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German Pages 176 Year 2014
Schriften zum Strafrecht Band 258
Diebstahl und Betrug im Selbstbedienungsladen Von
Petra Timmermann
Duncker & Humblot · Berlin
PETRA TIMMERMANN
Diebstahl und Betrug im Selbstbedienungsladen
Schriften zum Strafrecht Band 258
Diebstahl und Betrug im Selbstbedienungsladen
Von
Petra Timmermann
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Fallkonstellationen im Selbstbedienungsladen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Probleme des Diebstahls in den Selbstbedienungsladen-Fällen . . . . . . . . I. Voraussetzungen des Gewahrsamswechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der sozial-faktische Gewahrsamsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verstecken der Ware in der Körpersphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gewahrsamswechsel trotz Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kein Gewahrsamswechsel bei Beobachtung . . . . . . . . . . . . . b) Verstecken der Ware im Einkaufswagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gewahrsamswechsel mit dem Passieren der Kasse unabhängig von einer Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gewahrsamswechsel mit dem Verlassen des Kaufhauses im Fall der Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung . . . . . . . . . . aa) Gewahrsamswechsel bei unbeobachtetem Verstecken . . . . . bb) Gewahrsamswechsel mit dem Passieren der Kasse unabhängig von einer Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der soziale Gewahrsamsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware in der Körpersphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstecken der Ware im Einkaufswagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken im Einkaufswagen bb) Gewahrsamswechsel mit dem Passieren der Kasse . . . . . . . c) Kein Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Ansatz von Hoyer: Gewahrsam als persönliches Nutzungsreservat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware in der Körpersphäre unabhängig von einer Beobachtung . . . . . b) Kein Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware im Einkaufswagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der faktische Ansatz von Mayer: Sachherrschaft ohne das Korrektiv der Verkehrsanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verstecken der Ware in der Körpersphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 16 17 17 18 19 20 20 21 21 22 23 24 25 26 26 27 27 28 29 30 30 30 31
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Inhaltsverzeichnis b) Verstecken der Ware im Einkaufswagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung . . . . . . . . . . 5. Der Ansatz von Ling: Exklusive Sachzuordnung mit günstiger Bestandsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware in der Körpersphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware im Einkaufswagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware in einer Verpackung bei Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Ansatz von Kahlo: Gewahrsam als reale Nutzungsmöglichkeit 7. Der historische Ansatz von Werling: Gewahrsam als räumliches Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verstecken der Ware in der Körpersphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstecken der Ware im Einkaufswagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung . . . . . . . . . . 9. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritik des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs und des faktischen Ansatzes von Mayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einwände gegen den sozial-faktischen Gewahrsamsbegriff bb) Die Beobachtung durch eingriffsbereite Dritte als Anwendungsfall des Geringfügigkeitsprinzips . . . . . . . . b) Kritik des sozialen Gewahrsamsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritik des Ansatzes von Hoyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kritik des Ansatzes von Ling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kritik des Ansatzes von Kahlo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Kritik des historischen Ansatzes von Werling . . . . . . . . . . . . . . 10. Eigener Ansatz: Wer bestimmt, wo sich das Tatobjekt befindet? . . a) Verstecken der Ware in der Körpersphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstecken der Ware im Einkaufswagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung . . . . . . . . . . II. Fremdheit des Tatobjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fremdheit im Fall der in der Körpersphäre versteckten Ware . . . . 2. Fremdheit im Fall der im Einkaufswagen versteckten Ware . . . . . . 3. Fremdheit im Fall der in einer anderen Verpackung versteckten Ware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der für die Fremdheit der Sache maßgebliche Zeitpunkt . . . . . aa) Vorübergehende Fremdheit im Ausführungsstadium . . . . . . bb) Fremdheit im Zeitpunkt der Begründung neuen Gewahrsams cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fremdheit des in einer Verpackung versteckten Tatobjekts bei der Wegnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31 32 32 33 33 34 34 35 37 37 38 38 39 39 39 40 44 46 47 48 49 50 53 53 53 54 54 55 55 55 56 57 57 58 59
Inhaltsverzeichnis
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aa) Das Übereignungsangebot des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Annahmeerklärung des Kassenpersonals . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bruch des Gewahrsams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. In der Jackentasche versteckte Ware und Gewahrsamsbruch . . . . . 2. Im Einkaufswagen versteckte Ware und Gewahrsamsbruch . . . . . . a) Ansicht vom generellen Einverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansicht vom konkreten Einverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. In einer Verpackung versteckte Ware und Gewahrsamsbruch . . . . . a) Die Ansicht vom generellen Einverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unerheblichkeit jeglichen Irrtums über den Verpackungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ansicht vom Gewahrsamsbruch am versteckten aliud . . . . aa) Kein Einverständnis bei verstecktem aliud . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Ansicht vom Gewahrsamsbruch bei hinzugefügter Ware . . aa) Einverständnis bei ausgetauschter Ware . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Ansicht von Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gewahrsamsbruch beim Erscheinungsbild des Nehmens . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Ansicht vom konkreten Einverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erheblichkeit des Irrtums über den Verpackungsinhalt . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnisse zum Tatbestand des Diebstahls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Probleme des Betrugs in den Selbstbedienungsladen-Fällen . . . . . . . . . . I. Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verneinen der Frage nach weiteren Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorzeigen einer Verpackung mit manipuliertem Inhalt . . . . . . . . . . a) Konkludente Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Passieren der Kasse mit versteckter Ware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konkludente Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Täuschung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90 90 91 91 91 91 92 92 92 92 93 93 96
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Inhaltsverzeichnis II. Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Positive Fehlvorstellung des Kassenpersonals . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorstellung des Kassenpersonals, es sei „alles in Ordnung“ . . . . . . 3. Zweifel des Kassenpersonals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Irrtum bei Für-Möglich-Halten der vorgespiegelten Tatsache . . b) Parallele zu den Willensmängeln bei der Einwilligung . . . . . . . c) Irrtum bei Für-Wahrscheinlich-Halten der vorgespiegelten Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kein Irrtum bei Zweifeln aufgrund konkreter Anhaltspunkte . . e) Irrtum bei diffusem Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Kein Irrtum bei Eventualvorsatz des Opfers hinsichtlich der Unwahrheit der vorgespiegelten Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . g) Einschränkung des Betrugstatbestands bei fahrlässigem Opferverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausschluss der objektiven Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Teleologische Reduktion des Täuschungsbegriffs . . . . . . . . h) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kritik des weiten Irrtumsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme zugunsten der Eventualvorsatz-Lösung . . . . (1) Betrug als Spezialfall der mittelbaren Täterschaft . . . (a) Unmittelbare Täterschaft beim Stellen einer Falle für das Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Eigenständigkeit der Typenbildung im Besonderen Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Fehlen einer Verhaltensnorm für den Tatmittler (d) Keine Zurechnungsfrage im Tatbestand des Betrugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Parallele zu den Willensmängeln bei der Einwilligung (3) Kritik der Wahrscheinlichkeitslösung . . . . . . . . . . . . . (4) Kritik der Ansätze von Amelung und Hassemer . . . . (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausschluss der objektiven Zurechnung oder teleologische Reduktion des Täuschungsbegriffs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vermögensverfügung und Vermögensschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt der Definitionen der Vermögensverfügung und des Vermögensschadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachbetrug durch das Passieren der Kasse . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Forderungsbetrug durch das Passieren der Kasse . . . . . . . . . . . . 2. Der Meinungsstand zur Einschränkung der Vermögensverfügung und des Vermögensschadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Exklusivitätslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96 96 97 98 98 101 102 103 104 105 107 107 108 109 109 114 114 115 116 117 118 118 118 119 120 120 120 122 123 123 124 124 125 125
Inhaltsverzeichnis aa) Verfügungsbewusstsein als Voraussetzung des Sachbetrugs (1) Sachbetrug bei generellem Einverständnis und Verfügungsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ansicht vom Gewahrsamsbruch am versteckten aliud . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verfügungsbewusstsein bei ausgetauschter Ware . . . . (4) Konkretes Verfügungsbewusstsein beim Sachbetrug (5) Die Ansicht von Backmann: Verfügungsbewusstsein zur Abgrenzung von Diebstahl und Unterschlagung bb) Generelle Einschränkung des Verfügungsbegriffs . . . . . . . . (1) Konkretes Verfügungsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bewusstsein der Vermögensrelevanz und Verfügungsbewusstsein aus Sicht eines objektiven Dritten . . . . . (3) Irrtumsmotivierter Handlungs- oder Unterlassungswille cc) Andere Abgrenzungen des Betrugs vom Diebstahl . . . . . . . (1) Die Ansicht von Schmitt: Maßgeblichkeit des äußeren Erscheinungsbilds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Ansicht von Gössel: Teleologische Reduktion des § 263 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Ansicht von Hillenkamp: Kein selbständiger Vermögensschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Auseinandersetzung mit den Argumenten der Exklusivitätslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Gegensatz zwischen Diebstahl und Betrug . . . . . (2) Das Wesen des Betrugs als „Selbstschädigungsdelikt“ (3) Das Fehlen eines Tatbestands des „betrügerischen Diebstahls“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Betrug als Spezialfall der mittelbaren Täterschaft . . . (5) Unvereinbarkeit einer Tateinheit von Diebstahl und Betrug mit dem Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Rechtssicherheit durch Exklusivität . . . . . . . . . . . . . . . (7) Erfordernis eines Verfügungsbewusstseins beim Sachbetrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Generelle Einschränkung des Verfügungsbegriffs . . . . (9) Teleologische Reduktion des § 263 StGB . . . . . . . . . . (10) Stellungnahme zur Ansicht von Hillenkamp . . . . . . . . (11) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkurrenzlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Vermögensverfügung einschränkende Konkurrenzlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Ansicht von Herzberg: Vermögensverfügung bei Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Ansicht von Miehe: Verfügung bei einem Mindestmaß personaler Beteiligung . . . . . . . . . . . . . .
11 126 127 128 128 129 130 131 131 132 132 133 133 133 134 134 135 136 137 138 140 142 143 145 146 147 148 149 149 149 150
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Inhaltsverzeichnis (3)
Die Ansicht von Joecks und Samson: Betrugsstrafbarkeit zum Schutz des Vermögens in Aktion . . . . . . (4) Die Ansicht von Hardwig: Verfügungsbewusstsein nur bei einer Verfügung durch Tun . . . . . . . . . . . . . . . (5) Forderungsbetrug als mitbestrafte Nachtat . . . . . . . . . bb) Reine Konkurrenzlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Subsidiarität von Diebstahl oder Betrug . . . . . . . . . . . (2) Tatmehrheit zwischen Diebstahl und Betrug . . . . . . . . (3) Tateinheit von Diebstahl und Betrug . . . . . . . . . . . . . . cc) Auseinandersetzungen mit den Argumenten der Konkurrenzlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kritik der Ansicht von Herzberg: Vermögensverfügung bei Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritik der Ansicht von Miehe: Mindestmaß personaler Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kritik der Ansicht von Joecks und Samson: Schutz des Vermögens in Aktion . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kritik der Ansicht von Hardwig: Bewusstsein bei Verfügung durch Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Stellungnahme zugunsten der Ansicht vom Forderungsbetrug als mitbestrafter Nachtat . . . . . . . . . (6) Kritik der Ansicht von Heghmanns: Subsidiarität von Diebstahl oder Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Kritik der Ansicht von Huschka: Tatmehrheit von Diebstahl und Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Stellungnahme zugunsten der Ansicht von der Tateinheit von Diebstahl und Betrug . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnisse zum Tatbestand des Betrugs und seinem Konkurrenzverhältnis zum Diebstahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151 152 152 153 153 154 154 155 155 156 156 157 157 158 158 158 159 159
D. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
Einleitung Diese Arbeit untersucht die Vermögensdelikte Diebstahl und Betrug anhand verschiedener Fallkonstellationen im Selbstbedienungsladen. Derartige Fälle sind bereits Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Entscheidungen gewesen. Dabei stand insbesondere das Verhältnis der beiden Delikte im Fokus. Bereits im Jahr 1962 hat der BGH entschieden, dass Diebstahl und Betrug einander ausschließen.1 Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass die Angeklagte in einem Selbstbedienungsladen nur einen Teil der von ihr ausgewählten Waren in den dafür bestimmten Korb gelegt hatte. Ein Paket Butter, zwei Tafeln Schokolade und zwei Suppenwürfel hatte sie in ihre Tasche gesteckt. An der Kasse hatte sie – wie geplant – nur die Waren im Korb bezahlt und dann das Geschäft verlassen. Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass sich die Angeklagte nur wegen Diebstahls und nicht auch wegen Betrugs strafbar gemacht habe.2 Es fehle an allen sachlichen Voraussetzungen des Betrugs. Denn für den Diebstahl im Gegensatz zum Betrug sei es kennzeichnend, dass der dem Verletzten zugefügte Schaden ausschließlich durch eine eigenmächtige Handlung des Täters herbeigeführt werde, während er beim Betrug infolge einer Vermögensverfügung des vom Täter getäuschten Verletzten eintrete. Allein dieser grundlegende Gegensatz mache es unmöglich, in einem tatsächlichen Vorgang, der die Zufügung eines Vermögensschadens zum Gegenstand habe, zugleich den Tatbestand des Diebstahls und den Tatbestand des Betrugs zu finden.3 An dieser Auffassung hat der BGH festgehalten und sie im Jahr 1995 in einem weiteren Fall, der in einem Selbstbedienungsladen stattfand, bestätigt.4 In diesem Fall hatten die beiden Angeklagten vier CDs, eine Videokassette und zwei Paar Socken unter einem Werbeprospekt im Einkaufswagen versteckt und an der Kasse nur die weiteren Sachen bezahlt, die sie auf den Werbeprospekt gelegt hatten. Auch hier bejahte der BGH unter Hinweis darauf, dass sich Diebstahl und Betrug schon tatbestandlich ausschlössen, nur einen Diebstahl.5 1 2 3 4 5
BGHSt BGHSt BGHSt BGHSt BGHSt
17, 17, 17, 41, 41,
205 205 205 198 198
(209). (209). (209). (201). (201).
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Einleitung
Die Auffassung von der Exklusivität von Diebstahl und Betrug hat sich in der übrigen Rechtsprechung weitgehend durchgesetzt.6 Auch das rechtswissenschaftliche Schrifttum hat sich dieser Ansicht überwiegend angeschlossen.7 Nur vereinzelt finden sich in der Literatur kritische Stimmen.8 Die Auseinandersetzung mit den Argumenten für und gegen eine Exklusivität von Diebstahl und Betrug bildet einen Schwerpunkt der folgenden Untersuchung. Die Selbstbedienungsladen-Fälle sind jedoch nicht nur für die Frage der Abgrenzung von Diebstahl und Betrug interessant. Vielmehr geben sie Anlass zu einer vertieften Untersuchung der Tatbestandsmerkmale der beiden Delikte. Auch dies ist Gegenstand dieser Arbeit. Anhand von Beispielsfällen werden nachfolgend die objektiven Tatbestandsmerkmale von Diebstahl und Betrug untersucht. Bei der Untersuchung zum Diebstahl werden der Begriff des Gewahrsams, die Fremdheit des Tatobjekts und schließlich die Voraussetzungen für ein wirksames Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel behandelt. Daran schließt sich die Untersuchung zum Betrug an. In den Selbstbedienungsladen-Fällen sind sämtliche Tatbestandsmerkmale des Betrugs problematisch und Gegenstand dogmatischer Auseinandersetzung. Der Schwerpunkt liegt jedoch bei dem ungeschriebenen Tatbestandbestandsmerkmal der Vermögensverfügung, an das die Rechtsprechung und ein großer Teil des rechtswissenschaftlichen Schrifttums die Abgrenzung von Diebstahl und Betrug anknüpfen.
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Vgl. PfzOLG Zweibrücken, NStZ 1995, 448 (449); BayObLGSt 1988, 5 (7). Fischer, § 242 Rn. 27; Lackner / Kühl-Kühl, § 263 Rn. 26; LK-Vogel, § 242 Rn. 112; LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 98 und Rn. 101; MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 186; Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 63a; Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 36; SK-Hoyer, § 242 Rn. 49. 8 NK-Puppe, Vor § 52 Rn. 43 ff.; Heghmanns, Rn. 1234; Puppe, JR 1984, 229 (234); Walter, Jura 2002, 415 (421); Stuckenberg, ZStW 118 (2006), 878 (901 f.); Puppe, S. 350 und S. 354; Röckrath, S. 35; Walter, S. 223. 7
A. Fallkonstellationen im Selbstbedienungsladen Der nachfolgenden Untersuchung liegen folgende Fallkonstellationen zugrunde: In einem Selbstbedienungsladen versteckt der Täter9 eine Ware, die er für sich behalten will, a) in seiner Jackentasche, b) im Einkaufswagen unter anderen Gegenständen, die an der Kasse als Sichtschutz dienen sollen, wie z. B. einem Werbeprospekt oder anderen Waren, c) in der Verpackung einer anderen Ware, so dass der neue Inhalt der Verpackung von außen nicht zu sehen ist, und legt sie in den Einkaufswagen. An der Kasse werden jeweils nur die sichtbaren Waren berechnet und der Täter bezahlt auch nur den vom Kassenpersonal dafür verlangten Betrag. Anschließend verlässt er das Geschäft mit der versteckten Ware. Diese Fälle werden auch in der Abwandlung behandelt, dass der Täter beim Verstecken der Ware von einem Ladendetektiv beobachtet wird, der ihn, nachdem er die Kasse passiert hat, daran hindert, das Geschäft mit der versteckten Ware zu verlassen.
9 Aus Vereinfachungsgründen wird im Rahmen dieser Arbeit nur die männliche Form gewählt. Damit soll aber jedes Geschlecht ausdrücklich mit einbezogen sein.
B. Probleme des Diebstahls in den Selbstbedienungsladen-Fällen Im Folgenden wird untersucht, ob der Täter in den dargestellten Fallkonstellationen den objektiven Tatbestand des Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB verwirklicht hat. Dazu müsste der Täter eine fremde bewegliche Sache weggenommen haben. Wegnahme ist die Aufhebung fremden und Begründung neuen, nicht notwendig eigenen Gewahrsams durch Bruch.10 Die Prüfung wirft vier Probleme auf, die im Folgenden näher beleuchtet werden. Zunächst geht es im ersten Abschnitt um die Frage, welche Voraussetzungen für einen Gewahrsamswechsel erfüllt sein müssen (dazu nachfolgend unter B. I.). Diese Frage wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet und kann nach einer Analyse der wesentlichen Elemente des Gewahrsams einer neuen Lösung zugeführt werden. Ein weiteres Problem des Diebstahls wird sodann im zweiten Abschnitt untersucht, nämlich die Frage, auf welchen Zeitpunkt es für die Fremdheit des Tatobjekts ankommt (dazu nachfolgend unter B. II. 3. a)). Als weitere Frage wird in diesem Zusammenhang untersucht, ob das Eigentum an in einer Verpackung versteckter Ware, wie in Fall c), an der Kasse auf den Täter übertragen wird (dazu nachfolgend unter B. II. 3. b)). Im dritten Abschnitt wird schließlich geprüft, ob der Täter die Ware durch Bruch des Gewahrsams oder mit Einverständnis des Kassenpersonals erlangt. Diese Frage ist jedoch nur in den Fällen problematisch, in denen Ware in einem Einkaufswagen (dazu nachfolgend unter B. III. 2.) oder in einer anderen Verpackung versteckt wurde (dazu nachfolgend unter B. III. 3.).
I. Voraussetzungen des Gewahrsamswechsels Als zeitliche Anknüpfungspunkte für einen Gewahrsamswechsel kommen in den dargestellten Fallkonstellationen das Verstecken der Ware in der Körpersphäre, im Einkaufswagen oder in einer anderen Verpackung, das Passieren der Kasse oder das Verlassen des Selbstbedienungsladens in Betracht. 10
Lackner / Kühl-Kühl, § 242 Rn. 8; SK-Hoyer, § 242 Rn. 20.
I. Voraussetzungen des Gewahrsamswechsels
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In Rechtsprechung und Literatur werden sieben verschiedene Ansätze zur Definition des Gewahrsams vertreten (dazu nachfolgend unter B. I. 1. bis B. I. 7.). Keiner von ihnen überzeugt jedoch vollständig. Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen (dazu nachfolgend unter B. I. 9.) wird deshalb unter Berücksichtigung der Kritik ein neuer Gewahrsamsbegriff entwickelt (dazu nachfolgend unter B. I. 10.). 1. Der sozial-faktische Gewahrsamsbegriff Nach dem sozial-faktischen Gewahrsamsbegriff ist Gewahrsam die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Herrschaft einer Person über eine Sache, wobei die tatsächliche Herrschaftsmacht und der Herrschaftswille maßgeblich durch die Anschauungen des täglichen Lebens bestimmt werden.11 Der Täter erlangt danach neuen Gewahrsam, wenn er die Herrschaft ohne Behinderung durch den bisherigen Gewahrsamsinhaber ausüben und dieser seinerseits nicht mehr über die Sache verfügen kann, ohne die Verfügungsmacht des Täters zu beseitigen.12 Wann der ursprüngliche Gewahrsamsinhaber von seiner Sachherrschaft ausgeschlossen wird, ist nach dem sozial-faktischen Gewahrsamsbegriff eine nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheidende Tatfrage, die im Wesentlichen von Art, Umfang und Gewicht der Sache abhängt.13 Wenn sich der Täter mit der Sache noch im räumlichen Machtbereich des bisherigen Gewahrsamsinhabers befindet, soll er neuen Gewahrsam an der Sache begründen, wenn er die Sache an sich genommen hat und ihrer Wegschaffung unter normalen Umständen kein Hindernis mehr entgegensteht.14 a) Verstecken der Ware in der Körpersphäre Unter den Vertretern des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs besteht noch Übereinstimmung darüber, dass die Verkehrsauffassung dem Täter in 11 BGHSt 16, 271 (273); BGHSt 41, 198 (205); PfzOLG Zweibrücken, NStZ 1995, 448 (449); Fischer, § 242 Rn. 11; Lackner / Kühl-Kühl, § 242 Rn. 8a ff.; LK-Vogel, § 242 Rn. 85; SSW-Kudlich, § 242 Rn. 19; Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242, Rn. 23; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 33 II Rn. 12; Mitsch, BT 2 / 1, § 1 Rn. 40 ff. 12 BGHSt 23, 254 (255); BGHR, StGB § 242 Abs. 1, Wegnahme Nr. 5; BGH, NStZ 1988, 270 (271); OLG Köln, NJW 1984, 810 (810); OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2266 (2266); OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (923); OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1407 (1407); BayObLG NJW 1995, 3000 (3001); Lackner / Kühl-Kühl, § 242 Rn. 15; LK-Vogel, § 242 Rn. 87; Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242, Rn. 38. 13 BGH, NStZ 1988, 270 (271); LK-Vogel, § 242 Rn. 87. 14 OLG Köln, NJW 1984, 810 (810); LK-Vogel, § 242 Rn. 96; Sch-SchEser / Bosch, § 242 Rn. 39.
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
einem Selbstbedienungsladen an Sachen geringer Größe, die er in eine Tasche seiner Kleidung oder in eine mitgeführte Tasche steckt, den Gewahrsam zuweist, jedenfalls wenn er dabei nicht von einer eingriffsbereiten Person beobachtet wurde.15 Eine intensivere Herrschaftsbeziehung sei kaum denkbar, und der Ausschluss anderer komme besonders deutlich zum Ausdruck, auch wenn sich der Täter noch in der fremden Gewahrsamssphäre befinde.16 Es besteht jedoch Uneinigkeit darüber, ob ein Gewahrsamswechsel ausgeschlossen ist, wenn der Täter – wie in der Abwandlung des Falls a) – von einer eingriffsbereiten Person dabei beobachtet wird, wie er die Ware einsteckt. aa) Gewahrsamswechsel trotz Beobachtung Nach einer Auffassung steht die Beobachtung des Täters beim Verbergen der Ware durch eingriffsbereite Dritte dem Gewahrsamswechsel nicht entgegen.17 Diebstahl sei keine heimliche Tat.18 Die für die Gewahrsamsbegründung erforderliche tatsächliche Sachherrschaft bestimme sich nicht allein nach der körperlichen Nähe des Täters zur Sache und der körperlichen Kraft, mit der die Beziehung zur Sache aufrechterhalten werden könne, sondern nach den Anschauungen des täglichen Lebens.19 Die Vollziehung des Gewahrsamswechsels setze nicht voraus, dass der Täter endgültigen und gesicherten Gewahrsam erlange.20 Die Beobachtung, eine körperliche Unterlegenheit des Täters oder seine Bereitschaft zur Rückgabe gäben dem 15 BGHSt 16, 271 (274); BGHR, StGB § 242 Abs. 1, Wegnahme Nr. 5; BayObLG, NJW 1995, 3000 (3001); OLG Köln, NJW 1984, 810 (810); OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (923); OLG Düsseldorf, NJW 1990, 1492 (1492); OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1407 (1407); LK-Vogel, § 242 Rn. 96; Otto, ZStW 79 (1967), 59 (61); Brocker, JuS 1994, 919 (920). 16 BGHSt 16, 271 (274). 17 BGHSt 16, 271 (274); BGHSt 17, 205 (208 f.); BGH, GA 1969, 91 (91 f.); BGH, NStZ 1987, 71 (71); OLG Köln, MDR 1971, 595 (596); BayObLG, NJW 1995, 3000 (3001); BayObLG, NJW 1997, 3326 (3326); OLG Düsseldorf, NJW 1988, 1335 (1336); OLG Düsseldorf, NJW 1990, 1492 (1492); OLG Düsseldorf, JZ 1990, 100 (100); Fischer, § 242 Rn. 18; Lackner / Kühl-Kühl, § 242 Rn. 16; LK-Vogel, § 242 Rn. 96; SSW-Kudlich, § 242 Rn. 28; Arzt / Weber / Heinrich / HilgendorfHeinrich, § 13 Rn. 58; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 33 II Rn. 26; Rengier, BT / 1, § 2 Rn. 25; Cordier, NJW 1961, 1340 (1340); Wimmer, NJW 1962, 609 (614); Otto, ZStW 79 (1967), 59 (61). 18 BGHSt 16, 271 (274). 19 BGHSt 16, 271 (273). 20 BGHSt 26, 24 (26); BGHR, StGB § 242 Abs. 1, Wegnahme Nr. 5.
I. Voraussetzungen des Gewahrsamswechsels
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Bestohlenen lediglich die Möglichkeit, den ihm bereits entzogenen Gewahrsam zurückzuerlangen.21 Die Auffassung, dass die Beobachtung des Einsteckens der Ware eine Wegnahme stets ausschließe, sei auch mit der Rechtsprechung des BGH zum räuberischen Diebstahl gemäß § 252 StGB unvereinbar.22 Räuberischer Diebstahl sei nur gegeben, wenn die Wegnahme bei der Gewaltanwendung bereits vollendet gewesen sei, anderenfalls liege Raub vor.23 Da andererseits § 252 StGB das Betroffenwerden auf frischer Tat, also Beobachtung, voraussetze, wäre die Anwendung des § 252 StGB auf einen sehr engen Bereich beschränkt, wenn die Beobachtung die Vollendung des Diebstahls ausschlösse.24 Nach dieser Auffassung hat der Täter in Fall a) und seiner Abwandlung bereits mit dem Verstecken der Ware in seiner Jackentasche neuen Gewahrsam an der Ware erlangt. bb) Kein Gewahrsamswechsel bei Beobachtung Die entgegengesetzte Auffassung, die ebenfalls vom sozial-faktischen Gewahrsamsbegriff ausgeht, vertritt hingegen, dass die Begründung neuen Gewahrsams durch den Täter ausgeschlossen sei, wenn er beim Einstecken des Tatobjekts beobachtet werde und der Beobachtende in der Lage sei, sofort und mit Erfolg einzuschreiten bzw. wenn für den Täter nicht die geringste Möglichkeit bestehe, mit der Sache zu entkommen.25 Die Begründung neuen Gewahrsams setze das Herstellen eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses voraus, kraft dessen der Einwirkung auf die Sache keine Hindernisse mehr entgegenstünden. Ein solches Verhältnis liege jedoch beim beobachteten Dieb in keinem Augenblick vor.26 Vielmehr spreche im Hinblick auf das Recht des Ladeninhabers zur vorläufigen Festnahme gemäß § 127 Abs. 1 StPO und zur Selbsthilfe gemäß § 859 BGB sowohl die tatsächliche als auch die soziale Betrachtung gegen die Annahme eines
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BGHSt 16, 271 (274). BGHSt 16, 271 (277). 23 BGHSt 16, 271 (277). 24 BGHSt 16, 271 (277). 25 RG, GA 1924, 102 (103); BGH, StV 1985, 323 (323); OLG Düsseldorf, NJW 1961, 1368 (1369); OLG Hamm, NJW 1961, 328 (329); LG Köln, StV 1997, 27 (27); Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 40; Huschka, NJW 1960, 1189 (1190); Sonnen / Hansen-Siedler, JA 1988, 17 (25 f.); Walter, Jura 2002, 415 (417); Nugel, S. 191, 193. 26 Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 40. 22
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
Gewahrsamswechsels.27 Das Tragen einer Sache in einer eigenen Tasche genüge auch nach der Lebensauffassung nicht, um Gewahrsam zu begründen. Dies zeige schon der Fall des Arbeiters, der Werkzeuge seines Arbeitgebers bei sich führe. Denn nach einhelliger Ansicht habe nur der Arbeitgeber, nicht jedoch der Arbeiter Gewahrsam an diesen Werkzeugen.28 Diese Ansicht verneint in der Abwandlung von Fall a) einen Gewahrsamswechsel und nimmt lediglich einen versuchten Diebstahl durch das vom Ladendetektiv beobachtete Verstecken der Ware in der Jackentasche an. b) Verstecken der Ware im Einkaufswagen An Gegenständen, die der Täter im Einkaufswagen versteckt hat, erlangt er nach dem sozial-faktischen Gewahrsamsbegriff erst dann Gewahrsam, wenn er die Kasse passiert und den Kassenbereich verlassen hat.29 Erst zu diesem Zeitpunkt schreibe die Verkehrsanschauung dem Kunden den Gewahrsam an der im Einkaufswagen liegenden Ware zu.30 Ob der Gewahrsamswechsel auch im Fall der Beobachtung des Täters durch eingriffsbereite Personen mit dem Passieren der Kasse oder sogar erst mit dem Verlassen des Kaufhauses erfolgt, ist jedoch unter den Vertretern des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs umstritten: aa) Gewahrsamswechsel mit dem Passieren der Kasse unabhängig von einer Beobachtung Nach einem Ansatz innerhalb des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs erfolgt der Gewahrsamswechsel an der im Einkaufswagen versteckten Ware auch im Fall der Beobachtung durch eingriffsbereite Personen mit dem Passieren des Kassenbereichs.31 Hinter der Kassenzone schreibe die Verkehrsanschauung dem Kunden schon vor dem Verlassen des Gebäudes den Gewahrsam an der im Einkaufswagen liegenden Ware zu, da der Täter nach der Vorstellung eines unbefangenen Beobachters ordnungsgemäß abgefertigt worden sei.32 27
Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 40. Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 40. 29 Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 39. 30 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (473). 31 PfzOLG Zweibrücken, NStZ 1995, 448 (449); LK-Vogel, § 242 Rn. 101 und Rn. 104; Fischer, § 242 Rn. 18; Brocker, JuS 1994, 919 (923); Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (473). 32 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (473). 28
I. Voraussetzungen des Gewahrsamswechsels
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Die Ware stehe dann nicht mehr im freien Zugriff des Kaufhausinhabers, auch wenn sie sich noch im Einkaufswagen befinde.33 Jeder Kunde würde sich dagegen verwehren, wenn der Geschäftsinhaber nach dem Abrechnungsvorgang und dem Passieren der Kasse in seinen Einkaufswagen griffe.34 Die faktische Zugriffsmöglichkeit eines Ladendetektivs sei nicht ausreichend, um einen fortdauernden Gewahrsam des Geschäftsinhabers zu rechtfertigen, denn faktisch auf die Sache zugreifen könne auch jeder Dritte, der die Sache mit Erfolg an sich nehme, wie beispielsweise ein weiterer Dieb.35 bb) Gewahrsamswechsel mit dem Verlassen des Kaufhauses im Fall der Beobachtung Dem wird von einem anderen Ansatz innerhalb des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs entgegengehalten, dass der Täter an Gegenständen, die er im Einkaufswagen versteckt habe, erst dann Gewahrsam erlange, wenn er die Kasse so hinter sich gelassen habe, dass er unter normalen Umständen nicht mehr mit Fragen nach dem Inhalt des Einkaufswagens zu rechnen habe und seiner tatsächlichen Sachherrschaft über die Sache keine Hindernisse mehr entgegenstünden.36 Ein Gewahrsamswechsel sei mit einem Passieren des Kassenbereichs noch nicht verbunden, wenn der Täter von einer eingriffsbereiten Person beobachtet worden sei. Der Gewahrsam gehe in einem solchen Fall erst auf den Täter über, wenn er den Kaufhausbereich verlassen habe.37 Waren, die sich nach dem Passieren der Kasse noch im Einkaufswagen befänden, seien für den Geschäftsinhaber und Kaufhausdetektive jederzeit zugriffsbereit, denn sie bräuchten nicht in die höchstpersönliche Sphäre des Täters einzudringen und dort nach dem Gegenstand zu suchen.38 c) Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung Das Verstecken von Waren in einer anderen Verpackung wird zwar nicht von allen Vertretern des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs behandelt. 33
Brocker, JuS 1994, 919 (923). Brocker, JuS 1994, 919 (923). 35 Brocker, JuS 1994, 919 (923). 36 OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2266 (2266); OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1407 (1407); OLG Köln, NJW 1984, 810 (810); Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 39; Sonnen / Hansen-Siedler, JA 1988, 17 (26); Geiger, JuS 1992, 834 (834 Fn. 2); Stoffers, JR 1994, 205 (207); Proppe, JA 1996, 321 (327). 37 OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2266 (2266); Sonnen / Hansen-Siedler, JA 1988, 17 (26); Geiger, JuS 1992, 834 (834 Fn. 2); Stoffers, JR 1994, 205 (207); Proppe, JA 1996, 321 (327). 38 OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2266 (2266). 34
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
Diese Konstellation ist jedoch mit dem Fall vergleichbar, in dem der Täter eine Sache innerhalb des räumlichen Machtbereichs des bisherigen Gewahrsamsinhabers versteckt, um sie später fortzuschaffen. Dazu gibt es innerhalb des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs zwei verschiedene Ansätze. aa) Gewahrsamswechsel bei unbeobachtetem Verstecken Zum einen wird vertreten, dass der Gewahrsam des Rauminhabers an der versteckten Sache verloren gehe, wenn der Täter freien und ungehinderten Zugang zu dem Versteck habe und der Rauminhaber sie nicht finden könne.39 Bis zur Entdeckung der Sache bestehe eine faktische Tabusphäre des Täters in seiner Beziehung zur Sache.40 Er übe eine den Rauminhaber zurückdrängende Gewalt aus.41 Das tatsächliche Herrschaftsverhältnis des Täters könne in diesem Fall nicht mit dem Argument verneint werden, dass der Rauminhaber nicht in eine fremde Tabusphäre eindringe, wenn er den versteckten Gegenstand finde, denn in diesem Moment ende das tatsächliche Herrschaftsverhältnis des Täters über die nunmehr entdeckte Sache.42 Diesem Ansatz zufolge hätte der Täter bereits mit dem Verstecken der Ware in der anderen Verpackung eigenen Gewahrsam an der Ware erlangt. Dies gilt allerdings nicht für die Abwandlung, in der der Täter bei der Manipulation der Verpackung von einem Kaufhausdetektiv beobachtet worden ist, denn in diesem Fall kann der Rauminhaber die Sache finden. Die Abwandlung ist mit dem Fall vergleichbar, in dem der Täter Ware im Einkaufswagen versteckt hat und dabei von einer eingriffsbereiten Person beobachtet worden ist. Für diesen Fall wird auf der Grundlage des sozialfaktischen Gewahrsamsbegriffs einerseits vertreten, dass der Gewahrsam mit dem Passieren des Kassenbereichs auf den Täter übergehe.43 Andere Vertreter des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs nehmen für diesen Fall an, dass der Täter erst mit dem Verlassen des Kaufhauses Gewahrsam an der versteckten Ware erlange.44 In der Fallkonstellation, in der der Ladendetektiv den Täter, der Ware in einer anderen Verpackung versteckt hat, am Verlassen des Geschäfts hindert, 39 RGSt 12, 353 (355 f.); RG, GA 1920, 275 (276); KG, JR 1966, 308 (308); LK-Ruß, 10. Aufl., § 242 Rn. 20; Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 39; Krey / Hellmann / Heinrich, BT / 2, Rn. 21. 40 Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 24. 41 Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 24. 42 Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 24. 43 s. B. I. 1. b) aa). 44 s. B. I. 1. b) bb).
I. Voraussetzungen des Gewahrsamswechsels
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kommt auf der Grundlage des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs nach der einen Meinungsgruppe, die einen Gewahrsamswechsel stets mit dem Passieren des Kassenbereichs annimmt45, ein vollendeter Diebstahl in Betracht. Die andere Meinungsgruppe, die im Fall der Beobachtung des Täters erst beim Verlassen des Kaufhauses von einem Gewahrsamswechsel ausgeht46, muss auch in dieser Fallvariante lediglich einen versuchten Diebstahl annehmen. bb) Gewahrsamswechsel mit dem Passieren der Kasse unabhängig von einer Beobachtung Zum anderen wird auf der Grundlage des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs vertreten, dass Gegenstände, die ein anderer als der Gewahrsamsinhaber in dessen Räumen verstecke, um sie bei späterer Gelegenheit fortzuschaffen, noch im – wenn auch gelockerten – Gewahrsam des bisherigen Gewahrsamsinhabers stünden.47 Für den Fall, dass der Täter im Selbstbedienungsladen eine Ware in der Verpackung einer anderen Ware verbirgt, wird dementsprechend vertreten, dass der Täter dadurch noch keinen neuen Gewahrsam begründet, sondern dass der Gewahrsamswechsel in diesen Fällen erst mit dem Durchschreiten der Kassenzone stattfinde.48 Der bisherige Gewahrsamsinhaber könne und dürfe das bewegte Versteck innerhalb seiner Geschäftsräume jederzeit absuchen oder ganz zurückhalten, da er nicht erst den höchstpersönlichen Gewahrsamsbereich des Kunden zu überwinden brauche, um Zugriff auf seine Ware zu nehmen, und der Täter könne mit der Sache mindestens bis zu diesem Zeitpunkt nichts anfangen.49 Der Umstand, dass der Gewahrsamsinhaber nicht wisse, wo sich die versteckte Ware befinde, führe nicht zum Gewahrsamsverlust, denn der Gewahrsamsinhaber müsse nicht wissen, wo sich die Sachen in seinem Herrschaftsbereich genau befinden.50 Nach dieser Ansicht findet der Gewahrsamswechsel in Fall c) noch nicht mit dem Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung statt, sondern 45
s. B. I. 1. b) aa). s. B. I. 1. b) bb). 47 OLG Celle, MDR 1965, 315 (316); Fischer, § 242 Rn. 15 und Rn. 19; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 33 II Rn. 22. 48 OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (923); OLG Dresden, Beschluss vom 31.05.2002 – Ss 165 / 02; LK-Vogel, § 242 Rn. 101; Eisele, BT II, Rn. 44; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 33 II Rn. 22; Rengier, BT / 1, § 2 Rn. 26; Wimmer, NJW 1962, 609 (611); Fahl, JA 1996, 40 (41). 49 OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (923); Wimmer, NJW 1962, 609 (611). 50 Vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (923). 46
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
erst mit dem Passieren des Kassenbereichs. Dies gilt nach dieser Ansicht auch für die Abwandlung, in der der Täter beim Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung vom Kaufhausdetektiv beobachtet wurde.51 2. Der soziale Gewahrsamsbegriff Nach dem sozialen Gewahrsamsbegriff hat derjenige Gewahrsam an einer Sache, in dessen sozialer Herrschaftssphäre sie sich befindet.52 Sitte, Herkommen, Brauch und Konvention ordneten dem Einzelnen soziale Herrschaftssphären zu, in denen er – von der Gemeinschaft respektiert – seine Herrschaft über Sachen betätigen könne.53 Eine soziale Zuordnung einer Sache zu einer Person sei gegeben, wenn der Zugriff einer anderen Person auf die Sache sozial auffällig und rechtfertigungsbedürftig sei, während der Zugriff auf die Sache durch den Gewahrsamsinhaber keiner sozialen Rechtfertigung bedürfe.54 Die Entwicklung des sozialen Gewahrsamsbegriffs in den 1960er Jahren war eine Reaktion auf folgende Fälle, die in der Presse Schlagzeilen machten: Die Amtsgerichte Kiel und Oberhausen hatten Kunden eines Selbstbedienungsladens, die beim Einstecken von Waren in ihre Taschen beobachtet und nach dem Passieren der Kasse an der Ladentür gestellt worden waren, aus Rechtsgründen freigesprochen. Die Gerichte hatten dieses Verhalten als einen – straflosen – Versuch der Verbrauchsmittelentwendung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB a. F. bewertet und einen Gewahrsamswechsel durch das bloße, beobachtete Einstecken der Ware im Selbstbedienungsladen verneint.55 Die Entwendung von Nahrungs- und Genussmitteln in geringer Menge oder von unbedeutendem Wert zum alsbaldigen Gebrauch gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB a. F. (Verbrauchsmittelentwendung oder auch 51 OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (923); OLG Dresden, Beschluss vom 31.05.2002 – Ss 165 / 02; LK-Vogel, § 242 Rn. 101. 52 MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 54 und Rn. 62; NK-Kindhäuser, § 242 Rn. 28; Schmidhäuser, BT, 8 / 19; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 82 f.; Welzel, GA 1960, 257 (265); Welzel, NJW 1961, 328 (329); Geilen, JR 1963, 446 (447); Gössel, ZStW 85 (1973), 591 (639 f.); Bittner, JuS 1974, 156 (159); Samson, JA 1980, 285 (287); Laubenthal, JA 1990, 38 (39); Kargl, JuS 1996, 971 (975); Scheffler, JR 1996, 342 (343); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221); Martin, JuS 1998, 890 (893); Bittner, S. 161. 53 Welzel, GA 1960, 257 (265); Welzel, NJW 1961, 328 (329). 54 MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 54; NK-Kindhäuser, § 242 Rn. 28; Kargl, JuS 1996, 971 (974). 55 Vgl. Bild-Zeitung vom 7. Dezember 1960, S. 1 und S. 7 mit den Schlagzeilen: „Gerichts-Urteil verblüfft Millionen Hausfrauen“, und: „Das ist nicht strafbar! Kaffee im Selbstbedienungsladen gestohlen.“
I. Voraussetzungen des Gewahrsamswechsels
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Mundraub genannt) gehörte zur Deliktskategorie der Übertretung im Sinne der damaligen Fassung des StGB. Bei dieser Deliktskategorie war der Versuch nicht mit Strafe bedroht. Diese Rechtsprechung traf in der Literatur auf erheblichen Widerstand. So kommentierte Welzel diese Urteile im Jahr 1960 wie folgt: „Entspräche die geschilderte Rechtsauffassung wirklich unserem geltenden Recht, so stünden wir vor einer empfindlichen Rechtslücke an wichtiger Stelle, und auch die Verfasser des StGB-Entwurfs (§ 242 Abs. 2 E 60) müssten sich vorwerfen lassen, diese Lücke weder gesehen noch geschlossen zu haben. Der materielle Schaden, der den Selbstbedienungsläden unter diesen Umständen entsteht, wäre dabei noch nicht einmal das Schlimmste, schlimmer sind die verhängnisvollen Folgen für das sozial-ethische Bewusstsein des Volkes, wenn sich die „Lücke“ herumspräche.“56
Mit dem EGStGB vom 02.03.197457, das am 01.01.1975 in Kraft getreten ist, wurde die Deliktskategorie der Übertretung abgeschafft. Der sog. Mundraub wurde zu einem Vergehen aufgewertet und ist seitdem als Antragsdelikt gemäß § 248a StGB (Diebstahl geringwertiger Sachen) ausgestaltet.58 Die Fälle, die vor dieser Reform als versuchter Mundraub straflos waren, sind seitdem als versuchter Diebstahl mit Strafe bedroht. Die Vertreter des sozialen Gewahrsamsbegriffs hielten jedoch auch nach dieser Gesetzesänderung an ihrer Auffassung fest, obwohl damit ein wesentliches Argument für ihre Auffassung entfallen war. a) Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware in der Körpersphäre Die Vertreter des sozialen Gewahrsamsbegriffs nehmen an, dass das, was eine Person in einem Selbstbedienungsladen in ihrer Kleidung oder mitgeführten Tasche verberge, aus dem Herrschaftsbereich des Geschäftsinhabers ausgesondert sei, und zwar unabhängig davon, ob der Kunde bei dem Verbergen der Ware von eingriffsbereiten Personen beobachtet werde.59 Alles, was sich in der Kleidung oder in mitgeführten Taschen einer Person befinde, gehöre ihrer normativ respektierten Tabusphäre an und bilde innerhalb 56
Welzel, GA 1960, 257 (257 f.). BGBl. I S. 469. 58 Sch-Sch-Eser / Hecker, Einführung Rn. 8. 59 MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 68; NK-Kindhäuser, § 242 Rn. 39; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 126; Welzel, GA 1960, 257 (268); Gössel, ZStW 85 (1973), 591 (641); Samson, JA 1980, 285 (287); Kargl, JuS 1996, 971 (975); Scheffler, JR 1996, 342 (343); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221); Martin, JuS 1998, 890 (893); Bittner, S. 291 und S. 295. 57
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eines generell beherrschten Raumes eine Gewahrsamsenklave.60 Dem Geschäftsinhaber stehe der Schutz der Persönlichkeitssphäre des Täters als Hindernis zur Ausübung seiner Sachherrschaft entgegen, welches erst durch Eingreifen eines besonderen Rechtfertigungsgrunds, wie Notwehr oder Besitzkehr gemäß § 859 Abs. 2 BGB, überwunden werden könne.61 Nach dem sozialen Gewahrsamsbegriff findet mit dem Verstecken der Ware in der Jackentasche sowohl in Fall a) als auch in seiner Abwandlung ein Gewahrsamswechsel statt. b) Verstecken der Ware im Einkaufswagen Unter den Vertretern des sozialen Gewahrsamsbegriffs besteht – mit einer Ausnahme – Einigkeit darüber, dass mit dem Verstecken der Ware im Einkaufswagen noch kein Gewahrsamswechsel stattfindet. aa) Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken im Einkaufswagen Lediglich Kargl vertritt, ausgehend vom sozialen Gewahrsamsbegriff, dass ein Gewahrsamswechsel bereits durch das Verbergen der Ware im Einkaufswagen erfolge.62 Zur Begründung führt er aus, dass der Zugriff des Kunden auf die Sachen im Einkaufswagen sozial anerkannt sei, während der Geschäftsinhaber und sein Personal sich sozial auffällig verhielten, wenn sie ohne Begründung Waren aus dem Einkaufswagen der Kunden berühren oder herausnehmen würden.63 Den Beleg dafür, dass ein Eingriff in die Friedenssphäre des Kunden vorliege, liefere die von beiden Teilen als unumgänglich angesehene Rechtfertigung des Geschäftsinhabers für sein Verhalten.64 Die Folge dieser Auffassung ist, dass durch das Passieren der Kasse mit im Einkaufswagen versteckter Ware kein Diebstahl begangen werden kann: Der Täter erlangt danach bereits mit dem Hineinlegen von Waren in den Einkaufswagen Gewahrsam. Der Geschäftsinhaber ist damit nach den von ihm aufgestellten Geschäftsbedingungen einverstanden, so dass auf der Grundlage dieser Ansicht ein tatbestandsausschließendes Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel vorliegt. Wird die Ware nicht bezahlt, kommen 60 NK-Kindhäuser, § 242 Rn. 39; Welzel, GA 1960, 257 (267); Gössel, ZStW 85 (1973), 591 (641); Samson, JA 1980, 285 (287); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221); Martin, JuS 1998, 890 (893); Bittner, S. 291 und S. 295. 61 Gössel, BT / 2, § 7 Rn. 81; Welzel, GA 1960, 257 (268). 62 Kargl, JuS 1996, 971 (975). 63 Kargl, JuS 1996, 971 (975). 64 Kargl, JuS 1996, 971 (975).
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nur Betrug und, demgegenüber subsidiär, Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 1 StGB in Betracht. bb) Gewahrsamswechsel mit dem Passieren der Kasse Nach Auffassung der anderen Vertreter des sozialen Gewahrsamsbegriffs begründet der Täter in einem Selbstbedienungsladen dagegen noch keinen Gewahrsam, wenn er eine Ware in den Einkaufswagen legt und sie darin versteckt, sondern erst zu dem Zeitpunkt, in dem das Kassenpersonal seine Abfertigung abgeschlossen hat.65 c) Kein Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung Auf der Grundlage des sozialen Gewahrsamsbegriffs wird übereinstimmend vertreten, dass die soziale Zuordnung einer Sache zum Rauminhaber bestehen bleibe, wenn jemand anders diese Sache in der Gewahrsamssphäre des Rauminhabers verstecke.66 Dies folge aus der Überlegung, dass der Inhaber der Gewahrsamssphäre nicht in eine fremde Tabusphäre eingriffe, wenn er die versteckten Sachen entdeckte und an einen anderen Platz brächte.67 Dementsprechend wird für den Fall der in einer anderen Verpackung versteckten Ware vertreten, dass der Täter erst mit dem Durchschreiten der Kasse Gewahrsam an den versteckten Gegenständen erlange.68 Zur Begründung, dass an der Kasse ein Gewahrsamswechsel geschehe, wird angeführt, dass die soziale Zuordnung nicht zwischen an der Kasse verborgener und vorgelegter Ware unterscheide, sondern sich an dem der Norm entsprechenden Fall orientiere, und im Normalfall hätten die Kunden nach dem Passieren der Kasse Eigentum und Besitz an den Sachen in ihrem Einkaufswagen erlangt.69 Nach dem sozialen Gewahrsamsbegriff erlangt der Täter unabhängig von einer Beobachtung nicht bereits mit dem Verstecken der Ware, sondern erst mit dem Durchschreiten der Kasse Gewahrsam an der von ihm manipulierten Verpackung und ihrem Inhalt. 65 MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 68; NK-Kindhäuser, § 242 Rn. 39; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 128; Welzel, GA 1960, 257 (268); Gössel, ZStW 85 (1973), 591 (642); Scheffler, JR 1996, 342 (343); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221); Bittner, S. 294. 66 MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 69; NK-Kindhäuser, § 242 Rn. 40; Gössel, ZStW 85 (1973), 591 (642); Kargl, JuS 1996, 971 (975). 67 MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 69. 68 Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221). 69 Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221).
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3. Der Ansatz von Hoyer: Gewahrsam als persönliches Nutzungsreservat Aus seiner Kritik am sozial-faktischen und am sozialen Gewahrsamsbegriff entwickelt Hoyer einen anderen Ansatz zur Definition des Gewahrsams. Gewahrsam erlangt danach, wer sich eine Sache durch faktische Okkupation oder durch rechtliche Vereinbarung zur persönlichen Nutzung reserviere.70 Gewahrsam bestehe bei Eingliederung der Sache in ein persönliches Nutzungsreservat.71 Gegen den sozial-faktischen Gewahrsamsbegriff wendet Hoyer ein, dass es gerade nicht den Anschauungen des tatsächlichen Lebens entspreche, dass ein gelähmter oder altersschwach bettlägeriger Wohnungsinhaber noch die tatsächliche Herrschaft über das gesamte Wohnungsinventar ausübe, während sein körperlich weit überlegener Pfleger sich insoweit wesentlichen Hindernissen gegenübersehe.72 Auch bei einem Bewusstlosen, der im Krankenhaus liege, erscheine weder die Herrschaftsmacht „tatsächlich“ noch der Wille „natürlich“, weiterhin das Obst in seinem Garten zu beherrschen, das gerade ein Nachbar abernte.73 Sowohl Herrschaftsmacht als auch -wille würden hier nur fingiert.74 In Bezug auf den sozialen Gewahrsamsbegriff sei fraglich, worauf die behauptete soziale Zuordnung der Sache bzw. die Tabuisierung bestimmter räumlicher Bereiche eigentlich beruhe. Auf eine tatsächliche Tabuisierung könne es nicht ankommen. Anderenfalls ließen Massenplünderungen in einem bestimmten Bereich stets dessen Eigenschaft als Gewahrsamssphäre entfallen, d. h. bei hinreichender empirischer Häufigkeit entfiele die juristische Möglichkeit eines Diebstahls.75 Käme es auf die rechtliche Tabuisierung an, so ergäbe sich ein Zirkelschluss. Denn die rechtliche Tabuisierung eines bestimmten Bereichs werde maßgeblich durch § 242 StGB bewirkt. Die soziale Tabuisierung könne sich aber nicht zugleich aus § 242 StGB ergeben und § 242 StGB auslösen.76 Die Tabuisierung eines bestimmten räumlichen Bereichs könne also allenfalls aus ungeschriebenen Sozialnormen folgen, die dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden entsprechen. Solange die Tatbestandsmerkmale der ungeschriebenen Sozialnorm jedoch nicht benannt würden, lasse sich jedes für rich70 71 72 73 74 75 76
SK-Hoyer, SK-Hoyer, SK-Hoyer, SK-Hoyer, SK-Hoyer, SK-Hoyer, SK-Hoyer,
§ 242 § 242 § 242 § 242 § 242 § 242 § 242
Rn. 32 f. Rn. 32. Rn. 26. Rn. 26. Rn. 26. Rn. 30. Rn. 30.
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tig gehaltene Ergebnis rechtfertigen, so dass sich der Verdacht von Willkür einstelle.77 Aus § 242 StGB ergebe sich immerhin, dass die Wegnahme „in der Absicht“, d. h. zum Zweck der Aneignung vorgenommen worden sein müsse.78 Die Wegnahme müsse daher ein Mittel zur Ermöglichung der beabsichtigten Aneignung der Sache sein.79 Wenn jede Aneignung in einer Nutzung der Sache bestehe, müsse der Täter mit der Wegnahme die Nutzung der Sache vorbereiten.80 Dies bedeute, dass er sich die Sache zur Nutzung bereit- und zugleich sicherstellen müsse, dass kein anderer seine Nutzungsabsichten noch vereiteln könne.81 Neuer Gewahrsam des Täters im Sinne des zuvor beschriebenen Nutzungsreservats entstehe nicht kraft sozialer Zuordnung, sondern kraft tatsächlicher oder rechtlicher Umstände, die von der sozialen Anschauung bestenfalls nachvollzogen würden.82 Den Mantel, den der Täter überstreife, möge er zuvor selbst gewaltsam einem anderen abgenommen haben. Indem er ihn überstreife, reserviere er ihn tatsächlich für eigene Nutzungen, stelle ihn sich zur Nutzung bereit und schließe andere von der Nutzung aus.83 Auf eine soziale Anerkennung dieses Umstands durch irgendeine hypothetische, rechtschaffen denkende Beurteilungsperson komme es dann nicht mehr an.84 a) Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware in der Körpersphäre unabhängig von einer Beobachtung Nach Hoyer erlangt derjenige, der in einem Selbstbedienungsladen Ware in seine Jackentasche stecke, stets Gewahrsam an der eingesteckten Ware, selbst wenn er aufgrund weiterer Umstände keine Chance auf ein Entkommen mit seiner Beute habe, da er die eingesteckte Ware tatsächlich für die eigene Nutzung reserviere, sie sich zur Nutzung bereitstelle und andere von der Nutzung ausschließe.85 Hoyer zufolge liegt in Fall a) und in seiner Abwandlung – trotz Beobachtung durch den Ladendetektiv – mit dem Einstecken der Ware ein Gewahrsamswechsel vor. 77 78 79 80 81 82 83 84 85
SK-Hoyer, SK-Hoyer, SK-Hoyer, SK-Hoyer, SK-Hoyer, SK-Hoyer, SK-Hoyer, SK-Hoyer, SK-Hoyer,
§ 242 § 242 § 242 § 242 § 242 § 242 § 242 § 242 § 242
Rn. 31. Rn. 32. Rn. 32. Rn. 32. Rn. 32. Rn. 33. Rn. 33. Rn. 33. Rn. 33 und Rn. 52.
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b) Kein Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware im Einkaufswagen Mit dem Verbringen der Ware in den Einkaufswagen geht nach der Auffassung von Hoyer kein Gewahrsamswechsel einher, vielmehr müsse der Täter dafür den Kassenbereich passieren, um sie sich persönlich zur Nutzung zu reservieren.86 c) Kein Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung Den Fall, dass eine Ware in einem Selbstbedienungsladen in einer anderen Verpackung versteckt wird, behandelt Hoyer zwar nicht. Den damit vergleichbaren Parallelfall, dass der Täter eine Sache in einer Wohnung versteckt, entscheidet Hoyer jedoch so, dass der Wohnungsinhaber den Gewahrsam noch nicht durch das Verstecken verliert.87 Das Fortbestehen des Gewahrsams in einem solchen Fall ergebe sich daraus, dass mit jeder Wohnungshaltung bezweckt werde, die darin aufgenommenen Sachen vor Unbefugten zu verwahren, d. h. zur Weiterverwendung zu reservieren.88 Überträgt man diesen Ansatz auf die in einer Verpackung versteckte Ware, müsste Hoyer einen Gewahrsamswechsel durch das Verstecken der Ware ablehnen. 4. Der faktische Ansatz von Mayer: Sachherrschaft ohne das Korrektiv der Verkehrsanschauung Mayer stellt für die deliktische Begründung neuen Gewahrsams allein auf die tatsächliche Sachherrschaft und den Herrschaftswillen des Täters ab, ohne die Verkehrsanschauung oder die soziale Zuordnung als Korrektiv zu verwenden.89 Ausgangspunkt der Überlegungen von Mayer ist die Annahme, dass der Gewahrsam des Berechtigten und der Gewahrsam des Täters nicht identisch sein könnten.90 Die Abweichung vom sozial-faktischen und sozialen Gewahrsamsbegriff begründet er damit, dass es für die außerhalb des Rechtsverkehrs erfolgende Gewahrsamsbegründung durch den Täter keine Verkehrsauffassung im Sinne einer sozialen oder rechtlichen Anerkennung seiner Sachherrschaft geben könne.91 Nur für den Gewahrsam des 86 87 88 89 90 91
SK-Hoyer, § 242 Rn. 38. SK-Hoyer, § 242 Rn. 38. SK-Hoyer, § 242 Rn. 36. Mayer, JZ 1962, 617 (619). Mayer, JZ 1962, 617 (618). Mayer, JZ 1962, 617 (619).
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Berechtigten sei das Element der sozialen und rechtlichen Anerkennung möglich, während für den Gewahrsam des Diebes die äußere Sachlage in ihrer Faktizität entscheidend sei.92 a) Verstecken der Ware in der Körpersphäre Nach dem Ansatz von Mayer geht der Gewahrsam des Geschäftsinhabers nicht schon dadurch unter, dass der Täter eine Ware in seine Jackentasche steckt.93 Es komme vielmehr darauf an, ob der Geschäftsinhaber seine Herrschaft über die Sache noch ohne erhebliche Schwierigkeiten geltend machen könne.94 So behalte der Geschäftsinhaber seinen Gewahrsam, wenn der Täter keine ernsthafte Möglichkeit habe, ihm die Sache vorzuenthalten.95 Da in Selbstbedienungsläden in der Regel niemand entkommen könne, der vom Personal dabei beobachtet worden sei, wie er die Ware eingesteckt habe, behalte der Ladeninhaber die Sachherrschaft grundsätzlich, bis der Täter die Kassenkontrolle passiert habe.96 Handele es sich jedoch um einen rücksichtslosen, robusten Täter, fehle es an der räumlichen Nähe der den Täter beobachtenden Angestellten oder sei die Kasse nicht ausreichend besetzt, um den Täter aufzuhalten, könne der Gewahrsamswechsel schon früher eintreten.97 Gleiches muss nach dem faktischen Ansatz von Mayer gelten, wenn der Täter beim Einstecken der Ware nicht beobachtet wurde. b) Verstecken der Ware im Einkaufswagen Auf der Grundlage des faktischen Ansatzes von Mayer dürfte der Gewahrsam an im Einkaufswagen versteckter Ware – sowohl in Fällen mit Beobachtung als auch in Fällen ohne Beobachtung des Täters – erst mit dem Passieren der Kasse auf den Täter übergehen, wenn der Täter aufgrund der vollständigen Kontrolle der Einkaufswagen an der Kasse keine ernsthafte Möglichkeit hat, dem Kassenpersonal die Ware vorzuenthalten.98 Handelt es sich jedoch um einen rücksichtslosen, robusten Täter, fehlt es an der räumlichen Nähe der den Täter beobachtenden Angestellten und ist die Kasse nicht ausreichend besetzt, um den Täter aufzuhalten, dürfte Mayer 92 93 94 95 96 97 98
Mayer, JZ 1962, 617 (619). Mayer, JZ 1962, 617 (620). Mayer, JZ 1962, 617 (620). Mayer, JZ 1962, 617 (620). Mayer, JZ 1962, 617 (620). Mayer, JZ 1962, 617 (620). Vgl. Mayer, JZ 1962, 617 (620).
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auch für den Fall des Versteckens von Ware im Einkaufswagen einen früheren Gewahrsamswechsel annehmen.99 c) Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung Den Fall, dass eine Ware in einer anderen Verpackung versteckt wird, erörtert Mayer nicht. In der Konsequenz seiner Auffassung müsste der Gewahrsam jedoch bereits mit dem Verstecken in einer anderen Verpackung auf den Täter übergehen, wenn der Täter dabei nicht beobachtet wurde. Bei Beobachtung dieses Geschehens dürfte der Gewahrsam nach Mayer allerdings erst mit dem Passieren der Kasse auf den Täter übergehen. In Fall c) und in der Abwandlung des Falls c), in der der Täter erst nach dem Passieren der Kasse vom Ladendetektiv aufgehalten wird, kommt daher jeweils ein vollendeter Diebstahl in Betracht. 5. Der Ansatz von Ling: Exklusive Sachzuordnung mit günstiger Bestandsprognose Ling vertritt, dass die Gewahrsamsbegründung ein Verhalten sei, durch welches der Täter eine neue Sachzuordnung mit einer günstigen Bestandsprognose herstelle und das nach dem äußeren Erscheinungsbild keine andere plausible Deutung zulasse als diejenige der Begründung eines Exklusivitätsverhältnisses zum Nachteil des bisherigen Gewahrsamsinhabers.100 Diese Definition leitet er davon ab, dass die Zueignungsabsicht im Sinne des § 242 StGB bei der Wegnahme in Erscheinung treten müsse101 und dass der neue Gewahrsam dem bisherigen Gewahrsam in Bezug auf die günstige Bestandsprognose der Sachzuordnung gleichwertig sein müsse.102 Grundsätzlich seien alle Fälle des Verbergens von Waren unter der Kleidung oder das Verbringen von Ware in Behältnisse, die üblicherweise nicht zum Transport zur Kasse verwendet werden, taugliche Wegnahmeakte.103 Der Täter dürfe bei dem als Wegnahmehandlung erkennbaren Verhalten jedoch nicht von eingriffsbereiten Personen beobachtet worden sein, da dies eine günstige Bestandsprognose für die exklusive Sachzuordnung ausschließe.104 99
Vgl. Mayer, JZ 1962, 617 (620). Ling, ZStW 110 (1998), 919 (939). 101 Ling, ZStW 110 (1998), 919 (934, 939). 102 Ling, ZStW 110 (1998), 919 (941). 103 Ling, ZStW 110 (1998), 919 (940). 104 Ling, ZStW 110 (1998), 919 (942). 100
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Außerdem sollen nur Handlungen, die deutlich von einem normalen Verhalten abweichen, als Wegnahmehandlungen in Betracht kommen.105 Dies sei bei einem einfachen Einstecken eines kleinen Gegenstands in die Manteltasche oder in einen offenen kundeneigenen Einkaufskorb jedoch nicht der Fall.106 Zwar spreche Einiges dafür, dass solche Handlungen im Hinblick auf ein unberechtigtes Mitnehmen von Waren vorgenommen würden. Doch ließen sich auch die Erklärungen, die Ware nachlässigerweise oder deshalb eingesteckt zu haben, weil sie beim weiteren Einkauf störend gewesen sei, oder der Verweis darauf, den ganz offen bepackten Einkaufskorb an der Kasse stets wieder auszupacken, um sich das lästige Ab- und Wiederanketten eines Einkaufswagens zu ersparen, nicht widerlegen.107 Solche Handlungen lägen, jedenfalls möglicherweise, noch im Rahmen dessen, was der bisherige Gewahrsamsinhaber als Begleiterscheinung des von ihm intendierten Umgangs mit den Waren hinnehmen müsse.108 a) Kein Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware in der Körpersphäre In Fall a) und seiner Abwandlung hat der Täter nach dem Ansatz von Ling mit dem Einstecken der Ware in die Jackentasche noch keinen neuen Gewahrsam begründet, weil dieses Verhalten seinem Ansatz zufolge noch nicht eindeutig als Wegnahmehandlung erkennbar ist.109 Der Gewahrsam geht danach mit dem Passieren der Kasse über, wenn der Täter nicht beobachtet wurde. Im Fall der Beobachtung dürfte der Gewahrsam nach Ling erst mit dem Verlassen des Geschäfts auf den Täter übergehen, weil es vorher an einer günstigen Bestandsprognose fehlt. b) Kein Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware im Einkaufswagen Es ist eine Frage der konkreten Tatumstände, ob das Verstecken von Ware in einem Einkaufswagen, z. B. unter einem Werbeprospekt, keine andere plausible Deutung zulässt als die Begründung eines Exklusivitätsverhältnisses zu Lasten des bisherigen Gewahrsamsinhabers. Eine günstige Bestandsprognose ist aber jedenfalls zu verneinen, so dass Ling in diesem Fall einen Gewahrsamswechsel vor dem Passieren der Kasse ablehnen dürfte. 105 106 107 108 109
Ling, Ling, Ling, Ling, Ling,
ZStW ZStW ZStW ZStW ZStW
110 110 110 110 110
(1998), (1998), (1998), (1998), (1998),
919 919 919 919 919
(940). (940). (940). (940). (940).
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Im Fall der Beobachtung dürfte der Gewahrsam auch hier erst mit dem Verlassen des Geschäfts auf den Täter übergehen. Vorher fehlt es an einer günstigen Bestandsprognose. c) Kein Gewahrsamswechsel mit dem Verstecken der Ware in einer Verpackung bei Beobachtung Das Verstecken von Ware in einer anderen Verpackung weicht erheblich vom normalen Verhalten eines Kunden im Selbstbedienungsladen ab, und es lässt nach seinem äußeren Erscheinungsbild auch keine andere plausible Deutung als eine Begründung eines neuen Sachzuordnungsverhältnisses zu. Diesem Sachzuordnungsverhältnis ist auch eine günstige Bestandsprognose beschieden, wenn der Täter dabei nicht von einem Ladendetektiv beobachtet wurde, so dass mit dem Verstecken der Ware nach dem Ansatz von Ling ein Gewahrsamswechsel stattfindet. Im Fall der Beobachtung durch einen Ladendetektiv, wie in der Abwandlung von Fall c), fehlt dagegen eine günstige Bestandsprognose, so dass hier nach dem Ansatz von Ling noch kein Gewahrsamswechsel erfolgt. 6. Der Ansatz von Kahlo: Gewahrsam als reale Nutzungsmöglichkeit Gewahrsam ist nach dem von Kahlo entwickelten Ansatz die auf einem generalisierenden Sachherrschaftswillen beruhende, reale und sozial anerkannte Möglichkeit einer Person, aus ihrer rechtlich garantierten Freiheit tatsächlich über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.110 Die Gewahrsamsverschiebung setze die Herstellung einer Sachlage voraus, die dem Täter die reale Möglichkeit eröffne, nicht nur durch Beschädigung über die Sache zu verfügen, sondern sich vielmehr den positiven Zuweisungsgehalt des Rechtsguts Eigentum, mit einer Sache nach Belieben zu verfahren, zumindest teilweise nutzbar zu machen.111 Dies ergebe sich daraus, dass die Tathandlung des Zueignungsdelikts Diebstahl anders geartet und bestimmt sein müsse als eine ausschließlich enteignende Aktion wie die Beschädigung oder Zerstörung einer fremden Sache.112 In einem Selbstbedienungsladen sei mit dem Einstecken der Ware in eine Bekleidungs-, Einkaufs- oder andere mitgeführte Tasche noch kein Gewahrsamswechsel verbunden, da der Täter die Sache noch nicht in eine Lage 110 111 112
Kahlo, S. 135. Kahlo, S. 136. Kahlo, S. 136.
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verbracht habe, die es ihm ermöglichen würde, sich auch nur einen Teil des positiven Zuweisungsgehalts des Eigentums zunutze zu machen.113 Der Täter könne die Sache nur beschädigen oder zerstören.114 Dies reiche für das auf Zueignung gerichtete Delikt des Diebstahls nicht aus.115 Der Zeitpunkt der Vollendung werde damit so angesetzt, dass für einen freiwilligen Rücktritt nach § 24 StGB noch Raum bleibe.116 Dies sei nicht der Fall, wenn man auch denjenigen wegen vollendeten Diebstahls bestrafe, der es sich auf dem Weg zur Kasse anders überlege und die zuvor eingesteckten Waren ins Regal zurückstelle oder in den Einkaufswagen lege, um sie doch zu bezahlen.117 Dies wäre keine sinnvolle Strafrechtspraxis.118 In Fall a) und seiner Abwandlung hat der Täter nach Kahlo mit dem Einstecken der Ware in die Jackentasche noch keinen neuen Gewahrsam begründet. Dies gilt gleichfalls für das Verstecken der Ware im Einkaufswagen in Fall b) sowie für das Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung in Fall c). Ein Gewahrsamswechsel findet Kahlo zufolge erst dann statt, wenn der Täter den Kassenbereich passiere und das Kaufhaus als räumlich umgrenzten Sachherrschaftsbereich verlasse, da das Personal den Gewahrsamswillen bezüglich der konkreten Sache erst dann nicht mehr aktualisieren könne.119 7. Der historische Ansatz von Werling: Gewahrsam als räumliches Phänomen Werling bestimmt den Gewahrsam schließlich unter Hinweis auf die Historie des Diebstahlstatbestands als räumliches Phänomen, das entweder aus einem geographisch-räumlichen Element oder aus einem persönlich-räumlichen Element bestehe.120 Der Diebstahlstatbestand habe bis zur Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 die Entziehung einer Sache aus fremder Gewere vorausgesetzt, wobei der Begriff Gewere für einen besonderen räumlichen Friedens- und Schutzbereich gestanden habe.121 Daneben habe es eine Entwick113 114 115 116 117 118 119 120 121
Kahlo, S. 137. Kahlo, S. 137. Kahlo, S. 138. Kahlo, S. 138. Kahlo, S. 139. Kahlo, S. 139. Kahlo, S. 139. Werling, S. 263. Werling, S. 86.
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lungstendenz zum persönlichen Gewahrsam gegeben, d. h. eine Ausdehnung des Diebstahls auf Entwendungen von Sachen unmittelbar von einer Person.122 Der geographisch zu verstehende Raum der Gewere habe ebenso wie der körperliche Umraum einer Person eine faktische Schutz- und Friedensfunktion für die darin befindlichen Sachen.123 Die in § 123 Abs. 1 StGB genannten räumlichen Bereiche der Wohnung, der Geschäftsräume, des befriedeten Besitztums und der sonstigen abgeschlossenen Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt seien, beschrieben das, was heutzutage unter dem Begriff der Gewere zu verstehen sei und deckten den Bereich des geographischen Gewahrsams ab.124 Den räumlichen Schutz des geographischen Gewahrsams genössen nur Sachen, die sich innerhalb eines solchen Raumes befänden oder die den Raum selbst ausmachten.125 Geographischer Gewahrsam werde begründet, wenn eine Person die Sache durch eine konkludente willensgetragene Handlung in den räumlichen Bereich eingliedere, wofür mangels einer Handlung ein Verlieren oder Vergessen der Sache in dem Bereich nicht ausreiche, solange der Bereich für jedermann geöffnet sei.126 Wenn der räumliche Bereich jedoch für bestimmte Personen geschlossen sei, falle die Sache diesen Personen gegenüber in den geographischen Gewahrsam des Rauminhabers.127 Der persönliche Gewahrsam zeichne sich dadurch aus, dass eine Person eine Sache am Körper trage oder unmittelbar beaufsichtige, so dass eine räumliche Sichtverbindung zur Sache bestehe.128 Persönlicher Gewahrsam werde durch einen objektiven Eingliederungsakt in Form einer konkludenten Handlung begründet, die auch gegen den Willen des künftigen Gewahrsamsinhabers vorgenommen werden könne.129 Frei zugänglich abgestellte Sachen, wie Autos auf einem öffentlichen Parkplatz, seien dagegen gewahrsamslos.130 Bezüglich dieser Sachen sei lediglich eine Unterschlagung möglich.131 Für die Begründung persönlichen Gewahrsams an einer Sache, die zuvor im geographischen Gewahrsam eines anderen gestanden habe, sei die Ent122 123 124 125 126 127 128 129 130 131
Werling, Werling, Werling, Werling, Werling, Werling, Werling, Werling, Werling, Werling,
S. 88. S. 262. S. 264 f. S. 272. S. 321, 327. S. 327. S. 276. S. 329. S. 316. S. 316.
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fernung der Sache aus dem geographischen Gewahrsamsbereich oder die Übergabe der Sache vom Inhaber des geographischen Gewahrsams an den neuen Inhaber des persönlichen Gewahrsams erforderlich, weil erst in diesem Zeitpunkt die Schutzfunktion des geographischen Gewahrsams ende.132 Der persönliche Gewahrsam genieße keine Priorität vor dem geographischen Gewahrsam.133 Der geographische Raum des bisherigen Gewahrsamsinhabers entfalte auch für die am Körper einer anderen Person versteckten Sachen noch eine Schutzfunktion. In dem Verstecken einer Sache in der Kleidung einer Person könne auch noch kein objektiver Akt der Eingliederung in den persönlichen Gewahrsam gesehen werden.134 Neuer Gewahrsam wird Werling zufolge in den Fällen a) bis c) und ihrer Abwandlung erst dann begründet, wenn der Täter mit der versteckten Ware den Selbstbedienungsladen und damit den geographischen Gewahrsamsbereich des Ladeninhabers verlässt. 8. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzustellen, dass in den untersuchten Fallkonstellationen jede denkbare Lösung vertreten wird. a) Verstecken der Ware in der Körpersphäre Nach den Ansätzen von Ling135, Kahlo136 und Werling137 erfolgt in einem Selbstbedienungsladen kein Gewahrsamswechsel, wenn der Täter eine Ware in seiner Jackentasche versteckt, und zwar unabhängig davon, ob er dabei von einer eingriffsbereiten Person beobachtet wurde. Dagegen nehmen einige Vertreter des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs138 und Mayer139 grundsätzlich einen Gewahrsamswechsel an, wenn der Täter in einem Selbstbedienungsladen eine Ware in seiner Körpersphäre versteckt. Sie verneinen einen Gewahrsamswechsel in einem solchen Fall nur, wenn der Täter dabei von einer eingriffsbereiten Person beobachtet wurde und der Täter daher keine Chance hat, mit der Ware zu entkommen. 132 133 134 135 136 137 138 139
Werling, S. 335 ff. Werling, S. 335. Werling, S. 338. s. B. I. 5. a). s. B. I. 6. s. B. I. 7. s. B. I. 1. a) bb). s. B. I. 4. a).
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Die anderen Vertreter des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs140, die Vertreter des sozialen Gewahrsamsbegriffs141 und Hoyer142 bejahen darüber hinaus auch dann einen Gewahrsamswechsel, wenn der Täter beim Einstecken der Ware in seine Jackentasche von einer eingriffsbereiten Person beobachtet wurde. b) Verstecken der Ware im Einkaufswagen Im Fall des Versteckens von Ware im Einkaufswagen vertritt nur Kargl143, ausgehend vom sozialen Gewahrsamsbegriff, dass der Gewahrsam unabhängig von einer Beobachtung bereits durch das Verbergen der Ware im Selbstbedienungsladen auf den Täter übergehe, während der Täter nach den anderen Ansätzen erst dann Gewahrsam erlangt, wenn er den Kassenbereich passiert144 oder das Geschäft verlassen hat145. c) Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung Zu den Fallkonstellationen des unbeobachteten Versteckens von Ware in einer anderen Verpackung sind ein Teil der Vertreter des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs146, Mayer147 und Ling148 der Auffassung, dass der Gewahrsam beim unbeobachteten Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung bereits zu diesem Zeitpunkt auf den Täter übergehe. Die anderen Vertreter des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs149, die Vertreter des sozialen Gewahrsamsbegriffs150, Hoyer151 und Kahlo152 gelangen dagegen zu dem Ergebnis, dass der Gewahrsamswechsel auch in dieser Fallkonstellation erst mit dem Passieren der Kasse erfolge. Werling153 vertritt sowohl für das unbeobachtete als auch für das beobachtete Verstecken 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153
Siehe oben, B. I. 1. a) aa). s. B. I. 2. a). s. B. I. 3. a). s. B. I. 2. b) aa). s. B. I. 1. b) aa), 2. b) bb), 3. b), 4. b), 5. b), 6. s. B. I. 1. b) bb) und B. I. 7. s. B. I. 1. c) aa). s. B. I. 4. c). s. B. I. 5. c). s. B. I. 1. c) bb). s. B. I. 2. c). s. B. I. 3. c). s. B. I. 6. s. B. I. 7.
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der Ware in einer anderen Verpackung, dass der Gewahrsamswechsel erst mit dem Verlassen des Geschäfts erfolge. Für den Fall des beobachteten Versteckens der Ware in einer anderen Verpackung gelangen alle Ansichten zu dem Ergebnis, dass der Gewahrsam dadurch noch nicht auf den Täter übergehe. 9. Stellungnahme Im Folgenden werden die verschiedenen Ansätze zur Definition des Gewahrsams kritisch gewürdigt. a) Kritik des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs und des faktischen Ansatzes von Mayer Die folgende Auseinandersetzung mit dem sozial-faktischen Gewahrsamsbegriff und mit dem faktischen Ansatz von Mayer erfolgt in zwei Abschnitten. In einem ersten Abschnitt wird untersucht, welche Aspekte grundsätzlich gegen den sozial-faktischen Gewahrsamsbegriff sprechen. Sodann wird das – auch den faktischen Ansatz von Mayer betreffende – Problem behandelt, ob eine Beobachtung des Geschehens durch eingriffsbereite Dritte den Gewahrsamswechsel ausschließt. aa) Einwände gegen den sozial-faktischen Gewahrsamsbegriff Die Definition des Gewahrsams als von einem Herrschaftswillen getragene, tatsächliche Sachherrschaft, die nach den Anschauungen des täglichen Lebens zu beurteilen sei154, ist nicht bestimmt genug, da sie die wesentlichen Kriterien in Wirklichkeit offen lässt. So erklärt der sozial-faktische Gewahrsamsbegriff nicht, warum ein Angestellter, der die tatsächliche Sachherrschaft über ein von ihm verwendetes Arbeitsgerät hat, nach den Anschauungen des täglichen Lebens keinen Gewahrsam daran haben soll. Auch für den umgekehrten Fall des Gewahrsams trotz fehlender Sachherrschaft zieht der sozial-faktische Gewahrsamsbegriff lediglich die Anschauungen des täglichen Lebens heran. Die Anschauungen des täglichen Lebens erhalten dadurch die Funktion, jedes Ergebnis zu rechtfertigen, das die Vertreter des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs im Einzelfall für richtig halten. Ein Beispiel ist der klassische Fall des Pflugs auf dem Feld. Nach dem sozial-faktischen Gewahrsamsbegriff behält der Bauer den Gewahrsam an 154
BGHSt 16, 271 (273).
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dem auf seinem Feld zurückgelassenen Pflug, weil er nach den Anschauungen des täglichen Lebens weiterhin die tatsächliche Sachherrschaft daran habe.155 Der Begriff der tatsächlichen Sachherrschaft ist jedoch nicht die richtige Bezeichnung für diese Situation. Tatsächlich hat der Bauer den Pflug auf dem Feld zurückgelassen. Dort befindet er sich nun, ohne dass irgendjemand die „tatsächliche Sachherrschaft“ daran hat. Da der Gewahrsam ein vom zivilrechtlichen Besitz unabhängiger Rechtsbegriff ist, sollte sich die Definition des Gewahrsams von dem Element der tatsächlichen Sachherrschaft lösen und die wesentlichen Merkmale des Gewahrsams ohne Rückgriff auf Fiktionen und Ausnahmen präzise bezeichnen. bb) Die Beobachtung durch eingriffsbereite Dritte als Anwendungsfall des Geringfügigkeitsprinzips Die einprägsame Formulierung des BGH, Diebstahl sei keine heimliche Tat156, kann zwar nicht als Argument gegen den faktischen Ansatz von Mayer durchgreifen. Denn bei dem Problem, ob eine Beobachtung durch eingriffsbereite Personen einen Gewahrsamswechsel ausschließt oder nicht, geht es nicht um die Heimlichkeit oder Beobachtung als solche. Gegen die Vertreter des sozial-faktischen Gewahrsamsbegriffs, die im Falle der Beobachtung durch eingriffsbereite Dritte einen Gewahrsamswechsel ablehnen, und gegen den faktischen Ansatz von Mayer ist jedoch mit dem BGH einzuwenden, dass der aktuellen Sachherrschaft des Täters, der eine Sache unter Beobachtung durch einen Ladendetektiv in seine Jackentasche gesteckt hat, nichts entgegensteht. In einem solchen Fall ist eine intensivere Herrschaftsbeziehung zur Sache kaum denkbar. Der Ausschluss anderer kommt besonders deutlich zum Ausdruck.157 Das Eingreifen des Ladendetektivs steht lediglich einer dauerhaften und gesicherten Sachherrschaft des Täters entgegen, die für eine Wegnahme jedoch – auch nach dem faktischen Gewahrsamsbegriff – nicht erforderlich ist.158 Andererseits steht der Sachherrschaft des Geschäftsinhabers ein wesentliches Hindernis entgegen, denn ohne ein Eingreifen des Ladendetektivs bekäme er die Sache nicht zurück. Auch der Fall des Täters, der eine Ware noch schnell in die Tasche steckt, bevor sich vor ihm aufgrund einer Alarmvorrichtung Eisengitter schlie155 156 157 158
BGHSt 16, 271 (273). BGHSt 16, 271 (274). BGHSt 16, 271 (274). Vgl. Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 37.
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ßen159, liefert kein Argument für diese Lösung. Dass der Täter in diesem Fall keinen Gewahrsam an der eingesteckten Ware erlangt habe, weil die Herrschaftsmacht des Eigentümers weiterhin bestehe, stellt lediglich eine Wertung über die notwendige Intensität und Dauer der Sachzuordnung dar. Angesichts des Umstands, dass sich die Ware in der Körpersphäre des Täters befindet und sein Umgang mit der Ware dem Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers widerspricht, ist diese Wertung jedoch nicht überzeugend. Eser / Bosch begründen ihre Lösung des „Eisengitter-Falls“ weiter mit dem Fall des Arbeiters, der Werkzeug seines Arbeitgebers bei sich führt, sowie mit dem Fall der Hausangestellten, die zum Einkaufen weisungsgemäß das Portemonnaie ihrer Chefin mitnimmt. In beiden Fällen hätten die Angestellten keinen Gewahrsam begründet. Dies beweise, dass das Tragen einer Sache in der Tasche nach der Verkehrsauffassung allein nicht ausreiche, um den Gewahrsam einer Person zu begründen.160 Dieser Argumentation ist entgegenzuhalten, dass diese Fälle nicht mit dem „Eisengitter-Fall“ vergleichbar sind, denn anders als im „Eisengitter-Fall“ erkennen die Angestellten die Weisungen der Eigentümer hinsichtlich des Umgangs mit den überlassenen Gegenständen an. Des Weiteren wäre der Anwendungsbereich des räuberischen Diebstahls gemäß § 252 StGB nur sehr beschränkt, wenn eine Beobachtung des Täters bei dem Verbringen der Sache in seine Körpersphäre eine Wegnahme ausschließen würde.161 Der räuberische Diebstahl setzt voraus, dass der Täter, der bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen wird, nach der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache gegen eine andere Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anwendet, um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten. Das Betroffenwerden bei einem Diebstahl ist jedenfalls im Fall der Beobachtung eines Diebstahls gegeben.162 Nugel meint, dass es angesichts der fehlenden schädigenden Folge nicht überzeugend sei, den Täter wegen vollendeter Tat zu bestrafen, wenn er nach dem beobachteten Einstecken der Ware im Selbstbedienungsladen von der Tat Abstand nehme und die Sachen an ihren ursprünglichen Platz zurücklege.163 Dieses Verhalten könne nur durch die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts vom beendeten Versuch überzeugend gewürdigt werden.164 159 160 161 162 163 164
Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 40. Vgl. Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 40. Vgl. BGHSt 16, 271 (277). Sch-Sch-Eser / Bosch, § 252 Rn. 4. Nugel, S. 196. Nugel, S. 196.
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Diese Argumentation ist jedoch als unzutreffend zurückzuweisen. Zum einen sind die Voraussetzungen des Rücktritts vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. und Abs. 1 Satz 2 StGB nicht erfüllt. Wenn der Täter beim Einstecken der Ware nicht beobachtet wurde, hat er nach dem sozial-faktischen Gewahrsamsbegriff und nach dem faktischen Ansatz von Mayer bereits eigenen Gewahrsam begründet165 und den Diebstahl vollendet, so dass ein Rücktritt vom Versuch nach § 24 StGB nicht mehr möglich ist. Bemerkt der Täter, dass er beim Einstecken der Ware beobachtet wurde, und legt er die Ware aus diesem Grund zurück, fehlt es an der für den Rücktritt erforderlichen Freiwilligkeit.166 Hat der Täter jedoch nicht bemerkt, dass er beim Einstecken der Ware von einer eingriffsbereiten Person beobachtet wurde, und legt er die Ware zurück, so handelt er dabei in der Vorstellung, den Diebstahl bereits vollendet zu haben. Seine Vorstellung ist in diesem Fall nicht darauf gerichtet, die Vollendung der Tat im Rechtssinn zu verhindern, wie § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Var. StGB und § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB es voraussetzen.167 Vielmehr möchte er die Tat wiedergutmachen. Ein Rücktritt nach § 24 StGB ist deshalb selbst in dieser Fallkonstellation ausgeschlossen.168 Zum anderen ist gegen die Argumentation von Nugel, dass es angesichts der fehlenden schädigenden Folge nicht überzeugend sei, den Täter wegen vollendeter Tat zu bestrafen, Folgendes einzuwenden: Bei der Frage, ob die Beobachtung einen Gewahrsamswechsel ausschließt, geht es darum, wie weit und wie dauerhaft das Tatobjekt für die Begründung neuen Gewahrsams vom bisherigen Gewahrsamsinhaber entfernt werden muss. Dabei handelt es sich – wie der oben beschriebene „EisengitterFall“ deutlich macht – um ein Quantitätsproblem. Dieses Problem existiert in vergleichbarer Weise auch bei anderen Straftatbeständen. Im Hinblick auf das Geringfügigkeitsprinzip, das eine Ausprägung der teleologischen Auslegung darstellt169, stellt sich dabei die Frage, ob ganz geringfügige Rechtsgutsverletzungen nach dem Sinn des jeweiligen Straftatbestands noch tatbestandsmäßig sind.170 165
Nugel, S. 196. Geilen, JR 1963, 446 (450). 167 Fischer, § 24 Rn. 30 und Rn. 36. 168 A. A. LG Köln, StV 1997, 27 (27), jedoch ohne Ausführungen zum Problem der subjektiven Rücktrittsvoraussetzungen. 169 Sch-Sch-Lenckner / Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 70a. 170 OLG Hamm, NJW 1980, 2537 (2537); Sch-Sch-Lenckner / Eisele, Vorbem. zu §§ 13 ff. Rn. 70a m. w. N.; Ostendorf, GA 1982, 333 (342). 166
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Das Geringfügigkeitsprinzip ergibt sich aus dem Prinzip der ultima ratio des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes und aus der Beachtung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Auslegung von Strafgesetzen.171 So ist für eine Reihe von Tatbeständen, wie etwa Verstrickungsbruch gemäß § 136 Abs. 1 StGB172, Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB173 und Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 StGB174, anerkannt, dass ganz unerhebliche Beeinträchtigungen den jeweiligen Tatbestand nicht erfüllen. Dabei ist die Grenzziehung ebenfalls problematisch.175 Beispielsweise wird als ganz unerheblicher Zeitraum einer Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit, der noch keine Freiheitsberaubung darstellt, ein Zeitraum von wenigen Sekunden176 bis zu drei Minuten diskutiert.177 Bei der Anwendung des Geringfügigkeitsprinzips auf den Tatbestand des Diebstahls ist jedoch festzustellen, dass es sich nach dem Sinn und Zweck des Straftatbestands nicht nur um eine ganz unerhebliche Beeinträchtigung des von § 242 StGB geschützten fremden Eigentums178 handelt, wenn ein Kunde in einem Selbstbedienungsladen eine Ware mit Zueignungsabsicht in seine Jackentasche steckt und anschließend von einem Ladendetektiv aufgehalten wird. Das verwirklichte Unrecht ist zwar geringer als in den Fällen, in denen das Opfer die Sache nicht wieder zurückerhält. Das Recht des Eigentümers gemäß § 903 BGB, nach seinem Belieben mit seinen Sachen zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen, wird durch den mit versteckter Ware davoneilenden Täter jedoch beeinträchtigt, auch wenn der Täter letztlich am Verlassen des Geschäfts gehindert wird. Dieser Umgang mit der Sache entspricht gerade nicht dem Willen des Eigentümers. Der geringeren Unrechtsverwirklichung in einem solchen Fall kann durch die verfahrensrechtlichen Regelungen der §§ 153, 153a StPO und die Strafzumessungsregeln der §§ 46, 59 StGB hinreichend Rechnung getragen werden. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass das Verbringen einer Sache in die Körpersphäre auch dann zum Gewahrsamswechsel führt, wenn der Täter dabei innerhalb eines generell beherrschten Raumes durch eingriffsbereite Dritte beobachtet worden ist und er deshalb keine Aussicht hat, mit der Sache zu entkommen. 171
OLG Hamm, NJW 1980, 2537 (2537); Ostendorf, GA 1982, 333 (342). OLG Hamm, NJW 1980, 2537 (2537); Sch-Sch-Cramer / Sternberg-Lieben, § 136 Rn. 12. 173 von Heintschel-Heinegg-Eschelbach, § 223 Rn. 9. 174 Sch-Sch-Eser / Eisele, § 239 Rn. 4 m. w. N. 175 von Heintschel-Heinegg-Eschelbach, § 223 Rn. 9. 176 LK-Träger / Schluckebier, § 239 Rn. 18 m. w. N. 177 SK-Horn / Wolters, § 239 Rn. 3. 178 SK-Hoyer, § 242 Rn. 1. 172
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b) Kritik des sozialen Gewahrsamsbegriffs Positiv zu bewerten ist zunächst der Ausgangspunkt des sozialen Gewahrsamsbegriffs, dass der Gewahrsam als tatsächliche Friedenslage ein schutzwürdiger Zustand sei und dass Selbsthilfe zur Änderung dieser PersonenSach-Beziehung – unabhängig von ihrer Entstehung – grundsätzlich unzulässig sei.179 Die Konkretisierung des Gewahrsams als soziale, also nach Sitte, Herkommen, Gewohnheit und Konvention erfolgende Zuordnung einer Sache zu einer Person180 wirft jedoch Probleme auf. Fraglich ist zunächst, wie in der Bevölkerung unabhängig vom Recht zum Besitz eine Sitte oder Gewohnheit in Bezug auf die soziale Zuordnung einer Sache zu einer Person entstanden sein kann, da es sich um einen Rechtsbegriff der Strafrechtslehre handelt. Jedenfalls sind Fälle denkbar, in denen es keine Gepflogenheit und keine gesicherte Übereinkunft darüber gibt, wem eine Sache zuzuordnen ist. So ist beispielsweise fraglich, ob einem Hausbesetzer die Einrichtungsgegenstände der besetzten Wohnung sozial zuzuordnen sind oder ob diese Gegenstände nicht vielmehr weiterhin im Gewahrsam des räumungsberechtigten Eigentümers stehen.181 Außerdem wäre es problematisch, wenn sich eine ehemals bestehende Gewohnheit dergestalt änderte, dass sie nicht mehr mit dem der Rechtsordnung zugrunde liegenden Eigentumsschutz zu vereinbaren wäre. Würde die Mehrheit der Bevölkerung die vor den Geschäften ausgestellten Waren mitnehmen, ohne sie zu bezahlen, so würde sich die Gepflogenheit entwickeln, die auf diese Weise präsentierten Waren niemandem zuzuordnen. In Bezug auf solche Waren entfiele die juristische Möglichkeit eines Diebstahls.182 In der Konsequenz der sozialen Gewahrsamsdefinition liegt es damit, dass die Normadressaten den Anwendungsbereich des § 242 StGB durch ihr Verhalten beschränken könnten. Diese sicher nicht gewollte Konsequenz ließe sich zwar vermeiden, wenn die soziale Zuordnung einer Sache zu einer Person nach dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden erfolgte. Dieses Kriterium ist jedoch ebenfalls nicht zur Definition des Gewahrsams geeignet, denn es könnte ebenso dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden entsprechen, eine Sache ihrem Eigentümer zuzuordnen und nicht demjenigen, der sie gerade bei sich führt. Die Argumentation der Vertreter des sozialen Gewahrsamsbegriffs ist zudem widersprüchlich: Zunächst wird gefragt, ob der Zugriff eines Dritten 179 180 181 182
Welzel, GA 1960, 257 (264); Kargl, JuS 1996, 971 (974). Welzel, NJW 1961, 328 (329). SK-Hoyer, § 242 Rn. 31. SK-Hoyer, § 242 Rn. 30.
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auf die Sache als Tabubruch anzusehen wäre. Dann hätte der Täter neuen Gewahrsam begründet. Wenn der Täter in einem Kaufhaus eine Ware so in seine Körpersphäre überführt habe, dass – vorbehaltlich der §§ 94 ff. StPO – allein er auf die Sachen zugreifen dürfe, so dass der Zugriff des Ladendetektivs als Tabubruch anzusehen wäre, habe der Täter Gewahrsam an der Ware erlangt.183 Der Widerspruch liegt in Folgendem: Die Frage, ob allein der Täter auf eine Sache zugreifen darf, lässt sich nicht zutreffend beantworten, wenn dabei alle rechtlichen Befugnisse anderer Personen hinweggedacht werden. Dem sozialen Gewahrsamsbegriff ist außerdem entgegenzuhalten, dass er die wesentlichen Wertungsgesichtspunkte seiner Definition nicht vollständig benennt und ebenso wie der sozial-faktische Gewahrsamsbegriff auf Ausnahmen zurückgreifen muss. So soll ein Arbeitnehmer keinen Gewahrsam an dem Werkzeug haben, das seinem Arbeitgeber gehört, selbst wenn der Arbeitnehmer das Werkzeug in seiner Körpersphäre bei sich trägt.184 Ein anderes Beispiel ist der Fall, dass ein Kunde in einem Selbstbedienungsladen Pfandflaschen aus einer Leergutkiste nimmt und sie in seinen Einkaufswagen legt, um den Eindruck zu erwecken, die Flaschen selbst mitgebracht zu haben. In diesem Fall soll der Täter bereits Gewahrsam an den Pfandflaschen erlangen, wenn er sie in seinen Einkaufswagen legt, weil dies bei einem unbefangenen Beobachter den Eindruck hervorrufen müsse, dass es sich um ihm gehörende und von ihm in den Laden mitgebrachte Flaschen handele185, obwohl die Sphäre des Einkaufswagens normalerweise allein dem Geschäftsinhaber zugeordnet wird. Eine Präzisierung ihrer Definition ist den Vertretern des sozialen Gewahrsamsbegriffs bisher nicht gelungen. Insbesondere begründen sie nicht, warum einerseits eine generelle Tabusphäre anzuerkennen sein soll und konkret einschlägige Rechtfertigungsgründe für einen Eingriff in diese Sphäre hinweggedacht werden und warum andererseits dieselbe generelle Sphäre in bestimmten Fällen nicht als Tabusphäre anzuerkennen sein soll. Schließlich ist den Vertretern des sozialen Gewahrsamsbegriffs, die auf einen Sachherrschaftswillen verzichten, Folgendes entgegenzuhalten: Da die Wegnahme die Aufhebung alten und Begründung neuen Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des Opfers voraussetzt, ist es folgerichtig, eine subjektive Beziehung des Gewahrsamsinhabers zum Tatobjekt zu verlangen.186 Des Weiteren trifft es nicht zu, dass das Kriterium des Herrschaftswillens 183 184 185 186
MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 68. SK-Samson, 4. Aufl., § 242 Rn. 26; MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 57 m. w. N. Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 129. Gössel, BT / 2, § 7 Rn. 25.
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dadurch ad absurdum geführt worden sei, dass man einen potentiellen Herrschaftswillen ausreichen lässt: Wenn eine Person einen Herrschaftswillen besaß und dann bewusstlos wird, kann nach allgemeiner Lebenserfahrung angenommen werden, dass sie ihren Herrschaftswillen mit in die Bewusstlosigkeit genommen hat. Diese Situation unterscheidet sich grundlegend von derjenigen, in der eine Person niemals Herrschaftswillen hatte. Der Herrschaftswille ist auch erforderlich, damit Sachen, die gegen den Willen des Inhabers eines generell beherrschten Raumes in seine Sphäre gelangen, nicht in seinen Gewahrsam übergehen.187 Aus diesen Gründen kann auch dem sozialen Gewahrsamsbegriff nicht gefolgt werden. c) Kritik des Ansatzes von Hoyer Auch wenn der Kritik von Hoyer am sozial-faktischen und sozialen Gewahrsamsbegriff188 zuzustimmen ist, können seinem Ansatz erhebliche Einwände entgegengehalten werden. Zunächst ist einzuwenden, dass es nicht notwendig ist, den Begriff der Wegnahme und des Gewahrsams mit Blick auf die erstrebte Zueignung zu definieren, da eine Sache auch zu anderen Zwecken weggenommen werden kann und der Filter der Zueignungsabsicht stets im subjektiven Tatbestand zum Tragen kommt. Die Fälle, in denen jemand eine Sache wegnimmt, um sie zu zerstören, können deshalb keinesfalls als Diebstahl eingeordnet werden, auch wenn der Gewahrsam nicht als Reservierung einer Sache zur Nutzung definiert und auf der Ebene des objektiven Tatbestands eine Wegnahme angenommen wird. Zudem hat eine von der Zueignungsabsicht unabhängige Definition des Gewahrsams in den Fällen, in denen die Zueignungsabsicht fehlt, den Vorteil, dass die Sache demjenigen, der sie an sich genommen hat, wieder weggenommen werden kann. Dies wird durch den folgenden Beispielsfall veranschaulicht: Wenn ein Täter in die Wohnung einer anderen Person einbricht und aus dieser Wohnung ein Gemälde mitnimmt, das er zerstören will, so begründet er nach dem Ansatz von Hoyer keinen neuen Gewahrsam. Konsequenz des von Hoyer gewählten Ansatzes wäre, dass das Gemälde in einem solchen Fall gewahrsamslos würde, da der Wohnungsinhaber keinen Gewahrsam an dem Gemälde mehr hätte.189 Wenn ein Dritter das Gemälde in Zueignungsabsicht an sich nimmt, bevor der Ersttäter es zerstört, beginge er nach Hoyer lediglich eine Unterschlagung. Ein vollendeter Diebstahl 187 188 189
Gössel, BT / 2, § 7 Rn. 25. SK-Hoyer, § 242 Rn. 26 und Rn. 30 f. Vgl. MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 63.
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wäre in diesem Fall nicht möglich. Definiert man den Gewahrsam dagegen unabhängig von der Zueignungsabsicht, begeht der Dritte einen Diebstahl, auch wenn der Ersttäter keine Zueignungsabsicht hat, sondern die Sache zerstören will. Wird die Zueignungsabsicht jedoch in den Gewahrsamsbegriff implementiert, führt dies dazu, dass im Wesentlichen gleiche Fälle ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden. Dass der Dritte in dem einen Fall die Nutzung des Ersttäters und in dem anderen Fall die Zerstörung der Sache verhindert, stellt im Hinblick auf den Eingriff in den tatsächlichen Friedenszustand keinen wesentlichen Unterschied dar. Schließlich wendet Hoyer die von ihm aufgestellte Bedingung für die Begründung neuen Gewahrsams, dass der Täter sicherstellen müsse, dass kein anderer seine Nutzungsabsichten noch durchkreuzen könne190, nicht auf alle Fälle an. So soll der Täter Gewahrsam an einer Sache erlangen, die er in seine Manteltasche gesteckt hat, auch wenn er keinerlei Chance auf ein Entkommen hat.191 In einer derartigen Situation hat der Täter gerade nicht sichergestellt, dass kein anderer seine Nutzungsabsichten mehr durchkreuzen kann. Das von Hoyer gefundene Ergebnis steht in diesem Fall nicht im Einklang mit den Anforderungen, die er an die Erlangung des Gewahrsams stellt. d) Kritik des Ansatzes von Ling Auch dem Ansatz von Ling kann im Ergebnis nicht gefolgt werden. Ling ist entgegenzuhalten, dass sein Ansatz zu unbestimmt ist. Dies gilt sowohl für das von ihm aufgestellte Erfordernis einer günstigen Bestandsprognose als auch dafür, dass es erforderlich sein soll, dass das Verhalten des Täters vom normalen Verhalten im Umgang mit fremden beweglichen Sachen erheblich abweicht und nach dem äußeren Erscheinungsbild keine andere plausible Deutung zulässt als diejenige der Begründung einer exklusiven Sachzuordnung zu Lasten des bisherigen Gewahrsamsinhabers. Diese Voraussetzungen sollen beim Einstecken einer Ware in die Manteltasche Ling zufolge nicht erfüllt sein.192 Diese Bewertung überrascht, denn das Einstecken einer Ware in die Manteltasche weicht ganz erheblich vom normalen Einkaufsverhalten ab, bei dem die Kunden die Ware in dafür bereitgestellten Einkaufswagen oder -körben zur Kasse transportieren. Nach dem Ansatz von Ling ist ebenso gut vertretbar, dass es für das Einstecken von Ware in Jacken- oder Manteltaschen keine andere plausible Deutung gibt als die Begründung einer exklusiven Sachzuordnung zu Lasten des bisherigen Ge190 191 192
SK-Hoyer, § 242 Rn. 32. SK-Hoyer, § 242 Rn. 33. Ling, ZStW 110 (1998), 919 (940).
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wahrsamsinhabers. Dies zeigt jedoch, dass der Ansatz von Ling nicht bestimmt genug ist. Letztlich stellt Ling, ebenso wie der sozial-faktische Gewahrsamsbegriff, auf die Verkehrsanschauung ab, wenn er eine Abweichung vom normalen Verhalten im Umgang mit fremden Sachen feststellen will. Die Begründung von Ling dafür, dass es sich beim Einstecken der Ware in die Manteltasche innerhalb eines Geschäfts nicht um eine Wegnahme handele, weil die Erklärung des Kunden nicht widerlegbar sei, dass er die Ware eingesteckt habe, da sie beim weiteren Einkauf störend gewesen sei193, ist nicht nachvollziehbar. Angesichts der in jedem Geschäft bereitgestellten Körbe und Einkaufswagen wird es sich bei einer solchen Erklärung in den meisten Fällen um eine bloße Schutzbehauptung handeln. Als objektiv plausible Deutung kann diese Erklärung jedenfalls nicht angesehen werden. Sollte sich diese Erklärung tatsächlich nicht widerlegen lassen, würde es lediglich an der Zueignungsabsicht fehlen. Schließlich ist der Wertung, dass der Geschäftsinhaber das Einstecken von Ware in die Manteltaschen als Begleiterscheinung des von ihm intendierten Umgangs mit den Waren hinnehmen müsse194, zu widersprechen. Der Geschäftsinhaber muss dies nicht hinnehmen. Vielmehr ist er aufgrund seines Eigentums an den Waren gemäß § 903 BGB berechtigt, selbst zu bestimmen, wie die Kunden mit den von ihm angebotenen Waren umgehen dürfen. e) Kritik des Ansatzes von Kahlo Der Ansatz von Kahlo, für die Begründung neuen Gewahrsams sei es erforderlich, dass der Täter bereits die Möglichkeit habe, den Gegenstand zu nutzen195, ist ebenfalls abzulehnen. Dem Wortlaut des § 242 Abs. 1 StGB ist dieses Erfordernis nicht zu entnehmen. Vielmehr muss der Täter einem anderen eine fremde bewegliche Sache nur in der Absicht wegnehmen, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, um den Tatbestand zu verwirklichen. Diebstahl ist nach dieser Formulierung ein Delikt mit überschießender Innentendenz: Die Aneignung der Sache, die den wirtschaftlich sinnvollen Umgang mit der Sache bzw. die Einverleibung der Sache oder ihres Wertes in das Vermögen des Täters umfasst196, muss danach gerade nicht objektiv verwirklicht, sondern nur subjektiv beabsichtigt werden.197 193 194 195 196 197
Ling, ZStW 110 (1998), 919 (940). Ling, ZStW 110 (1998), 919 (940). s. B. I. 6. Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 47; SK-Hoyer, § 242 Rn. 105. SK-Hoyer, Vor § 242 Rn. 10; Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 46.
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Die Gegenansicht, nach der ein Diebstahl Zueignung einer fremden beweglichen Sache durch Wegnahme sei198, ist mit dem Wortlaut des § 242 StGB nicht zu vereinbaren. Der Begriff der Wegnahme deutet nämlich nur auf das neue Haben einer anderen Person und nicht auf ihre Nutzungsmöglichkeiten hin. Eine reale Nutzungsmöglichkeit kann bereits aus diesem Grund keine notwendige Bedingung für die Wegnahme einer Sache sein. Verlangte man für die Wegnahme eine reale Nutzungsmöglichkeit der Sache, so hätte dies die merkwürdige Konsequenz, dass die Wegnahmezeitpunkte in Bezug auf Gegenstände, die eine vergleichbare Größe, aber unterschiedliche Nutzungsvoraussetzungen haben, weit auseinander fielen: Versteckte beispielsweise jemand in einem Selbstbedienungsladen eine Flasche Wein mit Schraubverschluss und eine tiefgefrorene Ente in Zueignungsabsicht in seinen Manteltaschen, so bestünde hinsichtlich der Flasche Wein eine sofortige Nutzungsmöglichkeit durch das Trinken, während eine solche hinsichtlich der tiefgefrorenen Ente erst sehr viel später gegeben wäre. Noch deutlicher wird diese merkwürdige Folge, wenn es sich bei den Gegenständen um eine Flasche Wein mit Schraubverschluss und eine weitere Flasche Wein mit Korken handeln würde. In diesem Fall dürfte Kahlo hinsichtlich der Flasche Wein mit Korken erst dann einen Gewahrsamswechsel annehmen, wenn der Täter gleichzeitig einen Korkenzieher entwendet, dabei hat oder seine Wohnung erreicht, in der sich ein Korkenzieher befindet. Diese Konsequenz ist mit dem Gebot der Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem nicht vereinbar. f) Kritik des historischen Ansatzes von Werling Der historische Ansatz von Werling ist nicht mit dem geltenden Recht zu vereinbaren. Die von ihm vorgeschlagene Beschränkung des Gewahrsams auf Sachen, die sich in einem der in § 123 Abs. 1 StGB genannten räumlichen Bereiche oder im körperlichen Umraum einer Person befinden199, lässt sich dem Wortlaut des heutigen Diebstahlstatbestands nicht entnehmen. Die Auswirkung dieses Ansatzes, dass am Straßenrand geparkte Autos oder auf öffentlichen Flächen abgestellte Fahrräder als gewahrsamslos einzuordnen wären, entspricht auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Dies lässt sich der Begründung für die Schaffung des Straftatbestands des 198 NK-Kindhäuser, Vor §§ 242 bis 248c Rn. 5; Welzel, § 48 II. 2.; Hirsch, JZ 1963, 149 (150 Fn. 8). 199 s. B. I. 7.
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs gemäß § 248b StGB durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 04.08.1953 entnehmen. Ein Grund für die Schaffung dieses Tatbestands war die zuvor in der Praxis bestehende Schwierigkeit, bei der Wegnahme eines auf der Straße abgestellten Fahrzeugs die Zueignungsabsicht des Täters nachzuweisen.200 Dass eine Wegnahme auch möglich ist, wenn sich insbesondere ein Fahrzeug an einem öffentlichen Ort befindet, der von keiner Person beherrscht wird, hat der Gesetzgeber des heutigen StGB dabei nicht in Zweifel gezogen. Schließlich begründet Werling nicht hinreichend, warum der persönliche Gewahrsam niemals Vorrang vor dem räumlichen Gewahrsam haben könne. Seine Begründung, der geographische Raum entfalte auch für die am Körper versteckten Sachen noch eine Schutzfunktion, so dass in dem Verstecken einer Sache am Körper noch keine Wegnahme gesehen werden könne201, überzeugt nicht. Werling stellt lediglich darauf ab, ob die Sache dem Gewahrsamsbereich des ursprünglichen Gewahrsamsinhabers vollständig entzogen wurde. Die tatsächliche Beziehung des Täters zur Sache wird dabei komplett ausgeblendet. So verneint Werling einen Gewahrsamswechsel selbst dann, wenn zwischen der Sache und dem Gewahrsamsbereich des ursprünglichen Gewahrsamsinhabers nur noch eine lose, untergeordnete Beziehung besteht, während sich die Beziehung der Sache zum Gewahrsamsbereich des Täters bereits verfestigt hat. In einem solchen Fall kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass der Geschäftsraum eine Schutzfunktion für die am Körper eines angeblichen Kunden versteckten Sachen entfaltet. 10. Eigener Ansatz: Wer bestimmt, wo sich das Tatobjekt befindet? Aus der Kritik an den verschiedenen Gewahrsamsdefinitionen kann zum einen nach dem Ausschlussprinzip und zum anderen aus der Zusammenschau der wesentlichen Merkmale des Gewahrsams eine neue Definition abgeleitet werden, die den Gewahrsam präzise und ohne Rückgriff auf Ausnahmen und Fiktionen bestimmt. In einer ersten Annäherung kann der Gewahrsam beschrieben werden als eine tatsächliche Beziehung zwischen einer natürlichen oder juristischen Person und einer beweglichen Sache, die durch objektive und subjektive Merkmale gekennzeichnet wird. 200 201
Vgl. Maurach / Schroeder / Maiwald, § 37 II Rn. 8. Werling, S. 338.
I. Voraussetzungen des Gewahrsamswechsels
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Bei der weiteren Annäherung müssen nach dem Ausschlussprinzip die als nicht hinreichend bestimmt zu bewertenden Kriterien der Sachherrschaft202, der Verkehrsanschauung203 und der sozialen Zuordnung204 außer Betracht bleiben. Zudem sollte die Definition unabhängig vom subjektiven Merkmal der Zueignungsabsicht sein205. Der Gewahrsam beschreibt des Weiteren eine Personen-Sach-Beziehung, die neben dem Eigentum schutzwürdig ist, so dass erklärt werden kann, dass eine bewegliche Sache nicht nur ihrem Eigentümer, sondern auch einem Dieb gemäß § 242 StGB gestohlen werden kann. Dazu lässt sich der Ausgangspunkt des sozialen Gewahrsamsbegriffs heranziehen, nach dem der Gewahrsam als status quo einer Personen-Sach-Beziehung strafrechtlich geschützt wird, um Streit und Gewalt um bewegliche Sachen zu vermeiden. Dieser status quo zeichnet sich aber nicht grundsätzlich durch eine möglichst große räumliche Nähe zwischen Person und Sache aus, wie die Fälle des Pfluges auf dem Feld und des abgestellten Fahrzeugs auf dem öffentlichen Parkplatz zeigen. Aus einer Zusammenschau der zuvor beschriebenen Normal- und Ausnahmefälle auf der Grundlage der bisher vertretenen Gewahrsamsbegriffe lässt sich ableiten, dass sich der Gewahrsam vielmehr dadurch auszeichnet, dass eine oder mehrere Personen den Standort einer Sache bestimmen. In subjektiver Hinsicht setzt diese Standortbestimmung voraus, dass die Person weiß, wo sich die Sache befindet. Für diese Kenntnis genügt das Wissen, dass sich die Sache in einem bestimmten Raum befindet, etwa die Möbel in der Wohnung, der Pkw auf dem Parkplatz oder die Waren des Selbstbedienungsladens in den Geschäftsräumen. Für die Definition des Gewahrsams ergibt sich daraus Folgendes: – Alleingewahrsam an einer beweglichen Sache hat, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt allein bestimmt und bestimmen will, an welchem Ort sich diese Sache befindet. Es reicht aus, wenn der Gewahrsamsinhaber für den Ort der Sache einen generellen räumlichen Bereich festgelegt hat. Daher endet der Gewahrsam nicht, wenn der Gewahrsamsinhaber eine Sache innerhalb des von ihm bestimmten räumlichen Bereichs verlegt hat und nicht genau weiß, wo sich die Sache innerhalb dieses Bereichs befindet. – Wenn mehrere Personen bestimmen und bestimmen wollen, wo sich eine bewegliche Sache befindet, haben sie Mitgewahrsam an dieser Sache. Es gibt keinen übergeordneten oder untergeordneten Mitgewahrsam. 202 203 204 205
s. s. s. s.
B. B. B. B.
I. I. I. I.
9. 9. 9. 9.
a) aa). a) aa). b). c).
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
– Der Gewahrsam besteht fort, solange andere Personen die Ortsbestimmung des bisherigen Gewahrsamsinhabers oder der bisherigen Mitgewahrsamsinhaber anerkennen. – Neuer Gewahrsam wird begründet, wenn ein anderer als der bisherige Gewahrsamsinhaber allein bestimmt und bestimmen will, wo sich die Sache befindet. Die Aufhebung des bisherigen Gewahrsams setzt voraus, dass der bisherige Gewahrsamsinhaber überhaupt nicht mehr bestimmt, wo sich die Sache befindet. Diese Definition hat den Vorteil, dass sie den Gewahrsam als Friedenszustand beschreibt, ohne auf die Verkehrsanschauung oder eine irgendwie geartete soziale Konvention zurückgreifen zu müssen. So sind die Fälle der Angestellten, die bei der Arbeit Werkzeuge ihres Arbeitgebers verwenden, ohne Rückgriff auf die Verkehrsanschauung nach diesem Ansatz so zu lösen, dass die Angestellten und der Arbeitgeber Mitgewahrsam an den Werkzeugen haben, da sowohl die Angestellten als auch der Arbeitgeber objektiv und subjektiv bestimmen, in welchem räumlichen Bereich die Werkzeuge eingesetzt werden. Erst wenn die Angestellten ein Werkzeug entgegen einer ausdrücklichen oder konkludenten Weisung des Arbeitgebers mit nach Hause nehmen, endet der Gewahrsam des Arbeitgebers, und die Angestellten begründen Alleingewahrsam. Auch für den klassischen Fall des Pfluges auf dem Feld bedarf es nach diesem Ansatz nicht des Rückgriffs auf die Verkehrsanschauung. Der Bauer behält den Gewahrsam an dem auf dem Feld zurückgelassenen Pflug, weil er bestimmt hat, dass sich der Pflug dort befinden soll. Solange diese willentliche Ortsbestimmung von Dritten anerkannt wird, bleibt der Gewahrsam des Bauern bestehen. Entsprechendes gilt für den Gewahrsam an der Ladung und dem LKW einer Spedition. Hält der Fahrer sich an die Weisung des Spediteurs, die Ladung an einem bestimmten Ort abzuliefern, so bestimmen während der Fahrt sowohl der Spediteur als auch der Fahrer, wo sich Ladung und LKW befinden, so dass beide Mitgewahrsam daran haben. Die Vorgabe eines generellen Ziels reicht für die Ortsbestimmung aus. Missachtet der Fahrer jedoch die Zielvorgabe seines Spediteurs, erlangt er Alleingewahrsam an dem LKW und der Ladung. In den Fallkonstellationen im Selbstbedienungsladen führt dieser Ansatz zu folgenden Ergebnissen:
I. Voraussetzungen des Gewahrsamswechsels
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a) Verstecken der Ware in der Körpersphäre Angewendet auf den Fall der in der Jackentasche versteckten Ware, führt diese Definition zu dem Ergebnis, dass der Täter Gewahrsam an der Ware erlangt, sobald er sie in die Tasche steckt, da er zu diesem Zeitpunkt allein bestimmt, dass sich die Ware in seiner Tasche befindet. Er missachtet die Bestimmung des Geschäftsinhabers, dass die ausgestellten Waren in Einkaufswagen oder jedenfalls offen sichtbar zur Kasse transportiert werden sollen. Die Begründung neuen Gewahrsams ist dabei unabhängig von der Beobachtung durch eingriffsbereite Dritte. b) Verstecken der Ware im Einkaufswagen Im Fall b) erlangt der Täter nach dem hier vertretenen Ansatz Mitgewahrsam neben dem Geschäftsinhaber an der im Einkaufswagen versteckten Ware, und zwar unabhängig von der Beobachtung seines Verhaltens. In diesem Fall werden die Ortsbestimmung des Geschäftsinhabers und die Ortsbestimmung des Täters gleichermaßen wirksam. Der Geschäftsinhaber hat bestimmt, dass die Waren in Einkaufswagen zur Kasse transportiert werden sollen. Der Täter erkennt diese Ortsbestimmung an und konkretisiert diese lediglich, indem er bestimmt, in welchem Einkaufswagen und auf welchem Weg sich die Ware im Geschäft bewegt. Dies gilt auch für den Fall, dass der Täter Ware unter einem Werbeprospekt oder hinter anderen Waren verbirgt. Eine vollständige Missachtung der Ortsbestimmung des Geschäftsinhabers ist damit noch nicht verbunden. Den Mitgewahrsam erlangt der Täter noch im Einverständnis mit dem Geschäftsinhaber, so dass er dadurch noch keinen Diebstahl begeht. Sobald der Täter die Kasse jedoch mit dem Einkaufswagen passiert hat, ohne die versteckte Ware an der Kasse vorgezeigt und bezahlt zu haben, wie es der Geschäftsinhaber vorgesehen hatte, missachtet er die Ortsbestimmung des Geschäftsinhabers und bestimmt allein, wo sich die Sache befindet. Durch diese Handlung erlangt der Täter Alleingewahrsam. c) Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung Wenn der Täter in einem Selbstbedienungsladen eine Ware in einer anderen Verpackung versteckt und die Verpackung in den Einkaufswagen legt, erlangt er ebenfalls Mitgewahrsam an der gesamten Ware. Hinsichtlich der versteckten Ware erfolgt diese Erlangung des Mitgewahrsams ohne den Willen des Geschäftsinhabers. Der Geschäftsinhaber hat zu diesem Zeitpunkt aber noch einen nahezu gleichwertigen Anteil an der Ortsbestimmung
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
der Ware, denn diese wird – wie er es bestimmt hatte – in einem Einkaufswagen zur Kasse transportiert. Erst nach dem Passieren der Kasse bestimmt der Täter allein, wo sich die versteckte Sache befindet und erlangt damit den vollständigen Gewahrsam an der versteckten Ware. Der Gewahrsamswechsel vollzieht sich in diesem Fall somit in zwei Stufen und ist erst nach dem Passieren der Kasse vollendet. Im Bruch des Alleingewahrsams des Geschäftsinhabers und der Erlangung von Mitgewahrsam durch das Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung liegt noch keine vollendete Wegnahme, da der Täter die Ortsbestimmung des Geschäftsinhabers im Kaufhausbereich noch teilweise anerkennt und der Geschäftsinhaber den Gewahrsam erst in dem Moment vollständig verliert, in dem der Täter die Kasse mit der in der Verpackung versteckten Ware passiert hat.
II. Fremdheit des Tatobjekts Weiter ist für den objektiven Tatbestand des Diebstahls erforderlich, dass das Tatobjekt für den Täter fremd ist. Fremd ist eine Sache, die zumindest auch im Eigentum eines anderen steht.206 In den hier untersuchten Fällen ergeben sich bei der Prüfung der Fremdheit zwei Fragestellungen: Zunächst stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Sache für den Täter fremd sein muss. Während zum Teil vertreten wird, dass die Sache nur beim unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung fremd gewesen sein muss, ist es nach einer anderen Ansicht erforderlich, dass die Sache auch noch bei Vollendung, d. h. im Zeitpunkt der Begründung neuen Gewahrsams, fremd für den Täter ist. Daran schließt sich die zweite Frage an, ob der Täter in den hier untersuchten Fällen Eigentum an der versteckten Ware erwirbt. Dies könnte zur Folge haben, dass ein Diebstahl mangels Fremdheit des Tatobjekts im maßgeblichen Zeitpunkt zu verneinen wäre. 1. Fremdheit im Fall der in der Körpersphäre versteckten Ware Im Fall a) – Verstecken von Ware in der Jackentasche – kommt mangels Mitwirkung einer verfügungsbefugten Person ein Eigentumsübergang nicht in Betracht. Die Ware ist und bleibt für den Täter fremd i. S. v. § 242 StGB. Dies gilt sowohl für den Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens als auch für den Zeitpunkt der Begründung neuen Gewahrsams, unabhängig davon, ob 206
Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 12; SK-Hoyer, § 242 Rn. 11.
II. Fremdheit des Tatobjekts
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der Gewahrsamswechsel bereits mit dem Einstecken der Ware oder erst mit dem Verlassen des Kaufhauses angenommen wird. 2. Fremdheit im Fall der im Einkaufswagen versteckten Ware In Fall b) liegen unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung – Verstecken der Ware im Einkaufswagen – und Vollendung der Wegnahme – Passieren der Kasse – zwar zeitlich auseinander. Das Eigentum an der im Einkaufswagen versteckten Ware wird jedoch nicht auf den Täter übertragen. Die Willenserklärung des Kassenpersonals über den Eigentumsübergang an den an der Kasse vorgezeigten Waren erstreckt sich nach dem objektivierten Empfängerhorizont nicht auf die im Einkaufswagen versteckte Ware. Auch in diesem Fall kommt es daher nicht auf die Frage an, welcher Zeitpunkt für die Fremdheit der Sache maßgeblich ist. 3. Fremdheit im Fall der in einer anderen Verpackung versteckten Ware Die Fremdheit des Tatobjekts ist allein in Fall c) problematisch. In diesem Fall versteckt der Täter eine Ware in einer anderen Verpackung und bezahlt an der Kasse nur den geringeren Preis für die auf der Verpackung angegebene Ware. Für diesen Fall wird teilweise vertreten, dass das Eigentum an der versteckten Ware an der Kasse auf den Täter übertragen wird.207 Geht man davon aus, dass der Gewahrsamswechsel in diesem Fall erst an der Kasse stattfindet208, kommt es darauf an, ob die Sache noch bei Vollendung des Diebstahls, hier also beim Passieren der Kasse, fremd für den Täter sein muss. Wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung annimmt, dass der Gewahrsam bereits mit dem Verstecken der Ware in einer anderen Verpackung auf den Täter übergeht, ist die Fremdheit der Sache gegeben, da zu diesem Zeitpunkt noch kein Eigentumserwerb stattgefunden haben kann. a) Der für die Fremdheit der Sache maßgebliche Zeitpunkt Im Folgenden wird zunächst untersucht, auf welchen Zeitpunkt es für die Fremdheit des Tatobjekts ankommt. 207 Bamberger / Roth-Kindl, § 929 Rn. 13; MüKo-Oechsler, § 929 Rn. 33; SoergelHenssler, § 929 Rn. 32; Westermann, 7. Aufl., S. 280. 208 s. B. I. 8. c) und B. I. 10. c).
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aa) Vorübergehende Fremdheit im Ausführungsstadium Zum einen wird vertreten, dass es im Rahmen des § 242 Abs. 1 StGB ausreichend sei, wenn die Sache beim unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung i. S. d. § 22 StGB für den Täter fremd war. Ein späterer Eigentumserwerb des Täters an der Sache, etwa im Zeitpunkt der Begründung neuen Gewahrsams, sei für die Tatbestandsverwirklichung unerheblich.209 Wenn ein Eigentumsdelikt vorliegen könne, obwohl das Opfer sein Eigentum behalte, so müsse es erst recht vorliegen können, wenn das Opfer sein Eigentum verliere, die Eigentumsverletzung also erheblich intensiver ausfalle.210 Das Strafrecht schütze potentielle Tatobjekte in dem Zustand, der vor dem Zugriff durch Unbefugte bestanden habe.211 Für die Tauglichkeit des Tatobjekts eines jeden Straftatbestands könne es nicht auf etwaige Veränderungen durch ein auf das Tatobjekt bezogenes Tathandeln ankommen.212 Berücksichtigte man solche Veränderungen der rechtlichen Qualität des Tatobjekts beispielsweise im Rahmen des Totschlags, ergäben sich erhebliche Probleme, denn die Tötungshandlung mache das Tatopfer zum Leichnam. Da der Leichnam aber kein taugliches Tatobjekt mehr sei, müsse in den Fällen des Todeseintritts während der Tathandlung eine Vollendung des Totschlags scheitern.213 Es sei daher im Strafrecht von einem Präzedenzprinzip auszugehen.214 Nach diesem Ansatz wäre der Tatbestand des § 242 Abs. 1 StGB in Fall c) selbst dann erfüllt, wenn der Täter an der Kasse das Eigentum an der von ihm in der Verpackung versteckten Ware erwerben und erst mit dem Passieren der Kasse neuen Gewahrsam an der versteckten Ware begründen würde, denn die Ware war jedenfalls im Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung fremd für den Täter.
209 SK-Hoyer, § 242 Rn. 18 f.; SSW-Kudlich, § 242 Rn. 11; LK-Vogel, § 242 Rn. 22 und Rn. 46; MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 42 f.; NK-Kindhäuser, § 242 Rn. 17; Mitsch, BT 2 / 1, § 1 Rn. 31; Herzberg / Seier, Jura 1985, 49 (50); Streng, JuS 2002, 454 (454); Kudlich / Noltensmeier, JA 2007, 863 (866). 210 SK-Hoyer, § 242 Rn. 19; MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 43; LK-Vogel, § 242 Rn. 46; Mitsch, BT 2 / 1, § 1 Rn. 31; Streng, JuS 2002, 454 (454). 211 Streng, JuS 2002, 454 (454). 212 Streng, JuS 2002, 454 (454). 213 Streng, JuS 2002, 454 (454). 214 Streng, JuS 2002, 454 (454).
II. Fremdheit des Tatobjekts
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bb) Fremdheit im Zeitpunkt der Begründung neuen Gewahrsams Zum anderen wird jedoch verlangt, dass die Sache für die Vollendung des Diebstahls auch im Zeitpunkt der Begründung neuen Gewahrsams noch fremd für den Täter ist.215 Danach wäre ein Diebstahl in Fall c) bei einem Gewahrsamswechsel an der Kasse – wie hier vertreten – ausgeschlossen, wenn der Täter an der Kasse das Eigentum an der von ihm in der Verpackung versteckten Ware erwerben würde. Die Frage des Eigentumserwerbs an der versteckten Ware ist auf der Grundlage dieses Ansatzes erheblich (dazu nachfolgend unter B. II. 3. b)). cc) Stellungnahme Auch wenn die Argumentation des unter B. II. 3. a) aa) dargestellten Ansatzes auf den ersten Blick plausibel erscheinen mag, so stehen diesem Ansatz doch gravierende Bedenken entgegen. Denn bei genauer Betrachtung ergibt sich, dass dieser Ansatz gegen das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB verstößt. Das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB verbietet jede Rechtsanwendung, die zu Lasten des Täters über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht.216 Zur Bestimmung dieses Inhalts ist an den möglichen Wortsinn des Gesetzes anzuknüpfen, der die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation markiert.217 Wenn § 242 Abs. 1 StGB bestimmt: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen (…) wegnimmt, …“, so ist das Bezugsobjekt des Verbs „wegnehmen“ eine fremde bewegliche Sache. Nach dem für die Auslegung maßgeblichen allgemeinen Sprachgebrauch218 muss die Sache im Zeitpunkt der Wegnahme, also auch noch im Zeitpunkt der Begründung neuen Gewahrsams, für den Täter fremd sein. Es ist zwar mit dem Analogieverbot vereinbar, den möglichen Wortsinn eines Strafgesetzes teleologisch unter Berücksichtigung des Schutzgutes des Tatbestands zu ermitteln.219 Dies führt jedoch nicht zu einem anderen Ergebnis. Da das Eigentum an einer beweglichen Sache als Schutzgut des 215 OLG Düsseldorf, NStZ 1982, 249 (249); Lackner / Kühl-Kühl, § 242 Rn. 18; von Heintschel-Heinegg-Wittig, § 242 Rn. 8; Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf-Heinrich, BT, § 13 Rn. 34; Herzberg, NStZ 1983, 251 (252). 216 BVerfG, NJW 1986, 1671 (1672); BVerfG, NJW 1995, 3050 (3051); Maunz / Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 226. 217 Maunz / Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 226. 218 Maunz / Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 227. 219 Maunz / Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 228; Sch-Sch-Eser / Hecker, § 1 Rn. 48.
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
§ 242 StGB220 übertragbar ist, war der Gesetzgeber gehalten, den Zeitpunkt zu bestimmen, auf den es für die Fremdheit der Sache ankommt. Dies ist der Zeitpunkt der Wegnahme. Auch der erste Ansatz erkennt dies grundsätzlich an, indem er den objektiven Tatbestand des Diebstahls mangels Fremdheit des Tatobjekts verneint, wenn der Eigentumsübergang auf den Täter im Zeitpunkt der Begründung neuen Gewahrsams unabhängig von der Tathandlung des § 242 StGB, z. B. durch Erbfall, erfolgte.221 Die Ausnahme für den Fall des Eigentumserwerbs im Zusammenhang mit der Wegnahmehandlung beruht allein auf kriminalpolitischen Erwägungen und überschreitet den möglichen Wortsinn des § 242 StGB. Die Vertreter des unter B. II. 3. a) aa) dargestellten Ansatzes bringen weiter vor, wenn ein Eigentumsdelikt vorliegen könne, obwohl das Opfer sein Eigentum behalte, so müsse es erst recht vorliegen können, wenn das Opfer sein Eigentum verliere, die Eigentumsverletzung also intensiver ausfalle. Gegen diese Argumentation ist einzuwenden, dass keine Eigentumsverletzung vorliegt, wenn das Opfer sein Eigentum verliert, denn eine zivilrechtlich wirksame rechtsgeschäftliche Eigentumsübertragung sollte aufgrund der Einheit der Rechtsordnung im Rahmen des § 242 StGB nicht als Eigentumsverletzung bewertet werden. Auch das für ein generelles Präzedenzprinzip angeführte argumentum ad absurdum zum Tatbestand des § 212 StGB, die Tötungshandlung mache das Tatopfer zum Leichnam, da der Leichnam aber kein taugliches Tatobjekt mehr sei, müsse in den Fällen des Todeseintritts während der Tathandlung eine Vollendung des § 212 StGB scheitern, wenn man das Präzedenzprinzip ablehne222, vermag nicht zu überzeugen. Die Tatbestände des Totschlags und des Diebstahls sind insoweit nicht miteinander vergleichbar. Während § 212 StGB die Tötung eines lebenden Menschen und damit eine Veränderung des Tatobjekts durch die Tathandlung voraussetzt, werden die Eigentumsverhältnisse an dem Tatobjekt des Diebstahls allein durch eine Wegnahme grundsätzlich nicht verändert. dd) Ergebnis Die Sache muss aus den zuvor dargestellten Gründen noch im Zeitpunkt der Begründung neuen Gewahrsams fremd für den Täter sein.
220 221 222
Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 1 / 2. Streng, JuS 2002, 454 (456). Streng, JuS 2002, 454 (454).
II. Fremdheit des Tatobjekts
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b) Fremdheit des in einer Verpackung versteckten Tatobjekts bei der Wegnahme Im Folgenden wird in Bezug auf das Passieren der Kasse mit in einer anderen Verpackung versteckter Ware untersucht, ob der Täter an der Kasse gemäß § 929 Satz 1 BGB Eigentum an der verstecken Ware erwirbt. Dann wäre die Ware im Zeitpunkt des Gewahrsamswechsels nicht mehr fremd für ihn. Ein Diebstahl wäre bereits aus diesem Grund ausgeschlossen. Zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache ist gemäß § 929 S. 1 BGB erforderlich, dass der Eigentümer oder eine verfügungsbefugte Person die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass das Eigentum übergehen soll. Die Einigung über den Eigentumsübergang setzt zwei sich deckende und aufeinander bezogene Willenserklärungen, Angebot und Annahme gemäß §§ 145 ff. BGB, voraus. Im Selbstbedienungsladen fallen der schuldrechtliche Kaufvertrag und das dingliche Verfügungsgeschäft zeitlich zusammen.223 aa) Das Übereignungsangebot des Täters Unterschiedlich beurteilt wird zunächst, wer in einem Selbstbedienungsladen das Übereignungsangebot für die Ware abgibt. Nach einer Ansicht ist das Bereitstellen der Ware im Geschäft grundsätzlich als Angebot des Geschäftsinhabers zum Abschluss eines Kaufvertrags und zur Übertragung des Eigentums anzusehen, das der Kunde durch das Vorlegen der Ware an der Kasse annehme.224 Dies gelte nur ausnahmsweise dann nicht, wenn der Geschäftsinhaber deutlich gemacht habe, sich die Entscheidung über den Vertragsschluss noch vorbehalten zu wollen, z. B. wenn die Ware eines Sonderangebots nur in Haushaltsmengen abgegeben werden solle.225 Einer anderen Ansicht zufolge liegt im Ausstellen der Ware lediglich die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, welches der Kunde seinerseits an der Kasse mit dem Vorzeigen der Ware gegenüber dem Kassenpersonal abgebe und welches das Kassenpersonal durch Eingabe des Kaufpreises für den Geschäftsinhaber annehme.226 223
Palandt-Bassenge, § 929 Rn. 3; Schulze, AcP (201) 2001, 232 (234 f., 238). Palandt-Ellenberger, § 145 Rn. 8; RGRK-Piper, § 145 Rn. 11, RGRK-Mezger, Vor § 433 Rn. 55; Soergel-Wolf, § 145 Rn. 7; Staudinger-Bork, § 145 Rn. 7; Medicus, AT, Rn. 363; Schulze, AcP (201) 2001, 232 (253). 225 Medicus, AT, Rn. 363. 226 MüKo-Busche, § 145 Rn. 12; MüKo-H. P. Westermann, § 433 Rn. 31; Dietrich, DB 1972, 957 (958); Recke, NJW 1953, 92 (92); Carlsson, JR 1954, 253 (254); Beckmann, NJW-CoR 2000, 42 (45). 224
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
Die zuletzt genannte Ansicht ist vorzugswürdig, denn der Geschäftsinhaber hat ein erkennbares Interesse daran, den Vertragsschluss noch ablehnen zu können, so dass sein Rechtsbindungswille hinsichtlich der ausgestellten Ware fehlt. Dies zeigt sich z. B. bei versehentlich mit einem zu niedrigen Preis ausgezeichneter Ware und bei vorbestellter und noch nicht beiseite gestellter Ware.227 Das Übereignungsangebot wird daher von den Kunden an der Kasse abgegeben. Indem der Täter die Ware an der Kasse vorzeigt oder auf das Kassenband legt, erklärt er konkludent, das Eigentum an der vorgelegten Ware erwerben zu wollen. Auf welchen Gegenstand sich das Übereignungsangebot des Täters bezieht, wenn er den Verpackungsinhalt vorher verändert hat, ist jedoch wiederum umstritten. Nach einer Ansicht ist das Angebot des Täters aus der maßgeblichen Sicht des ahnungslosen Kassenangestellten auf den Erwerb des Eigentums an dem Gegenstand gerichtet, der auf der Verpackung als Inhalt angegeben ist.228 Die Erklärung, die vorgelegte Sache erwerben zu wollen, reiche auch bei Kauf und Übereignung einer präsenten Sache nur so weit, wie die Identifizierung bei Vertragsschluss tatsächlich erfolge.229 Bei der objektiven Auslegung dürfe ein Umstand, der nur einer der Parteien erkennbar sei, nicht berücksichtigt werden.230 Das Kassenpersonal wisse von dem wirklichen Inhalt nichts. Seine Vorstellung werde allein durch die der Lebenserfahrung entsprechende Annahme bestimmt, Verpackungsaufschrift und Inhalt stimmten überein.231 Das vorangegangene Verhalten des Kunden und seine Kenntnis vom wahren Verpackungsinhalt seien als unbeachtliche Mentalreservation gemäß § 116 Satz 1 BGB zu bewerten.232 Legte man die Erklärungen im Sinne einer Einigung über den wirklichen Inhalt der Verpackung aus, wäre der Ladeninhaber zunächst auf die Anfechtung gemäß § 123 BGB verwiesen, er hätte keine possessorischen Besitzschutzrechte und wäre nicht vor dem gutgläubigen Eigentumserwerb Dritter geschützt.233 Dies seien bedenkliche Rechtsschutzlücken, zumal in Selbstbedienungsläden auch Konsumgüter von erheblichem Wert angeboten würden.234 Nach dieser Ansicht kommt es nicht zu einer Einigung über den Eigentumsübergang an dem veränderten Verpackungsinhalt, da sich das Übereignungsangebot des Täters nicht auf die versteckte Ware bezieht. 227 228 229 230 231 232 233 234
Dietrich, DB Schulze, AcP Schulze, AcP Schulze, AcP Schulze, AcP Schulze, AcP Schulze, AcP Schulze, AcP
1972, 957 (958). 201 (2001), 232 (248, 252). 201 (2001), 232 (248). 201 (2001), 232 (250). 201 (2001), 232 (246). 201 (2001), 232 (250). 201 (2001), 232 (253). 201 (2001), 232 (253).
II. Fremdheit des Tatobjekts
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Nach anderer Ansicht bezieht sich das Übereignungsangebot des Täters aus der Sicht eines objektiven Dritten aus dem Verkehrskreis des Kassenpersonals nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte gemäß §§ 133, 157 BGB auf den wirklichen Inhalt der Verpackung.235 Eine Entscheidung zugunsten einer dieser Ansichten wäre nicht zu treffen, wenn die Annahmeerklärung des Kassenpersonals sich nur auf einen der Aufschrift entsprechenden, nicht jedoch auf den wirklichen Inhalt beziehen würde. Dann könnte keine Einigung über den Eigentumsübergang an dem wirklichen Inhalt zustande kommen. bb) Die Annahmeerklärung des Kassenpersonals Welchen Inhalt die Annahmeerklärung des Kassenpersonals hat, ist in der vorliegenden Konstellation jedoch ebenfalls umstritten. Nach einer Ansicht bezieht sich die Annahmeerklärung des Kassenpersonals auf den wirklichen Inhalt der Verpackung, auch wenn dieser Inhalt vom ursprünglichen, auf der Verpackung angegebenen Inhalt abweicht.236 In einem solchen Fall sei die irrtumsbedingte Einigungserklärung jedoch anfechtbar, weil der Irrtum des Kassenangestellten über den Inhalt der Verpackung die Einigung selbst betreffe.237 Demgegenüber kann nach anderer Ansicht die Einigungserklärung des Kassenangestellten von einem verobjektivierten Empfängerhorizont aus nicht so verstanden werden, dass sie sich auf den wirklichen, vom Täter veränderten Verpackungsinhalt beziehe. Sie sei vielmehr allein auf den auf der Verpackung angegebenen Inhalt bezogen.238 Dieser Ansicht ist zuzustimmen, denn wenn der Erklärungsempfänger den wirklichen Willen des Erklärenden erkennt, ist dieses Verständnis für die Auslegung maßgebend, auch wenn der Empfänger sich den Willen des Erklärenden nicht zu Eigen macht. Der Erklärungsempfänger ist in einem solchen Fall nicht schutzwürdig.239 So liegt es hier. Das Kassenpersonal will 235 Bamberger / Roth-Kindl, § 929 Rn. 10; MüKo-Oechsler, § 929 Rn. 33; SoergelHenssler, § 929 Rn. 32; Gössel, Strafrecht mit Anleitungen zur Fallbearbeitung, S. 207; Westermann, 7. Aufl., S. 280. 236 Bamberger / Roth-Kindl, § 929 Rn. 10 und Rn. 13; MüKo-Oechsler, § 929 Rn. 33; Soergel-Henssler, § 929 Rn. 32; Westermann, 7. Aufl., S. 280. 237 Bamberger / Roth-Kindl, § 929 Rn. 13; MüKo-Oechsler, § 929 Rn. 33; SoergelHenssler, § 929 Rn. 32; Westermann, 7. Aufl., S. 280; Westermann / Gursky / Eickmann, § 37 Rn. 10. 238 SK-Hoyer, § 263 Rn. 169; Schulze, AcP 201 (2001), 232 (250). 239 BGH, NJW-RR 1989, 931 (932); BGH, NJW-RR 1993, 373 (373); BGH, NJW-RR 1995, 859 (859); BGH, NJW 1997, 2874 (2875); MüKo-Armbrüster, § 119
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
dem Täter nur die Ware übereignen, die auf der Verpackung angegeben ist. Von einer anderen oder weiteren Ware hat es keine Kenntnis. Sein Wille erstreckt sich daher auch nicht auf die Übereignung einer anderen Ware. Diesen wirklichen Willen erkennt der Täter auch. Gegen eine Einigung über den Eigentumsübergang an der in einer Verpackung versteckten Ware lässt sich zusätzlich anführen, dass das Kassenpersonal das Angebot des Täters nach einem verobjektivierten Empfängerhorizont unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte nur unter der Voraussetzung annehmen will, dass der Täter den Inhalt der Verpackung nicht verändert hat. Eine solche unechte Bedingung, die die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts von dem jedenfalls für eine Partei ungewissen Eintritt eines vergangenen, tatsächlich bereits entschiedenen Umstands abhängig macht, wird als condicio in praesens vel praeteritum collata oder Vergangenheitsbedingung bezeichnet.240 Sie ist statthaft, wenn auch eine echte Bedingung i. S. d. § 158 BGB zulässig wäre.241 Die Übereignung beweglicher Sachen ist nicht bedingungsfeindlich242, so dass eine Vergangenheitsbedingung zulässig ist. Die Annahmeerklärung des Kassenpersonals bezieht sich daher nicht auf die in der Verpackung versteckte Ware, sondern nur auf eine der Verpackungsaufschrift entsprechende Ware. Der Inhalt des Übereignungsangebots des Täters kann somit offen bleiben, denn wenn das Angebot des Täters sich ebenfalls auf den auf der Verpackung angegebenen Inhalt bezieht, kommt es zwar zu einer Einigung, aber nicht zu einer Übergabe des Gegenstands, auf den sich die Einigung bezieht. Wird das Angebot des Täters so ausgelegt, dass er das Eigentum am wirklichen Verpackungsinhalt erwerben möchte, fehlt es an der inhaltlichen Übereinstimmung der Willenserklärungen, denn das Kassenpersonal erklärt nur, den auf der Verpackung angegebenen Inhalt übereignen zu wollen. Die in einer Verpackung versteckte Ware bleibt somit weiterhin Eigentum des Geschäftsinhabers. cc) Ergebnis Die in einer Verpackung versteckte Ware wird dem Täter an der Kasse nicht gemäß § 929 Satz 1 BGB übereignet, so dass sie beim Passieren der Kasse Rn. 60, 62; Soergel-Hefermehl, § 133 Rn. 20; Soergel-Wolf, § 155 Rn. 15; Flume, AT 2, S. 301; Singer, S. 209. 240 Soergel-Wolf, Vor § 158 Rn. 10; Staudinger-Bork, Vorbem. zu §§ 158 ff. Rn. 28; Flume, AT 2, S. 679; Rodermund, S. 11. 241 Soergel-Wolf, Vor § 158 Rn. 10; Flume, AT 2, S. 679; Rodermund, S. 33 und S. 35. 242 Palandt-Bassenge, § 929 Rn. 4.
III. Bruch des Gewahrsams
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weiterhin fremd für ihn ist. Wie oben dargelegt wurde, kommt es für die Fremdheit des Tatobjekts auf den Zeitpunkt des Gewahrsamswechsels an. In Fall c) kommt daher selbst dann ein Diebstahl in Betracht, wenn, wie hier, vertreten wird, dass der Gewahrsamswechsel noch nicht mit dem Verstecken der Ware in der Verpackung, sondern erst mit dem Passieren der Kasse erfolgt.
III. Bruch des Gewahrsams Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob in den unter A. dargestellten Fallkonstellationen ein Gewahrsamsbruch im Sinne von § 242 StGB vorliegt. Ein Bruch fremden Gewahrsams setzt voraus, dass der Gewahrsam ohne das Einverständnis des bisherigen Gewahrsamsinhabers auf den neuen Gewahrsamsinhaber übergeht.243 Das Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel besteht allein aus einem natürlichen, dem Gewahrsamswechsel zustimmenden Willen.244 Ein solches Einverständnis können auch geschäftsunfähige oder beschränkt geschäftsfähige Personen, wie z. B. Kinder, Geisteskranke und Betrunkene, bilden, da eine natürliche Einsichts-, Urteils- und Willensbildungsfähigkeit zum Zeitpunkt des Gewahrsamsverlusts ausreicht.245 Außerdem ist es nicht notwendig, dass das Einverständnis ausdrücklich oder auch nur konkludent erklärt wird.246 Das Einverständnis eines anderen als des bisherigen Gewahrsamsinhabers schließt eine Wegnahme jedenfalls dann aus, wenn diese Person, wie hier das Kassenpersonal, berechtigt ist, den Gewahrsamsinhaber in seinem zustimmenden Willen zu vertreten.247 In den Fällen a) bis c) wäre ein Diebstahl zu verneinen, wenn das Kassenpersonal oder der Geschäftsinhaber mit dem Gewahrsamswechsel hinsichtlich der versteckten Ware einverstanden wäre. 1. In der Jackentasche versteckte Ware und Gewahrsamsbruch In Fall a), in dem der Täter die Kasse passiert, ohne die in seiner Jackentasche versteckte Ware zu bezahlen, ist in Rechtsprechung und Literatur 243 Fischer, § 242 Rn. 22; Lackner / Kühl-Kühl, § 242 Rn. 14; SK-Hoyer, § 242 Rn. 46 m. w. N. 244 SK-Hoyer, § 242 Rn. 47; SSW-Kudlich, § 242 Rn. 26. 245 SK-Hoyer, § 242 Rn. 47; SSW-Kudlich, § 242 Rn. 26; Backmann, S. 80. 246 SK-Hoyer, § 242 Rn. 52. 247 MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 102.
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
anerkannt, dass ein solches Einverständnis nicht vorliegt.248 Hier ist der objektive Tatbestand des Diebstahls erfüllt. 2. Im Einkaufswagen versteckte Ware und Gewahrsamsbruch In der Konstellation des Passierens der Kasse eines Selbstbedienungsladens mit im Einkaufswagen versteckter Ware sind in veröffentlichten Entscheidungen der Rechtsprechung insbesondere bereits CDs249, eine Videokassette und zwei Paar Socken250, zwei tiefgefrorene Enten251 sowie Plätzchen und Pralinen252 als Tatobjekte vorgekommen. Bei der Frage, ob das Kassenpersonal mit dem Gewahrsamswechsel an der im Einkaufswagen versteckten Ware einverstanden ist, stehen sich in Rechtsprechung und Literatur zwei verschiedene Ansichten gegenüber. a) Ansicht vom generellen Einverständnis Die Ansicht vom generellen Einverständnis nimmt im Fall der im Einkaufswagen versteckten Ware ein Einverständnis des Kassenpersonals mit dem Gewahrsamswechsel am gesamten Inhalt des Einkaufswagens an.253 Das Kassenpersonal gestatte dem Täter, den Kassenbereich mit dem Einkaufswagen, in dem sich die versteckte Ware befindet, zu passieren und den gesamten Inhalt des Einkaufswagens einzupacken und an sich zu nehmen.254 Die irrige Annahme des Kassenpersonals, die Waren aus dem Einkaufswagen des Kunden vollständig erfasst zu haben, sei für das Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel unerheblich.255 Es reiche aus, wenn das Kassenpersonal Kenntnis von der Vermögensrelevanz seiner Entscheidung habe. Darauf, dass es sich der vermögensschädigenden Folge der getroffenen Verfügung bewusst sei, komme es nicht an, denn der Betrugstatbestand erfasse gerade die unbewusste Selbstschädi248
BGHSt 16, 271 (272); BGHSt 17, 205 (209); Otto, BT, § 40 Rn. 30. OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1407 (1407); BGHSt 41, 198 (198 f.). 250 BGHSt 41, 198 (198 f.). 251 BayObLGSt 1988, 5 (6). 252 OLG Köln, NJW 1984, 810 (810). 253 OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1407 (1408); Fahl, JA 1996, 40 (42); Jung, JuS 1993, 779 (779). 254 OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1407 (1408). 255 OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1407 (1408); Fahl, JA 1996, 40 (42); Jung, JuS 1993, 779 (779). 249
III. Bruch des Gewahrsams
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gung.256 Ein Diebstahl sei mangels Gewahrsamsbruchs ausgeschlossen. Der Sachverhalt erhalte sein Gepräge eher durch das auf Täuschung angelegte Gesamtarrangement.257 Gegeben sei lediglich ein Betrug gegenüber dem Kassenpersonal zu Lasten des Geschäftsinhabers.258 b) Ansicht vom konkreten Einverständnis Die Ansicht vom konkreten Einverständnis nimmt dagegen im Fall der im Einkaufswagen versteckten Ware einen Gewahrsamsbruch an.259 Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis des Kassenangestellten mit dem Gewahrsamswechsel sei nicht gegeben, da der Wille des Kassenangestellten nicht auf die Übertragung des Gewahrsams an der konkreten verborgenen Ware gerichtet sei.260 Wenn der Kassenangestellte nicht erkenne, dass sich im Einkaufswagen weitere Ware befinde, scheide schon gedanklich die Annahme einer bewussten Gewahrsamsübertragung bezüglich dieser Ware aus.261 Der Kassenangestellte habe tatsächlich nur den Willen, den Gewahrsam an solchen Waren auf die Kunden zu übertragen, die diese zur Bezahlung vorgelegt hätten. Dies folge auch aus der arbeitsvertraglichen Pflicht des Kassenangestellten, nur bezahlte Waren durch die Kassenzone gelangen zu lassen.262 Ein generelles Einverständnis des Kassenangestellten mit dem Gewahrsamswechsel an dem gesamten Inhalt eines Einkaufswagens unabhängig 256
Jung, JuS 1993, 779 (779). Jung, JuS 1993, 779 (779). 258 OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1407 (1408); Jung, JuS 1993, 779 (779); Fahl, JA 1996, 40 (42). 259 BGHSt 41, 198 (202); PfzOLG Zweibrücken, NStZ 1995, 448 (449); BayObLGSt 1988, 5 (7); Fischer, § 242 Rn. 18; Lackner / Kühl-Kühl, § 263 Rn. 26; LKVogel, § 242 Rn. 112; MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 85; NK-Kindhäuser, § 242 Rn. 55; Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 63a; SK-Hoyer, § 242 Rn. 49; SSW-Kudlich, § 242 Rn. 31; Eisele, BT II, Rn. 54; Heghmanns, Rn. 1233; Krey / Hellmann / Heinrich, BT / 2, Rn. 55; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 33 II Rn. 31; Mitsch, BT 2 / 1, § 1 Rn. 75; Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 86; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 639; Geiger, JuS 1992, 834 (835); Schmitz, JA 1993, 350 (351); Brocker, JuS 1994, 919 (921 f.); Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (473); Stoffers, JR 1994, 205 (207); Vitt, NStZ 1994, 133 (134); Biletzki, JA 1995, 857 (859); Proppe, JA 1996, 321 (327); Zopfs, NStZ 1996, 190 (190 f.); Scheffler, JR 1996, 342 (344); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221); Otto, Jura 1997, 464 (467); Rotsch, JuS 2004, 607 (610); Fahl, JuS 2004, 885 (886); Backmann, S. 84. 260 BGHSt 41, 198 (202); PfzOLG Zweibrücken, NStZ 1995, 448 (449); LKVogel, § 242 Rn. 112. 261 BGHSt 41, 198 (202); Lackner / Kühl-Kühl, § 263 Rn. 26; LK-Vogel, § 242 Rn. 112; Schmitz, JA 1993, 350 (351); Brocker, JuS 1994, 919 (921); Vitt, NStZ 1994, 133 (134); Zopfs, NStZ 1996, 190 (190); Backmann, S. 85. 262 PfzOLG Zweibrücken, NStZ 1995, 448 (449); Schmitz, JA 1993, 350 (351). 257
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von der Bezahlung sämtlicher darin befindlicher Waren sei eine reine Fiktion.263 Durch diese Fiktion eines generellen Einverständnisses des Kassenangestellten würden ersichtlich abhanden gekommene Sachen ohne sachliche Rechtfertigung vom versicherungsrechtlichen sowie zivilrechtlichen Schutz durch § 935 BGB ausgeschlossen.264 Schließlich führe die Unterstellung eines generellen Einverständnisses des Kassenangestellten und die Annahme von Betrug in diesen Fällen mit Blick auf den qualifizierten Straftatbestand des räuberischen Diebstahls gemäß § 252 StGB zu schwer erträglichen Unterschieden in der Behandlung ähnlicher Sachverhalte.265 Da als Vortat des räuberischen Diebstahls nur vollendeter Diebstahl in Betracht komme, nicht aber Betrug, hätte die Annahme von Betrug in solchen Fällen zur Folge, dass der Täter, der nach dem Verlassen des Kassenbereichs gegen den ihn verfolgenden Detektiv tätlich werde, um sich im Besitz der nicht bezahlten Ware zu halten, nur wegen Betrugs und Nötigung sowie gegebenenfalls wegen Körperverletzung verurteilt werden könnte.266 Hätte derselbe Täter demgegenüber die Ware bereits vor dem Passieren der Kasse eingesteckt und damit einen vollendeten Diebstahl begangen, so wäre er, wenn er nach dem Passieren der Kasse Gewalt anwendete, wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls zu bestrafen.267 Eine solche unterschiedliche Bewertung an sich gleicher Sachverhalte sei willkürlich und werde dem Schutzzweck des § 252 StGB nicht gerecht.268 c) Stellungnahme Die Ansicht vom generellen Einverständnis ist abzulehnen. Dies ergibt sich nicht nur aus den dargestellten Argumenten der Ansicht vom konkreten Einverständnis, denen in vollem Umfang zuzustimmen ist, sondern auch aus den Anforderungen, die an das tatbestandsausschließende Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel zu stellen sind. Neben einem Wissenselement ist für das Einverständnis ein Willenselement erforderlich. Anderenfalls wäre der Gewahrsamsbruch allein durch die Kenntnis des Gewahrsamsübergangs ausgeschlossen, wenn jemand gegen 263 BGHSt 41, 198 (203); PfzOLG Zweibrücken, NStZ 1995, 448 (449); Schmitz, JA 1993, 350 (351). 264 Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221). 265 BGHSt 41, 198 (203). 266 BGHSt 41, 198 (203 f.). 267 BGHSt 41, 198 (204). 268 BGHSt 41, 198 (204); Fahl, JuS 2004, 885 (886).
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den ausdrücklichen Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers neuen Gewahrsam an einer Sache begründet und dabei vom bisherigen Gewahrsamsinhaber beobachtet wird, ohne dass dieser die Möglichkeit hat, den Gewahrsam zu behalten.269 Das Willenselement ist gegeben, wenn der bisherige Gewahrsamsinhaber den Gewahrsamsübergang anstrebt oder billigt oder ihm gleichgültig gegenübersteht270, denn in jedem dieser Fälle ist der bisherige Gewahrsamsinhaber nicht mehr schutzbedürftig. Das Wissenselement ist jedenfalls gegeben, wenn der bisherige Gewahrsamsinhaber weiß, dass er den Gewahrsam an einer bestimmten Sache an eine andere Person verliert. Für das Wissenselement des Einverständnisses ist es jedoch auch noch hinreichend, wenn der bisherige Gewahrsamsinhaber den Gewahrsamswechsel nur für möglich hält. Es fehlt nur, wenn der bisherige Gewahrsamsinhaber nicht einmal für möglich hält, dass er den Gewahrsam an einer Sache verliert. Dies ergibt sich aus der Überlegung, dass der Gewahrsam keines strafrechtlichen Schutzes bedarf, wenn der Gewahrsamsinhaber den Verlust des Gewahrsams für möglich hält und ihn billigt oder dem Verlust gleichgültig gegenübersteht. Außerdem ist es für die rechtfertigende Einwilligung anerkannt, dass der Einwilligende die tatbestandsmäßige Handlung und den Erfolg lediglich für möglich halten und billigend in Kauf nehmen muss.271 Auch wenn die Voraussetzungen des Einverständnisses nicht in jeder Hinsicht denen der Einwilligung gleichen, sondern sich aus der Funktion des jeweiligen Tatbestands und dem Wesen des dort geschützten Rechtsguts ergeben272, bestehen doch Parallelen zwischen Einverständnis und Einwilligung, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, für die Minimalanforderungen der Wissens- und der Wollenskomponente dieselben Anforderungen zu stellen. Damit entsprechen die Mindestanforderungen an das Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel den Anforderungen, die von der Rechtsprechung und einem großen Teil der Literatur an den Eventualvorsatz gestellt werden.273 Das Kassenpersonal hatte in den Einkaufswagen-Fällen keine Kenntnis von den versteckten Sachen. Wenn es auch nicht für möglich hielt, dass der Täter weitere Sachen im Einkaufswagen versteckt hatte, war bereits das Wissenselement des Einverständnisses nicht erfüllt. 269
Backmann, S. 79 f. Vgl. Geerds, Einwilligung und Einverständnis, S. 100. 271 NK-Paeffgen, § 228 Rn. 19; Geppert, ZStW 1971 (83), 947 (977 f.); Burgstaller, S. 166; Sternberg-Lieben, S. 214 f. 272 Sch-Sch-Lenckner / Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 32 m. w. N. 273 Vgl. zum dolus eventualis: Sch-Sch-Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 72 ff. 270
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Hielt das Kassenpersonal jedoch für möglich, dass der Kunde in seinem Einkaufswagen weitere Waren versteckt hatte, müsste es dem Kassenpersonal gleichgültig oder erwünscht gewesen sein, dass der Kunde die Kasse passiert, ohne die versteckte Ware zu bezahlen, damit ein Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel gegeben wäre. Der Gewahrsamswechsel ist dem Kassenpersonal jedoch nicht gleichgültig und erst recht nicht erwünscht. Schließlich wäre es aus der Sicht der Opfer von erheblichem Nachteil, würde man – wie die Vertreter der Ansicht vom generellen Einverständnis – einen Diebstahl verneinen und lediglich eine Strafbarkeit wegen Betrugs annehmen: Zum einen ist der Versicherungsschutz häufig auf Diebstahl beschränkt.274 Bei der Auslegung versicherungsrechtlicher Vorschriften besteht nämlich Einigkeit darüber, dass betrügerisches Verhalten im Sinne des § 263 StGB auch in Grenzfällen nicht unter den Begriff des Abhandenkommens, der Entwendung oder des Diebstahls subsumiert werden kann.275 Zum anderen schützt § 935 Abs. 1 BGB nur den bestohlenen, nicht jedoch den betrogenen Eigentümer vor dem Verlust seines Eigentums durch einen gutgläubigen Erwerb eines Dritten.276 Das Abhandenkommen einer Sache setzt voraus, dass der Eigentümer oder sein Besitzmittler den unmittelbaren Besitz ohne seinen Willen verliert. Die Motive zum BGB heben ausdrücklich hervor, dass das Aufgeben des unmittelbaren Besitzes infolge rechtswidriger Einwirkung auf den Willen des Aufgebenden durch Drohung oder Betrug dem Verlust ohne Willen nicht gleichzusetzen sei, da hier der willentliche Verlust des unmittelbaren Besitzes wegen der rechtsgeschäftlichen Mängel nicht als Verlust ohne Willen erscheine und eine Ausdehnung der Ausnahmenorm über das ihr zugrunde liegende Prinzip hinaus zu weit führen würde.277 Der Täter hingegen wird durch die Ansicht vom generellen Einverständnis ohne sachlichen Grund besser gestellt. Denn eine Strafbarkeit wegen räuberischen Diebstahls gemäß § 252 StGB ist nur im Anschluss an einen vollendeten Diebstahl, nicht jedoch im Anschluss an einen vollendeten Betrug möglich.278 Wird ein Täter vom Kaufhauspersonal nach dem Passieren der Kasse mit im Einkaufswagen versteckter Ware gestellt und setzt er sich mit Gewalt zur Wehr, um sich den Besitz der nicht bezahlten Sachen zu erhalten, wird er gemäß § 252 StGB nur dann wie ein Räuber bestraft, wenn sein vorhergehendes Verhalten als Diebstahl zu bewerten ist. 274
Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 622. RGZ 101, 224 (225); BGHZ 5, 365 (368); BGH, JZ 1975, 99 (100); OLG Karlsruhe, Urteil vom 15.01.1998, 12 U 268 / 97. 276 RGZ 101, 224 (225); Staudinger-Wiegand, § 935 Rn. 11. 277 Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band III, Sachenrecht, 1. Auflage, Berlin 1888, S. 348 f. 278 BGHSt 41, 198 (203 f.); Sch-Sch-Eser / Bosch, § 252 Rn. 3. 275
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Wird das Passieren der Kasse ohne Bezahlung dagegen als Betrug bewertet, kommt hinsichtlich der Gegenwehr gegenüber dem Ladendetektiv lediglich eine Strafbarkeit wegen Nötigung gemäß § 240 StGB und gegebenenfalls wegen Körperverletzung gemäß § 223 StGB in Betracht. Eine räuberische Erpressung gemäß § 255 StGB scheitert in diesem Fall entweder daran, dass der Schaden bereits durch den vorangehenden Betrug eingetreten ist und nicht durch den Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel verursacht wurde279, oder tritt nach anderer Ansicht als mitbestrafte Nachtat gegenüber dem vorangehenden Betrug zurück280. d) Ergebnis In der Fallkonstellation der im Einkaufswagen versteckten Ware liegt somit kein Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel und damit ein Gewahrsamsbruch vor. 3. In einer Verpackung versteckte Ware und Gewahrsamsbruch Die Frage, ob beim Passieren der Kasse mit in einer Verpackung versteckter Ware ein Einverständnis des Kassenpersonals mit dem Gewahrsamswechsel vorliegt, wird in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beantwortet. Exemplarisch für diese Fallkonstellation sind der „Windelkarton-Zigaretten-Fall“ des OLG Hamm281, der „Druckerwalzen-Druckerpatronen-Fall“ des OLG Dresden282, der „Winkelschleifer-Trennscheiben-Fall“ des OLG Düsseldorf283 und die in der Literatur behandelten Fälle „MilchflaschenKokoslikör“284 und „Fischkiste“285. Im „Windelkarton-Zigaretten-Fall“ des OLG Hamm nahm der Angeklagte in einem Kaufhaus aus einem Windelkarton alle Windeln heraus und legte sie ins Regal zurück. Dann legte er mehrere Stangen Zigaretten in den Windelkarton und verschloss ihn wieder. An der Kasse berechnete die Kas279 BGH, JR 1984, 387 (388); Fischer, § 253 Rn. 25; LK-Vogel, § 253 Rn. 25; Kienapfel, JR 1984, 388 (389); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (220). 280 BGH, MDR 1975, 23 (23); Schröder, MDR 1950, 398 (401). 281 OLG Hamm, Urteil vom 29.06.1978, 2 Ss 1315 / 78. 282 OLG Dresden, Beschluss vom 31.05.2002, 3 Ss 165 / 02. 283 OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (922). 284 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (471). 285 Schneider / Flatten, S. 80 f.; Otto, ZStW 79 (1967), 59 (71 f.).
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siererin Windeln. Der Angeklagte wurde gestellt, bevor er den Laden mit dem Karton verlassen konnte.286 Im „Druckerwalzen-Druckerpatronen-Fall“, den das OLG Dresden zu entscheiden hatte, nahm der Angeklagte in einem Geschäft zwei verpackte Druckerpatronen aus einem Regal, riss die Verpackungen auf, nahm die Druckerpatronen zum Preis von 76,99 DM und 69,99 DM heraus und warf die leeren Schachteln unter ein Regal. Anschließend nahm er eine Druckerwalze zum Preis von 11,99 DM aus ihrer Schachtel und versteckte die beiden Druckerpatronen und ein Mikrofon für eine Freisprecheinrichtung zum Preis von 30 DM darin. An der Kasse legte der Angeklagte die äußerlich unveränderte Schachtel der günstigeren Druckerwalze vor und bezahlte den darauf mittels eines Strichcodes aufgebrachten Kaufpreis von 11,99 DM. Nach dem Passieren der Kassenzone wurde er von einem Ladendetektiv aufgehalten.287 Im „Winkelschleifer-Trennscheiben-Fall“ des OLG Düsseldorf suchte sich der Angeklagte in der Werkzeugabteilung eines Baumarkts einen Winkelschleifer aus. Auf Nachfrage erfuhr er, dass die von ihm benötigten Trennscheiben nicht als Zubehör in der Packung enthalten seien. Weil er die Trennscheiben nicht bezahlen wollte, nahm er vier Trennscheiben aus dem Regal, legte sie in den Karton, in dem der Winkelschleifer verpackt war, und verschloss ihn wieder. An der Kasse legte er den verschlossenen Karton auf das Kassenband. Die Kassiererin berechnete nur den Kaufpreis für den Winkelschleifer. Nachdem der Angeklagte bezahlt und den Kassenbereich mit dem Karton verlassen hatte, wurde er vom Hausdetektiv gestellt.288 Im „Milchflaschen-Kokoslikör-Fall“, den Roßmüller und Rohrer behandeln289, tauscht der Täter drei von neun Milchflaschen eines Kastens gegen drei ähnlich aussehende, aber wesentlich teurere Flaschen Kokoslikör aus. Die Kassiererin bemerkt dies jedoch, dem Plan des Täters entsprechend, nicht. Im „Fischkisten-Fall“290 stehen mit Fischen gefüllte Kisten in einer Fischhalle, die nach ihrem bereits festgestellten Gewicht versteigert werden sollen. Vor Beginn der Versteigerung begibt sich der Täter in die Halle, nimmt aus der dem Fischer A gehörenden Kiste einige Fische und wirft sie in die daneben stehende Kiste des Fischers B. Bei der Versteigerung ersteigert der Täter, wie geplant, die zu ihrem ursprünglichen Gewicht angebotene Kiste des Fischers B. 286 287 288 289 290
OLG Hamm, Urteil vom 29.06.1978, 2 Ss 1315 / 78. OLG Dresden, Beschluss vom 31.05.2002, 3 Ss 165 / 02. OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (922). Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (471). Schneider / Flatten, S. 80; Otto, ZStW 79 (1967), 59 (71 f.).
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Ob in diesen Fällen ein Einverständnis des Kassenpersonals bzw. des Versteigerers mit dem Gewahrsamswechsel an den versteckten Gegenständen vorliegt oder nicht, wird unterschiedlich beurteilt. Dabei wird jeweils mit der hier vertretenen Ansicht zugrunde gelegt, dass der Gewahrsamswechsel an den versteckten Gegenständen erst mit dem Passieren der Kasse stattfindet. Im Folgenden wird gezeigt, dass kein Einverständnis des Kassenpersonals mit dem Gewahrsamswechsel vorliegt und der objektive Tatbestand des Diebstahls erfüllt ist. a) Die Ansicht vom generellen Einverständnis Ebenso wie zu den Fällen der im Einkaufswagen versteckten Ware wird zu den Fällen der vom Täter manipulierten Verpackung eine Ansicht vertreten, die von einem generellen Einverständnis ausgeht. Diese Ansicht wird nachfolgend unter aa) vorgestellt und unter bb) kritisch gewürdigt. aa) Unerheblichkeit jeglichen Irrtums über den Verpackungsinhalt Nach der Ansicht vom generellen Einverständnis liegt in allen soeben beschriebenen Fällen ein Einverständnis des Kassenpersonals – bzw. im „Fischkisten-Fall“ ein Einverständnis des Auktionators – mit dem Gewahrsamswechsel an der Verpackung mit ihrem gesamten, vom Täter veränderten Inhalt vor.291 Danach ist ein Irrtum über den Inhalt einer Verpackung für ein wirksames Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel unerheblich. Das OLG Hamm hat dazu im „Windelkarton-Zigaretten-Fall“ ausgeführt, die Kassiererin habe dem Angeklagten den Gewahrsam an dem Karton und seinem Inhalt aufgrund eines innerlich freien Willensentschlusses übertragen, wobei sie durch die Täuschungshandlung des Angeklagten irrig davon ausgegangen sei, der Karton enthalte Windeln.292 Ähnlich argumentierte das OLG Dresden im „Druckerwalzen-Druckerpatronen-Fall“: Da der Kassierer dem Angeklagten die Verpackung nebst Inhalt nach dem Kassiervorgang freiwillig übergeben habe, liege ein Bruch fremden Gewahrsams nicht vor, weil der Wille des Verfügungsberechtigten einer Ge291 OLG Hamm, Urteil vom 29.06.1978, 2 Ss 1315 / 78; OLG Dresden, Beschluss vom 31.5.2002, 3 Ss 165 / 02; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (924); Maurach / Schroeder / Maiwald, § 33 II Rn. 31; Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 88 und Rn. 91; Fahl, JuS 2004, 885 (888 f.). 292 OLG Hamm, Urteil vom 29.06.1978, 2 Ss 1315 / 78.
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wahrsamsübertragung nicht entgegengestanden habe. Das darin zum Ausdruck gekommene Einverständnis schließe die Wegnahme aus. Der Gewahrsamsübertragungswille des Kassierers beziehe sich auf den „Gesamtgegenstand“, also sowohl auf die Verpackung als auch auf ihren Inhalt.293 Die Entscheidung des BGH zu im Einkaufswagen versteckter Ware294 stehe dem nicht entgegen. Dem dort zu entscheidenden Fall habe ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Dort habe der Täter Waren unter Werbeprospekten im Einkaufswagen versteckt und so vom Kassierer unbemerkt aus den Verkaufsräumen verbracht. Der BGH habe hierzu entschieden, dass derjenige, der in einem Selbstbedienungsladen eine Ware in seinem Einkaufswagen verberge und die Kasse ohne Bezahlung der versteckten Ware passiere, regelmäßig Diebstahl (vollendet oder versucht) und nicht Betrug begehe. Zur Begründung habe der BGH unter anderem ausgeführt, dass es regelmäßig an einem auf die Übertragung des Gewahrsams auch an den verborgenen und nicht zur Bezahlung vorgelegten Waren gerichteten Willen des Kassierers fehlen dürfte. Wenn dieser nicht erkenne, dass sich im Einkaufswagen noch weitere Waren befänden, scheide grundsätzlich schon gedanklich die Annahme einer bewussten Vermögensverfügung bezüglich dieser Waren aus. Demgegenüber habe vorliegend der Kassierer willentlich den Gewahrsam an den in der manipulierten Verpackung befindlichen Gegenständen übertragen, er habe sich lediglich über deren Inhalt geirrt. Im Unterschied zu dem vom BGH zu beurteilenden Sachverhalt habe hier der Verfügungsberechtigte den konkreten Willen entwickelt, die Verfügungsgewalt über den soeben abkassierten Gegenstand auf den Kunden zu übertragen, möge er auch geglaubt haben, einen anderen Inhalt zu übereignen.295 Das OLG Düsseldorf begründete das Vorliegen eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses der Kassiererin im „Winkelschleifer-Trennscheiben-Fall“ damit, dass diese dem Angeklagten den Karton ausgehändigt oder ihm jedenfalls gestattet habe, den Karton unter Begründung eigenen Gewahrsams an sich zu nehmen.296 Es unterliege keinem Zweifel, dass die Kassiererin den Gewahrsam an dem Karton bewusst und gewollt auf den Angeklagten übertragen habe, nachdem sie den hierfür berechneten Kaufpreis erhalten habe.297 Hierbei sei sie davon ausgegangen, auch den Gewahrsam an dem Inhalt des Kartons zugunsten des Angeklagten aufzugeben.298 Dies habe zur Folge, dass die Kassiererin dem Angeklagten mit dem 293 294 295 296 297 298
OLG Dresden, Beschluss vom 31.05.2002, 3 Ss 165 / 02. BGHSt 41, 198 ff. OLG Dresden, Beschluss vom 31.05.2002, 3 Ss 165 / 02. OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (924). OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (924). OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (924).
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Karton zugleich auch den Gewahrsam an den darin versteckten vier Trennscheiben übertragen habe.299 Unerheblich sei, dass sie von den im Karton versteckten Trennscheiben keine Kenntnis gehabt habe.300 Denn dieser Umstand beseitige nicht ihr Bewusstsein, über den Karton mit seinem Inhalt zugunsten des Angeklagten zu verfügen.301 Er betreffe lediglich ihre Fehlvorstellung, die vorgenommene Vermögensverlagerung entspreche der Rechtslage, nachdem der Täter bezahlt habe. Sie habe demzufolge – wie dies bei Betrugsopfern regelmäßig der Fall sei – nur nicht bemerkt, dass ihre bewusst vorgenommene Vermögensverfügung zu einem Schaden geführt habe.302 Die diesen Entscheidungen zustimmende Literatur meint, dass das Einverständnis des Kassenangestellten notwendigerweise das Paket als Ganzes mit seinem vollständigen Inhalt erfasse. Ein Bruch fremden Gewahrsams bezüglich der unbekannten Stücke scheide aus, weil eine Aufspaltung des Einverständnisses nicht möglich sei.303 Anderenfalls würde das Kassenpersonal eines Baumarktes, wenn sich auf Grund eines Versehens 102 Schrauben statt der angegebenen 100 Schrauben in einer Verpackung befänden, auch nur über 100 Schrauben verfügen. Sobald der Kunde dies bemerke und die 101. Schraube einschraube, beginge er eine Unterschlagung. Dies könne nicht richtig sein.304 bb) Stellungnahme Gegen die von der vorstehenden Ansicht vorgebrachte These von der Unteilbarkeit des Einverständnisses ist einzuwenden, dass die in der Verpackung enthaltenen Sachen als Teil der Wirklichkeit jeweils für sich mögliche Bezugsobjekte der menschlichen Vorstellung sind. Es ist daher tatsächlich sehr wohl möglich, dass sich die Vorstellung des Kassenpersonals nur auf den ordnungsgemäßen Inhalt der Verpackung bezieht und in Bezug auf den hinzugefügten Inhalt fehlt. Eine Aufspaltung des Einverständnisses in Bezug auf den ordnungsgemäßen und den manipulierten, zusätzlichen Inhalt einer Verpackung ist also, logisch betrachtet, möglich. Fraglich ist allein, ob einer solchen Aufspaltung des Einverständnisses rechtliche Gründe entgegenstehen. Dies wäre jedoch nur der Fall, wenn täu299 300 301 302 303 304
OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (924). OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (924). OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (924). OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (924). Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 88; Fahl, JuS 2004, 885 (889). Fahl, JuS 2004, 885 (889).
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schungsbedingte Irrtümer aus rechtlichen Gründen generell für die Wirksamkeit des Einverständnisses unerheblich wären, wie es ein Teil der Literatur vertritt.305 Diese Ansicht, die den Irrtum über den Packungsinhalt für unerheblich hält, ist jedoch abzulehnen. Sie berücksichtigt nicht hinreichend, dass ein freier Willensentschluss das Wissen um die einverständnisrelevanten Tatsachen306 bzw. mindestens das Für-möglich-Halten dieser Tatsachen307 voraussetzt. Diese Voraussetzung ist in den dargestellten Fällen gerade nicht erfüllt. Richtig ist vielmehr die Ansicht, die von der Unwirksamkeit des tatbestandsausschließenden Einverständnisses ausgeht, wenn der Betroffene aufgrund einer Täuschung des Täters im Zeitpunkt der Zustimmung nicht übersieht, was er preisgibt, und damit einem rechtsgutsbezogenen Irrtum unterliegt.308 Da sich das tatbestandsausschließende Einverständnis bei § 242 Abs. 1 StGB nicht auf das Eigentum, sondern allein auf den Gewahrsamswechsel bezieht, kann offen bleiben, ob der Gewahrsam als selbständiges Rechtsgut des § 242 StGB anzuerkennen ist309 oder ob der Gewahrsam nur als Ausfluss der dem Eigentümer zustehenden Verfügungsmöglichkeiten über die Sache von § 242 StGB geschützt wird310. Nach beiden Ansichten betrifft die gewahrsamsbezogene Fehlvorstellung den Schutzbereich des § 242 StGB.311 Zu beachten ist, dass der Gewahrsam immer einen bestimmten Gegenstand als Bezugsobjekt hat. In den Fällen der manipulierten Verpackung erkennt das Kassenpersonal nicht, was es preisgibt, da es nicht weiß, dass sich in der Packung ein anderer als der angegebene Inhalt befindet. In diesen Fällen liegt ein rechtsgutsbezogener Irrtum vor, der zu einem Gewahrsamsbruch führt. Rechtliche Gründe stehen der Aufspaltung des Einverständnisses somit ebenfalls nicht entgegen. Auch ist aus dem Fall, in dem sich auf Grund eines Versehens 102 Schrauben in einer Verpackung befinden, obwohl die Verpackungsaufschrift einen Inhalt von 100 Schrauben ausweist, kein Argument gegen die Aufspaltung des Einverständnisses abzuleiten. Ob es sich um eine Unterschlagung handele, wenn die zwei überzähligen Schrauben nicht übereignet wurden und der Kunde die überzähligen Schrauben bemerke, aber nicht zurückbringe, ist für die Frage des Gewahrsamsbruchs an der Kasse uner305 Geerds, Einwilligung und Einverständnis, S. 186, 188; Haft, AT, S. 74; Bockelmann / Volk, AT, S. 102. 306 Rönnau, S. 218. 307 s. B. III. 1. c). 308 Amelung / Schall, JuS 1975, 565 (567); Bichlmeier, JZ 1980, 53 (55); Bernsmann, NZV 1989, 49 (52); Arzt, Willensmängel, S. 28; Schlehofer, S. 77. 309 Lackner / Kühl-Kühl, § 242 Rn. 1; SK-Hoyer, Vor § 242 Rn. 11 m. w. N. 310 NK-Kindhäuser, Vor §§ 242 bis 248 c Rn. 3; Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 1 / 2; Otto, BT, § 39 Rn. 4. 311 Schlehofer, S. 78, Fn. 222.
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heblich. In Bezug auf einen möglichen Gewahrsamsbruch würde dem Kunden zudem der Vorsatz fehlen. Der Fall der überzähligen Schrauben ist auch insoweit nicht mit dem Fall der Manipulation des Verpackungsinhalts durch den Täter vergleichbar, als die Fehlvorstellung des Kassenpersonals über den Packungsinhalt dem Kunden nicht objektiv zurechenbar ist. Für die Einwilligung wird vertreten, dass sie frei bzw. autonom erfolgt, solange die Fehlvorstellung dem Einwilligenden und nicht dem Täter zuzurechnen ist.312 Dieser Grundsatz ist auch auf das Einverständnis übertragbar, weil auch das Einverständnis eine freie Willensentscheidung voraussetzt. Wendet man diesen Grundsatz auf den Fall der überzähligen Schrauben an, wurde das Einverständnis frei getroffen, weil der Irrtum über die Zahl der Schrauben allein der Sphäre des Geschäftsinhabers und nicht der Sphäre des Kunden zuzurechnen ist. In den Fällen der in einer Verpackung versteckten Ware fehlt auch das voluntative Element des Einverständnisses, das in der Billigung oder Gleichgültigkeit gegenüber dem Gewahrsamswechsel besteht313. Häufig sind an der Kasse von Selbstbedienungsläden Schilder mit der Aufschrift angebracht, dass das Kassenpersonal zum Öffnen von Verpackungen zur Kontrolle des Inhalts verpflichtet ist. Außerdem ist das Kassenpersonal arbeitsvertraglich verpflichtet, den Gewahrsam nur an solchen Gegenständen auf die Kunden zu übertragen, die vorher ordnungsgemäß verbucht worden sind. Diese Verpflichtungen sind ein Indiz dafür, dass das Kassenpersonal nur den Gewahrsamswechsel an einem der Packungsaufschrift entsprechenden Inhalt billigt und den Gewahrsam an versteckten Gegenständen gerade nicht aufgeben will. Hinzu kommt, dass Schadensersatzpflichten des Kassenpersonals entstünden, wenn es bewusst und gewollt Gewahrsam an versteckter und unbezahlter Ware übertragen würde. Schließlich lässt sich aus einem Vergleich zum Zivilrecht ein Argument gegen die Ansicht vom generellen Einverständnis ableiten. Wie oben unter B. II. 3. b) gezeigt wurde, ist die Ansicht, dass die vom Täter versteckte Ware gemäß § 929 Satz 1 BGB durch Einigung und Übergabe übereignet werde und die Einigungserklärung lediglich gemäß § 123 BGB anfechtbar sei, nicht überzeugend. Legt man dies zugrunde und lehnt man einen Kaufvertrag über die versteckte Ware und eine Übereignung der versteckten Ware ab, kann dies zumindest als Indiz für ein fehlendes Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel gewertet werden. Nach alledem ist die Ansicht vom generellen Einverständnis abzulehnen. 312 Roxin, AT II, § 13 Rn. 111; Kühne, JZ 1979, 241 (244 f.); Amelung, ZStW 109 (1997), 490 (518); Rönnau, S. 221; vgl. auch Otto, Festschrift für Geerds, S. 603 (618). 313 s. B. III. 2. c).
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b) Die Ansicht vom Gewahrsamsbruch am versteckten aliud Eine Ansicht, die zu den Fällen der im Einkaufswagen versteckten Ware nicht vertreten wird, differenziert danach, ob die versteckte Ware zu einer anderen Gattung gehört als der Originalinhalt der Verpackung. Auch diese Ansicht wird nachfolgend unter aa) zunächst vorgestellt und anschließend unter bb) bewertet. aa) Kein Einverständnis bei verstecktem aliud Nach dieser differenzierenden Ansicht fehlt das Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel, wenn sich die irrige Vorstellung des zur Gewahrsamsübertragung Berechtigten, gemessen an der Wirklichkeit, auf ein aliud bezieht.314 Fehlvorstellungen über den Wert, das Gewicht oder die Menge des Verpackungsinhalts seien dagegen für das Einverständnis unbeachtliche Motivirrtümer.315 Diese Ansicht hat Otto am Beispiel des „Fischkisten-Falls“ entwickelt. In diesem Fall nimmt er ein Einverständnis des Auktionators mit dem Gewahrsamswechsel an der Kiste des Fischers B mit dem gesamten manipulierten Inhalt an.316 Zwar sei sich der Auktionator nicht bewusst gewesen, dass er nicht nur Gewahrsam an 100 kg, sondern an 120 kg Fisch übertrug. Dennoch spreche mehr für eine Gewahrsamsübertragung als für einen Gewahrsamsbruch. Denn der Auktionator habe den Gewahrsam an den Fischen in der Kiste des B übertragen wollen. Dies habe er auch getan und sei sich dessen bewusst gewesen. Der Irrtum über das Gewicht der Kiste sei vergleichbar mit dem Irrtum eines Verkäufers, der einem Käufer eine echte Perlenkette für ein paar Pfennige übertrage, nachdem dieser ihm vorgespiegelt habe, es handele sich um Glasperlen.317 Ein Gewahrsamsbruch läge dagegen vor, wenn der Täter in der Kiste des B die Geldkassette aus einer vorherigen Versteigerung verborgen hätte.318 Hier fehle es an dem nötigen Bewusstsein des Auktionators. Dieser wolle nämlich nicht schlechthin Gewahrsam an der Kiste übertragen – so sei es, wenn jemand etwa alle Sachen, die auf einem Hausboden herumstehen, verkaufe und abholen lasse, wobei sich auch ein wertvolles Gemälde in dem Gerümpel befinde –, sondern an einer Kiste voller Fische. Falsche Vorstel314 SSW-Satzger, § 263 Rn. 116; Otto, ZStW 79 (1967), 59 (72); Otto, Jura 1997, 464 (467); Biletzki, JA 1995, 857 (859). 315 Otto, ZStW 79 (1967), 59 (72). 316 Otto, ZStW 79 (1967), 59 (72). 317 Otto, ZStW 79 (1967), 59 (72). 318 Otto, ZStW 79 (1967), 59 (72); Biletzki, JA 1995, 857 (859).
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lungen über den Wert dieser Fische, das Gewicht oder das Alter der Fische seien für die Gewahrsamsübertragung unbeachtliche Motivirrtümer. Sei aber in der Kiste ein aliud verborgen, so fehle es bezüglich dieser anderen Sache an dem Bewusstsein der Gewahrsamsübertragung.319 Im „Windelkarton-Zigaretten-Fall“ lehnt Otto ein Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel in Bezug auf die in dem Karton versteckten Zigaretten ab, weil diese einer anderen Gattung als Windeln zuzuordnen seien und damit ein aliud darstellten.320 Im „Winkelschleifer-Trennscheiben-Fall“ hält Otto ein Einverständnis der Kassiererin mit dem Gewahrsamswechsel in Bezug auf die versteckten Trennscheiben mit der Begründung für möglich, dass es sich bei den Trennscheiben um Zubehörteile des verpackten Winkelschleifers und nicht um ein aliud handele.321 Biletzki lehnt in diesem Fall dagegen ein Einverständnis der Kassiererin mit dem Gewahrsamswechsel hinsichtlich der Trennscheiben ab.322 bb) Stellungnahme Der Differenzierung von Otto, Biletzki und Satzger kann im Ergebnis nicht gefolgt werden. Der Lösung des „Fischkisten-Falls“ von Otto und Biletzki wäre nur zuzustimmen, wenn der Auktionator ein höheres Gewicht der Kiste für möglich gehalten hätte und ihm dies gleichgültig gewesen wäre. Nur dann wären beide Elemente des Einverständnisses, das Wissens- und das Willenselement, erfüllt gewesen. So lag der Fall jedoch nicht. Des Weiteren ist die Einordnung einer Sache als aliud schwierig, da die Frage der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gattung nach dem unbestimmten Maßstab der Verkehrsanschauung zu beantworten ist. Dies zeigt bereits der „Winkelschleifer-Trennscheiben-Fall“, bei dem Otto und Biletzki jeweils zu entgegengesetzten Ergebnissen gelangen. Für ihre Differenzierung zwischen den Fällen, in denen in der Packung ein aliud enthalten ist, und den Fällen, in denen sich weitere Gegenstände derselben Gattung in der Packung befinden, ist ein sachlicher Grund nicht erkennbar. Entgegen Otto ist der Irrtum über das Gewicht der Fischkiste nicht vergleichbar mit dem Irrtum des Verkäufers über die Echtheit einer Perlenket319 320 321 322
Otto, ZStW 79 (1967), 59 (72); Biletzki, JA 1995, 857 (859). Otto, Jura 1997, 464 (467). Otto, Jura 1997, 464 (467, Fn. 11). Biletzki, JA 1995, 857 (859).
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te. In dem von Otto323 gebildeten Fall, in dem der Käufer den Verkäufer darüber getäuscht hatte, dass es sich bei den in Wirklichkeit echten Perlen um Glasperlen handele, war die Kette im Zeitpunkt des Gewahrsamsübergangs nicht mehr fremd für den Käufer und damit kein taugliches Tatobjekt des Diebstahls mehr. Im „Fischkisten-Fall“ sollten die Fischkisten nach ihrem bereits festgestellten Inhalt und Gewicht versteigert werden, so dass sich die Einigungserklärung des Auktionators in Bezug auf den Eigentumsübergang nur auf die Kiste mit ihrem ursprünglich festgestellten Inhalt bezog. Schließlich befand sich der Auktionator in einem durch den Täter verursachten Irrtum über die Anzahl der Fische, während sich Bewusstsein und Wille des Verkäufers der Kette nur auf eine Kette bezogen. Die Ansicht vom Gewahrsamsbruch am versteckten aliud führt auch in folgenden Fällen nicht zu einem überzeugenden Ergebnis: Im „Kokoslikör-Milchflaschen-Fall“ stellt der Kokoslikör, der der Gattung der alkoholischen Getränke angehört, gegenüber der Milch ein aliud dar. Die Folge der Ansicht vom Gewahrsamsbruch bei einem versteckten aliud ist in diesem Fall, dass ein Gewahrsamsbruch an den KokoslikörFlaschen vorliegt, obwohl das Kassenpersonal die Flaschen gesehen und verbucht hat und lediglich über den Inhalt der Flaschen irrte. Indem diese Ansicht den Irrtum über die Anzahl von Sachen derselben Gattung in Bezug auf das Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel für unerheblich erklärt, müsste sie auch dann ein Einverständnis annehmen, wenn der Täter in einem Juwelierladen in einer Verpackung, in der sich zwei Eheringe befinden, unbemerkt einen weiteren Ring versteckt und die Verpackung samt Inhalt erwirbt. Da der dritte Ring derselben Gattung angehört wie die beiden anderen Ringe und damit kein aliud darstellt, ist der Verkäufer dieser Ansicht zufolge mit dem Gewahrsamswechsel hinsichtlich des Kästchens mit den darin enthaltenen drei Ringen einverstanden. Dies widerspricht jedoch den bereits dargelegten Anforderungen an das Einverständnis, wonach der Gewahrsamsinhaber wissen muss, welche Sachen in den Gewahrsam eines anderen wechseln. Aus diesen Gründen vermag die Ansicht vom Gewahrsamsbruch am versteckten aliud nicht zu überzeugen. c) Die Ansicht vom Gewahrsamsbruch bei hinzugefügter Ware Roßmüller und Rohrer haben im Jahr 1994 eine andere Differenzierung entwickelt, die im rechtswissenschaftlichen Schrifttum großen Zuspruch gefunden hat. 323
Otto, ZStW 79 (1967), 59 (72).
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aa) Einverständnis bei ausgetauschter Ware Dieser Ansatz unterscheidet zwischen den Fällen des vollständigen oder teilweisen Austauschens des Inhalts einer Verpackung und den Fällen, in denen zum Originalinhalt einer Verpackung weitere Ware hinzugefügt wird: Beim Passieren der Kasse nach Vorlage einer Verpackung mit lediglich ausgetauschter Ware liege ein Einverständnis des Kassenpersonals vor. Habe der Täter jedoch Ware zum Originalinhalt der Verpackung hinzugefügt, sei kein Einverständnis des Kassenpersonals, sondern ein Gewahrsamsbruch gegeben.324 Das Einverständnis setze das Wissen voraus, dass man über bestimmte Dinge verfüge, d. h. die Gegenstände müssten individualisiert und als von anderen Gegenständen verschiedene bestimmt sein.325 Die richtige Identifizierung der Sache sei für das Einverständnis dagegen nicht erforderlich.326 Diese Ansicht veranschaulicht ihre Kriterien am Beispiel des „Milchflaschen-Kokoslikör-Falls“, in dem der Täter drei Milchflaschen aus einem Kasten gegen drei täuschend ähnlich aufgemachte, aber wesentlich teurere Flaschen Kokoslikör austauscht und die Kassiererin den Austausch nicht bemerkt.327 In diesem Fall liege ein Einverständnis der Kassiererin vor, obwohl sie nicht wisse, dass es sich um Kokoslikörflaschen handele.328 Sie habe die Flaschen als berechnete Ware individualisiert und sie nur falsch identifiziert.329 Im „Windelkarton-Zigaretten-Fall“, in dem Windeln durch Zigarettenstangen ausgetauscht worden waren, habe die Kassiererin ebenfalls ein die Wegnahme ausschließendes Einverständnis erklärt.330 Die Fehlvorstellung, Windeln abgerechnet zu haben, habe die Wirksamkeit des Einverständnisses mit dem Gewahrsamswechsel unberührt gelassen, denn die Kassiererin habe gewusst, dass sie die Gegenstände, die sich im Karton befanden, preisgegeben habe.331 Der auf das Rechtsgut Eigentum bezogene Irrtum der Kassiererin über Gattung und Wert der Objekte spiele für das Einverständnis keine Rolle.332 324 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475); Rotsch, JuS 2004, 607 (610); Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 639; Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221, Fn. 52 und Fn. 54). 325 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (471). 326 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (471). 327 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (471). 328 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (471). 329 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (471). 330 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475); Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 639. 331 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475). 332 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475).
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Das Einverständnis beziehe sich bei § 242 StGB nicht auf das Eigentum, sondern allein auf den Gewahrsam.333 Demgemäß liege eine relevante, gewahrsamsbezogene Fehlvorstellung nur dann vor, wenn dem Opfer durch die Täuschung verschleiert werde, dass überhaupt eine Verschiebung von Sachherrschaft stattfinde.334 Im „Winkelschleifer-Trennscheiben-Fall“ nimmt diese Ansicht dagegen einen Gewahrsamsbruch hinsichtlich der zusätzlich zum Originalinhalt hinzugefügten Trennscheiben an.335 Es sei zu beachten, dass der innere Wille des Kassenpersonals nur einen Gewahrsamswechsel an den Waren decke, die es berechnet habe.336 Die Kassiererin habe gerade nicht das Bewusstsein gehabt, über den Karton mit irgendeinem Inhalt zu verfügen, sondern über den Karton mit einem Winkelschleifer.337 Die Trennscheiben habe sie überhaupt nicht als erfasste Ware wahrgenommen.338 Anders wäre der Fall nur zu beurteilen, wenn die Trennscheiben durch ein Klarsichtfenster des Kartons sichtbar gewesen wären.339 Roßmüller und Rohrer argumentieren, wenn der Täter einer verpackten Ware eine weitere hinzufüge, könne man nur dann von einer Willensbildung bezüglich des verborgenen Gegenstands sprechen, wenn man fehlerhaft mit der Figur eines „generellen Verfügungsbewusstseins“ hinsichtlich aller im Karton befindlichen Waren arbeite.340 Die Grenze verlaufe klar und deutlich: Stecke der Täter in einen vollen Windelkarton zusätzlich einige Päckchen Zigaretten hinein, begehe er mit dem Passieren der Kasse einen Diebstahl. Nehme er einen Teil der Windeln heraus und ersetze er ihn durch Zigaretten, liege ein Sachbetrug vor.341 Diese Überlegungen könnten auch am Maßstab des bedingten Einverständnisses auf ihre Richtigkeit überprüft werden.342 Das Einverständnis des Kassenpersonals stehe unter der äußerlich wahrnehmbaren Bedingung, dass die Ware den Vorgang der Abrechnung und Bezahlung durchlaufen habe.343 333
Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475); Rotsch, JuS 2004, 807 (810). Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475). 335 Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 639; Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221 f. Fn. 54); Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (474 f.). 336 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (474). 337 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (474). 338 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (474). 339 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (474). 340 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475). 341 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475). 342 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475). 343 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475). 334
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Da ein unbefangener Beobachter nur wahrnehmen könne, ob der Kunde den deklarierten Preis bezahle oder nicht, sei in den Selbstbedienungsfällen anders als in den Warenautomatenfällen, jedoch nicht die tatsächlich ordnungsgemäße Bezahlung Bedingung des Einverständnisses, sondern nur eine scheinbar ordnungsgemäße Bezahlung.344 Im „Windelkarton-Zigaretten-Fall“ sei die Bedingung der scheinbar ordnungsgemäßen Bezahlung eingetreten, denn die Kassiererin habe die Zigaretten als Windeln abgerechnet und der Täter habe sie als Windeln bezahlt und damit die äußerlich erkennbaren Voraussetzungen für die Erteilung des Einverständnisses erfüllt.345 Entgegen der zuvor dargestellten Differenzierung meinen Roßmüller und Rohrer jedoch, dass im „Fischkisten-Fall“ ein Einverständnis des Auktionators mit dem Gewahrsamswechsel an den hinzugefügten Fischen vorliege. Der Auktionator habe ein die Wegnahme ausschließendes Einverständnis erklärt.346 Die irrige Annahme des Auktionators, dem Täter die ursprünglich ausgewogene Fischmenge zugeschlagen zu haben, wirke sich nicht aus, da es sich nicht um eine gewahrsamsbezogene Fehlvorstellung gehandelt habe.347 Dem Auktionator sei bewusst gewesen, dass eine Verschiebung von Sachherrschaft an der Kiste samt Fischen stattgefunden habe.348 Seine falsche Vorstellung über Menge und Gewicht der Fische sei ein unbeachtlicher Irrtum im Motiv.349 Würde man darauf abstellen, dass der Auktionator nur die ursprüngliche Fischmenge habe übertragen wollen und den Gewahrsam an der überschüssigen Fischmenge deshalb ohne seinen Willen verloren habe, so würde man den hypothetischen Willen des Auktionators für maßgeblich erklären, denn darin sei nur die Aussage enthalten, dass der Auktionator die Kiste samt Inhalt nicht übergeben hätte, wenn er im Bilde gewesen wäre.350 Diebstahl sei jedoch ein Willensbruchdelikt und verlange die Missachtung des tatsächlich zum Ausdruck gekommenen Willens.351 Der Wille des Auktionators habe sich jedoch auf die Übertragung der Kiste mit allen Fischen bezogen.352
344 345 346 347 348 349 350 351 352
Roßmüller / Rohrer, Roßmüller / Rohrer, Roßmüller / Rohrer, Roßmüller / Rohrer, Roßmüller / Rohrer, Roßmüller / Rohrer, Roßmüller / Rohrer, Roßmüller / Rohrer, Roßmüller / Rohrer,
Jura Jura Jura Jura Jura Jura Jura Jura Jura
1994, 1994, 1994, 1994, 1994, 1994, 1994, 1994, 1994,
469 469 469 469 469 469 469 469 469
(475). (475). (476). (476). (476). (476). (476). (476). (476).
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bb) Stellungnahme Diese von Roßmüller und Rohrer entwickelte Ansicht ist nicht überzeugend. Zwischen dem Austauschen von Ware und dem Verstecken zusätzlicher Ware in einer Verpackung besteht kein wesentlicher Unterschied, der eine differenzierende Bewertung hinsichtlich des Einverständnisses mit dem Gewahrsamswechsel rechtfertigen könnte. Beiden Fällen ist gemeinsam, dass sich der bisherige Gewahrsamsinhaber über den wirklichen Inhalt der Verpackung irrt. Insbesondere ist die Begründung, der Irrtum des Kassenpersonals über die Gattung und den Wert der ausgetauschten Ware sei unerheblich, weil dieser Irrtum sich auf das Eigentum und nicht auf den Gewahrsam beziehe353, nicht zutreffend. Der Irrtum des Kassenpersonals bezieht sich nicht nur auf das Eigentum, sondern auch auf den Gewahrsam, denn Gewahrsam kann nur an einer konkreten Sache bestehen. Das Bezugsobjekt des Gewahrsams ist ebenso wie das Bezugsobjekt des Eigentums eine bestimmte Sache. Wenn das Kassenpersonal nicht erkennt, welche Sache aus dem Gewahrsam des Kaufhauses in den Gewahrsam des Täters übergeht, unterliegt es daher einem sach- und gewahrsamsbezogenen Irrtum. Die von Roßmüller und Rohrer vorgeschlagene Differenzierung würde dazu führen, dass die Strafbarkeit wegen Diebstahls von dem bloßen Zufall abhinge, ob in der Verpackung neben dem Originalinhalt noch genügend Platz für andere Gegenstände vorhanden war oder ob der Täter erst durch Herausnehmen einiger Sachen Platz für das Tatobjekt schaffen musste. Die Argumentation von Roßmüller und Rohrer ist zudem widersprüchlich. Einerseits führen sie aus, die Ansicht vom generellen Einverständnis sei abzulehnen.354 Andererseits vertreten sie diese Ansicht jedoch in den Fällen des Warenaustauschs und darüber hinaus – entgegen ihrer eigenen Differenzierung – im „Fischkisten-Fall“, bei dem der Täter einer Fischkiste weitere Fische hinzugefügt hatte. Obwohl Roßmüller und Rohrer beim Hinzufügen weiterer Ware in eine Verpackung gerade kein Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel, sondern einen Gewahrsamsbruch annehmen, erklären sie im „Fischkisten-Fall“ das Gegenteil, ohne diesen Widerspruch zu begründen. Sie führen lediglich aus, der Auktionator habe auch bezüglich der vom Täter hinzugefügten Fische ein die Wegnahme ausschließendes Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel erklärt.355 353 354 355
Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475). Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475). Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (476).
III. Bruch des Gewahrsams
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Auch ihre Argumentation zu Fällen, in denen Ware wie im „WindelkartonZigaretten-Fall“ gegen andere Ware ausgetauscht wird, ist nicht nachvollziehbar und steht im Widerspruch zu ihrer Argumentation zu den Fällen des Hinzufügens von Ware: In ihrer Anmerkung zum „Windelkarton-Zigaretten-Fall des OLG Hamm erklären Roßmüller und Rohrer, die Fehlvorstellung der Kassiererin, Windeln abgerechnet zu haben, lasse die Wirksamkeit ihres Einverständnisses unberührt, denn sie habe gewusst, dass sie die Gegenstände, die sich in dem Karton befänden – ihrer Ansicht nach Windeln –, preisgegeben habe.356 In Bezug auf den „Winkelschleifer-Trennscheiben-Fall“ führen sie hingegen aus, der innere Wille des Kassenpersonals decke nur einen Gewahrsamswechsel an den Waren, die es berechnet habe.357 Die Kassiererin habe nicht das Bewusstsein gehabt, über den Karton mit irgendeinem Inhalt zu verfügen, sondern über den Karton mit einem Winkelschleifer.358 Die hinzugefügten Trennscheiben habe sie überhaupt nicht als erfasste Ware wahrgenommen.359 Gegen diese Argumentation ist einzuwenden, dass die Kassiererin auch im „Windelkarton-Zigaretten-Fall“ nicht das Bewusstsein hatte, über einen Karton mit irgendeinem Inhalt zu verfügen, sondern konkret über einen Karton mit Windeln. Die darin enthaltenen Zigaretten hat sie nicht wahrgenommen und nicht berechnet. Die Annahme eines Einverständnisses mit dem Gewahrsamswechsel hinsichtlich der ausgetauschten Zigaretten ist vielmehr eine reine Fiktion. Der „Milchflaschen-Kokoslikör-Fall“, in dem der Täter drei Milchflaschen aus einem Kasten gegen Kokoslikör-Flaschen ausgetauscht hat und ein Einverständnis des Kassenpersonals mit dem Gewahrsamswechsel an den Kokoslikör-Flaschen vorliegt, ist entgegen Roßmüller und Rohrer360 nicht mit dem „Windelkarton-Zigaretten-Fall“ vergleichbar, in dem Windeln gegen Zigaretten ausgetauscht worden sind. Denn nur im „Milchflaschen-Kokoslikör-Fall“ waren die ausgetauschten Gegenstände für das Kassenpersonal sichtbar. Die Ausführungen von Roßmüller und Rohrer zum bedingten Einverständnis sind lückenhaft und schon aus diesem Grund nicht geeignet, ihre differenzierende Ansicht zu stützen. Sie meinen, dass das Einverständnis des Kassenpersonals unter der äußerlich wahrnehmbaren Bedingung der 356 357 358 359 360
Roßmüller / Rohrer, Roßmüller / Rohrer, Roßmüller / Rohrer, Roßmüller / Rohrer, Roßmüller / Rohrer,
Jura Jura Jura Jura Jura
1994, 1994, 1994, 1994, 1994,
469 469 469 469 469
(475). (474). (474). (474). (475).
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
scheinbar ordnungsgemäßen Bezahlung stehe361 und sehen diese Bedingung im „Windelkarton-Zigaretten-Fall“ als erfüllt an362. Auf die Frage, ob diese Bedingung im „Winkelschleifer-Trennscheiben-Fall“ ebenfalls erfüllt ist, gehen Roßmüller und Rohrer nicht ein und lehnen ein Einverständnis in dieser Fallkonstellation ab, obwohl auch in dieser Konstellation eine scheinbar ordnungsgemäße Bezahlung vorliegt. Im Übrigen ist es nur für das antizipierte Einverständnis anerkannt, dass das Einverständnis unter einer Bedingung stehen kann, d. h. in Fällen, in denen der Warenaustausch automatisch und ohne Beteiligung auf Seiten des Veräußerers stattfindet.363 Da in den hier diskutierten Fällen kein automatisierter Warenaustausch vorliegt und ein antizipiertes Einverständnis nicht in Betracht kommt, ist es fragwürdig, das bedingte Einverständnis hier als Kontrollmaßstab für die Frage anzuführen, ob ein Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel vorliegt oder nicht. d) Die Ansicht von Schmitt Schmitt strebt eine Vereinfachung des Problems an und stellt dazu auf das äußere Erscheinungsbild ab. Auch diese Ansicht ist jedoch letztlich nicht überzeugend. aa) Gewahrsamsbruch beim Erscheinungsbild des Nehmens Schmitt nimmt einen Gewahrsamsbruch an, wenn nach dem äußeren Erscheinungsbild ein Nehmen vorliegt.364 Ein Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel sei dagegen vorhanden, wenn der Gewahrsamsinhaber die Sache nach dem äußeren Erscheinungsbild des Geschehens weggebe.365 Auf diese Weise könnten Diebstahl und Betrug nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vorgangs voneinander abgegrenzt werden.366 Ein Vorteil dieser Abgrenzung sei, dass sich dadurch innerhalb der Vermögensdelikte zwei Tatbestandsblöcke klar voneinander abgegrenzt gegenüberstünden, nämlich die „Wegnahmedelikte“ Diebstahl und Raub einschließlich ihrer Qualifikationen auf der einen und die „Weggabedelikte“ bzw. „Verfügungs361 362 363 364 365 366
Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475). Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475). Vgl. MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 91 ff.; SK-Hoyer, § 242 Rn. 54. Schmitt, Festschrift für Spendel, S. 581; Mitsch, BT 2 / 1, § 1 Rn. 79. Schmitt, Festschrift für Spendel, S. 581. Schmitt, Festschrift für Spendel, S. 581.
III. Bruch des Gewahrsams
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delikte“ Betrug, Erpressung und räuberische Erpressung auf der anderen Seite.367 Als weiterer Vorteil komme hinzu, dass der Begriff der Wegnahme in § 242 StGB und in § 249 StGB mit derselben Bedeutung angewendet werde.368 Zudem sei die äußere Verschaffungshandlung in der Beweisaufnahme leicht zu klären, während die innere Einstellung des Opfers vielfach nur schwer festzustellen sei.369 Der Einwand gegen die Abgrenzung nach der äußeren Verschaffungshandlung, dass danach der Zufall über die Strafbarkeit nach dem einen oder dem anderen Tatbestand entscheide, sei nicht erheblich, da Diebstahl und Betrug den gleichen Strafrahmen hätten.370 Den hier untersuchten Fall, dass der Täter eine Ware in einer anderen Verpackung versteckt, diese manipulierte Verpackung auf das Kassenband legt und den Gegenstand nach dem Registrieren des falschen Preises durch das Kassenpersonal wieder an sich nimmt, behandelt Schmitt nicht. Das Registrieren und Weiterschieben der Verpackung durch das Kassenpersonal könnte nach dem Ansatz von Schmitt zum äußeren Erscheinungsbild des Gebens führen. Wenn der Täter die Verpackung jedoch anschließend selbst vom Kassenband nimmt, deutet dies auf ein Erscheinungsbild des Nehmens hin. bb) Stellungnahme Entgegen dieser Ansicht sollte die Entscheidung, ob Diebstahl oder Betrug vorliegt, nicht davon abhängen, ob der Täter den Karton vom Förderband nimmt oder ob das Kassenpersonal dem Täter behilflich ist und die Ware in den Einkaufwagen legt. Denn das äußere Erscheinungsbild des Nehmens spiegelt nicht in jedem Fall den entgegenstehenden Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers wider, auf den es nach dem Sinn und Zweck des Diebstahlstatbestands für die Wegnahme ankommt. Das äußere Erscheinungsbild kann, wie in dem hier untersuchten Fall, höchstens ein Indiz für die innere Einstellung des Opfers sein. Schmitt müsste den Täter jedoch selbst dann wegen vollendeten Diebstahls bestrafen, wenn er sich die Verpackung mit dem verborgenen Inhalt vom Kassenband genommen hätte, das Kassenpersonal die hinzugefügte Ware jedoch 367 368 369 370
Schmitt, Schmitt, Schmitt, Schmitt,
Festschrift Festschrift Festschrift Festschrift
für für für für
Spendel, Spendel, Spendel, Spendel,
S. 581. S. 581. S. 581. S. 581.
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
durch ein Sichtfenster bemerkt und den Gewahrsamswechsel tatsächlich gleichgültig hingenommen hätte. Dieses Ergebnis wäre nicht angemessen. Die Ansicht von Schmitt ist daher abzulehnen. e) Die Ansicht vom konkreten Einverständnis Ebenso wie zu den Fällen der im Einkaufswagen versteckten Ware wird auch zu den Fällen der vom Täter manipulierten Verpackung eine Ansicht vertreten, die ein konkretes Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel verlangt. Dieser Ansicht ist auch für die Fälle der manipulierten Verpackungen zuzustimmen. aa) Erheblichkeit des Irrtums über den Verpackungsinhalt Die Ansicht vom konkreten Einverständnis vertritt, dass nur dann ein Einverständnis vorliege, wenn der zur Gewahrsamsübertragung Befugte den Willen habe, den Gewahrsam an dem konkreten Gegenstand aufzugeben.371 Dies sei nicht der Fall, wenn der Täter eine in einer anderen Verpackung versteckte Ware am Kassenpersonal vorbei schleuse.372 Für ein wirksames Einverständnis sei neben dem Wissen des ursprünglichen Gewahrsamsinhabers, dass er den Gewahrsam verliere, erforderlich, dass er sich nicht über die Anzahl und Identität der ihm verloren gehenden Sachen irre.373 Bei der Übergabe einer beschrifteten Packung, deren Inhalt zuvor vom Empfänger ausgetauscht worden sei, wolle der Veräußerer lediglich seinen Gewahrsam am vermeintlichen und nicht am wahren Packungsinhalt aufgeben.374 Ein unerheblicher Motivirrtum liege nur vor, wenn sich der Veräußerer über die Eigenschaften oder den Wert des im Übrigen irrtumsfrei identifizierten Kaufgegenstands irre, z. B. über die Echtheit eines Ledermantels oder über den Kaufpreis.375 Auch Irrtümer über Eigenschaften des Erwer371 PfzOLG Zweibrücken, NStZ 1995, 448 (449); LK-Vogel, § 242 Rn. 112; MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 85; Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 36; Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 63a; SK-Hoyer, § 242 Rn. 49; Eisele, BT II, Rn. 54; Schmitz, JA 1993, 350 (351); Brocker, JuS 1994, 919 (921); Vitt, NStZ 1994, 133 (134). 372 PfzOLG Zweibrücken, NStZ 1995, 448 (449); LK-Vogel, § 242 Rn. 112; SchSch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 36; Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 63a; SK-Hoyer, § 242 Rn. 49; SSW-Kudlich, § 242 Rn. 31; Eisele, BT II, Rn. 55; Schmitz, JA 1993, 350 (351); Brocker, JuS 1994, 919 (921); Vitt, NStZ 1994, 133 (134). 373 SK-Hoyer, § 242 Rn. 49. 374 SK-Hoyer, § 242 Rn. 49. 375 MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 87; SK-Hoyer, § 242 Rn. 50.
III. Bruch des Gewahrsams
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bers einer Sache, z. B. dessen Zahlungsfähigkeit und -willigkeit, oder über Eigenschaften und Wert der Gegenleistung stünden der Wirksamkeit des Einverständnisses nicht entgegen.376 Da das Kassenpersonal die Pflicht habe, die vom Kunden eingepackten Gegenstände vollständig zu erfassen, sei davon auszugehen, dass sich das Einverständnis mit dem Gewahrsamsübergang nur auf solche Artikel beziehe, die bei der Kassenabfertigung tatsächlich ordnungsgemäß registriert worden seien.377 Dafür spreche auch, dass die rechtsgeschäftlichen Erklärungen des Kassenpersonals hinsichtlich Kaufvertrag und Übereignung gar nicht auf die versteckten Gegenstände gerichtet seien.378 bb) Stellungnahme Der Ansicht vom konkreten Einverständnis ist auch in der Fallkonstellation der in einer Verpackung versteckten Ware zuzustimmen. Diese Ansicht ist in sich widerspruchsfrei. Sie kommt zudem ohne Mutmaßungen und Fiktionen aus. Im „Windelkarton-Zigaretten-Fall“ liegt nach der Ansicht vom konkreten Einverständnis ein Gewahrsamsbruch hinsichtlich der im Windelkarton versteckten Zigaretten vor. Die Kassiererin nahm irrtümlich an, dass sich in dem Karton Windeln befänden. Dieser Irrtum über den Inhalt des Kartons führt dazu, dass kein Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel an den Zigaretten vorlag. Der Täter hat sich daher wegen Diebstahls strafbar gemacht. Auch im „Druckerwalzen-Druckerpatronen-Fall“ liegt ein Diebstahl vor. Das Einverständnis des Kassenpersonals mit dem Gewahrsamswechsel an den Druckerpatronen und dem Mikrofon ist nach der Ansicht vom konkreten Einverständnis zu verneinen, weil das Kassenpersonal nicht wusste, dass der Gewahrsam an diesen Gegenständen auf den Täter überging. Im „Winkelschleifer-Trennscheiben-Fall“ fehlt es der Ansicht vom konkreten Einverständnis zufolge ebenfalls an einem Einverständnis des Kassenpersonals hinsichtlich der versteckten Ware. Der Täter hat daher einen Diebstahl in Bezug auf die von ihm in der Verpackung des Winkelschleifers versteckten Trennscheiben begangen. Anders liegt es im „Milchflaschen-Kokoslikör-Fall“, in dem der Täter drei von neun Milchflaschen aus einem Kasten gegen Kokoslikör-Flaschen 376 377 378
MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 87; SK-Hoyer, § 242 Rn. 50. Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 63a. Eisele, BT II, Rn. 55.
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B. Probleme des Diebstahls in Selbstbedienungsladen-Fällen
ausgetauscht hat und das Kassenpersonal auch in Bezug auf den teureren Kokoslikör nur den Preis für Milch abgerechnet hat. In diesem Fall liegt ein Einverständnis des Kassenpersonals auch hinsichtlich des Gewahrsamswechsels an den Kokoslikör-Flaschen vor, denn das Kassenpersonal hat die Flaschen gesehen und wusste, dass der Gewahrsam an diesen Flaschen auf den Täter überging. Das Kassenpersonal befand sich lediglich in einem Irrtum über die Eigenschaften und den Wert der Flaschen. Dieser Irrtum lässt das Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel nach der Ansicht vom konkreten Einverständnis jedoch unberührt. Im „Fischkisten-Fall“ sollten die Fischkisten nach ihrem bereits festgestellten Inhalt und Gewicht versteigert werden. Vor Beginn der Versteigerung begab sich jedoch der Täter in die Halle, nahm aus der dem Fischer A gehörenden Kiste eine Anzahl Fische und warf sie in die daneben stehende Kiste des Fischers B. Bei der Versteigerung ersteigerte der Täter, wie geplant, die zu ihrem ursprünglichen Gewicht ausgebotene Kiste des Fischers B. Das Einverständnis des Auktionators mit dem Gewahrsamswechsel bezog sich in diesem Fall nach der Ansicht vom konkreten Einverständnis nur auf die Kiste mit ihrem ursprünglich festgestellten Inhalt. Der Auktionator befand sich in einem durch den Täter verursachten Irrtum über die Anzahl der Fische. Er hielt es nicht für möglich, dass sich mehr Fische in der Kiste befanden als auf der Kiste angegeben waren. Das Wissenselement des Einverständnisses war daher nicht gegeben. Es lag also ein Gewahrsamsbruch und damit Diebstahl hinsichtlich der hinzugefügten Fische vor. f) Ergebnis Auch in den Fällen der in einer anderen Verpackung versteckten Ware – mit Ausnahme des Milchflaschen-Kokoslikör-Falls – ist daher ein Gewahrsamsbruch gegeben.
IV. Ergebnisse zum Tatbestand des Diebstahls In Fall a), in dem der Täter im Selbstbedienungsladen eine Ware in seiner Jackentasche versteckt, ist der Diebstahlstatbestand mit dem Verstecken der Ware in der Jackentasche erfüllt. Dies gilt unabhängig davon, ob der Täter dabei von einer eingriffsbereiten Person beobachtet wird oder nicht. In Fall b), in dem der Täter eine Ware im Einkaufswagen versteckt und damit die Kasse passiert, ist der Diebstahlstatbestand mit dem Verlassen des Kassenbereichs erfüllt. Der Diebstahlstatbestand ist auch in der Abwandlung dieses Falls erfüllt, in dem der Täter während des gesamten Geschehens von
IV. Ergebnisse zum Tatbestand des Diebstahls
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einer eingriffsbereiten Person beobachtet wurde und erst kurz vor dem Verlassen des Geschäfts von dieser Person aufgehalten wird. In Fall c), dem Fall des Versteckens einer Ware in einer anderen Verpackung, ist der Diebstahl nach dem hier vertretenen Gewahrsamsbegriff ebenfalls mit dem Passieren der Kasse vollendet, und zwar unabhängig davon, ob der Täter beim Verbergen der Ware in einer anderen Verpackung beobachtet wurde oder nicht.
C. Probleme des Betrugs in den Selbstbedienungsladen-Fällen Auch im Rahmen des Betrugstatbestands werfen die unter A. beschriebenen Fallkonstellationen im Selbstbedienungsladen zahlreiche Fragestellungen auf. Insbesondere ist problematisch, ob neben der Strafbarkeit wegen Diebstahls zugleich eine Strafbarkeit wegen Betrugs gegenüber dem Kassenpersonal zu Lasten des Geschäftsinhabers gegeben sein kann.
I. Täuschung Zunächst ist fraglich, ob der Täter dem Kassenpersonal in den Beispielsfällen gemäß § 263 Abs. 1 StGB falsche Tatsachen379 vorgespiegelt, wahre Tatsachen entstellt oder unterdrückt hat. Das Gesetz unterscheidet diese drei Formen unwahrer Tatsachendarstellungen, die sich unter dem Oberbegriff der Täuschung über Tatsachen zusammenfassen lassen.380 Eine Täuschung durch aktives Tun erfordert eine intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen durch ausdrückliche oder schlüssige Erklärung unwahrer Tatsachen.381 Eine Täuschung durch Unterlassen begeht, wer garantenpflichtwidrig die Entstehung eines Irrtums über Tatsachen nicht verhindert oder einen bereits vorhandenen Irrtum nicht beseitigt.382 Tatsachen sind alle konkreten Geschehnisse und Zustände der Vergangenheit oder der Gegenwart, die die Außenwelt oder psychische Vorgänge betreffen und dem Beweis zugänglich sind.383 Der Täter könnte das Kassenpersonal über die Tatsache getäuscht haben, dass er Ware versteckt hat. Als Täuschungsverhalten ist denkbar, dass der Täter in den Beispielsfällen jeweils die ausdrückliche Frage des Kassenpersonals, ob er weitere Ware zu bezahlen habe, verneint (dazu unter 1.), dass der Täter im Fall c) eine Verpackung mit von ihm verändertem Inhalt an der Kasse vorlegt und 379 Da eine Tatsache nicht falsch sein kann, ist die Fassung des § 263 StGB nach SK-Hoyer, § 263 Rn. 9 sprachlich unpräzise. 380 SK-Hoyer, § 263 Rn. 10. 381 SK-Hoyer, § 263 Rn. 24, 27 ff. 382 Lackner / Kühl-Kühl, § 263 Rn. 6 f.; SK-Hoyer, § 263 Rn. 53. 383 Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 8; SK-Hoyer, § 263 Rn. 12 m. w. N.
I. Täuschung
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nur den günstigeren Preis bezahlt (dazu unter 2.), und schließlich, dass der Täter in den Fällen a) und b) die Kasse mit in der Jackentasche oder im Einkaufswagen versteckter Ware passiert, ohne dass das Kassenpersonal die versteckte Ware bemerkt (dazu unter 3.). 1. Verneinen der Frage nach weiteren Waren Wenn der Täter die Frage des Kassenpersonals, ob er noch weitere Ware aus dem Laden bei sich führe, bewusst wahrheitswidrig verneint, liegt eine ausdrückliche Täuschung über diese Tatsache vor.384 2. Vorzeigen einer Verpackung mit manipuliertem Inhalt Legt der Täter an der Kasse eine Verpackung vor, deren Inhalt er zuvor verändert hat, so dass die Packungsaufschrift nicht mit dem wirklichen Inhalt übereinstimmt, so ist umstritten, ob dieses Verhalten als Täuschungshandlung zu bewerten ist. a) Konkludente Täuschung Eine Ansicht nimmt eine konkludente Täuschung über die Tatsache an, dass Ware in der Verpackung versteckt wurde.385 Der Täter erkläre konkludent, dass in der Verpackung nur der auf der Aufschrift angegebene Inhalt enthalten sei und keine versteckte Ware.386 b) Keine Täuschung Die Gegenansicht lehnt in einem solchen Fall eine Täuschung ab.387 In dem Vorzeigen der Waren an der Kasse sei nicht die implizite Behauptung enthalten, keine weiteren Waren entnommen zu haben.388 384
MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 251; Miehe, S. 87. OLG Hamm, Urteil vom 29.06.1978, 2 Ss 1315 / 78; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (924); OLG Dresden, Beschluss vom 31.05.2002, 3 Ss 165 / 02; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 50; Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 63a; SSW-Satzger, § 263 Rn. 44; Huschka, NJW 1960, 1189 (1190); Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475 f.); Biletzki, JA 1995, 857 (859); Fahl, JuS 2004, 885 (888 f.). 386 OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (924); Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 63a; SSW-Satzger, § 263 Rn. 44; Fahl, JuS 2004, 885 (888). 387 LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 50; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 134; NKKindhäuser, § 263 Rn. 128; Fischer, § 263 Rn. 37; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 639; Cordier, NJW 1961, 1340 (1340 f.). 388 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 128. 385
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
c) Stellungnahme Der Gegenansicht kann nicht gefolgt werden. Vielmehr liegt eine Täuschung durch schlüssiges Verhalten vor. Das Vorzeigen einer Verpackung mit einer bestimmten Aufschrift dient kraft Herkommens als Zeichen zur Kundgabe der Erklärungen: „Ich möchte diese Verpackung samt Inhalt kaufen und erwerben und habe den auf der Aufschrift angegebenen Inhalt nicht verändert.“ Die Aufschrift der Packung wird durch das Vorzeigen an der Kasse zum Bestandteil der Erklärung. Die Erklärung ist im Fall c) auch unwahr, da der Täter den Inhalt der Verpackung tatsächlich vorher verändert hat. 3. Passieren der Kasse mit versteckter Ware Auch in den Fällen, in denen der Täter die in der Jackentasche oder im Einkaufswagen versteckte Ware nicht an der Kasse vorzeigt, ist umstritten, ob der Täter das Kassenpersonal über die Existenz der versteckten Ware täuscht, wenn das Kassenpersonal den Täter nicht ausdrücklich nach weiterer Ware fragt. a) Konkludente Täuschung Nach einer Ansicht erkläre der Täter in diesen Fällen durch schlüssiges Verhalten, dass er die den Regalen entnommene Ware vollständig vorgelegt habe, so dass eine konkludente Täuschung vorliege.389 b) Täuschung durch Unterlassen Eine weitere Ansicht bejaht in diesem Fall eine Täuschung durch Unterlassen.390 Zwischen dem Verkäufer und dem Käufer bestehe bis zum Abschluss des Kaufvertrags an der Kasse ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis. Den Käufer treffe die Pflicht, die ausgesuchten Waren an der Kasse vorzule389 OLG Düsseldorf, NJW 1961, 1368 (1369); OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1407 (1407); BayObLGSt 1988, 5 (6); PfzOLG Zweibrücken, NStZ 1995, 448 (449); Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 16a und Rn. 63a; SSW-Satzger, § 263 Rn. 44; Eser, Strafrecht IV, S. 21; Krey / Hellmann / Heinrich, BT / 2, Rn. 54; Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 88; Meurer, JuS 1976, 304, Fn. 57; Jung, JuS 1993, 779 (779); von Heintschel-Heinegg, JA 1996, 97, (98 Fn. 1); Proppe, JA 1996, 321 (326); Heinrich, Jura 1997, 366 (370); Fahl, JuS 2004, 885 (886); Ball, S. 24; Börm, S. 105; Walter, S. 60. 390 Huschka, NJW 1960, 1189 (1190); vgl. LK-Tiedemann, § 263 Rn. 68.
I. Täuschung
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gen, damit das Kassenpersonal die Waren registrieren und den Kaufpreis fordern könne. Unterlasse der Kunde dies, dann unterdrücke er wahre Tatsachen.391 Das Verbergen von Ware sei ein pflichtwidriges und gefährliches Vorverhalten, das eine Garantenstellung aus Ingerenz begründe.392 c) Keine Täuschung Demgegenüber vertritt eine andere Ansicht, dass es an einer Täuschung fehle, wenn der Täter nur einen Teil der Ware zur Bezahlung vorlege.393 Der Täter erkläre nur, dass er die vorgezeigte Ware kaufen und erwerben wolle. Er erkläre jedoch nicht zugleich konkludent, dass er über die vorgezeigte Ware hinaus keine weitere Ware aus den Regalen genommen habe.394 Auch eine Täuschung durch Unterlassen liege nicht vor, weil der Täter keine Garantenstellung habe.395 Eine Garantenstellung entstehe nicht durch Anbahnung und Abschluss eines Kaufvertrags, weil dadurch kein Vertrauensverhältnis zum Schutz des Vermögens des Ladeninhabers begründet werde.396 Auch eine Garantenstellung aus Ingerenz sei nicht gegeben, weil bereits das Verbergen mit Schädigungsvorsatz erfolgt sei397 und niemand Tataufdeckung oder Selbstbezichtigung schulde.398 d) Stellungnahme In den Fällen des Passierens der Kasse mit in der Jackentasche oder im Einkaufswagen versteckter Ware ist in dem Verhalten des Täters die konkludente Erklärung enthalten, dass er keine weitere Ware bei sich führe. Es liegt eine konkludente Täuschung vor. 391
Huschka, NJW 1960, 1189 (1190). LK-Tiedemann, § 263 Rn. 68. 393 KG, JR 1961, 271 (271); Fischer, § 263 Rn. 37; LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 50; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 134; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 639; Cordier, NJW 1961, 1340 (1340); Welzel, GA 1961, 350 (351); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221); Gauger, S. 166; Höper, S. 71; Miehe, S. 32; Pawlik, S. 87; Paulusch, S. 280 f. 394 KG, JR 1961, 271 (271); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221); Gauger, S. 166; Paulusch, S. 280. 395 KG, JR 1961, 271 (271); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221); Miehe, S. 33; Paulusch, S. 281. 396 KG, JR 1961, 271 (271); LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 50; Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221); Miehe, S. 33; Paulusch, S. 281. 397 Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221). 398 Welzel, GA 1960, 257 (258 Fn. 1); Cordier, NJW 1961, 1368 (1369); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221); Höper, S. 69 f.; Pawlik, S. 87. 392
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
Die Gegenansicht meint zwar, der Täter erkläre nur, dass er die vorgezeigte Ware kaufen und erwerben wolle. Er erkläre nicht zugleich konkludent, dass er über die vorgezeigte Ware hinaus keine weitere Ware aus den Regalen genommen habe.399 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die Erklärung, keine weitere Ware aus den Regalen entnommen zu haben, dem Verhalten des Täters im Wege der Auslegung zu entnehmen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nicht allein darauf ankommt, was der Täter erklären will, sondern darauf, wie sein Verhalten aus der Sicht eines objektiven Empfängers unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls verstanden wird.400 Wenn der Täter sich wie alle anderen Kunden verhält, die keine weiteren Waren versteckt haben, versteht das Kassenpersonal sein Verhalten so, dass er erklärt, nur die vorgezeigten und keine anderen Waren aus den Regalen entnommen zu haben. Anders wäre es nur ausnahmsweise, wenn der Täter sonderbar ausgebeulte Manteltaschen hätte und sich einem objektiven Beobachter dadurch der Verdacht aufdrängen würde, dass darin weitere Waren verborgen sein könnten. Für diese Auslegung spricht, dass das Kassenpersonal auch ohne ausdrückliche Aufforderung eine Erklärung darüber erwartet, welche Waren die Kunden den Regalen entnommen haben. Dies wird häufig auch durch vor der Kasse angebrachte Schilder zum Ausdruck gebracht, die die Kunden auffordern, die von ihnen ausgewählten Waren auf das Kassenband zu legen. Das Verhalten der Kunden an der Kasse ist daher mit einer Art Rechnungslegung vergleichbar, die aus der Sicht des Kassenpersonals als Aufstellung der entnommenen Waren Anspruch auf Vollständigkeit hat.401 Bei dieser Auslegung handelt es sich entgegen der ablehnenden Ansicht auch nicht um eine Fiktion402, mittels derer praktisch jede Unredlichkeit als in Widerspruch zu einer „stillschweigenden Erklärung“ stehend und als betrugsrelevant erfasst werden könnte403, denn es kommt bei Erklärungen in der Außenwelt immer darauf an, wie die Erklärung von den verobjektivierten Erklärungsempfängern verstanden wird. Lackner macht für die Gegenansicht geltend, eine konkludente Täuschung würde voraussetzen, dass das fragliche Verhalten im Rahmen einer vertraglichen Beziehung zwischen den Beteiligten liege, kraft deren der Partner 399 KG, JR 1961, 271 (271); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221); Gauger, S. 166; Paulusch, S. 280. 400 Ball, S. 24. 401 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 50. 402 Cordier, NJW 1961, 1340 (1341). 403 Gauger, S. 166.
I. Täuschung
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den Täter nach der Verkehrsanschauung als Informationsquelle über die jeweilige Tatsache in Anspruch nehmen könne.404 Der Kaufvertrag über die vorgelegten Waren stehe jedoch mit der heimlichen Wegnahme anderer Waren nicht in einem so unmittelbaren Zusammenhang, dass er für das Kassenpersonal die Grundlage bilden könne, sich auf die Vollständigkeit der Erklärung des Kunden zu verlassen.405 Diese Argumentation geht jedoch am Kern der Frage vorbei, ob der Täter gegenüber dem Kassenpersonal konkludent erklärt, er habe den Regalen keine weitere Ware entnommen. Die Frage, ob sich das Kassenpersonal auf die Vollständigkeit der Erklärung des Kunden verlassen kann oder nicht, ist dafür unerheblich. Auch die Argumentation von Pawlik ist nicht überzeugend. Pawlik zufolge setzt eine betrugsrelevante Täuschung voraus, dass der Täter das Vertrauen des Opfers darauf unterlaufe, die ihm zustehenden Mitteilungsrechte seien vollständig und ordnungsgemäß erfüllt.406 Wenn der Täter lediglich die Einschätzung des Opfers unterlaufen habe, seinen räumlichen Organisationsbereich gut gegen Eindringlinge bewacht zu haben, fehle es an einer betrugsrelevanten Täuschung.407 Der Supermarktkunde, der eine Ware im Einkaufswagen versteckt habe, die er an der Kasse nicht bezahle, begehe keine Täuschung.408 Er knüpfe lediglich an die Unfähigkeit des Geschäftsinhabers an, seinen räumlichen Bereich hinreichend vor fremdem Zugriff zu sichern.409 Pawlik begründet nicht hinreichend, warum der Täter nur die Einschätzung des Geschäftsinhabers unterlaufen habe, seinen räumlichen Organisationsbereich gut gegen Eindringlinge bewacht zu haben, und warum das Kassenpersonal in diesen Fällen nicht darauf vertraut, dass die ihm zustehenden Mitteilungsrechte vollständig und ordnungsgemäß erfüllt seien. Die Unfähigkeit des Geschäftsinhabers, seinen räumlichen Bereich hinreichend vor fremdem Zugriff zu sichern, schließt eine konkludente Täuschung nicht aus. Gerade weil der Geschäftsinhaber seinen Bereich nicht vollständig überwachen kann und der normale Kunde dies weiß, interpretiert ein objektiver Beobachter das Passieren der Kasse zugleich als Erklärung des Kunden, dass er keine weitere Ware bei sich habe.
404 405 406 407 408 409
LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 50. LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 50. Pawlik, S. 86. Pawlik, S. 86. Pawlik, S. 87. Pawlik, S. 87.
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4. Ergebnis Das Tatbestandsmerkmal der Täuschung ist in allen hier untersuchten Fällen erfüllt.
II. Irrtum Des Weiteren müsste ein Irrtum des Kassenpersonals hinsichtlich der versteckten Ware vorliegen. Ein Irrtum i. S. d. § 263 StGB ist eine der Wirklichkeit nicht entsprechende Vorstellung über Tatsachen, die Gegenstand der Täuschung waren.410 Unrichtig und irrtumsbehaftet kann eine Vorstellung auch sein, wenn sie in einem wesentlichen Punkt lückenhaft ist.411 Im Folgenden werden drei verschiedene Vorstellungsbilder des Kassenpersonals im Hinblick auf das Vorliegen eines Irrtums i. S. d. § 263 Abs. 1 StGB untersucht. In der ersten Fallgestaltung glaubt das Kassenpersonal, dass der Kunde alle Waren an der Kasse vorgezeigt und keine Ware verborgen hat (dazu nachfolgend unter C. II. 1.). Im zweiten Fall schließt das Kassenpersonal den Kassiervorgang in dem Mitbewusstsein ab, die von dem Kunden ausgesuchten Waren vollständig erfasst zu haben und hegt diesbezüglich keine Zweifel. Dieses Vorstellungsbild lässt sich als ein sachgedankliches Mitbewusstsein beschreiben, dass mit diesem Kassiervorgang alles in Ordnung sei (dazu nachfolgend unter C. II. 2.). Das dritte hier untersuchte Vorstellungsbild des Kassenpersonals besteht darin, dass das Kassenpersonal zweifelt, ob ein Kunde Ware verborgen hat (dazu nachfolgend unter C. II. 3.). Diese Zweifel können allgemein darauf beruhen, dass das Kassenpersonal weiß, dass unter den zahlenden Kunden auch solche sind, die Waren verborgen halten. Die Zweifel können aber auch auf konkreten Anhaltspunkten beruhen, z. B. auf der ausgebeulten Jackentasche des Kunden, der gerade an der Reihe ist. 1. Positive Fehlvorstellung des Kassenpersonals Wenn das Kassenpersonal glaubt, dass der Täter nur die vorgezeigten und keine weiteren Waren aus den Regalen entnommen habe, liegt eine der Wirklichkeit nicht entsprechende Vorstellung des Kassenpersonals über die 410 411
SSW-Satzger, § 263 Rn. 69 f.; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 510. Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 510.
II. Irrtum
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Tatsachen vor, die Gegenstand der Täuschung waren. Es besteht Einigkeit darüber, dass eine solche positive Fehlvorstellung einen Irrtum des Kassenpersonals begründet.412 2. Vorstellung des Kassenpersonals, es sei „alles in Ordnung“ Fraglich ist, ob auch dann ein Irrtum vorliegt, wenn das Kassenpersonal zwar keine positive Fehlvorstellung, aber das Mitbewusstsein hat, dass mit dem Kassiervorgang alles in Ordnung sei, obwohl der Kunde tatsächlich Ware verborgen hat. Überwiegend wird für einen Irrtum die positive Vorstellung einer der Wirklichkeit widersprechenden Tatsache verlangt. Das bloße Fehlen der Vorstellung einer wahren Tatsache (sog. ignorantia facti) sei nicht ausreichend. Wer sich keinerlei Vorstellung von den relevanten Tatsachen mache, irre nicht.413 Eine Einbeziehung der ignorantia facti in den Irrtum sei mit dem Wortlaut des § 263 StGB nicht vereinbar.414 Das für den Betrug charakteristische Angriffsmittel der Überlistung eines anderen sei zudem nur gegeben, wenn dieser unter dem Einfluss einer Täuschung eine Fehlvorstellung entwickle und durch sie zur Verfügung motiviert werde.415 Der Irrtum müsse jedoch nicht das Ergebnis eines im Bewusstsein substantiiert ablaufenden Denkprozesses sein. Es genüge ein sachgedankliches Mitbewusstsein am Rande des Vorstellungsinhalts oder ein ständiges Begleitwissen sowie die aus bestimmten Tatsachen abgeleitete Vorstellung, dass in der betreffenden Hinsicht alles in Ordnung sei.416 Eine zuvor durchgeführte Kontrolle sei ein Indiz dafür, dass sich die Vorstellung, es sei alles 412 OLG Düsseldorf, NJW 1961, 1368 (1369); Lackner / Kühl-Kühl, § 263 Rn. 18; Huschka, NJW 1960, 1189 (1190); von Heintschel-Heinegg, JA 1996, 97 (98 Fn. 1). 413 Fischer, § 263 Rn. 57; Lackner / Kühl-Kühl, § 263 Rn. 18; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 78; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 199; SK-Hoyer, § 263 Rn. 65; SSWSatzger, § 263 Rn. 72; Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf-Arzt, § 20 Rn. 53; Krey / Hellmann / Heinrich, BT / 2, Rn. 549; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 41 Rn. 58; Mitsch, BT 2 / 1, § 7 Rn. 56; Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 49; Schmidhäuser, BT, 11 / 11; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 510; Gauger, S. 31; Ranft, Jura 1992, 66 (68); a. A. OLG Celle, MDR 1957, 436 (436 f.); NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 171, 173; Sch-SchCramer / Perron, § 263 Rn. 36; Gössel, BT / 2, § 21 Rn. 74; Hanisch, S. 230; Samson, JA 1978, 469 (474). 414 Gauger, S. 31. 415 LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 76. 416 BGHSt 2, 325 (326); BGHSt 24, 386 (389); LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 18, 78; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 79 und Rn. 83; Lackner / Kühl-Kühl, § 263 Rn. 18; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 201; SK-Hoyer, § 263 Rn. 65, 67; SSW-Satzger, § 263 Rn. 73; Krey / Hellmann / Heinrich, BT / 2, Rn. 549; Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 49; Welzel, S. 370; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 511.
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in Ordnung, auf konkrete Tatsachen beziehe.417 Das allgemeine, nicht auf konkrete Tatsachen bezogene Gefühl der Sicherheit oder die vage Vorstellung der Kontrollperson, dass „alles in Ordnung“ sei, reiche dagegen nicht aus, weil es sich dabei nicht um eine Tatsachenvorstellung handele.418 So unterliege der Busfahrer, der ohne individuelle Kontrolle annehme, jeder Fahrgast habe einen gültigen Fahrschein, keinem täuschungsbedingten Irrtum, wenn diese Annahme unzutreffend sei.419 Gleiches gelte für den Schaffner, der an einem Schwarzfahrer vorbei in der Vorstellung durch den Zug gehe, alle Passagiere hätten einen Fahrschein. Frage der Schaffner aber: „Noch jemand zugestiegen?“, und melde sich der Schwarzfahrer nicht, entstehe beim Schaffner ein durch das konkludente „Nein“ hervorgerufener betrugsrelevanter Irrtum.420 Die Vorstellung des Kassenpersonals, der Kunde habe alle Waren vorgelegt, und mit dem Kassiervorgang sei daher alles in Ordnung, bezieht sich auf die konkrete Tatsache des Kontrollvorgangs und reicht daher nach dieser Ansicht für einen Irrtum i. S. d. § 263 StGB aus. 3. Zweifel des Kassenpersonals Im Folgenden wird untersucht, wie es sich auswirkt, wenn das Kassenpersonal zweifelt, ob der Kunde alle Waren vorgelegt hat. Solche Zweifel des potentiellen Betrugsopfers sind Gegenstand eines breit gefächerten Meinungsspektrums, das sich zum einen auf die Intensität der Fehlvorstellung im Rahmen des Irrtumsbegriffs (dazu nachfolgend unter a) bis f)) und zum anderen auf die Frage der Einschränkung des Betrugstatbestands bei fahrlässigem Opferverhalten (dazu nachfolgend unter g)) bezieht. a) Irrtum bei Für-Möglich-Halten der vorgespiegelten Tatsache Vielfach wird vertreten, dass auch der Zweifelnde i. S. d. § 263 StGB irre und Zweifel solange irrelevant seien, wie der Zweifelnde die Wahrheit der tatsächlich unwahren Tatsache für möglich halte und durch die Möglichkeitsvorstellung zur Vermögensverfügung motiviert werde.421 Ein Irrtum sei 417
LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 78. Fischer, § 263 Rn. 62; LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 77; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 79; SK-Hoyer, § 263 Rn. 65; SSW-Satzger, § 263 Rn. 73; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 41 Rn. 58; Welzel, S. 370. 419 Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 41 Rn. 58; Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 49. 420 Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 49. 421 BGH, NStZ 2003, 313 (314); HK-GS-Duttge, § 263 Rn. 25; Lackner / KühlKühl, § 263 Rn. 18; LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 80; LK-Tiedemann, § 263 418
II. Irrtum
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jedoch nicht mehr gegeben, wenn dem Zweifelnden der Wahrheitsgehalt der betreffenden Tatsache gleichgültig sei422 oder wenn sich der Getäuschte mit dem Gedanken auch an einen Schaden abgefunden habe.423 Habe das irrende Opfer die Unwahrheit der behaupteten Tatsache fahrlässig nicht erkannt, könne dies im Rahmen der Strafzumessung gemäß § 46 StGB zugunsten des Täters berücksichtigt werden.424 Diese Ansicht macht geltend, dass es nach dem Sprachgebrauch nicht von vornherein ausgeschlossen sei, den Irrtumsbegriff auf Möglichkeitsvorstellungen jeder Intensität zu erstrecken.425 Die Lösung der Frage, welche Intensität einer Fehlvorstellung für einen Irrtum ausreiche, lasse sich nur aus der Funktion herleiten, die der Irrtum zu erfüllen habe. Dabei handele es sich um die allgemeine Schutzaufgabe des § 263 StGB, die darin bestehe, das Vermögen gegen die besondere Angriffsart der Überlistung zu schützen.426 Da der Überlistung schon zum Opfer falle, wer die Vermögensverfügung trotz seines Zweifels vornehme, müsse die Möglichkeitsvorstellung für einen Irrtum ausreichen. Auch in einem solchen Fall werde offenbar, dass die Erwartung der Wahrheit den Zweifel wirkungslos gemacht habe.427 Gegen eine Abgrenzung nach Wahrscheinlichkeitsgraden, wie sie in der Literatur vertreten werde, bestünden dagegen erhebliche praktische Bedenken. Diese ließen sich begrifflich schwer fassen und würden Feststellungen erforderlich machen, die über die Grenzen dessen hinausgingen, was eine Beweisaufnahme leisten könne.428 Rn. 86; Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 40; SSW-Satzger, § 263 Rn. 80; Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf-Arzt, § 20 Rn. 65; Bockelmann, BT / 1, S. 71; Eisele, BT II, Rn. 548; Gössel, BT / 2, § 21 Rn. 81 f.; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 41 Rn. 62; Mitsch, BT 2 / 1, § 7 Rn. 58; Otto, BT, § 51 Rn. 22; Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 50; Frisch, Festschrift für Bockelmann, S. 665; Hennings, S. 151; Hillenkamp, S. 23; Petropoulos, S. 124, 131 f.; Achenbach, Jura 1984, 602 (603); Bottke, JR 1987, 428 (429); Krüger, wistra 2003, 297 (298); Loos / Krack, JuS 1995, 204 (207 f.); Ranft, Jura 1992, 66 (68); Samson, JA 1978, 469 (474). 422 LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 81; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 86; Sch-SchCramer / Perron, § 263 Rn. 40; Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf-Arzt, § 20 Rn. 66; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 41 Rn. 62; Mitsch, BT 2 / 1, § 7 Rn. 59; Otto, BT, § 51 Rn. 22. 423 So Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 41 Rn. 62. 424 Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 41 Rn. 68; Otto, BT, § 51 Rn. 23; Achenbach, Jura 1984, 602 (603); Krüger, wistra 2003, 297 (298); Petropoulos, S. 132. 425 LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 79. 426 LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 80; Eisele, BT II, Rn. 548. 427 BGH, NStZ 2003, 313 (314); LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 80; Eisele, BT II, Rn. 548. 428 BGH, NStZ 2003, 313 (314); LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 80.
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Die Schutzbedürftigkeit des Opfers werde auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass es seinen Irrtum hätte vermeiden und sich selbst hätte schützen können.429 Vielmehr komme dem Strafrecht auch die Aufgabe zu, unerfahrene, leichtfertige und leicht zu täuschende Personen zu schützen.430 Das durch einfache Täuschungen bedrohte Individuum könne sich den durch das Strafrecht gewährten Schutz auch nicht selbst verschaffen. Die abschreckende Funktion staatlichen Strafens sei weder durch eine erhöhte Aufmerksamkeit noch durch den zivilrechtlichen Schadensersatz erreichbar.431 Mit Blick auf die präventive Wirkung des staatlichen Strafens könne daher nicht von einer Subsidiarität des Strafrechts gesprochen werden.432 Letztlich würden die Gegenpositionen zu nicht unerheblichen Lücken im strafrechtlichen Schutz führen.433 Auch der BGH hat zum Irrtum unter Zweifeln in seiner Entscheidung vom 5. Dezember 2002 ausgeführt, dass die viktimologisch motivierten Ansätze zur Einschränkung des Betrugstatbestands wegen geringerer Schutzbedürftigkeit des zweifelnden Tatopfers im Wortlaut des § 263 StGB keine Stütze fänden und den strafrechtlichen Schutz vor Angriffen auf das Vermögen durch Täuschung unangemessen weit zurücknähmen.434 Die These, dass keines Schutzes vor solchen Angriffen bedürfe, wer Zweifel an der Wahrheit einer behaupteten, für seine Entscheidung über eine Vermögensverfügung erhebliche Tatsache hege, treffe nicht zu. Die Vorstellung, dass sich das Tatopfer bei Zweifeln vergewissern oder von der schädigenden Vermögensverfügung Abstand nehmen könne, laufe auf eine dem Strafrecht fremde Bewertung eines Mitverschuldens hinaus, das auch sonst nicht tatbestandsausschließend wirke.435 Insbesondere in Fällen, in denen das Tatopfer unter Täuschung über das Vorliegen der Voraussetzungen auf gesetzlich oder vertraglich geschuldete Leistungen in Anspruch genommen werde, sei seine Freiheit, die Erfüllung wegen der Zweifel an der Wahrheit der anspruchsbegründenden Behauptungen zu verweigern, faktisch schon durch das mit der Weigerung verbundene Prozessrisiko begrenzt.436 Nach dieser Ansicht liegt ein Irrtum vor, wenn es dem zweifelnden Kassenpersonal nicht gleichgültig ist, ob der Täter Ware verborgen hat und 429
HK-GS-Duttge, § 263 Rn. 25; LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 80. BGH, NStZ 2003, 313 (314); LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 80; Otto, BT, § 51 Rn. 22; Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 51; Achenbach, Jura 1984, 602 (603). 431 Loos / Krack, JuS 1995, 204 (208). 432 Loos / Krack, JuS 1995, 204 (208). 433 Eisele, BT II, Rn. 548. 434 BGH, NStZ 2003, 313 (314). 435 BGH, NStZ 2003, 313 (314). 436 BGH, NStZ 2003, 313 (314). 430
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wenn es für möglich hält, dass der Täter alle Waren an der Kasse vorgezeigt und keine Waren verborgen hat. b) Parallele zu den Willensmängeln bei der Einwilligung Herzberg vertritt im Ergebnis ebenfalls, dass Zweifel für den Irrtum unerheblich sind, sofern das Opfer die Wahrheit der behaupteten Tatsache für möglich hält.437 Er begründet dies im Wege der systematischen Auslegung mit einer Parallele zu den Willensmängeln bei der Einwilligung.438 Der Betrug sei ein Delikt der Vermögensschädigung, an der der Getäuschte durch seine Vermögensverfügung selbst mitwirke. Eine Funktion des Irrtumsmerkmals sei es, den Fall der mangelfreien Einwilligung in den Vermögensverlust aus dem Tatbestand des vollendeten Betrugs auszuschließen.439 Daraus ergebe sich, dass die Anforderungen an den Irrtum harmonieren müssten mit der Lehre von den Willensmängeln, die einer Einwilligung die erfolgsunwertausschließende Wirkung nähmen. Zu fragen sei daher, ob die vom Getäuschten unter Zweifeln vorgenommene Vermögensverfügung bei einem anderen Vermögensdelikt und vergleichbarer Lage als wirksame Einwilligung zu bewerten sei.440 Nur wenn dies der Fall sei, müsse auch ein Irrtum verneint werden.441 Herzberg bildet dazu folgendes Beispiel442: Der Täter täuscht seiner Bekannten vor, ihren Schmuck beim Pfandleiher verpfänden und ihr den Erlös überbringen zu wollen. Die Eigentümerin hegt begründete Zweifel, ob der Täter sich nicht in Wahrheit mit dem Schmuck aus dem Staub machen will, klammert sich aber an ihre Hoffnung und vertraut ihm den Schmuck an. Tatsächlich verkauft der Täter die Wertsachen für eigene Rechnung und kehrt nicht zurück.443 In diesem Fall liege eine vollendete Unterschlagung vor, die hinter dem vollendeten Betrug zurücktrete.444 Obwohl die Eigentümerin dem Täter die Sachen zweifelnd, d. h. in dem Bewusstsein der Möglichkeit unredlicher Absicht und des drohenden Verlustes ausgehändigt habe, liege keine Einwilligung vor. Die trügerische Hoffnung, der Bekannte sei vielleicht doch 437
Herzberg, GA 1977, 289 (297). Herzberg, GA 1977, 289 (295, 297); zustimmend: Röhmel, JA 1977, 584 (585) sowie Hillenkamp, S. 31. 439 Herzberg, GA 1977, 289 (296). 440 Herzberg, GA 1977, 289 (296). 441 Herzberg, GA 1977, 289 (298). 442 Herzberg, GA 1977, 289 (296). 443 Herzberg, GA 1977, 289 (296). 444 Herzberg, GA 1977, 289 (296). 438
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ehrlich, genüge schon als rechtsgutsbezogene Fehlvorstellung, so dass sich die Annahme einer inneren Zustimmung verbiete.445 Eine abweichende Interpretation des Irrtumsbegriffs in Fällen einer misstrauensbegleiteten Möglichkeitsvorstellung sei schwerlich vertretbar. Es wäre widersprüchlich, wenn der Heiratsschwindler, der seiner Bekannten in der geschilderten Weise den Schmuck abgaunere, aus § 246 StGB Strafe erlitte, aber straflos davonkäme, wenn er sich ein Darlehen auszahlen lasse oder eine Forderung abtreten ließe. Solche Widersprüche vermeide nur das weite Verständnis des Irrtumsbegriffs, das auch das bloße Für-MöglichHalten einbeziehe.446 Das Kassenpersonal, das Zweifel hat, ob der Täter Ware verborgen hat, und dabei für möglich hält, dass der Täter alle Waren vorgelegt hat, unterliegt auch auf der Grundlage der Ansicht von Herzberg einem Irrtum i. S. d. § 263 StGB. c) Irrtum bei Für-Wahrscheinlich-Halten der vorgespiegelten Tatsache Eine einschränkende Ansicht verlangt für den Irrtum, dass der Getäuschte die Wahrheit der vorgespiegelten Tatsache für sicher oder zumindest für wahrscheinlicher hält als ihre Unwahrheit.447 Die Vertreter dieser Ansicht lehnen den weiten, auch Möglichkeitsvorstellungen einbeziehenden Irrtumsbegriff mit der Begründung ab, dass der Schutzbereich des § 263 StGB dadurch überdehnt werde.448 § 263 StGB bezwecke den Schutz des Vermögens gegen listiges Vorgehen.449 In dem Maße, in dem Zweifel des Opfers an der Wahrheit der vorgetäuschten Tatsachen oder der Vollständigkeit der gegebenen Informationen entstünden und wüchsen, verliere das Angriffsmittel der List an Gefährlichkeit. Gleichzeitig vermindere sich die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, weil er das mit der zweifelhaften Tatsachengrundlage verbundene Risiko bewusst eingehe und als Ausgleich im Regelfall die Chance auf Erlangung von Vorteilen erhalte, die seinen Vermögenseinsatz überstiegen.450 445
Herzberg, GA 1977, 289 (297). Herzberg, GA 1977, 289 (297). 447 BGHSt 47, 83 (88); BGH, wistra 1990, 305 (305); BGH, wistra 1992, 95 (97); Heghmanns, Rn. 1210; Giehring, GA 1973, 1 (22); Dästner, ZRP 1976, 36 (37); Sonnen, wistra 1982, 123 (128). 448 Giehring, GA 1973, 1 (22); Dästner, ZRP 1976, 36 (37); Sonnen, wistra 1982, 123 (128); Heghmanns, Rn. 1210. 449 Giehring, GA 1973, 1 (17 f.). 450 Giehring, GA 1973, 1 (18). 446
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Setze der Geschädigte auf eine bloße Möglichkeit, so vertraue er nicht mehr dem Täter, sondern verfüge trotz des erkannten und sogar höheren Risikos, belogen worden zu sein. Wer sich auf so etwas einlasse, vertraue in Wahrheit nicht mehr auf die Sicherheit des Rechtsverkehrs, sondern willige in eine Gefährdung seines Vermögens ein. Damit verspiele er zugleich den Anspruch auf strafrechtlichen Vermögensschutz.451 Dem Irrtumsbegriff dürften jedoch nicht solche Vorstellungsbilder entzogen werden, mit denen nur ein normales, sozial übliches Risiko eingegangen werde. Personen, die in ihrer Beurteilung vorsichtig seien und ihre begrenzten Erkenntnismöglichkeiten richtig einschätzten, sollten nicht als Opfer eines Betruges ausgeschlossen werden.452 Es sei jedoch angemessen, denjenigen das Risiko seiner Vermögensdispositionen ohne strafrechtlichen Schutz tragen zu lassen, der die Unwahrheit der vorgetäuschten Tatsache für ebenso wahrscheinlich halte wie ihre Wahrheit.453 In Bezug auf das Kassenpersonal, das zweifelt, ob der Kunde Ware verborgen hat, müsste daher geklärt werden, ob das Kassenpersonal den Sachverhalt, dass der Täter alle Waren an der Kasse vorgezeigt hat, für wahrscheinlicher gehalten hat als den Sachverhalt, dass der Täter weitere Ware verborgen hat. Dann läge nach dieser Ansicht ein Irrtum vor. Hat das Kassenpersonal es jedoch mindestens für ebenso wahrscheinlich gehalten, dass der Kunde weitere Ware verborgen hat, ist auf der Grundlage dieser Ansicht ein Irrtum ausgeschlossen. d) Kein Irrtum bei Zweifeln aufgrund konkreter Anhaltspunkte Nach dem von Amelung entwickelten Ansatz ist ein Irrtum dagegen zu verneinen, wenn die Zweifel des Getäuschten auf konkreten Anhaltspunkten beruhen.454 Solche konkreten Anhaltspunkte könnten sich etwa aus der Unwahrscheinlichkeit oder Widersprüchlichkeit der Behauptungen des Täuschenden, aus ihrer Unvereinbarkeit mit anderen Informationen, aus den Umständen des Geschäfts, z. B. bei einem Verkauf eines angeblich echten Teppichs an der Haustür, oder in besonderen Fällen auch aus bestimmten Eigenschaften der Person des Geschäftspartners ergeben.455 Kein konkreter Anhaltspunkt sei dagegen die bloße Tatsache, dass man den Geschäftspart451
Heghmanns, Rn. 1210. Giehring, GA 1973, 1 (18). 453 Giehring, GA 1973, 1 (22). 454 Amelung, GA 1977, 1 (7); Beulke, JR 1978, 390 (390); Blei, JA 1977, 91 (92); Blei, BT II, S. 227; Schünemann, Festschrift für Bockelmann, 1979, S. 130. 455 Amelung, GA 1977, 1 (7). 452
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ner nicht genauer kenne.456 Gründe sich der Zweifel nicht auf einen konkreten Anhaltspunkt, bleibe er so unbestimmt, dass er keinen Anlass für Aufklärungsmaßnahmen biete.457 Aufgabe des Irrtums sei es, das Prinzip der Subsidiarität des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes zu verwirklichen.458 Wer konkrete Anhaltspunkte für Zweifel habe, könne die zweifelhafte Behauptung überprüfen und sein Vermögen damit selbst in weniger einschneidender Weise als durch das staatliche Strafrecht vor Schaden bewahren.459 Bei der allgemeinen Unsicherheit, ob man einem anderen Menschen trauen könne, seien die Möglichkeiten des Selbstschutzes jedoch erheblich reduziert, so dass es nach der sozialen Funktion des Betrugstatbestands nicht gerechtfertigt sei, derartige Zweifel aus dem Irrtumsbegriff auszuschließen.460 Bei Zweifeln des Kassenpersonals, ob der Täter Ware verborgen hat, liegt dieser Ansicht zufolge ein Irrtum vor, wenn die Zweifel lediglich daraus resultieren, dass das Kassenpersonal den Kunden nicht genauer kennt. Ein Irrtum wäre danach jedoch zu verneinen, wenn die Zweifel des Kassenpersonals auf konkreten Anhaltspunkten, wie z. B. stark ausgebeulten Jackentaschen des Kunden, beruhen. e) Irrtum bei diffusem Zweifel Auch Hassemer stellt bei der Auslegung des Irrtumsbegriffs maßgeblich auf die Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers ab.461 Seinem Ansatz zufolge liegt nur dann ein Irrtum vor, wenn der Rechtsgutsträger sich entweder subjektiv gewiss fühle oder nur diffuse Zweifel habe, dass die Tatsachenbehauptung des Täters der Wahrheit entspreche.462 Unter einem diffusen Zweifel versteht Hassemer ein nicht genauer definierbares und konturenloses Unbehagen, das in der Unsicherheit darüber bestehe, ob die zur Voraussetzung eines Austauschaktes genommenen Tatsachen tatsächlich vorliegen.463 Der Rechtsgutsträger wisse hier, dass er die zweifelhaften Tatsachen nicht überprüft habe und dass er insoweit auf die Lauterkeit und den guten Willen des mit ihm Interagierenden angewiesen sei.464 456 457 458 459 460 461 462 463 464
Amelung, GA 1977, Amelung, GA 1977, Amelung, GA 1977, Amelung, GA 1977, Amelung, GA 1977, Hassemer, S. 118. Hassemer, S. 140. Hassemer, S. 133. Hassemer, S. 132.
1 1 1 1 1
(7). (6). (6). (7). (6).
II. Irrtum
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Ein Irrtum sei jedoch bei konkreten Zweifeln ausgeschlossen, weil der Rechtsgutsträger, der trotz konkreter Zweifel an der Wahrheit der vorgespiegelten Tatsache verfüge, seine Selbstschutzmöglichkeiten in so erheblichem Umfang reduziere, dass seine Schutzbedürftigkeit entfalle.465 Konkret sei ein Zweifel, wenn im Verlauf einer spezifischen Handlungssituation im Einzelfall Zweifel an der Wahrheit einer oder mehrerer bestimmter Tatsachenbehauptungen entstünden.466 Den Ansatz Amelungs lehnt Hassemer mit der Begründung ab, dass es im Bereich des Irrtums nicht auf die Frage ankommen könne, ob es objektiv Anhaltspunkte für Zweifel gebe. Es müsse vielmehr auf die innere kognitive Situation des Rechtsgutsträgers abgestellt werden, denn nur wenn das Opfer in der konkreten Situation tatsächlich konkrete Zweifel habe, sei es nicht schutzbedürftig.467 Nach dem Ansatz von Hassemer kommt es in den Fällen im Selbstbedienungsladen nicht darauf an, ob das Kassenpersonal konkrete Anhaltspunkte für Zweifel hat, sondern nur darauf, ob es in der konkreten Situation zweifelt, ob der Kunde, der gerade an der Reihe ist, Ware verborgen hat. Die allgemeine Vorstellung, dass es Kunden gibt, die Ware verbergen, ist diesem Ansatz zufolge als diffuser Zweifel zu bewerten, der einem Irrtum nicht entgegensteht. f) Kein Irrtum bei Eventualvorsatz des Opfers hinsichtlich der Unwahrheit der vorgespiegelten Tatsache Eine neuere Auffassung schließt Zweifel aus dem Irrtumsbegriff aus, wenn das Opfer hinsichtlich der Unwahrheit der Erklärung des Täters mindestens bedingten Vorsatz hat.468 Die umstrittene Frage, welche Anforderungen an den bedingten Vorsatz bzw. Eventualvorsatz zu stellen sind, führt auch im Rahmen dieser Auffassung zu unterschiedlichen Ergebnissen. Soweit sich die Vertreter dieser Auffassung zu den Anforderungen an den Eventualvorsatz äußern, ergibt sich folgendes Bild: Nach Hoyer liegt kein Irrtum mehr vor, wenn das Opfer die Möglichkeit der Unwahrheit ernst nimmt, d. h. mit ihr rechnet 465
Hassemer, S. 147. Hassemer, S. 135. 467 Hassemer, S. 152 f. 468 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 178; SK-Hoyer, § 263 Rn. 74; wohl auch MüKoHefendehl, § 263 Rn. 224; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 512; Kargl, Festschrift für Lüderssen, S. 613 (621); Kindhäuser, Festschrift für Bemmann, S. 358; Jung, ZStW 97 (1985), 47 (64); Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 193 (197); Gauger, S. 45; Meyer, S. 201. 466
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und sich mit ihr abfindet.469 Wessels / Hillenkamp verneinen einen Irrtum, wenn das Opfer die Möglichkeit der Unwahrheit nicht nur erkennt, sondern sie ernst nimmt und sich im Sinne des dolus eventualis mit dieser Möglichkeit unter billigender Inkaufnahme abfindet.470 Nach Jung kann man von einem Irrtum nicht mehr sprechen, wenn der Getäuschte die Unwahrheit der Erklärung bewusst in Kauf nimmt.471 Meyer vertritt, dass ein Irrtum ausgeschlossen ist, wenn das Opfer die Unrichtigkeit der Erklärung für konkret möglich hält.472 Ein fahrlässiges Mitverschulden des Opfers durch Nichterkennen der Unwahrheit kann sich nach dieser Meinungsgruppe lediglich strafmildernd auswirken.473 Diese Auffassung wird teilweise damit begründet, dass sich das Opfer im Falle des bedingten Vorsatzes sehenden Auges und folglich nicht irrend auch auf die für möglich gehaltene Unwahrheit einlasse.474 Vor allem wird diese Auffassung jedoch damit begründet, dass es sich bei dem Betrug um einen Spezialfall der mittelbaren Täterschaft handele.475 Eine mittelbare Täterschaft kraft überlegenen Wissens sei noch nicht ausgeschlossen, wenn der Vordermann fahrlässig oder grob fahrlässig hinsichtlich des tatbestandsmäßigen Erfolgs gehandelt habe, sondern erst bei voller Verantwortlichkeit des Vordermanns aufgrund jedenfalls bedingten Vorsatzes.476 Daher liege erst dann kein Irrtum mehr vor, wenn die Zweifel des Opfers hinsichtlich der Unwahrheit einer Täterbehauptung Vorsatzdichte erreicht hätten.477 Vertraue der Getäuschte dagegen trotz seiner Zweifel auf die Redlichkeit des Täters, sei ein Irrtum des Opfers zu bejahen.478 469
SK-Hoyer, § 263 Rn. 74. Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 512. 471 Jung, ZStW 97 (1985), 47 (64). 472 Meyer, S. 201. 473 SK-Hoyer, § 263 Rn. 75. 474 Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 512. 475 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 178; SK-Hoyer, § 263 Rn. 74; Kargl, Festschrift für Lüderssen, S. 621; Kindhäuser, Festschrift für Bemmann, S. 358; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 193 (197); Gauger, S. 45; Meyer, S. 198 ff. 476 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 178; SK-Hoyer, § 263 Rn. 74; Kargl, Festschrift für Lüderssen, S. 621; Kindhäuser, Festschrift für Bemmann, S. 358; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 193 (197). 477 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 178; SK-Hoyer, § 263 Rn. 74; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 512; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 193 (197); Kargl, Festschrift für Lüderssen, S. 621; Kindhäuser, Festschrift für Bemmann, S. 358; Gauger, S. 45. 478 SK-Hoyer, § 263 Rn. 75. 470
II. Irrtum
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Das Kassenpersonal unterliegt nach dieser Ansicht einem Irrtum, wenn es trotz seiner Zweifel darauf vertraut, dass der Täter keine Ware verborgen hat. Hat das Kassenpersonal dagegen Eventualvorsatz, dass der Täter Ware verborgen hat, fehlt es an einem Irrtum. g) Einschränkung des Betrugstatbestands bei fahrlässigem Opferverhalten aa) Ausschluss der objektiven Zurechnung Das Problem des Irrtums unter Zweifeln wird von einer Meinungsgruppe im Bereich der objektiven Zurechnung verortet.479 So wird teilweise vertreten, dass Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung des Täters zwar nicht den Irrtum, aber die objektive Zurechnung zwischen dem Täuschungsverhalten und dem tatbestandsmäßigen Erfolg ausschließen, wenn vom Opfer in seiner Lage erwartet werden kann, dass es sich selbst vor dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs schützt, d. h. wenn ihm dies aufgrund seiner Zweifel möglich und zumutbar ist.480 Die Zumutbarkeit des Selbstschutzes bestimme sich nach den Erwartungen, die an einen besonnenen Durchschnittsmenschen zu stellen seien.481 Die Vertreter dieses Ansatzes verneinen einen Betrug damit teilweise bereits bei einfacher Fahrlässigkeit des Opfers gegen sich selbst. Harbort, Schmidhäuser und Seelmann ziehen diese Grenze dagegen erst bei grob fahrlässigem Opferverhalten: Harbort zufolge entfällt die objektive Zurechnung auf Grund einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers, wenn das Opfer objektiv leichtfertig gehandelt und in subjektiver Hinsicht das nötige Bewusstsein in Bezug auf die eingegangene Gefahr gehabt habe.482 Dies sei der Fall, wenn das Opfer auf Grund von konkreten Verdachtsmomenten zweifle. Selbstschutz sei dem Opfer in einem solchen Fall ausnahmsweise nicht zumutbar, wenn es trotz konkreter Zweifel einem unüberschaubaren Prozessrisiko entgehen wolle.483 479 Krey / Hellmann / Heinrich, BT / 2, Rn. 543; Schmidhäuser, BT, 11 / 11; Beckemper, S. 235; Beckemper / Wegner, NStZ 2003, 315 (316); Harbort, S. 86 f.; Kurth, S. 145; Rengier, Festschrift für Roxin, S. 822 f.; Seelmann, JuS 1982, 268 (270); Pérez Manzano, S. 226. 480 Krey / Hellmann / Heinrich, BT / 2, Rn. 543; Beckemper / Wegner, NStZ 2003, 315 (316); Rengier, Festschrift für Roxin, S. 822 f.; Beckemper, S. 235; Pérez Manzano, S. 226. 481 Beckemper, S. 240. 482 Harbort, S. 85. 483 Harbort, S. 86 f.
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Schmidhäuser formuliert, dass der Zurechnungszusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum fehle, wenn das Opfer bewusst auf eine leicht mögliche Nachprüfung verzichte.484 Seelmann schlägt vor, bei extremer Leichtgläubigkeit des Getäuschten den funktionalen Zusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum zu verneinen.485 Bei Zweifeln des Kassenpersonals auf Grund von konkreten Verdachtsmomenten, wie z. B. stark ausgebeulten Jackentaschen und einem besonders auffälligen Verhalten des Kunden, würden alle Vertreter der vorgenannten Ansichten die objektive Zurechnung verneinen, wenn das Kassenpersonal sich der Gefahr bewusst ist und die Anhaltspunkte so deutlich sind, dass eine mangelnde Aufklärung der Zweifel als leichtfertig zu bewerten wäre. Ein solcher Fall dürfte auch vorliegen, wenn das Kassenpersonal trotz entsprechender Zweifel nicht prüft, ob der Kunde unter einem im Einkaufswagen liegenden Werbeprospekt oder hinter einer Getränkekiste Ware verborgen hat. Bei lediglich allgemeinen Zweifeln, denen keine objektiven Anhaltspunkte zugrunde liegen, kann von dem Kassenpersonal dagegen nicht erwartet werden, dass es die Vermögensminderung verhindert, so dass die objektive Zurechnung in einem solchen Fall nach allen Vertretern der Zurechnungslösung zu bejahen wäre. bb) Teleologische Reduktion des Täuschungsbegriffs Der Aspekt der Eigenverantwortlichkeit des Opfers wird von einer weiteren Meinungsgruppe bereits auf der Ebene der Täuschung behandelt. So erklärt Arzt ebenfalls, dass das gesamte Strafrecht vom Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Rechtsgutsträgers für den Schutz seiner Rechtsgüter durchzogen sei und regt an, bereits eine Täuschung auszuschließen, wenn das Opfer „allzu leichtgläubig auf eine Lüge hereinfalle, wo es sich mit einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit durch Überprüfung der falschen Angaben selbst hätte schützen können.“486 Nach Arzt führt danach nicht jede Täuschung, sondern nur eine schwer durchschaubare, listige Täuschung zum Betrug.487 Auch Ellmer nimmt eine teleologische Reduktion des Betrugstatbestands vor und verlangt für eine tatbestandsmäßige Täuschungshandlung einen 484
Schmidhäuser, BT, 11 / 11. Seelmann, JuS 1982, 268 (270). 486 Arzt, MschrKrim 1984, 105 (112) mit dem Hinweis auf die Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts, BGE 72 IV 126, 128. 487 Arzt, MschrKrim 1984, 105 (112). 485
II. Irrtum
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bestimmten Grad an konkreter Gefährlichkeit.488 Der Betrugstatbestand schütze nur berechtigtes, nicht aber jegliches Vertrauen in die Behauptungen anderer Personen.489 Die konkrete Gefährlichkeit einer Täuschung sei zu verneinen, wenn der Irrtum auf grober Fahrlässigkeit des Opfers beruhe.490 Nach Arzt und Ellmer liegt danach schon keine Täuschung vor, wenn das Kassenpersonal grob fahrlässig nicht erkennt, dass der Täter Ware verborgen hat. Kann sich das Kassenpersonal dagegen nicht mit einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit selbst schützen, stehen Zweifel nach dieser Ansicht weder einer Täuschung noch einem Irrtum entgegen. h) Stellungnahme Dem unter C. II. 3. a) dargestellten weiten Irrtumsbegriff stehen gravierende Bedenken gegenüber, die nachfolgend unter aa) dargelegt werden. Anschließend folgt eine Auseinandersetzung mit den oben unter C. II. 3. c) bis f) dargestellten Ansichten, die im Ergebnis dazu führt, dass die unter C. II. 3. f) beschriebene Eventualvorsatz-Lösung den Vorzug verdient (dazu nachfolgend unter bb)). Schließlich wird dargelegt, aus welchen Gründen in den verbleibenden Fällen des Irrtums unter Zweifeln keine Einschränkung im Rahmen der objektiven Zurechnung oder des Täuschungsbegriffs vorzunehmen ist (dazu nachfolgend unter cc)). aa) Kritik des weiten Irrtumsbegriffs Gegen den weiten Irrtumsbegriff ist vor dem Hintergrund des Analogieverbots aus Art. 103 Abs. 2 GG einzuwenden, dass es nach dem allgemeinen Sprachgebrauch entgegen dieser Auffassung ausgeschlossen ist, den Irrtumsbegriff auf Möglichkeitsvorstellungen jeder Intensität zu erstrecken. Das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB besagt, dass sich die Rechtsanwendung im Rahmen des Wortlauts des Normtextes halten muss. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert somit die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation.491 Um der freiheitsgewährleistenden Funktion des Analogieverbots gerecht zu werden, ist dabei der Wortsinn nicht aus der Sicht des Richters, sondern aus der Sicht des Bürgers zu 488 489 490 491
Ellmer, S. 287 f. Ellmer, S. 281. Ellmer, S. 287. Maunz / Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 226.
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
bestimmen.492 Es kommt also auf den Alltagssprachgebrauch an.493 Daraus folgt: Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich (und notwendig) erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will.494 Den Gerichten ist es verwehrt, seine Entscheidung zu korrigieren. Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Interpretation zu dem Ergebnis der Strafbarkeit eines Verhaltens, so darf dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen.495 Die Gerichte müssen daher in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr erfasst sind, zum Freispruch gelangen. Dies gilt auch dann, wenn als Folge der wegen des Bestimmtheitsgebots möglichst konkret abzugrenzenden Strafnorm besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, mag auch das Verhalten in ähnlicher Weise strafwürdig erscheinen.496 Für die Gerichte ist es in der Praxis oft schwer zu ermitteln, welcher Wortsinn einem Begriff des Gesetzestextes im Alltagssprachgebrauch zukommt. Dabei können vor allem anerkannte Wörterbücher oder Lexika zu Rate gezogen werden. So beriefen sich die die Entscheidung tragenden vier Richter in BVerfGE 73, 206 (243) – „Sitzblockade I“ – zum allgemeinen Sprachgebrauch des Begriffs der Gewalt i. S. d. § 240 StGB auf den Duden.497 Der Begriff des Irrtums wird im Duden als „fälschlich für richtig gehaltener Gedanke, falsche Vorstellung, Handlungsweise“ definiert.498 Als Synonyme des Begriffs Irrtum werden genannt: „Denkfehler, falsche Handlungsweise / Vorstellung, Fehleinschätzung, Fehler, Fehlgriff, Fehlschluss, Fehlurteil, Missgriff, Täuschung, Trugschluss, Verirrung, Verkennung, Versehen; (bildungssprachlich) Lapsus; (dichterisch) Irrung; (umgangssprachlich scherzhaft) Fettnäpfchen“.499 Dieser Beschreibung des Irrtums und den Synonymen des Irrtumsbegriffs liegt zugrunde, dass derjenige, der sich in einem Irrtum befindet, im Zeitpunkt des Irrtums nicht bemerkt, dass seine Vorstellung falsch ist. Der Fehler klärt sich vielmehr erst im Nachhinein auf. Problematisch ist daher, ob jemand, der es für möglich hält, dass seine Vorstellung falsch ist, sich 492
BVerfG, NJW 1987, 43 (44). Maunz / Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Rn. 227. 494 BVerfG, NJW 1987, 43 (44). 495 BVerfG, NJW 1987, 43 (44). 496 BVerfG, NJW 1987, 43 (44). 497 BVerfG, NJW 1987, 43 (44); vgl. Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 (430 Fn. 15) mit weiteren Beispielen zur Wörterbuchnutzung in der Rechtsprechung. 498 www.duden.de / Rechtschreibung / Irrtum. 499 www.duden.de / Rechtschreibung / Irrtum. 493
II. Irrtum
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nach dem allgemeinen Sprachgebrauch noch in einem Irrtum befindet. Dies dürfte nur solange der Fall sein, wie er seine falsche Vorstellung für richtig hält und diesbezügliche Zweifel in den Hintergrund drängt. Zur Herkunft des Wortes Zweifel wird im Duden ausgeführt, dass der Begriff sich aus dem althochdeutschen Wort „zwifal“ mit der Bedeutung „zu zwei falten“ entwickelt habe und eigentlich bedeutet: „Ungewissheit bei zweifacher Möglichkeit“.500 Der Zweifel wird im Duden weiter bestimmt als „Bedenken, schwankende Ungewissheit, ob jemandem, jemandes Äußerung zu glauben ist, ob ein Vorgehen, eine Handlung richtig und gut ist, ob etwas gelingen kann o. Ä.“501 Dem Zweifel ist danach – im Gegensatz zum Irrtum – das Bewusstsein des Nichtwissens bzw. der Ungewissheit immanent. Zweifelt das Betrugsopfer daher in dem Sinne, dass es beide Möglichkeiten – die Wahrheit und die Unwahrheit der Behauptung des Täters – für gleichermaßen möglich hält, handelt es sich nach der Definition des Irrtums im Duden, die ein Für-Richtig-Halten des Falschen voraussetzt, nicht mehr um einen Irrtum. Dieses Verständnis des allgemeinen Sprachgebrauchs wird durch eine empirische Untersuchung bestätigt, die zwar als Modellversuch nicht den Anspruch erhebt, für die gesamte Bevölkerung repräsentativ zu sein502, aber zumindest als weiteres Indiz bewertet werden kann. Für den Begriff des Irrtums i. S. d. § 263 StGB wurde im Herbst 2002 eine offene schriftliche Befragung von Studenten durchgeführt.503 Die Teilnehmer der Untersuchung erhielten den Auftrag, auf einem Blatt alle Assoziationen, die ihnen zu dem Wort „Irrtum“ und zu dem Wort „Zweifel“ einfielen, zu notieren.504 Diese Befragung hat ergeben, dass das „Unwissen“ der handelnden Person beim Irrtum im Moment ihres Handelns nicht bewusst ist. Sie ist „überzeugt“, ausreichendes Wissen für eine korrekte Entscheidung zu haben. Der Irrtum ist eine „Erkenntnis im Nachhinein“.505 Beim Zweifel wird das fehlende Wissen als Defizit dagegen bewusst wahrgenommen. Es werden „mehrere Möglichkeiten“ erkannt, was zu „Unsicherheit“ und zum „Hinterfragen“ der eigenen Position führt.506 Diese aktive Komponente beim Zweifel hat sich auch in der artikulierten emotionalen Involviertheit im Gegensatz zur geringen Referenz auf Emotionen beim Irrtum gezeigt.507 Die Vorstellung von 500 501 502 503 504 505 506 507
www.duden.de / Rechtschreibung / Zweifel. www.duden.de / Rechtschreibung / Zweifel. Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429
(433). (431). (431). (432). (432). (432).
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
„mehreren Möglichkeiten“ wurde ausschließlich mit dem Begriff Zweifel und nicht mit dem Begriff Irrtum assoziiert.508 Vereinfachend fassen Lorenz, Pietzcker und Pietzcker die Ergebnisse der Befragung wie folgt zusammen: – Ein Irrtum ist das Nicht-Bewusstsein fehlenden Wissens. – Der Zweifel entspringt dem Bewusstsein fehlenden Wissens.509 Weitere Indizien für dieses Verständnis des Irrtums i. S. d. § 263 StGB liefert eine Betrachtung des Irrtumsbegriffs in § 119 BGB und § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB. So setzt auch ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum i. S. d. § 119 BGB eine unbewusst unrichtige Vorstellung von der Wirklichkeit voraus.510 Ein Irrtum i. S. d. § 119 BGB liegt dagegen nicht vor, wenn der Erklärende bewusst die Möglichkeit in Kauf nimmt, dass seine Vorstellung unrichtig oder lückenhaft ist.511 Ebenso stellt die Ungewissheit, ob ein Tatbestandsmerkmal gegeben ist, noch keine Unkenntnis i. S. d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB dar.512 Diese liegt nur dann vor, wenn der Täter das Vorhandensein eines Tatbestandsmerkmals nicht einmal als Möglichkeit i. S. d. Eventualvorsatzes in Rechnung stellt. Zweifel an der Existenz eines tatsächlich bedachten Tatumstandes erlauben die Anwendung von § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB noch nicht.513 Der Begriff des Irrtums kann somit nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht auf Möglichkeitsvorstellungen jeder Intensität erstreckt werden. Dieses Ergebnis wird auch nicht durch folgende Erwägung der Vertreter des weiten Irrtumsbegriffs infrage gestellt: „Wer eine Tatsache für ‚möglich‘ hält, irrt sich, denn Tatsachen ‚sind‘. Die im Zweifel implizierte Möglichkeit, es könnte eine andere als die wirklich gegebene Tatsache vorliegen, ist falsch.“514 Mitsch formuliert dies wie folgt: „Wer zweifelt, hält die Behauptung immerhin für möglich, stellt sich also vor, die Wirklichkeit könnte so beschaffen sein, wie der Täter es behauptet. Wenn aber die Wirklichkeit tatsächlich nicht so beschaffen ist, besteht die vorgestellte Möglichkeit nicht. Damit fallen Vorstellung und Wirklichkeit auseinander.“515 508
Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 (432). Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 (432). 510 Erman-A. Arnold, § 119 Rn. 18. 511 BGH, NJW 1951, 705 (705); Erman-A. Arnold, § 119 Rn. 18. 512 Sch-Sch-Sternberg-Lieben, § 16 Rn. 4. 513 Sch-Sch-Sternberg-Lieben, § 16 Rn. 4. 514 Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf-Arzt, § 20 Rn. 65; zustimmend: Krey / Hellmann / Heinrich, BT / 2, Rn. 542. 515 Mitsch, BT 2 / 1, § 7 Rn. 58. 509
II. Irrtum
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Diese Argumentation unterliegt jedoch einem Fehlschluss, denn wer sich vorstellt, die Wirklichkeit könnte so beschaffen sein, wie der Täter es behauptet oder auch nicht, stellt sich bewusst zwei Wirklichkeiten vor. Vorstellung und Wirklichkeit fallen somit nicht auseinander. Vielmehr ist sich das potentielle Betrugsopfer lediglich bewusst, dass es nicht weiß, welche der beiden Möglichkeiten der Wirklichkeit entspricht.516 Wie Lorenz, Pietzcker und Pietzcker zutreffend feststellen, beschränkt die von der o. g. Ansicht zu Grunde gelegte Definition den Irrtumsbegriff in unzulässiger Weise auf die „Unkenntnis“ der „Wirklichkeit“.517 Nach den Ergebnissen der empirischen Untersuchung liegt aber genau hier der Überschneidungsbereich zwischen den Begriffen „Irrtum“ und „Zweifel“. Die zu Grunde gelegte Definition lässt außer Acht, dass der Unterschied zwischen „Irrtum“ und „Zweifel“ darin besteht, dass der Irrende sich seines fehlenden Wissens gerade nicht bewusst ist.518 Die Argumentation der Vertreter des weiten Irrtumsbegriffs ist zudem in einem weiteren Punkt nicht überzeugend. Richtig ist zwar, dass § 263 StGB den Schutz des Vermögens gegen die besondere Angriffsart der Überlistung bezweckt, durch die dem Opfer entweder wesentliche Informationen vorenthalten oder falsche Informationen gegeben werden.519 Die auch Möglichkeitsvorstellungen in den Irrtumsbegriff einbeziehende Ansicht führt vor diesem Hintergrund aus, dass der Getäuschte der List des anderen schon dann zum Opfer gefallen sei, wenn er die Vermögensverfügung trotz des Zweifels vorgenommen habe. Denn dadurch werde in der Regel offenbar, dass auf Grund einer Abwägung der jeweiligen Interessenlage die Erwartung der Wahrheit den Zweifel wirkungslos gemacht und dem Täter zur Erreichung seines Ziels verholfen habe.520 Diese Argumentation enthält jedoch zum einen lediglich die Aussage, dass das Verhalten des Täters letztlich für die Vermögensverfügung des Getäuschten kausal geworden ist.521 Sie besagt jedoch nichts darüber, ob das Opfer sich tatsächlich in einem Irrtum i. S. d. § 263 StGB befand.522 Zum anderen trifft auch die Annahme nicht zu, dass das Opfer vor seiner Entscheidung in der Regel eine Abwägung treffe und die Erwartung der Wahrheit den Zweifel im Ergebnis wirkungslos mache. Dies würde voraussetzen, dass Menschen Entscheidungen nur im Zustand subjektiver Über516 517 518 519 520 521 522
Vgl. LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 79, 75. Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 (433). Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 (433). Giehring, GA 1973, 1 (17 f.); LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 80. LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 80. SK-Hoyer, § 263 Rn. 71. Vgl. Jung, ZStW 97 (1985), 47 (64).
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
zeugung fällen. Diese Annahme ist jedoch nicht haltbar.523 Menschen treffen Entscheidungen vielmehr häufig unter Unsicherheit (also „im Zweifel“).524 Dabei werden Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Konsequenzen sowie deren Kosten und Nutzen abgewogen. Vorliegende Zweifel sprechen somit gegen eine Option, können jedoch durch andere Faktoren, die diese Option aufwerten (z. B. eine besonders hohe Gewinnaussicht), überwogen werden.525 Das bedeutet jedoch nicht, dass die Zweifel nicht mehr vorliegen, sondern lediglich, dass sie für die Entscheidung geringer gewichtet werden als andere Faktoren.526 Zuzustimmen ist vielmehr der Argumentation von Giehring, dass das Angriffsmittel der List an Gefährlichkeit verliert und das Opfer nicht schutzwürdig ist, wenn es den wahren Sachverhalt für möglich hält.527 Entgegen Eisele führt eine Ablehnung des weiten Irrtumsbegriffs nicht zu erheblichen Lücken im strafrechtlichen Schutz. Da der Täter seine Täuschungshandlung in aller Regel mit der subjektiven Zielsetzung vornimmt, das Opfer von der Wahrheit seiner Behauptung zu überzeugen, liegt bei einem zweifelnden Opfer zumindest ein versuchter Betrug vor.528 bb) Stellungnahme zugunsten der Eventualvorsatz-Lösung Die unter C. II. 3. f) beschriebene Eventualvorsatz-Lösung ist mit dem Ansatz von Meyer aus den im Folgenden dargestellten Gründen vorzugswürdig, so dass ein Irrtum bereits ausgeschlossen ist, wenn das Opfer den wahren Sachverhalt bzw. die Unwahrheit der Behauptungen des Täters konkret für möglich hält.529 (1) Betrug als Spezialfall der mittelbaren Täterschaft Für die Eventualvorsatz-Lösung spricht vor allem, dass es sich bei dem Betrug um einen im Besonderen Teil des StGB vertypten Spezialfall der mittelbaren Täterschaft kraft überlegenen Wissens handelt.530 Der Getäusch523
Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 (432) m. w. N. Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 (432) m. w. N. 525 Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 (432). 526 Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 (432). 527 Giehring, GA 1973, 1 (18). 528 SK-Hoyer, § 263 Rn. 75; Lorenz / Pietzcker / Pietzcker, NStZ 2005, 429 (432). 529 Meyer, S. 201. 530 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 195; SK-Hoyer, § 263 Rn. 6 und Rn. 85; Gössel, BT / 2, § 21 Rn. 6; Jakobs, AT, 21 / 80; Köhler, AT, S. 505; Schröder, NJW 1962, 721 (722); Seier, ZStW 102 (1990), 563 (565); Mitsch, JuS 2003, 122 (126); Kargl, 524
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te wird durch den Irrtum zum Werkzeug des Täters gegen sich selbst bzw. gegen das Vermögen eines Dritten. Eine mittelbare Täterschaft kraft überlegenen Wissens ist erst dann ausgeschlossen, wenn der Vordermann hinsichtlich des tatbestandsmäßigen Erfolgs jedenfalls bedingten Vorsatz hat.531 Zweifel des Getäuschten führen dementsprechend erst dann zur Verneinung eines Irrtums, wenn sie Vorsatzdichte erreichen.532 Die Einordnung des Betruges als Spezialfall der mittelbaren Täterschaft wird zwar in der Literatur teilweise abgelehnt.533 Die im Folgenden dargestellten Argumente der Gegenansicht sind jedoch nicht überzeugend. (a) Unmittelbare Täterschaft beim Stellen einer Falle für das Opfer Gegen die Einordnung des Betruges als vertypte mittelbare Täterschaft wird zunächst vorgebracht, dass die Fälle der täuschungs- und irrtumsbedingten Selbstschädigung keine Fälle der mittelbaren, sondern solche der unmittelbaren Täterschaft seien.534 Diese Einordnung ist jedoch ebenfalls umstritten. Von einer Ansicht wird zwar vertreten, dass der Hintermann, wenn er dem Opfer eine Falle stelle und dieses sich daraufhin irrtumsbedingt selbst verletze, als unmittelbarer Täter handle.535 Dies sei etwa der Fall, wenn der Täter dem Opfer ein Getränk anbiete, das er zuvor mit einem tödlichen Gift versehen habe, oder wenn er die Elektroinstallationen im Haus des Opfers so manipuliere, dass das Opfer einen Stromschlag erleide, sobald es ein elektrisches Gerät einschalte.536 Die Einordnung als unmittelbare Täterschaft wird damit begründet, dass eine unmittelbare Täterschaft die Beteiligung zweier Personen voraussetze – des Täters und des Opfers –, während mitFestschrift für Lüderssen, S. 619; Kindhäuser, Festschrift für Bemmann, S. 340; Gauger, S. 43; Pawlik, Festschrift für Lampe, S. 699; Joecks, S. 86; Pawlik, S. 228. 531 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 178; SK-Hoyer, § 263 Rn. 74; Kargl, Festschrift für Lüderssen, S. 621; Kindhäuser, Festschrift für Bemmann, S. 358; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 193 (197). 532 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 178; SK-Hoyer, § 263 Rn. 74; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 512; Kindhäuser / Nikolaus, JuS 2006, 193 (197); Kargl, Festschrift für Lüderssen, S. 621; Kindhäuser, Festschrift für Bemmann, S. 358; Gauger, S. 45. 533 LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 172; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 5; Küper, JZ 1992, 338 (347 Fn. 63); Stuckenberg, ZStW 118 (2006), 878 (903); Frisch, Festschrift für Bockelmann, S. 651 f.; Hennings, S. 180. 534 LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 172. 535 Spendel, JuS 1974, 749 (751 f.); Wolters, NJW 1998, 578 (579); Spendel, Festschrift für Lange, S. 169; Roxin, TuT, S. 173. 536 Vgl. Spendel, JuS 1974, 749 (751 f.); Wolters, NJW 1998, 578 (579); Spendel, Festschrift für Lange, S. 169; Roxin, TuT, S. 173.
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telbare Täterschaft vorliege, wenn an der Tat drei Personen beteiligt seien: der Täter, der sich einer anderen Person bediene, um eine dritte Person zu verletzen.537 Des Weiteren sei für die mittelbare Täterschaft zu verlangen, dass der Tatmittler selbst eine objektiv tatbestandsmäßige Handlung vornehmen müsse. So liege es in den Fällen der Selbstverletzung durch das Opfer jedoch nicht.538 Dem steht jedoch eine Ansicht gegenüber, die in den Fällen der irrtumsbedingten Selbstschädigung eine mittelbare Täterschaft bejaht.539 Dem Wortlaut des § 25 Abs. 1, 2. Var. StGB lasse sich kein Beleg dafür entnehmen, dass mittelbare Täterschaft die Personenverschiedenheit von Werkzeug und Opfer voraussetze, denn diese Norm verlange nur die Begehung der Tat „durch einen anderen“ und nicht die Begehung der Tat „durch einen Dritten“.540 Darüber hinaus lasse die gesetzliche Regelung der mittelbaren Täterschaft erkennen, dass das Begehen der Tat durch einen anderen handlungsfähigen Menschen nicht allein als Kausalfaktor in Rechnung gestellt werden solle.541 Der Ansicht, die in den Fällen der irrtumsbedingten Selbstschädigung eine mittelbare Täterschaft des Hintermanns annimmt, ist in vollem Umfang zuzustimmen. § 25 Abs. 1, 2. Var. StGB lässt sich nicht entnehmen, dass der Tatmittler selbst objektiv tatbestandsmäßig handeln muss, denn § 25 Abs. 1 StGB regelt nur die Täterschaft und Tatbegehung für den Hintermann. Die Fälle der täuschungs- und irrtumsbedingten Selbstschädigung sind also solche der mittelbaren Täterschaft. Damit ist der erste Einwand gegen die Einordnung des Betrugs als vertypte mittelbare Täterschaft ausgeräumt. (b) Eigenständigkeit der Typenbildung im Besonderen Teil Gegen die Einordnung des Betrugs als Vertypung mittelbarer Täterschaft wird zudem die Eigenständigkeit der Typenbildung im Besonderen Teil des StGB eingewendet.542 Art. 103 Abs. 2 GG garantiere gesetzliche Unrechts537
Spendel, JuS 1974, 749 (752 Fn. 34). LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 172. 539 BGHSt 32, 38 (41); BGHSt 43, 177 (180); Lackner / Kühl-Kühl, § 25 Rn. 4; Sch-Sch-Heine, § 25 Rn. 11; Jakobs, AT, 21 / 77; Jescheck / Weigend, AT, S. 665 f.; Köhler, AT, S. 508; Kühl, AT, § 20 Rn. 48; Gössel, JR 1976, 249 (250); Bottke, GA 1983, 22 (32); Kadel, GA 1983, 299 (306); Hünerfeld, ZStW 99 (1987), 228 (236); Kudlich, JuS 1998, 596 (597); Baier, JA 1999, 771 (773); Heckler, NStZ 1999, 79 (79); Engländer, JuS 2003, 330 (331); Meyer, S. 30. 540 Kudlich, JuS 1998, 596 (597); Baier, JA 1999, 771 (772). 541 Meyer, S. 29. 542 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 5. 538
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typen, die nicht durch einen inhaltlichen Einfluss des Allgemeinen Teils des StGB verändert werden dürften.543 Dieses Argument ist jedoch nicht schlüssig, da sich der Regelungsgehalt des Betrugs nicht verändert, wenn man ihn als Vertypung mittelbarer Täterschaft einordnet. Darüber hinaus enthält der Besondere Teil des StGB ausdrückliche Vertypungen mittelbarer Täterschaft, wie z. B. die Verleitung zur Falschaussage gemäß § 160 StGB und die mittelbare Falschbeurkundung gemäß § 271 StGB, so dass die Vertypung mittelbarer Täterschaft durch § 263 StGB keinen Fremdkörper im Besonderen Teil des StGB darstellt. (c) Fehlen einer Verhaltensnorm für den Tatmittler Des Weiteren wird gegen die Vertypung mittelbarer Täterschaft im Betrugstatbestand geltend gemacht, dass die mittelbare Täterschaft voraussetze, dass der Hintermann ohne weiteres strafbar wäre, wenn er selbst anstelle des Vordermannes gehandelt hätte.544 Die mittelbare Täterschaft setze daher eine Verhaltensnorm voraus, die das missbilligte Verhalten des Tatmittlers gerade auch dem Täter bei Strafe untersage,545 d. h. mit anderen Worten, dass die Tat durch denselben Täter auch in unmittelbarer Täterschaft begehbar sein müsse. Beim Betrug sei diese für die mittelbare Täterschaft vorausgesetzte Situation aber nicht gegeben, da § 263 StGB nicht generell die Schädigung fremden Vermögens erfasse und dem Täter das Verhalten des Betrugsopfers untersage.546 Dieser Argumentation ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich aus dem Wortlaut des § 25 Abs. 1 StGB kein Anhaltspunkt dafür entnehmen lässt, dass mittelbare Täterschaft voraussetzt, dass die Tat durch denselben Täter auch in unmittelbarer Täterschaft begangen werden kann. Dass dies jedenfalls keine Voraussetzung der Vertypung der mittelbaren Täterschaft durch einen Tatbestand des Besonderen Teils des StGB ist, lässt sich aus der Systematik der mittelbaren Falschbeurkundung gemäß § 271 StGB entnehmen. Denn bei der Vertypung mittelbarer Täterschaft durch § 271 StGB547 existiert keine Verhaltensnorm, die dem Hintermann, der nicht Amtsträger ist, die Falschbeurkundung in unmittelbarer Täterschaft untersagt.
543 544 545 546 547
Vgl. Tiedemann, Festschrift für Baumann, S. 18. Frisch, Festschrift für Bockelmann, S. 651; Hennings, S. 180. Frisch, Festschrift für Bockelmann, S. 652; Hennings, S. 180. Frisch, Festschrift für Bockelmann, S. 652; Hennings, S. 180. LK-Zieschang, § 271 Rn. 1.
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(d) Keine Zurechnungsfrage im Tatbestand des Betrugs Schließlich wird die Einordnung des Betrugs als vertypter Fall der mittelbaren Täterschaft mit der Begründung abgelehnt, dass es bei der mittelbaren Täterschaft nur darum gehe, ob ein bestimmtes Realhandeln eines Dritten einem Nichthandelnden nach den Kriterien der Herrschaftsverteilung zugerechnet werden könne.548 Die Frage, die sich im Rahmen des § 263 StGB stelle, sei dagegen keine Frage der Zurechnung von Realverhalten, sondern die Entscheidung, wie weit Güter Schutz vor schädigendem Verhalten genössen, in die Aspekte der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Opfers, der Handlungsfreiheit des Agierenden und der Abgrenzung von Verantwortlichkeitssphären einflössen.549 Eine Auffassung, die dem Irrtum die Funktion der Erfassung allein von Fällen der „Unfreiheit“ zuschreibe, laufe Gefahr, die zentralen Wertungsfragen des Irrtumsmerkmals von vornherein abzuschneiden.550 Dieser Gefahr kann jedoch auch bei einer Einordnung des Betruges als Fall der mittelbaren Täterschaft kraft überlegenen Wissens durch Berücksichtigung der angeführten Aspekte im Wege der Auslegung begegnet werden. (e) Zwischenergebnis Nach alledem stellt der Betrug einen Spezialfall der mittelbaren Täterschaft dar. Der Getäuschte wird somit durch den Irrtum zum Werkzeug des Täters gegen sich selbst bzw. gegen das Vermögen eines Dritten. Eine mittelbare Täterschaft kraft überlegenen Wissens ist erst dann ausgeschlossen, wenn der Vordermann hinsichtlich des tatbestandsmäßigen Erfolgs jedenfalls bedingten Vorsatz hat. Zweifel des Getäuschten führen dementsprechend erst dann zur Verneinung eines Irrtums, wenn sie Vorsatzdichte erreichen. (2) Parallele zu den Willensmängeln bei der Einwilligung Des Weiteren spricht auch der von Herzberg vorgenommene Vergleich des Irrtums mit den Willensmängeln bei der Einwilligung für die Eventualvorsatz-Lösung. Herzberg fordert, die Fälle der wirksamen Einwilligung in den Vermögensverlust zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen aus dem Irrtumsbegriff auszuschließen.551 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass 548 549 550 551
Frisch, Festschrift für Bockelmann, S. 652. Frisch, Festschrift für Bockelmann, S. 652. Frisch, Festschrift für Bockelmann, S. 652. Herzberg, GA 1977, 289 (298).
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der Einwilligende die tatbestandsmäßige Handlung und den Erfolg lediglich – in Anlehnung an den Eventualvorsatz – für möglich halten (Wissenselement) und billigend in Kauf nehmen (Willenselement) muss.552 Auf der Grundlage der Ansicht von Herzberg sind somit die Fälle aus dem Irrtumsbegriff herauszunehmen, in denen das Opfer die Unwahrheit der Behauptung des Täters für möglich hält und billigend in Kauf nimmt. In dem von ihm gebildeten Heiratsschwindler-Fall553 führt Herzberg aus, dass keine Einwilligung vorliege, obwohl die Eigentümerin dem Täter die Sachen zweifelnd, d. h. in dem Bewusstsein der Möglichkeit unredlicher Absicht und des drohenden Verlustes ausgehändigt habe. Die trügerische Hoffnung, der Bekannte sei vielleicht doch ehrlich, genüge schon als rechtsgutsbezogene Fehlvorstellung, so dass sich die Annahme einer inneren Zustimmung verbiete.554 Diese Annahme ist jedoch nicht zutreffend. Die Einwilligung scheitert in dem von Herzberg gebildeten Fall nicht daran, dass eine rechtsgutsbezogene Fehlvorstellung vorliegt, sondern daran, dass das erforderliche Willenselement, d. h. der zustimmende Wille der Eigentümerin fehlt. Eine rechtsgutsbezogene Fehlvorstellung liegt dagegen nicht vor, da die Eigentümerin den Verlust der Wertsachen für möglich hält. (3) Kritik der Wahrscheinlichkeitslösung Entgegen der oben unter C. II. 3. c) dargestellten Wahrscheinlichkeitslösung ist es dagegen für einen Irrtum nicht erforderlich, dass der Getäuschte die Wahrheit der vorgetäuschten Tatsache für wahrscheinlicher hält als ihre Unwahrheit. Ein Irrtum ist auch nicht erst dann ausgeschlossen ist, wenn der Getäuschte die Unwahrheit der vorgetäuschten Tatsache für ebenso wahrscheinlich hält wie die Wahrheit.555 Dieser Zeitpunkt ist zu spät angesetzt und zudem mit Beweisschwierigkeiten verbunden, da ermittelt werden müsste, für wie wahrscheinlich das Opfer die Wahrheit und die Unwahrheit der Täterbehauptungen gehalten hat. Dies würde, wie vom BGH dargelegt, über die Grenzen dessen hinausgehen, was eine Beweisaufnahme leisten kann.556 Giehring ist jedoch insoweit zuzustimmen als er darauf hinweist, dass es beim Irrtum nicht um die Feststellung einer willensmäßigen Entscheidung 552 NK-Paeffgen, § 228 Rn. 19; Geppert, ZStW 1971 (83), 947 (977 f.); Burgstaller, S. 166; Sternberg-Lieben, S. 214 f. 553 s. C. II. 3. b). 554 Herzberg, GA 1977, 289 (297). 555 Giehring, GA 1973, 1 (22). 556 BGH, NStZ 2003, 313 (314).
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des Täters für oder gegen eine mögliche Rechtsgutsverletzung geht und es daher zutreffend ist, auf das Ergebnis des rationalen Erkenntnisaktes, d. h. allein auf ein Wissenselement, abzustellen.557 Ein irgendwie geartetes Willenselement, z. B. im Sinne einer billigenden Inkaufnahme der Unwahrheit, ist daher nicht erforderlich, um einen Irrtum auszuschließen. Schon wenn das Opfer die Unwahrheit der Täterbehauptung konkret für möglich hält, wird es vor die Wahl gestellt, sich so oder anders zu entscheiden und damit aufgerufen, von seiner Handlungsfreiheit Gebrauch zu machen.558 Nimmt das Opfer die Unwahrheit der Behauptung des Täters gleichgültig hin oder sogar billigend in Kauf, kann von einem Irrtum erst recht keine Rede mehr sein. Die Hürde, die genommen werden muss, um noch von einem Irrtum sprechen zu können, ist jedoch niedriger: Das Opfer darf die Unwahrheit der Täterbehauptung nicht konkret für möglich halten. (4) Kritik der Ansätze von Amelung und Hassemer Der Auffassung von Amelung und der Auffassung von Hassemer ist entgegenzuhalten, dass ihre Lösungen mit erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden sind. Schwerer wiegt jedoch, dass sie unbeachtet lassen, dass es sich bei dem Betrug um einen Spezialfall mittelbarer Täterschaft handelt und dies folgerichtig dazu führt, dass ein Irrtum ausgeschlossen ist, wenn das Opfer die Unwahrheit der Täterbehauptung konkret für möglich hält. (5) Ergebnis Ein Irrtum liegt nach alledem nicht vor, wenn das Opfer die Unwahrheit der vom Täter behaupteten Tatsache konkret für möglich hält. cc) Ausschluss der objektiven Zurechnung oder teleologische Reduktion des Täuschungsbegriffs? Im Folgenden wird dargelegt, dass entgegen den oben unter 3. g) dargestellten Ansichten weder eine Täuschung noch die objektive Zurechnung zu verneinen ist, wenn der Irrtum des Opfers vermeidbar war, weil konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die Behauptung des Täters nicht der Wahrheit entsprach. 557 558
Giehring, GA 1973, 1 (20). Meyer, S. 198.
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Gegen eine Herausnahme leicht durchschaubarer Täuschungen aus dem Betrugstatbestand ist zunächst einzuwenden, dass der Wortlaut des § 263 StGB dafür keinen Anhaltspunkt bietet. Gegen die einschränkende Auslegung Ellmers spricht insbesondere, dass offen bleibt, in welchen Fällen das Vertrauen des Opfers in die Behauptung des Täters noch berechtigt sein soll, d. h. welche Risikobereitschaft des Opfers im Rahmen des Betrugstatbestands schutzwürdig ist. Damit wird dem Strafrichter die faktische Kompetenz zu wirtschaftspolitischen Entscheidungen zugewiesen, die im Gesetz nicht andeutungsweise vorgezeichnet sind.559 Vor allem entfällt jedoch nicht die Strafwürdigkeit des Verhaltens, wenn die Täuschung für das Opfer leicht durchschaubar gewesen wäre, denn tatsächlich hat das Opfer die Täuschung nicht durchschaut. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das leichtsinnige, vertrauensselige, unachtsame Opfer unter Umständen sogar gesteigert schutzbedürftig ist, weil es naheliegt, dass der Täter sein Opfer nach diesen Eigenschaften aussucht.560 Hinzu kommt das systematische Argument: Da eine mittelbare Täterschaft kraft überlegenen Wissens erst dann ausgeschlossen ist, wenn der Vordermann hinsichtlich des tatbestandsmäßigen Erfolgs jedenfalls bedingten Vorsatz hat, steht ein als grob fahrlässig zu bewertendes Opferverhalten einem vollendeten Betrug nicht entgegen. Auch im Rahmen der objektiven Zurechnung ist keine Einschränkung bei fahrlässigem Opferverhalten vorzunehmen. Bei der objektiven Zurechnung geht es um die Frage, ob die Erfolgsverursachung als Verwirklichung des objektiven Straftatbestandes angesehen werden kann.561 Objektiv zurechenbar ist ein verursachter tatbestandlicher Erfolg, wenn der Täter oder Teilnehmer eine unerlaubte, rechtlich relevante, rechtlich missbilligte oder eine qualifizierte Gefahr geschaffen hat und wenn sich diese derart qualifizierte Gefahr im tatbestandlichen Erfolg verwirklicht.562 Unter dem Begriff des Eigenverantwortlichkeitsprinzips wird dabei eine Fallgruppe zusammengefasst, in der die objektive Zurechnung mangels Gefahrrealisierung ausgeschlossen ist.563 Danach ist jeder grundsätzlich nur dafür verantwortlich, dass er selbst nicht Rechtsgüter anderer Personen gefährdet oder verletzt. Nicht zuständig ist er hingegen für schädigende oder gefährdende Handlungen Dritter, weil dies deren eigenen Verantwortungsbereich betrifft.564 559 560 561 562 563 564
SK-Hoyer, § 263 Rn. 73 m. w. N. SK-Hoyer, § 263 Rn. 73. Kretschmer, NStZ 2012, 177 (177) m. w. N. Kretschmer, NStZ 2012, 177 (177). Kretschmer, NStZ 2012, 177 (178). Eisele, JuS 2012, 577 (578).
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
Begründen lässt sich die Straflosigkeit damit, dass die Handlungsfreiheit einer Person nicht beschränkt werden darf, solange eine Person sich im Einklang mit ihrem Willen schädigt oder gefährdet und damit das Risiko der Gefahrrealisierung übernimmt.565 Dogmatisch betrachtet realisiert sich damit im Rahmen der Figur der objektiven Zurechnung keine vom Täter geschaffene rechtlich missbilligte Gefahr im Erfolg, sondern ein vom Opfer freiverantwortlich übernommenes Risiko.566 Als Maßstab zur Bestimmung der Freiverantwortlichkeit sind dabei die Einwilligungsregeln entsprechend heranzuziehen.567 Eine eigenverantwortliche Selbstschädigung liegt vor, wenn das Opfer die Möglichkeit der Rechtsgutsverletzung erkennt und sich mit dieser zumindest auch abfindet.568 Überträgt man dies auf den Tatbestand des § 263 StGB, ergibt sich Folgendes: Das Opfer handelt erst dann eigenverantwortlich (und befindet sich nicht in einem Irrtum), wenn es die Möglichkeit der Unwahrheit erkennt. Die Grenze zur Eigenverantwortlichkeit bzw. Handlungsfreiheit des Opfers ist dagegen noch nicht überschritten, wenn das Opfer nur die Möglichkeit hat, den Irrtum zu vermeiden. Maßgeblich ist, dass das Opfer den Irrtum tatsächlich nicht erkannt bzw. vermieden hat. In dieser Situation handelt das Opfer entgegen der Auffassung von Harbort daher nicht eigenverantwortlich. Vielmehr realisiert sich die vom Täter durch die Täuschung gesetzte Gefahr.569 i) Ergebnis Ein Irrtum liegt nach alledem nicht vor, wenn das Opfer die Unwahrheit der vom Täter behaupteten Tatsache konkret für möglich hält. Das Kassenpersonal unterliegt somit einem Irrtum, wenn es trotz seiner Zweifel darauf vertraut, dass der Täter keine Ware verborgen hat. Hält es dagegen konkret für möglich, dass der Täter Ware verborgen hat, fehlt es an einem Irrtum. Entsprechendes gilt auch für den Fall, dass es dem Kassenpersonal gleichgültig ist, ob der Täter weitere Ware verborgen hat.
565 566 567 568 569
Eisele, JuS 2012, 577 (578). Eisele, JuS 2012, 577 (578). MüKo-Freund, Vorbemerkung zu den §§ 13 ff. Rn. 421. Eisele, JuS 2012, 577 (578). Vgl. Loos / Krack, JuS 1995, 204 (208).
III. Vermögensverfügung und Vermögensschaden
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III. Vermögensverfügung und Vermögensschaden Nachdem festgestellt wurde, dass die Tatbestandsmerkmale der Täuschung und des Irrtums i. S. d. § 263 Abs. 1 StGB in den hier zu untersuchenden Fallkonstellationen erfüllt sind bzw. erfüllt sein können, kommt es für die Frage der Strafbarkeit wegen Betrugs darauf an, ob auch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung erfüllt ist und ob ein Vermögensschaden verursacht wurde. In einem ersten Abschnitt wird zunächst dargestellt, welche Voraussetzungen der Vermögensverfügung und des Vermögensschadens in Rechtsprechung und Literatur anerkannt sind. Dabei wird geprüft, ob diese Mindestvoraussetzungen in den Selbstbedienungsladen-Fällen erfüllt sind. Über diese Mindestvoraussetzungen hinaus werden in Rechtsprechung und Literatur vielfach weitere Voraussetzungen für eine Vermögensverfügung verlangt. Um welche Voraussetzungen es sich dabei handelt und ob sie tatsächlich erforderlich sind, wird jedoch unterschiedlich beurteilt. In einem zweiten Abschnitt werden diese Ansichten jeweils dargestellt und bewertet. Sie lassen sich in zwei Kategorien einteilen: die Exklusivitäts- und die Konkurrenzlösungen. Die verschiedenen Exklusivitätslösungen meinen, dass Diebstahl und Betrug trennscharf voneinander abzugrenzen seien. Demgegenüber halten die Konkurrenzlösungen eine solche Abgrenzung nicht für erforderlich. 1. Ausgangspunkt der Definitionen der Vermögensverfügung und des Vermögensschadens Das Erfordernis des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der Vermögensverfügung im Betrugstatbestand beruht darauf, dass ein Irrtum allein als rein subjektives Element keinen Vermögensschaden verursachen kann.570 Das Opfer des Betrugs muss deshalb täuschungs- und irrtumsbedingt an der Entstehung des Vermögensschadens mitwirken. Für diese Vermögensverfügung wird in Rechtsprechung und Literatur übereinstimmend zumindest ein Tun, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten verlangt, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt.571 Umstritten ist jedoch, ob die Vermögensverfügung damit abschließend definiert ist oder ob noch weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Ein Vermögensschaden liegt vor, wenn der Gesamtwert des Vermögens infolge der Vermögensverfügung vermindert wird.572 570 571 572
RGSt 64, 226 (228); SSW-Satzger, § 263 Rn. 87. Lackner / Kühl-Kühl, § 263 Rn. 22 m. w. N.; SSW-Satzger, § 263 Rn. 87. MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 445.
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
Ausgehend von diesen Mindestanforderungen der Vermögensverfügung und des Vermögensschadens ist in den Selbstbedienungsladen-Fällen zu prüfen, ob sich das Verhalten des Kassenpersonals unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. a) Sachbetrug durch das Passieren der Kasse Das Verhalten des Kassenpersonals könnte ein aktives Tun enthalten, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. So läge es, wenn der Geschäftsinhaber dadurch den Gewahrsam und den Besitz an der versteckten Ware verlieren würde, dass das Kassenpersonal den Täter aus dem Kassenbereich entlässt (sog. Sachbetrug). Dies ist jedoch nur der Fall, wenn der Täter durch das Verbergen der Ware im Selbstbedienungsladen noch keinen neuen Alleingewahrsam an der Ware erlangt hat. Hat der Täter bereits Alleingewahrsam an der Ware erlangt, können die nachfolgende Täuschung über den bereits erfolgten Gewahrsamswechsel und der Irrtum des Kassenpersonals nicht mehr kausal für die Vermögensminderung in Form des Gewahrsamsverlusts werden. Nach dem hier vertretenen Gewahrsamsbegriff hat der Täter nur in den Fällen des Versteckens der Ware in der Jackentasche schon vor dem Passieren der Kasse Alleingewahrsam erlangt.573 In diesen Fällen ist ein Sachbetrug an der Kasse deshalb ausgeschlossen. Eine täuschungs- und irrtumsbedingte Vermögensminderung in Form des Gewahrsamsverlusts an der Ware kommt danach in den Selbstbedienungsladen-Fällen in Betracht, in denen der Täter die Ware in einer anderen Verpackung oder nur im Einkaufswagen versteckt hat und mit der versteckten Ware die Kasse passiert, ohne sie zu bezahlen. Der Gewahrsamswechsel wird in diesen Fällen durch das Verhalten des Kassenpersonals mitverursacht, denn es gestattet dem Täter täuschungs- und irrtumsbedingt, die Kasse zu passieren. Diese Vermögensminderung wird auch nicht wieder ausgeglichen, so dass auch ein Vermögensschaden in Form des Gewahrsams- und Besitzverlusts vorliegen könnte. b) Forderungsbetrug durch das Passieren der Kasse Wenn der Täter bereits im Selbstbedienungsladen Gewahrsam an der versteckten Ware erlangt hat, wie im Fall des Versteckens der Ware in der Jackentasche, kommt nur ein Forderungsbetrug gegenüber dem Kassenpersonal zu Lasten des Geschäftsinhabers in Bezug auf das Unterlassen der Geltendmachung des Herausgabeanspruchs aus § 1007 BGB, § 985 BGB, 573
s. B. I. 10.
III. Vermögensverfügung und Vermögensschaden
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§ 861 BGB, § 812 Abs. 1 Satz 1, 2. Var. BGB, § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 242 StGB in Betracht.574 In den Fällen, in denen der Gewahrsamswechsel erst an der Kasse stattfindet, kommt zusätzlich zum Sachbetrug ein Forderungsbetrug in Betracht. Zwar besteht mangels Besitzerwerbs durch den Täter noch kein Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe aus § 985 BGB oder § 861 BGB. Es bestehen jedoch Ansprüche aus Besitzstörung gemäß § 862 BGB und aus § 1004 BGB.575 Außerdem steht dem Geschäftsinhaber das Selbsthilferecht aus § 859 Abs. 1 BGB zur Seite.576 Ein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises für die versteckte Ware aus § 433 Abs. 2 BGB besteht hingegen nicht, weil über die versteckte Ware kein Kaufvertrag zustande kommt. 2. Der Meinungsstand zur Einschränkung der Vermögensverfügung und des Vermögensschadens In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob die Tatbestandsmerkmale Vermögensverfügung und Vermögensschaden weitere Voraussetzungen haben und ob Diebstahl und Betrug in einem Exklusivitäts- oder in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Dabei werden zunächst die beiden gegensätzlichen Positionen – die Exklusivitäts- und die Konkurrenzlösungen – vorgestellt (dazu nachfolgend unter a) und b)). Soweit es zum Verständnis erforderlich ist, wird die Herleitung der einzelnen Ansichten kurz nachgezeichnet. Der Schwerpunkt der folgenden Untersuchung liegt in der Auseinandersetzung mit den Argumenten der Exklusivitäts- und der Konkurrenzlösungen (dazu nachfolgend unter a) dd) und b) cc)). a) Exklusivitätslösungen Insbesondere über das Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung, aber auch über den Begriff des Vermögensschadens nimmt eine Meinungsgruppe eine tatbestandliche Abgrenzung des Sachbetrugs vom Diebstahl vor. Dabei werden verschiedene Ansätze vertreten, auf welche Weise eine tatbestandliche Exklusivität von Diebstahl und Betrug erreicht werden kann. Die Exklusivitätslösungen lassen sich in drei verschiedene Gruppen einteilen: 574 575 576
Vgl. Geiger, JuS 1992, 834 (838). Geiger, JuS 1992, 834 (838). Geiger, JuS 1992, 834 (838).
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
Eine Meinungsgruppe verlangt für das Merkmal der Vermögensverfügung beim Sachbetrug zusätzlich ein Verfügungsbewusstsein des Getäuschten (dazu nachfolgend unter aa)). Über die Definition des Verfügungsbewusstseins besteht innerhalb dieser Meinungsgruppe jedoch keine Einigkeit. Nach einer zweiten Meinungsgruppe setzt die Vermögensverfügung nicht nur beim Sachbetrug, sondern auch beim Forderungsbetrug zusätzlich ein Verfügungsbewusstsein oder jedenfalls ein einschränkendes subjektives Element voraus (dazu nachfolgend unter bb)). Die dritte Meinungsgruppe lehnt das Zusatzkriterium des Verfügungsbewusstseins ab und nimmt die Abgrenzung von Diebstahl und Betrug auf andere Weise vor (dazu nachfolgend unter cc)). aa) Verfügungsbewusstsein als Voraussetzung des Sachbetrugs Innerhalb der ersten Meinungsgruppe wird übereinstimmend vertreten, dass die Vermögensverfügung beim Sachbetrug zusätzlich ein Verfügungsbewusstsein der getäuschten Person voraussetzt, das mit dem den Diebstahlstatbestand ausschließenden Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel inhaltsgleich sei.577 Immer wenn ein Gewahrsamsbruch gegeben sei, fehle es an einem Verfügungsbewusstsein der getäuschten Person.578 Sei der Gegenstand des Betruges jedoch keine bewegliche Sache, so könne auch eine Verfügung ohne Verfügungsbewusstsein tatbestandsmäßig sein.579 Im Folgenden werden die innerhalb dieser Meinungsgruppe vertretenen verschiedenen Definitionen des Verfügungsbewusstseins beschrieben.
577 BGHSt 18, 221 (223); Fischer, § 263 Rn. 74; SSW-Satzger, § 263 Rn. 113; Eisele, BT II, Rn. 563. 578 BGH, GA 1987, 307 (307); OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (923); BayObLG, GA 1964, 82 (83); OLG Hamm, NJW 1969, 620 (621); Fischer, § 263 Rn. 74; LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 101; Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 60; SSW-Satzger, § 263 Rn. 114; Eisele, BT II, Rn. 565; Schmidhäuser, 11 / 17; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 518; Schröder, ZStW 60 (1941), 33 (45, 46, Fn. 18); Geppert, JuS 1977, 69 (70); Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 95. 579 BGH, GA 1987, 307 (307); OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (923); BayObLG, GA 1964, 82 (83); OLG Hamm, NJW 1969, 620 (621); Fischer, § 263 Rn. 74; LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 101; Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 60; SSWSatzger, § 263 Rn. 114; Eisele, BT II, Rn. 565; Schmidhäuser, 11 / 17; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 518; Schröder, ZStW 60 (1941), 33 (45, 46, Fn. 18); Geppert, JuS 1977, 69 (70); Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 95.
III. Vermögensverfügung und Vermögensschaden
127
(1) Sachbetrug bei generellem Einverständnis und Verfügungsbewusstsein Nach der Ansicht vom generellen Einverständnis580 schließt ein Irrtum über den Inhalt einer Verpackung oder eines Einkaufswagens weder das Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel noch das für eine Vermögensverfügung geforderte generelle Verfügungsbewusstsein aus. In den Fällen, in denen der Täter mit im Einkaufswagen oder in einer anderen Verpackung versteckter Ware die Kasse passiere, liege daher nur Betrug und kein Diebstahl vor.581 Einige Vertreter der Ansicht vom generellen Einverständnis nehmen ein generelles Einverständnis und Verfügungsbewusstsein des Kassenpersonals jedoch nur in Bezug auf die in einer Verpackung versteckte Ware an.582 Ein Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel liege dagegen nicht vor, wenn der Täter die Kasse mit im Einkaufswagen versteckter Ware durchschreite.583 Der Täter begehe in diesen Fällen einen Diebstahl.584 Zur Frage, ob in dieser Konstellation ein Forderungsbetrug in Betracht kommt, äußern sich diese Vertreter nicht. Für den Fall, dass der Täter bereits im Selbstbedienungsladen Gewahrsam an der versteckten Ware erlangt hat, wird jedoch teilweise ein Forderungsbetrug bejaht, der als mitbestrafte Nachtat gegenüber dem Diebstahl zurücktreten soll.585 Wenn der Täter nach der Vollendung des Diebstahls die Möglichkeit des Opfers durch Täuschung verhindere, sich die Sache wieder zu beschaffen, handele es sich um einen bloßen Sicherungsbetrug.586 Die Sicherung des Gewinns einer bereits strafbar erworbenen Sache sei, sofern kein neues Rechtsgut verletzt werde, auch bei Verwendung täuschender Mittel kein strafbarer Betrug, sondern eine mitbestrafte Nachtat.587
580
s. B. III. 2. a) und B. III. 3. a). OLG Hamm, Urteil vom 29.06.1978, 2 Ss 1315 / 78; OLG Dresden, Beschluss vom 31.5.2002, 3 Ss 165 / 02; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922 (924); OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1407 (1408); Jung, JuS 1993, 779 (779); Fahl, JA 1996, 40 (42). 582 Maurach / Schroeder / Maiwald, § 33 II Rn. 31; Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 88; Fahl, JuS 2004, 885 (888 f.). 583 Maurach / Schroeder / Maiwald, § 33 II Rn. 31; Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 86; Fahl, JuS 2004, 885 (888 f.). 584 Maurach / Schroeder / Maiwald, § 33 II Rn. 31; Rengier, BT / 1, § 13 Rn. 86; Fahl, JuS 2004, 885 (888 f.). 585 Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 41 III Rn. 157. 586 Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 41 III Rn. 157. 587 Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 41 III Rn. 157. 581
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
(2) Ansicht vom Gewahrsamsbruch am versteckten aliud Nach der Ansicht vom Gewahrsamsbruch am versteckten aliud588 fehlt sowohl das Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel als auch das Verfügungsbewusstsein, wenn die irrige Vorstellung des zur Gewahrsamsübertragung Befugten sich, gemessen an der Wirklichkeit, auf ein aliud bezieht.589 Wenn die Verpackung jedoch ihrer Art nach zu dem vertauschten Inhalt passe, könne davon ausgegangen werden, dass sich das Verfügungsbewusstsein des Kassenpersonals auf die Verpackung samt Inhalt beziehe.590 Dieser Ansicht zufolge liegt in den Fällen des Versteckens von Ware in einer anderen Verpackung nur Diebstahl und nicht Betrug vor, wenn es sich bei der versteckten Ware um ein aliud handelt. Hat der Täter jedoch eine Ware derselben Gattung in einer Verpackung versteckt, begeht er beim Passieren der Kasse mit der versteckten Ware nur einen Betrug.591 Hat der Täter aber Ware im Einkaufswagen versteckt, liegen nach dieser Ansicht kein Einverständnis des Kassenpersonals mit dem Gewahrsamswechsel und kein Verfügungsbewusstsein vor, so dass der Täter einen Diebstahl verwirkliche.592 Mit der Frage, ob neben dem Diebstahl zusätzlich ein Forderungsbetrug vorliegen könnte, setzen sich Otto und Biletzki nicht auseinander. Satzger hält einen Forderungsbetrug in der Form für denkbar, dass der Bestohlene es irrtumsbedingt unterlasse, vertragliche oder dingliche Ansprüche gegenüber dem Dieb geltend zu machen. Dieser Betrug trete aber jedenfalls als mitbestrafte Nachtat im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter dem Diebstahl zurück.593 (3) Verfügungsbewusstsein bei ausgetauschter Ware Nach der Ansicht, die zwischen den Fällen des Austausches eines Verpackungsinhalts und den Fällen, in denen dem Originalinhalt einer Verpackung weitere Ware hinzugefügt wird, differenziert594, soll bei gegen den ursprüng588
s. B. III. 3. b). SSW-Satzger, § 263 Rn. 116; Otto, ZStW 79 (1967), 59 (72); Otto, Jura 1997, 464 (467); Biletzki, JA 1995, 857 (859). 590 SSW-Satzger, § 263 Rn. 116. 591 SSW-Satzger, § 263 Rn. 116; Otto, ZStW 79 (1967), 59 (72); Otto, Jura 1997, 464 (467); Biletzki, JA 1995, 857 (859). 592 SSW-Satzger, § 263 Rn. 115; Biletzki, JA 1995, 857 (859); Otto, Jura 1997, 464 (467). 593 SSW-Satzger, § 263 Rn. 117. 594 s. B. III. 3. c). 589
III. Vermögensverfügung und Vermögensschaden
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lichen Inhalt ausgetauschter Ware ein Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel und ein Verfügungsbewusstsein und damit nur Betrug vorliegen.595 Dagegen soll bei zum Originalinhalt hinzugefügter Ware kein Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel und kein Verfügungsbewusstsein und damit nur Diebstahl gegeben sein.596 Ob ein Forderungsbetrug gegeben sein könnte, erörtert diese Ansicht nicht. (4) Konkretes Verfügungsbewusstsein beim Sachbetrug Nach der Ansicht vom konkreten Einverständnis597 und vom konkreten Verfügungsbewusstsein setzt das Verfügungsbewusstsein beim Sachbetrug – ebenso wie das Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel – voraus, dass die getäuschte Person Kenntnis vom Übergang des Gewahrsams an dem konkreten Gegenstand auf den Täter hat und diesen Gewahrsamswechsel auch will.598 Für den Diebstahl im Gegensatz zum Betrug sei kennzeichnend, dass der dem Verletzten zugefügte Schaden ausschließlich durch eine eigenmächtige Handlung des Täters herbeigeführt werde, während er beim Betrug infolge der Vermögensverfügung des vom Täter getäuschten Verletzten eintrete.599 Für eine Abgrenzung von Wegnahme und Vermögensverfügung sei nicht nur das äußere Erscheinungsbild des Tatgeschehens, sondern auch die Willensrichtung des Getäuschten maßgebend. Betrug liege vor, wenn der Getäuschte aufgrund freier, nur durch Irrtum beeinflusster Entschließung Gewahrsam übertragen wolle und übertrage. Diebstahl sei gegeben, wenn die Täuschung lediglich dazu dienen solle, einen gegen den Willen des Berechtigten gerichteten eigenmächtigen Gewahrsamsbruch des 595 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221, Fn. 52 und Fn. 54); Rotsch, JuS 2004, 607 (610); Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 639. 596 Roßmüller / Rohrer, Jura 1994, 469 (475); Hillenkamp, JuS 1997, 217 (221, Fn. 52 und Fn. 54); Rotsch, JuS 2004, 607 (610); Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 639. 597 s. B. III. 2. b) und B. III. 3. e). 598 BGHSt 41, 198 (202); PfzOLG Zweibrücken, NStZ 1995, 448 (449); BayObLGSt 1988, 5 (7); HK-GS-Duttge, § 263 Rn. 29; Lackner / Kühl-Kühl, § 263 Rn. 26; LK-Vogel, § 242 Rn. 112; LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 98 und Rn. 101; Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 63a; Sch-Sch-Eser / Bosch, § 242 Rn. 36; SKHoyer, § 242 Rn. 49; Arzt / Weber / Heinrich / Hilgendorf-Arzt, § 20 Rn. 74; Eisele, BT II, Rn. 564; Heghmanns, Rn. 1233; Mitsch, BT 2 / 1, § 1 Rn. 75; Geiger, JuS 1992, 834 (835); Schmitz, JA 1993, 350 (351); Brocker, JuS 1994, 919 (921 f.); Stoffers, JR 1994, 205 (207); Vitt, NStZ 1994, 133 (134); Proppe, JA 1996, 321 (327); Zopfs, NStZ 1996, 190 (190 f.); Scheffler, JR 1996, 342 (344); Merkel, S. 176 f. 599 BGHSt 41, 198 (201).
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
Täters zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern.600 In allen Fällen, in denen weitere Ware vor dem Kassenpersonal versteckt wird, liegt ein solches konkretes Verfügungsbewusstsein nicht vor, so dass nach dieser Ansicht kein Sachbetrug, sondern nur ein Diebstahl verwirklicht wird. Soweit sich die Vertreter dieser Ansicht zur Möglichkeit eines Forderungsbetrugs äußern, wird dieser bereits auf Tatbestandsebene verneint.601 Die noch nicht beendete Wegnahme und die mit ihr unmittelbar verbundene Täuschung des Kassenpersonals bildeten ein einheitliches Geschehen, das sich als „Nehmeakt“ darstelle und diesen Charakter nicht dadurch verliere, dass der Berechtigte den Dieb infolge der Täuschung ziehen lasse. Die abgetrennte Beurteilung des Geschehens an der Kasse als – sei es auch nur mitbestrafter – Sicherungsbetrug verfehle den Sinn des Geschehens, das ganz eindeutig durch ein Nehmen charakterisiert werde.602 Das Unterlassen der Wahrnehmung von Besitzschutzrechten sei lediglich die Kehrseite der Wegnahme, so dass neben dem verwirklichten Diebstahl kein zusätzlicher Unrechtsgehalt entstehe.603 (5) Die Ansicht von Backmann: Verfügungsbewusstsein zur Abgrenzung von Diebstahl und Unterschlagung Backmann will das Verfügungsbewusstsein bei der Entziehung beweglicher Sachen so fassen, dass der Betrug nicht nur vom Diebstahl, sondern auch von der Unterschlagung abgegrenzt werden könne.604 Die Vermögensverfügung setze voraus, dass der Getäuschte den Vermögenswechsel der Sache, d. h. die Änderung ihrer Vermögenszugehörigkeit, wolle. Der Getäuschte müsse wollen, dass die Sache aus seinem Vermögen ausgesondert und dem Vermögen eines anderen zugeordnet werde. Außerhalb dieses Bereichs sei für die intellektuelle Komponente der Vermögensverfügung lediglich ein dem objektiven Verhalten entsprechender Handlungs- oder Unterlassungswille notwendig.605 Backmann zufolge liegt in allen Selbstbedienungsladen-Fällen lediglich ein versuchter oder vollendeter Diebstahl vor. Ein Betrug ist nicht gegeben, 600
BGHSt 41, 198 (201). LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 106; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 120; Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 63a. 602 LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 106. 603 LK-Tiedemann, § 263 Rn. 120; Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 63a; Hillenkamp, JuS 1997, 217 (222). 604 Backmann, S. 65. 605 Backmann, S. 67 Fn. 7 und S. 71. 601
III. Vermögensverfügung und Vermögensschaden
131
da das Kassenpersonal nicht mit einer Änderung der Vermögenszugehörigkeit der versteckten Ware einverstanden ist. bb) Generelle Einschränkung des Verfügungsbegriffs Die zweite Meinungsgruppe im Rahmen der Exklusivitätslösungen verlangt nicht nur für den Sachbetrug, sondern auch für den Forderungsbetrug ein zusätzliches Kriterium für die Vermögensverfügung.606 Über den Inhalt dieses Zusatzkriteriums besteht jedoch Uneinigkeit. Dazu werden drei verschiedene Ansichten vertreten. (1) Konkretes Verfügungsbewusstsein Nach einer Ansicht setzt die Vermögensverfügung generell voraus, dass der Getäuschte weiß, dass er ein konkretes Vermögensobjekt aus seinem oder einem fremden Vermögen aussondert und es dem Vermögen des Täters zuführt.607 Das bloße Unterlassen der Geltendmachung einer Forderung sei keine Verfügung, da sich der Verfügungsvorgang dabei weder inhaltlich noch zeitlich konkretisieren und sich dann nicht feststellen lasse, zu welchem Zeitpunkt der Betrug vollendet worden sei.608 Der Betrugstatbestand verliere damit seine rechtsstaatlichen Konturen. Ein Verfügungsbewusstsein liege beim Forderungsbetrug z. B. vor, wenn eine Forderung irrtümlich als erfüllt verbucht werde.609 Der Getäuschte müsse den Willen und das Bewusstsein haben, eine Entscheidung über das eigene Vermögen oder das fremde Vermögen zu treffen, dessen Repräsentant er sei.610 Nach dieser Ansicht scheiden Sach- und Forderungsbetrug in allen Selbstbedienungsladen-Fällen gleichermaßen aus, denn das Kassenpersonal weiß nichts von der versteckten Ware und unterlässt es lediglich, den Herausgabeanspruch des Geschäftsinhabers gegenüber dem Täter geltend zu machen.
606 MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 243; SK-Hoyer, § 263 Rn. 175; Otto, BT, § 51 Rn. 31; Hansen, MDR 1975, 533 (538); Ranft, Jura 1992, 66 (71); Paulusch, S. 291. 607 SK-Hoyer, § 263 Rn. 181; Hansen, MDR 1975, 533 (538); Ranft, Jura 1992, 66 (71). 608 Ranft, Jura 1992, 66 (71). 609 Ranft, Jura 1992, 66 (71). 610 Hansen, MDR 1975, 533 (538).
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
(2) Bewusstsein der Vermögensrelevanz und Verfügungsbewusstsein aus Sicht eines objektiven Dritten Otto und Hefendehl verlangen als subjektives Verfügungselement, dass der Verfügende das Bewusstsein habe, einen vermögensrelevanten Akt zu tätigen.611 Hefendehl relativiert dieses subjektive Verfügungselement jedoch erheblich: Aufgrund der Täuschung könne die bewusste Vermögensverfügung keine störungsfreie Einschätzung der Vermögensrelevanz des Verhaltens bedeuten.612 Deshalb könnten dem Getäuschten das Ausmaß der Vermögensrelevanz und sogar die Vermögensrelevanz als solche verborgen bleiben. Der Getäuschte müsse nur im Rahmen des Verkehrsüblichen die Möglichkeit gehabt haben, sein Verhalten unter vermögensrechtlicher Perspektive zu reflektieren.613 Es komme darauf an, ob das Verhalten in der Außenperspektive als bewusste Vermögensverfügung interpretiert werde.614 So liege es in den Fällen, in denen Ware an der Kasse eines Selbstbedienungsladens vorbeigeschleust werde, jedoch gerade nicht. Hefendehl lehnt mit dieser Begründung in allen Selbstbedienungsladen-Fällen einen Betrug ab.615 (3) Irrtumsmotivierter Handlungs- oder Unterlassungswille Günther hält den Begriff des Verfügungsbewusstseins schließlich für nicht treffend. Es bedürfe keines wie auch immer gearteten besonderen Verfügungsbewusstseins des Getäuschten zur Abgrenzung des Sachbetrugs vom Trickdiebstahl.616 Die subjektiven Elemente des Begriffs der Vermögensverfügung seien aus dem spezifischen Unrechtsgehalt des Betrugs als einer unbewussten, irrtumsbedingten Selbstschädigung des Vermögens abzuleiten.617 Die Vermögensverfügung als Bindeglied zwischen Irrtum und Vermögensschaden müsse danach, wie jedes rechtlich relevante menschliche Verhalten, zunächst von einem irrtumsmotivierten Handlungs- oder Unterlassungswillen getragen sein, wodurch das Vermögen unbewusst unmittelbar geschädigt werde.618 611 612 613 614 615 616 617 618
Otto, BT, § 51 Rn. 32; MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 246. MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 246. MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 246. MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 246. MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 248 ff. SK-Samson / Günther, 6. Aufl., § 263 Rn. 87a. SK-Samson / Günther, 6. Aufl., § 263 Rn. 87a. SK-Samson / Günther, 6. Aufl., § 263 Rn. 87a.
III. Vermögensverfügung und Vermögensschaden
133
Die Entscheidung des BGH im Einkaufswagen-Fall (BGH, NStZ 1996, 593) habe unfreiwillig illustriert, dass das Erfordernis eines Verfügungsbewusstseins auf Abwege führe. Indem der BGH einen Betrug mangels Verfügungswillens der Kassiererin hinsichtlich der im Einkaufswagen versteckten Waren verneint habe, würde der Anschein erweckt, als ob bei bestehendem Verfügungswillen der Kassiererin, nämlich im Fall ihrer Kenntnis von der Existenz der versteckten Waren, eine betrugsrelevante Vermögensverfügung vorgelegen hätte. Dieser Anschein sei jedoch mangels Irrtums und damit mangels irrtumsmotivierten Verhaltens der Kassiererin ersichtlich trügerisch. Trotz ihres Verfügungswillens hätte der Täter einen Diebstahl begangen, niemals jedoch einen Betrug.619 cc) Andere Abgrenzungen des Betrugs vom Diebstahl Schließlich werden drei verschiedene Exklusivitätslösungen vertreten, die die Abgrenzung von Diebstahl und Betrug nicht anhand der Vermögensverfügung, sondern auf andere Weise vornehmen: (1) Die Ansicht von Schmitt: Maßgeblichkeit des äußeren Erscheinungsbilds Nach der Ansicht von Schmitt620, die im Rahmen des Einverständnisses mit dem Gewahrsamswechsel bereits dargestellt und abgelehnt wurde621, soll die Abgrenzung von Diebstahl und Betrug nicht nach der inneren Einstellung des Opfers, sondern nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vorgangs erfolgen. Diebstahl setze ein äußeres Erscheinungsbild des Nehmens und Betrug ein äußeres Erscheinungsbild des Gebens voraus.622 In den hier untersuchten Fällen würde Schmitt wohl nur einen Diebstahl annehmen. (2) Die Ansicht von Gössel: Teleologische Reduktion des § 263 StGB Gössel will die Problematik eines weitgehenden Überschneidungsbereichs von Diebstahl und Sachbetrug dadurch lösen, dass er den Tatbestand des § 263 StGB im Wege der teleologischen Reduktion auf Vermögensverfügungen beschränkt, die nicht zugleich die Merkmale der Wegnahme erfüllen.623 619 620 621 622 623
SK-Samson / Günther, 6. Aufl., § 263 Rn. 87a. Schmitt, Festschrift für Spendel, S. 581. s. B. III. 3. d). Schmitt, Festschrift für Spendel, S. 581. Gössel, BT / 2, § 21 Rn. 135 und § 7 Rn. 83.
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
Nach Gössel liegt in den hier untersuchten Selbstbedienungsladen-Fällen jeweils nur Diebstahl vor. (3) Die Ansicht von Hillenkamp: Kein selbständiger Vermögensschaden Hillenkamp meint, dass es an einem von der Herrschaftsbehauptung des Diebes trennbaren, selbständigen Vermögensschaden fehle.624 Der Besitzund Gewahrsamsverlust tauge zu seiner Begründung nicht, weil er durch die Vortat schon eingetreten sei oder zeitgleich mit dem Diebstahl erfolge.625 Die Nichtwahrnehmung von Herausgabeansprüchen und Ansprüchen auf Abwehr der Besitzstörung entlasse nichts aus dem Vermögen, was nicht zeitgleich oder schon mit dem Diebstahl genommen worden sei.626 Nach Hillenkamp ist der Tatbestand des Betrugs in den hier untersuchten Fällen daher nicht erfüllt. Gegeben ist nur Diebstahl. dd) Auseinandersetzung mit den Argumenten der Exklusivitätslösungen Im Folgenden wird untersucht, ob die Argumente der Exklusivitätslösungen für eine tatbestandliche Exklusivität von Diebstahl und Betrug zutreffend und überzeugend sind. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sich die von den Exklusivitätslösungen angenommene Notwendigkeit der Abgrenzung von Diebstahl und Betrug nicht aus dem Wortlaut der §§ 242, 263 StGB ergibt. Die Exklusivitätslösungen haben deshalb zu begründen, warum sie eine Abgrenzung von Diebstahl und Betrug für notwendig halten. Im Folgenden werden die einzelnen Argumente der Exklusivitätslösungen analysiert. Dabei wird zunächst auf die Argumente eingegangen, die überwiegend von den verschiedenen Exklusivitätslösungen zur Begründung der Exklusivität von Diebstahl und Betrug herangezogen werden (dazu unter dd) (1) bis (6)). Sodann werden die Argumente der Ansichten erörtert, die nur beim Sachbetrug ein Verfügungsbewusstsein für erforderlich halten (dazu unter dd) (7)). Zu dieser Meinungsgruppe ist anzumerken, dass die Ansicht vom generellen Verfügungsbewusstsein, die Ansicht vom Gewahrsamsbruch am versteckten aliud und die Ansicht vom Verfügungsbewusstsein bei ausge624 625 626
Hillenkamp, JuS 1997, 217 (222). Hillenkamp, JuS 1997, 217 (222). Hillenkamp, JuS 1997, 217 (222); Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 63a.
III. Vermögensverfügung und Vermögensschaden
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tauschter Ware bereits im Rahmen der Prüfung des Diebstahls als unzutreffend abgelehnt wurden.627 Unter dd) (8) schließt sich eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Ansichten an, die sowohl für den Sach- als auch für den Forderungsbetrug eine Einschränkung der Vermögensverfügung verlangen. Schließlich werden unter dd) (9) und (10) die Argumente der anderen Ansichten zur Abgrenzung des Betrugs vom Diebstahl – teleologische Reduktion des § 263 StGB bzw. Ablehnung eines selbständigen Vermögensschadens – untersucht. Hinsichtlich der Ansicht von Schmitt zur Abgrenzung nach dem äußeren Erscheinungsbild wird auf die Kritik unter B. III. 3. d) bb) verwiesen. (1) Der Gegensatz zwischen Diebstahl und Betrug Die Rechtsprechung führt für die tatbestandliche Abgrenzung von Diebstahl und Betrug an, für den Diebstahl im Gegensatz zum Betrug sei es kennzeichnend, dass der dem Verletzten zugefügte Schaden beim Diebstahl ausschließlich durch eine eigenmächtige Handlung des Täters herbeigeführt werde, während er beim Betrug infolge einer Vermögensverfügung des vom Täter getäuschten Verletzten eintrete.628 Allein dieser grundlegende Gegensatz der beiden Tatbestände mache es unmöglich, in einem einheitlichen tatsächlichen Vorgang, der die Zufügung eines Vermögensschadens zum Gegenstand habe, zugleich den Tatbestand des Diebstahls und den Tatbestand des Betrugs zu finden.629 Die Prämisse, beim Diebstahl werde der dem Verletzten zugefügte Schaden ausschließlich durch eine eigenmächtige Handlung des Täters herbeigeführt, ist jedoch falsch und wird auch von der Rechtsprechung des BGH nicht ernst genommen. Eine Wegnahme kann auch durch ein Verhalten des Opfers mitverursacht werden, so z. B., wenn das Opfer dem Täter eine Sache zur Ansicht aushändigt und der Täter sich anschließend damit entfernt, um die Sache für sich zu behalten. In einem solchen Fall nimmt die Rechtsprechung nur einen Diebstahl und keinen Betrug an630, obwohl das Opfer den Gewahrsamswechsel mitverursacht hat. Ebenso liegt es in den Fällen der vorgetäuschten Beschlagnahme. In diesen Fällen händigt das Opfer dem Täter eine Sache aus, weil es annimmt, 627 628 629 630
s. B. III. 3. a) bb), b) bb) und c) bb). BGHSt 17, 205 (209); BGHSt 41, 198 (201). BGHSt 17, 205 (209). BGH, JZ 1975, 99 (100).
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C. Probleme des Betrugs in Selbstbedienungsladen-Fällen
dieser werde die Sache anderenfalls beschlagnahmen. Auch in solchen Fällen nimmt die Rechtsprechung nur einen Diebstahl an631, obwohl unstreitig ein wesentlicher Verursachungsbeitrag des über die Beschlagnahmebefugnis getäuschten Opfers vorhanden ist. Eine auf die Wegnahme einer Sache gerichtete Handlung des Täters kann also tatsächlich mit einem dieselbe Sache betreffenden vermögensmindernden Verhalten des Getäuschten zusammentreffen. Die Behauptung, zwischen Diebstahl und Betrug bestehe bereits ein tatsächlicher Gegensatz, ist damit widerlegt. (2) Das Wesen des Betrugs als „Selbstschädigungsdelikt“ Eine ganz ähnliche Argumentation für das Exklusivitätsverhältnis von Diebstahl und Betrug liegt in der These einer wesensverschiedenen Eigenart dieser Tatbestände: Diebstahl sei ein Fremdschädigungsdelikt und Betrug ein Selbstschädigungsdelikt.632 Durch diese Bezeichnungen wird die vorstehend dargestellte Argumentation jedoch lediglich schlagwortartig umschrieben. Aus den Schlagwörtern „Selbstschädigungsdelikt“ und „Fremdschädigungsdelikt“ wird weiter abgeleitet, dass beim Sachbetrug ein Verfügungsbewusstsein der getäuschten Person erforderlich sei, um den Charakter des Betruges als Selbstschädigungsdelikt zu wahren und den Betrug vom Fremdschädigungsdelikt des Diebstahls abzugrenzen.633 Das Opfer einer Täuschung verhalte sich nicht selbstschädigend, wenn ihm aufgrund der Täuschung gar nicht bewusst werde, dass es Gewahrsam übertrage oder eine Gewahrsamsverschiebung nicht verhindere.634 Beim Sachbetrug wird also eine bewusste Selbstschädigung verlangt. Diese Argumentation ist jedoch widersprüchlich, denn die Vertreter der Exklusivitätslösungen sind im Übrigen der Meinung, dass ein Betrug – wiederum – seinem Wesen nach grundsätzlich nur bei einer unbewussten Selbstschädigung des Opfers in Frage komme635 und dass eine bewusste Selbstschädigung für § 263 StGB gerade nicht ausreiche.636 Die grundsätz631
BGH, NJW 1952, 782 (783); BGH, NJW 1952, 796 (796). Fischer, § 263 Rn. 70 und Rn. 74; Lackner / Kühl-Kühl, § 263 Rn. 22; LKTiedemann, § 263 Rn. 5 und Rn. 98; SK-Hoyer, § 263 Rn. 137; SSW-Satzger, § 263 Rn. 113; Krey / Hellmann / Heinrich, BT / 2, Rn. 555; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 623. 633 Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 624. 634 Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 639. 635 Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 41 m. w. N. 636 Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 101 m. w. N. 632
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liche Einordnung des Betrugs als Selbstschädigungsdelikt ist deshalb zweifelhaft. Durch die für den Betrug erforderliche Tathandlung des Täters, die Täuschung des Opfers über Tatsachen, handelt es sich beim Betrug nicht um ein reines Selbstschädigungsdelikt in dem Sinne, dass der Schaden allein durch ein Verhalten des Opfers verursacht wird. Ebenso gibt es Fälle des Diebstahls, in denen der Gewahrsamswechsel nicht nur durch den Täter, sondern unter Mitwirkung des Opfers verursacht wird. Nun könnte versucht werden, Diebstahl als Fremdschädigungsdelikt und Betrug als Selbstschädigungsdelikt nach dem Überwiegen des Verursachungsbeitrags des Täters oder des Opfers voneinander abzugrenzen. Eine solche Abgrenzung wäre jedoch nicht möglich, denn es sind Fälle, wie z. B. der oben beschriebene „Windelkarton-Zigaretten-Fall“, denkbar, in denen weder der Verursachungsbeitrag des Täters noch der Verursachungsbeitrag des Opfers überwiegt, sondern beide Beiträge gleich schwer wiegen. Bei der Prämisse, Diebstahl sei ein Fremdschädigungsdelikt und Betrug ein Selbstschädigungsdelikt, handelt es sich im Übrigen um Argumentationshilfen, die im Wortlaut der §§ 242, 263 StGB nicht enthalten sind. Es ist daher zweifelhaft, ob eine solche Argumentation mit dem Gesetzlichkeitsprinzip und dem Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbaren ist. Die Abgrenzung von Diebstahl und Betrug und das Erfordernis eines Verfügungsbewusstseins können aus den dargestellten Gründen nicht aus dem angeblichen Charakter des Betrugs als Selbstschädigungsdelikt abgeleitet werden. Der Charakter eines Delikts wird durch die korrekte Auslegung der Tatbestandsmerkmale bestimmt und kann seinerseits keinen Einfluss auf die Auslegung der Tatbestandsmerkmale haben. Der Charakter eines Delikts kann nur Folge der Auslegung und nicht ihr Ausgangspunkt sein. (3) Das Fehlen eines Tatbestands des „betrügerischen Diebstahls“ Die Rechtsprechung argumentiert weiter, der Täter, der eine Sache gestohlen habe, könne nicht dadurch zusätzlich einen Betrug begehen, dass er den Eigentümer oder eine für den Eigentümer handelnde Person über den begangenen Diebstahl täusche, um vor dem sonst zu erwartenden Zugriff geschützt zu sein und seine Diebesbeute in Sicherheit bringen zu können.637 Dazu bedürfte es – vergleichbar dem Tatbestand des räuberischen Diebstahls – eines besonderen Tatbestands des „betrügerischen“ Diebstahls, um – wie 637
BGHSt 17, 205 (209).
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dort den Dieb, der, bei der Tat betroffen, sich das gestohlene Gut gewaltsam zu erhalten versuche, gleich einem Räuber – den Dieb zusätzlich als Betrüger bestrafen zu können, der sich den Besitz des gestohlenen Gutes durch Täuschung zu sichern trachte.638 Dieses Argument bezieht sich auf die Fälle, in denen der Täter an der Kasse bereits Gewahrsam an den in seiner Körpersphäre versteckten Waren erlangt hat und die Täuschung und der Irrtum des Kassenpersonals für den Gewahrsamswechsel nicht mehr ursächlich sein können. In Betracht kommt in diesen Fällen ein Forderungsbetrug durch Täuschung des Kassenpersonals über die Existenz von Herausgabeansprüchen und die irrtumsbedingte Nichtgeltendmachung dieser Ansprüche durch das Kassenpersonal. Die Behauptung, der Täter könne in einem solchen Fall nicht wegen Betrugs bestraft werden, weil es keinen Tatbestand des betrügerischen Diebstahls gebe, lenkt von der zu beantwortenden Frage ab, ob die Tatbestandsmerkmale des Betrugs in diesem Fall erfüllt sind. Diese Frage lässt die Rechtsprechung jedoch offen. Aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber für eine Fallkonstellation keinen speziellen Tatbestand geschaffen hat, kann nicht geschlossen werden, dass diese Konstellation nicht von einem vorhandenen Tatbestand erfasst sein soll. (4) Betrug als Spezialfall der mittelbaren Täterschaft Für die überschneidungsfreie Abgrenzung von Diebstahl und Betrug wird außerdem geltend gemacht, Betrug sei systematisch ein im Besonderen Teil des StGB vertypter Spezialfall mittelbarer Täterschaft kraft überlegenen Wissens, bei dem das Opfer die schädigende Vermögensverfügung täuschungs- und irrtumsbedingt selbst vornehme.639 Wenn der Täter die Gewahrsamsverschiebung als unmittelbarer Täter durch Wegnahme gemäß § 242 StGB verursacht habe, könne ihm nicht zugleich vorgeworfen werden, die Gewahrsamsverschiebung als mittelbarer Täter durch Betrug mit dem Opfer als Werkzeug gegen sich selbst verursacht zu haben.640 Dieses Argument setzt zunächst voraus, dass der Betrug als Spezialfall der mittelbaren Täterschaft einzuordnen ist. Dies ist aus den oben unter C. II. 3. h) bb) (1) dargelegten Gründen zwar der Fall. 638
BGHSt 17, 205 (209). NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 195; SK-Hoyer, § 263 Rn. 6 und Rn. 85; Gössel, BT / 2, § 21 Rn. 6; Jakobs, AT, 21 / 80; Köhler, AT, S. 505; Schröder, NJW 1962, 721 (722); Seier, ZStW 102 (1990), 563 (565); Mitsch, JuS 2003, 122 (126); Kargl, Festschrift für Lüderssen, S. 619; Kindhäuser, Festschrift für Bemmann, S. 340; Pawlik, Festschrift für Lampe, S. 699; Joecks, S. 86; Pawlik, S. 228. 640 SK-Hoyer, § 263 Rn. 85. 639
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Darüber hinaus müsste zwischen unmittelbarer Täterschaft und mittelbarer Täterschaft ein Exklusivitätsverhältnis dergestalt bestehen, dass ein Täter für denselben Taterfolg nicht zugleich als unmittelbarer und als mittelbarer Täter verantwortlich sein könnte.641 Ein solches Exklusivitätsverhältnis zwischen unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft besteht jedoch nicht. Im Normalfall kommt in Bezug auf denselben Taterfolg und denselben Alleintäter zwar nur die eine oder die andere Täterschaftsform in Betracht. Es können allerdings Fälle eintreten, in denen ein Täter denselben Taterfolg sowohl in unmittelbarer Täterschaft als auch in mittelbarer Täterschaft herbeiführt. Dies zeigt der folgende Fall: Der Täter bietet dem im Krankenhaus liegenden Opfer nach einer Operation ein vergiftetes Getränk an und gibt vor, mit ihm das Gelingen der Operation feiern zu wollen. Der Täter hält es für möglich, dass das Getränk tödlich wirkt. Das Opfer trinkt die Hälfte des Glases, ohne die Gefahr für sein Leben zu erkennen. Da der Täter nicht sicher ist, ob das Opfer bereits an der getrunkenen Menge Gift sterben wird, stellt er unbemerkt den Tropf ab, über den das Opfer mit lebensnotwendigen Medikamenten versorgt wird. Eine Stunde später tritt der Tod des Opfers ein. Der Tod wurde sowohl durch die Wirkung des vergifteten Getränks als auch durch das Fehlen der lebensnotwendigen Medikamente verursacht. Indem der Täter dem Opfer ein vergiftetes Getränk gab und ihn über die tödliche Wirkung des Getränks täuschte, tötete er das Opfer in mittelbarer Täterschaft kraft überlegenen Wissens mit dem Opfer als Werkzeug gegen sich selbst. Bei dem gleichfalls für den Tod kausalen Abstellen des Tropfs handelte der Täter dagegen als unmittelbarer Täter.642 Um den gesamten Unrechtsgehalt der Tat abzubilden und klarzustellen, dass der Täter zwei verschiedene Ursachen für den Tod des Opfers eingesetzt hat, ist der Täter in diesem Fall wegen Totschlags bzw. Mords in unmittelbarer und in mittelbarer Täterschaft zu verurteilen. Daraus folgt, dass sich mittelbare Täterschaft und unmittelbare Täterschaft in Bezug auf denselben Taterfolg und denselben Täter nicht notwendig ausschließen. Dies bedeutet auch, dass sich die Exklusivität von Diebstahl und Betrug nicht mit einem Ausschlussverhältnis von unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft begründen lässt. Vergleicht man den soeben behandelten Fall mit den Fällen im Selbstbedienungsladen, so ergeben sich deutliche Parallelen. Im Krankenhaus-Fall 641 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 205; SK-Hoyer, § 263 Rn. 85; Stuckenberg, ZStW 118 (2006), 878 (903). 642 Vgl. LG Fulda, RDG 2009, 217 (220).
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täuscht der Täter das Opfer über die Wirkung des vergifteten Getränks und setzt damit eine Ursache für die Selbstschädigung durch das Opfer. Im Selbstbedienungsladen-Fall täuscht der Täter das Kassenpersonal über den wirklichen Inhalt der Verpackung und bewirkt dadurch ebenfalls eine irrtumsbedingte Selbstschädigung, indem das Kassenpersonal den Täter mit der nicht bezahlten Ware die Kasse passieren lässt. Das Abstellen des Tropfs findet seine Parallele in dem Verstecken der Ware in einer anderen Packung und dem Verlassen des Geschäfts. In beiden Fällen bewirkt ein weiterer Umstand den tatbestandsmäßigen Erfolg. (5) Unvereinbarkeit einer Tateinheit von Diebstahl und Betrug mit dem Schuldprinzip Einen sachlichen Grund für die trennscharfe Abgrenzung von Diebstahl und Betrug sehen Vertreter der Exklusivitätslösungen des Weiteren darin, dass eine wie auch immer zu bestimmende Konkurrenz von Diebstahl und Betrug dazu führen würde, dem Täter denselben Erfolg zweimal anzulasten und dass dies nicht mit dem Schuldprinzip vereinbar wäre.643 Auch diese Argumentation trifft jedoch nicht zu. Das Schuldprinzip erfordert keine tatbestandliche Abgrenzung von Diebstahl und Betrug. Dies folgt jedoch nicht aus dem teilweise vorgebrachten Argument, dass für eine Tateinheit von Diebstahl und Betrug bereits allgemeine Regeln streiten würden, weil bei Diebstahl und Betrug unterschiedliche Rechtsgüter angegriffen würden.644 Zwar schützt § 242 StGB das Eigentum und den Gewahrsam645, während § 263 StGB das Vermögen als solches schützt.646 In den Fällen, in denen eine Tateinheit von Diebstahl und Betrug in Betracht kommt, ist jedoch nur eine Sache und damit derselbe Vermögensbestandteil betroffen. Dennoch liegt kein Verstoß gegen das Schuldprinzip vor. Dies ergibt sich aus Folgendem: Die Tatbestände des Diebstahls und des Betrugs schützen vor verschiedenen Angriffsarten.647 Anders als bei der Erpressung gemäß § 253 StGB findet beim Betrug keine gesonderte Verwerflichkeitsprüfung statt, denn die Täuschung an sich ist bereits verwerflich. Die täuschende Irreführung be643 644 645 646 647
MüKo-Schmitz, § 242 Rn. 103. Walter, Jura 2002, 415 (421). SK-Hoyer, § 242 Rn. 1. SK-Hoyer, § 263 Rn. 1. BGH, NStZ 1985, 123 (123); Walter, S. 226.
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stimmt den Unrechtsgehalt des Betrugs entscheidend mit.648 Nur durch eine Tateinheit von Diebstahl und Betrug kann im Schuldspruch klargestellt werden, dass die Sacherlangung durch eine Täuschung mitverursacht wurde. Anderenfalls bliebe das Unrechtselement der Täuschung unberücksichtigt.649 Im Ergebnis entspricht eine Tateinheit von Diebstahl und Betrug dem Schuldprinzip sogar besser als eine tatbestandliche Exklusivität, denn die Tat wird im Urteilsspruch genauer gekennzeichnet als durch die bloße Anwendung des § 242 StGB oder des § 263 StGB. Durch eine Tateinheit von Diebstahl und Betrug entsteht auch keinesfalls der Eindruck, dass sich die Tat auf zwei verschiedene Vermögensgegenstände bezog.650 Dies zeigt zum einen das Beispiel der in Rechtsprechung und Literatur anerkannten Tateinheit von Mord und Raub mit Todesfolge zur Klarstellung der besonderen Art der Todesumstände.651 Der Tod des Opfers darf dabei naturgemäß nicht zweimal bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.652 Zum anderen wird die Klarstellungsfunktion der Tateinheit auch im Verhältnis von Erpressung und Betrug deutlich. Dazu hat der BGH mit Urteil vom 15. Mai 1956653 ausgeführt: „Die Annahme von Tateinheit zwischen Erpressung und Betrug ist im vorliegenden Falle rechtlich nicht zu beanstanden, ohne dass es eines Eingehens darauf bedarf, in welchem Verhältnis beide Strafbestimmungen stehen, wenn das angedrohte Übel nur vorgetäuscht wird. Hier hat der Angeklagte den Willen des Verletzten durch zwei voneinander unabhängige Mittel beeinflusst, nämlich durch die Drohung mit einer Anzeige und die Täuschung, er werde das Geld zurückzahlen. Das Zusammenwirken beider Mittel hat den S. zur Hergabe des Geldes veranlasst; in einem solchen Falle können keine Bedenken gegen die Anwendung beider Strafbestimmungen bestehen.“
Diese Rechtsauffassung hat in der Literatur Zustimmung gefunden, ohne dass dagegen eingewendet wird, die Tateinheit von Betrug und Erpressung verstoße gegen das Schuldprinzip, weil derselbe Schaden dem Täter zweimal zur Last gelegt werde.654 648
SK-Samson, 4. Aufl., § 263 Rn. 1 und Rn. 3; Miehe, S. 3; Joecks, S. 51. Herzberg, ZStW 89 (1977), 367 (383); Puppe, JR 1984, 229 (234). 650 Vgl. Puppe, JR 1984, 229 (234). 651 BGH, NJW 1993, 1662 (1664). 652 BGH, NJW 1993, 1662 (1664). 653 BGHSt 9, 245 (246). 654 Lackner / Kühl-Kühl, § 253 Rn. 14; LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 330; NKKindhäuser, § 253 Rn. 50; Sch-Sch-Eser / Bosch, § 253 Rn. 37; SK-Sinn, § 253 Rn. 44; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT / 1, § 41 Rn. 69; Rengier, BT / 1, § 11 Rn. 76; Wessels / Hillenkamp, BT / 2, Rn. 723; Heinitz, JR 1959, 386 (388); Herzberg, JuS 1972, 570 (572 f.); Günther, ZStW 88 (1976), 960 (972); Schünemann, JA 1980, 486 (490). 649
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Daraus folgt: Ebenso wie eine Tateinheit von Betrug und Erpressung im Hinblick auf denselben Vermögensschaden vorliegen kann, ist eine Tateinheit von Betrug und Diebstahl möglich und sinnvoll.655 Schließlich erfolgt auch bei der Strafzumessung keine Doppelverwertung desselben Unrechts. § 52 StGB schreibt für die Tateinheit eine einzige Strafe aus einem einzigen Strafrahmen, nämlich dem des schweren Deliktes vor, wobei die Unrechts- und Schuldmerkmale des leichteren, soweit sie im schwereren nicht auch enthalten sind, innerhalb von dessen Strafrahmen strafschärfend zu Buche schlagen. Da in beiden Tatbeständen dieselbe Strafart angedroht ist, wird der Strafrahmen gemäß § 52 Abs. 2 StGB nach unten durch die höchste Mindeststrafe und nach oben durch die höchste Höchststrafe begrenzt.656 Der Kombinationsstrafrahmen ist nach den Umständen des Einzelfalls konkret zu ermitteln. Sehen also eines oder mehrere der verletzten Strafgesetze bei erschwerenden oder mildernden Umständen andere Höchst- oder Mindeststrafen vor, so sind bei Vorliegen erschwerender oder mildernder Umstände die veränderten Strafrahmen zu kombinieren.657 Bei der Strafzumessung ist im Falle der Idealkonkurrenz zu berücksichtigen, dass sich der Unrechts- und Schuldgehalt der Tat durch die Verletzung mehrerer Strafgesetze mit unterschiedlicher Schutzrichtung erhöht hat.658 Eine Strafschärfung entfällt jedoch, wenn der Unrechtsgehalt der verschiedenen Tatbestände gleichgerichtet ist und der Idealkonkurrenz nur klarstellende Bedeutung zukommt.659 Diese Ausnahme greift ein, wenn eine Tateinheit von Diebstahl und Betrug gemäß § 52 StGB in Rede steht. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass allein die gemeinsame Anwendung von Diebstahl und Betrug das Unrecht der Tat vollständig beschreibt und dass die von den Exklusivitätslösungen heraufbeschworene Gefahr einer Doppelverwertung desselben Unrechts bei einer Tateinheit von Diebstahl und Betrug gemäß § 52 StGB nicht besteht.660 (6) Rechtssicherheit durch Exklusivität Für die Abgrenzung von Diebstahl und Betrug wird weiter angeführt, das Exklusivitätsverhältnis zwischen diesen Tatbeständen entspreche jahrzehntelanger Rechtsprechung, so dass eine hinreichende Rechtssicherheit entstan655
Miehe, S. 14; Röckrath, S. 35. Vgl. Sch-Sch-Stree / Sternberg-Lieben, § 52 Rn. 36. 657 Sch-Sch-Stree / Sternberg-Lieben, § 52 Rn. 37. 658 Sch-Sch-Stree / Sternberg-Lieben, § 52 Rn. 47. 659 BGH, NStZ 1993, 537 (537); BGH, NStZ-RR 2000, 104 (104); Sch-SchStree / Sternberg-Lieben, § 52 Rn. 47. 660 Puppe, JR 1984, 229 (229, 234). 656
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den sei. Der Verzicht auf die Exklusivität würde einen Rückfall in eine unbestimmte Ausgangslage bedeuten, aus der dieses Prinzip in einer Rechtssicherheit verbürgenden Weise herausgeführt habe.661 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Anerkennung der Möglichkeit eines tateinheitlichen Zusammentreffens von Diebstahl und Betrug zu einer sehr viel größeren Rechtsklarheit führen würde. Dadurch würde sich der Streit über den Inhalt des Verfügungsbewusstseins erübrigen. Die Folgen für potentielle Täter wären gering, denn an der Strafhöhe würde sich nichts ändern. Nur im Tenor eines Strafurteils würde richtigerweise zum Ausdruck kommen, dass die Tat auch mit dem Mittel der Täuschung begangen oder zu begehen versucht wurde. (7) Erfordernis eines Verfügungsbewusstseins beim Sachbetrug Aus den bereits dargelegten Argumenten folgt, dass auch die Ansichten, die nur beim Sachbetrug ein konkretes Verfügungsbewusstsein verlangen, um Betrug und Diebstahl voneinander abzugrenzen662, im Ergebnis abzulehnen sind. Eine solche Abgrenzung ist nicht erforderlich. Dass die Voraussetzung des Verfügungsbewusstseins auch im Übrigen sachlich nicht gerechtfertigt ist, zeigen die folgenden Überlegungen. Problematisch ist insbesondere, dass das Merkmal des Verfügungsbewusstseins als notwendiges objektives Tatbestandsmerkmal in zwei Irrtumskonstellationen dazu führt, dass der Täter nur wegen Versuchs bestraft werden kann, obwohl er das Tatobjekt erlangt und der tatsächliche Weg zum Taterfolg nur unwesentlich von seiner Vorstellung abweicht.663 Die erste Irrtumskonstellation soll durch eine Abwandlung des Winkelschleifer-Trennscheiben-Falls veranschaulicht werden: Der Täter versteckt in einem Baumarkt Trennscheiben in der Verpackung eines Winkelschleifers, legt die Verpackung in den Einkaufswagen und geht damit zur Kasse. Die Verpackung des Winkelschleifers hat ein Sichtfenster. Nach dem Tatplan soll das Kassenpersonal die Trennscheiben nicht wahrnehmen. Als der Täter die Verpackung auf das Kassenband legt, geraten die Trennscheiben jedoch in das Sichtfenster der Verpackung. Der Kassierer sieht die Trennscheiben zwar, hält sie aber irrtümlich für Zubehör. Der Täter bemerkt dies nicht und glaubt, der Kassierer habe die Trennscheiben nicht gesehen, zahlt den Preis für den Winkelschleifer und verlässt den Baumarkt. 661 662 663
LK-Lackner, 10. Aufl., § 263 Rn. 104. s. C. III. 2. a) aa) (4) und (5). Vgl. Puppe, JR 1984, 229 (231).
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In diesem Fall ist der Kassierer mit dem Gewahrsamswechsel an den Trennscheiben einverstanden und hat diesbezüglich Verfügungsbewusstsein, so dass ein Gewahrsamsbruch objektiv ausscheidet. Erfüllt ist vielmehr der objektive Tatbestand des Betrugs. Der Täter hat jedoch nur Vorsatz hinsichtlich der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache, der Täuschung und des Irrtums des Kassierers. Ihm fehlt jedoch der Vorsatz hinsichtlich des Verfügungsbewusstseins des Kassierers. Nach den Ansichten, die ein konkretes Verfügungsbewusstsein als objektives Tatbestandsmerkmal des Sachbetrugs verlangen, hat der Täter lediglich einen versuchten Diebstahl begangen. Ein Betrug ist allein deshalb ausgeschlossen, weil der Täter keinen Vorsatz hinsichtlich des Verfügungsbewusstseins des Kassierers hatte. Der Täter entgeht danach einer Strafbarkeit wegen vollendeten Betruges, obwohl alle Tatbestandsmerkmale – lediglich mit Ausnahme des Vorsatzes hinsichtlich des Verfügungsbewusstseins des Kassierers – erfüllt sind. Die zweite Irrtumskonstellation ist im umgekehrten Fall gegeben: Der Täter möchte, dass der Kassierer die Trennscheiben durch das Sichtfenster der Verpackung sieht und sie für Zubehör des Winkelschleifers hält. Als er den Karton auf das Kassenband legt, verrutschen die Trennscheiben jedoch, vom Täter unbemerkt, so, dass sie nicht mehr sichtbar sind. Der Kassierer bemerkt die Trennscheiben daher nicht. Objektiv ist der Tatbestand des Diebstahls erfüllt. Der Täter stellt sich jedoch irrtümlich ein Einverständnis des Kassierers mit dem Gewahrsamswechsel an den Trennscheiben vor, so dass ihm gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB der Vorsatz hinsichtlich des Gewahrsamsbruchs fehlt. Der Täter hat daher keinen Diebstahl begangen. Nach den Exklusivitätslösungen, die für den Sachbetrug ein konkretes Verfügungsbewusstsein verlangen, hat der Täter lediglich einen versuchten Betrug begangen, denn das Verfügungsbewusstsein des Kassierers lag nicht objektiv, sondern nur in der Vorstellung des Täters vor. Auch in diesem Fall entgeht der Täter einer Strafbarkeit wegen vollendeten Betrugs, obwohl er die Trennscheiben durch Täuschung erlangt, ohne sie bezahlt zu haben. Angesichts dieser Ergebnisse ist es nicht gerechtfertigt, ein Verfügungsbewusstsein der getäuschten Person als objektives Tatbestandsmerkmal des Betrugs zu fordern. Hinzu kommt, dass es nicht angemessen ist, auf der einen Seite einen Betrug anzunehmen, wenn das Opfer sich über den Wert einer dem Täter für einen zu geringen Preis überlassenen Sache irrt, und auf der anderen Seite einen Betrug mangels Verfügungsbewusstseins abzulehnen, wenn die Täuschung des Opfers noch weiter geht und dem Opfer aufgrund der Täu-
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schung sogar die Tatsache des Gewahrsamswechsels und seine Mitwirkung daran verborgen bleibt.664 Es ist nicht nachvollziehbar, dass gerade die Fälle der besonders weitgehenden und effektiven Täuschung, in denen das Opfer nicht einmal bemerkt, dass sein Vermögen betroffen ist, nicht vom Betrugstatbestand erfasst werden sollen. Dass das Merkmal des Einverständnisses mit dem Gewahrsamswechsel, das den Tatbestand des Diebstahls ausschließt, unter der neuen Bezeichnung „Verfügungsbewusstsein“ eine notwendige Bedingung des Betrugstatbestands sein und hier unrechtsbegründend wirken soll, ist sachlich nicht zu rechtfertigen. Es ist daher festzuhalten, dass das Verfügungsbewusstsein für den Unrechtsgehalt des Betrugs keine Bedeutung hat. Dies gestehen auch die Exklusivitätslösungen ein, die das Verfügungsbewusstsein des Getäuschten nicht verlangen, wenn ein Forderungsbetrug in Rede steht. (8) Generelle Einschränkung des Verfügungsbegriffs Auch die unter 2. a) bb) dargestellten Ansichten, die den Verfügungsbegriff generell durch ein subjektives Element einschränken wollen, sind nicht überzeugend. Die Argumente dieser Ansichten sollen im Folgenden näher untersucht werden. Ranft begründet seine Ansicht, auch für den Forderungsbetrug ein Verfügungsbewusstsein zu verlangen, damit, dass die Nichtgeltendmachung einer Forderung wegen täuschungsbedingter Unkenntnis von ihrer Existenz kein Betrug sein könne, weil sich der Verfügungsvorgang inhaltlich und zeitlich nicht konkretisieren lasse und der Betrugstatbestand damit seine rechtsstaatlichen Konturen verliere.665 Diesem Argument ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Betrug vollendet ist, sobald alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Auf den Fall der täuschungsbedingten Nichtgeltendmachung einer Forderung angewendet, bedeutet dies, dass der Betrug vollendet ist, sobald das Opfer vom Täter getäuscht wurde, sich daraufhin über die Existenz der Forderung irrt und die erste objektiv gegebene Möglichkeit verstreichen lässt, die Forderung geltend zu machen.666 Der Verfügungsvorgang lässt sich also auch ohne ein Verfügungsbewusstsein des Unterlassenden inhaltlich und zeitlich konkretisieren. 664 665 666
Vgl. Puppe, JR 1984, 229 (230). Ranft, Jura 1992, 66 (71). Vgl. MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 584; Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 58.
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Eine Strafbarkeit wegen Betrugs kann nicht davon abhängen, ob das Betrugsopfer es bewusst unterlässt, eine Forderung geltend zu machen, oder ob es von dieser Forderung täuschungs- und irrtumsbedingt überhaupt nichts weiß. Denn es geht nicht um ein Unterlassen des Täters, das im Rahmen eines unechten Unterlassungsdelikts nur als vorsätzliche Tat strafbar ist, wenn der Täter weiß, dass er eine ihm mögliche Handlung unterlässt, die den tatbestandsmäßigen Erfolg verhindert hätte. Vielmehr geht es um ein Unterlassen des getäuschten und irrenden Betrugsopfers. Diese Situationen sind nicht miteinander vergleichbar. Die von Hansen angestellte Parallele der Vermögensverfügung durch Unterlassen zu den unechten Unterlassungsdelikten667 ist daher verfehlt. Auch der Ansatz von Hefendehl, wonach die getäuschte Person im Rahmen des Verkehrsüblichen die Möglichkeit gehabt haben müsse, ihr Verhalten unter vermögensrechtlicher Perspektive zu reflektieren, so dass ihr Verhalten in der Außenperspektive als bewusste Vermögensverfügung interpretiert werde668, ist abzulehnen. Dagegen ist einzuwenden, dass diese zusätzliche Voraussetzung allein mit der Sachstruktur des Betrugstatbestands als Selbstschädigungsdelikt begründet wird.669 Dieses Argument ist, wie bereits dargelegt wurde670, als unzutreffend zurückzuweisen. Die Ansicht von Günther, die für die Vermögensverfügung einen irrtumsmotivierten Handlungs- oder Unterlassungswillen verlangt671, ist zu unbestimmt. Günther wendet dieses Zusatzkriterium selbst nicht auf die Selbstbedienungsladen-Fälle an. Ob in diesen Fällen ein irrtumsmotivierter Handlungsoder Unterlassungswille gegeben ist oder nicht, kann anhand der Ausführungen von Günther nicht sicher beurteilt werden. Außerdem ist seine Argumentation zum Einkaufswagen-Fall nicht überzeugend: Hätte die Kassiererin Verfügungswillen gehabt, wäre sie mit dem Gewahrsamswechsel einverstanden gewesen. Der Täter hätte sich nicht wegen eines vollendeten Diebstahls und mangels Irrtums auch nicht wegen vollendeten Betrugs strafbar gemacht. (9) Teleologische Reduktion des § 263 StGB Die Ansicht von Gössel, nach der eine Vermögensverfügung im Wege der teleologischen Reduktion des § 263 StGB immer dann ausgeschlossen sein soll, wenn eine Wegnahme vorliegt,672 ist ebenfalls abzulehnen. 667 668 669 670 671 672
Hansen, MDR 1975, 533 (535). MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 246. MüKo-Hefendehl, § 263 Rn. 240. s. C. III. 2. a) dd) (2). SK-Samson / Günther, § 263 Rn. 87a. s. C. III. 2. a) cc) (2).
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Eine teleologische Reduktion setzt voraus, dass eine gesetzliche Regelung eine verdeckte Lücke enthält, d. h. dass sie entgegen ihrem Wortsinn, aber nach dem Regelungszweck oder Sinnzusammenhang des Gesetzes einer Einschränkung bedarf, die im Gesetzestext nicht enthalten ist.673 Die Ausfüllung einer verdeckten Lücke geschieht durch die Hinzufügung der sinngemäß geforderten Einschränkung. Hiermit wird die im Gesetz enthaltene, nach ihrem eindeutigen Wortsinn zu weit gefasste Regel auf den ihr nach dem Regelungszweck oder Sinnzusammenhang des Gesetzes zukommenden Anwendungsbereich zurückgeführt. Die Rechtfertigung der teleologischen Reduktion liegt in dem Gebot der Gerechtigkeit, Ungleiches ungleich zu behandeln, d. h. die von der Wertung her erforderlichen Differenzierungen vorzunehmen.674 Sie kann geboten sein durch den Sinn und Zweck der einzuschränkenden Norm selbst oder durch den insoweit vorrangigen Zweck einer anderen Norm, der anderenfalls nicht erreicht würde, durch die „Natur der Sache“ oder durch ein für eine bestimmte Fallgruppe vorrangiges, dem Gesetz immanentes Prinzip.675 Aus dem Gesetz kann sich jedoch auch ein Verbot der teleologischen Reduktion ergeben, wenn ein vorrangiges Interesse an Rechtssicherheit die strikte Einhaltung der eindeutigen Norm verlangt.676 Die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion des Betrugstatbestands in Fällen der Wegnahme sind nicht erfüllt. § 263 Abs. 1 StGB enthält keine verdeckte Lücke, denn diese Norm bedarf weder nach dem Regelungszweck noch dem Sinnzusammenhang des Gesetzes einer Einschränkung. Der Sinn und Zweck des Betrugs- und des Diebstahlstatbestands und die Natur der Sache gebieten es nicht, einen Betrug in allen Fällen abzulehnen, in denen die getäuschte Person mit einem Gewahrsamswechsel nicht einverstanden ist. Das Gegenteil ist der Fall, denn nur durch die Klarstellung im Schuldspruch, dass der Gewahrsam an der Sache gegen den Willen des Gewahrsamsinhabers und durch Täuschung erlangt wurde, wird der Unrechtsgehalt des Geschehens vollständig zum Ausdruck gebracht. (10) Stellungnahme zur Ansicht von Hillenkamp Die Argumentation von Hillenkamp erscheint auf den ersten Blick plausibel. Hillenkamp meint, dass es in den Selbstbedienungsladen-Fällen an einem von der Herrschaftsbehauptung des Diebes trennbaren, selbständigen Vermögensschaden fehle.677 Der Besitz- und Gewahrsamsverlust tauge zu 673 674 675 676 677
Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 391. Canaris, S. 82; Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 392. Canaris, S. 82, 192 f.; Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 392. Canaris, S. 82, 192 f.; Larenz / Canaris, Methodenlehre, S. 392. Hillenkamp, JuS 1997, 217 (222).
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seiner Begründung nicht, weil er durch die Vortat schon eingetreten sei oder zeitgleich mit dem Diebstahl erfolge.678 Die Nichtwahrnehmung von Herausgabeansprüchen und Ansprüchen auf Abwehr der Besitzstörung entlasse nichts aus dem Vermögen, was nicht zeitgleich oder schon mit dem Diebstahl genommen worden sei.679 Richtig ist zwar, dass der Besitz- und Gewahrsamsverlust in den Fällen nicht zur Begründung eines Vermögensschadens taugt, in denen der Gewahrsamswechsel bereits im Selbstbedienungsladen stattgefunden hat. So liegt es jedoch nur in den Fällen, in denen der Täter die Ware in seiner Körpersphäre versteckt. Findet der Gewahrsamswechsel hingegen – wie in den Fällen der im Einkaufswagen oder in einer anderen Verpackung versteckten Ware – an der Kasse statt, dann handelt es sich bei dem Verlust des Gewahrsams auch um einen täuschungs- und irrtumsbedingt entstandenen Vermögensschaden. Selbst wenn der Vermögensschaden in Gestalt des Besitz- und Gewahrsamsverlusts nicht nur durch ein Verhalten des Opfers, sondern auch durch Mitwirkung des Täters eintritt, kann dies den Eintritt eines Vermögensschadens nicht ausschließen. § 263 StGB kann nicht entnommen werden, dass der Betrugstatbestand einen „zusätzlichen“ Schaden verlangt, der nicht zugleich durch eine Wegnahme verursacht werden darf. Hat der Gewahrsamswechsel jedoch bereits vor der Kasse stattgefunden, besteht der Vermögensschaden darin, dass das Kassenpersonal den Täter aus dem Kassenbereich entlässt, ohne den Herausgabeanspruch hinsichtlich der Waren geltend gemacht zu haben. Nach dem Passieren der Kasse sinkt der wirtschaftliche Wert des Herausgabeanspruchs, weil seine Realisierbarkeit unwahrscheinlicher wird. Die Argumentation von Hillenkamp ist daher im Ergebnis nicht überzeugend. (11) Zwischenergebnis Die Auseinandersetzung mit den Exklusivitätslösungen hat ergeben, dass ihren Argumenten wesentliche Einwände entgegenstehen. Es ist ihnen nicht gelungen, die von ihnen vertretene Exklusivität von Diebstahl und Betrug zu begründen. Den Exklusivitätslösungen kann daher nicht gefolgt werden.
678 679
Hillenkamp, JuS 1997, 217 (222). Hillenkamp, JuS 1997, 217 (222).
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b) Konkurrenzlösungen Im Gegensatz zu den zuvor dargestellten Exklusivitätslösungen gehen die Konkurrenzlösungen davon aus, dass zwischen Diebstahl und Sach-Betrug keine grundsätzliche tatbestandliche Exklusivität bestehe. Auch unter den Konkurrenzlösungen werden jedoch verschiedene Ansichten vertreten, die das Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung einschränken (dazu nachfolgend unter aa)). Diesen Ansichten stehen im Rahmen der Konkurrenzlösungen zwei Ansichten gegenüber, die die oben beschriebene Definition der Vermögensverfügung nicht weiter einschränken und sich ausschließlich auf der Ebene der Konkurrenzen mit dem Verhältnis von Diebstahl und Betrug auseinandersetzen (dazu nachfolgend unter bb)). aa) Die Vermögensverfügung einschränkende Konkurrenzlösungen (1) Die Ansicht von Herzberg: Vermögensverfügung bei Selbstschädigung Ebenso wie die Exklusivitätslösungen sieht Herzberg die Selbstschädigung des getäuschten Opfers als für den Betrug kennzeichnend an.680 Als Selbstschädigungsakt genüge nicht jedes beliebige, für den Vermögensverlust kausale Mitwirken des Opfers. Das täuschungsbedingte Verhalten des Opfers müsse schon aus sich heraus, d. h. ohne Rücksicht auf die böse Absicht des Täters, das Gepräge des Hingebens oder Anvertrauens eines Vermögenswerts haben.681 Die Grenze sei im Einzelnen schwer zu ziehen, sie sei aber überschritten, wenn das unbewusste, zeitlich nicht fixierbare und auf keiner Entscheidung beruhende Nichtgeltendmachen eines Anspruchs als Vermögensverfügung betrachtet werde.682 Herzberg nimmt in den Fällen des Ablistens einer Gewahrsamslockerung Betrug und Diebstahl in Tateinheit an und begründet dies wie folgt: Der täuschungsbedingten Überlassung der Sache könne als einem Akt des Anvertrauens und Verzichtes auf effektive Kontrolle solches Gewicht zukommen, dass sie bereits den Rang einer Vermögensverfügung habe, selbst wenn eine Gewahrsamsübertragung nicht gewollt gewesen sei. Die Verfügung sei dann Teilstück und Beginn einer Gewahrsamsverschiebung, die als 680 681 682
Herzberg, ZStW 89 (1977), 367 (377). Herzberg, ZStW 89 (1977), 367 (377). Herzberg, ZStW 89 (1977), 367 (377 Fn. 29).
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Ganzes eine Wegnahme darstelle, weil der Beteiligte mit ihr nicht einverstanden sei.683 Das Passieren der Kasse mit im Einkaufswagen oder in einer anderen Verpackung versteckter Ware dürfte diese Voraussetzungen noch nicht erfüllen. Herzberg würde daher in den hier untersuchten Fallkonstellationen lediglich einen Diebstahl annehmen. (2) Die Ansicht von Miehe: Verfügung bei einem Mindestmaß personaler Beteiligung Miehe entwickelt durch Auslegung des Betrugstatbestands, dass die Vermögensverfügung in jedem Fall ein Mindestmaß personaler Beteiligung voraussetze.684 Der Getäuschte müsse erstens den äußeren Vorgang der Vermögensbewegung erkennen. Er müsse zweitens jedenfalls zunächst, also noch ohne Beeinflussung durch die täuschenden Handlungen des Täters, davon ausgehen, dass die Vermögensbewegung das eigene oder das eigener Verfügung unterliegende fremde Vermögen berühre oder berühren könne. Drittens müsse er für die Vermögensbewegung im weitesten Sinne gewonnen werden.685 Indem die Kassiererin den Täter mit in der Kleidung versteckten Waren durch die Kasse gehen lasse, wirke sie zwar auf das Vermögen des Ladeninhabers in dem Sinne ein, dass sie zur schadensvertiefenden Gewahrsamssicherung beitrage.686 Die Kassiererin erreiche den erforderlichen psychischen Mindeststandard jedoch nicht.687 Wohl stelle sie sich zunächst die äußere Vermögensbewegung vor und wisse auch, dass diese Bewegung das Vermögen des Ladeninhabers berühre, doch werde sie für diese Bewegung nicht gewonnen. Sie lasse sie nicht geschehen, sondern gestatte den Durchgang des Täters mit der Ware ins Freie, weil sie glaube, dass sie sich nicht ereigne.688 Anders stelle sich die Situation jedoch dar, wenn man vom Sachbetrug auf die Nichtgeltendmachung von Herausgabe- und Schadensersatzansprüchen „umschalte“: Halte die Kassiererin es für möglich, dass der Täter auch andere als die präsentierten Waren entnommen habe, dann gehe sie auch davon aus, dass der Täter dem Ladeninhaber auf Herausgabe und Schadensersatz 683 684 685 686 687 688
Herzberg, ZStW 89 (1977), 367 (382). Miehe, S. 56. Miehe, S. 62. Miehe, S. 69. Miehe, S. 70. Miehe, S. 70.
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verhaftet sein könnte.689 Sie nehme die Vermögensbewegung vorweg, dass der Täter aus der Haftung entlassen werde, wenn sie ihn passieren lasse, und sei sich bewusst, dass dies das Vermögen des Ladeninhabers berühren könnte.690 Wenn sie dem Täter gleichwohl die Passage gestatte, ihn also aus der Situation, in Anspruch genommen zu werden, entlasse, werde sie für diese Vermögensbewegung gewonnen.691 Dass für sie nun die Vorstellung bestimmend sei, ein Anspruch bestehe nicht, sei ohne Bedeutung.692 In der Fallgruppe, in der der Täter kleinere Waren in seinen Taschen versteckt hat und die Frage der Kassiererin, ob er weitere Ware als die vorgezeigte bei sich habe, verneint, folge die Abwehr des Herausgabeverlangens der formellen Vollendung des Diebstahls nach, seine materielle Beendigung schließe sich aber noch an.693 Die materielle Beendigung werde dadurch bewirkt, dass die Kassiererin den Täter passieren lasse und dass der Täter sich fortbegebe. Da die Qualifikation des Geschehens als Betrug allein die Nichtgeltendmachung des Anspruchs auf Herausgabe erfasse, der aus dem der Täuschung vorausgegangenen Täterhandeln erwachsen sei, handele es sich um einen bloßen Sicherungsbetrug mit der Besonderheit, dass er mit dem Diebstahl in einer Handlung zusammentreffe und darum hinter diesem nicht als mitbestrafte Nachtat, sondern als konsumiert zurücktrete.694 (3) Die Ansicht von Joecks und Samson: Betrugsstrafbarkeit zum Schutz des Vermögens in Aktion Für Joecks ist der Betrug ein Delikt gegen denjenigen Vermögensinhaber, der das Vermögen nicht nur bewahren und beschützen wolle, sondern der es im Sinne der Vermögensfunktion einsetzen, es wirtschaftlich nutzen wolle. Es gehe um den Schutz des Vermögens in Aktion.695 Wenn eine Handlung des Getäuschten äußerlich neutral sei, so könne erst mit Hilfe seiner Vorstellung die Eigenschaft „wirtschaftliche Nutzung“ festgestellt werden. Die eine Sache verschiebenden Handlungen seien stets mehrdeutig. Es lasse sich ohne die Vorstellung des Getäuschten nicht feststellen, ob der Getäuschte sich wirtschaftlich betätige.696 689 690 691 692 693 694 695 696
Miehe, S. 88. Miehe, S. 88. Miehe, S. 88. Miehe, S. 88. Miehe, S. 104. Miehe, S. 104. Joecks, S. 108 ff. Joecks, S. 108.
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Daraus leitet Joecks ab, dass in den Fällen, in denen ein vor der Verfügung beim Opfer befindliches Vermögensstück zum Täter verschoben werde, der Wille des Getäuschten hinzutreten müsse, diesen betreffenden Vermögenswert anderen zur Nutzung zugänglich zu machen.697 Wo ein bestimmter Wert mittels Täuschung zum Täter gelange, könne erst die Vorstellung des Getäuschten von einem Tausch den selbstschädigenden Charakter seines Verhaltens festschreiben.698 Anders liege es bei der täuschungsbedingten Nichtgeltendmachung einer Forderung: Sie sei stets selbstschädigender Umgang mit dem Vermögen.699 Hier ergebe sich das Moment der Vermögensnutzung bereits aus der Art des betroffenen Vermögensgegenstands, weil eine wirtschaftliche Betätigung des Getäuschten unterbunden werde.700 Joecks und Samson müssten in den Selbstbedienungsladen-Fällen ebenfalls ein tateinheitliches Zusammentreffen von Diebstahl und Forderungsbetrug annehmen. Vergleichbare Fälle diskutieren sie jedoch nicht. (4) Die Ansicht von Hardwig: Verfügungsbewusstsein nur bei einer Verfügung durch Tun Hardwig geht davon aus, dass eine Vermögensverfügung durch eine aktive Handlung nur vorliegen könne, wenn der Handelnde Verfügungswillen habe. Bei einer Verfügung durch Unterlassen sei dagegen kein Verfügungswille erforderlich.701 Hardwig begründet dies damit, dass die Vermögensverfügung durch Tun ein einverständliches Geben und Nehmen sei. Somit müsse der Verfügende wissen, dass er etwas weggebe. Sei er sich dessen nicht bewusst, so fehle es an einer Weggabe und damit an einer Vermögensverfügung. Trete dann ein Vermögensschaden ein, so könne nicht Betrug, sondern nur Diebstahl vorliegen.702 Auf der Grundlage der Ansicht von Hardwig steht in den hier untersuchten Fällen einem Forderungsbetrug durch Unterlassen nichts im Wege. (5) Forderungsbetrug als mitbestrafte Nachtat In den Fällen, in denen der Täter bereits durch das Verstecken der Ware in der Körpersphäre Gewahrsam an der versteckten Ware erlangt hat, 697 698 699 700 701 702
Joecks, S. 114; zustimmend: SK-Samson, 4. Aufl., § 263 Rn. 87c. Joecks, S. 114. Joecks, S. 121; SK-Samson, 4. Aufl., § 263 Rn. 87c. Joecks, S. 120. Hardwig, GA 1956, 6, (6 Fn. 1). Hardwig, GA 1956, 6, (6 Fn. 1).
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wird von einer Ansicht vertreten, dass dem bereits vollendeten Diebstahl an der Kasse ein Forderungsbetrug nachfolge, der jedoch als mitbestrafte Nachtat gegenüber dem Diebstahl zurücktrete.703 Wenn der Täter nach der Vollendung des Diebstahls die Möglichkeit des Opfers, die Sache wieder zu erlangen, durch Täuschung verhindere, handele es sich um einen bloßen Sicherungsbetrug.704 Die Sicherung des Gewinns einer bereits strafbar erworbenen Sache sei, sofern kein neues Rechtsgut verletzt werde, auch bei Verwendung täuschender Mittel kein strafbarer Betrug, sondern eine mitbestrafte Nachtat.705 bb) Reine Konkurrenzlösungen Die folgenden drei Ansichten halten eine Ergänzung des Tatbestandsmerkmals der Vermögensverfügung beim Sachbetrug nicht für erforderlich. Das Konkurrenzverhältnis zwischen Diebstahl und Betrug bewerten sie jedoch unterschiedlich. (1) Subsidiarität von Diebstahl oder Betrug Heghmanns legt dar, dass Selbstschädigung durch Betrug und Fremdschädigung durch Diebstahl einander nicht ausschließen müssten, sondern zusammenwirken könnten. Die Tat erfolge in den Selbstbedienungsladen-Fällen weder ausschließlich mittels Wegnahme, weil diese nur durch die Täuschungselemente gelingen könne, noch handele es sich allein um eine Täuschungsfolge, da die Verfügung über den Besitzwechsel vollzogen werde.706 Das Kassenpersonal könne es nur unterlassen, anlässlich des eigenmächtigen Besitzwechsels Forderungen auf Rückgabe oder Bezahlung zu erheben.707 Zwar handele es sich bei dem, worüber das Kassenpersonal verfüge, nur gewissermaßen um die Kehrseite der Wegnahme, so dass neben dem Diebstahl kein zusätzlicher Unrechtsgehalt bestehe.708 Damit deute sich aber schon an, wo die Lösung des Konflikts zu suchen sei, nämlich auf Konkurrenzebene. Dass am Ende nur eines der beiden Delikte übrig bleiben könne, 703 Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 184; SSW-Satzger, § 263 Rn. 117; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 41 III Rn. 157; Eser, Strafrecht IV, Fall 2, Rn. 76. 704 Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 41 III Rn. 157; Eser, Strafrecht IV, Fall 2, Rn. 76. 705 Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 41 III Rn. 157; Eser, Strafrecht IV, Fall 2, Rn. 76. 706 Heghmanns, Rn. 1234. 707 Heghmanns, Rn. 1234. 708 Heghmanns, Rn. 1234.
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sei wegen des Fehlens eines zweifachen Unrechts nicht zu leugnen. Schließlich werde die Ware nur einmal dem Vermögen des Geschädigten entzogen. Das hindere aber ebenso wenig wie bei dem verwandten Sicherungsbetrug, beide Strafbestimmungen zunächst in tatbestandlicher Hinsicht nebeneinander zu bejahen.709 Welches Delikt am Ende als strafbar verbleibe, bestimme sich auf Konkurrenzebene danach, wo der Schwerpunkt der Schadensverursachung liege.710 Im Fall der im Einkaufswagen versteckten Ware nehme das Kassenpersonal die unmittelbar schädigende Besitzverschiebung nicht selbst vor, sondern toleriere sie nur. § 263 StGB trete daher im Wege der Subsidiarität hinter § 242 StGB zurück.711 Anders sei es im Fall des Versteckens von Diebesgut in anderer Ware, deren Besitz sodann durch das Kassenpersonal auf den Täter übertragen werde. Hier verursache die opferseitige Besitzübertragung unmittelbar den Schaden, weshalb der Betrug den Diebstahl verdränge.712 (2) Tatmehrheit zwischen Diebstahl und Betrug Huschka meint, Diebstahl und Betrug stünden in der Fallkonstellation der im Einkaufswagen an der Kasse vorbeigeschleusten Ware in Tatmehrheit gemäß § 53 StGB zueinander.713 Tateinheit von Diebstahl und Betrug gemäß § 52 StGB liege nicht vor, weil der Verletzte des Eigentumsdelikts und der Verletzte des Vermögensdelikts identisch seien. Für Tatmehrheit spreche die Erkenntnis, dass der durch die Wegnahme verursachte Schaden mit der Täuschungshandlung vertieft werde und der Angriff der Nachtat als Vermögensdelikt weiter gehe als der Angriff der Vortat als Eigentumsdelikt.714 (3) Tateinheit von Diebstahl und Betrug Schließlich wird vertreten, dass Diebstahl und Betrug in Tateinheit gemäß § 52 StGB zueinander stehen können.715 709
Heghmanns, Rn. 1234. Heghmanns, Rn. 1234; Lampe, S. 22, Fn. 47. 711 Heghmanns, Rn. 1235. 712 Heghmanns, Rn. 1235. 713 Huschka, NJW 1960, 1189 (1190). 714 Huschka, NJW 1960, 1189 (1190). 715 OLG Düsseldorf, NJW 1961, 1368 (1369); NK-Puppe, Vor § 52 Rn. 47; Puppe, JR 1984, 229 (234); Walter, Jura 2002, 415 (421); Stuckenberg, ZStW 118 (2006), 878 (901 f.); Puppe, S. 350 und S. 354; Röckrath, S. 35; Walter, S. 223. 710
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Das OLG Düsseldorf begründete die Tateinheit von Diebstahl und Betrug in einem Fall, in dem die Täterin bereits im Selbstbedienungsladen Gewahrsam an der versteckten Ware erlangt hatte, indem sie ein Päckchen Kaffee in ihre Tasche steckte, wie folgt: Aufgrund des durch die Täuschung erregten Irrtums habe die Kassiererin die Geltendmachung des Anspruchs auf Herausgabe der entwendeten Ware unterlassen und habe damit zum Schaden des Geschäftsinhabers über dessen Vermögen verfügt.716 Die bis dahin mögliche Durchsetzung dieses Anspruchs werde nunmehr, wenn nicht unmöglich, so doch ungleich schwieriger, so dass ein weiterer Vermögensschaden eintrete.717 Im Selbstbedienungsgeschäft stünden Diebstahl und Betrug nicht als mehrere Taten nebeneinander, sondern träfen tateinheitlich zusammen. Die Ausführungshandlung des Täters bestehe darin, dass er die Ware an sich nehme und sie, statt in den dafür vorgesehenen Korb, in seine eigene Tasche stecke oder irgendwo sonst bei sich verstecke. Dieses Verstecken der Ware sei zugleich der Beginn der Ausführungshandlung des Betrugs. Es stelle bereits einen unmittelbaren Angriff auf das geschützte Vermögen des Geschäftsinhabers, auf dessen Anspruch auf Herausgabe der versteckten Ware dar, so dass dieses Vermögen dadurch bereits gefährdet und die unmittelbar sich anschließende Herbeiführung des Erfolgs nahe gerückt sei. Zur Verwirklichung des Gesamtplanes gehöre die Täuschung der Kassiererin, ohne die die Tat nicht gelingen könne.718 cc) Auseinandersetzungen mit den Argumenten der Konkurrenzlösungen Im Folgenden werden auch die Konkurrenzlösungen einer kritischen Würdigung unterzogen, um zu ermitteln, welche Ansicht zutreffend ist. (1) Kritik der Ansicht von Herzberg: Vermögensverfügung bei Selbstschädigung Gegen die Ansicht von Herzberg, nach der die Selbstschädigung des getäuschten Opfers für den Betrug kennzeichnend sein soll,719 ist ebenso wie gegen die Exklusivitätslösungen einzuwenden, dass es sich bei dem Kriterium der Selbstschädigung um eine Argumentationshilfe handelt, die im Betrugstatbestand nicht enthalten ist. Außerdem ist die Ansicht von Herzberg zu unbestimmt. 716 717 718 719
OLG Düsseldorf, NJW 1961, 1368 (1369). OLG Düsseldorf, NJW 1961, 1368 (1369). OLG Düsseldorf, NJW 1961, 1368 (1369). Herzberg, ZStW 89 (1977), 367 (377).
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(2) Kritik der Ansicht von Miehe: Mindestmaß personaler Beteiligung Auch die Ansicht von Miehe, nach der die Vermögensverfügung in jedem Fall ein Mindestmaß personaler Beteiligung voraussetzen soll720, vermag diese zusätzliche Voraussetzung nicht anders als mit dem behaupteten Selbstschädigungscharakter des Betrugs zu erklären. Dass die verfügende Person für die Vermögensbewegung im weitesten Sinne gewonnen werden müsse721, ist angesichts der Tatbestandsmerkmale Täuschung und Irrtum zudem nicht plausibel, denn dadurch werden die möglichen Bezugsobjekte des Irrtums stark eingeschränkt, ohne dass dies dem Wortlaut des § 263 StGB zu entnehmen wäre. Schließlich ist die Argumentation von Miehe in tatsächlicher Hinsicht widersprüchlich. Einerseits führt Miehe an, dass das Kassenpersonal beim Sachbetrug nicht für die Vermögensbewegung gewonnen werde, weil es annehme, dass sie sich nicht ereigne. Andererseits führt er in Bezug auf den Forderungsbetrug aus, hier werde das Kassenpersonal für die Vermögensbewegung gewonnen: Halte die Kassiererin es für möglich, dass der Täter auch andere als die präsentierten Waren entnommen habe, dann gehe sie auch davon aus, dass der Täter dem Ladeninhaber auf Herausgabe und Schadensersatz verhaftet sein könnte. Sie nehme die Vermögensbewegung vorweg, dass der Täter aus der Haftung entlassen werde, wenn sie ihn passieren lasse, und sei sich bewusst, dass dies das Vermögen des Ladeninhabers berühren könnte. Dass für sie nun die Vorstellung bestimmend sei, ein Anspruch bestehe nicht, sei ohne Bedeutung.722 Diese Argumentation ist insgesamt nicht nachvollziehbar. Die Ansicht von Miehe ist daher abzulehnen. (3) Kritik der Ansicht von Joecks und Samson: Schutz des Vermögens in Aktion Auch die Ansicht von der Betrugsstrafbarkeit zum Schutz des Vermögens in Aktion723 liefert keine andere als die bereits abgelehnte Begründung, dass das Verhalten des Opfers selbstschädigenden Charakter haben müsse.
720 721 722 723
Miehe, S. 87. Miehe, S. 62. Miehe, S. 87 f. Joecks, S. 108 ff.; SK-Samson, 20. Lieferung, § 263 Rn. 87 ff.
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(4) Kritik der Ansicht von Hardwig: Bewusstsein bei Verfügung durch Tun Nach Hardwig muss der durch eine positive Handlung Verfügende wissen, dass er gebe, sonst fehle es an einer irrtümlichen Weggabe.724 Bei der Verfügung durch Unterlassen liege es anders.725 Hardwig liefert jedoch keine Begründung für seine Differenzierung. Eine solche ist auch nicht ersichtlich. Sein Ansatz ist daher abzulehnen. (5) Stellungnahme zugunsten der Ansicht vom Forderungsbetrug als mitbestrafter Nachtat In den Fällen, in denen der Täter bereits durch das Verstecken der Ware in der Körpersphäre Gewahrsam an der versteckten Ware erlangt hat, wird von einer Ansicht vertreten, dass dem bereits vollendeten Diebstahl an der Kasse ein Forderungsbetrug nachfolge, der jedoch als mitbestrafte Nachtat gegenüber dem Diebstahl zurücktrete.726 Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Eine straflose mitbestrafte Nachtat setzt voraus, dass die Nachtat sich in der Auswertung oder Sicherung der durch die Vortat erlangten Position erschöpft, die Geschädigten beider Straftaten identisch sind, durch die Nachtat kein neues Rechtsgut verletzt und der durch die Haupttat angerichtete Schaden nicht wesentlich über das durch die Haupttat verursachte Maß hinaus erweitert wird.727 Durch den Diebstahl als Vortat wurden die Rechtsgüter Eigentum und Gewahrsam verletzt. Der Betrug an der Kasse verletzt zwar das Vermögen als solches. Betroffen sind jedoch allein der Besitz bzw. Gewahrsam an der Ware und die diesen betreffenden Herausgabeansprüche. Durch die Nachtat wird damit letztlich kein neues Rechtsgut verletzt. Die Nachtat erschöpft sich in der Sicherung der durch die Vortat erlangten Position. Der Schaden wird nicht wesentlich erweitert.
724
Hardwig, GA 1956, 6 (6 Fn. 1). Hardwig, GA 1956, 6 (6 Fn. 1). 726 Sch-Sch-Cramer / Perron, § 263 Rn. 184; SSW-Satzger, § 263 Rn. 117; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 1, § 41 III Rn. 157; Eser, Strafrecht IV, Fall 2, Rn. 76. 727 Sch-Sch-Stree / Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 52 ff. Rn. 131. 725
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(6) Kritik der Ansicht von Heghmanns: Subsidiarität von Diebstahl oder Betrug Heghmanns meint, Diebstahl und Betrug stünden im Verhältnis der Subsidiarität zueinander.728 Dies begründet er damit, dass kein zweifaches Unrecht vorliege.729 Dieser Bewertung von Heghmanns kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Konkurrenzform der materiellen Subsidiarität setzt voraus, dass der eine Tatbestand den Unrechtsgehalt des anderen Tatbestands vollständig ausschöpft.730 Dies ist bei den Tatbeständen Diebstahl und Betrug jedoch nicht der Fall. Vielmehr enthält der Tatbestand des Betrugs durch das Angriffsmittel der Täuschung einen anderen Unrechtsgehalt als der Diebstahlstatbestand. (7) Kritik der Ansicht von Huschka: Tatmehrheit von Diebstahl und Betrug Huschka meint, Diebstahl und Betrug stünden in den Selbstbedienungsladen-Fällen im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander. Tateinheit sei nicht möglich, weil der Verletzte des Eigentumsdelikts und der Verletzte des Vermögensdelikts identisch seien.731 Dem ist jedoch zu widersprechen, denn Tateinheit wird durch die Identität des Verletzten nicht ausgeschlossen. (8) Stellungnahme zugunsten der Ansicht von der Tateinheit von Diebstahl und Betrug Die Auseinandersetzung mit den Argumenten der Konkurrenzlösungen führt dazu, dass Diebstahl und Betrug in den Fällen, in denen Ware im Einkaufswagen oder in einer anderen Verpackung versteckt und an der Kasse nicht bezahlt wird, in Tateinheit gemäß § 52 StGB zusammentreffen.732 Die Ausführungshandlung des Täters besteht darin, dass er die Ware im Einkaufswagen oder in einer anderen Verpackung versteckt. Dieses Verstecken der Ware dient zugleich der Vorbereitung der späteren Täuschung des Kassenpersonals, ohne die die Tat nicht gelingen kann.733 728
Heghmanns, Rn. 1234. Heghmanns, Rn. 1234. 730 SSW-Eschelbach, § 52 Rn. 20. 731 Huschka, NJW 1960, 1189 (1190). 732 Vgl. Puppe, JR 1984, 229 (234); Puppe, S. 350 und S. 354; Walter, Jura 2002, 415 (421); Walter, S. 223; Röckrath, S. 35. 733 OLG Düsseldorf, NJW 1961, 1368 (1369). 729
IV. Ergebnisse zum Tatbestand des Betrugs
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c) Ergebnis Aus systematischen Gründen ist es vorzugswürdig, Überschneidungen der Tatbestände des Besonderen Teils des StGB anzuerkennen. Durch die Regelungen über die Konkurrenzen wird eine angemessene Lösung gefunden. Diebstahl und Betrug schließen sich nicht tatbestandlich aus.
IV. Ergebnisse zum Tatbestand des Betrugs und seinem Konkurrenzverhältnis zum Diebstahl In Fall a), in dem der Täter im Selbstbedienungsladen eine Ware in seiner Jackentasche versteckt und damit die Kasse passiert, liegt ein Forderungsbetrug gegenüber dem Kassenpersonal zu Lasten des Geschäftsinhabers vor, der jedoch als mitbestrafte Nachtat gegenüber dem Diebstahl durch das vorherige Verstecken der Ware zurücktritt. In Fall b), in dem der Täter eine Ware im Einkaufswagen versteckt und damit die Kasse passiert, begeht der Täter sowohl einen Sachbetrug gegenüber dem Kassenpersonal zu Lasten des Geschäftsinhabers als auch einen Diebstahl. Die beiden Delikte stehen im Verhältnis der Tateinheit gemäß § 52 StGB zueinander. Gleiches gilt in Fall c), dem Fall des Versteckens einer Ware in einer anderen Verpackung. Auch hier sind Diebstahl und Betrug tateinheitlich erfüllt.
D. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Die Untersuchung der Selbstbedienungsladen-Fälle hat gezeigt, dass die bisher in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Gewahrsamsbegriffe allesamt nicht überzeugen. Gewahrsam hat vielmehr, wer bestimmt, wo sich eine Sache befindet. Im Einzelnen: – Alleingewahrsam an einer beweglichen Sache hat, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt allein bestimmt, an welchem Ort sich diese Sache befindet. – Wenn mehrere Personen bestimmen, wo sich eine bewegliche Sache befindet, haben sie Mitgewahrsam an dieser Sache. Es gibt keinen übergeordneten oder untergeordneten Mitgewahrsam. – Der Gewahrsam besteht fort, solange andere Personen die Ortsbestimmung des bisherigen Gewahrsamsinhabers aus der Sicht eines objektiven Beobachters anerkennen. – Neuer Gewahrsam wird begründet, wenn ein anderer als der bisherige Gewahrsamsinhaber allein bestimmt, wo sich die Sache befindet. Diese neue Gewahrsamsdefinition beschreibt den Gewahrsam als Friedenszustand, ohne auf die unbestimmten Korrektive der Verkehrsanschauung oder einer irgendwie gearteten sozialen Konvention zurückgreifen zu müssen. Nach dieser Definition ist es unerheblich, ob der Täter bei der Tatausführung von einer eingriffsbereiten Person beobachtet wird. In Bezug auf das Tatbestandsmerkmal der Fremdheit der Sache hat die Untersuchung ergeben, dass die im Vordringen befindliche Ansicht, nach der es ausreichend sei, wenn die Sache beim unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung i. S. d. §§ 22, 242 StGB für den Täter fremd war, gegen das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB verstößt. Vielmehr ist für die Vollendung des Diebstahls zu verlangen, dass die Sache auch im Zeitpunkt der Begründung neuen Gewahrsams noch fremd für den Täter ist. In den Selbstbedienungsladen-Fällen findet an der Kasse keine Übereignung hinsichtlich der versteckten Waren statt. Dies gilt auch für die in einer anderen Verpackung versteckte Ware. Die Untersuchung ist weiter zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ansicht vom konkreten Einverständnis zur Bestimmung des tatbestandsausschlie-
D. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
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ßenden Einverständnisses vorzugswürdig ist. Nach dieser Ansicht liegt nur dann ein Einverständnis vor, wenn der zur Gewahrsamsübertragung Befugte den Willen hat, den Gewahrsam an dem konkreten Gegenstand aufzugeben. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn der Täter versteckte Ware am Kassenpersonal vorbeischleust. Neben einem Wissenselement ist für das Einverständnis ein Willenselement erforderlich. Das Willenselement ist gegeben, wenn der bisherige Gewahrsamsinhaber den Gewahrsamsübergang anstrebt oder billigt oder ihm gleichgültig gegenübersteht. Das Wissenselement ist gegeben, wenn der bisherige Gewahrsamsinhaber den Gewahrsamswechsel wenigstens für möglich hält. Die Tatbestandsmerkmale des Betrugs sind in den untersuchten Selbstbedienungsladen-Fällen überwiegend vollständig erfüllt. Nur in den Fällen, in denen das Kassenpersonal mindestens konkret für möglich hält, dass der Täter Ware verborgen hat, liegt kein Irrtum vor. Eine Vermögensverfügung setzt ein Tun, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten voraus, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Damit ist die Vermögensverfügung abschließend definiert. Weitere Voraussetzungen sind an die Vermögensverfügung nicht zu stellen. Insbesondere bedarf es keines Verfügungsbewusstseins des Opfers. Die von der herrschenden Meinung vertretene Exklusivität von Diebstahl und Betrug ist abzulehnen. Es wurde gezeigt, dass sich eine solche Exklusivität weder aus dem Gesetzeswortlaut ergibt noch aus sachlichen Gründen erforderlich ist. Das Verhältnis von Diebstahl und Betrug ist daher auf der Ebene der Konkurrenzen zu lösen. Bei einem tatsächlichen Vorgang, der wie in den Selbstbedienungsladen-Fällen b) und c) die Zufügung eines Vermögensschadens und einen Gewahrsamsbruch zum Gegenstand hat, wird durch eine Tateinheit von Diebstahl und Betrug im Schuldspruch klargestellt, dass die Sacherlangung durch eine Täuschung mitverursacht wurde. Anderenfalls bliebe das Unrechtselement der Täuschung unberücksichtigt. In diesen Fällen kommt die Klarstellungsfunktion der Tateinheit zum Tragen.
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Sachwortverzeichnis abhanden gekommene Sachen 66, 68 aliud 76–78, 128, 134 Analogieverbot 57, 109, 116, 160 Besitz 27, 40, 41, 68, 124, 125, 138, 148, 153, 154, 157 Besitzkehr 26 Besitzschutzrechte 60, 130 Besitzstörung 125, 134, 148 Betrug als Spezialfall der mittelbaren Täterschaft 106, 114, 115, 118, 138 Diebstahl geringwertiger Sachen 25 dolus eventualis siehe Eventualvorsatz Doppelverwertung desselben Unrechts 142 Drohung 41, 68, 141 Druckerwalzen-Druckerpatronen-Fall 69–71, 87 Eigentumsdelikt 56, 58, 154, 158 Eigenverantwortlichkeitsprinzip 108, 121 – eigenverantwortliche Selbstgefährdung 107 – eigenverantwortliche Selbstschädigung 122 – Eigenverantwortlichkeit 108, 122 Einkaufswagen-Fall 133, 146 Eisengitter-Fall 41, 42 Empfängerhorizont 55, 61, 62 Erpressung 85, 140–142 Erscheinungsbild des Gebens 85, 133 Eventualvorsatz 67, 105–107, 112, 119 Exklusivitätsverhältnis von Diebstahl und Betrug 14, 125, 134, 136, 141, 142, 148, 161
Fiktion 40, 50, 66, 83, 94 Fischkisten-Fall 69–71, 76–78, 81, 82, 88 Forderungsbetrug 124–129, 131, 135, 138, 145, 152, 153, 156, 157, 159 Fremdheit von Sachen 14, 54, 55, 58, 63, 160 – Angebot zur Übereignung 59–62 – Annahmeerklärung zur Übereignung 61, 62 – condicio in praesens vel praeteritum collata 62 – Eigentumserwerb 56, 58, 59, 75 – Zeitpunkt der Fremdheit 55 Fremdschädigungsdelikt 136, 137 Geringfügigkeitsprinzip 42, 43 Gewahrsam – Alleingewahrsam 51–53, 124, 160 – als exklusive Sachzuordnung mit günstiger Bestandsprognose 32 – als persönliche Nutzungsreservierung 28 – als reale Nutzungsmöglichkeit 34 – Beobachtung des Täters 18–20, 23, 27, 29, 31–34, 38–42, 53 – faktischer Gewahrsamsbegriff 30, 38–40, 42 – Gewahrsamsenklave 26 – Gewahrsamssphäre 18, 27, 28 – Herrschaftswille 17, 30, 34, 45, 46 – historischer Gewahrsamsbegriff 35 – Körpersphäre 16, 18, 25, 29, 31, 37, 41, 43, 45, 53, 54, 138, 148, 152, 157 – Mitgewahrsam 51–54, 160 – sozialer Gewahrsamsbegriff 24 – sozial-faktischer Gewahrsamsbegriff 17, 39
174
Sachwortverzeichnis
– Tabubruch 45 – Verkehrsanschauung 20, 30, 48, 51, 52, 77, 95, 160 – willentliche Ortsbestimmung 50 Gewahrsamsbruch 63, 69 – bedingtes Einverständnis 80, 83 – Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel 14, 26, 63, 66–68, 76, 78, 79, 84, 126, 129 – generelles Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel 64, 68, 71, 75 – konkretes Einverständnis mit dem Gewahrsamswechsel 65, 86–88, 160 – Wissens- und Willenselement des tatbestandsausschließenden Einverständnisses 66 grobe Fahrlässigkeit 109 Hausfriedensbruch 36 Heimlichkeit 18, 40 Herausgabeanspruch 124, 134, 138, 148, 157 Idealkonkurrenz siehe Tateinheit ignorantia facti 97 Irrtum 96, 97 – diffuse Zweifel des Opfers 104 – konkrete Zweifel des Opfers 105 – positive Fehlvorstellung 97 – sachgedankliches Mitbewusstsein 96, 97 – Zweifel des Opfers 98, 101–103, 105, 107, 111, 113 irrtumsmotivierter Handlungs- oder Unterlassungswille 132, 146 Kaufvertrag 75, 87, 95, 125, 169 Kombinationsstrafrahmen 142 Konsumtion 151 Milchflaschen-Kokoslikör-Fall 69, 70, 79, 83, 87, 88 mitbestrafte Nachtat 69, 127, 128, 151, 153, 157, 159 mittelbare Falschbeurkundung 117
Mord 141 Mundraub 25 Nötigung 66, 69 objektive Zurechnung 107, 108, 120–122 Peinliche Gerichtsordnung 35 Pflug auf dem Felde 39, 51, 52 Präzedenzprinzip 56, 58 Raub 19, 84 Raub mit Todesfolge 141 Räuberische Erpressung 69, 85 Räuberischer Diebstahl 19, 41, 66, 68, 137 rechtfertigende Einwilligung 67, 75, 101, 118 – Wissens- und Willenselement 67 rechtsgutsbezogene Fehlvorstellung 102, 119 Rechtssicherheit 142, 147 Rücktritt vom Versuch 35, 41, 42 Sachbetrug 124, 125, 132, 144 Schuldprinzip 140, 141 Schuldspruch 141, 147, 161 Selbsthilferecht 125 Selbstschädigungsdelikt 136, 137, 146 – unbewusste Selbstschädigung 65 Sicherungsbetrug 127, 130, 151, 153, 154 Strafrahmen 85, 142 Strafzumessung 43, 99, 141, 142 Subsidiarität 100, 104, 153, 154, 158 Tateinheit 140–143, 149, 154, 155, 158, 159, 161 – Klarstellungsfunktion der Tateinheit 141, 161 Täterschaft – Exklusivitätsverhältnis zwischen unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft 139
Sachwortverzeichnis
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– mittelbare Täterschaft 106, 115–118, 121, 139 – unmittelbare Täterschaft 115, 139 Tatmehrheit 154, 158 Täuschung 90 – ausdrückliche Täuschung 91 – durch Unterlassen 90, 92, 93 – konkludente Täuschung 91–95 teleologische Reduktion 108, 121, 133, 135, 146, 147 Totschlag 56, 58, 139 Trickdiebstahl 132
– konkretes Verfügungsbewusstsein 129 Verleitung zur Falschaussage 117 Vermögensdelikte 13, 84, 101, 154, 158 Vermögensschaden 123–125, 132, 134, 142, 148, 152, 155 – selbständiger Vermögensschaden 134, 147 Vermögensverfügung 13, 14, 123, 125, 126, 129–133, 135, 146, 149, 150, 152, 153, 156, 161
Überlistung 97, 99, 113 überschießende Innentendenz 48 Übertretung 25 Unterschlagung 27, 36, 46, 73, 74, 101, 130
Wegnahme 16, 19, 29, 45, 46, 48, 49, 54 Windelkarton-Zigaretten-Fall 69, 71, 77, 79, 81, 83, 84, 87, 137 Winkelschleifer-Trennscheiben-Fall 69, 70, 72, 77, 80, 83, 84, 87, 143
Verbrauchsmittelentwendung 24 Verfügungsbewusstsein 126, 129–131, 134, 136, 143–145 – aliud 128 – generelles Verfügungsbewusstsein 127
Zueignung einer Sache durch Wegnahme 49 Zueignungsabsicht 32, 43, 46–51 – Aneignung 29, 48