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German Pages [212] Year 2010
Sibylle Schnyder Tötung und Diebstahl
Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas Herausgegeben von
Klaus Lüderssen, Klaus Schreiner, Rolf Sprandel und Dietmar Willoweit Fallstudien Band 9
Sibylle Schnyder
Tötung und Diebstahl Delikt und Strafe in der gelehrten Strafrechtsliteratur des 16. Jahrhunderts
2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
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© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: MVR Druck GmbH, Brühl Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20545-4
Meinen Eltern und Stefan
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Basel im November 2008 als Dissertation angenommen. Die Anregung zu dieser Arbeit erhielt ich bereits während meiner Studienzeit, als ich als Unterassistentin bei Herrn Prof. Dr. Kurt Seelmann an dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten Forschungsprojekt «Enstehung des öffentlichen Strafrechts» mitarbeiten durfte. Herrn Prof. D. Kurt Seelmann danke ich herzlich für die wertvolle Unterstützung und Begleitung der Arbeit. Dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung sowie dem Dissertationenfond der Universität Basel bin ich für die Gewährung von Druckkostenbeiträgen dankbar. Herzlich danken möchte ich Herrn Prof. Dr. Dietmar Willoweit für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe «Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas. Fallstudien». Ganz besonderer Dank gilt meinem Ehemann Stefan Oesterhelt, der mich ermuntert hat, die während der Studienzeit erarbeiteten Quellen in der vorliegenden Form auszuwerten, sowie meinen Eltern und meinen Schwiegereltern, welche das Manuskript mit grosser Sorgfalt durchgesehen haben. Zürich, im Januar 2010
Sibylle Schnyder
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Inhalt
1.
Einführung. ......................................................................................................... 13
2.
Untersuchungsgegenstand: die gelehrte Strafrechtsliteratur des 16. Jahrhunderts................................................................................................. 17
2.1. 2.2. 2.2.1.
Überblick über die untersuchte Literatur..................................................... 17 Theologie und Strafrechtswissenschaft im 16. Jahrhundert...................... 18 Die Thomasrenaissance und das Aufblühen der Theologenschule von Salamanca.................................................................................................... 18 Wechselseitige Beeinflussungen von Theologie und Rechtswissenschaft.. 19 Literaturgattungen und ihre Vertreter........................................................... 21 Strafrechtstraktate.............................................................................................. 21 Juristische Traktatsummen und Kommentare.............................................. 27 Moraltheologische Kommentare und thomistische Traktatsummen..... 29 Beichtliteratur..................................................................................................... 32 Rechtsquellen und zitierte Autoritäten in der gelehrten Strafrechtsliteratur............................................................................................. 32
2.2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. 2.4.
3.
Delikt, insbesondere Tötung (homicidium) und Diebstahl (furtum)............................................................................................. 36
3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.4. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.3. 3.3.1. 3.3.2.
Begriff und Wesen des Delikts......................................................................... 36 Crimen und peccatum........................................................................................ 36 Die Straftat als actus inordinatus..................................................................... 38 Anknüpfung der Straftat: Gesinnung oder äusserer Erfolg?..................... 40 Zurechnung......................................................................................................... 42 Allgemeine Deliktslehren................................................................................. 43 Vorsatz und Fahrlässigkeit................................................................................ 43 Versuch und Vollendung................................................................................... 53 Handlung oder Unterlassung?......................................................................... 58 Verbrechensaufbau............................................................................................. 60 Homicidium......................................................................................................... 62 Homicidium simplex.......................................................................................... 63 Sonderformen des homicidium........................................................................ 65 9
3.3.3. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.4.3. 3.4.4.
Homicidium obiective licitum........................................................................... 70 Furtum und Rapina........................................................................................... 82 Der „Grundtatbestand“ des furtum................................................................ 82 Sonderformen des furtum................................................................................ 86 Rapina und ihre Abgrenzung zum furtum.................................................... 89 Furtum licitum.................................................................................................... 90
4.
Strafe.................................................................................................................... 95
4.1.
4.2.3. 4.2.4. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.3.4. 4.4. 4.4.1. 4.4.2.
Begriff der Strafe und Abgrenzung zu anderen Reaktionen auf ein Delikt...................................................................................................... 95 Das Wesen der Strafe......................................................................................... 95 Abgrenzung der obrigkeitlichen Strafe von der göttlichen Strafe, der privaten Rache und der Busse................................................................... 97 Poena und restitutio..........................................................................................100 Kriminalstrafe und pönale Zivilklage bei furtum......................................106 Die Strafzwecke................................................................................................108 Vergeltung und Ausgleich der Schuld..........................................................108 Poena medicinalis in der älteren kanonistisch-theologischen Lehre...................................................................................................................113 Wiederentstehen einer Präventionstheorie im 16. Jahrhundert.............114 Fazit....................................................................................................................118 Strafgewalt und Strafmonopol......................................................................119 Staatsverständnis..............................................................................................119 Private und hoheitliche Strafbefugnisse......................................................121 Begnadigung.....................................................................................................135 Friedensschluss zwischen Täter und Opfer................................................137 Strafarten...........................................................................................................140 Weltliche Strafen..............................................................................................140 Kirchenrechtliche Strafen..............................................................................148
5.
Proportionalität von Delikt und Strafe. ......................................................151
5.1. 5.1.1. 5.1.2. 5.1.3. 5.1.4.
Grundlagen der Festlegung der Strafe.........................................................151 Systematik der Strafzumessung.....................................................................151 Rechtsgrundlage und richterliches Ermessen.............................................152 Talion und Proportionalität..........................................................................154 Schuld als Voraussetzung von Strafe?...........................................................157
4.1.1. 4.1.2. 4.1.3. 4.1.4. 4.2. 4.2.1. 4.2.2.
10
5.2. 5.2.1. 5.2.2. 5.3. 5.3.1. 5.3.2. 5.3.3. 5.4.
Die grundsätzlichen Strafdrohungen für homicidium und furtum........161 Poena ordinaria für homicidium....................................................................161 Poena ordinaria für furtum.............................................................................164 Die einzelnen Strafzumessungskriterien.....................................................169 Person des Täters..............................................................................................169 Person des Opfers und dessen Verhältnis zum Täter................................182 Objektive Kriterien..........................................................................................183 Gegenüberstellung der Geldstrafe für homicidium und der Todesstrafe für furtum.....................................................................................187
6.
Zusammenfassung..........................................................................................190
Abkürzungsverzeichnis...................................................................................................193 Literaturverzeichnis.........................................................................................................195 A. Primärliteratur......................................................................................................195 B. Sekundärliteratur..................................................................................................197 Personenverzeichnis.........................................................................................................208
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1. Einführung
Nach heutigem Verständnis stellt die Strafhoheit ein konstituierendes Element der modernen Staatsgewalt dar. Der Grundsatz der Gesetzesbindung (nulla poena sine lege) dient dabei der Begrenzung der staatlichen Macht und damit dem Schutz der Bürger. Dieses Strafverständnis ist das Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses, denn – mit Ausnahme bestimmter Religions- und Majestätsdelikte – wurden Delikte während langer Zeit als etwas angesehen, das lediglich die involvierten Privatpersonen betraf1. Über die Gottes- und Landfriedensbewegung sowie aufgrund der zunehmenden Verbreitung des Inquisitionsprozesses wurden im Laufe des Mittelalters mehr und mehr Delikte nicht nur von Privaten, sondern auch durch die „Öffentlichkeit“ geahndet2. Seit dem 12. Jahrhundert begann sich, zunächst in Italien, allmählich eine Strafrechtswissenschaft herauszubilden. Den Anfang bildete die Kodifikation von kanonischen Rechtssätzen (so z.B. 1140 im Decretum Gratiani)3 sowie, im weltlichen Recht, die Wiederentdeckung und Kommentierung des Corpus Iuris Civi lis. Seit dem 13. Jahrhundert entstanden nebst den Glossen zum römischen Recht aber auch eigenständige Strafrechtstraktate. Auch das Kirchenrecht und die Theologie beschäftigten sich im ausgehenden Mittelalter stark mit strafrechtlichen Themen, wobei hier insbesondere die Buss- und Beichtliteratur zu nennen ist, welche den Priestern als Anleitung zur Beurteilung der ihnen zugetragenen Sünden diente4. Im Anschluss an die beschriebenen, für die Strafrechtsgeschichte bereits sehr bedeutsamen Entwicklungen des ausgehenden Mittelalters gelangten Wissenschaft und Theologie im 16. Jahrhundert, insbesondere in Spanien, zu einer Blüte. Das 16. Jahrhundert zeichnete sich durch eine Reihe gesellschaftspolitischer und religiöser Umwälzungen aus, die die Wissenschaften herausforderten und sie dadurch vorantrieben5. Im Umfeld der aufblühenden Universität von Salamanca legte eine Gruppe von Theologen und Juristen die Grundsteine für das moderne Natur- und 1 Vgl. Radbruch, S. 357 ff.; Ebel / Thielmann, Rz 412 ff.. 2 Zur „Geburt“ der peinlichen Strafe vgl. Achter; kritisch dazu Wadle, S. 21 ff.; Schubert, S. 21 ff.. Zur Entstehung des Inquisitionsprozesses vgl. Jerouschek, Inquisition, S. 337 ff. sowie Trusen, Inquisitionsprozess. Vgl. auch Lüderssen, S. 14, Fn. 4. 3 Das Decretum Gratiani (1140) ist eine Sammlung von Regeln des Kirchenrechts, die seit den Konzilien des 4. Jahrhunderts erlassen wurden. Eingehend zum Decretum Gratiani: Landau, Kanones, S. 161 ff.. Das Decretum Gratiani bildete später einen Teil des Corpus Iuris Canonici (1582-1918). Zum Aufbau des Corpus Iuris Canonici vgl. Senn, S. 181. 4 Vgl. z.B. Trusen, Strafprozess, S. 51; Wieacker, S. 71 ff., S. 78; Seelmann, Thomas von Aquin, S. 6 ff.. 5 Vgl. Seelmann, Wendeprozess, S. 115 ff..
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Völkerrecht; mit der Wiederentdeckung der Lehren des Thomas von Aquin kam es gleichzeitig zu einer Erneuerung der Theologie. Eine grosse Anzahl Gelehrter verschiedener Disziplinen (Legistik, Kanonistik, Moraltheologie) und aus verschiedenen Herkunftsländern hat sich im 16. Jahrhundert mit strafrechtlichen Themen befasst, so dass bereits von einer ersten „europäischen“ Strafrechtswissenschaft gesprochen werden kann6. Diese Wissenschaft konnte einerseits bereits auf einen reichen Fundus an vorangegangenen Arbeiten aus der Legistik und Kanonistik zurückgreifen. Andererseits bestehen Hinweise, dass sich die Strafrechtswissenschaft aufgrund des fruchtbaren geistigen Klimas im 16. Jahrhundert und der engen Kontakte zwischen Gelehrten verschiedener geistiger und geografischer Herkunft entscheidend weiterentwickelt hat. Der Einfluss zahlreicher Juristen und Kanonisten aus dem 16. Jahrhundert auf die Entwicklung des Strafrechts, insbesondere des Diego Covarruvias de Leyva, ist in der strafrechtsgeschichtlichen Wissenschaft inzwischen anerkannt7. Nebst Abhandlungen zum Natur- und Völkerrecht wurden Arbeiten zahlreicher Gelehrter des 16. Jahrhunderts bereits separat auf verschiedene, insbesondere theologische, rechts- und staatsphilosophische Aspekte untersucht; im Vordergrund stehen dabei Abhandlungen zu Francisco de Vitoria und Fernando Vàzquez8. Im Zusammenhang mit spezifischen Rechtsfiguren nimmt die strafrechtshistorische Literatur auch auf verschiedene Autoren des 16. Jahrhunderts Bezug9. Abgesehen von der Arbeit Maiholds zur Zurechnung fremder Schuld existiert aber – soweit ersichtlich – noch keine breite und spezifische Untersuchung der gelehrten Strafrechtsliteratur des 16. Jahrhunderts in Bezug auf das grundlegende Verständnis von Delikt und Strafe. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Analyse von ausgewählten wissenschaftlichen Texten des 16. Jahrhunderts, die sich mit „strafrechtlicher“ Materie befassen und die verschiedenen, damals vorherrschenden Literaturgattungen repräsentieren. Dabei soll insbesondere das Verhältnis von Delikt und Strafe untersucht 6 Dabei begann das gelehrte Recht auch allmählich die weltliche Strafpraxis zu beeinflussen (vgl. Willoweit, Rezeptionen, S. 159, in Bezug auf Deutschland). 7 Vgl. z.B. Rüping / Jerouschek, Rz. 114; Bock, S. 7 ff.; Schaffstein, Strafrechtswissen schaft. 8 Daneben existieren aber auch wissenschaftliche Untersuchungen z.B. zu Albertus Gandinus, Aegidius Bossius, Andreas Tiraquellus, Martin Azpilcueta, Diego Covar ruvias De Leyva, Luis de Molina, Julius Clarus etc. (die entsprechenden Literaturhinweise finden sich weiter hinten, 2.3, bei der Zusammenfassung der wichtigsten Lebensdaten der untersuchten Autoren). 9 So z.B. Ebel für das Trunkenheitsdelikt, Glöckner für den Versuch, Siems für den Diebstahl, Feenstra für die Restitution bei Tötung oder Maihold im Zusammenhang mit Strafen für fremde Schuld.
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werden, wobei zwei Deliktstatbestände im Vordergrund stehen, nämlich die Tötung (homicidium) und der Diebstahl (furtum). Eine Konzentration auf das Delikt homicidium bietet sich u.a. deswegen an, weil noch bis ins 18. Jahrhundert die allgemeine Verbrechenslehre im Rahmen der Tötungsdelikte abgehandelt wurde. Auch die Kanonistik hat sich wegen der Rechtsfolge der Irregularität schon früh detailliert mit den Tötungsdelikten befasst und in diesem Zusammenhang allgemeine strafrechtliche Fragen abgehandelt10. Ein weiterer Grund für die Auswahl der Delikte homicidium und furtum besteht darin, dass diese – nach heutigem Verständnis – jeweils ein typisches Delikt der schweren sowie der mittleren Kriminalität darstellen. Im 16. Jahrhundert wurden homicidium und furtum zum Teil noch mit – für heutige Verhältnisse – ungewöhnlichen Strafen bedroht (Geldstrafe für homicidium, Todesstrafe für furtum). Die vorliegende Untersuchung soll dazu beitragen, die diesbezüglichen fundamentalen Veränderungen im Strafrechtsdenken aufzuzeigen. Anhand der Proportionalität von Delikt und Strafe wird versucht, das grundlegende Verständnis der untersuchten Autoren bezüglich Delikt und Strafe auszuleuchten. Dabei ist auch die theologische Dimension dieser Fragen – zumindest in demjenigen Umfang, als sie sich direkt auf die Rechtswissenschaft auswirkt – in die Untersuchung mit einzubeziehen. Im Rahmen der Proportionalität von Delikt und Strafe sollen auch Fragen der Zurechnung und der Strafzwecke behandelt werden. Daneben wird auf die Tatbestandselemente von homicidium und furtum, auf Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sowie auf die verschiedenen Strafarten und die Strafzumessung eingegangen. Entsprechend der thematischen Ausrichtung der vorliegenden Arbeit bleiben demgegenüber prozessrechtliche Themen weitgehend ausgeklammert. Ziel dieser Arbeit ist es, einen Eindruck des Strafrechtsverständnisses in der gelehrten Literatur des 16. Jahrhunderts zu vermitteln und dabei die gegenseitigen Einflüsse und allfälligen Entwicklungen bei den einzelnen Gelehrten aufzuspüren. Dabei interessieren insbesondere die Fragen, ob und in welchen Bereichen Neuerungen in der Strafrechtswissenschaft zu Tage treten und ob und gegebenenfalls welche Einflüsse sich von der Theologie in die Jurisprudenz und umgekehrt nachweisen lassen. Ausgegangen wird von der These, dass das 16. Jahrhundert eine Übergangsphase darstellt vom mittelalterlichen, noch stark von der Privatjustiz dominierten Strafrecht zu einem neuzeitlichen Strafrechtsverständnis, das auf einer ausschliesslich hoheitlichen Strafkompetenz beruht. Es ist zu vermuten, dass diese Entwicklungen durch die enge Verbindung von Theologie und Jurisprudenz, das Wiederentstehen der Naturrechtslehre im 16. Jahrhundert sowie die Weiterentwicklung der Staatstheorie gefördert wurden. 10 Vgl. Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 75, Fn. 14.
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Die vorliegende Dissertation gliedert sich in drei Hauptteile, die dem Delikt, der Strafe und schliesslich dem Verhältnis von Delikt und Strafe gewidmet sind. Dem Hauptteil vorangestellt ist eine kurze Darstellung der untersuchten Literatur, der herrschenden Literaturgattungen im 16. Jahrhundert und der Lebensdaten der be rücksichtigten Autoren. Am Schluss dieser Arbeit werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und die eingangs aufgestellten Thesen zu verifizieren versucht.
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2. Untersuchungsgegenstand: die gelehrte Strafrechtsliteratur des 16. Jahrhunderts
2.1. Überblick über die untersuchte Literatur Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden Texte verschiedener Autoren untersucht, die in Spanien und den spanischen Einflussgebieten in Italien und den Niederlanden gewirkt haben. Neben zahlreichen Theologen, die als eigentliche Vertreter der sog. spanischen Spätscholastik bzw. der Schule von Salamanca1 bezeichnet werden können, wird auch eine Reihe von Kanonisten und Juristen aus der iberischen Halbinsel, Italien, Frankreich und den Niederlanden berücksichtigt. Da die Strafrechtstraktate von Albertus Gandinus und Bonifacius de Vitalinis die spätere gelehrte Strafrechtsliteratur massgeblich beeinflusst haben, wird diesbezüglich der zeitliche Rahmen der Untersuchung bis ins 13. und 14. Jahrhundert ausgedehnt. Die Einflüsse der italienischen Juristen auf die spanischen Moraltheologen und Kanonisten und umgekehrt waren vielfältig. Ein Beispiel für den Gedankenaustausch zwischen Italien und Spanien stellt Julius Clarus dar, der aus dem Herzogtum Mailand stammte, in Pavia studierte und später in Spanien wirkte2. Die Universitäten Bologna und Pavia waren Zentren der Rechtslehre, an welchen Juristen für ganz Europa ausgebildet wurden3; das Herzogtum Mailand mit seiner Universität Pavia gehörte zum Herrschaftsgebiet Spaniens und auch an der Universität Bologna wirkten im 16. Jahrhundert wichtige spanische Rechtslehrer. Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur zu Recht von einer „Europäisierung der Strafrechtswissenschaft“ im 15. und 16. Jahrhundert gesprochen4. Nebst den vorgenannten Gründen dürften auch die Ausbreitung der Buchdruckerkunst sowie die politischen Umstände zur „Europäisierung“ beigetragen haben5. Bei den untersuchten Quellen handelt es sich einerseits um moraltheologische Kommentare, Traktate und Traktatsummen mit teilweise starkem kanonistischem 1
2 3 4 5
Zur Kritik des Begriffs „spanische Spätscholastik“ vgl. Grunert, Theologien, S. 314 f. mit div. Literaturhinweisen, Maihold, S. 42 ff. sowie Pérez Luño, S. 46 ff.. Zu den Auswirkungen der „spanischen Schule“ auf die Lehren des Natur- und Völkerrechts im 17. Jahrhundert vgl. Reibstein, Anfänge, S. 9 ff.. Vgl. Grunert, delictum publicum, S. 422. Vgl. Rüping / Jerouschek, Rz. 40; Senn, S. 165 ff., insb. S. 183. Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 10 f.; Bock, S. 7 ff.. Vgl. Moeller, S. 101, der auf die italienischen, spanischen, belgischen und französischen Einflüsse im Strafrechtstraktat von Clarus hinweist.
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Einschlag sowie andererseits um strafrechtliche Spezialliteratur (Handbücher, Lehrwerke, Traktate, Kommentare etc.) und allgemeine juristische Werke. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich bewusst auf wissenschaftliche Texte; eine Analyse von Quellen aus dem Rechtsalltag (z.B. Gesetzestexte, Urteile, Chroniken etc.) wäre zwar interessant, würde aber den Rahmen dieser Untersuchung sprengen6. Im Folgenden soll kurz auf die Bedeutung der Theologie und insbesondere der spanischen Moraltheologen für die Rechtswissenschaft eingegangen werden; anschliessend wird ein Überblick über die verschiedenen Literaturgattungen und deren Vertreter dargestellt.
2.2. Theologie und Strafrechtswissenschaft im 16. Jahrhundert 2.2.1. Die Thomasrenaissance und das Aufblühen der Theologenschule von Salamanca
Die Sentenzen des Petrus Lombardus (ca. 1100–1160), die während langer Zeit als das beherrschende Textbuch des Theologiestudiums galten, wurden 1509 zunächst an der Universität von Paris und später auch an anderen europäischen Universitäten durch die Summa Theologiae des Thomas von Aquin ersetzt7. Francisco de Vitoria, der in Paris studiert hatte, hat die Summa Theologiae nach seiner Rückkehr nach Spanien als Lehrbuch der Theologie eingeführt und damit eine eigentliche Schule von Thomas-Kommentatoren begründet. Die Gründe für die Ablösung der Sentenzen des Petrus Lombardus durch die Summa Theologiae dürften vielfältig gewesen sein. Einerseits entsprach die Summa Theologiae dem aufkommenden Bedürfnis nach einer klaren Gliederung des Stoffes in Form eines theologischen Systems und war als Handbuch der Theologie benutzerfreundlicher8. Andererseits dürften die theoretische Nähe zu Aristoteles sowie der Ideenrealismus der Herausbildung naturrechtlicher Theorien gedient haben9. Francisco de Vitoria hat in seinen Vorlesungen insbesondere die Secunda pars der Summa Theologiae sehr ausführlich kommentiert, was dafür spricht, dass die verstärkte Konzentration auf ethische Fragen ein Bedürfnis der Zeit gewesen ist10. Innerhalb der Secunda secundae wiederum setzte Vitoria den 6 7 8 9 10
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Zum damaligen Justizsystem in Spanien vgl. Weisser, S. 76 ff. und Bennassar, S. 65 f.. Die Summa theologiae entstand in den 60er und 70er Jahren des 13. Jahrhunderts. Zum Leben und Werk des Thomas von Aquin statt vieler: Torrell. Seelmann, Relevanz, S. 100 f.. Bergfeld, S. 1019 f.; Grunert, Theologien, S. 317. Deckers, S. 19.
Schwerpunkt bei De iustitia und nimmt in seinen Kommentaren Stellung zu vielen politischen, sozialen und ökonomischen Fragen seiner Zeit. Unter dem Einfluss von Vitoria kam es im 16. Jahrhundert zu einem Aufblühen der Theologenschule von Salamanca11. Die tiefgreifenden gesellschaftlichen, politischen und religiösen Veränderungen zu Beginn des 16. Jahrhunderts – man denke nur an die Entdeckung Amerikas mit seinen fremden Kulturen, Beginn der Reformation, Entstehung von Nationalstaaten, Aufkommen des Humanismus – gaben der Theologie fruchtbare Impulse. Unter dem Einfluss des wiedererstarkten Thomismus kam es in der spanischen Spätscholastik zu einer Reform der Theologie, insb. der Moraltheologie, die zur Festigung der katholischen Kirche auf dem Konzil von Trient führte12. 2.2.2. Wechselseitige Beeinflussungen von Theologie und Rechtswissenschaft
Die stark moraltheologisch interessierten Theologen des 16. Jahrhunderts sind in ihren Werken regelmässig auch auf juristische Materien eingegangen. Dies dürfte nicht zuletzt auf die Intensivierung und Erneuerung der Beichtpraxis unter dem Einfluss des Dominikaner- und Jesuitenordens zurückzuführen sein13. Dabei brachten die Theologen eindrückliche Kenntnisse der juristischen Literatur und Rechtsprechung zu Tage. Als Theologen waren sie freier im Umgang mit juristischen Autoritäten und Texten, wodurch sich verschiedene Anregungen aus der Theologie in die Jurisprudenz ergaben. Dies zeigt sich z.B. bei der Neuordnung des Stoffes, um die sich verschiedene Gelehrte bemüht haben14. Als Beispiele für den eigenständigen Umgang der Moraltheologen mit juristischen Lehren können auch Soto und Molina genannt werden: Soto kritisiert z.B. bezüglich der Todesstrafe für furtum den renommierten Juristen Baldus (vgl. nachfolgend 5.2.2.1) während Molina den traditionell überlieferten furtum-Definitionen des römischen Rechts und des Thomas eine eigene Definition gegenüberstellt (vgl. nachfolgend 3.4.1). 11 12
13 14
Weiterführend dazu: Binder, S. 221 ff.; vgl. auch Erdo, S. 122 f.. Bergfeld, S. 1016. Eine Zusammenfassung des geopolitischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, religiösen und philosophischen Kontextes im Spanien des 16. Jahrhunderts gibt z.B. Brieskorn, S. 105 ff.. Bergfeld, S. 1022. Zu den juristischen Einflüssen in der Beichtliteratur vgl. Trusen, Gerichtsbarkeit, S. 496 f.. Vgl. Seelmann, Wendeprozesse, S. 119 ff., mit weiteren Beispielen in der Literatur des Fernando Vàzquez. Das kritische Interesse der Moraltheologen an juristischer Literatur bringt Lugo in seiner Einleitung auf den Punkt: „In allegandis iuris utriusque Doctoribus, aut textibus, nec eos quasi alienos abhorrebimus, nec eorum ostentationem ex industria affectabimus“.
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Dazu kommt, dass einige der untersuchten spanischen Theologen (z.B. Covarruvias, Vela y Acuña, Azpilcueta) gleichzeitig auch Lehrer des kanonischen Rechts waren, was die enge Wechselwirkung zwischen rechtlichen und moraltheologischen Fragen verstärkte15. Auch wenn Kommentare und Traktatsummen zunächst als Grundlagen des akademischen Unterrichts und der kirchlichen Beicht- und Busspraxis gedacht waren, waren sie dennoch geeignet, nicht nur Geistlichen, sondern auch weltlichen Rechtssuchenden Antworten auf „reine Rechtsfragen“ zu geben16. Gleichzeitig lässt sich eine zunehmende „Theologisierung“ der Jurisprudenz feststellen17. Die sich neu stellenden Fragen und Herausforderungen des Rechts (z.B. Umgang mit den Ureinwohnern Amerikas, Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche, neue wirtschaftliche Entwicklungen) verlangten nach neuen Antworten, die mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr gefunden werden konnten. Dies führte zu einer grösseren Offenheit der Rechtsgelehrten gegenüber moraltheologischem Gedankengut. Schliesslich haben viele elementare Grundbegriffe des Strafrechts theologische Wurzeln18. Es sei in diesem Zusammenhang z.B. auf das Schuldelement in der Beichtsummenliteratur verwiesen oder auf den von Augustinus geprägten Besserungsgedanken in der Lehre von den Strafzwecken. Über das kanonische Recht ist die Schuldlehre auch in die Strafrechtsliteratur eingeflossen19. Weiter hatte der kanonische Inquisitionsprozess, der eine Strafverfolgung von Amtes wegen sowie ein Bemühen um Erforschen der materiellen Wahrheit mit sich brachte, auf die weitere Entwicklung des Strafrechts einen prägenden Einfluss. Vor diesem Hintergrund drängt sich somit auch eine Analyse von theologischen Texten auf, die sich mit strafrechtlicher Materie befassen. Dabei stehen die diversen Kommentare zum Kapitel Iustitia et Iure in der Secunda secundae der Summa Theo logiae des Thomas von Aquin im Vordergrund. Es wird im Weiteren anhand von konkreten Beispielen zu zeigen sein, inwiefern die spanischen Theologen die Gedanken des Thomas von Aquin weiterentwickelt haben und wie diese Eingang in die Werke der legistischen und kanonistischen Rechtsgelehrten gefunden haben. Umgekehrt soll auch gezeigt werden, wo juristisches Gedankengut in die moraltheologischen Argumentationen eingeflossen ist. 15 16 17 18 19
20
Vgl. Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 70, der die fliessenden Übergänge zwischen Moraltheologie, Kanonistik und weltlichem Privat- und Strafrecht beschreibt. Bergfeld, S. 1022; Nufer, S. 63. Seelmann, Theologie und Jurisprudenz, S. 15 ff.; vgl. auch Nufer, S. 63. Ausführlich zu den theologischen Wurzeln der Begriffe Schuld, Geständnis und Busse: Müller, theologische Wurzeln, S. 403 ff.. Vgl. zur kanonistischen Schuldlehre Kuttner, S. 22 ff.. Grundsätzliches zum Einfluss des mittelalterlichen Kirchenrechts auf die Entstehung des öffentlichen Strafrechts: Kéry, Gottesfurcht; zur Entstehung des kirchlichen Strafrechts vgl. Kéry, Verbrechen, S. 13 ff..
2.3. Literaturgattungen und ihre Vertreter 2.3.1. Strafrechtstraktate
Seit dem Hochmittelalter haben sich, zunächst in Italien, allmählich selbständige Abhandlungen über das Strafrecht ausserhalb von römischrechtlichen und kanonistischen Kommentaren herausgebildet20; als eines der ersten solcher selbständigen Strafrechtstraktate gilt das im Jahre 1286 erstmals erschienene Tractatus de maleficiis von Albertus Gandinus. In der italienischen Lehre und Praxis waren bereits zahlreiche Institute des heutigen Allgemeinen Teils des Strafrechts bekannt, so z.B. die Unterlassungsdelikte, der Versuch oder verschiedene Formen der Teilnahme21. Im Anschluss an die Malefiztraktate des 15. Jahrhunderts entstand aber auch in anderen Ländern eine praktisch ausgerichtete Literaturgattung von Strafrechtstraktaten, welche unter dem Titel Practica criminalis diverse strafrechtliche Themen abhandelten22. Eine Gemeinsamkeit der nachfolgend dargestellten Strafrechtstraktate ist das Bemühen zahlreicher Autoren, in Abkehr von den überlieferten Darstellungsweisen (z.B. Aufbau gemäss den Digesten, nach dem Dekalog, den sieben Todsünden etc.) eine neue Gliederung des Stoffes zu finden. Die dabei verwendeten Methoden reichen von einer alphabetischen Gliederung der einzelnen Delikte (Clarus, Vela y Acuña) bis zu einem prozessualen oder auf die Straffolgen ausgerichteten Aufbau (Tiraquellus, Farinacius). Es fällt auf, dass diese Strafrechtstraktate ein starkes Gewicht auf prozessuale Fragen legen; der Strafprozess scheint viel wichtiger als das materielle Strafrecht zu sein. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass ein Grossteil dieser Traktate für die Praxis, d.h. vor allem für untere Gerichte geschrieben wurde23. In der Regel lassen sich in diesen Werken zahlreiche Hinweise auf Praxis und Erfahrung finden, was wohl auch daher rühren dürfte, dass viele der untersuchten Autoren selbst entweder als Richter (Gandinus), in der Strafverfolgung (Farinacius, Cantera), Verwaltung (Damhouder) oder in der Gesetzgebung (Clarus, Tiraquellus)
20 21 22 23
Zu den ersten Strafrechtstraktaten vgl. Gouron, S. 43 ff.. Vgl. Rüping / Jerouschek, Rz. 45. Vgl. Maihold, S. 73 ff.. Vgl. z.B. Hattenhauer, S. 425, Rz. 1208. Dadurch unterscheiden sich die Strafrechtstraktate deutlich von der theologischen Literatur zum Strafrecht, insb. den Thomas-Kommentaren, bei welchen die einzelnen Delikte im Mittelpunkt des Interesses stehen und allgemeine strafrechtliche und strafprozessuale Fragen lediglich im Rahmen einzelner Delikte abgehandelt werden.
21
tätig waren24. Diese Hinwendung der Rechtsgelehrten von rein „theoretischer“ Quellenaufarbeitung zur Berücksichtigung und Nutzbarmachung von praktischer Erfahrung hat dazu geführt, dass die Literaturgattung der Strafrechtstraktate auch als „praktische“ Literatur bzw. ein Teil der Autoren als „Italienische Praktiker“ bezeichnet wurden25. Innerhalb dieses Literaturtypus kann nochmals zwischen den an die Tradition der Glossatoren und Postglossatoren anküpfenden legistischen Strafrechtstraktaten und den kanonistischen Strafrechtstraktaten unterschieden werden. 2.3.1.1. Legistische Strafrechtstraktate
Albertus Gandinus, Autor des ersten überlieferten Tractatus de maleficiis (1286 mit späteren Überarbeitungen), stammt aus Crema in der Lombardei und lebte zwischen 1245 und 131126. Er war nicht nur ein Gelehrter, sondern als Kriminalrichter in Perugia, Florenz und Siena auch in der Praxis tätig27. Gandinus galt als der beste Strafrechtsgelehrte seiner Zeit und als Schöpfer des ersten selbständigen Systems des Strafrechts und Strafprozesses, welches sich auf das Strafrecht in Deutschland im 15. Jahrhundert, insbesondere auf die Constitutio Criminalis Bambergensis, ausgewirkt hat28. Gandinus behandelt nur in drei Kapiteln materiellrechtliche Verbrechen: de homicidariis, de furtibus et latronibus und de falsariis. Wie auch der auf ihn folgende Bonifacius De Vitalinis ist Gandinus noch sehr stark von den Glossatoren geprägt. Die Tradition der Strafrechtstraktate wurde im 14. und 15. Jahrhundert von verschiedenen italienischen Rechtsgelehrten fortgesetzt, unter anderem von Bonifacius de Vitalinis, der aus Mantua stammt und 1340 zum ersten Mal erwähnt wird29. Das Todesjahr kann nur insofern bestimmt werden, als es nach 1388 liegen 24
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Vgl. z.B. Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 58, S. 153: „ut experientia docet“. Beim Tod eines Kleinkindes beschreibt Bossius „aus eigener Erfahrung“, welche Symptome auf eine gewaltsame Tötung hinweisen (de homicidio, Rz. 106). Gomez erwähnt, dass er den Tod eines Kleinkindes in der eigenen Familie erlebt habe (Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 19). Hattenhauer, S. 425, Rz. 1208; Maihold, S. 73 ff.; Bock, S. 12 unter Berufung auf Dahm, S. 1 ff.; Oehler, S. 34 ff.; Moeller, S. 102. Köbler, S. 174; Zedler, S. 245. Über die genauen Lebensdaten herrscht Unklarheit. Gemäss Jöcher lebte Gandinus um das Jahr 1300 ( Jöcher, Bd. 2, S. 854). Zur Bedeutung und Wirkungsgeschichte von Gandinus vgl. auch Kantorowicz, Leben und Schriften, S. 353 ff.; Kantorowicz, Geschichte, S. 1 f.; Seelmann, Strafrechtsliteratur, S. 305 und Bock, S. 11. Jöcher, Bd. 2, S. 854. Köbler, S. 174; Kéry, Gandinus, S. 186. Zedler, Bd. 49, S. 23.
muss30. Sein Tractatus de maleficiis beginnt mit grundlegenden Klärungen quid sit maleficium und den Personen, welche anklagen bzw. angeklagt werden können. Der anschliessende Deliktskatalog lehnt sich an die Gliederung im Corpus Iuris Civilis an und behandelt Majestätsdelikte, Ehebruch, homicidium, falsiis, Fälschungsdelikte, Glaubensdelikte, Zauberei, Aufruhr, Diebstahl und Raub. Gegen Ende des Tractatus werden prozessrechtliche Themen behandelt, insb. die accusatio und die inquisitio. Das Tractatus de maleficiis des Angelus Aretinus (auch: Gambellona oder Gambillioni genannt) entstand zwischen 1438 und 1444. Aretinus wurde Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts in Arezzo geboren. Er studierte in Perugia, Padua und Bologna und erlangte im Jahre 1422 in Bologna die Doktorwürde31. Später lehrte er Recht in Bologna und Ferrara. Sein Todesjahr ist nicht genau zu bestimmen, muss aber zwischen 1451 und 1465 liegen32. Der Aufbau des Traktats folgt dem Muster eines Inquisitionsprozesses, der an einen Sachverhalt anknüpft, den Aretinus mit zahlreichen zu prüfenden Deliktstatbeständen und prozessrechtlichen Besonderheiten ausgestattet hat33. Aus dem 16. Jahrhundert stammt schliesslich das Strafrechtstraktat Tractatus varii, qui omnem fere criminalem materiam excellenti doctrina completuntur (1562) des Mailänders Aegidius Bossius (1487/8–1546)34. Am Anfang des Werks befindet sich ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis gefolgt von einem äusserst umfangreichen alphabetischen Index. Nach prozessrechtlichen Fragen beginnt der Katalog der Delikte mit Häresie und Majestätsdelikten. Anschliessend folgen ho micidium, furtum und rapina, Unzucht, Fälschungsdelikte, iniurias, Zauberei, spezielle Formen des Diebstahls (Viehdiebstahl, Diebstahl an See- und Wirtsleuten), crimen stellionatus, Delikte gegen die Rechtspflege und zum Schluss werden nochmals prozessuale Themen behandelt (u.a. auch der Friedensschluss). Bossius zeichnet sich durch eine selbständige Denkweise aus und vertritt auch Meinungen, die vom geltenden Recht, insb. dem Statutum Mediolani und den Decreta Medio lani abweichen35. 30 31 32 33
34 35
Pertile, S. 43. Jöcher, Bd. 1, S. 411; Zordan, S. 10. Zordan, S. 12. Diese Darstellungsweise des strafrechtlichen Stoffes war für die damalige Zeit nicht aussergewöhnlich, lässt sie sich doch bereits in vorangehenden Strafrechtstraktaten finden (vgl. Zordan, S. 17 mit Nachweisen). Zedler, Bd. 4, S. 818; Jöcher, Bd. 1, S. 1274; Renzo Villata, S. 368; Maihold, S. 74. So gibt Bossius, z.B. eine umfassendere Definition des homicidium als das Statutum Medi olani (de homicidio, Rz. 1 und 2) und er ist in Abweichung von den Decreta Mediolani der Ansicht, die blosse Tötungsabsicht stelle noch kein homicidium dar (de homicidio, Rz. 49).
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Ein weiteres Strafrechtstraktat stammt aus der Feder des französischen Rechtsgelehrten Andreas Tiraquellus (André Tiraqueau). Tiraquellus lebte von 1488 bis 1558 und war Mitglied des Pariser Parlaments36. Seiner regen Publikationstätigkeit, vorwiegend zum Privatrecht, entstammt ein einziges strafrechtliches Werk, nämlich De Poenis legum ac consuetudinem, statutorumque temperandis, aut etiam remittendis: & id quibus, quotq; ex causis, welches im Jahr 1559 posthum erschienen ist. Dieses Traktat fand in der späteren Rechtswissenschaft, vor allem in der deutschen juristischen Literatur des 17. Jahrhunderts, grosse Beachtung37. Die Werke von Tiraquellus zeichnen sich durch sprachliche Qualität und einen umfangreichen Zitatenschatz aus. Tiraquellus zitiert ausführlich griechische und römische Dichter, Historiker und Philosophen und stellt diese als Autoritäten gleichberechtigt neben römische und mittelalterliche Juristen. Der Einfluss der antiken Philosophie, insbesondere des Platonismus, zeigt sich in der Lehre von der Strafe. Tiraquellus hat, soweit ersichtlich, als erster Jurist unter ausdrücklicher Berufung auf Platon und die von ihm abhängigen römischen Schriftsteller (z.B. Seneca) eine Präventionstheorie unter besonderer Betonung des Besserungsgedankens vertreten. Er hat damit einen Weg eingeschlagen, auf dem ihm später fast die gesamte humanistische Strafrechtsliteratur gefolgt ist38. Das Strafrechtstraktat von Tiraquellus, dem ein Prooemium vorangestellt ist, handelt nicht einzelne Delikte ab, sondern ist als Katalog von Strafmilderungsgründen aufgebaut. Der Reihe nach wird auf verschiedene Themen eingegangen, die eine Herabsetzung der Strafe zur Folge haben, wie z.B. dolor, furor, amor, dormi ens, ebrius, Jugendlichkeit und Alter, Frauen, Rechtsirrtum, Unwissenheit, rusticus, imprudentia, lata culpa, dolus minor, Strafmilderung wegen Freundschaft oder Nachbarschaft, Strafmilderung aus prozessrechtlichen Gründen (z.B. Indizienverurteilung), wobei auch immer wieder auf konkrete Delikte Bezug genommen wird. Dazwischen folgt ein ausführliches Kapitel mit Beweisregeln (Causa 51). Die strafrechtliche Abhandlung des Jodocus Damhouder, die Praxis Rerum Criminalium, welche 1554 erstmals erschienen ist, ist in mehrere Sprachen übersetzt und zu Beginn der Neuzeit zu einem Standardwerk des europäischen Straf-
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Jöcher, Bd. 4, S. 1219 f.. Köbler, S. 575; Stolleis, S. 631. Gemäss Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 22 ff., soll Tiraquellus allerdings bereits im Jahr 1480 geboren worden sein. Zedler, Bd. 44, S. 382 f., überliefert die folgende Anekdote über Tiraquellus: „Er starb endlich im 80. Jahre seines Alters 1558 und hinterliess von einer einzigen Frau 30, andere setzen gar 45 Kinder, ohngeachtet er lauter Wasser getruncken, und sehr fleissig studieret haben soll“. Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 24. Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 26.
rechts geworden39. Jodocus Damhouder wurde 1507 in Brügge geboren. Er studierte in Löwen, Orleans und Padua und war später für Karl V. und Philipp II. als Finanzrat und Kommissarius in Kammersachen tätig40. Damhouder starb im Jahre 1581. Sein Strafrechtstraktat beginnt mit einem Prooemium, in welchem der Frage nachgegangen wird, weshalb die respublica Verbrechen bestraft. Damhouder begründet dies mit dem Abschreckungs- und Besserungsgedanken. Anschliessend werden in einer logischen bzw. chronologischen Abfolge prozessuale Themen behandelt. Der anschliessende Deliktskatalog beginnt mit der Majestätsbeleidigung, unter welcher auch Blasphemie, Zauberei und Sidonie abgehandelt werden. Nach der seditio wird das homicidium auf knapp 100 Seiten sehr ausführlich behandelt, wobei unter anderem auf „Entschuldigungs-“ und „Rechtfertigungsgründe“ und das Kriegsrecht eingegangen wird. Es folgen Ehebruch und Sittlichkeitsdelikte, Raub, Brandstiftung, Kirchendelikte und Diebstahl, Glaubensdelikte, Fälschereien und Bestechung, Gehilfenschaft und Hehlerei, iniurias und schliesslich nochmals prozessuale Fragen (z.B. Friedensschluss zwischen Täter und Opfer41, Rechtsmittel etc.). Wie Aegidius Bossius stammt auch der in Alessandria geborene Julius Clarus (1525–1575) aus dem Herzogtum Mailand. Clarus studierte in Pavia die Rechte und wurde später von König Philipp II. zum Mitglied des hohen Rats von Italien berufen42. Clarus gilt, zusammen mit Tiberius Decianus43 und Prosper Farinacius, als Begründer des gemeinen Strafrechts der Neuzeit. Im fünften Band seines Schlüsselwerks Sententiae receptae widmet sich Clarus dem Strafrecht. Das Liber V. Sententiarum, auch unter den Namen Volumen und Prac tica criminalis gedruckt, erschien erstmals 1568. Clarus hat das Traktat in Italien begonnen und in Spanien beendet, weshalb er als wichtiges Bindeglied zwischen den italienischen und spanischen Strafrechtsgelehrten fungiert. Das Liber V. zeichnet sich durch Originalität eigener Gedanken, die Stringenz der stofflichen Gliederung sowie durch den Einfluss praktischer Erkenntnisse aus44. Clarus war wohl 39
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Hattenhauer, S. 425, Rz. 1207 und 1209 ff.. In der Literatur wird z.T. darauf hingewiesen, dass es sich bei Damhouder’s Praxis Rerum Criminalium weitgehend um ein Plagiat der Practijcke criminele von Filips Wielant (1441-1520) handle, die erst 1871 im Druck erschien (vgl. Maihold, S. 76; Bock, S. 14; Hattenhauer, S. 425, Rz. 1209; kritisch Bar, S. 132). Schulte, Bd. 3, S. 681 f.; Zedler, Bd. 7, S. 83; Jöcher, Bd. 2, S. 14; Stolleis, S. 158 f.. Damhouder, Cap. 145. Moeller, S. 7 ff.; Stolleis, S. 134 f.; Zedler, Bd. 6, S. 234; Jöcher, Bd. 1, S. 1935; Cordero, S. 308 f.. Tiberius Decianus (1509-1582), Tractatus criminalis. Clarus hat sich häufig auf damalige Gerichtsurteile, die in Form von Senatsbeschlüssen ergangen sind, berufen. Zur Entstehungsgeschichte des fünften Buches der Sentenzen vgl. Mo-
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der erste Rechtsgelehrte, welcher den Deliktskatalog nach dem Alphabet ordnete (adulterium bis usuras) und somit von den überkommenen, theologischen (Dekalog, Sakramente, 7 Todsünden) oder römischrechtlichen Einteilungen Abstand genommen hat45. Durch diese Anordnung des Stoffes wurden Clarus’ Sentenzen zu einem wichtigen praktischen Nachschlagewerk46 und es wurde eine Gewichtung der Delikte, die offenbar nicht mehr konsensfähig war, vermieden47. Wie bereits Castro48 und anschliessend Tiberius Decianus hat Clarus den verschiedenen Delikten einen, allerdings sehr kurzen, allgemeinen Teil vorangestellt, der sich mit der grundsätzlichen Einteilung der Delikte befasst. Dem Deliktskatalog folgen in Frageform abgehandelte prozessuale Themen (u.a. zum Friedensschluss in Quaestio LVIII und zur Geldstrafe in Quaestio LXXX). Das zeitlich späteste Strafrechtstraktat, welches vorliegend berücksichtigt wurde, hat der Italiener Prosper Farinacius geschrieben. Farinacius wurde 1544 in Rom geboren und studierte in Padua die Rechte. Er wurde vom Papst zum Procurator Fisci ernannt und war in diesem Amt mit der Strafverfolgung betraut, bis er selber vom Papst wegen Gesetzesvergehen angeklagt wurde. Farinacius starb im Jahre 161849. Seine Praxis et Theorica Criminalis ist in zwei Bücher gegliedert, die sich wiederum aus fünf Teilen zusammensetzen (de inquisitione, de accusatione, de delictis et poenis, de carceribus et carceratis sowie de inditiis et tortura). Später wurde die Praxis et Theorica noch mit einem dritten Buch ergänzt. Strafrechtliche Ausführungen finden sich jedoch auch noch in anderen Teilen der Opera omnia, so z.B. in den Opera criminalia, Pars V. 2.3.1.2. Kanonistische Strafrechtstraktate
Martin Azpilcueta (1493–1586) hat sich in verschiedenen kleineren Kommentaren mit strafrechtlichen Themen befasst, u.a. im Commentarium resolutorium de furto notabilis et de homicidio casuali und in den Comentarii de lege poenali fragmen tum. Azpilcueta wurde in der Nähe von Pamplona im Königreich Navarra gebo-
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eller, S. 90 ff.. Trusen, forum, S. 265, weist darauf hin, dass bereits die von Anfang des 14. Jahrhunderts stammende Beichtsumme des Dominikaners Berthold eine alphabetische Ordnung aufweist. Ein ausführlicher alphabetischer Index am Anfang des Buches erleichtert die Übersicht zusätzlich. Maihold, S. 77. Castro (1492-1588), Adversus omnes haereses libri XIV. Schulte, Bd. 3, S. 462; Zedler, Bd. 9, S. 253 f.; Jöcher, Bd. 2, S. 518; Stolleis, S. 206 f..
ren und wird daher auch Navarrus genannt50. Nach Studienaufenthalten in Frankreich lehrte er in Salamanca und Coimbra. Azpilcueta erwarb sich den Ruf eines der berühmtesten Rechtsgelehrten seiner Zeit. Ihm wird eine Wiederbelebung des kanonischen Rechts in Salamanca zugeschrieben51. Um das Jahr 1581 ging Azpilcueta nach Rom, wo er den Erzbischof von Toledo, Bartholomaeus Caranza, gegen den Vorwurf der Ketzerei verteidigte und dadurch grosses Ansehen erwarb. Zahlreiche Werke hinterlassend ist er im Jahre 1586 in Rom verstorben. Juan Vela y Acuña (1550–1600) hat die Delikte in seinem Tractatus de poenis declictorum, welches 1593 in Salamanca erschienen ist, wie Julius Clarus in alphabetischer Reihenfolge geordnet. Das Traktat beginnt mit einer zweiseitigen Einführung (Prooemium), in welcher kurz einige Grundsätze des Strafrechts festgehalten werden, wie z.B. die Strafzwecke der Abschreckung und Besserung sowie die Bemessung der Strafe nach dem Delikt. Vela y Acuña stammt aus Avila, war Mitglied des Colegii S. Bartholomaei in Salamanca und als Rechtsgelehrter tätig52. Die Quaestiones criminales tangentes iudicem, accusatorem, reum probationem, punitionemque delictorum von Diego de la Cantera sind 1589 in Salamanca erschienen. Cantera war Lehrer am Collegium des hl. Aemilianus der Salamantiner Universität und apostolischer Inquisitor des Königreichs Murcia53. 2.3.2. Juristische Traktatsummen und Kommentare
Nebst den erwähnten Strafrechtstraktaten wurden juristische Fragestellungen häufig auch in grösseren Traktaten zu allgemeinen Rechtsfragen oder in Traktatsummen behandelt, welche in freier systematischer Abfolge verschiedenste Themen abhandeln und meist Sentenzen, „Resolutiones“ oder „Controversiae“ genannt werden. Bei den nachfolgend erwähnten Autoren handelt es sich, mit Ausnahme von Fernando Vàzquez de Menchaca, um Theologen, die jedoch ein starkes Interesse am Recht hatten. Oftmals haben sich die Autoren literarisch an die Form eines Kommentars zu bestimmten Gesetzen (z.B. Quellenstellen zur Lex Cornelia de sicariis) gehalten. Der Spanier Fernando Vàzquez de Menchaca (1512–1569), ein Freund von Domingo de Soto, hat sich in seinem Werk Controversiarum Illustrium ali arumque usu frequentium libri III (1564) zum Strafrecht geäussert. Fernando Vàzquez wurde nach seinem Studium der Rechte in Valladolid und Salamanca 50
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Merzbacher, Azpilcueta, S. 319 mit weiteren Hinweisen; Schulte, Bd. 3, S. 715 f.; Zedler, Bd. 2, S. 1306 f.. Gemäss Jöcher datiert das Geburtsdatum allerdings von 13. Dezember 1491 ( Jöcher, Bd. 1, S. 680 f.). Jöcher, Bd. 1, S. 681. Jöcher, Bd. 1, S. 75; Zedler, Bd. 1, S. 434; Maihold, S. 75. Schulte, Bd. 3, S. 750; Zedler, Bd. 3, S. 593.
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Professor in Salamanca und bekleidete während seines Lebens zahlreiche weltliche Ämter54. Innerhalb der zur „Schule von Salamanca“ gezählten Juristen und Theologen ist Vàzquez der einzige weltliche Jurist; er weist humanistische Züge auf und gilt als Verbreiter des modernen Naturrechts55. Zur Gattung der allgemeinen rechtlichen Kommentare gehören auch die Com mentariorum, variarumque resolutionum iuris civilis, communis et regii Tomi III (1552) des Antonio Gomez. Das Geburtsjahr von Gomez kann nicht eindeutig festgelegt werden, es muss allerdings nach 1500 liegen. Gomez ist gebürtig von Talavera und war später Professor in Salamanca und Erzpriester in Toledo; er verstarb vor dem Jahre 157256. Der erwähnte Kommentar ist eine Sammlung von verschiedenen Abhandlungen zum Recht, die sich in den ersten beiden Bänden mit dem Erb- und Vertragsrecht befasst und im dritten Band unter dem Titel „De delic tis“ Resolutionen strafrechtlichen Inhalts enthält. Es handelt sich dabei nicht um eine vollständige Abhandlung zum Strafrecht, sondern um eine Zusammenstellung von Erörterungen zu wichtigen prozessrechtlichen Themen und einzelnen Delikten. Ein Zeitgenosse von Gomez war Diego Covarruvias de Leyva (1512– 1577), der bei Azpilcueta, Vioria und Soto in Salamanca studierte und anschliessend selber Professor für kanonisches Recht in Salamanca wurde57. Als Berater Philipps II. nahm er am Konzil von Trient teil und wurde später zum Bischof von Segovia und schliesslich zum Präsidenten des Staatsrates ernannt. Somit war Covarruvias nicht nur Rechtsgelehrter und Autor, sondern hat als Inhaber hoher kirchlicher und staatlicher Ämter auch eine bedeutende Rolle in der Verwaltung und Rechtsprechung des Landes gespielt. Covarruvias wird häufig als der bedeutendste spanische Jurist bezeichnet und seine Aussagen zu allgemeinen Lehren des Strafrechts, insbesondere zur voluntas directa und indirecta, hatten eine grosse wirkungsgeschichtliche Bedeutung58. Covarruvias hat keine Gesamtdarstellung des Strafrechts verfasst, sondern sich in kleineren Abhandlungen verschiedenen Themen des römischen und spanischen Zivil- und Prozessrechts, vor allem aber Fragen des kanonischen Rechts gewidmet. Strafrechtliche Ausführungen finden sich 54
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Zedler, Bd. 46, S. 695; Stolleis, S. 647. Gemäss anderen Quellen soll Fernando Vàzquez im Jahre 1566 im Alter von 57 Jahren gestorben sein ( Jöcher, Bd. 4, S. 1463; Welzel, S. 91). Seelmann, Dominium, S. 25 ff.; Stolleis, S. 648; Köbler, S. 599. Stolleis, S. 252 f.; Zedler, Bd. 11, S. 163; Jöcher, Bd. 2, S. 1064; Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 70. Merzbacher, Azpilcueta, S. 320 f. mit weiteren Hinweisen; Schulte, Bd. 3, S. 721 f.; Stolleis, S. 148 f.; Köbler, S. 86. Eingehend zum Leben und zur Wirkungsgeschichte von Covarruvias: Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 71 ff.. Vgl. auch Köbler, S. 86.
in den Variarum ex iure pontificio regio, et caesareo resolutionum libri IV. (1573 erstmals im Rahmen der Opera omnia erschienen) sowie in dem kanonistischen Werk In Clementis Quinti Constitutionem: si furiosus, rubrica de homicidio, Relectio (1560). 2.3.3. Moraltheologische Kommentare und thomistische Traktatsummen 2.3.3.1. Aufbau der untersuchten Werke
Bei den untersuchten moraltheologischen Kommentaren handelt es sich um für den Unterricht an Universitäten und Ordensschulen ausgerichtete Texte, die auf der Summa Theologiae des Thomas von Aquin beruhen. Thomas hat sich in den Fragen 57 bis 79 der Secunda secundae, in welcher das Recht und die Gerechtigkeit behandelt werden, mit strafrechtlich relevanten Fragen befasst. Nach grundsätzlichen Ausführungen zu Recht, Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit, Rechtsprechung und Wiedererstattung (restitutio) folgt bei Thomas ein Katalog von einzelnen Delikten, der auch homicidium (Frage 64) sowie furtum und rapina (Frage 65) behandelt59. Die Thomas-Kommentatoren, insbesondere Vitoria und Aragon, haben sich, wie zu zeigen sein wird, grundsätzlich an den Aufbau des Originaltextes gehalten, diesen jedoch in unterschiedlichem Ausmass mit eigenen Einschüben ergänzt, gewisse Themen weggelassen oder eine andere Gewichtung vorgenommen. Bereits bei Soto und Lessius, stärker noch bei Molina und Lugo kann jedoch fast nicht mehr von Kommentarliteratur gesprochen werden, haben sich deren Werke gegenüber dem ursprünglichen Text zumindest formal doch stark verselbständigt. Insbesondere Molina und Lugo legen ein starkes juristisches Interesse an den Tag, so dass ihre Abhandlungen über Iustitia et Iure mehr einen juristischen denn moraltheologischen Charakter erhalten60. Während sich diese Kommentare und Traktatsummen vorwiegend für den theologischen Unterricht, aber auch als praktische Anleitung für die Beichtpraxis verstehen, wandte sich Molina ausdrücklich auch an juristisch geschulte Leser61. 59
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Nicht nur hier, sondern auch an anderen Stellen seiner Werke lässt sich ein ausgesprochenes Interesse von Thomas von Aquin an juristischen Themen feststellen, so z.B. zum gerechten Preis und zum Wucher, zum Eherecht oder zum Privateigentum. Zur rechtlichen Argumen tationsweise des Thomas vgl. Aubert, S. 134 ff.. Vgl. dazu auch Bergfeld, S. 1017. Dass Molina und Lessius in ihren Thesen progressiver als frühere Theologen sind, hat bereits Thieme, juristes, S. 17 in Bezug auf „privatrechtliche“ Aussagen festgestellt. Molina, Tract. I, vor Disp. I (Auctoris consilium).
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2.3.3.2. Die einzelnen Autoren
Francisco de Vitoria wurde zwischen 1483 und 1493 geboren und trat im Jahre 1506 dem Dominikanerorden bei62. Anschliessend studierte und lehrte er in Paris und kehrte im Jahr 1523 nach Spanien zurück. Nach einer Lehrtätigkeit in Valladolid erhielt er 1526 den bedeutendsten theologischen Lehrstuhl an der Universität Salamanca, die Cátedra de Prima, an welcher er bis zu seinem Tode im Jahre 1546 unterrichtete. Vitoria widmete sich verschiedensten juristischen, politischen und religiösen Themen, u.a. dem Umfang der staatlichen und insb. der königlichen Gewalt (Relectio de potestate civili) sowie der geistlichen Gewalt (Relectio de potestate Ecclesiae prior und Relectio de potestate Ecclesiae posterior). Ab 1534 nahm Vitoria verschiedentlich Stellung zu Themen im Zusammenhang mit den spanischen Eroberungen und stellt in seinen Vorlesungen de indiis und de iure belli unter anderem die Rechte der spanischen Krone in der Neuen Welt in Frage. Aufgrund des Missfallens der Krone wurden diese beiden Vorlesungen zu Lebzeiten Vitoria’s nicht gedruckt und erschienen erst 1557 zum ersten Mal in Lyon. Vitoria gilt dank dieser Schriften heute als Begründer des Völkerrechts. Die Mitschriften der meisten seiner Vorlesungen wurden erst rund vierhundert Jahre später gedruckt: Zwischen 1932 und 1952 wurden Vitoria’s Kommentare zur Secunda secundae der Summa Theologiae des Thomas von Aquin herausgegeben. Erhalten geblieben sind überdies 14 Relectiones, d.h. Mitschriften von öffentlichen Vorlesungen, darunter eine Relectio de homi cidio. Der zweite herausragende Theologe der spanischen Spätscholastik war Domingo de Soto, der 1494 in Segovia geboren wurde und später dem Dominikanerorden beitrat. Soto studierte Theologie und Philosophie in Spanien und Paris. Nach seiner Rückkehr nach Spanien lehrte er Philosophie und Theologie in Burgos und Salamanca. Kaiser Karl V. entsandte ihn an das Konzil von Trient und machte ihn nach seiner Rückkehr zu seinem Beichtvater und später zum Bischof von Segovia, wobei Soto dieses Amt allerdings abgelehnt hat63. Soto verstarb im Jahre 1560. Zu seinen umfangreichen Werken zählt unter anderem De Iustitia et Iure libri VIII (1556–7). Wie bei Vitoria sind viele Ausführungen von Soto moraltheologischer Natur, und er verweist oft auf kanonisches Recht, Natur- und Völkerrecht64.
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Beltrán de Heredia, S. 9 ff.; Binder, S. 223 ff.; Deckers, S. 16 f.; Köbler, S. 619; Stolleis, S. 654. Zedler, Bd. 38, S. 991 f.; Jöcher, Bd. 3, S. 696. Zu Soto’s Lehre und deren Bedeutung für die Entwicklung der Theologie vgl. Binder, S. 243 ff.. Binder, S. 246.
Der Jesuit Luis de Molina wurde 1535 oder 1536 in Cuenca in Neu-Kastilien geboren. Er studierte Theologie und Philosophie in Coimbra und wurde anschliessend oberster Professor der Theologie an der Universität Evora in Portugal65. Er starb im Jahre 1600 und hinterliess zahlreiche Werke. Sein juristisches Hauptwerk De Iustitia et Iure (1593) stellt das Naturrecht und das positive Recht (römisches, kirchliches und katholisches Recht) dar. Molina befasst sich darin unter anderem auch mit dem Verhältnis von Papst und Fürst und er nimmt – aus volkswirtschftlicher Sicht von Bedeutung – ausführlich Stellung zur Theorie über den Wechsel und schildert in diesem Zusammenhang anschaulich die damaligen wirtschaftlichen Zustände66. Molina zeigt ein grosses Interesse an juristischen Fragestellungen und zeichnete sich durch umfangreiche Kenntnis juristischer Literatur, insbesondere der Werke von Covarruvias und Clarus, aus67. Mit seinem Werk De Iustitia et Iure wollte Molina ein für Theologen brauchbares Rechtshandbuch schaffen. Der Jesuit Leonardus Lessius hat als einer der ersten die Lehren des Luis de Molina in den Niederlanden verbreitet68. Lessius wurde 1554 in Brecht (nähe Antwerpen) geboren. Er studierte Philosophie und Theologie, unter anderem in Rom bei Francisco Suárez69, und war später Theologieprofessor in Leuven. Lessius galt als sehr gelehrt, hatte offenbar auch Kenntnisse in Medizin, Mathematik und Geschichte und beherrschte die griechische Sprache70. Er stand in regem Briefwechsel mit Molina, der ihn in der Gnaden-, wie auch in der Naturrechtslehre stark beeinflusst hat71. Lessius starb im Jahre 1623 und hinterliess unter anderem das Werk De Iustitia et Iure ceterisque Virtutibus cardinalibus (1605). In der Dedica tio spricht sich Lessius über den Zweck und die Aufgabe seines Werkes aus und erklärt, dass er bestrebt sei, mit seiner Abhandlung sowohl dem Recht als auch dem Staat zu dienen. Ein weiterer Thomas-Kommentar stammt von Pedro de Aragon, einem spanischen Augustiner-Mönch aus Salamanca. Er amtete als Professor der Theologie; sein Kommentar zur Secundam secundae Thomae de iustitia & iure ist 1586 erschienen72. 65 66 67
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Köbler, S. 378; Zedler, Bd. 21, S. 918 f.; Jöcher, Bd. 3, S. 590; Stolleis, S. 449 f.; Costello, S. 3 ff.. Schulte, Bd. 3, S. 731. Dies mag u.a. daran liegen, dass er in jungen Jahren kurz die Rechtswissenschaften studiert hat und dass er einen zum Tode verurteilten Bruder erfolgreich verteidigt hat, so dass dieser freigesprochen wurde (vgl. Krause, Otto Wilhelm, S. 48). Zedler, S. 487; Schulte, Bd. 3, S. 689 f.. Francisco Suárez (gest. 1548). Jöcher, Bd. 2, S. 2396. Vgl. Krause, Otto Wilhelm, S. 66. Zedler, Bd. 2, S. 1101 f.; Jöcher, Bd. 1, S. 493; Bergfeld, S. 1025.
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Juan de Lugo lebte von 1583–166073. Es studierte Recht, Philosophie und Theologie in Salamanca und trat dem Jesuitenorden bei. In Valladolid war er Professor für Philosophie und Theologie, bevor er als Professor nach Rom berufen und später zum Kardinal ernannt wurde74. Unter seinen zahlreichen Werken befinden sich auch die zwei Bände De Iustitia et Iure, welche 1642 im Druck erschienen sind75. Wie bereits bei Lessius lassen sich auch im Werk von Lugo verschiedene Einflüsse seines Ordensbruders Molina nachweisen. 2.3.4. Beichtliteratur
Moraltheologische Ausführungen finden sich auch in der Beichtliteratur, d.h. in den Handbüchern, die sich an den praktizierenden Beichtvater richten. Mit dem Enchi ridion sive manuale confessariorum et poenitentium (1557) von Martin Azpilcueta wurde ein solches Beicht-Handbuch in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt. Azpilcueta’s Handbuch behandelt verschiedene Sünden und ihre Folgen wie Wiedergutmachung, Absolution, Irregularität und Exkommunikation.
2.4. Rechtsquellen und zitierte Autoritäten in der gelehrten Strafrechtsliteratur Die meisten untersuchten Autoren bemühen sich nach scholastischer Methode, ihre Lehren, soweit möglich, im Einklang mit der Tradition zu halten. So legen sie Wert darauf, ihre Ansichten durch Anführung möglichst vieler Autoritäten zu stützen. Als Quellen stehen ihnen nicht nur Gesetze und die Bibel, sondern auch zahlreiche kirchliche, juristische und philosophische Autoren zur Verfügung. Eine Untersuchung der zitierten Autoren und insbesondere deren Einflüsse auf die verschiedenen Literaturgattungen des 16. Jahrhunderts würde wohl weiteren Aufschluss über die wechselseitigen Beziehungen von Theologie und Jurisprudenz ermöglichen, sprengt aber den Rahmen der vorliegenden Arbeit. Es soll daher lediglich in einer kurzen Übersicht ein Eindruck von den zahlreichen Quellen vermittelt werden, auf die sich die untersuchten Autoren in ihren Werken stützen76. Dazu soll ebenfalls ein knapper
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Nicht zu verwechseln mit Ioannes Bernardus Diaz de Lugo, der von 1495-1556 lebte und eine Practica criminalis canonica (1543) schrieb. Jöcher, 4. Ergänzungsband, S. 144; Zedler, Bd. 18, S. 1058. Merzbacher, Lugo, S. 269 ff. mit weiteren Hinweisen auf die Literatur über Lugo; Bergfeld, S. 1027. Zu den Quellen des Vitoria vgl. Otte, Privatrecht, S. 32 ff..
Überblick über die existierenden Rechtsquellen in Spanien und Oberitalien des 16. Jahrhunderts skizziert werden. Nach der Konsolidierung des spanischen Staates im 15. Jahrhundert war die Gerichtsbarkeit in Strafsachen grundsätzlich dem König vorbehalten. Schwere Delikte wie homicidium wurden von königlichen Beamten, sog. corregidores, mit der Unterstützung der von diesen eingesetzten lokalen Beamten geahndet. Dabei gab es die Berufungsmöglichkeit an die königlichen Kanzleigerichte (cancellería) in Granada und Valladolid. Daneben existierten aber immer noch die Feudalgerichte, die über fast alle Aspekte des Lebens der Bewohner eines Landgutes urteilen konnten. Auch wenn in der Theorie die königliche Rechtssammlung der Nueva Recopilacion de los Leyes de España, die 1567 in finale Form gebracht wurde, für die königliche Gerichtsbarkeit zur Anwendung kommen sollte, war die Praxis uneinheitlich und von verschiedenen lokalen Besonderheiten geprägt; subsidiär galten die Siete Partidas77. Es ist daher davon auszugehen, dass sich das geschriebene Recht, welches oft von am römischen Recht geschulten Gelehrten geschrieben wurde, aufgrund der starken lokalen Rechtsbräuche in der Praxis, die immer noch von Privatrache, Eingriffen der Verwandten und Vasallen sowie Gottesurteilen bestimmt war, nicht überall durchsetzen konnte78. Das römische Recht hatte in Spanien nie unmittelbare Geltung; sein Einfluss ergibt sich einerseits aus dem kanonischen Recht, in welches es rezipiert worden ist, und andererseits durch die in Bologna und an anderen italienischen Universitäten ausgebildeten spanischen Juristen, welche sich mit dem römischen Recht beschäftigten79. Das italienische Recht zeichnete sich durch eine starke regionale Zersplitterung der Rechtsquellen aus: die oberitalienischen Stadtstaaten verfügten jeweils über ein eigenes Statutarrecht, wobei die untersuchten italienischen Juristen (z.B. Bossius, Clarus) hauptsächlich auf das Mailänder Statut (Statuta Mediolani) Bezug nahmen80. Nebst römischrechtlichen Quellen erwähnten die italienischen Juristen auch andere ältere Rechte wie z.B. die leges Lombardorum oder die Gesetze Kaiser 77
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Ausführlich zum Rechtssystem in Spanien im 16. Jahrhundert: Weisser, S. 76 ff., Bennassar/Vincent, S. 19 ff. sowie Robinson / Fergus / Gordon, S. 118 ff.. Zu den zahlreichen Versuchen, die vielen verschiedenen Rechtsquellen zu kompilieren, vgl. Petit, S. 157 ff., Weisser, S. 77 sowie Rauchhaupt, S. 168 ff.. Zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Siete Partidas vgl. Scheppach. Weisser, S. 79. Er stellt fest, dass in der Praxis die z.T. drakonischen Körper- oder Galeerenstrafen kaum angewandt wurden und stattdessen kurze Verbannungen für schwerere Delikte und Geldstrafen für kleinere Delikte angewandt worden seien (S. 95). Vgl. auch Gouron, S. 43 sowie Tomas y Valiente, S. 215. Vgl. Trusen, Gottesurteile, S. 241. Zur Gesetzgebung in Reichsitalien, insb. auch in Mailand, vgl. Wolf, S. 82 f..
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Friedrichs II. Gemäss Kohler ging das Statutarrecht den leges (leges Lombardorum oder römisch-kanonischem Recht) vor, doch konnte von diesem in zahlreichen Fällen durch arbitrium des Richters abgewichen werden81. Es zeigt sich somit, dass das in Spanien und Oberitalien im 16. Jahrhundert geltende Strafrecht vielschichtig war und ein Nebeneinander von verschiedenen Rechtssätzen herrschte, deren Rangfolge nicht immer geklärt war82. Nebst diesen weltlichen Rechtsquellen waren Texte des kanonischen Rechts zu berücksichtigen, allen voran das Decretum Gratiani sowie päpstliche Erlasse. Die untersuchten Werke haben, trotz einer gewissen praktischen Ausrichtung, nicht den Anspruch, das tatsächlich geltende Recht abschliessend darzustellen oder zu kommentieren, sondern vielmehr, aus generellem Rechtsdenken Lösungsansätze für die Wissenschaft und den Rechtsalltag hervorzubringen83. Oft werden für bestimmte Rechtsfragen die Lösungen gemäss verschiedenen Rechtsquellen aufgezeigt, bevor der Autor dann seine eigene, persönliche Meinung dazu widergibt84. Ausgangspunkt der strafrechtlichen Erläuterungen ist in der Regel das römische Recht, demzufolge werden häufig Digestenstellen und die entsprechenden Kommentatoren und Glossatoren zitiert85. Auch die untersuchten Moraltheologen haben Kenntnisse des römischen Rechts: während sich diese z.B. bei Vitoria aber noch auf Grundzüge beschränken, zeichnen sich spätere Autoren wie z.B. Molina durch eine umfangreiche Bildung im römischen Recht und dessen mittelalterlicher Bearbeitung aus.
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Kohler, Studien, S. 13. Vgl. Seelmann, Wurzeln, S. 225. Bereits Rauchhaupt, S. 193 stellte fest, dass sich die spanischen Universitäten mehr mit rezipiertem Recht als mit den tatsächlich geltenden Fueros befasst haben. In Oberitalien galt allerdings der Grundsatz, dass Lücken im Statut durch das gemeine Recht auszufüllen waren (Dahm, S. 55 sowie S. 49). Beispielsweise stellt Cantera nacheinander die Strafen für furtum nach kanonischem Recht, ius civile, ius regium, ius partitarum und ius ordinamenti dar (de quaestionibus tangentibus punitionem delictorum, Cap. VI, de Homicidio, Rz. 22 ff.). Molina stellt die Strafen für furtum nach dem ius commune, ius Lusitanum, ius Caesareum und ius huius Castellae Regni dar. Unter den römischrechtlichen Quellen treten für öffentliche crimina insbesondere die folgenden Einzelgesetze, die unter Sulla und Augustus entstanden sind, hervor: Lex Cornelia de injuriis, Lex Julia majestatis, Lex Julia de vi publica et privata, Lex Cornelia de sicariis, Lex Pompeja de parricidiis, Lex Cornelia de falsis, Lex Julia de adulteriis etc.. Demgegenüber wurden Privatdelikte (insb. furtum und iniuria) in den Edikten geregelt (vgl. dazu ausführlicher Oehler, S. 8 f ).
Weiter wird auch auf antike Schriftsteller und Philosophen86 sowie kirchliche und theologische Autoritäten87 und frühere Kanonisten zurückgegriffen88. Während die Bibel und bedeutende theologische Autoritäten wie z.B. Augustinus von den Moraltheologen und Kanonisten häufig zur Unterstützung ihrer Positionen angeführt werden, sind Bibelzitate und Hinweise auf das ius divinum auch regelmässig bei den Legisten anzutreffen. Dabei steht das ius divinum teilweise in einem Spannungsfeld zum italienischen Statutarrecht und der Praxis, in welchem sich die Gelehrten im Ergebnis für die statutarrechtliche Praxis entscheiden. So verbietet z.B. das ius divinum grundsätzlich das Töten, wohingegen die italienischen Statuten die straflose Tötung eines Geächteten zulassen. Obwohl der Vorrang des ius divinum von den Legisten und Kanonisten grundsätzlich anerkannt wurde, haben die Gelehrten die tiefverwurzelte Praxis dennoch gebilligt. Ein Richter, der Statuten nicht angewandt hätte (z.B. weil Geldstrafe für homicidium gegen ius divinum verstösst), hätte selber Rechtsfolgen zu vergegenwärtigen gehabt, weshalb in der Praxis dem Wortlaut der Statuten Vorrang gegeben wurde89. Zusammenfassend zeigt sich in der untersuchten Literatur ein eindrücklicher Quellensynkretismus90. Die Autoren verfügen über weitreichende Kenntnisse verschiedenster Meinungen und Standpunkte aus Gesetzen, der Bibel sowie der Rechts- und Geisteswissenschaft. Dieser Fundus an Wissen und Meinungen ermöglicht den Gelehrten, Grundfragen der Rechtslehre losgelöst von lokalen Rechtsquellen zu beantworten. Im Nebeneinanderstellen von verschiedensten Quellen und Autoritäten sowie im eigenständigen Umgang mit den Lehren des römischen Rechts zeigen die untersuchten Autoren trotz ihrer grundsätzlich scholastischen Vorgehensweise eine recht selbständige Denkweise. Die von konkreten Rechtsquellen losgelöste Bearbeitungsweise strafrechtlicher Materie liegt vor allem im Hinblick auf das forum internum nahe. Gleichzeitig hat diese Methode aber auch in der Rechtswissenschaft selbst eine Konsolidierung und Weiterentwicklung der Lehren über die „Staatsgrenzen“ hinweg ermöglicht91.
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Vor allem die Moraltheologen zitieren häufig Aristoteles; daneben werden unter anderem auch Sokrates, Platon, Herodot, Plutarch, Cicero oder Tacitus zitiert. Hier stehen nebst Augustinus insbesondere Petrus Lombardus (gest. 1160), Thomas von Aquin, Ioannes Gerson (gest. 1429) und Duns Scotus (gest. 1308) im Vordergrund. Zu den meistzitierten Dekretalisten und Kanonisten gehören u.a. Heinrich von Segusia (Hostiensis, gest. 1271), Ioannes Andreae (gest. 1348), Panormitanus (Nicolaus de Tudechis, gest. 1445), Felinus Maria Sandeus (gest. 1503) sowie Thomas de Vio, genannt Cajetan (gest. 1534). Vgl. Dahm, S. 54 mit Literaturhinweisen. Vgl. Seelmann, Wurzeln, S. 225. Vgl. Thieme, natürliches Privatrecht, S. 234; Seelmann, Schwelle, S. 19.
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3. Delikt, insbesondere Tötung (homicidium) und Diebstahl (furtum) Im Folgenden soll aufgezeigt werden, was in der untersuchten Literatur unter einem Delikt bzw. einer Straftat verstanden wurde. Dabei wird mit dem Begriffspaar Delikt und Sünde (crimen und peccatum) nebst der rechtlichen auch die theologische Di mension der Thematik beleuchtet. Nebst der Zurechnungslehre behandelt dieses Ka pitel auch verschiedene, in der untersuchten Literatur diskutierte allgemeine Lehren des Strafrechts, bevor anschliessend näher auf die Tatbestände der Tötung (homici dium) und Diebstahl (furtum) eingegangen wird. In Anlehnung an die Systematik im 16. Jahrhundert werden spezifische Rechtfertigungsgründe im Zusammenhang mit homicidium (nämlich Notwehr und Notstand) und mit furtum (Notrecht und Selbsthilfe) dargestellt.
3.1. Begriff und Wesen des Delikts 3.1.1. Crimen und peccatum
Menschliches Verhalten hatte im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit nicht nur rechtliche und soziale Dimensionen auf der irdischen Ebene, sondern immer auch theologische und moralische Aspekte, welche sich hauptsächlich auf das jenseitige Leben auswirkten. Die Menschen hatten sich nicht nur nach den menschlichen Gesetzen zu richten, sondern unterstanden auch dem viel umfassenderen göttlichen Recht, welches z.B. auch Gebote der Tugenden (z.B. pietas, caritas) beinhaltete. Jedes durch menschliches Recht verbotene Verhalten verstiess zugleich auch gegen göttliches Recht und stellte eine Sünde dar. Sünden wurden in der Beichte (forum internum oder forum conscientiae) beurteilt und unterstanden, soweit nicht bereits zu Lebzeiten Absolution erteilt wurde, dem göttlichen „letzten“ Gericht1. Verstösse gegen menschliches Recht wurden vor kirchlichen und weltlichen Gerichten (forum externum) geahndet2. Die weltlichen Juristen sprechen in der untersuchten Literatur von crimen, delic tum oder maleficium, wobei diese Begriffe, soweit ersichtlich, mehrheitlich gleichbedeutend verwendet werden3. Teilweise wird allerdings noch auf die Unter1 2 3
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Vgl. ausführlicher dazu Grunert, Theologien, S. 321. Vgl. Berman, S. 308 f.. So u.a. auch Dahm, S. 84, sowie Tomas y Valiente, S. 212. Zur Herkunft der Begriffe cri men und delictum vgl. Mommsen, S. 9 ff..
scheidung hingewiesen, dass crimen nur die mit dolus und malus animus begangene Straftat bezeichnet, delictum aber auch ohne Vorsatz begangen werden kann4. Verschiedentlich findet sich die Unterscheidung von delictum publicum und de lictum privatum5. Diese Unterscheidung hat ihre Wurzeln im römischen Recht: während bei Verletzungen durch leichtere Delikte grundsätzlich nur der Weg eines Zivilprozesses offen stand, konnte bei schweren Verbrechen, die gesetzlich unter Strafe gestellt waren, nicht nur der Verletzte, sondern jeder ehrbare Bürger durch Anzeige ein Strafverfahren vor den Quaestionengerichten einleiten6. In der gelehrten Literatur des 16. Jahrhunderts werden die Klagebefugnis, die Schwere des Delikts sowie die unterschiedlichen Sanktionsfolgen als Unterscheidungsmerkmale der beiden Deliktstypen genannt7. Allerdings zeigt sich eine Tendenz, traditionelle Privatdelikte mehr und mehr in öffentliche Delikte umzuwandeln. Nicht zuletzt wegen des Erstarkens des Inquisitionsprozesses wird die Unterscheidung zwischen delictum publicum und delictum privatum gegen Ende des 16. Jahrhunderts im Ergebnis weitgehend bedeutungslos8. Die theologisch geprägten Autoren benutzen demgegenüber hauptsächlich den Begriff peccatum, wobei sie zwischen peccatum veniale und peccatum mortale unter scheiden9. Bei der Verwendung des Terminus peccatum beschränken sich die Theolo gen nicht nur auf das forum internum, sondern gebrauchen ihn auch dann, wenn sie die rechtlichen (Straf-)Folgen eines bestimmten Verhaltens untersuchen. Auch wenn es in der Geschichte durchaus Ansatzpunkte gegeben hätte, eine begriffliche Differenzierung zwischen crimen und peccatum vorzunehmen, bestand diesbe züglich bei den untersuchten Moraltheologen offenbar kein Bedürfnis10. Dies ist 4 5 6 7
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Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 17, Rz. 1 ff.. Ein Überblick über die entsprechenden Fundstellen bietet Grunert, delictum publicum, S. 426 ff.. Eingehender dazu Kaser, S. 125, Mommsen, S. 192 sowie Liebs, S. 23. Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 1: „(Delicta) Publica sunt illa, in quibus accusatio pertinet cuilibet a populo. [..] Privata delicta sunt illa, pro quibus tantum potest accusare ille, qui iniuriam, vel offensam passus est“. Weiterführend dazu Grunert, delictum publicum, S. 434 ff.; vgl. auch Cohen, S. 55 f.. Zur Todsünde, die zu einer ewigen Höllenstrafe führt und nur durch Beichte oder vollkommene Reue vergeben werden kann, vgl. Müller, theologische Wurzeln, S. 406, sowie Lexikon des Mittelalters, Bd. VIII mit weiteren Hinweisen. Eine begriffliche Differenzierung im theologischen Kontext wurde z.B. im 12. Jahrhundert von Petrus Abaelardus vorgeschlagen (vgl. dazu Kuttner, S. 4 ff.; Grunert, Theologien, S. 320 ff.; Müller, theologische Wurzeln, S. 405 f.). Die Kanonisten des 12. und 13. Jahrhunderts suchten nach einer Begriffsbestimmung von crimen als negative Voraussetzung für das Ordinationsrecht, wobei die Schwere der Sünde, eine äussere Handlung sowie ein Ärgernis für die Kirche die hauptsächlichen Merkmale des crimen darstellten (vgl. Kuttner, S. 6 ff.).
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insofern verständlich, als ihre Werke in einem religiösen Kontext stehen: entweder handelt es sich um moraltheologische Schriften, die sich hauptsächlich an theologi sche Leser richten oder um rechtlich-kanonistische Abhandlungen, die noch ganz unter dem Zeichen der engen Durchdringung von Religion und Recht stehen. Jedes crimen oder delictum ist immer auch ein peccatum11. Ungeachtet der Begriffsvermischung von crimen und peccatum vermögen die Gelehrten aber sehr wohl zwischen rechtlichen und moraltheologischen Folgen einer Missetat zu unterscheiden12. Dass rechtlich missbilligtes Verhalten und moralisch-religiöse Verstösse im Verständnis der Gelehrten des 16. Jahrhunderts nicht immer deckungsgleich zu sein brauchten, zeigt sich z.B. daran, dass verschiedentlich eine Handlung als rechtlich erlaubt bezeichnet wurde, gleichzeitig aber empfohlen wurde, sie aus moraltheologischen Gründen (z.B. aufgrund caritas oder pie tas) zu unterlassen. Wenn im Rahmen der vorliegenden Arbeit von „Straftat“ oder „Delikt“ gesprochen wird, schliesst dies sowohl crimina und delicta wie auch peccata ein, sofern das betreffende Verhalten eine irdische, menschliche Strafe nach sich zieht. 3.1.2. Die Straftat als actus inordinatus
Die Qualifikation eines Verhaltens als Straftat setzt die Frage voraus, weshalb dieses Verhalten verboten und somit strafbar ist. In der von Thomas geprägten Theologie stellt ein peccatum grundsätzlich einen Verstoss gegen die Ordnung dar (actus inordinatus), wobei sowohl die innere Ord nung des Sünders selbst als auch die göttliche und menschliche Ordnung verletzt werden. Thomas umschreibt dies wie folgt: „Cum autem peccatum sit actus inordinatus, manifestum est, quod quicumque peccat, contra aliquem ordinem agit; et id eo ab ipso ordine consequens est, quod deprimatur; que quidem depressio poena est“13. 11
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Vgl. Müller, theologische Wurzeln, S. 405 f.; Pifferi, S. 285 f., 292; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 18, Rz. 1: „Delinquere nihil aliud est quam peccare, & aliquando delic tum fit dolo malo, & mala intentione: aliquando autem per ignorantiam, vel non mala inten tione“. Bereits Thomas von Aquin schreibt der Sünde einen Doppelcharakter zu: Die Sünde ist einerseits Abkehr vom unvergänglichen Gut und andererseits Hinwendung zu einem vergänglichen Gut, woraus sich auch eine doppelte Strafreaktion ergibt: Für ersteren Aspekt der Sünde kommt die ewige göttliche Strafe zur Anwendung, während auf die Hinwendung zum vergänglichen Gut eine zeitliche, menschliche Strafe folgt, die von der göttlichen Strafe unabhängig ist. Vgl. dazu ausführlich Brands, S. 8 ff.. Thomas von Aquin, STh I-II, Quaest. 87, Art. I.
Die Ordnung, gegen welche ein Mensch mit seinem Willen verstösst, muss ihn wieder in seine Schranken zurückweisen. Die Strafe ist somit eine natürliche Folge des peccatum14. Als geschützte Güter stehen bei Thomas zuvorderst die göttliche Ordnung und die göttlichen Gesetze (z.B. die Zehn Gebote), daneben die Güter des Opfers und dessen Angehörigen, welche durch das Delikt verletzt werden. Diese stehen in der Rangfolge bonum animae, bonum corporis und bonum exteriorum rerum; innerhalb der äusserlichen Güter sind Ruf und Ehre vor den Vermögenswerten angesiedelt15. Im 16. Jahrhundert gehen die Gelehrten aber noch einen Schritt weiter und halten fest, dass durch eine Straftat, sei es ein delictum publicum oder privatum, auch die respublica verletzt wird. So verletzt z.B. die Tötung eines Menschen gemäss Damhouder und Gomez nicht nur die Rechte des Opfers selbst, sondern daneben auch der respublica bzw. des princeps, da der Staat durch diese Tat des wichtigsten Gutes, nämlich eines freien Menschen, beraubt wird16. Allerdings gibt es für diese doppelte Verletzung bei Gomez nur eine alternative Ahndung: falls die angegriffene Privatperson klagt, tritt der öffentliche Strafanspruch zurück. Einen Schritt weiter geht schliesslich Cantera, gemäss welchem jedes Delikt, d.h. auch die im römischen Recht als delicta privata behandelten Taten, ein dreifaches Unrecht darstellen, nämlich gegen die geschädigte Partei, die respublica und Gott17. Entscheidend ist dabei, dass jedes Unrecht unabhängig vom anderen prozessual geahndet werden kann, d.h. auch wenn die verletzte Privatpartei klagt, kann gleichzeitig der fiscus aufgrund der erlittenen Verletzung gegen den Täter vorgehen. Zur Begründung der Bestrafung bestimmter Verhaltensweisen wird in der unter suchten Literatur auch das ius naturale beigezogen. Die spanischen Naturrechtslehrer des 16. Jahrhunderts gehen davon aus, dass die vernünftige Natur in sich wider 14
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Eingehender zum Wesen der Ordnung in der Straflehre des Thomas vgl. Kohler, Strafrechtsprinzipien, S. 345; vgl. auch Berman, S. 304. Allgemein zum mittelalterlichen Konzept der Ordnung vgl. Lagarde, S. 239 ff.. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 73, Art. III. So auch die Moraltheologen des 16. Jahrhunderts, vgl. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 62, Art. I, Rz. 15 und 50 sowie Molina, Tract. III, Disp. 16. Damhouder, Cap. 67, Rz. 15 ff.; Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 10. Vgl. dazu eingehend Grunert, delictum publicum, S. 432 f.. Cantera, de quaestionibus tangentibus accusatorem, Quaest. II, Rz. 3: „est ratio quia in quo libet delicto etiam privato tribus fit iniuria, scilicet, Deo, parti & reipublicae, iniuria quae fit Deo relinquitur, ut satisfaciat reus in confessione & quae fit parti pars prosequitur & potest etiam pars remittere, non tamen potest remittere iniuriam quae fit reipublicae & ideo pro ea potest fiscus accusare ut quotidie fit & practicatur & ut dixi in Regno Navarrae tam in foro saeculari quam ecclesiastico […]“.
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spruchslos ist und die Natur der Dinge der erste Massstab für Gut und Böse ist. Die lex naturalis als Teil der ewig geltenden göttlichen Ordnung wurde den Menschen von Gott ins Herz geschrieben18. Das oberste Gebot des Naturrechts lautet, das Gute zu tun, da alle menschlichen Handlungen auf das (vermeintlich) Gute gerichtet sind. Die weiteren Gebote folgen aus den natürlichen Neigungen (inclinationes) des Menschen, z.B. dass der Mensch seine Existenz erhalten will. Daraus folgt z.B. das Verbot des homicidium. Ebenso ergeben sich weitere notwendige Verhaltensverbote wie z.B. das Verbot von Diebstahl, Lüge oder Ehebruch, die auch ohne eine Festschreibung in den menschlichen Gesetzen gelten würden19. Es wird aber dennoch als notwendig angesehen, aus den obersten Prinzipien des ius naturale den menschlichen Verhältnissen nach Ort und Zeit angepasste, spezielle Vorschriften auf Stufe der menschlichen Gesetze zu erlassen20. Der Ordnungsverstoss als Wesensmerkmal der Straftat – hier allerdings nur auf der Ebene der menschlichen Gesetzesordnung – findet sich auch bei Vitalinis, der das maleficium als „excessus aut post dici legis transgressio“ umschreibt21. Diese Definition des delictum wird später von Decianus weiterentwickelt, der schreibt, „delictum est factum hominis vel dictum aut scriptum dolo vel culpa a lege vigente sub poena prohibitum, quod nulla iusta causa excusari potest“22. 3.1.3. Anknüpfung der Straftat: Gesinnung oder äusserer Erfolg?
In formaler Hinsicht stellt sich die Frage, an welches Momentum des menschlichen Verhaltens bei dessen Beurteilung als Straftat angeknüpft werden soll23. Soll dabei in erster Linie auf die Gesinnung eines Menschen abgestellt werden oder soll dessen nach aussen tretendes Handeln im Vordergrund stehen? 18 19
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Vgl. Krause, Otto Wilhelm, S. 41 sowie Kaltenborn, S. 124 ff.. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 94, Art. II; Molina, Tract. I, Disp. 4, Rz. 3. Eingehend zur Entwicklung des Naturrechts in der spanischen Spätscholastik: Krause, Otto Wilhelm sowie Welzel, S. 95 ff.. Soto, Lib. I, Quaest. V, Art. I. Nach Soto gehören nicht nur die obersten Prinzipien zum „absoluten“ Naturrecht, sondern bereits auch die conclusiones, die „necessarie“ aus diesen Grundsätzen mit Hilfe der menschlichen Vernunft abgeleitet werden. Daran anknüpfend haben die späteren Naturrechtsautoren das Naturrecht bis zum Ende des 16. / Anfang des 17. Jahrhunderts systematisch ausgebaut (vgl. Krause, Otto Wilhelm, S. 45). Die Ableitung des ius civile vom ius naturale wird von Molina in Tract. I, Disp. 4, Rz. 10 beschrieben. Vgl. auch Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 95, Art. II. Vitalinis, quid sit maleficium. Decianus, Liber Secundus, Cap. III, Rz. 2. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich ausschliesslich auf missbilligtes menschliches Verhalten; die seit dem Mittelalter praktizierten Tierprozesse werden ausser Acht gelassen.
In der Beichtpraxis standen das Gewissen des Menschen, sein innerer Wille und seine Motive im Zentrum. Zur Beurteilung, ob eine Sünde vorlag und wie gross diese war, galt es, die inneren Absichten des Beichtenden zu erforschen und zu würdigen. Somit war die Beichtpraxis in erster Linie am inneren Willen und weniger an den äusseren Handlungen des Beichtenden interessiert. In Übereinstimmung mit dem Neuen Testament können im forum internum bereits Gedanken eine Sünde darstellen24. Die Moraltheologen Vitoria und Lessius weisen z.B. darauf hin, dass ein Diebstahl bereits dann ein peccatum mortale darstellt, wenn sich der animus des Täters auf eine quantitas notabilis richtet, ungeachtet, ob diese quanti tas notabilis tatsächlich überhaupt erreicht wird25. Im Unterschied zum forum internum knüpft das forum externum in der Regel an einen äusserlichen Erfolg an26. Bereits aus praktischen Beweisproblemen heraus – anders als die göttliche Erkenntnis ist die Erkenntnisfähigkeit des Richters auf äussere Umstände beschränkt – muss sich der Wille eines Täters in einem von aussen erkennbaren Vorgang manifestieren. Ob bei der Beurteilung einer Straftat im forum externum die Gesinnung (affec tus) oder der Erfolg (effectus) im Vordergrund zu stehen hat, wird in der untersuchten Literatur hauptsächlich anhand des unvollendeten Delikts erörtert (vgl. dazu nachfolgend 3.2.2). Erwartungsgemäss haben sich hauptsächlich diejenigen Autoren ausführlich mit dem Versuch befasst, welche sich an eine juristische Leserschaft richteten und somit für das forum externum schrieben. Nebst der Konstellation des Versuchs kommt dem Täterwillen aber auch eine wichtige Bedeutung zu, wenn Lücken oder Beweisprobleme bezüglich der Kausalkette bestehen: Bei Körperverletzungen mit Todesfolge, bei welchen oft schwer nachweisbar war, ob der Tod durch die Verletzung oder spätere Ursachen (z.B. Fieber oder einen Kunstfehler) eingetreten ist, wird gemäss Bossius darauf abgestellt, ob die Tat mit animus occidendi geschah; hat der Täter mit animus occidendi gehandelt, wird er für ein homicidium bestraft27.
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Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 10; Covarruvias, Relectio secunda pars, § 1, Rz. 4 ff.. Zur Subjektivierung des Sündenbegriffs seit dem 12. Jahrhundert vgl. Müller, Einfluss, S. 73 f.. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VI, Rz. 5; Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 6. Allerdings kennt das kanonische Recht auch Tatbestände, bei welchen nur die Gesinnung bestraft wird, z.B. die Häresie oder das crimen laesae maiestatis. Bossius, de homicidio, Rz. 20. Demgegenüber ist Gandinus der Auffassung, die Tat sei in jedem Fall eine occisio, doch sei der Täter bei fehlendem animus occidendi milder zu bestrafen (Gandinus, de homicidariis, Rz. 20, S. 302).
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3.1.4. Zurechnung
Im Rahmen der Zurechnungslehre stellt sich die Frage, ob ein Täter für Geschehensabläufe aufgrund der kausalen Verursachung eines Schadens oder Erfolges oder aber aufgrund persönlichen Verschuldens verantwortlich gemacht wird. Die Zurechnung des crimen oder peccatum erfolgt breits bei Thomas über den Willen des Täters. So stellt er die Beherrschung des menschlichen Handelns durch den Willen als wesentlich dar: „Unde illae solae actiones vocantur proprie humanae, quarum homo est dominus. Est autem hoc dominus suorum actuum per rationem et voluntatem: unde et liberum arbitrium esse dicitur facultas voluntatis et rationis“28. Dieser Tradition folgend geht auch Covarruvias davon aus, dass die menschlichen Handlungen willensgesteuert sind: „Cum prima causa peccati sit in volun tate, quae imperat omnes actus humanos: peccatum autem nihil aliud est, quam actus humanus malus“29. Daran anschliessend folgert er, dass der Wille einen wesensnotwendigen Teil von peccatum und crimen bildet: „Voluntas distinguit delictum a non delicto et pecca tum a non peccato cernit“. Demgegenüber können willenlose, rein mechanisch erzeugte Handlungen, die z.B. unter unwiderstehlichem Zwang geschehen, keine Straftat begründen, da sie nicht als „actus humanus“ gewertet werden30. Der für die Zurechnung notwendige Wille kann schliesslich durch eine Beeinträchtig ung der Vernunft (ratio) oder der Erkenntnis (intellectus) vermindert oder ausgeschlossen sein (vgl. dazu weiter hinten 5.3.1.1). Wie noch zu zeigen sein wird, gehen die Gelehrten im 16. Jahrhundert in der Regel vom Verschuldensprinzip aus, doch wird die aus der Kanonistik stammende „causa“-Strafe immer noch erwähnt. Sonderfragen der Zurechnung, insbesondere die Zurechnung des Trunkenheitsdelikts und der Fahrlässigkeit, stossen vor allem bei den untersuchten Ka28
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Thomas von Aquin, STh I-II, Quaest. 1, Art. I. Thomas hat die Lehre vom freien Willen von Augustinus rezipiert, während die finalistische Handlungslehre auf Aristoteles zurückgeht (vgl. Lipp, S. 3 sowie Maihold, S. 154). Eingehend dazu auch die neuere Abhandlung von Städtler, Handlungstheorie, S. 51 ff.. Covarruvias, Relectio secunda pars, Initium, Rz. 1. Molina, Tract. III, Disp. 3, Rz. 3: „Quando vero aliquis, non se ipsum agens, sed actus omnino ab alio, tertium aliquem interficeret, ut si, impulsus ab aliquo, contra suam voluntatem aliquem interficeret, eum confodiendo ense, quem manu tenebat, aut alia ratione; tunc, quia in ea interfec tione nullus intervenit actus humanus eius qui ita actus interfecit, tale homicidium aequiparatur homicidio culpabili facto absque usu rationis, ad illudque est revocandum“. Auch Tiraquellus, Causa 36, Rz. 5, hält fest, dass absoluter Zwang eine Strafe ausschliesst: „At coacti absolute sive praecise…, qui videlicet nihil conferunt secundum proprium motum, nihil certe peccant neque puniuntur, ut, qui potius pati quam agere videamur“.
nonisten und Moraltheologen auf grosses Interesse. Aufbauend auf einer grossen Sammlung an bereits bestehenden Theorien gelingt es ihnen, wie nachfolgend zu zeigen sein wird, den Formenreichtum verschiedener Zurechnungslehren zu erweitern und dabei gleichzeitig die Voraussetzungen der Zurechnung zu präzisieren (vgl. dazu weiter hinten, insb. 3.2.1.4 sowie 5.3.1.1.4).
3.2. Allgemeine Deliktslehren 3.2.1. Vorsatz und Fahrlässigkeit
Bei einem Erfolg, der um seiner selbst willen angestrebt und gewollt ist, ist das Vor handensein eines Tatwillens relativ einfach zu bejahen. Demgegenüber stellt die Konstruktion einer Willensschuld bei Fahrlässigkeitsdelikten grössere Schwierig keiten dar. Wie nachfolgend zu zeigen sein wird, war die Abgrenzung von casus und culpa und die Zurechnung eines Erfolgs zum Willen des Täters in Fällen, in denen dies nicht offensichtlich war, ein vielbehandeltes Thema und die Auseinandersetzung damit hat zu einer Verfeinerung und Weiterentwicklung der kanonischen und weltli chen Rechtslehre des 16. Jahrhunderts geführt. Die Erörterungen zur voluntas finden sich selten in abstrakter Form, sondern meist im Zusammenhang mit dem homicidium. 3.2.1.1. Dolus
Ein homicidium ist u.a. voluntarium, wenn der Täter mit dolus oder animus occidendi handelt31. Während der dolus im römischen Recht lediglich als dolus malus verstan den wurde, kam es in der italienischen Doktrin des 14. und 15. Jahrhunderts zu einer Ausweitung des dolus-Begriffs, ohne dass allerdings eine erschöpfende Definition des dolus gefunden wurde32. Dolus umfasste in der italienischen Doktrin das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit, weshalb ein Irrtum über die Rechtswidrigkeit den dolus ausschloss. Der dolus wurde bejaht, wenn sich der Täter bei seiner vorsätzlichen Handlung über die Möglichkeit des rechtswidrigen Erfolges dieser Handlung bewusst war. In solchen Fällen fand eine Präsumtion des dolus statt33.
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Gandinus, de homicidariis, Rz. 2, S. 278; Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 13 f.; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 1; Molina, Tract. III, Disp. 3, Rz. 3; Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV. Vgl. Engelmann, S. 37 f.. Vgl. Engelmann, S. 49.
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Nebst der Doluspräsumtion diente den Postglossatoren auch die Figur des dolus in genere als Mittel zur Ausweitung des dolus. Nach dieser Figur ist ein Erfolg dem Willen dann anzurechnen, wenn der Täter sich der Gefahr bewusst war, dass seine Handlung die Möglichkeit eines Erfolgseintritts mit sich bringt34. Bossius greift die Lehre des dolus generalis als eine auf einen allgemeinen Verletzungsbegriff gerichtete Absicht auf: „ubi de hoc [quod postea secutum est] in genere saltem cogit asset, postquam delictum … aperte tendebat in id, quod secutum fuit“. Er spricht auch von einer mindestens „indirekten“ notwendigen Beziehung zwischen dolus und Erfolg: „Attamen sum cum opinione mitiori hoc casu, quia dolus nec directe, nec indirecte potest accommodari ad id, quod secutum est“35. Der Gedanke des indirekten Willens wird im 16. Jahrhundert auch in der Kanonistik und Moraltheologie aufgegriffen: Covarruvias und anschliessend Molina bezeichnen das Anstreben einer Tö tung um ihrer selbst willen als voluntas directa in Abgrenzung von der voluntas indi recta, bei welcher der Wille auf eine andere Handlung gerichtet ist als auf die ei gentliche Tötung (vgl. dazu nachfolgend 3.2.1.2)36. Die Rechtsgelehrten des 16. Jahrhunderts ziehen den dolus in genere sodann zur Beurteilung der Aberrations- und Verwechslungsfälle heran. So reicht gemäss Tiraquellus im Aberrationsfall ein dolus in genere aus, was er mit dem Grundsatz „ne delicta maneant impunita“ begründet37. Im Unterschied zu früheren Autoren unterscheidet Gomez deutlich zwischen den Aberrations- und Verwechslungsfällen. Bei der sog. „aberratio ictus“, d.h. wenn andere oder zusätzliche Güter verletzt werden als vom Täter ursprünglich beabsichtigt, haben die meisten Postglossatoren lediglich ein homicidium culposum befürwortet38. Dieser Auffassung schliessen sich Vitalinis und Bossius an39. Gomez demgegenüber neigt eher zur Auffassung des Bartolus, wonach der Täter für dolus haftet, doch entscheidet er sich schliesslich trotzdem für die culpa-Lösung der herrschenden Lehre mit dem Hinweis auf Be weisprobleme und dass es besser sei, einen Schuldigen freizusprechen als einen Un schuldigen zu strafen40. Auch Clarus weist darauf hin, dass in Aberrationsfällen die Haftung für culpa im 16. Jahrhundert der herrschenden Lehre entsprach; er selbst rechnet die Tötung im Fall der aberratio ictus aber dem dolus zu. Dabei nimmt 34
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So z.B. Cinus, Baldus und Bartolus (vgl. Engelmann, S. 86 ff., mit Nachweisen). Wie Engelmann ausführlich belegt, kam dem Ausdruck „dolus in genere“ eine vielschichtige Bedeutung zu und er kann nicht als einheitlich aufgefasster Begriff verstanden werden. Bossius, de homicidio, Rz. 75. Covarruvias, Relectio secunda pars, Initium, Rz. 1; Molina, Tract. III, Disp. 3, Rz. 3. Tiraquellus, Causa 14, Rz. 2 und 3. Vgl. Engelmann, S. 60 f. mit Nachweisen. Vitalinis, de insultu percussione defensione; Bossius, de homicidio, Rz. 73. Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 35.
er keinen animus deliberatus an, sondern sagt bloss, die Tat sei „in rixa“ erfolgt und stelle damit ein homicidium simplex dar41. Unerheblich ist die Verwechslung des Opfers bzw. des Tatobjekts, die z.B. vorliegt, wenn man jemanden tötet, den man irrtümlicherweise für einen anderen gehalten hat (sog. error in persona vel objecto). Gemäss Gomez ist der Täter für dolus zu bestrafen, „quia ibi vere et realiter consentit delinquens, licet erravit in persona, et dolus et animus, quem habuit respectu corporis occisi, sufficit“42. Molina verneint zwar das Vorliegen eines eigentlichen homicidium dolosum, doch spricht er sich im Ergebnis trotzdem für eine Bestrafung wie für ein homicidium dolosum aus. Der Grund liegt darin, dass der homicida bestraft wird, weil er einen Menschen getötet hat, und nicht weil er einen bestimmten Menschen getötet hat43. Im Zusammenhang mit dem homicidium weisen verschiedene Autoren des 16. Jahrhunderts darauf hin, dass das Vorliegen eines dolus vermutet wird, d.h. es erfolgt eine Beweislastumkehr zu Lasten des Angeklagten44. Allerdings wollen nicht alle Autoren den dolus ohne weiteres vermuten: gemäss Bossius wird der animus occidendi bei einer Körperverletzung nur unter bestimmten, aussergewöhnlichen Umständen vermutet, so z.B. bei bestimmten Angriffswaffen, bestimmten Verletzungen (Kopfverletzungen oder wiederholte Verletzungen) oder bei vorangegangener Feindschaft45. 3.2.1.2. Die Lehre von der voluntas indirecta
Während die Legistik mit der Figur des „dolus in genere“ über ein vielschichtiges In strument verfügte, um eine Zurechnung in Fällen zu begründen, in denen ein Erfolg nicht per se angestrebt wurde, bildete sich für solche Fälle parallel dazu zunächst in der Theologie allmählich die Lehre von der voluntas indirecta heraus. Der Begriff der voluntas indirecta wird bereits von Thomas von Aquin erwähnt. In Quaestio 76 des ersten Teils der Secunda untersucht Thomas das Verhältnis von Wissen, Willen und Sünde und legt dar, dass auch negligentia eine Willensschuld und somit eine Sünde begründet46. Die negligentia beinhaltet somit einen indirekten Willen. 41 42 43 44 45 46
Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 23. Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 34. Molina, Tract. III, Disp. 30. Zum gleichen Ergebnis gelangten bereits die Postglossatoren (vgl. Engelmann, S. 57 ff.). Vitalinis, de homicidio et qui dicantur homicidie; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 17; Molina, Tract. III, Disp. 39, Rz. 5; Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 39 f.. Bossius, de homicidio, Rz. 38 ff.. Thomas von Aquin, STh I-II, Quaest. 76, Art. III: „Alio modo potest hoc contingere ex parte ipsius ignorantiae, quia scilicet ipsa ignorantia est voluntaria, vel directe, sicut cum aliquis studio
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Gestützt auf eine weitere Thomas-Stelle heben Vitoria und Soto hervor, dass nicht nur ein per se angestrebter Erfolg, sondern auch ein Erfolg, der nicht eigentlich angestrebt ist, jedoch aus einer bekanntermassen schädlichen Handlung folgt, ein peccatum darstellen kann. Dies hat z.B. Vitoria wie folgt umschrieben: „Non solum quando animo nocendi loquitur de aliquo, set etiam quando ipse scit quod nocet alteri, etsi non intendat nocere, peccat mortaliter“47. Die zitierten Aussagen werden eher beiläufig im Zusammenhang mit der Rufschädi gung gemacht; es kann daher noch nicht von einer eigentlichen Theorie der voluntas indirecta gesprochen werden. Erst Covarruvias behandelt die verschiedenen Intensitätsstufen der voluntas ausführlich im Rahmen des homicidium und grenzt ausdrücklich die voluntas di recta von der voluntas indirecta ab: die voluntas directa strebt einen Erfolg, z.B. den Tod eines anderen Menschen, um seiner selbst willen an. Demgegenüber ist die vo luntas indirecta auf eine Handlung gerichtet, aus der notwendigerweise („immedi ate et per se“) ein bestimmter Erfolg, z.B. der Tod eines anderen Menschen folgt: „Directe enim fertur voluntas in homicidium quando quis animum habet occidendi: et haec est perfecta propriaque homicidii malitia. Indirecte autem et per accidens fertur voluntas in homicidium, quoties fertur in id, ex quo immediate et per se, non per acci dens homicidium sequitur. Nam in id, quod per accidens sequitur, nullo modo fertur voluntas nec directe, nec indirecte“ 48. In Bezug auf die Rechtsfolge der Irregularität stellt Covarruvias die voluntas di recta der voluntas indirecta gleich. Die Unterscheidung wirkt sich allerdings bei der Bestrafung nach weltlichem Recht aus: während Delikte, die mit voluntas directa geschehen, mit der punitio ordinaria bestraft werden, wird die ordentliche Strafe bei Delikten mit voluntas indirecta in eine mildere Strafe umgewandelt, da das pec catum durch den indirekten Willen („pro ratione indirectae voluntatis et ob imperfec tionem voluntarii“) gemildert wird.
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se vult nescire aliqua, ut liberius peccet; vel indirecte, sicut cum aliquis propter laborem, vel propter alias occupationes negligit addiscere id per quod a peccato retraheretur. Talis enim negligentia facit ignorantiam ipsam esse voluntariam et peccatum, dummodo sit eorum quae quis scire tenetur et potest“. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 73, Art. II, Rz. 2. Bei Soto, Lib. V, Quaest. X, Art. II, findet sich die folgende Formulierung: „Et dicitur quis ex intentione facere, non solum quando directe id animo proponit, verum & quando animadvertit quid dicit, & sine legitima causa nihilo minus verbum effutit“. Covarruvias, Relectio secunda pars, Initium, Rz. 2. Vgl. zu Covarruvias’ Lehre von der voluntas indirecta und deren Wirkungsgeschichte: Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 76 ff. sowie Rüping / Jerouschek, Rz. 120.
Anknüpfend an die eingangs erwähnte Thomas-Stelle dient die Lehre von der voluntas indirecta insbesondere dazu, die Willenszurechnung beim Fahrlässigkeitsde likt zu begründen. Molina beschreibt dies unter Bezugnahme auch auf Covarruvias im Rahmen der Abgrenzung des homicidium voluntarium (als Oberbegriff von vorsätzlichem und fahrlässigem homicidium) vom homicidium casuale: „Similiter, qui aliquem percutit animo eum solum vulnerandi, non intendendo eum interficere, quin potius, si crederet se ea via interfecturum, desisteret ab illo vulnerando: attamen non ita scivit, aut non ita potuit, attemperare manum, aut ictum, ut non in terficeret, dicitur, meo iudicio, homicida voluntarius, quando ictus, quem intendebat, talis erat, ex quo facile re ipsa evenire interfectio potuit. Ratio autem est, quoniam licet non intenderit formaliter homicidium, perinde tamen reputatur, ac si illud formaliter intendisset cum sciens & prudens id efficiat, quod videt, aut videre debebat, viam esse aptam ad mortem, mortemque re ipsa eo actu inferat, nihil impediente, quod crederet, se eo actu non perventurum ad mortem inferendam, neque intenderit eo actu illam inferre. Consentiunt nobiscum Covarr. In dement. Si furiosus part. 2 in initio n.1 & §1 n. 2 & Caiet. 2.2. q. 64. art. 8 ad. 2.“49. Während es bei Covarruvias noch darauf ankommt, dass der Täter diejenige Handlung will, die per se zum Erfolg führt, stellt Molina nun darauf ab, ob der Täter wusste oder gewusst haben musste, ob seine Handlung für den Erfolgseintritt geeignet ist. Damit verschiebt sich der Fokus weg vom Willen (bezogen auf die Handlung, die unmittelbar zum Erfolg führt) auf das Wissen oder Wissen-Müssen um die Eignung einer Handlung zur Herbeiführung eines bestimmten Erfolges. In der vorne zitierten Molina-Stelle führt dies dazu, dass dem Täter auch dann eine (fahrlässige) Tötung zugerechnet werden kann, wenn sich sein Vorsatz lediglich auf eine Verletzung gerichtet hat und er die Tötung, hätte er um ihre Möglichkeit gewusst, nicht gewollt hätte. Somit begründet Molina – modern gesprochen – bereits eine Zurechnung der unbewussten Fahrlässigkeit. Die Unterscheidung von direktem und indirektem Willen hat später bei Benedikt Carpzov weitergewirkt, der dann allerdings den Begriff „dolus indirectus“ verwendet und diesen auch bezüglich den weltlichen Straffolgen dem direkten dolus gleichgestellt hat50.
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Molina, Tract. III, Disp. 3, Rz. 4. Ein homicidium casuale liegt nach Molina vor, wenn die Verletzung auf keine Art und Weise geeignet ist, den Tod herbeizuführen oder wenn sie zwar geeignet ist, aber dennoch kein vernüftiger Mensch annehmen kann, dass der Tod beabsichtigt war („nullus prudens reputabit tale homicidium, ac si esset intentum“). Vgl. Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 78.
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3.2.1.3. Culpa 3.2.1.3.1. Von der kanonistischen Lehre zur „doctrina Bartoli“
Die Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts hat in den folgenden beiden Fällen eine fahrlässige Tötung bejaht: (a) wenn die Tötung aus einer unerlaubten Handlung folgte (versari in re illicita) sowie (b) wenn bei einer Handlung die nötige Sorgfalt (diligentia) nicht beachtet wurde51. Diese beiden Kriterien standen alternativ nebeneinander, d.h. ein homicidium lag vor, wenn man bei einer res licita die nötige diligentia vermissen liess oder wenn die Tötung aus einer res illicita folgte, ohne dass in diesem Fall die Beachtung der diligentia debita eine Rolle spielte. Die Lehre des „versari in res illicita“ wurde ursprünglich für die Frage der Irregularität entwickelt, hat dann jedoch über Gandinus auch Eingang in die italienische Rechtslehre gefunden52. Gandinus vertritt die Auffassung, dass die kanonistische Lehre in diesem Punkt allgemein gültig sei: „Vel distingue latius secun dum ius canonicum et Bernardum, quod, si aliquis commisit homicidium casu, quia aut dabat operam rei licitae aut non“. Danach folgt bei ihm die oben geschilderte Zweiteilung in diligentia debita und res illicita53. Die Postglossatoren, angeführt von Bartolus und Baldus, wandten sich in der Folge aber von der kanonistischen Lehre ab und vertraten die Ansicht, dass es im weltlichen Strafrecht nur darauf ankomme, ob der Erfolg mit pflichtgemässer Sorgfalt vorhersehbar war. Nebst der Voraussehbarkeit und der Sorgfalt spielten bei der Abgrenzung von culpa und casus nach dieser als „doctrina Bartoli“ bekannten Lehre auch Elemente der Kausalität eine Rolle54. Nach der „doctrina Bartoli“ wird Fahrlässigkeit wie folgt definiert: „Culpa est non providere, quod a diligenti potuit provideri“55. Die späteren italienischen Juristen folgten der Lehre des Bartolus, ohne in der Regel die Abgrenzung der Fahrlässigkeit nochmals im Detail darzustellen, da diese offenbar als bekannt vorausgesetzt wurde56. In diesem Zusammenhang wurde je51
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So auch Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 64, Art. VIII: „Et ideo secundum jura […], si aliqui det operam rei licitae, debitam diligentiam adhibens, et ex hoc homicidium sequatur, non incurrit homicidii reatum: si vero det operam rei illicitae, vel etiam det operam rei licitae non adhibens diligentiam debitam, non evadit homicidii reatum si ex ejus opere mors hominis conse quatur“ sowie Gandinus, de homicidariis, Rz. 17, S. 297. Näheres zur culpa bei den frühen Kanonisten und Postglossatoren: Kuttner, S. 200 ff. und Engelmann, S. 207 ff.. Engelmann, S. 211 ff.. Gandinus, de homicidariis, Rz. 17, S. 297. Vgl. Löffler, S. 149; Dahm, S. 257; Rüping / Jerouschek, Rz. 120. Fundstelle und weitere Ausführungen bei Engelmann, S. 214 ff.. Aretinus, § Et ex intervallo dictus, S. 165, Rz. 13 f.; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 22: „Culpa dicitur homicidium committi, quando quis non dolose neque animo occidendi, sed inad
weils auch auf die Unterscheidung verschiedener Schuldstufen wie culpa lata, culpa levis oder culpa levissima eingegangen (vgl. dazu weiter hinten 5.3.1.2). Im kanonischen Recht dagegen beanspruchte die Lehre der „res illicita“ bis ins 15. Jahrhundert hinein Geltung57, wurde jedoch im 16. Jahrhundert, wie sogleich gezeigt wird, kritisiert und weitgehend ersetzt. 3.2.1.3.2. Neue Voraussetzungen in Bezug auf peccatum und crimen
Die Kritik an der Lehre der „res illicita“ hat sich im kanonischen Recht zunächst ausserhalb der Irregularität, mit Bezug auf die übrigen Straf- und Sündenfolgen ent wickelt. Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Irregularität, d.h. das Weihehindernis, grundsätzlich eigenen Regeln folgt und nicht an dieselben Voraussetzungen wie andere Straffolgen anknüpft58. So unterscheidet z.B. Vitoria die Frage nach dem Vorliegen von culpa und peccatum von der Frage nach der Irregularität. In Bezug auf das Vorliegen von pecca tum und culpa will Vitoria sowohl bei erlaubten, als auch bei unerlaubten Handlungen einzig auf das Kriterium der diligentia abstellen: „Primo, quantum ad culpam dico quod si ille qui dat operam rei illicitae, adhibeat sufficienter diligentiam, non plus peccat quam ille qui dat operam rei licitae si adhibeat etiam sufficientem diligentiam. Itaque quantum ad culpam, idem est judicium de dante operam rei illicitae et de dante operam rei licitae, posita aequali diligentia“59. Vitoria und weitere Autoren argumentieren anhand von Fallbeispielen, dass nicht jede Tötung, die aus einer res illicita folgt, zwingend ein strafwürdiges homic idium darstellen muss. In diesen Fallbeispielen geht es unter anderem darum, dass jemand unerlaubterweise eine Glocke läutet, wobei ein Ziegel herunterfällt und einen Vorbeigehenden erschlägt oder dass jemand an einem Festtag einen Baum fällt, der einen vorbeigehenden Knaben tötet. Hat der Täter in diesen Fällen bei seiner res illicita die notwendige Sorgfalt angewendet, soll er lediglich wegen der res illi cita, nicht aber wegen einem homicidium bestraft werden60.
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vertenter alium interfecit, & hoc homicidium licet sine dolo commissum, potest nihilominus pu niri criminaliter, non quidem poena ordinaria, & sic poena mortalis, sed debet puniri poena pe cuniaria, vel exilio, pro modo culpae“. Vgl. auch Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 84, S. 208, der sich auf Bartolus beruft. Die weitgehende Geltung dieser Lehre wird z.B. von Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 15, und Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 19, Rz. 3, berichtet. Vgl. dazu weiter hinten 4.4.2. Kuttner, S. 232, weist diesbezüglich auf eine Trennung zwischen „Strafrecht“ und Ordinationsrecht hin. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VIII, Rz. 5, der sich dabei auf Cajetan beruft. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VIII; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. IX; Covarruvias, Relectio secunda pars, § 4, Rz. 10; Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 19, Rz.
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Lessius schliesslich stellt bei der Abgrenzung des homicidium casuale vom strafbaren homicidium die res licita und die res illicita bereits ganz selbstverständlich gleich. In beiden Fällen ist ein homicidium mangels Willenszurechnung ausgeschlossen, wenn der Täter die nötige Sorgfalt angewendet hat: „si dans operam rei licitae, vel illicitae, adhibuisti sufficientem cautionem, ne inde aliquid incommodi sequeretur: tunc enim etiamsi forte secuta fuerit mors alicuius, non tibi imputabitur; quia nec in se, nec in causa erit volita“61. Die geforderte Sorgfalt muss gemäss Soto der betreffenden Tätigkeit entsprechen, ohne dass dabei die maximal mögliche Sorgfalt erforderlich wäre: „Haud enim diligentiam adhiberi semper necessarium est quam maxime potest, sed quam fu erit pro qualitate negotiorum congruens“62. Die notwendige Sorgfalt wird also bereits in einen Bezug zur fraglichen Tätigkeit gesetzt, doch fehlt bei Soto noch ein konkreter Massstab zur Bemessung der geforderten Sorgfalt. Diesen Schritt macht anschliessend Azpilcueta, der in seinem Beichtmanual das Kriterium des durchschnittlich vorsichtigen Menschen einführt: „sed in culpa fuit in non advertendo, vel non adhibendo eam diligentiam, quam homines mediocriter prudentes in similibus actibus adhibere solent“63. Auch Fernando Vàzquez erachtet den von Soto postulierten Sorgfaltsbegriff als zu wenig präzise und ergänzt ihn mit derjenigen Sorgfalt, die ein durchschnittlich begabter Mensch in derselben Situation anwenden würde: „… non intelligo sufficere quod quis adhibeat eam diligentiam, quam solitus est in aliis rebus adhibere, sed oportere debitam adhibere diligentiam secundum actuum qualita tem. Quod ad communem & frequentiores hominum actiones referens ut nec sufficiat quod ipse talem diligentiam adhibuerit, qualem reliquis in rebus, sive suis, sive alienis adhibere solitus erat: siquidem ea segnior aut incautior erat quam ea quam hominum plerique in illius modi & qualitatis rebus adhibere solebant. Nec contra tam exactissi mam exigamus quantum adhiberi possibile erat, ut dd. iuribus & loquimur de homine mediocris ingenii & intellectus“64. Dieser objektive Sorgfaltsmassstab des homo mediocris ingenii et intellectus findet sich später auch bei Molina65.
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15; Damhouder, Cap. 84, Rz. 24 ff. und Cap. 85, Rz.1. Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 15, Rz. 103. Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. IX. Azpilcueta, Enchiridion, Cap XV, Rz. 6. Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 19, Rz. 3. Molina, Tract. III, Disp. 3, Rz. 3.
3.2.1.3.3. Neue Voraussetzungen in Bezug auf die Irregularität
Nicht nur in Bezug auf culpa und peccatum, sondern auch in Bezug auf die Irregula rität wird die Lehre des „versari in res illicita“ zunehmend kritisiert und mit neuen Elementen modifiziert. Dabei werden verschiedene Ansatzmöglichkeiten vorge schlagen. In Abweichung von Thomas von Aquin verlangt Vitoria für das Eintreten der Irreg ularität zusätzlich, dass die verbotene Handlung eine Lebensgefahr („cum magno periculo homicidii“) mit sich bringt66. Soto stellt in Frage, dass ein Kleriker, der wegen einer unerlaubten Handlung ein peccatum veniale begeht, aufgrund der daraus „zufällig“ folgenden Tötung irregulär werden soll, bietet aber noch keinen eigenen Lösungsvorschlag an67. Azpilcueta postuliert auch im Hinblick auf die Irregularität, dass es bei einer Tätigkeit nicht auf ihr Erlaubtsein oder ihre Gefährlichkeit ankomme, sondern einzig darauf, dass die nötige Sorgfalt angewendet werde68. Demgegenüber hält Covarruvias an der Figur der res illicita fest und nimmt das von Vitoria genannte Kriterium der Gefährlichkeit wieder auf. Nach seiner Lehre soll darauf abgestellt werden, ob die res illicita aus ihrer Natur geeignet ist, einen bestimmten Erfolg her beizuführen, und aufgrund dieser Gefahr verboten ist: „Homicidium casuale tunc demum ad irregularitatem imputandum fore danti ope ram rei illicitae, quando actus ille illicitus est ordinatus sua propria natura ad mortis laesionem, vel at homicidium, ut explicat Socin. […] Secundo deducitur, in hac con troversia, eum actum dici illicitum, qui prohibitus fuerit ratione huius periculi ad ho micidium, vel mortem, aut membri abscissionem. [..] Alioqui si actus non prohiberetur ratione huius periculi, sed ex alia causa, profecto huius prohibitionis transgressio nul lam nec minimam haberet homicidii culpam“69. Auch Lessius stellt auf die Verwirklichung der in der res illicita inhärenten Gefahr ab: „quia id intelligendum de re illicita, quae ideo illicita est, quia periculosa ex se, eo quod plerumque ex ea mors sequatur“70. Damit wird der Kreis der res illicita bezüglich einer fahrlässigen Tötung auf diejenigen Handlungen eingeschränkt, die aus ihrer eigenen Natur heraus auf eine Tötung oder lebensgefährliche Verletzung gerichtet sind und aufgrund dieser Gefahr verboten sind. Im Ergebnis klingt dabei die Lehre des dolus in genere der Postglossatoren an, die eine Willenszurechnung in Fällen ermöglichte, wo die augen66 67 68 69 70
Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VIII, Rz. 6. Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. IX. Azpilcueta, Commentarium, Rz. 22 ff.. Covarruvias, Relectio secunda pars, § 4, Rz. 10. Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 15, Rz. 106.
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scheinliche Gefahr der Verwirklichung eines Erfolgs in der betreffenden Handlung angelegt ist (vgl. dazu weiter vorne 3.2.1.1). 3.2.1.4. Fazit
Aus dem Vorangegangenen ist ersichtlich, dass sich die Theologen und Kanonisten des 16. Jahrhunderts intensiv mit der Frage der Willenszurechnung befasst und sich dabei insbesondere um eine Klärung der Voraussetzungen der Fahrlässigkeit bemüht haben. Dabei haben sie die Kriterien entscheidend weiterentwickelt und ausdifferenziert, wobei wechselseitige Einflüsse zwischen den Kanonisten Azpil cueta, Covarruvias und Fernando Vàzquez einerseits und den ThomasKommentatoren andererseits feststellbar sind. Zunächst haben sich die Gelehrten bei der Fahrlässigkeit in Bezug auf die Frage von culpa und peccatum vom Erfordernis der res illicita gelöst. Sie haben dieses formale Kriterium zu Gunsten der Sorgfaltspflicht aufgegeben und die Strafbar keitsvoraussetzungen präzisiert, indem sie diese mit dem Schuldprinzip zu vereinen suchten. Mit der Stärkung der Bedeutung der Sorgfaltspflicht haben Fernando Vàzquez und Molina den homo mediocris ingenii et intellectus als Massstab für die zu beachtende Sorgfalt eingeführt. Damit hat das gelehrte Strafrecht des 16. Jahrhunderts den noch relativ undifferenzierten objektiven Sorgfaltsmassstab der Postglossatoren („culpa est non providere, quod a diligenti potuit provideri“, „casus fortuitus est accidens, quod per custodiam, curam vel diligentiam mentis humanae non potest evitari ab eo qui patitur“)71 entscheidend weiterentwickelt. Der Massstab des durchschnittlich begabten Menschen steht dabei in einem Spannungsfeld zum individuellen Schuldprinzip. In Bezug auf die Irregularität haben die spanischen Gelehrten das formale Kriterium der res illicita mit einer neuen Bedeutung gefüllt, indem sie einen inneren Zusammenhang zwischen dem Verbot einer Handlung und der Gefahr des Erfolgseintritts vorausgesetzt haben. Die Gefährlichkeit einer Handlung spielt nicht nur im Rahmen der Irregularitätslehre, sondern auch bezüglich der Zurechnung eines peccatum eine grosse Rolle. So schreibt z.B. Lessius, dass es bei der Beurteilung der geforderten Sorgfalt auf die Gefährlichkeit der betreffenden Handlung ankommt: „.. quod causa fuerit periculosa, ac proinde videatur mors volita in causa: quia dili gentia abstersit periculum“72.
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Vgl. Dahm, S. 257 f. mit Fundstellen bei Bartolus und Baldus. Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 15, Rz. 103.
Diese Fundstellen zeigen, dass die neuen Voraussetzungen des Fahrlässigkeitsdelikts gleichzeitig auch eine einfache Zurechnung des Willens in Bezug auf den verpönten Erfolg ermöglichen: wenn eine Handlung aus ihrer Natur gefährlich ist, „will“ der Täter nach der Lehre von der voluntas indirecta mittelbar auch den aus der Natur der Handlung fliessenden Erfolg (zur voluntas indirecta vgl. vorne 3.2.1.2). Im Ergebnis wurde das kanonische Recht bezüglich den Voraussetzungen der culpa somit weitgehend dem weltlichen Recht angepasst, ohne dass dabei das – insbesondere für die Irregularität – traditionell überlieferte Kriterium der res illicita formell aufgegeben werden musste.
3.2.2. Versuch und Vollendung 3.2.2.1. Selbständiger Versuchsbegriff (affectus, conatus, attentatum) Das Konzept des Versuchs, welches auf einer kausalen Beziehung von Wille, Hand lung und Erfolg beruht, war im römischen Recht noch unbekannt73. Handlungen, die nach heutigem Verständnis einen Versuch darstellen würden, wurden stattdessen oftmals als formell vollendete „Versuchs“-Verbrechen bestraft. Es ist das Verdienst der Glossatoren und Kanonisten des 13. und 14. Jahrhunderts, einen selbständigen Begriff des Versuchs entwickelt zu haben, der in der Regel milder bestraft wurde als das vollendete Delikt74. Gandinus unterscheidet in der Tradition der Glossatoren begrifflich zwischen Wollen, Handeln und Vollenden (cogitare – agere – perficere)75. Das rein innerliche cogitare ist straflos. Hat der Täter hingegen bereits zu handeln begonnen, wird ge prüft, aus welchem Grund die Vollendung der Tat ausgeblieben ist. Wenn der Täter alles getan hat, was er zur Verwirklichung der Tat tun konnte, und der Erfolg dennoch ausbleibt, wird der Täter wie für eine vollendete Tat bestraft. Bleibt der Erfolg dagegen aus, weil der Täter aus eigenem Entschluss nicht mehr weiterhandelte, wird er milder bestraft: „Si autem cogitavit, egit, sed non perficit, tunc subdistingue: quia aut, quia voluit et potuit, aut qui noluit et quia non potuit; sed quia noluit, venia dignus est, ut ff. de fal sis. l. qui falsam; si autem, quia non potuit, punitur: quia in maleficiis voluntas spec tatur, non exitus [..]. Si autem cogitavit, nec egit nec perfecit, subdistingue: quia aut
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Vgl. Mommsen, S. 95. Zur mittelalterlichen Praxis Dahm, S. 187 ff.. Eingehend dazu Glöckner, S. 63 ff.. Vgl. auch Rüping / Jerouschek, Rz. 45. Gandinus, de penis reorum, Rz. 2 ff., S. 210 ff.. Zum Einfluss des Schemas cogitare – agere – perficere auf die Bambergensis und die CCC vgl. Glöckner, S. 155 ff..
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agitur in foro seculari seu contentioso, et tunc non punitur, quia cogitationis penam nemo maeretur“76. Die Strafbarkeit setzt somit nach Gandinus erst dort ein, wo sich eine äussere Handlung manifestiert. Sobald eine äussere Handlung vorliegt, wird mit dem Be griffspaar „noluit – non potuit“ der Täterwille mehr ins Zentrum gerückt als ein allfälliges Erfolgsunrecht. In der untersuchten Literatur des 16. Jahrhunderts finden sich die Begriffe „cogi tare – agere – perficere“ und „noluit – non potuit“ nicht mehr ausdrücklich. Inhaltlich wirkt die Versuchslehre der vorangehenden Legisten und Kanonisten jedoch weiter: Zum Einen herrscht Einigkeit darüber, dass im forum externum der blosse Wille (affectus oder actus interior) nicht strafbar ist77. Strafbarkeit setzt voraus, dass der innere Wille durch eine äussere Handlung zu Tage tritt, was Covarruvias wie folgt formuliert: „Si actus interior in exteriorem conatum erumpat is optime legi humanae subiicitur“78. In einem nächsten Schritt wird erörtert, wie weit ein Delikt bereits fortgeschritten sein muss, damit es bestraft wird. Dabei wird grundsätzlich eine gewisse Nähe zum Erfolgseintritt verlangt. In den Worten von Covarruvias bedeutet dies, dass die Tat „ad proximum ipsius perfecti criminis“ gediehen sein muss79. Vom proximus actus wird der remotus actus unterschieden, der in der Regel noch keinen oder allenfalls einen milder zu bestrafenden Versuch darstellt80.
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Gandinus, de penis reorum, Rz. 2 ff., S. 210 ff.. Ähnlich auch Vitalinis, quid sit accusatio: „Si vero pervenit ad actum et non consumavit si voluit bene punitur quod voluntas pro facto reputatur. Et hoc est verum in gravioribus delictis in quibus pena corporalis imponitur, ut pro homicidio, pro adulterio et similibus [..] Si vero non consumavit quod noluit sed bene potuit, tunc quod per eum stetit non punitur“. Molina, Tract. III, Disp. 24; Damhouder, Cap. 67, Rz. 11, 13; Bossius, de homicidio, Rz. 4. Covarruvias, Relectio secunda pars, Initium, Rz. 2 und 5. Auch Damhouder, Cap. 67, Rz. 11, 13, weist darauf hin, dass für eine Bestrafung nicht nur der Wille zum homicidium vorliegen müsse, sondern dass dieser Wille auch gegen aussen zu Tage treten müsse, z.B. durch Bewaffnung, Angriff oder Verletzung. Zum Kriterium des Heraustretens des äusserlichen Willens bei den Kanonisten des 12. und 13. Jahrhunderts vgl. Kuttner, S. 52. Covarruvias, Relectio secunda pars, Initium, Rz. 5. Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 92. Vgl. auch Molina, Tract. III, Disp. 23. Zu den Ursprüngen der Unterscheidung „proximus“ und „remotus“ in den italienischen Statuten vgl. Dahm, S. 194.
Der verlangte Fortschritt der Tat variiert je nach dem betroffenen Delikt: je grösser die atrocitas der Tat und der Schaden für die respublica sind, desto geringer muss der Verwirklichungsgrad des Delikts sein, damit schon der Versuch bestraft wird81. Somit fliesst das Gefahrenpotenzial des vollendeten Delikts in die Beurteilung der Strafwürdigkeit mit ein. Bei schweren Delikten wird die Strafbarkeit regelmässig bereits in das Stadium der Vorbereitungshandlungen vorverlegt. So wird z.B. berichtet, dass bei qualifizierten Delikten nach dem ius regium bereits der actus remotus, wie z.B. das Zubereiten von Gift, mit dem Tode bestraft wurde82. Umgekehrt wurde z.B. von Gandinus und Vitalinis verlangt, dass bei leichteren Vergehen ein Erfolg einzutreten habe, damit die Tat überhaupt bestraft wird83. Das von den frühen Legisten herausgearbeitete Kriterium der Schwere der Tat (atrocitas) wird auch in der Literatur des 16. Jahrhunderts immer wieder angetroffen. Dabei wird teilweise von delicta atrocia und teilweise von crimina atrocissima gesprochen84. Covarruvias definiert crimina atrocissima als Delikte, die sich durch magna calamitas und grave exitum auszeichnen. Zu diesen Delikten werden regelmässig das crimen laesae maiestatis85 gezählt, aber auch qualifizierte Tötungen wie das veneficium oder das parricidium. Obwohl die untersuchten Autoren durchwegs einen eigenständigen Versuchs begriff kennen, finden sich dennoch punktuell Stellen, wonach die versuchte Tat nicht mit der – allenfalls gemilderten – Strafe für das vollendete Delikt, zu bestrafen ist, sondern als eigenständiges Delikt: wer z.B. eine Tür einbricht, um in einem Haus zu stehlen, soll für das Türeinbrechen und nicht für ein versuchtes furtum bestraft werden86. Ein weiterer typischer „Versuchs“-Tatbestand ist das nächtliche Anstellen von Leitern an fremden Häusern, das mit dem Tode bedroht war87. Bei Tötungsversuchen wurde in der Praxis offenbar häufig nur eine Körperverletzung
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Molina, Tract. III, Disp. 23; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 92. Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 29. Gandinus, de penis reorum, Rz. 4, S. 210 f.; Vitalinis, quid sit accusatio. Zu den Wurzeln des Kriteriums der atrocitas, welches auf den Glossatoren Jacobus Balduini (gest. 1235) zurückgeführt wird, vgl. Glöckner, S. 127 f. und Dahm, S. 192. Von delicta atrocia spricht z.B. Molina, Tract. III, Disp. 34. Der Terminus crimina atrocissima findet sich z.B. bei Covarruvias, Relectio secunda pars, Initium, Rz. 5 und Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 24. Die Vorverlegung der Strafbarkeit beim crimen laesae maiestatis geht bereits auf die römische Kaiserzeit zurück, in welcher schon der entsprechende Wille bestraft wurde (vgl. Pertile, S. 72 f.). Molina, Tract. III, Disp. 24; Covarruvias, Relectio secunda pars, Initium, Rz. 7; Tiraquellus, Causa 37, Rz. 5 f.. Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 20, Rz. 1.
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geahndet88. Somit sind auch im 16. Jahrhundert noch Reste der zahlreichen eigenständigen „Versuchs“-Verbrechen aus den früheren Jahrhunderten auszumachen, in welchen noch keine selbständige und geschlossene Versuchslehre existierte. 3.2.2.2. Bestrafung des Versuchs
Uneinigkeit herrscht in der Frage, ob ein Versuch wie ein vollendetes Delikt oder mit einer milderen poena extraordinaria zu bestrafen sei. Die gefundenen Aussagen decken das gesamte Spektrum ab von gänzlicher Straflosigkeit des Versuchs (zumin dest bei leichten Delikten) über eine mildere Bestrafung jeden Versuchs bis zu einer Bestrafung wie für ein vollendetes Delikt. Die Straflosigkeit des versuchten leichten Vergehens wird z.B. von Gandinus und Vitalinis erwähnt89. Clarus berichtet, dass nach der Ansicht einiger Gelehrter immer eine mildere Strafe zur Anwendung gelangen solle, auch wenn es sich um den Versuch eines schweren Deliktes handle90. In der Praxis wurden leichtere Delikte offenbar häufig mit einer milderen poena extraordinaria bestraft91, während bei crimina atrocia die ordentliche Strafe für das vollendete Delikt zur Anwendung kam92. Die poena extraordinaria wird z.B. von Damhouder damit begründet, dass ein Versuch die Gerechtigkeit und das Wohl der respublica weniger beeinträchtigte als eine vollendete Tat: „quod nec iustitia, nec reipublicae salus tam graviter voluntate laeditur, atque ipso facto: quia non fuit aeque privata hominem suo, quando delictum fuit attentatum, si cut quando fuit consumatum“93.
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Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 19, Rz. 17. Gandinus, de penis reorum, Rz. 4, S. 211; Vitalinis, quid sit accusatio. Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 92, S. 219: „Sed certe videtur quod, secundum alios, de generali consuetudine, etiam in atrocissimis minus punitur qui actum non perficit, licet devenerit ad actum proximum“. Vgl. z.B. Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 31; Vitalinis, de homicidio et qui dicantur homicidie; Damhouder, Cap. 89. Bossius, de furtis, Rz. 34, hält z.B. fest, dass ein fur, der ertappt worden ist, bevor er die Sache berührt hat (contrectatio) nur eine poena extraor dinaria erhält. Vgl. auch Bossius, de homicidio, Rz. 4, und Covarruvias, Relectio secunda pars, Initium, Rz. 6 sowie Pertile, S. 75 f.. Molina, Tract. III, Disp. 23; Damhouder, Cap. 95, Rz. 15; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 92, S. 219: „Scias tamen quod, secundum aliquos, haec conclusio, quod conatus non puniatur nisi secuto effectu, locum non habet in delictis atrocissimis, nam in illis punitur affectus, etiam cum effectus non sequatur. – Et hanc dicit esse communem opinionem Felin“. Damhouder, Cap. 67, Rz. 20. In Cap. 74, Rz. 17 hält er fest, „Et hodie in maleficiis potius spectatur eventus, quam malus animus delinquentis sine effectu“. Auch Clarus erwähnt, dass
Covarruvias setzt sich dafür ein, dass der Richter bei der Strafzumessung den Fortschritt des Delikts zu berücksichtigen habe, wobei Erinnerungen an die Lehre des „noluit – non potuit“ anklingen: der Richter soll in seinen Erwägungen mit einbeziehen, ob der Täter seine Handlungen aus eigenem Willen eingestellt hat oder ob der Erfolg aus einem anderen, vom Täter unbeeinflussten Grund ausgeblieben ist94. Einzelne Autoren sprechen sich schliesslich dafür aus, dass bei sämtlichen Delikten, nicht nur den besonders schweren, der Versuch gleich wie die vollendete Tat bestraft werden solle95. Aus den dargestellten unterschiedlichen und oft widersprüchlichen Aussagen in der Theorie zeigt sich, dass es sich bei dem Zeitpunkt des Einsetzens der Strafbarkeit um ein auch in der Praxis höchst uneinheitlich gehandhabtes und kontroverses Problem handelte96. Verschiedene grundsätzliche Konzepte treffen hier aufeinander: das traditionelle Tatstrafrecht, welches sich primär am äusseren Erfolg orientiert, steht diametral zur christlichen Sündenlehre, bei welcher das Innenleben des Täters im Zentrum der Bewertung steht. Dass demzufolge auch die Praxis sehr uneinheitlich war, zeigt z.B. Bossius: während die Decreta Mediolani bereits den Tötungswillen bestraft haben sollen, soll nach dem Statutum Mediolani – im Unterschied zum ius civile – die blosse Giftmischerei nicht bestraft worden sein97. Auch Aretinus berichtet (zustimmend), dass nach den Statuta und ähnlichen Gesetzen weder der verbrecherische Wille noch der Versuch bestraft worden sei98. Zusammenfassend zeigt sich in der gelehrten Literatur aber dennoch die Tendenz, den Versuch – ausser bei crimina atrocia – mit einer milderen poena extraor dinaria zu bestrafen, da der Schaden und die Gefahr bei einem Versuch als weniger gross erachtet werden als bei einem vollendeten Delikt.
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bei einer Tat ursprünglich der affectus bestraft wurde, während sich in der Gewohnheit nun aber lediglich die Bestrafung des effectus eingebürgert habe (Lib. V, § Homicidium, am Ende). Covarruvias, Relectio secunda pars, Initium, Rz. 6. Vitalinis, de homicidio et qui dicantur homicidie; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 31. Dies stellte bereits Pertile, S. 75, für das italienische Recht fest. Vgl. dazu auch Renzo Villata, S. 511. Aretinus, § Et ex intervallo dictus, S. 165, Rz. 15: „Sed statuta per Italiam puniunt factum et non animum, unde ad similitudinem L. aquil. Dicunt: si quis interficit: unde nisi interficiat, licet etiam mortis causam animo praebuerit, non tenebitur de sicar. Sed alio modo castigabitur. ….. tu autem adde, etiam si non essent statuta per Italiam, sed ius commune, hodie de generali consuetudine totius mundi derogatum est legi: is qui cum telo de sicar. Et similibus legibus, quia etiam cessante statuto, nemo debet decapitari nisi proprie occiderit, nec propter animum tantum debet puniri, nec propter conatum tantum“.
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3.2.3. Handlung oder Unterlassung? Die Umschreibungen der einzelnen Deliktstatbestände, welche üblicherweise ein Verb beinhalten (z.B. occidere, interficere, contrectare), legen nahe, dass die unter suchten Autoren primär davon ausgehen, dass eine Straftat durch eigenhändiges Handeln verwirklicht wird. Dass eine Straftat auch durch Unterlassen begangen werden kann, scheint für die meisten Autoren aber selbstverständlich gewesen zu sein, denn die Fundstellen dazu sind in der Regel sehr knapp. Dies mag zum einen daran liegen, dass sich in der italienischen Strafrechtswissenschaft und Praxis das Unterlassungsdelikt bereits in der Zeit bis zum 14. Jahrhundert allmählich herausgebildet hat99. Zum anderen hat die Anerkennung der Unterlassungssünde aber auch eine theologische Tradition. So hat bereits Thomas von Aquin festgehalten, dass eine Sünde auch in einem Unterlassen bestehen kann, wobei dies voraussetzt, dass man zu einer bestimmten Handlung verpflichtet ist100. Eine solche Handlungspflicht kann sich gemäss Thomas aus göttlichen oder menschlichen Gesetzen ergeben. Handeln wiegt laut Thomas grundsätzlich schwerer als Unterlassen: „Unde manifestum est quod, simpliciter et absolute loquendo, transgressio est gravius peccato quam omissio: licet aliqua omissio possit esse gravior aliqua transgressione“.101 Bei den Thomas-Kommentatoren ist die Frage nach der omissio – soweit ersichtlich – auf wenig Interesse gestossen: während Vitoria nur kurz Thomas’ Kernaussagen wiederholt und dann auf die actio libera in causa eingeht, fehlt die Kommentierung des entsprechenden Artikels bei Soto, Molina, Lugo und Lessius ganz. Das Unterlassungsdelikt wird in der untersuchten Literatur häufig für den Fall erwähnt, dass jemand Kenntnis von einer geplanten Tötung hat und nicht dagegen einschreitet. Dabei fällt auf, dass es sich meist um Konstellationen handelt, in denen eine besondere Beziehung zwischen dem Unterlassenden und dem Opfer besteht, wie z.B. Verwandtschaft, oder dass den Unterlassenden eine besondere Pflicht kraft seines Amtes oder seiner beruflichen Stellung trifft: Gemäss Gomez soll derjenige, der von einem geplanten parricidium auf einen eigenen Verwandten 99
Vgl. Rüping / Jerouschek, Rz. 45. Dahm, S. 179, weist allerdings darauf hin, dass Unterlassungen häufig ausdrücklich mit Strafe bedroht wurden, d.h. dass nach heutiger Terminologie vorwiegend echte Unterlassungsdelikte geahndet wurden. Bereits in der Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts finden sich Ursprünge der Unterlassungslehre (vgl. Kuttner, S. 44 ff.). 100 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 79, Art. III: „Omissio importat praetermissionem boni, non autem cuiuscumque, sed boni debiti“. 101 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 79, Art. IV.
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Kenntnis hat, und nichts dagegen unternimmt, gleich bestraft werden, wie wenn er den Verwandten selbst getötet hätte102. Tiraquellus schliesslich beschreibt, dass ein matricidium oder fratricidium vorliege, wenn jemand seine Mutter oder seinen Bruder verhungern lasse103. Lessius erwähnt die omissio im Zusammenhang mit der Frage, ob man verpflichtet sei, einen Dritten zu verteidigen. Er kommt zum Schluss, dass sich eine Verteidigungspflicht ex iustitia aus der Regierungsgewalt (potestas et gubernatio), aus den Aufgaben von tutores, curatores oder milites oder aus den Verpflichtungen von feudatarii oder famuli ergibt. Andere Personen, insbesondere Eltern oder ihre Kinder, sind demgegenüber nur ex pietate zur Verteidigung verpflichtet104. Anderer Ansicht ist Lugo, der zwar einen moralischen Fehler anerkennt, wenn jemand die Pflicht missachtet, einen anderen „ex officio“ zu verteidigen. Der Unterlassende ist aber kein „verus homicida proprie“ und soll nicht irregulär werden, sofern dies nicht ausdrücklich im Gesetz steht105. Umgekehrt wird auch die Konstellation beschrieben, dass der Unterlassende mit dem angehenden Täter in einer besonderen Beziehung steht: wenn der Herr seinen Diener oder der Vater seinen Sohn nicht von einer geplanten Tötung abhält, von welcher er Kenntnis hat, soll er gemäss Molina wie der homicida selbst bestraft werden106. In einem solchen Fall wird also dem Herrn oder Vater eine Über wachungspflicht gegenüber seinem Diener bzw. Sohn zugeschrieben107. Auch wenn nur punktuelle Fundstellen vorliegen, kann doch gefolgert werden, dass die Strafrechtsgelehrten des 16. Jahrhunderts ein Unterlassungsdelikt in Fällen anerkennen, in welchen jemand eine Fürsorge- oder Überwachungspflicht oder eine sich aus einem Amt oder Beruf ergebende Handlungspflicht missachtet hat. Es wird indessen vielfach darauf hingewiesen, dass die Unterlassung milder zu bestrafen sei als ein Handeln. Diese Auffassung vertraten bereits die Glossatoren und auch Thomas hat in der transgressio eine grössere Sünde als in der omissio gesehen108. Tiraquellus begründet die mildere Bestrafung des Unterlassungsdelikts 102 Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 4. 103 Tiraquellus, Causa 44, Rz. 7. 104 Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 13, Rz. 93 f.. Ähnlich auch Molina, Tract. III, Disp. 33, Membr. 5, Rz. 4. 105 Lugo, Disp. X, Sect. X, Rz. 219. 106 Molina, Tract. III, Disp. 33, Membr. 5, Rz. 12. Gemäss Soto ist derjenige zur restitutio verpflichtet, der sichere Kenntnis von einer geplanten Tötung durch seinen Diener hat und diese nicht verhindert (Soto, Lib. IV, Quaest. VII, Art. III, S. 375). 107 Molina, Tract. III, Disp. 33, Membr. 5, Rz. 12: „quod paterfamilias quasi ex officio, seu ex suo munere proprio, teneatur impedire, ne sui damna & iniurias aliis interferant“. Allerdings ergibt sich diese Pflicht nicht ex officio, aus iustitia, sondern aus caritas. 108 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 97, Art. IV. Zum Grundsatz des Baldus „Plus de linquit committens quam omittens“ vgl. Dahm, S. 180 f.. Vgl. auch Clarus, Lib. V, § Primus,
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damit, dass es ein grösseres Verdienst sei, Gutes zu tun als Schlechtes zu unterlassen109.
3.2.4. Verbrechensaufbau Die untersuchten Autoren halten fest, dass die Strafbarkeit eines Verhaltens nicht nur das Erfüllen eines Deliktstatbestandes voraussetzt110, sondern dass es darüber hinaus auch nicht durch irgendwelche Umstände gerechtfertigt oder entschuldigt werden kann. Es wird bereits zwischen den drei Aspekten Tatbestandsmässigkeit, Erlaubt- bzw. Unerlaubtheit und Entschuldigung unterschieden. Das Erlaubtsein eines Verhaltens (z.B. aufgrund von Notwehr) und die Entschuldigung (z.B. aufgrund mangelnder „Zurechnungsfähigkeit“) wird jedoch häufig als negative Tatbestandsvoraussetzung betrachtet: demzufolge herrscht die Auffassung, dass erlaubtes oder entschuldigtes Handeln das Vorliegen eines Deliktstatbestandes ausschliesst. So schreibt z.B. Vitalinis, dass die Tötung in Verteidigung oder die Tötung eines nächtlichen Diebes gar kein homicidium darstellen. Auch die „unzurechnungsfähige“ Tat eines infans, furiosus oder ebrius stellt kein homicidium dar111. Im Zusammenhang mit einer Tötung in Notwehr wird teilweise auch von „homicidium licitum“112 oder von „iusta et permissa“113 gesprochen. Während die meisten Gelehrten die Unterscheidung der vorerwähnten Verbrechensbestandteile eher beiläufig oder implizit vornehmen, hat Molina, soweit ersichtlich, als erster Autor der spanischen Spätscholastik die Elemente des Verbrechensaufbaus systematisch herausgearbeitet. Als Erstes unterscheidet Molina die erlaubte von der unerlaubten Tötung (ho micidium obiective licitum und homicidium obiective illicitum). Ein homicidium obiective illicitum liegt vor, wenn jemand tötet, ohne ein ius zu haben. Erlaubt sind demgegenüber z.B. Tötung in Notwehr oder Tötung im gerechten Krieg:
S. 3. 109 Tiraquellus, Causa 44, Rz. 33 sowie 44 bis 46. 110 Auf prozessualer Ebene wird vom „corpus delicti“ gesprochen, welches nachgewiesen werden muss, bevor der Richter zur inquisitio, tortura und condemnatio schreiten darf (Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. I, Quaest. 2). 111 Vitalinis, de homicidio et qui dicantur homicidie. 112 Damhouder, Cap. 76 ff.. 113 Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 20.
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„Homicidium late sumptum, possumus primo dividere in homicidium objective lici tum et in homicidium objective illicitum. Exempla prioris membri sunt, quando iudex licite malefactorem interficit & quando bello iusto hostes interficiuntur, aut quando aliquis, cum moderamine inculpatae tutelae, suum interficit aggressorem. Posterioris vero membri exempla sunt, quotiescumque unus interficit alium, nullum ius ad id habens“114. Das homicidium obiective illicitum kann wiederum unterteilt werden in die entschuldigte und die nicht entschuldigte Tötung. Nur die objektiv unerlaubte und nicht entschuldigte Tötung stellt einen Verstoss gegen die iustitia commutativa dar115. Eine Tötung ist entschuldigt, wenn der Täter ohne Gebrauch der ratio handelte, z.B. ein Kind oder ein Wahnsinniger, oder wenn der Erfolg durch Zufall eintritt, d.h. obwohl der Täter bei seinem Verhalten die geschuldete Sorgfalt beachtet hat116. Interessant ist weiter die Erwähnung des Menschen als willenloses Werkzeug, das von einem Dritten instrumentalisiert wird und dessen Verhalten gar nicht als eigentlicher „actus humanus“ gewertet werden kann und somit ebenfalls zu einer Entschuldigung führt (vgl. weiter vorne 3.1.3). Als Letztes unterscheidet Molina zwischen dem homicidium voluntarium und dem homicidium casuale. Ersteres umfasst sowohl die vorsätzliche wie auch die fahrlässige Tatbegehung, wobei die Schuld grösser ist, wenn die Tat „formaliter in tentum“ ist, als wenn sie nicht „formaliter intentum“ ist. Der geschilderte Verbrechensaufbau lässt sich wie folgt grafisch darstellen:
114 Molina, Tract. III, Disp. 3, Rz. 3. 115 „Homicidium objective iniustum possumus subdividere in illud, quod omnino a culpa excusatur, eo quod omnino involuntarium voluntate aliquo sit modo deliberata: & in illud, quod non excu satur a culpa homicidii, saltem veniali. Atque hoc solum habet formaliter rationem vitii iniusti tiae commutativae circa bona corporis contrarii“ (Molina, Tract. III, Disp. 3, Rz. 3). 116 „Homicidium objective iniustum, quod omnino excusatur a culpa, possumus subdividere in illud, quod fit a non utente usu rationis, quale est homicidium factum ab infante, a dormiente, a furioso, ab ebrio, aut phrenetico, quando neque in causa fuit aliquo modo volitum voluntate quovis modo deliberata, quae imputari possit ad culpa homicidii. Ut quando aliquis exercebat se ad signum in loco ad id consuetudo, adhibitaque debita diligentia, ne cui neceret, casu occidit aliquem, qui, praeter omnium existimationem, latebat in aliquo loco“ (Molina, Tract. III, Disp. 3, Rz. 3).
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Der geschilderte Verbrechensaufbau lässt sich wie folgt grafisch darstellen:
Homicidium
Homicidium obiective licitum
Homicidium obiective illicitum
Homicidium excusatum
- Tötung eines Übeltäters durch den Richter - Tötung von Feinden im gerechten Krieg - Tötung in erlaubter Notwehr
Homicidium non excusatum
Homicidium casuale
Homicidium voluntarium
Strafe
Abbildung 1: Molina’s Verbrechensaufbau
Abbildung 1: MOLINA’S Verbrechensaufbau
3.3.
Homicidium
dass nur eine Minderheit der untersuchten Autoren ihre Abhandlung 3.3. Es fällt auf, Homicidium
über das homicidium mit einer Definition des Tatbestandes beginnt. Die Vermutung liegt nahe, dass gar kein grosser Definitionsbedarf bestand, da jedermann Es fällt auf, dass nurhomicidium eine Minderheit deristuntersuchten Autoren es ihre 117 wusste, was mit gemeint . Offenbar handelte sichAbhandlung beim homiciüber dium um einmit weit verbreitetes Verbrechen: Clarus beginnt. weist einleitend darauf hin,liegt das homicidium einer Definition des Tatbestandes Die Vermutung nostro sato frequens est“ und dass die homicidia nahe,dass dass„homicidii gar kein materia grosser malo Definitionsbedarf bestand, da jedermann wusste,meist was mit aus nichtigem Anlass218geschehen118. handelte sich beim das homicidium ein weit homicidium In dergemeint Literaturistwird. Offenbar eine Grundform deseshomicidium, sogenannteum homici dium simplex, beschrieben, von welchem sich verschiedene qualifizierte Sonderforverbreitetes Verbrechen: CLARUS weist einleitend darauf hin, dass „homicidii mate-
ria malo nostro sato frequens est“ und dass die homicidia meist aus nichtigem Anlass geschehen219.
218
219
117 Gemäss den Feststellungen von Tomas y Valiente fehlen auch in den Gesetzestexten oftmals genaue Tatbestandsdefinitionen (S. 203 ff.). 118 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 22. Vgl. auch Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. Gemäss1. den TOMASstimmt Y VALIENTE auch in den Gesetzestexten DieseFeststellungen Bewertung des von homicidium mit der fehlen von Rousseaux festgestellten Tendenzoftmals genaue (S. des 20315. ff.). überein,Tatbestandsdefinitionen wonach das homicidium Ende / Anfang des 16. Jahrhunderts nicht mehr bloss als, unglückliches Ereignis, sondern verabscheuungswürdiges Verbrechen betrachtet wurde, CLARUS Lib. V, § Homicidium, S. 22.alsVgl. auch GOMEZ, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, das eineBewertung öffentliche Strafe provozierte (vgl. Rousseaux, S. 154 f.). festgestellten TenRz. 1. Diese des homicidium stimmt mit der von ROUSSEAUX
denz überein, wonach das homicidium Ende des 15. / Anfang des 16. Jahrhunderts nicht 62
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men abheben. Daneben wird regelmässig auch auf die Abtreibung und den Suizid eingegangen.
3.3.1. Homicidium simplex 3.3.1.1. Objektive Elemente Die Tathandlung des homicidium wird von Gandinus und Bossius in römischrechtlicher Tradition umschrieben als „causam mortis praebuere“119. Diese sehr weite Umschreibung hat den Vorteil, dass auch Teilnahmehandlungen oder die Körperverletzung mit Todesfolge ohne weiteres unter den Tatbestand des homici dium fallen. Andere Autoren definieren das homicidium enger als „hominis occisio“ oder „ho minis caedium“120. Da der Wortlaut dieses Tatbestandes auf eine eigenhändige Tötungshandlung beschränkt ist, sind diese Autoren gezwungen, explizit aufzuzählen, welche sonstigen Verhaltensweisen ebenfalls unter das Tötungsverbot fallen. Dies sind z.B. Teilnahmeformen, mittelbare Tötung, Herstellung von Gift etc. Teilweise wird auch gänzlich auf eine abstrakte Definition verzichtet und stattdessen ausdrücklich aufgezählt, mit welchen Mitteln eine Tötung geschehen kann: mit Händen oder Waffen, durch Reden (damit werden z.B. falsche Anschuldigungen oder Teilnahmeformen erfasst), durch Zauberei oder durch Gift121 sowie durch Unterlassen von Hilfeleistung gegenüber einem Sterbenden122. Auch Molina bezeichnet das homicidium als hominis occisio, ergänzt dies jedoch in seiner präzise und knapp formulierten Definition mit dem Willenselement und dem Erfordernis der Tatvollendung: „Homicidii actum, non aliud est, quam hominis occisio. Licet autem voluntas iniusta occidendi, peccatum sit intentum homicidii contra quintum decalogi praecep tum; homicidium tamen solum significat actum externum consummatum, quo homo re ipsa vita privatur“123. Das Objekt, an welchem ein homicidium begangen werden kann, ist ein lebender Mensch, wozu auch der bereits beseelte Embryo zählt (vgl. dazu nachfolgend 3.3.2.2). Kein homicidium kann z.B. an einem Toten oder an einem unbeseelten 119 Dig. 48, 8, 15. Gandinus, de homicidariis, Rz. 2, S. 274 f.: „Et certe illi dicitur homicida et tenetur pena l. Cornelie de sicariis, qui hominem occidit;[…] Item notandum venit circa mate riam istam, quod is etiam videtur occidere, qui causam mortis prebuit“; Bossius, de homicidio, Rz. 1. 120 Vitalinis, de homicidio et qui dicantur homicidie; Molina, Tract. III, Disp. 3, Rz. 1. 121 Vgl. z.B. Damhouder, Cap. 68 ff. 122 Tiraquellus, Causa 44, Rz. 7. 123 Molina, Tract. III, Disp. 3, Rz. 1.
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Embryo begangen werden124. Gemäss Damhouder ist derjenige entschuldigt, der ein monströses Neugeborenes erstickt, das keine menschliche Form hat125. Der Begriff des homicidium simplex wird von Clarus zur Unterscheidung verschiedener Tötungsdelikte gebraucht, indem er das homicidium simplex vom ho micidium deliberatum unterscheidet. Das homicidium simplex stellt gewissermassen den „Grundtatbestand“ dar, bei welchem Qualifikationsmerkmale fehlen. Es erfolgt fahrlässig oder vorsätzlich (mit animus occidendi); im Unterschied zum schwerer wiegenden homicidium deliberatum wird ein allfälliger Vorsatz erst im Zeitpunkt der Tat und nicht bereits im Voraus (sog. animus deliberatus) gefasst126. Typisches Beispiel für ein homicidium simplex ist die Tötung im Streit (in rixa)127. Die Unterscheidung von homicidium simplex und qualifiziertem homicidium wird später von Molina, Farinacius, Lessius und Cantera übernommen, bei welchen sich das homicidium simplex sowohl durch das Fehlen von subjektiven wie auch von objektiven Qualifikationsmerkmalen auszeichnet. Die Einteilung der Tötungsdelikte in homicidium simplex und homicidium qualificatum ist insofern eine Neuerung gegenüber den römischrechtlichen Quellen, als das römische Recht nur zwischen dem homicidium dolose und culpose unterschieden hat128. Die CCC unterscheidet zwischen dem im Affekt oder Zorn erfolgten Totschlag und dem Mord, der aus Vorbedacht geschieht. Spätere Carolina-Kommentare haben dann den Totschlag mit dem homicidium simplex und den Mord mit dem homicidium deliberatum des Clarus gleichgesetzt129.
124 Aragon, Quaest. 64, Art. II; Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XXVII, Rz. 223; Covarruvias, Relectio secunda pars, Initium, Rz. 1. 125 Damhouder, Cap. 86. 126 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 23: „Dolosum autem homicidium dicitur, quando quis ani mo aliquem occidendi illum interficit dicitur tamen simplex homicidium, quando haec deliberatio illum occidendi non ex intervallo praecessit, sed in rixa, vel calore iracundiae supervenit… Delibe ratum autem homicidium quatuor etiam modis committi potest, scilicet ex proposito absque alia qualitate, secundo ex insidiis, tertio, proditorie, quarto, per assassinium“. 127 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 15. Gemäss Pertile, S. 579, wurden Tötungen im Streit nur mit einer poena extraordinaria bestraft, jedoch teilweise mit ordentlicher Strafe belegt, wenn der Tötende der Urheber des Streits war oder zwischen dem Streit und der Tötung mehr als sechs Stunden vergangen waren. 128 Vgl. Chevailler, S. 115, sowie Mommsen, S. 626. 129 Vgl. Kröner, S. 4 (Fn. 3) sowie S. 8.
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3.3.1.2. Subjektive Elemente
Ein homicidium ist zunächst voluntarium, wenn der Täter mit dolus oder animus occidendi handelt130. In der Regel wird bei einem homicidium der dolus vermutet, d.h. es kommt zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Angeklagten131. Insbesondere in der italienischen Literatur wird detailliert erörtert, welche Indizien für eine solche Doluspräsumtion vorausgesetzt werden. So will z.B. Bossius den animus occidendi bei einer Körperverletzung nur unter bestimmten, aussergewöhnlichen Umständen vermuten, u.a. bei bestimmten Angriffswaffen, bestimmten Verletzungen (Kopfverletzungen oder wiederholten Verletzungen) oder bei vorangegangener Feindschaft132. Die fahrlässige Tötung (culpa) stellt ebenfalls ein homicidium voluntarium dar, wird jedoch nach dem Ermessen des Richters milder bestraft (zu den Voraussetzungen der Fahrlässigkeit vgl. vorne 3.2.1.3)133. Verschiedene Autoren sprechen sich dafür aus, dass bei fehlendem dolus nur eine Geldstrafe, nicht aber eine Körperstrafe (Todesstrafe oder Verstümmelungsstrafe) zur Anwendung komme134. Einige Autoren unterscheiden auf der subjektiven Seite den animus occidendi, d.h. den Willen zur Tötung, von der deliberatio oder propositio, d.h. dem der Tat zeitlich um einiges vorangegangenen Tatentschluss, der die Strafe verschärft (vgl. dazu nachfolgend 3.3.2.1).
3.3.2. Sonderformen des homicidium 3.3.2.1. Homicidium qualificatum Die untersuchten Quellen nennen eine Reihe von qualifizierten Sondertat beständen, welche sich durch zusätzliche objektive oder subjektive Qualifikations merkmale vom homicidium simplex unterscheiden: 130 Gandinus, de homicidariis, Rz. 2, S. 278; Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 13 f.; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 1; Molina, Tract. III, Disp. 3, Rz. 3; Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV. 131 Vitalinis, de homicidio et qui dicantur homicidie; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 17; Molina, Tract. III, Disp. 39, Rz. 5; Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 39 f.. 132 Bossius, de homicidio, Rz. 38 ff.; vgl. auch Schaffstein, allgemeine Lehren, S. 108 ff.. 133 Vgl. z.B. Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 23: „Homicidium sine dolo committens punitur arbitrio iudicis, ut per Menoch.“; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 1; Bossius, de homicidio, Rz. 68 und 75. 134 Aretinus, § Scienter dolose, S. 105, Rz. 13; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 23: „Regula riter in poenis criminalibus nunquam potest quis puniri corporaliter, nisi dolus interveniat“. Vgl. dazu auch Pertile, S. 66 ff..
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Unter dem assassinium wird eine Tötung gegen Geld oder eine andere Belohnung oder auf Bitten eines anderen verstanden135. Die Tat ist äusserst verpönt, was darauf zurückzuführen sein dürfte, dass es sich um ein als gefährlich empfundenes Verbrechen handelt und dass bei dieser Tat ein persönliches, auf das Opfer bezogenes Motiv des Täters fehlt. Das veneficium (Vergiftung) wird von den Juristen nach dem römischrechtlichen Vorbild der lex Cornelia de sicariis als Sonderform des homicidium dargestellt, bei welcher regelmässig die Strafbarkeit bereits im Stadium der Vorbereitung und des Versuchs eintritt136. Die besondere Verwerflichkeit der Vergiftung liegt im verräterischen Element137. Demgegenüber wird die Vergiftung im kanonischen Recht traditionell als Zauberei und somit Verbrechen gegen den Glauben behandelt. Eine Tötung durch Vergiftung wird daher im kanonischen Recht grundsätzlich als einfache Tötung bestraft138. Bei einem latrocinium (Raubmord) tritt zu einem furtum zusätzlich die Tötung des Opfers oder zumindest eine Tötungsabsicht. Das latrocinium geschieht heimlich und mit Gewalt, z.B. hinterrücks oder nachts. Bereits das Auflauern ausserhalb gemeiner Strassen in Wäldern oder an abgelegenen Orten mit Tötungsabsicht soll den Tatbestand des latrocinium erfüllen139. Das verschiedentlich genannte parricidium beinhaltete im römischen Recht die Tötung von Verwandten in auf- und absteigender Linie, aber auch von Geschwistern, Onkeln und Tanten, Cousins, Verschwägerten und Stiefverwandten140. Demgegenüber wollen einzelne der untersuchten Autoren das parricidium auf Ver135 Damhouder, Cap. 85; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 24; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 9. Der Tatbestand des assassinium stammt aus dem kanonischen Recht und ist nicht mit dem Meuchelmord (sicarium) identisch. Beim Meuchelmord gemäss der lex Cornelia de sicariis handelte es sich um eine gewaltsame Tötung, bei welcher es nicht auf die Entgeltlichkeit ankam (vgl. Dahm, S. 333). 136 Vitalinis, de homicidio et qui dicantur homicidie; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 7; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 25 und 29; Molina, Tract. III, Disp. 24, Rz. 12. Die Bestrafung eines Versuchs mit der ordentlichen Strafe war aber offenbar nicht unumstritten, so dass Clarus festhält, gemäss herrschender Lehre und Praxis würden lediglich ausserordentliche Strafen zur Anwendung kommen (Lib. V, § Homicidium, S. 24). Für das blosse Kaufen von Gift mit animus occidendi will Covarruvias ebenfalls nur eine poena extraordi naria anwenden (Relectio secunda pars, Initium, Rz. 11). Demgegenüber will Damhouder bereits den Vorsatz, Verwandte mit Gift umzubringen, wie ein vollendetes parricidium bestrafen (Cap. 89). 137 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 18, Rz. 73; Molina, Tract. III, Disp. 24, Rz. 1. 138 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 24 ff.. 139 Damhouder, Cap. 88. Die Verbreitung des Banditentums insbesondere in den gebirgigen Regionen Spaniens wird u.a. von Weisser, S. 82 f., beschrieben. 140 Vgl. Mommsen, S. 643 ff. sowie Kunkel, S. 39 ff..
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wandte in gerader auf- und absteigender Linie sowie Ehepartner einschränken141. Dies lässt sich als bereits stattgefundene Abschwächung der Bedeutung der (agnatischen) Familie als ursprünglicher Rechtsverband interpretieren142. Für das parrici dium nennt Damhouder verschiedene verschärfte Todesstrafen, darunter die römischrechtliche Sackstrafe143. Durch eine Analyse dieser Sondertatbestände aber auch von allgemeinen Ausführungen in der untersuchten Literatur lässt sich eine Reihe von Elementen herausfiltern, welche als besonders verwerflich und daher straferhöhend bewertet werden. Es sind dies im Wesentlichen: • Fehlen einer vorausgegangenen Feindschaft: das Töten von Freunden oder die Tötung einer ahnungslosen Person ohne zeitlich vorangehenden objektiven Anlass wird als besonders schwerwiegend betrachtet144. Oft kommt der Gedanke zum Ausdruck, dass bei einem „gewöhnlichen“ homicidium der Getötete eine gewisse Mitschuld an seinem Tode trägt und daher ein Täter, der sine causa tötet, härter zu bestrafen sei145. • Heimtückisches, hinterlistiges oder verräterisches Vorgehen (homicidium pro insidias et proditorie): besonders verpönt sind Tötungen, die nicht von Angesicht zu Angesicht („non faciem ad faciem“) sondern hinterrücks („a tergo“) oder in Anwendung von Verrat, Gift oder List erfolgen146. Die Erhöhung der Strafe wird in diesen Fällen damit begründet, dass man sich gegen einen Verräter unmöglich vorsehen kann147. Die Bedeutung der Heimlichkeit einer Tat hängt allerdings ganz vom betroffenen Tatbestand ab: während die Heimlichkeit beim homicidium als erschwerend betrachtet wird, führt sie in den Augen verschiedener Autoren bei furtum zu einer Verringerung der Sünde, da kein scandalum hervorgerufen wird148. 141 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 36 ff.. Anders jedoch Farinacius, der zum parricidi um die Tötung von Verwandten bis zum 4. Grad, auch vertikal einschliesslich Ehegatten und uneheliche Kinder zählt (Praxis, Lib. I, Tit. V, Quaest. 51, Rz. 29). Damhouder dehnt das parricidium gar auf Blutsverwandte, Verschwägerte und Freunde aus (Cap. 89). 142 Zur Entwicklung der Bedeutung der Familie im ausgehenden Mittelalter in Italien vgl. Dahm, S. 29 f.. 143 Damhouder, Cap. 89; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 44. Zur Sackstrafe vgl. Bukowska Gorgoni, S. 152 f.. 144 Molina, Tract. III, Disp. 23; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 31. 145 Gandinus, de homicidariis, Rz. 3, S. 279; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 5; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 31. 146 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 18, Rz. 73; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 5; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 24; Molina, Tract. III, Disp. 23. 147 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 18, Rz. 73. 148 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 66, Art. III; Tiraquellus, Causa 57, Rz. 3.
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Kaltblütige und zeitlich vorausgehende Planung („a sangue freddo“, „ex inter vallo praecedente“, „ex propositum commissum“, mit „animus deliberatus“): ein qualifiziertes homicidium wird angenommen, wenn der Täter die Tat mit zeitlichem Abstand geplant hat und nicht aus einem Gefühl oder Affekt heraus (z.B. Zorn, Rache, Hass) handelt149. Bossius umschreibt die deliberatio als vorbedachten Entschluss, der nach einem gewissen Zeitablauf ausgeführt wird150. Gefühle wie Zorn oder Rache stellen ein nachvollziehbares Motiv dar und können unter Umständen sogar zu einer Strafmilderung führen (vgl. nachfolgend 5.3.1.2). Möglicherweise ist die Tatsache, dass Motive wie Zorn, Rache oder Hass in der Strafrechtsliteratur des 16. Jahrhunderts nicht als besonders verwerfliche Beweggründe angesehen wurden, noch als Relikt des an sich bereits weitgehend überholten Rache- und Fehdesystems zu werten151. Tötung einer höherrangigen Person: die Tötung eines Adligen durch einen Nichtadligen bzw. einen Adligen tieferen Ranges ist stärker verpönt und führt zu einer höheren Strafe als die Tötung einer gleich- oder tieferrangigen Person. Die untersuchten Gelehrten beschreiben diesbezüglich keinen speziellen Tatbestand, doch kommt der „Qualität“ von Täter und Opfer im Rahmen der proportionalen Strafzumessung nach dem arbitrio iudicis eine grosse Bedeutung zu (vgl. dazu eingehend 5.3.1.4 und 5.3.2).
3.3.2.1. Abtreibung
Die Abtreibung wird teilweise als Sonderform der Vergiftung, teilweise als eigenständige Form von homicidium behandelt. Entscheidendes Kriterium für die Strafzumessung ist, ob der Embryo bei der Abtreibung bereits beseelt war, wobei bei weiblichen und männlichen Föten ein unterschiedlicher Zeitpunkt für die Beseelung angenommen wird152. Ab dem Zeitpunkt der Beseelung wird die Abtreibung
149 Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap, 3, Rz. 10; Tiraquellus, Causa 1, Rz. 10; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 23; Molina, Tract. III, Disp. 23. 150 Bossius, de homicidio, Rz. 50 f.: „dic quod dicitur deliberate quis insultare quando praemedita tus fuerat actum ad differentiam actus qui fit in rixa et impetu quodam. Tollunt enim rixa et me tus instantis periculi consilium deliberandi […] Verbum enim deliberare est quaedam meditatio, et quoddam intervallum ad actum, quia postea in animo destinatus et deliberatus sequitur…“. 151 So Dahm, S. 334. 152 Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 4: männliche Föten werden nach 40 Tagen, weibliche nach 90 Tagen beseelt. Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XXVII, Rz. 223: männliche Föten werden nach 40 Tagen, weibliche nach 80 Tagen beseelt; Damhouder, Cap. 74. Demgegenüber haben die früheren Legisten noch einheitlich an der 40tägigen Frist für beide Geschlechter
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wie ein homicidium bestraft. Vor der Beseelung wird die Abtreibung mit einer milderen poena extraordinaria bestraft. Das Argument des Notstandes wird im Interessenskonflikt zwischen dem Leben der Schwangeren und dem Leben des Fötus kaum herbeigezogen. Aragon beispielsweise schränkt den Handlungsspielraum in einer solchen Situation mit der Begründung ein, eine Notwehrsituation sei mangels Angriff durch den Embryo nicht gegeben und er folgert daher, man solle in Fällen, in welchen man zwischen dem Leben der Schwangeren und demjenigen des Fötus entscheiden müsse, am besten gar nichts tun153. Auch Lessius lehnt eine Abtreibung im Hinblick auf die Gesundheit der Schwangeren ab, denn diese verstosse gegen die „natura generationis“154. Daraus folgt, dass in den Augen der untersuchten Moraltheologen der Schwangeren die Aufopferung ihres Lebens zugunsten desjenigen ihres ungeborenen Kindes zuzumuten ist155. Unter den Juristen und Kanonisten finden sich allerdings bereits vereinzelte Stimmen, die sich für eine Straflosigkeit der medizinisch angezeigten Abtreibung aussprechen. So will z.B. Farinacius eine medizinisch notwendige Abtreibung zulassen, wenn der Arzt zuerst vom Magistraten eine entsprechende Bewilligung eingeholt hat bzw. die Ärzte der Abtreibung zur Rettung einer Frau aus einer Lebensgefahr zugestimmt haben156. Cantera will die Schwangere, die eine Abtreibung vornimmt, um ihr Leben zu retten, immerhin nur mit einer poena extraordinaria bestrafen157. Ebenfalls mildere Strafen sollen bei minderjährigen Müttern zur Anwendung kommen158. 3.3.2.2. Suizid
Die Selbsttötung ist gemäss einhelliger Meinung strafbar. Theologisch wird dies damit begründet, dass der Mensch nicht dominus, sondern nur custos über sein Leben
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154 155 156
157 158
festgehalten (vgl. Jerouschek, Abtreibung, S. 60). Eingehend zur Abtreibungslehre im Mittelalter und der frühen Neuzeit vgl. Müller, Wolfgang P., S. 53 ff.. Aragon, Quaest. 64, Art. VII. Das Argument, bei Zweifeln an der Erlaubtheit eine Handlung diese lieber zu unterlassen, erinnert an den mittelalterlichen Tutiorismus. Im Allgemeinen waren die Theologen der spanischen Spätscholastik jedoch dem Probabilismus und dessen Spielarten verpflichtet (vgl. Otte, Probabilismus, S. 286). Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 10. Vgl. auch Jerouschek, Abtreibung, S. 65. Farinacius, Pars V, de homicidio, Tit. XIV, Quaest. 122, Sect. V, Rz. 124 f.. Bereits Marianus Socinus (gest. 1467) und Felinus Maria Sandeus (gest. 1503) wollen die Abtreibung aus medizinischen Gründen nicht bestrafen (Fundstellen bei Müller, Wolfgang P., S. 115). Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 28. Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 4.
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ist159. Ein Suizid widerspricht dem natürlichen Trieb des Menschen zur Selbsterhaltung und verletzt Gott, da das menschliche Leben ihm gehört und nicht zerstört werden darf. Schliesslich wird auch die respublica verletzt, da jeder Mensch als Teil auf die respublica als Ganzes hingeordnet ist. Bei erfolgreichem Suizid wird die Strafe am Leichnam vollstreckt, d.h. die Leiche wird aufgehängt160. 3.3.3. Homicidium obiective licitum
Nach der bereits beschriebenen Lehre vom Verbrechensaufbau stellt die fehlende Erlaubnis in zahlreichen Quellen sozusagen eine negative Tatbestandsvoraussetzung des homicidium dar (vgl. vorne 3.2.4). Ein homicidium ist z.B. erlaubt zur de fensio, in einem bellum iustum oder mit publica auctoritas im Rahmen der Vollstreckung eines Todesurteils161. Nachfolgend soll auf die Voraussetzungen von Notstand und Notwehr näher eingegangen werden. Zur Strafkompetenz, der publica auctoritas, vgl. nachfolgend 4.3.2.2. Demgegenüber muss die Lehre vom gerechten Krieg von der vorliegenden Arbeit ausgeklammert bleiben. 3.3.3.1. Notwehr (defensio necessaria)
Bereits im mittelalterlichen italienischen Recht sowie im kanonistischen Recht hatte sich eine differenzierte Notwehrlehre herausgebildet162. Gandinus hat der defensio ein eigenes Kapitel gewidmet, welches unabhängig von einzelnen Deliktstatbeständen zwischen prozessualen Themen angeordnet ist. Bei der Begründung des Notwehrrechts beruft er sich auf das vielzitierte Prinzip, dass Gewalt mit Gewalt erwidert werden darf163. Dieser Grundsatz wird auch in der Theologie und Kanonistik akzeptiert, die sich dabei auf die Formel „vim vi repellere licet cum moderamine inculpatae tutelae“ des Thomas berufen164. Die untersuchten Moraltheologen des 16. Jahrhunderts
159 160 161 162 163 164
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Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. V; Lessius, Lib. II, Cap. 4, Dub. 10, Rz. 57. Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 13. Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV; Damhouder, Cap. 76 ff.. Vgl. Dahm, S. 115 ff.. Zur kanonistischen Notwehrlehre vgl. Kuttner, S. 334 ff.. So bereits Dig. 43, 16, 1, 27. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 64, Art. VII. Statt vieler: Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 20.
stützen das Notwehrrecht auf das ius naturale, welches jedem das Recht gibt, das eigene Leben vor einem Angreifer zu verteidigen165. Während Thomas noch der Auffassung war, ein Kleriker, der in erlaubter de fensio tötet, dennoch irregulär werde166, wollen die Gelehrten des 16. Jahrhunderts keine Irregularität folgen lassen, wenn der Angegriffene sämtliche Möglichkeiten zur Vermeidung des Angriffs ausgeschöpft hat, wozu in jedem Fall auch die Flucht gehört167. Diese Stärkung des Notwehrrechts im kanonischen Recht ist ein Indiz auf den in der spanischen Spätscholastik zunehmenden Ausbau der Rechte des Einzelnen zum Schutz seiner Rechtsposition168. Die defensio wird meist im Zusammenhang mit dem homicidium anhand der Frage erörtert, unter welchen Voraussetzungen eine Tötung zur Verteidigung erlaubt sei. 3.3.3.1.1. Geschützte Güter
Die Palette der geschützten Güter, welche mittels einer Tötung verteidigt werden dürfen, wird von vita und corpus angeführt, wozu auch der Schutz vor einer iniuria personale zählt169. Ebenfalls verteidigt werden dürfen honor und nomen, welche in der theologischen Hierarchie der geschützten Güter auf die bona vitae folgen und vor den Vermögenswerten stehen170. Im Zusammenhang mit der Verteidigung der Ehre wird auch die pudicitas genannt, welche Frauen und Jugendliche verteidigen dürfen171. Der Ehre kommt damals eine sehr grosse Bedeutung zu, wird sie doch dem Leben praktisch gleichgestellt: „Periculum famae aequiparatur periculo vitae“172. Das Ehrverständnis im 16. Jahrhundert beinhaltet das Recht zur Tötung, wenn ein ehrenwerter Mann Beleidigungen wie Ohrfeigen oder Stockschläge nicht anders ab-
165 Molina, Tract. III, Disp. 11, Rz. 1. Zur Auswirkung der Notwehrlehre der Spätscholastik auf Hugo Grotius vgl. Otte, Privatrecht, S. 142 ff.. 166 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 64, Art. VII, ad 3. So auch die Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts (vgl. Kuttner, S. 200 ff. sowie S. 367). 167 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 9; Damhouder, Cap. 76; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. VIII. Diese Einschränkung geht bereits auf frühere Kanonisten zurück wie z.B. Hostiensis (vgl. dazu Dahm, S. 117). 168 Vgl. Grunert, Theologien, S. 330. 169 So z.B. Bossius, de homicidio, Rz. 81; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 25; Damhouder, Cap. 76. 170 Damhouder, Cap. 67. Zur Hierarchie der Rechtsgüter bei Thomas vgl. STh II-II, Quaest. 73, Art. III sowie Quaest. 104, Art. III. 171 Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 12. 172 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 25.
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wenden konnte173. Den untersuchten Fundstellen ist zu entnehmen, dass die Tötung oft auch dann als „gerechtfertigt“ erachtet wurde, wenn sie nach der erlittenen Beleidigung sozusagen als Vergeltung oder Retorsion erfolgte. So heisst es z.B. bei Damhouder, wer ins Gesicht geschlagen werde, dürfe den Angreifer mit dem Schwert zurücktreiben und ihn, wenn dies zur Verteidigung notwendig sei, töten174. Die Verletzung wird somit mehr im wehrlosen Hinnehmen eines Schlages erblickt als im empfangenen Schlag an sich. Bei den Moraltheologen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts finden sich allerdings Einschränkungen zum Verteidigungsrecht der Ehre. So wendet sich Molina ausdrücklich gegen das Recht eines nobilis, in Retorsion einer Ohrfeige oder sonstige Beschimpfung zum Schutz seiner Ehre zu töten. Durch die Zufügung der iniuria sei die Ehre schon verletzt und da das Unrecht schon geschehen sei, wäre eine Tötung nur noch eine unerlaubte vindicta175. Eingeschränkt wird das Verteidigungsrecht der Ehre bei Schmähungen mit verba contumeliosa oder Zeichen. Gemäss Lessius müssen dabei die konkreten Umstände berücksichtigt werden; bei Lugo demgegenüber reichen verba contumeliosa grundsätzlich nicht aus, um eine Tötung zu rechtfertigen176. Ausführlich diskutieren die untersuchten Gelehrten, ob auch eine Tötung zur Verteidigung von Vermögenswerten (res suas) gerechtfertigt sein kann. Im Ergebnis wird dies von allen untersuchten Autoren bejaht177. Es besteht insofern Klärungsbedarf, als nach der theologischen Hierarchie der geschützten Güter die Vermögenswerte wertmässig hinter dem Leben rangieren. So sind es denn auch hauptsächlich die Theologen, welche sich eingehend mit dieser Fragestellung auseinander setzen. Die gängige Rechtfertigung des Notwehrrechts zum Schutz von Vermögenswerten liegt darin, dass die bona externa derart hoch bewertet werden, dass sie dem Leben fast gleich gestellt sind, indem sie als Stütze und Voraussetzung für die bona vitae betrachtet werden178. In einem Angriff auf die Vermögenswerte wird be173 Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 4; Vitoria, de iure belli, Rz. 5, S. 126; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 12. 174 Damhouder, Cap. 79. 175 Molina, Tract. III, Disp. 17. 176 Lugo, Disp. XI, Sect. II, Rz. 56; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 12. 177 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 25; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 11. Vgl. auch Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 80. 178 Aragon, Quaest. 64, Art. VII; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 11. Dieser starke Schutz der Eigentumsrechte passt zur Ausweitung des Begriffs des dominium in der spanischen Spätscholastik, mit welchem der Schutz der Rechte Einzelner gestärkt wurde. Allerdings steht er auch in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Grundsatz des „omnia communia“, der in der „aurea aetas“ geherrscht haben soll, und nun immerhin noch „in extrema necessitate“ durchbricht (vgl. dazu Seelmann, subjektives Recht, S. 150 f.; zum Notrecht nachfolgend 3.4.4.1).
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reits ein (mittelbarer) Angriff auf das Leben erblickt, womit es sich auch in der traditionellen Güterhierarchie rechtfertigen lässt, eine Tötung zum Schutz von Vermögenswerten – und damit letztlich des eigenen Lebens – zuzulassen. Dies setzt natürlich voraus, dass die bedrohten Vermögenswerte einen bestimmten Mindestwert aufweisen179. Ebenfalls wird verlangt, dass der Angreifer diese Vermögenswerte nicht zur Bewahrung des eigenen Lebens benötigt und somit keinen Anspruch darauf hat (zum Notrecht vgl. nachfolgend 3.4.4.1)180. Ein anderes, eher scholastisch formales Argument findet sich bei Molina181. Er führt aus, dass es bei einem Angriff auf die vita corporalis erlaubt sei, in die vita spi ritualis und die vita corporalis des Angreifers einzugreifen. Weiter argumentiert er, dass die vita spiritualis wertvoller als die vita corporalis und diese wiederum wertvoller als die bona externa ist, wobei die Differenz zwischen der vita spiritualis und der vita corporalis viel grösser ist als diejenige zwischen der vita corporalis und den bona externa. Da man zur Verteidigung der vita corporalis in die vita spiritualis eingreifen darf, folgert Molina, dass man umso mehr zur Rettung der bona externa in die vita corporalis eingreifen dürfe. Besonders im Zusammenhang mit der Verteidigung von res suas weisen verschiedene Theologen speziell darauf hin, dass die Tötung ohne „intentio“ zu geschehen habe (vgl. dazu nachfolgend 3.3.3.1.5). Ebenfalls wird verschiedentlich betont, dass die Tötung nur erlaubt sei, wenn sie das einzige mögliche Mittel zur Wiedererlangung der Sache sei, z.B. weil man den fur nicht kennt (vgl. dazu nachfolgend 3.3.3.1.3)182. Dies deutet darauf hin, dass die Theologen zwar grundsätzlich einen starken Schutz des Eigentumsrechts befürworten, dabei aber gleichzeitig ein gewisses Missbrauchspotential erkennen, dem sie durch einschränkende Notwehrvoraussetzungen begegnen wollen. Ob eine Tötung auch in Nothilfe, d.h. zugunsten der geschützten Güter eines Dritten zulässig sei, wird vielfach erörtert. Die älteren Autoren Gandinus und Vitalinis verlangen für die Nothilfe eine enge persönliche Beziehung zwischen 179 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VII verlangt 10 bis 20 aurei; Aragon, Quaest. 64, Art. VII und Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. VIII verlangen einen Wert von zwei bis drei Dukaten (Goldmünzen). Wenn nur ein ganz geringer Vermögenswert auf dem Spiel steht, darf man den Angreifer gemäss Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 11, nicht töten. Eine Beschreibung der spanischen Währungsverhältnisse und der verschiedenen Aufwertungen der Goldmünzen im 16. und 17. Jahrhundert findet sich bei Weber, S. 40 ff.. Vgl. auch Bennassar/Vincent, S. 103, mit Abbildungen. 180 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VII, Rz. 6: „Et si arguas: quia praefero pecuniam vitae alterius: respondetur quod dato illo, licitum est quando pecunia mea non est necessaria ad vitam alterius. Unde tunc licet occidere“. 181 Molina, Tract. III, Disp. 16. 182 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 11; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VII.
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dem Hilfeleistenden und dem Angegriffenen183. Grundsätzlich wurde die Nothilfe jedoch von den Postglossatoren und früheren italienischen Praktikern durchgehend bejaht184. Unter den Kanonisten des 16. Jahrhunderts wird zum Teil vertreten, die Tötung zur Verteidigung eines Dritten sei zwar nach weltlichem Recht erlaubt, führe aber im Unterschied zur Tötung in Selbstverteidigung zu Irregularität185. Demgegenüber vertritt Covarruvias, dass die in Nothilfe begangene Tötung nicht irregulär mache186. Molina ergänzt, dass man ex caritate sogar dazu verpflichtet sei, einen Dritten zu verteidigen, wenn dies das einzige mögliche Mittel zu dessen Rettung ist und man es ohne eigenen Schaden tun kann187. 3.3.3.1.2. Angriff und zeitliche Begrenzung
Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass mit der Verteidigung nicht zugewartet werden muss, bis der eigentliche Angriff im Gange ist, sondern dass man sich bereits bei einem angedrohten Angriff verteidigen darf188. Einzig Soto verlangt ausdrücklich das Vorliegen eines präsenten Angriffes: „quoniam solum licitum est vim vi repellere: vis autem non est nisi in praesenti aggres sione. Alias (ut supra diximus) si tu praevenires, tu esses qui aggredereris“189. Molina will bei einem lediglich geplanten Angriff genau prüfen, ob man den Angriff nicht auch durch ein schonenderes Mittel abwehren kann, z.B. durch eine mündliche Abmahnung. Nur wenn die eigene Rettung nicht anders möglich ist, darf man gemäss Molina dem Angriff mit einer Tötung zuvorkommen190. Beim Angriff muss es sich um einen ungerechtfertigten, grundlosen Angriff handeln („iniuste et sine causa“)191, doch darf man sich auch gegen den Angriff eines furiosus oder amens verteidigen192. Sowohl Soto als auch Molina betonen, dass die defensio nach dem abgeschlossenen Angriff nicht mehr zulässig ist: 183 Gandinus, de defensionibus, Rz. 3, S. 178; Vitalinis, quis alium possit offendere. 184 Vgl. Dahm, S. 120 mit weiteren Hinweisen. Das Notwehrrecht zur Verteidigung von Freunden erwähnt auch Damhouder, Cap. 76, Rz. 1. 185 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 7. Vgl. dazu auch Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 80. 186 Covarruvias, Relectio tertia pars, § 1, Rz. 2. 187 Molina, Tract. III, Disp. 18. 188 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 26; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 22. 189 Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. VIII. 190 Molina, Tract. III, Disp. 12. 191 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64 Art. VII, Rz. 3. Dem entsprach bereits die Lehre der mittelalterlichen italienischen Legisten (vgl. Dahm, S. 130 mit weiteren Hinweisen). 192 Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 8.
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„liceat enim vim dum infertur repellere; non tamen illatam iniuriam; nisi per publiam auctoritatem vindicare“193. Diese Aussage ist insbesondere im Hinblick auf die Einschränkung des Retor sionsrechts bei Ehrverletzungen durch Schläge von Bedeutung. Wie vorne (3.3.3.1.1) gezeigt, haben nämlich die meisten der untersuchten Autoren in Ehrverletzungsfällen die Möglichkeit zur „Verteidigung“ der Ehre auch nach einem erlittenen Schlag noch bejaht. Bei der Tötung zur Verteidigung von Vermögenswerten wird die Zeitspanne der erlaubten Verteidigung auf die dem furtum oder der rapina folgende Flucht ausgedehnt, d.h. man darf sein Vermögen auch dann noch schützen, wenn der Angriff beendet, aber der Schaden noch zu vermeiden ist. Mit anderen Worten ist bei einem auf frischer Tat ertappten furtum nicht nur die Besitzwehr, sondern während einer gewissen Zeit auch noch die Besitzkehr zulässig194. Nachdem sich der Täter in Sicherheit begeben hat („postquam aliquo se recepit“), ist es dann allerdings nur noch erlaubt, den Räuber festzuhalten bis der herbeigerufene Richter ihn ergreifen kann195. 3.3.3.1.3. Mässigung der Abwehr (cum moderamine inculpatae tutelae)
Cum moderamine inculpatae tutelae196 heisst, dass Restriktionen des Verteidigungsrechts in Bezug auf modus, tempus und causa zu beachten sind197. Es bedeutet auch – und dies wird von den meisten Autoren ausdrücklich hervorgehoben – dass die Tötung das einzige mögliche Mittel („medium necessarium“) darstellen muss, um dem Angriff auf gefahrlose Weise entgehen zu können198. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass das „gefahrlose“ Vermeiden des Angriffs die Ehre nicht beeinträchtigen darf, was aus heutiger Sicht zu einem sehr weiten Verständnis der angemessenen Abwehr geführt hat. 193 Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. VIII. Vgl. Auch Molina, Tract. III, Disp. 17. 194 So bereits die Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts (vgl. Kuttner, S. 346 f.). 195 Aragon, Quaest. 64, Art. VII. Gemäss Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. VIII, ist die defensio „toto tempore flagrantis delicti“ erlaubt. 196 Die Deutsche Thomas-Ausgabe übersetzt diesen Terminus mit „abgewogener schuldfreier Schutzmassnahme“. Die Lehre vom moderamen inculpatae tutelae stammt ursprünglich aus dem römischen Recht und wurde sowohl von den Legisten, Kanonisten und in der Beichtliteratur übernommen mit dem Zweck, die Notwehr von der „masslosen“ Rache abzugrenzen (eingehend und mit weiteren Hinweisen Dahm, S. 125 ff. sowie Pertile, S. 113). 197 Clarus, Lib. V § Homicidium, S. 26. Zu den Ursprüngen dieser drei Erfordernisse bei den Postglossatoren vgl. Dahm, S. 126. 198 Aragon, Quaest. 6, Art. VII; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III; Molina, Tract. III, Disp. 11. Gandinus, de homicidariis, Rz. 18, S. 298, unterschied zwischen necessitas evitabilis und necessitas inevitabilis; nur in letzterem Fall ist eine Tötung zur Verteidigung zulässig.
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Bei der Frage, ob die Tötung das einzige mögliche Mittel zur gefahrlosen Verteidigung darstellt, setzen sich die untersuchten Fundstellen hauptsächlich und sehr ausführlich mit der Frage auseinander, ob der Angegriffene verpflichtet ist, sich dem Angriff durch Flucht zu entziehen. Die Frage nach dem angemessenen Verteidigungsmittel (modus), welche von den Postglossatoren und frühen italienischen Legisten vielfach diskutiert wurde199, wird in der untersuchten Literatur des 16. Jahrhunderts – soweit ersichtlich – kaum behandelt. Demgegenüber werden im Zusammenhang mit dem Mass der Abwehr zeitliche Aspekte (vgl. dazu vorstehend 3.3.3.1.2) sowie – in beschränktem Rahmen – eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Güter oder Interessen (vgl. dazu sogleich) berücksichtigt. Einhellig wird vertreten, dass nach weltlichem Recht keine Pflicht zur Flucht besteht, wenn diese iniuriosa oder ignominosa wäre200. Dies war der Fall bei nobiles, deren Ruhm, Name oder Ehre durch die Flucht beeinträchtigt würde. Demgegenüber sind Personen niederen Standes, rustici und Kleriker in den Augen der meisten Autoren dazu verpflichtet, sich einem Angriff durch Flucht zu entziehen. Auch wer einen Feind von weitem kommen sieht und unauffällig abbiegen kann, ist laut Gomez gehalten, den Angriff zu vermeiden201. Gegenteilige Auffassungen sind jedoch ebenfalls auszumachen: so hat z.B. Vitoria in seiner Vorlesung über das Recht des Krieges die Ansicht vertreten, fliehen zu müssen sei schlechthin ein Übel, das man nicht zu dulden brauche, weshalb es jedem erlaubt sei, sich zu verteidigen anstatt zu fliehen202. Die Tötung eines fur ist nur als letztes mögliches Mittel zum Schutz des Eigentums zulässig, wenn man den gestohlenen Gegenstand dem fur nicht entreissen kann oder keine „spes certissima“ besteht, dass man die gestohlene Sache auf dem Rechtsweg wieder zurückerhält203. Einer eigentlichen Güterabwägung bedarf es im Normalfall nicht; wie bereits beschrieben darf zur Erhaltung eines geringeren Gutes auch ein höheres Gut verletzt werden. Nur in besonderen Konstellationen wie z.B. der Verteidigung gegenüber einer für die respublica sehr wichtigen Person oder bei der Verteidigung von Sachen mit geringem Wert werden die auf dem Spiel stehenden Interessen gegenei199 Gandinus, de defensionibus, Rz. 5, S. 178 f. und Rz. 8, S. 180; Vitalinis, de insultu percussione defensione. Demzufolge durfte man sich grundsätzlich nur mit Waffen verteidigen, wenn der Angriff ebenfalls mit Waffen erfolgte oder wenn der ohne Waffen Angegriffene schwächer als der Angreifer war. 200 Bossius, de homicidio, Rz. 86; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 23; Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 18, Rz. 20; Damhouder, Cap. 76; Aragon, Quaest. 64, Art. VII; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. VIII; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 11. 201 Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 23. 202 Vitoria, de iure belli, Rz. 4, S. 124. 203 Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. VIII.
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nander abgewogen. Dass bei der Tötung zum Schutz von Vermögenswerten ein bestimmter bedrohter Minimalbetrag verlangt wird, wurde bereits weiter vorne erwähnt (vgl. 3.3.3.1.1 und 3.3.3.1.3). Zur Verteidigung gegenüber höherrangigen Personen vgl. sogleich nachfolgend. Wenn die Schranken der moderamen inculpatae tutelae überschritten werden, d.h. z.B. eine Tötung trotz Pflicht zur Flucht erfolgt, wird der Täter in der Regel mit einer poena extraordinaria bestraft204. Bossius weist darauf hin, dass die Beweislast, dass man der Gefahr nicht anders als durch Tötung entkommen konnte, beim Angegriffenen liegt205. 3.3.3.1.4. Sonderfall: Notwehr gegenüber einer höherrangigen Person, insb. dem princeps
Notwehr kann grundsätzlich auch gegenüber einer höherrangigen Person geübt werden (z.B. von einem Mönch gegen den Abt, vom Sohn gegen den Vater oder von einem Vasallen gegen den Fürst). Allerdings weisen verschiedene Autoren darauf hin, dass der Angriff einer für die respublica sehr wichtigen Person zu dulden ist, wenn dadurch ein grosser Schaden für die respublica (z.B. Unruhe oder Bürgerkrieg) abgewendet werden kann206. Vitoria begründet das Verteidigungsrecht gegenüber dem König damit, dass dieser kein Recht hat, einen Unschuldigen anzugreifen: „… id est si solum ponamus quod est rex, ita quod non veniat periculum in republica ex occisione regis, scilicet tur batio et bellum in regno etc., tunc bene licet subdito defendere se a rege iniuste inva dente et illum occidere, quia rex non habet jus ad sic invadendum innocentem“. Auch wenn die Tötung eines Höhergestellten in Notwehr rechtlich erlaubt ist, können andere Verhaltensgebote wie z.B. die Tugenden eine Einschränkung gebieten: Vitoria ermahnt bezüglich des Verteidigungsrechts des Sohnes gegenüber dem Vater, dass eine Tötung zwar grundsätzlich erlaubt sei, dass man aber aufgrund der „pietas“ trotzdem lieber davon absehen solle207.
204 Bossius, de homicidio, Rz. 91; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 26; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 24; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 10. 205 Bossius, de homicidio, Rz. 83 und 88. 206 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VII, Rz. 3; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 8, Rz. 42 begründet dies damit, dass ein „gewöhnlicher“ Mensch für die respublica weniger nützlich ist als der princeps; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 25 f.: „Quod tam puto etiam intelligendum esse cum grano salis. Si Papa vel Imperator contra omne ius volebat eum offendere neque iste pote rat se ullo modo salvare ab imminenti morte neque etiam fugienda, et ad huc si casus contingeret in practica, nescio an possit obtineri haec opinionem. In inferioribus autem cuicunque dignitatis existant, credo quod posset sustineri“. 207 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VII.
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Auch Covarruvias und Fernando Vàzquez bejahen ein grundsätzliches Notwehrrecht gegenüber Fürsten oder sonstigen Staatsführern, doch gehen sie in ihrer Argumentation noch einen Schritt weiter als Vitoria. Sie stützen sich einerseits auf das ius naturale, gemäss welchem jeder sich selber mehr liebt als einen anderen. Andererseits argumentieren sie, dass der princeps, der einen unschuldigen Staatsbürger angreift, automatisch aufhöre ein princeps zu sein und dass dann in Verteidigung kein princeps, sondern lediglich eine Privatperson getötet werde: „Princeps reipublicae meae, qui me immerentem & inculpatum properat necare aut vulnerare, ipso facto ac ipso iure princeps esse desinit. Unde si ad meam defensionem interfecero non tam principem meum quam hominem iam privatum interemisse videbor“208. Dieser Aussage liegt die Auffassung zugrunde, dass der Fürst selbst an das göttliche und natürliche Recht, ja sogar an das materielle menschliche Recht gebunden ist. Dies wurde im Kern bereits von Thomas vertreten209, die Theologen der spanischen Spätscholastik haben diese Lehre weiterentwickelt. Gemäss Soto ist der Fürst dadurch, dass er ein Gesetz erlässt, diesem kraft Naturrecht unterworfen210. Laut Covarruvias gibt es keine absolute Gewalt, welche das ius naturale oder das ius gentium aufheben könnte: „Nam haec potestatis absolutae vis nequaquam convenit his quae iure naturali, vel gentium sunt instituta, quae procul dubio Princeps tollere non potest, nec ordinaria, nec potestate absoluta. Jura siquidem naturalia immutabilia sunt, et ideo nemo un quam dicet his Principem posse derogare etiam absoluta potestate, cum haec potestas non esset, sed tyrannis, quae longe abesse debet a Principibus, et ab his qui de eorum imperio et potestate tractare conantur“211. Fernando Vàzquez De Menchaca ergänzt, dass der Fürst durch Erlangung der Herrschaft nicht aufhört, einer der Bürger zu sein, und dass er nicht der Herr der Gesetze, sondern ihr Hüter, Diener und Vollstrecker ist212. Insofern werden der 208 Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 18, Rz. 10. Ähnlich bereits Covarruvias, Variarum, Lib. III, Cap. VI, Tom. II, Rz. 8: „Quod si princeps absque publicae utilitatis causa dominium ab aliquo auferat, eive interdicat rei propriae liberam dispositionem, nonne tyrannidem verius quam principis leges, & iura exercet?“. 209 Thomas von Aquin, STh I-II, Quaest. 96, Art. V. 210 Soto, Lib. I, Quaest. VI, Art. VII. Ähnlich bereits Vitoria, De potestate civili, Rz. 21, S. 122. 211 Covarruvias, Variarum, Lib. III, Cap. VI, Tom. II, Rz. 8. 212 Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 3, Rz. 2: „… id suspectum esse vel ex eo apparet, quod (ut supra plene edocemur) princeps legibus positivis suae regionis, aut populi subest, nec per ipsum
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altrömische Satz „princeps legibus solutus est“ und die spätmittelalterliche Theorie von der potestas absoluta widerlegt. Mit diesen, gegen den Absolutismus gerichteten Gedanken haben die erwähnten Spanier den Weg für die spätere Staatslehre, insbesondere diejenige des Johannes Althusius geebnet213. 3.3.3.1.5. Subjektive Elemente
Die Notwehr wurde bereits von den mittelalterlichen italienischen Legisten anhand der Gesinnung des Angegriffenen von der unzulässigen Rache abgegrenzt214. Dieser Gedanke findet sich z.B. noch bei Azpilcueta: auch wenn äusserlich die Voraussetzungen einer defensio (oder einer anderen gerechtfertigten Tötung wie z.B. Tötung im gerechten Krieg) erfüllt sind, darf der Angegriffene nicht aus Hass oder mit animus vindictae handeln215. Auch die sich auf Thomas berufende theologisch-kanonistische Lehre rückt das subjektive Element in den Fokus: Selbstverteidigung ist demnach nur erlaubt, wenn sich der Wille des Angegriffenen auf die Abwehrhandlung als Mittel zur Verteidigung richtet, nicht aber wenn er die unmittelbare Wirkung der Abwehrhandlung, z.B. den Tod des Angreifers, direkt anstrebt. Die Absicht des Angegriffenen darf sich somit nur auf die Verteidigungshandlung, nicht aber auf die Tötung des Angreifers an sich richten216. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Aussagen Molina’s, der sich – soweit ersichtlich – als einziger Theologe dafür ausspricht, dass der Verteidiger den Tod des Angreifers direkt wollen darf, wenn er sieht, dass die Tötung das einzige Mittel zur Verteidigung darstellt217. Dies wird damit begründet, dass die Tötung zur Verteidigung des Lebens als „medium necessarium“ nicht unter das fünfte Gebot fällt, sondern eine res bona ist, die man folglich beabsichtigen darf. Weiter argumentiert Molina, dass nicht die Abwehrhandlung an sich, sondern die Tötung selbst das notwendige Mittel zur Verteidigung ist. Daher darf sich der Wille des Verteidigenden auch direkt auf die Tötung richten218. Molina weicht hier bewusst
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principatus interventum aut obtentum, desiit esse unus ex civibus, sicque in contrahendo jure pri vato utitur nec est legum Imperator, sed custos, minister et executor, quod unus non quo minus, sed quo magis legibus alligetur, efficit“. Vgl. ausführlich dazu Reibstein, Althusius, S. 216 ff. sowie Nifterik, S. 255. Vgl. Dahm, S. 126 mit weiteren Hinweisen. Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 64, Art. VII. Später Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VII; Aragon, Quaest. 64, Art. VII; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. VIII; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 8. Molina, Tract. III, Disp. 11, Rz. 4. Molina, Tract. III, Disp. 11, Rz. 4: „mors ipsa iniusti aggressoris est medium necessarium ad conservandam ac defendendam propriam vitam ex nequitia ipsiusmet iniusti aggressoris, & lici
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von der Lehre des Thomas ab. Er löst diesen Widerspruch, indem er von Thomas’ Aussage ausgeht, der Verteidiger dürfe nur den „actum necessarium ad sui de fensionem intendere“ und diese dann dahingehend präzisiert, dass dieser „actus ne cessarius“ eben gerade in der Tötung selbst bestehe. Im Vergleich zu Thomas verstärkt Molina damit das Notwehrrecht des Einzelnen. Gleichzeitig vermeidet er damit eine allfällige Diskrepanz zwischen objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Notwehr, die eintreten kann, wenn zwar objektiv eine Notwehrsituation vorliegt, aber beim Angegriffenen die subjektiven Voraussetzungen der Notwehr nicht erfüllt sind. Im Anschluss gesteht auch Lessius dem Angegriffenen ein grosszügiges Vertei digungsrecht zu, indem er ihn ermächtigt, ohne übertriebene Rücksichten zurückzuschlagen: „Unde in periculoso conflictu non debet esse scrupulose anxius ne hostem lethaliter vulneret; sed potest eum ferire eo modo, quo commodius fuerit, ut vim ipsius comprimat; etiamsi caput vel pectus traijciendum foret“219. Einschränkend weist er jedoch wieder darauf hin, dass der Tod des Angreifers nicht „directe et secundum se“ beabsichtigt werden darf. 3.3.3.2. Notstand
Im Unterschied zur Notwehr wird der Notstand in den untersuchten Werken nur marginal und in besonderen Konstellationen behandelt. Am ausführlichsten wird auf die Notstandssituation im Zusammenhang mit dem furtum ex extrema necessi tate eingegangen, welches unter Umständen straflos ist (vgl. dazu nachfolgend 3.4.4.1). Die Tötung unter Zwang kann, wenn der Gezwungene um sein eigenes Leben fürchten muss, vom homicidium entschuldigen. Dies ist z.B. der Fall, wenn jemand auf Geheiss des Fürsten, des Herrn oder des Vaters handelt220. Weiter haben die Thomas-Kommentatoren zur Frage Stellung genommen, ob es erlaubt sei, Unschuldige zu töten. Thomas wie auch die meisten seiner Kommentatoren lehnen die Tötung von Unschuldigen in jedem Fall ab. Selbst die Tötung eines Unschuldigen im Hinblick auf das Wohl der respublica wird abgelehnt mit der Begründung, die Tötung stelle ein Übel dar, aus welchem kein Gutes folgen könne. Auch könne man den Unschuldigen nicht mit einem Glied vergleichen, das zum Wohl des Körpers geopfert werden soll, da der Unschuldige ein bonum sui ip tum ut intendatur, & ut media adhibeantur unde per se sequatur, atque ut sequatur ad finem op timum conservandi ac defendendi vitam nostram: quo sit ut licitum sit tunc, mortem aggressoris ad conservationem ac defensionem vitae nostrae intendere“. 219 Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 8, Rz. 53. 220 Bossius, de homicidio, Rz. 95; Tiraquellus, Causae 32 bis 35.
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sius darstelle, das sich nicht dem Wohl des Ganzen unterzuordnen habe221. Schliesslich hat weder der Mensch noch die respublica, sondern nur Gott dominium über das Leben der Einzelnen. Daher ist der princeps verpflichtet, die Todesstrafe nur an rechtmässig Verurteilten zu vollziehen und er hat bei Unschuldigen auf Eingriffe in ihre körperliche Integrität zu verzichten222. Desgleichen lehnen Vitoria und Soto auch die Auslieferung eines unschuldigen Bürgers an einen erpresserischen Tyrannen ab223. Spätere Theologen wie Molina und Lessius rücken demgegenüber das allgemeine Wohl mehr ins Zentrum und vertreten, dass für das Wohl aller ein einzelner Bürger gefährdet und an einen Tyrannen ausgeliefert werden darf224. Molina und Lessius begründen dies damit, dass der Unschuldige in einem solchen Fall ex cari tate et pietate verpflichtet sei, sich freiwillig der Todesgefahr auszusetzen; wenn er nun gezwungen würde, wozu er ohnehin verpflichtet sei, stelle dies keine iniuria dar. Ebenfalls wird die Vermeidung eines „commune periculum et damnum“ zur Begründung angeführt. Lessius bemerkt zum Notstandsrecht, dass der Gefährdete primär gegen den Angreifer vorzugehen hat, dabei aber, wenn nötig, auch das Leben eines Unschuldigen gefährden darf. Als Beispiel nennt er den Fall, dass ein Angreifer einen Unschuldigen als Schutzschild missbraucht225. Diese Fundstellen deuten auf eine leichte Verstärkung des Notstandsrechts in der theologischen Lehre hin. Wie bereits weiter vorne festgehalten (vgl. 3.3.2.2), wird auch ein Notstandsrecht bei Abtreibung in den meisten Fällen abgelehnt. Die Abtreibung wird von der Mehrheit selbst bei Lebensgefahr der Schwangeren nicht gerechtfertigt, da sie der Tötung eines „Unschuldigen“ gleichkomme.
221 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 64, Art. VI; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VI, Rz. 2; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. VII. 222 Soto, Lib. IV, Quaest. II, Art. III; Lessius, Lib. II, Cap. 4, Dub. 10, Rz. 57. 223 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VI; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. VII schränkt insofern ein, als in diesem Fall immerhin keine Pflicht zur Verteidigung des Unschuldigen besteht. 224 Molina, Tract. III, Disp. 10, Rz. 4: „quoniam interficere illum tunc est intrinsece malum: tra dere vero illum, est indifferens in se, redditurque moraliter bonum ex bono fine, quo a republica tunc traditur, nihil impediente, quod a tyranno ad eum malum finem petatur, ut est ostensum“. Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 7. 225 Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 7.
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3.4. Furtum und Rapina 3.4.1. Der „Grundtatbestand“ des furtum
Bei der Definition des furtum lassen sich in der untersuchten Literatur zwei grundsätzliche Traditionslinien ausmachen: Die italienischen Praktiker und die von ihnen beeinflussten Gelehrten, wozu auch eine Reihe von spanischen Kanonisten zählt, haben die römischrechtliche Definition „contrectatio rei fraudulosa lucri faciendi gratia vel ipsius rei vel etiam usus eius possessionisve“ übernommen (vgl. Dig. 47, 2, 1, 3)226. Diese Definition umfasst – im Unterschied zur theologischen Definition – nebst dem eigentlichen Diebstahl auch weitere Tatbestände wie z.B. rapina oder latrocinium, was z.B. von Cantera als Vorteil dieser theologischen Definition angepriesen wird227. Demgegenüber stützen sich zahlreiche Theologen auf die Definition des Thomas von Aquin, gemäss welcher unter furtum die „occulta acceptio rei alieni“ verstanden wird228. Molina entwickelt die Definition des Thomas dann aber weiter und gelangt zu der folgenden eigenen Definition: „Furtum est acceptio injusta boni externi, ab sque vi et absque ullo consensu ejus, cuius est, saltem quoad legitimam tentionem“229. Mit dieser Definition, die später auch von Lugo verwendet wird, schafft Molina eine neue, eigenständige Umschreibung des furtum und zeigt damit einmal mehr seine selbständige und kreative Denkweise, mit welcher er nach neuen Lösungen und Formulierungen sucht und dabei juristisches und theologisches Gedankengut miteinander verbindet 230. Nachfolgend sollen die einzelnen objektiven und subjektiven Tatbestandselemente der verwendeten Definitionen dargestellt und allfällige unterschiedliche Auswirkungen der beiden genannten Definitionsansätze aufgezeigt werden. Wie zu zeigen sein wird, sind die Moraltheologen sehr frei mit den traditionellen juristischen Lehren umgegangen und haben bewusst versucht, eigenständige Definitionsmerkmale zu entwickeln. Dabei konzentrierten sie sich vor allem auf den 226 Gandinus, de furibus et latronibus, Rz. 1, S. 306; Vitalinis, de furtis, robariis et latrociniis; Bossius, de furtis, Rz. 22, 44, 45 und 58; Clarus, Lib. V, § Furtum, S. 16; Damhouder, Cap. 112; Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 1; Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XVII, Rz. 1; Vela y Acuña, Cap. 12, Rz. 6; Cantera, de quaestionibus tangentibus punitionem delictorum, Cap. VIII, De Furto, Rz. 1. Zum römischen furtum vgl. Harke, S. 9 ff.. 227 Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 1. 228 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 66, Art. III; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. III, Rz. 2; Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. I. 229 Molina, Tract. II, Disp. 681, Rz. 16. 230 Lugo, Disp. XVI, Sect. I, Rz. 1.
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Grundtatbestand des furtum sowie dessen Abgrenzung zur rapina und zeigten demgegenüber wenig Interesse an den römischrechtlich geprägten Sondertatbe ständen. 3.4.1.1. Objektive Elemente 3.4.1.1.1. Tathandlung
Die römischrechtliche contrectatio, also Berührung der Sache, ist eine äusserlich sichtbare Handlung, welche den Herrschaftswillen zum Ausdruck bringt. Die cont rectatio geht sehr weit und setzt insbesondere weder einen Gewahrsamsbruch noch ein räumliches Entfernen der Sache von ihrem ursprünglichen Ort voraus231. Somit fallen auch die heutige unrechtmässige Aneignung, die Sachbeschädigung sowie Fälle der Veruntreuung (z.B. der Entleiher, der die Sache nicht vereinbarungsgemäss zurückgibt) und des Betruges (z.B. wer eine Leistung entgegennimmt und behält, obwohl er weiss, dass die Leistung für einen anderen bestimmt war) unter den Tatbestand des furtum232. Ob der weite furtum-Begriff auch in der Praxis entsprechend angewendet wurde, ist allerdings eine andere Frage. Vereinzelt wird in der Literatur nämlich zusätzlich verlangt, dass eine Sache körperlich beiseite geschafft werden muss („aspor tetur“)233. Der von den Theologen verwendete Begriff der acceptio, also der Annahme, als Tathandlung des furtum, ist enger als die contrectatio, die blosse Berührung. In den Augen von Soto ist die acceptio der contrectatio vorzuziehen, da die contrectatio zu wenig aussagekräftig ist; acceptio ist seiner Meinung nach gleichbedeutend mit usur patio, also der Benutzung oder Anmassung einer Sache234. Lugo definiert die accep tio oder usurpatio dadurch, dass das Tatobjekt der domini potestas entzogen und in diejenige des fur gestellt wird235. Damit werden bereits die Erfordernisse des Ge231 Mommsen, S. 734 ff., insb. S. 738. 232 Vitalinis, de furtis, robariis et latrociniis; Molina, Tract. II, Disp. 681. Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 1, nennt ausdrücklich auch das Zurückbehalten einer Sache als Fall des furtum: „invito domino retinet rem alienam et contrectat eam“. Diese Ausdehnung des fur tum ist wohl darauf zurückzuführen, dass ein bestimmter Betrugsbegriff noch nicht bekannt war und das crimen stellionatus sich durch grosse Unbestimmtheit auszeichnete (vgl. Dahm, S. 461 f.). 233 Bossius, de rapinis, Rz. 6. Dahm, S. 466, legt dar, dass die körperliche Wegnahme in den italienischen Statuten und Inquisitionsprotokollen als Merkmal des furtum erwähnt wurde, was er als Einfluss deutschrechtlicher Anschauung deuten will. 234 Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. I: „In primis enim cum contrectatio solum rei contactum significet, accommodatius dicitur, acceptio, hoc est, usurpatio“. 235 Lugo, Disp. XVI, Sect. I, Rz. 5: „extrahis ex domini potestate & ponis in tua“.
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wahrsamsbruchs und der Aneignung angedeutet. Mit dem Begriff der „acceptio“ können die Sachbeschädigung (damnificatio) und gewisse Fälle der Veruntreuung (detentio iniusta rei alienae) ausdrücklich vom furtum abgegrenzt werden, was in der moraltheologischen Literatur als Vorteil der acceptatio gegenüber der contrecta tio gepriesen wird236. 3.4.1.1.2. Tatobjekt
Während in der ursprünglichen römischrechtlichen Definition nur von „res aliena“ die Rede war, haben die untersuchten juristisch geprägten Autoren das Tatobjekt auf eine „res aliena mobilis corporalis“ eingeschränkt237. Demgegenüber dehnen die Theologen das Tatobjekt ausdrücklich auch auf unkörperliche und unbewegliche Sachen aus; anstatt „res“ nennen Molina und Lugo das Tatobjekt „bonum externum“238. Teilweise wird betont, dass Menschen nicht Gegenstand eines furtum sein können, da Menschen weder eine res noch ein bonum externum sind239. Differenziert argumentiert Vitoria, wenn er sagt, dass die Entführung der Tochter eines anderen Mannes mit dem Zweck der Versklavung (servitium) gegenüber dem Vater ein furtum darstellt, da der Dienst der Tochter für ihn einen Geldwert hat. Gegenüber der Tochter gilt das Verbrechen aber als incarceratio240. Tatobjekt kann nur eine fremde Sache bilden, wobei nebst dem Eigentumsrecht auch der Besitz, die Nutzniessung und das Pfandrecht geschützt werden241. Der Verstoss gegen diese geschützten Rechte wird mit den Begriffen „fraudulosa“, „in vito domino“242, „res aliena“243 oder „absque ullo consensu ejus, cuius est, saltem quoad legitimam tentionem“244 umschrieben. 236 Molina, Tract. II, Disp. 681, Rz. 16; Lugo, Disp. XVI, Sect. I, Rz. 1, 9 und 16. 237 Gandinus, de furibus et latronibus, Rz. 1, S. 306; Vitalinis, de furtis, robariis et latrociniis; Bossius, de furtis, Rz. 22, 44, 45 und 58; Clarus, Lib. V, § Furtum, S. 16; Damhouder, Cap. 112; Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 1; Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XVII, Rz. 1; Vela y Acuña, Cap. 12, Rz. 6; Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 1. 238 Molina, Tract. II, Disp. 681; Lugo, Disp. XVI, Sect. I, Rz. 3 f.. 239 Lugo, Disp. XVI, Sect. I, Rz. 2. 240 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. IV, Rz. 5: „Sed si capiat illam ad servitium, tunc est peccatum furti, quia quod servia illi est aestimabile pecunia. Unde licet detinere illam non dicatur furtum respectu filiae, sed incarceratio, tamen respectu patris dicitur furtum quia illi servitium est appretiabile pecunia“. 241 Molina, Tract. II, Disp. 681; Lugo, Disp. XVI, Sect. I, Rz. 8. Bei Bossius, de furtis, Rz. 44, wird der Geschützte allgemein umschrieben mit „qui detinet“. 242 Bossius, de furtis, Rz. 58; Damhouder, Cap. 112. 243 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. III, Rz. 1; Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. I. 244 Molina, Tract. II, Disp. 681; Lugo, Disp. XVI, Sect. I, Rz. 1.
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Kein furtum liegt vor, wenn jemand eine Sache an sich nimmt, die er auf der Strasse gefunden hat245. 3.4.1.1.3. Heimlichkeit?
Als zusätzliches Element findet sich bei verschiedenen Juristen und Kanonisten sowie in der von Thomas geprägten theologischen Definition das Kriterium der Heimlichkeit. Bei den italienischen Legisten wird die Heimlichkeit zwar nicht ausdrücklich als Definitionsmerkmal genannt, doch in der Regel unter Hinweis auf die etymologische Herkunft des Wortes furtum erwähnt: „Et dicitur furtum a furvo, id est a nigro, quod clam, obscure et de nocte fiat, vel a ferendo, id est auferendo“246. Bei Thomas und dem von ihm beeinflussten Vitoria und Soto wird die Heimlichkeit mit dem Begriff „occulte“ ausdrücklich zum Definitionsmerkmal des fur tum247. Molina und unter seinem Einfluss auch Lugo haben bei ihrer furtum-Definition allerdings auf das Merkmal „occulte“ verzichtet und es als Abgrenzungskriterium zur rapina mit dem Element „absque vi“ ersetzt (vgl. dazu ausführlicher unter 3.4.3). 3.4.1.2. Subjektive Elemente
Subjektiv ist zum einen der Vorsatz (animus furandi) erforderlich. Kein furtum liegt z.B. vor, wenn der Täter glaubt, die Sache sei ihm geschuldet248. Der Täter wird von Sünde entschuldigt, wenn er nicht weiss, dass die Sache fremd ist249. Im Zweifelsfall wird das Vorliegen des animus furandi vermutet250. Als weiteres subjektives Erfordernis nennt die römischrechtlich beeinflusste Lehre die Bereicherungsabsicht (lucri faciendi gratia). Es fällt auf, dass die Bereicherungsabsicht kein ausdrücklicher Bestandteil der theologisch geprägten furtumDefinition ist. Soto z.B. lehnt die Bereicherungsabsicht ausdrücklich als überflüssig und sogar falsch ab, da seiner Meinung nach auch eine Wegnahme zum Zweck der Vernichtung ein furtum darstellt251. Vitoria, Lugo und Lessius gehen über245 Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 3. 246 Gandinus, de furibus et latronibus, Rz. 1, S. 307; vgl. auch Vitalinis, de furtis, robariis et latrociniis und Bossius, de furtis, Rz. 7. 247 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 66, Art. III; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. IV, Rz. 1; Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. I, am Ende. 248 Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 3. 249 Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XVII, Rz. 5. 250 Bossius, de furtis, Rz. 7 f.. 251 Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. I. So auch im Ergebnis Lugo, Disp. XVI, Sect. I, Rz. 5, der allerdings nicht ausdrücklich auf die Bereicherungsabsicht eingeht, sondern nur festhält, dass
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haupt nicht auf die Bereicherungsabsicht ein. Molina erwähnt sie im Zusammenhang mit der juristischen Definition des furtum, nicht aber im Zusammenhang mit der theologischen Definition. 3.4.2. Sonderformen des furtum
In der untersuchten Literatur wird das furtum oft in weitere Unterarten unterteilt, deren Kriterien z.B. die Tageszeit der Tatbegehung oder der Zeitpunkt der Ergreifung des Täters war. Daneben wird das furtum auch von speziellen Sonderdelikten unterschieden, die bei besonderen Deliktsgütern oder Tatorten erfüllt waren. Diese Unterarten und Spezialtatbestände haben grösstenteils römischrechtliche Wurzeln252. Es ist nicht immer klar, ob für diese Unterscheidungen im 16. Jahrhundert tatsächlich noch ein aktuelles Interesse bestand, oder ob sie nicht einfach der Vollständigkeit und Tradition halber in der Literatur noch aufgeführt werden. Es fällt auf, dass sich hauptsächlich die Juristen mit den verschiedenen furtum-Arten befassen, wohingegen die Theologen weniger Wert auf die verschiedenen Abgrenzungen legen. Lugo schreibt ausdrücklich, dass die Unterscheidung von peculatus und abige atus wie auch von furtum nocturnum, diuturnum, manifestum oder non manifestum nur für die Juristen von Interesse sei, aber für die Theologen keine Rolle spiele253. 3.4.2.1. Furtum manifestum et non manifestum
Von einem furtum manifestum, einem sog. handhaften Diebstahl, ist die Rede, wenn der fur mit der gestohlenen Sache ertappt wird, bevor er sein Ziel (locum destinatum) erreicht hat. Wird der fur dagegen erst später ertappt, handelt es sich um ein furtum non manifestum254. Cantera definiert das furtum non manifestum im Unterschied zu den übrigen Autoren damit, dass es ohne Gewalt geschieht255. Die römischrechtlichen Bussklagen auf das Doppelte des Deliktbetrages beim furtum non manifestum und das Vierfache beim furtum manifestum werden in den
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„Imo si alienam gemmam, vel librum acciperes, eamque in flumen proiiceres, credo ob eandem rationem, intervenire furtum proprium, & comprehendi sub reservatione furti: non enim est ibi mera damnificatio, sed prius invenitur acceptio, & usurpatio rei alienae, quam prius extrahis ex domini potestate, & ponis in tua, & postea quasi eius dominus destruis“. Vgl. dazu Mommsen, S. 773 f.. Lugo, Disp. XVI, Sect. I, Rz. 18: „Haec tamen omnia, licet iuridice diversa sint, propter diversas poenas illis statutas; theologice tamen omnia sunt eiusdem speciei infirmae“. Vitalinis, de furtis, robariis et latrociniis; Clarus, Lib. V, § Furtum, S. 16; Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 4; Vela y Acuña, Cap. 12, Rz. 12. Diese Unterscheidung folgt im Wesentlich der Digestenstelle Dig. 47, 2, 3 und 47, 2, 5. Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 10.
untersuchten Quellen verschiedentlich erwähnt. Ob diese Klagen in der Praxis des 16. Jahrhunderts tatsächlich noch angewandt wurden, scheint aufgrund der Subsidiarität des ius commune gegenüber dem geschriebenen Recht zumindest fraglich. In der untersuchten Literatur wird darauf hingewiesen, dass die Bussklagen alternativ zu einem kriminalen Verfahren stehen, welches zu einer Körperstrafe führt256; teilweise wird auch darauf hingewiesen, dass die Strafklage auf das Vierfache ausser Übung geraten sei (vgl. dazu auch weiter unten 4.1.4). Nach den Aussagen von Fernando Vàzquez sollen die Bussklagen für das kanonische Recht keine Geltung gehabt haben257. 3.4.2.2. Furtum nocturnum et diuturnum
Die Unterscheidung von furtum nocturnum und furtum diuturnum stellt darauf ab, ob die Tat am Tag oder bei Nacht geschieht. Das furtum nocturnum galt in der römischen Kaiserzeit als qualifizierter Diebstahl258. In den untersuchten Quellen wird in erster Linie die Frage untersucht, ob ein fur nocturnus von einem Privaten straflos getötet werden darf259. Da unter den Voraussetzungen der Notwehr sowohl ein fur nocturnus wie auch ein fur diuturnus getötet werden darf260, hat sich die Unterscheidung dieser beiden Unterarten in der untersuchten Literatur im Ergebnis nicht mehr gross ausgewirkt (vgl. zur Notwehr 3.3.3.1.1 und zur Tötung des fur nocturnus im Besonderen 4.3.2.3.1). 3.4.2.3. Spezialtatbestände
Der Haus- und Familiendiebstahl (furtum domesticum) wird grundsätzlich als leichtere Form des furtum betrachtet. Bei einem sehr geringen Diebstahl vom Sohn am Vater liegt gemäss Vitoria gar kein furtum vor, da dieser nicht gegen den Willen des Vaters verstosse261. In leichten Fällen von furtum domesticum kann auch nicht crimi
256 Molina, Tract. II, Disp. 695; Bossius, de rapinis, Rz. 1 ff. und 9. Vitalinis, de furtis, robariis et latrociniis. Auch Azpilcueta unterscheidet die actiones poenales von den res persequto riae, obligatorischen Ansprüchen, die nicht von der Strafe abhängen, z.B. auf Herausgabe der gestohlenen Sache (lege poenali, Rz. 2). 257 Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 28, Rz. 10. 258 Vgl. Mommsen, S. 777. 259 So z.B. das Alte Testament (Exod., 22, 2-3) sowie das römische Zwölftafelrecht (Dig. 9, 2, 4, 1). 260 Molina, Tract. II, Disp. 684. 261 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. III.
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naliter vorgegangen werden262. Gemäss Lugo können Ehefrauen, Kinder und Diener für ein furtum domesticum nur im forum conscientiae, nicht aber im forum exter num bestraft werden263. Hausdiebstähle waren offenbar typische Fälle, die unter das Züchtigungsrecht des Hausherrn fielen, weshalb hier wenig Raum für die öffentliche Gerichtsbarkeit bestand. Der Hausherr hatte sein Züchtigungsrecht mit Mässigung auszuüben264. Teilweise wird aber auch darauf hingewiesen, dass bei einem furtum domesticum das Vertrauen des Hausherrn missbraucht wird, was die Tat qualifiziert erscheinen lässt und dazu führt, dass in schweren Fällen criminaliter und von Amtes wegen vorgegangen werden kann265. Bei einem furtum in Gaststätten, auf Schiffen und in Ställen (receptum nauta rum, cauponum et stabulariorum) gelten besondere prozessuale Regeln, z.B. Überführung des Täters aufgrund eines Eides (iuramentum) des Bestohlenen, Ausdehnung der Folter auf Freunde oder Hausgenossen des Wirts oder Einschränkung der Verteidigungsrechte, was damit begründet wird, dass Wirte, Seeleute und Stallwirte erfahrungsgemäss Diebesgesindel seien266. Ebenfalls als qualifizierte Delikte gelten die Plünderung einer Erbschaft (crimen expilatae hereditatis)267, der Diebstahl von heiligen Gegenständen von einem heiligen Ort (sacrilegium)268, der Diebstahl am Fürsten (crimen peculatus)269 sowie der Viehdiebstahl (crimen abigeatus)270. Weitere Delikte, gegen welche das furtum in der Literatur abgegrenzt wird, sind die Hehlerei, der Diebstahl an Geldern, die für öffentliche Zwecke bestimmt sind
262 Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 4; Molina, Tract. II, Disp. 686; Damhouder, Cap. 112; Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 3; Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 8. 263 Lugo, Disp. XVI, Sect. IV, Rz. 63: Die Ehefrau, Kinder und Diener können durch einen Diebstahl am Hausherren unter Umständen gar eine Todsünde begehen, doch muss dafür eine höhere Deliktssumme erreicht werden als bei einem „normalen“ Diebstahl. 264 Soto, Lib. V, Quaest. 2, Art. II; Molina, Tract. II, Disp. 686. 265 Bossius, de furtis, Rz. 24 ff.; Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 3; Damhouder, Cap. 112. Molina, Tract. II, Disp. 686, will ein Vorgehen von Amtes wegen nur bei einem furtum magnum von Freigelassenen oder gegen Lohn Angestellten zulassen. 266 Clarus, Lib. V, § Furtum, S. 19; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. V, Quaest. 39, Rz. 151 ff.. 267 Bossius, de furtis, Rz. 21; Damhouder, Cap. 114; Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 16; Molina, Tract. II, Disp. 681. 268 Damhouder, Cap. 113; Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 11. 269 Bossius, de furtis, Rz. 39; Molina, Tract. II, Disp. 684. 270 Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 13; Molina, Tract. II, Disp. 684; Bossius, de furtis, Rz. 40.
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(crimen residuis), Wegelagerei (grassatores)271, Einbruch (expilatores) sowie der Menschenraub (plagarium)272. 3.4.3. Rapina und ihre Abgrenzung zum furtum
Bei der rapina tritt als zusätzliches Tatbestandselement die Gewalt (vis, coactio) hinzu, wobei auch bereits eine Drohung als ausreichend erachtet wird, sofern sie einen besonnenen Mann zu beeinflussen vermag273. Es wird nicht verlangt, dass physische Gewalt (violentia) angewendet wird; auch die Erregung von Furcht (timor, me tus) genügt für eine rapina274. Die meisten Autoren sind der Auffassung, dass sich die Gewalt gegen eine Person richten muss; anderer Meinung ist demgegenüber Soto, der auch Gewalt gegen Sachen für ausreichend hält und somit den Einbruch in ein unbewohntes Haus als rapina einstuft275. Die rapina ist ein schwereres Delikt als das furtum und wird entsprechend härter bestraft. Die Rechtfertigung der Strafschärfung wird im offenen Willensbruch gesehen, der zu einer zusätzlichen iniuria des Verletzten führt276. Auch das furtum geschieht gegen den Willen des Berechtigten („invito domino“), doch ist diese Willensverletzung von einer anderen Beschaffenheit: der Verletzte ist sich des Willensbruchs vorerst gar nicht bewusst, weshalb der Willensbruch beim furtum in den Augen der untersuchten Autoren weniger schwer wiegt. Neben dem Abgrenzungskriterium der Gewalt findet sich in der gelehrten Literatur aber auch immer wieder das Kriterium der offenen Tatbegehung („palam“), welche die rapina vom heimlichen („occulte“) furtum abgrenzen soll277. Mit „oc 271 Das Banditentum war damals in Spanien u.a. aufgrund der geographischen (viele Hügel und wenig bewohnte Gebiete) und wirtschaftlichen Umstände blühend und sehr gefürchtet (vgl. Weisser, S. 83 ff.). 272 Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 4 f.. 273 Molina, Tract. II, Disp. 683. 274 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. IV, Rz. 2. 275 Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. II. 276 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. IX; Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 2; Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. IV hält fest, dass die rapina nicht nur den Willen, sondern auch die Ehre des Opfers verletzt. Vgl. bereits Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 66, Art. IV: „quod in furto est involuntarium per ignorantiam, in rapina autem involuntarium per violentiam. Magis est autem aliquid involuntarium per violentiam quam per ignorantiam: quia violentia directius opponitur voluntati quam ignorantia“. 277 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 66, Art. III; Bossius, de furtis, Rz. 5; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. III, Rz. 1; Damhouder, Cap. 88; Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 4: „fur est qui clam & sine aliqua violentia furatur“. Keine Abhandlung über die rapina findet sich bei Gomez, der sich nur auf das furtum beschränkt. Zur Entwicklung der Abgrenzung von furtum und rapina im gelehrten Recht eingehend Siems, S. 103 ff..
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culte“ wird dabei vor allem das fehlende Wissen des Berechtigten um die Tat gemeint; der Berechtigte ist bei einem furtum also „nesciens“, während die rapina sozusagen vor seinen Augen geschieht. Die Heimlichkeit als Element des furtum wird z.B. von Thomas als Abgrenzungskriterium zur rapina beschrieben. Auch Vitoria stellt bei der Abgrenzung von furtum und rapina noch primär auf das Kriterium der Unkenntnis des Berechtigten ab. So entscheidet er im Fall, dass jemand nachts in räuberischer Absicht in ein leeres Haus einbricht, für ein furtum, denn der dominus absens ist ignorans278. Die späteren Moraltheologen haben dagegen ausdrücklich hervorgehoben, dass nicht die An- oder Abwesenheit des Berechtigten bei der Tat die rapina vom furtum unterscheidet, sondern einzig das Vorliegen von vis279. So soll nach Molina z.B. auch dann ein furtum vorliegen, wenn der Eigentümer aus der Ferne zusieht und die Tat nicht verhindern kann280. In der Folge haben Molina und Lugo die Heimlichkeit in der Definition des furtum weggelassen und dafür das Element „absque vi“ hinzugefügt (vgl. vorne 3.4.1). Molina gelangt so zur folgenden Umschreibung der rapina: „iniusta acceptio boni externi per vim, eius, cuius est“281. Mit dem Ersetzen der Heimlichkeit durch „absque vi“ in der Definition des fur tum hat Molina die von Thomas überlieferten Merkmale des furtum weiterentwickelt und präzisiert. Damit hat er sich im Ergebnis der Lehre der Legisten angepasst, welche als Abgrenzungsmerkmal der rapina vom furtum primär die Gewaltanwendung sehen. Praktikabel ist die Abgrenzung daher, weil eine Gewaltanwendung leichter zu beweisen und zu überprüfen ist als eine mögliche Kenntnis des Berechtigten von der Tat. Allerdings haben bereits Lessius wie auch die späteren Moraltheologen des 17. und 18. Jahrhunderts Molina’s Unterscheidung nicht übernommen und sind wieder zu Thomas’ Definition des furtum zurückgekehrt282. 3.4.4. Furtum licitum
Entsprechend dem bereits geschilderten Verbrechensaufbau von Molina ist die Unerlaubtheit bzw. Ungerechtigkeit der Tathandlung eine weitere Tatbestandsvoraussetzung des furtum. Vor diesem Hintergrund enthält Molina’s und Lugo’s Defini278 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. IV Rz. 2 f.. 279 Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. II; Molina, Tract. II, Disp. 682; Lugo, Disp. XVI, Sect. I, Rz. 10 f.. 280 Molina, Tract. II, Disp. 681, Rz. 16. 281 Molina, Tract. II, Disp. 683. 282 Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 1, Rz. 1; vgl. auch Siems, S. 113 ff. mit weiteren Literaturhinweisen.
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tion des furtum den Zusatz „iniusta“, mit welchem das furtum von der erlaubten Selbsthilfe und dem Notrecht abgegrenzt werden soll283. Während gewisse Autoren bei extrema necessitas oder erlaubter Selbsthilfe das Vorliegen eines furtum überhaupt verneinen284, sind andere Autoren der Ansicht, es handle sich um ein entschuldbares furtum285. 3.4.4.1. Furtum in extrema necessitate
Das im 16. Jahrhundert weithin anerkannte Notrecht gründet auf dem Gedanken „in extrema necessitate omnia sunt communia“286. Die untersuchten Quellen verwenden keinen einheitlichen Begriff für die erforderliche Notlage – es wird von necessitas, gravis necessitas oder extrema necessitas gesprochen – und nur wenige Autoren gehen auf die genauen Voraussetzungen einer solchen Notlage ein. Es scheint, dass der Begriff der Notlage nicht sehr eng gefasst wurde, denn ein Notrecht besteht nicht nur bei Lebensgefahr, sondern bereits bei Drohen einer Krankheit287. Nebst der eigenen Not begründet auch die Not des Nächsten, z.B. eines Verwandten, ein Notrecht288. Lugo definiert die extrema necessitas als Gefahr, dass man ohne fremde Hilfe innert kurzer Zeit stirbt. Necessitas gravis liegt demgegenüber vor, wenn die Gefahr besteht, dass das Leben verkürzt wird oder ein Schaden für Ehre oder Freiheit eintritt. Ein furtum ist gemäss Lugo grundsätzlich nur in extrema necessitate erlaubt oder wenn die Gefahr besteht, dass eine extrema necessitas eintreten könnte289. Die erlaubte Wegnahme ist auf das Minimum zu beschränken, d.h. man darf z.B. nur die billigsten Nahrungsmittel nehmen. Gemäss Lessius ist der Eigentümer zur Duldung der Wegnahme verpflichtet; allerdings muss derjenige, der sich in Not befindet, zuerst um Hilfe bitten290. Bei einem Dieb-
283 284 285 286 287 288 289
290
Molina, Tract. II, Disp. 681; Lugo, Disp. XVI, Sect. I, Rz. 1. Z.B. Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 12. Z.B. Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XVII, Rz. 5; Bossius, de furtis, Rz. 52. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 62, Art. I, Rz. 27 und Art. V, Rz. 15 sowie Quaest. 66, Art. VII, Rz. 2. Zu den Wurzeln dieses Gedankens vgl. Otte, Privatrecht, S. 52 ff.. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 32, Art. V, Rz. 17; Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. IV. Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. IV. Er nennt als Beispiel den Fall, dass die Gefahr besteht, dass der Bruder unheilbar krank wird. Lugo, Disp. XVI, Sect. VII, Rz. 135 f.. Bereits Vitoria schränkte das Wegnahmerecht auf Fälle von extrema necessitas ein und nahm die gravis necessitas ausdrücklich aus (ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. VII). Demgegenüber lässt Lessius das Notrecht bereits bei gravis necessitas zu (Lib. II, Cap. 12, Dub. 12). Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 12.
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stahl aus extrema necessitate handelt es sich gemäss Soto nicht um ein furtum, sondern um eine „acceptio rei a natura concessa“291. Trotz dem Erlaubtsein kann eine Pflicht zur restitutio bestehen, wenn der „Täter“ später wieder zu Vermögen gelangt292. Der Eigentümer hat gemäss Lugo ein Recht (ius) auf restitutio, wenn eine grosse Menge oder besonders wertvolle Sachen weggenommen wurden. Allerdings kann man gemäss Lugo unter gewöhnlichen Umständen annehmen, dass die Wegnahme in extrema necessitate nicht allzu sehr gegen den Willen des Eigentümers verstosse und dieser daher keine restitutio verlangen werde293. Vitoria hingegen spricht sich ausdrücklich gegen die Pflicht zur restitutio aus294. Er begründet dies damit, dass in der Not allen alles gemeinsam gehöre und der Notleidende daher nur nehme, was ihm zustehe. Allerdings führt diese Ansicht dazu, dass die Not letzten Endes nicht zu Lasten des Notleidenden, sondern zu Lasten irgendeines Besitzenden geht. Es zeigt sich somit hier eine gewisse Ambivalenz gegenüber dem Privateigentum, dessen Existenz für Vitoria eine der Ursachen für die Mittellosigkeit des Notleidenden ist295. Der Begüterte ist nicht nur verpflichtet, die Wegnahme seiner Sachen in extrema necessitate zu dulden, sondern unterliegt in solchen Situationen auch einer Hilfspflicht zugunsten des Notleidenden296. 3.4.4.2. Selbsthilfe
Viele der untersuchten Autoren, insbesondere die Theologen, befassen sich eingehend mit der Frage, ob jemand sein Eigentum von einem Unberechtigten eigenmächtig zurückholen darf. Dabei wird meist stillschweigend vorausgesetzt, dass Selbsthilfe eigentlich der rechtlichen Ordnung widerspricht, und daher nur als Ausnahmefall unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Ausdrücklich hat dies z.B. Vitoria formuliert, der die Selbsthilfe nach dem Prinzip, dass der Einzelne nur zur Verteidigung „Krieg führen“ darf, grundsätzlich nicht zulassen will. Seiner Meinung nach wäre die öffentliche Ordnung in Gefahr, wenn jeder Selbsthilfe üben würde297. Der Gedanke, dass die Wiederherstellung der Gerechtigkeit 291 Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. IV. 292 Gemäss Clarus, Lib. V, § Furtum, S. 18, besteht diese Pflicht im forum conscientiae. Vgl. auch Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XVII, Rz. 62; Soto, Lib. IV, Quaest. VII, Art. I und IV; Molina, Tract. II, Disp. 754, Rz. 2; Lessius, Lib. II, Cap. 16, Dub. 1, Rz. 98. 293 Lugo, Disp. XVI, Sect. VII, Rz. 135 f.. 294 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. V. 295 Vgl. dazu auch Otte, Privatrecht, S. 55. 296 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. VII, Rz. 2. 297 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 40, Art. I, Rz. 3.
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grundsätzlich hoheitlichen Organen vorbehalten ist, findet sich auch bei Bossius. Er sagt zwar, dass kein furtum vorliege, wenn man eine Sache „rapit“, von der man glaubt, sie sei einem geschuldet. Da man in diesem Fall jedoch „propria authoritate“ handle, werde man trotzdem bestraft298. Trotz diesen Vorbehalten wird die Selbsthilfe unter bestimmten Voraussetzungen akzeptiert299. Zu diesen Voraussetzungen zählen: • Bestehender Anspruch oder Eigentumsrecht im Zeitpunkt der Selbsthilfe: es wird betont, dass einem die fragliche Sache tatsächlich gehören muss300. An anderen Stellen wird gesagt, es müsse sicher sein, dass derjenige, gegenüber welchem Selbsthilfe geübt wird, ein Schuldner ist301. • Identität oder Gleichartigkeit der Sache: wenn nicht die gleiche Sache zurückgeholt wird, muss sie zumindest gleichartig sein302. • Fehlende Möglichkeit, auf dem Rechtsweg zu seinem Recht zu kommen: die Subsidiarität der Selbsthilfe ist ein zentraler Punkt, den alle Autoren hervorheben303. Die Selbsthilfe ist nur erlaubt, wenn man auf andere Weise nicht zu seinem Recht kommen kann, z.B. da Beweismittel fehlen oder eine perturbatio herrscht. • Vermeidung eines scandalum: Selbsthilfe ist nur gestattet, wenn dies ohne öffentlichen Anstoss und Ärgernis geschieht304. Auch darf daraus kein Schaden für einen Dritten erwachsen305. Oft wird auch darauf hingewiesen, dass die Selbsthilfe „occulte“, d.h. ohne Gewalt zu erfolgen hat (zur Bedeutung von „oc culte“ vgl. weiter vorne 3.4.3). Ausnahmsweise ist jedoch auch die Anwendung von vis gestattet, wenn man anders nicht zu seinem Recht kommen kann, z.B. weil eine perturbatio herrscht306. 298 Bossius, de furtis, Rz. 6. 299 Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XVII, Rz. 5; Clarus, Lib. V, § Furtum, S. 18; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. V, Rz. 5-7; Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. III; Molina, Tract. II, Disp. 691; Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 10; Lugo, Disp. XVI, Sect. V, Rz. 85 ff.. 300 Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XVII, Rz. 5 spricht von der „eigenen“ Sache. Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 10 erwähnt den Fall, dass der Pfandgläubiger, Entleiher oder Vermieter die Sache nicht wie vereinbart dem Eigentümer zurückgibt. 301 Clarus, Lib. V, § Furtum, S. 18; Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. III. Gemäss Lugo, Disp. XVI, Sect. V, Rz. 85 ff., muss die Schuld im Zeitpunkt der compensatio sicher bestehen. 302 Molina, Tract. II, Disp. 691; Lugo, Disp. XVI, Sect. V, Rz. 85 ff.. 303 Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XVII, Rz. 5; Clarus, Lib. V, § Furtum, S. 18; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. V, Rz. 5-7; Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. III; Molina, Tract. II, Disp. 691; Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 10; Lugo, Disp. XVI, Sect. V, Rz. 85 ff.. 304 Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. III; Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 10. 305 Molina, Tract. II, Disp. 691; Lugo, Disp. XVI, Sect. V, Rz. 85 ff.. 306 Lugo, Disp. XVI, Sect. V, Rz. 132.
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Zweck des beschriebenen Selbsthilferechts ist es, den Schutz des Eigentums auch in Fällen zu gewährleisten, wo das Gerichtssystem diesen nicht bieten kann. Der materiellen Gerechtigkeit wird somit im Konflikt mit der Rechtssicherheit ein höherer Stellenwert eingeräumt. Dies mag zum einen typisch sein für eine Lehre, die sich in erster Linie auf das forum conscientiae bezieht307. Allerdings haben sich gerade die jüngeren Theologen wie Molina und Lessius ausdrücklich auch an die Rechtsanwendenden gerichtet und so das Selbsthilferecht auch auf das Recht des forum ex ternum wirken lassen.
307 Vgl. Otte, Privatrecht, S. 120.
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4. Strafe
4.1. Begriff der Strafe und Abgrenzung zu anderen Reaktionen auf ein Delikt Strafe in einem weit verstandenen Sinn ist eine Reaktion auf ein bestimmtes missbilligtes Verhalten, nämlich ein crimen oder peccatum. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung interessiert in erster Linie diejenige Sanktion, die als positiv-rechtliche Reaktion auf die Verletzung von Rechten oder rechtlich geschützten Gütern folgt und von einer Obrigkeit einseitig angeordnet wird. Im Folgenden soll das Wesen der Strafe im Verständnis des Thomas von Aquin und der untersuchten Gelehrten des 16. Jahrhunderts allgemein beleuchtet werden und in einem nächsten Schritt die obrigkeitliche, irdische Strafe von den göttlichen Strafen, der Busse, der privaten Rache, der restitutio sowie den aus dem römischen Recht stammenden pönalen Zivilklagen abgegrenzt werden.
4.1.1. Das Wesen der Strafe 4.1.1.1. Die Strafe als zwangsläufige Folge der Straftat
Das crimen oder peccatum ist, wie bereits erwähnt, in der thomistischen Lehre ein actus inordinatus und damit ein Verstoss gegen die iustitia commutativa. Das pecca tum löst zwangsläufig eine Gegenreaktion aus, nämlich die Strafe, welche als notwendiger Rückschlag der gebrochenen Ordnung betrachtet wird. Die Strafe ist somit bei Thomas die notwendige und folgerichtige Konsequenz des Gerechtigkeits- und Ordnungsverstosses: „… et id eo ab ipso ordine consequens est, quod deprimatur; quae quidem depressio poena est“1. Das Wesen der Strafe besteht in der aristotelisch-thomistischen Tradition also darin, die verursachte Gleichgewichtsstörung durch eine gleichwertige Gegenleistung wiederherzustellen. Auch die untersuchten Theologen und Kanonisten des 16. Jahrhunderts sehen die Strafe als eine naturnotwendige Folge der Straftat. So äussert z.B. Fernando Vàzquez den Gedanken, dass der zu Bestrafende durch seine Missetat bereits in die Bestrafung eingewilligt hat: „qui amat periculum peribit in 1
Thomas von Aquin, STh I-II, Quaest. 87, Art. I.
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illo“2. Lessius weist auf die Übereinstimmung und Abhängigkeit von Straftat und Strafe hin. Dabei vergleicht er den inneren Zusammenhang von Straftat und Strafe mit dem Verhältnis von Wohltat und Lob und hält fest, dass die Strafe dem Übeltäter genauso geschuldet ist, wie Lob einem Wohltäter3. Aus der wesenhaften Verknüpfung von Straftat und Strafe folgt, dass der Kern der Strafe primär in der wieder ausgleichenden Genugtuung oder Wiedervergeltung („contrapassum“) liegt. Thomas spricht auch von poena retributiva4. Das Begriffsmerkmal der vindicatio, ultio oder satisfactio findet sich auch bei den Glossatoren, zahlreichen italienischen Praktikern sowie Kanonisten und Moraltheologen des 16. Jahrhunderts5. In der untersuchten Literatur werden die Begriffe poena und vindicta oftmals gleichbedeutend verwendet (so z.B. bei Lessius). Die untersuchten Autoren unterscheiden zwischen vindicta privata und vindicta publica, wobei sie klarstellen, dass nur die vindicta publica erlaubt sei. Einige Autoren verstehen die vindicta publica allerdings noch als stellvertretende Wahrnehmung der vindicta pri vata. Trotz der starken begrifflichen Betonung des Vergeltungs- und Rachegedankens der vindicta gewinnen in der gelehrten Literatur des 16. Jahrhunderts, wie nachfolgend zu zeigen sein wird, andere Strafzwecke an Bedeutung, so dass das Wesensmerkmal der Vergeltung im 16. Jahrhundert in zahlreichen Quellen hinter die Strafzwecke der Besserung und Abschreckung zurücktritt. 4.1.1.2. Die Strafe als Zufügung eines Übels
Der Inhalt der Strafe besteht in der Zufügung eines Übels bzw. im Entzug eines Gutes, d.h. in einer „privatio boni“6. Bereits bei Thomas gehört zum Begriff der Strafe, dass sie dem Willen widerstreitet und in einem Leiden besteht7. Dabei stellt er fest, dass der Wille des Delinquenten so beeinträchtigt werden muss, wie er ge2 3
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Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 19, Rz. 8. Lessius, Lib. II, Cap. 47, Dub. 4, Rz. 21: „poena per se congruit & quodammodo debita est malefactori, sicut laus benefactori; idque ut rectus ordo servetur, & quod extra ordinem recti pro lapsum est, ad ordinem revocetur“. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 80, Art. I sowie Quaest. 108, Art. III und IV. Weiterführend dazu Nagler, S. 170 ff.; Kohler, Strafrechtsprinzipien, S. 345; Brands, S. 8 ff. sowie zur Vergeltung S. 43 ff.. Damit unterscheidet sich die Straftheorie des Thomas vom mehrstufigen Strafansatz bei Gratian und den Dekretisten, der primär von einer Besserung des Straftäters ausgeht und subsidiär den Schutz des Gemeinwohls mittels Abschreckung zum Ziel hatte (vgl. ausführlich dazu Pahud de Mortanges, S. 132 ff.). Vgl. dazu eingehender 4.2.1. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 48, Art. V; Azpilcueta, lege poenali, Rz. 14; Lessius, Lib. II, Cap. 47, Dub. 4, Rz. 21: „[..] redditio mali pro malo [..]“. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 48, Art. V.
gen den Willen des Gesetzes verstossen hat. Allerdings wenden sich Thomas wie auch später Covarruvias unter Berufung auf Aristoteles gegen die schematische Anwendung der Talion. Die Vergeltung muss zwar nach dem Mass der erlittenen Verletzung erfolgen, doch besteht nicht bereits deswegen eine Gleichwertigkeit zwischen Verletzung und Strafe, weil der Täter der Art nach das erleidet, was er getan hat. Bei der Strafzumessung sind unter anderem auch die Umstände des Täters und des Opfers zu berücksichtigen8. 4.1.1.3. Gewissensbindung des Strafgesetzes in der theologischen Straflehre
In der theologischen Literatur des 16. Jahrhunderts wird diskutiert, ob die Strafgesetze selbst zur Schuld verpflichten, d.h. ob ein Übeltäter schon vor der Fällung eines Urteils bloss aufgrund des Gesetzesverstosses durch das Gewissen zur Leistung bzw. Duldung der Strafe verpflichtet sei. Dies wird unter anderem von Vitoria, Soto und Aragon bejaht9. Die so verstandene Strafe steht nahe bei der sühnenden Busse im Rahmen der Beichtjurisprudenz und zeigt die heilsnotwendige Dimension des damals herrschenden Strafverständnisses auf. Die aus einer solchen Verpflichtungslehre folgende Konsequenz, wonach der Übeltäter auch seine eigene Strafe vollziehen müsste, wird jedoch weitgehend abgelehnt10. Der Täter ist aber im Gewissen verpflichtet, die Strafe zu erdulden, d.h. er darf sich nicht gegen sie wehren und muss zu allfälligen notwendigen Mitwirkungshandlungen Hand bieten. 4.1.2. Abgrenzung der obrigkeitlichen Strafe von der göttlichen Strafe, der privaten Rache und der Busse
Jedes crimen bzw. peccatum verstösst gegen göttliches Recht, doch tritt neben das göttliche, jenseitige Gericht bereits im irdischen Leben die menschliche Gerichtsbarkeit, die sich auf menschliche Gesetze stützt11. Dabei herrscht der Gedanke, dass die 8 9
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Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 61, Art. IV; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 2. Eingehender zur Talion vgl. nachfolgend 5.1.3. Vitoria, ComSTh I-II, Quaest. 96, Art. IV (Tom. VI, S. 430 ff.); Soto, Lib. I, Quaest. VI, Art. V; Aragon, Quaest. 62, Art. III. Die Gewissensbindung des Menschen an die weltlichen Gesetze dient oftmals als Rechtfertigung dafür, dass sich Theologen mit strafrechtlicher Materie befassen. Weiterführend Bergfeld, S. 1018; Grunert, Theologien, S. 326 f.; Maihold, S. 193 f.; Tomas y Valiente, S. 215 ff.. So z.B. Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 23. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 86, Art. IV. Vgl. dazu ausführlich Brands, S. 8 ff.. Verschiedentlich herrschte auch die Auffassung vor, dass irdisches, obrigkeitliches Strafen notwendig sei, um die Strafen Gottes von der Gesellschaft abzuwenden (vgl. Willoweit, Expansion, S. 334 ff.).
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göttliche Strafgerechtigkeit ein Muster der irdischen Strafen darstellt und die strafende weltliche Gewalt als Vollstreckerin des göttlichen Strafamtes waltet12. Allerdings ist das Ziel der menschlichen Strafe gegenüber der göttlichen Strafe eingeschränkt: statt der Herstellung ewiger Gerechtigkeit zielt ihre Wirkung vorab auf den irdischen Bereich des bonum reipublicae. Verschiedene Autoren wie Vitoria, Azpilcueta, Fernando Vàzquez oder Vela y Acuña heben insbesondere die abschreckende Wirkung der irdischen Strafe hervor13. Während für die göttlichen Strafen oder poena aeterna bereits in der älteren kanonistischen Lehre das Schuldprinzip anerkannt wurde, setzen die zeitlichen, menschlichen Strafen laut verschiedenen Moraltheologen im 16. Jahrhundert nicht in jedem Fall eine Schuld, wohl aber eine causa voraus14. Dies wird unter Berufung auf Thomas mit Zweckmässigkeitsüberlegungen zugunsten des bonum commune begründet15. Strafende irdische Instanzen sind sowohl die kirchlichen als auch die weltlichen Gerichte, welche sich dabei auf positives Recht (Kirchenrecht oder weltliches Recht) stützen16. Die Abhängigkeit der irdischen Strafe von positiven Gesetzen als Wesensmerkmal wird allerdings nur vereinzelt erwähnt. So definieren Gandinus und Vitalinis die Strafe als etwas, das vom Gesetz oder dem minister legis auferlegt wird17. Dass eine Strafe durch die Obrigkeit ausgesprochen oder vollstreckt wird, war im ausgehenden Mittelalter noch nicht a priori ein Wesensmerkmal der Strafe. Individuelle, „privat“ ohne obrigkeitliche Ermächtigung ausgeübte Gewalt fiel ebenfalls in den Katalog der praktizierten Sanktionen. Auch in der untersuchten Literatur finden sich verschiedene Beschreibungen privater Rachehandlungen, so z.B. die Tötung einer in flagranti ertappten ehebrecherischen Frau durch ihren Ehemann oder die Tötung von publici latrones und Verbannten. Für die Gelehrten des 16. Jahrhunderts, insbesondere die Moraltheologen, stellte sich aber sehr wohl die Frage, ob auch Private nebst der Obrigkeit strafen dürfen. Grundsätzlich kommen sie zum Schluss, dass nur der Obrigkeit eine Strafgewalt zukommt; Ausnahmen werden aber zugelassen (vgl. dazu eingehend 4.3.2 nachfolgend). Auch die Busse (poenitentia) ist eine Reaktion auf ein missbilligtes Verhalten, welche bereits zu Lebzeiten der Menschen stattfindet. Im Unterschied zur menschlichen Strafe ist sie allerdings hauptsächlich auf das Jenseits ausgerichtet, denn sie 12 13 14 15 16 17
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Vgl. Nagler, S. 12. Vgl. dazu weiter hinten 4.2.3.3. Vgl. Maihold, S. 110 ff. und 172 ff.; siehe auch weiter hinten 5.1.4. So z.B. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 108, Art. IV. Zur Strafkompetenz der Kirche vgl. nachfolgend 4.4.2. Gandinus, de penis reorum, Rz. 1, S. 209: „delicti vel pro delicto satisfactio, quae propter de licta imponitur a lege vel ministro legis“; Vitalinis, de poenis condem. et bannis et eorum formis: „… quae a lege imponitur, vel a legis ministro, ut a iudice, qui est minister legis“.
bezweckt die innere Läuterung und Wandlung des Sünders und dadurch eine Versöhnung des Sünders mit sich selbst und Gott. Auch die Busse besteht in einer „Vergeltung“ oder satisfactio für begangenes Unrecht18. Allerdings wird hier mehr das Unrecht gegen Gott sowie die innere Ordnung des Sünders selbst angesprochen. Die Busse besteht in einer vom Delinquenten freiwillig zu erbringenden Leistung und hat das Ziel, die Sündenschuld abzulösen und somit die ewige Höllenstrafe zu tilgen. Es handelt sich somit um Sühne, verstanden als Befreiung von innerer Schuld19. Busse kann in Form von öffentlichen, kirchlichen Bussen (z.B. in Form von Wallfahrten) oder als „Privatbusse“ im Rahmen der Beichte, d.h. des forum in ternum, erfolgen20. Die anwendbare Busse ergibt sich zunächst aus Bussbüchern, später aus Beichtsummen und dem arbitrium des richtenden Priesters. In der Regel tritt die Busse neben die irdischen Strafen; unter Umständen kann sie aber auch eine freiwillige Alternative dazu darstellen. Das Nebeneinander von Busse und Strafe wird z.B. bei Azpilcueta demonstriert, der schreibt, dass es dem Seelenheil des homicida nützen würde, wenn er die Zeit, die ihm vor der Vollstreckung der Todesstrafe noch verbleibt, für die Bekämpfung der Ungläubigen einsetzen würde21. Im Rahmen des kirchlichen Strafrechts und im Anwendungsbereich des Inquisitionsverfahrens lässt sich teilweise eine Vermischung zwischen den Begriffen „Busse“ und „Strafe“ finden. So kann z.B. das freiwillige Erfüllen einer „Strafe“ für den Verurteilten nicht nur Wiedergutmachung im diesseitigen Sinne, sondern auch Rettung des Seelenheils bedeuten22. Ebenfalls mehr auf das Jenseits gerichtet ist die „Strafe“ bei Farinacius, der beschreibt, dass ein homicida nach kirchlichem Recht in einen carcer gesperrt wird, bis er die Tat bereut hat, notfalls lebenslänglich23. Hier scheint es also weniger um den Ausgleich eines Unrechts oder Ordnungsverstosses als um Läuterung und Besserung des Täters im Hinblick auf dessen Seelenheil zu gehen. Allgemein lässt sich beobachten, dass der Strafe in der untersuchten Literatur auch noch ein Element der Busse anhaftet, denn innere
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Nagler, S. 174; Soto, Lib. IV, Quaest. VI, Art. I, S. 329. Zur Abgrenzung der Begriffe Sühne, Rache und Vergeltung vgl. Ebert, Vergeltungsprinzip, S. 38 ff.. Vgl. Trusen, forum, S. 254 ff.; Willoweit, Rache und Strafe, S. 55 ff.. Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 23. Müller, theologische Wurzeln, S. 416 ff., sowie Einfluss, S. 85 u. 90. Müller weist darauf hin, dass sich in der Person des Inquisitors Beichtvater und Richter vereinigten. Vgl. auch Trusen, forum, S. 263. Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. I, Quaest. 8, Rz. 80. Dies fügt sich in die Beobachtungen von Müller, welche feststellt, dass im Sprachgebrauch der Inquisition im Zusammenhang mit dem Verhängen von „Gefängnis“ von „Busse“ gesprochen worden sei (Müller, theologische Wurzeln, S. 418).
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Wandlung und moralische Besserung werden immer wieder als Strafzwecke genannt („sanativa peccatoris“). Es zeigt sich somit, dass eine klare Abgrenzung von Busse und Strafe im heutigen Sinne im Strafverständnis der untersuchten Autoren noch nicht endgültig möglich war. Wenn nachfolgend von „Strafe“ gesprochen wird, ist damit die irdisch-hoheitliche, in einem positiven Gesetz normierte Reaktion auf eine Rechtsverletzung gemeint; dies allerdings im Bewusstsein, dass einer solchen Strafe im Rahmen der Strafzwecke oder auch der theologischen Lehre von der Gewissensbindung ein Element der innerlichen Busse und der Heilswirkung anhaftet. 4.1.3. Poena und restitutio
Neben dem Bedürfnis nach einem Ausgleich des begangenen Unrechts an sich – z.B. in Form von hoheitlicher Strafe, privater Rache, Genugtuung an den Verletzten oder Reue und innerer Umkehr beim Täter – besteht bei einer Straftat auch das Bedürfnis nach einem materiellen Ausgleich. Beide Rechtsgedanken fanden sich bereits im Schadenersatzrecht des Corpus iuris civilis nebeneinander24. Finanzielle Leistungen des Täters an den Verletzten konnten bereits im römischen Recht von gemischtem Charakter sein, der sowohl ein strafendes und vergeltendes als auch ein materiell ausgleichendes Element enthielt, so z.B. die römischrechtlichen Pönalklagen der actio furti manifesti, der actio furti nec manifesti oder der actio de effusis25. Die spanischen Theologen unterscheiden nach dem Vorbild des Thomas zweierlei Auswirkungen einer Straftat: einerseits führt sie zu einer sachlichen Ungleichheit aufgrund des Besitzes (inaequalitas ex parte rei) und andererseits beruht sie auf einer schuldhaften, ungerechten Handlung (culpa iniustitiae)26. Während die culpa iniustitiae eine Straffolge herbeiführt, muss die inaequalitas ex parte rei durch restitutio, nämlich Wiederherstellung des früheren Zustandes, wieder ausgeglichen werden. Dabei wird die restitutio wie folgt definiert: „restituere
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Vgl. Lange, S. 111. Er weist z.B. auf strafrechtliche Begriffe in den reipersekutorischen Klagen hin, wo interesse, Schadenersatz und poena miteinander vermischt wurden. Feenstra, S. 328, Rz. 115. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 62, Art. III; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 62, Art. III, Rz. 3 f.; Molina, Tract. II, Disp. 714, Rz. 1; Soto, Lib. V, Quaest. VI, Art. IV. Zum thomistischen Einfluss auf die spätscholastische Restitutionslehre vgl. Nufer, S. 64 ff..
nihil aliud esse videtur quam iteratio aliquem statuere in possessionem vel dominium rei suae“27. Die restitutio gilt als ein Akt der iustitia commutativa28. Nicht nur Moraltheologen, sondern auch die untersuchten Juristen versuchen, eine Abgrenzung zwischen Strafe (poena) und Schadenersatz (restitutio) zu ziehen. Es wird häufig betont, dass die restitutio und die poena (im Sinne einer hoheitlich ausgesprochenen Körper-, Freiheits- oder sonstigen Strafe) kumulativ zur Anwendung kommen: „Punitio non liberat a restitutione“29. Dabei ist jedoch die Abgrenzung zwischen Geldstrafen und restitutio nicht immer ganz einfach, wie das folgende Beispiel zeigt: Azpilcueta berichtet, dass die restitutio nach dem arbitrio viri boni bemessen wurde, dass aber der Verdienstausfall des Getöteten von Gesetzes wegen auf 50 aureos geschätzt wurde. Lessius hält dem entgegen, es handle sich bei diesen 50 aureos nicht um restitutio damni, sondern um eine „poena seu mulcta, quae per sententiam debetur“ für ein homicidium fortuitum30. Da diese „poena seu mulcta“ an den iudex zu entrichten war, handelt es sich nach der Darstellung von Lessius somit um eine öffentliche Strafe, und nicht um restitutio. Die in der Theorie anerkannte Kumulation von poena und restitutio scheint in der Praxis nicht immer funktioniert zu haben: Clarus z.B. weist darauf hin, dass restitutio in der Praxis oft vernachlässigt werde, da das Vermögen des homicida sogleich konfisziert werde und der „räuberische“ Fiskus keinen Schadenersatz leiste31. Nach dem Bericht von Lessius scheint es unter honesti nicht üblich gewesen zu sein, restitutio zu verlangen, wenn am homicida bereits die Talionsstrafe vollzogen
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Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 62, Art. I; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest 62, Art. I, Rz. 1; Soto, Lib. III, Quaest. III, Art. VIII; Molina, Tract. I, Disp. 8; Lessius, Lib. II, Cap. 7, Dub. 4, Rz. 15. Gemäss dieser Definition setzt die Restitutionslehre eine Anerkennung des Privateigentums voraus (vgl. Nufer, S. 16 f. mit weiteren Hinweisen). Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 62, Art. II; Soto, Lib. IV, Quaest. VI, Art. I; Lessius, Lib. II, Cap. 7, Dub. 4, Rz. 16; Lugo, Disp. XI, Sect. I, Rz. 7. Lugo, Disp. XI, Sect. I, Rz. 26; Molina, Tract. II, Disp. 695; Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 20; Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 25; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. II, Quaest. 15, Rz. 13. Bossius, de furtis, Rz. 49, hält fest, dass ein fur nach Erleiden der Strafe erst dann aus dem carcer entlassen werde, wenn er „restitutio“ oder „solutio“ erbracht habe. Vgl. auch Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 37. Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 23 f.; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 20, Rz. 132. Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 36. In diesem Zusammenhang berichtet Lugo, dass einige Autoren der Auffassung gewesen seien, die restitutio sei in Fällen der ungerechtfertigten Vermögensbeschlagnahmung aus dem Fiskus zu bezahlen: „.. cum Navarro, Iulio Claro, Aragonio, & aliis bene advertit, fiscum etiam teneri ad restitutionem pro iis damnis, quando bona homici dae, vel damnificatoris iniuste confiscata sunt“ (Disp. XI, Sect. II, Rz. 31).
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worden war, da die Talionsstrafe beruhige und die iniuria dadurch kompensiert werde32. 4.1.3.1. Vom heilbringenden Akt zum rechtlichen Anspruch auf restitutio
Bei Thomas weist die restitutio einen starken Sühnecharakter auf, denn sie wird im Hinblick auf das Heil (salus) des Täters geleistet und ihre Höhe wird nach dem arbi trio viri boni an der qualitas des Täters bemessen. Auch wenn sie grundsätzlich in Form von bona temporalia zu erbringen ist, womit Geld oder die Wiederherstellung der Ehre gemeint war, scheint der Schadenersatz insbesondere bei Körperverletzungen und Tötungen mehr ein Nebeneffekt, denn die eigentliche Begründung der resti tutio gewesen zu sein. Sowohl Thomas als auch später Vitoria verstehen die resti tutio in erster Linie als eine Notwendigkeit für das Seelenheil des Täters: „non dimittitur peccatum, nisi restituatur ablatum“33. Bezüglich der Rechtfertigung der restitutio lässt sich im 16. Jahrhundert eine Verschiebung des Fokus feststellen: während die restitutio von Thomas hauptsächlich als Notwendigkeit für das Seelenheil des Täters verstanden wurde, betonen die späteren Theologen einen rechtlichen Anspruch des Verletzten auf restitutio. Gemäss Vitoria folgt die Pflicht des homicida zur restitutio aus der iniuria und dem nocu mentum, welche dem überlebenden Ehegatten und den Kindern des Getöteten zugefügt werden34. Soto räumt der Gattin, den Kindern und den Eltern eines Getöteten bereits ausdrücklich ein ius auf restitutio ein, da diese in die Rechte des Verstorbenen eintreten: „… sicut sunt uxor & maritus, parentes & filii; hos enim tenebatur pater sustentare si egerent. Qua propter & hic haeredum ordo succedit in ius defuncti; quibus ideo de iustitia facienda est restitutio“35. Deutlich wird schliesslich Lugo, gemäss welchem die Pflicht zur restitutio weder aus gratitudo, charitas, noch amor benefactoris erwächst, sondern aus der iniuria selbst. Wer einen anderen tödlich verletzt, ist aus iustitia zum Schadenersatz verpflichtet: 32 33 34
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Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 22, Rz. 139; eingehender dazu weiter unten 4.2.1.3. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 62, Art. II, der sich dabei auf Augustinus beruft. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 62, Art. II, Rz. 16: „si quis interfecit virum, tenetur restituere uxori vel filiis ratione iniuriae et nocumenti facti uxori, quia abstulit ab ea maritum“. Er beschränkt die Anspruchsberechtigten auf die (wohl gesetzlichen Unterstützungsberechtigten) wie Kinder und Ehegatten unter Ausschluss von Geschwistern und Freunden. Soto, Lib. IV, Quaest. VI, Art. III, S. 339.
„Conveniunt omnes Doctores in hoc, quod ex iniuria circa corpus, sive per occisionem, sive per mutilationem, vel percussionem, oritur obligatio ex iustitia restitutendi pro damnis realibus, quae in aliis bonis externis incurrunt, sive in honore, sive in fama, sive in facultatibus; quia qui causam damni dat, damnum fecisse videtur; iniustus autem damnificator tenetur ex iustitia ad reparandum damnum iniuste illatum“36. 4.1.3.2. Ersatzfähiger Schaden und Umfang des Ersatzes
Die mittelalterlichen Legisten haben unter Berufung auf die lex Aquilia die restitutio bei der Tötung eines freien Menschen abgelehnt, da diese traditionellerweise auf die Tötung von Sklaven beschränkt war37. Demgegenüber haben die mittelalterlichen Theologen den Unterhaltsersatz bei einer Tötung mit zum Teil sehr weitgehenden Ergebnissen bejaht38. Dieser Einfluss macht sich bei den untersuchten Theologen und Juristen bemerkbar, welche die Pflicht zur Leistung von Schadenersatz der Hinterbliebenen bei einem homicidium grundsätzlich anerkennen39. Im Zusammenhang mit der restitutio im forum externum tauchen vereinzelt auch noch Erinnerungen an das Kompositionensystem auf: so verweist z.B. Soto auf den lokalen Gebrauch, das Unrecht mit Geld aufzuwiegen, damit es die Verwandten vergeben: „Verum est tamen quod in foro exteriori fratribus et reliquis agnatis, qui ius habent agendi de iniuria, solet, ut eam remittant, pecunia rependi“40. Zu den ersatzfähigen Vermögensschäden bei Tötung und Körperverletzung gehören Arzt-, Medikamenten- und Pflegekosten41, Verdienstausfall42, Unterhaltsausfall43 und entgangener Gewinn44. Demgegenüber lehnen einige Autoren den Ersatz der Begräbniskosten ausdrücklich ab mit der Begründung, diese würden früher 36 37
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Lugo, Disp. XI, Sect. II, Rz 29. Lange, S. 58 ff.; Feenstra, S. 324, Rz. 113. Hierzu ist präzisierend zu bemerken, dass zumindest die Glossatoren Rogerius und Azo bei der Tötung eines freien Mannes die actio legis Aquiliae utilis anwenden wollten, die bei Körperverletzung gebeben war (vgl. Lange, S. 59). So haben sich z.B. Duns Scotus und Papst Hadrian VI. dafür ausgesprochen, dass den Eltern und Nachkommen des Getöteten der volle Ersatz des ausgefallenen Unterhalts zu bezahlen ist (vgl. Feenstra, S. 325, Rz. 114 mit weiteren Hinweisen sowie Thieme, juristes, S. 17). Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 36; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 62, Art. II, Rz. 16; Soto, Lib. IV, Quaest. VI, Art. III, S. 339; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 26. Soto, Lib. IV, Quaest. VI, Art. III, S. 340; vgl. dazu auch Feenstra, S. 325, Rz. 114. Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 36; Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 22; Lugo, Disp. XI, Sect. II, Rz. 32. Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 24. Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 20; Lugo, Disp. XI, Sect. II, Rz. 45, führt eine Tabelle für die durchschnittlichen Lebenserwartungen an. Bossius, de rapinis, Rz. 39; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 19, Rz. 124.
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oder später ohnehin anfallen45. Bei einer Tötung werden die mutmasslichen Lebenshaltungskosten des Getöteten vom Schaden abgezogen46. Die anspruchsberechtigten Personen umfassen in der Regel die Witwe, Eltern und Kinder des Getöteten47. Unter den Theologen der spanischen Spätscholastik ist umstritten, ob nebst dem Vermögensschaden (damna realia) auch immaterielle Schäden, d.h. einmal der Verlust des Lebens bzw. der körperlichen Unversehrtheit (damnum vitae ac corporis), aber auch der Ehre (damnum in fama) oder sogar der verschlechterte Seelenzustand (damnum in bonis spiritualis) mittels restitutio auszugleichen seien. Während Thomas noch nicht zwischen dem Ausgleich oder Ersatz von bona temporalia und bona spiritualia unterscheidet, hält Vitoria in der Tradition der mittelalterlichen Theologie ausdrücklich fest, mit der restitutio sei sowohl der materielle Schaden (dam num temporale) wie auch der immaterielle Schaden, d.h. die iniuria an sich auszugleichen48. Die Diskussion in der Literatur dreht sich insbesondere darum, ob Nichtvermögensschäden durch eine Geldleistung oder durch andere Leistungen mit Buss- und/ oder Talionscharakter auszugleichen seien. Einen Ausgleich des damnum vitae ac corporis in Geld bejahen Vitoria und Molina49; darin kann – modern gesprochen – bereits eine Form der zivilrechtlichen Genugtuung erblickt werden. Daneben ist jedoch gemäss Molina und Lugo auch eine restitutio in anderer Form als Geld möglich. Molina nennt z.B. das Erbringen von orationes oder sacrificia für die Seele des Getöteten, während Lugo den Einsatz des eigenen Lebens in einem gerechten Krieg als mögliche Form der restitutio beschreibt50. Gemäss Clarus ist der homicida nicht nur verpflichtet, allfällige Arzt- und Pflegekosten sowie den Arbeitsausfall zu ersetzen, sondern auch das „interesse animae occisi, scilicet ad dam num“, was mittels Gebeten, Fasten, Almosen oder Ähnlichem nach den Möglichkeiten des homicida geschehen kann51. Demgegenüber lehnen Azpilcueta und Lessius die Ersatzpflicht für das damnum vitae bei einem freien Menschen im fo
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Molina, Tract. I, Disp. 83, Rz. 1; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 24. Lugo, Disp. XI, Sect. II, Rz. 32; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 19, Rz. 124. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 62, Art. II, Rz. 16; Soto, Lib. IV, Quaest. VI, Art. III; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 26, Rz. 155. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 62, Art. II. Zur restitutio in der mittelalterlichen Theologie vgl. Feenstra, S. 326, Rz. 115. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 62, Art. II, Rz. 9 sowie Molina, Tract. III, Disp. 84, Rz. 7 sowie Disp. 88, Rz. 1. Lugo, Disp. XI, Sect. I, Rz. 5 ff.. Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 36.
rum internum ab. Lessius begründet dies damit, dass dieses damnum bereits durch die Talionsstrafe ausgeglichen werde52. Soto schränkt die restitutio ausdrücklich auf rebus exterioris ein. Diese Einschränkung auf den Ersatz von zeitlichen Gütern wird gerade als Abgrenzung der restitutio von der satisfactio als Teil der Busse verstanden: „Restituere namque est reddere quod ablatum est; satisfactio vero quia pars est poenitentiae, est iniuriam refarcire“53. Dieser Abgrenzung folgt später auch Lessius54. Die restitutio setzt zwar eine schuldhafte Handlung voraus, ihre Höhe bemisst sich aber unabhängig vom Verschulden, nur nach dem Schaden. Dies wird z.B. von Lugo anschaulich festgehalten: „obligatio tamen restitutionis non mensuratur ex quantitate culpae, sed ex damno iniuste illato: quare, si damnum est aequale, tantundem debes restituere ex culpa mi nus gravi, ac ex graviori, dum utraque fuerit mortalis contra iustitiam“ 55. Demzufolge ist gemäss Lugo auch in Fällen des Notwehrexzesses volle restitutio zu leisten. Es geht bei der restitutio somit nur darum, das Gleichgewicht der Güterordnung wieder herzustellen, nicht aber, den Restitutionspflichtigen zu bestrafen. 4.1.3.3. Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die theologische und kanonistische Restitutionslehre bis Anfang des 16. Jahrhunderts vorwiegend immateriellmoralisch ausgerichtet war56. Demgegenüber hat sich in der moraltheologischen Literatur der spanischen Spätscholastik ein an römischrechtliches Denken ange52
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Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 22 f. und Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 22, „quia damnum vitae censetur poena talionis abunde compensatum“. Gemäss Azpilcueta würde es dem Täter aber trotzdem nützen, wenn er in der verbleibenden Zeit bis zur Vollstreckung des Todesurteils als „compensatio“ oder „satisfactio“ für das homicidium Bussleistungen erbringt. Soto, Lib. IV, Quaest. VI, Art. I, S. 329. Soto legt dar, dass jede inaequalitas zwei Erscheinungsformen hat, die unterschiedliche Reaktionen hervorruft: „Inaequalitas namque, quae iustitiae commutativae contraria est, duobus modis usu venit. Uno in rebus exterioribus, ut dum quis rem alienam occupat; altero vero in actionibus & passionibus iniuriosis, ut cum quis civem violenter verberat, aut convitiis aspergit. Modus prior restitutionem exigit, qua in rebus ablatis aequalitas constituitur; posterior vero expostulat satisfactionem, ut videlicet de commissa culpa fiat proximo compensatio“. Lessius, Lib. II, Cap. 7, Dub. 4, Rz. 18. Lugo, Disp. XI, Sect. II, Rz. 50. Molina, Tract. II, Disp. 698, Rz. 8. Allerdings macht Lugo eine Ausnahme, wenn der occisor positiv glaubt, der Getötete habe keine Familie. In diesem Fall, nicht aber wenn er darüber aus blosser Nachlässigkeit nicht nachdenkt, ist er von der res titutio befreit (Disp. XI, Sect. II, Rz. 89 f.). Dass die Bemessung der restitutio verschuldensunabhängig erfolgt, stimmt mit den Befunden von Nufer, S. 29, und Lange, S. 127, überein. So bereits Lange, S. 155. Vgl. auch Kaser / Knütel, § 35, II.
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lehntes Verständnis von restitutio als rechtlichem Anspruch des Opfers auf Ersatz von Vermögensschäden herausgebildet und es wird – zumindest in der Theorie – klar zwischen restitutio und poena unterschieden57. Allerdings scheint diese theoretische Unterscheidung in der Praxis nicht immer umgesetzt worden zu sein. Die Frage des Ersatzes von Nichtvermögensschäden (damnum vitae ac corporis sowie damnum spirituale) forderte die untersuchten Autoren heraus, wobei sich hier in der Theorie die Konzepte von Schadenersatz, Genugtuung, Kompositionszahlung und (freiwilligen) Bussleistungen im Hinblick auf das Seelenheil des Täters wie auch des Opfers noch vermischen. In den widersprüchlichen Meinungen zur Ersatzfähigkeit des damnum vitae – einerseits Bejahung der Ersatzfähigkeit, womit bereits eine Art zivilrechtliche Genugtuung erreicht wird, andererseits Ablehnung mit Verweis auf die vergeltende Wirkung der Talionsstrafe – kommt das Ringen um die Einordnung privater Vergeltungsbedürfnisse in das erstarkende System der öffentlichen Strafen zum Ausdruck. 4.1.4. Kriminalstrafe und pönale Zivilklage bei furtum
Beim furtum, das traditionellerweise zu den delicta privata zählte, wird dem Geschädigten in der untersuchten Literatur ein Wahlrecht zwischen kriminalem und zivilrechtlichem Vorgehen zugestanden58: wählt der Verletzte den kriminalen Weg, kommt es zu einer Strafe verbunden mit restitutio; wählt er den zivilrechtlichen Weg, kommt es zu einer pönalen Klage und einer sachverfolgenden Klage (condictio furtiva oder rei vindicatio)59. Somit lässt sich die folgende Verzweigung des Rechtsweges darstellen:
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Thomas, STh II-II, Quaest. 62, Art. III; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 62, Art. III; Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XVII, Rz. 13; Soto, Lib. IV, Quaest. VI, Art. IV; Molina, Tract. II, Disp. 725, Rz. 11 und Disp. 728, Rz. 2 sowie Tract. III, Disp. 84, Rz. 7; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 22, Rz. 139. Molina, Tract. II, Disp. 695; Bossius, de rapinis, Rz. 1 ff. und 9. Auch Azpilcueta unterscheidet die actiones poenales von den res persecutoriae, d.h. obligatorischen Ansprüchen, die nicht von der Strafe abhängen, z.B. auf Herausgabe der gestohlenen Sache (lege poenali, Rz. 2). Den pönalen Klagen war gemein, dass sie auf ein Mehrfaches des Wertersatzes oder zumindest eine feste Summe gerichtet waren, ungeachtet des effektiv entstandenen Schadens. Im römischen Recht wurde zwischen den reinen Strafklagen (z.B. der actio furti nec manifesti) und gemischten Strafklagen unterschieden. Die reinen Strafklagen konnten mit der sachverfolgenden Klage (condictio ex causa furtiva) gehäuft werden, während die gemischten Strafklagen bereits eine sachverfolgende Funktion hatten (vgl. Kaser / Knütel, Privatrecht, § 35, II und 50, II).
furtum
Vorgehen criminaliter
Strafe
Restitutio
Vorgehen civiliter
Pönale Zivilklage (actio furti ad poenam civilem)
Sachverfolgende Klage (condictio furtiva oder rei vindicatio)
Abbildung 2: Verzweigung des Rechtsweges bei furtum
Dieses Schema verdeutlicht die Rechtsentwicklung seit dem römischen Recht: war damals das Opfer eines furtum auf das „zivilrechtliche“ Vorgehen beschränkt und Abbildung desund Rechtsweges bei furtum Klage angewiesen, steht im somit 2: aufVerzweigung die actio furti eine sachverfolgende 16. Jahrhundert eine Alternative zur Verfügung, nämlich die Kriminalstrafe kombiniert mit restitutio. Dieses Schema verdeutlicht die Rechtsentwicklung seit dem römischen Recht: w Grundsätzlich steht die aus den pönalen Zivilklagen fliessende poena pecuniaria damals das Opfer eines furtum auf das Vorgehen beschränkt un quadrupli bzw. dupli der verletzten Partei zu;„zivilrechtliche“ durch das Multiplizieren des Deliktkommt dieser „Privatstrafe“ sowohl eine materiell ausgleichende als auch somitbetrages auf die actio furti und eine sachverfolgende Klage angewiesen, steht i eine vergeltende, „bestrafende“ Funktion zu. Gomez stellt in seinen Ausführungen 16. Jahrhundert eine Alternativedieser zur Verfügung, diealsKriminalstrafe komb mehr die Schadenersatzfunktion Klagen in den nämlich Vordergrund den Strafcharakter, weshalb er zum Ergebnis gelangt, dass sie kumulativ zur kriminalen Körniert mit restitutio. perstrafe anzuwenden sei. Nur in Fällen, wo die „zivilrechtliche“ poena pecuniaria einen Strafcharakter aufweist („quando actio civilis pecuniaria datur ad vindictam“), Grundsätzlich steht die aus den pönalen Zivilklagen fliessende poena pecuniar d.h. wenn sie im Hinblick auf die persönliche Verletzung des Opfers statt wegen der entwendeten Sache gewährt wird („actio civiliszu; pecuniaria a iure propterdes Deliktb quadrupli bzw. dupli der verletzten Partei durch imponitur das Multiplizieren offensam personae, non vero propter rem familiarem“) soll Alternativität zwischen tragesden kommt „Privatstrafe“ beiden dieser Rechtswegen eintreten60. sowohl eine materiell ausgleichende als auch ei Allgemein lässt sich im ausgehenden Mittelalter undstellt der frühen NeuzeitAusführungen ein allin seinen me vergeltende, „bestrafende“ Funktion zu. GOMEZ mähliches Zurücktreten der pönalen Zivilklagen erkennen, da diese funktional in die Schadenersatzfunktion dieser Klagen in den Vordergrund als denwie Strafcharakte der restitutio und der Kriminalstrafe aufgehen. So überliefern z.B. Clarus aucher Vela y Acuña, dassgelangt, die gemeinrechtliche poena quadrupli zu ihrer ZeitKörperstrafe auweshalb zum Ergebnis dass sie kumulativ zur kriminalen a
zuwenden sei. Nur in De Fällen, wo5,die 60 Gomez, Tom. III, Furto, Cap. Rz. 4.„zivilrechtliche“ poena pecuniaria einen Stra
charakter aufweist („quando actio civilis pecuniaria datur ad vindictam“), d.h. wen 107
sie im Hinblick auf die persönliche Verletzung des Opfers statt wegen der entwend
ten Sache gewährt wird („actio civilis pecuniaria imponitur a iure propter offensa
sser Übung gekommen sei und dass an ihre Stelle eine Körperstrafe trete61. Dieses Zurückweichen der Pönalklagen dürfte zum einen auf das Bereicherungsverbot des kanonischen Rechts zurückzuführen sein, welches einen Ersatz, der über das inter esse des Geschädigten hinausging, untersagte. Umgekehrt werden in der gelehrten Strafrechtsliteratur verschiedentlich Fälle angeführt, in welchen der doppelte beziehungsweise vierfache Wert der Sache nicht den vollen Schaden des Opfers deckt, z.B. wenn einem armen Schneider die Nadel oder einem mittellosen Schreiber die Schreibfeder gestohlen wird. Wenn der Täter in einer solchen Situation um das grosse Schadenspotential weiss, begeht er eine Todsünde und er muss im forum in ternum den vollen Schaden ersetzen62. Im forum externum dagegen wird das Opfer von Molina auf die doppelte bzw. vierfache actio furti verwiesen und für den darüber hinaus gehenden Schaden auf eine Klage analog der lex Aquilia63. Dank der Kumulation von Kriminalstrafe und restitutio ist bereits dafür gesorgt, dass durch das Zurückdrängen der Privatstrafe keine Lücke im Schutz des Geschädigten entsteht64. Allerdings dürfte dieses Zurückdrängen erst ansatzweise stattgefunden haben. Eine vertiefte Analyse des Verhältnisses von Kriminalstrafe und Privatstrafe bzw. einer allmählichen Ablösung der Privatstrafe durch die Kriminalstrafe im 16. Jahrhundert beim furtum scheint lohnenswert, sprengt jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit.
4.2. Die Strafzwecke 4.2.1. Vergeltung und Ausgleich der Schuld
Seit alters besteht ein Bedürfnis, ein Unrecht mit einem gegenteiligen Übel auszugleichen und somit zu strafen, weil ein Unrecht begangen wurde („quia peccatum est“). Erst in der Aufklärung wird die Vergeltung nicht mehr als Strafzweck akzeptiert, mit der Begründung, ein Strafzweck dürfe nicht „nutzlos“ sein. 61
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Clarus, Lib. V, § Furtum, S. 18: „Poena autem quadrupli a iure communi imposita pro furto, hodie non est in consuetudine, sed poena corporalis tantum“; Vela y Acuña, Cap. 12, Rz. 19. Zum Zurücktreten der pönalen Zivilklagen vgl. auch Lange, S. 129, sowie Janssen, S. 73 f.. Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XVII, Rz. 2; Molina, Tract. II, Disp. 685, Rz. 6. Molina, Tract. II, Disp. 685, Rz. 6: „In foro vero exteriori, licet ratione rei furto ablatae, locum haberet poena furis, dupli, si furtum esset occultum, et quadrupli si esset manifestum, resque esset tanti valoris, ut illius habenda esset ratio, iuxta ea, quae supra dicta sunt; comparatione tamen damni iniuste ulterius dati, non habet locum poena furtis, sed legis Aquiliae, damnique dati, de quo infra erit sermo“. Lange, S. 131.
Die Talionsstrafe ist Ausdruck dieses Vergeltungsbedürfnisses, indem der Fehlbare diejenige Verletzung selbst erleiden soll, die er einem anderen zugefügt hat. Anders als die subjektive, individuelle Rache hat die Vergeltung primär ein überindividuelles, objektives Ziel: sie bezweckt den Ausgleich der gestörten göttlichen und menschlichen Ordnung, mithin die Wiederherstellung der Gerechtigkeit. Seit der Übernahme des Schuldgrundsatzes aus der kirchlichen Busslehre ins weltliche Strafrecht am Ende des 12. / Anfang des 13. Jahrhunderts geht es bei der Vergeltung nicht in erster Linie um die Retorsion eines objektiven Erfolgsunrechts, sondern hauptsächlich um den Ausgleich der Schuld65. 4.2.1.1. In der Lehre der Legisten
Die Definition der Strafe als noxae vindicta findet sich bereits im römischen Recht66. Azo entwickelte die Definition weiter als „delicti vel pro delicto satisfactio, quae prop ter delicta imponitur a lege vel ministro legis“67. Dieser Definition sind später, z.T. mit geringfügigen Abweichungen, zahlreiche Juristen gefolgt, darunter z.B Gandinus68. Auch Vitalinis mit seiner Definition „pena autem delictorum est debita castigatio que a lege imponitur vel poena est delicti competens et iusta coercitio vel est pro delicto debita castigatio que a lege imponitur, vel a legis ministro ut a iudice, qui est minister legis“ hebt den Vergeltungscharakter der Strafe hervor69. Im Allgemeinen äussern sich die untersuchten Legisten jedoch selten grundsätzlich zum Sinn und Wesen der Strafe; es ist anzunehmen, dass dazu kein grosses Bedürfnis bestand und Überlegungen zum Strafzweck wie auch zur Begründung des öffentlichen Strafens nicht un bedingt als Voraussetzung für eine Abhandlung über das Strafrecht aufgefasst wurden70. 4.2.1.2. Theologische Begründung der Vergeltung
Das kanonische Recht, vom neutestamentarischen Gedanken der Nächstenliebe geprägt, war ursprünglich primär auf eine wohlwollende Besserung des Straftäters und nicht auf eine rächende Vergeltung ausgerichtet. Unter dem Einfluss der Ketzerbewe65 66 67 68 69 70
Ausführlicher zum Verschuldensprinzip in der gelehrten Strafrechtsliteratur des 16. Jahrhunderts vgl. weiter hinten 5.1.4. Dig. 50, 16, 131; Nagler, S. 143 ff.; Mommsen, S. 4. Vgl. Nagler, S. 184, mit Angabe der Fundstelle. Gandinus, de penis reorum, Rz.1, S. 209. Weitere Nachweise bei Postglossatoren und frühen italienischen Praktikern bei Nagler, S. 185 f.; vgl. auch Bohne, Teil I, S. 193 ff.. Vitalinis, de poenis condem. et bannis et eorum formis. So auch Grunert, Kompetenz des öffentlichen Strafens, S. 317 sowie Schafffstein, S. 25.
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gung und dem damit verbundenen praktischen Bedürfnis nach mehr Härte wurden die Straftheorien der Dekretisten Mitte des 12. Jahrhunderts durch die kirchenpolitische Realität allerdings beiseite geschoben71. Bereits bei Thomas von Aquin, dann aber auch in der untersuchten kanonistischen und moraltheologischen Literatur des 16. Jahrhunderts, wird die Strafe als „vindicta“, „vindicatio“, „satisfactio“ oder „ultio“ bezeichnet72. Diese Begriffe weisen auf den vergeltenden und rächenden Aspekt der Strafe hin: „ultio“ kann mit Rache oder rächender Bestrafung übersetzt werden, „satisfactio“ ist die Genugtuung durch Strafe und „vindicta“ und „vindicatio“ stammen von vindicare ab, worunter das gerichtlich in Anspruch Nehmen, aber auch Strafen, Ahnden und Rächen zu verstehen ist73. Der Vergeltungs- oder Ausgleichsgedanke kommt bei Thomas darin zum Ausdruck, dass das gerechte Gleichgewicht wieder hergestellt werden muss, indem der Täter, weil er in seinem Willen über das Erlaubte hinausgeht, etwas entgegen seinem Willen erdulden muss: „Poena non debetur nisi peccato, quia per poenam reparatur aequalitas justitiae, in quantum ille, qui peccando nimis secutus est suam voluntatem, aliquid contra suam voluntatem patitur. Unde cum omne peccatum sit voluntarium, consequens est, quod nullus punitur hoc modo, nisi pro eo quod voluntarie factum est“74. Bei den untersuchten Theologen treten vor allem Covarruvias und Lessius durch eine Betonung des Vergeltungsgedankens hervor. Gemäss Covarruvias geht es bei der Strafe in erster Linie um die satisfactio und reparatio des zugefügten Schadens75. Die Straftheorie von Lessius basiert auf dem Terminus vindicatio, den er unter Verweis auf Augustinus wie folgt definiert: „Vindicatio […] est ultio iniuriae, vide licet cum pro iniuria rependitur poena. Itaque est redditio mali pro malo; mali poenalis pro malo culpabili“76. Die vindicatio ist gemäss Lessius auf Erden ebenso eine notwendige Folge einer Übeltat wie im Jenseits. So führt auch Gott „per vindictam“ alle, 71 72
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110
Zur Entwicklung der Strafzwecke in der Kanonistik eingehend Pahud de Mortanges, S. 121 ff. sowie S. 140. Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 37; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 1; Molina, Tract. III, Disp. 6, Rz. 1; Lessius, Lib. II, Cap. 47, Dub. 4. Vgl. auch Dahm, S 287 mit weiteren Hinweisen sowie Nagler, S. 159 ff.. Vgl. Georges, Bd. II, S. 2502, S. 3286 f. und S. 3495 ff.. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 108, Art. IV; vgl. auch Kohler, Strafrechtsprinzipien, S. 345. Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 1: „Is enim, qui proximum, & Rem publicam iniuria laeserit, non aeque iure natuarali punitur: nisi ea punitio sit sufficiens ad sat isfactionem, & reparationem illati damni, nec aliter iusta punitio sit, nisi delinquenti aequalis crimini poena iniungantur“. Lessius, Lib. II, Cap. 47, Dub. 4, Rz. 21.
die von der göttlichen Ordnung abgefallen sind, wieder zur göttlichen Ordnung zurück, indem er eine „congruam poenam“ verhängt. Darüber hinaus dient die vindica tio auch der „reparatio iniuriae“, indem derjenige, der jemanden verletzt hat, dulden muss, dass ihm etwas genommen wird. Dadurch wird eine Beruhigung des Geistes des Verletzten erreicht. Nur am Rande erwähnt Lessius auch die Besserung und Abschreckung als Strafzwecke. Diese Fundstellen entsprechen dem bereits weiter vorne geschilderten theologischen Verständnis der Strafe als Vergeltung und Wiederherstellung der gerechten Ordnung. Die menschliche Strafe folgt grundsätzlich dem Beispiel der rächenden, göttlichen Strafe. Zum Ausgleich der gerechten Ordnung zählt auch die sittliche Läuterung des Täters, welche – unter dem Titel der poena medicinalis – erfolgen muss, weil der Täter gesündigt hat77. Nimmt der Sünder seine Strafe an, wird er von seiner Schuld geheilt und sein Seelenheil für das Jenseits wird wieder hergestellt; insofern kann auch von einer Reinigungsfunktion der Strafe gesprochen werden. 4.2.1.3. Stellvertretende Wahrnehmung des privaten Rachebedürfnisses?
Neben dem abstrakten, objektiven Grundsatz der Vergeltung von Unrecht und der Wiederherstellung der gerechten Ordnung finden sich in der untersuchten Literatur auch immer wieder Hinweise darauf, dass die Vergeltungsstrafe den Zweck hat, die Ruhe und den Rechtsfrieden zu bewahren. Die Strafe hat somit die Aufgabe, die Durchführung privater Rache zu verhindern und das subjektive Rachebedürfnis in geordnete Bahnen zu kanalisieren. Dabei tritt durchaus noch die Auffassung zutage, dass die hoheitliche Strafe stellvertretend die Rache- und Genugtuungsbedürfnisse des Verletzten wahrnimmt. Das Verständnis der Strafe als öffentlichem Vollzug privater Racheansprüche scheint bei Vitoria durch, wenn er die von Thomas nicht speziell behandelte Frage untersucht, ob die vindicatio eine virtus publica oder privata ist. Er kommt zum Schluss, dass sie beides ist, und zwar eine virtus privata im privaten Verlangen nach Ahndung sowie eine virtus publica in ihrem öffentlichen Vollzug78. Lessius diskutiert die Frage, ob auch dann restitutio erbracht werden muss, wenn der homicida mit der Talionsstrafe bestraft wird. Während Gomez und Covarruvias dies bejahen, da die vom iudex auferlegte Strafe das Unrecht der respu blica und nicht des Verletzten kompensiere, stellt sich Lessius aber auf den gegenteiligen Standpunkt. Gemäss Lessius hat die Talionsstrafe auch die Funktion, die 77 78
Vgl. Schmidhäuser, S. 26 f. sowie Tomas y Valiente, S. 354. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 108, Art. I, Rz. 2: „Vel exequi poenam vindictae, verum est quod pertinet ad publicam potestatem. Sed petere vindictam ad quamlibet personam privatam pertinet“.
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iniuria des Verletzten auszugleichen, weshalb die Erben des homicida bei vollzogener Talionsstrafe im forum internum nicht verpflichtet sind, restitutio zu leisten, wenn die Angehörigen des Opfers dies nicht verlangen: „poenae talionis censantur acquiesere, & iniuria illata videatur sic esse compensatur“. Aus diesem Grund sei es unter honesti im Rahmen der Talionsstrafe unüblich, weitergehende Kompensation als die Bestrafung des homicida zu verlangen79. Auch im Zusammenhang mit der Begnadigung erwähnen verschiedene Autoren den privaten Anspruch des Opfers auf vindicatio, denn die obrigkeitliche Begnadigung kollidiert mit dem privaten Vergeltungsanspruch80. Demgegenüber unterscheiden Covarruvias und Gomez im Ergebnis bereits zwischen dem Strafanspruch der respublica und dem Vergeltungsbedürfnis der Privaten und schränken den Wirkungsbereich der öffentlichen Strafen auf den Strafanspruch der respublica ein. Covarruvias untersucht z.B., ob der Verletzte, der die Straftat verziehen hat, trotzdem noch klagen und beim iudex exterior eine Bestrafung der Tat verlangen kann. Er kommt zum Schluss, dass die remissio des Verletzten nur dessen Hass und Groll auf den Täter betrifft, das ius accusandi aber nicht beeinträchtigt81. Gomez trennt zwischen dem Ausgleich des Unrechts auf der Ebene der respublica und dem Ausgleich auf privater Ebene: während Ersterer in Form der Kriminalstrafe erfolgt, sind das interesse und das damnum des Privaten mittels restitutio auszugleichen82.
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Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 22, Rz. 139: „Si haeredes occisi exigant aliam compensationem, praeter poenam homicidae, (quod tamen honesti non solent) tunc haeredes homicidae videntur teneri, quia damnum iniuste datum non est per poenam talionis reparatum. Certum tamen est, haeredibus occisi nihil deberi pro ipsa vita ablata, etiam si alias pro ea restitutio deberetur. Ratio est; quia damnum vitae censetur poena talionis abunde compensatum“; vgl. auch Lessius, Lib. II, Cap. 47, Dub. 4, Rz. 21. Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 59, S. 159 f.; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 67, Art. IV; Soto, Lib. V, Quaest. IV, Art. IV, S. 442. Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 17, Rz. 5: „duplici ratione iudex impeditur reum a poena a iure stauta liberare. Primo ex parte accusato ris, cuius plerumque interest ut reus puniatur. Secundo ex parte reipublicae, cuius etiam interest, ut supra dixi, puniri maleficia“. Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. X, Tom. II, Rz. 7: „constat satis aperte, non esse remis sum ius accusandi, & iniuria deferendi ad exteriorem iudicem, ex eo quod iniuriam passus in ani mae iudicio eam dimiserit & condonaverit, siquidem ea remissio ad odium & rancorem pertinet, non ad ius accusandi“. Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 37: „regula, & conclusio generica est, quod ex quocunque crimine publico oritur actio criminalis ad vindictam, & actio civilis in factum adinte resse, vel damnum, parti applicandum“.
Auch Lugo hält fest, dass restitutio trotz poena capitalis zu erbringen ist, weist aber darauf hin, dass die Angehörigen des Opfers freiwillig auf die restitutio verzichten können, wenn sie sich mit der „Genugtuung“ der Talionsstrafe begnügen wollen83. Diese Aussagen von Covarruvias und Gomez passen in ein objektives Strafverständnis, in welchem die Strafe vor allem der Herstellung von Gerechtigkeit und Ordnung dient. Auch wenn sich teilweise noch Anklänge an ein Strafverständnis als institutionalisierte private Rache finden, rückt nun ein übergeordnetes Interesse, nämlich das bonum commune allmählich in den Mittelpunkt der Strafbegründung. Dies führt dazu, dass auch in Fällen, wo kein privates Interesse besteht, gestraft werden kann (z.B. trotz eines Friedensschlusses, vgl. dazu nachfolgend 4.3.4) bzw. eine Bestrafung trotz entsprechendem privatem Interesse unterbleiben kann (z.B. bei Begnadigung, vgl. dazu nachfolgend 4.3.3). 4.2.2. Poena medicinalis in der älteren kanonistisch-theologischen Lehre
Wie bereits erwähnt, stammen die heilenden, „bessernden“ Aspekte der Strafe aus dem neutestamentarischen Gebot der Nächstenliebe und waren bis ins 13. Jahrhundert eine Besonderheit des kirchlichen Strafrechts84. Die menschliche Strafe diente letztlich dazu, die göttliche Strafe abzuwenden. Aus diesem Grund kannte das frühe Kirchenrecht einen mehrstufigen Strafansatz: in erster Linie stand die Besserung des Täters im Vordergrund; wo dies nicht möglich war, musste der Schutz der Gemeinschaft durch Entfernung des Übeltäters sichergestellt werden. Trotz der Ablösung der primären Heilungsfunktion der Strafe durch den Vergeltungsgedanken ab Mitte des 12. Jahrhunderts wurden die Besserungs- und Ab-schreckungswirkung der Strafe in der kirchlichen Lehre weiterhin überliefert. Insbesondere Thomas von Aquin schreibt der Strafe als poena medicinalis nebst der Vergeltung auch einen heilenden Zweck zu, der nicht nur die Besserung, sondern auch die Abschreckung umfasst: „Alio modo potest considerari poena, inquantum est medicina non solum sanativa pec cati, sed etiam praeservativa a peccato futuro, vel etiam promotiva in aliquod bonum; et secundum hoc aliquis interdum punitur sine culpa, non tamen sine causa“85. Die kanonistische Straftheorie zeichnet sich somit ab dem 13. Jahrhundert durch eine Zweispurigkeit aus, wobei Vergeltung für den Ordnungsverstoss einerseits und
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Lugo, Disp. XI, Sect. II, Rz. 48 f.. Vgl. Pahud de Mortanges S. 131 ff. sowie Müller, theologische Wurzeln, S. 417. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 108, Art. III.
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die heilende Wirkung durch Läuterung des Sünders und Abschreckung vor weiteren Straftaten andererseits nebeneinander stehen86. 4.2.3. Wiederentstehen einer Präventionstheorie im 16. Jahrhundert
Im Unterschied zum Mittelalter gewinnt im 16. Jahrhundert der Besserungs- und Abschreckungsgedanke gegenüber der vergeltenden Rache entscheidend an Gewicht. Das Wiederentstehen einer Präventionstheorie der Strafe ist denn auch eine der grossen Neuerungen, welche die Strafrechtslehre des 16. Jahrhunderts von derjenigen des Spätmittelalters unterscheidet87. Kernanliegen dieser Präventionstheorie ist es, der Strafe einen auf die Zukunft gerichteten, positiven Zweck zu geben. Somit soll gestraft werden, um zukünftige Strafen zu verhindern („ne peccetur“). 4.2.3.1. Lehre der Juristen
In der strafrechtsgeschichtlichen Literatur wird insbesondere auf die Bedeutung von Tiraquellus hingewiesen, der als erster unter ausdrücklicher Berufung auf Platon und die von ihm abhängigen römischen Schrifsteller eine Theorie der Abschreckung und insbesondere der Besserung vertritt88. Tiraquellus geht allerdings nicht grundsätzlich auf das Wesen der Strafe und deren Zwecke ein, sondern erwähnt den Besserungs- und Abschreckungsgedanken im Zusammenhang mit der Abhandlung von strafmildernden oder strafbefreienden Umständen. So schreibt er, dass das Verstreichen längerer Zeit zwischen der Tatbegehung und dem Urteil zu einer Milderung oder gar dem Ausschluss von Strafe führen kann, wenn der Täter durch gutes Verhalten seine Besserung bewiesen hat: „quae causa, cum cesset, utpote cum iste satis (ut iam diximus) videatur emendatus, consequens est, ut nullo modo aut certe mitius sit puniendus“89. In anderem Zusammenhang weist Tiraquellus auf die abschreckende Wirkung der Strafen auf die Allgemeinheit hin: „poena scelerum non modo ipsum delinquentem respicit, set et caeteros omnes, ut illi videlicet a criminibus formi dine poenae deterrantur“90. Auch die auf Tiraquellus folgenden Juristen weisen verschiedentlich auf den aus der Antike stammenden Gedanken hin, wonach gestraft werde, um künftige 86
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Demgegenüber hat die Literatur Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhundert zur Straftheorie des Thomas unter dem Einfluss des damals herrschenden Staats- und Menschenbildes hauptsächlich den Vergeltungsaspekt hervorgehoben und die poena medicinalis lediglich als Nebenfolge betrachtet (eingehender dazu Grunert, Theologien, S. 322, Fn. 42). Vgl. Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 15; Schmidt, § 134, S. 152. Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 26 f.; Nagler, S. 186. Tiraquellus, Causa 29, Rz. 5 f.. Tiraquellus, Causa 48, Rz. 2.
Straftaten zu verhindern und nicht wegen der bereits begangenen Tat, da diese nicht mehr rückgängig gemacht werden könne91. Gemäss Damhouder, der sich dabei auf Platon beruft, ist die Vermeidung von Übel das vordergründige Ziel der Strafe. Sie soll die Menschen vorsichtiger und gerechter machen und Ungerechtigkeiten heilen: „dare poenas, maximi mali evitatio est: facit enim alibi prudentiores et iustiores et medicina qaedam iniquitatis, ipsum est iudicium“. Auch Damhouder betont, dass nicht gestraft werden soll, wegen des begangenen Deliktes, da dieses nicht mehr korrigiert werden kann, sondern zur inskünftigen Vermeidung von Straftaten: „Castigare noxam opportet non ob praeteritum delictum, quod id corrigi nequeat, sed ne iterum peccet: tum ne ipsius exemplo caeteri quoque peccent. […] Punienda ergo sunt maleficia, ut unius poena, metus possit esse multorum. […] Et quos ad vitae decora domesticae laudis exempla non provocant, correctionis saltem medicina compellar“92. Aufgrund der kompilatorischen Natur von Damhouder’s practica rerum crimina lium liegt der Schluss nahe, dass die von Damhouder geschilderte Präventionstheorie zu seiner Zeit einer verbreiteten juristischen Meinung entsprach. Es finden sich denn auch ganz ähnliche Aussagen bei Farinacius und Vela y Acuña93. Letzterer erwähnt die Vergeltung gar nicht, sondern stellt die Strafe einzig als eine Disziplinarmassnahme dar, die von der respublica eingesetzt wird, damit alle in Sicherheit leben können94. 4.2.3.2. Lehre der Moraltheologen
Bei den untersuchten Theologen fällt auf, dass sie bezüglich der vergeltenden Strafe viel zurückhaltendere Aussagen machen als Thomas von Aquin. So äussert sich z.B. Vitoria in seinem Kommentar zur einschlägigen Quaestio 108 des Thomas kaum mehr zur poena retributiva, sondern betont die Strafzwecke Besserung, Unschädlichmachung, Sicherung der Ruhe der anderen sowie Bewahrung der Gerech91
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Seneca, De ira, Liber I, Cap. XIX 7: „nam, ut Plato ait: ‹nemo prudens punit, quia peccatum est, sed ne peccetur; revocari enim praeterita non possunt futura prohibentur›“; Platon, Protagoras, 324 a-b (S. 64 f.). Damhouder, prooemium, Rz. 6 ff.. Vgl. auch Birr, S. 77 f.. Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 17, Rz. 3: „.. delicta sunt acriter punienda, ut unius poena, metus possit esse multorum. […] Et castigare noxam oportet, non ob praeteritum delictum, cum id corrigi nequeat, neque fieri ut furtum non sit, sed ne iterum delinqens peccet, & ne ipsius exemplo ceteri quoque peccent“; Vela y Acuña, Prooemium, Rz. 4. Vgl. dazu auch Grunert, Kompetenz des öffentlichen Strafens, S. 318.
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tigkeit und der Ehre Gottes („emendationem pecantis, vel saltem ad cohibitionem eius et quietem aliorum et ad justitia conservationem et Dei honorem“)95. Soto schliesslich konzentriert sich ganz auf den auf Abschreckung beruhenden Präventionsgedanken: „Punitio publica non refertur in emendam, neque in bonum ipsius qui punitur, sed bo num publicum, ut alii terreantur“96. Er lehnt den Besserungsgedanken an dieser Stelle ausdrücklich ab. Während Molina und Lessius die Ausgleichung und Vergeltung neben präventive Zwecke der Strafe stellen97, stehen bei Lugo die Abschreckung und der Schutz des Verletzten vor weiteren Straftaten im Zentrum des Strafzwecks: „Ra tio autem esse potest, quia occidere aliquem poenam delicti, ideo est licitum, quia ordina tur ad bonum publicum, ut alii terreantur, vel ad tutelam eius, qui passus est iniuriam, ut nec a delinquente, nec ab aliis in posterum quid simile patiatur“98. 4.2.3.3. Im Besonderen: Abschreckung
Die Abschreckung und die Statuierung eines Exempels wird in der untersuchten Literatur oft mit der Formel „unius poena, metus multorum“ umschrieben99. Eine Abschreckungswirkung kommt insbesondere der Todesstrafe und ihren vielfach beschriebenen Verschärfungen zu, aber auch anderen Talionsstrafen, die sich aufgrund ihres symbolischen Gehaltes gut für die Abschreckung vor künftigen Straftaten eignen100. Wie bereits erwähnt, kann die Abschreckungswirkung durch die Ausgestaltung der Strafe z.T. erheblich gesteigert werden, z.B. durch Zurschaustellen des Leichnams und der Tatwerkzeuge. Aus Abschreckungsüberlegungen können Strafen auch dann eintreten, wenn niemand geschädigt wird: Gomez beschreibt z.B., dass das Verabreichen von Liebesgetränken auch bei fehlender Schädigung mit einer poena extraordinaria bestraft werde, damit niemand dem schlechten Beispiel folge101. Auch beim furtum liegt das Übel gemäss Lugo nicht so sehr in der einmaligen Tatbegehung selbst, sondern vor allem in der Gefahr der Wiederholung und
Demgegenüber weist Grunert darauf hin, dass Vitoria in seiner früheren relectio de potes tate ecclesiae noch ausschliesslich die „satisfactio partis laesae“ als Strafzweck in foro civili nennt (Grunert, Kompetenz des öffentlichen Strafens, S. 319, Fn. 19). 96 Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. II, S. 388. 97 Molina, Tract. III, Disp. 5, Rz. 3; Lessius, Lib. II, Cap. 47, Dub. 4, Rz. 21. 98 Lugo, Disp. X, Sect. II, Rz. 78. 99 Damhouder, Cap. 89; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 17, Rz. 3; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. II, S. 388. 100 Insofern weist Ebert, Talion, S. 263, darauf hin, dass das historische Strafrecht die alten Talionsformen in den Dienst neuer Strafzwecke, nämlich der Abschreckung gestellt hat. 101 Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 33.
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Nachahmung. Das furtum ist somit vor allem deswegen verboten und zu strafen, damit es andere Leute nicht auch begehen102. In der untersuchten Literatur wird aber noch ein weiterer Aspekt der Generalprävention angesprochen: nebst der Abschreckung sollen auch durch eine Stärkung des Vertrauens in die Rechtsordnung durch Bekräftigung ihrer Unverbrüchlichkeit zukünftige Straftaten vermieden werden. Dieser Gedanke findet sich z.B. bei Vitoria, der schreibt, dass es auch erlaubt sei zu strafen, wenn die Strafe weder bessert noch abschreckt, sondern einzig den Zweck hat, die Einhaltung der Rechtsordnung durchzusetzen. Wie das Wegnehmen eines einzigen Steines von einem Haus weder nützt noch schadet, wohl aber die Wegnahme von vielen Steinen, entfaltet die einzelne Strafe, die unter Umständen nicht von grossem Nutzen ist, ihre Wirkung gemeinsam mit einer Vielzahl von Bestrafungen: „Negando quod ista vindicta non sit utilis, quia licet ista nunc non proposit aliis nec sit utilis, nihilominus ipsa simul cum aliis prodet aliis et est utilis in communi; sicut tollere unum lapidem ab una domo parum aut nihil videtur esse utilitatis vel nocu menti, bene tamen simul cum aliis“103. 4.2.3.4. Im Besonderen: Heilung, Besserung und Unschädlichmachung
Zusätzlich zur generellen Abschreckung geht es bei der Strafe auch darum, weitere Straftaten eines konkreten Täters zu verhindern, sei dies durch Heilung und Besserung oder aber durch dessen Unschädlichmachung104. Bei der Heilung und Besserung eines Straftäters sind zweierlei Aspekte auseinanderzuhalten: einerseits beschreibt die untersuchte Literatur, dass der Täter durch die Bestrafung sittlich-moralisch geläutert wird, damit sein Seelenheil im Jenseits verbessert wird. Insofern kommt der heilenden Strafe als Ablösungsmöglichkeit von Schuld eine sühnende Funktion zu. Andererseits besteht aber auch ein handfestes Interesse daran, den Täter im Hinblick auf die Zukunft zu bessern, so dass er zu Lebzeiten keine weiteren Straftaten mehr begeht105. Im ersten Fall wird gestraft, „quia peccatur“, im zweiten Fall „ne peccetur“. Zum Teil wird in der Literatur unterschieden, ob ein Straftäter überhaupt Besserungspotential hat, d.h. ob er „corrigibilis“ ist. Gemäss Farinacius darf ein homic ida, der corrigibilis ist, nach Kirchenrecht nicht an ein weltliches Gericht ausgelie-
102 Lugo, Disp. XVI, Sect. II, Rz. 29. 103 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 108, Art. I, Rz. 1. 104 In der Literatur wird diesbezüglich von „emendatio“ oder „correctio“ gesprochen (Tiraquellus, Causa 29, Rz. 5 f.; Damhouder, prooemium, Rz. 6 ff.; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 108, Art. I, Rz. 1). 105 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 17, Rz. 3: „… ne iterum delinquens peccet […]“.
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fert werden106. In diesem Fall wird der Täter in einen carcer oder ein Kloster eingesperrt, bis er bereut. Auch hier zeigt sich wieder der Anspruch der sittlichen Besserung: es geht nicht nur darum, künftige Rückfälle zu vermeiden, sondern vielmehr um eine moralische Besserung des Täters, so dass die göttliche ewige Strafe abgelöst werden kann. Das dazu verwendete Mittel der Einsperrung kann einerseits als „Beugehaft“ aufgefasst werden, andererseits dient sie auch dazu, die Gemeinschaft vor dem uneinsichtigen Täter zu schützen. Wenn ein Täter unverbesserlich ist, steht das Wohl der Gemeinschaft im Vordergrund, indem der Täter für das bo num commune unschädlich gemacht werden muss107. Im Unterschied zur Vergeltung wird bei der Strafe zu Besserungs- und Abschrekkungszwecken auch nicht unbedingt eine Schuld vorausgesetzt108. Hier scheinen Nützlichkeitsüberlegungen für die respublica gegenüber der individuellen Gerechtigkeit zu überwiegen. Vitoria spricht bei der „Bestrafung“ von Unschuldigen nicht von einer eigentlichen Strafe, da diese nicht „per modum poenae“, sondern nur „ad correctionem“ erfolgen dürfe109. 4.2.4. Fazit
Viele der untersuchten Autoren äussern sich zur Frage der Strafzwecke und nehmen eine Gewichtung innerhalb der verschiedenen Strafgründe vor. Dabei fällt auf, dass sich zahlreiche Autoren von legistischen und kanonistischen Strafrechtstraktaten (Tiraquellus, Damhouder, Farinacius, Vela y Acuña) unter dem Einfluss antiker Denker gegen die Vergeltung als Hauptzweck der Strafe aussprechen und stattdessen die Prävention als hauptsächliche Rechtfertigung der Strafe betrachten. Demgegenüber sind die Moraltheologen (Vitoria, Soto, Covarruvias, Lessius, Lugo) noch mehr der Vergeltungslehre verhaftet, da diese im christlichen Vorbild des rächenden Gottes eine starke Verankerung findet. Der Präventionsgedanke findet allerdings auch bei den Moraltheologen des 16. Jahrhunderts Anklang und verschiedene Autoren wie Vitoria, Soto und am deutlichsten Lugo rücken diesen viel mehr ins Zentrum als noch Thomas von Aquin. Sowohl in der theologischen wie auch der juristischen Literatur ist der Gedanke des bonum reipublicae ein zentraler Ausgangspunkt bei der Rechtfertigung der 106 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. I, Quaest. 8, Rz. 80. 107 Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 8, Rz. 48: „Quod si is incorrigibilis esset tunc iam non tam de solis rebus quam de reliquorum quoque civium tranquillitate agi videtur“. 108 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 108, Art. IV: „punitur sine culpa, non tamen sine causa“. Eingehender zu der Lehre „sine culpa, non tamen sine causa“ in der mittelalterlichen Kanonistik und Legistik vgl. Maihold, S. 109. 109 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 108, Art. IV.
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Strafe: Die Ahndung von Straftaten ist eine Staatsnotwendigkeit110. Damit einhergehend verstärkt sich der öffentliche Strafanspruch gegenüber der teilweise noch anzutreffenden, blossen Stellvertretungsfunktion der Strafe für die subjektive Rache des Einzelnen.
4.3. Strafgewalt und Strafmonopol 4.3.1. Staatsverständnis
Die aristotelisch-thomistische Staatsphilosophie versteht den Menschen von Natur aus als ein soziales Wesen. Die Menschen sind aufgrund ihrer physischen und geistigen Unzulänglichkeiten aufeinander angewiesen; durch die Bildung einer Gemeinschaft können sie ihre Unzulänglichkeiten überwinden. Die Aufgabe dieser Gemeinschaft ist es, den Menschen das zu gewährleisten, was sie zum Leben benötigen111. Die Gemeinschaft wird als eine Ganzheit und als ein Organismus verstanden: einerseits nimmt sie die Einzelnen in sich auf, ist jedoch gleichzeitig auch eine über den Einzelnen stehende Ordnung. Dem gemeinsamen Wohl (bonum commune) kommt eine grosse Bedeutung zu. Dabei ist wesentlich, dass das bonum commune mehr ist als die Summe aller bona privata, denn das bonum commune hat ein anderes Wesen (ratio) als die einzelnen bona privata: „Bonum commune civitatis et bonum singulare unius personae non differunt solum secundum multum et paucum, sed secundum formalem differentiam, alia enim est ra tio boni communis et boni singularis, sicut et alia est ratio totius et partis“112. Dieser Begründung der respublica folgen grundsätzlich auch die spanischen Theologen des 16. Jahrhunderts. Der natürliche Geselligkeitstrieb des Menschen, sein Wesen als „animal civile“, wird auch von Vitoria und Soto als Grundlage der respub lica beschrieben113. Dieser Trieb, verbunden mit der menschlichen Vernunft, vermag 110 Vela y Acuña, Prooemium, Rz. 3; Cantera, de quaestionibus tangentibus punitionem delictorum, Quaest. I, Rz. 2: „Ulterius praesuppono, quod multum interest reipublicae ut de licta puniantur & non remaneat impunita“; Fernando Vàzquez, Lib. 1, praefatio, Rz. 81; Azpilcueta, Comm. in rubr. de iudicis, R. 80, Tom. III: „At criminum punitio principaliter pertinet ad utilitatem reipublicae“; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 100, Art. II, Rz. 16: „quia positum quod est necessarium ad conservationem reipublicae, licet occidere“. 111 Vgl. Faller, S. 64 ff.. 112 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 58, Art. VII. 113 Vitoria, De potestate civili, Rz. 4, S. 42 f.; Soto, Lib. IV, Quaest. V, Art. I. Eingehender zur Staatsphilosophie in der spanischen Spätscholastik Führer, S 190 ff. mit weiteren Hinwei-
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eine politisch organisierte Gemeinschaft zu bilden. Dabei ist zunächst die Geselligkeit des Menschen eo ipso rechts- und gemeinschaftsbildend. Die Idee einer vertragstheoretischen Begründung der Gesellschaft findet sich dann gegen Ende des 16. Jahrhunderts z.B. bei Francisco Suárez114. Die Vernunft bringt die im ius naturale latent enthaltenen Rechtsnormen hervor, innerhalb deren das menschliche Leben in der Gemeinschaft gestaltet wird. Worin besteht nun aber das ordnungsgebende, leitende Prinzip dieser respub lica? Gemäss Thomas mag der Einzelne vielleicht Erkenntnis genug besitzen, um zu wissen, was dem Gemeinwohl dient, er ist aber nicht kompetent, es als solches zu bestimmen, weil das Gemeinwohl ihm rechtlich übergeordnet ist. In der Autorität als solcher sieht Thomas das einheitsgebende Prinzip der menschlichen Gesellschaft und des Staates. Die rechtliche Kompetenz für das Gemeinwohl liegt in erster Linie in der leitenden Vernunft und im leitenden Willen der Herrschaftsgewalt: „Cura autem communis boni commissa est prinicpibus habentibus publicam auctorita tem“ 115. Dieser Gedanke wirkt auch bei den Theologen des 16. Jahrhunderts fort: gemäss Soto ist die auctoritas publica Wächterin des Staates und der Gerechtigkeit und muss dafür sorgen, dass jeder die ihm eingeräumte Freiheit vernunftgemäss gebrauchen kann116. Da das Gemeinwesen auseinanderfallen würde, wenn alle Menschen einander gleichgestellt und keiner übergeordneten Gewalt unterstellt wären, ergibt sich die Notwendigkeit der Staatsgewalt ebenso wie die Notwendigkeit des Staates aus dem Naturrecht117. Während bei Thomas die Staatsgewalt letztlich von Gott abgeleitet wird, finden sich bei Vitoria Ansätze einer Lehre der Volkssouveränität. In seiner Relectio de Indiis wie auch im Kommentar De iustitia et iure beschreibt Vitoria, wie die Menschen nach der Sintflut und somit nach dem Ende des Naturzustandes „ex consensu omnium“ einen princeps gewählt hätten118. Dieser Gedanke wird sen, Krause, Otto Wilhelm, S. 46 und Quin S. 397 ff.. 114 Vgl. Quin, S. 406 ff. sowie García, S. 19, welche auf die Anfänge der Lehre des Gesellschaftsvertrages bei Marsilius von Padua hinweisen. Vgl. auch Walther, S. 163 ff. sowie Flasch, S. 145. 115 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 64, Art. III. Vgl. auch Faller, S. 73; Grunert, Theologien, S. 328; Gilby, S. 196 ff.. 116 Soto, Lib. IV, Quaest. V, Art. I. Vgl. auch Krause, Otto Wilhelm, S. 46. 117 Vitoria, De potestate civili, Rz. 5, S. 48; Reibstein, Althusius, S. 116 mit weiteren Hinweisen. 118 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 62, Art. I, Rz. 21: „Secundo modo potuit fieri divisio et ap propriatio rerum, quia homines e consensu omnium potuerunt eligere principem; nam statim in principio fuerunt principes post diluvium, ut patet de Nembrot filio Noe et aliis. Fateor tamen
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anschliessend von Vitoria’s Schülern Covarruvias und Fernando Vàzquez für die Rechtswissenschaft fruchtbar gemacht. Covarruvias verdeutlicht, dass die weltliche Gewalt als Souveränität voll und ganz beim Gemeinwesen selbst liegt; dieses wählt den weltlichen Fürsten mit oberster Befehlsgewalt und setzt ihn ein119. In diesem Sinne ist Gott, wie aus einer Fundstelle bei Molina hervorgeht, nur mittelbar die Quelle der königlichen Autorität120. An der publica auctoritas haben nicht nur der princeps, sondern auch die von ihm eingesetzten Amtsträger (magistratus) teil121. Wenn im Folgenden von „hoheitlicher“ im Unterschied zu „privater“ Strafbefugnis die Rede ist, geschieht dies im Hinblick auf die Abgrenzung von „publica auctoritas“ und „privata auctoritas“. 4.3.2. Private und hoheitliche Strafbefugnisse 4.3.2.1. Lokalisierung der Frage in der untersuchten Literatur
Die Frage nach der Strafbefugnis im irdischen Leben stellt sich am pointiertesten im Zusammenhang mit der Tötung eines Übeltäters durch eine Privatperson und wird daher in der untersuchten Literatur in der Regel auch im Rahmen der Ausführungen zum homicidium behandelt. Während sich die Thomas-Kommentatoren auf Thomas’ Quaestio 64 Art. III („utrum occidere hominem peccatorem liceat privatae perso nae“) beziehen und abstrakt zur Zuordnung der Strafbefugnis Stellung nehmen, finden sich bei den Strafrechtstraktaten und juristischen Traktatsummen in der Regel nur punktuelle Ansätze, meist im Zusammenhang mit der Tötung von fures nocturni, Ehebrechern, latrones, Bruder- und Vatermördern oder banniti. Nachfolgend wird quadringentos annos forte manserunt omnia communia; sed post ex consensu omnium potuerunt eligere principem, qui dividere et appropriare potuit illis res omnes“. Allerdings scheint Vitoria diese Auffassungen an anderen Stellen, wo er auf den göttlichen Ursprung der Staatsgewalt hinweist, wieder ausdrücklich abgelehnt zu haben (vgl. dazu eingehend Deckers, S. 276 ff.). 119 Ausführlich zur Lehre von der Volkssouveränität bei Covarruvias und Fernando Vàzquez vgl. Reibstein, Althusius, S. 122 ff. (mit Fundstellen) sowie Nifterik, S. 251 ff.. Zur wirkungsgeschichtlichen Bedeutung der Staatsphilosophie der spanischen Theologen vgl. García, S. 21. 120 Molina, Tract. II, Disp. 26, Rz. 4: „Dicendum est […] tum regiam, tum quamvis aliam supre mam civilem potestatem, quam pro arbitratu Respublica sibi elegerit, esse immediate a Republia, & mediate a Deo per lumen naturale & potestatem, quam Reipubliae concessit, ut sibi deligeret civilem potestatem prout vellet, expedireque iudicaret. Quare descendi a iure naturali, est tamen simpliciter de iure humano Reipublicae, pro arbitratu sibi deligentis, non solum personam, aut personas, quibus tribuat potestatem, sed etiam modum, quantiatem, ac durationem talis potesta tis“. 121 Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 3.
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deshalb zunächst die Lehre von der publica auctoritas bei Thomas und den von ihm beeinflussten Theologen aufgezeigt, bevor anschliessend auf einzelne Fallgruppen eingegangen wird, die auch von Juristen behandelt werden. Einzelne Juristen wenden sich ausdrücklich gegen die Privatrache, d.h. die vindi catio „propria auctoritate“, so z.B. Gomez, der die Frage behandelt, ob die Erben gehalten seien, den Tod des Verstorbenen zu rächen (vindicare mortem defuncti). Er hält dabei fest, dass die Erben verpflichtet seien, sich vor Antritt der Erbschaft auf dem Rechtsweg durch gerichtliche Anklage, nicht aber „sua propria auctoritate“ zu „rächen“122. Wie bereits Molina festgehalten hat, ist bei der Tötung von Übeltätern durch Privatpersonen die Tötung in Verteidigung (welche notwehrartige Situationen umfasst) von der Tötung im Sinne von Vergeltung oder Strafe abzugrenzen: „Quoad prima huius disputationis partem est distinguendum. Quoniam vel occisio fuit in poenam delicti, vel in defensionem propriam, reipublicae, principis aut alterius“123. Es wird zu zeigen sein, dass durch ein weit verstandenes Verteidigungsrecht, welches auch die Verteidigung der respublica umfasst, sowie durch die Institution der patria potestas in zahlreichen Konstellationen private Tötungen gerechtfertigt werden können, die nach heutigem Verständnis der unerlaubten Selbstjustiz zuzuordnen wären. 4.3.2.2. Lehre von der publica auctoritas124 bei Thomas und den von ihm beeinflussten Theologen
Die untersuchten Theologen halten unter Berufung auf Thomas von Aquin fest, dass nur der princeps, nicht aber Private dazu befugt sind, Übeltäter zu töten. Dies wird damit begründet, dass die Sorge für das gemeinsame Wohl (bonum commune) dem Inhaber der publica auctoritas obliegt und es daher diesem vorbehalten ist, einen Straftäter zu töten: „Occidere malefactorem licitum est inquantum ordinatur ad salutem totius communi tatis. Et ideo ad illum solum pertinet cui committitur cura communitatis conservan dae: sicut ad medicum pertinet praecidere membrum putridum quando ei commissa fuerit cura salutis totius corporis. Cura autem communis boni commissa est principibus
122 Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 53. 123 Molina, Tract. III, Disp. 6, Rz. 1. 124 Teilweise wird auch von „potestas publica“ gesprochen (vgl. Molina, Tract, III, Disp. 11, Rz. 1).
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habentibus publicam auctoritatem. Et ideo eis solum licet malefactores occidere, non autem privatis personis“125. Aus dem Verständnis der Strafe heraus als Notwendigkeit für das bonum commune ergibt sich, dass nur derjenige, der für das bonum commune zuständig ist, d.h. die Staatsgewalt innehat, strafen darf. Molina beschreibt, dass die Strafgewalt ein Element der königlichen Herrschaftsgewalt darstellt: „Concessa vero alicui per Rempublicam regia potestate, rex manet superior non solum singulis Reipublicae partibus, sed & tot Reipublicae, quo ad latitudinem potestatis sibi concessae, ita ut possit ea potestate uti, non solum in singulas Reipublicae partes, sed etiam in totam Rempublicam, eam, si opus fuerit, puniendo […]“126. Dabei wird diskutiert, ob die Strafgewalt gemeinsam mit der auctoritas bei der Staatsbildung von den Privaten an den Fürsten übertragen wird, oder ob sie aus einem anderen Grund beim Fürsten angesiedelt ist. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob die Strafkompetenz als eine originäre Befugnis der Privatpersonen betrachtet wird. Bei einer Bejahung originärer Strafkompetenz bei den Privaten sehen Molina und Lugo die Gefahr, dass ein einzelner Bürger argumentieren könnte, er habe der Übertragung der Strafkompetenz auf das Gemeinwesen nicht zugestimmt und sei folglich in eigener Autorität zum Strafen befugt. In diesem Zusammenhang gehen Molina und Lugo der Frage nach, ob Private dann strafen dürften, wenn sie sich nicht zu einer Gemeinschaft unter einheitlicher Leitung zusammengeschlossen hätten. Während Molina die Strafbefugnis in der Konstellation, dass sich Private zu Familien zusammengeschlossen haben, dem Familienoberhaupt zugesteht, kommt Lugo zum Schluss, dass Private ausserhalb des 125 Thomas, STh II-II, Quaest. 64, Art. III. Das bonum reipublicae ist gemäss Vitoria nur von publicae personae wahrzunehmen (ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. III). Gemäss Lessius, Lib. II, Cap. 47, Dub. 4, Rz. 24, handelt es sich bei den öffentlichen Strafen um einen Akt der ius titia commutativa, um eine Wahrnehmung der Fürsorgepflicht des Fürsten für die respublica sowie um Gehorsam gegenüber den Gesetzen: „Si enim Iudex vindictam faciat, quia id debet Reip. ratione officii, quod gerit, erit actus iustitiae commutativae Iudicis in ordine ad Rempub. quae illum ad Ius administrandum veluti conduxit: si autem quia id debet Reipub. ratione obli gationis, quam habet erga illam ut pars ad totum, quatenus pars debet curare bonum totius, sic est actus Iustitiae legalis. Si quia debitum patriae, est actus pietatis; si quia leges praescribunt, est actus obedientiae: si quia pars postulat, est actus Iustitiae commutativae respectu partis“. 126 Molina, Tract. II, Disp. 23, Rz. 8. Dieser Gedanke kommt auch bei Lugo zum Ausdruck, wenn er schreibt, dass der Staat, wenn Privatstrafen erlaubt wären, so viele Oberhäupter hätte wie er Bürger hat: „Si autem quilibet in propria causa Iudex esse posset, iam non esset communitas sub uno, vel pluribus capititbus, sed tot essent supremi Principes, quot essent cives, quod repugnant politicae communitati humanae“ (Disp. X, Sect. II, Rz. 65).
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Notwehrrechts nie töten dürfen127. Dies bedeutet, dass dem Einzelnen keine vorstaatliche private Strafbefugnis zusteht. Dementsprechend kann die Strafgewalt („auctoritas quam de facto Republica habet ad puniendos malefactores“) bei der Bildung der staatlichen Gemeinschaft nicht von Privaten auf die Gemeinschaft übertragen werden. Stattdessen wird die Strafgewalt der Gemeinschaft von Gott übertragen, beziehungsweise steht ihr von Natur aus zu, da die Gemeinschaft die Aufgabe hat, Ruhe und Ordnung mit allen dazu notwendigen Mitteln zu bewahren128. Daraus folgt, dass Molina und Lugo bereits einen eigenständigen, hoheitlichen Strafanspruch anerkennen, der über eine blosse Übertragung und Institutionalisierung der Privatrache hinausgeht. Die Lehre von der Übereinstimmung von Strafgewalt und Staatsgewalt wird im 16. Jahrhundert mit praktischen Überlegungen ergänzt: zum einen weist die Literatur darauf hin, dass Private schlechtere Richter seien, die „ultra iustum“ rächen würden, da sie aufgrund des erlittenen Unrechts voreingenommen sind und die entlastenden Momente vernachlässigen129. Hinter diesem Argument steckt die Erkenntnis, dass die Strafe, um objektiv zu sein, einer unbeteiligten neutralen Instanz vorbehalten sein muss. Zum anderen weisen die Moraltheologen auf den Anspruch auf rechtliches Gehör hin, der jedem Straftäter ungeachtet seiner Schädlichkeit aus dem ius naturae zusteht. Dieses Recht auf Gehör kann aber nur im Rahmen der hoheitlichen Strafe gewährleistet werden130. Schliesslich wird die Privatstrafe auch deswegen abgelehnt, weil die Gefahr besteht, dass andere Private sie nicht anerkennen und daraufhin zur Fehde schreiten. Dadurch würde aber eine grosse Unruhe im Staat entstehen und der folgende Schaden für die respublica wäre grösser als derjenige der Straftat131.
127 Molina, Tract. II, Disp. 100, Rz. 6; Lugo, Disp. X, Sect. II, Rz. 81. Vgl. auch Costello, S. 45 ff.. 128 Lugo, Disp. X, Sect. II, Rz. 73: „quia communitas illa, quae est persona politica, habet ius procurandi propriam quietem, & tranquillitatem per media necessaria“. Molina, Tract. II, Disp. 100, Rz 6. 129 Molina, Tract. III, Disp. 6, Rz. 1: „Privati namque, qui iniuria essent effecti, pessimi iudices essent latitudinis poenae infligendae: neque excusationes eorum audirent, qui iniuria affecerunt“. Ähnlich auch Aragon, Quaest. 64, Art. III. 130 Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III: „Est enim contra ius naturae ut contra inauditam partem, indictaque causa, sententia feratur, sed quicumque quantum vis perniciosus audiendus est…“. 131 Molina, Tract. III, Disp. 6, Rz.1: „Praeterea, si unicuique liberum esset sumere vindictam pro delictis in se, aut in suos commissis, omnia in republica perturbationibus ac caedibus esset plena“. Auch Lugo, Disp. X, Sect. II, Rz. 65, weist darauf hin, dass der respublica ein viel grösserer Schaden erwachsen würde, wenn ein Straftäter ohne Anhörung und ohne iuris ordo von einem Privaten bestraft würde.
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4.3.2.3. Einzelne Fallgruppen 4.3.2.3.1. Fur nocturnus
Da ein auf frischer Tat ertappter fur nocturnus gemäss Fundstellen in der Bibel und der lex Cornelia de sicariis von einem Privaten straflos getötet werden darf132, wird das diesbezügliche Tötungsrecht in der untersuchten Literatur regelmässig behandelt. Die untersuchten Autoren erachten die Tötung eines fur nocturnus grundsätzlich als zulässig, knüpfen sie jedoch an eine Reihe von restriktiven Voraussetzungen. Dabei wird die Hürde relativ hoch angesetzt: „multa requiruntur“133. So muss die Tötung die einzige Möglichkeit darstellen, um das Eigentum oder das eigene Leben zu retten, der fur darf nicht erkannt werden können, es dürfen keine Zeugen vorhanden sein, die ihn später identifizieren können, und eine Festnahme des fur muss unmöglich sein134. Die straflose Tötung des fur nocturnus wird unter anderem damit begründet, dass der fur nocturnus gewaltbereit sei oder gar Tötungsabsichten hege oder man dies zumindest nicht ausschliessen könne135. Damit werden aber an die Tötung des fur nocturnus im Ergebnis ähnliche Anforderungen wie an die Tötung eines fur diuturnus in Notwehr gestellt. Dies hat auch Clarus festgehalten: „Et haec omnia requiri secundum communem opinionem [..]. In diurno autem fure pariter facienda est conclusio, quod liceat illum interficere, si telo se defendat“136. Die Tötung des fur nocturnus wird somit mit dem Verteidigungsrecht für Vermögenswerte und Leib und Leben des Bestohlenen gerechtfertigt (vgl. zum Notwehrrecht weiter vorne 3.3.3.1). Die Tötung des fur nocturnus ist damit in den Augen der untersuchten Gelehrten kein Fall von privater Strafkompetenz, sondern folgt den allgemeinen Regeln des persönlichen Verteidigungsrechts im forum externum137. Auch wenn die Tötung eines fur nocturnus im forum externum unter Umständen gerechtfertigt werden kann, führt sie im forum internum in jedem Fall zu einer Sünde138. 132 So z.B. das Alte Testament (Exod., 22, 2-3) sowie das römische Zwölftafelrecht (Dig. 9, 2, 4, 1). 133 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 29. 134 Vitalinis, de homicidio et qui dicantur homicidie; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 29. Clarus nennt als zusätzliche Voraussetzung, dass man vor der Tötung ausruft (clamet). 135 Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 6; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 29; gemäss Soto kann man in der Nacht nicht erkennen, ob jemand die Absicht hat, ein blosses furtum zu begehen oder ein homicidium (Lib. V, Quaest. I, Art. VIII, S. 404). 136 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 29. 137 So auch Günther, S. 279. 138 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 29.
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4.3.2.3.2. Publici latrones und Verbannte
Verschiedene Autoren sprechen sich dafür aus, dass publici latrones und raptores straflos durch Private getötet werden dürfen139. Gandinus spricht in diesem Zusammenhang davon, dass es erlaubt sei, „sine iudice vindicare“. Ebenfalls ist es Privaten gemäss zahlreichen Autoren erlaubt, Verbannte und Feinde der Heimat, die bereits zum Tode verurteilt worden sind, zu töten140. Eine Einschränkung sieht Clarus für den Fall vor, dass ein Sohn seinen verbannten Vater tötet. Entgegen der offenbar herrschenden Lehre wendet sich Clarus dagegen mit dem Argument, ein solches Tun zeuge von crudelitas und impietas des Sohnes. Die familiären Bande und Verpflichtungen würden trotz der Verbannung weitergelten, weshalb sich Clarus dafür ausspricht, dass der Sohn in dieser Konstellation – ausser wenn der Vater ein „verus hostis patriae“ sei, der gegen die Heimat die Waffe erhebe – für die Tötung des Vaters mit dem Tod bestraft werde141. Das beschriebene Tötungsrecht wird bei den untersuchten Juristen in der Regel nicht näher begründet, sondern vielmehr als selbstverständlich angesehen. Bezüglich den Verbannten mag dies zunächst durch das Wesen der Verbannung erklärt werden: Der Bann ist in erster Linie eine prozedurale Säumnisfolge bei unbezahlten Schulden sowie bei prozessabwesenden Verbrechern. Wird der Bann wegen schwerer Verbrechen verhängt, so sind Leben, Körper und Vermögen des Geächteten jeder Willkür ausgeliefert und dürfen von jedermann beeinträchtigt werden142. Darin kommt der Gedanke zum Ausdruck, dass der Einzelne als Vertreter der Gesamtheit am Geächteten die verwirkte öffentliche Strafe vollstrecken kann. Es muss angenommen werden, dass eine praktische Notwendigkeit bestanden hat, die Staatsgewalt bei der Bekämpfung des Verbrechens durch die Selbsthilfe der Privaten zu ergänzen143. Dafür spricht unter anderem, dass es in Italien aufgrund der kleinräumigen Verhältnisse, aber auch in Spanien aufgrund der vielen ländlichen Rückzugsmöglichkeiten, für einen Verbrecher relativ einfach war, sich durch Flucht dem Urteil oder dessen Vollstreckung zu entziehen. Vor diesem Hintergrund fordert z.B. Farinacius, dass ein Geächteter oder ein für ein qualifiziertes homici 139 Gandinus, de homicidariis, Rz. 3, S. 279; Damhouder, Cap. 80; gemäss Bossius darf auch ein raptor getötet werden (de homicidio, Rz. 81). 140 Damhouder, Cap. 80; Azpilcueta, Consil. Lib. V., de homicidio, Cons. VII. 141 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 31. 142 Clarus, § Homicidium, S. 30: „Haec omnia intelligenda sunt, ut procedant modo tales banniti ex aliquo gravi delicto banniti fuerint. Sed si ex levi causa banniti essent, eo casu non valeret statutum permittens eos impune offendi“; vgl. auch Pertile, S. 310 ff. sowie Dahm, S. 98 ff., der in diesem Zusammenhang auch den Begriff der „Friedlosigkeit“ verwendet. Näheres zur Verbannung auch weiter hinten 4.4.1.4. 143 So auch Dahm, S. 26 ff., für Italien.
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dium Verurteilter keinen sicheren Ort auf der Welt haben soll, an den er fliehen kann. Diese Delinquenten sollen überall gefasst und an den Tatort ausgeliefert werden können, wobei sich Farinacius auch der praktischen Probleme bewusst ist wie z.B. der Konflikte zwischen den beteiligten Rechtsordnungen, welche eine Zusammenarbeit verunmöglichen144. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die untersuchten Legisten in der Frage der privaten Tötung von Verbannten und anderen Staatsfeinden der damals wohl herrschenden, befürwortenden Praxis folgen und allfällige Bedenken oder allgemeine Grundsätze zurückhalten, um sich nicht vom angewandten Recht zu entfernen145. Im kirchlichen Recht und im forum internum demgegenüber ist die Tötung eines Verbannten nicht erlaubt. Es ist allerdings zu vermuten, dass in der kirchlichen Praxis keine allzu strenge Verfolgung von solchen Tötungen stattgefunden hat; darauf deutet z.B. der Hinweis von Azpilcueta, dass in diesem Fall sogar von der Irregularität dispensiert werden könne. Einzelne Autoren berichten sogar, dass das Töten eines bannitus sogar im forum conscientiae zulässig sei146. Azpilcueta betont jedoch, dass es sich bei einer solchen Tötung eigentlich um ein gewöhnliches homicidium voluntarium handle, da sie durch private und nicht hoheitliche Befugnis erfolgt: „… quod clericus proculdubio est irregularis, et non qualis qualis, sed ex homicidio voluntario; presupposito quod absque auctoritate publica ipse et alii illum occiderunt tanquam privati, non facti exequutores iustitiae particulariter, vel generali ter: quia invasio iniusta fuit ex parte illorum…“147. Als Ausweg bzw. Lösung für die Diskrepanz zwischen kirchlicher Theorie und der Praxis beschreiben die untersuchten Moraltheologen die Möglichkeit, die Strafvollstreckungskompetenz bezüglich Verbannten, latrones und „apertissimos reipublicae hostes, quia alia vi comprehendi non possunt“ auf Private zu übertragen bzw. diese Kompetenz bei Bruder- und Vatermördern an die hinterbliebenen Brüder oder Söhne zu delegieren (vgl. dazu nachfolgend 4.3.2.3.3)148. 4.3.2.3.3. Ehebrecherinnen und Rivalen
Tötungen im Anschluss an einen ertappten Ehebruch werden sowohl von den juristisch wie auch von den theologisch geprägten Autoren untersucht; offenbar handelt es sich dabei um ein in der Praxis des 16. Jahrhunderts sehr häufig vorkommendes Phänomen, bei welchem der Ehemann oftmals straflos davonkam. 144 145 146 147 148
Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. I, Quaest. 7, Rz. 18. So auch Dahm, S. 102. Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 31. Azpilcueta, Consil. Lib. V., de homicidio, Cons. VII. Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 5; Lugo, Disp. X, Sect. II, Rz. 82.
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Die Strafe für Ehebruch nach der lex Iulia de adulteriis bestand ursprünglich in der relegatio oder einer Vermögensstrafe; später wurde die Strafe im römischen Recht gesteigert, zunächst auf körperliche Züchtigung und dann auf die Todesstrafe149. In der untersuchten Literatur gehen die Gelehrten vorwiegend von der Todesstrafe für Ehebruch aus150. a) In der juristischen Literatur
Zahlreiche Juristen vertreten – ohne dies in der Regel explizit zu begründen –, dass ein Ehemann, der seine beim Ehebruch ertappte Frau tötet, im forum externum kein homicidium begeht; im forum internum und nach kanonischem Recht dagegen macht sich der Tötende strafbar bzw. begeht ein peccatum151. An Stelle des Ehemannes dürfen unter Umständen auch die Söhne oder der Vater die Ehebrecherin töten152. Das von einigen Autoren dem Vater zugestandene Recht, die ehebrecherische Tochter sowie deren Liebhaber zu töten, stützt sich wohl noch auf eine weit verstandene Hausgewalt, denn es wird ausdrücklich festgehalten, dass die Ehebrecherin und ihr Liebhaber nur im Haus des Vaters oder des Schwiegersohnes, nicht aber an einem anderen Ort getötet werden dürfen. Weiter wird vorausgesetzt, dass die Tochter verheiratet sein und sich „in ipsius patris potestas“ befinden muss und dass der Vater sowohl den Liebhaber als auch die Tochter tötet153. Demgegenüber verneint Damhouder das Recht des Ehemannes, die untreue Ehefrau zu töten. Dieses stehe nur dem Vater im Rahmen seiner väterlichen Sorge, 149 Vgl. Dahm, S. 417; Mommsen, S. 698 f.. Bereits in der Antike bestand allerdings die Auffassung, der Ehemann dürfe einen auf frischer Tat ertappten Ehebrecher straflos töten; die Ehebrecherin unterstand ohnehin der Hausgerichtsbarkeit des Mannes (vgl. Krause, Jens-Uwe, S. 41 sowie S. 176 ff.). 150 Dass die Auffassung darüber, welches die angemessene Strafe für Ehebruch sei, nach Ort und Zeit ganz unterschiedlich sein konnte, stellt Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III, dar, der auf die Praxis verschiedener Länder und Völker eingeht. So sei es in „Gallia“ üblich gewesen, die Ehebrecherin zu schlagen und in ein Kloster zu sperren; demgegenüber hersche in „Hispania“ die Todesstrafe, während in Persien der Ehebruch straflos sei. 151 Vitalinis, de homicidio et qui dicantur homicidie; Bossius, de homicidio, Rz. 81; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 30; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 19, der in diesem Zusammenhang von „vindictam sumere“ spricht. Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 6. Auch Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III, hält fest, dass die Tötung einer bei Ehebruch ertappten Frau durch ihren Mann nach weltlichem Recht, nicht aber nach kanonischem Recht erlaubt sei. Das Recht des Ehemannes, seine ehebrechende Gattin zu töten, stammt gemäss Dahm, S. 106, aus dem langobardischen Recht und war im gemeinen Recht nicht vorgesehen. 152 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 19. 153 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 29; Damhouder, Cap. 80, Rz. 80; so auch berichtet von Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 5; vgl. auch Dahm, S. 107.
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nicht aber dem Ehemann zu154. Der Ehemann, der seine untreue Gattin tötet, sei jedoch aufgrund des erlittenen Schmerzes milder zu strafen. Auch Tiraquellus ist der Auffassung, dass ein Mann, der seine beim Ehebruch ertappte Frau tötet, grundsätzlich zu strafen sei, wenn auch mit einer milderen Strafe155. Fernando Vàzquez schliesslich kritisiert die Gesetze, welche die Tötung einer Ehebrecherin vorschreiben, als ungerecht156. Es zeigt sich somit, dass unter den Juristen umstritten war, ob die Gesetzgebung dem Ehemann ein Recht zur Tötung der untreuen Gattin einräumt, oder ob sie aufgrund des erlittenen Schmerzes bloss eine Strafmilderung beinhaltet. Damhouder und Tiraquellus vertreten letztere Auffassung, die sich, wie zu zeigen ist, auch bei den Moraltheologen des 16. Jahrhunderts durchgesetzt hat. b) In der theologischen Literatur
Unter Berufung auf Thomas’ Argument, dass eine Tötung von Übeltätern der pub lica auctoritas vorbehalten ist, halten die untersuchten Thomas-Kommentatoren die Tötung der in flagranti bei Ehebruch ertappten Frau durch den Ehemann im kirchlichen Recht für unerlaubt. Gleichzeitig weisen sie aber darauf hin, dass die Tötung wegen des seelischen Schmerzes des Mannes straffrei sei157. In der begrifflichen Unterscheidung zwischen „Erlaubtsein“ und „Straffreiheit“ kommt das Bemühen der untersuchten Moraltheologen zum Ausdruck, die tatsächliche Praxis mit ihren theoretischen Lehrmeinungen in Einklang zu bringen. Dass dabei auf eine – aus heutiger Sicht eher spitzfindige – Argumentation zurückgegriffen werden muss, zeigt das Beispiel von Vitoria: Vitoria sagt zunächst, ein Gesetz, welches eine Privatperson zur Tötung eines Übeltäters, z.B. einer Ehebrecherin, ermächtigt, verstosse gegen ius naturale, ius gentium und ius civile, da niemand ohne Anhörung und Verurteilung bestraft und getötet werden dürfe. Ein solches Gesetz sei ungerecht und daher aufzuheben. Allerdings führt er diesen Gedankengang dann doch nicht konsequent weiter: er präzisiert, dass die fraglichen Gesetze weder eine eigentliche „facultas“, „licentia“ oder „auctoritas“ noch gar einen Befehl zur Tötung der Ehebrecherin enthalten. Stattdessen enthalten sie lediglich eine Ausnahme von der Strafbarkeit. Daher kommt er zum Schluss, dass die erwähnten Gesetze nicht ungerecht sind und somit angewendet werden können. 154 Damhouder, Cap. 80, Rz. 19: „quod plerunque pietas paterni nominis consilium pro liberis capit; ceterum mariti et calor et impetus facile saevientis fuit refraenandus“. 155 Tiraquellus, Causa 1, Rz. 3. 156 Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 8, Rz. 49. 157 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. III; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III; Aragon, Quaest. 64, Art. III; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 5.
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Die auf Vitoria folgenden Moraltheologen weisen darauf hin, dass die unerlaubte, aber straflose Tötung der Ehebrecherin trotzdem eine Sünde bleibe158. Gemäss Molina und Lessius wird das Seelenheil der Ehebrecherin bei einer sofortigen Tötung unnötigerweise gefährdet, da sie ebenso gut der Gerichtsbarkeit überstellt werden könne und dann noch Zeit hätte, ihre Tat zu bereuen. Molina führt darüber hinaus auch praktische Argumente ins Feld: die straflose Tötung der Ehebrecherin sei auch deswegen ungerecht, weil ein Ehemann einfach einen Ehebruch fingieren und sich dann straflos seiner Frau entledigen könnte. Als Alternative zur privaten Tötung wird in der theologischen Literatur die Möglichkeit genannt, die untreue Ehefrau zunächst einem gerichtlichen Verfahren zuzuführen und anschliessend die Vollstreckung des Todesurteils dem Ehemann zu übertragen. Der Ehemann handelt dann als minister iustitiae mit der „facultas sicut lictor“159. Dabei bleibt es dem Ehemann überlassen, ob er das Todesurteil tatsächlich vollstrecken oder ob er seiner Frau verzeihen will. Dies stellt gemäss den untersuchten Quellen für die Ehefrau im Ergebnis eine bessere Position dar, da sie nach der lex Iulia de adulteriis in jedem Fall mit dem Tod bestraft werden müsste160. Die Übertragung der Urteilsvollstreckung auf einen Privaten setzt voraus, dass dem Urteil ein gerichtlicher Prozess vorangegangen ist. Begründet wird dies mit dem Grundsatz, dass immer auch die andere Partei angehört werden muss, um eine spätere Rache der Angehörigen des Verurteilten auszuschliessen161. Es wird darauf hingewiesen, dass die Vollstreckung eines Todesurteils nicht zu oft und nur in sehr schweren und dringenden Fällen an einen Privaten übertragen werden darf162. Ein
158 Aragon, Quaest. 64, Art. III, S. 250; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III, S. 390; Molina, Tract. III, Disp. 7, Rz. 2; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 5, Rz. 16. Ebenfalls Damhouder, Cap. 80, Rz. 23. 159 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. III; Covarruvias, Decretalium Epitome, Secundae partis, Cap. 7, Tom. I, Rz. 8 ff.; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 3. Vgl. dazu auch Grunert, Theologien, S. 332. 160 Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III, beschreibt, dass damit in Spanien die „alten Gesetze“ (gemeint ist die lex Iulia de adulteriis) nicht in aller Strenge befolgt würden, da diese vorgesehen hätten, dass die Ehebrecherin in jedem Fall die Todesstrafe erhalte. Auch Molina hält fest, dass der Ehemann, der zum minister iustitiae wurde, nicht verpflichtet, sondern lediglich ermächtigt sei die Ehefrau und deren Liebhaber zu töten (Tract. III, Disp. 7). 161 Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III hält anschaulich fest, dass „quicumque quantumvis perniciosus audiendus est“. 162 Aragon, Quaest. 64, Art. III; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III: „rarissime“ und „in casibus egregiis“. Lugo, Disp. X, Sect. II, Rz. 82.
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solcher Ausnahmefall liegt gemäss Molina dann vor, wenn für den Staat äusserst schädliche Straftäter wie z.B. grassatores nicht leicht gefasst werden können163. Die Übertragung der facultas, ein Urteil zu vollstrecken, darf gemäss Soto nur vom princeps, nicht aber von einem niedrigeren Richter ausgehen. Nebst den Fällen von Ehebruch wird die Übertragung der Strafgewalt auch bezüglich Verbannten und latrones, apertissimos reipublicae hostes, quia alia vi comprehendi non possunt sowie Mörder an Brüdern und Vätern beschrieben164. Anhand des Konstrukts der übertragenen Strafvollstreckungskompetenz zeigt sich erneut die Übergangsphase im Strafverständnis: einerseits wird am privaten Bestrafungsrecht des Ehemanns gegenüber seiner untreuen Gattin festgehalten, andererseits hat sich in der Theorie aber bereits die ausschliesslich hoheitliche Strafkompetenz etabliert. Diese beiden unterschiedlichen Konzepte werden vereinigt, indem auf das öffentliche Strafverfahren eine Vollstreckung des hoheitlichen Urteils durch den verletzten Privaten erfolgt. Der vollstreckende Ehemann ist dann zwar ein Instrument der Justiz, kann aber gleichzeitig noch sein privates Rachebedürfnis befriedigen165. c) Im Besonderen: Tötung des Rivalen und Notwehrrecht
Schliesslich wird in diesem Zusammenhang meist auch thematisiert, ob der Ehemann den Liebhaber seiner Frau straflos töten darf. Dies bejahen z.B. Vitalinis, Damhouder, Clarus und Lessius, wobei Vitalinis und Clarus dieses Recht auf den Fall einschränkt, dass der Liebhaber eine vilis persona ist; ansonsten wird der Ehemann – wenn auch milder – bestraft166. Auch wenn dies in der untersuchten Literatur selten ausdrücklich gesagt wird, lässt sich die Tötung des Rivalen mit dem Verteidigungsrecht begründen. Dafür spricht, dass die Tötung von Ehebrechern verschiedentlich im Zusammenhang mit anderen Verteidigungssituationen wie z.B. der Verteidigung gegen Diebe167 oder der Verteidigung der eigenen Kinder vor Angriffen
163 Molina, Tract. III, Disp. 7, Rz. 2: „Eiusmodi autem concessio fieri non debet, nisi gravissima de causa. Ut si esset nocentissimus grassator, aut alius similis, quia perniciosissimus esset reipublicae, neque posset facile comprehendi, concedi tunc posset facultas, ut licite a quocunque interficeretur. Proposito, si ad id opus esset, interfectori praemio, ut vel malefactor ille ab eo loco discederet, vel tanta pestis de medio tolleretur, aliique similia flagitia committere non auderent“. 164 Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 5; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III. 165 Vgl. Grunert, Kompetenz des öffentlichen Strafens, S. 325. 166 Vitalinis, quis alium possit offendere; Damhouder, Cap. 80, Rz. 19: „quod plerunque pie tas paterni nominis consilium pro liberis capit; ceterum mariti et calor et impetus facile saevientis fuit refraenandus“. Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 30. 167 Vitalinis, de homicidio et qui dicantur homicidie; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 30; Bossius, de homicidio, Rz. 81.
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auf das Leben oder die sexuelle Integrität behandelt wird168. Lessius erwähnt im Rahmen seiner Ausführungen zur Notwehr, dass es einem Ehemann bei einem drohenden Ehebruch seiner Frau gestattet sei, seine „Sache“, nämlich den Körper der Frau, sowie seine Ehre zu verteidigen169. Differenziert argumentieren Molina und der von ihm beeinflusste Lugo, denn sie sind der Auffassung, dass der Ehebrecher gegen den angreifenden Ehemann Notwehr üben darf. Molina begründet dies damit, dass der Ehemann kein ius, sondern nur eine permissio zur Tötung des Rivalen habe170. Lugo ergänzt, dass der Ehebruch keine Provokation sei, auf die man mit einer Tötung reagieren dürfe171. Dies bedeutet also, dass der Angriff des betrogenen Ehemannes auf den Liebhaber der Frau zwar als straflos, aber trotzdem nicht als rechtmässig betrachtet wird, und dem angegriffenen Liebhaber somit die üblichen Verteidigungsrechte der Notwehr zustehen. Auch hier dürfte sich die Lehre wieder, wie bereits in anderem Zusammenhang festgestellt, den tatsächlichen Bedürfnissen der Praxis angepasst haben. 4.3.2.3.4. „Unrechtmässige“ Tyrannen
Zunächst ist vorauszuschicken, dass es bei der Problematik des Tyrannenmordes nicht eigentlich um einen Fall von Bestrafung, sondern um das Widerstandsrecht des Volkes bzw. der einzelnen Bürger gegen einen ungerechten Herrscher geht. Da dieses Thema bei den Moraltheologen aber regelmässig im Zusammenhang mit „ut rum occidere malefactores liceat privatae personae“ abgehandelt wird und dabei interessante Rückschlüsse auf die publica auctoritas gezogen werden können, soll an dieser Stelle ebenfalls kurz darauf eingegangen werden. Bereits Thomas hat sich mit dem Widerstandsrecht befasst, dieses jedoch nur unter ganz eingeschränkten Bedingungen bejaht, denn Widerstand gegen einen ungerechten Herrscher stellt grundsätzlich eine Störung der Einheit und Ordnung in der Gemeinschaft dar, was eine Todsünde ist. Wenn ein Herrscher aber auf gewaltsame Weise durch Usurpation oder Simonie an die Herrschaft gelangt ist, verletzt er selber die Ordnung. Wird er nicht durch eine höhere Machtinstanz oder durch das Volk selbst approbiert, ist die Herrschaft keine Herrschaft, weil sie nicht dem göttlichen Vorbild entspricht und dem Hierarchiesystem zuwiderläuft. Unter diesen Umständen darf ein solcher Herrscher gestürzt werden172. Wie Thomas unterscheiden auch die untersuchten Theologen zwischen dem „rechtmässigen“ Tyrannen, welcher der wahre dominus der respublica ist, aber sein 168 169 170 171 172
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Damhouder, Cap. 80, Rz. 15 ff.. Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 13. Molina, Tract. III, Disp. 15: auch der fur, der angegriffen wird, darf in Notwehr töten. Lugo, Disp. XI, Sect. V, Rz. 56. Vgl. dazu eingehend Städtler, Widerstandsrecht, S. 64 f. mit Nachweisen.
Amt in der Weise eines Tyrannen ausübt, und dem „unrechtmässigen“ Tyrannen, der seine Herrschaft auf unrechtmässige Weise erlangt hat und kein Recht auf die ihm unterworfenen Gebiete hat („usurpat rempublicam“). Diese Unterscheidung widerspiegelt die Staatsauffassung der spanischen Theologen des 16. Jahrhunderts und insbesondere den von ihnen aufgenommenen Gedanken der Volkssouveränität (vgl. dazu weiter vorne 4.3.1). Vor diesem Hintergrund ist die eingangs erwähnte Unterscheidung von „rechtmässigem“ und „unrechtmässigem“ Herrscher zu verstehen: wer seine Herrschaftsgewalt nicht rechtmässig aus dem Gemeinwesen ableiten kann, ist ein „unrechtmässiger“ Herrscher und somit auch nicht mit auctoritas ausgestattet. Vitoria, Soto, Molina und Lessius sind der Auffassung, dass grundsätzlich nur der „unrechtmässige“ Tyrann von einer Privatperson getötet werden darf, sofern es nicht eine dem Tyrannen übergeordnete Instanz gibt, die diesen aburteilen kann, und sofern die Tötung keinen Aufruhr und Schaden für die respublica bedeutet173. Auch wenn man bei der dem Tyrannen übergeordneten Instanz an den Papst denken mag, wird in der untersuchten Literatur nicht ausdrücklich davon gesprochen, man müsse in einer solchen Konfliktsituation an den Papst gelangen. Dem Papst kommt bei der Einsetzung bzw. Absetzung eines Herrschers somit nur eine potestas indirecta zu174. Das Tötungsrecht wird damit begründet, dass der unrechtmässige Tyrann gegen die respublica Krieg führt. Wenn es keinen rechtmässigen Herrscher gibt, obliegt das Gemeinwohl dem Gemeinwesen, welches durch jeden beliebigen Bürger vertreten werden kann. In diesem Krieg handelt der Einzelne, welcher den Tyrannen tötet und damit die respublica verteidigt, mit publica auctoritas175. Das Tötungsrecht wird somit aus dem natürlichen Selbstverteidigungsrecht der Bürger und des Gemeinwesens abgeleitet. Soto weist darauf hin, dass die Tötung des „unrechtmässigen“ Tyrannen nur in extrema necessitate zulässig sei, da die Tyrannenmörder an173 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. III, Rz. 5; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III; Molina, Tract. III, Disp. 6, Rz. 2: „Tyrannum vero secundo modo quivis de republica potest licite interficere, nisi ex ea interfectione maiora mala reipublicae imminerent, nam tunc contra reipub licae caritatem peccaret illum interficiendo…. Ratio vero huius rei est, quoniam, qui hoc secundo modo est tyrannus, gerit bellum iniustum cum republica, quam tyrannide habet occupatam, et cum artibus illius“; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 4, Rz. 7. 174 Quin, S. 572. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Walther, S. 171 f. in seiner Untersuchung zu Suárez: In weltlichen Angelegenheiten ist der Papst kraft indirekter Amtsgewalt zur Bestrafung befugt. In geistlichen Angelegenheiten, wie z.B. Häresie, kann der Papst den Fürsten bestrafen und sogar absetzen. Auch der häretische Fürst bleibt in Besitz und Verwaltung seines Königreichs, bis er durch einen expliziten zusätzlichen Spruch für sein Verbrechen verurteilt worden ist. 175 Vgl. auch Reibstein, Althusius, S. 121.
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schliessend erfahrungsgemäss schlimmer im Staat wüten würden als zuvor der Tyrann176. Demgegenüber lehnen die genannten Theologen ein allgemeines Tötungsrecht ab, wenn sich ein „rechtmässiger“ König oder Fürst tyrannisch verhält; eine Tötung kann in diesem Fall aber allenfalls in Notwehrsituationen, d.h. bei einem direkten Angriff auf eine Privatperson, gerechtfertigt werden177. Wie bereits weiter vorne dargestellt (vgl. 3.3.3.1.3) verstärken Fernando Vàzquez und Covarruvias das Notwehrrecht gegenüber einem „rechtmässigen“ Tyrannen mit dem Argument, dass dieser durch den Angriff gegen einen Unschuldigen automatisch zu einem unrechtmässigen Tyrannen wird178. Dadurch führen sie konsequent die Lehre von der Bindung des Fürsten an die menschlichen, göttlichen und natürlichen Gesetze fort. 4.3.2.4. Fazit
In der Theorie wird – mit Ausnahmen hinsichtlich der Tötung von publici latrones und Verbannten – durchgehend unterstrichen, dass nur mit publica auctoritas, nicht aber mit privata auctoritas gestraft werden darf. Vor allem die Moraltheologen befassen sich ausführlich mit der Frage der Zuordnung der Strafkompetenz. Neu wird von Molina und Lessius der Gedanke formuliert, dass sich die öffentliche Strafkompetenz im Unterschied zur Herrschaftsgewalt (auctoritas) ursprünglich nicht von den einzelnen Bürgern ableitet. Stattdessen wird eine selbständige, hoheitliche Strafbefugnis anerkannt, welche von Gott bzw. aus der Natur des Staates stammt. Diese Entwicklung kontrastiert nicht nur mit den in der Praxis immer noch existierenden „Privatstrafen“, sondern auch mit der von Gelehrten teilweise noch vertretenen Auffassung, der Staat nehme bei der Bestrafung stellvertretend private Racheansprüche wahr. Die untersuchten Moraltheologen stehen daher vor der grossen Herausforderung, die Theorie der ausschliesslichen und selbständigen öffentlichen Strafe mit den Tatsachen des Rechtsalltags zu vereinen. Zur Begründung von erlaubten Tötungen durch Private wird eine Reihe von unterschiedlichen Argumenten beigezogen, wobei sich die Autoren bemühen, diese Konstellationen nicht als Fälle der Privatrache erscheinen zu lassen. Bei den Begründungen des „privaten Tötungsrechts“ stehen im Vordergrund (a) das private Notwehrrecht, (b) die publica auctoritas, welche von einzelnen Mitgliedern des Gemeinwesens ausgeübt wird, falls es keinen „rechtmässigen“ Herrscher gibt, (c) der
176 Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III. 177 Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III; Molina, Tract. III, Disp. 6, Rz. 2. 178 Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 18, Rz. 10.
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Entschuldigungsgrund des seelischen Schmerzes und (d) die Übertragung der (öffentlichen) Strafvollstreckungskompetenz an Private nach ergangenem Urteil. Die private Strafkompetenz (bis hin zur Todesstrafe) lebt aber immer noch in der Idee der väterlichen Hausgewalt weiter. Dabei ist allerdings davon auszugehen, dass die väterliche Hausgewalt nicht unbedingt als „privates“ Strafen verstanden wurde, denn dem Oberhaupt der Familie, welche als kleines Abbild des Staates betrachtet wird, kommt bereits eine niedere Stufe von „hoheitlicher“ Strafbefugnis zu179. Eine Sonderstellung nimmt die Tötung von latrones, banniti und Staatsfeinden durch Private ein: diese wird vor allem von italienischen Juristen ohne grosse Umstände bejaht. Soto, Molina und Lessius begründen dieses Tötungsrecht mit der Übertragung der Kompetenz zur Urteilsvollstreckung auf Private180. 4.3.3. Begnadigung
Eine Begnadigung von Strafe ist in der Theorie des 16. Jahrhunderts grundsätzlich möglich, jedoch nur unter restriktiven Voraussetzungen. Die diesseitige, weltliche Gnade stellt im christlich geprägten Recht eine Entsprechung der göttlichen Gnade dar181. Die göttliche Gnade ist in der mittelalterlichen Theologie grundsätzlich der Gerechtigkeit und der „rechten Ordnung“ untergeordnet182. Dementsprechend hat sich auch die richterliche Gnade innerhalb bestimmter Schranken zu bewegen und die Legisten wie auch Thomas von Aquin und die von ihm geprägten Theologen postulieren, dass das Recht zur Begnadigung nur dem obersten Richter zusteht, der zugleich der oberste Fürst ist183. Bei einer Begnadigung gilt es einerseits, den Nutzen der respublica im Auge zu behalten184. Andererseits sind aber auch die Interessen des Verletzten bzw. dessen Angehörigen zu berücksichtigen. Viele Autoren verlangen daher, dass der Verletzte oder dessen Hinterbliebene die Tat vergeben müssen, bevor der Täter begnadigt
179 Molina, Tract. II, Disp. 100, Rz. 6; vgl. dazu auch weiter vorne 4.3.2.2. 180 Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. III, S. 390; Molina, Tract. III, Disp. 7, Rz. 2; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 5. 181 Zur Geschichte der Begnadigung vgl. Merten, S. 30 ff. mit weiteren Hinweisen. Zur Begnadigungslehre der Glossatoren und frühen italienischen Juristen vgl. auch Kohler, Studien, S. 311 ff.. Gemäss Kohler und den dort zitierten Quellen wurde die Begnadigung im 14. Jahrhundert weniger als sittlicher Akt, sondern mehr als Freundschaftsdienst betrachtet. 182 Vgl. Berman, S. 297 f.. 183 Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 59, S. 160; Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 67, Art. IV; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 67, Art. IV; Lugo, Disp. XXXVII, Sect. VIII, Rz. 92. 184 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 67, Art. IV.
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werden darf185. Eine Begnadigung kollidiert nämlich nicht nur mit dem Wohl der respublica, sondern darüber hinaus auch mit dem Recht des Klägers auf eine Bestrafung des Schuldigen. So weisen Clarus und Bossius darauf hin, dass der Senat im Herzogtum Mailand nur eine Begnadigung ausgesprochen habe, wenn eine pax zwischen den Beteiligten vorgelegen habe186. Clarus erwähnt aber verschiedene Fälle aus der Praxis, in welchen der imperator trotz fehlender Vergebung durch die Angehörigen einen homicida begnadigt hat; in diesen Fällen hätten die Erben gemäss Clarus sehr weit entfernt gewohnt und die betreffenden Taten seien nicht „atrox“ gewesen. Er selber vertritt unter Berufung auf Fernando Vàzquez, dass bei Delikten, die mit animus deliberatus geschehen sind, immer die Vergebung durch die verletzte Partei vorliegen müsse187. In Ausnahmefällen („singularis casus“), wenn dies die utilitas reipublicae gebietet, will auch Vitoria Ausnahmen vom Zustimmungserfordernis des Verletzten zulassen188. Somit kann die utilitas reipublicae in bestimmten Fällen gegenüber dem privaten Anspruch auf vindicatio überwiegen189. Dieselbe Auffassung vertritt anschliessend Soto für den Fall, dass der Straftäter sehr utilis für die respublica ist. Er weist aber gleichzeitig darauf hin, dass der princeps in einem solchen Fall den accus ator zwingen soll, eine Genugtuung in anderer Form anzunehmen190. Auch Lugo will eine Begnadigung ohne Zustimmung der verletzten Partei nur selten und „ex gravissima causa“ zulassen191. Allgemein lässt sich in der Lehre eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem Begnadigungsrecht erkennen. Verschiedene Autoren sind sich der Gefahr von Willkür bewusst und verlangen daher, wie erwähnt, dass nur der oberste Fürst, nicht aber ein unterer Richter die Begnadigung aussprechen darf. Daneben wird auch festgehalten, dass eine Begnadigung nur aus sehr wichtigem Grund, valde ra 185 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 67, Art. IV; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 67, Art. IV; Soto, Lib. V, Quaest. IV, Art. IV, S. 442; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 59, S. 160 (zumindest bei Delikten, die mit animus deliberatus geschehen). Vgl. auch Kohler, Naturrechtslehrer, S. 258, der auf eine diesbezügliche Nachwirkung des Prinzips der Blutrache hinweist. 186 Bossius, de remediis ex sola clementia principis, Rz. 24; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 59, S. 159. 187 Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 59, S. 159 f.; Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 4, Rz. 11: „reliqua autem tempore damna data non remittet nisi data compensatione …“. 188 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 67, Art. IV, Rz. 2. 189 So bereits Clarus, Lib. V, § Fin., S. 160 für Delikte, die ohne animus deliberatus geschehen. Vgl. auch Grunert, Theologien, S. 330 f., der darlegt, dass Vitoria damit die Begnadigungsmöglichkeiten des Fürsten gegenüber den Fundstellen bei Thomas ausweitet. 190 Soto, Lib. V, Quaest. IV, Art. IV, S. 442. 191 Lugo, Disp. XXXVII, Sect. VIII, Rz. 92.
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tionabilis causa, erfolgen darf192. Bei der Beurteilung eines solchen wichtigen Grundes spielen Erwägungen betreffend die utilitas reipublicae und das Strafbedürfnis eine Rolle: ein wichtiger Grund, aus welchem eine Begnadigung gerechtfertigt erscheint, wird z.B. darin erblickt, dass ein nobilis aus einem begründeten Anlass ein Delikt begeht (si habuit occasionem perpetrandi crimen). Daneben finden sich auch Stimmen, welche die Möglichkeit der Begnadigung grundsätzlich ablehnen: so vertritt z.B. Farinacius die Auffassung, ein homicida mit animus deliberatus könne vom princeps nicht begnadigt werden, da der princeps als Mensch niedriger als Gott sei und deshalb nicht göttliches Recht aufheben könne193. Diese Ablehnung der Begnadigung beruht auf dem Gedanken, dass die menschlichen Gerichte ein Werkzeug sind, um die göttlichen Strafen durchzusetzen. Auch mag hier die von den spanischen Theologen vertretene Lehre von der Bindung des Fürsten an das göttliche und natürliche Recht anklingen (vgl. dazu weiter vorne 3.3.3.1.4). Zusammenfassend zeigt sich, dass das Rechtsempfinden im 16. Jahrhundert immer noch durch einen starken privaten Vergeltungsanspruch geprägt ist, den es durch hoheitliche Strafen in geordneten Bahnen zu halten gilt. Die durch das Zustimmungserfordernis des Verletzten relativierte staatliche Gnade scheint typisch für das Übergangsstadium von der Selbsthilfe zum öffentlichen Strafanspruch. Interessant sind vor diesem Hintergrund die Ausführungen Vitoria’s, welcher unter besonderen Umständen das Wohl der respublica vor den Strafanspruch des Privaten stellt. Dies stimmt mit den nachfolgend darzustellenden Beobachtungen überein, wonach die Bedeutung der Vergebung der Tat durch den Verletzten (z.B. in Form einer pax oder concordia) mit der Verbreitung des Inquisitionsprozesses im 16. Jahrhundert abnimmt und deutet auf ein Erstarken des hoheitlichen Strafanspruchs hin. Trotz eines solchen Friedensschlusses kann es nämlich immer noch zu einer Bestrafung kommen, da durch die Tat nebst dem konkreten Opfer auch die respub lica verletzt wird (vgl. dazu nachfolgend 4.3.4)194. 4.3.4. Friedensschluss zwischen Täter und Opfer
Besonders die Strafrechtstraktate und juristischen Traktatsummen gehen oft ausführlich und meist in einem eigenen Kapitel auf die Thematik eines Friedensschlusses zwischen Täter und Opfer ein. Ein solcher Friedensschluss (pax oder concordia) wird allgemein als zulässig erachtet; er kann mit oder ohne Geldleistung zwischen den beteiligten Parteien erfolgen. Er wird insbesondere für Delikte, welche mit einer Lei192 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 67, Art. IV; Lugo, Disp. XXXVVII, Sect. VIII, Rz. 92. 193 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. I, Quast. 6, Rz. 15 ff.. 194 Cantera, de quaestionibus tangentibus accusatorem, Quaest. II, Rz. 3.
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bes- oder Lebensstrafe (poena sanguinis) bedroht sind, als Möglichkeit des Täters geschildert, sich von dieser Strafe loszukaufen („sanguinem redimere“)195. Der Grossteil der Autoren, die sich diesem Problem widmen, betont jedoch sogleich, dass durch den Friedensschluss (zumindest in der Regel) das Strafverfahren nicht beendet oder ausgeschlossen werde, sondern dass vielmehr der fiscus oder die respublica trotzdem noch von Amtes wegen gegen den Täter vorgehen können196. Begründet wird dies damit, dass die meisten Delikte eine doppelte strafwürdige Verletzung herbeiführen, nämlich einerseits der unmittelbar verletzten Partei und andererseits der respublica197. Die Verletzung der respublica kann aber durch einen Friedensschluss nicht „geheilt“ werden. Die untersuchten Aussagen erwecken allerdings den Eindruck, dass die Durchführung eines Strafverfahrens trotz Friedensschlusses nicht selbstverständlich oder unumstritten gewesen ist. So wendet sich z.B. Damhouder mit den folgenden Worten an den Leser: „Hic tamen pie lector non est quod putes, post hanc reconciliati onem, crimen plenum absolutum esse, aut poena cassum: nam ut pax inter partes est composita, Iudex tamen semper ex officio ad criminis punitionem procedit: etiam si nullam habeat partem adversam, coram se conquerentem“198. Und Gomez berichtet, dass gemäss einem umstrittenen Gesetz „in nostro regno“ bei einem Friedensschluss weder ein Dritter noch der Richter von Amtes wegen die Tat weiter verfolgen durfte199. Clarus schliesslich unterscheidet nach dem betroffenen Delikt: während er grundsätzlich ein Vorgehen nach dem Inquisitionsverfahren von Amtes wegen befürwortet, soll bei Delikten, die nur aufgrund der „querela“ einer Partei verfolgt werden, von einem Prozess abgesehen werden200. Verschiedene Autoren berichten, dass der Friedensschluss immerhin strafmildernd berücksichtigt wird und insbesondere dazu führt, dass von einer Leibes- oder Lebensstrafe Abstand genommen und stattdessen eine Geldstrafe ausgesprochen wird201.
195 Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 58, S. 154. 196 Bossius, de treuga et pace, Rz. 9: „pace interveniente de iure potest nihilominus agi ad vindic tam publicam et pro interesse fisci“. 197 Grunert, delictum publicum, S. 432; Cantera, de quaestionibus tangentibus accusatorem, Quaest. II, Rz. 3; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 58. Ausführlich wird jeweils darauf eingegangen, wer dem Friedensschluss zustimmen muss (z.B. alle oder bloss die Mehrheit derjenigen, die zur accusatio befugt sind). 198 Damhouder, Cap. 145. 199 Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 56. 200 Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 58, S. 154. 201 Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 58, S. 154; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 56; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. II, Quaest. 14, Rz. 7.
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Gomez beschreibt, dass nach der lex partitae der accusatus ein pactum oder eine transactio mit jedem beliebigen accusator abschliessen könne, wobei unter dem beliebigen accusator auch ein Aussenstehender oder gar der Richter selbst zu verstehen sei. Ein solcher Friedensschluss hatte zur Folge, dass keine Körperstrafe, sondern eine mildere poena extraordinaria zum Zuge gelangte. Gomez kritisiert dieses Gesetz und postuliert verschiedene Einschränkungen202: Einerseits soll der Friede nur vom Verletzten selbst oder dessen Erben oder Verwandten abgeschlossen werden können, nicht aber durch einen aussenstehenden Kläger oder den Richter. Der Friedensschluss soll nur bei einfachen, unqualifizierten Delikten zulässig sein; bei qualifizierten Straftaten, z.B. homicidium proditorie oder Giftmord, soll trotz einem allfälligen Friedensschluss die poena ordinaria zur Anwendung gelangen. Schliesslich will Gomez den Friedensschluss auf die erstmalige Tatbegehung beschränken. Diese Aussagen lassen sich dahingehend interpretieren, dass ein Missbrauch der Institution des Friedensschlusses verhindert werden soll. So schliesst z.B. das Erfordernis, dass ein strafmildernder Friedensschluss nur bei einmaliger Tatbegehung möglich ist, aus, dass reiche Leute ohne empfindliche, persönliche Konsequenzen wiederholt töten können. Bei Tatwiederholung oder Qualifikation der Tat wird das öffentliche Interesse an einer Bestrafung schliesslich höher gewichtet als die private Versöhnung. Im Zusammenhang mit dem Friedensschluss und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Strafverfahren zeigt sich, dass sich die Strafrechtsgelehrten im 16. Jahrhundert noch in einer Übergangsphase befunden haben, in welcher zwar ein hoheitlicher Strafanspruch im Vormarsch war, sich jedoch noch nicht restlos durchgesetzt hat. Einerseits war das Konzept des Friedensschlusses offenbar weit verbreitet, wobei bei gewissen Autoren noch starke Anklänge an das Kompositionensystem vorhanden sind (Clarus: „sanguinem suum redimere“, Bossius: „treuga“). Andererseits wird immer wieder betont, dass es „nicht etwa so sei, dass der Friedensschluss von Strafe befreie“, doch wird gleichzeitig eingeräumt, dass die Strafe durch den Friedensschluss gemildert und „unblutig“ vollzogen werde. Dies führt dazu, dass ein homicida nach erfolgtem Friedensschluss mit den Hinterbliebenen des Opfers unter Umständen lediglich mit einer Geldstrafe bestraft wird. Weiter wird aus den Ausführungen zum Friedensschluss deutlich, dass Zwischenstufen zwischen dem traditionellen Akkusationsprozess und dem neueren Inquisitionsprozess bestanden haben203: zwar wird dem Richter von den meisten Autoren ein Vorgehen von Amtes wegen zugestanden, doch ist im Falle eines vorangegangenen Friedensschlusses das Strafbedürfnis offenbar nicht mehr so hoch. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Hinweise darauf, dass der Frie202 Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 59 f.. 203 Vgl. dazu auch Weisser, S. 79.
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densschluss ein Indiz für die Tatbegehung darstelle, welches die Anwendung der Folter im Strafprozess rechtfertige204.
4.4. Strafarten 4.4.1. Weltliche Strafen 4.4.1.1. Todesstrafe
Die Todesstrafe gilt als die schwerste irdische Strafe; in ihr kommt der Talionsgedanke zum Ausdruck, insbesondere bei ihrer Anwendung auf Tötungsdelikte205. Die Todesstrafe findet ihre Rechtfertigung in der christlichen Lehre traditionellerweise in den Vorschriften des Alten Testaments (insb. für Tötung und Zauberei, indirekt aber auch für weitere Delikte)206. Die untersuchten Theologen befassen sich unter Berufung auf die Straflehre des Thomas von Aquin ausführlich mit der Rechtfertigung der Todesstrafe. Die Moraltheologen sehen insofern Rechtfertigungsbedarf der Todesstrafe, als diese mit dem Grundsatz „non occides“ aus den Zehn Geboten zu vereinbaren ist. Im Wesentlichen wird die Todesstrafe mit dem aristotelisch geprägten Ordnungsprinzip begründet, wonach das Einzelne, Unvollkommene dem Höheren, Vollkommeneren untergeordnet ist. Demzufolge wird betont, dass die Todesstrafe dem Gemeinwohl dient, denn zum Wohl der Gemeinschaft könne es notwendig sein, dass ein Einzelner eliminiert werde, wie man ein krankes Glied abschneide, um den Körper zu retten207. Daneben wird die Todesstrafe häufig auch mit ihrer abschreckenden Wirkung gerechtfertigt; dies vor allem bei den qualifizierten und öffentlich vollzogenen Todesurteilen208. Die untersuchten Theologen kommen zum Schluss, dass die von der öffentlichen Autorität ausgesprochene Todesstrafe nicht unter das bib-
204 Bossius, de treuga et pace, Rz. 23. 205 Zum Vordringen und zur Verbreitung der Todesstrafe des römischen Rechts für verschiedenste Delikte in den langobardischen Gebieten vgl. Kohler, Studien, S. 10. 206 Einen Überblick über den geschichtlichen Hintergrund der Todesstrafe und ihre Rechtfertigung bietet Strub, S. 5 ff.. 207 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 64, Art. II c; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. III; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. II; Molina, Tract. III, Disp. 5, Rz. 2; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 2, Rz. 4; Lugo, Disp. X, Sect. II, Rz. 57 ff.. 208 Damhouder, Cap. 89. Zur Abschreckungswirkung vgl. auch Strub, S. 18 ff..
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lische Gebot des „non occides“ fällt; dieses verbietet nämlich nur die eigenmächtige und absichtliche Tötung durch Privatpersonen209. Bei der Vollstreckung der Todesstrafe werden verschiedene Arten unterschieden, wobei die Enthauptung als „ehrliche“ Strafe gilt, die z.B. bei einem simplex homici dium angewendet wird und grundsätzlich den nobiles vorbehalten ist. Die Galgenstrafe hingegen gilt als schimpflich, weshalb sie nur an viles und nicht an nobiles vollstreckt wurde; teilweise kommt sie auch für besonders schändliche Delikte zur Anwendung, z.B. bei schwerem und wiederholtem Diebstahl210 oder beim homici dium proditorie211. Die Verbrennung wird in der Regel bei religiösen Delikten, Münzfälscherei und Brandstiftung gewählt, wobei dies im letzteren Fall mit dem Talionsprinzip begründet wird. An Frauen wird die Todesstrafe oft durch Verbrennen oder Ertränken vollstreckt212. Für besonders schwerwiegende Delikte wird die Todesstrafe zum Zweck der Abschreckung durch die Schändlichmachung des Täters verschärft213. Eine solche Verschärfung mit abschreckender Wirkung wird z.B. durch das Hängen lassen von Gehängten und die Verweigerung eines Begräbnisses erreicht. Damhouder beschreibt, dass latrocinii nach der Enthauptung auf ein Rad geflochten und zusammen mit dem aufgespiessten Kopf zur Schau gestellt würden; gleichzeitig würden zur Abschreckung alle Gegenstände, die als Werkzeuge zum latrocinium gedient hätten, am Rad aufgehängt214. Für die qualifizierten Tötungen wie assassinium, lat rocinium und parricidium wird der Täter gemäss den untersuchten Quellen öffentlich zur Hinrichtungsstätte geschleift oder dort gevierteilt215. Weitere, aus dem römischen Recht stammende Hinrichtungsarten wie die Sackstrafe oder das den wilden Tieren Vorwerfen, werden zwar von einigen Autoren im 16. Jahrhundert immer noch erwähnt, scheinen aber in der Praxis weitgehend aus der Übung gekommen zu sein216. Die Sackstrafe (poena culei), bei welcher der Verurteilte – meist mit vier verschiedenen Tieren – in einen ledernen Sack eingenäht und ertränkt wurde, kam im 16. Jahrhundert insbesondere in Italien nicht mehr zur 209 Eingehend zur Rechtfertigung der Todesstrafe bei den Moraltheologen des 16. Jahrhunderts Grunert, Kompetenz des öffentlichen Strafens, S 322 f.. 210 Dahm, S. 301. 211 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 34, überliefert, das Aufhängen sei nach ius civile die Strafe für homicidium proditorie. 212 Damhouder, Cap. 112. 213 Verschärfung der Todesstrafe für parricidium durch Schändlichmachung bei Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 18, Rz. 73. 214 Damhouder, Cap. 88. 215 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 35, 49 und 79; Clarus, Lib. V, § Assassinium, S. 6; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 7; Damhouder, Cap. 88. 216 So z.B. Molina, Tract. III, Disp. 26.
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Anwendung217; in Spanien soll sie noch praktiziert worden sein, allerdings in der abgeschwächten Form, dass der Verurteilte schon vor dem Säcken getötet wurde218. Tendenziell dürfte die verschärfte Todesstrafe im 16. Jahrhundert etwas an Bedeutung verloren zu haben. Auch für qualifizierte Tötungen wie parricidium wird oftmals die „gewöhnliche“ Todesstrafe angewandt; verschärfte Todesstrafen werden aber immer noch für besonders schlimme Delikte, wie z.B. für das crimen laesae maiestatis, angewendet219. 4.4.1.2. Verstümmelungsstrafen
Auch in der Verstümmelungsstrafe tritt der Talionsgedanke zu Tage: die Strafe wird an demjenigen Körperteil vollstreckt, den der Täter bei einem anderen verletzt hat. Um eine analoge oder symbolische Talion handelt es sich demgegenüber bei der häufiger beschriebenen Bestrafung am schuldigen Glied (z.B. Hand bei Diebstahl, Zunge bei übler Nachrede etc.). Hier wird die Verbrechenshandlung am Bestraften symbolisch dargestellt (sog. spiegelnde Strafe). Zwar wird das Talionsprinzip bei der Unbrauchbarmachung eines Gliedes bereits in den Zwölftafelgesetzen erwähnt, doch dürfte die im Mittelalter und der frühen Neuzeit praktizierte Verstümmelungsstrafe hauptsächlich auf langobardische und fränkische Gesetzgebungen zurückzuführen sein220. Neben der abschreckenden und entehrenden Wirkung hatte die Verstümmelungsstrafe auch den Zweck, den Nachweis eines Rückfalls zu erleichtern221. In der gelehrten Strafrechtsliteratur des 16. Jahrhunderts werden in erster Linie das Abschneiden von Hand, Fuss, Ohr, Nase oder Auge erwähnt, dies vor allem im
217 Clarus, § Parricidium, S. 39; Farinacius, Pars V, de homicidio, Tit. XIV, Quaest. 120, Sectio I, Rz. 12. Eingehender zur Sackstrafe vgl. Bukowska Gorgoni, S. 152 f.. 218 Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 3. Eingehend mit den Voraussetzungen der Sackstrafe befasst sich Covarruvias, Relectio Secunda pars, § 1, Rz. 12, wo er sich auch über die symbolische Bedeutung der mit dem Verurteilten in den Sack eingenähten Tiere äussert. 219 Molina, Tract. III, Disp. 23. Gemäss Clarus, Lib. V, § Parricidium, S. 39, werde „apud nos“ das parricidium mit gewöhnlicher Todesstrafe (inkl. Beerdigung) geahndet. Die Schärfung der Todesstrafe sollte jedoch erst im 18. Jahrhundert endgültig dahinfallen (Rüping / Jerouschek, Rz. 169). 220 Kohler, Studien, S. 12; Dahm, S. 303; Ebert, Talion, S. 257 f.. 221 Molina, Tract. II, Disp. 695, Rz. 14: Das Fehlen von Ohren lässt vermuten, dass ein fur bereits zuvor Diebstähle begangen hat. In diesem Fall darf der Verdächtige gefoltert werden. Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 14, hält allerdings fest, dass ein Richter bei einem fur, der keine Ohren mehr hat, nicht einfach annehmen dürfe, dieser habe schon zwei furta begangen. Der Richter muss dies vielmehr selber nachprüfen.
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Zusammenhang mit der ein- oder zweimaligen Begehung eines furtum222. In den vorangehenden Jahrhunderten hat sich die Strafrechtstheorie damit auseinandergesetzt, ob bei den Verstümmelungsstrafen auch individuelle Eigenarten des Täters zu berücksichtigen seien, z.B. dass das „schlechtere“ von zwei Gliedern verstümmelt oder bei Fehlen eines paarweisen Gliedes oder Organs auf die Verstümmelung verzichtet wird. In den italienischen Statutarrechten hatte sich aber durchgesetzt, dass das „bessere“ Glied verstümmelt wird223. Zu dieser Thematik lässt sich bei Bossius eine Stellungnahme finden, in welcher festgehalten wird, dass der Fürst einen Dichter, Maler oder Redner von der Verstümmelungsstrafe befreien könne224. 4.4.1.3. Ehrenstrafen
In einem noch stark auf die Verbandszugehörigkeit ausgerichteten Gesellschaftssystem ist die Ehre ein sehr wertvolles Gut, welches wertmässig noch vor den Vermögenswerten steht (vgl. dazu weiter vorne 3.3.3.1.1). Allerdings verfügen nicht alle Personen über dieselbe Ehre: während die Ehre bei den nobiles stark ausgeprägt ist, wird sie bei Klerikern und viles personae als weniger bedeutend betrachtet. Da nobiles durch eine Ehrenstrafe (poena ignominosa) ungemein härter betroffen wären als viles, wird sie oft nur auf Letztere angewendet225. Die Verbreitung von Ehrenstrafen lässt sich auf den Einfluss der Kirche und die von ihr praktizierten demütigenden Bussstrafen zurückführen226. Kombinationen von straf- und bussorientierten Sanktionen sind demzufolge keine Seltenheit: sofern nicht bereits eine Körperstrafe (insb. eine Verstümmelungsstrafe) einen Ehrverlust mit sich bringt, werden Ehrenstrafen, bei denen der Ehrverlust das eigentliche Ziel ist, oftmals als Nebenstrafen neben Körper- oder Geldstrafen ausgesprochen227.
222 Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 11; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 7; Damhouder, Cap. 112. 223 Dahm, S. 304 mit weiteren Hinweisen. 224 Bossius, de homicidio, Rz. 112. 225 Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 4. 226 Neumann, S. 159 ff.; Dahm, S. 305. Vela y Acuña beschreibt z.B., dass nach ius pontifi cum Kleriker, die ein homicidium begangen haben, u.a. vor der Kirchtüre liegen und dort das Abendmahl einnehmen mussten (Cap. 15, Rz. 25). 227 Dahm, S. 305.
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Als eigentliche Ehrenstrafen werden in den untersuchten Quellen die öffentliche Auspeitschung (poena flagellorum)228, das Leisten von öffentlicher Arbeit229, Berufsverbote (z.B. für Arzt bei Kunstfehler)230, die Krönung (mitratur)231 oder die Brandmarkung232 erwähnt. 4.4.1.4. Freiheitsstrafen
Das Einsperren (incarcerare) von Delinquenten war im Mittelalter und der frühen Neuzeit mehr von prozessualem denn strafendem Charakter. Es diente hauptsächlich dem Festhalten von Beschuldigten während des Prozesses, aber auch der Eintreibung von ausstehenden Strafgeldern233. Im Kirchenrecht hatte der carcer auch eine Mischfunktion zwischen Busse und Strafe. So wird in den untersuchten Quellen z.B. berichtet, ein corrigibilis homicida dürfe von der Kirche nicht an die weltlichen Gerichte ausgeliefert werden, sondern sei in einen carcer zu sperren, bis er Reue zeige (vgl. dazu auch weiter vorne 4.1.2)234. Andere Arten der Freiheitsentziehung bestehen in der Verbannung (bannus oder exilium), der Bergwerksstrafe (ad metallum) und der Galeerenstrafe. Der Bann kann zwar auch eine Straffolge auf gewisse Delikte sein, in erster Linie ist er aber eine Massnahme, welche bei prozeduralem Versäumnis eintritt235. Steht er im Zusammenhang mit einer Straftat, hängt die Schwere seiner Ausgestaltung von der Schwere des Delikts ab236. Allen Formen des Banns ist gemeinsam, dass der Ver228 Sie wird oft als Strafe für (ein- oder zweimaliges kleines) furtum genannt, vgl. z.B. Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. III am Ende. 229 Leisten von öffentlicher Arbeit wird gemäss Molina, Tract. II, Disp. 695, Rz. 27, vom kaiserlichen Recht für den Einbruchsdiebstahl vorgesehen. 230 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 24 f.. 231 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 19, Rz. 29; Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 11. Die Mitra war eine Papiermütze, auf der die Art des Verbrechens und der Name des Verurteilten angeschrieben stand (Dahm, S. 307). Farinacius berichtet allerdings, dass die Krönungsstrafe „hodie apud nos“ nicht mehr sehr gebräuchlich sei. 232 Die Brandmarkung wurde jedoch bereits im 14. Jahrhundert von den Rechtsgelehrten abgelehnt, da der Mensch als Gottes Ebenbild nicht entstellt werden dürfe (Dahm, S. 306 f. mit weiteren Hinweisen); Vitalinis, de penis condemn. et bannis et eorum formis. 233 Gandinus, quid sit agendum, Rz. 4, S. 153: „Carcer enim ad custodiam est inventus, non ut pena imponatur ex carcere“; vgl. Dahm, S. 308 f.; Kohler, Studien, S. 87. 234 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. I, Quaest. 8, Rz. 80. Cantera erwähnt, dass ein latro nach kanonischem Recht in ein Kloster gesperrt wurde, um dort während Lebzeiten Reue zu üben (Cap. VIII, De Furto, Rz. 9). 235 Dahm, S. 311; Pertile, S. 311. Dahm, S. 98 ff., weist darauf hin, dass Bann und Acht Nachwirkungen der Friedlosigkeit sind, die inzwischen unter rechtliche Garantien gestellt wurde. 236 Pertile, S. 314.
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bannte von öffentlichen Ämtern und prozessualen und vermögensmässigen Rechten (z.B. Zeugnisfähigkeit, Vertragsfähigkeit) ausgeschlossen und ihm verboten wird, in einer bestimmten Stadt oder Region zu leben. Beim Bann für todeswürdige Verbrechen darf der Verbannte überdies ungestraft in seinem Vermögen sowie an Leib und Leben geschädigt werden und es ist jedermann untersagt, den Verbannten zu beherbergen, zu transportieren oder sonst wie zu unterstützen. In diesen Fällen schliesst die Verbannung den Geächteten aus dem staatlichen Verband aus wie die Exkommunikation aus der kirchlichen Gemeinschaft. Verschiedentlich werden in der untersuchten Literatur für die Verbannung nebst den Termini bannus und exi lium auch die aus dem römischen Recht stammenden Begriffe der deportatio und der relegatio verwendet237. Verbannungs-, Bergwerks- oder Galeerenstrafe werden häufig als poena extraor dinaria anstelle der Todesstrafe erwähnt, wenn besondere, strafmildernde Umstände vorliegen (z.B. bei unvollendeter Tat): Die Verbannung auf eine einsame Insel wird in der untersuchten Literatur den nobiles vorbehalten. Sie wird meist als Sanktion für die Abtreibung eines noch nicht beseelten Embryos238, vereinzelt auch für homicidium239 genannt. Demgegenüber ist die Bergwerksstrafe eine typische Strafe für eine vilis persona, die z.B. bei Abtreibung eines noch nicht beseelten Embryos240 oder bei Verabreichung von Liebesgetränken (ohne Todesfolge)241 zur Anwendung kommt. Unter der Herrschaft Philipps II. kommt schliesslich die Galeerenstrafe verstärkt zum Einsatz, was möglicherweise auf die erhöhten militärischen Aktivitäten zurückzuführen ist242. Auch für Italien wird die Ruderstrafe erwähnt, die anstelle der Bergwerksstrafe tritt243.
237 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 19, Rz. 16. Bei der römischrechtlichen relegatio wird z.B. im Unterschied zur deportatio das Bürgerrecht noch beibehalten. Zu den Ursprüngen und Entwicklung von exilium, relegatio und deportatio vgl. Mommsen, S. 954 ff.. 238 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 28; Molina, Tract. III, Disp. 27. 239 Bossius, de homicidio, Rz. 107. 240 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 28; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. XX, Tom. II, Rz. 9; Molina, Tract. III, Disp. 27. 241 Bossius, de homicidio, Rz. 17. 242 Molina, Tract. II, Disp. 695, Rz. 16; Vela y Acuña, Cap. 12, Rz. 28, der die Ruderstrafe in den Gesetzen Philipps II. erwähnt. Vgl. auch Weisser, S. 77. 243 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 19, Rz. 14. Eingehender zur Galeerenstrafe vgl. Schlosser, S. 19 ff..
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4.4.1.5. Vermögensstrafen 4.4.1.5.1. Geldstrafen
Die Geldstrafe war in Spanien und Oberitalien weit verbreitet und war z.T. eine wichtige Einkommensquelle für die Städte244. Dies führte allerdings oft auch zu Missbräuchen, denn teilweise bestimmte die Höhe der eingenommenen Bussen die Höhe des Lohnes der Beamten und Richter; entsprechend wird die Geldstrafe in der untersuchten Literatur verschiedentlich kritisiert245. Von der Geldstrafe, die dem Gemeinwesen zugute kommt, sind die zivilen Pönalklagen, wie z.B. die actio furti ad duplum oder quadruplum, zu unterscheiden, welche eine Leistung an den Verletzten zum Ziel haben und somit eine „private Geldstrafe“ darstellen. Allerdings dürfte diese Abgrenzung in der Praxis nicht so klar gewesen sein, wird doch in der untersuchten Literatur berichtet, dass Geldstrafen gleichzeitig sowohl dem Fürsten als auch dem Verletzten zukommen können. So erwähnt z.B. Cantera, dass ein fur nach dem ius regium den doppelten Wert der gestohlenen Sache zurückzugeben und den siebenfachen Wert dem König zu entrichten hat246. Werden diese Beträge nicht bezahlt, erhält der fur gemäss Cantera eine Verstümmelungsstrafe. Anhand dieses Beispiels zeigt sich, dass die Geldstrafe im heutigen Sinn im 16. Jahrhundert noch nicht in reiner Form existiert, sondern noch Elemente der vom Rachegedanken geprägten privaten Geldstrafe enthält. Von der Geldstrafe abzugrenzen sind überdies die finanziellen Leistungen, welche der Täter im Rahmen eines Friedensschlusses an den Verletzten oder dessen Angehörige bezahlt (vgl. dazu weiter vorne 4.3.4) sowie die restitutio, welche grundsätzlich dem Verletzten bzw. den Hinterbliebenen als Schadenersatz zugute kommt. Die Höhe der Geldstrafe ist teilweise rahmenartig vorgegeben (z.B. ein Mehrfaches des Deliktsbetrages) und teilweise auch nach dem Ermessen des Richters bestimmt. Bei der Bemessung der Geldstrafe sind u.a. die gesellschaftliche und finanzielle Stellung des Täters ausschlaggebend. So wird z.B. verschiedentlich berichtet,
244 Weisser, S. 78; Dahm, S. 312. Zur Entwicklung der Geldstrafe aus dem Friedensgeld vgl. Kohler, Studien, S. 81 ff.. Zu Wergeld, Kompositionszahlungen und Geldstrafe in Italien: Pertile, S. 190 ff.. 245 Covarruvias weist auf die Gefahr hin, dass Prälaten Geldstrafen aussprechen, um sich zu bereichern (Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 9). 246 Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 12; Covarruvias Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 10. Auch Soto erwähnt die neunfache Strafe der „lex Hispanis“ (Lib. V, Quaest. III, Art. III am Ende).
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dass Reiche oder nobiles eine höhere Geldstrafe entrichten müssen als Arme oder humiliores247. Trotz der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Umstände bei ihrer Bemessung führt die Geldstrafe im Ergebnis zu einem Zweiklassenstrafrecht: wird eine Geldstrafe nicht bezahlt, erfolgte ursprünglich eine Ächtung des Täters und die Wüstung seines Vermögens248. Allmählich gelangen jedoch bei Zahlungsunfähigkeit für jedes Delikt bestimmte Körperstrafen zur Anwendung. Wenn der Täter die ihm auferlegte Geldstrafe nicht bezahlt oder nicht bezahlen kann, wird er also mit einer Körperstrafe, meist einer Verstümmelungsstrafe bestraft, die anstelle der ursprünglichen Geldstrafe tritt249. Die Körperstrafe ist in dem Fall eine Hilfsstrafe, um den Grundsatz „ne crimina remaneant impunita“ zu verwirklichen250. Für Italien belegen Dahm und Kohler, dass dieser Mechanismus teilweise sogar umgekehrt funktionierte, so dass sich ein Täter von einer ursprünglich angedrohten Körperstrafe durch Bezahlung einer Geldstrafe „loskaufen“ kann251. In beiden Fällen führt dies dazu, dass sich Reiche durch Bezahlung der Geldstrafe von Körperstrafen befreien können, während umgekehrt zahlungsunfähige Arme körperliche Strafen erleiden müssen. 4.4.1.5.2. Andere Vermögensstrafen
Nebst der poena pecuniaria werden verschiedene andere Formen von Vermögensstrafen genannt: Die Vermögensbeschlagnahmung (confiscatio) tritt oft neben die Verbannung, z.B. bei qualifizierten Tötungsdelikten, oder neben die Todesstrafe252. Im Zusammenhang mit Straftaten zwischen Ehegatten wird der Verlust der Mitgift (dos) beschrieben. Dieser kann sowohl die Frau als auch den Mann betreffen: bei Ehebruch verliert die Frau ihre Mitgift; einzelne Rechtsgelehrte vertreten über-
247 Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 2: nobiles sollen eine höhere Geldstrafe erhalten als humiliores; der umgekehrte Grundsatz gilt allerdings bei Körperstrafen. Tiraquellus schreibt, dass der Richter für einen Armen eine Geldstrafe mindern kann (Causa 32, Rz. 1). 248 Kohler, Studien, S. 83. 249 Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 25; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 8; Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 12; Molina, Tract. II, Disp. 695, Rz. 12. Vgl. auch Rüping / Jerouschek, Rz. 41. 250 Zur Herkunft des ne criminia-Satzes vgl. Jerouschek, ne criminia, S. 324 ff.. 251 Dahm, S. 314. Allerdings war ein Loskaufen z.B. gemäss den italienischen Statuten bei besonders schweren Delikten wie z.B. grosser Diebstahl, Tötung, Brandstiftung oder Strassenraub ausgeschlossen (vgl. Kohler, Studien, S. 115). 252 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 36; Lugo, Disp. XI, Sect. II, Rz. 31.
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dies, der Mann, der seine Frau töte, dürfe die dos aus Abschreckungsgründen nicht behalten253. Schliesslich macht sich ein homicida gegenüber dem Getöteten erbunwürdig; war der homicida im Testament des Getöteten als Erbe aufgeführt, verfällt dieser Teil dem fiscus. Dabei wird auch diskutiert, ob bei der Intestaterbfolge die Erbschaft ebenfalls an den fiscus oder die übrigen gesetzlichen Erben fallen solle254. 4.4.2. Kirchenrechtliche Strafen
In Bezug auf Straftaten von Klerikern sind die kirchlichen Gerichte zuständig; es wird als Prinzip des kanonischen Rechts betrachtet, dass Kleriker nicht von Laien verurteilt werden (sog. privilegium fori). Daneben können auch Kreuzfahrer, Studenten, personae miserabiles, Juden, Reisende, Kaufleute und Seefahrer die kirchlichen Gerichte in Anspruch nehmen255. Die Zuständigkeit der Kirche erstreckt sich nicht bloss auf rein kirchliche Delikte, sondern darüber hinaus auf Straftaten, die auch nach weltlichem Strafrecht strafbar sind (sog. delicta mixti fori). Die Kirche sieht nebst den bereits erwähnten Bussen (vgl. oben 4.1.1) auch eine Reihe von Sanktionen vor, bei welchen der eigentliche Strafcharakter überwiegte. Aufgrund des Grundsatzes, dass die Kirche kein Blut vergiessen darf, richten sich die Strafen des kanonischen Rechts hauptsächlich gegen die Stellung des Täters innerhalb des Religionsverbandes256. Stehen Laien vor einem kirchlichen Gericht, ist zu prüfen, ob sie an die weltliche Gerichtsbarkeit ausgeliefert werden können. Eine Auslieferung wird in der untersuchten Literatur nur bei besonders schweren Taten, z.B. bei qualifizierten Arten des homicidium, bejaht, wodurch im Ergebnis erreicht wird, dass für diese Delikte eine Todesstrafe ausgesprochen und vollstreckt werden kann257.
253 Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 25. 254 Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 18. 255 Weiterführend dazu Trusen, Gerichtsbarkeit, S. 483 f., welcher auch den sachlichen Anwendungsbereich der kirchlichen Gerichtsbarkeit näher beleuchtet. Vgl. auch Trusen, forum, S. 275. 256 Molina, Tract. III, Disp. 8; Aragon, Quaest. 64, Art. IV hält fest, dass die Kirche auf die spirituelle Herrschaft ausgerichtet sei und deshalb die Fällung und Vollstreckung von Todesurteilen an die weltliche Gewalt übertrage. 257 Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 7; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. IV, Quaest. 28, Rz. 22.
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Daneben gibt es auch Freiheitsstrafen wie Gefängnis (incarceratio)258 oder Verstossung in ein Kloster (detrusio in monasterium)259, Geldstrafen260 sowie die Strafe der Infamie, unter welcher die Absprechung der Klage- und Zeugnisfähigkeit verstanden wird261. Die meistgenannten Strafen betreffen jedoch die Stellung des Täters innerhalb der Kirche: so kann der zu bestrafende Kleriker auf eine schlechtere Pfründe versetzt werden oder es wird ihm das Benefizium, d.h. die mit seinem Amt verbundene Pfründe, gänzlich entzogen262. Weitere Strafen sind die Absetzung aus dem Amt in Form von Deposition263 oder Degradation264, die Weiheunfähigkeit (sog. Irregularität)265 sowie die Exkommunikation. Die Exkommunikation, auch Kirchenbann genannt, hat den Ausschluss von Sakramenten und gottesdienstlichen Handlungen (sog. kleine Exkommunikation) sowie teilweise auch den Ausschluss aus der Glaubensgemeinschaft (sog. grosse Exkommunikation) zur Folge266. Unter Umständen kann sie auch Auswirkungen in den weltlichen Bereich haben, z.B. die Unfähigkeit, bestimmte Ämter auszuüben267. Die Irregularität nimmt im kirchlichen Strafrecht eine Sonderstellung ein: es handelt sich dabei nicht um eine Strafe im eigentlichen Sinn, sondern um ein for258 Damhouder, Cap. 89. 259 Verstoss in ein Kloster mit Degradierung wird z.B. von Cantera als Strafe für latrocinium genannt (Cap. VIII, De Furto, Rz. 9). 260 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 19, Rz. 1, beschreibt, dass im Kirchenrecht die Einnahmen aus Geldstrafen für fromme Zwecke verwendet worden seien. 261 Cantera weist darauf hin, dass der fur und latro nach dem ius canonicum infam werden, wenn gegen sie mit der (pönalen) actio furti vorgegangen wird, nicht aber wenn die („zivilrechtliche“) condictio furtiva gewählt wird (Cap. VIII, De Furto, Rz. 9). 262 Die privatio beneficiis, wird z.B. von Cantera als zusätzliche Strafe für einen Kleriker, der an einem homicidium teilnimmt, genannt (Cap. VI, De Homicidio, Rz. 21). Zur kirchenrechtlichen Bedeutung des Benefizium vgl. Lexikon des Mittelalters, Bd. I, S. 1904 ff.. 263 Unter der Deposition wird die Absetzung eines Delinquenten verstanden; im Unterschied zur Degradation war sie allerdings nicht mit einem Verlust der klerikalen Privilegien verbunden (vgl. Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 19, Rz. 49; Lexikon des Mittelalters, Bd. III, S. 708). 264 Damhouder, Cap. 89. Die Degradation gilt als schwerste Strafe für einen Kleriker: sie besteht in der Absetzung des Klerikers verbunden mit einem Entzug sämtlicher Privilegien (vgl. Meissner, S. 488 ff.). 265 Irregularität bezeichnet alle vorübergehenden oder dauernden Hindernisse, die nach Kirchenrecht dem Empfang der Weihe entgegenstehen oder die Ausübung der Weihe hindert. Die Irregularität folgt aus schweren Delikten, aber auch aus körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, Eheschliessung etc. (vgl. näher dazu Lexikon des Mittelalters, Bd. V, S. 663 f.). 266 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 19, Rz. 38. 267 Vgl. Pahud de Mortanges, S. 152 mit weiterführenden Literaturhinweisen.
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males Weihehindernis. Irregularität setzt nicht in jedem Fall peccatum oder culpa voraus. Sie kann insbesondere auch in Fällen eintreten, in welchen eine Tötung rechtmässig, z.B. in Notwehr oder durch richterliche Urteilsvollstreckung, geschieht. Vor diesem Hintergrund kann in Bezug auf die Irregularität von einer Trennung zwischen „Strafrecht“ und Ordinationsrecht gesprochen werden, da letzteres eigenen Regeln folgt und meist viel weiter geht als das „Strafrecht“268. In der untersuchten Literatur wird denn auch die Frage nach der Weiheunfähigkeit oft separat und teilweise mit anderem Resultat als die Frage nach peccatum oder Strafbarkeit behandelt (so z.B. bei der Fahrlässigkeit oder der Notwehr).
268 So auch Kuttner, S. 232.
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5. Proportionalität von Delikt und Strafe
Im Rahmen dieses fünften Kapitels werden zunächst allgemeine Grundlagen der Festlegung der Strafe in den untersuchten Quellen dargestellt (Kap. 5.1), danach wird auf die grundsätzlichen Strafdrohungen für homicidium und furtum eingegangen (Kap. 5.2) und schliesslich werden die Gründe behandelt, welche zu einer Erhöhung oder Milderung dieser Strafen führen bzw. eine Bestrafung ausschliessen (Kap. 5.3). Diese Gründe finden sich in der untersuchten Literatur oft in – teilweise sehr umfangreichen – Katalogen, wobei das Schwergewicht auf den Strafmilderungsgründen liegt. Entsprechend dem Aufbau in der untersuchten Literatur werden auch in der vorliegenden Arbeit Entschuldigungs- und Strafmilderungsgründe gemeinsam behandelt.
5.1. Grundlagen der Festlegung der Strafe 5.1.1. Systematik der Strafzumessung Die Begriffe der Strafmilderung und -erhöhung werden im Folgenden untechnisch verwendet; eine Unterscheidung zwischen den modernen Kategorien der Strafmilderung und -schärfung einerseits und Strafminderung und -erhöhung andererseits kann in der untersuchten Literatur nicht festgestellt werden. Stattdessen gehen die untersuchten Autoren bei jedem Delikt von einer sog. poena ordinaria aus, die eine Art „Einsatzstrafe“ bildet und bei Vorliegen bestimmter Umstände vom Richter erhöht oder gemildert werden kann. Bei Vorliegen solcher Umstände kommt gemäss der untersuchten Literatur statt der gewöhnlichen Strafe eine poena extraordinaria zur Anwendung, sofern die Umstände nicht sogar gänzlich von Strafe entschuldigen. Dabei kommt dem richterlichen Ermessen eine grosse Bedeutung zu (dazu sogleich nachfolgend 5.1.2). Es fällt auf, dass sich vor allem die Juristen mit den Strafdrohungen für einzelne Delikte befassen. Bei den Moraltheologen fehlen in der Regel Ausführungen dazu; im Rahmen des furtum wird allerdings diskutiert, ob bzw. unter welchen Umständen das furtum ein peccatum mortale darstellt. Nur am Rande sei erwähnt, dass gemäss der untersuchten Literatur besonders qualifizierte Delikte nicht nur höhere Strafen nach sich ziehen, sondern auch zu prozessualen Nachteilen führen können. So wird z.B. berichtet, dass der Täter eines besonders qualifizierten Delikts (z.B. Wegelagerer oder Giftmörder) keine Vertei151
digung erhält oder von der Möglichkeit der appellatio ausgeschlossen wird1. Auch wird unter Umständen die Strafbarkeit ins Stadium der Vorbereitungshandlungen vorverlegt, womit im Ergebnis besonders qualifizierte Delikte – modern gesprochen – zu „Gefährdungsdelikten“ werden2. 5.1.2. Rechtsgrundlage und richterliches Ermessen
Die Gelehrten des 16. Jahrhunderts gehen davon aus, dass der Richter in bestimmten Grenzen befugt und verpflichtet ist, die gesetzlich vorgesehenen Strafen an die konkreten Umstände anzupassen. Dabei zählen sie – teilweise katalogartig – Situationen auf, unter welchen statt der statuierten poena ordinaria eine poena extraordinaria ex arbitrio iudicis zur Anwendung gelangen soll. Die Strafzumessung, d.h. die poena taxatio, gehört laut Vitoria weder zum göttlichen noch natürlichen Recht, sondern zum ius positivum3. Begründet wird das richterliche Ermessen bei der Strafzumessung damit, dass das Gesetz niemals alle Umstände des Einzelfalles vorhersehen kann. Aus diesem Grund räumt das Gesetz dem Richter die Möglichkeit des Ermessens ein, damit er die Strafe „ex causa“ erhöhen, mildern oder umwandeln kann4. Schon die mittelalterlichen italienischen Statuten wie auch die frühen Legisten haben dem Richter Rahmenbedingungen für die Strafzumessung vorgegeben, indem sie vorgeschrieben haben, dass die „qualitas“ der Tat und der involvierten Personen zu berücksichtigen seien. Die Strafzumessung erfolgt „inspecta qualitate de licti et personarum“5. Strafänderungsgründe wie z.B. der Umfang der Schuld, die gesellschaftliche Abstammung von Täter und Opfer sowie die Umstände der Tat
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Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 6f.; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. V, Quaest. 39, Rz. 107 berichtet, dass besonders auffallende oder anstössige Diebe sowie Wegelagerer keine Verteidigung erhalten; er selber ist aber der Auffassung, dass die defensio niemandem versagt werden darf. Vgl. dazu auch Pertile, S. 392 f.. So wird u.a. berichtet, dass bereits das Kaufen von Gift mit der, zwar gemilderten, Strafe für veneficium bestraft wird (vgl. dazu weiter vorne 3.3.2.1). Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. III. Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 17, Rz. 8: „Ratio istius arbitrii sic a iure iudicibus concessi potuit esse, secundum Dd. praecitatos, quia scilicet cum delicta diversis circumstantiis, et qualitatibus perpetrentur, ex quibus crimen ipsum quandoque sit excusabile, quandoque autem magis atrox, et odiosum […] omnes circumstantias, et qualitates lex ipsa exprimere non potuerit, sed quasdam tantummodo expresserit […]. ideo dedit iudici hanc facultatem et arbitrium, ut se cundum facti contingentiam poenas ipsas arbitrio suo e causa augueret, minueret, vel mutaret“. Zum historischen Hintergrund des Konzepts der Strafzumessung nach Ermessen vgl. Kohler, Studien, S. 271 ff.; Dahm, S. 295; Müller, Einfluss, S. 92 f.; Mayali, S. 303 ff..
werden bereits von Gandinus genannt6. Vitalinis ergänzt unter Einfluss von römischem und kanonischem Recht, dass auch die Art des Erfolges und der angewandten Mittel, sowie die örtlichen und zeitlichen Umstände, Alter, Stellung, Lebensweise und Ruf des Täters und des Verletzten etc. berücksichtigt werden sollen7. Einen grossen Raum nimmt die Strafzumessung schliesslich bei Tiraquellus ein, der sein ganzes Strafrechtstraktat als ein Katalog von strafändernden Umständen aufgebaut hat. Tiraquellus weist darauf hin, dass ein Übeltäter zwar grundsätzlich die ihm durch menschliches und göttliches Recht zugeteilte Strafe erhalten soll, schränkt dies aber gleich wieder dadurch ein, als dass „ex causa“ trotzdem eine Abweichung von der gesetzlichen oder gewohnheitsmässigen Strafe zulässig sei8. Der Richter kann die vorgeschriebene Strafe nicht nur mildern, sondern auch verschärfen; dies insbesondere bei Delikten, die als besonders verwerflich angesehen werden9. Dies steht in der Tradition des Grundsatzes „ne criminia remaneant impunita“; das Prinzip der „nulla poena sine lege“ hat im 16. Jahrhundert noch keine Geltung. Der Freiheit des Richters in der Strafzumessung entspricht eine grosse Verantwortung: findet der Richter nicht die der Tat angemessene Strafe, urteilt er also zu milde oder zu streng, begeht er eine Sünde10. Gewisse Autoren diskutieren, ob der Richter sein Ermessen mit praktischer Härte oder mit christlichem Erbarmen auszuüben habe11. Laut Farinacius darf der Richter bei der Ausübung seines Ermessens nicht „contra legem“ urteilen; er muss dem Gesetz dienen, indem er den Grundsatz, „quod poena est commensuranda delicto“ anwendet. Weiter wird darauf hingewiesen, dass der Richter bei einer Straferhöhung an die vorgegebene Strafart
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Gandinus, de homicidariis, Rz. 20, S. 302: „… sed tamen mitigabitur pena pro modo culpe et condicione personarum et qualitate delicti…“. Vitalinis, de penis condemn. et bannis et eorum formis. Tiraquellus, Praefatio, Rz. 16. Clarus, Lib. V, § 1, S. 2: „in atrocioribus iudex potest iura transgredi“ unter Berufung auf Tiraquellus; Molina, Tract. III, Disp. 24, schreibt, dass der Richter bei einem Versuch frei sei, wenn es den Umständen angemessen scheint, entgegen dem Statut eine poena mortis oder eine poena extraordinaria auszusprechen. Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 17, Rz. 7: „Cum causa autem, quod iudex possit poenas a legibus inductas non solum minuere, sed etiam pro suo arbitrio augere; et quod hodie omnes poenae iuxta facti et personarum qualitates sint in arbitrio iudicantis“. Vgl. auch Schnapper, Bd. 42, S. 84 f.. Vgl. Birr, S. 71 f.. Vgl. dazu Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 17, Rz. 5, der sich grundsätzlich für Härte ausspricht, sofern kein bestimmter Grund zur Milde vorliegt: „Dic quod sine causa iudex non potest minuere poenas a lege, statuto seu consuetudine inductas, & sic sine causa debet merum rigorem in puniendis delictis servare, non autem clementiam, misericordiam seu veniam“. Ähnlich auch Damhouder (vgl. Birr, S. 72, mit Nachweisen).
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(z.B. Geldstrafe) gebunden ist und nicht zu einer schwereren Strafart (z.B. Körperstrafe) aufsteigen darf12. Das Konzept der richterlichen Strafzumessung nach Ermessen führt letztlich zu einer Weiterentwicklung der Strafrechtswissenschaft, da Schuld- und Strafmilderungsgründe in weitem Umfang miteinbezogen werden können und demzufolge auch detailliert untersucht werden13. Die im 16. Jahrhundert feststellbaren Systematisierungsbemühungen bewirken vereinzelt bereits, dass die Strafmilderungsund -erhöhungsgründe losgelöst vom Tatbestand des homicidium und somit als „allgemeine Lehren“ behandelt werden. Dies z.B. bei Clarus, der die Strafzumessungskriterien in einer separaten Quaestio unabhängig von den einzelnen Deliktstatbeständen behandelt, oder bei Tiraquellus, dessen gesamtes Strafrechtstraktat als ein Katalog von Strafänderungsgründen aufgebaut ist. Gomez schliesslich geht auf die verschiedenen Fallgruppen der „Unzurechnungsfähigkeit“ unter dem separaten Titel „de delictorum variis generibus, ac speciebus“ ein. Entsprechend dem starken Gewicht, den die Schuld- und Strafmilderungsgründe in der Literatur erhalten, findet im 16. Jahrhundert auch eine Ausdifferenzierung und Verfeinerung der diesbezüglichen Lehren statt, so z.B. in Bezug auf Trunkenheitsdelikte oder das Verschuldensprinzip. 5.1.3. Talion und Proportionalität
Die bereits im Alten Testament beschriebene Talionsstrafe vermag das Verbrechen augenscheinlich zu versinnbildlichen und das Rachebedürfnis der Beteiligten zu stillen, weshalb sie als wirksames Mittel im Kampf gegen die Privat- und Blutrache galt14. Ursprünglich wurde das Talionsprinzip aber nicht als Rechtsgrund oder Zweck der Strafe, sondern als eine Art der Strafbemessung verstanden15. In ihrer Urform orientierte sich die Talion am Taterfolg, d.h. sie entsprach maximal dem objektiv begangenen Erfolgsunrecht und diente damit der Begrenzung einer masslosen Rache. Da dabei das Handlungsunrecht und die Schuld zunächst nicht berücksichtigt wurden, wurde bereits in der Antike erkannt, dass gerechte Vergeltung nicht nach Massgabe der objektiven Gleichheit von Delikt und Strafe, sondern nach Massgabe der Proportionalität zu bemessen ist16. Mit der Proportionalität ist im Lichte des Vergeltungsgedankens das Verhältnis zwischen der Strafe und der Schwere des Delikts gemeint. Damit eine möglichst 12 13 14 15 16
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Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 83, S. 207. Vgl. Dahm, S. 295. Zum geschichtlichen Hintergrund der Talion vgl. Strub, S. 12 ff.. Dahm, S. 286 ff.; Nagler, S. 647 f. und 719. Z.B. Aristoteles (vgl. Ebert, S. 250 ff. mit Fundstellen).
genaue Kongruenz zwischen dem Delikt und seiner Strafe erreicht werden kann, muss sich die Strafzumessung nach der Qualität des Delikts, des Täters und des Opfers richten. Ein anderes Verständnis von Proportionalität besteht darin, die Strafe in ein Verhältnis zum angestrebten Strafzweck zu setzen. Nach diesem Ansatz geht es bei der Strafzumessung nicht in erster Linie um eine Kompensation des Unrechts, sondern um die Bestrafung aus Nützlichkeitsüberlegungen. Entsprechend der grossen Bedeutung der Vergeltung als Strafzweck wird die Proportionalität in der mittelalterlichen Lehre überwiegend als Verhältnis der Strafe zur Schwere des Delikts unter Berücksichtigung des Handlungsunrechts und der Schuld aufgefasst17, doch lässt sich, wie nachfolgend gezeigt wird, im 16. Jahrhundert allmählich auch ein vermehrter Einbezug von Nützlichkeitsüberlegungen beobachten. Thomas von Aquin hat darauf hingewiesen, dass die Vergeltung zwar nach dem Mass der erlittenen Verletzung zu erfolgen hat, doch dass nicht bereits deswegen eine Gleichwertigkeit zwischen Verletzung und Strafe besteht, wenn der Täter der Art nach das erleidet, was er getan hat18. So ist zum Beispiel zu berücksichtigen, ob der Täter einen Höherrangigen verletzt hat; in diesem Fall muss er eine härtere Strafe erhalten als die spiegelbildliche Rückzahlung dessen, was er dem Höherrangigen angetan hat. Thomas lehrt, dass sich die Grösse der Sünde einerseits nach dem Wert des verletzten Gutes, andererseits aber auch nach den circumstantia richtet19. Mit den circumstantia sind Umstände gemeint, die als Indizien für den inneren Kern des Verschuldens dienen wie z.B. Vorbedacht (deliberatio), Charakterschwäche (infirmitas) oder Unvorsichtigkeit (incautela).
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Da für den geistlichen Richter im Rahmen der Beichte eine grössere Freiheit besteht, kommt der Lehre von der Proportionalität zwischen Delikt und Strafe insbesondere in der Beichtjurisprudenz ein grosses Gewicht zu. Die Beichtliteratur zählte daher regelmässig Fragen auf, welche in der Beichte dazu dienen sollten, die für die Grösse der Sünde relevanten Umstände zu erforschen, so z.B. causa, persona, tempus, locus, qualitas, eventus (vgl. Dahm, S. 296, mit Literaturhinweisen). Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 61, Art. IV. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 73, Art. III: „Respondeo dicendum quod peccata quae committuntur in proximum sunt pensanda per se quidem secundum nocumenta quae proximo inferuntur, quia ex hoc habent rationem culpae. Tanto autem est maius nocumentum quanto maius bonum demitur. […] Et ideo detractio, secundum suum genus, est maius peccatum quam furtum, minus tamen quam homicidium vel adulterium. Potest tamen esse alius ordo propter cir cumstantias aggravantes vel diminuentes. Per accidens autem gravitas peccati attenditur ex parte peccantis, qui gravius peccat si ex deliberatione peccet quam si peccet ex infirmitate vel incautela. Et secundum hoc peccata locutionis habent aliquam levitatem, inquantum de facili ex lapsu linguae proveniunt, absque magna praemeditatione“.
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Nach dieser Auffassung stellt die Proportionalität eine Begrenzung der Strafreaktion dar und führt gleichzeitig zu einer Anknüpfung an die Schuld, zu welcher die Strafe in einem angemessenen Verhältnis zu stehen hat. Sie wirkt weiter bei den Thomas-Kommentatoren des 16. Jahrhunderts, wie z.B. Molina zeigt: die Gerechtigkeit (iustitia, aequalitas) verlangt eine Strafzumessung nach der Schwere der Tat20. Auch Covarruvias macht sich für das Proportionalitätsprinzip stark, indem er sich von einer reinen, am objektiven Erfolg orientierten Talion distanziert. Im Unterschied zu Thomas und den Moraltheologen des 16. Jahrhunderts begründet er das Proportionalitätsprinzip aber nicht nur mit dem Argument der Gerechtigkeit, sondern auch mit dem Nutzen der respublica: „non enim semper convenit Reipublicae, ut qui crimen aliquod perpetraverit, idem patiatur, quod intulit: nam esset ea punitio frequenter iniqua: sed potius poena est iuxta proportionem delicti constituenda, attenta qualitate iniuriam inferentis, & eius cui fuerit illata, ut si magistratum quis gerens alterum etiam inique percusserit, reper cutiendus non est“21. Er betont, dass die (reine) Talion nicht immer gerecht sei, da aequalitas und simili tudo suplicii die Strafe nicht immer rechtfertigen könnten. Dieser Auffassung schliessen sich Fernando Vàzquez, Farinacius und Vela y Acuña an22. Farinacius führt aus, dass der Richter bei der Beurteilung der Schwere eines Delikts nicht nur die Person von Opfer und Täter, Ort und Zeit der Tat, Waffen und den verletzten Körperteil zu berücksichtigen hat, sondern auch die Häufigkeit und Verbreitung eines Delikts und damit die Gefährlichkeit für die respublica. Es zeigt sich somit, dass die Proportionalitätslehre im 16. Jahrhundert nicht nur der Begrenzung der Strafe aus Gerechtigkeitsüberlegungen dient, sondern teilweise in den Dienst der Strafzwecke, insbesondere der Abschreckung und Unschädlichmachung gestellt wird. Diese Entwicklung hängt eng mit dem parallelen Wiederentdecken der „relativen“ Straftheorien im 16. Jahrhundert zusammen, insbesondere mit der sowohl von Juristen als auch Moraltheologen stärker in den Mittelpunkt gerückten Strafzwecke der Abschreckung und Besserung. Gleichzeitig setzt die Bestrafung aus Nützlichkeitserwägungen auch ein gewisses Verständnis eines hoheitlichen Strafanspruchs voraus und damit eine Lösung vom Gedanken der stellvertretenden Wahrnehmung privater Rachebedürfnisse. Ein solcher eigenständiger 20 21 22
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Molina, Tract. III, Disp. 22, Rz. 4. Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 2. Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 8, Rz. 48: „poena enim debet commensurari delicto“; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. II, Quaest. 16, Rz. 62 sowie Quaest. 17, Rz. 9; Vela y Acuña, Prooemium, Rz. 5.
hoheitlicher Strafanspruch scheint bereits bei Covarruvias auf, was ihm u.a. ermöglicht, den Nutzen der respublica als einen der Gesichtspunkte für eine gerechte Bestrafung anzuführen (vgl. dazu auch weiter vorne 4.2.1.3). Nützlichkeitserwägungen zu Gunsten der respublica müssen aber nicht in jedem Fall zu einer harten Strafe führen, sondern können umgekehrt in gewissen Konstellationen auch zu einem Umgang von Strafe führen23. 5.1.4. Schuld als Voraussetzung von Strafe?
Auch wenn crimen und peccatum in der untersuchten Literatur grundsätzlich über den Willen zugerechnet werden24, muss dies noch nicht zwingend bedeuten, dass Strafe in jedem Fall Schuld voraussetzt. So war denn im Mittelalter das Verschulden des Täters noch nicht in jedem Fall eine Strafbarkeitsvoraussetzung. Insbesondere die kanonistische Lehre hat nicht ausschliesslich auf das Schuldprinzip abgestellt, sondern auch eine Bestrafung ohne Schuld, aber mit „causa“ zugelassen25. Auch Thomas setzt, wie die im 13. Jahrhundert vorherrschende Kanonistik, für eine Bestrafung nicht unbedingt ein Verschulden voraus: „Alio modo potest con siderari poena, inquantum est medicina non solum sanativa peccati, sed etiam praeser vativa a peccato futuro, vel etiam promotiva in aliquod bonum; et secundum hoc ali quis interdum punitur sine culpa, non tamen sine causa“26. Allerdings darf in Fällen, wo ohne Schuld gestraft wird, keine körperliche, sondern nur eine vermögensmässige Strafe zur Anwendung kommen27. In der untersuchten kanonistischen und moraltheologischen Literatur des 16. Jahrhunderts verstärken sich Hinweise auf das Schuldprinzip, ohne dass sich allerdings bereits eine lückenlose Theorie herausgebildet hat: Bei Vitoria ist die Schuldlehre erst ansatzweise geprägt, doch lassen sich einige Stellen finden, die darauf hindeuten, dass Vitoria bereits einen subjektiven Verbrechensbegriff kennt. So schreibt er z.B. unter Bezugnahme auf die vorerwähnte 23 24 25
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Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 67, Art. IV, Rz. 2; vgl. dazu weiter vorne 4.3.3. Vgl. weiter vorne 3.1.4. Dies galt auch für die ältere Legistik, wo Abweichungen vom Schuldprinzip entweder auf Schuldpräsumtionen oder politische Nützlichkeitsgründe zurückzuführen waren (vgl. Engelmann, S. 34). Zum Phänomen der Strafe für fremde Schuld vgl. Maihold, S. 109 ff.. Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 108, Art. III; die Bestrafung ohne konkrete Schuld wird in der Theologie letztlich mit der Erbsünde gerechtfertigt (vgl. Maihold S. 163). Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 108, Art. IV, ad 2. Als Gründe, weshalb eine poena medicinalis trotz Fehlen von Schuld gerechtfertigt sein kann, erwähnt Thomas die Grösse der Sünde, die Gewohnheit, der Wohlgefallen an der Sünde oder die Einfachheit, eine Sünde zu begehen (Thomas von Aquin, STh I-II, Quaest. 105, Art. II, ad 9). Vgl. auch Brands, S. 51 f. sowie Maihold, S. 160 ff..
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Thomas-Stelle, dass Unschuldige nicht „per modum poenae“, sondern nur „ad cor rectionem“ „bestraft“ werden dürfen. Damit erscheint die Schuld immerhin bereits als ein Wesenselement der „poena“28. Deutlicher wird schliesslich Castro, der zwischen „echten Strafen“ und sonstigen „Übeln“ unterscheidet und die vorausgegangene Schuld („praeterita culpa“) ausdrücklich als Wesensmerkmal der „echten Strafe“ beschreibt29. Dieser Strafbegriff findet sich später auch bei Azpilcueta, der bei der „eigentlichen Strafe“ für das Schuldprinzip eintritt, daneben aber weiterhin auch die causa-Strafen erwähnt30. Demgegenüber bewegt sich Covarruvias, der sich zwar für die Willenszurechnung stark macht, im Rahmen seiner Straflehre noch ganz in der kanonistischen Tradition der causa-Strafen, ohne den Begriff der „Sündenstrafe“ von Castro und Azpilcueta aufzunehmen 31. Für ein strenges Schuldprinzip tritt schliesslich Fernando Vàzquez ein, ohne allerdings direkt auf Castro oder Azpilcueta Bezug zu nehmen. Er ist der Auffassung, dass die Strafe nicht grösser als die Schuld sein darf und dass bei Schuldlosigkeit grundsätzlich keine Strafe folgen darf: „ubi non est animus occidendi, non videatur esse delictum […] ubi autem delictum non est, ibi nulla poena esse debeat. […] Unde Cicero lib. i. offi. Cavendum (inquit) est ne maior sit poena quam culpa; nec dubium est quin ubi culpa nullla est, ibi quaelibet poena culpa maior ut sit necesse est“32. Diese Aussage erfolgt im Zusammenhang mit der Frage nach der Zurechnung von Fahrlässigkeitsdelikten in Fällen, wo der deliktische Erfolg aufgrund von Unerfahrenheit des Täters eintritt. Fernando Vàzquez bejaht für diese Fälle dann aber das Vorliegen von culpa aus „Übernahmeverschulden“, denn der Täter hätte erkennen müssen, dass ihm die nötige Erfahrung für eine bestimmte Handlung fehlt und er dadurch eine Gefahr schafft. Auch bei Molina finden sich verschiedene Ansätze des Schuldprinzips: Er untersucht die Frage, ob die respublica Unschuldige töten darf, und benutzt dazu das Gleichnis vom Körper und den einzelnen Gliedern. Auch wenn es kein intrinsece malum ist, wenn die respublica jemanden zum Wohl des Gemeinwesens ohne vorangegangene Schuld tötet, hält er es doch für richtiger, dass die respublica jemanden nur „ad id sufficiente culpa interveniente“ tötet, da dies nur in diesem Fall nützlich 28 29 30 31 32
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Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 79, Art. III, Rz. 2. Eingehend zum Strafbegriff von Castro sowie Fundstellen vgl. Maihold, S. 181 ff., insb. S. 188. Azpilcueta, lege poenali, Rz. 10 ff.. Vgl. Maihold, S. 223. Zur Willenszurechnung bei Covarruvias vgl. weiter vorne 3.1.4. Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 19, Rz. 5 f..
und notwendig sei, um die Sicherheit für Leben, Ehre und Vermögenswerte zu gewährleisten. Er begründet dies mit einem praktischen Argument: die menschliche Schwäche und Schlechtigkeit würde bei Nichtbeachten des Schuldprinzips dazu führen, dass niemand mehr seines Lebens, seiner Ehre und seiner sonstigen Güter sicher wäre33. An einer anderen Stelle zeigt Molina dann einen Weg, wie die Anforderungen des Schuldprinzips mit dem praktischen Bedürfnis nach Strafe vereint werden können: entgegen der Meinung der „doctores“ rät Molina dem „prudens iudex“, bei einer Verurteilung wegen homicidium unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände entweder formell oder durch Zurechnung einen Tötungswillen festzustellen, da eine Strafe nur für culpa aufzuerlegen ist34. So gesehen wird der Verschuldensgrundsatz im Ergebnis mittels Schuldpräsumtion wieder aufgeweicht. Es ist in diesem Zusammenhang aber daran zu erinnern, dass sich Molina im Rahmen seiner Lehre von der voluntas indirecta (vgl. weiter vorne 3.2.1.2) bemüht hat, die Willenszurechnung bei Fahrlässigkeitsdelikten auszuweiten und auf ein theoretisches und mit dem Schuldprinzip vereinzubarendes Fundament zu stellen. Die Verfeinerung und Ausweitung der Zurechnungslehre ermöglicht es Molina somit, sowohl dem Schuldprinzip als auch den praktischen Strafbedürfnissen des 16. Jahrhunderts gerecht zu werden. Auch bei den Legisten hat sich im Anschluss an Bartolus durchgesetzt, dass zumindest Körperstrafen immer Schuld in Form von dolus voraussetzen35. Clarus spricht sich überdies dafür aus, dass niemand für einen anderen gestraft werden 33
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Molina, Tract. III, Disp. 5, Rz. 3: „comprobatum est, solum habet locum, interveniente ad id sufficiente culpa ex parte membri: quoniam in eo solo eventu expediens necessariumque omnino erat, concedi eam potestatem, posita fragilitate ac nequitia humana: alioquin reipublicae omnes malis scaterent, nullusque in eis vitam, honorem, famam, ac bona externa, secura haberet“. Molina, Tract. III, Disp. 39, Rz. 4: „Nihil tamen illis obstantibus, censeo, prudentis iudicis arbitrio esse semper relinquendum, ut videat ac iudicet, num, spectatis omnibus circumstantiis concurrentibus, delinquens formaliter, aut imputative, censendus sit intendisse interficere, ita ut id homicidium iudicandum sit voluntarium ac dolosum comparatione illius, iuxta ea, quae Disp. 3, 21 copiose explicavimus, ut illi poenam homicidii ordinariam imponat; an vero iudicandum sit solum casuale, minimeve dolosum, ut illi solum arbitrariam ac extraordinariam poenam impo nat“. Gandinus, de penis reorum, Rz. 7, S. 212: „si autem nec cogitavit, nec egit, nec perfecit, tunc regulariter non punitur, quia peccata suos debent tenere auctores, ut C. de penis l. sancimus“. Aretinus, § Scienter dolose, S. 102, Rz. 1: „Nam quoties est poena corporalis imponenda ex de licto, nunquam imponitur, nisi dolus interveniat“; Bossius, de homicidio, Rz. 66, S. 151: ohne animus occidendi und ohne culpa gibt es keine Bestrafung für homicidium. Eine Körperstrafe setzt dolus voraus. Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 84, S. 208: „Puniri corporaliter nemo potest, nisi in delicto dolus intervenerit“. Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 24, Rz. 190.
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darf36. Auch wenn die Legisten selten ausdrücklich zur Frage des Schuldprinzips Stellung nehmen, führt die Analyse der Strafmilderungs- und Entschuldigungsgründe eindrücklich vor Augen, dass die Schuld als Voraussetzung und ihr Umfang als Kriterium zur Bemessung der Strafe grundsätzlich anerkannt wird. Die Fähigkeit zu dolus und intellectus kann z.B. aufgrund jugendlichen Alters, Geisteskrankheiten, Affekt, Trunkenheit oder Schlaf ausgeschlossen oder vermindert sein, was sich bei der Bestrafung auswirkt37. Daneben werden aber auch Ausnahmen vom Verschuldensprinzip um des allgemeinen Nutzens Willen zugelassen, wie z.B. die Tötung eines Unschuldigen zur Verhinderung eines Aufruhrs38. Aus den erwähnten Fundstellen zeigt sich, dass das Schuldprinzip im 16. Jahrhundert im Grundsatz anerkannt, wenn auch noch nicht als selbständige und absolute Theorie formuliert worden ist. Dabei fällt auf, dass die Kanonisten und Moraltheologen unter dem Einfluss der christlichen Sündenlehre der Frage des Schuldprinzips weitaus grössere Aufmerksamkeit schenken als die (insbesondere italienischen) Juristen. Dem Verschuldensprinzip fehlt noch der Absolutheitsanspruch, denn Ausnahmen aus Zweckmässigkeitsüberlegungen sind nach wie vor möglich. Zur Rechtfertigung solcher Ausnahmen steht die utilitas reipublicae im Vordergrund, welche z.B. dazu führen kann, dass Unschuldige zur Vermeidung eines scandalum bestraft werden. Daneben wird vor allem von den Moraltheologen auch die auf Thomas zurückzuführende poena medicinalis angeführt, die zu Besserungs- und Abschreckungszwecken auch ohne Schuld auferlegt werden kann.
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Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 86, S. 212: „unus pro alio puniri non debet“. So auch Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 24, Rz. 1. Bei besonders schweren Delikten macht Clarus allerdings eine Ausnahme: so will er z.B. beim crimen laesae maiestatis eine Ehrenstrafe für fremde Schuld zulassen. Bossius, de homicidio, Rz. 78f.; Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 57 ff.; Damhouder, Cap. 84; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60, S. 161 ff.; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. I, Quaest. 11, Rz. 45. Gandinus, de homicidariis, Rz. 15, S. 294: „Sed pone, quod aliquis fuerit interfectus, cuius occisione magnus tumultus ortus est in terra illa qui non potest sedari aliter, nisi innocens condem netur, vel nocens absolvatur. Queritur, quid sit faciendum? Videtur, quod possit fieri, quod ille condemnatur vel absolvatur, licet non sit de iure [..]. Solutio. Dic, quod pena est citius imponenda vel differenda propter tumultum et scandalum […]“.
5.2. Die grundsätzlichen Strafdrohungen für homicidium und furtum 5.2.1. Poena ordinaria für homicidium 5.2.1.1. Im weltlichen Recht
Die untersuchten Autoren bezeichnen die Todesstrafe als poena ordinaria des weltlichen Rechts für ein vorsätzliches simplex homicidium39. Bossius, Damhouder und Farinacius weisen darauf hin, dass die Todesstrafe für homicidium im göttlichen und im menschlichen Recht verankert ist40. Die Todesstrafe wird an inferiores durch Erhängen, an nobiles durch Enthaupten vollzogen41. Neben die Körperstrafe tritt die Vermögensbeschlagnahmung sowie der Ausschluss von einer allfälligen Erbschaft des Getöteten42. Viele Autoren heben hervor, dass die allgemeine Todesstrafe neu und historisch lediglich den humiliores, viles oder plebeii vorbehalten gewesen sei; früher seien die nobiles mit der Deportation oder einer anderen Strafe davongekommen43. Damhouder rechtfertigt die Todesstrafe für nobiles damit, dass die Ehre des nobilis durch die Begehung eines homicidium bereits aufgehoben sei44. Allerdings finden sich trotz der grundsätzlichen Anerkennung der Todesstrafe für den homicida zahlreiche Einschränkungen und Ausnahmen in Bezug auf nobi les. So schreibt z.B. Bossius, dass nach Gewohnheit und Statutarrecht besonders vornehme Personen („positi in honorem“) weiterhin verbannt würden und auch Geldstrafen in der Praxis üblich seien. Verschiedene spanische Autoren schränken den Grundsatz der Todesstrafe für homicidium dahingehend ein, dass nobiles nur dann mit dem Tod bestraft werden, wenn sie einen gleich- oder höherrangigen Menschen getötet haben45. Dies heisst mit anderen Worten, dass die Tötung von Personen niedrigeren Ranges keine Todesstrafe folgen lässt. Vornehme und ehrwür-
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Vitalinis, de homicidio et qui dicantur homicidie; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 1; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 1 und Rz. 22. Bossius, de homicidio, Rz. 107; Damhouder, Cap. 67; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. I, Quaest. 6, Rz. 16. Molina, Tract. III, Disp. 21; Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 23. Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 18 f. Bossius, de homicidio, Rz. 107; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 25; Damhouder, Cap. 67; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 22; Molina, Tract. III, Disp. 21. Damhouder, Cap. 67. Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 2; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 22; Molina, Tract. III, Disp. 21.
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dige Personen sollen auch während der Haft im carcer und während des Gerichtsverfahrens bevorzugt behandelt werden46. Vielfach diskutiert und umstritten ist die Frage, ob ein homicidium voluntarium auch bloss mit einer Geldstrafe geahndet werden kann, wie dies z.B. die italienischen Statuten sowie das Gewohnheitsrecht im ausgehenden Mittelalter vorsehen47. Clarus und Covarruvias sprechen sich gegen die Geldstrafe für ein vorsätzliches homicidium aus48. Während Clarus ein Statut, das die Geldstrafe für homicidium vorsieht, als ungültig betrachtet, will Covarruvias die Möglichkeit einer Geldstrafe nicht völlig ausschliessen. Eine Geldstrafe soll indessen nur beim homicidium fortuito oborta, d.h. der zufälligen und unverschuldeten Tötung zum Zuge kommen. Cantera wendet sich unter Berufung auf Covarruvias gänzlich gegen die Geldstrafe mit der Begründung, dass die Strafe das Delikt aufwiegen muss und Geld, auch wenn es sich um einen hohen Betrag handelt, niemals das Leben eines Menschen aufwiegen kann49. Entgegen diesen Lehrmeinungen ist Molina der Ansicht, dass auch bei einem homicidium voluntarium unter Umständen eine Geldstrafe angemessen sein kann50. Da die Strafe nach der Person von Täter und Opfer und weiteren Umständen zu bemessen ist, ist die Todesstrafe nicht in jedem Fall die gerechte Strafe für ein ho micidium. Molina legt grosses Gewicht auf die soziale Stellung von Täter und Opfer und betont, dass Körperstrafen einen nobilis härter treffen als einen humilior. Wenn die Angehörigen des Opfers bedürftig sind, der Staat die industria eines hochrangigen Täters benötigt oder andere gerechte Gründe gegeben sind, kann eine Geldstrafe nach dem arbitrio prudentis iudicis das Delikt ausreichend kompensieren. Als weiteres Beispiel für eine angemessene Geldstrafe nennt Molina den Fall, dass zwischen der Tat und der Bestrafung bereits eine geraume Zeit verstrichen ist und der Täter an einem anderen Ort bereits im carcer gesessen hat. Damit eine Geldstrafe ausgesprochen werden kann, verlangt Molina, dass der Täter zuvor 46 47 48 49
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Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 2. Vgl. Dahm, S. 51 f.. Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 25; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 2. Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 5: „Ulterius praesuppono & revoco in dubium, an ho micidium possit puniri tantum poena pecuniaria, & de hoc sunt duae opiniones contrariae, una quod possit puniri, altera vero quod non, quas refert & late declarat Covar. li. 2. var. C.9.n.2. Ubi finaliter concludit, & dicit magis communem opinionem, homicidium debere puniri poena corporali, & non poena pecuniaria, & ultra ibi tradita ratio mihi clara videtur, nam poena debet commensurari delicto, ut sunt iura vulgata, sed non commensuraretur delicto, si poena pecuniaria daretur occidenti, quia pecunia etiam si multa sit non potest commensurari cum vita hominis, & sic esset multum poena minor quam delictum“. Molina, Tract. III, Disp. 22, Rz. 4.
noch kein anderes homicidium begangen hat und keine Rückfallgefahr besteht. Die Geldstrafe ist somit nach Molina nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles gerecht; demgegenüber wäre ein Gesetz, welches generell die Geldstrafe als einzige Strafe für homicidium vorschreibt, ungerecht, denn das ho micidium ist ein für die respublica höchst verderbliches Delikt, das sich gegen das höchste aller zeitlichen Güter richtet. Zusammenfassend ergibt sich, dass sich in der Strafrechtswissenschaft allmählich die allgemeine Todesstrafe für homicidium durchsetzt, wobei für hochrangige Täter immer noch Ausnahmen anerkannt werden. Die Geldstrafe bei homicidium in Spanien und Italien war in der Praxis offenbar noch verbreitet, doch äussern sich die untersuchten Gelehrten eher kritisch dazu. Verschiedene Autoren wie Clarus, Covarruvias oder Cantera lehnen die Geldstrafe bei homicidium entweder gänzlich ab oder wollen sie nur für das homicidium fortuito oborta zulassen. Auffallend dagegen ist die Position von Molina, der sich mit Blick auf die utilitas reipu blicae – mit gewissen Einschränkungen – für die Zulässigkeit der Geldstrafe ausspricht.
5.2.1.2. Im Kirchenrecht Im Kirchenrecht wird unterschieden, ob es sich beim homicida um einen Laien oder einen Kleriker handelt. Laien werden exkommuniziert, während Kleriker mit Deposition und Vermögensbeschlagnahmung bestraft werden bzw. ihr beneficium verlieren51. Damhouder erwähnt auch das Einsperren im Kerker bei Wasser und Brot als eine kirchliche Strafe für homicidium, welche den Zweck hat, beim Täter Reue hervorzurufen52. Fast jede willentliche Tötung, selbst wenn sie kein peccatum darstellt, zieht Irregularität nach sich53; Ausnahmen bestehen aber für Fälle der „Unzurechnungsfähigkeit“ wie z.B. bei Geisteskrankheit (vgl. dazu weiter unten 5.3.1.1).
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Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 25; Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 25 ff.. Damhouder, Cap. 89. Das Einsperren findet sich auch bei Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. I, Quaest. 8, Rz. 80. Tiraquellus, Causa 44, Rz. 66; Soto, Lib. V, Quaest. I, Art. IV, der aber darauf hinweist, dass eine zufällige oder willenlose Tötung sowie die Tötung in erlaubter Notwehr nicht zu Irregularität führen. Zur Irregularität und ihrer Sonderstellung im Sanktionensystem vgl. weiter vorne 4.4.2.
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5.2.2. Poena ordinaria für furtum 5.2.2.1. Im weltlichen Recht 5.2.2.1.1. Die überlieferten Strafen in Spanien und Oberitalien
Gemäss den untersuchten Quellen waren in Spanien offenbar die folgenden abgestuften Strafen für furtum gebräuchlich: für das erste furtum wurde der Dieb geschlagen, für das zweite wurde er geschlagen und gekrönt beziehungsweise es wurde ihm ein Ohr oder eine Hand abgeschnitten und für das dritte furtum folgte die Todesstrafe; diese wurde bei Männern durch Erhängen und bei Frauen durch Ertränken vollzogen54. Qualifizierte Täter wie z.B. grassatores wurden bereits nach der ersten Tatbegehung gehängt. Vitoria berichtet, dass nach dem Gewohnheitsrecht der Provinzen bereits ein einfacher fur die Todesstrafe erhalten habe55. Zur Kontroverse um die Todesstrafe für furtum vgl. sogleich nachfolgend 5.2.2.1.2. Nach der Lex Lombardica verlor der fur beim ersten furtum ein Auge und beim zweiten furtum die Nase56. Die Quellen berichten, dass der dreifache fur nach dem Statutarrecht gehängt werde57; die Gesetze Kaiser Friedrichs II. sahen schliesslich die Todesstrafe durch Erhängen für den Dieb vor, der mehr als 5 solidos gestohlen und damit die pax verletzt hat58. Clarus beschreibt, dass ein Dieb üblicherweise nach dem zweiten furtum als fur famosus angesehen und daher für die dritte Tat mit dem Tode bestraft wurde59. Parallel zu den beschriebenen Körperstrafen existierten auch Geldstrafen, mit denen man sich von der Körperstrafe „loskaufen“ konnte. So sah das spanische ius regium vor, dass der Täter den doppelten Wert der gestohlenen Sache dem Opfer und den siebenfachen Wert dem König zu bezahlen hatte60. Molina berichtet, dass gemäss dem königlichen Recht bei Nichtbezahlen dieser Geldstrafen dem Täter ein Ohr und, je nach Höhe des Deliktbetrages, zusätzlich noch eine Hand abzu54
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Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. III, S. 152 f.; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 7; Damhouder, Cap. 112; Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 9 ff., begründet die Todesstrafe damit, dass der dreimalige fur ein gewohnheitsmässiger Dieb sei. Bossius, de furtis, Rz. 49, erwähnt nur das Schlagen mit einem Stock. Die Todesstrafe für das dritte furtum nennt auch Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 23, Rz. 4. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. II, Rz. 5. Vitalinis, de furtis, robariis et latrociniis; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 7; Damhouder Cap. 112. So auch Dahm, S. 471. Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 8. Vitalinis, de furtis, robariis et latrociniis; Clarus, Lib. V, § Furtum, S. 17; Vela y Acuña, Cap. 12, Rz. 21. Clarus, Lib. V, § Furtum, S. 17. Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 12; Vela y Acuña, Cap. 12, Rz. 27.
schneiden sei. Der gesetzliche Grenzwert von 40 maravedinos war aber laut Molina aufgrund der damaligen Währungsverhältnisse nicht mehr angemessen; in der Praxis würden Diebe bei Nichtbezahlen der Geldstrafe ohnehin milder bestraft, nämlich für das erste furtum mit Schlägen und erst für das zweite furtum mit Ohrenabschneiden61. Alternativ zu den erwähnten kriminalen Körper- und Geldstrafen wird beschrieben, dass das Opfer auch den Zivilweg beschreiten kann, indem es eine actio furti und eine sachverfolgende Klage einleitet62. Wie bereits weiter vorne beschrieben (vgl. 4.1.4), dürfte die actio furti allerdings im 16. Jahrhundert allmählich zurückgedrängt worden sein. Teilweise wird die auf den zwei- oder vierfachen Wert gerichtete actio furti eher als „zivilrechtliche“ denn „kriminale“ Vorgehensweise verstanden, weshalb Gomez eine Kumulation dieser „privaten“ Geldstrafen mit den Körperstrafen beschreibt63. Für die Zeit unter der Herrschaft Philipps II. belegt Vela y Acuña eine Ablösung der Verstümmelungsstrafen durch die Ruderstrafe: auf das erste furtum folgen 100 Schläge und acht Jahre Ruderstrafe, beim zweiten Mal erhält der fur 200 Schläge und muss lebenslang rudern64. 5.2.2.1.2. Die Diskussion um die Rechtfertigung der Todesstrafe
Verschiedene Gelehrte, insbesondere die Moraltheologen, haben sich grundsätzlich darüber Gedanken gemacht, ob und wie die Todesstrafe für ein furtum überhaupt gerechtfertigt werden kann. Im römischen Recht findet sich noch keine Grundlage für die Todesstrafe für furtum. Im Gegensatz zur damals herrschenden Meinung in der Wissenschaft und Praxis hat sich Baldus schon beim einmaligen, grossen Diebstahl („pro uno furto enormi“) für die Galgenstrafe ausgesprochen65. Dieser Auffassung folgt im 16. Jahrhundert Cantera66, doch wird ihr in der untersuchten Literatur auch verschiedentlich widersprochen. Clarus schreibt, dass selbst der fur von 1000 Golddukaten wie für ein „gewöhnliches“ erstes furtum, d.h. mit einer blossen Körperstrafe,
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Molina, Tract. II, Disp. 695, Rz. 12. Bossius, de rapinis, Rz. 1 ff. und 9; Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 4; Molina, Tract. II, Disp. 695, Rz. 5 f.; Vela y Acuña, Cap. 12, Rz. 27 schreibt, dass die „poena dupli“ und „quadrupli“ im Iure regio partitarum vorgesehen sei. Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 4 ff.. Vela y Acuña, Cap. 12, Rz. 27. Auch Molina weist darauf hin, dass zu seiner Zeit die Ruderstrafe für Diebe über 17 Jahre angewendet wurde (Molina, Tract. II, Disp. 695, Rz. 16). Vgl. Dahm, S. 473 mit Nachweis. Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 9 ff..
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bestraft werden soll67. Soto ist der Auffassung, dass ein furtum grundsätzlich nicht mit dem Tode bestraft werden soll – weder das dritte furtum noch ein einmaliges grosses furtum68. Er wendet sich dabei ausdrücklich gegen die Meinung des Baldus und bedauert, dass dessen Lehre bereits in die spanische Gesetzgebung und Praxis eingeflossen ist. Nicht die Rechtsgelehrten, sondern nur die publica auctoritas, welche vis coerciva hat, sei zur Gesetzgebung befugt. Er weist weiter darauf hin, dass die Wiederholung eines Diebstahls noch kein todeswürdiges latrocinium darstelle, da sich letzteres durch die Tatbegehung und nicht die Wiederholung vom furtum unterscheide. Fernando Vàzquez befürwortet die Todesstrafe für furtum nur für den Fall, dass der fur incorrigibilis ist, da es dann nicht mehr bloss um den Schutz der Sachen, sondern um die Ruhe der Bürger geht69. Auch Molina geht auf die Rechtfertigung der Todesstrafe ein und setzt sich dabei mit der Lehre des Alexander von Hales70 auseinander, der die Todesstrafe für furtum abgelehnt hat. Alexander von Hales begründete dies damit, dass der Dieb lediglich ein irdisches Gut genommen habe und deswegen nicht mit dem Entzug des höchsten Gutes, nämlich des Lebens, bestraft werden dürfe. Demgegenüber weist Molina darauf hin, dass bei der Bemessung der Schuld nicht nur das verletzte Einzelobjekt zu berücksichtigen sei, sondern auch die Verletzung der ganzen Sittlichkeitsordnung und des Wohls des Ganzen. Letztere kann so stark sein, dass sich deswegen die Todesstrafe rechtfertigt: „Cum autem in furto, pro quo poena mortis imponitur, culpa interveniat lethalis, stando in solo jure naturali seclusaque vi juris humani, acius adhuc illud inhibentis ad pacem ac securitatem civium conservandam atque ad vitandas caedes et talia mala, sane in eo est sufficiens culpa, ut corporali morte juste a potestatibus publicis puniri possit, quando quidem a Deo poena interitus aeterni juste infra condignum damnatur, maxime id ita postulante bono communi temporalis reipublicae accedenteque inhibiti one ejus criminis sub tanta temporali poena, pro potestate sibi a Deo concessa ad prae cipiendum et inhibendum, loco ac nomine ipsius, quae judicaverint ad bonum reipub licae expedire, atque sub poenis, quae similiter eidem bono expedire judicaverint“71.
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Gemäss Clarus soll die Todesstrafe auf das dritte furtum nur folgen, wenn sie in einem Statut vorgesehen ist (Lib. V, § Furtum, S. 17). Auch Vitalinis, de furtis, robariis et latrociniis, will die Todesstrafe nur bei wiederholtem, nicht aber bei einmaligem furtum zulassen. Soto, Lib. V, Quaest. III, Art. III, S. 427. Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 8, Rz. 48. Alexander von Hales (gest. 1245). Molina, Tract. II, Disp. 695, Rz. 48.
Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass eine Tatwiederholung das furtum beim dritten Mal zu einer Todsünde bzw. einem todeswürdigen Verbrechen macht. Begründet wird dies damit, dass sich durch die Wiederholung die Gewohnheitsmässigkeit des Diebes zeige72. Daneben wird auch mit dem durch die Wiederholung entstandenen Schaden für die respublica argumentiert. Lugo weist darauf hin, dass es im Ermessen der respublica liegt, ob sie bestimmte Delikte aufgrund ihrer Frechheit und Rücksichtslosigkeit mit dem Tode bestrafen will73. Der Todesstrafe für ein wiederholtes furtum liegt zwar ebenfalls keine römischrechtliche Quelle direkt zu Grunde, doch um eine Anpassung der Strafbestimmungen des gemeinen Rechts an das praktisch geltende Recht zu erreichen, griffen bereits die Glossatoren und Postglossatoren auf Dig. 48, 19, 28, 15 zum latro famosus zurück. Dabei versuchten sie, den latro famosus dem fur famosus oder fur publicus, der zwei oder drei Diebstähle begangen hat und daher ans Stehlen gewöhnt ist, gleichzustellen; ähnliche Aussagen lassen sich auch noch in der untersuchten Literatur finden74. Auch wenn der fur famosus und der latro famosus die Todesstrafe durch Erhängen erhalten sollen, werden die Unterschiede der beiden Tatbestände hervorgehoben: im Unterschied zum „heimlichen“ Diebstahl handelt der latro mit Waffen oder Gewalt75. Es fällt auf, dass die späteren Autoren Fernando Vàzquez und Molina nicht mehr (ausschliesslich) vom fur famosus sprechen, sondern den Dieb, der mit dem Tod bestraft werden soll, nun als fur incorri gibilis bezeichnen76. Hier findet also bereits ein Einbezug des Besserungsaspekts statt, wobei die Tötung des „unkorrigierbaren“ fur implizit mit dem Zweck der Unschädlichmachung gerechtfertigt wird.
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Vitalinis, de furtis, robariis et latrociniis; Fernando Vàzquez; Lib. 1, Cap. 8, Rz. 48; Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 11. Lugo, Disp. X, Sect. II, Rz. 58: „Unde sit, ut fures etiam a Republica occidi possunt, quando eiusmodi poena necessaria iudicantur ad eorum insolentiam, & audaciam coercendam, sicut po test alia delicta simili poena punire“. Covarruvias kommt zum Schluss, dass bei mehreren Diebstählen an verschiedenen Eigentümern ein grosses furtum vorliege, bei welchem „quo ad vindictam publicam“ und nicht bloss wegen einer „iniuria privata“ gestraft werden müsse (Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 7). Vitalinis, de furtis, robariis et latrociniis; vgl. auch Dahm, S. 473. Bossius, de furtis, Rz. 33 ff.: famosus ist, wer schon einmal für ein furtum oder eine rapina verurteilt wurde; Vitalinis, de furtis, robariis et latrociniis; Vela y Acuña, Cap. 12, Rz. 23; Clarus, Lib. V, § Furtum, S. 17: als famosus fur gilt gemäss gewohnheitsrechtlicher Auslegung, wer dreimal ein furtum begangen hat. Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 8, Rz. 48; Molina, Tract. II, Disp. 695, Rz. 7.
167
5.2.2.2. Im Kirchenrecht
Nach kanonischem Recht wird der fur mit Deposition bestraft77; sofern es sich um ein peccatum mortale handelt, unterliegt der Täter der excommunicatio generalis78. Die meisten Theologen und Kanonisten befassen sich ausführlich mit der Frage, ob und unter welchen Umständen das furtum ein peccatum mortale darstellt. Dabei kommen sie zum Schluss, dass das furtum an sich ein peccatum mortale ist, jedoch unter Umständen, insbesondere bei sehr kleinen Deliktsbeträgen, eine lässliche Sünde darstellen kann. Die Grenze zwischen Todsünde und lässlicher Sünde bildet die quantitas notabi lis; bei der Beurteilung, ob eine Todsünde vorliegt, sind aber nebst der Höhe des Deliktsbetrages auch der Schaden sowie der animus nocendi zu berücksichtigen79. Eine Todsünde liegt auch vor, wenn jemand derselben Person mehrmals kleinere Beträge stiehlt, die zusammengezählt eine quantitas notabilis ergeben. Ebenso liegt eine Todsünde vor, wenn jemand verschiedenen Personen kleinere Beträge stiehlt, die zusammen eine quantitas notabilis ergeben, da hier der Schaden der communitas gross ist80. Während verschiedentlich fixe Geldbeträge für die quantitas notabilis genannt werden81, weisen gleichzeitig viele Autoren auf die damit verbundenen Ungerechtigkeiten hin, da der massgebliche Betrag der Zeit, der Region und den finanziellen Verhältnissen des Opfers angepasst werden muss82. In der moraltheologischen Literatur wird sogar gelehrt, es reiche für ein peccatum mortale aus, wenn sich die Absicht des fur auf einen grossen Deliktsbetrag richte, ungeachtet ob das Diebesgut tatsächlich diesen Wert erreicht83.
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Cantera, Cap. VIII, De Furto, Rz. 9; Vela y Acuña, Cap. 12, Rz. 26. Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XVII, Rz. 2; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VI, Rz. 4; Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 6. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VI, Rz. 5; Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 6. Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 7; Lugo, Disp. XVI, Sect. III, Rz. 49. Z.B. 40 maravedinos, zwei regalos oder eine Abstufung von einem aureus für Könige und sehr reiche Leute, sechs bis sieben argenteis für reiche Leute, vier argenteis für Handwerker und der Tagesverdienst für einen Landmann (Lugo, Disp. XVI, Sect. II, Rz. 26 ff.). Molina, Tract. III, Disp. 22, Rz. 4; Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 6, Rz. 30 ff.. Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 66, Art. VI, Rz. 5; Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 6.
5.3. Die einzelnen Strafzumessungskriterien 5.3.1. Person des Täters 5.3.1.1. „Schuldfähigkeit“ 5.3.1.1.1. Allgemeiner Begriff der „Schuldfähigkeit“?
Weder in der italienischen Strafrechtswissenschaft des ausgehenden Mittelalters noch in den untersuchten Quellen des 16. Jahrhunderts existiert, soweit ersichtlich, ein allgemeiner Begriff der Zurechnungs- oder Schuldfähigkeit84. Es werden vielmehr verschiedene, aus dem römischen Recht stammende Fallgruppen aufgezählt, in welchen der Täter von Strafe entschuldigt oder die Strafe zumindest gemildert wird. Diesen verschiedenen Konstellationen ist gemein, dass der Täter jeweils in seinem dolus und intellectus beeinträchtigt ist bzw. darüber überhaupt nicht verfügt. Somit kann zumindest das Kriterium des „doli capax“ als Wesenselement der „Schuldfähigkeit“ herausgefiltert werden. Gomez begründet die Straflosigkeit von Kindern unter sieben Jahren wie folgt: „qui non habet animum, intellectum, nec iu dicium rationis, ut possit ei dolus, vel culpa imputari“85. Damhouder schreibt, dass der Geisteskranke „ob animi impotentiam“ straflos sei86. Die untersuchte Literatur erwähnt nicht nur das Fehlen bzw. Vorhandensein des „doli capax“, sondern unterscheidet bereits verschiedene „Schuldfähigkeitsgrade“ und befasst sich mit der Frage der selbstverschuldeten Bewusstseinstrübung (z.B. infolge von Trunkenheit). Im Ergebnis kommen die untersuchten Gelehrten nicht zu grundsätzlich anderen Erkenntnissen als die vorausgehende gelehrte Literatur, doch zeigen sie in ihren Darstellungen und Untersuchungen grosses Interesse, der Schuldfrage nachzuspüren und insbesondere komplexe Konstellationen, wie z.B. die selbstverschuldete „Unzurechnungsfähigkeit“, differenziert und scharfsinnig zu analysieren. Dabei kommen die Gelehrten zum Teil auch zu neuen Begründungen für die Zurechnung und es lassen sich, wie nachfolgend zu zeigen ist, verschiedene gegenseitige Einflüsse von Kanonistik, Legistik und Theologie feststellen. 5.3.1.1.2. Alter (infans, senex) und Geschlecht
Nach römischrechtlicher und kanonistischer Tradition wird in der Regel zwischen infantes (Kinder bis sieben Jahre) und impuberes (Knaben bis 14 Jahre, Mädchen bis 84 85
86
Zum italienischen Recht vgl. Dahm, S. 248. Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 57. Er beschreibt zudem den Geisteskranken wie folgt: „est alienus a mente sua, et nullum habet iudicium, vel intellectum, ut possit habere dolum, et intelligat quid faciat“ (Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 70). Damhouder, Cap. 84, Rz. 6.
169
12 Jahre) unterschieden. Während die infantes straflos bleiben, sollen impuberes mit einer milderen Strafe belegt werden können, wenn sie doli capax sind87. Die Strafmilderung bedeutet u.a., dass Todes- und Verstümmelungsstrafen ausgeschlossen sind88. Zum Teil gelten auch minori infantiae proximi (Knaben bis zehn Jahre, Mädchen bis neun Jahre) als straflos89. Strafmilderungen können auch noch bei Jugendlichen über 14 bzw. 12 Jahre (sog. „minores pubertati proximi“) und jungen Erwachsenen bis 25 Jahre erfolgen: Molina spricht sich z.B. dafür aus, dass sie nicht mit dem Tod, sondern mit einer poena arbitraria bestraft werden sollen90. Weiter differenziert Gomez, gemäss welchem der Richter bei Jugendlichen bis 17 Jahre die Strafe mildern muss und bei jungen Erwachsenen bis 25 Jahre die Strafe mildern kann91. Grösseres Ermessen besteht schliesslich im forum internum, in welchem auch Kinder über sieben Jahre als infantes und damit straf- und schuldunfähig angesehen werden können92. Verschiedentlich wird darauf hingewiesen, dass infolge jugendlichen Alters lediglich eine Begehungstat, nicht aber eine Unterlassungstat bestraft werden könne und dass besonders bei geschlechtlichen Delikten Milde zu walten sei93. Greisenalter entschuldigt zwar nicht von Strafe, führt aber unter Umständen ebenfalls zu einer Milderung der Strafe. Dies wird damit begründet, dass Körperstrafen für den senex aufgrund dessen Schwäche und fortgeschrittenem Alter härter sind94. Auch wird ein bisheriger tadelloser Lebenswandel als Erleichterungsgrund angeführt95. Schliesslich werden unter Umständen auch Frauen milder bestraft, weil sie in den Augen der Gelehrten des 16. Jahrhunderts über weniger Verstand als Männer
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88 89 90 91 92 93 94
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Vitalinis, de homicidio et qui dicantur homicidie; Aretinus, § Scienter dolose, S. 103, Rz. 6; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60, S. 161; Damhouder, Cap. 84, Rz. 1 ff.; Molina, Tract. III, Disp. 36. Vgl. auch Dig. 48, 8, 12 sowie zu den kanonistischen Quellen Kuttner, S. 124 ff. und Dahm, S. 249. Bossius, de homicidio, Rz. 79, beschreibt z.B., dass nach dem Statutum Mediolani Körperstrafen für Kinder unter 14 Jahren ausgeschlossen seien. Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 57; Molina, Tract. III, Disp. 36. Molina, Tract. III, Disp. 36, Rz. 6. Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 63. Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XXVII. Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 60; Molina, Tract. III, Disp. 36, Rz. 5; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60, S. 161. Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 68; Molina, Tract. III, Disp. 37; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60, S. 161, schreibt, dass er eine Strafmilderung bei einem senex in der Praxis nur bei delictis levibus erlebt hat. Damhouder, Cap. 84, Rz. 33.
verfügen96. Ein Mann ist gemäss Tiraquellus eher in der Lage, einer Versuchung zu widerstehen als eine Frau, wodurch sich eine mildere Bestrafung der Frau rechtfertigt. 5.3.1.1.3. Geistige und körperliche Gebrechen (furiosus, amens, mutus et surdus etc.)
Bereits Thomas von Aquin schreibt, dass Geisteskrankheiten, die den Gebrauch der Vernunft vollständig verunmöglichen, eine Sünde ausschliessen; wenn sie den Gebrauch der Vernunft lediglich beschränken, entschuldigen sie teilweise von Sünde97. Auch die Gelehrten des 16. Jahrhunderts halten mehrheitlich fest, dass ein amens oder furiosus mangels „Schuldfähigkeit“ nicht bestraft wird98. Dem Geisteskranken wird vereinzelt der Verschwendungssüchtige (prodigus) gleichgestellt99. Die Straflosigkeit des furiosus wird unter anderem auch damit begründet, dass der furiosus durch seine Geisteskrankheit schon genügend gestraft sei100. Bezüglich der Geisteskrankheit wird oftmals der Zeitpunkt der Tatbegehung untersucht: während der Täter, welcher im Zeitpunkt des furor gehandelt hat, praktisch unbestrittenermassen straflos ist, ist dies bei dem nachträglich eintretenden furor weniger klar, da hier der Täter das Delikt noch „in mente sana“ begangen hat. Allerdings treten verschiedene Autoren auch im zweiten Fall für eine Strafmilderung ein, mit der Begründung, dass der nachträglich geisteskrank gewordene Täter sich wie ein Abwesender im Prozess nicht richtig verteidigen könne und somit – modern gesprochen – nicht prozessfähig sei101. Bei Taubstummen (surdus et mutus) soll darauf abgestellt werden, ob sie intellec tus haben102. In diesem Fall werden sie gemäss Molina ordentlich bestraft, jedoch nicht gefoltert103. 96 97
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Tiraquellus, Causa 9, Rz. 5. Thomas von Aquin, STh I-II, Quaest. 76, Art. III, ad. 3: „Ad tertium dicendum quod, si esset talis ignorantia quae totaliter usum rationis excluderet, omnino a peccato excusaret, sicut patet in furiosis et amentibus. Non autem semper ignorantia causans peccatum est talis. Et ideo non semper totaliter excusat a peccato“. Bossius, de homicidio, Rz. 78; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60, S. 162, weist darauf hin, dass der furiosus durch seinen furor schon genügend gestraft sei; Damhouder, Cap. 84, Rz. 6; Molina, Tract. III, Disp. 38; Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 70; Lessius, Lib. IV, Cap. 3, Dub. 3, Rz. 25; vgl. auch Pertile, S. 68. Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 75. Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 65. Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60, S. 162; Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 72; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 65. Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 69; vgl. auch Pertile, S. 69. Molina, Tract. III, Disp. 37.
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5.3.1.1.4. Ebrius, dormiens a) Die Lehre bis zum 16. Jahrhundert
Schon früh wurde das Problem erkannt, ob und wie eine in einem Zustand getrübten Bewusstseins, z.B. infolge Rausches oder Schlaftrunkenheit, begangene Straftat dem Täter überhaupt zugerechnet werden kann104. Die ältere Kanonistik sah die Schuld im übermässigen Trinken an sich, so dass das in der Trunkenheit begangene Delikt nur als Folge einer unerlaubten Handlung (res illicita) und deshalb mitverschuldete Folge dem Willen des Täters zugerechnet wurde. Somit diente die um ihrer Folgen willen zu ahndende Trunkenheit und nicht die Tat selbst als Zurechnungskriterium105. Demzufolge war in der älteren Kanonistik noch die Lehre verbreitet, dass in der Regel jede in Trunkenheit begangene Tötung Irregularität nach sich ziehe106. Thomas von Aquin hat die Begründung, weshalb auf eine Rauschtat eine Strafe folgen soll, in der culpa praecedens gesehen, d.h. der Schuld im übermässigen Trinken. Gleichzeitig erklärt er, das übermässige Trinken sei im Hinblick auf die spätere Tat eine res illicita: „Si autem actus praecedens fuit culpabilis, sic non totaliter aliquis excusatur a peccato sequenti, quod scilicet redditur voluntarium ex voluntate praecedentis actus: inquantum scilicet aliquis, dans operam rei illicitae, incidit in se quens peccatum“107. Die theoretische Zurechnung der Trunkenheitstat als Willensschuld hat Thomas über die „ignorantia voluntaria per accidens“ konstruiert108. Ähnlich wie bei der Lehre vom indirekten Willen erklärt er die während der Trunkenheit in ignorantia begangene Tat als eine beiläufig gewollte Folge der freiwillig gewollten Ursache der Trunkenheit109. Unter dem Einfluss der Kanonistik haben auch die Legisten die Zurechnung bei der Trunkenheitstat damit begründet, dass die Deliktsverwirklichung „fahrlässig“ geschieht, da Trinken als unvorsichtig schuldhaftes Verhalten gewertet wird110. So entscheidet sich beispielsweise Vitalinis für die Übernahme der Lehre vom Strafgrund der Trunkenheit aus dem kanonistischen Recht, wobei er sich ausdrücklich auf das Decretum Gratiani abstützt. Er spricht sich dafür aus, dass bei einer schwe104 Zu den historischen Wurzeln der „actio libera in causa“ vgl. Ebel sowie Hettinger, S. 61 ff.. 105 Vgl. Kuttner, S. 123 f.; Engelmann, S. 30 ff.; Ebel, S. 5 ff.. 106 Vgl. Schaffstein, Strafrechtswissenschaft, S. 79; Ebel, S. 148. 107 Thomas von Aquin, STh II-II, Quaest. 150, Art. IV. 108 Eingehend dazu Müller, Michael, S. 181 ff.. 109 Thomas von Aquin, STh I-II, Quaest. 76 Art. IV: „non potest dici quod voluntas directe et per se feratur in peccatum, sed per accidens“. 110 So z.B. Baldus; vgl. Ebel, S. 108 ff., der damit die frühere Ansicht von Engelmann, S. 30 ff., widerlegt.
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ren, „sinnlosen“ Trunkenheit der Täter nur für die Trunkenheit, nicht aber für das Delikt selber zu bestrafen ist; dabei kommt eine poena extraordinaria zur Anwendung111. Schliesslich kennt die juristische Literatur bereits die vorsätzliche „actio libera in causa“ – wenn auch noch nicht in dieser Terminologie. Gemäss Ebel ist Vitalinis nach derzeitigem Wissensstand der früheste Gelehrte, der die Figur der vorsätzlichen „actio libera in causa“ beschrieben hat, doch geht er davon aus, dass diese Rechtsfigur schon früher bekannt gewesen sein musste112. Nach dieser Theorie soll der Täter für das Vorsatzdelikt bestraft werden, wenn er sich bereits mit der Absicht der Tatbegehung betrunken hat113. In dieser Konstellation wird also bereits die Rauschtat an sich dem Willen des Täters zugerechnet. Cantera beschreibt dies wie folgt: „ebrius qui malitiose se inebriatur ut commitat delictum, quantumcumque ebrius sit si committit delictum punitur poena ordinaria, quia tunc in effectu ex proposito commisit delictum, & inebriavit se ad cautelam, ut excusaret eum ebrietas, & haec cautela, & fraus non debet ei prodesse, per regulam iuris“114. b) Die Lehre im 16. Jahrhundert
Sowohl Juristen als auch Kanonisten und Moraltheologen des 16. Jahrhunderts setzen sich eingehend mit der Zurechnungsproblematik des Trunkenheitsdelikts auseinander. Dabei kommen sie teilweise zu neuen, unterschiedlichen Begründungen und Resultaten, wodurch sich im 16. Jahrhundert ein grosser Formenreichtum an verschiedenen Zurechnungslehren ergibt. Die Juristen unterscheiden, ob sich der Täter schuldhaft betrunken hat oder nicht. Schuldhaftes Betrinken befreit hinsichtlich der Trunkenheitstat von dolus, nicht aber von culpa und führt zu einer poena extraordinaria. Der Täter ist hingegen straffrei, wenn er den Zustand der Trunkenheit nicht verschuldet hat, z.B. wenn er schuldlos von Gefährten betrunken gemacht wurde115. Damhouder unterscheidet nach dem Vorbild des Baldus überdies nach dem Grad der Trunkenheit. Demnach soll nur die ebrietas enormis, nicht aber die ebrietas levis von Strafe entschuldigen116. 111 Vitalinis, quid sit accusatio. 112 Vitalinis, de homicidio, und de insultu, will nur die dolose actio libera in causa bestrafen: „ebriosus non punitur, si delinquit, nisi dolose inebriaverit“. Vgl. Ebel, S. 116. 113 Tiraquellus, Causa 6, Rz. 3 ff.. 114 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 69. 115 Bossius, de homicidio, Rz. 78; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60, S. 163; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 20, Rz. 51; Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 73. 116 Damhouder, Cap. 84, Rz. 19 f..
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Vitoria folgt zwar der Auffassung des Thomas, wonach die Trunkenheitstat aufgrund der culpa praecedens eine zusätzliche Sünde zur Trunkenheit selbst darstellt. Er weist allerdings einschränkend darauf hin, dass die Trunkenheitstat dennoch keine zusätzliche Schlechtigkeit (malitia) und Anrechnung (imputabilitas) mit sich bringt117. Somit steht bei Vitoria die „Unzurechnungsfähigkeit“ des Betrunkenen stark im Vordergrund, die verhindert, dass in der Rauschtat eine zusätzliche malitia zur blossen Trunkenheit gesehen wird. Weiter von Thomas entfernt sich anschliessend Covarruvias: in Abkehr von der älteren Kanonistik lehrt er, dass der ebrius homicida – ausser bei der vorsätzlichen „actio libera in causa“ – grundsätzlich nicht irregulär wird und sich nur der Trunkenheit schuldig macht118. Für seine Begründung unterteilt Covarruvias die in Trunkenheit begangene Straftat in drei aufeinander folgende Handlungsabschnitte, wobei der erste Handlungsteil, nämlich das Trinken, noch mit voluntas directa geschieht. Der zweite Abschnitt, nämlich der Zustand der Trunkenheit, wird vom Täter mit voluntas indirecta angestrebt. Der dritte Handlungsteil aber, die Tötung, ist „nec per se nec per accidens voluntas fertur“, da bereits der Zustand der Trunkenheit, aus welchem die Tötung folgt, nur indirekt gewollt ist. Das bewusste Trinken stellt somit gemäss Covarruvias eine causa remota für die Tötung dar, weshalb sich der Täter nur der Trunkenheit, nicht aber der Tötung schuldig macht und somit nicht irregulär wird. Allerdings macht er eine Ausnahme für den Fall, dass jemand gewohnheitsmässig in betrunkenem Zustand mit Waffen herumläuft und andere Menschen angreift; in diesem Fall stellt das Betrinken eine res illicita dar, die lebensgefährlich ist und dazu führt, dass das homicidium Irregularität nach sich zieht (zur Lehre der res illicita vgl. weiter vorne 3.2.1.3)119. Somit ist das Zurechnungskriterium bei Covarruvias die res illicta; er distanziert sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich von Thomas von Aquin, bei welchem die Zurechnung über die „voluntas indirecta vel per accidens“ erfolgt. Diese Lehre des Covarruvias wirkt anschliessend auch auf die Legisten weiter: so übernimmt Farinacius explizit die Position des Covarruvias und er lehnt Irregularität als Folge des Trunkenheitsdelikts ebenfalls ab120. Fernando Vàzquez und Molina stellen demgegenüber hauptsächlich darauf ab, ob der Täter die Folgen der Trunkenheit voraussehen konnte. Fernando 117 Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 79, Art. III, Rz. 2. 118 Covarruvias, Relectio tertia pars, Initium, Rz 4. 119 Allerdings beugt sich Covarruvias der kriminalpolitischen Forderung, den Betrunkenen auf irgendeine Weise für die Rauschtat zur Verantwortung zu ziehen, dann noch mit der folgenden Begründung: „est considerandum, puniri ebrium, non propter delictum commissum in ebrietate, nec de ipso delicto: sed de illa ebrietate, quae maiori est digna poena, ex eo quod criminis causa fuerit, licet remota“ (Relectio tertia pars, Initium, Rz 4). 120 Farinacius, Pars III, de poenis temperandis, Quaest. 93, Rz. 4.
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Vàzquez will z.B. bei Sexualdelikten darauf abstellen, ob jemand weiss, dass er in Trunkenheit von „Veneris calor“ ergriffen wird121. Molina, der für seine Erörterungen auch Strafrechtsgelehrte wie Clarus und gomez beizieht, vertritt die Auffassung, dass das schuldhafte Betrinken dann zu einer Bestrafung für das Trunkenheitsdelikt führt, wenn der Täter „expertus se in ebrietate solere interficere aut percutere“ war. In diesem Fall will er eine poena extraordinaria anwenden; fehlt dem Täter aber dieses Wissen, kommt es im forum exteriorum zu keiner Bestrafung122. Gleichzeitig lehnt Molina die Auffassung des Covarruvias, wonach die Zurechnung über die Figur der res illicita zu erfolgen habe, ausdrücklich ab. Lessius geht schliesslich noch einen Schritt weiter. Er unterscheidet die folgenden vier Phasen der Rauschtat: (a) der Wille, sich zu betrinken, obwohl der Täter die mit der Trunkenheit verbundene Gefahr kennt, (b) das Trinken, (c) die Wirkung des Weines und (d) die in Trunkenheit begangene Tötung123. Die Schuld ordnet er den vier Phasen wie folgt zu: „Primus est fons totius mali, et in eo residet tota culpa. Secundus est actio libera, assidue pendens ex illa voluntate; unde cum illa consti tuit integrum et completum opus morale. Tertius est effectus secundi, qui posito secundo naturaliter et necessario sequitur. Quartus sequitur ex tertio“. Auch wenn die Wirkung des Alkohols und die Rauschtat selbst nicht per se mit freiem Willen geschehen, sondern nur über das Trinken, ist die Rauschtat ein „indirektes“ peccatum über die causa des (freiwilligen) Trinkens. Über das Medium der secunda actio, nämlich des Trinkens, können die Trunkenheit und die Rauschtat mit der voluntas libera verbunden werden: „Itaque cum tertius et quartus per se non pendant a voluntate libera, sed solum ratione secundi, non sunt etiam per se peccata, sed solum ut continentur in secundo, ut in causa“. Damit unterscheidet sich Lessius’ Zurechnungslehre deutlich von derjenigen des Covarruvias, der schreibt, die Trunkenheit sei „nec per se, nec per accidens inducens voluntarium homicidium“. Lessius knüpft gerade an den Willen an, der indirekt, über die causa des Trinkens, der nachfolgenden Rauschtat zugerechnet werden kann. Die Schuld besteht bei ihm darin, dass der Wille, der schon vor dem Zustand der „Unzurechnungsfähigkeit“ existierte, für die spätere Tat kausal geworden ist. Hier klingt einerseits noch die Lehre des Thomas vom indirekten Willen und der „ignorantia voluntaria per accidens“ an. Andererseits ist er mit seiner Theorie aber schon sehr nahe bei der modernen Begründung der actio libera in causa, welche auf das willentliche Ingangsetzen der Geschehensabläufe vor dem Zustand der Trunkenheit abstellt.
121 Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 19, Rz. 13. 122 Molina, Tract. III, Disp. 38, Rz. 8. 123 Lessius, Lib. IV, Cap. 3, Dub. 3, Rz. 29.
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Diese Fundstellen zeigen eine Weiterentwicklung und Verfeinerung der Rechtslehre durch die Juristen und Moraltheologen des 16. Jahrhunderts und gleichzeitig auch die wechselseitigen Einflüsse zwischen Rechtswissenschaft und Theologie. Die untersuchten Autoren demonstrieren in diesem Zusammenhang einmal mehr ihr feines Differenzierungsvermögen, mit welchem sie die Geschehensabläufe bei einem Trunkenheitsdelikt im Detail untersuchen. Dabei bemühen sie sich um eine befriedigende Zurechnungsbegründung, welche mit den Anforderungen des Schuldgrundsatzes vereinbar ist. Der Zustand der Schlaftrunkenheit und des Nachtwandelns (dormiens) werden analog der Trunkenheit behandelt. Grundsätzlich wird der dormiens delinquens dem furiosus gleichgestellt, ausser er hätte die schädlichen Folgen seines Zustands vorhersehen müssen und durch Vorsicht vermeiden können124. 5.3.1.1.5. Zwang, Furcht
Auch bei Tätern, die unter Zwang (vis) oder Furchterregung (metus) handeln, gilt die „Schuldfähigkeit“ als vermindert oder ausgeschlossen125. Gemäss Bossius beeinträchtigt Furcht den intellectus: „homo intenso dolore, vel timore permotus non est in plenitudine intellectus“126. Der Entschuldigungsgrund des Zwanges wird z.B. für den Fall erwähnt, dass jemand von einem Fürsten oder einer anderen mächtigen Person gezwungen wird, jemand anderen zu töten, und er bei Ungehorsam um sein eigenes Leben fürchten muss127. 5.3.1.2. Grad des Verschuldens
Bereits die Kanonisten des 12. und 13. Jahrhunderts schufen Beurteilungsschemen für die Schuldschwere, wobei sie zwischen causae intrinsecae und causae extrinsecae unterschieden und verschiedene Umstände (circumstantiae) als Indizien für den innerlichen Kern der Schuld berücksichtigten128.
124 Bossius, de homicidio, Rz. 78; Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XXVII; Gomez, Tom. III, De Delictis, Cap. 1, Rz. 74; Covarruvias, Relectio tertia pars, Initium, Rz. 6; Damhouder, Cap. 84, Rz. 13; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60, S. 163; Molina, Tract. III, Disp. 38. 125 Vitalinis, de insultu; Bossius, de homicidio, Rz. 95; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60, S. 164. 126 Bossius, de homicidio, Rz. 60. 127 Bossius, de homicidio, Rz. 95. 128 Vgl. Kuttner, S. 22 ff. sowie Trusen, Gerichtsbarkeit, S. 496. Die causae intrinsecae waren wiederum aufgeteilt in causae intima (contemptus = geistiger Akt des Verstandes, mit welchem sich der Täter für die Sünde und gegen Gott entscheidet) und interior (delectatio = sinnliche
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Die Strafzumessung nach dem Grad des Verschuldens findet sich auch bei Thomas von Aquin: „poena debet proportionaliter culpae respondere“129. Dabei entscheidet unter anderem der Wille des Täters über die Grösse des peccatum130. Weiter bemisst sich die Schuld gemäss Thomas nach der Art des verletzten Gutes und der sittlichen Verletzung, nach der Veranlassung für die Tat sowie dem verbrecherischen Willen, der sich in verbrecherischer Gewohnheit oder in Wohlgefallen und Genuss äussern kann. Die Thomas-Kommentatoren übernehmen später die Strafzumessung nach dem Grad des Verschuldens131. In der Tradition der Glossatoren und Postglossatoren werden auch in der untersuchten Literatur verschiedene Grade des Verschuldens unterschieden. Nebst dem dolus werden die folgenden Stufen der culpa genannt: culpa grandis oder culpa lata, welche teilweise wie dolus malus behandelt wird, culpa levis und culpa levior bzw. levissima132. Lessius definiert die culpa lata als das Nichtbeachten der Sorgfalt und Umsicht, welche gleichartige Personen anzuwenden pflegen. Die culpa levis ist demgegenüber das Unterlassen der Sorgfalt und Umsicht, welche die sorgfältigeren Personen der gleichen Berufsgattung anzuwenden pflegen, während bei culpa levis sima nur die Vorsicht der Allersorgfältigsten und Vorsichtigsten missachtet wird133. Während die ordentliche Bestrafung (so z.B. Todes- oder Körperstrafe) grundsätzlich dolus voraussetzt, ist das Vorliegen von blosser culpa ein Strafmilderungsgrund, der zu einer poena extraordinaria führt134. Auch innerhalb des dolus ist der Grad des Verschuldens zu unterscheiden: bei dolus minor aut levis wie auch in Fällen der Doluspräsumtion soll der Richter die Strafe mildern135.
129 130 131 132 133
134 135
Empfindungen); die causae extrinsecae wurden geteilt in exteriores (dignitas der Personen, ma gnitudo des Delikts) und extimae (z.B. locus und tempus). Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles, III c. 145, 1. Thomas von Aquin, STh I-II, Quaest. 73, Art. VIII; zur Straftheorie von Thomas von Aquin vgl. auch Kohler, Strafrechtsprinzipien, S. 348 f.. So z.B. Molina, Tract. II, Disp. 685, Rz. 1: „Quoniam poena, ut sit iusta, proportionari debet culpae“. Damhouder, Cap. 87. Für eine differenzierte Behandlung von dolus und culpa lata: Tiraquellus, Causa 14, Rz. 1. Lessius: Lib. II, Cap. 7, Dub. 6, Rz. 22: „Culpa lata est omissio ius diligentiae & circumspec tionis, quam passim homines eiusdem conditionis adhibere solent: ut si quis librum commodatum relinquat foris ante ostium. [..] Culpa levis est omissio eius diligentiae & circumspectionis, quam solent diligentiores illius artis vel professionis adhibere. […] Culpa levissima est omissio diligen tiae, quam diligentissimi & prudentissimi adhibent“. Bossius, de homicidio, Rz. 68; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 84, S. 208; Damhouder, Cap. 84, Rz. 22. Tiraquellus, Causa 15, Rz. 1 und 2.
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Nebst dem Verschuldensgrad sind auch die Motive, die einer Tat zugrunde liegen, zu berücksichtigen, so z.B. Bosheit, Gewohnheit, Unweisheit, Einfältigkeit etc.136 Farinacius weist darauf hin, dass Delikte, welche mit proditio oder hypocri sia geschehen, schwerer zu bestrafen sind137. Im Zusammenhang mit dem homici dium werden die zeitlich vorausgehende, kaltblütige Planung der Tat sowie das Fehlen einer vorausgegangenen Feindschaft mit dem Opfer als erschwerende Umstände bei der Bestrafung angesehen (vgl. dazu weiter vorne 3.3.2.1). Schliesslich kann strafmildernd berücksichtigt werden, wenn der Täter zu seiner Tat provoziert wurde oder wenn er in der Hitze des Zorns (iratus, calore inductus) oder in grossem Schmerz gehandelt hat138. So wird z.B. erwähnt, dass jemand, der nach unschuldiger Folter den Richter tötet, milder bestraft wird, da er zur Tat provoziert wurde und den gerechten Schmerz nicht zügeln konnte139. Eine Strafmilderung aufgrund des erlittenen Schmerzes wird auch in Fällen angenommen, dass ein Ehemann seine untreue Ehefrau tötet (vgl. dazu 4.3.2.3.3). Einschränkend wird z.T. darauf hingewiesen, dass die ira aus einem gerechten Grund entstanden sein muss, damit sie strafbefreiend wirkt140. Wenn zwischen der Tat und der Ursache des Zorns eine gewisse Zeit verstrichen ist, wird die Strafe immerhin noch gemildert. Nebst Schmerz und Zorn wird auch der furor amoris als Affektzustand genannt, der strafmildernd oder gar schuldausschliessend wirken kann141. Schliesslich kann die Strafe auch gemildert werden, wenn die Tat, z.B. ein fur tum, aus Not geschieht142. 5.3.1.3. Irrtum
Wie bereits die frühere Kanonistik und Legistik unterscheiden die untersuchten Autoren zwischen dem Rechtsirrtum (ignorantia iuris) und dem Tatsachenirrtum (ignorantia facti). Dabei gilt für die ignorantia iuris ein strengerer Massstab als für die ignorantia facti. Letztere wird von den Kanonisten von Fall zu Fall auf Verschul-
136 Damhouder, Cap. 112. 137 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. II, Quaest. 16, Rz. 62. 138 Tiraquellus, Causa 1, Rz. 10, hält fest, dass der homicida iratus auf eine einsame Insel verbannt werde ohne Rücksicht darauf, ob das Opfer Anlass zur Tötung gegeben habe; Bossius, de homicidio, Rz. 59 f.; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60, S. 164. 139 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. V, Quaest. 37, Rz. 118. 140 Fernando Vàzquez, Lib. 1, Cap. 18, Rz. 29. 141 Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60, S. 162. 142 Damhouder, Cap. 112. Zum furtum in extrema necessitate, welches teilweise als erlaubte Tat betrachtet wird, vgl. weiter vorne 3.4.4.1.
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den (z.B. mangelnde Sorgfalt) geprüft143. Zu den Irrtumsformen „error in persona“ und „aberratio ictus“ vgl. weiter vorne 3.2.1.1. Seit Gratian wird in der Lehre unterschieden, ob es sich beim Rechtsirrtum um eine ignorantia iuris naturalis oder eine ignorantia iuris civilis handelt. In der Regel entschuldigt die ignorantia iuris naturalis nicht von Strafe, da jeder erwachsene Mensch, der doli capax ist, das Naturrecht kennen muss144. Bei der ignorantia iuris civilis wird geprüft, ob die konkrete Person des Irrenden die betreffenden Rechtsvorschriften hätte kennen müssen. Dies wird z.B. verneint bei Minderjährigen, Frauen, Soldaten oder Bauern; ebenso bei einem extraneus, der die Bestimmungen einer bestimmten Rechtsordnung noch nicht kennt oder kennen muss145. Schliesslich weist Gandinus darauf hin, dass Unkenntnis eines Gesetzes, das als „publice notum“ gilt, ein grobes Verschulden (lata culpa) darstellen kann und daher nicht von Strafe entschuldigt. Während bei der ignorantia facti der gute Glaube vermutet wird, wird bei der ignorantia iuris der böse Glaube vermutet146. Die untersuchte Literatur des 16. Jahrhunderts behandelt den Rechtsirrtum mit Bezug auf das Strafrecht allerdings nur vereinzelt. Bossius berichtet, dass der error iuris nach dem Decretum Mediolani entschuldigt, sofern der ignorantia keine culpa zu Grunde liegt147. Clarus will Unkenntnis eines Dekrets oder Statuts nur dann als Entschuldigungsgrund anerkennen, wenn die betreffende Tat nicht ohnehin nach ius commune strafbar ist148. Gemäss Molina entschuldigt der Rechtsirrtum nur, wenn er „invincibilis“ ist, wobei im forum exteriorum der genügende Nachweis 143 Gandinus, de quibusdam utilibus questionibus, Rz. 17, S. 374; vgl. auch Kuttner, S. 163 mit weiteren Hinweisen. 144 Vgl. Kuttner, S. 164 f.. Gandinus, de homicidariis, Rz. 19, S. 298: „Sed quid, si delinquens in excusatione pretandat ignorantiam, sive quia dicat se errasse? Respondeo, aut pretendit igno rantiam seu errorem facti, et tunc excusatur, […]. Si autem pretendat errorem seu ignorantiam iuris, tunc aut civilis aut naturalis aut quasi naturalis. Si pretendat ignorantiam iuris civilis seu errorem, similiter excusatur a pena, sicut dixi in errore facti, […] et est ratio quia in iure errans non est in dolo [..] et quia in damno evitando error non nocet [..] et dic ‘errorem’ iustis vel non ius tis rationibus motum [..]. Si autem pretendat ignorantiam sive errorem iuris naturalis vel quasi, nunc non excusatur …“. 145 Gandinus, de penis reorum, Rz. 16, S. 219 f.; Tiraquellus, Causa 11, Rz. 1 ff.; vgl. auch Kuttner, S. 166. 146 Gandinus, de homicidariis, Rz. 19, S. 298. 147 Bossius, de decreto Mediolani, Rz. 22, sowie de defensionibus, Rz. 40, S. 125. 148 Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60. Bereits Gandinus, de penis reorum, Rz. 16, S. 219 f., weist darauf hin, dass Unkenntnis eines Statuts nicht entschuldigt, wenn eine Tat auch nach ius commune strafbar ist. Ist sie nach ius commune straflos, kann die Rechtsunkenntnis entschuldigen, wenn der Täter das entsprechende Gesetz nicht kannte und nicht kennen musste, z.B. weil er sich erst seit kurzem in der betreffenden Rechtsordnung aufhält.
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nach Molina sehr schwierig ist und daher selten gelingt. Liegt dem Rechtsirrtum ein geringes Verschulden zu Grunde, ist die Strafe zu mildern149. 5.3.1.4. Sozialer, finanzieller und geistlicher Stand des Täters
Die Differenzierung, ob der Täter von vornehmer, adliger Herkunft (nobilis, hones tior) oder von niedrigem Stande (vilis, humilior) ist, stammt bereits aus dem römischen Recht: So bestraften die kaiserrechtlichen Kognitionsgerichte humiliores mit der Todesstrafe oder verurteilten sie zu Tierkämpfen, Zwangsarbeit in öffentlichen Bergwerken (metalla) oder öffentlicher Arbeit (opus publicum). Demgegenüber wurde bei honestiores die Kapitalstrafe in Flucht mit Verbannung gemildert oder zu deportatio auf eine einsame Insel mit Bürgerrechts- und allenfalls Vermögensverlust abgewandelt. In leichten Fällen kam es zu einer relegatio, d.h. Verweisung aus Rom oder der Heimatprovinz oder zu einer Vermögensstrafe150. Auch in der untersuchten Literatur weisen verschiedene Autoren darauf hin, dass bei der Strafzumessung die qualitas personae des Täters zu berücksichtigen ist. Damit ist vor allem die gesellschaftliche Abstammung gemeint, d.h. ob der Täter adliger oder gewöhnlicher Herkunft ist. Der Adel wird mit Begriffen wie „nobiles“ oder „honesti“ bezeichnet, während die Angehörigen des gewöhnlichen Volkes „vi les“, „humiliores“ oder „plebeii“ genannt werden151. Innerhalb des spanischen Adels bestehen wiederum grosse Abstufungen, wobei die unteren Ränge der „caballeros“, „escuderos“ und „hidalgos“ bezüglich des Strafmasses teilweise separat erwähnt werden152. Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Körper- und Ehrenstrafen vornehme Täter viel härter treffen als Täter niedrigeren Ranges. Demzufolge gebietet der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, dass Leibes- und Lebensstrafen sowie Ehrenstrafen auf Personen von vornehmer Abstammung mit grösserer Zurückhaltung angewendet werden153. Schliesslich spielt auch der Gedanke der utilitas reipublicae eine Rolle, denn der respublica ist unter Umständen mehr gedient, wenn ihr ein „nützliches“ Mitglied erhalten bleibt statt hingerichtet wird. 149 Molina, Tract. V, Disp. 71, Rz. 10. 150 Vgl. Kaser, S. 128; Gwinner, S. 12 ff.. 151 Tiraquellus, Causa 57, Rz. 29; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 33; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 3 f.; Molina, Tract. III, Disp. 21; Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 22; Clarus, Lib. V, § Homicidium, S. 30; Vela y Acuña, Cap. 15, Rz. 23; Lessius, Lib. II, Cap. 9, Dub. 10. Zur Stellung und Verbreitung des Adels im 16. Jahrhundert vgl. Johansen, S. 343 ff. mit weiteren Hinweisen. 152 So z.B. bei Molina, Tract, II, Disp. 682, Rz 4. 153 Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 2 ff..
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In der untersuchten Literatur hat sich zwar der (theoretische) Gedanke durchgesetzt, dass die Todesstrafe grundsätzlich auf jeden homicida Anwendung findet. Dieser Grundsatz wird dann aber jeweils sogleich relativiert, indem die Autoren darauf hinweisen, dass besonders hochgestellte Personen („positi in honorem“ oder „nobilissimi“), insbesondere wenn sie eine Person niedrigeren Standes getötet haben, nicht mit der Todesstrafe, sondern mit einer milderen Strafe belegt werden: „distinguo, scilicet, quod aut loquimur in homine humili & talis est puniendus poena mortis indistincte, aut homicida est nobilis, vel constitutus in dignitate, tunc aut occidit alium infime conditionis, tunc credo, quod deportetur, & puniretur alia poena extra mortem, aut occidit alium nobilem, vel constitutum in dignitate, tunc credo, quod da retur poena mortis“154. Auch wenn somit ein hoher gesellschaftlicher Rang zu einer Milderung von Todesund Körperstrafen führt und Ehrenstrafen sowie Folter hauptsächlich auf plebeii beschränkt sind, wird umgekehrt Reichtum als Straferhöhungsgrund155 beziehungsweise Armut als Milderungsgrund156 für Geldstrafen angesehen. Dadurch wird das Zweiklassenstrafrecht zwischen arm und reich insbesondere bei den Geldstrafen etwas gemildert und es wird – zumindest in der Theorie – auch ärmeren Straftätern ermöglicht, sich von Körperstrafen „freizukaufen“157. Erst in der Consti tutio Criminalis Carolina wird dann aber schliesslich ein für Arme und Reiche gleichermassen gültiges System von Lebens- und Leibesstrafen eingeführt, in welchem öffentliche Strafen nicht mehr abgelöst werden können158. Interessant ist der Hinweis von Farinacius, dass Delikte, welche durch einen Kleriker oder Würdenträger begangen werden, schlimmer sind als wenn der Täter irgend ein Laie oder Privatmann ist, da diese Personen eine grössere Verantwortung haben und durch ihre Tat einen grösseren scandalum im Volk hervorrufen159. Farinacius kehrt also den weiter oben geschilderten Gedanken um, indem er die Gefährdung der respublica nicht in der Bestrafung eines für sie wichtigen Menschen, sondern vielmehr in dessen negativem Beispiel für die Allgemeinheit sieht.
154 Cantera, Cap. VI, De Homicidio, Rz. 22. Ähnlich auch Bossius, de homicidio, Rz. 107; Damhouder, Cap. 67; Gomez, Tom. III, De Homicidio, Cap. 3, Rz. 2; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 2; Molina, Tract. III, Disp. 21. 155 Gandinus, de penis reorum, Rz. 39, S. 253; Aretinus, § in platea comm., S. 112, Rz. 17; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 2. 156 Tiraquellus, Causa 32, Rz. 1. 157 Zum Zweiklassenstrafrecht vgl. auch Dahm, S. 23. 158 Vgl. Radbruch, S. 363. 159 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. II, Quaest. 16, Rz. 62.
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Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Kleriker, welche ein Delikt begehen, aufgrund des privilegium fori von einem kirchlichen Gericht mit speziellen, kirchenrechtlichen Strafen belegt wurden (vgl. dazu weiter vorne 4.4.2). 5.3.1.5. Rücktritt, Reue und Geständnis
Die untersuchten Gelehrten stimmen darin überein, dass Reue (poenitentia) nur zu einer Strafmilderung führt, wenn sie gezeigt wird, bevor das Delikt vollbracht worden ist. Mit anderen Worten wird also verlangt, dass der Rücktritt aus eigenem Antrieb vor der Vollendung der Tat erfolgt160. Schliesslich soll sich auch ein spontanes Geständnis strafmildernd auswirken, wobei Clarus darauf hinweist, dass dies in der Praxis kaum berücksichtigt werde161. Auch das Denunzieren von weiteren Tätern kann nach Ermessen des Richters zu einer Strafmilderung führen162. Ein weiterer Strafmilderungsgrund liegt vor, wenn ein homicida vom eigenen Vater an den Richter übergeben wird. In diesem Fall wird die Todesstrafe in eine 10jährige Verbannung umgewandelt163. Damhouder begründet diese Strafmilderung mit der patria potestas, welche mehr vom Grundsatz der Nächstenliebe als von Härte geprägt ist. Dahinter steckt wohl noch der Gedanke, dass die Grundsätze der väterlichen Hausgewalt bei einer Überstellung des Sohnes an einen weltlichen Richter auch für diesen gelten sollen. 5.3.2. Person des Opfers und dessen Verhältnis zum Täter
Bei der Strafzumessung ist grundsätzlich auch die qualitas des Opfers zu berücksichtigen164. So wird bei einer Tötung u.a. darauf abgestellt, welchen sozialen Rang das Opfer bekleidet und ob es dem geistlichen Stand angehört. Es gilt als schlimmer, einen Kleriker oder eine Person in Grad und Würde anzugreifen als einen Laien oder irgendeine Privatperson165. Auch der Charakter des Opfers kann eine Rolle spielen, denn es wird als schlimmer erachtet, wenn man einen guten Men160 Gandinus, de penis reorum, Rz. 2 ff., S. 210 ff.; Vitalinis, quid sit accusatio; Covarruvias, Relectio secunda pars, Initium, Rz. 6; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. IIII, Quaest. 31, Rz. 66; Molina, Tract. III, Disp. 24. 161 Bossius, de convictis, Rz. 7; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60. So auch die mittelalterlichen italienischen Statuten (vgl. Kohler, Studien, S. 288 ff.). 162 Damhouder, Cap. 84, Rz. 37. 163 Tiraquellus, Causa 18, Rz. 1 f.; Damhouder, Cap. 84, Rz. 36. 164 Bossius, de homicidio, Rz. 113; Covarruvias, Variarum, Lib. II, Cap. IX, Tom. II, Rz. 2, S. 504; Molina, Tract. III, Disp. 22, Rz. 4. 165 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. II, Quaest. 16, Rz. 62.
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schen tötet166. Dahinter steht der Gedanke, dass die respublica stärker verletzt wird, wenn in die hierarchische Ordnung der Gesellschaft eingegriffen wird oder wenn ein für die Gesellschaft wichtiger oder charakterlich guter Mensch getötet wird. Bei der Beurteilung der Schwere eines furtum werden die finanziellen Verhältnisse des Opfers berücksichtigt, welche mitbestimmen, wie gross der angerichtete Schaden ist167. Allerdings weist Lugo im Zusammenhang mit der restitutio darauf hin, dass nicht automatisch das Leben eines dives, doctus und nobilis mehr wert sei als das Leben eines Menschen auf niedrigerer Gesellschaftsstufe. Bei der Bemessung der restitutio müssen vielmehr Alter, Stärke und finanzielle Aussichten des Getöteten sowie der Umfang dessen Unterstützungspflicht berücksichtigt werden168. Clarus untersucht die Frage, ob Verwandtschaft des Opfers mit dem Täter bei der Strafzumessung eine Rolle spielt. Er kommt zum Schluss, dass sie per se keine Rolle spielt, sich aber im Ergebnis je nach Delikt dennoch auswirken kann: beim parricidium und Inzest beispielsweise hat sie eine straferhöhende, beim furtum do mesticum hingegen eine strafmildernde Wirkung169. Ein Dienstverhältnis zwischen dem fur und seinem Herrn kann sich aufgrund des Vertrauensverhältnisses unter Umständen aber straferhöhend auswirken170. 5.3.3. Objektive Kriterien 5.3.3.1. Ort und Zeit der Tatbegehung
Schliesslich sind bei der Strafzumessung auch Ort und Zeit der Tatbegehung zu berücksichtigen171. Hintergrund dafür dürften bestimmte befriedete Zeiten sein wie z.B. Festzeiten oder Markttage. Zudem gilt die Tatbegehung bei Nacht als schlimmer und führt zu einer höheren Strafe als die Tatbegehung bei Tag172.
166 Bossius, de homicidio, Rz. 113. 167 Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XVII, Rz. 2; Vitoria, ComSTh II-II, Quaest. 64, Art. VI, Rz. 5; Molina, Tract. II, Disp. 685, Rz. 6; Lessius, Lib. II, Cap. 12, Dub. 6. 168 Lugo, Disp. XI, Sect. I, Rz. 25. 169 Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 60. Zum parricidium vgl. vorne 3.3.2.1 und zum furtum dome sticum 3.4.2.3. 170 Bossius, de furtis, Rz. 24 ff.; Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 3; Damhouder, Cap. 112. Molina, Tract. II, Disp. 686. 171 Damhouder, Cap. 112; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. II, Quaest. 16, Rz. 62 sowie Quaest. 17, Rz. 9; Azpilcueta, Enchiridion, Cap. XV, Rz. 6; Molina, Tract. II, Disp. 694. 172 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. II, Quaest. 16, Rz. 62. Dies entspricht der gängigen Auffassung in den mittelalterlichen italienischen Statuten (vgl. Kohler, Studien, S. 277 ff. mit Hinweisen).
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Der Ort der Tatbegehung wirkt sich insbesondere beim furtum aus, wobei z.B. ein furtum auf öffentlichen Wegen oder dem Meer als besonders schwerwiegend betrachtet wird173. Der Diebstahl an einem heiligen Ort (sacrilegium) gilt ebenfalls als erschwerend174. Kirchen, Stadtpalast, Hauptstrassen und –plätze galten im Mittelalter als befriedete Orte, weshalb sich auch in den italienischen Statuten eine Tatbegehung an diesen Orten strafschärfend auswirkte175. 5.3.3.2. Grösse des Schadens und Höhe des Deliktsbetrages
Das Kriterium der Schadensgrösse und des Deliktsbetrages wird insbesondere im Zusammenhang mit dem furtum erörtert. Die Moraltheologen kommen zum Schluss, dass das furtum grundsätzlich eine Todsünde darstellt und nur in Ausnahmefällen, wenn es sich um einen kleinen Deliktsbetrag oder Schaden handelt, eine lässliche Sünde ist (vgl. weiter vorne 5.2.2.2). Die von Baldus postulierte Todesstrafe für ein einmaliges, sehr grosses furtum war unter den Juristen, Kanonisten und Moraltheologen des 16. Jahrhunderts umstritten. Zum einen wurde die Todesstrafe für die einmalige Begehung eines furtum generell in Frage gestellt und zum anderen herrschte Uneinigkeit darüber, welches der Grenzwert zu einem todeswürdigen furtum sei. Während verschiedene Gesetze bestimmte Werte in Geld festlegten, bei welchen das furtum mit dem Tode bestraft wurde (z.B. 5 solidos in den Gesetzen des Kaisers Friedrich II.), wollen Molina und Lessius die Bestimmung des massgeblichen Betrages dem Ermessen des Richters bzw. Beichtvaters überlassen (vgl. weiter vorne 5.2.2.1.2 und 5.2.2.2)176. 5.3.3.3. Rückfall
Die untersuchten Gelehrten erachten den Rückfall wegen der Vielheit der Taten und der dadurch manifestierten Gewohnheitsmässigkeit der Begehung als einen Straferhöhungsgrund177. In der Regel wird für die Straferhöhung kein vorhergehendes Urteil verlangt; die untersuchten Autoren weisen aber darauf hin, dass das Fehlen von Ohren bei einem fur vermuten lasse, dass er bereits zuvor Diebstähle began-
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Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 4 ff.. Damhouder, Cap. 113; Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 11. Vgl. Kohler, Studien, S. 280 mit Hinweisen. Zur Unterscheidung von grossem und kleinem Diebstahl im Mittelalter vgl. Schubert, S. 193. 177 Gandinus, de furibus et latronibus, Rz. 4, S. 307 f.; Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 23, Rz. 1; vgl. auch Dahm, S. 298.
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gen habe178. Wenn der Täter in fortgesetzter Handlung stiehlt oder in einem Mal mehrere Sachen stiehlt, kommt die Gewohnheitsmässigkeit und somit das Verwerfliche an der Tatwiederholung weniger zur Geltung, als wenn verschiedene Taten zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden179. Die Tatwiederholung wird kaum abstrakt diskutiert, sondern hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Diebstahl. Bei den untersuchten Autoren herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass bei wiederholtem furtum – in der Regel beim dritten furtum – die Todesstrafe anzuwenden ist. Dies wird damit begründet, dass ein Dieb beim dritten furtum bereits als gewohnheitsmässiger fur angesehen werden muss, der eine Gefahr für die respublica darstellt. In die Begründung der Todesstrafe für das wiederholte furtum fliesst auch der Aspekt der Unschädlichmachung des unverbesserlichen Täters ein, indem z.B. Fernando Vàzquez und Molina die Todesstrafe dem fur incorrigibilis vorbehalten (vgl. weiter vorne 5.2.2.1.2). Die Tatwiederholung hat sodann beim homicidium die Folge, dass sie unter Umständen die strafmildernde Wirkung des Friedensschlusses ausschliesst (vgl. dazu weiter vorne 4.3.4). Molina ist überdies der Ansicht, die Wiederholung des ho micidium schliesse eine Geldstrafe aus (vgl. weiter vorne 5.2.1.1). 5.3.3.4. Weitere Tatumstände
Als weitere Umstände der Tat und ihrer Begehung ist beim homicidium das heimtückische, hinterlistige oder verräterische Vorgehen zu berücksichtigen. Ein solches Vorgehen führt, wie weiter vorne gezeigt, zu einer Erhöhung der Strafe. Weiter wird der Erhalt eines Entgelts (assassinium), die Kombination der Tötung mit einem Raub (latrocinium) und die Tötung mittels Gift (veneficium) als strafschärfend betrachtet (vgl. dazu weiter vorne 3.3.2.1). Das furtum kann durch das Tatobjekt oder weitere hinzutretende Elemente wie die Gewaltanwendung oder einen Einbruch erschwert werden180. Als qualifizierende Tatobjekte werden unter anderem genant: Pferde, Ochsen oder Pflug, Nutztiere (crimen abigeatus), heilige Gegenstände oder fremde Kinder181. In diesen Fäl-
178 Molina, Tract. II, Disp. 695, Rz. 14. Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 14, hält allerdings fest, dass ein Richter bei einem fur, der keine Ohren mehr hat, nicht einfach annehmen dürfe, dieser habe schon zwei furta begangen. Der Richter muss dies vielmehr selber nachprüfen. 179 Vgl. Dahm, S. 473. 180 Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 4 ff.. 181 Bossius, de furtis, Rz. 40; Damhouder, Cap 112; Gomez, Tom. III, De Furto, Cap. 5, Rz. 4 ff.; Molina, Tract. II, Disp. 684.
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len soll die Todesstrafe schon auf die erstmalige Tatbegehung folgen; dasselbe gilt auch für die sog. Münzbeschneidung182. Allgemein sagt Farinacius, dass Delikte, die ein schlechtes Beispiel in der re spublica geben, schwerer wiegen und dementsprechend härter zu bestrafen seien183. Ein ähnlicher Gedanke dürfte wohl hinter Tiraquellus’ Aussage stehen, wonach das furtum non manifestum milder zu bestrafen sei, als das furtum manifestum, da eine heimliche Sünde aufgrund des geringeren scandalum eine kleinere Sünde darstelle184. Schliesslich kann die Tatbegehung in Form von Unterlassung wie auch das Steckenbleiben der Tat im Versuchsstadium zu einer Strafmilderung führen. Vgl. dazu ausführlich weiter vorne (zum Versuch: 3.2.2.2; zum Unterlassungsdelikt: 3.2.3). 5.3.3.5. Zeitablauf zwischen Deliktsbegehung und Strafe
Sofern eine Straftat gemäss dem anwendbaren Partikularrecht nicht bereits verjährt ist, kann die Strafe gemäss der gelehrten Literatur infolge Zeitablaufs zwischen der Tat und der Anklage bzw. dem Urteil gemildert werden185. So beschreibt z.B. Tiraquellus, dass das Verstreichen längerer Zeit zwischen der Tatbegehung und dem Urteil zu einer Milderung oder gar dem Ausschluss von Strafe führen kann, wenn der Täter durch gutes Verhalten seine Besserung bewiesen hat186. Darin tritt der Besserungs- und Abschreckungsgedanke der Strafe zu Tage. Bossius und Damhouder berichten ebenfalls, dass die Strafe zu mildern sei, wenn seit der Tat mehr als zehn Jahre verstrichen sind, bzw. dass von der Todesstrafe abgesehen werden kann187. 5.3.3.6. Konkurrenz
Im Fall der Verbrechenskonkurrenz kam es gemäss den italienischen Statuten und nach Auffassung der Postglossatoren grundsätzlich zu einer Strafkumulation188. Exemplarisch heisst es diesbezüglich bei Clarus: „si percusserit vel vulneravit, vel per verba: quod pro qualibet percussione vel vulnere, semper puniatur delinquens secun 182 183 184 185
Damhouder, Cap. 112. Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. II, Quaest. 16, Rz. 62. Tiraquellus, Causa 57, Rz. 3. Zu den Verjährungsvorschriften in den italienischen Statuten vgl. Kohler, Studien, S. 306 ff.. 186 Tiraquellus, Causa 29, Rz. 5 f.. 187 Bossius, de homicidio, Rz. 111; Damhouder, Cap. 84, Rz. 34. 188 Vgl. Kohler, Studien, S. 297; Gandinus, de penis reorum, Rz. 28, S. 229.
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dum numerum percussionum vel vulnerum; et hoc sive illata sint eodem ictu, sive pluribus“189. Zu einem anderen Schluss gelangt aber Farinacius, der bei wiederholten Delikten derselben Art nicht mehrere, sondern lediglich eine, allerdings erhöhte Strafe anwenden will190. Bei Delikten diversi generis kommt es zu einer Kumulation von Strafen, wenn diese über einen längeren Zeitraum begangen werden. Finden diese Delikte diversi generis allerdings zur selben Zeit statt, konsumiert das schwerste Delikt die übrigen und es erfolgt lediglich eine Strafe aufgrund des schwersten Delikts191.
5.4. Gegenüberstellung der Geldstrafe für homicidium und der Todesstrafe für furtum Aus dem Vorgesagten ergibt sich, dass im 16. Jahrhundert ein vorsätzliches homici dium unter Umständen mit einer blossen Geldstrafe geahndet wurde, während bereits ein einziges furtum, wenn ein gewisser Deliktsbetrag erreicht war, die Todesstrafe durch Erhängen nach sich ziehen konnte. Wie sind diese – aus heutiger Sicht ungewöhnlichen – Ergebnisse in die geschilderte Rechtslehre des 16. Jahrhunderts einzuordnen? Generell fällt auf, dass das furtum im 16. Jahrhundert im Vergleich zu heute als schwerwiegenderes Delikt betrachtet wird192. Grundsätzlich zählt das furtum zu den „unehrlichen“ und schändlichen Delikten, was sich unter anderem auch in den Strafdrohungen – nämlich Todesstrafe durch Erhängen oder Körperstrafen mit Schändlichmachung – zeigt. Nebst dem ehrlosen und daher stark verpönten Charakter des furtum wird auch immer wieder dessen Gefährlichkeit für die respublica erwähnt. Die Gefahr der Wiederholung und das grosse Schädigungspotenzial verleihen dem furtum eine Bedeutung, welche sich nicht bloss auf die Rechtsbeziehung zwischen Privaten beschränkt, sondern auch die respublica etwas angeht. Dies gilt zunächst für den Fall, dass ein Diebstahl aufgrund des hohen Deliktsbetrages oder der Tatwiederholung gleichzeitig eine Verletzung der pax darstellt. Mit dem erstarkten Bewusstsein eines hoheitlichen Strafanspruchs setzt sich allmählich die generelle Erkenntnis durch, dass jedes Delikt zugleich auch die respublica verletzt. 189 Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 84, S. 209. 190 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 22, Rz. 13 ff.. 191 Farinacius, Praxis, Lib. I, Tit. III, Quaest. 22, Rz. 13 ff.; Clarus, Lib. V, § Fin., Quaest. 84, S. 209. 192 So auch Schubert, S. 185, der darauf hinweist, dass den Tötungsdelikten im Mittelalter ein grösseres Verständnis entgegengebracht wurde als dem vorsätzlichen Diebstahl.
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Mit dieser Verletzung des öffentlichen Wohls und unter Einbezug von Abschreckungs- und Sicherungsaspekten rechtfertigen im 16. Jahrhundert verschiedene Autoren die in der Praxis offenbar weitverbreitete Todesstrafe für furtum. So gesehen versinnbildlicht die Todesstrafe für furtum das im Verhältnis zum römischen Recht veränderte Strafverständnis im 16. Jahrhundert. Allerdings finden sich in der untersuchten Literatur auch kritische Stimmen zur Todesstrafe für furtum, die sich vor allem auf das römische Recht berufen. Mit der vergleichsweisen Härte gegenüber Dieben geht im 16. Jahrhundert ein starker Schutz des Eigentums einher. Dieser zeigt sich insbesondere auch in den Lehren zum Notwehrrecht: sofern sie das einzige mögliche Mittel darstellt, ist die private Tötung eines fur zur Verteidigung des Eigentums zulässig; zeitlich besteht das Notwehrrecht über den „Gewahrsamsbruch“ hinaus bis zum Zeitpunkt, in welchem der Dieb seine Flucht abgeschlossen hat. Demgegenüber ist im Hinblick auf das homicidium in der untersuchten Literatur in bestimmten Konstellationen ein gewisses Verständnis auszumachen. Dies insbesondere in Fällen, wo ein homicidium in oder nach einem Streit, im Zorn oder zum Schutz der eigenen Ehre erfolgt. Gründe dafür mögen einerseits die verminderte „Schuldfähigkeit“ des Täters, andererseits aber auch eine gewisse Mitschuld des Opfers sein. Weiter hängt der Wert eines Menschenlebens in der im 16. Jahrhundert stark vertikal aufgebauten Gesellschaftsordnung von der hierarchischen Position des betreffenden Menschen ab. Während ein Eingriff in die gesellschaftliche Ordnung, d.h. die Tötung eines höherrangigen Menschen, stark verpönt ist, wird die Tötung eines niedrigeren Menschen durch einen nobilis mit Blick auf die utilitas reipublicae vergleichsweise milde bestraft. Gegen die Todesstrafe für einen nobilis sprechen gemäss der untersuchten Literatur ein allfälliges scandalum sowie der Verlust eines für die respublica wertvollen und nützlichen Mitglieds. Nur vereinzelt wird auch auf die höhere moralisch-ethische Verantwortung der oberen Schichten hingewiesen, welche ein Verbrechen aufgrund der Vorbildfunktion des vornehmen Täters als besonders strafwürdig erscheinen lässt. Sowohl beim furtum wie auch beim homicidium sind Tendenzen zu einer stärkeren Durchsetzung des hoheitlichen Strafanspruchs zu erkennen; dies allerdings mit unterschiedlich konsequenter Umsetzung in der Praxis. Beim furtum findet eine Entwicklung weg von den römischrechtlichen Pönalklagen hin zu hoheitlichen Körper- und Geldstrafen statt. Höhepunkt der damit einhergehenden Verschärfung der Reaktion auf das furtum bildet die Todesstrafe bei dreimaliger – oder unter Umständen bereits einmaliger, qualifizierter – Tatbegehung. Es kann vermutet werden, dass die Durchsetzung des hoheitlichen Strafanspruchs beim furtum zu-
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nächst einfacher war, da dieses Delikt tendentiell eher von Angehörigen der unteren Gesellschaftsschichten begangen wird193. Bei homicidium ist der ausschliesslich hoheitliche Strafanspruch in der Theorie als Grundsatz anerkannt und unbestritten. Die untersuchten Quellen legen allerdings nahe, dass hier Theorie und Praxis noch auseinander klafften und der hoheitliche Strafanspruch bei homicidium noch nicht restlos durchgesetzt werden konnte. So hat offenbar weiterhin die Praxis der Privatjustiz gegenüber Ehebrechern, latro nes und banniti vorgeherrscht. Auch dürfte das starke Standesgefälle die Durchsetzung des hoheitlichen Strafanspruchs bei homicidium insbesondere gegenüber adligen Tätern in der Praxis erheblich erschwert haben. Unter Zuhilfenahme von formaljuristischen und staatspolitischen Argumenten versuchen die untersuchten Gelehrten daher, Ausnahmen vom Grundsatz der ausschliesslichen Strafkompetenz des Gemeinwesens bei homicidium zu begründen, die dazu dienen, die tatsächliche Rechtspraxis zu legitimieren.
193 Zur Bedeutung der Stände in der Entwicklung des Strafrechts vgl. Radbruch, S. 357 ff..
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6. Zusammenfassung
In der vorangehenden Darstellung zeigt sich die Lebendigkeit der gelehrten Strafrechtswissenschaft im 16. Jahrhundert; sie zeichnet sich durch eine Vielfalt von Meinungen und Auffassungen aus. Die untersuchten Autoren haben sich eingehend mit der vorausgehenden Literatur und den Lehren ihrer Zeitgenossen auseinander gesetzt – auch über Fakultäts- und Landesgrenzen hinweg. Ihre Leistung besteht in der kritischen Durcharbeitung der strafrechtlichen Materie, dem Bemühen um eine Klärung und Präzisierung verschiedener Begriffe und Rechtsfiguren sowie in der Schaffung der theoretischen Grundlagen für die Begründung der hoheitlichen Strafkompetenz. Bei der Untersuchung der Strafrechtswissenschaft des 16. Jahrhunderts ist zunächst der weltanschauliche und insbesondere religiöse Rahmen zu berücksichtigen, innerhalb dessen sich die damaligen Gelehrten bewegt haben. Damit ist vor allem die ausgeprägte vertikale Ordnung zu nennen, welche den gesamten Kosmos gemäss dem vorherrschenden Weltbild durchdringt und sowohl die göttliche als auch die menschliche Sphäre umfasst. Sie äussert sich zum einen in einer stark hierarchisch aufgebauten menschlichen Gesellschaft. Zum anderen verleiht sie dem Konzept von Delikt und Strafe eine theologische Dimension: eine Straftat charakterisiert sich in der Vorstellung des 16. Jahrhunderts als actus inordinatus, d.h. als Verstoss sowohl gegen die menschliche als auch die göttliche Ordnung. Die durch ein Delikt gestörte Ordnung muss um der Gerechtigkeit willen wieder hergestellt werden, was nur durch eine Vergeltung und oder einen Ausgleich des angerichteten Unrechts geschehen kann. Dabei treten die irdischen, zeitlichen Strafen neben die jenseitigen, göttlichen Strafen. Die menschlichen Strafen wirken sich nicht nur im diesseitgen Leben aus, sondern sie können bei einem reuigen und freiwilligen Anerkennen durch den Straftäter auch eine positive Auswirkung auf dessen Seelenheil haben. Vor dem Hintergrund der politischen Umgestaltungen in Europa im 16. Jahrhundert setzen sich verschiedene Denker vermehrt mit staatstheoretischen Fragen auseinander, wobei die respublica und das bonum commune an Bedeutung gewinnen. Die Entwicklung der Staatstheorie hat einen entscheidenden Einfluss auf das Strafverständnis der untersuchten Moraltheologen, und allmählich entsteht die Vorstellung, dass Strafen grundsätzlich ein hoheitlicher Akt ist. Anknüpfend an Thomas von Aquin wird das Strafen nun viel deutlicher als eine originäre Kompetenz und damit eine ausschliessliche Sache der respublica betrachtet, womit das in der Praxis noch verbreitete Racheprinzip allmählich zurückgedrängt wird. Der untersuchte Zeitraum stellt somit einen Wendepunkt des Strafverständnisses dar. 190
Die Frage der Zuordnung der Strafkompetenz stellt die Gelehrten vor die Herausforderung, ihre theoretischen Erkenntnisse mit der noch von Privatjustiz geprägten Praxis zu harmonisieren, weshalb die Lehren vom hoheitlichen Strafanspruch mit verschiedenen Ausnahmeregelungen und Sonderfällen im Ergebnis wieder abgeschwächt werden. Der verstärkte hoheitliche Strafanspruch tritt aber dennoch in verschiedenen Zusammenhängen hervor, so z.B. bei der Frage der Begnadigung, die nicht mehr in jedem Fall von der Zustimmung des Opfers abhängen soll, oder beim Friedensschluss zwischen Opfer und Täter, der nicht in jedem Fall zu einem Ausschluss von Strafe führt. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Moraltheologie des 16. Jahrhunderts mit ihrer theoretischen Herleitung der Strafkompetenz aus der Natur der respublica das Fundament für das moderne Strafrechts verständnis gelegt hat. Mit der aufkommenden Anerkennung eines hoheitlichen Strafanspruchs geht auch ein bemerkenswerter Wandel im Verständnis der Strafzwecke einher. Die Strafe war im theologischen Verständnis des Thomas von Aquin die zwangsläufige Folge und damit das zwingende Gegenstück einer Straftat. Der Vergeltungsaspekt der Strafe wird dementsprechend auch bei den Thomas-Kommentatoren des 16. Jahrhunderts weiter überliefert. Zudem wird aber im 16. Jahrhundert vermehrt darauf hingewiesen, dass Strafen dem allgemeinen Nutzen zu dienen haben. Diese Auffassung setzt – zumindest in der Theorie – bereits ein öffentliches Strafsystem im Interesse der Allgemeinheit voraus. In der Folge wird sowohl bei den weltlichen Juristen als auch bei den Moraltheologen der Vergeltungsgedanke zunehmend vom Abschreckungs- und Besserungsaspekt verdrängt, der schon im Kern bei Thomas angelegt war. Während sich die Juristen deutlich für die Strafzwecke der Abschreckung und Besserung aussprechen und diese teilweise sogar als überwiegende Strafzwecke sehen, äussern sich die von Thomas geprägten Moraltheologen vorsichtiger, distanzieren sich im Ergebnis aber ebenfalls – in unterschiedlichem Ausmass – von ihrem geistigen Vorbild. Mit der Betonung des Besserungsgedankens ist die gelehrte Strafrechtsliteratur des 16. Jahrhunderts auch der damals neuen Rechtsetzung voraus, kommt doch der Erziehungs- und Besserungsgedanke z.B. in der CCC (1532) noch nicht vor194. Das Streben nach Trennung von öffentlichem Strafrecht und privatem Zivilrecht zeigt sich auch in den Stellungnahmen der untersuchten Autoren zur restitutio: in der Theorie werden die beiden Rechtswege der Kriminalstrafe und der restitutio klar voneinander getrennt und stehen parallel zur Verfügung. Schliesslich finden sich in der gelehrten Strafrechtsliteratur des 16. Jahrhunderts auch interessante Aussagen im Hinblick auf die Schuld- und Zurechnungslehre. 194 Allerdings enthält auch die CCC einen Hinweis darauf, dass sich Strafen am allgemeinen Nutzen zu orientieren haben (vgl. Sellert / Rüping, S. 203 f.).
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Unter dem Einfluss der christlichen Lehre erfolgt die Zurechnung einer Straftat wie auch einer Sünde bei den untersuchten Autoren grundsätzlich über den (freien) Willen und die Schuld. Obwohl in der kanonistischen Doktrin auch Strafen ohne Schuld möglich waren, tritt das Schuldprinzip in der untersuchten Literatur deutlicher zu Tage und vereinzelt kann bereits ein subjektives Strafverständnis ausgemacht werden. In eine ähnliche Richtung weisen schliesslich die Bemühungen von Kanonisten und Moraltheologen um eine Klärung der Zurechnungslehre, die insbesondere zu einer Differenzierung der voluntas directa von der voluntas indirecta sowie zu einer Erneuerung der Lehre von der Fahrlässigkeit führen. Dabei treten die untersuchten Kanonisten und Moraltheologen, allen voran Covarruvias und Molina, durch eine eigenständige und kritische Denkweise hervor. Die Berücksichtigung des Schuldmoments findet sodann in einem weiten Umfang im Rahmen der Strafzumessung statt. Gemäss dem Grundsatz, dass sich die Strafe nach dem Delikt zu richten hat, ist der Richter in den Augen der untersuchten Gelehrten verpflichtet, bei Vorliegen besonderer Umstände von der ordentlichen Strafe abzuweichen und diese durch eine mildere poena extraordinaria oder aber eine schärfere Strafe zu ersetzen. Hier fällt auf, dass nicht nur die christlich geprägten Kanonisten und Moraltheologen, sondern auch die Juristen grosses Gewicht auf die verschiedenen Schuld- und Strafminderungsgründe legen. Diese werden oft ausführlich dargestellt, wobei sich die untersuchten Autoren grösstenteils auf eine Zusammenstellung der einschlägigen kanonistischen und römischrechtlichen Lehren beschränken. Dabei stösst u.a. die Frage der Zurechnung einer Rauschtat auf grosses Interesse. Diesbezüglich finden sich in der untersuchten Literatur verschiedene Begründungsansätze, so dass im 16. Jahrhundert ein grosser Formenreichtum an verschiedenen Zurechnungslehren herrscht. Es zeigt sich, dass die Strafrechtswissenschaft des 16. Jahrhunderts vielfältige und fruchtbare Impulse aus der Theologie und Kanonistik erhalten hat. Die kirchlich geprägten Autoren zeigen ein stärkeres Interesse an grundlegenden rechtlichen Fragen als die Legisten. Dabei beschränken sie sich nicht nur auf Themen, die für das forum internum eine wichtige Rolle spielen, wie z.B. die Zurechnung oder die Voraussetzungen der Notwehr, sondern sie befassen sich auch mit der Zuordnung der Strafkompetenz im forum externum. Die Moraltheologen des 16. Jahrhunderts scheuen sich nicht, zu juristischen Fragestellungen eine eigene Meinung zu vertreten, weshalb ihre Stellungnahmen zu zahlreichen Fragen für die vorliegende Untersuchung ergiebiger sind als diejenigen der Legisten. In anderen Bereichen können aber auch parallele Entwicklungen in der Legistik und Theologie bzw. Kanonistik festgestellt werden, so z.B. im Bereich der Strafzwecke oder in der starken Gewichtung von Schuldminderungs- und -ausschlussgründen. In diesen Gebieten haben Gelehrte verschiedener Disziplinen in die gleiche Richtung weitergedacht. 192
Abkürzungsverzeichnis
Abt. Art. Aufl. Bd. bzw. Cap. CCC d.h. Dig. Disp. Diss. div. Dub. ed. etc. Exod. f. ff. Fin. Fn. FS GA Germ. Abt. gest. hl. hrsg. Hrsg. insb. Kan. Abt. Lib. Membr. Quaest. Reimpr. Rom. Abt. Rz. S.
Abteilung Articulus Auflage Band beziehungsweise Capitulum Constitutio Criminalis Carolina das heisst Digesten Disputatio Dissertation diverse Dubitatio editore et cetera Exodus folgende fortfolgende Finis Fussnote Festschrift Goltdammers Archiv für Strafrecht, Heidelberg Germanistische Abteilung gestorben heilige/r herausgegeben Herausgeber insbesondere Kanonistische Abteilung Librum Membrum Quaestio Reimprint Romanistische Abteilung Randziffer Seite 193
Sect. sog. St. Tom. Tract. u.a. v. vgl. z.B. z.T. ZIS zit. ZNR ZRG ZStW
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Sectio sogenannt Sankt Tomus Tractatus unter anderem von vergleiche zum Beispiel zum Teil Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (Onlinezeitschrift, www.zis-online.com) zitiert Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte, Wien Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Wien Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Tübingen
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Personenverzeichnis Hinweis: Das Personenverzeichnis enthält nur Verweise auf den Fliesstext. A Albertus Gandinus 17, 21, 22, 48, 53, 54, 55, 56, 63, 70, 73, 98, 109, 126, 153, 179 Alexander von Hales 166 Althusius, Johannes 79 Angelus Aretinus 23, 57 Aquin, Thomas von siehe Thomas von Aquin Aragon, Pedro de 29, 31, 69, 97 Aristoteles 18, 97 Augustinus 20, 35, 110 Azpilcueta, Martin 20, 26, 27, 28, 32, 50, 51, 52, 79, 98, 99, 101, 104, 127, 158 B Baldus de Ubaldis 19, 48, 165, 166, 173, 184 Bartolus de Saxoferrato 48, 159 Bonifacius de Vitalinis 17, 22, 40, 44, 55, 56, 60, 73, 98, 109, 131, 153, 172, 173 Bossius, Aegidius 14, 23, 25, 33, 41, 44, 45, 57, 63, 65, 68, 77, 93, 136, 139, 143, 161, 176, 179, 186 C Cantera, Diego de la 21, 27, 39, 64, 69, 82, 86, 146, 162, 163, 165, 173, Castro, Alfonso de 26, 158 Clarus, Julius 17, 21, 25, 26, 27, 31, 33, 44, 56, 62, 64, 101, 104, 107, 125, 126, 131, 136, 138, 139, 154, 159, 162, 163, 164, 165, 175, 179, 182, 208
183, 186 Covarruvias de Leyva, Diego 14, 20, 28, 31, 42, 44, 46, 47, 51, 52, 54, 55, 57, 74, 78, 97, 110, 111, 112, 113, 118, 121, 134, 156, 157, 158, 162, 163, 174, 175, 192 D Damhouder, Jodocus 21, 24, 25, 39, 56, 64, 67, 72, 115, 118, 128, 129, 131, 138, 141, 161, 163, 169, 173, 182, 186 Decianus, Tiberius 25, 26, 40 F Farinacius, Prosper 21, 25, 26, 64, 69, 99, 115, 117, 118, 126, 127, 137, 153, 156, 161, 174, 178, 181, 186, 187 G Gandinus, Albertus siehe Albertus Gandinus Gomez, Antonio 28, 39, 44, 45, 58, 76, 107, 111, 112, 113, 116, 122, 138, 139, 154, 165, 169, 170, 175 L Lessius, Leonardus 29, 31, 32, 41, 50, 51, 52, 58, 59, 64, 69, 72, 80, 81, 85, 90, 91, 94, 96, 101, 104, 105, 110, 111, 116, 118, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 175, 177, 184 Lombardus, Petrus siehe Petrus Lombardus
Lugo, Juan de 29, 32, 58, 59, 72, 82, 83, 84, 85, 86, 88, 90, 91, 92, 102, 104, 105, 113, 116, 118, 123, 124, 132, 136, 167, 183 M Molina, Luis de 19, 29, 31, 32, 34, 44, 45, 47, 50, 52, 58, 59, 60, 61, 63, 64, 72, 73, 74, 79, 80, 81, 82, 84, 85, 86, 90, 94, 104, 108, 116, 121, 122, 123, 124, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 156, 158, 159, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 170, 171, 174, 175, 179, 180, 184, 185, 192 P Petrus Lombardus 18 Platon 24, 114, 115 S Seneca, Lucius Annaeus 24 Soto, Domingo de 19, 27, 28, 29, 30, 46, 50, 51, 58, 74, 78, 81, 83, 85, 89, 92, 97, 102, 103, 105, 116, 118, 119, 120, 131, 133, 135, 136, 166 Suárez, Francisco 31, 120
T Thomas von Aquin 14, 18, 19, 20, 29, 30, 31, 38, 39, 42, 45, 46, 47, 51, 52, 58, 59, 70, 71, 78, 79, 80, 82, 85, 90, 95, 96, 97, 98, 100, 102, 104, 110, 111, 113, 115, 118, 120, 121, 122, 129, 132, 135, 140, 155, 156, 157, 158, 160, 171, 172, 174, 175, 177, 190, 191 Tiraquellus, Andreas 21, 24, 44, 59, 114, 118, 129, 153, 154, 171, 186 V Vàzquez de Menchaca, Fernando 14, 27, 28, 50, 52, 78, 87, 95, 98, 121, 129, 134, 136, 156, 158, 166, 167, 174, 175, 185 Vela y Acuña, Juan 20, 21, 27, 98, 115, 118, 156, 165 Vitalinis, Bonifacius siehe Bonifacius de Vitalinis Vitoria, Francisco de 14, 18, 19, 29, 30, 34, 41, 46, 49, 51, 58, 76, 77, 78, 81, 84, 85, 87, 90, 92, 97, 98, 102, 104, 111, 115, 117, 118, 119, 120, 121, 129, 130, 133, 136, 137, 152, 157, 164, 174
209
+/.&,)+4 ÖÖ 6%2"2%#(%.Ö5.$Ö 3!.+4)/.Ö).Ö$%2ÖÖ '%3%,,3#(!&4ÖÖ !,4%52/0!3 (%2!53'%'%"%.Ö6/.ÖÖ +,!53Ö,$%233%. Ö+,!53ÖÖ 3#(2%).%2 Ö2/,&Ö302!.$%,Ö5.$Ö $)%4-!2Ö7),,/7%)4Ö
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