Technikberufen jenseits des Sozialen (vgl. Kapitel 7.3). Technische Berufe werden hierbei von den jungen Frauen (und Männern) explizit im Kontrast zu Berufen definiert, in denen es um die Arbeit mit Menschen geht. Dabei wird gerade der Wunsch nach einer am Menschen orientierten Arbeit von vielen der Schüler*innen als ein zentrales Kriterium in der Studien- und Berufswahlentscheidung relevant gemacht und als Begründung für den Ausschluss technischer Berufe angeführt und bestätigt. Umgekehrt lässt sich eine technische Berufswahlorientierung durch die Selbstinterpretation als introvertiert und menschenscheu plausibilisieren, die deutliche Parallelen zum gängigen Stereotyp technischer Subjektivität aufweist. Wie im Zuge der Analyse deutlich wird, liegen den kollektiven Deutungsmustern kulturell verfestigte Dualismen zugrunde, in denen Technik und Soziales vielfach als sich wechselseitig ausschließende Dimensionen einander entgegengesetzt werden. Auch dort, wo in den Argumentationslinien der Schüler*innen Geschlechteraspekte nicht thematisiert werden, erweist sich diese diametrale Gegenüberstellung von Mensch und Technik bzw. von Technik und Sozialem vor der Deutungsfolie historisch abgelagerter Bedeutungsformationen, im Sinne der symbolischen Verknüpfung von Technik und Männlichkeit sowie der weiblichen Konnotation des Sozialen, als geschlechtlich aufgeladen und bilden somit einen bedeutsamen Modus der (Re-)Stabilisierung der männlichen Geschlechtersymbolik technischer Berufe (vgl. Faulkner 2008, S. 142; Teubner 2009, S. 183; Kapitel 3.3). Das Prinzip der Ausschließung der Dimension des Sozialen aus hegemonialen Technikdiskursen und ihren Wissensordnungen kann in Anlehnung an Butler und Foucault als ein zentraler Mechanismus der impliziten Vergeschlechtlichung des technischen Berufsfeldes und seiner Subjektpositionen begriffen werden. Indes verweist die Selbstverständlichkeit dieser Entgegensetzung auf ein normatives Orientierungswissen, das die Schüler*innen im Zuge der gemeinsamen Diskussion aktualisieren und auf das sie im Zuge ihrer beruflichen Identitätsentwürfe Bezug nehmen (müssen), um sich als anerkennbare Subjekte innerhalb bzw. außerhalb der symbolischen Ordnung hegemonialer Technikdiskurse zu positionieren, wobei sie als (Mit-)Konstrukteur*innen sozialer Wirklichkeit und einer vermeintlichen Wahrheit über das wechselseitige Ausschlussprinzip erkennbar werden. Somit offenbaren sich die vielfältigen, sich in dem alltagsweltlichen Denken und Sprechen der Schüler*innen über technische Berufe als implizite Wissensbestände dokumentierenden Polarisierungen als wirkmächtiger Mechanismus der Fortschreibung der symbolisch-normativen Verknüpfung dessen, was als technisch gilt mit männlich verge-

374 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

schlechtlichten Subjektpositionen und damit auch der impliziten Vergeschlechtlichung des technischen Berufsfeldes und seiner Subjektpositionen. Neben den vielfach eher negativen Wahrnehmungsweisen einer technischen Berufstätigkeit als nüchtern, sachorientiert, eintönig und unattraktiv lassen sich auch ergänzende und mitunter alternative Sichtweisen aufzeigen, in denen Technikberufe als Achse von Innovation und Fortschritt herausgestellt werden (vgl. Kapitel 7.4). Technologischen Entwicklungen wird hierbei eine geradezu unbegrenzte Schöpfungskraft und Schlüsselrolle in der gegenwärtigen und zukunftsgerichteten Gestaltung der Gesellschaft zugeschrieben. In den Vorstellungen der Schüler*innen dokumentieren sich dabei hegemoniale Diskursformationen aus dem Umfeld von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, die von einem starken Fortschrittsglauben geprägt sind (vgl. Connell 2000a, S. 185; Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften 2009, S. 10; Paulitz und Ziegler 2015, S. 98) sowie auch medial inszenierte Zukunftsvisionen über die Bedeutung technologischer Innovationen für die Entwicklung der Menschheit. Der hohe Stellenwert, der technischen – genauer technikwissenschaftlichen – Berufen beigemessen wird, geht dabei mit verallgemeinernden Erwartungen an ein besonders anspruchsvolles Studium einher, das die Auseinandersetzung und Aneignung zunehmend komplexer und umfangreicher werdender Wissensbestände erfordert, was aus der Perspektive der Schüler*innen kaum noch zu bewältigen erscheint. Die Annahme gehobener Anforderungen an ein technisches Studium stellt sich auch dahingehend als relevant dar, als dass zahlreiche Studien darauf aufmerksam machen, dass junge Frauen in Anbetracht stereotyper Zuschreibungen, mit denen sie im Zuge adoleszenter Identitätsbildungsprozesse verstärkt konfrontiert werden, tendenziell ein geringeres fachbezogenes Selbstvertrauen entwickeln. Im Gegensatz zu männlichen Gleichaltrigen neigen sie eher dazu, die eigenen technischnaturwissenschaftlichen Fähigkeiten und Potenziale zu unterschätzen und sich diesbezüglich weniger zuzutrauen (vgl. Benke 2012, S. 216; Lembens und Bartosch 2012, S. 86f.; Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften 2009, S. 10; Schuster et al. 2004, S. ff.; Solga und Pfahl 2009, S. 158ff.; Wolffram 2003, S. 30ff.). Allgemein dokumentiert sich in den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern ein gesellschaftlich vorherrschender Technikbegriff, der sich vor allem auf Tätigkeitsbereiche beschränkt, in denen überwiegend Männer beschäftigt sind und die sich auf funktionaler Ebene mit der Entwicklung und Reparatur technologischer Errungenschaften wie dem Computer befassen. Dagegen werden solche Tätigkeitsfelder, die eine kompetente Bedienung technologischer Geräte erfordern und in denen vermehrt Frauen beschäftigt sind, im Rahmen der Frage nach Technikberufen von den Proband*innen kaum relevant gemacht. Die sich hier abzeichnende Differenzierung im Technikverständnis wird in der feministischen Technikforschung als ein zentraler Pfeiler der Aufrechterhaltung symbolischer Geschlechtergrenzen im Berufsfeld Technik aufgefasst, da sie die Gleichsetzung von Technik mit Männlich-

Zusammenfassung der Ergebnisse | 375

keit, sowie den symbolischen Ausschluss von Weiblichkeit aus dem Kerngebiet des Technischen ermöglicht (vgl. Cockburn 1988; Engler und Faulstich-Wieland 1995, S. 60; Schuster et al. 2004, S. 35f.). Zugleich wirkt sich die assoziative Verknüpfung von Technik mit männlich konnotierten Bezügen indirekt auf die Wahrnehmung von Artefakten als ›technisch‹ aus. So erweist sich der Computer in den Alltagsdiskursen der jungen Frauen und Männer nicht ohne Weiteres als Ausweis einer ›technischen‹ Berufstätigkeit, sondern wird als solches erst in performativen Prozessen durch das Zitieren historisch-sedimentierter Deutungskategorien (re-)konstituiert. Dies lässt sich damit im Zusammenhang betrachten, dass in der Gegenwartsgesellschaft der Computer als allgegenwärtige Alltagstechnologie das Image einer exklusiven – und damit männlich konnotierten – Spitzentechnologie weitestgehend verloren hat (vgl. Teubner 2009, S. 188; Winker 2005, S. 165; Wolffram 2006, S. 3112f.). Erst durch die Akzentuierung technischer Funktionsprinzipien bzw. damit verbundener Tätigkeiten in Form von Programmierung, Installierung, Entwicklung und Wartung als zitatförmig performative Wiederholung kollektiv geteilter Sinnsetzungen wird der Computer als technisch (re-)codiert und gleichzeitig die männliche Geschlechtersymbolik (re-)aktiviert (vgl. Winker 2005, S. 165f.). Im Kontrast zu den meist eher vagen und sich vielfach auf alltagsweltliche Stereotype stützenden Berufsvorstellungen, von denen sich die Schüler*innen überwiegend abgrenzen – sei es aufgrund der Annahme von extremer Eintönigkeit oder enormer Anforderungen –, zeigt sich immer wieder, dass einzelne junge Frauen mit einem ausgeprägten technikbezogenen Selbstkonzept und entsprechender Studienwahlorientierung über fundierte und differenzierte Kenntnisse bezüglich ausgewählter Technikberufe, damit verbundener Tätigkeitsprofile sowie konkreter Anwendungsfelder verfügen. Häufig lässt sich dabei ein familiärer Bezugshintergrund in Form meist männlicher Vorbilder aufzeigen, der die Studienwahlmotivation bestärken kann, jedoch nicht muss (vgl. auch Engler und Faulstich-Wieland 1995, S. 57ff.; Schuster et al. 2004, S. 39; Wolffram 2003, S. 31). Die Ergebnisse der Analyse machen deutlich, dass in der gemeinsamen Bearbeitung der Frage nach Technikberufen hegemoniale und teils disparate Technikdiskurse aktualisiert und fortschrieben werden. So stehen technische Berufe und Wissenschaften einerseits für Modernität, Fortschritt, Dynamik und Innovation und werden dabei mit einem praxisorientierten, anwendungsbezogenen und abwechslungsreichen Tätigkeitprofil verknüpft. Andererseits liegt der Rückgriff auf stereotype Vorstellungen von einer eintönigen und weltentfremdenden (Computer-) Arbeit mit abstrakten und scheinbar realitätsfernen Arbeitsresultaten, in dem sich nur sehr spezifische Persönlichkeitstypen selbstverwirklichen können dann nahe, wenn es an erweiterten Berufsinformationen und konkreten Lebensweltbezügen mangelt. Und obwohl die Dimension Geschlecht in den zugrunde liegenden Diskussionsabschnitten nicht unmittelbar thematisiert wird, lassen sich vor der Deutungsfolie historisch sedimentierter Wissensordnungen diskursive Praktiken impli-

376 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

ziter Vergeschlechtlichung aufspüren, die die traditionell männliche Geschlechtersymbolik bezüglich des Berufsbildes als auch der ihm zugeordneten Subjektpositionen stützen. Damit wird zum einen die Beharrlichkeit der Vergeschlechtlichung von Technik als Effekt diskursiver Performativität verstehbar. Denn im Sinne Butlers und Foucaults muss im verständlichen Denken und Sprechen stets an vorangegangene (Be-) Deutungen angeknüpft werden, in denen das ›Männliche‹ und das ›Technische‹ sich in beidseitiger Durchdringung zirkulär definieren und konstituieren und zwar – gemäß der Logik bipolarer Zweigeschlechtlichkeit – über und durch den gleichzeitigen Ausschluss und die Verwerfung des weiblich Konnotierten aus der hegemonialen Diskursordnung. Zum anderen hat der vorherrschende Technikbegriff keine feststehende oder »reine Bedeutung« (Butler 2012, S. 289), vielmehr wird diese erst über die sprachlichen Wiederholungen im zeitlich-situativen Kontext (re-)formuliert und geschlechtlich (re-)codiert, was die Möglichkeit von Umdeutungen und Neudefinitionen einschließt. Anknüpfend an die Überlegungen von Foucault und Butler lässt sich damit veranschaulichen, dass sich das alltagsweltliche Denken und Sprechen über Technik bzw. Technikberufe nicht auf einen objektiv erfassbaren und sachlogisch zu definierenden Gegenstandsbereich bezieht. Vielmehr sind damit verbundene Bilder, Vorstellungen und Bedeutungen als kollektive Sinnkonstruktionen zu begreifen, die innerhalb dominanter Diskurse und ihrer Wissensordnungen zeitweilig und kontextgebunden Gültigkeit erlangen und dabei fortlaufend mit anderen hegemonialen Deutungsmustern konfligieren und konkurrieren. Damit offenbart sich das ›Technische‹ im Alltagswissen junger Frauen und Männer am Übergang Schule-Studium/Beruf nicht als feststehender Begriff, sondern vielmehr als ein performatives Produkt historisch-kultureller (Be-)Deutungsschichtungen sich wechselseitig durchdringender realitätsmächtiger Diskurse und ihrer subjektkonstituierenden Wissensordnungen, die sich im Denken und Sprechen widerspiegeln, aktualisieren und transformieren. Gerade in dieser »mangelnde[n] Finalität« (Butler 2006, S. 146) begrifflicher Bedeutungssetzungen sieht Butler einen Möglichkeitsraum der Aneignung, Verschiebung und Umdeutung im Akt der zitierenden Praxis selbst, was alternative Wahrnehmungen denkbar werden lässt. So könnte eine, wenn auch, wie Butler selbst anführt, schwierige Aufgabe darin bestehen, Begriffe und ihre Bedeutungen aufzubrechen und dahingehend auf sie einzuwirken, dass sie dasjenige und diejenigen einschließen, die herkömmlich ausgeschlossen werden (vgl. Butler 2012, S. 289). Im Kontext der vorliegenden Forschungsarbeit lassen sich daraus Überlegungen dahingehend ableiten, inwieweit es möglich ist, nicht kategorisch in binären Mustern und geschlechtlich aufgeladenen Polarisierungen, über die sich Ausschlüsse produzieren, zu denken und zu sprechen, wenn es um Technik geht – oder anders ausgedrückt, inwiefern es möglich ist, die Gegensätzlichkeit technischer und weib-

Zusammenfassung der Ergebnisse | 377

licher Positionierungen aufzulösen und das exklusive Deutungsmonopol männlich konnotierter Zuschreibungen zu überwinden.

9.2 (RE-)KONSTITUIERUNG DISKURSIV-PERFORMATIVER SUBJEKTIVITÄTEN IM VERHANDLUNGSGESCHEHEN MACHTVOLLER GESCHLECHTERNORMEN UND HEGEMONIALER TECHNIKBILDER Um zu verstehen, wie junge Frauen zu ihren Vorstellungen vom eigenen Selbst im Verhältnis zum Technischen gelangen und warum bestimmte Orientierungs- und Handlungsmuster hinsichtlich einer technischen Studien- und Berufswahlorientierung schwer zu durchbrechen sind, konzentriert sich der zweite Teil der empirischen Analyse auf Dimensionen der Subjektkonstitution im Diskursfeld Technik und Geschlecht, anhand derer es gelingt, die Bedeutung kultureller Normen der Anerkennung geschlechtlicher Intelligibilität herauszuarbeiten, die im Verständnis der Forschung als implizite Wissensbestände die Erfahrungen junger Frauen strukturieren und so ihre Wahrnehmungen, (Selbst-)Interpretationen und Handlungsmuster rahmen. Der Zugang zur empirischen Untersuchung der Wirkungsweisen normativer Anforderungen an die soziale Intelligibilität beruflich-geschlechtlicher Identitätsentwürfe eröffnet sich dabei über den analytischen Blick auf geschlechtliche Positionierungen als Ausdruck der Verhandlung anerkennbarer Subjektivitäten im Schnittfeld kultureller Geschlechternormen und hegemonialer Technikbilder, die sich in den alltagsweltlichen Erzählungen und (Selbst-)Darstellungen der beforschten jungen Frauen (und Männer) im Rahmen der Gruppendiskussionen dokumentieren und mit der Produktion von Ein- und Ausschlüssen einhergehen.1 Auf diese Weise lässt sich die Wirkmächtigkeit kultureller Normen der Intelligibilität herausstellen, die innerhalb des Systems heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit geschlechtliche Subjektivierungsweisen regulieren und dabei zugleich berufliche Identitätskonstruktionen präformieren. Dabei vermag die Analyse der gemeinsamen Verhandlung anerkennbarer Identitätspositionen Kräfte und Dynamiken sichtbar machen, die auf die normativen Bedingungen des Subjekt-Seins in der Verhältnis-

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Auch wenn sich das Forschungsinteresse primär auf die geteilten Wahrnehmungs- und Deutungsmuster junger Frauen konzentriert, erweist sich vor dem Hintergrund des Systems heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit in diesem Zusammenhang auch die diskursive Erzeugung binärer Kategorisierungen als aufschlussreich, über die sich die Schüler*innen in gemischtgeschlechtlichen Gruppen als weibliche und männliche Subjekte zueinander ins Verhältnis setzen (vgl. Kapitel 6.6).

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setzung zum Technischen einwirken und so neben Beharrungstendenzen auch Möglichkeitsräume der Veränderung ausfindig zu machen. Zusammenfassend zeigt sich, dass mit der Frage nach Technik bzw. technischen Berufen insbesondere in geschlechtshomogenen Gruppen mit Schülerinnen machtvolle (Geschlechter-)Normen aktiviert werden, die die performative Hervorbringung intelligibler Identitäten anleiten und auf die junge Frauen im Zuge ihrer beruflich-geschlechtlichen Selbstentwürfe – bestätigend oder zurückweisend – Bezug nehmen (müssen). So formieren sich die gemeinsam diskutierten technischen und nicht-technischen Selbstkonzepte der jungen Frauen vor der normativen Deutungsfolie geschlechtlicher Dichotomizität und der damit verwobenen symbolischen Ordnung binärer Differenz, über die weibliche und männliche Subjektpositionen als sich wechselseitig ausschließend in ein oppositionelles Verhältnis zueinander gesetzt werden. Dabei erweist sich die dem Technischen inhärente männliche Geschlechtersymbolik als ein Moment sozialer Differenzierung, über das kollektive Sinnwelten erzeugt werden, die alltagsweltliche (Selbst-)Interpretationen und handlungsleitende Orientierungsmuster rahmen und so dazu beitragen, die vermeintliche Verschiedenheit der Geschlechter aufrechtzuerhalten. Deutlich wird hierbei das machtvolle Ineinandergreifen differenzorientierter Geschlechterbilder, normativer Anrufungen und geschlechtlicher Subjektivierungsweisen, über das sich symbolische Ordnungen fortschreiben und (berufliche) Geschlechtergrenzen (re-)stabilisieren. So kristallisiert sich im Zuge der Auswertung der Sequenzen aus den Gruppendiskussionen zunehmend heraus, dass die beharrliche Ablehnung, mit der die jungen Frauen technischen Studien- und Berufswahloptionen i.d.R. begegnen, weniger auf eine selbstbestimmte Orientierung autonom-souveräner Subjekte zurückzuführen, sondern vielmehr im Zusammenhang mit ihrer – im Sinne Butlers mitunter als gewaltförmig zu bezeichnenden – Verstrickung in gesellschaftliche Machtverhältnisse im Diskursfeld Technik und Geschlecht zu betrachten ist. Die Analyse lässt die Auseinandersetzung der jungen Frauen mit normativen Anforderungen an die Kohärenz beruflich-geschlechtlicher Identitäten erkennbar werden, deren Ausgangspunkt verletzende Adressierungen entlang geschlechtlicher Differenzlinien bilden, die ihnen zugemutet werden (vgl. Kapitel 8.1). Es zeigt sich, dass junge Frauen wiederkehrend mit geschlechtsbezogenen Anrufungen und Adressierungen als defizitäre Subjekte in Form geschlechterstereotyper Zuschreibungen im Leistungsbereich von Technik und Naturwissenschaft konfrontiert werden, die sie im Zuge adoleszenter Identitätsbildungsprozesse bearbeiten müssen (vgl. auch Budde und Hummrich 2015, S. 36f.; Hofer 2015, S. 2879ff.; Jäckle et al. 2016, S. 201; Micus-Loos et al. 2016, S. 178ff.). Dies wird insbesondere am Beispiel des Schulunterrichts im Fach Physik anschaulich, das für die Entwicklung eines technischen Selbstkonzeptes von besonderer Relevanz ist, da es eine grundlegende Bezugswissenschaft technischer Disziplinen darstellt (vgl. Driesel-Lange 2011, S. 4ff.; Wolffram 2003, S. 39ff.; Schuster et al. 2004, S. 41f.). Vor diesem

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Hintergrund zeichnet die Analyse aus einem ethnomethodologischen Blickwinkel Geschlechterkonstruktionen in schulischen Interaktionen nach, die mit der Dramatisierung und Hierarchisierung binärer Differenz einhergehen, während zugleich Geschlechterstereotype aktualisiert und fortgeschrieben werden (vgl. Budde et al. 2008, S. 114f.; Faulstich-Wieland 2000, S. 202; Faulstich-Wieland et al. 2004, S. 22ff). Aus einer poststrukturalistischen Perspektive lassen sich dabei die dem Autoritätsgefüge inhärenten Machtstrukturen aufzeigen, die im foucaultschen Sinne Schule als eine Instanz der Disziplinierung und Normalisierung verstehbar werden lässt (vgl. Foucault 1977, S. 177), die entscheidend zur Aufrechterhaltung des Alltagswissens über die Norm der Zweigeschlechtlichkeit und damit verwobener Differenzannahmen beiträgt (vgl. Hummrich und Kramer 2017, S. 128ff.; Jäckle et al. 2016, S. 22ff.). Denn in ihr werden die Individuen geschlechtlich adressiert und als ›Mädchen‹ und ›Jungen‹ voneinander unterschieden, wobei ihnen mitunter ungleiche fachbezogene Fähigkeiten und Leistungsvermögen zugeschrieben werden. So zeigen sich die Schülerinnen in den Gruppendiskussionen davon überzeugt, dass ihre tatsächlichen Fähigkeiten und Begabungen im traditionell männlich codierten Fach Physik aufgrund ihrer weiblichen Geschlechtszugehörigkeit nicht angemessen beurteilt und sogar verkannt werden und begreifen dies als Ausdruck kulturell verankerter geschlechterstereotyper Fähigkeitsattribuierungen, die ihnen die Entwicklung eines berufsrelevanten technisch-naturwissenschaftlichen Selbstkonzeptes erschweren (vgl. auch Jäckle et al. 2016, S. 203; Lembens und Bartosch 2012, S. 87; Micus-Loos et al. 2016, S. 179). Indem die vorliegende Forschungsarbeit die sich in den Erzählungen der jungen Frauen dokumentierenden Verletzungen des fachbezogenen Selbstvertrauens nicht als individuelle Einzelschicksale, sondern im Kontext situativer Machtverhältnisse betrachtet, wird verstehbar, wie die zeitweilig totalisierenden Bezeichnungen, über die weibliche Subjekte als ›Mädchen, die kein Physik können‹ abweichend und defizitär klassifiziert werden, ihre performative Kraft entfalten. Dies geschieht, indem sie an eine Kette vorangegangener Aussageformationen anknüpfen, die Frauen ebenso selbstverständlich ein technisch-naturwissenschaftliches Verständnis absprechen, wie sie ein solches Männern zuschreiben und sich dabei auf hegemoniale Diskurse über die Binarität und Differenz der Geschlechter als Grundkonstante sozialer Wirklichkeit berufen. Dadurch, dass der Verlust des Zutrauens in die eigenen Fähigkeiten und des einstigen Fachinteresses somit als Effekt einer wirkmächtigen Geschlechterordnung in den Blick genommen wird, lassen die analytisch herausgearbeiteten Einschreibungen geschlechterhierarchisierender Differenzlinien in weibliche Identitätsentwürfe die produktive Macht diskursiver Ordnungen im Rahmen geschlechtlicher Subjektivierung greifbar werden, die in performativen (Bezeichnungs-)Praktiken Mädchen und Frauen hervorbringen, die sich fortan vermehrt selbst jenseits des Technischen entwerfen, was in der Folge ihren Ausschluss aus

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dem exklusiven Kreis fachzugehöriger Subjekte rückwirkend zu legitimieren scheint. Demnach ist die Verwobenheit der Bedeutungen von Männlichkeit und Technik in Verbindung mit der traditionell männlichen Codierung technisch-naturwissenschaftlicher Kerndisziplinen wie der Physik als eine den individuell-subjektiven Biographien vorgängige Anerkennungsstruktur zu begreifen (vgl. Villa 2012, S. 49), die den normativen Anspruch eines leistungsgerechten Bildungssystems unterwandert und dabei als machtvoller Mechanismus der Inklusion und Exklusion symbolische Geschlechtergrenzen aufrechterhält. In freier Übertragung der Überlegungen von Pierre Bourdieu und Patrick Champagne (1997) über »[d]ie intern Ausgegrenzten« (ebd., S. 527ff.; vgl. auch Budde und Hummrich 2015, S. 34) im Kontext des historischen Wandels im Bildungssystem auf die Thematik der vorliegenden Forschung scheint durch die androzentrisch anmutende Anerkennungslogik das gesellschaftspolitische Versprechen offener Zugangswege für Frauen in traditionelle Männerdomänen, wie es auch aktuelle MINT-Diskurse zu vermitteln suchen, schwer einlösbar. So zeigt die Analyse, wie mit der geschlechtlichen Adressierung als ›Mädchen‹ normative Bedeutungen von einem bestimmten ›So-Sein‹ aufgerufen und übermittelt werden – nämlich eben nicht technisch-naturwissenschaftlich interessiert und begabt zu sein – mit denen sich die adoleszenten Frauen im Rahmen beruflich-geschlechtlicher Identitätsbildungsprozesse auseinandersetzen müssen. Die gemeinsame Erlebnisschichtung im konjunktiven Erfahrungsraum des schulischen Physikunterrichts steht somit als anschauliches Beispiel für machtvolle Adressierungen, die sich auf diskursive Wissensbestände und ihre diametralen Geschlechterpositionierungen im Bereich von Technik (und Naturwissenschaft) berufen und diese gleichsam reproduzieren, indem sie sich in die Wahrnehmungen und (Selbst-)Interpretationen der Subjekte einprägen und damit handlungsrelevant, sozial wirksam und folglich ›wirklich‹ werden. In diesem Sinne erweisen sich die wiederkehrenden Adressierungen, über die weibliche Subjekte jenseits des Technischen situiert werden als performativ. Die Grundlage hierfür bilden historisch gewachsene und gesellschaftlich etablierte Wissensformationen, in denen die Bedeutungen von Technik und Männlichkeit eine symbolische Einheit bilden, aus der – gemäß der Binarität kultureller Geschlechternormen und damit verwobener Differenzmarkierungen im System heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit – Ausschließungslogiken von Weiblichkeit und Technik in performativen Prozessen der Geschlechterkonstruktion resultieren (vgl. Kapitel 8.2). Wie sich im Zuge der Analyse herausstellt, bildet die Normativität dieser konstitutiven Verknüpfung von Technik und Männlichkeit in den Vorstellungen der jungen Frauen (und auch Männer) eine kollektiv geteilte Sinnwelt, die wiederum ihre Wahrnehmungs- und Deutungsmuster von sozialer Wirklichkeit prägt. Dies zeigt sich u.a. in der Selbstverständlichkeit, mit der männlich konnotierte Tätigkeiten als technisch wahrgenommen und als Ausgangspunkt für die Herausbildung einer ent-

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sprechenden Berufswahlorientierung aufgeführt werden. Weiblich konnotierte Technikbezüge bleiben dagegen nahezu vollständig ausgeblendet (vgl. auch Cockburn 1988; Döge 2001, S. 129; Engler und Faulstich-Wieland 1995, S. 60; Teubner 2009, S. 178f.; Wajcman 1994, S. 116). Während diese symbolisch-diskursive Struktur der Verhältnissetzung von Technik und Geschlecht, die sich in den Argumentationslinien der Schüler*innen dokumentiert, eher ein präreflexives, nicht unmittelbar verfügbares Wissen darstellt,2 werden in den gemeinsamen Debatten mitunter auch biologistische Diskursformationen aufgerufen, die Frauen und Männer essentialistische Wesensmerkmale zuweisen, aus denen vermeintlich natürlich differente Eigenschaften, berufliche Eignungen und Leistungsvermögen abgeleitet, stilisiert und idealisiert werden. So werden von den Schüler*innen ontologische Annahmen von einer weiblichen Sozialität und Fürsorglichkeit einem männlichen Technikverständnis entgegengesetzt und davon ausgehend entsprechend unterschiedliche berufliche Befähigungen von Frauen und Männern gefolgert. Technik wird dabei als eine männerdominierte und männlich codierte Sphäre verstehbar, die von gesellschaftlichen Machtverhältnissen durchdrungen ist und diese gleichsam stützt, indem sie entscheidend zur Stabilisierung asymmetrischer Geschlechterverhältnisse beiträgt. Denn Technik und technische Entwicklung gelten als »Garanten des gesellschaftlichen Fortschritts« (Connell 2000a, S. 185; vgl. auch Nachwuchsbarometer Technikwissenschaften 2009, S. 4f.; Paulitz und Ziegler 2015, S. 98) und somit evoziert der erhobene Anspruch hegemonialer Männlichkeitskonstruktionen technische Vernunft zu verkörpern – wie er auch von Schülern in den gemeinsamen Debatten bisweilen erhoben wird und sich auch in den Erzählungen über den Physiklehrer widerspiegeln – eine statushohe Positionierung männlicher Subjektpositionen innerhalb der vorherrschenden Geschlechterordnung und lässt damit die enge Verknüpfung performativer Prozesse des ›doing gender‹ und ›doing hierarchy‹ (vgl. Wetterer 2002, S. 145ff.) deutlich werden. Vor dem Hintergrund dieser symbolisch-diskursiv geschichteten und kollektiv verwurzelten Bedeutungsmuster, die Männlichkeit und Technik als wechselseitig konstitutiv begreifen, offenbart sich Technik somit als ein zentrales Moment geschlechtlicher Differenzierung und Hierarchisierung. Dabei tritt in den kontrovers geführten Debatten der Schüler*innen ein Ringen konkurrierender (Wahrheits-)Diskurse über Differenz und Gleichheit der Geschlechter zutage, die tradierte geschlechtsbezogene Zuweisungsprozesse im Berufssystem einerseits zu plausibilisieren und andererseits als Beschränkung im 2

Diese impliziten Wissensbestände über die Verhältnissetzung von Technik und Geschlecht lassen sich mit Bezug auf Mannheim als atheoretisches Erfahrungswissen begreifen, das die jungen Frauen und Männer sozialisatorisch in Auseinandersetzung mit der zweigeschlechtlich strukturierten sozialen Wirklichkeit verinnerlicht haben und das ihre Handlungsorientierung leitet (vgl. Bohnsack et al. 2013, S. 12).

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Denken zu entlarven suchen. Während dieser Disput dahingehend gedeutet werden kann, dass begrenzende (berufliche) Verhaltens- und Leistungserwartungen aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit in Anbetracht der gesellschaftlich breit akzeptierten und formal verankerten (Rechts-)Norm geschlechtlicher Gleichstellung an Legitimität verlieren (vgl. Budde 2011, S. 179f.; Heintz 2001, S. 12; Wetterer 2003, S. 286; Winker und Degele 2009, S. 143) und sich unter den beforschten (bildungsprivilegierten) Gymnasiast*innen zunehmend als ›unsagbar‹ darstellen, erweist sich die symbolische Ordnung binärer Geschlechterdifferenz im Kontext identitätsmächtiger Anrufungen intelligibler Subjekte als nahezu unberührt von modernisierten Geschlechterarrangements. So wird in der gemeinsamen Verhandlung anerkennbarer Positionierungen ein Vordringen als Frau in Männlichkeit repräsentierende Technikfelder mitunter von den Schülerinnen als Verstoß gegen normative Vorgaben an die Kohärenz geschlechtlicher Identitäten (vgl. Butler 2014, S. 38) wahrgenommen und als Bedrohung intelligibler Weiblichkeit gedeutet (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 187ff.). In der Konsequenz werden technikorientierte Frauen in kollektiven Praktiken der Selbst- und Fremdpositionierung als abweichend markiert und außerhalb konventionell anerkannter Formen weiblicher Subjektivität situiert, was mit dem Verlust von sozialer Anerkennung einhergeht – wobei die Analyse deutlich macht, dass dieser Verlust je nach Kontext der diskursiven Verhandlung unterschiedliche Ausmaße annehmen kann. Aus der Perspektive der jungen Frauen ist somit eine technische Berufswahl ungeachtet individueller Interessen und Kompetenzen grundsätzlich mit Konflikten behaftet, die unter Umständen ihren Subjektstatus und damit ihre soziale Existenz tangieren können. Dagegen sichert eine Selbstverortung im Bereich konventioneller Weiblichkeit über den konstitutiven Ausschluss des Technischen komplikationslos die kohärente Darbietung intelligibler Geschlechtlichkeit und erweist sich im Kontext der Fragestellung nach Technik bzw. technischen Berufen auch als widerständige Positionierung gegen den durch aktuelle Anrufung gegenwartsbezogener MINT-Diskurse implizierten Begründungsdruck hinsichtlich einer nicht-technischen (Berufswahl-) Orientierung. Damit zeigt sich, dass der Performativität intelligibler Geschlechtlichkeit auch eine legitimatorische Funktionalität inhärent ist (vgl. Butler 2014, S. 206), indem die Berufung auf klassische Weiblichkeitsideale vor dem Hintergrund kollektiver Wissensbestände die Ablehnung technischer Berufe ohne Weiteres als widerspruchsfrei und geradezu plausibel erscheinen lässt. Im umgekehrten Fall zeigt sich jedoch auch, wie durch eine strategische Abgrenzung gegenüber konventionellen Weiblichkeitsvorstellungen und damit verkoppelten Attribuierungen normative Anforderungen an die Kohärenz geschlechtlicher Identitäten zugunsten eines alternativen technisch-beruflichen Selbstkonzeptes umgedeutet und somit Begrenzungen gesellschaftlicher Normen und Konventionen überschritten werden können – auch wenn dies eine Selbstverortung im Bereich der Abweichung von he-

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gemonialen Geschlechternormen und ihren gesicherten Anerkennungsstrukturen bedingt. Zum einen wird somit deutlich, dass die Konstruktion konventionell anerkannter Formen von Weiblichkeit vor dem Hintergrund des diskursiv eingefassten Wissens um die Binarität der Geschlechter die Abgrenzung zur Männlichkeit symbolisierenden Technik als ›konstitutives Außen‹ verlangt. Zum anderen zeigt die Analyse in Anlehnung an Butler und Foucault jedoch auch, dass diese Bedeutungen nicht definitiv sind, sondern vielmehr vor dem Hintergrund konkurrierender Diskurse fortwährend neu ausgehandelt, bestätigt und verschoben werden. Hierbei treten die Schüler*innen selbst als Akteur*innen diskursiver Ordnung in Erscheinung, die das, was als intelligibler Entwurf geschlechtlicher Identität in Verbindung mit beruflichen Orientierungsprozessen anerkennbar ist, innerhalb der Gruppe Gleichaltriger in Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Vorgaben verhandeln und dabei kollektiv geteilte und historisch geronnene Sinnkonstruktionen rund um Technik und Geschlecht kontextgeleitet aufrufen und bestätigen, aber auch anfechten, irritieren und subversiv zu unterwandern suchen. Dabei werden ambivalente Positionierungen im Verhandlungsgeschehen divergierender Anrufungen erkennbar, mit denen die jungen Frauen disparaten Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Identitätsentwürfe begegnen, die über eine gegenwärtige Pluralisierung konfligierender Diskurse an sie herangetragen werden (vgl. Kapitel 8.3). So werden bereits durch die an sie gerichtete Fragestellung nach Technikberufen unweigerlich widersprüchliche Adressierungen gegenläufiger Diskursformationen aufgerufen: Denn während sich einerseits historisch-kulturell gefestigte Formen der Anerkennung konventioneller Weiblichkeit nach wie vor in Abgrenzung zum Technischen vollziehen, werden andererseits über aktuelle bildungspädagogische und gleichstellungspolitische Diskursstränge junge Frauen angerufen, ein berufliches Selbstkonzept im Bereich MINT zu entwerfen. Während ersteres eher als Bestandteil eines kollektiv verwurzelten und überwiegend vorreflexiv wirkenden Geschlechterwissens Identitätsbildungsprozesse leitet, erweist sich Letzteres als gesellschaftspolitisch motivierter Einflussversuch auf die beruflichen Orientierungen und Handlungsentscheidungen junger Frauen, durch die sich die Schülerinnen in den Gruppendiskussionen häufig einem impliziten Rechtfertigungsdruck ausgesetzt zu sehen scheinen. Als Widerstandsressourcen gegen differenzdramatisierende und defizitorientierte Aussageformationen, die weibliche Subjekte außerhalb des Technischen situieren, fungieren derweil gesellschaftspolitische Gleichheits- und Gerechtigkeitsdiskurse, die egalitäre Geschlechterkonzepte jenseits stereotyper Zuschreibungen propagieren und auf deren Grundlage die jungen Frauen begrenzende Anweisungen an weibliche (Berufs-)Identitäten zurückweisen, wenngleich die Wirksamkeit dieser diskursiven Gegenwehr in Relation zu den im jeweiligen Kontext konkurrierenden diskursiven Wissensordnungen und den durch sie konstituierten Subjektpositionen

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steht. Denn auch wenn die Gleichstellung der Geschlechter eine gesellschaftlich breit akzeptierte und formal verankerte Norm im Sinne eines Common-Sense darstellt, offenbart die Analyse, dass dies nicht der Lebensrealität der beforschten jungen Frauen (und Männer) entspricht. Vielmehr wird mit der Rückbindung ihrer Aussagen und Selbstdarbietungen an die analytisch herausgearbeiteten (diskursiven) Handlungspraktiken deutlich, wie im Zuge der Verhandlung anerkennbarer Positionierungen Geschlechterdifferenz in ihrer identitätskonstitutiven Funktionalität fortwährend hergestellt und produktiv nutzbar gemacht wird. Ähnliches zeigt sich auch im Hinblick auf das alltagsweltliche Subjektverständnis, das sich in den individuellen Selbstentwürfen junger Frauen am Übergang Schule-Studium/Beruf vielfach widerspiegelt und gegenwärtig von einer Semantik des »souveränen, handlungsrationalen, freien und selbstbewussten Menschen« (Villa 2008, S. 8) gekennzeichnet ist, womit effektiv die Wirkmächtigkeit hegemonialer (Geschlechter-) Normen verschleiert wird, die das Verständnis vom eigenen Selbst als Ausgangspunkt individueller Orientierungs- und Entscheidungsprozesse rahmen (vgl. ebd.). Die häufig biographischen Erzählstrukturen, mit denen die jungen Frauen ihre technischen bzw. nicht-technischen Ambitionen zu ergründen suchen, offenbart dagegen das Zusammenspiel symbolisch-diskursiver Ordnungen mit Praktiken des ›doing gender‹, durch das Vorstellungen von einer natürlichen (Geschlechter-)Ordnung erzeugt, sozial relevant und wirklichkeitswirksam werden. Hierbei erweist sich u.a. die geschlechtliche Aufgabenteilung im Elternhaus als relevant oder auch wiederkehrende geschlechterstereotype Adressierungen, die selbst über profane Gegenstände wie Spielzeuge oder Kleidungsstücke übermittelt werden (vgl. auch Hummrich und Kramer 2017, S. 131; Vobker 2016, S. 19f., 354). Anhand solcher Beispiele lässt sich darlegen, wie das implizite Orientierungswissen der jungen Frauen darüber, was es bedeutet weiblich oder männlich zu sein, wie sich diese geschlechtlichen Subjektpositionen über ihr Verhältnis zum Technischen konstituieren und welche Ausdruckformen geschlechtlicher Identität in diesem Zusammenhang legitim und anerkennbar sind, auf der Schichtung sozialisationsrelevanter Erfahrungen aufruht. Hierbei offenbart sich Technik als eine performative Ressource zur Konstruktion von Identität und Gruppenzugehörigkeit, die aufgrund ihrer männlichen Codierung jungen Frauen eine starke Kontrastfolie zur Darstellung kohärenter Weiblichkeit in Übereinstimmung mit gesellschaftlichen Konventionen und Normen bietet. So wissen sich auch die Schülerinnen in ihren Selbstinszenierungen der vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Bedeutungsimplikationen des Technischen zu bedienen, um sich im Spannungsfeld von Normalität und Abweichung wirkungsvoll zu positionieren. Dabei zeigt die Analyse, wie durch die Abgrenzung zum Technischen im Zuge der Darbietung konventioneller Weiblichkeit im Sinne von ›doing femininity‹ traditionelle Geschlechterbilder bestätigt und fortgeschrieben werden. Zugleich lassen sich jedoch auch Momente der Irritation her-

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ausarbeiten, wenn die gemeinsame Inszenierung technischer Inkompetenz – die in gruppendynamischen Prozessen bisweilen als Mittel der Konstruktion von Kollektivität fungiert – in parodistisch anmutender Übertreibung mündet, die die scheinbare Natürlichkeit des Gegensatzes von Weiblichkeit und Technik als »performativ inszenierte Bedeutung« (Butler 2014, S. 61) zu entlarven vermag. Diese kollektiven Inszenierungen als technisch defizitäre weibliche Subjekte lassen sich mit Butler als Akte der offensiven Aneignung erniedrigender Ansprachen und radikalen Selbstpositionierung verstehen, die im Effekt die Wirkungskraft verletzender Bezeichnungen zwar nicht aufheben, dafür jedoch ihre Diskursivität erkennbar werden lassen (vgl. Butler 2014, S. 158f.). Hingegen wird an anderer Stelle deutlich, dass eine Abgrenzung gegenüber konventioneller Weiblichkeit neue Formen der Anerkennung weiblicher Subjektivität diesseits des Technischen ermöglicht. Dabei lässt sich die vehemente Abkehr von traditionellen Weiblichkeitsbildern mitunter als »›positionale Widerstandsressource‹«3 (Jäckle 2011, S. 33) begreifen, durch die normative Anforderungen an die Kohärenz geschlechtlicher Identitäten und damit verbundene Begrenzungen gesellschaftlicher Normen und Konventionen zugunsten eines alternativen technisch-beruflichen Selbstkonzeptes angeeignet und umgeschrieben werden können. Denn die Verhandlungen anerkennbarer beruflich-geschlechtlicher Identitätspositionierungen im Kontext Technik folgen insbesondere in geschlechtshomogenen Gruppen mit Schülerinnen oftmals keiner vordergründig zweigeschlechtlichen Systematik, vielmehr wird hier der Bereich geschlechtlicher Intelligibilität im Binnenverhältnis vorherrschender Weiblichkeitsdiskurse ausgelotet. So konstruieren die jungen Frauen ein diskursives Klassifizierungsraster weiblicher Subjektivität im Verhältnis zum Technischen, innerhalb dessen sie unterschiedliche Identitätsentwürfe als ›typisches Mädchen‹ bzw. ›untypisches Mädchen‹ verorten, ohne dass dabei nicht-hegemoniale Positionierungen als vermännlichend und den weiblichen Subjektstatus gefährdend wahrgenommen und gedeutet werden. In diesem Kontext offenbaren sich produktive Lösungsansätze, mit denen adoleszente junge Frauen widersprüchliche Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Identitäten in einen Zustand der Kohärenz überführen und damit zugleich den Boden für konventionsüberschreitende Neudefinitionen bereiten (vgl. King 2002, S. 88). Während sich junge Frauen, die eine gefestigte technisch ausgerichtete Berufswahlorientierung aufweisen, im Rahmen der Verhandlung anerkennbarer Formen geschlechtlicher Subjektivität im Kontext Technik von hegemonialen Weiblichkeitsbildern zugunsten alternativer Selbstentwürfe abgrenzen (müssen) und auf diese Weise die Anerkennbarkeit ihres beruflich-geschlechtlichen Selbstkonzeptes zu 3

Als ›positionale Widerstandsressource‹ bezeichnet Monika Jäcke (2011) »nicht-hegemoniale Geschlechterpositionierungen« (ebd., S. 33), die von Schüler*innen im Zuge von Subjektwerdungsprozessen innerhalb der Schule genutzt werden (können).

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gewährleisten wissen, zeigt sich an anderer Stelle, dass bestimmte Technikbereiche gerade dadurch, dass sie gesellschaftlich vorherrschenden Weiblichkeitsnormen entgegenstehen, adoleszenten Frauen Identifikationsanreize bieten (können), um Vorstellungen vom eigenen Selbst jenseits begrenzender Gesellschaftsanforderungen zu imaginieren. Beiden Konstruktionsweisen gemein ist ein Verzicht auf konventionelle Formen der Anerkennung, was nach King (2002) eine zentrale Voraussetzung für konventionsüberschreitende transformative Identitätsentwürfe bildet (vgl. ebd., S. 88) und sich im Zuge der analytischen Betrachtungen als eine Ermöglichungsstruktur zur Neugestaltung weiblicher Subjektivität im Diskursfeld Technik und Geschlecht herauskristallisiert. Hierbei erweist sich die Lebensphase der Adoleszenz von besonderer Bedeutung. Denn wie sich in den teils unsteten Positionierungen der jungen Frauen im Rahmen der gemeinsamen Diskussion um Technik bzw. technische Berufe immer wieder zeigt, ist diese einerseits von dem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und Bestätigung geprägt, was mitunter in einer (Rück-) Besinnung auf die Sicherheit konventionell anerkannter Identitätskonstruktionen mündet. Anderseits wird jedoch ebenso ein emanzipatives Streben der jungen Frauen nach Unabhängigkeit, Autonomie und Individuation deutlich, was zur kritischen Auseinandersetzung mit – und teils inständigen Anfechtung von – gesellschaftlichen (Geschlechter-)Normen und Konventionen führt bzw. führen kann (vgl. auch King 2002, S. 88f.). Im Zuge der Verhandlung unterschiedlicher Weiblichkeitskonzepte nehmen die jungen Frauen dabei oftmals Bezug auf alltagsweltliche (Technik-)Artefakte, die innerhalb der eigenen Referenzgruppe Gleichaltriger eine identitätsstiftende Bedeutsamkeit hinsichtlich adoleszenter Autonomiebestrebungen aufweisen. Insbesondere mit Bezug auf den Bereich der Kfz-Technik, der von den Schülerinnen wiederholt aufgerufen und zum Gegenstand der gemeinsamen Diskussion gemacht wird, lassen sich lokale Möglichkeitsräume für alternative Identitätsentwürfe im Spannungsfeld von Tradition, Transformation und Subversion ausfindig machen (vgl. Kapitel 8.4). Dabei zeigt sich, wie die jungen Frauen im diskursiven Ringen um Anerkennung als modern-autonome Subjekte die Überschneidungen gesellschaftlich-normierender Anweisungen konkurrierender Diskurslinien für subversive Positionierungen nutzen (vgl. Butler 2014, S. 213f.), indem sie sich kulturelle Repräsentationen, die bestimmten Techniksymbolen – wie dem Auto oder Motorrad – anhaften und traditionell männlich konnotiert sind, aneignen und als Mittel der Distinktion innerhalb der eigenen Referenzgruppe nutzbar machen (vgl. auch Nölleke 1998, S. 39; Vobker 2016, S. 159f., 166). Somit geht es häufig weniger um konkrete berufliche Orientierungen im Kfz-Bereich, als vielmehr darum, Gelegenheitsstrukturen für individuierende Weiblichkeitsentwürfe in Abgrenzung zu gesellschaftlichen Konformitätsanforderungen zu sondieren, losgelöst und unabhängig von einschränkenden und teils schmälernden Vorgaben an die Herausbildung weiblicher Identitäten.

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Befördert wird die Herausbildung solch unkonventioneller Orientierungsmuster vor dem Hintergrund asymmetrischer Geschlechterverhältnisse durch die gegengeschlechtliche Identifikation mit männlichen Bezugspersonen, die Anreize bieten, tradierte Geschlechtergrenzen zu überschreiten, Bedeutungen zu verschieben und alternative Formen weiblicher Subjektivität zu behaupten. Dabei fungiert die Teilhabe an männlich besetzten und prestigeträchtigen (sub-)kulturellen Techniksphären in den Selbstentwürfen der jungen Frauen als Ressource zur Inszenierung einer Form exklusiver Weiblichkeit, die innerhalb der hegemonialen Geschlechterordnung Statusvorteile gegenüber klassischen Weiblichkeitskonzepten verspricht. Derartige Technikbezüge erweisen sich somit im hohen Maße als anschlussfähig an adoleszente Identitätsbestrebungen, die zwischen dem Wunsch nach Zugehörigkeit und dem Streben nach Unabhängigkeit changieren (vgl. auch King 2002, S. 88). Aus dieser Perspektive wird auch verstehbar, warum sich die jungen Frauen in diesem Kontext auf den technisch-handwerklichen Bereich fokussieren. Denn dieser bildet als körperlich anspruchsvolle und ›schmutzige‹ Arbeit in unmittelbar handfester Auseinandersetzung mit Kfz-Technik einen scharfen Kontrast zu (insbesondere bildungsbürgerlichen) Weiblichkeitsnormen in ihrer intersektionalen Überkreuzung mit akademisch orientierten Berufsaspirationen und somit eine wirkungsvolle Hintergrundfolie für subversive Gegenentwürfe. Ein vergleichbares Identifikationsmoment scheint ein technisches Studium in der Wahrnehmung der Schülerinnen dagegen nicht zu bieten, zumal hiermit eher abstrakte und theoriegeleitete Lerninhalte assoziiert werden, die weniger an Freiheit und Unabhängigkeit denken lassen als vielmehr an schulische Lernerfahrungen anzuknüpfen scheinen und überwiegend auf Ablehnung stoßen. Allein praxisorientierte Studienprojekte, die ihrerseits einen unmittelbaren Bezug zu statushohen Technikartefakten aufweisen, werden als reizvoll wahrgenommen. Damit wird noch einmal deutlich, dass für viele der jungen Frauen bei der emotional-affirmativen Positionierung zur KfzTechnik weniger ein berufliches Selbstkonzept im Vordergrund steht, das sich auf Fachinteresse gründet und auf die Aneignung von fundiertem Wissen und Kompetenz ausgerichtet ist, als vielmehr darauf, sich machtvoller innerhalb der hierarchischen Geschlechterordnung zu positionieren, wobei die vergeschlechtlichte Symbolkraft des Technischen in seiner Verwobenheit mit objektbezogenen Alltagsrepräsentationen als Widerstandsressource fungiert (vgl. auch Nölleke 1998, S. 39). Die im Zuge der Analyse konturierte Durchlässigkeit geschlechterkonstitutiver Grenzlinien verweist auf Verschiebungen innerhalb diskursiver Ordnungen und ist im Zusammenhang mit der ausgewiesenen Koexistenz unterschiedlicher, sich überschneidender oder miteinander konkurrierender Diskurse rund um Technik und Geschlecht zu betrachten, die im Sinne Butlers einen Möglichkeitsraum für variierende Wiederholungen normativer Vorgaben in performativen Prozessen geschlechtlicher Identitätsbildung instituieren, die wiederum den Ausgangspunkt für die Erweiterung des Bereichs kultureller Intelligibilität um alternative Formen

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weiblicher Subjektivität bilden. Denn auch wenn sich gesellschaftliche Normen einerseits als begrenzend erweisen, indem sie die Hervorbringung kohärenter Identitäten im System normativer Zweigeschlechtlichkeit regulieren, ermöglichen sie andererseits »innerhalb der Verfahren repetitiver Bezeichnungen« (Butler 2014, S. 212, Hervorh. i.O.) auch kreative Wandlungen und subversive Wiederholungen. Somit gilt es, Möglichkeiten zur Veränderung an den Schnittstellen zu suchen, an denen die Diskurse sich erneuern (vgl. Butler 1993a, S. 125) und an denen die Verfahren produktiver Wiederholung einen Raum für nicht-hegemoniale Subjektpositionierungen im Diskursfeld Technik und Geschlecht eröffnen (vgl. Butler 2014, S. 216), um alternative Identifikationsentwürfe junger Frauen diesseits des Technischen zu stärken und auf diese Weise Gelegenheitsstrukturen zur Festigung konventionsüberschreitender (beruflicher) Orientierungen zu generieren.

10. Relevanz der Forschungsergebnisse für pädagogische Perspektiven Das Anliegen der hier vorgestellten Forschung ist es, angesichts der Verwobenheit dominanter Geschlechternormen mit hegemonial-diskursiven Technikbildern auf daraus resultierende gesellschaftliche Anforderungen an beruflich-geschlechtliche Identitäten aufmerksam zu machen, die die Berufs- und Studienwahlen junger Frauen regulieren und begrenzen, indem sie die Bedingungen für deren Anerkennbarkeit vorgeben. Voraussetzung hierfür ist ein Wissen über den konstruktiven Charakter des Bedeutungszusammenhangs von Technik und Geschlecht und daran gebundene Subjektivierungsweisen im Einflussbereich machtvoller Normen und diskursiver Ordnungen. Dabei verdeutlicht die Studie auch die Notwendigkeit, im Rahmen (sozial-)wissenschaftlicher Forschung und pädagogischer Praxis stets die eigene Eingebundenheit in vorherrschende Machtverhältnisse sowie die Eigenbeteiligung an der Reproduktion und Transformation hegemonialer Diskurse über Technik und Geschlecht samt daran gebundener Normen und normativer Vorstellungen über den Zusammenhang von Geschlechtsidentität und Berufswahlorientierung mitzudenken. Vor dem Hintergrund der dargelegten wissenschaftlichen Erkenntnisse werden im Weiteren ausgewählte Perspektiven für (sozial-)pädagogische Denkweisen und Handlungspraxen skizziert, die sich kritisch mit geschlechterdifferenten Studienund Berufswahlverhalten vor dem Hintergrund sozialer Ungleichheitsverhältnisse befassen.

10.1 BEWUSSTWERDUNG ÜBER DIE KOMPLEXITÄT BESTEHENDER ZUSAMMENHÄNGE Der Studie gelingt es in Anlehnung an den von Winker und Degele (2009) vorgeschlagenen intersektional angelegten ›Mehrebenenansatz‹, die Komplexität der Zusammenhänge geschlechtlicher und beruflicher Identitätsbildung aufzufächern und dabei den Blick für die wechselseitige Durchdringung und Rückkopplung gesellschaftlicher Strukturen, geschlechtlicher Identitäten und symbolischer Repräsenta-

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tionen zu schärfen (vgl. ebd., S. 15). Angesichts der im Zuge der Analyse dargelegten Vielschichtigkeit der Wirkungsbeziehungen erscheinen pädagogische und bildungspolitische Maßnahmen und Interventionen, die sich bemühen, berufliche Geschlechtergrenzen und geschlechtersegregierende Strukturen des Arbeitsmarktes allein durch ein unmittelbares Einwirken auf die Wahlentscheidungen junger Frauen und Männer aufzulösen, kaum ausreichend, wenn nicht darüber hinaus die Verstrickung der Subjekte in gesellschaftliche Normen und diskursive Ordnungen berücksichtigt wird, die ihre Erfahrungswelten, Selbstverhältnisse und Lebensweisen rahmen (vgl. Hartmann 2001, S. 73). Denn eine Rückbindung der beharrlichen Unterrepräsentanz von Frauen in technischen Berufen und Wissenschaftszweigen sowie daraus resultierende hierarchisierende Ungleichheiten an determinierende Strukturen greift ebenso zu kurz, wie Annahmen bezüglich der Eigenverantwortlichkeit autonom handelnder Subjekte, die gesellschaftlichen Verhältnissen souverän gegenübertreten. Stattdessen unterstreichen die dargelegten Forschungsergebnisse die Notwendigkeit einer kritischen Betrachtung und Hinterfragung gesellschaftlicher Selbstverständlichkeiten, Common-Sense-Annahmen und vermeintlich eindeutiger Begriffe wie Geschlecht und Technik. Auf diese Weise lassen sich die den Subjekten vorgängigen machtvollen Normen und Diskurse erfassen, über die in dynamischen und eigensinnigen Prozessen Bedeutungen, Wahrheiten und Wirklichkeiten hervorgebracht und fortgeschrieben werden, die sich hinsichtlich der Entscheidung junger Frauen für oder gegen eine technische Studien- und Berufswahl von enormer Relevanz erweisen. Wie die Studie verdeutlicht, ermöglicht dabei eine grundsätzliche Offenheit gegenüber der Identitätskategorie Geschlecht und ihrer Verknüpfung mit gesellschaftlichen Strukturen und symbolischen Repräsentationen der konstruktivistischen Zugängen inhärenten Problematik der Reifizierung angemessen und konstruktiv zu begegnen (vgl. Winker und Degele 2009, S. 143).1 Indem die Bedeutsamkeit von Geschlecht und (Geschlechter-)Symboliken des Technischen nicht vorausgesetzt wird, kann diese in ihrer kontextgebundenen Relevanz aus der Perspektive der jungen Frauen selbst herausgearbeitet und Verkürzungen in den Erklärungsansätzen geschlechtlich codierter Berufs- und Studienwahlorientierungen vermieden werden. Damit verschiebt sich der Fokus von einer angenommenen Technikdistanz junger Frauen zur Frage, wie es zu derartigen Annahmen als Bestandteil kollektiver Wissensbestände kommt und über welche Mechanismen sie aufrechterhalten werden. So werden in der vorgestellten Analyse vielfältige und teils widersprüchliche Prak1

Wie im Methoden Teil ausgeführt, besteht das Dilemma konstruktivistischer Forschungszugänge darin, das, was erforscht werden soll – nämlich Geschlecht als bedeutsame Kategorie sozialer Ordnung im System der Zweigeschlechtlichkeit –, vorauszusetzen, um Prozesse der Geschlechterkonstruktion überhaupt erforschen zu können (vgl. Kapitel 6.2).

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tiken der Ko-Konstruktion von Technik und Geschlecht in den Alltagsdiskursen der beforschten jungen Frauen und Männer am Übergang Schule-Studium/Beruf und ihre Implikationen für beruflich-geschlechtliche Identitätsentwürfe in der Überkreuzung mit weiteren Kategorien – wie bspw. der klassenbezogener Bildung und daraus resultierenden Erwartungen an eine profitable und privilegierte Erwerbstätigkeit – erkennbar. Offenheit gegenüber dem Forschungsgegenstand bedeutet jedoch nicht, ausgewiesene Erkenntnisse und Theoretisierungen professionssoziologischer und technikfeministischer Geschlechterforschung auszublenden. Vielmehr ermöglicht eine Verbindung deduktiver und induktiver Verfahrensweisen auch Nicht-Gesagtes in seiner Bedeutsamkeit aufzuzeigen (vgl. ebd.). Mit Bezug auf die hier diskutierten Analyseergebnisse aus den Gruppendiskussionen zeigt sich dies bspw. daran, dass auch dort, wo die Kategorie Geschlecht nicht explizit thematisiert wird, vorgängige geschlechtlich eingefärbte Deutungsmuster wirksam bleiben, die von den Schüler*innen im Zuge gemeinsamer Diskussionen über technische Berufsbilder aktualisiert werden. Ohne an dieser Stelle noch einmal ausführlich auf die Ergebnisse einzugehen, wird bspw. mit Blick auf die Ebenen der Sozialstruktur und der symbolischen Repräsentationen deutlich, wie bestimmte Tätigkeitsbereiche, die traditionell männlich dominiert sind, von den Schüler*innen selbstverständlich als technisch markiert werden, während andere Bereiche, in denen überwiegend Frauen tätig sind als ›nicht-technisch‹ oder ›weniger technisch‹ gelten. Auch lässt sich nachzeichnen, wie durch Argumentationen auf der Grundlage kultureller Dualismen Technik und Soziales als sich wechselseitig ausschließend gedacht werden und mit geschlechterpolarisierenden Kompetenzzuschreibungen korrespondieren. Winker und Degele (2009) weisen darauf hin, dass »[ü]blicherweise […] vor allem Personen von Dualismen oder Differenzierungen [profitieren], die die entsprechenden Kategorien nicht benennen« (ebd., S. 143). In den Gruppendiskussionen lässt sich dies in erster Linie auf männliche Teilnehmer beziehen, von denen die Kategorie Geschlecht überhaupt nur im Einzelfall thematisiert wird, wobei zugleich differenzierende Zuweisungen naturalisierter und idealisierter Leistungsfähigkeit aufgerufen werden, auf denen sich hierarchisierende Geschlechterverhältnisse gründen. Grundsätzlich wird die Kategorie Geschlecht in gemischtgeschlechtlichen Gruppen vergleichsweise selten und weniger ausführlich thematisiert als in geschlechtshomogenen Gruppen mit Schülerinnen, in denen sie immer wieder explizit oder implizit zum zentralen Gegenstand der gemeinsamen Diskussion wird. Die Zurückhaltung gemischter Gruppen gegenüber der Geschlechterthematik kann im butlerschen Sinne als Hinweis auf adoleszente Unsicherheiten hinsichtlich der Angemessenheit geschlechtlicher Positionierungen innerhalb der ›heterosexuellen Matrix‹ gedeutet werden (vgl. auch Fritzsche 2011, S. 64ff.). Darüber hinaus ist die allgemein zunehmende Nicht-Thematisierung der Kategorie Geschlecht und damit verbundener Ungleichheitsverhältnisse in öffentlichen Diskursen auch im Zusam-

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menhang mit einer »rhetorische[n] Modernisierung« (Wetterer 2003, S. 286) sowie formalisierter und gesetzlich abgesicherter Chancengleichheit zu betrachten, durch die Geschlecht als Diskriminierungskategorie gesellschaftlich an Legitimität verloren hat und in der Konsequenz kaum mehr benannt wird (vgl. Budde 2011, S. 179f.; Heintz 2001, S. 12f.; Wetterer 2002, S. 519ff.; Winker und Degele 2009, S. 143). Auch in den Alltagsdiskursen der beforschten jungen Frauen und Männer lässt sich offenbar nicht mehr ohne Weiteres über geschlechtsbezogene Chancenungleichheiten im Berufssystem sprechen, während verstärkt Gleichheits- und Individualisierungsdiskurse zitiert werden, die die Relevanz geschlechtsbezogener Differenzierungen und Hierarchisierungen unkenntlich machen. Derweil lässt die dargestellte Analyse normative Anforderungen, die regulierend und begrenzend auf beruflich-geschlechtliche Identitätsentwürfe junger Frauen wirken, insbesondere dann erkennbar werden, wenn die sich überlagernden und teils disparaten Anrufungen, Adressierungen und Anweisungen an die Herausbildung einer weiblich-heterosexuellen Geschlechtsidentität einerseits und eines technisch-beruflichen Selbstkonzeptes andererseits gemeinsam in den Blick genommen werden. Denn während sich junge Frauen als (körperlich) leistungsstarke Arbeitssubjekte entwerfen und dabei geschlechtsbezogene Differenzierungen zurückweisen, wird zugleich in der Verhandlung weiblicher Subjektpositionierungen binäre (Geschlechter-)Differenz zu einem unabdingbaren Moment der Identitätsbildung (vgl. auch Hartmann 2012, S. 168). So lässt sich die vornehmliche Zurückhaltung junger Frauen hinsichtlich einer technischen Studien- und Berufswahl bspw. in Verbindung mit Befürchtungen betrachten, an gesellschaftlichen Idealen heterosexueller Weiblichkeit zu scheitern, Attraktivitätsnormen weiblicher Körperinszenierungen zu verfehlen und als ›Mannsweib‹ die Intelligibilität des eigenen Subjektstatus zu gefährden. In diesem Zusammenhang lassen sich auch übertriebene Selbstinszenierungen technisch unbegabter Weiblichkeit nicht nur als radikale Unterwerfung unter rigide Weiblichkeitsnormen interpretieren, sondern auch als kollektive Praktiken der Einübung der binär-heterosexuellen Geschlechterordnung im Rahmen adoleszenter Identitätsbildungsprozesse (vgl. Fritzsche 2012, S. 186; Tervooren 2006, S. 227). Für pädagogische Interventionen ist es daher wichtig, die Relationalität und Kontextgebundenheit zu berücksichtigen, mit der die Kategorie Geschlecht im Relevanzsystem junger Frauen in den Vordergrund tritt oder zurückgestellt wird. Zu vermeiden ist, Geschlecht dort zu dramatisieren, wo es für die Heranwachsenden selbst von untergeordneter Bedeutung ist, da hier die Gefahr besteht, unbedacht Stereotype zu reproduzieren und jungen Frauen und Männern Vorannahmen und Zuschreibungen zuzumuten, die ihren eigenen alltagsweltlichen Wahrnehmungsmustern nicht entsprechen (vgl. Budde 2011, S. 188; Debus 2015, S. 130; Engler und Faulstich-Wieland 1995, S. 149; Faulstich-Wieland 2000, S. 196; Micus-Loos et al. 2016, S. 250). Gerade auch im schulischen Kontext als einer zentrale Erfahrungswelt junger Menschen, ist es daher für Lehrkräfte wichtig, für geschlechtsbe-

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zogene Adressierungen sensibilisiert und sich der eigenen Position als machtvolle Diskurssprecher*innen bewusst zu sein, mit der sie als Vertreter*innen einer gesellschaftlichen Institution dazu beitragen, bestehende Differenzordnungen aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig bedarf es seitens pädagogischer Fachkräfte einer hohen Achtsamkeit gegenüber versteckt wirkende Mechanismen der Aufrechterhaltung und Fortschreibung geschlechtlicher Differenzierungen in der Überschneidung hegemonialer Technik- und Geschlechterdiskurse, um nicht Annahmen vermeintlicher Geschlechtsneutralität und Individualität aufzusitzen, wo unterschwellig machtvolle Geschlechterdynamiken Einfluss haben. Werden dagegen von jungen Menschen selbst geschlechtsbezogenes Differenzerleben, Diskriminierungserfahrungen oder Ungleichheitsverhältnisse explizit oder implizit thematisiert, gilt es diese aufzugreifen und ernst zu nehmen (vgl. Debus 2015, S. 130; Micus-Loos et al. 2016, S. 250). Hier bietet sich die Möglichkeit, eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen über das Verhältnis von Technik, Naturwissenschaft und Geschlecht anzuregen und zugleich auf eine »Entdramatisierung« (Faulstich-Wieland 2000, S. 196) geschlechterdifferenzierender und -hierarchisierender Kompetenzzuschreibungen hinzuwirken.

10.2 VOM AUTONOMEN SUBJEKT ZUR FRAGE NACH SUBJEKTIVIERUNGSWEISEN Mit der dargelegten Erweiterung einer konstruktivistischen Zugangsweise durch poststrukturalistische Perspektiven werden Differenzen in den beruflichen Orientierungen junger Frauen und Männer nicht allein als Ausdruck von ›doing gender‹ begreifbar, sondern als ein Effekt gesellschaftlicher Machtverhältnisse, die – in einem auf Butler und Foucault aufbauenden Verständnis – ihre Wirkung in der regulierenden Hervorbringungen von Subjekten entlang kultureller Normen entfalten (vgl. Hartmann 2012, S. 150; 2001, S. 73f.; Micus-Loos et al. 2016, S. 245). Das von Butler im Anschluss an Foucaults diskurstheoretischen und machtanalytischen Überlegungen entwickelte Performativitätskonzept ermöglicht im pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Diskurs eine Loslösung von antithetischen Denkweisen über das Verhältnis von Handlung und Struktur, wonach sich Akte der Geschlechterkonstruktion entweder voluntaristisch oder deterministisch vollziehen (vgl. Hartmann 2012, S. 149). Für Butler (2012, S. 9) »[ist] Gender […] eine Praxis der Improvisation im Rahmen des Zwangs«, deren Hervorbringungsbedingungen nicht im Selbst, sondern in der Sozialität verwurzelt und ohne erfassbaren Ursprung sind (vgl. ebd.). Ihr zufolge »[hängt] die Existenzfähigkeit unserer individuellen Persönlichkeit grundsätzlich von diesen sozialen Normen [ab]« (ebd., S. 10) und es

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sind diese Normen und ihre Anweisungen, die die interaktiven Prozesse der Geschlechterkonstruktion gemäß der binären Logik antreiben. Butlers Theorie der Performativität geschlechtlicher Identitäten vermag somit über das Wie der Herstellung in Prozessen von ›doing gender‹ hinausgehend, auch das Warum fortwährender Konstruktionspraktiken näher zu ergründen (vgl. Hartmann 2012, S. 160; Maihofer 2004, S. 40). Folglich ermöglicht das Bewusstsein über die subjektkonstituierende und identitätsbildende Kraft von Geschlechternormen – das zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Studie – ein tiefergehendes Verstehen der Hintergründe und Zusammenhänge, die dazu führen, dass junge Frauen technische Berufs- und Wissenschaftsfelder nach wie vor überwiegend meiden. Eine solche Perspektive richtet den Fokus darauf, welche Subjektpositionen im Diskursfeld Technik und Geschlecht verfügbar sind, welche Konstruktionsprozesse von Geschlecht und (Geschlechter-)Differenz dadurch in Gang gesetzt werden und was dies letztlich für die Handlungsfähigkeit junger Frauen hinsichtlich einer technischen Berufswahlorientierung impliziert. Denn Handlungsfähigkeit ist in diesem Verständnis nicht einem autonomen Subjekt zuzuordnen, das es vermag, gesellschaftlichen Verhältnissen und Erwartungen souverän zu begegnen, wie es manchen Angeboten professioneller Berufsberatung und -orientierung zugrunde liegt, die darauf zielen unmittelbar auf die Wahlentscheidungen junger Frauen (und auch Männer) einzuwirken. Nach Butler entsteht Handlungsfähigkeit allein unter den Bedingungen der Subjektkonstitution, was zugleich Möglichkeiten der Verschiebung und Erweiterung normativer Grenzen des Intelligiblen miteinschließt (vgl. Hartmann 2001, S. 73f.). »Ein solches Subjektverständnis verlässt die Alternative von Determinismus und Voluntarismus zu Gunsten von Handlungsfähigkeit, die die Möglichkeit der Reflexion von Grenzen, deren Überschreiten und ein Neuentwerfen von Existenzweisen und Lebensformen beinhaltet, ohne die konstitutive Verstrickung mit vorherrschenden Diskursen und damit zusammenhängend mit gesellschaftlichen Positionierungen, lebensgeschichtlichen Erfahrungen und innerpsychischer Dynamik aus dem Blick zu verlieren.« (Hartmann 2001, S. 78)

Das Potenzial des butlerschen Subjektverständnisses ist somit darin zu sehen, individualtheoretische Sichtweisen auf berufliche Orientierungs- und Entscheidungsprozesse zu hinterfragen (vgl. Ricken und Balzer 2012, S. 11), die »in die Sackgasse eines ontologischen Subjekts münden« (Villa 2006, S. 225) und sich stattdessen kritisch mit Normen der Anerkennung auseinanderzusetzen, die – indem sie darüber bestimmen, wem Anerkennung zuteilwird und wem sie vorenthalten bleibt – das Fundament für menschliche Seinsweisen bilden (vgl. Butler 2012; auch Hartmann 2001, S. 79; Micus-Loos et al. 2016, S. 241).

Relevanz der Forschungsergebnisse für pädagogische Perspektiven | 395

10.3 ZUR UNVERMEIDBARKEIT VON AUSSCHLIEßUNGSVERFAHREN IN SUBJEKTWERDUNGSPROZESSEN Indem Normen dem Feld des Sozialen eine Ordnung des Intelligiblen verleihen, wirken sie vorrangig implizit regulierend und normalisierend innerhalb sozialer Praktiken, was es erschwert, ihnen auf die Spur zu kommen. Am eindeutigsten lassen sie sich anhand der Effekte aufspüren, die sie hervorbringen (vgl. Butler 2012, S. 73), wie es auch die vorangegangene Analyse der Gruppendiskussionen zu veranschaulichen vermag. Normen der Subjektkonstitution operieren nach einem Prinzip der Ausschließung. Sie produzieren ein Innerhalb und ein Außerhalb und verweisen somit immer auch auf das, was sich ihnen nicht beugen kann oder will (vgl. Butler 2012, S. 328; Hartmann 2012, S. 15; Micus-Loos et al. 2016, S. 24). Demzufolge »muss ein Außerhalb der Norm immer noch in Relation zu ihr definiert werden« (Butler 2012, S. 74). Verdeutlichen lässt sich dies bspw. daran, dass junge Frauen, die ein technisches Studium anstreben und sich in diesem Zusammenhang selbst als »untypisches Mädchen« bezeichnen, allein im Verhältnis zu hegemonialen Weiblichkeitsnormen verstehbar werden (vgl. ebd.), die gemäß der binären Logik konventionelle Weiblichkeit über den Ausschluss Männlichkeit symbolisierender Technik konstituieren. Mit einem an Butler orientierten dekonstruktivistischen Ansatz lässt sich somit das Verworfene, Verdrängte und Unterdrückte fokussieren und die Mehrdeutigkeit, Instabilität und Widersprüchlichkeit normativer Direktive und vermeintlich eindeutiger Begriffe offenlegen (vgl. Butler 2012; auch Hartmann 2012, S. 154; Micus-Loos et al. 2016, S. 241). Im Gewahrwerden der Instabilität und Elastizität normativer Grenzen schärft sich der Blick für die symbolische Bedeutung von Technik als ein Moment der (Geschlechter-)Differenzierung, das nicht nur entlang der normativen Setzung von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit zwischen weiblichen und männlichen Identitäten wirkt, sondern alltagsweltlich auch innerhalb der Geschlechterkategorien unterschiedliche Weiblichkeits- bzw. Männlichkeitskonstruktionen hervorbringt (vgl. Hartmann 2012, S, 168; Tervooren 2006, S. 227). So zeigt die dargestellte Analyse, wie junge Frauen im Zuge der Diskussion über technische Berufs- bzw. Studienwahlorientierungen vielfältige Formen von Weiblichkeit entwerfen und verhandeln, indem sie sich (und andere) als ›typische Frau‹, ›richtiges Mädchen‹ oder eben als ›untypisch‹ und damit als ›anders‹ klassifizieren, als es vorherrschenden Normalitätsvorstellungen entspricht. Besonders zeigt sich dieses Phänomen in geschlechtshomogenen Gruppen mit Schülerinnen, deren Zusammenstellung einerseits als eine Dramatisierung binaristischer Differenz verstanden werden kann, mit der »die Zweigeschlechtlichkeit rezitiert und in Kraft gesetzt wird« (Budde 2011, S. 186). Diesen Aspekt gilt es hinsichtlich der Angemessenheit monoedukativer Angebote im pädagogischen Kontext

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abzuwägen, die ansonsten gefahrlaufen, Geschlechterhierarchien zu bestätigen anstatt sie abzubauen, indem sie Frauen als benachteiligt und förderungsbedürftig adressieren (vgl. Faulstich-Wieland 2000, S. 196, 205). Andererseits zeigen die Ergebnisse, dass die geschlechtshomogene Zusammensetzung der Gruppen es jungen Frauen ermöglicht, neben einer Fokussierung strukturidentischer Erfahrungen auf der Grundlage der Gemeinsamkeit geschlechtlicher Zugehörigkeit auch Vielfalt und Heterogenität weiblicher Identitätspositionierungen innerhalb der eigenen Referenzgruppe wahrzunehmen und sich kritisch mit traditionellen Geschlechterbildern und gesellschaftlichen Zuschreibungen auseinanderzusetzen (vgl. Budde 2011, S. 189). Aus pädagogischer Perspektive lässt der Blick auf das konstitutive Außerhalb der Norm (vgl. Butler 1995, S. 23) somit eine größere Bandbreite an Seinsweisen erkennbar werden (vgl. Fritzsche 2012, S. 197), womit die Frage nach Möglichkeiten der Verschiebung und Umdeutung der Grenzverläufe zwischen Normalität und Abweichung zugunsten einer Erweiterung des Bereichs intelligibler Identitätspositionen aufgeworfen wird. Diesbezüglich erweist sich die Zusammenführung der Ansätze von Butler und Foucault als fruchtbar, durch die sich die Vielfalt sich überlagernder, konkurrierender und konfligierender Diskurse in den Blick nehmen lässt, in deren Schnittfeld sich Subjekte in der Bearbeitung teils widersprüchlicher Anweisungen konstituieren und in der Konsequenz Subjektivierungsweisen innerhalb gewisser Grenzen auch umzuschreiben vermögen (vgl. Hartmann 2001, S. 77f.). Die im Zuge der Analyse herausgearbeiteten kontextgebundenen und teils ambivalenten Positionierungen junger Frauen in Hinblick auf normative Vorstellungen von Technik und Geschlecht in beruflichen Orientierungsprozessen werden damit als Ausdruck der Auseinandersetzung mit kulturellen Vorgaben an die Intelligibilität weiblicher Identitäten verstehbar, als »performative Suchbewegungen« (Fritzsche 2007, S. 111) nach Kohärenz und Kontinuität innerhalb sich überkreuzender, teils konfligierender symbolischer Ordnungen und daraus resultierender widersprüchlicher Anforderungen. Für berufliche Beratungs- und Unterstützungsangebote gilt es daher Ambivalenzen und Widersprüche in den Identitätskonstruktionen junger Frauen verstärkt zu berücksichtigen, um die Produktion von Ausschlüssen im Rahmen beruflich-geschlechtlicher Identitätsbildungsprozesse (an-)erkennen und thematisieren zu können. Wichtig wäre es, junge Frauen dabei zu unterstützen, im Streben nach Identitätssicherung durch Kohärenz und Kontinuität die Vielschichtigkeit und Heterogenität des eigenen Selbst nicht zu verkennen, sondern sich das ›Andere‹, vermeintlich Widersprüchliche und weniger Intelligible (wieder-)anzueignen und damit den Bereich anerkennenswerter Identitätspositionen zu erweitern (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 247). Somit geht es weniger um eine Vervielfältigung optionaler Seinsweisen als vielmehr darum, im Bestehenden die Vielfalt wahrzunehmen und vor-

Relevanz der Forschungsergebnisse für pädagogische Perspektiven | 397

handene, bisher ausgeschlossene symbolische Positionen in den Bereich des Intelligiblen zu überführen (vgl. Butler 1995, S. 154).

10.4

DIFFERENZIERUNGSPRAKTIKEN ALS ZENTRALES MOMENT BERUFLICH-GESCHLECHTLICHER IDENTITÄTSKONSTRUKTIONEN

Im System der Zweigeschlechtlichkeit gehen Geschlechterkonstruktionen nahezu unweigerlich mit der Erzeugung von Differenz einher. So stellt die Norm der Zweigeschlechtlichkeit (nur) zwei sich gegenseitig ausschließende geschlechtliche Subjektpositionen bereit, über die sich die Hervorbringung weiblicher oder männlicher Identitäten reguliert und normalisiert. Ausgehend von sprachlich-diskursiven Unterscheidungspraxen werden die Kategorien ›weiblich‹ und ›männlich‹ binär codiert, als dualistische Konzepte in Opposition zu einander gesetzt und alltagsweltlich mit der Zuordnung komplementärer und zumeist auch polarisierender Attribute versehen. Die Inhalte der Geschlechterdifferenz erweisen sich indes als kontingent und nahezu austauschbar, wie Gildemeister und Wetterer (1992) mit Blick auf Geschlechterkonstruktionen im Berufssystem eindrucksvoll herausgestellt haben, während allein das »›Gleichheitstabu‹« (ebd., S. 227) in den Konstruktionsweisen weiblicher und männlicher Identitäten gewahrt bleibt. Die Geschlechterdifferenz ist somit nicht substanziell, sondern fungiert als symbolische Grenzziehung, entlang derer sich weibliche und männliche Subjektpositionen innerhalb der binär-heterosexuellen Geschlechterordnung im wechselseitigen Ausschluss konstituieren (vgl. Villa 2006, S. 225). Technik wird in diesem Zusammenhang – ausgehend von einer kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlich etablierten Normalitäten und Bedeutungssetzungen sowie damit einhergehenden diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken beruflich-geschlechtlicher Identitätskonstruktionen – nicht allein als ein berufliches Feld begreifbar, das von jungen Frauen im Zuge ihrer Berufs- und Studienwahlen vernachlässigt wird. Mehr noch wird die historisch gewachsene und in hegemonialen Diskursen eingelagerte Geschlechtersymbolik von Technik und technischen Berufen als ein effektives Instrument geschlechtlicher Differenzierung erkennbar, das sich dahingehend als machtvoll erweist, als es in performativen Prozessen der Hervorbringung intelligibler (Geschlechts-)Identitäten genutzt werden kann. Aufgrund der historisch bedingten und kulturell verfestigten symbolischen Verknüpfung von Männlichkeit und Technik erscheint die Verwerfung von Technikbezügen und damit auch eine Abgrenzung gegenüber technischen Berufswahloptionen im Rahmen weiblicher Identitätsarbeit naheliegend, wenn auch nicht unabdingbar. Dabei ist die dem Technischen anhaftende männliche Geschlechtersymbolik keineswegs selbst-

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evident, sondern – wie Ulrike Teubner (1992) betont – in ihrer Geltung abhängig von ihrer »Verortung innerhalb des kulturellen Wertemusters hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit« (ebd., S. 49) und erscheint nur solange konsistent, wie weibliche Technikbezüge – sowohl in der beruflichen wie auch in der privaten Sphäre – ausgeklammert und unsichtbar gemacht werden. Die differenzgenerierende Funktionalität von Technik zeigt sich allerdings nicht allein in Bezug auf intelligible geschlechtliche Positionierungen innerhalb der zweigeschlechtlichen Ordnung, die dazu führen, dass junge Frauen solche Tätigkeiten ausschließen, die bspw. eine Inszenierung des weiblichen Körpers gemäß hegemonialer Körpernormen gefährden. In den Gruppendiskussionen finden sich darüber hinausgehend vielfältige Formen diskursiver Distinktion, mit denen sich die Schüler*innen im Zuge der gemeinsamen thematischen Abhandlung zu bestimmten Seinsweisen oder auch Tätigkeiten abgrenzend oder identifizierend positionieren und in denen neben hegemonialen mitunter auch bestimmte Muster jugendkultureller Normenverhandlung erkennbar werden. Die Jugendlichen verhandeln u.a. darüber, welche fachbezogenen Subjektformen innerhalb der Gruppe Gleichaltriger mit mehr oder weniger Anerkennung ausgestattet sind, welche Art der Berufstätigkeit es ermöglicht, die eigene Subjekthaftigkeit als aktiv schaffend, erfolgreich und dabei weltoffen entwerfen zu können oder auch welche symbolischen Ressourcen im Zuge adoleszenter Identitätsbildungsprozesse – im Streben nach Autonomie einerseits und Bestätigung andererseits – zur Abgrenzung von konventionellen Rollenzuschreibungen und Geschlechterbildern nutzbar gemacht werden können. So werden von den Schüler*innen technikbezogene Identitäten wiederkehrend als ›anders‹ wahrgenommen, als abweichend von der Normalität bedeutet und als Abgrenzungsfiguren zur Profilierung eigner nicht-technikbezogener Identitätskonstruktionen nutzbar gemacht, während zugleich die eigene Zugehörigkeit zur Referenzgruppe ›normaler‹ Identitäten gesichert wird. Auch fungieren berufsbezogene Vorstellungen von einer Körper und Geist begrenzenden, starr sitzenden Tätigkeit an einem ›seelenlosen‹ Computer, die im foucaultschen Sinne auch Analogien zur schulischen Disziplinierung aufweisen, als negativer Gegenhorizont zur gemeinsamen Orientierung an einer praxisorientierten, anwendungsbezogenen und menschennahen Tätigkeit, die Abwechslung, Aktivität und Körpererleben impliziert (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 242). Indes fungieren bestimmte Techniksymbole für junge Frauen als performative Widerstandsressource, um sich spielerisch von begrenzenden Weiblichkeitsbildern zu distanzieren. Deutlich wird auch, dass viele der beforschten jungen Frauen (und Männer) offenbar einseitige und unzulängliche Informationen über technische Berufe haben, was den Rückgriff auf tradierte Stereotype begünstigt, die den vielfältigen Anforderungen moderner, gegenwartsbezogener Technikberufe und Wissenschaften in ihrer Heterogenität nicht gerecht werden. In diesem Zusammenhang wäre zu prüfen, was für Bilder von Technik bzw. technischen Studiengängen und Berufen in aktuellen

Relevanz der Forschungsergebnisse für pädagogische Perspektiven | 399

MINT-Diskursen zirkulieren oder auch im schulischen Kontext vermittelt werden, inwiefern diese an berufliche Orientierungsmuster junger Frauen (und Männer) im Hinblick auf eine handfeste Tätigkeit anzuschließen vermögen und inwieweit sie dazu beitragen, Stereotype zu reproduzieren oder aufzulösen. Vor dem Hintergrund, dass das fachbezogene Interesse den Grundstein für die Entwicklung einer beruflichen Orientierung bildet (vgl. exempl. Driesel-Lange 2011, S 8; Schuster et al. 2004, S. 45; Wolffram 2003, S. 37), fänden sich hier Ansätze für eine geschlechtersensible Didaktik technik-naturwissenschaftlichen Schulunterrichts, in denen es verstärkt um den Nachvollzug des konkreten gesellschaftlichen Nutzens, um Nachhaltigkeit und Verantwortung für Mensch und Umwelt, also um eine ganzheitlichere Perspektive gehen sollte. Es zeigt sich, dass Konzeptionen, die sich an den Lerninteressen und lebenspraktischen Relevanzbereichen der Lernenden selbst ausrichten, sowohl Schülerinnen als auch Schüler ansprechen.2 Denn die Herausbildung eines fachlichen Selbstkonzeptes setzt für viele Schüler*innen voraus, dass sie eine Verbindung zwischen abstrakten Lerninhalten und der eigenen Alltags- und Lebenswelt herzustellen vermögen, um somit deren Bedeutsamkeit nachvollziehen zu können und nicht allein zu lernen, um schulischen Leistungsanforderungen zu genügen (vgl. Lembens und Bartosch 2012, S. 91). 3 Für einen gendergerechten Unterricht sind demnach weniger die Inhalte entscheidend, »sondern vielmehr, dass Schüler und Schülerinnen in ihrem Bestreben nach individueller Sinnkonstruktion ernst genommen werden und gemeinsam verstehend und reflektierend gelernt werden kann« (ebd.)

2

Unterdessen sind solche Ansätze eher kritisch zu hinterfragen, die darauf zielen, durch die Betonung von sozialer Kompetenz als Anforderung an moderne Ingenieur*innen seitens Industrie- und Wirtschaftsunternehmen bzw. durch ein Herunterspielen technischer Inhalte das berufliche Profil und damit entsprechende Studiengänge für junge Frauen attraktiver darzustellen, da auf diese Weise Geschlechterstereotype eher verfestigt als aufgelöst werden (vgl. Faulkner 2008, S. 152).

3

Bspw. äußern eine Reihe von Schülerinnen in den Gruppendiskussionen trotz guter Leistungen eine große Frustration im Unterrichtsfach Mathematik, da sie zwar selbst abstrakte mathematische Formeln anzuwenden wissen, jedoch nicht vermittelt bekommen, wozu diese nützen, was sie in der realen Welt bewirken und wofür sie angewendet werden (»vielleicht könnte ich es, aber ich wüsste einfach nicht, was ich da tue«). In der Konsequenz führt dies häufig dazu, dass die Schülerinnen Technikberufe nicht einmal in Erwägung ziehen.

400 | Diskursfeld Technik und Geschlecht

10.5

WAHRNEHMUNG LOKALER MÖGLICHKEITEN DER VERÄNDERUNG

Wie ausgeführt, sind Identitätsbildungsprozesse – berufliche wie geschlechtliche – immer auch als Differenzierungsprozesse entlang vorgängiger Normen der Anerkennung in ihrer »Funktion der Grenzziehung« (Micus-Loos et al. 2016, S. 241) zu begreifen. Um besser zu verstehen, warum sich nach wie vor viele junge Frauen gegen einen technischen Beruf bzw. ein technisches Studienfach entscheiden, bedarf es somit eines Wissens um die Wirkmächtigkeit gesellschaftlicher Geschlechternormen im konstitutiven Zusammenspiel mit hegemonialen Technikbildern sowie daraus resultierender Begrenzungen beruflich-geschlechtlicher Identitätsentwürfe und zugleich einer Sensibilität für sich innerhalb bestehender Ordnungen eröffnende Chancen der Transformation und Subversion diskursiver Normen und hegemonialer Bedeutungen. Hierbei kommt der in Butlers Konzept diskursiver Performativität angelegten Kluft zwischen Norm und Handlung ein besonderer Stellenwert zu, die mit Bezug auf Paula-Irene Villa (2006) als ein produktives »Scheitern« (ebd., S. 219) gedacht werden kann. Denn Bedeutungen, Normen und Konventionen bestehen nur, sofern sie in steter Wiederholung zitiert und damit aktualisiert und fortgeschrieben werden. Indes sind Individuen dazu gezwungen, auf bestehende Diskurse und Bedeutungen zitierend Bezug zu nehmen, um verständlich zu sein. Normen und Handeln sind folglich unweigerlich aufeinander angewiesen und doch nicht miteinander gleichzusetzen. Denn zum einen bedingt jedes Zitieren aufgrund der Einzigartigkeit von Situation und Kontext eine »eigenlogische Verschiebung« (ebd., S. 227), was ein identisches Wiederholen unmöglich macht (vgl. ebd., S. 228). Zum anderen sind Normen idealtypisch verfasst und können sich in der konkreten Alltagswirklichkeit, die stets von größerer Vielfalt und Uneindeutigkeit gekennzeichnet ist, nicht realisieren (vgl. ebd.). So weisen die Alltagsrealitäten junger Frauen vielfältige Technikbezüge auf, die normativen Vorstellungen über eine vorgebliche Inkompatibilität zwischen Weiblichkeit und Technik (vgl. exempl. Cockburn 1988, S. 22; Gill und Grint 1995, S. 8; Micus-Loos et al. 2016, S. 187ff.; Schuster et al. 2004, S. 34; Wajcman 1994, S. 166; Wolffram 2003, S. 31) – wie sie auch in den Gruppendiskussionen immer wieder artikuliert werden – zwar widersprechen, jedoch vor dem Hintergrund kultureller Deutungsmuster nicht als solche (an-)erkannt oder marginalisiert werden. Des Weiteren haben junge Frauen – das zeigt die voranstehende Analyse – gesellschaftliche Weiblichkeitsideale, Stereotype und Vorurteile, die ihnen qua Geschlecht ein distanziertes Verhältnis zum Technischen unterstellen, nicht derart verinnerlicht, dass sie sich fraglos und widerspruchsfrei mit ihnen identifizieren. Vielmehr zeugen die gemeinsamen Diskussionen davon, wie junge Frauen in unterschiedlichen Kontexten und unter verschiedenster Bezugnahme auf hegemo-

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niale Vorgaben vielfältige Weiblichkeitskonzepte entwerfen und sich dabei mit teils disparaten Anforderungen auseinandersetzen, indem sie deren Geltungsbereich bestätigen, anfechten und neu verhandeln. Das Auseinanderfallen von diskursiver Norm und subjektiver Handlung bzw. von Identität und symbolischer Ordnung birgt somit ein ermöglichendes Moment in Prozessen der Subjektkonstitution (vgl. Villa 2006, S. 229). Denn im ›produktiven Scheitern‹ normativer Anforderungen im Handeln eröffnen sich lokale Möglichkeitsräume der Transformation und Subversion, die aus pädagogischer Perspektive dazu nutzbar gemacht werden können, Begrenzungen zu hinterfragen und Anreize für ein »spielerisches Überschreiten« (Hartmann 2001, S. 79) von Normen und daran gebundener Bedeutungszusammenhänge durch »experimentelles Wiederholen« (ebd.) zu schaffen und damit die Trennschärfe bestehender Geschlechtergrenzen zu verwischen (vgl. Hartmann 2012, S. 167ff.). »Butlers und Foucaults Überlegungen folgend, dass im Auseinanderfallen der Konstruktionsmechanismen das Potenzial liegt, deren Wirkkraft zu stören, regen entsprechende Analysen an, Konstruktionsmechanismen selbst zum Gegenstand pädagogischer Angebote zu machen, Grenzen zu analysieren und zu reflektieren und so den Fokus pädagogischer Intervention auf Fragen zur Gestaltung und Ausarbeitung von Existenz- und Lebensweisen zu verlagern.« (Hartmann 2012, S. 167)

Wie Nicole Balzer und Katharina Ludewig (2012) betonen, bezwecken subversive Praktiken dabei nicht eine Umkehrung bestehender Normen, sondern zielen vielmehr darauf, ihre Kontingenz als gewordene Struktur gesellschaftlicher Ordnung sowie das ihnen inhärente Transformationspotenzial aufzudecken und so Veränderungsdynamiken anzuregen (vgl. ebd., S.108). Ein solcher Ansatz ermöglicht eine Infragestellung von als angemessen geltenden Berufswahlorientierungen junger Frauen in kritischer Auseinandersetzung mit der Konstruiertheit gesellschaftlich normalisierter Geschlechterkonzeptionen, um ein Bewusstsein für die Veränderbarkeit normativer Grenzmarkierungen zu befördern (vgl. Hartmann 2012, S. 167). Im bildungspädagogischen Kontext kann dies dadurch erfolgen, normative Vorstellungen von Technik und Geschlecht im Zusammenhang mit der Historizität symbolischer Geschlechtergrenzen technischer Berufe zu betrachten und so ihre Bedingtheit und Veränderbarkeit darzulegen. Dagegen erscheinen Ansätze, die junge Frauen vor dem Hintergrund aktueller MINT-Diskurse gezielt mit vergleichsweise neu formulierten Anrufungen zu erreichen suchen, indem sie sie dazu auffordern, sich in für wünschenswert befundener Weise als berufliche Subjekte technikaffirmativ zu konstituieren, nicht unproblematisch. Eine alternative Herangehensweise könnte darin bestehen, ausgehend von der Perspektive junger Frauen, lokal vorhandene Möglichkeiten innerhalb hegemonialer Diskursformationen ausfindig zu machen, über die sich Räume für transfor-

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mative und subversive Identitäten erschließen lassen. So zeigt die Analyse, dass bspw. der Bereich der Kfz-Technik im Zuge adoleszenter Identitätsbildungsprozesse jungen Frauen Anreize bietet, sich von konventionellen Formen der Anerkennung weiblicher Identität unabhängig zu machen, restriktive Weiblichkeitsnormen zu subvertieren und durch die Aneignung und Umarbeitung traditionell männlich konnotierter symbolischer Repräsentationen neue Bereiche intelligibler Weiblichkeit zu behaupten (vgl. auch Micus-Loos et al. 2016, S. 197ff.). Hierbei offenbart sich, dass es oftmals weniger ökonomische Argumente sind, die technische Berufsfelder für junge Frauen attraktiv machen, sondern im bourdieuschen Sinne ihr ›symbolisches Kapital‹ in Form sozialer Anerkennung, das eine machtvoll(er)e Positionierung innerhalb der hierarchischen Geschlechterordnung in Abgrenzung zu konventioneller Weiblichkeit ermöglicht (vgl. auch Nölleke 1998, S. 39). Nicht auszuschließen ist, dass hierin ein Grund dafür zu sehen ist, warum aktuelle MINTInitiativen (noch) nicht die erhofften Erfolge erzielen konnten, da sie vielfach mit beruflichen Chancen argumentieren, die zwar mit Blick auf Strukturen sozialer Ungleichheit zwischen Frauen und Männern unbestreitbar eine zentrale Rolle spielen, in den Relevanzstrukturen junger Frauen selbst jedoch offenbar weniger Bedeutung besitzen. Angesichts dessen könnten es sich pädagogische Bildungsansätze zur Aufgabe machen, alternative Identitätsentwürfe junger Frauen zu erkennen und sie darin zu bestärken sowie ihnen praxisorientierte Möglichkeitsräume zu eröffnen, solche Entwürfe zu erproben und auszuarbeiten und zwar ohne ihnen vorgefertigte Vorstellungen darüber zuzumuten, wie sie zu sein haben. Hier gilt es auch die Eigenbeteiligung pädagogischer Angebote und erziehungswissenschaftlicher Diskurse an der Erzeugung aber auch Infragestellung von Wahrheitsdiskursen sowie der Aktualisierung oder Umschreibung hierarchisierter Subjektpositionen zu reflektieren (vgl. Hartmann 2001, S. 79). Etwa erscheint vor dem Hintergrund der hochtechnisierten Gegenwartsgesellschaft die in Diskursen der pädagogischen Bildung zirkulierende Anforderung an technische Handlungskompetenz, wie sie aktuell bspw. von Autor*innen der Erziehungswissenschaften als zentraler Modus der Lebensbewältigung und -gestaltung angesehen und damit als explizites und pluralistisches Bildungsziel propagiert wird (vgl. exempl. Wensierski und Sigeneger 2015, S. 35ff.),4 als geradezu normativ aufgeladen. Hier wird von ei4

Dabei geht es Hans-Jürgen von Wensierski und Jüte-Sophia Sigeneger (2015) nicht allein um eine kompetente Handhabung von modernen Alltagstechnologien oder ein technikwissenschaftliches Grundlagenwissen. In ihrem ›Konzept für die schulische und außerschulische Kinder- und Jugendbildung‹ formulieren die Autor*innen als konkrete technische Bildungsziele: »1. Lebensbewältigung in der technischen Zivilisation«, »2. Ausbildung eines technikkulturellen Lebensstils bzw. Habitus«, »3. Der technischen Zivilisation gewachsen bleiben«, »4. Die technische Zivilisation gestalten und weiterentwickeln« (ebd., S. 35).

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nem autonom-souveränen Subjektverständnis ausgegangen (vgl. ebd.; Wensierski 2015, S. 27), das jedoch – folgt man Foucault und Butler – kritisch infrage zu stellen ist und darüber hinaus in einem Spannungsverhältnis zur Heteronomie bildungspolitischer Zielsetzungen steht. Dagegen kann mit Bezug auf Foucault die MINT-Initiative auch als eine Strategie der politischen Einflussnahme begriffen werden, deren Ziel es ist, dem sogenannten Fachkräftemangel – hierbei selbst zu verstehen als ein Produkt politischökonomischer Diskursformationen im Rahmen bevölkerungspolitischer Sicherheitsdispositive – zu begegnen. Dabei werden Anreize geschaffen, die die Subjekte dazu animieren sollen (vermeintlich) eigeninitiativ ein hinsichtlich kollektiver Interessen als wünschenswert angesehenes, technikaffines Selbstkonzept zu entwerfen und entsprechende berufsbezogene Orientierungs- und Handlungsmuster auszubilden. In Ergänzung dazu wird mit Butler der Leitspruch der Initiative ›Komm, mach MINT‹ geradezu plakativ als Anrufung der Subjekte, eine technikorientierte Position im Kontext beruflicher Identitätsbildung einzunehmen, erkennbar. In Anbetracht der Diskrepanz zwischen der Heteronomie bildungspolitischer und -pädagogischer Interventionen, die darauf ausgerichtet sind, die Subjekte im Prozess ihrer Berufsfindung dahingehend anzuleiten, sich entsprechend der akuten Bedarfssituation gesellschaftlicher Verhältnisse zu orientieren einerseits und der normativen Anforderung, die Studien- bzw. Berufswahlentscheidung als authentischen Ausdruck des eigenen Selbst zu entwerfen und eigenverantwortlich zu treffen, mit der junge Frauen und Männer in der Übergangsphase mit der normativen Anforderung konfrontiert werden andererseits (vgl. Micus-Loos et al. 2016, S. 110ff, 248f.), können die vehementen Abgrenzungstendenzen vieler der in den Gruppendiskussionen befragten Schüler*innen auch als implizite Widerständigkeit gegen einen mehr oder weniger bewusst wahrgenommenen Verlust von (vorgeblicher) Autonomie interpretiert werden5. Aus diesem Blickwinkel lässt sich die Effektivität der Anrufungen kritisch hinterfragen, die bisher nicht die gewünschte Wirkung auf die Adressatinnen auszuüben vermochten, wie das anhaltend geschlechtlich codierte Berufswahlverhalten junger Frauen und Männer bezeugt (vgl. Faulstich-Wieland und Scholand 2017, S. 20; Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit 2017, o.S.; Solga und Pfahl 2009, S. 155; Thege und Schmeck 2015, S. 588f.). Denn Anrufungen, die adoleszente junge Frauen dazu auffordern, ein technikaffirmatives berufliches Selbstkonzept zu entwickeln, stehen im Widerspruch zu ›Nor-

5

Mit Bezug auf Foucault und Butler ist gerade die in der Formulierung bildungspolitischer Zielsetzungen betonte Autonomie und Souveränität der Subjekte grundsätzlich infrage zu stellen, orientieren sich diese doch stets innerhalb eines diskursiv-normativ vorgebenden Rahmens, der die Wahrnehmungs- und Deutungsschemata (vor)strukturiert und in der Konsequenz die Handlungsmuster (an)leitet.

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men kultureller Intelligibilität‹, die im Rahmen der performativen Herstellung geschlechtlicher Identität bearbeitet werden (müssen). Doch kann es im foucaultschen Sinne auch nicht Aufgabe pädagogischer Ansätze sein, eine ideologisch verschleierte Wahrheit über die Bedeutungen und Beziehungen von Geschlecht und Technik aufzudecken, um Irrtümer und Fehlannahmen junger Frauen zu korrigieren und damit selbst einen Wahrheitsdiskurs zu propagieren. Vielmehr gilt es im pädagogischen Denken und Handeln den »Status der Wahrheit« (Foucault 1978, S. 53) und ihre »ökonomisch-politische Rolle« zu hinterfragen. Ein solcher Ansatz impliziert die Verfahren der Herstellung von Wahrheit sowie die Funktionalität ihres Regimes zu problematisieren und dabei die sich wechselseitig ermöglichenden und konstituierenden Mechanismen von Macht und Wahrheit in den Blick zu nehmen (vgl. Ewald 1978, S. 16). Aus einer solchen Perspektive interessieren weniger Differenzen in der Berufswahlorientierung von Frauen und Männern als vielmehr diskursiv-performative Prozesse der Hervorbringung von Differenz und Ungleichheit im Modus der Subjektwerdung im Schnittfeld der Diskurse über Technik und Geschlecht sowie die vorhandenen Möglichkeiten der kreativen Aneignung und Umarbeitung normativer Anforderungen an die Intelligibilität beruflich-geschlechtlicher Identitäten.

11. Resümee und Ausblick Ausgangspunkt der vorliegenden Forschungsarbeit ist die beständige Unterrepräsentanz von Frauen in technischen Berufen, die trotz des aktuell leicht ansteigenden Frauenanteils unter den Studierenden technischer Fachdisziplinen nach wie vor signifikant ist und vor dem Hintergrund der hierarchischen Geschlechtertrennung im Berufssystem als ein Ausweis von sozialer Ungleichheit verstanden werden kann. Im Zentrum steht die Analyse der Bedeutung normativer Vorstellungen von Technik und Geschlecht als einer kulturell gefestigten, wirklichkeitskonstituierenden Sinnstruktur im Kontext beruflicher Orientierungen am Übergang Schule-Studium/Beruf. Ziel der Studie ist es ausdrücklich nicht, neue Wege aufzuzeigen, um auf berufsrelevante Einstellungen und Interessen junger Frauen im Rahmen spezifischer Maßnahmen und Initiativen Einfluss nehmen zu können. Vielmehr geht es darum, die Zusammenhänge und Triebfedern genauer zu beleuchten, die bewirken, dass technische Studienfächer und Berufe in den Wahlentscheidungen der Akteurinnen – entgegen aller bildungspolitischen Bemühungen – überwiegend ausgespart bleiben bzw. nur sehr zögerlich Berücksichtigung finden sowie Möglichkeiten der Veränderung auszuloten. Dazu wird die Wirkmächtigkeit symbolisch-diskursiver Ordnungen als Scharnier zwischen individueller Handlung und gesellschaftlicher Struktur hinsichtlich der Zusammenhänge zwischen (technischer) Berufswahlorientierung und (geschlechtlicher) Identitätskonstruktion befragt. Hier leistet die Studie auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich dargestellt und diskutiert wurden, einen empirisch fundierten Beitrag zur Weiterentwicklung theoretischer Perspektiven, indem sie die Bedeutung subjektkonstituierender Geschlechternormen in Überschneidung mit hegemonialen Technikdiskursen als handlungsleitenden Orientierungsrahmen im Berufsfindungsprozess junger Frauen herauszustellen vermag. Dies gelingt durch die Erweiterung sozialkonstruktivistischer Ansätze um poststrukturalistische Bezüge, mit der die Gleichzeitigkeit (geschlechtlicher) Subjektformierung und (beruflicher) Identitätskonstruktion in den Blick genommen und infolgedessen die machtvolle Verwobenheit impliziter Wissensbestände über das konstitutive Wechselverhältnis von Technik und Geschlecht mit identitätsmächtigen ›Normen kultureller Intelligibilität‹ in ihrer geschlechterdifferenzierenden

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und -hierarchisierenden Funktionalität als Grundprinzip gesellschaftlicher Ordnung erkennbar wird. Mit dieser »theoretischen Sensibilisierung« (Fritzsche 2001, S. 89) werden Berufswahlentscheidungen nicht allein als Ausdruck von ›doing gender‹Prozessen verstehbar, in denen junge Frauen auf etablierte Vergeschlechtlichungen von Technik und technischen Berufen im Zuge ihrer beruflichen Identitätsarbeit (handelnd) Bezug nehmen und dabei zugleich die vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Bedeutung dessen reproduzieren, was als technisch und was als technischer Beruf gilt. Mehr noch wird der Blick für gesellschaftliche Machtverhältnisse geschärft, in denen Normen der Anerkennung die Grenzen dessen abstecken, was als beruflich-geschlechtliche Identitätsposition intelligibel und damit denk- und lebbar ist. Aufbauend auf Foucaults Überlegungen zur Produktivität diskursiver Ordnungen im Rahmen von Subjektivierungsprozessen ermöglicht die theoretische Bezugnahme auf Butlers Theorie der Performativität geschlechtlicher Identitäten zu verstehen, woher die habitualisierten Gewissheiten junger Frauen über das eigene geschlechtlich definierte Selbst in der Verhältnissetzung zum Technischen stammen, woraus diese Überzeugungen ihre Wirkmächtigkeit beziehen und wie sie als implizite Wissensbestände kollektive Orientierungsmuster erzeugen, die die Entscheidungen für oder gegen einen technischen Beruf präformieren. Um dieses vorreflexive Wissen und seine Effekte auf die Selbstinterpretationen und Handlungsweisen der Subjekte zu rekonstruieren, erweisen sich die Verfahren der Gruppendiskussion und der dokumentarischen Methode als zielführend, da mit ihnen die Sichtweisen junger Frauen (und Männer), die als Akteur*innen diskursiver Ordnung am Übergang Schule-Studium/Beruf, das Thema ›Technische Berufe‹ in Auseinandersetzung mit identitätsmächtigen Anrufungen entlang subjektkonstituierender (Geschlechter-)Normen im eigenen Relevanzbereich gemeinsam bearbeiten, in den Fokus gerückt werden. In diesem Sinne erscheinen die Gruppendiskussionen als ein Verhandlungsraum, in dem normative Anforderungen an die Intelligibilität beruflich-geschlechtlicher Identitätsentwürfe von den Proband*innen bestätigt und fortgeschrieben, aber auch verschoben und subversiv unterlaufen werden. Der Blick auf solche Prozesse der Verhandlung von mit Anerkennung ausgestatteten Positionierungen lässt somit neben dem Wie auch das Warum wiederkehrender Handlungspraktiken im Zirkelschluss geschlechtlicher und beruflicher Konstruktionsweisen verstehbar werden und verweist zugleich auf Chancen der Veränderung innerhalb diskursiver Ordnungen, die sich durch die den performativen Verfahrensweisen geschlechtlicher Identitätsbildung inhärenten Möglichkeiten variierender und subversiver Wiederholungen eröffnen, über die normative Bedeutungsmuster aufgebrochen und neu ausgehandelt werden (können). So vermag die Analyse auch Momente ausfindig zu machen, in denen sich junge Frauen vor dem Hintergrund konfligierender Diskursformationen und widersprüchlicher Anforderungen normative Vorgaben und symbolische Repräsentationen kreativ aneignen

Resümee und Ausblick | 407

und dabei Konstituierungsweisen von Subjektivität im Diskursfeld Technik und Geschlecht so umarbeiten, das eine Erweiterung des Bereichs anerkennbarer weiblicher Identitätspositionen um alternative, technikorientierte Selbstentwürfe möglich wird. In Anbetracht der dargelegten Analysen und entfalteten Perspektiven bieten sich unterschiedliche Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsarbeiten. Wie im voranstehendem Kapitel bereits angeklungen, könnte es vor dem Hintergrund der gewonnenen Erkenntnisse der vorliegenden Forschung erhellend sein, die in aktuellen MINT-Diskursen zirkulierenden Technik- und Geschlechterbilder genauer daraufhin zu untersuchen, inwieweit sie an die Referenzstrukturen der Zielgruppe junger Frauen am Übergang Schule-Studium/Beruf anzuschließen vermögen bzw. sich die in ihnen praktizierten Anrufungen vorrangig auf das Wissen von Expert*innen gründen, auf individuelle Einstellungen und Motivationen junger Frauen gezielt einzuwirken versuchen und dabei möglicherweise zum einen Differenzannahmen eher dramatisieren und essentialisieren sowie zum anderen defizitorientierte Adressierungen an weibliche Identitäten fortführen anstatt sie zu kritisieren. Während in den Gruppendiskussionen mit Schüler*innen am Übergang SchuleStudium/Beruf letztlich nicht überprüfbare Handlungsabsichten für die künftige Studienfach- oder Berufswahl von den Proband*innen formuliert werden, könnte des Weiteren anhand einer Anschlussstudie mit Technikstudentinnen vor dem Hintergrund tatsächlicher Entscheidungen für ein MINT-Studienfach nach »handlungswirksame[n] Orientierungen« (Hagemann-White 1998, S. 28) gefragt werden. Dabei könnte es vorrangig darum gehen, aus der Perspektive von Studentinnen zu verstehen, welche Erfahrungen und Erlebnisse hinsichtlich der Herausbildung ihres beruflich-geschlechtlichen Selbstkonzeptes von den Proband*innen als bedeutsam wahrgenommen werden und in wieweit sich in ihren biographischen Erzählungen Möglichkeiten der subjektiven Bearbeitung wie auch der Umdeutungen normativer Orientierungsmuster ausfindig machen lassen, die es vielen und bisweilen selbst technikinteressierten jungen Frauen erschweren, sich mit dem Berufsfeld Technik zu identifizieren. Ziel wäre es somit, die subjektiven Bedeutungszuschreibungen individueller Erfahrungen und Erlebnisse zu untersuchen, um die der Studienwahlentscheidung zu Grunde liegenden Wahrnehmungskonzepte, Selbstinterpretationen und Handlungsmotive analytisch herauszuarbeiten. An dieser Stelle soll betont werden, dass die Chance, Geschlechtergrenzen im Berufsfeld Technik zu überwinden, nicht allein und auch nicht primär an die Handlungsorientierungen junger Frauen im Zuge beruflicher Entscheidungsprozesse gebunden werden kann. Dies würde die Alltagsrealität tatsächlicher Benachteiligungen und Diskriminierungen ausblenden, denen Ingenieurinnen nach wie vor mitunter ausgesetzt sind. Hier gilt es auch die Ebene der Unternehmen in Bezug auf das berufliche Selbst- und Gegenstandsverständnis in den Blick zu nehmen. In diesem Zusammenhang ergeben sich weiterführende Forschungsfragen insbesondere

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im Hinblick auf aktuelle Diskurserneuerungen angesichts des bevorstehenden sozioökonomischen Strukturwandels, der begrifflich mit dem Schlagwort ›Industrie 4.0‹ gefasst wird, von dem tiefgreifende Veränderungen traditioneller Organisationsformen und Unternehmenskulturen erwartet werden und in dessen Kontext gegenwärtig über neue Wege einer geschlechtergerechten Gestaltung zukünftiger digitalisierter Arbeitswelten debattiert wird (vgl. acatech 2016, S. 26; Bultemeier und Marrs 2016, S. 38; Kompetenzzentrum Frauen im Management, Hochschule Osnabrück 2016, S. 4). Hier wäre zu untersuchen, ob ein derartiger Paradigmenwechsel mit Veränderungen im Fach- und Selbstverständnis technischer Fachkräfte einhergeht, inwieweit dies zu Verschiebungen der Bedeutungszusammenhänge von Technik und Geschlecht führen könnte und inwiefern – möglicherweise in Anbetracht der zunehmenden Komplexität und Heterogenität sich neu formierender Organisationsstrukturen – Geschlecht als Differenzkriterium auch an Bedeutsamkeit verliert, während anderweitige Kategorisierungen, wie Ethnie oder Nationalität, in den Vordergrund treten. Im Rahmen eines intersektionalen Forschungsansatzes ginge es im Sinne Butlers darum, innerhalb der sich erneuernden Diskurse, ihrer Wissensformationen und Subjektpositionen Möglichkeitsräume zur Inklusion derjenigen ausfindig zu machen, die aus der symbolisch-diskursiven Ordnung der Technik bisher ausgeschlossen oder in ihr marginalisiert sind.

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Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Transkriptionsrichtlinien | 157 Tabelle 2: Gruppendiskussionen | 161

Danksagung Zum Abschluss möchte ich meinen Dank gegenüber den Menschen ausdrücken, die bei der Fertigstellung meiner Dissertation eine tragende Rolle gespielt haben. An erster Stelle gilt mein Dank meiner Betreuerin Prof.in Dr.in Christiane MicusLoos für die umfassende Begleitung und weitreichende Unterstützung im gesamten Promotionsprozess. Ihre kritischen Betrachtungen und differenzierten Rückmeldungen waren für diese Arbeit richtungweisend. Unsere konstruktiven Dialoge waren für mich eine persönliche und intellektuelle Bereicherung. Prof.in Dr.in Merle Hummrich danke ich für die wissenschaftliche Betreuung als Zweitgutachterin und die vielen hilfreichen Anregungen. Ganz besonders danke ich Dr.in Britta Thege, deren unerschöpfliche Geduld und moralischer Beistand mich in dieser herausfordernden Zeit immer wieder ermutigt und neu motiviert haben. Die zahlreichen Gespräche mit ihr haben vielfach zur Ideenfindung beigetragen und werden mir in steter Erinnerung bleiben. Zutiefst dankbar bin ich meinem Vater, Uwe Schmeck, der mich auf meinem Lebensweg bestärkt hat und dem ich diese Arbeit widme.

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