Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen: Vorträge und Diskussionsbeiträge der 36. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer 1968 [1 ed.] 9783428422715, 9783428022717


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Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen: Vorträge und Diskussionsbeiträge der 36. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer 1968 [1 ed.]
 9783428422715, 9783428022717

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 39

Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen Vorträge und Diskussionsbeiträge der 36. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer 1968

Duncker & Humblot · Berlin

Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen

S c h r i f t e n r e i h e der H o c h s c h u l e Speyer Band 39

W o h l der Allgemeinheit und öffentliche Interessen

VortrSge und Diekueeionsbeiträge der 36. Staatewieeenschaftlichen Fortbildungetagung der Hochschule für Verwaltungewiseenschaften Speyer 1968

DUNCKER & H U M B L O T /

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1968 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1968 bei Alb. Sayffaerth, Berlin 61 Printed in Germany

Inhalt

Aus der Begrüßung durch den Rektor, Professor Dr. Carl Hermann

Vie

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Eröffnung durch den Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, Mainz, Staatssekretär Fritz Duppré

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Professor Dr. Hans Ryffel,

Speyer:

öffentliche Interessen und Gemeinwohl — Reflexionen über Inhalt und Funktion

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Professor Dr. Fritz Morstein Marx, Speyer: Gemeinwohl und politische Strategie — M i t Beispielen aus der Verwaltungsreform

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Professor Dr. Roman Schnur, Bochum: Gemeinwohl und öffentliche Interessen in den Verfassungen und den Gesetzen des sozialen Rechtsstaates

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Professor Dr. Dr. Eridi Becker, Speyer: öffentliche Interessen und öffentliches Wohl bei der gemeindlichen Neugliederung

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Professor Dr. Reinhard Schaeder, Speyer: Gemeinwohl und öffentliche Interessen im Recht der globalen Wirtschafte- und Finanzplanung

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Professor Dr. Hans Heinrich Rupp, Marburg: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen — Bedeutung der Begriffe im Verwaltungsrecht 116 Professor Dr. Carl Hermann Ule, Speyer: Allgemeines Wohl und öffentliche Interessen in der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte 125 Regierungsassessor Johannes Baumann, Speyer: Bericht über die Diskussionsbeiträge

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Aus der Begrüßung durch den Rektor Professor Dr. Carl Hermann Ule Die 36. Staatswissenschaftliche Fortbildungstagung, zu deren Beginn ich Sie hier begrüßen kann, t r i t t i n doppelter Hinsicht aus dem Kreis ihrer 35 Vorgänger heraus. Zunächst durch das Thema, das w i r uns diesmal gestellt haben. Es mag manchem von Ihnen allzu theoretisch erscheinen, und ich habe mich i n den letzten Wochen oft gefragt, welche Resonanz es w o h l i n den Kreisen der Besucher und Freunde unserer Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagungen finden werde. Einen gewissen Trost hat es m i r gegeben, daß der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Herr Professor Dr. Werner, der leider nicht zu uns kommen konnte, m i r geschrieben hat, er finde das Thema ganz ausgezeichnet. Der Umstand, daß mehr als 350 Teilnehmer unserer Einladung gefolgt sind, läßt mich hoffen, daß auch Sie, meine Damen und Herren, sich von dem Thema dieser Tagung etwas versprechen. Die zweite Besonderheit, die diese Fortbildungstagung aus dem Kreis ihrer Vorgänger heraushebt, sind die Referenten. Noch nie ist eine Fortbildungstagung i n Speyer ausschließlich von Mitgliedern des Lehrkörpers und ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeitern der Hochschule, die jetzt anderwärts ein akademisches Lehramt bekleiden, bestritten worden. Ich lasse die Frage offen, ob darin ein besonderer Vorzug oder ein besonderer Nachteil dieser Tagung zu erblicken ist. Aber die Beschränkung der Referenten auf den soeben umschriebenen Kreis bot sich schon von dem Thema her an, das w i r dieser Tagung gestellt haben. Denn dieses Thema, das eine ganze Reihe grundsätzlicher Fragen aufwirft, forderte eine interdisziplinäre Behandlung durch den Rechtsphilosophen, den Verwaltungssoziologen, den Wirtschaftswissenschaftler und durch Juristen des Verfassungs- und Verwaltungsrechts geradezu heraus. Ich hoffe, daß diese vielseitige Beschäftigung m i t unserem Thema dazu beitragen wird, die Bedeutung des Wohles der Allgemeinheit und der öffentlichen Interessen für die Theorie und die Praxis unseres Staates klarer herauszuarbeiten und diesen verhältnismäßig vagen Begriffen schärfere Konturen zu geben. I n diesem Zusammenhang möchte ich den Kollegen unserer Hochschule, die sich als Referenten zur Verfügung gestellt haben, vor allem aber den beiden auswärtigen Kollegen Schnur und Rupp, herzlich dafür danken, daß sie durch ihre Bereitschaft, ein Referat zu übernehmen, das

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Aus der Begrüßung durch den Rektor

Zustandekommen dieser Tagung ermöglicht haben. Dabei ist es m i r eine besondere Freude, diese beiden auswärtigen Kollegen hier als Referenten begrüßen zu können, da beide vor mehr als 10 Jahren ihre wissenschaftliche Laufbahn an unserer Hochschule begonnen haben. M i t dieser Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung erfüllt die Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer zum 36. M a l eine Aufgabe, die ihr schon bei ihrer Errichtung i m Jahre 1947 gestellt wurde, die Aufgabe nämlich, Beamte des höheren Dienstes akademisch fortzubilden. I n einer Zeit, i n der die deutschen Universitäten noch um die Gestaltung des Kontaktstudiums ringen, kann die Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer auf 35 Staatswissenschaftliche Fortbildungstagungen zurückblicken, die sie i n den ersten zwei Jahrzehnten ihres Bestehens durchgeführt hat. Alle auf diesen Arbeitstagungen gehaltenen Referate und Diskussionsbeiträge sind auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, seit 1960 i n der Schriftenreihe der Hochschule, von der jetzt gerade der 37. Band i m Erscheinen begriffen ist. Ich glaube, daß die Hochschule m i t Genugtuung auf diese Seite ihres Wirkens zurückblicken kann. Aber sie sollte sich mit dem bisher Erreichten nicht zufrieden geben. Die akademische Fortbildung der bereits i m Beruf stehenden höheren Beamten bedarf des weiteren Ausbaues. Die rasche Entwicklung i m Bereich der Verwaltung und des Verwaltungsrechts fordert eine ständige geistige Auseinandersetzung m i t neuen Gegebenheiten. Für sie müssen Formen gefunden werden, die über eine nur dreitägige Fortbildungstagung hinausführen. Es w i r d vornehmlich die Aufgabe aller für die Fortbildung der Beamten zuständigen Stellen sein, ein zeitgemäßes und sachgerechtes Fortbildungsprogramm zu entwickeln und die Beamten auch für längerdauernde Fortbildungstagungen freizustellen. Unsere Hochschule ist bereit, sich an dieser Aufgabe zu beteiligen und dabei die Erfahrungen ihrer bisherigen Fortbildungsarbeit einzubringen. Sie hat auch bereits Schritte eingeleitet, die ein Kontaktstudium für andere Beruf skreise ermöglichen sollen.

Eröffnung durch den Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, Mainz, Staatssekretär Fritz Duppré Den Ansatzpunkt für das sehr komplexe Thema dieser 36. Staatswissenschaftlichen Tagung gewinnen w i r vielleicht, wenn w i r unsere eigene Personalität genau ins Visier nehmen. Dann werden w i r uns nämlich wieder bewußt, daß dieser homo sapiens bei aller Differenziertheit seiner Ausstattung als Individuum zur freien Entfaltung seiner Fähigkeiten und Anlagen bestimmt, aber in die Gemeinschaft hineingeboren und gerade bei seiner Entwicklung und Betätigung, die wiederum seine Selbstbestätigung ausmachen, auf diese Gemeinschaft der Menschen lebensnotwendig angewiesen bleibt. Der Satz „anthropos physei zoon politikon", daß der Mensch eben von Natur ein Gemeinschaftswesen sei, stellt eine jener Erkenntnisse dar, die zur Grundlegung der abendländischen Auffassung von Staat und Gesellschaft gehören, freilich nach den Epochen des Zerfalls und der Destruktion immer wieder freigelegt werden müssen. M i t dieser aus der Erfahrung gewonnenen Erkenntnis hat Aristoteles das Fundament für die Organisation der menschlichen Gesellschaft geliefert und einen Grundakkord angeschlagen, der durch die Jahrhunderte hin durch Staatsmänner und Staatsphilosophen, wie beispielsweise von Cicero i n der Variation salus populi suprema lex, an das Mittelalter weitergegeben wurde, das seinerseits vielstimmig das bonum commune zu artikulieren verstand, so daß es uns i n der schon etwas ungenauen Fassung vom Gemeinnutz, der vor Eigennutz geht, noch i n den Ohren klingt. Es kann kein Zweifel bestehen, daß eine starke und durch Überzeugung immer wieder genährte Tradition uns das Modell der Ordnung innerhalb der menschlichen Gemeinschaft vererbt hat. So bestimmte beispielsweise, um nur einen Beleg beizubringen, die Verfassung für Rheinland-Pfalz mit großer Klarheit, der Staat hat die Aufgabe, die persönliche Freiheit und Selbständigkeit des Menschen zu schützen sowie das Wohlergehen des Einzelnen und der innerstaatlichen Gemeinschaften durch die Verwirklichung des Gemeinwohls zu fördern. Damit ist das Gemeinwohl zum beherrschenden Staatszweck erklärt. Was nun aber haben w i r unter diesem Gemeinwohl zu verstehen und was haben w i r i n der Staatspraxis zu verwirklichen? Ist es das größtmöglichste Glück der größtmöglichsten Zahl, wie es Bentham definiert hat, oder ist es gar das Wohl des als Institution begriffenen Staates selbst? Aus der Doppelnatur der indivi-

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Eröffnung

duellen Existenz ergeben sich ebenso die Spannungen zwischen Personalität und Kommunität, also zwischen Eigenwohl und Gemeinwohl, wie sich aus der Einheit der menschlichen Person die Lösung des Problems anbietet, die heutzutage allerdings durch den übersteigerten Pluralismus, der erfahrungsgemäß durch die hemmungslos propagierten Gruppeninteressen eher die Gesellschaft v e r w i r r t als formiert, außerordentlich erschwert wird. Wenn die menschliche Gemeinschaft nicht völlig aus der Fassung geraten soll, dann bleibt nur die Möglichkeit, die geschriebene Verfassung an den vorgegebenen Ordnungsstrukturen zu orientieren, ohne freilich die Chance der restlosen Perfektion zu haben. Auch diese Unzulänglichkeit ist dem Menschen und der Menschheit mit auf den Weg gegeben. Trotzdem bleibt der ständige Auftrag für den Staat, die Individualsphäre zu schützen, Angriffe auf den Bestand der Person und der Persönlichkeitsrechte zu verhindern, darüber hinaus aber auch solche Verhältnisse, Bedingungen und Einrichtungen zu schaffen, welche den Bürgern die Entfaltung ihrer Fähigkeiten ermöglichen. Der Anteil des in seinem Bereiche gehegten Individuums besteht i n der tätigen Anteilnahme an den Geschicken und Geschäften der Gemeinschaft, damit die Autorität des Staates in der Lage ist, diesen Verfassungsauftrag zu erfüllen. Gemeinwohl ist also, so meine ich, nicht eine bloße Addition des Wohlergehens der Einzelnen. Es ist andererseits nicht identisch mit dem Staatswohl. Gemeinwohl ist weiterhin nicht gleichzusetzen mit dem Wohle der Mehrheit, selbst dann nicht, wenn diese Gruppen die Mehrheit der Staatsbürger ausmachen. Auch i n der Demokratie, i n der grundsätzlich das Mehrheitsprinzip gilt, ist das Wohl der Mehrheit nicht gleichzusetzen m i t dem Gemeinwohl schlechthin, womit ich eine Gefahrenquelle aufzeige, ohne sie vollends aufzudecken. Das Gemeinwohl umfaßt, so meine ich, das Wohl des Einzelnen und das Wohl der Gemeinschaft. Beide zusammen ergeben das Gemeinwohl i n der Koordination und Harmonisierung der vielseitigen und vielstimmigen Interessen, und i n der Synthese der Meinungen und Auffassungen besteht auch heute noch die eigentliche Staatskunst, auch wenn ihr gelegentlich das schäbige Etikett des Kompromisses angehängt wird. Meine Damen und Herren, das vererbte Modell des Gemeinwohls, an dem die Verfassungsgeber und der Gesetzgeber sich orientieren und die Vollstrecker immer wieder Maß nehmen müssen, hat i n unserem Grundgesetz eine ganz besondere Ausprägung erfahren. Ich meine das Element der Sozialstaatlichkeit. Der häufig kritisierte Rechtswegestaat, von dem manche i n einseitiger Betrachtung nur als Krisensicherungsanlage sprechen, sieht auch neue Bauelemente vor, wenn sie nur richtig ausgenutzt werden. Der Begriff des Sozialstaates ist i n A r t . 20 Abs. 1 GG verankert und über den A r t . 28 auch für die Länder verbindlich ge-

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macht. Der ursprüngliche Streit über die rechtliche Bedeutung dieses Begriffes scheint mittlerweile ausgetragen zu sein. Nach der herrschend gewordenen Meinung handelt es sich dabei nicht um einen politischen Programmsatz noch um eine i n das Ermessen der Gesetzgebung und der Gesetzesvollziehung gestellte Staatszielbestimmung, sondern um ein echtes Verfassungsprinzip, das gleichwertig neben dem Recht als Prinzip beispielsweise steht. Man muß sich davor hüten, dieses Sozialstaatsprinzip etwa i m Sinne herkömmlicher Sozialpolitik eng auszulegen. Es muß seinem ganzen Sinne nach weit verstanden werden, so weit, daß es auch geeignet ist, beispielsweise einer überdrehten Auffassung von der freien Entfaltung der Persönlichkeit entgegenzuwirken. Vielleicht komme ich mit diesen Überlegungen an das Thema heran. Dieses Verfassungsprinzip der Sozialstaatlichkeit bindet Gesetzgebung, Vollziehung, Rechtsprechung i n gleicher Weise. Für den Gesetzgeber ist vorgeschrieben, daß er bei seinen Gesetzgebungsakten diesen Staatszweck zu erfüllen trachtet. Die Verwaltungsbehörden haben die verfassungsrechtliche Pflicht, sowohl i m Rahmen ihrer freien Gestaltungsmöglichkeiten als auch bei der Ausführung der Gesetze sich stets dieser sozialen Zielsetzung bewußt zu sein, und schließlich sind die Gerichte bei der Rechtsanwendung, wo der Gesetzeswortlaut mehrere Entscheidungen zuläßt, verpflichtet, dem sozialen Gedanken Anerkennung zu verschaffen. Wenn Sie nach alledem m i t meiner Beschreibung des Gemeinwohls einverstanden sind, dann habe ich die Hoffnung, daß Sie auch einige weitere Überlegungen, die ich noch anstellen möchte, nicht in Bausch und Bogen verwerfen. Während ich nämlich das Gemeinwohl für das mehr oder weniger vollkommen nachvollzogene Modell der Staatsorganisation und ihrer Tätigkeit ansehe, halte ich die öffentlichen Interessen für Instrumente der praktischen Operation, wobei ich keineswegs nur die Assoziation des chirurgischen Eingriffs auslösen, sondern ebenso die Aufmerksamkeit auf gestaltende und fördernde Maßnahmen lenken möchte. Es kann durchaus sein, daß die Staatszielbestimmung des Gemeinwohls m i t den Instrumenten der öffentlichen Interessen zumindest partikulär erreicht oder gefördert werden. Es kann aber auch der Fall eintreten, daß öffentliche Interessen i m regionalen Bereich oder i n der Branche, um i m Jargon der Wirtschaft zu bleiben, dem Gemeinwohl zuwiderlaufen. Die Industrieansiedlung i n Α-Dorf kann der Entwicklung i n der benachbarten Stadt abträglich sein, weil ihr die größere Funktion i m System zukommt. Ähnliche Konflikte sind i n den Beziehungen des Ballungsraumes zum agrarischen Umland angesiedelt. Und schließlich die Probleme der Neugliederung und der Verwaltungsreform möchte ich nur der Aktualität wegen andeuten und mich davor hüten, i n das sorgfältig abgewogene

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System der Themen und der einzelnen Fachvorträge einzudringen. Schließlich war m i r nur aufgegeben, das weite Feld der Probleme sichtbar zu machen und vielleicht ein wenig abzustecken. Die Positionen müssen Sie selber beziehen. Das möge heute und morgen gelingen.

öffentliche Interessen und Gemeinwohl Reflexionen über Inhalt und Funktion Von Hans Ryffei

M i t meinen Erörterungen möchte ich die Aufmerksamkeit auf einige allgemeine Aspekte des Themas lenken. Es sind dies Aspekte, die sich (wie m i r scheint) der kritischen Reflexion auf die m i t den Ausdrücken „öffentliche Interessen" und „Gemeinwohl" gemeinten Maximen erschließen. Dabei glaube ich, von der Anmaßung frei zu sein, so etwas wie einen grundsätzlichen Rahmen für weniger allgemeine, besonderen Gegenständen gewidmete Ausführungen geben zu wollen. Philosophische und einzelwissenschaftliche Bemühungen, vor allem i n den Geisteswissenschaften und i n den Disziplinen der Praxis, sind heute miteinander vielfach verbunden und nur durch unterschiedliche Akzentuierungen getrennt. So kommen etwa die Rechtswissenschaftler — trotz aller Bindung an das Maximen formulierende positive Recht — nicht darum herum, über solche Maximen zu reflektieren. Und wenn sie rechtspolitisch tätig sein sollten, können sie sich nicht darauf beschränken, i n naiver Weise Maximen zu formulieren. Meine Ausführungen könnten deshalb, als Beitrag zu einem Wechselgespräch, ebensogut am Ende als auch irgendwo zwischen den anderen Referaten stehen. I. I n einer vorläufigen Erkundung des Geländes möchte ich mit der Frage beginnen, welche Sachverhalte gemeint sind, wenn w i r von „öffentlichen Interessen" und von „Gemeinwohl" sprechen oder verwandte Ausdrücke gebrauchen. Dabei mag es sich empfehlen, an elementare Sachverhalte anzuknüpfen und von dem i n unserem Zusammenhang kaum kontroversen Begriff des „Privatinteresses" auszugehen. Diesen können w i r etwa wie folgt bestimmen. Unter „Privatinteressen" verstehen w i r i n aller Regel Bestrebungen eines Einzelnen, die diesem besonderen Einzelnen, dem Hinz oder dem

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Kunz, dienen. Zuweilen besteht die Neigung, den Begriff des „Interesses" auf wirtschaftliche oder materielle Bestrebungen zu beschränken. Doch ist es angezeigt, den Begriff weiter zu fassen und alle Bestrebungen irgendwelcher Art, auch solche geistigen, kulturellen, weltanschaulichen und religiösen Charakters, einzuschließen. Dies ist eine zugestandenermaßen recht grobe, i m vorliegenden Zusammenhang aber ausreichende Bestimmung des „Privatinteresses" 1 . Die Privatinteressen sind nun gewiß äußerst mannigfaltig, doch gibt es auch mehr oder weniger gleiche Interessen mehrerer Individuen. Ein von mehreren Individuen gehegtes Interesse kann als Gruppeninteresse bezeichnet werden. Dieses t r i t t besonders deutlich i n Erscheinung, wenn sich die Gruppe organisiert, u m das gleiche Interesse der Mitglieder zur Geltung zu bringen. Wenn w i r sagen, das Interesse der Gruppe bestehe i n Bestrebungen, die der Gruppe dienen, ist dies ungenau. Genauer muß es heißen: das Gruppeninteresse dient den Gliedern der Gruppe, denn es ist deren gleiches (wenn auch vereindeutigtes und geklärtes) Interesse. Von Gruppeninteressen sprechen w i r vor allem, wenn es sich um besondere Interessen aller Hinze, z. B. der Arbeitgeber, oder aller Kunze, z. B. der Arbeitnehmer, handelt. W i r können die Gruppeninteressen auch als kollektive Privat- oder als kollektive Partikulärinteressen bezeichnen. Nun gibt es aber — damit gehen w i r einen Schritt weiter — auch gleiche Interessen der Einzelnen, die über die mehr oder weniger ausgeprägten Gruppen hinausgreifen, die von allen Hinzen und Kunzen gehegt werden, weil sie nicht von so spezifischer A r t sind, daß sie ein Gruppeninteresse ausmachen oder daß sie gar organisiert werden. Der Kreis der Interessenträger ist, wie w i r formulieren können, eine „breitere Öffentlichkeit", die grundsätzlich offen ist und recht verschiedenen Umfang haben kann. So haben z. B. die Bewohner einer Stadtgemeinde vielleicht ein gleiches Interesse an einer Stadthalle, die Kongressen und Versammlungen Raum bietet. W i r können von „öffentlichen Interessen" sprechen, die in unserem Fall die Glieder der Gemeinde haben. Schließlich ein letzter Schritt i n der Beschreibung der Sachverhalte: Wenn w i r unterstellen, daß die Angehörigen eines bestimmten Landes 1 Zum Begriff des Interesses, der für die moderne Gesellschaft, die Gesellschaft der allseitig freigesetzten Interessen der Einzelnen und damit der Gruppen, zentral ist und deshalb nicht zufällig seit Lorenz von Stein einen wichtigen Platz in der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung einnimmt (darüber Nützliches, wenn auch lückenhaft, bei Beat Huber, Der Begriff des Interesses in den Sozialwissenschaften, 1958), vgl. neuerdings Richard F. Flathman, The Public Interest, A n Essay concerning the Normative Discourse of Politics, 1966, 14 ff. Eine Erörterung der verschiedenen in der modernen Gesellschaft wirksamen Individual- und Gruppeninteressen bei Julius Stone, Social Dimensions of Law and Justice, 1966, S. 278 ff.

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oder Staates, d. h. eines besonders prägnanten größeren Kollektivs, bestimmte gleiche Interessen haben, können w i r sagen, daß ein besonders qualifiziertes öffentliches Interesse vorliege, und dafür Ausdrücke wie „allgemeines Interesse", „Allgemeininteresse" oder „Gesamtinteresse" verwenden. So mögen etwa Bestrebungen, die auf Ruhe und Ordnung i m ganzen, auf Vollbeschäftigung, Währungsstabilität, angemessene Vorsorge i m Alter und i m Krankheitsfall und vieles andere mehr abzielen, als Gesamtinteresse erscheinen. Besondere Termini, wie „Gesamtinteresse" oder „Allgemeininteresse", für diese qualifizierten öffentlichen Interessen empfehlen sich vor allem, wenn w i r feststellen, daß verschiedene öffentliche Interessen einander widerstreiten können, ζ. B. die Interessen zweier Gemeinden. Denn es scheint, daß die notwendige Koordination und Rangfolge der widerstreitenden Interessen einem besonderen übergeordneten Interesse entsprechen, eben dem „Gesamtinteresse". Wenn es auf die angeführten Unterscheidungen i m konkreten Zusammenhang nicht ankommt, kann man freilich auch alle öffentlichen Interessen kurzweg als Gesamtinteressen bezeichnen — ein Vereinfachung, der ich mich i m folgenden ebenfalls bedienen werde. Das übergeordnete qualifizierte öffentliche Interesse w i r d vielleicht noch deutlicher bezeichnet mit dem Ausdruck „Gemeinwohl", oder auch m i t Ausdrücken wie „Allgemeinwohl", „Wohl der Allgemeinheit", oder „das allgemeine Beste", „öffentliche Wohlfahrt" oder „Gemeinsamer Nutzen" und ähnliches 2 . Der recht nützliche Terminus Gemeinwohl ist ehrwürdig und hat eine lange, heute freilich zuweilen lästige Tradition. Denn er ist mit einer bestimmten Gesellschaftsform und Gesellschaftslehre verbunden, die endgültig dahin sind. Andererseits sind der Begriff des Interesses und so auch der des Gesamtinteresses mit einer materialistischen und utilitaristischen Hypothek belastet. Von allen diesen Konnotationen soll hier Abstand genommen werden. Doch muß ich jetzt, i m Fortgang unserer Betrachtung, einem Einwand begegnen, der gewiß schon rege geworden ist. Ich habe nämlich den Sachverhalt zunächst vereinfacht, i h n so beschrieben, als ob Interessen nur Tatsachen wären, die w i r tel quel vorfinden. Das t r i f f t nicht zu und zeigte sich schon in unseren Wendungen, als vom „Gesamtinteresse" und 1 Daneben gibt es sachlich umschriebene und insofern beschränkte Vorstellungen des Gesamtinteresses bzw. Gemeinwohls als eines qualifizierten öffentlichen Interesses, ζ. B. gesamtwirtschaftliches oder volkswirtschaftliches Interesse. Über weitere Nuancen von „Gemein wohl Vorstellungen" vgl. Erich Streiss1er, Zur Anwendbarkeit von Gemeinwohlvorstelltingen in richterlichen Entscheidungen, in: Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 27, 1967, S. 3 ff. — Einen instruktiven geschichtlichen Rückblick für den deutschen Raum bei Walther Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen Staats- und Rechtsentwicklung, 1934 (SA aus Festschrift für Alfred Schultze, 1934).

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gar vom „Gemeinwohl" die Rede war. Vielleicht hegen einige gar nicht „öffentliche Interessen" oder die „Gesamtinteressen", die w i r ihnen unterstellt haben. Die Bewohner der Stadtgemeinde haben vielleicht kein Interesse an einer Stadthalle, Vollsinnige sind i n Wirklichkeit an Irrenanstalten nicht interessiert, Gesunde nicht an Krankenhäusern, Männer nicht an Säuglingsheimen und Nichtmotorisierte nicht an Autobahnen usw. Während die Interessen des Hinz an seinem höheren Lohn, an seinem Eigenheim und an der Zufahrt zu seinem Haus tatsächliche Interessen sind, sind die Gesamtinteressen nicht bloß tatsächlicher Natur. Zwar mögen sie bei einigen oder zahlreichen Einzelnen gegeben sein, nicht aber bei allen, denen sie angesonnen werden. Die öffentlichen und allgemeinen Interessen sind Bestrebungen, die an den Tag gelegt werden sollten. Sie sind insofern richtige Bestrebungen, richtige Interessen. Wenn w i r sie auf die Einzelnen beziehen, können w i r sagen, es seien Interessen, die die Einzelnen haben sollten. Doch verfolgen w i r diesen Gedanken — daß Gesamtinteressen immer noch auf den Einzelnen Bezug haben — für den Augenblick nicht weiter; w i r kommen darauf zurück. Wenden w i r uns zunächst dem normativen Aspekt zu, wonach es sich bei den Gesamtinteressen um richtige, gesollte Interessen handelt. I m Hinblick darauf müssen w i r folgenden Tatbestand ins Auge fassen: Es gibt, trotz aller Gleichläufigkeit vieler Interessen, unübersehbar zahlreiche und mannigfaltige Interessen von Einzelnen und von Gruppen, die einander nicht wenig widerstreiten. Deshalb sind Koordination, Begrenzung und Rangfolge all dieser Interessen unerläßlich. Dies erfolgt i m Sinne des Gesamtinteresses bzw. des Gemeinwohles. Ferner gibt es Bestrebungen, die vielleicht weder die Privaten noch die Gruppen tatsächlich hegen, die aber den Gesamtinteressen entsprechen und deshalb erforderlich wären. Angesichts dieser Sachlage ist es verständlich, daß man das Gesamtinteresse, namentlich i n der Formulierung „Gemeinwohl", als Maßstab auffaßt, der für die Gestaltung der Gesellschaft i m ganzen gilt. Man scheidet so das Gesamtinteresse scharf von den Privat- und den Gruppeninteressen und stellt es diesen als Leitidee und Korrektiv gegenüber. „Salus publica suprema lex esto" lesen w i r schon bei Cicero (De legibus 3, 38). I m Hinblick auf Kollisionsfälle sagt man, daß die öffentlichen Interessen den privaten und partikulären Gruppeninteressen und daß das Gesamtinteresse schlechthin, das Gemeinwohl, allen bestimmten, beschränkten, besonderen öffentlichen Interessen vorgehen. Dies gilt freilich nicht schlechthin; vielmehr müssen die Gesamtinteressen den anderen Interessen richtigerweise vorgehen; sie müssen, wie etwa formuliert wird, „überwiegen". I m Vorbeigehen sei kurz die wenig geklärte Frage gestreift, wie sich das Gesamtinteresse zur Gerechtigkeit verhält. Da die Termini nicht an

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den Sachen haften, kann man verschieden definieren. So mag man von Gerechtigkeit vor allem dort sprechen, wo es um die Frage des Verhältnisses der Einzelnen und die zutreffende Abgrenzung der Sphären geht, was die klassische Formel „Suum cuique" ausdrückt. Ferner mag bei der Vokabel „Gerechtigkeit" die normative Ordnung als solche i m Vordergrund stehen, während man m i t dem Terminus „Gesamtinteresse", insbesondere aber mit „Gemeinwohl", eher den tatsächlichen Zustand und den Inbegriff realer Güter anzielt. Dies und anderes mehr sind sachlich vertretbare Unterscheidungen, die man terminologisch fixieren mag. Von besonderem Interesse ist i n unserem Zusammenhang der Umstand, daß w i r die Termini „Gesamtinteresse" und „Gemeinwohl" und alle verwandten Wendungen m i t Ausdrücken wie „Gerechtigkeit", „Rechtsidee" und praktischer „Richtigkeit" vertauschen können. Wenn w i r sagen, eine bestimmte Maßnahme liege i m „Gesamtinteresse" oder diene dem „Gemeinwohl", können w i r denselben Sachverhalt auch zum Ausdruck bringen mit Formulierungen wie: die Maßnahme sei „gerecht", sei „richtig" oder entspreche der „Rechtsidee". A l l e diese Begriffe haben anscheinend Blankettcharakter.

II. Damit gelangen w i r zum Kern des Themas. W i r sind m i t unserer vorläufigen Erörterung an einen Punkt gelangt, wo die Problematik recht eigentlich aufbricht. Unsere Bestimmung des Gesamtinteresses ist nämlich rein formaler Natur, und es stellen sich jetzt die Fragen: Welches sind die Kriterien für das Gesamtinteresse, das als Maßstabbegriff und Konfliktsregel fungiert? Und welches sind die Kriterien dafür, daß i m Kollisionsfall das als überwiegend unterstellte Gesamtinteresse anderen privaten oder öffentlichen Interessen vorgeht? M i t diesen unausweichlichen Fragen geraten w i r offenkundig i n nicht geringe Schwierigkeiten. Doch sind jedenfalls einige negative Abgrenzungen möglich. Das Daimonion des Sokrates widerrät, es redet nicht zu. Damit ist schon einiges gewonnen. W i r können für unsere Epoche, wie ich glaube, eine große Vereinfachung vornehmen und den scheinbar unermeßlich weiten, chaotisch anmutenden Bereich möglicher Stellungnahmen drastisch einschränken. Heute können w i r nämlich (gewiß auch für das positive Recht der BRD) 3 davon ausgehen, daß allgemein nur solche Gesamtinteressen als richtig gelten, die m i t demokratischen Grundvorstellungen übereinstimmen 8

Ich denke vor allem an Art. 1,21,3,19 I I und 20 GG.

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oder doch nicht außerhalb solcher stehen. A m liebsten würde ich, i m Anschluß an K a r l Mannheim und Alfred Weber, von „fundamentaldemokratischen" Vorstellungen sprechen, wenn ich nicht gerade heute Mißverständnisse zu befürchten hätte. Darunter verstehe ich die uns allen bekannten, immer mächtiger sich durchsetzenden und i n unaufhaltsamem Fluß befindlichen Postulate, die w i r etwa wie folgt umschreiben können: A l l e n Gesellschaftsgliedern sollen gleiche konkrete (nicht nur, wie oft sogar heute noch unterstellt wird, abstrakte) Chancen menschlicher Entfaltung eingeräumt, und überdies soll für alle ein Mindestmaß effektiver Entfaltung sichergestellt werden. Dies sei kurz erläutert. Die genannten Postulate setzen eine Angleichung der Ausgangslagen für alle Glieder der Gesellschaft und eine tiefgreifende fortschreitende Umgestaltung der sozio-kulturellen Umwelt voraus. Denn nur so können allen Gesellschaftsgliedern die postulierten konkreten Chancen menschlicher Entfaltung eingeräumt und ein Mindestmaß effektiver Entfaltung sichergestellt werden. Zur Illustration sei auf die heutige Bildungspolitik verwiesen. Erst heute machen w i r schrittweise und zögernd genug mit der Notwendigkeit ernst, die bestehende angeblich gleiche, aber eben nur abstrakte Bildungschance durch konkrete Maßnahmen zu einer w i r k lich gleichen zu machen, z. B. durch Unentgeltlichkeit, dezentralisierte leicht erreichbare Einrichtungen, sozial und kulturell möglichst neutrale Gestaltung von. Prüfungen, Abbau von Vorurteilen, Aufklärung der Eltern, und vieles mehr. Der Formulierung der demokratischen Postulate sei noch eine weitere Bemerkung angefügt. Vordemokratische und nichtdemokratische Vorstellungen fallen nur dann außer Abschied und Traktanden und beeinflussen nicht insgeheim die Bestimmung der Gesamtinteressen, wenn w i r uns den demokratischen Gedanken i n vollem Umfang aneignen. Deshalb sei folgendes notiert: Die Demokratie kann nicht ein zufälliges Entwicklungsprodukt oder bloßes, wenn auch gottgewolltes Schicksal sein, wie Tocqueville annahm, der heute bei einigen i n auffälliger Weise Mode geworden ist. Vielmehr müssen tiefere Gründe vorliegen. Die Ausbildung der Demokratie i n ihrer modernen (wie ich jetzt akzentuieren möchte) fundamentaldemokratischen Form hängt denn auch i n einer hier nicht näher zu erörternden Weise m i t dem i n der Geschichte erscheinenden autonomen Wesen des Menschen zusammen, was ich hier freilich nicht näher darlegen kann 4 . Andernfalls geraten w i r i n Gefahr, die moderne demokratische Existenz, auch i n ihrer zukunftsträchtigen Kraft, nicht ernst zu nehmen, i n ihr gar Dekadenz zu sehen, der man sich i m Namen schwindender Ordnungen 4 Vgl. dazu meine Speyerer Rektoratsrede: Aspekte der Emanzipation des Menschen, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Bd. L I I I (1966), S. 1 ff.

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verborgenerweise entgegenstemmen müßte, oder einen vorübergehenden Spuk, den es mit einem blauen Auge zu überstehen gälte. Aus dieser Bereinigung i m normativen Bereich ergibt sich zugleich, daß die Gesamtinteressen nichts sind, was unabhängig von den einzelnen Gesellschaftsgliedern zu denken wäre. W i r nehmen damit die i m Zusammenhang m i t der vorläufigen Beschreibung der Sachverhalte gestellte und nicht weiter verfolgte Frage wieder auf, nunmehr aber besser gewappnet. Die Hypostasierung der Gesamtinteressen, vornehmlich unter der Vokabel „Gemeinwohl", geistert nicht selten herum und kann i n Verbindung m i t vermeintlich einsehbarer absoluter Richtigkeit Verwirrung stiften. Es sind die vordemokratischen und nichtdemokratischen, an vorgegebener Ordnung und an einem geschlossenen hierarchischen Stufenbau der Gesellschaft orientierten Konzeptionen des Gesamtinteresses, die von den Gesellschaftsgliedern abgelöst werden und als sozusagen eigenständige Wesenheiten erscheinen. Dies gilt ζ. B. für Thomas von Aquin 5 , aber auch noch — trotz allen Bemühens, der modernen Situation gerecht zu werden — für den Neuthomisten Johannes Messner®. Messner kommt andererseits (das möchte ich nicht unterschlagen) das Verdienst zu, daß er sich in neuester Zeit fast als einziger i m deutschen Sprachbereich m i t unserem Thema befaßt hat. Freilich, seine Stärke liegt eher darin, Maximen zu formulieren, statt darüber zu reflektieren. Nun, ich w i l l nicht polemisieren, sondern unser Problem auf den heute zulässigen kleinstmöglichen Nenner zu bringen versuchen. Dies bedingt den A b w u r f von Ballast, wozu i n unserer Situation vordemokratische Konzeptionen des Gesamtinteresses gehören.

5 Zum Thomasischen, auf der Lehre des Aristoteles vom Ganzen und Teil (insbesondere Pol. 1253 a) beruhenden Begriff des bonum commune vgl. Summa theol. I I - I I 58, insbesondere 5, 6 (die Einzelnen verhalten sich zur Gemeinschaft wie die Teile zum Ganzen) und 7 (das bonum commune ist vom bonum singulare unius personae der Art nach, specie, verschieden, wie das Ganze vom Teil; jeder Teil ist, was er ist, durch das Ganze); ferner 64, 2. Über die Thomasische „in gewissem Sinne An-sich-Setzung des Gemeinwohls" und die Ablösung der Gemeinwohlgerechtigkeit durch die „soziale Gerechtigkeit" bei Pius X I . ist Fridolin Utz, Deutsche Thomasausgabe, Summa theol. Bd. 18, 1953, S. 564 ff., zu vergleichen. β Das Naturrecht, 4. Aufl. 1960 (dazu meine Besprechung in Studia Philosophica, Vol. X X I V , 1964, S. 272 ff.), S. 157 ff., insbes. 162 (das Gemeinwohl ist „eine neue Wirklichkeit", es besitzt ein „überindividuelles und überdauerndes eigenes Sein"; „das Gemeinwohl ist ontologisch und metaphysisch eine den Gesellschaftsgliedern die menschliche Vollexistenz ermöglichende Eigenwirklichkeit des gesellschaftlichen Ganzen als solchen") sowie 160 f., 163 f., 185 f. (Stellungnahme gegen „Liberalismus" und „Kollektivismus", die m. E. für eine richtig verstandene Demokratie im Grunde gar keine Gegensätze sind) und 189 f. (der moderne „Pluralismus" wird, systemgerecht, in eine „Subsidiaritätsordnung" umgedeutet). — A n Messner knüpft Wilfried Weustenfeld, Die Bedeutung des „Gemeinwohls" im Rechts- und Staatsdenken der Gegenwart, 1962, an.



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Verweilen w i r hier einen Augenblick und erörtern w i r die Abhängigkeit des Gesamtinteresses von den Einzelnen etwas genauer. Vorweg sei festgestellt, daß von einem wahrhaft demokratischen Standpunkt aus der Staat, wie m i r scheint, nichts anderes als eine Einrichtung sein kann, die den Einzelnen, freilich allen Einzelnen, dient, ihnen (schlicht gesagt) ermöglicht, sich als Menschen i n der Welt einzurichten und zu entfalten. Ein Primat der Gesellschaft oder des Staates, der ja stets als ein konkretes Gebilde i n Erscheinung tritt, scheint mir mit demokratischen Vorstellungen schlechterdings unvereinbar zu sein. Dies w i r d heute nicht überall anerkannt und ist, wie ich glaube, ein Grund für die Verfälschung der Frage nach dem Gesamtinteresse 7 . Da alle Interessen, auch Gesamtinteressen, von Menschen aus Fleisch und B l u t gehegt oder diesen angesonnen werden, sind es i n vordemokratischen und nichtdemokratischen Gesellschaften die zu höherem Wissen Berufenen, die Abkömmlinge bestimmter Familien, die Monopolisten von Besitz und Bildung oder einfach die Mächtigen, die die Gesamtinteressen formulieren und hegen, unter Ausschluß aller anderen. I m Falle der demokratischen Konzeption des Gesamtinteresses handelt es sich u m ein Interesse, das nicht nur einige, sondern das alle haben sollten. Es ist ein Interesse, das alle richtigerweise den anderen Interessen jeweils vorziehen bzw. vorziehen sollten. Die Gesamtinteressen, demokratisch verstanden, sind die vorrangigen Interessen, die jeder Mensch i m Hinblick auf die konkrete Entfaltung jedes Menschen hegen sollte. Die demokratisch verstandenen Interessen sind aber nicht nur solche, die alle haben sollen. Sie können auch von allen, selbst i m Falle des Konflikts m i t Privat- und Gruppeninteressen, innerlich angeeignet werden. Dagegen können Gesamtinteressen vordemokratischer und nichtdemokratischer Observanz nur von den Angehörigen bestimmter Grup7 Alle sog. „instrumentalen" Staatsauffassungen — die nach meinem Dafürhalten die allein humanen Konzeptionen für das Selbstverständnis des modernen Menschen sind — werden mit aller Schärfe neuestens von Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, bekämpft; vgl. insbes. S. 190 ff. („das Verbundensein als solches" sei Zweck des Staates, S. 192; der Staat sei „in sich selbst Zweck", S. 196). Krüger setzt Staatlichkeit überhaupt (d. h. die anthropologische Notwendigkeit einer wirklich-maßgeblichen Konturierung des menschlichen Daseins, wie ich formulieren möchte) stillschweigend mit dem konkreten Staatsgebilde in eins, was zur ungeheuerlichen Konsequenz führt, daß der Staat als konkretes Gebilde über „General- und Blankovollmacht" (S. 827 ff.) verfügt und den Bürger zu unbedingtem „Untertanengehorsam" verpflichtet (S. 940 ff.). Für den Gemeinwohlbegriff („einzige Richtschnur für die Stellung und Durchführung staatlicher Aufgaben", S. 763), die bei Krüger trotz der Abweisung von absoluter Richtigkeit (S. 236 ff., 282) eine auffallende Eindeutigkeit besitzt (z. B. S. 766), hat dies die Folge, daß der Staat je nach der Lage im Dienst des Gemeinwohls „jeden Zweck" setzen kann (S. 760).

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pierungen der Gesellschaft, den so oder anders Bevorrechteten, innerlich angeeignet werden. Wenn w i r genau hinsehen, besteht zwischen den so verstandenen Gesamtinteressen und den tatsächlichen Privat- und Gruppeninteressen gewiß keine Harmonie — i m Gegenteil —, doch besteht ein struktureller Zusammenhang. Dieser gibt unserer These, daß die Gesamtinteressen letztlich auf die Einzelnen und ihre Interessen zurückzuführen sind, den realen Boden. Dieser strukturelle Zusammenhang besteht aber i n folgendem: Alle tatsächlichen Interessen der Einzelnen und der Gruppen werden von diesen immer auch beurteilt und insofern modifiziert, namentlich auf andere Interessen abgestimmt, aus dem Zustand bloßer Augenblicklichkeit auf eine allgemeinere Ebene gehoben, d. h. objektiviert und generalisiert. öffentliche Interessen und das Gesamtinteresse sind letzte Schritte i m Prozeß solcher Objektivierung und Generalisierung von I n teressen. Die Interessen, etwa an der Wahrung von Ruhe und Ordnung i m ganzen, an Krankenhäusern, Schulen und Ausbildungsstätten, an Sozialversicherungen, Landesplanungen, Vorkehren zur Sicherung des natürlichen Lebensraumes, an einem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum sowie vieles mehr, und zwar all dies auch für künftige Generationen, sind objektivierte und generalisierte Interessen eines jeden. Daß einige diese Interessen tatsächlich nicht haben, ändert am grundsätzlichen Sachverhalt nichts 8 . M i t dieser Rückführung der Gesamtinteressen auf die Einzelnen hängt ein Weiteres zusammen. Der Umkreis, i n dem allgemeine Interessen, an bestimmtem Ort und zu gegebener Zeit, zur Geltung gebracht werden sollen, kann — solange dieser Umkreis nicht die Menschheit als ganzes umfaßt — nie endgültig sein, sondern nur nach Maßgabe der jeweiligen konkreten und als relevant geltenden Lage bestimmt werden. I n der Epoche des Nationalstaates mochte die eigene Nation als maßgebliche Lage eine scheinbar feste Grenze abgeben. Heute, angesichts der beginnenden Verflechtung der Regionen, der Annäherung der Kontinente und der sich abzeichnenden Konturen einer einheitlichen, obwohl wie K a i n und Abel sich brüderlich 8 Richtig gesehen ist deshalb die — aufgrund einer nicht bis in die Neuzeit weiter verfolgten „abendländischen Tradition" — allzu geringschätzig behandelte Auffassung von Jeremy Bentham , die in kühner und naiver Vereinfachung das Fazit aus der neuzeitlichen Entwicklung zieht, durchaus nicht abwegig: „The interest of the community then is what? — the sum of the interests of the several members who compose it." (An Introduction of the Principles of Morals and Legislation, 1789, Ausgabe in Hafner Library of Classics, 1948, S. 3.) Die moderne Demokratie beruht in der Tat, wie oft klagend festgestellt wird, in wesentlichen Stücken auf Benthams Auffassung. Doch wird Benthams These vertieft und angereichert, wenn wir die zeitbedingten naturwissenschaftlichen Voraussetzungen fallen lassen.

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streitenden Menschheit, läßt sich eine solche Begrenzung nicht mehr aufrechterhalten. Die demokratischen Postulate gelten für die ganze Menschheit, und Wissenschaft, Technik und Industrie ermöglichen ihre Verwirklichung. So gesehen gibt es gewiß für die Bundesrepublik Deutschland kein wahrhaftes Gesamtinteresse, kein Gemeinwohl, ohne Bedachtnahme auf die Europäischen Gemeinschaften, keines ohne Einbezug der DDR, keines ohne Abstimmung m i t den politischen Freunden und den Nachbarn und selbst keines ohne die Bedachtnahme auf die Entwicklungsländer, d. h. ohne einen sich darin abzeichnenden Einbezug der Menschheit i m ganzen. Das Gesamtinteresse reicht heute weiter als der Blick von der Kirchturmspitze. A u f die angedeuteten Tatbestände hat übrigens schon Georg Jellinek hingewiesen und festgestellt, daß „das Gesamtinteresse" sich über die Grenzen des Staates erstreckt und „staatlich individualisiert zur Erscheinung gelangt" 9 . III. Unser bisheriges Ergebnis könnten w i r i n den folgenden Testfragen zusammenfassen: Kann das, was als Gesamtinteresse i n Anspruch genommen wird, objektiviertes und generalisiertes Interesse eines demokratisch urteilenden Individuums sein? Ferner: Ist es von diesem Standpunkt aus richtig, daß i m Kollisionsfall das Gesamtinteresse vorgeht? Das bedeutet aber durchaus nicht, daß damit ein Weg zur inhaltlichen Bestimmung unserer Begriffe eröffnet sei. Zwar ist die Vielfalt möglicher Positionen eingeschränkt. Und auch i m Rahmen der allein maßgeblichen demokratischen Grundvorstellungen, mittels derer w i r die Inhalte der • Vgl. Allgemeine Staatslehre, 4. Aufl. 1922, S. 99. — Die „Staatsräson" (zuweilen „Staatswohl") fällt mit dem Gesamtinteresse nicht zusammen. Man könnte es als ein „Gesamtinteresse" bestimmen, dessen staatliche Individualisierung unbedingt zur Geltung gebracht wird bzw. gebracht werden soll, unter Hintansetzung anderer möglicher Gesamtinteressen, z. B. auch solcher, die über die Staatsgrenzen hinausreichen. Unterschieden von so verstandener Staatsräson ist ein engerer Begriff von „Staatsräson", das dynastische oder das politische Machtinteresse der obersten Staatsorgane, das mit den Interessen der „herrschenden", „tonangebenden" oder auch sog. „staatstragenden" Schicht parallel laufen mag und das mit dem Gesamtinteresse erst recht nicht zusammenfällt (so wie das besondere Eigeninteresse derer, die das Gruppeninteresse verwalten, das egoistische Interesse der Verbandsfunktionäre, mit dem Gruppeninteresse als dem gleichen richtigen Interesse der Gruppenglieder auch nicht zusammenfällt). Die Verengung des Gesamtinteresses zur Staatsräson erfolgt mit dem Aufkommen des modernen Staates, wird aber heute wieder rückgängig gemacht, in dem Maße als der souveräne Staat abgebaut wird und sich überstaatliche, ja angesichts des drohenden Atomkrieges, der zu befürchtenden weltweiten Hungersnöte und der Spannungen zwischen den „reichen" und „armen" Völkern menschheitliche Interessen ausbilden.

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Gesamtinteressen zu bestimmen haben, widerrät das Daimonion vielem, was zu weiterer Einschränkung führt. Aber die demokratischen Vorstellungen bleiben weitgehend Blankette. Dies w i r d oft übersehen. Man glaubt ζ. B., die „Menschenwürde", der sich das Grundgesetz ausdrücklich verschrieben hat, sei etwas Feststehendes, das inhaltlich ausgeschöpft werden könne. Man gibt sich namentlich nicht davon Rechenschaft, daß die demokratischen Grundpostulate i n andauerndem Fluß sind. Es gibt nämlich keine absehbaren, heute ein für allemal fixierbaren eindeutigen Grenzen für die Konkretisierung der Chancen der Entfaltung und für das Mindestmaß von Entfaltung jedes Einzelnen. Gleichwohl w i r d nicht selten immer noch die Auffassung vertreten, das öffentliche Interesse könne „irrtumsfrei" erkannt werden 1 0 , womit doch wohl dessen Eindeutigkeit vorausgesetzt wird. Dies ist nicht unbedenklich. Denn wenn man an ein eindeutiges Gesamtinteresse glaubt, ergibt sich die gefährliche Tendenz, jeweilige konkrete und relative Antworten zu verabsolutieren, und dies obendrein m i t einem subjektiv guten Gewissen, das sich i m Besitz objektiver Wissenschaftlichkeit wähnt. Daß es — auch i n der demokratischen Epoche, i n deren Anbruch w i r stehen — kein eindeutiges Gesamtinteresse gibt, wie es ganz allgemein keine absoluten inhaltlich erfüllten Werte und Normen, etwa als „Naturrecht", geben kann, könnte grundsätzlich und stringent dargetan werden. Ich möchte hier von weiter ausholenden abstrakten Gedankengängen absehen und mich darauf beschränken, meine These m i t einigen konkreten Überlegungen zu beleuchten. Es sei vorausgeschickt, daß i n einem gewissen Ausmaß Objektivierungen natürlich möglich sind, und man kann nur bedauern, daß davon noch viel zu wenig Gebrauch gemacht w i r d und die verfügbaren Methoden empirischer Forschung nur unvollkommen genutzt werden. Zwei Worte zu den Möglichkeiten der Objektivierung: Die zu bestimmenden Gesamtinteressen stehen i n einem weiteren Zusammenhang zahlreicher und vielfältiger Interessen. Die meisten Interessen sind aber ungeklärt oder gar verworren, weshalb Klärungen nötig sind. Des weiteren kann man die Konsequenzen von Gesamtinteressen abklären. Dabei ergibt sich, welche anderen privaten oder auch allgemeinen Interessen beeinträchtigt werden. Auch die Konsequenzen dieser Interessen sind der Abklärung zugänglich. Schließlich kann dies zu einer Berichtigung der Gesamtinteressen führen 1 1 . 10

So ζ. B. Hans Julius Wolff , Verwaltungsrecht, Bd. I, 5. Aufl. 1965, S. 135. Werte werden in ihrer Verwirklichung „erprobt" und gegebenenfalls umformuliert. Sie sind insofern theoretischen Hypothesen durchaus vergleichbar. Deshalb ist, bei aller Anerkennung des genuin Normativen, auch im axiologischen Bereich eine „experimentelle" Haltung zu fordern, was vor allem für die Rechtspolitik von Bedeutung ist. 11

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Der Gesamtbestand der relevanten, oft nicht offen zu Tage liegenden Interessen, der Konsequenzen dieser Interessen und der komplexen Situation, i n die die Interessen m i t ihren Folgen eingebettet sind, bilden ein kaum übersehbares Feld von interdependenten Zusammenhängen. Hier sind, wie ersichtlich, i n der Tat i n weitem Ausmaß Objektivierungen möglich. Doch entzieht sich die Komplexität der Sache nur allzu oft einer ausreichenden Abklärung 1 2 . Gewiß gibt es einfache Fälle, i n denen sich wenige leicht analysierbare Interessen gegenüberstehen und weitere aktuelle und potentielle Interessen außer acht bleiben können. Dies ist aber nur scheinbar der Regelfall. Ist der Interessenbestand m i t seinem Kontext herauspräpariert, w i r d die weitere Objektivierung immer schwieriger. Jetzt müssen Interessen, unter Einbezug der Konsequenzen und aller Umstände „abgewogen" werden, d. h. man muß wählen und entscheiden. Man könnte es für richtig halten, dabei auf die vorhandenen mehrheitlichen Wertungen, Stellungnahmen abzustellen 13 . Doch ist dies nur beschränkt durchführbar, weil die tatsächlichen Stellungnahmen zum Teil unklar, unvollständig oder bloß latent sind und weil (wie namentlich die Wohlfahrtsökonomie gezeigt hat) i m Falle einer größeren Zahl von disparaten Wertpositionen keine widerspruchsfreie Gesamtwertung ermittelt werden kann 1 4 . Andererseits ist es grundsätzlich fragwürdig, auf die kruden, aufklärungsbedürftigen und der Aufklärung i n aller Regel auch zugänglichen tatsächlichen Stellungnahmen abstellen zu wollen. Bei dieser Sachlage sind jeweils Maßstäbe anzulegen, wie sie sich aus dem Modell einer demokratischen Gesellschaft ergeben. Als revidierbare und revisionsfähige Vorschläge stehen diese Maßstäbe der Diskussion offen und sind auch stets m i t den tatsächlichen Stellungnahmen zu konfrontieren. Daß auf solchem Wege keine Eindeutigkeit zu erzielen ist, liegt auf der Hand. Rangfolgen zwischen Interessen (z. B. sog. geistigen und materiellen) helfen i n der Regel nicht viel weiter, abgesehen von der Fragwürdigkeit einer fein säuberlichen Scheidung der Interessenarten. Zunächst bleibt vieles gleichwohl noch offen: denn was kann nicht alles als „geistiges" 18 Über die Problematik vollständiger sachgemäßer Abklärungen im Bereich der Wirtschaftspolitik vgl. Streissler, a.a.O. (Anm. 2), S. 27 Anm. 31. 18 Dies fordert Streissler (Anm. 2) für den Richter, dagegen nicht für die Legislative und auffallenderweise auch nicht für die Exekutive; a.a.O., insbes. S. 7 ff. 14 Vgl. Kenneth J. Arrow, Social Choice and Individual Values, 1. Aufl. 1951, 2. Aufl. 1963, und Streissler, a.a.O. (Anm. 2), insbes. S. 15 ff., der „durch eine Umformung der Arrowschen Wohlfahrts-Funktion" weiterführende Methoden zur Ermittlung der tatsächlichen Gemeinwohlvorstellungen vorschlägt, aber ebenfalls auf Grenzen stößt.

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Interesse i n Anspruch genommen werden? Ferner hängt es vor allem von der konkreten Lage ab, ob ζ. B. sog. materielle Interessen, als die „fundamentaleren", vorzuziehen seien. Und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit schließlich, Schibboleth der Rechtsprechung, verhilft auch nicht zu Eindeutigkeit, auch wenn es bestimmte Lösungen ausschließt. Endlich ist nicht zu übersehen, daß Interessenkonflikte, die nur mehr oder weniger vertretbare und praktikable Kompromisse und Auswege zulassen, prinzipiell nicht auszuschließen sind. Es gibt keine harmonische Abstimmung der Interessen, wie es das Bundesverfassungsgericht i n einem Fall unterstellte, indem es annahm, daß ein wirtschaftslenkendes Gesetz zugleich i m Interesse einer Wirtschaftsgruppe liegen und durch das öffentliche Wohl geboten sowie obendrein noch der willkürlichen Verletzung schutzwürdiger Interessen anderer aus dem Wege gehen könne 1 5 . Allenthalben macht sich der heutige sog. Pluralismus bemerkbar, m i t dem, selbst unter Verwendung des Terminus, auch diejenigen ernst machen müssen, die hier ein „wichtigtuerisches Wort" zu hören glauben 16 . Der heutige Pluralismus, der sich primär als ein solcher der Stellungnahmen, der Wertungen darstellt, ist eine Folge der demokratischen Grundvorstellungen. Er ergibt sich aus der Autonomie konkreter Wesen, d. h. von Individualitäten i n je verschiedenen Lagen. Einiges mag auf das Konto des Mangels an Einsicht gehen. Die Dummen kann man aber noch weniger totschlagen als die Schlechten. IV. Wie ausweglos die Situation i m Hinblick auf die gesuchten eindeutigen objektiven Kriterien erscheint, zeigen m i t aller Deutlichkeit amerikanische Bemühungen von Juristen, Politologen und Philosophen i n der letzten Zeit. A u f einer Tagung der American Political Association und der Society for Political and Legal Philosophy i m Jahre 1960, die über das Thema „The public interest" debattierte, klafften die Meinungen weit auseinander 17 . Und ein Forschungsprojekt amerikanischer Philosophen 18 führte über eine Zusammenstellung der divergierenden Standpunkte und deren möglichst präzise Definition kaum hinaus. 15 BVerfG E 4, 7 (30. 3.1953); kritisch dazu auch Streissler, a.a.O. (Anm. 2), S. 1 f. („utopisches Harmoniedenken") und S. 26 Anm. 31 („gefährliche soziale Harmonievorstellung"; das BVerfG schließt unsinnigerweise jeden Schutzzoll aus). 16 Dolf Sternberger, Das allgemeine Beste, in: ,Ich wünschte ein Bürger zu sein', Neun Versuche über den Staat, 1967, S. 179. 17 Carl J. Friedrich (Ed.), The Public Interest, Nomos Bd. V, 1962. 18 Wayne A. R. Leys and Charner M. Perry , Philosophy and the Public Interest, 1959.

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Auch die Judikatur hat bis jetzt, soviel ich zu sehen vermag, keine eindeutigen Kriterien zu Tage gefördert (wozu sie Anlaß gehabt hätte, etwa bei der Überprüfung gesetzlicher Begriffe wie „öffentliches Interesse" und „Gemeinwohl" und der Gesetzesvorbehalte der Grundrechtsartikel) 1 9 . Dies ist u m so verwunderlicher, als nach herrschender Lehre die Begriffe „öffentliches Interesse" und „Gesamtinteresse" bzw. „Gemeinwohl" nicht etwa Ermessensbegriffe i m üblichen Sinne, sondern sog. unbestimmte Rechtsbegriffe, wenn auch mit sog. „Beurteilungsspielraum", und deshalb weitgehend justiziabel sein sollen. Offenbar w i r d vorausgesetzt, daß es i n diesem Bereich i n weitem Ausmaß Eindeutigkeit gebe 20 . Nebenbei bemerkt: Man kann sich fragen, ob hier nicht ein versteckt dogmatischer Begriff des Gesamtinteresses zu einer fragwürdigen Einschränkung der gesetzgeberischen Freiheit durch die Rechtsprechung oder besser: durch ein modernes Ephorat führen kann 2 1 . Aus den angestellten Überlegungen folgt, daß die Gesamtinteressen keine vorgegebenen oder objektiv zu konstruierenden Gehalte darstellen, auf die w i r hinblicken und die w i r i n vollem Umfang zu „erkennen" vermöchten. Was bedeutet das aber? Sind Begriffe wie „öffentliche Interessen" und „Gesamtinteressen" bzw. „Gemeinwohl" nutzlos, die w i r höchstenfalls als fragwürdige Praktik und bloße Expektoration der politischen W i r k lichkeit, d. h. als Tatsachen hinzunehmen hätten, für die theoretische Reflexion aber verabschieden müßten? Dieser Auffassung ist ein amerikanischer Politikwissenschaftler, Glendon Schubert, der den Begriff „public interest" bei verschiedenen juristischen, politikwissenschaftlichen und sozialphilosophischen Autoren Amerikas i n den letzten Jahrzehnten kritisch analysiert hat 2 2 . 19 Für die Zusammenstellung der neueren Rechtsprechung in der BRD im Hinblick auf mein Thema bin ich meinem Assistenten, Assessor Peter-Bernd Lüdtke, zu Dank verpflichtet. — Auch die Praxis des Schweiz. Bundesgerichts hat, soviel ich zu erkennen vermag, keine ausreichenden Kriterien des Gesamtinteresses entwickelt. Vgl. in diesem Zusammenhang die kritischen Bemerkungen von Hans Huber, Das Gemeinwohl als Voraussetzung der Enteignung, in: Zeitschrift für Schweiz. Redit, NF, Bd. 84 (1965), 39 ff., insbes. 59 f. 20 Zum „unbestimmten Rechtsbegriff" m. E. neuerdings vor allem klärend (und erfrischend zugleich): Hans Heinrich Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 177 ff. 11 So auch Streissler, a.a.O. (Anm. 2), S. 33 Anm. 62. " Glendon Schubert, The Public Interest (A Critique of the Theory of a Political Concept), 1960. Die Darstellung ist ausschließlich an amerikanischen Verhältnissen orientiert. I m übrigen werden die eigentlichen Grundfragen nicht systematisch erörtert, der Autor beschränkt sich auf eine Diskussion der in der Literatur vorgetragenen Meinungen. Die dabei zugrunde gelegte Einteilung in drei Theorien (rationalistische, idealistische und realistische) ist systematisch keineswegs erschöpfend; jedenfalls läßt sich die von mir skizzierte Betrachtungsweise nicht i m Schubertschen Rahmen unterbringen.

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Ich glaube aber, daß die negative Konklusion von Schubert dem skizzierten Tatbestand nicht gerecht wird. W i r müssen die Begriffe des öffentlichen Interesses und des Gesamtinteresses bzw. des Gemeinwohls nicht nur der Praxis belassen — was Schubert immerhin gnädigst konzediert. Vielmehr sind die Begriffe gerade i n der Theorie unerläßlich, und zwar nicht nur insoweit, als die Theorie die Praxis beschreibt und erklärt, sondern auch und vor allem insoweit, als sie der Praxis bei der Lösung ihrer Aufgabe behilflich sein möchte. Dies w i r d deutlich, wenn w i r auf einen Einwand eingehen, der sich, namentlich vom Boden der Praxis aus, gegen meine Ausführungen geregt haben dürfte. Es könnte gefragt werden, ob nicht Belieben und W i l l k ü r Tür und Tor geöffnet seien und ob w i r uns nicht bodenlosem Relativismus anheimgeben. Zweifellos ist einzuräumen, daß die Koordination der Vielfalt der Interessen und die Behebung der möglichen Konflikte einen Maßstab voraussetzt. Und i n der Tat ist dies die Funktion von Begriffen wie „öffentliches Interesse", „Gesamtinteresse" und „Gemeinwohl". Ferner zeigt nun aber die nähere Prüfung, worauf ich besonderes Gewicht legen möchte, daß i n einer sich wandelnden Gesellschaft ein ein für allemal fixierter Maßstab die beschriebene Funktion nicht erfüllen könnte. Unsere Begriffe können ihre Funktion in unserer Lage gerade deshalb erfüllen, w e i l sie i n gewissem Maße unbestimmt sind und grundsätzlich unbestimmt bleiben, weil sie Residualcharakter haben. Der Residualcharakter dieser Begriffe ermöglicht, dank der Unbestimmtheit, immer neue Versuche der Problemlösung. Er verunmöglicht endgültige Entscheidungen, macht aber alle künftigen, am Ideal objektiver Eindeutigkeit notwendig scheiternden Versuche sinnvoll. Das Gesamtinteresse als das nie voll auszuschöpfende Receptaculum oberster Maßstäbe stellt das mögliche Gemeinsame für die Glieder einer bestimmten Gesellschaft und heute gar grundsätzlich für alle Menschen auf, das immer neue Verwirklichungsversuche legitimiert 2 8 . Der relativistische Anschein entsteht nur, wenn ein naives unreflektiertes Denken Maximen drauflos formuliert. V. Bei solcher Sachlage bekommt offenkundig das Verfahren zur Bestimmung und autoritativen Festsetzung der Gesamtinteressen ganz besonderes Gewicht. (Vielleicht könnten w i r sagen, alles komme i n diesem Sinne auf „politische Strategie" an, die freilich von peinlichem Erdenrest auch nicht frei ist.) Die i n ihrem objektiven Gehalt so fragwürdigen, vagen, un28

Von einem „receptacle for accumulating standards" spricht J. Roland Pennock , in Nomos V (Anm. 17), S. 182.

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klaren Gesamtinteressen, die zu Mißbrauch und Irreführung prädestiniert zu sein scheinen und dazu gar verleiten mögen, müssen i n einer Weise jeweils festgemacht werden, die Unklarheit und Fragwürdigkeit möglichst einschränken und Mißbrauch sowie Irreführung ausschließen. Je kontroverser die Gesamtinteressen, um so wichtiger das Verfahren der Festlegung, und — so können w i r für unsere demokratische Situation beifügen — um so wichtiger ein wahrhaft demokratischer Charakter eines solchen Verfahrens. Wäre das Ergebnis unserer Betrachtungen die schlichte Sinnlosigkeit der Gemeinwohlbegriffs, so käme es, coûte que coûte, auf Koordination und Entscheidung, auf eine möglichst effektive Lösung der Aufgabe an, die über das Interesse des Einzelnen, die Gesamtinteressen selber zu formulieren und zur Geltung zu bringen, brutal hinwegschritte. Ich sage: das Interesse des Einzelnen, die Gesamtinteressen selbst zu formulieren und zur Geltung zu bringen. Die Gesamtinteressen sind aber die objektivierten und generalisierten Interessen des Einzelnen selbst. Das ist das Stichwort für die Verfahren, wenn w i r i n dem uns vertrauten Umkreis demokratischer Vorstellungen verbleiben wollen. Das Interesse aller, d. h. das generalisierte richtige Interesse eines jeden, sollte i n einem gut geregelten, fairen und praktikablen Verfahren zur Geltung kommen. Und zwar selbst dann, wenn Zeitdruck und Informationsmangel für undemokratische Methoden zu optieren scheinen. Der Generaltitel für das Verfahrèn sind die Einrichtungen und Mechanismen der modernen rechtsstaatlichen Demokratie. Das bedeutet, daß es sich i n gar keinem Fall um die einseitige Festsetzung der Gesamtinteressen durch demokratisch-rechtsstaatlich nicht legitimierte Instanzen handeln kann. Betrachten w i r diese Verfahren zunächst getrennt i n bezug auf die objektivierbaren und sodann die nicht objektivierbaren Momente des Gesamtinteresses. Hinsichtlich der objektivierbaren Momente in den Gesamtinteressen scheint sich auf den ersten Blick eine erhebliche Problemvereinfachung anzubieten. Da jedermann, auch und gerade i n der Demokratie, das einwandfrei wissenschaftlich Feststellbare anerkennen muß und — unter der Voraussetzung ausreichender Aufgeklärtheit, wie sie i n der Demokratie gefordert ist — auch anerkennen wird, könnte man die objektivierbaren Momente den wissenschaftlichen Sachverständigen überantworten. Das ist an sich richtig und kann i n einer immer schwieriger und komplexer werdenden Welt nicht intensiv genug betrieben werden. Doch darf nicht übersehen werden, daß der demokratische Gedanke eine aktive Teilnahme aller verlangt. Deshalb muß das Objektivierbare grundsätzlich allgemein zugänglich gemacht werden, ein Weg, den w i r allenthalben zu beschreiten beginnen. Notfalls hat dies i m Freskostil zu geschehen, wenn

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einer dieses Kunsthandwerk redlich zu betreiben versteht. Das Objektivierbare ist aber auch deshalb allgemein zugänglich zu machen, w e i l es vom Nichtobjektivierbaren nicht streng geschieden werden und die Scheidung jedenfalls kontrovers sein kann. Was ferner das letztlich Nichtobjektivierbare anbelangt — den Kern der Stellungnahmen, der Wertungen, das Vorziehen und Nachsetzen der i n Frage stehenden Privat-, Gruppen- und Gesamtinteressen —, so müssen die demokratisch-rechtsstaatlich legitimierten Instanzen entscheiden. Gerade die demokratischen Vorstellungen verlangen, daß die Gesellschaftsglieder ihre Interessen selber, autonom, aus freien Stücken bestimmen, sei es auch notgedrungenermaßen durch noch so vermittelte und indirekte Mechanismen, d. h. daß sie sich i n der großen Zahl kooperativ verständigen, sich abstimmen und so wahrhaft gemeinsam und doch für sich selbst ihr Dasein einrichten. Das ist der tiefere Grund für alles grundsätzliche Ungenügen und heutige Scheitern absolutistischer und letztlich autokratischer Positionen, die den Einzelnen nicht ernst nehmen. Doch muß ich es mir versagen, diesem Gedanken hier weiter nachzugehen. Wenn die demokratischen Organe entscheiden, ist auch die i n den Organen nicht direkt handlungsfähige Gesamtheit der Bevölkerung und die öffentliche Meinung, als Inbegriff allgemeiner Wertvorstellungen, zu berücksichtigen. Diese ist freilich nicht als bloßes Faktum, sondern insoweit einzubeziehen, als sie sich i n einem Prozeß der Selbstaufklärung und k r i tischen Auseinandersetzung befindet 24 . Damit soll nicht ausgeschlossen werden, daß für bestimmte Probleme Meinungsumfragen von Nutzen sein könnten, soweit dies überhaupt durchführbar und praktikabel ist. I m Konfliktsfall hat der Grundsatz des Mehrheitsprinzips den Ausschlag zu geben. Doch sollten nach Möglichkeit Minoritäten berücksichtigt werden. Dies entspricht den demokratischen Vorstellungen, die letztlich i n der Autonomie des Einzelnen wurzeln. Wer diese demokratischen Verfahren, die natürlich zugleich auf Praktikabilität zu sehen haben und mit unvermeidlichen Unvollkommenheiten behaftet sind, perhorreszieren möchte, müßte eingeladen werden, die A l ternative zu bedenken. Diese besteht i n der autokratischen Festsetzung des Nichtobjektivierbaren durch kleine Gruppen oder auch einen Einzigen. Unter denen, die vom Entscheid so ausgeschlossen wären, kann sich jeder befinden, und irgend einer kann uns ausschließen: Dumme und Vorgestrige, vielleicht Verbrecher, die inkognito einhergehen. Das Wort vom „beschränkten Untertanenverstand" gilt nicht mehr, obwohl der Verstand der Bürger immer noch beschränkt ist, wie der von Ministern zuweilen auch. M

Dazu Gerhard Colm, in Nomos V (Anm. 17), S. 122 f.

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Da objektivierbare und nichtobjektivierbare Momente der Gesamtinteressen nicht scharf getrennt werden können, ist der Prozeß der Bestimmung der Gesamtinteressen nach Möglichkeit so einzurichten, daß die demokratisch legitimierten ordentlichen Instanzen und die wissenschaftlichen und sonstigen, z. B. i n den Verbänden sitzenden Sachverständigen zusammenwirken. Dafür gibt es schon Mechanismen, die bei uns und i m Ausland ausprobiert wurden und der weiteren Verbesserung zugänglich sind. Die Verbände sind die notwendigen Repräsentanten der Einzelnen i n der modernen, durch die Freisetzung der Interessen gekennzeichneten Gesellschaft. VI. Zum Abschluß seien einige Vorschläge und Anregungen formuliert, in die meine Überlegungen einmünden. Der Kern des Begriffs „Gesamtinteresse" („öffentliche Interessen" und „Gemeinwohl") ist demnach letztlich auf die angemessene Ausgestaltung der rechtsstaatlich-demokratischen Verfahrensweisen zurückzuführen, auf die Klauseln eines so verstandenen „due process". Das bedeutet i m einzelnen, wenn ich fast usurpatorischerweise fremdes Gebiet, jedoch nur am Rande, betreten darf, das Folgende: Erstens sind funktionierende, der sachlichen Aufgabe gewachsene Parlamente gefordert, die jeweils selber die Gesamtinteressen i n möglichst konkretisierter Form festlegen und diese ihnen vor allem zukommende Aufgabe nicht ohne zwingende Not delegieren, jedenfalls nicht blanko 2 5 . Zweitens ist eine angemessene sog. Vorformung des parlamentarisch auszudrückenden politischen Willens zu verlangen, unter Beizug der wissenschaftlichen Sachverständigen und der Verbände, getragen von einer kritischen öffentlichen Auseinandersetzung, so daß die formal demokratische Bestimmung der Gesamtinteressen auch i n der Substanz demokratisch ist. Drittens muß man auf Regierungen, Beamte und Richter zählen können, die alle Illusionen über ein vermeintlich eindeutiges Gesamtinteresse hinter sich gebracht haben, deshalb sich nicht zu Zensoren demokratischer Entscheidungen aufwerfen, und die dann, wenn sie delegiertermaßen die Gesamtinteressen zu bestimmen haben, ihre Bestimmungsgründe bis ins letzte und i n einer der Diskussion zugänglichen Weise offen legen und explizieren. Das Gesamtinteresse ist kein Ruhekissen, sondern ein „hair shirt" (Frank Sorauf), ein unkomfortables härenes Gewand. M Streissler, a.a.O. (Anm. 2), S. 33 Anm. 61 und S. 46 Anm. 125, macht darauf aufmerksam, daß die österreichische Verfassungsrechtsprechung neuerdings Gesetze, die der Verwaltung einen zu weiten Spielraum der autonomen Gemeinwohldefinition zuweisen, wegen des Blankettcharakters der Gemeinwohlverweise aufhebt.

ö f f entliche Interessen und Gemeinwohl

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Schließlich ist viertens eine richterliche Kontrolle gewiß empfehlenswert, vornehmlich i n bezug auf Verwaltungsakte. Sie ergibt sich aber nicht aus vermeintlicher durchgängiger Justiziabilität der Gesamtinteressen, sondern w i r d durch die pragmatische Überlegung nahegelegt, daß zwei Instanzen mehr sehen als eine, namentlich wenn es sich i m zweiten Fall u m qualifizierte, hohe Richter handelt, die gewohnt sind, komplexe Sachverhalte präzis zu analysieren und alle Gesichtspunkte ins Spiel zu bringen. Freilich sind es i m Falle nichtkonkretisierter Begriffe von Gesamtinteressen eher Ephoren statt Richter i m üblichen Sinne. M i t den abschließenden Hinweisen und Anregungen wollte ich i l l u strieren, daß die Schwierigkeiten, die die Sozialphilosophie und die Sozialwissenschaft i n unserem Bereich aufzeigen, neben dem Staatswissenschaftler vor allem auch den Politologen und den Juristen auf den Plan rufen. Diese haben darüber zu befinden, wie den Reflexionen über die i n sich so fragwürdigen obersten Maximen der „öffentlichen Interessen" und des „Gesamtinteresses" bzw. des „Gemeinwohls" m i t institutionellen Vorkehren Rechnung getragen werden kann.

Gemeinwohl und politische Strategie Mit Beispielen aus der Verwaltungsreform Von Fritz Morstein Marx

I. Einleitung Der Zweck meiner Ausführungen liegt, so glaube ich aus dem Aufbau des Programms schließen zu dürfen, i n der Weiterführung unseres Hauptthemas. W i r wollen nun eine gewisse Schwenkung vollziehen. A u f der Grundlage der kontemplativ-reflektiv gehaltenen Überschau, die uns Hans Ryffel i n umfassender Systematisierung der relevanten Aspekte geboten hat, können w i r jetzt einen weiten Schritt zum Konkret-Institutionellen tun. Der Abstieg aus der philosophischen Höhe ist freilich meist eine wenig anziehende Sache; aber nur so gelangen w i r zu jener Problematik, mit der w i r uns als Männer des Handelns zu beschäftigen haben. Ich bin selbst überrascht über das Maß der sachlichen Übereinstimmung zwischen den substantiellen Aussagen des Eingangsreferats und meiner eigenen Blickweise. Mein Vorredner hat ein sorgfältig angefertigtes theoretisches Gewebe geliefert, i n dem das Wesen der demokratischen Ordnung, so könnte man sagen, i n ihrer Gesamtheit aufgefangen ist. Insofern hat er eine bemerkenswert widerspruchslose Identifizierung zwischen dem Zweckbestreben der demokratischen Ordnung und dem Gemeinwohlbegriff vorgenommen. Er hat mich darauf nicht speziell vorbereitet. Aus seinem helvetischen Bereich hat er m i r zwar i m Vorwege eine allgemeine Übersicht über seine Absichten gesandt. I n der souveränen Autarkie des philosophischen Geistes hat er jedoch davon Abstand genommen, sich mit mir inhaltlich abzustimmen. Sicherlich schien i h m das, was meine eigene Übersicht zeigen würde, für seine besondere Aufgabe durchaus sekundär. Darin möchte ich ihm beipflichten. Man darf hinzusetzen, daß heute, soweit ich sehe, das Schrifttum und das Denken über den Gemeinwohlbegriff i m Bereich der Wissenschaft weitgehend m i t dem konform gehen, was uns Hans Ryffel i n seiner glänzend formulierten Analyse aufgezeigt hat. Die Auffassungen drängen zu einer Einheit, der man sich auch dann nicht entziehen kann, wenn man zunächst zögernd an diese Einsicht herantritt. I n dem m i r zugewiesenen Beitrag gehe ich von gewissen Voraussetzungen aus, die eingangs vielleicht ausdrücklich erwähnt werden sollten. Ich

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werde, wie vielleicht schon nach dem Titel zu vermuten ist, den Nachdruck nicht auf legalistisch-normative Aspekte legen, sondern die operative Bedeutung des Gemeinwohlbegriffs zu unterstreichen suchen. Das scheint m i r vor allem aus zwei Gründen gerechtfertigt. Einerseits w i r d das Legalistisch-Normative i n den nachfolgenden Referaten zwangsläufig i m Vordergrund stehen. Andererseits liegt meine Aufgabe doch wohl nicht zuletzt darin, neben der gewinnenden Logik einer Systemgerechtheit, die aus dem Gefüge des Eingangsreferats hervortritt, die Pathologie dessen, was w i r täglich als unsere reale Umwelt erleben, deutlich anklingen zu lassen. Gerade aus der Spannung zwischen dem Gewollten und dem Gegebenen ist die Aufgabe des Verwaltungsmanns i n erster Linie zu umreißen. Ich finde dabei Ermutigung i n einer nüchternen Bemerkung, die ein amerikanischer Liebhaber der neuerdings modern gewordenen Modellkonstruktion gemacht hat. Nach manchen Versuchen i n dieser Richtung kommt er i n einer jüngst erschienenen Studie zu dem folgenden Schluß: „Es ist zweifelhaft, so w i l l m i r scheinen, daß w i r je i m wirklichen Leben ein tatsächliches politisches System finden werden, das genau der Logik eines abstrahierten Modells entspricht 1 ." Dabei halte ich es für erforderlich, das Schwergewicht der Betrachtung nicht auf abstrakte Ordnungsansprüche zu verlagern. Heute mehr denn je muß das Gemeinwohl aus der sich wandelnden Bedarfslage des Menschen begriffen werden. Er ist die unteilbare Grundeinheit des sozialen wie des politischen Lebens. Das ist, wie Sie sich entsinnen werden, ein Gesichtspunkt, der ebenfalls i n den Darlegungen Ryffels eine wichtige Rolle gespielt hat. Zwar ist die öffentliche Verwaltung ein primärer Teilhaber i n der Schaffung und Wahrung der Ordnung. Aber das sollte uns nicht dazu verführen, aus der praktischen Sicht des Verwaltungstages den Menschen i n erster Linie zum Objekt einer i h m vorgegebenen Ordnung zu machen. Es ist erforderlich, ihn aus den Gefahren einer absoluten Bindung an abstrakt konstruierte Ordnungsansprüche herauszuheben. Maßgebend müssen die Lebensnotwendigkeiten sein, die sich für den Menschen unserer Zeit aus eben dieser Zeit ergeben. Nun ist der Mensch selbst eine Abstraktion. Das vermindert indes nicht die immense Bedeutung einer Orientierung des Gemeinwohlbegriffs an der menschlichen Sphäre. I n der Wahl dieses Ausgangspunkts werden uns die Brüche i n der theoretischen Systematik auch der demokratischen Ordnung am ehesten bewußt und die unzulängliche Realität doppelt offensichtlich. Nur aus der objektiv erfaßten Bedürfnislage des Menschen, so scheint mir, ist die Kollektivfigur des Gemeinwohls generalisierbar. Nur darin kann sie ihren letzten Sinn finden. N u r i n bezug auf den Menschen u n d das Menschliche lassen sich vorrangige Wertvorstellungen i m 1 Fred W. Riggs, Thailand: The Modernization of a Bureaucratic Polity. Honolulu: East-West Center Press, 1966, S. 396.

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politischen Bereich entwickeln. Das ist eine alte Einsicht, der bereits Thomas Hobbes Ausdruck gegeben hat, ein geradlinig zweckbeherrschter Geist, der ironischerweise für Voreilige sogar zum Vorvater des totalen Staats aufgerückt ist. Er hatte keinen Zweifel, daß alle Autorität letzten Endes aus der Dualität des Individuell-Menschlichen emporwächst: einmal dem Bedürfnis des Individuums, sein Selbst abzuschirmen, andererseits aus dem gleich starken individuellen Bedürfnis, m i t anderen Individuen i n kooperativer Gemeinsamkeit für sich Werte zu gewinnen, deren Verwirklichung jenseits der K r a f t des Einzelnen liegt. Aus dieser konfliktreichen Spannung, die i m Individuellen selbst ihren Ursprung hat, entspringt für Hobbes die Notwendigkeit einer echten überindividuellen Autorität, einer dem Menschen dienenden Ordnung. Sie läßt sich jedoch auf Dauer nur aufrechterhalten, wenn sie i m menschlichen Bewußtsein ihre Verständnisgrundlage findet. Ich setze weiter voraus, daß schon diese Verflechtung des Gemeinwohls m i t den zeitlich i m Fluß verbleibenden Lebensbedingungen des Menschen eine entscheidende Konsequenz nach sich zieht, die man später i n der Diskussion kaum abschwächen wird. Sie läßt sich so formulieren: Das Gemeinwohl ist weder ein nachschlagbares Handelnsrezept, zu dem w i r bequem zurückblättern können, wenn w i r uns u m eine schwierige Entscheidung bedrängt sehen; noch ist es etwas natürlich Gegebenes, über das w i r uns i n der Umwelt orientieren können, um dort den Wegweiser des Gemeinwohls durch bloße Beobachtung wahrzunehmen. Es erfordert also eine kognitive Gestaltung, eine konkretisierende Darstellung. Es ist, u m noch einmal auf Thomas Hobbes zurückzugreifen, etwas aus Erkenntnis Gemachtes, wie er den Staat selbst als eine „künstliche Körperschaft" betrachtete. Es w i r d daher immer den Schwierigkeiten des Gemachtseins Raum geben müssen und insofern nie eine unveränderliche Vollendung finden können. Als letzte meiner Voraussetzungen muß ich unterstreichen, daß die Menschheit heute den verbindlichen Maßstab des Gemeinwohls nicht mehr aus der Ideologie der Nation zu entnehmen vermag. Selbst wenn w i r uns aus unserer unmittelbaren Sicht i n vorläufiger Bescheidung auf das werdende Europa beschränken, w i r d ein breiterer Rahmen als der des einzelnen Staatswesens für die Bestimmung des Gemeinwohls unerläßlich. Man mag einräumen, daß der Blick zunächst noch durch einen zeitweiligen französischen Anachronismus verstellt ist. Aber schon jetzt wäre die selbstgenügsame Festlegung eines exklusiv französischen Gemeinwohlbegriffs ebenso absurd wie die eines deutschen. Ein geographisch umgrenztes Gemeinwohl kann nur durch Konsonanz und Kongruenz mit dem umfassenden Bereich legitimiert werden. Es kann sich nicht aus dem umfassenden Bereich freizeichnen, der letztlich auf die humanitas insgesamt verweist.

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Was die europäische Situation anlangt, so mag uns gerade zu unserem Thema ein soeben ins Deutsche übersetztes Buch zu denken geben. Es ist ein passioniert geschriebenes, wiewohl vielleicht etwas schnell redendes Buch aus der Feder von Jean-Jacques Servan-Schreiber: Le défi américain, die amerikanische Herausforderung 2 . Lassen w i r beiseite, daß hier die europäische Vision alpdruckgleich aus einer befürchteten Überwältigung Europas durch die amerikanische Wirtschaftskraft umrissen wird, als Europa der Selbstverteidigung. Für uns wichtiger ist die A r t der Veranschlagung der Fortschrittsrate, für die der Verfasser auf eine Berichterstattung über die europäische Lage zurückgreift, die ein französischer Soziologe summierend i n einem jüngst i n Rom abgehaltenen internationalen Seminar über die zu erwartenden Führungsantriebe zusammengestellt hat. Der Berichterstatter, der, wie viele Soziologen, i n seinem eigenen Lande weniger gilt als anderwärts, Michel Crozier, sagt zu diesen Möglichkeiten i n seinen Schlußworten auch einiges über die Beharrlichkeit überholter Gemeinwohlvorstellungen. Indem er sich zunächst dem deutschen Sachverhalt zuwendet, führt er aus: „ . . . jede Partei, jede politische Institution versucht, sich anzupassen und Schritte nach vorn zu unternehmen, um sich dem europäischen Rahmen einzugliedern; aber i n Wirklichkeit bleiben sie, was sie sind, weil die innerstaatlichen Belange sie einengen 3 ." Dann richtet er sich an Frankreich und erklärt: „ Jedesmal wenn der Augenblick naht, da eine entscheidende Änderung vorgenommen werden könnte, u m von dem alten System loszukommen, erfolgt eine Kehrtwendung nach hinten 4 ." Vielleicht ist dies Gefangenbleiben i m Gestrigen für die heutigen Erörterungen des Gemeinwohlbegriffs charakteristisch. II. Ausgangspunkte zum Gemeinwohl Wer vom Gemeinwohl unter dem Gesichtspunkt der politischen Strategie zu sprechen hat, w i r d einige Bemerkungen über den Gemeinwohlbegriff voranstellen müssen, obwohl schon i m Eingangsreferat dazu eine dankenswerte Klarstellung erzielt wurde. Ich hörte neulich einen i n unserer Zeit stehenden Mann, Carlo Schmid, in einem Rundfunkforum bedauernd vom Gemeinwohl als ein für Viele „antiquiertes Wort" reden, obwohl er sich von dieser Tendenz zu distanzieren suchte. Ich traf kürzlich auf einen ungleich schärferen Kommentar i n den Bemerkungen eines Zeitkritikers, der aus der stratosphärischen Schwebelage des verklärt Geistigen auf die Welt blickt und mit fast gewohnheitsmäßig besorgtem Gesicht die Entwicklung i n der Bundesrepublik verfolgt. I n Interview1 Jean-Jacques Servan-Schreiber, Hamburg: Hoffmann & Campe, 1968. 8 Ebendort S. 196. 4 Ebendort S. 197.

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Die

amerikanische

Herausforderung.

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meditationen aus Anlaß seines 85. Geburtstages erklärte K a r l Jaspers über den allerhöchsten Träger des Gemeinwohls, eben den verfassungsrechtlichen Souverän: „Was ist das Volk? Ganz unklar! I n Deutschland eigentlich gar nichts. Befohlen, läuft es mal los. Sonst existiert es gar nicht. Ich meine, als aktive Kraft n i c h t . . . " Wer diese Worte i n die verschiedenen Sprachen der Welt übersetzt und die Bezugnahme auf Deutschland wegläßt, w i r d sicherlich an vielen Orten Zustimmung finden; denn ein großer Teil der Problematik der heutigen politischen Ordnung liegt überall i n der schwachen institutionellen Strukturierung des „Volks" und dam i t des Allgemeinen. Man könnte fast sagen, daß für bedeutsame Bereiche das theoretische Konzept der Volksherrschaft ohne die praktische Effektivität des „Volks" auszukommen scheint. Aber es sollte uns vielleicht ebenfalls interessieren, wie sich dies B i l d für gewisse Augen ausmacht. So las ich unlängst, daß man vom Gemeinwohl, jedenfalls i n der Bundesrepublik, auch in ganz anderer Akzentuierung sprechen kann. Vielleicht werden Sie glauben, wenn ich Ihnen eine Kostprobe verlese, daß Sie darin so etwas wie den Atemzug der „vorparlamentarischen Opposition" antreffen. Aber ich zitiere eine Veröffentlichung über Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung 5 aus dem Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik. Es heißt dort über di%„Theorien" des Bundesstaats: Danach sind die Beziehungen zwischen den westdeutschen Staatsorganen so zu regeln, daß sie der als Zweck der Bonner Staatsmacht deklarierten Sicherung des „Gemeinwohls" dienen, worunter die herrschenden Kreise des westdeutschen Monopolkapitals die Verwirklichung ihrer aggressiven revanchistischen Politik verstehen. Die einzelnen Staatsorgane dürfen nur in Übereinstimmung mit diesem Staatszweck tätig werden und entsprechende Rechte und Zuständigkeiten innehaben. Diesen Anforderungen entsprechen der „wahre Föderalismus" und die „echte gemeindliche Selbstverwaltung", weil durch sie die „göttlichen Strukturprinzipien der Subsidiarität und Solidarität" verwirklicht werden sollen 6 .

Auch wenn man von polemischen Verzerrungen des Gemeinwohlbegriffs absieht, läßt sich nicht leugnen, daß i h m manche Unklarheit anhängt. Hans Ryffel hat bereits auf Bekundungen der Skepsis i n amerika5 J. Henker und K.-H. Werner, Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung in Westdeutschland. Berlin: Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, 1967. 6 Ebendort S. 75. Erklärend wird später hinzugesetzt: „Dabei weist das Subsidiaritätsprinzip zwei Seiten auf: Solange die Länder- und Kommunalorgane im Interesse der Bonner Regierung handeln, wird in ihre Rechte und Zuständigkeiten von den zentralen Staatsbehörden nicht eingegriffen — im Gegenteil, an der Entwicklung einer solchen Initiative und »Selbständigkeit' ist man sehr interessiert. Die andere Seite — und das ist die wesentliche — begründet die Berechtigung der Bonner Regierung und ihrer Institutionen, die Rechte und Zuständigkeiten der Länder- und Kommunalorgane zu begrenzen und notfalls zu beseitigen, wenn es die Interessen des »Gemeinwohls4 erfordern." Ebendort S. 76.

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nischen Untersuchungen hingewiesen. Schon zu Beginn der dreißiger Jahre wurde der Verlaß auf die wissenschaftliche Verwendbarkeit des Gemeinwohlbegriffs durch Studien erschüttert, die A r t h u r N. Holcombe an der Harvard-Universität i n die Wege leitete, vor allem i n Hinblick auf Wirtschaftskontrolle. Ein jüngerer Gelehrter, der auf dem Gebiet der Schnittpunkte zwischen Politik, Verwaltung und Justiz gearbeitet hat, Glendon Schubert, griff das Thema m i t noch weniger Vorbehalten auf 7 . Er setzt den theoretischen Wert des Gemeinwohlbegriffs sehr niedrig an, wenn er ihn nicht sogar völlig leugnet. Nicht jeder w i r d so weit gehen wollen. Doch ist sich die amerikanische Sozialwissenschaft i m wesentlichen darin einig, daß die positiv indikativen Eigenschaften des Gemeinwohlbegriffs nur matt zum Ausdruck kommen. Man ist von der Vorstellung abgerückt, daß i m Gemeinwohl eine Fächerung von konkreten Hinweisen verborgen ist, deren jeder jeweils ein F i x u m anzeigt, das als solches die Ungewißheiten in der Entscheidungslage ohne weiteres aus dem Wege räumt. Es ist jedoch nicht unwichtig, daß die jüngste amerikanische Veröffentlichung i n dieser Strömung als Schlußfolgerung festhält, das Gemeinwohl erfülle eine „bedeutsame Funktion" i n der Klärung politischer Auseinandersetzungen 8 . Der Verfasser betont, daß i n der Gemeinwohlidee eine objektivierende Orientierung angeboten wird, die sich nicht entbehren lasse; gerade i n dieser Orientierungshilfe werde der gewichtigste praktische Wert des Gemeinwohlbegriffs erkennbar. Er fügt hinzu, daß eine 7 Glendon Schubert, The Public Interest. New York: Free Press of Glencoe, 1961. Das amerikanische Schrifttum wurde durch die demokratischen Prämissen des öffentlichen Lebens in ihrer Einwirkung auf die Verwaltungswelt stark angeregt. Dazu: Pendieton H erring, Public Administration and the Public Interest. New York: McGraw-Hill, 1936; Carl J. Friedrich, „Public Policy and the Nature of Administrative Responsibility", in: Friedrich und Edward S. Mason (Hrsg.), Public Policy. Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1940, S. 3 ff.; Fritz Morstein Marx, „Administrative Responsibility", in: Morstein Marx (Hrsg.), Public Management in the New Democracy. New York: Harper, 1940, S. 218ff.; Herman Finer, „Administrative Responsibility in Democratic Government", Public Administration Review, Bd. 1,1941, S. 335 ff.; George A. Graham, Morality in American Politics. New York: Random House, 1952. Vor allem auch: Carl J. Friedrich (Hrsg.), Nomos V : The Public Interest, Yearbook of the American Society for Political and Legal Philosophy. New York: Atherton Press, 1962. 8 Richard E. Flathman, The Public Interest: A n Essay Concerning the Normative Discourse of Politics. New York: Wiley, 1966, S. 191. Kennzeichnend sind auch die folgenden Äußerungen: „The most elementary aspects of life together require that all interests for which public protection or support is requested be examined, first by the individual or group and then by an authority, in order to determine their impact upon society, and protection or support must never be provided unless that impact, as reinforced and extended by the force of government, can be justified in a reasoned, transsubjective manner." Ebendort S. 52. Und: „A demonstration that political behavior seldom meets the standards of ,public interest' ... is not to be taken as a refutation of a theory as to what those standards are." Ebendort S. 193.

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„vollentwickelte Theorie" des Gemeinwohls letztlich eine „systematische politische Theorie" voraussetze, was sich schon bei Rousseau herausgestellt habe 9 . Erinnern w i r uns daran, daß der Contrat Social i n seinem Untertitel als Grundsätze des politischen Rechts angezeigt wurde. W i r können zusammenfassend davon ausgehen, daß der Anruf des Gemeinwohls uns weder einen unmißverständlichen Hinweis auf eine sich von selbst manifestierende Interessenintegration gibt noch eine unstreitig zu bevorzugende Sachlage anschaulich macht. Der Gemeinwohlbegriff ist i n erster Hinsicht ein Meßinstrument und ein Steuerungsmechanismus; als solcher aber ist er von größter Bedeutung. Seine operative Potenz entspringt freilich nicht dem Deklamatorischen. Sie w i r d i m Gegenteil vornehmlich durch eine allgemeine Bewußtseinstendenz bestimmt, einerlei ob diese weithin vorgeformt ist oder wandelbar offen bleibt. Nur wo der Gemeinwohlbegriff i m Empfinden der Allgemeinheit selbst Festigkeit gewinnt, läßt er sich mit Zuversicht als unschwer erkennbare Richtschnur verwenden. Damit stoßen w i r auf einen wesentlichen Unterschied. Auf der einen Seite gibt es stabil-elitäre Sozialgefüge mit verfestigten Wertsystemen, die vor allem i n der Vergangenheit i n mannigfachen Formen anzutreffen waren. I n der Regel brachten sie scharfkantige Leitvorstellungen über das Gemeinwohl hervor, litten jedoch gleichzeitig an einer naheliegenden Blindheit gegenüber den Interessen der Vielen. Natürlich würden solche Sozialgefüge uns schon deshalb unbefriedigt lassen, weil sie wesensnotwendig die große Menge als nachrangig von dem Prinzip der gleichen Anteile ausschließen, soweit kein besonderer Mitgliedsanspruch an die elitäre Gruppe selbst geltend gemacht werden kann. Diesen Sozialgefügen steht i n der mobil-egalitären Gesellschaftsordnung mit relativ liquidem und wettbewerblich differenziertem Wertsystem ein völlig anderer Typ gegenüber. I n i h r läßt sich eine Konsolidierung von Gemeinvorstellungen nur unter breiter Beteiligung erzielen, was eine hinreichende Transparenz der Konsolidierungsvorgänge und grundsätzliche Offenlegung der Absichten erforderlich macht. Das w i r k t sich als latente Einladung zum kritischen Ansatz aus. Der kritische Ansatz sucht nach Möglichkeiten, Sachverhalte zu überprüfen, soziale Ansprüche zu wägen und den Lichtkegel objektiver Methoden auf die Gesellschaftsstruktur zu richten. Klarstellung und damit Entscheidungsreife werden durch Auflösung oder doch Reduktion der verbliebenen Zweifel angestrebt. Das Wesen des mobil-egalitären Sozialgefüges kennen w i r als „offene" oder pluralistische Gesellschaft, die heute vornehmlich als provokatorisches Schlagwort durch die öffentliche Diskussion geistert. Sie läßt sich unterschiedlich umreißen. W i r treffen auf ihren Kern, wenn w i r uns vor • Ebendort S. 194.

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Augen führen, daß das Sozialerlebnis des Menschen, das i n der Rolle des Menschen i n der gesellschaftlichen Dimension beschlossen liegt, durch das Phänomen der Pluralität bestimmt ist. Es wäre eine völlige Verkennung der pluralistischen Gesellschaft, wenn sie aus agitatorischen Gründen so vorgeführt wird, als ob sie gewissermaßen über uns hergefallen sei. Pluralität, das Nebeneinander von Individuum und Individuum, ist schlechthin das gesellschaftliche Schicksal des Menschen. Die Pluralität liegt i n der Vielheit. Sie läßt sich freilich i n ihrem inhärenten Anspruch auf ein anerkanntes Miteinander unterdrücken. Sie läßt sich unter den autoritären Knüppel bringen oder i m totalen Staat durch totale Organisation ignorieren. Aber soweit sie sich frei zu entfalten vermag, w i r d die Pluralität mit der K r a f t des Natürlichen das Feld beherrschen. Ein früher Zeuge wäre der gelehrte und ehrenwerte Stadtschreiber von Emden, der Nachwelt als Althusius vertraut. Er faßte die politische Ordnung als ein Aggregat von mehr oder minder autonomen Gemeinwesen auf, i m Sinne einer aufgegliederten Verzahnung von unterschiedlich geformten Aufgabenkreisen. Das B i l d war zwar korporativ aufgeteilt und ließ das Einzelwesen i n der Körperschaft verschwinden. Doch ist die pluralistische Konzeption unverkennbar. A n ihr hat Althusius sein Staatsideal ausgerichtet. Vielleicht ist es nicht überraschend, daß i n der amerikanischen Entwicklung sich ähnliche Gedanken durchgesetzt haben. John C. Calhoun, der um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts seine Loyalität als Staatsmann dem Bund aufgekündigt und sie auf die Sache des Südens übertragen hatte, gab eine ausgefeilte Version des politischen Pluralismus i n seiner posthum veröffentlichten Disquisition über das Regierungssystem. Darin belegte er die Notwendigkeit, grundsätzliche Entscheidungen als föderalistisches Rechtsprinzip durch die „konvergierende Mehrheit" (concurrent majority) zu untermauern, eine durchaus moderne Perspektive, die zunächst durch den Bürgerkrieg i n Mißkredit geriet. Sie erstand erneut i n einer späteren Zeit i n der Ideenwelt eines originellen Kopfes, der neuerdings auch die europäische Politologie beeinflußt hat: A r t h u r F. Bentley. Sein 1908 erschienenes Buch über den Process of Government blieb vorerst für 25 Jahre verschüttet, vielleicht w e i l das massive Werk i n der europäischen intellektuellen Tradition angelegt zu sein schien und i n Amerika exotisch wirken mußte. Seither sind seine Thesen i n den Vereinigten Staaten i n breiter Front aufgegriffen worden. Sein Hauptpunkt besteht darin, daß es eine wirkliche Zusammenfassung der Regierungsgewalt i n einer Person m i t Ausschlußwirkung für andere weder gibt noch geben kann. Selbst i n der autoritären Gestaltung des unbeschränkten Absolutismus entstand eine Aufteilung der Einflußsphären unter Vielen i n ganz natürlicher Weise — Höflinge, Feldherren, Spitzel, Priester, Schergen, Sängerinnen, Widersacher, Gilden, Universi-

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täten, Cliquen u n d Klüngel. Pluralität setzte sich auch dort durch, wo man sie am wenigsten vermuten möchte: i n der Umgebung der Autokratie. W i r wissen das heute auch aus den Annalen des totalen Staats, i n dem die offiziell verbannte P l u r a l i t ä t als v ö l l i g verantwortungslose Pluralität triumphierend zur Geltung gelangte. Über den Charakter der pluralistischen Gesellschaft unserer Tage hat ganz vor kurzem ein Berufener eine lehrreiche Formel geprägt. Er sprach aus seiner Sorge u m das Berliner Universitätmodell der allseitigen Beteiligung, wobei i h m der Blick auf die jüngsten Ereignisse i n B e r l i n die Feder geführt haben w i r d . I n einer kleinen Studie, die er dem Verhältnis von Universität und Demokratie gewidmet hat 1 0 , schreibt Ernst Fraenkel über die „so problematische" 1 1 pluralistische oder „offene" Gesellschaft 1 2 : 1. Die pluralistische Demokratie erlaubt uns, unsere Interessen kollektiv wahrzunehmen, und verpflichtet uns gleichzeitig, den Erfordernissen des Gemeinwohls Rechnung zu tragen. 2. Die pluralistische Demokratie fordert von uns, daß wir nicht der Utopie eines vorgegebenen, absolut gültigen Sozialideals nachjagen, aber sie verlangt von uns, daß wir ein Minimum von regulativen Prinzipien als uneingeschränkt verbindlich respektieren. 3. Die pluralistische Demokratie gestattet die Austragung aller möglichen wirtschafte- und sozialpolitischen Kontroversen und geht gleichzeitig davon aus, daß die Existenz eines nicht-kontroversen Sektors in diesen Bereichen unentbehrlich ist. 4. Die pluralistische Demokratie ermuntert uns, uns in Partikularverbänden zusammenzuschließen, und erwartet von uns, daß wir ohne Zögern die Suprematie des Gesamtverbandes anerkennen.

Gerade i n dieser Gegenüberstellung scheint m i r das, was i n unserer gegenwärtigen Thematik als grundsätzliche Fragestellung anklingt, präzis herausgemeißelt zu sein. M a n könnte dem an die Seite stellen, was i n einer Erörterung der Einflußordnung i m Wirtschaftsbetrieb 1 3 i n dem Satz ausgesagt w i r d : „Der schwächste P u n k t des solidaristischen Systems ist die Forderung der freiwilligen Verfolgung des Gemeinwohls 1 4 ." W i r wollen uns andererseits auch an die Beharrlichkeit erinnern, m i t der Theodor W . A d o r n o i n seiner Negativen Dialektik 15 das A l l g e m e i n e als Quelle der Unterjochung des Individuell-Besonderen und damit als Feind der Freiheit des Einzelnen auf der philosophischen Bühne hält. 10

1967. 11

Ernst Fraenkel,

Universität und Demokratie. Stuttgart: Kohlhammer,

Ebendort S. 34—35. Ebendort. 18 Guy Kirsch, Machtverteilung im Unternehmen: Von der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Unternehmen. Köln: Bachem, 1967. 14 Zitiert ebendort S. 143. 15 Frankfurt :Suhrkamp, 1966. 12

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Wenn uns der jedenfalls äußerliche Widerstreit zwischen individueller Freistellung und Gemeinwohl gegenwärtig besonders zu schaffen macht, so liegt das nicht allein an dem institutionell noch Ungewohnten der pluralistischen Gesellschaft. Hinzu kommen die weiteren Anstrengungen, die uns das enorme Tempo des allgemeinen Wandels i n unserer Welt zumutet. Das allein wirbelt lang geehrte Gemeinwohlvorstellungen durcheinander. Diese Tatsache wird, so glaube ich, i m täglichen Tun der Legislative wie auch der Exekutive sehr unzulänglich beachtet. W i r erleben einen überwältigenden Informationsanfall, der aber zunächst nur öffentliche Verwirrung stiftet. Altes zerreißt, während Neues ungeordnet bleibt, weshalb es nur fetzenweise i n das Bewußtsein der Allgemeinheit aufgenommen wird. Das Problem der Informationserfassung macht sogar der Wissenschaft Sorgen. Es berührt die Grundlagen des vertretbaren Entscheidens und w i r k t sich auf das Lernen, die Qualität der Bildung aus. So nimmt es kaum Wunder, daß ein eminent erfolgreicher Praktiker des Managements, der gerade abgetretene amerikanische Verteidigungsminister Robert S. McNamara, sachliches Entscheiden mit der nationalen Meisterung von Bildungsaufgaben in unmittelbare Beziehung setzt, sowohl für technologische Anforderungen i m weitesten Sinne wie auch zur Stärkung staatsbürgerlicher Urteilskapazität. Als Sprecher vor einem Lehrseminar sagte McNamara vor kurzem: „Gott ist Demokrat. Er hat den Intellekt ungefähr gleichmäßig über die ganze Welt verteilt. Aber er erwartet natürlich, daß w i r diese Quelle, die der Himmel uns geschenkt hat, i n wirksamer Weise ausschöpfen 16. " Das Ausschöpfen w i r d mit dem voranstürmenden Wandel i n unserer Zeitsituation Schritt halten müssen, wenn nicht unsere Erkenntnis für das Ausmessen des Gemeinwohls sich i m weiteren Verlauf als hoffnungslos inadäquat erweisen soll. Die Essenz des Gemeinwohls läßt sich nicht zum Letzten wegen des oft ungleichen Wettlaufs zwischen dem Handelnmüssen und der zugrundezulegenden Information nur als sukzessive Integration von Wollens- und Wissenselementen vorstellen. Sie kann nur durch das verbindlich „gedeckt" werden, was i n dem heutigen Modewort des Konsens zutagetritt. Konsens ist insofern das Ergebnis einer hinreichend breiten Überbrückung von unterschiedlichen Interessentendenzen. Allerdings sollte sich danach von selbst verstehen, daß Konsens weder vollkommen noch zeitlich definitiv sein kann. I n Umfang wie i n Richtung ist er dynamischen Einflüssen unterworfen, so daß er wiederholt neu „formiert" werden muß. Er steht unter dem Druck von Alternativen und mag selbst von streithaften Antithesen geplagt sein. Neuorientierung ist für ihn ein Lebensgebot. Rationalität übernimmt dabei eine wichtige Zuträger- und Systematisierungsfunktion. Daß sich i m öffentlichen Bereich in der sachverständigen Beratung der politischen Entscheidungsorgane bereits A n 1β

Zitiert bei Servan-Schreiber

(oben Anm. 2), S. 94.

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sätze i n der Form von Beiräten und Stabsstellen vorfinden, ist ein hoffnungsvolles Zeichen. Das Schrittmaß dieser Anpassung sollte allerdings beschleunigt werden. Wie Bertrand de Jouvenel bemerkt: „Bald w i r d man sich wundern, daß es so lange gedauert hat, bis der ungeheuren Expansion der ,Kunst der Mittel' (der Technologie) eine Expansion der ,Kunst der Beratung' folgte. Sie w i r d sich i m letzten Viertel unseres Jahrhunderts mit Sicherheit vollziehen 17 ." Der wichtigste Agent der Konsensformierung ist gemäß der Symmetrie der demokratischen Ordnung die politische Partei. Es läßt sich nicht behaupten, worauf noch erneut einzugehen sein wird, daß die Parteien i n der Bundesrepublik dieser Aufgabe i m gebotenen Umfang gerecht werden. Zur Ermöglichung eines Konsens muß jede Partei i m Wettstreit aller mit programmatischen Konzeptionen hervortreten, die als Darstellungen eines verantwortlichen Weges zum Gemeinwohl zur öffentlichen Prüfung angedient werden. Gemeinsame Sache verlangt sowohl für das Führertum i n der Partei wie für das Gefolge ein unabdingbares Maß von Disziplin, die aus klarer Einsicht oder blindem Vertrauen entspringen mag. U m beides muß geworben werden, beides muß ständig vertieft werden. Es w i r d nicht selten angenommen, daß bereits ein i n der Sache selbst begründeter Zwang solche Disziplin zu erwirken vermag. Sicherlich kann ein Sachzwang als solcher organisierend wirken. Aber auch er erfordert eine echte Abnahme, die wiederum Verständnis voraussetzt. I n der „offenen" Gesellschaft besteht keine Möglichkeit, i n die Formen eines selbstsicheren Dezisionismus auszuweichen, der die Entscheidung an sich reißt und sie i m Sinne eines „Kusch!" verkündet. Ebensowenig scheint es sinnvoll, den Gemeinwohlbegriff auf einen Minimalinhalt festzulegen, indem man eine verfassungsrechtliche Selbstfesselung der Kräfte der Gesellschaft durch restriktive Interpretation von vorliegenden öffentlichen Handelnsvollmachten anstrebt. Solche Mißtrauensbekundung gegenüber der Demokratie und solche Aufbauschung ihrer Gefahren sind darin dem dezisionistischen Ausweg gleich, daß eine Flucht aus der verantwortlichen Konkretisierung des Gemeinwohls i m Wege der Repräsentation der redlichen Bemühung vorgezogen wird. Wenn dagegen die Allgemeinheit an dieser Bemühung zu beteiligen ist, handelt es sich um weit mehr als eine etwa der öffentlichen Verwaltung zufallende Öffentlichkeitsarbeit, um ein anderes neues Wort aufzugreifen. Es geht um etwas, was i n institutioneller Gestalt bisher noch keines17 Bertrand de Jouvenel, Die Kunst der Vorschau. Neuwied: Luchterhand, 1967, S. 306. Siehe auch Die Staatskanzlei: Aufgaben, Organisation und A r beitsweise auf vergleichender Grundlage. Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 34. Berlin: Duncker & Humblot, 1967; Sachverstand und Verantwortung in der öffentlichen Verwaltung, in der gleichen Schriftenreihe, Bd. 30, 1966.

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wegs entwickelt worden ist. Für das erfolgreiche Wirken der demokratischen Ordnung ist es nicht nur unerläßlich, daß der staatsbürgerliche Teilhaber durch allgemeine Schulung an den Kommunikationsprozeß herangeführt wird. Darüber hinaus muß er in einer für ihn greifbaren Form mit Information beliefert werden. Das ist mehr eine Sache der Substanz als der Quantität, wiewohl ein massives Volumen durch zweckentsprechende Verarbeitung absorbierbar gemacht werden könnte. Die allgemeine Öffentlichkeit darf nicht an dem Für und Wider politischer, wirtschaftlicher und sozialer Fragen vorübertappen. Auch die politischen Parteien w ü r den davon profitieren, wenn sie Diskussionsstoff systematischer i n das Publikum trügen und nicht vornehmlich bereits i m Vorfeld des Internen getroffene Entschlüsse zu propagieren suchten. Diese vorrangige Aufgabe w i r d heute trotz des großen Marktes für die selbständigen Informationsmedien i m öffentlichen Leben nicht genügend erfüllt. Insbesondere w i r d sie von den politischen Parteien nicht als hinreichend wichtig betrachtet. Der „Mann auf der Straße" kommt deshalb nicht mehr mit. Sein Urteil w i r d bei der Ermittlung des Gemeinwohls zunehmend unbeachtlich. I I I . Möglichkeiten der politischen Strategie Wer den Zielbegriff des Gemeinwohls mit dem Aktionsbereich der politischen Strategie i n Verbindung bringen w i l l , w i r d sich auf den Zweck aller Strategie besinnen müssen. Für diejenigen von uns, die auf m i l i tärische Erfahrung zurückgreifen können, sollte von vornherein klar sein, daß Strategie i m Handeln kulminiert. Der Gegenstand läßt sich zwar i n theoretischer Weitschweifigkeit erörtern. Aber i h m kommt praktische Bedeutung nur dann zu, wenn Strukturen zur Verfügung stehen, denen die Abwicklung des strategischen Konzepts mit Hoffnung auf Erfolg anvertraut werden kann. Es empfiehlt sich, dem Begriff der Strategie diese aktionsbezogene Akzentuierung zu geben. Das bringt uns zu der Frage der geeigneten Strategieträger. Ohne den Schatten einer Möglichkeit der Verwirklichung strategischer Konzepte ist es müßig, über Strategie zu reden. Wo findet man entsprechende Strukturen, die als politische Strategieträger dienen können? Sicherlich ist es nicht die amorphe Allgemeinheit. Wer stellt eine handelnsfähige Einheit, einen geschlossenen Verband, der sich für die Spezifizierung des Gemeinwohls als geeigneter Träger einer solchen Strategie ausweisen kann? W i r sehen i m sozialen Felde eine große Anzahl von Mitgliedschaftsgruppen, die i n ihrer organisatorischen Offenheit zunächst einladend wirken könnten. Gerade diese offenen Gruppen jedoch zeigen i n der Regel eine sehr geringe Verbindlichkeit des Verhaltens gegenüber der Kontinuierlichkeit der eigenen Ziele. Es sind meist Gruppen, so könnte man übertreibend sagen, deren Mitglieder aus eigener

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Initiative zusammenstreben, aber auch ebenso wieder auseinanderlaufen. Aus einer flüssigen Gruppe einen Strategieträger entwickeln zu wollen, wäre kaum lohnenswert. Die Interessenverbände, die sich als beständigere Alternative anbieten, vermögen i n der wichtigsten Hinsicht nicht den Anforderungen zu genügen. Sie scheuen den straffen Zügel des Gemeinwohls. I n dieser Richtung haben sie keine Leistungen vorzuzeigen. Kein Wunder: Denn bei ihnen handelt es sich ja planungsgemäß um den selektiven Einsatz der Organisation für höchst konkret verstandene, aber scharf abgegrenzte Interessen. Sie streben, wenn w i r diesen Ausdruck verwenden wollen, typisch nach einem Teilwohl. Gerade insoweit als sie darin erfolgreich sind, werden sie veranlaßt, vom Gemeinwohl abzurücken. Das zeigt sich besonders i n den uns nur allzu vertrauten Beziehungen zwischen den Interessenverbänden und der öffentlichen Verwaltung. Der Verwaltung werden dabei nicht Arbeitskonzepte für die Verwirklichung des Gemeinwohls nahegelegt. I m Gegenteil: Es w i r d der begreifliche Versuch gemacht, die Verwaltung i n das Gewebe von Teilwohlideen einzufangen. Das gelingt um so eher, je mehr die Behörden sich selbst als Schloß Wächter partikulärer Interessen sehen und über die eigenen Zuständigkeiten nicht hinauszublicken gewillt sind. Nutzbringende Sachberatung der politischen Organe aus der Verwaltung, so groß der Gewinn daraus für das Gemeinwohl auch sein könnte, w i r d durch den Ressortgeist i n Frage gestellt. Noch größer ist die Einbuße, wenn die öffentliche Verwaltung sich ohnehin nicht als stützende Säule der politischen Ordnung sieht und eher i n „heißen Fragen" als Ausweich- oder Abstellgleis funktioniert, etwa i n dem Sinn, daß der Verwaltungsmann „normativ" gebunden sei und politischen Faktoren die kalte Schulter zeigen dürfe — oder gar müsse. W i r sehen die Öffentlichkeit i n ihrer unüberblickbaren Aufsplitterung dementsprechend gerade i n der pluralistischen Gesellschaft als eine wahre See der potentiell uneingeschränkten, aber weitgehend inaktivierten Beteiligung. A l l e Mitglieder der Öffentlichkeit sind zur maßgeblichen Äußerung eingeladen. A l l e haben die Freiheit, sich zu aktivieren; und doch ist allgemein-staatsbürgerliche Organisation zum Zweck solcher Aktivierung sehr selten. Das Gemeinwohl spricht nicht durch die Volksstimme, weil „das V o l k " als organische Einheit nur i n Ausnahmelagen zum Leben gebracht werden kann. Dieser Sachverhalt illustriert die verfassungspolitische Bedeutung des Parteiwesens. Die Parteien wirken als Organisatoren der Wählerschaft; sie liefern eine erste Vorformung der Interessenvielheit auf dem Wege zum Programm. Je mehr w i r allerdings zur Großpartei übergehen, desto mehr neutralisiert sich deren Appell. U m so mehr muß eine zunehmende Schwächung der Verbindung m i t dem Wähler eintreten. Die Beziehung der Großpartei nach unten w i r d fragwürdig.

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Damit beginnt sich der klassische Antagonismus durchzusetzen, den Robert Michels und Ostrogorski für das Parteiwesen schon zu Anfang unseres Jahrhunderts als das „eherne Gesetz der Oligarchie" formuliert haben. Infolge der durch Masse eintretenden Verwässerung der Beteiligung fällt die reale Entscheidungsgewalt i n die Hände der Führungsgruppe. Der Sachverhalt rechtfertigt es freilich kaum, von Oligarchie generell zu sprechen; denn der Schatten eines Gewitters, das mit großer Windstärke von unten ausbrechen kann, läßt sich i m Entscheidungsprozeß auf der Führungsebene trotz aller Formalabstimmungen durch die breite Mitgliedschaft nicht übersehen. Der Effekt ist eher das, was ich gelegentlich als das Phänomen des schlafenden Löwen bezeichnet habe. Die allgemeine Öffentlichkeit scheint auf lange Strecken zu schlummern. Aber sie erwacht auf Provokation, macht sich dann durch beängstigende Geräusche bemerkbar und kann sogar überraschend zuspringen. I h r eigenes Vermögen zur laufenden Instruktion der Führungsgruppe ist indes gering. Sie betätigt sich selten als Proponent einer Konzeption, die der Gemeinwohlidee Konturen geben kann. Sie übt eine A r t von Vetogewalt. Ein hervorragender Kenner des französischen Parteiwesens, Maurice Duverger, hat dies Dilemma i n einem neuen Buch i m Titel selbst zum Ausdruck gebracht. Er spricht von der „Demokratie ohne das V o l k " 1 8 , die er durch die Entfernung zwischen dem Wähler und den großen zur Mitte tendierenden parteilichen Formationen entstehen sieht. Für ihn macht diese Tendenz den einzelnen Staatsbürger zum „Fremdling" 1 9 i n seiner eigenen politischen Ordnung. Die Wechselwirkungen gleiten natürlich nicht an der Aufmerksamkeit dessen vorbei, der i n der politischen Repräsentation seine vornehmste Aufgabe zu erfüllen hat, des Abgeordneten. Aber wie stellt sich das B i l d für den Repräsentanten des Volkes dar? Ich glaube, wenn w i r den Möglichkeiten der politischen Strategie i m Hinblick auf das Gemeinwohl nachgehen wollen, werden w i r an einer genauen Durchrechnung der Bilanzfaktoren des gewählten Vertreters nicht vorbeikommen. Es ist eine beklagenswerte Vereinfachung, die uns keinen Schritt weiterführt, wenn — wie das oft geschieht — über den „Politiker" vorschnell geurteilt wird, oft i n Unkenntnis seines Arbeitstags und seiner Arbeitsrisiken. Wie begegnet er prekären Situationen, wenn er seine öffentliche Aufgabe i n den Vordergrund stellt? Nach welchen Gesichtspunkten soll er i m Kampf mit gegenteiligen Anforderungen und i n der Begegnung m i t der herausfordernden Selbstsucht derer, die von i h m etwas verlangen, sein Verhalten gestalten? Er vermag sich dem Inter18 Maurice Duverger, La démocratie sans le peuple. Paris: Editions du Seuil, 1967. Siehe ferner Fritz Mor stein Marx , „Staat, Politik, Öffentlichkeit", Zeitschrift für Politik, Jg. 12,1965, S. 2 ff. 19 a.a.O., S. 180.

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essenkreis nicht zu verschließen, aus dem er sein Mandat gewinnt. Wenn i h m aus der Autorität einer aus der Öffentlichkeit gestützten Partei keine politische Deckung gegeben wird, so ist nicht einzusehen, wie er auf der parlamentarischen Ebene bewußt als Paladin des Gemeinwohls i m Rahmen des gebilligten Programms auftreten könnte. Ohne Abwägung der Einflüsse, die gegen ihn anbranden, und ohne eigene Bereitschaft, diese Einflüsse unter verständige Kontrolle zu bringen, können w i r i h m nicht ein unrealistisches Maß von Standhaftigkeit abverlangen. IV. Beispielsfall Verwaltungsreform Lassen Sie uns nun diese grundsätzlichen Überlegungen i n das Gelände der Verwaltungsreform verfolgen, obwohl es nicht meine Absicht ist, das Thema speziell abzuhandeln. Das verböte wohl schon meine Rolle als Mitglied einer der Sachverständigenkommissionen, die sich heute auf diesem Gebiet i n mehreren Ländern finden. Ich möchte daher eine generalisierende Betrachtungsweise versuchen, die vermeidet, aus einem identifizierbaren Bereich ohne Autorität zu berichten. Angesichts der noch immer wenig ermunternden allgemeinen Situation auf dem Gebiet der Verwaltungsreform i n der Bundesrepublik könnte man vielleicht meinen, darin einer deutschen Malaise zu begegnen. Das wäre aber durchaus falsch. Ein englischer Sachkenner, der kürzlich eine ausgezeichnete Arbeit über die Rolle des Estimate Committee i m Unterhaus vorgelegt hat 2 0 , kommt i m Vorbeigehen bei der Beleuchtung der Beziehungen zwischen Abgeordneten und öffentlicher Verwaltung auf denselben Punkt zu sprechen. „Es ist ein bemerkenswertes Kennzeichen des britischen Regierungssystems", so sagt er für uns einigermaßen überraschend, „daß Politiker selten an Verwaltungsreform Interesse genommen haben.. . 2 1 ." Die politische Zurückhaltung scheint jedoch weder spezifisch britisch noch spezifisch deutsch zu sein. Sie hat tiefere und allgemeinere Wurzeln, was angesichts der theologischen Bewertung der Organisation „als einer Wohltat für Mensch und Gesellschaft" 22 besonders deutlich werden sollte. Die Politik der Verwaltungsreform hat schon vor Jahren Beachtung gefunden. Reichsneuordnung war zur Weimarer Zeit lange ein zentrales Thema. Ich selbst habe als Herausgeber eines Symposions i n der amerikanischen Zeitschrift für Politische Wissenschaft vor mehr als zwei Jahr10 Nevil Johnson, Parliament and Administration: The Estimate Committee 1945—65. London: Allen & Unwin, 1966. 11 Ebendort S. 117. " Heinz-Dietrich Wendland, Person und Gesellschaft in evangelischer Sicht. Köln: Bachem, 1965, S. 33. Für die organisatorische Tradition der katholischen Kirche sollte sich dieser Gesichtspunkt von selbst verstehen.

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zehnten das Thema für die Vereinigten Staaten aufgegriffen 23 . Dort w i r d die Frage aufgeworfen, welche Faktoren, vor allem i m Rahmen des Parteiwesens, das zögernde Verhalten der öffentlichen Entscheidungsträger gegenüber der Schaffung eines funktional effektiven Verwaltungssystems erklären. I m Grunde handelt es sich dabei doch um ein so offensichtlich allgemeines Interesse, daß es einer Begründung gar nicht zu bedürfen scheint. Ich habe mich dem Fragenkreis erneut i n einem kleinen Buch zugewandt 24 , und Roman Schnur hat darüber eine sehr lehrreiche Betrachtung beigesteuert, i n der er Strategie und Taktik bei Verwaltungsreformen i n ein scharfes Licht rückte 25 . Es ist sicher richtig, daß das Gemeinwohl einen leistungsfähigen Staatsapparat gebietet. Es ist ebenso richtig, daß ein darauf gerichtetes Bestreben mit der Bestimmung verständiger Ausgangspunkte beginnen muß. Ohne jetzt oder später Namen nennen zu wollen, darf ich auf die Äußerung eines erprobten Regierungschefs südlich des Mains zurückgreifen, der sehr m i t Recht sagt: „Wer eine Verwaltungskonzeption entwerfen w i l l , muß ein B i l d der Zukunft haben." W i r werden dem alle beipflichten. A u f das Morgen kommt es an. Aber w i r dürfen auch fragen: Wer ist der Wer, soweit es sich dabei um mehr als einen beliebigen Entwurf handeln soll? Aus wessen Autorität könnte ein maßgebliches Konzept der Zukunft entwickelt werden? Wie kann sich der verantwortliche Chef einer Landesregierung eine tragfähige Vorausschau auf die Zukunft verschaffen, die als solche w i r b t und i h m für eine Verwaltungsreform ausreichende Unterstützung zusichert? Dies sind weit ausholende Fragen. Daß w i r auf zunächst recht undurchsichtige Zusammenhänge stoßen, wenn w i r solche Zielvorstellungen zu klären suchen, muß eingestanden werden. Die wissenschaftliche Vorarbeit ist lange vernachlässigt worden und läßt sich nicht mit einem Sprung nachholen, auch wenn w i r jetzt infolge des Wiedererstehens der Verwaltungswissenschaft dafür besser ausgerüstet sind. Längerfristige Untersuchungsaufträge i n diesem Bereich sind noch viel zu selten. Von einem wirklichen Hochrechnen von empirisch verifizierten Teilergebnissen läßt sich vorerst nicht reden. Begründete Alternativvorschläge zur Stärkung 28 Fritz M or stein Marx (Hrsg.), „Federal Executive Reorganization Reexamined: A Symposium", American Political Science Review, Bd. 40, 1946, S. 1124 ff., und Bd. 41, 1947, S. 48 ff. (Beiträge von: Wayne Coy , Joseph P. Harris, Don Κ . Price , Lloyd M. Short , Senator Robert M. La Follette , Jr., und Avery Leiser son). u Fritz Morstein Marx, Das Dilemma des Verwaltungsmannes. Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 26. Berlin: Duncker & Humblot, 1965: „Verwaltungsreform", S. 48 ff. 25 Roman Schnur, Strategie und Taktik bei Verwaltungsreformen. Politik und Verwaltung, Heft 2. Baden-Baden: Nomos, 1966. Siehe dazu ferner Fritz Morstein Marx, „Verwaltung im Licht der Wissenschaft: Neues Schrifttum", Verwaltungsarchiv, Bd. 59,1968, S. 62 ff.

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der Leistungskraft der Verwaltung werden noch sehr selten zur Schau gestellt. A l l dies scheint anzudeuten, wie dickichtgleich das Gelände ist. Vor allem dürfen w i r uns Verwaltungsreform nicht bloß als eine durch administrativ-interne Logik getragene Angelegenheit vorstellen. Wie ein sachkundiger Beobachter der Entwicklungsbemühungen i n Thailand als verwaltungswissenschaftlich allgemein gültigen Leitsatz betont hat, läßt sich eine Umgestaltung der Verwaltung nicht allein innerhalb des bürokratischen Systems i n die Wege leiten. Die A r t der gewünschten Umgestaltung muß i n der Ausrichtung der Umwelt ein Gegenstück finden, um ihr wirkliche Substanz zuzuführen 26 . Ein deutscher Fachmann hat darauf hingewiesen, daß i n Ermangelung wissenschaftlich exakter Meßwerkzeuge bei Reformaktionen häufig m i t Leerformeln operiert wird, „ w i e ,zu groß 4 , ,zu klein 4 ,,ortsnah 4 ,,wirtschaftlich', »überschaubar', worunter sich dann jeder das seiner Geistesart Entsprechende vorstellt" 2 7 . Unter diesen Umständen ist es nicht überraschend, daß w i r auf der Ebene des Parlaments mancherlei Unklarheiten begegnen. Ich habe mir aus den jüngsten parlamentarischen Debatten i n verschiedenen Bundesländern kennzeichnende Äußerungen herausgesucht, die uns die Perspektiven i m legislativen Bereich veranschaulichen, obwohl dort auch der Ministerpräsident und seine Regierungskollegen nicht selten selbst zu Wort kommen. Eine Parade von Exzerpten ist i n mancher Hinsicht unbefriedigend und vielleicht sogar entstellend. Aber sie bietet uns einen gewissen Einblick i n die Kunst des politischen K a l kulus und die A r t des Redens und Denkens i m parlamentarischen Forum. Die Ausschnitte stammen aus verschiedenen Bereichen nördlich und südlich des Mains. Bei diesem Gegenstand hat es die Opposition aus naheliegenden Gründen leichter. W i r lesen: Es ist in den letzten J a h r e n . . . sehr v i e l . . . von der Verwaltungsreform geredet worden. Wo ist sie denn geblieben? Was ist daraus geworden? Es sind Schriften verfaßt worden. Da haben Minister Vorträge bei kommunalen Spitzenverbänden und was weiß ich gehalten. Was ist passiert? Nichts ist passiert! Seit 1948 ging es wirtschaftlich und finanziell besser und besser, und da sagte man sich... : Warum dann noch Verwaltungsreform?

Der Ministerpräsident, der optimistischer über Pläne spricht, malt ein anziehenderes Bild. „ W i r hoffen", erklärt er, „sogar auf Einsparungen." Die Opposition unterbricht: „Es ist gut, daß Sie das jetzt sagen!" Der M William J. Siffin, The Thai Bureaucracy: Institutional Change and Development. Honolulu: East-West Center Press, 1966, S. 252. 27 Eberhard Laux, Grundfragen der territorialen Reform in der Kreisstufe in Rheinland-Pfalz, unter besonderer Berücksichtigung des Raumes Trier. Kurzfassung eines Referats, gehalten vor dem Kreistag des Landkreises Saarburg am 12. März 1968.

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Ministerpräsident weicht einen Schritt zurück und wiederholt: „Ich sage ja nur, w i r hoffen!" Das w i r d m i t Heiterkeit seitens der Opposition quittiert. Der Ministerpräsident holt zum Gegenzug aus und ruft aus: „Meine Herren, das ist nicht zum Lachen, höchstens zum Weinen!" Heiterkeit ist erneut i m Protokoll vermerkt. Der Ministerpräsident fährt fort: „Nicht Sie, sondern ich habe auf diesem Gebiete meine Erfahrungen, teilweise gegen dieses Hohe Haus, wie ich zu meinem Leidwesen bekunden muß." Wenn Dinge politisch subtil sind, wenn Strömungen durcheinandergehen, ist es erklärlich, daß man sich der Verwaltungsreform mit Vorsicht nähert. Der Gedanke drängt sich vor, vertrauenerweckende Prüfungsgremien zu schaffen. Ich glaube, daß sich von Platz zu Platz der Wunsch dokumentieren läßt, die Dinge in der Hand zu behalten. Zwar gibt es verschiedene Modelle des vertrauenerweckenden Gremiums. Aber nicht wenige Mitglieder lassen sich als Experten des status quo beschreiben, denen ein Eintröpfeln von Visionären keine Sorge zu machen braucht. Das einsichtige Wort des praktisch Erfahrenen t r i t t an die Stelle einer freien Erhebung, die sich zu weit in das politisch Kontroverse vorwagen könnte. Die Operation liegt damit von vornherein für alle Beteiligten begreiflich i m Schatten eines begrenzten Auftrags, der sowohl der Opposition wie der Partei, die die Verantwortung für das Regiment trägt, am ehesten geheuer ist. Die Presse ist allerdings hellhörig, aber das hat keine große Bedeutung. I n Würdigung des begrenzten Auftrags spekuliert ein Presseorgan wie folgt: „Wenn i m Grunde alles beim alten System bleibt und nur der Ämterwuchs etwas gestutzt wird, bleiben alle Möglichkeiten offen, daß das Überzählige an anderer Planstelle blühen und gedeihen kann, wenn Zeit und Finanzen dafür günstig sind." Aber wie könnte es auch zu einem „neuen System" kommen? Dazu redet wiederum nur die Opposition mit Lautstärke. Ihr Vertreter faßt alles Erforderliche lapidar zusammen: „Das kann nur durch entschlossene R e f o r m e n . . . geschehen. Das ist schwer. Dazu gehören . . . Sachverstand und schöpferische Phantasie und vor allem politischer Mut." Ermunterung zum politischen Mut, so scheint es, ist auf diesem Gebiet das Monopol der Opposition. Wenn die allgemeine Öffentlichkeit diese Beschwörungsformel nicht unverzüglich aufzugreifen bereit ist, hat das vielleicht verständliche Gründe, neben der Nüchternheit gegenüber dem bloßen Wort. Es wäre falsch, zu übersehen, daß der Ruf nach Verwaltungsreform i n gewisser Hinsicht an fraglicher Glaubwürdigkeit krankt. Dazu trägt das föderalistische Tabu einiges bei. Daß sachlich dringende Umgestaltung von vornherein in einen bestimmten hinzunehmenden Rahmen einzuzwängen ist, ist geeignet, die Öffentlichkeit nachdenklich zu stimmen. Der Gletscher schmilzt indes kaum ab. I n seinem aufschlußreichen Band über Verfassungspolitik und Reichsreform i n der Weimarer Republik zieht Gerhard Schulz den Schlußstrich wie folgt: „Es kennzeichnet das retar4 Speyer 39

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dierende Wesen der partikulären Staatlichkeiten und ihrer i n Berlin versammelten Regierungen oder Regierungsvertreter, daß ihr staatlicher Föderalismus selbst unter dem immer noch spürbaren Hauch der Revolution über das Prinzip des status quo nicht hinausgelangte 28 ." Man müßte aber wohl auch einen anderen ideologischen Block erwähnen, den einer Selbstverwaltungsidee, die sich von den räumlichen Dimensionen des neunzehnten Jahrhunderts nicht lossagen kann. Auch durch sie w i r d ein Tabu in die Verwaltungsreformplanung eingebracht. Ich werde dabei an einen Aspekt der Vorgeschichte der Staatswirtschaftlichen Fakultät i n Tübingen erinnert, damals ein fast ebenso weitbeachtetes und besonders von Franzosen studiertes Modell für die Ausbildung der Beamten wie heute die Ecole Nationale d'Administration i n Paris. Dort lehrte später Robert Mohl Verwaltungswissenschaft. Die Staatswirtschaftliche Fakultät sollte der Reform des althergebrachten württembergischen Schreiberstandes dienen, der allerdings nicht reformiert werden wollte. Es gelingt am Ende, eine entsprechende Entschließung durch die legislative Versammlung zu steuern. Was geschieht weiter? Der Chronist berichtet: „Der Landtag setzte daraufhin ein Komitee zur Untersuchung der Schreiberfrage ein. Aber sowohl das Komitee als auch der Landtag dachten nicht an eine ernsthafte Reform, sondern leisteten hinhaltenden Widerstand. Kein Wunder, da ja ein großer Teil der Abgeordneten der Schreiberkaste angehörte, die innerhalb des altwürttembergischen Honoratiorentums eine einflußreiche Gruppe war! So war von dem Landtag für die Reform der Verwaltung und der Beamtenausbildung nichts zu erwarten 2 9 ." Die Parallelen zu der jetzigen Lage sollten klar sein. I n Ermangelung real gewichtiger Information, die der öffentlichen Diskussion Nahrung geben könnte, t r i f f t die Verwaltungsreformdebatte nicht das Ohr des Wählers, vor allem desjenigen, der nicht interessenmäßig einseitig festgelegt ist. Das lädt zu einer Ritualisierung der Sachbehandlung, zu einem Wechselspiel mit voraussehbarem H i n und Her der Argumente ein. So ist es i m Grunde von Land zu Land. Opposition und Regierung tanzen feste Figuren wie i m Menuett. Die Opposition w i l l „Ernst", weil „es für die Verwaltungsreform . . . 1000 denkbare Lösungen gibt". Sie sieht die Integrationspflicht anderenorts: „Die Initiativen und Vorschläge müssen . . . vernünftigerweise von einem übergeordneten Standpunkt her kommen, der i n diesem Falle nur vom Staat vertreten werden kann." Der Minister hat eine andere Lesart: „Gut zu verstehen ist allerdings wiederum, wie schon bei früherer Gelegenheit, das Bemühen, 28 Gerhard Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur: Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik, Bd. I. Berlin: de Gruyter, 1963, S. 148. 19 Karl Erich Born, Geschichte der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Tübingen 1817—1967. Tübingen: Mohr, 1967, S. 12.

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Maßnahmen der Regierung zu behindern, um dann auf angebliche Versäumnisse verweisen zu können." Zudem sind Positionen lokalisiert. So hält eine Partei der anderen vor: „ Z u r FDP möchte ich nur sagen: Die Einstellung zur staatlichen Mittelinstanz ist sicherlich kein Glaubensbekenntnis . . . i n Rheinland-Pfalz zum Beispiel war die FDP dafür, daß die staatliche Mittelinstanz ganz abgeschafft wurde." Oder ähnlich: Die Opposition „ v e r l a n g t . . . mit ihrem Vorschlag, Region und staatliche Mittelinstanz und darüber hinaus auch die Landkreise zu einer Verwaltungsebene zusammenzufassen, etwas, was sie i n anderen Bundesländern nicht einzuführen bereit ist". Kein Wunder, daß ein Oppositionssprecher einwendet: „Vergleiche sind sehr problematisch!" Es ist nicht ohne Interesse, daß erst 1966 zum ersten Mal seit der Gründung der Bundesrepublik ein Ministerpräsident bei seinen Kollegen einen Gedanken- und Materialaustausch unter den verschiedenen Verwaltungsreformkommissionen angeregt hat. A l l dies gibt den Zögernden i n der Öffentlichkeit keinen starken A n trieb zum Glauben an die sachliche Bedeutung der Verwaltungsreform. Das w i r k t wiederum auf die parlamentarischen Gruppen zurück. Obwohl sich parteipolitische Taktik naturgemäß vordrängt, t r i t t nicht selten die Spannung zwischen Regierung und Opposition hinter verfestigten Meinungsdifferenzen zurück, die durch die Fraktionen hindurchlaufen. Das liegt vornehmlich daran, daß i m Wahlkreis der Abgeordnete selbst die Verteidigung von Reformvorschlägen übernehmen muß. So sagt einer: „Es g i b t . . . i n diesen Fällen oft eine Meinungsbildung innerhalb des Parlaments, die mit den Fraktionen nicht mehr identisch ist, sondern die quer durch das ganze Parlament geht. Das liegt daran, daß i n vielen Fällen Verwaltungsreformen nicht sehr populär sind und sich dann entsprechende Schwierigkeiten einstellen." Ein anderer fügt hinzu: „Es ist ganz selbstverständlich, daß i n Sachen Verwaltungsreform die Meinungen quer durch die Parteien gehen. Das kann auch gar nicht anders sein." Ein weiterer Parlamentarier berichtet: „ I n einem Gespräch mit dem Herrn M i nisterpräsidenten sagte dieser aus seiner Sicht sehr zu Recht: M i r könnte es an sich bei der Schwierigkeit und beim dem Ärger, der aus diesem Problemkreis erwächst, als Regierungschef nur recht sein, wenn diese Frage ausschließlich vom Parlament behandelt würde." Ein aufmerksames Oppositionsmitglied bemängelt: „Ich hätte doch erwartet, daß der M i nister i m Ausschuß um seine Vorlage kämpfte, dort, wo seine Vorlage behandelt wurde, und nicht hier." Dem hält ein Mehrheitsredner entgegen: „Vielleicht hat er es in der Fraktion getan? Da sind Sie ja nicht dabei!" Ein pragmatisches M i n i m u m von erreichbaren Verbesserungen hat daher die besten Aussichten. E i n Innenminister plädiert wie folgt u m Verständnis: „Der Herr Abgeordnete... hat am Anfang seiner Ausführungen gemeint, diesem Gesetzentwurf mangele es an Zivilcourage. Ich *

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denke, Herr Abgeordneter . . . , daß sich das leicht von der Opposition her sagen läßt. Aber w i r müssen die Dinge doch etwas unter praktischen Gesichtspunkten sehen." Ein Mehrheitssprecher unterstreicht den gleichen Gesichtspunkt: „Wenn Sie alles fordern, werden Sie nichts erreichen, weil Sie die gesamte Bevölkerung, einschließlich der durch die Verwaltungsreform betroffenen Funktionäre der öffentlichen Körperschaften — entschuldigen Sie einmal den Ausdruck — gegen sich haben werden. Bei allen entsteht dann die Sorge, daß ihr A m t und ihre Funktion überflüssig wird." Auch aus der Sicht des Beobachters i m Verwaltungsapparat hören w i r : „Nicht sach-, sondern ich-bezogen — wenngleich oft auf beklemmende Weise real — ist die Furcht etwa eines Kommunalpolitikers, durch eine Neuordnung Ehrenamt, Wähler, Einfluß zu verlieren 3 0 ." Aber innerhalb einer aufzulösenden Behörde mag es ebenfalls erheblich brodeln. Für den einen Bediensteten „würde eine Versetzung die Trennung v o n . . . Verwandten und die Umschulung der beiden Kinder bedeuten... ,Bei der nächsten Wahl werden sie die Quittung bekommen', meint ein Arbeiter zur Entscheidung der Landesminister.,Warum löst man gerade das älteste Regierungspräsidium . . . a u f ? ' . . . Besonders fürchtet [ein anderer Bediensteter], für seine preiswerte... Wohnung i n . . . so schnell keinen geeigneten Ersatz zu finden. Auch würde eine Versetzung die Trennung von den Schwiegereltern bedeuten." Es ist nur allzu verständlich, daß die Mehrheit um die M i t w i r k u n g der Opposition wirbt: „Ich sage noch einmal für die CDU-Fraktion: W i r glauben, daß w i r Verwaltungsreform und Verwaltungsvereinfachung i n diesem Lande nur erfolgreich abschließen können, wenn w i r zusammenarbeiten." Hinter dem Gefühl der politischen Unsicherheit steht die rauhe Tatsache, daß jeder angestrebte Wandel i m Anprall auf das Gegebene eine uninformierte, indifferente und skeptische Öffentlichkeit wie einen Wespenschwarm aufstört. Die sozialen Gruppierungsinstinkte haben sich von jeher durch Vielgestaltigkeit ausgezeichnet 81 . Daß dabei Interessen sichtbar werden, die jeder Verwaltungsreform abgeneigt sind, sollte uns nicht erstaunen. Alles Neue, dessen Konsequenzen nicht vorher i m Einzelnen erfaßt werden können, läßt sich leicht negativ darstellen. Schon das ist latenter Rohstoff für eine Ablehnung, jedenfalls aber Grund zur Besorgnis. Eine intelligente Hausfrau mag davon nicht angefochten sein. 80

Werner Ruckriegel, „Moderne Verwaltung — Wunschtraum oder Wirklichkeit?", Die öffentliche Verwaltung, Jg. 21,1968, S. 118. 81 So führte ein Kenner der kolonialen Vergangenheit Viet-Nams die damalige soziopolitische Realität wie folgt vor: „Die Bevölkerung gruppiert sich in Zusammenschlüssen von Mitgliedern einzelner Nachbarschaften, Kommentatoren, militärischen Mandarinen, älteren Personen, Freunden des Ringkampfes, Ärzten, Musikern, Kaufleuten, Kennern des Hahnenkampfes, Singvogelliebhabern, Studenten des gleichen Lehrers oder selbst Menschen, die im gleichen Jahr geboren sind." Zitiert bei Nghiem Dang, Viet-Nam: Politics and Public Administration. Honolulu: East-West Center Press, 1966, S. 396.

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Anders der Bauunternehmer oder selbst der Vorsitzende des lokalen Brieftaubenzüchtervereins, der auf eine intime Arbeitsweise mit der gegebenen Autoritätsstruktur angewiesen zu sein glaubt. Das erklärt die Äußerung eines Ministerpräsidenten mit einem guten Gedächtnis: „ I m Jahre 1953 wurden w i r ja nicht nur von der Opposition beschimpft. Da wurden w i r überschüttet von Flugblättern und Schriften — so etwa wegen der Auflösung der Landeskreditkasse i n . . . — von zahllosen Vereinigungen, von Wandervereinen, dem Frauenausschuß für Hauspflege, sogar von dem . . . Hebammenverband." Ein Abgeordneter ergänzt: „Der Herr Ministerpräsident hat i m Jahre 1954 nach wochenlangen Diskussionen um die Verwaltungsreform festgestellt: Zur Reform sagen alle ja, aber keiner will, daß w i r bei ihm beginnen. Es w i r d ein furchtbares Wehgeschrei bei all denen losgehen, die betroffen sind, ja sogar bei denen, die gut eine Verkleinerung ihrer Bereiche vertragen können, aber dann eventuell nicht mehr den mächtigsten Verband oder die größte Kammer vertreten. Niemand w i l l etwas von seinem Aufgabenbereich abgeben. Jeder hält seine Behörde für unentbehrlich für die Allgemeinheit; keiner möchte an Macht und Zuständigkeit verlieren." Kurzum: „Solange w i r . . . über Verwaltungsreform sprechen und dabei i m Abstrakten bleiben, ist das alles wunderschön, und dann hört sich das an, als könnten w i r es morgen verwirklichen." Deshalb ist es besonders wichtig, die Bevölkerung i n wiederholten Wellen breit und intensiv über den Sachverhalt zu informieren. Es sollte nicht einer Strukturkrise bedürfen, u m den Sinn des Satzes aus dem „Entwicklungsprogramm Ruhr" zu begreifen: „Darüber hinaus w i r d die Landesregierung die Kenntnis der Bevölkerung des Ruhrgebietes über die vorhandenen und die durch das Entwicklungsprogramm Ruhr zusätzlich geschaffenen Entwicklungsmöglichkeiten dieses Raumes verbessern 32 ." Das erkennt auch der einsichtige Volksvertreter bei der Verwaltungsreform: „Es ist mehrfach davon gesprochen worden, daß dieses Thema ein heißes Eisen darstellt. Deshalb möchte ich hier vor der Öffentlichkeit und der Presse erklären: Ohne Mithilfe der Bevölkerung und ohne Mithilfe der Presse ist, glaube ich — das wissen w i r alle — dieses heiße Eisen nicht abzukühlen, nicht anzufassen und zu erledigen." W i r müssen hinzufügen, daß die Fülle der Probleme, die heute durch die öffentliche Verwaltung bewältigt werden müssen, durch die fortschreitende Wissenseskalation zunehmend beeinflußt werden wird. Was gestern noch sinnvoll zu sein schien, mag heute in Frage gestellt sein. Das spricht für eine hinreichend umfassende wissenschaftliche Enquete, die organisatorischen Aufbau und technische Arbeitsweisen i n der öffent32 Entwicklungsprogramm Ruhr 1908—1973, Landesregierung Westfalen, 1968, S. 71.

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lichen Verwaltung auf zeitgemäße Grundlagen zu stellen sucht, aber auch — und nicht an letzter Stelle — der angemessenen Unterrichtung der Öffentlichkeit besondere Beachtung schenkt. Es bedarf vor allem eines Ausbaus unserer staatsbürgerlich informatorischen Einrichtungen weit über das jetzige Maß hinaus. Weder unvoreingenommene politisch ergiebige Enqueten noch ausreichende Absicherung des staatsbürgerlichen Urteils durch sachlich aufschlußreiche Information frei von gezielter Werbung für eine allein „richtige" Maßnahme finden sich heute i m Arsenal der Verantwortlichkeit. Es sind Möglichkeiten, die w i r bislang nicht ernstlich praktiziert haben. W i r halten an dem Glauben fest, daß das sachlich gemeinte Wort i m Ohr der Öffentlichkeit selbst seinen Sinn enthüllt und verteidigt — eine grausame Illusion. Solange indes die Öffentlichkeit in Ermangelung einer soliden Wissensgrundlage i n der Meinungsinitiative zu sehr bloßer „ H i n tergrund" bleibt, wandern Parolen wie die von der Verwaltungsreform an ihr vorbei und verfehlen insoweit den zentralen Bereich für die Formierung von Vorstellungen über das Gemeinwohl. Wer wird sich in einer Epoche der Unsicherheiten und Unklarheiten einer Aufgabe widmen, die sich nicht von heute auf morgen bewältigen läßt? Regierungsprogramme befassen sich mit all den Fragen, die in der Öffentlichkeit zur Gärung kommen. Hinter diesen Fragen liegt der Drang nach Zielen, denen die Allgemeinheit oder Teile der Allgemeinheit den Vorrang geben und die sie im Wahlkampf an die Spitze zu stellen bereit sind. Die elementaren Bedürfnisse des politischen Lebens, des sachdienlichen Funktionierens des politischen Systems selbst, sind zu groß und zu weit von der Arena entfernt, in der die organisierten Interessen zum Kampf aufmarschiert stehen. Daraus erklärt sich, weshalb diese Grundbedürfnisse immer wieder von der Tagesordnung geschoben werden. Sie haben keine natürlichen Fürsprecher und berühren so offensichtlich, aber auch nur so allgemein das Interesse aller Staatsbürger, daß sich ihrer niemand ernstlich annimmt 3 3 .

V. Hauptpunkte Lassen Sie mich nun m i t einer Zusammenstellung der Hauptpunkte zu meinem Teil unseres Themas schließen. 1. Der Begriff des Gemeinwohls trägt i n das rein faktische Neben- und Miteinander von Menschen eine ordnende Zweckvorstellung, indem er der sozialen Gegebenheit den Anspruch entgegenhält, eine Gemeinsamkeit anzuerkennen und deren Förderung zum vorrangigen Gebot zu erheben. 2. Das Gemeinwohl ist keine inhaltlich fixierbare Konstante, die auf Befragung konkrete Aussagen abwirft, sondern, wie i n ihren Voraus38 Fritz Morstein Marx, Einführung in die Bürokratie: Eine vergleichende Untersuchung über das Beamtentum. Neuwied: Luchterhand, 1959, S. 208.

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Setzungen jede lebensfähige Gemeinsamkeit selbst, von den zivilisatorisch bestimmenden Zeitumständen abhängig, die für ein Fragen wie für ein Antworten den maßgeblichen Rahmen setzen. 3. Der Begriff des Gemeinwohls ist ein Richtungsanzeiger, nicht i n dem Sinne, daß die Nadel jeweils vor einem speziellen Verhaltensmodell zum Halten kommt, wohl aber i n der anderen Bedeutung, daß das zur Wahl gestellte Tun sich als Mittel zur Förderung der Gemeinsamkeit legitimieren muß und nicht allein i n der Wahrnehmung eines engeren Interesses seine Rechtfertigung findet. 4. Je fester die Grundzüge einer gestalteten Gemeinsamkeit i m Bewußtsein der Beteiligten eingewurzelt sind, desto klarer bilden sich dort einheitliche Leitvorstellungen darüber, was dem Gemeinwohl dient und was nicht. Ideologischer Wandel und institutionelle Umformungen beeinflussen die Grundlagen und den Geltungsanspruch solcher Leitvorstellungen. 5. Traditionalisierte Ausprägungen der Gemeinsamkeit, soweit sie nicht durch weithin empfundene Herausforderung i n Frage gestellt werden, können dementsprechend den Gemeinwohlbegriff als solchen mit kodexgleicher Wirkung ausstatten, während in einer „offenen Gesellschaft" mit ihren stark differenzierten Impulsen das Streben nach einer vergleichbaren Wirkung mit dem Wesen dieser Gesellschaft nicht vereinbar sein würde. 6. Der Gemeinwohlbegriff läßt keine echte Widersprüchlichkeit dahingehend zu, daß ein vorgeblich öffentliches Interesse einem anderen vorgeblich öffentlichen Interesse i n den Weg geraten könnte. Es handelt sich dabei i n Wahrheit um einen nur scheinbaren Konflikt, der vermöge einer in die Tiefe dringenden Analyse durch Ermittlung des Gemeinwohls zu überwinden wäre. Ein Interesse w i r d nicht schon dadurch zum öffentlichen, daß es einen öffentlichen Träger findet. 7. Es ist eine primäre Aufgabe der politischen Parteien in der „offenen Gesellschaft", wettbewerbliche Konzeptionen des Gemeinwohls in programmatischer Form zu entwickeln und i n Zirkulation zu bringen. Die Erfüllung dieser Aufgabe w i r d dadurch erschwert, wenn nicht verhindert, daß wenige Großparteien sich mit nahezu gleichen Appellen um die gesamte Wählerschaft bemühen, was infolge des Bestrebens nach einem Formalkonsens zur Leisetreterei einlädt. 8. U m den Gemeinwohlbegriff nicht zur Leerformel werden zu lassen, die ihre inhaltliche Ausfüllung zwangsläufig den anwendenden Organen überantwortet, muß die Legislative selbst jeweils Konkretisierungsansätze beisteuern, was schon durch die Festlegung von Kriterien für die Lenkung des anwendenden Urteils geschehen kann, sofern diese nicht selbst zu Leerformeln herabsinken.

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9. I m Zusammenwirken von Legislative und Exekutive ist die öffentliche Verwaltung i n der Lage, solchen enunziatorischen Bestrebungen durch eigene Vorschläge wesentliche Stütze zu bieten. Dabei ist allerdings dreierlei vorauszusetzen: zum ersten, daß sich die Verwaltung allen Glaubens entschlägt, sie sei am ehesten berufen, sich mit Autorität über das Gemeinwohl auszulassen; zum zweiten, daß sie andererseits ihrer unmittelbaren Verantwortlichkeit als sachkundiger Berater nicht aus dem Wege geht; und zum dritten, daß sie als vertrauenswürdige Säule bei der Sicherung der politischen Ordnung nicht ausfallen darf. 10. Die Festigung der inhaltlichen Verbindlichkeiten des Gemeinwohlbegriffs setzt i n der „offenen Gesellschaft" eine organisierte, weitausholende und fortlaufende Bemühung mit dem Ziel voraus, die für die Würdigung von Aktionsmöglichkeiten relevante Information i n die A l l gemeinheit zu tragen, nicht um bereits getroffene Entscheidungen zu propagieren, sondern u m der Öffentlichkeit ein verständiges Umgehen m i t ins Licht gerückten Fragestellungen zu ermöglichen.

Gemeinwohl und öffentliche Interessen in den Verfassungen und den Gesetzen des sozialen Rechtsstaates Von Roman Schnur

I. Es erscheint angebracht, zunächst klarzustellen, wie das Thema i m folgenden behandelt werden soll, damit Mißverständnisse vermieden werden können. Erste Aufgabe der Untersuchung ist es nicht, eine detaillierte Darstellung des Standes der Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und der Länderverfassungen zu geben und diese um eine weitere Variante zu bereichern. Vielmehr soll es hier darauf ankommen, zunächst zu ermitteln, was die Funktion der beiden Begriffe „Allgemeines Wohl" und „öffentliches Interesse" i n den jeweiligen Verfassungen als den obersten Rechtsquellen ist. Von diesem Standpunkt aus läßt sich dann eher der gegenwärtige Stand der Auslegung verstehen. Ein solches Vorgehen muß mit dem Einwand rechnen, es verkenne den Unterschied zwischen dem allgemeinen Sinn eines Begriffs und dem von einer bestimmten Rechtsordnung verbindlich festgelegten Sinn. Doch dürfte dieser Einwand nicht überzeugen. Er wäre nur dann angebracht, wenn der erwähnte Unterschied während der Erörterung nicht beachtet würde. Wenn jedoch berücksichtigt wird, wann es um allgemeine Ausführungen geht und wann um die rechtsdogmatische Betrachtung, dann dürften Bedenken fehl am Platze sein 1 . Aber daß das hier gewählte Vorgehen berechtigt ist, ergibt sich aus der Aufgabe, eine für unbefriedigend gehaltene Interpretation dadurch abzuklären, daß der Standpunkt der Betrachtung zunächst außerhalb der bislang üblichen bezogen wird, um dadurch die Interpretationsschwierigkeiten erkennen zu können. Deshalb 1 I n dem englischen und dem amerikanischen Schrifttum, auf das in Anm. 2 hingewiesen wird, behandelt man das Thema weniger vom juristischen als vom politikwissenschaftlichen Standpunkt aus. Doch ist das für die allgemeine Erörterung belanglos. Wenn es dort Meinungen gibt, welche die allgemeine Bedeutung von „Gemeinwohl" bestreiten, dann ist für sie die politische Verwendung dieses Ausdrucks für die Wissenschaft ein „politisches Datum", also Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung, nicht aber selbst eine Norm.

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soll vorab der Versuch gemacht werden, die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliches Interesse" unter allgemeinen Aspekten zu betrachten. Daran soll anschließen die Erörterung der Frage, wie unter den allgemeinen Aspekten diese Begriffe i n den hier maßgeblichen Rechtsordnungen zu würdigen sind.

II. 1. Bekanntlich ist immer wieder, vor allem in letzter Zeit, behauptet worden, man müsse die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliches Interesse" aufgeben, weil sie für die Handhabung einer Rechtsordnung unbrauchbar seien. Sie seien so weit gefaßt, ja inhaltlich geradezu leer, daß sie als verbindlich angesehene Handlungsanweisungen nicht gebraucht werden könnten. Ein weiterer Einwand, der weniger radikal ansetzt, geht dahin, die einzige soziale Funktion derartiger Begriffe sei es, eine Aura von Legitimität um solche Entscheidungen zu werfen, die tatsächlich nur das Ergebnis von Gruppeneinflüssen sei; eine objektive Feststellung des Sinns solcher Begriffe sei mithin unmöglich 2 . Diese Einwände leugnen also die Möglichkeit, überhaupt einen objektiv feststellbaren Sinn solcher Begriffe zu ermitteln. Nach ihnen sind diese Begriffe nur relevant innerhalb einer bestimmten Rechtsordnung. I m Konflikt der widerstreitenden Interessen bestimme die jeweils stärkste Gruppe, was als Wohl der Allgemeinheit zu gelten habe und was im öffentlichen Interesse liege. Diese Einwände enthalten, wie nun zu zeigen ist, Richtiges und Falsches und zielen deshalb i m Ergebnis zu kurz. 2 Ausgangspunkt dieser Denkweise ist A. F. Bentley , The Process of Government, Chicago 1908. Seine Anhänger haben dies später aufgegriffen, so vor allem D. B. Truman , The Governmental Process, New York 1951. Besonders lebhaft wurde die Diskussion dann ab 1957 mit F. J. Sorauf, The Public Interest Reconsidered, Journal of Politics, 19, 1957, S. 616 ff., und G. Schubert, ,The Public Interest' in Administrative Decision-Making, Am. Pol. Sc. Rev., 51, 1957, S. 346 ff. Aus dem dann folgenden umfangreichen Schrifttum siehe W. A. R. Leys und Ch. M. Perry , Philosophy and the Public Interest, Chicago 1959; G. Schubert , The Public Interest, Glencoe 1960; H. R. Smith , Democracy and the Public Interest, Athens 1960; C. J. Friedrich , ed., The Public Interest, New York 1962 (Nomos, vol. V); R. E. Flathman, The Public Interest, New York 1966. Sehr wichtig von britischer Seite: Β. Barry, Political Argument, London 1965. Für die grundsätzlichen Bemerkungen ist das neuere amerikanische und englische Schrifttum erheblich interessanter als dasjenige in deutscher Sprache, für das Studien wie: J. Messner, Das Gemeinwohl, Osnabrück 1962, und Κ . A. Mollnau, Der Mythos vom Gemeinwohl. Zur Kritik der politisch-klerikalen Sozial- und Staatsideologie, Berlin(-Ost) 1962, als repräsentativ angesehen werden dürfen, insbesondere was das Interesse am Stand der internationalen Diskussion angeht, aber auch hinsichtlich des Argumentationsstils: entweder monologisch oder sogleich anpöbelnd.

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2. Wenn man sich darüber einig ist, daß die erwähnten Begriffe nur innerhalb -sozialer Gruppen sinnvoll sind, dann läßt sich wohl unschwer nachweisen, daß sie einen objektiven Kern haben, auf den man sich einigen kann. Beide Begriffe gehen also davon aus, daß es einen Unterschied zwischen dem Interesse der Gruppe als einem Ganzen und dem Interesse des einzelnen Gruppenmitglieds geben kann. Schon an dieser Stelle dürfte verständlich werden, weshalb insbesondere der Ausdruck „Wohl der Allgemeinheit" vornehmlich, wenn nicht gar ausschließlich i m sogenannten Grundrechtsteil der Verfassungen vorkommt. Er soll offenbar Grenzen angeben, die der Freiheit des einzelnen gesetzt sind, und zwar von der Gruppe, d. h. dem Staat. Damit dürfte feststehen, daß es i m Prinzip einen objektiven Sinn solcher Begriffe gibt, eben weil er m i t der Sache, nämlich dem Verhältnis des einzelnen zum Staat, gegeben ist 3 . Freilich steht damit noch nicht fest, welches in concreto die Gesichtspunkte sind, die zugunsten des Staates die Freiheit des einzelnen einschränken sollen. Man weiß jetzt nur, da β es i n der Gruppe dem Prinzip nach Unterschiede zwischen dem Interesse der Gruppe und dem Interesse des einzelnen gibt. Die nächste Frage muß dahin gehen, welche der unendlich zahlreichen Interessen des einzelnen zugunsten des Staates nicht verfolgt werden dürfen. A n dieser Stelle könnte der vorhin erwähnte Einwand, hier zeige sich die Unbrauchbarkeit dieser Begriffe, eher begründet erscheinen, denn nunmehr hänge jede weitere Bestimmung des Inhalts dieser Begriffe von der jeweiligen Rechtsordnung ab. Doch auch hier erscheint der Einwand nicht restlos überzeugend. Es darf nämlich als ausgemacht gelten, daß jeder Staat einige konkrete Aufgaben hat. Dies ist das allseits anerkannte M i n i m u m an staatlichen Aufgaben, die mit dem Interesse der einzelnen kollidieren können, genauer: i m Konfliktsfalle zu seinen Lasten erledigt werden. Wenn beispielsweise eine der konkreten elementaren Aufgaben eines jeden Staates darin liegt, das Monopol der legitimen Gewaltanwendung zu haben, dann sind, von wenigen Ausnahmen wie etwa Notwehr abgesehen, den einzelnen bestimmte Interessenverfolgungen verwehrt. Was nun als solche konkreten elementaren Aufgaben des Staates betrachtet wird, läßt sich am ehesten durch eine empirische Betrachtung ermitteln 4 . 8 Selbst der schwächste und quantitativ kleinste Wunsch nach sozialem Uberleben konstituiert ein „Gemeinwohl" der einzelnen. Die Schwierigkeiten beginnen bei der Anwendung des Begriffs im konkreten Fall. Mit Recht führt daher die neuere, sehr behutsame Kritik der erwähnten Kritik an, die Kritik habe recht, insofern sie sich gegen Ubertreibungen wehre, übertreibe aber ihrerseits selbst, vgl. etwa Barry, a.a.O., S. 190 ff. 4 Deshalb mag hier die Feststellung genügen, daß dies für alle politischen Gebilde, die die Merkmale des „Staates" haben, offenkundig ist.

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A n dieser Stelle jedoch endet die allgemeine Ergiebigkeit der Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliches Interesse". Hier beginnt die Begründetheit der vorhin erwähnten Einwände, denn was i n einer bestimmten Rechtsordnung darüber hinaus als allgemeines Wohl gilt, das i m Konfliktsfall den Vorrang vor den Interessen der einzelnen Gruppenmitglieder haben soll, ist nur aus dem jeweiligen System heraus zu ermitteln 5 . 3. Damit ist zugleich gesagt, daß die Auslegung der Begriffe „ W o h l der Allgemeinheit" und „öffentliches Interesse" i n einer bestimmten Rechtsordnung nicht beliebig frei ist. Insbesondere die Verfassung würde ihre Rolle als Handlungshalt verlieren, wollte sie diese Ausdrücke als Leerformeln behandeln, deren Ausfüllung Staatsorganen überlassen bliebe, die ihr ansonsten unterworfen sind. Es kommt also auch hier darauf an, m i t den Mitteln der juristischen Auslegungstechnik den Inhalt der betreffenden Vorschriften der Verfassung zu ermitteln. Allerdings sind etliche der i n solchen Fällen vorgeschlagenen Auslegungshilfen i n sachlicher Hinsicht unergiebig. Wenn beispielsweise gesagt wird, eine Enteignung sei nur dann gerechtfertigt, wenn das öffentliche Interesse i m Einzelfall das beeinträchtigte Individualinteresse überwiegt, so ist das nur die Wiederholung des Verfassungstextes mit anderen Worten, während die eigentliche Sachfrage umgangen wird, denn diese w i l l wissen, wann das öffentliche Interesse überwiegt®. Zwar können hier nicht die einschlägigen, bekanntlich auch bei der Auslegung vieler anderer Verfassungsvorschriften maßgeblichen Auslegungsprobleme eingehend behandelt werden. Doch sei wenigstens bemerkt, daß der überkommene Komplex von derartigen Konfliktslösungen als Halt für die Auslegung angesehen wird. Diese Argumentation entlastet i n erheblichem Maße, weil sie sich die eingehende Begründung durch den Verweis auf bereits Entschiedenes erspart. Aber dieser Halt versagt recht oft, insbesondere dann, wenn i m überkommenen Komplex der Lösungsregelungen etliche Probleme noch unbekannt und daher ungelöst waren, ganz allgemein aber auch dann, wenn sich die Sachverhalte nunmehr gegenüber den früheren, auf denen die überkommenen Lösungen aufbauten, verändert haben 7 . Von hier an läßt die Verfassung den übrigen Staatsorganen erheblichen Spielraum. Eine Konfliktslösung zugunsten des Wohls der Allgemeinheit kann dann nicht mehr eine Begründung haben, die sich auf die inhalt6 Vgl. auch E. Bodenheimer , Prolegomena to a Theory of the Public Interest, in: Nomos, V, a.a.O., S. 214 f. β Zur Kritik an solchen Auslegungsmethoden siehe Schnur, Pressefreiheit, W D S t L , 22,1965, S. 122 ff., mit weiteren Hinweisen. 7 Zum überkommenen Komplex von fixierten Konfliktslösungen im Anschluß an C. Schmitt und P. Lerche: Schnur, a.a.O., S. 125 ff.

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liehe Aussage 'der Verfassung bezieht, auch wenn man diese noch so sehr preßt. Dies ist der Grund, weshalb man, worauf schon Kimminich aufmerksam gemacht hat, i n der Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Enteignung nach Art. 14 GG meistens negative Definierungen verwendet, d. h. sagt, es liege etwas nicht i m öffentlichen Interesse 8 . Das ist ζ. B. auch an den Ausführungen von Werner Weber und v. Mangoldt-Klein zu erkennen, wenn diese i m Hinblick auf Art. 14 GG sagen, die Gemeinwohlbindung der Enteignung wende sich i n ihrer strengen Sachzweckbezogenheit polemisch gegen Entrechtungen, Deklassierungen, Konfiskationen usw. 9 . So konkret diese negativen Aussagen auch sein mögen, so besagen sie nichts über die positiven Möglichkeiten, wobei in diesem Zusammenhang nur am Rande bemerkt sei, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch i n jedem Falle als weitere sachliche Schranke zu beachten ist 1 0 . Hier liegt bekanntlich das vielleicht schwierigste Auslegungsproblem rechtsstaatlicher Verfassungen, denn hier überläßt die Verfassung es den Staatsorganen, den Konflikt zu entscheiden. Dafür gibt sie also keine inhaltlichen Maßstäbe. Damit aber w i r d das Problem verlagert, denn es geht nunmehr um die Frage, wer über den Konflikt entscheidet, d. h. verbindlich feststellt, daß eine bestimmte Konfliktsentscheidung rechtens sei. Die rechtsstaatliche Verfassung läßt es jedoch nicht zu einem puren Dezisionismus kommen, wer immer auch die letzte verbindliche Entscheidung über den Konflikt zwischen Gemeinwohl und Individualinteresse zu fällen hat. Sie verlangt, wenn sie selbst schon keine inhaltlichen Maßstäbe gibt, doch immer eine begründete Entscheidung 11 . Sie w i l l damit den Entscheidenden zwingen, nur nach reiflicher Überlegung zu handeln, und sie w i l l die Möglichkeit geben, durch die Begründung der Maßnahme um Konsens dafür zu werben. Das ist wohl gemeint, wenn es heißt, jede vernünftige Erwägung des Gesetzgebers sei durch das Gemeinwohl legitimiert. Allerdings ist sogleich daran zu erinnern, daß vernünftig hier nicht inhaltliche Übereinstimmung mit einem vorgegebenen Maßstab bedeutet, sondern Nach8

O. Kimminich, Bonner Komm., Anm. 126 zu Art. 14. W. Weber, Eigentum und Enteignung, in: Neumann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 2, S. 333, und ihm folgend v. Mangoldt-Klein, Komm. z. Grundgesetz, S. 444. 10 Grundlegend noch immer: P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, Köln 1961. 11 I n der Rechtsdogmatik wird der Begründungszwang (vgl. BVerfGE 6, S. 32 ff. (44 f.)) meistens mit der Überlegung erklärt, der Bürger müsse erkennen können, ob und wie er Rechtsmittel einlegen könne. Das ist jedoch zu eng gesehen, weil es hier auch um die permanente politische Kommunikation geht, für die bereits die bloße Mitteilung der Gründe als solche von Wert ist, indem dabei postuliert wird, sowohl der Staat als auch der Bürger seien vernünftig genug, um Gründe zu haben bzw. sie zu verstehen. Wie sich der Bürger dann verhält, ob er ζ. B. den Verwaltungsakt anficht, ist eine zweite Frage. 9

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vollziehbarkeit des Gedankengangs, der die Entscheidung begründen soll. Hier tritt, was sich immer deutlicher als ein Merkmal rechtsstaatlicher Verfassungen i n pluralistischen Gesellschaften abzuzeichnen scheint, die Wahrung bestimmter Verfahrensregeln an die Stelle der Beachtung inhaltlicher Maßstäbe 12 . Dies muß für die Beantwortung der Frage, welche Folgen dies für die gerichtliche Nachprüfung solcher Maßnahmen hat, erhebliche Bedeutung haben. Doch sollen die damit zusammenhängenden Probleme i n diesem Referat nicht behandelt werden. 4. Bislang mochte es angehen, die beiden Ausdrücke „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliches Interesse" synonym zu verwenden. Aber die nähere Betrachtung des Themas macht eine Klärung der Frage unumgänglich, ob man diese beiden Ausdrücke unterschiedslos verwenden kann. I n der Tat läßt sich sogar i n der gegenwärtigen rechtsdogmatischen Erörterung feststellen, daß selbst i m Hinblick auf Art. 14 GG, worauf hernach noch näher einzugehen ist, beide Ausdrücke synonym gebraucht werden. Freilich ist es von einem allgemeinen Standpunkt aus betrachtet ungewiß, ob die beiden Ausdrücke unbedingt unterschiedlich verwendet werden müssen, denn selbst i m theoretischen Schrifttum besteht darüber keine Einmütigkeit. Gleichwohl ergibt die nähere Betrachtung der verschiedensten Rechtsordnungen, daß man mit diesen beiden Ausdrücken zwei verschiedene Sachverhalte kennzeichnen kann. Deshalb soll i m A n schluß insbesondere an die gründlichen Ausführungen des Engländers Brian Barry i n seinem vor einigen Jahren erschienenen Buch „Political Argument" versucht werden, eine befriedigende Unterschiedung vorzuschlagen und diese auch hernach bei der Erörterung der einschlägigen Verfassungsvorschriften anzuwenden. Barry sagt, der Ausdruck „Wohl der Allgemeinheit" werde oft dazu benutzt, wenn es darum gehe, einzelne Bürger zu veranlassen, etwas zu tun oder zu dulden, was ihren rein individuellen Interessen entgegengesetzt sei. Hingegen werde der Ausdruck „öffentliches Interesse" gerne verwendet, um Maßnahmen zu kennzeichnen, die ein bestimmtes Handeln der Bürger ermutigen wollen 1 3 . Folgt man dieser Unterscheidung, so geht es um das Wohl der Allgemeinheit stets dann, wenn die Verfolgung eines bestimmten Interesses des Bürgers vom Standpunkt der Gruppe aus unerwünscht erscheint und i h m Einhalt geboten werden soll. Hier wäre der Ausdruck „öffentliches 12 Vgl. aber als Kritik an den „Due-Process-Realists" Schubert, a.a.O., S. 204 ff. 18 Barry, a.a.O., S. 203 ff.

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Interesse" unangebracht, er wäre nämlich synonym mit „Wohl der Allgemeinheit". Hingegen ist das „öffentliche Interesse" etwas, was zu dem individuellen Interesse hinzutritt. Es geht also nicht um eine Konfliktssituation, sondern darum, daß ein individuelles Interesse öffentliche Zwecke zu fördern vermag und deshalb auch m i t öffentlichen M i t t e l n seinerseits gefördert wird. Zwar können diese Förderungen auch mit Auflagen usw. verbunden sein, die sich für den betreffenden Bürger als eine Belastung darstellen. Doch geht es hierbei nicht um die Lösung eines Interessenkonflikts zu Lasten des individuellen Interesses, sondern weil dieses auch öffentliche Interessen bedient, macht dessen Förderung mit der Förderung des individuellen Interesses zugleich bestimmte Auflagen usw. nötig 1 4 . Zwar hat Barry diese Unterscheidung ohne Bezugnahme auf öffentlich-rechtliche Prinzipien entwickelt, aber es läßt sich unschwer erkennen, daß er hier i m Grunde, wenn vielleicht auch unscharf, die Unterscheidung von Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung trifft. Wenn man diesen Vorschlag akzeptiert, dann ist bei der Auslegung positiven Rechts zu fragen, ob von der Sache her die beiden Ausdrücke richtig verwendet werden. Nur auf diese Weise läßt es sich vermeiden, daß bei einer falschen Wahl der Ausdrücke i m positiven Recht eine falsche Auslegung gefunden wird.

III. Nunmehr soll versucht werden, die Nutzanwendung dieser allgemeinen Erörterung bei der Betrachtung der einschlägigen Vorschriften des geltenden Verfassungsrechts zu erproben. 1. Zunächst sollen diejenigen Verfassungsvorschriften erörtert werden, die außerhalb des sog. Grundrechtsteils liegen. Hier ist nach dem vorhin Gesagten zu vermuten, daß die Ausdrücke „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliches Interesse" unergiebig sind. Dies war offenbar dem Parlamentarischen Rat bewußt, denn in diesem Zusammenhang verwendet er nicht die beiden Ausdrücke. Anders steht es m i t einigen Landesverfassungen: a) So bestimmt die Verfassung des Freistaates Bayern i n Art. 3, daß der Staat dem Gemeinwohl dient. Diese Vorschrift w i r d allseits als Programmsatz gekennzeichnet. Sie sind also als verbindliche Verhaltens14

Siehe die Beispiele bei Barry, a.a.O., S. 217 f.

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richtlinie unergiebig, d. h. belanglos für die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten staatlicher Organe rechtmäßig ist oder nicht 1 5 . b) I n der Präambel der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg ist bestimmt, daß jedermann die sittliche Pflicht habe, für das Wohl des Ganzen zu wirken. Der ausdrückliche Hinweis, es handele sich u m eine sittliche Pflicht, macht deutlich, daß es hier nicht u m eine Rechtspflicht geht. Überdies dürfte hier der Ausdruck „Wohl des Ganzen" fehl am Platze sein, w e i l es für den einzelnen nicht um die sittliche Pflicht geht, für das Wohl des Ganzen zu handeln, denn dies können nur die staatlichen Organe tun. Es wäre wohl genauer gewesen zu sagen, jedermann habe die Pflicht, die Verfolgung seiner Interessen so einzurichten, daß damit zugleich öffentliche Interessen gefördert werden. c) Etwas anders liegen die Fälle dort, wo Landesverfassungen einschlägige Ausdrücke i n den Amtseid des Ministerpräsidenten und der Minister aufgenommen haben. aa) Gemäß A r t . 100 der Verfassung von Rheinland-Pfalz haben der Ministerpräsident und die Minister u. a. zu schwören, daß sie ihr A m t zum Wohle des Volkes führen werden. Da dies jedoch ausdrücklich getreu der Verfassung und den Gesetzen zu erfolgen hat, geht dem Ausdruck „ W o h l des Volkes" die rechtliche Relevanz ab. bb) Ähnlich lautet A r t . 91 der Verfassung des Saarlandes. Hier sind dieselben kritischen Bemerkungen angebracht. Wie bereits erwähnt, fehlt hier dem Ausdruck „ W o h l des Volkes" die rechtliche Relevanz, w e i l die Verfassung und die Gesetze als Grenzen des Handelns ausdrücklich erwähnt werden. Doch w i r d das Problem i n der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz dadurch verschärft, daß gemäß Art. 131 die Ministeranklage auch erhoben werden kann, wenn ein Mitglied der Regierung i n oder bei seiner Amtsführung die Wohlfahrt des Landes schwer gefährdet. Dieser Tatbestand ist neben den Rechtsverstößen erwähnt, so daß i h m eigene Bedeutung zukommen soll. Da die Präsidenten- oder die Ministerklage unter Rechtsverstößen, die mittels dieses Instruments geahndet werden sollen, regelmäßig nur Verstöße gegen die Verfassung oder gegen sonstige Gesetze verstehen, liegt die erwähnte Vorschrift der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz außerhalb dieses Systems. Sie pönalisiert etwas, was nach üblicher A u f fassung i m freien Raum des Politischen liegt und auch demgemäß beurteilt und behandelt w i r d 1 6 . 15 Typisch für die vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes bestehende Unklarheit über den Freiheitsbegriff die Kommentierung dieser Vorschrift bei Nawiasky-Leusser, Die Verfassung des Freistaates Bayern, München 1948, Art. 151 (S. 232/233). 18 Das Grundgesetz kennt bekanntlich im Gegensatz zur Weimarer Reichs-

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2. Der Ausdruck „Wohl der Allgemeinheit" oder ähnliches kommt außerhalb des Grundrechtsteils i n jenen Landesverfassungen vor, die i m Gegensatz zum Grundgesetz und zu anderen Landesverfassungen Aussagen über die Wirtschafts- und Sozialordnung oder über andere Teile des Gemeinschaftslebens machen. a) Die Verfassung des Freistaates Bayern bestimmt i n A r t . 151, daß die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dem Gemeinwohl diene und daß die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen ihre Grenze i n der Bücksicht auf den nächsten und auf die sittlichen Forderungen des Gemeinwohls habe. Diese Verfassungsvorschrift macht insgesamt deutlich, daß der Satz, wonach die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dem Gemeinwohl diene, nicht isoliert betrachtet werden darf, denn als solcher würde er das Prinzip des freien Wirtschaftens aufheben. Die wirtschaftliche Tätigkeit dient nicht dem Gemeinwohl, wenn gleichzeitig das Prinzip der wirtschaftlichen Freiheit des einzelnen proklamiert wird. Nur eine Wirtschaftsordnung, die keine Freiheit i m traditionellen Sinne kennt, dient dem Gemeinwohl. Insoweit also kommt dem erwähnten Satz der Verfassung des Freistaates Bayern keine eigene Bedeutung zu, und was den Hinweis auf die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen betrifft, so handelt es sich hier u m eine Grundrechtsbeschränkung, auf die i n anderem Zusammenhang einzugehen ist 1 7 . Gleiches gilt für die Vorschrift des Art. 163 Abs. 2, wonach der i n der land- und forstwirtschaftlichen K u l t u r stehende Grund und Boden aller Besitzgrößen der Gesamtheit des Volkes dient, denn der folgende Absatz gewährleistet das bäuerliche Eigentum auf Grund und Boden. b) A r t . 38 der Bremischen Verfassung bestimmt, daß die Wirtschaft dem Wohle des ganzen Volkes und der Befriedigung seines Bedarfs zu dienen habe. c) Ähnliches enthält die Hessische Verfassung i n Art. 38 Abs. 1 Satz 1. d) Das gilt auch für die Verfassung des Saarlandes. e) Ein gewisses Kuriosum enthält A r t . 26 Ziff. 2 der Bremischen Verfassung. Danach hat die Erziehung und Bildung der Jugend u. a. die Aufgabe, die Erziehung zu einem Arbeitswillen, der sich dem allgemeinen Wohl einordnet. Diese Vorschrift läßt die Verwendung des Ausdrucks Verfassung keine Ministeranklage. Aber auch Art. 59 W R V beschränkte die Ministeranklage auf Rechtsverletzungen. I m parlamentarischen Regierungssystem ist eine Ausdehnung dieser Art von Verantwortlichkeit auf andere Tatbestände als diejenigen der Rechtsverletzung systemwidrig, ganz abgesehen davon, daß der in der L V von Rheinland-Pfalz erwähnte Tatbestand der rechtsstaatlichen Genauigkeit ermangelt. 17 Siehe unten S. 67,68. 5 Speyer 39

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„Allgemeines Wohl" außerhalb des Grundrechtsteils besonders deutlich werden. Wenn hier allgemeines Wohl mehr bedeuten soll als der Hinweis auf die Beachtung des Rechts, dann ist zu fragen, was dieses allgemeine Wohl sein soll, dem sich der Arbeitswillen einzuordnen hat. 3. Bevor nun die Verwendung der Ausdrücke „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliches Interesse" i n den Grundrechtsteilen der einschlägigen Verfassungen, genauer: der Freiheitsrechtsteile erörtert wird, sind jene Vorschriften zu erwähnen, i n denen i m Zusammenhang m i t den Grundpflichten diese Ausdrücke vorkommen. Dies gilt für folgende Verfassungen: a) A r t . 117 der Verfassung des Freistaates Bayern bestimmt u. a., daß alle ihre körperlichen und geistigen Kräfte so zu betätigen haben, wie es das Wohl der Gesamtheit fordert. b) A r t . 9 der Bremischen Verfassung besagt, daß jeder die Pflicht habe, seine Kräfte zum Wohle der Allgemeinheit einzusetzen. c) I n Art. 20 der Verfassung von Rheinland-Pfalz ist u. a. bestimmt, daß jeder seine körperlichen und geistigen Kräfte so zu betätigen habe, wie es dem Gemeinwohl entspricht. Man braucht nicht i n die immer wieder aufflackernde Diskussion über die Frage einzutreten, ob es neben den Grundrechten auch Grundpflichten des einzelnen gebe, um diese Vorschriften hinreichend würdigen zu können 1 8 . Hier mag die Feststellung genügen, daß der Staat Anspruch auf Gehorsam gegenüber seinen rechtmäßigen Vorschriften hat und daß er diesen Anspruch gegebenenfalls m i t Zwangsmitteln durchsetzen kann. I n soweit hat der einzelne die Rechtspflicht, Konfliktslösungen zugunsten des Wohls der Allgemeinheit zu akzeptieren. Darüber hinaus kann es keine inhaltlichen Pflichten von Rechtsnatur für den einzelnen geben. Wenn die durch die Verfassung und Gesetz ermöglichte Beanspruchung des einzelnen zugunsten des Staates nicht ausreicht, um das Wohl der Allgemeinheit zu wahren, kann der Staat die Bürger nicht zu „besserem" Verhalten zwingen. Er vertraut auf die Vernunft der Bürger, doch wenn die rechtlich erzwingbaren Leistungen und die freiwilligen nicht ausreichen, verliert er selbst seine Existenzberechtigung, weil er keine andere Existenzberechtigung kennt als die, die er i m Rahmen der Verfassung durch Zwang sichern kann und die darüber hinaus von dem Bürger anerkannt wird 1 ®. 18

94 ff.

Vgl. etwa Th. Maunz, Deutsches Staatsrecht, 13. Aufl., München 1964, S.

1β Hiermit ist nicht der Fall eines Notstandes gemeint, der seinerseits verfassungsgesetzlich geregelt werden kann. Vielmehr ist der Fall gemeint, daß

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4. Somit dürfte sich gezeigt haben, daß rechtliche Relevanz dem Ausdruck „Wohl der Allgemeinheit" oder ähnlichem nur i m Konflikt zwischen staatlichen Belangen und individuellem Interesse zukommt, wie dies eingangs unter allgemeinen Aspekten beschrieben wurde. Der eigentliche Ort dieses Ausdrucks ist deshalb der Grundrechtsteil, d. h. jener Teil der Verfassungen, der die Regelungen des Verhältnisses von einzelnem und Staatsgewalt enthält. Dies sei zunächst am bekanntesten Falle der Verwendung des Ausdrucks i m deutschen Verfassungsrecht untersucht, also an A r t . 14 GG. Diese Vorschrift erwähnt den Ausdruck „Wohl der Allgemeinheit" bekanntlich an zwei Stellen. Zunächst heißt es i n Abs. 2 Satz 2, daß der Gebrauch des Eigentums zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen solle. Sodann besagt Abs. 3 Satz 1, daß eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig sei. Da es sich zumindest dem Anschein nach um zwei verschiedene Verwendungen des Ausdrucks handelt, sei die Erörterung dementsprechend gegliedert. a) Abs. 2 des Art. 14 GG läßt sich nur i n Verbindung mit Abs. 1 richtig würdigen, also vor allem m i t dessen Satz 2, wonach Inhalt und Schranken des Eigentums durch die Gesetze bestimmt werden. M i t dieser Regelung ist der Gesetzgeber ermächtigt, dem i m Prinzip zunächst unbegrenzten Eigentum gewisse Schranken zu setzen. W i l l man Abs. 2 als eine Rechtspflicht auffassen, deren Durchsetzung dem Staat freisteht, so würde damit die Entscheidung des Abs. 1 wieder aufgehoben werden. Deshalb sagen v. Mangoldt-Klein, es handele sich hier um eine Grundpflicht m i t nur sittlicher Verpflichtung 20 . Wegen des Fehlens der rechtlichen Relevanz wäre damit i n diesem Zusammenhang die Erörterung zu Ende. Bekanntlich vertritt jedoch eine zahlenmäßig starke Gruppe von Autoren die Meinung, Abs. 2 des Art. 14 komme eine eigene rechtlich relevante Bedeutung zu, weil dort die Gemeinschaftsbindung des Eigentums verbindlich festgelegt werde. E. R. Huber beispielsweise meint, diese Sozialpflichtigkeit beruhe auf der Verantwortung, die i n jeder gesunden Sozialordnung mit Besitz und M a c h t . . . gegeben sei 21 . Doch dürfte diese Meinung einer genauen Prüfung kaum standhalten. Indem nämlich bereits Abs. 1 des Art. 14 GG dem Gesetzgeber ausdrücklich die Befugnis zur Inhaltsbestimmung und Schrankenziehung einräumt, w i r d die sog. Gemeinschaftsbindung bereits dort festgelegt. Es bedarf deshalb nicht des Abs. 2 dieser Verfassungsvorschrift, u m den ausein politisches Regime von „innen heraus" funktionsuntüchtig wird und allmählich zusammenbricht. 20 ν . Mangoldt-Klein, a.a.O., S. 434. 21 E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Tübingen 1953/54, Bd. 2, S. 15/16. 5*

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drücklichen Hinweis des Verfassungsgebers auf die Gemeinschaftsbindung ausmachen zu können 2 2 . Auch läßt sich die hier abgelehnte Ansicht schwerlich mit dem Hinweis rechtfertigen, die eigenständige Bedeutung des Abs. 2 liege darin, daß damit deutlich gemacht werde, inwieweit die bisherige konkrete Befugnis des Gesetzgebers ausdrücklich erweitert worden sei, also deutlich mache, daß die Verfassung von einem größeren Grad von Sozialpflichtigkeit des Eigentums ausgehe. Merkwürdigerweise w i r d heute immer noch behauptet, das Grundgesetz bestimme, daß der Eigentümer m i t seinem Eigentum nicht mehr, wie früher, nach Belieben verfahren dürfe oder daß die Rückkehr zu einem uneingeschränkt individualistischen Eigentumsbegriff ausgeschlossen sei 23 . Diesen Eigentumsbegriff hat es nämlich niemals gegeben, weil i n keiner Rechtsordnung der Eigentümer nach Belieben verfahren darf, denn auch das Grundrecht des Eigentums steht wie jedes andere Freiheitsgrundrecht unter dem i n jeder Gemeinschaft notwendigen Gemeinschaftsvorbehalt, ob dieser von der Verfassung selbst oder erst vom Gesetzgeber konkretisiert ist. Es könnte mithin allenfalls darum gehen, daß A r t . 14 Abs. 2 GG eine größere Sozialpflichtigkeit als bisher habe ausdrücklich festlegen wollen, um etwaige Zweifel darüber zu vermeiden, ob an dem früheren konkreten Grad der Sozialpflichtigkeit festzuhalten sei. Aber auch dazu bedurfte es nicht einer ausdrücklichen Regelung. Wie hinsichtlich eines jeden Grundrechts ist der heutige Gesetzgeber nicht gehalten, i n allen Einzelheiten die frühere Schrankenziehungsbefugnis des Gesetzgebers zu beachten, erst recht dann nicht, wenn sich die tatsächliche Interessenlage geändert hat. Darauf wurde bereits eingangs hingewiesen. Gelingt es m i t h i n nicht, dem Abs. 2 des A r t . 14 GG rechtliche Relevanz nachzuweisen, dann dürfte sich die vornehmlich von v. Mangoldt-Klein vorgeschlagene Würdigung dieses Verfassungssatzes als einer Grundpflicht mit nur sittlicher Verpflichtung empfehlen. Sie scheidet deshalb aus der rechtlichen Betrachtung aus 24 . b) Die zweite Erwähnung des Ausdrucks „Wohl der Allgemeinheit" findet sich, wie gesagt, i n Abs. 3 Satz 1 des A r t . 14 i m Zusammenhang mit der Enteignung. Hier kommt der Verwendung dieses Ausdrucks offensichtlich rechtliche Relevanz zu, und zwar unter den eingangs vorgestell22 Wenn Kimminich, a.a.O., Anm. 34 und 35, von einer Rechtspflicht des Eigentümers zu positivem Tun spricht, so erwähnt er doch nicht die Fälle von Eigentumsbindung, die über ein Dulden von Eingriffen hinausgehen. Es liegt die Vermutung nahe, daß man zwischen einer „positiven Pflicht" und dem Eingriff in Gestalt des Zwangs, etwas zu tun, nicht genau genug unterscheidet. 23 Immerhin enthält § 903 BGB auch einen Hinweis auf die Gesetze und die Rechte anderer als einer Grenze dieser Freiheit. Aus Quantitätsunterschieden werden Qualitätsunterschiede gemacht, doch ist nachdrücklich auf die Klarstellung bei Kimminich, a.a.O., hinzuweisen. 24 Vgl. v. Mangoldt-Klein, a.a.O., S. 434.

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ten allgemeinen, systematischen Aspekten: I n bestimmten Konfliktslagen soll die Enteignung statthaft sein. Hier w i r d also eine Beeinträchtigung des individuellen Interesses i n Gestalt der Enteignung für zulässig erklärt, wenn die Belange der Allgemeinheit als stärker angesehen werden. Dies ist mithin die dem Ausdruck „Wohl der Allgemeinheit" sachlichsystematisch angemessene Funktion, und es ist deshalb verständlich, daß i n solchem Zusammenhang der Ausdruck die Juristen recht eigentlich interessiert. Gemäß dem vorhin Gesagten kommt es der Auslegung des Ausdrucks „Wohl der Allgemeinheit" darauf an zu ermitteln, i n welchen Situationen die Belange der Allgemeinheit der Verfassung als so stark gelten, daß das individuelle Interesse weichen muß. Damit müssen alle diejenigen Schwierigkeiten der Auslegung auftreten, die sich unter den früher erwähnten allgemeinen, systematischen Gesichtspunkten i n solchen Fällen einzustellen pflegen. Es mag i n diesem Zusammenhang die Frage beiseite bleiben, wie sich die Enteignung, die zur Entschädigung verpflichtet, von der entschädigungslosen Schrankenziehung unterscheidet, denn es genügt hier die Feststellung, daß es diesen Unterschied nach dem Willen des Verfassungsgebers geben soll und daß für die Enteignung das Wohl der Allgemeinheit Voraussetzung ist. Bereits i n den allgemeinen Betrachtungen ist gesagt worden, daß für die Auslegung i m konkreten Fall der Hinweis, die Enteignung sei nur gerechtfertigt, wenn das Wohl der Allgemeinheit überwiege, nicht weiter hilft. Die entscheidende Frage ist nämlich, ob dies i n einem gegebenen Fall so ist. Angesichts der eingangs erwähnten allgemeinen Schwierigkeiten, der Verfassung i n solchen Fällen ausreichend klare inhaltliche Maßstäbe zu entnehmen, kann es nicht wundern, daß die bisherigen Auslegungsversuche beträchtliche Mühe haben, zu klaren Überzeugungen zu kommen. Dafür mag der Auslegungsversuch von Kimminich i m Bonner Kommentar als Beispiel erwähnt werden 2 6 . Er meint, nicht jedes öffentliche Interesse sei identisch m i t dem Wohl der Allgemeinheit; es gebe viele denkbare Aufgaben und Vorhaben, deren Verwirklichung i m öffentlichen Interesse liege. Erst ein gesteigertes, sachlich objektiv öffentliches Interesse könne dem Wohl der Allgemeinheit entsprechen und erst dann den harten Enteignungseingriff rechtfertigen. Doch läßt der Verfasser offen, wann ein öffentliches Interesse gesteigert, wann es sachlich objektiv sei. Offenbar soll objektiv hier bedeuten: Jedermann einsehbar, also allgemein feststellbar. Dies gilt jedoch, wie eingangs bemerkt wurde, nur für 25

a.a.O., Anm. 120 ff.

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die wenigen elementaren staatlichen Aufgaben. Wollte man sich damit begnügen, dann wäre heute die Zulässigkeit von Enteignungen vermutlich geringer als zur Zeit des sogeiiannten Nachtwächterstaates, wo das Wohl der Allgemeinheit bereits mehr als die nur elementaren Aufgaben des Staates umf aßte. Auch der viel zitierte Versuch des Badischen Staatsgerichtshofs aus dem Jahre 1950 führt nicht zu genaueren Ergebnissen 26 . Wenn es dort an der entscheidenden Stelle heißt, eine Enteignung sei nur dann gerechtfertigt, wenn sie einen unzweifelhaft erheblichen Nutzen für das gesamte Volk bringt, so ist das nicht konkreter als der beispielsweise erwähnte Auslegungsversuch von Kimminich. Es bleibt hier wie i n allen anderen Fällen des Eingriffs i n Grundrechte nichts anderes übrig, als zu den üblichen Auslegungshilfen zu greifen. Auch hier also bietet sich der Rückgriff auf den K e r n der traditionellen Regelungsbefugnisse an. Doch erweist er sich gerade hier als nicht besonders fest, weil vor allem i m Bereich der Sozialpflichtigkeit hinsichtlich der Enteignung den Veränderungen der Verhältnisse und der Anschauungen Rechnung zu tragen ist, abgesehen davon, daß auch hier die weitere Bremse des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit greift. Diese Feststellung gilt auch dann, wenn man die überlieferten negativen Abgrenzungen als inhaltlich feststehende Maßstäbe anwendet. Wenn beispielsweise dem früheren Verfassungsrecht die Frage unbekannt war, ob eine Enteignung zwecks Förderung des Baues von Mineralölfernleitungen zulässig sei, w i r d man i m Grundgesetz schwerlich eine A n t w o r t auf die Frage finden, ob es dem Wohl der Allgemeinheit dient, zugunsten der privaten Mineralölindustrie zu enteignen, also konkreter noch: ob das Interesse der Privatwirtschaft am Bau von Mineralölindustrien stärker ist als das Interesse des Eigentümers an seinem Eigentum 2 7 . I n diesen Fällen muß die Formel „Wohl der Allgemeinheit" von den zuständigen Staatsorganen ausgefüllt werden, und dies bedeutet eben, daß sie den Konflikt ohne inhaltlichen Bezug zur Verfassung entscheiden. Hier kann, wie eingangs allgemein gesagt, der Schutz vor purem Dezisionismus mehr oder weniger ausschließlich durch Verfahrenssicherungen bewerkstelligt werden. Dazu gehört nicht zuletzt der Zwang zu eingehender Begründung der Entscheidung, weil dadurch die Möglichkeit gegeben wird, die innere Sachlichkeit der Entscheidung zu kontrollieren, die hier der einzige Kontrollmaßstab, d. h. die Voraussetzung für die Zulässigkeit der Entscheidung ist 2 8 . 2β VerwRSpr., Bd. 2, Nr. 96. 17 Siehe dazu die instruktiven Ausführungen bei M. Bullinger, Die Enteignung zugunsten Privater, Der Staat, 1,1962, S. 449 ff. 28 Hier güt entsprechend das, was das Bundesverfassungsgericht in seiner umstrittenen Rechtsprechung zu Art. 3 (insbesondere BVerfGE 9, S. 28 ff. und 207 ff.) über die „Systemwidrigkeit einer einzelnen Regelung" ausgeführt hat.

Gemeinwohl in den Verfassungen und Gesetzen

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Hier nun dürfte sich besonders deutlich erkennen lassen, weshalb man heute auf umfassendem Hechtsschutz besteht: Wenn es i n zunehmendem Maße schwerer fällt, der Verfassung inhaltliche Maßstäbe für den Gesetzgeber und für die aufgrund gesetzlicher Ermächtigung tätig werdenden Verwaltung zu entnehmen, dann sehen sich diese Instanzen immer offener dem Druck der Interessen ausgesetzt. Hier vermag die bloße Tatsache, daß die betreffende Maßnahme von einem jedenfalls formal unabhängigen Richter überprüft wird, die entscheidenden Instanzen veranlassen, dem Interessendruck größere Sachlichkeit entgegenzusetzen oder dem Interesse des Eigentümers besondere Beachtung zu schenken, zumal dann, wenn er seinerseits über wenig Einfluß verfügt. Das gilt selbst dann, wenn, was hier nicht weiter zu erörtern ist, der kontrollierende Richter sich mehr oder weniger weit zurückhält, um nicht aus der Rolle des Kontrollierenden i n die des i n zweiter Instanz Handelnden überzuwechseln. c) Sieht man die Funktion des Ausdrucks „Wohl der Allgemeinheit" in A r t . 14 Abs. 3 GG so, dann dürfte klar werden, daß es keine Funktion ist, die dieser Vorschrift allein eigen wäre. Dann erscheint die ausdrückliche Erwähnung des „Wohls der Allgemeinheit" als redaktionstechnischer Zufall. Es w i r d dann nämlich zunächst erkennbar, daß das „Wohl der Allgemeinheit" auch für die Auslegung des Abs. 1 des A r t . 14 GG maßgeblich ist, wenn es darum geht zu ermitteln, welche Schranken der Gesetzgeber dem Eigentümer ziehen darf; denn es ist unbestritten, daß die Verfassung auch dabei dem Gesetzgeber nicht gänzlich freie Hand läßt. Wenn das Bundesverwaltungsgericht i n diesem Zusammenhang sagt, die Schrankenziehung dürfe nur erfolgen, u m das Eigentum gegen übergeordnete Werte abzugrenzen, dann ist dies nach dem bisher Ausgeführten nichts anderes als das, was der Ausdruck „Wohl der Allgemeinheit" i n Abs. 3 des Art. 14 GG meint, nämlich der abstrakte Hinweis auf bestimmte zulässige Konfliktslösungen. Hier also w i r d gesagt, daß und wann dem prinzipiell unbegrenzten Eigentum Schranken gesetzt werden dürfen, so wie Abs. 3 bestimmt, daß und wann Enteignungen zulässig sind 2 9 .

IV. Dann dürfte es kein weiter Weg zu der Einsicht sein, daß das Wohl der Allgemeinheit für sämtliche Freiheitsgrundrechte maßgeblich ist. Überall dort nämlich geht es darum, dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, dem Interesse des einzelnen, nach Belieben zu handeln, i m Interesse der Gruppe Grenzen zu setzen. Stets stellt der Ausdruck „Wohl der M

BVerwGE 2, S. 172 ff. (174).

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Allgemeinheit" die Abbreviatur dafür dar, welche Schrankenziehungen die Verfassung für zulässig hält oder nicht. Es ist dann belanglos, ob die Befugnis zur Schrankenziehung ausdrücklich erwähnt w i r d und ob sie m i t dem Ausdruck „Wohl der Allgemeinheit" belegt w i r d oder man dafür oder daneben,andere Ausdrücke verwendet. Stets liegt das eigentliche Problem darin, die Abbreviatur i m einzelnen Falle durch Auslegung aufzulösen, d. h. die Maßstäbe zu ermitteln, welche die Verfassung für die Kontrolle des Gesetzgebers und der durch i h n ermächtigten Verwaltung i m einzelnen Falle bereitstellt. I n dem Maße, i n dem es immer schwerer wird, der Verfassung solche Maßstäbe zu entnehmen, verliert die Verfassung als Handlungshalt an Bedeutung, um i m gleichen Maße die Funktionsfähigkeit des Ganzen immer mehr der konkreten Vernunft der Beteiligten anheimzustellen. Es scheint, als ob die bisweilen krampfhaften Versuche, bestimmte Entscheidungen des Gesetzgebers als i m Einklang m i t inhaltlichen Maßstäben der Verfassung auszuweisen, die tatsächliche Leistungsfähigkeit der konkreten Vernunft der Beteiligten verdunkelt hätte 3 0 . Ob dies am bloßen Festhalten an eingefahrenen Denk- und Argumentationstechniken liegt oder an dem Widerwillen, die Leistungsfähigkeit der Vernunft anzuerkennen, mag hier offen bleiben.

80 Hiermit ist nicht gemeint das Verfahren, nach dem geprüft wird, ob eine Regelung mit der Verfassung verträglich ist, sondern ob eine Regelung abgeleitet (deduziert) werden kann aus der Verfassung. Die in dieser Unterscheidung liegenden schwierigen rechtstheoretischen Probleme können hier nicht erörtert werden. Doch sei dazu so viel bemerkt: Die Versuche, deduktiv vorzugehen, zeugen stets von einem Mißtrauen in die Vernunft der Interpreten, das Systemnotwendige zu respektieren; sie sind also konservierend, indem sie aus Furcht vor der Auflösung des Kerns der betreffenden Verfassungsvorschrift der Stagnation das Wort reden. Eine „offenere" Interpretation plädiert zwar nicht für eine hemmungslose, d. h. auch den Kern auflösende Interpretation, vertraut jedoch der konkreten Vernunft der Beteiligten, welche zwar den Kern wahrt, aber im übrigen dem Wandel der objektiven Gegebenheiten, vor allem aber dem Wandel der Anschauungen, freien Lauf läßt.

öffentliche Interessen und öffentliches Wohl bei der gemeindlichen Neugliederung Von Erich Becker

I. Problemstellung Die Konzentration auf das Problem der öffentlichen Interessen und des öffentlichen Wohles i m Hinblick auf die gemeindliche Neugliederung erfordert die Eingrenzung der Erörterungen allgemeiner Art, die umfassend am ersten Tage der Vortragsfolge stattgefunden haben 1 , und den Verzicht auf die Darstellung der vielseitigen Vorbereitungen der kommunalen Neuordnung i m einzelnen, die ζ. Z. in den deutschen Ländern 2 diskutiert werden. Meine Ausführungen haben notwendigerweise ein begrenzteres Ziel. Sie befassen sich zunächst mit dem Phänomen der öffentlichen Interessen und des öffentlichen Wohles bei der gemeindlichen Neugliederung als Verfassungsproblem i m Unterschied zu den Ausführungsmaßnahmen der Eingemeindung und der Bildung von Gemeindeverbindungen sowie zu anderen Neuordnungsmitteln der Neugliederung. Dabei werden die Fragen der örtlichen Verbundenheit der Einwohner und der Leistungsfähigkeit der Gemeinden auf ihre Ergänzungsbedürftigkeit überprüft werden müssen, insbesondere m i t Rücksicht auf die Einheitlichkeit sozialstaatlicher Lebensverhältnisse i m Bundesgebiet und die Notwendigkeit einer Verwaltungsrationalisierung der Bürokratie i n der industriell-technischen Gesellschaft. I m Mittelpunkt meiner Darlegungen stehen daher Anlässe und Ziele, Maßstäbe und Mittel sowie Schranken und förderliche Gestaltungen der gemeindlichen Neugliederung, die aus öffentlichen Interessen zur Verwirklichung des öffentlichen Wohles bestimmt sein können, nicht aber die A r t und Weise ihrer Durchführung. 1 H. Ryffel, öffentliche Interessen und Gemeinwohl — Reflexionen über I n halt und Funktion, S. 13—31; F. Morstein Marx, Gemeinwohl und politische Strategie — mit Beispielen aus der Verwaltungsreform, S. 32—56; R. Schnur, Gemeinwohl und öffentliche Interessen in den Verfassungen und den Gesetzen des sozialen Rechtsstaates, S. 57—72. 2 I n allen Flächenstaaten der Bundesrepublik Deutschland. Die Erörterungen sind nicht überall gleich weit fortgeschritten und haben teils weitergehende, teils sehr enge Zielsetzungen. Sie erstreben teils die Bildung von Millionenstädten, teils die Auflösung von Gemeinden mit weniger als 100 Einwohnern.

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Sodann muß auf einige gelungene oder mißlungene Neugliederungsvorhaben der Vergangenheit hingewiesen werden, bei denen die gesetzliche Begrenzung der öffentlichen Interessen i m Rahmen der Eingemeindungsvorschriften Neuordnungen größeren Umfanges eingeschränkt oder so erschwert haben soll, daß sie fast unmöglich erschienen sind. Der Übergang von den „Gründen des öffentlichen Interesses" oder den „dringenden Gründen des übergemeindlichen öffentlichen Interesses" auf die „Gründe des öffentlichen Wohles" als Eingemeindungsvoraussetzung, die angeblich die gemeindliche Neugliederung erleichtern soll, gehört zu diesen Überlegungen delikater Art. Schließlich muß der Versuch unternommen werden, die jetzt überall bei Eingemeindungen geltenden „Gründe des öffentlichen Wohles" bzw. die i n Bayern vorgesehenen „dringenden Gründe des öffentlichen Wohles" auf ihren Gehalt und ihre Bedeutung für die gemeindliche Neugliederung i n der Gegenwart zu überprüfen. Dabei w i r d sich zeigen, ob die „Gründe des öffentlichen Wohles" mehr sind als die Einhaltung der äußersten Grenzen gesetzgeberischen „Ermessens" oder auf die Fälle begrenzt sind, bei denen sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind, m. a. W. ob sie nur die W i l l k ü r verbrämen sollen 3 . I m Hinblick auf die Rechtsschutzprobleme werde ich m i r allerdings größte Zurückhaltung auferlegen, um dem Schlußreferat 4 dieser Vortragsfolge nicht vorzugreifen. Es kann allerdings nicht übersehen werden, daß die Verfassungsbeschwerden und die verwaltungsgerichtlichen Klagen i n Eingemeindungsangelegenheiten meist zulässig, bisher jedoch ausnahmslos unbegründet gewesen sind 5 .

II. Öffentliche Interessen und öffentliches Wohl bei der gemeindlichen Neugliederung im Unterschied zu den Ausführungsmitteln im konkreten Fall 1. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist die Nicht-Identifikation von Eingemeindungen und gemeindlicher Neugliederung, denn die gebietliche Neuordnung gemeindlicher Aufgabenträger i m gesamten Staatsgebiet hat Verfassungsrang, wenn sie die Vorstellung des Grundgesetzes 8 E. Streissler, Zur Anwendbarkeit von Gemeinwohlvorstellungen in richterlichen Entscheidungen (In der Ringvorlesimg: Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, 1965, S. 1 ff.), S. 8/9. 4 C. H. Vìe , Allgemeines Wohl und öffentliche Interessen in der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte, S. 125—148. 5 Die einzige scheinbare Ausnahme bezieht sich nicht auf den materiellen Gehalt der Eingemeindungsgründe, sondern auf die verfehlte Form der Eingemeindung (E V f G H Württemberg-Baden vom 25. 6.1948, Arch. öff. R. 36, S. 247 ff.).

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und der Landesverfassungen von den „örtlichen Gemeinschaften" 6 total verändert, während Eingemeindungen aller A r t Korrekturen i m konkreten Fall darstellen und i m Rahmen der gemeindlichen Neugliederung nur ein Mittel unter anderen Mitteln zur Verwirklichung einer neuen staatspolitischen Gesamtkonzeption sind. Die gebietliche Neugliederung aller Gemeinden steht i m engsten Zusammenhang mit der Neugliederung der Länder der Bundesrepublik 7 und deren Einordnung i n die europäische Gemeinschaft 8 , m i t der Aufgabenverlagerung der Länder 9 und der Zuständigkeitsveränderung der staatlichen Verwaltungsorganisation 10 , m i t der kommunalen Finanzreform 11 , m i t der Aufgabenhäufung und A u f gabenvermehrung i m sozialen Rechtsstaat 12 , m i t den Strukturveränderungen i n der Industriegesellschaft 13 , die durch Pläne geordnet und in erheblichem Umfang von den Gemeinden vollzogen werden 1 4 , mit Problemen einer institutionellen und funktionellen Reform der Ausgestaltung der kommunalen Verwaltungsorganisation 15 u. v. a. m. Die allgemeine kommunale Neugliederung des Landes fällt nicht unter den Begriff der Gemeindegrenzänderungen 16 , die die Gemeindeordnungen geregelt haben, einerlei ob hierfür ein Verwaltungsakt oder ein Regierungsakt oder die Form des Gesetzes oder einer Rechtsverordnung vorgesehen ist. Wenn aber lediglich für ein M i t t e l der gemeindlichen Neugliederung „Gründe des öffentlichen Wohles" als Voraussetzung vorgeschrieben sind, • Die rechtliche Fähigkeit der Gemeinden, eigenverantwortlich „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" im Rahmen der Gesetze zu regeln, ist verfassungsrechtlich garantiert; sie kann nicht im Sinne des aufgezählten Aufgabenbereichs einer beliebigen „Verwaltungseinheit" interpretiert werden. 7 Aus Art. 29 Abs. 1 könnte man vergleichsweise erläutern: Berücksichtigung der örtlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges. Auch könnte man durch Neugliederung solche Gemeinden schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können (vorbehaltlich Art. 28 GG und der „Gründe des öffentlichen Wohles"). 8 ζ. B. durch Benennung der zentralen Orte aller Stufen. 9 ζ. B. von den Ländern auf Gemeindeverbände und kreisfreie Städte. 10 ζ. B. durch ZuständigkeitsVeränderung von Behörden der allgemeinen Landesverwaltung auf die Kommunalverwaltung als Auftragsangelegenheiten. 11 Besonders im Hinblick auf Gewerbe- und Einkommensteuer. 12 I m Sinne zahlreicherer und neuer Aufgaben zur sozialen Sicherung nach Maßgabe von Gesetz und Recht. 18 ζ. B. Ergänzung von Monostrukturen, Bereitstellung von Erholungsräumen, Sicherung des kulturellen Bedarfs, Herstellung des sozialen Ausgleichs etc. 14 ζ. B. Bebauungspläne unter Beachtung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung. 15 Unter Berücksichtigung der Rationalisierung der Kommunalverwaltung. 16 Begründung zur Deutschen Gemeindeordnung, Allg. Teil, 4. Abschnitt. Die DGO vom 30.1.1935, Kommentar von Kerrl-Weidemann-Strutz, 1935, S. 69 ff. (73). — Ebenda: Erl. zu § 4, S. 116; Erl. zu § 13, S. 140. — SurénLoschelder, Die DGO vom 30.1.1935, Kommentar, 2. Aufl., 1940, S. 134 ff., 220 ff.

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so fragt es sich zunächst, ob das Neugliederungsgesetz selbst an „Gründe des öffentlichen Wohles" gebunden ist, die hierfür ausdrücklich nicht vorgeschrieben worden sind. 2. Die Frage nach den öffentlichen Interessen und dem öffentlichen Wohl bei der gemeindlichen Neugliederung muß daher neu gestellt werden, weil sie hierfür nicht besonders gesetzlich konzipiert ist. Schon die in der Verfassungsrechtsprechung geäußerte Rechtsansicht, der Gesetzgeber sei bei der kommunalen Neugliederung nicht an die Eingemeindungsvorschriften der Gemeindeordnung, sondern nur an Verfassungsnormen gebunden 1 7 , ist m. E. teils selbstverständlich, teils bedenklich. Selbstverständlich ist sie i m Hinblick auf potentielle Verfassungsänderungen oder potentielle Änderungen der Gemeindeordnung. Für Gesetzesdurchbrechungen ohne Änderung des Textes der Gemeindeordnung kann dies schon zweifelhaft sein, nicht weil der Gemeindeordnung Verfassungsrang zukommen könnte, sondern weil das hier umstrittene Prinzip der „Gründe des öffentlichen Wohles" Verfassungsrang hat. Die Bewahrung und Förderung des Gemeinwohles ist ein oberster Rechtsgrundsatz oder auch eine verfassunggestaltende Grundentscheidung, je nachdem man ihn aus dem „Rechtsprinzip" oder als „Staatsfundamentalnorm" der den Staat tragenden sozialen Mächte aus der Gestaltung und Fortentwicklung der Sozialordnung herleitet 1 8 . So sagt Art. 3 der Verfassung des Freistaates Bayern: „Bayern ist ein Rechts-, Sozial- und Kulturstaat. Er dient dem Gemeinwohl." I n Art. 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz heißt es u. a.: „Der Staat hat die A u f g a b e , . . . das Wohlergehen der Einzelnen und der innerstaatlichen Gemeinschaften durch die Verwirklichung des Gemeinwohls zu fördern. Die Rechte und Pflichten der öffentlichen Gewalt werden durch d i e . . . Erfordernisse des Gemeinwohls begründet und begrenzt. Die Organe der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung sind zur Wahrung dieser Grundsätze verpflichtet." Und Art. 30 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen sagt über die Landtagsabgeordneten: „Die Abgeordneten stimmen nach ihrer freien, nur durch die Rücksicht auf das Volkswohl bestimmten Überzeugung; sie sind an Aufträge nicht gebunden." Die Bindung an das Wohl der Allgemeinheit gilt aber auch dort, wo es die Verfassungen nicht ausdrücklich erklären. Ein eklatanter Verstoß könnte nicht aus einer fehlenden Verfassungsvorschrift gedeckt werden. Wenn also die Gemeindeordnungen Gemeindegrenzänderungen aller A r t an „Gründe des öffentlichen Wohles" binden, so w i r d auf diesen Fall eine Staatszielbestimmung zur Anwendung ge17 VGH-NW-3/66, E vom 8.10.1966: „Der Gesetzgeber ist durch den § 14 GO N W nicht gebunden. Er kann nur durch eine Verfassungsnorm gebunden werden." 18 Hans J. Wolff, Rechtsgrundsätze und verfassunggestaltende Grundentscheidungen als Rechtsquellen, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 33 ff. (bes. S. 37 ff., 47 ff.).

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bracht, deren Beachtung sich weder der Landtag noch die Regierung entziehen können. Dasselbe gilt aber auch kraft ungeschriebenen Verfassungsrechts für die gemeindliche Neugliederung. Wenn der Staat dem Gemeinwohl dient und seine Organe zur Wahrung des Gemeinwohls verpflichtet sind und die Abgeordneten nur durch die Rücksicht auf das Volkswohl in ihrer freien Uberzeugung begrenzt sind, dann gilt dies ganz besonders auch für die gemeindliche Neugliederung. Es kommt also sehr wohl auf das öffentliche Interesse und das öffentliche Wohl an, wenn die Neugliederung der Gemeinden i n Angriff genommen wird. 3. Davon ist ζ. Z. überall die Rede. Die Erörterung erfolgt sowohl i m Sinne einer Konzentration auf die gebietliche Neuordnung der Gemeinden als auch i m größeren Zusammenhang einer Staatsverwaltungs- und Kommunalreform. Wenn Worte überhaupt noch einen Sinn haben sollen, dürfte die Kennzeichnung dieses Vorganges als „Verwaltungsvereinfachung" eine kaum begründbare Verniedlichung darstellen. Auch der Begriff „Verwaltungsreform" erfaßt nicht recht die projektierte Veränderung der Lebenszusammenhänge der örtlichen Gemeinschaften, die mehr als eine Änderung von Verwaltungsbezirken, Zuständigkeitsverlagerungen und Verwaltungsstrukturen etc. darstellt. Wenn aber die gebietliche Neugliederung der Gemeinden i n das Programm einer neuen Gesamtkonzeption des Staates hineingestellt wird, kann sie u. U. entscheidende Bedeutung für die Landesentwicklung haben, falls die wechselseitigen Rücksichtnahmen als notwendig erkannt und falls sie der V e r w i r k lichung des öffentlichen Wohles durch Anerkennung dienstbar gemacht werden. Das Problem lautet nicht, ob die Eingemeindungsvorschriften der Gemeindeordnungen auch für den Gesetzgeber verbindlich sind, sondern ob der Gesetzgeber überhaupt anders als i m Einklang mit dem öffentlichen Wohl von Verfassungs wegen handeln darf. So hängt die Leistungsfähigkeit der Gemeinden bei der Aufgabenerfüllung beispielsweise u. a. auch davon ab, ob die Landesangelegenheiten von staatlichen Behörden der allgemeinen Landesverwaltung oder aber grundsätzlich durch die Kommunalverwaltungen nach Weisung wahrgenommen werden. Sehen w i r zunächst von dieser Fragestellung ab, so bleibt zum m i n desten noch das Problem übrig, ob i m Hinblick auf die Selbstverwaltungsgarantie die Allseitigkeit des eigenverantwortlich zu regelnden gemeindlichen Wirkungskreises durch den Grundsatz der Einheit der Verwaltung ersetzt werden darf 1 9 , m. a. W. : ob an die Stelle einer verfassungsrechtlich geschützten Kompetenzregelung durch Gesetz eine bloße Zuständigkeitsordnung für die Gemeindeorgane treten kann. Es steht jedoch völlig i m Einklang mit der Verfassung, wenn der Gesetzgeber die Universalität der 19

Karl Maria Hettlage, Der Gestalt- und Bedeutungswandel der gemeindlichen Selbstverwaltung seit 1919, Festgabe für van Aubel, 1954, S. 107 ff.

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Gemeinden und die Einheit der örtlichen Verwaltung miteinander verbindet 2 0 . Verfassungsrechtliche Bedenken sind allerdings gegen die Aufspaltung der örtlichen Kompetenz durch Gemeinden und Föderalgemeinden erhoben worden 2 1 . Entscheidend ist aber — abgesehen hiervon —, ob die den Gemeinden gesetzlich obliegenden Aufgaben i m konkreten Fall überhaupt erfüllt werden können oder unter den gegebenen Voraussetzungen erfüllbar sind. Das ist offenbar vom Gesetzgeber nicht immer hinreichend beachtet worden. Die Beurteilung ergibt sich sowohl aus der geeigneten Hebung der Leistungsfähigkeit als auch aus der Notwendigkeit von Aufgabenverlagerungen, soweit die Aufgabenerfüllung die örtliche Leistungskraft überfordert. Die Leistungsschwäche vieler Gemeinden rührt nicht nur von mangelnder Steuerkraft und Verwaltungskraft her, sondern auch von einer Überbürdung m i t gesetzlich auferlegten Weisungs- und Pflichtaufgaben, die ihre Leistungsfähigkeit auch dann noch übersteigen können, wenn genormte Einwohnerzahlen 22 bei der Neugliederung zugrunde gelegt werden. Ob solche Einwohnerzahlen als Mindestzahlen eingeführt oder lediglich als Richtzahlen beachtet werden, wie es sich i m konkreten Fall ergibt, ist allerdings ein Problem, das nur aus Gründen des öffentlichen Wohles gesetzlich entschieden werden kann. Hierbei kann sich das Prinzip der Mindestzahlen i n bestimmten Fällen i n Widerspruch zum öffentlichen Wohle setzen, während es i n anderen Fällen i m Einklang damit stehen kann. Kurorte und Fremdenverkehrsorte können wegen ihrer wirtschaftlichen Sonderstruktur, Zwerggemeinden können u. U. wegen ihrer besonderen Siedlungsstruktur Beispiele für Abweichungen bieten. Richtzahlen für den Zusammenschluß eng benachbarter und dicht besiedelter Industriegemeinden erscheinen angemessen; eine Alternativlösung für menschenarme und weit auseinanderliegende Gemeinden erscheint geboten. Eine Einheitslösung für alle Gemeinden dürfte kaum i m Einklang m i t dem öffentlichen Wohle stehen, solange mindestens sachgerecht verfahren werden soll. 4. Dies erfordert allerdings die Systematisierung der Vorstellungen einer „geordneten Gemeinschaft", deren Wohlergehen durch die Ver20

z. B.: L V Hessen Art. 137, L V Rheinland-Pfalz Art. 49. Werner Weber, Wege und Irrwege der kommunalen Gebietsreform, „Kommunalwirtschaft" 1967, S. 471 ff. — Daß das Sachverständigengutachten N W Abschnitt A über „Die Neugliederung der Gemeinden in den ländlichen Zonen" von 1966 (S. 34) keine verfassungsrechtlichen Bedenken äußert, reicht nicht aus. — Die örtliche Gemeinschaft, die Allseitigkeit des gemeindlichen W i r kungskreises, die Eigenverantwortlichkeit und der Gemeindebegriff (ohne Steuerhoheit) sind fragwürdig geworden. Die Verbandsgemeinden sollten Gemeindeverbindungen, nicht aber Gemeinden sein. Vgl. jetzt: LGes. RheinlandPfalz vom 16.7.1968. 22 Mindestzahlen umfassen in den Vorschlägen 7 500 bis 10 000 Einwohner (mit einer Abweichung von 5 000 im Ausnahmefall). Überlegungen zur Verwaltungsstruktur sind wichtig, können jedoch Ermittlungen der Aufgabenerfüllung und Finanzlage nicht ersetzen. 21

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wirklichung des Gemeinwohles vom Staat zu fördern ist. Der rechtlichen Fähigkeit der Erfüllung öffentlicher Bedürfnisse zur Verwirklichung des gemeinen Besten i n Gemeinwohlgerechtigkeit muß eine faktische Fähigkeit zur Leistung dieser Aufgaben entsprechen, wenn das öffentliche Wohl nicht Schaden nehmen soll. Allerdings verlangt die Differenzierung der örtlichen Leistungserfordernisse nach dem öffentlichen Bedürfnis die Berücksichtigung von Besonderheiten, die ein Kennzeichen gemeindlicher Selbstverwaltung sind. Die Forderung nach Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse i m Bundesgebiet an Gesetz und Verwaltung kann nur gleichwertige Voraussetzungen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit, nicht aber uniforme Lebensverhältnisse zum Ziele haben. Die sozial-gerechte Entscheidung, die davon ausgeht, jedem das Seine zu sichern, muß das Übermaßverbot beachten, d. h. die Verhältnismäßigkeit und die Erforderlichkeit wahren 2 3 . Insbesondere bedarf es der Hebung der Leistungsfähigkeit, bevor die jeweils angemessene Rationalisierung i n Betracht zu ziehen ist. Werden solche Richtsätze jedoch beachtet, so besteht kein Zweifel daran, daß der Gesetzgeber befugt ist, die gemeindliche Neugliederung entsprechend dem öffentlichen Wohl zu bestimmen, und anzuordnen, welche Voraussetzungen die gemeindlichen Aufgabenträger erfüllen müssen, die alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich i m Rahmen der Gesetze regeln sollen. Hier entsteht nun leicht jener Interessenkonflikt zwischen öffentlichen Interessen der Gemeinden und Gemeininteressen, den der Gesetzgeber zu lösen berufen ist. Die Förderung des Wohles ihrer Einwohner, die den Gemeinden aufgegeben ist, findet ihre Grenze i n der Verletzung des Gemeinwohles, die ihr nicht erlaubt ist. Als eine Stadt vor einigen Jahren beschloß, das Eigentum an einem Berg aufzugeben, weil die Gefahr der Verschüttung einer Bundesstraße bestand, hatte der Verwaltungsleiter dieser Stadt erklärt, der Rat könne das Wohl der Einwohner nicht besser fördern, als wenn er solchen Schaden von ihnen abwende. Als dann einige Monate später der Bergsturz erfolgte, war die Gemeinwohlwidrigkeit des Stadtratsbeschlusses offenbar. Während der Grundbuchrichter die Eintragung der Dereliktion von der aufsichtsbehördlichen Genehmigung abhängig machte, die Aufsichtsbehörde die gesetzliche Frist zur Versagung der Genehmigung verstreichen ließ und die verwaltungsgerichtliche Entscheidung gegen die verspätete Untersagung i n zweiter Instanz 2 4 erging, war niemand auf die Idee gekommen, geeignete Vorkehrungen gegenüber der unmittelbar drohenden Gefahr i n Betracht zu ziehen. — Nur wenn das Wohl der Allgemeinheit es verlangt, kann das örtliche Interesse am Bestand einer Gemeinde notfalls aufgeopfert werden. Es soll hier ts Peter Lerche, Ubermaß und Verfassungsrecht. Zur Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit, 1961. 24 OVG E Koblenz vom 9. 3.1953 — Az. : I A 27/52.

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nicht i m einzelnen auf jene Fälle von Eingemeindungen eingegangen werden, die aus den gleichen Gründen des öffentlichen Wohles gesetzlich vorgeschrieben und später wieder rückgängig gemacht worden sind. Der Hinweis erfolgt nur, um die Sorgsamkeit zu erhöhen, damit solche Wiederholungen nach Möglichkeit ausgeschlossen werden. Der Zusammenschluß von Gebietskörperschaften ist nicht der Staatsräson anheimgegeben, sondern den Gründen des öffentlichen Wohles (i. S. des Gemeinwohles) unterstellt, die auf Erhaltung und Herstellung sozialer Gerechtigkeit unter den Menschen gerichtet sind und zugleich auf die Leistungsfähigkeit der örtlichen Gemeinschaften zur Schaffung der Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit abzielen. Hierbei begegnen sich verschiedenartige öffentliche Interessen 25 . Man hat zwischen faktischen und wahren, subjektiven und objektiven, formellen und materiellen öffentlichen Interessen unterschieden. W i r konzentrieren uns hier auf die Gegenüberstellung der allgemeinen öffentlichen Interessen oder öffentlichen Gemeininteressen m i t den besonderen öffentlichen Interessen, die gemeinsame Interessen lokaler Gemeinwesen oder funktionaler Gruppen oder ihrer Mitglieder sind, wenn es sich um öffentliche Interessen handelt, die eine „unbestimmte Allgemeinheit von Personen" 2® betrifft. Der Begriff „öffentliches Interesse" ist ein subjektiver, wertausfüllungsbedürf tiger und unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Inhalt nach objektiven Maßstäben rational entsprechend den öffentlichen Belangen bestimmt wird, öffentliche Interessen innerhalb einer staatlichen Ordnungs- und Wirkeinheit können sowohl als öffentliche Gemeininteressen als auch als besondere öffentliche Interessen als auch alle zusammen untereinander kollidieren. Solche Kollisionen sollen nicht subjektiv nach der Stärke der Interessenten, sondern objektiv nach der Vorzugswürdigkeit der Werte entschieden werden. Dabei kann sich ergeben, daß ein besonderes öffentliches Interesse mit dem Gemeinwohl als dem Gegenstand des wahren allgemeinen Interesses übereinstimmt oder aber ihm weichen muß, wenn i h m die Vorzugswürdigkeit versagt wird. Es soll also, wenn 25 Walther Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen Staatsund Rechtsentwicklung. Festschrift für Alfred Schultze, 1934, S. 451—520. — Erwin Krüger, Die Lehre vom „öffentlichen Interesse" in der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1932. — Adolf Merkl, Staatszweck und öffentliches Interesse, Verw.Arch., Bd. 27, S. 268 ff. — Otto Fleiner, Einzelrecht und öffentliches Interesse. Festgabe für Paul Laband, 1908, S. 3 ff. — Günter Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „öffentliches Interesse" (Masch.-Schr.), 1949. — Derselbe, „Bedürfnis" und „öffentliches Interesse" als Rechtsbegriffe, JZ 1953, S. 535—537. — Gustav Gundlach, Gemeinwohl, Staatslexikon (1959), 6. Aufl., Bd. 3, Sp. 737—740. — Wilfried Weustenfeld, Die Bedeutung des »Gemeinwohls* im Rechts- und Staatsdenken der Gegenwart, 1962. — Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht I, 7. Aufl., 1968, S. 145—152, § 29: Das öffentliche Interesse. 28 Besser: „Die Bedeutung, die die Mehrheit der Allgemeinheit oder die Mehrheit eines unbestimmten Personenkreises Kulturverhältnissen [i. w.SJ beilegt." Dürig, a.a.O., 1949, S. 118.

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i m konkreten Fall ein Interessenkonflikt zutage tritt, auf das objektive Wertverhältnis ankommen, das allerdings nicht vom Verwaltungs- oder Behördeninteresse her bestimmt werden kann. Die Auslastung einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage reicht ζ. B. weder als Neugliederungs- noch als Eingemeindungsgrund aus, wenn Gründe des öffentlichen Wohles auf dem Spiele stehen. Die Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Wertes öffentlicher Interessen darf allerdings nicht zur Leugnung objektiver Maßstäbe führen, weil sonst die W i l l k ü r i m Rechtsstaat anerkannt würde. Diese Eingrenzung ändert freilich den erheblichen Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers nicht. Hierbei kommt es auf Anlässe und Ziele, Maßstäbe und M i t t e l sowie auf Schranken und förderliche Gestaltung der gemeindlichen Neugliederung an. 5. Nur Stichworte können deutlich machen, was hierbei besonders zu bedenken ist. a) Als Anlässe treten i n Erscheinung: Raumordnung, Landesplanung, Bauleitplanung; Strukturverbesserung i m industrietechnischen Zeitalter; Leistungsunfähigkeit und Leistungsschwäche; Verkümmerung der örtlichen Gemeinschaft; Wandlungen der öffentlichen Bedürfnisse z.B. durch die Entwicklung der Technik m i t dem Erfordernis nach funktional arbeitsteiliger Verwaltung; Raumnot der Industriestädte; Einheitlichkeit einiger Aufgaben der Infrastruktur neben Pflege der Besonderheiten von Gemeinden m i t Sonderstruktur etc. Die Aufzählung ist nicht erschöpfend. Sie umfaßt ζ. B. nicht die sog. exzeptionellen Fälle, zu denen u. a. Bonn und Mainz zu zählen sind 2 7 . b) Als Ziel der gemeindlichen Neugliederung ist eine Neuordnung der Gemeinden anzusehen, die zur wirksamen Aufgabenerfüllung nach der Leistungsfähigkeit unter Wahrung der örtlichen Verbundenheit der Einwohner und der Selbstverantwortung der Gemeinden führt. Eine Modifizierung dieses Zieles steht unter der Einheitlichkeit sozialer Lebensverhältnisse i m Bundesgebiet, der Industrialisierung und Technisierung der Gegenwart sowie einer Aufgabenhäufung und Aufgabenvermehrung, die ein Übermaß befürchten lassen, falls nicht Aufgabenverlagerungen stattfinden. Die schwedischen Gemeindeblocks mit wenigstens 40 000 Einwohnern können den Zielen der gemeindlichen Neugliederung bei uns ebensowenig entsprechen, wie die visionäre Vorstellung einer einzigen Industriestadt Ruhr, von der gelegentlich die Rede ist 2 8 . 27 Das Sonderproblem Bonn wird durch den provisorischen Sitz der Bundesregierung berührt; das Sonderproblem Mainz und seiner rechtsrheinischen Vororte ist durch die Begrenzung der Besatzungszonen entstanden, der die Grenzziehung zwischen dem Land Hessen und dem Land Rheinland-Pfalz gefolgt ist. 28 Auch die „Neugliederung" des gesamten Ruhrgebietes in sechs neue Städte ist umstritten. „Die kommunale und staatliche Neugliederung des Landes

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c) Die Maßstäbe für die Neugliederung leistungsfähigerer Gemeinden müssen notwendig verschieden sein, je nachdem Kreisfreiheit oder Einkreisung, starke Bevölkerungsdichte oder menschenarme Räume, Besonderheiten der geographischen Lage, die Unterschiedlichkeit örtlicher Bedürfnisse, Eingemeindungsreife oder Zwangslagen, Stärkung der örtlichen Nachbarschaft i m Versorgungsnahbereich oder finanzielle Hebung der Leistungsfähigkeit zur gemeindlichen Aufgabenerfüllung i n Betracht kommen. Diese Verschiedenheit der Maßstäbe deutet auf die Notwendigkeit alternativer M i t t e l hin. d) Mittel der gemeindlichen Neugliederung können daher nicht nur größere Gemeinden, Großgemeinden oder Einheitsgemeinden (ohne und m i t Ortschaftsverfassung) sein; i n geeigneten Fällen kommen daneben auch Verwaltungsgemeinschaften oder Gemeindeverbindungen sowie Maßnahmen zwischengemeindlicher Zusammenarbeit i n Frage. Eine Leistungssteigerung muß auch durch die kommunale Finanzreform, durch Aufgabenverlagerungen und durch Hebung der Verwaltungskraft herbeigeführt werden, soweit die Voraussetzungen hierfür örtlich gegeben sind. e) Schranken sind dem Gesetzgeber allein durch das öffentliche Wohl gezogen. Jenseits des Gemeinwohles liegt die mangelnde Erkennbarkeit sachlicher Gründe, das Übermaß durch mangelnde Verhältnismäßigkeit und mangelnde Erforderlichkeit, die Verwechselung der Ziele m i t den M i t t e l n der Neugliederung, die Mißachtung der Gemeininteressen der Bevölkerungsmehrheit i m Lande durch willkürliche Entscheidungen u. a. m. Das öffentliche Wohl ist aber nicht nur Rechtfertigungsgrund und Rechtsschranke i m Sinne eines obersten Rechtsgrundsatzes, sondern auch verfassunggestaltende Grundentscheidung, die Zustimmung oder A b lehnung bei den politischen Wahlen auszulösen vermag. A u f diese Weise w i r d die schwache Rechtskontrolle durch eine starke politische Kontrolle ergänzt. So wichtig daher Rationalisierungsmaßnahmen der Verwaltung bei gesteigerter Leistungsfähigkeit nachbarlich verbundener Gemeindeteile sein können, so w i r d doch der kommunale Zusammenschluß nicht allein von der Effektivität der Büroeinheiten abhängig gemacht werden dürfen, denen man etwa 10 000 Menschen zuordnet. Man würde wohl das Anliegen der u m die Rationalisierung der Kommunalverwaltung verdienten Persönlichkeiten 29 verkennen, wenn man die gehobene VerwalNordrhein-Westfalen", Abschnitt B, Die Neugliederung der Städte und Gemeinden in den Ballungszonen und die Reform der Kreise. Gutachten vom 9.4. 1968, S. 29. M ζ. B.: die Arbeiten der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (Badenhoop und Mäding), die Untersuchungen über den Versorgungsnahbereich (Laux), die Studien über Mittelpunktgemeinden und andere zentrale Orte (Isbary) sowie die Gliederung der öffentlichen Aufgaben und ihrer Träger nach Effektivität und Integrationswert (F. Wagener).

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tungstechnik an die Stelle der Aufgaben- und Finanzprobleme sowie der örtlichen Besonderheiten setzen wollte. Dabei ist um so größere Vorsicht geboten, je mehr die erhöhten Verwaltungskosten 30 die Finanzmittel für Zweckausgaben vermindern sollten. Die Rationalisierung der Gemeindeverwaltung muß den Sachleistungen der Gemeinden angepaßt werden, damit ihre Effektivität gesichert wird. Rationalisierungsschutzvorschriften für die Gemeinden sollten gar nicht erst i n die Überlegungen einbezogen werden müssen. Sinn der Neugliederung ist die förderliche Gestaltung der Gemeinden.

ΙΠ. Rechtsgeschichtliche Ergebnisse von Neugliederungsvorhaben unter den Gesichtspunkten der öffentlichen Interessen und des öffentlichen Wohles 1. Nach Klärung der Voraussetzungen einer gemeindlichen Neugliederung nach Maßgabe des öffentlichen Wohles und der öffentlichen Interessen sind sicher einige Hinweise auf die Ergebnisse von Neugliederungsplänen seit ca. 150 Jahren nützlich; denn solange ist mindestens schon die Notwendigkeit einer gemeindlichen Neugliederung wenigstens bei den Landesregierungen erkannt. Es hat den Anschein, als ob die verfassungsrechtliche Sicherung der kommunalen Selbstverwaltung, die Begrenzung der Aufsicht des Staates und die Auseinandersetzung um die Gestalt der inneren Gemeindeorganisation die Problemstellung so sehr beherrscht haben, daß die Beantwortung der Frage nach der Leistungsfähigkeit der Gemeinden dabei zu kurz gekommen ist. Versuche einer gemeindlichen Neugliederung, an denen es keineswegs gefehlt hat, sind entweder gescheitert oder nur auf Teilbereiche beschränkt geblieben. Hier sollen nicht die Denkschriften und Gesetzentwürfe aufgezählt werden. Viel interessanter sind die Gründe, weshalb die Neugliederungspläne nicht realisierbar gewesen sind. Dazu haben sich u. a. Kollmann und Schattenfroh geäußert 31 , nachdem die Amtliche Begründung zur Deutschen Gemeindeordnung die gemeindliche Neugliederung i n Aussicht genommen hatte. I m Ergebnis werden die weitgehende Rücksichtnahme auf historisch gewachsene Gemeinwesen, die Befürchtung vor dem Unmut der Bevölkerung, die typische Abneigung gegen anderswo bewährte M i t t e l der Neuordnung und die Zaghaftigkeit vor dem kommunalen Chaos deutlich, die 80 Vorausberechnungen halten einen zusätzlichen Finanzbedarf für die persönlichen und sächlichen Verwaltungskosten von 33Vs v. H. (in RheinlandPfalz) bis zu 40 v. H. (in Nordrhein-Westfalen) für möglich. 81 O. Kollmann, Zur Frage der Bildung von Landgemeinden, DVwBl. 1935, S. 249 ff. — W. Schattenfroh, Die Großstadt und ihr Randgebiet, Z A k D R 1937, S. 69—72. — Derselbe, Die ländliche Gemeindeverwaltung, RVwBl. 1939, S. 529—535.



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früher immer geltend gemacht worden sind. Auch die kommunale Neugliederung i m rheinisch-westfälischen Industriegebiet (1929) und die sog. Oldenburgische Verwaltungsreform (1933) sind umstritten geblieben und haben damals weder überall anregend noch allgemein vorbildlich gew i r k t . So haben sich die gemeindlichen Neuordnungsaktionen vielfach auf recht konkrete Einzelvorgänge von gemeindlichen Zusammenschlüssen beschränkt. Eine systematische allgemeine Neugliederung durch Großgemeinden oder durch Ausbreitung der Ämter hat nicht stattgefunden, obwohl sie i n Erwägung gezogen worden sind 3 2 . I m Zusammenhang mit dem Wiederaufbau redemokratisierter Gemeinden seit 1945 hat sich die Leistungsfähigkeit sonst leistungsschwacher Gemeinden i n der Ausnahmesituation ganz außerordentlich bewährt. Der Gesetzgeber hat die Rechtsposition der amtsangehörigen Gemeinden und auch der amtsfreien kreisangehörigen Gemeinden gehoben, die Kompetenz-Kompetenz vielfach beseitigt, Ausgliederungen aus Ämtern und Landkreisen angeordnet und von einer formalen Selbständigkeit die Hebung der u m Finanzzuweisungen verstärkten Leistungskraft erwartet, ohne wahrhaben zu wollen, daß die Ausnahmesituation der Nachkriegszeit nicht für die Dauer gelten kann. Seitdem hat eine Fülle von Aushilfsmaßnahmen die mangelnde Leistungsfähigkeit vieler Gemeinden mehr verdeckt als gebessert. Insbesondere hat die notwendige Hebung der Verwaltungskraft institutioneller und funktioneller A r t allein die Schwächen der gemeindlichen Leistungskraft nicht zu überwinden vermocht. Dabei sind die Schlüsselzuweisungen oft bei der Kreiskommunalkasse zur Abgeltung der Kreisumlage einbehalten worden. Amts- und Zweckverbandsumlagen haben i n der Regel allzu wenig Finanzmittel für Eigenleistungen übrig gelassen, so daß mit Hilfe von Zweckzuschüssen des Landes und Beihilfen des Kreises — notfalls auch mit Bedarfszuweisungen des Landes — die notwendigsten Aufgaben erfüllt worden sind. Eine Garantie für mangelhafte eigene Aufgabenstellung und für eine durch Auflagen und Bedingungen beschränkte Eigenverantwortung haben die Verfassungen nicht gegeben. Ohne entsprechende Leistungsfähigkeit der Gemeinden kann die formale Selbstverwaltungsgarantie sich nicht entfalten, es sei denn, daß eine kommunale Neugliederung die Voraussetzungen hierfür schafft. 2. Eine Erschwerung jeglicher Neugliederung ist i n Preußen vor 1927 darin erblickt worden, daß die Gesetze grundsätzlich das Einverständnis der Beteiligten bei der Eingemeindung vorausgesetzt, die Zwangseingemeindung jedoch immer vom Vorliegen eines durch Gesetz inhaltlich bestimmten öffentlichen Interesses abhängig gemacht haben. Hierzu sind ausschließlich folgende gesetzliche Tatbestände gezählt worden 3 3 : 1. das « RdErl. des RMdl. vom 6.1.1939 (RMBliV. S. 33 ff.). » L G O für die sieben östlichen Provinzen vom 3.7.1891 (GS S. 233 ff.) § 1 Ziff. 5.

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Unvermögen einer Landgemeinde, ihre öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen; 2. ein erheblicher Widerstreit kommunaler Interessen benachbarter Land- und Stadtgemeinden, dessen Ausgleichung durch Bildung von Zweckverbänden nicht zu erreichen war; 3. die Notwendigkeit der Eingemeindung m i t Rücksicht auf das Wohnungsbedürfnis. Diese eng begrenzte, gesetzlich vorgeschriebene Ausfüllung des öffentlichen Interesses bei Eingemeindungen gegen den Willen der Beteiligten zeigt deutlich die Beschränkung auf den konkreten Fall, die Unzulänglichkeit der Anwendung bei größeren Neugliederungsvorhaben und ein Ermessen nur bei Vorliegen der Eingemeindungsvoraussetzungen, nicht dagegen über diese selbst. Ein Vergleich zu den entsprechenden Vorschriften der Bayerischen Gemeindeordnung von 1927 macht dies deutlich 84 . Nach A r t . 5 GO sind Änderungen i m Bestände der Gemeinden zulässig: entweder wenn alle Beteiligten einverstanden sind oder wenn die Kreisregierung ein dringendes öffentliches Bedürfnis dafür festgestellt hat. Die Änderungen wurden vom Staatsministerium des Innern oder von der hierzu ermächtigten Kreisregierung verfügt. Die Feststellung des Einverständnisses der Beteiligten oder des dringenden öffentlichen Bedürfnisses i m schiedsgerichtlichen Verfahren sind also Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Organisationsakt des Innenministeriums gewesen, m i t dem die Eingemeindung nach Ermessen verfügt worden ist. Der verwaltungsgerichtliche Senat der Kreisregierung bzw. der Verwaltungsgerichtshof haben nach Billigkeit und aus freier Beurteilung der Sachlage das Vorliegen eines dringenden öffentlichen Bedürfnisses festgestellt, bevor das Innenministerium für oder gegen die Eingemeindung entschieden hat. Aus Zweckmäßigkeitsgründen sind allerdings nur solche Fälle zur Feststellung des dringenden öffentlichen Bedürfnisses vorgelegt worden, i n denen die Absicht der Eingemeindung bestand. Die abwegige Auffassung i n anderen Ländern, daß der Inhalt des öffentlichen Interesses dem Ermessen unterliege, w i r d durch die frühere bayerische Rechtslage deutlich widerlegt. Zugleich w i r d der Beurteilungsspielraum — allerdings i m schiedsgerichtlichen Verfahren der Verwaltungsgerichte — anerkannt. Eine Ermächtigung zur gemeindlichen Neugliederung lag hierin allerdings nicht. Zwar zeigt die Gegenüberstellung des kommunalen Einverständnisses einerseits und der förmlichen Feststellung des dringenden öffentlichen Bedürfnisses andererseits, daß für den Eingemeindungsakt letztlich das öffentliche Interesse entschied, das durch Gründe des öffentlichen Wohles getragen war; ausgesprochen war dies jedoch nicht. 84 Laforet-von Jan-Schattenfroh, Die Bayerische Gemeinde-, Bezirks- und Kreisordnung. Bayerische Gemeindeordnung, Bd. I (1931), S. 159—162 (Erl. zu Art. 5).

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3. Die weitgehend auf Bestandswahrung gerichteten älteren Vorschriften über Eingemeindungen sind revidiert worden, sobald Neugliederungsabsichten realisierbar erschienen. Das ist 1927 i n Preußen und 1935 für das gesamte Reichsgebiet geschehen. Seitdem sind alle Gemeindegrenzänderungen den Gründen des öffentlichen Wohles 85 unterstellt und können — je nach der Zuständigkeitsordnung — unter dieser Voraussetzung durch Gesetz bzw. durch Organisationsakt der Landesregierung etc. vorgenommen werden. Es w i r d also nicht mehr an besondere gesetzliche Tatbestände öffentlicher Interessen angeknüpft; vielmehr reichen die Gründe darüber hinaus, können also die industrie-technische Entwicklung, Raumordnung und Landesplanung, Hebung der Leistungsfähigkeit und Verwaltungskraft etc. i n vollem Umfang berücksichtigen, wenn nur eine sorgfältige Abwägung sachlich einleuchtender Gründe erfolgt, die dem öffentlichen Wohl zuzuordnen sind. I m Anschluß an das Gesetz zur Regelung verschiedener Punkte des Gemeindeverfassungsrechts vom 27. 12. 1927 hat Preußen — unbekümmert um den damaligen Theorienstreit — die Voraussetzungen für die Durchführung des Gesetzes über die kommunale Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes vom 20. J u l i 1929 geschaffen. Der Vorgang hat nicht nur vielfach Gemeindegrenzen und Wirtschaftsgrenzen zur Deckung und die Kommunalwirtschaft zur Entfaltung gebracht, sondern gelegentlich auch Bedenken ausgelöst, für die nicht nur die Rückgliederung von Gladbach und Rheydt sowie das Übermaß der Eingemeindungen von Dortmund zitiert werden, sondern eine allgemeine Abneigung gegen Zwangseingemeindungen typisch geworden ist. Sie scheint seit wenigen Jahren wenigstens bei den Landtagen und Landesregierungen i m Abbau begriffen zu sein, während sich die öffentliche Meinung i n der Bevölkerung noch nicht ganz abschätzen läßt. 4. § 14 der Gemeindeordnung von Nordrhein-Westfalen hatte Eingemeindungen an das Vorliegen von „dringenden Gründen des übergemeindlichen öffentlichen Interesses" geknüpft. Ich habe diese Formel als Legaldefinition 86 der „Gründe des öffentlichen Wohles" angesehen, die i m Anschluß an die Deutsche Gemeindeordnung i n den anderen Ländern vorgeschrieben sind. Daß der Eingemeindungseingriff nur i n Fällen besonderer Dringlichkeit i n Betracht gezogen wird, erschien m i r ebenso selbstverständlich wie der Maßstab des übergemeindlichen Interesses, der i m Hinblick auf das zu verfolgende allgemeine Interesse deutlich gekenn85

H. Neupert, Der Begriff des öffentlichen Wohles in § 13 der DGO. „Der Gemeindetag", 1937, S. 690—692. — Kurt Glässing, Die rechtliche Zuständigkeit von Zwangseingemeindungen nach Reichsrecht, preußischem und hessischem Landesrecht, 1931. 86 Erich Becker, Rechts- und Verwaltungsfragen der kommunalen Neugliederung, 1965, S. 105.

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zeichnet war. I m Anschluß an das Votum der Sachverständigenkommission haben aber Landesregierung und Landtag i n der Formel ein H i n dernis für die Neugliederung gesehen und zur vermeintlichen Erleichterung des Neuordnungsprogramms — wie i n den anderen Ländern — die „Gründe des öffentlichen Wohles" gesetzt, zugleich aber auch — nach den Erfahrungen i m Siegerland — die Befragung der Bevölkerung abgeschafft (Gesetz vom 18. 7. 1967). Daß die Wahlberechtigten ihre Stellungnahme u. U. trotzdem drastisch zum Ausdruck bringen können, haben ζ. B. einige Kommunalwahlen gezeigt. Die politischen Folgen der Neugliederung können u. U. empfindlicher i n Erscheinung treten als die Rechtsfolgen, die noch nicht abzusehen sind.

IV. Gemeindliche Neugliederung in der Gegenwart aus Gründen des öffentlichen Wohles 1. Obwohl heute viele, die nicht selbst betroffen sind, für eine gemeindliche Neugliederung sind, ist noch nicht geklärt, i n welchem Umfang die Nächstbeteiligten i n den neugegliederten Gemeinwesen die Selbstverantwortung der größeren Gemeinde mitzutragen bereit sind. Das vielfach beobachtete Desinteresse an kommunalen Angelegenheiten könnte leicht i n eine verdrossene Radikalität umschlagen, wenn bei der gemeindlichen Neugliederung nicht die angemessenen Wege beschritten werden. Der Beruf unserer Zeit zur gemeindlichen Neugliederung ergibt sich aus einem Nachholbedarf der letzten 150 Jahre mit der Gegenwartsforderung wertgleicher Lebensverhältnisse i n den Gemeinden nach Maßgabe sozialer Gerechtigkeit, nach Strukturverbesserungen i n der Entwicklung der industriellen Gesellschaft, nach Steigerung der Leistungsfähigkeit der Gemeinden und ihrer Verwaltungskraft zur Erfüllung der öffentlichen Bedürfnisse, nach nachbarlicher Verbundenheit verflochtener Kommunalinteressen etc. Der pluralistischen Gesellschaftsordnung muß i m Hinblick auf das öffentliche Wohl eine pluralistische Verwaltungsordnung entsprechen, die mannigfaltige Neugliederungsbedürfnisse befriedigt. Damit sind nicht die Improvisationen und Komplikationen des Verwaltungsaufbaues gemeint; es w i r d vielmehr auf den Einsatz aller geeigneten M i t t e l zur gemeindlichen Neugliederung abgestellt, und zwar dort, wo sie angemessen sind. 2. Es dürfte wohl abwegig sein, sich die gemeindliche Neugliederung allein als Gebietsreform nach Grenzänderungsgesichtspunkten vorzustellen, obwohl hierbei ein Schwerpunkt unter mehreren offenbar wird. Es kann sein, daß die verbundene Steuerkraft mehrerer Gemeinden, wenn sie sich wechselseitig wirtschaftlich ergänzen, und wenn die örtliche Verbundenheit ihrer Einwohner entfaltungsfähig erscheint, zu Leistungs-

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Steigerungen führt, die durch eine gehobene Verwaltungskraft eine rationelle Verwaltungsbesorgung möglich macht. Das ist das optimale B i l d einer gemeindlichen Neugliederung, das auch noch gültig bleibt, wenn es durch genormte Einwohnerzahlen nach dem Erfordernis der Verwaltungstechnik ergänzt wird. Jedenfalls sollte man aus Aufgabenstellung und Finanzlage, Leistungskraft und nachbarlicher Verbundenheit die dem öffentlichen Wohl entsprechenden Gemeinwesen entwickeln, woraus dann die Schlußfolgerungen für Einwohnerzahl und Bürokratie zu ziehen sind. Dies bedeutet keine Mißachtung der Bildung größerer Gemeinden m i t einer verwaltungskräftigen arbeitsteiligen Fachverwaltung, sondern knüpft lediglich solche Folgeerscheinungen an Sachvoraussetzungen, ohne die auch die Großgemeinde mit Superverwaltung völlig versagen muß. Das Behördeninteresse an einer nicht allzu großen Zahl von „Verwaltungseinheiten" mit hochqualifizierter Gemeindebürokratie gehört nicht zu den Gründen des öffentlichen Wohles, die von der Allgemeinheit anerkannt sind, so zweckmäßig sich eine solche Gemeindeverwaltung u. U. entfalten kann 3 7 . I n vielen Fällen, besonders i m Zusammenhang mit den vielzitierten Zwerggemeinden, können die Dinge anders liegen. Diese sog. Zwerggemeinden, deren Einwohnerzahlen unterschiedlich m i t Ziffern bis zu 200, 300 oder 500 Einwohnern angegeben werden, existieren ja nicht aus Uneinsichtigkeit der Beteiligten oder aus lauter Freude an der Verkümmerung ihres Wirkungskreises, sondern weil das Zerrbild einer Einheitsgemeinde mit mindestens 8000 Einwohnern nicht immer realisierbar ist. Die Streuung der Siedlungen, die mangelnde Verdichtung der Bevölkerung, die geringen öffentlichen Bedürfnisse kraft Selbstversorgung, die UnWirtschaftlichkeit gemeinsamer Versorgungsanlagen wegen der weiten Entfernung und der geringen Bevölkerungszahl lassen i n solchen Räumen die sog. Einheitsgemeinden (auch m i t Ortschaftsverfassung) ganz unrationell erscheinen. Gemeindeverbindungen wie Ämter, gemeinschaftliche Bürgermeistereien und Samtgemeinden gibt es nicht nur aus Tradition oder etwa wegen des Beifalls für eine Zwischenstufe i m Verwaltungsaufbau, sondern w e i l sie unter den genannten Voraussetzungen notwendig, ja sogar verbesserungsbedürftig sind, da Einheitsgemeinden die Komplikation der Ortslage nicht zu bewältigen imstande sind. I n der Eifel und i m Hochsauerland, i m Hunsrück und i m Westerwald, i m Bayerischen Wald und i m Alpenvorland ζ. B., aber auch i n anderen Landschaften, sind Großgemeinden m i t mindestens 8000 bis 10 000 Einwohnern 37 Das Behördeninteresse gehört nicht zum Wohle der Allgemeinheit. Nur im Zusammenhang mit anderen Voraussetzungen kann die Verbesserung der Verwaltungstechnik berücksichtigt werden. Es ist beachtlich, wie schnell der Betonung der Gemeindedemokratie jetzt das Erfordernis der Gemeindebürokratie folgt.

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nicht vorstellbar, weil die Gemeindegemarkung vielleicht einen Durchmesser von 30 bis 50 k m haben müßte, um eventuell auf diese Einwohnerzahlen zu kommen 3 8 . Da es sich um rund 11 000 Gemeinden mit weniger als 500 Einwohnern handelt, ist die Frage nicht unbeachtlich. Aber auch die Gemeinden mit 500 bis 7999 Einwohnern sind nicht alle eingemeindungsreif, falls entweder die Voraussetzungen ähnlich liegen oder aber ζ. B. entfaltungsfähige und leistungsfähige Gemeinwesen m i t 5000 oder 7000 Einwohnern der genormten Zahl zum Opfer fallen sollten. Dazu kommt noch eine andere Überlegung. Es ist sehr wohl denkbar, daß eine leistungsfähige Gemeinde von ca. 5000 Einwohnern mit etwa 10 bis 12 leistungsunfähigen Gemeinden zusammengeschlossen werden soll* was leicht die Leistungsunf ähigkeit der Großgemeinde zur Folge haben kann. Was nützt dann die fachtüchtigste Gemeindeverwaltung, wenn der Mangel an Leistungskraft des neuen Gemeinwesens ebenso offensichtlich ist wie die UnWirtschaftlichkeit gemeinsamer öffentlicher Einrichtungen und wirtschaftlicher Unternehmen wegen der Weite des zusammengeschlossenen Gemeindegebiets! Es zeigt sich also, daß die Einwohnerzahl variabel nach Leistungskraft und örtlicher Verbundenheit gehalten werden sollte und daß neben dem Typ der Großgemeinde auch die Gemeindeverbindungen i n Betracht zu ziehen sind, wenn die Umstände dies notwendig machen. 3. Damit sind die M i t t e l gemeindlicher Neugliederung jedoch nicht erschöpft. Nicht nur Eingemeindungen und Gemeindeverbindungen spielen hierbei eine Holle, sondern auch das Problem der Aufgabenverlagerung und die Frage der Effektivität der kommunalen Finanzreform. Dabei denke ich nicht nur an die Übertragung von Selbstverwaltungsangelegenheiten auf Gemeindeverbände und schon gar nicht an finanzielle Entschädigungen für Eingemeindungsbereitschaft. Die Idee der Einheit der örtlichen Verwaltung erscheint dort nur sinnvoll, wo hierfür die Leistungsvoraussetzungen gegeben sind. Können sie aus sachlichen Gründen nicht geschaffen werden, so müssen zunächst die Weisungsaufgaben wandern, bevor die Selbstverwaltungsangelegenheiten angetastet werden. Unter diesen müssen die Pflichtaufgaben bei mangelnder Leistungsfähigkeit abgegeben werden, wenn dann die selbstgestellten freien Selbstverwaltungsangelegenheiten erfüllbar sind. Wo auch das nicht möglich ist, existiert gemeindliche Selbstverwaltung nicht mehr. Allerdings w i r d i n der Praxis hiernach nicht verfahren, weil der Gesetzgeber häufig die notwendige Differenzierung unterläßt. Den Vorrang haben alle gesetzlich zugewiesenen Angelegenheiten, auch wenn dann für die freie Selbstver88 Wenn die Bevölkerungsdichte zwischen 35 und 4 800 Menschen pro Quadratkilometer schwankt, müssen auch für die Verwaltungsreform der örtlichen Gemeinwesen daraus die Konsequenzen gezogen werden. Dem Prinzip der „Einheitsgemeinde" sind Schranken gesetzt.

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waltung nichts übrig bleibt. Dies steht jedoch m i t der Selbstverwaltungsgarantie nicht i m Einklang. Überschuldung ist nicht das rechte M i t t e l zur Verwirklichung kommunaler Selbstverwaltung. Zweckzuschüsse unter Auflagen und Bedingungen lassen die garantierte Selbstverwaltung verkümmern. Daß die kommunale Finanzreform etwa auch Investitionsmittel erschließen wird, kann kaum angenommen werden. 4. A l l e diese Reformziele einer gemeindlichen Neugliederung müssen am öffentlichen Wohl geprüft und gegebenenfalls nach Maßgabe der Umstände des konkreten Vorganges sachgerecht zur Anwendung gelangen. Dabei ist sowohl auf die Selbstverwaltungsgarantie als auch auf andere Verfassungsregeln Rücksicht zu nehmen. Die Unübersehbarkeit der durch das öffentliche Wohl gerechtfertigten Gründe läßt es zweckmäßig erscheinen, von den Rechtsschranken auszugehen, die der Geltendmachung öffentlicher Interessen durch das öffentliche Wohl gezogen sind. Die fehlenden sachlichen Gründe und das Willkürverbot sind äußerste Positionen, auf die man sich i n der Regel kaum mit Erfolg berufen kann. Auch w i r d es an der demokratischen Legitimation kaum fehlen. Die „optimale Leistungsfähigkeit" der Gemeinden gilt als unumstrittene Maxime der Neugliederung, wenn darunter die beste Aufgabenstellung und Aufgabenerfüllung einer Gemeinde durch den Rat und eine verwaltungskräftige Gemeindebehörde verstanden werden. Die bloße Abstellung auf die personelle und sächliche Verwaltungsausstattung ohne die entsprechenden Verwaltungsaufgaben reicht wohl nicht aus, ist aber i m Zusammenhang damit unverzichtbar. Verbesserte Aufgabenerfüllung ist wohl die Mindestanf orderung. Verschlechterungen sind nicht diskutabel. Heikel ist die Relation zwischen Neugliederung und Selbstverwaltungsprinzip. Hier kommt es m. E. 1. auf die örtliche Gemeinschaft an, die völlig verloren gehen kann, und 2. auf die Selbstverwaltungsidee, die i n mehr als 20 000 Fällen von den älteren Heimatvorstellungen auf moderne Büroeinheiten umgestellt werden soll. Diese Mängel könnten jedoch behoben werden, wenn man nicht von einer bestimmten Einwohnerzahl als Norm, sondern nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse die Entscheidungen fällen wollte. Manche Gemeinde m i t 6000 Einwohnern dürfte leistungsfähiger sein als eine andere mit 8000. A u f jeden Fall muß auch der Gesetzgeber die Eingemeindung begründen, die Gründe den Ermittlungen des Willens der Beteiligten gegenüberstellen und rechtfertigen 39 . Der Zwang zur Begründung, Ermittlung und Rechtfertigung läßt die Gemeinden nicht ohne Rechtsschutz, bewahrt den Staat aber auch vor voreiligen Entschlüssen. Sein Handeln muß erforderlich und verhältnismäßig sein, wenn er nicht gegen das Übermaßverbot verstoßen w i l l . 8 ® Klaus Stern u. Mitw. von Günter Püttner, Grundfragen zur Verwaltungsreform im Stadtumland, 1968, S. 36.

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O b gegen solche Gesetze Verfassungsbeschwerde b e i m L a n d e s v e r f a s sungsgericht zulässig ist oder aber z u m Bundesverfassungsgericht, w e n n eine landesrechtliche R e g e l u n g f e h l t , b r a u c h t h i e r e b e n s o w e n i g e r ö r t e r t z u w e r d e n w i e die Frage, w a r u m d i e v e r w a l t u n g s g e r i c h t l i c h e N a c h p r ü f u n g d e r „ G r ü n d e des ö f f e n t l i c h e n W o h l e s " w e i t e r g e h e n d sein s o l l als d i e v o r d e m V e r f a s s u n g s g e r i c h t 4 0 . D e n n es l i e g t nicht i m „ E r m e s s e n " des Gesetzgebers, ob G r ü n d e des ö f f e n t l i c h e n W o h l e s v o r l i e g e n oder n i c h t ; n u r w e n n sie v o r l i e g e n , k a n n er feststellen, ob S c h l u ß f o l g e r u n g e n j e t z t oder später oder ü b e r h a u p t n i c h t gezogen w e r d e n sollen. N i c h t der w e r t a u s f ü l l u n g s b e d ü r f t i g e u n b e s t i m m t e Rechtsbegriff u n t e r l i e g t d e m „ E r messen", s o n d e r n a l l e i n der Rechtsfolgeausspruch, d e n das Gesetz h i e r a n knüpft.

40 H. Görg, Der Rechtsschutz im Eingemeindungsverfahren, DVB1. 1966, S. 329 ff., hält die „Gründe des öffentlichen Wohles" in vollem Umfang für nachprüfbar. — C. F. Menger, Verw.Arch. Bd. 50, S. 282 ff., hält das Gebietsänderungsgesetz materiell für einen A k t der Verwaltung. — Vgl. auch Zeitler, Die Verfassungsbeschwerde gegen gesetzliche Gemeindegebietsänderungen, „Städtetag" 1959, S. 6ff. — Zur Verfassungsrechtsprechung vgl.: U StGH für das Deutsche Reich vom 10./11.12.1929. — E V G H Nordrhein-Westfalen vom 10.1. 1959 (OVG E 14, 372 ff.); 21. 2.1959 (OVG E 14, 377 ff.); 5.11.1966 ( V G H 3/66; Nr. 4 zu § 14 bei Kottenberg-Steffens). — Bay V G H Ε η. F. 7, 127; 17, 13/17. — Entsprechend BVerfG E 3 ,19 (24); 3, 58 (135); 4, 18 begrenzen die Verfassungsgerichtshöfe der Länder die Nachprüfung von Eingemeindungsgesetzen sehr: Innehaltung der äußersten Grenzen des Ermessens, offensichtliche Entbehrung innerer Rechtfertigung, mangelnde Erkennbarkeit sachlich einleuchtender Gründe, dagegen keine Nachprüfung der Gründe des öffentlichen Wohles. Allerdings verlangt der Bayerische VGH, daß durch die Gebietsänderung „die Erfüllung der kommunalen Aufgaben wesentlich verbessert, d. h. erleichtert, vereinfacht, verbilligt, im Wirkungsgrad gesteigert oder in die richtige Hand gelegt wird" (7, 127; 17, 13/17). — I n der Verwaltungsrechtsprechung ist meist von Verbesserungen in organisatorischer, verwaltungstechnischer, wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht die Rede, die eine Gebietsänderung rechtfertigen (vgl. auch Salzmann-Schunck u. a., Selbstverwaltungsgesetz für Rheinland-Pfalz, Kommentar 1967, Anm. 2 zu § 6). — Vgl.: O V G E Münster vom 23. 5.1951 (5, 46 ff.). — L V G E Münster vom 29. 4.1955 (Kottenberg-Steffens, Nr. 1 zu § 5 AO). — Andererseits hat das Regierungspräsidium Nord-Württemberg einen Antrag auf Eingemeindung abgelehnt, weil mangelnde Leistungskraft nicht vorliege und ein Zusammenwachsen beider Gemeinden zu einer örtlichen Gemeinschaft fraglich sei (Kommpol. Bl. 1967, S. 454).

Gemeinwohl und öffentliche Interessen im Recht der globalen Wirtschafts- und Finanzplanung Von Reinhard Schaeder

I. Mittel* wie Ziele der A k t i v i t ä t des Staates auf den Gebieten der W i r t schafts- und Finanzpolitik haben sich i n Deutschland seit einigen Jahrzehnten i n bemerkenswerter Weise gewandelt. Unter den Mitteln, mit welchen der Staat bestimmte Änderungen der sozialwirtschaftlichen Zustände herbeizuführen sucht, ist die instrumentât benutzte Rechtsordnung an vorderste Stelle gerückt. Das Recht fungiert dann nicht so sehr als Ordnung eines gegebenen Zustandes; vielmehr bewirken ständige Reformen des positiven Rechts unmittelbar die realen Wandlungen von Gesellschafts- und Staatswirtschaft i n Richtung des erstrebten Zieles. Der Staat handelt hiernach auf diesem Felde heute hauptsächlich durch Novellierung von Gesetzen. Aber auch bei den obersten Zielen dieser A k t i v i t ä t sind beachtliche Akzentverschiebungen zu verzeichnen. Wenn w i r für den Augenblick einmal die These setzen, daß als oberstes Ziel staatlicher A k t i v i t ä t entweder das Gemeinwohl oder ein (davon zu unterscheidendes) öffentliches Interesse i n Betracht kommt, so lassen sich verschiedene Konstellationen der beiden Ziele beobachten. I m Laufe unserer sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung hat nämlich zeitweilig das öffentliche Interesse das Gemeinwohl eingeschlossen i n der Weise, daß beide letztlich identisch waren. Dann wieder gab es eine Periode, i n denen Gemeinwohl und öffentliches Interesse deutlich auseinandertraten. I n dieser Situation kann es geschehen, daß die staatliche Aktivität, je nachdem welchem der beiden Ziele sie den Vorzug gibt, i n diametral entgegengesetzte Richtungen führt. Schließlich aber hat es i n unserer Gegenwart den Anschein, als sollte das öffentliche Interesse immer mehr i n dem Gemeinwohl aufgehen, m i t der Folge, daß das öffentliche Interesse als eigenes oberstes Ziel endlich ganz verschwindet. * Der vorliegende Text gibt den gehaltenen Vortrag völlig unverändert — also ohne irgendwelche Streichungen und Zusätze — wieder. Dagegen bieten die zugefügten Anmerkungen außer den Fundstellen von Zitaten usw. einige Ergänzungen.

Gemeinwohl im Recht der Wirtschafts- und Finanzplanung

Ich möchte nun vorschlagen, daß w i r die eben skizzierten drei Konstellationen der beiden obersten Ziele staatlicher Wirtschafts- und Finanzpolitik, also (1) die Überordnung des öffentlichen Interesses, (2) die Autonomie sowohl des öffentlichen Interesses wie des Gemeinwohls, und (3) die Überordnung des Gemeinwohls, etwas genauer durchprüfen. Dabei kann sich bald zeigen, daß w i r es bei der Abfolge dieser drei Konstellationen nicht mit zufälligen Wandlungen zu t u n haben, sondern m i t einem der großen Pendelschläge der Sozialgeschichte, so daß i n jener Abfolge eine historische Notwendigkeit durchscheint. Zugleich dürfen wir, wenn w i r diesen geschichtlichen Prozeß gedanklich richtig nachvollziehen, erwarten, den begrifflichen Gehalt jener beiden Ziele aus der Sache selbst zu gewinnen, also realistische und nicht ideologische Definitionen zu erhalten. I m übrigen sei unterstrichen, daß mein Bericht die beiden obersten möglichen Ziele der globalen Wirtschafts- und Finanzplanung betrifft. Es geht also um die entsprechende staatliche A k t i v i t ä t als Ganzes, wie sie sich mittels der Rechtsordnung insgesamt realisiert — i m Unterschied zu speziellen, nur Einzelnes regelnden Rechtssätzen1. Ebenso soll i m folgenden das supranationale Recht — für die Gegenwart also ζ. B. der hier einschlägige Art. 103 des EWG-Vertrages — außer Betracht bleiben 2 .

II. Die erste Konstellation, i n welcher das öffentliche Interesse den grundsätzlichen Vorrang hat, aber als solches zugleich das Gemeinwohl einzuschließen pflegt bis zur Identität der beiden Maximen, findet sich unter der Herrschaft des aufgeklärten Absolutismus 3 . Fritz Härtung hat des 1 Für alle solche Einzelregelungen vgl. die umfassende und gründliche Darstellung von Wolfgang Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft. Untersuchungen zum Problem der leistenden Verwaltung, Berlin (1967). 2 Vgl. hierzu besonders aus der Schriftenreihe der Hochschule Speyer die Bände Nr. 22: Staat und Wirtschaft im nationalen und übernationalen Recht, Berlin (1964), mit Bibliographie (S. 249—283), und Nr. 32: Zur Stellung der Mitgliedstaaten im Europarecht, Berlin (1967), mit Dokumentation (S. 204—245). Aus neuerer Zeit kann noch auf die Aufsätze von Hermann Burgard, Einige Bemerkungen zu Art. 103 des E WG-Vertrages, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 122, 2, S. 291—327 (1966), und von Fritz Abb, Ist eine Harmonisierung der Konjunkturpolitik in der E W G erforderlich?, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 123, 2, S. 218—230 (1967) hingewiesen werden. 8 Vgl. Fritz Härtung, Der aufgeklärte Absolutismus, in: Historische Zeitschrift, 180, S. 15—42 (1955); wieder abgedruckt in: Staatsbildende Kräfte der

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näheren geschildert, wie diese Konstellation zunächst von der zeitgenössischen Staatslehre als neue Doktrin entwickelt wurde. Ihre fertige Formulierung hat sie i n dem zusammenfassenden System von Johann Heinrich Gottlob von Justi 4 gefunden. Er bezeichnet als Endzweck des Staates, d. h. als höchstes öffentliches Interesse, die „Glückseligkeit" des Staates, die mit dem Gemeinwohl, nämlich der „Glückseligkeit der Unterthanen", i n eins zu setzen sei. Bereits der Gebrauch desselben Wortes „Glückseligkeit" für öffentliches Interesse und Gemeinwohl zeigt, daß zwischen beiden keine Divergenz angenommen wird. Eine solche Divergenz könnte ja überhaupt erst dort auftreten, wo der Staat einerseits, die Untertanen andererseits je als autonome Subjekte eigener Separatinteressen gesehen werden. Diese Annahme würde nun aber hier von beiden Seiten her betrachtet falsch sein. Denn der Staat und seine Untertanen befinden sich i n einer vielfältig verknüpften Wechselbeziehung 5 , die für separate Interessen nur der einen oder der anderen Seite gar keine A n satzpunkte bietet. Diese bis zur Identität gehende Deckung von öffentlichem Interesse und Gemeinwohl ist i m absolutistischen Milieu nicht nur Doktrin der Staatslehre, sondern zugleich Inhalt des positiven Rechts. Einen der eindrucksvollsten Belege dafür bildet die umfassende Kodifikation des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794. Der i n i h m normierte Staatszweck, der an etwa einem Dutzend Stellen ausdrücklich als Generalmaxime angesprochen wird®, ist — m i t den Worten Hermann Neuzeit (1961), S. 149—177. — Besonders über die vorhergehenden Epochen Walther Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen Staats- und Rechtsentwicklung. (Sonderabdruck aus der Festschrift für Alfred Schultze zum 70. Geburtstage), Weimar 1934, mit reichem Material, aber in manchmal doktrinärer „anti-herrscherlicher" Verzeichnung, besonders für die Periode des Polizeistaates (S. 54 ff.). Dagegen ist schon frühzeitig bezüglich „des landesherrlichen Polizeistaates der letzten Jahrhunderte" bemerkt worden, daß er „damals die Aufklärungs- und Fortschrittstendenz gegenüber dem Beharrungsvermögen der alten Stände vertrat" (so Hermann Roesler, Über die geschichtliche Entwickelung der volkswirtschaftlichen Ideen der neueren Zeit, 1872, S. 21; im gleichen Sinne S. 36 f.). Dies gibt auch Kurt Wolzendorff, Der Polizeigedanke des modernen Staats, 1918, S. 64, zu. 4 Vgl. Johann Heinrich Gottlob von Justi, Staatswirthschaft, (1755)2 1758, I, S. 62, 65. 5 So auch Walther Merk, a.a.O., S. 67 ff., und speziell für das Allgemeine Landrecht S. 69 f. • Vgl. hierzu Rosin, Der Begriff der Polizei und der Umfang des polizeilichen Verfügungs- und Verordnungsrechts in Preussen, in: Verwaltungsarchiv, 3, S. 249—365 (1895). Dort (in der Tat mit „größter Vorurtheilslosigkeit", S. 256) über die Ziele des staatlichen Zusammenlebens (Zusammenfassung S. 258); weiter Anführung und sorgfältige Analyse aller einschlägigen Bestimmungen des A L R (bes. S. 256—276). — Ferner Eduard Hubrich, Die Grundlagen des monarchischen Staatsrechts Preussens, insbesondere mit Rücksicht auf den Begriff der gesetzgebenden Gewalt, in: Verwaltungsarchiv, 16, S. 389— 496, 513—580 (1908), 17, S. 43—70 (1909); insbesondere 16 (1908), S. 441—457.

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Conrad's 7 — „die Verwirklichung der irdischen Glückseligkeit der Gemeinschaft und des Einzelnen". Damit bestätigt sich auch hier die praktische Identifikation von öffentlichem Interesse und Gemeinwohl 8 . Das allgemeine Landrecht hat aber jene Generalmaxime nicht nur als solche normiert. Vielmehr regelt es ihre materialen Konsequenzen, also den Inhalt der darauf gerichteten staatlichen Aktivitäten, i n zahlreichen, bis ins Einzelne gehenden Vorschriften. Und hierin liegt die Begründung dafür, daß Max Weber von dem Allgemeinen Landrecht als „dem klassischen Denkmal des . . . Wohlfahrtsstaates' " e sprechen konnte.

III. M i t dem Gedanken, die Rechtsordnung des Allgemeinen Landrechts sei dem juristischen Stil eines Wohlfahrtsstaats i n hohem Maße adäquat, kündigt sich eine erstaunliche „Modernität" des A L R an, und zwar i n erster Linie hinsichtlich der i n i h m ausformulierten Konstellation von öffentlichem Interesse und Gemeinwohl. Bevor ich aber diese Frage aufnehme, möchte ich auf die zweite Konstellation jener beiden obersten Ziele eingehen. Sie ist, wie vorhin bemerkt, durch die Autonomie sowohl des öffentlichen Interesses wie des Gemeinwohls gekennzeichnet. Hier sind diese beiden Zielvorstellungen demnach voneinander unabhängig zu sehen. Die klassische Ausprägung dieser Konstellation finden w i r i n dem erstmals 1895/6 veröffentlichten »Deutschen Verwaltungsrecht 4 von Otto Mayer 1 0 . Sein Konzept des „Allgemeinen Verwaltungsrechts" bildet zugleich gewissermaßen dessen Kodifikation, insofern seine wesentlichen Elemente bis an die Schwelle der Gegenwart praktisch unbestreitbare Geltung genossen haben. Daß sein Grundkonzept sich gegen alle m i t der Expansion der Leistimgsverwaltung auftauchenden dogmatischen Schwierigkeiten erhalten hat, kann durchaus einleuchten. Denn es ist einsichtig, daß die „rein rechts wissenschaftliche" Methode Otto Mayer's gerade durch ihre gewollte Einseitigkeit die juristisch überhaupt faßbaren Ele7 Hermann Conrad, Das Allgemeine Landrecht von 1794 als Grundgesetz des friderizianischen Staates, 1965, S. 11 (auch dort S. 16 über die §§ 77 und 78 Einleitung des Allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten von 1791). β Nur an zwei Stellen (§§ 70 und 74, Einleitung) wird von einer möglichen Kollision, und zwar zwischen „Privilegien" bzw. „einzelnen Rechten und Vortheilen" und dem „gemeinen Wohl" bzw. dem „gemeinschaftlichen Wohl", gehandelt. Dabei handelt es sich ja aber nicht um einen Konflikt zwischen öffentlichem Interesse und Gemeinwohl, sondern zwischen dem letzteren und seinen einzelnen Komponenten, nämlich dem individuellen Wohl. 9 Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, (1)1922, S. 493; 21925 und »1947, S. 494. 10 Vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 2 Bde. (1895/6) (hier zitiert nach:) »1924. (Nachdruck 1961.)

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mente des Rechtsstaats ungleich vollkommener auszuformulieren vermochte, als das von anderen, auf materiale Inhalte abstellenden oder soziologisierenden Positionen her möglich war. So erscheint Otto Mayer als wissenschaftlicher Interpret einer Rechtsordnung, der Gemeinwohl und öffentliches Interesse prinzipiell verschiedene Kategorien sind. Das ist die Situation des liberalen Rechtsstaats (für uns also diejenige der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts); und i n ihr liegt zugleich der Grund, weshalb w i r für diesen Fall das öffentliche Recht i n Bezug nehmen. Denn nur i n diesem kann, bei gegebener Trennung von öffentlichem und Privatrecht 1 1 , zumindest der Begriff des öffentlichen Interesses seinen juristischen Ort haben. Was sagt dann dieses öffentliche Recht über staatliche — w i l l heißen: administrative — A k t i v i t ä t insbesondere wirtschafts- und finanzpolitischer A r t und deren Beziehung auf unsere beiden obersten Ziele? 1. Was zunächst die Ziele anlangt, so hat Otto Mayer — i n seiner „Mischung von Abstraktionsgabe und gesundem Menschenverstand" — einmal den Versuch, das „öffentliche Interesse" grundsätzlich genauer zu umgrenzen, mit dem schlichten D i k t u m abgetan: „Dabei pflegt nicht viel herauszukommen" 12 . Demgemäß nimmt er es auch mit dem Gebrauch der beiden Bezeichnungen nicht sonderlich genau, und hält sich hierbei an ihre vielfach historisch zufällige Verwendung i n den angezogenen Rechtsquellen. Den tieferen Grund für diese wirkliche „Gleich-Gültigkeit" w i r d man darin zu suchen haben, daß Otto Mayer alle Vorstellungen eines überindividuellen Interesses oder Wohls letztlich auf eine Mehrzahl von Wertungen individueller Rechtssubjekte zurückzuführen bemüht ist. Ein nicht auf Einzelindividuen radizierbares „öffentliches Interesse" gilt nach seiner Auffassung hauptsächlich noch für nachgeordnete Gebietskörperschaften; ein solches autonom zu verstehendes Interesse des ganzen Staats als solchen erkennt er nur noch für die Polizeigewalt an, und bezeichnenderweise auch dafür nur mit einer Begründung, die fast mehr historisch als rechtsdogmatisch ist 1 3 . I m Milieu des Rechtsstaates ist es also zwar folgerichtig, ein als Resultante aller Einzelwohle verstandenes Gemeinwohl einerseits, und ein sozusagen aus eigenem Recht herzuleitendes öffentliches Interesse des Staates andererseits, als durchaus unterschiedliche Kategorien zu betrachten. Doch zugleich ist es für den Fall des liberalen Rechtsstaates 11 Vgl. dazu Walter Schmidt-Rimpler, Wirtschaftsrecht, in: HdSw, 12 (1965), S. (686—731, hier:) 69^-699. 12 Vgl. Otto Mayer, a.a.O., Bd. I I , S. 10 f. Anm. 22. 13 Vgl. Otto Mayer, a.a.O., Bd. I, bes. S. 207, 209. Kritisch dazu aus neuerer Zeit Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt. Von den Anfängen der deutschen Staatsrechtslehre bis zur Höhe des staatsrechtlichen Positivismus, Berlin (1958), S. 326—329.

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bezeichnend, daß überindividuelle Interessen, wenn es nur irgend möglich erscheint, auf individuelle Grundrechte zurückgeführt werden. Dann aber verbleibt praktisch für die Anerkennung eines eigenständigen öffentlichen Interesses des Staates als solchen kaum mehr Raum. Die Konsequenzen der eben angedeuteten Argumentation für die Innen- und Außenpolitik eines Staates w i l l ich an dieser Stelle nicht weiter verfolgen. Hier dagegen ist die infolge jener Argumentation eingetretene babylonische Begriffsverwirrung u m Gemeinwohl und öffentliches Interesse i m wissenschaftlichen Bereich zu vermerken. Das betrifft natürlich nicht die rechtspraktische Auslegung der beider Termini 1 4 . Denn was deren j u r i stische Interpretation anlangt — die ja i n den Rahmen anderer Referate dieser Tagung fällt —, so brauchen w i r uns an dieser Stelle nur zu vergegenwärtigen, daß i n bezug auf teleologische Entscheidungen, welche jeweils „ihren" besonderen Rechtsfall meinen, die Forderung umfassender Widerspruchsfreiheit der verwandten Begriffe gerade logisch verfehlt wäre. U m so mehr dagegen ist diese Forderung an Wissenschaften zu richten, die logisch geschlossene, d. h. widerspruchsfreie Gesamtsysteme bieten sollen, i m gegebenen Falle die Allgemeine Staatslehre und Politologie. Dort aber hat jene Begriffsverwirrung zu einem völligen Chaos geführt. Einen wahrhaft vernichtenden Kommentar hierzu bietet i m angelsächsischen Sprachbereich das 1960 erschienene Buch von Glendon Schubert: ,The Public Interest' 1 5 . Schubert läßt darin die riesige einschlägige Literatur der letzten drei Jahrzehnte Revue passieren und kommt hierbei zu dem Ergebnis 1 6 : Es gibt keine Theorie des öffentlichen Interesses, welche diese Bezeichnung verdient. Was sich so nennt, kann ein Deckmantel der verschiedensten realen Interessen, oder nichts weiter als eine Verlegenheitsphrase für alle Arten zweifelhafter Kompromisse sein. Warum ist das so? W i r können antworten: Weil jene Theorien sämtlich auf dem Glaubenssatz aufbauen, alle obersten Ziele seien aus den Wertungen von Individuen abzuleiten. Da man nun aber von diesen nichts weiter weiß, als daß es eben Einzelne sind, entfällt hiermit nicht nur jede Unterscheidbarkeit von öffentlichem Interesse und Gemeinwohl, 14 Vgl. dazu etwa Erwin Krüger, Die Lehre vom „öffentlichen Interesse" in der Verwaltungsrechtswissenschaft, 1932; sowie Klaus Hespe, Zur Entwicklung der Staatszwecklehre in der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhundert (1964). 15 Glendon Schubert, The Public Interest. A Critique of the Theory of a Political Concept, Glencoe (Illinois) (1960). — Das zusammenfassende Schlußkapitel dieses Buches ist partienweise wieder abgedruckt bei Carl J. Friedrich (ed.), The Public Interest. (Nomos, Yearbook of the American Society for Political and Legal Philosophy, Bd. V), New York 1962, S. 162—176. Dieser Sammelband geht auf eine Art team-work einer Gruppe von 75 amerikanischen Philosophen, Sozialwissenschaftlern usw. zurück, das von einer Stiftung finanziert wurde. Über das „Ergebnis" mokiert sich Schubert (a.a.O., S. 217 ff.) recht deutlich. 1β Vgl. Schubert, a.a.O., bes. S. 223.

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sondern überhaupt jede Möglichkeit eindeutiger Definition irgendeines „public interest". Schließlich aber müssen alle solchen Theorien an dem Umstand scheitern, daß es — worauf ich noch zurückkomme — überhaupt keinen logischen Weg von einem Individualwohl oder -interesse zu irgendeiner A r t von Gemeinwohl oder Gesamtinteresse gibt. Z u diesem non liquet führte also die streng liberal-rechtsstaatliche Bestimmung möglicher oberster Ziele staatlicher A k t i v i t ä t dann, wenn sie sich nicht auf rechtspraktische, pragmatische Definitionen m i t nur fallweisem Gültigkeitsanspruch (im Stile Otto Mayer's) beschränkte, sondern eine umfassende, generelle Gültigkeit erreichen wollte. W i r werden der dabei zu beobachtenden Tendenz, dem Individuum möglichst alles und dem Staat möglichst nichts zu geben, wieder begegnen, wenn w i r uns der dritten Konstellation i n bezug auf jene obersten Ziele zuwenden. Vorher ist aber noch festzustellen, was das liberal-rechtsstaatliche Konzept für den Inhalt staatlicher A k t i v i t ä t , insbesondere auf dem uns angehenden wirtschafte- und finanzpolitischen Gebiet, bedeutet. 2. Befragt man hierzu wiederum das Mayer'sche System des Verwaltungsrechts, so bietet es über jenen Inhalt kaum irgendwelche positiven Aussagen. Man würde aber die von Otto Mayer konzipierte Verwaltungsrechtsordnung völlig verkennen, wenn man daraus schließen wollte, sie sei gegenüber dem Inhalt der staatlichen A k t i v i t ä t wie auch des Geschehens i n der Wirtschaft indifferent. Tatsächlich impliziert nämlich diese Rechtsordnung ein ganz bestimmtes soziales und ökonomisches Substrat als ihren „Richtigkeitsgrund" 1 7 . Das heißt: ihre juristische Schlüssigkeit hängt von dem Vorhandensein dieses spezifischen Substrats ab 1 8 . Otto Mayer selbst hat zwar den Durchgriff auf irgendwelche „Grundlagen" seiner Rechtsinstitute strikt von sich gewiesen — ich möchte glauben: nicht, wie manche seiner K r i t i k e r 1 9 wohl gemeint haben, aus einer A r t von Beschränktheit, sondern aus sicherem Instinkt für das rechtsdogmatische Glatteis, auf welches er sich damit begeben hätte. Wenn man aber mit Erich Kaufmann von seinem „Glauben an die absolute Geltung seiner Kategorie »Rechtsstaat* für die heutige ,Stufe der Entwich17

Vgl. dazu Walter Schmidt-Rimpler, a.a.O., bes. S. 690. Für diesen rechtsdogmatischen Zusammenhang fehlt es den Würdigungen des Konzepts von Otto Mayer bis heute meistens an jedem Verständnis. Vgl. als besonders drastisches Beispiel dafür neuerdings Eva Glitza, Die deutsche Verwaltung und die rein rechtswissenschaftliche Schule Otto Mayers, in: Die öffentliche Verwaltung, 18, 9—10, S. 329—333 (1965). — Die wohl erste umfassende Analyse jenes rechtsdogmatischen Zusammenhanges findet sich bei Franz Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf. Eine Untersuchung zur Frage des wirtschaftlichen Kampfrechts und zur Frage der rechtlichen Struktur der geltenden Wirtschaftsordnimg, 1933 (Nachdruck 1964). 19 Vgl. die Übersicht über diese Kritik bei Erich Kaufmann, Otto Mayer, (1925), wieder abgedruckt in: Gesammelte Schriften, Bd. I (1960), bes. S. 407— 410. 18

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lung .. / " 2 0 sprechen kann, so liegt darin bereits eine historische Anbindung seines Systems. Die hiermit implizierten sozialen und ökonomischen Sachverhalte treten hervor, wenn Mayer ζ. B. der Polizeigewalt die „ A b wehr von Störungen der guten Ordnung des Gemeinwesens" auferlegt, und sie werden weiter präzisiert, indem hierbei „ein Minimum von Eingriffen i n die private Freiheitssphäre" 21 einzuhalten ist. Denn danach stellen „die strukturellen Entsprechungen zwischen dem rational-normativen Rechtsstaat und der kapitalistischen Verkehrswirtschaft", auf die Forsthoff 2 2 hingewiesen hat, nicht ein bloßes Faktum, sondern eine normative Verknüpfung 2 3 dar. „Gute Ordnung" bei „Eingriffsminimum" setzt (um auf das i m liberal-rechtsstaatlichen Milieu beherrschende ökonomische Element abzustellen) Wirtschaft mit maximaler Selbstregelung — also die von der Ökonomik präzise definierte freie Verkehrswirtschaft m i t vollkommener Konkurrenz — voraus 24 , ohne die jenes rechtliche M i n i m u m weder sinnvoll noch bestimmbar ist. Vorhin sahen w i r schon, daß der Mayer'schen Konzeption eine besonders perfekte Rechtstechnik eigen ist, indem sie die administrativen Normen strikt auf Sachverhalte beschränkt, denen Rechtssätze als solche vollkommenen Ausdruck geben können. W i r können jetzt hinzufügen: nicht geringer ist die sachliche Adäquanz jener Konzeption. Indem diese wesentlich nur Grenz- und Zuständigkeitsregelungen bietet, trägt sie der Tatsache Rechnung, daß i m liberalen Rechtsstaat der Inhalt auch der wirtschafte- und finanzpolitischen A k t i v i t ä t kaum je der juristischen Normierung bedarf und fähig ist. Denn die Wirtschaftsvorgänge sind fast immer durch die Selbstregelung des Wirtschaftsgeschehens genau determiniert: i n jedem konkreten Fall ist nur eine einzige Handlung eben „wirtschaftlich", und deren Verfehlung löst automatisch die zugehörige Sanktion als ökonomische Strafe aus. Besonders Franz Wieacker hat diese Sachlage des Näheren gewürdigt 2 5 . Aus ihr entwickelt er die juristische 20

Vgl. Erich Kaufmann, a.a.O., (S. 388 ff., hier:) S. 393. So Erich Kaufmann, a.a.O., S. 399. Vgl. Ernst Forsthoff, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 12 (1954), S. 15. — Die ganze Problematik dieser Entsprechung ist in umfassender, bis heute nicht überholter Darstellung von Adolph Wagner entwickelt worden: Grundlegung der politischen Ökonomie. 'Zweiter Theil: Volkswirtschaft und Recht, besonders Vermögensrecht, Buch 1—3,1894. 23 Vgl. dazu Walter Schmidt-Rimpler, a.a.O., S. 692 f. 24 Eine besonders genaue Merkmalsbestimmung dieses Typs gibt Walter Adolf Jöhr, Das Modell der vollkommenen Konkurrenz. Seine Funktion und seine Stellung in der Nationalökonomie, in: Konkurrenz und Planwirtschaft, Bern 1946, S. 17—66. 25 Vgl. Franz Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft, 1953, sowie: Das Bürgerliche Recht im Wandel der Gesellschaftsordnungen, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Bd. I I (1960). Wieacker's Argumentation ist audi für unseren Zusammenhang (ganz abgesehen von Mayer's zivilistischer Orientierung; über sie Erich Kaufmann, a.a.O., S. 139) grundlegend. 21 22



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F o l g e r u n g , daß i n solcher S i t u a t i o n eine zusätzliche rechtliche N o r m i e r u n g n u r w e g e n e i n e r ganz g e r i n g e n Z a h l g r u n d l e g e n d e r P r i n z i p i e n , w i e der V e r t r a g s f r e i h e i t , der E i g e n t u m s f r e i h e i t u. ä. b e n ö t i g t w e r d e 2 6 . H i e r n a c h v e r b l e i b t e i n einziges w i r k l i c h durchschlagendes M o n i t u m , welches sich gegen O t t o M a y e r v o r b r i n g e n läßt. Es b e r u h t a u f d e m U m s t a n d , daß z u d e r Z e i t , als er sein Rechtssystem i n n o r m a t i v e r V e r k n ü p f u n g m i t d e m S u b s t r a t einer f r e i e n V e r k e h r s w i r t s c h a f t k o n z i p i e r t e , diese V e r k e h r s w i r t s c h a f t b e r e i t s w e i t h i n h i s t o r i s c h w i e wissenschaftlich ü b e r h o l t w a r u n d d u r c h neuere O r d n u n g e n abgelöst w u r d e 2 7 . I n s o f e r n k ö n n t e m a n i h m eine gewisse r e s t a u r a t i v e oder, w e n n m a n w i l l , v i e l l e i c h t sogar r e a k t i o n ä r e P a r t e i l i c h k e i t nachsagen, s c h w e r l i c h d e r I n t e n t i o n , doch i m m e r h i n d e m E f f e k t nach. A b e r dieser G e d a n k e l ä u f t a u f e i n politisches W e r t u r t e i l 2 8 h i n a u s , das ich n i c h t w e i t e r z u v e r f o l g e n habe.

IV. D a m i t g e l a n g e n w i r z u r dritten, f ü r d i e Gegenwart typischen Konstell a t i o n d e r b e i d e n obersten Z i e l e staatlicher W i r t s c h a f t s - u n d F i n a n z p o l i t i k . I c h kennzeichnete sie v o r h i n als Ü b e r o r d n u n g des G e m e i n w o h l s , aber m i t d e r Maßgabe, es habe f ü r unsere Z e i t d e n Anschein, als sollte das ö f f e n t l i c h e Interesse i m m e r m e h r i n d e m G e m e i n w o h l aufgehen, u m schließlich als eigenes oberstes Z i e l ganz z u v e r s c h w i n d e n . 26 Die Erkenntnis dieser Sachadäquanz der Mayer'schen Konzeption geht der älteren Rechtshistorie meist gänzlich ab, wofür die Ausführungen bei Walther Merk einen Beleg bieten, der in der liberal-rechtsstaatlichen bloßen Grenz- und Zuständigkeitsregelung nur die „Wiederaufrichtung fester Schranken für die Staatsgewalt" (a.a.O., S. 71) erblickt, aber den völlig neuartigen Richtigkeitsgrund dieses Vorgangs nicht sieht. Kurt Wolzendorff, Der Polizeigedanke des modernen Staats, 1918, hat das Problem dieser Sachadäquanz jedenfalls gesehen (vgl. S. 202—204 und bes. 209), gelangt aber dann doch nicht zu seiner stringenten Behandlung, insofern er nur auf die Genossenschaftsidee bzw. die „Komplementarität von Polizeigedanke und Bürgersinn" (S. 260) abstellt. 27 Vgl. zum Grundsätzlichen Walter Schmidt-Rimpler, a.a.O., bes. S. 692 f. Ferner jetzt Wolf gang Rüfner, a.a.O., bes. S. 122. — Daß die zur Zeit Otto Mayer's bereits weithin „überholte" freie Verkehrswirtschaft während der vorhergehenden Jahrzehnte in Deutschland bestanden habe, ist jedenfalls nach dem bisherigen Forschungsstand anzunehmen. Ob und inwieweit diese These einer Revision bedarf, worauf neuere wirtschaftshistorische Arbeiten (vgl. dazu Hans Jürgen Teuteberg, Zum Problem von Staat und Wirtschaft in Preußen. Bemerkungen zu einer Untersuchung von I I ja Mieck, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 181, 1, S. 51—60 (1967/68)) hinzudeuten scheinen, läßt sich bislang wohl noch nicht mit hinreichender Schlüssigkeit bestimmen. Eine solche Revision würde das Mayer'sche Konzept nicht so sehr als anachronistisch, sondern eher als ideologisch erscheinen lassen. 28 Wie ein solches Werturteil von der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaft formuliert wird, ist bei Karl A. Mollnau, Der Mythos vom Gemeinwohl. Zur Kritik der politisch-klerikalen Sozial- und Staatsideologie, Berlin (Ost) 1962, bes. S. 48 ff., nachzulesen.

Gemeinwohl im Recht der Wirtschafts- und Finanzplanung

Ob nun tatsächlich die Entwicklung diese Richtung genommen hat und auch einhält, läßt sich heute besonders schwer bestimmen. Denn i n unserem Zeitalter schnellster Wandlungen muß man überall m i t raschen Umschwüngen rechnen. Auch hinsichtlich einer globalen Wirtschafts- und Finanzplanung bestand bei uns bis vor wenigen Jahren selbst unter Wissenschaftlern eine allgemeine Abneigung dagegen, deren Zweckmäßigkeit offen auszusprechen; jetzt aber w i r d diese nur noch von Wenigen i n Frage gestellt 29 . Andererseits bieten nun viele Fachleute, die gerne als progressiv — d a s heißt unter Sozialwissenschaftlern heute: als unbedingt planungsfreundlich — gelten wollen, dazu passende Theoreme als völlige Neuigkeiten an, obwohl dahinter manche altbekannten Gedanken stecken. Bei diesem Stand der Dinge haben w i r gut daran getan, die Frage unseres Themas nicht nur nach seinem momentanen Befund zu prüfen, sondern auf die insgesamt und grundsätzlich möglichen Konstellationen, in denen es dem historischen Beobachter entgegentritt, abzustellen. Dabei konnten w i r i m Vorhergehenden schon eine Reihe von Resultaten gewinnen, die uns für die Gegenwartsanalyse tragfähigen Boden unter die Füße geben. 1. Vielleicht empfiehlt es sich, daß w i r für die Gegenwart nicht mit den Zielen, sondern den Mitteln globaler Wirtschafts- und Finanzplanung beginnen. Denn da springt als Spezifikum unserer heutigen Situation sogleich i n die Augen, daß jetzt die diesbezügliche öffentliche A k t i v i t ä t sich immer stärker i n das Recht hinein verlagert: die kontinuierliche Novellierung der Rechtsordnung w i r d zum wichtigsten Instrument solcher staatlichen Aktivität. Das kann ein recht schnelles Tempo annehmen, wie das Beispiel erweist, daß sogar ein Verfassungsartikel, der erst kürzlich novelliert wurde, bereits nach wenigen Monaten weiter novelliert werden soll. A u f den meinem Thema näher liegenden Gebieten wäre u. a. an die rechtliche Behandlung des Grundeigentums, speziell an Baugrundstücken, zu denken 80 . Denn hier scheint sich eine Entwicklung zu vollziehen, die durch immer extensivere Auslegung des A r t . 14 Abs. 2 GG unter Berufung auf „häufig nur fiktive Kollektivziele" (wie es kürzlich ein K r i t i k e r ausdrückte 31 ) vielleicht von einer Aktualisierung des A r t . 15 GG nicht mehr allzu weit entfernt ist. Diese und ähnliche Fälle hat unlängst Erich Streißler i n einer — m i r besonders wichtig erscheinenden — Untersuchung 32 kritisch gewürdigt. Aber dabei handelt es sich doch durchweg 20 Vgl. zu diesem Wandel die einschlägigen Literaturangaben bei Reinhard Blum, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 123, 4, S. 744 f. (1967). 30 Vgl. dazu letzthin Emil Küng, Wirtschaft und Gerechtigkeit. Sozialethische Probleme im Lichte der Volkswirtschaftslehre, Tübingen 1967, bes. S. 125—130. 31 Friedrich Bischoff, in: Verwaltungsarchiv, 59,1, S. 36 (1968). 82 Vgl. Erich Streißler, Zur Anwendbarkeit von Gemeinwohlvorstellungen in richterlichen Entscheidungen, in: Zur Einheit der Rechts- und Staatswissen-

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um Spezialnormen, die nur Singuläres zu regeln bestimmt sind — wenn sie auch manchmal tatsächlich zu recht weitreichender Bedeutung auflaufen können. Ich w i l l mich demgegenüber nun wieder auf die Regelung der globalen Wirtschafts- und Finanzplanung konzentrieren. Bis vor kurzem war unsere Rechtsordnung i n dieser Hinsicht nicht sehr ergiebig. Eine Wirtschafts- und Finanzplanung i m Sinne eines inhaltlich normierten Verfahrens kannte sie gar nicht. Insofern besagte sie nichts über die materialen Gehalte dieser globalen staatlichen Aktivität. Dagegen schien sie einiges für die rechtlichen Voraussetzungen solcher A k t i v i t ä t herzugeben durch deren Ortsbestimmung i m Rahmen unserer Verfassungsordnung. Auch der Versuch aber, aus dem Grundgesetz die Gestalt dessen, was man als „Wirtschaftsverfassung" bezeichnet, eindeutig zu bestimmen, ist ja doch — vorsichtig gesagt — größten Schwierigkeiten begegnet. I n diesem Zusammenhang kann ich nicht verhehlen, daß mich die erste Gesamtdarstellung des Problems bei Ernst Rudolf Huber 3 3 stärker durch seine ungewöhnliche Formulierungskunst als durch ihre Argumentation beeindruckt hat. Was w i r nun der Interpretation des Grundgesetzes entnehmen können, ist offenbar nicht viel mehr als die Feststellung, m i t i h m sei jedenfalls eine totale Planwirtschaft, bzw. eine „Zentralverwaltungswirtschaft" nach der Definition von Walter Eucken, unvereinbar. Dabei vermag ich allerdings einen gewissen Zweifel nicht zu unterdrücken, ob selbst Eucken genau gewußt hat, was darunter zu verstehen sei 34 . Umgekehrt läßt sich, jedenfalls nach der bisherigen Rechtsprechung, auch nicht sagen, daß die „Soziale Marktwirtschaft" vom Grundgesetz positiv gefordert werde. I n dieser Hinsicht ergibt die herrschende Meinung vielmehr, wenn ich recht sehe, nur, daß die Soziale Marktwirtschaft m i t dem Grundgesetz nicht unvereinbar ist 3 5 . Schäften. (Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 27), Karlsruhe 1967, S. 1—47 (hier bes. S. 17). — Siehe dagegen auch die interessante Kölner Dissertation von Jens Schulthes, Die Höhe der Enteignungsentschädigung vom preußischen Enteignungsgesetz bis zum Bundesbaugesetz. (Deutsches Volksheimstätten werk, Wissenschaftliche Reihe, Folge 17), Köln 1965. 88 Vgl. Emst Rudolf Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2 I (1953), bes. Kap. I I . 84 Vgl. dazu Walter Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 1940, S. 93 ff., bes. S. 102, und Anm. 32, und die folgenden Auflagen bis zur (4. Aufl. 1944; diese ist ein unveränderter Nachdruck der) 3. Aufl. 1943, S. 95 ff., bes. S. 105, und Anm. 32; andererseits von der 5. Auflage 1947 ab bis zur (letzten, 7. Aufl. 1959; diese ist ein unveränderter Nachdruck der) 6. Aufl. 1950, S. 78 ff., bes. S. 85, und Anm. 32. Die hier aufscheinende Unsicherheit wird noch unterstrichen durch die Bemerkungen Eucken's im Vorwort der 3. Aufl. (1943), es sei „nunmehr diese Auflage als die maßgebende Fassung des Buches anzusehen", während er im Vorwort zur 5. Aufl. (1947) erstaunlicherweise erklärt, deren „Änderungen und Erweiterungen" berühr(t)en keinen Hauptgedanken des Buöhes. Aber ich bitte, nimmehr diese Auflage als die maßgebende Fassung anzusehen". 85 Vgl. die rechtsdogmatische Analyse bei Schmidt-Rimpler, a.a.O., S. 699—

Gemeinwohl im Recht der Wirtschafts- und Finanzplanung U n s e r e R e c h t s o r d n u n g ließ d e m n a c h d i e G r u n d e n t s c h e i d u n g ü b e r d i e W i r t s c h a f t s v e r f a s s u n g o f f e n — d e n n die V e r p ö n u n g e i n e r t o t a l e n P l a n w i r t s c h a f t h a t d e s h a l b w e n i g z u bedeuten, w e i l dieser T y p i n u n s e r e m Z e i t a l t e r sowieso i r r e a l ist. W a s m a n n ä m l i c h als östliche „ P l a n w i r t s c h a f t " bezeichnet, unterscheidet sich v o n u n s e r e m F a l l w e s e n t l i c h nicht i n wirtschaftlicher, u m so m e h r aber i n — d a v o n ganz u n a b h ä n g i g e r — sozialer H i n s i c h t , n ä m l i c h d e r sozialen H e r k u n f t u n d R e k r u t i e r u n g der l e i t e n d e n K a d e r d o r t 3 6 , w i e der U n t e r n e h m e r s c h a f t h i e r , m i t i h r e n j e w e i l i g e n Z i e l v o r s t e l l u n g e n . M a n sollte also n i c h t z u v i e l a u f w i r t s c h a f t l i c h e Gegensätze v o n „ M a r k t w i r t s c h a f t " u n d „ P l a n w i r t s c h a f t " geben, die d e r g e n a u e n P r ü f u n g doch o f t n i c h t s t a n d h a l t e n . A n d e r e r s e i t s ist es z u m i n d e s t n a i v , einer j e t z t — aus recht d u r c h s i c h t i g e n G r ü n d e n — g e s t a r t e t e n P r o p a g a n d a d i e B e h a u p t u n g a b z u n e h m e n , d i e östlichen W i r t s c h a f t s s y s t e m e 703. Ferner jetzt zum Ganzen die Übersicht bei Wolfgang Rüfner, a.a.O., bes. S. 209—211. Einen zusammenfassenden Kommentar bietet Wilhelm Reuß, in: M. von Brauchitsch: Verwaltungsgesetze des Bundes und der Länder, neu herausgegeben von C. H. Ule, Bd. V I I I , Erster Halbband, 1964, bes. S. 20 f. Hier tritt die Zwiespältigkeit der referierten juristischen Interpretationen besonders klar zu Tage: (1) Unter Ziff. 1 wird dargelegt, das Grundgesetz garantiere nicht eine nur mit marktkonformen Mitteln zu steuernde soziale Marktwirtschaft, andererseits heißt es unter Ziff. 2, verfassungsmäßig zulässig sei (u. a.) die soziale Marktwirtschaft. Demgegenüber steht seit der Untersuchung von Eva-Maria Dohrendorf, Das Problem der Marktkonformität wirtschaftspolitischer Mittel, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, 3, S. 22—42 (1952) fest, daß der Begriff „Marktkonformität" irgendeine darauf begründete Unterschiedlichkeit weder logisch noch rechtsdogmatisch trägt, weil er nicht eindeutig zu definieren ist. (2) Ebenso führt die Bestimmung der verfassungsmäßigen Wirtschaftsordnung aus dem „Sozialstaatsprinzip" (a.a.O., S. 17 f.) solange zu rechtsdogmatisch wie logisch unsinnigen Ergebnissen, wie „sozial" als (verstärkende) Grundlage einseitiger Ansprüche des Individuums aufgefaßt wird. Denn es sollte keinem Zweifel unterliegen, daß unter „sozial" allein interpersonale Relationen und deren mögliche Inhalte — also interpersonale Ansprüche wie gleichzeitig Verbindlichkeiten — verstanden werden können. Dagegen scheint heute oft die juristische Interpretation des Begriffs „sozial" gewissermaßen der (historisch verspätete) Ausdruck eines schlechten Gewissens gegenüber solchen Gruppen oder Individuen zu sein, hinsichtlich derer jetzt der Eindruck besteht, daß sie früher vor dem Forum hoheitlicher Gewalt „zu schlecht" abzuschneiden pflegten. Die hier zu Tage tretenden begrifflichen Klippen kennzeichnete schon 1922 Justus Wilhelm Hedemann (Grundzüge des Wirtschaftsrechts, S. 31) mit dem Satz: „Heute ist es sozial, das Individuum gegen das Soziale zu schützen." — Diese Problematik hat Hermann Reuß bis in die Gegenwart besonders in folgenden Aufsätzen weiterverfolgt: Verfassungsrechtliche Grundlegung der Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 82, 9, 349—351 (1967) — wozu nur zu unterstreichen wäre (vgl. ebd., S. 351 links oben), daß die „Soziale Marktwirtschaft" ein vorkonstitutioneller Begriff ist —, sowie: Rückblick auf den Deutschen Anwaltstag in Bremen, in: Die öffentliche Verwaltung, 20, 24, S. (851—853, hier besonders:) 853 (1967). 88 Betreffend die ostzonalen Funktionäre vgl. etwa Karl Valentin Müller, Die Manager in der Sowjetzone. Eine empirische Untersuchung zur Soziologie der wirtschaftlichen und militärischen Führungsschicht in Mitteldeutschland, 1962.

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näherten sich durch irgendeine Auflockerung nun dem unsrigen an 8 7 . I n Wirklichkeit handelt es sich dabei nämlich nur u m das Bestreben, nachteilige Folgen übermäßiger ökonomischer Zentralisierung abzustellen — ein Problem, das die westliche Großwirtschaft i n genau derselben Weise kennt und dessen Lösung hier ganz die gleichen Schwierigkeiten verursacht 88 . Jenes Offenbleiben der Grundentscheidung über unsere Wirtschaftsverfassung w i r d von manchen für liberal gehalten. Das ist es aber keineswegs. Die liberal-rechtsstaatliche Rechtsordnung ist ja doch, wie w i r vorhin sahen, an eine ganz bestimmte A r t der wirtschafts- und finanzpolitischen A k t i v i t ä t gebunden. W i r können heute i m Rückblick auf die Periode der offengebliebenen Grundentscheidung, an deren Ende w i r jetzt anscheinend stehen, eher vermuten, daß es sich dabei i n Wirklichkeit u m einen pluralistisch-dilatorischen Kompromiß gehandelt hat, dessen Ablösung durch die Fortentwicklung der Rechtsordnung jetzt im Gange ist. Was nämlich seit einigen Jahren sich i n bezug auf unsere staatliche A k t i v i t ä t auf den Gebieten der Wirtschafts- und Finanzpolitik durchzusetzen i m Begriffe steht, ist das unaufhaltsame Einwandern dieser Vorgänge als solcher — und nicht nur ihrer äußeren Form, oder ähnlichem — i n die Rechtsordnung. Dieser inhaltlichen Auffüllung oder „Materialisierung" des Rechts sind w i r schon vorhin i n der Epoche des aufgeklärten Absolutismus begegnet. Die geschichtliche Entwicklung von damals bis heute, m i t ihrer Wiederkehr bestimmter Elemente unter veränderten Umständen, ist, wie ich meine, kein historischer Zufall. Die Zeit scheint reif für das Alte-Neue. Dies findet seine Bestätigung übrigens auch darin, daß die Tendenzen zu jener „Materialisierung" der Rechtsordnung schon seit Jahrzehnten bemerkbar sind. Dieser Vorgang hat als langfristiger Prozeß unter der Oberfläche verschiedenartigster politischer Ereignisse und Brüche seinen kontinuierlichen Fortgang genommen. Von da fällt auch, beiläufig bemerkt, ein neues Licht auf die wirkliche Position der 87 Vorsichtigere Autoren sprechen hier nur von einer (wechselseitigen) Konvergenz. Ein Beispiel bietet Jan Tinbergen, Do Communist and Free Economies Show a Converging Pattern?, in: Soviet Studies (Oxford), 12, S. 333 ff. (1960/61); deutsch: Kommt es zu einer Annäherung zwischen den kommunistischen und den freiheitlichen Wirtschaftsordnungen?, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts· und Gesellschaftspolitik, 8 (1963), S. 11—20. Zwar ist auch Tinbergen der Meinung, daß sich „die zentrale F r a g e . . . mit dem Grad an Dezentralisierung in den Produktionsentscheidungen und in der Planung stellt" (S. 17). Doch finden sich bei ihm wirtschaftsordnungstheoretische Probleme wie dieses in buntem Durcheinander mit sozialen, politischen und anderen Fragen. 88 Eine zusammenfassende Würdigung dieser ganzen Problematik hat schon Otto Heinrich v. d. Gablentz, Industriebureaukratie, in: Schmollers Jahrbuch, 50, S. 539—572 (1926) gegeben, auf den sich deshalb neuere Darstellungen (vgl. ζ. B. Hans Paul Bahrdt, Industriebürokratie, Stuttgart 1958, S. 63 Anm. 35) mit Recht beziehen.

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sogenannten neoliberalen Freiburger Schule. Jedenfalls i n bezug auf ihren Meister, Walter Eucken, stellt sich heute die Frage, ob er vielleicht weniger als Liberaler anzusehen ist, sondern letztlich ein entschiedener Etatist war 3 9 , auf den die bisher üblichen zeitgeschichtlichen Schablonen 89 Die (vielfach sehr emotionale) Auseinandersetzung um die „wirkliche" Position von Walter Eucken reicht bis in die Gegenwart — begreiflicherweise, insofern es dabei letztlich um die Haltung der deutschen Wirtschaftswissenschaft überhaupt und ihrer Vertreter etwa seit der Weltwirtschaftskrise geht. A m ausführlichsten hat sich mit Eucken's Wirtschafts- und Staatsauffassung Egon Edgar Nawroth, Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, (1961) 2(1962), bes. S. 241 ff. befaßt. Leider bezieht sich Nawroth dabei durchweg auf Eucken's posthum veröffentlichte ,Grundsätze der Wirtschaftspolitik 4 , 1952, in denen die schon in den (1940 erschienenen) ,Grundlagen der Nationalökonomie 4 bemerkbaren erkenntnistheoretischen Schwächen (dazu auch Edgar Salin, Geschichte der Volkswirtschaftslehre, 31944, S. 214; 51967 = Politische Ökonomie, S. 185) im Verband mit einer argen Ideologisiertheit ein sehr problematisches Gesamtprodukt gezeitigt haben. I n bezug auf die ideologische Voreingenommenheit der »Grundsätze4 muß wohl wirklich der Kritik von I. G. Bljumin, Über die moderne bürgerliche politische Ökonomie, (russ. 1958; dtsch.:) Berlin (Ost) 1960, S. 103 f. zugestimmt werden, insofern dieser ausführt: Da Eucken „die sozialistische Wirtschaft als eine Spielart der »zentralgeleiteten Wirtschaft 4 behandelt, erleichtert er sich die Kritik des Sozialismus dadurch erheblich, daß er zu diesem Zweck — Materialien aus der militarisierten Wirtschaft Hitlerdeutschlands heranzieht, die er ebenfalls der »zentralgeleiteten Wirtschaft 4 zuordnet 44 . Die in den »Grundsätzen4 ständig wiederkehrende Identifizierung der deutschen Kriegswirtschaft des 2. Weltkrieges mit dem Typ der „zentralgeleiteten Wirtschaft 44 (so auch Hans-Heinrich Rubbert, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 8 (1963), S. 232 Anm. 92) ist in der Tat unhaltbar. Wie immer diese — in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg ja nicht seltene — Haltung zu erklären ist, so läßt sich darüber jedenfalls deshalb nicht rechten, weil die Möglichkeit eines schlüssigen Beweises fehlt, daß Eucken selber die »Grundsätze4 in der jetzt vorliegenden Form publiziert haben würde (vgl. dazu die vorsichtig formulierten, aber deutlichen Vorbehalte in der Rezension des Buches durch Erwin von Beckerath, in: ORDO, 5 (1953), S. (289—297, hier:) 289; ferner E(dgar) S(alin) in seinem Nachwort zu den »Grundsätzen 4, S. 383, der anmerkt, daß Eucken „vor Vollendung und Abschluß (des Werkes) dahingeschieden ist 44 ). Wie aber verhält es sich dann mit Eucken's Haltung in der nationalsozialistischen Aera? Hierüber hat eine heftige Kontroverse zwischen Hans Hellwig (»Wir brauchen kein Kartellgesetz 4 , in: Monatsblätter für freiheitliche Wirtschaftspolitik, 1, 1, S. 16—19 (Mai 1955)) einerseits, und Franz Böhm (,Freiburger Schule und Nationalsozialismus4, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. 5.1955) auf der anderen Seite stattgefunden. Man kann nun gewiß der Meinung sein, daß Hellwig's Aufsatz einen recht handfesten wirtschaftspolitischen Zweck verfolgte. Aber das beeinträchtigt nicht die Bedeutung seines Hinweises: „Die Ideen . . . Euckens . . . durften unangefochten in der von Reichsminister Dr. Hans Frank herausgegebenen Schriftenreihe der Akademie für Deutsches Recht veröffentlicht werden. Das beweist gewiß nichts gegen diese Ideen, aber immerhin einiges gegen ihren liberalen Inhalt. Die Nationalsozialisten hatten hierfür eine feine Nase. . . . Die Nationalsozialisten spürten sofort den interventionistisch-sozialistischen Einschlag der neuen Wettbewerbslehre heraus" (a.a.O., S. 17). Franz Böhm referiert in seiner Erwiderung zunächst die Ausführungen des „»Liberalen 4 Herrn Hellwig ( = McCarthy) 44 (!) keineswegs durchweg genau. I m weiteren interpretiert er aber auch den Beitrag Eucken's zu dem erwähnten Sammelwerk (»Wettbewerb als Grundprinzip der Wirtschaftsverfassung 4, in: Günter Schmölders (Hrsg.), Der Wettbewerb als Mittel

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ebenso wenig passen, wie auf irgendetwas sonst. Auch darin erweist sich die große Ambivalenz unseres Problems i n der Gegenwart. I n welchem Gesetzgebungsakt ist dann also die inhaltliche „Verrechtlichung" unserer globalen Wirtschafts- und FinanzpZanungf i n der Gegenvolkswirtschaftlicher Leistungssteigerung und Leistungsauslese, Berlin 1942, S. 29—49) unzulänglich. So wird man nicht bestreiten können, daß Eucken's Ausführungen, a.a.O., S. 37, 40, 42, 45, 48 jedenfalls solchen konvenieren konnten, die ebenfalls gegen „gruppenanarchische ,freie' Wirtschaft" einen Staat wünschten, der solche Machtgruppen auflösen oder zumindest schwächen könnte. Daß aber in der Herrschaftsclique des Nationalsozialismus auch diese Richtung vertreten war — und zwar gerade bei solchen, die über die Entwicklung der damaligen deutschen Wirtschaftswissenschaft im Bilde waren —, ist nicht zu bezweifeln. Diese Haltung korrespondierte ja übrigens auch mit der von Joseph A. Schumpeter, (Business Cycles, New York 1939; deutsch:) Konjunkturzyklen, Göttingen 1961, S. 1006, hervorgehobenen faktischen „Stärke des »faschistischen 1 Staates gegenüber den Gruppeninteressen". Wie nun stellte sich Eucken selbst dazu? Eine gegnerische Haltung scheint Eucken in jenem Beitrag nur an einer Stelle zu vertreten, wo er von einer Wirtschaftsordnung spricht, „in der die unabdingbaren Freiheitsrechte der Menschen wirklich gewahrt sind" (a.a.O., S. 44); aber das geschieht durchaus beiläufig, bleibt ganz ohne Präzisierung und besagt innerhalb des von Eucken entwickelten Konzepts praktisch nichts. — So wird sich jene Frage wohl nie sicher entscheiden lassen, da diese Dinge damals fast immer im Zwielicht standen. I m übrigen wäre hier auch noch an einen Hinweis von Wilhelm Röpke (in: Wilhelm Lautenbach, Zins, Kredit und Produktion, Tübingen 1952, S. X I I ) zu denken, daß vielfach Männern wie Eucken „die unverständige Ausbeutung einiger seiner Grundgedanken durch die Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus" zuteil geworden sei. Wenn man also noch etwas mehr gesicherten Aufschluß gewinnen — und sich nicht mit Vermutungen über Eucken's „persönlichen Geschmack und Lebensgefühl" (Franz Böhm, in: ORDO, I I I (1950), S. X X X I V ) begnügen — will, wird man ihn allenfalls nur von solchen Arbeiten Walter Eucken's erwarten dürfen, die vor 1933 erschienen sind. Die letzte Arbeit aus dieser Zeit ist offenbar sein Aufsatz »Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus 4 , in: Weltwirtschaftliches Archiv, 36 (1932 II), S. 297—321 — übrigens eine Untersuchung, die Eucken selber in seinen späteren Büchern, soviel ich sehen kann, nur einmal wieder genannt hat (und zwar in den »Grundlagen', jeweils A n merkung 19, aber noch nicht in der 1. Auflage von 1940, und im übrigen nur als Angabe des Titels unter einer größeren Anzahl von solchen, dagegen ohne jede inhaltliche Auswertung). Hier nun wendet er sich in entschiedenster Weise gegen „die enge Verflechtung mit der Wirtschaft", durch welche „die Selbständigkeit der Willensbildung des Staates unterhöhlt wird, auf der seine Existenz beruht" ; demgegenüber spricht er sich für das „reine Staatsinteresse" aus (S. 307). Jene Entwicklung schreibt Eucken „dem Druck der Massen" zu (S. 312; ebenso 314, 315, 318), der sich auch z. B. 1925 in England verhängnisvoll ausgewirkt hätte: „Infolge des gewachsenen politischen Einflusses der Massen war eine solche klassische, in vieler Hinsicht unangenehme, aber bewährte (sc. deflatorische) Währungspolitik unmöglich; der Wirtschaftsstaat verhinderte also die Führung einer konsequenten Währungspolitik" (S. 315). Ähnlich wird „die Demokratisierung der Welt und die damit vollzogene Entfesselung dämonischer Gewalten in den Völkern" angemerkt (S. 319). Eucken fordert schließlich (S. 318) einen von der Verflechtung mit der Wirtschaft wie von dem Einfluß der Massen befreiten und dadurch politisch wieder starken Staat. — Dieser Eucken von 1932 erscheint also zwar als wirtschaftlicher Liberaler, in politischer Hinsicht dagegen als dezidiert anti-,,demokratischer" oder zumindest anti-egalitärer Etatist (so zuletzt in den »Grundsätzen', bes. S. 14, 18 f., 150 f., 194, 346). Vgl. dazu audi die bei Ernst-Wolfram Dürr, Wesen und Ziele des

Gemeinwohl im Recht der Wirtschafts- und Finanzplanung w a r t zuerst sichtbar g e w o r d e n ? I c h w ü r d e d a v o r n e h m l i c h das (inzwischen ü b r i g e n s auch m e h r f a c h n o v e l l i e r t e ) Gesetz ü b e r d i e B i l d u n g des Sachv e r s t ä n d i g e n r a t e s z u r B e g u t a c h t u n g der g e s a m t w i r t s c h a f t l i c h e n E n t w i c k l u n g v o n 1963 nennen. Daß dieses Gesetz e i n e n w i r k l i c h verfassungsrechtl i c h e n (nicht e i n m a l n u r wirtscha/tsverfassungsrechtlichen) E i n s c h n i t t bedeutet, h a t schon f r ü h e r E r n s t - W o l f g a n g B ö c k e n f ö r d e 4 0 b e m e r k t u n d u n l ä n g s t C h r i s t i a n H e i n z e i n e i n e m beachtlichen A u f s a t z u n t e r s t r i c h e n 4 1 , dessen staatsrechtlicher K r i t i k a n d e r V e r f a s s u n g s m ä ß i g k e i t dieses n e u e n O r g a n s ich n i c h t z u w i d e r s p r e c h e n wage. N o c h w i c h t i g e r f ü r m e i n T h e m a ist aber, daß H e i n z e d i e auch v o n m i r g e t e i l t e A u f f a s s u n g v e r t r i t t 4 2 , i m Ergebnis k o n z e d i e r e das Gesetz d e m S a c h v e r s t ä n d i g e n r a t g e n a u d i e selben w i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e n H a n d h a b e n w i e d e r R e g i e r u n g . D e n n h i e r gehen n u n aus der N a t u r der Sache angeblich n e u t r a l e „Begutachtung", g l o b a l e W i r t s c h a f t s - u n d F i n a n z p l a n u n g u n d staatliche W i r t s c h a f t s - u n d F i n a n z politile u n t r e n n b a r i n e i n a n d e r über. W e r m i t d e m e i n e n befaßt ist, t u t i m Ergebnis z w a n g s l ä u f i g auch das andere — d a r a n scheint m i r gerade nach d e r b i s h e r i g e n T ä t i g k e i t des n e u e n O r g a n s 4 3 k a u m e i n Z w e i f e l m e h r m ö g l i c h 4 4 . A u s d e m gleichen G r u n d b r a u c h t auch m e i n B e r i c h t h i e r z w i Ordoliberalismus, Winterthur 1954, zitierten analogen Äußerungen von Alexander Rüstow auf der Tagung des Vereins für Socialpolitik im Oktober 1932. Dürr (S. 8 f.) weist hierbei mit Recht auf die Ähnlichkeit dieser Äußerungen mit denjenigen von Walter Eucken in seinem Aufsatz von 1932 hin. Bemerkenswert sind auch die weiteren bei Dürr (a.a.O., S. 96—98, 162—166) gegebenen Hinweise, u. a. hinsichtlich der Ausführungen von Franz Böhm in seinem Buch von 1937 : Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung. Nebst Einleitung der Herausgeber Franz Böhm, Walter Eucken, Hans Großmann-Doerth. (Hierzu auch Fritz Haussmann, Die wirtschaftliche Konzentration an ihrer Schicksalswende, Basel 1941, bes. S. 191 ff.). Ein Vergleich des Tenors jener Ausführungen z. B. mit dem Vortrag von Franz Böhm, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, Tübingen 1950, lehrt, daß Böhm offenbar stärker zu Plädoyers neigt, die mit den jeweiligen Zeitumständen korrespondieren, als zu rein sadiorientierter Analyse. 40 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, Berlin (1964), bes. S. 256—259. 41 Vgl. Christian Heinze, Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Umbildung der Verfassung, in: Der Staat, 6,4, S. 433—444 (1967). 48 a.a.O., bes. S. 439. 48 Ein besonders bedenkliches Beispiel solcher Konfundierung bildet der als Anhang I I I seines Jahresgutachtens 1967/68 abgedruckte Brief des Sachverständigenrates an den Bundeskanzler vom 19. Juni 1965 (besonders Ziff. 4 f.). — Es heißt, der Bundeskanzler habe auf diesen Brief nicht geantwortet (vgl. Erich Schneider (Hrsg.), Rationale Wirtschaftspolitik und Planung in der Wirtschaft von heute. (Schriften des Vereins für Socialpolitik, N. F., Bd. 45), 1967, S. 129 Anm. 7). 44 I n diesem Sinne stimme ich auch Fritz Baade zu, der sagt, daß „es sich hier doch letzten Endes um ein planendes Gremium handelt" (Fritz Baade, Der Einfluß der Wirtschaftsforschung auf die Wirtschaftspolitik in Deutschland in den letzten 53 Jahren, in: Interdependenzen von Politik und Wirtschaft. Beiträge zur Politischen Wirtschaftslehre. Festgabe für Gert von Eynern, Berlin (1967), S. (317—340, hier:) 335).

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sehen jenen Begriffen nicht weiter zu unterscheiden. — I m übrigen ist nun auch der Inhalt dieser A k t i v i t ä t i n § 2 des Gesetzes normiert. Dort w i r d sie als Gewährleistung des berühmten „magischen Vierecks" — Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie stetiges und angemessenes Wachstum — i m Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung umschrieben. Ob der Sachverständigenrat seinem hierauf bezüglichen Gutachtenauftrag der Sache nach überhaupt entsprechen kann, und inwieweit er es tatsächlich tut, entzieht sich von vornherein der Nachprüfung, insofern dem Rat i m Gesetz selbst die Möglichkeit verschiedener Auffassungen konzediert ist. Anders aber dürfte es sich jetzt für Bund und Länder seit dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der W i r t schaft von 1967 verhalten. M i t ihm hat die „Verrechtlichung" unserer globalen Wirtschafts- und Finanzplanung einen unwiderruflichen Schritt über das Sachverständigenrats-Gesetz hinaus getan — unwiderruflich deshalb, weil damit die Frage gestellt ist, ob w i r uns überhaupt noch auf dem Boden der bisherigen Grundentscheidung über unsere Wirtschaftsverfassung befinden. Gewiß ist ein bewußter Entschluß, diesen Boden für die Zukunft zu verlassen, aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht zu entnehmen. Denn dessen Zustandekommen beruhte wiederum auf einem pluralistischen Kompromiß, wie besonders ein Vergleich des § 1 des Gesetzentwurfs mit dem § 1 des Gesetzes ergibt. Daß nämlich die Maßnahmen „ i m Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung" zu halten sind, besagt erst der endgültige Wortlaut; andererseits findet sich i n ihm nicht mehr das Ziel der „Wahrung des Geldwerts", sondern der „Stabilität des Preisniveaus" 4 4 3 , was etwas durchaus anderes ist. Man kann schon nach dem Studium der einschlägigen Bundestags- und Bundesrats-Drucksachen vermuten, die eine der beiden eben erwähnten Änderungen sei gewissermaßen eine Gegenleistung für die andere gewesen 45 . Daß dies der inneren Widerspruchsfreiheit des Gesamtkonzepts zugute gekommen sei 46 , w i r d man schwerlich unterstellen dürfen. Immerhin ist es so — ich 44a Zur Interpretation dieses Begriffs und den mit ihr gesetzten Implikationen vgl. Wilhelm Kromphardt, Wachstumswellen und Strukturpolitik, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 124, 2, S. (212—221, hier bes.) 216 (1968). 45 So ließe sich sagen, die Bedingung „im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung" sei eine Konzession in „liberaler" Richtung dafür gewesen, daß mit der Ersetzung des Zieles „Wahrung des Geldwerts" durch das Ziel „Stabilität des Preisniveaus" dem „sozialistischen" Wunsch (wenn auch nur indirekt), das Ziel einer gleichmäßigeren Verteilung von Vermögen und Einkommen einzubeziehen, jedenfalls etwas mehr entsprochen worden sei. — Ob allerdings die Erreichung des letzteren Zieles mittels einer entsprechenden Einkommenspolitik wahrscheinlich ist, kann bezweifelt werden; so der ,Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für das Jahr 1967' (Frankfurt 1968), S. 29. 48 U m einem Rechtssatz keinen inneren Widerspruch zu imputieren, argumentiert Woldemar Koch (in: Alfred Eugen Ott (Hrsg.), Fragen der wirt-

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möchte fast hinzufügen: zum Glück i n der A r t einer lex imperfecta — als Aktivitätsschema unserer staatlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik normiert worden. 2. W i r brauchen nun die Einzelheiten dieses Aktivitätsschemas — worüber jetzt der vorzügliche Kommentar von Stern und Münch näheren Aufschluß gibt 4 7 — nicht weiter zu erörtern. Vielmehr können w i r uns abschließend den Zielen der globalen Wirtschafts- und Finanzplanung nach dem Stabilitätsgesetz zuwenden. Wie also verhält sich unsere hierdurch determinierte Wirtschafts- und Finanzpolitik zu den Leitvorstellungen einerseits des Gemeinwohls, und andererseits des öffentlichen Interesses? Beide Begriffe werden i m Stabilitätsgesetz nicht ausdrücklich verwandt. Dort erscheinen vielmehr als „Ziele" einmal die vorhin genannten Komponenten des magischen Vierecks, dann aber auch die „von der Bundesregierung angestrebten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele", womit unzweifelhaft etwas ganz anderes gemeint ist. Der Ausdruck „Ziele" des Gesetzes hat also keinen eindeutigen Sinn — glücklicherweise, insofern nach der Natur der Sache gar nicht alle Komponenten des magischen Vierecks gleichermaßen als „Ziele" gelten können. Jedenfalls zum Teil stellen sie nur M i t t e l oder bloße Modalitäten bei der Verfolgung bestimmter Ziele dar 4 8 . Wenngleich also Gemeinwohl und öffentliches Interesse i m Stabilitätsgesetz selber nicht genannt sind, so werden sie doch von dem Gesetzesinhalt zwingend impliziert. Der Beweis hierfür muß von derjenigen ökonomischen Theorie angenommen werden, die jetzt durch das Gesetz m i t schaftlichen Stabüisierung, Tübingen 1967, S. 38) wie folgt: „Die Kontingentierung der NeuVerschuldung kann (§§ 19 und 20 des Gesetzes) vom Standpunkt des Gesetzes nicht als marktordnungswidrig gelten, denn sonst enthielte das Gesetz einen inneren Widerspruch." Warum man diesen Widerspruch für unmöglich halten sollte, ist auch deshalb nicht recht einsichtig, weil Koch etwas später (S. 50) selber meint, man dürfe „wohl von einem Widerspruch in der Zielformel des Gesetzes sprechen", und schließlich (S. 55) auch in der neuen Fassung des Art. 109 (sc. des Grundgesetzes) einen inneren Widerspruch findet. Zur Zielvorstellung des Stabilitätsgesetzes — „ »Magische Vielecke' bedeut e t . . . in der Nationalökonomie Inkompatibilität wirtschaftspolitischer Zielsetzungen" (S. 94) — vgl. von den Beiträgen des von Alfred Eugen Ott herausgegebenen Sammelbandes »Fragen der wirtschaftlichen Stabilisierung', Tübingen 1967, besonders Alfred E. Ott, Magische Vielecke (S. 93—114). 47 Klaus Stern und Paul Münch, Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz (1967). 48 Vgl. dazu Theodor Pütz, Die wirtschaftspolitische Konzeption, in: H.-J. Seraphim (Hrsg.), Zur Grundlegung wirtschaftspolitischer Konzeptionen. (Schriften des Vereins für Socialpolitik, N. F., Bd. 18), Berlin 1960, S. 21. Ferner auch Rolf Krüger, Das wirtschaftspolitische Instrumentarium. Einteilungsmerkmale und Systematisierung, Berlin (1967), bes. S. 42 ff.

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normativer Geltung privilegiert ist 4 9 , obwohl ihre Schlüssigkeit 50 von anderen Richtungen bestritten wird. Damit werden also fachwissenschaftliche Kontroversen per legem entschieden — ein jedenfalls auf diesem Gebiet neuartiger Vorgang. Schon i m Hinblick auf die Wandelbarkeit herrschender Meinungen sehen deshalb bereits heute manche K r i t i k e r häufige Novellierungen des Gesetzes voraus. Dazu mag man um so mehr Anlaß sehen, wenn Planungen der i n dem Gesetz vorgeschriebenen A r t nicht die angegebenen Ziele erreichen sollten — genauer: wenn die Öffentlichkeit von einem Fehlschlag überzeugt ist oder wird, wobei die wirklichen Gründe des Mißerfolgs gar nicht i n der betreffenden Planung zu liegen brauchen. Und schließlich werden nach der inneren Logik des jetzt normierten Aktionsschemas Änderungen wohl nur i n Richtung seines weiteren Ausbaus gehen 51 , so daß nur expansive Novellierungen des Gesetzes wahrscheinlich sind 5 2 . Doch auch dabei w i r d die Geltung jener beiden obersten Leitvorstellungen i m Rahmen des Stabilitätsgesetzes gewiß nicht tangiert werden. Welche Bedeutung dann heute dem Gemeinwohl beigelegt werden kann, läßt sich aus der schon vorhin berührten These folgern, wonach es logisch schlechterdings ausgeschlossen ist, das Gemeinwohl durch irgendeine Herleitung aus individuellen Wohlfahrtsschätzungen zu definieren. Diese Unmöglichkeit spielte i m Staat des aufgeklärten Absolutis49 Wichtig die verfassungspolitische und -rechtliche Kritik von Rolf Grawert, Finanzreform und Bundesstaatsreform, in: Der Staat, 7, 1, S. 63—83 (1968), bes. S. 80. Schon vorher sehr entschieden Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, bes. S. 579.— U m was für eine Art von ökonomischer Theorie es sich dabei handelt, läßt sich recht gut aus dem schon oben zitierten Aufsatz von Hermann Burgard (a.a.O., bes. S. 295 ff.) entnehmen. Gewissermaßen als „Kostprobe" vergleiche man dort die Definition von „Konjunkturpolitik" (S. 295). — A n allen hier notwendigerweise sich stellenden Fragen geht gänzlich vorbei Gerd Rinck: Wirtschaftswissenschaftliche Begriffe in Rechtsnormen, in: Recht i m Wandel. Beiträge zu Strömungen und Fragen im heutigen Recht. Festschrift Hundertfünfzig Jahre Carl Heymanns Verlag KG, Köln, Berlin, Bonn, München M D C C C X V · M C M L X V , (Köln 1965), S. 361—375. 50

Vgl. dazu jetzt Alfred E. Ott, a.a.O., S. 93, mit weiterer Literatur. Einem analogen Gedanken hat Arnold Gehlen mehrfach Ausdruck gegeben,, letzthin in: Die gesellschaftliche Kristallisation und die Möglichkeiten des Fortschritts, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, 18, 1/2, S. 21 (1967). 52 Zur Zweckmäßigkeit von Änderungen des Gesetzes vgl. auch Woldemar Koch, Die finanzpolitischen Mittel des Stabilisierungsgesetzes, in: Alfred Eugen Ott (Hrsg.), Fragen der wirtschaftlichen Stabilisierung, Tübingen 1967, bes. S. 50 ff. Vgl. ferner ebd. zur Sicherung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts Norbert Kloten (S. 72—92, bes. S. 86 ff.). Reinhard Blum (in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 123, 4, S. 743 (1967)) gibt in ähnlichem Sinne einer weitverbreiteten Meinung Ausdruck, wenn er sagt: „Die im »Stabilitätsgesetz* von 1967 vorgesehene »Globalsteuerung' der Wirtschaft i s t . . . der erste Schritt zu einer »langfristigen Wirtschaftspolitik'." 51

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mus noch keine Rolle. Denn dort oblag die Bestimmung des gemeinen Besten (wie übrigens auch des öffentlichen Interesses) folgerichtig dem Staatsoberhaupt. Seine Entscheidung entsprach demnach a priori dem (objektiv verstandenen) individuellen Wohl des einzelnen Untertanen. Demgegenüber datieren die angedeuteten Schwierigkeiten der Definition des Gemeinwohls praktisch seit dem liberalen Rechtsstaat. Diese Schwierigkeiten wurden, wie w i r erst sahen, von der juristischen Interpretation meistens kasuistisch umgangen. Dagegen haben sie i n den übrigen Sozialwissenschaften — besonders i n der nach 1900 aufgekommenen neueren Wohlfahrtsökonomik — zu immer erneuten Versuchen geführt, die Divergenz zwischen der Wohlfahrt der Einzelnen und der Wohlfahrt des Ganzen definitorisch auszuräumen. Daß dies mißlingen mußte, stand endgültig fest, als 1951 der Amerikaner A r r o w m i t den Mitteln mathematischer Logistik den zwingenden Beweis für die Unmöglichkeit lieferte, das Gemeinwohl widerspruchsfrei gewissermaßen aus den Wertschätzungen der Individuen zusammenzusetzen 58 . Er zeigte dabei, daß es nur zwei extreme Fälle gibt, i n denen das Gemeinwohl sich m i t der Gesamtheit aller Einzelwohle decken kann: Erstens dann, wenn es einem obersten Willensorgan (Arrow spricht von dem „Diktator") obliegt, selbstverantwortlich sowohl das Gemeinwohl wie das „wohlverstandene" Interesse jedes Einzelnen zu bestimmen — darunter rechnet auch der Fall des aufgeklärten Absolutismus. Zweitens aber dann, wenn alle Einzelnen sich hinsichtlich aller ihrer Wertungen i n völligem Konsens befinden. Das wäre der Fall einer perfekten Demokratie. Und so mußte A r r o w zu dem Ergebnis kommen, angesichts der Irrealität dieser beiden Fälle i n jedem pluralistischen Gemeinwesen sei es für unsere Situation prinzipiell ausgeschlossen, das Gemeinwohl schlüssig zu bestimmen. Natürlich hat die Arrow'sche Beweisführung vielerorts Unbehagen verursacht (wobei auch erstaunliche Verdächtigungen nicht ausgeblieben sind); widerlegt worden ist sie nie. Man hat sie deshalb allenthalben dort, wo die Wahrung des Gemeinwohls ausdrücklich oder implizite gefordert ist, i n Rechnung zu ziehen. Das bedeutet zunächst: alle wie immer konstruierten Prozesse pluralistischer Willensbildung — gleichviel, ob sie sich auf wirtschaftliche, politische oder andere Ziele richten — können grundsätzlich keine Feststellung des wirklichen Gemeinwohls erbringen. Vielmehr müssen sie stets darauf hinauslaufen, das Wohl bestimmter politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Teilgruppen m i t dem Gemeinwohl gleichzusetzen. Allerdings ist es möglich, daß solche Prozesse der Willensbildung sich darauf beschränken, das Gemeinwohl nur als Blankettformel zu behandeln, und sich mit der Benennung desjenigen be58 Vgl. Kenneth J. Arrow, Social Choice and Individual Values, New York (1951) *(1963).

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gnügen, dem seine Inhaltsbestimmung obliegen soll. Damit ist ja aber das Problem nur eine Instanz weitergeschoben. Man kann nun zwar der Interpretation praktisch ein gewisses Maß von Plausibilität geben, etwa indem man sich — wie es E r w i n von Beckerath formuliert hat 5 4 — letztlich an dem trotz aller Differenzierung einheitlichen europäischen K u l t u r bewußtsein orientiert, welches durch die Anerkennung gemeinsamer Grundwerte konstituiert werde. Aber i m Prinzip ändern solche Aushilfen nichts daran, daß etwas als Gemeinwohl ausgegeben werden muß, was es genau genommen nicht ist 5 5 . M i t diesem Vorbehalt läßt sich jetzt eine Erklärung der tatsächlich geltenden Ziele unserer globalen Wirtschafts- und Finanzplanung geben. Das Vorliegen eines öffentlichen Interesses würde ich dabei nur dann bejahen, wenn es sich um Belange handelt, die ausschließlich den Staat an sich (genauer: die Gebietskörperschaften der verschiedenen Stufen als solche) betreffen. A l l e Belange dagegen — und seien es auch solche noch so großer sozialer Gruppen —, die irgendwie, aber wirklich auf individuelle Interessen radizierbar sind, können nur allenfalls unter die Vorstellung des Gemeinwohls subsumiert werden. Die Vorstellung nun, es gebe noch öffentliche Interessen, die ausschließlich dem Staat an sich eigen wären 5 6 , scheint sich m i t einem gewissen Zeitgeschmack schlecht zu vertragen; gehört sie doch zu den Dingen, die uns — um eine kürzliche Formulierung von Arnold Gehlen zu zitieren 5 7 — „ i n den letzten zwanzig Jahren von manchen Seiten her systematisch aus54 Vgl. Erwin von Beckerath, Wirtschaftswissenschaft: Methodenlehre, in: HdSw, 12 (1965/64), (hier:) S. 300. 55 Daß dieser Bruch logisch unvermeidlich ist, bestätigt sich stets dann, wenn die Frage konsequent durchdacht wird, so z. B. letzthin in der scharfsinnigen Darstellung von Heinz Haller, Die Steuern. Grundlinien eines rationalen Systems öffentlicher Aufgaben, 1964, bes. S. 74 ff. (Dazu auch die Kritik von Kurt Schmidt, in: Finanzarchiv, N. F. 26, 3, S. 385 ff. (1967), sowie Herbert Timm, ebd., N. F. 27,1—2, S. 88 Anm. 2 (1968)). Wie die moderne marxistisch-leninistische Theorie jenen Bruch — durch die „Setzung" einer wirtschaftlichen Rationalität im Sozialismus — überspielt, zeigt in neuerer Zeit sehr klar die einschlägige Darstellung bei Oskar Lange, (Politische Oekonomie (polnisch); englisch:) Political Economy, Warszawa 1963, Bd. I, S. 169 ff. 56 Vgl. dagegen neuestens Fritz Morstein Marx, in: Verwaltungsarchiv, 59, 1, S. 58 f. (1968), der sich für eine ,Umdefinition' in dem Sinne einsetzt, daß „wir uns angewöhnten, von der Allgemeinheit anstelle des Staats zu reden". Die logische Analogie zu alten Begriffen wie dem des „gemeinen Wesens" (dazu Rudolf Piepenbrock, Der Gedanke eines Wirtschaftsrechts in der neuzeitlichen Literatur bis zum ersten Weltkrieg, Köln, Berlin, Bonn, München 1964, bes. S. 36) ist nicht zu übersehen. Was allerdings damals wirklich dahinter stand, wurde inzwischen offenbar. Für heute wäre hieraus die Lehre zu ziehen, daß man so wenig wie den Staat auch nicht die „Gesellschaft" mythologisieren sollte. 57 Vgl. Arnold Gehlen, in: Leistungsbereitschaft. Soziale Sicherung. Politische Verantwortung. (Veröffentlichungen der Walter-Raymond-Stiftung, Bd. 8), Köln und Opladen 1967, S. 183.

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geredet" wurden. Doch zeitigt die Tendenz, möglichst keine eigenständigen Interessen des Staates als solchen mehr anzuerkennen, zugleich eine ungewollte gegenläufige Folge, die von einer sachgemäßen Interpretation unserer Wirtschafts- und Finanzplanung nicht übersehen werden darf. Es kann nämlich i n dieser Situation dahin kommen, daß alle irgendwie „allgemeinen" Belange, also auch solche, die keineswegs i m Sinne der „Gesellschaft" liegen, als Forderungen des Gemeinwohls umfirmiert werden und dann unter der Flagge „gesellschaftlicher" Interessen laufen. Dazu kann ich mich auf eine neuerliche Untersuchung von Erich Preiser 68 beziehen, die das Postulat des stetigen und angemessenen Wachstums unserer Wirtschaft einer ebenso nüchternen wie präzisen Analyse unterzieht. Preiser kommt hierbei zu dem Ergebnis, es bleibe von der zunächst so plausibel erscheinenden wirtschaftlichen Begründung des Wachstumspostulats bei genauer Prüfung nichts übrig, vielmehr reduziere sich alles auf einen politischen Wert: das Prestige i m Wettlauf zwischen Ost und West 59 . Das wäre dann also, entgegen dem ersten Anschein, ein strikt staatliches Interesse; denn es ist schlechterdings nicht anzunehmen, damit ginge auch ein entsprechendes Interesse der Gesellschaft Hand i n Hand 6 0 . Solche nur etatistisch zu verstehenden „Ziele" bzw. Erfordernisse finden sich nun i n dem Stabilitätsgesetz mehrfach. So ist nicht zu ersehen, wer i n unserer Wirtschaftsgesellschaft an dem gesamtwirtschaftlichen oder gar dem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht wirklich entscheidend interessiert sein könnte. Das tatsächliche Interesse der betroffenen W i r t schaftssubjekte muß vielmehr gerade i n Richtung gewisser Ungleichgewichte liegen, was w i r i m internationalen Rahmen gegenwärtig an dem dramatischen Kampf um die letzten Bastionen einer festen Goldparität beobachten können. Jene Gleichgewichte dagegen liegen i m Interesse öffentlicher Organe — wie etwa der Bundesbank —, letztlich also des staatlichen Wirtschaftspolitikers und nicht i n dem eines privaten W i r t schaftssubjekts. Andererseits nennt das Stabilitätsgesetz bestimmte „Ziele" wie die Stabilität des Preisniveaus, an denen der Staat selber schwerlich ein 58 Vgl. Erich Preiser, Wirtschaftliches Wachstum als Fetisch und Notwendigkeit, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 123, 4, S. 586—598 (1967). — Gegen „die verächtliche Disqualifizierung als,Wachstumsfetischmus' " „seitens gewisser »conservatives' " Fritz Neumark, Wandlungen in den Auffassungen vom Volkswohlstand, Frankfurt (M.) (1964), mit der Erklärung, die US-amerikanische Politik der Wachstumssteigerung sei angesichts des gegenwärtigen internationalen Konflikts „a condition of survival" (a.a.O., S. 23). Hier also wieder der bekannte „Ost-West-Darwinismus", dessen Gegner nun wieder anscheinend als „conservatives" abqualifiziert werden sollen. 59 Vgl. Erich Preiser, a.a.O., S. 592 f. 60 Daß die gesellschaftlichen Interessen durchweg in die entgegengesetzte Richtung weisen, führt Erich Preiser, a.a.O., bes. S. 593 f., des Näheren aus.

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überwiegend positives Interesse haben kann (jeder Finanzminister müßte i m Grunde seines Herzens dagegen sein). Sie können nur als Belange des Gemeinwohls erscheinen, vorausgesetzt allerdings, daß man diesen Begriff auch für die Interessen bestimmter, wenn nur großer Teilgruppen der Wirtschaft konzediert 61 . So läuft die Würdigung des Rechtes unserer neuen globalen W i r t schafte- und Finanzplanung auf eine A r t Wertebilanz heraus, auf deren einer Seite öffentliche Interessen, auf der anderen Posten eines (mehr oder weniger allgemeinen) Gemeinwohls erscheinen. A u f welcher Seite dabei das Übergewicht liegt, läßt sich nicht schon nach den ausdrücklichen Werteangaben des Stabilitätsgesetzes ermessen — dabei kommt man kaum weiter als bis zu dem üblichen unverbindlichen einerseits / andererseits. Dagegen neigt sich die Waagschale deutlich nach der einen — und ich würde meinen: nach der staatlichen — Seite, wenn man die zwangsläufige und voraussehbare Funktionsweise der Bestimmungen des Gesetzes gewissermaßen ökonomisch „durchspielt". Überraschungen von Seiten der Rechtsprechung sind dabei übrigens schwerlich zu erwarten, schon weil die globale Wirtschafts- und Finanzplanung (womit ich der Meinung von Stern folge 62 ) auch indirekt kaum justiziabel sein dürfte. Bei solchem Durchspielen taucht noch ein großer Posten auf, der auf den ersten Blick zu Lasten des Staates zu gehen scheint 63 : insbesondere seine Finanzpolitik soll nämlich nicht autonom prozedieren, sondern nur subsidiär etwaige Fehlleistungen der gesellschaftlichen Wirtschaft kompensieren 64 . Insgesamt aber vermute ich, daß das Gesetz jedenfalls auf etwas längere Sicht einen enormen Zuwachs des Gewichts öffentlicher, sprich: staatlicher Interessen ermöglicht. 81

Vgl. hierzu neuerdings Hans-Jürgen Vosgerau, Wachstum und Stabilisierung, in: Alfred Eugen Ott (Hrsg.), Fragen der wirtschaftlichen Stabilisierung, Tübingen 1967, bes. S. 21. Ferner besonders auch ebd.: Hans Jürgen Jaksch (S. 68 ff.). 82

Vgl. dazu des Näheren Klaus Stern und Paul Münch, a.a.O., bes. S. 56 ff.

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Aber nur auf den ersten Blick; daß mit dieser Situation tatsächlich dem Staat ein Mehr an Verantwortung und damit an Gewicht zufällt, hat schon Otto Heinrich v. d. Gablentz, a.a.O., S. 559, angemerkt. 84 Dies soll durch jeweils angepaßte Vermehrung bzw. Verminderung öffentlicher Investitionen erfolgen. Die theoretische Begründung, die Woldemar Koch (a.a.O., S. 43) für dies Verfahren liefert, ist sehr schwach: einmal ist unerfindlich, warum bei Auswahl nach dem Kriterium „gesamtwirtschaftliche Dringlichkeit" die öffentlichen Investitionen gerade in den Fällen der Vollund Überbeschäftigung als „submarginal" zu gelten haben; und ferner bleibt unklar, inwiefern solche konjunkturellen Variationen dem „Prinzip der W i r t schaftlichkeit bei öffentlichen Investitionen" entsprechen sollen. — Zur möglichen Effizienz jenes Verfahrens vgl. jetzt die (insoweit sehr kritische) Würdigung von Rudolf Stucken, Die Haushaltspolitik im Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967, in: Finanzarchiv, N. F. 27,1—2, S. 202 ff. (1968).

Gemeinwohl im Recht der Wirtschafts- und Finanzplanung

Damit komme ich zum Schluß. M i t noch größerer Betonung als am Anfang muß ich nun meine Aussage wiederholen, es habe nur den Anschein, als ginge heute das öffentliche Interesse i n dem Gemeinwohl auf m i t der Folge, daß das öffentliche Interesse als eigenes oberstes Ziel ganz verschwinde. Es mag zwar sein, daß man i n unserer Zeit allgemeine Belange lieber mit dem Etikett des Gemeinwohls als dem des öffentlichen Interesses versieht. Aber dies besagt nicht viel, wenn — wie w i r vorhin sahen — notwendigerweise i m konkreten Fall sogar die Bestimmung des Gemeinwohls immer mehr dem Staate zufällt. Ob allerdings auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzplanung das Gewicht der staatlichen Interessen tatsächlich zunehmen wird, muß ich offenlassen. Als Ökonom hat man nicht zu prophezeien, und darum bezeichnete ich eben diese Entwicklung — m i t der unserer ganze Wirtschaftsordnung sich grundlegend wandeln würde — nur als möglich. Sie wird eintreten, wenn unsere öffentliche Verwaltung die (auch für sie selbst) i n dieser Entwicklung liegende Chance rechtzeitig ergreift, wozu allerdings gehört, daß sie nicht weniger bereit ist, die damit untrennbar verbundenen erhöhten Pflichten auf sich zu nehmen.

Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen Bedeutung der Begriffe im Verwaltungsrecht Von Hans Heinrich Rupp

I. Der Satz, alles staatliche Verwalten sei dem Wohl der Allgemeinheit gewidmet, w i r d kaum auf Widerspruch stoßen. Auch daß die Verwaltung als Staatsfunktion unter dem Leitstern des öffentlichen Interesses steht, ist allgemeiner Konkordanz sicher. Indessen zeigt sich wie sonst, so auch hier, daß Begriffe i n dem Maße an Zündstoff verlieren, je blasser und inhaltsloser sie werden. Unter „Wohl der Allgemeinheit" oder unter „öffentlichen Interessen" läßt sich — wie die Verfassungsgeschichte beweist — völlig Konträres verstehen, und es ist kein Zufall, daß auch Diktaturen das Gemeinwohl i m Munde zu führen pflegen, u m das Charisma des Gewalthabers zu stabilisieren und seine Eingebungen allen anderen aufzuzwingen — sie sind dabei nicht einmal weit von Rousseau entfernt. I m Extremfall kann somit das Gemeinwohl zum Vehikel freiheitsvernichtender W i l l k ü r werden, es sei denn, man ignoriert die W i r k lichkeit und verfällt i n die noch heute i n Deutschland gelegentlich anzutreffende Illusion, wem Gott ein A m t gebe, dem gebe er auch Verstand, und lykurgische Weisheit wachse dem Gewalthaber immer mit der Machtergreifung und dem Purpur des Alleinherrschers zu. Solche Menschheitsträume sind zu schön, u m wahr zu sein, und zu naiv, um die Wirklichkeit zu erfassen. Sie schwingen aber — wie ich meine — i n anderen Zusammenhängen immer noch mit, wenn beispielsweise m i t Hilfe der Lehre von den unbestimmten Rechtsbegriffen so getan wird, als sei m i t der Etikettierung „unbestimmter Rechtsbegriff" und m i t seiner Ausklammerung aus dem Bereich des sog. Verwaltungsermessens ein Begriff wie derjenige des Wohls der Allgemeinheit oder des öffentlichen Interesses eindeutiger und deshalb justiziabel geworden. Ein offener Begriff w i r d nicht dadurch eindeutig, daß man ihm ein anderes Etikett gibt, i h n „unbestimmt" nennt und seine Inhaltsbestimmung dem Richter oder „Beurteilungsspielräumen" der Verwaltung zuschiebt, offenbar i n der Hoffnung, diese oder jener sei i m Besitz des Steines der Weisen. A u f diese Weise kommt man also dem Problem der offenbaren Austauschbarkeit der Begriffsinhalte keinen Schritt näher. Doch wie sonst?

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Schon das bisher Gesagte hat deutlich werden lassen, daß das Wohl der Allgemeinheit oder — anders ausgedrückt — das Gemeinwohl i n vielen Farben schillert, i m Verlauf der Geschichte von verschiedenen Staatszielen okkupiert worden ist und deshalb die Hoffnung, i h m m i t Hilfe des Naturrechts oder zeitloser Ideale unverrückbare Inhalte und Konturen zu geben, resignierender Skepsis weicht. Die Wahrung des Gemeinwohls als Inhalt und Auftrag aller staatlichen Gewalt ist dieser nicht sinnfällig vorgegeben, sondern w i r d i n einem permanenten Prozeß jeweils durch das raum-zeitliche Staatsverständnis eines Gemeinwesens konstituiert 1 . Ich halte es daher für aussichtslos, aus den Staatsordnungen der Geschichte sozusagen einen gemeinsamen Gemeinwohlkern i m Sinne einer allgemeingültigen Aussage herauszupräparieren. Denn wahrscheinlich würde sich hierbei als Gemeinsamkeit nur ein Nichts ergeben. Ebenso fragwürdig scheint m i r der Versuch, mit Hilfe subjektiver WertvorStellungen oder Weltanschauungen aus dem Gemeinwohlbegriff das herauszulesen, was man vorher i n i h n hineingelesen hat. Das Pathos vom Wohl der Allgemeinheit und der i n der deutschen Staatslehre so häufig anzutreffende Glaube an die überzeitliche Geltung staatsprägender Werte w i r d jedenfalls nicht nur durch die Wirklichkeit widerlegt, sondern bemäntelt gelegentlich einen individualistischen Dezisionismus, der sich weit vom Verständnis demokratisch-rechtsstaatlicher Staatsgewalt entfernt. Wenn also überhaupt Aussagen für den Gemeinwohlbegriff, wie i h n das Grundgesetz verstanden wissen w i l l , gewonnen werden können, dann nur aus dem Grundgesetz selbst und nicht aus der Sphäre überirdischer Harmonien, oder — profaner ausgedrückt — beispielsweise aus dem preußischen Allgemeinen Landrecht. Insoweit ergibt sich folgendes: Nach der grundgesetzlichen Gesamtkonzeption ist evident, daß sich das Wohl der Allgemeinheit nicht einseitig durch Elemente traditioneller Staatsräson definieren läßt, sondern i m Allgemeinwohl der Schutz des Individuums eingeschlossen ist. Sicher ist das Gemeinwohl nicht identisch m i t der arithmetischen Summe aller Individualinteressen. Aber andererseits steht i n Anbetracht des A r t . 1 GG und der Grundrechtsverbürgungen ebenso fest, daß das Gemeinwohl nicht nur als vom Staat wahrzunehmender Gegenpart individueller Freiheiten verstanden werden kann, sondern i n i h m die Freiheitsverbürgungen mitschwingen und diese nicht nur als „äußere Grenzen" an sich omnipotent und omnikompetent gedachter Staatsgewalt fungieren. Die gegenteilige Vorstellung, dem vorigen Jahrhundert und seinem Dualismus von Staat und Gesellschaft entsprungen, erschwert noch heute ungemein das Verständnis des Gemeinwohls, aber auch der Grundrechte. Sie zwingt jenem die Rolle der Gegnerschaft gegenüber diesen auf und siedelt es i n der Sphäre eines isolier1 Vgl. hierzu die soeben abgeschlossene Marburger Dissertation von Friedrich v. Zezschwitz, „Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff", 1967.

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ten Staatsutilitarismus an. Aus dieser Sicht w i r d es möglich, das „Gemeinwohl" irgendwie als isoliertes Gegengewicht zu grundrechtlichen Individualinteressen i n die Waage des Verhältnismäßigkeitsprinzips einzubringen und nach altem Rezept abzuwiegen, wenngleich bei diesem Verfahren erst recht unklar bleibt, welche Konturen hier eigentlich das Gemeinwohl besitzt; denn weiß man nicht, was man abwägt, so führt selbst eifriges Abwägen nicht zur Erkenntnis. Das Allgemeinwohl demokratisch-freiheitlicher Staatlichkeit kann nicht daran vorbeigehen, daß die Individualität des Einzelnen mit seiner Inkorporierung i n die volonté générale nicht untergeht und deshalb das Wohl der Allgemeinheit, w i l l es Wohl der Allgemeinheit bleiben, auch von all denjenigen Elementen der individuellen Freiheitssicherung geprägt ist, die Grundpfeiler der Verfassungsordnung i m Sinne eines „institutionellen" Grundrechtsverständnisses sind. So gesehen liegen beispielsweise den A r t . 14 Abs. 3 und 15 GG völlig kontroverse Gemeinwohl vor Stellungen zugrunde: Während durch eine konkrete Individualenteignung nach A r t . 14 Abs. 3 GG niemals Qualität und Quantität des verfassungsrechtlich durch Art. 14 Abs. 1 GG abgesicherten Instituts des Individualeigentums angetastet werden darf und deshalb i m „Wohl der Allgemeinheit" nach A r t . 14 Abs. 3 GG jene objektive Instituts verbürgung mitenthalten ist, würde bei einem Gebrauchmachen von der Ermächtigung des Art. 15 — aber auch nur dann — das Wohl der Allgemeinheit insoweit neu zu definieren sein, als jenes Element zugunsten einer Sozialisierung oder gemeinwirtschaftlicher Konzeptionen entfiele. Diese Sicht der Dinge macht zugleich deutlich, welcher Sprengsatz i n A r t . 15 GG schlummert und welche Hebelw i r k u n g dieser Vorschrift i m Sinngefüge der Verfassung zukommt. Indessen ist es nicht meine Aufgabe, i m einzelnen der Frage nachzugehen, welche Determinanten aus der Verfassung zur Bestimmung des Wohls der Allgemeinheit gewonnen werden können. Als Ergebnis w i r d immer eine gewisse Unsicherheit und Offenheit bleiben, die auch mit subtilster juristischer Exegese nicht geschlossen werden kann, es sei denn, das Gesetz gibt dem Wohl der Allgemeinheit scharfe, handliche und vollziehbare Konturen. Darin liegt gerade — so möchte ich immer wieder betonen — der verfassungsrechtliche Auftrag des demokratischparlamentarischen Gesetzgebers; man würde jedenfalls diesen Auftrag mißverstehen, wollte man die Gesetzgebung nur als authentische Interpretation verfassungsrechtlich bereits vorgefertigter Ordnungsstrukturen verstehen und verkennen, daß i n der Gesetzgebungskompetenz Dezision, Entscheidung eingeschlossen ist. Erst recht vertrüge es sich nicht m i t dem Gemeinwohlverständnis einer freiheitlichen Demokratie, aus dem Gemeinwohlauftrag des Gesetzgebers die Ausformung und Sicherung individueller Freiheitsverbürgungen zu eliminieren und die Gesetzgebung lediglich i m Sinne der hergebrachten deutschen Lehre als

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„Schrankenziehung" zu mißdeuten. Das Medium des Gemeinwohlauftrages zwischen Verfassung und Verwaltung ist allemal das Gesetz. Das gilt, wie schon Dürig 2 nachgewiesen hat, auch für das öffentliche Interesse. Denn das Gesetz ist nicht nur aus rechtsstaatlichem Aspekt Ort und Monopol rechtssetzender pouvoir constitué, sondern zugleich Repräsentation parlamentarisch-demokratischer Willensbildung, und erst i n dem verfassungsrechtlich vorgesehenen Willensbildungsverfahren erhält das Wohl der Allgemeinheit vollzugsfähige Kontur und Gestalt. Wer dies ignoriert, sich das Gesetz des Denkens vom Eingriffsvorbehalt des vorigen Jahrhunderts aufdrängen läßt und meint, insbesondere bei der sog. Leistungsverwaltung gebe der verfassungsrechtliche Gemeinwohlauftrag auch ohne Gesetz der Verwaltung hinreichende Legitimation, führt die Verwaltung unweigerlich auf den Weg irrationaler Dezisionen, zumindest ist er — wie die heutige deutsche Lehre und Rechtsprechung beweisen — genötigt, sich aus dem Gleichheitssatz und einer angeblich rechtssatzähnlichen Wirkung des innerdienstlichen Weisungsrechts mühsam ein Notgebäude zusammenzuflicken, das weder mit dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit, noch m i t dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes etwas gemein hat. Auch der derzeit gängige Versuch, das hergebrachte innerdienstliche Verwaltungsverordnungsrecht unter Berufung auf die nicht ausdrücklich aufgehobenen Kompetenzen der konstitutionell-monarchistischen Regierungen des vorigen Jahrhunderts schlicht zu einem selbständigen Rechtsverordnungsrecht der Exekutive praeter constitutionem auf- und umzurüsten, mag originell sein, m i t dem Grundgesetz und dessen A r t . 80 hat er jedenfalls nichts zu tun. A u f die Frage nach der Methode solchen Hantierens mit der Verfassungsgeschichte und m i t staatstheoretischen Elementarlehren möchte ich hier nicht eingehen. Gänzlich abwegig erscheint m i r jedenfalls die These zu sein, auch die heutige Verwaltung besitze nach dem Grundgesetz demokratische Legitimität und bedürfe deshalb keiner demokratisch-parlamentarischen Legalität. Mag ehedem die monarchische Legitimität eines ungeschichtlichen Gottesgnadentums der Könige gegen den Legalismus eines aufgezwungenen konstitutionellen Gesetzgeber ins Feld geführt worden sein, so läßt sich bekanntlich demokratische Legitimität niemals gegen demokratische Legalität ausspielen, denn diese ist gerade die rechtsstaatlich-demokratische Erscheinungsform jener 3 . Aus solcher Sicht läßt sich für unser Thema folgendes Zwischenergebnis gewinnen: 1. Es gibt kein Allgemeines Wohl und auch kein öffentliches Interesse, das sich nach zeitlosen übernationalen Kriterien bestimmen ließe. 1 Die konstanten Voraussetzungen des Begriffs „öffentliches Interesse", Diss. München 1949. 8 Vgl. Johannes Winckelmann, Die verfassungsrechtliche Unterscheidung von Legitimität und Legalität, ZgesStW 112 (1956), S. 164 (174).

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Was ein Staat ist, wie er sich verstanden wissen w i l l , welchem Ziel er dient, i n welchen Verfahren der Gemeinwille Ausdruck und Gestalt gewinnt, all dies prägt entscheidend Inhalt und Verständnis des staatlichen Gemeinwohlauftrags. 2. I m grundgesetzlichen Gemeinwohlauftrag spiegelt sich das grundgesetzliche Staatsverständnis wider und gibt jenem grundgesetzliche Konturen. Gleichwohl ist auch der grundgesetzliche Gemeinwohlauftrag noch zu ungewiß und offen, als daß er normative Ermächtigungen zum unmittelbaren Vollzug durch die Verwaltung böte. Wäre es anders, so könnte sich das gesamte Verwaltungs- und Verwaltungsorganisationsrecht i n einem einzigen Rechtssatz des Inhalts erschöpfen, die Verwaltung habe das Gemeinwohl wahrzunehmen. Allein dem parlamentarisch-demokratischen Gesetz ist es nach dem Sinn- und Kompetenzgefüge des Grundgesetzes vorbehalten, den Gemeinwohlauftrag des Grundgesetzes zu präzisieren und i n vollzugsfähige Rechtsformen zu gießen.

II. Kommen somit das Allgemeine Wohl oder das öffentliche Interesse als ungeschriebene Ermächtigungsnormen der Verwaltung nicht i n Betracht, so besitzen beide oder sinnverwandte Begriffe gleichwohl bei der Anwendung und Kontrolle des geschriebenen Verwaltungsrechts große Bedeutung. Einmal wirken sie als Barrieren und als Moderatoren der Interpretation insoweit, als sie verhüten, daß die Anwendung des Verwaltungsrechts sich aus dem Bannkreis des durch die verfassungsmäßige Ordnung geprägten Gemeinwohlauftrags löst und verselbständigt. Die insoweit zur Verfügung stehende Interpretationstechnik läßt sich mit dem Stichwort der „verfassungskonformen Auslegung" umschreiben. Beispiele für diese funktionale Technik sind allgemein bekannt, so daß ich darauf nicht näher einzugehen brauche. Zum anderen spielen i m Verwaltungsrecht Begriffe wie Wohl der Allgemeinheit, Gemeinwohl, öffentliches Wohl, öffentliche Belange, I n teresse der Allgemeinheit oder öffentliches Interesse insofern eine große Rolle, als sie als Rechtsbegriffe i n das Gewebe des Verwaltungsrechts eingeflochten sind, also dem Interpreten i m Gewände verwaltungsrechtlicher Normen begegnen 4 . Hier erfüllen diese Begriffe jeweils gänzlich verschiedene Funktionen und erschließen ihren Sinngehalt erst aus einer Zusammenschau der jeweiligen gesetzlichen Zweck- und Zielrichtung und des gesetzlichen Kontextes, i n den sie eingebettet sind. Was also 4

Vgl. hierzu die Zusammenstellung und Würdigung bei Friedrich schwitz, a.a.O., S. 13 ff.

v. Zez-

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i n einem Gesetz beispielsweise die Beachtung öffentlicher Interessen gebietet, braucht nicht identisch zu sein mit dem Inhalt des i n einem anderen Gesetz verwendeten wortgleichen Begriffs. So ist zum Beispiel evident, was das Atomgesetz i n § 7 Abs. 1 Nr. 5 meint, wenn es die Genehmigung zu ortsfesten Atomanlagen davon abhängig macht, daß überwiegende öffentliche Interessen der Wahl des Standorts der Anlage nicht entgegenstehen. Denn einmal präzisiert das Gesetz das öffentliche Interesse durch einen exemplarischen Hinweis auf die Reinhaltung des Wassers, der L u f t und des Bodens, zum anderen t r i t t das Gesetzesprogramm i n § 1 Atomgesetz so eindeutig hervor, daß von vornherein Rahmen, Inhalt und Zielrichtung des öffentlichen Interesses vorgeprägt sind. Ä h n lich verhält es sich m i t dem i n § 49 Abs. 3 Atomgesetz verwendeten Ausdruck: „Schutz der Allgemeinheit". Auch hier w i r d durch die Determinanten des Gesetzes verständlich, was gemeint ist. Einen ganz anderen, aber ebenfalls aus dem gesetzlichen Sinnzusammenhang ermittelbaren Inhalt hat § 25 Abs. 3 Wohnraumbewirtschaftungsgesetz, wo der Hinweis auf das Wohl der Allgemeinheit durch den Kontext und durch den Satz: „insbesondere aus städtebaulichen Gründen" präzisiert wird. Weitere Beispiele solcher gesetzesimmanenter Konkretisierung finden sich i n Hülle und Fülle. Bei einer großen Zahl von Verwaltungsgesetzen erschließt sich der Inhalt von Gemeinwohl- oder sinnverwandten Klauseln allerdings nicht ohne weiteres. Ich nenne beispielsweise § 52 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes, wo postuliert wird, der Beamte habe „bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen". Was dies, gesehen i m System der außerdem vom Gesetz dem Beamten zugewiesenen Pflichten besagen will, ist einigermaßen unklar, mag jedoch dahinstehen, weil es sich offenbar u m eine Norm mehr programmatischen Charakters handelt, die sich nicht als Ermächtigung der Verwaltung verstanden wissen will. Anders ist dies aber ζ. B. bei § 8 Abs. 3 des Wasserhaushaltsgesetzes. Hier heißt es: „Ist zu erwarten, daß die Benutzung auf das Recht eines anderen nachteilig einwirkt und erhebt der Betroffene Einwendungen, so darf die Bewilligung nur erteilt werden, wenn die nachteiligen W i r kungen durch Auflagen verhütet oder ausgeglichen werden. Ist dies nicht möglich, so darf die Bewilligung gleichwohl aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit erteilt werden; der Betroffene ist zu entschädigen." Offenbar liegt hier ein Fall von Enteignung vor, der freilich dadurch charakterisiert ist, daß der i n A r t . 14 Abs. 3 GG enthaltene Vorbehalt des Wohls der Allgemeinheit nicht näher präzisiert, sondern schlicht wiederholt wird. Insoweit besteht ein Unterschied beispielsweise zu der Gemeinwohlklausel des § 51 der Gewerbeordnung, der ganz offensichtlich gewerbepolizeiliche Motivationen zugrundeliegen und die auf das Verständnis des Gemeinwohls zurückwirken. Immerhin weiß man bis heute nicht

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recht, ob die i n § 51 GewO angeordnete Entschädigung sich als Enteignungsentschädigung oder als bloße Billigkeitsentschädigung verstanden wissen will. Jedenfalls erscheint es bei der Anwendung der verwendeten Begriffe noch möglich, durch gesetzesimmanente Auslegungsmethoden noch einigermaßen verläßliche Aussagen zu gewinnen, kraft derer das Gemeinwohl oder das öffentliche Interesse auf einen faßbaren konkreten Inhalt reduziert werden kann. I n einer weit stärker verbreiteten Gruppe von Verwaltungsgesetzen dagegen nähern sich Gemeinwohlklauseln offenen Blanketten. Das ist z. B. bei § 4 Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes der Fall. Danach können der Bau, die Erneuerung, die Erweiterung oder die Stillegung von Energieanlagen der Energieversorgungsunternehmen beanstandet und untersagt werden, „wenn Gründe des Gemeinwohls es erfordern". Diese Vorschrift läßt sich vor allem deshalb schwer enträtseln, weil sie aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt, also eingebettet war in spezifische Wirtschaftsformen und Machtapparaturen und deshalb einer „verfassungskonformen Auslegung" fast unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstehen. Denn es läßt sich nicht einfach das „Gemeinwohl", wie es ehedem verstanden wurde, durch das Gemeinwohl des Grundgesetzes ersetzen. Denn dieses Gemeinwohl ließe i m Gegensatz zu jenem den apodiktischen Staatsdirigismus i m Bereich der Versorgungsunternehmen kaum mehr zu, machte also eine völlige Novellierung der Vorschrift erforderlich. Auch bei nachkonstitutionellen Gesetzen besteht häufig kaum eine rationale Möglichkeit der Entschlüsselung von Gemeinwohlbegriffen und synonymer Klauseln. Das ist vor allen Dingen dann der Fall, wenn eine gesetzesimmanente Konturierung dieser Begriffe an dem Nebeneinander und der Divergenz gesetzlicher Zielsetzungen scheitert. Dafür sind die Gemeinwohlklauseln der §§ 24 Abs. 2, 87 Abs. 1 des Bundesbaugesetzes ein markantes Beispiel. Während nach § 24 Abs. 2 BBauG das gemeindliche Vorkaufsrecht ausgeübt werden darf, „wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt", wiederholt § 87 Abs. 1 BBauG die Gemeinwohlklausel des Art. 14 Abs. 3 GG und zwar ohne jede Präzisierung. Jedenfalls w i r d der Gemeinwohlbegriff nicht konturenschärfer dadurch, daß § 87 Abs. 1 BBauG ihn für jeden einzelnen Fall angewendet wissen w i l l . Beide Gemeinwohlklauseln entziehen sich einer gesetzesimmanenten Entschlüsselung, weil die i n § 1 BBauG angegebenen Gesetzesziele gar zu kontrovers und verschieden sind, als daß sie auf einen einheitlichen Nenner gebracht werden könnten. Denn die Bezugnahme des § 1 BBauG auf die Ordnung der städtebaulichen Entwicklung i n Stadt und Land, die Ziele der Raumordnung und Landesplanung, die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, ihre Sicherheit und Gesundheit, ihre Wohnbedürfnisse und die Eigentumsbildung i m Wohnungswesen, die Erfordernisse der Kirchen und Religionsgesell-

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Schäften für Gottesdienst und Seelsorge, die Bedürfnisse der Wirtschaft, der Landwirtschaft, der Jugendförderung, des Verkehrs und der Verteidigung, die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes oder die Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes enthalten ein Bündel verschiedenartigster Gesichtspunkte und Programme, die sozusagen für jeden etwas bieten und sich zu jedem beliebigen Zweck verwenden lassen. Der spekulativen Aufbereitung der genannten Gemeinwohlklauseln stehen damit Tür und Tor offen. Sie dienen nicht der Präzisierung, sondern allenfalls der Verhüllung uferloser und deshalb verfassungsrechtlich höchst bedenklicher Blankette. Ähnlich konträr sind die Zielsetzungen der meisten Wirtschaftsordnenden Gesetze, so daß gerade dort die Flucht i n Gemeinwohl-Generalklauseln zu einer Selbstaufgabe des Gesetzes führt. Aus dieser Sicht w i r d man auch einige Mühe haben, jenem viel umstrittenen öffentlichen Interesse Konturen abzugewinnen, das nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes rechtfertigt. Denn die VwGO ist ein Verfahrensgesetz, gibt also nur ein einheitliches verfahrensrechtliches Instrument zur Austragung der verschiedenartigsten materiellrechtlichen Fragen aus den verschiedenartigsten Hechtsgebieten des materiellen Rechts. Aus der VwGO selbst lassen sich deshalb niemals systemimmanente Elemente zur Inhaltsbestimmung jenes „öffentlichen Interesses" gewinnen. Das gilt auch, wenn man berücksichtigt, daß i n § 80 Abs. 3 VwGO postuliert wird, die Behörde müsse i n der Regel das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich begründen. Denn ein Begründungszwang kompensiert nicht das Fehlen der Begründbarkeit, wie denn auch die richterliche Kontrollmöglichkeit nach § 80 Abs. 5 VwGO Kontrollmaßstäbe voraussetzt, aber nicht ersetzt. Auch die Erwägung, daß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO Bestandteil eines Individualklagesystems ist und sich deshalb das öffentliche Interesse wie auch das „überwiegende Interesse eines Beteiligten" an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts offenbar als Kontrast zu einem klageweise geltendgemachtem Individualinteresse verstanden wissen w i l l , führt eher i n die Irre, als zur Lösung des gordischen Knotens. Denn ganz offensichtlich läßt sich das öffentliche Interesse des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO überhaupt nicht aus der VwGO selbst begründen, sondern enthält nur einen Blankettverweis auf dasjenige materielle Recht und seine rechtlich geschützten Interessenlagen, unter welchen der zu entscheidende Fall steht. Es hilft daher nur eine gesetzesexterne Entschlüsselung weiter. Insoweit ist es gar keine Frage, daß auch sog. fiskalische Interessen als öffentliche Interessen i m Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO figurieren können 5 und die gegenteilige Auffassung der herrschenden Lehre zumindest i n ihrer apodiktischen Ablehnung nicht haltbar ist. Die Frage ist nur, β

So mit Recht Häberle, DVB1.1967, S. 220 ff.

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ob das den Fall beherrschende materielle Recht die vorzugsweise Berücksichtigung fiskalischer Interessen erlaubt oder nicht erlaubt. I n dieser Hinsicht w i r d man aus § 24 der Reichshaushaltsordnung den heute freilich häufig nicht ernst genommenen Grundsatz ableiten können, daß Haushaltsinteressen keinen Einfluß auf die materiell-rechtliche Gesetzeslage besitzen und deshalb haushaltsrechtliche Interessen wohl kaum auf dem Umweg der Auslegung doch i n das i m Streitfall anzuwendende materielle Recht eingeschleust werden können. Anderes sagt auch § 26 Reichshaushaltsordnung nicht. M i r scheint es deshalb äußerst fraglich, ob allein „fiskalische Interessen" ausreichen, u m die sofortige Vollziehung beispielsweise einer beamtenrechtlichen Entlassungsverfügung zu rechtfertigen. Eine eindeutige Beantwortung setzte jedenfalls eine genaue Analyse des geltenden Beamtenrechts i n der Hinsicht voraus, wann und i n welchen Zusammenhängen es „fiskalische Interessen" auf die Rechtsstellung des Beamten „durchschlagen" und ob sich aus diesen Fällen etwas für die sofortige Vollziehung einer Entlassungsverfügung verwenden läßt. Jede andere als diese das materielle Recht behutsam abtastende normativ-exegetische Methode halte ich für irrational, rechtlich nicht meßbar und deshalb für illegitim.

III. Damit komme ich zum Schluß. Es hat sich gezeigt, daß i m Verwaltungsrecht der Begriff des „Wohls der Allgemeinheit" oder derjenige des „öffentlichen Interesses" i n vielen Farben schillert und nicht nur nach Zeit und Raum, sondern auch i m jeweiligen gesetzlichen Funktionszusammenhang vielfältige Inhalte besitzt. Ich persönlich halte daher den Versuch für unmöglich, ja für gefährlich, beide Begriffe sozusagen aus sich selbst oder aus ethischen Vorstellungen zu determinieren, i n das Verwaltungsrecht zu transplantieren und ihnen dort einen vorgegebenen unverrückbaren Sinn zuzuweisen. Das Wohl der Allgemeinheit, das öffentliche Interesse oder ähnliche Begriffe sind Spiegelungen der hinter dem Normengefüge sichtbar werdenden Wertungen. Sie erschließen sich — wie ich meine — nur demjenigen, der die Mühe auf sich nimmt, sie durch beharrliche Exegese aufzudecken.

Allgemeines Wohl und öffentliche Interessen in der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte Von Carl Hermann Ule 1. a) Die Begriffe allgemeines Wohl und öffentliches Interesse finden sich i m Grundgesetz und i n den Landesverfassungen, i n Bundesgesetzen und i n Landesgesetzen, wenn auch nicht immer i n diesen beiden Ausdrücken. Es besteht aber Einigkeit darüber, daß die Ausdrücke Gemeinwohl, Wohl der Allgemeinheit und allgemeines Bestes nichts anderes bedeuten als die Worte allgemeines Wohl, und daß der Ausdruck öffentliche Belange nur eine Verdeutschung der Worte öffentliche Interessen darstellt. Auf der Grenze zwischen diesen beiden Begriffen steht auch sprachlich der Begriff öffentliches Wohl, der ζ. B. in § 17 Abs. 4 Bundesfernstraßengesetz (BFStG) und i n einer Reihe von Gemeindeordnungen verwendet wird. b) Es kann nicht meine Aufgabe sein, die zahlreichen Rechtsnormen zusammenzustellen, i n denen die Begriffe allgemeines Wohl und öffentliches Interesse eine Rolle spielen. Sie können hier nur herangezogen werden, soweit sie i n der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte Gegenstand der Auslegung gewesen sind, und werden bei der Erörterung dieser Rechtsprechung genannt werden. Jedoch würde eine solche Zusammenstellung ergeben, daß der Begriff des allgemeinen Wohls nicht nur i m Bereich des Verfassungs-, sondern auch des Verwaltungsrechts anzutreffen ist, während der Begriff der öffentlichen Interessen ausschließlich dem Verwaltungsrecht angehört. Beide Begriffe sind auch nicht an das materielle Recht gebunden, sondern kommen auch i m Verfahrensrecht vor, wie ein Blick auf § 32 BVerfGG und § 80 VwGO beweist. Schließlich spielen beide Begriffe i n der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte auch außerhalb des geschriebenen Rechts eine entscheidende Rolle. So vertritt das Bundesverfassungsgericht seit dem Apotheken-Urteil vom 11. Juni 19581 i n ständiger Rechtsprechung die Auffassung, die Freiheit der Berufsausübung könne durch Gesetz eingeschränkt werden, „soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen 1

E Bd. 7, S. 377 ff.

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lassen". Und die rückwirkende Kraft gesetzlicher Regelungen hat es damit gerechtfertigt, daß „zwingende Gründe des gemeinen Wohls", die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, dazu Anlaß geben. Aus der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist i n diesem Zusammenhang die Rechtsprechung zur Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte zu erwähnen, nach der die Rücknahme nur zulässig ist, wenn das öffentliche Interesse an der Rücknahme das private Interesse des Begünstigten am Fortbestand der Begünstigung überwiegt. c) Soweit der Begriff des allgemeinen Wohls i m Grundgesetz und i n den Landesverfassungen verwendet wird, steht er i m Zusammenhang m i t Rechtsnormen, die sich an den Gesetzgeber wenden. Dies gilt auch für die Fälle, in denen das allgemeine Wohl den Kern eines ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Rechtssatzes bildet. Soweit die Begriffe des allgemeinen Wohls und der öffentlichen Interessen dagegen i n den Gesetzen erscheinen, richten sich diese Gesetze i n aller Regel an die Verwaltung, die deshalb auch dazu berufen ist, diese gesetzlichen Begriffe auszulegen und anzuwenden. Den Verwaltungsgerichten kommt dann lediglich die Aufgabe zu, i m Streitfall die Auslegung und Anwendung der Begriffe durch die Verwaltung auf ihre Rechtmäßigkeit nachzuprüfen. Nur soweit die Begriffe des allgemeinen Wohls und der öffentlichen Interessen i n prozeßrechtlichen Normen erscheinen, wie i n § 32 BVerfGG und § 80 VwGO, haben das Bundesverfassungsgericht und die Verwaltungsgerichte diese Begriffe unmittelbar auszulegen und anzuwenden. 2. a) Fragt man nun nach der Bedeutung der Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen i n der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte, so stellt sich zunächst die Frage, ob diesen Begriffen i n der Rechtsprechung eine allgemein gültige oder eine variable Bedeutung zugesprochen wird. Allgemeingültigkeit der Begriffe würde zur Folge haben, daß die Begriffe i n jedem gesetzlichen Zusammenhang i m gleichen Sinne zu verstehen wären. Sind die Begriffe dagegen variabel, so kann ihre Bedeutung mit dem gesetzlichen Zusammenhang, in dem sie stehen, wechseln, so daß der Begriff der öffentlichen Interessen i m Sinne des Bundesbaugesetzes anders zu verstehen ist als der Begriff der öffentlichen Interessen i m Sinne des Wasserhaushaltsgesetzes. Die Frage nach der Bedeutung der Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen als gesetzlicher Begriffe, wobei es i n diesem Zusammenhang nicht darauf ankommt, ob sie i n Verfassungsgesetzen oder i n einfachen Gesetzen verwendet werden, ist eine Frage der Auslegung. Schon aus dieser Feststellung ergibt sich, wie auch die bisherigen Referate gezeigt haben, daß den Begriffen keine allgemein gültige Bedeutung zukommen kann. Denn jeder Begriff gewinnt durch den Zusammenhang,

Allgemeines Wohl in der Rechtsprechung

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i n den er gestellt ist, seine besondere Bedeutung. Dies gilt vor allem für die Verwendung derselben Begriffe i n einer Norm der Verfassung und i n den Normen eines einzelnen Verwaltungsgesetzes. Aber auch wenn der scheinbar gleiche Begriff i n verschiedenen Verwaltungsgesetzen verwendet wird, kann seine Bedeutung m i t dem Zweck dieser gesetzlichen Regelung wechseln. Dies gilt natürlich erst recht, wenn der scheinbar gleiche Begriff i n materiell-rechtlichen und i n prozeßrechtlichen Vorschriften erscheint. I n der Rechtsprechung w i r d dieser Gedanke der Variabilität der Begriffe allgemeines Wohl und öffentliches Interesse nur selten ausdrücklich ausgesprochen. Nur das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat i n einem Urteil vom 15. August 19572 für den Widerruf einer wasserrechtlichen Erlaubnis darauf hingewiesen, daß der Begriff des Gemeinwohls, der in verschiedenen Gesetzen niedergelegt ist, kein einheitlicher ist, sondern daß sein Inhalt m i t der jeweiligen Materie, i n die er hineingestellt ist, wechseln kann. Jedoch finden sich i n einer Reihe von Urteilen Hinweise darauf, daß die Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen durch den besonderen Zweck bestimmt werden, dem die betreffende gesetzliche Regelung dient. So hat das Oberverwaltungsgericht Münster i n dem Urteil vom 28. Januar 19663 zu § 31 BBauG ausgesprochen, es liege i m Interesse des allgemeinen Wohls, daß bei vorhandenen störenden Betrieben i m reinen Wohngebiet alle die Anlagen erstellt werden, die eine größere Wohnruhe zur Folge haben. Und das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat i n dem Urteil vom 8. A p r i l 19614 zu § 5 Einheitsbauordnung, § 12 a Nds. Aufbaugesetz festgestellt, daß die öffentlichen Belange i m Sinne dieser Vorschriften alle i m Einzelfall einschlägigen allgemeinen Interessen umfassen, zu denen i n erster Linie das von der Norm, die den Dispens erforderlich macht, herausgestellte und erf aßte Schutzgut gehört. Auch i n dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Februar 19585 zu § 23 Abs. 1 Ladenschlußgesetz w i r d betont, daß der i n dieser Vorschrift verwendete Begriff des dringenden öffentlichen Interesses unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsschutzes auszulegen sei, weil Ladenschlußvorschriften primär Arbeitsschutz vor Schriften seien. Ferner hat das Bundesverwaltungsgericht i n dem Urteil vom 29. A p r i l 1964® zu § 35 Abs. 2 BBauG ausgeführt, daß der Begriff der Beeinträchtigung öffentlicher Belange durch seine Erläuterung in § 35 Abs. 3 BBauG und durch die Zielsetzung des Bundesbaugesetzes, die insbesondere i n seinen Vorschriften über die Bauleitplanung zum Ausdruck kommt, ge8

AS Bd. 6, S. 213 ff. * NJW1966, S. 1833 f. 4 Amtl. Samml., Bd. 16, S. 477 ff. 8 AS Bd. 6, S. 391 ff. • E Bd. 18, S. 247 ff.

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nügend bestimmbar und justiziabel sei. Schließlich hat das Bundesverwaltungsgericht i n dem Urteil vom 14. A p r i l 19677 festgestellt, daß der Begriff des öffentlichen Wohls i n § 17 Abs. 4 BFStG i n engem Zusammenhang mit den Bedürfnissen des Straßenverkehrs stehe und nicht i n einem allgemeinen Sinne ausgelegt werden könne. Da sich keine gerichtliche Entscheidung findet, die sich ausdrücklich zu dem Gedanken der Allgemeingültigkeit der Begriffe bekennt, kann wohl zusammenfassend festgestellt werden, daß die Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen i n der Rechtsprechung als variabel angesehen werden. b) Die zweite Frage, die hier gestellt werden muß, betrifft das Verhältnis der Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen zueinander. Wären diese Begriffe identisch, so könnten sie i n der Gesetzessprache beliebig ausgetauscht werden, ohne daß sich an der Bedeutung der betreffenden Gesetzesvorschrift etwas ändern würde. Geht man davon aus, daß die Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen keine allgemein gültige Bedeutung haben, so kann die Frage nach ihrer Identität nicht allgemein, sondern nur für jedes einzelne Gesetz, i n dem sie verwendet werden, gestellt werden. I n der Rechtsprechung finden sich einige Entscheidungen, i n denen die Identität von allgemeinem Wohl und öffentlichem Interesse angenommen wird. So spricht das Oberverwaltungsgericht Münster i n dem schon erwähnten Urteil vom 28. Januar 19663 zu § 21 BBauG bei der Auslegung des Begriffs Wohl der Allgemeinheit davon, daß es i m öffentlichen Interesse liege, das Wohnen i n reinen Wohngebieten so ruhig wie möglich zu gestalten. Auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz stellt i m Urteil vom 15. Februar 19585 zu § 23 Abs. 1 Ladenschlußgesetz den Begriff des dringenden öffentlichen Interesses dem Begriff der dringenden Gründe des Gemeinwohls gleich. Es weist darauf hin, daß dringende Gründe des Gemeinwohls ζ. B. bei Arbeiten zur Sicherung der Volksernährung, zum Schutz größerer Mengen von Lebensmitteln und Rohstoffen vor dem Verderb, zur beschleunigten Gewinnung von Rohstoffen und Nahrungsmitteln usw. vorlägen. Ausnahmen von den allgemeinen Ladenschlußzeiten könnten daher i m öffentlichen Interesse nur dann dringend nötig werden, wenn ζ. B. der Verderb von Lebensmitteln zu befürchten oder eine größere Menschenmenge bei großen Veranstaltungen zu versorgen sei. Nach der i n der Rechtsprechung überwiegenden Auffassung sind jedoch die Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen nicht identisch. 7

DVBL 1967, S. 916 f.

Allgemeines Wohl in der R e c h t s p r e c h g

So hat der Bad. Staatsgerichtshof i n dem Urteil vom 3. J u l i 19508 zu § 9 Abs. 3 Agrarreformgesetz, das schon Herr Kollege Schnur erwähnt hat, ausdrücklich festgestellt, daß das allgemeine Wohl nicht jedes öffentliche Interesse ist, das nach den Nützlichkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen staatlicher Stellen zur Wahrnehmung staatlicher oder sonstiger öffentlicher Belange bestimmt wird. Nach diesem Urteil hat das allgemeine Wohl niicht allein die öffentliche Wohlfahrt und die Macht des Staates zum Inhalt, sondern auch die Wahrung der Gerechtigkeit und des inneren Friedens. I n dem Urteil ging es u m die Frage, ob die i n § 9 Abs. 3 Satz 1 Agrarreformgesetz vorgesehene Enteignung, sei es von Großbesitz oder von Bauernwald, zur Ausstattung waldarmer Gemeinden dem Wohl der Allgemeinheit dienen könne. Der Bad. Staatsgerichtshof hat diese Frage m i t der Begründung verneint, daß die Ausstattung waldarmer Gemeinden mit Wald zumindest nicht unmittelbar dem Bauernstand oder der Verteilung landwirtschaftlich nutzbaren Bodens i m Sinne des Art. 47 Bad. Verf., sondern i n erster Linie finanziellen Interessen der begünstigten Gemeinden diene. Er hat ausgeführt, daß geordnete Gemeindefinanzen zwar i m öffentlichen Interesse lägen, daß aber die Sicherung des Gemeindehaushalts kein hinreichender Rechtsgrund für eine Enteignung sei. Denn auch die Ordnung der Finanzen des Staates und anderer öffentlicher Körperschaften könne eine Enteignung nicht rechtfertigen. Die Bedeutung dieses Urteils scheint m i r darin zu liegen, daß es das allgemeine Wohl von einzelnen öffentlichen Interessen abgrenzt. I m übrigen ist hier zu bemerken, daß dem Begriff des allgemeinen Wohls i m Enteignungsrecht eine durch den Zweck der Enteignung bestimmte besondere Bedeutung zukommt. I n ähnlicher Weise wie der Bad. Staatsgerichtshof hat sich auch der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz i n dem U r t e i l vom 22. März 1954® zum Begriff des Gemeinwohls geäußert. Jedoch nimmt diese Entscheidung zu dem Verhältnis des allgemeinen Wohls zum Begriff der öffentlichen Interessen nicht ausdrücklich Stellung. Dagegen beruft sich das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz i n dem Urteil vom 29. Januar 195910 ausdrücklich auf die Entscheidung des Bad. Staatsgerichtshofs und stellt fest, daß die bloße Vermehrung oder Erhaltung des öffentlichen Vermögens, auch wenn durch die Stärkung der Gemeindefinanzen die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gefördert oder die Steuerlast erleichtert werde, keine Förderung des Gemeinwohls i m Sinne des Enteignungs8

VwRspr. Bd. 2, S. 411 ff. • AS Bd. 3, S. 227 ff. 10 AS Bd. 7, S. 201 ff.

9 Speyer 39

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rechts darstelle. Damit ist die Identifizierung des allgemeinen Wohls m i t einzelnen öffentlichen Interessen ausdrücklich abgelehnt. Die hier angeführten Entscheidungen bestätigen die Auffassung, daß die Frage nach dem Verhältnis der Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen nicht einheitlich beantwortet werden kann. Die Frage ist für den Begriff Wohl der Allgemeinheit i n Art. 14 Abs. 3 GG und den entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen anders zu beantworten als für diese Begriffe i n den hier erörterten Bundesgesetzen. I n diesen kommt das Wohl der Allgemeinheit dem öffentlichen Interesse nahe. c) Die Frage, was nun i n der Rechtsprechung unter dem Begriff allgemeines Wohl i m Sinne der einzelnen Gesetze verstanden wird, führt über die bisher getroffenen Feststellungen kaum hinaus. A m gründlichsten hat sich m i t dieser Frage der Bad. Staatsgerichtshof i n dem schon wiederholt erwähnten Urteil vom 3. J u l i 19508 beschäftigt. Er stellt fest, daß der schwerwiegende Eingriff der Enteignung oder Überführung i n Gemeineigentum zum Wohl der Allgemeinheit nur dann gerechtfertigt ist, wenn er unzweifelhaft erheblichen Nutzen für das Gesamtvolk bringt. Keinesfalls dürfe die Enteignung zum Vorteile bloßer Privatinteressen, zur Bereicherung des Staates als Fiskus oder zur finanziellen Besserstellung anderer öffentlicher Körperschaften, ζ. B. einzelner Gemeinden erfolgen. Die dem Gemeinwohl dienende Enteignung müsse mehr sein als eine Vermögenstransaktion zum Vorteil der öffentlichen Hand. Die Enteignung müsse daher ein über die Bereicherung der öffentlichen Hand hinausgehendes selbständiges Ziel verfolgen. Wie das Reichsgericht zutreffend ausgeführt habe, müsse der durch die Enteignung erzielte Nutzen für die Allgemeinheit über den durch die vorgenommene Rechtsentziehung an sich und ohne weiteres erreichten Vorteil hinausgehen oder außerhalb dieses Vorteils stehen. Die weitere Rechtsprechung hat über diese grundsätzlichen Erkenntnisse nicht hinausgeführt. Sie nimmt nur zu der Frage Stellung, ob bestimmte Maßnahmen dem Wohl der Allgemeinheit i m Sinne des A r t . 14 Abs. 3 GG dienen. Das hat z. B. das Bundesverwaltungsgericht i n dem Urteil vom 21. Juni 195611 für die Beschaffung von Land zur Errichtung von Kleinsiedlungen einschließlich der erforderlichen Erschließungsanlagen und i n dem Urteil vom 29. November 195612 für die Beseitigung von Baulücken festgestellt. Dagegen hat das Bundesverwaltungsgericht i n dem U r t e i l vom 28. M a i 196513, i n dem es um die Verpflichtung ging, altrömische Münzfunde abzuliefern, Zweifel anklingen lassen, ob die wis11 18 1S

E Bd. 3, S. 332 ff. E Bd. 4, S. 185 ff. E. Bd. 21, S. 191 ff.

Allgemeines Wohl in der Rechtsprechung

senschaftliche Auswertung von Münzen stets dem Wohl der Allgemeinheit diene. Ferner hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz i n dem schon erwähnten Urteil vom 29. Januar 195910 zur Enteignung eines Steinbruchs, der von seinem bisherigen Pächter aus Rationalisierungsgründen istillgelegt werden sollte, zu Gunsten einer Gemeinde, die den Betrieb mittels Verpachtung aufrechterhalten wollte, ausgesprochen, daß nur ein besonderes volkswirtschaftliches Interesse an der Gewinnung von Melaphyrgestein oder ein dringendes Bedürfnis an dem i n den Grundstücken liegenden Stein für ein gemeinnütziges, dem öffentlichen Wohl dienendes Unternehmen die Enteignung rechtfertigen könnte, nicht dagegen die Einbuße an Gewerbesteuer. Die interessante Frage, ob auch die Erhaltung von Arbeitsplätzen einen Enteignungsgrund darstelle, hat das Gericht nicht abschließend beantwortet. Bereits i n anderem Zusammenhang wurde auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 28. Januar 19663 zu § 31 BBauG hingewiesen. I n ihm w i r d der gesetzliche Begriff Wohl der Allgemeinheit m i t dem öffentlichen Interesse an ruhigem Wohnen i n reinen Wohngebieten gleichgesetzt. Offensichtlich ist die Problematik dieses Begriffs eine durchaus andere als die des Wohls der Allgemeinheit i m Sinne des A r t . 14 Abs. 3 GG. Das ergibt sich aus dem verschiedenen Zusammenhang, i n dem der Begriff Wohl der Allgemeinheit i n A r t . 14 Abs. 3 GG und i n § 31 Abs. 2 BBauG steht. Der Schutz des Eigentums vor Enteignung fordert eine spezifische Auslegung des Begriffs Wohl der Allgemeinheit, die sich polemisch „sowohl gegen fiskalische Bereicherungswünsche als auch gegen soziale Umschichtungen und Konfiskationen (wendet), deren Zweck sich in der Umschichtung selbst unter Vernichtung von Rechtspositionen erschöpft" (W. Weber). Darauf hat bereits Herr Kollege Schnur i n seinem Referat hingewiesen. § 31 Abs. 2 BBauG läßt Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplanes zu, wenn Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern. Hier handelt es sich nicht um einen Eingriff i n das Eigentum, sondern u m eine Wohltat, die dem Eigentümer durch die Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes erwiesen werden soll. Dieser Zweck des § 31 Abs. 2 BBauG verlangt eine andere Auslegung, bei der die polemische Wendung gegen fiskalische Bereicherungswünsche, soziale Umschichtungen und Konfiskationen keine Rolle spielt. Wohl der Allgemeinheit i m Sinne dieser Vorschrift ist deshalb alles, was i m öffentlichen Interesse liegt. Rein fiskalische Gesichtspunkte reichen allerdings, wie das Oberverwaltungsgericht Münster i n dem Bescheid vom 8. Oktober 195714 festgestellt hat, nicht aus, u m ein öffentliches Interesse zu begründen. Dieselben Erwägungen, die für § 31 Abs. 2 BBauG angestellt worden sind, gelten auch für die einschlägigen Vorschriften der Bauordnungen 14

DVB1.1959, S. 68 f.

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über die Erteilung von Dispensen. So hat das Oberverwaltungsgericht Münster in dem Urteil vom 10. September 195715 ausgeführt, wenn eine Umzonung unmittelbar bevorstehe, erfordere es das öffentliche Wohl, diejenigen Bauvorhaben bereits — gegebenenfalls unter Dispensgewährung — zuzulassen, die der zukünftigen Bauzone entsprechen. I n dem gleichen Urteil hat das Oberverwaltungsgericht vorwiegend städtebauliche und baukünstlerische Gründe als Gründe des allgemeinen Wohls, die zu einem Dispens hinsichtlich der Geschoßhöhe führen können, anerkannt. I n einem anderen Urteil (vom 11. August 195918) hat das Oberverwaltungsgericht Münster ausgesprochen, daß es sicher i m allgemeinen öffentlichen Interesse liege, wenn kinderreiche Familien mit ausreichendem Wohnraum versorgt werden und ihre wirtschaftliche Existenz gesichert bleibt. Es hat jedoch gemeint, daß diese Gesichtspunkte es nicht erfordern, i m Widerspruch zu den Notwendigkeiten einer auf lange Sicht abgestellten Bau- und Städteplanung zwingende Vorschriften des örtlichen Baurechts außer Acht zu lassen. Ähnlich argumentiert das Oberverwaltungsgericht Münster i n dem Urteil vom 28. Juni I960 17 , daß zwar ein öffentliches Interesse daran bestehe, den Garagenbau nachdrücklich zu fördern, um die ordnungsmäßige Einstellung der Kraftfahrzeuge zu ermöglichen und damit gleichzeitig die öffentlichen Verkehrsflächen für den fließenden Verkehr freizumachen. Dieses öffentliche Interesse erfordere es aber nicht, die ebenfalls dem allgemeinen Interesse dienenden Bestimmungen des örtlichen Baurechts nicht anzuwenden. I n allen diesen Entscheidungen w i r d das Wohl der Allgemeinheit m i t dem öffentlichen Interesse identifiziert. Die gleiche Formel wie i n § 31 Abs. 2 BBauG findet sich auch i n § 9 Abs. 8 BFStG. Nach dieser Vorschrift kann die oberste Landesstraßenbehörde Ausnahmen von den Abstandsvorschriften zulassen, wenn die Durchführung der Vorschriften i m Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung m i t den öffentlichen Belangen vereinbar ist oder wenn Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Abweichung erfordern. I n dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Bad.-Württ. vom 20. Februar 196218 ging es u m die Zulassung einer Tankstelle innerhalb des baufrei zu lassenden Streifens. I n dem Urteil w i r d ausgeführt, daß der Tatbestand (Gründe des Wohls der Allgemeinheit) dann erfüllt wäre, wenn städtebauliche Gesichtspunkte die Durchführung des Bauvorhabens gerade an der geplanten Stelle erforderten oder wenn die Klägerin einen Treibstoff führte, auf den der motorisierte Verkehr dringend angewiesen wäre. Der Gerichtshof hat die 15

BKS Bd. 7, S. 135. " BKS Bd. 9, S. 75 ff. " BRS Bd. 10, S. 197 ff. 18 VwRspr. Bd. 15, S. 44 ff.

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Klage abgewiesen, weil ein solches öffentliches Interesse nicht gegeben sei. d) Grundsätzliche Erörterungen darüber, was unter dem Begriff der öffentlichen Interessen oder öffentlichen Belange zu verstehen ist, finden sich i n der Rechtsprechung kaum. I n dem schon erwähnten Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz von 15. Februar 19585 findet sich der Hinweis, daß nur Interessen der Allgemeinheit, nicht aber geschäftliche Interessen des Unternehmers oder Gewohnheitsbedürfnisse und Wünsche des Publikums Ausnahmen von den Arbeitsschutz- und Ladenschlußvorschriften rechtfertigen können. Ob diese Unterscheidung i n dieser apodiktischen Form haltbar ist, kann jedoch zweifelhaft sein. Ebenso hebt das bereits erwähnte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 8. A p r i l 19614 hervor, daß die öffentlichen Belange i m Sinne des § 5 Einheitsbauordnung, § 12 a Nds. Aufbaugesetz alle i m Einzelfall einschlägigen allgemeinen Interessen umfassen. Z u ihnen gehöre i n erster Linie das von der Norm, die den Dispens erforderlich macht, herausgestellte und erfaßte Schutzgut. Dieses Schutzgut habe bei der Entscheidung i m Vordergrund zu stehen. I n § 1 Abs. 4 Satz 2 BBauG werden die öffentlichen Belange ausdrücklich den privaten Belangen gegenübergestellt. Diese polemische Wendung des Begriffs ist auch bei den übrigen Vorschriften des BBauG, i n denen der Begriff der öffentlichen Belange verwendet wird, zu berücksichtigen. I n der Rechtsprechung w i r d daher von dieser Gegenüberstellung ausgegangen. So stellt der Hess. Verwaltungsgerichtshof i n dem Urteil vom 22. Oktober 196519 das Interesse eines Kurortes, daß ein bestimmtes Gebiet als Erholungsgebiet für Spaziergänge der Kurgäste vorgesehen ist und aus diesem Grunde nicht bebaut werden soll, dem privaten Interesse an der Durchführung eines Bauvorhabens gegenüber. Nach dem Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Bad.-Württ. vom 14. März 196320 gehören die Verbreiterung einer Straße, die Schaffung von öffentlichen Parkplätzen und Grünanlagen i m Stadtzentrum und der Bau eines Dienstgebäudes für das Finanzamt zu den öffentlichen Belangen, die gegenüber den privaten Belangen gerecht abzuwägen sind. I n einem anderen Beschluß (vom 22. J u l i 196621) weist der Verwaltungsgerichtshof Bad.-Württ. darauf hin, daß die öffentlichen Belange allgemein durch die Planungsgrundsätze i n den Absätzen 4 und 5 des § 1 BBauG umschrieben werden und sich i m konkreten Fall aus der Anwendung dieser Grundsätze auf die spezifischen örtlichen Verhältnisse und Bedürfnisse ergeben. Eine entsprechende gesetzliche Konkretisierung der öffentlichen » BRSBd. 16, S. 55 ff. E S V G H B d . 13, S. 71 ff. 81 DVB1.1967, S. 385 ff. M

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Belange nach § 35 Abs. 1 und 2 BBauG enthält § 35 Abs. 3, i n dem festgelegt ist, unter welchen Voraussetzungen eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange insbesondere vorliegt. A u f die Bedeutung dieser Vorschrift f ü r die Verfassungsmäßigkeit und die Justiziabilität des Begriffs öffentliche Belange hat das Bundesverwaltungsgericht i n dem schon erwähnten U r t e i l vom 29. A p r i l 1964e hingewiesen. Es hat aber auch hervorgehoben, daß der Begriff durch die Zielsetzung des Bundesbaugesetzes, die insbesondere i n seinen Vorschriften über die Bauleitplanung zum Ausdruck kommt, bestimmt wird. A l l e Gesichtspunkte, die für das Bauen i m Außenbereich irgendwie rechtserheblich sein könnten, insbesondere die i n § 20 BBauG so genannte geordnete städtebauliche Entwicklung, die i m Einzelfall durch die i m Flächennutzungsplan zum Ausdruck gebrachten planerischen Vorstellungen der Gemeinde konkretisiert würde, seien hierbei zu berücksichtigen. I n einer anderen Entscheidung (Beschluß vom 16. November 196522) hat das Bundesverwaltungsgericht erklärt, zu den öffentlichen Belangen i m Sinne des § 35 Abs. 2 BBauG gehöre die Erhaltung des Außenbereichs für die naturgegebene Bodennutzung und als Erholungslandschaft der Allgemeinheit. Die Wahrung dieser Zweckbestimmimg erfordere die Abwehr aller baulichen Anlagen, die der Landschaft wesensfremd seien oder die der Allgemeinheit Möglichkeiten der Erholung und Erbauung entzögen, öffentliche Belange seien daher nicht erst dann verletzt, wenn sich ein Bauvorhaben i m Außenbereich der Umgebung von seiner Gestaltung her nicht anpasse oder i n sonstiger Weise Unlust erregend auffalle 2 3 . Auch i m Zusammenhang der prozeßrechtlichen Regelung über die Aussetzung der Vollziehung hat die Rechtsprechung auf den Gegensatz zwischen öffentlichen und privaten Interessen abgestellt. So hat der Bayer. Verwaltungsgerichtshof schon i n dem Beschluß vom 9. Juni 1947 24 das öffentliche Interesse als das Interesse einer unbestimmten Allgemeinheit von Personen definiert und i h m das Interesse einer oder mehrerer Einzelpersonen gegenübergestellt. Da an dem ausreichenden Betrieb einer Omnibuslinie eine unbestimmte Allgemeinheit von Personen, insbesondere die Bevölkerung der i n Betracht kommenden Ortschaften, ein Interesse habe, sei dieses Interesse ein öffentliches. Jedoch w i r d i n der Rechtsprechung m i t Recht betont, daß dieser Begriff des öffentlichen Interesses zwar i m Gegensatz zu den Interessen des von dem Verwaltungsakt Betroffenen stehe, aber m i t dem öffentlichen Interesse an dem Erlaß des Verwaltungsaktes nicht gleichgesetzt werden könne. Der Bayer. Verwal11

BRS Bd. 16, S. 52. » Vgl. auch OVG Lüneburg v. 7.10.1965, BRS Bd. 16, S. 53 f.; OVG Münster V. 3. 6.1965, BRS Bd. 16, S. 54, v. 11. 2.1965, BRS Bd. 16, S. 55, V G H Bad.-Württ. V. 23. 6.1965, BRS Bd. 16, S. 60 ff. u E n . F . B d . 1,S.4ff.

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tungsgerichtshof hat i n dem Beschluß vom 7. Juni 196125 ausgeführt, daß es sich bei dem öffentlichen Interesse i m Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO entweder u m ein weiteres, der Aussage nach verschiedenes oder um ein dem Grad nach gesteigertes öffentliches Interesse handeln müsse. I n dem Beschluß vom 13. März 196426 hat derselbe Gerichtshof diesen Gedanken dahin zusammengefaßt, daß für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht schon das jedem Verwaltungsakt ohnehin innewohnende Interesse an seiner Durchführung genüge, sondern daß ein besonderes Interesse an der sofortigen Durchführung des Verwaltungsaktes gegeben sein müsse. I n dem fraglichen Fall ging es um die sofortige Vollziehung eines Genehmigungsbescheides für die Errichtung einer städtischen Müllverbrennungsanlage, die der Verwaltungsgerichtshof angeordnet hat, weil die i m Falle der Unterbrechung der Müllbeseitigung der Allgemeinheit drohenden gesundheitlichen Schäden die sofortige Vollziehung erforderlich machten. e) Der Begriff des öffentlichen Wohls findet sich vor allem i m Kommunalrecht. So sehen die Gemeindeordnungen von Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein Gebietsänderungen aus Gründen des öffentlichen Wohls vor. Der Begriff des öffentlichen Wohls steht sprachlich zwischen dem allgemeinen Wohl und den öffentlichen Interessen. Nach der Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs, der sich i n mehreren Urteilen (vom 23. J u l i 195427, vom 9. Januar 196228 und vom 14. Februar 196429) zu dieser Frage geäußert hat, sind die Gründe des öffentlichen Wohls m i t den öffentlichen Interessen identisch. Der Gerichtshof prüft, ob unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Wohls die für die Gebietsänderung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden überwiegen. Grundsätzlich denselben Standpunkt hat auch das Regierungspräsidium Nordwürttemberg i n seinem veröffentlichten Bescheid vom 11. Januar 1967 i m Falle der Eingemeindung der Gemeinde Birenbach i n die Stadt Göppingen eingenommen 30 , wenn es auch betont, daß es nicht nur auf das Wohl der beiden beteiligten Gemeinden und ihrer Bürger, sondern auch auf das Wohl des Landkreises und des Staates ankomme. Eine gewisse Einschränkung dieser Voraussetzungen einer Gebietsänderung enthielt bis zur Mitte des vergangenen Jahres § 14 Abs. 1 Satz 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen. Nach dieser 15

VwRspr. Bd. 14, S. 112 ff. » BayVBl. 1964, S. 231 f. 87 Ε η. F. Bd. 7, S. 121 ff. 18 BayVBl. 1962, S. 118 ff. » E n . F . B d . 17,S. 13ff. » BWVB1.1967, S. 118 ff.

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Vorschrift konnten Gebietsänderungen nur aus dringenden Gründen des übergemeindlichen öffentlichen Interesses vorgenommen werden. Von der allgemeinen Bezugnahme auf Gründe des öffentlichen Wohls unterschied sich diese Regelung i n doppelter Hinsicht. Sie verlangte, daß die Gründe des öffentlichen Interesses dringend sind und daß es sich um Gründe des übergemeindlichen öffentlichen Interesses handelt. Was darunter i m einzelnen zu verstehen war, w i r d durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen, der sich wiederholt (Urteil vom 10. Januar 195931, vom 21. Februar 195832 und vom 5. November 196633) m i t dieser Frage beschäftigt hat, nicht geklärt. Das beruht darauf, daß der Gerichtshof seiner Nachprüfungskompetenz enge Grenzen gezogen hat. Darauf w i r d noch i n anderem Zusammenhang zurückzukommen sein. 3. Wendet man sich nun der Frage zu, auf welchem methodischen Wege die Gerichte bei der Bestimmung der Begriffe allgemeines Wohl und öffentliches Interesse vorgegangen sind, so muß man feststellen, daß die Rechtsprechung recht unergiebig ist. a) Was zunächst die Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen als gesetzliche Begriffe anbetrifft, so hätte es nahegelegen, daß die Gerichte mit den überkommenen Mitteln der Auslegung nach dem Wortsinn dieser Begriffe, ihrer Bedeutung i m systematischen Zusammenhang des betreffenden Gesetzes oder der gesamten Rechtsordnung, dem vom Gesetzgeber intendierten Sinn, dem Zweck der gesetzlichen Regelung und den ihr zugrunde liegenden Interessengegensätzen fragen würden. Solche umfassenden Überlegungen sind i n der Rechtsprechung nicht anzutreffen. Die einzige Erwägung, die sich i n einigen Urteilen findet, setzt die auszulegenden Begriffe m i t dem Zweck des betreffenden Gesetzes i n Verbindung. So w i r d ζ. B. i n dem U r t e i l des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 8. A p r i l 19614 bemerkt, daß zu den öffentlichen Belangen, die bei der Befreiung von Festsetzungen eines Durchführungsplanes gewahrt werden müssen, i n erster Linie das von der Norm, die den Dispens erforderlich macht, herausgestellte und erfaßte Schutzgut gehört 34 . Auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz weist i n d e m Urteil vom 15. Februar 19585 darauf hin, daß der Begriff des dringenden öffentlichen Interesses i m Sinne des § 23 Abs. 1 Ladenschlußgesetz unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsschutzes auszulegen ist. Ebenso stellt das Bundesverwaltungsgericht i n dem Urteil vom 29. A p r i l 1964e darauf ab, daß der Begriff der 31

Amtl. Samml., Bd. 14, S. 372 ff. « Amtl. Samml., Bd. 14, S. 377 ff. 33 Kottenberg/Steffen, Rechtsprechung zum kommunalen Verfassungsrecht des Landes Nordrhein-Westfalen (GO § 16 Nr. 4). 34 a.a.O., S. 478.

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öffentlichen Belange i n § 35 Abs. 2 BBauG durch die Zielsetzimg des Bundesbaugesetzes bestimmt werde. A m deutlichsten w i r d die Bedeutung des systematischen Zusammenhanges, wo die Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen durch andere gesetzliche Vorschriften konkretisiert werden, wie das ζ. B. i n § 35 Abs. 3 BBauG der Fall ist. Darauf wurde bereits i n anderem Zusammenhang hingewiesen. b) I n den Fällen, i n denen die Gerichte die Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen nicht als gesetzliche Begriffe vorfinden, sondern sie zur Auslegung anderer gesetzlicher Begriffe oder zur Ausfüllung von Gesetzeslücken heranziehen, spielen teleologische Erwägungen eine entscheidende Rolle. So stellt das Bundesverfassungsgericht i m Apotheken-Urteil vom 11. Juni 19581 fest, daß die Entscheidung zwischen dem Freiheitsanspruch des einzelnen i n seinem Recht auf freie Berufswahl und dem Schutz der Gemeinschaft vor Nachteilen und Gefahren, die aus gänzlich freier Berufsausübung erwachsen könnten, nur durch sorgfältige Abwägung der Bedeutung der einander gegenüberstehenden und möglicherweise einander geradezu widerstreitenden Interessen gefunden werden könne. Werde dabei festgehalten, daß nach der Gesamtauffassung des Grundgesetzes die freie menschliche Persönlichkeit der oberste Wert sei, daß i h r somit auch bei der Berufswahl die größtmögliche Freiheit gewahrt bleiben müsse, so ergebe sich, daß diese Freiheit nur so weit eingeschränkt werden dürfe, als es zum gemeinen Wohl unerläßlich sei. Für das Eingreifen des Gesetzgebers bestehe danach von Verfassungs wegen ein Gebot der Differenzierung: Die Freiheit der Berufsausübung könne i m Wege der Regelung beschränkt werden, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen ließen. Die Freiheit der Berufswahl dürfe dagegen nur eingeschränkt werden, soweit der Schutz besonders wichtiger („überragender") Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordere. I n einer Reihe weiterer Entscheidungen (ζ. B. vom 7. Januar 195935, vom 13. März 195936 und vom 17. November 195937, vom 13. Februar 196438, vom 16. Februar 196539, vom 14. Februar 196740 und vom 29. November 196741) hat das Bundesverfassungsgericht an dieser Auffassung festgehalten und erklärt, daß Beschränkungen der Berufsausübung zulässig seien, wenn sie auf sachgerechten, sachgemäßen oder vernünftigen Erwägungen oder auf vernünftigen oder übergeordneten Gründen des Gemeinwohls beruhten. M

E Bd. 9, S. 73 ff. E Bd. 9, S. 213 ff. 57 E Bd. 10, S. 185 ff. 88 E Bd. 17, S. 232 ff. ββ E Bd. 18, S. 353 ff. 4 · Ε Bd. 21, S. 150 ff., 160. 41 D Ö V 1968, S. 127 f. 8β

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Schon i n dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu A r t . 12 GG erweist sich das allgemeine Wohl als ein ungeschriebener Grundsatz der verfassungsrechtlichen Ordnung, der m i t der Freiheit der Persönlichkeit zum Ausgleich gebracht werden muß. Noch deutlicher zeigt sich diese Auffassung i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Gesetze. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Gesetzes, das abgeschlossene Tatbestände erfaßt, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach Rechtssätzen zu beurteilen, die aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet sind 4 2 . Zu den wesentlichen Elementen des Rechtsstaatsbegriffs gehört die Rechtssicherheit, die für den Bürger i n erster Linie Vertrauensschutz bedeutet. Dieser kann da nicht in Frage kommen, wo das Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt wäre. Deshalb hält das Bundesverfassungsgericht rückwirkende Gesetze für zulässig, a) wenn der Bürger nach der rechtlichen Situation i n dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz bezogen wird, mit dieser Regelung rechnen mußte, b) wenn das geltende Recht unklar und verworren ist und der Gesetzgeber die Rechtslage rückwirkend klärt, c) wenn durch eine ungültige Norm nur ein Rechtsschein erzeugt worden ist und der Gesetzgeber eine nichtige Bestimmung rückwirkend durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Norm ersetzt. Ferner hat das Bundesverfassungsgericht i n dieser Entscheidung ausgesprochen, daß zwingende Gründe des allgemeinen Wohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, eine Rückwirkung der Anordnung rechtfertigen, jedoch hat es i n dem fraglichen Fall (rückwirkende Geltung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Gesetz zur Ergänzung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftssteuergesetzes vom 20. M a i 1952) das Vorliegen solcher Gründe verneint. Die gleiche Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht i n der Entscheidung vom 31. März 196543 vertreten. Jedoch hat es i n keiner dieser Entscheidungen näher dargelegt, was unter den zwingenden Gründen des allgemeinen Wohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, zu verstehen ist. Auch die Bezugnahme auf das Urteil vom 1. J u l i 195344 führt nicht v i e l weiter, denn auch i n dieser Entscheidung ist nur davon die Rede, daß besonders zwingende und schwerwiegende, den Erwägungen der Rechtssicherheit übergeordnete Gründe eine Ausnahme von dem Verbot der Rückwirkung rechtfertigen können. Hervorzuheben ist jedoch, daß nach dieser Entscheidung begrenzte fiskalische Interessen und das Bedürfnis, nachträglich eine einheitliche Handhabung einer bestimmten gesetzlichen Regelung herbeizuführen, die Preisgabe der Rechtssicherheit nicht rechtfertigen können. 41 BVerfG v. 19.12.1961, E Bd. 13, S. 261 ff., 270 f. mit weiteren Nachweisen. 4> E Bd. 18, S. 429 ff. 44 E Bd. 2, S. 380 ff.

Allgemeines Wohl in der Rechtsprechung

Der Begriff der öffentlichen Interessen spielt i n der Rechtsprechimg der Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Sozialgerichtsbarkeit bei der Frage eine maßgebliche Rolle, unter welchen Voraussetzungen rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte zurückgenommen werden können. Bei dieser Frage handelt es sich um kein Problem der Gesetzesauslegung, sondern um ein Problem der Ausfüllung einer Lücke in den Verwaltungsgesetzen, die vor allem darauf beruht, daß es i n Bund und Ländern an einem allgemeinen Verwaltungsgesetz fehlt. Bekanntlich hat der Musterentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes auch die Frage der Rücknahme begünstigender rechtswidriger Verwaltungsakte zu regeln versucht (§ 37). Nach der Rechtsprechung der Gerichte zum geltenden Recht darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nur zurückgenommen werden, wenn das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung das Vertrauen des Begünstigten auf die Beständigkeit behördlicher Entscheidungen überwiegt 4 5 . I n der Rechtsprechung sind zwar Fallgruppen herausgearbeitet worden, die Grundsätze für die danach erforderliche Interessenabwägung aufstellen (Verschulden des Betroffenen, Verursachung der Rechtswidrigkeit durch den Betroffenen oder die Behörde, Kenntnis des Betroffenen von der Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes, wirtschaftliche Auswirkungen der Rücknahme, Alter des Begünstigten, zeitliche Dauer seit dem Erlaß des Verwaltungsaktes usw.), jedoch hat sich diese Rechtsprechung nicht mit der Frage beschäftigt, was der i n diesem Zusammenhang verwendete Begriff des öffentlichen Interesses eigentlich bedeutet und aus welchem Grunde er mit dem Gedanken der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes abgewogen werden muß. Nur das für die neuere Rechtsprechung bahnbrechende Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 14. November 19564® enthält Ansätze zu einer Begriffsbestimmung des öffentlichen Interesses und zur Begründung seiner Verwendung. I n diesem Urteil w i r d ausgeführt, daß das bloße Interesse einer Behörde, einen von ihr erlassenen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt aufzuheben, nicht ausreichen könne. Die Verwaltung müsse es hinnehmen, daß ein solcher Verwaltungsakt bestehen bleibe, wenn sie nicht geltend machen könne, daß das Fortbestehen mit zwingenden öffentlichen Interessen unvereinbar sei. Daß ein solches zwingendes öffentliches Interesse imstande ist, das Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes beiseite zu schieben, folgert das Oberverwaltungsgericht i m Anschluß an Hans Julius Wolff 47 aus der Feststellung, daß jede Verwaltungstätigkeit an das öffentliche Interesse gebunden sei und i n i h m ihre Ermächtigung und ihre Schranken finde. So läßt diese Entscheidung ebenso wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur 45

BVerwG v. 24. 8.1964, E Bd. 19, S. 188 ff., 189. · DVB1.1957, S. 503 ff. 47 Verwaltungsrecht I, 6. Aufl., S. 131.

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verfassungsrechtlichen Zulässigkeit rückwirkender Gesetze erkennen, daß allgemeines Wohl und öffentliches Interesse zu den ungeschriebenen Grundlagen jeder staatlichen Ordnung gehören. 4. Die Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen sind typische Fälle unbestimmter und zwar normativer Gesetzesbegriffe. Es ist deshalb nicht verwundertlich, daß die ganze Problematik der gerichtlichen Nachprüfung normativer Gesetzesbegriffe bei ihnen eine maßgebliche Rolle spielt. Jedoch ist bei der Darstellung dieser Probleme danach zu unterscheiden, ob sich die normativen Gesetzesbegriffe an die Verwaltung oder, wie das insbesondere bei Verfassungsvorschriften der Fall ist, an den Gesetzgeber wenden. a) Soweit die Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen i n Verwaltungsgesetzen vorkommen und sich an Verwaltungsbehörden wenden, mündet die Fragestellung i n die allgemeine Problematik ein, ob normative Begriffe Ermessensermächtigungen darstellen, von den Gerichten nur einschränkend nachgeprüft werden dürfen oder einer uneingeschränkten Nachprüfung unterworfen sind. Die Auffassung, daß die Begriffe Ermessensermächtigungen darstellen, findet sich für den Begriff allgemeines Wohl nur i n wenigen Entscheidungen 48 . Diese Entscheidungen betrachten den Begriff allgemeines Wohl wie einen Blankettbegriff, der seine Ausfüllung dem Adressaten überläßt. Ob solche Blankettbegriffe mit der strengen Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes vereinbar wären, ist hier nicht näher zu untersuchen. Ich kann insoweit auf die kritischen Bemerkungen, die gestern Herr Kollege Rupp dazu gemacht hat, Bezug nehmen. Die weitaus meisten Entscheidungen stehen auf dem Standpunkt, daß die Auslegung und Anwendung der Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen als Rechtsbegriffe i n vollem Umfange der gerichtlichen Nachprüfung unterliegen 49 . Sie gehen davon aus, daß die Konkretisierung dieser normativen Begriffe durch den Gesetzgeber oder die Verwaltungsbehörden nur i n einem bestimmten Sinne rechtlich zulässig ist. Uber die Methode dieser Konkretisierung, insbesondere über die bereits gestern von m i r angesprochene Frage, wie die Gerichte die für die Konkretisierung notwendigen Mittelbegriffe 6 0 zu gewinnen haben, schweigen sie sich aus. 48 BVerwG v. 21. 6.1956, E Bd. 3, S. 332 ff.; O V G Hamburg v. 30.1.1953, M D R 1953, S. 316; V G Frankfurt v. 10. 4.1963, DVB1.1964, S. 158 f. 41 O V G Lüneburg v. 9.10.1952, DVB1. 1953, S. 317, Nr. 110; BayVGH v. 23. 7. 1954, Ε η. F. Bd. 7, S. 121 ff.; O V G Rhld.-Pf. v. 15. 8.1957, AS Bd. 6, S. 213 ff., v. 29.1.1959, AS Bd. 7, S. 201 ff.; V G H Bad.-Württ. v. 20. 2.1962, VwRspr. Bd. 15, S. 44 ff., v. 14. 3.1963, E S V G H Bd. 13, S. 71 ff., v. 2. 9.1963, E S V G H Bd. 13, S. 157 ff., v. 22. 7.1966, DVB1. 1967, S. 385 ff.; BVerwG v. 29. 4.1964, E Bd. 18, S. 247 ff., V. 18. 8.1964, E Bd. 19, S. 171 ff., v. 22. 4.1966, D Ö V 1966, S. 722 ff. w Oertmann, Gesetzeszwang und Richterfreiheit, 1909, S. 24.

Allgemeines Wohl in der Rechtsprechung

Es ist nicht meine Aufgabe, an dieser Stelle und i n diesem Zusammenhang i n eine K r i t i k dieser Rechtsprechung einzutreten. Vom Boden der von m i r entwickelten Vertretbarkeitstheorie ist es selbstverständlich Aufgabe der Gerichte, die Auslegung der Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen durch den Gesetzgeber oder die Verwaltungsbehörde i n vollem Umfange nachzuprüfen und die verbindliche Bedeutung dieser Begriffe festzulegen. I n welcher Weise diese Festlegung zu erfolgen hat, kann hier nicht näher dargelegt werden. Dies ist aber die Stelle, wo Wertungen des Richters i n die Auslegung des normativen Begriffs einfließen. Jedoch bietet die Rechtsprechung zu den Begriffen allgemeines Wohl und öffentliche Interessen für eine Aufhellung dieses Vorgangs kein Material. b) Eine besondere Problematik ergibt sich bei den normativen Begriffen, die sich nicht an die Verwaltung, sondern an den Gesetzgeber wenden. Der Bad. Staatsgerichtshof hat sich i n dem Urteil vom 3. J u l i 19508 für kompetent erachtet, eine gesetzliche Enteignungsvorschrift auf ihre verfassungsmäßigen Voraussetzungen nachzuprüfen. Den gleichen Standpunkt hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz i n dem Urteil vom 22. März 19549 eingenommen. Auch das Bundesverfassungsgericht ist i n seiner Rechtsprechung zu A r t . 12 GG stets davon ausgegangen, daß i h m die Nachprüfung der Frage, ob sachgerechte, sachgemäße oder vernünftige Erwägungen oder vernünftige oder überwiegende Gründe des Gemeinwohls die gesetzliche Einschränkung der Berufsausübimg rechtfertigen, zusteht. Jedoch liegt es i m Wesen dieser Begriffe, daß sie dem Gesetzgeber i m Rahmen des Sachgemäßen, Sachgerechten oder Vernünftigen einen gewissen Spielraum lassen. I n einem etwas anderen Zusammenhang, i n der Entscheidung vom 17. J u l i 196151 über die Verfassungsmäßigkeit des Großen Befähigungsnachweises, hat das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung dahin verdeutlicht, daß es auf die Prüfung beschränkt sei, ob die öffentlichen Interessen, deren Schutz die gesetzliche Regelung dient, überhaupt Gemeinschaftswerte von so hohem Range darstellen können, daß sie eine Einschränkimg der freien Berufswahl rechtfertigen. Den Anschauungen des Gesetzgebers hierüber dürfe es die Anerkennung nur versagen, wenn sie offensichtlich fehlsam oder m i t der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar seien. Die Auffassung, daß die Nachprüfungsbefugnis der Gerichte gegenüber dem Gesetzgeber eingeschränkt sei, findet sich i n der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte auch sonst. Sie gewinnt an Bedeutung, wenn der Gesetzgeber i m Vollzug einer Verfassungs- oder

« E Bd. 13, S. 97 ff.

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Gesetzesnorm kein Recht setzt, sondern eine Verwaltungsentscheidung trifft. Schon für den Fall, daß der Ortsgesetzgeber Recht setzt, steht das Oberverwaltungsgericht Münster i n dem Urteil vom 1. August 196252 auf dem Standpunkt, daß seine Bindung durch einen unbestimmten (normativen) Gesetzesbegriff (dringendes öffentliches Bedürfnis i m Sinne des § 19 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen) keine rechtliche Bindung, sondern eine Ermessensermächtigung darstelle. Jedoch setzt sich das Oberverwaltungsgericht m i t dieser Entscheidung i n Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bad.-Württ. Verwaltungsgerichtshofs, des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, die i m gleichen Zusammenhang für eine uneingeschränkte Nachprüfung der Entscheidung des Ortsgesetzgebers eingetreten sind 5 3 . Für Fälle, i n denen der Gesetzgeber eine Verwaltungsentscheidung trifft, hat schon das Oberverwaltungsgericht Hamburg i n dem Urteil vom 30. Januar 195354 entschieden, daß der Enteignungsbeschluß der Hamburger Bürgerschaft hinsichtlich der Entscheidung, ob die Enteignung eines Grundstücks zu gunsten einer bestimmte Anlage dem allgemeinen Besten dient, eine Ermessensentscheidung darstelle, obwohl es sich bei dem Enteignungsbeschluß der Hamburger Bürgerschaft nicht u m ein förmliches Gesetz handelte. Schwieriger w i r d die Problematik, wenn der Vollzug der allgemeinen Gesetzesnorm durch ein Gesetz erfolgt, wie das nach § 16 Abs. 1 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen i n der Regel bei Änderung des Gemeindegebiets der Fall ist. Obwohl der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen i n den Entscheidungen vom 10. Januar 195981, 21. Februar 195932 und 5. November 196633 der Auffassung ist, daß die Änderung des Gemeindegebiets materiell ein Verwaltungsakt sei, hält er eine uneingeschränkte gerichtliche Nachprüfung des Eingemeindungsgesetzes nicht für zulässig, sondern meint, daß die Regeln anzuwenden seien, die sich für die verfassungsrechtliche Nachprüfung der gesetzgeberischen Handlungsfreiheit entwickelt hätten. Der Verfassungsgerichtshof stützt sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage des gesetzgeberischen Ermessens. Er beruft sich auf mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, i n denen dieses ausgesprochen hat, daß es nicht befugt sei, Gesetze daraufhin nachzuprüfen, ob sie i m ganzen oder in einzelnen Bestimmungen zweckmäßig sind 5 5 . " DVB1.1963, S. 66 ff. 58 Bad.-Württ. V G H Beschl. v. 12. 6.1961, BWVB1. 1962, S. 11 ff.; B a y V G H v. 13.1.1953, Ε η. F. Bd. 7, S. 12 ff., v. 17.3.1961, Ε η. F. Bd. 14, S. 24 ff.; O V G Lüneburg V. 26.10.1961, KStZ 1962, S. 91 ff. 54 M D R 1953, S. 316 f. 55 Urt. v. 20.7.1954, E Bd. 4, S. 7 ff., 18 mit weiteren Nachweisen.

Allgemeines Wohl in der Rechtsprechung

Bei der Regelung des § 16 Abs. 1 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen handelt es sich jedoch nicht um ein Gesetz, das lediglich durch den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) bestimmt wird, sondern u m ein Gesetz, das nur unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 GO ergehen soll. Die Bezugnahme des Verfassungsgerichtshofes für das Land Nordrhein-Westfalen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum gesetzgeberischen Ermessen liegt deshalb neben der Sache. Hier geht es, worauf i m Schrifttum bereits Menger 5 6 und Görg 5 7 hingewiesen haben, u m die Frage, ob ein Eingemeindungsgesetz, dessen Erlaß an die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 GO gebunden ist, nicht darauf gerichtlich nachzuprüfen ist, ob diese Voraussetzungen auch vorgelegen haben. Es ist nicht meine Aufgabe, an dieser Stelle eine Lösung des Problems zu entwickeln. Es sei nur folgender kurzer Hinweis erlaubt. § 14 Abs. 1 GO und das Eingemeindungsgesetz stehen zueinander i m Verhältnis von Norm und Vollzugsakt. Die bloße Gesetzesform des Vollzugsakts kann dieses Verhältnis nicht aufheben. Die Regeln über das Verhältnis des späteren Gesetzes zum früheren Gesetz (lex posterior derogat legi priori) können daher für das Eingemeindungsgesetz i m Verhältnis zur Gemeindeordnung nicht gelten. Dieser Grundsatz gilt nur für verschiedene allgemeine Rechtsnormen, die eine Regelung der gleichen Materie zum Gegenstand haben. Der Vollzugsakt in Gesetzesform, hier das Eingemeindungsgesetz, ist dagegen inhaltlich an die allgemeine Norm, hier die Regelung der Gemeindeordnung, gebunden. Ist dies aber, was übrigens auch der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen nicht bestreitet, der Fall, so ist nicht einzusehen, weshalb die Gerichte nicht sollen nachprüfen dürfen, ob sich das Eingemeindungsgesetz auch an die Regelung der Gemeindeordnung gehalten hat. Der K r i t i k von Menger und Görg an der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen, die ja auch von Herrn Kollegen Becker geteilt wird, ist daher i m Ergebnis zuzustimmen. 5. Es ist noch kurz auf die Fälle einzugehen, i n denen die Verfassungsund Verwaltungsgerichte nicht Entscheidungen des Gesetzgebers oder 1er Verwaltungsbehörden nachprüfen, sondern unmittelbar darüber entscheiden, ob das allgemeine Wohl oder die öffentlichen Interessen eine prozessuale Maßnahme des Gerichts erforderlich machen. Hier ist zunächst auf § 32 Abs. 1 BVerfGG hinzuweisen, der vorschreibt, daß das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige A n ordnung vorläufig regeln kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem wichtigen 5

· VerwArch. Bd. 50,1959, S .271 ff., 282 ff. Der Rechtsschutz im Eingemeindungsverfahren, DVB1. 1966, S. 329 ff.

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Grunde zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Das Bundesverfasfungsgericht hat bisher nur verhältnismäßig wenig Gelegenheit gehabt, sich m i t dem Begriff des gemeinen Wohls i m Sinne dieser Vorschrift näher zu beschäftigen. I n dem Beschluß vom 8. Oktober 195658 hat es ausgeführt, daß ein wichtiger Grund des gemeinen Wohls gegeben sein könnte, wenn das Sonntagsfahrverbot für Lastkraftwagen nachhaltige Schäden für die Volkswirtschaft zur Folge hätte. Dagegen stellten bloße w i r t schaftliche Nachteile der Unternehmen des gewerblichen Güterfernverkehrs allein keinen wichtigen Grund dar, der zum gemeinen Wohl eine einstweilige Anordnung dringend geboten erscheinen lasse. I n dem U r t e i l vom 15. J u l i 195259 hat das Bundesverfassungsgericht dagegen die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung bejaht, w e i l aus den gesamten Umständen zu folgern sei, daß die SRP und ihre A n hänger fortfahren würden, bis zur Verkündung des Urteils das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht parteiagitatorisch zu mißbrauchen, die noch offene Entscheidung des Gerichts i n der Öffentlichkeit bereits jetzt zu diskreditieren und durch verhetzende Angriffe auf Bundesorgane Unruhe i n die Bevölkerung hineinzutragen. A u f die an dieser Entscheidung geübte K r i t i k ist i n diesem Zusammenhang nicht einzugehen 60 . I n dem U r t e i l vom 1. August 1953 61 hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich festgestellt, daß die Frage, ob eine einstweilige Anordnung zum gemeinen Wohl dringend geboten sei, nur auf Grund gerechter A b wägung der widerstreitenden Interessen entschieden werden könne. Handle es sich u m die Voraussetzung des Vollzugs eines Gesetzes, so müßten bei dieser Abwägung beide Möglichkeiten, daß das Gesetz gültig oder nichtig sei, i n Betracht gezogen werden, da i m Verfahren über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung eine Entscheidung über die Rechtswirksamkeit des Gesetzes noch nicht getroffen werden könne. Das Bundesverfassungsgericht kommt dann für den Fall, daß das Gesetz über die Investitionshilfe gültig wäre, zu dem Schluß, daß die Aussetzung des Vollzugs eine schwere Erschütterung der deutschen Wirtschaft zur Folge haben und dem Gemeinwohl widersprechen würde, für den Fall, daß das Gesetz nichtig und sein Vollzug nicht durch eine einstweilige Anordnung gehemmt würde, zu dem Ergebnis, daß den Antragstellern zwar w i r t schaftliche Nachteile entstehen würden, diese aber nicht so schwer seien,

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E Bd. 6, S. I f f . · E Bd. 1, S. 349 ff. 60 Vgl. Fuss, Die einstweilige Anordnung im verfassungsgerichtlichen Verfahren, DÖV 1959, S. 201 ff., 205—207; Lechner, Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl., Anm. 3 c zu § 32. 81 E Bd. 3, S. 34 ff., 37. 5

Allgemeines Wohl in der Rechtsprechung

daß sie i m Interesse des gemeinen Wohls dringend verhütet werden müßten 6 2 . Sodann ist ein kurzer Blick auf den schon von Herrn Kollegen Rupp erwähnten § 80 V w G O zu werfen. Auch soweit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde nach § 80 Abs. 2 VwGO vorausgegangen ist, hat das Verwaltungsgericht selbständig darüber zu entscheiden, ob die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes i m öffentlichen Interesse liegt (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Dieses besondere Interesse (§ 80 Nr. 3 Satz 1 VwGO) an der sofortigen Vollziehung geht, wie bereits i n anderem Zusammenhang dargelegt wurde, über das allgemeine Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes hinaus. Rechtsprechung und Schrifttum stimmen weitgehend darin überein, daß das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung allein durch fiskalische Gesichtspunkte nicht begründet werden kann. Jedoch hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz i n dem Beschluß vom 26. Februar 196563 Zweifel an dieser Auffassung zum Ausdruck gebracht und die finanziellen oder geldwerten Interessen, die i m hoheitlichen Aufgabenbereich w u r zeln, als öffentliche Interessen anerkannt. A u f die grundsätzliche Bedeutung dieser Entscheidung kann hier nicht eingegangen werden 6 4 . Sie w i r f t aber die Frage auf, ob die öffentlichen Interessen i m Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht für die einzelnen materiell-rechtlichen Sachgebiete verschieden zu bestimmen sind 6 5 . 6. Schließlich ist noch auf eine Institution aufmerksam zu machen, der schon durch ihre Bezeichnung oder durch ihren Amtsauftrag die Wahrung des öffentlichen Interesses anvertraut ist. Nach § 36 Abs. 1 VwGO kann bei dem Oberverwaltungsgericht und bei dem Verwaltungsgericht nach Maßgabe einer Rechtsverordnung der Landesregierung ein Vertreter des öffentlichen Interesses bestellt werden, und nach § 35 Abs. 1 VwGO kann sich der bei dem Bundesverwaltungsgericht bestellte Oberbundesanwalt zur Wahrung des öffentlichen Interesses an jedem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht beteiligen m i t Ausnahme der Verfahren vor den Disziplinarsenaten und Wehrdienstsenaten. Was das öffentliche Interesse ist, das der Oberbundesanwalt und die Vertreter des öffentlichen Interesses bei den Oberverwaltungsgerichten und Verwaltungsgerichten zu wahren hat, sagt das Gesetz « Vgl. auch die Entsch. des BVerfG v. 11.11.1953, E Bd. 3, S. 41 ff., v. 14.11.1953, E Bd. 2, S. 103 ff., v. 13.11.1957, E Bd. 7, S. 175 ff. w DVB1.1967, S. 239 f. 64 Vgl. aber die Abhandlung von Häberle, „Fiskalische" Interessen als „öffentliche" Interessen i. S. des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO?, DVB1.1967, S. 220 ff. » Vgl. Häberle, a.a.O., S. 224. 10 Speyer 39

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nicht. Nach dem früher i n Bayern, Bremen, Hessen, Württemberg-Baden und Rheinland-Pfalz geltenden Recht 86 hatte der Vertreter des öffentlichen Interesses mitzuwirken, daß das Recht sich durchsetzt und das Gemeinwohl keinen Schaden erleidet. Der Oberbundesanwalt und die Vertreter des öffentlichen Interesses haben also nicht besondere öffentliche Interessen, etwa des Bundes oder eines Landes, wahrzunehmen, sondern das allgemeine öffentliche Interesse an der Verwirklichung des Rechts und des Gemeinwohls. Deshalb ist der Oberbundesanwalt nach § 35 Abs. 1 Satz 3 VwGO auch nur an die Weisungen der Bundesregierung, nicht aber an die Weisungen einzelner oberster Bundesbehörden gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht hat i n dem Urteil vom 15. A p r i l 196467 diese Rechtsstellung des Oberbundesanwalts klar herausgearbeitet, wenn es ausführt, daß der Oberbundesanwalt nicht ein Sprachrohr der Verwaltung, sondern eine qualifizierte Einrichtung der Rechtspflege sei. Er unterstütze das Bundesverwaltungsgericht ausschließlich bei der Rechtsfindung; er habe mitzuwirken, daß das Recht sich durchsetze. Dies sei das öffentliche Interesse, das er wahrzunehmen habe. Nicht dagegen sei es seine Aufgabe, sich um die Durchsetzung der öffentlichen Interessen der Verwaltung zu bemühen; das sei vielmehr Aufgabe der Verwaltungsbehörden. Ferner hat der Große Senat des Bundesverwaltungsgerichts i n dem Beschluß vom 24. Oktober 196668 die Aufgabe der Vertreter des öffentlichen Interesses i n den Ländern dahin umschrieben, daß ihnen das der Durchsetzung des Rechts dienende öffentliche Interesse anvertraut sei. I n einem früheren Beschluß vom 18. März 1961e9 hatte der Große Senat als ein dem Vertreter des öffentlichen Interesses wesentliches Merkmal die Aufgabe bezeichnet, über das möglicherweise einseitige Behördeninteresse hinaus das übergeordnete Interesse des Gemeinwohls und der Rechtsverwirklichung zu vertreten. A n dieser Rechtsprechung ist bemerkenswert, daß das öffentliche Interesse, das der Oberbundesanwalt und die Vertreter des öffentlichen Interesses i n den Ländern zu wahren haben, von den öffentlichen Interessen unterschieden wird, die von einzelnen Verwaltungsbehörden wahrzunehmen sind. Der Begriff des öffentlichen Interesses i n diesem Sinne rückt damit i n die Nähe des allgemeinen Wohls, das zu verwirklichen allen Verwaltungsbehörden aufgegeben ist. Da dieses allgemeine Wohl i n den Verwaltungsgesetzen näher, und zwar durch Rechtssätze bestimmt wird, hat der Vertreter des öffentlichen Interesses dabei mitzuwirken, daß sich dieses i n den Gesetzen konkretisierte allgemeine Wohl i n der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte durchsetzt. Ob es dazu neben den VerwalM

§ 18 Abs. 2 Satz 1VGG, § 13 Abs. 2 V G G Rhld.-Pf. • 7 E Bd. 18, S. 205 ff., 207. «® E Bd. 25, S. 170 ff. ·· E Bd. 12, S. 119 ff., 128.

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tungsgerichten eines besonderen Instituts bedarf, ist freilich eine Frage, über die man streiten kann, die aber an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden kann. Ebensowenig kann auf die Problematik eingegangen werden, die darin besteht, daß i n Bayern und Baden-Württemberg der Vertreter des öffentlichen Interesses zugleich die nach § 36 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässige Aufgabe hat, das Land oder Landesbehörden allgemein oder für bestimmte Fälle i m Prozeß zu vertreten. Versucht man, die Ergebnisse der hier gegebenen Darstellung der Begriffe allgemeines Wohl und öffentliche Interessen i n der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte zusammenzufassen, so ergibt sich folgendes Bild: 1. Die Rechtsprechung läßt deutlich die Variabilität dieser Begriffe erkennen, die i n den Verfassungen und i n den Gesetzen je nach dem Zweck der einzelnen gesetzlichen Regelung verschiedene Bedeutung haben. Allgemeines Wohl und öffentliches Interesse sind außerhalb des Verfassungsrechts weitgehend identisch, während der Begriff des allgemeinen öffentlichen Interesses i n verschiedenen Zusammenhängen von einzelnen öffentlichen Interessen unterschieden wird. Der Begriff des öffentlichen Wohls hebt diesen Unterschied besonders hervor. 2. Soweit die Begriffe des allgemeinen Wohls und der öffentlichen Interessen als außergesetzliche Begriffe eine Rolle spielen, werden sie als ungeschriebene Grundsätze der verfassungsrechtlichen Ordnung und als Grundlage jeder staatlichen Ordnung anerkannt. 3. Über die methodische Aufgabe, die der Rechtsprechung mit der Konkretisierung der beiden normativen Begriffe gestellt ist, sprechen sich die Gerichte nicht aus. Sie gehen wie selbstverständlich davon aus, das sie diese Begriffe selbst näher bestimmen können, wobei sie überwiegend annehmen, eine rechtlich gebundene Entscheidung zu treffen. 4. I n der Frage der gerichtlichen Nachprüfung der von dem Gesetzgeber und den Verwaltungsbehörden getroffenen Entscheidungen steht die Rechtsprechung deshalb überwiegend auf dem Standpunkt, daß den Gerichten (und zwar den Verfassungsgerichten wie den Verwaltungsgerichten) die uneingeschränkte Nachprüfung zusteht. Besondere Probleme haben sich dort ergeben, wo der Vollzug einer allgemeinen gesetzlichen Norm nicht durch einen Verwaltungsakt, sondern durch ein Gesetz erfolgt. 5. Die unmittelbare Bestimmung beider Begriffe durch die Gerichte i m Bereich des Verfassungs- und Verwaltungsprozeßrechts w i r f t keine 10*

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besonderen Fragen auf. Jedoch t r i t t die Variabilität beider Begriffe i n ihrer prozessualen Verwendung besonders hervor. 6. Eine institutionelle Verdichtung hat der Begriff des öffentlichen Interesses i n dem Vertreter des öffentlichen Interesses bei den Verwaltungsgerichten erfahren. I n diesem Institut w i r d der Gegensatz zwischen dem allgemeinen öffentlichen Interesse und den verschiedenen besonderen öffentlichen Interessen deutlich erkennbar.

Bericht über die Diskussionsbeiträge Von Johannes Baumann

Die Vorträge der 36. Staatswissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltung, die unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Dr. Dr. Becker (Speyer) dem Gesamtthema „Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen" gewidmet waren, fanden bei den nahezu 400 Tagungsteilnehmern großes Interesse, was i n vielen Diskussionsbeiträgen zum Ausdruck kam. I m Mittelpunkt der Diskussionen stand dabei immer wieder die Frage, wo das Gemeinwohl rechtlich einzuordnen sei und welche objektiven Merkmale zur Bestimmung des Gemeinwohls herangezogen werden könnten. Gerade die i n der Praxis tätigen Verwaltungsjuristen forderten von den Referenten wiederholt, ihnen für die Arbeit i n der Verwaltung Maßstäbe zur Bestimmung der Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" nach A r t einer praktikablen Formel m i t an die Hand zu geben. Daß dieses nach dem Ergebnis der Tagung nicht möglich war, mindert nicht den Wert dieser Fortbildungsveranstaltung, zeigte sich doch, daß es i n einer wandelbaren, von vielerlei Interessen geprägten pluralistischen Gesellschaft nicht möglich ist, dem Gemeinwohlbegriff einen zeitlosen, allgemein verbindlichen Gehalt zu geben. Darüber hinaus wurde denen, die ihre Verwaltungstätigkeit an den unbestimmten Gesetzesbegriffen „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" auszurichten haben, wieder bewußt, daß die Bezugnahme auf solche Begriffe nicht davon befreit, i n jedem Einzelfall alle von der Entscheidung berührten Interessen sorgfältig zu ermitteln und gewissenhaft gegeneinander abzuwägen. Daß gerade derartige Gesetzesbegriffe zu einer solchen Entscheidungsfindung auffordern und verpflichten, mag denen als A n t wort dienen, die nach einer praktikablen Formel zur inhaltlichen Bestimmung dieser Begriffe suchen. Da die umfangreichen und teils weitverzweigten Diskussionsbeiträge hier nicht vollständig wiedergegeben werden können, soll der Diskussionsbericht aufzeigen, welchen weiteren Fragen aus dem Themenkreis die Tagungsteilnehmer bei der Diskussion ein besonderes Interesse zuwandten.

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Die Diskussion zu den beiden ersten Vorträgen „öffentliche Interessen und Gemeinwohl — Reflexionen über Inhalt und Funktion" von Professor Dr. Hans Ryffel und „Gemeinwohl und politische Strategie — mit Beispielen aus der Verwaltungsreform" von Professor Dr. Fritz Morstein Marx, die sich — wenn auch unter verschiedenen Gesichtspunkten — mit den Begriffen „Gemeinwohl" und „öffentliche Interessen" eingehend auseinandersetzten, befaßte sich zunächst mit einer weiteren Klärung dieser beiden Begriffe. Oberregierungsrat Dr. Scholler (München) bemerkte hierzu, man müsse den Begriff „Öffentlichkeit" differenziert sehen, da sich dieser Begriff aufgespalten habe i n einer Reihe von Öffentlichkeiten. So spreche man nicht nur von der qualifizierten Öffentlichkeit des Staates, der Verbände, der Gemeinden, sondern auch von der Privatöffentlichkeit und der Gemeinöffentlichkeit. Es sei erforderlich, die jeweiligen Interessen m i t diesen verschiedenen öffentlichkeitsbegriffen in Verbindung zu setzen und daraus eine Rangfolge abzuleiten. Danach müsse ein Interesse, das der qualifizierten Öffentlichkeit zuzurechnen ist, wahrscheinlich einen höheren Rang erhalten als ein Gemein- oder privatöffentliches Interesse. Der Diskussionsredner wandte sich dann der Frage nach dem materialen Gehalt der Begriffe „Gemeinwohl" und „öffentliche Interessen" zu. Wenn die beiden Referenten, so führte er aus, einen materiellen Begriff des öffentlichen Wohls schon ablehnten und auch einen formalen Begriff i m Sinne der Identifikation einer bestimmten Staatsform m i t dem öffentlichen Wohl verneinten und das öffentliche Wohl lediglich als funktionalen Begriff gelten lassen wollten, dann sei es erforderlich, an diesem funktionalen Verfahren, an dessen Ende nun das öffentliche Wohl stehen soll, auch die Verwaltung zu beteiligen. Die Verordnung der Interessen, die außerhalb des Parlaments stattfinde, dürfe nicht nur i m gesellschaftspolitischen Raum und dabei vor allem von den Parteien und Verbänden und der Presse durchgeführt werden. Vielmehr sei hierbei auch die Verwaltung zu beteiligen. Es zeige sich, daß gerade beim Gesetzgebungsverfahren die Verwaltung m i t ihrer Erfahrung und m i t ihren Ordnungsvorstellungen auf die Gesetzesentwürfe Einfluß nehmen könne, bevor diese durch parteipolitische Gremien an das Parlament gingen. Man könne nicht sagen, daß alles das, was die Verwaltung an Vorstellungen mitbringe, weniger demokratisch sei oder eine Festlegung auf ein bestimmtes überkommenes Ordnungsprinzip bedeute. M i t der Frage, wer formuliert denn, was Gesamtinteresse ist, befaßte sich auch Dr. Thiele, der Präsident des niedersächsischen Verwaltungsbezirks Braunschweig. Er billigte die Ausführungen von Professor Dr. Ryffel, wonach nicht der Staat und nicht die Mächtigen das Gemeinwohl

Bericht über die Diskussionsbeiträge

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festsetzen, daß dieses vielmehr durch die demokratischen Postulate bestimmt werden müsse. Professor Dr. Morstein Marx habe am Beispiel der Verwaltungsreform jedoch sehr eindringlich gezeigt, wie auch i m Ablauf des demokratischen Verfahrens manipuliert werden könne. Auch die Väter des Grundgesetzes, so meinte Dr. Thiele, seien nur eine kleine Gruppe gewesen, die wesentliche Weichenstellungen vorgenommen habe. Der Diskussionsredner griff dann den Gedanken von Oberregierungsrat Dr. Scholler weiter auf, wonach bei der Bestimmung dessen, was unter Gemeininteresse zu verstehen sei, die Verwaltung mitzuwirken habe. Er teile nicht die Sorge, die i m Referat von Professor Dr. Morstein M a r x durchgeklungen sei, daß sich die Exekutive als Zensor aufspiele und sich mit Autorität darüber auslassen könne, was öffentliches Interesse sei. I n Wirklichkeit ringe der Verwaltungsbeamte i m A l l t a g seines Dienstes bei der Vielfalt seiner Entscheidungen darum, wie er diese Entscheidungen begründen könne. Dieses zeigte Dr. Thiele an folgendem praktischen Fall auf: Das Gesetz und die Satzung schreiben i n einem Wohngebiet vor, daß dort Industriebetriebe nicht angesiedelt oder erweitert werden dürfen, sofern das öffentliche Interesse dadurch beeinträchtigt wird. Was ist nun öffentliches Interesse, fragte der Diskussionsredner? Ist es das wirtschaftliche Interesse des Firmeninhabers, das der Nachbarn, die nicht gestört sein wollen? Hat nicht die Stadt, unbeschadet der Rechtsbestimmungen, ein Interesse an einer vermehrten Gewerbesteuer? Hier zeige sich die Schwierigkeit, das öffentliche Interesse zu bestimmen. Sowohl die Vorformung des politischen Willens, auf die Professor Dr. Morstein Marx hingewiesen habe, als auch die richterliche Kontrolle, wie sie von Professor Dr. Ryffel erwähnt sei, könne hier keine Lösung bringen, da die Verwaltung vor der Inanspruchnahme des Gerichts zu entscheiden habe. Erforderlich sei vielmehr zunächst, die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" durch den Gesetzgeber näher zu bestimmen. Das allein reiche aber nicht aus, denn nicht nur die Legislative, sondern auch die Wissenschaft müsse Konkretisierungsansätze geben, damit die Verwaltung nicht nur darauf beschränkt sei, diesen Problemkreis gleichsam verfahrensrechtlich abzustecken, sondern i h n auch i n materiell-rechtlicher Hinsicht durchdringen könne. A n dieser Stelle wies Professor Dr. Knöpfle (Speyer) darauf hin, bei der inhaltlichen Bestimmung des öffentlichen Interesses müsse man zwei grundverschiedene Bereiche unterscheiden. Gehe es darum, das Gemeinwohl i m Feld des rechtlich Unger egelten näher zu bestimmen, so sei das eine Aufgabe der politischen Instanzen. Davon zu unterscheiden sei die Tätigkeit des Verwaltungsbeamten, der ein Gesetz zu vollziehen habe, das i h n auf das Wohl der Allgemeinheit oder einen ähnlichen Begriff verweise. I n letzterem Falle habe die Verwaltung die Entscheidungskompetenz. Sie sei nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, nach dem i n den voraufgegan-

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genen Vorträgen aufgezeigten Wege das Gemeinwohl festzustellen. Wenn der Begriff des öffentlichen Interesses keinen vorgegebenen erkennbaren Gehalt umfasse und auch keine Konstante sei, so sei dieses für den Verwaltungsbeamten eine Beruhigung, da er in dem Bewußtsein entscheiden dürfe, sich i n der Bahn der Legalität zu bewegen. Hier müsse gefragt werden, ob nicht der Gesetzgeber dort, wo er die Begriffe „öffentliches Wohl" und „öffentliche Interessen" verwende, nichts anderes tue, als die Entscheidung auf die Verwaltung zu delegieren. Dieses sei staatspolitisch nicht einmal schlecht, denn nach seiner Meinung sei die Gewähr einer richtigen Deutung des Allgemeinwohls unter weitgehender Berücksichtigung der Gruppeninteressen vielleicht noch eher durch die Verwaltung gegeben als durch das Parlament. Daher sollte sich die Verwaltung gar nicht so sehr um konkrete Maßstäbe für die Bestimmung der Begriffe „Gemeinwohl" und „öffentliches Interesse" bemühen, da man i m Widerstreit öffentlicher Interessen letztlich nur wertend und abwägend Entscheidungen treffen könne. Ministerialrat a. D. Geffers (Göttingen) bemerkte an dieser Stelle, daß nach der Verfassungs- und Verwaltungswirklichkeit letztlich die Beamtenschaft der Träger des öffentlichen Interesses sei. Aus seiner Erfahrung als Ministerialbeamter wisse er, daß die Entscheidungen der Politiker zum Allgemeinwohl durch die Impulse der Beamten bedingt seien, die hierzu nicht nur die rednerische Formulierungshilfe, sondern auch die Idee lieferten. Die Frage, wie das Gemeinwohl und das öffentliche Interesse zu bestimmen seien, wurde noch einmal von Regierungsdirektor H. Weber (Düsseldorf) aufgegriffen. A n dem von Dr. Thiele eingangs geschilderten Fall der Errichtung einer Fabrik zeigte er auf, wie schwierig die Bestimmung der öffentlichen Interessen hier ist. Dabei führte der Diskussionsredner aus, es befriedige ihn nicht, wenn man den Begriff des öffentlichen Interesses und des Gemeinwohls rein negativ abgrenze. Die Frage nach dem Gemeinwohl sei eine positive Entscheidung, die getroffen werden müsse. Daher stelle er sich die Frage, w i e sich dieser Begriff positiv ausfüllen lasse. Dazu könnten die Richtlinien der Politik, die Aussprachen i m Parlament und die Meinungen der Wissenschaftler mit ihren meist widersprüchlichen Aussagen keine Lösung anbieten. Streng genommen müsse der Verwaltungsbeamte umfangreiche wissenschaftliche Studien betreiben, mehrere Fachdisziplinen beherrschen und über einen umfassenden Gesamtüberblick verfügen, bevor er eine Entscheidung, etwa i m Hinblick auf den geschilderten Fall m i t der Errichtung der Fabrik, treffe. Dazu aber brauche er zuviel Zeit. Regierungsdirektor Weber bezweifelte auch, daß der Verwaltungsbeamte das Gemeinwohl stets durch eine an demokratischen Maßstäben orientierte Gewissensentscheidung bestimmen könne. So sei i n verschiedenen Bestimmungen, etwa denen über die Ver-

Bericht über die Diskussionsbeiträge

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wendung von Atomenergie, festgelegt, wann ein öffentliches Interesse anzunehmen sei. I n diesen Fällen bleibe für eine Gewissensentscheidung kein Raum mehr, da der Beamte insoweit gebunden sei. Der Diskussionsredner wies dann darauf hin, daß die von Professor Dr. Ryffel getroffene Unterscheidung von Einzel-, Gruppen- und Gesamtinteresse die Ermittlung des wirklichen öffentlichen Interesses nicht erleichtere. So gebe es Fälle, i n denen das Einzelinteresse das wirkliche Gemeinwohl ausmache, während das Gesamtinteresse rein objektiv nicht als das öffentliche Interesse anzusehen sei. Auch könne man nicht sagen, ein Gruppeninteresse sei nicht ein öffentliches Interesse lediglich aufgrund der Tatsache, daß hier ein partikuläres Interesse vertreten werde. Denn möglicherweise könne eine einzige Gruppe das wirkliche Interesse haben. Es sei also äußerst schwierig, ja beinahe fast immöglich, aus dieser Vielzahl von Interessen, vermutlichen und echten, wahren und falschen, das eigentliche öffentliche Interesse herauszusehen. Auf die Frage von Professor Dr. Morstein Marx, wie denn dann der Verwaltungsbeamte handele und wie man sich die Autorität für eine bindende Philosophie der Gerechtigkeit i n unserer Demokratie vorstellen müsse, antwortete Regierungsdirektor Weber, man könnte an christliche Ideale oder an andere philosophische Ideale denken, die zu verwirklichen wären, wobei der Grundsatz der freien Entfaltung der Persönlichkeit mitzuberücksichtigen sei. Anhand des eingangs erwähnten Beispiels von Dr. Thiele zeige sich jedenf alls, daß der Beamte bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses mitunter überfordert sei. Letztlich entscheide der Beamte aus seiner Tradition, aus seiner Erziehung, Bildung und Fachrichtung heraus. I n seinem Schlußwort hob Professor Dr. Ryf fei noch einmal hervor, daß man nur demokratische Gemeinvorstellungen hinnehmen und in den Bereich möglicher Diskussionen einbeziehen könne, nicht dagegen Vorstellungen, die orientiert seien an vorgegebenen Ordnungen, die es heute nicht mehr gebe. Die Konkretisierung des Begriffs „Gemeinwohl", der einen materialen Gehalt nicht habe und insofern als ein Blankett anzusehen sei, erfordere zunächst die Klärung der verschiedenen Interessen. Danach seien die Konsequenzen i n der Realität dieser Interessen festzustellen. I n wichtigen und umfangreichen Fällen, wie etwa i n dem angeführten Beispiel der Errichtung der Fabrik, müsse auch der wissenschaftliche Sachverständige herangezogen werden. Letztlich bleibe aber ein Rest, i n dem die intersubjektive Ausweisbarkeit nicht mehr gewährleistet sei. Hier bleibe nichts anderes übrig als der Rückgriff zum demokratisch strukturierten Verfahren, das so geartet sein sollte, daß jeder nach Möglichkeit zum Zuge kommt und sein — generalisiertes — Interesse auch wirklich vorbringen kann. Gerade weil es keine eindeutigen Gemeinwohlvorstellungen gebe, könne auf die Einrichtungen des modernen demokratischen Rechtsstaats nicht verzichtet werden. I n den Fällen, i n denen der

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Gesetzgeber den Begriff des Gemeinwohls näher bestimmt habe, müsse der Verwaltungsbeamte diesen auch so anwenden. Wenn er dieses m i t seinem Gewissen nicht vereinbaren könne, bleibe i h m nichts anderes übrig, als aus dem Dienste auszuscheiden. Was die von den Diskussionsrednern erwähnte bevorrechtigte Stellung der Verwaltung bei der Festlegung des Gemeinwohls betreffe, so wisse er sehr wohl deren Aufgabe zu würdigen. Er bleibe jedoch bei der Meinung, daß es primär Aufgabe des Gesetzgebers sei, den Begriff des Gemeinwohls näher zu bestimmen. I n diesem Zusammenhang sei bemerkenswert, daß der österreichische Verfassungsgerichtshof die Auffassung vertrete, Gesetze, die schlechthin auf das Gemeinwohl verwiesen, seien als nichtig zu betrachten, weil sie der Verwaltung eine unmögliche Aufgabe aufbürdeten und rechtsstaatlich gesehen nichts anderes als eine Verwischung der Gewaltenteilung zwischen Gesetzgeber und Exekutive bedeuteten. Allerdings sei es bedenklich, der Verwaltung bei der Bestimmung des Gemeinwohls eine besondere Stellung einzuräumen, wie das von Ministerialrat a. D. Geffers vertreten wurde. Die gleiche und durchaus geachtete Beamtenschaft habe ja auch während der Monarchie, i n einer Gesellschaft also, die durchaus undemokratisch war, bestanden. Auch da hätten zwar das Staatsethos und die Unparteilichkeit Platz greifen können, aber man müsse Bedenken haben, der Beamtenschaft i n der Demokratie eine so bevorrechtigte Stellung einzuräumen. Die i n der Diskussion wiederholt gestellte Frage nach den Kriterien zur Bestimmung des Gemeinwohls, so meinte Professor Dr. Ryffel, müsse letztlich unbeantwortet bleiben. Absolute Werte und Gemeinwohlvorstellungen, die für jeden Fall passen würden, müßten ja alle Umstände und Geschehensabläufe und damit die ganze Welt sozusagen vorwegnehmen. Solche absoluten Werte habe es früher i n einer Gesellschaft gegeben, die als stabil und unveränderlich angesehen wurde. Spätestens seit Beginn der Neuzeit sei die Illusion einer stabilen und unveränderlichen Gesellschaft zerstört worden. Es gebe keine Philosophie der Demokratie mit fertigen Rezepten für das gesamte Verhalten. Dies könnte eine enttäuschende Feststellung sein. Es sei jedoch auch eine Erleichterung zu wissen, daß nicht nur man selbst, sondern auch jeder andere nicht i n der Lage sei, etwas absolut Eindeutiges ein für allemal festzustellen. Professor Dr. Morstein Marx erklärte am Ende der Diskussion, Zweck dieser Veranstaltung sei es, zum Sachdenken anzuregen und nicht Anweisungen an erfahrene Verwaltungsbeamte zu erteilen. Er habe zeigen wollen, welche Wandlung der i n der deutschen Verwaltungstradition so weit i m Vordergrund stehende Begriff des Gemeinwohls durch die politische Umgestaltung erfahren habe. Er wisse aus seiner langen Tätigkeit i n der praktischen Verwaltung an hervorgehobener Stelle die verantwortliche M i t w i r k u n g der Verwaltung zu schätzen. Aus ihrer Erfahrung, aus der

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Kontinuität ihrer Aufgaben, aus den Perspektiven und aus dem Realismus dieser Erfahrung ergebe sich die verantwortliche Beteiligung der Verwaltung an den politischen Entscheidungen. Die verantwortliche A u f gabe der Verwaltung liege i n der Beratung der politischen Instanzen. Dagegen dürfe der Verwaltungsbeamte nicht aus der Fülle eines Begriffs, dem inhaltlich nichts abzugewinnen sei, souveräne Entscheidungen treffen. Die Verantwortung der Verwaltung liege vielmehr i n dem sachgerechten und sachkundigen Rat. Obwohl der Gemeinwohlbegriff keinen materiellen Gehalt habe, sei er von unschätzbarem Wert. Er verpflichte den Verwaltungsbeamten, bei seinen Entscheidungen objektiv alle Interessen, die sich sichtbar machen ließen, i n Zusammenhang zu bringen.

II. Nach dem Vortrag „Gemeinwohl und öffentliche Interessen i n den Verfassungen und den Gesetzen des sozialen Rechtsstaats" von Professor Dr. Roman Schnur (Bochum) stellte Professor Dr. Jonas (Mainz) die Frage, ob nicht eine Aporie dadurch entstanden sei, daß den seiner Meinung nach sehr abstrakt und relativ gehaltenen Vorträgen von Professor Dr. Ryffel und Professor Dr. Morstein Marx nunmehr ein außerordentlich konkret gehaltenes Referat gegenüberstehe. Es befriedige ihn sehr, daß der Vorredner die Problematik um die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" i n unmittelbarem Zusammenhang m i t dem Staat und dem gesetzten Recht bringe und nicht so sehr von allgemeinen Vorstellungen ausgehe. Nur werde bei dem vorausgegangenen Referat deutlich, daß bei einer Bindung an Staat und Recht die Auseinandersetzung u m die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" letztlich bei der Vernunft der konkret Beteiligten lande. Es bestehe also eine Aporie zwischen Rationalismus und Pragmatismus dergestalt, daß einem abstrakten Rationalismus m i t demokratischer Wertbeziehung die konkret vorhandenen Interessen der Einzelnen und Gruppen gegenüberstünden. Einen Grund für diese Aporie sah Professor Dr. Jonas darin, daß mit dem Vermögen zum kritischen Denken häufig nur i n negativer Hinsicht Gebrauch gemacht werde. Dabei sei die Vernunft nicht nur eine Macht, die die alten Traditionen und Werte auflöse, sondern auch neue Werte und Institutionen schaffe. Auch die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" seien an diesen neuen Institutionen zu messen. Die beste Möglichkeit zur Ermittlung des Gemeinwohls sei heute eine zeitgerechte wissenschaftliche Ausbildung und technische Rationalisierung i n der Verwaltung. Diese Forderung beruhe nicht so sehr auf einer Ideologie, sondern ergebe sich aus einem Vergleich m i t anderen Ländern. Man dürfe sich nicht, so Schloß der Diskussionsredner, den großen Sachfragen unserer Zeit entziehen.

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Die Diskussion befaßte sich dann m i t der Frage, ob die i n der englischen Wissenschaft getroffene Unterscheidung zwischen öffentlichem Wohl und öffentlichen Interessen, die von Professor Dr. Schnur hier — wenn auch m i t Vorbehalten — übernommen wurde, vertretbar sei. Oberregierungsrat Dr. Scholler (München) meinte hierzu, das, was Barry i m Englischen als öffentliche Interessen definiere, entspreche nach unseren Vorstellungen eher den öffentlich-rechtlichen Vorschriften m i t Privatrecht schützendem Charakter. Bei diesen Vorschriften, die man i n verschiedenen Rechtsgebieten finde, wie z. B. i m Bau-, Wasser-, Gewerbe- und Wegerecht, werde das private Eigentum eingeengt durch die Sozialstaatsklausel oder durch Ansprüche des öffentlichen Wohls. Als Ausgleich für die Einschränkung seines privaten Eigentums zugunsten des öffentlichen Wohls erhalte der Eigentümer jedoch durch den Gesetzgeber eine öffentlich-rechtliche Stellung, die i h m Rechtsschutz gewähre. Wenn etwa bei verschiedenen Interessenlagen des Bauherrn und des Nachbarn die Baubehörde die Baugenehmigung für sofort vollziehbar erkläre, dann entscheide sie nicht aus Belangen des öffentlichen Wohls, sondern sie wäge zwischen den Interessen des Bauherrn und des Nachbarn ab, wobei das Nachbarinteresse aus den dargelegten Gründen teils ein privates und teils ein öffentliches Interesse darstelle. Dieser Fall zeige, daß man den Begriff „öffentliches Interesse" auf die Interessenlagen verwenden könne, i n denen der Staat gleichsam eine Schiedsrichterrolle habe. Der Diskussionsredner zog daraus den Schluß, daß öffentliches Interesse immer nur dann gegeben sei, wenn der Staat nicht eigene Interessen wahrnehme, sondern es m i t verschiedenen sich widerstreitenden Interessen zu tun habe. Abschließend stellte Dr. Scholler die Frage, ob die von Professor Dr. Schnur aus A r t . 14 GG abgeleitete Lehre, wonach alle Freiheitsrechte durch einen ungeschriebenen Rechtssatz insoweit eine Einschränkung erfahren als ihre Ausübung nicht dem Gemeinwohl zuwiderläuft, mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimme. Die Frage, ob der Begriff „Gemeinwohl" und „öffentliche Interessen" i n den Verfassungen und den Gesetzen immer gleich verwendet werde, wurde von Regierungsassessor Koehler (Kiel) weiter vertieft. Er meinte, man müsse hier zwischen drei verschiedenen Bereichen unterscheiden. I n dem ersten wende sich der Gesetzgeber bei der Verwendung des Begriffs „Gemeinwohl" oder „öffentliche Interessen" unmittelbar an den Bürger. Hier handele es sich mehr um einen Appell an den Einzelnen, wenn die Verfassung bestimme, er solle seine eigenen Interessen den öffentlichen Interessen unterordnen. Ein unmittelbarer Rechtsanspruch des Einzelnen gegen einen anderen könne aus solchen Bestimmungen jedoch nicht hergeleitet werden. Von diesem Fall sei der zweite Bereich zu unterscheiden, i n dem sich der Verfassungsgeber bei der Verwendung der Begriffe „Gemeinwohl" und „öffentliche Interessen" an den

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Gesetzgeber wende. Er denke dabei an die vom Referenten erwähnte Bestimmung des A r t . 26 Ziff. 2 der Bremischen Verfassung, wonach sich die Erziehung und Bildung dem allgemeinen Wohle einzuordnen habe. Hier, so meinte der Diskussionsredner, handele es sich lediglich u m eine akademische Streitfrage, ob es ausreichend sei, daß der Gesetzgeber sich auf die allgemeine Formel „Gemeinwohl" oder „öffentliche Interessen" beschränke oder ob er hier eine nähere Konkretisierung vornehmen müsse. Der dritte Bereich, i n dem der Gesetzgeber die Begriffe „Gemeinwohl" und „öffentliche Interessen" verwende, sei der, i n dem die Verwaltung unter Hinweis auf diese allgemeinen Klauseln zum Handeln ermächtigt werde. Hier handele es sich bei den Begriffen „Gemeinwohl" und „öffentliche Interessen" u m unbestimmte Rechtsbegriffe, die allein von der Verwaltung auszufüllen seien. Der Gesetzgeber habe sich dabei des Rechts begeben, diese Begriffe näher zu konkretisieren. Dieser Umstand bedeute keine Überforderung des Verwaltungsbeamten, wie dieses von Regierungsdirektor Weber wiederholt angedeutet werde. Denn der Verwaltungsbeamte brauche kein Allroundman zu sein, vielmehr helfe hier die moderne Form des Teamwork, die verschiedenen Interessenlagen zu erkennen und eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Leider werde i n der Praxis dieser Weg zur Entscheidungsfindung häufig durch politisches Ränkespiel umgangen, indem man unter Einschaltung von Parlamentariern die Entscheidung der Behörde zu beeinflussen versuche, eine Behauptung, die von Dr. Thiele entschieden zurückgewiesen wurde. — Regierungsdirektor H. Weber (Düsseldorf) bemerkte hierzu, Professor Dr. Schnur habe bei der Suche nach Ausgangspunkten zur Bestimmung des öffentlichen Wohls und der öffentlichen Interessen in den Fällen, i n denen der Gesetzgeber und die Verfassung keine konkreten Anhaltspunkte bieten, den Begriff der Sachlichkeit eingeführt. Damit sei dem Verwaltungsbeamten jedoch nicht weitergeholfen, da jetzt die Frage auftrete, was die Kriterien für eine sachliche Entscheidung seien. — Professor Dr. Knöpfle (Speyer) fragte an dieser Stelle, ob es nach der bisherigen Erörterung des Themas begründet sei, von einer Aporie zu sprechen, wie dieses durch Professor Dr. Jonas geschehen sei, und ob die ständig wiederholte Bitte nach Rezepten für den Verwaltungsbeamten jetzt noch aufrechterhalten werden könne. Die von Professor Dr. Ryffel vertretene Auffassung, wonach das Gesamtinteresse auf das Interesse der Einzelnen zurückzuführen und dieser Begriff funktional zu verwenden sei, werde bereits durch die Praxis bestätigt. Das werde schon an der Handhabung der Bestimmungen der §§ 16 ff. der GewO deutlich. Bei ihrer Abfassung sei i n ihnen noch der Gegensatz zwischen Gemeinnutz und Eigennutz zugrunde gelegt worden. Wenn es nun zutreffe, daß Gesamtinteresse und Privatinteresse den gleichen Ursprung haben, dann sei diese Trennung fragwürdig. Tatsächlich sei sie von der Verwaltungspraxis auch nie so streng durchgeführt worden. Gerade die Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungs-

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gerichts hätten bei Verfahren nach den §§ 16 ff. GewO privatrechtliche Interessen schon damals mitberücksichtigt. Auch am Beispiel des Immissionsschutzes zeige sich, daß sich öffentliche Interessen von privaten Interessen nicht streng unterscheiden ließen, etwa dann, wenn ein ganzes Dorf unter Immissionen leide, wenn nur eine kleine Siedlung berührt werde oder gar nur wenige Häuser und letztlich nur ein einzelnes Haus. Dieses Beispiel zeige, daß es sich bei der Bildung des öffentlichen Interesses um einen stufenlosen Ubergang handele, wobei mit der zunehmenden Intensität das private Interesse i n das öffentliche Interesse übergehe. Hier sei auch eine genaue Trennung zwischen öffentlichem und privatem Rechtsschutz kaum noch durchzuführen. Auch i m Enteignungsrecht zeige sich die Wandlung zum funktionalen Begriff des Gemeinwohls. Während man früher bei einer institutionellen Betrachtungsweise das Gemeinwohl nur zugunsten einer öffentlichen Institution fördern zu können glaubte, sei heute längst anerkannt, daß Enteignungsbegünstigter auch eine private Institution sein könne, wenn dabei nur die Förderung des Gemeinwohls gegeben sei. Ein weiteres Beispiel für die Anwendung des Begriffs „Wohl der Allgemeinheit" i m funktionalen Sinne biete § 8 des Wasserhaushaltsgesetzes, wonach eine wasserrechtliche Bewilligung, die das Recht eines anderen nachteilig beeinflußt, aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit gleichwohl erteilt werden kann. Die h. M. sehe einen solchen Tatbestand als gegeben an, wenn die Wasserversorgung einer öffentlichen Institution diene. Bei einer rechten Auslegung des Begriffs „Wohl der Allgemeinheit" i m funktionalen Sinne müsse man jedoch zu dem Ergebnis kommen, daß etwa auch die wasserrechtliche Bewilligung an einen Industriebetrieb aus Gründen des öffentlichen Wohls gerechtfertigt sein könne. Ganz allgemein, so fuhr der Diskussionsredner fort, könne man heute nicht mehr die These aufrechterhalten, daß es i m öffentlichen Interesse liege zu verhindern, was dem formalen Recht widerspreche. Fast könne man die gegenteilige These wagen, daß es dem Gemeinwohl widerspreche, wenn der Staat eines rein formalen Verstoßes wegen einschreite. Man könne sogar, so fuhr Professor Dr. Knöpfle fort, den ungeschriebenen Verfassungssatz aufstellen, daß jegliche Verwaltungstätigkeit auf die Gemeinwohlförderung bedacht sein müsse. Ausprägungen dieses Grundsatzes sei das Prinzip des Übermaßverbotes sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit beim polizeilichen Einschreiten. Diese Grundsätze würden zwar unter das Rechtsstaatsprinzip gefaßt, sie seien aber letztlich auf einen recht verstandenen Gemeinwohlbegriff zurückzuführen. Diese von i h m entwickelten Gedanken seien für die Verwaltung vielleicht etwas revolutionär und neu, sie hätten jedoch i n der Verfassungsgerichtsbarkeit bereits Eingang gefunden. Die Verwaltung neige bisweilen noch immer dazu, den rechtlichen Purismus auf Kosten eines richtig verstandenen Gemeinwohlsbegriff zu übersteigern, weil die Verwaltung von der traditionellen Ausbildung und ihrer Aufgabe her

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gewohnt sei, zunächst das Rechtliche zu berücksichtigen. Der kommunale Wahlbeamte entscheide hier jedoch viel weniger streng. Was den Gesetzgeber angehe, so enthielten bereits mehrere Bauordnungen der Länder die Bestimmung, daß ein rein formell baurechtswidriges Vorhaben nicht allein deshalb beseitigt werden müsse. Vielmehr müßten zur formellen Rechtswidrigkeit noch materielle Rechtsverstöße hinzukommen. Eine vertiefte Beschäftigung mit den Begriffen „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" i n dem hier von den Referenten aufgezeigten Sinne lege jedenfalls die von i h m wiedergegebenen Gedanken nahe. A m Schluß der Diskussion, die unter der Leitung von Professor Dr. Biilck (Speyer) stand, ging Professor Dr. Schnur noch einmal ausführlicher auf die häufig gestellte Frage ein, welche Merkmale dem Verwaltungsbeamten zur Ermittlung des Gemeinwohls dort behilflich sein könnten, wo sich der Gesetzgeber lediglich mit einem Hinweis auf diesen Begriff beschränkt. Hier trete zunächst einmal das Problem auf, ob eine solche gesetzliche Bestimmung den Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage genüge. Dabei dürfe man den Begriff „Wohl der Allgemeinheit" nicht nur verbal erfassen, man müsse vielmehr bei der jeweiligen Gesetzesanwendung prüfen, ob nach der communis opinio dieser Begriff über die erforderliche Konkretheit verfüge. Dieses könne man ζ. B. von der Generalklausel i m Polizeirecht annehmen, da durch Rechtsprechung und Lehre deren Inhalt und Grenzen hinreichend sichtbar gemacht worden seien. I n diesem Falle also könne die verbal abstrakte Generalklausel die Gültigkeit des jeweiligen Polizeigesetzes nicht i n Frage stellen. Die gleichen Maßstäbe müsse man dann auch bei dem Begriff „Wohl der Allgemeinheit" anwenden. Bei jedem Sachverhalt müsse also geprüft werden, inwieweit bei dem auf ihn bezogenen Gesetzesbegriff sich bereits eine communis opinio gebildet habe. Sei dieses nicht der Fall, und das gelte sicherlich für verschiedene neue Gesetze, dann sei eine lediglich auf den Begriff „Wohl der Allgemeinheit" der Verwaltung eingeräumte Ermächtigung fehlerhaft, da sie nicht den Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm genüge. A u f die Frage nach den Maßstäben, die zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs „Wohl der Allgemeinheit" zur Verfügung stehen, antwortete Professor Dr. Schnur, dieses könne sicherlich nicht nur die Sachlichkeit sein, wie es von Regierungsdirektor H. Weber verstanden worden sei. Er habe lediglich feststellen wollen, daß in den Fällen, i n denen weder die Verfassung noch die Gesetze und auch nicht die Rechtslehre und Rechtsprechung etwas für die inhaltliche Bestimmung des Begriffs „Wohl der Allgemeinheit" hergeben, eine strenge Sachprüfung vorzunehmen sei. Z u dieser strengen Sachlichkeit gehöre der Zwang zur Begründung der Entscheidung; denn an einer ausführlichen Begründung könne man feststel-

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len, ob wenigstens die Gedankenführung i n sich vorurteilslos und widerspruchsfrei sei. Der Zwang, der Umwelt erklären zu müssen, warum etwas so und nicht anders zu geschehen habe, veranlasse dazu, die Umwelt zu fragen, ob sie denn die Argumentation abnehme. Der Begründungszwang schaffe somit eine Kommunikation des zu Entscheidenden mit der konkreten Vernunft i n einer bestimmten Situation. Insofern stimme er auch Professor Dr. Jonas bei, daß der Sachverstand und die Vernunft immer mehr zu schulen und in den Dienst des Allgemeinwohls zu stellen seien. Wenn Professor Dr. Jonas seinen Appell an die Vernunft der an der Ermittlung der öffentlichen Interessen Beteiligten als Pragmatismus bezeichne, so werde dieser durch den eben erwähnten Begründungszwang versachlicht. I m übrigen komme der Vernunft der Beteiligten heute eine wesentlich größere Bedeutung zu als etwa vor 50 Jahren. Es sei ja bereits offenkundig, daß die Vielschichtigkeit der Tatbestände und Interessenlagen nicht i n der Verfassung und i n den Gesetzen ganz eingefangen werden könne. Dadurch seien die Staatsorgane zwangsläufig durch den Gesetzgeber zu weitgehend eigenständigem Handeln ermächtigt. Daß es dadurch nicht zu Verwirrung und Unordnung komme, sei hauptsächlich auf die konkrete Vernunft der Einzelnen und Gruppen zurückzuführen, ein Ergebnis, das vor 50 Jahren wohl anders ausgefallen wäre. Damals hätte man z. B. eine Enteignung zugunsten eines Industriebetriebes kaum m i t dem Wohl der Allgemeinheit begründen können. Heute dagegen gebe es kaum einen, der sage, eine solche Enteignung könne i n keinem Fall dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Dieses Beispiel, sagte Professor Dr. Schnur am Ende, gebe ihm noch Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß man bei der Ausfüllung der Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" nicht ganz ohne eine institutionelle Betrachtung auskomme. Bei einer Enteignung, zugunsten Privater etwa, müsse sichergestellt werden, daß nach der Enteignung das öffentliche Interesse an der Tätigkeit des Privaten gewahrt werde. So müsse verhindert werden, daß der Private, dem das Eigentum i m Wege der Enteignung zugesprochen worden sei, dieses dem Enteignungszweck zuwider verwende. Andernfalls müsse sich nämlich derjenige, der sein Eigentum aufgegeben habe, fragen, wo hier die Enteignung noch zum Wohle der Allgemeinheit erfolgt sei. Hieraus folgerte Professor Dr. Schnur abschließend, daß bei der Ermittlung der öffentlichen Interessen eine formale Minimalsicherung notwendig sei, da der Staat sich nicht darauf verlassen könne, daß der Einzelne stets außer seinem individuellen auch noch das öffentliche Interesse zusätzlich wahrnehme.

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III. A n den Vortrag „öffentliche Interessen und öffentliches Wohl bei der gemeindlichen Neugliederung" von Professor Dr. Dr. Becker (Speyer) Schloß sich unter Leitung von Professor Dr. Knöpfle eine lebhafte Diskussion, bei der die vielfältigen rechtlichen und verwaltungspolitischen Probleme um die kommunale Neugliederung i m Vordergrund standen. Regierungsdirektor Dr. Bahr ο (Düsseldorf), der als Beamter i m nordrhein-westfälischen Innenministerium an der Ausarbeitung von Neugliederungsplänen mit beteiligt ist, gab zu bedenken, ob man den Begriff des öffentlichen Wohls nicht dahin verstehen müsse, kommunale Verflechtungen zu maximieren und die Zerschneidung kommunaler Verflechtungen zu minimieren. Anhand dieses Grundsatzes könne man dann andere Umstände m i t berücksichtigen, wie ζ. B. die Einwohnerrichtzahl, geographische und soziale Zusammenhänge. Dr. Bahro bemerkte dann zu den Äußerungen von Professor Dr. Dr. Becker über die Änderung des § 14 der Gemeindeordnung NordrheinWestfalens, man solle den Grund dieser Änderung nicht nur darin sehen, daß ein sachliches Hindernis, nämlich die Volksabstimmung, für gemeindliche Zusammenschlüsse beseitigt werden sollte. Bei der Neufassung des § 14 GO N W hätte man auch daran gedacht, den langwierigen und überaus vielfältigen Prozeß der gemeindlichen Neugliederung zeitlich zu beschränken. Eine große Reform, wie sie die gemeindliche Neugliederung darstelle, müsse, um wirksam durchgeführt werden zu können, i n einem zeitlich überschaubaren Vorgang vonstatten gehen. Wenn man die vielfachen Bemühungen der Landesregierung, die Reformfreudigkeit und die Reformwilligkeit der Gemeinden zu wecken, berücksichtige, wozu nicht nur die i n der Gemeindeordnung vorgesehene formelle Anhörung zu rechnen sei, sondern auch das Gespräch m i t allen Vertretern und Organen i m kommunalen Bereich, dann würde nach dem bisher von der Landesregierung eingeschlagenen Weg die gemeindliche Neugliederung i n etwa 12 Jahren verwirklicht sein. Nach der bisherigen Arbeitsweise i m Landtag würde dort die gemeindliche Neugliederung einen Zeitraum von etwa 28 Jahren beanspruchen. Wäre man noch bei der früher i n § 14 GO N W vorgesehenen Volksabstimmung verblieben, dann hätten sich diese Zeiten sicherlich noch verdoppelt. Damit aber wäre die Durchführbarkeit der so notwendigen kommunalen Gebietsreform schlechthin i n Frage gestellt. — Dr. Bahro ging dann auf das Problem der Zustimmung der Bevölkerung zur gemeindlichen Neugliederung ein. Er meinte hierzu, von einigen Ausnahmen abgesehen, wie etwa der Stadt Bad Godesberg, sei die Bereitwilligkeit der Bevölkerung zur Neugliederung der Gemeinden sehr hoch. Etwa 85 °/o der betroffenen Einwohner stimmten den Neugliederungsvorschlägen der Landesregierung zu. Dem U

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widersprächen auch nicht die durch die Neugliederung i m Bereich des Landkreises Unna erforderlich gewordenen Neuwahlen. Diese Wahlergebnisse, die von den bisherigen sehr abwichen, seien damit zu erklären, daß durch die Neugliederung politisch anders strukturierte Gebiete zusammengeschlossen seien, wodurch sich die politische Gesamtstruktur verständlicherweise geändert habe. I n den Wahlergebnissen sei aber kein Votum gegen die Neugliederung enthalten. — Der Diskussionsredner vertrat dann die Auffassung, die Zustimmung der Bevölkerung zur gemeindlichen Neugliederung bleibe dann nicht versagt, wenn man sich seitens der Landesregierung und der an der Neugliederung beteiligten Behörden die Mühe mache, ständig und ausführlich mit den Betroffenen zu diskutieren. Dabei sei die Bereitwilligkeit zum Zusammenschluß von vornherein i n den Gemeinden größer, die bisher bereits einem Amtsverband angehörten. Hier gehe es lediglich darum, aus dem bereits vorhandenen Amtsverband eine leistungsfähige Gemeinde zu schaffen. Schwieriger sei es dagegen, die Zustimmung i n den Gemeinden zu erhalten, die bisher nicht i n einem gemeinsamen oder i n verschiedenen Amtsverbänden zusammengeschlossen gewesen seien. Aber auch da lasse sich durch Überzeugung und Hinweise auf die zu erreichenden Verbesserungen vieles ermöglichen. Das Problem des Zusammenschlusses der Zwerggemeinden gestalte sich i n Nordrhein-Westfalen nicht so schwierig, da der Anteil der Zwerggemeinden an der Gesamtzahl der vorhandenen Gemeinden i m Vergleich zu anderen Bundesländern verhältnismäßig gering sei. Er, so fuhr Dr. Bahro fort, habe bei der Ausarbeitung von Neugliederungsplänen noch keinen Fall gesehen, i n dem es erforderlich gewesen wäre, Gemeinden von 300 Einwohnern bestehen zu lassen, weil andernfalls das Gemeindegebiet zu groß und die Verkehrsverbindungen zu schlecht seien. Es habe sich vielmehr herausgestellt, daß man auch i n den verhältnismäßig dünn besiedelten Gebieten in Nordrhein-Westfalen leistungsfähige Gemeinden i n der Größenordnung von 3000 bis 4000 Einwohnern schaffen könne, ohne dadurch der Bevölkerung Unannehmlichkeiten hinsichtlich der Verkehrswege zu bereiten. Beim Zusammenschluß mehrerer Zwerggemeinden zu einer größeren Gemeinde müßten natürlich die örtlichen Interessen der bisherigen Gemeinden gewahrt bleiben. Dies könne durch die Bestellung eines Ortsvorstehers oder eines Vertrauensmannes dieser Gemeinde geschehen, der für die täglichen Angelegenheiten, die den Bürger m i t der Verwaltung i n Berührung bringen, zuständig sei. Abschließend bemerkte Dr. Bahro, daß der Neugliederung dann der Erfolg nicht versagt bleiben könne, wenn man sich nicht zu sehr an starre Schemen halte, sondern die örtlichen Besonderheiten weitgehend berücksichtige. M i t der Frage, i n welchem Verhältnis die Begriffe „öffentliche Interessen" und „öffentliches Wohl" bei der gemeindlichen Neugliederung zu-

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einander stehen, befaßte sich Magnifizenz Professor Dr. Ule (Speyer). Er meinte hierzu, diese beiden Begriffe könnten auch zueinander i n Gegensatz stehen. So sei der Fall denkbar, daß die Bevölkerung i n zwei Gemeinden den Zusammenschluß begehrt, der Staat ihnen diesen jedoch verwehrt, weil er ein öffentliches Interesse hierzu verneint. Die Bezirksregierung Nordwürttemberg habe ζ. B. den Zusammenschluß der Stadt Göppingen m i t der Gemeinde Birenbach m i t dem Hinweis auf das fehlende öffentliche Interesse abgelehnt, obwoihl bei einer Befragung die Bewohner von Birenbach sich fast einstimmig für die Eingemeindung ausgesprochen hatten. M i t Interesse müsse man der hiergegen angerufenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts entgegensehen. Zum Begriff des Gemeinwohls i n der gemeindlichen Neugliederung bemerkte Ltd. Magistratsdirektor von Germar (Kiel), es gebe kaum ein Rechtsgebiet, i n dem unter dem Begriff „Gemeinwohl" so weittragende Entscheidungen getroffen würden, wie auf dem der kommunalen Neugliederung. Hinzu komme noch, daß i n den Gemeindeordnungen der Bundesländer der Begriff des öffentlichen Wohls bei der Neugliederung meistens der einzige materiell rechtliche Anhaltspunkt für eine diesbezügliche Entscheidung sei. Hier komme den Ausführungen von Professor Dr. Dr. Becker besonderes Gewicht zu, wonach das Gemeinwohl an der verfassunggestaltenden Grundentscheidung der stetigen Gemeinwohlwahrung zu messen sei. Für die gemeindliche Neugliederung bedeute das den Verfassungsauftrag, für alle Menschen bei der Entfaltung ihrer Persönlichkeit die gleichen Lebensverhältnisse zu schaffen. Der i m Verfassungsrecht verankerte Grundsatz der Gemeinwohlwahrung gebe einen besseren Maßstab für die Neugliederungsvorhaben, als es die meist zu unbestimmten Regelungen der jeweiligen Gemeindeverfassungen vermöchten, i n denen allenfalls noch die Leistungsfähigkeit der Verwaltung und die örtliche Verbundenheit zur Konkretisierung des Begriffs „Gemeinwohl" hinzuträten. Der aus der Verfassung abgeleitete Grundsatz zur Gemeinwohlwahrung, so fuhr der Diskussionsredner fort, beziehe sich nicht nur auf die kommunale, sondern auch auf die staatliche Neugliederung. Es bestehe aber keine Veranlassung, mit der kommunalen Neugliederung erst dann zu beginnen, wenn die Neuordnung der Staatsverwaltung durchgeführt sei. — Der Diskussionsredner befaßte sich dann m i t der Frage, ob zur Durchführung der gemeindlichen Neugliederung, wie sie auf breiter Grundlage i n allen Bundesländern betrieben werde, die bisher i n den Gemeindeordnungen festgelegten Bestimmungen ausreichten, oder ob hierfür neue Gesetze geschaffen werden müßten. Er meinte dazu, daß die bisherigen Gesetzesbestimmungen auch für die allgemeine gebietliche Neugliederung ausreichten, auch wenn i n den einzelnen Bestimmungen das Verfahren zur Anhörung der davon Betroffenen nur unvollständig geregelt sei. Ltd. Magistratsdirektor von Germar wies dann auf die 1

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Gefahr hin, die der politischen Selbstverwaltung durch eine Vergrößerung der Gemeinden drohe. Bekanntlich sei ja die M i t w i r k u n g des Bürgers i n den Gemeinden u m so geringer, je größer die Gemeinde sei. Eine solche Entwicklung brauche aber nicht zwangsläufig zu sein. Die Frage sei nur, wie man das Mitwirkungsrecht der Bürger erhalten oder gar noch steigern könne. Nach seiner Erfahrung aus K i e l könnten regionale Beiräte diese Aufgabe erfüllen. Vorsitzender eines solchen Beirates sei dort ein Mitglied des Magistrats. Wenn dann auch die anderen Mitglieder dieser Beiräte den erforderlichen Sachverstand mitbrächten, dann sei sichergestellt, daß diese Beiräte nicht nur i n Kleinigkeiten, sondern auch i n wesentlichen Fragen Einfluß ausüben könnten. Allerdings habe sich gezeigt, daß man allenfalls bis zu einer Einwohnerzahl von 300 000 bei diesem System noch von einer überschaubaren Selbstverwaltung sprechen könne. I n K i e l gebe es z. B. 30 Beiräte neben etwa 30 Ausschüssen. Eine Ausdehnung dieser Einrichtungen könne als nicht mehr praktikabel bezeichnet werden. M i t der Frage, inwieweit das öffentliche Interesse bei der gemeindlichen Neugliederung zu berücksichtigen ist, befaßte sich auch Assessor Gaentzsch, Referent beim Deutschen Städtetag. Er vertrat die Auffassung, man gehe einen Schritt zu weit, wenn man bei einer kommunalen Neugliederung untersuche, ob das öffentliche Interesse hierfür spreche. Man müsse vielmehr früher untersuchen, ob die gegenwärtige kommunale Gliederung dem Allgemeinwohl entspreche. Erst wenn man diese Frage verneine, sei zu prüfen, welche Neugliederungsmaßnahme dem öffentlichen Interesse entspreche. Daß man zu falschen Lösungen komme, wenn man dieses Verfahren nicht einhalte und statt dessen mit der Prüfung beginne, ob die Neugliederung dem öffentlichen Interesse entspreche, habe die gerade durchgeführte Neuordnung des Landkreises Unna bewiesen. Dort habe man südöstlich von Hamm zwei etwa 7000 Einwohner zählende Gemeinden gebildet, ohne vorher zu prüfen, ob die gegenwärtige kommunale Gliederung dem öffentlichen Interesse entspreche. Andernfalls hätte man sicher eine der beiden Gemeinden i n die Stadt Hamm eingegliedert, während man die andere über die Kreisgrenze hinaus zu einer leistungsfähigeren Gemeinde hätte ausweiten können. Dr. Wielinger (Universität Graz) wies darauf hin, wie schwierig es sei, beim Zusammentreffen von mehreren verschiedenartigen Interessen das wirkliche öffentliche Interesse zu ermitteln. I n der Steiermark befänden sich z. B. etwa zwei gleichgroße Gemeinden von je 15 000 Einwohnern, die beide sozialdemokratisch regiert würden und finanziell leistungsfähig seien. Beide Städte hätten zur Schaffung eigener kommunaler Einrichtungen sehr viel Geld investiert, obwohl nach den gesamten Gegebenheiten ein Zusammenschluß dieser beiden Städte naheliegen würde. Der für einen Zusammenschluß erforderliche Gemeinderatsbeschluß beider

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Gemeinden komme jedoch nicht zustande, w e i l die eine Stadt, obwohl sie auch sozialdemokratisch sei, sich als Bürgerstadt fühle und auf die andere Stadt herabsehe, obwohl diese inzwischen noch finanziell stärker geworden wäre. Anhand dieses Beispieles zeigte der Diskussionsredner auf, wie schwierig es sei, hier objektive Merkmale zur Bestimmung des öffentlichen Wohls i m Hinblick auf einen Zusammenschluß dieser beiden Gemeinden zu ermitteln, und er richtete an Professor Dr. Dr. Becker die Frage, welche Merkmale für das öffentliche Interesse i n einem solchen Fall als wesentlich zu erachten seien. Landrat Dr. Haarmann (Landkreis Stormarn) pflichtete dem Vorredner bei, wie wesentlich die politischen Gesichtspunkte bei der kommunalen Neugliederung seien. Er verwies dabei auf die 1929 stattgefundene Neuordnung i m rheinischen Industriegebiet. Damals habe man nicht nur eingemeindet und umgemeindet, sondern auch neue Gemeinden gebildet, um neue Stellen für leitende Verwaltungsbeamte zu schaffen. Auch bei der jetzt anstehenden kommunalen Neugliederung sei die Frage von Bedeutung, welche politische Struktur die vergrößerte oder neue Gemeinde haben werde. — Dr. Haarmann wies dann auch darauf hin, wie schwierig es sei, den Begriff des Gemeinwohls bei der gemeindlichen Neugliederung zu bestimmen. So müsse man unterscheiden zwischen dem Gemeinwohl, das bei der Zusammenlegung oder Neugliederung der Gemeinden zu prüfen sei, und dem Gemeinwohl, das die Interessen des Landkreises berühre, i n dem die betreffenden Gemeinden liegen. Das Gemeinwohl, das zum Zusammenschluß mehrerer Gemeinden führe, könne zugleich den Bestand des Landkreises gefährden, i n dessen Interesse es dann wiederum liege, den geplanten Zusammenschluß der Gemeinden zu verhindern. Hier müsse man prüfen, welche Interessen höherrangig seien. Ähnlich verhalte es sich bei den Zwerggemeinden, die i n einem A m t zusammengef aßt seien, i m Verhältnis zur Großgemeinde. Hier weiche das Interesse der Zwerggemeinden, die i n ihrem A m t selbständig erhalten bleiben wollten, von den Interessen der Großgemeinde ab. Das, was die Zwerggemeinden und das A m t als i h r Gemeinwohl betrachteten, widerspreche dem, was die Großgemeinde als Gemeinwohl bezeichne. — Der Diskussionsredner pflichtete dann dem Vorredner Dr. Bahro bei, daß Volksabstimmungen bei einer sachgerechten Neugliederung nur hinderlich seien. Das Grundgesetz habe schon die Volksbefragung abgelehnt, weil diese i n früheren Zeiten zu untragbaren Ergebnissen geführt habe. I m übrigen komme es bei Volksbefragungen immer darauf an, wie die Frage, zu der Stellung genommen werden solle, formuliert werde. Das schließe Fangfragen nicht aus, und derjenige, der die Befragung durchführe, könne so den wahren Willen der Befragten zu seinen Gunsten maßgeblich beeinflussen. Dr. Haarmann wandte sich dann gegen die von Professor Dr. Dr. Becker vertretene Auffassimg, wonach die kommunale

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Neugliederung des Raumes Bonn ein Sonderfall sei, der nicht i n das allgemeine Problem der Neugliederung einbezogen werden könne. Gerade derartige Sonderfälle verdeutlichen die allgemeine Problematik u m die kommunale Neugliederung. Dieses gelte für die Fälle Göttingen, Siegen, Lüdenscheid, Altena und andere mehr. Diese besonders hervorspringenden Gegebenheiten machten das Bedürfnis nach einer kommunalen Neuordnung sichtbar. Man könne derartige Ereignisse aber nicht als Sonderfälle von dem Problem der kommunalen Neugliederung ausklammern. Ministerialdirigent Dr. Hofmann (Mainz) vertrat den Standpunkt, daß die Entscheidung für die gemeindliche Neugliederung, die nun schon seit 150 Jahren auf sich warten lasse, letztlich vom Landesgesetzgeber ausgehen müsse. A r t . 28 Abs. 2 GG, der die Selbstverwaltung garantiere, enthalte zugleich den Auftrag an den Landesgesetzgeber, dafür zu sorgen, daß wirklich leistungsfähige Selbstverwaltungskörperschaften vorhanden sind. Das öffentliche Interesse für die gemeindliche Neugliederung habe sich an dieser Forderung auszurichten. Dr. Hofmann widersprach dann der Auffassung von Ltd. Magistratsdirektor von Germar, wonach die bisherigen Gesetze ausreichten, die gemeindliche Neugliederung durchzuführen. Es bedürfe vielmehr eines besonderen Anstoßes, um die dringend notwendig gewordene Neuordnung der Gemeinden vorzunehmen. Bei der Vielzahl der sich widerstreitenden Interessen könne die Entscheidung darüber, ob eine Gemeinde um- oder neugegliedert werden solle, nur vom Landesgesetzgeber getroffen werden, die dann bei einem Mißbrauch vom Verfassungsgericht überprüft werden könne. Die Initiative für die nun überfällig gewordene Neugliederung müsse, da sie von den Gemeinden selbst nicht ausgehe, endlich vom Landesgesetzgeber ergriffen werden. Einen Vergleich m i t der kommunalen Neugliederung i n Frankreich und einen Bericht über den gegenwärtigen Stand dieser Bestrebungen gab Regierungsassessor Dr. Hartmann (Mainz). Er wiederholte dabei, daß all die Probleme, die heute i n den Ländern und Gemeinden der Bundesrepublik bezüglich der kommunalen Neugliederung erörtert werden, bereits vor etwa 10 Jahren i n Frankreich Gegenstand der Diskussion gewesen seien. Man habe auch all die Vorschläge, die nunmehr i n der Bundesrepublik von den Ländern und Gemeinden erarbeitet würden, dort erprobt. Dabei habe sich herausgestellt, daß finanzielle Anreize zur Eingemeindimg den Willen der Gemeinden zum Zusammenschluß nicht gefördert hätten. Sogar eine Erhöhung der staatlichen Zuweisungen um 30 °/o hätte die Gemeinden nicht zum Zusammenschluß bewegen können, ebensowenig wie eine siebenjährige Garantie gleichbleibender Steueraufkommen nach dem Zusammenschluß. Aufgrund dieser finanziellen Anreize

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hätte sich in den letzten 10 Jahren lediglich 1 Prozent der Gemeinden zum Zusammenschluß bereit erklärt. Dagegen hätten die Mehrzweckverbände und andere diesbezügliche Zusammenschlüsse bei den Gemeinden wesentlich mehr Anklang gefunden. Etwa 24 % der Gemeinden befänden sich heute i n derartigen Zusammenschlüssen. Dabei habe sich jedoch gezeigt, daß sich neben der örtlichen gemeindlichen Verwaltung m i t diesen Verbänden eine Parallelverwaltung gebildet habe, die an Gewicht gegenüber der Lokalverwaltung zunehme. Durch die Teilung der Aufgaben und die Übertragung der raumextensiven auf diese höherstufigen Verbände trete bei den örtlichen Gemeindeverwaltungen ein Schwund an Leistungskraft und Initiative ein. Dadurch, so vermute man jedenfalls i n Frankreich, komme es letztlich doch zu größeren gemeindlichen Zusammenschlüssen. I n seinem Schlußwort zu den zahlreichen Diskussionsbeiträgen ging Professor Dr. Dr. Becker insbesondere auf die von Regierungsdirektor Dr. Bahro aufgestellte Behauptung näher ein, wonach die Neugliederungspläne der Landesregierung weitgehend auf die Zustimmung der Bevölkerung stießen. Wenn dem so wäre, so führte Professor Dr. Dr. Becker aus, dann könne es doch nicht zutreffen, daß man für die Durchführung der gemeindlichen Neugliederung 12 oder gar 28 Jahre benötige, wie dieses von Dr. Bahro selbst angegeben worden sei. Bei einer Volksabstimung müsse man immer zwischen der Zustimmung derer unterscheiden, die von den Neugliederungsmaßnahmen selbst nicht berührt würden und der Zustimmung, die von den unmittelbar Betroffenen zu erfolgen habe. I m ersteren Falle sei man sehr schnell bereit, sein Einverständnis zu erklären, was jedoch dann nicht zutreffe, wenn es u m den Fortbestand der eigenen Gemeinde gehe. Der von Magnifizenz Professor Dr. Ule aufgezeigte Gegensatz zwischen dem öffentlichen Interesse des Staates an einer Verhinderung des gemeindlichen Zusammenschlusses und der Eingemeindungsbereitwilligkeit der Bevölkerung gehe so weit, daß Gemeinden, die unmittelbar vor einer Großstadt lägen, den Zusammenschluß beschließen, um damit einer Eingemeindung i n die Großstadt zu entgehen. Hier müsse die Prüfung, ob der Wille der Gemeinden mit dem wahren Gemeinwohl übereinstimme, besonders sorgfältig stattfinden. Professor Dr. Dr. Becker ging dann auf das von Ltd. Magistratsdirektor von Germar angeschnittene Problem ein, wie man bei der Schaffung größerer Gemeinden die aktive M i t w i r k u n g der Gemeindebürger an der Gemeindeverwaltung aufrechterhalten könne. Hier komme neben Beiräten und anderen Einrichtungen eine Vielfalt von Möglichkeiten i n Betracht, die das ehrenamtliche Element i n der gemeindlichen Selbstverwaltung bewahren könnten. Dazu dürfe man allerdings keine gekünstelte Lösung verwenden. Das Be-

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mühen um die an den Angelegenheiten der Stadt interessierten Bürger sei vielfach der Betriebsamkeit i n den Verwaltungsstäben vorzuziehen. Professor Dr. Dr. Becker entgegnete denen, die die politische Bedeutung bei der komunalen Neugliederung hervorhoben, er verkenne nicht, daß parteipolitische Probleme bei den Widerständen gegen Eingemeindungen eine Rolle spielten. Sicherlich seien aber auch sachliche Gründe mit entscheidend. So könne man z. B. aus 10 oder 12 armen Gemeinden keine reiche machen. Auch sei es verfehlt, m i t rein rationellen Vorstellungen am grünen Tisch neue Gemeinden zu planen, etwa i n der Art, daß man m i t einem Zirkel die Gemeindegebiete abgrenze. Wenn man dabei gar von einem Durchmesser von 16 k m ausgehe, dann werde dem Gemeindebürger i m Hinblick auf die schlechten Verkehrsverbindungen auf dem Lande zuviel zugemutet. Was seine Ausführungen zu den Begriffen „öffentliche Interessen" und „öffentliches Wohl" betreffe, so stellte Professor Dr. Dr. Becker noch einmal heraus, daß die Berufung auf Gründe des öffentlichen Wohls i n der Regel die Berufung auf öffentliche örtliche Interessen ausschließe, sofern diese öffentlichen örtlichen Interessen nicht zugleich Gemeininteressen seien. Wenn eine Gemeinde z. B. Kurort sei, so seien die diesbezüglichen Interessen zugleich Gemeininteressen und ihre Berücksichtigung erscheine gerechtfertigt. Wenn aber eine Gemeinde z. B. einen industriellen Ort unter vielen anderen darstelle, dann erscheine es vertretbar, wenn diesbezügliche Interessen möglicherweise anderen weichen müßten, sofern es allgemeine Interessen der Aufgabenerfüllung i m größeren Bereich erforderlich machten. Dagegen sei es mit den wohlverstandenen öffentlichen Interessen z. B. nicht vereinbar, wenn ein Kurort von 2500 Einwohnern m i t anderen Gemeinden zusammengeschlossen werde, nur damit er auf die vorgesehene Einwohnerrichtzahl von 8000 komme und wenn damit zugleich der Charakter als Kurort verloren ginge. — Entgegen der Auffassung von Landrat Dr. Haarmann vertrat Professor Dr. Dr. Becker auch i n seinem Schlußwort die Auffassung, daß die gemeindliche Neugliederung des Raumes Bonn-Bad Godesberg m i t den herkömmlichen Problemen der kommunalen Neugliederung nicht i n Einklang zu bringen sei. Es sei schließlich etwas anderes, ob man über Zwerggemeinden oder über Kleingemeinden und ihre Leistungsfähigkeit spreche, oder ob man die Eingliederung einer Stadt von nahezu 74 000 Einwohnern wie Bad Godesberg betreibe. Hier komme als Besonderheit noch hinzu, daß diese Eingemeindung nicht aus Gründen einer allgemeinen gemeindlichen Neugliederung erfolge, sondern zum Zweck der Bewältigung von A u f gaben einer Bundeshauptstadt verwirklicht werde. Dann handele es sich doch u m ein Sonderproblem, das man i n das allgemeine Neugliederungsproblem nicht gut m i t einbeziehen könne.

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Den von Landrat Dr. Haarmann aufgezeigten Gegensatz zwischen öffentlichen Interessen der Gemeinden bei ihrer Neugliederung und denen des Landkreises ergänzte Professor Dr. Dr. Becker noch mit dem Hinweis auf das Problem der Aufgabenverlagerung. Bei der Schaffung größerer Gemeinden sei nicht so sehr die Vergrößerung der Landkreise das Problem, sondern die m i t der Vergrößerung der Landkreise auf diese zufallenden Aufgaben i m staatlichen Bereich. Die Vielzahl der dann auf den Landkreis übertragenen staatlichen Aufgaben und Weisungsaufgaben gebe dem Landkreis nicht mehr die Entfaltungsmöglichkeit zur Verwirklichung seiner eigenen Selbstverwaltungsaufgaben. Damit aber werde die Funktion der Landkreise als Selbstverwaltungskörperschaften ins Gegenteil verkehrt. A n diesem Beispiel zeige sich, wie sehr die gemeindlichen Neugliederung eine Grundentscheidung von weitreichender Bedeutung i n sich berge. Professor Dr. Dr. Becker stellte danach klar, daß er deshalb über die Problematik der Verbandsgemeinden nicht gesprochen habe, w e i l diese als eine besondere Vorstellung der Landesregierung von Rheinland-Pfalz für die allgemeine Problematik um die kommunale Neugliederung nicht typisch seien. Gleichwohl erscheine ihm hierüber eine Lösung der bisher noch vorhandenen verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten möglich. Abschließend wies Professor Dr. Dr. Becker noch darauf hin, daß i n der gesamten Verfassungs- und Verwaltungsrechtsprechung Klagen gegen Eingemeindungsmaßnahmen stets für zulässig, nie aber für begründet erachtet worden seien. Es gebe zu Bedenken Anlaß, wenn die Zulässigkeit dieser Klagen ohne weiteres bejaht werde, gleichwohl sich die Gerichte nicht berufen gefühlt hätten, einen Verstoß gegen das Gemeinwohl festzustellen.

IV. Die Diskussion über den Vortrag „Gemeinwohl und öffentliche Interessen i m Recht der globalen Wirtschafts- und Finanzplanung" von Professor Dr. Reinhard Schaeder (Speyer) befaßte sich zunächst m i t der Stellungnahme des Referenten zu der von Otto Mayer seinem Rechtssystem zugrunde gelegten Wirtschaftsordnung. Universitätsdozent Dr. Rüfner (Bonn) bemerkte zu den Ausführungen des Vortragenden, Otto Mayer habe dem von i h m verf aßten Verwaltungsrecht eine bereits damals veraltete Wirtschaftsordnung zugrunde gelegt, dieses sei eine bei Juristen manchmal, wenn nicht gar häufig zu beobachtende Tatsache. Der Jurist stütze sich meistens auf das bereits Verfestigte, während neue Tendenzen für i h n wenig greifbar seien. Dadurch entstehe der Eindruck, daß der Jurist dem Vergangenen anhänge. Das gelte nicht nur für Otto Mayer i m

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Hinblick auf die Kodifikation des Verwaltungsrechts, sondern auch für die Schaffung des BGB und vielleicht auch für das Allgemeine Landrecht von 1794, obwohl dieses eine damals nicht ganz vergangene Wirtschaftsordnung verkörpert habe. Dr. Rüfner bemerkte dann zu den Ausführungen Professor Dr. Schaeders über die Einordnung Euckens, es überrasche ihn, wie sicherlich auch noch andere Tagungsteilnehmer, wenn Eucken als Etatist bezeichnet werde. Der Diskussionsredner knüpfte daran die Frage, ob Professor Dr. Schaeder auch die Reformen des späten Absolutismus und die des Freiherrn vom Stein in Preußen als etatistisch ansehe i n dem Sinne, daß i n ihnen den Untertanen teils gegen deren Willen die Freiheit aufgezwungen werde. Ein solcher Vergleich biete sich jedenfalls i m Hinblick auf Euckens System der Staatseingriffe zur Erhaltung der Freiheit an. I m Verlauf der Diskussion befaßte sich dann Professor Dr. Ryffel (Speyer) m i t der Begriffsbestimmung des von Professor Dr. Schaeder i n seinem sicherlich als juristisch scharfsinnig und hochinteressant zu bezeichnenden Referat erwähnten staatlichen Interesses. Wenn der Vortragende ein solches staatliches Interesse nicht auf unbedingt tatsächliche Interessen der Einzelnen zurückführe, sondern wohlverstandene, beurteilte, i n irgend einer Weise als richtig angenommene Interessen voraussetze, dann sei es nicht so unsinnig, von dort aus zu einem Begriff des Gesamtinteresses zu kommen. Das setze nicht voraus, daß eine Einheit von Privatinteressen und Gruppeninteressen vorliegen müsse i n dem Sinne, daß nun das Gesamtinteresse wirklich bruchlos aus den Einzelinteressen abgeleitet werden könne, wie er das i n seinem voraufgegangenen Vortrag darzulegen versucht habe. — Professor Dr. Ryffel wandte sich dann auch gegen die vom Vortragenden aufgestellte Behauptung, das Gemeinwohl sei i n Wirklichkeit immer wieder auf ein bestimmtes Gruppeninteresse zurückzuführen. Dieses sei i h m als Laie i n wirtschaftswissenschaftlichen Fragen nicht verständlich. So kämen die Ergebnisse von Verhandlungen zwischen Tarifpartnern oder die Errichtung dezentralisierter Schulen oder die Unentgeltlichkeit des Schulunterrichts nicht nur bestimmten Gruppen zugute, sondern potentiell der Allgemeinheit. Man könne allenfalls sagen, daß derartige Ergebnisse die bisherigen Gruppen i n ihren Privilegien benachteiligten. I m Anschluß daran stellte Professor Dr. Ryffel die Frage, ob es sich bei den vom Vortragenden genannten staatlichen Interessen i n Wirklichkeit nicht doch um Interessen der Einzelnen oder einzelner Gruppen handelt. Wenn sich Professor Dr. Schaeder zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung auf die Ausführungen von A r r o w berufe, dann müsse man herausstellen, daß dieser bei seinem Versuch, m i t den Mitteln mathematischer Logistik den zwingenden Beweis für die Unmöglichkeit zu erbringen, das Gemeinwohl widerspruchsfrei gewissermaßen aus den Wertschätzungen der Indivi-

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duen zusammenzusetzen, von faktischen Interessen ausgegangen sei. — Zum Abschluß stellte Professor Dr. Ryffel i m Hinblick auf den von Professor Dr. Schaeder gegebenen Rückblick i n die Zeit des Absolutismus und des sozialen Rechtsstaats und der dabei geäußerten Bemerkung, die Zeit sei reif für das Alte-Neue, die Frage, ob dieses i m Zusammenhang m i t der Betonung der staatlichen Interessen heiße, daß w i r heute i n eine neue Epoche des absoluten Staates, noch näher bezeichnet: des absoluten Wohlfahrtsstaates, eingetreten seien. Z u den Ausführungen Professor Dr. Schaeders über das Stabilitätsgesetz bemerkte Professor Dr. Morstein Marx (Speyer), eine solche w i r t schaftspolitische Verfassung sei bereits i n dem 1944 von den Koalitionsparteien Großbritanniens konzipierten White Paper on Employment Policy beschrieben. Die Gedanken dieses Dokuments, das von den Lehren John Maynard Keynes richtungsgebend beeinflußt sei, hätten später in den Vereinigten Staaten und i n anderen Ländern Europas in legislativen Formulierungen ihren Niederschlag gefunden. I m übrigen wäre es noch interessant, von dem Referenten als Wirtschaftswissenschaftler zu erfahren, ob er die Bundesrepublik i n einen wirtschaftlichen Abgrund stürzen sehe. Dabei sei darauf hinzuweisen, daß in einer kürzlich veröffentlichten Schriftenfolge, die die Planungsfunktion i n den modernen Ländern beschreibe, der Verfasser für die Bundesrepublik Deutschland aus der Sicht von 1966, also noch vor Erlaß des Stabilitätsgesetzes, die Ansicht vertrete, die westdeutsche Situation reflektiere die Politik der Nichtplanung. Wenn dieses durch das Stabilitätsgesetz neuerdings nicht mehr zutreffe, so sei dieses i m Rahmen der Gesamtentwicklung zu sehen. Den von Professor Dr. Schaeder angedeuteten Zweifeln, ob Walter Eucken eine klare Vorstellung vom Begriff der freien Marktwirtschaft, wie sie i n den ersten Jahren nach dem Grundgesetz betrieben worden sei, gehabt habe, begegnete Professor Dr. Knöpfle (Speyer) m i t dem Hinweis, Eucken habe doch geradezu den Idealtyp der freien Marktwirtschaft i m Sinne einer vollkommenen Transparenz des Marktes definiert. Was er nicht gewußt haben könne und was niemand habe feststellen können, so vermute er, das sei, inwieweit dieser Typ i n einer konkreten Wirtschaftsordnung zu einer bestimmten Zeit verwirklicht werde. Als i m Jahre 1961 die Börsenkurse plötzlich stark fielen, habe gleichwohl eine stabile Währung und Vollbeschäftigung geherrscht. Hier zeige sich, daß trotz des Bestandes der Theorie durch die zehntausende autonom wirtschaftender Subjekte Faktoren hinzuträten, die die Verwirklichung der Theorie erschwere oder sie gar nur zum Idealtyp erhebe. Professor Dr. Knöpfle widersprach dann der von Böckenförde aufgestellten und vom Vortragenden übernommenen Behauptung, daß m i t der Einführung des Gesetzes über die Bildung des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwick-

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lung von 1963 ein verfassungsrechtlicher Einschnitt stattgefunden habe. Schon viel früher sei man dazu übergegangen, m i t den Mitteln der Wissenschaft die politischen Probleme und dabei auch die wirtschaftlichen öffentlich dem Bürger zu unterbreiten. M i t der Gründung des Sachverständigenrates sei lediglich ein Gremium geschaffen worden, das Gutachten abgebe. Die Entscheidungskompetenz verbleibe jedoch nach wie vor bei der Regierung. Wenn dieses nicht bestehen bleibe, dann würden verschiedene nebeneinander stehende Entscheidungsgremien geschaffen, die zur Unübersichtlichkeit und zur Lähmung der Entscheidungskraft führen würden. Man müsse dann auch folgerichtig die verschiedenen Regierungsgremien nicht nur m i t Wissenschaftlern, sondern auch m i t Publizisten und sonstigen an der Politik interessierten Persönlichkeiten besetzen. Professor Dr. Knöpfle ging dann auf die von Professor Dr. Schaeder getroffene Unterscheidung zwischen Gemeinwohl und Staatsinteresse ein. Er meinte dabei, man habe trotz der weitverzweigten Diskussion zu wenig bedacht, daß dem Begriff Gemeinwohl verschiedene Gemeinwesen zuzuordnen seien, von denen jedes Gemeinwesen sein eigenes auf sich bezogenes Gemeinwohl habe. Es sei zweifelhaft, ob man beim Interessenwiderstreit dem Gemeinwohl des höherrangigen Gemeinwesens stets den Vorzug geben könne. Gehe es um kommensurable Gemeinwohlerwägungen, dann könne man noch so verfahren. Handele es sich dagegen u m artverschiedene Komponenten des Gemeinwohls, dann könne man nicht immer das des höherrangigeren Gemeinwesens gelten lassen. Die dem Stabilitätsgesetz vorausgegangene Verfassungsänderung sehe nunmehr i n A r t . 109 Abs. 4 Ziff. 1 GG vor, daß durch Bundesgesetz m i t Zustimmung des Bundesrates u. a. Höchstbeträge für Kreditaufnahmen der Gebietskörperschaften festgelegt werden können. Wenn nun eine Gemeinde ein Krankenhaus errichten wolle, dann liege dieses doch sicherlich i m Interesse des Gemeinwohls oder, wenn er es recht verstanden habe, nach der Definition des Vortragenden i m öffentlichen Interesse der Gemeinde oder dem Gemeinwohl der Gemeinde. Es sei nun schwer einzusehen, daß hier dieses Gemeinwohl dem Gemeinwohl des Bundes, das i n der Sicherung der Stabilität der Wirtschaft durch globale Steuerung bestehe, hintanzusetzen sei. Würde man hier dem Gemeinwohl des Bundes grundsätzlich den Vorrang geben, dann würde zudem eine Gefahr für den föderativen Aufbau des Staates geschaffen. Man brauche nur nach A r t . 109 Abs. 4 Ziff. 1 GG den Gemeinden die Kreditaufnahme zu versagen, um damit die gemeindliche Selbstverwaltung entscheidend zu hemmen. Dieses Beispiel zeige jedenfalls, so endete Professor Dr. Knöpfle, daß das Gemeinwohl des Bundes und das anderer Körperschaften nicht stets kommensurabel seien, m i t der Folge, daß das Gemeinwohl des höherrangigen Gemeinwesens den Vorzug habe.

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I n seinem Schlußwort teilte Professor Dr. Schaeder die Auffassung Professor Dr. Knöpfles, man könne nicht stets dem Wohl eines höheren Gemeinwesens gegenüber dem Wohl eines untergeordneten den Vorzug geben. Leider komme es heute immer wieder vor, daß man Vorstellungen zum Gemeinwohl erhebe, nur weil sie von einem größeren Gemeinwesen oder einer größeren Interessengruppe vertreten würden. Daß dieses nicht geschehen dürfe, habe letztlich der Vortrag von Professor Dr. Dr. Becker sehr sinnvoll zum Ausdruck gebracht. — Den Zweifeln Professor Dr. Knöpfles, daß m i t der Schaffung des Sachverständigenrates ein grundlegender Einschnitt i n die Wirtschaftsverfassung erfolgt sei, begegnete Professor Dr. Schaeder mit folgendem Beispiel: Der Sachverständigenrat habe einmal einen Brief an den Bundeskanzler geschrieben, m i t dem er die Politik der Bundesregierung i n ganz bestimmter Weise habe beeinflussen wollen. I n diesem Brief habe der Sachverständigenrat erklärt, er hätte bereits mit den Sozialpartnern über eine bestimmte Maßnahme eine Übereinstimmung erzielt. Sein Fachkollege, Professor Dr. Giersch, der dem Sachverständigenrat angehöre, beschwere sich seitdem wiederholt, daß die Bundesregierung auf diese Maßnahme des Sachverständigenrates nicht reagiert habe. Er, so fuhr der Referent fort, sei jedoch der Ansicht, der Versuch des Sachverständigenrates, auf diese Weise i n die Regierungsverantwortung einzugreifen, müsse als eine unverantwortliche Maßnahme zurückgewiesen werden. Zugleich zeige dieses Beispiel jedoch, daß der Sachverständigenrat zumindest der Versuchung unterliege, über seine Beratungstätigkeit hinaus eigenständige Politik zu betreiben. Den Ausführungen von Professor Dr. Morstein Marx, wonach die i m Stabilitätsgesetz enthaltenen Maßnahmen auf das 1944 in England konzipierte White Paper on Employment Policy zurückzuführen seien, pflichtete Professor Dr. Schaeder bei. Die i n diesem Dokument entwickelten Gedanken seien nicht nur von Keynes, sondern weit mehr noch von Lord Beveridge beeinflußt worden. Man könne i n dem White Paper on Employment Policy jedoch keine vollständige Vorwegnahme der nunmehr i m Stabilitätsgesetz enthaltenen Regelungen sehen. Die damals i n England geplanten Maßnahmen hätten sich nämlich überwiegend auf die Sicherung der Vollbeschäftigung bezogen, nicht so sehr dagegen auf rein wirtschaftliche Gesichtspunkte. Diese Unterscheidung gebe es auch heute noch i m Hinblick auf die i n Großbritannien bestehenden Regelungen. Professor Dr. Morstein Marx wisse wohl aus seinem eigenen Aufenthalt i n den USA, daß auch dort das Bureau of the Budget heute noch der staatlichen Finanzpolitik und damit den öffentlichen Interessen immer wieder i n hartem Ringen Geltung verschaffen müsse. Das Stabilitätsgesetz i n der Bundesrepublik gehe demgegenüber doch wesentlich weiter und stelle insofern auf dem Gebiet der Legislative i n der Bundesrepublik eine Neuheit dar. Professor Dr. Schaeder setzte sich dann mit der von Professor Dr. Ryffel i h m entgegengehaltenen K r i t i k an seiner Definition des Gemeinwohls

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und des Staatsinteresses auseinander. Er meinte hierzu, daß letztlich beide Auffassungen nicht m i t der wünschenswerten gedanklichen K l a r heit belegt werden könnten. Bei der Objektivierung und Generalisierung von Individualinteressen, wie sie von Professor Dr. Ryffel i n seinem Referat gefordert würden, ergebe sich die Frage, wer denn diese Generalisierung vornehmen solle, und ob die, die sie vornehmen, sie auch i m Sinne eines recht verstandenen Gemeinwohls herbeiführen würden. A u f den Einwand von Professor Dr. Ryffel, daß dieses durch den Wähler zu geschehen habe, meinte Professor Dr. Schaeder, daß der Wähler nach der demokratischen Grundentscheidung hierzu zwar berufen, daß er aber letztlich dabei überfordert sei. Aus den letztgenannten Gründen müsse man daher die Praktikabilität einer solchen Generalisierung von Gemeinwohlinteressen mehr noch bezweifeln als den logischen Weg hierzu. — Den von i h m verwandten Begriff des Staatsinteresses erläuterte Professor Dr. Schaeder noch, indem er hervorhob, daß es sich bei diesem i m Gegensatz zu allen anderen zeitgebundenen und dem Wechsel unterliegenden Einzel- und Gruppeninteressen um ein dauerhaftes Interesse handele. I m Staatsbereich habe es schon immer sog. ewige Interessen gegeben. Er denke dabei z. B. an die Ewigrenten. Dieses Zeitmoment sei das entscheidende Merkmal zur Abgrenzung dieser beiden Arten von Interessen. A m Schluß befaßte sich Professor Dr. Schaeder noch einmal m i t der von i h m vorgenommenen und von Professor Dr. Knöpfle und Dr. Rüfner bezweifelten Einstufung Euckens. Der Referent bemerkte hierzu, Eucken habe sehr genau gewußt, was die Verkehrswirtschaft sei. Ob er aber gewußt habe, was die Zentralverwaltungswirtschaft, der Gegentyp, gewesen sei, das werde von i h m bezweifelt. I n dem, allerdings nach seinem Tode herausgegebenen, bedeutenden Werk „Theorie der Wirtschaftspolitik" sei der Typ der Zentralverwaltungswirtschaft auf konkrete Sachverhalte bezogen worden und dabei ganz besonders auf die Kriegswirtschaft Deutschlands, von der jedermann wisse, daß sie alles andere als eine Zentralplanwirtschaft gewesen sei. Gerade die Kriegswirtschaft sei i n vielen Punkten ein Chaos und alles andere als eine Ordnung gewesen. Eucken habe hier aus einer gewissen Aversion heraus seine Thesen aufgestellt. Zu der allgemeinen Einordnung Euckens, ob dieser nun Liberaler oder Etatist war, müsse man bemerken, daß dieser sowohl von liberaler wie auch von anderer Seite für seine Thesen i n Anspruch genommen worden sei. Ob er nun tatsächlich Vertreter einer liberalen Wirtschaft oder Etatist war, lasse sich eindeutig kaum feststellen. Man werde der Person Euckens wohl am wenigsten gerecht, wenn man sie i n ein bestimmtes Schema einordne. A m Schluß bemerkte Professor Dr. Schaeder, er stimme Dr. Rüfner zu, daß Otto Mayer seinem Verwaltungssystem ein nicht mehr vorhandenes

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veraltetes Wirtschaftssystem zugrunde gelegt habe, eine Begebenheit, die man als time lag bezeichne. Wenn dieses, wie Dr. Rüfner meinte, kein Einzelfall, sondern bei vielen Juristen geschehen sei, dann müsse man es auch den Wirtschaftlern nachsehen, wenn sie ihrerseits nicht mehr zeitgerechte juristische Argumentationen verwendeten. Auch er habe hier als Staatswirtschaftler zum Teil über juristische Fragen sprechen müssen. Sollte es dabei vorgekommen sein, daß er juristische Dinge m i t einem time lag behandelt habe, so bitte er, i h m das freundlichst nachzusehen.

V. Nach dem Referat „Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen — Bedeutung der Begriffe i m Verwaltungsrecht" von Professor Dr. Rupp (Marburg), an das sich eine lebhafte Diskussion anschloß, bemerkte zunächst Magnifizenz Professor Dr. Ule, er teile die Auffassung des Vorredners, daß die Begriffe „ W o h l der Allgemeinheit" und „öffentliches Interesse" jeweils nur für eine bestimmte Verfassungslage festgelegt werden und nicht von überzeitlicher Geltung sein können. Er stimme auch Professor Dr. Rupp darin zu, daß diese Begriffe ihren Sinn aus der Stellung des jeweiligen Gesetzes, i n dem sie verwandt werden, erhielten. Da das von i h m anschließend zu haltende Referat nach seiner Themenstellung eine persönliche Stellungnahme zu diesen Fragen nicht vorsehe, wolle er die Diskussion hier zu dieser seiner persönlichen Stellungnahme benutzen. Magnifizenz Professor Dr. Ule betonte dann, die voraufgegangenen Referate und die Diskussionsbeiträge hätten die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" als unbestimmte Gesetzesbegriffe herausgestellt, ohne die eigentliche Problematik um den unbestimmten Gesetzesbegriff näher zu erörtern. Diese werde hier vielmehr vorausgesetzt und nicht diskutiert, obwohl gerade an den Begriffen „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" diese Problematik besonders sichtbar werde. Wenn man gleichwohl während der zweitägigen Erörterungen von diesem zentralen Thema abgerückt und i n die Erörterung spezieller Randprobleme eingetreten sei, dann einfach aus dem Grunde, weil i n zweieinhalb Tagen die gesamte Problematik nicht annähernd hätte erörtert werden können. Gleichwohl müsse man sich bei allen Vorträgen und Diskussionsbeiträgen die Problematik u m den unbestimmten Gesetzesbegriff vergegenwärtigen. Die Diskussion befaßte sich dann m i t der von Professor Dr. Rupp erläuterten Bestimmung der Begriffe „Gemeinwohl" und „öffentliche Interessen". Regierungsdirektor H. Weber (Düsseldorf) bemerkte hierzu, daß die von Professor Dr. Rupp entwickelten Gedanken dem Verwal-

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tungsbeamten -dort nicht weiterhelfen könnten, wo der Gesetzgeber eine nähere Beschreibung des Begriffs „Wohl der Allgemeinheit" unterlassen habe und auch der gesamte Gesetzeszusammenhang keine näheren A n haltspunkte biete, wie es z. B. für den vom Referenten angeführten § 4 EnergG zutreffe. Die gleiche Problematik trete i n § 7 AtomG auf, i n dem es dem Sinne nach heiße, eine Atomanlage darf nur errichtet werden, wenn sie sicher betrieben werden kann und öffentliche Interessen nicht entgegenstehen. Hier stehe der Verwaltungsbeamte wieder vor der Frage, welche Gesichtspunkte er bei der Ermittlung des öffentlichen Interesses mit zu berücksichtigen habe. Der Verwaltungsbeamte sei insofern mehr als nur ein Analytiker, und hier helfe auch nicht die rein technische Vernunft. Er müsse vielmehr ein Ziel setzen, dessen Zweck er selbst zu ermitteln habe. Es falle dann dem Juristen die Aufgabe zu, über die rein technische Vernunft hinaus auch die objektive zu beherrschen. Das zeige sich ganz besonders am Beispiel der Neugliederung eines Gemeindegebietes, die nur dann vorgenommen werden dürfe, wenn sie dem Gemeinwohl entspreche. Wo hier etwa der Jurist die Maßstäbe nehme für die Entscheidung, was dem Gemeinwohl entspreche, habe das Referat von Professor Dr. Rupp offen gelassen. Landrat Dr. Haarmann (Landkreis Stormarn) erwiderte hier dem Diskussionsredner, daß gerade i m Falle der gemeindlichen Neugliederung durch die Anfertigung eines umfangreichen Gutachtens, i n dem die einzelnen Interessenlagen ermittelt und sorgfältig gegeneinander abgewogen werden, das Gemeinwohl festgestellt werden könne. — Dr. Wielinger (Universität Graz) bemerkte zu der von Regierungsdirektor H. Weber aufgezeigten Problematik zur Ausfüllung unbestimmter Gesetzesbegriffe, man könne unter Heranziehung der von der Wiener Rechtstheoretischen Schule aufgestellten Grundsätze von einer Rechtserzeugung des Verwaltungsbeamten sprechen. Dort, wo die Verfassung und das Gesetz i m Hinblick auf den konkreten Fall keine näheren A n haltspunkte für eine Beschreibung des Begriffes „Wohl der Allgemeinheit" böten, sei der Verwaltungsbeamte zur Ausfüllung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffes befugt. Dabei handele es sich um eine Wertentscheidung, die i h m von der Wissenschaft nicht abgenommen werden könne, möge die Entscheidung auch von noch so weitreichender Bedeutung sein. Der Verwaltungsbeamte sei ebenso wie der Richter i n diesen Fällen Rechtserzeuger auf einer niederen Stufe. — Magnifizenz Professor Dr. Ule wies an dieser Stelle darauf hin, daß diese Feststellung nicht allein der Erkenntnis der Wiener Schule entstamme, daß vielmehr auch i n Deutschland die Rechtslehre diese Gedanken entwickelt habe. So habe Paul Oertmann i n seiner 1908 gehaltenen Rede „Gesetzeszwang und Richterfreiheit" hinsichtlich der unbestimmten Gesetzesbegriffe des bürgerlichen Rechts, wie etwa Treu und Glauben und gute Sitten, festgestellt,

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daß die Gerichte nichts anderes täten als diese sehr unbestimmten Begriffe durch Mittelbegriffe zu konkretisieren. Auch die Verwaltungsgerichte bemühten sich, bei der Bestimmung der Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" solche Mittelbegriffe zu finden, wobei allerdings verschwiegen werde, daß dabei eine A r t Kryptosoziologie i n der Jurisprudenz betrieben werde, wie es Hermann Isay i n seinem 1927 veröffentlichten Buch „Rechtsnorm und Entscheidung" einmal formuliert habe. Man wolle sich also der Tatsache, daß man am Rechtserzeugungsprozeß teilnimmt und insofern rechtsschöpferisch m i t w i r k t , nicht ganz bewußt sein, und glaube, mit logischen Ableitungen aus allgemeinen Begriffen zu Folgerungen zu kommen, bei denen man, wie es sicherlich auch die Wiener Rechtsschule sehe, tatsächlich auf einer bestimmten Stufe an dem Rechtserzeugungsprozeß teilnehme. M i t der Frage nach dem Inhalt der Begriffe „Gemeinwohl" und „öffentliche Interessen" befaßte sich auch Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. Lohmeyer (Bremen). Er meinte, einen Gesichtspunkt, den Inhalt dieser Begriffe einzugrenzen, biete die Zuständigkeit der mit der Anwendung dieser Begriffe befaßten Behörde. Handele es sich etwa um die Erteilung einer Genehmigung, so werde die Behörde, die die Genehmigung erteile, diejenigen öffentlichen Interessen dabei wahrnehmen, die ihr nach der Zuständigkeitsverteilung obliegen. Nun gebe es z.B. Genehmigungen, etwa die nach der Gewerbeordnung, wo das Gesetz ausdrücklich erwähne, daß die Erteilung dieser Genehmigung alle etwa sonst erforderlichen Genehmigungen ersetze. Hier treffe das Gesetz i m Verwaltungsverfahren eine Vorsorge dafür, daß tatsächlich die verschiedensten öffentlichen Interessen in diesem einheitlichen Verfahren gewahrt werden. Demgegenüber gebe es Vorhaben, die nur dann zulässig sind, wenn man mehrere Genehmigungen eingeholt hat, wie etwa bei der Errichtung einer Tankstelle. Bei diesem Genehmigungsverfahren habe, sofern es auf öffentliche Interessen abgestellt wird, die jeweils genehmigende oder zustimmende Behörde dasjenige zu berücksichtigen, was i n ihren Zuständigkeitsbereich falle. Es gebe noch andere Fälle, so führte der Diskussionsredner aus, i n denen man sehen könne, daß von der Zuständigkeit her sich Abgrenzungsmerkmale für die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" ergeben. Wenn etwa das Bundesbaugesetz i n einer Bestimmung von öffentlichen Interessen oder vom Gemeinwohl spreche, dann müsse man bei der Bestimmung dieser Begriffe den Bereich auslassen, den zu wahren nach der Gesetzgebungskompetenz die Länder berufen seien, etwa den des Polizeirechts i m herkömmlichen Sinne. — Dr. Lohmeyer wandte sich dann gegen die Auffassung von Professor Dr. Rupp, wonach man bei vorkonstitutionellen Gesetzen den Begriff des Gemeinwohls nicht ohne weiteres i m Wege verfassungskonformer Auslegung mit dem Gemeinwohlbegriff des Grundgesetzes aus12 Speyer 30

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tauschen könne, wie etwa bei dem vom Heferenten erwähnten Energiewirtschaftsgesetz. Nicht nur dort, sondern auch bei der Wasserverbandsverordnung und anderen diesbezüglichen Gesetzen müsse man sehr wohl die Begriffe „öffentliche Interessen" und „Gemeinwohl" nach den Maßstäben messen, die das Grundgesetz jetzt setze. — Stadtrechtsrat Dr. Beenken (Speyer) vertrat dann die Auffassung, bei der von Professor Dr. Rupp gegebenen Begriffsbestimmung und Begriffsanwendung sei das Problemdenken zu wenig berücksichtigt worden. Demgegenüber scheine der Vortragende die Begriffe „Allgemeinwohl" und „öffentliche Interessen" aus dem Gesetzessystem oder einer Verbindung mehrerer gesetzlicher Systeme abzuleiten. Dabei aber werde verkannt, daß der Gesetzgeber i n den Fällen, i n denen er diese Begriffe selbst nicht weiter erläutert habe, weil er sich dazu außerstande fühlte, es dem Gesetzesanwender überlasse, hier eine Konkretisierung vorzunehmen. Auch werde bei dem von Professor Dr. Rupp angedeuteten Systemdenken außer acht gelassen, daß die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" etwa durch die öffentliche Meinung oder durch Sachverständige mitbestimmt werden. Beim Problemdenken biete sich jedenfalls die Möglichkeit, daß sich die Wertmaßstäbe der Problemlösung aus dem Sachverhalt selbst ergäben, sich die Wertmaßstäbe also aus der Natur der Sache selbst herleiteten. — Regierungsrat Dr. Gillessen (München) widersprach dem Vorredner insoweit, als dieser davon ausging, daß der Gesetzgeber, wenn er die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" nicht näher bestimme, sich dazu außerstande fühle. Das treffe sicherlich für die Mehrzahl der Fälle nicht zu. Bei diesen sehe der Gesetzgeber von einer näheren Begriffsbestimmung bewußt ab, u m damit für die Verwaltung die Möglichkeit zu schaffen, diese Begriffe am Einzelfall zu messen. Der Gesetzgeber löse sich hier von der allgemeinen Tendenz, durch eine ausführliche Bestimmung der Begriffe und Umschreibung der Sachverhalte den Verwaltungsbeamten möglichst eng zu binden. — Dr. Steiner (Universität Erlangen) bemerkte zu dem Problem der Bestimmung der beiden Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen", das Verwaltungsprozeßrecht zeige beispielsweise, wie weit deren Auslegung betrieben werde. So sei es bis vor kurzem durch die Rechtsprechung anerkannt gewesen, daß m i t einer einstweiligen Anordnung nicht so viel gewährt werden dürfe wie i m ordentlichen Verwaltungsprozeß zuerkannt werden könne, weil eine einstweilige Anordnung nicht die Vorwegnahme des Urteils beinhalte. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe mit einem Urteil aus dem Jahre 1966 diesen Grundsatz aufgegeben mit der Begründung, auch bei einer einstweiligen Anordnung sei allein entscheidend die Abwägung der i m konkreten Fall i n Frage stehenden Interessen. Der Diskussionsredner stellte abschließend anhand dieses Beispiels die Frage, ob mit einer solchen Entwicklung eine Chance zu einer optimalen Rechtsfindung gegeben sei oder ob hier, m i t

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Forsthoff gesprochen, eine A r t Knochenerweichung des nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgerichteten Verwaltungsrechts stattfinde. Die Diskussion befaßte sich dann mit der von Professor Dr. Rupp vertretenen Auffassung, wonach das Gemeinwohl oder die öffentlichen Interessen als ungeschriebene Ermächtigungsnorm für ein Verwaltungshandeln nicht i n Betracht kommen könne. Referendar Dieterich (Universität Tübingen) bemerkte hierzu, der Grundsatz der Gesetzesakzessorietät könne zumindest für die Leistungsverwaltung nicht streng durchgeführt werden. Die Verwaltung dürfe auch dort außerhalb des Gesetzes tätig werden, wo sie aufgrund ihrer demokratischen Legitimation das Gemeinwohl fördere, wie es ihr durch die Verfassung aufgegeben werde. Der Diskussionsredner bildete dann den Fall, daß eine Gemeinde eine K u l t u r veranstaltung fördern wolle, obwohl dies i n gesetzlichen Bestimmungen nicht geregelt sei. Da die Kulturveranstaltung dem Gemeinwohl diene, würde die Gemeinde durch die Unterlassung dieser Leistung das öffentliche Wohl beeinträchtigen. Es sei nicht einzusehen, daß die Gemeinde von ihrem Vorhaben absehen solle, nur weil der Gesetzgeber insofern nicht tätig geworden sei. — M i t der Frage der Gesetzesakzessorietät befaßte sich dann auch Professor Dr. Knöpfle. Er meinte, die von Professor Dr. Rupp vertretene Auffassung, das Medium des Gemeinwohlauftrages zwischen Verfassung und Verwaltung sei stets das Gesetz, habe nicht überall Bestand. Es gebe eine Unzahl von Fällen, i n denen die Verwaltung originär den Gemeinwohlauftrag wahrzunehmen habe, noch bevor der Gesetzgeber hierüber eine Regelung treffe. Als Beispiel nannte er die Regelung über die Schlepplifte und die Skiabfahrten i n den Alpen. Hier habe es Jahre gedauert, bis sich der Gesetzgeber dieser gefahrdrohenden Angelegenheit angenommen habe. Ohne das vorherige Einschreiten der Verwaltung, die auf strengen Sicherheitsvorkehrungen bestanden habe, hätten erhebliche Gefahren für die beteiligten Wintersportler unverantwortlicherweise weiterbestanden. Professor Dr. Knöpfle stellte dann die Frage, ob die von Professor Dr. Rupp aufgestellte These, das öffentliche Wohl komme als ungeschriebene Ermächtigungsnorm nicht i n Betracht, und auch der Gemeinwohlauftrag des Grundgesetzes sei zu unbestimmt zu solchen Ermächtigungen für die Verwaltung, auch dann gelte, wenn es sich um begünstigende Akte handele. Es sei wohl eine allseits bekannte Tatsache, daß es keinen Landkreis gebe, i n dem ein rechtlicher Perfektionismus i n dem Sinne herrsche, daß alles Genehmigungsbedürftige tatsächlich genehmigt sei, daß etwa jede Wasseranlage i n ihrem Ausbauzustand die behördliche Zustimmung habe. Wer nun einen legalistischen Monismus vertrete, der müsse es billigen, wenn i n einem solchen Landkreis alles das stillgelegt werde, was nicht formal genehmigt worden sei. Eine solche Einstellung widerspreche jedoch einem wohlverstandenen Gemeinwohlbegriff. Es gebe Fälle, i n denen ein Rigorismus, der das 12·

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Gesetz strikt vollziehe, gemeinwohlabträglich sei. Professor Dr. Knöpfle Schloß hieraus, ob man nicht der Gefahr unterliege, den Gemeinwohlbegriff falsch zu verstehen, wenn man es immer nur auf die rechtliche Perfektionierung abstelle. Gerade das Gemeinwohl, so endete der Diskussionsredner, das nicht durch das Medium des Gesetzes bestimmt sei, sondern als — wie es Professor Dr. Dr. Becker bezeichnet habe — verfassunggestaltende Grundentscheidung der Gemeinwohlwahrung verstanden werden müsse, sei die dogmatische Rechtfertigung dafür, daß die Verwaltung i n vielen Fällen bei formalen Gesetzesverstößen großzügig verfahre. — Landrat Dr. Haarmann (Landkreis Stormarn) ergänzte das Tätigwerden der Verwaltung zur Gemeinwohlwahrung i m gesetzesfreien Bereich durch folgendes Beispiel: Der von ihm verwaltete Landkreis habe den Barackenbewohnern eines Grundstückes, auf dem ein Kinderheim errichtet werden sollte, eine Unterstützung von 10 000,— D M versprochen, wenn sie dieses möglichst bald räumten. Die Beschreitung des Rechtsweges durch eine Räumungsklage helfe hier i n der Praxis nicht weiter. Die i n Aussicht gestellten 10 000,— D M hätten jedoch bew i r k t , daß innerhalb einiger Wochen sämtliche Baracken geräumt worden seien und das Kinderheim errichtet werden konnte. Er, so folgerte der Diskussionsredner, halte ein solches Vorgehen für absolut legal, abgesehen davon, daß es wirtschaftlicher sei als die Gewährung eines i n 50 Jahren zurückzuzahlenden Baukostenzuschusses von etwa 25 000,—DM. Ein weiterer Fall gesetzesfreier Gemeinwohlwahrung stelle die von seinem Landkreis zum Zwecke des Zusammenschlusses zu Schulverbänden gewährte Subvention an die Gemeinden dar. Damit sich diese möglichst bald zur Beseitigung der Zwergschule zu Schul verbänden zusammenschlössen, würden ihnen über die i m Finanzausgleichsgesetz und dem Schulfinanzgesetz hinausgehenden Leistungen zusätzliche Beträge bis zu 50 o/o der Gesamtkosten gewährt. Diese Zahlung erfolge allein aufgrund der Haushaltslage des Landkreises, ohne daß dafür eine besondere rechtliche Grundlage vorhanden sei. — I n den Fällen, i n denen man zur Vermeidung eines Präzedenzfalles etwa eine Kulturveranstaltung einer Gemeinde nicht unmittelbar subventionieren könne, werde dieser Betrag bei einem später geplanten Straßenbau der Gemeinde zusätzlich gewährt. Dr. Haarmann meinte, an diesen Beispielen zeige sich, daß der Verwaltungsbeamte i m Rahmen der Gemeinwohlförderung nicht wie der Z i v i l rechtler immer nach dem quae sit actio fragen dürfe, daß er vielmehr — selbstverständlich i m Rahmen der Gesetze — dort handeln müsse, wo es notwendig erscheine. Oberverwaltungsgerichtsrat Feige (Kassel) meinte in diesem Zusammenhang, wenn man das Wohl der Allgemeinheit als Zweckbestimmung der gesamten Staatsordnung ansehe, der die Staatsorgane zu dienen hätten, dann dürfe man nicht nur fragen, welche Befugnisse die Staats-

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organe, sondern auch welche Pflichten sie wahrnehmen müßten. So müsse die Polizei u. U. zur Wahrung des Gemeinwohls auch dort einschreiten, wo eine spezialgesetzliche Ermächtigung nicht vorhanden sei. Dann sei es auch möglich, der ständig wachsenden Zahl der Verkehrstoten wirksam entgegenzutreten. Auch der 1962 i n Hamburg ausgebrochenen Flutkatastrophe hätte man schneller und wirksamer begegnen können, wenn die Polizei über die konkreten Gesetzesbestimmungen hinweg aus der unmittelbaren Bedrohung des Gemeinwohls ihre Legitimation zum sofortigen Einschreiten abgeleitet hätte (eine Behauptung, deren Erwiesenheit vom Diskussionsleiter Professor Dr. Knöpfle dahingestellt und die aus Zeitgründen nicht näher verfolgt wurde). Der Diskussionsredner folgerte aus den vorher erwähnten Beispielen, daß der Auftrag zur Gemeinwohlwahrung die Verwaltung mitunter auch zu Fehlgriffen veranlassen könne, was sich bei jeder von Menschen geleiteten Aktion nicht vermeiden lasse. Schlimmer als solche vereinzelt auftretenden Fehlgriffe sei jedoch das Unterlassen einer notwendigen Handlung, wenn es das Gemeinwohl dringend erfordere. Daß dieses Untätigbleiben häufig zu beobachten sei, erkläre sich aus dem Mangel der Verwaltung an Mut und Verantwortung zum Handeln. Die Frage nach der Gesetzesakzessorietät der Verwaltung wurde abschließend noch einmal von Oberregierungsrat Dr. Scholler (München) aufgegriffen. Er meinte, man müsse bei dem Gemeinwohlauftrag der Verfassung an den Gesetzgeber hinsichtlich der Leistungsverwaltung eine Unterscheidung zwischen der Aufgabenzuweisung und der Befugniszuweisung treffen. Nur bei der Befugniszuweisung müsse das Tätigwerden der Verwaltung zur Verwirklichung des Gemeinwohls i n dem vom Referenten dargelegten Sinne durch eine demokratisch parlamentarische Legalität ausgewiesen sein. Einer solchen Legitimität zur V e r w i r k lichung des Gemeinwohls bedürfe es aber nicht bei der Aufgabenzuweisung. Die Aufgaben zur Verwirklichung des Gemeinwohls, etwa die Schaffung von Wohnraum, stellten sich der Gemeinde, gleich ob diese Aufgaben i n Gesetzen konkretisiert seien oder nicht. Treffe das letztere zu, dann bleibe der Gemeinde zur Verwirklichung ihrer Gemeinwohlvorstellungen nichts anderes als die Flucht ins Privatrecht übrig. Die Verlagerung von Gemeinwohlaufgaben i n den Bereich des Privatrechts ohne Vorhandensein öffentlich-rechtlicher Befugnisse bedeute eine Gefahr für die öffentliche Verwaltung. Ltd. Regierungsdirektor Carlsson (Hamburg) befaßte sich dann mit der Behauptung des Referenten, die Gemeinwohlklauseln der §§ 24 Abs. 2 und 87 Abs. 1 BBauG entzögen sich einer gesetzesimmanenten Entschlüsselung, weil die i n § 1 BBauG angegebenen Gesetzesziele zu kontrovers und verschieden seien, als daß sie noch irgendwie auf einen einheitlichen Nenner gebracht werden könnten. Der Diskussionsredner meinte hierzu,

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der Gesetzgeber habe erkannt, daß die in § 1 BBauG aufgezählten verschiedenen Gesichtspunkte, die das Gemeinwohl ausmachen, zueinander i n Gegensatz stehen könnten. Dieses gehe aus § 1 BBauG selbst hervor, i n dem es u. a. heiße, daß bei der Aufstellung von Bauleitplänen die öffentlichen und privaten Belange gegen- und untereinander, die i n sich also gegeneinanderstehenden, abzustimmen seien. Der Gesetzgeber fordere demnach zur Bestimmung des Gemeinwohls, daß alle Interessen der von der Maßnahme Berührten und nicht etwa nur die der unmittelbar Betroffenen festzustellen und sorgfältig gegeneinander abzuwägen seien. Damit werde aber dem schon i n den voraufgegangenen Vorträgen aufgestellten Grundsatz, das Gemeinwohl könne nur von Fall zu Fall unter ständiger Berücksichtigung sämtlicher, sich stetig wandelnder Interessen ermittelt werden, entsprochen. Der Diskussionsredner wies dann abschließend darauf hin, daß auch beim Vorhandensein eines übereinstimmenden Sachinteresses aller Beteiligten die zeitliche Komponente für die i n Aussicht genommene Maßnahme noch zu berücksichtigen sei, denn das gemeinsame Sachinteresse schließe nicht auf das allseitige Einverständnis hinsichtlich der zeitlichen Durchführung der Maßnahme. Die von Professor Dr. Rupp zu der Problematik des § 80 VwGO getroffenen Erwägungen wurden von Regierungsrat Dr. Gillessen (München) m i t dem Bemerken ergänzt, auch das die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes rechtfertigende öffentliche Interesse, das verschieden sei oder weiter gehe als das dem Erlaß des Verwaltungsaktes zugrunde liegende Interesse, lasse sich nicht vom Gesetzgeber allgemeinverbindlich und substantiiert beschreiben, sondern könne wiederum nur durch das Zusammenwirken von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung von Fall zu Fall ermittelt werden. I n seinem Schlußwort, i n dem Professor Dr. Rupp wegen der fortgeschrittenen Zeit nicht auf alle Ausführungen der bewegt geführten Diskussion eingehen konnte, begegnete der Referent noch einmal der wiederholt an die Wissenschaftler gestellten Forderung, Maßstäbe für die Bestimmung des Begriffs „Wohl der Allgemeinheit" zu geben. Er meinte hierzu, auch er als Wissenschaftler sei wie die meisten Tagungsteilnehmer nur Jurist, dessen Arbeitsweise i n der juristischen Exegese bestehe. Wenn diese zu einer ausreichenden Bestimmung der Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" nicht führe, dann müsse man sich ernsthaft fragen, ob eine auf das Gemeinwohl gestützte Ermächtigung noch dem demokratischen rechtsstaatlichen System entspreche. Er sei nicht i n der Lage, die häufig gestellte Frage zu beantworten, ob nicht eine andere Handhabung und andere Methoden bei der Auslegung der Begriffe weiterhelfen könnten. Auch die bei der juristisch exegetischen Methode mitverwandte Topik könne nicht die Lösung für eine jegliche Begriffsbestimmung bieten, und auch das i n die Diskussion eingeführte

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Problemdenken, dessen Anwendung er durchaus bejahe und das einen Fortschritt gegenüber den hergebrachten Subsumtionsautomatismen darstelle, könne keine allgemeinverbindliche Methode für die Begriffserklärung geben, wenngleich eine derartige Methode einen Gewinn darstelle. I m übrigen bestehe die Jurisprudenz nicht nur aus bloßer Subsumtion i m hergebrachten System der Gesetzesexegese. Sie sei vielmehr seit eh und je mehr als bloßer Automatismus i n dem Sinne, daß der Richter nur der Mund des Gesetzes sei, der auszusprechen habe, was i m Gesetz bereits vorgefertigt stehe. Nur müsse man erkennen, daß dort, wo alle i n der Wissenschaft erprobten Methoden einschließlich der Topik nicht zu einer Begriffserklärung führten, die Verwendung dieser Begriffe auf eine reine Dezision hinauslaufe. Man müsse die Ehrlichkeit zu dieser Erkenntnis besitzen und sich fragen, ob eine solche Dezision verfassungsrechtlich legitim sei. Demgegenüber halte er es für unvertretbar, so zu tun, als ob es sich nicht u m eine Dezision handele und dabei i m Rahmen einer apokryphen Exegese eine Begriffsbestimmung vorzunehmen. Ein solches unehrliches Verfahren lehne er ab. Professor Dr. Rupp wandte sich dann dem Problem der nicht gesetzesakzessorischen Verwaltung zu, das, wie bei so mancher Tagung, auch in der Diskussion über diesen seinen Vortrag i n den Mittelpunkt getreten sei, obwohl er i n seinen Ausführungen dieses Problem nur am Rande gestreift habe. Er stehe keinesfalls auf dem Standpunkt, daß die Verwaltung für jedwede Aussage eine gesetzliche Ermächtigung benötige, bemerkte Professor Dr. Rupp. Aber er halte es für unentbehrlich, daß für grundsätzliche Fragen ein demokratischer Willensbildungsprozeß erforderlich sei. Gerade das Beispiel der Subvention belege sehr deutlich, wohin es führe, wenn die Regierung eine eigenmächtige Subventionspolitik treibe. Dadurch werde der Haushalt derart belastet, daß für andere vorrangige Aufgaben keine M i t t e l mehr zur Verfügung ständen. Dieser Zustand, wie er heute gegeben sei, gehe auf eine überwiegend von gesetzlichen Ermächtigungen losgelöste Subventionspolitik zurück, die schwer wieder rückgängig gemacht werden könne. — Zu den bei ihm kritisierten Ausführungen zu § 24 BBauG bemerkte Professor Dr. Rupp, es sei nichts dagegen einzuwenden, daß das Bundesbaugesetz i n § 1 wie auch i n anderen Bestimmungen eine Vielfalt nicht ganz widerspruchsfreier Vorstellungen über das Gemeinwohl enthalte. Es sei aber nicht zulässig, dieses Bündel sich widersprechender Vorstellungen zur Interpretation des § 24 zu benutzen, weil andere Auslegungsmerkmale nicht zur Verfügung stünden. — Abschließend äußerte sich Professor Dr. Rupp noch zu der in der Diskussion angeschnittenen Frage, ob man dort, wo man mit Hilfe der Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" die Stringenz des Verwaltungsrechts verlasse, von einer juristischen Knochenerweichung sprechen könne. Er sei i n der Tat der Auffassung, daß bei den

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als Beispiel angeführten Fällen der Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte mit einer Heranziehung der Begriffe „guter Glauben", „Vertrauensschutz" die Stringenz des Verwaltungsrechts mehr oder weniger aufgelöst werde. Wenn man etwa bei der Rückforderung einer Leistung aufgrund eines fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes nur deshalb von einer Verwirklichung des Anspruches absehe, weil sie auf den Unwillen des Verpflichteten stoße, und wenn man dieses mit dem Gutglaubensschutz begründe, dann sei damit die Grenze verwaltungsrechtlicher Erwägungen überschritten. Es ginge jedoch, so schloß Professor Dr. Rupp, i n Anbetracht der Vielschichtigkeit des Problems zu weit, derartige Feststellungen auch bezüglich der Anwendung der Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" ohne weiteres zu treffen.

VI. Die Diskussion zu dem Vortrag „Allgemeines Wohl und öffentliche Interessen i n der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte" von Magnifizenz Professor Dr. Ule am Ende der Tagung befaßte sich mit Problemen dieses Referats und noch einmal mit der sich durch die ganze Tagung hindurchziehenden grundsätzlichen Frage, wo die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" ihren rechtlichen Entstehungsgrund haben und wie sie inhaltlich zu bestimmen sind. Zunächst ging Dr. Neis (Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht) auf die von Magnifizenz Professor Dr. Ule aufgeworfene Frage ein, ob es zur Durchsetzung des i n den Gesetzen konkretisierten allgemeinen Wohls i n der Rechtsprechung neben den Verwaltungsgerichten noch einer besonderen Einrichtung, nämlich des Oberbundesanwalts beim Bundesverwaltungsgericht und der Vertreter des öffentlichen Interesses i n den Ländern, bedürfe. Die Frage nach der Rechtfertigung dieser Institutionen werde auch von deren Angehörigen selbst gestellt. Dabei müsse man bedenken, daß es nicht Aufgabe des Gerichts sei, über die Entscheidung des anhängigen Rechtsstreits hinaus grundsätzliche Erkenntnisse zu liefern. Man könne daher die Äußerung von Magnifizenz Professor Dr. Ule, die Rechtsprechung habe über die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" keine grundsätzlichen Erkenntnisse beigetragen, nicht als eine Wertung, sondern allenfalls als eine Feststellung betrachten. Dort, wo sich das Gericht mit der Anwendung des Begriffs „öffentliches Interesse" i n einer speziellen Vorschrift befasse, erschöpfe sich seine Tätigkeit darin, diesen Begriff i m Sachzusammenhang mit der Norm zu entscheiden. Deshalb könne man nicht sagen, die Rechtsprechung lasse einen bei der Herausarbeitung grundsätzlicher Erkenntnisse zum I n -

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halt der Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" i m Stich. — Dr. Neis fuhr fort, die Frage, ob ein öffentliches Interesse zum Einschreiten der von ihm vertretenen Behörde vorliege, beantworte sich i n den meisten Fällen aus sich selbst heraus, sofern der eigentliche Streitgegenstand offen liege. Es werde dann geprüft, wie sich die Entscheidung des Gerichts i n der Praxis des Staatslebens auswirke. So liege bei der Frage, ob ein Kraftwagen zu nächtlicher Stunde unter einer Laterne parken dürfe, und ob dieses Parken von einer Genehmigung oder von der Erhebung einer Gebühr abhängig gemacht werden dürfe, das öffentliche Interesse auf der Hand, weil beinahe jeder zweite Bürger von dem Ausgang des Rechtsstreits betroffen werde. Nicht anders verhalte es sich mit dem Problem, ob gebührenpflichtige polizeiliche Verwarnungen i m Verwaltungsrechtswege angefochten werden können. Diese Beispiele ließen sich noch um ein Vielfaches ergänzen. I n den meisten Fällen beantworte sich die Frage nach dem öffentlichen Interesse also pragmatisch. Er, so betonte Oberbundesanwalt Dr. Neis, verkenne nicht das Bedürfnis nach einer dogmatischen Klärung des Begriffes „öffentliches Interesse". Die Bedeutung einer solchen Begriffserklärung trete jedoch für den pragmatisch arbeitenden Juristen, zu denen auch die Angehörigen seiner Behörde gehörten, etwas i n den Hintergrund. Dr. Neis bemerkte dann abschließend, in dem von Magnifizenz Professor Dr. Ule gehaltenen Referat sei nicht ganz deutlich geworden, daß die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" nach seiner Meinung i n einer Rangfolge zueinander stünden, wenngleich sie ihrem Wesen nach das Gleiche zum Inhalt hätten. Bei der Anwendung des Begriffs „Gemeinwohl" betrachte man den Sachverhalt jedoch von einer höheren Warte als unter Zugrundelegung des Begriffs „öffentliche Interessen". Eine solche Betrachtungsweise der Begriffe, so endete Dr. Neis, führe jedenfalls dazu, die Problematik um diese und ihr Verhältnis zueinander ein wenig zu entschärfen. Professor Dr. Knöpfle setzte sich dann mit der von Magnifizenz Professor Dr. Ule angeführten Rechtsprechung der bayerischen Gerichte zur Frage des Gemeinwohls bei kommunaler Gebietsänderung auseinander. Er wies i n diesem Zusammenhang auf die frühere Fassung des Art. 11 Abs. 3 BayGO hin, wonach durch Rechtsverordnung der Staatsregierung, die der Zustimmung des Landtags bedurfte, die Auflösung von Gemeinden gegen deren Willen und die Neubildung von Gemeinden verfügt werden konnte. Bei einem Rechtsstreit über die Zulässigkeit dieser Bestimmung habe die bayerische Staatsregierung die Auffassung vertreten, die Wahrung des öffentlichen Interesses sei dadurch sichergestellt, daß bei diesen Neugliederungsmaßnahmen das Parlament eingeschaltet sei, das ja den Auftrag zur Wahrung des Gemeinwohls habe. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe demgegenüber festgestellt, i n der fraglichen

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Bestimmung sei die Verwaltung zu frei gestellt, so daß ein willkürliches Vorgehen nicht ausgeschlossen sei. Die Frage, ob es einen ungeschriebenen Rechtssatz der stetigen Gemeinwohlbezogenheit gebe, sei durch das Gericht nicht erörtert worden. Die Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes habe dann auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof (EBayVerfGH Bd. 7 S. 113) geteilt. Als Konsequenz dieser Erkenntnis habe dann der Gesetzgeber bei der Neufassung des A r t . 11 GO die Voraussetzungen für die Um- und Neugliederungen um das Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Wohls ergänzt. Als dann einige Jahre später die Auskreisung der Stadt Dachau i m Streit gestanden habe, sei durch das Gericht festgestellt worden, der Sinn der auf das öffentliche Wohl abgestellten Neugliederungsvorschrift des Art. 5 Abs. 3 BayGO bestehe darin, daß der Staatsregierung i m allgemeinen öffentlichen Interesse die rechtliche Möglichkeit eröffnet werden solle, soziologischen Strukturwandlungen dadurch Rechnung zu tragen, daß die Organisation von Gemeinden und Gebietskörperschaften geändert werden könne. Umorganisationen seien also i m allgemeinen öffentlichen Interesse zuzulassen. Eine solche Gerichtsentscheidung, so folgerte Professor Dr. Knöpfle, gehe doch von einem ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz zur Gemeinwohlwahrung aus, dessentwegen hier das Gericht die Unbestimmtheit der Norm hingenommen habe. Diese beiden Beispiele, so meinte Professor Dr. Knöpfle, berechtigten zu der Annahme, daß eine Aporie darüber bestehe, ob es einen ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz der Gemeinwohlförderung gebe und ob die Gemeinwohlförderung erst durch entsprechende gesetzliche Bestimmungen zur Pflicht gemacht werde. Daraus ergebe sich dann wiederum die Frage, ob solche gesetzlichen Bestimmungen dann konstit u t i v seien oder ob sie i m Grunde nur deklaratorisch das wiedergäben, was ohnehin schon verfassungsrechtlich vorgeschrieben sei. — Der Diskussionsredner wandte sich dann gegen die von Magnifizenz Professor Dr. Ule erwähnte Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, wonach der Begriff „öffentliches Wohl" bei der Neugliederung als unbestimmter Rechtsbegriff zu betrachten sei, daß aber dann, wenn dieses öffentliche Wohl rechtsirrtumfrei festgestellt werde, noch immer ein Ermessen bleibe, ob eine Neugliederungsmaßnahme zu veranlassen sei oder nicht. Professor Dr. Knöpfle stellte hier die Frage, wo denn für eine Ermessensausübung noch Raum sei, wenn vorweg die Frage, ob dringende Gründe des öffentlichen Wohls vorlägen, eindeutig bejaht werde. M i t einer dann noch durchgreifenden Ermessensabwägung werde dieses erste Tatbestandsmerkmal doch wieder aufgehoben. Es sei jedenfalls schwer zu erkennen, welche Maßstäbe der Verwaltung dann noch für eine Ermessensentscheidung übrig bleiben, wenn vorweg dringende Gründe des öffentlichen Wohls bereits festgestellt seien. Auch hier zeige sich letztlich wieder, wie schwer es sei, den Begriff „Wohl der Allgemeinheit" inhaltlich zu bestimmen und rechtlich einzuordnen.

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Zu der von Magnifizenz Professor Dr. Ule i n seinem Referat angedeuteten Problematik, daß der Vertreter des öffentlichen Interesses i n Bayern und Baden-Württemberg zugleich die nach § 36 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässige Aufgabe habe, das Land oder Landesbehörden allgemein oder für bestimmte Fälle i m Prozeß zu vertreten, bemerkte Ministerialrat Dr. Prandi (München), dieses sei nicht der einzige Fall, i n dem ein Aufgabenträger unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten zu handeln habe. Er denke dabei an alle die Länder, i n denen der Landrat kommunale und staatliche Aufgaben wahrzunehmen habe. Durch streng sachliches Denken und sorgfältiges Abwägen könne man hier einem unlösbaren Konflikt aus dem Wege gehen. — Dr. Prandi fuhr dann fort, er teile die von Magnifizenz Professor Dr. Ule geäußerte Ansicht, daß auch dort, wo nach den Landesbestimmungen Eingemeindungsakte in Gesetzesform ergingen, diese ihrer Rechtsnatur nach nichts anderes sein könnten als Verwaltungsakte, die i n Bayern nicht i m Normenkontrollverfahren, sondern i m Rahmen einer Anfechtungsklage auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden könnten. Eine andere Frage sei dagegen, ob man ein Gesetz, das die Reform der kommunalen Neugliederung i n ganz Bayern zum Gegenstand habe, der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung dadurch zuführen könne, daß man behauptet, es handele sich hier insgesamt um gebündelte Einzelverwaltungsakte. — Der Diskussionsredner hob i n diesem Zusammenhang hervor, er und wohl alle anderen Beamten der Kommunalabteilung des bayerischen Staatsministeriums des Innern begrüßten es, daß der Begriff „Wohl der Allgemeinheit" der uneingeschränkten richterlichen Prüfung unterliege. Die Rechtsprechung leiste hier für die Praxis wertvolle Hilfe. Es zeige sich nämlich bei der Rechtsprechung, daß diese den Begriff „Wohl der Allgemeinheit" weiter auslege als es die Verwaltung gerade in Neugliederungs- und Eingemeindungsfragen zu tun wage. Regierungsrat Dr. Gillessen (München) bemerkte sodann i m Hinblick auf ein zusammenf assendes Ergebnis dieser Tagung, daß gerade das interessante Schlußreferat von Magnifizenz Professor Dr. Ule den eingangs gehegten Eindruck beseitigt habe, diese Fortbildungsveranstaltung könne den i n der Praxis tätigen Verwaltungsbeamten nichts m i t auf den Weg geben. Wenn auch eine inhaltliche und allgemeingültige Bestimmung der Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliches Interesse" nicht möglich sei, so bestehe der Nutzen dieser Tagung doch i n der Erkenntnis, daß überall dort, wo diese Begriffe verwandt würden, eine gewissenhafte Feststellung der vorhandenen Interessen und deren sorgfältige A b wägung erforderlich seien. Ein solches mit der Verwendung dieser Begriffe gefordertes Abwägungsprinzip verlange zugleich von demjenigen, der die Norm anwende, einen Begründungszwang seiner Entscheidung. Vereinfacht ausgedrückt könne man sagen, überall dort, wo der Begriff „öffentliches Wohl" und andere diesem gleichlautende Begriffe verwen-

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det würden, habe eine ganz besonders gewissenhafte Abwägung sämtlicher für die Entscheidung des Einzelfalles relevanter Interessen stattzufinden. Regierungsassessor Koehler (Kiel) wollte i m Hinblick auf die bei der inhaltlichen Bestimmung der Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliches Interesse" auftretenden Schwierigkeiten an den Gesetzgeber die Forderung gerichtet wissen, diese Begriffe bei der Verwendung i n Rechtsnormen mehr i n positivem Sinne zu beschreiben. Der Gesetzgeber nehme nämlich i n den meisten Gesetzen, i n denen er derartige Begriffe verwende, eine Abgrenzung zum Negativen h i n vor, indem er ζ. B. formuliere, „soweit nicht öffentliche Interessen entgegenstehen". Zum Abschluß der Diskussion wurde noch einmal die Frage gestellt, ob das Gemeinwohl ein oberster Verfassungsgrundsatz sei oder eine Grundentscheidung der Verfassung. Regierungsrat Dr. Wiese (Kiel) bemerkte hierzu, wenn man den Staat i n Anlehnung an Herbert Krüger als einen menschlichen Verband zur Meisterung äußerer und innerer Lagen bezeichne, dann müsse man i h m zugleich die Aufgabe zur Wahrnehmung des Gemeinwohls zuschreiben. Es gebe überhaupt keine Definition des demokratischen Staates, die nicht das Gemeinwohl als inhaltlichen Bestandteil mit umfasse. I m modernen Staat gebe es keine Tätigkeit, die nicht am Gemeinwohl ausgerichtet sei. Es erscheine ihm daher sinnvoller, den Begriff des Gemeinwohls in die Mitte jeglicher staatlicher Tätigkeiten zu stellen und ihn nicht so sehr als eine Schranke zu sehen. Dr. Wiese Schloß dann mit dem Bemerken, daß sich die Auseinandersetzung um die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliche Interessen" nicht auf die Fragen beschränken dürfe, ob ein Ermessensbegriff oder ein unbestimmter Rechtsbegriff vorliege und wie dieser inhaltlich zu bestimmen sei, sondern daß sich damit auch die Frage nach dem Sinn und Zweck unseres Staates stelle. Professor Dr. Ryffel bemerkte hier noch einmal zum Begriff des Gemeinwohls, daß es sich dabei um einen Leitbegriff handele, der seiner Funktion wegen unbestimmt bleiben müsse. Könnte man ihn vollständig bestimmen, dann wäre er i n unserer Welt nicht verwendbar, denn dann müßte diese eine erstarrte Welt sein, i n der w i r Menschen gar nicht zu leben vermöchten. Es bestehe daher kein Grund, unbefriedigt zu sein, daß dieser Begriff unbestimmt sei. Wenn man i n diesem Zusammenhang überhaupt von einer Aporie spreche, dann allenfalls von einer nutzbringenden. Auch Professor Dr. Morstein Marx befaßte sich hier noch einmal mit dem Sinn des Begriffs „Gemeinwohl". Er meinte, auch wenn i n unserer Zeit eine inhaltliche Bestimmung dieses Begriffes nicht möglich sei, hätte er gerade für die Verwaltung eine große Bedeutung. Man solle sich einmal

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fragen, was geschehen würde, wenn w i r diesen Bezugspunkt zu entbehren hätten, wenn er uns nicht eine stets neue Fragestellung vorzeichne, auf die w i r uns zu orientieren hätten. Daß hier wie anderswo eine abschließende normative Antwort einfach nicht möglich sei, gebe uns einerseits die Last des Problems, andererseits aber die Beglückung einer schwierigen Aufgabe, die uns Möglichkeiten biete. Gerade die Objektivierung nach dem Möglichen bei der Ausfüllung des Inhalts des Gemeinwohlbegriffs i m Hinblick auf eine konkrete Fragestellung sei für die Verwaltung trotz der damit verbundenen Anstrengungen eine anziehende Aufgabe, denn die Verwaltung könne hier besser als jemand anders auf den Fundus des eigenen Sachverstandes zurückgreifen. Eine Verwaltung, die auf eine solche Aufgabe ausgerichtet sei, dürfe sich freilich nicht selbst mit ihrem beruflichen Bewußtsein i n den Vordergrund schieben. Sie habe diese Aufgabe vielmehr nur i m Rahmen eines vollen Verständnisses für die sie umschließende politische Ordnung zu erfüllen. Und diese politische Ordnung sei i n der Bundesrepublik die demokratische Ordnung. I n seinem Schlußwort ging Magnifizenz Professor Dr. Ule nur auf die sein Referat betreffenden Diskussionsbeiträge ein. Er bestätigte Oberbundesanwalt Dr. Neis, daß er m i t seiner Feststellung, die Rechtsprechung habe zur inhaltlichen Bestimmung der Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliches Interesse" keine wesentlichen Erkenntnisse beigetragen, nicht habe sagen wollen, die Rechtsprechung habe hier versagt. Das wäre ein Vorwurf, den er gegenüber der Rechtsprechung nicht erhoben habe. Er habe kein Werturteil gefällt, sondern lediglich einen Bericht über die Rechtsprechung gegeben. Die Frage, warum die Rechtsprechung in manchen Fällen, i n denen sie zum Gemeinwohlbegriff eine Stellungnahme hätte abgeben können, dieses gleichwohl nicht getan habe, sei ein besonders über seinen Vortrag hinausgehendes Problem, das an anderer Stelle untersucht werden müsse. Er persönlich meine allerdings, daß i n manchen sich auf die Begriffe „Wohl der Allgemeinheit" und „öffentliches Interesse" beziehenden Fragen vielleicht das eine oder andere klärende Wort auch von der Rechtsprechung zu erwarten gewesen wäre. Magnifizenz Professor Dr. Ule ging dann auf die von Professor Dr. Knöpfle erwähnte Bestimmung des Art. 11 BayGO ein, wonach trotz der Feststellung dringender Gründe des öffentlichen Wohls immer noch eine Ermessensentscheidung stattzufinden habe. Derartige Rechtssätze, so meinte Magnifizenz Professor Dr. Ule, hätten eine ausgesprochen falsche Struktur. Die in ihnen normierte Ermessensausübung könne tatsächlich nicht mehr stattfinden, wenn vorher bejaht worden sei, daß dringende öffentliche Interessen für eine bestimmte Entscheidung sprächen. Die von Ministerialrat Dr. Prandi vertretene Auffassung zu der von i h m i n seinem Referat angedeuteten Doppelstellung des Vertreters des öffentlichen

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Interesses in Bayern und Baden-Württemberg kennzeichnete Magnifizenz Professor Dr. Ule als eine A r t Zwei-Seelen-Theorie. Eine eingehende Beschäftigung mit diesem Problem überschreite jedoch das Thema dieser Tagung. Magnifizenz Professor Dr. Ule Schloß m i t dem Bemerken, daß das Thema dieser Fortbildungsveranstaltung nicht nur die Problematik hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung der dort angeführten Begriffe umfasse, sondern daß hinter allem wohl auch die Problematik einer Staatszwecklehre stehe. Diese aber führe hier i n ein zu weites Feld.