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German Pages 270 Year 1991
Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung
Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 107
Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung Vorträge und Diskussionsbeiträge der 58. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung 1990 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
herausgegeben von
Willi Blümel und Hermann Hili
Duncker & Humblot · Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung: Vorträge und Diskussionsbeiträge der 58. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung 1990 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer I hrsg. von Willi Blümel und Hermann Hili. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer; Bd. 107) ISBN 3-428-07093-3 NE: Blümel, Willi [Hrsg.]; Staatswissenschaftliche Fortbildungstagung (58, 1990, Speyer); Hochschule für Verwaltungswissenschaften (Speyer): Schriftenreihe der Hochschule . ..
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-07093-3
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeber ...........................................................................................
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Eröffnung und Begrüßung durch den Rektor der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Univ.-Professor Dr. Carl Böhret, Speyer .................................................................
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Ansprache des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Dr. h.c. Helmut Kohl, Bonn ...............................................................................
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Entwicklungstendenzen und Anforderungen an die kommunale Selbstverwaltung Von Univ.-Professor Dr. Hennann Hilf, Minister für Bundesangelegenheiten des Landes Rheinland-Pfalz, Speyer/Bonn .............................................................
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Einfuhrende Statements: Professor Dr. Dieter Saubenweig, Leiter des Deutschen Instituts ftir Urbanistik, Berlin
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Dr. h.c.Adalbet1 Leidinger, Geschäftsführender Direktor des Landkreistages Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf ......................................................................
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Dr. Magnus Staak, GeschäftsfUhrendes Vorstandsmitglied des Städtebundes Schleswig-Holstein, Kiel ......................................................................................
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Dr. Helmut Me/zer, Hochschule ftir Recht und Verwaltung, Potsdam-Babelsberg
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Diskussion. Leitung: Univ.-Professor Dr. Dr. h.c. Heinrich Siedentopf, Hochschule ftir Verwaltungswissenschaften Speyer. Bericht von Assessor Christoph Hauschild .............................................................
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Inhaltsverzeichnis
Entwicklungstendenzen und Anforderungen in einzelnen Politikfeldern A. Komunalverfassungsrecht Von Univ.-Professor Dr. Hans-Uwe Erichsen, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster ..................................................
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B. Finanzen Von Univ.-Professor Dr. Hont Zimmennann, Philipps-Universität, Marburg .........................................................................
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C. Wirtschaft Von Univ.-Professor Dr. Peter Eichhorn, Universität Mannheim ......................................................................................
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Diskussion. Leitung: Univ.-Professor Dr. Hans Herben von Amim, Hochschule fllr Verwaltungswissenschaften Speyer. Bericht von Assessor Bemd Pfeifer ........................................................................
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D. Gesundheit und Soziales Von Univ.-Professor Dr. Rainer Pitschas, Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
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E . Kultur Von Professor Dr. Emst Pappennann, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städtetages, Köln ....................................................................
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F. Umweltschutz Von Univ.-Professor Dr. Wemer Hoppe, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster Diskussion. Leitung: Professor Dr. Eberhard Laux, Düsseldorf/Speyer. Bericht von Assessorinl~ne Walter ......................................................................
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Inhaltsverzeichnis
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Die Kommunen in der Europäischen Gemeinschaft Von Dr. Christion 0. Steger, Gemeindetag Baden-Württemberg, Stuttgart ................................................
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Diskussion. Leitung: Univ.-Professor Dr. Siegfried Magiera, Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Bericht von AssessorinHeike Kuhn .......................................................................
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Podiumsdiskussion. Leitung: Univ.-Professor Dr. Willi Blümel, Hochschule fUr Verwaltungswissenschaften Speyer Teilnehmer: -
Dr.AdolfHerkenrruh;MdB, CDU, Sprecher des kommunalpolitischen Arbeitskreises der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Bonn
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Dr. Peter St7Uck;MdB, SPD, Vorsitzender des Arbeitskreises Kommunalpolitik der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Bonn
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Univ.-Professor Dr. Hans Peter BuJI, Innenminister des Landes Schleswig-Holstein, Kiel
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Dr. Hans Henning Becker-Birck, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistages, Bonn
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Dr. Hinrich Lehmann-Grube,Oberstadtdirektor, Hannover
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Prof. Dr. Km/ Bönninger, Sektion Rechtswissenschaft der Karl-Marx-Universität Leipzig
Bericht von Assessorin PeiiTl Hartmann und Assessor Hans-Peter Mich/er ......
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Schlußwort von Univ.-Professor Dr. Willi Blümel ...............................................
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Vorwort der Herausgeber Thema und Zeitpunkt der 58. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, die vom 4. bis 6. April 1990 stattfand, erwiesen sich im Nachhinein als gut gewählt. Ursprünglich auch als besonderer Beitrag der Hochschule zum 2000jährigen Geburtstag der Stadt Speyer gedacht, erhielt das Thema dieser Veranstaltung - wie Bundeskanzler Dr. Dr. h.c. Helmut Kohl in seiner Eröffnungsrede ausführte - durch die Ereignisse und Entwicklungen in der (ehemaligen) DDR eine neue Dimension. So konnten unter den über 400 Teilnehmern nicht nur 40 Praktiker und Wissenschaftler aus der DDR an der Hochschule Speyer begrüßt werden; auch die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung in einem vereinten Deutschland wurde erstmals unter aktiver Teilnahme von Wissenschaftlern aus Ostberlin und Leipzig thematisiert. Was damals (Anfang April 1990) noch bevorstand - die Umsetzung der neuen Kommunalverfassung der DDR, die Bildung der fünf neuen Länder Brandenburg, Metkienburg- Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, der Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 23 GG am 3. Oktober 1990 und die Wiedervereinigung Berlins an diesem Tag der Deutschen Einheit - ist inzwischen Realität. Geblieben und nach wie vor von besonderer Aktualität sind aber die Probleme, die mit Blick auf die kommunale Selbstverwaltung in einem geeinten Deutschland auf der Speyerer Tagung erörtert wurden. Der vorliegende Band enthält die Referate und Statements, Diskussionsberichte sowie eine Zusammenfassung der abschließenden Podiumsdiskussion. Ausführliche Berichte über die 58. Staatswissenschaftliche Fortbildungstagung, die u.a. die durch die Verleihung der Ehrensenatorwürde der Hochschule an Dr. Christion Roßkopf, den Oberbürgermeister der Stadt Speyer, eingerahmt wurde, erschienen in den Zeitschriften "Deutsches Verwaltungsblatt" 1990, S. 518/525 (Rechtsanwalt und Notar Dr. Bemhard Stüer), "Die öffentliche Verwaltung" 1990, S. 741/743 (Assessor Christoph Hauschild) und "Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht" 1990, S. 847/849 (Rechtsanwalt Joachim Würkner). Die Eröffnungsrede des Bundeskanzlers Dr. Dr. h.c. Helmut Kohl wurde mehrfach abgedruckt, so z.B. im Bulletin der Bundesregierung Nr. 45 vom 12.4.1990, S. 345/349.
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Vorwort der Herausgeber
Bei der Redaktion und der Herstellung der Druckfassung dieses Tagungsbandes haben uns die Herren Akademischer Oberrat Dipl.-Wirtschaftsing. Wilfried Frankenbach und Assessor Wilfried Ebling tatkräftig unterstützt. Hierfür gebührt ihnen unser besonderer Dank. Willi Blümel
Hennann Hili
Eröffnung und Begrüßung durch den Rektor der Hochschule Univ.-Professor Dr. Carl Böhret Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren! Als Rektor und im Auftrag des Senats der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer heiße ich Sie alle sehr herzlich willkommen zur 58. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung. Ich begrüße Sie zugleich im Namen der beiden Tagungsleiter, Prof. Blümel und Staatsminister Prof. Hili, denen ich für ihr Engagement sehr danke! Sie befmden sich in der Freiherrvom-Stein-Straße. Aus diesem Namen ergibt sich sogleich die direkte Verbindung zum Thema unserer Veranstaltung: "Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung".
Unser erster und unser besonderer Gruß gilt nun aber dem Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Dr. Helmut Kohl. Herr Bundeskanzler! Sie haben schon in früheren Jahren Ihre Verbundenheit mit dieser Hochschule gezeigt. Es ist nicht die erste Speyerer Tagung, auf der Sie eine Rede halten. Als Ministerpräsident dieses Landes haben Sie - beispielsweise - in Ihrer Festansprache zu unserem 25jährigen Jubiläum im Mai 1972 betont, " ... daß die Hochschule Speyer als die einzige ihrer Art mit ihrem Angebot zur Aus- und Fortbildung eine bundesweite Wirkung hat ... und daß ein (weiterer) organischer Auf- und Ausbau ... sinnvoll, notwendig und chancenreich ist ...; (ferner), daß (die Hochschule) verstärkt Impulse für Leistungsverbesserungen der öffentlichen Verwaltung vermittelt und damit Anteil nimmt am ... sozialen Fortschritt ..." Ich meine, daß Hochschule und Forschungsinstitut einer heutigen Nachprüfung der von Ihnen damals genannten Leistungen standhalten können. Das betrifft sowohl die wissenschaftliche Arbeit als auch die Ausstrahlung in die Praxis. Heute nun freuen wir uns besonders darüber, Sie hier erstmals als Bundeskanzler willkommen heißen zu dürfen! Sie sind in einer wahrlich bedeutenden Zeit in diesem hohen Amt. Sie bestimmen die Richtlinien der Politik
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Eröffnung und Begrüßung
in einer Epoche, in der von Deutschland aus eine friedliche und unaufhaltsame Bewegung zur Freiheit und Demokratie ausgeht, in der Menschen in einem neuen Europa wieder zueinander fmden wollen, in der Staaten neue Formen des Zusammenlebens und der Integration suchen und zu erproben trachten. Daß Sie trotzgewiß dringlicherer Verpflichtungen zu dieser Tagung kamen und sogar den grundlegenden Vortrag übernehmen, würdigt wohl auch diese Institution. Nehmen Sie nochmals unseren besten Dank für diese Zuneigung. Wir alle wissen es: Gestern wurde der Bundeskanzler 60 Jahre alt. Diese statistische Zahl stimmt in nichts überein mit dem dynamischen Erscheinungsbild und mit der wahrnehmbaren Belastbarkeit. Sehr geehrter Herr Dr. Kohl! Auch dieses Auditorium gratuliert zum runden Geburtstag und wünscht Ihnen weiterhin Kraft, Gesundheit und persönliches Glück! In dieser Aula haben sich heute wieder viele prominente Gäste und hochgeschätzte Freunde der Hochschule eingefunden. Ich begrüße die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Landtage. Wir heißen willkommen hochrangige Beamte aus Staatskanzleien - darunter den Vorsitzenden unseres Verwaltungsrats - sowie aus Bundes- und Länderministerien, mehrere Regierungspräsidenten, viele Landräte und Oberkreisdirektoren. Einen Extragruß entbieten wir dem Oberbürgermeister der Stadt Speyer, vielen Oberstadtdirektoren, Oberbürgermeistern, Bürgermeistern und Beigeordneten aus der ganzen Bundesrepublik und der DDR. Ich grüße den Bischof von Speyer und den Präsidenten der Evangelischen Landeskirche. Hohe Vertreter der Gerichtsbarkeit sind bei uns immer gern gesehene Gäste. Den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz darf ich stellvertretend für alle anderen Gerichtspräsidenten und Richter begrüßen. Ich heiße willkommen die Gäste aus der Wirtschaft und deren Verbänden und vor allem die sachkundigen Vertreter kommunaler Spitzenverbände aus der ganzen Bundesrepublik. Den Kollegen aus mehreren Universitäten, gilt mein Gruß insbesonder dem neugewählten Vorsitzenden der Westdeutschen Rektorenkonferenz. Im übrigen empfehle ich einen Blick in die Ihnen übergebene Teilnehmerliste. Sie werden erkennen, verstehen und verzeihen, daß eine namentliche Begrüßung so vieler hervorragender Gäste und Tagungs-Teilnehmer unmöglich ist. Das hätte in etwa die Redezeit des Herren Bundeskanzlers und des Herrn Staatsministers beanspruchen müssen. Ich schlage deshalb vor, daß ich Sie alle nochmals als ganz besonders liebe Gäste und gute Freunde willkommen heiße, und Ihnen versichere, daß es die Hochschule
Eröffnung und Begrüßung
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überaus zu schätzen weiß, daß Sie der Einladung zu dieser Tagung gefolgt sind. Sie werden es nicht bereuen. Meine Damen und Herren! Erstmals haben wir ein Hochschul-Emblem an diesem Rednerpult angebracht. Damit wollen wir verdeutlichen, daß diese der Forschung, Lehre und Fortbildung verpflichtete Hochschule eine Einrichtung aller Länder - unter Beteiligung des Bundes - ist. Auch damit stellt sie ein Unikat in der deutschen Hochschullandschaft dar. Das Emblem zeigt die Wappen der elf Bundesländer und des Bundes. Ich möchte ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß noch ausreichend Platz geschaffen werden kann für etwa fünf weitere Länderwappen. Über deren Anordnung können wir uns dann gerne unterhalten. Und damit schon während dieser Tagung anfangen. Denn wir haben unter uns 35 Tagungsteilnehmer aus der DDR. 17 Wissenschaftler aus den Universitäten und Hochschulen in Berlin, Halle-Wittenberg, Jena, Leipzig, Potsdam und Rostock. Und 18 Praktiker aus staatlichen und kommunalen Verwaltungen. Darunter die Oberbürgermeister von Dessau und Gera! Seien Sie alle besonders herzlich willkommen! Die Hochschule hat also schon jetzt gute Freunde und Partner in der DDR, und fast täglich kommen neue Kontakte zustande. Wir wissen, daß auch wir aufgefordert sind, konkrete Verwaltungshilfe zu leisten und wir wollen es gerne tun. Allerdings nicht besserwisserisch oder überheblich (dazu besteht gewiß kein Anlaß), sondern - im Rahmen unserer Möglichkeiten - beratend und fördernd. Und dabei immer auch mit einer eigenen hohen Lernbereitschaft. Auch bei dieser kooperativen Verwaltungshilfe - wie ich es nennen möchte - steht die kommunale Selbstverwaltung als Idee und Modell im Mittelpunkt. Die Hochschule und das Forschungsinstitut haben in diesen Tagen ein Angebotspaket entwickelt, das wir auf mehrfache Weise und auf möglichst vielen Wegen den Partnern in der DDR übergeben und vorstellen wollen. Dieses Angebot beschreibt die als besonders geeignet erscheinenden Ausbildungs- und Fortbildungsprogramme der Hochschule sowie die Möglichkeiten der Forschungskooperation. Darüber hinaus bieten wir schon im Juli ein spezielles Fortbildungsseminar für jüngere Verwaltungsangehörige aus der DDR an. Wir hoffen auf die fmanzielle Unterstützung von Bund und Ländern. Das Land Rheinland-Pfalz hat bereits (erhebliche) Mittel bereitgestellt, insbes. für die thüringischen Partner. Die Landeszentrale für politische Bildung hat Vertreter aller Rheinland-Pfalz-Partnerstädte in der DDR hierher eingeladen. Aber auch Professoren (und ein Emeritus) unserer Hochschule haben schon private Spenden getätigt. Die kooperative Verwaltungshilfe soll im Geiste der Geschwisterlichkeil erfolgen und angesichts der gesamteuropäischen Entwicklung weiter verstärkt werden.
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Eröffnung und Begrüßung
Gestatten Sie mir nun noch wenige Anmerkungen zum Tagesthema: Die kommunale Selbstverwaltung ist als Idee und Modelllängst zu einem deutschen Exportartikel geworden. Viele wissenschaftliche Kontakte dieser Hochschule sind nicht zuletzt dadurch vertieft worden, daß Gastforscher aus dem Ausland sich bei uns mit der kommunalen Selbstverwaltung beschäftigten und ihre Erkenntnisse in den Heimatländern verbreiteten oder gar umsetzten. Viele Dissertationen und Magisterarbeiten und rund 10% der Veröffentlichungen unseres Forschungsinstituts befassen sich mit kommunalen Aspekten. In den USA und in Korea sind jüngst (in der jeweiligen Landessprache) Bücher erschienen über unser bundesdeutsches Modell der kommunalen Selbstverwaltung. Sie wurden von ausländischen Kollegen während ihres Speyer-Aufenthalts verfaßt Derzeit beschäftigen sich fünf Wissenschaftler aus Japan, Korea und der Türkei - mehr als je zuvor zur gleichen Zeit - ebenfalls mit neueren Aspekten der kommunalen Selbstverwaltung. Mehrere Delegationen - nun auch aus schwarzafrikanischen Ländern - besuchten schon in diesem Jahr die Hochschule, um sich über unser Tagungsthema zu informieren und sich beraten zu lassen. Meine Damen und Herren ! Sie befinden sich in einer der ältesten Städte Deutschlands, Speyer feiert in diesem Jahr seinen 2000-jährigen Geburtstag. Deswegen kann auch erinnert werden an mehrere Ereignisse, die unmittelbar und historisch originär mit unserem Tagungsthema verbunden werden dürfen. In dieser Stadt begann am 14. August 1111 ein erster Schritt auf dem langen Wege zur kommunalen Selbstverwaltung. An diesem Tag gewährte der salische Kaiser Heinrich V. den Einwohnern der Stadt Speyer für jene Zeit einmalige "Freiheitsprivilegien", mit der die Grundlagen zur Bürgerfreiheit gelegt wurden. Und schon im Jahre 1198 gab Philipp von Schwaben den Bürgern von Speyer das Recht, einen Rat von 12 Männern aus ihren Reihen zu wählen. Dieser Rat war nur der Bürgerschaft verantwortlich. Die Räte durften "das Regiment der Stadt vermittelst geschworenen Eydes nach ihrem besten Verstand führen und verwalten." Aus der Würdigung solcher Bindungen an - oft erst im Nachhinein voll zu erfassende - Höhepunkte der Geschichte, und aus der Überzeugung von der zukunftsbedeutsamen Rolle des Kommunalen ergab sich unser Tagungsthema. Wir wußten - vor etwa einem Jahr - noch nicht, daß Idee, Modell und Praxis der kommunalen Selbstverwaltung sehr schnell auch zu einem neuen deutschen Thema würde, und sich dabei auch die internationalen Impulse weiter verstärkten mußten. So bilden geschichtsträchtige Ver-
Eröffnung und Begrüßung
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gangenheit und - man darf es wohl so sehen - weltbewegende Gegenwart die Basis, auf der wir uns drei Tage lang mit einem immer wichtiger werdenden Aspekt unserer politischen und gesellschaftlichen Zukunft befassen werden. Die Thematik reizt zu einer Hypothese: Je globaler die neuartigen Folgen unseres Handeins und je internationaler die politischen Beziehungen wie der technisch -ökonomische Austausch werden, desto lokaler und überschaubarer müssen die sozialen und die zwischenmenschlichen Verbindungen gestaltet werden. Zentralität und Dezentralität, Rahmensetzung und neues Subsidiaritätsprinzip, gehen eine bemerkenswert moderne Verbindung ein. Das Zurechtfmden in der komplizierten pluralistischen Gesellschaft mit ihren vielfältigen Regelwerken, das Begreifen der großen Vorzüge freiheitlich-demokratischer Grundordnung und eines funktionalen Staates, erfolgt am eindrückliebsten noch immer "vor Ort" und durch praktische Einübung. Wo anders als in den Gemeinden und Städten wird das oft spannungsreiche soziale Zusammenleben erprobt und die politische Willensbildung erlernt? Dort auf der kommunalen Ebene, müssen wir die neuen Spannungen in vielen Politikfeldern zu lösen versuchen. Dort müssen wir den noch ziemlich unerfahrenen Umgang von Menschen mehrerer Kulturen miteinander zu organisieren versuchen und die existierenden Konflikte zwischen suchenden Jungen und selbstbewußten Senioren zur verständnisvollen Koexistenz bringen. Demokratie ist historisch wie systematisch zuallererst lokale Demokratie, sie entspringt der Selbstbestimmung und entwickelt sich durch Selbstverwaltung. So betrachtet beruht die Zukunft unseres Gemeinwesens wie die Zukunft unserer europäischen Gemeinschaften auf der guten Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung. Es lohnt sich also, sich immer wieder über deren Chancen Gedanken zu machen und die vielen Hemmnisse zu reduzieren, die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus der Tätigkeitshast der staatlichen Ebene stammen. Meine Damen und Herren! Ich möchte schließen - fast selbstverständlich- mit einem Wort des Freiherrn vom Stein: ,,Allein dadurch, daß man das Gegenwärtige aus dem Vergangeneo entwickelt, kann man ihm eine Dauer in die Zukunft versichern. Sonst erhält die neue Institution ein abenteuerliches Dasein ohne Vergangenheit und (ohne) Bürgschaft für die Zukunft." Herr Bundeskanzler, dürfen wir Sie nun um Ihren Vortrag bitten?
Eröffnung Ansprache des Bundeskanzlers Dr.Dr. h.c. Helmut Kohl I.
Magnifizenz, verehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages und der Landtage, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich zunächst bei Ihnen, MagnifiZenz, sehr herzlich bedanken für dieses freundliche Willkommen. Ich bin vor allem aus zwei Gründen gerne hierhergekommen: Erstens, weil es eine gute Gelegenheit ist, in die engere Heimat zu kommen. Bonn ist zwar wichtig, aber Bonn ist nicht die Bundesrepublik Deutschland. Ich bin immer froh, wenn ich mich in der Pfalz aufhalten kann. Speyer war in meinem Leben immer ein wichtiger Punkt - nicht nur, weil ich zwei Jahre meines Lebens im Domgymnasium zu Speyer zugebracht habe. Der zweite Grund für meine sofortige Zusage, hierherzukommen, ist der, daß ich der Arbeit dieser Verwaltungshochschule meine Anerkennung zollen möchte. Ich wünsche mir, daß möglichst viele - und da die Repräsentanten der Staatskanzleien hier sind, ist dies auch der richtige Ort, das einmal zu sagen - in der Bundesrepublik begreifen, welche Bedeutung diese Hochschule für die Zukunft unseres Landes haben kann im Übergang zu einem vereinten Deutschland, aber auch im Blick auf die Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft. Ich begrüße natürlich vor allem auch sehr herzlich die Damen und Herren, die aus der DDR zu uns gekommen sind. Das Thema Ihrer Fortbildungstagung - "Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung" - hat in den vergangeneo Wochen und Monaten eine neue Dimension hinzugewonnen und damit auch neue Bedeutung erlangt. Heute geht es um nicht weniger als um die Frage nach der Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung in einem freien und geeinten Deutschland.
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Helmut Kohl
Als ich vor gut neun Monaten zusagte, diese Eröffnungsrede zu halten, war diese Entwicklung noch nicht abzusehen. Es ist eine Entwicklung, die die Staats- und Verwaltungswissenschaften vor eine neuartige, vor eine faszinierende Herausforderung stellt. Und ich möchte Sie gleich zu Beginn ermutigen, daß Sie den Gegenstand dieser Tagung und ähnlicher Veranstaltungen um diesen so wichtigen Aspekt erweitern. Helfen Sie mit, daß unsere Landsleute in der DDR recht bald der rechtsstaatliehen Demokratie auch auf kommunaler Ebene begegnen können! In der DDR besteht ein großer Bedarf an Informationen, an Aus- und Weiterbildung gerade auch auf diesem Gebiet, und ich möchte Sie sehr herzlich bitten, in den kommenden Monaten mit Ihrem Wissen, mit Ihren Erfahrungen und Ihren Möglichkeiten ein Stück nationaler Solidarität in demokratischer Verantwortung zu praktizieren. Es geht hier nicht darum - wie immer wieder unterstellt wird -, unsere Landsleute von oben herab zu belehren oder sie zu bevormunden. In Wirklichkeit - und das ist doch auch eine Botschaft der Volkskammerwahlen vom 18. März - erwarten die Menschen in der DDR von uns, daß wir ihnen im Geiste der Partnerschaft helfen, in ihrer Heimat einen demokratischen Rechtsstaat aufzubauen. Meine Damen und Herren, was ich soeben ganz allgemein an die Adresse der Staats- und Verwaltungswissenschaftler gesagt habe, gilt selbstverständlich auch für die Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Ich begrüße es nachdrücklich, daß Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten die Herausforderungen annehmen, vor die der Prozeß der Vereinigung beider Staaten in Deutschland uns stellt. Es sind heute und in den kommenden Tagen auch mehrere kommunalwissenschaftlich und kommunalpolitisch Interessierte aus der DDR unter den Teilnehmern; ihnen gilt - wie ich schon sagte - mein besonderer Gruß. leb nehme schließlich auch gern die Gelegenheit wahr, der Stadt Speyer und ihren Bürgern die herzlichen Glückwünsche der Bundesregierung zum 2000jährigen Stadtjubiläum zu überbringen. Ich komme immer wieder gern nach Speyer. Der Dom zählt für mich zu den schönsten und eindrucksvollsten Bauwerken in ganz Deutschland. In dieser alten Kaiserstadt am Rhein spiegelt sich ein wichtiges Merkmal deutscher Geschichte wider, das mit dem Thema der heutigen Tagung viel zu tun hat. Ich meine damit die wohl einzigartige Vielfalt politischer, wirtschaftlicher und kultureller Zentren, die die Landkarte Deutschlands über die Reichsgründung von 1871 hinaus prägte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern unseres Kontinents verfügte Deutschland über weite Epochen seiner Geschichte nicht über eine
Ansprache
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Hauptstadt im Sinne einer urbanen Zusammenfügung von Regierungsstellen, Wirtschaftskraft, Kultur und einer großen Bevölkerung. So gibt es denn heute viele Städte in Deutschland, die für sich in Anspruch nehmen können, eine Zeitlang politisches Zentrum der deutschen Geschichte gewesen zu sein. In diesen Kreis gehört auch Speyer, die Stadt mehrerer besonders wichtiger Reichstage. Der Polyzentrismus unserer Nationalgeschichte fmdet heute seinen Ausdruck im Föderalismus. Wie tief unser föderalistisches Erbe im Bewußtsein der Deutschen verankert ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß im Herbst vergangeneo Jahres die Oppositionsbewegung in der DDR von Anfang an die Forderung erhob, die früheren Länder MecklenburgVorpommern, Thüringen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt wiederherzustellen. Die Menschen dort haben sich nie damit abgefunden, daß eine zentralistische Bürokratie geschichtlich gewachsene Strukturen zerschlug. Wer an die Überlegenheit der totalen Planung glaubt, der übersieht die zutiefst humane Bedeutung von Institutionen, die den Menschen Halt, Identität und das Gefühl der Zugehörigkeit - kurz: die Erfahrung von Heimat - bieten. "Heimat" ist kein altmodischer Begriff, kein Plädoyer für geistige Enge. Ohne das Bewußtsein der eigenen Herkunft gibt es keine Zukunft. Wer keine Wurzeln hat, der ist auch zur Weltoffenheit nicht fähig. Auch aus einem anderen Grunde geht es bei der Wiederherstellung der Länder in der DDR nicht um vordergründige Nostalgie, sondern um ein Kernstück demokratischer Erneuerung. Denn Föderalismus ist immer auch ein Stück Gewaltenteilung. So überragend wichtig die ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März gewesen sind, so wenig sollte man deshalb die Bedeutung der bevorstehenden Kommunalwahlen in der DDR - und später auch der Landtagswahlen - geringschätzen. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 die Erfahrung gemacht, daß vier Jahre demokratischer Erneuerung auf kommunaler und auf Landesebene ein stabiles Fundament schufen, auf dem dann in den Bundestagswahlen 1949 aufgebaut werden konnte. Der Bau des demokratischen Rechtsstaats wurde "von unten nach oben", von den Gemeinden über die Länder hin zum Bundesstaat vollendet. Schaut man sich einmal die Lebensläufe der Mitglieder des Parlamentarischen Rates an, dann fällt einem sogleich die große Zahl von Bürgermeistern, Landräten und anderen kommunalpolitisch erfahrenen Persönlichkeiten ins Auge. Der Präsident des Parlamentarischen Rates, Konrad Adenauer, konnte selbst auf ein langjähriges Wirken als Oberbürgermeister
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HelmutKohl
von Köln zurückblicken. Aber auch die anderen Lebensläufe zeigen die Verbindung zur - wie man heute sagt - Basis. Fürall dieseMännerund Frauen war das Bekenntnis zur kommunalen Selbstverwaltung keine leere Phrase, sondern glaubhafter Ausdruck eigener Erfahrungen und Überzeugungen. Ich will hieran die Bemerkung anschliessen, daß ich mir sehr wünschen würde, wenn in unseren Landtagen und im Deutschen Bundestag sehr viel mehr Persönlichkeiten säßen, die in der Kommunalpolitik Erfahrungen gesammelt haben. Ich glaube auch, daß wir vor Jahrzehnten einen Fehler gemacht haben, als wir in der Inkompatibilitätsdebatte den Bürgermeistem die Wahl zu den Parlamenten unmöglich gemacht und dafür einen breiten Zustrom von Pädagogen - ich habe nichts gegen diesen Beruf - in die Parlamente bekommen haben. Ich plädiere hier deshalb dafür zu überlegen, ob wir nicht aus diesem Fehler lernen sollten. Auch in der DDR stehen wir jetzt vor einem Neubeginn, aber die Ausgangsposition ist natürlich eine völlig andere als jene in der unmittelbaren Nachkriegszeit: Unsere Landsleute haben mit ihrer friedlichen und demokratischen "Revolution von unten" zunächst das zentralistische Unrechtsregime überwunden. Der demokratische Neuaufbau muß sich jetzt zügig auf alle übrigen Ebenen erstrecken. Unsere Landsleute in der DDR haben diese Chance bislang nicht gehabt. Gerade deshalb ist es so wichtig, daß wir sie an unseren positiven Erfahrungen mit der kommunalen Selbstverwaltung und dem Föderalismus teilhaben lassen.
II.
Die ersten freien Wahlen in der DDR - für die Menschen dort waren es die ersten nach über 57 Jahren in diesem Teil unseres Vaterlandes - haben gute Voraussetzungen für einen umfassenden demokratischen Neubeginn auf allen Ebenen geschaffen. Dieser Wandel istjetzt in vollem Gange. Mehr als 93 Prozent der wahlberechtigten Bürger in der DDR haben seit Jahrzehnten zum ersten Mal wirklich freiwillig - am 18. März 1990 an der Wahl zur Volkskammer der DDR teilgenommen. Diese hohe Wahlbeteiligung beweist den Willen unserer Landsleute, in den Formen einer lebendigen Demokratie das politische Leben in ihrer Heimat mitzugestalten. Das Ergebnis der Wahl machte klar: Unsere Landsleute in der DDR wollen Freiheit, Demokratie und Einheit. Sie haben dem Irrweg des "real existierenden Sozialismus" und jeder Form von Diktatur eine Absage erteilt. Sie haben mit dieser Entscheidung ein hohes Maß an demokratischer Reife
Ansprache
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und politischer Verantwortung bewiesen und zugleich deutlich gemacht, daß sie solche Verantwortung auch von ihren gewählten Vertretern erwarten. Sie stehen jetzt vor der großen Aufgabe, nach über 40 Jahren zentralistischer Staatsstruktur die kommunale Selbstverwaltung als einen unverzichtbaren Bestandteil der freiheitlichdemokratischen Ordnung in ihren Städten und Gemeinden neu aufzubauen. Worum es dabei geht, hat der Staatswissenschaftler Alexis de Tocqueville bereits Anfang des 19. Jahrhunderts erkannt, nachdem er die großen Vorzüge der kommunalen Selbstverwaltung im damals jungen Amerika kennengelernt hatte. "Die Gemeindeeinrichtungen sind für die Freiheit, was die Volksschulen für die Wissenschaften sind; sie machen sie dem Volke zugänglich; sie wecken in ihm den Geschmack an ihrem freiheitlichen Gebrauch und gewöhnen es daran. Ohne Gemeindeeinrichtungen kann sich ein Volk eine freie Regierung geben, aber den Geist der Freiheit besitzt es nicht." Der Prozeß der Demokratisierung muß Stückwerk bleiben, solange nicht auch auf örtlicher Ebene Demokratie wirklich gelebt wird. Der Bürger muß in seiner unmittelbaren Umgebung die Verhältnisse mitgestalten, selbst Initiativen ergreifen und politische Verantwortung übernehmen können. Der große preußische Reformer und Staatsmann Kml Freihe" vom und zum Stein hatte diese Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung frühzeitig erkannt. Schon in der berühmten "Nassauer Denkschrift" von 1806 ging es - wie heute in der DDR - darum, die Kommunen aus der obrigkeitsstaatliehen Bevormundung zu befreien und dem staatlichen und wirtschaftlichen Leben durch Mitverantwortung und Mitgestaltung neue Impulse zu geben. Steins Beschreibung der damaligen Zustände gibt auch die Lage der Menschen im "real existierenden Sozialismus" wieder: "Eifer und Liebe für die öffentlichen Angelegenheiten, aller Gemeingeist, jedes Gefühl, dem ganzen ein Opfer zu bringen, mußten verlorengehen. Selbst Bürger zu sein, ward längst nicht einmal mehr für Ehre gehalten."
Stein hat damals seine zukunftsweisenden Ideen zielstrebig durchgesetzt und damit eine große Tradition begründet. Diese Gedanken sind auch nach 40 Jahren Diktatur für unsere Landsleute in der DDR unverändert aktuell. Nach dem Abschütteln der Fesseln staatlicher Bevormundung können sie jetzt wieder ihrer selbstverantwortlichen, schöpferischen Kraft vertrauen. Sie können von ihrer neugewonnenen Freiheit verantwortungsvoll Gebrauch machen.
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Die bevorstehende Kommunalwahl ist eine Herausforderung für alle demokratischen Kräfte in der DDR. Die Menschen dort haben jetzt die Möglichkeit, sich zu engagieren und sich als Vertreter in den örtlichen Gremien und aufKreisebene um das Vertrauen der Wähler zu bemühen. In der kommunalpolitischen Auseinandersetzung macht man die Erfahrung, daß Polarisierungen in der Politik den Interessen der Bürger auf die Dauer nicht dienlich sind. Und um diese Interessen geht es schließlich in der Politik. Wer sich in der Kommunalpolitik engagiert, der lernt, wie gut es ist, das Gespräch über parteipolitische Grenzen hinweg zu pflegen und immer wieder auch nach partnerschaftliebem Zusammenwirken zu streben. Das ändert natürlich nichts daran, daß auch auf kommunaler Ebene die klare Aufgabenverteilung zwischen Mehrheit und Minderheit nicht verwischt werden sollte. Wer seine ersten politischen Erfahrungen im überschaubaren Rahmen einer Stadt oder Gemeinde gesammelt hat, wird es in der Regel leichter haben, sich auch auf Landes- oder Bundesebene zu bewähren. Die örtliche Verwaltungsbehörde ist auf Vertrauen angewiesen, wenn sie Entscheidungen trifft, die jeden in seiner örtlichen Umgebung ganz unmittelbar berühren. Der betroffene Bürger will Zutrauen haben können; er darf sich den Behörden nicht ausgeliefert fühlen. Eine solche Sicherheit trägt zu der Zuversicht der Menschen in der DDR bei, daß sich ihre Lebensverhältnisse bessern, daß es sich lohnt, in der Heimat zu bleiben und mitzuarbeiten am Neuaufbau dieses schönen Teiles unseres Vaterlandes. Das zentralistische Befehlssystem in der DDR ist gescheitert. Das weithin trostlose Bild, das die einstmals blühenden Städte und Gemeinden heute mit dem Verfall der baulichen Substanz, der kommunalen Einrichtungen und den verheerenden Umweltproblemen bieten, ist nicht zuletzt eine Folge dieses zentralistischen Systems. Es versagte den Menschen die Möglichkeit, ihre örtlichen Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Die eigenverantwortliche Gestaltung dieser Aufgaben macht nicht nur die Bürgernähe einer kommunalen Selbstverwaltung aus, sondern sie ist auch ein wichtiger Beitrag zum gesamten wirtschaftlichen und sozialen Neuaufbau im anderen Teil Deutschlands. Die Schaffung einer Sozialen Marktwirtschaft erfordert auf der örtlichen Ebene eine leistungsfähige Kommunalverwaltung. Diese kann sich nicht mehr einfach darauf verlassen, daß ihr höhere Instanzen wie früher in der zentral gelenkten Planwirtschaft Entscheidungen abnehmen. Oft wird es darauf ankommen, daß wirtschaftliche Initiativen durch Initiativen der Verwaltung vor Ort in den Städten und Gemeinden begleitet werden.
Ansprache
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111. Die Städte und Gemeinden in der DDR brauchen unsere Unterstützung. Ich möchte an dieser Stelle ein Wort des Dankes sagen an die vielen Städte und Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland und an andere regionale Instanzen, die in unbürokratischer Weise auf Grund partnerschaftlieber Kontakte vielfältige Hilfen gegeben haben. In meiner Regierungserklärung vom 15. Februar vor dem Deutschen Bundestag habe ich gesagt, das Leitwort der kommenden Monate laute: nationale Solidarität. Diese nationale Solidarität verwirklicht sich auch in kommunaler Partnerschaft. In den vergangeneo Jahren ist es der Bundesregierung erst nach und nach und mit viel Mühe gelungen, die alte Führung der DDR dazu zu bewegen, Vereinbarungen über eine begrenzte Zahl kommunaler Partnerschaften zuzulassen. Mit der Öffnung von Mauer und Grenzsperren hat sich dies grundlegend zum Guten geändert. Städte und Gemeinden in der DDR sind frei, partnerschaftliehe Verbindungen zu Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen. Es bedarf keiner langwierigen Verhandlungen und keiner förmlichen Vereinbarungen mehr. Vertreter von Städten und Gemeinden, aber auch Bürgerinnen und Bürger selbst können sich frei begegnen. Dies hat einen grundlegenden Bedeutungswandel bei kommunalen Partnerschaften bewirkt, ohne diese überflüssig zu machen. Während es früher ein wesentliches Anliegen solcher Partnerschaften war, politische Hemmnisse zu überwinden, um Kontakte im Rahmen eng begrenzter Programme erst einmal herzustellen, rückt jetzt ein anderer Gesichtspunkt in den Vordergrund: Städte und Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland können ihre Partnerstädte und Gemeinden in der DDR in mannigfacher Weise an ihren Erfahrungen teilhaben lassen, aber auch praktisch beim Neuaufbau des demokratischen Lebens helfen. Und ich weiß, daß dies täglich geschieht und es hier bereits zahlreiche Beispiele kommunaler Eigeninitiativen gibt. Sie sind nicht nur für die Menschen in der DDR von unschätzbarem Wert, sondern sie bilden auch ein ganz wichtiges Element bei der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands. Auch mit der Aufnahme von Hunderttausenden von Aus- und Übersiedlern haben viele Kommunen hierzulande in den vergangeneo Monaten und Jahren ihre nationale und mitmenschliche Solidarität beeindruckend unter Beweis gestellt. Ihr gesamtstaatliches Verantwortungsbewußtsein verdient große Anerkennung.
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Aber nicht nur die Kommunalverwaltungen, sondern auch die Bürger der Städte und Gemeinden selbst haben Initiativen entwickelt, um dort Hilfe zu geben, wo öffentliche Stellen vielleicht an Grenzen stoßen. Ich möchte auch dies besonders dankbar erwähnen. Die Bundesregierung begrüßt dieses Engagement ebenso wie die Initiativen der Länder und der kommunalen Spitzenverbände. Das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen unterstützen im Rahmen ihrer Möglichkeiten alle diese Aktivitäten. Partnerschaftliehe Verbindungen zwischen Kommunen, die jetzt noch die Trennung unseres Vaterlandes überwinden helfen, werden auch nach Wiedergewinnung der Einheit ihre Bedeutung behalten - ja, an Bedeutung gewinnen. Denn so wie schon jetzt werden sie Modell für die Verbundenheit der Menschen sein - eine Verbundenheit, die sich in Begegnungen und in tätiger Hilfe in allen Bereichen des kommunalen Lebens bewährt. Und warum sollten die Städte - ich nenne als Beispiel Ludwigshafen und Dessau - den Sinn ihrer Partnerschaft nicht auch darin sehen, in der Partnerstadt ein paar Projekte zu fördern?
IV. Die kommunale Selbstverwaltung als eines der Fundamente unseres demokratischen und sozialen Bundesstaates hat sich in den fast 41 Jahren der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Viele unserer Nachbarn in der Europäischen Gemeinschaft beneiden uns darum. Heute geht es darum, in Zeiten großer Veränderungen die kommunale Selbstverwaltung zu verteidigen und zu stärken: Was die jeweils kleinere Einheit in eigener Verantwortung wirksam entscheiden kann, soll der Staat nicht an sich ziehen. Ich meine, dieser Grundsatz verbietet es, daß eine übergeordnete Körperschaft - der Staat oder die Europäische Gemeinschaft - alle Entscheidungen an sich zieht. Vielmehr soll ein jeder die Aufgabe wahrnehmen, für die er am besten geeignet ist. Dieser Grundsatz muß auch Richtschnur unserer Politik sein, wenn es um die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes bis Ende 1992 geht und um weitere Schritte auf dem Weg zur Politischen Union. Das Bekenntnis zur kommunalen Selbstverwaltung, die Bewahrung des Föderalismus, die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands und die europäische Integration lassen sich nicht voneinander trennen. Alle diese politischen Grundentscheidungen stehen in einem notwendigen inneren
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Zusammenhang. Sie bilden keine Gegensätze - weder in der Theorie noch in der praktischen Politik. Die kommunale Selbstverwaltung hat natürlich auch eine wirtschaftliche Dimension, und die von mir geführte Bundesregierung weiß die ökonomische Bedeutung der Gemeinden für das Wohlergehen der Menschen sehr zu würdigen. Städte und Gemeinden bestreiten in der Bundesrepublik zwei Drittel der öffentlichen Investitionen. Diese Investitionen sind für Wachstum und Beschäftigung außerordentlich wichtig. Sie haben einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung der letzten Jahre geleistet. Die Kommunen können ihre vielfältigen Aufgaben natürlich nur erfüllen, wenn sie fmanziell ausreichend ausgestattet sind. Die Bundesregierung bekennt sich deshalb im Rahmen der fmanzverfassungsrechtlichen Aufgabenteilung unverändert zu ihrer Mitverantwortung für die fmani.ielle Ausstattung der Kommunen. Die fmanzielle Eigenständigkeil der Städte, Gemeinden und Kreise muß erhalten, die kommunale Selbstverantwortung gestärkt werden. Die Verbesserungen in der Finanzsituation und der Haushaltsstruktur der Kommunen sind eindrucksvoll. In meiner Amtszeit hat sich die Finanzlage der Kommunen nachhaltig zum Besseren gewendet. Die hohen Defizite vom Anfang der achtziger Jahre sind abgebaut. Im Jahr 1989 - wie schon einige Male zuvor - war ein positiver Finanzierungssaldo zu verbuchen: Es wurde ein Überschuß in Höhe von gut zwei Milliarden DM - und damit eine neue Höchstmarke - erreicht. Auch für dieses Jahr sind die Aussichten gut. Der Bund hat immer wieder bewiesen, daß er sich den Kommunen verpflichtet weiß. Die Mitverantwortung des Bundes für eine aufgabenorientierte, angemessene Finanzausstattung der Kommunen ist für mich deshalb selbstverständlich. Ich stehe zu meinem Wort, daß die in der nächsten Legislaturperiode anstehende Reform der Unternehmensbesteuerung auch die berechtigten Interessen der Gemeinden berücksichtigen wird und nicht gegen die Gemeinden gerichtet sein darf. Von großer Bedeutung wird dabei die Frage der Gewerbesteuer sein. Diese Steuer ist ein wesentlicher Bestandteil unseres gegliederten Finanzsystems. Ihre Ausgestaltung hat Auswirkungen nicht nur auf die Gemeinden. Deshalb muß eine Lösung gefunden werden, die ein Zweifaches garantiert: Einerseits muß die Konkurrenzfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Wirtschaft in der Europäischen Gemeinschaft sichergestellt sem.
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Andererseits muß die steuerliche Eigenständigkeit unserer Städte und Gemeinden auch in Zukunft erhalten bleiben. Dies liegt selbstverständlich auch im Interesse der Privatwirtschaft selbst. Denn eine leistungsstarke Wirtschafts- und Infrastruktur kann nur erwartet werden von fmanzpolitisch autonomen und damit handlungsfähigen Kommunen. Ich habe deshalb immer betont - und tue dies auch heute wieder-, daß diese schwierige Frage nur im Konsens mit den Betroffenen gelöst werden kann. Ich habe jedoch gar keinen Zweife~ daß wir zu einer einvernehmlichen und für alle befriedigenden Lösung kommen werden.
V.
Auch in einer Politischen Union Europas müssen Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung ihren festen Platz haben. Denn wir streben gerade ein vielgestaltiges Europa an, in dem die gewachsenen - vor allem auch regionalen - Besonderheiten ihren Platz haben. Wir wollen kein Europa, das Nationen und Regionen gleichsam in einem Schmelztiegel aufgehen läßt. Das Gegenteil ist der Fall. Wir bekennen uns deshalb zum Föderalismus als Leitbild für den Aufbau Europas. Ein föderalistisch aufgebautes Europa achtet auf die sprachliche, kulturelle und regionale Vielfalt seiner Völker und garantiert seinen ethnischen, sprachlichen und religiösen Gruppierungen den notwendigen Freiraum für ein friedliches Zusammenleben. Das Europa, wie es uns vorschwebt, ist auch und gerade ein Europa, in dem Verwurzelung in der Heimat und ein weiter Horizont ganz selbstverständlich nebeneinander bestehen können. Es ist mein Wunsch, daß die Mitgliedstaaten der EG die Einberufung einer weiteren Regierungskonferenz für Ende dieses Jahres beschließen, die über konkrete Schritte zur Verwirklichung der Politischen Union beraten soll. Dabei geht es auch um die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlamentes. Wir haben heute eine etwas eigenartige Situation: Viele unserer Kolleginnen und Kollegen sind dafür, die Brüsseler Institutionen zu stärken, das heißt Kompetenzen und damit auch Kontrollrechte von den nationalen Parlamenten wegzunehmen, aber sie sind nicht automatisch bereit, die Kontrollrechte an das Europäische Parlament zu geben. Unter dem Gesichtspunkt der Demokratisierung ist diese Haltung nicht akzeptabe~ und ich werde mich deshalb für eine Stärkung der Rechte des Europäischen Parlamentes einsetzen.
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Es wird für uns auch besonders wichtig sein, die Tradition der kommunalen Selbstverwaltung als eines Gestaltungsprinzips unseres demokratischen Bundesstaates auch in einem geeinten Europa zu sichern. Weitere Fortschritte bei der Einigung Europas dürfen auch nicht bedeuten, daß wir den Bürger durch die Schaffung immer größerer Einheiten der Politik entfremden und damit die Möglichkeiten zu Mitverantwortung und Mitgestaltung beeinträchtigen. Wir würden damit unseren Bürgern, der Demokratie und der Idee der europäischen Einigung einen schlechten Dienst erweisen.
VI.
Für uns Deutsche ergibt sich im letzten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts die große Chance, das zu erfüllen, was für die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes noch Vision war: Die "nationale und staatliche Einheit zu wahren" und ein Deutschland zu schaffen, das "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt" dient. Es ist nicht nur die auch nach 40 Jahren immer noch frische und unverbrauchte Sprache des Grundgesetzes, die mich beeindruckt. Auch die in ihm niedergelegten Grundprinzipien einer freiheitlichen Ordnung haben sich bewährt und nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Nach 1945 haben wir gesagt: Liebe zum Vaterland und Liebe zur Freiheit dürfen nie wieder getrennte Wege gehen. Diese Überzeugung hat auch im Grundgesetz auf eindrucksvolle Weise ihren Niederschlag gefunden. Wenn wir das, was manche etwas abstrakt "Verfassungspatriotismus" nennen, in diesem Sinne verstehen, dann bin ich damit einverstanden, auch wenn diesem Begriff etwas Künstliches anhaftet. Auch diejenigen, die für "Verfassungspatriotismus" eintreten, sprechen sich damit ja gerade für das Grundgesetz aus. Ich bin der Meinung, daß auch die staatliche Ordnung eines vereinten Deutschlands auf dem festen und erprobten Fundament des Grundgesetzes ruhen sollte. Für mich ist daher der "Königsweg" zur deutschen Einheit der Beitritt nach Artikel23 des Grundgesetzes. Unsere Landsleute in der DDR haben sich bei den Wahlen vom 18. März eindrucksvoll nicht nur zur Einheit Deutschlands bekannt, sondern auch zu den Werten, die unserem Grundgesetz zugrundeliegen. Ich freue mich, daß ich mit meiner Auffassung mit den 100 deutschen Staatsrechtslehrern übereinstimme - und mehrere von ihnen sind hier anwesend -, die in einer gemeinsamen Erklärung den Weg über Artikel 23
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empfehlen. Sie stellen dort völlig zu Recht fest - ich zitiere -: ,.Auf dem Grundgesetz ruht die Hoffnung der Deutschen in Ost und West." Eine Vereinigung über Artikel 146 brächte demgegenüber beachtliche Risiken und Gefahren. Eine neue Verfassung müßte in monate-, vielleicht jahrelangen Diskussionen erst noch ausgearbeitet werden. Wertvolle Zeit zur Schaffung rechtsstaatlicher Verhältnisse und für einen raschen Wiederaufbau der Wirtschaft in der DDR ginge unnötig verloren. Für uns in der Bundesrepublik bestünde die Gefahr, daß wesentliche Grundprinzipien unserer freiheitlichen Verfassung zur Disposition gestellt werden könnten, wie zum Beispiel die Prinzipien des sozialen und demokratischen Bundesstaates, die Wirtschaftsfreiheit und Tarifautonomie, die kommunale Selbstverwaltung, bestimmte Ausprägungen der Rechtsstaatlichkeit oder die Offenheit für supranationale Einrichtungen. Während das Grundgesetz eine Zweidrittel-Mehrheit für Änderungen verlangt, würde - bei Ausarbeitung einerneuen Verfassung - eine einfache Mehrheit genügen. Damit würden Tür und Tor für diejenigen geöffnet, die - auch bei uns - eine andere Republik anstreben. Eine lang anhaltende, kontroverse Diskussion mit unabsehbaren Konsequenzen auch für das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland könnte die Folge sein - auch neue und unnötige Verunsicherungen im In- und Ausland. Artikel 146 wirft auch zahlreiche Fragen hinsichtlich der Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands in der Europäischen Gemeinschaft auf. All diese Schwierigkeiten und Unsicherheiten können wir bei einem Beitritt der DDR - oder der auf ihrem Boden noch zu bildenden Länder - über Artikel 23 vermeiden. Die Entwicklung in Deutschland und Europa berechtigt zur Zuversicht und Hoffnung. Es kommt jetzt darauf an, daß wir alle unseren Beitrag dazu leisten. Ich wünsche Ihrer Tagung einen guten Verlauf!
Entwicklungstendenzen und Anforderungen an die kommunale Selbstverwaltung
Entwicklungstendenzen und Anforderungen an die kommunale Selbstverwaltung Von Hermann Hill
I. Einleitung
Speyer begeht in diesem Jahr sein 2000-jähriges Stadtjubiläum. Die Bürger feiern ihre Stadt, sie feiern in und mit ihrer Kommune. Die Region und viele andere nehmen daran teil und Anteil. Das Stadtjubiläum ist Anlaß für eine geschichtliche Betrachtung, für einen Blick in die Vergangenheit. Jeder Rückblick ist aber zugleich auch verbunden mit einer Analyse der Gegenwartsprobleme und einem Ausblick auf die Zukunft. Dies gilt für die Stadt Speyer, gibt aber auch Anlaß zu einem Nachdenken über die kommunale Selbstverwaltung insgesamt. Unser heutiges Thema ist vor allem nach vorne gerichtet - mit Blick auf das Jahr 2000, es geht um die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung. Die Zukunft hat ihre eigenen Forscher. Die einen stellen Prognosen auf
für die Entwicklung der nächsten Jahre - bemerkenswert ist in diesem Zu-
sammenhang, daß z.B. die zehn Thesen des amerikanischen Zukunftsforschers John Naisbitt in seinem Buch "Megatrends" (1982 in der Bundesrepublik Deutschland erschienen) sich heute, acht Jahre danach, als realistisch erwiesen haben, die Voraussagen sind weitgehend eingetreten. Beispielhaft nenne ich nur seine Thesen von der Entwicklung der Industriezur Informationsgesellschaft, vom Zentralismus zum Dezentralismus, einer zunehmenden Bedeutung von Netzwerken statt Hierarchien. Pünktlich zur Jahrzehntwende sind die neuen Trends für das Jahr 2000 auf den Markt gekommen. John Naisbitt prophezeit eine goldene Zukunft. Dazu werden seiner Meinung nach die Frauen vieles beizutragen haben. Er spricht von dem "Jahrzehnt der Frauen". Andere, wie z.B. Rüdiger Lutz, entwerfen alternative Zukunftsszenarien als Prototypen vorhandener Trends und Tendenzen in den Industriestaaten. Seine sieben Zukunftsszenarien hat er überschrieben mit Computopia, Raumkolonien, Ökotopia, Chinatown, Findhorn, Gaia und Dallas.
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Wer denkt in diesem Zusammenhang nicht auch an Schriftsteller, Philosophen und Staatsmänner, die sich mit Zukunftsfragen und-themenbefaßt haben. Ich erinnere nur an "Utopia" von Thomas Morus, die utopisch-technischen Abenteuerromane von lu/es Veme oder an George Orwells "1984" (entstanden: 1949), in dem die Vollendung des staatlichen Totalitarismus behandelt wird. Das magische Datum 1984 ist vorbei und doch bleibt das Werk gültig. Der frühere bayerische Kultusminister Prof. Hans Maier hat in dem Orwell-Jahr 1984 einmal gesagt: Dort, wo Orwell gelesen werden kann und gelesen wird, dort besteht die Chance, daß "1984" nicht eintritt. Solche Visionen kann ich Ihnen leider nicht anbieten. Ich möchte vielmehr an die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung etwas nüchterner und weniger prophetisch herangehen und zunächst versuchen, allgemeine gesellschaftliche Entwicklungstendenzen zu skizzieren.
II. Allgemeine gesellschaftliche Entwicklungstendenzen
1. Ausgangslage
Entwicklungen in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bereichen vollziehen sich heute - wie gerade die letzten Monate gezeigt haben - nicht mehr in jahrzehntelangen Zeitabschnitten. Nicht selten werden wissenschaftliche Untersuchungen, soziologische Analysen und Zukunftsprognosen von der tatsächlichen Entwicklung und den aktuellen Anforderungen überholt und z.T. auch widerlegt. Die Beschleunigung des gesellschaftsund sozialpolitischen Wandels hat für die kommunale Selbstverwaltung zur Folge, daß vielfach auf die geänderten Bedingungen nur reagiert werden kann. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, daß durch die Bewältigung aktueller Probleme und Bedürfnisse eines der wesentlichen Elemente der kommunalen Selbstverwaltung, gestaltend und vorausschauend tätig zu werden, zurückgedrängt wird. Die Auswirkungen der jüngsten Entwicklung in der DDR und Osteuropa haben die Lage in den Kommunen wiederum schlagartig verändert und die Planungen durcheinander gewirbelt. War bisher etwa die Pflege bzw. Modernisierung des vorhandenen Bestands vorherrschend, so sind neuerdings wieder Fragen nach einer Ausweitung der Infrastruktur (Ausbau der Verkehrswege, Wohnungsbauerleichterungsgesetz) aktuell.
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2. Fakten und Herausforderungen
Ich will im folgenden versuchen, die Fakten und Herausforderungen, denen sich die Kommunalpolitik stellen muß, zu beschreiben. Dabei kann ich wegen der Kürze der Zeit nicht auf die vielfältigen Leistungen eingehen, die die Kommunen schon erbracht haben. Mir kommt es vielmehr auf noch vorhandene Probleme und Defizite an.
a) Die Sozialstruktur -
Die demographische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland lief bisher auf eine Abnahme der Bevölkerung und eine Änderung der Altersstruktur hinaus. So lauten beispielsweise die Prognosen für Rheinland-Pfalz: Bevölkerung 1990: 3,675 Mio.; im Jahr 2000: 3,605 Mio.; im Jahr 2030: 2,784 Mio. Die niedrige Geburtenrate seit Anfang der 70er Jahre hat zu spürbaren Veränderungen der Altersstruktur der Bevölkerung geführt. Wiederum für Rheinland-Pfalz: 1990 stehen 37 älteren Menschen ( d.h. älter als 60) je 100 Personen im erwerbsfähigen Alter (19 bis 60) gegenüber, im Jahr 2000 sind es 45 und im Jahr 2030: 69 ältere Menschen. Die hohe Geburtenrate der Ausländer, vor allem aber die große Anzahl zuwandernder Aussiedler und die Übersiedlerwelle führen allerdings dazu, daß Aussagen über die Bevölkerungsentwicklung derzeit mit hohen Unsicherheiten behaftet sind.
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Fest steht aber, daß die Zahl älterer Mitbürger immer mehr zunimmt. Diese ,,Alten" stellen indes keine einheitliche Gruppe dar. Es gibt das Alter als eigenständige Lebensphase für die sog. jungen Alten, aber auch die Gruppe der hilfs- oder sogar pflegebedürftigen alten Menschen.
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Die Familien- und Haushaltsstrukturen haben sich geändert. Die Zahl der kleinen Haushalte und Singles nimmt rapide zu. Es gibt eine hohe Zahl von kinderlosen Ehepaaren, Familien mit einem Kind und sog. Alleinerziehenden. 100 geschlossenen Ehen stehen im Bundesdurchschnitt Scheidungsraten von über 30 % gegenüber; in manchen Regionen liegt diese Zahl nahe bei 50 %. Zwischen 1,5 und 3 Mio. Paare leben ohne Trauschein zusammen. Das herkömmliche Rollenverständnis in der Gesellschaft hat sich geändert. Ein großer Teil der Frauen ist heute erwerbstätig (nahezu 40 % aller Erwerbstätigen). Viele Frauen streben nach einer Familienphase wieder eine Erwerbstätigkeit an.
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Die Versorgung mit Kindergartenplätzen (augenblicklich sind nur für 68% der Kinder Plätze vorhanden), die Flexibilität bei den Öffnungszeiten und das Angebot an Kindertagesstätten für Kinder unter drei Jahren sind insofern noch verbesserungsbedürftig. Im Jugendbereich entstehen Probleme durch die veränderten Familienstrukturen, den Einfluß der Medien, die Gefährdung durch Drogen, Alkohol und Nikotin. -
Die steigenden Asylantenzahlen haben teilweise soziale Spannungen aufkommen lassen. Integrationsbemühungen und das gute Verständnis zu den schon länger hier lebenden Ausländern wurden dadurch zum Teil belastet. Die Entwicklungen im Osten, insbesondere die große Ausreisewelle von Aus- und Übersiedlern, waren völlig unvorhersehbar. Sie haben Staat und Kommunen vor neue Herausforderungen gestellt.
b) Die Wirtschafts- und Infrastruktur -
Allgemein verfügen wir in der Bundesrepublik seit Jahren über eine gute wirtschaftliche Lage. Das Bruttosozialprodukt ist im Jahr 1989 um insgesamt 4 % gestiegen. Das vergangene Jahr kann als das gesamtwirtschaftlich beste Jahr des abgelaufenen Jahrzehnts bezeichnet werden. Die Realeinkommen sind deutlich gestiegen. Die Beschäftigung befmdet sich auf einem Höchststand. Trotz der hohen Über- und Aussiedlerzahlen hält der Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt an. Wirtschaftswachstum ist auch Voraussetzung dafür, daß beispielsweise die vielfältigen sozialen Leistungen, die überall anerkannt sind, fmanziert werden können. Ohne Wirtschaftswachstum ist keine ausreichende Umwelt- oder Sozialpolitik möglich. Andererseits muß auch wirtschaftliches Handeln umwelt-und sozialverträglich sein.
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Neue technische Verfahren und Systeme in den Bereichen Produktion, Information und Verkehr nehmen Einfluß auf die Standortwahl der Unternehmen. Neben den traditionellen Faktoren wie Verkehrsanbindung und Arbeitsmarkt gewinnen die sog. weichen Standortfaktoren, wie z.B. Wohn- und Freizeitwert, schulische und kulturelle Angebote, erheblich an Bedeutung.
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Ansammlungen von High-Tech-, Verwaltungs- und Dienstleistungsunternehmen sowie Großbanken im Innenstadtbereich führen teilweise zu enormen Preissteigerungen auf dem Mieten- und Grundstücksmarkt
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Zwischen Stadt und Umland fmden teilweise erhebliche Wanderungsbewegungen statt. Kernstädte und Umland sowie ländlicher Raum entwickeln sich unterschiedlich. Besonders in Ballungsräumen und ihrem Umland sind, bedingt durch strukturelle Arbeitslosigkeit und versteckte Armut, teilweise erhebliche soziale Unterschiede vorhanden. -
Die Wohnungsengpaßsituation insbesondere in Ballungsgebieten hat sich verstärkt. Nach jüngsten Angaben des Ifo-Instituts aus München fehlen derzeit 1,7 Mio. Wohnungen, und ich füge hinzu: es geht um bezahlbaren Wohnraum. Denn Wohnen ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Die Zahl zeigt, daß der Wohnungsmarkt also nicht erst durch den nicht voraussehbaren Ansturm von Aus- und Übersiedlern angespannt ist, wenn auch dadurch die Probleme nochmals verschärft worden und jetzt für alle deutlich sichtbar sind. Die Bundesregierung hat Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnungsmarktsituation beschlossen, die allerdings naturgemäß nicht von heute auf morgen wirken können.
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Begrüßenswerte Entwicklungen im Zuge der Entspannung, wie z.B. der Truppenabzug oder die Schließung von Militärstützpunkten, machen in einigen Regionen die Suche nach einem Strukturwandel erforderlich.
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Durch die Zunahme des Individual-Autoverkehrs stehen Städte vor dem "Infarkt". Die Einführung des Bologneser Modells der autofreien Innenstadt (Regierungspräsident Antwepes in RTL-Explosiv, 27.03. 1990) oder einer Auto-Maut-Pflicht (niedersächsischer Umweltminister Remmers) werden gefordert. Der öffentliche Personennahverkehr stellt oft keine Alternative dar. Berufsverkehr, Einkäufe, aber auch die Discoheimfahrt, und die Teilhabe insbesondere älterer Menschen am kulturellen Geschehen werden dadurch erschwert. In vielen Städten fehlt es noch an beruhigten Zonen, Kinderspielstraßen sowie Fußgänger- und Radwegen. Hochgeschwindigkeitszüge lassen reihenweise Kommunen in Sekundenschnelle "vorbeihuschen". Nur Start und Ziel kommunizieren noch miteinander. Bahnstrecken in ländlichen Räumen werden dagegen stillgelegt.
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Die Probleme bei der Entsorgung von Abwässern und Abfällen steigen ständig, die Müllberge drohen die Kommunen und den Naturhaushalt zu ersticken. Bisher werden nur 8 % der Abfälle stofflich verwertet, le-
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diglich 5 % werden durch Verbrennung energetisch genutzt, obwohl nach den verfügbaren Techniken auf diese Weise das Fünf- bzw. Zehnfache entsorgt werden könnte. Hinzu tritt das Problem der Altlasten. Mit Altlasten verschmutzte Grundstücke sowie noch unentdeckte Altlasten stellen eine schwere Hypothek für die Zukunft dar. Die neueren Entscheidungen des BGH haben insbesondere die Sorgfaltspflicht der Kommunen bei der Ermittlung der Altlasten betont. Wird diese Pflicht verletzt, droht Schadensersatz. Ist der Verursacher nicht mehr greifbar oder solvent, bleibt die Beseitigung der Altlasten an den Kommunen hängen. -
Viele Menschen klagen über erhebliche Lärmbelästigungen ganz verschiedener und unterschiedlich intensiver Lärmquellen, z. B. Tiefflug, Flughafennähe, Autobahnen, Motorräder, gewerbliche Geräusche, Sport, aber auch privaten Lärm.
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Die schweren Orkanschäden der vergangeneo Wochen haben deutlich gemacht, daß plötzliche Katastrophen die Kommunen vor Probleme ganz neuer Dimension stellen. So soll etwa die Verbandsgemeinde Sirnmern im Hunsrück vor dem Konkurs stehen. Alle Ausschreibungen und Vergaben von Bauleistungen für 1990 sollen bereits gestoppt sein.
c) Die Psychostrukturen -
Der sog. Wertewandel in der Bevölkerung hat Auswirkungen nicht nur auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, sondern auch auf Ehe und Familie, Arbeit, Freizeit, die Einstellung zur Umwelt, die Mitarbeit in und die Erwartungen an die politische Gemeinschaft auch vor Ort in den Kommunen. Die Höherbewertung sozialer Beziehungen und immaterieller Lebensqualität einerseits, Karriere um jeden Preis und materielle Lebensqualität andererseits lassen die Bandbreite und den Abstand der individuellen Wertevorstellungen größer werden. Es gibt kaum noch eindeutig identifizierbare Gruppen mit einheitlichen Wertvorstellungen. Die Pluralität der Wertvorstellungen birgt die Gefahr in sich, daß verstärkt Orientierungslosigkeit auftritt und Sinnsuche in eine Rauschwelt führt.
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Für viele Menschen bedeutet die Verkürzung der Arbeitszeit größere Freizeit. Das Verhältnis von Arbeit und Freizeit verschiebt sich. Freizeit haben aber auch die nicht oder nicht mehr im Erwerbsleben Tä-
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tigen. Die Suche nach bzw. die Vermittlung von Sinn bietet einen großen Markt für die sog. Freizeitindustrie. Die größere Freizeit und ein verändertes Freizeitverhalten führen zu Interessenskonflikten zwischen einzelnen Freizeitbetätigungen, Freizeitindustrie sowie Umweltund Naturschutz. -
Andererseits haben Umwelt- und Gesundheitsbewußtsein zugenommen. Nicht zuletzt die drei milden Winter hineinander sowie die Orkanstürme im Januar und Februar dieses Jahres haben Sorgen hinsichtlich eines Treibhauseffektes sowie einer möglichen Klimakatastrophe bewußt werden lassen. Ethische Fragen - wie die Verantwortung für zukünftige Generationen und den Erhalt der Schöpfung - werden zunehmend gestellt. Dem verstärkten Umweltbewußtsein entspricht allerdings nicht immer ein konsequentes persönliches Handeln. Im Gesundheitsbereich gewinnt der Gedanke der Vorsorge, der gesunden Lebensweise und bewußten Ernährung an Boden.
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Die Einstellung zur "Obrigkeit" hat sich geändert. Der Bürger ist mündiger, selbständiger und selbstbewußter geworden. Es besteht ein größeres Bedürfnis nach Information und Kooperation. "Hoheitliche" Tätigkeit, Anordnungen von "oben", werden eher kritisch empfunden. Trotz ehrenamtlichen Engagements, insbesondere im sozialen Bereich, in Nachbarschaftshilfen und der Bereitschaft, sich für eine anerkannte gute Sache einzusetzen, vor allem bei Jugendlichen, ist allerdings auch die Tendenz zu beobachten, daß häufig weniger Interesse besteht, für die staatliche Gemeinschaft Verantwortung zu übernehmen. Die Durchsetzung von Individual- und Partikularinteressen überwiegt häufig den Einsatz für das Gemeinwohl.
3. Auswirkungen auf die Kommunen Warum habe ich so ausführlich die allgemeinen gesellschaftspolitischen Entwicklungen dargestellt? Was hat dies mit kommunaler Selbstverwaltung zutun? Die Lebensverhältnisse in Gemeinden, Städten und Kreisen sind Teil der Gesamtstruktur von Staat und Gesellschaft. Sie sind nicht abgekoppelt oder isoliert, sondern identisch. Eher werden diese Entwicklungen auf kommunaler Ebene noch verstärkt, weil ihre Folgen unmittelbar erlebbar und sichtbar sind. Das bekommen gerade die Repräsentanten der Kommunen oft zu spüren. Sie werden häufig mit Beschwerden über Entwicklungen
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konfrontiert, für die sie selbst nicht verantwortlich sind. Dies zeigen etwa auch Ergebnisse bei Kommunalwahlen. Andererseits profitieren aber auch die Kommunen und ihre Bürger oft von positiven Gesamtentwicklungen wie etwa von dem seit Jahren anhaltenden guten Trend der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik, um den uns viele beneiden. Aufgrund einer Hochkonjunktur, die wie schon 1988 die Erwartungen aller Konjunkturexperten nochmals deutlich übertroffen hat, haben sich, wie der Gemeinde-Finanzbericht 1990 ausweist, im vergangeneo Jahr auch die kommunalen Einnahmen über Erwarten gut entwickelt, wobei allerdings erhebliche regionale und örtliche Niveau- und Entwicklungsunterschiede festzustellen sind.
4. Einschätzung durch Kommunalpolitiker In diesem Zusammenhang ist interessant, welche Problemfelder die vor Ort verantwortlichen Kommunalpolitiker in der Vergangenheit als dringlich angesehen haben und welche Schwerpunkte sie für die Zukunft als vorrangig ansehen. -
Von 1979 bis 1982 stand das Problemfeld Wohnen, Wohnungsbau an der Spitze,
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1983 wurde die Liste der aktuellen Probleme von der Wirtschaftsförderung angeführt,
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von 1984 bis 1985 rangierte der Umweltschutz an erster Stelle,
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von 1986 bis 1988 waren es die Verkehrsprobleme, die die meiste Aufmerksamkeit der Städte beanspruchten; der Umweltschutz steht auf Platz zwei,
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für 1989/90 wurde als wichtigstes Systemfeld wiederum das Verkehrsthema vorhergesagt, die Wohnungsversorgung rückte an die zweite Stelle,
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als vorrangiges Aufgabenfeld in den nächsten zehn Jahren wurde die Bewältigung des wirtschaftlichen Strukturwandels gesehen vor den Umwelt- und Verkehrsproblemen.
Diese 1989 veranstaltete Umfrage des Deutschen Instituts für Urbanistik dürfte allerdings durch die geschilderten jüngsten Entwicklungen schon wieder überholt sein. Insofern scheinen vor allem die Probleme des Wohnungsbaus und der sozialen Integration noch stärker in den Vordergrund zu rücken.
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111. Funktionen kommunaler Selbstvenvaltung Bevor auf die Konsequenzen der oben dargestellten Entwicklungen eingegangen werden kann, erscheint zunächst die Frage angebracht: Was ist kommunale Selbstverwaltung? Oder noch deutlicher: Was ist das Besondere an kommunaler Selbstverwaltung? Und: Weshalb lohnt es sich, sie auch für die Zukunft zu erhalten und weiterzuentwickeln? Ich will versuchen, die Funktionen kommunaler Selbstverwaltung aus rechtlicher und verwaltungswissenschaftlicher Sicht kurz darzustellen.
1. Rechtliche Sicht
Die rechtliche Sicht der kommunalen Selbstverwaltung wurde vom Bundesverfassungsgericht in der bekannten Rastede-Entscheidung noch einmal grundsätzlich dargelegt. Danach läßt sich das Wesen der kommunalen Selbstverwaltung wie folgt skizzieren: Das Grundgesetz hat sich auch innerhalb der Länder für einen nach Verwaltungsebenen gegliederten, auf Selbstverwaltungskörperschaften ruhenden Staatsaufbau entschieden. Es hat darüber hinaus die Gemeinden mit Allzuständigkeit (im Sinne des Aufgabenzugriffsrechts) für Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ausgestattet und damit die dezentrale Verwaltungsebene noch besonders hervorgehoben. Im gleichen Sinne haben die Länderverfassungen nach 1945 eine Vermutung zugunsten der kommunalen gegenüber der staatlichen Zuständigkeit normiert. Dies ist Ausdruck eines auch materiell verstandenen Prinzips dezentraler Aufgabenansiedlung. Mit dieser Stärkung der dezentralen Verwaltungsebene wollte der Verfassungsgeber auf die gegenläufigen zentralistischen Tendenzen während des nationalsozialistischen Regimes antworten und unter Zurückdrängung des bürokratisch-autoritativen Elements dem Gedanken des Selbstbestimmungsrechts der Gemeindebürger wieder erhöhte Geltung verschaffen. Die Universalität des gemeindlichen Wirkungskreises nach Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz wurde schon frühzeitig als identitätsbestimmendes Merkmal der gemeindlichen Selbstverwaltung angesehen, im Gegensatz zur Spezialität einer Befugnis nur kraft speziellen Kompetenztitels bei anderen Verwaltungsträgern. Was zu diesen Angelegenheiten gehört, ist nach der doppelten Funktion dieses Begriffs zu bestimmen: Einerseits ist die gemeindliche Allzuständigkeit gegen den Zuständigkeitsbereich der allgemeinen Politik abzugrenzen, andererseits der grundgesetzlich gewollten Teil-
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nahme der Bürger an der öffentlichen Verwaltung ihr Betätigungsfeld zuzuordnen. Hiernach sind Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft diejenigen Bedürfnise und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifiSchen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnem gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen; auf die Verwaltungskraft der Gemeinde kommt es hierfür nicht an. Soweit das Bundesverfassungsgericht. Mit der Gewährleistung der kommunalen Autonomie wird gleichfalls anerkannt, daß in den einzelnen Gemeinden auch unterschiedliches Ortsrecht bestehen kann. Dies sichert die rechtliche Individualität der Kommune. Diese ist eingebettet in die allgemeine Rechtsordnung. So kann die Funktions- und Leistungsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung für sich allein keine Rechtfertigung für eine Einschränkung des Individualrechtsschutzes des Bürgers darstellen. Grundrechtseinschränkungen sind nur aufgrund gesamtstaatlich-parlamentarischer Legitimation zulässig. Andererseits kann die extensive Inanspruchnahme von Individualrechten in der Praxis auch dazu führen, daß die Durchsetzung gemeinwohlorientierter Entscheidungen zunehmend erschwert wird.
2. Verwaltungswissenschaftliche Sicht Aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht sind bei den Funktionen kommunaler Selbstverwaltung insbesondere folgende Gesichtspunkte von Bedeutung: -
Die dezentrale Problembewältigung in den Kommunen erlaubt eine sach- und bürgemahe, flexible und daher problemadäquate Regelung. Sie bildet zugleich ein wirksames Gegengewicht gegen Zentralisierungstendenzen und wirkt der wachsenden Komplexität und Intransparenz auf höherer Ebene entgegen. Die kommunale Selbstverwaltung übernimmt eine Konkretisierungsund Individualisierungsfunktion im Hinblick auf die staatliche Aufgabenerfüllung. Die an örtlichen Problemen und Bedürfnissen orientierte Entscheidung garantiert Individualität und Identität der Gemeinde, die allerdings durch gleichmachende Tendenzen, sei es durch Ansprüche der Bürger, staatliche Einwirkungen oder durch "hausgemachte" Entscheidungsdeftzite, gefährdet wird.
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Die höhere Ebene wird im Hinblick auf die Konfliktregelung von den dezentralisierten Entscheidungszentren entlastet. Dies schafft ver-
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mehrte Akzeptanz und Innovation. Fraglich ist, ob die Diskussion allgemein-politischer Probleme auf der kommunalen Ebene im Gemeinderat unabhängig von Kompetenzgrenzen dazu beitragen kann, politisches Unbehagen, das Gefühl mangelnder Beteiligung und die Neigung zu Gewalttätigkeiten abzubauen. Man kann durchaus Verständnis dafür haben, wenn Bürger sie allgemein-politisch berührende Fragen auch in der Gemeinde öffentlich diskutieren wollen. Andererseits darf nicht verkannt werden, daß die Verteilung von Kompetenzen auch einen Rechtssicherheit gewährenden Ordnungsfaktor darstellt und die Diskussion allgemeinpolitischer Themen im Gemeinderat die Erfüllung der kommunalen Aufgaben zurückdrängt. Im übrigen verschafft die durch die Kommunalwahl erteilte Legitimation auch nur ein insoweit begrenztes Mandat. -
Die Vielfalt und die Verflochtenheit der Beziehungen in der kommunalen Einheit verlangen eine Bündelung der Entscheidung und eine Gesamtverantwortung aller Entscheidungsträger, die nicht nur fachliche Interessen berücksichtigt, sondern auch auf die Ressourcen, das Entscheidungsumfeld und die Folgen und Nebenwirkungen Rücksicht nimmt. Die Gemeinwohlverträglichkeit jeder einzelnen Entscheidung wird hierdurch deutlicher. Die Nähe zum Objekt verlangt und gestattet unmittelbar aktive Gestaltung auf kommunaler Ebene. Dieser unmittelbare Realitätsdruck, die Sichtbarkeit der Leistungen und Ergebnisse beinhalten Kontrolle und Verantwortung. Die Stadt ist Öffentlichkeit. Ein Ausweichen und Vertagen der Problemlösungen wie teilweise in der "großen Politik" sind daher nicht so leicht möglich.
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Die politisch-demokratische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung erfordert eine aktive Mitwirkung und Gestaltung der Bürger. Sie müssen ihre Kommune als demokratisches Betätigungsfeld erfahren. Lebendige Selbstverwaltung erfordert, daß sich Initiative und Engagement entfalten können. Der Erfolg der kommunalen Selbstverwaltung ist auf diese Mitwirkung angewiesen. Eine gemeinsame Aufgabenerfüllung fördert die Identifikation und stärkt das Verantwortungsgefühl des Einzelnen für die Gemeinschaft. Die Bereitschaft zur Integration fordert ein verantwortungsvolles Management der Entscheidungsträger und entsprechende Angebote zur Zusammenarbeit.
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IV. Konsequenzen f"ür die kommunale Selbstverwaltung in den 90er Jahren
1. Verhältnis und Beziehungen zu anderen Körperschaften -
Die Erhaltung der gemeindlichen Autonomie erfordert einen Abbau der Politikverflechtung und möglichst klare Entscheidungskompetenzen und -strukturenauf allen Ebenen. Von kommunaler Seite wird oft eine Belastung mit systemfremden Leistungen oder eine Einmischung in kommunale Angelegenheiten beklagt, etwa wenn die staatliche Kommunalaufsicht verstärkt Zweckmäßigkeitserwägungen in die Haushaltskontrolle einfließen läßt oder der Petitionsausschuß des Landtags eine Aussetzung kommunaler Entscheidungen erwartet oder gar verlangt. Oftmals versuchen kommunalpolitische Gruppierungen über Landtagsabgeordnete gleicher Couleur den Landtag als erweitertes kommunalpolitisches Forum zu benutzen.
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Eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung würde durch eine weitere Kommunalisierung von staatlichen Aufgaben eintreten. Eine Aufgabe mit örtlichem Bezug sollte lediglich dann dem staatlichen Bereich zugeordnet werden, wenn infolge ihrer fachlichen Eigenart in ganz besonderem Maß ihr weitestgehend gleichmäßiger Vollzug erforderlich ist oder Ausgleichsfunktionen in hohem Maße zu besorgen sind. Andererseits darf eine Kommunalisierung von Aufgaben die Kommunen nicht in ihrer Verwaltungs- und Leistungskraft überfordern; möglichen Interessenkollisionen vor Ort ist durch verantwortungsbewußte, am Gemeinwohl orientierte Aufgabenwahrnehmung sowie durch entsprechende öffentliche Kontrollen vorzubeugen. Soweit eine Kommunalisierung von Aufgaben erfolgt, muß damit gleichzeitig eine entsprechende Stärkung der Finanzkraft einhergehen.
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Im Verhältnis der kommunalen Körperschaften zueinander hat das Bundesverfassungsgericht in der bereits erwähnten Rastede-Entscheidung den Vorrang der Gemeindeebene auch vor der Kreisebene in den Anlegenheilen der örtlichen Gemeinschaft bestätigt. Daraus jedoch einen Gegensatz zwischen der Gemeinde und dem Kreis herzuleiten, wäre für die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung äußerst abträglich. Nicht Konkurrenz der kommunalen Ebenen untereinander oder der Kommunen unter sich, sondern Zusammenarbeit sind im Hinblick auf die Herausforderungen der Zukunft gefragt. Dies betrifft auch die Überwindung der Gegensätze zwischen städtischen Ballungszentren und dem ländlichen Raum. Strukturprobleme machen nicht an Gemeindegrenzen halt. Zusammenarbeit muß nicht zu Aufgabe der ei-
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genen kommunalen Identität führen, sie stärkt vielmehr den Zusammenhalt und das Gewicht der Region insgesamt, was letztlich auch der einzelnen Kommune bei ihrer Aufgabenerfüllung zugute kommt.
2. Zukunftsmodell einer kommunalen Entscheidungsstruktur Gerade in der kommunalen Selbstverwaltung kann sich eine moderne Verwaltung bewähren. Der Vorteil der kleineren Einheit und der ständige Kontakt zu den Bürgern ermöglichen eine bessere Lernfähigkeit und schnellere und flexiblere Anpassung an veränderte Herausforderungen. Danach kann kommunale Selbstverwaltung in Zukunft nicht mehr dem herkömmlichen Modell einer vorwiegend hoheitlichen und einseitigen Steuerung folgen, vielmehr muß sie in weit stärkerem Maß einen Handlungsrahmen für öffentliche und private Initiativen darstellen und kooperatives Verwaltungshandeln ermöglichen. Eine strategische Kommunalverwaltung muß Informationsbeschaffung, Zielerarbeitung, Schaffung von Rahmenbedingungen, Entwicklung von Programmen und ihre Umsetzung durch Organisation und Personal als Einheit betrachten. -
Es müßten noch vermehrt qualifizierte Lageberichte in den Kommunen erarbeitet werden, die für bestimmte Bereiche, etwa für die Umweltsituation, die Infrastruktur, den Sozial- oder Wirtschaftsbereich, - eine vergleichende Zusammenschau einzelner Informationen enthalten, die auf Probleme und Defizite hinweisen, die Bedeutung einzelner Merkmale im Zusammenhang erkennen lassen und damit Ansatzpunkte für ganzheitliche Lösungswege aufzeigen.
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Nach der Aufbereitung der Informationen ist für die Stadtentwicklung eine Erarbeitung von Zielkonzepten im Sinne von Stadtleitbildern erforderlich. Diese sollte gemeinsam mit allen Gruppen erfolgen. Dabei können auch neue Formen der Kooperation wie etwa Bürgergutachten, Gesprächskreise, konzertierte Aktionen oder Konferenzen erprobt werden. Solche Formen haben sich bereits etwa im Rahmen der Sanierung oder der Dorferneuerung bewährt. Es fördert das gegenseitige Verständnis, aber auch die Gemeinschaftsbildung, wenn zunächst bestimmte Problemsichten aus der Perspektive einzelner Gruppen dargelegt werden, wobei nicht vertretene Gruppen durch ,,Anwälte" repräsentiert sein könnten. Am Ende muß dann, moderiert durch die Gemeindeverwaltung, eine gemeinwohlorientierte Summe bzw. ein Ausgleich dieser Lebenschancen und Bedürfnisse erfolgen. Die Institutionalisierung von Beauftragten für bestimmte Problembereiche und Gruppen darf nicht zu einer Verabsolutierung und einseitigen Pro-
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blemsicht oder gar einer Alibifunktion führen. vielmehr müssen wichtige Anliegen (Frauen, Ausländer) in allen Verwaltungsbereichen beachtet und im Führungsbereich koordiniert werden. -
Zur Entfaltung privater Initiativen und Engagements muß die Kommune entsprechende infrastrukturelle Rahmenbedingungen bereit stellen. Dies betrifft etwa den Informations- und Kommunikationsbereich, Verkehrs- sowie Ver- und Entsorgungseinrichtungen und sonstige öffentliche Einrichtungen. Hier ist vor allem der Vorsorge- und Angebotscharakter zu betonen. Zu überlegen wäre, inwieweit mit Hilfe der Kommunikationstechnik eine "intelligente Stadt" entwickelt werden könnte, die Angebote und Anreize für privates Handeln flexibel auf die jeweilige Inanspruchnahme ausrichtet (etwa bei Müllgebühren. Energie, öffentlichem Personennahverkehr und öffentlichen Einrichtungen).
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Sind die Rahmenbedingungen geschaffen, sollte in möglichst vielen Bereichen eine Vernetzung und ganzheitliche Programmentwicklung durch Konzepte wie etwa Dorferneuerungskonzepte, Energieversorgungskonzepte, Wirtschaftsförderungskonzepte, Umweltschutzkonzepte, Wohnkonzepte etc. erfolgen. In diese Konzepte sollten die Aktivitäten einzelner Gruppen und von Privaten eingebunden werden. Wichtig ist insofern auch die Aktivierung des Ehrenamtes im kommunalen Bereich. Viele Menschen sind bereit, sich für lohnenswerte Aufgaben zu engagieren. Dies kann etwa zu Patenschaften im Umweltschutz für einzelne Biotope, aber auch zu vielfältigen Hilfen im sozialen Bereich zwischen den Generationen oder im Rahmen von Nachbarschaften führen. Im Rahmen dieser Programme sollte die Kommune möglichst viel Freiraum erhalten, allgemeine staatliche und politische Ziele möglichst ortsnah und ortsspezifisch zu konkretisieren. etwa eine Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips bei der Staffelung von Kindergartengebühren, Berücksichtung von Ressourcenverbrauch und Umweltschutz bei der Bemessung von Müll- oder Wassergebühren oder - in Anlehnung an eine neuere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts die Vergabe von Wirtschaftsförderungsmitteln in Abhängigkeit von Umweltschutzauflagen. Für alle diese Maßnahmen sollte auch gebündelt im Wege eines Marketingkonzeptes geworben werden. Dies könnte die Angebote und Leistungen der Kommune einerseits koordinieren, andererseits aber auch transparenter werden lassen. Es könnte der Kommune nicht nur
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nach außen eine "corporate identity" verleihen, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl im lnnem stärken. -
Die Organisation der Kommunalverwaltung muß der Erreichung dieser Ziele dienstbar gemacht werden. Sie ist stärker auf die Koordination einzelner Sachbereiche und die Betonung von Querschnittsfunktionen auszurichten. Auch die zu erwartende Zunahme der Dienstleistungsund Beratungsaufgaben der Kommune verlangt Beachtung. Sicherlich ist die Einrichtung von Bürgerämtem, bei denen bestimmte Anliegen und Anträge des Bürgers im Dialogverfahren sofort und umfassend von einem Sachbearbeiter bearbeitet werden, hierzu ein erster Schritt. Wenn sich jedoch nicht private Verwaltungsberater für den Umgang mit der Verwaltung ähnlich wie Steuerberater etablieren sollen, muß die Verwaltung selbst noch stärker bereit sein, die Anliegen und Bedürfnisse des Bürgers auf seinen Wunsch hin ganzheitlich zu erfassen und zu behandeln und ihm, ggf. auch einzelnen Gruppen, ein individuelles Servicepaket anzubieten.
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Diese Bürger- bzw. Kundenorientierung stellt auch verstärkte Anforderungen an das Personal der Kommunalverwaltung. Hier sind Änderungen in der Ausbildung, aber auch im Selbstverständnis erforderlich. Klagen über Politisierung und Ämterpatronage bei der Auswahl des Personals sind durchaus ernst zu nehmen. Der Einsatz der modernen Bürokommunikation darf nicht auf Kosten der Humanisierung des Arbeitsplatzes gehen.
3. Anforderungen in einzelnen Handlungsfeldern Zu den einzelnen Handlungsfeldern der kommunalen Selbstverwaltung möchte ich nur wenige Anmerkungen machen. Wir werden dazu ja noch in den nächsten Tagen konkrete Diskussionen haben. Sehen Sie die folgenden Anmerkungen daher bitte nur als Stichworte, deren Reihenfolge keine Wertung enthält. -
Angesichts der Zunahme des Individualautoverkehrs und der dadurch eingetretenen Umweltbelastung, aber auch der Mobilitätsbedürfnisse der Menschen ist für die Zukunft ein attraktives Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs von besonderer Bedeutung. Dabei sind insbesondere die großräumige Vernetzung des ländlichen Raums mit städtischen Zentren zu beachten und die speziellen Bedürfnisse der einzelnen Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die besondere Situation am Wohnungsmarkt und den Ausgleich von
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Freizeit- und Umweltinteressen werden neue Anforderungen auf die Bauleitplanung zukommen, die Mensch und Umwelt Rechnung tragen müssen. Die Umsetzung der Umweltverträglichkeitsprüfung bereitet vielen Gemeinden Sorge. Sie sollte jedoch nicht nur als Belastung, sondern auch als Chance einer umfassenden Einbeziehung und Abwägung von Interessen angesehen werden. In Anbetracht der wachsenden Probleme der Ver- und Entsorgung sind sicher noch weitere technische Verbesserungen möglich, wichtig scheint mir aber auch eine Änderung des Bewußtseins jedes einzelnen Verbrauchers und ein entsprechendes Handeln. Gewiß ist auch ein finanzieller Beitrag der privaten Verursacher zur Beseitigung der Umweltprobleme notwendig. Eine lebenswerte Umwelt erfordert auch finanzielle Anstrengungen. -
Im Hinblick auf die Wirtschaftsförderung gehen viele Kommunen schon neue Wege. Im Rahmen der aktiven Bestandspflege ist ein ständiger Kontakt zwischen Wirtschaft und Kommunen erforderlich. Dabei kommt der Kommune vor allem die Aufgabe zu, Innovationsträger und Wirtschaftsunternehmen sowie einzelne Wirtschaftszweige etwa in Form von Technologie- und Gründerzentren oder sog. Entwicklungsagenturen zusammenzuführen. Eine Zusammenarbeit zwischen Öffentlichen und Privaten im Wege des public private partnership ist geeignet, nicht nur Wirtschaftsprobleme zu lösen, sondern auch einen notwendigen strukturellen Wandel zu begleiten und damit ein gemeinsames Verantwortungsbewußtsein zu schaffen. Insgesamt ist ein wirtschaftsfreundliches Innovationsklima, das auch die sog. weichen Faktoren berücksichtigt, Voraussetzung, die Attraktivität des Standortes auch im Hinblick auf Neuansiedlungen zu gewährleisten.
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Die kulturelle Zukunft der Stadt läßt sich nicht mehr einheitlich definieren. Die "Kulturlandschaft Kommune" hat vielfältige Aufgaben zu erfüllen. Sie muß Entfaltungs- und Integrationsangebote, Gestaltungsund Erlebnisräume enthalten. Die Lebensbedürfnisse, -stile und -for· men der Bürgerinnen und Bürger sind unterschiedlich: Ein Teil sucht die Verwirklichung seiner Lebensbedürfnisse, wie Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Kultur und Freizeitbetätigung, am gleichen Ort, ein anderer Teil ist bereit und in der Lage, auch gewisse Entfernungen zu überwinden. Manche wollen in ihrer Freizeit, die sie in ihrer Heimatgemeinde verbringen, eher abschalten, andere wollen sich aktiv betätigen und kommunizieren. Wieder andere sehen die Stadt eher auf die Erhaltung und Pflege von Traditionen und historischen Bezügen verpflichtet, andere suchen Experimente und neue Anregungen. Diese "Sowohl als auch-Kultur" soll in der Stadt ihr Forum, aber auch ihren Ausgleich
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fmden. Jeder will sich darin wiederfmden und möglichst mitgestalten. Gerade die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie könnte hier vielfältige Angebote schaffen, z.B. über einen kommunalen Kulturkanal. Erhebliche kulturelle Integrationsanstrengungen erfordert auch in Zukunft das Zusammenleben der Generationen, von Einheimischen, Neubürgern, Aus- und Übersiedlern sowie Asylanten und Ausländern. Dadurch sind auch völlig neue Zielgruppen entstanden, die vielfältige Angebote erfordern. Indessen kann und darf Kultur in der Kommune nicht nur von der Kommune selbst veranstaltet werden, vielmehr sind alle zu Beiträgen aufgefordert. Gerade in größeren Städten ist neben der sog. Spitzenkultur ganz besonderer Wert auf eine eigenständige Stadtteilkultur zu legen. Zur Kultur und Lebensfreundlichkeit einer Stadt gehört auch ein soziales Wohlbefmden, eine Stadtgestaltung und Stadtpolitik, die den Bedürfnissen der Einzelnen, der Gruppen, aber auch dem Zusammenleben in der Gemeinschaft entspricht.
V. Ausblick
Unser heutiges Thema bekommt eine neue Dimension, einmal vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der DDR und Osteuropa, zum anderen im Hinblick auf die Vollendung des europäischen Binnenmarktes und die europäische Einigung. Letzteres haben wir bei der Konzeption unserer Tagung eingeplant, ersteres lag damals noch völlig außerhalb unserer Vorstellungskraft. Im Hinblick auf die Kürze der Zeit und das weitere Programm kann ich diese Fragen nur noch kurz andeuten.
1. Kommunale Se/bstveTWaltung in der DDR
a) Die DDR ist im Aufbruch. Die Diskussion in der DDR über die Wiederherstellung der Länder und den Aufbau einer bürgernahen und leistungsfähigen kommunalen Selbstverwaltung zeigen die Kraft und Bedeutung, die nicht nur Politiker, sondern Bürgerinnen und Bürger in der DDR einem gegliederten Staatsaufbau beimessen. Grundlage des Staatsaufbaus in der DDR war bisher der demokratische Sozialismus. Nach der Gemeindeverfassung vom 01.09.1985 sind die "örtlichen Vertretungen" fester Bestandteil der einheitlichen
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sozialistischen Staatsmacht Aufgabe wird es daher sein, eine aus freien Wahlen hervorgegangene autonome Selbstverwaltung zu etablieren. b) Eine ganz neue Qualität kommt insofern den Städtepartnerschaften mit Gemeinden in der DDR zu. Sie können - neben menschlichen Kontakten - praktische Hilfen und Tips beim Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung in der DDR geben. Im Bereich der noch bestehenden innerdeutschen Grenze stehen die inzwischen gegründeten Regionalausschüsse vor großen Aufgaben, etwa beim Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs oder bei Fragen der Versorgung/Entsorgung. c) Inzwischen werden auch aus der DDR Initiativen zur Gründung kommunaler Spitzenverbände bekannt. Für das wiedererstehende Land Sachsen wurde am Sonntag ein Städte- und Gemeindetag gegründet, wobei der baden-württembergische Städte- und Gemeindetag Hilfestellung leistete. Der Deutsche Städtetag hat bereits jetzt ein Angebot an DDR-Städte über 10.000 Einwohner gerichtet, unmittelbares Mitglied des Deutschen Städtetages zu werden. d) Eine wesentliche Aufgabe wird auch die Hilfe bei der Erarbeitung einer praktikablen Kommunalverfassung sein. In Sachsen ist bereits eine DDR-Arbeitsgruppe dabei, eine neue Gemeindeordnung zu erarbeiten, der die Gemeindeordnungen von Baden-Württemberg und Bayern sowie die alte sächsische Gemeindeordnung von 1925 zugrunde gelegt werden sollen. Bei der Frage, für welche der bei uns geltenden Kommunalverfassungen ich plädieren würde, neige ich von der Tendenz her zur süddeutschen Verfassung, insbesondere im Hinblick auf den Grundgedanken nach mehr Bürgerbeteiligung bei den zu wählenden Kandidaten. Die in der DDR friedlich ausgelöste Revolution geht auf einen direkten Akt des Volkes zurück. Vielleicht sollte man gerade deshalb wenigstens bei den Kommunalwahlen die Entscheidungs- und Auswahlmöglichkeiten des Wählers gegenüber den Parteien stärken.
2. Europa
a) Die Vollendung des europäischen Binnenmarktes und die europäische Einigung haben naturgemäß auch Auswirkungen auf Länder und Gemeinden. Die Rolle der Gemeinden und das Verhältnis zwischen den Gemeinden und dem Staat ist in den einzelnen Mitgliedstaaten der EG in unterschiedlicher Weise geregelt. Der EWG-Vertrag selbst kennt weder Länder noch Kommunen.
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Dagegen haben sich die Mitgliedstaaten des Europarates mit der europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, die im September 1988 in Kraft getreten ist, zur Anerkennung der kommunalen Selbstverwaltung verpflichtet. Der Stellenwert der verfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Artikel 28 Abs. 2 des Grundgesetzes in der europäischen Rechtsordnung ist gleichwohl noch nicht endgültig geklärt. Von den kommunalen Gebietskörperschaften und ihren Spitzenverbänden wird die Forderung nach einem eigenständigen Artikel in einer künftigen europäischen Verfassung zur Festschreibung und rechtlichen Definition der kommunalen Selbstverwaltung in Anlehnung an Artikel 28 Abs. 2 sowie Artikel 93 Abs. 1 Nr. 4 Grundgesetz gefordert. b) Kommunale Belange können über den Beirat der kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Europäischen Kommission beratend in den europäischen Entscheidungsprozeß eingebracht werden. Eine Beteiligung der Kommunen bzw. kommunalen Spitzenverbände, wie sie für die Gesetzgebung des Bundes in den Geschäftsordnungen der Bundesregierung und des Bundestags vorgesehen ist, gibt es dagegen im europäischen Rechtsetzungsverfahren nicht. Der Bundesrat bezieht im Rahmen des Länderbeteiligungsverfahrens in EG-Angelegenheiten kommunale Interessen in seinen Willensbildungsprozeß ein. c) Die angestrebte europäische Einigung betrifft nicht nur die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung als institutionelle Garantie, sondern jede einzelne Kommune. Zahlreiche Politikbereiche der EG tangieren inzwischen die von den Kommunen wahrzunehmenden Aufgaben. Beispielhaft sei nur auf die sog. Beihilfenkontrolle der EG im Rahmen der regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik hingewiesen, die etwa auf die Praxis der Kommunen bei der Wirtschaftsförderung, z.B. die Gewährung von Investitionshilfen in Form verbilligter Übertragung von Grundstücken für Ansiedlungsmaßnahmen Einfluß nimmt, oder auf den Richtlinienentwurf der Europäischen Gemeinschaft für die Einführung eines aktiven und passiven Kommunalwahlrechts für Bürger anderer EG-Mitgliedstaaten. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 12. Mai 1989 zum Ausdruck gebracht, daß die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Angehörige der EG-Mitgliedstaaten erst im Rahmen der noch zu schaffenden europäischen politischen Gemeinschaft erfolgen könne.
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d) Im Hinblick auf die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung in Europa und die Situation in anderen europäischen Staaten wird insbesondere das Vorhandensein von teilweise vier kommunalen Ebenen (etwa Bezirk, Kreis, Verbandsgemeinde, Gemeinde) zu überprüfen sein. Darüber hinaus müssen wir uns verstärkt Gedanken machen über das Verhältnis von kommunalen Gebietskörperschaften - Region Land. Es wäre nicht nur mit unserem Verfassungsverständnis nicht vereinbar, sondern die spezifiSchen Besonderheiten der einzelnen Ebenen gingen auch verloren, wenn etwa die Entwicklung in Europa dahin gehen sollte, größere Kommunen in Richtung Regionen "aufzuwerten" und die Länder in Richtung Regionen "abzuwerten". e) Die Integration in Europa wird gestärkt durch eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit sowie sonstige Partnerschaften. Diese Integrationsaufgabe, auch im Hinblick auf die Einbeziehung Mittel- und Osteuropas, darf uns jedoch nicht die erheblichen Probleme im NordSüd-Konflikt, insbesondere Bevölkerungsentwicklung, Armut und Überschuldung, Ressourcenverbrauch und Umweltschutz in der Dritten Welt, vergessen lassen. Deshalb sind gerade auch kommunale Nord-Süd-Partnerschaften weiterhin von besonderer Bedeutung.
VI. Schlußbemerkung Ich begann mit den Zukunftsforschern und Propheten, lassen Sie mich mit einem Märchen enden. Eine Großstadt ist die Welt von Momo, der Hauptfigur von Michael Endes gleichnamigem Märchen. Eine gespenstische Gesellschaft "grauer Herren" ist darin am Werk und veranlaßt immer mehr Menschen, Zeit zu sparen. Aber in Wirklichkeit betrügen sie die Menschen um diese ersparte Zeit und nehmen ihnen alle Lebensfreude. Je mehr die Menschen an Zeit sparen, desto ärmer, hastiger und kälter wird ihr Dasein. Am meisten bekommen die Kinder diese Lieblosigkeit zu spüren. Als die Not am größten ist, greift Meister Hora ein, der geheimnisvolle "Verwalter der Zeit". Doch braucht er dazu die Hilfe eines Menschenkindes. Momo übernimmt diese schwierige Aufgabe und kämpft ganz allein gegen das riesige Heer der "grauen Herren", und sie siegt auf wunderbare Weise. Dadurch wird die hastige und kalte Stadt wieder menschlich. Die menschliche Stadt, ein Märchen zwar, manche werden lächeln. Aber wäre das nicht ein Zie~ eine gute Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung, für das es sich auch lohnt zu arbeiten?
Entwicklungstendenzen und Anforderungen an die kommunale Selbstverwaltung Von Dieter Sauberzweig
I.
Der Begriff "Selbstverwaltung" enthält zweierlei: Den Anspruch auf Mündigkeit und den Willen zu einer leistungsfähigen Verwaltung. Selbstverwaltung ist daher Mittel zum Zweck und Selbstzweck zugleich. Die Gemeinde als Bereich gesellschaftlicher Freiheit kann heute nicht mehr in einem Gegensatz zum Staat stehen, denn in einer Demokratie ist Freiheit auch im Staat umfassendes primäres Ordnungsprinzip. Aber die Regelung des Verhältnisses von zentraler Verwaltung und dezentraler Gestaltung ist eine Aufgabe der Politik, die sich unter veränderten Bedingungen immer wieder neu stellt.
II.
Auf dem Wege zum modernen Industrie- und Sozialstaat haben wir auf die wachsende Komplexität der Probleme und die vielfältigen Verflechtungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens mit einer verstärkten Steuerungspolitik des Staates, also mit einer zunehmenden Einbindung der kommunalen Ebene in die gesamtstaatliche Planung und Problemverarbeitung geantwortet. Die Entwicklung zum Versorgungs- und Leistungsstaat hat durch Gesetzgebung und staatliche Planung zu einer deutlichen Einschränkung des kommunalen Handlungsspielraums geführt. Das ist nicht nur durch die Länder in ihrer Zuständigkeit für den kommunalen Bereich geschehen; einen wachsenden Einfluß hat auch der Bund durch seine wirtschaftspolitischen Entscheidungen und fmanziellen Zuwendungen auf die Kommunalpolitik erhalten.
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Dieter Sauberzweig
111.
Gemeinden und Staat sind heute in Planung und Vollzug der Politik stärker miteinander verbunden als je zuvor. Diese Arbeits- und Funktionsteilung zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen istangesichtsder tiefgreifenden Veränderungen, die sich gegenwärtig in weltweiten Zusammenhängen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vollziehen, sinnvoll und notwendig. Auf eine globale Öffnung der Politik, der Handlungsmöglichkeiten und der daraus erwachsenden politischen Verantwortung kann man nicht mit "Kirchturmsdenken" reagieren. Zu fragen ist aber, ob eine Antwort auf diesen Wandel und diese Situation in weiteren Zentralisierungstendenzen gesucht oder in einer stärkeren Differenzierung und Dezentralisierung gefunden werden muß.
IV.
Eine Neubestimmung des Inhalts und der Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung, die ich für erforderlich halte, verlangt erhebliche reformerische Kraft auf der politischen und staatlichen Ebene. Ob diese Kraft angesichts der großen Aufgaben, die sich aus den Umwälzungen in der DDR und in Osteuropa sowie durch das Zusammenwachsen Europas ergeben, gegenwärtig vorhanden ist, sei dahingestellt. In der DDR geht es jetzt zunächst einmal um nicht mehr und nicht weniger als um den Aufbau demokratisch legitimierter Verwaltungsstrukturen mit einer handlungs- und leistungsfähigen kommunalen Selbstverwaltung als Grundlage. Aber das Nachdenken über Standort und Zukunft der gemeindlichen Selbstverwaltung kann deshalb bei uns nicht suspendiert werden; es bleibt vielmehr zwingend und aktuell. Dazu möchte ich folgende Überlegungen einbringen: 1. Die Verfassungsgarantien der kommunalen Selbstverwaltung setzen
Normen, sind aber nicht gleichbedeutend mit der Realität. Die Diskrepanzen zwischen Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit sind erheblich. Die Bemühungen, das traditionelle Selbstverständnis kommunaler Selbstverwaltung durch eine auf den Wortlaut des Artikels 28 Abs. 2 GG bezogene theoretische Neukonzeption zu überwinden, sind daher in der wissenschaftlichen Diskussion vielfältig. Dabei reicht die Spannweite von gemeindefreundlichen Interpretationen bis zu der Frage, ob das Zeitalter kommunaler Selbstverwaltung nicht seinem Ende zugehe. Unbestritten ist, daß die verfassungsrechtliche Garantie den essentiellen Gehalt der kommunalen Selbstverwaltung schützt. Aber diese institutionelle Garantie darf bei allen weiteren Überlegun-
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gen nicht von vornherein aus der Blickrichtung des Staates restriktiv ausgelegt werden; sie ist vielmehr vorrangig aus sich selbst heraus und unter Besinnung auf die Besonderheiten und Werte gemeindlicher Selbstverwaltung zu bestimmen. 2. Fast alle Analysen der kommunalen Selbstverwaltung stellen eine fortschreitende Aushöhlung dieser Institution fest. Neben den Einwirkungen überörtlicher, zum Teil allerdings auch notwendiger Planungen sind es vor allem die zahlreichen, allzu zahlreichen Einzelgesetze und die Wahrnehmung übertragener staatlicher Aufgaben durch die Gemeinden, die den kommunalen Entscheidungs- und Handlungsspielraum einengen. Die Gesetzgebung beschränkt sich nicht mehr wie einst auf das Festlegen allgemeiner Grundsätze. Durch die Regelung des Details bis zur technischen Durchführung engt sie den Raum selbständigen Ermessens der kommunalen Verwaltungen über Gebühr ein, vernachlässigt die Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten und führt daher zu Fehleinschätzungen und Konflikten. Nicht ein Mehr an Gesetzen tut not. Es geht vielmehr darum, die gesetzlichen Regelungen auf ein unabdingbares Mindestmaß zu beschränken und den kommunalen Verwaltungen Entscheidungsfreiräume für die Berücksichtigung der örtlichen Besonderheiten zu belassen. 3. Kommunale Selbstverwaltung ist ohne eine entsprechende Finanzaus-
stattung der Gemeinden nicht möglich. Auch im Finanzbereich sind die Kommunen in eine wachsende Abhängigkeit von Bund und Ländern geraten. An die Stelle von eigenen Steuereinnahmen und auflagenfreien allgemeinen ZuwZweckbindungen und Anteile an staatlichen Steuern getreten. Der "goldene Zügel" des Staates führt angesichts knapper kommunaler Finanzmittel dazu, daß die Investitionsmaßnahmen mit der höchsten Zuweisung und nicht die Vorhaben mit örtlicher Dringlichkeit verwirklicht werden. Kritisch muß auch die Tendenz bewertet werden, die politischen und fmanziellen Folgelasten von Problemen, die auf Bundes- oder Landesebene nicht gelöst werden, den Gemeinden aufzubürden. Das gilt insbesondere für soziale Folgelasten des gegenwärtigen wirtschaftlichen Wandels. Dies führt dazu, daß die Finanzkraft der Gemeinden der Häufung von Problemen und deren Lösung oft nicht gewachsen ist. Die Frage einer grundlegenden Reform des gemeindlichen Finanz- und Steuersystems sollte nicht nur wegen der Auswirkungen der Steuerreform oder im Blick auf die Zukunft der Gewerbesteuer, sondern grundsätzlich auf der politischen Tagesordnung bleiben.
4.
Die kommunale Gebietsreform ist abgeschlossen und hat leistungsfähige Gemeinden geschaffen. Allerdings wurde die räumliche Entfer-
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nung des Bürgers von der Verwaltung größer. Die Funktionalreform aber, die als unverzichtbare Ergänzung zur Gebietsreform gedacht war, ist steckengeblieben. Damit wurde das Zie~ die Neuordnung der Verwaltungszuständigkeiten zu überprüfen und die öffentlichen Aufgaben zugleich möglichst orts- und bürgernah sowie effektiv und wirtschaftlich zu erfüllen, verfehlt. Die vorgenommenen Veränderungen sind marginal. Die Frage, ob und in welcher Weise Aufgaben, die bisher von staatlichen Behörden wahrgenommen werden, auf die Gemeinden verlagert werden sollten, ist daher offengeblieben. Hier liegen wichtige Ansatzpunkte für die Neubestimmung kommunaler Selbstverwaltung. 5. Es scheint, als ob auch in der theoretischen Grundlegung des Gedankens der Selbstverwaltung ein Kapitel fehlt, in dem die Grundzüge der interkommunalen Konkurrenz als Strukturelement erkannt und ausformuliert werden. Eine geordnete interkommunale Konkurrenz wäre eine gute Sache, wenn es um einen Wettstreit der Ideen und Taten unter gleichen Voraussetzungen ginge, dessen Resultate der Bevölkerung in verbesserten gleichartigen Lebensbedingungen in Städten und Regionen zugute kämen. Denn gleichartige Lebensverhältnisse müssen im interregionalen und interkommunalen Vergleich eben nicht gleich sein; sonst bliebe den Kommunen nicht der Entwicklungsspielraum, der die Selbstverwaltung als besondere Qualität gegenüber der Gefahr des Richtwertdenkens bei einer staatlichen Verwaltung ausmacht. Gegenwärtig aber droht der Wettstreit um Arbeitsplätze, Bevölkerung und Kaufkraftpotentiale in manchen Regionen und zwischen den Regionen zu einem problematischen Konkurrenzkampf zu werden, bei dem sich alle Instrumente bundesplanerischer Raumordnung und landesplanerischer Ausgleichsprogramme zunehmend als unwirksam erweisen. Das Wachstum der Städte und ihre Ausdehnung in die Fläche hinein haben dazu geführt, daß in den Verdichtungsräumen neue Planungs- und Gestaltungsaufgaben entstanden sind, deren Lösung nicht mehr örtlich, sondennur noch regional möglich und sinnvoll ist. Die Vernunft spricht deshalb dafür, in Stadtregionen und Ballungsgebieten Fundamente gemeinsamer Politik in der Region zu schaffen. Der Wille, Regionalentwicklung in kommunaler Selbstverwaltung zu betreiben, muß gestärkt werden. Sonst wird das planende Eingreifen des Staates unvermeidlich werden. 6. Das Schlagwort von den "Europäischen Regionen" bedarf ebenfalls un-
serer Aufmerksamkeit. Der engere Zusammenschluß der europäischen Staaten darf einerseits nicht dazu führen, daß für die Gemeinden ihre heute nach dem Grundgesetz bestehenden Funktionen für den Bürger
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auch von dieser Seite weiter eingeengt werden; die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland ist in ihrer besonderen Ausformung eine unverzichtbare Grundlage für den Aufbau und das Funktionieren unseres Gemeinwesens. Andererseits werden sich die Kommunen aber durch bessere Kooperation darauf einstellen müssen, daß wichtige Sachentscheidungen und Problemlösungen auf regionaler Ebene gefunden werden müssen. Vieles spricht dafür, daß der Staatsaufbau der Bundesrepublik und die entsprechenden Verwaltungsstrukturen durch die europäische Entwicklung nicht unberührt bleiben werden. Das Verhältnis von ordnungspolitischen Grundentscheidungen auf europäischer Ebene zur Umsetzung dieser Vorgaben auf regionaler und kommunaler Ebene muß offensiv bedacht werden. Voraussetzung dafür ist nicht nur, die voraussichtlichen Folgen des Europäischen Binnenmarkts zu analysieren, sondern vor allem Begriff, Inhalt und Aufgabe der "Region" im europäischen Kontext zu präzisieren. Die kommunale Selbstverwaltung könnte sonst bei uns - auch durch das sich wandelnde Verhältnis zwischen Bund und Ländern - erhebliche Veränderungen und Einschränkungen erfahren. 7. Angesichts der Tatsache, daß wir inzwischen in einem Vier-EbenenStaat leben, in dem zwischen der Europäischen Gemeinschaft, dem Bund, den Ländern und den Gemeinden hin- und herfließende Geldströme und Mischfmanzierungen zu einem Berg sich vielfältig überlappender Zuständigkeiten geführt haben, stellt sich die Frage nach der Flexibilität und Modernisierung der öffentlichen Verwaltungen mit neuer Dringlichkeit. Man mag es als ein fernes und vielleicht sogar unerreichbares Ziel ansehen, eine Zusammenführung der Einnahmenund Ausgabenzuständigkeit bei den jeweiligen Gebietskörperschaften und eine räumliche Kongruenz von Problembereichen und der Reichweite der Lösungsinstrumente zu erreichen; aber daß die EffiZienz öffentlichen Handeins verbessert werden muß, steht für mich außer Frage. Es geht darum, die Verwaltung für neue Aufgaben zu sensibilisieren und zugleich die Kontinuität im Verwaltungshandeln zu gewährleisten. Ein Nachhinken staatlichen und kommunalen Handeins hinter einem weithin vorhandenen Problembewußtsein kann auch zu einer Krise der repräsentativen Demokratie führen. 8. Das Kernproblem aller Kommunalpolitik liegt im Verhältnis der Ge-
meinde zu ihren Bürgern. Immer mehr Menschen wollen heute ihre Zukunft mitgestalten, wollen sich nicht nur als Betroffene, sondern als Beteiligte verstehen. Die Arbeitswirklichkeit wird verstärkt durch kleine Gruppen mit weitgehend gleichberechtigten Mitarbeitern durchaus unterschiedlicher Funktion und Ausbildung geprägt sein. Das
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wird die Bereitschaft schmälern, sich kollektiven "Notwendigkeiten" zu fügen und zugleich eine individuelle Anspruchshaltung stärken. Dies dürfte nicht ohne Einfluß auf die grundsätzliche Einstellung zur Stadt als Organisation und Ebene mehrheitlicher Willensbildung bleiben. Die Forderung nach unmittelbarer Beteiligung im repräsentativ-demokratischen System wird sich verstärken. Das macht die Kommunalpolitik nicht einfacher. Aber es ist die Besonderheit der Demokratie auf Gemeindeebene, daß der Bürger hier die weitaus größten Möglichkeiten hat, selbst unmittelbar Einfluß zu nehmen. Dieser Tatsache muß sich die kommunale Selbstverwaltung nicht abwehrend, sondern konstruktiv und mit Phantasie stellen. In der Beteiligung der Bürger liegt eine wesentliche Legitimation gemeindlicher Selbstverwaltung in einem modernen Staat. Im Dialog mit dem Bürger muß aber auch da ein klares "Nein" gesagt werden, wo das nach gründlicher Abwägung aus übergeordneten und gesellschaftspolitischen Gründen notwendig ist. In unserer Gesellschaft kann man Konflikten nicht aus dem Wege gehen; sie müssen ausgetragen werden. Aber wir sollten beachten, daß das Lebensrecht des einen auch die Rechte des anderen und damit ihre Einschränkung bedingt.
V.
Aus dieser Situationsbeschreibung leite ich zusammenfassend folgende Thesen ab: -
Wir stehen vor der Aufgabe, unser gesellschaftliches System politisch und administrativ neu zu durchdenken. Dabei ist die Frage, wie die kommunale Selbstverwaltung unter veränderten Rahmenbedingungen funktionsfähig bleiben kann, konstruktiv zu beantworten.
-
Die kommunale Selbstverwaltung ist als Grundstufe in einem demokratischen Staatsaufbau unverzichtbar. Geradeangesichts der wachsenden Komplexität unserer Lebensverhältnisse ist es in verstärktem Maße ihre Aufgabe, die Bürger anzusprechen und an der Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensbereichs zu beteiligen. Die Gemeinde ist wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat - "wesentlicher Integrationsfaktor in der Gemeinschaft".
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Die demokratisch gesellschaftliche Legitimation der kommunalen Selbstverwaltung, die über die Lösung von Sachfragen in Organisation und Verwaltung hinausgeht, gebietet es, die gemeindliche Selbstverwaltung nicht zu einer dezentralisierten und mittelbaren Staatsverwaltung
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werden zu lassen. Das macht es erforderlich, die wachsende Macht des Staates politisch bewußt zu begrenzen und die Entscheidungsräume und die Initiativkraft auf kommunaler Ebene zu erweitern und zu fördern. Es geht um ein neues Zusammenwirken von zentraler Planung und dezentraler Gestaltung.
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Theodor Heuß hat einmal gesagt:"Die Gemeinde ist wichtiger als der Staat; der Bürger ist wichtiger als die Gemeinde." Ein Problem gegenwärtiger und zukünftiger Politik und des Verwaltungshandeins liegt jedoch in der Spannung zwischen Bürgemähe und Regelungsfeme. Diese Kluft kann am ehesten auf der kommunalen Ebene überbrückt werden. Die tiefgreifenden gesellschaftlichen, ökonomischen und technologischen Veränderungen, die sich in weltweiten Zusammenhängen vollziehen, haben die Politik für die Menschen nicht durchschaubarer gemacht. Zugleich aber ist das Bedürfnis gewachsen, in überschaubaren Verhältnissen zu leben.ln der Nähe zum Bürger liegt daher eine große Chance für die kommunale Selbstverwaltung.
Entwicklungstendenzen und Anforderungen an die kommunale Selbstverwaltung Von Adalbert Leidinger
I. Das Thema der Gesamtveranstaltung gilt der "Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung". Ist damit eine "Infragestellung" oder eine "Zukunftsverheißung" gemeint? Beide Interpretationsmöglichkeiten machen deutlich, daß es geboten ist, eine umfassende, kritische und unvoreingenommene Befragung des gegenwärtigen Zustandes der kommunalen Selbstverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland vorzunehmen. Dabei dürfen wir die Maßstäbe nicht aus dem Auge verlieren, an denen sich diese Bestandsaufnahme zu orientieren hat. Die Bundesrepublik ist keine Föderation kommunaler Republiken, sondern ein Bundesstaat mit Länderstaatlichkeit und kommunaler Selbstverwaltung. Diese Selbstverwaltung ist Bestandteil der Länder, hat also eine andere verfassungsrechtliche Qualität als diese, ohne damit einen minderen funktionalen Stellenwert im politischen Gesamtsystem der Bundesrepublik zu haben.
II.
Die kommunale Selbstverwaltung der Bundesrepublik Deutschland nimmt nicht nur unter den Mitgliedsstaaten des Europarates und der Europäischen Gemeinschaft wegen ihrer verfassungsrechtlichen Sicherung, ihres organisatorischen Zuschnitts und ihrer Kompetenz- und Finanzausstattung, sondern auch weltweit eine herausgehobene Stellung ein. Es bleibt zu hoffen, daß dies in möglichst kurzer Zeit auch für die Kommunalverwaltung in der heutigen DDR gilt.
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Trotz der geschichtsmächtigen Tradition unserer Selbstverwaltung, ihrer rechtlichen Sicherung im Grundgesetz, in den Länderverfassungen und Kommunalordnungen, trotz ihrer unbestreitbaren Erfolge im Wiederaufbau nach dem Krieg und der Schaffung einer hochleistungsfähigen kommunalen Infrastruktur in den Agglomerationen wie im ländlichen Raum, verstummen nicht die Klagen über Einengung und Gefährdung kommunaler Handlungs- und Entfaltungsspielräume. Es sind nicht nur Kommunalpolitiker, die geneigt sein könnten, rhetorische Pflichtübungen zu erfüllen, die auf Mängel oder Schwachstellen hinweisen. Auch in den Kommunal- und Politikwissenschaften werden wesentliche Deftzite zwischen verfassungsrechtlichem Anspruch und Wirklichkeit kommunaler Selbstverwaltung nachgewiesen. Was sind die wesentlichen Kritikpunkte? -
Eine qualitativ wie quantitativ mangelhafte Finanzausstattung, wodurch Aufgaben- und Finanzautonomie beeinträchtigt werden.
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Gesetzliche Regelung bislang freiwilliger Aufgaben, Normierung von Verfahren und Vorgabe von Standarts hinsichtlich Personaleinsatz und Organisation sowie die Flut allgemeiner Verwaltungsvorschriften und Richtlinien.
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Umfassende und detaillierte höherstufige Raum- und Entwicklungsplanungen, engmaschige Fachplanungen und sonstige planiftkatorische Rahmensetzungen.
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Ausweitung kommunalaufsichtlicher Befugnisse über normorientierte Rechtsaufsicht hinaus und Vernachlässigung kommunaler Ermessensprärogative bei fachaufsichtliehen Interventionen.
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Genehmigungsvorbehalte, die nicht nur präventiver Rechtsaufsicht dienen sowie Einmischung durch aufgedrängte Beratung.
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Beeinflussung kommunaler Pribritätenentscheidungen durch staatliche Zweckzuweisungen, insbesondere Anreiz-Finanzierungen ("Goldener Zügel").
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Übermaß verwaltungsgerichtlicher Kontrolle, insbesondere bei der Nachprüfung kommunaler Ermessensentscheidungen.
Diese Hinweise, die nur eine beispielhafte Aufzählung einiger "Schwachstellen" sein wollen, machen deutlich, daß es geboten ist, den schleichenden Prozeß der Einengong kommunaler Gestaltungsverantwortung sorgfältig zu beobachten und rechtzeitig gegenzusteuern.
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IV.
Niemand wird sich der Illusion hingeben, Bund, Länder und Kommunen könnten unter den Bedingungen der modernen Industriegesellschaft einen jeweils voneinander getrennten autonomen politischen Bereich gestalten und verantworten. Eine solche Annahme entspräche weder unserer Verfassungslage :tach den Notwendigkeiten eines außen-, innen-, wirtschafts-, finanz- und sozialpolitisch handlungs- und gestaltungsfähigen Gesamtstaates. Keine der drei politischen Ebenen ist in sich selbst abgeschlossen. Der Prozeß einer ebenenübergreifenden Politikverflechtung, schon Mitte der 50er Jahre beginnend, hat sich weiter verdichtet und ist wohl nicht mehr gänzlich zurückzuführen. "Kooperativer Föderalismus" und in diesem Sinne dann auch "mitkooperierende Selbstverwaltung" dürfen aber keine Zentralisierung von Gestaltungskompetenzen auf die jeweils oberen Ebenen bewirken oder begünstigen. Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung sind nicht nur formal-organisatorische Gliederungsprinzipien eines gestuften Staatsautbaus. Sie sind darüber hinaus wesentliche Elemente einer vertikalen Gewaltenteilung, durch die politische Pluralität und Freiheit verbürgt und zugleich geschichtlich-kulturelle Traditionen gewahrt werden sollen. Eine solche staatliche Ordnung lebendiger Vielfalt wird sich aber nur dann bewähren und einen Beitrag zur gesellschaftlichen Freiheit leisten können, wenn jede Ebene die ihr zugewiesene Rolle und Aufgabe mit überzeugender Gestaltungskraft wahrnehmen kann und wahrnimmt. Das Schicksal des Föderalismus verbindet sich nicht notwendigerweise existentiell mit dem der kommunalen Selbstverwaltung, obwohl die Kommunen essentieller Bestandteil der Länder sind. Kommunale Selbstverwaltung ergänzt in sinnvoller Weise in den Flächenstaaten den föderativen Staatsautbau. Es besteht aber umgekehrt eine zwangsläufige und in ihrer Auswirkung nicht zu unterschätzende Abhängigkeit des kommunalen Bereichs von der konkreten Ausformung, Kompetenz- und Finanzausstattung und vor allem territorialen Gliederung und Größe der föderalen Ordnung. Kleinräumige und strukturschwache Länder werden immer bemüht bleiben, die Kommunalverwaltungen hinsichtlich Größe, Organisation, Kompetenz- und Finanzausstattung auf eine solche Distanz zu halten, die ihre Eigenstaatlichkeil nicht gefährdet. Größere Flächenländer können oder könnten hier großzügiger verfahren. Ein Vergleich der Aufgaben der kommunalen Gebietskörperschaften in den einzelnen Bundesländern (freiwillige und pflichtige Aufgaben sowie Auftragsangelegenheiten) wird interessante Einsichten über "realexistierende Kommunalfreundlichkeit" vermitteln.
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V.
Das Föderalismusproblem wird im Rahmen der Vereinigung der beiden deutschen Staaten eine bedeutsame Rolle spielen. Fünf weitere Bundesländer in der heutigen DDR, und zwar Flächenstaaten, und die elf Bundesländer hier, davon drei Stadtstaaten, also sechzehn statt elf Länder, davon die Hälfte unter 2,5 Mio Einwohner groß, bedeuten nicht nur eine quantitative, sondern vor allem eine strukturelle Veränderung im Bund-Länder-Verhältnis. Diesen Problemen soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Mit Blick auf die Interessen der kommunalen Selbstverwaltung im zukünftig geeinten Deutschland nur folgende Bemerkung: Das Gutachten der ErnstKommission zur Neugliederung der Bundesländer aus dem Jahre 1973 dürfte wegen seiner grundsätzlichen Erkenntnisse hohe Aktualität bekommen. Nutzt die Politik diese Chance, um dem Föderalismus eine leistungsfähigere Struktur und damit Zukunftssicherung zu geben?
VI. Für die kommunale Selbstverwaltung eröffnet sich aber im Zusammenhang mit dem Föderalismus künftig eine weitere Problemdimension. Das politische Kräftefeld, in dem sich kommunale Selbstverwaltung in einem engen Netz von Politikverflechtung, kooperativem Föderalismus und ebenenübergreifender Aufgabenverantwortung mit eigenem Gestaltungswillen zu behaupten hat, ist noch spannungsreicher geworden als es bislang war. Die bevorstehende Vollendung des Gemeinsamen Marktes und der weitergehende Prozeß einer politischen Integration im Rahmen einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialgemeinschaft, begleitet von einer zunehmenden Harmonisierung von Teilen der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten der EG, verändert wichtige Konstellationen im Verhältnis Bund-Länder-Kommunen. Das gilt unmittelbar für die Kompetenzordnung von Bund und Ländern. Wichtige Gesetzgebungszuständigkeiten wandern vom Bund zur EG, EG-Normen greifen unmittelbar mit Vorranganspruch in die Rechtsordnung der Bundesrepublik ein. Bund und Länder werden daher stärker als bisher bei der innerstaatlichen Kompetenzverteilung rivalisieren. Die Länder werden versucht sein, sich für Zuständigkeits- oder Mitgestaltungsverluste bei den Kommunen schadlos zu halten. Da es keine Gesetzgebungskompetenzen der Kommunen gibt, die man kompensatorsich hochzonen könnte, werden sie zur Existenzsicherung ihrer föderalen Staatlichkeil bemüht sein, die ihnen verbleibenden legislativen Befugnisse durch noch intensivere und detailliertere Normierungen voll auszuschöpfen. Par-
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lamente im staatsverfassungsrechtlichen Sinne können sich ja nicht nur auf Regierungskontrolle beschränken. Eine Entwicklung von staatlicher Landesgesetzgebung zu regional-kommunaler Satzungsregelung ist damit vorgezeichnet. Die Landesregierungen werden ihre Verwaltungstätigkeit immer mehr in den kommunalen Bereich ausweiten. Staatliche und regionale Raumplanung - an letzterer sind die Kommunen in gewissem Umfang beteiligt -, sowie Landesentwicklungspläne und die Vielzahl der Fachplanungen eröffnen den Ländern weitere kompensatorische Betätigungsmöglichkeiten. Auch wenn diese planiflkatorischen Instrumentarien im Gegenstromverfahren durch Kooperation und vielfältige Beteiligungsformen mit den Kommunen beraten und teilweise auch abgestimmt werden, bedeuten ihre Ergebnisse häuftg eine Beeinträchtigung kommunaler Selbstverwaltung und Planungsautonomie. Formen kommunaler Beteiligung an höherstufigen Entscheidungsprozessen erweitern kommunale Mitgestaltungsmöglichkeiten wirksam nur dort, wo es sich um eine Partizipation an genuin staatlichen Angelegenheiten handelt.
VII. Angesichts der komplexen Aufgaben der Gegenwart, deren zufriedenstellende Bewältigung vielfach nur noch im überörtlichen oder regionalen Verbund möglich erscheint, muß bezweifelt werden, ob die in der "Rastede"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erfolgte Fixierung und strenge Korrelierung des Selbstverwaltungsrechts auf die örtliche Ebene und damit auf - soweit es kreisangehörige Gemeinden und kleinere kreisfreie Städte betrifft - vielfach kleinräumige Einheiten, den Leistungsanforderungen, die Wirtschaft und Gesellschaft an eine aufgabengerechte Verwaltungseffizienz stellen, zu entsprechen vermag. Das Bundesverfassungsgericht stellt für die Bestimmung des gemeindlichen Aufgabenbereichs sehr akzentuiert auf die räumliche ("örtlich") und soziologische ("Gemeinschaft") Komponente der Aufgabenverwurzelung ab. Daraus folgt aber zugleich, daß Umfang und konkreter Inhalt des gemeindlichen Aufgabenbereichs variabel sind und nicht nur von gemeindespezifischen Kriterien räumlich-nachbarschaftliehen Zusammenhalts der Bürger abhängt. Bislang gemeindliche Aufgaben - und das gilt dann auch für Kreisaufgaben - können angesichts der sich mit ihnen verbindenden fachund raumübergreifenden Probleme und unverzichtbarer Anforderungen an die Vollzugsqualität aus der kommunalen Zuständigkeit zu anderen Ebenen abwandern. Es soll beispielsweise auf die Abfallentsorgung hingewiesen werden, wo sich ein solcher "Entörtlichungsprozeß" bereits deutlich abzeichnet, weil in diesem Aufgabenbereich nur noch im regionalen Maß-
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stab geplant und organisiert werden kann. Ob mit der neuen Interpretation des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts durch das Bundesverfassungsgericht gegenüber seiner bisherigen Rechtsprechung, insbesondere gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht, ein besseres Schutzdach für gemeindliche und gesamtkommunale Selbstverwaltung geschaffen worden ist, erscheint daher fraglich. Vielleicht wird das Gericht in einer weiteren Entscheidung eine ausgewogenere Synthese der Grundsätze des "Übermaßverbotes", des "Kern- oder Wesensgehaltes" und der räumlich wie soziologischen "örtlichen Verwurzelung" fmden und dabei mitberücksichtigen, daß kommunale Selbstverwaltung durch Kreisebene und kommunalverfaßte Regionalebene wesentlich erweitert wird und nur dadurch staatliche Kompetenzansprüche zurückgedrängt werden können.
VIII. Das Verhältnis der kommunalen Selbstverwaltung zur föderativen Länderebene kann künftig nicht mehr ohne Einbeziehung der Regionalproblematik behandelt werden. Föderalismus und Regionalismus werden im politischen Sprachgebrauch häufig synonym gesetzt. Daß dies nicht korrekt ist, bedarf hier keiner weiteren Begründung. Der Streit um begriffliche Eindeutigkeit wird wegen der schillemden Vielfältigkeit und konturenlosen Beliebigkeil der Bezeichnung "Region" noch weiter anhalten. Er könnte auf sich beruhen, wenn nicht politische Entwicklungen, die unter anderem auch von der EG-Ebene ihren Ausgang genommen haben, zu einer Stellungnahme zwingen würden. Ich fasse verkürzend zusammen: Kernstück der europäischen Gemeinschaftspolitik ist die Regionalpolitik Durch sie sollen - insbesondere mit den Mitteln des Regionalfonds - die großen strukturellen Disparitäten zwischen den Regionen der Mitgliedsstaaten gemildert und zugleich die wirtschaftliche, soziale und politische Integration der Gemeinschaft gefördert und sichergestellt werden. Sie ergänzt insoweit die nationale Strukturpolitik, die ihrerseits mit ihren Maßnahmen die regionalpolitischen Zielsetzungen der EG nicht gefährden oder in Frage stellen darf. Regionen im Sinne der EG-Regionalpolitik sind geeignete Aktionsräume für strukturpolitische Maßnahmen, deren Abgrenzung nach sozioökonomischen Parametern erfolgt, die aus den einschlägigen offiziellen Statistiken der Mitgliedsstaaten abgeleitet werden. In der Bundesrepublik sind die Regierungsbezirke (von den Stadtstaaten und Ländern ohne Bezirksregierungen abgesehen) die statistischen Grundeinheiten und damit auch Bezugsräume für die Ermittlung etwaiger Disparitäten, die Subventionen aus dem EG-Regionalfonds voraussetzen.
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Das Europäische Parlament hat vor kurzem im Rahmen einer Entschließung zur "Regionalpolitik der Gemeinschaft und Rolle der Regionen" eine "Gemeinschaftscharta der Regionalisierung" verabschiedet. In ihr werden die Umrisse einer künftigen Regionalgliederung erkennbar: Kriterien für eine gebietsräumliche Abgrenzung geeigneter regionalpolitischer Aktionsräume unterhalb der nationalstaatliehen Ebene, Institutionalisierung einer Region mit eigener Rechtspersönlichkeit, demokratisch-legitimierte Regionalvertretung und Einrichtung einer Regionalverwaltung mit eigenen Kompetenzen und eigenen Finanzmitteln. Die Umsetzung dieser Vorgaben für eine Regionalgliederung bleibt der Organisationshoheit der Mitgliedsstaaten vorbehalten. In mehreren EG-Mitgliedsstaaten hat sich bereits eine Regionalisierung vollzogen, die den Grundsätzen dieser "Regional-Charta" weitgehend entspricht (z.B. Frankreich, Italien, Spanien). Die deutschen Länder nehmen nunmehr in Anspruch, "regionale Einheiten" im Sinne dieser Charta zu sein. Sie stellen sich damit als föderativstaatliche Gliederungen des Bundesstaates in eine Reihe mit Regionen, die unterhalb der national-staatlichen Ebene der anderen EG-Mitgliedsstaaten errichtet worden sind. Im inzwischen formell institutionalisierten Beirat der Gemeinden und Regionen der EG-Mitgliedsstaaten bei der Kommission in Brüssel nehmen sie zwei von sechs Sitzen, die den Gemeinden und Regionen der Bundesrepublik zustehen, in Anspruch. Daß einer dieser Ländervertreter der Präsident eines Landtages ist, gibt der sich hier offenbarenden Verfassungskonfusion einen besonderen Akzent. Von einem Ministerpräsidenten stammt der Satz, "die Regionen seien die Kommunen Europas". Handelt es sich bei diesem Vorgehen der Länder um eine Flucht nach vorn, um ihren Bedeutungsverlust durch Identität mit "Region" zu kompensieren?
IX. Diese Metamorphose der Länder in Regionen kann der deutschen Kommunalverwaltung nicht gleichgültig sein. Der kommunalpolitische Gestaltungsraum übersteigt immer häufiger den engen Bereich kommunaler Verwaltungseinheiten. Viele Aufgaben lassen sich nicht weiter innerhalb der Grenzen von kreisfreien Städten und Kreisen planen und erfüllen, z.B. Öffentlicher Personennahverkehr, Raum- und Entwicklungsplanung, berufliche Bildung, Gesundheitswesen, Wasser- und Energieversorgung, Entsorgung. Insbesondere Entwicklungs- und Strukturpolitik wächst immer weiter in eine regionale Dimension. Das Jahresgutachten 1988/89 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
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weist auf die Notwendigkeit der Regionalisierung der Regionalpolitik hin und betont ausdrücklich, daß es hierbei um eine Verlagerung von Kompetenzen von der staatlichen Ebene auf "Regionen" gehen muß (Tz. 420), also doch wohl auf Institutionen zwischen der staatlichen Länderebene und der kommunalen Kreisstufe. Im Lande Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern kooperieren schon in vielen Bereichen kreisfreie Städte und Kreise im regionalen Maßstab bei der Planung und Durchführung strukturpolitischer Maßnahmen. Regionale Verkehrsverbünde haben kommunalorganisatorische Trägerschaften und gesellschaftsrechtliche Betriebsformen. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat die Strukturpolitik für die Gesamtheit des Landes in Anlehnung an das Verfahren für den Montanbereich "regionalisiert". Regionale Abgrenzung. Mitwirkung der politischen Aktivkräfte und Ermittlung strukturpolitischer Prioritäten ist dabei weitgehend ohne staatliche Vorgaben erfolgt, was nicht ohne Kritik der Kommunen geblieben ist, die auf die Notwendigkeit demokratischer Legitimation und die Kompetenzrechte der Städte, Gemeinden und Kreise hingewiesen haben. Hier haben sich schon faktisch Regionen gebildet, von Ausnahmen abgesehen kleiner als Regierungsbezirke, aber oberhalb der kreisfreien Städte und Kreise.
X. In Nordrhein-Westfalen wie auch in anderen Bundesländern fmdet sich eine Vielfalt regionaler Einheiten unterschiedlicher Zweckbestimmung, z.B. Verkehrsregionen, Arbeitsmarktregionen, Grenzregionen, Bergregionen, Küstenregionen, strukturpolitische Aktionsräume usw.. All diese Regionen überschneiden sich großräumig oder in Teilbereichen, sind in den seltensten Fällen miteinander deckungsgleich und noch weniger kongruent mit kommunalen Grenzen der Kreisstufe. Die Variationsbreite regionaler Gebilde macht bereits deutlich, daß es d i e " Region" nicht gibt und auch nicht geben wird. Politische, administrative und wirtschaftliche Aktivitäten haben hinsichtlich räumlicher Auswirkungsmöglichkeiten ihre fachlichsektoralen Besonderheiten und Eigengesetzlichkeiten. Verwaltungsorganisatorische Konsequenzen sind nicht notwendigerweise für alle regionalen Aktionsfelder zu ziehen. Handelt es sich aber um komplexe Politikbereiche mit konkreterer und zugleich integrativer Aufgabenverdichtung in planeciseher oder vor allem administrativer Hinsicht, die sich eng mit Kompetenzen kommunaler Gebietskörperschaften verbinden oder sogar ganz oder teilweise Bestandteile derselben sind, wird man die Frage nach einem geeigneten Organisations-
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rahmen und vor allem einer demokratisch-legitimierten Verantwortungsstruktur nicht weiter vernachlässigen können. Man wird nüchtern und kritisch prüfen müssen, ob die Abwanderung von Aufgaben auf staatliche Ebenen, die faktische Entwicklung von kommunalstaatlicher Mischverwaltung und die Verdichtung staatlicher Interventionen durch Schaffung kommunal verfaßter Regionen aufzuhalten ist. Kann kommunale Selbstverwaltung dadurch substantiell erweitert, mindestens ihr jetziger Aufgabenbestand gesichert werden? Könnten Aufgaben mit regionaler Relevanz nicht durch einen räumlich und fachlich sachgerechter dimensionierten Lösungsansatz qualifiZierter erfüllt werden? Da es sich bei den hier in Frage stehenden Aufgaben eindeutig nicht um solche handeln wird, die in der "örtlichen Gemeinschaft" wurzeln oder dem "Wesensgehalt" gemeindlicher Selbstverwaltung zuzurechnen sind, dürften in diese Betrachtung auch Überlegungen zur "VerwaltungsefflZienz" und "Optimierung von Ressourcen-Einsatz" einbezogen werden.
XI. Es kann nicht Aufgabe dieses kurzen Statements sein, die sich mit der Regionalproblematik verbindenden Fragen im einzelnen aufzugreifen. Viele kommunalverfaßte Regionalmodelle wie Städteverbände und Regionalkreis könnte man aus dem Ideenschatz der Kommunalwissenschaften wieder hervorheben. Bestehende regionale Kommunalverbände wie Landschaftsverbände, Kommunalverband Ruhr, Bezirksverbände, kleinräumig auch der Stadtverband Saarbrücken, - diese Aufzählung ist nicht vollzählig -, wären auf ihre Bewährung zu prüfen, auch wenn sie für eine komplexere Aufgabenstellung nicht geschaffen worden sind. Auch die Erfahrungen anderer EG-Mitgliedsstaaten mit ihrer "Regionalisierung" können nützlich sein. Der Hinweis, daß in allen Ländern der Bundesrepublik erst vor etwa 15 - 20 Jahren eine umfassende Kommunalreform stattgefunden hat, rechtfertigt durchaus Stolz auf diese große politische Leistung. Wir dürfen dabei aber nicht außer acht lassen, daß diese Reformen die aus dem 19. Jahrhundert übernommenen Strukturen des Städte-Kreis-Modells gebietsräumlich und funktional im wesentlichen fortgeschrieben haben, wie dies schon vor dem I. Weltkrieg und in den Jahren 1929/31 vornehmlich im rheinischwestfälischen Industriegebiet begonnen worden ist. Maßstabvergrößerung durch Eingemeindungen und Zusammenlegungen im Bereich der Gemeinden und Kreise hat die Verwaltungslandschaft in der kommunalen Ebene strukturell verbessert, ist aber kein geeignetes Instrumentarium für die Lö-
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sung der Probleme, die sich aus dem Prozeß der "Entörtlichung" und "Regionalisierung" von Planungs- und Verwaltungsaufgaben ergeben. Zufriedenheit mit Geschaffenem darf unseren Blick für notwendig Neues nicht trüben. ,,Administratio semper est reformandum"!
XII.
Die kommunale Selbstverwaltung der Bundesrepublik steht heute vor der aktuellen Frage, ob sie die sich aus vielerlei zweckrationalen Sachzwängen formierende regionale Ebene den Ländern überlassen, ob sie sich mit einer Art "länder-kommunalen Kondominium" begnügen, oder ob sie den regional-politischen Gestaltungsraum voll und ganz für sich beanspruchen will. Die Antwort hierauf muß eindeutig sein und kann nicht länger aufgeschoben werden. Starker Föderalismus und leistungsfähige Selbstverwaltung müssen kein Widerspruch sein, wenn es um die Gestaltung der Regionalebene geht. Ich fasse zusammen: Die Zukunftschancen der Selbstverwaltung können angesichts der verfassungsrechtlichen Lage und auf dem Hintergrund einer überzeugenden kommunalen Leistungsbilanz sehr positiv eingeschätzt werden, wenn der politische Behauptungswille auch den Mut einschließt, auf sozioökonomische Veränderungen unserer Industriegesellschaft und neue Problemstellungen rechtzeitig und zukunftsorientiert zu reagieren. Nicht nur Tradition pflegen, sondern auch Tradition schaffen, gibt der kommunalen Selbstverwaltung eine Zukunft!
Entwicklungstendenzen und Anforderungen an die kommunale Selbstvenvaltung Von Magnus Staak
Es ist leichter, Fragen zur Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung zu stellen, als Antworten zu geben. Bekenntnisse sind wohlfeil; sie sagen mehr über den Bekenner als über die Sache aus. Die Beschwörung der Ideale der kommunalen Selbstverwaltung fmdet den Beifall der ohnehin Überzeugten und langweilt die anderen: Erst das Bewußtsein ihrer Betroffenheit weckt ihr Interesse. Zu diesem Bewußtsein sei in fünf knappen Aussagen beigetragen:
I.
Kommunale Selbstverwaltung in unserem Verständnis - verantwortungsbewußte und verantwortliche Regelung der örtlichen Angelegenheiten für und mit den Mitgliedern einer Gemeinschaft von Bürgerinnen und Bürgern - ist in den anderen Staaten Europas nicht zu fmden: nicht in der Europäischen Gemeinschaft, nicht in den anderen westeuropäischen Staaten und schon gar nicht in der Deutschen Demokratischen Republik und den Ländern im Osten Europas. Daraus ergeben sich drei Aufgaben: 1.
Neben Ehe, Familie, Nachbarschaft, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind es die Gemeinden, Städte und Kreise, in denen Menschen ihre Individualität entfalten, ihre Identität erfahren können. Diesen Raum selbst zu gestalten und nach ihren Vorstellungen zu erfüllen, ist ihr Recht. Doch dieses Recht werden sie nur erhalten können, wenn sie es auch wahrnehmen. Wer seine Rechte selbst preisgibt, kann sie nicht später von anderen einfordern!
2.
Zentrale Instanzen - in Europa, in der Bundesrepublik Deutschland, in den Bundesländern - erheben den Anspruch auf eine einheitli-
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ehe Ordnung. Die Aufbebung ungleicher Chancen im Wettbewerb, die Freizügigkeit in größeren Räumen, eine grenzenüberschreitende Rechtseinheit, eine bessere Wirtschaftlichkeit und eine höhere Leistungsfähigkeit sind ihre Ziele. Ihre Argumente wiegen schwer und sind nicht leichthin zur Seite zu schieben. Doch: Europa ist heute - noch - geprägt durch die in ihrer Eigenart ganz unterschiedlichen Menschen im Norden Skandinaviens und in den Mittelmeerländern im Süden, in den Weiten des Ostens und an den Küsten des Atlantik im Westen. Davon zeugt ihre Kultur: Die Häuser, in denen sie leben, ihre Musik, ihre Literatur, ihre Kunst. Das Besondere sollte nicht, nicht überall, dem Allgemeinen weichen. Das Streben zur Einheitlichkeit kann zur öden Eintönigkeit führen; die Regelung "alle(r) Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung" durch die Bürgerinnen und Bürger kann davor bewahren. 3.
Gemeinden, Städte und Kreise sind mehr als Gliederungen des Staates. Räte, die nicht selbständig entscheiden, Behörden, die nur vollziehen dürfen, können nichts bewirken. Als Boten eines fernen Vormunds werden sie vielleicht gefürchtet, kaum geachtet und gewiß von niemandem unterstützt. Das ist eine Lehre aus der Geschichte und eine Erfahrung in den Ländern, in denen es eine kommunale Selbstverwaltung nicht gibt. In diesen Ländern zu sagen und zu zeigen, was für und mit Bürgerinnen und Bürgern geleistet werden kann, ist auch eine der Aufgaben, die heute und in den kommenden Jahren zu erfüllen ist.
II.
Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in Verfassungen von Bund und Ländern beschreibt eine Grenze, die Gesetzgeber nicht überschreiten dürfen. Doch diese Garantie hat Auslegungen erfahren, die zweifeln lassen, ob Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit noch im Einklang stehen. Drei Feststellungen begründen diese Zweifel; drei Folgerungen sind daraus in der Gegenwart und in der Zukunft zu ziehen: 1.
Die Bürgerinnen und Bürger des Bundes und der Länder leben in Gemeinden und Städten. Die verfassungsrechtliche Ordnung kann nur als Einheit begriffen werden. "Wir sind ein Volk" hören wir nach der Öffnung der deutsch-deutschen Grenzen hier wie dort. Doch dieses eine Volk kann in Bund und Ländern kein anderes sein als in den Gemeinden und Kreisen. (In
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wenigen Monaten werden wir wissen, ob das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz der Homogenität in gleichem Sinne versteht.) 2.
Bund, Länder und auch untere staatliche Verwaltungsbehörden in der Kreisebene engen durch Pläne, Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Ordnungen der Verfahren und Finanzierungsregeln den Freiraum der eigenen, selbstverantwortlichen kommunalen Gestaltung ein, ohne sich dabei auf "überörtliche Angelegenheiten" zu beschränken, und berufen sich vielfach auf die Mängel der Leistungsfähigkeit der Gemeinden und Städte, die, wenn sie denn überhaupt bestehen, durch ihre Entscheidungen entstanden sind.
3.
Kommunale Selbstverwaltung fordert kommunale Mittel. Die Aufgaben- und Ausgabenverantwortung der Gemeinden, Städte und Kreise ist groß - doch dieser Verantwortung können sie aus eigener Kraft nicht gerecht werden. Bund und Länder nehmen weit mehr an Steuern ein, als sie für die Erfüllung der ihnen verfassungsrechtlich zugeordneten Aufgaben benötigen - und sie wenden das Aufkommen den Bedürftigen oder denen zu, die sie dafür halten, allein nach den von ihnen gesetzten Maßstäben: Mit dem "goldenen Zügel" läßt sich das Gefährt "kommunale Selbstverwaltung" sicher steuern. Aus diesen drei Feststellungen ergeben sich drei Folgerungen:
1.
Die verfassungsmäßige Ordnung in den Gemeinden und Gemeindeverbänden darf nicht nach anderen Grundsätzen bestimmt werden als die in Ländern und Bund.
2.
Von den Gesetzgebern muß erwartet werden, daß sie einen Freiraum kommunaler Gestaltung wahren und anerkennen, daß die Legitimation von Gemeindevertretungen, Ratsversammlungen und Kreistagen nicht geringer ist als die der Parlamente.
3.
Die Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft setzt auch eigene Mittel in einer den Anteilen an Aufgaben und Ausgaben entsprechenden Höhe voraus.
Wenn diese Folgerungen gezogen werden, sind Zweifel an einer sicheren Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung zu einem wesentlichen Teil ausgeräumt.
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III.
Ein Widerspruch zwischen Bürgerfeme und Bürgemähe belastet die kommunale Selbstverwaltung: Die Reformen der vergangeneo Jahrzehnte haben den Weg zum Rathaus verlängert. Die Kommunalverwaltung ist allein normbezogen, technisiert, spezialisiert und anonym. Die mitmenschliche, mitbürgerliche Komponente kommunalen Handeins droht verlorenzugehen. "Bürgerbeteiligung" ist das Schlagwort, mit dem dieser Entwicklung begegnet wird. Doch Bürgerversammlungen, -fragestunden, -begehren und -entscheide bringen das Erwartete, Erhoffte nicht. Die Bürgerinnen und Bürger haben schnell verstanden, daß es nur sinnvoll ist, sich dort zu beteiligen, wo auch entschieden wird. Und das ist in einer immer noch wachsenden Zahl von Fällen nicht die Gemeinde oder Stadt. So kann es nicht überraschen, wenn nur zufalls- oder interessenbestimmte kleine Gruppen in den öffentlichen Ausschußsitzungen zuhören und nur die sich zu Wort melden, die sonst nicht zu Wort kommen. "Bürgerbeteiligung" ist ein wohlklingendes Wort - eine inhaltlich erfüllte Realität ist Bürgerbeteiligung nicht. Die kommunale Selbstverwaltung, eine verantwortungsbewußte und verantwortliche Mitwirkung der Bürgerschaft in ihrer Gemeinde oder Stadt, kann sie nicht ersetzen. Andere und weitere Wege werden beschritten, um Vertretung, Verwaltung und Bürger wieder zusammenzuführen. Zwei seien genannt: -
Der Kreis der an der Meinungsbildung und Entscheidungsfmdung Beteiligten wird erweitert. Die Bürger werden zu einer Gruppe innerhalb der größeren Zahl der Einwohner, die nun mit und neben ihnen Rechte haben und Ansprüche vortragen können, auch wenn ihre Pflichten geringer sind.
-
Es werden neue Institutionen geschaffen und ihre Inhaber zu Anwälten mehr oder minder großer Gruppen von Einwohnern berufen: Kinder-, Frauen- und Seniorenbeauftragte liefern dafür ebenso Beispiele wie Beiräte und Kommissionen. Eine durch die Wahl der Bürgerschaft begründete Legitimation besitzen sie ebensowenig wie eine Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl. Sie verstärken die Sorge, daß aus der Bürgerschaft und der sie in ihrer Gesamtheit repräsentierenden Vertretung eine Vielzahl von Gruppen mit ihren besonderen Anwälten wird. Eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung kann weder auf dem einen noch auf dem anderen Wege erreicht werden - sie führen zu einer Gefährdung der kommunalen Selbstverwaltung in der Zukunft. Der
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rechte Weg führt in eine andere Richtung, in die Richtung, die Bundesund Landesverfassungen weisen: Die Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ist denen in eigener Verantwortung aufzutragen, die in dieser Gemeinschaft leben, wohnen und arbeiten, sich ihr auf Dauer verpflichtet fühlen, die bereit sind, sich der Wahl durch ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger zu stellen und ihr Tun oder Nichttun zu verantworten.
IV.
Die kommunale Selbstverwaltung ist der mittelbaren Staatsverwaltung, der Funktion Vollziehende Gewalt der Staatsgewalt, zuzuordnen. Es ist - heute unbestritten - falsch, von "Gemeindeparlamenten" zu reden; eine "Ortsgerichtsbarkeit" wird von niemandem in Anspruch genommen. Dennoch ist es notwendig, das Verhältnis der kommunalen Selbstverwaltung heute und in der Zukunft zu den drei Funktionen der Staatsgewalt kritisch zu werten: 1.
Kommunale Selbstverwaltung ist durch die Gesetze des Bundes und der Länder eingegrenzt. Wenn die Grenzen zu eng gezogen werden, bleibt kein Raum für eine eigene, selbständige Gestaltung. Sind sie zu weit, dann zerfällt der Staat in viele kleine staatsähnliche Ordnungen; Unordnung ist das Ergebnis. Es ist nicht schwer, in Geschichte und Gegenwart Beispiele für die eine und für die andere Tendenz zu fmden. Ein Gesetzgeber, der der kommunalen Selbstverwaltung einen sicheren Weg in die Zukunft bahnen will, muß sich auf die Regeln beschränken, die notwendig sind, um die staatliche Ordnung zu bewahren.
2.
Die Überzeugung, daß in den höheren Ebenen der Behördenhierarchie mehr Wissen und Erfahrung versammelt ist als in den Niederungen der kommunalen Selbstverwaltung, eint Mitarbeiter in Bund und Ländern. Sie begründet langwierige Verfahren, Prüfungen, Vorbehalte, Auflagen und wird in aufdringlicher Fürsorge ebenso deutlich wie in autoritären Weisungen. Die Bereitschaft zu selbständigem, veranwortlichen Handeln wird dadurch nicht gestärkt. Die einzige Aufgabe, die der staatlichen Verwaltung gegenüber der kommunalen Selbstverwaltung zugeordnet ist, ist die Rechtsaufsicht Gemeinden, Städte und Kreise sind unbeschränkt geschäftsfähig und brauchen den staatlichen Vormund nicht!
3.
Kommunale Selbstverwaltung überzeugt, wenn lange und sorgfältig vorbereiteten Entscheidungen eine schnelle, wirksame Umsetzung
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folgt. Gründliche Planung und genaue Berechnung der Kosten, abwägende Prüfung von Voraussetzungen und Folgen und eingehende Beratungen werden verstanden - doch das Verständnis schwindet, wenn endlich gefaßte Beschlüsse nicht ohne Verzug vollzogen werden. Gewiß, die Überprüfung durch unabhängige Gerichte ist ein rechtsstaatliebes Gebot, das ohne Vorbehalte anzuerkennen ist. Doch wenn mit allfälligen Rechtsmitteln Rechtswege eröffnet werden, die erst nach Monaten und Jahren zu einem Ziel führen, sind das sachliche Ergebnis und die politische Wirkung der Entscheidungen der kommunalen Selbstverwaltung oft fragwürdig geworden. Von Bund und Ländern muß verlangt werden, daß sie das Verfahren und die Besetzung der Verwaltungsgerichte so ordnen, daß schnell und sachkundig geurteilt werden kann - im Interesse der betroffenen Bürgerinnen und Bürger, aber auch im Interesse der mitbürgerliehen Gemeinschaft und der kommunalen Selbstverwaltung.
V.
Menschen, Geld und Technik bestimmen auch Erfolg oder Mißerfolg der kommunalen Selbstverwaltung. 1.
In der amtlichen Begründung eines Gesetzentwurfs zum kommunalen Verfassungsrecht war zu lesen: "Die Praxis hat gezeigt, daß kommunale Erfahrungen innerhalb kurzer Frist erworben werden können"1• Diese Ansicht wird offenbar von manchen Bewerberinnen und Bewerbern um kommunale Wahlämter geteilt. Doch die Praxis lehrt, daß ihnen, wenn sie denn gewählt werden, eine neue, eine kommunale Erfahrung gewiß ist: Daß die Arbeit in dem Grenzbereich von Politik und Verwaltung, mit den ehrenamtlichen Mitgliedern des Rats und den hauptberuflich tätigen Beschäftigten in der Verwaltung, kritisch begleitet von Aufsichtsbehörden, Prüfungsämtern, Presse und Gerichten, ohne gute und umfassende Kenntnisse und Erfahrungen, auch kommunale Erfahrungen, nicht erfolgreich zu leisten ist. Das gilt für Wahlbeamte ebenso wie es für die anderen Beschäftigten der Gemeinden, Städte und Kreise gilt: Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung hängt auch und wesentlich an der Qualifikation der Menschen, die für sie und in ihr wirken. Daraus ergeben sich
1 Entwurf der Landesregierung Schleswig-Holstein eines Gesetzes zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts, LT-Drucks. 12/592 vom 28. November 1989, Begründung zu Art. 1 Nr. 33 (§ 57 GO SH), S. 58.
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Folgerungen zur Aus-, Fort- und Weiterbildung im kommunalen Dienst. 2.
Spötter behaupten, die kommunale Selbstverwaltung habe dies mit der Landwirtschaft gemein. Sie klage immer. In einem Konzert der Dissonanzen wird jeder harmonische Ton als falsch empfunden. Doch es sind nicht nur das Klagen über unzureichende Mitte~ das von allen Seiten zu hören ist, und nicht nur die Kritik an einer nicht aufgaben- und ausgabengerechten Verteilung (darüber ist bereits gesprochen worden), sondern auch die Abhängigkeit von staatlichen Entscheidungen, die Unstetigkeit des Mittelzuflusses und der oft mehr von politischer Opportunität und aus getrübter Fernsicht als von sachbezogenen Erwägungen bestimmte Mitteleinsatz, die als ärgerlich, belastend, falsch empfunden werden. Was verkannt wird, ist schlicht diese Einsicht: Eine leistungsfähige kommunale Selbstverwaltung setzt Einnahmen aus eigenen Quellen voraus.
3.
Die papierlose Verwaltung ist nahe - verstaubte Akten in langen Regalen werden bald vergessen sein. Auch die kommunale Selbstverwaltung muß sich der technischen Entwicklung öffnen - ebenso, wie sie sich (mühsam und noch immer ohne hinreichenden Erfolg) den an der privaten Wirtschaft orientierten Anforderungen an die öffentliche Wirtschaft aufgeschlossen hat.
Die Bürgerinnen und Bürger werden in den Menschen in der Verwaltung nur dann Mitbürgerinnen und Mitbürger erkennen, wenn sie sich den Problemen der Gegenwart stellen, die Wege in die Zukunft bahnen und beschreiten, die ihnen anvertrauten Mittel optimal einsetzen und mit der technischen Entwicklung Schritt halten. Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung ist gefährdet. Das uns und unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern bewußt zu machen, ist heute notwendig und möglich. Das Bewußtsein ihrer Betroffenheit kann sie zu Mitstreitern machen bei dem Einsatz für die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung.
Die Einführung der kommunalen Selbstverwaltung in der DDR Von Helmut Melzer
Die Einführung oder auch Wiedereinführung der zu Beginn der 50er Jahre endgültig abgeschafften kommunalen Selbstverwaltung ist ein Schlüsselproblem und wie wir glauben einer der wichtigsten Ansatzpunkte für die Reform der öffentlichen Verwaltung und damit für die demokratische Erneuerung insgesamt in unserem Lande. Auch wenn heute mit dem Blick auf die Vorbereitung der staatlichen Einheit Deutschlands die Einführung föderativer Länderstrukturen vordringlicher und wichtiger erscheinen mag für eine grundlegende Reform des gesamten Systems der öffentlichen Verwaltung von unten bis oben ist die Begründung einer funktionierenden und demokratisch legitimierten kommunalen Selbstverwaltung der erste, weil grundlegende, wesentliche Fundamente demokratischen Staatsaufbaus legende Schritt. Kommunale Selbstverwaltung ist für eine erneuerte und demokratisierte Gesellschaft in unserem Lande, eine Gesellschaft, die durch Marktwirtschaft und politischen Pluralismus gekennzeichnet ist, nicht nur die demokratischste und sowohl sozialen wie rechtsstaatliehen Grundsätzen am stärksten verpflichtete Form kommunaler Verwaltung. Mit ihr soll und muß an der Basis des Gemeinwesens, im bürgernächsten Bereich der öffentlichen Verwaltung, der konsequente Bruch mit der unter dem früheren zentralistischen Regime praktizierten bürokratisch-hierarchischen Verwaltung vollzogen werden. Diese hatte die Städte und Gemeinden zu Staatsanstalten und die Menschen zu bloßen Objekten der Regierungstätigkeit gemacht. Mit der anstehenden Verwaltungsreform verbindet sich deshalb die Absicht, die in einer radikalen Neuordnung der Verwaltung, um die es heute im Lande geht, liegende Chance zu nutzen, um möglichst weitgehend das Prinzip zu verwirklichen, daß alle Angelegenheiten, die die Bürger in ihren Kommunen nach dem Grundsatz und in den demokratischen Formen der Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze selbst regeln und entscheiden können, keiner zentralistischen Verwaltung durch den Staat mehr bedürfen. Dem kommt angesichts verfestigter bürokratisch-zentralistischer Traditionen in unserem Lande auf dem Wege zu Demokratie und
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Helmut Melzer
staatlicher Einheit eine besondere Bedeutung zu. Auch bei der Schaffung der Länderstruktur noch in diesem Jahr werden wir den Gefahren erneuter Verfestigung bürokratischer Administration nur dann wirksam begegnen können, wenn aus den Kommunalwahlen am 6. Maid. J. nicht nur demokratisch legitimierte kommunale Vertretungskörperschaften hervorgehen, sondern diese auch die Grundlage einer neuen Kommunalverfassung bilden, die der Selbstverwaltung und der Demokratie von unten Raum gibt. Vieles ist dabei für uns neu und unter uns sind auch keine jener Kommunalpolitiker mehr, die kommunale Selbstverwaltung aus der Weimarer Zeit und den Anfangsjahren nach dem Kriege noch aus eigener Erfahrung kennen. Das wissenschaftliche Symposium zur kommunalen Selbstverwaltung, das wir vor einigen Tagen in Potsdam hatten, war überhaupt die erste wissenschaftliche Konferenz in der gesamten Nachkriegsgeschichte in unserem Lande, die dem Thema der kommunalen Selbstverwaltung gewidmet war. Wir waren deshalb auch sehr froh, daß auf diesem Symposium Wissenschaftler und Vertreter kommunaler Spitzenverbände aus der Bundesrepublik, auch von Ihrer Hochschule, uns bei unseren ersten Schritten in dieser für uns in vieler Hinsicht neuen Thematik mit ihren Erfahrungen und Ratschlägen zur Seite standen. Inzwischen wurde von einer Gruppe von Wissenschaftlern der Entwurf für ein Kommunalgesetz vorgelegt, der nach Beratung in der Regierungskommission für die Verwaltungsreform der neuen Regierung und der Volkskammer zugehen soll. Dieses Gesetz soll nach unserer Absicht als eine vorläufige Rahmenregelung bis zu einer künftigen Kommunalgesetzgebung neu zu wählender Landtage gelten und dazu dienen, die überlebten Verfassungs- und Gesetzesregelungen über die sog. "örtlichen Organe des Staates" zu ersetzen und die Grundlage für die Konstituierung der kommunalen Selbstverwaltung in den Städten und Gemeinden sowie den Landkreisen zu bilden. Bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs wurde neben unserer eigenen Erfahrung von uns die Erfahrungen der Kommunalgesetzgebung der Bundesländer auch mit Blick auf die anstehende Rechtsangleichung genutzt. Und ich darf anmerken, daß sich dabei für uns auch keinerlei konstitioneUe Probleme ergaben. Denn die in Art. 28 GG niedergelegte Garantie für die kommunale Selbstverwaltung und ihren demokratischen Charakter erwies sich als in jeder Hinsicht tragfähiger und zugleich weitgesteckter Rahmen, der uns auch eine bestimmte, unter unseren spezifischen Bedingungen unerläßliche historische Ausprägung der Kommunalverfassung gestattet. Auch für uns ist kommunale Demokratie und Selbstverwaltung eine Vertretungsdemokratie der Bürgerschaft, die unter unseren heutigen Bedingungen auch mehr oder minder stark mit verschiedenen unmittelbar demokratischen Elementen verbunden sein muß. Aber das Haupt- und Be-
Kommunale Selbstverwaltung in der DDR
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schlußorgan kommunaler Selbstverwaltung kann nur die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangene Vertretungskörperschaft sein, deren Anspruch auf Allzuständigkeit in allen Selbstverwaltungsangelegenheiten streng zu wahren ist. Dies gilt gerade angesicbts der negativen Erfahrungen mit Partei-, Staats- und anderen Apparaten, die die gewählten Vertretungsorgane in der Vergangenheit von den tatsäeblichen Entscheidungen weitgebend ausschalteten und damit - ganz abgesehen von den schlimmen politischen und ökonomischen Folgen auch dem Ansehen der Vertretungsorgane in der Öffentlichkeit schweren Schaden zugefügt haben. In der Gesetzgebung der Bundesländer hat sich für die Kommunalvertretungen der Begriff "Räte" durchgesetzt. Aus einer Reihe von Gründen würden wir, auch in Anlehnung an das Kommunalwahlgesetz für die Wahlen am 6. Mai, jedoch gern bei unseren traditionellen Begriffen bleiben, also von Gemeindevertretungen, Stadtverordnetenversammlungen, Stadtbezirksversammlungen und im Kreisverband vom Kreistag sprechen. Ungeachtet dieser Besonderheit aber wird es bei der rechtlichen Ausgestaltung des Status dieser Vertretungsorgane starke Analogien zu den Gemeindeordnungen in der Bundesrepublik geben. Bei der Neugestaltung der inneren Kommunalverfassung schlagen wir vor, uns von früheren rätedemokratischen Fiktionen zu trennen und uns für einen Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister oder Landrat mit einer starken Stellung an der Spitze der Kommunalverwaltung zu entscheiden. Den vor allem von Kommunalpraktikern favorisierten Vorschlag einer Direktwahl des Bürgermeistes werden wir bei den Wahlen im Mai noch nicht realisieren können. Die Entscheidung dazu muß späterer Landesgesetzgebung vorbehalten bleiben. Es wäre jedoch falsch, wie dies da und dort geschieht, dies einfach als Übernahme der süddeutschen Bürgermeisterregelung zu betrachten. Denn einmal streben wir bei der Leitung der Arbeit des Vertretungsorgans eine etwas andere, mehr unseren Traditionen entsprechende Lösung an. Zum anderen ist die Entscheidung für eine starke Stellung der Bürgermeister und Landräte an der Spitze des Verwaltungsapparats auch aus den Erfahrungen unserer Praxis erwachsen. Weiterbin schließt sie die Möglichkeiten einer organisierten kollegialen Beratung beim Bürgermeister u. E. durchaus auch nicht aus (eine Art Magistrat). Eine schwierige Frage ist für die neue Kommunalgesetzgebung die richtige Einordnung der zahlreichen basisdemokratischen Initiativen und Bewegungen im Lande in das gesetzlich zu regelnde System kommunaler Demokratie. Wir plädieren hier für eine weitgehende Regelung dieser Formen unmittelbarer Demokratie als Formen der Bürgerpartizipation an der Kommunalverwaltung. Der entscheidende Status der Vertretungskörper-
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schaft und die Stellung des Bürgermeisters als Leiter der Kommunalverwaltung darf davon jedoch in keiner Weise berührt oder gar eingeschränkt werden. Mit Ausnahme von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, die immer die Ausnahme bilden werden, können alle diese basisdemokratischen Formen nur innerhalb der Entscheidungsvorbereitungsprozesse des Vertretungsargans und im Rahmen geordneter Verwaltung ihren Platz haben. Kommunale Selbstverwaltung kann kein Wundermittel sein, um die in Jahrzehnten angehäuften Probleme und Widersprüche in unseren Städten, Gemeinden und Kreisen mit einem Schlag lösen zu können. Was sie jedoch schaffen kann und soll, sind grundlegend neue politische und rechtliche Rahmenbedingungen, die die Bürger und ihre gewählten Volksvertretungen in die Lage versetzen, ohne solche Wunder von irgendwoher zu erwarten, die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen, selbst über die eigenen Angelegenheiten ihrer Stadt oder Gemeinde zu entscheiden und dies ohne bürokratische Hindernisse auch zu dürfen. Vor allem die heute und in Zukunft erstrangige kommunalpolitische Aufgabe, die Belebung und Förderung von Wirtschaft und Gewerbe, das Schaffen günstiger Bedingungen für Kapitalinvestitionen in Kommunalwirtschaft und Infrastruktur wird größte Anstrengungen erfordern, um Arbeitsplätze zu erhalten und besonders im mittelständischen Bereich neue zu schaffen. Zusammen mit all den sozialen und sozialrechtlichen Problemen bei Übergang zur Marktwirtschaft und all den überkommenen ,,Altlasten" in den städtischen Altbaugebieten, der weitgehend verschlissenen Infrastruktur oder der Ökologie und vielem anderen, werden diese realen Inhalte der kommunalen Selbstverwaltung uns wenig Zeit zu ihrer Konstituierung und Erprobung belassen. Vordringlich ist deshalb auch die Sicherung ihrer materiellen Grundlage im Zuge schneller Steuer-, Finanzund Wirtschaftsreform, zu denen vor allem die Sicherung des eigenen kommunalen Haushalts, der nicht mehr eine untere Rubrik des Staatshaushalts sein darf und die Wiederherstellung der Eigentums- und Vermögensrechte der Kommunen gehört. Vieles, wenn nicht alles, wird von den Menschen in den Kommunalverwaltungen abhängen, die unter schwierigen Bedingungen lernen müssen, auf neue Weise zu verwalten und dazu Ausbildung und Umschulung, aber auch einfach Anleitung, Hilfe und Unterstützung brauchen. Wir sind uneingeschränkt dankbar für das erklärte Anerbieten von Kommunalpolitikern und Kommunalwissenschaftlern der Bundesrepubli.k, uns auf Zeit bei dieser großen Aufgabe zu helfen. Aber das wird keine einfache Sache sein, denn das meiste wird, um wirklich Ergebnisse zu bringen, des wechselseitigen Verständnisses, der Anpassung und "Übersetzung" auf unsere realen Verhältnisse benötigen. Deshalb erlauben Sie mir hier, als
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letztes für eine gute Zusammenarbeit der Kommunalwissenschaft in Ost und West zu plädieren, denn nur in gemeinsamer Arbeit werden wir diese in ihrer historischen Dimension und in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit mit anderen kaum vergleichbaren Aufgabe zum Wohle der Städte und Gemeinden unseres Landes und aller ihrer Bürger wirklich lösen können.
Diskussion zu den Statements von Dieter Sauberzweig, Adalbert Leidinger, Magnus Staak und Helmut Melzer Bericht von Christoph Hauschild
Den Schwerpunkt der von Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Siedentopf geleiteten Diskussion im Anschluß an die einführenden Statements bildete das Spannungsverhältnis zwischen kommunaler Selbstverwaltung und föderativem Staatsaufbau. Prof. Dr. Eberhard Laux, Düsseldorf, sprach sich mit Leidinger für eine Länderreform aus: Das Ländergerüst sei entscheidend für die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung. Der Koordinierungsaufwand sei gerade in den kleineren Flächenländern zu hoch. Von den vielen Reformvorhaben in diesem Zusammenhang sei als einzige Reform die kommunale Gebietsreform erfolgreich gewesen. Laux sah überdies einen Bedarf, den kommunalen Aufgabenanteil differenziert zu bestimmen, wobei er sich gegen eine Überhöhung des Prinzips der kommunalen Selbstverwaltung aussprach. Als Schwachpunkt im gebietskörperschaftliehen Aufbau bezeichnete Landrat Dr. Ernst Bartholome, Ludwigshafen, in seinem Diskussionsbeitrag die Länder. Sie hätten in den letzten zwanzig Jahren unglaublich an Kompetenzen verloren. Ihre gesetzgeberischen Zuständigkeiten seien nur noch zum Teil vorhanden. Dieser Kompetenzverlust verführe die Länder dazu, kommunale Angelegenheiten an sich zu ziehen. Bartholome sprach sich deshalb für ein Trennsystem der Aufgaben und Finanzen aus. Er beklagte dabei eine verkehrte Politik der kommunalen Spitzenverbände, die sich in konkreten Fällen wie der Städtebauförderung im Widerspruch zu ihrer programmatisch geäußerten Ablehnung der Mischfinanzierung verhielten. Die Autonomie der Schweizer Kantone in bezug auf die Finanzen - eigene Hebesätze bei der Einkommensteuer - zeige, daß Trennsysteme realisierbar seien. Eine wesentliche Gefährdung der Idee der kommunalen Selbstverwaltung sah Bartholome überdies in den zu stromlinienförmig argumentierenden Parteien. Die Folge sei, daß bei den Parteien örtliche Probleme nicht genügend berücksichtigt würden. Kommunalwahlen seien zu Trend-
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wahlen degeneriert, die eine Differenzierung nach der örtlichen Leistung nicht zuließen. Mit dem Problem der Kommunalaufsicht sprach Rechtsanwalt Prof. Dr. Raimund Wimmer, Bonn, einen besonderen Aspekt in dem Verhältnis zwischen Staats- und Kommunalverwaltung an. Wimmer kritisierte die seiner Ansicht nach oft fehlende Qualifikation der Kommunalaufsichtsbeamten, von denen er den Eindruck habe, daß sie nie eine Kommune von innen gesehen hätten. Er machte den Vorschlag, daß vergleichbar zum Schul- und Prüfungsrecht in der Kommunalaufsicht nur der Prüfer sein dürfe, der selbst die Qualifikation habe, die er prüfe. Me/zer verwies in seiner Stellungnahme zu den Diskussionsbeiträgen auf die geplante Wiedereinführung der Länderstruktur in der DDR in der Form, wie sie bis 1952 bestand. Vom Standpunkt der Wissenschaft sei er nicht glücklich, daß man sich in der Planung an der Gliederung in fünf Länder orientiere. Eine Aufteilung der DDR in zwei Länder hätte seinen Vorstellungen einer optimalen Gebietsgröße mehr entsprochen. So werde wahrscheinlich der mitteldeutsche Ballungsraum mit Leipzig, Halle und den Chemiestädten in drei Länder geteilt. Auch verhindere die hergebrachte Länderstruktur, daß dem Wunsch der nationalen Minderheit in der DDR, den Sorben, in einem Land zu leben, Rechnung getragen werden könne.
Zwiespältig zu einer möglichen Länderreform in der Bundesrepublik äußerte sich Staak aus der Sicht Schleswig-Holsteins. Das Land sei zwar kleiner als der Regierungsbezirk Arnsberg, und die Landesverfassung bekenne sich auch zu einer Neugliederung des Bundes (Art. 53 S. 2 Landessatzung Schleswig-Holstein). Eine Zusammenfassung von Schleswig-Holstein, Nordniedersachsen, Harnburg und Mecklenburg zu einem Land hätte aber sicher keinen kräftigen Wirtschaftsraum zur Grundlage. Ihm sei dann lieber, beim kleinen Land zu bleiben. Er warnte überdies gegen eine zu negative Beurteilung der Länderstruktur aus Sicht der Kommunen: Die Länder hätten für die Kommunen eine Schutzschildfunktion gegenüber dem Bund und der EG. Zustimmung fand bei Staak das Anliegen von Barlolome, eine Verbindung von Aufgaben- und Ausgabenverantwortung wiederherzustellen: Es sei jede Chance versäumt worden, Aufgaben- und Ausgabenverantwortung so aufeinander abzustimmen, daß wirklich derjenige, der die Aufgaben zu erfüllen habe, die Mittel erhalte, die Aufgaben zu bestreiten. Leidinger betonte in seiner Antwort auf die Diskussionsbeiträge abermals, daß der Föderalismus überzeugend sein müsse und in seiner heutigen Gliederung nicht lebensfähig sei. In einigen Ländern fehle die nötige Di-
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stanz zwischen der Ebene der Kreise bzw. kreisfreien Städte und dem Land. Leidinger nannte in diesem Zusammenhang den Stadtverband Saarbrücken, der die überwiegende wirtschaftliche Potenz des gesamten Saarlandes umfasse. Eine Wohltat sei die Gebietsreform in NordrheinWestfalen gewesen, in deren Folge man große Kreise und Gemeinden gebildet habe. Im Einklang mit seinem Vorredner plädierte Leidinger in seinen weiteren Ausführungen für eine Beseitigung der Mischverwaltung. Eine totale Entflechtung bei der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben sei jedoch unter den Bedingungen des modernen Leistungsstaates illusorisch. Viele Zweckzuweisungen aus den Landeshaushalten, die allerdings auch von manchen Kommunalpolitikern gewünscht würden, erreichten wegen Vernachlässigung der eigenen kommunalen Prioritäten nicht die wünschenswerte Effizienz. Zudem verursache die Verwaltung solcher Zweckzuweisungen zusätzliche Verwaltungskosten. Von hundert Mark, die man von oben nach unten verteile, würden unten nur noch sechzig bis siebzig Mark ankommen. Zur Frage der Finanzverfassung erinnerte er überdies daran, daß die kommunale Selbstverwaltung die Chance nicht habe realisieren wollen, einen kommunalen Zuschlag zur Einkommenssteuer zu erhalten. Abschließend ging Leidinger auf den Diskussionsbeitrag von Wimmer ein und wies darauf hin, daß Kommunalaufsicht eine Rechtsaufsicht nach den strengen Regeln der Normen zu sein habe. Zunächst zur Frage der Parteienmacht äußerte sich Sauberzweig: Es sei eine Fiktion, daß Kommunalpolitik immer nur sehr sachliche und mit wenigen politischen Gegensätzen besetzte Politik ist. Es hätten sich hier Veränderungen in der Gesellschaft vollzogen, die eine Entpolitisierung der Kommunalpolitik als nicht zeitgemäß erscheinen ließen. Im Hinblick auf die von einigen Ländern gewährte Hilfe zur Reorganisation der hergebrachten Länderstruktur in der DDR verwies Sauberzweig auf eine bedenkliche Fortsetzung des Nord-Süd-Gefälles. Brandenburg und Mecklenburg würden nicht in dem gleichen Umfang Hilfe erhalten wie der südliche Teil der DDR von den südlichen Ländern. Abschließend unterstrich Sauberzweig seinen Standpunkt für eine starke, engagierte und mit klaren Zuständigkeiten versehene kommunale Selbstverwaltung. Gleichzeitig wandte er sich gegen eine kommunale "Kirchtumspolitik". Bestimmte Aufgaben seien nur im überörtlichen Verbund zu realisieren. Neben der Konstituierung neuer Aufgaben bzw. der Verstärkung bestehender Aufgaben z. B. in der Schulpolitik müsse auch eine Kommunalisierung von Regionalpolitik ins Auge gefaßt werden. Die Kommunen könnten sich bei dieser Aufgabendefmition nicht auf die Abgrenzung örtlich und überörtlich zurückziehen. Siedentopf bezog sich in seinen Schlußworten auf eine Bemerkung Sauberzweigs zur Sprachverwirrung beim Regionenbegriff in der EG: In Euro-
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pa bestünden völlig unterschiedliche Vorstellungen darüber, was eine Region, eine lokale oder regionale Gebietskörperschaft sei. Er verwies dabei auch auf die Aktivitäten einiger Länder, die sich innerhalb der EG als Regionen darzustellen versuchten.
Entwicklungstendenzen und Anforderungen in einzelnen Politikfeldern
Kommunalverfassungsrecht Von Hans-Uwe Erlebsen
I.
Das Kommunalverfassungsrecht gehört zu denjenigen Materien, die gemäß Art. 70 Abs. 1 GG der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterfallen. Bei seiner Ausgestaltung ist der Landesgesetzgeber an bundes- und landesverfassungsrechtliche Vorgaben gebunden. Hinsichtlich der kommunalen Organisation ist zum einen der organisatorische Gehalt der Garantie in Art. 28 Abs. 2 GG zu nennen, die insofern gewährleistet, daß Gemeinden und Gemeindeverbände in ihrer tradierten Gestalt, also als mit Rechtsfähigkeit und der Befugnis zur Selbstorganisation ausgestattete, körperschaftlich verfaßte, gebietsbezogene Organisationseinheiten bestehen.1 Eine konkrete Vorgabe hinsichtlich der Organisation enthält Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, wonach das Volk in Gemeinde und Kreis eine Vertretung haben muß. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, daß Rat und Kreistag im kommunalen Kompetenzgefüge die zentrale Stellung zukommt. Dementsprechend herrscht Einigkeit darüber, daß die Kommunalgesetze die wichtigsten Führungs- und Kontrollaufgaben Rat bzw. Kreistag vorbehalten müssen.2 Hierzu zählen die Befugnisse der Rechtsetzung, die Verabschiedung des Haushalts, die Festsetzung von Richtlinien für die Verwaltungsführung sowie die bedeutsamen Planungs- und Organisationsentscheidungen, soweit diese Kompetenzen nicht dem Gemeindevolk unmittelbar zustehen.3 Jenseits dieses Rahmens verbleibt indes eine beachtliche Variationsbreite möglicher Gestaltung. Dies hat dazu geführt, daß die kommunale Organisation in den einzelnen Bundesländern in ganz unterschiedlicher Weise ausgestaltet ist. Einheitlich ist zwar, daß neben der Volksvertretung als dem zentralen Leitungs- und Beschlußorgan ein 1
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Vgl. Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 1988, S. 324. Vgl. Ehlm, Jura 1988, 337 (341). Ehlers, Jura 1988, 337 (341); Frowein, in: Püttner (Hrsg.), HkWP Bd. 2, S. 82.
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weiteres Organ vorhanden ist. Seine Stellung im Verhältnis zum Vertretungsorgan schwankt indes zwischen Gleichrangigkeil und Unterordnung. Für die Regulierung dieses Verhältnisses sind mehrere Einflußgrößen von Bedeutung. Zu nennen ist zunächst die Verteilung der Kompetenzen. Die Gemeindeordnungen der meisten Bundesländer sichern dem Hauptverwaltungsbeamten bzw. Magistrat ein gewisses Maß an Unabhängigkeit, indem sie ihm die ausschließliche Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Geschäfte der laufenden Verwaltung zuweisen. Teilweise, wie etwa in Hessen und Rheinland-Pfalz, ist die Verwaltungsspitze auch im Hinblick auf Personalfragen entscheidungsbefugt oder, wie in Baden-Württemberg, mitspracheberechtigt. Demgegenüber hat in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein die Gemeindevertretung, in Niedersachen und Schleswig-Holstein auch der Kreistag, ein Rückholrecht hinsichtlich der einfachen Geschäfte der laufenden Verwaltung sowie sonstiger auf die Verwaltungsspitze übertragener Aufgaben. Von Bedeutung für die Stellung des Hauptverwaltungsbeamten ist es, ob dieser unmittelbar vom Volk gewählt wird. Eine unmittelbare Volkswahl verschafft dem Bürgermeister bzw. Landrat gegenüber der Wahl durch die Vertretung eine dichtere demokratische Legitimation, mindert seine Abhängigkeit von einer Partei und stärkt seine Stellung gegenüber der Vertretung. Der direkt gewählte Bürgermeister bzw. Landrat kann sich deshalb leichter als Leit- und Integrationsfigur proftlieren.4 Die unmittelbare Volkswahl ist derzeit in Baden-Württemberg und Bayern hinsichtlich der Bürgermeister, in Bayern auch hinsichtlich der Landräte vorgesehen. In den übrigen Bundesländern werden die Hauptverwaltungsbeamten von der Vertretung gewählt. Deren Stellung wird in diesen Ländern zusätzlich noch durch die Möglichkeit einer vorzeitigen Abberufung der Verwaltungsspitze gestärkt, die grundsätzlich mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit, in Hessen unter bestimmten Voraussetzungen auch mit einfacher Mehrheit der Mitgliederzahl der Vertretung erfolgen kann.5 Zu einer Stärkung des Bürgermeisters bzw. Landrats führt es, wenn diesem zugleich der Vorsitz der Vertretung zugewiesen ist. Das ist in BadenWürttemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und im Saarland der Fall. In Nordrhein-Westfalen, Niedersachen, Hessen und in Schleswig-Holstein dagegen 4 Sachverständigenrat zur Neubestimmung der kommunalen Selbstverwaltung beim Institut fUr Kommunalwissenschaften der Konrad-Adenauer-Stiftung, Politik und kommunale Selbstverwaltung, 1984, S. 51 f.; KPV-Kornrnission, Sonderdruck KomPolBI., S. VI; v. Amim, DÖV 1990, 85 (94 f.). s Dazu BVerwG, DÖV 1990, 31.
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sind die Funktionen von Verwaltungsspitze und Vorsitzendem der Vertretung getrennt. Die Verteilung der Gewichte zwischen Vertretung und Verwaltungsspitze, wie sie in den Gemeindeordnungen der einzelnen Länder vorgenommen worden ist, ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen gewesen. Diese Frage wird gegenwärtig auch in der DDR diskutiert, wo man an Organisationsmodellen für die Kommunen arbeitet, die nach einer möglichen Vereinigung der beiden deutschen Staaten gegebenenfalls vor den geschilderten verfassungsrechtlichen Anforderungen bestehen könnten.6 Blickt man auf die bisherigen Diskussionen und Reformbestrebungen in der Bundesrepublik, so fällt auf, daß deren Intensität hinsichtlich der verschiedenen Typen von Kommunalverfassungen stark differiert. Das Maß der Zustimmung ist offenbar bezüglich solcher Kommunalverfassungssysteme am größten, die einem Gemeindevorsteher eine starke Position einräumen. Diese Leitlinie ist nach dem Gesagten am intensivsten im bayerischen und baden-württembergischen System, der sogenannten Süddeutschen Ratsverfassung, verwirklicht. Sie ist, soweit ersichtlich, nur einmal Gegenstand ernsthafter Änderungsbemühungen gewesen. Im Jahr 1974 schlug die baden-württembergische SPD vor, die Funktionen von Hauptverwaltungsbeamtem und Vorsitzendem der Vertretung zu trennen.' Sie hatte damit jedoch wegen der politischen Mehrheitsverhältnisse keinen Erfolg. Auch die in Rheinland-Pfalz und im Saarland geltende Regelung, die sog. Rheinische Bürgermeisterverfassung, ist, was das Verhältnis von Rat und Verwaltungsspitze betrifft, nie ernsthaft in Zweifel gezogen worden.8 Die in Hessen geltende Magistratsverfassung steht, soweit ersichtlich, in ihren Grundstrukturen ebenfalls nicht zur Diskussion. Mitte der siebziger Jahre wurde hier allerdings erörtert, ob die Stellung der Gemeindevertretung durch eine Harmonisierung der Wahlperioden von Vertretung und Magistrat zu stärken sei.9 Dieses "Stadtregierungsmodell" wurde jedoch nicht realisiert. Statt dessen wurde im Jahre 1981, im Anschluß an die Gebietsreform, der Vertretung in Städten mit mehr als 50000 Einwohnern und in Kreisen die bereits erwähnte Möglichkeit eröffnet, innerhalb von 6 Monaten nach Beginn ihrer Wahlzeit mit einfacher Mehrheit ihrer Mitgliederzahl hauptamtliche Mitglieder des Magistrats abzuberufen. Damit wurde Vgl. Me/zer, DVBI. 1990, 404 (407). Vgl. dazu BorchmannjVesper, Reformprobleme im Kommunalverfassungsrecht, 1976, S. 43; Hoffmann, Die sog. Zweigleisigkeil der niedersächsischen Kommunalverfassung, 1987, S. 195. 8 Vgl. dazu BorchmannjVesper, (Fn. 7), S. 43. 9 Vgl. dazu BorchmannjVesper, (Fn. 7), S. 51 ff. 6
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die Abberufung gegenüber der bisher schon bestehenden, auch in den Kommunalgesetzen der anderen Bundesländer mit Ausnahme von Bayern und Baden-Württemberg vorgesehenen Möglichkeit der Abwahl mit ZweiDrittel-Mehrheit erheblich erleichtert. Von dieser Regelung wurde seither häufig Gebrauch gemacht. Die in der Möglichkeit vorzeitiger Abwahlliegende Aufweichung des Instituts des prinzipiell auf Lebenszeit angelegten Berufsbeamtentums, von dem bereits die zeitliche Befristung eine Ausnahme bildet, ist im Hinblick auf Art. 33 Abs. 5 GG bedenklich!0 Zudem ist darauf hinzuweisen, daß zu den hergebrachten Grundsätzen des Art. 33 Abs. 5 GG auch das Gebot parteipolitisch neutraler Amtsführung gehört. Ihr ist es nicht dienlich, wenn der Wahlbeamte von wechselnden Stimmungen der Wahlkörperschaft abhängig ist. 11 Das Bundesverwaltungsgericht hat indes in einer unlängst ergangenen Entscheidung12 wie schon zuvor der Hessische Verwaltungsgerichtshof13, derartige Bedenken verworfen. Unabhängig von der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit wird die Zweckmäßigkeit dieser Regelung, die dazu führt, daß in Hessen Wahlbeamte oft bereits nach einer nur kurzen Amtszeit abgewählt werden, häufig in Zweifel gezogen.14 Es wird darauf hingewiesen, daß sich diese Praxis negativ auf die Kontinuität der Arbeit in den Kommunen ausgewirkt habe und hohe, aus Versorgungsansprüchen der Abgewählten resultierende Kosten verursache. Zudem habe die Eröffnung einer Abwahlmöglichkeit mit einfacher Mehrheit zu einer starken politischen Polarisierung in den Kommunen geführt.15 Angesichts dessen wird das demgegenüber konsequentere Stadtregierungsgsmodell wieder ins Gespräch gebracht.16 Eine an den Grundstrukturen des geltenden Kommunalverfassungssystems ansetzende Diskussion fmdet derzeit in Nordrhein-Westfalen und Niedersachen statt. In diesen Ländern gilt die von britischem Gedankengut beeinflußte Norddeutsche Ratsverfassung, die den HauptverwaltungsbeVgl. dazu Erichsen, (Fn. 1), S. 92. Vgl. dazu Erichsen, DVBI. 1980, 723 (729); de~.• (Fn. 1), S. 92; Stober, Kommunale Ämterverfassung und Staatsverfassung am Beispiel der Abwahl kommunaler Wahlbeamten, 1982, S. 62 ff., 84. 12 DÖV 1990, 31. 13 Vgl. HessVGH, NVwZ 1985, 604; DÖV 1988, 305. Vgl. auch Borchmann, DÖV 1980, 862 (686); den., StädteT 1986, 378 (381 f.); Klein, DÖV 1980, 853 (859); Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982, Rn. 244 ff.; ferner OVG Münster, DVBI. 1981, 879; StGR, 1985, 195; StädteT 1987, 343; BVerwG, NVwZ 1985, 295. 14 Vgl. H Meyer, Hess StuGZ 1989, 417 (418); Zwecker, HessStuGZ 1989, 419. 15 Zwecker, HessStuGZ 1989, 419. 16 Vgl. Zwecker, HessStuGZ 1989, 419; wohl auch H Meyer, HessStuGZ 1989, 417 (418). 10
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amten eine schwächere Stellung einräumt als andere Kommunalverfassungssysteme. Eine ähnliche, allerdings weit weniger heftige Reformdiskussion ist auch in Schleswig-Holstein in Gang gekommen.17 In diesem Bundesland galt wie in den beiden anderen aus der britischen Besatzungswne hervorgegangenen Ländern ebenfalls zunächst die norddeutsche Ratsverfassung. In den Städten und Kreisen wurde allerdings schon bald die Verwaltungsspitze kollegial organisiert. Ausgangspunkt für die Reformüberlegungen sind folgende Erkenntnisse: Die Tätigkeit von Räten und Kreistagen ist stark von deren Selbstverständnis als Gemeinde- bzw. Kreisparlament geprägt. Das zeigt sich u.a. in Beschlußfassungen zu allgemeinpolitischen und damit außerhalb der kommunalen Verbandskompetenz liegenden Themen, wie etwa Fragen der Verteidigungspolitik.18 Die zeitliche Inanspruchnahme der ehrenamtlich tätigen Mitglieder hat ein Ausmaß erreicht, das, wie die im vorigen Jahr vom nordrhein-westfälischen Innenminister durchgeführte Umfrage ergeben hat, 75,7 % der teilnehmenden Mandatsträger kaum oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder privaten Verpflichtungen in Einklang bringen können.19 67 % der antwortenden Ratsmitglieder sind der Ansicht, in den Sitzungen werde oft Zeit vertan, weil man sich zu sehr mit weniger wichtigen Themen befasse.20 Die Zusammensetzung der kommunalen Vertretungskörperschaften gewährleistet, zumindest in größeren Einheiten, eine repräsentative Beteiligung aller Bevölkerungsschichten nicht mehr.21 Es ist insbesondere darauf hinzuweisen, daß die im öffentlichen Dienst Beschäftigten aber auch die Selbständigen deutlich überrepräsentiert sind.22 Darüber hinaus ist zu registrieren, daß die Vorsitzenden der kommunalen Vertretungskörperschaften aber auch die Vorsitzenden der Mehrheitsfraktionen sich zunehmend in die Wahrnehmung nicht der Vertretungskörperschaft zugewiesener Aufgaben einmischen. Sie halten sich dazu auf17
Vgl. Baltzer, Die sh Gemeinde 1989, 85.
18 Dazu Janssen, Die zunehmende Parlamentarisierung der Gemeindeverfassung
als Rechtsproblem, 1988; Groß, nds StädteT 1988, 157 (158); Niemann, nds StädteT 1988, 195 (196); Pohlmann, StGR 1988, 115 (116); Stellungnahme der Oberstadtdirektoren, Eildienst LK.T 1988, 145 (146 f.). 19 Umfrage zu den Bedingungen der Kommunalpolitik in Nordrhein-Westfalen, Auswertung der Antworten, S. 19. 20 Auswertung der Antworten, (Fn. 19), S. 44 f. 21 KPV-Kommission, Sonderdruck KomPolBl., S. II; Schleberger, NWVBL 1988, 161 f.; Sachverständigenrat, (Fn. 4), S. 7 ff.; Hoffmann, nds StädteT 1987, 205 (208); Niemann, nds StädteT 1988, 195 (196); Stellungnahme der Oberstadtdirektoren, Eildienst LKT 1988, 145 (147). 22 Auswertung der Antworten, (Fn. 19), S. 11 ff.
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grund ihrer starken Verwurzdung im örtlichen politischen Geschehen für legitimiert. Im Hinblick auf den Vorsitzenden der kommunalen Vertretungskörperschaft wird das verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß, wie die Umfrage des nordrhein-westfälischen Innenministers ergeben hat, nach Einschätzung einer Mehrheit sowohl der kommunalen Mandatsträger wie auch der Wahlbeamten die Bürger den Vorsitzenden der Vertretung auch für die Spitze der "Verwaltung" und damit für ihren Ansprechpartner auf Gemeindeebene halten.23 Ein wesentlicher Grund hierfür mag darin liegen, daß die norddeutsche Ratsverfassung in NordrheinWestfalen und Niedersachsen die Amtsbezeichnung des Bürgermeisters bzw. Landrats nicht, wie es dem traditioneUen Verständnis entsprochen hätte, dem Hauptverwaltungsbeamten zugewiesen hat.24 Herrscht über den geschilderten Befund zumindest im Kern weitgehende Einigkeit, so gehen die hieran anknüpfenden Wertungen weit auseinander: Die angesprochene Parlamentarisierung und parteipolitische Polarisierung wird teilweise als irreversibel akzeptiert und unter Hinweis auf Art. 21 Abs. 1 GG, wonach die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, sowie auf Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, der für die Gemeindeund Kreisebene eine Volksvertretung vorschreibt, auch als der letztlich vom Grundgesetz gewoUte Zustand anerkannt.25 Andere Stimmen verweisen demgegenüber darauf, daß die Gemeinden und Kreise Teil der Exekutive sind. Ihre Organisation müsse daher so gestaltet sein, daß sie einen efflzienten GesetzesvoUzug gewährleiste. Der parteipolitischen Durchdringung seien mithin enge Grenzen gesetzt.26 Während manche das Verhältnis von Vertretung und ihrem Vorsitzenden einerseits und Verwaltungsspitze andererseits trotz der geschilderten Tendenzen als sachgerechte und grundsätzlich auch funktionierende Arbeitsteilung ansehen,21 beklagen andere effizienzmindernde Reibungsverluste dieses dualistischen Systems.28
23 Auswertung der Antworten, (Fn. 19), S. 58; darauf stützt auch die vom Landesvorstand des Städtetages NW eingesetzte Arbeitsgruppe ihren Reformvorschlag, das Nebeneinander der beiden Spitzenämter aufzugeben, vgl. NWVBL 1989, Heft 7, S. IV. 24 Vgl. Müller, in: Brichsen (Hrsg.), Kommunalverfassung heute und morgen, 1989, s. 45. 25 1./psen, in: Brichsen, (Fn. 24), S. 40; Petri, ebd., S. 47. 26 Schleberger, in: Brichsen, (Fn. 24), S. 27. 27 Schmalstieg, nds StädteT 1988, 124 (125); Iahn, nds StädteT 1988, 121; Lambe'i nds StädteT 1988, 30 (32); Morisse, StGR 1988, 105 (107). Schleberger, Sonderdruck KomPoiBI., S. 111; ders., NWVBL 1988, 161 (164); Riemer, StGR 1988, 99; Pohlmann, StGR 1988, 115 (116 ff.); Hoffmann, nds StädteT
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Ebenso breit wie das Spektrum der Bewertungen ist das der in die Reformdiskussion eingebrachten Vorschläge. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die keine oder allenfalls Korrekturen, die die Grundstrukturen unberührt lassen, für erforderlich halten. Die Gegenposition hat der ehemalige Kölner Oberstadtdirektor Rossa in seiner an den Landtag gerichteten Forderung, die Gemeindeordnung zu "verschrotten", pointiert zusammengefaßt.29 Ihre Befürworter fordern, die Norddeutsche Ratsverfassung nach dem Vorbild der Gemeinde- und Kreisordnungen anderer Bundesländer umfassend zu reformieren. Diese Diskrepanzen spiegeln wider, daß auch die Norddeutsche Ratsverfassung offenbar funktionieren kann, wenn die Beteiligten miteinander harmonieren. Die Qualität einer Verfassung beweist sich indes nicht in Schönwetterlagen, sondern in der Fähigkeit zur Bewältigung von Konfliktsituationen. Insoweit scheinen in der Tat die Kommunalverfassungen Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens einige Defizite aufzuweisen. Es ist allerdings mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Reform eines Kommunalverfassungssystems nicht durch Übernahme einzelner Teile anderer Systeme erfolgen sollte, eine Kommunalverfassung vielmehr ein gewachsenes, in seinen einzelnen Teilen aufeinander abgestimmtes Gebilde ist. Entscheidet man sich etwa dafür, die Kommunalverfassung in Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen nach dem Vorbild der Süddeutschen Ratsverfassung zu reformieren, so wird man sich vergegenwärtigen müssen, daß diese eine Reihe von Kompensationsinstrumenten vorsieht, die einer zu starken Machtentfaltung des Bürgermeisters entgegenwirken.30 Zu nennen sind insbesondere verschiedene Formen der Bürgerbeteiligung, deren intensivste die Möglichkeit des Bürgerentscheids ist. Die Einbeziehung von Bürgern in kommunale Entscheidungsprozesse außerhalb der Wahlen ist allerdings ihrerseits nicht unumstritten. Ihre Gegner verweisen vor allem auf die Gefahr einer übermäßigen Berücksichtigung von Minderheiten- bzw. Betroffeneninteressen.31 Demgegenüber sehen andere Stimmen in einem Ausbau der Bürgerbeteiligung eine Stärkung der Demokratie?2 Während etwa in Nordrhein-Westfalen die nachträglich in die Gemeindeordnung aufgenommenen Formen der Bürgerbeteiligung 1987, 205 (208); &mner, StGR 1987, 230 ff.; Eile~, nds StädteT 1987, 32 (35); Groß, nds StädteT 1988, 157 (158). 29 Rede, gehalten im Rat der Stadt Köln am 123.1987, abgedr. in StGR 1987, 239 (243). 30 Vgl. Kni~ch, in: Erichsen, (Fn. 24), S. 43. 31 Vgl. KPV-Kommission, Sonderdruck KomPolBl., S. 111; SchmidtjHerbe~, StGR 1988, 111 (113); Borchmann, Die sh Gemeinde 1990, 1 ff. 32 Vgl. Bu/1, Die sh Gemeinde 1990, 5 f.
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- Fragestunden, Bürgerversammlungen, Ausschußöffentlichkeit - nach den Vorstellungen einiger Teilnehmer an der Reformdiskussion wieder abgeschafft werden sollten, hat man sie in Schleswig-Holstein zusammen mit der bislang nur in Baden-Württemberg vorgesehenen Möglichkeit des Bürgerentscheids vor kurzem neu eingeführt. Hinzuweisen ist aber auch darauf, daß nicht alle der von den Reformbefürwortern angesprochenen Probleme einer Lösung durch gesetzliche Regelung zugänglich sind. Ob etwa eine starke Position des Gemeindevorstehers und eine ihr korrespondierende Entlastung der Vertretung zwangsläufig dazu führen, die gewünschte Spiegelbildlichkeit von Vertretung und Bevölkerung herzustellen, kann mit Blick auf Bundesländer, in denen ein solches System gilt, bezweifelt werden. Eine Untersuchung der Verhältnisse in Baden-Württemberg etwa33 hat ergeben, daß der Anteil der Selbständigen in den Vertretungen dort bei 32 %liegt und 61 % der Gemeinderatsmitglieder Beamte und Angestellte, darunter 12 % Lehrer sind. Die Gemeinderäte in Baden-Württemberg werden daher gelegentlich auch als Honoratiorenversammlungen bezeichnet.34 Reformbestrebungen werden demnach immer beachten müssen, daß eine Kommunalverfassung nur die Grundlage für eine lebendige Selbstverwaltung bieten kann. Die Realität kommunaler Selbstverwaltung hängt jedoch immer im hohen Maße von den Akteuren, insbesondere den Bürgern ab.
II.
Der den Gemeinden zugewiesene Bereich von Selbstverwaltungsaufgaben ist in den Gemeindeordnungen der einzelnen Bundesländer durch eine gebietsbezogene Allzuständigkeit definiert. Sie steht allerdings unter dem Vorbehalt anderweitiger gesetzlicher Regelung. Insoweit ist seit längerem zu beobachten, daß vom Gesetzgeber für die kommunale Verwaltung ein immer engmaschigeres Netz heteronomer und entmündigender Entscheidungsvorgaben gespannt wird. Zu beobachten ist aber auch eine Hochzonung, ein "Wanderungsprozeß" früher von den Gemeinden erfüllter Aufgaben auf höherstufige Organisationseinheiten öffentlicher Verwaltung. So verzeichnet die Realanalyse, daß etwa die Versorgung mit leitungsgebundener Energie, mit Leistungen des Personennahverkehrs, die Abfallbeseitigung, die Schulträgerschaft, die Raumordnung, dieWasserver-und -entsor-
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Köser/Caspen-Merk, zitiert bei Wehling, AfK 1989, 110 (116). Wehling, AfK 1989, 110 (115).
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gung zunehmend im überörtlichen oder regionalen, gelegentlich auch überregionalen Zuschnitt erledigt werden.35 Es wird darauf hingewiesen, daß die zunehmende Mobilität der Bevölkeruni', der Anspruch auf Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse und soziale Chancengleichheif? und die damit verbundene Betonung gesamtstaatlicher Bezüge, die durch die technische Entwicklung möglich gewordene großräumige Versorgung bei im Vergleich zu lokalen Einrichtungen geringerer Kosten- und Umweltbelastung eine Bewältigung der Verwaltungsaufgaben im ortsübergreifenden Zuschnitt und Verbund geboten erscheinen lassen.38 Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage nach den Grenzen des hochzonenden gesetzgeberischen Zugriffs. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich mit ihr unlängst in seiner Rastede-Entscheid~ zu befassen. Dort ging es um Vorschriften des niedersächsischen Abfallgesetzes, durch die die bis dahin von den Gemeinden wahrgenommene Aufgabe der Abfallbeseitigung auf die Landkreise übertragen worden war. Die gegenständliche Reichweite des verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechts der Gemeinde wird in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG mit ,,Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" beschrieben. Diese Gewährleistung eines Aufgabenkreises wird vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung - jüngst auch in der Rastede-Entscheidung40 dahin näher bestimmt, daß sie solche Aufgaben umfasse, "die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln" oder auf die "örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben". Diese in Rechtsprechung41 und Schrifttum42 vielfach reproduzierte Formel mag in vielen Fällen hilfreich sein. Sie läßt indes auch Fragen offen, weil die in ihr enthaltenen Kriterien - Gemeinschaft, örtlich, wurzeln, spezifischer Bezug - äußerst vage sind. Angelegenheiten, die ihrer Natur nach nur von oder im Rahmen der örtlichen
35 Vgl. Erichsen, (Fn. 1), S. 31 und S. 326; v. Mutius, in: FS flir v. Unruh, 1983, S. 231 ff.; Zuständigkeitsbericht Kreis/Gemeinden NW des Innenministeriums, Eildienst LKT 1975, 79 (86). 36 So Scheuner, HkWP Bd. 1, S. 11. 37 Vgl. Laux, Landkr. 1970, 7. 38 Vgl. BVerwGE 67, 321 (323) und BVerfGE 34, 216 (233); Pappennann , DÖV 1975, 181 (187); Blümel, VVDStRL 36 (1978), S. 206 ff. m.w.N.; Püttner, DÖV 1977, 472 (473); Köstering, HkWP Bd. 3, S. 48 ff. 39 BVerfGE 79, 127 ff. 40 BVerfGE 79, 127 (151 f.) 41 Vgl. etwa OVG Münster, NVwZ 1984, 325 (326). 42 Vgl. etwa Stern, in: BK, Art. 28 Rn. 86; ders., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1984, 2. Aufl. 1984, § 12 II 4 d (S. 412 f.); v. Mutius, Gutachten 53. DIT, S. 17.
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Gemeinschaft bewältigt werden können, werden sich kaum oder gar nicht ermitteln lassen. Dieser Befund hat dazu geführt, daß die Unterscheidbarkeil des örtlichen vom überörtlichen Aufgabenkreis überhaupt in Abrede gestellt worden ist. Hierauf fußend wurde etwa ein "funktionales Selbstverwaltungsverständnis" entwickelt, das einen Verwaltungsverbund im kreisangehörigen Raum als erforderlich ansieht.43 Das Bundesverwaltungsgericht geht von der These aus, daß der Begriff der "örtlichen Gemeinschaft" in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG nicht auf die Abmessungen der Gemeinde beschränkt sei, und vertritt in seiner Rastede-Entscheidung44 die Auffassung, Gemeinden und Kreisen seien "gleichwertige und damit gleichgewichtige Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft ... zur eigenverantwortlichen Erledigung zugewiesen".45 Das dem Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zugrundeliegende Verständnis dieses Begriffs wurde damit - wie auch das Bundesverfassungsgericht feststellt46 - offensichtlich verfehlt, läßt sich doch schwerlich verkennen, daß er zum Zweck der inhaltsbestimmten Abgrenzung verschiedener Aufgaben verwandt wird.47 Den Aufgabenvorrang der Gemeinden bestätigt nunmehr auch das Bundesverfassungsgericht. Ob damit trotz des Unterliegens der Gemeinde Rastede die kommunale Selbstverwaltung - wie mehrfach konstatiert wurde48 - einen Sieg errungen hat, bleibt allerdings abzuwarten. Hinzuweisen ist darauf, daß das Gericht dem Gesetzgeber hinsichtlich der Bestimmung des örtlichen Bezuges einer Angelegenheit eine Einschätzungsprärogative einräumt, die gerichtlich nur auf ihre Vertretbarkeil hin zu überprüfen sei.49 Diese Einschätzungsprärogative sei um so enger und die gerichtliche Kontrolle um so intensiver, je mehr als Folge der gesetzlichen Regelung die Selbstverwaltung der Gemeinden an Substanz verliere. Eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter könne der Gesetzgeber den Gemeinden nur entziehen, wenn die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG überwiegen; auch insoweit stehe dem Gesetzgeber eine Einschät43 Pappennann , DÖV 1975, 181 (186); Raters, in: v. Münch, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 1983, Art. 28 Rn. 40 ff. 44 BVerwGE 67,321 ff. 45 BVerwGE 67, 321 (324 f.); zustimmend Weides, NVwZ 1984, 155 (156); Schmidt-lortzig, DÖV 1984, 821 (827 f.); und Wagener, DÖV 1984, 168 (170). 46 BVerfGE 79, 127 (152). 47 Vgl. Erichsen, (Fn. 1), S. 54. 48 Vgl. U/lrich, Die nds Gemeinde 1989, 67; ders., VR 1989, 289 ff.; Goldmann, nds StädteT 1989, 61. 49 BVerfGE 79, 127 (154); dazu Schach, VerwArch 1990, 18 (27).
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zungsprärogative zu.so Für die kommunale Praxis ist damit die Rechtssicherheit - worauf schon verschiedentlich hingewiesen wurdes1 - kaum größer geworden. In Nordrhein-Westfalen sind derzeit Ansätze einer Entwicklung zu registrieren, die die Gemeinden künftig zunehmend dazu bewegen könnte, sich "freiwillig" an einer ganz neuen Art von Verbundmodellen zu beteiligen. Durch Beschluß der Landesregierung vom 30.5.1989 ist die Zukunftsinitiative für die Regionen Nordrhein-Westfalens ins Leben gerufen worden. Mit ihr hat die Landesregierung alle verantwortlichen Kräfte in NordrheinWestfalen dazu aufgerufen, gemeinsam und in regionaler Zusammenarbeit strukturpolitisch bedeutsame Vorhaben zu erarbeiten, sie konsensual nach ihrer Bedeutung zu reihen und der Landesregierung zum Zwecke der finanziellen Förderung vorzulegen. Diese entscheidet dann endgültig über die Förderungspriorität Diese Initiative hat teilweise dazu geführt, daß sich freiwillige örtliche und regionale Kooperationen in Gestalt sog. "Regionalkonferenzen" oder ähnlicher Gremien etabliert haben, an denen neben den Vertretern von Kommunen auch solche etwa der Industrie- und Handelskammern, der Gewerkschaften und der Hochschulen teilnehmen. Die Landesregierung weist zwar darauf hin, daß die Beratungen in den Regionen die bestehenden Entscheidungsbefugnisse nicht ersetzten, kein Konsenszwang bestehe und jeder Beteiligte, also auch die Kommunen, auf der Grundlage seiner eigenen Interessen und seiner eigenständigen Legitimation entscheide. Sie betont aber ebenso nachdrücklich, daß sie im Willen zum Konsens, im Grad der Übereinstimmung bei der Konzeptfmdung und in der Meinungsbildung die neue Qualität der Strukturpolitik und damit Entscheidungsdaten ihrer Förderungspolitik erkenne. Wir haben es hier also mit einem am goldenen Zügel geführten Entörtlichungsprozeß zu tun.
111. Die Realität kommunaler Selbstverwaltung hängt heute wesentlich, um nicht zu sagen entscheidend von der Finanzausstattung der Kommunen ab. Das den Gemeinden und Gemeindeverbänden in Art. 28 Abs. 2 GG und den entsprechenden Normen der Länderverfassungen gewährleistete Recht der Selbstverwaltung schließt, wie der Verfassungsgerichtshof des Landes so Vgl. BVerfGE 79, 127 (153 ff.). Sl
Schoch, VerwArch 1990, 18 (39); Frers, DVBI. 1989,449 (450).
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Nordrhein-Westfalen und das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalr2 zu Recht betonen, einen Anspruch auf eine Finanzausstattung ein, die Bestand und Effektivität der Selbstverwaltung gewährleistet.S3 Dieser Anspruch wird unterfangen durch das als "allgemeine Lastenverteilungsregel des geltenden Verfassungsrechts"54 auch im Verhältnis Land - Kommunen geltende, auf Stabilisierung der Zuständigkeitsverteilung gerichtete Konnexitätsprinzip, das die Ausgaben- mit der Aufgabenverantwortung und d.h. Verwaltungsverantwortung verknüpft.55 Damit ist indes nicht festgelegt, auf welche Weise die Gemeinden und Gemeindeverbände fmanziell auszustatten sind. Unbestritten ist allerdings, daß es der Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände zuträglicher ist, wenn sie die Mittel nicht zugewiesen erhalten, sondern im Rahmen eigener Einnahmehoheit in gewissem Ausmaß über Anfall und Umfang des Aufkommens selbst entscheiden können oder wenn ihnen immerhin eine eigene Ertragszuständigkeit in bezug auf solche Quellen zusteht, die der Abgabenhoheit von Bund oder Land unterliegen. Finanzielle Autonomie der Kommunen wird in gewissem Umfang durch die ihnen in den Kommunalabgabengesetzen eingeräumte Befugnis verwirklicht, Gebühren und Beiträge zu erheben. Das Aufkommen aus diesen Einnahmearten ist in den vergangeneo zehn Jahren in zwei Phasen erheblich gesteigert worden und beläuft sich zwischenzeitlich auf einen Anteil von etwa 23 % der Gesamteinnahmen der Gemeinden und Kreise.56 Gebühren und Beiträge sind indes dadurch gekennzeichnet, daß sie als spezielle Entgelte erhoben werden.57 Ihre Erhebung bzw. Anhebung und damit die insoweit bestehende Finanzautonomie der Kommunen ist daher davon abhängig, daß die Kommunen ein Leistungsangebot bereitstellen, und sie ist durch das Kostendeckungsprinzip (bei Gebühren) bzw. das Aufwandsdeckungsprinzip (bei Beiträgen)58 begrenzt. Im Hinblick auf solche kommunalen Einrichtungen, die derzeit noch mit geringen Kostendeckungsgraden betrieben werden - etwa Theater, Museen, Büchereien - ist zudem 52
KStZ 1989, 91.
S3 VerfGH NW, DVBI. 1989, 152; DVBI. 1985, 1306; DVBI. 1985, 685 (686); VerfGH NW, OVGE 19, 297 (306). So auch Erichsen, (Fn. 1), S. 334; Grawerl, in:
FS für v. Unruh, 1983, S. 587 ff. 54 BVerfGE 26, 338 (390) für das Bund - Länderverhältnis; BVerwGE 44, 351 (364). ss Erichsen, (Fn. 1), S. 138 f. 56 Vgl. Karrenberg/MÜIIstennann, StädteT 1990, 82 (100) sowie die Übersicht über die Entwicklung der kommunalen Deckungsquoten, ebd., S. 132. 57 Vgl. für Gebühren BVerfG, BayVBl. 1984, 400; BVerfGE 50, 217 (226); für Beiträge BVerfGE 9, 291 (297). Dazu auchErichsen, (Fn. 1), S. 146, 149. 58 Vgl. dazu Erichsen, (Fn. 1), S. 146, 150 m.w.N.
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darauf hinzuweisen, daß Gebührenanhebungen in vielen Fällen zu einem Rückgang der Nachfrage führen würden und damit kaum geeignet sind, das Aufkommen wesentlich zu steigern.39 Die Finanzautonomie der Kommunen hängt daher in erster Linie davon ab, daß ihnen Entscheidungsspielräume in bezug auf solche Einnahmen zustehen, die nicht eine Gegenleistung für Leistungen der Kommune bzw. die Bereitstellung von Leistun~angeboten darstellen. Diesen Anforderungen tragen hinsichtlich der Gemeinden die ihnen in einigen Ländern verfassun~rechtlich eingeräumte Befugnis zur Erschließung eigener Steuerquellen, vor allem aber das durch Art. 106 Abs. 6 S. 2 GG den Gemeinden gewährleistete Hebesatzrecht bezüglich der Grund- und Gewerbesteuer Rechnung. Kein eigenes Hebesatzrecht, aber zumindest eine eigene Ertragszuständigkeit ist den Gemeinden gemäß Art. 106 Abs. 5 GG in bezug auf die Einkommensteuer eingeräumt. Insofern ist darauf hinzuweisen, daß die Verteilung des Gemeindeanteilsam Einkommensteuerertrag nach Maßgabe eines die örtliche Steuerkraft berücksichtigenden Verteilun~systems erfolgt. Er ist daher in gewissem Maße - etwa durch wirtschaftsfördernde Maßnahmen - beeinflußbar und unterstützt insoweit ein auf Eigenverantwortlichkeit zielendes Selbstverwaltun~konzept. Demgegenüber ist die Einnahmestruktur der Kreise weit weniger selbst-
verwaltun~freundlich konzipiert.60 Das Grundgesetz garantiert ihnen keine
eigenen Steuereinnahmen, und dementsprechend beschränkt sich das Steueraufkommen der Kreise auf die Einnahmen aus wenigen Bagatellsteuern. Dieses Defizit an fmanzpolitischer Eigenverantwortlichkeit wird durch die den Kreisen eingeräumte Befugnis zur Erhebung einer Kreisumlage nur unzulänglich kompensiert, handelt es sich hierbei doch um eine von den Gemeinden abgeleitete Finanzierung, der zudem noch durch das Selbstverwaltun~recht der umlagepflichtigen Gemeinden Grenzen gesetzt sind.61 Es ist allerdin~ auch auf der Ebene der Gemeinden seit längerem eine Entwicklung zu beobachten, die dem Gedanken möglichst weitgehender finanzieller Eigenverantwortlichkeit zuwiderläuft. Als aktuelles Beispiel hierfür sei der Vorstoß des niedersächsischen Innenministeriums zur Abschaffung der Getränkesteuer genannt.62 Von weit größerem Gewicht sind allerdin~ die Entwicklungen im Bereich der Gewerbesteuer. Ihr Ertrag ist durch zahlreiche aufkommensmindernde Eingriffe des Bundesgesetzgebers immer weiter eingeschränkt, der Kreis der Steuerschuldner im Ergebnis auf 39 60
61 62
Vgl. Kmrenberg/Münstennann, StädteT 1984, 81 (99). Vgl. v. MutiusjDreher, Reform der Kreisfmanzen, 1990, S. 4 ff. Vgl. dazu v. MutiusjDreher, (Fn. 60), S. 52 ff. Vgl. nds StädteT 1989,95 f.
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die Inhaber von Großbetrieben reduziert worden. Der in erster Linie durch die Gewerbesteuer verwirklichten Steuerhoheit der Gemeinden wird dergestalt zunehmend das Substrat entzogen. Schließlich ist bekanntlich seit längerem der Fortbestand der Gewerbesteuer überhaupt umstritten. Insbesondere die Wirtschaftsverbände plädieren sehr für ihre Abschaffung und eine Kompensation des Ausfalls durch Beteiligung an der Umsatz- bzw. Einkommensteuer. Daß solche Konzepte einem durch fmanzielle Eigenverantwortlichkeit bestimmten Selbstverwaltungsverständnis zuwiderlaufen, braucht nach dem Gesagten nicht mehr betont zu werden. Eine Aushöhlung fmanzieller Eigenverantwortlichkeit kann sich auch aus der Ausgestaltung des Finanzausgleichssystems ergeben. Aus dem Finanzausgleich erhalten die Gemeinden als allgemeine Zuweisungen einen bestimmten Prozentsatz des Unterschiedsbetrages zwischen einem vor allem anband der Einwohnerzahlen errechneten Bedarfswert und einer zweiten, am eigenen Aufkommen aus Real- und Einkommensteuer orientierten Größe. Ist die Ausgleichsintensität hoch, wie etwa in NordrheinWestfalen, so mindert dies, auch wenn die verfassungsrechtliche Grenze vollständiger Nivellierung nicht erreicht wird, den Anreiz für die Gemeinden, die Steuereinnahmen durch eigene Anstrengungen zu erhöhen. Für einen Kämmerer kann es dann lukrativer sein, sich - etwa durch eine strikte Meldepolitik - um neue Einwohner zu bemühen als um steuerzahlende Betriebe.63
IV.
In Selbstverwaltungsangelegenheiten ist nach den Verfassungen aller Bundesländer die Aufsicht auf Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt. Angesichts dessen ist die Einbringung eigener Ermessenserwägungen in die präventive Entscheidung über die Erteilung kommunalaufsichtlicher Genehmigungen, von denen die Gemeinde- und Kreisordnungen in bestimmten Fällen die Rechtswirksamkeit kommunaler Maßnahmen - vor allem im Bereich des Haushalts- und Wirtschaftsrechts - abhängig machen, fragwürdig. Die Mehrzahl der Genehmigungsvorbehalte hat ihre Ausformung in den Städteordnungen des 19. Jahrhunderts erfahren. Die Notwendigkeit einer umfassenden Kontrolle kommunalen Finanzgebarens muß für die überwie63
Milbradt, in: Erichsen, (Fn. 24), S. 127.
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gende Zahl der Zeitgenossen derart evident gewesen sein, daß die präventive Aufsicht von dem sich im Konstitutionalismus formenden Postulat nach einer Kommunalaufsicht als Rechtsaufsicht64 wie selbstverständlich und ohne dogmatischen Aufwand6S ausgeklammert wurde.66 Auf die angesprochene Evidenz dürfte es wohl auch zurückzuführen sein, daß Wissenschaft und Rechtsprechung nach 1945 in der Frage des zulässigen Aufsichtsmaßstabs an diese Tradition anknüpften. Der Widerspruch zwischen dem Wortlaut der eingangs erwähnten Verfassungsbestimmungen und der Genehmigungspraxis wurde und wird zum Teil durch eine Auslegung zu lösen versucht, die die Geltung der "Rechtsaufsichtsk.lausel" auf die sogenannte repressive Aufsicht begrenzt.67 Andere Ansätze wollen Genehmigungsvorbehalte gar nicht erst als Mittel der Staatsaufsicht anerkennen68 oder diese in einem Grenzbereich zwischen kommunaler und staatlicher Zuständigkeit ansiedeln und dieses "Kondominium" einer gemeinsamen Verantwortungs- und Entscheidungszuständigkeit von Staat und kommunalem Selbstverwaltungsträger überantworten.(~.~ In der gerichtlichen Praxis fmdet vor allem die letztgenannte Kondominiumsthese breite Akzeptanz. Hier wird ein von Aufsichtsbehörden und Verwaltungsgerichtsbarkeit entdecktes Bedürfnis nach intensiverer, "feinmaschigerer" Kontrolle zum entscheidenden Maßstab dafür, ob ein Genehmigungsvorbehalt Raum für aufsichtliche Ermessenserwägungen läßt oder lassen darf. Es wird insoweit "auf die Rechtsnatur der einschlägigen Genehmigungsvorbehalte als staatliche Mitwirkungsbefugnisse" verwiesen.70 Jüngstes Beispiel für diese Rechtsprechung ist eine unlängst ergangene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zur Genehmigung von Kreisumlagesätzen.71 Hier hatte der Kölner Regierungspräsident unter Hinweis auf andere, seiner Meinung nach nicht genügend ausgeschöpfte Quellen den vom Kreistag des Rhein-Sieg-Kreises auf 28 % festgesetzten Umlagesatz kurzerhand auf 27 % "gekürzt", indem er eine weitergehende Genehmigung verweigerte. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein64
Vgl. dazu Althaus, Das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände, 1957,
s. 183 f.
6S Eine Ausnahme bildet hier Rosin, Das Recht der öffentlichen Genossenschaft, 1886, s. 116. 66 Kritisch dazuAnschütz, JW 1916, 1147 (1148 f.). 67 So zuletzt noch VG Köln, DVBl. 1986, 737 (739) m.w.N. 68 Vgl. etwa Laux, Staatsaufsicht, S. 108 f.; Keller, Genehmigungsvorbehalte, S. 80 f. (9 Vgl. statt aller OVG Münster, OVGE 19, 192 m.w.N. 70 So ausdr. OVG Münster, DÖV 1988, 648 (649). 71 NWVBL 1990, 121 ff.
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Westfalen gab zwar, anders als die Vorinstanz72, im Ergebnis zutreffend der Klage des Rhein-Sieg-Kreises statt. Es hält jedoch ausdrücklich an der These des staatlich-kommunalen Kondominiums fest. Im zu entscheiden Fall sah das Gericht durch den einschlägigen Genehmigungsvorbehalt deshalb keine kondominiale Mitwirkung der Aufsichtsbehörde eröffnet, weil die Interessen des Landes durch die Kreisumlage nur geringfügig berührt seien und der Staat zudem über ausreichende anderweitige Möglichkeiten zu ihrer Durchsetzung verfüge. Zu diesen Möglichkeiten zählt das Gericht bemerkenswerterweise den Erlaß gesetzlicher Regelungen. Angesichts der verfassungsunmittelbaren Kompetenzvorgaben der Selbstverwaltungsgarantie lautet die eigentliche Frage indes, ob und wie die von der Kondominiumslehre dem einfachen Gesetz entnommene staatliche Mitwirkungsbefugnis gerechtfertigt werden kann. Bevor eine einfachgesetzliche Regelung als Ausdruck eines staatlich-kommunalen Kondominiums qualifiziert werden kann, ist demnach zunächst zu prüfen, ob die fragliche Kompetenz zu den von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG erfaßten und dem hochzonenden gesetzgeberischen Zugriff entzogenen Agenden zählt.73 Ob sich diese Frage dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof stellte, als er jüngst über die Genehmigung einer kommunalen Zweitwohnungssteuersatzung zu entscheiden hatte, lassen die Entscheidungsgründe nicht erkennen.74 Das Gericht nimmt die Figur des staatlich-kommunalen Kondominiums an keiner Stelle ausdrücklich in bezug. Gleichwohl erteilt es einer in mehreren Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof dokumentierten75 und vom Bundesverwaltungsgericht gutgeheißenen76 Praxis, die Genehmigung kommunaler Steuersatzungen dem Ermessen der Aufsicht anheimzustellen, eine klare Absage. Im Hinblick auf die Rechtsprechung in Nordrhein-Westfalen ist dabei hervorzuheben, daß der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Kontrollmöglichkeiten, die durch die für die Genehmigungserteilung maßgeblichen unbestimmten Rechtsbegriffe kein Entgegenstehen öffentlicher Belange, insbes. volkswirtschaftlicher oder steuerlicher Interessen des Staates - eröffnet werden, für völlig ausreichend hält, um staatliche Interessen zu wahren.77 VG Köln, DVB1.1986, 737 ff. Vgl. Erichsen, (Fn. 1), S. 313; ders., JK 89, GO NW § 64 11/1; diese Überlegung läßt sich mit Einschränkungen auch für die Kreise nutzbar machen, da auch Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG dem Gesetzgeber keine uneingeschränkte Dispositionsbefu~s einräumt, vgl. Erichsen, (Fn. 1), S. 329 m.w.N. Vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1989, 237m. Anm. Knemeyer, BayVBl. 1989, 232. 75 Vgl. BayVGH, BayVBJ. 1986, 622; ders., BayVBJ. 1982, 337. 76 BVerwG, Buchholz 401.61 Zweitwohnungssteuer Nr. 2. 77 Vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1989, 237 (240). 72 73
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V.
In der Bundesrepublik Deutschland wohnen derzeit etwa 4,5 Millionen Ausländer. Zwei Drittel von ihnen leben hier bereits seit mehr als acht Jahren. Etwa ein Viertel stammt aus EG-Staaten.78 Angesichts dieser Zahlen wird mit zunehmender Eindringlichkeit die Forderung nach einem kommunalen Ausländerwahlrecht für EG-Bürger79 oder für alle Nationalitäten erhoben, wie es etwa in Dänemark, Irland und den Niederlanden bereits eingeführt ist.80 Im Gebiet der Bundesrepublik haben als erste Bundesländer Schleswig-Holstein und Harnburg solchen Forderungen Rechung getragen. Während Schleswig-Holstein den Ausländern ein Wahlrecht zu den kommunalen Vertretungskörperschaften eingeräumt hat, dürfen sie sich in Harnburg an der Wahl zu den Bezirksversammlungen beteiligen.81 In Bremen und Nordrhein-Westfalen sind entsprechende Pläne artikuliert worden. Die Kommission der europäischen Gemeinschaften hat im letzten Jahr einen Richtlinienvorschlag, der auf Einführung eines Kommunalwahlrechts für EG-Bürger in allen Mitgliedstaaten gerichtet ist, vorgelegt.82 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeil der Einführung des Kommunalwahlrechts für Ausländer ist nach wie vor ungeklärt.83 Es wird demnächst zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommen, nachdem die Bundestagsfraktion der CDU das Gericht gegen die in den beiden norddeutschen Ländern eingeführte Regelung angerufen hat. Nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Sie wird gern. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vom Volk u.a. in Wahlen ausgeübt. Die Teilnahme an Wahlen ist demnach Ausübung von Staatsgewalt und ausschließlich dem Volk vorbehalten. Die genannten Regelungen entfalten die verfassunggestaltende Grundentscheidung für die Demokratie.84 Sie haben Ausschließlichkeitscharakter85 und lassen sich somit nicht als bloße Mindestgarantie ansehen, die einer Erweiterung bzw. Aufstockung zugänglich Vgl. Statistisches Jahrbuch 1987 für die Bundesrepublik Deutschland, S. 68. Vgl. etwa Antrag der Fraktion der SPD, BT-Drucks. 11/1964. 80 Vgl. Magiera, in: Zuleeg, Ausländerrecht und Ausländerpolitik in Europa, 1987, S. 126 m.w.N. 81 Vgl. Karpen, NJW 1989, 1015 f.; auchRittstieg, NJW 1989, 1019 f. 82 NVwZ 1989, 341 = nds. StädteT 1988, 310; dazu de Lobkowicz, DÖV 1989, 519 ff. 83 Vgl. die aktuelle Darstellung des Meinungsstandes bei Kmpen, NJW 1988, 1012 ff. 84 Stern, (Fn. 42), § 18 II 4 a, b; Unzutreffend daher Zuleeg, ZAR 1988, 13 (14): "Volk oder Demokratie als Ansatz". 85 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd.1, 1987, § 22 Rn. 26; Isensee, KritV 1987, 301 (303); Papier, KritV 1987, 309 (314). 78 79
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wäre.86 Daß dies auch für die Ebene der Gemeinden und Gemeindeverbände gelten soll, wird durch das in Art. 28 Abs. 1 GG normierte Homogenitätsgebot klargestellt.tn Damit bedarf die Ausübung von Staatsgewalt durch die Kommunen88 ebenfalls einer Legitimation durch den Träger der Staatsgewalt, das Volk. Dementsprechend bestimmt Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, daß das Volk in den Kreisen und Gemeinden eine aus Wahlen hervorgegangene Vertretung haben muß. Die Kommunalwahlen verschaffen den kommunalen Organen die gern. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG erforderliche Legitimation19 zur Ausübung von Staatsgewalt. Diese tritt also nicht zusätzlich neben die "staatlich demokratische" Legitimation,90 vielmehr ersetzt sie - verfassungsrechtlich anerkannt - jene in einem Teilbereich91 • Auch auf kommunaler Ebene ist damit nur das "Volk" berufen, Staatsgewalt durch Teilnahme an Wahlen auszuüben und dem Gewählten dergestalt die Legitimation zu ihrer Ausübung zu verschaffen.92 Entscheidend für die Zulässigkeil der Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts durch einfaches Gesetz ist daher, ob Ausländer zum "Volk" i.S.d. Art. 20 Abs. 2 S. 1, 28 Abs. 1 S. 2 GG gehören.93 Das Grundgesetz spricht in der Präambel, in Art. 1 Abs. 2 und Art. 146 ausdrücklich vom "Deutschen Volk"114• Demgegenüber fehlt der Zusatz "deutsch", wenn in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG vom 86 So aber SassejKempen, Kommunalwahlrecht flir Ausländer?, 1974, S. 45, 49, 59 f.; Schleberger, StädteT 1974, 597 (598 ff.); Breer, Die Mitwirkung von Ausländern an der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland durch Gewährung des Wahlrechts, insbesondere des Kommunalwahlrechts, 1982, S. 120 ff.; Löhneysen, DÖV 1981, 330 (332); Rittstieg, KritV 1987, 315 (316 f.); wohl auch OVG Lüneburg, DÖV 1985, 1067 (1069). tn Vgl. BVerfGE 47, 253 (271 f.); Erichsen, (Fn. 1), S. 69 f. 88 Zur Ausübung von Staatsgewalt durch die Kommunen vgl. auch Erichsen, (Fn. 1), S. 334; Papier, KritV 1987,309 (312); Schink, DVBI. 1988, 417 (424). 19 Vgl. dazu Stern, (Fn. 42), § 38 I 4 a, b; Papier, KritV 1987, 309 (310 f.). 90 So aber Schmidt-Jortzig, (Fn. 13), Rn. 66; Schink, DVBI. 1988,417 (424). 91 Böckenförde, in: IsenseefKirchhof, (Fn. 85), § 22 Rn. 25. 92 Vgl. auch Isensee, VVDStRL 32 (1974), S. 91 f.; den., KritV 1987, 300 (303); Stern (Fn. 42), § 10 I 3; Schink, DVBI. 1988, 417 (423 ff.); Ehlen, Jura 1988, 337 (338); aA. OVG Lüneburg, DÖV 1987, 1067 (1069). 93 Vgl. auch Schmidt-Jortzig, (Fn. 13), Rn. 65. 114 Zur Frage, wer Deutscher i.S.d. GG ist, vgl. Art. 116 GG sowie Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit II, 2. Aufl. 1979, S. 190; Papier, KritV 1987, 309 (311); Isensee, KritV 1987, 300 (301) einerseits und Rittstieg, KritV 1987, 315 (318); Zuleeg, ZAR 1988, 13 (15 ff.) andererseits. Vgl. auch BVerfG, NJW 1988, 1313 ff.
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Volk die Rede ist95• Da Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG eine Fortschreibung des Verfassungsprinzips des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG bis auf die Ebene der Gemeinden und Gemeindeverbände darstellt, ist davon auszugehen. daß dem Volksbegriff des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG dieselbe Bedeutung zukommt wie dem des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ist das durch das Grundgesetz organisierte Staatsvolk, das heißt das deutsche Volk.96 Die Einführung des Kommunalwahlrechts für Ausländer durch Gesetz ist daher - wie wohl auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Stellungnahme im genannten Bundesverfassungsgerichtsverfahren festgestellt hat - nach geltendem Verfassungsrecht unzulässig.97 Dies wirft die Frage auf, ob sie durch eine Änderung des Grundgesetzes erfolgen oder ihr dergestalt jedenfalls der Weg bereitet werden darf. Art. 79 Abs. 3 GG bestimmt, daß eine Änderung des Grundgesetzes unzulässig ist, durch die die in Art. 20 GG oiedergelegten verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen berührt werden. Geht man davon aus, daß nur die "prinzipielle Preisgabe" der Grundsätze verboten ist,98 so erscheint die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Ausländer im Wege der Verfassungsänderung nicht ausgeschlossen.99 Es wird jedoch auch eine Verfassungsänderung mit dem Hinweis, daß damit das Prinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG "berührt" werde, als unzulässig angesehen.100
95 Daraus wird gefolgert, daß in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG bzw. nur in Art 28 Abs. 1 S. 2 GG nicht nur das deutsche Volk gemeint ist. So etwa Zuleeg, DÖV 1973, 361 (370); den., ZAR 1988, 13 (14); den., KritV 1987, 322 (324) einerseits und Schmidt-lortzig, (Fn. 13), Rn. 65 f.; Roten, in: v. Münch, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 1983, Art. 28 Rn. 22 andererseits. 96 So auch Behrend, DÖV 1973, 376 f.; Ruland, JuS 1975, 9 (12); Böcker, StädteT 1980, 228; Scholz, Jura 1980, 583 (588 ff.); Quaritsch, DÖV 1983, 1 ff.; Schild, DÖV 1985, 664 (669 ff.); Papier, KritV 1987, 309 ff.; Isensee, KritV 1987, 300 f.; Schink, DVBI. 1988, 417 (420 ff.); Bleckmann, DÖV 1988, 437 (439); Erlenkämper, NVwZ 1988, 21 (29); Eh/en, Jura 1988, 337 (338); Kiimper, ZRP 1989, 96 ff; Huber, DÖV 1989, 531 (532 ff.). AA. etwa außer den in Fn. 95 Genannten Breer, (Fn. 86), S. 118 ff. 97 Vgl. Kmpen , NJW 1989, 1015 f.; vgl. auch Erichsen, Jura 1988, 636 (637 f.). Dies gilt auch für EG-Ausländer. Das aus Art. 7 EWG-Vertrag folgende Diskriminierungsverbot steht nicht entgegen; vgl. insoweit BVerwG, NJW 1985, 1300. 98 Vgl. BVerfGE 30, 1 (24); Bryde, in: v. Münch, GG, Bd. 3, 2. Aufl. 1983, Art. 79 Rn. 28 m.w.N. AA. Erichsen, (Fn. 94), S. 19 ff. 99 So Schink, DVBI. 1988, 412 (426) m.w.N. in Fn. 100; im Ergebnis auch Stern, (Fn. 42), § 10 II 8 b m.w.N.; Evm, in: BK, Art. 79 III, Rn. 185; Ehlen, Jura 1988, 337~338). Vgl. auch die Nachweise bei Schild, DÖV 1984, 664 (669 Fn. 54). 1 So Böcker, StädteT 1980, 228 (230); Kiimper, ZRP 1989, 96 (99); im Ergebnis auchB/eckmann, DÖV 1988, 437 (442); Stober, Komrnunalrecht, 1987, S. 59 f.; Huber, DÖV 1989, 531 (536).
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Angesichts des erwähnten Richtlinienvorschlags der Kommission stellt sich die Frage, ob ein auf EG-Bürger beschränktes kommunales Ausländerwahlrecht durch Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaft eingeführt werden darf.101 Das setzt das Bestehen einer diesbezüglichen Verbandskompetenz der Europäischen Gemeinschaft voraus. Die Kommission hatte im Jahre 1975 noch ausgeführt, daß "es in den Gemeinschaftsverträgen keine Vorschrift gibt, die schon heute eine Aktionsmöglichkeit im Bereich politischer Rechte verleiht", daß auch Art. 235 EWGV insoweit nicht in Betracht komme.102 Heute vertritt sie ausgehend von der Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte, wonach die Mitgliedstaaten entschlossen sind, "gemeinsam für die Demokratie einzutreten", die Ansicht, Art. 235 EWGV komme als Grundlage in Betracht. Diese Vorschrift räumt dem Rat der Gemeinschaft die Befugnis ein, einstimmig die geeigneten Vorschriften zu erlassen, wenn ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen und im Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen sind. Folgt man dieser Auffassung, die sich in das immer deutlicher werdende expansive Kompetenzverständnis der Kommission nahtlos einfügt/03 so stellt sich die Frage, ob dieses Kompetenzverständnis noch von dem nach Art. 24 Abs. 1 GG erlassenen Zustimmungsgesetz gedeckt ist. Das Bundesverfassungsgeriche04 vertritt die Ansicht, Art. 24 Abs. 1 GG ermächtige nicht dazu, die "Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in ihr Grundgefüge, in die sie konstituierenden Strukturen aufzugeben".105 Eine verbreitete Literaturmeinung betrachtet Art. 79 Abs. 3 GG als verfassungsrechtliche Grenze der Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 1 GG.106 Auch für den einfachen Gesetzgeber des Art. 24 Abs. 1 GG müßten nach dem Grundsatz
101 Eine andere Frage ist, ob der EG-Vertrag die Einflihrung eines kommunalen Wahlrechts flir EG-Bürger verlangt; dazu Bleckmann, DÖV 1988, 437 (444). 102 Vgl. dazu de Lobkowicz, DÖV 1989, 519 (524). 103 Ablehnend Doehring, in: FS flir Kutscher, 1981, S. 109 (110 f.). Bejahend Schink, DVBI. 1988, 412 ( 426); Magiera, DÖV 1987, 221 (229 f.). 104 BVerfGE 37, 271 (279 f.); 58, 1 (30 f.); 73, 339 (375 f.); dazu Erichsen, JK 87, GG Art. 24/1. los BVerfGE 37, 271 (279 f.); 58, 1 (30 f.); 73, 339 (375 f.). 106 Dön-, NWVBL 1988, 28; Falkejloerges, DVBI. 1987, 1052; Maidowski, JuS 1988, 118; Ress, EuGRZ 1986, 554; Rojahn, in: v. Münch, GG, 2. Aufl. 1983, Art. 24 Rn. 39; Schwan, HH, Die deutschen Bundesländer im Entscheidungssystem der Europäischen Gemeinschaften, 1982, S. 68; Stern, (Fn. 42), S. 535 ff; Tomuschat, in: BK, Art. 24 Rn. 28 ff.
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a maiore ad minus die dem Gesetzgeber bei Verfassungsänderungen auferlegten Schranken des Art. 79 Abs. 3 GG gelten.107 Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher des ausdrücklichen Hinweises auf Art. 79 Abs. 3 GG als Grenze einer Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 1 GG enthalten. Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Normzweck des Art. 24 Abs. 1 GG lassen durchaus die Frage zu, ob angesichts des in dieser Vorschrift und in der GrundgesetzPräambel ausgewiesenen Integrationsziels nicht auch eine Abweichung von nationalen organisatorischen Verfassungsstrukturen als zulässig angesehen werden muß.
VI.
Die kommunale Aufgabenerfüllung ist zwischenzeitlich vielfältigen europarechtliehen oder auf Europarecht beruhenden Bindungen und Vorgaben unterworfen. Buroparechtliche Vorgaben für die Kommunen bestehen etwa hinsichtlich der Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern sowie der Arbeitsbedingungen, im Hinblick auf Maßnahmen der Wirtschaftsförderung oder die Vergabe öffentlicher Aufträge. Damit ist indes nur der Anfang einer Entwicklung beschrieben. Der Anteil der Gesetze, die mittelbar oder unmittelbar europäischen Ursprungs sind, wächst stetig.108 Daher wird zunehmend die Befürchtung geäußert, daß die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften im weiteren Verlauf der europäischen Integration zunehmend an Bedeutung verlieren könnten.u19 Als Ausgangspunkt solcher Entwicklungen wird zum einen die Okkupation von Kompetenzen der Bundesländer durch die Gemeinschaft genannt. Sie könnte dazu führen, daß die Bundesländer künftig vermehrt versuchen werden, eigene Verluste durch den hochzonenden Zugriff auf den Aufgabenbestand der Kommunen zu kompensieren.110 Gefahren für die kommunale Selbstverwaltung könnten aber auch dann entstehen, wenn die Gemeinschaft selbst künftig stärkeren Einfluß auf die interne Organisation ihrer Mitgliedstaaten nähme. Betrachtet man die gegenwärtigen Entwicklungen, so könnten insofern künftig insbesondere Verwaltungseinheiten regionalen Zuschnitts Bedeutung erlangen. Daß die Stern, (Fn. 42), S. 535 ff. Siedentopf, DÖV 1988, 981 (984). 109 Vgl. Leidinger, Eildienst LK.T 1989, 363, (365); ders., in: Erichsen, (Fn. 24), S. 99 f.d Laux, in: Erichsen, (Fn. 24), S. 96 f. 11 Vgl. dazu Leidinger, Eildienst LK.T 1989, 363 (365). 107
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regionale Ebene bereits jetzt europaweit an Bedeutung gewinnt, zeigt insbesondere die neue Regionalförderungspolitik der Gemeinschaft. Manches deutet darauf hin, daß sie auf längere Sicht auf die Organisationsstrukturen der Mitgliedstaaten Einfluß gewinnen wird. Erst kürzlich hat das Europäische Parlament eine Entschließung zur Regionalpolitik der Gemeinschaft und Rolle der Regionen gefaßtm, in der es die Bedeutung der Regionen für die wirtschaftliche und soziale Integration betont. Es fordert hierin die Mitgliedstaaten auf, ihre inneren Strukturen zu regionalisieren. In einer als Anlage zu dieser Entschließung ergangenen "Gemeinschaftscharta der Regionalisierung" werden die aus Sicht des Europäischen Parlaments zu beachtenden Vorgaben hinsichtlich der Organisation, der Befugnisse und der Finanzausstattung der regionalen Ebene konkretisiert. Angesichts der geschilderten Entwicklungen wird die Frage diskutiert, ob bzw. inwieweit die Gemeinschaftsrechtssetzung ihrerseits durch die Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 GG begrenzt ist. Unter Bezugnahme auf die bereits erwähnte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist versucht worden, diese Garantie den identitätsbestimmenden Strukturmerkmalen der durch das Grundgesetz konstituierten Verfassungsordnung zuzurechnen und dergestalt eine Grenze des Zustimmungsgesetzes und damit für die Gemeinscbaftsrechtsetzung zu begründen.112 Es ist indes nach dem bereits Gesagten sehr zweifelhaft, ob die Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung als "europafest" angesehen werden kann. Vielmehr spricht manches dafür, daß Art. 28 Abs. 2 GG die Recbtsetzungsbefugnis der Gemeinschaft nicht begrenzt. Daher kommt der Forderung nach Verankerung einer Garantie kommunaler Selbstverwaltung in einer europäischen Verfassung113 besonderes Gewicht zu. Es wäre allerdings eine Illusion zu glauben, die kommunale Selbstverwaltung bundesdeutschen Zuschnitts könne unbescbadet in ein künftiges, geeintes Europa hinübergerettet werden.114 Es wird auch nicht darum geben können, die sieb abzeichnende Regionalisierung der Gemeinschaft zu verhindern, sondern allein darum, den Aufgabenbestand der Kommunen so weit wie möglich vor dem hochzonenden Zugriff zu bewahren. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der zweckmäßigsten Organisation einer eventuell zu schaffenden regionalen Ebene. Es sind seit einiger Zeit Bestrebungen der Länder, sieb der Gemeinschaft gegenüber als Rem ABI. Nr. C vom 19.12.1989, S. 289 ff. Mombaurjv.Lennep, DÖV 1988, 988 (991). 113 Vgl. Knemeyer, DÖV 1988, 997 (1001). 114 Vgl. Laux, in: Erichsen, (Fn. 24}, S. 97.
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gionen darzustellen, zu registrieren. So ist darauf hinzuweisen, daß die Bundesländer in dem unlängst gegründeten Beirat der lokalen und regionalen Gebietskörperschaftenm zwei der sechs auf die Bundesrepublik entfallenden Sitze besetzen. Es ist demgegenüber geltend gemacht worden, daß die Länder wegen ihres Gebietszuschnitts, insbesondere aber auch wegen ihrer Staatsqualität mit den Regionen anderer Mitgliedstaaten nicht vergleichbar seien.116 Aus europarechtlicher Sicht sind insofern keine präzisen Vorgaben erkennbar. Die bereits erwähnte, ohnehin unverbindliche Entschließung des Europäischen Parlaments etwa geht von einem weiten Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten aus. Hieran gemessen kommen die Bundesländer als künftige regionale Verwaltungseinheiten in Betracht. Ob damit den Anforderungen dezentraler Aufgabenerledigung auch in den größeren Flächenstaaten optimal entsprochen wäre, muß geprüft werden. Der Rahmen alternativer Möglichkeiten reicht von einem weiteren Anlauf zur Neugliederung des Bundesgebietes bis zum Konzept einer bürgernahen Aufgabenerledigung auf regionaler Ebene durch kommunale Selbstverwaltungskörperschaften regionalen Zuschnitts, also höhere Kommunalverbände. Solche Organisationseinheiten bestehen derzeit nur in einem Teil der Bundesländer. Ihr Gebietszuschnitt orientiert sich im allgemeinen an einer historisch gewachsenen Zusammengehörigkeit bestimmter Bevölkerungsgruppen.117 Die Kompetenzausstattung, insbesondere aber auch die fmanzielle Ausstattung solcher Kommunalverbände ist im einzelnen sehr unterschiedlich ausgestaltet. Die stärkste Ausprägung regionaler Selbstverwaltung fmdet sich in Nordrhein-Westfalen mit den Landschaftsverbänden Westfalen-Lippe und Rheinland. Der Aufgabenbestand dieser Organisationseinheiten ergibt sich zwar nicht wie der von Gemeinden und Kreisen aus einer gebietsbezogenen Universalzuweisung. Gleichwohl umfaßt der ihnen enumerativ zugewiesene Aufgabenkatalog im wesentlichen all diejenigen Angelegenheiten, die sinnvollerweise durch einen Selbstverwaltungsträger regionalen Zuschnitts wahrgenommen werden.118 Es wird zu bedenken sein,
Vgl. den Beschluß der Kommission vom 24.6.1988, ABI. Nr. L 247/23. Vgl. Leidinger, Eildienst LKT 1989, 363 (365 f.); Präsidium und Hauptausschuß der deutschen Sektion des Rates der Gemeinden Europas, nds StädteT 1989, 156. ll7 Vgl. Meyer-Schwickerath, in: FS für v. Unruh, 1983, S. 439 ff. 118 Vgl. Erichsen, (Fn. 1), S. 262 f.; Hoppe, Die Begriffe Gebietskörperschaft und Gemeindeverband und der Rechtscharakter der nordrhein-westfälischen Landschaftsverbände, 1958, S. 74, 109. 115 116
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ob in solchen bewährten Einrichtungen nicht gegebenenfalls bereits eine ausbaufähige Grundlage für eine Regionalisierung vorhanden ist.119
119 Vgl. - hinsichtlich der bayerischen Bezirke - die von Kraus zitierten Äuß~ rungen Simnachers, BayBgm 1989, 251 (253 f.); zurückhaltender die Äußerungen Stoibers, ebd.
Die Finanzen der Gemeinde. Anforderungen und Entwicklungslinien Von Horst Zimmermann
Unter dem Oberthema "Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung" sollen in diesem Beitrag Fragen der gemeindlichen Finanzen in der Weise abgehandelt werden, daß Anforderungen an Gemeindefmanzen formuliert und zukünftige - wahrscheinliche wie wünschenswerte - Entwicklungslinien der Kommunalfmanzen aufgezeigt werden. Ehe dazu im zweiten Teil des Beitrags die einzelnen Bereiche der Kommunalfmanzen angesprochen werden, also Aufgaben und Ausgaben einerseits und Einnahmen andererseits, werden in einem ersten Teil zunächst einige übergreifende Überlegungen zur Position der Gemeindeebene schlechthin angestellt.
I. Die Gemeindefinanzen vor dem Hintergrund des föderativen Systems 1. Zur Relevanz einer Gemeindeebene im Staatsaufbau Die Frage, warum und ggf. in welchem Umfang im Aufbau eines Staatswesens eine eigenständige Gemeindeebene wünschenswert erscheint, ist zwar grundsätzlich Gegenstand anderer Beiträge, insbesondere des vorangehenden. Zumindest zwei Aspekte sind mit Blick auf die nachfolgenden Überlegungen aber vorweg anzusprechen. Als erster Aspekt sei der Sachverhalt hervorgehoben, daß die Bürger der Bundesrepublik Deutschland in den vergangeneo 25 Jahren, nachdem Picht zuvor "die Bildungskatastrophe" umschrieben hatte, im Durchschnitt weitaus mehr Ausbildung erhalten haben als je zuvor. Eine der Folgen dieser Entwicklung ist, daß die Bürger einerseits zu mehr Mitsprache und Mitverantwortung in der Lage und auch bereit sind und im übrigen hierzu auch von vielen Seiten aufgefordert werden und daß sie andererseits zugleich gegen eine große und vor allem ferne Bürokratie eingestellt sind, weil dieser
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eine weitgehend unkontrollierte Eigendynamik zugesprochen wird. Beide Elemente deuten darauf hin, daß die Chancen für eine gemeindliche Selbstverwaltung deutlich besser sein müssen als früher. Daraus ist die Forderung abzuleiten, daß die öffentliche Verwaltung und die damit verbundene Erfüllung öffentlicher Aufgaben möglichst bürgernah erfolgen sollte und daß, um den Bereich der Finanzen heranzuziehen, auch die öffentlichen Finanzen in einer Weise gestaltet werden, daß die Bürger örtlich über lokale Aufgaben und daraus resultierende Ausgaben frei entscheiden können, sie zugleich aber nach dem Prinzip der "fiskalischen Äquivalenz"1 auch örtlich fmanzieren müssen. Mit fiskalischer Äquivalenz bezeichnet man den Tatbestand, daß eine öffentlich zu erfüllende Aufgabe im födertiven Aufbau so organisiert sein soll, daß sich der Nutzerkreis, der Kreis der Finanzierenden und der Kreis der über diese Aufgabenerfüllung und ihre Finanzierung Entscheidenden soweit wie möglich decken. Dazu ist beispielsweise eine merkliche Finanzierung erforderlich, um die immer unendlichen Ausgabenwünsche mit den immer begrenzten Einnahmemöglichkeiten in einem Abwägungsprozeß zur Deckung zu bringen. Dezentralisierung scheint also gefragt zu sein. Diese Vermutung wird auch dadurch unterstützt, daß zwei - an sich konträre - politische Strömungen die Notwendigkeit zusätzlicher Dezentralisierung betonen.2 Von eher links-alternativer Seite wird mehr "Basisdemokratie", "Partizipation" usf. gefordert, was sich am besten auf kommunaler Ebene realisieren läßt. Aus eher liberaler bis konservativer Sicht wird Dezentralisierung unter ganz anderen Vorzeichen präferiert. Zum einen wird sie als Möglichkeit gesehen, im staatlichen Bereich Machtbegrenzung zu erreichen, zum anderen erhofft man über ein Mehr an Dezentralisierung eine Efftz.ienzsteigerung im öffentlichen Sektor. Das letztere Argument leitet zu dem zweiten Aspekt über. Als zweite Auffälligkeit in der Diskussion um die Bedeutung einer Gemeindeebene im Staatsaufbau sei hier darauf verwiesen, daß offensichtlich in den letzten fünf bis zehn Jahren die Bedeutung der Gemeinde für die Wirtschaft und insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung klarer erkannt wurde als zuvor.
1 0/son, M, Das Prinzip "fiskalischer Gleichheit": Die Aufteilung der Verantwortung zwischen verschiedenen Regierungsebenen, in: Kirsch, G., (Hrsg.), Föderalismus, Stuttgart und New York 1977, S. 66 ff. 2 Vgl. hienu Postlep, R.-D., Gesamtwirtschaftliche Analyse kommunaler Finanzpolitik, Habilitationsschrift, Marburg 1990, Manuskript, S. 1.
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Dazu sei eine Erfahrung von der Tagung der Apgio-German Foundation in Bonn im September letzten Jahres wiedergegeben. l>iese Tagung handelte von gemeindlichen Entwicklungsbemühungen. Im Laufe der Diskussion wurde von englischer Seite mehrfach Erstaunen über das Ausmaß des Interesses deutscher Gemeinden an unternehmenscher Aktivität ~eäußert, und der Wunsch war unverkennbar, eine solche Entwicklung möge s1ch auch in Großbritannien anbahnen. Insbesondere in Regionen mit Umstrukturierungserfordernissen - altindustrialisierte Regionen, aber auch Räume mit starkem Entwicklungsdruck erkannte man in Großbritannien an vielen Steilen ein DefiZit beim Mitwirken der Gemeinden und schrieb dies u.a. dem Tatbestand zu, daß Gemeinden in Großbritannien über ihre Steuereinnahmen kaum mit der wirtschaftlichen Aktivität der Unternehmen verbunden sind.
Daraus läßt sich ebenfalls eine Anforderung an die Gemeindefmanzen ableiten, auf die weiter unten zurückzukommen sein wird.
2. Die Bedeutung der Finanzen für die Autonomie der Gemeinden Es ist ein seit langem akzeptierter Tatbestand, daß die Autonomie einer Gemeindeebene in erheblichem Maße von der Autonomie im Finanzbereich bestimmt wird. Diese Bedeutung ist eigentlich auf der Gemeindeebene im Vergleich zu Land und Bund sogar am größten, denn die Gemeinde erfüllt ihre Aufgaben in besonderem Maße "ausgabenintensiv"4 , d.h. sie bedient sich zur Erfüllung der Aufgaben weniger der Gesetzgebung als der Finanzströme, insbesondere der Ausgaben. So tätigen die Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen, was bereits ein Indiz für die Rolle der Finanzen bei der Aufgabenerfüllung ist. Im Grundgesetz hat dieser Tatbestand auch Beachtung gefunden. Artikel 28 GG allerdings enthält hierzu noch nichts. Dort erfolgt die Absicherung der Gemeindeebene ohne einen spezifizierten Aufgabenkatalog und ohne Finanzbezug. Daher ist auch die Erosionsgefahr auf der Ausgabenseite wie noch zu erörtern sein wird - besonders groß. Dennoch ist mit Blick nur auf Art. 28 mit Recht die These aufgestellt worden, daß die deutschen Gemeinden im Vergleich der Mitgliedsländer der EG den höchsten Autonomiegrad aufweisen.5 Um so auffälliger ist, daß über den Art. 28 hinaus in Art. 106 GG zusätzlich die Finanzausstattung garantiert wird, und dies sogar der Art nach, weil bestimmte Steuerarten aufgeführt sind.
3 Bennett, R. l., (Hrsg.), Local Economic Development in Britain and Germany, London 1990. 4 Zimmemtann, H, Finanzarchiv, N.F., Bd. 32,1973/74, 1 ff. s Lange, H-G., StädteT 1989,259.
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Mit Blick auf die wünschenswerte Dezentralisierung, die eingangs beschrieben wurde, ist an die Ausgestaltung der Kommunalverfassung die Forderung zu richten, die bestehende Finanzautonomie mindestens zu erhalten. Bei der konkreten Ausgestaltung ist dann der vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium aufgestellte Grundsatz der Wahrung des Interessenausgleichs zu beachten.6 Der Beirat versteht darunter, daß beispielsweise bei der Gestaltung der kommunalen Steuern gesichert sein soll, daß die Gemeinde sowohl mit den privaten Haushalten als auch mit den privaten Unternehmen über gewichtige - man könnte hinzufügen merkliche - Steuern verbunden ist, um eine Ausbeutung der einen durch die andere Gruppe zu verhindern. Gerade dieser Bezug wurde auf der genannten Tagung der Anglo-German Foundation häufig angesprochen, weil durch die Gemeindefinanzreform in England der Bezug zu den Unternehmen praktisch völlig entfällt. Bis zu diesem Punkt wurde stark ökonomisch argumentiert. Dies geschah nicht nur wegen der Arbeitsteilung zwischen den Referaten, sondern weil die Diskussion über Für und Wider des Föderalismus seit etwa 19727 in besonderem Maße mit ökonomischen Argumenten geführt worden ist. Dennoch wäre eine rein ökonomische Argumentation hier und im folgenden sicherlich zu eng. Als Beispiel sei die englische poll tax heran~ezogen . Wenn man sie lediglich ökonomisch betrachtet, weist sie einige Vorteile auf. Als Kopfsteuer gehen von ihr keine Effizienzeffekte aus, jedenfalls nicht, soweit man unterstellen kann, daß die gemeindychen Kosten pro Kopf im Vergleich der Gemeinden annähernd gleich sind. Auch sind in übergreifender Sicht die regressiven Effekte einer Kopfsteuer dann wenig problematisch, wenn man davon ausgehen kann, daß eine nationale Einkommensteuer und das nationale System der Sozialausgaben ausreichend redistributiv ausgestaltet sind, um eine regressive gemeindliche Einkommensteuer zu kompensieren. Und in jedem Fall bedeutet eine nennenswert hohe Kopfsteuer, daß alle Bürger der Gemeinde spürbar zum Gemeindehaushalt beitragen und von daher Interesse an der sinnvollen Verwendun~ der Ausgaben, an einer Kontrolle der Verwaltung usf. entwickeln. Ein ähnlicher Gedanke liegt z.B. auch einem Kirchgeld zugrunde, wie es in der evangelischen Kirche diskutiert und häufig üblich ist in dem Sinne, daß ein - allerdmgs kleiner - Betrag von jedem Gemeindemitglied an die eigene Gemeinde ~ezahlt werden muß, auch dann, wenn beispielsweise keine Lohnsteuer und danut auch keine Kirchensteuer fällig ist. Wenn also die poll tax unter ökonomischen Aspekten bei entsprechender Ausgestaltung durchaus akzeptabel erscheinen könnte, so hat sie doch politisch ihre eigene Problematik. Diese rührt nicht zuletzt daher, daß in einer Gemeinde arme und reiche Nachbarn die gleiche - und 6 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten zur Reform der Gemeindesteuern in der Bundesrepublik Deutschland, in: ders., Gutachten und Stellungnahmen 1974-1987, Tübingen 1988, S. 382 ff. 7 Oates, W E., Fiscal Federalism, New York 1972. 8 Vgl. ausfUhrlieh King, D., Fiscal Tiers. The Economics of Multi-Level-Government, London 1984.
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zwar erhebliche - Summe zu zahlen haben, was als sozial ungerecht empfunden wird. - Dieses Problem wird im übrigen nur deshalb virulent, weil eine Steuer in erheblicher Höhe vorliegt. Allgemein scheint es so zu sein, daß gemeindliche Abgaben, die sich der Art nach durchaus als gemeindliche Einnahmequelle eignen, ab einer gewissen Höhe wiederum als politisch problematisch erscheinen. Neben der englischen Grundsteuer bzw. Grundvermögensteuer, den 'rates', ist sicherlich die amerikanische 'property tax' in vielen Einzelstaaten der USA hierfür ein Beispiel. Zu den kaliforniseben Steuermaßnahmen im Gefolge der Volksbefragung ('Proposition 13') wäre es sicherlich nicht gekommen, wenn diese an sich für Gemeinden durchaus geeignete Steuer nicht über die Jahre eine solche Dimension angenommen hätte, daß sie in vielen Fällen als wenn nicht existenzbedrohend, so doch jedenfalls als das Wohnhaus bedrohend empfunden worden wäre. Mit diesem Beispiel aus der gemeindlichen Besteuerung sei zugleich zu den Einzelbereichen der Gemeindefmanzen übergeleitet.
II. Bereiche der Gemeindefinanzen Anforderungen und Entwicklungslinien 1. Aufgaben und Ausgaben a) Aufgabenbestand der Gemeinden Wenn man den systematischen Teil einer Erörterung der Gemeindefinanzen mit dem Aufgabenbestand der Gemeinden beginnt, so könnte dies den Eindruck erwecken, daß insoweit das Thema verfehlt wurde. Direkten Finanzbezug haben in diesem Diskussionsbereich nur die Ausgaben, nicht aber die Aufgaben und damit der Aufgabenbestand. In der erwähnten ökonomischen Theorie des Föderalismus bzw. des Fiskalföderalismus bilden die Aufgaben aber den konstitutiven Teil, mit dem die Überlegungen zu Vor- und Nachteilen des Föderalismus zunächst bestritten werden. Auch in den einschlägigen Lehrbüchern der Finanzwissenschaft fmden sich, soweit ein Kapitel über den Finanzausgleich enthalten ist, darin üblicherweise zunächst längere Ausführungen zu den Aufgaben als solchen. Das gewichtigere Argument für die Behandlung auch der Aufgaben im Rahmen dieses Beitrags ist aber darin zu sehen, daß im Gesamtkomplex der Gemeindefmanzen es allem Anschein nach die Aufgabenerfüllung ist, bei der die Hauptverschiebung zu Ungunsten der Gemeinden in den vergangeneo 40 Jahren zu beobachten ist. Hingegen hat sich der Anteil der Ausgaben der Gemeinden am öffentlichen Gesamthaushalt nur geringfügig verändert; so war er beispielsweise 1965 und 1984 mit 23,8% bzw. 23,9%
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praktisch gleich.9 Die Gründe für die Verschiebung der Kompetenzen weg von der Gemeinde sind vielfältiger Art. Im vorangehenden Beitrag wurde auf die "hochzonenden gesetzgebefischen Zugriffe" verwiesen. Sie drücken sich in zahlreichen Vorschriften für einzelne Aufgabenfelder oder auch Teilausgaben aus, und manchmal kann man sie an der Erhöhung des Pflichtigkeitsgrades festmachen, nach dem sich die gemeindlichen Aufgaben einteilen lassen.10 Ein wesentliches Einfallstor bilden auch die Zweckzuweisungen, d.h. die Zunahme der lenkenden übergeordneten (Mit-)Finanzierung (s.u.). Bei einer solchen Entwicklung im Aufgabenbestand könnte im Extremfall bei gleichem Ausgabenanteil die Selbstbestimmung bei den Aufgaben gegen Null gehen, d.h. die Entwicklung der Ausgaben darf nie ohne die Tendenzen bei den Aufgaben interpretiert werden.
b) Ausgewählte Ausgabenprobleme Aus den zahlreichen Fragestellungen, die auf der Ausgabenseite des gemeindlichen Haushalts hier angesprochen werden könnten, seien nur zwei herausgegriffen. Unbehandelt bleiben beispielsweise die starken Verschiebungen im Anteil der Investitionen an den gemeindlichen Ausgaben oder auch die Entwicklung des Personalbestandes und damit der Personalausgaben im Zeitablauf und zwischen Gemeinden unterschiedlichen Typs.
aa) Sozialhilfeausgaben Bei einer Befragung, welches Ausgabenproblem derzeit und in naher Zukunft die Gemeinden in besonderem Maße bewegt, würden sicherlieb die Sozialhilfeausgaben an erster Stelle genannt. Ihr enormer Anstieg über die letzten Jahre, mit besonderer Problematik für eine Reihe größerer Städte, ist unverkennbar.n Hier sind besondere Bedarfe aufgetreten, und von 9 Zimmermann, H, Der Zusammenhang von Aufgaben- und Ausgabenverteilung, in: Institut für Kommunalwissenschaften, (Hrsg.), Dezentralisierung des politischen Handeins (III), Melle 1987, S. 114. 10 Postlep, R.-D., Die Einbindung der gemeindlichen Finanzwirtschaft in den föderativen Staatsaufbau, in: Zimmennann/Hardt/Postlep, Bestimmungsgründe der kommunalen Finanzsituation, Schriftenreihe der Gesellschaft für Regionale Strukturentwicklung, Bd. 15, Bonn 1987, S. 24 ff. n Siehe etwa Kmrenberg/Münstermann, Gemeindefmanzbericht 1990, StädteT 1990, 114 ff.
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daher könnte man zunächst daran denken, mittels einer besseren Bedarfsabschätzung im kommunalen Finanzausgleich das Problem zu lösen. Wahrscheinlich muß eine Betrachtung dieses Problemkreises aber etwas grundsätzlicher ansetzen. Vermutlich ist die erwähnte fiSkalische Äquivalenz hier nicht angemessen realisiert. Art und Umfang der Aufgabenerfüllung wurden seit langem durch das Bundessozialhilfegesetz und seine Vorläufer geregelt, also weitestgehend durch eine bundesgesetzliche Vorschrift, die von der Gemeinde nur in gewissem Rahmen, insbesondere im Sinne zusätzlicher Leistungen, varüert werden konnte. Ein Indiz dafür, daß die fiSkalische Äquivalenz hier nicht angemessen gewährleistet war, kann man in der Diskussion um das Strukturhilfegesetz sehen. Anlaß für die Debatte gab der Vorstoß des Landes Niedersachsen, dem sich einige andere Bundesländer anschlossen und der noch eindeutig mit dem Tatbestand der Sozialhilfeausgaben der Gemeinden verknüpft war.12 Aus den verschiedensten Gründen wurde diese offene Lösung nicht gewollt und stattdessen im Wege des Strukturhilfegesetzes13 etwas Analoges simuliert. Nun gibt es also zum Teil eine - wenn auch nicht direkt hiermit verbundene - Bundeszahlung zu den durch ein anderes Bundesgesetz veranlaßten Zahlungen. Die Alternative hätte darin bestanden, den Gemeinden im Bereich der Sozialhilfeausgaben einen größeren Entscheidungsspielraum zu geben, also beispielsweise sie auch über den Zugang zu den Leistungen und nicht nur über die Höhe der Zahlung entscheiden zu lassen. Während sonst in diesem Beitrag häufig für weitergehende Dezentralisierung plädiert wird, scheint es aber in diesem vielleicht sensibelsten Bereiche der öffentlichen Sozialausgaben kaum denkbar zu sein, den Gemeinden eine sehr viel weiter gehende Aufgabenkompetenz zu geben. Von daher ist die Richtung, in die das Strukturhilfegesetz führte, wohl richtig. Eine offenere Lösung im Sinne einer deutlichen Mitfmanzierung des Bundes wäre aber angemessener gewesen.14
12 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes und des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, BR-Drucks. 124(88 vom 173.1988. 1 Strukturhilfegesetz, BGBI. I vom 20.12.1988. 14 Eine volle Finanzierung durch den Bund wäre schon deshalb nicht ratsam, weil für die Gemeinden dann die Anreize reduziert würden, die Ursachen der Sozialhilfebedürftigkeit anzugehen, also etwa im Wege der gemeindlichen Entwicklungspolitik und Wirtschaftsförderung zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen.
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bb) Erhaltungszustand der kommunalen Infrastruktur Während die Sozialhilfeausgaben ein sichtbares und quantitativ genau umschreibbares Problem auf der Ausgabenseite der Gemeindehaushalte darstellen, gibt es ein anderes erhebliches Problem, das gerade durch seine bisher völlig unzureichende Quantiflzierung auffällt. Es handelt sich um die Frage, in welchem Ausmaß in der gemeindlichen Infrastruktur (Kanalisation, Straßen-, Brücken-, Hochbauten usf.) in den vergangeneo Jahrzehnten an sich erforderliche Erhaltungsmaßnahmen nicht ergriffen wurden und von daher zusätzliche latente Ausgabenerfordernisse entstanden sind. In Untersuchungen des Deutschen Instituts für Urbanistik ist bereits deutlich geworden, daß gemessen am bisherigen Erhaltungsaufwand wahrscheinlich erhebliche Lücken existieren.15 Es wäre wichtig zu wissen, wie sich mit Blick auf den tatsächlichen Erhaltungszustand der Infrastruktur, also auch in technischen Größen gemessen, die Lücken insgesamt und im Vergleich zwischen Kommunen unterschiedlicher Größe, unterschiedlicher Siedlungsstruktur usf. darstellen.16 Die Zahlen, die sich aus einer solchen Studie ergeben, sind aber mit den Zahlen zur Sozialhilfe nicht direkt vergleichbar, denn es handelt sich um Positionen, die über eine größere Zahl von Jahren abgearbeitet werden können. Gerade für die Abschätzung der erforderlichen Einnahmen über die dann folgenden Jahre ist eine genauere Kenntnis dieser Lücken im Erhaltungszustand daher unverzichtbar.
2. Die Einnahmen der Gemeinde
a) Eigene Einnahmen Für die Finanzautonomie einer Gemeinde ist auf der Einnahmenseite des kommunalen Haushalts von besonderem Interesse, wie groß der Teil der Einnahmen ist, den die Gemeinde dauerhaft aus eigenen Quellen ("revenue from own sources") erzielen kann. Hierzu zählen in erster Linie und vorab die Entgeltabgaben verschiedenster Art und sodann die Steuern. Einnahmen aus der Schuldaufnahme hingegen sind eher vorläufiger Natur. 15 ReidenbachjKühn, Die Erhaltung der städtischen Infrastruktur: Analysen Finanzbedarf - Strategien, Stuttgart 1989. 16 In der Abteilung flir Finanzwissenschaft des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften an der Philipps-Universität in Marburg wird derzeit unter Leitung des Verfassers ein Projekt bearbeitet, in dem auf der Basis einer größeren Zahl von Gemeinden ein solcher Versuch gemacht wird.
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aa) Entgeltabgaben Entgeltabgaben, also Erwerbseinkünfte, Gebühren und Beiträge, müßten eigentlich in einer grundsätzlichen Behandlung der Gemeindeeinnahmen eine, wenn nicht die zentrale Rolle spielen. Zum einen sind Gemeinde- im Gegensatz zu Landes- oder gar Bundesaufgaben den privaten Gütern (im Sinne der Theorie der öffentlichen Güter) im Durchschnitt deutlich näher und damit einer individuellen oder sogar preisähnlichen Abgeltung eher zugänglich. Zum anderen und hierdurch vielleicht mitbedingt, sind diese Einnahmearten, was oft übersehen wird, nach der Intention vieler Kommunalabgabengesetze bzw. Gemeindeordnungen eigentlich in erster Linie heranzuziehen, und erst dann sollen die entstehenden Lücken durch die übrigen Einnahmen gefüllt werden.17 Der Anteil der Gebühren und Beiträge (also ohne Erwerbseinkünfte) an den Gesamteinnahmen hat sich in den 80er Jahren von ca. 21% auf ca. 23% erhöht.18 Mit Blick auf diese Zunahme ist die Frage zu stellen, ob damit der Ausdehnungsspielraum erschöpft ist. Niedrige Kostendeckungsgrade allein sind sicherlich nicht ohne weiteres ein Indiz dafür, daß der Spielraum groß ist, denn beispielsweise wird eine 100%ige Kostendeckung aus verschiedenen Zielen heraus bei öffentlichen Museen wohl kaum gefordert werden. Jedoch ist in der fmanzwissenschaftlichen Diskussion zunehmend darauf hingewiesen worden, daß Entgeltfinanzierung erhebliche Vorteile hat. Über die Höhe des Entgelts kann Nachfrage gesteuert werden, und es läßt sich vermeiden, daß öffentliche Güter über das Maß hinaus in Anspruch genommen werden, das in Kenntnis der Kosten realisiert würde. Im Maße wie durch die verschiedenen Instrumente der Redistributionspolitik (Einkommensteuer, Sozialausgabensystem usw.) die größeren Verteilungsungerechtigkeiten beseitigt sind, und mit Blick darauf, daß die Realeinkommen nach wie vor spürbar steigen, ist so manche Begründung für einen niedrigen Kostendeckungsgrad schwächer geworden. Ob hingegen in den über Entgeltabgaben fmanzierten Aufgabenbereichen die Privatisierung erhebliche Erleichterung für den Kommunalhaushalt erbringen wird, ist nicht sicher. Volle Privatisierung mit allen Aspekten einer Aufgabe ist nur selten zu erzielen (beispielsweise bei bisher kommunal betriebenen Druckereien), denn üblicherweise sind diese Aufgabenbereiche mit erheblichen öffentlichen Auflagen versehen, die eine unbesehene 17 Vgl. etwa§ 93 Hessische Gemeindeordnung (Grundsätze der Einnahmenbeschaffung). 18 Karrenberg/Münstermann, (Fn. 11), S. 132.
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Privatisierung unmöglich machen. Andererseits lassen sich oft Teile einer Aufgabe privatisieren, so daß es statt einer vollen Privatisierung eher zu einem Verbund in der Erfüllung einer Aufgabe kommt, wie sie lange Zeit im Vordergrund der Diskussion stand.
bb) Gemeindesteuern In einem Beitrag über aktuelle und zukünftige Probleme der Gemeindefmamen hätte mancher einen Beitrag weitgehend über die Gewerbesteuerreform erwartet. Sie hat in den letzten Jahren eine besonders große Rolle in der Erörterung des deutschen Kommunalfmanzsystems gespielt, und das sicherlich zu Recht. Jedoch wäre es zu kurz gegriffen, wenn man die Beurteilung des kommunalen Finanzsystems im wesentlichen an einem solchen kurzfristigen, wenngleich sicherlich unabweisbaren Reformbedürfnis festmachen wollte. Wenn man den Zustand des kommunalen Steuersystems, wie er sich nach der grundlegenden Reform von 1969 und zahlreichen zwischenzeitliehen Eingriffen darstellt, in knapper Form umreißen wollte, so ließe sich das vielleicht wie folgt tun: 19 (1) Die Grundsteuer führt ein Schattendasein. Dies läßt sich auch so lange nicht nennenswert ändern, wie die Bewertung von Grund und Boden nicht reformiert worden ist, sei es durch eine umfängliche Neubewertung, sei es durch den Übergang zu ganz anderen Bewertungsverfahren, wie sie beispielsweise für die amerikaDisehe 'property tax' seit langem erfolgreich praktiziert werden. (2) Der Einkommensteueranteil der Gemeinden ist aufs Ganze gesehen ein brauchbarer Ansatz, so daß diese eine der beiden Säulen des kommunalen Steuersystems nicht grundsätzlich reformbedürftig erscheint, wenngleich die Frage eines kommunalen Hebesatzrechts nach wie vor offen ist (s. unten). (3) Die Gewerbesteuer ist durch die zahlreichen zwischenzeitliehen Eingriffe unhaltbar geworden, so daß eine Reform unabdingbar erscheint. Auf sie sei daher etwas genauer eingegangen.
19 Zu den folgenden Ausführungen vgl. auch Zimmennann, H, Der Gemeindehaushalt, 1988, 193 ff., wo sich für die verschiedenen Vorschläge auch die Quellen fmden.
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Die zahlreichen Vorschläge zur Reform der Gewerbesteuer, soweit sie noch ernsthaft in der Diskussion sind, kann man möglicherweise in drei Grundtypen und einen Sonderfall einteilen. Der eine Grundtyp läßt sich als Erhalt und Korrektur der derzeitigen Gewerbesteuer umschreiben.20 So kann man sich vorstellen, daß die Lohnsummeosteuer wieder eingeführt, aber dann für alle Gemeinden obligatorisch gemacht wird; sie ließe sich dann entweder über einen Hebesatzrahmen oder eine dritte Steuermeßzahl (und dann einen einheitlichen Hebesatz) einfügen. Der Kreis der Zensilen müßte deutlich (wieder) erweitert werden. Außerdem wären die Freigrenzen bzw. die Freibeträge drastisch zu senken, so daß es dann auch möglich wäre, die Steuermeßzahlen und Hebesätze abzusenken. Eine solche Steuer wäre keine ideale kommunale Unternehmenssteuer, aber zweifellos besser zu ertragen als die derzeitige Ausprägung der Gewerbesteuer. Den zweiten Typ kann man als Wertschöpfungsbesteuerung bezeichnen. Einen offenen Fall stellt die 1982 vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfmanzministerium vorgestellte Wertschöpfungsteuer dar.21 Sie soll additiv alle Komponenten der Wertschöpfung erfassen, zahlreiche weitere Zensilenkreise sollen hineingenommen werden, insbesondere die freien Berufe und auch der öffentliche Sektor, und die Steuersätze könnten entsprechend niedrig ausfallen. In seinem Gutachten zur Reform der Unternehmensbesteuerung hat der Beirat diese Position Anfang 1990 nochmals bekräftigt.22 - Einen verdeckten Fall einer Wertschöpfungsbesteuerung stellt der Vorschlag des Deutschen Städtetages von 1986 für eine "revitalisierte Gewerbesteuer" dar. Auch hier würden Löhne, Zinsen, Mieten/ Pachten und Gewinne einbezogen, allerdings soll für die ertragsunabhängigen Teile ein geringerer Ansatz bei der Steuermeßzahl erfolgen. Der Zensitenkreis soll dem der Umsatzsteuer angenähert werden und würde damit größer ausfallen als bei der derzeitigen Gewerbesteuer. - Mit einer Wertschöpfungsbesteuerung, insbesondere in der Version des Beirats, wäre zweifellos eine sehr gute Lösung für den Ersatz der derzeitigen Gewerbesteuer gefunden. Außerdem brauchten andere Steuern deshalb nicht notwendigerweise gleichzeitig reformiert zu werden. 20 Zimmennann, H, Reform des kommunalen Steuersystems, in: Institut für Komrnunalwissenschaften, (Hrsg. ), Dezentralisierung des politischen Handeins (III), S. 133 f., wo (in einem unmittelbar zutreffenden Sinne) bereits von "Revitalisierung" gesprochen wurde. 21 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, (Fn. 6), S. 394 ff. 22 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten zur Reform der Untemehmensbesteuerung, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 43, Bonn 1990, S. 43 ff.
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Horst Zimmermann
Der dritte Typ läuft auf eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer hinaus. Bei einer solchen Lösung dürfte sich ein Hebesatzrecht bei dieser Steuer selbst nicht möglich machen lassen.23 Damit ist dieser Vorschlag nur akzeptabel, wenn parallel dazu das Hebesatzrecht bei der Einkommensteuer oder eine ähnliche Lösung eingeführt würde, denn anderenfalls hätten die Gemeinden keine Steuer nennenswerten Umfangs mit einem Hebesatzrecht mehr zur Verfügung, und die kommunale Finanzautonomie wäre in einem Kernbereich getroffen. - Eine solche Lösung würde den Interessenausgleich wahren, da private Haushalte und Unternehmen weiterhin jeweils mit einer starken Steuer vertreten wären. Das Rehesatzrecht würde ebenfalls erhalten, allerdings von einer Steuer auf eine andere verlagert. Dies hätte aber wiederum den Vorteil, daß auch die Bürger der Bundesrepublik Deutschland erstmals wüßten, was sie als private Haushalte an die Gemeinde abführen. Dies weiß heute der Bürger üblicherweise nicht, allenfalls ist ihm bekannt, daß es überhaupt einen Beitrag der Einkommensteuer zum Gemeindehaushalt gibt. Für eine stärker eigenständige kommunale Einkommensbesteuerung sind mehrere Lösungen denkbar. Dabei kann man zunächst eine von den Gemeinden völlig frei konzipierte gesonderte Einkommensteuer ausschalten, denn sie würde Steuersystem und -erhebung unnötig komplizieren. Die Hauptziele der erhöhten Finanzautonomie und der Fühlbarkeit lassen sich auch mit anderen Lösungen erreichen: - Ausnutzen der seit 1969 im Grundgesetz (Art. 106 Abs. 5) verankerten Mö~ lichkeit, den Gemeinden auf den bestehenden Einkommensteueranteil em Hebesatzrecht einzuräumen. - Hebesatzrecht eines gemeindlichen Zuschlags zur Einkommensteuer (bei Wegfall des jetzigen kommunalen Einkommensteueranteils). Beide Wege sind nicht einfach zu beschreiten."' Doch zugt einen lassen sich auch weitere Varianten und vereinfachte Lösungen denk«ßl , und zum anderen wären auch Erfahrungen aus dem Ausland heranzuziehen , wo beispielsweise in den USA lo~le Einkommensteuern in verschiedener Form seit langem praktiziert werden. 23 Vgl. Rau/Rieger, Möglichkeiten einer Gemeindebeteiligung an der Umsatzsteuer, Institut flir Kommunalwissenschaften, (Hrsg.), St. Augustin 1981. "' Zu den Vorzügen und Nachteilen im einzelnen WISSenschaftlicher Beirot beim Bundesministerium der Finanzen, (Fn. 6), S. 432 ff. 25 Siehe etwa den Vorschlag des Kronherger Kreises (s. unten) oder des Landes Niedersachsen (Finanzpolitik im Gespräch, Schriftenreihe der Niedersächsischen Ministerin der Finanzen, Heft 6, März 1989, mit 2 Anlagen). 26 Vgl. etwa Reissert, B., Kommunales Hebesatzrecht zur Einkommensteuer, in: Demokratische Gemeinde: Kommunale Finanzen in der Krise, Sondernummer der Zeitschrift "Demokratische Gemeinde", 1986, S. 40 ff. v Siehe etwa Advisory Commission on Intergovemmental Relations, Studies in Comparative Federalism: Australia, Canada, the United States and West Germany, Washington 1981, S. 45.
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Als Sonderfall sei der Vorschlag des Kronherger Kreises von 1988 genannt. Er sieht eine Betriebsteuer in Form einer (subtraktiven) Wertschöpfungsteuer vor, die mit der Grundsteuer und einer Einwohnersteuer (in Höhe von 10% der Einkommensteuerschuld) in eine einheitliche Bemessungsgrundlage eingeht, auf die dann ein einheitlicher Hebesatz zu erheben ist. Dieser Vorschlag hat gewisse Vorteile, ist aber in der technischen Durchführung noch weiter zu diskutieren. Zur Reform der Gewerbesteuer insgesamt wäre festzustellen, daß durch die Denaturierung der Gewerbesteuer in den vergangeneo 20 Jahren mittelfristig ein Handlungszwang vorliegt. Die geringere Reform wäre erforderlich, wenn eine Wertschöpfungsteuer eingeführt oder die Gewerbesteuer korrigiert würde. Eine größere Reform ergäbe sich, wenn eine Umsatzsteuerbeteiligung eingeführt und gleichzeitig das Hebesatzrecht bei der Einkommensteuer, das ohnehin im Grundgesetz als Möglichkeit seit 1969 verankert ist, oder eine ähnliche Lösung realisiert würde. Beide Wege erscheinen gangbar, und es ist zu vermuten, daß in absehbarer Zeit eine Reform überhaupt erfolgen wird, auch wenn man keine Prognose zu ihrem "Wie" machen kann.
b) Öffentliche Verschuldung als Einnahmequelle Die Verschuldung ist nicht nur bei den Gemeinden nach wie vor die kontroverseste Form der Einnahmenerzielung der öffentlichen Hand. Es läßt sich argumentieren, daß in Zeiten, die unter dem Aspekt der nachfragebedingten Konjunkturschwankungen "normal" sind, und in einer normalen Situation (beispielsweise eines Bundeslandes im Vergleich mit den anderen) eine Neuverschuldung überhaupt nicht notwendig ist.28 Möglicherweise kann man bei den Gemeinden aber hier Sonderbegründungen sehen.29 Zu ihnen zählen nach wie vor die Argumente der intergenerativen Lastverteilung, auch wenn sie für die Gesamtheit der Gemeinden und bei langfristig relativ konstantem Investitionsverhalten kaum zutreffen dürften.
28 Vgl. Gandenberger, 0., Diskussionsbeitrag, in: Zimmermann, H., (Hrsg.), Die Zukunft der Staatsfmanzierung, Stuttgart 1988, S. 190. 29 Ebenda, wo die Gemeinden explizit herausgelassen wurden.
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Horst Zimmermann c) Die Zuweisungen
Zu diesem bedeutsamen Bereich der kommunalen Einnahmen seien hier nur einige Anmerkungen gemacht. Vorweg sei darauf verwiesen, daß ein Zugriff des Bundes auf die einzelnen Gemeinden im Wege der Zuweisungen durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 197530 wohl endgültig abgewehrt ist. Damit ist es beispielsweise nicht mehr möglich, daß sich das Finanzsystem der Bundesrepublik in der Weise wie etwa in den USA entwickelt, wo durch ein umfangreiches System von Bundeszuweisungen bis in die einzelne Gemeinde hinein die Vorstellungen der Zentralregierung realisiert werden können. Der kommunale Finanzausgleich in seinem Gesamtaufbau ist sicherlich nicht in Frage zu stellen. Zwar ist die leidige Frage der adäquaten Messung des Finanzbedarfs nach wie vor nicht gelöst, und die Dominanz des Bevölkerungsansatzes kann man mit Fug und Recht in Frage stellen. Von Gewicht hingegen ist aber vor allem die immer wieder zu beobachtende Nivellierungstendenz.31 Es scheint, als ob die Gemeinden erst bei Abundanz ein deutliebes Interesse an der Erzielung zusätzlicher Steuerbemessungsgrundlagen haben. Wenn volle Nivellierung eintritt, wird der Verlust an Steuerkraft weitgehend kompensiert. Nur kleine Gegenwirkungen setzen ein, beispielsweise der Tatbestand, daß ein Aufkommen, das aus einem Hebesatz jenseits des Nivellierungshebesatzes resultiert, bei den Gemeinden verbleibt. Auch ändert sich durch den verringerten Gesamtbetrag der Steuerbemessungsgrundlagen der Grundbetrag, so daß die Gemeinde wiederum ein wenig besser gestellt sein kann. Aufs Ganze gesehen sind die Nivellierungstendenzen so stark, daß sie beispielsweise die Auswirkungen des Hebesatzrecbts bei der Gewerbesteuer weitgehend kompensieren können32 und insgesamt das Wirksamwerden der ftskalischen Äquivalenz ernsthaft bedrohen. Weiterhin sind die Zweckzuweisungen als wichtiges Problem anzusprechen, auf die eingangs schon hingewiesen wurde. Hier scheinen erhebliche Gründe für die Aufgabenerosion zu liegen, denn eine nennenswerte Mitfinanzierung kann eine Gemeinde nicht ausschlagen, auch wenn ihre Prioritäten hierdurch deutlich verschoben werden. Dabei geht es nicht nur um den Tatbestand der Mitfmanzierung und die Frage, ob eine Gemeinde ein Projekt in der gleichen Dringlichkeit selbst vorangetrieben hätte. Vielmehr 30
BVerfGE 39, 96 ff., (Urteil zum Städtebauförderungsgesetz).
31 Einen Extremfall bildete Nordrhein-Westfalen, wo für das Finanzausgleichs-
gesetzeines Jahres "Übernivellierung" gerichtlich nachgewiesen wurde. 32 Wissenschaftlicher Beirru beim Bundesministeriwn der Finanzen, (Fn. 22), s. 39 f.
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unterwirft sich die Gemeinde mit dem Akzeptieren der Mitfinanzierung des Landes (wohl weniger des Bundes) häuftg sehr speziellen Anforderungen zum "Wie" des Vorhabens. Hinzu tritt, daß im Bereich der Infrastruktur die Zuweisungen nur für Investitionen getätigt werden, so daß die Gemeinde sich, durch die Verbilligung des Baus verleitet, später u.U. mit Folgelasten konfrontiert fmdet, die sie dann kaum tragen kann. Ein aufgestauter Erhaltungsaufwand bei der kommunalen Infrastruktur (s.oben II.l.b.bb) könnte seine Ursache z.T. darin haben, daß seinerzeit der Bau als ungewöhnlich billig erschien, jetzt aber die Folgekosten voll kommunal getragen werden müssen.
111. Schlußbemerkungen In diesem Beitrag ist die regionale Dimension der Gemeindefmanzen ausgespart geblieben, weil aus Platzgründen eine Begrenzung auf bestimmte Fragestellungen unerläßlich war. Zum einen wurden innerhalb der Bundesrepublik Deutschland die interkommunalen Unterschiede nicht behandelt, wie sie sich in der kommunalen Finanzsituation beispielsweise zwischen Stadt und Land, aber auch zwischen Städten bzw. Ballungsgebieten unterschiedlichen Entwicklungsstandes ergeben. Zum anderen wurden über die Bundesrepublik hinausgreifend Fragen der EG und der DDR nicht angesprochen. In der EG steht die Frage im Vordergrund, ob die deutschen Gemeinden ihre autonome Position auf Dauer halten können, doch scheinen sie hier weniger unter Druck zu sein als die Bundesländer, für die es keine vergleichbare Institution in irgend einem anderen EG-Land gibt (erst wenn Österreich beitritt, würde sich dies ändern).33 Über Gemeindefmanzen auf dem Gebiet der DDR ist angesichts der sich dort vollziehenden Änderungen derzeit nichts Sinnvolles auszusagen, solange nicht einmal die Konstitution einer Gemeindefmanzordnung erfolgt ist. Die wichtigsten Fragestellungen scheinen sich aber auch weniger auf interregionale Aspekte der Gemeindefmanzen zu beziehen als vielmehr auf das Gewicht dieser Ebene als ganzer innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Zweifellos haben die Gemeinden hier in den letzten 40 Jahren an Bedeutung eher verloren. Auch wenn in anderen Ländern ähnliche Entwicklungen zu beobachten sind, so stellt sich abschließend doch die Frage, ob man diese Entwicklung, die eher weg von der Gemeinde führt, so 33 Zimmennann, H, Die regionale Dimension des Europäischen Binnenmarktes, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Forschungs- und Sitzungsberichte, im Druck.
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Horst Zimmermann
weiterlaufen lassen will, wenn, wie eingangs ausgeführt, die Bürger zu mehr Mitwirkung vor Ort bereit und auch fähig sind. Es wäre wohl eher zu fordern, dieser Entwicklung gegenzusteuern, also beispielsweise ein Rehesatzrecht bei beiden großen gemeindlichen Steuerquellen vorzusehen, die Nivellierung im kommunalen Finanzausgleich zu reduzieren und insbesondere das Hineinreden in kommunale Entscheidungen deutlich zu reduzieren. Hier müßte eigentlich eine lohnende Aufgabe für jeden liegen, dem die Stärkung der Demokratie in einem Staatswesen, das sich in ihr erst seit vier Jahrzehnten wieder übt, am Herzen liegt.
Entwicklungstendenzen und Anforderungen an die kommunale Selbstverwaltung im Bereich der kommunalen Wirtschaft Von Peter Eichhorn
I. Selbstverwaltung und Auftragsverwaltung Die kommunale Selbstverwaltung ist ein wesentlicher Bestandteil unseres politischen und rechtlichen Lebens. Durch Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz institutionell garantiert, dient sie der dezentralen Wahrnehmung lokal oder regional begrenzter öffentlicher Aufgaben der verschiedensten Art jenseits zentraler Staatsbehörden. Träger kommunaler Selbstverwaltung sind die Gemeinden und Gemeindeverbände (Kreise, Bezirks- und Landschaftsverbände). Als rechtlich selbständige Gebietskörperschaften erledigen sie die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft bzw. des örtlichen Wirkungskreises im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung. Die Schwerpunkte dieser kommunalen SelbstvelWaltungsaufgaben liegen im kulturellen, gesundheitlichen und sozialen sowie wirtschaftlichen Bereich. Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz betrifft nicht die Erledigung staatlicher Auftragsangelegenheiten, die heute den Hauptteil kommunaler Verwaltungsarbeit ausmacht. Um es ausdrücklich hervorzuheben: Die Gemeindeve!Waltung nimmt also Selbstverwaltungsaufgaben und Aufgaben des jeweiligen Landes oder des Bundes wahr. Im Unterschied dazu ist die Gemeindevertretung (analog Kreistag, Bezirkstag und Landschaftsversammlung) nur für Entscheidungen in Selbstverwaltungsangelegenheiten zuständig. Diese Kompetenz steht ihr umfassend zu, weshalb man auch von der ,,Allzuständigkeit" der Gemeinden und der Gemeindevertretung bei der Selbstverwaltung spricht. Dem wirtschaftlichen Bereich kommunaler Selbstverwaltung widmet sich vorrangig dieser Beitrag. Er bezieht aber auch die Bereiche "Kultur" und "Gesundheit und Soziales" ein, soweit sich die Gemeinde (einschließlich der Gemeindeverbände) hier unternehmerisch betätigt. Zunächst will ich versuchen, den wirtschaftlichen Bereich zu bestimmen und abzugrenzen
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sowie seine Stellung in der kommunalen Selbstverwaltung aus institutionellökonomischer Sicht zu erklären. Anschließend werden einige ausgewählte Entwicklungstendenzen thematisiert und im Hinblick auf die kommunale Politik, Verwaltung und Wirtschaft problematisiert. Ich stütze mich dabei auf eigene Beobachtungen und Befragungen und auf Hinweise im Schrifttum.
II. Die wirtschaftliche Betätigung Unter dem wirtschaftlichen Bereich kommunaler Selbstverwaltung wird gewöhnlich die sog. wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde verstanden. Dabei denkt man im Sinne der Gemeindeordnungen an die Tätigkeit von Versorgungsunternehmen (für Strom, Gas, Fernwärme und Wasser), Verkehrsunternehmen (Eisen-, Straßen-, Berg-, Hoch-, Schnell-, U-, und Hafenbahnen, Busse, Lifte, Fähren, Flug-, See- und Binnenhäfen), Wohnungsunternehmen und Sparkassen. Aus kommunalrechtlicher Sicht stellen diese als wirtschaftliche Unternehmen bezeichneten Unternehmen den Kern der kommunalen Wirtschaft dar. Nichtwirtschaftliche Einrichtungen bzw. nicht auf wirtschaftlichem Gebiet tätig sind danach kulturelle, gesundheitliche und soziale Einrichtungen. Im Anschluß an § 67 Abs. 1 Deutsche Gemeindeordnung sehen alle Gemeindeordnungen der Länder Zulässigkeilsanforderungen für die Errichtung "wirtschaftlicher Unternehmen" oder die Beteiligung an solchen durch die Gemeinde vor. Hiernach ist ein dringender öffentlicher Zweck für die Betätigung erforderlich. Im übrigen haben Art und Umfang des Unternehmens in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf zu stehen. Da nach herrschender Auffassung der Begriff des öffentlichen Zwecks weitgehend unbestimmt ist, besitzen die Gemeinden bei gesetzeskonformem Verhalten einen weiten wirtschaftlichen Gestaltungsspielraum. Auch die kommunale Leistungsfähigkeit und der voraussichtliche Bedarf sind der Auslegung zugänglich. Durchbrechen Gemeinden bei ihrer unternehmerischen Betätigung den gesetzten Rahmen, können sie von privaten Konkurrenten nur ausnahmsweise in die Schranken verwiesen werden, denn die Gemeindeordnungen schützen Gemeinden vor Übernahme wirt~chaftlicher Risiken, nicht aber private Wettbewerber. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gilt ein Verstoß gegen die genannten Vorschriften auch
Wirtschaft
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nicht ohne weiteres als wettbewerbswidrig, selbst wenn das "wirtschaftliche Unternehmen" teilweise mit Haushaltsmitteln fmanziert wird.1 Für die weitere Betrachtung des Zusammenhangs von kommunaler Selbstverwaltung und kommunaler Wirtschaft ist es nicht nur von terminologischem Interesse, wie man kommunale Wirtschaft definiert. Die kommunalrechtliche Begriffsbestimmung im Sinne der Betätigung sog. wirtschaftlicher Unternehmen grenzt das Tätigkeitsspektrum kommunaler Wirtschaft allzu sehr ein. Wie gesagt verweist sie die Einrichtungen des Unterrichts-, Erziehungs- und Bildungswesens, der Sport-, Kranken- und Wohlfahrtspflege usw. in den Bereich der kommunalen Verwaltung zum Beispiel für "Kultur" oder "Gesundheit und Soziales". DieseAbgrenzung in eine untemehmerische Betätigung im Bereich Wirtschaft und eine Verwaltungstätigkeit im kulturellen, gesundheitlichen und sozialen Bereich steht einer unternehmerischen Erfüllung öffentlicher Aufgaben in diesen drei Bereichen entgegen. Deutlich zeigt sich das bis heute an der Amtsleitung, Verwaltungsorganisation, Finanzwirtschaft und Rechnungslegung beispielsweise von kommunalen Theatern, Volkshochschulen, Musikschulen, Museen, Krankenhäusern, Kurbetrieben, Alten- und Pflegeheimen. Sie weisen zwar infolge ihrer vollständigen oder teilweise kostendeckenden Gebührenfmanzierung Kostenrechnungen auf und werden als kostenrechnende Einrichtungen bezeichnet. Als Ämter bzw. Bruttobetriebe sind sie aber regelmäßig in die Behördenorganisation, das Dienstrecht sowie in da:s Haushalts-, Kassenund Rechnungswesen der Gemeindeverwaltung eingegliedert. Ausnahmen fmden sich in einigen Bundesländern2, wo zum Beispiel kommunalen Krankenhäusern die Eigenbetriebsform und damit eine Rechtsform zugestanden wird, die nur für "wirtschaftliche Unternehmen der Gemeinde" vorgesehen war.3
111. Merkmale kommunaler Unternehmen
Kommunale Wirtschaft läßt sich statt der juristisch bevorzugten funktionalen Abgrenzung gegenüber den Bereichen "Kultur" und "Gesundheit 1 Vgl. hierzu mit einschlägigen Nachweisen Weides, Öffentliche Unternehmen und Rechtsprechung, in: Chmielewicz/Eichhorn (Hrsg.), Handwörterbuch der Öffentlichen Betriebswirtschaft, Stuttgart 1989, Sp. 1145 (1149 f.). 2 So in Hessen (§ 102 GO), Nordrhein-Westfalen (§ 69 GO) und im Saarland (§ 83 SVG). 3 Dieser überkommenen Beschränkung folgen nach wie vor z.B. Baden-Württemberg (§ 86 GO), Bayern (Art. 80 GO) und Niedersachsen (§ 89 GO).
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und Soziales" vom ökonomischen Standpunkt aus institutionell definieren. Danach bildet kommunale Wirtschaft den Oberbegriff für kommunale Unternehmen und zwar unabhängig davon, in welchen Bereichen bzw. Branchen diese tätig sind. (Diese Begriffsbestimmung fmdet ihre Analogie in der privaten Wirtschaft als Oberbegriff für private Unternehmen.) Als kommunale Unternehmen werden die von kommunalen Körperschaften des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar getragenen Wirtschaftssubjekte verstanden, die öffentliche Aufgaben selbständig durch entgeltliche Leistungsabgabe erfüllen. Die öffentlichen Aufgaben resultieren aus ( energie-, fmanz-, gesundheits-, verkehrs-, wohnungs- u.a.) politischen Zielen bei der Deckung meist infrastruktureller Bedarfe. In Form des sog. öffentlichen Auftrags oder Leistungsauftrags werden die öffentlichen Aufgaben durch Gesetz, Verordnung, Satzung, Vertrag und anderweitig rechtlich zugewiesen oder durch die Unternehmensorgane beschlossen. Die Selbständigkeit wird durch eine organisatorische, fmanzwirtschaftliche und rechnerische Sonderstellung gegenüber dem Muttergemeinwesen gewährleistet. Sie äußert sich gewöhnlich in einem eigenen Leitungsorgan, Wirtschaftsplan und kaufmännischen Rechnungswesen. Eine öffentlichrechtliche oder privatrechtliche Verselbständigung mag die Unternehmenseigenschaft betonen, zwingend erforderlich ist sie indessen nicht, wie das Beispiel der Eigenbetriebe zeigt. Die Leistungsabgabe erfolgt entgeltlich, wobei die Preise (Tarife, Gebühren) vielfach "administriert" (gesetzlich festgesetzt, staatlich genehmigt und/oder kommunal beschlossen) werden. Soweit die Umsatzerlöse zur Finanzierung bzw. Reproduktion des Kapitals nicht ausreichen, werden zusätzlich Ausgleichszablungen, Abgeltungen, Zuschüsse usw. aus Haushaltsmitteln geleistet. Diese gemeinsamen Merkmale kommunaler Unternehmen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die kommunale Wirtschaft aus einer Vielzahl äußerst heterogener kommunaler Unternehmen besteht.4 Sie unterscheiden sich hinsichtlich Aufgabenstellung, Branchenzugehörigkeit, Rechtsform, Beschäftigtenzahl, Marktstellung, Außen- und Innenfmanzierung, Bilanzvolumen und Erfolgsausweis. Außer den herkömmlichen vier Säulen kommunalwirtschaftlicher Betätigung, den Versorgungs-, Verkehrs- und Wohnungsunternehmen und den Sparkassen, gehören zur kommunalen Wirt4 Vgl. Eichhorn, Begriff, Bedeutung und Besonderheiten der öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, in: Brede/von Loesch (Hrsg.), Die Unternehmen der öffentlichen Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, Ein Handbuch, BadenBaden 1986, S. 13 ff.
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schaftzahlreiche andere Unternehmen. Exemplarisch erwähnt seien die zu Unternehmen heranwachsenden Technologieparks, Krankenhäuser, Kurbetriebe, Alten- und Pflegeheime, Messen und Märkte, Kongreßzentren, Stadthallen, Parkhäuser, Theater, Museen, Bade- und andere Freizeitanlagen, Klärwerke, Müllverbrennung und Deponien. Einige dieser Unternehmen wird man zu den sog. wirtschaftlichen Unternehmen im kommunalrechtlichen Sinn zählen können. Aber auch kommunale Theater und Museen stellen kommunale Unternehmen dar; neuerdings werden sie gern als Bestandteil der Kulturwirtschaft gesehen. Kommunale Krankenhäuser verfügen wie private ( erwerbswirtschaftliche oder gemeinnützige) Krankenhäuser über Unternehmenseigenschaft, ohne daß sie deshalb schon in allen Gemeinden als Krankenhausunternehmen geführt werden. Das trifft ebenso für eine Reihe von Unternehmen im Bereich der Gesundheits- und Wohlfahrtspflege zu. Die der Entsorgung dienenden Unternehmen sind Teil der Abfall- bzw. Entsorgungswirtschaft.
In der nachstehenden Abbildung werden die unterschiedlich weiten Begriffe der kommunalen Wirtschaft veranschaulicht. Bei institutionell-ökonomischer Betrachtung umfaßt die kommunale Wirtschaft alle kommunalen Unternehmen der verschiedenen Aufgabengebiete (Felder 1 bis 3 mit jeweiligem Prototyp). Die kommunalrechtliche Begriffsbestimmung klassifiZiert nur die wirtschaftlichen Unternehmen als Bestandteile der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinde (Feld 3). Wodurch sich kommunale Unternehmen von der kommunalen Verwaltung (Felder 4 bis 6 mit jeweiligem Prototyp) unterscheiden, geht aus den folgenden Überlegungen hervor.
Funktionen Institutionen
kommunale Unternehmen
kommunale Verwaltung
Kultur
1
Theater
4
Archiv
Gesundheit und Soziales
2
Krankenhaus
5
Sozialamt
Wirtschaft
3
Versorgungsbetrieb
6
Fuhrpark
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Peter Eichhorn IV. Kommunale Verwaltung und kommunale Unternehmen
Kommunale Selbstverwaltung geschieht durch kommunale Politik und mittels der kommunalen Verwaltung und der kommunalen Unternehmen. Letztere widmen sich außer wirtschaftlichen auch kulturellen, sozialen und anderen Gegenständen bzw. Aufgaben. Im Unterschied zur primär nonngesteuerlen Verwaltung bietet es sich eben für zahlreiche und zunehmend mehr öffentliche Aufgaben an, sie unternehmerisch zu bewältigen; anders gesagt: sie in erster Linie geldgesteue11, also über Preise (Tarife, Gebühren), zu erfüllen. Hier ist bewußt das dominierende Kriterium, nämlich Norm und Geld, genannt worden, eingedenk, daß das Verwaltungshandeln auch monetär determiniert wird und sich das Verhalten kommunaler Unternehmen nach rechtlichen Vorgaben vollzieht. Träger der kommunalen Selbstverwaltung ist die Gemeinde als Gebietskörperschaft mit der Gemeindevertretung als Repräsentanz der Bürgerschaft an der Spitze (sog. Haupt- oder Beschlußorgan). Exekutive Organe bilden die Gemeindeverwaltung und - zumindest faktisch - die Gemeindewi11schaft bzw. die (wirtschaftlichen und anderen) Unternehmen der Gemeinde. Vergangen sind die Zeiten, in denen die Versorgungs- und Verkehrsunternehmen wie Ämter geführt wurden. Mit der Eigenbetriebsverordnung von 1938 ist ein formalrechtlicher Zwischenschritt auf dem Weg zur Verselbständigung gemacht worden. Inzwischen haben sich namentlich größere kommunale Versorgungs- und Verkehrsunternehmen, aber auch kommunale Wohnungsbaugesellschaften, Sparkassen, Ausstellungs- und Messegesellschaften sowie Wirtschaftsförderungsunternehmen neben der kommunalen Verwaltung etabliert. Sie verstehen sich als deren Partner. Ihre marktkonform wahrzunehmenden öffentlichen Aufgaben sind nicht hoheitlicher, sondern betrieblicher An. Die Entwicklung - um nicht zu sagen: die Emanzipation - der kommunalen Selbstverwaltung im Bereich der kommunalen Wirtschaft soll an Hand der folgenden Abbildungen schematisch veranschaulicht werden. Aus den reinen Regiebetrieben als bruttoetatisierende Organisationseinheiten der kommunalen Verwaltung entwickeln sich kommunale Unternehmen in Form verselbständigter Regiebetriebe bzw. nettoetatisierender Eigenbetriebe bis hin zu rechtlich selbständigen kommunalen Unternehmen in der Rechtsform des öffentlichen oder privaten Rechts. Die Linien spiegeln die rechtlichen, organisatorischen, personellen und fmanziellen Beziehungen wider, wobei in diesem Zusammenhang vor allem zu denken ist an die Anbindung der Eigenbetriebe an Verwaltung und Vertretung über Dezernent/Werkleitung und Werkausschuß sowie an die Verbindung der recht-
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Wirtschaft
lieh selbständigen Unternehmen zur Verwaltung und Vertretung über die Vorsitzenden und Mitglieder der Verwaltungs- und Aufsichtsräte.
Gemeindevertretung
I
Gemeindeverwaltung
Gemeindevertretung I
Gemeindeverwaltung I
Eigenbetriebe
Gemeindevertretung
I
I
Gemeindeverwaltung 1-- kommunale Unternehmen
In den kommunalen Unternehmen in den Rechtsformen des Eigenbetriebs, der Anstalt des öffentlichen Rechts, des Zweckverbandes oder privatrechtlicher Kapitalgesellschaften bedarf es kaufmännischen Denkens und Handelns, und das heißt primär: Ausrichtung des Leistungsauftrages auf Kunden - nicht auf Antragsteller oder Benutzer. Die in der kommunalen Versorgungs- und Verkehrs-, Wohnungs- und Kreditwirtschaft
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vollzogene Entwicklung zum selbständigen Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung greift auch (wie erwähnt) über auf Theater, Volkshochschulen, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, Abfallwirtschaft usw. Eine begriffliche Klarstellung erscheint hier angebracht. Kommunale Selbstverwaltung geschieht demnach auch durch kommunale Unternehmen neben der kommunalen Verwaltung, und zwar jeweils unter der Ägide der Gemeindevertretung. Der Terminus "Selbstverwaltung" legt es nahe, die Gemeindeverwaltung als das Element der Selbstverwaltung zu betrachten. Das mag zu Zeiten obrigkeitlicher Verwaltung berechtigt gewesen sein. Um eine Fehlassoziation mit der kommunalen Verwaltung zu vermeiden, sollte von kommunaler Selbstgestaltung gesprochen werden, denn es geht hier um politische, administrative und unternehmerische Gestaltung. Zu Mißverständnissen führt im übrigen auch die zwar rechtssystematisch richtige, aber praxisferne Zuordnung der kommunalen Unternehmen zur Leistungsverwaltung (im Unterschied zur Ordnungsverwaltung). Hoch aggregiert, gehören die kommunalen und überhaupt alle Unternehmen im Eigentum oder in der Trägerschaft von Gebietskörperschaften selbstverständlich zur Exekutive bzw. vollziehenden Gewalt. Bei institutioneUer Betrachtung löst sich dieser Monolith aber in verschiedene Module auf, von denen auf kommunaler Ebene die kommunalen Unternehmen neben der kommunalen Verwaltung zunehmend an Bedeutung gewinnen. Worin diese Bedeutung gegenwärtig und in absehbarer Zeit besteht, soll im folgenden erörtert werden.5
V. Ein Träger und viele Unternehmen Die kommunale Wirtschaft, verstanden als Zusammenfassung aller kommunalen Unternehmen, wächst als dritte Kraft kommunaler Selbstverwaltung neben den Aktionszentren der Gemeindevertretung und der Gemeindeverwaltung heran. Ausgehend von einzelnen meist größeren Stadtwerken und Sparkassen zeigt sich deutlich, daß diese Unternehmen zusammen mit zahlreichen anderen kommunalen Unternehmen Bestandteil eines Trägers (und nicht Teil der Verwaltung!) sind. Bislang kommen dessen s Zu den Abschnitten V und VI sieheEichhom, Eildienst LICI' NRW 1989, S. 71 ff.; ders., Wer steuert wen? Über das Verhältnis zwischen Kommunen und kommunalen Versorgungsuntemehmen, in: Geschäftsstelle des ÜBV (Hrsg.), 40 Jahre Überörtlicher Betriebsvergleich kommunaler Versorgungsbetriebe 1949-1989, 1990, S. 31 ff., und in: Brand/Busch (Hrsg.), Marginalien zur unsichtbaren Universität, Festschrift für Josef Maria Häußling zum 65. Geburtstag, 1990, S. 47 ff.
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Rechte als Selbstverwaltungskörper, Eigentümer, Leistungsauftraggeber, Dienstherr oder Arbeitgeber unverbunden zum Einsatz. Die Beschaffungsund Absatzmaßnahmen der diversen kommunalen Unternehmen sind normalerweise nicht koordiniert; Faktoraustausche (z.B. ein saisonaler Personalaustausch) fmden nicht statt. Zwei Ansätze zur Koordination und Kooperation kommunaler Unternehmen verdienen Beachtung. Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) plädiert für eine Beteiligungsverwaltung, wie sie bei Bund und Ländern schon existiert. Es ist unbestreitbar wünschenswert, eine Stelle mit träger- und unternehmensbezogenen Aufgaben zu betrauen. Die von ihr wahrzunehmende AufgabenbündeJung hat einer ,,Atomisierung" von Gemeindeverwaltung und Gemeindewirtschaft vorzubeugen. Die Beteiligungsverwaltung soll aber auch nicht an die Stelle der nach wie vor unverzichtbaren bürgerschaftliehen Vorgaben und Kontrolle der kommunalen Unternehmen treten. Die Gefahr bürokratischer GängeJung der Unternehmen, die ja bewußt selbständig operieren sollen, darf man nicht ignorieren. Ihr wird man nicht erliegen, wenn die Beteiligungsverwaltung als Verbindungsstelle zwischen Gemeindevertretung und Unternehmen sowie als Büro tätig ist für den (Ober-)Bürgermeister oder (Ober-)Stadtdirektor und gegebenenfalls für weitere Beigeordnete, Dezernenten oder Berufsmäßige Stadträte als Mitglieder von Aufsichts- und Verwaltungsräten oder Werkausschüssen kommunaler Unternehmen. Diskutiert wird in der Praxis auch über die Errichtung von Holdinggesellschaften in den Städten als Spitze eines kommunalen Dienstleistungskon-
zerns. Eine kommunale Holding könnte zumindest die Übersichtlichkeit über die kommunalen Unternehmen und Beteiligungen sichern. Es wäre eine Untersuchung wert, Synergieeffekte und überhaupt die innerbetrieblichen sowie lokal- und regionalwirtschaftlichen Wirkungen einer solchen Zusammenfassung einzelner Unternehmen zu einem Gesamtunternehmen zu erforschen. Auf jeden Fall erachte ich im Interesse der Erfüllung kommunaler Aufgaben von der Gemeindegebietskörperschaft koordinierte Leistungsaufträge an die Unternehmen und koordinierte Geschäftspolitiken der kommunalen Unternehmen als sinnvoll. Für die erwünschte Abstimmung käme ein Gremium in Betracht, in dem von seiten des Trägers und Auftraggebers und von seiten der Unternehmen und Auftragnehmer die leitenden Personen zusammenwirken. In diesem Lenkungsausschuß könn~ ten Informationen ausgetauscht und gemeindewirtschaftspolitische Rahmenbedingungen bearbeitet und teilweise festgelegt werden, soweit das nicht die Kompetenzen der Gemeindevertretung berührt.
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Peter Eichhorn VI. Unternehmen steuern die Kommune
Mit der Ablieferung von Konzessionsabgaben von derzeit annähernd 3,5 Mrd. DM fmanzieren die kommunalen Versorgungsunternehmen einen wesentlichen und in den vergangeneo Jahren wachsenden Anteil der Gemeindehaushalte in der Bundesrepublik Deutschland. Ohne diese Haushaltseinnahmen würden die Kommunen handlungsunfähig. Mit anderen Worten: Die Kommunen sind auf diese Finanzierung angewiesen. Je höher die Umsatzerlöse aus dem Verkauf von Strom, Gas und Wasser ausfallen, desto ergiebiger fließen die Konzessionsabgaben für öffentliche Aufgaben. Der Unternehmenseifolg determiniert den Handlungsspielraum der Kommune. Was liegt näher, den Aktivitäten der Unternehmen zu folgen, ihre örtlichen Versorgungskonzepte gutzuheißen - getreu dem Motto: "Wes Brot ich eß, des Lied ich sing." Wohlgemerkt, ich weise auf diesen Umstand nur hin und kritisiere ihn nicht, denn die Gemeinde (Einwohner, Vertretung und Verwaltung) profitiert gewöhnlich von derart professionellen Konzepten. Es sollte aber nicht übersehen werden, daß zwar die Gemeindeorgane formal beschließen, die eigentlichen Inhalte für die Erfüllung der betreffenden Aufgaben indessen regelmäßig von den damit betrauten Unternehmen stammen. In manchen Mittelstädten gehören die Stadtwerke und die anderen stadteigenen Unternehmen zu den größten Unternehmen am Ort. Gemessen an der Zahl der Arbeitskräfte, der Investitionssumme oder am Bilanzvolumen stellen sie dann einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor dar. Von diesen Unternehmen gehen erhebliche Effekte auf Produktion, Beschäftigung, Produkt- und Faktorpreise, Branchenstruktur, Bevölkerung, Umwelt und Gemeindehaushalt aus. Ihr Leistungsangebot und ihre Auftragsvergabe schaffen die Voraussetzungen für das wirtschaftliche und kulturelle Leben in der Stadt; damit aber auch Abhängigkeiten der Kommune von diesen Maßnahmen. Kommt zur Größe noch die Rechtsform der Aktiengesellschaft mit ihrer starken Stellung des Vorstands hinzu, wird der Einfluß des kommunalen Unternehmens auf die Gemeinde offenbar. Herausragendes Beispiel waren hierfür die Auseinandersetzungen um das Atomkraftwerk Brokdorf zwischen der HEW Aktiengesellschaft und dem Senat von Hamburg. In dieselbe Richtung weisen die jüngsten Konflikte zwischen der RWE-Aktiengesellschaft und einer Gruppe kommunaler Aktionäre in Sachen Ausstieg aus der Atomenergie. Dabei spielen allerdings auch die gemischtwirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse eine Rolle, auf die hier nur hingewiesen werden kann.
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VII. Dynamik bei kommunalen Unternehmen Eine in Wissenschaft und Praxis noch immer verbreitete, aber irrige Auffassung attestiert Unternehmen der privaten Wirtschaft gern Pionierleistungen, während man Unternehmen der öffentlichen Wirtschaft dagegen als statisch einstuft. Namentlich kommunale Unternehmen seien in Bereichen tätig, in denen sich kaum mehr technischer Fortschritt abspiele. Das mag vor einer Generation noch zugetroffen haben; die Gegenwart sieht schlicht anders aus.6 Von den Großforschungseinrichtungen des Bundes und von manchen gemischtwirtschaftlichen Unternehmen einmal abgesehen, deren Aufgaben in der Innovation liegen, und die aus Gründen der Risikobeschränkung öffentliches Eigenkapital zwingend voraussetzen, befmden sich viele kommunale Unternehmen in einem nicht minder dynamischen Entwicklungsprozeß. Kernenergie, Kraft-Wärme-Kopplung, Fernwärme- und Gasversorgung, Wasseraufbereitung, Abwasserklärung, Müllverbrennung, Systeme und Steuerung des öffentlichen Personennahverkehrs, Hafenanlagen für den Containerumschlag, Intensivmedizin im Krankenhaus usw. dürften als Stichworte genügen, um den rasanten technischen Wandel bei kommunalen Unternehmen zu verdeutlichen. Hinzu kommen rechtliche Entwicklungen, die sowohl national als auch international begründet sind. Für die realisierten oder diskutierten Änderungen in den gesetzlichen Rahmenbedingungen seien exemplarisch erwähnt: Kartellgesetznovellierung zugunsten von mehr Wettbewerb bei der leitungsgebundenen Energieversorgung ( aufgrund des Common-CarriageSystems im europäischen Binnenmarkt), Auflösung des kommunalen Querverbundes, Änderung des Stromtarifsystems, Einführung von Energiesteuern, EG-weite Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit auch für Kreditinstitute, Ungültigkeit der Gewährträgerhaftung als Eigenkapitalsurrogat bei Sparkassen, Öffnen der nationalen Märkte durch Neuordnung der öffentlichen Auftragsvergabe, Übernahme von Entsorgungsaufgaben durch kommunale Unternehmen. Wie sehr sich die Situation in der kommunalen Wirtschaft bewegt, zeigt ein Urteil des Bundesfmanzhofs vom 8. November 1989 (I R 187/85). Es läßt die Zusammenfassung einer Tiefgarage als ein dem öffentlichen Verkehr dienender Betrieb im Sinne des§ 4 Abs. 3 KGSt 1977 mit Stadtwerken steuerwirksam zu und eröffnet damit völlig neue Per6 Vgl. Eichhorn, Kommunale Versorgungsunternehmen im Wandel, in: Eildienst LK.T NRW 1985, S. 415 ff.; ders., in: Gesellschaft fUr öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft (Hrsg.), Forschung und Entwicklung und öffentliche Unternehmen, Beiträge zur öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, Heft 1, Berlin 1986.
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spektiven für die steuerorientierte Gestaltung von Verbundmodellen in der kommunalen Wirtschaft. Begleitet werden die technischen und rechtlichen Änderungen von wirtschaftlichen Wirkungen unterschiedlichster Art. Welches Schicksal nehmen die zur Steinkohleverstromung geschlossenen ,,Jahrhundertverträge" sowie die Konzessionsverträge und Konzessionsabgaben?7 Ist das Regionalprinzip der Sparkassen gefährdet? Woher erhalten sie das für ihre Aufgaben- und Marktstellung notwendige Eigenkapital?8 Wie wird sich das Beschaffungsverhalten kommunaler Unternehmen ändern und welche Folgen ergeben sich aus europaweiten Ausschreibungen kommunaler Unternehmen für die örtliche Wirtschaft in den Gemeinden?9
VIII. Tendenzen zur Regiooalisieruog In der Energie- und Wasserwirtschaft streben insbesondere größere kommunale Unternehmen seit geraumer Zeit ins Umland, sei es durch Erwerb von Anteilen oder Übernahme von benachbarten Gemeindewerken oder durch Fusion mit diesen, sei es durch Mitgliedschaft in Zweckverbänden. Umgekehrt treten auch weitere Gesellschafter oder Mitglieder in das betreffende kommunale Unternehmen ein. Das können andere kommunale Unternehmen desselben Trägers oder anderer Träger sein. Ein Grund für diese Erweiterungen ist sicherlich in der Gebietsrefonn der 70er Jahre zu suchen, die durch eine Vergrößerung der Gemeindegebiete und durch Anoder Zusammenschlüsse von Gemeinden und Gemeindeverbänden die kommunalpolitischen Voraussetzungen dafür schuf. Heute verspricht man sich von Beteiligungen und MitgliedschafteD eher Betriebsgrößen- und Verbundvorfeile. Das Management kommunaler Unternehmen sieht sich technischen und rechtlichen Herausforderungen gegenüber, denen man nur mit entsprechenden Kapazitäten, Qualitäten und Potentialen zu begegnen vermag. Zugleich treten Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer, Werk- und Be7 Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Die Unternehmen der öffentlichen Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland im europäischen Binnenmarkt, Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates, Berlin 1990. 8 Gesellschaft flir öffentliche Wirtschaft (Hrsg.), Öffentliche Kreditinstitute in der Bundesrepublik Deutschland und EG-Binnenmarkt, Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates, Berlin 1990. 9 Vgl. Eichhorn, Die Öffnung der nationalen Märkte im öffentlichen Auftragswesen und bei der Telekommunikation, in: Dichtl (Hrsg.), Schritte zum Europäischen Binnenmarkt, München 1990, S. 111 ff.
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triebsleiter in Kenntnis ihrer verantwortlichen Funktion bei der unternehmerischen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben selbstbewußter auf. Von der Gemeindevertretung erwarten sie einen möglichst globalen Leistungsauftrag, dessen detaillierte Erfüllung ihnen und "ihrem" Unternehmen obliegt. Leistungsadressat ist in erster Linie der Kunde, erst danach kommen Allgemeinheit und natürliche Umwelt. Soweit gemeinwirtschaftliche Leistungen zu erbringen sind, werden zumindest kostendeckende Abgeltungen seitens des Trägers verlangt. Das Streben von lokalem Geschäftsgebiet und Geschäftsgebaren zu regionaler Betätigung ist für kommunale Unternehmen insoweit attraktiv, als sie einen größeren geschäftspolitischen Radius gewinnen: die Kundenstruktur kann bessere technische Auslastungen und fmanzielle Ausgleiche herbeiführen; die Eingliederung zusätzlicher Sparten erlaubt spartenübergreifende Kalkulationen mit Deckungsbeiträgen einer Sparte zugunsten einer anderen; die hinzugewonnene Finanzmasse läßt auch Periodenausgleiche vor allem beim zeitaufwendigen Bau von Schienen- und Rohrnetzen zu; die Öffentlichkeitsarbeit endet ohnehin kaum an der Gebietsgrenze, sondern ist nicht zuletzt mit Blick auf Ein- und Auspendler regional orientiert; regionalweit tätige kommunale Unternehmen bieten bessere Karrierechancen und erhöhen die Einsatzbreite des Personals, etwa dadurch, daß sie über spartenübergreifende Ausbildungsberufe verfügen.
IX. Öffentliche Aufgaben im Wandel Abschließend erlaube ich mir noch zwei Bemerkungen, die mit landläufigen Ansichten nicht übereinstimmen. Sie erscheinen mir aber im Hinblick auf die Zukunft kommunaler Selbstgestaltung mittels kommunaler Unternehmen als nachdenkenswert. Ich halte die Privatisierong öffentlicher Unternehmen nicht von vornherein einer kommunalwirtschaftlichen Betätigung für überlegen. Die Privatisierung kann zwar den kaufmännischen Erfolg zu steigern helfen; man muß aber fragen, ob dies zu Lasten der öffentlichen Aufgaben geht. Öffentliche Aufgaben werden von den dazu legitimierten Instanzen festgelegt. Sie ändern sich vor Ort und im Zeitablauf.10 Auslaufende öffentliche Aufgaben 10 Siehe hienu EichhomjMünch (Hrsg.), Aufgaben öffentlicher und gemeinwirtschaftlicher Unternehmen im Wandel, Schriftenreihe der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, Heft 24, Baden-Baden 1983, Brede (Hrsg.), Privatisierung und die Zukunft der öffentlichen Wirtschaft, ebengenannte Schriftenreihe, Heft 29, Baden-Baden 1988.
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machen in unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung das betreffende öffentliche Unternehmen entbehrlich. Neue öffentliche Aufgaben wie derzeit für Wohnungsbau, Altenpflege, Nahverkehr, Entsorgung und Umweltschutz erfordern neue Unternehmen in öffentlicher Hand. Öffentliche und so auch kommunale Unternehmen haben im Vergleich zu Regulierungsvorschriften den Vorzug, daß der Träger das Leistungsangebot aktiv zu steuern vermag, während die Regulierung primär Mißbrauch verhindert. Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch beliehene oder konzessionierte Privatunternehmen soll damit nicht ausgeschlossen sein, wenn der entsprechende Einfluß des Auftraggebers gewährleistet ist. Das gilt analog auch für etwaige "Doppelgesellschaften", bei denen Grund und Boden, Anlagen oder Fahrweg einer öffentlichen Unternehmung oder Verwaltung gehören und der Betrieb in privaten Händen liegt. Worauf es ankommt, ist, daß der öffentliche Auftrag von öffentlichen oder privaten Unternehmen marktkonform wahrgenommen wird. Der häufig zitierte Satz von der Subsidiarität öffentlicher Unternehmen bietet meines Erachtens auch durch ständige Wiederholung keine hinreichende Erklärung oder Anleitung. Ich will hier nicht auf das Problem eingehen, daß zur Begründung des Subsidiaritätsprinzips stets auf die christliche Soziallehre verwiesen wird. Es gilt aber zu bedenken, daß diese rein personalbezogen ist und nicht ohne weiteres institutionell interpretiert werden kann. Auch der Hinweis auf die subsidiär zulässige Betätigung von Bundes-, Landes- und Gemeindeunternehmen im Staatshaushaltsrecht und Kommunalverfassungsrecht räumt nicht zwingend einen Vorrang für private Unternehmen ein. Wesentlich ist meines Erachtens, daß die meisten öffentlichen und so auch kommunalen Unternehmen infrastrukturelle Voraussetzungen schaffen. Durch sie wird private Wirtschaft überhaupt erst möglich. Um ein aktuelles Beispiel aufzugreifen: Die derzeitigen Privatisierungsanläufe in der DDR werden zu keiner Prosperität führen, solange die kommunale Infrastruktur nicht mit ausreichender, kostengünstiger, sozialer, komfortabler, sicherer und umweltfreundlicher Energie- und Wasserversorgung und Entsorgung, mit genügend gutem Wohnraum, flächendekkender Kreditversorgung usw. verfügbar ist. Hier schließt sich der Kreis. Kommunale Selbstgestaltung mit Mitteln kommunaler Unternehmen steht im Dienste des Gemeinwohls, das letztlich Ziel von Gesetzgebung und Gemeindevertretung ist. Unternehmensinteressen treten demgemäß zurück - genauso wie etwaige Interessen der Kommunalverwaltung.
Diskussion zu den Referaten von Hans-Uwe Erichsen, Horst Zimmermann und Peter Eichhorn Bericht von Bernd Pfeifer
I.
Einen ersten Schwerpunkt der von Univ.-Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim geleiteten Diskussion bildete das von Erichsen angesprochene Problem
der zunehmenden Parlamentarisierung der Kommunalverfassung. Univ.Prof. Dr. Hans Peter Bu/1 (Innenminister des Landes Schleswig-Holstein, Kiel) hielt diese Entwicklung für irreversibel, da kommunale Selbstverwaltung nicht nur Verwaltung im Sinne von Exekutive sei, sondern auch die Selbstgestaltung der örtlichen Verhältnisse umfasse. Es sei daher großzügig zu verfahren, wenn sich eine Gemeindevertretung mit Fragen befasse, die anderen Ebenen zur Entscheidung anvertraut seien. So dürfe man es einer Gemeinde nicht verübeln, wenn sie eine Resolution beschließe, in der beispielsweise gefordert werde, daß in der Gemeinde das Landestheater angesiedelt, ein Bahnhof erhalten bzw. die Gemeinde nicht mit A-, B- oder C-Waffen behelligt werde; schließlich bleibe die Entscheidungskompetenz des Entscheidungsträgers unberührt. Deswegen habe die Regierung von Schleswig-Holstein die Kommunalaufsichtsbehörden in einem Erlaß zu Nachsicht gegenüber solchen Gemeinderatsbeschlüssen angehalten. Demgegenüber wiesen Dr. Hans Henning Becker-Birck (Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistages, Bonn) und Erichsen übereinstimmend auf die Gefahren hin, die mit der wachsenden Parlamentarisierung verbunden seien. Mit Debatten über allgemeinpolitische Themen ohne konkreten Bezug zur eigenen Gemeinde würden die Ratsmitglieder regelmäßig inhaltlich überfordert, was - nach Becker-Birck nicht selten dazu führe, daß sie sich "als Marionetten der großen Politik vor Ort" lächerlich machten. Zudem habe die Beschäftigung mit außerhalb der kommunalen Verbandskompetenz liegenden Themen eine Aufblähung der Tagesordnungen zur Folge; die damit einhergehende zeitliche Inanspruchnahme mache es vielen ehrenamtlichen Ratsmitgliedern schwer, ihr Man-
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dat mit ihrem Beruf in Einklang zu bringen. Hierdurch gerate das Ehrenamt, auf das die kommunale Selbstverwaltung unter keinen Umständen verzichten solle, in Gefahr. Es seien daher Überlegungen hinsichtlich einer Korrektur dieser Entwicklung anzustellen. Nach der Ansicht von Godehard Elsner (Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf) zeigt die von Erichsen erwähnte Umfrage des nordrhein-westfälischen Innenministers zwar eine Überlastung der Ratsmitglieder auf. Diese Situation lasse sich jedoch mit dem Instrumentarium der nordrhein-westfälischen Kommunalverfassung verbessern. So könnten eine Reihe von Aufgaben dezentral von den Bezirksvertretungen wahrgenommen werden. Die Umfrage lasse sich daher nicht als Argument für einen umfassenden Reformbedarf heranziehen. Elsner vertrat weiterhin die Meinung, daß unter den existierenden Kommunalverfassungssystemen der Bundesrepublik Deutschland kein Idealtypus zu erkennen sei; insbesondere gebe es bislang keine breit angelegte verwaltungswissenschaftliche Studie, die beweise, daß die Süddeutsche Ratsverfassung die größte EffiZienz gewährleiste. Vielmehr habe jedes System seine Vor- und Nachteile, und es liege maßgeblich an den handelnden Personen, ob es funktioniere. Mit jeder der bestehenden Kommunalverfassungen ließen sich grundsätzlich gute Ergebnisse erzielen, wenn die kommunale Finanzautonomie als Basis der kommunalen Selbstverwaltung gewährleistet sei. Schließlich gab Elsner zu bedenken, daß in den großen Städten möglicherweise eine andere Kommunalverfassung erforderlich sei als in kleinen und mittleren Gemeinden. Hierauf stellte Erichsen klar, er habe in seinem Vortrag nicht von einem umfassenden Reformbedarf gesprochen. Allerdings gebe es in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen einige Fragen etwa die der Organisation der kommunalen Spitze-, die anders als im süddeutschen Bereich regelmäßig kontrovers diskutiert würden; dies sei ein Indikator für bestehenden Reformbedarf. In Übereinstimmung mit Elsner betonte Univ.-Prof. Dr. Maximilian Wallerath (Universität Bonn), daß es angesichts der Vielgestaltigkeit der Gemeinden den idealen Typus einer Gemeindeverfassung nicht gebe. Gegenwärtig sei es von großer Bedeutung, die Einbruchstellen für eine Verflechtung von politischem und administrativem System zu reduzieren. Nicht unwidersprochen blieb die Forderung von Wemer Hauser (Oberbürgermeister a.D., Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags Baden-Württemberg, Stuttgart), die staatliche Rechtsaufsicht über die Kommunen ersatzlos abzuschaffen. Zur Begründung führte er aus, daß die staatliche Rechtsaufsicht in Baden-Württemberg in keinem einzigen Fall Schieflagen von kleinen und mittleren Gemeinden verhindert habe, obwohl ein dichtes Informationsnetz vorhanden gewesen sei. Dabei habe jeder-
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mann im nachhinein erkennen können, "zu welchem Zeitpunkt die staatliche Aufsicht die Augen zugemacht habe". Zudem fehle der Aufsicht häufig die fachliche Kompetenz, um ihre Aufgabe erfüllen zu können. Eine gute Gemeindeprüfnngsanstalt, wie sie in Baden-Württemberg existiere, reiche vollständig aus, um das Handeln der Organe einer Kommune im Hinblick auf die Einhaltung des rechtlichen Rahmens zu prüfen. Gegen die Abschaffung der Rechtsaufsicht wandte sich Erichsen. Gleichzeitig verlangte er, die fachliche Kompetenz der Aufsichtsbehörden durch eine Verbesserung der personellen Ausstattung zu erhöhen. Zudem müsse sich die Rechtsaufsicht, auch wenn sie in einer Sphäre "größerer politischer Verdichtung stattfmde", unbedingt dem Recht verpflichtet fühlen. Es sei nicht zu akzeptieren, daß die Aufsichtsbehörde auf Grund parteipolitischer Bindungen von einer Intervention absehe, wenn der Rat etwa Resolutionen zu allgemeinpolitischen Themen beschließe. Im folgenden sprach Prof. Dr. Eberhard Laux (Landrat a.D., Düsseldorf) das Problem der Aufgabenerosion an, das Zimmermann in seinem Referat erwähnt hatte. Er gab zu bedenken, daß man bei der Diskussion um die kommunale Selbstverwaltung nicht nur die Frage, welche Aufgaben die Gemeinde eigenverantwortlich wahrnehmen könne, im Blick haben dürfe. Vielmehr müsse man auch den Vollzug, d. h. die Umsetzung von generellen Programmen auf der lokalen Ebene als wichtige und dauerhafte Seite der kommunalen Selbstverwaltung sehen. Zimmermann stellte ebenso wie Laux die Bedeutung der gemeindeindividuellen Anpassung der übergeordneten Normen beim Vollzug heraus. Allerdings müsse man auch hier prüfen, inwieweit der Gemeinde beim Vollzug Raum zur Gestaltung bleibe, wobei Zimmermann eine Einschränkung des Bewegungsspielraums konstatierte. Ergänzend fügte Erichsen hinzu, daß im Hinblick auf die Gestaltungsmöglichkeiten die Normendichte entscheidend sei. Bull befaßte sich mit dem kommunalen Ausländerwahlrecht. Er vertrat im Widerspruch zum Vortrag von Erichsen die Auffassung, daß der Begriff des "Volkes" im Sinne der Art. 20 Abs. 2 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 2 GG nicht eindeutig festgelegt sei. Da der Gesetzgeber über die Voraussetzungen der Staatsangehörigkeit zu bestimmen habe, gerate das Argument ins Wanken, daß er gebunden se~ wenn es darum gehe, den Volksbegriff zu interpretieren. In diesem Zusammenhang hielt Erichsen es für denkbar, daß das angesprochene Problem in der künftigen Verfassung eines vereinigten Deutschland gelöst werde.
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II.
Mit der Frage, wie auf die zunehmende fmanzielle Belastung der Kommunen durch die Sozialhilfe zu reagieren se~ beschäftigten sich Bull und Becker-Birck. Bu/1 regte eine Änderung des kommunalen Finanzausgleichs zu Gunsten der kreisfreien Städte an, da diese in wesentlich größerem Maße durch die Sozialhilfekosten belastet würden als die Kreise: Die Schlüsselzuweisungen seien verstärkt einzusetzen, während die Zweckzuweisungen deutlich eingeschränkt werden müßten; zudem müsse das quotale System bei der Verteilung der Sozialhilfekosten eingeführt werden, da hierdurch die kreisfreien Städte spürbar entlastet werden könnten. Für eine Beteiligung des Bundes an den Sozialhilfekosten setzte sich Becker-Birck ein. Der Bundesgesetzgeber habe diesen Schritt bislang nicht gewagt, da er fürchte, daß die Kommunen es an der erforderlichen Sparsamkeit fehlen ließen, wenn sie über Mittel des Bundes zu entscheiden hätten. Es müsse daher ein System entwickelt werden, das dem Bund die Angst vor unsachgemäßer Verwendung seiner Mittel nehme; hierbei könne die Wissenschaft einen wertvollen Beitrag leisten. Weiterhin teilte Becker-Birck im Grundsatz die von Zimmermann vertretene Auffassung, daß die Kommunen vorhandene Gebühren- und Beitragsspielräume ausschöpfen müßten. Es stelle sieb jedoch die Frage, ob dies ohne Unterschied für alle Bereiche - etwa auch für das Schulwesen und die Nutzung von Sportanlagen - gelten könne. Die Gebühren- und Beitragssätze müßten in jedem Fall sozial verträglich bleiben. Darauf erwiderte Zimmermann, daß er nicht für eine Wiedereinführung globaler Schulgebühren für alle Schulformen eintrete. Dagegen sei beispielsweise nicht einzusehen, daß die kommunalen Sportanlagen den Sportvereinen kostenlos zur Verfügung gestellt würden. Mit der Problematik der kommunalen Hebesätze befaßte sich Hauser. Er hielt die Hebesätze bei der Gewerbesteuer für unverzichtbar und erachtete die Einführung von Hebesätzen bei der Einkommensteuer in Übereinstimmung mit Zimmermann für realisierbar. Hierdurch werde - entsprechend dem Vorbild des schweizerischen Kommunalverfassungsrechts - erreicht, daß die Kommunen "ihre eigenen Leistungen mit der eigenen Finanzierung und nicht mit der Finanzierung durch andere Kassen in Zusammenhang bringen müßten". Gegen die Einführung von Hebesätzen bei der Einkommensteuer könne allerdings das von Manfred Rommel vorgebrachte Argument sprechen, daß durch differenzierte Hebesätze die Stadtflucht, d. h. das Abwandern der besser Begüterten in die Außenbezirke, die schon wieder zu anderen Gemeinden gehörten, unter Umständen gefördert werde. Hieran anknüpfend wies Zimmermann darauf hin, daß man im Hin-
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blick auf interregionale Unterschiede - ähnlich wie man das auch bei der Gewerbesteuer tue - mit Nivellierungshebesätzen arbeiten müsse. Anschließend ging Hauser auf die gegenwärtig zufriedenstellende Situation bei den kommunalen Haushalten ein. Dies sei das Ergebnis strikter Haushaltsdisziplin, die auch durch das Gemeindewirtschaftsrecht bedingt sei. Die weniger günstige Haushaltslage von Bund und Ländern lasse sich nicht damit erklären, daß diese größere Aufgaben zu bewältigen hätten. Der Grund dafür liege vielmehr in der geringeren Haushaltsdisziplin, die sich Bund und Länder leisten könnten, da sie an weniger stringente Rechtsvorschriften gebunden seien. So gingen beispielsweise Bund und Länder von der jeweiligen Nettokreditaufnahme aus, während sie die Kommunen an der Bruttokreditaufnahme festhielten. Hierauf meinte Zirnmennann, daß man auf allen Ebenen mit der Nettokreditaufnahme arbeiten solle, was für ihn als Finanzwissenschaftler selbstverständlich sei. Er erinnerte weiter daran, daß früher der größte Teil des Gesamtschuldenberges eines Jahres auf die Kommunen, der zweitgrößte Teil auf die Länder und der Rest auf den Bund entfallen sei; in den letzten 20 Jahren habe sich das Verhältnis dann völlig umgekehrt.
111.
Das Thema der kommunalen Unternehmen brachte Hauser in die Diskussion. Er stellte zunächst fest, daß auf der kommunalen Ebene die Erbringung von Leistungen immer mehr in den Vordergrund trete. Um den sich daraus ergebenden Anforderungen gerecht zu werden, reiche das Wirtschaften in der Rechtsform des Eigenbetriebs nicht aus. Vielmehr müßten die Kommunen mit der privaten Wirtschaft kooperieren. Dies dränge sich vor allem im Bereich der Abfallwirtschaft auf, weshalb man in die Novelle des Landesabfallgesetzes von Baden-Württemberg eine entsprechende Sonderbestimmung aufgenommen habe. Daran anknüpfend vertrat Eichhorn die Ansicht, man solle die Eigenbetriebsfarm nicht abschaffen, sondern für weitere Bereiche öffnen, z. B. für Theater und Krankenhäuser. Darüber hinaus könne man - gerade in der Wirtschaftsförderung - verstärkt privatrechtliche Organisationsformen einsetzen. Dabei sei die Rechtsform der GmbH zu favorisieren, da diese sich besser als eine AG vom Träger steuern lasse. Weiter ging Hauser auf die von Eichhorn beschriebene Gefahr der Einflußnahme der kommunalen Unternehmen auf die Kommunen ein. Die Situation sei nicht so dramatisch wie von Eichhorn geschildert. So würden in
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Baden-Württemberg beispielsweise bei den regionalen Energieversorgungsunternehmen die Kommunen als Mehrheitsaktionäre die Richtung bestimmen. Demgegenüber gab Eichhorn zu bedenken, daß es auch Unternehmen mit kommunalen Minderheitsaktionären gebe. Im folgenden sprach sich Hauser dafür aus, das kameralistische Rechnungswesen abzuschaffen und die Doppik in der kommunalen Verwaltung einzuführen. Dieser Vorschlag fand die Zustimmung von Eichhorn, der auf die Schweiz und Schweden hinwies, die bei einer Reform als Vorbild dienen könnten. So habe man in der Schweiz in allen Kommunen und Kantonen das kaufmännische Rechnungswesen mit wenigen Änderungen eingeführt. Dagegen äußerte Erichsen Zweifel, ob es sinnvoll se~ das kommunale Haushaltsrecht erneut zu ändern, nachdem man gerade vor 20 Jahren über ein abgestimmtes Verhalten der Länder zu verhältnismäßig gleichartigen Ergebnissen gekommen sei.
IV.
Schließlich befaßte sich Eichhorn mit zwei für die Perspektiven der kommunalen Selbstverwaltung interessanten Aspekten. Während einerseits eine Stärkung der dezentralen Kräfte durch Entflechtung angestrebt werde, seien andererseits im Bereich der Privatwirtschaft Konzentrationsbewegungen ungeahnten Ausmaßes sowie im Bereich der kommunalen Wirtschaft starke Tendenzen zur Regionalisierung festzustellen. Es sei fraglich, ob in dieser Situation Entflechtung mit dem Ziel der Stärkung der Kommunen möglich sei. Daneben sah Eichhorn in der europäischen Integration Gefahren für die kommunale Selbstverwaltung. Es gelinge den deutschen Vertretern bisher nicht, der Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung für die Bundesrepublik Deutschland in Brüssel Gewicht zu verleihen. So habe die EG eine Charta zur Regionalisierung verabschiedet, in der die Rolle der Kommunen nicht behandelt werde. Es sei daher - ohne Kurskorrektur - zu befürchten, "daß der Gedanke der kommunalen Selbstverwaltung in Europa verlorengehe".
Entwicklungstendenzen und Anforderungen im Politikfeld Gesundheit und Soziales Von Rainer Pitschas
I. Kommunalwissenschaftliche Integration öko-sozialer Zukunftsvorsorge 1. "Gesundheit und Soziales" als Gegenstand kommunaler Sozialpolitik Der Versuch, für das Politikfeld "Gesundheit und Soziales" spezifische Entwicklungstendenzen realanalytisch festzustellen und hieraus konkrete Anforderungen an die kommunale Selbstverwaltung abzuleiten, steht nicht ganz unerwartet vor beträchtlichen Schwierigkeiten. Denn es handelt sich im einzelnen um ganz unterschiedliche Prozesse der Leistungserbringung und Problemverarbeitung\ die in den Bereichen von Sozial- und Jugendhilfe, Arbeitsmarktpolitik und Wirtschaftsförderung, lokaler Gesundheitshilfe und öffentlichem Gesundheitsdienst oder auch städtischer Wohnungsversorgung, sozialer Infrastruktur und Gemeindefmanzsystem in einem einheitlichen Politikfeld verortet werden sollen. Hierzu ermutigen zwar und einerseits jene neueren Ansätze einer "kommunalen Sozialpolitik", die "von unten" ausgehend2 - an den vorfmdlichen konkreten Arbeits- wie Lebenszusammenhängen in Stadt und Land anknüpfen, um aus dieser dezentralen Sicht ausgreifende Interventionsmuster und Funktionsimperative des sozialen Auftrags der Kommunen zu entwickeln.3 Ihnen stehen aber andererseits die überkommenen Analyse- und Handlungsmuster einer eher ver1 Zu deren Divergenzen und zur Notwendigkeit einer diesbezüglich je spezifischen "Perspektive" vgl. auchJ.J. Hesse, Politik und VeiWaltung als Gegenstand der Kommunalwissenschaften, in: ders. (Hrsg.), Kommunalwissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 117 (127 ff.). 2 Dazu näher JJ. Hesse (Hrsg.), Erneuerung der Politik "von unten"?, 1986, sowie die Beiträge in: BlankejEversjWollmann (Hrsg.), Die Zweite Stadt. Neue Formen lokaler Arbeits- und Sozialpolitik, 1986; Pitschas, Kommunale Sozialpolitik, in: v. Maydell/Ruland (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch, 1988, S. 1011 (1032 f. mit Rn. 73 ff.). 3 Vgl. statt aller Blessing, Die Zukunft des Sozialstaats, 1987, S. 84 (232 ff., 243 ff.).
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waltungsrechtlich sowie administrativ-technisch ausgerichteten Kommunalpolitik gegenüber. Diese beschränkt sich in ihren Erhebungen und Zukunftsvisionen darauf, einzelne Sachbereiche wie z.B. Verkehr, Umweltschutz oder Städtebauförderung unter dem Dach einer übergreifenden Kommunalverfassung punktuell-isoliert, additiv und ohne Integrationsinteresse abzuarbeiten. Den damit angedeuteten methodischen Gegensatz in der Auseinandersetzung um die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung im Politkfeld "Gesundheit und Soziales" illustriert die aktuelle Diskussion um den Status der Kommunalwissenschaft(en) in der Bundesrepublik Deutschland.4 Für ihn steht ebenso - allerdings gegenläufig - die aus verwaltungsrechtlicher Perspektive regelmäßig wiederkehrende Rekapitulation allfälliger Entwicklungen im Kommunalrecht, die stets und ständig von neuem um die institutionellen Sicherungen des Rechtsinstituts der kommunalen Selbstverwaltung kreist, dabei aber in seltsamer Distanz zu den materiellen Problemen und Prozessen der städtischen bzw. gemeindlichen Leistungserbringung sowie Problemverarbeitung verharrt.5 Nun ist freilich zuzugeben, daß der Sinn des Begriffs "sozial" seitlangem diffus geworden ist. Im Prozeß der Modernisierung unseres Gemeinwesens und sozialstaatlicher Politik6 zehren an ihm die Wünsche nach Individualisierung der Lebensgestaltung ebenso wie die entgegengesetzte, legitimatorisch auf den sozialen Bundesstaat und das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes gestützte, rechtsförmige und planhafte, vorrangig von der (kommunalen) Sozialverwaltung gesteuerte Ausweitung staatlicher Sozialverantwortung7. Sie reicht schon längst über den Bereich traditioneller Probleme der Sozialpolitik hinaus. Gegenüber dieser Mißlichkeil behelfen wir uns im Sozialrecht mit dem Verweis auf einen "formellen" Sozial-Rechtsbegriff; indessen wissen wir, daß sich heute und zumal im Angesicht der Produktiv4 Ihre Grundlinien zeichnet plastisch der von JJ. Hesse herausgegebene Band "Zur Situation der kommunalen Selbstverwaltung heute", 1987, nach. 5 Siehe z.B. Erlenkämper, NVwZ 1990, 116; v. Unfllh, Landkr. 1989, 371. 6 Zur ,,Modernisierung" der Sozialpolitik zuletzt H. Braun, Verw. 1989, 151; einige Leitgesichtspunkte unter dem Blickwinkel der Sozialentwicklung hebt hervor Zacher, Vierzig Jahre Sozialstaat - Schwerpunkte der rechtlichen Ordnung, in: Blüm/Zacher (Hrsg.), 40 Jahre Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 19 (118 ff., 128 f.). 7 Pitschas, Soziale Sicherung durch fortschreitende Verrechtlichung? - Staatliche Sozialpolitik im Dilemma von aktiver Sozialgestaltung und normativer Selbstbeschränkung, in: R. Voigt (Hrsg.), Verrechtlichung, 1980, S. 150 ff.; Zacher, (Fn. 6), S.113. 8 Zur Problematik siehe P. Krause, Einführung in das Sozialrecht der Bundesr~ publik Deutschland, in: ders. (Hrsg.), Sozialgesetze, 3. Aufl. 1987, S. 23 ff.
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kraftdes "Technischen Fortschritts" mit seinen alle Lebensbereiche durchdringenden Folgeerscheinungen eine präzise Definition dessen, was "Sozialpolitik" inhaltlich umspannt, nicht geben läßt. Man mag darunter das Bemühen eines Teilsektors politischen Handeins verstehen, zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit sowie unter Herbeiführung eines sozialen Ausgleichs in der Bevölkerung die wirtschaftlichen und sonstigen Lebensbedingungen aller Menschen in unserer Gesellschaft aneinander anzugleichen und dadurch zur real-wirksamen Ausübung grundrechtlich garantierter Freiheiten beizutragen.9 Das gilt dann auch in einem wiedervereinigtem Deutschland.10 Dennoch bleibt das "Soziale" in sich widersprüchlich und der aktuell-politischen Definition wie Entscheidung ebenso zugänglich und bedürftig.n Dieser Offenheit und Verknüpfung aller Sozialpolitik mit den "Lebenswelten" gibt der auch in den Gemeinden gegen den Vorwurf ihrer Unregierbarkeit, Verrechtlichung und Bürokratisierung gewendete Entwurf kommunaler Konsolidierungspolitiken, von Privatisierungskonzepten oder Überlegungen zur Förderung von Subsidiarität und Selbsthilfe in lokalen Politkfeldern12 prononciert Ausdruck. Zusätzliche Rechtfertigung fmden solche Gestaltungsmerkmale kommunalen Sozialhandeins durch die in den Gemeinden auch künftig knappen Ressourcen und wachsenden Defizite bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Politikkürzel wie die genannten ersetzen freilich nicht eine realistische Analyse der Handlungsbedarfe und -möglichkeiten in der kommunalen Sozialpolitik. Diese muß sich allerdings von der gegebenen Fragmentarisierung sozialer Aufgaben im differenzierten Institutionengefüge der Städte, Gemeinden und Kreise erst noch lösen. Das erscheint mir unerläßlich, sollen im Sinne einer interdisziplinär ausgerichteten Stadt- und Gemeindeforschung zusammengehörige Elemente und Aspekte von Problemverursachung und Problemlösung im Feld des "Sozialen" als solche wahrgenommen und kenntlich gemacht werden. Der Gesundheitssektor ist darin einzubeziehen. Daß die Kommunen überhaupt im Gesundheitswesen tätig sein dürfen, ist freilich nicht so selbstverständlich, wie es scheint. Zwar wurde die enge Verknüpfung zwischen Armut und Krankheit, also auch zwischen den örtlichen Lebens- und Wohnsituationen und der "Gesundheit" bereits seit dem Ende des 18. Zacher, FS für W. Zeidler, 1987, S. 571 (573). Zu einigen Problemen dabei vgl. u.a. Bankjl(reikebohm, ZSR 1990, 1 ff. n Zacher, (Fn. 9), S. 573. 12 Dazu u.a. die Beiträge in R. Heinze (Hrsg.), Neue Subsidiarität: Leitidee für eine zukünftige Sozialpolitik?, 1986; J. Münder/D. Kreft (Hrsg.), Subsidiarität heute, 1990. 9
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Jahrhunderts offenkundig - mit der Folge, daß sich die Kommunen auch um die Gesundheitsbelange ihrer Bürger sorgen mußten.13 Spätestens aber mit dem "Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens" vom 03.07.193414, das heute in den meisten Bundesländern noch als (bereinigtes) Landesrecht fortgile5, entwickelte sich der öffentliche Gesundheitsdienst zu einer vorwiegend staatlichen Angelegenheit. Seine Aufgaben werden denn auch verbreitet als "orginäre Staatsaufgaben" bezeichnee6 und die Gesundheitsämter als staatliche Fachbehörden eingeordnet.17 Mir scheint diese Auffassung weder im Hinblick auf die postulierte Aufgabenqualität zwingend, noch entspricht sie dem Bedarf nach einem bürgernahen öffentlichen Gesundheitsdienst, der ein orginäres kommunales Anliegen darstellt und sich in der Wirklichkeit kommunaler Gesundheitspolitik bereits anfänglich widerspiegelt.18 Der Analyserahmen kommunaler Sozialpolitik reicht indessen noch weiter. Denn die skizzierte Bezugnahme des sozialen Auftrags von Städten und
Gemeinden auf die Strukturen und Prozesse der menschlichen Alltags- und Lebensgestaltung erweist die kommunale Sozialpolitik als eine "Querschnittsaufgabe": Werden nämlich die Sozialaufgaben aktiv und offensiv wahrgenommen und sind die Kommunen bereit, neuartige Problemlagen unter Beachtung der sozialen Bedarfe und Bedürfnisse ihrer Bürger zu bewältigen, dann stellen prinzipiell alle gemeindlichen Politikfelder Orte für sozialpolitische Interessenvermittlung dar.19 Im Ergebnis heißt dies, daß vor allem lebenspraktische Zusammenhänge bestimmen, wann und wo eine "offene" lokale Sozialpolitik durch öffentliche und "gemeinnützige" Träger erbracht werden muß und wann bzw. wo sie durch selbstorganisierte Hilfen zu vermitteln ist. Dabei steuert die Konnexität zwischen sozialen Auffälligkeiten und benachteiligenden Lebensbedingungen die komunalen Problemlösungsansätze. Soziale Bedürfnisse und Defizite sind vor allem in solchen Zusammenhängen zu beurteilen und dann auch anzugehen, wo sie entstehen bzw. auftreten und wo die gesell13 Labisch, Gemeinde und Gesundheit, in: Blanke/Evers/Wollrnann, (Fn. 2), S. 275 ff. 14 RGBI. I S. 531. 15 Blau, Gesundheitswesen, in: G. Püttner (Hrsg.), HKWP Bd. 4, 2. Aufl. 1983, S. 406 f.; Pitschas, NJW 1986, 2861 (2863). 16 Z.B. G. Scholz, BayVBl. 1987, 65 (66). 17 G. Scholz, (Fn. 16), 66; vgl. auch Art. 2 Abs. 1 Bayer. Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst v. 12.07.1986 (GVBI. S. 120). 18 Labisch(Tennstedt, Der Weg zum "Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens" vom 3. Juli 1934, Teil1, 1985, S. 6 ff. 19 Ebenso Keim, Kommunale Sozialpolitik, in: Gegenwartskunde, SH 4/1983, ,S. 62 (75).
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schaftliehe oder private Selbsthilfe geweckt, gestützt und ausgebaut werden kann. Das aber bedeutet, die Anforderungen im Politkfeld "Gesundheit und Soziales" aus ihrer lokalen Umwelt zu begreifen, also die Bedarfe der Bürger in ihrem jeweiligen "Stadtquartier" zu verorten.210 Aussagen über die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung im Bereich der kommunalen Sozialpolitik erfahren deshalb sowohl ihren Analyserahmen wie ihre handlungsbezogene Umsetzung in einer einheitlichen theoretischen Orientierung am Muster der ökologischen Interpretation des "Sozialen".21
2. Kommunale Sozialpolitik als öko-soziale Zukunftsvorsorge Ganzheitliches Denken und Handeln in der Wahrnehmung der kommunalen Sozialverantwortung ist die Folge. In dieser konzeptionellen Perspek-
tive verlagern sich soziale Hilfe und sozialpolitische Initiative vom reaktiven Handeln zur mehr und mehr geplanten Tätigkeit. Mit der teilweise ausgebauten Sozial- und der vorerst nur ansatzweise praktizierten städtischen/gemeindlichen Entwicklungsplanung verfügen die Kommunen an sich über ein entsprechendes Instrumentarium. Es ermöglicht ihnen, die örtlichen Sozialaufgaben unter den Bedingungen eines quantitativen, qualitativen und zeitlichen Wandels in den Gesamtzusammenhang kommunaler Politik einzufügen.22
Freilich bestehen für eine "aktiv'' steuernde, integrative kommunale Sozialplanung derzeit erhebliche faktische, aber auch rechtliche Restriktionen.
Sie ergeben sich aus dem Gesamtzusammenhang staatlich-administrativer Planungs-, Zuteilungs- und Lenkungsprozesse einer gesamtstaatlichen Raum-, Wirtschafts- und Finanzplanung. Diese eröffnet den Gemeinden und Gemeindeverbänden nur wenig eigene planerische Möglichkeiten.23 Hinzu tritt, daß die in der Vergangenheit intensiv gepflegte Diskussion über die Ausweitung der Entwicklungsplanung mittlerweile versiegt ist.24 Der
210 Näher dazu Pitschas, Neubau der Sozialverwaltung, Verw. 1979, 409 (415 f.); Huber, Berliner Gesundheits-Lehre, in: Blanke/Evers/Wollrnann, (Fn. 2), S. 367 ff. 21 Dazu interessant Hegner, Zukunftswege der lndustriegesellschaft: Ausbau der "Einbahnstraße" oder Umbau zur "Zweibahnstraße"?, in: R. Heinze (Hrsg.), (Fn. 12}, s. 303 (304 f., 322 f., 328 f.). 22 Kilim, Kommunale Sozialplanung, 1975, S. 45 ff.; Bleekjlost, Organisation und Methodik kommunaler Entwicklungsplanung, 1986, S. 11 ff., 31 ff., 65 ff., 83 ff. 23 Vgl. nur Benz, Kommunale Finanzwirtschaft und Landesplanung, 1983, S. 16 ff., 54 ff., 94 ff. 24 Zu dieser "Phase" im Verlaufsprozeß der kommunalwissenschaftlichen und praktischen Auseinandersetzung um stadt-, kommunal- und lokalpolitische Themen
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Vorschlag, im Wege einer kommunalen Sozialentwicklungsplanung die Sozialfunktion der Kommunen zu entfalten und dabei deren eigene Steuerungskapazität zu erweitern, muß deshalb auch gegen allgemeines Desinteresse ankämpfen. Der Bedarf, das bereits erwähnte Mandat kommunaler Sozialpolitik zur sozialökologischen Intervention durch kommunale SozialentwicklUil!W'lanung zu entfalten, ist allerdings im Hinblick auf die Bedürfnislagen einzelner Bevölkerungsgruppen und die Dissonanzen der kommunalen Fachpolitiken unverkennbar: Einerseits dominiert in der gegenwärtigen Kommunalpolitik nicht die Perspektive der Gesamtstadt und ihrer wünschenswerten Entwicklung, sondern es gibt lediglich eine Addition von Fachpolitiken.25 Kommunale Entwicklungsplanung und in Sonderheit ihre Ausprägung als Sozialentwicklungsplanung könnte dem abhelfen und zur Modernisierung und Rationalisierung der Kommunalverwaltung, wie sie seit einiger Zeit eingefordert wird26, beitragen. Andererseits dürfte sich zukünftig und mit Blick auf die derzeit akuten delegitimatorischen Prozesse in den Verdichtungsräumen der Bundesrepublik sowie auf die aktuellen Funktionsverluste der für den gesellschaftlichen und politischen Integrationsbedarf geschaffenen Institutionen27 die kommunale Sozialentwicklungsplanung als ein geeignetes Instrument erweisen, die gesellschaftliche Integrationsfähigkeit der Gemeinden zu stärken. Denn faktische Politik im Sozialsektor ist wie kaum eine andere dazu prädestiniert, "Integration" - verstanden als individuelle Akzeptanz und materieller Erfolg der Umsetzung vorgegebener Wertideen und Leitbilder durch gesamtstaatliches Handeln28 - zu bewirken oder aber zu verhindern.29
siehe etwa JJ. Hesse, (Fn. 1), S. 120; aktuelle Probleme der Stadtentwicklung und der Kommunalpolitik behandelt der gleichnamige Materialienband des Deutschen Instituts für Urbanistik, Berlin 1989. Die Frage ist heute vor allem, wie die Planung auf "rückläufige Entwicklungen" zu reagieren vermag, vgl. Kaltenbacher, Die Entwicklung der kommunalen Planung, in: FS für R. Seeger, 1987, S. 49 (52). 25 Banner, Modernisierung und Rationalisierung der Kommunalverwaltung aus politischer Sicht, ZKF 1989, 122 (123). 26 Blessing, (Fn. 3), S. 243 ff.; Braun/Martini/Minger, Kommunale Sozialpolitik in den neunziger Jahren, 1989, S. 41 ff. 27 Dazu treffendJJ. Hesse, (Fn. 1), S. 131. 28 Zu Deutungsgehalt und Reichweite des Begriffs der "sozialen Integration" siehe Pitschas, (Fn. 7), S. 151 f.; zur integrativen Funktion der Kommunen vgl. auch Keim, (Fn. 19), S. 63. 29 Pankoke, Kommunale Orientierung sozialer Politik. Zur ,,Mittlerstellung'' kommunaler Selbstverwaltung, in: J. Krüger jE. Pankoke (Hrsg.), Kommunale Sozialpolitik, 1985, s. 330 (339 ff.).
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In diesem Integrationsauftrag sozialer Kommunalpolitik30 nehmen die vielfältigen Zukunftsetwartungen der Bürger gegenüber den sozialen Aktivitäten von Städten, Kreisen und Gemeinden sowie die Erfüllung dieser Erwartungen eine zentrale Stellung ein. Sie zielen auf die öko-soziale Zukunftsvorsorge, die vornehmlich die Grundbedürfnisse nach Arbeiten und Wohnen, Ernährung und Gesundheit, Bildung und Freizeitgestaltung zu befriedigen hat. Daraus erwachsen entsprechende Funktionsimperative der kommunalen, sozialintegrativen Stadtpolitk. Kommunale Sozialpolitik ist freilich nicht allein in der Lage, hier mehr als nur vorläufige Erfolge zu erzielen. Denn sie vermag sich nicht der revolvierenden Dynamik aller Sozialpolitik zu entziehen.31 Die alsbald geweckten Bedarfe rufen nämlich stets weitere hervor; die Anforderungen der Bürger an die kommunale Sozialverantwortung kulminieren in ständig neuen Teilerwartungen "vor Ort".32 Allfällige Bezugnahmen auf den "kooperativen Staat", auf Eigenverantwortung und Selbstorganisation sozialen Handelns33 können daran nichts entscheidend ändern. Zwar beruht kommunale Sozialpolitik auf den Grundpfeilern einer kooperativen Sozialverantwortung und pluralen Selbstorganisation, die ihrerseits in der grundgesetzliehen Sozialverfassung verankert sind.l4 Sie umschließt demgemäß koordinierende Maßnahmen auf allen Ebenen rechtlich organisierter Wirkeinheit in den Kommunen unter Abstimmung mit gesellschaftlichen Institutionen und Einrichtungen des "Dritten Sektors".35 Doch noch immer hat soziale Politik unbeirrt ihren Weg zur "staatlichen Sicherheit" weiter verfolgt.
Zu ihm näher nochPitschas, (Fn. 2), S.1039 mit Rn. 98. Zu ihr siehe bereits früher Achinger, Soziale Zukunftserwartungen, in: ArchWissPraxsozArb 1976, 1 (16 f., 18 ff.). 32 Vgl. auch Wa/lerath, Strukturprobleme kommunaler Selbstverwaltung, DÖV 1986, 533 (541). 33 Dazu jüngst E. H Ritter, Das Recht als Steuerungsmedium im kooperativen Staat, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1/1990, 50 (58 ff.); aus dem Sozialsektor siehe z.B. Treutner, Sozialverwaltung zwischen öffentlicher Regulierung und subjektiven Interessen - Das Beispiel der Selbsthilfeförderung, JfR 1989, 119 ff. l4 Pitschas, Verw. 1982, 473 (485, 489 ff.). 35 Zu dessen Abgrenzung, Typisierung und Analyse siehe Reichard, DÖV 1988, 363 ff. ;A. Zimmer, ZögU 1989, 552 ff. 30 31
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3. Öko-soziale Zukunftsvorsorge durch sozialintegrative Stadtpolitik Im Mittelpunkt derart berufener umfassender kommunaler "Sozialität" dürfte zukünftig mehr als je zuvor eine sozialintegrative Stadtpolitik stehen. Kommunale Sozialpolitik beschränkt also ihren Wirkungskreis keineswegs auf die Schwerpunkte der Sozial-und Jugendhilfe sowie des kommunalen Gesundheitswesens.36 Offenbart sie sich statt dessen als eine typische "Querschnittsaufgabe"31, so sind in ihren Vollzug alle kommunalen Institutionen eingeschaltet; Träger sozialer Belange in der Kommunalpolitik sind die kommunalen Dienststellen bzw. Selbstverwaltungsorgane schlechthin. Kommunale Sozialpolitik in diesem Sinne nimmt daran Anteil, der Zerstörung der Stadt, der sozialen und natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen in ihr Einhalt zu gebieten.
J egliehe Diskussion um Stadtgestaltung, um neue Bedarfe an öffentlichen Infrastrukturen und Sozialleistungen ist somit von der Frage nach der Reichweite kommunaler Sozialverantwortung und nach umwelt-und sozialverträglichen Formen wie Strukturen der künftigen Stadt, die eine urbane und menschenwürdige Existenz, zwischenmenschliche Kommunikation und gesellschaftliche Solidarität erlauben sollen, nicht zu trennen. Stadtpolitik muß jeweils die Voraussetzungen für soziale Integration sichern. Die Zukunftsverantwortung für die "Stadt von morgen" umfaßt demgemäß ebenso öko-soziale Zukunftsvorsorge, wie diese ihrerseits die Zukunft der Städte und Gemeinden sichert. Allerdings sind dabei Stadt-Land-Unterschiede zu berücksichtigen.38 Zwar weisen die ländlichen Gemeinden noch immer nur einen Teil jener Problemlagen auf, mit denen sich die großen Städte auseinandersetzen müssen. Besondere Aufgaben nehmen hier zudem überörtliche Träger wahr wie z.B. Landschafts- oder Zweckverbände.39 Doch sind prinzipielle Problemverflechtungen nicht zu leugnen. Ferner gibt es empirisch keine Anhaltspunkte dafür, daß die individuelle und gesellschaftliche Solidarverantwortung desto seltener anzutreffen sei, je größer die Kommune ist. Verflechtungsphänomene zeigen sich insbesondere in den Umlandgemeinden großstädtischer Ballungsräume. Analog zu den gegebenen ökoSo auch Keim, (Fn. 19), S. 75 f. Pitschas, (Fn. 2), S. 1025 mit Rn. 49 f. 38 Siehe auch D. FürstjH.Gansefooh, Stadtpolitik aus regionaler Perspektive, in: JJ. Hesse, (Fn. 2), S. 201 ff. 39 Sie sollen die Verflechtung der lokalen Verdichtungsräume organisatorisch angemessenen erfassen; näher zu Stellung und Aufgaben im kommunalen Gefüge siehe Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, in: I. v. Münch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 1988, S. 97 (194 ff., 198 f.). 36 31
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nomischen und ökologischen Herausforderungen ist es deshalb in den Feldern der sozialen Praxis zukünftig noch mehr erforderlich, moderne und leistungsfähige Handlungs- und Planungsansätze sowie -instrumentarien zu entwickeln, die auf den Regionalbezug kommunaler Sozialpolitik reagieren. Unabdingbar hierfür ist allerdings, die Zusammenarbeit zu institutionalisieren.40 Auch auf diesem Wege vermag die Stadt- bzw. Gemeindepolitik ihrem Auftrag zur Sozialintegration Folge zu leisten.
4. Sozialintegration und Kommunalverfassung: Auf dem Weg vom Organisationsstatut zum "Sozialpakt" Die Rolle der Kommunen im Politikfeld "Gesundheit und Soziales" beschränkt sich nach alledem nicht darauf, lediglich Vollzugsorgan staatlicher Anordnungen für die Erbringung sozialer Hilfen und die Führung sozialer Dienste zu sein. Das sind sie zwar auch und weithin; ihre Vollzugsfunktion ist unstreitig.41 Hierin sowie in der Hinwendung zu Europa liegt auch die Notwendigkeit begründet, künftig stärker als bisher soziale Kommunal- mit der Landespolitik unter "Herabzonung" der Aufgaben zu verzahnen. Aber das eigentliche Wirkpotential der Kommunen im Feld der sozialen Daseinsvor- und -fürsorge sehe ich doch darin, wie sie sich in Zusammenarbeit mit dem Bürger und gesellschaftlichen Verantwortungsträgern in die Dynamik sozialer Konflikte einmischen, diese mitbearbeiten und zu Lösungen unter Beachtung kooperativer Sozialverantwortung und gesellschaftlicher Selbstregulierung gelangen!1 Nicht nur das politische Gemeinwesen "Kommune" verändert auf diesem Hintergrund "sozialer" Einflußnahme auf Strukturen, Prozesse und Inhalte lokaler Politik seinen Charakter; auch die "Kommunalverfassung" als rechtliche Grundlage der kommunalen Problembearbeitung und Leistungserbringung ist diesem "inneren" Bedeutungswandel unterworfen. Im Zeichen wachsender "Verteilungskämpfe" werden nämlich die Städte und Gemeinden verstärkt zum Ort wie Gegenstandsbereich der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung. Damit verbunden steht die Integrationsfähigkeit der Kommunen zur Diskussion. 40 Benz, Probleme und Perspektiven der Kommunalpolitik im Strukturwandel, in: JJ. Hesse (Hrsg.), Zur Situation der kommunalen Selbstverwaltung heute, 1987, s. 165 (181 ff., 184 f.). 41 Ebenso Keim, (Fn. 19), S. 62 f. 42 Vgl. auch Mielenz, Die Strategie der Einmischung. Soziale Arbeit zwischen Selbsthilfe und kommunaler Politik, in: S. Müller/fh. Olk/H.H. Otto (Hrsg.), Neue Praxis, SH 6/1981, 57 ff.
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Der Beitrag der Kommunalverfassung hierzu, also ihre Integrationsfunktion, scheint mir allerdings zweifelhaft, erweisen sich doch speziell die Gemeindeordnungen derzeit vornehmlich als blasse Organisationsstatute. Nun ist der Prozeß der "sozialen Realisation" auf kommunaler Ebene zwar weder durchweg in Rechtsnormen zu pressen noch zu vereinheitlichen. Und er erlangt deshalb so eigenständige Bedeutung im Zusammenhang der gesamt-staatlichen Sozialpolitik, weil gerade im Sozialsektor der Vollzug staatlicher Planung und Funktionen gar nicht mehr von der Verwaltung allein übernommen werden kann.43 Gleichwohl könnte und sollte die unabwendbare "Erneuerung" lokaler Sozialpolitik ihr Widerlager in einer entsprechenden Reform des Gemeindeverfassungsrechts fmden. Dies will nicht besagen, daß sich die Gemeinden in der Vergangenheit auf vielen Feldern und auch in der Sozialpolitik den dieser Überlegung zugrundeliegenden Herausforderungen an die materiale Gestaltung der Lebensverhältnisse durch Selbstverwaltung überhaupt entzogen hätten. Und auch die Gemeindeordnungen wurden in der Vergangenheit immer wieder den aktuellen Bedürfnissen und Handlungsbedingungen angepaßt. Fraglich scheint mir jedoch, ob die immer wieder gepflegte detailbezogene Änderung des Gemeindeverfassungsrechts auch in der heutigen Situation noch ausreicht. Wie nämlich schon deutlich geworden ist und im folgenden mit einigen konkreten Entwicklungszahlen belegt werden soll, haben sich in den letzten Jahren die Handlungsbedingungen der kommunalen Selbstverwaltung im Politikfeld von "Gesundheit und Soziales" teilweise dramatisch gewandelt. Das Spektrum des Handlungsbedarfs ist vielfältiger geworden. Insbesondere ist es der darin angelegte verfassungsrechtliche Leitgedanke der Sozialstaatlichkeit, dem m.E. im Kommunalverfassungsrecht mehr Raum zu geben wäre. Die in der gegenwärtigen Diskussion um die Reform der Kommunalverfassungen vorherrschende Tendenz, sich nahezu ausschließlich Organisationsfragen zuzuwenden und hier eher "technische" Einzelheiten umzugestalten44, sollte sich deshalb auch um Fragen nach der Sozialverträglichkeit kommunalen Handeins ergänzt sehen: Kommunalverfassungen sind nicht zuletzt Sozialpakte einer Gemeinschaft von Bürgern auf engem Raum,
43 Ebenso Gotthold, Privatisierung oder Entbürokratisierung kommunaler Sozialpolitik?, in: R. Voigt (Hrsg.), Abschied vom Recht?, 1983, S. 249 (256 ff., 257). 44 Diese Tendenz scheint z.B. auch H Schnoor, der Innenminister des derzeit bes. reformbefangenen Landes Nordrhein-Westfalen zu rügen, vgl. ders., Die kommunale Selbstverwaltung im Spannungsfeld zwischen staatlicher Organisation und gesellschaftlicher Folgenabschätzung, in: H.-U. Erichsen (Hrsg.), Kommunalverfassung heute und morgen- Bilanz und Ausblick, 1989, S. 13 (20 ff., 22).
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um hier unter dem Ziel gleichheitsgebundener Verteilungsgerechtigkeit auf Dauer überleben zu können.
II. Kommunale Selbstverwaltung als Sicherung sozialer Grundbedürfnisse
1. Defizite der sozialen Grundversorgung Diese Zielsetzung gerät zunehmend in Gefahr, betrachtet man im Politikfeld von "Gesundheit und Soziales" die aktuellen Entwicklungstendenzen näher. Eine knappe Ist-Analyse der Mißstände in den einzelnen Handlungsfeldern kommunaler Sozialpolitik belegt die Notwendigkeit, für die Städte und Gemeinden neue sozialpolitische Strategien zu entwickeln. Im Vordergrund steht dabei der fortwährende Kampf gegen dieAnnut, die zumal in den Ballungszentren zu regelrechten "Sozialhilfekarrieren" geführt hat45 und sich heute wie ein Krebsschaden in unsere Gesellschaft frißt. Zumal im Zeichen der deutschen Wiedervereinigung ist diesem Prozeß besondere Beachtung mit Blick auf die DDR zu schenken.
a) Armutswachstum in der Bundesrepublik Deutschland Sieht man im Bereich der Bundesrepublik Deutschland als "arm" an, wer mit weniger als der Hälfte des Durchschnittseinkommens der Beschäftigten existieren muß46, dann zählt zu diesem Personenkreis jeder zehnte Bundesbürger. Es sind mithin ca. 6 Mio. Menschen, die nach dem ersten deutschen ,,Armutsbericht", den der Paritätische Wohlfahrtsverband im November 1989 vorgelegt hat,47 den "armen" Bundesbürgern zuzurechnen sind. Andere Zahlen ergeben sich freilich, soweit man als "arm" bezeichnet, wer Sozialhilfe amtlicherseits bezieht. So lebten im Jahre 1988 3,3 Mio das sind rund 5% der Bundesbürger - ganz oder teilweise von der Sozialhilfe. Die anderen knapp 3 Mio. Bürger sind ausweislich der Statistik "verschämte Arme", die ihre Not zu verbergen suchen. Hinzu kommt die Zahl 45 Vgl. Ludwig/Hegemann-Mahltig/Leibfried, Sozialhilfe und "normale" soziale Sicherung, in: B. RiedmüllerfM. Rodenstein (Hrsg.), Wie sicher ist die soziale Sicherung?, 1989, S. 100 (104). 46 Hanesch, Armutspolitik in der Beschäftigungskrise, 1988, S. 12 f. m.w.N.; Iben, Blätter der Wohlfahrtspflege 1989, 276 ff. 47 Dt. Paritätischer Wohlfahrtsverband (Hrsg.), Armutsbericht, in: Blätter der Wohlfahrtspflege, 11 - 12/1989.
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der Obdachlosen, die derzeit bei anhaltendem Wachstum um rund 100.000 Personen beträgt. Dem ließen sich ferner noch 200.000 Menschen addieren, die in Notunterkünften leben - ohne die aktuellen Aus- und Übersiedlerzahlen darin einzuberechnen. Folgt man im übrigen den Ursachen für das Abgleiten in Armut, so resultiert diese zu 31,5% aus der Arbeitslosigkeit. Bei 14,9% der Armen reichen Renten oder Pensionen zum Lebensunterhalt nicht aus, bei 12,9% ist der Ernährer ausgefallen. Weitere 6,5% der erwähnten Personenkreise sind ohne Arbeitseinkommen; Krankheit verursachte bei weiteren 6,4% existenzielle Not.
aa) Sozialhilfe als defizitäres Sicherungspotential Im Mittelpunkt dieser Zahlen wie der Armutsdiskussion insgesamt steht die Sozialhilfe, die einen Schwerpunkt der kommunalen Sozialpolitik bildet.48 Das Handlungsfeld für den hierin begründeten und die frühere traditionsreiche ,,Armenpflege" ablösenden spezifischen Sicherungsauftrag der Kommunen vor Armut49 steckt vor allem das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ab. Als es am 01.07.1962 in Kraft traro, sah sich die Sozialhilfe noch als eine subsidiäre, bedarfsorientierte, einkommens- und vermögensabhängige Grundsicherung konzipiert, als ein ,,Ausfallbürge" in Notlagen.s1 Diese Situation hat sich heute, wie die genannten Zahlen bereits andeuten, grundlegend gewandelt. Versucht man, dieses "Wachstum" in eine Trendaussage zu kleiden, so ergibt sich, daß im Jahre 1986 insgesamt 3,02 Mio. Personen - darunter 1,69 Mio. Frauen - Leistungen der Sozialhilfe erhielten. Unter den Sozialhilfeempfängern (SHE) bezogen 2,24 Mio. laufende Hilfe zum Lebensunterhalt und 1,12 Mio. Hilfe in besonderen Lebenslagen.s2
48 Dies gilt zumal für die Kommunale Sozialpolitik in den neunziger Jahren, vgl. auch Braun/Martini/Minger, (Fn. 26), S. 16 ff. 49 Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Vom 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, 1981, S. 29 ff.; Fesch, Soziale Ausgestaltung der Armenpflege, 1901. so Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vom 30.06.1961 i.d.F. der Bekanntmachung v. 20.01.1987 (BGBl. I S.401, ber. S. 494). st Näher dazu Giese, 25 Jahre Bundessozialhilfegesetz. Entstehen-Ziele-Entwicklung, ZfSH/SGB 1986, 249 ff. Sl Stat. Bundesamt, Fachserie 13: Sozialleistungen, Reihe 2: Sozialhilfe 1986 (1988), S. 19, 22 f.(aufgerundete Zahlen).
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Im Jahre 1987 sind diese Zahlen bereits gestiegen; immer mehr Bundesbürger erhielten Sozialhilfe. Oder in einer absoluten Zahl ausgedrückt: etwa 1,4 Mio. Haushalte empfmgen 1987 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt - das waren 56.000 Haushalte oder 4,2% mehr als 1986.33 Besonders häufig wurde dabei Hilfe zum Lebensunterhalt bereits von den 18 bis 25-jährigen beantragt, die als arbeitlose Schulabgänger keinen Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung hatten.54 Im übrigen wird immer deutlicher, daß sich gerade bei jüngeren Leuten die persönliche Einstellung zur Sozialhilfe verändert hat, so daß eines ihrer maßgeblichen Ziele, Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren, wohl verfehlt wird. Auch die Ausgaben für die Sozialhilfe insgesamt sind anhaltend gestiegen. Beliefen sie sich 1986 noch auf 23,2 Mrd. DM, wovon 10,1 Mrd. DM auf Hilfeleistungen außerhalb von Einrichtungen und 13,1 Mrd. DM auf die Gewährung von Hilfe in sozialen Einrichtungen entfielen, so lagen im Jahre 1987 dann die Ausgaben nach dem BSHG bei 25,2 Mrd. DM. Im Jahre 1988 erforderte schließlich die Sozialhilfe einen Aufwand von ca. 27 Mrd. DM.55 Rückgerechnet auf das Basisjahr 1980 hat sich damit innerhalb von 8 Jahren der Aufwand für Sozialhilfe fast verdoppelt. In der Höhe der Ausgaben gibt es von Bundesland zu Bundesland aller-
dings beträchtliche Unterschiede. Während z.B. Hamburg mit 92 Soziai-
hilfeempfängern (SHE) je tausend Einwohnern deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 45 SHE liegt, steht sich z.B. Rheinland-Pfalz erheblich besser. Hier beziehen von 1000 Einwohnern nur 35 Bürger Sozialhilfe oder in DM-Beträgen ausgedrückt: Die reinen Ausgaben der Sozialhilfe betrugen im Jahre 1986 in Hamburg je Einwohner über 500 DM, in Rheinland-Pfalz unter 250 DM.56 Dieses deutliche Nord-Süd-Gefälle hat sich auch im Jahre 1987 fortgesetzt; für Hamburg sind bereits 880 DM an Sozialhilfeausgaben je Einwohner zu notieren, während in Rheinland-Pfalz 320 DM je Einwohner aufzubringen waren.57 Das skizzierte Wachstum der Sozialhilfeausgaben stellt Gemeinden und Gemeindeverbände zunehmend vor Haushaltsprobleme. Die Ausgaben sind in den vergangeneo Jahren mit einer durchschnittlichen Jahresrate von 8,5% gestiegen - und damit weit stärker als die gesamten Ausgaben der Stat. Bundesamt, (Fn. 52), Sozialhilfe 1987 (1989), S. 19; SZ v. 9.6.1989, S. 2. Angaben nach DIE ZEIT, Nr. 20, v. 12.05.1989; U. Schneider, Blätter der Wohlfahrtspflege 1989, 292 ff. ss Stat. Bundesamt, (Fn. 52), Sozialhilfe 1986 (1988), S. 18; 1987 (1989), S. 18; 1988 (1990), S. 20 (Zahlen jeweils auf- bzw. abgerundet). 56 Stat. Bundesamt, (Fn. 52), Sozialhilfe 1986 (1988), S. 64 f. 57 Angaben nach Schulin/Kegel, Systeme und Zahlen sozialer Sicherung, 1990, S. 147 Geweils aufgerundete Zahlen). S3
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Gebietskörperschaften ( + 3,5%). Im Jahre 1988 entfielen ca. 13% der kommunalen Ausgaben auf Sozialhilfe, verglichen mit 8,5% im Jahre 1980 und 6% im Jahre 1970.sa Damit geht es nunmehr um die Frage der künftigen Finanzierung kommunaler Sozialpolitik im Sozialhilfesektor. Das Strukturhilfegesetz des Bundes.59 bringt dabei allerdings keine durchgreifende Entlastung.60 Auch ein Bundessozialhilfe-Finanzierungsgesetz würde nicht weiterhelfen. Zwar wird es angesichts der mit Gewißheit weitersteigenden Sozialhilfelasten notwendig, über die Perspektiven für eine aufgabengerechtere Finanzausstattung der Kommunen nachzudenken. Jenseits der Vollfmanzierung könnte eine der Lösungen darin bestehen, die "Kosten" der Sozialhilfe zu senken, indem man alle sog. systemfremden Leistungen abstreifen würde.61 Doch was sind solche "Lasten"? Sind sie wirklich systemsprengend? Was sind die Ursachen der Sozialhilfe? Die Fragen offenbaren zugleich, daß es auch in diesem Sektor der kommunalen Sozialpolitik um "verteilungs-und ordnungspolitische Erwägungen" zur Sozialhilfe geht. Die Frage ist, wie soll sie in Zukunft vor dem Hintergrund eines Denkens in Strukturen "neuer Subsidiarität" und "Selbsthilfe" sowie mit Blick auf die Forderung nach einer öko-sozialen Kommunalpolitik aussehen? Gedanken zur künftigen Finanzierung der Sozialhilfe führen m.a.W. unvermeidlich in das Spannungsfeld ordnungspolitischer Auseinandersetzung um die kommunale Sozialpolitik. Dies zeigt sich besonders deutlich im Zusammenhang der zwei vornehmlich kostenintensiven Gruppen von SHE, nämlich der Arbeitlosen einerseits sowie der Senioren andererseits.
sa Angaben nach SZ v. 20.04.1989, S. 25 .59 "Gesetz zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft in den Ländern" v. 24.12.1988 (BGBI. I S. 2358). 60 Belege hierzu bei N. Schmidt, Strukturhilfen des Bundes an die Länder: Vom finanzpolitischen Alibi zur strukturpolitischen Alternative, in: WSI-Mitteilungen 1989, 174 (178 f.); Heinelt, Die ,,Niedersachsen-Initiative" und das "Strukturhilfegesetz" vor dem Hintergrund gestiegener kommunaler Sozialhilfeausgaben für Arbeitslose, ebd., S. 182 (188). 61 Vgl. hierzu die Beiträge in: W. Kittecer (Hrsg.), Sozialhilfe und Finanzausgleich, 1990; siehe ferner Schellhom, NDV 1987, 241 (244).
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bb) Kommunale Sozialpolitik und Arbeitslosigkeit Arbeitslosigkeit, von deren zahlenmäßigem Umfang bereits die Rede war62, stellt eine immer stärker auch die Kommunen betreffende besondere Lebenslage von Gemeindebürgern dar.63 Allerdings haben die Kommunen in diesem Handlungsfeld lange Jahre wenig Anlaß gesehen, neben der Bundesanstalt für Arbeit die Arbeitslosigkeit als Problem institutionell aufzugreifen. Im Zeichen des verstärkten Zustroms von arbeitslosen Hilfesuchenden, die von der Arbeitsverwaltung keine oder nur geringe Leistungen beanspruchen können, entwickeln nunmehr aber auch die Gemeinden und hier vor allem die größeren Städte vermehrt Programme gegen die sozialen und materiellen Folgen der Dauerarbeitslosigkeit.64 Mögen inzwischen auch die Signale des Arbeitsmarktes positiver noch als vor Jahresfrist ausfallen, so ergibt sich doch in der Situation der Langzeitarbeitslosen keine grundlegende Änderung. Im Gegenteil: Deren Anteil an der Gesamtzahl hat sich z.B. auf dem Südbayerischen Arbeitsmarkt in der abgelaufenen Dekade verdoppelt.65
Die Kommunalbehörden trifft hier eine besondere Verantwortung, wie sich etwa an den allgemeinen Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung zeigt. Wie die Bundesanstalt für Arbeit zu Beginn dieses Jahres festgestellt hat, wurden zwar 45% aller Geförderten bei den Kommunen beschäftigt, dagegen nicht einmal8% in eine unbefristete Tätigkeit übernommen. 66• M.a.W. wird der akute Handlungsdruck, der sich aus der sozialen Betreuung und Unterstützung von Arbeitslosen ergibt, in den kommenden Jahren noch zunehmen. Daneben gilt es, längerfristige Vorsorge gegen strukturell bedingte Arbeitslosigkeit im Rahmen der kommunalen Wirtschaftspolitik zu treffen.
62 Dazu oben im Text nach Fn. 47; im Februar 1990 waren nach dem Monatsbericht der Bundesanstalt für Arbeit (BA) 2,15 Mio. Menschen ohne Beschäftigung, vgl. SZ v. 07.03.1990, S. 2, 31. 63 Heinelt, (Fn. 60), S. 184 ff.; Scholle, Soziale Versorgung und Sozialpolitik, in: JJ. Hesse, (Fn. 40), S. 109 f.; Oedekoven, in: W. Kitterer (Hrsg.), (Fn. 61), S. 145 ff. 64 Hanesch, (Fn. 46), S. 155 ff.; zur Strategie der Re-Kommunalisierung der Arbeitsmarktpolitik auch Hegemann-Mahltig/Leibfried, (Fn. 45), S. 107 ff.; zu einigen zentralen Rechtsfragen, die sich hieraus im Verhältnis zum AFG ergeben, siehe P. Ipsen, Arbeitsförderung für Sozialhilfeempfänger, in: Gedächtnisschrift für W. Martens, 1987, S. 393 ff. 65 Angaben nach SZ v. 27.03.1990, S. 24. 66 Angaben nach SZ v. 01.03.1990, S. 31.
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cc) Senioren und Pflegebedürftige Zu den Problemgruppen, die auch zukünftig das Sicherungspotential der Sozialhilfe in herausragendem Umfang binden werden, gehören die älteren Mitbürger in erster Linie. Noch nie zuvor haben anteilig an der Gesamtgesellschaft so viele ältere Leute ein so hohes Alter erreicht. Und noch nie zuvor ist die Gruppe derer, die aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist, von so unterschiedlichen Ansprüchen und Erwartungen an diese Lebensphase geprägt. Ein solcher Umstand wird und muß sich auf die kommunale Sozialpolitik in Gestalt der sog. Altenhilfe auswirken und schon heute in deren Planung einbezogen werden.67 Dementsprechend zwingt die Zunahme an älteren Menschen die Städte und Gemeinden mehr als bisher zum gezielten Einsatz und zur verstärkten Koordinierung der Aufgaben im offenen, tellstationären und stationären Bereich der Seniorenpolitik. In besonderem Maße sind hiervon die Sozialstationen bzw. die ambulanten Pflegedienste betroffen. Sie sollten daher einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen und nicht nur die reine Pflege, sondern auch psychische und soziale Dienste übernehmen.68 Der Hinweis gibt im übrigen Anlaß, auf die Situation der Pflegebedüiftigen in der kommunalen Sozialpolitik einzugehen. Denn als besonders kostenintensiv erweisen sich hier die Ausgaben für die Hilfe zur Pflege. In ihrem Bereich sind im Jahre 1987 mit gut 8 Mrd. DM etwa ein Drittel der gesamten Sozialhilfeausgaben entstanden; 9/10 davon entfielen auf Heimbe-
wohner.81 Dementsprechend gilt es, zukünftig die ambulante und teilstationäre sowie die Pflege in der Familie vermehrt, ggf. auch durch fmanzielle Anreize zu fördern. Eine erste Hilfestellung für die entsprechende Umsteuerung in der kommunalen Sozialpolitik gibt zwar das Sozialgesetzbuch V.70 Angesichts der Veränderung der Altersstruktur in unserer Gesellschaft dürfte freilich die fmanzielle und personelle Problematik der Pflegeleistungen gleichwohl und immer dringlicher solange bestehen bleiben, als der Bund sich nicht zur Einführung einer gesonderten Pflegeversicherung entschließt.71 67 Asam, Kommunale Altenhilfe-Sozialpolitische Rahmenbedingungen professioneller Flankierung von Altersprozessen, in: D. KleiberfD.Filsinger(Hrsg.), Altern - bewältigen und helfen, 1989, S.l51 ff. 68 Vgl. auch BäckerjBispinckjHofemannjNaegele, Sozialpolitik und soziale Lage in der Bundesrepublik Deutschland, Bd II, 2. Aufl. 1989, S. 316 ff. 81 Angaben nach SchulinjKegel, (Fn. 57), S. 144, (145). 70 Vgl. §§ 53 ff. SGB V und dazu u.a. Eicher, SGB 1990, 129 ff.; Pitschas, FamRZ 1989, 810 ff. 71 Zu den Chancen und Gefahren dieses "Modells" siehe etwa HeinemannKnochjv. Kardoiff, Sozialpolitische Aspekte der Pflegebedürftigkeit, in: B. Ried-
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dd) Weitere Sozialhilfedefizite im Kampf gegen "alte" und "neue" Armut In der Auseinandersetzung der kommunalen Sozialpolitik mit den Erscheinungsformen der "alten" und "neuen" Armut treten weitere Gruppen von Betroffenen hervor. Auch ihr Sozialschicksal verlangt nach einer Fortentwicklung der Sozialhilfe. Zu verweisen ist insoweit vor allem auf die ("alte") Armut Alleinerziehender, kinderreicher Familien, Getrenntlebender und geschiedener Personen sowie der Sozialrentner. Auch die NichtSeßhaften bzw. wohnungslosen Personen, auf deren Zahl bereits hingewiesen wurde72, sind hierher zu rechnen. Im Zeichen des Kampfes gegen die "neue" Armut stehen vor allem die Bemühungen der kommunalen Sozialpolitik um Behinderte, Frauen, deutsche Spätaussiedler und Übersiedler aus der DDR sowie um Ausländer und Asylbewerber. Doch sind z.B. die Instrumente bzw. Möglichkeiten der Kommunen, den Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, begrenzt. Dies rechtfertigt freilich nicht die auch in den Kommunalverwaltungen anzutreffende zahlenmäßige Unterbeschäftigung behinderter Mitbürger. Ähnlich problematisch ist die Situation bei der Armut jener Frauen, die ein "verschämtes Leben" in einer Grauzone nicht erfaßter Existenznot führen. Am stärksten aber drohen die Kommunen ihren sozialen Auftrag gegenüber Ausländern und Asylbewerbern zu verfehlen. Die in den letzten Jahren wenig stringente staatliche Ausländerpolitik hat freilich großen Anteil daran; sie führt vor allem in den städtischen Ballungsräumen zu konfliktgeladenen Zuständen. Viele Ausländergruppen - ganz zu schweigen von Asylbewerbern - sind dadurch in unzuträglich abgeschirmte Lebensweisen und kaum mehr menschenwürdige Lebenssituationen geraten."73
In der Auseinandersetzung mit diesen und weiteren Defiziten der sozialen Hilfen und Dienste darf jedenfalls, so meine ich, die lokale Sozialpolitik nicht länger hinnehmen, daß die Tatsache, alleinerziehend, kinderreich, behindert oder psychisch krank, längerfristig arbeitslos oder alt zu sein, für viele der Betroffenen mit dem Weg in die Sozialhilfe, also mit ökonomimüllerfM. Rodenstein (Hrsg.), Wie sicher ist die soziale Sicherung?, 1989, S. 182 (199 f.). 72 Vgl. oben im Text nach Fn. 47; siehe auch Dt. Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hrsg.), Hilfe für alleinstehnde Wohnungslose (Nichtseßhafte), 1990, s. 77 f., 117 f. 73 Näher dazu Schäfer, Blätter der Wohlfahrtspflege 1989, 301 (304 f.); zu recht also sehen Braun/Martini/Minger, (Fn. 26), S. 30 ff., in den "Hilfen flir ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien" einen Schwetpunkt zukünftiger kommunaler Sozialpolitik.
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scher Armut verbunden ist. In Überlagerung hiermit stehen die Kommunen in der Verantwortung, das strukturelle Problem der Nichtinanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch die "Filterung" von Ansprüchen der Armutsbevölkerung endlich zu bereinigen.74 Verantwortlich hierfür zeichnet nicht zuletzt die bürokratische Organisation der Sozialämter, der immer wieder Versuche kontrastieren, die sozialen Dienste neu zu gestalten.7S Dazu gehört auch das Problem, wie das Verhältnis der kommunalen sozialen Dienste zu den Selbsthilfegruppen im Gesundheits- und Sozialbereich zukünftig rechtlich ausgeprägt werden sollte, Unabdingbar scheint mir jedenfalls, hierfür ein organisatorisches und verfahrensmäßiges Minimum auszubilden.
b) Entwicklungsbedarfe kommunaler Gesundheitspolitik Pflegenotstand bzw. die Forderung nach Entwicklung ambulanter oder teil-stationärer Dienste im Rahmen der Altenhilfe wirft zugleich die Frage nach der gesundheitlichen Betreuung einzelner Personengruppen unter den Gemeindeeinwohnern auf. Der Handlungsauftrag kommunaler Gesundheitspolitik wendet sich diesbezüglich und einerseits schon seit längerem der sozialen ambulanten Gesundheitsversorgung zu. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Sozialstationen, die bereits die Hauptlast einer gemeindebezogenen Gesundheitshilfe tragen. Hier sind freilich noch erhebliche Entwicklungsbedarfe zu diagnostizierea. Dabei muß es besonders um die ambulante Versorgung für ältere Mitbürger gehen.
aa) Modelle einer Gemeindepsychiatrie Besonders zu erwähnen ist zu diesem Punkt die Versorgung psychisch kranker alter Mitbürger. So leiden in der Bundesrepublik Deutschland bereits 28% der 70-jährigen unter einer mittleren bis schweren psychischen Störung, unter den SO-jährigen sind es bereits 45%.76 Trotz eines breiten Spektrums unterschiedlicher Einrichtungen und sonstiger Sozialleistungen
74 Grundlegend zu diesem Phänomen Leibfried, KritJ 1976, 376 ff.; siehe aus jün.,§ster Zeit auchBäumerich, AuS 1989,60 (63 f.) Siehe etwa Bäcker/BispinckjllofemannjNaegele, (Fn. 68), S. 299 ff., 311 ff. 76 Nach Angaben des Verbandes der bayerischen Bezirke vom Januar 1990, vgl. SZ V. 12.01.1990, S. 30.
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ist die gesundheitliche Versorgung für diesen Kreis in keiner Weise befriedigend. Überlagert wird die skizzierte Form der örtlichen Gesundheitshilfe durch Ansätze einer gemeindebezogenen Gesundheitsselbsthilfe. Diese steht in engem Zusammenhang mit der Kritik an einer überhandnehmenden Professionalisierung gesundheitlicher Hilfen und Dienste, der mittels Selbstversorgung bzw. Laisierung entgegengewirkt werden soll.77 Ein Beispiel dafür bilden die praktizierten Modelle einer Gemeindepsychiatrie.18
bb) Ländliche Vorbeugungsprogramme gegen Drogenabhängigkeit Weitere und neue Anforderungen an die lokale Gesundheitspolitik sind bereits in Sicht. So stellt sich vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verlagerung des Drogenproblems auf den ländlichen Raum und auch auf die Altersgruppen über 25 Jahre79 das Problem, auf kommunaler Ebene spezielle Programme zur "Immunisierung" gegen Rauschgifte zu entwikkeln. Die hierzu unterdessen vorgeschlagene "mobile Drogenprävention" sollte die Möglichkeit ortsnaher stationärer Therapie nicht verschließen. Intensive psychosoziale Betreuung Drogensüchtiger bedarf deshalb der konzeptionellen Entwicklung lokaler Hilfemöglichkeiten.
cc) Weitere Entwicklungsbedarfe kommunaler Gesundheitspolitik Dieser Ausweitungsbedarf der kommunalen Gesundheitspolitik sieht sich ergänzt durch Forderungen nach einer verstärkten Gesundheitsvorsorge bei besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen sowie nach einem erhöhten Engagement der Sozialpsychiatrie und Sozialpädiatrie.80 Hinzu tritt die
77 Baduro/Gross, Sozialpolitische Perspektiven, 1976, S. 267 ff., 292 ff.; siehe ferner die Beiträge in: Ferber/Badura (Hrsg.), Laienpotential, Patientenaktivierung und Gesundheitsselbsthilfe, 1983; K/ages, Förderung der Selbsthilfe als Baustein für eine zukunftsorientierte Sozial- und Gesundheitspolitik, vv. Mskr. 1990. 78 Wolff/Bonß, Kommunalität als Instrument und Ergebnis von Sozialpolitik, in: Krü.Jer/Pankoke (Hrsg.), (Fn. 29), S. 98 (112 ff.). Vgl. Bericht des BMinJFFG über die Rauschgiftsituation und die Grundzüge eines nationalen Rauschgiftbekämpfungsplans, BT-Drucks. 11/5525, S. 3. 80 So bereits die Stellungnahme der BReg. zur "Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und Qualität der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung", BTI>rucks. 10/3374,S.37.
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Notwendigkeit, die kommunale Gesundheitsplanung voranzutreiben und sie einem methodischen Standard zuzuführen.'1 Insgesamt sollten diese Bemühungen der Kommunen in die Stärkung der Gesundheitsvorsorge einmünden. Ersichtlich gewinnt hierbei auch der gesundheitliche Umweltschutz "vor Ort" an Bedeutung; verantwortlich zeichnet dafür vor allem, daß er mit der Gesundheitsvorsorge in einer wechselseitigen Abhängigkeit steht. Zwar mögen durch die zuletzt zu verzeichnende Einführung der kommunalen Umweltämter die Möglichkeiten der kreisangehörigen und örtlichen Gesundheitsbehörden beschränkt worden sein. Doch bleiben auch diese weiterhin gezwungen, sich der Frage nach einer die Umweltbelastungen einbeziehenden konsequenten präventiven Gesundheitspolitik zu stellen.82 Besondere Probleme in der kommunalen Gesundheitspolitk werfen schließlich die städtischen bzw. kreisangehörigen Krankenanstalten auf.83 Zwar obliegen die Bedarfsplanung für die Errichtung dieser Krankenhäuser und Finanzierungsregelungen weitgehend den Ländern84; für die eigenwirtschaftliche und leistungsfähige Betriebsführung tragen hingegen die Kommunen die vorrangige Verantwortung. In dieser Verantwortung stehen sie zukünftig vermehrt vor dem Problem, bei unwirtschaftlicher Betriebsführung mit einer Kündigung der Kassenverträge rechnen zu müssen. Die Grundlage dafür bietet das Gesundheitsreformgesetz, das den Krankenkassen das Instrument der Kündigung zur Eindämmung der Kostenflut in der stationären Versorgung an die Hand gegeben hat.85
c) Problemdruck und Defizite der Jugendhilfe Auch in der Jugendhilfe ist den Kommunen durch den hohen Anteil nur schwer normierbarer Sach- und persönlicher Dienstleistungen ein mehr oder weniger großer Spielraum für die Entfaltung "unkonventioneller" jugendpolitischer Initiativen eröffnet. Diese Handlungsmöglichkeiten wird das künftige "Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts"86 noch erweitern. Huber, (Fn. 20), S. 373 f.; SchräderfNeuJaaus, StädteT 1986, 368 ff. Corinth, Öff. Gesundheitswesen, 1984, S. 497 ff. 83 Genul, BayVBl. 1985, 609 ff.; Huber, (Fn. 20), S. 363. 14 §§ 6, 11, 18b Abs. 3 Krankenhausfmanzierungsgesetz i.d.F. der Bek. vom 23.12.1985 (BGBl. 1986 I S, 33). 15 §§ 108 Nr. 3, 110 SGB V. 86 Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) vom 26.06.1990 (BGBl. I S. 1163). 81
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Das jugendpolitische Engagement in den Kommunen unterliegt allerdings als "aktive" Sozialpolitik divergierenden sozialpädagogischen Erwartungen. Zugleich sieht sich kommunale Jugendhilfe gesellschaftspolitisch höchst unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt. Diese stellen sich in der örtlichen Perspektive als mannigfaltige Kriterien umstritten-sachgerechter Jugendförderung dar; sie münden regelmäßig in kommunale Aktionsprogramme ein. Da allerdings die Kommunen heute mehr und mehr als Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte in Form der Jugendarbeitslosigkeit, der Jugendkriminalität oder auch der schon erwähnten Drogensucht "heimgesucht" werden, sind diese Programme mit einem steigenden Problemdruck konfrontiert. Darüber hinaus läßt die Verschärfung der sozialen Lebensverhältnisse das Aufgabenspektrum der Jugenhilfe wachsen - und damit zunehmend ihren kommunalpolitischen Stellenwert. Gleichwohl wird der Jugendhilfe von den Kommunen auch heute noch nicht überall das ihr zukommende Gewicht beigemessen. Sie gilt vielfach unter Hinweis auf unzulängliche Rechtsgrundlagen und anwachsende Finanzierungsprobleme als eine lästige Pflichtaufgabe, die im Hinblick auf investive Vorhaben nachrangig wahrgenommen wird. Zugleich ist das Bemühen vieler Kommunen bemerkbar, Probleme bzw. Konflikte kurzfristig "vom Tisch zu bekomen".87 Auch in der Jugendhilfe kommt es zudem immer wieder zur Unverträglichkeit pädagogisch und sozialarbeiterisch angeleiteter Aufgabenerfüllung mit Verwaltungsprinzipien.88 Gegentendenzen sind zwar unterwegs. Nachdenklich stimmt jedoch der erneut aufgelebte Streit um die Refonn des Jugendhilferechts. So ist es vor allem die Auseinandersetzung um den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, die in Verbindung mit der Problematik der Jugendhilfe - und zu recht - die Familienpolitik und deren eigene Bedarfe in den Vordergrund des Interesses rückt. In der Tat bedarf es hier auch auf kommunaler Ebene verstärkter Zuwendung insbesondere zu den jungen Familien, sollen die Landgemeinden nicht entgültig vergreisen.
87 Siehe nur die Kritik von Gemert, Art. ,,Jugendhilfe/Jugendpolitik", in: R. Vojp (Hrsg.), Handwörterbuch zur Komrnunalpolitik, 1984, S. 225. Heniger, Prävention und Kommunale Jugendpolitik, in: Krüger/Pankoke (Hrsg.), (Fn. 29), S. 286 (290 ff.).
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d) Kommunaler Wohnungsmarkt Entwicklungstendenzen und Anforderungen an die kommunale Selbstverwaltung im Politikfeld "Gesundheit und Soziales" sind schließlich ohne den ausgreifenden Blick auf die Wohnungsversorgung in den Städten und Gemeinden, angefangen bei der Wohnungsvermittlung und weiterreichend über eine sozial gestaffelte Eigenheimförderung bis hin zur Einbettung in Städtebau und Stadtplanung, nicht hinreichend zu beurteilen. Denn mit einer Wohnung kann man nicht nur, wie bereits Zille formuliert hat, "den Menschen erschlagen"; die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit preiswertem Wohnraum ist zugleich Ausdruck einer funktionierenden, d.h. solidarischen Stadtgemeinschaft. Dem kontrastiert freilich die gegenwärtige Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt: In den Ballungszentren der Bundesrepublik Deutschland haben die einkommensschwachen Teile der Bevölkerung kaum mehr Chancen, preiswerten Wohnraum anzumieten. Randgruppen wie Haftentlassene, Drogenabhängige, psychisch Kranke und Alkoholiker sind praktisch chancenlos. Doch auch junge Paare und sogar Alleinstehende mit einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 2.300 DM sowie Frauen mit Kindern haben es schwer, angemessenen Wohnraum zu fmden. Diese Lage auf dem Wohnungmarkt, die insbesondere die kommunale Sozialpolitik vor den Ruin stellt, wird sich in den nächsten Jahren nicht bessern. Schon heute meldet z.B. Stuttgart 20.000 fehlende Wohnungen; in Hannover sind es 8.000, in Düseldorf 11.000 und in Harnburg mindestens 30.000. Die Hansestadt hat inzwischen die ersten leerstehenden Wohnungen beschlagnahmt. Und selbst auf dem Land scheint der gesamte Wohnungsmarkt zumindest regional zusammengebrochen zu sein.89 Der soziale Wohnungsbau wird deshalb wieder zu einer zukünftigen Daueraufgabe auch der Gemeinden heranreifen müssen.
89 Zur Situation mit Nachw. der Zahlenangaben siehe AutzenjBecker, Wohnungsbestandssicherung. Teil 2: Engpässe in der Wohnungsversorgung, 1988, pas-sim; Lammerskitten, in: Informationen zur Raumentwicklung 1989, S. 355 (397 ff.); Feldmann, Schußmann u.a., ebd., S. 419 (423 ff., 433 ff., 437 ff., 441, 455 ff., 461 ff., 479); Wohngeld- und Mietenbericht 1989 der BReg., BT-Drucks. 11/6483.
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2. Solidarische Stadtgemeinschaft am Ende?
a) Die "Zwei-Drittel-Stadt" Im Zusammenbruch einer preiswerten Wohnungsversorgung kulminiert nicht nur die bekannten Ausgrenzung von "Randgruppen" der Gesellschaft; betroffen sind von dem Armutswachstum mittlerweile breitere Bevölkerungskreise in ihren ureigenen Lebenswelten. Die "Zwei-Drittel-Stadt" ist die Folge: In ihr erfahren wir die Gleichzeitigkeit ökonomischen Wachstums und zunehmender Verelendung. Mehr und mehr verengt sich der Existenzraum der sog. Mittelschicht Anzeichen hierfür und zugleich Merkmale der Gesamtentwicklung sind Aufstieg und Niedergang reicher Stadtviertel und slumartiger Stadtquartiere, anwachsende Diskriminierung ausländischer Wohnbevölkerung und nicht zuletzt ein ausgeprägter Rückzug jener Einwohner in den größeren Städten und Gemeinden aus der Beteiligung an den kommunalen Entscheidungsprozessen, die sozial benachteiligt sind.90
b) Der Kampf um die Zukunft der Stadtgesellschaft Die Zukunft unserer Stadtgesellschaft steht damit auf dem Spiel. Es tröstet wenig, daß wir dieselben Folgeerscheinungen der Armutsentwicklung in anderen städtischen Ballungsgebieten und Regionen der Indutrieländer, freilich auch in den Ländern der Dritten Welt beobachten können.91 Vielmehr ist es (auch) für uns höchste Zeit, den skizzierten Entwicklungstendenzen mit Hilfe der kommunalen Sozialpolitik zu begegnen. Für mich zählt dabei der allfällige Hinweis, daß die Grundlinien der sozialen Reaktion auf Notsituationen und Bedürfnisse der Gemeindebürger im Bundes- und Landesrecht schon weitgehend vorgezeichnet seien, nur bedingt. Festzustellen ist in der Tat ein beunruhigendes Ausmaß, in dem das Endeckungsprinzip und -verfahren "Sozialität" - wie übrigens die kommunale Selbstverwaltung schlechthin92 - einer zunehmend stärkeren 90 Näher dazu AutzenjBecker, (Anm. 89), S. lTI ff., 190 ff.; Friedrichs, Die Zukunft der Städte in der Bundesrepublik, in: ders. (Hrsg.), Die Städte in den 80er Jahren, 1985, S. 15 ff.; w. Nachw. bei Häussermann/Siebel, Neue Urbanität, 1987, S. 137 ff. 91 Nachw. hierzu im Bericht der OECD (Hrsg.), Entwicklungszusammenarbeit in den 90er Jahren, 1989, S. 126 ff. 92 Vgl. Schmidt-Aßmann, (Fn. 39), S. 114 ff.
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Steuerung durch gesetzgeberisches Handeln unterliegt. Hinzu treten zentrale und regionale Fach- und Entwicklungsplanungen sowie die Gängelung durch fmanzielle Zuweisungen bei steigendem kommunalen Gesamtinvestitionsbedarf und wachsenden Erhaltungsaufwendungen für die "soziale Infrastruktur".93 Dennoch stellen gerade die sozialen Aufgaben ein unerschöpfliches Reservoir für Innovationen dar. Das charakteristische Moment der sich um die klassischen kommunalen Sozialaufgaben herumrankenden Sozialgesetze liegt nämlich darin, daß sie die sozialen Interventionen weniger konditional oder auch fmal programmieren, sondern in erster Linie einen bestimmten Problemkomplex als Aufgabe kommunaler Gestaltung bezeichnen.94 Den Kommunen räumt dies die Möglichkeit ein, im Rahmen einer handlungsorientierten, dem Verwaltungsrecht noch kaum vertrauten "Konzeptsteuerung" eigene sozialpolitische Initiativen zu entwickeln. In der kommunalen Sozialpolitik sollten deshalb die Klagen über steigende Inanspruchnahme und wachsende Kosten von Sozialleistungen, Diensten und Einrichtungen sowie über ihre Fremdsteuerung nicht schon als Ersatz für soziale Innovationen genommen werden. Auf Dauer sind Ideenreichtum, Phantasie und vorgelebte Solidarität in Stadt und Land ebenso wichtig wie die Verfügbarkeil fmanzieller Ressourcen. So bleibt denn auch die Verhinderung der "Zwei-Drittel-Stadt" die zentrale Abwehraufgabe für die kommunale Sozialpolitik in der Zukunft; sie ist nicht delegierbar.
3. Sicherung der sozialen Grundbedürfnisse In dieser gesamtstädtischen bzw. gemeindeweiten Aufgabe fmden die Anforderungen an die kommunale Sozialpolitik im Politikfeld "Gesundheit und Soziales" ihren zentralen Bezugspunkt. Nur eine hierauf bezogene und als "Pflichtaufgabe" schlechthin verstandene Sozialpolitik ist Garant für eine solidarische Stadtgemeinschaft. Zukünftig aufgegeben ist mithin in einer steuerungstheoretischen Perspektive!IS mehr und anderes als die lediglich "formale" Ausdeutung der sozialpolitischen Agenda. Die Losung heißt "umzusteuern" und sich in die Dynamik sozialer Konflikte durch Sicherung der Grundbedürfnisse in den 93
Näher dazu m.w.N. Grawert, Die Kommunen im Länderfmanzausgleich, 1989,
s. 46 ff.
94 Ähnlich Gotthold, Privatisierung oder Entbürokratisierung kommunaler Sozialpolitik?, in: R. Voigt (Hrsg.), Abschied vom Recht?, 1983, S. 249 (253). 95 Zu ihrer Dimensionierung siehe näher Pitschas, (Fn. 2), S. 1029 ff.
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Kommunen einzumischen. Diese Aufgabe der ,.Erneuerung" kommunaler Sozialpolitk und Entwicklung "neuer" sozialpolitischer Strategien hat die voraufgehend erörterten und in sich divergenten Problemfelder, Entwicklungstendenzen und Aktionsräume sozialen Handeins zu einer Verantwortungs- und Gestaltungseinheit der kommunalen Selbstverwaltung zu verbinden. Entsprechende Reformschritte greifen sowohl auf der Programm- wie auf der Organisations- und Personalebene.96
a) Sozialhilfe und Jugendhilfe als Handlungspotential Ein Schwerpunkt dieses Konzepts liegt zunächst im Handlungspotential der Sozial- und Jugendhilfe. Soziale Stadt- bzw. Gemeindepolitk hat zur ihren Gunsten einen Von-ang vor anderen Gestaltungsplänen zu setzen. Dabei gilt es, sich zu allererst einen Überblick über die Mißstände im einzelnen zu verschaffen. Ausgabenbezogene städtische bzw. kommunale Sozialberichtserstattung ist deshalb dort einzuführen, wo es sie als systematisiertes Informationsinstrument bislang nicht gibt. Die Sicherung sozialer Grundversorgung in den Städten, Gemeinden und Dörfern muß sich zudem und auf der Handlungsebene den skizzierten Problemen ernsthaft und nicht nur symbolisch widmen. Dabei scheint es mir für den Jugendsektor unabdingbar, die Zahl der Plätze in den Kinderkrippen und-tagestättenbei gleichzeitiger Verbesserung des Personalschlüssels sowie unter Ausbau der Kindertagesstättenberatung zu erhöhen. Kommunale Sozialpolitik sollte im übrigen schon vor entsprechenden Reformen auf Landes- oder Bundesebene darangehen, einen faktischen Anspruch für die Aufnahme in Betreuungseinrichtungen des Jugendsektors zu garantieren.97 Darin liegt ein bedeutsamer Beitrag für das Bestreben, die Rolle der Familie zu stärken. Der Verbund dieser Maßnahmen mit einer qualitativen Reform der Altenhilfe liegt auf der Hand. Allzu problematisch ist die in der kommunalen Sozialpolitik anzutreffende Tendenz, hier mit der Förderung von Kaffeefahrten, Seniorenreisen und betreutem Leben das Dasein alter Menschen lediglich in immer gleichen Zirkeln zu "organisieren". Lassen Sie uns anstelle dessen den unabwendbaren Anstieg der Zahl älterer Menschen in un-
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Pankoke, Steuern und Verantworten, in: Verw. 1988, 429 (434 ff., 449 ff.);
Pitschas, (Fn. 2), S. 1025 (Rn. 49 f.). 97
Siehe auch§ 24 KJHG, (Fn. 86).
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serer Gesellschaft als Anlaß dafür nehmen, das Verhältnis des Alterns zum Alltag als Lebenslage grundlegend zu verändern.98 Dies setzt freilich eine kritische Distanz der Seniorenarbeit zu ihrer Verwaltungsbindung voraus. Sie fehlt im übrigen auch einer Jugendsozialarbeit, die derzeit ihr Klientel noch viel zu wenig zu Eigenaktivitäten und praktischer Solidarität anregt. Aufgaben wie diese führen dann zu der Forderung, die Jugendhilfeplanung in höherem Maße als bisher an aktuellen sozialen Problemen zu orientieren. Dieser Bezug schlägt sich zwar schon heute in stadtteilorientierten Maßnahmenvorschlägen und lokalen Arbeitsmarktund Ausbildungsberichten nieder99; doch scheint mir sowohl im Jugendhilfe- wie im Sozialhilfebereich das Instrumenttarium der Sozialplanung noch viel zu wenig genutzt und systematisiert.100 Allerdings erfordert deren klientelgerechte ("bürgernahe") Ausgestaltung eine sachbezogene und interaktionsbewußte Organisations-, Verfahrens- und Personalentwicklung in den sozialen Diensten unter Beteiligung sowohl der Leistungsprätendenten als auch der eingesetzten Fachkräfte.101
b) Kommunale Gesundheitspolitik Die in diesen Kontext gehörende Notwendigkeit, die kommunale Gesundheitsplanung zu entfalten und einem methodischen Standard zuzuführen, wurde bereits erwäbnt.102 Die Forderung biernach verbindet sich mit dem Gedanken, die gemeindebezogene Gesundheitsselbsthilfe zu stärken.103 Dies gilt zukünftig auch und zumal im Hinblick auf die erforderliche lokale Drogenprävention: Hier ist an das wegweisende Beispiel therapeutischer Wohngemeinschaften für Drogenabhängige in der Gemeinde zu erinnern.104
Dazu Lehr, Alter, in: BlümfZacher (Hrsg.), (Fn. 6), S. 423 ff. Siehe Dt. Institut flir Urbanistik (Hrsg.), Berichte 3/1987, S. 12 f. 100 Zu recht sprichtAsam, Sozialplanung als drittes Standbein kommunaler Sozialpolitik: Von singulären Professionsaspekten zur Methode, in: ders. (Hrsg.), Kommunale Sozialplanung: Report und Perspektiven für Akteure vor Ort, 1987, S. 42 ff., auf S. 55 vom Bedarf nach "Emanzipation der Sozialplanung". 101 Jaeger/Pitschas, Funktionale Verwaltungsreform durch fortbildungsvermittelte Organisationsentwicklung, in: B. Treude (Hrsg.), Organisationsentwicklung, 1981 s. 195 (218 ff.) 10 Siehe oben im Text um und zu Fn. 81. 103 Vgl. dazu mit einer typologischen Systematisierung Labisch, Gemeinde und Gesundheit, in: Blanke/Evers/Wollmann (Hrsg.), (Fn. 2), S. 275 (291 ff.) 104 Klingemann, KZfSS 1987, 347 ff. 98
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Örtliche Gesundheitshilfe der öffentlichen Hand wie Ansätze einer gemeindebezogenen Gesundheitsselbsthilfe sind freilich wenig populär. Aber vielleicht wäre es doch eine gute Idee, zukünftig Wettbewerbe nicht für das "schönste", sondern auch für das "gesündeste" Dorf auszuschreiben. Hier liegen m.E. im übrigen die wahren Quellen einer Kostendämpfung im Gesundheitswesen, nämlich in der Gesundheitserziehung und -prävention. Richtig ist daher das mancherorts anzutreffende Bemühen der Kommunen, die Gesundheitsvorsorge zu stärken und dabei mit den Allgemeinen Ortskrankenkassen vermehrt zusammenzuarbeiten.1os Diese Kooperation erinnert an den ursprünglichen lokalen Bezug der gesetzlichen Krankenkassen; sie mag durch die weitere Förderung der Arbeit von Sozialstationen und ihren Ausbau zu lokalen Gesundheitszentren erweitert werden.106
c) Sicherung der Wohn- und Mietverhältnisse Öko-soziale Zukunftsvorsorge muß als weiteren Schwerpunkt die Verbesserung der Wohn- und Mietverhältnisse auf ihr Programm setzen. Dazu zählt auch die Ausweisung neuer Baugebiete in den Gemeinden und entsprechender Nutzungsvorbehalte für Ortsangehörige bei gleichzeitiger Förderung des Familienwohnens. Auch Umwandlungsverbote für attraktiven Innenstadtwohnraum könnten dabei helfen, den endgültigen Zusammenbruch einer preiswerten Wohnraumversorgung zu verhindern. Zwar gibt es keine "Idealstadt", in der sich heute die Funktionen von Arbeit, Wohnen und Freizeit problemlos verbinden ließen.107 Doch ist städtisches Leben auf Dauer nur zu erhalten, wenn wir die Entwicklung der Städte in einen lebendigen Funktionszusammenhang mit dem sozialen und nicht nur mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel stellen.
d) Kommunale Sozialwirtschaft Die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit von Gemeinden, Städten und Wirtschaftsregionen gehört also in den Zusammenhang kommunaler Sozialpolitik einschließlich ihrer Gestalt als "lokale" Arbeitsmarkt- und Betos Rosenbrock, Soziale Sicherung 1985, 1 (6 f.). 106 Zur Kritik an der gegenwärtigen Konzeption der Sozialstationen als bloßen Einrichtungen der Behandlungspflege siehe auch BäckerjBispinckfHofemannjNaegele?n(Fn. 68), S. 128 f., 130 f., 306, 314. 1 Vgl. Kruft, Städte in Utopia. Die Idealstadt vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zwischen Staatsutopie und Wirklichkeit, 1989.
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schäftigungspolitik.108 Deren Kommunalisierung umfaßt unter Einbezug der Wirtschaftsförderung so heterogene Aufgabenfelder wie die Einrichtung bzw. Unterstützung von Gründer- und Innovationszentren, Technologieparks oder Gewerbehöfen, die Absicherung krisenbedrohter Betriebe oder auch die Institutionalisierung sog. "zweiter Arbeitsmärkte".109 Auch im Rahmen der Wirtschaftsförderung erweist sich aus örtlicher Perspektive der Einsatz ihres Instrumentariums zu beschäftigungspolitischen Zielen als möglich und erfolgversprechend. Sie offenbart sich dadurch als Bestandteil einer kommunalen Sozialwirtschaft.110 Freilich gibt es Grenzen der kommunalen Wirtschaftsförderung und vorsorge. Sie liegen dort, wo diese die gewachsenen Strukturen der örtlichen Gewerbetätigkeit oder Landwirtschaft durch Hinwendung zu Monostrukturen zu zerstören droht. Ökonomisches Denken und öko-soziale Zukunftsvorsorge müssen also zusammengeführt werden; man darf sie weder gegeneinander ausspielen noch lediglich parallelisieren.
4. Reorganisation der kommunalen Sozialpolitik a) Rationalisierung der Sozialverwaltung Soziale Stadtpolitik verlangt vor diesem Hintergrund nach einer integrativ-gesteuerten lokalen Entwicklung im Interesse gesamtstädtischer bzw. gesamtgemeindlicher Zukunft. Dementsprechend ist auch die Kommunalverwaltung in ihrem Instrumentarium hierfür zu sensibilisieren. Das setzt u.a. die Verbesserung der Informationsgrundlagen sozialintegrativen Handeins durch "Technisierung" der Verwaltungseinheiten voraus.m
108 Hegner, Handlungsfelder und Instrumente kommunaler Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik, in: Blanke/EversfWollmann (Hrsg.), (Fn. 2), S. 119 ff. 109 Blanke/lfeineltjMacke, Arbeitslosigkeit und Kommunale Sozialpolitik, in: Bonß/Heinze (Hrsg.), Arbeitslosigkeit in der Arbeitsgesellschaft, 1984, S. 299 ff.; FuchsjRucht(I'reutner, ZfS 1987, 677 (681); P. Ipsen, (Fn. 64), passim; Dose, Technolopeparks, VerwArch.1990, 228. 11 Zu deren Begriff und Reichweite siehe m.w. Nachw. R. Scholz/Pitschas, Die Rechtsformen kommunaler Unternehmen - Kriterien für die Wahl der Rechtsformenl in: HKWP, Bd. 5, 1984, S. 128 (138 f.). 11 Erforderlich wird also ein kommunales Informationsmanagement und damit die (Re-)Organisation der kommunalen Führungs- und Aufgabenvollzugsinformation; vgl. dazu u.a. Reinennann, Informationsmanagement und Kommunalstatistik - Zur Organisation der kommunalen Führungsinformation, in: Stadtforschung und Statistik 1989, S. 9 (20 ff.).
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Die entscheidene Rationalisierungsaufgabe der kommunalen Sozialpolitik liegt in Verbindung damit bei dem Ausbau ihrer Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit und Zielgenauigkeit von Problemverarbeitung und Leistungserbringung. Dies bedeutet, die Kosten- und Leistungsrechnung im sozialpolitischen Handlungsfeld zu verstärken, um die gesetzten Ziele mit dem geringstmöglichen Aufwand erreichen zu können. Unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten interessiert aber auch die Personalbemessung; selbst die kommunale Sozialarbeit wird sich auf lange Sicht der Festlegung von Richtwerten (Fallkosten, Produktivitätszahlen, Personalmeßzahlen) nicht entziehen können.112 Ich empfehle deshalb zu prüfen, ob nicht der Grundgedanke des "Controlling" in die kommunale Sozialpolitik eingeführt werden müßte.113
b) Privatisierung sozialer Dienstleistungen Im Fadenkreuz der skizzierten Rationalisierungsanforderungen, knapper Ressourcen und kooperativer Sozialverantwortung bleibt gewiß auch zu überlegen, ob nicht jene sozialen Dienstleistungsbereiche teil- oder insgesamt zu privatisieren wären, die nicht direkt zu den zentralen Aufgaben der Kommunalverwaltung gehören.114 Hierzu zählen beispielsweise die Essensversorgung für Krankenhäuser und Altenheime, die Organisation der Freibäder und Sportanlagen oder auch die Verlagerung der Sozialplanung auf private Planungsträger.115 So hätte dann in den Kommunen lediglich eine Art Ombudsman oder "Sozialanwalt" darauf zu achten, daß den Grundbedürfnissen der Bürger auch wirklich Rechnung getragen würde.
112 Diese Entwicklung würde freilich mit einigen Grundannahmen und folglich mit dem Selbstverständnis der Sozialarbeit konfligieren - vgl. nur die Position von MüllerjOik/Otto, Sozialarbeitspolitik in der Kommune - Argumente für eine aktive Politisierung der Sozialarbeit, in: dies. (Hrsg.), Neue Praxis, SH 6/1981, 5 (12 ff., 15, 19). Aber die Frage ist doch, ob nicht auch Sozialarbeiterische Intervention in zurückhaltender Form dem Gebot knapper Ressourcen Rechnung tragen muß. 113 Ein m.E. richtiges Plädoyer für die Anwendung des Controlling-Gedankens in der Kommunalverwaltung hält Banner, (Fn. 25), S. 123 ff. 114 "Staatsentlastung" wäre also die Devise, aber nicht zugunsten eines "Dritten Sektors" - dazu (Fn. 35) -, sondern im Sinne der Einführung wettbewerblieh marktförmiger Konkurrenz; näher hierzu etwa Freier, Soziale Dienstleistungen zwischen Reglementierung und Wettbewerb, NDV 1989, 369 ff. 115 Der Ausgriff auf "Sozialplanung" geht nun freilich über den Gedanken von "mehr Markt und Kundennähe auch in der sozialen Arbeit" (Maelicke, Blätter der Wohlfahrtspflege 1989, S. 3 ff.) prinzipiell zugunsten einer allgemein-kooperativen Steuerung öko-sozialer Kommunal- bzw. Stadtpolitik hinaus.
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Doch sollte hier insgesamt Vorsicht walten. Soziale Zukunftsvorsorge beruht auf dem Konzept eines kooperativen Mandats kommunaler Sozialpolitik, kraft dessen Reichweite die Kommunen stets dort eintreten müssen, wo eine Sozialgefährdung droht. Diesem Auftrag ersprießt die verantwortungsgetragene Suche nach Verständigung zwischen den Zonen des Öffentlichen und des Privaten durch "offene" Programm- und Organisationsformen des kommunalen Handelns. Dementsprechend gibt es zwar keinen unbedingten Funktionsschutz bei der Leistungserbringung; umgekehrt gilt aber ebensowenig der Grundsatz durchgehender Privatisierung zugunsten individueller und gesellschaftlicher Autonomien.116 Darüber hinaus ist der angestammte Platz der freien Wohlfahrtspflege im "Dritten Sektor" auch zukünftig zu beachten.117
c) Bürger als Akteure der kommunalen Sozialpolitik Der Kreis der möglichen Akteure in der kommunalen Sozialpolitik ist also relativ groß. Zu ihnen zählt auch der Bürger - und zwar nicht nur in Gestalt des hilfesuchenden Klienten der Sozialverwaltung. Als "Konsument" der Sozialleistungen gehört er zugleich den sie gestaltenden Akteuren an, weil ohne seine Mitwirkung eine zufriedenstellende Hilfeentwicklung und -abwicklung kaum zu erreichen und persönliche Hilfe überhaupt nicht zu leisten ist. 118 Diese besondere, hervorgehobene Stellung des Bürgers muß kommunale Sozialpolitik zukünftig stärker noch entfalten. Als Handlungsträger ist er insbesondere dort zu favorisieren, wo er selbstaktive Felder sozialer Selbstorganisation und Selbsthilfe aufbaut. Klassische direktive Verhaltensweisen kommunaler Sozialpolitik müssen hierbei noch mehr der breiten Kooperation, Koordination und Konzertierung von Hilfevollzügen weichen. Hier sind noch wesentliche Handlungs- und Hilfepotentiale auszuschöpfen.119
116 Dazu eingehend Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 275 ff. 117 In diesem Sinne wohl auch Stolleis, Entwicklungsperspektiven freier Wohlfahrtspflege, Blätter der Wohlfahrtspflege 1989, 62. 118 Dies führt in die Dialektik von Recht, Geld, Infrastruktur und Interaktion im Politikfeld ,.Gesundheit und Soziales", vgl. Pitschas, (Fn. 2), S. 1036 f. 119 Dazu rechne ich u.a. den Vorschlag von Klages, (Fn. 77), S. 12 f., in Kommunalverwaltungen fachübe'K'f!ifende Kontaktstellen für die Entwicklung nicht-professioneller Selbsthilfearbeit im hiesigen Politikfeld einzurichten; zur Problematik am Beispiel der ,.Betreuung" Volljähriger siehe auch Pitschas, VSSR 1990, 3 (15 ff.).
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111. Zusammenfassung Ich breche meine Überlegungen an diesem Punkt ab. Noch erforderliche Ausblicke in eine gesamtdeutsche Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung mit den darin eingebetteten weiteren Aufgaben der kommunalen Sozialpolitik120 sowie auf deren Rolle und Verflechtungen im europäischen Einigungsprozess121 will ich in der Diskussion geben. Dies dürfte schon deshalb wichtig sein, weil es sowohl um die Gefahren eines "Sozialtourismus" geht wie um den Vorwurf der gemeinschaftswidrigen Sozialsubventionen bei gruppenspezifiSchen Hilfeleistungen.122 Der Grundtenor meiner Ausführungen bleibt indessen unverändert: Es geht um die Neuorientierung der kommunalen Sozialverantwortung in Richtung öko-sozialer Zukunftsvorsorge sowie eines Vorranges sozialer Stadtpolitik für die Deckung sozialer Grundbedürfnisse der Bevölkerung bei der zukünftigen Entwicklung städtischer bzw. dörflicher Lebenszusammenhänge. Nur so ist soziale Desintegration in den Kommunen oder aber die "Zwei-Drittel-Stadt" zu vermeiden. Diesen Politikwandel erschwert allerdings die Notwendigkeit, erst einmal ein einheitliches Politikfeld der kommunalen Sozialpolitik zu konstituieren. In ihm zeigen sich dann zahlreiche divergente Handlungsfelder der kommunalen Sozialverantwortung, die defizitäre Entwicklungstendenzen aufweisen. Ihnen gilt es durch den Entwurf einer sozial-integrativen Stadtbzw. Gemeindepolitik entgegenzusteuern, die sich auch bei konkreten Maßnahmevorschlägen sowie unter Veränderung der internen Verwaltungsstrukturen an dem Ziel einer solidarischen Stadt/Gemeindegesellschaft orientiert.
120 Vgl. nur Regierungskommission für die Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform/Hochschule für Recht und Verwaltung (Hrsg.}, Verwaltungsreform: Orientierungen zu Aufgaben und Organisationsstrukturen der kommunalen Selbstverwaltungsorgane als Beitrag zur Verwaltungsreform in der DDR, 1990, S. 41 ff., 51 ff. 121 Dazu etwa F.-X Kaufmann, Nationale Traditionen der Sozialpolitik und europäische Integration, in: L. Albertin (Hrsg.}, Probleme und Perspektiven Europäischer Einigung, 1986, S. 69 ff. 122 Zu diesen und anderen Problemen der Finanzierung Europäischer Sozialpolitik vgl. Schmäh/, ZVersWiss. 1989, 25 (41 ff., 44 ff.)
Kultur Von Ernst Pappermann
I. Einleitung
"Ohne Städte keine Zukunft", das war das Motto der 25. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages im Mai letzten Jahres in Bonn. Dieses Motto war mir fast schon zu apodiktisch. Aber wir haben es gestern und heute in den Referaten und Diskussionen gehört: Es wird auch in Zukunft keine Alternative zur Stadt geben. In den Städten werden die großen sozialen Konflikte ausgetragen; sie sind Mittelpunkt der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung. Unterschiedliche politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Interessen stoßen in den Städten aufeinander, fmden aber zugleich die Chance, sich zu "arrangieren". Ich zitiere aus dem Banner Manifest der Deutschen Städte vom Mai 1989: "Die Entwicklung der Stadt bestimmt seit jeher den Fortschritt der menschlichen Gesellschaft. Handwerk, Gewerbe und Industrie, Handel und Geld, Architektur, Malerei, Musik und Literatur, Philosophie, Recht, Freiheit und Demokratie sind Ausdruck urbaner Zivilisation. .... Städte sind stets Spiegel von Veränderungen, sie sind stets im Wandel." Die heutige bewegende und bewegte Zeit ist geprägt vom Wandel: Wer hätte im Mai letzten Jahres, als das eben zitierte Manifest verabschiedet wurde, gedacht, daß schon zu Beginn der 90er Jahre neben den weiteren umwälzenden Entwicklungen auf technischem und informationstechnischem Gebiet und der europäischen Einigung der demokratische Aufbruch in den osteuropäischen Staaten und der DDR uns alle so sehr vor neue Herausforderungen stellen würde? Die Entwicklung in Osteuropa bewirkt dramatische Veränderungen. Sie wurde - und das ist in einem Referat zum Thema "Kultur" besonders zu betonen - wesentlich von Künstlern und Kulturschaffenden mit ausgelöst und mitgetragen. Die deutschdeutsche Zusammenarbeit, die Unterstützung der nach Demokratie strebenden Staaten, das alles wird große Anstrengungen verlangen. Diese Entwicklungen dürfen nun aber keineswegs nicht dazu verleiten, die kulturellen Aufgaben zu vernachlässigen oder zurückzustellen. Die
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Förderung von Kunst und Kultur muß als Zukunftsaufgabe unter der Überschrift ,,Ausbau der geistigen Infrastruktur" in Deutschland und in Europa begriffen werden. Kunst und Kultur sind kein Luxus, sondern notwendige Bestandteile des Daseins. Kunst und Kultur geben der Stadt ihr unverwechselbares Profll. Meine Aufgabe ist es, die Entwicklungstendenzen und Anforderungen im kommunalen Politikfeld Kultur zu beleuchten. Ich will dies in drei Schritten versuchen: -
In einem ersten Schritt geht es mir darum, die Kultur in die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung einzuordnen.
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In einem zweiten Schritt will ich Sie an die Ausgangsbasis der kommunalen Kulturarbeit, die klassischen Kulturinstitutionen, erinnern.
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In einem dritten Schritt setze ich mich kritisch mit neuesten Entwicklungen auseinander, mit neuen Formen der Kulturarbeit und den Gefahren einer Verwässerung des Kulturbegriffes.
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Am Schluß meiner Ausführungen stehen Gedanken zu den Konsequenzen, die sich für die städtische Politik und für die Aus- und Fortbildung der städtischen Mitarbeiter ergeben.
II. Von der Industriegesellschaft zur Tätigkeits- und Kulturgesellschaft
Dieneueren gesellschaftlichen Entwicklungen, der Wandel unserer Industriegesellschaft zu einer Tätigkeits-, Informations- und Kulturgesellschaft ist bekannt. Mit wenigen Stichworten will ich diesen Wandel noch einmal in Erinnerung rufen. Er führt dazu, daß Kunst und Kultur zunehmende Bedeutung für die Lebensgestaltung und die Sinnfmdung vieler Menschen gewinnen: -
Die Bevölkerungsstruktur verändert sich erheblich. Sicher ist eine Verschiebung des Altersaufbaus. Die Zahl der älteren Menschen nimmt beständig zu, die Zahl der jüngeren nimmt ab. Weitere Tendenzen sind der Wandel von der Groß- zur Kleinfamilie und die steigende Zahl der Single-Haushalte, vor allem in den großen Städten.
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Mehr Ausländer in unserer Gesellschaft, das Zusammenwachsen Europas und ständig steigende internationale Freizügigkeit führen zu engem Miteinander unterschiedlicher Kulturen und fordern vor allem . Toleranz.
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Das Wachsen des Wohlstandes und der Anstieg des Bildungsstandes wird begleitet von einem Einstellungs- und Wertewande~ der sich in Fragen nach Sinn, neuen Orientierungen, Verlangen nach mehr Lebensqualität und im neuen Verhältnis zur Arbeit äußert.
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Neue Informations- und Kommunikationstechniken verändern die Arbeitswelt nachhaltig. Bereits heute sind zwei Drittel aller Arbeitsplätze durch den Einsatz von Mikroelektronik direkt und indirekt betroffen. Die Standortbedingungen von Unternehmen lockern sich, die Entwicklung zur Informations- und Dienstleistungsgesellschaft stellt neue QualifLkationsanforderungen an die Beschäftigten.
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Die arbeitsfreie Zeit wird weiter wachsen. Die starren zeitlichen Muster der Tages-, Wochen- und Lebensarbeitszeit verändern sich, neue Modelle zeitlicher Organisation werden praktiziert. Es eröffnen sich für die Menschen neue Chancen zu selbstbestimmtem Tun und sinnvoller Gestaltung des persönlichen Lebens. Die Freisetzung von Arbeit kann sich als Schritt in eine neue Freiheit erweisen, wenn sie Chancen zu selbstbestimmten Tätigkeiten für alle eröffnet und nicht bestimmte Gruppen sowohl vor der Erwerbsarbeit als auch von den Möglichkeiten zur menschlichen Entfaltung ausgrenzt.
In dieser Entwicklung kommt der Kultur eine Schlüsselrolle zu. Kunst und Kultur sind Seismographen für gesellschaftliebe Veränderungen. Kulturelle Leistungen und Ausdrucksformen stellen Gegebenes in Frage und lenken den Blick auf Anderes und Neues. Kultur ist ein Stück Utopie, die die Gesellschaft braucht, wenn sie nicht erstarren will.
111. Die klassischen Kulturinstitute als Basis der Kulturarbeit und als Pflichtaufgabe der Kommunen Meine Auffassung, daß Kulturarbeit Pflichtaufgabe der Städte ist, hat sieb - glaube ich - durchgesetzt. Es ist viel darüber geschrieben und diskutiert worden, wie der verkürzte Satz "Kulturarbeit ist Pflicbtaufgabe" zu verstehen ist, welche juristische Qualität er besitzt. Dazu einige Bemerkungen: Kommunale Kulturarbeit vollzieht sieb in unterschiedlichsten Formen und Instituten. Die Basis bilden die klassischen Kulturinstitute wie Theater, Museen, Volkshochschulen, Bibliotheken und Musikschulen. Nach den Gemeindeordnungen der Bundesländer haben die Kommunen öffentliche Einrichtungen auch "zur kulturellen Betreuung der Einwohner" einzurichten und zu unterhalten. Daraus ergibt sich zunächst die generelle Verpflich-
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tung, daß die Kommune bei der Ermessensentscheidung über die Ausgestaltung des Systems an öffentlichen Einrichtungen auch die kulturellen Bedürfnisse der Einwohnerschaft zu berücksichtigen hat. Das bedeutet natürlich keine konkrete Verpflichtung zur Bereitstellung einer bestimmten Kulturinstitution. Aber die Bedürfnisse der Einwohnerschaft nach kulturellen Daseinsvorsorgeleistungen dürfen nicht einfach übergangen werden. Die einzelnen Kultureinrichtungen haben jeweils unterschiedliche kulturverfassungsrechtliche Bezugspunkte: So ist etwa die Kunstfreiheitsgarantie von größerer Bedeutung für die Arbeit des Theaters als für die Volkshochschulen, während für diese insbesondere das Recht auf Bildung eine große Rolle spielt. Die Musikschulen wiederum haben starke Bezüge zum Schulwesen, so daß neben der Kommune nach Art. 7 Abs. 1 des GG auch der Staat auf diesem Feld kommunaler Kulturarbeit Verantwortung trägt. Es gibt also einen umfangreichen Bestand an Rechtspflichten, den die Kommunen auch ohne die Existenz spezieller Kulturgesetze zu beachten haben. Der Satz "Kulturarbeit ist Pflichtaufgabe" läßt sich also juristisch ausdiffere02leren. Von entscheidender Bedeutung ist aber, daß dieser Satz "Kulturarbeit ist Pflichtaufgabe" auch eine hohe politische Qualität besitzt. Er hat bereits Eingang in verschiedene Parteiprogramme gefunden, so etwa in das kürzlich verabschiedete Grundsatzprogramm der SPD. Die Politiker aller Parteien haben mittlerweile erkannt, daß die Förderung des kulturellen Lebens nicht mehr als freiwillige oder beliebige Leistung angesehen werden kann. Kreativität, Lernfähigkeit und Innovationsbereitschaft sind notwendige Voraussetzungen auch zur Bewältigung des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts. Diese Eigenschaften werden gerade durch Kunst und Kultur gefördert: -
Die Theater sind seit jeher Foren der geistigen Auseinandersetzung, Orte der Kritik und Innovation. Im Gegensatz zu den immer weiter perfektionierten Medien ist Theater eine Kunst des nicht reproduzierbaren Augenblicks im direkten Gegenüber zwischen Künstlern und Zuschauern. Die zentrale Stellung, die das Theater im Kulturleben unserer Städte einnimmt, muß erhalten bleiben. Das Theater muß als Ort klassischer und kultureller Öffentlichkeit aktiv verteidigt werden. Allerdings werden die Rufe nach Reformen der inneren Betriebsstrukturen der Theater immer lauter. Diese Rufe sollten nicht ungehört verhallen. Die Städte werden sich hiermit in den nächsten Jahren verstärkt auseinandersetzen müssen.
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Museen sind Erlebnisort und zugleich Sammlungs- und Forschungsstätte für Sozial-, Kunst- und Kulturgeschichte. Auch sie sind Orte der kritischen Auseinandersetzung mit anderen Kulturen, mit der Kreativität der Künstler. Die Betrachtung des Fremden, Anderen und vielleicht Anstößigen fordert die Menschen heraus, selbst Position zu beziehen. Im Vordergrund des öffentlichen Interesses stehen natürlich Schausammlungen und Ausstellungen. Erhebliche Deflzite bestehen jedoch nach wie vor in der Bestandssicherung und der fachgerechten Restaurierung der Museumsgegenstände. Hier sind in Zukunft verstärkte Anstrengungen nötig. Im Interesse einer weiteren Öffnung der Museen sind die museumspädagogischen Angebote systematisch auszubauen.
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Als Präsident des Deutschen Bibliotheksverbandes liegen mir die Bibliotheken in besonderem Maße am Herzen: Allen Unkenrufen zum Trotz haben die neuen Medien das Buch nicht verdrängt. Die Buchproduktion steigt weiter. Gerade deshalb bedarf die Lesekultur der aktiven Förderung durch den Staat und die Kommunen. Neue Akzente sind zu setzen; so ist die Bibliothek zu einem Medienzentrum zu entwickeln, das sich auch der audiovisuellen und elektronischen Medien annimmt.
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Auch die Volkshochschularbeit fördert Kreativität, Lernfähigkeit und Innovationsbereitschaft. Die Volkshochschule ist ein freies Forum der Diskussion und politischer Bildung; sie ermöglicht neben organisiertem Lernen auch urbane und geistige Reflexion.
IV. Von der Öffnung der Kultureinrichtungen zur Einübung in die Kultur 1. Musisch-kulturelle Bildung
Ziel demokratischer Kulturpolitik ist es, allen Gruppen der Bevölkerung den Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen und zu erleichtern. Die Phase der Öffnung der Kultur muß durch eine Phase der Einübung in die Kultur ergänzt werden. Gefordert sind der Ausbau der Angebote kultureller Bildung und ästhetischer Erziehung in Volkshochschulen, in Musik- und Kunstschulen, Kinder- und Jugendtheatern, in Jugendzentren und Altentreffs, die Einrichtung von "Kulturwerkstätten" als neue Modelle gemeinsamen kulturellen Schaffens.
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2. Kultur und Schule
Notwendig ist der Ausbau der musisch-kulturellen Bildung vor allem im Schulunterricht, auch um in einer veränderten Berufs- und Lebenswelt mit erhöhten Anforderungen an Schlüsselqualifikation und sozio-kulturelle Kompetenz bestehen zu können. Alle Arten der "Schulkultur", die neuen Ansätze im Sinne einer "Öffnung der Schule", sollten von den Ländern und Städten unterstützt werden. Die Angebote der Museen und der Theater für die Schulen gilt es auszubauen. Durch Freistellung von Lehrern (auch im Wege der Stundenreduzierung im Schulunterricht) für Museums- und Theaterarbeit können die Länder wirksam Hilfestellung leisten.
3. Musikschulen
Die Musikschulen führen Kinder, Jugendliche und Erwachsene an die Musik heran und unterstützen sie bei einer aktiven Auseinandersetzung mit der Musik. Ihre Aufgabenstellung umfaßt Breitenarbeit und Spitzenförderung; sie reicht von der musikalischen Früherziehung bis zur studienvorbereitenden Ausbildung zukünftiger Berufsmusiker. Ein besonderes Merkmal der Musikschularbeit ist die Einbindung ihrer Schüler in zahlreiche Ensembles unterschiedlicher Stilrichtungen. Hiermit erfüllt sie nicht nur eine musikalisch/kulturelle, sondern auch eine jugendund familienpolitische Aufgabe im Sinne eines Gegengewichts gegen die wachsende Tendenz der Vereinzelung in der Gesellschaft. Neben der (unverzichtbaren) traditionellen Arbeit der Musikschule wurden in den letzten Jahren zusätzliche Angebotsformen entwickelt. Die neuen Arbeitsschwerpunkte sind unter anderen: -
Arbeit mit Behinderten und besonderen Zielgruppen
-
Unterricht auf "populären" Instrumenten
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Jazz, Rock- und Popmusik
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Frühinstrumentalunterricht
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Musiktheater
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Einbeziehung anderer künstlerischer Sparten.
Diese im Sinne einer "Öffnung" der Musikschularbeit konzipierten neuen Unterrichtsangebote sind auszubauen. Besonders zu unterstützen ist auch die verstärkte Einbeziehung erwachsener und älterer Bürger.
Kultur
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Hierbei geht es nicht nur um das Zie~ zunehmende Freizeit sinnvoll auszufüllen, sondern zugleich um die Unterstützung des gemeinsamen Musizierens in den Familien. Mehr Aufmerksamkeit sollte wieder der Förderung des Gesangs gewidmet werden.
4. Kunstschulen Außerschulische musisch-kulturelle Bildung sollte nicht nur auf die Musik konzentriert sein. Besonders geeignet, kulturelle Chancengleichheit zu verwirklichen, sind Kunstschulen mit ihren möglichst spartenübergreifenden multimedialen Angeboten (neben Musik z. B. bildnerische Gestaltung, Tanz und Theater, Film und Video). Kunstschulen müssen nicht unbedingt Neugründungen sein. Sie können auch in Ergänzung von vorhandenen Einrichtungen, z. B. Musikschulen, Volkshochschulen, Museen und Kunstvereinen, Künstlergruppen und Ateliergemeinschaften, Ballettschulen, privaten Mal- und Zeichenschulen, ebenso Kultur- und Jugendzentren geschaffen werden. Der Städtetag Nordrhein-Westfalen hat erst gerade eine Orientierungshilfe "Kunstschulen" herausgegeben.
5. Förderungfreier Kulturarbeit In den Städten ist ein breites Spektrum freier Kulturinitiativen entstanden (Theater- und Musikgruppen, Film- und Videogruppen, Geschiehtsund Literaturwerkstätten, musisch-handwerkliche Gruppen, Kulturzentren). Die Förderung freier Kultureinrichtungen ist vorrangig eine örtliche Angelegenheit. Die Städte sollten nicht von dem Anspruch entlastet werden, diese unvoreingenommen zu fördern. Als Fördermaßnahmen kommen Zuschüsse zu Aktivitäten, Projekten und Veranstaltungen in Betracht. Gefördert werden sollen dabei nicht nur neugebildete Gruppen und Initiativen, sondern ebenso auch traditionelle kulturelle Vereine und Vereinigungen. Neue Aufgaben verlangen allerdings auch neue Mittel im Kulturetat Für die Gewährung fmanzieller Mittel (vorrangig projektorientiert) kommen unterschiedliche Gesichtspunkte in Betracht: -
ästhetische Innovation und Qualität der künstlerischen Aktivitäten
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nachgewiesene Kontinuität der Arbeit
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Resonanz bei Publikum und/oder Medien.
Entscheidend ist, daß die Förderrichtlinien nicht zu eng gefaßt und gehandhabt werden. Es muß möglich sein, Programme und Projekte von besonderer Qualität und öffentlicher Resonanz auch mehrmals zu fördern. Zur Absicherung ihrer Arbeit drängen die freien Gruppen auf eine stärkere Basisförderung. Wegen der Fluktuation innerhalb der freien Kulturszene wird man eine derartige Basisförderung im allgemeinen nur gewähren, wenn eine längere kontinuierliche Arbeit mit entsprechender ästhetischer Qualität nachgewiesen ist. Denkbar sind etwa Betriebskostenzuschüsse für freie Theatergruppen und für freie Kulturzentren.
6. Kultur und Wirtschaft Diese Beschreibung der Aufgabenfelder und Entwicklungstendenzen im Kulturbereich läßt eines deutlich werden: Kunst und Kultur in der Stadt sind heute längst nicht mehr etwas "Elitäres". Kultur hat vielmehr Konjunktur. Mit diesem Satz "Kultur bat Konjunktur" hat Hilmar Hoffmann sein vielzitiertes Buch "Kultur für alle" im Jahre 1979 eingeleitet. Dieser Satz ist heute mehr denn je Realität. Und dieser Satz hat heute wahrhaft viele Variationen: So spielt insbesondere das Wechselverhältnis zwischen Kultur und Wirtschaft in den letzten Jahren bei Diskussionen von Kulturpolitikern, Wirtschaftsvertretern und Kulturschaffenden eine besondere Rolle. Wir bewegen uns fast schon in ein babylonisches Sprachengewirr hinein, wenn wir von Kultur und Wirtschaft sprechen: Corporate identity, Freizeitmarkt, Imagefaktor Kultur, Industriekultur, Kulturmarketing, Kulturmanagement, Kultursponsoring, Kulturfaktor Wirtschaft, Unternehmenskultur, Verwaltungskultur, Verwaltungsmanagement, Wirtschaftsfaktor Kultur. All dies sind Vokabeln aus der aktuellen Diskussion, die deutlich machen: Die Manager sind auf dem Vormarsch und sie machen natürlich auch nicht vor der Kultur halt. Kultur hat nicht nur Konjunktur, heute ist der leicht abgewandelte Satz "Kultur macht Konjunktur" schon fast Allgemeingut. Zum einen werden mit Kultur Werte transportiert, die zur Differenzierung von Lebensstilen und -formen in unserer nivellierten Konsumgesellschaft und Massenkultur beitragen. In der Dienstleistungsgesellschaft ist es immer wichtiger geworden, daß sich der eine oder die andere voneinander durch sekundäre Kennzeichen unterscheiden, daß ein Produkt ein anderes Lebensgefühl vermittelt als das andere. Auch die Städte investieren im Kulturbereich, um ein bestimmtes Image zu profilieren. Kultur ist heute mehr als früher allgemein
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verfügbar und ist damit auch mehr als früher Medium der Identifikation mit dem eigenen sozialen Umfeld und Element der Imagebildung. Da sind Stadt- und Verwaltungsmanager der neuen Generation aufgerufen zum Handeln für die Herausarbeitung und Akzentuierung des kulturellen Proftls ihrer Stadt. Offenbar haben wir die "Unwirtlichkeit unserer Städte" überwunden und das "Produkt Stadt" zur Marktreife entwickelt. Da ist die Zeit endlich auch reif für "Corporate identity", "Verwaltungsmanagement" und "Stadtmarketing". Dies ist der eine Strang der aktuellen Entwicklung, die mit dem Satz "Kultur macht Konjunktur" schlagwortartig umschrieben wird. Der zweite Strang des Wechselverhältnisses zwischen Kultur und Wirtschaft läßt sich durch harte Fakten beschreiben: Der Kunst- und Kulturbereich ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Eine Reihe von Untersuchungen, insbesondere des Ifo-Instituts, zur volkswirtschaftlichen Bedeutung von Kunst und Kultur in der Bundesrepublik Deutschland, haben dies nachgewiesen. 680.000 Personen sind mit der Schaffung, Verbreitung und Bewahrung von Kunst und Kultur befaßt. Dieser Wirtschaftsbereich leistet einen Beitrag von 40 Milliarden DM jährlich zur Entstehung von Einkommen im Inland. Dies ist vergleichbar mit dem Bereich Energieversorgung. Die Anlageinvestitionen belaufen sich im Kunst- und Kulturbereich auf 5 Milliarden DM. Die Kulturwirtschaft erweist sich zudem als ein sehr dynamischer Wirtschaftszweig: Die Zahl der steuerpflichtigen Unternehmen in der Kulturwirtschaft ist im Zeitraum von 1982 bis 1986 um 28 Prozent gestiegen, ihre Umsätze sogar um 32 Prozent. Spitzenreiter ist dabei der Kunstmarkt, gerechnet ohne den Antiquitätenhandel, mit einer Umsatzsteigerung von 42 Prozent und einer um 24 Prozent gestiegenen Zahl von Unternehmen. Sie alle kennen die zum Teil atemberaubenden Preissteigerungen der Werke van Gogh's oder anderer bekannter Künstler. Diese Entwicklung zieht natürlich auch kapitalkräftige Investoren an, die weniger Kunst als vielmehr Geldverdienen im Sinn haben. Die Zahl der Unternehmen der übrigen Wirtschaftszweige sind in demselben Zeitraum um lediglich 10 Prozent gestiegen und ihre Umsätze um 14 Prozent. Gleichwohl ist das Verhältnis zwischen privater und öffentlicher Kulturförderung wie das zwischen David und Goliath: Während Bund, Länder und Kommunen zusammen rund 9 Milliarden DM für die Kulturförderung ausgeben, summiert sich die private Kulturförderung (Kultursponsoring und Mäzenatentum) auf lediglich ca. 250 bis allenfalls 400 Millionen DM (hier sind derzeit nur Schätzungen möglich). Allerdings steigen die privaten Förderungssummen laufend. Der Betrag der privaten Kulturförderung bedeutet jedoch lediglich 2,5 bis 3 Prozent der Summe, die von den öffentlichen Händen für die Kulturförderung aufgebracht wird.
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Oft wird die Frage gestellt: Wird die Kultur vom Kommerz vereinnahmt und zum reinen Handlungsinstrument von Wirtschaftsförderung und Wirtschaftsuntemehmen degradiert? Es besteht die Befürchtung, daß Kunst und Kultur von der Wirtschaft gebraucht und mißbraucht werden als Ware, zur Werbung, zum Imagetransfer und zur Unternehmenskommunikation zur Steigerung der Umsatzzahlen. Als Gefahren werden dabei Kommerzialisierung, Verflachung, Spektakel- und Repräsentationskultur ausgemacht. Ohne öffentliche Mittel ist die "kulturelle Grundversorgung" in der Tat gefährdet. Die Kommunen leisten mit 62 Prozent den ganz überwiegenden Anteil der öffentlichen Kulturförderung, obwohl sie - wie ich zu Beginn meines Referates ausführte - hierzu nicht gesetzlich verpflichtet sind. Die öffentliche Finanzierung und Organisation kann durch private Mittel keinesfalls ersetzt, allenfalls ergänzt werden. Denn eines ist klar: Die Wirtschaft wendet sich zunächst vor allem denjenigen Kulturbereichen zu, die öffentlichkeitswirksam sind, die ein größeres Publikum erreichen. Ein Sponsor kann aus vielen Gründen jederzeit ausfallen. Kontinuität und Bestand der betreffenden Kultureinrichtung wären dauernd gefährdet, wenn die Einrichtung völlig abhängig von Sponsoren wäre. Beim Kultursponsoring kann es daher immer nur um Zusätzliches und nicht um die Entlastung der öffentlichen Hand gehen. Kommerz und Kunst können sich durchaus vertragen, wenn die Grenzen der Sphären gesehen und respektiert werden. Förderer und Geförderte sollten klug genug sein, sich nicht zu stark voneinander abhängig zu machen. Dazu gehört auch, daß Kulturschaffende angebotene Sponsorenleistungen zurückweisen, können - ich erinnere an die vielbeachtete Ablehnung eines Sponsorenangebots von MBB durch lürgen Flimm am Hamburger Thalia-Theater. Es erscheint mir wichtig, Kultursponsoring jeweils im Dreiecksverhältnis Stadt, Wirtschaft und Kultur zu sehen und auch zu betreiben. Die Stadt sollte sich als Moderator einer längerfristigen Zusammenarbeit zwischen Sponsoren und Kulturschaffenden sehen. Denn zum einen darf sich die Stadt nicht aus ihrem Kulturengagement durch einen Sponsor herausdrängen lassen, und zum anderen kann sie durch auf langfristige Zusammenarbeit angelegte Strukturen Kontinuität schaffen und Mittel auch in Bereiche lenken, die nicht so spektakulär sind. Diese Moderatorenrolle kann die Stadtangesichts der finanziellen Verhältnisse zwischen öffentlicher und privater Förderung selbstbewußt wahrnehmen. Unter langfristigem Engagement ist hier nicht die langfristige Verpflichtung von Kultursponsoren gemeint, sondern es geht mir um längerfristige Prozesse und Organisationsstrukturen. So gibt es vielerorts gute Beispiele von Kulturstiftungen oder Initiativkreisen. Ein bekanntes Beispiel ist der "Initiativkreis Ruhrgebiet", für den jedes beteiligte Unternehmen 1 Million DM zur Verfügung stellt. Die Mittel werden dann in gemeinschaft-
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lieber Absprache auf bestimmte Kulturprojekte verteilt. Jeweils ein Unternehmen übernimmt die "Schirmherrschaft" für ein Projekt, das zu seinem Unternehmensimage paßt. Dieser neuzeitliche Ansatz in Kultur- und Stadtmanagement darf nicht zu einer einseitigen "Vermanagerisierung" städtischen Handeins und Entscheidens im Kulturbereich führen, die womöglich noch mit einer "Entpolitisierung" einhergeht. So wünschenswert vielfach eine "Entparteipolitisierung" wäre, so wenig ist eine Entpolitisierung der kommunalen Selbstverwaltung anzustreben, schon gar nicht im Kulturbereich. Kultur bedarf der inhaltlichen Diskussion und der kritischen Auseinandersetzung. Kunst und Kultur sind Seismographen gesellschaftlicher Entwicklung und Störfaktoren gesellschaftlicher Anpassung.
7. Entwicklung in der DDR Die deutschlandpolitische Entwicklung hat natürlich auch für die kommunale Kulturpolitik Konsequenzen. Waren es nicht gerade auch die Künstler, die die friedliche Revolution in der DDR wesentlich vorangetrieben haben? Doch welche Auswirkungen wird die Vereinigung mit der DDR haben? Verschwindet das Eigene im Anderen oder wird das Andere zum Eigenen? Sind die Bürger in der DDR "deutscher" als die in der Bundesrepublik, die sich über lange Jahre in Begegnungen mit anderen europäischen Kulturen üben konnten? Müssen wir einen neuen deutschen Nationalismus befürchten? Welches Eigene aus der DDR gilt es zu erhalten, welche kulturellen Strukturen und Erfahrungen aus den letzten vierzig Jahren oder seit dem Oktober 1989? Dies alles sind Fragen, die uns in diesem Zusammenhang bewegen. Die Städte in der DDR sind in einem desolaten baulichen Zustand. Aber sie haben gleichzeitig ein Vielfaches an historischer Bausubstanz gegenüber unseren Städten in der Bundesrepublik. Bis vor kurzem noch gehörten Pflastersteine, die in den Städten der DDR herausgerissen wurden, zu wichtigen Exportartikeln der DDR für die Bundesrepublik. Die Sanierung der historischen Bausubstanz, die behutsame Stadterneuerung sind wichtige Aufgaben, der sich auch die Kulturpolitiker annehmen müssen. Denkmalschutz in der DDR war bisher dadurch gekennzeichnet, daß das Geld zum Abriß und Neubau fehlte. Die Stadtbaukultur ist lange Zeit von den deutschen Kulturpolitikern vernachlässigt worden. Die Erforschung, Bewahrung und Entwicklung der historischen Stadtkerne wird Wissenschaftlern, Bauämtern, Heimat- und
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Denkmalpflegern überlassen. Matthias Schreiber hat dieses Mißverhältnis kürzlich in der FAZ mit folgenden Worten treffend beschrieben: "Frankfurt hat einen Kulturetat von rund 450 Millionen DM. Die Denkmalpflege, die hier dem Stadtplanungsamt untersteht, kommt auf 2,3 Millionen DM. Ein rätselhaftes, gleichwohl typisches Mißverhältnis. Für die Schlagzeilen empfiehlt sich allemal die Verpflichtung eines neuen Intendanten. Den Namen des neuen Stadtkonservators überbringt man schüchtern dem Lokalredakteur." Natürlich können Kulturpolitiker den Bau- und Denkmalfachleuten nicht in ihr Handwerk pfuschen. Aber gerade mit Blick auf die DDR ist es notwendig, ein neues Bewußtsein für die gebaute Kultur zu entwickeln. Die Stadt im ganzen ist eine Kulturfrage und bedarf einer vernetzten Stadtpolitik, in der die Kultur als Querschnittsaufgabe begriffen wird.
V. Qualifizierung des Personals
Damit komme ich zum letzten Teil meiner Ausführungen: Eine dynamische, zeitgemäße Kulturarbeit bedarf einer gut qualifizierten Kulturverwaltung, d. h. vor allem gut qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Vielfach sind in der Kulturverwaltung Verwaltungsangehörige tätig, die aus anderen Ämtern in das Kulturamt gelangen, z. B. im Wege der Beförderung oder Umsetzung. Diese Mitarbeiter verfügen im allgemeinen über gut fundierte Verwaltungskenntnisse. Es fehlt ihnen aber an kulturwissenschaftlichen Kenntnissen und an Kenntnissen für den Umgang mit Künstlern, freien Kulturinitiativen, sozio-kulturellen Zentren usw. Es gibt aber auch andere Mitarbeiter in den Kulturverwaltungen, wenn auch seltener, z. B. Musikwissenschaftler, Theaterwissenschaftler, Literaturwissenschaftler usw., die zwar Fachleute für ihren jeweiligen Fachbereich sind, denen aber oft die verwaltungstechnischen und verwaltungsrechtlichen Kenntnisse für eine erfolgreiche Tätigkeit innerhalb der Stadtverwaltung fehlen. Der Einrichtung neuer Studiengänge (auch als Zusatzstudium) für "Kulturmanagement/Kulturadministration" an den Hochschulen stehen die Städte außerordentlich skeptisch gegenüber. Die notwendige Praxisorientierung erscheint nicht gewährleistet. Deshalb schlagen die Städte die Einrichtung eines berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiums im Verbund kommunaler Fortbildungs- und Kultureinrichtungen vor. Dies sollte· zunächst modellhaft erprobt werden. Hier ist auch die Hochschule Speyer zur Mitwirkung aufgerufen.
Kultur
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Die Kulturförderung ist heute zu einem zentralen Bestandteil der öffentliehen Daseinsvorsorge geworden. Länder und Städte müssen für die Kultur die erforderlichen Ressourcen bereitstellen. Kultur ist eben nicht nur die Sahne auf dem Kuchen, sie ist die Hefe im Teig. Deshalb sind Investitionen in Kultur Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft!
Umweltschutz in den Gemeinden Von Wemer Hoppe
I. Einleitung Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat bereits im Umweltgutachten 1978 die Notwendigkeit kommunaler Umweltpolitik betont: "Für die größte Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Menschen ist vornehmlich die Stadt der Lebensraum; hier werden die Auswirkungen fast aller Umweltprobleme erfahrbar. Auf der kommunalen Ebene werden einerseits die meisten Umweltprobleme verursacht, andererseits ist hier aber auch diejenige umweltpolitische Ebene, auf der die Maßnahmen größtenteils ansetzen müssen." 1
II. Aufgaben der Kommunen im Umweltbereich Die Vielfalt der Umweltprobleme macht ein Handeln in fast allen traditionellen Aufgabengebieten der Kommunalverwaltung erforderlich. Im Wesentlichen lassen sich folgende Aufgabenfelder unterscheiden: 1. Kommunale Umweltvorsorge durch Umweltplanung und -koordinierung.
2. Kommunale Umweltgestaltung durch öffentliche Einrichtungen und Dienstleistungen, 3. Kommunaler Umweltschutz durch ordnungsbehördliche Maßnahmen, 4. sonstige umweltschützende Aktivitäten der Kommunen.
In Anbetracht der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit ist es mir nicht möglich, hier auf alle diese Aufgaben näher einzugehen. Im folgenden sollen deshalb die umweltplanerischen Tätigkeiten der Gemeinde nur kurz angesprochen werden. Aus demselben Grund will ich mich bei der daran 1
Vgl. der Rat von Sachverständigen
Tz.l0/45.
für Umweltfragen,
Umweltgutachten 1978,
1%
WemerHoppe
anschließenden Erörterung der kommunalen Umweltgestaltung auf die Darstellung des in diesem Zusammenhang aktuellsten und in hohem Maße problembeladenen Themas, das der Abfallentsorgung, beschränken.
1. Kommunale Umweltvorsorge durch Umweltplanung und -koordinierung
Eine Umweltplanung im Sinne einer integrierten Gesamtplanung gibt es nicht. Die planerischen und vorsorgenden Aufgaben müssen deshalb in vorhandene Planungssysteme der Kommunen eingebracht werden.
a) Umweltvorsorge durch Bauleitplanung Den Schwerpunkt kommunaler Planung bildet die Bauleitplanung. Nachdem in den letzten Jahren die Erkenntnis gewachsen ist, daß die Ressourcen Natur, Wasser und Boden nur in begrenztem Maße zur Verfügung stehen, hat sich auch im Städtebau ein spürbarer Wandel vollzogen. Fragen der Stadtökologie2, der Wiederverwendung brachliegender Flächen im Stadtbereich, der bedeutsamen Stadterneuerung, der Verbesserung des Wohnumfeldes, der Erhaltung des Gebäudebestandes sowie der Wiederbelebung der Innenstädte sind in den Vordergrund getreten3• Mit Verabschiedung des neuen BauGB hat der Gesetzgeber versucht, diesem veränderten Erkenntnisstand durch Aufwertung des Umweltschutzes in § 1 BauGB sowie durch erweiterte Festsetzungsmöglichkeiten in den Bauleitplänen (vgl. §§ 5, 9 BauGB) Rechnung zu tragen.
b) Umweltvorsorge durch Landschaftsplanung Neben der Bauleitplanung ist die Landschaftsplanung eine für die Sicherung und den Ausbau der ökologischen Ressourcen besonders bedeutsame Planungsart Aufgabe des Naturschutzes und der Landschaftspflege ist die Erhaltung der Landschaft in ihrer Ursprünglichkeit, Schönheit und Vielfalt, der Schutz wildwachsender Pflanzen und wildlebender Tiere und die SieheVgl. Schneider, StädteT 1987, 502 ff. Vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (16. Ausschuß) zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über das Baugesetzbuch - BT-Drucks. 10/4630, 10/5227, 10/5111, vom 15.10.1986, BT-Drucks. 10/5166, S. 1. 2
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rung des Naturhaushalts. Die Kommunen kommen dieser Aufgabe überwiegend durch Aufstellung von Landschaftsplänen nach4 •
2. Kommunale Umweltgestaltung durch öffentliche Einrichtungen und Dienstleistungen - die Abfallentsorgung Zum Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung gehört neben der Planungshoheit der Bereich der Daseinsvorsorge. Da die Gemeinden bei der Versorgung der Menschen mit öffentlichen Leistungen und Diensten selbst Leistende sind, tragen sie gerade hier eine besondere Verantwortung bei der umweltgerechten Gestaltung dieses Aufgabenbereichs. Beispiele kommunaler Umweltgestaltung durch die Schaffung und Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen sind: die öffentliche Wasserversorguni, die Abwasserentsorgung6, die Energieversorgung7, das Betreiben öffentlicher Nahverkehrseinrichtungen unter kommunaler Trägerschaft, die Schaffung eines umweltfreundlichen Strassenreinigungs- und Winterdienstes und schließlich die Abfallentsorgung.
4 Anders in Nordrhein-Westfalen, wo gern. § 27 LG die Landkreise die Landschaftspläne als Satzung beschließen. s Sie wird als kommunale Aufgabe der Daseinsvorsorge überwiegend von öffentlichen Wasserversorgungsanlagen sichergestellt. 6 Sie erfolgt durch die Gemeinde oder durch Abwasserbeseitigungsverbände über öffentliche Einrichtungen, die mit Anschluß- und Benutzungszwang ausgestattet sind. Eine besondere Gestaltungsart wurde in Niedersachsen entwickelt, wo sich die abwasserbeseitigungspflichtigen Kommunen zur Erfüllung ihrer Pflicht eines privaten Unternehmens bedienen können (sog. Betreibermodell) (vgl. § 149 VI NW GO). Auch in Baden-Württemberg (§ 45 b II des baden-württembergischen Wrur sergesetzes v. 26.04.1976) und Schleswig-Holstein (§ 35 Abs. 1 S. 2 des schleswigholsteinischen Wassergesetzes v. 17.01.1983) sind den Gemeinden solche Möglichkeiten vom Gesetzeswortlaut eröffnet. Dieses sog. Betreibennode/1 zeichnet sich dadurch aus, daß die Kommunen unter Beibehaltung ihrer Trägerschaft mit privaten Organisationen oder Unternehmen Werk- oder Dienstverträge abschließen. Der private Betreiber baut oder übernimmt nicht nur die Abwasseranlage, er betreibt sie auch langfristig in eigener Verantwortung und fmanziert sie. Für seine Leistungen erhält er ein privatrechtliches Entgelt von der Körperschaft. Letztere bleibt aber abwasserbeseitigungspflichtig. Gebühren werden von ihr erhoben. Der Dritte ist also nur Erfüllungsgehilfe der Kompetenzverwirklichung (vgl. dazu Kamphausenf:_,ee/kenfSchmeken, StGR 1988, 215 ff.). Die die Gemeinde entweder selbst vornimmt oder aber durch Konzessionsverträge einem Energieversorgungsunternehmen überträgt.
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a) Rechtslage der Abfallentsorgung (Begriffsbestimmung/Zuständigkeiten) Der Gesetzgeber hat den Aufgabenbereich der Abfallentsorgung in § 1 Abs. 2 AbfG festgelegt. Er umfaßt die Abfallverwertung, also das Gewinnen von Stoffen oder Energien aus Abfällen und das Ablagern von Abfällen einschließlich der dazu erforderlichen Maßnahmen des Einsammelns, Beförderns, Behandelns und Lagerns. Zuständig für diese Aufgaben sind nach § 3 Abs. 2 AbfG die nach Landesrecht zuständigen Körperschaften des Öffentlichen Rechts. Für bestimmte gefährliche Abfälle können die Abfallbesitzer entsorgungspflichtig gemacht werden (§ 3 Abs. 3, Abs. 4 AbfG). Während früher uneingeschränkt die Gemeinden als die zuständigen Körperschaften i. S. d. Abfallgesetzes angesehen wurden, haben die Landesgesetzgeber diesen Aufgabenbereich heute in zunehmendem Maße dem Selbstverwaltungsbereich der Gemeinden entzogen und den Kreisen und kreisfreien Städten überantwortet•. Diese Hochzonung ist nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar dringend geboten9 • Die Gefahren, die die Abfallentsorgung für Bevölkerung und Umwelt mit sich bringt, machen für diese einen hohen Grad an Technisierung erforderlich. Der dazu notwendige personelle, sachliche und fmanzielle Aufwand übersteigt im Regelfall die Leistungsfähigkeit der einzelnen Gemeinde. Dies gilt aber nicht für die Maßnahmen des Einsammeins und Beförderns von Abfällen. Diese Aufgabenbereiche können auch von den Gemeinden ordnungsgemäß erledigt werden, so daß keine Rechtfertigung dafür besteht, sie ihrem Selbstverwaltungsbereich zu entziehen10•
b) Abfallwirtschaftskonzepte Von entscheidender Bedeutung für die kommunale Abfallpolitik ist der Entwurf von Abfallwirtschaftskonzepten. Die Erarbeitung eines solchen Konzepts ist beispielsweise im neuen Landesabfallgesetz Nordrhein-Westfalen nunmehr gesetzlich vorgeschrieben11 • Inhaltlich sollen die Abfallwirtschaftskonzepte neben Fragen organisatorischer Art betreffend die AbVgl. dazu BVerfGE 79, 127; sowieSchoch, VerwArch. 1990, 18 (39 f.). BVerfG, UPR 1989, 138; BVerwGE 67, 321; Hohmann, UPR 1989, 413 ff. 10 Vgl.Hohmann, UPR 1989,413 (414). 11 Die Erarbeitung der Abfallwirtschaftskonzepte erfolgt in NW durch die Kreise und kreisfreien Städte unter Beteiligung der kreisangehörigen Städte und Gemeinden, die vor der Aufstellung anzuhören sind und ausdrücklich die Befugnis erhalten haben, Bedenken und Anregungen vorzubringen (vgl. § 5 Abs. 3 IAbfG NW). Daneben sieht das Landesabfallgesetz auch die Anhörung der an der Abfallentsorgung beteiligten privaten Entsorgungsunternehmen vor. 8
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fallentsorgung insbesondere Vermeidungs- und Verwertungsstrategien. beispielsweise Maßnahmen zur Förderung der stofflieben Verwertung, aufweisen12. Auf örtlicher Ebene werden diese Konzepte in Abfallsatzungen durch Regelungen organisatorischer Art ergänzt.
c) Abfallvermeidung Spätestens seit lokrafttreten des Abfallgesetzes des Bundes steht bei Erfüllung der Aufgabe ,,Abfallentsorgung" nicht mehr die Beseitigung, sondern neben der Wiederverwendung insbesondere die Frage der Abfallvermeidung im Vordergrund (vgl. § 1 a AbfG). In der Bundesrepublik Deutschland fallen Jahr für Jahr etwa 30 Millionen Tonnen Hausmüll an. Die Hälfte der für die Entsorgung erforderlichen Deponien wird aller Voraussicht nach schon in diesem Jahr verfüllt sein13• Die Schaffung neuen Deponieraums stößt mehr und mehr auf Durcbsetzungsschwierigkeiten bei Bürgern und Standortgemeinden. Die Notwendigkeit efflzienter Vermeidungs- und Verwertungsstrategien steht deshalb mehr denn je außer Frage.
d) Maßnahmen zur Verwirklichung des Abfallvermeidungsgebots Ziel der Abfallvermeidungs- bzw. -verminderungspolitik ist es, Abfälle bei Produktion und Konsum gar nicht oder zumindest weniger entstehen zu lassen.
aa) Beratung Es liegt auf der Hand, daß Voraussetzung jeder Abfallvermeidung zunächst einmal die Kenntnis der Vermeidungsmöglichkeiten ist. Diese Kenntnis kann durch Beratung der Behörden, Firmen und Bürger vermittelt werden. Während in der Vergangenheit die Kommunen diese Leistungen häufig freiwillig erbracht haben. ist die Beratung nunmehr in einigen Ländern gesetzlich vorgeschrieben (vgl. § 2 Abs. 1 LAbfG NW). Da eine vernünftige Beratung nur durch geschultes Fachpersonal erfolgen kann, das 12 13
Vgl. dazu insgesamt Schmeken, StGR 1988, 267 ff. Vgl. Schmeken, StGR 1988, 267 (269).
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in der Regel in kleineren Gemeinden nicht zur Verfügung steht, wurde diese Aufgabe auf die Kreisebene übertragen. Sollte jedoch in den Gemeinden ein entsprechendes Fachwissen zur Verfügung stehen, können die Kreise die Abfallberatung auf die Gemeinden mit deren Einvernehmen übertragen. Daneben ist auch eine Übertragung auf beauftragte Entsorgungsunternehmen möglich (§ 2 Abs. 1 S. 4 LAbfG NW). Diese verfügen oftmals über einen großen Erfahrungsschatz in der Abfallentsorgung und sind deshalb für eine Beratungstätigkeit bestens geeignet.
bb) Öffentlichkeitsarbeit Neben der Beratung ist oberstes Gebot wirksamer Abfallvermeidungspolitik die gezielte Öffentlichkeitsarbeit zur Schärfung des Umweltbewußtseins in der Bevölkerung. In vielen Städten und Gemeinden werden deshalb zu diesem Zweck Abfallvermeidungsfibeln herausgegeben (z. B. Tübingen: "Einkaufen ohne Müll").
cc) Satzungsgemäße Ge- und Verbote Viele Kommunen sprechen darüber hinaus in ihren Abfallsatzungen Gebote und Verbote aus, die die Abfallflut eindämmen sollen. So kann beispielsweise durch Satzung die Verpflichtung festgelegt werden, Gartenabfälle auf dem Grundstück zu kompostieren, auf dem sie angefallen sind14• Ermächtigungsgrundlage für derartige aktive Abfallvermeidungsmaßnahmen ist die kommunale Satzungsautonomie, die sich aus dem in Art. 28 Abs. 2 GG garantierten Selbstverwaltungsrecht der Kommunen ableitet. Ob diese Ermächtigungsgrundlage dagegen auch die nunmehr mancherorts ausgesprochenen sog. "Plastiktütenverbote" deckt, derzufolge die Verwendung von Plastiktragetüten im Gemeindegebiet verboten werden soll, erscheint zweifelhaftu. Da die Abfallentsorgung gern. Art. 74 Nr. 24 GG zum Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung gehört, kann eine kommunale Zuständigkeit für Abfallvermeidungsmaßnahmen nur soweit bejaht werden, als der Bund Vgl. Salzwedel, NVwZ 1989, 820 (827). Vgl. beispielsweise Nümberg, Hannover; s. dazu auch "DER SPIEGEL" 45/1989, 114 f. 14
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von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Dies aber ist durch §§ 1 a, 14 Abs. 1 Nr. 4 AbfG geschehen. Das Abfallgesetz des Bundes schreibt in§ 1 a vor, daß Abfälle nach Maßgabe von Rechtsverordnungen aufgrund des § 14 AbfG zu vermeiden sind. § 14 Abs. 1 Nr. 4 AbfG regelt die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen über das Verbot des Inverkehrbringens bestimmter Erzeugnisse. Die Kommunen können also aufgrund der Sperrwirkung des bundesrechtlichen Abfallgesetzes durch Ortrecht keine Verwendungsverbote bezüglich Verpackungsmaterial aussprechen.
dd) Kommunale Abgaben Die neuen Abfallgesetze der Länder haben die Möglichkeit hervorgehoben, auch über Gebühren Abfallvermeidung zu bewirken. So verpflichtet beispielsweise § 2 Abs. 9 Hess. AbfG die Kommunen, bei der Bemessung der Abgaben Anreize zur Vermeidung und stofflichen Verwertung von Abfällen zu schaffen.
(1) Staffelung der Gebühren zum vorgehaltenen Behältervolumen der Abfalltonnen
Die lineare Staffelung der zu erhebenden Gebühren im Verhältnis zum Volumen der Abfalltonne ist dabei ein Schritt in Richtung Abfallvermeidung16. Der Zulässigkeil dieser Abfallvermeidungsstrategie kann nicht der Gebührencharakter der Abgaben entgegengehalten werden. Wenn auch Benutzungsgebühren als Geldleistungen zu charakterisieren sind, die als Gegenleistung für die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen und Anlagen erhoben werden, so steht doch heute außer Frage, daß Gebühren daneben auch lenkende Nichteinnahmezwecke verfolgen dürfen17• Voraussetzung für die Liquidierung über Abfallgebühren ist nach der Rechtsprechung des OVG Münster jedoch, daß die Zielsetzungen und Maßnahmen, die der Vermeidung von Abfällen dienen sollen, keinen zu entfernten Be-
16 Vgl. auch § 3 Abs. 3 S. 2 Saarl. AbfG v. 3.6.1987; sowie K/ages, NVwZ 1988, 481 (485); Dahmen, KStZ 1988, 132 (133). 17 Vgl. Dahmen, KStZ 1988, 132 (133); BVerwG, KStZ 1975, 191; BVerfGE 50, 217 (226 f.); NJW 1979, 1345.
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zug zu Art und Umfang des in den Gemeinden erfahrungsgemäß anfallenden häuslichen Abfalls haben18•
(2) Anknüpfung der Abfallgebühren an erzeugten Abfall Diskutiert wird auch eine Anknüpfung oder Staffelung der Gebühren an den erzeugten Abfall dergestalt, daß derjenige keine bzw. geringere Gebühren zu zahlen hat, der keine bzw. weniger Abfälle erzeugt und erzeugte Abfälle besser stofflich verwertet, als es der Norm entspricht. Dabei gilt es aber zu bedenken, daß schon die Feststellung, welche Abfallmenge als normal anzusehen ist, angesichts der unterschiedlich strukturierten Haushalte erhebliche Probleme mit sich bringt. Dasselbe gilt für die Meßbarmachung der tatsächlich angefallenen Abfälle. Auch die Freistellung von Abfallgebühren für den totalen Abfallvermeider begegnet erheblichen Bedenken. Das Abfallgesetz schreibt in § 3 Abs. 1 AbfG die Überlassung der Abfälle an den Entsorgungspflichtigen vor. Schon aus kompetenzrechtlichen Gründen kann der kommunale Satzungsgeber Befreiungen von dieser Überlassungspflicht nicht aussprechen19•
(3) Verpackungsabgabe Viel diskutiert im Rahmen der kommunalen Abgaben ist auch die sog. Verpackungsabgabe20• Dabei geht es darum, umweltbelastend verpackte Waren durch Auferlegung einer Abgabe so zu verteuern, daß zum einen der Händler angereizt wird, nur umweltfreundlich verpackte Waren in sein Sortiment aufzunehmen und zum anderen der Konsument veranlaßt wird, nur diese nachzufragen. Die rechtliche Zulässigkeil dieser kommunalen Verpackungsabgabe wird zum großen Teil skeptisch beurteile1• Ich möchte mich dieser Skepsis an18 OVG Münster, Beschluß 2 B 1595, 85 v. 17.09.1985; Urteil 2 A 2689/84 v. 17.10.1985 und 2 A 1791/84 v. 19.12.1985; kritisch dazu Dahmen, KStZ 1988, 132 (133). 19 Vgl. Klages, NVwZ 1988, 481 (485); OVG Lüneburg, NJW 1983, 411; VGH Mannheim, KStZ 1984, 213. 20 Beispielsweise in Hannover, Entwurf einer Satzung über die Erhebung einer Getränkeverpackungssteuer (Hf-Drucks. Nr. 1126/88 u. 1396/88); vgl. Tiedemann, DÖV 1990, 1 (1). 21 Vgl. Gem, KStZ 1989, 61 f.; Dahmen, KStZ 1988, 132 ff.
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schließen. Wird die Abgabe, wie in den meisten Gemeinden der Fall22, als Steuer konzipiert, so begegnen ihr insbesondere fmanzverfassungsrechtliche Bedenken. Denn einer Verpackungssteuer steht Art. 105 Abs. 2 S. 2 a GG entgegen. Das gemeindliche Steuerfmdungsrecht ist fmanzverfassungsrechtlich auf örtliche Verbrauchs- und Aufwandsteuern begrenzt. Die Steuer muß also einen örtlich begrenzten Wirkungskreis haben23• An einer Beschränkung der unmittelbaren Wirkung auf das Gemeindegebiet aber fehlt es bei der Einführung einer kommunalen Verpackungssteuer. Die verpackten Konsumgüter werden nicht nur von den Gemeindeeinwohnern, sondern auch von auswärtigen Kunden gekauft24• Darüber hinaus verlassen viele verpackte Waren die Grenzen des Gemeindegebietes, indem sie in andere · Gemeinden exportiert werden25• Ist damit die Konzeption der Verpackungsabgabe als Steuer nicht möglich, so stellt sich noch die Frage, ob die Gemeinden eine Verpackungssonderabgabe einführen könnten. Aber auch für die Einführung von Sonderabgaben dürfte den Kommunen in diesem Zusammenhang die Kompetenz fehlen26• Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich die Kompetenz zur Einführung außersteuerlicher Abgaben als Annexkompetenz zu den allgemeinen Sachzuständigkeiten der Art. 73 ff. GG27• Wie oben schon erörtert, liegt eine kommunale Sachzuständigkeit im Bereich des Abfallrechts aufgrund der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis des Bundes nur vor, wenn und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Möglichkeiten zur Abfallvermeidung durch Regelungen betreffend die Verpackung von Waren sind in § 14 Abs. 2 S. 3 AbfG des Bundes vorgesehen. Von besonderer Bedeutung dürfte dabei§ 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 5 AbfG sein, demzufolge durch Rechtsverordnung festgelegt werden kann, daß Verpackungen zur Vermeidung von Abfällen nur für bestimmte Zwecke in Verkehr gebracht werden.
22 Vgl. z. B. den Ratsbeschluß in Hannover, wo fllr jeden Einwegbehälter aus Glas, Blech, Aluminium oder kunststoffbeschichteter Pappe eine Abgabe von 30 Pfennig fällig werden soll, vgl. "DER SPIEGEL" 45/1989, 114. 23 BVerfGE 40, 56 (61). 24 Vgl. Daltmen, KStZ 1988, 132 (132). 25 In der Literatur wird darüber hinaus auch eingewandt, die Erdrosselungsfunktion der Verpackungsabgabe, nämlich der Erzeugung von Abfall entgegenzuwirken, lasse sich mit dem Steuerbegriff nicht vereinbaren (vgl. dazu Gern, KSI'Z 1989, 61 (6w. Zu dieser Frage vgl. Tiedemann, DÖV 1990, 1 (6 f.). 27 BVerfG, NJW 1987, 3115.
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WemerHoppe e) Die Entsorgung von Abfällen
Ich habe vorhin schon erwähnt, daß nach der gesetzlichen Definition des
§ 1 Abs. 2 AbfG die Abfallentsorgung zwei Tätigkeitsbereiche wnfaßt,
nämlich zum einen die Abfallverwertung, zum anderen das Ablagern der Abfälle in Entsorgungsanlagen, einschließlich der vorgeschalteten Maßnahmen des Einsammelns, des Beförderns, des Behandelns und des Lagerns der Abfälle. Dabei steht die Inanspruchnahme der abfallbeseitigenden Leistungen nicht im Belieben der Gemeindemitglieder, die Abfallentsorgung unterliegt vielmehr einem Anschluß- und Benutzungszwan!f. Die umweltschützenden Aktivitäten der Städte und Gemeinden sind vielschichtig und beziehen sich auf alle diese Tätigkeitsfelder.
aa) Das Abfallverwertungsgebot Der Begriff der Abfallverwertung wnfaßt Maßnahmen, die ganz oder teilweise darauf gerichtet sind, aus Abfällen Stoffe oder Energie zu gewinnen. Das Abfallgesetz des Bundes konstituiert in § 3 Abs. 2 S. 3 einen zwingenden Vorrang der Abfallverwertung, wenn für die gewonnenen Stoffe oder die gewonnene Energie ein Markt vorhanden ist oder geschaffen werden kann und die entstehenden Mehrkosten nicht unzumutbar sind. Dabei werden die stoffliche und die energetische Verwertung gesetzlich als gleichwertig angesehen.
bb) Maßnahmen zur Verwirklichung des Abfallverwertungsgebots Die Maßnahmen zur Verwirklichung des Abfallverwertungsgebots sind zahlreich und lassen sich nicht erschöpfend aufzählen. Hier nur einige Beispiele:
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Vgl. Eckert, NVwZ 1987, 951 (956).
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(1) Verwendung von Recyclematerialien Einige Gemeinden und Städte sind dazu übergegangen, in ihren Behörden nur solche Materialien und Gebrauchsgüter zu beschaffen oder zu verwenden, die aus Reststoffen oder Abfällen hergestellt sind. Teilweise ist eine dahingehende Verpflichtung nunmehr auch landesgesetzlich vorgeschrieben (vgl. § 3 LAbfG NW)211• Die Vorbildfunktion dieser Maßnahmen für die Öffentlichkeit steht außer Frage. Nicht nur die öffentliche Hand, sondern gerade auch der einzelne soll und kann einen entscheidenden Beitrag zur Verwirklichung des umweltschützenden Verwertungsgebotes leisten.
(2) Sammelsysteme Von besonderer Bedeutung für die Frage der Wiederverwertung von Stoffen sind die verschiedenen Verfahren zur getrennten Sammlung von Hausmüllfraktionen. Da eine saubere Trennung von gemischten Abfällen vielfach nicht oder nur schwer möglich ist und zudem einen hohen Kostenaufwand erfordert, ist die Abfalltrennung vor dem Einsammeln ein entscheidender Teilschritt zur Verwirklichung der Altstoffverwertung. Herkömmlicherweise lassen sich in diesem Zusammenhang zwei verschiedene Systeme unterscheiden:
(a) Bringsystem Das Bringsystem zeichnet sich dadurch aus, daß der einzelne seine Wertstoffe getrennt vom übrigen Abfall im Haushalt sammelt und sie dann zu zentralen Stellen bringfO. Fast in jeder Kommune sind Container für Altpapier und Altglas, aber auch vielfach für Batterien, Altkunststoff oder Metalle aufgestellt worden (sog. Einkammer-Umleer-Container oder Depotcontainer). Durch ein dichtes Netz von Containern wird dabei vielerorts ein hohes Maß an Recyclemöglichkeiten geschaffen. In Bielefeld beispielsweise beträgt die Verwertungsquotevon Altglas 45 % 31 • 211 30 31
Kritisch dazu Schmeken, StGR 1988, 244 (247). Vgl. Leidinger, VR 1989, 333 (338). Vgl. LahljWiebe, Er 1989, 678 (679).
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Daneben gibt es die sog. Mehrkammer-Austausch-Container, die in einzelnen Kammern die Aufnahme von Weißglas, Buntglas, Papier, Pappe, Weißblech und teilweise auch von Altmedikamenten und Batterien ermöglichen. Im Gegensatz zum oben beschriebenen Einkammer-Umleer-Container ist dieser Container ein sog. Wechselcontainer, der nach der Verfüllung komplett abtransportiert und durch andere Behältnisse ersetzt wird. Hier liegt auch ein Nachteil dieses Sammelsystems, da der Container nur vollständig ausgetauscht werden kann, was bei einer unterschiedlichen Nutzung der verschiedenen Kammern dazu führt, daß auch noch nicht vollständig gefüllte Kammern ausgewechselt werden32• Ergänzt werden die Containersammlungen durch die Schaffung kommunaler Sammelstellen für Problemabfälle33• Dies sind überwiegend die Abfälle, deren Entsorgung gem. § 3 Abs. 3 AbfG von den Kreisen ausgeschlossen worden ist. In Bielefeld beispielsweise können Chemikalien oder Batterien sowie sonstige Schadstoffe aus Haushalten bei den Betriebshöfen des Stadtreinigungsamtes, den Bezirksämtern und bei der Bürgerberatung im Rathaus abgegeben werden34• Nicht unerwähnt bleiben sollte auch die Einrichtung einer sog. "Mobilen Schadstoffsammlung" (z. B. Bielefeld), die sich dadurch auszeichnet, daß ein Schadstoffmobil mehrmals jährlich verschiedene Haltestellen im Stadtgebiet anfährt, zu denen die in Haushalten anfallenden Abfälle gebracht werden könnenJS.
(b) Holsystem Im Unterschied zum Bringsystem werden beim Holsystem die Altstoffe in einem oder in mehreren Behältnissen, getrennt nach Bestandteilen, vom Verbraucher selbst gesammelt und dann direkt bei ihm durch die Müllabfuhr abgeholt. Die in der Praxis bislang am häufigsten erprobten36 Verfahren in diesem Zusammenhang sind: Vgl. Leidinger, VR 1989, 333 (339). Vgl. Schmeken, StGR 1988, 267 (270). 34 Vgl. LahljWiebe, ET 1989, 678 (681); zu den kommunalen Sammelstellen vgl. auch Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen, Stoffliche VeJWertung von Hausmüll und hausmüllähnlichen Abfällen in Bayern, StädteT 1989, 743 (745). JS Vgl. LahljWiebe, ET 1989, 678 (681) 36 Andere diskutierte Sammelsysteme, die sich in der Praxis aber bislang noch nicht hinreichend bewährt haben, sind: Die sog. alternierend geleerte Restmülltonne, bei der der Bürger seine übliche graue Mülltonne einmal mit Restmüll, ein anderes Mal mit Wertstoffen füllt. Da in der Tonne vielfach Hausmüllreste zurückbleiben, die die Wertstoffe verunreinigen, 32
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(aa) Die "Grüne Tonne" Dieses Sammelverfahren zeichnet sich dadurch aus, daß die Haushalte mit zwei verschiedenen Abfalltonnen versorgt werden. Die meist grün gefärbte Tonne wird dabei ausschließlich für trockene Wertstoffe wie Papier, Glas, Metalle oder ähnlichem, die graue Tonne dagegen wird wie bisher mit dem Naß- oder Restabfall gefüllt. Kommunal unterschiedlich wird dabei für die grüne Tonne vorgeschrieben, daß diese nur einen Wertstoff oder aber mehrere verschiedene Wertstoffe enthalten darf. Bei letzterer sog. Mehrkomponentenerfassung ist dann eine Nachsortierung erforderlich.
(bb) Die Biotonne Die Versorgung der Haushalte mit einem zusätzlichen Müllgefäß geschieht vielfach auch durch die Zur-Verfügung-Stellung einer sog. "Biotonne" (Komposttonne), in der ausschließlich organische Abfälle wie Rasen, Obst-, Gemüse-, Blumen- und sonstige Pflanzenreste gesammelt werden sollen. Dieser Abfall kann dann in einer Kompostieranlage zu Kompost verarbeitet werden37• Der so gewonnene Kompost weist eine hohe Qualität auf, da durch die Trennung der Gartenabfälle von den übrigen Abfällen eine Schwermetallbelastung von vomherein nicht eintreten kann. Insgesamt eignet sich diese Tonne jedoch mehr für ländlich strukturierte Gebiete, in denen der mengenmäßige Anfall von Kompost wesentlich höher liegt als in den Städten.
ist bei dieser Sammlungsart eine Nachsortierung erforderlich. Ein höherer Reinheitsgrad läßt sich durch das sog. Mehrkammermüllsystem erreichen, bei dem der einzelne anstelle seiner herkömmlichen Tonne ein großes Müllbehältnis erhält, das in verschiedene Kammern aufgeteilt ist, die verschiedene Wertstoffe separat aufnehmen können. Dem Vorteil der sauberen Trennung der Wertstoffe stehen jedoch hohe Kosten gegenüber, da für diese neuen Mülltonnen die Müllfahrzeuge entspr~ chend neu umgerüstet werden müßten. Eine Kombination aus Biotonne, "grüner Tonne" und Restmülltonne ist das sog. Drei-Tonnen-System. Die einzelnen Wertstoffe werden in diesen drei Tonnen entsprechend ihrer Zweckbestimmung gesammelt. Die Tonnen werden im Wechsel geleert. Nachteilig ist dieses Sammetsystem insoweit, als es einen größeren Stellplatz für die Müllgefäße erforderlich macht, der in den städtischen Gebieten vielfach nicht zur Verfugung steht. 37
Vgl. dazu Leidinger, VR 1989, 333 (340).
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(3) Rechtsfragen Für alle in Haushaltungen anfallenden Abfälle gilt es festzuhalten: Eine Pflicht des einzelnen, die Abfälle in öffentlich zugängliche Sammetbehälter oder -stellen zu verbringen oder sonst fortzuschaffen, besteht nicht. Sie ergibt sich weder aus dem Abfallgesetz noch kann sie durch kommunale Satzungen festgeschrieben werden38• Das gilt auch für den in Haushaltungen anfallenden Sonderabfall39• Nach § 3 Abs. 1 AbfG ist der Abfallbesitzer nur zur Überlassung der Abfälle an den Entsorgungspflichtigen verpflichtet. Dieser Überfassungspflicht genügt er dadurch, daß er die Abfälle dort zugänglich macht, wo sie abgeholt werden müssen40 • Zwar können sich die Kommunen nach§ 3 Abs. 2 S. 2 AbfG zur Erfüllung ihrer Abfallentsorgungspflicht Dritter bedienen. Der einzelne ist aber nicht Dritter i. S. d. Vorschrift41 , dies sind vielmehr die privaten Entsorgungsunternehmen, die ja auch die technischen Möglichkeiten haben, die Entsorgung ohne Gefahren für die Umwelt vorzunehmen. Da nach § 3 Abs. 3 AbfG von der Entsorgung durch die öffentliche Hand nur die Abfälle ausgeschlossen werden können, die nicht zusammen mit den in Haushaltungen anfallenden Abfällen entsorgt werden können, kann die Gemeinde von dieser Möglichkeit hinsichtlich der hier in Rede stehenden Abfälle keinen Gebrauch machen. Die Vorschriften in kommunalen Satzungen, die den einzelnen Abfallbesitzer verpflichten sollen, selbst einen Teil des bei ihm anfallenden Abfalls wegzutransportieren, verstoßen also gegen das Abfallgesetz des Bundes. Sie sind deshalb nichtig42. Etwas anderes gilt für die Regelungen, die die Benutzung der "Biotonnen" zum Zwecke der Kompostierung neben den üblichen Abfallbehältern vorschreiben. Durch kommunale Satzung kann dem einzelnen also die Pflicht zur Getrennthaltung von Abfällen auferlegt werden43 • Diese Maßnahmen dienen der Verwirklichung des bundesrechtlich vorgeschrieVgl. dazu Becker, NWVBI. 1989, 269 ff. Vgl. Becker, NWVBI. 1989, 269 (275). 40 Vgl. Becker, NWVBI. 1989, 269 (271). 41 Vgl. Höseljvon Lersner, Recht der Abfallbeseitigung des Bundes und der Länder, Stand August 1989, § 3 AbfG, Rn. 14. 42 Vgl. beispielsweise § 6 der am 01.01.1988 in Kraft getretenen Abfallsatzung der Stadt Köln. 43 Vgl. OVG Münster DÖV 1988, 307 f.; s. auch Becker, NWVBI. 1989, 269 (273); Schmeken, StGR 1988, 244 (246); Schieche, HessStuGZ 1988, 114 (115); vgl. auch nunmehr § 2 Abs. 2 IAbfG NW, der ausdrücklich bestimmt, daß Abfälle zum Zwecke der Wiederverwertung auf Verlangen der Gemeinde getrennt zu halten sind. 38 39
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benen Abfallverwertungsvorrangs, denn eine effektive Verwertung kann nur erfolgen, wenn die Abfälle auch getrennt eingesammelt und befördert werden. Steht die Einführung der "Biotonne" damit grundsätzlich im Einklang mit höherrangigem Recht, so stellt sich doch die Frage, ob der öffentlichrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Ausnahmen von diesem generellen Benutzungszwang fordert. Dies könnte zumindest dann der Fall sein, wenn die Freistellung von einer Benutzung dieser Tonne mit dem Argument verlangt wird, alle organischen Abfälle würden selbst durch Kompostierung verwertet44• Die eigene Verwertung steht gleichrangig neben der Verwertung durch die öffentliche Hand. Sie realisiert daher in gleicher Weise die bundesrechtlichen Vorgaben45•
cc) Ablagern von Abfällen Kommt eine Verwertung nicht in Betracht, ist das Ablagern von Abfällen ultima ratio. Das Abfallgesetz des Bundes schreibt in § 4 Abs. 1 vor, daß dies nur in den dafür zugelassenen Abfallentsorgungsanlagen geschehen darf.
(1) Gefahren- kommunale Maßnahmen Das Deponieren von Stoffen birgt für die Umweltmedien Luft, Boden und Wasser hohe Gefahren in sich. Bedingt durch das Gebot der Abfallverwertung verschärft sich das Problem zusätzlich dadurch, daß das Volumen der abzulagernden Abfälle durch die Verwertungsstrategien zwar mehr und mehr verringert wird, die Abfälle dafür aber mit einer umso höheren Schadstoffkonzentration angereichert sind. Oberstes Gebot der Doponierung muß daher eine umweltverträgliche Ablagerung sein. Verglichen mit den oben erörterten strategischen Möglichkeiten zur Abfallvermeidung und -Verwertung ist der hoheitliche Handlungsspielraum der Kommunen im Bereich der Abfallablagerung eher gering. Die kommu-
Vgl. Schieche, HessStuGZ 1988, 114 (116). Vgl. auch Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen, Stoffliche Verwertung von Hausmüll und hausmüllähnlichen Abfällen in Bayern, StädteT 1989, 744 (745). 44
45
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nale Zuständigkeit beschränkt sich überwiegend auf eine Überwachungstätigkeit46. Handelt es sich aber um Entsorgungsanlagen unter kommunaler Trägerschaft47, so können die Kommunen zwar nicht hoheitlich, aber in ihrer Eigenschaft als Träger der Anlagen Adressat zahlreicher Gebote sein, die die Landesgesetzgeber im Interesse der größtmöglichen Sicherheit beim Betrieb von Abfallentsorgungsanlagen aus Gründen des vorbeugenden Umweltschutzes erlassen haben. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise Selbstüberwachungspflichten48, Anzeigepflichten bei Betriebsstörungen49, das Gebot der gesicherten Betriebsführun~ sowie die Verpflichtung zum Erlaß von Bedienungs- und Sicherheitsanweisungen und zur Durchführung von Personalschulungen51.
(2) Altlasten Ein in der Praxis bislang ungelöstes Problem ist das der Altlasten. Ihre Bewältigung zählt seit geraumer Zeit zu den ebenso dringenden wie schwierigen und kostenträchtigen Aufgaben der Umweltpolitik. Folgende Zahlen verdeutlichen dies: Für Ende 1988 errechnete der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen bundesweit insgesamt 48 377 altlastenverdächtige Flächen, davon 7 863 Altstandorte52• Der Rat prognostiziert in seinem Altlastengutachten eine erhebliche Zunahme der altlastenverdächtigen Flächen für die nächste Zukunft. Die Schätzungen liegen bei über 70 ()()(f3. Im Land Nordrhein- Westfalen sind bisher etwa 11 000 Verdachtsflächen er46 Vgl. § 25 Abs. 1IAbfG NW. 47 Vgl. § 5 Abs. 2IAbfG NW. 48 Danach muß der Betreiber von Abfallentsorgungsanlagen auf seine Kosten die Errichtung und den Betrieb der Anlage überwachen lassen und im Einwirkungsbereich der Anlage anfallendes Sicker- und Oberflächengewässer sowie das Grundwasser einschließlich der von der Anlage ausgehenden Ernissionen untersuchen und darüber Aufzeichnungen fertigen lassen. Vgl. z. B. § 25 Abs. 1 IAbfGNW. 49 § 27IAbfG NW. so Vgl. § 26 IAbfG NW. Danach darf derBetreibernur sachkundiges und zuverlässiges Personal beschäftigen. Sl Vgl. § 26lAbfG NW. 52 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen < =SRU> , Altlasten (Sondergutachten) 1989, Tz 66, S. 34, 37. 53 SRU, Altlasten (Sondergutachten) 1989, Tz. 68, S. 37; vgl. auch Stich, UPR 1989, 401 (402).
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faßt. Die Kosten für die Sanierung und Überwachung wurden 1985 vom Umweltbundesamt für die nächsten 10 Jahre vorsichtig auf insgesamt 17 Milliarden DM geschätzf". Heute werden siez. T. schon auf das zehnfache, also auf 170 Milliarden DM taxiert55• Bei der Bewältigung der Problematik sind die Kommunalverwaltungen vor allem in ihrer Ordnungs- und Planungsfunktion gefordert.
(a) Ordnungsbehördliche Tätigkeit der Kommunen Die Ordnungsbehörden haben die altlastenverdächtigen Flächen unter Zuhilfenahme verschiedenster Informationsquellen56 zu ermitteln. An die Erfassung der altlastenverdächtigen Flächen schließt sich als zweiter Arbeitsschritt die Gefährdungsabschätzung an. Die Ordnungsbehörden haben also zu erforschen, ob von Altablagerungen oder Altstandorten für bestehende Nutzungen und dabei berührte Schutzgüter Gefahren ausgehen. Sie haben daran anschließend die notwendigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr wie Sanierung und/oder Überwachung anzuordnen oder durchzuführen. Die im Rahmen dieser Tätigkeiten anfallenden Probleme sind vielfältig. Neben Fragen rechtlicher Art, wer als Verantwortlicher in Anspruch genommen werden kann, und Fragen tatsächlicher Art, beispielsweise der Finanzierung der notwendigen Sanierungsmaßnahmen, steht im Vorfeld die Frage im Vordergrund, anband welcher Strategien, Maßstäbe oder Grundsätze das Gefahrenpotential von Altlasten zuverlässig erkundet und beurteilt werden kann57• Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen hat sich im Altlastengutachten eingehend mit dieser Frage befaßf! und dort verschiedene Bewertungsansätze zur Ermittlung von Handlungsbedarf und zur Prioritätensetzung ausführlich dargestellt59• Landesweit unterschiedlich wird versucht, die Problematik der Erfassung mit Hilfe von Regelungen betreffend Erhebungen über Altablagerungen und Altstandorten anzugehen. In Nordrhein- Westfalen beispielsweise Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung, BT-Drucks. 10/2977, S. 28 f. Vgl. Schmeken, StGR 1988, 244 (245). 56 Karten und Pläne, Luftaufnahmen, behördliche Akten, betriebliche Unterlagen, Branchenveneichnisse oder ähnliche Aufzeichnungen sowie Befragungen aktiver und ehemaliger Mitarbeiter von Behörden, Firmen und sonstigen Institutionen und schließlich der Öffentlichkeit.; vgl. SRU (Sondergutachten) 1989, Tz. 307. 57 Matthiesen, Landkr. 1988, 407 (407). 58 SRU, Altlasten (Sondergutachten) 1989, TZ 327 ff., S. 191 ff. 59 SRU, Altlasten (Sondergutachten) 1989, TZ 403 ff., S. 235 ff. 54
55
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werden von den Kreisen und kreisfreien Städten sog. Altlastenkataster geführt, in denen bekanntgewordene Daten, Tatsachen und sonstige Erkenntnisse beispielsweise über Lage, Größe, Zustand der Altablagerungen und Altstandorten und Beschaffenheit der abgelagerten Stoffe festgehalten werden60• Das Kataster ist fortzuschreiben, Erkenntnisse können unter bestimmten Voraussetzungen datenrechtlicher Art an andere Behörden weitergegeben werden61 • Ergänzt wird das Kataster in Nordrhein- Westfalen durch eine kartographische Dokumentation der altlastenverdächtigen Flächen (Altlasten-Grundlagenkarten), die laufend aktualisiert wird. Form und Inhalt dieser Karten ermöglichen parallel zum Kataster eine Charakterisierung von Altablagerungen und Altstandorten unter anderem nach Lage, Ausdehnung, Abfallarten und Schadstoffen62• Ein anderes Beispiel der Problembewältigung bietet Hessen. Dort sollen Verdachtsflächen in einer Verdachtsflächendatei erfaßt werden, die großflächiger angelegt ist als das Altlastenkataster und von der Hessischen Landesanstalt für Umwelt geführt wird63 • Da eine sinnvolle Arbeit nur bei Vorliegen ausreichender Informationen möglich ist, gehört die systematische Erfassung und Feststellung der Verdachtsflächen zu den wichtigsten Voraussetzungen behördlicher Tätigkeit im Rahmen der Altlastenproblematik.
(b) Altlasten in der Stadtplanung Die Kenntnis der Verdachtsflächen einschließlich der von ihnen ausgehenden Gefährdungen ist auch für den Stadtplaner unerläßliche Handlungsvoraussetzung. Für ihn bringen die Altlasten eine Reihe von Problemen mit sich: Sie bewirken eine zumindest vorübergehende Verknappung des Flächenangebots, weil die Ermittlung der Altlastenflächen einschließlich der Sanierung erhebliche technische, rechtliche und finanzielle Schwierigkeiten bereiten kann. Sie erschweren die Wiedernutzbarmachung alter Industrieflächen oder sonstiger Freiflächen. Sie führen zu Unsicherheiten
§§ 31, 29 Abs. 1, Abs. 21AbfG NW. § 321AbfG NW. 62 Vgl. SRU, Altlasten (Sondergutachten) 1989, Tz. 318; vgl. auch den "Wasserund Abfallwirtschaftlichen Atlas" in Baden-Württemberg oder den "Umweltatlas" in Berlin. 63 Vgl. dazu Weimar, HessStuGZ 1989,421 (421). 60 61
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bei der Neuplanung und machen ggf. eine Überprüfung aller Planungen erforderlich64 • Die rechtlichen Vorgaben zur Bewältigung dieser Probleme sind dünn gesät. Einschlägig für die Behandlung der Altlasten im Städtebau sind das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB sowie die Kennzeichnungspflichten der§§ 5 Abs. 3 Nr. 3, 9 Abs. 5 Nr. 3 BauGB.
(aa) Kennzeichnungspflichten Das BauGB schreibt für den Flächennutzungsplan in§ 5 Abs. 3 Nr. 3 und für den Bebauungsplan in§ 9 Abs. 5 Nr. 3 vor, daß diejenigen Flächen gekennzeichnet werden sollen, "deren Böden erheblich mit umweltgefährdenden Stoffen belastet sind". Während sich diese Kennzeichnungspflicht beim Flächennutzungsplan nur auf die Flächen beschränkt, die für bauliche Nutzungen vorgesehen sind, gilt das Gebot für die Bebauungspläne generell. Die Kennzeichnung hat keine Rechtsverbindlichkeit, sondern übt lediglich eine Warnfunktion aus. Ihr Fehlen ist daher für die Wirksamkeit der Bauleitpläne grundsätzlich ohne Belang. Es kann jedoch auf einen Abwägungsfehler dahingehend hindeuten, daß die Gemeinde sich über die planerische Bewältigung einer altlastenverdächtigen Fläche keine hinreichenden Gedanken gemacht hat65•
(bb) Das Abwägungsgebot des§ 1 Abs. 6 BauGB Die planerische Bewältigung altlastenverdächtiger Flächen erfolgt über die nach § 1 Abs. 6 BauGB erforderliche Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange. Dieses Abwägungsgebot geht den oben erörterten Kennzeichnungspflichten voraus und verpflichtet die Gemeinden, altlastenverdächtige Flächen in der Bauleitplanung zu berücksichtigen66• Von entscheidender Bedeutung ist dabei die sachgerechte Aufarbeitung des Abwägungsmaterials. Dabei sind die Belange abwägungsbeachtlich, die nicht nur geringfügig, bei der Entscheidung über den Plan hinreichend wahrscheinlich und für die Behörde als abwägungsbeachtlich erkennbar 64
65 66
Vgl. dazu Krautzberger, UPR 1989, 1 (1). Vgl. Baden, ZffiR 1988, 108 (108); Reiß-Schmidt, StBG 1988, 127 (128). Vgl. dazu Kroutzberger, UPR 1989, 1 (15).
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sind67• Die Gemeinde ist daher nicht verpflichtet, eine Bodenuntersuchung vornehmen zu lassen, wenn kein Altlastenverdacht gegeben ist68• Liegen aber Anhaltspunkte für eine Bodenverunreinigung vor, z. B. durch die frühere Nutzung des Grundstücks, so muß die Gemeinde diesen nachgehen und weitere Ermittlungen anstellen. Unter Zugrundelegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gilt dabe~ daß die Untersuchung umso detaillierter sein muß, je größer die Planungsverbindlichkeit, die Umweltgefährdung sowie die Schutzbedürftigkeit der beabsichtigten Nutzung erscheinen: Während auf der Ebene der vorbereitenden Bauleitplanung überwiegend noch eine Recherche in den Erhebungskarteien oder Katastern über altlastenverdächtige Flächen ausreichend sein kann, wird bei Aufstellung der Bebauungspläne eher eine gründliche Untersuchung bezüglich Art und Umfang der schadstoffbelasteten Bereiche erforderlich sein(9. Bestätigt sich der Verdacht der Altlast, erfordert das bauplanungsrechtliche Gebot der Konfliktbewältigung, daß die Gemeinde Überlegungen über die Erheblichkeil der Umweltbelastungen anstellt und diese unter Berücksichtigung geeigneter Schutzvorkehrungen oder Sanierungsmaßnahmen in die Abwägung einbezieht70• Ein besonderes Problem stellt sich in diesem Zusammenhang in der Praxis bei der Abschätzung der Gefährdung, denn es existieren keine allgemein anerkannten Riebt- oder Grenzwerte für die Bewertung der Bodenbelastungen. Ich möchte aber auch an dieser Stelle nochmals auf die im Altlastengutachten des Sachverständigenrates detailliert dargestellten, unterschiedlichen Bewertungsansätze hinweisen71 • Die Kommunen greifen häufig auf einzelfallbezogene Sachverständigengutachten zurück, in denen wiederum Richtwerte verschiedener anderer, verwandter Regelwerte (z. B. Klärschlammverordnung, Trinkwasserverordnung etc.) zugrunde gelegt werden72• Im Interesse der Planungssicherheit sowie zur Gewährleistung einheitlicher Entscheidungen ist die Erarbeitung eines einheitlichen Regelwerkes dringend erforderlich. Auf die Dringlichkeit dieses Anliegens weist auch der Sachverständigenrat im Altlastengutachten hin73• Es ist daher zu begrüßen, daß die Bundesregierung in Abstimmung mit der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) ein Expertengremium eingesetzt hat, das Schwellenwerte für die Toxizität und Ökotoxizität von 76 altlastrelevanten Schadstoffen festlegen soll. Vorgesehen ist auch die Schaffung eines untergesetzlichen Regelwerkes, das gesicherte 67 68 C9 70
71
72 73
Henkel, UPR 1988, 367 (369). Krrwtzberger, UPR 1989, 1 (15). Henkel, UPR 1988, 367 (369, 370). Vgl. Krrwtzberger, UPR 1989, 1 (15). SRU, Altlasten (Sondergutachten) 1989, TZ 403 ff., S. 234 ff. Vgl. Reiß-Schmidt, StBG 1988, 127 (129). SRU, Altlasten (Sondergutachten) 1989, TZ 428, S. 258.
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Kriterien und Normwerte zur Beurteilung von Bodenzuständen, Bodenbelastungen und damit verbundene Risiken und Gefahren sowie Maßnahmen zur Vermeidung künftiger und Sanierung eingetretener Gefahren zusammenfassen und harmonisieren solf4 •
3. Umweltschutz durch ordnungsbehördliche Maßnahmen
Über die Planung und Daseinsvorsorge hinaus ist die Umweltschutzpolitik der Kommunen auch im Bereich der ordnenden Verwaltung von Bedeutung. Dies ergibt sich schon daraus, daß Umweltschutz im Kern eine Angelegenheit der Gefahrenabwehr ist. Dafür sind grundsätzlich die unteren Ordnungsbehörden, die Kommunen, zuständig. Vollzugsinstrumente der Gemeinden fmden sich in unterschiedlichen Gesetzeswerken. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise das Pflanzgebot des § 178 BauGB7s sowie die Pflegepflicht des§ 11 BNatSchG76 oder aber § 45 StVO, der insbesondere für die Schaffung von verkehrsberuhigten Zonen von hoher kommunaler Bedeutung ist. Daneben werden die Kommunen in diesem Tätigkeitsfeld überwiegend in ihrer Eigenschaft als Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde, beispielsweise als Bauaufsichts-, Wasseraufsicht-, Straßenaufsichts- oder Lebensmittelaufsichtsbehörde tätig, wobei die Zuständigkeiten hier überwiegend auf Kreisebene liegen77• Auch das Veterinärwesen zählt seit jeher zu den typischen Aufgaben auf Kreisstufe78• Die Zuständigkeiten sind landesrechtlieh unterschiedlich ausgestaltet und bieten deshalb kein einheitliches Bild. Beispiele rechtlicher Instrumentarien sind die Ausweisung von Schutzgebieten, die Erteilung umweltschutzrechtlicher Genehmigungen wie Erlaubnisse und Bewilligungen zur Einleitung in Gewässer und zur Entnahme aus Gewässern79, der Erlaß nachträglicher Anordnungen oder Betriebsuntersagungen.
Vgl. dazu Bork/Schwade, StGR 1989, 268 (278). Nach § 178 BauGB kann die Gemeinde den Grundstückseigentümer verpflichte~ sein Grundstück zu bepflanzen. 6 Nach§ 11 BNatSchG kann die Gemeinde u. U. eine Verpflichtung zur Grundstückspflege aussprechen. 77 Seele, Die Kreise im System des Umweltschutzes, in: Der Kreis - Ein Handbuch-, Bd. 4 a, 1986, S. 143 ff. 78 Vgl. dazu Conrrui, Landkr. 1988, 459 (460). 19 Vgl. beispielsweise Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz. 74
7S
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4. Sonstige umweltschützende Aktivitäten der Kommunen
Über diese gesetzlichen Aufgabenfelder hinaus beruht die Umweltpolitik der Kommunen zu einem beträchtlichen Teil auch auf freiwilligen Aktivitäten.
a) Kommunale UVP Unabhängig von dem Anfang des Jahres verabschiedeten UVP-Gesetz sind viele Kommunen schon im Vorfeld dieses Gesetzes dazu übergegangen, das Verwaltungshandeln einer umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Nach Verabschiedung des UVP-Gesetzes ist diese bislang freiwillige kommunale Maßnahme nunmehr für einen Teilbereich zur Pflicht geworden. Hauptziele der kommunalen UVP sind es, die Auswirkungen auf die Umwelt frühzeitig und umfassend zu ermitteln, zu beschreiben und zu bewerten, und das Ergebnis der UVP so früh wie möglich bei allen behördlichen Entscheidungen über die Zulässigkeil zu berücksichtigen.
aa) UVP-Gesetz Das UVP-Gesetz schreibt für eine Reihe umweltrelevanter Vorhaben (vgl. Art. 1 § 2 UVPG) eine Umweltverträglichkeitsprüfung vor. Dabei erstreckt sich der Anwendungsbereich des Gesetzes grundsätzlich nur auf Zulassungsverfahren, insbesondere auf Genehmigungen und Planfeststellungsverfahren, nicht aber auf Pläne und Programme großräumiger Art. Ausgenommen von diesem Grundsatz sind, wenn auch in differenzierter Form, Entscheidungen, die der eigentlichen Zulassung unmittelbar vorgelagert sind, wie die straßenrechtliche Linienbestimmung (§ 15 UVPG), das Raumordnungsverfahren (§ 16 UVPG), bestimmte Bebauungspläne (§ 17 UVPG), sowie Formen vertikaler Entscheidungsstufungen wie z. B. Vorbescheide und Teilgenehmigungen. Die Prüfung der Umweltverträglichkeit beginnt mit einem Vorgespräch zwischen Vorhabensträger und zuständiger Behörde. Dort soll der Behörde Klarheit über den voraussichtlichen Untersuchungsrahmen verschafft werden. (Scoping-Verfahren; Art. 1 § 5 UVPG). Das Verfahren setzt sich fort in der Vorlage vielfältiger Unterlagen und Angaben des Projektträgers betreffend beispielsweise die voraussichtlichen Umweltauswirkungen und Maßnahmen zur Verringerung und Vermeidung der Umweltbeeinträchtigungen (Art. 1 § 6 UVPG). Sodann
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werden Stellungnahmen anderer Behörden, deren Aufgabenbereich vom Vorhaben berührt sind, eingeholt. Die Angaben werden öffentlich ausgelegt, die Öffentlichkeit wird angehört. Sind andere EG-Staaten vom Vorhaben betroffen, werden auch sie beteiligt (Art. 1 §§ 7 - 9 UVPG). Im Anschluß an diese Beteiligung wird seitens der Behörde eine zusammenfassende Darstellung der Projektauswirkungen auf die Umweltgüter einschließlich der Wechselwirkungen (§ 11 UVPG) erarbeitet, die Grundlage für die abschließende Bewertung des Umweltrisikos des geplanten Vorhabens ist (§ 12 UVPG)a~.
bb) Einsatzbereich der kommunalen UVP Der UVP kommt im kommunalen Bereich die Rolle einer ökologischen Selbstkontrolle zu. Da ein umfassender Umweltschutz auch eine umfassende UVP erfordert, geht der Einsatzbereich dieses Instruments in den meisten Städten und Gemeinden über den des UVPG hinaus. Er beschränkt sich dort nicht auf die Zulassungsebene, sondern erfaßt alle Maßnahmen der Gemeinden, die erhebliche Umweltauswirkungen haben können. Im Vordergrund steht dabei die Bauleitplanung. Eingeschlossen sind aber auch andere Pläne, sonstige Programme, sowie auch ortsrechtliche und innerdienstliche Regelungen wie Produktbeschaffungen, Auftragvergaben, Vertragsabschlüsse, Richtlinien zum Winterdienst usw.81 • Rechtsgrundlage für diese kommunale Praxis bilden jeweils Dienstanweisungen, Organisationsverfügungen, Richtlinien oder ähnliche Erlasse der kommunalen Verwaltungsspitze. Die Kommunen folgen damit im wesentlichen einer schon im August 1986 von der kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGST) in Köln ausgesprochenen Empfehlung, der zufolge die UVP künftig als Daueraufgabe der Verwaltung und als selbstverständlicher Teil jeglicher Sachbearbeitung angesehen werden soll82•
SI
Zum Verfahrensablauf vgl. Erbguth, NVwZ 1988, 966 (970); sowie Grob/,
1
Vgl. dazu Fiedler, StädteT, 1988, 464 (467); Engstler, Nds StädteT 1989, 278
Ba~Bgm 1989, 90 f.
(280). 82
Zimmennann, StädteT 1987,733 (733).
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cc) Methodische Grundlagen Das UVPG integriert die UVP in die bestehenden Verwaltungsverfahren; ein eigenständiges UVP- Verfahren wird nicht durchgeführt. Für den wichtigen Bereich der Bauleitplanung bedeutet dies, daß die UVP - soweit sie in den Kommunen auch in der Bauleitplanung durchgeführt wird Eingang in den Abwägungsprozess fmdet. Die Abschätzung und Bewertung der Umweltauswirkungen verbessert die Planungsqualität und macht sie auch für die Öffentlichkeit transparenter83• Methodische Hilfen für die UVP bieten die in vielen Städten erarbeiteten Umweltschutz-Checklisten, anband derer zu erkennen sein soll, wo besonders schwerwiegende Umweltauswirkungen zu befürchten sind84• Weiter ins Detail gehend und damit eine größere Orientierungshilfe sind die verschiedentlich darüber hinaus erarbeiteten Prüffragen-Kataloge zur Umweltverträglichkeit Sie sollen sicherstellen, daß bei der Planung alle abwägungserheblichen Gesichtspunkte erwogen werden.
dd) Anforderungen an eine effektive UVP (1) Ausreichende Informationen Effektiv kann die UVP nur sein, wenn das Prüfungsmaterial umfassend zusammengetragen wird. Das setzt voraus, daß ausreichende Informationssysteme vorhanden sind. Hier liegt ein Problem der UVP, denn das den Städten zur Verfügung stehende Datenmaterial ist oft nur lückenhaft. Es gilt zunächst die vorhandenen Umweltinformationssysteme wie Umweltkataster etc. auszuschöpfen. Daneben aber sind viele Städte dazu übergegangen, neue EDV-gestützte Dateninformationssysteme zu erarbeiten, in denen systematisch, flächendeckend und kontinuierlich Informationen über den Zustand der Umwelt, die natürlichen Lebensgrundlagen Boden, Grundwasser, Luft, Klima, Gewässer, Biotope etc. gesammelt werden (beispielsweise in Münster). In diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben sollte auch ein geplantes Forschungsvorhaben des UBA, das zu ei-
83 84
Vgl. auch Fiedler, StädteT 1988,464 (467). Vgl. dazu Fiedler, StädteT 1988,464 (467).
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ner Bestandsaufnahme der vorhandenen Informationssammlungen und zu deren Verbund führen soll85•
(2) Verbindliche Bewertungsmaßstäbe Nicht nur der Auf- und Ausbau der Informationssysteme, sondern auch die Erarbeitung von sog. Umweltqualitätszielen für die einzelnen Umweltbereiche auf der Grundlage der örtlichen Umweltprobleme stellt eine große Herausforderung an die Kommunen dar. Letztere sind für die Bewertung der Umweltauswirkungen dringend erforderlich, da für die meisten Umweltbereiche keine verbindlichen Bewertungsmaßstäbe oder Umweltgütestandards vorliegen. Ich habe darauf oben im Rahmen der Altlastenproblematik bereits hingewiesen.
(3) Qualiftziertes Personal Es ist ersichtlich, daß die Umweltverträglichkeitsprüfung einschließlich letztgenannter flankierender Maßnahmen einen hohen Arbeits- und Personalaufwand erfordern. Der Querschnittsscharakter der UVP setzt eine entsprechende fachliche Qualiftkation, insbesondere Kenntnisse über ökologische Zusammenhänge bei den Bearbeitern voraus. Fortbildungslehrgänge im Umweltschutzbereich sind daher unerläßlich86•
(4) Organisation der UVP Für die Bewältigung einer effektiven UVP ist letztlich auch die Organisation der Verwaltung von entscheidender Bedeutung. Dabei erfordert der integrative Ansatz, die UVP so weit wie möglich in die vorhandenen Verwaltungsstrukturen und Arbeitsabläufe einzugliedern. Da diese sich von Stadt zu Stadt unterscheiden, kann ein einheitliches Bild nicht gezeichnet werden. Naturgemäß muß der Prüfungsablauf in den Städten, in denen die Aufgaben des Umweltschutzes dezentral erledigt werden, anders aussehen als in jenen, in denen sie in einem Umweltamt zusammengefaßt sind oder von einem Umweltbeauftragten wahrgenommen werden. Ich werde im fol85
86
Vgl. Gröbl, BayBgm 1989, 90 (91). Vgl. dazu Gröbl, BayBgm 1989, 90 (91).
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genden auf die einzelnen Organisationsformen noch weiter eingehen. Überwiegend wird aber folgender Ablauf favorisiert: Die notwendigen Prüfungen samt Bewertungsvorschlag sind vom jeweiligen Fachamt im Rahmen seiner bisherigen Zuständigkeiten in eigener Verantwortung vorzunehmen. Dabei sollen im Rahmen der Ämterbeteiligung die Stellungnahmen anderer Fachämter eingeholt werden. Die fachübergreifende Gesamtschau der UVP, also die endgültige Feststellung des UVP-Ergebnisses sollte dann von einer UVP- Leitstelle (z. B. dem Umweltamt) vorgenommen werden17•
b) Organisatorische Maßnahmen Für die EffiZienz umweltschützender Aktivitäten ist nicht zuletzt die kommunale Organisation der Umweltschutzaufgaben von entscheidender Bedeutung. Da gesetzliche Vorgaben nicht bestehen, bietet die Verwaltungspraxis insoweit ein buntes Bild. Es reicht von einer dezentralen bis hin zur zentralen Aufgabenwahrnehmung in neu geschaffenen gemeindlichen Institutionen.
aa) Dezentrale Aufgabenwahrnehmung Die dezentrale Wahrnehmung der Umweltschutzaufgaben wurde von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) in den Jahren 1973 und auch noch 1985 empfohlen88• Die Integration der Umweltschutzaufgaben in die bestehenden Fachämter bietet den Vorteil, daß nicht neue Verwaltungsstrukturen geschaffen werden müssen. Zudem beugt sie der Gefahr vor, daß andere Ämter sich bei einer Zentralisierung des Umweltschutzes von ihrer Mitverantwortung für diesen Aufgabenbereich freizeichnen89• Auf der anderen Seite darf aber nicht verkannt werden, daß die Aufgabenbewältigung innerhalb der Verwaltung in hohem Maße durch Verwaltungsroutine bestimmt ist, bei denen eingespielte Verfahrensabläufe vielfach nur widerstrebend aufgegeben werden90. Eine dezentrale Aufgabenwahrnehmung macht daher ein starkes Umdenken innerhalb der Verwaltung erforderlich. Zimmmnann, StädteT 1987,733 (735); Weyel, VerwArch 1989, 245 (256). KGSt-Bericht Nr. U/1973 und 5/1985: Organisation des Umweltschutzes. 89 Vgl. dazu Seele, Landkr. 1987,375 (380). 90 Vgl. dazu Peters, ZfU 1986, 49 (63 f.). 17
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bb) Zentrale Aufgabenwahrnehmung Es wird deshalb heute überwiegend in der Literatur eine zentrale Aufgabenwahrnehmung in besonderen Verwaltungsinstitutionen befürwortet91 • Ein dahingehender Trend hat sich auch in einer Vielzahl von Städten und Gemeinden herausgebildet92• Die Vorzüge liegen auf der Hand: Die konzentrierte Bearbeitung von Umweltschutzaufgaben wird ihrem Querschnittscharakter besser gerecht. Eine fachübergreifende Problembetrachtung kann von einer zentralen Stelle eher erwartet werden als von der jeweiligen Fachbehörde. Eine für Umweltfragen zuständige Verwaltungsstelle schafft zudem für den einzelnen eine zentrale Anlaufstelle. Zu erwähnen ist schließlich auch die politische Signalwirkung, die von einer zentralen Umweltschutzstelle ausgeht93•
(1) Die einzelnen Konzentrationsmodelle in der Verwaltung Bezüglich der Art der Zentralisierung haben sich verschiedene Organisationsformen herausgebildet. Vor allem größere Städte mit oft entsprechend größeren Umweltproblemen sind dazu übergegangen, sog. Umweltämter neu zu schaffen, in denen die wesentlichen Umweltaufgaben unter einer Entscheidungshoheit zusammengefaßt sind. Vereinzelt wurden auch Umweltdezernate ins Leben gerufen94 • In kleineren Städten und Gemeinden dagegen werden die Umweltaufgaben häufig von einzelnen Umweltbeauftragten wahrgenommen.
91 Schmidt-Aßmann, NVwZ 1987, 265 (275); Zimmermann, Raumforschung und Raumordnung 1989, 225 ff.; Hili, Verw. 1988, 175 (184); Peters, ZfU 1986, 49 (72, 75). 92 Vgl. Fiebig/KrausejMartinsen, Organisation des kommunalen Umweltschutzes, Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik, Berlin, Januar 1986, S. 11 f. 93 Vgl. dazu Hili, Verw.1988, 175 (184). 94 Vgl. beispielsweise Leverkusen: Dezernat für Umweltschutz mit einer Zusammenfassung von Amt für Umweltschutz und Ordnungsangelegenheiten, Grünflächenamt, Amt für Stadtreinigung und Müllverbrennung, Veterinäramt, Chemisches Untersuchungsamt und Planungsamt; oder Bremerhafen, Dezernat für Umweltschutz und Stadtreinigung; siehe dazu Fiebig/KrausejMartinsen, (Fn. 92), S. 22.
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(2) Probleme der Organisationsstruktur
Voraussetzung einer effektiven Bearbeitung ist in jedem Fall eine entsprechende fachliche Qualiftkation des Verwaltungspersonals. Der Querschnittscharakter der Umweltaufgaben erfordert interdisziplinäre Kenntnisse des Sachbearbeiters. Engagement für die Umweltbelange, Flexibilität, Koordinationsfähigkeit sowie die Bereitschaft, die vorhandenen Erkenntnisse zu erweitern, sind daneben von entscheidender Bedeutung für die EffiZienz der Aufgabenwahrnehmung. Diesem Ideal wird die Praxis überwiegend nicht hinreichend gerecht. Sie sieht vielmehr oft noch so aus, daß für die Besetzung der neu zu schaffenden Organisationseinheiten vorhandenes Personal aus den Fachämtern herausgelöst wird. Ob dieses aber ohne weiteres in der Lage sein wird, die überkommenen Denkansätze des früheren Aufgabengebiets abzuschütteln und nunmehr querschnittsorientiert und fachübergreifend tätig zu werden sowie dem Umweltschutz den ihm gebührenden Stellenwert einzuräumen, wage ich zu bezweifeln. Eine EffiZienzsteigerung des Umweltschutzes erfordert die Aufstockung des Personalbestandes durch externes, in Umweltfragen geschultes Fachpersonal einschließlich der Einstellung von Naturund Sozialwissenschaftlern. Dies ist aber, soweit ersichtlich, bislang nicht ausreichend geschehen!IS. Die Neoeinstellungen erfolgten bisher vielfach nur für Aufgabenbereiche wie Umweltberichterstattung, Biotopkartierung, Altlastenkartierung o. ä. Hinzu kommt, daß die Stellen noch häufig - zeitlich befristet - durch ABM-Personal besetzt werden96• Neben das Personalproblem stellt sich vielfach ein weiteres. Für die Effizienz der Wahrnehmung der Umweltaufgaben in besonderen Organisationsstrukturen ist es erforderlich, daß diese Strukturen inhaltlich von der Verwaltung getragen werden. In der kommunalen Praxis ist dies aber oft nicht ohne weiteres der Fall. Die Gründe liegen darin, daß die Schaffung der neuen Verwaltungsorganisationen nicht von der Verwaltung selbst, sondern von außen initiiert wurde. Wurden den Fachämtern Personal und Fachkompetenzen entzogen, treten nicht selten Bedenken oder gar Widerstände gegen die neu gegründeten Organisationsstrukturen auf7. Abhilfe kann u. a. dadurch geschaffen werden, daß auch bei den jeweiligen Fachämtern die Einsicht in die Notwendigkeit umweltschützender Maßnahmen und damit der Stellenwert des Umweltschutzes erhöht wird. 9S
Vgl. Zimmennann, Raumforschung und Raumordnung 1989, 225 ('227 f.); Fie-
bi~e/Martinsen,
(Fn. 92), S. 25.
Vgl. dazu Fiebig/Krause/Martinsen, (Fn. 92), S. 26; Zimmennann, Raumforschung und Raumordnung 1989, 225 (227). 97 Vgl. Zimmennann, Raumforschung und Raumordnung 1989, 225 (228).
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Hierzu können entsprechende Schulungen oder sonstige Informationsveranstaltungen hilfreich sein.
(3) Sonstige Organisationsstrukturen Neben den oben beschriebenen Organisationsstrukturen haben viele Städte und Gemeinden auch außerhalb der Verwaltung nicht vollzugsorientierte Institutionen zum Schutze der Umwelt geschaffen, auf die ich im folgenden nur kurz hinweisen möchte. Zu nennen sind einmal die sog. Umweltausschüsse in den Vertretungskörperschaften der Kommunen. Sie bieten die Möglichkeit zu einer umfassenden Diskussion umweltpolitischer Belange und tragen dadurch entscheidend zur Transparenz der Verwaltungstätigkeit bei. Daneben sind sie Anlaufstelle für die Öffentlichkeit98, können Öffentlichkeitsarbeit leisten oder auch die Verwaltung durch Initiativen im Kommunalparlament unterstützen99• Als Alternative wird vielfach auch versucht, die für die Umweltschutzarbeit erforderliche Transparenz und Öffentlichkeit durch die Schaffung eines Umweltbeirates herzustellen, der mit Vertretern aus der Verwaltung, Stadtparlamentariern und Bürgern besetzt ist.
c) Öffentlichkeitsarbeit Ohne ein umweltgerechtes Verhalten der einzelnen Bürger ist eine effektive Umweltpolitik nicht machbar. Die Öffentlichkeitsarbeit ist deshalb zunehmend in den Mittelpunkt politischen Handeins gerückt. Ihre Bedeutung wird überall hoch veranschlagtulO. Ziel des politischen Handeins muß es sein, dem einzelnen den Schutz der Umwelt als eigene Aufgabe begreiflich zu machen. Dazu kommen mehrere Wege in Betracht: Ohne Zweifel zählen die Information und Beratung zu den wichtigsten auf diesem Gebiet. Vgl. dazu Hili, Verw.1988, 175 (185). Vgl. Peten, ZfU 1986, 49 (70 f.). 100 Vgl. beispielsweise die von der Bundesforschungsanstalt flir Naturschutz und Landschaftsökologie im Auftrag des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erarbeiteten Leitlinien des Naturschutzes und der Landschaftspflege, die unter 3.2 auf die Notwendigkeit der Entwicklung und Durchflihrung einer breit angelegten Öffentlichkeitsarbeit hinweisen; siehe dazu: Bohn/ BürgerjMader, Natur und Landschaft 1989, 379 (381); Töpfer, Landkr. 1984, 65 (65). 98 99
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Werner Hoppe
Wesentliche Informationsquellen sind die sog. Umweltberichte, die Rechenschaft über die Lage der Natur, ihre Gefährdung, ihre Entwicklungschancen und ihre Bedeutung für den Menschen geben101• Informationen über den Zustand der Umwelt erhalten die Bürger daneben in Vortragsveranstaltungen oder durch sonstige Broschüren und Merkblätter102• Schließlich wurden in vielen Kommunen behördliche Beratungsstellen mit gemeindlich angestellten Umweltberatern und/oder ein sog. Umwelttelefon eingerichtet, um die Möglichkeit zu schaffen, auch individuelle Fragen der Bürger zu klären. Die sich in diesem Zusammenhang stellenden Rechtsprobleme bezüglich der Grenzen der behördlichen Beratungstätigkeit sind bislang weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur abschließend gekläre03• Es geht dabei um die Frage, wie weit die Beratung rechtmäßigerweise gehen darf, wenn sie sich - wie häufig der Fall - auf den Absatz bestimmter Waren auswirkt. Ich möchte im folgenden dazu nur einige Grundsätze aufstellen:
Erstens: Behördliche Umweltberatung ist als schlichtes hoheitliches Verwaltungshandeln zu qualifizieren. Als solches unterliegt es dem Vorrang der Gesetze, darf also nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Aus dem verfassungsrechtlich abzuleitenden Gebot der Verhältnismäßigkeit ergibt sich die Verpflichtung der Behörde zur Wahl des jeweils schonendsten Mittels. Die Behörde darf deshalb Namen von Herstellern, Firmen oder Warenzeichen bestimmter Produkte nicht nennen, wenn der Beratungszweck auch auf anderem Wege erreicht werden kann104•
Zweitens: Ist die Herstellung oder der Betrieb bestimmter Waren gesetzeswidrig, wird die Behörde namentlich vom Kauf der betreffenden Produkte abraten dürfen. Das Grundrecht des Art. 12 GG auf Berufsfreiheit umfaßt nämlich nicht verbotswidrige Tätigkeiten, so daß die behördliche Beratung in diesem Fall keinen Grundrechtseingriff darstellt.
Töpfer, Landkr. 1984, 65 (65). Ein Beispiel bildet insoweit die Abfallvermeidungsfibel, auf die ich oben schon hingewiesen habe. 103 Vgl. dazu Mohr, NuR 1989, 101 ff.; sowieLübbe-Wolff, NJW 1987,2705 ff. 104 Vgl. dazu Mohr, NuR 1989, 101 (106). 101
102
Umweltschutz
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Drittens: Steht der Vertrieb bestimmter Waren in Einklang mit dem geltenden Recht, stellt das Abraten vom Kauf dieser Produkte grundsätzlich einen rechtswidrigen Eingriff in die Grundrechte aus Art. 12, 14 GG dar.
Viertens: Als problematisch erweist sich dagegen der Fall, in dem die Behörde zwar nicht vom Kauf bestimmter Produkte abrät, jedoch unter namentlicher Bezeichnung zum Kauf bestimmter umweltgerechter Produkte rät, da diese Maßnahmen sich im Einzelfall auf die Absatzlage anderer Produzenten auswirken können. Insoweit aber gilt es zu bedenken, daß die Auswirkungen nur mittelbarer Art sind. Ein gezielter Eingriff seitens der Behörde in Richtung eines bestimmten Produzenten liegt dagegen nicht vor. Das Grundrecht des Unternehmers aus Art. 12 oder 14 GG gibt diesem kein subjektives Recht auf Erhaltung eines bestimmten Geschäftsumfanges, so daß ein rechtswidriger Grundrechtseingriff seitens der Behörde insoweit nicht ersichtlich ist. Ob dies auch gelten kann, wenn die Absatzeinbußen so gravierend sind, daß der Unternehmer seine Produktion nicht weiter fortführen kann, ist zweifelhaft, kann aber an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.
Ich möchte vielmehr das Bild der kommunalen Aktivitäten bezüglich der Öffentlichkeitsarbeit abrunden und der Vollständigkeit halber letztlich auf kommunale Einzelaktionen wie die Durchführung eines "Tages der Umwelt" oder die Verleihung von Umweltpreisen hinweisen, die in hohem Maße auch dazu beitragen, das öffentliche Bewußtsein für Umweltfragen zu schärfen.
4.Ausb/ick
Abschließend läßt sich feststellen: Der Streifzug durch die kommunalen Aufgabengebiete hat gezeigt, daß den Städten und Gemeinden zahlreiche Möglichkeiten an die Hand gegeben sind, Umweltschutz im Gemeindegebiet zu verwirklichen. Dennoch besteht weiter Anlaß zur Besorgnis. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Ich will abschließend nur zwei hervorheben: Zunächst wird der gesetzliche Handlungsspielraum der Kommunen zur Verwirklichung des Umweltschutzes teilweise durch andere gesetzliche Regelungen wieder eingeschränkt. Ein Beispiel dazu bietet das Bauplanungs-
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Werner Hoppe
recht, wo die Stärkung des Umweltschutzes durch die Neuregelungen der §§ 1, 5 und 9 BauGB und dabei insbesondere der durch die Bodenschutzklausel bezweckte Schutz des Freiraums durch Erweiterung planfreier Bebauungsmöglichkeiten in § 35 Abs. 4 sowie durch die in § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB geschaffene Möglichkeit, durch Satzung bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festzulegen, eine erhebliche Relativierung erfährt1os. Verschärft wird diese Situation zudem durch den Entwurf zum Wohnungsbau-Erleichterungsgesetz106. Die beabsichtigten Änderungen des BauGB, beispielsweise die Erweiterung der Genehmigungsmöglichkeiten nach§ 31 Abs. 2 Nr. 1 und§ 34 Abs. 3 S. 1 BauGB sowie insbesondere der Bebauungsmöglichkeiten im Außenbereich gem. § 35 Abs. 4 BauGB werden ohne Schwächung des auf langem Wege gewonnenen Stellenwerts des Umweltschutzes nicht durchführbar sein. Hinderungsgrund für eine optimale Verwirklichung der kommunalen Umweltpolitik ist in der Praxis häufig aber vor allem auch die fmanzielle Situation der Städte und Gemeinden. Die oben dargestellten Aufgabenbereiche des kommunalen Umweltschutzes erfordern überwiegend einen großen fmanziellen Aufwand, der die Finanzkraft vor allem kleinerer Gemeinden vielfach bei weitem übersteigt. Eine effektive Umweltpolitik ist für sie ohne fmanzielle Zuwendungen der Länder und des Bundes gar nicht möglich. Daneben sollte aber auch die finanzielle Einspannung des einzelnen in die Umweltschutzaufgaben durch Umweltabgaben noch stärker als bisher in den Vordergrund gerückt werden. Angesichts der immensen Kosten, die der Schutz unserer Umwelt fordert, wird sich langfristig eine Umweltpolitik ohne fmanzielle Opfer des einzelnen nicht mehr fmanzieren lassen.
lOS
(29~. 1
Vgl. dazu Ahrens-Sa/zsieder, UPR 1988, 10 ff. sowie Erbguth, NVwZ 1988, 289
BT-Drucks. 11/11, 1985.
Diskussion zu den Referaten von Rainer Pitschas, Ernst Pappermann und Werner Hoppe Bericht von Irene Walter
Die ersten Wortmeldungen der unter der Leitung von Prof. Dr. Eberhard Laux (Düsseldorf) stehenden Diskussion befaßten sich mit dem Bereich "Gesundheit und Soziales" und dem Referat von Pitschas. Zunächst wies Ministerialdirigent Dr. Gerd Pflaumer (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn, und Kreistagsabgeordneter des Rhein-Sieg-Kreises) auf die Bedeutung der Altenpolitik hin. Viele Kommunen seien sich über deren Bedeutung und die fmanziellen Lasten, die in Zukunft auf sie zukämen, nicht bewußt. Es fehle eine mittel- und langfristige Perspektive und eine gezielte Altenplanung. Eine menschenwürdige Altenpolitik erfordere auch eine Abkehr von der kommunalen Heimpolitik, es müßten Perspektiven für altengerechtes, evtl. auch betreutes Wohnen aufgezeigt werden. Anschließend machte Oberkreisdirektor a. D. Rudolf H. Müller (Viersen) auf die gegenseitige fmanzielle Abhängigkeit des kulturellen und des sozialen Bereichs aufmerksam. Die kulturellen Aktivitäten der Kreise seien ab Mitte der 70er Jahre in fmanzieller Hinsicht zugunsten der Sozialhilfe eingeengt worden. So könne er aus seiner eigenen Erfahrung den Fall nennen, daß auf der einen Seite auch wohl oftmals nicht gerechtfertigte Sozialhilfezahlungen geleistet worden wären, da das Gesundheitsamt, das die Berechtigung solcher Zahlungen hätte überprüfen sollen, wegen mangelnder Besetzung dazu nicht in der Lage gewesen sei. Auf der anderen Seite sei die Warteliste der Kreismusikschule, die wegen Lehrermangels auf 600 Personen angewachsen sei, wegen jährlicher Erhöhung der Gebühren mittlerweile auf Null geschrumpft. Dies zeige, daß man dringend überprüfen müsse, ob nicht im Bereich der Sozialhilfe oft verzichtbare Leistungen gewährt wurden, die evtl. auch dem Ziel der Sozialhilfe, nämlich Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, nicht mehr entsprächen und die dann zu Lasten des kulturellen Bereichs gingen. Geschäftsführer Dr. Ingo Heberlein (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Schleswig-Holstein, Lübeck) wies auf die Probleme im Be-
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Diskussion
reich des Gesundheitswesens hin, insbesondere eine sinnvolle Konnexität von Aufgaben und Finaozverantwortung. Im Laufe der Tagung sei oft schon darüber geklagt worden, daß der Bund die Aufgaben der Kommunen definiere, diese aber die Aufgaben fmanzieren müßten. Im Bereich des Gesundheitswesens sei es freilich umgekehrt. Dort defmierten die Kommunen ihre Aufgaben und deren Organisation, insbesondere bei Krankenhäusern, die Finanzierung sollten bzw. müßten dann andere übernehmen. Dies sei oft unbefriedigend, und man müsse überlegen, ob im Interesse einer sinnvollen Konnexität von Aufgaben und Finanzverantwortung die Trägerschaft der Krankenversicherung nicht regionalisiert werden solle, z. B. im Rahmen einer regionalen Gesundheitskonferenz. Die abschließende Frage sei also, ob die Krankenversicherung nicht in Zukunft von den kommunalen Gebietskörperschaften getragen werden solle. In seiner Erwiderung stimmte Pitschas zunächst den Ausführungen von
Pflaumer zu, vertiefte sie jedoch noch in drei Punkten. Zum einen liege es mit der kulturellen Einbindung der Altenhilfe im argen. Ein adäquates Kul-
turangebot für Senioren sei schwer zu schaffen und schwer zu erhalten, werde darüber hinaus oft ohne Konzeption von jungen Managern ohne Beteiligungsmöglichkeiten für ältere Menschen organisiert. Im Bereich der Kulturangebote für Ältere müsse noch eine klare Konzeption geschaffen werden. Dieser Mangel im Kulturangebot leite weiter zu einem zweiten Punkt, nämlich einer nicht funktionierenden Altenplanung. Eine solche gezielte Seniorenplanung sei zwar z. B. in Saarbrücken von einem privaten Soziologenteam erstellt worden, es müsse aber gefragt werden, warum eine Durchsetzung solcher Planungen in den Kommunen nicht funktioniere. Nach Ansicht von Pitschas kann dieser Mangel nur durch eine Änderung der Kommunalverfassung behoben werden. Nur die wirtschaftliche Tätigkeit der Kommunen und Tätigkeit öffentlicher Unternehmen werde in den Kommunalverfassungen angesprochen, nicht aber die Verwirklichung des Sozialstaatsziels. Zum dritten könne man durchaus zu der Forderung neigen, gesetzliche Grundlagen für eine qualitative Seniorenarbeit auf Bundesebene zu schaffen. So gebe es zwar ein Bundeswohlfahrtsgesetz, aber keine Regelungen für Altenarbeit Pitschas betonte allerdings, seiner Ansicht nach sei qualitative Seniorenarbeit weniger eine Frage der Verrechtlichung als vielmehr eine Angelegenheit, die sich in den Herzen und Köpfen der Menschen abspielen müsse. Den von Müller herausgestellten Konflikt zwischen Kultur und Sozialpolitik versuchte Pitschas dahingehend aufzulösen, daß man von einer verbraucherorientierten zu einer sozialorientierten Kultur kommen müsse. Wenn eine Kostensenkung im Sozialhilfebereich erforderlich se~ könne man dies u. U. über den Begriff der "notwendigen Hilfe zum Lebensunter-
Diskussion
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halt" in § 12 BSHG erreichen. Die wichtigste Überlegung in diesem Zusammenhang sei aber, wie eine Verbindung zwischen Kultur und Sozialhilfe geschaffen werden könne. Kurz ging Pitschas sodann auf die Frage der fehlenden Ärzte in den kommunalen Gesundheitsämtern ein und bemerkte, daß sich diese Arbeitsstellen wieder steigender Beliebtheit erfreuten, seiner Ansicht nach aufgrund der unterschiedlichen Bewertung der Stellen im Laufe der Zeit. Dies bildete schon den Übergang zu der Antwort auf die Bemerkungen von Heberlein zu den Problemen des Gesundheitswesens. Pitschas lehnte den Vorschlag von Heber/ein, die Krankenhäuser zu regionalisieren, als "nicht vertrauensvoll" ab. Zwar sei es auch Aufgabe des medizinischen Dienstes, als dessen Vertreter Heberlein hier se~ eine Wirtschaftlichkeitskontrolle durchzuführen, es sei allerdings sehr zweifelhaft, ob eine Regionalisierung von Krankenhäusern auch medizinisch wünschenswert sei. Dieses Kriterium würden vielleicht eher bürgernahe Krankenhäuser erfüllen, also solche, die leicht besucht werden könnten. In diesem Punkt müsse man zwischen Finanzkosten und sozialen Kosten unterscheiden. Pitschas setzte sich hier für eine Dezentralisation im Gegensatz zur Regionalisierung von Krankenhäusern ein. Zum Abschluß der Diskussion über den Komplex "Gesundheit und Soziales" gab Professor Shigeo Kisa (Hokkaido Universität, Sapporo, Japan) fotgenden Überblick über dieses Thema im Zusammenhang mit der kommunalen Selbstverwaltung in Japan: "In Japan wurde die kommunale Selbstverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg verfassungsrechtlich sowohl auf Gemeindeebene als auch auf Präfekturebene garantiert. Die Kommunen haben die AllzuständigkeiL Weil es in ganz Japan nur 47 Präfekturen gibt, liegen sie vom Charakter her zwischen deutschen Bundesländern und Landkreisen. Die Gesundheitsverwaltung und die Sozialverwaltung auf Kommunalebene haben eine eigene Geschichte. Im Bereich der Gesundheitsverwaltung gab es zunächst die traditionelle Gesundheitspolizei. Dort wurden früher vor allem hoheitliche Maßnahmen getroffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kann man vielleistende Verwaltung fmden. Trotzdem bleibt das Gesundheitsamt aus historischen Gründen ein Amt der Präfekturen. Nach den gesetzlichen Bestimmungen üben die Präfekturgouverneure als Organe des Staates hoheitliche Befugnisse aus. Die Kommunen haben sich bisher um die Verbesserung der nichthoheitlichen Gesundheitsverwaltung bemüht. Insbesondere für die älteren Leute und für die Kinder wurden Gesundheitsdienste von den Gemeinden (einschließlich Großstädten) eingeführt. Eine solche Dienstleistung ist zugleich auch sozialer Dienst.
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Diskussion
Auch im sozialen Bereich nahm die gesetzlich bestimmte Sozialverwaltung die staatlichen Aufgaben wahr. Deswegen haben die Bürgermeister oder die Gouverneure als Staatsorgane entschieden. Weil es in diesem Bereich viel Lücken zwischen den gesetzlichen sozialen Leistungen gab, entwickelten die Kommunen manchmal neue Dienstleistungen. Es ist nicht selten, daß solche Maßnahmen später als staatliche Institution gesetzlich geregelt wurden. In den 80er Jahren ist ein neues Phänomen entstanden. Wie in den USA und England wurde die sogenannte Verwaltungsreform betrieben. Wegen der fmanziellen Krise wurden die staatlichen Zuschüsse im Sozialbereich reduziert. Zugleich wurden die Befugnisse der Bürgermeister als Staatsorgane diejenigen der Kommunen selbst. Dadurch entsteht die Möglichkeit, daß die Kommunen von nun an das Soziale selbstverantwortlich verwalten. Aber die neuen gesetzlichen Bestimmungen sehen die kommunalen Sozialverwaltungen "nach den Regierungsverordnungen" vor. Deswegen ist es nicht sicher, wieweit die Kommunen gegen die Verordnungen eigene Sozialverwaltung betreiben können. In anderen Verwaltungsbereichen gibt es fast keine wichtige Reform für die Kommunen. Die Regierung und ihre Sonderkommission sehen im Gegenteil die Einführung der zentralistischen Reform z. B. durch Eingemeindung, die Vereinigung der Präfekturen und das Selbsteintrittsrecht vor. Man müßte die Reform der Kommunalbefugnisse im Sozialbereich im Zusammenhang mit den sonstigen Reformtendenzen beobachten." Im Anschluß an dieses Statement wurden Fragen im Zusammenhang mit dem Vortrag von Pappermann behandelt. Stadtrechtsdirektor Dr. Hartwin Vieweg (Neuwied) wies dabei auf die seiner Ansicht nach ungerechtfertigte Heranziehung von Gemeinden mit Musikschulen zu Künstlersozialabgaben hin. Die Zahlung einer solchen Abgabe sei sinnvoll für Vermarkter von Kunst, jedoch nicht für Institutionen mit den Aufgaben von Musikschulen. Diese wollten vielmehr eine musikalische "Infrastruktur" und eine musikalische Grundversorgung für die Bevölkerung herstellen. Vieweg verglich die Heranziehung von Gemeinden zu der genannten Abgabe mit Zahlungen von Straßenbaugemeinden für einen Konkursausfallfonds von Automobilherstellern. Insgesamt betreffe auch diese bundesgesetzlich festgelegte Abgabe das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden; es sei wichtig, nicht nur den Kern dieses Grundrechts zu schützen, sondern die Gemeinden auch vor unerwünschten Eingriffen des Gesetzgebers der vorbeschriebenen Art zu bewahren. In seiner Antwort ging Pappermann allgemein auf das Thema Musikschulen ein. Er stimmte mit den Diskussionsrednern überein, daß Musik-
Diskussion
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schulgebühren keinen prohibitiven Charakter haben dürften. Die von Vieweg gerügten Auswirkungen des Künstlersozialversicherungsgesetzes hätten allerdings nicht nur bei Musikschulen, sondern auch bei Volkshochschulen und Bibliotheken seltsame Auswirkungen. Da aber die Rüge der Verfassungswidrigkeit keinen Erfolg gehabt habe, müsse man damit leben. Auf den in der Diskussion angesprochenen wohl existierenden fmanziellen Vorrang der Sozialhilfe vor der Kultur kam Pappennann zurück und bestritt eine verschiedenartige Wertigkeit dieser beiden Bereiche. Zwar existiere noch keine Gleichwertigkeit, sie müsse aber herbeigeführt werden. Regierungsvizepräsident Alfred Gaertner (Düsseldorf) äußerte sich zunächst zu dem Referat Hoppe. Sein Beitrag befasse sich lediglich mit einem der dringendsten Probleme der nächsten Jahre, nämlich der Müllproblematik. Dabei seien die Begriffe Müllvermeidung und Müllverwertung sehr verschwommen und oft kaum auseinanderzuhalten. Gaertner meinte, bei realistischer Betrachtungsweise sei auf die Beseitigung des Mülls für die nächsten zehn Jahre der Schwerpunkt zu legen. Da für eine Deponierung, abgesehen von deren Gefährlichkeit, auch in dichtbesiedelten Gebieten kaum noch Flächen zur Verfügung stünden, führe an der Müllverbrennung kein Weg mehr vorbei. In diesem Zusammenhang rede Hoppe aber nur von konventionellen Müllverbrennungsanlagen. Vermißt habe er Ausführungen zur Sondermüllverbrennung. Zu dem Referat von Pappennann bemerkte Gaertner, volle Zustimmung fmde bei ihm die These "Kultur schafft Konjunktur". Aus seiner eigenen Erfahrung wisse er, daß beispielsweise bei Verhandlungen mit ausländischen Unternehmen über einen Standort in der Bundesrepublik auch das kulturelle Angebot eine Rolle spiele. Gaertner vertrat die These, die Bundesrepublik befmde sich in einem kulturellen Aufbruch. In einer weiteren Anmerkung zu dem Referat von Pappennann wollte Gaertner den von dem Referenten gerügten Unterschied der Kultursubventionen in Bayern und Nordrhein-Westfalen nicht unwidersprochen lassen. Die Tatsache von reichlichen Subventionen in Bayern und kärglichen in Nordrhein-Westfalen sei zwar richtig, berücksichtige aber nicht die Unvergleichbarkeit des kommunalen Finanzausgleichs in beiden Ländern. In Bayern befänden sich die Gemeinden durch Zweckzuweisungen an einem wesentlich stärkeren goldenen Zügel. In Nordrhein-Westfalen hingegen stelle die allgemeine Ausgleichsmasseder Zweckzuweisungen eine "sedierende Gesamtmasse" dar. Zu dem Referat von Hoppe äußerte sich auch Oberbürgermeister a. D. Wemer Hauser (Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags Baden-Württemberg, Stuttgart). Seiner Ansicht nach werden in Zukunft regionale Einheiten für die Infrastruktur die entscheidende Rolle spielen. Dies zeige die Abfallwirtschaft, in der schon die Landkreise eine kleine
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Einheit darstellten. In Zukunft würden regionale Planungs-, Investitionsund Belreibergesellschaften erforderlich sein. Ein weiteres wichtiges Thema sei die Altlastenproblematik, bei der die z. Z . existierende Datenbasis völlig unzureichend sei. Diese könne aber auch - selbst bei der Mithilfe privater Büros - in zwei bis drei Jahren kaum geschlossen werden. In diesem Zusammenhang kritisierte Hauser besonders die staatliche mittlere Ebene, wobei er als Beispiel die Regierungspräsidien in Baden-Württemberg anführte, die nicht bereit seien, Grenz- oder Richtwerte für ihr eigenes Verhalten zu akzeptieren oder auch nur durchzusetzen. Hauser bezeichnete dies als kollektive Verweigerungshaltung der staatlichen mittleren Behörden. Ein weiteres Thema sprach Hauser mit der UVP an. Hoppe habe zwar viel zur Planungs- und Projekt-UVP gesagt, jedoch zuwenig über die Beschaffungs-UVP bei staatlichen Behörden. Auch im Bereich der kommunalen Beschaffung müsse verstärkt auf Umweltverträglichkeit geachtet werden. Eine weitere Bemerkung Hausers galt den Umweltbeiräten, denen seiner Ansicht nach Hoppe zuviel Lob ausgesprochen habe. Die Vertreter dieser Beiräte würden besser und effektiver in Linienfunktionen eingesetzt. Zu Umweltfragen sollten sachkundige Vertreter in technische Ausschüsse einbezogen werden. Zur Organisation der Umweltschutzverwaltung merkte Hauser an, wenn der Umweltschutz zentral wahrgenommen werden solle, müsse ein Querschnittsamt geschaffen werden; Umweltaufgaben seien seiner Ansicht nach jedoch dezentrale Linienaufgaben. Jeder Verwaltungsmitarbeiter müsse für sein Ressort fragen, ob Umweltbelange betroffen seien. Der zentrale Wasserkopf eines Querschnittsamtes sei in diesem Falle wesentlich weniger effektiv. Die letzte Bemerkung Hausers galt den von Hoppe erwähnten und geforderten Zuweisungen im Umweltschutzbereich von Bund und Ländern. Diese seien eine Illusion. Gefordert sei in Zukunft eine verstärkte private Anstrengung, meinte Hauser. Die Industrie müsse in Zukunft endlich die schon lange von ihr gemachten Ankündigungen bezüglich fmanzieller Beiträge, beispielsweise zur Beseitigung der von ihr selbst verursachten Altlasten, verwirklichen. Das Thema Abfallbeseitigung und Abfallwirtschaft wurde auch von Oberkreisdirektor Raimund Pingel (Kreis Borken) aufgegriffen. Er vertrat die Ansicht, Abfallvermeidung sei zwar zur Aufgabe der Kommunen erklärt worden, diese würden damit aber vor allem in der Zukunft überfordert sein. Um diese Aufgabe überhaupt erfüllen zu können, seien auch sich in fmanzieller Hinsicht auswirkende bewußtseinsbildende Maßnahmen bei der Bevölkerung nötig, die allerdings zur Regelungskompetenz des Bundes gehörten. Im Hinblick auf die Kommunen fielen also Aufgaben und Regelungskompetenz auseinander. Auch Hauser ging auf die Findung von Standorten für Müllverbrennungsanlagen ein. Seiner Ansicht nach sei auch in Zukunft eine Ausweisung von Standorten unmöglich, wenn
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nicht Akzeptanz dafür in der Bevölkerung geschaffen werden könne. Um dies zu erreichen, sei ein parteiübergreifender Konsens auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene erforderlich. Sonst könne die kommunale Selbstverwaltung an dieser Aufgabe scheitern. In seiner Stellungnahme stimmte Hoppe zunächst Gaertner zu, daß die Erforderlichkeil der Müllverbrennung auch bei entsprechender Vermeidung und Verwertung des Mülls immer noch gegeben se~ obwohl ihm durchaus der Fall bekannt sei, daß auch schon Deponiekonzepte hätten geändert werden müssen, weil Vermeidungs- und Verwertungsstrategien das Müllvolumen reduziert hätten. Zur Frage der Bevorzugung der Verbrennung gegenüber der Deponierung von Müll bezog sich Hoppe auf das demnächst erscheinende abfallwirtschaftliche Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Dort werde das Zusammenwirken von Verbrennung und Deponierung betont, wobei in erster Linie Wert auf Verbrennung gelegt werde. Zustimmung bei Hoppe fand auch Hauser mit seiner These, daß in bezug auf die Abfallwirtschaft der Raum des Landkreises zu klein werde und man auf regionale Konzepte zurückgreifen müsse. Auch im Hinblick auf die Altlastenproblematik meinte Hoppe zustimmend, die Datenbasis sei in dieser Hinsicht nicht ausreichend. Auf deren begrenzten Aussagewert habe auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen hingewiesen. Unter Hinweis auf dieses Gutachten des Sachverständigenrates legte Hoppe noch besonderen Wert auf eine Festlegung von Grenzwerten. Auch im Hinblick auf die UVP stimmte Hoppe dem Diskussionsredner zu. Die EG-Richtlinie sei, das habe auch schon der Sachverständigenrat für Umweltfragen betont, insofern zu eng, als sie nur auf Projekte und Planung hinweise, sie müsse einen weiteren Bereich umfassen. Daher sei es sehr zu begrüßen, wenn die Gemeinden über das UVP-Gesetz hinaus in der gesamten Bauleitplanung eine Umweltverträglichkeitsprüfung vornähmen. Im Gegensatz zu Hauser sah Hoppe allerdings die Organisation der Umweltschutzverwaltung durch eine zentrale Einheit als sinnvoll an. Insgesamt seien zur Finanzierung des Umweltschutzes noch erhebliche Mittel erforderlich, wenn sich auch vielleicht eine Finanzierung durch die öffentliche Hand als Illusion herausstellen würde. Zu Fragen der Organisation der Umweltschutzverwaltung und der berühmten Streitfrage "Zentralisierung - Dezentralisierung" verwies Laux auf die Modelle zur Ressourcensteuerung. Gebündelter Sachverstand in einem zentralen Amt sei eigentlich immer sinnvoll.
Pappermann ging noch kurz auf die Bemerkungen von Gaertner ein und erwiderte, auch er sei der Ansicht, daß die Kultur einen sogenannten wei-
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Diskussion
eben Standortfaktor darstelle. Zur Frage der unterschiedlichen Finanzsubventionen in Bayern und Nordrhein-Westfalen bemerkte Pappennann, er habe damit keinen Vorwurf verbinden wollen, sondern die unterschiedliche Finanzausstattung habe einen historischen Grund. Nach dem Ersten Weltkrieg seien die ehemals fürstlichen Einrichtungen, z. B. Theater, in Nordrhein-Westfalen von den Gemeinden übernommen worden, in Bayern jedoch vom Staat. Daher würden dort heute noch Theater, Bibliotheken, Museen und ähnliche Einrichtungen von diesem fmanziert. Mit einem Dankwort von Laux an die Referenten und Teilnehmer wurde die Diskussion beendet.
Die Kommunen in der Europäischen Gemeinschaft
Die Kommunen in der europäischen Gemeinschaft Von Christian 0. Steger
I. Einleitung Das Thema "Gemeinden und Europa" hat zwei ganz unterschiedliche Aspekte, die man auch besonders beleuchten sollte. Zum einen geht es um die Zukunft jeder einzelnen Gemeinde, jeder einzelnen Stadt. Vor allem die Städte und Gemeinden nahe der Grenzen zu unseren westlichen und östlichen Nachbarländern spüren das. Zum anderen aber geht es um die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung als Handlungsrahmen, als Leistungsprinzip. Dies ist ein zweiter Aspekt, der in der jetzigen Situation mehr denn je einer Thematisierung in der Landes-, Bundes- und Europapolitik bedarr_l
II. Europa als Ganzes
Unser Thema hat durch die Ereignisse in Mittel- und Osteuropa ganz neue Dimensionen gewonnen: Waren wir noch vor kurzem im kommunalen Bereich der Bundesrepublik, zugegebenermaßen manchmal etwas kleinmütig, darauf bedacht, unsere kommunale Selbstverwaltung nicht auf französische, englische oder portugiesische Maße zurechtschneidern zu lassen, so erkennen wir jetzt zunehmend ein neues Aktionsfeld: wir kommen heraus aus dem defensiven Denken Richtung Westen in ein offensives Denken Richtung Osten und Südosten. Schon innerhalb Deutschlands beginnt es. Die europäische Einigung und ihre Hoffnung spendende Wirkung müssen nun auf einmal nicht mehr von Berufsoptimisten gegen eine sich einbürgernde Skepsis, die häufig nur eine verkappte Abneigung ist, die sich nicht - oder sollte ich sagen - noch nicht hervortraute, vertreten werden. 1 So auch die Empfehlung des Beraterkreises der Landesregierung von BadenWürttemberg in ihrem Bericht (Fn. 9), Tz. 354, S. 81.
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Christian 0. Steger
Ja, die Bezeichnung "Europa" bekommt in unserem Denken die alte - historisch richtige - Dimension wieder. Wir kehren zu dem bewegenden Denken früherer Jahre zurück, über das Carlo Schmid gerade mit Blick auf die Gemeinden aus dem Jahre 1970 berichtee: "Ganz anders war es einige Tage später auf der Tagung der Internationalen Bürgermeister-Union in Baden-Baden. Da waren an die 30 Bürgermeister aus den Ländern des Europarates zusammengekommen, deren Städte Partnerschaften mit Städten ihrer Nachbarländer eingegangen waren. Sie redeten miteinander über ihre Sorgen und berichteten über Auswirkungen der Partnerschaftsverhältnisse. Mit Männern dieser Art könnte man Europa machen, dachte ich, doch leider haben jene, die es machen müssen, ganze Gebirge von Vorurteilen und Sonderinteressen auf ihren Schultern zu tragen und können darum nicht so vom Fleck kommen wie andere, die sich mit leichterem Sorgengepäck auf den Weg nach Europa begeben". Mein Kollege Mombaur hat vor kurzem die (west-)europäische Einigung als "das Aufregendste an positiven Ereignissen und Entwicklungen in dieser Welt, jedenfalls in Europa, was seit Menschengedenken passiert", bezeichnet.3 Hätte Mombaur diese Worte nicht am 4. Oktober 1989, sondern kurz danach gesagt, er hätte einen weiteren Superlativ bilden müssen. Das gelte, so Mombaur, speziell für den Europarat, der vor 40 Jahren gegründet worden ist. Das gilt damit für die Gemeinsamkeit der Menschenrechte, für die Freiheit und die Demokratie, deren Attraktivität man in diesen Tagen nicht durch Reden unterstreichen muß. Seit lokrafttreten der Charta des Europarates - übrigens das erste völkerrechtliche Dokument, mit dem die kommunale Selbstverwaltung rechtswirksam formuliert worden ist - gilt das auch für die Demokratie auf lokaler Ebene. Am Beispiel der Kommunen in der DDR erleben wir es zur Zeit hautnah, wie die Charta des Europarats zur kommunalen Selbstverwaltung von 1985 zur Berufungsgrundlage der Kommunalpolitiker wie der "ehemaligen" Oppositionspolitiker für ihren Ruf nach dem Neuaufbau einer echten kommunalen Selbstverwaltung nach den langen, staatszentralistischen Verhältnissen wird. Wer sich damit befaßt, kann sich derzeit vor Besuchern und Fragestellern, die ein übergroßes Interesse an Inhalt, Aufbau und Funktion kommunaler Selbstverwaltung zeigen, kaum retten. Teilweise ohne Voranmeldung tauchen Initiatoren oder Vertreter neu zu gründender oder schon gebildeter kommunaler Verbände auf, die in langen 2 3
Erinnerungen, Bern 1980, S. 832. Die Gemeinde (BWGZ) 1989, 706.
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Gesprächen diese Gesichtspunkte erläutert haben wollen, um s1e zu eigenen Konzepten zu verarbeiten. Das neue Gemeindegesetz in Ungarn ist mitten in der Beratung. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund und die Deutsche Sektion des Rates der Gemeinden Europas hatten sich hier mit einer verdienstvollen und wichtigen beratenden Äußerung beteiligt. Vor kurzem hatte ich den Besuch eines Vertreters des neugegründeten Tschechoslowakischen Gemeindeverbandes, dessen Präsident der Politiker des Prager Frühlings, 0/drich Curnik, ist. Auch ein Wissenschaftler einer polnischen Universität hat mich vor kurzem aufgesucht. Sicher wird es vielen von uns derzeit so ergehen. Diese Aufgaben, die einfach durch die Entwicklung auf uns zukommen, müssen wir, so glaube ich, sehr ernst nehmen, wenn wir nicht unglaubwürdig werden wollen. Wer sich jahrzehntelang seines freiheitlichen Systems gerühmt hat, der kann nicht tatenlos an der Seite stehen, wenn diejenigen, die sich Freiheit geschaffen haben, in eine Wohnung im gemeinsamen europäischen Haus der Kommunen einziehen wollen. Wenn wir es ernst meinten mit unseren Formeln wie "Städte und Gemeinden: Die erlebte Demokratie" oder "Städte und Gemeinden, Grundlage und Glied des demokratischen Staates", dann ist jede Hilfe zur Errichtung einer kommunalen Selbstverwaltung, die der Charta des Europarals entspricht, eine Hilfe beim Aufbau eines neuen demokratischen Europa. Man muß bei solchen Überlegungen nüchtern bleiben. Das manchmal aufgesetzt wirkende Pathos der europäischen Einigung und der Reden darüber, hat plötzlich Inhalte zurückgewonnen, deren Praxisbezug man kaum hoch genug veranschlagen kann. Man sollte sich im übrigen in Erinnerung rufen, daß von den 12 Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft vor gar nicht langer Zeit drei noch zu den unreifen, nicht demokratischen Staaten Europas gehörten: Portugal, Spanien und Griechenland. Das wird angesichts der revolutionären Ereignisse in Mittel- und Osteuropa schon gern wieder übersehen. So, als wäre alles das selbstverständlich. Das ist es nicht! Der Siegeszug von Freiheit und Demokratie ist auch im Westen Europas noch nicht so lange her. Wir wollen nicht vergessen, daß die Bundesrepublik auch erst 40 Jahre besteht. Selbst wenn Ost- und Mitteleuropa sich jetzt mit Macht auf den Weg nach Westen gemacht haben, ist eine Überheblichkeit der Alteingesessenen im Haus der Kommunen Europas deswegen nicht sehr angebracht. So wie die Staaten Ost- und Mitteleuropas, mir hat es der stellvertretende ungarische Außenminister schon vor zwei Jahren gesagt, direkt in die EG streben, so weiten sich die Aufgaben der Kommunen in der Europäischen Gemeinschaft aus. Nicht zuletzt haben viele Städte
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und Gemeinden, die Partnerschaften beispielsweise in Frankreich oder England haben, gemeinsam eine dritte Kommune in der Mitte oder im Südosten Europas zum Partner erkoren. Aber ich will nicht zu weit von meinem Thema abweichen, das sich stärker auf die Europäische Gemeinschaft bezieht, als auf das, was daraus werden könnte. Gleichwohl gilt es, aus den Entwicklungen in Mittel- und Südosteuropa, weg vom sog. demokratischen, in Wirklichkeit brutalen, Staatszentralismus hin zum Föderalismus und zur kommunalen Selbstverwaltung eine Lehre zu ziehen, die der scheidende Bundesratspräsident Bjöm Engholm am 20.10.1989 im Bundesrat so formuliert hat: "Es wäre eine gewisse Ironie der Geschichte, wenn in Brüssel ausgerechnet jetzt eine omnipotente Zentrale entstehen sollte, während gleichzeitig in Osteuropa die dort entstehende Nach-Internationale mit Blick auf Westeuropa den Charme der Dezentralisierung entdeckt"! Auch Margaret Thatcher hat im Jahre 1988 vor dem EuropaKolleg in Brügge ähnliches formuliert.
111. EG-Markt
Wir Kommunalpolitiker sind, wie Mombaur ausführt, an dessen Überlegungen ich mich im folgenden eng aolehne5, von der Entwicklung in der EG zum einen über den Markt und zum anderen über das Recht betroffen. Über den Markt in unseren eigenen Städten und Gemeinden: denn jede einzelne Stadt und Gemeinde hat schon immer im Wettbewerb der Standorte gestanden. Aber wir stehen jetzt noch deutlicher in diesem "Markt der Standorte". Wenn alle Hemmnisse nationaler Art fallen, sich in dieser EG niederzulassen, dann werden wir in der EG das erleben, was Deutschland im vergangeneo Jahrhundert erlebt hat, als sich aus der Kleinstaaterei nach dem Deutschen Bund 1815 Leute aufgemacht haben, um den Preußischen Zollverein zu gründen, als sie die Handelsschranken abschafften, um allmählich zu einem neuen Staat zusammenzuwachsen. Auch heute treffen - wie damals - zwei Faktoren zusammen: Einheitliches Wirtschaftsgebiet und neue Verkehrs- und Kommunikatioostechnikeo. 4 Zitat nach Siedentopf, Europa 1992, Traum oder Trauma flir die kommunale Selbstverwaltung?, Vortrag Jahresversammlung Hessischer Landkreistag 17.11.1989, Broschüre des Verbandes, S. 1 s Die Gemeinde (BWGZ) 1989, 706 ff. Siehe auch Mombaur, Europäischer Binnenmarkt: Kommunalpolitik und Wirtschaftsförderung im Wettbewerb der Standorte, Sonderdruck aus StGR, 2. Aufl. 1989.
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Die Wirtschaftsgeographie und die Standortverhältnisse werden davon maßgeblich - wie seinerzeit im Deutschen Reich - beeinflußt werden. Deutlich absehbar ist auch, daß der Binnenmarkt und Verkehrs- sowie Kommunikationstechniken in der Tendenz städtische Ballungsräume stärker begünstigen dürften als die ländlichen Räume. Wir müssen klar sehen: Gemeinden konkurrieren mit Gemeinden, Regionen mit Regionen, Steuersysteme mit Steuersystemen, Sozialsysteme mit Sozialsystemen. Gefordert ist eine permanente Aufmerksamkeit und Anpassungsbereitschaft gegenüber dem, was der andere tut. Man könnte es mit einer Anekdote darstellen: Ein Japaner und ein Europäer treffen sich zur Safari in Afrika. Und man tauscht aus, was man mitgebracht hat. Der Japaner packt aus. Er hat Turnschuhe mitgebracht. Da fragt der Europäer: Was willst du denn um Gottes Willen mit Turnschuhen auf der Safari? Der Japaner antwortet: Das ist wegen der Löwen! - Wieso denn wegen der Löwen? - Wenn ein Löwe kommt, ziehe ich die Turnschuhe an und kann schneller laufen. - Da sagt der Europäer: Du glaubst doch nicht, daß du schneller laufen kannst als der Löwe? - Der Japaner entgegnet: Das nicht, aber schneller als du. Wir müssen verstehen, daß alles, was wir in der Kommunalpolitik tun, Auswirkungen auf örtliche Wirtschaftsstandorte und damit auf örtliche Handlungschancen hat, also entweder Pflege oder Vernachlässigung des Standortes ist. Da ist es hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, aus welcher Sicht unsere Unternehmungen vor Ort Kommunalpolitik und Politik überhaupt beurteilen. Ich versage mir, die einzelnen Faktoren aufzuzählen, auf die hier einzugehen wäre. Das Spektrum reicht von der Verkehrsanbindung über die örtlichen Abgaben bis hin zum kulturellen Angebot. Goodwill und Klima spielen sicher eine besondere Rolle. Die Kommmunalpolitiker müssen daher im Auge haben, ob sie dem Handeln der Menschen und der Unternehmungen vor Ort genügend Planungssicherheit anbieten können oder ob Standortnachteile gegenüber anderen EG-Ländern entstehen. Wir brauchen ein kaikullerbares Baurecht, das Investitionsentscheidungen erleichtert. Das gilt sowohl für Bebauungspläne als auch für die Handhabung der Bauaufsicht. Wir müssen kritisch prüfen, ob unsere Behördenentscheidungen zu lange dauern oder verkürzt werden können. Dazu sind politische Schnellschüsse wie Bundeserleichterungsgesetze oder Landes-Freistellungsverordnungen allerdings kaum ernsthaft geeignet. Das alles ist erforderlich, weil es wichtig ist, den Bestand dessen, was wir vor Ort haben, zu pflegen, und nicht etwa einseitig darauf zu achten, wie man neue Betriebe ansiedeln kann. Es ist viel wichtiger, diejenigen, die man
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hat, in ihrem Entwicklungsgeschehen sympathisch und erfolgreich zu begleiten. Wesentlich ist weiterhin, zu erkennen, daß wir zwar unsere örtlichen Leistungen profilieren können, aber schicksalhaft in die Angebote und die Vorzüge der Region eingebunden sind. In Europa ist es immer illusionärer, daß sich jede Gemeinde und jede Stadt allein profiliert. Ganz sicher wird es wichtig sein, daß man in Regionen zu interkommunalen Gesprächen und Abstimmungen zusammenkommt, daß man sich sehr genau überlegt, was in der einzelnen Gemeinde nicht nur für die Gemeinde selbst, sondern auch für die Region wichtig ist, weil sich die Region als solche insgesamt in diesem Markt der Standorte gut darstellen kann. Soweit einige mehr der Selbstverständlichkeit, dem Status quo, zuzuordnende Punkte.
IV. Die EG als neue Einheit
Daneben ist für die Entwicklung der einzelnen Stadt der Handlungsrahmen maßgeblich, der ihr zur Verfügung steht. Das sollte bei einer Zukunftsbetrachtung in den Mittelpunkt gestellt werden. Es ist unser Anliegen, diesen Handlungsrahmen möglichst weit zu halten, damit vor Ort viele lokale Initiativen in Politik, d. h. eben nicht nur Verwaltung, umgesetzt werden können. Inwieweit sind wir hier durch die europäische Entwicklung - ausschließlich bezogen auf die Europäische Gemeinschaft - betroffen? Mombaur hat es vor kurzem als "fundamentale Feststellung" bezeichnet, daß diese EG nicht eine internationale Organisation ist, sondern eine supranationale Gemeinschaft mit eigener Rechtsordnung, mit unmittelbarer Wirkung für die dem Staat unterworfenen Rechtssubjekte.6 Die Europäische Gemeinschaft handelt im Rahmen der ihr von den nationalen Mitgliedern übertragenen Handlungskompetenzen durch Rechtsakte. Sie handelt durch Verordnungen, die unmittelbar wirksam sind und die gegenwärtig von dem Gesetzgebungsorgan Europäischer Rat (Ministerrat) verabschiedet werden. Sie handelt ferner durch Richtlinien. Richtlinien sind Rechtssätze, die den nationalen Mitgliedern gegeben werden mit dem Ziel der Umsetzung in nationales Recht. Dies ist der Ursprung der Richtlinien gewesen. Inzwischen ist die Rechtsentwicklung aber weitergegangen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs läuft darauf hinaus, daß diese Richtlinien zumindest teilweise ebenfalls unmittelbar wirken.
6
Die Gemeinde (BWGZ) 1989, 706 (708).
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V. Europäisches Recht übenvölbt nationales Recht Das heißt, die europäische Rechtsgemeinschaft ist schon sehr viel unmittelbarer wirksam, als das die Vertragsväter sich ursprünglich vorgestellt haben.7 Das ist kein Völkerrecht, das ist auch kein Staatsrecht, sondern ein neues, die nationalen Rechtsordnungen überwölbendes Recht mit absolutem Vorrang vor jedem innerstaatlichen Recht der 12 Mitgliedsländer der EG. Dieser schlichte Satz ist leider vielen immer noch nicht geläufig. Auch durch die absehbare deutsche Vereinigung wird diese Entwicklung nicht gebremst. Im Gegenteil: Beschleunigungstendenzen sind doch wohl erkennbar. Die angekündigte Einberufung von zwei Regierungskonferenzen zur Entwicklung der EG macht das deutlich. Nun ist es so, daß Rechtsbewußtsein zum Teil durch triviale Vorgänge geschärft werden kann: Wenn es um die Wurst geht, merken es die Leute. Vor noch nicht allzu langer Zeit hat der Europäische Gerichtshof das deutsche Recht aufgehoben, das es untersagte, im Ausland rechtmäßig hergestellte Wurst in die Bundesrepublik zu importieren. Ähnliches war dem deutschen Bier beschieden. Diese beiden Urteile belegen schon sehr massiv und einsehbar, wie die europäische Rechtsordnung alles nationale Recht überwölbt - da, wo die EG Handlungskompetenz hat. Zur Zeit sind auch unsere obersten Gerichte dabei, zu lernen, daß sie in die Situation von Instanzgerichten kommen. Der aufregendste Fall hat sich vor etwas mehr als einem Jahr mit einem Urteil des Bundesfinanzhofs ereignet, das wegen Verstoßes gegen die Rechtsmeinung des Europäischen Gerichtshofs vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde. Das Bundesverfassungsgericht selbst hatte sich schon vor diesem Urteil genau in dieser Weise geäußert. Etwa zum Grundrechtsschutz in der EG.8 Das muß man auf sich wirken lassen: Das Bundesverfassungsgericht erkennt seine Einordnung in die Hierarchie der europäischen Rechtsordnung. Dieser kurze Hinweis belegt mit hinlänglicher Deutlichkeit den Rechtsvorrang der europäischen Rechtsordnung in der EG. Daraus gilt es für uns zu folgern, daß dieser Vorrang auch für den Handlungsrahmen unserer Verfassungsgarantie in Art. 28 GG gilt. Art. 28 GG bindet, soweit er das Eingreifen in den Kern kommunaler Betätigung untersagt, die Organe der Bundesrepublik Deutschland, aber nicht die Organe der Europäischen Gemeinschaft. Die Europäische Gemeinschaft hat einen solchen, für die kommunale Selbstverwaltung wirkenden Kernschutz nicht. Daraus haben wir schon sehr früh Konsequenzen gezogen und eine 7 8
Dazu auch Siedentopf, (Fn. 4), S. 8 ff. Einzelheiten sieheMombaur, Die Gemeinde (BWGZ) 1989, 706 (708).
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politisch-rechtliche Diskussion begonnen, daß es im Rahmen einer künftigen europäischen Verfassung erforderlich ist, diesen Rechtsschutz, den wir aus Art. 28 GG kennen, auch in eine europäische Verfassung zu übernehmen.
VI. Mitwirkung der Kommunen bei der EG-Gesetzgebung Für heute müssen wir klar ins Auge fassen: Wir sind gewohnt, zur Kenntnis zu nehmen, daß kommunale Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze
stattfindet. Wir sind gewohnt, zu lesen: im Rahmen von Landes- und Bundesgesetzen. Wir müssen allerdings sehen, daß es mit dieser Lesart vorbei ist. Das heißt jetzt: im Rahmen von Landes-, Bundes- und Europagesetzen. Inzwischen leben wir nämlich in einem fünfstöckigen Haus: Gemeinde, Kreis, Land, Bund und Europäische Gemeinschaft, wobei jede Ebene eigene Zuständigkeiten hat. Was folgt daraus? Die Kommunalen Spitzenverbände, die sich im Interesse der Städte und Gemeinden als Sachverwalter des kommunalen Handlungsrahmens sehen, müssen diesen Wandlungsprozeß der Politik und der Entscheidungszuständigkeiten aus den nationalen Staaten hinaus mitmachen. Wir sind praktisch in einer Situation, wie es auch unsere Vorväter Anfang dieses Jahrhunderts in Deutschland waren. Die Kommunalen Spitzenverbände sind zuerst um 1860 in Schlesien und Sachsen entstanden, gute 50 Jahre nach der Stein'schen Reform. Sie sind ein Teil der kommunalen Selbstverwaltung. Dann sind sie in den Staaten des damaligen Deutschen Reiches auf Provinz-, Regional- und Staatsebene tätig gewesen und erst 1905 bzw. 1910 auf Reichsebene gebildet worden. Warum? - Weil in den vorangegangenen 20 Jahren in diesem Deutschen Reich der Politikprozeß in ähnlicher Weise, wie wir das heute in Europa feststellen, von den Teilstaaten des Deutschen Reiches auf die Reichsebene wanderte. Man wollte also nicht zusehen, daß der Handlungsrahmen der kommunalen Selbstverwaltung auf dieser Ebene bestimmt wird, ohne daß die Kommunen ihrerseits auf dieser Ebene eine Stimme haben. Dies ist lehrreich auch für das, was wir zu tun haben. Wir müssen sehen, daß die kommunale Selbstverwaltung von der europäischen Ebene sehr stark betroffen wird. Infolgedessen ist es unsere Aufgabe, nun auch auf dieser Ebene unsere Stimme zu erheben. Bisher nehmen wir an der europäischen Gesetzgebung jedenfalls kaum teil.
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Gewiß, wir haben auch noch Landesregierungen und Landtage, die in ihrem Pflichtenkatalog das Wohl der kommunalen Selbstverwaltung vermerkt haben. Wir wissen auch genau, daß der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung als die verantwortlichen Organe in der EG in ihrem Pflichtenkatalog Art. 28 GG haben.
VII. Exkurs: Politikwanderung und ihre Folgen Diese historische Betrachtung macht auf eine weitere Fragestellung infolge der Abwanderung von nationalen Entscheidungskompetenzen nach Brüssel aufmerksam: Was werden Bund und Länder tun, um ihre Kompetenzverluste auszugleichen? Die Initiativen des Bundesrats mit dem Beteiligungsverlangen gegenüber Bundesregierung und Bundestag, die Bemühungen z. B. des badenwürttembergischen Ministerpräsidenten um ein Netzwerk europäischer Regionalpartnerschaften, Schlagwort "Vier Motoren", sind Anzeichen, daß die Probleme gesehen werden! Die Landesregierung von Baden-Württemberg läßt sich zur Zeit beispielsweise auch von einer Europa-Kommission ein Gutachten mit Handlungsempfehlungen erstatten.9 Aber: Werden sich die Landtage und die einzelnen Landtagsabgeordneten, die heute schon über Kompetenzmangel klagen und sich wohl deshalb bereits direkt und viel zu häufig in den Verwaltungsvollzug der Exekutive einmischen, damit zufriedengeben? Theodor Eschenburg hat im Herbst vergangeneo Jahres bei einem Vortrag in kleinem Kreise die Prognose gestellt, daß die Länder, vor allem die Landtage, noch sehr viel stärker als bisher das Feld der "Verwaltungspolitik" als ihre Domäne entdecken dürften, da ihre eigentliche Gesetzgebungskompetenz in der Sache abwandern werde. Das aber könnte die Gefahr heraufbeschwören, daß das selbständige demokratische Mandat der gewählten Kommunalpolitiker mit Hilfe eines engmaschigen Netzes "verwaltungspolitischer" Gesetzgebung und von Petitionsentscheidungen erheblich beeinträchtigt werden könnte. Insofern gilt es, die Pflichten zur Gewährleistung des kommunalen Handlungsrahmens aus Art. 28 GG gegenüber Bund und Ländern zunächst unter den Gesichtspunkt des Folgenausgleichs europäischer Entwicklungen im Inland anzumahnen. 9 "Baden-Württemberg im Europäischen Binnenmarkt 1992", Beraterkreis der Landesregierung zu EG-Fragen, Bericht März 1990, Staatsministerium BadenWürttemberg. Zum Verfassungswandel im Binnenmarkt, S. 78 ff.
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Darüber hinaus sind wir gefordert, die anderen Ebenen des Staates zur uneigennützigen Schaffung kommunaler Handlungsspielräume auf dem eigentlichen europäischen Feld in Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten. Wenn wir klug sind, dann werden wir schließlich auch selbst dort tätig. Um das voranzubringen, haben wir zehn Jahre lang gekämpft. Seit Dezember 1988 haben wir insofern einen Erfolg, als bei der EG-Kommission jetzt ein Beirat gebildet worden ist, der die Gemeinden und Regionen der EG repräsentieren soll. Dem Beirat gehören 42 Mitglieder an, davon sechs deutsche. Eine weitere Politikebene ist das Europäische Parlament mit seinen Fraktionen und seinen Ausschüssen. Das ist eine Handlungsebene, die wir bislang praktisch nicht ansprechen. Im Europäischen Parlament gibt es von Anfang an jedoch eine besondere Gruppe: die interfraktionelle Gruppe der regionalen und lokalen Politik. Das ist die einzige Gruppe im Europäischen Parlament, die kein Ausschuß ist und gleichwohl vom Präsidium des Parlaments anerkannt wird, die also mehr oder weniger offiZiellen Parlamentsstatus hat. Sie bemüht sich, immer wieder zu prüfen, in welcher Weise europäische Entwicklungen die Regionen und Gemeinden betreffen. Ist damit das Feld bestellt?
VIII. Fallbeispiele fehlender Mitwirkung In diesem Zusammenhang sind Regelungen zu nennen, die in der jüngsten Zeit verabschiedet worden sind, ohne daß sich die kommunale Selbstverwaltung wirklich intensiv in Brüssel oder Straßburg zu Wort gemeldet hätte10: Das betrifft einmal den Bereich der Kreditwirtschaft und damit zum Beispiel den Bewegungsspielraum unserer Sparkassen. Die Richtlinie über die haftenden Eigenmittel, die verabschiedet worden ist, wertet die haftenden Eigenmittel unserer Sparkassen rechtlich anders als bisher. Vor allem ist eine Richtlinie verabschiedet worden, mit der das Verhältnis von langfristig zur Verfügung stehendem haftendem Eigenkapital zum Ausleihbetrag festgelegt worden ist. Dies ist eine Angelegenheit, die jede einzelne Sparkasse betrifft. Jedem, der in einem Sparkassenverwaltungsrat sitzt, kann nur geraten werden zu sehen, was da auf ihn zukommt, und alsbald die Konsequenzen zu ziehen. Selbst wenn seine Sparkasse zur Zeit die dort vorgegebenen Kriterien erfüllt, besagt das nicht, daß sie bei einem möglichen Wachstum morgen auch noch erfüllt sind. 10 · Zu diesen Bereichen siehe auchLeitennann, VR 1989, 185; von Lennep, StGB 1987, 231; Kreiner, RiA 1989, 141.
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Das nächste betrifft die öffentlichen Aufträge: Bauproduktrichtlinie, Richtlinie zur Lieferkoordinierung, Richtlinie zur Baukoordinierung, Überwachungsrichtlinie, Richtlinie über die Einbeziehung bislang ausgeschlossener Bereiche Energie, Trinkwasser und Verkehr, Richtlinie über öffentliche Dienstleistungen. Da ist das gesamte Recht der öffentlichen Aufträge, das durch Europarecht verändert worden ist. Zur Zeit wird auch das Energierecht behandelt. Dabei geht es um das Problem, ob wir die bei uns vorhandenen geschlossenen Versorgungsgebiete aufrechterhalten können. Das Stichwort "Durchleitung" wird seit Jahren diskutiert, und dazu liegt jetzt eine engagierte Vorlage auf dem Tisch. Dazu müssen wir uns wohl melden. Unsere Position ist: Wettbewerb um Versorgungsgebiete ja, Wettbewerb in Versorgungsgebieten nein. Weitere Fälle sind: Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach Art. 48 EWG-Vertrag11, die uns im Sozialhilfebereich einiges Kopfzerbrechen bereiten könnte, der Richtlinienentwurf für ein Wahlrecht auf kommunaler Ebene oder Beihilfekontrollvorschriften nach Art. 92 EWG-Vertrag. Dabei handelt es sich um aktuell geltendes Recht, das über Kommunalaufsichtsbehörden bis zur letzten Gemeinde durchgesetzt werden kann. Von einem Baden-Württemberger braucht das nicht dargestellt werden, dazu genügt das Stichwort "Rastatt". Neuerdings gibt es einen Richtlinienentwurf über den freien Zugang der Bürger zu Umweltinformationen, der europaweit die Einsichtnahme in Akten gewährleisten soll. All das sind Rechtsmaterien, die jede einzelne Gemeinde in ihrem Handlungsrahmen treffen. Die Städte und Gemeinden müssen sich darauf einrichten, dieses Recht anzuwenden. Hier sind wir darauf angewiesen, eine Stimme zu haben, nach Möglichkeit zusammen mit den Kollegen in den anderen EG-Mitgliedsländem. Aber wir dürfen nicht auf sie warten. Denn es ist nun einmal nicht zu übersehen: In den 12 Mitgliedsländern der EG gibt es nur einen Staat, der föderal und kommunal gegliedert ist: die Bundesrepublik Deutschland. Das ist eine Tatsache. Gewiß könnte man jetzt sehr genau argumentieren und über diese generalisierende Aussage streiten. Darum geht es mir aber nicht. Die Größenordnung und Gliederung der Bundesrepublik Deutschland ist einfach so, daß andere von uns erwarten, daß wir handeln und unsere kommunale Stimme anders qualifizieren. Das gilt erst recht für ein vereinigtes Deutschland.
11 Dazu Leitennann, (Fn. 10), S. 188, der auch die Rolle der Kommunen als Arbeitgeber im Binnenmarkt behandelt (S. 187). Dazu auch Kreiner, (Fn. 10), S. 144 f.
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Ausgerechnet die Briten haben es uns vorgemacht, und wir sind klug beraten, wenn wir uns genau in dieser Richtung engagieren. Dazu sind, maßgeblich angestoßen durch den Deutschen Städte- und Gemeindebund und seine Mitgliedsverbände, seit längerer Zeit Gespräche unter den Spitzenverbänden auf Bundesebene im Gang, in denen vielfältige Lösungsmöglichkeiten bedacht worden sind. Seit einiger Zeit besteht auch große Übereinstimmung darüber, daß es so, wie wir es seit 40 Jahren gemacht haben, nicht weitergehen kann, weil uns die europäische Entwicklung schlicht zu neuen Handlungen herausfordert.
IX. Kommunales Europabüro Die Präsidien der drei Kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene sind am 3. Oktober 1989 übereingekommen, folgendes zu empfehlen: Die drei Kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene werden ein gemeinsames Europabüro der kommunalen Selbstverwaltung errichten, das von der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände, also von allen drei Verbänden, getragen wird. Dieses Europabüro wird zugleich die Geschäftsführungen der deutschen Sektionen von RGE und IULA übernehmen, so daß alles, was in Sachen Europa zu betreuen ist, von einer einzigen, gemeinsam getragenen Stelle personell gemanagt wird. Ein Lenkungsausschuß der Bundesvereinigung soll die Arbeit koordinieren und auch das dort arbeitende Personal anstellen. Zu meinem großen Bedauern steht die Entscheidung aber immer noch aus. "Querelles allemandes" kann man da nur sagen. Auch hier gilt das markante Wort von Gorbatschow: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben".
Es ist festzustellen: Wir kommen teilweise wohl auch schon zu spät. Wer eine zu geringe Beteiligung der deutschen Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände an Entscheidungen in Brüssel kritisiert, wird bei genauerem Hinsehen allerdings bedauernd feststellen müssen, daß kommunale Beteiligung in anderen Mitgliedsstaaten der EG überhaupt kein Problem ist: Dort gibt es keine kommunale Selbstverwaltung nach unserem Verständnis. Es ist im Grunde wie mit dem Waldsterben: Offensichtlich besteht relativ wenig Problembewußtsein, wie viele unserer Städte und Gemeinden, die aus Umweltgründen geschädigte Wälder ihr Eigen nennen müssen, bei Besuchen in ihren französischen Partnergemeinden feststellen mußten.
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X. Positiver Ausblick: Tendenzumschwung bei der EG-Kommission Deswegen ist der in der Einrichtung des Beirats der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften der Mitgliedsstaaten der EG zu erkennende Tendenzumschwung bei der EG-Kommission zu begrüßen: die Regierungen der Mitgliedsstaaten scheinen das eher skeptisch zu betrachten. Der bis Ende 1988 für die Regionalpolitik zuständige EG-Kommissar Schmidhuber hat davon gesprochen, daß die Kommission eine dezentrale, vom Grundsatz der Subsidiarität geleitete Regionalpolitik anstrebe. Der Mitgestaltungswille und die schöpferische Initiative der Gemeinden und Regionen seien im besonderen Maße gefordert. In die gemeinschaftliche Regionalpolitik hat die Kommission den Begriff "Partnerschaft" eingeführt. Schmidhuber meinte wörtlich: "Partnerschaft in diesem Sinne entspricht daher sowohl dem Bestreben nach mehr EffLZienz als auch dem für die politische Gesamtstruktur der Gemeinschaft wichtigen Prinzip der Subsidiarität. Dabei wird man in flexibler Weise den jeweiligen, zum Teil verfassungsrechtlich vorgegebenen Organisationsstrukturen in den Mitgliedsstaaten Rechnung tragen müssen"12• Daran wollen wir die zukünftige Entwicklung messen.
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Zitat bei Siedentopf, (Fn. 4), S. 21.
Diskussion zu dem Referat von Christian 0. Steger Bericht von Heike Kuhn
Die unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Siegfried Magiera (Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer) stehende umfangreiche und kontroverse Diskussion verdeutlichte die verschiedenen Standpunkte der Teilnehmer. Ausführlich wurde erörtert, wie der Begriff "Region" zu umschreiben sei (I.). Weitere Komplexe galten der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (11.), Fragen der Wirtschaftsförderung (III.), dem Stellenwert der französischen Rechtstradition für das Gemeinschaftsrecht (IV.), der Juristenausbildung an den deutschen Universitäten (V.) sowie dem Stellenwert der kommunalen Selbstverwaltung (VI.).
I.
Univ.-Prof. Dr. Hans Peter Bull (Innenminister des Landes SchleswigHolstein, Kiel) kam auf den für die Struktur des künftigen Europas relevanten Begriff der Region zu sprechen. Dieser Begriff sei unklar. Er bat die Teilnehmer aus der DDR um eine Erläuterung ihrer diesbezüglichen Vorstellungen.
Erwin Schieberger (Regierungspräsident, Münster) vertrat die Ansicht, daß aus guten Gründen weder die Europäische Gemeinschaft noch die Nationalstaaten sowie die Bundesländer den Begriff "Region" bisher definiert hätten. Seiner Meinung nach hätten die Kommunen Wettbewerbschancen, wenn sie sich zwecks BündeJung ihrer Kräfte zusammenschlössen. Dabei sollten Kooperationen bei Vorliegen gleicher wirtschaftlicher Interessen gesucht werden. Schieberger verwies auf den Beschluß des nordrhein-westfälischen Landeskabinetts vom 30.5.1989, der die Regionalisierung der Strukturpolitik betreffe. Hierin sah er den richtigen Ansatz. Von Steger, Dr. Erich Rehn (Bad Hersfeld-Asbach) und Heinz Kästering (Ministerialdirigent a.D., Lemgo) wurde die Orientierung an gemeinsamen wirtschaftlieben Interessen zur Begriffsbestimmung der Region unterstützt. Den entgegengesetzten
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Diskussion
Standpunkt vertrat Univ.-Prof. Dr. Hans-Uwe Erichsen, Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz, Universität Münster), der die wirtschaftsräumliche Akzentuierung der Region für retroperspektiv hielt. Angesichts der europäischen Entwicklung stehe die politische Union bevor, in die außer wirtschaftlichen auch andere Aspekte einfließen müßten. In der historischen Entwicklung Europas gebe es kulturelle Regionen, denen eine rein wirtschaftsräumliche Betrachtung nicht gerecht werde. Sollten diese Gesichtspunkte konterkariert werden, seien Friktionen vorauszusehen, was am Beispiel Belgien deutlich werde. Der Diskussionsleiter unterstrich die Ansicht Erichsens und regte an, daß von den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft die politische Bedeutung der Regionen hervorgehoben werden sollte. Werde angesichts des ungeklärten Begriffs der Region vertreten, eine Definition sei entbehrlich, lasse man außer acht, daß die Regionalpolitik eine Art Ersatz für einen fehlenden Finanzausgleich darstelle. Auf einen anderen - praktischen - Aspekt lenkte Steger die Aufmerksamkeit. Im Zusammenhang mit der Wirtschaftsförderung habe eine früher nicht anzutreffende - Solidarisierung zwischen Städten und Gemeinden unterschiedlichster Größenordnung eingesetzt. Mittels dieser freiwilligen Zusammenschlüsse werde versucht, Kontakte nach außen aufzunehmen, wobei man sich zur Identifikation immer öfters des Namens der größten am Zusammenschluß beteiligten Stadt bediene. Von Dr. Helmut Me/zer (Institut für Rechtswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin) wurde das Problem der Regionalisierung im Hinblick auf die DDR angesprochen. Gerade seitens der Wissenschaft bestünden Bedenken gegen den politischen Druck, unter dem die Bildung der Länder in der DDR erfolge. Nach seiner Einschätzung könne das Problem der Regionalentwicklung nur gemeinsam mit der Bundesrepublik gelöst werden. Einige praktische Prozesse seien bereits fühlbar, von denen er die sichtliche Entwicklung des Großraums Berlin sowie das Entstehen einer neuen Achse neben der klassischen Nord-Süd-Achse in der Bundesrepublik beispielhaft anführte. Prof. Dr. Gerard Marcou (Universite de Lilie II, Villeneuve d'Ascq) erläuterte, was in Frankreich unter Regionen zu verstehen sei. Hierunter sei eine Art Kopplungsebene zwischen dem Staat und den Gebietskörperschaften zu fassen.
Zingel (Oberkreisdirektor Borken) wies abschließend darauf an, daß Regionen nicht nur national bestimmt seien, sondern es auch grenzüberschreitende Regionen gebe. Beispielsweise im deutsch-niederländischen Grenzraum existiere eine solche Zusammenarbeit (EUREGIO). Von der EG-
Diskussion
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Kommission werde dieser grenzüberschreitende Bereich im Hinblick auf die Zuschußgewährung bereits als Region behandelt.
II.
Auf die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung ging Melzer ein. Er sehe für die DDR keine Schwierigkeiten, der Charta beizutreten. Allerdings bezweifle er wegen der möglichen Ausnahmebestimmungen, daß die Grundsätze der Charta in absehbarer Zeit verwirklicht werden könnten. Seinem Standpunkt pflichtete Steger be~ da auch die EG die Gedanken der Charta bisher nicht aufgenommen habe.
111.
Den Bereich der Wirtschaftsförderung sprach Dr. Gerhard Pfreundschuh (Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises, Mosbach) an. Er kritisierte, daß die vormals dem ländlichen Raum zugeordnete Wirtschaftsförderung durch das europäische Gemeinschaftsrecht obsolet geworden sei. Steger räumte ein, daß die Kontrolle der Beihilferegelungen gemäß Art. 92 ff. EWGV nicht so betrieben werden müßte, wie es derzeit geschehe. Allerdings sei die Schaffung einer Bagatellklausel, die eine Notiflzierung in bestimmten Fällen hätte unterbinden können, nicht durchsetzbar gewesen.
IV.
Von Pfreundschuh wurde die Aufmerksamkeit auf die bei der Verabschiedung von Rechtsakten durch die Europäische Gemeinschaft stark zu spürende französische Rechtstradition gelenkt. Kennzeichnend hierfür seien wortreiche, ausführliche und ins Detail gehende Definitionen sowie die zentralistische Grundauffassung, die dem Föderalismus und den Kommunen nur wenig Bewegungsraum zubillige. Unterstützung in diesem zentralistischen Denken fmde die Gemeinschaft durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Steger bestätigte, daß die EG-Kommission bislang die Möglichkeit gehabt habe, ihre eigenen Rechtsansichten als nahezu absolut einzusetzen und ihr der Gerichtshof wohl in der Erkenntnis überwiegend gefolgt sei, daß zum Erreichen von Vereinheitlichungen zunächst durchgegriffen werden müsse. Im Hinblick auf die detaillierten
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Diskussion
Definitionen der Europäischen Gemeinschaft kam er auf die Prozeßführung um das Bier und die Wurst zu sprechen. Gerade diese Verfahren hätten deutlich gemacht, daß es solcher ausführlichen Definitionen bedürfe, um den Gemeinsamen Markt zu verwirklichen. Auf die französische Rechtstradition ging Marcou ein, der die Befürchtungen teilte, daß eine Tendenz zur Akkumulation von Befugnissen bei der EG die Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften einschränke. Allerdings sei dies nicht auf die französische juristische Denkweise zurückzuführen. Er erkläre sich überflüssige Reglementalion vielmehr dadurch, daß die EG-Bürokratie, die nur einer schwachen demokratischen Kontrolle unterstellt sei und die keine direkten Vollzugsbefugnisse innehabe, Gemeinsamkeit nur mittels Verordnungen und Richtlinien erreichen könne. Zur Verantwortung aller Regierungen der Mitgliedstaaten der EG gehöre es, diesen Kurs in einen bestimmten Rahmen einzuweisen.
V.
Bezugnehmend auf die Ausbildung der Juristen forderte Fritz-Wemer Körfer, (Geschäftsführender Direktor der Verwaltungs-Akademie für Westfalen, Hagen), daß zum einen französische Sprachkenntnisse stärker als bisher erworben werden sollten und zum anderen eine Beschäftigung mit dem französischen Recht erfolgen sollte. Rudolf H. Müller (Oberkreisdirektor a.D., Geschäftsführer des Verbandes der kommunalen Aktionäre der RWE GmbH, Essen) ergänzte, daß bereits die kommunalrechtlichen Regelungen der anderen Bundesländer bei der Beschäftigung mit dem jeweiligen Kommunalrecht des Landes, in dem die Universität ihren Sitz habe, nicht vergleichend betrachtet würden. Durch einen Austausch der Wissenschaft mit anderen Ländern könne der Versuch unternommen werden, den Gedanken der kommunalen Selbstverwaltung stärker zu verbreiten. Der Diskussionsleiter wies darauf hin, daß zumindest die Hochschule die kommunalrechtliche Literatur aller deutschen Bundesländer einbeziehe, auch internationale Werke würden erworben. Erichsen brachte ein, daß hier die aktuelle politische Diskussion der Frage der Studienzeitverkürzung angesprochen werde. Es gehe nicht an, einerseits an die Studenten immer höhere Anforderungen zu stellen und andererseits zu erwarten, daß dies in kürzerer Studienzeit zu leisten sei. Seiner Auffassung nach müsse man zu einem neuen Verständnis des Studiums kommen, durch das lediglich eine Grundausbildung vermittelt werden könne und anschließend ständig Weiterbildung in Anspruch genommen werden müsse.
Diskussion
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VI.
Die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung wurde vom Diskussionsleiter angesprochen. Wichtig sei, daß die Europäische Gemeinschaft in-
zwischen in das Blickfeld der Gemeinden gekommen und die unmittelbare Geltung des Gemeinschaftsrechts erkannt worden sei. In diesem Zusammenhang sei zu bedenken, daß das als mangelhaft empfundene Demokratieprinzip auf Gemeinschaftsebene durch die kommunale Selbstverwaltung eine demokratische Stütze erfahren könne. Diesen Gedanken betonte auch Steger in seinem Schlußwort. Die Entwicklung in der DDR zeige sehr deutlich, daß die Demokratie als unterste Grundlage die Gemeinden brauche. Bei Gesprächen mit in der Kommunalverwaltung Beschäftigten aus der DDR sei klar zutage getreten, daß von diesen bisher nur wenige Entscheidungen auf kommunaler Ebene zu treffen gewesen seien, der Großteil der Fragen vielmehr in Berlin entschieden worden wäre. Mit den ihnen jetzt zustehenden Entscheidungsbefugnissen konfrontiert, träten große Probleme auf, da man dort gar nicht wisse, wie man entscheiden müsse. Für ihn sei es daher ein ermutigender Ansatzpunkt, die Gemeinden als Grundlage des Staates mehr in den Mittelpunkt der EG-Kommission zu rücken.
Steger wies ferner darauf hin, daß der Verlauf der Diskussion, in der überwiegend über das Thema "Region" gesprochen wurde, symptomatisch für die sich aus europäischer Sicht anbahnende Entwicklung sei. In anderen Ländern fehle es am Problembewußtsein und in der Bundesrepublik Deutschland klammere man sich an Begriffe, die von der Europäischen Gemeinschaft gebildet würden. Nach seinem Dafürhalten müsse aber ein genau entgegengesetzter Prozeß eintreten.
Podiumsdiskussion
Podiumsdiskussion Bericht von Petra Hartmann und Hans-Peter Michler
Die Abschlußveranstaltung der diesjährigen Frühjahrstagung bildete eine Podiumsdiskussion, an der namhafte Repräsentanten aus Legislative und Exekutive sowie der Verbände, der Kommunen und der Wissenschaft teilnahmen. In der sachkundig geführten Diskussion wurden aktuelle Fragen der kommunalen Selbstverwaltung aufgegriffen und vertieft, die zum Teil bereits Gegenstand der vorangegangenen Vorträge und Aussprachen waren. Dabei bildeten sich folgende Schwerpunktthemen heraus, die auch Bedeutung für die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in der DDR haben: Fragen der Finanzausstattung der Städte und Gemeinden, der inneren Kommunalverfassung, der Einführung plebiszitärer Elemente auf der Ebene der Gebietskörperschaften1 sowie Probleme bei der Einführung der Kommunalverfassung in der DDR2• Unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Willi Blümel diskutierten - in manchen Punkten über Partei- und Verhandsinteressen hinweg im Ergebnis übereinstimmend - Dr.Adolf Herkenrath, Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecher des kommunalpolitischen Arbeitskreises der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Dr. Peter Struck, Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzender des Arbeitskreises Kommunalpolitik der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein, Univ.-Prof. Dr. Hans Peter Bul~ Dr. Hans Henning Becker-Birck, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistages, der Oberstadtdirektor der Stadt Hannover, Dr. Hinrich Lehmann-Grube, sowie Prof. Dr. Kar/ 1 Zuletzt hat das Bundesland Schleswig-Holstein die Möglichkeiten des Einwohnerantrags sowie des Bürgerentscheids und des Bürgerbegehrens in die Gemeindeordnung, aber auch in die Kreisordnung aufgenommen; vgl. § 16 f und § 16 g GO (Bekanntmachung der Neufassung der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein v. 2.4.1990, GVOBl. Schl.-H. 1990, S. 159) sowie § 16 e und § 16 f KrO (Bekanntmachung der Neufassung der Kreisordnung flir Schleswig-Holstein v. 2.4.1990, GVOBl. Schl.-H. 1990, S. 193). Bürgerantrag, Bürgerentscheid und Bürgerbegehren sieht auch§ 18 der Kommunalverfassung der DDR auf Gemeindeebene vor (FN 2). 2 Mittlerweile wurde für das Gebiet der DDR eine Kommunalverfassung erlassen, siehe das Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) v. 17.5.1990, GBI. I, S. 255.
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Bönninger von der Sektion Rechtswissenschaft der Karl-Marx-Universität Leipzig. Blümel eröffnete die Diskussion mit seinen bereits 1977 auf der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer zu dem Thema "Gemeinden und Kreise vor den öffentlichen Aufgaben der Gegenwart" vorgestellten Thesen3, denen er noch heute Gültigkeit beimaß. Die bisherigen Erörterungen dieser Tagung hätten gezeigt, daß nach wie vor eine Diskrepanz zwischen Verfassungstext und -wirklichkeit durch die die Lage der kommunalen Selbstverwaltung kennzeichnenden Rahmenbedingungen bestehe. Jene sei von schleichender Aushöhlung und fortschreitender Auszehrung durch Vergesetzlichung, Verplanung, das Fehlen einer aufgabengerechten Finanzausstattung sowie einen W anderungsprozeß der Aufgaben von unten nach oben - auch innerhalb der "Kommunalen Familie" - betroffen. Zweckzuweisungen - als Lenkungsmittel kommunaler Aufgabenerfüllung sowie als konjunkturpolitisches Steuerungsinstrument verfassungsrechtlich bedenklich - schränkten den Handlungsspielraum von Städten, Gemeinden und Kreisen erheblich ein. Der Trend zur Verstaatlichung habe dazu geführt, daß sich die Kommunen zunehmend mit der Wahrnehmung übertragener Aufgaben beschäftigen müßten; das führe u.a. zu einer Entmachtung der kommunalen Vertretungen und zu einem erheblichen Übergewicht der Verwaltung. Fraglich se~ ob die kommunale Selbstverwaltung - außer in kleinen, von der Gebietsreform verschonten Gemeinden - heute noch eine Klammer zwischen öffentlicher Verwaltung und Staatsbürger darstelle. Zuletzt sei durch das Vordringen der Parteien eine Politisierung der kommunalen Ebene erfolgt, die Probleme des Machtmißbrauchs und der Verftlzung mit sich brächten, aber auch Fragen der Volkswahl von Bürgermeistern und Landräten aufwerfen würden.
Diese - provozierenden - Thesen fanden nicht uneingeschränkt Zustimmung. So wies Bull darauf hin, in Schleswig-Holstein überall gut geleitete Gemeinden vorzufmden. Zwar träfe er auch auf Streitigkeiten zwischen Parteifunktionären und zwischen haupt- und ehrenamtlich Tätigen. Überwiegen würde allerdings das Bild einer blühenden Selbstverwaltung mit sachverständigen hauptamtlichen Kommunalverwaltern und mit Kommunalpolitikern, die viel Zeit und Mühe für die Arbeit in den Gemeinden aufbrächten. Das äußere Erscheinungsbild der Gemeinden und die im Verhältnis zum Bund und den Ländern niedrigere Verschuldung der Kommu3 Die Thesen sind veröffentlicht in DÖV 1977, 781 ff. sowie in DVBI. 1978, 137 f. Der vollständige Vortrag ist abgedruckt in den Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, VVDStRL 36, S. 171 ff.
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nen bestätigten dieses Bild. Gegen Mißstände würden Maßnahmen ergriffen. Der "goldene Zügel" etwa werde in Schleswig-Holstein durch die Verstärkung der Schlüssel- anstelle der Zweckzuweisungen abgebaut und der Entmachtung der Gemeindevertretungen solle durch eine Stärkung der Position der Ehrenamtlichen begegnet werden. Herkenrath verwies auf seine langjährige Tätigkeit als rheinischer Bürgermeister, während der er selbst erfahren mußte, wie weit häufig Kommunalverfassungstext und -wirklichkeit auseinanderfielen. Ein Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen werde etwa - entgegen seiner kommunalverfassungsrechtlichen Stellung - von der Bevölkerung für alles, was in der Gemeinde geschehe, verantwortlich gemacht, obwohl seine Aufgabe eher die des Repräsentieren& sei. Auch daher rühre die Unzufriedenheit mit der Kommunalverfassung, die etwa in Baden-Württemberg und Bayern nicht angetroffen werde. Er stimmte der These Blümels von der schleichenden Aushöhlung der Garantie kommunaler Selbstverwaltung zu, die insbesondere bundesgesetzliche Regelungen bewirkten. Um die Stärke der Kommunen auszubauen, damit diese entgegen dem Zwang, vieles bundeseinheitlich zu regeln, vor Ort das Ihre leisten könnten, hob er die Möglichkeit eigener Einnahmequellen für eine aufgabengerechte Finanzausstattung hervor. Letztere sah er als gesichert an: im Jahr 1989 hätten etwa 2,2 Milliarden DM Überschuß den Städten und Gemeinden zur Verfügung gestanden. Er betonte weiter das zunehmende Interesse der Bevölkerung an den gemeindlichen Angelegenheiten - so schlecht könne es also um die kommunale Selbstverwaltung nicht bestellt sein-, bemängelte aber eine immer häufiger feststellbare Übermacht der Fraktionen der Gemeindevertretungen gegenüber der Verwaltung.
Wie Herkenrath vertrat auch Struck die Auffassung, im Bundesdurchschnitt von einer aufgabengerechten Finanzausstattung der Kommunen sprechen zu können. Er verwies aber - wie auch Bull - auf das Problem der Disparitäten unter den einzelnen Gemeinden. Neben Kommunen, die ihre Haushalte nicht mehr ausgleichen könnten und deshalb "am Tropf von Kreis oder Land" hingen, gebe es solche, die aus dem Vollen schöpfen könnten. Er forderte deshalb eine Gemeindefmanzreform, deren Kernpunkt nur eine Neuverteilung des Steueraufkommens in der Bundesrepublik sein könne. Weiter machte er darauf aufmerksam, daß zwar viele Kommunalpolitiker den "goldenen Zügel" beklagten, auf der anderen Seite aber - wie z.B. im Falle des Strukturhilfegesetzes - überall da die Hand aufhielten, wo Geld verteilt werde, was zur Folge habe, daß dann dem Bund die Entscheidungsbefugnis selbst in Einzelfällen zufalle. Der Klage eines zunehmenden Einflusses politischer Parteien auf Gemeindeebene wollte er sich nicht anschließen. Parteipolitisierung sei nicht - wie vielfach
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angenommen - gleichbedeutend mit Unsachlichkeit. Er halte es vielmehr für wichtig, daß es auch auf Gemeindeebene Fraktionen gebe, die sich an bestimmten politischen Grundzügen ausrichteten. Harte ideologische Auseinandersetzungen seien erfahrungsgemäß selten - eine Behauptung, der Blümel unter Hinweis auf das Beispiel Heidelberg, wo es erhebliche Meinungsunterschiede zwischen dem urgewählten Oberbürgermeister und dem Gemeinderat gebe, nicht zustimmen wollte. Das Krankheitsbild, das von der kommunalen Selbstverwaltung häuftg gezeichnet werde, ließe - so Becker-Birck - nur den Schluß zu, daß der Patient längst gestorben sei. Diese Einschätzung teile er jedoch nicht. Vielmehr böten die 90er Jahre die Chance, die Idee der kommunalen Selbstverwaltung zu internationalisieren, das heiße, auch in den Ländern, die keine kommunale Selbstverwaltung kennen, deutlich zu machen, daß eine dezentrale, durch haupt- und ehrenamtliche Tätigkeit geprägte Verwaltung vor Ort erheblich schneller, flexibler und leistungsfähiger sein könne als ein zentralistisch geprägter Staatsaufbau. Daher sei es notwendig, auf europäischer Ebene eine Einrichtung zu schaffen, um dem Gedanken der kommunalen Selbstverwaltung innerhalb der EG eine Stimme zu verleihen. Auch belege die Revitalisierung des kommunalen Gedankens in der DDR und in anderen Staaten Osteuropas, daß der Patient nicht sterbereif sei, sondern daß vielmehr die Aufbauleistung in diesen Ländern nur mit kommunaler Kraft bewältigt werden könne - allerdings nur, wenn den Kommunen die Finanzhoheit zustehe und möglichst wenig Regelungdichte auf kommunaler Ebene herrsche. Die These, eine starke und leistungsfähige Kommunalverwaltung sei für den europäischen Einigungsprozeß aus Sicht der Bundesrepublik von grosser Bedeutung, fand auch die Zustimmung von Lehmann-GIUbe. Nicht teilen wollte er hingegen die Auffassung, um die Finanzausstattung der Kommunen sei es insbesondere im Hinblick auf die Höhe der Verschuldung von Bund und Ländern gut bestellt. Dabei werde übersehen, daß sich diese beinahe schrankenlos verschulden könnten, während den Gemeinden insofern enge Grenzen gesetzt seien. So habe sich die Verschuldung der Gemeinden aus diesem Grund seit 1970 nur verdoppelt, während die der Länder bis heute um etwa das Achtfache und die des Bundes um das Vierzehnfache gestiegen sei. Das stelle aber keinen Beleg dafür dar, daß es den Gemeinden gut gehe. Vielmehr habe man sich in der Vergangenheit zu wenig mit der Ausgabenseite beschäftigt. Daher seien die Gemeinden in der Vergangenheit mit Aufgaben belastet worden - beispielhaft erwähnte er die Sozialhilfeleistungen für Langzeitarbeitslose und den Bereich Altenhilfe und Altenpflege, die auch Bu/1 als die größten Belastungen insbesondere für die kreisfreien Städte bezeichnete -, die nicht in deren originären Zu-
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ständigkeitsbereich gehörten. Das Strukturhilfegesetz mit allen Merkmalen des sog. "goldenen Zügels" sei das falsche Mittel zur Gesundung und Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung gewesen. Zuletzt plädierte er dafür, auf Länderebene die Kommunalverfassungen aufeinander abzustimmen, um - so Lehmann-GTUbe - das "babylonische Sprachgewirr" durch eine freiwillige Angleichung der Begriffe aufzulösen. Nur durch eine Vereinheitlichung könne man auch auf europäischer Ebene bestehen. Bei Fragen der Organisation der Kommunalverwaltung sei dies etwa gelungen. Zum Abschluß der ersten Gesprächsrunde nahm Bönninger zu Fragen der Schaffung einerneuen Kommunalverfassung in der DDR Stellung. Er plädierte dabei für ein behutsames Tempo, wobei man berücksichtigen müsse, daß man es mit Menschen zu tun habe, die bisher in ganz anderen Verhältnissen gelebt hätten. Den meisten Kommunalpolitikern in der DDR fehle es etwa sowohl an wirtschaftlichem als auch an rechtsstaatlichem Denken. Für eine wirtschaftliche Betätigung der Kommunen habe es aufgrund einer zentralen Planung, einer zentralen Bilanzierung der materiellen Ressourcen und einer zentralen Finanzierung aus einem Staatshaushalt bisher kaum Spielraum gegeben. Es müsse daher eine Eigenfmanzierung der Gemeinden, allerdings im "Schrittempo", eingeführt werden. So könnten die Gemeinden momentan durch die Schaffung einer Grund- bzw. Gewerbesteuer infolge fehlender Bewertungsmaßstäbe für Grundstücke bzw. wegen des fehlenden Mittelstandes nicht existieren. Für die Berechnung des Einkommenssteueranteils fehle jegliche Grundlage, da man eine solche Steuer in der DDR nicht gekannt habe. Ferner müsse man berücksichtigen, daß es bisher die großen Betriebe und Kombinate gewesen seien, die viele soziale, kulturelle und berufsbildende Aufgaben übernommen und fmanziert hätten. Diese Ausgaben müßten in einer Marktwirtschaft größtenteils auch von den kommunalen Haushalten aufgefangen werden. Ein Problem, das bisher noch zu wenig durchdacht worden sei, stelle sich durch die Schaffung neuer Länder in der DDR. Hier schlug Bönninger im Hinblick auf die Vereinigung der beiden deutschen Staaten vor, Art. 74 GG so anzuwenden, daß für die Länder zumindest während einer Übergangszeit ein Teil der Gesetzgebungskompetenz, die der Bund übernommen habe, als Landesgesetzgebungskompetenz bestehen bleibe. Dabei denke er vor allem an das Landwirtschaftsrecht, das Arbeitsrecht, einen Teil des Bodenrechts, das Ehe- und Familienrecht sowie an das Erbrecht. Nach seiner Ansicht könne man Art. 72 GG durch einen Umkehrschluß erweitern, um dadurch den Ländern in den Bereichen ein Gesetzgebungsrecht einzuräumen, in denen ein Bedürfnis nach einer differenzierten landesrechtliehen Regelung bestehe.
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Diesen Gedanken aufgreifend verwies Blümel darauf, daß bei der Saarangliederung dasselbe Problem aufgetaucht und so gelöst worden se~ daß man für längere Zeit saarländisches Recht teilweise in der Fiktion, es sei Bundesrecht, habe fortbestehen lassen. In der sich anschließenden Diskussionsrunde standen Fragen der inneren Kommunalverfassung sowie der Kommunalfmanzen im Mittelpunkt. Unterschiedliche Standpunkte zeigten sich insbesondere hinsichtlich der Forderung Lehmann-Grubes, die verschiedenen Kommunalverfassungssysteme der einzelnen Länder besser aufeinander abzustimmen. Dieser machte noch einmal deutlich, worum es ihm dabei gehe: man müsse die unterschiedlichen Systeme - und darauf liege die Betonung - angleichen und dürfe etwa nicht der Versuchung erliegen, im Bestreben nach weiterer Auffächerung die Einrichtung "Kommunale Selbstverwaltung" nicht mehr handhabbar und unübersichtlich werden zu lassen. Insbesondere für die Entwicklung in der DDR wäre es verfehlt, dort jetzt eine völlig neue Kommunalverfassung zu schaffen; sinnvoller sei es, unter Verzicht auf die bundesdeutsche Vielfalt ein Modell einer Kommunalverfassung eines Bundeslandes einzuführen. Diese Anregungen ergänzte Herkenrath um den Hinweis, den Exportartikel "Kommunale Selbstverwaltung" auch im Hinblick auf die europäische Integration nicht zu kompliziert und zu perfekt machen zu wollen. Dem setzte Bull die Erwägung entgegen, eine Vielfalt von Organisationsformen schade nicht, sie gehöre vielmehr geradezu zum Bild der kommunalen Selbstverwaltung. Die Unterschiede könne man schnell lernen. Es komme allein darauf an, die regional richtige Ausgestaltung zu fmden. Der Umstand, daß die Länder den Kommunalgesetzen ihre eigene Prägung geben könnten, gehöre zum Föderalismus, aber auch ganz wesentlich zur kommunalen Selbstverwaltung. Struck und Herkenrath äußerten sich in diesem Zusammenhang skeptisch zur sog. Zweigleisigkeil der niedersächsischen und nordrhein-westfälischen Kommunalverfassung: dem Bürger - so Struck - sei der Unterschied zwischen Bürgermeister und Stadtdirektor häufig nicht bekannt, er wende sich im Zweifel immer an den Bürgermeister. Komme dann noch ein schwacher Hauptverwaltungsbeamter hinzu, sei der Bürgermeister faktisch schon Verwaltungschef. Diese Mängel - so Herkenrath - müsse man in der DDR analysieren und die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. Festzuhalten se~ daß die Zweigleisigkeil zu viele Reibungsverluste beinhalte, was Bull nicht gelten lassen wollte, wenn man die Kompetenzen zwischen Verwaltungschef und Ratsvorsitzendem richtig zuordne. Übereinstimmend hervorgehoben wurde die Bedeutung der Finanzhoheit für die Eigenständigkeit der Städte und Gemeinden. Die Finanzverfassung müsse weiter verbessert werden. Das schlösse, so
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Herkenrath entgegen der Auffassung von Struck, Überlegungen zur Unternehmenssteuerreform nicht aus. Einig war man sich darin, das Strukturhilfegesetz angesichts der steigenden Fremdbelastungen der Kommunen mit Sozialausgaben, verursacht durch Asylbewerber, Aus- und Übersiedler, nicht über den vorgesehenen Zeitraum von 10 Jahren hinaus gelten zu lassen. Die so freigesetzten Mittel könnten eine Beteiligung des Bundes an den Sozialausgaben bewirken - dafür sprach sich Becker-Birck aus - bzw. für Aufwendungen im Zusammenhang mit der deutschen Einigung verwandt werden, was Struck vorschlug.
In der letzten Gesprächsrunde lenkte Blümel den Blick noch einmal auf die Entwicklungen in der DDR und sprach die dort bevorstehenden Kommunalwahlen an. Seiner Auffassung nach müsse erst ein Umdenkungsprozeß stattfmden, da es - soweit er informiert sei - nicht genug Bürger gebe, die zur Übernahme eines Ehrenamts bereitstünden. Ebenso existierten in Anbetracht der bisherigen Funktion der Kreise Vorbehalte gegen die Wahl der Kreisvertretungen. Weiter stellte er die Frage, ob es sinnvoll sei, plebiszitäre Elemente in die Kommunalverfassung der DDR aufzunehmen. Dabei denke er an die Gemeindeordnung Baden-Württembergs mit den Möglichkeiten des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids und an die neue Kommunalverfassung Schleswig-Holsteins, die darüber hinaus beide Elemente auch für die Kreise zulasse. Er selbst könne vor der Aufnahme plebiszitärer Elemente für die Kreise in der DDR nur warnen, weil solche Instrumente auf dieser Ebene keinen Sinn hätten. Im übrigen müsse man erst die Erfahrungen mit diesen Elementen in Baden-Württemberg berücksichtigen, bevor man sie in den anderen Teil Deutschlands exportiere. Bul~ als Innenminister Schleswig-Holsteins direkt angesprochen, wendete ein, daß es kein Patentrezept für eine richtige Kommunalverfassung gebe. Vielmehr seien gerade im Hinblick auf einen Partizipationsanspruch der Bürger unterschiedliche Einschätzungen möglich. Die mit der Einführung plebiszitärer Elemente sicherlich verbundenen Kosten seien tragbar, da zu erwarten sei, daß Entscheidungen, die unter Beteiligung der Bürger ergingen, besser akzeptiert würden und im Idealfall zur Befriedung der Interessen beitrügen. Wie die Erfahrungen in Baden-Württemberg zeigten, habe durch die Aufnahme solcher Instrumente in die Kommunalverfassung nicht die ganz große Welle der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide eingesetzt. Die Gemeinden wüßten diese nach Möglichkeit zu vermeiden, indem sie sich um die Anliegen kümmerten und selbst Lösungen dafür fänden. Auch er stehe plebiszitären Elementen auf Kreisebene kritisch gegenüber, da er dort in der Tat eine ungeeignete Basis sehe. Der schleswig-holsteinische Landtag habe sich allerdings anders entschieden, weil es nach dessen Auffassung ein Widerspruch sei, wenn man plebiszitäre Elemente
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auf kommunaler Ebene einführe, diese auf Landesebene anstrebe und die Kreise dagegen nicht berücksichtige. Nach seiner Einschätzung könne es aber auch auf Kreisebene, insbesondere in der Abfallwirtschaft, zu interessanten und lebhaften Diskussionen kommen. Gerade in der Abfallwirtschaft - so der Einwand Blümels - seien es doch aber überwiegend die Gemeinden und Kreise, die sich gegen die Errichtung von Abfallbeseitungsanlagen wendeten. In der Bundesrepublik benötige man noch mindestens zehn Sondermüllverbrennungsanlagen, für die es mehr als schwierig sei, einen Standort zu fmden, und eine weitgehende Bürgerbeteiligung auf kommunaler Eheode verschärfe dieses Problem. Dem hielt Bull entgegen, daß man in der Bürgerschaft vorhandene Spannungen und Widerstände nicht durch die Vermeidung einer Bürgerbeteiligung beseitigen könne. Durch Formen der unmittelbaren Demokratie sei jedenfalls zu hoffen, daß sich die Widerstände etwas kanalisierten und die Entscheidungen dann in einer verbindlichen Form zustande kämen. Es sei Aufgabe der Politik, die jeweilige Ebene mit ihren Bürgern auf diese Verantwortung hinzuweisen. Im Hinblick auf die aktuellen Probleme in der DDR bezeichnete Bönninger die Schaffung einer Kommunalverfassung als vordringlichste Auf-
gabe, wobei aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit einige Prinzipien unbedingt zu berücksichtigen seien. So habe die bisher übermächtige Exekutive in eine wirkliche Abhängigkeit zu den Vertretungskörperschaften zu treten, denen eine sehr starke Stellung eingeräumt werden müsse. Weiterhin sei eine Parteienpolitik im Sinne einer Politik von Sonderinteressen strikt zurückzuweisen. Nach seiner Auffassung werde dabei der Vorschlag, die süddeutsche Bürgermeisterverfassung in der DDR einzuführen, gerade von dem Gedanken der Zurückdrängung parteipolitischer Sonderinteressen geprägt. Er verwies ferner darauf, daß die Forderung nach der Festschreibung plebiszitärer Elemente in der Kommunalverfassung zu Beginn der revolutionären Bewegung sehr stark gewesen sei. Allerdings habe er den Eindruck, die mittlerweile entstandenen großen Parteien seien eher gegen die Aufnahme solcher Elemente in die zukünftige Verfassung. Ebenso sei der Gedanke des "Runden Tisches", eine möglichst breite Konsensfähigkeit aller oppositionellen Kräfte zu erreichen, in den Hintergrund getreten. Zuletzt fmde man bislang nur wenig rechtsstaatliches Verständnis bei den Kommunalpolitikern in der DDR vor. Es werde noch lange Zeit in Anspruch nehmen, juristische Bildung und Kenntnisse zu vermitteln. In diesem Zusammenhang dankte er der Hochschule Speyer sowie den Bundesländern für die angebotene Mitwirkung bei der Aus- und Fortbildung der in
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Iändern für die angebotene Mitwirkung bei der Aus- und Fortbildung der in den staatlichen Organen der DDR Beschäftigten. Dabei sei es gerade in der Übergangszeit sehr wichtig, sich auch Kenntnisse des DDR-Rechts anzueignen, um tatsächlich helfen zu können und nicht den Eindruck von Bevormundung zu erwecken, sowie ein Fingerspitzengefühl dafür zu entwikkeln, was die Menschen in der DDR auch in einem geeinten Deutschland gewahrt wissen möchten. Für wichtig erachte er, daß man zunächst etwas Geduld für den Erneuerungsprozeß, aber auch für die Wandlung der Menschen aufbringe, da viele noch dem "alten Denken" verhaftet seien.
Stnlck äußerte Verständnis für die Bitte um Geduld, er machte allerdings auch deutlich, daß es gerade die Menschen in der DDR seien, die diese nicht mehr aufbrächten. Auch Lehmann-Grube war der Meinung, den Erneuerungsprozeß in der DDR nicht bedächtig vorantreiben zu können, da dort alles stagniere, was eigentlich eine kommunale Selbstverwaltung leisten müsse. Die Chancen für Verwaltungsbeamte von Bund, Ländern und Gemeinden, bundesrepublikanischen Sachverstand beim Aufbau einer Verwaltung in der DDR jedenfalls dann mitzunutzen, wenn er abgefragt werde, seien beträchtlich - eine Auffassung, die neben Struck auch Herkenrath betonte. Dabei wies Struck darauf hin, daß jüngst ca. 20 Millionen DM für die Abordnung von Bundesbeamten in die DDR in den Nachtragshaushalt eingestellt worden seien. Große Bedenken äußerte er - und mit ihm Becker-Birck - gegenüber der Einführung plebiszitärer Elemente in die Kommunalverfassung. Nach seiner Ansicht werde dadurch kommunales Handeln irgendwann blockiert. In der DDR sehe er das Problem, daß sich solche Elemente gerade am "Runden Tisch" entwickelt hätten, der nun ohne Rechtsgrundlage handle. Insgesamt sei zu beklagen, daß die politischen Parteien alles verdrängt hätten, was die Revolution außerhalb der Parteien mitgetragen habe. Zwar sei es richtig, die Stellung der Räte und Kreistage zu stärken und die Exekutive zu schwächen. Nach seiner Ansicht widerspreche dieser Zielrichtung jedoch die Einführung des süddeutschen Modells, das in der Tat nur auf einen starken Mann, den Oberbürgermeister bzw. den Bürgermeister, hinauslaufe. Zwei Dinge - so Becker-Birck anschließend - bestimmten den Handlungsrahmen der kommunalen Selbstverwaltung in der DDR. Da sei einmal eine enorme Aufbauleistung zu erbringen, die in erster Linie Handlungsfähigkeit der Vertretungen und Verwaltungen erfordere. Er gab weiterhin zu bedenken, daß man in Zukunft in einem ganz anderen Umfeld agieren müsse. Die Herstellung der Öffentlichkeit sowie die kritische Begleitung von Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik durch eine freie Presse
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und Medienlandschaft bedeute ein ganz neues Erfahrungsfeld, dessen Umgang man erst noch zu erlernen habe. Zum Abschluß maß Lehmamt-Grube der Frage große Bedeutung be~ ob es nicht möglich se~ Ansatzpunkte für neue Elemente einer Meinungsbildung oder Partizipation, wie sie sich in der DDR entwickelt hätten, in die Verfassung zu übernehmen. Nach seiner Auffassung täte man sich leichter damit, wenn man prinzipiell zwischen Verfahren der Meinungsbildung und solchen der Entscheidungsfmdung unterscheide. Dienten bestimmte Prozesse nur der Meinungsbildung, die mit Empfehlungen abschlössen, könne man in diesem Bereich sehr viel weitergehen. So hätte man z.B. in der Bundesrepublik die Bezirksverfassungen leichter diskutieren können, wenn man sich darauf beschränkt hätte, die Bezirksräte als Forum der Meinungsbildung anzusehen. Übertrage man diesen Gedanken auf die DDR, käme man damit u.U. weiter. So sei der Leipziger "Runde Tisch" sicherlich ein sehr wichtiges Forum der Meinungsbildung, aber als Entscheidungsgremium völlig überfordert.
Schlußwort von Univ.-Professor Dr. Willi Blümel Meine sehr geehrten Damen und Herren ! Es war eine umfassende, arbeitsintensive und anstrengende Frühjahrstagung 1990. Wir haben ein großes Dauerthema, die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung, unter so vielen Aspekten diskutiert und beleuchtet, daß sich selbst eine knappe Zusammenfassung von Ergebnissen zu diesem Zeitpunkt verbietet. Allerdings läßt sich schon heute voraussagen, daß diese Veranstaltung über den Tag hinauswirken wird, vor allem dann, wenn der Tagungsband in der Schriftenreihe der Hochschule Speyer erschienen ist. Zum Gelingen dieser Tagung haben die besondere Kompetenz der Referenten, der Podiumsteilnehmer und Diskussionsleiter sowie der Sachverstand der hier versammelten über 400 Tagungsteilnehmer, von denen viele die Diskussionen bereicherten, entscheidend beigetragen. Dafür möchte ich Ihnen zugleich im Namen von Herrn Kollegen Hili sehr herzlich danken. Mein Dank gilt an dieser Stelle aber auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier im Hause, die an der Vorbereitung und Durchführung dieser Tagung beteiligt waren. Ich nenne neben Frau Diehl und Herrn Liebe/ vom Tagungssekretariat vor allem die Mitarbeiter an unseren Lehrstühlen, Herrn Ebling und Frau Walter, vom Forschungsinstitut Herrn Mich/er und Herrn Dr. Sommennann, der sich insbesondere um die Teilnehmer aus dem anderen Teil Deutschlands gekümmert hat. Gleiches gilt auch für Herrn Dr. Rückwardt von der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz. Wenn ich Sie, meine Damen und Herren, hiermit verabschiede und Ihnen ,,Auf Wiedersehen" zurufe, so tue ich dies, und das werden Sie verstehen, mit besonderem Nachdruck für unsere Gäste von drüben. Wir alle hoffen, daß Sie in Zukunft an Veranstaltungen der Hochschule in einem vereinigten Deutschland ebenso problemlos teilnehmen können, wie alle übrigen Teilnehmer. Deshalb mein Wunsch: Kommen Sie alle bald wieder.